Medizin und Haftung
Hans-Jürgen Ahrens • Christian von Bar Gerfried Fischer • Andreas Spickhoff Jochen Taupitz Herausgeber
Medizin und Haftung Festschrift für Erwin Deutsch zum 80. Geburtstag
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Herausgeber Prof. Dr. Andreas Spickhoff Universität Regensburg Forschungsstelle für Medizinrecht und Gesundheitsrecht Universitätsstraße 31 93053 Regensburg
[email protected]
Prof. Dr. Hans-Jürgen Ahrens Universität Osnabrück Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht Katharinenstraße 13-15 49069 Osnabrück
[email protected] Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Christian von Bar Universität Osnabrück European Legal Studies Institut Heger-Tor-Wall 12 49074 Osnabrück
[email protected] Prof. Dr. Gerfried Fischer, LL.M. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Juristische Fakultät Universitätsplatz 10a 06108 Halle (Saale)
[email protected]
ISBN 978-3-642-00611-1
Prof. Dr. Jochen Taupitz Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim (IMGB) Schloss, Westflügel 68131 Mannheim
[email protected]
e-ISBN 978-3-642-00612-8
DOI 10.1007/978-3-642-00612-8 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandgestaltung: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de
Zum Geleit: Erwin Deutsch 80 Jahre
Erwin Deutsch vollendet am 6. April 2009 sein 80. Lebensjahr. Schon der 80. Geburtstag? Ist nicht vielen die akademische Feier und die Übergabe der Festschrift zum 70. Geburtstag in der altehrwürdigen Aula der Georg AugustUniversität am Wilhelmsplatz in frischer Erinnerung? Wer wie der Verfasser der nachfolgenden Zeilen regelmäßig mit dem Jubilar telefoniert, möchte den Ablauf von zehn weiteren Jahren seit der damaligen Feier kaum für möglich halten. Denn der Tatendrang von Erwin Deutsch erscheint ungebremst, die wissenschaftliche Produktivität der letzten zehn Jahre kann manchen im Amt befindlichen Lehrstuhlsinhaber neidvoll erblassen lassen, und seine den wahren Wissenschaftler kennzeichnende, jedoch so nicht oft erfahrbare Neugier ist immens. Gewiss, die Gesundheit und das Schicksal haben Erwin Deutsch in den letzten zehn Jahren manchmal in einer Weise zu schaffen gemacht, die andere zerbrechen lassen hätten. Doch sein Wissensdurst, daraus folgende stets neue Pläne und die Arbeit haben sicherlich dabei geholfen, die Dinge so zu nehmen, wie sie nun einmal sind. Unschätzbare Unterstützung hat Erwin Deutsch bei alledem von seiner Familie (mit neun Enkeln) erfahren, allen voran von seiner ihn liebevoll umsorgenden Frau Hanna. Wenn Erwin Deutsch als „arztrechtliches Urgestein“ (so eine schöne Formulierung von Hans Lilie) über Patienten und ihre Rechte, über die Patientenautonomie, redet, weiß er, worüber er spricht. Nimmt man sich indes ein wenig Zeit und lässt die letzten zehn Jahre Revue passieren1, dann merkt man schnell, wozu Erwin Deutsch sie genutzt hat. Er ist keiner, der Ankündigungen keine Taten folgen lässt, wohl aber jemand, der ohne Ankündigung viel tut. Erst nach seiner Emeritierung hat er sich der Literaturgattung des Gesetzeskommentators verschrieben und (mittlerweile in zweiter Auflage) einen Kommentar zum AMG und einen weiteren zum MPG (dessen zweite Auflage geplant ist) mitverfasst und herausgegeben. Überhaupt legt Erwin Deutsch mehr Wert auf das eigene Verfassen von Publikationen als auf die bloße Herausgeberschaft. Mitverfasst hat Erwin Deutsch das Standardhandbuch zum Transfusionsrecht (mittlerweile in der zweiten Auflage erschienen). Das Lehrbuch zum Medizinrecht ist in der fünften und sechsten Auflage zu etwa der Hälfte weiter von ihm mitbetreut worden und hat mittlerweile die Schallgrenze der tausend Seiten durchbrochen. Wer deshalb meint, Erwin Deutsch könne sich nicht mehr kurz fassen, liegt falsch. Wohl aber entspricht der Bedeutungszuwachs des Medizinrechts dem Umstand, dass sich das Werk von der ersten bis zu aktuellen Aufla1
Eine ausführliche Würdigung von Erwin Deutsch als Rechtswissenschaftler, Richter und rechtspolitischer Ratgeber findet sich bei Ahrens, FS Deutsch, 1999, S. 1 ff.
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ge vom Volumen her etwa verdreifacht hat. Neu aufgelegt worden ist auch das Lehrbuch zu den Unerlaubten Handlungen (nunmehr mit dem Obertitel „Deliktsrecht“, zusammen mit Hans Jürgen Ahrens); eine weitere Neuauflage erscheint demnächst. Gleich drei weitere Neuauflagen hat das Lehrbuch zum Versicherungsrecht erhalten; die letzte (2008) enthält die erste Gesamtdarstellung des unmittelbar zuvor neugefassten VVG. Aus der Fülle weiterer Aufsätze, Anmerkungen, Buchrezensionen usw. der letzten zehn Jahre2 seien zwei Themenkreise herausgegriffen, welche die wissenschaftliche Neugier des Jubilars, aber auch seine kritische Distanz zu manchen neueren Entwicklungen exemplifizieren mögen. Es handelt sich zum einen um das permanente Interesse von Erwin Deutsch an der medizinischen Forschung, ihrer Entwicklung und den sie betreffenden juristischen Rahmenbedingungen. Nach 19993 hat er zwei weitere beeindruckende internationale Kongresse initiiert, deren zweiter hier in Göttingen soeben abgeschlossen worden ist.4 Nur am Rande sei dankend hervorgehoben, dass die VW-Stiftung diese Tagungen, die sich allesamt durch ein wahrlich interdisziplinär und international mehr als respektables Teilnehmerfeld ausgezeichnet haben, finanziert und dadurch ermöglicht hat. Sie hat damit auf beeindruckende Weise ihrer frühen Förderung des Medizinrechts unter der Leitung der Altmeister Erwin Deutsch und Hans-Ludwig Schreiber in Göttingen Kontinuität verliehen. Bis auf den heutigen Tag ist Erwin Deutsch übrigens Mitglied der Ethik-Kommission der Medizinischen Hochschule in Hannover. Den zweiten Akzent, der an dieser Stelle hervorgehoben sei, hat Erwin Deutsch wiederum im Kontext von Rechtsfragen der (typischerweise, aber nicht notwendig medizinischen) Forschung gesetzt. Wohl als der erste und bis heute als einer von ganz wenigen hat er nämlich die Praxis der Kontrolle guten wissenschaftlichen Standards durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Gestalt von Ombudskommissionen auf den verschiedenen Ebenen (der universitären oder auch derjenigen der DFG) durchaus – und mit Grund – kritisch begleitet. Da die DFG in zivilrechtlichen Handlungsformen auftritt, hat Erwin Deutsch ihren von ihm spöttisch „wissenschaftspolizeilichen“ Aktivitäten Grenzen aufgezeigt, freilich nicht ohne zu bemerken, dass eine Organisation, die de facto ausschließlich aus öffentlichen Geldern gespeist wird, sich der Grundrechtsbindung nicht einfach durch eine „Flucht ins Privatrecht“ entziehen kann. Wenn deswegen juristische Zweifelsfragen (wie etwa die Abgrenzung des Heilversuchs vom wissenschaftlichen Experiment), vor allem aber methodische Einwände gegen Forschungsmaßnahmen von Wissenschaftlern bei voller Namensnennung in der regionalen und überörtlichen Tagespresse durch die DFG angeprangert werden (was eine Hochschulleitung nie tun dürfe, ohne gegen die grundgesetzlich garantierte Wissen2
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Diese sind in dem am Ende dieser Festschrift abgedruckten Schriftenverzeichnis, freilich in den Grenzen des den Herausgebern Auffindbaren, zusammengestellt. Zu den früheren Veröffentlichungen siehe Festschrift für Erwin Deutsch 1999, S. 995-1029. Dokumentiert im Tagungsband: Deutsch/Taupitz, Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle in der Medizin – Zur geplanten Deklaration von Helsinki, 2002. Eine vorherige Tagung fand 2003 in Regensburg statt (dokumentiert im Tagungsband Deutsch/Schreiber/Spickhoff/Taupitz, Die klinische Prüfung in der Medizin – Europäische Regelungswerke auf dem Prüfstand, 2005).
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schaftsfreiheit zu verstoßen), dann ist insoweit in der Tat mehr als nur leise Kritik angezeigt. Dass Erwin Deutsch diese Kritik als Emeritus unbefangen aussprechen kann, liegt auf der Hand; er hätte seine Kritik aber auch zu Zeiten, als er noch nicht entpflichtet war, nicht minder deutlich verlauten lassen. Neben praktischen Hilfestellungen für Mediziner in konkreten Fällen, die häufig in wissenschaftliche Beiträge gemündet sind, unterrichtet Erwin Deutsch bis auf den heutigen Tag gerne und – wie man hört – mit nach wie vor großem Zuspruch, wobei er seit der „Wende“ neben der Lehrtätigkeit in Göttingen auch regelmäßig arztrechtliche, haftungsrechtliche, immaterialgüterrechtliche oder versicherungsrechtliche Veranstaltungen an der Martin Luther-Universität HalleWittenberg anbietet. Gefreut hat ihn, als er vor nicht all zu langer Zeit im Göttinger Tageblatt von einem heutigen Botschafter der Bundesrepublik und einem früheren Göttinger Jura-Studenten als einer von drei akademischen Lehrern der Juristischen Fakultät erwähnt wurde, die einen besonders lang anhaltenden Eindruck hinterlassen haben.5 Das achte Lebensjahrzehnt war für Erwin Deutsch neben einer Zeit weiteren Säens auch ein Jahrzehnt der Ernte. Sein wissenschaftliches Wirken ist nach wie vor durch zahlreiche Zitate in höchsten Gerichtsentscheidungen, vor allem aber auch durch zwei weitere Ehrendoktorate gewürdigt worden: Die Juristische Fakultät der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg verlieh ihm für seine Verdienste rund um den Wiederaufbau der Hallenser Fakultät und seinen späteren Einsatz einen Dr. iur. h. c., die Juristische Fakultät der Dokuz Eylül-Universität Izmir verlieh Erwin Deutsch einen weiteren Dr. iur. h. c. Dass der Jubilar weit über die Grenzen Deutschland hinaus gewirkt hat, zeigte sich bei der Verleihung der letztgenannten Ehrendoktorwürde beispielhaft auch daran, dass der damalige Dekan der dortigen Rechtsfakultät, ùeref Ertaú, ein Doktorand von Erwin Deutsch war. Die Medizinische Fakultät der Universität Göttingen ehrte Erwin Deutsch mit der Albrecht-von-Haller-Medaille für seine Verdienste. Es versteht sich von selbst, dass Erwin Deutsch, seit jeher kleinere, aber auch größere Reisen liebend, die jeweiligen Ehrungen vor Ort in würdigen akademischen Feiern in Empfang genommen hat, übrigens gern auch die jeweiligen Talare, von denen sich in der Höltystraße nun mittlerweile eine schöne Sammlung befinden muss. Dass Erwin Deutsch ein Vorreiter für die Abschaffung alter akademischer Bräuche ist, wird man wohl nicht sagen dürfen. Auch abgesehen von solchen Anlässen hat Erwin Deutsch es sich auch in den letzten zehn Jahren nicht nehmen lassen, ins Ausland – und zwar bis hin auf die andere Seite der Erdkugel (Asien, Australien, Neuseeland) – zu reisen. Besondere Freude hat ihm ein Besuch der Columbia University im Sommer 2007 anlässlich des 50jährigen Jahrestages des Erhalts seines Titels eines Master of Comparative Law der Columbia University in New York gemacht; die Hinreise erfolgte nicht anders als fünfzig Jahre zuvor mit dem Schiff, mögen auch die Bequemlichkeiten auf der Queen Mary II heute größer sein als damals. Wenn ich Erwin Deutsch recht verstanden habe, waren es ihm schon fast zu viele.
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Göttinger Tageblatt vom 12.8.2008 (Interview von Rolf Ulrich).
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Sieht man einmal von seiner Liebe zu ausgewählten Werken der klassischen Musik und insbesondere der Opernliteratur ab, so wird man sagen dürfen, dass Erwin Deutsch seinen Beruf zum Hobby oder sein Hobby zum Beruf machen konnte. Auch daraus erklärt sich seine trotz der Emeritierung nie nachlassende Aktivität als Rechtswissenschaftler, und zwar sowohl als Forschender als auch als Lehrender. Jedem, der dabei war, ist als Ausdruck dessen die glanzvolle Eröffnung der ersten Medizinrechtslehrertagung in Halle im Mai 2008 in Erinnerung, die durch Vorträge der drei Grandseigneurs des Medizinrechts (Erwin Deutsch, Adolf Laufs und Hans Ludwig Schreiber) eröffnet wurden. Erwin Deutsch erschien mit nur noch notdürftig fixiertem gebrochenem Bein, ärztlichen Bedenken zum Trotz. Und viel von dem Klima, in welchem am Lehrstuhl von Erwin Deutsch gearbeitet wurde, zeigt das bis heute alle zwei Jahre stattfindende Treffen früherer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es stand nie zur Diskussion, dieses Treffen ausschließlich als Geselligkeit auszugestalten (die es selbstredend gleichfalls ist). Den zeitlichen Hauptanteil nehmen vielmehr Vorträge früherer Lehrstuhlsangehöriger aus den Themengebieten ein, die den Jubilar interessieren, seien es haftungsrechtliche, medizinrechtliche, kollisionsrechtliche, rechtsvergleichende oder versicherungsrechtliche Fragestellungen. Die durchaus oft kontroversen Diskussionen, die durch große, aber nie verletzende Offenheit gekennzeichnet sind, und ein Streben nach pragmatischer Ausgestaltung der Dogmatik lassen dann alsbald die Atmosphäre entstehen, welche so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Erwin Deutsch geprägt hat. Inhaltlich ist die Festschrift schwerpunktmäßig den Themenbereichen Recht und Medizin sowie Haftungs- und Versicherungsrecht, aber auch darüber hinaus gehend Grundfragen des Zivilrechts gewidmet. Darunter befinden sich - für eine Festschrift für Erwin Deutsch eigentlich selbstverständlich - intradisziplinär, interdisziplinär sowie europäisch und darüber hinausgehend international-rechtsvergleichend angelegte Beiträge. Wir hoffen, die Festschrift damit auf große Interessengebiete des Jubilars fokussiert zu haben, auch wenn diese gewiss nicht vollständig abgebildet worden sind. Die Herausgeber danken dem Springer-Verlag, mit dem Erwin Deutsch seit langem bevorzugt verbunden ist, für die verlegerische Betreuung der Festschrift, sie danken Frau Joanna Karmanski für ihren unermüdlichen Einsatz dabei, die Festschrift insgesamt im besten Sinne des Wortes „in Form“ gebracht zu haben, sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Andreas Spickhoff, insbesondere Frau Simone Schönberger, für ihre permanente Unterstützung bei den redaktionellen Arbeiten. Dem Jubilar wünschen die Herausgeber von ganzem Herzen noch viele weitere Jahre der Neugier, der Produktivität und der Kreativität, vor allem aber der Gesundheit und der persönlichen Erfüllung. Im Namen der Herausgeber
Andreas Spickhoff
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Zum Geleit: Erwin Deutsch 80 Jahre................................................................. V Medizin und Recht Andrew Alston Wrongful Detention and Mental Health: An Australian Perspective......................3 Erwin Bernat Sind geklonte Embryonen „entwicklungsfähige Zellen“ i.S.v. § 1 Abs. 3 FMedG? – Anmerkungen zu R (on the Application of Quintavalle) v. Secretary of State for Health.................................................................................19 Hilmar Burchardi / Friedemann Nauck Unsichere Entscheidungsgrundlagen für den Intensivmediziner ..........................43 Francesco D. Busnelli The Problem of Reproductive Cloning .................................................................59 Petra Butler Medical Misadventure ..........................................................................................69 Amalia Diurni Die Arzthaftung von gestern und das Medizinrecht von heute in rechtsvergleichender Perspektive ........................................................................................85 Elmar Doppelfeld Regelungen für die medizinische Forschung – Harmonisierung durch den Europarat.............................................................................................................103 Gunnar Duttge Striktes Verbot der Arzneimittelprüfung an zwangsweise Untergebrachten (§ 40 I S. 3 Nr. 4 AMG)? ....................................................................................119 Alexander P. F. Ehlers / Antje-Katrin Heinemann Biosimilars – ein Markt der Zukunft?.................................................................137
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Gerfried Fischer Haftung für die Fehler von Ethik-Kommissionen nach der Änderung des AMG von 2004 ...................................................................................................151 Ulrich Foerste Beweiserleichterung nach groben und einfachen Behandlungsfehlern...............165 Jens Göben Der „Off-Label-Use“ von Fertigarzneimitteln: Offene Fragen an der Schnittstelle von Standard, Humanität und Wirtschaftlichkeitsgebot.................179 Dieter Hart Nutzen und Risiko in klinischen Prüfungen von Arzneimitteln – Abwägung, Aufklärung, Verfahren........................................................................................197 Horst Hasskarl Verantwortung der sachkundigen Person nach § 14 AMG.................................217 Timothy Stoltzfus Jost Oversight of Marketing Relationships Between Physicians and the Drug and Device Industry: A Comparative Study ..............................................................231 Christian Katzenmeier / Jonas Knetsch Ersatzleistungen bei angeborenen Schäden statt Haftung für neues Leben: Rechtsentwicklung in Frankreich - Anregungen für das deutsche Recht............247 Thorsten Kingreen Medizinrecht und Gesundheitsrecht....................................................................283 Christian Kopetzki Zur Lage der embryonalen Stammzellen in Österreich ......................................297 Otto Ernst Krasney Versicherungsschutz während Krankenhausbehandlung und medizinischer Rehabilitation durch die gesetzliche Unfallversicherung....................................317 Hans Lilie Überwachung und Prüfung der Transplantationsmedizin ...................................331 Voker Lipp Medizinische Forschung am Menschen: Legitimation und Probandenschutz ....343 Hans-Dieter Lippert Wem gehören Daten, die im Rahmen von Forschungsprojekten gewonnen werden?...............................................................................................................359
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Gerhard Müller / Jan Knöbl Der ärztliche Behandlungsabbruch, Änderung der Therapieziele am Lebensende – Rechtssicherheit für den Arzt? .....................................................371 David G. Owen Design Defects in Prescription Drugs: Intersections of Law and Science in American Products Liability Law.......................................................................389 Frank Pflüger GKV-Kostentragung für Medizinprodukte in klinischen Prüfungen ..................405 Heinz Pichlmaier / Hans Friedrich Kienzle Rechte und Pflichten des Arztes .........................................................................415 Reinhard Richardi Lebensschutz durch Legalisierung der anonymen Geburt? ................................425 Henning Rosenau Die Setzung von Standards in der Transplantation: Aufgabe und Legitimation der Bundesärztekammer ................................................................435 Axel Sander Schutzfähigkeit von ex ante-Unterlagen im Nachzulassungsverfahren ..............453 Gerhard H. Schlund Zu den juristischen Besonderheiten des Arzthaftungsprozesses.........................463 Karsten Scholz Ärztliche Weiterbildung in medizinischen Versorgungszentren.........................481 Hans-Ludwig Schreiber Patientenverfügung als Lösung des Problems der Sterbehilfe? ..........................493 Friedrich-Christian Schroeder Zur Legitimation des § 216 StGB .......................................................................505 Ekkehard Schumann Die Therapiefreiheit des Arztes und die Einfuhr von Blut seiner Patienten zu Zwecken der Diagnostik oder der Bearbeitung...................................................511 Eva Schumann De medicis et aegrotis – Arztrecht im Frühmittelalter........................................545 Amos Shapira Notes on the Normative Regulation of Novel Biomedical Technologies ...........569
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Peter Skegg “Surgical Operation” Provisions in Commonwealth Criminal Codes ................581 Michele Slatter ‘Too much of a Good Thing’: Changing Legal Responses to Hoarding.............597 Erich Steffen Einige Gedanken zur Arzthaftung unter einer evidenz-basierten Medizin .........615 Udo Steiner Zur Lage des Arztes als freiem Beruf .................................................................635 Jochen Taupitz / Carmen Rösch Zustimmendes Votum einer Ethikkommission nach Ablehnung der AMGStudie durch eine andere Ethikkommission? ......................................................647 Wilhelm Uhlenbruck Die endlose Geschichte der Patientenverfügung.................................................663 Christa van Wyk Drug-resistant Tuberculosis and Coercive Legal Measures in South Africa: A Comparative and International Law Perspective ................................................679 Haftungs- und Versicherungsrecht Hans-Jürgen Ahrens Deliktische Haftung für Justizunrecht – Privilegien im gerichtlichen Verfahren ............................................................................................................701 Stathis Banakas Injuries, Damages and a Puzzle: Can an Effect ever Precede its Cause?............729 Gert Brüggemeier Gemeinsamer Referenzrahmen (Entwurf), Buch VI: „Außervertragliche Haftung für die Schädigung anderer“ – eine kritische Stellungnahme ...............749 Johannes Hager Durchführungsdefizite beim Ersatz des Schadens? ............................................769 Helmut Koziol Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten: Spiegelbild- oder Differenzierungsthese?.....................................................................................................781
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Rüdiger Krause Schadensersatz bei Streiks nach englischem Recht – Neue Risiken durch OBG Ltd. v. Allan?.............................................................................................795 Gunther Kühne Das Anknüpfungssystem des neuen europäischen internationalen Deliktsrechts...................................................................................................................817 Dirk Looschelders Rettungsobliegenheit des Versicherungsnehmers und Ersatz der Rettungskosten nach dem neuen VVG .............................................................................835 Egon Lorenz Zur quotalen Kürzung der Leistungspflicht des Versicherers bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer ................................................................................................................855 Karl-Heinz Matthies Richterliche Mediation im Lichte der Amtshaftung ...........................................869 Dieter Medicus Die eigenübliche Sorgfalt und der Straßenverkehr .............................................883 Gottfried Schiemann Das sonstige Recht – abschreckendes oder gutes Beispiel für ein europäisches Deliktsrecht?..................................................................................895 Andreas Spickhoff Die Einheit des Rechtswidrigkeitsurteils im Zusammenspiel von Internationalem Privat- und Strafrecht ...............................................................................907 Gerald Spindler Erosion des Persönlichkeitsrechts im Internet?...................................................925 Hans Stoll Deliktsrechtliche Verantwortung für bewusste Selbstgefährdung des Verletzten............................................................................................................943 Hans Claudius Taschner Zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Produkthaftung ................................................................................................................957 Kee-Young Yeun Das Koreanische Produkthaftungsgesetz (KPHG)..............................................975
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Seok-Chand Yoon Der deliktische Schutz des Persönlichkeitsrechts im koreanischen Zivilrecht Eine rechtsvergleichende Untersuchung .............................................................997 Grundfragen des Zivilrechts Tony Angelo A Pacific Medley – Conflicts, Codes and Comparisons ...................................1009 Christian von Bar Zwischen wissenschaftlichem Entwurf und politischer Willensbildung: Funktionen und Struktur des Gemeinsamen Referenzrahmens ........................1025 Jürgen Costede Fragen zur Reichweite vertraglicher Leistungspflichten (§§ 275, 313 BGB)...1037 Peter Hanau Intensitätsstufen arbeitsvertraglicher Bindung..................................................1051 Dieter Henrich Ist auf die Rechtsausübungssperre des § 1600 d Abs. 4 BGB noch Verlass? ...1063 Seokin Huang Das Bürgerliche Gesetzbuch Koreas - Eine vergleichende Darstellung ...........1073 Autorenverzeichnis .........................................................................................1089 Schriftenverzeichnis von Erwin Deutsch ......................................................1095
Medizin und Recht
Wrongful Detention and Mental Health: An Australian Perspective
Andrew Alston*
I. Introduction This article discusses two situations in which mental health issues may arise in cases of wrongful detention: 1. Where a person who may or may not have a mental health condition is wrongfully detained in a psychiatric institution; 2. Where a person who does have a mental health condition is wrongfully detained in some other institution, in particular, an aliens’ detention centre. The second situation is of particular concern. In Australia, there have been a number of recent cases where persons with mental health problems have been wrongfully detained by immigration authorities. These persons have had significant problems in asserting their rights, problems that are compounded by the adversarial nature of the Australian legal system. Amongst the possible causes of action, the two most frequently used in cases of wrongful detention are negligence and false imprisonment. An action in negligence lies where one person who owes another person a duty of care breaches that duty with the result that the other person suffers personal injury, economic loss or other legally recognised damage. An action in false imprisonment lies where a person has been detained without her or his consent and without the authority of the law. In Trevorrow v State of South Australia (No 5),1 Gray J said:
* 1
Legal Practitioner, South Australia; Adjunct Associate Professor, School of Law, Flinders University, Adelaide, South Australia. Email:
[email protected]. [2007] SASC 285 at paragraph 982.
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Andrew Alston The tort of false imprisonment is committed when one person directly subjects another to total deprivation of freedom of movement without lawful justification. The tort addresses the unlawful restraint of personal liberty. Fullagar J described the “mere interference with the plaintiff’s person and liberty” as prima facie constituting a “grave infringement of the most elementary and important of all common law rights”.2
In Bolton; Ex parte Beane3 Deane J observed: The common law of Australia knows no lettre de cachet or executive warrant pursuant to which either citizen or alien can be deprived of his freedom by mere administrative decision or action. Any officer of the Commonwealth Executive who, without judicial warrant, purports to authorise or enforce the detention in custody of another person is acting lawfully only to the extent that his conduct is justified by clear statutory mandate.
His Honour4 continued:5 It cannot be too strongly stressed that these basic matters are not the stuff of empty rhetoric. They are the very fabric of the freedom under law which is the prima facie right of every citizen and alien in this land. They represent a bulwark against tyranny.
Usually, cases should be argued on the basis of both negligence and false imprisonment. However, a negligence case will not succeed if there is no recognised damage. As actions based on false imprisonment do not require proof of damage,6 they may provide better prospects for persons who have been wrongfully detained.7
II. Problems of asserting rights People with mental health problems who wish to challenge the actions of powerful government agencies have difficulty asserting their rights for a ranger of reasons: 1. They may not be aware of their rights; 2. They may have difficulty finding help to advise them of their rights and how to assert them; 3. When they try to assert their rights, they may face a hostile reaction;
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Trobridge v Hardy [1955] HCA 68; (1955) 94 CLR 147 at 152. [1987] HCA 12; (1987) 162 CLR 514 at 528. Dean J. [1987] HCA 12; (1987) 162 CLR 514 at 529. Trevorrow v State of South Australia (No 5) [2007] SASC 285 at paragraph 993. For discussion of compensation that may be awarded by the courts, see the heading below: VII. 4. Compensation.
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4. They find that legal proceedings are user unfriendly, lengthy, expensive and stressful; 5. If they are from another country, they may also find that the proceedings are culturally alien, particularly if they are not familiar with adversarial dispute resolution processes; 6. The outcome of legal proceedings is uncertain: the facts of a case may clearly show that a party has a moral claim but that is different from establishing that she or she is entitled to a remedy for false imprisonment. There are two problems in particular. First, it may be difficult to establish that the person was detained against her or his will. Secondly, as the detention is usually by people purporting to exercise a statutory duty, there is a problem in establishing that it did not have the authority of the law.
I. Two cases not involving mental health issues The following two cases occurred before a recent succession of cases in Australia involving the detention of mentally ill persons by immigration authorities. In one case, Vignoli v Sydney Harbour Casino,8 an assertive person succeeded in a claim based on false imprisonment. In the other case, Waine v Broekhuyse,9 a person who was not assertive did not succeed in a claim based on false imprisonment. In Vignoli’s case, the plaintiff was prevented from leaving a casino by staff of the casino and detained under guard for six hours in a small room without food. He was told that the casino video showed that he had been overpaid $ 1,250 and that he must return that amount. He demanded to see the video and said that, if the video showed that he had been overpaid, he would repay the money. He was told that he could not see the video. He was later shown the video and he then agreed that he had been overpaid and refunded the money. Bergin J in the New South Wales Supreme Court found that the plaintiff had been falsely imprisoned and awarded him general or compensatory damages of $ 30,000, aggravated damages of $ 10,000 and exemplary damages of $ 35,000: a total of $ 75,000. The judgment fully discusses the circumstances (only briefly summarised above) that gave rise to the award of such a high amount. Five points are worth noting: 1. The plaintiff was an intelligent and articulate man without mental health problems. 2. He was aware that he was being wrongfully detained. 3. He was able to clearly articulate the infringement of his legal rights. 4. It should have been clear to his captors that they were restraining him against his will and without the authority of the law. 8 9
[1999] NSWSC 1113 (27 November 1999). [1997] ACTSC 51 (11 July 1997).
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5. The experience was embarrassing and stressful but it was not claimed that the plaintiff suffered physical or mental injury. By way of contrast, in Waine v Broekhuyse, the plaintiff, an aboriginal boy aged fourteen, was taken into custody and detained at the Jervis Bay Police Station for about thirty minutes without the presence of a supporting adult. Gallop J in the Supreme Court of the Australian Capital Territory dismissed his claim for wrongful imprisonment saying that “there was no imprisonment, hence there was nothing wrongful.” This was based on the following findings of fact: 1. The incident commenced at 2.30pm. 2. There was no threat actual or implied that the plaintiff must accompany the defendant to the police station. 3. The defendant was trying to comply with his investigative responsibilities and obligations in relation to interrogating an Aboriginal child by asking the plaintiff to accompany him to the police station so that a representative from Aboriginal Legal Service could be obtained. 4. The plaintiff was not prevented from leaving the police station either directly or by implication. 5. There was no apprehension that if the plaintiff did not accompany the defendant to the police station he would be compelled to do so by force. He went voluntarily. The facts are different to those in Vignoli’s case in the following respects: 1. Vignoli attempted to leave the casino. Waine did not attempt to leave the police station. 2. Vignoli expressly objected to confinement. Waine did not. 3. The staff of the casino could not be seen as acting with the authority of the law. A policeman does appear to have the authority of the law. However, it is submitted that these differences should have been overridden by another difference. At all times, Waine was a child – a vulnerable person – in the presence of a policeman – an authority figure. But, the court did not find that Waine was intimidated and said that he was not prevented from leaving the police station and that he went (and presumably stayed) there voluntarily. The case of a person with a mental health condition who is taken into custody by the police or immigration authorities is of particular concern because it is about a person who is disadvantaged and who may not be able to explain her or his circumstances to an intimidating authority. We may respond with outrage and declare that this is wrongful detention but, unfortunately, the facts are more likely to equate with Waine’s case than with Vignoli’s case and it may be difficult to prove that there has been false imprisonment.
Wrongful Detention and Mental Health: An Australian Perspective
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II. Wrongful committal in psychiatric institutions Most jurisdictions have legislation that protects persons responsible for a committal if they acted in good faith. The reasons for this have been expressed as follows: 1. They are performing public duties under mental health legislation: Woodhouse J in Mitchell v Allen,10 2. They are performing difficult duties: Vaughan Williams L.J. in Shackelton v Swift;11 3. Medical Practitioners and others performing difficult duties are better able and more willing to perform these duties if they are protected from litigation: Denning L.J. in Roe v Minister of Health;12 4. They need protection because the persons for whose confinement they are responsible are of a particularly disputatious condition: Denning L.J. in Richardson v London County Council;13 However, concern has been expressed that the protection of medical practitioners and others in these circumstances should be balanced against: a) the interests of persons who have been or who are at risk of being wrongfully confined: O’Sullivan J.A. Kohn v Globerman;14 b) society as a whole: Shultz J.A. in Burke v Efstathianos;15
III. The extent of protection 1. Protection afforded by legislation Much of the legislation in Australia derives from the model provided by section 330 of the English Lunacy Act 1890. The modern version of this model may be found in section 139 of the Mental Health Act 1983 (U.K.). This provides as follows:
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[1969] NZLR 110 at 113. [1913] 2 KB 304 at 313. [1954] 2 All ER 131 at 139. [1957] 2 All ER 330 at 338. (1986) 27 DLR (4th) 383 at 590 (Manitoba Court of Appeal). (1961) 27 DLR (2nd) 518 at 528 (Manitoba Court of Appeal).
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Andrew Alston (1) No person shall be liable, whether on the ground of want of jurisdiction or on any other ground, to any civil or criminal proceedings to which he would have been liable apart from this section in respect of any act purporting to be done in pursuance of this Act or any regulations or rules made under this Act, or in, or in pursuance of anything done in, the discharge of functions conferred by any other enactment on the authority having jurisdiction under Part VII of this Act, unless the act was done in bad faith or without reasonable care. (2) No civil proceedings shall be brought against any person in any court in respect of any such act without the leave of the High Court; and no criminal proceedings shall be brought against any person in any court in respect of any such act except by or with the consent of the Director of Public Prosecutions.
Subsection (2) is used to prevent prospective parties from initiating proceedings. Such provisions have been effective in warding off litigious applicants of the type referred to by Denning L.J. in Richardson v London County Council.16 However, as Vaughan Williams L.J. cautioned in Shackleton v Swift:17 To stay an action, to say that an action shall not be tried, is generally to take a step which ought not to be taken except in a very clear case. …[It] is a strong thing to say to a plaintiff who is bringing an action that his complaint will not be heard, to say that it will be stayed without there having been a trial, without the evidence having been heard.
In Australia, only Tasmania retains the requirement that parties seek leave of the court to initiate proceedings.18 Most of the Australian States provide for protection similar to that which is provided for in section 139 of the English Mental Health Act.19 For example, section 122 of the Mental Health Act 1986 (Victoria, Australia) provides: No civil or criminal proceedings lies20 against any person for anything done in good faith and with reasonable care in reliance on any authority or document apparently given or made in accordance with the requirements of this Act.
The key words here are done in good faith and with reasonable care. The same or similar expressions are used in other Australian provisions.21 In New Zealand, legislation significantly reduces the scope of protection afforded to health professionals and others who, in the exercise of authority under mental health legislation, are responsible for wrongful confinements. The Mental Health (Compulsory Assessment and Treatment) Act 1992 affords protection to a 16 17 18
19 20 21
[1957] 2 All E.R. 330 at p. 338. [1913] 2 K.B. 304 at pp. 311-2. Mental Health Act 1963 s: 114 (2). It was part of the New Zealand Mental Health Act 1969 but this was repealed in 1992. Queensland, South Australia, Tasmania, Victoria, Western Australia. “lies” seems to be a misprint in the Act. Mental Health Act 1974 (Queensland) s. 69 (1), Mental Health Act 1993 (South Australia) s. 36 (2), Mental Health Act 1996 (Western Australia) s 213 (1).
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person from criminal responsibility if he or she acts in good faith.22 This replaced the legislation based on the model of the English Lunacy Act 1890 that afforded protection from both civil and criminal proceedings. New South Wales, Australian Capital Territory and the Northern Territory are less generous. They afford no protection to health professionals. However, the New South Wales Mental Health Act 1990 interestingly does afford comprehensive protection to police officers. Section 294 provides: A member of the Police Force is not liable for any injury or damage caused by the member of the Police Force in the exercise, in good faith, of a function conferred or imposed on the member of the Police Force by or under this Act.
2. Should we protect health professionals from liability? There seems to be a trend against affording legislative protection to health professionals and others who, in the performance of duties under mental health legislation, act in good faith and with reasonable care. This may reflect some prevailing attitudes:23 • In favour of keeping people with mental health problems out of institutions; • Towards increasing accountability of all professionals; • Recognising that people who have been wrongfully detained should be compensated. It is submitted that there is merit both in protecting persons who perform public duties under mental health legislation24 and in adequately compensating persons who have been wrongfully confined. It is further submitted that these are not contradictory propositions. The person who has been wrongfully confined should be compensated but not by the health professional or by any other person who acted in good faith and with reasonable care. Compensation should be paid by the State, as it is in most cases where persons have been wrongfully confined in prisons. This happens in South Australia. Section 36 of its Mental Health Act 1993 provides: 1. A person engaged in the administration of this Act incurs no liability for an honest act or omission in the exercise or discharge, or purported exercise or discharge, by the person or by a body of which he or she is a member, of a power, function or duty under this Act. 2. A liability that would, but for subsection (1), lie against a person lies instead against the Crown. 22 23
24
Mental Health (Compulsory Assessment and Treatment) Act 1992 s. 122. Mere speculation on the part of the author! There is no authoritative research to support it. Woodhouse J in Mitchell v Allen [1969] N.Z.L.R. 110 at p. 113.
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The protection afforded by subsection (1) is wider than that afforded by other provisions that we have looked at. It seems to apply even in cases where the health professional has been grossly negligent. Would it also protect a health professional from liability under the disciplinary provisions of the Medical Practitioners’ Act? Presumably this was not intended. The subsection is not well drafted. Subsection (2), it is suggested, adopts a correct approach to the problem of balancing the rights of patient against those of the health professional. It gives effect to both. The subsection protects the health professional who has acted in good faith. It enables the person who has been wrongfully confined to get compensation. It puts the onus for compensation on the State.
IV. Wrongful Detention of mentally ill persons by immigration authorities 1. The detention of Cornelia Rau Cornelia Rau, an Australian permanent resident, was mistakenly detained under the Commonwealth Migration Act from the end of March 2004 to early February 2005. She was mentally ill and she told the Immigration Department officers a story that was untrue and that they considered to be unbelievable.25 They formed the view that she was an unlawful non-citizen.26 The Palmer Report on the Inquiry into the Circumstances of the Immigration Detention of Cornelia Rau found that the responsible compliance officer in the Department of Immigration and Multicultural and Indigenous Affairs (DIMIA) had a proper and lawful basis for forming a reasonable suspicion that she was an unlawful non-citizen, sufficient to justify her detention.27 However, it also found that “officers should have continued inquiries aimed at identifying her and they should have continued to question whether they were still able to demonstrate that the suspicions on which the detention was originally based persisted and that it was still reasonably held.”28 The report was highly critical of the operations of DIMIA. It found:29 There are serious problems with the handling of immigration detention cases. They stem from deep-seated cultural and attitudinal problems within DIMIA and a failure of executive leadership in the immigration compliance and detention areas.
25
26 27 28 29
M.J. Palmer Inquiry into the Circumstances of the Immigration Detention of Cornelia Rau Report July 2005, Commonwealth of Australia, 2005 (hereinafter referred to as “The Palmer Report”), Part 5 The circumstances and actions leading to the failure to identify Cornelia Rau, Para. 5.1 and 5.2, pp. 95 to 97. The Palmer Report, Para. 2.3.2, p. 10. The Palmer Report. Main Findings no. 2 p. viii. Ibid. Main Finding 17, p. x. i.
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It was particularly critical of the treatment of Cornelia Rau. It found:30 The lack of comprehensive ‘cradle to grave’ case management and of any effective accumulated assessment and review process in relation to mental health care, general treatment, and the identity inquiries conducted during Cornelia Rau’s 10 months in immigration detention significantly affected the quality of care she received and the amount of time she spent in detention.
2. Vivian Alvarez Solon The Palmer Report of July 2005 was followed in September by the Report of the Commonwealth Ombudsman on the Inquiry into the Circumstances of the Vivian Alvarez Matter.31 This was about the mistaken detention by DIMIA and deportation to the Philippines of Vivian Alvarez Solon, a mentally ill woman who was an Australian citizen. Like the Palmer Report, this Report was critical of the operations of DIMIA. It now seems that there have been many other cases of wrongful detention by DIMIA of mentally ill persons. In February 2006, the Immigration Department admitted that there could be another 27 cases of mentally ill persons being unlawfully detained.32 One month later, the Commonwealth Ombudsman released a report into the unlawful detention of a severely mentally ill man, originally from Vietnam who was mistaken for an illegal immigrant.33 a) Arbitration as a solution in the Solon case The problems of asserting the rights of people with mental health problems who have a grievance against government bodies or persons purporting to act in accordance with statutory authority are discussed above. These problems apply, in particular, to court proceedings and this may be why Vivian Alvarez Solon and the Government agreed to submit their case to arbitration. Retired High Court Chief Justice, Sir Anthony Mason, was appointed to determine an appropriate level of compensation. The Government understandably did not want the facts of the case to be publicly debated in a court and was prepared to submit to arbitration where the focus was solely on compensation and not on liability. Arbitration in this case had significant advantages for both Vivian Alvarez Solon and the Government. It saved time (although it did take over a year) and 30 31
32
33
Main Finding 11, p. x. Prof. John McMillan Inquiry into the Circumstances of Vivian Alvarez Matter, Commonwealth Ombudsman, Commonwealth of Australia, 2005. Transcript of Senate Committee Hearings for Monday, February 13, 2006, Statement by Mr. Neil Mann, First Assistant Secretary, Department of Immigration and Multicultural and Indigenous Affairs (DIMIA), p. 77 of 174. Prof. John McMillan Department of Immigration and Multicultural Affairs Report on Referred Immigration Cases: Mr. T Commonwealth Ombudsman, Commonwealth of Australia March 2006.
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money and Vivian Alvarez Solon was spared the traumatic experience of being cross-examined in court. However, the process was shrouded in secrecy. When, at the end of November 2006, it was announced that a settlement had been reached, the amount received by Ms Solon was not revealed. The hearing had been subject to a confidentiality clause. While newspapers speculated that the amount was a seven-figure sum, the parties made no comment. The Immigration Minister, Senator Vanstone, said that the amount was confidential between the parties. She also said: “It isn’t always the case that everything needs to be revealed.”34 From whose point of view was the Minister speaking? It would have been invaluable for other victims of unlawful detention by the Immigration Department to know how much had been paid to Ms Solon and how that amount had been calculated. Such knowledge would have contributed to fair and speedy resolutions of their own claims. b) Court proceedings as a solution in other cases The alternative to arbitration is court proceedings for wrongful detention. Such cases are beginning to trickle through the system. In August 2005, proceedings were issued in the New South Supreme Court on behalf of Shayan Badraie, an Iranian boy who, from the age of five, was held for almost two years in custody in Australian detention centres.35 In addition to the Federal Government, the defendants were Australian Correctional Services, which was the operator of the Woomera Detention Centre, and Australian Correctional Management, which was the operator of the Villawood Detention Centre.36 Shayan suffered post-traumatic stress after being exposed to riots and witnessing suicide attempts and violence in detention. In addition to ordinary damages, aggravated and exemplary damages were sought on his behalf.37 After 63 days of hearings, Shayan’s lawyers accepted an out-of-court settlement offer of $ 400,000. On March 3, 2006, Justice Clifton Hoebent of the Supreme Court approved the settlement.38 Court proceedings of this type are not resolved promptly. In the case of Parviz Yousefi, a statement of claim was lodged in the Supreme Court of New South Wales on August 12, 2005 in which it was claimed that he suffered permanent psychiatric damage due to his experiences in the detention centres at Baxter and Woomera.39 In January 2008, the court awarded him damages of $ 800.000. It may seem that the time between the beginning and the end of the proceedings was rather long. But the delay is not unusual. Cases like this need time to prepare. There is considerable evidence to be obtained and prepared for presentation. This includes the evidence of psychiatrists and other expert witnesses. Apart from be34
35 36 37 38 39
Robert Wainwright and Jessica Irving Vanstone refuses to reveal how much Solon debacle will cost Sydney Morning Herald, December 1, 2006. Fergus Shiel Child refugee sues over ‘unjust’ detention The Age, August 23, 2005. Ibid. Ibid. Sydney Morning Herald, March 3, 2006. Sydney Morning Herald, August 13, 2005.
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ing time consuming, these preliminary activities are expensive and impose considerable stress on already fragile parties.
3. The legal basis of claims: False imprisonment and the Migration Act 1958 (Cwth) As pointed out above, a person wrongfully detained may bring two causes of action, one in negligence and the other in false imprisonment. A case may be based on both negligence and false imprisonment. However, a case based on negligence cannot succeed without legally recognised damage to the plaintiff. Actions based on false imprisonment usually provide better prospects for persons such as Cornelia Rau. An action in false imprisonment lies when a person has been detained against her or his will without the authority of the law. The question in Cornelia Rau’s case is whether she was detained without the authority of the law. The argument that her detention was lawful is based on provisions of the Migration Act 1958. Section 189 (1) provides that if an officer of the Immigration Department knows or reasonably suspects that a person in the country is an unlawful non-citizen, the officer must detain the person. Section 196 (1) provides that an unlawful non-citizen detained under section 189 must be kept in immigration detention until he or she is removed, deported or granted a visa. Cornelia Rau’s case was settled without going to court. If it had gone to court, it would have focused on whether the officers of the Department reasonably suspected, that she was an unlawful non-citizen, first, when they initially detained her and secondly, when they continued to detain her. As clearly established by the High Court in Ruddock v Taylor,40 the fact that a person is subsequently adjudged to be not an unlawful non-citizen, does not determine the issue. A reasonable suspicion may rest on a mistake in fact or on a mistake in law.
4. Compensation The best guidance on appropriate damages for mentally ill persons who have been wrongfully detained by immigration authorities comes from the many court judgments on false imprisonment. Other cases, where the matter has been settled out of court or has been resolved by arbitration, are usually of little help. The amounts paid and the reasons for paying those amounts are usually not disclosed.41 The cases generally agree on the principles to be applied in assessing damages for false imprisonment. A comprehensive discussion of these principles is to be found in the judgment of Veit J in Muir v Albert42. 40
[2005] HCA 48.
41
However, in the case of Cornelia Rau, which was recently settled by the parties out of court, the amount paid was publicly disclosed. See the discussion below under the heading VI. 5. Finding solutions for Cornelia Rau.
42
(1996) 132 DLR (4th) 695 (Alberta Court of Queens Bench) at pp. 713-715.
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His Honour pointed out43 that the overriding objective in awarding damages in a tort action “is to compensate the injured person – not to punish the wrongdoer”. A court can compensate both for financial losses suffered and for other types of losses such as physical pain and injury to feelings. Compensation for injury to feelings is, of course, particularly significant in cases of false imprisonment. However, as Veit J said44: The calculation of [compensation for injury to feelings] is difficult. Money is awarded not as a direct compensation for what has been lost – but as an attempt to provide what money can do – make the real loss easier to bear. Sometimes, the wrongful action, nevertheless had some beneficial effects on the victim; credit must be given to the wrongdoer for any savings, for example, that the victim has achieved despite the wrongful action of the defendant.
The court has power to award damages under three headings: pain and suffering; aggravated damages; and exemplary damages (punitive damages). As to the first heading, Veit J said45: Damages for pain and suffering cannot be tested by any objective standard; they are awarded by the court on the basis of its opinion and judgment of the amount of money that can comfort the plaintiff for the damage which she has proved. Suffering includes, for example, fear of incapacity, fear of being unable to earn a living, humiliation, sadness, embarrassment, social discredit, and loss of freedom.
As to aggravated damages and exemplary damages, Veit J invoked explanations from the leading cases of Uren v John Fairfax & Sons Pty. Ltd46 and Hill v Church of Scientology of Toronto.47 In Hill’s case,48 aggravated damages were explained as follows: Aggravated damages may be awarded in circumstances where the defendant’s conduct has been particularly high-handed or oppressive, thereby increasing the plaintiff’s humiliation and anxiety. … These damages take into account the additional harm caused to the plaintiff’s feelings by the defendant’s outrageous and malicious conduct. Like [damages for pain and suffering] they are compensatory in nature.
Exemplary damages are awarded for the purpose of punishing the defendant and as a mark of the court’s disapproval of the conduct and to deter the defendant and
43 44 45 46 47 48
at p. 713. Ibid. Ibid. [1966] HCA 40; (1966) 117 CLR 118 (High Court of Australia). (1995) 126 DLR (4th) 129. (1995) 126 DLR (4th) 129 at p. 183.
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others from similar behaviour.49 In Uren v John Fairfax & Sons Pty. Ltd,50 Owen J observed: It is not open to doubt that this and other courts in countries where the common law is in force have, time and again, recognised that there are certain types of tortious acts in which a jury may award damages over and above those required to compensate the plaintiff for the injury suffered by him if it forms the opinion, on evidence justifying that conclusion, that the defendant’s conduct in committing the wrong was so reprehensible as to require not only that he should compensate the plaintiff for what he has suffered but should be punished for what he has done in order to discourage him and others from acting in such a fashion.
Courts in Australia have been prepared to award aggravated and exemplary damages for false imprisonment (for a recent example, see Vignoli v Sydney Harbour Casino51) but not in cases involving wrongful detention by immigration authorities. In Goldie v Commonwealth of Australia (No 2),52 Mr. Goldie was unlawfully detained for a period of three days. French J commented53 as follows: Wrongful arrest and imprisonment even for a short time is a serious matter whose seriousness is measured not solely by the length of the period of incarceration. Arrest and imprisonment involve a grave interference with the rights of the individual coupled with humiliation, which is both private and public. The arrest in this case occurred in a public setting and added to the indignity suffered by Mr. Goldie. The physical constraint applied to him was undignified, albeit not unreasonable from the point of view of the ACM officers who were apprehending him. The pat searches and interrogations and the removal of his tie and belt and shoelaces, which followed at the Detention Centre, were all factors to be taken into account in measuring the extent of the interference with his rights associated with the imprisonment and the humiliation and indignity thereby inflicted on him. Acting unlawfully as it turned out, those who had responsibility for apprehending and detaining Mr. Goldie acted with restraint and, in the circumstances, in a manner calculated to minimise so far as practicable the extent of the indignity inflicted on him. As in Taylor,54 the officers concerned could not be said to have been guilty of acting ‘contumeliously, arrogantly or outrageously’. They did no more than was necessary in the discharge of what they believed to be their duty. There was, in my opinion, no aggravation of the undoubted injury to Mr. Goldie’s feelings by reason of the way in which his detention was effected that could justify aggravated damages. A fortiori there is no basis for an award of exemplary damages.
Mr. Goldie was awarded damages of $ 22,000, the breakdown of which was as follows: 49
50 51 52 53 54
Trevorrow v State of South Australia (No 5) [2007] SASC 285 at paragraph 993; Uren v John Fairfax & Sons Pty. Ltd [1966] HCA 40 (1966) 117 CLR 118 at 158. Uren v John Fairfax & Sons Pty. Ltd [1966] HCA 40 (1966) 117 CLR 118 at 158. [1999] NSWSC 1113. [2004] FCA 156. at paras 17 and 18. Re Patterson; Ex parte Taylor; [2001] HCA 51; (2001) 207 CLR 391.
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1. The wrongful arrest and associated physical restraints including an allowance for humiliation and indignity at the time of the apprehension: $ 5,000 2. The conduct in detention, of pat searches, the medical examination and other requirements wrongfully imposed on Mr. Goldie: $ 2,000 3. Detention for a period of three days, including an allowance for the continuing humiliation and indignity associated with that detention: $ 15.00055 Mr. Goldie was detained for three days and received ordinary damages of $ 15,000: $ 5,000 per day.
5. Finding solutions for Cornelia Rau In April 2007, lawyers for Cornelia Rau announced that she would seek compensation in the Supreme Court of New South Wales for being wrongfully detained as an illegal immigrant.56 Ms Rau's solicitor, Harry Freedman, said:57 "We have reluctantly commenced legal proceedings against the Federal Government rather than proceed by way of alternative dispute resolution as, to date, the Government has required that any claim be dealt with in this way. "It is unfortunate that Ms Rau is being forced to litigate, particularly when you consider the adverse findings and the recommendations of Mr. Palmer. The fact that the Commonwealth contracts out its detention centre operations is not Ms Rau's problem. She is the victim in all this."
It seems that neither parties wanted to have the matter resolved by court proceedings. The Government did not want the publicity. Cornelia Rau most likely did not want the above listed problems that claimants have in asserting their rights. Fortunately, the case was settled. In February 2008, Cornelia Rau accepted a compensation offer from the Federal Government of $ 2.6 million. The Supreme Court of New South Wales formally approved the settlement. The Government had previously offered an amount of $ 1 million in settlement. However, in December 2007 there was a Federal election that resulted in a change of government. The new Labor Government under the Prime Ministership of Kevin Rudd seemed anxious to settle this case fairly and promptly.
V. Conclusions It is suggested that the settlement of Cornelia Rau’s claim may have the following consequences:
55 56 57
ara 21. he Age, April 9, 2007. Bid.
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• As the settlement was in response to legal proceedings issued on behalf of Cornelia Rau, there may now be a number of other cases initiated by persons who have been wrongfully detained by the immigration department.58 • Thus, it is unlikely that cases will be resolved by arbitration, as they were for Alvarez Solon, or by other non-adversarial means. • Unless these proceedings are short circuited by prompt intervention and offers of settlement by the government, they will have all the disadvantages of court proceedings discussed above: delay; expense; stress. • In Alvarez Solon’s case, which was resolved by arbitration, there was a confidentiality clause that prevented the parties from disclosing the terms of the settlement. Confidentiality clauses have the effect of delaying proceedings and promoting uncertainty in the fair resolution of claims. In Cornelia Rau’s case there was no confidentiality clause. It is hoped that the resolution of future cases will not be subject to confidentiality clauses. The prompt action of the Government in this case demonstrated an intention to fairly compensate Cornelia Rau for “the terrible ordeal that she has suffered.”59 It also indicated a more compassionate approach to the plight of refugees and other disadvantaged persons in Australia.60
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In February 2008, proceedings were initiated in the South Australian Supreme Court by Abdu Hamidjii, an Iranian refugee, who was detained from June 2000 to Christmas Eve 2004 when the Federal Court ordered that he be put in a mental health facility. Mr. Hamidji claims that his treatment resulted in severe psychiatric illness that will require supervision for the rest of his life. He is now an Australian citizen. Immigration Minister, Chris Evans, addressing the Senate’s Legal and Constitutional Affairs Committee. This is also evidenced by the speech of the Prime Minister, Kevin Rudd, in the House of Representatives on the 13th of February 2008: Apology to Australia’s Indigenous Peoples.
Sind geklonte Embryonen „entwicklungsfähige Zellen“ i.S.v. § 1 Abs. 3 FMedG? – Anmerkungen zu R (on the Application of Quintavalle) v. Secretary of State for Health
Erwin Bernat
I. Der österreichische Gesetzgeber hat mit dem Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG)1 ein Gesamtkonzept staatlicher Regelung im Bereich der Fortpflanzungsmedizin verankert.2 Dieses Gesetz verbietet bestimmte Techniken der assistierten Zeugung kategorisch3 und stellt jene Techniken der Fortpflanzungsmedizin, die es erlaubt, unter die Kontrolle der Verwaltungsbehörden.4 Das FMedG schuf auch neue Regeln für die „gespaltene“ Mutter- und Vaterschaft: Mutter ist im Fall eines Embryotransfers nach Eispende jene Frau, die das Kind gebiert, und Vater ist im Fall der Zeugung des Kindes durch heterologe Insemination jener Mann, der 1
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3
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BG, mit dem Regelungen über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung getroffen (Fortpflanzungsmedizingesetz – FMedG) sowie das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Ehegesetz und die Jurisdiktionsnorm geändert werden, BGBl. 1992/275 i.d.F. BGBl. I 2001/98 (1. Euro-Umstellungsgesetz – Bund), BGBl. I 2004/163 (Fortpflanzungsmedizingesetz-Novelle 2004) und BGBl. I 2008/49 (Gewebesicherheitsgesetz – GSG). Zur Entstehungsgeschichte und zur Systematik dieses Gesetzes siehe Bernat, Das Recht der medizinisch assistierten Zeugung 1990 – eine vergleichende Bestandsaufnahme, in: Bernat (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin. Wertung und Gesetzgebung. Beiträge zum Entwurf eines Fortpflanzungshilfegesetzes, 1990, S. 65 ff.; ders., Das Recht der Fortpflanzungsmedizin 2000: ein Dreiländervergleich (Deutschland, Österreich, Schweiz), in: Fischl (Hrsg.), Kinderwunsch. In-vitro-Fertilisierung und Assistierte Reproduktion – Neue Erkenntnisse und Therapiekonzepte, 2000, S. 285 ff.; Hopf, Zwischen Kindeswohl und Fortpflanzungsfreiheit: Der Entwurf zum Fortpflanzungshilfegesetz aus der Sicht des Legisten, in: Bernat (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin, 1990, S. 45 ff. Siehe §§ 2 f. FMedG; dazu genauer Bernat, Einführung in das österreichische Medizinrecht, in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 2007, S. 1437 (1478 f.). Vgl. Bernat, Das Fortpflanzungsmedizingesetz: Neue Rechtspflichten für den österreichischen Gynäkologen, Gynäkologisch-geburtshilfliche Rundschau 33 (1993) 2 ff.
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Erwin Bernat
der Übertragung des Fremdsamens in besonders solenner Form zugestimmt hat.5 Wunschvater und Wunschmutter werden vor dem „Eindringen“ des Samenspenders in ihre Familie zusätzlich geschützt: „Ein Dritter, dessen Samen für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung verwendet wird, kann nicht als Vater des mit seinem Samen gezeugten Kindes festgestellt werden“ (§ 163 Abs. 4 Satz 1 ABGB).6 § 1 Abs. 1 FMedG steckt den Geltungsbereich des Fortpflanzungsmedizingesetzes ab. Danach ist „medizinisch unterstützte Fortpflanzung im Sinn [des FMedG] die Anwendung medizinischer Methoden zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf andere Weise als durch Geschlechtsverkehr.“ Verfahren, mit denen in vitro gezeugte Embryonen außerhalb des Körpers einer Frau zur Entwicklung und Reifung gebracht werden sollen (Ektogenese),7 stellen nach dieser Legaldefinition zwar keine medizinisch unterstützten Fortpflanzungen dar, sie sind aber dennoch verboten, wenn auch nur indirekt. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 FMedG darf nämlich der in vitro gezeugte Embryo „nicht für andere Zwecke als für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen verwendet werden.“ Und da medizinisch unterstützte Fortpflanzungen nur „Verfahren zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf andere Weise als durch Geschlechtsverkehr“ sind (§ 1 Abs. 1 FMedG), ist schon der bloße Versuch,8 eine in vitro befruchtete Eizelle außerhalb des Körpers einer Frau zur Entwicklung und Reifung zu bringen, unzulässig.9 Verletzt der Arzt § 9 FMedG, kann er mit Geldstrafe bis zu € 36.000, bei Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu vierzehn Tagen bestraft werden (§ 22 Abs. 1 Z 3 FMedG). § 1 Abs. 2 FMedG zählt demonstrativ10 auf, welche Methoden der Gesetzgeber als solche der medizinisch unterstützten Fortpflanzung begreift: die künstliche Insemination in vivo,11 die In-vitro-Fertilisation (IVF),12 den Embryotransfer13 5
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§§ 137b, 156a, 163 ABGB i.d.F. Art. II BGBl. 1992/275; dazu Schwimann, Neues Fortpflanzungsmedizinrecht in Österreich, StAZ 1993, 169 ff.; Steininger, Interpretationsvorschläge für die neuen Normierungen im ABGB über die väterliche Abstammung, ÖJZ 1995, 121 ff.; rechtsvergleichend: Lurger, Das Abstammungsrecht bei medizinisch assistierter Zeugung nach der deutschen Kindschaftsrechtsreform im Vergleich mit dem österreichischen Recht, DEuFamR 1 (1999) 210 ff. Samenspender ist nach der Legaldefinition des § 163 Abs. 4 Satz 2 ABGB (i.d.F. des Familien- und Erbrechts-Änderungsgesetzes 2004, BGBl. I 2004/58), „wer seinen Samen einer für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen zugelassenen Krankenanstalt mit dem Willen überlässt, nicht selbst als Vater eines mit seinem Samen gezeugten Kindes festgestellt zu werden.“ Bernat, Rechtsfragen medizinisch assistierter Zeugung, 1989, S. 266 f. § 25 Abs. 2 FmedG. JAB, 490 BlgNR 18. GP, S. 2. Die demonstrative Aufzählung in § 1 Abs. 2 FMedG soll verhindern, dass auch Verfahren der Fortpflanzungsmedizin, die es bei Verabschiedung des FMedG noch nicht gab, von diesem Gesetz reguliert werden; siehe den JAB, 490 BlgNR 18. GP, S. 3. § 1 Abs. 2 Z 1 FMedG: „das Einbringen von Samen in die Geschlechtsorgane einer Frau“. § 1 Abs. 2 Z 2 FMedG: „die Vereinigung von Eizellen mit Samenzellen außerhalb des Körpers einer Frau“.
Sind geklonte Embryonen „entwicklungsfähige Zellen“ i.S.v. § 1 Abs. 3 FMedG?
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sowie „das Einbringen von Eizellen oder von Eizellen mit Samen in die Gebärmutter oder den Eileiter einer Frau“.14 Diese Techniken können homolog oder heterolog – also mit den Keimzellen der Wunscheltern oder den Keimzellen eines Spenders – durchgeführt werden. Mit Ausnahme der künstlichen Insemination in vivo hat der Gesetzgeber die Praxis der Fortpflanzungsmedizin nur im homologen System erlaubt.15 Das FMedG ist nicht nur ein Gesetz zur Regelung der Fortpflanzungsmedizin, sondern bezweckt auch den Schutz des extrauterinen Keims, der im Schrifttum als Embryo (in vitro), als Präembryo oder als Zygote bezeichnet wird.16 Demgegenüber nennt § 1 Abs. 3 FMedG den Embryo (in vitro) „entwicklungsfähige Zellen“. Das sind nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 3 FMedG „befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen“. Während die Regierungsvorlage „entwicklungsfähige Zellen“ erst „ab der Kernverschmelzung“ entstehen ließ,17 kommt es nach der Fassung von § 1 Abs. 3 FMedG, die parlamentarisch verabschiedet wurde, nicht auf die Verschmelzung der Zellkerne, sondern ausschließlich auf das Eindringen der Samenzelle in die Eizelle an, was zu einer Ausweitung des Schutzobjektes „entwicklungsfähige Zellen“ führt.18 Der etwas seltsam anmutende Begriff „entwicklungsfähige Zellen“ findet sich schon im Ministerialentwurf eines „Fortpflanzungshilfegesetzes (FHG)“19 und wurde vom Gesetzgeber ganz bewusst 13
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§ 1 Abs. 2 Z 3 FMedG: „das Einbringen von entwicklungsfähigen Zellen in die Gebärmutter oder den Eileiter einer Frau“. § 1 Abs. 2 Z 4 FMedG. Diese Einschränkung begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken; siehe VfGH 14.10.1999, VfSlg. 15.632 = MedR 2000, 389 m. Anm. v. Bernat; zu dieser Entscheidung Coester-Waltjen, Fortpflanzungsmedizin, EMRK und österreichische Verfassung, FamRZ 2000, 598 f.; Lurger, Das Fortpflanzungsmedizingesetz vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof, DEuFamR 2 (2000) 134 ff.; Novak, Fortpflanzungsmedizingesetz und Grundrechte, in: Bernat (Hrsg.), Die Reproduktionsmedizin am Prüfstand von Recht und Ethik, 2000, S. 62 ff.; Strasser, Ethik der Fortpflanzung, in: Bernat (Hrsg.), Die Reproduktionsmedizin am Prüfstand von Recht und Ethik, 2000, S. 23 ff.; Bernat, A human right to reproduce non-coitally?, Univ. Tasmania L. Rev. 21 (2002) 20 ff.; zur Stellung der Fortpflanzungsmedizin im Licht der EMRK Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl. 2008, S. 194 m.w.N. sowie jüngst EGMR, Urt. v. 4.12.2007 (GK), Dickson, Nr. 44.362/2004. Winter, In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer an der Frauenklinik Graz, in: Bernat (Hrsg.), Lebensbeginn durch Menschenhand. Probleme künstlicher Befruchtungstechnologien aus medizinischer, ethischer und juristischer Sicht, 1985, S. 41 (49 ff.); Schleiermacher, Der Beginn des Lebens, in: Reiter/Theile (Hrsg.), Genetik und Moral. Beiträge zu einer Ethik des Ungeborenen, 1985, S. 69 ff. § 1 Abs. 3 FMedG i.d.F. 216 BlgNR 18. GP lautete: „Als entwicklungsfähige Zellen sind befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen ab der Kernverschmelzung anzusehen.“ In diesem Sinn auch § 8 Abs. 1 des deutschen Embryonenschutzgesetzes (ESchG) vom 13.12.1990 (BGBl. I, S. 2746): „Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an …“. Siehe dazu den JAB, 490 BlgNR 18. GP, S. 3. MinE zu einem „BG über die medizinische Fortpflanzungshilfe beim Menschen (Fortpflanzungshilfegesetz – FHG) sowie über Änderungen des allgemeinen bürgerlichen
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verankert. Dazu heißt es in den amtlichen Erläuterungen zur Regierungsvorlage eines FMedG: „Im Begutachtungsverfahren wurde verschiedentlich gefordert, statt [‚entwicklungsfähige Zellen‘] den Ausdruck ‚Embryo‘ zu verwenden. Diesen Vorschlägen kann sich der vorliegende Entwurf nicht anschließen, da sowohl die wissenschaftliche Terminologie als auch der allgemeine Sprachgebrauch – entsprechend den unterschiedlichen weltanschaulichen Ansätzen – hier weder eindeutig noch einheitlich sind. Im Übrigen sieht der Entwurf […] besondere Vorkehrungen zum Schutz der befruchteten Eizellen vor, so dass die Frage der Wortwahl letztlich zweitrangig ist.“20
Hinter der Verwendung des Begriffs „entwicklungsfähige Zellen“ stand augenscheinlich das Bemühen des Gesetzgebers, weltanschauliche Neutralität zu wahren. Allerdings gerät dieser Begriff in ein Spannungsverhältnis zur rechtsethischen Basiswertung des § 9 Abs. 1 FMedG, der das Leben von „entwicklungsfähigen Zellen“ sogar stärker schützt als das Leben der Zygote in vivo.21 Verbrauchende Forschung22 an „entwicklungsfähigen Zellen“ ist nach § 9 Abs. 1 FMedG kategorisch verboten und kann mit Verwaltungsstrafe oder mit Ersatzfreiheitsstrafe geahndet werden,23 während die im Eileiter befruchtete Eizelle vor Implantation in der Gebärmutterschleimhaut der werdenden Mutter gänzlich schutzlos gestellt ist.24 § 9 Abs. 1 FMedG wäre wenigstens auf den ersten Blick plausibler, hätte der Gesetzgeber das Schutzobjekt dieser Vorschrift mit einem Namen versehen, der sowohl in den empirischen als auch in den normativen Wissenschaften gebräuchlich ist: Embryo (in vitro),25 Präembryo oder Zygote. Die Bezeichnung des frühen menschlichen Keims als „entwicklungsfähige Zellen“ verschleiert unnötigerweise die empirischen Grundlagen der gesetzlichen Regelung, was es dem Normadressaten nicht gerade erleichtert, der Bewertung des § 9 Abs. 1 FMedG zu folgen.
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Gesetzbuchs und des Ehegesetzes“, JMZ 3.509/363-I 1/90; zu diesem Ministerialentwurf siehe die Beiträge in: Bernat (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin, 1991. 216 BlgNR 18. GP, S. 15. Vgl. zur Problematik des Embryonenschutzes schon Bernat/Schick, Embryomanipulation und Strafrecht. Gedanken zum Initiativantrag 156/A vom 25.9.1985 (II-3306 BlgStProt NR XVI. GP), AnwBl. 1985, 632 ff. Siehe dazu Trounson, Why do research on human pre-embryos?, in: P. Singer (Hrsg.), Embryo-Experimentation, 1990, S. 14 ff. Siehe nochmals § 22 Abs. 1 Z 3 FMedG. Kienapfel, Frühabort und Strafrecht, JBl. 1971, 175 ff.; Kopetzki, Rechtliche Aspekte des Embryonenschutzes, in: Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin?, 2003, S. 51 (53). Siehe etwa das deutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG); zu diesem Gesetz weiterführend Deutsch, Embryonenschutz in Deutschland, NJW 1991, 721 ff.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, S. 490 ff.; Keller/Günther/Kaiser, Kommentar zum Embryonenschutzgesetz, 1992.
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II. 1. Am 23. Februar des Jahres 1997 erfuhr die Öffentlichkeit durch die Medien, dass es dem schottischen Forscher Ian Wilmut gelungen sei, ein Schaf zu klonen.26 Dieses Schaf („Dolly“) verdankte seine Existenz einer bis dahin nicht bekannten Methode des Klonens, nämlich der Methode des Cell Nuclear Replacement (CNR). Vereinfacht dargestellt, geht es dabei um Folgendes. Einem bereits existenten Wesen, sei es ein Embryo, ein Fötus oder ein Geborener, wird eine ausdifferenzierte Zelle entnommen und in eine zuvor entkernte Eizelle eines Wesens derselben Spezies verpflanzt. Sodann wird die adulte Zelle angeregt, sich zu teilen. Gelingt die Zellteilung, wird der in vitro befindliche Zellverband einem Muttertier eingesetzt, wo er sich, wie nach koitaler Befruchtung, bis zur Geburt weiterentwickeln kann. Nach der Geburt existiert ein genetischer Klon jenes Wesens, dessen adulte Zelle für das CNR verwendet worden ist. Der Klon ist also nichts anderes als ein zeitversetzter eineiiger Zwilling.27 Die Methode des reproduktiven Klonens durch CNR könnte auch im Humanbereich angewendet werden. Das ruft bei sehr vielen Menschen Ängste hervor, vielleicht weil sie sich an den Oscar-nominierten Film „The Boys From Brazil“ (1978) erinnern, in dem der ehemalige KZ-Arzt Josef Mengele 94 Buben aus den Genen des „Führers“ klont, die alle identisch aussehen und auch den Lebenslauf von Adolf Hitler bekommen sollen. Weniger angsterregend mag es da erscheinen, wenn Eltern, die ein Kind verloren haben, sich darum bemühen, diesen Verlust durch reproduktives Klonen zu kompensieren.28 Dessen ungeachtet ist das reproduktive Klonen vom ersten Zusatzprotokoll zum Europaratsübereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin29 verboten worden und findet allenfalls unter einigen angelsächsischen Philosophen offene Befürworter.30 26
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Wilmut/Schnieke/McWhir/Kind/Campbell, Viable offspring derived from fetal and adult mammalian cells, Nature 385 (1997) 810 ff. Vgl. Segal, Behavioral aspects of intergenerational human cloning: What twins tell us, Jurimetrics 38 (1997) 57 ff. Siehe Robertson, Liberty, identity, and human cloning, Texas L. Rev. 76 (1998) 1371 ff.; ders., Human cloning and the challenge of regulation, N.E.J.M. 339 (1998) 119 ff.; Bernat, Rechtsethische Argumente gegen das reproduktive Klonen – Kritik und Antikritik, Mezinárodní a srovnávaci právní revue / International and Comparative L. Rev. 10 (2004) 47 ff. Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen vom 12.1.1998, abgedruckt in: Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, S. 992 f.; dazu Saliger, Das Verbot des reproduktiven Klonens nach dem 1. Zusatzprotokoll zum Menschenrechtsübereinkommen, JRE 14 (2006) 541 ff.; zur Frage, ob das reproduktive Klonen von den Verbotsbestimmungen des FMedG erfasst wird, siehe Miklos, Das Verbot des Klonens von Menschen in der österreichischen Rechtsordnung, RdM 2000, 35 ff.; Kopetzki, in: Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin?, 2003,
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2. Die Methode des Klonens durch CNR (Dolly-Methode) wurde in den letzten Jahren weniger vor dem Hintergrund der menschlichen Reproduktion, sondern verstärkt im Zusammenhang mit der Herstellung von embryonalen Stammzellen diskutiert.31 Embryonale Stammzellen haben ein sehr hohes therapeutisches Potential. Sie können auch aus geklonten Embryonen gewonnen werden (sog. therapeutisches Klonen).32 Dies führt freilich unweigerlich zur Vernichtung der geklonten Embryonen und damit zu einer Instrumentalisierung, die prima facie gegen § 9 Abs. 1 FMedG verstößt. Fraglich ist indes, ob ein im Wege der Dolly-Methode geklonter Embryo überhaupt von § 9 Abs. 1 FMedG geschützt wird. Das in dieser Bestimmung verankerte kategorische Forschungsverbot kann auf Embryonen, die nicht gezeugt, sondern im Wege der Dolly-Methode geklont worden sind, nur unter der Voraussetzung angewendet werden, dass solche Embryonen „entwicklungsfähige Zellen“ i.S.v. § 1 Abs. 3 FMedG sind. Entwicklungsfähige Zellen sind aber, wie § 1 Abs. 3 FMedG sagt, nur „befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen“. Ein im Wege der Dolly-Methode geklonter Embryo verdankt sein Dasein nicht jenem Vorgang, den man, jedenfalls im landläufigen Sinn, als Befruchtung bezeichnet. Im landläufigen, aber auch im biologisch-technischen Sinn, umfasst das Wort Befruchtung die Begriffe Konzeption (das ist der zur Befruchtung führende Koitus), Imprägnation (das ist das aktive Eindringen des Spermiums in das Ei) und Konjugation (das ist die Verschmelzung des männlichen und weiblichen haploiden Vorkerns der Keimzellen zu einem Kern).33 Steht daher das therapeutische Klonen eines menschlichen Embryos nach der Dolly-Methode außerhalb des
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S. 51 (59). Siehe etwa Tooley, The moral status of the cloning of Humans, in: Humber/Almeder (Hrsg.), Human Cloning, 1998, S. 67 ff. Siehe beispielsweise die Berichte in Die Furche vom 24.1.2008, 21 ff.; Die Presse vom 11.4.2008, 34; Brownsword, Bioethics today, bioethics tomorrow: Stem cell research and the „dignitarian alliance“, Notre Dame J. of Law, Ethics & Publ. Pol’y 17 (2003) 15 ff.; Langenbach, Kinder aus Stammzellen?, Die Presse vom 1.4.2008, 36; Prat, Der Embryo als Galionsfigur im Streit ums Geld, Die Presse vom 14.4.2008, 30. In Deutschland wurde die Verwendung von importierten embryonalen Stammzellen sogar in einem eigenen Gesetz geregelt: Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG) vom 28.6.2002 (BGBl. I, S. 2277); zu diesem Gesetz Taupitz, Erfahrungen mit dem Stammzellgesetz, JZ 2007, 113 ff.; zur deutschen Diskussion vor Inkrafttreten des StZG Taupitz, Der rechtliche Rahmen des Klonens zu therapeutischen Zwecken, NJW 2001, 3433 ff.; ders., Import embryonaler Stammzellen. Konsequenzen des Bundestagsbeschlusses vom 31.1.2001, ZRP 2002, 111 ff. Überblick bei Brownsword, Stem cells and cloning: Where the regulatory consensus fails, New England L. Rev. 39 (2005) 535 ff.; Dahan, Embryonic stem cell research and therapeutic cloning: Scientific, ethical and legal perspectives, Israel L. Rev. 37 (2003/04) 543 ff.; Deech, Playing god: Who should regulate embryo research?, Brooklyn J. Int’l L. 32 (2007) 31 ff. So Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Aufl. 1998, S. 180 f.
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Einzugsbereichs des FMedG? Und wenn ja: liegt eine planwidrige Lücke vor? Darf eine solche Lücke gegebenenfalls im Wege des Analogieschlusses gefüllt werden?
III. 1. Die Frage, ob ein durch Klonen nach der Dolly-Methode entstandener Embryo der Legaldefinition des Begriffs Embryo („entwicklungsfähige Zellen“) entspricht, wurde zwar vereinzelt auch schon in der österreichischen Literatur aufgegriffen,34 sie wird allerdings im Vereinigten Königreich weit intensiver diskutiert. Ursache des gesteigerten Interesses englischer Rechtsgelehrter an der Klärung dieser Frage war die causa R (on the Application of Quintavalle) v. Secretary of State for Health, die in letzter Instanz vom House of Lords entschieden worden ist.35. Das Verfahren in der causa Quintavalle wurde von der radikalen Lebensschutzorganisation Pro-Life Alliance eingeleitet, die regelmäßig gegen biotechnische Verfahren öffentlich Stellung bezieht,36 die nach ihrer Auffassung das Prinzip von der Heiligkeit des menschlichen Lebens verletzen.37 Antragsgegnerin war die britische 34
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Kopetzki, Embryonale Stammzellen im Rechtsstaat. Thesen zur künftigen Biopolitik, in: Pichler (Hrsg.), Embryonalstammzelltherapie versus „alternative“ Stammzelltherapien, 2002, S. 157 ff.; ders., in: Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin?, 2003, S. 51 (59 f.). High Court, Queen’s Bench Division (Administrative Court) (1. Instanz) [2001] 4 All E.R. 1013; Court of Appeal (2. Instanz) [2002] 2 All E.R. 625; House of Lords (3. Instanz) [2003] 2 All E.R. 113; siehe zu diesen Entscheidungen: Adcock/Beyleveld, Purposive interpretation and the regulation of technology: Legal constructs, legal fictions, and the rule of law, Medical L. Int’l 8 (2007) 305 ff.; Beyleveld/Pattinson, Globalisation and human dignity: Some effects and implications for the creation and use of embryos, in: Brownsword (Hrsg.), Global Governance and the Quest for Justice. Volume IV: Human Rights, 2004, S. 185 ff.; Grubb, Regulating cloned embryos?, The Law Quarterly Rev. 118 (2002) 358 ff.; ders., Medical L. Rev. 11 (2003) 136 ff.; Herring/Chau, Case commentary: Are cloned embryos embryos?, Child and Family Law Quarterly 14 (2002) 315 ff.; Herring, Cloning in the House of Lords, Family Law 33 (2003) 663 ff.; McLeod, Literal and purposive techniques of legislative interpretation: Some European Community and English common law perspectives, Brooklyn J. Int’l L. 29 (2004) 1109 ff.; Plomer, Beyond the HFE Act 1990: The regulation of stem cell research in the UK, Medical L. Rev. 10 (2002) 132 ff. Siehe auch R (Quintavalle) v. Human Fertilisation and Embryology Authority (Secretary of State for Health Intervening) [2003] 3 All E.R. 257; zu dieser Entscheidung Bernat, Pränatale Diagnostik und Präimplantationsdiagnostik: Gibt es ein Recht auf informierte Fortpflanzung?, in: FS Laufs, 2006, S. 671 (694 ff.). High Court of Justice [2001] 4 All E.R. 1013, 1015, per Crane, J.: „Pro-Life Alliance describes itself as an association committed to campaigning for absolute respect for innocent human life and is opposed inter alia to human cloning.“
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Regierung, vertreten durch ihren Gesundheitsminister. Im hier interessierenden Verfahren beantragte die Pro-Life Alliance beim High Court of Justice die Feststellung, es möge entschieden werden, dass ein Embryo, der durch Klonen im Wege der Dolly-Methode (CNR) entstanden ist, nicht unter die im englischen Recht verankerte Definition des Begriffs „embryo“ fällt. Ich muss an dieser Stelle etwas weiter ausholen. In England wurde schon im Jahre 1990 das Pendant zum österreichischen FMedG, der Human Fertilisation and Embryology Act (HFE Act),38 parlamentarisch verabschiedet. Dieses Gesetz regelt sowohl die Fortpflanzungsmedizin als auch die Forschung mit Keimzellen und extrauterinen Embryonen dem Grunde nach sehr liberal.39 Beispielsweise darf die verbrauchende Forschung in England nicht nur an sog. „übrig gebliebenen“, sondern auch an eigens für das Forschungsprojekt hergestellten Embryonen betrieben werden.40 Allerdings sieht das englische Gesetz vor, dass jene Verfahren der Fortpflanzungsmedizin und Forschung, die nicht a priori verboten sind, nur praktiziert werden dürfen, wenn der Träger des Spitals bzw der Forschungseinrichtung hiefür speziell lizenziert worden ist. Für die Vergabe der Lizenz sorgt die vom Gesetz eingerichtete Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA). Diese Behörde ist auch zuständig für die Kontrolle der Lizenznehmer. Ein Arzt oder Forscher, der Forschung betreibt, ohne hiefür von der HFEA speziell ermächtigt worden zu sein, macht sich sogar einer Straftat („offence“) schuldig.41 Section 1(1) des HFE Act 1990 definiert den Embryo in vitro wie folgt: „(1) In this Act, except where otherwise stated (a) embryo means a live human embryo where fertilisation is complete, and (b) references to an embryo include an egg in the process of fertilisation, and, for this purpose, fertilisation is not complete until the appearance of a two cell zygote.“42
Wie gleichen sich doch die Bilder. Sowohl das österreichische als auch das englische Recht definieren den Begriff Embryo (in vitro) auf die „herkömmliche Weise“. Wie soll man diese Definition interpretieren?
2. Als der HFE Act 1990 parlamentarisch verabschiedet wurde, waren sich sowohl die Rechtsexperten als auch die Regierung darüber einig, dass ein im Wege der Dolly-Methode geklonter Embryo von section 1(1) des HFE Act erfasst werde und 38 39
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Chapter 37. Überblick bei Bernat, Fortpflanzungsmedizin und Recht. Bemerkungen zum Stand der Gesetzgebung in Österreich, Deutschland und Großbritannien, MedR 1991, 308 ff. Zur Unterscheidung Steiner, Rechtsfragen der „In-Vitro-Fertilisation“, JBl. 1984, 175 ff. Siehe sec. 41(2)(a) HFE Act: „A person who contravenes section 3(1) of this Act […] is guilty of an offence.“ Sec. 3(1) HFE Act lautet: „No person shall bring about the creation of an embryo or keep or use an embryo, except in pursuance of a licence.“ Hervorhebung vom Verf.
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dass Forschung mit solcherart geklonten Embryonen an sich erlaubt sei, aber speziell lizenziert werden müsse.43 Demgegenüber vertrat die Pro-Life Alliance in der causa Quintavalle den Rechtsstandpunkt, dass Embryonen, die durch CNR entstanden sind, gar nicht vom HFE Act erfasst werden. Wenn diese Auffassung richtig ist, dann wäre die Forschung am geklonten Embryo in England zulässig, „ohne dass es erst einer expliziten Freigabe bedürfte.“44 Vor dem Hintergrund des österreichischen FMedG hat freilich die Auffassung, der zufolge sich der nach der Dolly-Methode geklonte Embryo im „rechtsfreien Raum“ befindet, weiter reichende Folgen als vor dem Hintergrund des HFE Act. Fällt der durch CNR geklonte Embryo nicht in den Geltungsbereich des FMedG, dann wäre die Forschung an einem solchen Embryo zur Gänze freigestellt.45 Für englisches Recht gilt das soeben Gesagte mutatis mutandis, allerdings ist zu beachten, dass der HFE Act – im Gegensatz zum österreichischen FMedG – die embryonenverbrauchende Forschung gar nicht kategorisch verbietet. Entspricht der im Wege der Dolly-Methode geklonte Embryo also der Legaldefinition von section 1(1) HFE Act, dann müsste in England nur eine Lizenz zur Forschung mit solcherart geklonten Embryonen beantragt werden. Ist man sich dieser ganz unterschiedlichen Tragweite der „restriktiven“ Interpretation der Begriffe „entwicklungsfähige Zellen“ (§ 1 Abs. 3 FMedG) bzw „embryo“ (section 1(1) HFE Act) bewusst, dann stellt sich natürlich die Frage, warum die Pro-Life Alliance überhaupt den Antrag stellte, gerichtlich feststellen zu lassen, dass Forschung am geklonten Embryo nach englischem Recht in den „rechtsfreien Raum“ falle. Vermut43
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Siehe Department of Health, Stem Cell Research: Medical Progress with Responsibility. A Report From the Chief Medical Officer’s Expert Group Reviewing the Potential of Developments in Stem Cell Research and Cell Nuclear Replacement to Benefit Human Health, June 2000, S. 45: „Research using embryos (whether created by in vitro fertilisation or cell nuclear replacement) to increase understanding about human disease and disorders and their cell-based treatments should be permitted, subject to the controls in the Human Fertilisation and Embryology Act 1990.“ Siehe auch Department of Health, a.a.O. S. 40: „The use of cell nuclear replacement to produce human embryos may be said to create a new form of early embryo which is genetically virtually identical to the donor of the cell nucleus. […] [A]s described above the creation of embryos for research in this way is not ruled out under the 1990 Act, provided that the research is for one of the five existing purposes. However, although these embryos differ in the method of their creation, they are undoubtedly human embryonic life, which, given the right conditions, could develop into a human being“ (Hervorhebung vom Verf.). Siehe dazu die zustimmende Government Response to the Recommendations made in the Chief Medical Officer’s Expert Group Report: „Stem Cell Research: Medical Progress with Responsibility“ (Cm. 4833), August 2000: „The Government accepts the Report’s Recommendations in full and will bring forward legislation where necessary to implement them as soon as the Parliamentary timetable allows.“ Vgl. dazu auch Brownsword, Bioethics, stem cells, superman, and the Report of the Select Committee, The Modern L. Rev. 65 (2002) 568 ff. Kopetzki, in: Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin?, 2003, S. 51 (52); ders., in: Pichler (Hrsg.), Embryonalstammzelltherapie versus „alternative“ Stammzelltherapien, 2002, S. 157 (160). Siehe nochmals Kopetzki, in: Pichler (Hrsg.), Embryonalstammzelltherapie versus „alternative“ Stammzelltherapien, 2002, S. 157 (159).
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lich stand hinter dem Antrag von Pro-Life Alliance „politisches Kalkül“, denn eine Entscheidung, die im Sinne dieser Lebensschutzvereinigung ergangen wäre, hätte wohl die Debatte über die Legitimität der embryonenverbrauchenden Forschung im Vereinigten Königreich erneut ins Rollen gebracht.46 – Anders lässt sich das Vorgehen von Pro-Life Alliance widerspruchsfrei wohl nicht erklären.
3. Richter Crane, der für den High Court of Justice entschied, nahm section 1(1) des HFE Act „beim Wort“ und brachte zum Ausdruck, dass das Klonen nach der Dolly-Methode gesetzlich ungeregelt sei. Folglich dürfe diese Art des Klonens nach englischem Recht ohne Einschränkung praktiziert werden. Richter Crane fasste die Gründe für seine Entscheidung mit folgenden Worten zusammen: „I decline any invitation to attempt to rewrite any of the sections of the 1990 Act to make them apply by analogy to organisms produced by CNR. I accept the defendant’s argument that the reason for inserting in section 1(1)(a) the words ‚where fertilisation is complete‘ and the following words in section 1(1)(b) was to define the moment at which the Act’s protection applied to the organism. Nevertheless the words are there. The question is whether to insert the additional words is permissible: ‚a live human embryo where [if it is produced by fertilisation] fertilisation is complete.‘ With some reluctance, since it would leave organisms produced by CNR outside the statutory and licensing framework, I have come to the conclusion that to insert these words would involve an impermissible rewriting and extension of the definition.“47
In Reaktion auf die Entscheidung von Richter Crane verabschiedete das Parlament innerhalb weniger Wochen den Human Reproductive Cloning Act 2001.48 Dieses Gesetz verbietet allerdings nur das reproduktive Klonen,49 das – wie das therapeutische Klonen – nach Richter Cranes Auffassung außerhalb des Einzugsbereichs des HFE Act steht. Der Human Reproductive Cloning Act 2001 ließ die Frage der Legalität des therapeutischen Klonens völlig unberührt, weil das Parlament abwar46
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Siehe dazu Court of Appeal [2002] 2 All E.R. 625, 628, per Lord Phillips of Worth Matravers, M.R.: „On the face of it, the motivation of the Pro-Life Alliance was not easy to follow. They had caused the baby to be expelled with the bath water. They had established that CNR embryos could be created and used for any purpose without regulation or restriction. As I understand the position, however, the Pro-Life Alliance has assumed that, if their application for judicial review succeeded, the government would be forced to introduce legislation to deal with the practice of creating embryos by CNR. There would be a full Parliamentary debate on the topic which might well result in the prohibition of the process.“ High Court of Justice [2001] 4 All E.R. 1013, 1024, per Crane J. Chapter 23. Siehe sec. 1(1) Human Reproductive Cloning Act 2001: „A person who places in a woman a human embryo which has been created otherwise than by fertilisation is guilty of an offence.“ Eine Verletzung von sec. 1(1) leg. cit. kann mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft werden (sec. 1(2) leg. cit.).
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ten wollte, wie die Rechtsmittelinstanzen in der causa Quintavalle entscheiden würden.50
4. Der Court of Appeal ließ die Berufung gegen die Entscheidung des High Court of Justice zu und gab dem Rechtsmittelbegehren der britischen Regierung vollinhaltlich statt. Lord Phillips of Worth Matravers, M.R., meinte, dass vier Gründe dafür sprächen, das Klonen nach der Dolly- Methode in den Einzugsbereich des HFE Act zu stellen. Erstens. Lord Phillips brachte zum Ausdruck, dass es mitunter ein Gebot der praktischen Vernunft sei, einen im Gesetz verwendeten Begriff im Licht neuerer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu interpretieren, deren gegenwärtigen Stand der Gesetzgeber vergangener Zeiten häufig gar nicht vorhersehen konnte. So wies Lord Phillips beispielsweise auf eine Entscheidung des House of Lords hin,51 das den im Telegraph Act 1863 verwendeten Begriff des „telegraph“ – trotz scheinbar deutlicher Legaldefinition52 – auch auf die telefonische Übermittlung von Nachrichten erstreckt hat, weil das Telefon im Jahre 1863 noch gar nicht erfunden war.53 Würde der Richter allzu sehr am Wortlaut eines Begriffs „kleben“, wäre es vielfach gar nicht möglich, Materien, die sich aufgrund des Fortschritts der empirischen Wissenschaften sehr rasch verändern, einer sinnvollen gesetzlichen Regelung zuzuführen. Lord Phillips maß in diesem Zusammenhang einschlägigen 50
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Grubb, The Law Quarterly Rev. 118 (2002) 358 (360); Herring/Chau, Child and Family Law Quarterly 14 (2002) 315. Att.-Gen. v. Edison Telephone Co. of London (Ltd.) (1880) 6 Q.B.D. 244 (zit. nach Court of Appeal [2002] 2 All E.R. 625, 632); zu dieser Entscheidung auch Smith, Bailey & Gunn on the Modern English Legal System, 4. Aufl. 2002, S. 405 ff. Der Telegraph Act 1869 gab dem Postmaster General ein Monopol auf die Versendung von Telegrammen. Telegramme wurden vom Gesetz definiert als Botschaften, die per „telegraph“ übertragen werden. Und ein „telegraph“ beinhaltet nach dem Telegraph Act 1869 (bloß) „any apparatus for transmitting messages or other communications by means of electric signals“ (zit. nach Court of Appeal [2002] 2 All E.R. 625, 632). Die Übertragung der menschlichen Stimme durch Telefon wird vom Wortlaut dieser Legaldefinition nicht erfasst. „Of course no one supposes that the legislature intended to refer specifically to telephones many years before they were invented, but it is highly probable that they would, and it seems to us that they actually did, use language embracing future discoveries as to the use of electricity for the purpose of conveying intelligence. The real object of the Act of 1863 [The Telegraph Act 1863] was to give special powers to telegraph companies to enable them to open streets, lay down wires, take land, suspend wires over highways, connect wires, erect posts on the roof of houses, and do many other things of the same sort. The act, in short, was intended to confer powers and to impose duties upon companies established for the purpose of communicating information by the action of electricity upon wires, and absurd consequences would follow if the nature and extent of those powers and duties were made dependent upon the means employed for the purpose of giving the information“ (Att-Gen v. Edison Telephone Co of London (Ltd) (1880) 6 QBD 244, 254, zit. nach [2002] 2 All E.R. 625, 632).
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dogmatischen Überlegungen von Lord Wilberforce besondere Bedeutung bei, der in einem obiter dictum zu einer Entscheidung des House of Lords aus dem Jahre 198154 Folgendes ausführte: „Leaving aside cases of omission by inadvertence, this being not such a case, when a new state of affairs, or a fresh set of facts bearing on policy, comes to existence, the courts have to consider whether they fall within the parliamentary intention. They may be held to do so if they fall within the same genus of facts as those to which the expressed policy has been formulated. They may also be held to do so if there can be detected a clear purpose in the legislation which can only be fulfilled if the extension is made. How liberally these principles may be applied must depend on the nature of the enactment, and the strictness or otherwise of the words in which it has been expressed.“55
Lord Phillips übertrug diese dogmatischen Überlegungen von Lord Wilberforce zu den Grenzen der am Zweck der Vorschrift ausgerichteten subjektiv-historischen Gesetzesinterpretation auf die Frage, wie die Definition des Begriffs „embryo“ in section 1(1) HFE Act zu interpretieren sei, und führte weiter aus: „In the context of the Human Rights Act 199856 the boundaries of purposive interpretation have been extended where needs must. I consider that the construction for which [the defendant] contends is viable provided that this is plainly necessary to give effect to Parliamentary intention. When considering that question the court has to ask, not what would Parliament have enacted if it had foreseen the creation by CNR, but, do such embryos plainly fall within the genus covered by the legislation and will the clear purpose of the legislation be defeated if the extension is made?“57
Die Beantwortung dieser Frage lag nun für Lord Phillips auf der Hand. Ein im Wege der Dolly-Methode geklonter Embryo sei in puncto Art („genus“) gar nicht von jenem Embryo zu unterscheiden, der in vitro gezeugt worden ist, weil beide Embryonen eine unter teleologischen Gesichtspunkten ganz wesentliche Eigenschaft teilen:
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Royal College of Nursing of the UK v. Department of Health and Social Security [1981] 1 All E.R. 545. Royal College of Nursing of the UK v. Department of Health and Social Security [1981] 1 All E.R. 545, 564 f., per Lord Wilberforce; zu dieser Entscheidung siehe einlässlich Manchester/Salter/Moodie, Exploring the Law: The Dynamics of Precedent and Statutory Interpretation, 2. Aufl. 2002, S. 238 ff. Im Vereinigten Königreich wurde die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) als Human Rights Act im Jahre 1998 in das innerstaatliche Recht überführt. Dieses Gesetz trat am 2.10.2002 in Kraft; dazu Heller, Die Entwicklung der Grundrechte in England und im Vereinigten Königreich – Historisches und Aktuelles, JBl. 2002, 293 ff.; Smith, Bailey & Gunn on the Modern English Legal System, 4. Aufl. 2002, S. 525 ff. Court of Appeal [2002] 2 All E.R. 625, 633, per Lord Phillips of Worth Matravers, M.R.
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„The two are essentially identical as far as structure is concerned, and each is capable of developing into a full grown example of the relevant species. So far as the human embryo is concerned, it is this capacity to develop into a human being that is the significant factor and it is one that is shared by both types of embryo.“58
Zweitens. Lord Phillips betonte in einem nächsten Schritt, dass man bei der Interpretation von Gesetzen zuvörderst den Zweck der Vorschriften im Auge behalten sollte und erinnerte in diesem Zusammenhang an den sog. Warnock Report, der die spätere gesetzliche Regelung in Sachen assistierte Fortpflanzung und Embryologie nachhaltig beeinflusst hat.59 Primäres Anliegen dieses Reports sei es gewesen, die Entstehung neuen Lebens in der Retorte zu regulieren und die verschiedensten Techniken der assistierten Zeugung der staatlichen Kontrolle zu unterwerfen. Ein Gesetz, wie es schlussendlich 1990 parlamentarisch verabschiedet worden ist, sei wegen der sehr komplexen ethischen Fragen, die die assistierte Fortpflanzung und Embryologie aufwerfen, nicht nur von den politisch Verantwortlichen sehr begrüßt worden.60 Die „weite“ Interpretation von section 1(1) HFE Act sei daher auch im Licht der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes geboten: „I consider that a regulatory regime that excludes from its ambits embryos created by CNR is contrary to the intention of Parliament in introducing the 1990 Act. The prospect of such a regime is both startling and alarming. These considerations provide the most cogent reason to reach an interpretation of the 1990 Act which embraces embryos produced by CNR, subject to consideration of any countervailing considerations, or incoherence.“61
Drittens. Lord Phillips stellte sich auch die Frage, welche plausiblen teleologischen Argumente es denn geben könnte, section 1(1) HFE Act nicht auf den im Wege der Dolly-Methode geklonten Embryo zu erstrecken. Er wies auf das Vorbringen der Pro-Life Alliance hin und bemerkte dazu:
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Court of Appeal [2002] 2 All E.R. 625, 634, per Lord Phillips of Worth Matravers, M.R. Department of Health and Social Security, Report of the Committee of Inquiry Into Human Fertilisation and Embryology, Cm. 9314, July 1984; dazu aus der umfangreichen Literatur statt vieler Posch, Das Recht der künstlichen Humanreproduktion im Wandel. Eine rechtsvergleichende Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung des anglo-amerikanischen Rechts, in: Bernat (Hrsg.), Lebensbeginn durch Menschenhand, 1985, S. 203 (232 ff.). Court of Appeal [2002] 2 All E.R. 625, 636, per Lord Phillips of Worth Matravers, M.R. Court of Appeal [2002] 2 All E.R. 625, 636, per Lord Phillips of Worth Matravers, M.R.
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Erwin Bernat „[The plaintiff] was not able to point to any, other than the suggestion that if embryos produced by CNR were not covered by the 1990 Act, this was likely to lead to a detailed debate in Parliament and elsewhere, which might lead to the banning of the creation of such embryos altogether. It does not seem to me that this is a matter which can validly be invoked as a countervailing consideration to the construction for which [the defendant] contends. On the contrary, it merely underlines how serious are the consequences of the construction reached by the judge [speaking for the High Court].“62
Viertens. Lord Phillips untersuchte schließlich, ob eine Einbeziehung des nach der Dolly-Methode geklonten Embryos in das Regelungsregime des HFE Act zur Inkohärenz anderer Bestimmungen des HFE Act führen würde. Seiner Auffassung zufolge stellen sich im jetzigen Zusammenhang insbesondere die folgenden drei Fragen: a) Wann entsteht ein nach der Dolly-Methode geklonter Embryo im Gegensatz zum in vitro gezeugten? b) Wann darf man beim Embryo, der im Wege der Dolly-Methode geklont worden ist, vom Auftreten des Primitivstreifens63 sprechen, wenn der Primitivstreifen beim in vitro gezeugten Embryo „is to be taken to have appeared […] not later than the end of the period of 14 days beginning with the day the gametes are mixed, not counting any time during which the embryo is stored.“64 c) Wer muss dem Klonen nach der Dolly Methode zustimmen? Die Spenderin der Eizelle und der Spender der ausdifferenzierten Zelle?65 Es mag sein, meint Lord Phillips, dass die Beantwortung dieser Fragen ein wenig spekulativ ist, das ändere aber nichts daran, dass das Ergebnis, zu dem die Richter des Court of Appeal in casu gekommen sind,66 von diesen Fragen gar nicht tangiert werde. Das Rechtsmittel des Antragsgegners sei daher im Ergebnis berechtigt gewesen: „My conclusion is that there are most compelling reasons for giving section 1 of the 1990 Act the strained construction for which [the defendant] contends, and very little that weighs against this. I would reverse the decision reached by the [High Court’s] judge and hold that an organism created by cell nuclear replacement falls within the definition of ‚embryo‘ in section 1(1) of that Act.“67
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Court of Appeal [2002] 2 All E.R. 625, 636, per Lord Phillips of Worth Matravers, M.R. Dazu Wachtler, Die frühe Phase menschlicher Entwicklung aus embryologischer Sicht, in: Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin?, 2003, S. 73 (77). Sec. 1(4) HFE Act. Für den in vitro gezeugten Embryo siehe Schedule 3 zum HFE Act; dazu die Entscheidung des Court of Appeal R v. Human Fertilisation and Embryology Authority, ex parte Blood [1997] 2 All E.R. 687. Neben Lord Phillips of Worth Matravers, M.R., entschieden in der causa Quintavalle Lord Justice Thorpe und Lord Justice Buxton; siehe Court of Appeal [2002] 2 All E.R. 625, 638. Court of Appeal [2002] 2 All E.R. 625, 637, per Lord Phillips of Worth Matravers, M.R.
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5. Das House of Lords bestätigte die Entscheidung des Court of Appeal.68 In der Begründung ihrer Entscheidung stimmen die Richter des House of Lords mehr oder weniger geschlossen Lord Phillips zu. Das heißt, zusammengefasst: „An organism created by CNR fell within the definition of ‚embryo‘ in section 1(1) of the 1990 Act. The essential thrust of that subsection was directed to live human embryos created outside the human body, not to the manner of their creation. The words ‚where fertilisation is complete‘ were not intended to form an integral part of the definition of embryo but were directed to the time at which it should be treated as such. The purpose of the 1990 Act was not to ban all creation and subsequent use of human embryos produced in vitro but instead, and subject to certain express prohibitions, to permit such creation and use subject to specified conditions, restrictions, time limits and subject to regimes of control. Furthermore, as the 1990 Act was only directed to the creation of embryos in vitro, outside the human body, Parliament could not have intended to distinguish between live human embryos produced by fertilisation of a female egg and live human embryos produced without such fertilisation, notwithstanding that at the date of the passing of the Act, Parliament was unaware that the latter alternative was physically possible. Moreover, section 3(3)(d) did not prohibit CNR.69 CNR did not involve ‚replacing a nucleus of the recipient cell of an embryo‘ because there was no embryo until the nucleus of the recipient cell was replaced by the nucleus of the donor cell. The target of the subsection was directed to a particular form of genetic manipulation, namely the replacement of the nucleus of a fertilised human egg, and was not apt to prohibit embryo-splitting, which created clones.“70
IV. Die Entscheidungen des Court of Appeal und des House of Lords in der causa Quintavalle stießen mehrheitlich auf Kritik.71 Im Kern richtet sich diese Kritik gegen die methodische Auffassung der Gerichte, der zufolge die Gleichbehand68
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House of Lords [2003] 2 All E.R. 113; 115, per Lord Bingham of Cornhill; 122, per Lord Steyn; 127, per Lord Hoffman; 127, per Lord Millett; 130, per Lord Scott of Foscote. Sec. 3(3)(d) HFE Act lautet: „A licence cannot authorise replacing a nucleus of a cell of an embryo with a nucleus taken from a cell of any person, embryo or subsequent development of an embryo.“ Der Unterschied zwischen der von sec. 3(3)(d) HFE Act verboten Technik und dem Klonen nach der Dolly-Methode ist also der folgende: Beim Klonen nach der Dolly-Methode wird eine ausdifferenzierte Zelle in eine zuvor entkernte Eizelle verpflanzt, während bei der von sec. 3(3)(d) HFE Act verbotenen Technik eine ausdifferenzierte Zelle in eine zuvor entkernte Zelle eines Embryos verpflanzt wird; siehe weiterführend Herring, Family Law 33 (2003) 663. House of Lords [2003] 2 All E.R. 113 f. (Leitsatz). Grubb, The Law Quarterly Review 118 (2002) 358 ff.; ders., Medical L. Rev. 11 (2003) 136 ff.; Herring/Chau, Child and Family Law Quarterly 14 (2002) 315 ff.; Herring, Family Law 33 (2003) 663 ff.; Plomer, Medical L. Rev. 10 (2002) 132 ff.
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lung von geklontem und gezeugtem Embryo schon de lege lata aufgrund von „purposive interpretation“72 geboten sei. Die Kritiker betonen, dass die von den Gerichten eingemahnte Gleichstellung von geklontem und gezeugtem Embryo in Wahrheit auf einem unzulässigen Analogieschluss zur Überwindung einer Gesetzeslücke beruhe,73 weil das Gesetz nur den gezeugten, nicht aber auch den geklonten Embryo als Schutzobjekt erwähnt.74 Infolgedessen sei es dem Gesetzgeber vorbehalten, die augenscheinliche Lücke im HFE Act zu schließen, denn Richter hätten ganz allgemein nicht die Befugnis, der Entscheidung des Parlaments vorzugreifen. Das heißt, mit den Worten von Lord Wilberforce: „[T]here is one course which the courts cannot take under the law of this country: they cannot fill gaps; they cannot by asking the question, ‚What would Parliament have done in this current case, not being one in contemplation, if the facts had been before it‘, attempt themselves to supply the answer, if the answer is not to be found in the terms of the Act itself.“75
In der Tat ist es dem Richter in den vom common law geprägten Rechtsordnungen nicht gestattet, Lücken im Gesetzesrecht durch Analogieschluss zu beseitigen,76 weil in diesen Rechtsordnungen das Gesetzesrecht nur subsidiäre Bedeutung gegenüber dem Richterrecht hat.77 Demgegenüber hat die Methode der Lückenfüllung in den Rechtsordnungen kontinentaleuropäischer Prägung einen weit höheren Stellenwert. Ja, in Österreich und in der Schweiz hat der Gesetzgeber sogar eigene Regeln kodifiziert, die uns sagen, wie die Gerichte im Lückenbereich vorgehen sollen.78 Allerdings ist der Analogieschluss zur Beseitigung einer Gesetzeslücke auch in den Rechtsordnungen kontinentaleuropäischer Prägung verpönt, soweit 72
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Beispiele für Anwendungsfälle von „purposive interpretation“ bei Smith, Bailey & Gunn on the Modern English Legal System, 4. Aufl. 2002, S. 419 ff.; siehe insbesondere die Entscheidung des House of Lords in der causa Pepper v. Hart [1993] A.C. 593. Siehe etwa Plomer, Medical L. Rev. 10 (2002) 132 (158): „Arguably, the Court of Appeal’s proposed insertion of words into the HFE Act 1990 to bring embryos created by CNR within the reach of the Act, crosses the boundaries between statutory construction and judicial legislation.“ Grubb, The Law Quarterly Rev. 118 (2002) 358 (361 f.): „The court read in words; it did not simply interpret them.“ Royal College of Nursing of the UK v. Dept of Health and Social Security [1981] 1 All E.R. 545, 564 f., per Lord Wilberforce. Einlässlich Freeman, Lloyds’s Introduction to Jurisprudence, 7. Aufl. 2001, S. 1410 ff. Siehe Freeman, Lloyds’s Introduction to Jurisprudence, 7. Aufl. 2001, S. 1411: „The [common law practice] proceeds on the basis that the common law itself represents the basic fabric of the law, into which statutes are interwoven. Hence the practice of drafting statutes in the fullest detail, and the broad assumption that a statute deals only with those cases which fall within its actual wording, and that there is no judicial power to fill ‚gaps‘ in a statute by arguments based on analogy […].“ Siehe Art. 1 (schweizerisches) ZGB und § 7 ABGB. Nach diesen beiden Bestimmungen ist der Analogieschluss im Fall einer Gesetzeslücke nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten; zu den i.Z.m. dem Analogieschluss auftretenden Fragen statt vieler F. Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 2005, S. 55 ff.; Rüthers, Rechtstheorie, 3. Aufl. 2007, S. 466 ff.
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die Lücke in einem Gesetz auftritt, das dem Strafrecht zuzurechnen ist, und die Ausfüllung der Gesetzeslücke durch Analogieschluss dem Angeklagten zum Nachteil gereichen würde (Art. 7 Abs. 1 EMRK).79 Das Analogieverbot des Art. 7 Abs. 1 EMRK umfasst neben dem Kernstrafrecht unter anderem auch das Verwaltungsstrafrecht.80 Beruhte die Gleichstellung von geklontem und gezeugtem Embryo in der Tat auf einem Analogieschluss zur Überwindung einer Gesetzeslücke, wäre sie nicht nur nach englischem, sondern auch nach österreichischem Recht verboten. Denn eine Gesetzesanalogie zu § 1 Abs. 3, § 9 Abs. 1 FMedG führte zu einer Ausweitung der Strafbarkeit von Ärzten und Forschern und daher klar zu einer Verletzung von Art. 7 Abs. 1 EMRK. Die Kernfrage lautet somit auch mit Blick auf das österreichische Recht: Ist die Gleichstellung des geklonten und des gezeugten Embryos Ergebnis einer „bloßen“ Interpretation oder schon einer (im jetzigen Zusammenhang a priori unzulässigen) Gesetzesanalogie? In der österreichischen Literatur hat sich Christian Kopetzki mit dieser Frage als erster beschäftigt. Er kommt zu folgendem Ergebnis: „[D]ie Technik des Transfers somatischer Zellkerne in entkernte Eizellen […] ist weder vom Gentechnikgesetz erfasst (weil [sie] mit Gentechnik im eigentlichen Sinn gar nichts zu tun hat); [sie] ist aber auch im Fortpflanzungsmedizingesetz nicht geregelt: Denn das […] Manipulationsverbot an ‚entwicklungsfähigen Zellen‘ gilt wegen der unmissverständlichen Legaldefinition des § 1 Abs. 3 nur für ‚befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen‘. Zellen, die durch Kerntransfer entstehen, mögen zwar unter bestimmten Bedingungen ‚entwicklungsfähig‘ sein, sie sind aber offenkundig nicht ‚befruchtet‘ und demnach auch nicht ‚entwicklungsfähig‘ im spezifischen Sinn des § 1 Abs. 3 FMedG. Manche werden dies für eine kleinliche Wortklauberei der Juristen halten und dafür eintreten, die vermeintliche ‚Lücke‘ durch eine analoge Anwendung des in § 9 Abs. 1 FMedG enthaltenen Verbots zu schließen. Dagegen spricht aber, dass wir es hier mit einem verwaltungsstrafrechtlich sanktionierten Verbot zu tun haben, und im Strafrecht gilt ein striktes Analogieverbot. Außerdem ist zu bezweifeln, dass die Voraussetzungen einer Analogie überhaupt erfüllt wären: Der Gesetzgeber des FMedG hat – wie den Erläuterungen zu entnehmen ist – seinen Regelungswillen auf das Gebiet der menschlichen Fortpflanzung beschränkt. Man kann daher nicht von einer ‚planwidrigen‘ Unvollständigkeit sprechen, wenn das FMedG Sachverhalte ungeregelt lässt, die mit der Fortpflanzung nichts zu tun haben. Aus demselben Grund spricht auch nichts dafür, den Sachverhalt des Kerntransfers unter das Verbot des Keimbahneingriffs zu subsumieren, weil dieses Verbot im Kontext des FMedG nur auf die intergenerative Weitergabe manipulierter genetischer Information abzielt. Das trifft hier aber nicht zu.“81
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Verbot der Analogie in malam partem; siehe dazu auch Höpfel in Wiener Komm StGB Rz. 1 ff. zu § 1. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl. 2008, S. 373. Kopetzki, in: Pichler (Hrsg.), Embryonalstammzelltherapie versus „alternative“ Stammzelltherapien, 2002, S. 158 f. (Hervorhebung vom Verf.); ebenso Weschka, Die Herstellung von Chimären und Hybridwesen. Eine rechtsvergleichende Skizze einiger aktueller Fragestellungen, RdM 2007, 164 (167 f.).
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In der Tat heißt es in den amtlichen Erläuterungen zur Regierungsvorlage eines FMedG unter der Überschrift „Eingrenzung des Gesetzesvorhabens“: „Der Gesetzesentwurf betrifft die ‚Anwendung medizinischer Methoden zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf andere Weise als durch Geschlechtsverkehr‘ (§ 1 Abs. 1). Medizinische Behandlungen, die die Fortpflanzung auf natürlichem Weg, ohne den Einsatz derartiger Hilfsmittel, ermöglichen oder erleichtern, sind demnach nicht Gegenstand des Gesetzesvorhabens; insoweit besteht im gegebenen Zusammenhang kein Bedarf für gesetzliche Regelungen. Ferner sollen Belange der Gentechnologie grundsätzlich ausgeklammert bleiben. Die Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen für bestimmte Fortpflanzungstechniken soll nicht mit den Fragen vermengt werden, die die Nutzung und der mögliche Missbrauch der Erkenntnisse von Biologie und Genetik aufwerfen. So haben die in diesem Zusammenhang immer wieder angeführten Möglichkeiten des Klonens, der Chimärenbildung oder der Interspezies-Hybridisierung (deren Anwendung beim Menschen ohne jeden Zweifel abzulehnen ist) mit der medizinischen Hilfe zur Erfüllung des Kinderwunsches nichts zu tun. Soweit allerdings der Einsatz künstlicher Fortpflanzungsverfahren die Möglichkeit des gentechnischen Zugriffs auf menschliche Zellen eröffnet, sieht der Entwurf aber sehr wohl Bestimmungen vor, die allfälligen Missbräuchen vorbeugen sollen (vgl. vor allem die §§ 9, 10 und 17).“82
Auf der einen Seite sagen diese Erläuterungen, dass das „Klonen“ nicht vom FMedG geregelt sei. Auf der anderen Seite bringen dieselben Erläuterungen sehr deutlich zum Ausdruck, dass § 9 FMedG „allfälligen Missbräuchen vorbeugen“ soll.83 Und als Missbrauch begreift das Gesetz ohne Zweifel die „embryonenverbrauchende Forschung“, weil der Embryo in vitro das Potential hat, zum geborenen Menschen zu werden.84 Wenn dem aber so ist, dann sollte doch nicht entscheidend sein, ob dieser Embryo durch Befruchtung der Eizelle oder durch Klonen im Wege der Dolly-Methode entstanden ist.85 Im Übrigen fällt eine andere Methode des Klonens, nämlich das sog. embryo splitting (embryo typing), ganz unzweifelhaft in den Einzugsbereich des FMedG. Bei dieser Methode des Klonens, die schon zu Beginn der 1980er Jahre im Tierbereich praktiziert worden
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Erl. RV FMedG, 216 BlgNR 18. GP, S. 10 (Hervorhebung im Original). 216 BlgNR 18. GP, S. 10. Vgl. zum Potentialitätsargument bloß Bernat, Der menschliche Keim als Objekt des Forschers: rechtsethische und rechtsvergleichende Überlegungen, in: Bender/Gassen/ Platzer/Seehaus (Hrsg.), Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Naturwissenschaftliche und medizinische Aspekte – rechtliche und ethische Implikationen, 2000, S. 57 (66 f.); Schöne-Seifert, Contra Potentialitätsargument: Probleme einer traditionellen Begründung für embryonalen Lebensschutz, in: Damschen/Schönecker (Hrsg.), Der moralische Status menschlicher Embryonen, 2002, S. 169 ff. Ebenso House of Lords [2003] 2 All E.R. 113, 120, per Lord Bingham of Cornhill mit Blick auf sec. 1(1) HFE Act: „The crucial point […] is that this was an Act passed for the protection of live human embryos created outside the human body. The essential thrust of sec. 1(1)(a) was directed to such embryos, not to the manner of their creation, which Parliament (entirely understandably on the then current state of scientific knowledge) took for granted“.
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ist,86 geht es, wie beim Klonen nach der Dolly-Methode, um die Erzeugung von Mehrlingen, die sich genetisch vollkommen gleichen. Dazu wird die in vitro befruchtete Eizelle in den ersten Teilungsstadien in einzelne Zellen oder auch nur zwei Hälften zertrennt. Da diese Zellen in diesem Entwicklungsstadium noch totipotent sind, kann aus jeder abgespaltenen Zelle ein neuer Mensch entstehen.87 Schon dieser Hinweis macht wohl deutlich, dass die Gesetzesmaterialien versehentlich mehr sagen als sie sagen sollten. Indes darf man sich aufgrund der unzutreffenden Aussagen der Gesetzesmaterialien nicht zu der Aussage hinreißen lassen, das Klonen nach der Dolly-Methode sei dem Klonen durch embryo splitting von vornherein gleich zu stellen. Denn im einen Fall wird eine Eizelle befruchtet und erst danach kommt es zum Klonen (embryo splitting), während im anderen Fall (Klonen nach der Dolly-Methode) eine entkernte Eizelle und eine Somazelle „verschmolzen“ werden. Dieser Vorgang entspricht ganz eindeutig nicht dem Begriff der Befruchtung, wie er bislang definiert worden ist. Aber ist es überhaupt sachgerecht, Definitionen, die der Gesetzgeber aufgrund eines ganz bestimmten Vorverständnisses festlegt, „versteinert“ zu interpretieren? Ist es dem Normadressaten mitunter nicht eher geboten, eine im Gesetz verankerte Definition dynamisch zu interpretieren, weil der Normadressat stets den Auftrag hat, den klar erkennbaren Ordnungsplan des Gesetzgebers gebührend zu berücksichtigen und widerspruchsfreie Ergebnisse zu erzielen? Ich denke, dass niemand daran zweifelt, diese Fragen dem Grunde nach zu bejahen. Ja, nach einer in der Methodenlehre weit verbreiteten Auffassung sind Gesetzesbegriffe stets objektiv-teleologisch zu interpretieren, wenn dies zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen geboten erscheint.88 So betrachtet legt es die objektiv-teleologische Interpretation der in § 1 Abs. 3 FMedG verankerten Legaldefinition wohl mehr als nahe, auch den im Wege der Dolly-Methode entstandenen Embryo als Schutzobjekt des § 9 Abs. 1 FMedG zu begreifen. Der geklonte Embryo wird nicht „wie“ eine befruchtete Eizelle behandelt, sondern „ist“ das Ergebnis einer Befruchtung, weil sich der Sinngehalt dieses Begriffs zur Verweidung von Wertungswidersprüchen erweitert hat. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen ist es somit geboten, alle Embryonen vor verbrauchender Forschung zu schützen, die das Potential haben, geboren zu werden.89 Unerheblich ist die Art ihrer Entstehung, weil mit dem Verb „befruchten“ alle Vorgänge erfasst werden, die unmittelbar zur Entstehung eines menschlichen Embryos im funktionalen Sinn führen. Dazu zählt nicht nur die Vereinigung von Ei- und Samenzelle, 86
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Jüdes, Experimentelle Manipulation von Keimzellen und Embryonen bei Säugetieren, in: Jüdes (Hrsg.), In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer (Retortenbaby). Grundlagen, Methoden, Probleme und Perspektiven, 1983, S. 81 (100). Gröner, Klonen, Hybrid- und Chimärenbildung unter Beteiligung totipotenter menschlicher Zellen, in: Günther/Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik – Strafrechtliche Schranken?, 2. Aufl. 1991, S. 293 (294). F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 456 f. Ebenso Beyleveld/Pattison, in: Brownsword (Hrsg.), Global Governance and the Quest for Justice. Volume IV: Human Rights, 2004, S. 185 (199): „… the word ‚fertilisation‘ could have been read purposively. Fertilisation, understood purposively, is the creation of an embryo by the joining of genetic material“.
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sondern auch das Klonen nach der Dolly-Methode. Beide Methoden legen den Grundstein für die Entstehung eines Organismus, der potentiell eine Person ist. Nur darauf kommt es im normativen Sinn an.90 Natürlich werden Naturwissenschafter das Klonen nach der Dolly-Methode im Allgemeinen auch weiterhin von der Befruchtung einer Eizelle unterscheiden. Und das aus guten Gründen. Aber warum sollte der Normadressat genötigt sein, Gesetzesbegriffe entsprechend naturwissenschaftlichem Verständnis und naturwissenschaftlichen Zielsetzungen zu interpretieren? Wenn der Naturwissenschafter die Begriffe Befruchtung und Klonen unterscheidet, so mag dies ebenso aus teleologischen Erwägungen geschehen, wie der Jurist aus teleologischen Erwägungen gezwungen sein mag, diese beiden Begriffe im Kontext des FMedG „über einen Kamm zu scheren“. Der Naturwissenschafter wird ein Interesse daran haben, die Befruchtung (im herkömmlichen Sinn) vom Klonen nach der Dolly-Methode zu unterscheiden, weil er mehr über die unterschiedlichen Funktionsweisen dieser beiden Reproduktionstechniken lernen will, die sich – biologisch betrachtet – deutlich voneinander unterscheiden. Diese Zielsetzung lässt es geboten erscheinen, die beiden Begriffe scharf von einander zu trennen. Vor dem Hintergrund der im Gesetz zum Ausdruck gebrachten Basiswertung ist die Sichtweise des Naturwissenschafters für den Juristen – jedenfalls i.Z.m. § 1 Abs. 3, § 9 Abs. 1 FMedG – freilich überhaupt nicht maßgeblich. Denn der Sinn und Zweck des § 9 Abs. 1 FMedG ist es ausschließlich, Embryonen im funktionalen Sinn vor dem Zugriff des Forschers zu schützen, weil Embryonen im funktionalen Sinn wenigstens im Allgemeinen das Potential haben sich zum geborenen Menschen zu entwickeln. Nur wenn man annehmen dürfte, dass das Klonen nach der Dolly-Methode a priori nicht zum Entstehen eines Embryos im funktionalen Sinn führen kann, wäre es vor dem Hintergrund der § 1 Abs. 3, § 9 Abs. 1 FMedG geboten, das Klonen nach der Dolly-Methode aus dem Einzugsbereich des FMedG auszuscheiden. Genau dieser Überlegungen wegen ist der sog. Goldhamstertest unter normativen Gesichtspunkten völlig unbedenklich. Dabei wird ein Goldhamsterei mit einer menschlichen Samenzelle imprägniert, um zu testen, ob die Samenzelle befruchtungstauglich ist.91 Das so entstandene „Verschmelzungsprodukt“ ist kein Embryo im funktionalen Sinn, weil es nach allem, was wir wissen, unmöglich ist, dass sich eine Keimzelle des Menschen mit einer Keimzelle des Goldhamsters vereinigt.
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Vgl. Adcock/Beyleveld, Medical L. Int’l 8 (2007) 305 (308): „If the purpose of the Act is to protect functional embryos by whatever means they are created (which their Lordships’ reasoning relies upon), and, at the same time, embryos are defined as created by a process of fertilisation, then whatever process creates a functional embryo is, relative to this purpose and in the context of this understanding, to be regarded as a process of fertilisation“. Vgl. Department of Health and Social Security, Report of the Committee of Inquiry into Human Fertilisation and Embryology, Cm. 9314, July 1984, S. 70 f.; vgl. auch § 7 Abs. 1 Nr. 3 ESchG: „Wer es unternimmt, durch Befruchtung einer menschlichen Eizelle mit dem Samen eines Tieres oder durch Befruchtung einer tierischen Eizelle mit dem Samen eines Menschen einen differenzierungsfähigen Embryo zu erzeugen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ (Hervorhebung vom Verf.).
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V. Ich gestehe den Kritikern meiner unter IV. vorgestellten Argumentation zu, dass es verlockend erscheint, § 1 Abs. 3, § 9 Abs. 1 FMedG „eng“ zu interpretieren, weil nach weit verbreiteter Auffassung jede Beschränkung der embryonenverbrauchenden Forschung zu einem Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Forschungsfreiheit (Art. 17 StGG) führt92 und dieser Eingriff – richtiger Auffassung zufolge93 – mangels Lebensrecht des Embryos nicht mit Art. 2 Abs. 1 EMRK gerechtfertigt werden kann.94 Wer den Primat der Forschungsfreiheit besonders betont, der müsste freilich wesentlich radikaler, als dies bislang geschehen ist, der Frage nachgehen, ob sich das in § 9 Abs. 1 FMedG verankerte Verbot der embryonenverbrauchenden Forschung im Licht des Art. 17 StGG überhaupt rechtfertigen lässt. Der Gesetzgeber hat indes nicht daran gezweifelt, dass der von § 9 Abs. 1 FMedG hervorgerufene Eingriff in die Forschungsfreiheit legitimierbar sei, wenngleich die Gründe, die für dieses Verbot in den Gesetzesmaterialien namhaft gemacht werden, nicht wirklich überzeugen.95 Aufgrund des vorliegenden Befundes stellt sich daher in methodischer Hinsicht die Frage, welcher Interpretationsmethode der Vorrang gebührt: der verfassungskonformen Interpretation oder jener teleologischen Auslegung der Norm, die den Ordnungsplan des historischen Gesetzgebers in den Vordergrund rückt und ihn im Licht des gegenwärtigen medizinisch-biologischen Wissens bewertet? Weiters ist zu fragen, wie sich das Ergebnis, das durch teleologisches zu Ende Denken der § 1 Abs. 3, § 9 Abs. 1 FMedG erzielt worden ist, zum Gleichheitssatz sowie zum allgemeinen Sachlichkeitsgebot (Art. 7 B-VG) verhält. Und schließlich ist wohl auch in Rechnung zu stellen, dass manche Autoren nicht nur dem geborenen Menschen, sondern auch dem Nasziturus das von Art. 2 Abs. 1 EMRK verbürgte Recht auf Leben zugestehen.96 Die Berücksichtigung dieses Umstandes erscheint mir in Anbetracht der Tatsache, dass bislang nicht einmal auf europäischer Ebene ein Konsens über die Natur und 92
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Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte der Biotechnologie am Beispiel des „therapeutischen Klonens“, in: Kopetzki/Mayer (Hrsg.), Biotechnologie und Recht, 2002, S. 15 (52 ff.); siehe zur Forschungsfreiheit i.Z.m. gentechnischen Verfahren auch Huber/Stelzer, Öffentlichrechtliche Rechtsfragen der Gentechnologie, in: Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (Hrsg.), Gentechnologie im österreichischen Recht, 1991, S. 1 (26 ff.). Kopetzki, in: Kopetzki/Mayer (Hrsg.), Biotechnologie und Recht, 2002, S. 15 (19 ff.); Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl. 2008, S. 102; VfGH 11.10.1974, VfSlg. 7.400 = JBl. 1975, 310 m. Anm. v. Pernthaller. Kopetzki, Stammzellforschung in Österreich – eine Bestandsaufnahme des geltenden Rechts, in: Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Stammzellforschung. Ethische und rechtliche Aspekte, 2008, S. 269 (282 ff.). Vgl. Erl. RV, 216 BlgNR 18. GP, S. 20. F. Bydlinski, Der Schutz des Ungeborenen in zivilrechtlicher Sicht, in: Pammer/Weiler (Hrsg.), Volle Menschenrechte für das ungeborene Kind, 1980, S. 89 ff.; Lewisch, Recht auf Leben (Art. 2 EMRK) und Strafgesetz, in: FS Platzgummer, 1995, S. 381 (394 ff.); Novak, Das Fristenlösungs-Erkenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, EuGRZ 1975, 197 ff.; Waldstein, Rechtserkenntnis und Rechtsprechung. Bemerkungen zum Erkenntnis des VfGH über die Fristenlösung, JBl. 1976, 505 ff. und 574 ff.
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Erwin Bernat
den Status des Embryos erzielt werden konnte,97 zumindest erwägenswert zu sein. Ja, selbst der EGMR hat in Vo gegen Frankreich98 vor kurzem zugestanden, dass er sich aufgrund der äußerst divergierenden Auffassungen zur Frage des sachlichen Geltungsbereichs von Art. 2 Abs. 1 EMRK außer Stande sehe, zu ihr abschließend und verbindlich Stellung zu beziehen.99 Und daraus folge, meint der EGMR, „dass die Frage, wann das Leben beginnt, in den Beurteilungsraum der Staaten fällt, der ihnen nach Meinung des Gerichtshofs in diesem Bereich zuerkannt werden muss …“.100 Die Frage, ob in Fällen wie dem vorliegenden generell der verfassungskonformen oder jener Interpretation der Vorrang gebührt, die den Ordnungsplan des historischen Gesetzgebers im Auge behält, ist sehr komplex und sollte daher nicht vorschnell in die eine oder die andere Richtung entschieden werden.101 Allerdings legt es das Prinzip von der Einheit der Rechtsordnung mehr als nahe, im Zweifel jene Auslegung zu wählen, die mit dem Gleichheitssatz sowie dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot (Art. 7 B-VG) am ehesten im Einklang steht. Das ist hier eindeutig die Auslegung, die nicht nur gezeugte, sondern auch geklonte Embryonen dem Regelungsregime der § 1 Abs. 3, § 9 Abs. 1 FMedG unterstellt. Diese Auffassung gerät zwar in casu in ein Spannungsverhältnis mit dem Grundrecht auf Forschungsfreiheit, allerdings wird der Schaden, den die Rechtsgemeinschaft dadurch erleidet, deutlich von dem Zugewinn größerer Kohärenz des geltenden Rechts aufgewogen: Vor dem Hintergrund des Postulats der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist es nicht einmal im Ansatz verständlich, dass der nach der Dolly-Methode geklonte Embryo einen anderen Status verdient wie sein im Labor gezeugter Artgenosse. Ich habe mich im vorliegenden Beitrag mit Fragen beschäftigt, die das geltende Recht aufwirft. Ich habe also nicht zur Debatte gestellt, ob der Embryo in vitro unter rechtsethischen Gesichtspunkten das Recht auf Leben wirklich „verdient“ oder ob es zumindest gute Gründe gibt, den Embryo in vitro vor dem Zugriff des Forschers zu schützen, ohne ihm gleichzeitig ein Recht auf Leben zuzuschreiben.102 Diese Fragen müssen im Rahmen einer de lege ferenda-Diskussion sorgfäl97
98 99 100 101
102
Exemplarisch für diesen Befund etwa die Artt. 1 f., 18 des Europaratsübereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin; dazu einlässlich Radau, Die Biomedizinkonvention des Europarates, 2006, S. 213 ff. Urt. v. 8.7.2004 (GK), Nr. 53924/2000, EuGRZ 2004, 568. Dazu einlässlich Müller-Terpitz, Der Schutz des pränatalen Lebens, 2007, S. 398 ff. Vo gegen Frankreich, EuGRZ 2004, 568 (575) (Ziff. 82). Vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 8. Aufl. 1997, S. 106: Die „verfassungskonforme Auslegung […] darf das gesetzgeberische Ziel nicht in sein Gegenteil verkehren“. Das Schrifttum zu diesen Fragen ist kaum mehr überschaubar; lesenswert: Birnbacher, Bioethik zwischen Natur und Interesse, 2006, S. 357 ff.; F. Bydlinski, Lebensschutz und rechtsethische Begründungen, JBl. 1991, 477 ff.; Harris, On Cloning, 2004, S. 113 ff.; Höffe, Medizin ohne Ethik?, 2002, S. 70 ff.; Hoerster, Zur Rechtsethik des Lebensschutzes, JBl. 1992, 2 ff.; ders., Abtreibung im säkularen Staat. Argumente gegen den § 218, 2. Aufl. 1995; ders., Ethik des Embryonenschutzes. Ein rechtsphilosophischer Essay, 2002; Joerden, Menschenleben. Ethische Grund- und Grenzfragen des Medizinrechts, 2003, S. 37 ff.; Koller, Personen, Rechte und Entscheidungen über Leben und
Sind geklonte Embryonen „entwicklungsfähige Zellen“ i.S.v. § 1 Abs. 3 FMedG?
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tig analysiert und entschieden werden. Letztlich wird es aber vom Willen der politisch Verantwortlichen abhängen, ob das geltende Recht des Embryonenschutzes eine Kurskorrektur erfährt.
Tod, in: Bernat (Hrsg.), Ethik und Recht an der Grenze zwischen Leben und Tod, 1993, S. 71 ff.; Merkel, Forschungsobjekt Embryo. Verfassungsrechtliche und ethische Grundlagen der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen, 2002; NidaRümelin, Ethische Essays, 2002, S. 369 ff.; Seelmann, Haben Embryonen Menschenwürde? Überlegungen aus juristischer Sicht, in: Kettner (Hrsg.), Biomedizin und Menschenwürde, 2004, S. 63 ff.; Spaemann, Personen. Versuche über den Unterschied zwischen „etwas“ und „jemand“, 1996; Strong, The moral status of prembryos, embryos, fetuses, and infants, Journal of Medicine and Philosophy 22 (1997) 457 ff.; Woopen, Substanzontologie versus Funktionsontologie – Wie bestimmen wir den Beginn und die Ansprüche schutzwürdigen menschlichen Lebens?, in: Dierks/Wienke/Eisenmenger (Hrsg.), Rechtsfragen der Präimplantationsdiagnostik, 2007, S. 17 ff.
Unsichere Entscheidungsgrundlagen für den Intensivmediziner
Hilmar Burchardi und Friedemann Nauck Intensivmedizin beinhaltet sehr häufig eine Behandlung im Grenzbereich zwischen Leben und Sterben. Für die Behandelnden bedeutet Intensivmedizin gleichzeitig Entscheidungen im Spannungsfeld von medizinischen Möglichkeiten, sozialen Interessen, gesellschaftlichen Prioritäten und individuellen Erwartungen zu treffen. Derzeit wird in der Gesellschaft das Thema „Sterbehilfe“, aber auch die „Sterbebegleitung“ mit hoher Aufmerksamkeit und Emotionalität diskutiert. Diskussionen zur Novellierung der Sterbehilfegesetze, neuere Entscheidungen des Bundesgerichtshofes, Etablierung von kommerziellen Sterbehilfeorganisationen haben die Debatte erneut entfacht. Im September 2006 hat sich der 66. Deutsche Juristentag eingehend mit diesem Thema beschäftigt. In einem Absatz über den Stand der strafrechtlichen Diskussion schrieb T. Verrel jüngsthin1: „Man hat es bei der Sterbehilfe folglich mit einem für unsere Rechtskultur bemerkenswerten „case law“ zu tun, sodass sich die Unterscheidung zwischen Verbotenem und Erlaubtem in erster Linie aus der Kenntnis, Abgrenzung und Interpretation einiger Leitentscheidungen, insbesondere des BGH ergibt.“
Das hat uns veranlasst, bei der Entscheidung zum Behandlungsabbruch in der Intensivmedizin das wirksame emotionale Umfeld aller Beteiligten einmal näher zu beschreiben. Es soll Verständnis geweckt werden für die Umstände, die bei solchen schwierigen Diskussionen und Entscheidungen zum Tragen kommen. Dabei beschreiben wir bewusst unsere subjektive Wahrnehmung, die aus jahrzehntelanger praktischer Arbeit auf der Intensivstation resultiert. Wir beschreiben Befindlichkeiten, die nur schwer objektivierbar sind und nicht im Sinne einer wissenschaftlichen Befunderhebung verstanden werden sollen. In der Präambel der „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“ (2004) heißt es2:
1
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Verrel in: Grenzsituationen in der Intensivmedizin, hrsg. von Junginger/Perneczky/ Vahl/Werner, Springer, 2008, 123 ff. Dtsch. Ärzteblatt 2004, 101:A1298 f.
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Hilmar Burchardi und Friedemann Nauck „Aufgabe des Arztes ist es, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wieder herzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht daher nicht unter allen Umständen. So gibt es Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt und Begrenzungen geboten sein können. Dann tritt palliativmedizinische Versorgung in den Vordergrund. Die Entscheidung hierzu darf nicht von wirtschaftlichen Erwägungen abhängig gemacht werden. Unabhängig von anderen Zielen der medizinischen Behandlung hat der Arzt in jedem Fall für eine Basisbetreuung zu sorgen. Dazu gehören u. a.: menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Lindern von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie Stillen von Hunger und Durst. …. Bei seiner Entscheidungsfindung soll der Arzt mit ärztlichen und pflegenden Mitarbeitern einen Konsens suchen. …“
Um eine Entscheidung nachträglich richtig zu beurteilen und zu bewerten, müssen die in dieser Situation bestimmenden Bedingungen und das wirksame Umfeld ausgelotet, verstanden und gebührend berücksichtigt werden.
I. Chancen und Risiken der Akutmedizin Die Möglichkeiten der Intensivtherapie haben sich in den vergangenen Jahrzehnten um ein Vielfaches verbessert und erweitert. Erhalt und sogar Ersatz von lebenswichtigen Organfunktionen sind möglich geworden. Immer kränkere und immer ältere Patienten erhalten Behandlungen, die vor Jahren noch undenkbar erschienen. Krankheitssituationen, die früher zum baldigen Tod führten, lassen sich heute heilen oder zumindest lindern. Immer häufiger überleben Patienten eine vorübergehende lebensbedrohliche Erkrankung oder einen erforderlichen kritischen operativen Eingriff. So verbindet man mit dem Begriff Intensivmedizin eher Lebensrettung und Maximaltherapie, nicht aber die Begriffe Therapiezieländerung oder gar Therapieabbruch. Doch mit seinen scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten hat der Intensivmediziner nun aber das schwerwiegende Problem, zwischen maximalem Behandlungseinsatz und Therapiebegrenzung sorgfältig abzuwägen. In solchen Grenzsituationen ist es die ärztliche Aufgabe, nicht nur die medizinischen Herausforderungen anzunehmen, sondern auch ethische Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen der Patientenautonomie, der medizinischen Prognose und der ärztlichen Fürsorge zu treffen. Studien belegen immer deutlicher, dass der rasche, unverzügliche Beginn einer konsequenten, ja aggressiven Intensivbehandlung oft entscheidend für den Behandlungserfolg ist3,4. Je länger gezögert wird, desto schwieriger wird die Thera3
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Rivers/Nguyen/Havstad/Ressler/Muzzin/Knoblich/Peterson/Tomlanovich, N. Engl. J. Med. 2001, 345: 1368 ff. Levy/Macias/Vincent/Russell/Silva/Trzaskoma/Williams, Crit. Care Med. 2005, 33: 2194 ff.
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pie und desto fragwürdiger das Endergebnis. Das bedeutet, dass dem Intensivmediziner nicht viel Zeit bleibt, um gesicherte Erkenntnisse über die akute Krankheitssituation zu erlangen. Er muss handeln, konsequent und rasch. Andererseits beinhalten die großen Möglichkeiten der Intensivmedizin mit ihren oft sehr aggressiven und invasiven Maßnahmen eine Wirksamkeit mit eingreifenden Folgen, sowohl im Positiven als auch im Negativen. Die Therapie ist ebenso wirksam wie risikoträchtig. Mit den Möglichkeiten steigen auch die Probleme und Risiken. Nutzen und Schaden liegen also dicht beieinander. So ist es geradezu typisch für die Akutsituation in der Intensivmedizin, dass angesichts des dringenden Handlungsbedarfs die tatsächliche Situation oft äußerst unklar ist, die Diagnostik unvollständig und die Chancen für eine erfolgreiche Therapie häufig ungeklärt sind. Die Prognose entscheidet sich häufig erst, nachdem deutlich wird, wie der Patient auf die Therapie anspricht („therapia ex juvantibus“). Der Intensivmediziner gründet seine Behandlung also oft auf sehr „unsicheren Boden“. Das führt dazu, dass er selbst im Zeitalter der „evidence based medicine“ sich häufig auf seine Erfahrung und auf sein klinisches Gespür verlassen muss. Stets ist ein grundlegender Irrtum eingeschlossen! So kann die Abwägung zwischen Handeln und Unterlassen in der Intensivmedizin zu einer großen Bürde werden. Diese Bürde hat darüber hinaus noch einen besonderen juristischen Aspekt: Die intensivmedizinischen Maßnahmen sind eingreifend, aggressiv, risikobelastet – und ihre Folgen (positive wie negative) treten meist unverzüglich ein. Das bedeutet, dass sie im Schadensfall den auslösenden Handlungen meist direkt zuzuordnen sind. Somit ist es nicht verwunderlich, dass dem Intensivmediziner oft mögliche juristische Konsequenzen – bewusst oder unbewusst – vor Augen stehen. Der Intensivmediziner steht also auf recht „unsicherem Eis“ – selbst wenn er es nicht wahrhaben möchte. Die tägliche Routine seiner Arbeit und die jahrelange Erfahrung schützt ihn zwar oft vor Selbstzweifeln, – doch auch das kann ihm zum Verhängnis werden!
II. Die Änderung des Therapiezieles Der Anspruch der Ärzte ist es, zu heilen. Das kann ein Grund sein für eine „Übertherapie am Lebensende“ und dazu führen, dass Ärzte auch am Lebensende eher alle medizinisch möglichen Behandlungen einsetzen als diese zu begrenzen. Andererseits besteht bei den Ärzten und Pflegenden im multidisziplinären Team einer Intensivstation häufig ein durchaus kritisches, ethisches Problembewusstsein dafür, dass die Intensivpatienten möglicherweise „übertherapiert“ werden5. Doch Ärzte und Pflegekräfte empfinden bei der Beendigung einer Therapie möglicherweise eine stärkere unmittelbare Verantwortung für den Tod des Patienten als bei einem Verzicht auf zusätzliche Maßnahmen6. In der ethischen Bewertung besteht
5 6
Albisser Schleger/Pargger/Reiter-Theil, Z. Palliativmed 2008, 9: 67 ff. Melltorp/Nilstun, Intensive Care Med. 1997, 23: 1264 ff.
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Hilmar Burchardi und Friedemann Nauck
allerdings kein Unterschied zwischen der Entscheidung, auf eine zusätzliche Therapie zu verzichten oder die laufende Therapie zu beenden7. Diese vielleicht berechtigte Scheu vor einem Therapieabbruch darf aber nicht dazu verleiten, jede Therapie unkritisch solange fortzuführen, bis der Patient verstirbt. Therapiebegrenzung ist eine Therapiezieländerung am Lebensende, bei der das Behandlungsziel nicht mehr Heilung, sondern Linderung von Leiden ist. In den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung heißt es dazu8: „…Bei Patienten, die sich zwar noch nicht im Sterben befinden, aber nach ärztlicher Erkenntnis aller Voraussicht nach in absehbarer Zeit sterben werden, weil die Krankheit weit fortgeschritten ist, kann eine Änderung des Behandlungszieles indiziert sein, wenn lebenserhaltende Maßnahmen Leiden nur verlängern würden und die Änderung des Therapieziels dem Willen des Patienten entspricht. …“
Für eine solche Änderung des Behandlungszieles sind unterschiedliche Entscheidungssituationen denkbar9: Therapieverzicht (d.h. Verzicht auf Einsatz einer möglichen intensivmedizinischen Therapie), Therapieerhalt oder „Einfrieren“ der begonnenen Therapie bei kritischer Prognose und geringen Überlebenschancen (also Nicht-Erweitern einer intensivmedizinischen Behandlung, z. B. Nierenersatztherapie, Wiederbelebung), Therapiereduktion, wenn keine Überlebenschance mehr besteht (also z. B. Beendigung einer Therapie mit medikamentöser Kreislaufstützung, stattdessen Beatmung mit 21% O2 und ausreichende Basisversorgung), oder Therapieabbruch am Lebensende (Beenden einer das Sterben verlängernden Therapie bei infauster Prognose). Dabei ist zu beachten, dass für die Durchführung einer jeglichen medizinischen Behandlung stets eine Indikation für diese Therapie bestehen muss. Ohne eine medizinische Indikation ist keine Behandlung zulässig. Die Entscheidung für eine Änderung des Therapieziels (Therapieverzicht, Therapieerhalt oder Therapieabbruch) bedeutet nicht das Ende aller therapeutischen Maßnahmen, sondern erfordert auch in der Intensivmedizin die Begleitung und Betreuung des Sterbenden und Schwerkranken mit infauster Prognose im Sinne der Palliativmedizin. Also Änderung des Therapieziels von „cure“ zu „care“, und bestmögliche Symptomlinderung nicht nur der physischen sondern auch der psychischen, sozialen und spirituellen Dimensionen. Die klare Formulierung der „Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung“ der Bundesärztekammer könnte vermuten lassen, dass die Entscheidungen zu solchen schwerwiegenden Weichenstellungen der therapeutischen Ziele auf klaren, eindeutigen Situationen beruhen würden. Leider ist das nur selten der Fall. Meist gibt es für die Bewertungen „infaust“, „unheilbar“, „hoffnungslos“ keine objektiven Kriterien. Schlimmer noch: sie sind 7
Consensus Report, Crit. Care Med. 1990, 18: 1435 ff.
8
(Fn. 2) Dtsch. Ärzteblatt 2004, 101: A1298 f. Nauck in Intensivmedizin - Kompendium und Repetitorium zur interdisziplinären Weiter- und Fortbildung, hrsg. von Eckart/Forst/Burchardi, ecomed MEDIZIN, 2008, XIV9, 1-15.
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häufig subjektive Einschätzungen, in die die eigenen Erfahrungen (langjährig oder nur kürzere) eingehen10. Solche subjektiven Erfahrungen aber sind selten quantifizierbar. Sie beinhalten dagegen die Bewertung der eigenen Eindrücke, besonders bei jüngeren Erfolgen und Misserfolgen. Je nachhaltiger diese Eindrücke waren, desto prägender haben sie sich als Engramme festgesetzt. Es wäre also vermessen, hier einen objektiven Maßstab, etwa im Sinne der „evidence based medicine“ anzusetzen. So kann das Behandlungsteam (Ärzte wie Pflegepersonal) bei solchen Entscheidungen oftmals zu sehr unterschiedlichen Bewertungen kommen: Äußerungen wie „ … wir dürfen doch die Hoffnung nicht aufgeben“, „ … sie ist doch noch so jung“, „Sie können doch Ihre Ansicht nicht beweisen!“ fallen. Solche Differenzen können zu immensen Spannungen im Team führen und gelegentlich das gesamte Team auseinandertreiben (wir haben solche Situationen in belastender Erinnerung). Hinzu kommt, dass wohl jeder erfahrene Intensivmediziner irgendwann einmal erlebt hat, wie ein Patient aus völlig hoffnungsloser Situation die Intensivstation trotzdem wieder lebendig verlassen konnte. Solche „Wunder“ können ebenfalls Engramme setzen, meist die falschen!
III. Der eventuell nötige Ausbruch aus der Routine Hier erscheint es angebracht, das Selbstverständnis der Intensivmediziner ein wenig zu hinterfragen. Der Beruf prägt die Persönlichkeit, doch auch die individuellen Persönlichkeitsmerkmale bieten oft besondere Affinität zu bestimmten Berufen. Das wird sehr deutlich bei vielen in der Intensivmedizin Tätigen. Bei Intensivmedizinern ist aktives Handeln, tätige Hilfe vorrangig; er ist „handlungsorientiert“. Intellektuelles Differenzieren kommt meist erst an zweiter Stelle und wird erst dann wichtig, wenn die Akutsituation zur Ruhe kommt. Der Intensivmediziner erlernt häufig einen Hang zum „Aktionismus“ und das kann gelegentlich zu einer Tendenz der Selbstüberschätzung seines ärztlichen Handelns führen. Er fühlt sich dem „Helfersyndrom“ verpflichtet („Da müssen wir doch etwas tun!“). Er ist ja in der Tat oft der Einzige, der die unter Umständen rettenden Therapiemaßnahmen vornehmen kann. Verführen kann hierbei auch der so genannte „technologische Imperativ“, also der vermeintliche Zwang, alles tun zu müssen, was möglich ist – selbst unter Missachtung von Endergebnis, Folgeschäden oder Kosten. Dieser kurzsichtige Entscheidungsdrang wird insbesondere dann wirksam, wenn der Patient ohne intensive Therapie wahrscheinlich versterben würde, und wenn er von sich aus keine eigene Entscheidung fällen kann und darüber hinaus auch keine Angehörigen bei seiner Therapieentscheidung verfügbar sind. Erschwerend kommen hier noch die u. U. abweichenden Beurteilungen der primär behandelnden Ärzte hinzu: Des Chirurgen, der von seiner lebensrettenden Operation weiterhin überzeugt ist, des Internisten, der in der Regel weit vom Ak10
Poses/Bekes Copare/Scott, Crit. Care Med . 1989, 17: 827 ff.
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tivismus der Intensivmediziner entfernt ist, des Neurologen, der ohnehin an „hoffnungslose Fälle“ gewöhnt ist. Sie alle sind viel eher davon überzeugt, weiter behandeln zu müssen, nicht aufgeben zu dürfen. Dabei haben sie häufig die Hoffnungslosigkeit der akuten Situation auf der Intensivstation nicht hautnah miterleben. Das Selbstverständnis der Krankenpflegekräfte unterscheidet sich von dieser ärztlichen Haltung wesentlich. Sie stehen grundsätzlich näher am Patienten, erleben sein Leiden und das Leid der Angehörigen direkt, leiden mit ihnen. Nicht selten geht daher von dieser Berufsgruppe die Anregung über eine Therapiezieländerung nachzudenken aus. Allerdings: die Entscheidung dazu überlassen sie dann (und mit Recht) den Ärzten, die diese Verantwortung letztendlich auch übernehmen müssen. Nicht selten klagen die Pflegenden jedoch, dass sie in dieser Diskussion über Therapiebegrenzung bei den behandelnden Ärzten nicht gebührend Gehör finden11. Die Ärzte haben die Anliegen und Argumente der Pflegenden häufig nicht beachtet oder gar erörtert. Bei den Pflegenden führt das zu Frustration und Enttäuschung; haben sie doch einen wesentlichen Anteil an der Intensivbehandlung. Wo dieses Defizit wahrgenommen wird, muss dringend eine Gesprächskultur zwischen den Ärzten und dem Pflegeteam und allen anderen in die Behandlung involvierten Berufsgruppen aufgebaut werden. Alle Seiten müssen auf diesem schwierigen Gebiet zu gegenseitigem Respekt und zu kooperativer Partnerschaft kommen. Jeder kann vom anderen lernen. Die schwere Entscheidung zur Änderung oder auch zu einer Beibehaltung des Behandlungszieles muss also in dieser Gemengelage unterschiedlicher Wahrnehmungen gefällt werden. Eine nicht selten sehr emotionsgeladene Situation! Eine solche Entscheidung ist stets schwierig, nicht selten unbequem und unpopulär. Es ist immer leichter und unverfänglicher, so weiter zu behandeln, wie bisher („…dann kann mir keiner Vorwürfe machen!“). Problematische Entscheidungen zu vermeiden oder vor sich her zu schieben, erscheint zunächst der bequemere Weg zu sein! Kaschiert durch den Vorwand: „Man darf doch nicht aufgeben!“ Insgesamt darf auch nicht vergessen werden, dass das ärztliche Selbstverständnis durch den „Kampf gegen die Krankheit“ bestimmt wird. Daher wird die Aufgabe der kurativen Behandlung oft als Eingeständnis der persönlichen Niederlage empfunden. Insbesondere, wenn über diese Entscheidung im Team kein Einvernehmen herrscht, ist es für den Einzelnen schwer, diesen Vorschlag vor den anderen zu vertreten. Die Entscheidung zur Beendigung einer Intensivbehandlung bedeutet also auch für die Behandelnden ein „Loslassen“, bedeutet von den professionellen Handlungsgewohnheiten abzulassen und völlig auf eine individuelle, palliativmedizinische Behandlung der letzten Lebensphase überzugehen12. Ein Schritt, der 11
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Ferand/Lemaire/Regnier/Kuteifan/Badet/Asfar/Jaber/Chagnon/Renault/Robert/ Pochard/Herve/Brun-Buisson/Duvaldestin, Am. J. Respir. Crit. Care Med. 2003, 167: 1310 ff. Nauck, in Interdisziplinäre Intensivmedizin – Aktuell 2008, hrsg. von Putensen/Quintel/ Kuhlen, MEPS Verlag, 2008, 291 ff.
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von den Behandelnden oft als „Aufgeben“ empfunden wird; dabei ist er doch die wohl ursprünglichste Form der ärztlichen und pflegerischen Tätigkeit. So kann es vorkommen, dass eine solche Entscheidung eines womöglich notwendigen und sinnvollen Therapieabbruchs das gesamte Behandlungsteam stark belastet, es sogar gelegentlich überfordern kann13. Doch in der Mehrzahl der Situationen kann darüber Einvernehmen erzielt werden; insbesondere wenn sich alle die Zeit zu ausgiebiger, intensiver und respektvoller Diskussion im Team nehmen und diese gewichtige Entscheidung nicht unter Zeitdruck vorgenommen wird. Solche Entscheidungen benötigen neben Zeit und Ruhe eine sorgfältige Abwägung. Oft kommt es vor, dass die Krankheitsentwicklung wechselnd ist, dass vorübergehende Phasen der relativen Besserung eintreten, die dann wieder Hoffnung aufkommen lassen - Hoffnung, die wo möglich nach wenigen Tagen wieder enttäuscht wird. So ist es wichtig, die Entwicklung aufmerksam zu verfolgen. Oft fährt man in dieser Phase zweigleisig, insbesondere auch in den Gesprächen mit den Angehörigen: • Einerseitig gibt man die Hoffnung nicht restlos auf, vertraut noch auf die angesetzten Behandlungsmaßnahmen. • Andererseits akzeptiert man, dass jederzeit die Wende zum Versterben eintreten kann. Lynn und Mitarb. sprechen vom Dilemma bei der Behandlungsstrategie am Lebensende14: • Die infauste Prognose (d.h. die Aussichtslosigkeit) ist nicht zweifelsfrei zu bestimmen. • Es gibt keine sicheren Zeichen für den bevorstehenden Tod, selbst wenige Tage vor Eintritt. • „Infauste Prognose“ oder „im Sterben“ sind daher notwendigerweise subjektive Begriffe. • Daher muss ein Sterben in Würde bereits geplant werden, wenn noch Überlebenschancen bestehen. • In der klinischen Praxis ist daher ein kombiniertes Vorgehen nötig: - Behandeln und Kämpfen für das Überleben - Gleichzeitig Akzeptanz des Sterbens.
IV. Defensivmedizin – oder der juristische „Big Brother“ Entscheidungen, die aus der Spur des Üblichen oder des Gewohnten führen, werden immer als schwer empfunden. Neue Wege verunsichern. Selbstsicherheit ist 13
14
Studdert/Mello/Burns/Puopolo/Galper/Truog/Brennan, Intensive Care Med. 2003, 29: 1489 ff. Lynn/Harrell/Cohn/Wagner/Connors, New Horizons 1997, 5: 56 ff.
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gefragt, wo es meist aber keine Gewissheit geben kann. Hinzu kommt, dass der juristische „Big Brother“ bewusst oder unbewusst über den Entscheidungen schwebt: Was wäre, wenn ich mich in meiner Einschätzung doch geirrt hätte? Würde man mir dann nicht Vorwürfe machen können? Was würden die Kollegen sagen? Würden gar juristische Konsequenzen drohen? Gehen wir also lieber auf „Nummer sicher!“ Das sind einige der (zweifelhaften) Grundlagen einer Defensivmedizin mit der Entscheidung, lieber nichts zu tun, was später hinterfragt werden würde; lieber nicht vom Bisherigen abzuweichen. Schließlich gibt es ja Behandlungsstandards, gibt es Leitlinien! Wenn nur diese beachtet werden, dann drohen keine Vorwürfe. Jeder, der nicht in einer solchen akuten Situation steht, würde diesen Druck von sich weisen. Doch vermutlich hat fast jeder einmal diesen Druck verspürt und (selbst mit schlechtem Gewissen) seiner Neigung zur Defensivmedizin nachgegeben – ob er es nun wahrhaben will oder nicht! Juristen fühlen sich an diesem Druck sicher völlig unschuldig (zu Recht, wie wir vermuten). Doch häufig findet sich ein ärztlicher Gutachter, der im Zweifel eine juristische Beurteilung in diese oder jene Richtung bahnt. Von diesen Gutachtern wird viel erwartet: sie sollten nicht nur fachlich kompetent sein, sie sollten auch die zu beurteilenden Situationen aus eigener praktischer Erfahrung kennen. Der Jurist ist vermutlich zufrieden, wenn der Sachverständige eine klare Meinung äußert. Doch war die Situation auch so klar, wie dieser Sachverständige es vermuten lässt? Eine wesentliche Hilfe für diese Situationen ist ein im Team erarbeitetes und abgestimmtes sowie gut dokumentiertes Vorgehen, das wenn immer möglich auch mit den Angehörigen, Vorsorgebevollmächtigten oder Betreuern zuvor erörtert wurde.
V. Der Druck der Ökonomie In Deutschland werden zurzeit jährlich etwa 2 Millionen Kranke in den ca. 21.000 intensivmedizinischen Betten behandelt. Diese Intensivbehandlung verursacht etwa 5-10% der gesamten Krankenhauskosten. Ein großer Anteil dieser Intensivpatienten sind ältere Menschen. Diese haben mit ihrer Multimorbidität (Patienten über 60 Jahre haben im Durchschnitt etwa 5 Krankheiten) einen schwereren Krankheitsverlauf und eine schlechtere Prognose. Angesichts der hohen Kosten ist es nicht verwunderlich, dass sich die Gesellschaft fragt, ob diese Kosten berechtigt sind. Ist die Gesellschaft bereit, für alte und sehr betagte Patienten noch hohe Behandlungskosten einzusetzen? Und wenn ja, gibt es eine Grenze und wo liegt sie? Soll ein 80-jähriger multimorbider Patient mit Schenkelhalsfraktur noch operiert werden, denn das würde unter Umständen eine teure Nachbehandlung auf der Intensivstation erforderlich machen. Wie viel ist der Gesellschaft die Gesundheit (der anderen) wert? Dies sind fundamentale Fragen, die die Solidargemeinschaft kaum in der Lage (und willens) ist zu beantworten. Diese Entscheidungen bleiben bei dem Arzt hängen, der den akut zu behandelnden einzelnen Menschen zu versorgen hat – und das täglich!
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Tatsächlich findet die Rationierung im Krankenhaus und auch auf der Intensivstation längst statt. Nur hält sie sich im Verborgenen, es wird nicht darüber gesprochen und die Entscheidungen werden mit anderen Gründen ummäntelt. Es ist nicht so schwierig, die knappen Intensivbetten besetzt zu halten, um z. B. bei Anfrage für kostenträchtige Problempatienten aus anderen Krankenhäusern oder bei Aufnahme von teuren Schwerstverletzten eine volle Intensivstation zu melden und damit dem Haus Kostendefizite zu ersparen. Dabei hätte man möglicherweise bei etwas gutem Willen, stattdessen weniger kranke Patienten von der Intensivstation verlegen können. Man hätte unter Umständen aber auch eine laufende hoffnungslose Behandlung beenden können, für die bisher niemand eine Entscheidung gewagt hat. So komplex können die erforderlichen Entscheidungen sein, so eng liegen Gut und Böse nebeneinander, sind geradezu miteinander verzahnt! Grundsätzlich ist die Haltung der Ärzteschaft völlig klar: „Rationierung bezieht sich ausdrücklich nicht auf Aspekte der Begegnung und des Umgangs zwischen Kranken und klinisch Tätigen“ und „Humanität ist im Sinne von § 70 SGB V nicht posteriorisierbar“ sagt die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer in ihrer Stellungnahme zu Prioritäten in der medizinischen Versorgung im System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)15. Rationalisierung geht vor Rationierung! Wehkamp schreibt16: „Es ist eine moralische Pflicht der Kliniker, auf Gefährdungen ihrer Patienten hinzuweisen, wenn diese unvermeidbar durch politische oder wirtschaftliche Vorgaben entstehen.“ Dennoch fokussieren sich ökonomische Aspekte schon jetzt besonders auch um die kostenträchtige Intensivbehandlung. Selbst wenn sich die Behandelnden innerlich weigern, den ökonomischen Argumenten nachzugeben, ihr immanenter Druck bleibt bestehen, ist täglich spürbar und wird in Zukunft sicher weiter zunehmen.
VI. Gespräch mit Patienten / Angehörigen Die Arzt-Patienten-Beziehung, wie auch das Verständnis von Krankheit, haben sich durch die Fortschritte der Medizin im letzten halben Jahrhundert grundsätzlich verändert. War früher das Gespräch in der Arzt-Patienten-Beziehung ausschlaggebend, werden nun immer mehr die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten für die Beurteilung des Krankheitsverlaufes bestimmend. Die Krankheitsschilderungen der Patienten scheinen immer weniger gefragt zu sein. Für Patienten und Angehörige mag sich dadurch der Eindruck ergeben, als interessierten sich Ärzte mehr für die durch Geräte erhobenen Befunde und Ergebnisse als für die Schilderung der Beschwerden des Patienten. Das Befinden des Patienten bleibt aber dennoch ebenso wichtig - und manchmal wichtiger - für die Beurteilung der Gesamtsituation wie der Befund. 15 16
Dtsch. Ärzteblatt 2004, 97: A1017 ff. Wehkamp, Dtsch. Med. Wochenschr. 2002, 127: 395 ff.
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In der Intensivmedizin sind allerdings die Patienten oft bewusstlos oder meist zumindest durch Medikamente stark gedämpft („Sedierung“). Das ist erforderlich, damit Patienten ohne Leiden die eingreifenden Behandlungsmaßnahmen durchstehen. So ist zum Beispiel bei der apparativen Beatmung der Beatmungstubus in der Luftröhre unangenehm und stellt einen starken Reiz dar; darüber hinaus kämpft der patienteneigene Atemantrieb oft gegen den Zwangsrhythmus des Beatmungsgerätes („der Patient atmet gegen die Maschine“). Daher muss der Patient mehr oder weniger stark mit Medikamenten schmerzgelindert und gedämpft werden. So ist der Patient also meist weder ansprechbar noch entscheidungsfähig. Während der Intensivbehandlung wird daher das unmittelbare Patientengespräch häufig durch das Gespräch mit den Angehörigen ersetzt. Dieses ist meist die einzige Brücke der Behandelnden zu ihren Patienten. Es ist daher unseres Erachtens unerlässlich, dass die Angehörigen über eine große Spanne des Tages freien Zutritt zur Intensivstation haben, um ihre Kranken zu sehen und mit den Ärzten und dem Pflegepersonal zu sprechen. Das ist selbst heutzutage noch nicht überall selbstverständlich. Es gibt durchaus noch Intensivstationen, die vor den Angehörigen abgeschottet werden. Solche Gespräche mit Angehörigen sollten gezielt, ausreichend häufig und regelmäßig stattfinden: Die gesamte Umgebung erscheint für die Angehörigen fremd und bedrohlich; sie werden durch Eindrücke oft verwirrt und erdrückt; außerdem ändert sich die akute Situation des Kranken rasch und oft unerwartet, so dass die Information immer wieder erneuert werden muss. Diese Gespräche kosten viel Geduld und Zeit. Und gerade dieser Zeitaufwand wird heute immer mehr zum Problem! In Zeiten, in denen die Ökonomie den Takt in den Krankenhäusern diktiert, in denen der Personalabbau bis an die Grenze des Erträglichen erzwungen wird, in denen die Arbeitszeit der Ärzte durch Bürokratie und Dokumentationszwang von den Patienten in unerträglicher Weise abgezogen wird, in diesen Zeiten sind die nötige Ruhe und Gelassenheit für solche Gespräche mit Angehörigen kaum aufzubringen. Das belastet die Angehörigen, da „sich niemand für ihren Kranken interessiert“, das belastet ebenso die Ärzte, die sich immer mehr von ihren ureigenen ärztlichen Aufgaben verdrängt fühlen. So wird das so fundamental wichtige ArztPatienten/Angehörigen-Verhältnis immer mehr bedroht; die Medizin wird zur unpersönlichen Gesundheitsversorgung. Wir sind derzeit dabei, in der Medizin viel an Menschlichkeit zu verlieren, was allerdings kaum messbar ist und sich daher als politisches Warnargument nicht eignet. Gefahren entstehen daraus für beide Seiten: Für den Kranken bzw. Angehörigen, dass er die menschliche Fürsorge vermisst, ohne die gute Medizin nicht denkbar ist. Für die Ärzte, dass sie diesen menschlich-karitativen Aufgabenbereich zunehmend verlernen, - und diese Menschlichkeit muss erlernt und ständig gepflegt werden. Menschliche und karitative Zuwendung kostet Zeit, Engagement und innere Stabilität Die lediglich technische Verrichtung des medizinischen Berufes ist vermutlich sehr viel einfacher und kostet den Einzelnen nicht so viel Engagement.
Unsichere Entscheidungsgrundlagen für den Intensivmediziner
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Gespräche mit Angehörigen können sehr hilfreich sein. Die Angehörigen sind in der Regel dankbar. Die Gespräche können aber auch in kritischen Situationen durch Vorwürfe, Ärger und Mistrauen belastet werden. Dann wird oft der Arzt in seinem eigenem Selbstverständnis herausgefordert. Er fühlt sich verletzt und ungerecht behandelt. Doch auch dabei sollte er Arzt bleiben, er muss den Angehörigen zubilligen zu hadern (da das Schicksal nicht greifbar ist, dient oft der Arzt als Adressat des Frustes). Wichtig für den Arzt ist es vor allem, zuhören zu können. Es geht keineswegs nur um die Information der Angehörigen mit medizinischen Fakten; es geht vor allem darum, dass die Familienmitglieder ihre Fragen und Vorstellungen anbringen können. Vor vielen Jahren hat das „Stanford University Medical Center“ eine Strategie für solche Gespräche mit Angehörigen herausgegeben, die uns hilfreich erscheint: • Suche das Gespräch und das Einvernehmen zwischen den verschiedenen Gruppen des Behandlungsteams. • Erkundige Dich nach den Wünschen des Patienten zur Behandlung am Lebensende oder (sofern er nicht entscheidungsfähig ist) suche sorgfältig nach Hinweisen seiner bisherigen Wünsche dazu. • Sei geduldig und strebe nach einer einvernehmlichen Entscheidung. • Setze zeitbegrenzte Ziele (z. B. „Wenn die Niere nicht bis … wieder anspringt, dann…“). • Gestatte dem Patienten bzw. den Angehörigen Gefühle der Verärgerung, der Wut oder des Misstrauens zu äußern. • Habe Verständnis dafür und vermeide es, Dich in eine Verteidigungshaltung bringen zu lassen. • Sofern Konflikte entstehen, suche nach geeigneten Vermittlern. Bei unklaren und schwierigen Entscheidungen, oder wenn im Behandlungsteam kein Konsens besteht, kann bei nicht entscheidungsfähigen Patienten im „ethischen Fallgespräch“ mit Ärzten, Pflegenden, Seelsorgern, Sozialarbeitern und ggf. Angehörigen die bestmögliche und angemessene medizinische, pflegerische, seelsorgerische und psycho-soziale Betreuung und Behandlung für die Patienten ermittelt werden 17,18,19,20. Das „ethische Fallgespräch“ ist für den behandelnden Arzt eine Hilfe bei der Entscheidungsfindung in Fragen einer möglichen Therapiezieländerung. Die Entscheidungen über das weitere therapeutische Vorgehen, über ein „Einfrieren“ der Therapie oder eine Therapiereduktion werden hier im Konsens getroffen. Sie sind jedoch für den juristisch verantwortlichen Arzt nicht verbindlich. Letztendlich steht der betreuende Arzt als Mensch und als juristisch verantwortliche Person vor einer Entscheidung, die ihm keine Gruppe und kein Angehöriger abnehmen kann; 17 18 19 20
Illhardt/Schuth/Wolf, Z. für Medizin. Ethik 1998, 44: 185 ff. Eibach, Z. für Ethik in der Medizin 2004, 50: 21 ff. Schneiderman/Gilmer/Teetzel, Crit. Care Med. 2000, 28: 3920 ff. Nauck, in Grenzsituationen in der Intensivmedizin, hrsg. von Junginger/Perneczky/Vahl/Werner, Springer 2008, S. 220 ff.
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es sei denn, ein Vorsorgebevollmächtigter oder Betreuer ist schriftlich benannt und vermittelt den Willen des Patienten; bei Dissens mit dem Bevollmächtigten/Betreuer hat das Vormundschaftsgericht zu entscheiden. Mancherorts bewährt sich eine leitfadenorientierte Familienkonferenz, in der Ärzte und Pflegende (ggf. auch Geistliche) gemeinsam mit den Familienmitgliedern sich um eine einvernehmliche Entscheidung in den Fragen der Therapiebegrenzung bemühen.21
VII. Probleme der Aufklärung Ärztliche Aufklärung ist mit zahlreichen Schwierigkeiten belastet. Im Gespräch mit den Angehörigen ist das nicht einfacher. Die eindeutige Vermittlung von Information zwischen Arzt und Patient bzw. Angehörigem ist stets schwierig: Kann der Arzt von seiner speziellen Sprache und Begrifflichkeit die Information in die einfache Umgangssprache übertragen? Hat er überhaupt gemerkt, wenn diese Übertragung nicht funktioniert hat, wenn Fakten oder Bewertungen missverstanden wurden? Oft traut sich der Patient oder der Angehörige nicht, nachzufragen. Oder er hat selber nicht gemerkt, dass er etwas nicht richtig verstanden hat. Nicht unwichtig ist auch, dass der Arzt seine eigenen Unsicherheiten vermitteln sollte und nicht aus falsch verstandener Fürsorge oder eigenem Autoritätsbedürfnis eine Sicherheit vortäuscht, die er selber gar nicht hat. Nach unserer Erfahrung ist das Eingeständnis eigener Zweifel durchaus vertrauensbildend! Der Arzt wird menschlicher, wenn er seine Zweifel eingesteht. Die andere Frage liegt darin, ob der Patient bzw. Angehörige überhaupt alles wissen möchte. Er steht ja selber in einem Netzwerk von Abhängigkeiten, von familiären und sozialen Zwängen, von Bindungen an seinen Glauben und vielen anderen Verpflichtungen. In einer sorgfältig durchgeführten Studie über eine präoperative Aufklärung zu einer diagnostischen Bronchoskopie stellten Bieda und Mitarbeiter folgendes fest22: Die schriftliche Aufklärung mittels eines Formulars verursachte Angst. Der mündliche, individuelle Dialog (standardisiertes, strukturiertes Aufklärungsgespräch) beruhigte und schuf Vertrauen, so dass die Mehrheit der Patienten zufrieden war und keine weiteren Fragen mehr hatte. Jedoch konnten sich 1/3 der Teilnehmer nicht an nur eines von 9 erwähnten wichtigen Risiken erinnern. Die Schlussfolgerung der Autoren war, dass der Dialog zwischen Arzt und Patient eher zur Vertrauensbildung als zur Information dient. Offenbar möchte der Patient eher vertrauen als selbst zu entscheiden!
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22
Lautrette/Darmon/Megarbane/Joly/Chevret/Adrie/Barnoud/Bleichner/Bruel/ Choukroun/Curtis/Fieux/Galliot/Garrouste-Orgeas/Georges/Goldgran-Toledano/ Jourdain/Loubert/Reignier/Saidi/Souweine/Vincent/Barnes/Pochard/Schlemmer/Azoulay, N. Engl. J. Med. 2007, 356: 469 ff. Bieda/Meran/Wagner/Ganser, Forum DKG 1997, 12: 112 ff.
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Wenn es um die letzten Risiken geht, möchte man vertrauen und sich in die sicheren Hände eines guten Hirten begeben. Diese etwas desillusionierende Bewertung der Patientenautonomie können viele Ärzte aus ihrer klinischen Tätigkeit bestätigen. Gerade in eigenen Notsituationen haben solche sonst kollegenkritischen Ärzte diese Abwehr der Eigenverantwortung an sich selber erfahren können.
VIII. Die Situation der Angehörigen Die Bewältigung von Entscheidungen in Grenzsituationen wie die Begrenzung der Intensivbehandlung wird besonders für die begleitenden Angehörigen außerordentlich belastend: Während des Intensivaufenthaltes leiden 70% der Familienmitglieder unter signifikanten Angstgefühlen, 35% unter klinisch relevanten Zeichen einer Depression und 32% unter beidem23. Bei der Hälfte der Angehörigen wurden noch 6 Monate nach Entlassung ihres nahen Verwandten Zeichen einer posttraumatischen Stressreaktion nachgewiesen24. Diese Belastung für die Angehörigen von Intensivpatienten wurde bislang unterschätzt. Dennoch ist es von größter Bedeutung, dass die Angehörigen frei ihre kranken Verwandten besuchen und regelmäßig mit dem Behandlungsteam sprechen können. Da die Intensivpatienten meist nicht in der Lage sind, ihre Vorstellungen und Wünsche zur Behandlung einzubringen, da Patientenverfügungen nur selten vorliegen oder für die akute Situation nicht aussagerelevant sind, bleibt das Gespräch mit den Angehörigen unerlässlich. Sie sind die einzige Möglichkeit, etwas über die Präferenzen des Patienten zu erfahren. So ist die gute Kommunikation mit den Angehörigen essentiell. Leider jedoch wird gerade diese Kommunikation oft vernachlässigt, aus Personalmangel und Zeitmangel, aus Desorganisation oder Gedankenlosigkeit25. Dabei ist es gerade die gute Kommunikation, die bei den Angehörigen in der Wertschätzung der Intensivbehandlung an oberster Stelle steht26. Diese Kommunikation ist allerdings wie oben beschrieben nicht konfliktfrei: Knapp die Hälfte der Angehörigen berichteten noch nach einem Jahr von Konflikten mit dem Behandlungsteam bei Diskussionen über die Therapiebegrenzung27. Auch seitens des Behandlungsteams wurden in etwa der Hälfte der Fälle Konflikte wahrgenommen – entweder mit der Familie oder innerhalb der Familie oder des Behandlungsteams28. 23
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Pochard / Azoulay / Chevret / Lemaire / Hubert / Canoui / Grassin / Zittoun / leGall / Dhainaut / Schlemmer, Crit. Care Med. 2001, 29: 1893 ff. Jones/Skirrow/Griffiths/Humphris/Ingleby/Eddleston/Waldmann/Gager, Intensive Care Med. 2004, 30: 456 ff. Azoulay/Chevret/Leleu/Pochard/Barboteu/Adrie/Canoui/Le Gall/Schlemmer, Crit. Care Med. 2000, 28: 3044 ff. Heyland/Tranmer, J. Crit. Care 2001, 16: 142 ff. Breen/Abernethy/Abbott/Tulsky, J. Gen. Intern. Med. 2001, 16: 283 ff. Abbott/Sago/Breen/Abernethy/Tulsky, Crit. Care Med. 2001, 29: 197 ff.
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IX. Ist kompromisslose Autonomie angebracht? Die Betonung der Autonomie oder besser Selbstbestimmung des Patienten bedingt in Europa nicht die Forderung, dass die alleinige Entscheidung beim Patienten bzw. dessen Angehörigen liegt. Es bedeutet eben nicht, dass der behandelnde Arzt aus der Verantwortung für den Patienten befreit wird. Dieses ausschließlich autonomiegeprägte Verständnis wird vornehmlich in den USA vertreten. Der Arzt als Verkäufer von Gesundheitsware ruft in der europäischen Kultur eher Befremden hervor. In Europa ist das Konzept in der medizinischen Betreuung heute die Partnerschaft zwischen Patient und Arzt; im christlichen Verständnis würde man es einen „Pakt“ nennen. Das Prinzip der gemeinsamen Entscheidungsfindung („shared decision making“) ist der Mittelweg zwischen dem althergebrachten Paternalismus und einer ausschließlichen Autonomie. Sie findet Anwendung in den regelmäßigen Gesprächen mit den Patienten, wenn das möglich ist oder mit Angehörigen und besonders in der Familienkonferenz. Hier werden die Fragen und Wünsche der Angehörigen vorgebracht und erörtert, werden die ärztlichen Informationen und Ratschläge angeboten, wird am Ende möglichst eine gemeinsame Entscheidung getroffen. Dieses Konzept lässt vor allem auch die Angehörigen nicht allein mit ihrer schweren Entscheidung, sondern der Arzt bietet ihnen seine helfende Hand und seine karitative Fürsorge an. Wie oft hören wir in der täglichen Praxis: „Doktor, machen Sie was Sie für richtig halten. Ich vertraue Ihnen!“ Allerdings hält sich bei den Ärzten in Europa der alte Paternalismus auch heute noch in erschreckendem Maße: Wie paternalistisch die ärztlichen Entscheidungsmuster derzeit noch sind, ergibt sich aus einer großen europäischen Studie, bei der die Intensivmediziner nach ihren Grundsätzen, Begründungen und Schwierigkeiten bei Entscheidungen zur Therapiebegrenzung befragt wurden29: Die meisten Ärzte hatten in der Regel keine Probleme mit den Entscheidungen am Lebensende; sie ließen sich in ihren Entscheidungen vornehmlich leiten von dem Krankheitsverlauf (79%) und der „good medical practice“ (66%), wenige jedoch von der Lebensqualität (4%), dem Alter (2%) ihrer Patienten oder gar den Wünschen der Angehörige (2%). Dabei war ein deutliches Nord-Süd-Gefälle nachweisbar mit ausgeprägtem Paternalismus vor allem im Süden Europas. Ökonomische Überlegungen spielten nach ihren eigenen Angaben keine Rolle. Vermutlich ist hier noch ein längerer Lernprozess erforderlich, der den entscheidenden primär behandelnden Ärzten und Intensivmedizinern die Bewertung auch der Folgeentwicklungen von Therapiemaßnahmen wieder stärker ins Bewusstsein bringt30. – Ein Wissen, das früher allen verfügbar war, das jedoch im Zeitalter der modernen Medizin und Technologie wohl etwas in den Hintergrund geraten ist. 29
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Sprung/Woodcock/Sjokvist/Ricou/Bulow/Lippert/Maia/Cohen/Baras/Hovilehto/Ledoux/ Phelan/Wennberg/Schobersberger, Intensive Care Med. 2008, 34: 271 ff. Levy, Crit. Care Med. 2001, 29(2 Suppl): N56.
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X. Der verantwortliche behandelnde Arzt Paternalistische Selbstherrlichkeit ist heute nicht mehr vertretbar. Die ärztlichen Entscheidungen müssen möglichst in partnerschaftlichem Konsens getroffen werden. Das betrifft nicht nur den Konsens mit den Patienten bzw. dessen Angehörigen, das gilt auch für den Konsens mit den weiteren behandelnden Ärzten und mit dem gesamten behandelnden Team (Ärzte, Pflegekräfte und weitere in die Behandlung involvierten Berufsgruppen), die alle in die Entscheidungsfindung eingebunden werden sollten. Dennoch bleibt der behandelnde Arzt (bzw. die behandelnden Ärzte) letztlich der Alleinentscheidende, da er juristisch wie ethisch für seine Behandlung alleine verantwortlich ist. Dem wird aber der verständige Patient oder Angehörige auch zustimmen und es sogar begrüßen. Von dieser Endverantwortung kann der Arzt nicht entlastet werden. Er kann sich aber bei seiner schweren Entscheidung durch den Konsens mit den Angehörigen und dem Behandlungsteam wirksam unterstützen lassen. Er steht dann eben nicht mehr alleine mit einer einsamen Entscheidung. Auch ein ethisches Konsil kann ihn nur beraten und ihm mit kompetenter Diskussion die Entscheidung vorbereiten. Die Entscheidung selber kann auch sie ihm nicht abnehmen31. Die Patienten und ihre Angehörigen können dafür von den behandelnden Ärzten erwarten, dass sie nicht nur mit ärztlicher Kompetenz und Sachverstand handeln, sondern dass die Ärzte auch ihre menschliche Empathie und ihre ethische Verantwortung zum Wohle ihrer Patienten einsetzen. Heilen, Pflegen, Fürsorge („cure, care and comfort“) sind auch in der Intensivmedizin gleichwertige Elemente. Insbesondere bei den Entscheidungen zum Lebensende müssen diese Prinzipien einer menschlichen Medizin beachtet werden. Allerdings steht der Arzt mit seinen Entscheidungen in kritischen Situationen häufig auf „unsicherem, wenig Evidenz basiertem Boden“. Diese Ungewissheit verfolgt ihn unablässig. Selbst wenn er sich mit Kollegen, dem Behandlungsteam und den Angehörigen eingehend berät, begleitet die Ungewissheit und Fehlbarkeit seine ärztliche Entscheidung. Damit muss er leben, müssen die Angehörigen und muss die Gesellschaft leben.
31
(Fn. 19) Schneiderman/Gilmer/Teetzel, Crit. Care Med. 2000, 28: 3920 ff.
The Problem of Reproductive Cloning
Francesco D. Busnelli
∗
I. With regard to the issue of cloning, that so far has been on the fringe of my reflections on the law of biomedicine, my first reaction was to think that it does not represent a problem for a lawyer. This attitude is borne by two reasons. First, human cloning has been categorically condemned (if not prohibited) in several documents: the Resolution of the World Health Organisation (14 May 1997); the UNESCO Universal Declaration on the human genome and human rights (3 December 1997, art.11); the opinion of the Italian National Bioethics Committee (CNB) on Cloning as a bioethical problem (21 March 1997); the Réponse au Président de la République au sujet du clonage reproductif of the French National Consultative Bioethics Committee (CCNE) (22 April 1997); the Report of the American National Bioethics Advisory Commission (NBAC) with the subsequent “message” of the President of The United States, Clinton, about the “Cloning Prohibition Act” (June 9th 1997); the Additional Protocol to the European Convention on Biomedicine, adopted in Paris on January 12th 1998; the European Directive 98/44/CE on the legal protection of biotechnological inventions (July 6th 1998, art.6, par.2, lett.a). At first sight, none of these documents leave room for subversive interventions by lawyers, who, by definition, cannot afford to be revolutionary. Second, the scenario that the advocates of cloning propagate – “cloning in lieu of donors gametes, cloning as a source of organs or tissue, replacing a dead child”1 – seems quite futuristic to me. Besides, lawyers are not prophets.
II. Contrary to my first impression, cloning proves to be a legal issue that causes an array of particular problems. Moreover, it has become a significant “testing ∗ 1
Professor of Law, Scuola Superiore S.Anna, Pisa, Italy. See J.A. Robertson, Liberty, Identity, and Human Cloning, 76 Texas Law Review 1998, 1378 ff.
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ground” to examine, both in theory and in practice, the interface of ethics and law (or, rather, ethics and rights) and, specifically, between constitutional principles and legal rules.
III. By lifting the veil of the “condamnation véhémente”2 we face the first problem that there are several forms of cloning: from cloning to “clonings”, so to speak. Two recent European documents, for instance, clarify that animal cloning is not to be necessarily banned, but only requires rules and safeguards. The Draft Scientific Opinion if the Scientific Committee of EFSA (European Food Safety Authority)3 “recommends that the health and welfare of clones are monitored during their full natural life”. The Opinion of EGE (European Group of Ethics in Science and New Technologies to the European Commission) “does not see convincing arguments to justify the production of food from clones and their offspring”4. “If in the future products derived from cloned animals were to be introduced to the European market, the EGE recommends that the following requirements are met: Food safety; Animal welfare and health; Traceability”.5 But even in human cloning it is possible to distinguish between reproductive and non-reproductive cloning; and, within this second type, also to distinguish between the production and culture of cells of embryonic or adult origin which do have the ability to develop into an embryo, and the technique of production of embryos whose development is stopped at a more or less advanced stage in order to obtain immune-compatible cells for cellular therapy.6 With regard to the first technique – i.e., research aimed at deriving stem cells from non-embryonic sources such as an aborted foetus or adult cells – the opinion of the French CCNE appears to be widely shared. While noting that “it is a customary and long established practice of great usefulness for diagnosis and therapy”, the French Committee had concluded that “it raises ethical issues which are 2
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5 6
See Comité Consultatif National d’Ethique pour les Sciences de la Vie et de la Santé (CCNE), Réponse au Président de la République au sujet du clonage reproductif, where the need to start an in-depth analysis, and not to stop at the vehemence of feelings, is clearly stated (25). Draft Scientific Opinion on Food Safety, Animal Health and Welfare and Environmental Impact of Animals derived from Cloning by Somatic Cell Nucleus Transfer (SCNT) and their Offspring and Products Obtained from those Animals, endorsed for public consultation on 19 December 2007, The Opinion is accessible at http://www.efsa.eu.int. Ethical aspects of animal cloning for food supply. Opinion No. 23, issued to Commission President Barroso on 16 January 2008. The Opinion is accessible at http://ec.europa.eu/european_group_ethics. Ibid., Conclusions. See F.D. Busnelli , E. Palmerini, Clonazione, in Dig.IV-ed., Disc. Priv., sez. civ., Agg., Torino, 2000, 142 ff.
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not fundamentally different from those raised by other aspects of biomedical research”.7 As far as the second technique is concerned, however, there are conflicting opinions. The position of the French CCNE is absolutely adamant: it maintains that this technique, apart from being an infringement of the rule that forbids the creation of embryos for research purposes (l. 29 July 1994, art.16-4), would be a “monstrueuse inhumanité”, and points out that it “is astonished to see it promoted by scientists at times distinguished in their field”.8 On the contrary, the UK Report on “Stem cell Research” (2000) (Donaldson R.) “recognises the special status of an embryo as a potential human being, but accepts that it is justified to create or use early embryos for serious research purposes which may benefit others”, of course with “the 14 day limit”. “Such embryos can be seen as being created simply as a means to an end and for use as a product source”. The middle ground is represented by NIH Guidelines for Research Using Human Stem Cells (Sept. 2000). This document states that studies using NIH funds may be conducted “ONLY if the cells were derived from human embryos that were created for the purposes of fertility treatment and were in excess”.9
IV. As regards reproductive human cloning it is crucial to identify the basis for the strict ban that is commonly advocated in all above mentioned national and international documents. Clearly enough, they share “the deep emotion”10 brought about by the birth of Dolly, the cloned sheep, in February 1997. As a consequence, they share the concern that the method “that was used to create Dolly the sheep” might be applied, in the near future, to human beings.11 Likewise, they seem to have in common the widespread feeling of repugnance that reproductive cloning has stirred up among people, on both sides of the Atlantic. It has been reported12 that even the creator of Dolly confessed that he would find it offensive to clone human beings. However – as it was rightly affirmed – “repulsion is not an argument”, and “things considered to be repugnant yesterday
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CCNE, op.cit., 26. Ibid., 29. New Scientists, 29 January 2000. CCNE, op.cit., 25. President’s Remarks announcing the Proposed “Cloning Prohibition Act of 1997”, 9 June 1997. L.Kass, The Wisdom of Repugnance: Why We Should Ban the Cloning of Humans, 32 Valparaiso Univ. L. Review 1998, 686, quoting a news report published on The New York Times in February 1997 whose title is intriguing: Sports of the Times: Could Jordan Be Cloned? Not exactly.
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are today accepted without any problems”.13 These kinds of reactions seem to be rather impulsively or emotionally determined. More importantly, the impression of a general consensus seems to be rather superficial, since the ethical foundations to which these documents refer turn out to be wholly different, and reflect completely distinct legal (or, rather, constitutional) principles. The document of the American NBAC solemnly affirms that cloning a human being is “morally unacceptable”. However, it adds: “at the present time”, stressing that these techniques are not yet perfect from the standpoint of a “safe usage”. Therefore, the ethical basis for the ban is “the safety argument”; and the legal form to enforce it is that of a moratorium. From this ethical standpoint, the if of reproductive cloning is not at issue. Rather, the critical question is which conditions have to be met, for cloning to be allowed. In other words, the discussion turns on how and when to do it. In the European documents the moral unacceptability of reproductive cloning is put forward on a radically different basis. The Additional Protocol to the European Convention on Biomedicine affirms that cloning must be prohibited because it leads to an “instrumentalisation of human beings”. And the French CCNE document refers, more drastically, to an “intolérable chosification de la personne”,14 while the Italian CBN condemns the “assault on biological unit of human beings”.15 In Europe, therefore, the ethical foundation of the unconditional (“no derogation … shall be made”16) cloning prohibition is to protect “human dignity”. Indeed, the prohibition directly concerns the if of reproductive cloning. Finally, the Resolution by the World Health Organisation is more cautious. After saying that using cloning to reproduce human beings is not ethically acceptable, it finishes with “an invitation to the Director-General to take initiatives to clarify and evaluate the ethical, scientific and social consequences of cloning with regard to human health”; and the Director-General, on his part, calls for “wisdom”,17 provided that reproductive human cloning is still banned. Here, the aim to reach a programmatic compromise at an institutional level and to shorten the distances between two ethical conceptions, that nevertheless will remain distinct, is clearly evident.
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L.R. Kass, op. cit., 687. CCNE, op.cit., 27. CNB, La clonazione come problema etico, 21 Marzo 1997. Additional protocol to the Convention on human rights and biomedicine on the prohibition of cloning human beings, art.2. An “optimistic line” that emerges from the Report of Hiroshi Nakajima, can be found in CNB, op. cit.
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V. From a legal point of view the difference between the two ethical conceptions is reflected in the constitutional principles and foundations of the legal systems involved.
1. A legal system that is built on the fundamental idea of individual liberty and freedom, not as a social value (freedom for) but as a “condition of ethical and moral conceptions” (freedom from)18, readily acknowledges a principle of reproductive freedom in order to allow for a procreation of “children of choice”.19 Such a legal system bases the protection of the unborn child on the objective aims of the society.20 In such a legal system it is, by principle, not possible to condemn reproductive cloning. Therefore, the position of the scholar who thinks it should be regarded “as an exercise of procreative liberty and granted the special respect usually accorded to procreative choice”, is coherent. There would not be anything wrong – this is the given example – with the possibility of “a situation in which the parents want another child and are so delighted with the existing one that they simply want to create a twin of her, rather than take a chance on the genetic lottery”.21 Less coherent, but nevertheless significant, is the position of the law philosopher who, after having said that reproductive cloning must lead to an expansion and not to a restriction of liberty, demonstrates preoccupation for a possible “explosion of claims for reproductive freedom”: claims based on a “rampant individualism heedless of the interests of society”.22 Quite worrying is the statement of a researcher according to whom the liberal approach, “quintessentially American”, turns out to be “regrettably inadequate as an approach to human procreation”. He submits that the liberal approach is deprived of all the “anthropological, social and ontological elements that accompany the formation of a new life”.23
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H.T. Engelhardt, The Foundations of Bioethics, 2nd, New York-Oxford, 1996, 18. J.A. Robertson, Children of Choice. Freedom and the New Reproductive Technologies, Princeton, 1994. D.E. Johnsen, The Creation of Fetal Rights: Conflicts with Women’s Constitutional Rights to Liberty, Privacy, and Equal Protection, 95 Yale L. Journal 1986, 599 ff. J.A. Robertson, Liberty, Identity, and Human Cloning, op. cit., 1349. R.C.L. Moffat, Cloning Freedom: Criminalization or Empowerment in Reproductive Policy?, Valparaiso Univ. L. Review 1998, 584, at 601 ff. L.R. Kass, op.cit.,688 ff.
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2. By contrast, reproductive cloning does not seem appealing to a legal system that is based on the principal idea of protecting the dignity of all human beings;24 that extends this protection to the unborn child,25 giving him/her “an adequate protection in respect of the applications of biology and medicine”;26 that does not acknowledge “reproductive liberty” as a subjective right that does not acknowledge abortion as an unquestionable right;27and that finally is not orientated to the suppression of the “genetic lottery”, but continues to consider the “mystery” of procreation as a value to be preserved and to be defended from the “fanatics of artifice”.28 The law philosopher's reflection on this issue is persuasive: if the right of every human life to be a surprise in itself has to be respected, it seems evident that a cloned being has first of all been deprived of his liberty, that can prosper only under the protection of ignorance; therefore, nobody – not even a parent – has this right, to deprive a future human being of his freedom.29 Coherently, the jurist does not hesitate in affirming that the “choice” of the baby to be procreated is a “stretch of authority”. The “right to responsible procreation” cannot become an absolute abuse of power of a subject towards another, reduced to the rank of a product and a programmed object.30 It is, more simply, an expression of the fundamental right, solemnly vested in the parents in the International Conference in Teheran on the Human rights in 1968, to “déterminer librement et consciemment la dimension de leur famille et l'échelonnement des naissances” (art. 16). Meaningful is the warning of the researcher who fears the advent of what he calls (improperly) a “normative procreation” characterised by a new eugenics “mou, démocratique, consensuelle”; and consequently urges to preserve “the val-
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30
European convention on biomedicine, art.1. See also the Recital n. 4 of the Additional Protocol, op. cit., where the extension of its application to “all human beings” is underlined. Additional Protocol, op. cit., Recital n. 2. Additional Protocol, op. cit. Draft explanatory report. A perfect example is offered by a decision of the German Constitutional Court. After having stressed that "a solution that guarantees either the life of the unborn or the right of the mother to abort is not possible", the court introduces the principle of "intolerableness" as a cause for exonerating the woman from "the duty to give birth". See Bundesverfassungsgericht, 28 Mai 1993, NJW, 1993, 1751 ff. In broader terms, M.A. Glendon, Abortion and Divorce in Western Law: American Failures, European Challenges, Cambridge (Mass.), 1987, 145 ff. talks about "abortion for cause" referring to the experience of Germany, France, Italy, Spain, Portugal, Switzerland and Netherlands. J. Testart, L'oeuf transparent, Paris, 1986, 30 ff. H. Jonas, Philosophical Essays. From Ancient Creed to Technological Man, Chicago, The University of Chicago Press, 1974, 249. J.L. Baudoin, C. Labrusse-Riou, Produire l'homme. De quel droit?, Paris, 1987, 183 f.
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ues of a lay humanism, not subdued to the traditional religions, but also not attracted to the new techno-science mythologies”.31
VI. For all these reasons, reproductive cloning is a problem. Strictly speaking, it is not a problem in itself, but an issue that unfolds the wide gap between ethical conceptions and constitutional principles that divide Western Law. In other words, it might be correct to admit that “so far as cloning is concerned, the issue itself is relatively trivial”.32 But surely the discordance and the inevitable conflict between ethics and constitutional principles, pitilessly laid bare by the issue of cloning, is not so trivial and happens, paradoxically, in a (not only economical, but also legal) context that is influenced by globalisation. The way to a shared ethic is still long, full of obstacles, and it is not known what it will lead to: American Failures, European Challenges (as says M. A. Glendon)? Or American Challenges, European Failures? Or, finally, an overcoming of the two opposite systems? It has already been said that the lawyer is not a prophet. But he has the duty to compare the systems and to point out the principles that are useful in creating a constructive dialogue and to go ahead along a road that is necessarily based on a “minimalist” ethic. The principles that can be pointed out at the moment are at least three: the damage evaluation principle; the principle of precaution; and the principle of the best interest of the child.
1. The damage evaluation principle is not new in the biomedical field. One of its applications has been Recommendation no. 1399 (1999), formulated by the Parliamentary Assembly of the European Council on xenotransplantation. The problem of weighing up the health risks of xenotransplantation with its estimated benefits has been underlined; and, since the risks of rejection and the transfer of diseases remain uncontrollable, the Assembly has recommended that a legallybinding moratorium on clinical experimentation is introduced in all member states. Additionally, the Assembly has invited the Committee of Ministers to “take steps to make this moratorium a worldwide legal agreement”. A worldwide legal agreement on reproductive cloning could prove to be a helpful measure, but not a decisive one: there are, in fact, even among the strongest supporters of the “reproductive liberty” principle and of the “children of choice” those who invoke a prohibition of reproductive cloning because there are
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J. Testart, Introduction à Le magasin des enfants, Paris, 1990, 33. R.C.L. Moffat, op. cit., 605
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Francesco D. Busnelli
still not sufficient guarantees to make sure that children so produced will live without significant health injuries. 33 At the same time, a moratorium could prevent the development of a confrontation between the opposite positions of those who discuss only the “when” and “how” of reproductive cloning and those who are against the “if”.
2. The principle of precaution concerns essentially the role of scientific research in those territories placed at the new frontiers of “human rights and the dignity of the human beings with regard to the applications of biology and medicine”.34 Disturbing and at the same time encouraging pages have been written on the ethics of scientific research: “the research does not self-guarantee its own moral property. However the intrinsic ethical characteristic of research lies just in this: a researcher presupposes that the world in front of her/him has a meaning and he/she has a duty to keep this meaning in the continuous construction of new things”.35 Dealing with the relation between ethics and the law, it is now clear that „the principle that scientists are not responsible for the consequences of their own actions is not acceptable anymore today“.36 Nevertheless researchers' liability, when put in legal terms, cannot be restricted within the legal framework of Roman Law: diligence, skill, caution. Scientific projects necessitate a switch from a logic of prevention (useful to manage known risks) to a logic of precaution (that covers unknown risks as well). In other words, we must “manage scientific uncertainty; and management of uncertainty is a requirement of the principle of precaution”.37 Precaution aims „à privilégier l'hypothèse du pire, lorsqu'on peut redouter un dommage irréversible même à long terme“.38 However, this does not establish a shift from fault liability to strict liability; this means „to adapt liability for fault to contexts of uncertainty“.39 33
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B. Gert, Thinking about Huxley’s Brave New World: Was in Wrong to Create a Genetic Hierarchical Society? Is it Wrong to Prevent One?, in Ethics and Law in Biological Research, edited by C.M. Mazzoni, Kluwer Law International, The Hague-London-New York, 2002, 107. This is the full title of the European Convention on Biomedicine. F. D'Agostino, Etica della ricerca scientifica, in Bioetica nella prospettiva della filosofia del diritto, Torino, 1996, 56 f. L. Battaglia, Dimensioni della bioetica. La filosofia morale dinanzi alle sfide delle scienze della vita, Genova, 1999, 72, quoting Daniel Callahan. L. Baghestan-Perrey, Le principe de précaution: nouveau principe fondamental régissant les rapports entre le droit et la science, D., 1995, Chron., 299. Jacques Chirac, President of the French Republic, in the allocution with which he opened the 4th session of the UNESCO International Committee of Bioethics (CIB) (3 October 1996). G. J. Martin, Précaution et évolution du droit, D., 19954, Chron., 299.
The Problem of Reproductive Cloning
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Without any doubts this position poses a possible limit to scientific initiatives. As was put in the recent French Rapport au Premier Ministre: „in the hands of a legislator or a judge“ the principle of precaution „can be the best as well as the worst of solutions: the best when it succeeds in offering solutions really apt to ameliorate the safety of the people; the worst when it performs as a pillory that prevents any flexibility, discouraging any initiatives for innovation and progress“.40
3. The principle of the best interest of the child should correct, in its actual application, the unlimited freedom that, according to a libertarian conception, could legitimately reach licentiousness, giving freedom itself a „non-desirable reputation“;41 it could change, in other words, reproductive freedom from „freedom for“ into „freedom to“, thereby installing a social control of its exercise. We like to refer to the example of the English Human Fertilisation and Embryology Act 1990 according to which nothing is prohibited a priori, but everything is subject to selective scrutiny preventing health care providers from offering „a woman … treatment services unless account has been taken of the welfare of any child who may be born as a result of the treatment (including the need of that child for a father), and of any other child who may be affected by the birth“ [sec. 13 (5)]. The suggested use of the criterion of the best interest of the child would reduce the distance between „libertarian“ models and „prohibitionist“ ones. By doing so, both models would contain a preventive check of lawfulness that would be performed by the rule-makers in the latter and by the competent agents of a case by case approach in the former.
VII. Through all these concepts shines some sort of a super-principle that might be described as the „responsibility principle“. This is the still relevant lesson of Hans Jonas, who invokes „a new kind of humility – a humility that, unlike any previous one, is not due to the narrowness but to the excess of our capabilities, that is the prominence of our ability to act on our ability to forecast, to evaluate and to judge“.42w
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Ph. Kourilsky, G. Viney, Le principe de précaution. Rapport au Premier Ministre, Paris, 2000, 213 f. R. C. L. Moffat, op. cit., 603. H. Jonas, op. cit., 60 f.
Medical Misadventure
Petra Butler* Ein Beitrag für die Festschrift zu Ehren des achtzigsten Geburtstags von Herrn Professor Deutsch kann für mich nur von “medical misadventure” im neuseeländischen “accident compensation scheme” handeln. Professor Deutsch hat selber ein Interesse am neuseeländischen accident compensation scheme, insbesondere an der Behandlung des medical misadventure, und hat mehrere Beiträge zu diesem Thema veröffentlicht.1 Als Professor Deutsch mir die Behandlung des medical misadventure im neuseeländischen Recht als Doktorarbeitsthema vorschlug,2 setzte er eine Kette von Ereignissen in Bewegung, die mein Leben maßgeblich bestimmt haben. Das von ihm vorgeschlagene Thema brachte mich mit einem DAAD Stipendium nach Neuseeland, wo ich eine zweite Heimat gefunden habe. Der folgende Beitrag beschäftigt sich daher mit der Entwicklung des medical misadventure von den Anfängen des accident compensation schemes bis zum Jahr 2008.
I. Einführung Das accident compensation scheme (“Scheme”) trat in Neuseeland im Jahr 1974 in Kraft und sah ein staatliches Entschädigungssystem für personal injury by accident bei gleichzeitigem Ausschluss einer Klagemöglichkeit aus dem common law vor. Damit war zum ersten Mal in der Rechtsgeschichte ein umfassendes, öffentlich-rechtliches Entschädigungssystem für alle personal injury by accident in
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Dr jur. Petra Butler LLM(VUW), Senior Lecturer, Associate-Director New Zealand Centre for Public Law, Victoria University of Wellington. Mein herzlicher Dank gilt Nick Swallow, der maßgeblich an der Literaturrecherche beteiligt war. Z.B. Deutsch, Erwin, Kunstfehler und medizinischer Behandlungsunfall in Neuseeland, VersR 1980, 201. Butler, Petra, Medical Misadventure im neuseeländischen Accident Compensation Scheme (Lang, Frankfurt a.M., 1999).
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Kraft, das unabhängig von einem Verschulden Entschädigung gewährt.3 Dem Scheme lagen folgende Prinzipien und Ziele zu Grunde:4 a) Community responsibility: Für die Entschädigung von Unfallopfern besteht eine gemeinschaftliche Verantwortung, da jeder zum statistisch unvermeidlichen Zufallsopfer einer notwendigen oder aber sozial akzeptierten Tätigkeit werden kann. Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, Opfern von Personenschäden zu Hilfe zu kommen. Dahinter steht der Gedanke der “Sozialversicherung”, im Gegensatz zur Sozialhilfe. b) Comprehensive entitlement: Das empfohlene Entschädigungssystem behandelt alle personal injury by accident gleich, da eine Unterscheidung danach, ob sich der accident am Arbeitsplatz, auf der Strasse, im Haushalt oder auf dem Sportplatz ereignet, und ob es sich bei dem Opfer um einen Arbeitnehmer oder um einen Rentner handelt, nicht gerechtfertigt ist. c) Complete rehabilitation: Es besteht die Verpflichtung der Gemeinschaft und damit des Staates, Unfallopfer bestmöglich wieder in das Gemeinschaftsleben, einschließlich des Arbeitsprozesses, einzugliedern. d) Real compensation: Das Unfallopfer soll vollständigen Ersatz der aus der medizinischen Heilbehandlung entstehenden Kosten erhalten. Weiterhin sind die Mittel bereitzustellen, die notwendig sind, um die unfallbedingte Erwerbsunfähigkeit der unfallgeschädigten Person in materieller Hinsicht auszugleichen. Dauerhafte körperliche Behinderungen sollen finanziell ausgeglichen werden, ohne dass dabei die weitere Erwerbsfähigkeit anzurechnen ist. e) Administrative efficiency: Ein Vorzug des vorgeschlagenen Entschädigungssystems soll in einem effizienten Verwaltungsaufbau und Verwaltungshandeln bestehen. Über die nächsten Jahrzehnte hat das Scheme zum Teil dramatische Veränderungen erfahren, ist aber in seinem Kern erhalten geblieben. Ursache für die Gesetzesänderungen, die das Scheme in die unterschiedlichsten Richtungen zog, waren in der Regel Regierungswechsel und die damit verbundenen unterschiedlichen Ansichten, wie viel und in welcher Form der Staat Verantwortung für die Unfälle seiner Bürger tragen sollte.5 So wurde zum Beispiel im Jahre 1999 die Versiche3
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Siehe hinsichtlich einer umfassenden Darstellung der noch heute geltenden Grundzüge des schemes: Butler, Petra, Medical Misadventure im neuseeländischen Accident Compensation Scheme (Lang, Frankfurt aM, 1999) 43ff. Report of the Royal Commission of Inquiry into Compensation for Personal Injury in New Zealand (Woodhouse-Report) (Wellington, 1967) 39, 40. Siehe Oliphant, Ken, Beyond Misadventure: Compensation for Medical Injuries in New Zealand, Med Law Rev 2007, 357.
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rung von Arbeitsunfällen an Privatversicherer abgegeben. Mit einem Regierungswechsel wurde diese Regelung jedoch ein Jahr später wieder abgeschafft.6 Im Folgenden wird die Entwicklung des accident compensation scheme im Hinblick auf den medizinischen Kunstfehler und Behandlungsunfall, dem medical misadventure, dargestellt. Die letzte Gesetzesänderung im Jahre 2005 ist dabei von besonderem Interesse, da die neue Definition von medical misadventure das scheme hinsichtlich des medical misadventure wieder näher zur ursprünglichen Idee des Schemes, die Verantwortung der Gemeinschaft für einen medizinischen Unfall, der dem Einzelnen widerfährt, zurückführt.
II. Hintergrund Medical misadventure innerhalb des accident compensation scheme war von Anfang an ein viel diskutierter Anspruchsgrund. Die Abgrenzung des Begriffs Unfalls verursachte im Bereich von medical misadventure besondere Schwierigkeiten und führte zum Teil zu Aufsehen erregenden Entscheidungen.7 Auch wurden insbesondere medical misadventure Fälle für die Kostenexplosion des Scheme Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre verantwortlich gemacht. Dies führte 1992 zu einer detaillierten Regelung der Anspruchsvoraussetzungen für die Entschädigung von medical misadventure, die das Verschuldenserfordernis zum Kern der Anspruchsgewährung machte. Im Jahre 2005, in einer Zeit, in der Neuseeland sich in einem wirtschaftlichen Aufschwung befand, ersetzte die Labour Regierung die Anspruchsvoraussetzung des medical misadventure vom Jahre 1992 mit der Voraussetzung der “treatment injury”, die bewusst die Voraussetzung des Verschuldens vermeidet. In Teil 3 dieses Aufsatzes wird diskutiert, ob auch andere Probleme, die hinsichtlich der medical misadventure-Voraussetzung aufgetreten sind, durch die neue Voraussetzung vermieden werden.
1. Die Anfänge des Medical Misadventure 1974-1992 In der Definition der personal injury by accident waren medical, surgical, dental and first aid misadventure seit 1974 eingeschlossen. Der Begriff medical misadventure selbst war dem neuseeländischen Recht ursprünglich unbekannt8 und 6
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Siehe für eine umfassendere Diskussion: Todd, Stephen, Privatization of Accident Compensation: Policy and Politics in New Zealand (2000) 39 Washburn LJ 404. Die Gesetzesbezeichnung hat sich in den Jahren geändert. Der ursprüngliche Accident Compensation Act (1972) (ACA 1972) wurde im Jahre 1982 konsolidiert und als Accident Compensation Act 1982 (ACA 1982) bekannt. Nach der Gesetzesnovelle 1991 wurde das Gesetz in Accident Rehabilitation, Compensation and Insurance Act 1992 (ARCIA) unbenannt. Seit 2001 heißt das Gesetz nunmehr Injury Prevention Rehabilitation Compensation Act (IPRCA 2001). Der Begriff medical misadventure ist auf die englische Entscheidung Roe v Ministry of Health [1954] 2 All ER 131 (CA) zurückzuführen, wo er zur Abgrenzung von medical negligence zum ersten Mal gebraucht wurde. Der Begriff medical misadventure fand
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ersetzte innerhalb des Begriffs personal injury by accident den Begriff des “accident”.9 Geprägt ist die Rechtsprechung in den ersten 18 Jahren des accident compensation schemes hinsichtlich von medical misadventure von den Ablösungsund Abgrenzungsschwierigkeiten zum negligence-Tatbestand des common law und deren Kriterien wie standard of care and foreseeability. Unter dem accident compensation scheme bestanden von Anfang an keine Zweifel, dass der Begriff des medical misadventure Fälle von vorsätzlichem Handeln10 und medical negligence umfasste, soweit es sich beim letzteren um ein positives Tun handelte.11 Größere Schwierigkeiten bereitete die Abgrenzung des medical misadventure vom “disease“, da diseases von Leistungen gemäß des Accident Compensation Act 1982 (ACA 1982) ausgeschlossen waren.12 Die Schwierigkeit bestand im Besonderen in Fällen, in denen nicht ein positives Tun, sondern ein Unterlassen zu einer personal injury geführt hatte. In diesen Fällen ließ sich argumentieren, dass der Patient an der zu Grunde liegenden Krankheit und nicht an der unterlassenen Behandlung gestorben war.13 So war der Anspruch einer Witwe auf Leistungen nach dem Accident Compensation Act 1972 (ACA 1972) verneint worden, deren Ehemann an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben war, weil rechtzeitige ärztliche Hilfe nicht erfolgte.14 Der Definitionsansatz, den die ACC Appeal Authority ihrer Entscheidung zu Grunde legte, lehnte sich stark an die common law Konzepte von standard of care und foreseeability an.15 In vielen Fällen wurden diese common law Konzepte entscheidungserheblich,16 was dem erklärten Ziel des accident compensation scheme nach einer verschuldensunabhängigen Haftung zuwiderlief. Erst 1984 wurde erstmals ein Anspruch auf Leistungen anerkannt, dessen Entstehungsgrund einem medizinischen Unterlassen zuzuschreiben war.17 Diese High Court Entscheidung nahm zudem Abstand von den common law Konzepten standard of care und foreseeability, was zu einer deutlichen Ausweitung des medical misadventure Begriffs und damit der An-
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sich auch im Australian National Compensation Bill 1974, der jedoch niemals Gesetz wurde. Siehe hierzu Palmer, Geoffrey, Accident Compensation in New Zealand: The First Two Years in: Palmer, Geoffrey (Hrsg) The Welfare State Today (Wellington, 1977) 165, 203. Blair, AP, Accident Compensation in New Zealand (2.Aufl, Wellington, 1983) 76. G v Auckland Hospital Board [1976] 1 NZLR 638. Vennell, Margaret, Medical Negligence and the Effect of the New Zealand Accident Compensation Scheme, ZVglWiss 1981, 228, 230. ACA 1982, s 2(b)(ii). Re Collier (1976) 1 NZAR 130, 133. Re E [1978] ACC Reports- Juli 44, 46. Re E [1978] ACC Reports- Juli 44 basiert auf der Entscheidung von Blair J in Re Collier (1976) 1 NZAR 130 und entwickelte den Begriff des medical misadventure dahingehend, das er positives Tun umfasse, das auf einen medical error or medical mishap zurückzuführen sei. Diese Entscheidungen wurden vom High Court in ACC v Auckland Hospital Board [1980] 2 NZLR 748 bestätigt. Siehe zu einer ausführlichen Diskussion: Butler, Petra, Medical Misadventure im neuseeländischen Accident Compensation Scheme (Lang, Frankfurt aM, 1999) 84 ff. Collins, David, Medical Law in New Zealand (Wellington, 1992) 148. Re Carroll (1984) 4 NZAR 335, 338, 339 (HC).
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spruchsberechtigung führte. In einer weiteren High Court Entscheidung wurde der Anwendungsbereich weiter ausgedehnt, indem die Voraussetzung eines sich unerwartet verwirklichenden Risikos nicht mehr an das Erfordernis der Seltenheit geknüpft wurde.18 Vor dem Inkrafttreten des Accident Rehabilitation, Compensation and Insurance Act 1992 (ARCIA) umfasste medical misadventure daher weit mehr als medical negligence. Patienten, die nach allen Regeln der ärztlichen Kunst behandelt worden waren, aber dennoch im Rahmen der Behandlung geschädigt wurden, erfüllten die Voraussetzungen für medical misadventure und erhielten Leistungen aus dem accident compensation scheme. Wie bereits angedeutet, haben Fälle des medical misadventure die Gerichte und Literatur im Verhältnis zu ihrer Häufigkeit und der ausgezahlten Entschädigungsleistungen übergebührend beschäftigt. Somit war im Vergleich zum tort law nur wenig gewonnen, zumal lange die Konzepte des tort law im Hintergrund immer eine Rolle spielten.
2. Die Definition von Medical Misadventure 1992-2005 Die 1990 gewählte konservative Regierung fand, dass die Entwicklung der medical misadventure Rechtsprechung in die insgesamt in der Rechtsprechung vorzuliegende großzügige Betrachtungsweise und Ausdehnung der Anspruchsberechtigung von personal injury by accident passte.19 Seit Mitte der 80ziger Jahre hatte das accident compensation scheme einen dramatischen Kostenanstieg erfahren; die immer großzügigere Auslegung der Anspruchsvoraussetzungen war als eine der Ursachen identifiziert worden.20 In einem Strategiepapier, das der Minister für ACC ein Jahr nach Amtsantritt veröffentlichte, führte er aus: 21 the boundaries of the scheme have been extended over the years to cover situations which most people would have difficulty in reconciling with the common view of what an accident is.
Der Minister war besonders besorgt über die fehlende gesetzliche Definition von medical misadventure. Einen Begriff, den der Minister als besonders offen für
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Viggars v ACC (1986) 6 NZAR 235 (HC). Zum Beispiel, die Entscheidungen des Court of Appeal in ACC v E [1992] 2 NZLR 426 (psychiatrischer Break down nach einem 4 Tage währenden Management Kurs) und ACC v Mitchell [1992] 2 NZLR 436 (plötzlicher Kindstod). Wie Oliphant jedoch bemerkt, ist nicht der Anstieg von Ansprüchen die Hauptursache der erheblichen Finanzkrise des schemes, sondern dessen fehlende finanzielle Absicherung, Oliphant Ken, Beyond Misadventure: Compensation for Medical Injuries in New Zealand, Med Law Rev 2007, 357, 359. Birch, WF, Accident Compensation: A Fairer Scheme (Office of the Minister of Labour, Wellington, 1991) 31. Es sollte beachtet werden, dass das Strategiepapier wurde ein Jahr vor den Court of Appeal Entscheidungen veröffentlicht.
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eine Vielzahl unterschiedlicher Interpretationsmöglichkeiten hielt.22 Die konservative Regierung entschied das accident compensation scheme zu überarbeiten und vor allem “den Wildwuchs zu beschneiden”, um der Finanzkrise Herr zu werden. Das Kernstück der Reform war, den Zentralbegriff der “personal injury by accident” durch eine Vielzahl von Einzeldefinitionen zu ersetzen. Hinsichtlich von medical misadventure bedeutete dies eine detaillierte Definition von medical misadventure (der Paragraph umfasst zehn Absätze) und die Einrichtung einer speziellen zentralen Medical Misadventure Unit (MMU), die nur für die Abwicklung der medical misadventure Fälle zuständig war. Auch wurde ein Beratungsgremium von Sachverständigungen eingerichtet, das der Corporation bei der Entscheidungsfindung zur Seite stehen sollte. Nach s 5(1) ARCIA hatte ein Patient einen Anspruch auf Entschädigung nach dem accident compensation scheme auf Grund von medical misadventure, wenn der Patient entweder einen medical error oder einen medical mishap erlitten hatte. Diese wurden wie folgt definiert:
means the failure of a registered health professional to observe a standard of care and skill reasonably expected in the circumstances. It is not medical error solely because desired results are not achieved or because subsequent events show that different decisions might have produced better results. Medical mishap means an adverse consequence of treatment by a registered health professional, properly given, if (a) the likelihood of the adverse consequence of the treatment occurring is rare; and (b) the adverse consequence of the treatment is severe.
Die Umschreibung “standard of care and skill reasonably to be expected in the circumstances” in der medical error Definition ist nichts anderes als die Bezugnahme auf die Voraussetzungen der negligence Klage. War das Verhalten eines Dienstleistenden im medizinischen Bereich demzufolge als “negligent” zu bezeichnen, war ein Anspruch auf Entschädigungsleistungen nach dem ARCIA stets gegeben, sofern es eine personal injury zur Folge hatte. Die Definition traf keine Unterscheidung zwischen Handeln und Unterlassen (“in the circumstances”). Medical mishap umfasste alle Fälle, in denen das Verhalten eines registered health professional, das nicht fahrlässig war, zu einer personal injury führte, wie zum Beispiel die (unterlassene) Einholung des informed consent, die unterlassene Datenerfassung und Diagnose, sowie der unterlassene allgemeine Rat.23 Die Worte “properly given” machten jedoch deutlich, dass nur die eigentliche Behandlung umfasst wurde und Unterlassensfälle ausgeschlossen waren. Das bedeutete, dass das Unterlassen einer Behandlung oder eine Fehldiagnose nur dann zu Entschädigungsleistungen gemäß dem ARCIA berechtigten, wenn dies fahrlässig verursacht
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Birch, WF, Accident Compensation: A Fairer Scheme (Office of the Minister of Labour, Wellington, 1991) 31. Vergleiche: New Zealand Law Society Seminar, Accident Compensation-The New Legislation (Auckland 1992) 28.
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wurden, da ein Unterlassen nicht unter medical mishap subsumiert werden konnte.24 Gemäß s 5(2) ARCIA durfte die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer ungünstigen Folge nicht größer als 1% sein. Dies bedeutete, dass eine höhere Wahrscheinlichkeit zum Ausschluss von Entschädigungsleistungen führte. Der 1% Schwelle lag kein rationales Motiv zugrunde, was sich anhand der Gesetzgebungsgeschichte ablesen lässt. War in einem ursprünglichen Vorentwurf noch von einer Wahrscheinlichkeit in Höhe von 0,05% die Rede, so fand sich im Accident Rehabilitation and Compensation Insurance Bill die Bezugnahme auf 0,1%, aus der schließlich in der endgültigen Fassung des Gesetzes die Wahrscheinlichkeit von 1% wurde.25 Zusammenfassend war die erste gesetzliche Regelung von medical misadventure ein Rückfall auf die Definition von 1978 in Re E. 26 Negligence spielte damit wieder die Hauptrolle bei der Bestimmung, ob die Voraussetzungen für medical misadventure gemäß dem ARCIA 1992 erfüllt waren. Dadurch, dass nonnegligent verursachte Fehldiagnosen oder unterlassene Behandlungen nicht mehr in den Schutzbereich des accident compensation schemes fielen, war ein Grossteil der medizinischen Versehen nicht mehr durch Entschädigungsleistungen gedeckt. Da die Schwere der injury nur bei einem kleinen Teil der non-negligent Fälle beweisbar war, wurde der Schutzbereich des ARCIA noch weiter eingeengt. Das bedeutete, dass im Falle von medical misadventure das Gesetz nur einen Ersatz für das tort law darstellte. Fälle, in denen negligence nicht nachgewiesen werden konnten, genügten nur noch in geringer Zahl den Voraussetzungen für medical misadventure. Die Gesetzesnovelle von 1992 hatte sich damit, zumindest hinsichtlich von medical misadventure, von der eigentlichen Idee des accident compensation schemes, ein verschuldensunabhängiges Entschädigungssystem zu schaffen und Unfälle jeder Art als Gemeinschaftsverantwortung zu sehen, weit entfernt. Eine statistische Untersuchung belegt, dass unter dem ARCIA tatsächlich die Mehrheit der Anträge auf Leistungen nach dem accident compensation scheme auf Grund von medical misadventure- von der Accident Compensation Corporation abgelehnt wurden. Die Ablehnungsrate nahm sogar zu: wurden in der Mitte der 90ziger Jahre 54% der Anträge abgelehnt, waren es im Geschäftsjahr 2004-2005 über 70%.27 Von den angenommenen Anträgen wurden 86% als medical mishap klassifiziert und nur 14% als medical error.28 Wenn diese Zahlen im Verhältnis zu 24
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Siehe ausführlich: Butler, Petra, Medical Misadventure im neuseeländischen Accident Compensation Scheme (Lang, Frankfurt aM, 1999) 105ff. Siehe hinsichtlich des Inhalts der weiteren Absätze des s 5 ARCIA und ihre Auswirkung auf den Anspruch aus medical misadventure: Butler, Petra, Medical Misadventure im neuseeländischen Accident Compensation Scheme (Lang, Frankfurt aM, 1999) 108115, 119ff. Re E [1978] ACC Reports- Juli 44, 46, 47. Accident Compensation Corporation, ACC Injury Statistics 2006 http://www.acc.co.nz (last accessed 30.08.2008). Accident Compensation Corporation, ACC Injury Statistics 2006 http://www.acc.co.nz (last accessed 30.08.2008). Helen Cull in Review of Processes Concerning Adverse Medical Events (Ministry of Health, Wellington, 2001) 67, 68 nimmt, hinsichtlich früherer Statistiken an, die aehnliche Zahlen auswiesen, dass ein Teil der medical mishaps
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Petra Butler
den allgemeinen personal injury by accident Anträgen gesetzt werden, machten medical misadventure Anträge nur einen geringfügigen Teil der Anträge aus. Oliphant kalkuliert, dass medical misadventure Anträge lediglich einen Anteil von 0,14% aller Anträge und nur einen Anteil von 0,05% aller akzeptierten Anträge stellten. Die Accident Compensation Corporation lehnte proportional mehr medical misadventure Anträge ab, als in allen anderen Antragsgruppen.29 Obwohl jedoch die Anzahl der akzeptierten medical misadventure Anträge relative gering war, waren die Kosten, die sie verursachten, überproportional hoch. Die durchschnittlichen Kosten für einen medical misadventure Antrag waren viermal so hoch wie für einen anderen durchschnittlichen personal injury by accident Antrag.30 Da medical misadventure Statistiken vor 1992 fehlen, kann der genaue Effekt der 1992-Reformen auf medical misadventure Anträge nicht belegt werden. Jedoch lässt ein Blick auf die Statistik der abgelehnten Anträge der Jahre 1992-2001 annehmen, dass die neue medical misadventure Definition für den Rückgang der Annahme von medical misadventure Anträgen verantwortlich war.31
3. Die Gesetzesänderung von 2005 Die gesetzliche Definition von medical misadventure in s 5 ARCIA führte nicht dazu, dass der medical misadventure weniger Aufmerksamkeit erhielt.32 Im Jahre 2002 setzte der Minister für ACC eine inter-ministerielle Kommission ein, die s 5 ARCIA einer Prüfung unterziehen sollte. Die Kommission fand, dass die Kriterien des medical mishap unklar und willkürlich waren. Anträge von Patienten mit erheblichen Verletzungen, die durch eine medizinische Behandlung verursacht worden waren, waren abgelehnt worden, da die Verletzung nicht selten genug war und andere wiederum, weil zwar die Verletzung selten aber nicht schwer genug war. Besorgnis erregte auch das Verfahren, wie die Accident Compensation Corporation entschied, ob es sich um einen medical misadventure handelte. Zudem war medical error, der einzige Tatbestand im ganzen accident compensation scheme, der ein Verschulden des Verursachers voraussetzte. Dies hatte die negative Auswirkung, dass sich eine “blaming culture” entwickelte, die auch noch dadurch verstärkt wurde, dass die Corporation seit der Gesetzesnovelle von 1992 dazu verpflichtet war, alle Fälle von medical error an die Ärztekammer zu melden. Das
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in Wirklichkeit Fälle von medical error waren. 64% der akzeptierten Anträge waren Anträge von Frauen zwischen 25 und 54 Jahren und betrafen Verletzungen der Reproduktionsorgane (Accident Compensation Corporation, ACC Injury Statistics 2006 http://www.acc.co.nz (last accessed 30.08.2008) Oliphant Ken, Beyond Misadventure: Compensation for Medical Injuries in New Zealand, Med Law Rev 2007, 357, 361. Oliphant Ken, Beyond Misadventure: Compensation for Medical Injuries in New Zealand, Med Law Rev 2007, 357, 362. Oliphant Ken, Beyond Misadventure: Compensation for Medical Injuries in New Zealand, Med Law Rev 2007, 357, 363. Siehe zum Beispiel, Ferguson, Judith, Medical Misadventure under Accident Compensation: Diagnosis and Treatment of a Problem?, 2003 NZ Law Rev 485.
Medical Misadventure
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Ziel des accident compensation schemes von Aufklärung und Erziehung wurde daher gerade im wichtigen Bereich der medizinischen Behandlung nicht erreicht, sondern im Gegenteil ihm wurde entgegengewirkt. 33 Die Kommission fand, dass dadurch die Sicherheit der Patienten gefährdet wurde, da eine Verbesserung der medizinischen Behandlung oft nicht erfolgte. Zudem verzögerte sich die Bearbeitung der medical error Anträge im Verhältnis zu anderen Anträgen auf Grund des fehlenden Willens der Mitarbeit auf Seiten des behandelnden Arztes und des Krankenhauses. Dies wiederum führte dazu, dass Patienten die Leistungen des accident compensation schemes erst verspätet in Anspruch nehmen konnten und oft wertvolle Zeit hinsichtlich von Rehabilitationsmaßnahmen verloren ging. Zudem hatte die Öffentlichkeit unrealistische Erwartungen an die Corporation als Aufsichtsbehörde, welche Ärzte und Krankenhäuser zur Verantwortung ziehen konnte. Im Jahre 2003 veröffentlichte das Ministerium ein Konsultationspapier, in dem drei verschiedene Möglichkeiten für die Reform des medical misadventure vorgestellt wurden: (a) Section 5 ARCIA zu belassen und nur die Definitionen für medical error und medical mishap zu korrigieren, um die erfassten Probleme zu eliminieren. (b) Section 5 ARCIA mit einem Anspruch auf die Entschädigung für “preventable and/or unendurable injuries” zu ersetzen. (c) Section 5 ARCIA mit einem Anspruch auf die Entschädigung für “unintended injury in the treatment process” zu ersetzen.
Die meiste Zustimmung erhielt Vorschlag c. Der größte Vorteil dieses neuen Definitionsansatzes war (der bald als Entschädigung für “treatment injury” bekannt wurde), dass das Verschulden des behandelnden Arztes oder ein Systemverschulden des Krankenhauses überhaupt keine Rolle spielten, um Entschädigungsleistungen für einen medizinischen Behandlungsunfall zu erhalten. Damit würde eine Rückkehr zu den Woodhouse- Prinzipien erfolgen.34 Die Entschädigung würde für den Patienten schneller und unkomplizierter. Auf der anderen Seite würde die Kategorie der “treatment injury” nichts über die Ursache der Verletzung aussagen, was Verbesserungen im Gesundheitssektor behindern würde. Seit dem 1. Juli 2005 erhält der Patient Entschädigung nach dem accident compensation scheme, wenn35
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Accident Compensation Corporation/Department of Labour, Review of ACC Medical Misadventure: Consultation Document (Wellington, 2003) 11. Oliphant Ken, Beyond Misadventure: Compensation for Medical Injuries in New Zealand, Med Law Rev 2007, 357, 367. Section 32(1) IPRCA.
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Petra Butler Treatment injury means personal injury that is (a) suffered by a person seeking treatment from 1 or more registered health professionals; or receiving treatment from, or at the direction of, 1 or more registered health professionals; or referred to in subsection (7)36; and (b) caused by treatment; and (c) not a necessary part, or ordinary consequence, of the treatment, taking into account all the circumstances of the treatment, including- the person’s underlying health condition at the time of the treatment the clinical knowledge at the time of the treatment.
Das Gesetz gibt eine Beispielsliste, was “treatment” beinhaltet: die Diagnose, die Entscheidung, welche Behandlung erfolgen soll, das Unterlassen einer Behandlung, das Geräteversagen und die Informationen, die für die Einwilligung zur Behandlung nötig sind.37 Sich der weiten Anwendung und der früheren Unsicherheiten der Abgrenzung des medical misadventure und Ausdehnung der Anspruchsvoraussetzungen bewusst, hat der Gesetzgeber in s 32(2) IPRCA ausdrücklich geregelt, wann keine treatment injury vorliegt: Treatment injury does not include the following kinds of personal injury: (a) personal injury that is wholly or substantially caused by a person’s underlying health condition; (b) personal injury that is solely attributed to a resource allocation decision; (c) personal injury that is a result of a person unreasonably withholding or delaying their consent to undergo treatment.
Die erste Ausnahme ist die wichtigste, denn sie verleiht dem Grundsatz der neuen Regelung Gewicht: das Kernstück ist die Behandlung und nicht das Befinden des Patienten zur Zeit der Behandlung.38 Jedoch schließt nicht jede “Beteiligung” des Befindens des Patienten zur Zeit der Behandlung einen Anspruch aus. Die Verletzung muss “wholly or substantially” durch das Befinden des Patienten verursacht worden sein. Damit erkennt der Gesetzgeber an, dass oft eine Kombination von Behandlung und Befinden zu einer Verletzung führt. Die zweite Ausnahme ist eine Vergesetzlichung der Rechtsprechung zum neuseeländischen Bill of Rights Act 1990. Im Fall Shortland v Northland Health Limited hatte der Court of Appeal entschieden, dass eine Warteliste und Entscheidungen basierend auf eingeschränkten Ressourcen mit dem Bill of Rights Act 1990 vereinbar seien.39 Daraus lässt sich ableiten, dass die gerechtfertigte Ressourceentscheidung nicht zu einem Anspruch auf Entschädigung führen muss. 36
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Absatz 7:”where a person suffers an infection that is a treatment injury, cover for that injury extends to third parties to whom he or she passes the infection.” Section 32(3) IPRCA. Siehe auch Ruth Dyson, Medical Misadventure Review-Conclusions and Recommendations, Cabinet Social Development Committee (Office of the Minister fro ACC, Wellington, 2004) para 33. In dem Fall ging es um die Ablehnung des Patienten für das Dialyseprogramm. Auf Grund der nur eingeschränkt zur Verfügung stehenden Dialysemöglichkeiten (Geräte und Personal) hatte das zuständige Krankenhaus Kriterien erarbeitet, welche Patienten Anspruch auf Dialyse hatten. Mr Williams erfüllte die Kriterien nicht. Er klagte, da durch die Entscheidung des Krankenhauses sein Recht auf Leben verletzt sei. [1998] 1 NZLR 433 (CA).
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Gerade in einem Land, das der Fläche Westdeutschlands entspricht aber nur vier Millionen Einwohner hat, sind Ressourcenentscheidungen notwendig und an der Tagesordnung. Würde eine Ressourceentscheidung zu einem Anspruch unter dem accident compensation scheme führen, würden Kosten verursacht, die wiederum unnötige Ressourcen verbrauchen und Ressourceentscheidungen unsinnig machen würden. Die Kontrolle von Ressourceentscheidungen erfolgt über den Verwaltungsrechtsweg, wo die Möglichkeit der Abwägung der verschiedenen Rechtspositionen erfolgen kann. Die dritte Ausnahme ist etwas überraschend, da Verschulden weder auf Verursacher- noch auf Verletztenseite eine Rolle spielen sollte. 40 Es ist anzunehmen, dass diese erst sehr spät in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Ausnahme auf Einzelfällen beruht, die der Corporation als Problem aufgefallen sind. Inwieweit die neueste Regelung des Kunstfehlers und des medizinischen Behandlungsunfalls erfolgreich war, wird im Folgenden Teil untersucht.
III. Ausblick 1. Gesetzesanwendung Trotz der umfangreichen Regelung und des Ausnahmekatalogs bleiben Unsicherheiten hinsichtlich der Anspruchsberechtigung. Section 31(1)(c) IPRCA schließt einen Anspruch aus, wenn die Verletzung ein notwendiger Teil oder eine zu erwartende Konsequenz der Behandlung ist (“necessary part, or ordinary consequence, of the treatment”). Da “ordinary” “necessary” mit einschließt, stellt sich die Frage, wo auf dem Spektrum der Wahrscheinlichkeit “ordinary” liegt. Wird dieser Ausschluss zu einer erneuten Prozentdebatte führen? Oder werden die Gerichte am Ende auf die im alten s 5 ARCIA 1% für medical mishap zurückgreifen? Oder werden die Gerichte neue Kriterien erarbeiten? Dies bleibt abzuwarten. Es wäre allerdings zu wünschen, dass im Rahmen der Woodhouse-Prinzipien ein Anspruchsausschluss nur dann erfolgt, wenn die Verletzung eine wirkliche “Gang und Gäbe”-Konsequenz der Behandlung ist, um möglichst vielen Patienten einen Anspruch zu gewähren. Wie bereits angedeutet, ist die Ausnahme in s 32(2)(a) IPRCA, die einen Anspruch ausschließt, wenn die Verletzung “wholly or substantially” durch den bereits vorhandenen Gesundheitszustand des Patienten verursacht wird, eine weitere problematische Regelung. Die qualifizierenden Adjektive “wholly or substantially” waren erst spät im Gesetzgebungsprozess hinzugefügt worden, um den Anwendungsbereich der Ausnahme einzuschränken. Jedoch ist deren Bedeutung unklar. Eine mögliche Interpretation ist, dass die Ausnahme immer dann Anwendung findet, wenn der zugrunde liegende Gesundheitszustand die Hauptursache 40
Mitverschulden schmälert die Anspruchsberechtigung nach dem IPRCA nur unter sehr engen Voraussetzungen, nämlich im Falle eines Selbstmordversuches und bei Vorliegen eines Mord verursacht von demjenigen, der die finanzielle Fürsorge trägt (ss 119, 120 IPRCA 2001).
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für die Verletzung war. Jedoch würde diese enge Auslegung dazu führen, dass viele Fälle, die früher von medical misadventure gedeckt waren und die offensichtlich, von der politischen Debatte und der Debatte im Parlament aus zu urteilen, in den Schutzbereich des schemes fallen sollten, nicht mehr unter das accident compensation scheme fallen würden. So würden zum Beispiel Fälle von seltenen Nebenwirkungen zur Behandlung von der Ausnahme gedeckt sein und nicht mehr unter das scheme fallen. Eine andere Möglichkeit der Auslegung ist problematisch, aber wird dem Geist des schemes gerechter. “Substantially” sollte so ausgelegt werden, dass eine Untersuchung hinsichtlich des Einfluss des bestehenden Gesundheitszustands auf die Verletzung im Verhältnis zum Einfluss der Behandlung auf die Verletzung erfolgen muss. Solche Untersuchungen sind dem common law nicht unbekannt und werden im Hinblick auf Mitverschulden und dem anteiligen Verschulden bei mehreren Verursachern bereits durchgeführt.41 Es würde bedeuten, dass eine Patientin mit einer Herzkrankheit, die einen Herzinfarkt auf Grund einer Behandlung erleidet, die normalerweise nicht ein Herzinfarktrisiko beinhaltet, vom accident compensation scheme ausgeschlossen wäre, da der Herzinfarkt eine “normalere” Folge ihre Herzkrankheit ist. Obwohl diese Auslegung der ersteren vorzuziehen ist, wird auch diese Auslegung den ursprünglichen Zielen des Woodhouse Report nicht gerecht, der eine Entschädigung für unverschuldete Unfälle vorsah. Für den Patienten ist es auch der Fall, in dem sich ein Risiko eines bestehenden Gesundheitszustands während einer Behandlung verwirklicht, als Unfall anzusehen. Auch ist es wahrscheinlich, dass die Ausnahme zu einem Teil eine Verschuldensuntersuchung nötig machen wird. Hat der Patient eine seltene Krankheit, die nicht diagnostiziert wird, und sollte sich sein Gesundheitszustand verschlechtern, dann wird der Sachverhalt unter die Ausnahme fallen. Beruht die Nicht-Diagnose der seltenen Krankheit allerdings auf Fahrlässigkeit und wäre eine Verletzung bei einer Behandlung auf Grund richtiger Diagnose nicht eingetreten, dann wäre die Verletzung auf die (Nicht)Behandlung zurückzuführen und ein Anspruch unter dem accident compensation scheme würde besteht. Es ist zu befürchten, dass hinsichtlich des Unterlassens einer medizinischen Behandlung das Scheme wieder auf den Stand der Entscheidung von 1978 in Re E zurückfällt, die ein Unterlassen als anspruchsbegründendes Handeln nicht anerkannte.42 Seit den Anfängen des accident compensation schemes musste ein Ursachenzusammenhang zwischen der personal injury und dem accident bestehen und auch s 32(1) IPRCA macht deutlich, dass die Behandlung kausal für die Verletzung des Patienten sein muss. Da weder der ACA 1982 noch spätere Gesetzesnovellen spezifizierten, wie Kausalität im Zusammenhang mit dem non-fault accident compensation scheme zu verstehen sei, musste grundsätzlich erst einmal auf das common law zurückgegriffen werden. Jedoch spielen Verschuldensüberlegungen in der Kausalität bei negligence durchaus eine Rolle, was dem Sinn des schemes zuwiderläuft. Daher wurde auf den Test zur Feststellung des “remoteness of damage” zurückgegriffen:43
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Siehe Hart, HLA & Honore, T, Causation in the Law (2.Aufl, Oxford, 1985) 233. Re E [1978] ACC Reports- Juli 44, 46. Blair AP, Accident Compensation in New Zealand (2.Aufl, Wellington 1983) 40.
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if it an intervention in the course of affairs which is sufficient to produce the harm without co-operation of the voluntary action of others or abnormal conjunctions of events
Schon früh ist aber entschieden worden, dass, sollte eine personal injury auch ohne den in Frage stehenden accident eingetreten sein – da eine Reserveursache bestand, die zum gleichen Ergebnis geführt hätte- ein Anspruch fraglich gewesen wäre. Erfüllte die Reserveursache nicht die Voraussetzungen eines accident, sondern war ein fortschreitender Prozess, wie zum Beispiel, eine Krankheit, wurde ein Entschädigungsanspruch abgelehnt, da Krankheiten aus dem Schutzbereich des schemes ausgenommen waren und sind.44 Dies stützt die Auslegung der Ausnahme in s 32(2)(a) IPRAC. Es wäre jedoch wünschenswert gewesen, eine klare Regelung hinsichtlich der Kausalität zu treffen.
2. Treatment Injury in der Praxis Bereits 2006, nach nur einem Jahr seit Inkrafttreten des s 32 IPRAC, erklärte die Corporation die Änderung als einen Erfolg. Die Bearbeitungszeit von Anträgen im Bereich des medizinischen Behandlungsunfalls hatte sich von fünf Monaten auf 36 Tage reduziert und das, obwohl die Anzahl der Anträge im Bereich des Behandlungsunfalls stark angestiegen waren.45 Auch die Ablehnungsrate sank erheblich von 71,3% auf 36,5%. Jedoch stiegen die Kosten für medical misadventure/treatment injury um 16,2% im ersten Jahr. Dies war ein geringerer Anstieg als in den zwei vorherigen Jahren.46 Im Vergleich zu den Kosten anderer Unfälle sind die Kosten für medical misadventure/treatment injury sehr hoch. Im Jahr 20052006 waren die Kosten für einen medical misadventure/treatment injury Anspruch dreizehn Mal so hoch wie für einen durchschnittlichen Anspruch. Aber noch im Jahr zuvor waren die Kosten für den einzelnen Anspruch 40mal so hoch gewesen.47 Aus den Statistiken lässt sich ersehen, dass die neue Anspruchsgrundlage der treatment injury zu einem erweiterten Schutzbereich des accident compensation schemes geführt hat. Damit werden hinsichtlich des medizinischen Behandlungsfehlers und Unfalls die Ziele des Woodhouse Reports besser umgesetzt als es in den letzten 13 Jahren zuvor. Anders als dies seit der Gesetzesnovelle von 1992 der Fall war, steht seit 44
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Siehe schon s 2 personal injury (b)(ii) ACA 1982; Re Allport 1 (1977) NZAR 340; Re Dawson (1979) 2 NZAR 31; Giesen, Dieter, International Medical Malpractice (Tübingen 1988) para 1107. ACC News: A Newsletter for Health Care Professionals, issue 93 (August 2006); am 1. Juni 2007 ACC gab an, dass die durchschnittliche Bearbeitungszeit von fünf Monaten auf nur 13 Tage zurückgeging (Oliphant Ken, Beyond Misadventure: Compensation for Medical Injuries in New Zealand, Med Law Rev 2007, 357 fn138). ACC Injury Statistics 2006: 893 medical misadventure/treatment injury Anträge in 2004-2005 zu 2445 in 2005-2006 (das erste Jahr nach Inkrafttreten des s 32 IPRCA). ACC Annual Reports 2004 & 2005 (Wellington 2004, 2005). Im Jahr 2003-2004 waren die Kosten um 24,1% gestiegen und im Jahr 2004-2005 um 25,1%. ACC Annual Report 2006 (Wellington 2006) II.B.2.
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2005 nicht mehr der Einzelne, der die Verletzung “verschuldet” hat, im Vordergrund sondern das System, in dem die Verletzung passiert ist. Statistiken können genutzt werden, um sich auf Fortbildung und Aufklärung zu konzentrieren.48 Die befürchtete Kostenexplosion ist nicht erfolgt. Das ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass sich die meisten Entschädigungsleistungen auf zusätzliche Behandlungen beschränken.
IV. Zusammenfassung Es ist zu begrüßen, dass die Reform 2005 die Begriffe medical error und medical mishap aus dem accident compensation scheme entfernt hat. Der bewusste Versuch, die ursprünglichen Ziele und Prinzipien des Woodhouse Reports umzusetzen, ist anerkennenswert und auch durchaus gelungen. Der neuseeländische Staat hat damit zum Ausdruck gebracht, dass Kunstfehler und medizinische Behandlungsunfälle von der Gemeinschaft getragen werden sollen und nicht ein isoliertes Problem des Einzelnen sind. Die Reform hat die drei Hauptkritikpunkte 49 am medical misadventure Begriff des ARCIA eingeschränkt: (1) lange Dauer der Antragsbearbeitung und hohe compliance Kosten, da die Vertreter der medizinischen Heilberufe eine Mitarbeit an der Aufklärung eher verweigern als aktiv mitzuhelfen. (2) das Fehlen von guten Aufklärungsprogrammen auf Grund fehlender Mitarbeit der Vertreter der medizinischen Heilberufe. (3) unbegründete Klagen, da das accident compensation System auch als Diziplinärorganisation gesehen wurde
Die Abkehr vom Verschuldensbegriff, hinter dem die Idee steht, dass die Ärztin oder der Krankenpfleger nun offen seine Fehler mitteilt, ist damit theoretisch wünschenswert. Jedoch ist es praktisch fragwürdig, ob die Abwendung von der Verschuldensuntersuchung wirklich zu dem gewünschten Erfolg führen wird,50 da immer noch die Möglichkeit eines disziplinarrechtlichen Verfahrens und die Möglichkeit einer Untersuchung unter dem Health and Disability Commissioner’s Act 1994 besteht. Es ist daher weiterhin im Interesse des behandelnden Arztes oder Krankenhauses, ein Verschulden geheim zu halten. Wie genau ein Vertreter der medizinischen Heilberufe oder ein Krankenhaus zur Verantwortung gezogen werden kann, ohne die Verschuldensfrage zu klären, ist offen. Der Vorschlag bei
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Siehe jedoch Howell, B, Medical Misadventure and Accident Compensation in New Zealand: An Incentives-Based Analysis, (2004) 35 VUWLR 857 hinsichtlich der Notwendigkeit Verschulden in einer Form beizubehalten. Easton, Brian, Ending Fault in Accident Compensation: Issues and Lessons from Medical Misadventure (2004) 35 VUWLR 821, 823. Howell, B, Medical Misadventure and Accident Compensation in New Zealand: An Incentive-Based Analysis, (2004) 35 VUWLR 857.
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augenscheinlichen Missständen, eine öffentliche Untersuchung durchzuführen,51 ist keine Lösung. Zum einen sind auch „alltäglichere“ Verletzungen, die auf Verschulden des Arztes oder Krankenhauses beruhen, wichtig genug, um untersucht zu werden, und zum anderen sind öffentliche Untersuchungen teuer und langwierig und werden in der Regel nur bei “Skandalen” durchgeführt.52 Die Bewegung der Corporation hin zur Aufklärung und Weiterbildung ist jedoch ein wichtiger Schritt, die Qualität der medizinischen Versorgung in Neuseeland zu verbessern. Bedauernswert ist es, dass die Reform nicht dazu genutzt wurde, den Begriff der Kausalität zu definieren und das Unterlassen als eine Form des Handelns vollständig anzuerkennen.
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Siehe aber: Easton, Brian, Ending Fault in Accident Compensation: Issues and Lessons from Medical Misadventure (2004) 35 VUWLR 821, 825. Zum Beispiel, Untersuchung der Versuche ohne Einwilligung an Frauen im National Women’s Hospital und die Untersuchung durch einen inkompetenten Pathologen: Ferguson, Judith, Medical Misadventure under Accident Compensation: Diagnosis and Treatment of a Problem?, 2003 NZ Law Rev 485, 486.
Die Arzthaftung von gestern und das Medizinrecht von heute in rechtsvergleichender Perspektive
Amalia Diurni
I. Die Geschichte der Arzthaftung Es ist unmöglich, eine historisch-rechtsvergleichende Abhandlung zum Medizinrecht zu verfassen, ohne von Erwin Deutsch zu sprechen; ebenso unmöglich ist es, einen Beitrag zur Festschrift für Erwin Deutsch zu schreiben, ohne mit der Geschichte der Medizin zu beginnen.
1. Vom römischen Recht bis zum 19. Jahrhundert Nach Auffassung der Lehre1 stellte das Arzt-Patienten-Verhältnis im römischen Recht keine auf die beiden Elemente der Dienstleistung und der Zahlung einer Vergütung gestützte locatio-conductio dar, denn ein solches Verhältnis wurde als erniedrigend empfunden und war vorzugsweise den Sklaven bzw. Freigelassenen vorbehalten. Auch die Unterscheidung zwischen locatio operis und locatio operarum2 war für die Arzt-Patienten-Beziehung nicht von Bedeutung. Arzt und Patient waren – ebenso wie Anwalt und Mandant – nicht rechtlich aneinander gebunden. Der Austausch zwischen der Leistung und der eventuellen Prämie (im Erfolgsfalle)3 war durch den mos geregelt. Der honos stellte das Geschenk dar, das einer Person als Zeichen der Schätzung überreicht wurde, und aus dem Adjektiv honorarius entstand das Substantiv honorarium, das bereits im 2. Jahrhundert n. Chr.
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PESCANI, voce Onorari (diritto romano), in Noviss. dig. it., Bd. XI, Torino, 1965, S. 929. VOLTERRA, Istituzioni di diritto privato romano, Roma, 1980, S. 515 f.; A. MASI, voce Locazione in generale (Storia), in Enc. dir., Bd. XXIV, Milano, 1974, S. 908 ff.; INZITARI, Autonomia privata e controllo pubblico nel rapporto di locazione, Napoli, 1979, S. 5; RESCIGNO, voce Obbligazioni (nozioni), in Enc. dir., Bd. XXIX, Milano, 1979, S. 190 f. PEZZANO, voce Onorario, in Enc. dir., Bd. XXX, Milano, 1980, S. 175 ff.
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in der Fachsprache die Vergütung des „professionista” (Angehöriger einer Berufskategorie) bezeichnete. Der Arzt konnte die Vergütung nicht einklagen, ihm wurde – wenn überhaupt – nur eine actio extra ordinem zuerkannt4. Nach dem Codex Theodosianus aus dem Jahr 428 n. Chr. war unter dem Titel De professoribus et medicis5 eine Vergütung nur im Falle einer erfolgreichen Behandlung zulässig. Die Forderung von Vorauszahlungen war dem Arzt dagegen untersagt. Auch die Digesten6 enthalten Bestimmungen, die verhindern sollen, dass der Arzt seine dem Kranken überlegene Stellung ausnutzt. Die genaueste Regelung der „patti di guarigione“ (Heilungsverträge) der Spätantike und des Hochmittelalters befindet sich in den Leges Visigothorum7, wonach das Arzt-Patient-Verhältnis durch eine Vereinbarung entsteht. Die typische Verpflichtung besteht in einem Leistungserfolg: Der Arzt muss den Kranken heilen; nur die erfolgreiche Behandlung berechtigt zur Zahlung der Vergütung: „Falls der 4
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Vgl. BOZZONI, I medici e il diritto romano, Napoli, 1904, S. 200 ff. Die Quelle der actio extra ordinem der Ärzte infolge der mangelnden Zahlung der Vergütung findet sich in den Digesten 50, 13: De variis et extraordinariis cognitionibus. Nach dem Gesetz Cincia (Lucio Cincio Alimento) de donis et muneribus (204 v. Chr.), übernommen von Tacito [Tac., Ann., 11, 5 (anno 47 d.C.)], war die Entgegennahme einer Vergütung vor der Erbringung der Leistung verboten. Codex Theodosianus, XIII, 3, 8: Impp. Valentinianus et Valens A.A. ad Praetextatum P. V: „Exceptis portus Syxti virginumque vestalium, quot regiones urbi sunt, totidem consistuantur archiatri, qui scientes annonaria sibi commoda a populi commodis honeste obsequi tenuioribus malint, quam turpiter servire divitibus. Quos etiam ea patimur accipere, quae sani offerunt pro obsequiis, non ea quae periclitantes pro salute promittunt [...]”. Dieser Abschnitt wurde im Codex Iustinianus, 10, 53, De professoribus et medicis, 9, zur Gänze wiedergegeben und war Gegenstand von Anmerkungen und Kommentaren. Vgl. NUTTON, Archiatri and the Medical Profession in Antiquity, in Papers of the British School in Rome, Bd. XLV, 1977, S. 191 ff.; BELOW, Der Arzt im römischen Recht, München, 1953. Digesten, 50, 13, 3, Si medicus (Ulpiano, Libro octavo de omnibus tribunalibus, III sec.): „Si medicus, cui curandos suos oculos, qui eis laborabat, commiserat, periculum amittendorum eorum per adversa medicamenta inferendo compulit, ut ei possessiones suas contra fidem bonam aeger venderet: incivile factum praeses provinciae coerceat remque restitui iubeat“. Leges Wisigothorum, Dei medici e dei malati, in Leges Wisigothorum Antiquiores, Aufl. Zeumer, Hannover-Leipzig, 1894, Lib. XI, Tit. I, S. 292: „Lex III. Antiqua <Si medicus pro aegritudine ad placitum expectetur: Si quis medicum ad placitum pro infirmo visitando aut vilnere curando poposcerit: ut viderit vulnus medicus aut dolores agnoverit, statim sub certo placito cautione emissa infirmum suscipiat>”; „Lex IV. Antiqua <Si ad placitum susceptus moriatur infirmus: Si quis medicus infirmum ad placitum susceperit, cautionis emisso vinculo infirmum restituat sanitati; certe si periculum contigerit mortis, mercedem placiti penitus non requirat; nec ulla inde utrique parti calumnia moveatur>”; „Lex V. Antiqua <Si de oculis medicus hypochymata tollat: Si quis medicus hypochyma de oculis abstulerit et ad pristinam sanitatem perduxerit infirmum, V. solidos pro suo beneficio consequatur>”. Vgl. GARRISON, An Introduction of the History of Medicine, Philadelphia, 1929, S. 146; NEUBURGER, History of Medicine, Bd. II, Oxford, 1925, S. 10 f.; AMUNDSEN, Visigothic Medical Legislation, in Bull. Hist. Med., Bd. XLV, n. 6, 1971, S. 553 ff.
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Kranke verstirbt, kann der Arzt die vertraglich vereinbarte Prämie selbstverständlich nicht verlangen”8. Diese Bestimmungen bildeten die Rechtsgrundlage der im Mittelalter üblichen „Heilungsverträge“, die vor einem Notar geschlossen wurden und als „öffentliche Urkunden“ anerkannt waren9. In diesen Verträgen wurden die Vergütung, die Frist und die Methoden der Heilung festgelegt.10 Die medizinische Praxis war also im Grenzbereich zwischen den Handelsbeziehungen und der gegenseitigen Unterstützung angesiedelt: Gegenstand des Erwerbs war nicht die konkrete Leistung oder ein bestimmtes Medikament, sondern das Ergebnis der Behandlung bzw. die Heilung. Die eigentliche therapeutische Beziehung entsprang der gegenseitigen Solidarität, die auf die römische Tradition zurückgeht11 und dann in die christliche Ideologie übernommen wurde12. Im ancien régime genoss der Patient also besondere, anerkannte Privilegien13, und ihm war das Urteil über die Tätigkeit des Arztes überlassen. Der diesbezügliche Wandel beginnt ab der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als die Haftung des Arztes nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Heilung bewertet wird, sondern je nachdem, ob die angewendeten Therapien und Medikamente den traditionellen Behandlungen entsprechen,14 und sich der Grundsatz durchsetzt, dass die berufliche Tätigkeit, die der Arzt – kraft eines öffentlich verliehenen Titels – als rechtmäßiges Mitglied der entsprechenden Kategorie ausübt, nach Zeitaufwand und Leistung zu bezahlen ist. Dadurch kommt es zu einer Professionalisierung des Arztberufes, und das Verstreichen der Zeit begünstigt nun nicht mehr den Patienten, sondern den Arzt. Die Beurteilung der ärztlichen Sorgfalt wird zu einer technischen Beurteilung, die nicht mehr Aufgabe des Patienten, sondern der zuständigen Behörde ist. 8 9
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Vgl. Lex IV, Antiqua, a.a.O. POMATA, La promessa di guarigione - Malati e curatori in antico regime, Bari, 1994, S. 94, dessen Anhang verschiedene Beispiele für Verträge und Urkunden mit Heilungsversprechen von 1244 bis 1764 enthält. Vgl. PILLIO MEDICINENSE, Quaestiones Sabbatinae, Augustae Taurinorum, 1967, C.G.J.C. IV, Quaestio XII, S. 20 f.; BARTOLO DA SASSOFERRATO, In secundam Digesti veteris partem, Venezia, 1570, II, 136, in den Anmerkung zu den Digesten 19, 2, 59, l. „Marcius“. Unter den Kanonisten, DURANDUS, Speculum Judiciale, Bononiae, 1477 [1271], „de salariis“, 201; ANGELUS DE CLAVASIO, Summa, Venezia, 1487, „medicus“, Rn. 14, 235; vgl. unter den Zivilrechtlern TIRAQUEAU, Commentariorum in l. Si unquam. C. de revoc. don., VI, Frankfurt, 1574 (1535), S. 237, Rn. 180; BERTACHINI, Repertorium iuris utriusque Doctoris praestantissimi, Venezia, 1570, „medicus“, 332-334. Vgl. PESCANI, a.a.O., S. 929. Die Idealvorstellung des Arztes, der seine Kunst unentgeltlich zur Verfügung stellt, geht auf die Heiligen Kosmas und Damian zurück und ist im Mittelalter stark in der Volkskultur verwurzelt (s. WITTMANN, Kosmas und Damian: Kultausbreitung und Volksdevotion, Berlin, 1967, S. 12 ff.). Auch mit dem Heiligen werden Vereinbarungen getroffen, und auch er wird um Heilung gebeten, wie die ex-voto bezeugen. Vgl. in diesem Zusammenhang BROWN, Il culto dei santi, trad. it. Torino, 1983, S. 162 ff. TH. ACTIUS, De infirmitate eiusque privilegiis et affectibus, Venezia, 1603. Vgl. POMATA, a.a.O., S. 289 ff.
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Ein weiterer, fundamentaler Schritt in der Geschichte der Medizin erfolgt im 19. Jahrhundert: Die auf die subjektive Symptomatologie des Patienten gestützte Konzeptualisierung wird durch eine Vorstellung abgelöst, in der die Krankheit zu einer individuellen und konkreten Identität wird: Der Patient ist einzig und allein der Träger dieser Krankheit.15 Das spekulative und auf die Analyse der Symptome aufgebaute ärztliche Wissen des ancien régime verwandelt sich in eine auf das Studium der Krankheit und der Therapie gestützte Wissenschaft. In der Zwischenzeit setzen sich auch die Juristen mit dem Heilungsvertrag auseinander und erklären ihn schließlich der sozialen Entwicklung und den Wandlungen der Arztkategorie entsprechend16 für ungültig. Der Ansatz hierfür stammt aus einer Passage der Digesten17, wonach der Vertrag zwischen Anwalt und Mandant nur dann gültig ist, wenn sein Abschluss nicht vor oder während des Prozesses, sondern erst nach dessen Beendigung erfolgt ist.18 Dadurch wird der Gleichstellung zwischen Arzt und Patient ein Ende gesetzt. Durch die Kombination aus wissenschaftlichem Fortschritt, beruflichem und sozialem Bewusstsein, wirtschaftlichem Interesse und juristischer Entwicklung entstand im 19. Jahrhundert das von den Soziologen als „berufliche Dominanz“ bezeichnete Phänomen.19 Kraft dieser Dominanz neigen die Juristen erneut dazu, den Einsatz des vertraglichen Instruments in den Beziehungen zwischen Arzt und Patient sowie zwischen Anwalt und Mandant als rechtmäßig anzusehen. Der Heilungsvertrag gehört aber bereits der Vergangenheit an, denn die Zufallsbedingtheit und die Ungewissheit des Behandlungserfolgs bilden den empirischen Grund dafür, dass die Abhängigkeit zwischen Vergütung und Heilung unangemessen ist. 15
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Vgl. COHEN, The Evolution of the Concept of Disease, in LUSH (Hrsg.), Concepts of Medicine, Oxford, 1961. Zur geschlichtlichen Entwicklung hinsichtlich anderer Berufsgruppen, vgl. PISCIONE, voce Professioni (disciplina delle), in Enc. dir., Bd. XXXVI, Milano, 1987, S. 1040 f. Digesten, 50, 13, Si cui: „Si cui cautum est honorarium, vel si quis de lite pactus est: videamus an petere possit. Et quidem de pactis ita est rescriptum ab imperatore nostro, et divo patre ejus: Litis causae malo more pecuniam tibi promissam ipse quoque profiteris. Sed hoc ita jus est, si suspensa lite societatem futuri emolumenti cautio pollicetur. Si vero post causam actam est honoraria summa, peti poterit usque ad probabilem quantitatem, etsi nomine palmarii cautum sit: sic tamen, ut computetur id quod datum est, cum eo quod debetur, neutrumque compositum licitam quantitatem excedat”. So auch im Justinianischen Kodex, II, 6, De postulando, 2: „Praeterea nullum cum eo litigatore contractum, quem in propriam recepit fidem, ineat advocatus: nullam conferat pactionem”. Die Kommentatoren und Juristen waren der Auffassung, dass der Lohn des Rechtsanwalts nach Beendigung der Leistung, d.h. nach dem Abschluss des Prozesses, zu entrichten war. Vgl. BARTOLO, In tres codicis libros, 242, gefolgt von JANOS MAYNUS, In primam Digesti veteris partem commentarii, Lugduni, 1569, 56: „Advocati non debent habere salarium lite durante [...] quod non debent habere salarium nisi finita causa“. BALDUS, In IV et V Codicis Libros Commentaria, 11, hat dagegen die moderne Vorstellung vorweggenommen und den Standpunkt vertreten, dass die Zahlung der Vergütung nach Beendigung des Prozesses den Klienten begünstige und dessen Nichterfüllung ermögliche. FREIDSON, Professional Dominance, New York, 1970; STARR, The Social Transformation of American Medicine, New York, 1982.
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Der Erfolg ist demnach autonom unter Berücksichtigung der bei der Leistungserbringung angewandten Sorgfalt zu beurteilen und kann nicht in obligatione abgeleitet werden. Als Gegenstand des Interesses des Patienten, das der Arzt zu befriedigen versucht – wenngleich er dazu nicht verpflichtet ist – wird der Erfolg nicht zu einem Bestandteil des Rechtsverhältnisses. Die berufliche Dominanz der Wissenschaft und der Therapien fördern gemeinsam mit dem Prinzip der sorgfältigen Leistung das Entstehen des Konzepts des fachlichen Ermessens20, und zwischen dem Klienten und dem professionista, der einem intellektuellen Beruf nachgeht, kommt ein Vertrag zustande, der für den Klienten als eine Art einseitiger aleatorischer Vertrag anzusehen ist21.
2. Die Differenzierung zwischen Leistungshandlung und Leistungserfolg im französischen und italienischen Recht In diesem Zusammenhang hat die französische Lehre die Unterscheidung zwischen obligation de moyen(s) und obligation de résultat22 ausgearbeitet, die auf Demogue zurückgeht23. Ihr Einfluss auf die Rechtsprechung war so stark24, dass die Fundamente der französischen Lehre regelrecht erschüttert wurden25. 20
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D. CARUSI, Responsabilità del medico e obbligazione di mezzi, in Rass. dir. civ., 1991, S. 491; SANTORO PASSARELLI, Voce Professioni intellettuali, in Noviss. dig. it., Bd. XIV, Torino, 1957, S. 23 ff.; G. GIACOBBE, voce Professioni intellettuali, in Enc. dir., Bd. XXXVI, Milano, 1987, S. 1065 ff. FORTINO, La responsabilità civile del professionista, Milano, 1984, S. 60; FRASCA, Verso un nuovo orientamento giurisprudenziale in tema di ripartizione degli oneri probatori nel caso di responsabilità contrattuale del medico, in La responsabilità medica, Milano, 1982, S. 148; PERULLI, Il lavoro autonomo, in Trattato di diritto civile e commerciale früher unter der Leitung von Cicu und Messineo, jetzt unter der Leitung von Mengoni, Bd. XXVII, T. 1, Milano, 1996, S. 448. Zu den angeblich römischen Quellen der Unterscheidung vgl. MAZEAUD/TUNC, Traité théorique et pratique de la responsabilité civile délictuelle et contractuelle, Bd. I, 6. Aufl., Paris, 1965, S. 38; MAZEAUD, Essai de classification des obligations: obligations contractuelles et extracontractuelles, „obligations déterminées“ et „obligations générales de prudence et de diligence“, in Riv. trim. dr. civ., 1936, S. 27; vgl. MENGONI, Obbligazioni „di risultato“ e obbligazioni di „mezzi“, in Riv. dir. comm., 1954, I, S. 199 ff.; VISINTINI, Trattato breve della responsabilità civile, 3. Aufl., Padova, 2005, S. 90 ff. CANNATA, Le obbligazioni in generale, in Trattato dir. priv. unter der Leitung von Rescigno, Bd. 9, Obbligazioni e contratti, Torino, 1984, S. 36, verweist auf PAPINIANO, D. 22, 1, 4pr. Gegenteiliger Auffassung ist PERULLI, a.a.O., S. 426. DEMOGUE, Traité des obligations en général, Bd. II, Effets des obligations, T. VI, Paris, 1932, n. 153 ff., n. 530 ff., 597 ff. Vgl. Cass. civ., 20.5.1936, in Dalloz, 1936, I, S. 88; Cass. civ., 12.7.1960, in Dalloz, 1960, S. 101. Vgl. MONATERI, Cumulo di responsabilità contrattuale e extracontrattuale, Padova, 1989, S. 90 ff. ; MENGONI, Obbligazioni „di risultato“ e obbligazioni di „mezzi“, in Riv. dir. comm., 1954, I, S. 185, Fußn. 2. H. MAZEAUD/L. MAZEAUD, Traité théorique et pratique de la responsabilité civile, 4. Aufl., Bd. I, Paris, 1947, Rn. 103 ff.; TUNC, Distinzione delle obbligazioni di risultato e delle obbligazioni di diligenza, in Nuova riv. dir. comm., 1947-48, I, S. 145. Ein
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Unter dem normativen Gesichtspunkt vertritt ein Teil der Lehre26 die Auffassung, dass sich Art. 1137 des französischen Code civil auf die Sorgfaltsregel bezieht und die Erfüllung der Leistungshandlungen charakterisiert, während in den Art. 1147 und 1148 fr. Cod. Civ. die Haftung für Nichterfüllung mangels Erreichung des Leistungserfolgs geregelt ist. Das italienische Rechtssystem folgt scheinbar demselben Ansatz, denn Art. 1176 des italienischen Codice civile betrifft die Leistungshandlung27 und Art. 1218 it. Cod. Civ. den Leistungserfolg28. Diese Strukturierung des Schuldverhältnisses wirkt sich auf die Beweislastverteilung aus29: Bei einer Leistungshandlung ist der Gläubiger schlechter gestellt, denn er muss den positiven Beweis erbringen, dass der Schuldner die Sorgfaltspflicht verletzt hat, und somit dessen Verschulden nachweisen. Im Falle eines Leistungserfolgs ist der Erfolg in obligatione, und der Gläubiger muss nur unter Beweis stellen, dass dieser Erfolg nicht erreicht wurde, denn in diesem Fall wird das Verschulden des Schuldners vermutet.30 Der positive Anklang, den die Unterscheidung zwischen Leistungshandlung und Leistungserfolg gefunden hat, ist u.a. darauf zurückzuführen, dass sich in Frankreich langsam aber unaufhaltsam der Grundsatz des „non-cumul“ zwischen
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kritischer Standpunkt wurde vertreten von CAPITANT, Les effets des obligations, in Rev. trim. dr. civ., 1932, S. 721 ff.; ESMEIN, Le fondement de la responsabilité contractuelle rapprochée de la responsabilité délictuelle, in Rev. trim. dr. civ., 1933, S. 627 ff.; Ders., Obligations, in Traité pratique de droit civil français hrsg. von Planiol und Ripert, Bd. VII, 2. Aufl., Paris, 1952, Rn. 378 ter, S. 498 f.; MARTON, Obligations de résultat et obligations de moyens, in Rev. trim. dr. civ., 1935, S. 499 ff.; RODIERE, La responsabilité civile, Paris, 1952, Rn. 1669, S. 288 ff.; COLIN/CAPITANT/JULLIOT DE LA MORANDIERE, Traité de droit civil, Bd. II, 2. Aufl., Paris, 1959, Rn. 691, S. 390 und Rn. 832, S. 464; CHABAS, Vers un changement de nature de l´obligation médical, in Juris class. pér., 1973, I, S. 2541. Vgl. H. MAZEAUD, Essai de classification des obligations, a.a.O., S. 1 ff.; DEMOGUE, a.a.O., T. VI, Rn. 597 ff., S. 642 ff. VISINTINI, a.a.O., S. 202 ; Cass., 11.3.2002, n. 3492, in Giust. civ. Mass., 2002, S. 435. BILANCETTI, La responsabilità penale e civile del medico, 5. Aufl., Padova, 2003, S. 950; Cass., 28.4.1994, in Riv. it. med. leg., 1997, S. 474. Dagegen, VISINTINI, a.a.O., S. 205. Vgl. VINEY/JOURDAIN, Les conditions de la responsabilité, in Traité de droit civil hrsg. von Ghestin, 3. Aufl., Paris, 2006, S. 633 ff.; LE TOURNEAU, Responsabilité civile professionnelle, 2. Aufl., Paris, 2005, a.a.O.; CARBONNIER, Droit civil, Bd. IV, 22. Aufl., Paris, 2000, S. 288 ff.; SAVATIER, La théorie des obligations en droit privé economique, Paris, 1979, n. 128, S. 188 ff.; STARCK, Droit civil, Les Obligations, Paris, 1972, S. 525 ff., S. 611 ff. und S. 654 ff.; WEILL/TERRÉ, Droit civil, Les obligation, 4. Aufl., Paris, 1986, S. 399 ff. und S. 775 ff.; FROSSARD, La distinction des obligations de moyens et des obligations de résultat, Paris, 1965, S. 107 f.; DE LORENZI, voce Obbligazioni di mezzi e obbligazioni di risultato, in Dig. IV disc. priv., Bd. XII, Torino, 1995, S. 398. Vgl. H. MAZEAUD, Essai de classification des obligations, a.a.O., S. 40 ff. ; TUNC, a.a.O., S. 130 ff. Vgl. auch CARBONE, Obbligazioni di mezzi e di risultato tra progetti e tatuaggi, in Corr. giur., 1997, S. 554; Cass., 7.2.1996, n. 973, in Corriere giur., 1996, S. 541 ff., mit Anm. von MARICONDA, Risarcimento del danno e onere della prova.
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vertraglicher und außervertraglicher Haftung durchgesetzt hat31. Unter ständigem Verweis auf – häufig interpolierte – Präzedenzfälle der Rechtsprechung32 hat die Lehre33 in der Überzeugung, dass eine Verwechslung zwischen zwei streng getrennten Ebenen extrem gefährlich ist, das Kumulierungsverbot zu einem Grundsatz des positiven Rechts erhoben. Seine Anerkennung und die ständig steigende Mobilität der Grenzen34 zwischen den beiden Haftungsformen hat unvermeidbar dazu geführt, dass gewisse Verpflichtungen manchmal in den Vertrag einbezogen werden und der vertragliche Bereich dann aber wieder eingeschränkt wird.35
II. Die Gleichstellung der vertraglichen und außervertraglichen Haftung im 20. Jahrhundert Im 19. Jahrhundert wurde davon ausgegangen, dass die Arzthaftung den in den Art. 1382 und 1383 fr. Cod. Civ. verankerten, allgemein geltenden Maßstäben der Vorsicht und Sorgfalt unterlag.36 Ein Tendenzwandel erfolgte im Jahr 1936 durch die Cour de Cassation37, als sich die vertragliche Natur des Arzt-PatientenVerhältnisses und der schuldrechtliche Inhalt der Leistung nicht als obligation déterminée de guérir le malade, sondern als obligation générale de prudence et diligence38 oder besser gesagt als obligation de sécurité de moyens durchsetzte39. 31
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MONATERI, a.a.O.; GAMBARO, Responsabilità contrattuale ed extracontrattuale. Significato attuale di una distinzione tradizionale, Milano, 1993. SAVATIER, Traité de la responsabilité civil en droit français, I, 2. Aufl., Paris, 1951, n. 148 f., S. 192 f.; D. CARUSI, Responsabilità del medico e obbligazione di mezzi, a.a.O., S. 506 ff.; MONATERI, Cumulo di responsabilità contrattuale e extracontrattuale, a.a.O. Vgl. VINEY/JOURDAIN, a.a.O., S. 263 ff.; MAZEAUD/MAZEAUD/TUNC, Traité de la responsabilité civile, Bd. I, 6. Aufl., Paris, 1965, n. 173-207; MALAURIE/MALAURIE, Cours de droit civil, Les obligations, Paris, 1985, S. 370; WEILL/TERRÉ, Droit civil, 3. Aufl., Paris, 1985, n. 368; MARTY/RAYNAUD, Droit civil, Bd. II, Les obligations, Paris, 1962, n. 368; ESMEIN, Trois problèmes de responsabilité civile, in Rev. trim. dr. civ., 1934, S. 349 f. BUSNELLI, Le mobili frontiere del danno ingiusto, in Contratto e impresa, 1985, S. 1 ff. MONATERI, a.a.O., S. 107. Vgl. AUBRY/RAU, Cours de droit civil français, 4. Aufl., Paris, 1871. Contra, MAZEAUD, Responsabilité délictuelle et responsabilité contractuelle, a.a.O., S. 612. Unter Anwendung der Bestimmungen über die Delikte und die Quasi-Delikte gemäß Art. 1151 f. des italienischen Codice civile von 1865 wurde die zivilrechtliche Haftung des Arztes auch von der italienischen Rechtsprechung in den Bereich des Schutzes aus unerlaubter Handlung eingereiht. Vgl. App. Roma, 8.6.1886, in Foro it., 1886, I, c. 714. Cass. civ., 20.5.1936, in Dalloz, 1936, I, S. 88 mit Anm. von JOSSERAND. Vgl. PLANCQUEEL, Obligations de moyens, obligations de résultat, in Rev. trim. dr. civ., 1972, S. 334. Vgl. für alle, Trib. gr. ist. Meaux, 1.12.1961, in Gazette du Palais, 1962, II, S. 44. Vgl. TUNC, in Rev. trim. dr. civ., 1962, S. 635 f.; H.L. MAZEAUD, ivi, 1957, S. 524. LAMBERT-FAIVRE, Fondement et régime de l´obligation de sécurité, in Dalloz, Chr.,
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Derzeit folgt die Rechtsprechung nach wie vor der traditionellen Auffassung, obwohl nach Ansicht namhafter Autoren bei Fällen der Arzthaftung auf die strenge Unterscheidung zwischen den beiden Haftungsformen verzichtet werden sollte40. Italien hat einen ähnlichen Weg wie Frankreich beschritten: Nach einer zunächst entschiedenen Befürwortung der Arzthaftung als außervertragliche Haftung41 und einer lang anhaltenden Ungewissheit42 ist es heute im Wesentlichen unerheblich, auf welchen Titel der Kläger seinen Schadenersatzanspruch stützt43. Deshalb untersucht die Rechtsprechung – auch ultra petita – stets das Vorliegen der beide Haftungsformen charakterisierenden Elemente44 und vertritt unter diesem Gesichtspunkt den Auffassungen des deutschen BGH ähnliche Standpunkte.45 Grundsätzlich standen die kontinentaleuropäischen Rechtssysteme46 also im letzten Jahrhundert dem Übergang von der vertraglichen auf die außervertragliche Haftung im Bereich des Medizinrechts ziemlich gleichgültig gegenüber. Diese Haltung ist auch heute noch überaus verbreitet, und es wurde eine Reihe von
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11, 1994, S. 84: „L´obligation de sécurité est par nature une obligation déterminée, l´objet de l´obligation étant la sécurité due en tout état de cause par l´auteur du dommage“. VINEY/JOURDAIN, a.a.O., S. 290. App. Milano, 18.4.1939, in Resp. civ. e prev., 1940, S. 120. Vgl. auch, Cass., 13.5.1931, in Ann. dir. comp., Bd. IX, III, S. 468, mit Anm. von MONTEL, In tema di responsabilità del medico e dell’ospedale verso l’ammalato per cura non riuscita; Cass., 27.7.1933, n. 2934, in Mass. Foro it., 1933, S. 566; Cass., 17.6.1936, n. 2107, in Foro it., 1936, I, S. 815. Vgl. GABBA, Anmerkung, in Foro it., 1899, I, S. 93. Im Sinne der vertraglichen Haftung: Cass., 21.12.1978, n. 6141, in Foro it., 1979, I, S. 4; Cass., 1.3.1988, n. 2144, in Foro it., 1988, I, S. 2296, mit Anm. von PRINCIGALLI; Cass., 1.9.1999, n. 9198, in Giust. civ. Mass., 1999, S. 1877. Im Sinne der außervertraglichen Haftung: Cass., 24.3.1979, n. 1716, in Giur. it., 1981, I, 1, S. 297; Cass., 26.3.1990, n. 2428, in Giur. it., 1991, I, S. 600; Cass., 13.3.1998, n. 2750, in Foro it., 1998, I, S. 3521. Vgl. CASTRONOVO, L’obbligazione senza prestazione ai confini tra contratto e torto, in La nuova responsabilità civile, Milano, 1997, schon in Scritti in onore di Luigi Mengoni, Bd. I, Le ragioni del diritto, Milano, 1995, S. 147. Die Corte di Cassazione hat bereits ab dem Urteil Nr. 1282 von 1971 (in Giust. civ., 1971, I, S. 1417) die Behauptung aufgestellt, dass „Art. 2236 des Codice civile (…) nicht nur im vertraglichen, sondern auch im außervertraglichen Bereich anwendbar ist” („L’art. 2236 c.c. (…) è applicabile oltre che nel campo contrattuale anche in quello extracontrattuale”). Für eine Übersicht: PARTISANI, Il contratto atipico di spedalità e cura: nuove regole di responsabilità, in La Resp. civ., 2007, S. 1028. Der Grundsatz wurde incidenter tantum auch vom italienischen Verfassungsgerichtshof aufgestellt: C.Cost., 22.6.1970, n. 307, in Foro it., 1990, I, S. 2694. BGH, 24.1.1995, in NJW, 1995, S. 1618; BGH, 24.1.1984, in NJW, 1984, S. 1403. Vgl. DEUTSCH/SPICKHOFF, Medizinrecht, 6. Aufl., Berlin u.a., 2008, S. 112 f., Rn. 165. Für einen rechtsvergleichenden Überblick über die Arzthaftung vgl. die in Rev. int. dr. comp., 1976 veröffentlichte Übersicht mit den Beiträgen verschiedener namhafter Autoren: SAVATIER, La responsabilité médicale en France, S. 493 ff.; BIANCHI D´ESPINOSA/ZHARA BUDA, La responsabilité médicale en Italie, S. 531 ff.; PETITPIERRE, La responsabilité de droit privé du médicin: aperçu du droit suisse, S. 567 ff.
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Grundsätzen ausgearbeitet, die unabhängig von der jeweiligen Haftungsform zur Anwendung kommen. Obwohl im englischen Common Law der Klage gegen den Arzt traditionellerweise deliktische Natur beigemessen wird, gab es dort einen Zeitpunkt, zu dem bei der Klage auf assumpsit für das entgeltliche Arzt-Patienten-Verhältnis eine vertragliche Haftung zum Tragen kam47. In diesen Fällen war die consideration das zentrale Element: Konnte der Patient keine tangible consideration nachweisen, gingen die Gerichtshöfe davon aus, dass alleine der Umstand, dass sich der Patient der ärztlichen Behandlung unterzogen hatte, als sufficient consideration anzusehen war.48 Seit der Gründung des National Health Systems (NHS) wird einhellig der Standpunkt vertreten, dass zwischen Arzt und Patient kein Vertragsverhältnis besteht.49 Deshalb handelt es sich bei der typischen Haftungsklage gegenüber dem Arzt heute um eine action for negligence, während nur im Falle privater Behandlungen von einem Vertragsverhältnis ausgegangen wird.
1. Der Wandel der zivilrechtlichen Haftung in Europa von der Kodifikationszeit bis heute Für die weitere rechtsgeschichtliche Rekonstruktion ist im Übrigen festzuhalten, dass die zivilrechtliche Haftung selbst einen Wandel durchgemacht hat: An die Stelle der sanktionierenden Haftung des 19. Jahrhunderts, die auf einer auf den Schadensverursacher konzentrierten Schuldzuweisung aufgebaut war, trat im 20. Jahrhundert eine entschädigende Haftung, die auf das Risiko und auf das Schadensopfer konzentriert war. Das 21. Jahrhundert wird aller Wahrscheinlichkeit nach zum Jahrhundert der sogenannten50 responsabilité-anticipation, die auf die Prävention der wichtigsten Risiken und auf den Interessenschutz von Personengruppen ausgerichtet ist (mit dem Ziel ihrer Ausdehnung auf sämtliche Lebewesen und auch ihre Nachkommen).
2. Die fundamentalen Änderungen der letzten Jahrzehnte In der Zeitgeschichte der Medizin sind in den letzten Jahrzehnten zwei fundamentale Änderungen eingetreten. a) Die technologische Revolution In erster Linie war eine regelrechte technologische Revolution zu beobachten: Die gesellschaftlichen Debatten, die Wissenschaft und die Medizin sind deshalb mit 47
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Everard v. Hopkins (1615) 80 ER 1164 und Slater v. Baker and Stapleton (1767) 95 ER 860. Coggs v. Bernard (1703) 92 ER 107. Pfizer Corporation v. Ministry of Health (1965) AC 512 (HL). Anders in Canada: Pittman Estate v. Bain (1994) 112 DLR (4th) 257 (Ont. Gen. Div.). THIBIERGE, Avenir de la responsabilité, responsabilité de l’avenir, in Recueil Dalloz, 2004, Nr. 9, S. 581.
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bis vor kurzer Zeit nicht vorhandenen Problemen konfrontiert. Meiner Auffassung nach geht es in diesem Zusammenhang um den Beginn und das Ende des Lebens: Die Geburt und den Tod, d.h. neben unerwünschten Geburten und Schwangerschaften um genetische Untersuchungen, künstliche Reproduktionstechniken, Frühgeburten und um die Aspekte der Kranken im Endstadium, die Euthanasie, das biologische Testament und den programmierten Selbstmord. Diese Themen stehen in engem Zusammenhang mit der medizinischen und pharmakologischen Erprobung: Hoffnungslose Fälle und Grenzfälle legitimieren und stimulieren den Einsatz unkonventioneller Techniken, Medikamente oder Verfahren. Durch den technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt sind der Bereich der Medizin, des Gesundheitswesens und der Pharmazeutik untrennbar zusammengewachsen: Bei einer Frühgeburt überschneidet sich der rein ärztliche Eingriff z.B. mit der Tätigkeit des Pflegepersonals, der medizinischen Hilfskräfte und der Krankenhausorganisation im weiten Sinne (vor allem im Hinblick auf die mechanischen Geräte, wie den Brutkasten), wobei der pharmakologische Beitrag nicht vergessen werden darf. Jeder Bereich kooperiert mit den anderen. Tritt ein Schadensereignis ein, könnte die Haftung bei jedem einzelnen oder bei sämtlichen Bereichen liegen. Diese Entwicklung wird auch auf terminologischer Ebene deutlich: In Italien ist z.B. die „responsabilità del medico“ zur „responsabilità medica“ geworden, was also bedeutet, dass sich die Haftung auch auf die Einrichtung des Gesundheitswesens erstreckt; in England wurde die „medical negligence“ zur „clinical negligence“51. Ausweislich der rechtsvergleichenden Gegenüberstellung ist dieser Ansatz sowohl im Civil law als auch im Common law bereits seit längerer Zeit zum Ausdruck gekommen: In den Vereinigten Staaten wird die Materie als Health Law bezeichnet52, in England spricht man dagegen von Medical Law53, in Deutschland von Medizinrecht (und dies ist Erwin Deutsch zu verdanken)54. In diesen Ländern reicht die Materie von der informierten Zustimmung des Patienten über die Haftung für die eigentliche ärztlichen Behandlung und für den allgemeinen Gesundheitsdienst des Krankenhauses bis zum Schutz der personenbezogen Daten und umfasst schließlich die Erprobung und das Inverkehrbringen von Medikamenten sowie die Produkthaftung. In den Rechtssystemen romanistischer Tradition, wie Frankreich und Italien, wird die Materie dagegen noch nicht als eigenständiger und charakteristischer Rechtsbereich angesehen. Wahrscheinlich konnte sich das Medizinrecht aufgrund der strengen Unterscheidung zwischen Leistungshandlung und Leistungserfolg bisher nicht von der Regelung der beruflichen Haftung loslösen, die der Arzt mit anderen Berufskategorien gemein hat. Denn trotz der behaupteten Überwindung
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GRUBB, Duties in Contract and Tort, in GRUBB (Hrsg.), Principles of Medical Law, 2. Aufl., Oxford, 2004, S. 313. AMERICAN HEALTH LAWYERS ASSOCIATION, Fondamentals of Health Law, 4. Aufl., Washington, 2008. GRUBB (Hgb.), Principles of Medical Law, 2. Aufl., Oxford, 2004. Deutsch/Spickhoff, a.a.O.
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der klassischen Unterscheidung55 wird sie von Lehre und Rechtsprechung laufend verwendet. b) Die exponentielle Aufmerksamkeit für die Person Der zweite Wandel ist eine Folge der exponentiellen Steigerung der Aufmerksamkeit für die Person und für die hohe Wertschätzung der mit der Persönlichkeit verbundenen Aspekte. Vor allem in den Rechtssystemen, die der Verfassung große Bedeutung beimessen, setzen sich zivilrechtliche Freiheiten, das Persönlichkeitsrecht und insbesondere der Grundsatz der Selbstbestimmung der Person energisch durch.56 Aus einer rechtsvergleichenden Gegenüberstellung ergibt sich, dass die Informationspflicht in diesen Ländern im Bereich des Medizinrechts eine fundamentale Rolle spielt, während sich die Situation in den Ländern, in denen die Verfassung eine untergeordnete Bedeutung einnimmt oder überhaupt nicht vorhanden ist, völlig anders gestaltet. Man denke zum Beispiel an einige Systeme, die ein und dieselbe Tradition des Common Law gemein haben: Die Vereinigten Staaten und Kanada, wo die Verfassung den Kernpunkt des gesamten Rechtssystems darstellt, und England, wo es keine Verfassung gibt: In den Vereinigten Staaten und in Kanada muss der patient’s consent „informed“ sein57, in England nur „real“58. In Kanada geht der Supreme Court davon aus, dass die Zustimmung im Falle von fraud oder misrepresentation ungültig ist, auch wenn sie „real“59 ist, während die englischen Gerichtshöfe den gegenteiligen Standpunkt vertreten60. In Kanada stützt sich die Würdigung der duty of information auf den „reasonable patient test“61, in England dagegen auf den sog. „Bolam test“62, dessen Grundlage doctor’s reasonable behavior darstellt63.
III. Die „responsabilité-anticipation“ und die heutigen verschiedenen Lösungen der europäischen Rechtsordnungen Die steigende Aufmerksamkeit für das menschliche Wesen, die ständig wachsende Effizienz der Rechtsmittel für dessen Schutz und die technologische Revolution 55 56
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Cass., 13.4.2007, n. 8826, in www.cortedicassazione.it. Von BAR, Der Einfluß des Verfassungsrechts auf die westeuropäischen Deliktsrechte, in RabelsZ, 59 (1995), S. 214 ff. Canterbury v. Spence (1972) 464 F 2d 772 (DC Cir.). Ciarlariello v. Schacter (1993) 100 DLR (4th) 609. Reibl v. Hughes (1980) 114 DLR (3d) 1, 11; PICARD/ROBERTSON, Legal Liability of Doctors and Hospital in Canada, 3. Aufl., Scarborough, 1996, S. 57 ff. Chatterton v. Gerson (1981) QB 265; Appleton v. Garrett (1997) 8 Med LR 77. Reibl v. Hughes, a.a.O. Bolam v. Friern Hospital Management Comittee (1957) 2 All ER 118; JONES, Medical Negligence, 3. Aufl., Andover, 2003. Diesem Grundsatz folgte das House of Lords in den Urteilen Whitehouse v. Jordan (1981) 1 All ER 267; Bolitho v. City and Hackney HA (1997) 4 All ER 771.
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haben zu einer spontanen Differenzierung von medizinischen Sachverhalten geführt, die heute meiner Meinung nach in zwei Gruppen unterteilt werden können: 1. die unheilbaren oder unbekannten Fälle bzw. die Notfälle; 2. alle anderen Fälle, d.h. die heilbaren Fälle, die die wesentlichen Quellen der Rechtsprechung zum Thema Arzthaftung darstellen. Bei der ersten Gruppe sind die Fehlerrisiken höher und auf rechtlicher Ebene geht die Tendenz dahin, den Arzt von der Haftung freizustellen, ihn in seinem Einsatz nicht zu entmutigen. Bei der zweiten Gruppe neigt man dagegen zu einem gesteigerten Patientenschutz, vor allem durch den Einsatz von Techniken der „vorweggenommenen Haftung“ (die bereits erwähnte responsabilité anticipation), die in den jeweiligen Rechtssystemen entweder ausdrücklich vorgegeben sein (in von der Rechtsprechung oder vom Gesetzgeber aufgestellten Grundsätzen) oder in nicht wörtlich festgehaltener Formen (Kryptotypen) aufscheinen können.64
1. Der Ermessensspielraum der niederländischen Richter In Holland wurde die responsabilité anticipation kodifiziert65, indem in die Regelungen über die zivilrechtliche Haftung im Nieuw Burgerlijk Wetboek von 1992 Maßstäbe für die Festsetzung des Schadens aufgenommen wurden, die die Art der Haftung, das zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnis und deren jeweilige Leistungsfähigkeit ebenso berücksichtigen wie die Frage, ob ein Versicherungsschutz besteht oder nicht66.
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Zum Begriff der Kryptotypen vgl. SACCO, La comparazione giuridica, in SACCO/GAMBARO, Sistemi giuridici comparati, in Trattato di diritto comparato unter der Leitung von Sacco, 2. Aufl., Torino, 2002, S. 7 ff. HARTKAMP, Das neue niederländische Bürgerliche Gesetzbuch aus europäischer Sicht, in RabelsZ, 57 (1993), S. 672 und S. 679 f. Art. 6.109, Abs. 1 und 2, NBW: „(1) Indien toekenning van volledige schadevergoeding in de gegeven omstandigheden waaronder de aard van de aansprakelijkheid, de tussen partijen bestaande rechtsverhouding en hun beider draagkracht, tot kennelijk onaanvaardbare gevolgen zou leiden, kan de rechter een wettelijke verplichting tot schadevergoeding matigen. (2) De matiging mag niet geschieden tot een lager bedrag dan waarvoor de schuldenaar zijn aansprakelijkheid door verzekering heeft gedekt of verplicht was te dekken. (...)“. Übersetzung ins Deutsche von NIEPER, Buch 6, Allgemeiner Teil des Schuldrechts, in NIEPER/WESTERDIJK, Niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch, München, 1995.
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2. Die überwiegende Erheblichkeit der Aufklärungspflicht in Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich und in der Schweiz In Frankreich, Italien, Deutschland, Österreich und in der Schweiz wurde die responsabilité anticipation im Rahmen einer langen, aber unaufhaltsamen Forschung nach Lösungen zugunsten des Patienten durch die Rechtsprechung umgesetzt. In diesem Zusammenhang konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf die Nichterfüllung der Informationspflicht: Mit der Begründung, dass es für den Patienten schwierig ist, einen negativen Beweis für den Informationsmangel zu erbringen, bzw. dass der Beweis für den Arzt näherliegend ist als für den Patienten, hat die Rechtsprechung eine Beweislastumkehr vorgenommen.67 In diesen Ländern war in den letzten Jahren eine erhebliche Steigerung der auf die Verletzung der Informationspflicht gestützten Prozesse zu beobachten.68 Diese causa petendi wird auch bei Arztfehlern bevorzugt eingesetzt, für die der Patient sonst den positiven Beweis erbringen müsste.69 Im Jahr 1997 hat die Rechtsprechung ihren Standpunkt sowohl in Frankreich70 als auch in Italien71 radikal geändert und behauptet, dass derjenige, dem eine besondere Informationspflicht obliegt, den Beweis für die Erfüllung dieser Pflicht erbringen muss. In Frankreich haftet der Arzt im Übrigen bei Verletzung der Informationspflicht vollumfänglich für den verursachten Schaden, wenn er die Erfüllung seiner Informationspflicht nicht unter Beweis stellt.72 Der Grundsatz wurde darüber hinaus auch auf gesetzlicher Ebene verankert.73 In Deutschland erkennt die Rechtsprechung auf vollen Scha67
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Vgl. DEUTSCH, Neues zur ärztlichen Aufklärung im Ausland, in MedR, 2005, S. 464 ff. Frankreich: CASTELLETTA, a.a.O., S. 16, Rn. 12.11; Italien: FERRANDO, Libertà, responsabilità e procreazione, Padova, 1999; FRANZONI, La responsabilità del medico fra diagnosi, terapia e dovere di informazione, in La responsabilità civile, 2005, S. 584 ff.; Deutschland: SPICKHOFF, Die Entwicklung des Arztrechts 2004/2005, in NJW, 2005, S. 1698; DEUTSCH/SPICKHOFF, a.a.O., S. 164, Rn. 245; Österreich: HÖFTBERGER, Österreichische Rechtsprechung zur Arzthaftung, in MedR, 2000, S. 509 ff.; HARRER, in KOPETZKI/ZAHRL (Hrsg.), Behandlungsanspruch und Wirtschaftlichkeitsgebot, Wien, 1998, S. 49; Schweiz: KUHN, Die Arzthaftung in der Schweiz, in MedR, 1999, S. 250 ff. QUAAS/ZUCK, Medizinrecht, München, 2005, § 13, Rn. 69, sprechen von einem „Auffangtatbestand“. Cass. civ., 25.2.1997, in Dalloz 1997, IR, S. 81. Für die früher vertretene Auffassung s. Cass. Civ., 29.5.1951, in Bull. Civ., n. 162 und in Dalloz, 1952, Jur., S. 53, mit Anm. von SAVATIER; Cass. civ., 4.4.1995, in Bull. civ., I, n. 159. Cass., 24.9.1997, n. 9374, in Mass. Foro it, 1997. Cass. Civ., 11.2.1986, unveröffentlicht, zitiert von CASTELLETTA, Responsabilité médical. Droits des malades, 2. Aufl., Parigi, 2004, S. 71. Art. L. 1111-2 Code de la santé publique, verändert durch Loi 2005-370 vom 22.4.2005 : „(1) Toute personne a le droit d’être informée sur son état de santé. Cette information porte sur les différentes investigations, traitements ou actions de prévention qui sont proposés, leur utilité, leur urgence éventuelle, leurs conséquences, les risques fréquents ou graves normalement prévisibles qu'ils comportent ainsi que sur les autres solutions possibles et sur les conséquences prévisibles en cas de refus. Lorsque,
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densersatz, wenn der Patient einen „echten Entscheidungskonflikt“ hinsichtlich der Aufklärung substantiiert darlegt, ohne diesen beweisen zu müssen74. In Italien ist die Rechtsprechung sogar noch weiter gegangen und hat die Beweislastumkehr auf sämtliche Fälle erweitert, in denen eine Nichterfüllung der Verpflichtung vorliegt: Die Vereinigten Senate der Corte di Cassazione75 haben angemerkt, dass „der Gläubiger den Titel der Verpflichtung beweisen und nur die Nichterfüllung darlegen muss, während der Schuldner die rechtserlöschende Tatsache unter Beweis stellen oder den haftungsbefreienden Beweis nach Art. 1218 it. Cod. Civ. erbringen muss“76. Demzufolge wurde vor allem in Frankreich und Deutschland eine Verteidigungsstrategie durch die Einführung von Risk Management-Prozeduren und die Ausarbeitung strenger Protokolle entwickelt: Der Patient wird überaus gewissenhaft informiert und erhält stets zahlreiche Formulare und detaillierte Informationsbroschüren. Bei bestimmten Eingriffen (wie bei Schönheitsoperationen, bei denen meistens das Ergebnis gewährleistet wird77) wird ein Vertrag abgeschlossen, in
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postérieurement à l'exécution des investigations, traitements ou actions de prévention, des risques nouveaux sont identifiés, la personne concernée doit en être informée, sauf en cas d'impossibilité de la retrouver. (2) Cette information incombe à tout professionnel de santé dans le cadre de ses compétences et dans le respect des règles professionnelles qui lui sont applicables. Seules l'urgence ou l'impossibilité d'informer peuvent l'en dispenser. (3) Cette information est délivrée au cours d'un entretien individuel. (4) La volonté d'une personne d'être tenue dans l'ignorance d'un diagnostic ou d'un pronostic doit être respectée, sauf lorsque des tiers sont exposés à un risque de transmission. (5) Les droits des mineurs ou des majeurs sous tutelle mentionnés au présent article sont exercés, selon les cas, par les titulaires de l'autorité parentale ou par le tuteur. Ceux-ci reçoivent l'information prévue par le présent article, sous réserve des dispositions de l'article L 1111-5. Les intéressés ont le droit de recevoir eux-mêmes une information et de participer à la prise de décision les concernant, d'une manière adaptée soit à leur degré de maturité s'agissant des mineurs, soit à leurs facultés de discernement s'agissant des majeurs sous tutelle. (6) Des recommandations de bonnes pratiques sur la délivrance de l'information sont établies par la Haute Autorité de santé et homologuées par arrêté du ministre chargé de la santé. (7) En cas de litige, il appartient au professionnel ou à l'établissement de santé d'apporter la preuve que l'information a été délivrée à l'intéressé dans les conditions prévues au présent article. Cette preuve peut être apportée par tout moyen.”. BGH, 1.2.2005, in NJW, 2005, S. 1364. Vgl. auch DEUTSCH, Neues zur ärztlichen Aufklärung im Ausland, a.a.O., S. 465; SPICKHOFF, Die Entwicklung des Arztrechts 2006/2007, in NJW, 2007, S. 1632. Cass., Sez. Un., 30.10.2001, n. 13533, in Foro it., 2002, I, S. 769, mit Anm. von LAGHEZZA, Inadempimenti ed onere della prova: le sezioni unite e la difficile arte del rammendo; in Contr., 2002, S. 113, mit Anm. von CARNEVALI, Inadempimento e onere della prova; in Nuova Giur. civ. comm., 2002, I, S. 349, mit Anm. von MEOLI, Risoluzione per inadempimento ed onere della prova. „Il creditore deve dimostrare il titolo dell’obbligazione ed allegare soltanto l’inadempimento, mentre il debitore deve dedurre il fatto estintivo o la prova liberatoria dell’art. 1218 c.c.”. In Frankreich wird die Leistungshandlung des Schönheitschirurgen überaus streng bewertet (CA Paris, 16.6.1995, in Dalloz, 1995, IR, S. 194) und die Informationspflicht ist „total“ (Cass. civ., 14.1.1992, n. 90-10.870, in Bull. civ., I, n. 16). Für Deutschland:
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dem jede Phase der Operation, die erwarteten Mindestergebnisse, die möglichen Risiken usw. genau beschrieben sind.
3. Die policy des englischen House of Lords In England übernimmt die duty of information dagegen wie gesagt eine stark untergeordnete Bedeutung, denn der Informationsmangel bewirkt einen Zustimmungsmangel, und der Arzt wird auf der Grundlage der tort of battery zur Verantwortung gezogen. Im Rahmen der Arzthaftung ist die englische Rechtsprechung bei der Anwendung der tort of battery jedoch äußerst zurückhaltend.78 Alle gegen Ärzte erhobenen Schadenersatzklagen wegen breach of duty sind actions of negligence.79 Die Beweislast obliegt ausschließlich dem claimant, d.h. dem Patienten, obwohl eine Umkehr der Beweislast versucht80, vom House of Lords aber energisch abgewiesen wurde81. Der klassische „but for test“ für den Beweis des kausalen Zusammenhangs ist jedoch zu unflexibel, und deshalb hat das House of Lords in den Fällen der Arzthaftung das Kriterium der „material contribution to the injury“ eingeführt82: Die Haftung des Arztes liegt dann vor, wenn sein Verhalten materiell zum Entstehen des Schadens beigetragen hat. Diese neue Ansicht entsprang der vom Gerichtshof gezeigten Bereitschaft, das Verschulden von einigen den Kläger de facto begünstigenden Elementen abzuleiten. Die Prüfung erfolgt durch äußerst technische gesetzliche Analysen, in denen zum Zweck der Ermittlung des kausalen Zusammenhangs komplexe linguistische Formeln auf die Tatsachen angewendet werden.
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DEUTSCH/GEIGER, Medizinischer Behandlungsvertrag, in Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1982, S. 1095 f.; für Italien: Cass., 8.8.1985, n. 4394, in Foro it., 1986, I, S. 121 f., mit Anm. von PRINCIGALLI; VACCÀ, L’intervento di chirurgia estetica è obbligazione di risultato?, in Resp. civ. e prev., 1986, S. 44; ROMANO, Considerazioni in tema di responsabilità contrattuale del medico per violazione del dovere di informazione, in Giur. it., 1987, I, 1, S. 1136; COSTANZA, Informazione del paziente e responsabilità del medico, in Giust. civ., 1986, I, S. 1432; Trib. Trieste, 14.4.1994, in Resp. civ. e prev., 1994, S. 768, mit Anm. von F. und C. PONTONIO, La responsabilità del chirurgo estetico: obbligazione di mezzi o di risultato?; PERULLI, a.a.O., S. 450 f. Hills v. Potter (1983) 3 All ER 716, 728; Chatterton v. Gerson (1981) QB 432, 443; Abbass v. Kenney (1995) 31 BMLR 157, 163; The Creuzfeldt-Jakob Disease Litigation (1995) 54 BMLR 1. GRUBB, Duties in Contract and Tort, a.a.O., S. 316, Rn. 5.06; Pfizer Corporation v. Ministry of Health (1965) AC 512 (HL). McGhee v. National Coal Board (1973) 1 WLR 1. Wilsher v. Essex AHA (1986) 3 All ER 801. Bomington Castings v. Warlow (1956) AC 613; Holtby v. Brigham & Cowan (Hill) Ltd (2000) 3 All ER 421 (CA).
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IV. Anregungen aus den skandinavischen und indischen Medizinrechtssystemen Abschließend kann behauptet werden, dass sich die Rechtsprechung grundsätzlich auf die eine oder andere Weise darum bemüht, den objektiven Konflikt zwischen der Notwendigkeit des förmlichen Nachweises der Arzthaftung und dem Wunsch nach Gerechtigkeit gegenüber dem Patienten zu lösen. Diese Entscheidung ist ein reines Problem der policy bzw. der Rechtspolitik. Im Vergleich zu allen anderen Fällen der zivilrechtlichen Haftung ist diese Frage jedoch im Bereich des Medizinrechts überaus heikel, denn einerseits gestalten sich die Tatsachenelemente aufgrund des Vorliegens zahlreicher variabler Werte besonders komplex, und andererseits geht es um das Leben und die Gesundheit eines Menschen. Die primären und auf nationaler Ebene anerkannten Zielsetzungen sind auf den Patientenschutz und die Effizienz des Systems gerichtet, und diese Aufgabe ist oft der Quadratur des Kreises gleichzustellen. Ein derart hochgestecktes Ziel kann in diesem Sinne nur durch ein System erreicht werden, in dem die Schäden des Patienten auf der Grundlage der jeweiligen Bedürfnisse und nicht auf der Grundlage des Verschuldensnachweises ersetzt werden. Dieser Weg wurde von den skandinavischen Ländern beschritten, wo die Regeln der zivilrechtlichen Haftung de facto durch die Schaffung eines öffentlichen Versicherungssystems ersetzt wurden83: Nimmt der Schaden gewisse Ausmaße an, wird dem geschädigten Patienten ein Pauschalersatz zuerkannt, der selbstverständlich unter der Summe liegt, die er im Falle des Obsiegens in einem Prozess in anderen europäischen Ländern erhalten würde, aber keine Kosten für Patienten und Schädiger verursacht.84 Prozedural gesehen ist dieser Mechanismus im Übrigen sehr einfach, denn der Patient muss lediglich den Beweis des Kausalzusammenhangs zwischen dem Schadensereignis und dem medizinischen, sanitären oder pharmazeutischen Vorfall erbringen.85 In Zukunft werden meiner Meinung nach zwei Phänomene mit sozialer Bedeutung eine fundamentale Rolle spielen und voraussichtlich einen direkten Einfluss auf das System der Arzthaftung ausüben: • die geänderte Einstellung der Gesellschaft gegenüber dem professionista, der nicht mehr als Verwahrer des absoluten Wissens, sondern als Dienstleister angesehen wird; • die geänderte Einstellung des Rechts gegenüber den Adressaten der Regeln, und hier beziehe ich mich insbesondere auf die Aufmerksamkeit, die die nationalen Gesetzgeber und der Gemeinschaftsgesetzgeber in den letzten Jahrzehnten dem Verbraucher und seinem Schutz gewidmet haben.
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LILIE/FISCHER, Ärztliche Verantwortung im europäischen Rechtsvergleich, in Schriftenreihe der Juristischen Fakultät Halle, Bd. 7, Köln u.a., 1999, S. 156. LILIE/FISCHER, a.a.O., S. 157 f. LILIE/FISCHER, a.a.O., S. 160.
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In diesem Sinne ist der Patient ein Verbraucher von Gütern (Medikamente und Maschinen) und Dienstleistungen (Tätigkeit des Arztes und der medizinischen Hilfskräfte, Krankenhaus), der angesichts des Umstandes, dass dieser Verbrauch seiner Gesundheit dient, eines besonderen Schutzes bedarf.86 Im Übrigen ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Patient als typischer Verbraucher eine unterlegene Stellung einnimmt, und zwar auf drei Ebenen, d.h. informativ, psychologisch und wirtschaftlich. In diesem Zusammenhang ist Indien ein vorbildhaftes Beispiel. Die Entwicklung, die das indische Rechtssystem dazu bewegt hat, die Verbrauchergerichte auch für Rechtsstreitigkeiten in Sachen ärztlicher, sanitärer und pharmazeutischer Haftung zugänglich zu machen, ist zweifellos überaus beeindruckend und äußerst interessant.87 In Indien sind diese drei Bereiche des Medizinrechts im Übrigen stark voneinander abhängig, denn das System ist angesichts der Koexistenz der herkömmlichen Heilkunde (die in vier Schulen gegliedert ist: Ayurveda, Siddha, Unani und Amtchi) und der westlichen Medizin, einschließlich Allopathie und Chirurgie, besonders komplex.88 Im Vergleich zur Lösung der skandinavischen Länder wurde die Effizienz des Systems auch durch die alternative indische Lösung, d.h. die Erweiterung der Zuständigkeit der Verbrauchergerichte auf die geschädigten Patienten, gesteigert und der Patient besser geschützt, vor allem deshalb, weil der Verbraucher insbesondere auf prozessualer Ebene in den Genuss einer Reihe von Erleichterungen, wie der Beweislastumkehr, der Vereinfachung des Prozesses und dessen informellen Verlaufs sowie der favor consumatoris89, kommt.
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HALL/SCHNEIDER, Patients as Consumers: Courts, Contracts, and the new Medical Marketplace, in Michigan Law Review, Bd. 106, N. 4, 2008, S. 643 ff. DAVID ANNOUSSAMY, India, in A. DIURNI (Hrsg.), Percorsi mondiali di diritto privato e comparato, Milano, 2008, S. 198. DAVID ANNOUSSAMY, a.a.O., S. 200 ff. DAVID ANNOUSSAMY, a.a.O., S. 209 ff.
Regelungen für die medizinische Forschung – Harmonisierung durch den Europarat
Elmar Doppelfeld
Einleitung Der Europarat strebt auf der Grundlage seiner Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der fundamentalen Freiheiten vom 4. November 19501 an, die Einheit seiner Mitglieder durch harmonisierte Schutzbestimmungen auf europäischer Ebene zu fördern. Vor diesem Hintergrund sieht der Europarat, veranlasst durch die rasante Entwicklung der Biologie und Medizin insbesondere seit den beiden letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts wie erweiterte Möglichkeiten medizinischer Diagnostik und Therapie, In-vitro-Fertilisation mit dem Zugriff zum menschlichem Genom oder Forschung mit menschlichen Embryonen, Handlungsbedarf für die Bereiche „Medizin und Biologie“. Ein erster Schritt zur Bearbeitung der anstehenden ethischen und rechtlichen Fragen war die Einsetzung einer ad hoc Arbeitsgruppe, des „Comité ad hoc des Experts sur la Bioétique“ (CAHBI). Der Ministerrat des Europarates hat diese Gruppe 1991 umgewandelt in einen ständigen Lenkungsausschuss, das „Steering Committee on Bioethics“, bekannt auch unter dem von seiner amtlichen französischen Bezeichnung „Comité Directeur pour la Bioéthique“ abgeleiteten Akronym CDBI. Global lässt sich der Auftrag dieses Lenkungsausschusses beschreiben mit der Erarbeitung von Regelungen zum Schutz der Menschenrechte und der Würde der Person im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin, wie es im Titel des „Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin“ anklingt – „for the protection of human rights and dignity of the human being with regards to the application of biology and medicine“2. Diese erste vom Lenkungsausschuss erar-
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Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms of 4 November 1950, Council of Europe, CETS No.: 005. Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine: Convention on Human Rights and Biomedicine, Oviedo, 4.IV. 1997, European Treaty Series – No. 164, Council of Europe, Strasbourg.
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Elmar Doppelfeld
beitete und vom Ministerrat des Europarates verabschiedete Konvention enthält auch grundlegende Vorschriften für die medizinische Forschung am Menschen. Mit dieser Konvention und den auf ihrer Grundlage erarbeiteten Zusatzprotokollen, Instrumenten des internationalen Rechts, folgt der Europarat auf europäischer Ebene der Tendenz staatlicher Regelung auch der Forschung am Menschen. Als Beispiel nationaler Vorschriften mit teilweise unverändert relevantem Gedankengut sei erwähnt die „Anweisung an die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten“ vom 29. Dezember 1900 des Preußischen Kultusministers3. Mit diesem Erlass wird die Zustimmung des Betroffenen nach gehöriger Belehrung, heute als „informed consent“ bekannt, als Voraussetzung für die Teilnahme an medizinischen Versuchen vorgeschrieben. Anzuführen sind ferner die „Richtlinien für neuartige Heilversuche und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen“ des Reichsministers des Innern vom 28. Februar 19314. Der Nürnberger Codex des internationalen Gerichtshofes, ebenfalls dem Bereich staatlicher Normsetzung zugehörig, wurde Motor internationaler Regelungen. Bei der Bewertung zeitgenössischer staatlicher Regelungen u.a. auch der Konventionen und Zusatzprotokolle des Europarates ist zu würdigen der fruchtbare Einfluss, den zwei internationale Empfehlungen auf ihre Erarbeitung ausgeübt haben: Die nur forschende Ärzte betreffende Deklaration des Weltärztebundes5 von Helsinki insbesondere in ihrer 1975 in Tokio6 verabschiedeten Fassung und die „Internationalen Ethischen Richtlinien für Biomedizinische Forschung am Menschen“ von CIOMS7, gerichtet an alle Forscher. Beide Instrumente können als Äußerungen nichtstaatlicher Organisationen keine unmittelbare rechtliche Wirkung entfalten. Es wird ferner bezweifelt, dass diese oder ähnliche Regelungen ausreichen, um angesichts der Multidisziplinarität der immer tiefer eingreifenden Forschung alle Forscher zu binden und den Schutz der Rechte und Grundfreiheiten der Teilnehmer zu gewährleisten. Diese Überlegung mag beitragen zu der Entscheidung des Europarates, rechtlich bindende Instrumente auf europäischer Ebene vorzulegen. Bevor hierauf näher eingegangen wird, sollen zunächst Entstehungsweise, Systematik und Bindungskraft von Verlautbarungen des Europarates am Beispiel des CDBI dargestellt werden.
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Anweisung an die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten, Zentralblatt für die Gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen (1901), 188 – 189. Richtlinien für neuartige Heilversuche und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen. Erlass des Reichsministers des Inneren vom 28. Februar 1931. Reichsgesundheitsblatt 1931, 179 ff. World Medical Association: Declaration of Helsinki Ethical Principles for Medical Research Involving Human Subjects, www.wma.net. Die revidierte Deklaration von Helsinki, BAnz.108:7109 vom 13. Juni 1987 Council for International Organizations of Medical Sciences (CIOMS), International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects, Geneva 2002.
Regelungen für die medizinische Forschung - Harmonisierung durch den Europarat
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Entstehung von Konventionen, Protokollen und Empfehlungen Die Mitglieder des CDBI werden, wie die Mitglieder aller Lenkungsausschüsse des Europarates, ausschließlich von den Regierungen seiner derzeit 47 Mitgliedstaaten benannt. Das CDBI bearbeitet vom Ministerrat oder anderen Gremien des Europarates vorgelegte Sachgebiete oder kann im Rahmen seiner Aufgabenzuweisung Themen zur Bearbeitung vorschlagen. Ein vereinbartes, vom Ministerrat gebilligtes Thema wird in seinen Grundzügen von der Plenarversammlung des CDBI diskutiert, bevor zu seiner weiteren Bearbeitung eine Arbeitsgruppe gebildet wird. In Arbeitsgruppen können neben ordentlichen Mitgliedern des CDBI auch von den Regierungen der Mitgliedstaaten zu benennende Sachverständige mitwirken. Die von einer Arbeitsgruppe formulierten Entwürfe werden im ständigen Dialog mit der Plenarversammlung des CDBI überarbeitet und harmonisiert. Bei einer gewissen Reife kann der Text dem Ministerrat zugeleitet werden mit der Bitte, ihn den Mitgliedstaaten sowie den Staaten und Organisationen mit Beobachterstatus, der parlamentarischen Versammlung des Europarates, der europäischen Kommission und dem europäischen Parlament zur Stellungnahme zuzuleiten. Die angesprochenen Gremien, insbesondere die Regierungen der Mitgliedstaaten, entscheiden über das Verfahren der internen Begutachtung einschließlich zu beteiligender Sachverständiger und über die Einbeziehung der Öffentlichkeit. Entwürfe erscheinen überdies im Internet, sodass im formellen Verfahren nicht angesprochene Gruppen, die so genannten Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), zum Beispiel ärztliche berufsständische Vertretungen, wissenschaftliche Organisationen oder Patientenverbände, sich ebenfalls äußern können. Eingegangene Kommentare werden nach sorgfältiger Prüfung gegebenenfalls für eine weitere Überarbeitung des Textes im Dialog zwischen Arbeitsgruppe und dem CDBI genutzt. Im Rahmen dieser Genese wird auch der rechtliche Status der zu verabschiedenden Verlautbarung festgelegt. Mit einer Mehrheit von mindestens 2/3 der Abstimmenden kann das CDBI nach der Geschäftsordnung für Lenkungsausschüsse dem Ministerrat einen Text als Entwurf zuleiten mit der Bitte um Annahme. Falls sich der Ministerrat, gegebenenfalls nach zusätzlicher Konsultation weiterer Gremien, dieser Bitte anschließt, wird der Text in einem förmlichen Verfahren zur Zeichnung durch die Mitgliedstaaten und die sonstigen zur Zeichnung berechtigten Staaten geöffnet. Konventionen und auf ihrer Grundlage verfasste Zusatzprotokolle werden für die Mitgliedstaaten rechtlich bindend, wenn sie nach Unterzeichnung gemäß innerstaatlichem Verfassungsrecht ratifiziert werden. Bei der Zeichnung einer Konvention oder eines Protokolls können beitretende Staaten gegen einzelne Bestimmungen auf der Grundlage innerstaatlichen Rechtes Vorbehalte einlegen. Konventionen und Protokolle treten als Rechtsinstrumente des Europarates in Kraft, wenn sie mindestens von 5 Staaten, darunter 4 Mitgliedstaaten des Europarates, ratifiziert wurden. Nach Erlangung innerstaatlicher Rechtskraft stecken Konventionen und Zusatzprotokolle für die medizinische Forschung den Rahmen ab, den Forscher un-
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Elmar Doppelfeld
geachtet von Empfehlungen sonstiger Genese ausschöpfen, aber nicht überschreiten dürfen. Empfehlungen des Europarates haben keine rechtliche Bindung. Sie stellen einen innerhalb der 47 Mitgliedstaaten abgestimmten Vorschlag für innerstaatliche rechtliche Regelungen dar. Konventionen, Protokolle und Empfehlungen werden durch eine Präambel eingeleitet, die die Grundlagen und die Begründung für ihre Abfassung zusammenfasst. In den Katalog dieser Erwägungsgründe werden ausschließlich Rechtsquellen staatlicher Provenienz einbezogen, Vorlagen von NGOs, z.B. die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes, jedoch nicht aufgenommen. Die Texte enthalten neben den auf ihr spezielles Thema bezogenen Vorschriften eine Anzahl weitgehend gleichförmiger Artikel, die sich mit formalen Rechtsfragen wie Verfahren der Signatur, Sanktionen bei Verstößen, Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten, Änderung des Inhalts usw. befassen. Diese Artikel werden hier ebenso wie die Präambel lediglich erwähnt ohne weitergehende Betrachtung in der folgenden Darstellung. Ergänzt werden diese Instrumente des Europarates durch einen in der Verantwortung des Generalsekretärs erstellten Kommentar, der zur Interpretation der einzelnen Bestimmungen dienen soll. Für den Bereich „Biomedizinische Forschung“ hat der Europarat das „Menschenrechtübereinkommen zur Biomedizin“ sowie das auf seiner Grundlage erarbeitete Zusatzprotokoll „Biomedizinische Forschung“8 verabschiedet. Ergänzt werden diese Rechtsinstrumente durch die an die Mitgliedstaaten gerichtete „Empfehlung des Ministerrates zur Forschung mit menschlichem Gewebe “9.
Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin Das „Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin“, nach dem Ort seiner Öffnung zur Zeichnung am 4. April 1997 auch als Konvention von Oviedo bekannt, legt in 14 Kapiteln mit 38 Artikeln unverzichtbare Bestimmungen zum Schutz der Menschenrechte und der Würde des „Human Being“ bei der Anwendung von Biologie und Medizin vor.
Allgemeine Bestimmungen Hierzu gehören entsprechend dem umfassenden Titel der Konvention auch Regelungen zur Routineanwendung von Biologie und Medizin am Menschen, die hier außer Betracht bleiben. Erwähnt sei lediglich, dass nach Artikel 4 jeder Eingriff 8
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Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine Concerning Biomedical Research, Strasbourg, 25.I.2005, Council of Europe Treaty Series – No. 195, Council of Europe, Strasbourg. Recommendation Rec(2006)4 of the Committee of Ministers to member states on research on biological material of human origin.
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im medizinischen Bereich einschließlich der Forschung den Standards und Verpflichtungen des Berufsstandes zu entsprechen hat. Hier lassen sich Einflussnahmen des im Text nicht näher spezifizierten Berufsstandes ableiten. Aus dem Kapitel 1 – Allgemeine Vorschriften – ist neben der Formulierung des schon genannten Ziels der Konvention in Artikel 1 insbesondere das Prinzip des Vorrangs des Individuums vor den reinen Interessen der Gesellschaft oder der Wissenschaft anzuführen. Diese Norm ist ebenso wie die Regelungen über die Zustimmung zu Eingriffen in Kapitel 2 als besonders nachhaltige Vorgabe auch für Zusatzprotokolle und Empfehlungen zu bewerten. Die Konvention bindet die Zulässigkeit eines medizinischen Eingriffes an die freiwillig erteilte Zustimmung der betroffenen Person nach vorheriger angemessener Unterrichtung. Dieser „free informed consent“ kann jederzeit widerrufen werden ohne Nachteile für den Betroffenen, insbesondere ohne jede Einschränkung gegebenenfalls notwendiger ärztlicher Maßnahmen. Mit einer gewissen Ausnahme durch die später zu besprechende Regelung zur Forschung darf an Menschen, die zur Einwilligung nicht fähig sind, nur ein Eingriff zu ihrem unmittelbaren Nutzen durchgeführt werden. Bei nichteinwilligungsfähigen Personen, Minderjährigen wie Erwachsenen, muss die Zustimmung zu einem solchen Eingriff bei dem nach innerstaatlichem Recht autorisierten Vertreter eingeholt werden. Die vertretene Person ist entsprechend ihrer aktuellen Verständnisfähigkeit an der Entscheidung zu beteiligen. Der gesetzliche Vertreter hat das gleiche Recht auf Information, freie Erteilung der Zustimmung sowie Rücknahme des „free informed consent“ wie der betroffene Mensch selbst. Der Schutz der Privatsphäre und das Recht auf Information und auf Nichtwissen werden in einem eigenen Kapitel berücksichtigt, das auch für die medizinische Forschung gilt. Ferner finden sich Vorgaben für den Einsatz humangenetischer Methoden, die ebenfalls die Forschung betreffen.
Forschung am Menschen Kapitel 5 legt Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen fest. Forschung in Biologie und Medizin soll frei durchgeführt werden unter den Bedingungen der Konvention und unter Beachtung anderer gesetzlicher Regelungen zum Schutz des „Human Being“. Die international akzeptierten Regeln für diese Forschung werden kodifiziert, nämlich Fehlen einer Alternative vergleichbarer Effektivität, angemessene Nutzen-Risiko-Relation, Unterrichtung der betroffenen Person über ihre Rechte und gesetzlichen Schutzbestimmungen sowie die jederzeit widerrufbare freie, ausdrückliche, spezielle und dokumentierte Zustimmung. Als weitere Voraussetzung wird die Genehmigung des Forschungsprojektes durch eine „zuständige Institution“ gefordert, wenn das nationale Recht eine förmliche Genehmigung vorschreibt. Mit dieser Formulierung soll die unterschiedliche Rechtslage in den Mitgliedstaaten berücksichtigt werden, die teils formale Genehmigungen von Forschungsvorhaben fordert, teils auf sie verzichtet. Auf jeden Fall haben vor einer gegebenenfalls erforderlichen Genehmigung eine unabhängige Prüfung der
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wissenschaftlichen Qualität einschließlich der Bedeutung des Forschungsprojektes und eine multidisziplinäre Prüfung der ethischen Vertretbarkeit stattzufinden. Mit dieser Bestimmung soll eine Entscheidung der nach innerstaatlichem Recht zuständigen Institution ohne diese unabhängige Prüfung verhindert werden. In dem insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland mit beachtlichen Emotionen diskutierten Artikel 17 finden sich Schutzbestimmungen für die medizinische Forschung mit Personen, die nicht zustimmen können. Es müssen die schon erwähnten, für jedes Forschungsprojekt in der Konvention kodifizierten wissenschaftlichen Bedingungen eingehalten werden. Grundsätzlich sollen die erwarteten Ergebnisse eine begründete Aussicht auf einen Nutzen für die nicht zustimmungsfähigen Teilnehmer bieten. Zusätzlich gilt, dass Forschung vergleichbarer Effektivität an zustimmungsfähigen Personen nicht durchgeführt werden kann. Die Zustimmung zur Einbeziehung eines nichteinwilligungsfähigen Menschen muss entsprechend den bereits genannten Grundbestimmungen von seinem nach innerstaatlichem Recht zuständigen Vertreter erteilt werden. Schließlich darf sich die betroffene Person nicht gegen eine Teilnahme wehren.
Forschung an Nicht-Einwilligungsfähigen Um Forschung an nichteinwilligungsfähigen Personen ohne die begründete Aussicht auf einen unmittelbaren individuellen Nutzen zu ermöglichen, führt der Artikel 17, Absatz 2 die Mitgliedstaaten verpflichtende Bedingungen ein. Solche Forschung muss eine Ausnahme bleiben, Schutzbestimmungen sind gesetzlich vorzuschreiben. Die Forschung wird dann als gerechtfertigt angesehen, wenn sie eine signifikante Verbesserung des wissenschaftlichen Verständnisses der Situation, Krankheit oder Störung des Individuums anstrebt mit dem Ziel zum Nutzen der Person selbst – ein unmittelbarer Nutzen wird also keineswegs ausgeschlossen – oder anderer Personen in der selben Alterskategorie oder mit der selben Krankheit oder mit der selben Störung beizutragen. Die Forschungsprojekte dürfen höchstens mit einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung für die betroffene Person verbunden sein. Durch diese Bindung an „minimal risk and minimal burden“ als objektive Schranken wird die in der übrigen medizinischen Forschung als zulässig angesehene Abwägung des Risikos gegen den erhofften Nutzen für die gruppennützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen ausdrücklich ausgeschlossen. Schließlich ist zu ergänzen, dass die Konvention die Erzeugung menschlicher Embryonen für Forschungszwecke verbietet, im übrigen einen angemessenen Schutz des Embryos in jenen Ländern fordert, in denen Forschung an Embryonen In-vitro gesetzlich erlaubt ist.
Das Zusatzprotokoll „Biomedizinische Forschung“ Mit diesem Zusatzprotokoll - Präambel, 40 Artikel, gegliedert in 12 Kapitel sowie 1 Anhang- wird im vorgegebenen Rahmen der Konvention und auf ihrer Grundla-
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ge eine rechtlich bindende spezifische Regelung der biomedizinischen Forschung eingeführt.
Anwendungsbereich und Grundregeln für die Forschung Der Anwendungsbereich des Protokolls (Artikel 2) erfasst die gesamte Forschung auf dem „Gesundheitsgebiet“ einschließlich der hierzu notwendigen Eingriffe am Menschen. Über den Begriff „Eingriff“ – im englischen Originaltext „intervention“ – hat es eingehende Debatten gegeben, da einerseits alle Forschung, die in irgendeiner Weise die Person, auch ohne Verletzung ihres Integumentes, tangieren könnte, eingeschlossen, andererseits Forschungsvorhaben ohne eine solche Gefahr ausgeschlossen werden sollten. Artikel 2 definiert „Eingriff“ als physischen Eingriff traditioneller Art oder als jede andere Maßnahme mit dem Risiko, das psychische Wohlbefinden der betroffenen Person zu stören. Angesprochen werden hier insbesondere Interviews mit Fragen, die die Psyche der Befragten berühren könnten. Durch diese Definition des Anwendungsbereichs wird klargestellt, dass auch solche Studien nach den Bestimmungen des Zusatzprotokolls durchzuführen sind, insbesondere ihr Studienplan einer Ethik-Kommission vorzulegen und das Projekt selbst, wenn nach nationalem Recht erforderlich, förmlich zu genehmigen ist. Das Forschungsprotokoll gilt nicht für die Forschung an Embryonen In-vitro, erfasst jedoch Forschung an Föten und Embryonen In-vivo. Unter den allgemeinen Bestimmungen des Kapitels 2 werden Grundsätze wie Vorrang des Individuums, Freiheit der Forschung unter den Bedingungen des Zusatzprotokolls oder Fehlen einer Alternative zur Forschung am Menschen aus der Konvention wiederholt. Auch das Prinzip der Genehmigung durch eine Behörde gemäß nationalem Recht nach vorhergehender unabhängiger Beurteilung der wissenschaftlichen Qualität und der ethischen Zulässigkeit kehrt wieder. Die Risiko-Nutzen-Abwägung wird breiter gefasst, wobei für Forschung ohne erkennbaren Nutzen für den Betroffenen, vorgenommen an einwilligungsfähigen Personen, ein akzeptables Risiko und eine akzeptable Belastung verlangt werden. Ausdrücklich wird die wissenschaftliche Qualität eines Forschungsprojektes gefordert.
Ethik-Kommissionen Die Tätigkeit von Ethik-Kommissionen wird eingehend geregelt. Jeder Forschungsplan ist ihnen zur unabhängigen Prüfung der ethischen Vertretbarkeit vorzulegen, bei transnationalen Studien soll pro Land eine Ethik-Kommission befasst werden. Die Ethik-Kommissionen sind gehalten, ihre Entscheidung mit Gründen zu versehen. Die Signatarstaaten werden aufgefordert, die Unabhängigkeit der Kommissionen zu sichern und sie vor Einflussnahmen zu schützen. Mitglieder von Ethik-Kommissionen müssen jeden Interessenkonflikt im Zusammenhang mit einem Studienprojekt darlegen und sind im zutreffenden Fall von seiner Beratung auszuschließen. Der Katalog der den Ethik-Kommissionen vorzulegenden Informationen umfasst 20 Einzelpunkte, die in einem Anhang zum Zusatzprotokoll zusammengefasst sind. Mit seinen Kapiteln „ Beschreibung des Projektes“,
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„Teilnehmer, Zustimmung und Information“ sowie „Sonstige Angaben“ entspricht er einschließlich der Pflicht zur Offenlegung finanzieller Interessen des Forschers weitgehend dem in den meisten Mitgliedsländern des Europarates üblichen Anforderungsprofil. Jede Ethik-Kommission kann darüber hinaus zusätzliche Informationen zu vorgelegten Forschungsvorhaben verlangen. Der Katalog soll dazu beitragen, die Basis für die Beurteilung von Forschungsprojekten europaweit zu harmonisieren. Es wurde die Form des Anhangs gewählt, da so eine Änderung zur Berücksichtigung neuer Entwicklungen leichter möglich ist. Das Zusatzprotokoll verpflichtet die Ethik-Kommissionen, jede Art von unangemessenem Einfluss auf zu gewinnende Projektteilnehmer, insbesondere durch Gewährung finanzieller oder sonstiger Vorteile, zu unterbinden. Besondere Aufmerksamkeit hat dabei „vulnerable persons“ zu gelten.
Free Informed Consent Dem „free informed consent“ wird angesichts seiner zentralen Bedeutung ein eigenes Kapitel gewidmet. Hier werden die Einzelheiten aufgeführt, die den für ein wissenschaftliches Vorhaben zu gewinnenden Personen mitzuteilen sind. Dazu gehören eine Übersicht über den Forschungsplan und die Angabe vorhersehbarer Risiken sowie möglichen Nutzens. Ferner ist die Bewertung durch die zuständige Ethik-Kommission bekannt zu geben. Über Art, Dauer und insbesondere Belastung der vorgesehenen Forschungsmaßnahmen muss eingehend informiert werden. Zu unterrichten ist über sonstige präventive, diagnostische und therapeutische Möglichkeiten. Darzulegen sind Maßnahmen zum Umgang mit unerwarteten Reaktionen sowie Vorkehrungen zum Schutz der Privatsphäre und der im Rahmen des Forschungsprojektes erhobenen Daten. Zur Information gehören Angaben, wie die Unterrichtung über die Ergebnisse des Forschungsprojektes erfolgt sowie in welcher Weise für den Teilnehmer relevante Befunde mitgeteilt werden sollen. Hinzuweisen ist ferner auf Vorkehrungen zur Kompensation eines eingetretenen Schadens, z.B. Abschluss einer Probandenversicherung je nach nationalem Recht. Angaben über eine mögliche künftige Nutzung der Resultate einschließlich ihrer kommerziellen Verwertung sowie über die Finanzierung des Projektes gehören ebenfalls zu den Informationspflichten. Die in der Konvention verankerte Pflicht wird aufgegriffen, den prospektiven Forschungsteilnehmer über seine Rechte und die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs seiner Zustimmung zu unterrichten. Es sollen Vorkehrungen für den Fall getroffen werden, dass die Zustimmungsfähigkeit des eingeladenen Probanden bezweifelt wird.
Schutz nicht zustimmungsfähiger Forschungsteilnehmer Im Kapitel 5 – „Schutz von Personen, die nicht zustimmungsfähig sind“ – werden Teile der entsprechenden Abschnitte der Konvention wiederholt. Dies mag juristischem Stil widersprechen, dient aber der praktischen Anwendung des Zusatzprotokolls auf diesem sensiblen Gebiet.
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Auf der Grundlage der Konvention wurde im Zusammenhang mit der gruppennützigen Forschung an nichteinwilligungsfähigen Personen präzisiert, dass das Prinzip „minimal risk and minimal burden“ als absolute Grenze auch dann nicht aufgegeben werden darf, wenn sich aus dieser Forschung Nutzen für die betroffene Person selbst abzuzeichnen scheint. Die Informationen, die dem gesetzlichen Vertreter eines einwilligungsunfähigen Menschen zu erteilen sind, werden in Einzelheiten angegeben. Das Zusatzprotokoll versucht in Artikel 17, die vergleichsweise neuen Begriffe „minimal risk and minimal burden“ zu präzisieren. „minimal risk“ lässt sich abschätzen u.a. aus bekannten objektiven Daten einer für das Projekt vorgesehenen Methode. Das Protokoll geht davon aus, dass ihre Anwendung höchstens zu einer sehr geringen und zeitlich begrenzten Beeinträchtigung der Gesundheit der Person führt. „minimal burden“ betrifft die Reaktion des nichteinwilligungsfähigen Forschungsteilnehmers auf eine solche Maßnahme. Eine solche Reaktion, z.B. Angst in ihren vielfältigen Ausdrücken, darf höchstens geringfügig und zeitlich eng begrenzt sein. Zur Beurteilung, ob der Betroffene in üblicher Weise oder sehr viel stärker auf eine bekannte Maßnahme, z.B. eine Blutentnahme, reagiert, soll eine Vertrauensperson hinzugezogen werden. Im Einzelfall müssen für die Zulässigkeit der gruppennützigen Forschung beide Bedingungen erfüllt sein. Würde z.B. eine Methode dem Kriterium „minimal risk“ genügen, aber bei einem Nichteinwilligungsfähigen mehr als „minimal burden“ auslösen, dürfte sie an ihm nicht angewandt werden.
Besondere Situationen Andere sensible Bereiche der Forschung werden in einem weiteren Kapitel abgehandelt. Die Bedingungen für Forschung während der Schwangerschaft oder während der Stillperiode gleichen weitgehend denen für gruppennützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Personen, wenn u.a. gefordert wird, dass vergleichbare Untersuchungen an Nichtschwangeren nicht durchgeführt werden können. Der Nutzen wird ähnlich definiert wie bei Forschung an nichteinwilligungsfähigen Personen, schließlich gelten die schon genannten Bedingungen „minimal risk“ und „minimal burden“. Bei Forschung an Stillenden muss sorgfältig jede gesundheitliche Beeinträchtigung des Säuglings vermieden werden. Für die Forschung in Notfallsituationen müssen Signatarstaaten gesetzliche Schutzbestimmungen einführen. Grundsätzliche Bedingung ist, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, zuzustimmen und dass wegen der Eilbedürftigkeit der Forschungsmaßnahme die Einholung der Zustimmung beim gesetzlichen Vertreter ausgeschlossen ist. Weitere gesetzlich vorzuschreibende Bedingungen sind die Alternativlosigkeit zur Notfallforschung, die Beurteilung der Ethik-Kommission und, je nach nationalem Recht, die Befürwortung oder Genehmigung als spezifische Notfallforschung durch die zuständigen Instanzen des betreffenden Staates. Jede ablehnende Vorausverfügung, soweit in der Notfallsituation bekannt, ist zu berücksichtigen. Wenn die Forschung im Notfall als gruppennützig einzuordnen ist, gelten die absoluten Grenzen „minimal risk“ und „minimal burden“. Personen, die in solche Forschungsvorhaben einbezogen wurden, oder ihr gesetzlicher Ver-
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treter müssen über diese Einbeziehung so schnell wie möglich unterrichtet werden, damit die Zustimmung des Betroffenen oder die Genehmigung durch den Vertreter zur weiteren Beteiligung an dem Projekt erteilt oder ohne Verzug versagt werden können. Signatarstaaten können gruppennützige Forschung an Gefangenen oder sonst ihrer Freiheit beraubten Personen auf gesetzlicher Grundlage nur dann zulassen, wenn alternative Forschung nicht möglich ist, wenn der Nutzen ausschließlich dem gleichen Personenkreis zukommt und wenn die schon mehrfach erwähnten Grundbedingungen „minimal risk“ und „minimal burden“ eingehalten werden.
Schutz der Forschungsteilnehmer Die Bedeutung des Schutzes des Forschungsteilnehmers und der Überwachung des Projektes werden durch Bestimmungen in einem eigenen Kapitel unterstrichen. Hierzu gehört der selbstverständliche Grundsatz der Minimierung von Risiko und Belastung. Forschung darf nur unter der Aufsicht eines erfahrenen und entsprechend qualifizierten „clinical professionals“ durchgeführt werden. Der Forscher soll vor dem Einschluss eine sorgfältige Analyse des Gesundheitszustandes des Forschungsteilnehmers durchführen, um ein erhöhtes Risiko zu erkennen und zu vermeiden. Dabei kann er sich auf vorliegende, etwa im Rahmen eines Klinikaufenthaltes erhobene aktuelle Daten stützen. Bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter sollen mögliche Auswirkungen des Projektes auf künftige Schwangerschaften oder, so die Forschung an einer Schwangeren durchgeführt wird, auf die Gesundheit des Embryos, des Fötus oder des Kindes bedacht werden. Notwendige präventive, diagnostische oder therapeutische Maßnahmen genießen Vorrang vor dem Forschungsprojekt. Falls Kontrollgruppen gebildet werden, sollen ihre Teilnehmer wissenschaftlich geprüfte Methoden der Prävention, Diagnostik oder Therapie erhalten. Durch den Terminus „wissenschaftlich geprüfte Methode“ soll eine Beliebigkeit der Auswahl vermieden und kein „doppelter Standard“ eingeführt werden. Das Protokoll fordert, anders als die Deklaration von Helsinki, hier nicht „die beste Methode“, die, auch unter Berücksichtigung örtlicher Gegebenheiten, oft schwierig zu definieren ist. Das Zusatzprotokoll erlaubt den Einsatz eines Placebo unter zwei weitgehend bekannten und akzeptierten Bedingungen: Wissenschaftlich geprüfte Methoden sind nicht bekannt oder der Verzicht auf ihre Anwendung im Rahmen des Forschungsprojektes birgt kein unannehmbares Risiko oder keine unannehmbare Belastung. Der Einsatz eines Placebos ausschließlich zum Erkenntnisgewinn ohne zusätzliche einschränkende Bedingungen wird nicht zugelassen.
Unterrichtung über Ergebnisse Zum Schutze der Forschungsteilnehmer müssen im Laufe des Forschungsprojektes auftretende Befunde ebenso wie synchron erscheinende wissenschaftliche Publikationen darauf geprüft werden, ob sich Konsequenzen für die NutzenRisiko-Bewertung oder die Sicherheit der Personen ergeben. Gegebenenfalls ist das Protokoll entsprechend zu ändern. Über diese Änderungen müssen die Teil-
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nehmer unterrichtet werden, auf der Grundlage geänderter Bedingungen ist notfalls ein neuer „free informed consent“ einzuholen. Schließlich müssen die nach nationalem Recht zuständigen Instanzen unter Angabe der Gründe über jede vorzeitige Beendigung eines Forschungsprojektes informiert werden. Hiermit soll dem vielfach beklagten „Versanden“ solcher Projekte vorgebeugt werde. Die Vertraulichkeit wird in zweifacher Hinsicht gesichert. Alle während eines Projektes erhobenen personenbezogenen Daten sind als vertraulich anzusehen und entsprechend den Bestimmungen zum Schutz der Privatsphäre zu behandeln. Die Vertraulichkeit der Verhandlungen der Ethik-Kommission soll auf gesetzlicher Grundlage geschützt werden. Es wird die Pflicht eingeführt, Forschungsteilnehmern eine Unterrichtung über Befunde mit Bedeutung für ihre Gesundheit oder für die Qualität ihres künftigen Lebens anzubieten. Der Forschungsteilnehmer selbst hat zu entscheiden, ob er von diesem Angebot Gebrauch machen möchte. Die Aufklärung über solche Befunde soll im Rahmen einer ärztlichen oder gesundheitlichen Beratung vorgenommen werden. Sonstige persönliche Befunde, die im Forschungsprojekt erhoben wurden, müssen den Teilnehmern zugänglich gemacht werden in Übereinstimmung mit gesetzlichen Bestimmungen zum Datenschutz und zum Schutz des Individuums.
Publikation der Ergebnisse Nach der Beendigung eines Projektes soll ein Bericht oder eine Zusammenfassung der Ethik-Kommission oder der zuständigen Institution des betreffenden Landes zugeleitet werden. Auf Anforderung sind die Schlussfolgerungen aus dem Forschungsprojekt auch den Forschungsteilnehmern zugänglich zu machen. Schließlich soll der Forscher „angemessene Maßnahmen ergreifen, um die Ergebnisse in angemessener Zeit der Öffentlichkeit bekannt zu machen“. Mit dieser Bestimmung versucht das Protokoll, eine Pflicht zur Publikation von Forschungsergebnissen einzuführen. Gegenüber stringenteren Fassungen in früheren Entwürfen wurde von Mitgliedstaaten immer wieder eingewandt, es könne u.a. aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Pflicht zur Publikation von Ergebnissen geben. Die zitierte, vielfach als zu schwach kritisierte Bestimmung ist als Kompromissformel zu werten.
Forschung in Drittländern Mit einem besonderen Artikel versucht das Protokoll, die Einhaltung seiner Grundsätze auch außerhalb seines Geltungsbereiches sicherzustellen. An diese Bestimmung wird die Erwartung geknüpft, dass der Forschungsexport in Länder mit „günstigeren Bedingungen“ unterbunden wird. In weiteren Artikeln wird die Sicherstellung einer Entschädigung im Schadensfalle, so durch nationales Gesetz vorgeschrieben, verlangt. Der Leser wird in dem Protokoll Bestimmungen zur Forschung mit asserviertem menschlichem Gewebe vermissen. Der Ministerrat hat dem Vorschlag des CDBI zugestimmt, auf der Grundlage der Konvention von Oviedo und des Zu-
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satzprotokolls „Biomedizinische Forschung“ für diesen Bereich einen gesonderten Regelungsvorschlag zu erarbeiten.
Empfehlung zur Forschung mit menschlichem biologischem Material Angesichts der vergleichsweise neuen Forschungsansätze mit besonderen rechtlichen Problemen, z.B. im Zusammenhang mit Biobanken, wurde beschlossen, die Regelungsansätze für dieses Gebiet in Form einer rechtlich nicht bindenden Empfehlung für die nationalstaatliche Gesetzgebung vorzulegen.
Anwendungsbereich Die Empfehlung erfasst den Gesamtbereich der Forschung mit biologischem menschlichem Material in Sammlungen jeder Art einschließlich seiner Entnahme beim Spender. Sie gilt auch für Gewebe, das ursprünglich für andere Zwecke, z.B. für die medizinische Diagnostik oder für ein anderes Forschungsprojekt entnommen wurde. Zum Anwendungsbereich gehören mit dem Gewebe assoziierte Daten, fötales und embryonales Gewebe hingegen fällt nicht unter die Bestimmungen der Empfehlung. Der Text unterscheidet zwischen identifizierbarem und nicht identifizierbarem Gewebe. Identifizierbares Gewebe kann unmittelbar oder unter Verwendung eines Codes einer Person zugeordnet werden. Die verschiedenen Stufen der Identifizierbarkeit und der Codierung werden im Text für den Sprachgebrauch der Empfehlung definiert. Nicht identifizierbare biologische Materialien können demgegenüber alleine oder in Kombination mit assoziierten Daten mit zumutbaren Mitteln – „reasonable efforts“, wie es entsprechend internationalem Sprachgebrauch heißt – einer Person nicht zugeordnet werden.
Allgemeine Bestimmungen In den allgemeinen Bestimmungen wird den Mitgliedstaaten empfohlen, praktische Richtlinien für die genannte Forschung zu verabschieden und vorzusehen, dass das Risiko für die betroffene Person, für ihre Familie und für das private Leben minimiert wird. Es müssen Maßnahmen zur Vermeidung jeder Diskriminierung als Folge der Gewebeanalyse ergriffen werden. Biologisches Gewebe als solches darf nicht Grundlage finanziellen Gewinns sein. Durch diese Bestimmung soll der Verkauf von Gewebe z.B. zum Zwecke industrieller Nutzung unterbunden werden. Es wird das bekannte Prinzip der Anonymisierung zum frühestmöglichen Zeitpunkt unterstrichen und dem Forscher die Begründung dafür auferlegt, warum er gegebenenfalls mit identifizierbarem Gewebe forschen will. Menschliches biologisches Material für die Forschung darf nur in Übereinstimmung mit den Vorschriften der Empfehlung gewonnen werden. Die Information und die Zustimmung zur Erlangung dieses Materials sollen so spezifisch wie
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möglich sein, wobei jede vorhersehbare Art wissenschaftlichen Nutzens zu berücksichtigen ist. Es wird die Möglichkeit eingeräumt, dass der Gewebsspender auch einer Verwendung seiner Proben in einer nicht näher bestimmbaren Zukunft für noch nicht spezifizierte Forschungszwecke zustimmen kann („open consent“). Eine solche Zustimmung für künftige Forschung wird als rechtswirksam eingesehen, da der Betroffene in Kenntnis dieser Ungewissheit frei seine Entscheidung treffen kann. Mit dieser von bisherigen Auffassungen abweichenden Regelung soll die zukünftige wissenschaftliche Verwendung asservierten Materials erleichtert werden.
Entnahme von Gewebe und free informed consent Eingriffe an einem Menschen zur Gewinnung biologischen Materials zur Sammlung für Forschungszwecke dürfen ausschließlich nach den Bestimmungen des Zusatzprotokolls „Biomedizinische Forschung“ vorgenommen werden. Menschliches Gewebe, das ursprünglich für andere Zwecke entnommen wurde, darf für wissenschaftliche Ziele nur genutzt werden mit Zustimmung des Betroffenen oder der Genehmigung seines gesetzlichen Vertreters oder aufgrund gesetzlicher Bestimmungen. Mit einer besonderen Passage werden die Forscher aufgefordert, bei jeder Entnahme von Gewebe, z.B. auch im Rahmen eines diagnostischen Eingriffs, gleichzeitig um die Zustimmung zur wissenschaftlichen Nutzung nachzusuchen, um das Problem einer späteren Einholung des „free informed consent“ zu vermeiden. Material von Toten soll nur bei Vorliegen einer zu Lebzeiten des Verstorbenen erteilten Zustimmung oder gegebenenfalls nach Genehmigung entsprechend nationalem Recht entnommen werden dürfen. Eine solche Entnahme ist vorbehaltlich gesetzlicher Bestimmungen ausgeschlossen, wenn von dem Verstorbenen ein zu Lebzeiten ausgesprochener Widerspruch bekannt ist.
Sammlungen von Gewebe Im Kontext Forschung gilt die Empfehlung für alle Arten von Sammlungen menschlichen Gewebes, seien sie in einer ärztlichen Praxis, Instituten jeder Größe und Fachrichtung oder in Biobanken angelegt. Sie versucht, den unterschiedlichen Bereichen Rechnung zu tragen durch die Erarbeitung allgemeiner Richtlinien für alle Sammlungen, die durch spezielle Bestimmung für Biobanken ergänzt werden. Nach den allgemeinen Bestimmungen soll der „verantwortliche Leiter“ einer Sammlung bekannt, ihr Ziel klar festgelegt sein. Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sind anzugeben. Regeln für Gebrauch und Transfer biologischen Materials müssen ebenso ausgearbeitet werden wie Bestimmungen über mitzuteilende Informationen. Jede Gewebsprobe soll sachgerecht dokumentiert werden, einschließlich der Angabe über vorliegende Zustimmungen oder Genehmigungen für weitere Verwendungen, z.B. für Forschungszwecke. Maßnahmen zur Qualitätssicherung und zum Schutz der Vertraulichkeit und der Sicherheit des Umgangs mit dem Material runden den Katalog der allgemeinen Anforderungen an eine Sammlung ab.
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Eine Person, die der Einlagerung ihres Gewebes zu Forschungszwecken zugestimmt hat, erhält das Recht, diese Zustimmung zu widerrufen, wenn vorgesehene Forschungsfelder nicht mehr von dem erteilten „free informed consent“ abgedeckt werden. Bei identifizierbarem Gewebe soll der Gewebsspender nach nationalem Recht fordern dürfen, dass sein Material zerstört oder anonymisiert wird. Der gesetzliche Vertreter einer nichteinwilligungsfähigen Person erhält die gleichen Rechte. Die Versendung biologischen Materials und assoziierter personenbezogener Daten in andere Staaten darf nur erfolgen, wenn der empfangende Staat ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet.
Biobanken Ergänzend definiert die Empfehlung eine Biobank als eine bevölkerungsbezogene Einrichtung, die biologisches Material oder mit ihm zusammenhängende Daten für vielfältige künftige Forschungsprojekte sammelt.. Das enthaltene biologische Material und die assoziierten Daten einschließlich jener zu Genealogie, Medizin und Lifestyle werden regelmäßig ergänzt und aktualisiert. Biologisches Material wird von einer Biobank in organisierter Weise empfangen und bei Bedarf zur Verfügung stellt. Eine Biobank muss alle für eine Gewebesammlung geltenden Bestimmungen erfüllen. Darüber hinaus ist bei ihrer erstmaligen Einrichtung oder bei der Umwandlung einer bestehenden Gewebesammlung in eine Biobank eine unabhängige Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen der Empfehlung durchzuführen. Jede Biobank soll einer unabhängigen Aufsicht unterliegen, um insbesondere die Interessen und Rechte der Personen zu schützen, deren Gewebe eingelagert wurde. Regelmäßige Überprüfungen sollen sicherstellen, dass die Vorschriften über Zugang und Benutzung der gesammelten Proben eingehalten werden. Vorgehensweisen für Transfer oder für die Schließung einer Biobank sind zu formulieren. Die Banken sollten regelmäßig, mindestens jährlich, bei Bedarf auch häufiger, Berichte über ihre zurückliegenden oder über ihre geplanten Aktivitäten publizieren. Auf der Grundlage der Empfehlung sollen die Mitgliedstaaten den Zugang der Forscher zu biologischem Materialien und assoziierten Daten in den Biobanken angemessen regeln. Der Gewebsspender kann, unabhängig von dem Typ der Sammlung, Einschränkungen für die wissenschaftliche Nutzung seines Materials verfügen, z.B. eine Verwendung für militärische Forschung ausschließen. Ferner kann er bestimmen, dass sein biologisches Material nicht anonymisiert werden darf.
Free informed consent und Abweichungen Biologisches Material darf nur für Forschungszwecke verwandt werden, für die eine Zustimmung des Gewebespenders vorliegt. Wenn eine Zweckänderung beabsichtigt wird, muss, wie bereits ausgeführt, eine erneute Zustimmung nach den Vorschriften für den „free informed consent“ eingeholt werden. Für die hierzu notwendige Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen müssen „reasonable efforts“
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unternommen werden, eine absolute Forderung wird mithin nicht erhoben. Gegen diese Kontaktaufnahme wird gelegentlich kritisch eingewendet, dass hiermit Menschen an frühere Krankheiten erinnert werden. Zu bedenken ist freilich, dass die verbreitete standardisierte Nachsorge bei chronischen oder bösartigen Erkrankungen das gleiche Erinnerungspotenzial birgt. Wenn es nicht möglich ist, unter vertretbaren Bedingungen mit dem Gewebsspender Kontakt aufzunehmen, darf sein Material nur für Forschungszwecke genutzt werden, wenn nach unabhängiger Prüfung das Projekt wissenschaftlich bedeutend ist, sein Ziel nicht mit Materialien, für deren Nutzung eine Zustimmung vorliegt, erreicht werden kann und nicht erkennbar ist, dass der Gewebsspender der speziellen Verwendung widersprochen hätte.
Anonymisierung In einem eigenen Artikel wird festgelegt, dass anonymisiertes biologisches Material nur wissenschaftlich genutzt werden darf, wenn der Gewebsspender nach Belehrung über ihre Folgen der Anonymisierung zugestimmt hat und vor der Anonymisierung von ihm festgelegte Verwendungsbeschränkungen nicht verletzt werden. Die Methode der Anonymisierung, keinesfalls die Anonymisierung in jedem Einzelfall, soll durch nach innerstaatlichem Recht zuständige Instanzen überprüft werden.
Ethik-Kommission Auch für Forschung mit entnommenem Material gilt die schon aus der Konvention und dem Zusatzprotokoll „Biomedizinische Forschung“ bekannte Regel, dass sie nur unternommen werden darf, wenn eine unabhängige Prüfung des wissenschaftlichen Wertes, der Bedeutung des Ziels und der ethischen Zulässigkeit vorgenommen wurde. Die Beteiligung der Ethik-Kommissionen erfolgt nach den im Zusatzprotokoll „Biomedizinische Forschung“ festgelegten Vorschriften, wobei der Reviewprozess entsprechend dem Forschungsprojekt adaptiert werden kann. Das nationale Recht kann eine förmliche Genehmigung von Forschungsvorhaben mit menschlichem Gewebe vorschreiben.
Schlussbemerkungen Mit den vorgestellten Instrumenten versucht der Europarat, das sensible Gebiet der medizinischen Forschung so zu regeln, dass einerseits die in seiner Grundkonvention niedergelegten Grundrechte und Grundfreiheiten des Menschen nicht verletzt werden, dass andererseits die Freiheit der Forschung gewahrt wird. Dabei folgen seine Mitglieder der Auffassung, dass der Schutz der Rechtsgüter „Würde des Menschen“ und „Freiheit der Forschung“ auch im Bereiche der medizinischen Forschung zu den originären Aufgaben des Staates gehört.
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Bildlich gesprochen tut sich bei dem angesprochenen Regelungsbereich ein oft sehr schmaler Pfad auf, der nicht verfehlt werden darf. Die zunehmenden Zeichnungen und Ratifikationen mögen als Indiz dafür gelten, dass das angestrebte Ziel erreichbar ist. Es bleibt abzuwarten, ob die Konvention von Oviedo sich als taugliches Vorbild für weltweite Regelungen bewährt10. Mit den besprochenen rechtlich bindenden internationalen Instrumenten des Europarates werden gegenüber der Vergangenheit grundsätzliche Änderungen eingeleitet. Die Bestimmungen richten sich an alle Forscher ohne jede Beschränkung auf ihre Berufszugehörigkeit. Sie genießen als gesetzlich bindende Instrumente nach innerstaatlicher Ratifizierung Vorrang vor allen Regelungsansätzen berufsständischer oder sonstiger Provenienz. Solche Codices wie die Deklaration von Helsinki oder die Richtlinien von CIOMs, über Jahrzehnte ohne Zweifel maßgebend, verlieren durch das neue System internationaler rechtlicher Regeln freilich nicht ihren Wert. Als Empfehlungen mögen sie dem Forscher bei einer Entscheidung helfen, ob und wie er gesetzlich zulässige Forschungsmöglichkeiten nutzen will.
Anhang: Daten zu den Rechtsinstrumenten (Stand 28.7.2008) Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin • Geöffnet zur Zeichnung: Oviedo, 4. April 1997 • In Kraft als Instrument des Europarates: 1. Dezember 1999 • Zeichnung: 34 Mitgliedstaaten • Ratifizierung: 22 Mitgliedstaaten Zusatzprotokoll „Biomedizinische Forschung • Geöffnet zur Zeichnung: Straßburg, 25. Januar 2005 • In Kraft als Instrument des Europarates: 1. September 2007 • Zeichnung: 16 Mitgliedstaaten • Ratifizierung: 5 Mitgliedstaaten
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Taupitz, J.,(Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates – taugliches Vorbild für eine weltweit geltende Regelung?, Springer, Berlin Heidelberg 2002.
Striktes Verbot der Arzneimittelprüfung an zwangsweise Untergebrachten (§ 40 I S. 3 Nr. 4 AMG)?
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I. Biomedizinische Forschung und Recht „Je mehr der Arzt und seine Kunst ihr Wissensgebiet erweitern, desto weniger ist Platz für die Ohnmacht der Natur“1. Dieser medizinische Erkenntnis- und Erfahrungszuwachs zugunsten vermehrter Möglichkeiten der heilenden Intervention erfolgt heute, wie der verehrte Jubilar in seinem großen, zuletzt in sechster Auflage gemeinsam mit Andreas Spickhoff herausgegebenen Lehrbuch „Medizinrecht“ in der ihm eigenen Formulierungsgabe prägnant festgehalten hat, nicht mehr vorwiegend unkontrolliert durch „Versuch und Irrtum“ des behandelnden Arztes, sondern aus Gründen der Wissenschaftlichkeit ebenso wie des Patientenschutzes zunehmend in kontrollierten klinischen Versuchen. Hierin mag man allgemein einen Beleg für die Hinwendung der ehedem magischen Vorstellungen verhafteten „Heilkunde“ zu einer mit Absolutheitsanspruch auftretenden „rationalnaturwissenschaftlichen Heiltechnik“ sehen;2 wer jedoch fortwährend den bestmöglichen Behandlungsstandard für die Patienten erwartet, kann sich der Notwendigkeit solcher Versuche am Menschen aller schrecklichen Erfahrungen der jüngeren Geschichte zum Trotz nicht gänzlich verschließen: Denn auch nach noch so intensiver Prüfung im Laboratorium und im Tierversuch muss irgendwann „der Schritt zur Erprobung am Menschen getan werden, im Interesse des Lebens und der Gesundheit der Bürger“3 – der Verzicht auf vorherige Erprobung am Menschen wäre schlechterdings unverantwortlich. Deshalb gilt: „Der Stand der Wissenschaft heute beruht auf den Versuchen von gestern, mögen sie erlaubt oder unerlaubt gewesen sein“4.
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Deutsch, NJW 1995, 3019. Staak, in: Spann-FS 1986, S. 497. Schreiber, in: Martini (Hrsg.), Medizin und Gesellschaft. Ethische Verantwortung und ärztliches Handeln, 1982, S. 181. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht. Arztrecht, Arzneimittelrecht, Medizinprodukterecht und Transfusionsrecht, 6. Aufl. 2008, Rn 917; weiterhin etwa Fischer, Medizinische
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Das hiermit freilich schon angedeutete Spannungsfeld ist bekannt und leicht zu spezifizieren: Die Entwicklung neuer Heilmethoden und Wirkstoffe zum Wohle künftiger Patienten impliziert zwangsläufig die Gefährdung jener, die zwecks näherer Erforschung von Sicherheit und Wirksamkeit der noch nicht bewährten Therapieoptionen gegenwärtig in klinische Prüfungen einbezogen werden. Auf dem Boden einer Rechtsordnung, die vom Selbstverständnis gleicher Freiheit aller und einer wechselseitigen Achtung des je anderen in seinem individuellen So-Sein getragen ist, muss diese Gefährdung jedoch stets deutlich begrenzt und durch sichernde Vorkehrungen eingehegt sein, damit das für sich höchst legitime Anliegen der medizinischen Forschung (Art. 5 III GG) nicht in einem menschenrechtswidrigen Zwangszugriff degeneriert: Bezogen auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II S. 1 GG) unterliegen Rechtssubjekte keiner „sittlichen“ Unterwerfungspflicht gegenüber „Interessen der Allgemeinheit“5. Für das medizinethische Selbstverständnis formuliert die Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki/Tokio (2004) ganz in demselben Sinne: „In der medizinischen Forschung am Menschen haben Überlegungen, die das Wohlergehen der Versuchsperson (die von der Forschung betroffene Person) betreffen, Vorrang vor den Interessen der Wissenschaft und der Gesellschaft“6. Dementsprechend unterliegt der Vorstoß in medizinisches Neuland gesteigerter Verantwortlichkeit und dem Gebot verstärkter Vorsicht: „Der ärztliche Pionier benötigt ein wachsames Gewissen“7. Kollidiert medizinische Forschung mit der Maxime „primum non nocere“8, ist daher nicht der Einzelne in seinem Anspruch auf Verschontbleiben von Eingriffen in den status quo rechtfertigungsbedürftig; vielmehr haben die Belange der Forschung zurückzutreten, wenn diese „nur auf Kosten von Leben und Gesundheit des Ein-
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Versuche am Menschen, 1979, S. 3; Rosenau, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle in der Medizin, 2000, S. 63 f. Erschreckend „gemeinwohlfreundlich“ aber Almer, Zwangsweise Unterbringung und medizinische Forschung, 2005, S. 170 f.: „Auf Grund dieser Verantwortung [scil.: resultierend aus einem „Eingeordnetsein“ des Individuums „in die größere Gemeinschaft“] darf der Einzelne nicht nur die Vorteile des Systems abschöpfen, sondern muss sich von der Gesellschaft auch in die sittliche Pflicht nehmen lassen. Zu eben dieser sittlichen Pflicht gehört es, sich zum Wohl der menschlichen Gemeinschaft an notwendigen therapeutischen Untersuchungsarbeiten zu beteiligen“; wie hier dagegen in der nötigen Deutlichkeit Fischer (o. Fn 4), S. 3 f.; Schreiber (o. Fn 3), S. 184. Abschnitt A., 5., abrufbar unter: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/ 92helsinki.pdf. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 130 Rn 3 f. In der hippokratischen Tradition: Ärztliche Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden; siehe weiterhin § 1 Musterberufsordnung: Ärztinnen und Ärzte dienen der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung. […] Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen […]. Aus medizinethischer Sicht näher Beauchamp/Childress, Principles of Biomedical Ethics, 5. Aufl. 2001, S. 113 ff.: „at least, to do harm“.
Striktes Verbot der Arzneimittelprüfung an zwangsweise Untergebrachten?
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zelnen befriedigt werden können“9. Selbst die hohe Wahrscheinlichkeit eines großen Nutzens (für künftige Patienten) vermag das nahe liegende Risiko einer erheblichen Schädigung der Probanden nicht zu legitimieren; auch bei schwer Erkrankten lässt sich das Eingehen von Lebensgefahr allenfalls als allerletzte Option und nur bei tatsachengestützter („begründeter“) Erfolgserwartung verantworten, muss also der Versuch bei Disproportionalität der Risiko-NutzenAbwägung sofort abgebrochen werden.10 Eine so verstandene „ärztliche Vertretbarkeit“ (vgl. § 40 I S. 3 Nr. 2 AMG) des Forschungsvorhabens ersetzt somit die in alltäglichen Behandlungsfällen das Maß des „Objektiv-Vernünftigen“ ausfüllenden Kriterien der medizinischen Indikation (für das „Ob“) und der Behandlungs- oder „Kunstregeln“ (für das „Wie“)11; das weitere Erfordernis einer zugleich „subjektiven Legitimation“ kraft Selbstbestimmungsrechts des Versuchsteilnehmers ist hingegen dem Grundsatz nach den Anforderungen im „therapeutischen Arbeitsbündnis“12 äquivalent, allerdings wegen der zumindest teilweisen Fremdnützigkeit der Teilnahme an einer medizinischen Forschungsstudie von besonderem Gewicht.13 Das Arzneimittelrecht hat hieraus folgerichtig den Schluss gezogen, dass rein wissenschaftliche klinische Prüfungen mit Einwilligungsunfähigen und Minderjährigen überhaupt nicht (auch § 40 IV Nr. 1 AMG verlangt eine konkret auf den Versuchsteilnehmer bezogene „Indikation“ und damit eine eigennützige [diagnostische oder prophylaktische] Zwecksetzung)14 und sog. „therapeutische Versuche“15 insoweit nur unter der Bedingung einer verschärften Risiko-Nutzen-Abwägung durchgeführt werden dürfen: Im Falle eines (potentiell) individuellen Nutzens muss die klinische Prüfung bei beiden Personengruppen für die jeweils betroffene Person „mit möglichst wenig Belastungen und anderen vorhersehbaren Risiken“ verbunden sein (§ 40 IV Nr. 4 bzw. § 41 III Nr. 1 S. 1 AMG); soweit das Gesetz – für Minderjährige – ausnahmsweise schon einen (direkten) „Gruppennutzen“ für ausreichend erachtet, ist zum Schutz vor substantiellen Beeinträchtigungen nochmals strenger – insoweit von der GCP-Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.4.2001 abweichend16 – eine absolute17 Risiko- und Belastungsgrenze („minimal risk and minimal burden)“ vorgegeben (§ 41 II Nr. 2 lit. d AMG). 9
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Schreiber (o. Fn 3), S. 184; siehe auch Rosenau (o. Fn 4), S. 86: „in dubio contra experimentum“. Deutsch/Spickhoff (o. Fn 4), Rn 935; Deklaration von Helsinki/Tokio (o. Fn 6), Abschnitt B., 17. Gegen den Begriff des „Kunstfehlers“: Schreiber, in: Der medizinische Sachverständige, 1976, S. 71 ff. – Zu den Realtypen ärztlich-medizinischer Fehlleistungen näher Deutsch/Spickhoff (o. Fn 4), Rn 193 ff. Laufs (o. Fn 7), § 39 Rn 14 m.w.N.; weiterführend Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 57 ff. Wie hier bereits Fischer (o. Fn 4), S. 7. Vgl. Rosenau (o. Fn 4), S. 82 f.: „eigennütziger nicht-therapeutischer Versuch“; s. auch Fischer, in: Schreiber-FS 2003, S. 685, 686 m.w.N.; zur Gesetzgebungsgeschichte ders. (o. Fn 4), S. 35 f. Zur Unterscheidung näher Deutsch/Spickhoff (o. Fn 4), Rn 922. Vgl. Art. 4 lit. g): „…wenn … die klinischen Prüfungen so geplant sind, dass sie unter Berücksichtigung der Erkrankung und des Entwicklungsstadiums mit möglichst wenig
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Eben diese Grenze weist das Zusatzprotokoll des Europarates v. 25.1.2005 zum Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin v. 4.4.199718, bezogen auf die biomedizinische Forschung, in seinem Art. 20 auch für die medizinische Forschung an Personen aus, „denen die Freiheit entzogen ist“: „The research entails only minimal risk and minimal burden“19. Die beiden darüber hinaus gestellten Bedingungen haben einerseits den schon vertrauten Gedanken der Gruppennützigkeit und andererseits die Subsidiarität solcher Versuche zum Gegenstand: Zum einen ist gefordert, dass eine „Forschung von vergleichbarer Wirksamkeit […] ohne Beteiligung von Personen, denen die Freiheit entzogen ist, nicht durchgeführt werden“ kann; zum anderen muss das Forschungsvorhaben „zum Ziel“ haben, „letztlich zu Ergebnissen beizutragen, die Personen, denen die Freiheit entzogen ist, nützen können“20. Obgleich die Regelung erst nach Unterzeichnung und Ratifikation des Zusatzprotokolls für den jeweils unterzeichnenden Staat verbindlich wird und solches nur möglich ist für Staaten, die – anders als Deutschland21 – zuvor oder gleichzeitig die Biomedizin-Konvention von 1997 ratifiziert haben (vgl. Art. 36 des Zusatzprotokolls), hat sie erkennbar in gleicher Weise wie alle anderen Festlegungen des Protokolls sowie des Übereinkommens selbst den Anspruch, einer gemeinsamen Überzeugung zum Schutz der Menschenrechte im jeweiligen Bereich Ausdruck zu verleihen und hierfür wie zu deren Fortentwicklung einen gemeinsamen rechtlichen Rahmen im gesamteuropäischen Raum zu etablieren.22 Da sie die Forschung an zwangsweise Untergebrachten nicht von vornherein verbietet, weicht sie jedoch von der geltenden deutschen Rechtslage im Bereich des Arzneimittel- wie auch des Medizinprodukterechts entscheidend ab: Denn hiernach ist – innerhalb der benannten, ausdrücklich geregelten Kontexte – die Durchführung klinischer Prüfung strikt untersagt (§ 40 I S. 3 Nr. 4 AMG bzw. § 20 I Nr. 3 MPG). Dieser „gesetzliche Bann“ gegen Versuche an Verwahrten gilt selbst für den Fall einer vorliegenden Einwilligung und selbst für Erkrankte, sofern die betreffende Person gehindert ist, ihren Aufenthalt frei zu bestimmen. Hierin sehen deshalb nicht wenige eine übertrieben „rigide“ und wo-
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Schmerzen, Beschwerden, Angst und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden sind…“. Zutreffend hervorgehoben von Fischer, in: Schreiber-FS 2003, S. 685, 693. Council of Europe, Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with Regard to the Application of Biology and Medicine, European Treaty Series/164. Art. 20 lit. iii) des Zusatzprotokolls v. 25.1.2005, abrufbar unter: http://www. conventions.coe.int/Treaty/EN/Treaties/Html/195.htm. Arbeitsübersetzung des Bundesministeriums der Justiz, abrufbar unter: http://www. bmj.de/files/-/1139/Zusatzprotokoll%20Biomedizinische %20Forschung.pdf. Zu den Gründen vgl. Degener, KritV 1998, 7 ff.; Höfling, KritV 1998, 99, 108 f.; Kern, MedR 1998, 485 ff.; Mieth, DuD 1999, 328 ff.; Picker, JZ 2000, 693, 694 ff.; Taupitz, VersR 1998, 542 ff. – eingehend Eser (Hrsg.), Biomedizin und Menschenrechte, 1999; Radau, Die Biomedizin-Konvention des Europarates, 2006. Siehe die Präambel des Zusatzprotokolls, zweite Erwägung: „…dass es das Ziel des Europarates ist, eine größere Einheit unter seinen Mitgliedern herbeizuführen, und dass eines der Mittel zur Erreichung dieses Ziels darin besteht, die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu wahren und fortzuentwickeln…“.
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möglich verfassungswidrige Haltung des Gesetzgebers, die entweder schon im Wege der Auslegung oder durch Gesetzesänderung abzumildern sei. Der Jubilar zählt zu den vehementen Kritikern dieser („überdehnten“)23 Vorschrift; mit den nachfolgenden Überlegungen verbinden sich die herzlichsten Glückwünsche zu seinem Ehrentag.
II. Gründe und mögliche Grenzen des Verbots 1. Aktuelle Gesetzeslage Die Gesetzesmaterialien zu § 38 AMG a.F. nehmen explizit Bezug auf das Kernproblem der fraglichen Freiwilligkeit einer Studienteilnahme im lebensweltlichen Zustand zwangsweiser Unterbringung: „Bei Personen, die auf Grund einer gerichtlichen oder behördlichen Anordnung verwahrt werden, wird unterstellt, dass wegen des bestehenden Gewaltverhältnisses eine freie Willensentscheidung nicht möglich ist“24. In der Tat begründet das soziale Umfeld eines „Lebens in der totalen Institution“25 etwa eines psychiatrischen Krankenhauses, einer Entziehungsanstalt oder eines Heimes (vgl. § 1906 IV BGB), d.h. innerhalb eines von Staats wegen zugewiesenen und beherrschten Raumes, wegen der zwangsläufigen „Erpressbarkeit“26 oder Verführbarkeit des Gefangenen schon für sich erhebliche Zweifel an der nötigen Freiverantwortlichkeit von Willensentschlüssen, die nicht ausschließlich eigennützige Ziele verfolgen. Amelung hat die auf eingesperrte Personen potentiell einwirkenden, deren Befähigung zum „autonomen“ Entscheiden in Frage stellenden Einflussfaktoren einleuchtend in vier Fallgruppen unterteilt:27 Danach könne eine u.U. selbstgefährdende Teilnahme an medizinischen Forschungsvorhaben entweder motiviert sein durch die Hoffnung, dadurch früher in Freiheit zu gelangen (1) oder auf diese Weise haftinterne Erleichterungen zu erreichen bzw. befürchteten Repressalien zu entgehen (2); die erteilte Einwilligung kann jedoch auch durch eine von vornherein defizitäre psychische Widerstandsfähigkeit infolge der Haftsituation (z.B. durch Langeweile, Antriebslosigkeit, Gruppenzwang) bedingt (3) oder Resultat einer „speziellen haftpsychologischen Krisensituation“ (z.B. „Haftschock“ zu Beginn einer Untersuchungshaft) sein (4). Aus Sicht der Forschenden stellen Untergebrachte daher eine wesentlich leichter ansprech- und „verfügbare“ und bei sachwidriger Verknüpfung der forschungsbezogenen Intention mit den Haftbedingungen „besonders handliche Population für Versuchszwecke“28 dar. 23 24 25
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Deutsch/Spickhoff (o. Fn 4), Rn 1322. BT-Drucks. 7/3060, S. 54. Almer (o. Fn 5), S. 164; ausf. Überblick zu möglichen Unterbringungsfällen siehe ebd., S. 88 f. Dazu etwa Sigusch, Beilage zu: Jahrbuch für kritische Medizin, Bd. 2, Sonderband 17, 1977, S. 17. Zum Folgenden näher Amelung, ZStW 95 (1983), 1 ff., insbes. 9. Jonas, in: Sass (Hrsg.), Medizin und Ethik, 1989, S. 232, 245.
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In anderen Sachzusammenhängen geht die Rechtsordnung allerdings sehr wohl von der Möglichkeit einer wirksamen Einwilligung auch des Inhaftierten aus. Besonders ins Auge fallen etwa jene Regelungen, welche die Durchführung von Heilbehandlungen entweder generell (vgl. §§ 57, 58, 63 StVollzG; siehe auch § 101 S. 2 StVollzG: „freie Willensbestimmung des Gefangenen“; §§ 56 ff., 93 Nds. JVollzG29; § 21 Abs. 2 Nds. PsychKG) oder jedenfalls bei schwerer wiegenden Eingriffen und erheblichen Risiken (vgl. § 8 III Nds. MVollzG) in den Verantwortungsbereich des Untergebrachten verweisen. Hierbei handelt es sich aber durchweg30 um eigennützige (im direkt-individualbezogenen Sinne) und bei längerer Verweildauer alltägliche Szenarien, so dass schon die Grundsätze zur mutmaßlichen Einwilligung im Zweifel die Annahme eines hypothetisch zustimmenden Willens erlauben. Um so mehr wird man im Falle einer tatsächlich erklärten Zustimmung die ohnehin nicht starren (sondern eingriffsbezogen variablen) Anforderungen an die nötige „Freiwilligkeit“ nicht überspannen dürfen, sofern nur (1) kein zusätzlicher (offener oder versteckter) Zwang auf den Untergebrachten ausgeübt wird und die Einwilligung (2) sowohl objektiv als auch (3) nach der (ggf. durch entsprechende Aufklärung richtig zu stellenden) Vorstellung des Verwahrten „haftneutral“31 ist, mithin evtl. Einflüsse der Zwangslage hinsichtlich der Fortbewegungsfreiheit (Art. 2 II S. 2 und 104 GG) auf dessen Willensbestimmung und -betätigung im konkreten Einzelfall hinreichend unterbunden bzw. kompensiert werden. Können diese Überlegungen jedoch auch Geltung beanspruchen für Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, die nicht wie eine medizinisch indizierte Heilbehandlung (ausschließlich) eigennützigen Zwecken dienen? Sicherlich wird man im Ausgangspunkt sagen können, dass die Teilnahme an medizinischen Forschungsstudien jedenfalls jenseits einer streng zu handhabenden Bagatellschwelle nicht von jedem Menschen in gleicher Weise konsentiert werden und deshalb das freiwillig erteilte Einverständnis nicht der selbstverständliche Regel-, sondern der feststellungspflichtige Ausnahmefall sein dürfte. Deutsch berichtet von einer demoskopischen Erhebung, wonach zwar ein beachtlicher Teil der Bevölkerung die Durchführung von Arzneimittelstudien zur Überprüfung der Wirksamkeit und Sicherheit von Präparaten in der Theorie für unverzichtbar hält, jedoch nur 12 % auch ihre Bereitschaft erklären würden, den Wirkstoff tatsächlich an sich selbst prüfen zu lassen.32 Selbstloser Altruismus hat bekanntlich den selbstbestimmten Entschluss zu Verzicht und Solidarität zur Voraussetzung und darf nicht mit einem „heteronom dekretierten Willen zum Guten“ verwechselt werden.33 Von einer mutmaßlichen Einwilligung lässt sich deshalb nur dort ausgehen, wo die Intervention zur Lebensrettung oder Vermeidung schwerwiegender Gesundheitsschäden unverzichtbar und alternativlos ist. Hierin liegt die Berechti29 30
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Vom 1.1.2008, Nds. GVBl. 2007, 720. Der Sonderfall des § 3 II KastrationsG sei wegen der hiermit einhergehenden besonderen Problematik ausgeklammert. Dazu näher Bay, in: Arthur Kaufmann (Hrsg.), Moderne Medizin und Strafrecht, 1989, S. 269 ff. Amelung, ZStW 95 (1983), 1, 13. Deutsch/Spickhoff (o. Fn 4), Rn 1295; zu den Einzelheiten: Noelle-Neumann, in: Bock/Hofmann (Hrsg.), Arzneimittelprüfung am Menschen, 1980, S. 13, 16. Treffend Picker, JZ 2000, 693, 696 f.
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gung für die Sonderregelung des § 41 I S. 2 AMG, wonach bei Notfallpatienten eine nicht aufschiebbare „Behandlung“ umgehend erfolgen und die infolge der Akutsituation zunächst nicht einholbare Einwilligung (selbst eines Vertreters) ausnahmsweise erst nachträglich erfragt werden darf. Diese Regelung wird jedoch entgegen einer sich in der Forschungspraxis wachsender Beliebtheit erfreuenden großzügigen Interpretation im vorstehenden Sinne restriktiv ausgelegt werden müssen, soll nicht der Grundsatz zum Einsturz gebracht werden, dass ein hypothetischer Wille nur bei einer Heilbehandlung lege artis, nicht aber in eine Abweichung vom Behandlungsstandard unterstellt werden kann. Eine weiterreichende Befugnis zur Einbeziehung in klinische Prüfungen, wie sie neuerdings der österreichische Gesetzgeber gewährt hat (vgl. § 43a öAMG)34, dürfte zudem europarechtswidrig sein, da die GCP-Richtlinie in ihrem Art. 5 lit. a) im Sinne eines Mindesterfordernisses (vgl. Art. 3 I S. 1 GCP-Richtlinie)35 ohne jedwede Ausnahme die Einwilligung des (aufgeklärten) gesetzlichen Vertreters verlangt, die natürlich „dem mutmaßlichen Willen des Prüfungsteilsnehmers entsprechen“ muss.36 Das Zusatzprotokoll des Europarates v. 25.1.2005 enthält sich grundsätzlich einer definitiven Entscheidung darüber, ob und unter welchen Schutzbestimmungen medizinische Forschung in Notfallsituationen überhaupt stattfinden darf (Art. 19 I); im Falle einer Erlaubnis durch die jeweilige Rechtsordnung ist der Zugriff auf eine (gesicherte) unmittelbare Nützlichkeit für die betroffene Person begrenzt, es sei denn, das Forschungsvorhaben bringt für diese (im Fall eines bloßen Gruppennutzens) „nur ein minimales Risiko und eine minimale Belastung mit sich“ (Art. 19 II lit. iv)37. Wenn daher auch bei zwangsweise untergebrachten Personen die Zustimmung zur Teilnahme an einer Arzneimittelprüfung (jenseits der Bagatellschwelle) nicht einfach unterstellt werden kann, folgt hieraus zugleich die rechtliche Irrelevanz selbst einer tatsächlich erteilten Einwilligung? Der Gesetzgeber hat zwar im Ergebnis in diesem Sinne entschieden, in seiner Begründung jedoch fein differenzierend von einer „Unterstellung“38 der mangelnden Befähigung zur freien Willensbildung gesprochen. Und dies mit gutem Grund: Gewiss macht der Ausnahmecharakter einer Studienteilnahme bei Abweichung vom Behandlungsstandard („therapeutische Versuche“) und mehr noch bei vollständiger Fremdnützigkeit (rein wissenschaftliche Studien) die autonome Basis einer erteilten Zustimmung in gesteigertem Maße prüfungs- und erklärungsbedürftig, wenn diese im Zustand 34
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§ 43a I Nr. 1 öAMG geht implizit von einer mutmaßlichen Einwilligung aus, wenn die klinische Prüfung bereits bei fehlenden Anhaltspunkten für eine ablehnende Haltung des Notfallpatienten für zulässig erklärt wird. Höhere Anforderungen an den Schutz von Prüfungsteilnehmern sind den Mitgliedstaaten nicht untersagt. Vgl. auch Fischer, in: Schreiber-FS 2003, S. 685, 693: „Mit größerer Tragweite [scil.: im Sinne von Art. 3 I der GCP-Richtlinie] kann nach dem Sinnzusammenhang nur der strengere Schutz der Versuchspersonen gemeint sein“. Wie hier grundsätzlich auch Bernat (in: Bernat/Kröll [Hrsg.], Recht und Ethik der Arzneimittelforschung, 2003, S. 60, 78 f.), der jedoch zur Vermeidung der Unvereinbarkeit eine „großzügige“ Interpretation der GCP-Richtlinie fordert. Oben Fn 20. Siehe o. bei Fn 24.
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äußerer Unfreiheit gegeben wurde. Denn zu nahe liegt der Verdacht, dass letztlich vielleicht doch die äußeren Lebensbedingungen auf die innere Willensbildung durchgeschlagen und die Mitwirkung des Probanden veranlasst oder befördert haben könnten, zu der er sich vor seiner Inhaftierung oder nach seiner Entlassung niemals verstanden hätte. Ein solchermaßen prägender Einfluss mit negativer Auswirkung auf die Willensentschließungsfreiheit des Inhaftierten ist jedoch auch bei Berücksichtigung aller geschichtlichen Erfahrung (nicht nur in Deutschland)39 lediglich nahe liegend, keineswegs aber unausweichlich. Nichts schließt von vornherein die Möglichkeit aus, durch entsprechende Verfahrensgestaltung auch in Situationen äußerer Unfreiheit die bereits benannten40 Grundbedingungen freiwilliger Teilnahme – die Unterbindung jedweden (unmittelbaren oder mittelbaren) Drucks und die strikte (objektive wie subjektive) „Haftneutralität“ der Entscheidung – her- bzw. sicherzustellen. Bezogen auf diesen „überschießenden“ Anteil einer evtl. doch tatsächlich bestehenden Freiwilligkeit enthält das strikte Verbot des § 40 I S. 3 Nr. 4 AMG (§ 20 I Nr. 3 MPG) einen Gefährdungstatbestand, der nicht die tatsächliche Situation im konkreten Fall, sondern in abstracto mögliche Missbräuche und Dammbrüche vor Augen hat,41 die durch eine klare (rechtssichere)42 Regelung von vornherein (präventiv) ausgeschlossen werden sollen. Diese normativ erzwungene Gleichbehandlung (im Sinne des Verbots) auch solcher Fälle, die sich in jenem vom Gesetzgeber selbst als entscheidend bezeichneten Wertaspekt (hier: Freiwilligkeit der Probanden) gerade voneinander abheben, wirft schon für sich (Art. 3 I GG) und um so mehr Fragen der Legitimierbarkeit auf, wenn dadurch über die allgemeine Handlungsfreiheit hinaus auch noch besonders gewichtige Grundfreiheiten wie die der medizinischen Forschung (Art. 5 III GG) und evtl. der besseren Gesundheitsversorgung (Art. 2 II S. 1 GG) eingeschränkt werden. Denn der Unbedingtheit einer solchen (noch dazu: strafbewehrten, vgl. § 96 Nr. 10 AMG) Verbotsregelung allein aus Gründen des „Normenschutzes“43 (hier: der Tabuisierung jedweder Instrumentalisierung von Untergebrachten zu medizinischen Versuchsobjekten) steht die Unverhältnismäßigkeit geradezu auf die Stirn geschrieben, sofern nicht plausibel gemacht werden kann, dass sich das berechtigte Schutzanliegen allein durch ein solchermaßen kategorisches Verbot gewährleisten lässt und jedes Zugeständnis einer Ausnahme ungeachtet ihrer in Einzelfällen möglichen Berechtigung die allgemeine Norm aller Voraussicht nach untergraben und letzthin womöglich zu Fall bringen wird. Trotz 39
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Zu Humanexperimenten insbesondere in den USA vgl. die Hinweise bei Deutsch, VersR 1978, 289, 294 ff.; NJW 1995, 3019 ff. sowie eingehend ders., Das Recht der klinischen Forschung am Menschen, 1979; Mitford, The American Prison Business, 1974; Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, 1964. Siehe o. bei Fn 31. I.d.S. deutlich Bork, NJW 1985, 654, 659; Elzer, Allgemeine und besondere klinische Prüfungen an Einwilligungsunfähigen, 1998, S. 58; Fischer (o. Fn 4), S. 33 f., 67 f.; Hägele, Arzneimittelprüfung am Menschen, 2004, S. 613; Stock, Der Probandenschutz bei der medizinischen Forschung am Menschen, 1998, S. 64; Wachenhausen, Medizinische Versuche und klinische Prüfung an Einwilligungsunfähigen, 2001, S. 167. Hierauf abstellend: Holzhauer, NJW 1992, 2325, 2328. Zum Begriff, wenngleich in anderem Sachzusammenhang verwendet: R. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, 2002, S. 144 ff.
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des mit der Menschenwürde der Inhaftierten in Frage stehenden Belangs von höchster Wertigkeit bleibt somit wegen der unmittelbar freiheitsbegrenzenden Wirkung dennoch die Errichtung bzw. Aufrechterhaltung des Verbots rechtfertigungsbedürftig, nicht etwa die Inanspruchnahme der Grundrechte. All dies ist aus vielerlei Zusammenhängen wie z.B. aus der Debatte um die sog. „aktiv-direkte Sterbehilfe“ (§ 216 StGB)44 hinreichend vertraut und im hiesigen Kontext natürlich nicht anders zu sehen.
2. Vorschläge einer restriktiven Auslegung des Verbots Es kann daher nicht überraschen, dass auch die „Radikallösung“45 des § 40 I S. 3 Nr. 4 AMG schon seit längerem deutliche Kritik erfährt, die sich im Wesentlichen aus zwei Überlegungen speist: Zum einen wird geltend gemacht, dass die Erstreckung des Verbots auf „therapeutische Versuche“ den Erkrankten mögliche Lebensrettungs- oder Heilungschancen entzieht und daher – der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufend – die Gruppe der zwangsweise Untergebrachten gegenüber in Freiheit befindlichen Probanden erheblich benachteiligt.46 Zum anderen würde es ebenso die gesetzgeberische Absicht missachten, dürfte das Arzneimittel nicht an Verwahrten getestet werden, bei denen „durch das Medikament der Grund ihrer Verwahrung, etwa [eine] Gewalttätigkeit, beseitigt werden könnte“; denn eine Prüfung an anderen, nicht unter diesen Symptomen Leidenden „wäre jedenfalls unethisch“47. Da auch in diesem Falle „offensichtlich überlegene Heilungschancen“ vorenthalten würden, müsse nicht erst de lege ferenda, sondern schon im Rahmen der Auslegung „hinter den Wortlaut der Norm zurückgegangen“ werden, „um deren eindeutigen Zweck zu erfüllen“, nämlich „den Verwahrten zu schützen“48. Während insoweit also „eine Durchbrechung des Verbots im Wege der teleologischen Reduktion“49 in Betracht komme, sei bei Verwahrten, die zur Lebensrettung oder Erhaltung ihrer Gesundheit dringend ein noch nicht zugelassenes Arzneimittel benötigten, die Einbeziehung in eine klinische Prüfung durch § 34 StGB gerechtfertigt.50 Diese Sichtweise von einer Durchbrechung des
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Näher Duttge, JZ 2006, 899 ff. sowie in: Kettler u.a. (Hrsg.), Selbstbestimmung am Lebensende, 2006, S. 36, 46 ff.; zuletzt ders., in: Türkisches Jahrbuch: Studien zu Ethik und Recht der Medizin, 1/2008 [im Erscheinen]. Almer (o. Fn 5), S. 87. Vgl. Bork, NJW 1985, 654, 659; Fischer (o. Fn 4), S. 67; Hägele (o. Fn 41), S. 614: „gibt den Betroffenen … Steine statt Brot“; Sander, Arzneimittelrecht. Kommentar, Stand: 44. Lfg. (August 2007), § 40 Rn 24. Deutsch/Spickhoff (o. Fn 4), Rn 1322; siehe auch Deutsch, in: Deutsch/Lippert (Hrsg.), Kommentar zum Arzneimittelgesetz (AMG), 2. Aufl. 2007, § 40 Rn 12. Hägele (o. Fn 41), S. 615, inspiriert durch Deutsch (wie vorangehende Fn). Deutsch, in: Deutsch/Lippert (wie Fn 47); Wachenhausen (o. Fn 41), S. 169. Deutsch (wie Fn 47); Stock (o. Fn 41), S. 64: „letzte Chance zur Rettung seines Lebens oder seiner Gesundheit“; missverständlich Wachenhausen (o. Fn 41), S. 168: „übergesetzlicher Notstand gemäß § 34 StGB“; in der Begründung abw. Fischer (o. Fn 4), S. 68: teleologische Reduktion.
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Verbots aus therapeutischen Gründen findet sich unter Verweis auf den Gleichheitsgedanken teilweise auch im Kontext des § 20 I Nr. 3 MPG.51 Schon ihrer praktischen Relevanz wegen verdienen diese Erwägungen Beachtung und nähere Prüfung, freilich nicht nur in der Sache, sondern auch im methodischen Zugriff auf die geltende Gesetzesfassung. Denn es liegt auf der Hand, dass die sehr konkret und unmissverständlich formulierte Verbotsnorm jedenfalls prima vista wenig Interpretationsspielraum belässt, mag man auch der aus dem römischen Recht überlieferten „Sens-Clair-Doktrin“52 wegen der unvermeidlichen Unschärfen sprachlicher Ausdrücke mit einiger Skepsis begegnen.53 Ebenso wenig bietet die Systematik des Gesetzes die Möglichkeit der einschränkenden Auslegung im vorgeschlagenen Sinne, da der in § 41 AMG geregelte Bereich der sog. „therapeutischen Versuche“ lediglich Modifikationen der in § 40 AMG enthaltenen allgemeinen Voraussetzungen enthält („unvollständige Spezialität“)54, die somit auch insoweit Geltung beanspruchen, als § 41 AMG keine Abweichungen enthält („mit folgender Maßgabe“).55 Schon mit Blick auf diese so klar strukturierte Gesetzessystematik kann eine überzeugende Begründung für das evtl. Vorliegen einer sog. „Ausnahmelücke“ nicht leicht fallen, zumal eine solche wie die sie „in weiterdenkendem Gehorsam“ des Gesetzgebers rechtsfortbildend schließende „teleologische Reduktion“ jedenfalls die Feststellung eines „klar erkennbaren Normzwecks“ verlangt, der bei buchstabengetreuer Anwendung in sein Gegenteil verkehrt würde.56 Mit dem nur allgemeinen Verweis auf eine besondere „Schutzbedürftigkeit“ von zwangsweise Untergebrachten57 wird das Anliegen des Gesetzgebers aber ersichtlich zu unspezifisch aufgenommen, weil es im Kontext des § 40 I S. 3 Nr. 4 AMG, wie schon erörtert, allein um die bestehenden Zweifel an der Freiwilligkeit einer Studienteilnahme und um die Gefahr einer Instrumentalisierung der Probanden geht. Das implizite Ersetzen dieser gesetzgeberischen Zielsetzung durch das Postulat einer möglichst flächendeckenden Gesundheitsfürsorge würde, absolut gesetzt, in gleicher Weise jenen normativen Begrenzungen, die für erkrankte Einwilligungsunfähige und Minderjährige gelten (§§ 41 I-III AMG), den Boden entziehen. Der Gedanke einer Gleichbehandlung mit in Freiheit befindlichen Probanden vermag daher, seine vorrangige Konkretisierungsbedürftigkeit durch den Gesetzgeber einmal hintangestellt, auch deshalb kein anderes Ergebnis zu begründen, weil nach der gesetzgeberischen Idee unter dem Blickwinkel der Entscheidungsfreiheit der Betroffenen gerade ein entscheidender Unterschied be51
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So Rehmann/Wagner, MPG. Medizinproduktegesetz, 2005, § 20 Rn 10 a.E.; Schorn, Medizinprodukterecht, Stand: 22. Akt.-Lfg. (Oktober 2007), § 20 Rn 20 a.E.; a.A. Kage, Das Medizinproduktegesetz, 2004, S. 314: klinische Prüfung „weder rechtlich noch ethisch vertretbar“. L. 25 D. 32, 1: Cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti voluntatis quaestio. Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2005, Rn 732 f. Deutsch, in: Deutsch/Lippert (o. Fn 47), § 41 Rn 1. In diesem Sinne ausdrücklich Deutsch/Spickhoff (o. Fn 4), Rn 1331; nicht verständlich daher der Vorbehalt in Rn 1322: „will man diese Bestimmung [gemeint: § 40 I S. 3 Nr. 4 AMG] überhaupt auf therapeutische Versuche nach § 41 AMG anwenden…“. Rüthers (o. Fn 53), Rn 848, 902 f. Siehe o. bei Fn 48.
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steht. Wer diese Annahme nicht in Gänze teilen will, darf die Trennlinie nicht zwischen therapeutischen und rein wissenschaftlichen Versuchen ziehen, sondern muss vielmehr zwischen (ausnahmsweise) freiwilliger sowie (regelmäßig)58 unfreiwilliger Einbeziehung in die klinische Prüfung differenzieren.59 Der somit gerade aus der Warte des Gleichheitssatzes maßgebliche Wertaspekt des Selbstbestimmungsrechts (vgl. § 40 I S. 3 Nr. 3 AMG) droht um so mehr aus dem Blick zu geraten, wenn – mit der überwiegenden Auffassung unter den Kritikern60 – das erwünschte Ergebnis unter Heranziehung des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) gewonnen werden soll. Denn dieser ruht bekanntlich auf dem Prinzip des überwiegenden Interesses, das sich vorwiegend am Wert der widerstreitenden Rechtsgüter und am Ausmaß der ihnen drohenden Gefährdung ausrichtet.61 Streng genommen bedürfte es daher für die Feststellung eines („wesentlichen“) Überwiegens gar keiner Zustimmung des Betroffenen, sofern diese nicht – mit welcher Wertigkeit auch immer – als jedenfalls bedeutsamer Gesichtspunkt irgendwie in die Abwägung einbezogen wird. So verfährt die h.M. etwa bei der Rechtfertigung der sog. „indirekten Sterbehilfe“, d.h. der erlaubten leidmindernden Schmerzmedikation selbst bei Inkaufnahme einer lebensverkürzenden Wirkung, sofern diese nur möglich und nicht wahrscheinlich oder gar sicher ist.62 Der Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung 2005 erklärt mit frappierender Nonchalance, dass die evtl. Lebensverkürzung sich zwar isoliert betrachtet weder durch Notstand noch – angeblich – im Wege der (mutmaßlichen) Einwilligung rechtfertigen lasse, jedoch eine „Kombination“ beider Gesichtspunkte die erforderliche Basis für ein erlaubtes Vorgehen biete.63 Die sich hiermit verbindende Vorstellung von einer Art „Rosinentheorie“ wird man aber weder mit dem Gesetz noch mit der Dogmatik der Rechtfertigungsgründe in Einklang bringen können, von der Unverträglichkeit mit grundlegenden Anforderungen der Logik ganz abgesehen: Denn es bleibt schon im Ansatz unerfindlich, wie sich an der Nichtanwendbarkeit eines Erlaubnissatzes etwas dadurch ändern soll, dass auch noch die Voraussetzungen eines weiteren nicht erfüllt sind.64 Die postulierte „Zusammenschau“ dient also nichts anderem als dem Ziel, sich kreativ-schöpferisch von den rechtlichen Vorgaben selbst Dispens zu erteilen. Daher sollte auch im Kontext der §§ 40, 41 AMG nicht unbeachtet bleiben: In einer freiheitlichen Rechtsordnung steht im Zentrum des Werthaften nicht eine wie auch immer näher bestimmte Vorstellung vom „objektiv Vernünftigen“, son58 59
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Zu diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis bereits o. bei Fn 38 f . Zutr. Kandler, Rechtliche Rahmenbedingungen biomedizinischer Forschung am Menschen, 2008, S. 219: „teleologische Reduktion im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen“. Siehe o. Fn 50. Näher statt vieler etwa Duttge, in: Dölling/Duttge/Rössner (Hrsg.), Handkommentar zum gesamten Strafrecht: StGB, StPO und Nebengesetze, 2008, § 34 StGB Rn 1, 17 ff. Zum Begriff wie auch zum Begründungsproblem näher Duttge u.a., Preis der Freiheit. Reichweite und Grenzen individueller Selbstbestimmung zwischen Leben und Tod, 2. Aufl. 2006, S. 80 ff. Siehe Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 574. Hierzu bereits Duttge, GA 2006, 573, 578 f.
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dern das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, der sich in grundsätzlich eigener Verantwortung auch zu selbstgefährdendem Handeln entschließen darf.65 Belange des Gemeinwohls können bei vorhandener oder im Falle von kognitiven Defiziten durch Maßnahmen der „Freiheitsvorsorge“66 (wie insbesondere einer ärztlichen Aufklärung) beförderter Befähigung zur Selbstbestimmung keinesfalls ersetzend (im Sinne einer „Zwangsbeglückung“), sondern bei erheblicher Betroffenheit anderer oder der Allgemeinheit allenfalls begrenzend wirken. So liegt es bei Mitwirkung einer ärztlichen Person, deren rollengebundene „Vernünftigkeit“ und „Professionalität“, getragen von einem entsprechenden Selbstverständnis, wegen des erst hierdurch begründeten Vertrauens gesellschaftlich erwartet wird; darin liegt die Berechtigung, die ärztliche Heilbehandlung an objektive Erfordernisse wie etwas an das Vorliegen einer medizinischen Indikation zu binden und medizinische Forschung von einer „vertretbaren“ Risiko-Nutzen-Analyse abhängig zu machen.67 Hat dieser Gedanke des objektiv „Besseren“ als begrenzender Faktor des Selbstbestimmungsrechts aber im speziellen Kontext bereits durch eine Sondervorschrift (wie § 40 I S. 3 Nr. 2 AMG) seinen ersichtlich abschließenden Ausdruck gefunden, so ist der Rückgriff auf die unspezifische Notstandsregelung des § 34 StGB gesperrt.68 Fehlt es hingegen an der erforderlichen Befähigung zur selbstbestimmten Entscheidung, so kann allein der Rechtsgedanke der mutmaßlichen Einwilligung, primär auf die Präferenzen und den hypothetischen Willen des jeweils Betroffenen (konkret-individuell) gerichtet und regelmäßig durch einen Stellvertreter gedeutet (vgl. §§ 40 IV Nr. 3, 41 III Nr. 2 AMG), nicht jedoch eine mehr oder weniger diffuse Notstandsüberlegung rechtsgutsbezogene Eingriffe rechtfertigen. Intrapersonale Konflikte unterstehen dem Autonomieprinzip und sind keiner Pflicht zur Mindestsolidarität (wem gegenüber?) zugänglich,69 soll der Einzelne nicht einem mehr oder weniger beliebigen „Vernünftigkeits“-Kalkül anderer ausgeliefert werden. Droht somit bei zwangsweise Untergebrachten das Vorenthalten von Lebensrettungs- oder Heilungschancen,70 so entspricht es vorbehaltlich erkennbarer Anhaltspunkte für eine ablehnende Haltung des jeweils Betroffenen stets dessen mutmaßlichem Willen, die fachgerechte ärztliche Behandlung zu erhalten, und zwar bei jeder medizinischen Indikation und nicht erst – aufgrund irriger notstandsähnlicher Erwägung – im Falle besonderer Dringlichkeit oder gar erst bei Lebensgefahr.71 Dies gilt auch für eine Abweichung vom Behandlungsstandard 65
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Zu diesem Wandel des „Menschenbildes“ im Recht eindrucksvoll die gleichnamige Schrift von Böckenförde (2001); siehe auch Hollerbach, Selbstbestimmung im Recht, 1995. Näher Damm, MedR 2002, 375 ff. Dazu bereits o. bei Fn 10 f. Nach vorzugswürdiger Auffassung manifestiert sich diese Sperrwirkung durch spezialgesetzliche Regelungen im Erfordernis der „Angemessenheit“, vgl. Duttge (o. Fn 61), § 34 StGB Rn 23. Zu dieser freilich nicht allgemein konsentierten Auffassung näher Duttge (o. Fn 61), § 34 StGB Rn 9 m.w.N. Siehe die Argumentation o. bei Fn 46. Siehe hingegen die restriktiven Formulierungen o. Fn 50.
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und Verordnung eines (insoweit) nicht oder noch nicht zugelassenen Arzneimittels („off-label“)72 bei Fehlen anderweitiger therapeutischer Möglichkeiten, sofern dies von einer sachkundigen und „vertretbaren“ Einschätzung des behandelnden Arztes getragen ist.73 Dieser individuelle Heilversuch, bei Gabe eines Arzneimittels im Vorfeld der Zulassung neuerdings als „compassionate use“ bezeichnet (vgl. § 21 II Nr. 6 AMG i.V.m. Art. 83 II der VO [EG] 726/2004)74, wird von der Verbotsregelung des § 40 I S. 3 Nr. 4 AMG allerdings gar nicht erfasst, da diese sich ausschließlich auf „klinische Prüfungen“ bezieht, d.h. auf Untersuchungen am Menschen, „die dazu bestimmt sind, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen … mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen“; erfolgt die Wirkstoffgabe dagegen „nicht einem vorab festgelegten Prüfplan, sondern ausschließlich der ärztlichen Praxis“ gemäß, so handelt es sich um eine (missverständlich) sog. „nicht-interventionelle Prüfung“ (§ 4 XXIII AMG). Soweit die Zwecksetzung also nicht – jedenfalls auch – auf die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse gerichtet ist, sondern allein auf die Gesundung des einzelnen Patienten, finden §§ 40 ff. AMG überhaupt keine Anwendung.75 Damit relativiert sich aber die Sorge vor einer gesundheitsbezogenen Benachteiligung Inhaftierter erheblich: Denn sie beschränkt sich auf jenen Bereich, in dem ein medizinisches Forschungsvorhaben durchgeführt wird, mit dem zugleich therapeutische Wirkungen für die einbezogenen Probanden einhergehen können (so dass besser von einer „Therapiestudie“ statt von einem „therapeutischen Versuch“ gesprochen werden sollte). Ob Betroffenen im Falle einer fehlenden Befähigung zur freien Willensentschließung auch insoweit ein mutmaßliches Einverständnis mit einer Teilnahme an der klinischen Prüfung zugeschrieben werden kann, wird man mit Blick auf den Erprobungscharakter jeder Forschungsstudie und die vor einer Zulassung noch nicht abgeschlossene Einschätzung des Wirkstoffs76 allenfalls ausnahmsweise je nach konkretem Ein72
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Zur Problematik des Off-label-use näher Francke/Hart, Sozialgerichtsbarkeit 2003, 653 ff.; Fritze, Versicherungsmedizin 2004, 61 ff.; Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2004, 655 ff.; siehe auch BSGE 89, 184 ff. zur Frage der Erstattungspflicht aus der GKV. Wie hier ausdrücklich Deutsch/Spickhoff (o. Fn 4), Rn 957 f.: Individualheilversuche nach den „Grundsätzen der vermuteten Einwilligung (§ 683 BGB)“ zulässig. Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates v. 31.3.2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittelagentur, ABl. L 136 v. 30.4.2004, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/ LexUriServ.do?uri=OJ:L:2004:136:0001:0033:DE:PDF; näher zum compassionate use: Kraft, Arzneimittel & Recht 2007, 252 ff.; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung bei Arzneimittelschäden, 2008, S. 532 f., 541 ff.; Pflügler, PatR 2006, 155 ff. Wie hier Deutsch, PharmR 2001, 202; ders., VersR 2005, 1009, 1010 f.; Deutsch/Spickhoff (o. Fn 4), Rn 932: „Analogie zu den Regeln über die Therapie“; Rn 958 a.E.: Verbot des § 40 I S. 3 Nr. 4 AMG gilt nicht; Rn 1299: keine Arzneimittelprüfung; der von Fischer (o. Fn 4, S. 67 f.) empfohlenen „teleologischen Reduktion“ für Maßnahmen, „die nach ärztlichem Urteil“ erfolgen, bedarf es deshalb gar nicht. Problematische Verallgemeinerung bei Stock (o. Fn 41), S. 65: „spätestens in Prüfungen der Phase III“.
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zelfall annehmen können; zu denken ist insbesondere an Konstellationen einer akuten gesundheitlichen Gefährdung bei Fehlen jedweder sonstigen Therapieoption. Noch weniger lässt sich im je subjektiv-hypothetischen Sinne eine allgemeine Zustimmung der Probanden mutmaßen, wenn die klinische Studie der Prüfung eines Wirkstoffs dient, der „den Grund der Verwahrung beseitigen“ könnte.77 Gewiss liegt das Ergreifen einer diesbezüglichen Heilungschance im wohlverstandenen Interesse der Untergebrachten, damit im gesunden Zustand alsbald und dauerhaft die Freiheit wiedererlangt werden kann. Nur handelt es sich dabei um das Kalkül des objektiv Vernünftigen bzw. aus Präventionsgründen gesellschaftlich Erwarteten, dem sich zu unterwerfen wohl nicht für jedermann gleichermaßen selbstverständlich sein dürfte. Zu leicht kann der Zugriff auf diese Klientel den Charakter einer „Zwangsbeglückung“ oder gar einer verdeckten Sanktionierung für das Tragen einer gemeinschädlichen Disposition gewinnen78 – was die Verbotsnorm des § 40 I S. 3 Nr. 4 AMG gerade verhindern will. Der österreichische Gesetzgeber hat die ehedem in § 45 II i.V.m. § 43 Nr. 1 öAMG enthaltene Möglichkeit der Einbeziehung von „angehaltenen“ oder „untergebrachten“ Personen in klinische Prüfungen von Arzneimitteln, die zur Anwendung gerade bei der „psychischen Anlasstat“79 bestimmt sind, inzwischen ersatzlos gestrichen (§ 45 II öAMG-neu)80.
3. Schlussfolgerung für das geltende Recht Der Fokus richtet sich daher unweigerlich auf das Selbstbestimmungsrecht und drängt nach dem vorstehend Erörterten die Frage auf: Gesetzt den Fall, Inhaftierte entschlössen sich aus einem Anflug von Altruismus oder – lebensnäher – in der nicht unbegründeten Hoffnung auf Besserung ihres Gesundheitszustandes gänzlich unbeeinflusst von ihrer Unterbringung in Gebrauch ihrer in jeder Hinsicht gesicherten Willensentschließungsfreiheit für eine Teilnahme an der Arzneimittelprüfung – was könnte dann die gleichwohl postulierte Geltung des Verbots noch rechtfertigen? Sofern die erforderliche Entscheidungsfreiheit hinreichend gesichert werden kann, d.h. die zu besorgenden störenden Einflüsse sich unterbinden und die der Einwilligung eines Inhaftierten ggf. anhaftenden „Rationalitätsdefizite“81 sich ausgleichen lassen, ohne dass hierdurch das Tabu einer Instrumentalisierung von zwangsweise Untergebrachten zu medizinischen Versuchsobjekten82 untergraben und in seinem Fortbestand sukzessive in Frage gestellt wird („slippery slope“), besteht keinerlei Grund mehr, potentiellen Probanden weiterhin die Teil77 78
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81 82
Zu dieser Fallgruppe o. Fn 47 ff. Nach der Devise: Lieber an diesen forschen, als dass „Unschuldige“ u.U. studienbedingte Schäden erleiden. Kopetzki, Grundriß des Unterbringungsrechts, 1997, Rn 667. I.d.F. der öAMG-GCP-Novelle v. 29.4.2004 (BGBl. I Nr. 35/2004); siehe auch Hägele (o. Fn 41), S. 617. Amelung, ZStW 95 (1983), 1, 30. Zu diesem Verständnis dessen, was § 40 I S. 3 Nr. 4 AMG eigentlich bezweckt, näher o. bei Fn 43.
Striktes Verbot der Arzneimittelprüfung an zwangsweise Untergebrachten?
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nahme zu verwehren und damit zugleich der medizinischen Forschung in den Arm zu fallen. Diese Prämisse zur Grundlage genommen würde der Verbotsvorschrift das Stigma der Unverhältnismäßigkeit anhaften, so dass den in der Literatur – freilich allein mit Bezug auf „therapeutische Versuche“ – bereits erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken83 nicht mehr widersprochen werden könnte. Abhelfen ließe sich dem freilich nicht mehr de lege lata, sondern allein im Wege einer Neuregelung der Materie. Denn auch die verfassungskonforme Auslegung unterliegt funktionell-rechtlichen Grenzen, die überschritten sind, wenn der sich aus der verfassungsrechtlichen Analyse ergebende Inhalt „nicht mehr ein Minus, sondern ein Aliud gegenüber dem ursprünglichen Gesetzesinhalt enthält“84. Mit anderen Worten verbietet sich eine Interpretation gegen den „klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers“85; die Abkehr von einer früheren gesetzgeberischen Entscheidung kann nur der Gesetzgeber selbst vollziehen. Mit Bezug auf § 40 I S. 3 Nr. 4 AMG: Einer „unwiderlegbaren Vermutung“86 ist denknotwendig eigen, dass sie für jeden vorstellbaren Fall Geltung beansprucht und somit normativ in keiner einzigen Konstellation „widerlegt“ werden kann. Soll die Regelung gleichwohl Ausnahmen erfahren, so erfordert dies ein Tätigwerden des Gesetzgebers.87
III. Eckpunkte einer verfassungskonformen Neuregelung Die Zielrichtung einer Neuregelung liegt auf der Hand: Nicht etwa dürfen objektiv „vernünftig“ erscheinende Zwecke einer erlaubten Durchführung von klinischen Prüfungen (in Gestalt der Sicherung von Heilungschancen allgemeiner und bezogen auf den Grund der Verwahrung spezieller Art) mit Gesetzesautorität hervorgehoben werden88 (was andere, hiervon nicht erfasste, aber im Einzelfall u.U. ebenfalls ethisch vertretbare Forschungsvorhaben unnötig ausschließt), sondern müssen sich die Überlegungen auf die Frage konzentrieren, wie die Willensentschließungs- und -betätigungsfreiheit der zwangsweise Untergebrachten sichergestellt werden kann. Amelung hat hierzu schon vor etwas mehr als 25 Jahren die Einschaltung eines „unabhängigen Gutachtergremiums“ empfohlen, um mit einer solchen Kontrollinstanz eine Art „Gewaltenteilung“ im Verhältnis zur Studienleitung und zum Anstaltspersonal herzustellen und letztlich möglichem Missbrauch 83 84
85 86 87
88
Almer (o. Fn 5), S. 172; Amelung, ZStW 95 (1983), 1, 28 f. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rn 83. Siehe z.B. BVerfGE 8, 28, 34; 71, 81, 105; 86, 288, 320. Hägele (o. Fn 41), S. 613. Im Zuständigkeitsbereich der Ethikkommission Göttingen wird § 40 I S. 3 Nr. 4 AMG daher in seiner geltenden Fassung als kategorisches Verbot angesehen, vgl. auch Wiesemann, in: Fromberger/Müller, in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 2007, 276, 277. So die empfohlene, unter Mitwirkung des Jubilars erarbeitete Gesetzesfassung eines interdisziplinären Arbeitskreises zum Forschungsbedarf und zur Einwilligungsproblematik bei psychisch Kranken, publiziert in: Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, 1995, S. 68.
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vorzubeugen.89 Heute fällt der Blick natürlich sogleich auf die Ethik-Kommission90, die allerdings weder in ihrer Funktion als vorhabenbezogenes Prüf- und Bewertungsorgan (vgl. § 3 IIc GCP-VO) geeignet noch in ihrer praktischen Tätigkeit in der Lage ist, die nötige Einzelfallprüfung bezogen auf jeden einzelnen Untergebrachten hinsichtlich der je vorhandenen Motivation und individuellen Lebensverhältnisse vorzunehmen.91 Das Wirken einer Ethik-Kommission kann sich vielmehr nur darauf beschränken, auf übergeordneter Ebene das Implementieren einer umfassenden Struktur von freiheitssichernden Mechanismen zu verlangen, zu denen insbesondere die Einsetzung einer eigenständigen, unabhängigen Instanz vor Ort (wie z.B. einer Ombudsperson oder eines „unabhängigen Insiders“)92 zur Prüfung der Einzelfälle zählt. Deren Rechte gegenüber der verantwortlichen Studienleitung (sog. „Sponsor“, vgl. Art. 2 lit. e) der GCP-Richtlinie, § 4 II GCP-VO) und den Prüfern (Art. 2 lit. f) der GCP-Richtlinie), das Verfahren vor Einschluss der Probanden in die klinische Prüfung (z.B. unter Gewährung besonderer Bedenkzeiten) und deren freier, unbehinderter Zugang zu dieser Kontroll- und Beschwerdestelle müssen durch spezielle Regelungen, deren Erstellung und effektive Umsetzung in der Verantwortung der Projektleitung liegt, geklärt werden; diese neu zu schaffende Organisations- und Verfahrensstruktur ist vor Prüfbeginn der Ethikkommission darzulegen. Gewährleistet sein muss weiterhin, dass dieser auch evtl. unplanmäßige Vorkommnisse jedweder Art93 unverzüglich zur Kenntnis gelangen, sei es durch den „Sponsor“ und/oder durch die Prüfer, sei es durch die Kontrollinstanz oder durch die jeweiligen Probanden selbst. Das bereits erwähnte Gebot der „Haftneutralität“94 verlangt zudem auf allen Ebenen eine strikte organisatorische und personelle Trennung zwischen den Bereichen der klinischen Prüfung und der Ingewahrsamhaltung. Nur wenn es gelingt, das Forschungsvorhaben mit allen seinen organisatorischen Anforderungen in vollständiger Unabhängigkeit von der Anstaltsunterbringung durchzuführen, so dass die (Nicht-)Teilnahme der Inhaftierten an der klinischen Prüfung nach Möglichkeit95 keine – weder begünstigende noch benachteiligende – Bedeutung erlangen kann für ihr weiteres Leben in äußerer Unfreiheit, lässt sich ausschließen, dass Anreize oder Sanktionsdrohungen ihre Willensentschließungsfreiheit beeinträchtigen könnten. Das „Trennungsgebot“ muss insbesondere auch die Datenflüsse und -sicherung erfassen, um zu verhindern, dass evtl. Erkenntnisse im Rahmen der Forschung sich mittelbar doch auf die weitere Ausgestaltung der Unterbringung 89 90 91 92 93
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Amelung, ZStW 95 (1983), 1, 29 f. Zum „neuen Bild der Ethikkommission“ eingehend Deutsch, MedR 2006, 411 ff. So aber der Vorschlag bei Almer (o. Fn 5), S. 173. Vgl. Wiesemann (o. Fn 87). D.h. gerade nicht nur beschränkt auf „unerwünschte Ereignisse“ im Sinne von § 3 VI GCP-VO, sondern insbesondere auch jene Ereignisse, die u.U. Bedeutung für die Frage der Willensentschließungsfreiheit haben. Oben Fn 31. Eine unvermeidliche Folgewirkung, die jedoch die Entscheidung des Inhaftierten vor Prüfbeginn nicht beeinflussen darf, kann die Teilnahme an der klinischen Prüfung natürlich bei Erreichen einer wesentlichen Besserung des Gesundheitszustandes oder gar bei einer Heilung erlangen, wenn der vorherige Erkrankungszustand Grund der Unterbringung war.
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oder gar im Sinne von haftverlängernden Entscheidungen auswirken. Auch aus Sicht der Forschenden sollte dabei großes Interesse an einer strengen Handhabung des Datenschutzes bestehen, weil ansonsten Versuchsteilnehmer sich motiviert sehen könnten, mit Blick auf erhoffte Verbesserungen ihrer Haftsituation Versuchsergebnisse zu manipulieren.96 Unverzichtbar ist deshalb zugleich eine sorgfältige und eingehende Aufklärung der Verwahrten nicht nur entsprechend den allgemeinen Grundsätzen über „Wesen, Bedeutung, Risiken und Tragweite der klinischen Prüfung“ (§ 40 I S. 3 Nr. 3a, II AMG), sondern auch und insbesondere darüber, dass sich die Entscheidung über eine Teilnahme oder Nichtteilnahme an der Studie in keinster Weise auf Ausgestaltung oder Dauer der weiteren Unterbringung auswirkt. Die Aufklärung muss darüber hinaus natürlich ebenso das Bestehen einer Anlauf- und Kontrollstelle und die Möglichkeiten des Zugangs zu dieser zum Gegenstand haben. Diese in solcher Weise geschaffene „Legitimation durch Verfahren“ in dem Sinne, dass bestehende Zweifel an einer hinreichenden Beachtung des materiellen Rechts durch Bereitstellung einer Verfahrensstruktur kompensiert werden, die höchstmögliche Gewähr für die Wahrung der rechtlichen Grenzen bietet, 97 kann natürlich stets nur unter dem Vorbehalt besserer Erkenntnis bestehen. Es bedarf daher der fortlaufenden Beobachtung, ob sich die Sicherungsmechanismen tatsächlich bewähren oder eher der Verschleierung einer in Wahrheit fragwürdigen Praxis dienen.98 Als weitere Vorsorgemaßnahme gegen Missbrauch wird man wie auch in sonstigen Fällen der Einbeziehung vulnerabler Probandengruppen (vgl. §§ 40 IV Nr. 2, 41 III Nr. 3 S. 2 AMG) den Rechtsgedanken der Subsidiarität zugrunde legen müssen, ähnlich dem Zusatzprotokoll des Europarates v. 25.1.2005 zur Biomedizin-Konvention, das in seinem Art. 20 lit. i) die Bedingung aufstellt: „Forschung von vergleichbarer Wirksamkeit kann ohne Beteiligung von Personen, denen die Freiheit entzogen ist, nicht durchgeführt werden“99. Die dort des Weiteren enthaltene Begrenzung auf „minimale Risiken“ und „minimale Belastungen“ (Art. 20 lit. iii)100 will hingegen ersichtlich dem Umstand einer mit Zweifeln behafteten Freiwilligkeit Rechnung tragen und hat mithin eine Klientel vor Augen, die es nach Implementierung einer probandenschützenden Organisations- und Verfahrensstruktur gerade nicht mehr geben sollte. Gleichwohl bleibt zu überlegen, ob eine künftige Regelung sich auf das allgemeine Risiko-NutzenKalkül des § 40 I S. 3 Nr. 2 AMG beschränken oder evtl. doch das strengere Erfordernis der § 40 IV Nr. 4 bzw. § 41 III Nr. 1 S. 1 AMG („möglichst wenig Belastungen und andere vorhersehbare Risiken“) zum Vorbild nehmen sollte. Hier wie im Ganzen einen akzeptablen Kompromiss zu finden zwischen dem unverzichtbaren Schutz der Probanden und dem nicht minder wünschenswerten Fortschritt der medizinischen Forschung, hat nicht zuletzt auch größte praktische Relevanz für jene Bereiche, die jenseits des Arzneimittel- und Medizinprodukte96 97 98
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Zutreffend hervorgehoben von Almer (o. Fn 5), S. 173. Dazu eingehend Saliger, in: Bernat/Kröll (o. Fn 36), S. 124 ff., insbes. S. 162 ff. In letzterem Sinne offenbart die niederländische Euthanasiepraxis einige Verdachtsmomente, näher dazu Duttge u.a. (o. Fn 62), S. 21 ff., 54 ff. Siehe o. Fn 19 f. Zur Erläuterung dieser Begriffe siehe Art. 17 I, II des Zusatzprotokolls (o. Fn 19 f.).
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rechts liegen und – wie etwa die forensisch-psychiatrische Forschung – bisher (noch) keine rechtlichen Vorgaben speziell für wissenschaftlich motivierte Studien mit zwangsweise Untergebrachten kennen. Denn die vorherrschende Ablehnung einer Analogie zum geltenden § 40 I S. 3 Nr. 4 AMG101 ist weniger durch Bedenken an einer – hierauf bezogen – naheliegenden Vergleichbarkeit motiviert, sondern durch das verständliche Unbehagen am bisher bestehenden kompromisslosen Verbot. Eine Korrektur des Arzneimittelrechts könnte daher den Weg bereiten, um auch für jene anderen Gebiete die inzwischen dringend angemahnte Rechtssicherheit102 durch Regelungen herbeizuführen, die nicht aus Sorge vor Missbrauch das Kind mit dem Bade ausschütten.
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Im Überblick: Almer (o. Fn 5), S. 174 ff. Siehe für den Bereich der forensisch-psychiatrischen Forschung: Fromberger/Müller, in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 2007, 276 ff., 279 f.
Biosimilars – ein Markt der Zukunft?
Alexander P. F. Ehlers und Antje-Katrin Heinemann In den 80er Jahren begann die Vermarktung der ersten Generation der durch rekombinante Technologie hergestellten biologischen Arzneimittel. Bis vor ein paar Jahren hat der Patentschutz die Hersteller der originatoren Biopharmazeutika vor generischen Produkten geschützt. Seit 2002 laufen nun nach und nach die Patente der biologischen Arzneimittel aus und die ersten Biotech-Nachfolgeprodukte, auch genannt Biosimilars, wurden jüngst durch die EMEA1 zugelassen. Insgesamt liegt der Anteil der Biopharmazeutika am gesamten Arzneimittelumsatz bei 9,9 Prozent2 und der Wachstumskurs der Biotech-Branche wird in den nächsten Jahren noch weiter steigen.3 Dieser Beitrag beschäftigt sich unter anderem mit den Unterschieden eines Generikums zu einem Biosimilar, den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Zulassung von Biosimilars, der Vergleichbarkeit des Biosimliars mit dem Referenzprodukt sowie den „Risiken und Nebenwirkungen“ des schwierigen, aber möglicherweise lukrativen Marktes der Biosimilars.
I. Biotechnologie und der medizinisch-wissenschaftliche Fortschritt Derzeit sind in Deutschland 123 biotechnologisch hergestellte Arzneimittel mit 93 Wirkstoffen zugelassen.4 Insgesamt liegt der Anteil der Biopharmazeutika am gesamten Arzneimittelumsatz bei 9,9 Prozent5 und der Wachstumskurs der Bio1 2
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European Agency for the Evaluation of Medicinal Products. a.a.O.; Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA), Life Science am Kapitalmarkt: Biotechnologie im Fokus 2005, S. 4; Kleist/Mollet/Pfister/ Bühler, Schweizerische Ärztezeitung 2006, S. 1271 (1271). visAvis: Biotechnologie-Report von Ernst & Young prognostiziert Umsatzmilliarde 2007,URL:http://www.visavis.de/technologie/modules.php?name=News&file=article& sid=9384. Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA): Zugelassene gentechnische Arzneimittel in Deutschland 2007, URL:http://www.vfa.de/de/forschung/am_entwicklung/ amzulassungen_gentec.html. a.a.O.; Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA), Life Science am Kapitalmarkt: Biotechnologie im Fokus 2005, S. 4; Kleist/Mollet/Pfister/
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tech-Branche wird in den nächsten Jahren noch weiter steigen.6 Allerdings sind die technologischen und wirtschaftlichen Trends dieser Branche stark von den externen Rahmenbedingungen abhängig, wie dem Zulassungsverfahren bei der EMEA sowie der nationalen Gesetzgebung.7
1. Biopharmazeutika Biotechnologisch hergestellte Medikamente („recombinant biologicals“) werden anders als chemische Arzneimittel nicht durch chemische Synthese, sondern aus biologischem Material isoliert (z. B. aus Blutplasma) oder gentechnisch mit Hilfe von lebenden Zellen (z.B. Hamsterzellen) produziert.8 Biopharmazeutika sind entgegen den einfach und klar zu strukturierenden, leicht zu charakterisierenden chemischen Arzneimitteln hochkomplexe dreidimensionale Proteine, deren heterogene Struktur analytisch schwer zu charakterisieren ist und die lediglich durch relativ schwache Wasserstoffbrückenbindungen stabilisiert werden und dementsprechend umgebungsempfindlich sind.9 Im Vergleich zu chemischen Arzneimitteln haben Biopharmazeutika ein sehr hohes Molekulargewicht, in Einzelfällen bis zu 500 000 Dalton. Beispielsweise hat Aspirin ein Molekulargewicht von lediglich 180 Dalton, wohingegen das biotechnologisch hergestellte Insulin ein Molekulargewicht von 5000 Dalton hat, also eine höhere Molekulardichte aufweist. Dies erschwert die Nachahmungsmöglichkeit erheblich. Die Qualität eines Biopharmazeutikums hängt stark von dem Herstellungsprozess ab, das heißt von den Wachstumsbedingungen der Wirtszellen, den verwendeten Lösungszusätzen und Materialien, Fermentationsprozessen und den physikalischen Bedingungen (Temperatur, Scherkräfte, Phasen).10 Folglich bestimmt der Herstellungsprozess das Produkt11 und kleinste Veränderungen haben Auswirkungen auf die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Biopharmazeutikums.
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Bühler, Schweizerische Ärztezeitung 2006, S. 1271 (1271). visAvis: Biotechnologie-Report von Ernst & Young prognostiziert Umsatzmilliarde 2007, URL:http://www.visavis.de/technologie/modules.php?name=News&file=article &sid=9384. Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA), Life Science am Kapitalmarkt: Biotechnologie im Fokus 2005, S. 12. Ärzte Zeitung: Zulassung für die ersten gentechnisch erzeugten Generika 2006, URL:http://www.aerztezeitung.de/docs/2006/11/16/206a0605.asp?cat=; Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA): Biologische/biotechnologische Generika sind nicht möglich 2007, URL: http://www.vfa.de/de/presse/positionen/biotech_generika. html. CPMP/437/04 Guideline on Similar Biological Medicinal Products, 30. Oktober 2005; Zylka-Menhorn/Tippmann, Deutsches Ärzteblatt 103, 6/2006, S. 311 ff. Kleist/Mollet/Pfister/Bühler, Schweizerische Ärztezeitung 2006, S. 1271 (1272). „The process is the product“.
Biosimilars - ein Markt der Zukunft?
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2. Generika Von den chemisch hergestellten Arzneimitteln gibt es bereits seit vielen Jahren Nachahmerprodukte, sog. Generika. Nach Ablauf des Patentschutzes ist es Generikaherstellern möglich, Arzneimittel, die dem Produkt des Originalherstellers weitgehend entsprechen und insbesondere den gleichen Wirkstoff in der gleichen Menge enthalten, auf den Markt zu bringen. Generika lassen sich mithin als strukturell klare, chemische Arzneimittel definieren, die identische Kopien des Originalproduktes darstellen und aus pharmazeutischer Sicht kaum zu unterscheiden sind. Für die Zulassung muss der Hersteller eines Generikums nachweisen, dass dieses im Wesentlichen („essentially similar“) dem Originalprodukt gleicht, für das der Hersteller des originalen Arzneimittels insbesondere in klinischen Prüfungen die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nachgewiesen hat.12 Ferner muss der Generikahersteller nicht nur die gleiche Darreichungsform erfüllen, sondern ebenfalls die Bioäquivalenz zwischen dem Generikum und dem Originalpräparat darlegen. Aufgrund der Berufung auf die entsprechenden Unterlagen des Originalherstellers müssen die Hersteller der Generika keine eigenen Prüfungen zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Generikums durchführen. Sie haben infolgedessen erhebliche Einsparungen bei den Entwicklungs- und Forschungskosten und können die Arzneimittel preisgünstiger als die Originalhersteller anbieten. Daher begrüßen nicht nur die Generikahersteller den Ablauf des Patentschutzes von Originalprodukten, sondern auch Gesundheitspolitiker, die sich Kosteneinsparungen im Gesundheitssystem erhoffen.15 13
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3. Biosimilars Generika sind insofern chemische Duplikate des Originals und müssen lediglich kopiert werden. Biotechnologisch hergestellte Medikamente können jedoch aufgrund ihres komplexen Produktionsprozesses nicht identisch kopiert werden.16 Aus diesem Grunde spricht die europäische Arzneimittelbehörde nicht von Bioge12
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Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA): Biologische/biotechnologische Generika sind nicht möglich 2007, URL: http://www.vfa.de/de/presse/positionen/ biotech_generika.html. Der Begriff Bioäquivalenz bewertet die Austauschbarkeit zweier wirkstoffgleicher Arzneimittel. Diese ist gegeben, wenn ein Arzneimittel die gleiche Menge des gleichen Wirkstoffs enthält und der gleichen Darreichungsform vorliegt, die die gleichen Standards erfüllt. Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA): Biologische/biotechnologische Generika sind nicht möglich 2007, URL: http://www.vfa.de/de/presse/positionen/ biotech_generika.html. Kleist/Mollet/Pfister/Bühler, Schweizerische Ärztezeitung 2006, S. 1271 (1271); BIOPRO Baden-Württemberg GmbH: Biosimilars: Nachahmerpräparate von Biopharmazeutika 2007, URL:http://www.bio-pro.de/de/life/thema/03434/index.html. Ärzte Zeitung: Zulassung für die ersten gentechnisch erzeugten Generika 2006, URL:http://www.aerztezeitung.de/docs/2006/11/16/206a0605.asp?cat=.
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nerika, sondern von Biosimilars, denn diese sind ihrem Original zwar ähnlich, können aber niemals identisch sein. a) Der Prozess der Nachahmung von Biopharmazeutika Wie oben erläutert definiert sich ein Biopharmazeutikum, das heißt die Aminosäuresequenz des Proteins, seine Raumstruktur, Glykolisierungsgrad und dessen spezifische Verunreinigungen durch den Herstellungsprozess. Verschiedenste Einflussfaktoren wie beispielsweise minimale Veränderungen der Temperatur können Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des biotechnologischen Arzneimittels beeinträchtigen.17 Die Nachahmung von Biopharmazeutika ist insofern besonders schwierig. Daneben liegt die Schwierigkeit beim „Nachbau“ eines Biopharmazeutikums in der Basis der Prozesse: den lebenden Zellen oder Organismen. Diese lebenden Systeme variieren zwangsläufig ihre Funktion. Damit der Herstellungsprozess überhaupt reproduzierbar ablaufen kann, müssen definierte Kulturen von Mikroorganismen verwendet werden, die die gewünschte Substanz entstehen lassen.18 So werden für die Herstellung des Stoffes Erythropoetin in einer Nährstofflösung gezüchtete Eierstockzellen einer Hamsterart benutzt. Diese werden genetisch so programmiert, dass sie Erythropoetin produzieren.19 Erythropoetin als hämatopoetischer Wachstumsfaktor, der die Bildung roter Blutkörperchen im Knochenmark gezielt anregt, wird normalerweise vorwiegend in den Nieren produziert. Patienten mit Niereninsuffizienz oder Zystennieren bilden jedoch nicht genügend Erythropoetin und leiden deshalb an Anämie. Zur Behandlung der Anämie wird ein Biopharmazeutikum mit diesem Wirkstoff eingesetzt.20 Dennoch verhalten sich diese Zellen nicht immer gleich und somit ist ein solcher komplizierter Prozess nie identisch reproduzierbar. Diese äußerst komplizierten Prozesse müssen fortlaufend sehr genau überwacht werden. Häufige In-Prozess-Kontrollen helfen, auch geringfügige Veränderungen im Herstellungsprozess zu erkennen, denn diese können beispielsweise zu einer falschen Faltung des Proteins sowie zu Ab- und Umbaureaktionen führen oder das Glykolisierungsmuster verändern.21 Von der korrekten Faltung hängt zum Beispiel seine Fähigkeit ab, sich an Rezeptoren zu binden und damit einen pharmakologischen Effekt auszulösen.22 Letztlich entscheiden auch Isolierung und Reinigung des Endprodukts über Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arznei17 18 19
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CHMP/437/04 Guideline on Similar Biological Medicinal Products, 30. Oktober 2005. Gensthaler, Pharmazeutische Zeitung: Biosimilars sind im Kommen, Ausgabe 11/2006. Warnecke, Generika kennt jeder, und was sind Biogenerika?, URL: http://www.dialyseim-alstertal.de/pdf/Generika.pdf. Österreichische Apothekenkammer: Hightech Pharmazie: Pharmakogenetik und Pharmakogenomik sind heute wichtige Forschungsgebiete geworden; URL:http:// www.apotheker.or.at/Internet/OEAK/NewsPresse_1_0_0a.nsf/agentEmergency!OpenA gent&p=5B42BF8D76B69895C1256C0100352210&fsn=fsStartHomeFachinfo&iif=0.; Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA), Life Science am Kapitalmarkt: Biotechnologie im Fokus 2005, S. 8. Gensthaler, Pharmazeutische Zeitung: Biosimilars sind im Kommen, Ausgabe 11/2006. Zylka-Menhorn/Tippmann, Deutsches Ärzteblatt 103, 6/2006, S. 311 ff.
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mittels beim Patienten. Eine Garantie, dass ein Biosimilar dem originalen Biopharmazeutikum entspricht, gibt es jedoch auch nicht, wenn der Generikahersteller dieselbe Zelllinie mit denselben Informationsgenen einsetzt sowie einen vergleichbaren Herstellungsprozess durchläuft, denn ebenso spielt die umfassende Datenbasis der Originalhersteller eine Rolle.23 Ein über viele Jahre und Monate maßgeschneiderter Produktionsablauf ist häufig wertvolles geistiges Eigentum der Pharmaunternehmen.24 Genau über dieses Wissen können Generika-Unternehmen im biopharmazeutischen Bereich zwangsläufig nicht verfügen. b) Immunogenität Biotechnologisch hergestellte Arzneimittel bieten neue Therapiemöglichkeiten für bisher nicht oder nur schwer behandelbare Krankheiten. Sie funktionieren, indem sie unerwünschte Antworten im Organismus induzieren.25 Andererseits kann ein Biopharmazeutikum jedoch auch unerwünschte dramatisch variierende und möglicherweise fatale Antworten im Immunsystem zur Folge haben, beispielsweise indem es auf minimalste, analytisch nicht erfassbare Veränderungen überschießend reagiert.26 Eine Schwierigkeit bei der Entwicklung und Nachahmung des Biopharmazeutikums liegt demzufolge ebenfalls in der hohen Immunogenität der großen Proteinmoleküle. Das Molekulargewicht ist ein für die Immunogenität eines Moleküls bedeutsamer Faktor. Kleinere Moleküle mit einem Molekulargewicht von unter 5.000 Dalton sind in der Regel nicht immunogen. Immunogenität ist die Fähigkeit eines Antigens, eine Immunantwort auszulösen.27 Richtet sich diese Reaktion gegen Domänen, die für die Wirksamkeit entscheidend sind, bilden sich neutralisierende Antikörper, welche gegebenenfalls die biologische Aktivität reduzieren und zum partiellen oder kompletten Wirkungsverlust führen.28 Auf der anderen Seite kann sich ein Epitop29 ausprägen und zu anderen unerwünschten Immunreaktionen führen, wie beispielsweise zur Allergie, Anaphylaxie und Serumkrankheit.30
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a.a.O. Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA): Biologische/biotechnologische Generika sind nicht möglich 2007, URL: http://www.vfa.de/de/presse/positionen/ biotech_generika.html. Zylka-Menhorn/Tippmann, Deutsches Ärzteblatt 103, 6/2006, S. 311 ff. Kleist/Mollet/Pfister/Bühler, Schweizerische Ärztezeitung 2006, S. 1271 (1272); Nick, Formulating a development programme for a biosimilars medicinal product, http://www.egagenerics.com/doc/nick_biosim-development.pdf. Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie (FOPI): Biosimilars 2006, URL:http://www.fopi.at/page.asp/1416.htm. Zylka-Menhorn/Tippmann, Deutsches Ärzteblatt 103, 6/2006, S. 311 ff.; Kleist/Mollet/Pfister/Bühler, Schweizerische Ärztezeitung 2006, S. 1271 (1272). Ein Epitop (auch antigene Determinante genannt) ist ein kleiner Bereich (Molekülabschnitt) eines Antigens, gegen den das Immunsystem Antikörper bildet; denn weder die Rezeptoren auf der Oberfläche von B-Zellen noch die Antikörper selbst können an ein ganzes Antigen binden. Zylka-Menhorn/Tippmann, Deutsches Ärzteblatt 103, 6/2006, S. 311 ff.
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Ein Beispiel hierfür sind einige Fälle von transfusionspflichtigen Aplasien der roten Blutzellen (Pure Red Cell Aplasia, PRCA), die durch gegen das körpereigene Hormon Erythropoietin gerichtete Antikörper ausgelöst wurden.31 Die Ursache dieser Fälle waren kleinste Veränderungen im Herstellungsprozess. Des Weiteren zeigt das Beispiel der Erfinder und Ingenieure des japanischen Hersteller Showa Denko, dass sogar die Originalhersteller Schwierigkeiten bei deren Herstellung haben: Im Jahre 1989 bekamen sie die Folgen einer kleinen Änderung bei dem Herstellungsprozess der Aminosäure Tryptophan zu spüren. Sie sparten einen Reinigungsprozess, wodurch winzige Verunreinigungen im Präparat vorhanden waren. Mehrere Verbraucher starben, da ihr Immunsystem gegen diese Verunreinigungen rebelliert hatte.32 Infolge dieser lebensbedrohlichen klinischen Konsequenzen ist es erforderlich, die Immunogenität bei der Entwicklung von Biosimilars zu beobachten.33 c) Bioäquivalenz Der Hersteller eines Generikums muss einen einfachen Bioäquivalenznachweis erbringen, d.h. Aufschluss darüber geben, dass das Erfordernis der Gleichheit zwischen dem Generikum und dem Originalpräparat erfüllt ist. Zwei Arzneimittel sind folglich bioäquivalent, wenn sie pharmazeutisch äquivalent oder pharmazeutische Alternativen34 sind und wenn ihre Bioverfügbarkeit35 nach der Verabreichung in der gleichen molekularen Dosis so ähnlich ist, dass ihre Auswirkungen bezüglich Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Wesentlichen gleich sind.36 Diesen Nachweis zu erbringen ist für Hersteller von Nachahmerprodukten chemischer Arzneimittel nicht besonders schwierig, denn durch die Einfachheit von Produkt und Herstellungsprozess lässt sich die volle Übereinstimmung von Original und Generika feststellen. Anders hingegen ist es bei den Biosimilars. Es ist aufgrund der hochkomplexen Moleküle und der beschränkten analytischen Möglichkeiten nicht möglich, zweifelsfrei eine volle Übereinstimmung der Produktcharakteristika festzustellen
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Kleist/Mollet/Pfister/Bühler, Schweizerische Ärztezeitung 2006, S. 1271 (1272); Hürter, Die Kopisten stoßen an Grenzen 2005, URL: http://www.spiegel.de/ wirtschaft/0,1518,346730,00.html. a.a.O. CPMP/3097/02 Note for Guidance on Comparability of Medicinal Products containing Biotechnologyderived Proteins as Drug Substance - Non Clinical and Clinical Issues, Juni 2004; EMEA/CPMP/42832/05 Guideline on Similar Biological Medicinal Products Containing Biotechnologyderived Proteins as Drug Substance - Non Clinical and Clinical Issues, 1. Juni 2006. Diese liegen vor bei dem gleichen Wirkstoff, aber unterschiedlicher chemischer Form (Salz, Ester usw.) oder Darreichungsform oder Stärke. Ausmaß und Geschwindigkeit, mit denen ein Wirkstoff von einer Darreichungsform freigesetzt wird und im Blutkreislauf verfügbar wird. Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA): Biologische/biotechnologische Generika sind nicht möglich 2007,URL: http://www.vfa.de/de/presse/positionen/ biotech_generika.html;
Biosimilars - ein Markt der Zukunft?
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und somit unmöglich eine äquivalente Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zu garantieren.37 Schlussfolgernd lässt sich feststellen, dass es für die Zulassung von Biosimilars nicht ausreichen kann, lediglich Daten zur Qualität zu erheben und die Bioäquivalenz nachzuweisen. Fraglich ist daher, welche Daten für die Zulassung von Biosimilars nach den rechtlichen Vorgaben zu erheben sind.
II. Rechtliche Vorgaben Neben der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, der Richtlinie 2003/63/EG der Kommission vom 25. Juni 2003 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel und der Richtlinie 2004/27/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel sind ferner weitere relevante Leitlinien der EMEA auf die Zulassung von Biosimilars anzuwenden.
1. Europäische Richtlinien Eine rechtliche Grundlage für biologische Arzneimittel wurde in der Richtlinie 2004/27/EG in Art. 10 Abs. 4 geschaffen. Demnach sind Ergebnisse geeigneter vorklinischer oder klinischer Versuche vorzulegen, wenn Unterschiede bei den Rohstoffen oder dem Herstellungsprozess des biologischen Arzneimittels, das einem biologischen Referenzarzneimittel ähnlich ist, vorliegen, wodurch die in der Definition der Generika enthaltenen Bedingungen nicht erfüllt werden. Die Art und Anzahl der vorzulegenden zusätzlichen Daten müssen den relevanten Kriterien des Anhangs I und den diesbezüglichen detaillierten Leitlinien entsprechen.38 Neben der klaren Abgrenzung zu den Generika fordern das Europäische Parlament und der Europäische Rat folglich präklinische und klinische Studien für die Zulassung der Biosimilars. Eine vollständige Neuentwicklung des Produktes wird demnach nicht gefordert. Gemäß Anhang I, Teil II (Spezifische Zulassungsanträge und Anforderungen) Punkt 4 der Richtlinie 2003/63/EG gilt folgendes für biologische Arzneimittel, die im Wesentlichen einem bereits zugelassenen Arzneimittel gleichen (Biosimilars): Die bereitzustellenden Angaben dürfen sich nicht auf die Module 1, 2 und 3 (pharmazeutische, chemische und biologische Daten) beschränken, sondern müssen durch Daten zur Bioäquivalenz und Bioverfügbarkeit ergänzt werden. Die Art 37 38
a.a.O.; Zylka-Menhorn/Tippmann, Deutsches Ärzteblatt 103, 6/2006, S. 311 ff. Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (Amtsblatt L 136, 30.4.2004, S. 34-57).
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und Menge der zusätzlichen Daten (d.h. toxikologische und weitere präklinische und sachdienliche klinische Daten) sind je nach Einzelfall entsprechend den einschlägigen wissenschaftlichen Leitlinien festzulegen. Wegen der Verschiedenartigkeit der biologischen Arzneimittel ist von der zuständigen Behörde unter Berücksichtigung der spezifischen Merkmale jedes einzelnen Arzneimittels festzulegen, welche der in Modul 4 und Modul 5 vorgesehenen Studien erforderlich sind. Nach Modul 4 wären präklinische Studienberichte zur Pharmakologie, Pharmakokinetik und zur Toxikologie notwendig. Nach Modul 5 sind Berichte über klinische Studien bereitzustellen, namentlich Bioverfügbarkeitsstudien, Vergleichende Studien zur Bioverfügbarkeit und Bioäquivalenz, In-vitro-/In-vivoKorrelationsstudien, bioanalytische und analytische Verfahren, sowie verschiedene Studien zur Pharmakokinetik, pharmakodynomische Studien am Menschen und Studien zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels.39 Neben den Standardanforderungen des Zulassungsantrages (Administrative Angaben, Zusammenfassungen und chemische, pharmazeutische und biologische Informationen zu Arzneimitteln, die chemische und/oder biologische Wirkstoffe enthalten) werden von Fall zu Fall somit auch präklinische und klinische Unterlagen gem. Modul 4 und 5 gefordert. Diese Angaben sollen zu einer hinreichend begründeten und wissenschaftlich fundierten Aussage darüber gelangen, ob das Arzneimittel die Kriterien zur Erteilung einer Genehmigung für sein Inverkehrbringen erfüllt.
2. Leitlinien der EMEA Darüber hinaus sind die wissenschaftlichen Leitlinien der EMEA40 Teil des Rechtsrahmens für die Zulassung von Biosimilars. Sie regeln unter anderem, wie die biologische Ähnlichkeit eines Stoffes in Bezug auf ein Referenzarzneimittel wissenschaftlich festgestellt werden kann. Ferner entwickelt die EMEA Leitlinien zu Qualität („quality issues“) und präklinischen sowie klinischen Aspekten („nonclinical and clinical issues“) biologisch ähnlicher Produkte. Die umfassende Leitlinie CHMP/437/0441, die seit Oktober 2005 anzuwenden ist, definiert die rechtlichen Rahmenbedingungen und das Konzept für die Zulassung der „similar biological medicinal products“. Gemäß der Leitlinie sind Vergleichbarkeitsstudien zwischen dem in der Gemeinschaft zugelassenen Referenzarzneimittel und des Biosimilars erforderlich, um nachzuweisen, dass diese ähnliche Eigenschaften in Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit aufweisen.42 Ferner verdeutlicht die Leitlinie, dass die pharmazeutische Form, die Stärke 39
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Richtlinie 2003/63/EG der Kommission vom 25. Juni 2003 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, S. 67 ff. Insgesamt existieren bis heute zehn Leitlinien für Biosimilars, drei Leitlinien sind derzeit bei der EMEA in Bearbeitung. CPMP/437/04 Guideline on Similar Biological Medicinal Products, 30. Oktober 2005. a.a.O.
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und der Verwaltungsweg des Biosimilars dieselben sein sollten wie die des Referenzarzneimittels. Sollte dies nicht der Fall sein, müssen zusätzliche Daten im Zusammenhang mit der Bioäquivalenz zur Verfügung gestellt werden. Jeder Unterschied zwischen dem Biosimilar und dem Referenzarzneimittel muss durch passende Untersuchungen über eine Fall-zu-Fall-Grundlage gerechtfertigt werden. Des Weiteren geht die ausführliche Leitlinie CHMP/437/04 auf den Pharmakovigilanz-Plan, sowie auf weitere Leitlinien zur Qualität und nichtklinischen und klinischen Gesichtspunkten ein, die für die Entwicklung von Biosimilars von Bedeutung sind. Außerdem existieren die prinzipiellen Leitlinien, wie beispielsweise die Leitlinien EMEA/CHMP/BWP/49348/2005 und EMEA/CHMP/BMWP/42832/2005, die sich mit der Qualität, sowie den Anforderungen in Bezug auf die Sicherheit (präklinische Daten) und der Wirksamkeit (klinische Daten) aller Biosimilars befassen. Daneben folgen beispielsweise der Leitlinie EMEA/CHMP/BMWP/ 42832/2005, die seit Juli 2006 anzuwenden ist, entsprechende produktspezifische Annex-Leitlinien für Insuline43, Erythropoetin44, Somatropin45 und G-CFS46.
III. Zulassungsvoraussetzungen 1. Vergleichbarkeit von Biosimilars und Referenzarzneimittel Für die Zulassung des Biosimilars muss die Vergleichbarkeit mit dem originalen Biopharmazeutikum auf mehreren Ebenen bewiesen werden: Produktqualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit.47 Zunächst ist bedeutsam, dass das ausgewählte Referenzprodukt während der gesamten Vergleichbarkeitsstudien dasselbe sein muss.48 Zum Beispiel sollte sich ein medizinisches Produkt mit dem Wirkstoff Interferon alfa-2a, welches einem anderen in der EU zugelassen medizinischen Produkt 43
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EMEA/CHMP/BMWP/32775/2005 Annex Guideline on Similar Biological Medicinal Products Containing Biotechnologyderived Proteins as Drug Substance - Non Clinical and Clinical Issues containing Recombinant Human Insulin, 1. Juni 2006. EMEA/CHMP/BMWP/94526/2005 Annex Guideline on Similar Biological Medicinal Products Containing Biotechnologyderived Proteins as Drug Substance - Non Clinical and Clinical Issues containing Recombinant Human Erythropoietin, 1. Juli 2006. EMEA/CHMP/BMWP/94528/2005 Annex Guideline on Similar Biological Medicinal Products Containing Biotechnologyderived Proteins as Drug Substance - Non Clinical and Clinical Issues containing Recombinant Human Growth Hormone, 1. Juni 2006. EMEA/CHMP/BMWP/31329/2005 Annex Guideline on Similar Biological Medicinal Products Containing Biotechnologyderived Proteins as Drug Substance - Non Clinical and Clinical Issues containing Recombinant Granulocyte-Colony Stimulation Factor, 1. Juni 2006. CPMP/437/04 Guideline on Similar Biological Medicinal Products, 30. Oktober 2005. Nick, Formulating a development programme for a biosimilars medicinal product, http://www.egagenerics.com/doc/nick_biosim-development.pdf.
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ähnlich sein soll, auf ein Referenzarzneimittel beziehen, das als Wirkstoff Interferon alfa-2a enthält. Folglich kann ein medizinisches Produkt, das Interferon alfa2b enthält, nicht als Referenzarzneimittel betrachtet werden.49 Biosimilars und Referenzarzneimittel müssen anhand validierter analytischer Methoden qualitativ miteinander verglichen werden, das heißt die Aktivität des Wirkstoffs des Biosimilars muss dem Referenzarzneimittel in molekularen und biologischen Bedingungen ähnlich sein ebenso wie das Reinheits- bzw. Verunreinigungsprofil. a) Nicht-klinische Daten Der Hersteller muss darstellen, dass beide Produkte sowohl in in-vitro als auch in in-vivo Studien vergleichbar sind. Biosimilars und Referenzarzneimittel sollten eine ähnliche Wirksamkeit in-vitro und in-vivo aufweisen. Zunächst sollten invitro erste Erkenntnisse über die Vergleichbarkeit in der Reaktivität und im wahrscheinlich begründenden Einflussfaktor in qualitätsbezogenen biologischen Experimenten gewonnen werden, bevor in-vivo Untersuchungen an Tieren vorgenommen werden, um Informationen über die Vergleichbarkeit zwischen Biosimilars und Referenzarzneimittel zu erhalten.50 Demnach wird nicht nur die lokale Verträglichkeit und die gleiche Wirksamkeit geprüft, sondern ebenso, ob Biosimilars und Referenzarzneimittel auch die gleichen Sicherheitsprofile in ihren pharmakologischen sowie toxischen Eigenschaften vorweisen. Zwar kann nun durch ähnliche physikalisch-chemische und biologische Eigenschaften und vergleichbare in-vitro- und in-vivo Effekte zum Referenzprodukt eine ähnliche Wirksamkeit erwartet werden, doch die Erfahrung mit der Entwicklung von Biosimilars ist begrenzt und es ist schwierig, sich der Vergleichbarkeit der hochkomplexen Proteine sicher zu sein. Aus diesem Grunde müssen innovative Biopharmazeutika, nachdem diese Nachweise erbracht wurden, ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit letztlich in umfangreichen klinischen Prüfungen unter Beweis stellen. b) Klinische Daten Gemäß der Leitlinie EMEA/CHMP/BMWP/42832/2005 sind die klinischen Vergleichbarkeitsstudien ein schrittweises Verfahren, das mit pharmakokinetischen51 und pharmakodynamischen52 Studien beginnen sollte und gefolgt wird von weiteren Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsstudien. Die Äquivalenzstudien werden für den Beweis der Vergleichbarkeit als generell randomisierte, konfirmatorische vergleichende klinische Studien angefordert. In bestimmten Fällen können jedoch bestätigende pharmakokinetische und pharmakodynamische Studien ausreichen.53 Dies hängt jedoch von bestimmten Vor49 50 51
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CPMP/437/04 Guideline on Similar Biological Medicinal Products, 30. Oktober 2005. CPMP/437/04 Guideline on Similar Biological Medicinal Products, 30. Oktober 2005. Pharmakokinetik – Verteilung eines Stoffes im menschlichen Körper nach Verabreichung und dessen Ausscheidung. Pharmakodynamik – Wirkung eines Arzneimittels im menschlichen Körpers. EMEA/CPMP/42832/05 Guideline on Similar Biological Medicinal Products Containing Biotechnologyderived Proteins as Drug Substance - Non Clinical and Clinical Is-
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aussetzungen ab: Die Pharmakodynamik des Referenzarzneimittels ist gut gekennzeichnet, es gibt genügend Wissen über pharmakodynamische Eigenschaften des Referenzarzneimittels einschließlich dem Binden zum Zielrezeptoren und seiner tatsächlichen Aktivität. Ferner muss das Verhältnis zwischen Dosis und Wirksamkeit des Referenzarzneimittels hinreichend gekennzeichnet sein. Zuletzt sollte mindestens eine pharmakodynamische Kennzeichnung als stellvertretende Kennzeichnung für die Wirksamkeit angenommen und das Verhältnis zwischen der Dosis und dem Produkt und dieser stellvertretenden Kennzeichnung müsste weithin bekannt sein.54 Die „Äquivalenzgrenzen“ sollten im Studienprotokoll a priori festgelegt und gerechtfertigt werden. Im Allgemeinen sollte die Äquivalenzgrenze in einem klinisch sinnvollen Endpunkt definiert werden und bedarf einer ausreichenden Beschreibung, um zu gewährleisten, dass keine möglichen Differenzen von klinischer Bedeutsamkeit gegeben sind.55 c) Problem Immunogenität Die Studien zur Immunogenität stellen den ausschlaggebenden Teil der Vergleichbarkeitsstudien dar, da es eine beträchtliche interindividuelle Veränderlichkeit in der Antikörperantwort gibt.56 Dies kann schwere Auswirkungen im Hinblick auf Überempfindlichkeitsreaktionen oder durch Ausschluss der Verträglichkeit haben.57 Die Menge der erforderlichen Sicherheitsdaten schwankt in Abhängigkeit von einer Vielzahl von Faktoren. Solche Faktoren sind beispielsweise die Dauer des Verbrauchs, die Seltenheit der Krankheit oder der Grad des Risikos. Zwar variieren diese Faktoren von Produkt zu Produkt, jedoch bleibt die Anzahl der Probanden, die notwendig für den Beweis der Vergleichbarkeit bezüglich der Wirksamkeit sind, gleich. Im Gegensatz zu der Probandenzahl von klassischen Generika, etwa 12 bis 48, sind für die klinische Prüfung von Biosimilars, wenn die Möglichkeit einer gravierenden schädlichen Wirkung besteht, bis zu 300 Probanden notwendig.58 Diese Daten werden von den gegenwärtigen ICHAnforderungen für neue chemische Substanzen für längerfristigen Gebrauch gefordert.59 Die Art, der Schweregrad und die Häufigkeit auftretender unerwünschter 54
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sues, 1. Juni 2006. EMEA/CPMP/42832/05 Guideline on Similar Biological Medicinal Products Containing Biotechnologyderived Proteins as Drug Substance - Non Clinical and Clinical Issues, 1. Juni 2006. a.a.O.; Nick, Formulating a development programme for a biosimilars medicinal product, http://www.egagenerics.com/doc/nick_biosim-development.pdf. EMEA/CPMP/42832/05 Guideline on Similar Biological Medicinal Products Containing Biotechnologyderived Proteins as Drug Substance - Non Clinical and Clinical Issues, 1. Juni 2006. Nick, Formulating a development programme for a biosimilars medicinal product, http://www.egagenerics.com/doc/nick_biosim-development.pdf. BIOPRO Baden-Württemberg GmbH: Problemfälle bleiben im Sicherheitsnetz hängen 2007, URL:http://www.bio-pro.de/de/region/freiburg/magazin/03516/index.html; Nick, Formulating a development programme for a biosimilars medicinal product, http://www.egagenerics.com/doc/nick_biosim-development.pdf. Nick, Formulating a development programme for a biosimilars medicinal product, http://www.egagenerics.com/doc/nick_biosim-development.pdf.
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Arzneimittelwirkungen müssen festgestellt werden und sollten die des Referenzarzneimittels nicht überwiegen.
2. Pharmakovigilanz-Plan Zusammen mit dem Antrag für die Zulassung des Biosimilars müssen die Antragsteller einen Risikomanagementplan (RMP) einreichen, der vom Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) einer Beurteilung unterzogen wird.60 Im RMP müssen bekannte und potenzielle Risiken der Arzneimittel ausgewiesen werden, damit bereits im Voraus (pro aktiv) Maßnahmen zur Risikominimierung, Risikospezifizierung und andere Pharmakovigilanzmaßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit ergriffen werden können. Um die Sicherheit des Arzneimittels zu gewährleisten, müsste zum Zeitpunkt der Zulassung ein funktionsfähiges Pharmakovigilanz-System aufgestellt sein. Jede verhängte spezifische Sicherheitsüberwachung zum Referenzarzneimittel oder zur Produktklasse sollte Erwägung finden in dem RMP.61
IV. Aktuelle und zukünftige Entwicklung 1. Zulassungen in der EU Die ersten beiden Biosimilars sind 2006 von der EMEA zugelassen worden. Sowohl bei dem Biosimilar Omnitrope®62 als auch bei dem Biosimilar Valtropin®63 handelt es sich um das menschliche Wachstumshormon Somatropin. Beide Präparate konnten bei ihrem Zulassungsantrag auf umfangreiche klinische Studien verzichten, da es sich um eine gentechnische Kopie des Originalpräparates Genotropin® bzw. Humatrope® handelt, die bereits Ende der 80er Jahre eingeführt wurden. Allerdings ist das Wachstumshormon ein relativ einfaches, nicht glykolisiertes Protein mit einem Molekulargewicht von 22.000 Dalton. Der Nachweis der Ähnlichkeit und gleichen Wirksamkeit des Biosimilars mit dem Referenzarzneimittel war für dieses Arzneimittel, das vergleichbar mit dem Insulin ist, leichter zu erbringen als für hochkomplexe Proteine wie dem Erytropoetin. Ein negatives Votum bekam ein Zulassungsantrag für das Biosimilar Alpheon®64 mit dem Wirkstoff Interferon alpha-2a, welches in der Therapie gegen Hepa60
EMEA/CPMP/42832/05 Guideline on Similar Biological Medicinal Products Containing Biotechnologyderived Proteins as Drug Substance - Non Clinical and Clinical Issues, 1. Juni 2006. 61 EMEA/145874/2006 Überblick über das Arbeitsprogramm der Europäischen Arzneimittel-Agentur 2006, 15. Dezember 2005, S. 17. 62 CPMP/3184/03 Committee for proprietary medicinal products summary of opinion for omnitrope, 26.Juni 2003. 63 Doc. Ref. EMEA/69276/2006, Press release: positive opinion for valtropin. 64 Doc. Ref. EMEA/190896/2006, Questions and answers on recommendation for refusal
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titis B, C und in der Onkologie eingesetzt wird. Der Zulassungsantrag wurde mit der Begründung der unzureichenden Stabilität des Wirkstoffes sowie aufgrund der Unterschiede im Hinblick auf Verunreinigungen im Präparat abgelehnt. Jüngst stimmte der zuständige Ausschuss der Europäischen Arzneimittelbehörde EMEA den Zulassungsanträgen für die Nachahmerversion des Biotechmedikaments EPO von Sandoz, Hexal und Medice Arzneimittel Pütter zu, so dass in den nächsten Monaten nach Absegnung durch die EU-Kommission mit der Zulassung gerechnet werden kann. Stada rechnet mit einer Zulassung dieses Wirkstoffs Ende 2007.65
2. Kennzeichnung der Biosimilars Viele Akteure sprechen sich für eine eigene Wirkstoffsbezeichnung für die Biosimilars (INN, International Nonproprietary Name) mit angepasster Produktbeschreibung aus.66 Diese INN wird von der Weltgesundheitsorganisation vergeben. Die Biosimilars sollten nicht die Wirkstoffbezeichnung des originalen Biopharmazeutikums erhalten, da im Schadensfall nicht mehr nachvollziehbar ist, welches Arzneimittel der Patient erhalten hat. Dies stellt große Schwierigkeiten für Sicherheit und Haftungsfälle dar.67
3. Kostenreduzierung durch Biosimilars? Fraglich dürfte sein, ob durch eine steigende Anzahl von Biosimilar-Zulassungen tatsächlich die erhofften Kosteneinsparungen auf Seiten der Gesundheitspolitik eintreten werden, denn aufgrund des komplexen Herstellungs- und Zulassungsverfahrens sowie den umfangreichen klinischen Studien sind die Entwicklungskosten und die Entwicklungszeit für Biosimilars ungleich höher als für klassische Generika. Mit radikalen Preisreduktionen gegenüber dem Originalprodukt dürfte daher nicht zu rechnen sein, so dass die Gewinnmargen der Unternehmen dementsprechend geringer sein werden. Das Wachstum des Biosimilar-Marktes wird sich an der Entwicklung des Marktes aller biotechnologisch hergestellten Arzneimittel orientieren, so dass die zukünftige Entwicklung abzuwarten sein wird.
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of marketing application for alpheon. Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA): Erste eigene Wirksamkeits- und Sicherheitssstudien ermöglichen Nachbildung von Biopharmazeutika 2006, URL:http:/ /www.vfa.de/de/presse/pressemitteilungen/pr_002_2006.html. BIOPRO Baden-Württemberg GmbH: Wie relevant ist der kleine Unterschied? 2007, URL:http://www.bio-pro.de/de/region/ulm/magazin/03428/index.html; Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA): Erste eigene Wirksamkeits- und Sicherheitsstudien ermöglichen Nachbildung von Biopharmazeutika 2006, URL: http://www.vfa.de/ de/presse/pressemitteilungen/pr_002_2006.html. a.a.O.
Haftung für die Fehler von Ethik-Kommissionen nach der Änderung des AMG von 2004
Gerfried Fischer
I. Einleitung Als der Jubilar vor 30 Jahren seine ersten Untersuchungen zu Fragen der klinischen Forschung veröffentlichte1, spielten aus medizinischen Versuchen resultierende Schadensfälle in der deutschen Gerichtspraxis noch keine große Rolle. Das sog, Thorotrast-Urteil des BGH vom 13. 2. 19562 betraf einen eher untypischen, noch den Kriegsverhältnissen entstammenden Fall der Forschung im Rahmen der Lazarettbehandlung eines Soldaten. Der BGH bejahte hier einen Aufopferungsanspruch, weil der allein Forschungszwecken dienende Eingriff, also ein wissenschaftlicher Versuch3, anders als eine auch der Heilung dienende Neulandbehandlung ein Sonderopfer des Patienten darstellte. In den letzten drei Jahren hatte sich der BGH jedoch gleich zweimal mit Schäden aus medizinischen Behandlungen, die noch nicht voll erprobt waren, also sog. therapeutischen oder Heilversuchen, zu befassen. In der Entscheidung vom 13.6.20064 ging es um das computerunterstützte Fräsverfahren Robodoc bei Hüftgelenksoperationen, in der Entscheidung vom 27.3.20075 um ein bei Beginn der Behandlung in Deutschland noch in (Phase III) der klinischen Prüfung befindliches Antiepileptikum. Die Klagen richteten sich gegen Klinikträger und behandelnde Ärzte. Zu Prozessen gegen Ethik-Kommissionen, deren Mitglieder, Gutachter oder Sachverständige ist es dagegen bisher nicht gekommen, obwohl deren Haftung ebenso lange diskutiert und in der Literatur grundsätzlich bejaht wird6. Nachdem 1
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Deutsch, Medizin und Forschung vor Gericht, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, 1978; ders., Das Recht der klinischen Forschung am Menschen, 1979. BGHZ 20, 61. Zur grundlegenden Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen und therapeutischen bzw. Heilversuchen s. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 921; Fischer, Medizinische Versuche am Menschen, 1979, S. 4. BGHZ 168, 103 = NJW 2006, 2477 m. Aufs. Katzenmeier S. 2738. BGH NJW 2007, 2767 = JZ 2007, 1104 m. Anm. Katzenmeier. u. a. Fischer (Fn.3), S. 101 ff; v. Bar/Fischer, Haftung bei der Planung und Förderung medizinischer Forschungsvorhaben, NJW 1980, 2734 ff.; Bork, Das Verfahren vor den
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Gerfried Fischer
aber auf der einen Seite heute praktisch alle klinischen Versuche an Menschen Ethik-Kommissionen zur Begutachtung vorgelegt werden und auf der anderen Seite trotzdem weiterhin immer wieder Versuchspersonen unerwartete Schäden erleiden, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch Klagen gegen diesen Personenkreis erhoben werden. In den USA ist das bereits geschehen7. Die Versicherungswirtschaft stellt sich jedenfalls insoweit darauf ein, als sie EthikKommissionen von Universitätskliniken in Betriebshaftpflichtversicherungen einschließt, tut sich jedoch nach meinen Informationen nach wie vor schwer, Versicherungen für einzelne Mitglieder anzubieten, die dieses Haftungsrisiko abdecken8.
II. Haftungsgrundlagen 1. Allgemeine Deliktshaftung Aufgabe der Ethik-Kommission ist es, den Schutz der Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen von Personen zu sichern, die an einer klinischen Prüfung teilnehmen9. Natürlich ist es zunächst einmal Pflicht des forschenden Arztes, gesundheitliche Schädigungen der Versuchspersonen, soweit es möglich ist, zu vermeiden. Er haftet, wenn er diese Pflicht sorgfaltswidrig verletzt, aus Vertrag10 nach § 280 BGB und aus Delikt nach § 823 I, II BGB. Neben dem unmittelbaren Schädiger können sich aber auch Personen schadensersatzpflichtig machen, deren Aufgabe es ist, diese Schädigung durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen zu verhindern. Das ist im deutschen Recht das Feld der sog. Verkehrssicherungspflichten oder kürzer Verkehrspflichten. Sie sind als solche von der Rechtsprechung ge-
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Ethik-Kommissionen der medizinischen Fachbereiche, 1984, S. 81 ff.; Czwalinna, Ethik-Kommissionen – Forschungslegitimation durch Verfahren, 1985, S. 138 ff.; Kollhosser, Haftungs- und versicherungsrechtliche Fragen bei Ethik-Kommissionen, in: Toellner (Hrsg.), Die Ethik-Kommissionen in der Medizin, 1990, S. 79, 85 ff: Kreß, Die Ethik-Kommissionen im System der Haftung bei der Planung und Durchführung von medizinischen Forschungsvorhaben, 1990; Stock, Der Probandenschutz bei der medizinischen Forschung am Menschen, 1997, S. 168 ff.; Taupitz/Kügler/Medicke, Liability for and Insurability of Biomedical Research Involving Human Subjects Under German Law, in: Dute/Faure/Koziol (Hrsg.), Liability for and Insurability of Biomedical Research Involving Human Subjects in a Comparative Perspective, 2004, S. 151, 174 f.; Pestalozza, Die Haftung der Mitglieder von Ethik-Kommissionen und ihre Überleitung, in: v. Dewitz/Luft/Pestalozza, Ethikkommissionen in der medizinischen Forschung, 2004, S. 159 ff. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn 1074, 1075. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn 1071, schlagen den Abschluss einer kombinierten Haftpflichtversicherung vor, die nicht nur den Körperschaden, sondern auch den möglicherweise viel größeren Vermögensschaden des Forschungsleiters abdeckt. So für die Arzneimittelprüfung § 3 Abs. 2 c der GCP-Verordnung vom 9.8.2004 (BGBl. I 2081, 2082) und Art. 2 lit k der EU-Richtlinie 2001/20/EG (ABl. L 121 vom 1. 5. 2001, S. 34). Das gilt gleichermaßen für alle anderen medizinischen Versuche. Zum Probandenvertrag s. Ehling/Vogeler, MedR 2008, 273 ff.
Haftung für die Fehler von Ethik-Kommissionen nach der Änderung des AMG
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schaffen worden, die folgenden Grundsatz aufgestellt hat: „Wer eine Gefahrenquelle für andere schafft oder unterhält, muss die Vorkehrungen treffen, die erforderlich und zumutbar sind, um die Gefahren nicht wirksam werden zu lassen“11. Den Fortbestand einer Gefahrenquelle ermöglichen aber auch die Personen, die für die Sicherungen sorgen, ohne die diese Quelle nicht unterhalten werden darf. Deshalb hat der BGH bei einem unzureichend gesicherten Autorennen nicht nur den Veranstalter, sondern die für die Sicherung verantwortliche Kommission und die für die Streckenabnahme zuständigen Kommissare gegenüber den Verletzten bzw. den Angehörigen haften lassen12. Die in diesem Urteil aufgestellten Haftungsgrundsätze sind auf die Ethikkommissionen und ihre Mitglieder zu übertragen13. Auch sie trifft aufgrund ihrer Sicherungsaufgabe gegenüber den einzelnen Versuchsteilnehmern eine Verkehrssicherungspflicht, deren Verletzung Schadensersatzansprüche auslöst. Das gleiche gilt für Sachverständige und Gutachter, die die Ethik-Kommission zur Bewertung der Prüfungsunterlagen nach dem novellierten § 42 I 5 AMG heranzieht. Sie werden ja gerade dort benötigt, wo die Mitglieder der EthikKommission nicht über hinreichende eigene Fachkompetenz verfügen. Von Sachverständigen wird erwartet, dass sie die für ihr spezifisches Sachgebiet typischen Gefahren erkennen und verhindern, während dies von den nicht sachkundigen Mitgliedern der Ethik-Kommission nicht verlangt werden kann. Diejenigen, von denen die Beachtung der erforderlichen Sorgfalt gefordert wird, sind dann die Sachverständigen. Sollen die Versuchsteilnehmer wirksam geschützt werden, so muss auch die Verletzung dieser Pflicht durch Schadensersatzansprüche sanktioniert sein.
2. Vertrags- und Amtshaftung a) Vertragshaftung Die Sicherungspflichten der Ethikkommissionen, ihrer Mitglieder und Gutachter können zugleich vertragliche Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB sein, sofern zu den Versuchspersonen ein Schuldverhältnis besteht. Da erstere mit letzteren keine Verträge schließen, kommt dies nur in Betracht, wenn die EthikKommission oder ihre Gutachter aufgrund von Verträgen, insbesondere mit Forschern oder Sponsoren, tätig werden und diese Verträge Schutzwirkung für die Versuchsteilnehmer entfalten. Das ist bei den sog. privaten Ethikkommissionen denkbar, deren Zustimmung nach § 20 Abs. 7 MPG für die Zulassung von Medizinprodukten genügt14. Ob Rechtsgrundlage dafür seit der Schuldrechtsreform § 311 Abs. 3 BGB ist oder ob sich die Drittschutzwirkung weiterhin aus der Auslegung des Vertrages ergibt, ist umstritten15, kann aber hier dahin stehen. Für die 11
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RGZ 121, 404; BGHZ 5, 380 f.; 14, 83, 85; 34, 206, 209; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 71. BGH NJW 1975, 533. Fischer (Fn. 3), S. 103; v. Bar/Fischer, NJW 1980, 2734, 2737. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 1073. Dafür Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2007, Rn. 202; vgl. auch
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Haftung wird nach wie vor Leistungs- und Gläubigernähe des Dritten und deren Erkennbarkeit für den Schuldner verlangt16, wobei es freilich auf die Gläubigernähe nicht ankommt, wenn die Vertragsleistung gerade dem Schutz des Dritten dient17. Letzteres ist hier der Fall. Verletzen die Ethikkommission und für sie tätige Personen den ihnen erteilten Sicherungsauftrag, so treffen etwaige Gesundheitsschäden typischerweise nicht sie selbst, sondern die Versuchspersonen. Darin liegt aber nicht etwa wie bei einer Lieferkette eine unzumutbare Erweiterung des Kreises potentieller Schadensersatzgläubiger, sondern der mit dem Begutachtungsauftrag bezweckte Schutz dient primär und für Kommissionsmitglieder wie Gutachter erkennbar den Versuchspersonen. Weil der Drittschutz Hauptvertragsziel ist, bedarf es auch hier keines besonderen Näheverhältnisses zwischen Gläubiger und Drittem, d. h. zwischen den Auftraggebern, also Forschern oder Sponsoren auf der einen und den Versuchspersonen auf der anderen Seite18. Regelmäßig wird allerdings derjenige, der die Ethik-Kommission beauftragt, auch ein Interesse daran haben, dass Schädigungen der Versuchspersonen vermieden werden, schon um seine eigene Haftung zu vermeiden. Jedoch ist ein potentieller Interessenkonflikt nicht ausgeschlossen, weil insbesondere bei entfernten Risiken Sponsoren und Forschern eher an der Durchführung des Versuchs, den davon betroffenen Versuchspersonen eher an dessen Unterbleiben gelegen ist. Das ist aber wie in anderen Fällen drittbezogener Gutachten kein Grund, die Drittschutzwirkung zu verneinen; denn die Genehmigung durch die Ethik-Kommission stärkt wegen deren Fachkompetenz das Vertrauen der Versuchspersonen in die Angemessenheit der Versuchsrisiken. b) Amtshaftung Öffentlich-rechtliche Ethik-Kommissionen werden nicht aufgrund vertraglicher Verpflichtung tätig, sondern üben eine hoheitliche Aufgabe aus19. Das gilt nicht nur dort, wo ihre Zustimmung wie nach § 40 I 2 AMG Zulässigkeitsvoraussetzung für die Durchführung der Versuche ist, sondern auch dort, wo nur wie in § 15 MBO die Beratung vorgeschrieben ist. In beiden Fällen beruht die Einschaltung nicht auf privatautonomer Entscheidung des Forschers oder Sponsors, sondern auf gesetzlicher Anordnung, und die Einsetzung der Ethik-Kommission sowie die Berufung ihrer Mitglieder erfolgt aufgrund gesetzlicher Legitimation. Da in jeder unerlaubten Handlung bei Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit eine Amts-
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Medicus, Bürgerliches Recht, 21. Aufl. 2007, Rn. 846a. Dagegen MünchKomm-BGBGottwald, 5. Aufl. 2007, § 328 Rn. 111; Palandt/Grünberg, 66. Aufl. 2007, § 311 Rn. 60; Staudinger/Löwisch, 2005, § 311 Rn. 161. Looschelders, Schuldrecht AT5, Rn. 204 - 209; vgl. auch Medicus, Bürgerliches Recht21, Rn. 844 – 846. BGHZ 127, 378, 380; BGH NJW 1987, 1758; NJW 1998, 1059, 1060. Vgl. StaudingerJagmann, 2004, § 328 Rn. 101. a. A. Kreß (Fn. 6), S. 193 - 196, der wegen der Vielzahl potentiell Geschädigter ein zu hohes Haftungsrisiko annimmt. Das überzeugt schon wegen der gleichzeitig bestehenden Verkehrspflicht gegenüber dem gleichen Personenkreis nicht. Deutsch/Spickhoff, Medinzinrecht6, Rn 1067; Kreß (Fn. 6), S. 137 – 143; Meuser/Platter, PharmR 2005, 395, 396; Pestalozza (Fn. 6), S. 163.
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pflichtverletzung liegt20, stellen sich die oben dargelegten Verkehrspflichtverletzungen als Verletzung von Amtspflichten dar, für die nicht nach § 823, sondern ausschließlich nach § 839 gehaftet wird21.
3. Haftungsschuldner Die nächste Frage ist freilich, wen die Schadensersatzpflicht trifft. Hier ist zum einen problematisch, ob die Mitglieder der Ethik-Kommission nur für eigene Fehler oder auch für Fehler der anderen haften, wenn sie den Versuchen zustimmen. Vor allem aber ist zu klären, ob die Haftung sie oder die von ihr beauftragten Gutachter selbst trifft oder die Institution, für die sie tätig werden, bei den Fakultätskommissionen also der Träger der Universität, bei Kommissionen der Landesärztekammern die jeweilige Kammer, bei privatrechtlichen die Organisation, die sie beruft. a) Haftung von Kommissionsmitgliedern Die deliktische Verkehrssicherungspflicht trifft grundsätzlich denjenigen, der die potentiellen Risiken beherrschen kann22. Das sind die einzelnen Kommissionsmitglieder oder die von der Kommission beauftragten Gutachter, weil sie es in der Hand haben, durch ihr Votum oder Gutachten Gesundheitsschäden der Versuchsteilnehmer zu verhindern. Allerdings ist nicht jedes Mitglied befähigt, sämtliche möglichen Gefahren des Versuchs zu erkennen. Aus diesem Grunde werden ja gerade Angehörige unterschiedlicher Fachdisziplinen als Mitglieder berufen. Es kann also durchaus sein, dass nur für einzelne von ihnen sorgfaltswidrige Gefährdungen erkennbar sind. Das sollte zwar, wenn diese verkannt werden, nichts am objektiv pflichtwidrigen Handeln aller zustimmenden Mitglieder ändern. Aber bei Mitgliedern, die die Gefahr rechtswidriger Schädigungen nicht erkennen konnten, fehlt es an der subjektiven Pflichtwidrigkeit und damit am Verschulden23, das Voraussetzung für die Haftung nach § 823, aber auch nach § 280 und § 839 ist. Jeder hat also nur für seine eigenen Fehler, nicht für die der anderen einzustehen. Die Ethik-Kommission als solche bildet auch keine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, und schon gar keine werbende, bei der nach neuerer Rechtsprechung24 ein Gesellschafter für die Delikte der anderen haftet. Die für deren gesamtschuldnerische Haftung entwickelten Gründe passen für Ethik-Kommissionen nicht, soweit diese nicht ausdrücklich als GbR auftreten, wie es wohl bei der privatrechtlichen Freiburger Ethikkommission der Fall ist25. 20
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BGHZ 29, 38, 42; 42, 177, 180; Palandt/Sprau, BGB67, § 839 Rn. 37 f.; Soergel/Vinke, BGB13, § 839 Rn. 118. v. Bar/Fischer, NJW 1980, 2734, 2739; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 106; Pestalozza (Fn.6), S. 163. v. Bar, Verkehrspflichten, 1980, 122. v. Bar/Fischer, NJW 1980, 2734, 2738; Czwalinna (Fn. 6), S. 139 f.; Kollhosser (Fn. 6), S.87. BGHZ 154, 88. Kreß (Fn. 6), S. 216 f.
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b) Haftungsüberleitung Die Kommissionsmitglieder tragen aber nicht nur keine Verantwortung für die Fehler der anderen Mitglieder und Gutachter. Bei den öffentlich-rechtlichen Kommissionen der medizinischen Fakultäten und der Ärztekammern tritt an die Stelle ihrer Haftung die des Staates nach § 839 BGB, Art. 34 GG, weil sie hoheitlich tätig werden26. Wie bereits dargelegt, sind unerlaubte Handlungen von Amtsträgern einschließlich der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten zugleich Amtspflichtverletzungen i.S.v. § 839 BGB. Bei den Ethik-Kommissionen der medizinischen Fakultäten gehört die Tätigkeit zum Bereich der Forschung; denn diese erfasst nicht nur eigene Forschungsaktivitäten, sondern auch die Mitwirkung an der Forschung anderer durch deren Anleitung, Begutachtung oder Kontrolle. Die Forschung aber ist Teil der staatlichen Daseinsvorsorge und damit schlicht– hoheitliche Verwaltung. Hoheitlich tätig werden dabei nicht etwa nur die beamteten Kommissionsmitglieder, also die Professoren, sondern alle, die diese Aufgabe wahrnehmen, einschließlich externer Mitglieder. Maßgeblich ist hier der weite haftungsrechtliche Beamtenbegriff27. Haftungsschuldner ist bei der Amtshaftung nach Art. 34 GG der Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Amtsträger steht, d. h. nach ständiger Rechtsprechung des BGH die Körperschaft, die ihm das Amt, bei dessen Ausführung er fehlerhaft gehandelt hat, anvertraut hat28. Das ist im Regelfall die, die ihn angestellt hat, unabhängig davon ob er eine staatliche oder eine Selbstverwaltungsaufgabe wahrnimmt29. Die Mitglieder von Fakultätskommissionen sind normalerweise Bedienstete des Landes, das Träger der Universität ist. Auch wenn die Kommissionstätigkeit eine Selbstverwaltungsaufgabe der Universität darstellt, haftet dafür das Land als Anstellungskörperschaft30. Fehlt es an einem Dienstherrn wie u. U. bei externen Kommissionsmitgliedern, haftet die Körperschaft, deren konkrete Aufgabe erfüllt wird, bei den Fakultätskommissionen also die Universität31. Streitig ist es bei den Ärztekammern, bei denen die Kommissionen zumeist nicht aus deren Bediensteten bestehen, so etwa wenn Universitätsprofessoren in deren Kommission berufen werden. Hier wird teilweise die Auffassung vertreten, dann hafte die Universität, auch wenn ihnen diese Aufgabe ja nicht von ihr, sondern von der Kammer übertragen worden ist32. Begründet wird dies damit, dass im Regelfall die anstellende Körperschaft die anvertrauende sei und es, wie dargelegt, nicht darauf ankomme, ob die konkrete (fehlerhaft ausgeführte) Aufgabe in den 26
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Fischer (Fn. 3), S. 103 ; v. Bar/Fischer, NJW 1980, 2734, 2738; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 1069; Kreß (Fn. 6), S. 135 ff; Taupitz/Kügler/Medicke (Fn. 6), Rn. 53; Pestalozza (Fn. 6), S. 162 ff. Kreß (Fn. 6), S. 137; Pestalozza (Fn. 6), S. 163. Zum haftungsrechtlichen Beamtenbegriff generell BGHZ 11, 192, 197; 20, 290; 36, 195; 84, 292; 106, 323, 330; Palandt/Sprau, BGB66, § 839 Rn. 15; Soergel/Vinke, BGB13, § 839 Rn. 35; Schlick, NJW 2008, 127 f. Schlick, NJW 2008, 127, 128. BGHZ 87, 202, 204; 99, 326, 332. Bork (Fn. 6), S. 85; Kollhosser (Fn. 6), S. 86. Bork (Fn. 6), S. 85; Kollhosser (Fn. 6), S. 86. Pestalozza (Fn. 6), S. 165.
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Aufgabenkreis der Anstellungskörperschaft fällt. Jedoch wird in den einschlägigen Entscheidungen33 darauf abgestellt, ob dem Amtsträger die weitere Aufgabe von seinem bisherigen Dienstherrn oder ob ihm diese von einer anderen Institution übertragen wird. In anderen Entscheidungen hat der BGH deshalb ausdrücklich festgestellt, dass dieser Grundsatz nicht gilt, „wenn der Amtsträger unter Herauslösung aus der Organisation seiner Anstellungskörperschaft von einer anderen Körperschaft zur Ausübung hoheitlich eingesetzt wird“34. Was hier zuletzt etwa für den bei einem Krankenhaus angestellten Arzt gesagt worden ist, der den Behandlungsfehler beim Einsatz als Notarzt für einen selbständigen Rettungszweckverband begangen und damit die Haftung des letzteren ausgelöst hat, muss gleichermaßen für Universitätsangehörige gelten, die von der Ärztekammer in deren Kommission berufen worden sind. Die Amtshaftung trifft also nicht die Universität als Anstellungskörperschaft, sondern die Ärztekammer als Trägerin der EthikKommission35. Gleiches muss für die Fälle gelten, in denen Ethik-Kommissionen medizinischer Fakultäten zugleich als Kommissionen von Ärztekammern eingeschaltet geworden sind. Soweit sie von Forschern außerhalb der Universität zur Begutachtung angerufen worden sind36, sind sie im Wege der Organleihe als Organe der Kammer tätig geworden, die damit auch die Haftung trifft. Zur Amtshaftung und damit zur Haftungsüberleitung auf die Körperschaft, die die Ethik-Kommission eingerichtet hat, kommt es allerdings dann nicht, wenn deren Tätigkeit eindeutig in privatrechtlicher Form organisiert ist. In Frage kommt hier wohl weniger die Übertragung auf eine private Gesellschaft als Trägerin der Ethik-Kommission, die bei Arzneimittelstudien auch nicht den Anforderungen des § 42 I 1 AMG genügen dürfte. Praktische Bedeutung hat dies jedoch bei der Beauftragung von Gutachtern nach § 42 I 5 AMG. Schaltet die universitäre EthikKommission einen externen Sachverständigen ein, so handelt es sich um einen privatrechtlichen Gutachtervertrag, wenn dafür ein Honorar vereinbart wird. Werden nur Auslagen erstattet, spricht dies eher für eine Delegation hoheitlicher Tätigkeit, so dass dann die Amtshaftung eingreift. Die Haftung nach § 839 BGB, Art. 34 GG ist für Kommissionsmitglieder wie Gutachter aus mehreren Gründen günstiger als die allgemeine Delikts- und Vertragshaftung. Zum einen haften nicht sie selbst, sondern die öffentlich-rechtliche Körperschaft, also das Land, die Universität oder die Ärztekammer. Ein Rückgriff gegen Mitglieder und Gutachter kommt nach Art. 34 S. 2 GG nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit in Frage37. Bei privaten Forschungsträgern und EthikKommissionen haften dagegen Gutachter und Mitglieder selbst. Richtigerweise sollten sie zwar einen Freistellungsanspruch gegen den Träger haben, wenn ihnen
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s. o. Fn. 29. BGHZ 53, 217, 219; 160, 216, 228 = NJW 2005, 429, 432. Ebenso Kollhosser (Fn. 6), S.87; Kreß (Fn. 6), S. 186. Kanzow, Die Ethik-Kommissionen der Landesärztekammern, in: Toellner (Hrsg.), Die Ethik-Kommissionen in der Medizin, 1990, S. 39, hat als Beispiele Hamburg, das Saargebiet und Westfalen-Lippe genannt. Kreß (Fn. 6), S. 183; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 1071; Pestalozza (Fn. 6), S. 167.
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nur leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist38. Jedoch gilt dies nicht, wenn sie entgeltlich, d.h. gegen Honorar tätig werden. Der weitere Vorteil der Amtshaftung ist, dass sie bei leichter Fahrlässigkeit nach § 839 I 2 BGB subsidiär ist, also nicht eingreift, wenn der geschädigte Versuchsteilnehmer andere Ersatzansprüche hat. Allerdings ist diese rechtspolitisch scharf kritisierte Entlastung39 des Staates durch die Rechtsprechung erheblich eingeschränkt worden. Sie gilt nicht, wenn die anderweitigen Ersatzansprüche sich ebenfalls gegen einen Hoheitsträger, sei es derselbe, sei es ein anderer, richten40. Ein Ersatzanspruch gegen den Prüfer schließt also die Amtshaftung für die Kommission nicht aus, wenn dieser ebenfalls als Universitätsangehöriger tätig wird. Hat der Geschädigte Ansprüche gegen Versicherungen, hängt die Subsidiarität der Amtshaftung vom Zweck der Versicherung ab41. Ist es deren Zweck, den Schaden des durch unerlaubte Handlung Geschädigten endgültig aufzufangen, so bleibt es bei der Subsidiarität der Amtshaftung42. Das ist von Bedeutung für die nach § 40 I Nr. 8 AMG, § 20 I Nr. 9 MedProdG abzuschließende Probandenversicherung. Diese soll nicht nur die Probanden schützen, sondern auch die Prüfer entlasten. Die daraus resultierenden Ansprüche sind deshalb anderweitige Ersatzansprüche im Sinne von § 839 I 2 BGB43, verdrängen also bei leichter Fahrlässigkeit die Amtshaftung. Das muss gleichermaßen für die Mitglieder wie für die Träger der Ethik-Kommissionen gelten.
4. Ersatzberechtigte a) Da primäre Aufgabe einer Ethik-Kommission der Schutz von Körper und Gesundheit der Versuchspersonen ist und diesen gegenüber die darauf gerichteten Verkehrssicherungs- und Amtspflichten bestehen, sind sie natürlich diejenigen, die für ihre Körper- und Gesundheitsschäden Ersatz verlangen können, und zwar einschließlich eines Schmerzensgeldes. b) Die (gesetzlich) vorgeschriebene Begutachtung und Kontrolle durch die EthikKommission bedeutet allerdings aus der Sicht der forschenden Ärzte einen Eingriff in ihre durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Forschungsfreiheit. Das wird besonders deutlich, wenn die Ethik-Kommission ein Vorhaben negativ bewertet und 38
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Fischer (Fn. 3), S. 104; v. Bar/Fischer, NJW 1980, 2734, 2739 f.; Kreß (Fn. 6), S. 206; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 1071. MünchKomm-BGB/Papier4, § 839 Rn. 300-303; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 79 f. MünchKomm-BGB/Papier4, § 839 Rn. 310; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht5, S. 84 f.; Soergel/Vinke, BGB13, § 839 Rn. 193. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht5, S. 83. Soergel/Vinke13, BGB, § 839 Rn. 189 aE. Kreß (Fn. 6), S. 160 f.; Taupitz/Kügler/Medicke (Fn. 6), Rn. 55; Pestalozza (Fn. 6), S. 164.
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deshalb keine klinische Prüfung stattfinden darf. Für den Sponsor bedeutet es einen Eingriff in seine wirtschaftliche und berufliche Betätigungsfreiheit, die ebenfalls grundrechtlich, in erster Linie durch Art. 12 GG geschützt ist. Prüfer wie Sponsoren haben deshalb einen Anspruch auf zustimmende Bewertung, wenn dem Versuch keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Sie können verlangen, dass die Bewertung mit der erforderlichen Sorgfalt erfolgt, d.h. dass die Standards einer ordnungsgemäßen wissenschaftlichen Begutachtung eingehalten werden. Das gehört bei öffentlich-rechtlichen Ethikkommissionen zu deren Amtspflichten, und die Verletzung dieser Pflichten zieht Schadensersatzansprüche nach § 839 BGB, Art. 34 GG zugunsten der betroffenen Forscher44 und Sponsoren nach sich. Nach Auffassung des Jubilars soll bei letzteren der Anspruch auf Fälle der Willkür und der unvertretbaren Verzögerung zu begrenzen sein, weil das Recht am Gewerbebetrieb nur gegen betriebsbezogene Eingriffe geschützt ist45. Die fehlende Betriebsbezogenheit in anderen Fällen der sorgfaltswidrigen Begutachtung lässt sich aber wohl nur so begründen, dass Auftraggeber im Gegensatz zu Forschern nur mittelbar Betroffene seien. Das erscheint mir angesichts der Stellung, die sie nach dem Arzneimittelrecht im Verfahren haben, zweifelhaft.
III. Inhalt der Sorgfaltspflichten 1. Patienten- und probandenbezogene Pflichten Die Haftung für die Gesundheitsschäden von Versuchsteilnehmern wird begründet und begrenzt dadurch, dass diese Schäden Folge einer Pflichtverletzung sein müssen. Sowohl die Kommissionsmitglieder als auch Gutachter haften nur für die Verletzung von Pflichten, die gerade ihnen obliegen. Ihre Aufgabe ist es nicht, die sich im Einzelfall bei der Versuchsdurchführung ergebenden Gefährdungen zu erkennen und zu verhindern, sondern diejenigen, die die Studie als solche mit sich bringt. Um ein Bild aus der Produkthaftung zu verwenden, sie sollen Konstruktionsfehler, nicht Fabrikationsfehler verhindern. a) Kontrolle Kontrollgegenstand ist in erster Linie der nach § 7 II Nr. 3 GCP-VO vorzulegende Prüfplan. Er muss daraufhin geprüft werden, ob der erwartete therapeutische Nutzen die Risiken überwiegt. Zuständig dafür ist primär das Kommissionsmitglied, in dessen Fachgebiet der Versuch fällt. Ist ein solches in der Kommission nicht vertreten, dann muss ein Gutachter beauftragt werden. Auf dessen Bestellung hinzuwirken, ist die Pflicht aller Mitglieder, die die fehlende Fachkompetenz in ihrem Kreis erkennen können. Sie trifft vor allem die ärztlichen Mitglieder, die nicht-medizinischen nur, wenn das Fehlen auch für sie offensichtlich ist. Nehmen
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Kommissionsmitglieder die Fachkompetenz in Anspruch, dann müssen sie auch dafür einstehen, dass sie sie besitzen. Die Risikonutzenbewertung muss einmal im Hinblick auf zukünftige Patienten erfolgen, damit keine unnötigen Versuche durchgeführt werden. Zum andern müssen die Prüfungsteilnehmer vor übermäßigen und vor vermeidbaren Risiken bewahrt werden. Deshalb verlangt § 7 Abs. 2 Nr. 11 GCP-VO vom Antragsteller eine Erläuterung der Patienten- bzw. Probandenauswahl. Das ermöglicht der Ethik-Kommission nicht nur die Feststellung, ob die geprüfte Gruppe sich für die Studie eignet, sondern auch die, dass möglichst keine Personen eingeschlossen werden, bei denen unvertretbar höhere oder zusätzliche Risiken bestehen, wie z.B. Schwangere oder bestimmte Allergiker. Sollen Versuche an Personen durchgeführt werden, die gar nicht oder nur beschränkt einwilligungsfähig sind, muss die Kommission darüber hinaus prüfen, ob die besonderen Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen bei ihnen ausnahmsweise Versuche durchgeführt werden dürfen46. Sie hat also u. a. aufgrund von § 41 III Nr. 1 S. 2 AMG darauf zu achten, dass bei einwilligungsunfähigen Personen keine Versuche ohne unmittelbaren Nutzen für diese selbst vorgenommen werden, und bei Arzneimittelprüfungen an Kindern aufgrund von § 41 II 1 Nr. 2 AMG darauf, dass zumindest ein gruppentypischer Nutzen besteht und die Versuche nur mit minimalen Risiken und Belastungen verbunden sind47. Da die Antragsunterlagen Angaben zur Eignung der Prüfer und ihrer Mitarbeiter sowie zur Eignung der Prüfstelle enthalten müssen, müssen diese Angaben auch Gegenstand der Bewertung sein. Jedoch kann Pflicht der Ethik-Kommission nur eine Plausibilitäts- bzw. Schlüssigkeitsprüfung, nicht etwa die Durchführung tatsächlicher Nachforschungen sein. Dass aber die Realitätsnähe der Angaben nicht außerhalb jeder Kontrolle steht, ergibt sich schon daraus, dass § 8 Abs. 5 GCP-VO bei multizentrischen Studien eine Prüfung der örtlich beeinflussten Angaben durch die neben der federführenden Ethikkommission beteiligten örtlichen Ethik-Kommissionen verlangt. Es gehört zu den Pflichten der federführenden Kommission darauf zu dringen. Lieblingsthema der juristischen Kommissionsmitglieder sind natürlich die Aufklärungsfragen, weil das zu den Punkten gehört, von denen sie etwas verstehen, auf jeden Fall etwas verstehen sollten. Das bedeutet freilich nicht, dass die medizinischen Mitglieder bei der Diskussion dieses von ihnen meist eher ungeliebten Themas nicht gefragt wären. Denn der Jurist weiß zwar, dass über die behandlungs- bzw. versuchstypischen Risiken aufzuklären ist. Er kann jedoch ohne die Hilfe der Mediziner nicht beurteilen, welche das im Einzelnen sind. Er wird oft nicht allein erkennen, ob sie in den Informationen für die Versuchspersonen vollständig genannt und ob ihre Häufigkeit und Schwere richtig dargestellt sind. Das ist einer der Punkte, bei denen die Beurteilung nur im Zusammenwirken mehrerer Kommissionsmitglieder möglich ist. Missverständnisse lassen sich in 46
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Vgl. Kanzow, Die Ethik-Kommissionen der Landesärztekammern, in: Toellner (Hrsg.), Die Ethik-Kommissionen in der Medizin, 1990, S. 39, 43. Zu Einzelheiten s. Fischer, Der Einfluss der Europäischen Richtlinie 2001 zur Klinischen Prüfung von Arzneimitteln auf Versuche an Kindern und anderen einwilligungsunfähigen Personen, in: Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber, 2003, S. 685 ff.
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aller Regel nur im Gespräch ausschließen. Deshalb müssen die Beschlüsse der Kommission in Sitzungen fallen. Ein reines Aktenumlaufverfahren wäre ein Organisationsfehler, der zur Haftung führen kann48. Ein Organisationsfehler ist es ebenfalls, wenn das in § 42 I 1 AMG niedergelegte Erfordernis der Unabhängigkeit verletzt ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Mitglieder der Ethikkommission gleichzeitig an der klinischen Prüfung bzw. an dem Forschungsprojekt mitarbeiten49. Bedenken gegen die notwendige Unabhängigkeit vom Sponsor bestehen m.E. aber auch bei Kommissionsmitgliedern, die an anderen vom selben Sponsor betriebenen bzw. geförderten Studien beteiligt sind. Das Erfordernis der Unabhängigkeit gilt im Übrigen gleichermaßen für externe Gutachter und Sachverständige, die die Kommission beauftragt. Diese dürfen ebenso wenig als Forscher am Projekt beteiligt sein. Schließlich ist auch eine Bestellung von Mitgliedern oder Gutachtern der Ethik-Kommission zu Gutachtern im Genehmigungsverfahren durch die zuständige Bundesoberbehörde nach § 42 Abs. 2 AMG problematisch. Zwar besteht hier kein Einfluss des Sponsors oder Prüfers. Aber die Personenidentität stellt die Unabhängigkeit der Bewertung in Frage, die mit der Teilung der Beurteilung zwischen Ethik-Kommission und Bundesoberbehörde erstrebt wird. Ein besonderes Problem stellt die Prüfung der Probandenversicherung dar. Deren Bestehen ist nach § 40 I 3 Nr. 9 AMG und § 20 Abs.1 Nr. 8 MPG Zulässigkeitsvoraussetzung der klinischen Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Nach § 42 I 7 Nr. 3 AMG ist die Nichterfüllung dieser Voraussetzung ein Grund, aus dem die Ethik-Kommission ihre Zustimmung versagen darf, und gleiches muss auch für Medizinprodukte gelten50. Nach § 40 III 2 AMG muss der Umfang dieser Versicherung „in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der klinischen Prüfung verbundenen Risiken stehen und … so festgelegt werden, dass für jeden Fall des Todes oder der dauernden Erwerbsunfähigkeit einer von der klinischen Prüfung betroffenen Person 500.000 Euro zur Verfügung stehen.“ Die zuletzt genannte Voraussetzung wird von den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Probandenbedingungen51 zwar insoweit erfüllt, als § 6 (4) eine Einzelhöchstgrenze von 512.000 Euro vorsieht. Jedoch enthält § 6 (3) Höchstgrenzen52, die dazu führen, dass schon bei mehr als 10 Geschädigten jeder Einzelne weniger erhalten kann. Das ist mit der klaren Grenze von § 40 III 2 AMG nicht in Einklang zu bringen53. Außerdem werden keine genetischen Schädigungen ersetzt, der Ersatz von Spätschäden – nach § 4 (3) AVB älter als 5 Jahre – ausgeschlossen und kein Schmerzensgeld geleistet, obwohl der Ersatz immateriellen 48
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Von Bar/Fischer, NJW 1980, 2734, 2737; Czwalinna, MedR 86, 308; a. A. wohl Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 1047. Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 1041, 1048. Vgl. Voit, Die Probandenversicherung bei klinischer Prüfung von Medizinprodukten und Arzneimitteln im Licht des 2. Schadensersatzänderungsgesetzes, PatR 2004, 69 f. Text Stand April 2002. Ursprüngliche Fassung bei Fischer (Fn. 3), S. 126 ff. 5.113.0000 € bei Teilnahme von bis zu 1000 Personen an der klinischen Prüfung, 10.226.000 € bei Teilnahme von 1000 bis 3000 Personen und 15.339.000 € bei Teilnahme von mehr als 3000 Personen. Fischer (Fn. 3), S. 96; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 1342.
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Schadens inzwischen nach § 253 Abs. 2 BGB zu den Regelfolgen der Körper- und Gesundheitsverletzung gehört. Ob bei diesen Beschränkungen noch ein angemessenes Verhältnis zu den Risiken besteht, ist fraglich54. Deshalb ist im Hinblick auf die mangelnde Absicherung des Schmerzensgeldes die Auffassung vertreten worden, dass diese die Ethik-Kommission zur Versagung der Zustimmung nach § 42 II 3 Nr. 3 AMG berechtigt, ja sogar verpflichtet und die zu Unrecht erteilte Zustimmung zur Amtshaftung führt55. Das erscheint mir in diesem Punkt nicht zwingend, weil die Probandenversicherung primär eine verschuldensunabhängige Entschädigung sichern will, wenn kein anderer für den Schaden haftet. Wenn darin das Schmerzensgeld hätte einbezogen werden sollen, hätte es nahe gelegen, im 2. Schadensersatzänderungsgesetz nicht nur bei den Gefährdungshaftungen, sondern auch im AMG eine entsprechende Anpassung vorzusehen. Wesentlich näher liegt es angesichts des klaren Wortlauts von § 40 III 2 AMG, die zustimmende Bewertung wegen der schon angesprochenen zu niedrigen Deckung bei Schädigung einer größeren Zahl von Versuchspersonen zu versagen und eine Amtspflichtverletzung anzunehmen, wenn die Ethik-Kommission dies nicht tut. Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit der Kommissionsmitglieder, die sogar den Rückgriff erlauben würden, lassen sich aber wohl mit der Begründung verneinen, dass dieses qualifizierte Verschulden sich nicht nur auf den Gesetzesverstoß als Pflichtwidrigkeit, sondern auch auf die Schädigung beziehen muss56. Daran wird es regelmäßig fehlen; denn Schäden solcher Größenordnung werden nicht gerade auf der Hand liegen, wenn die Angemessenheit der Risiken vor Versuchsbeginn zu Recht bejaht wird, also nicht gleichzeitig ein Verstoß gegen § 40 I 4 Nr. 2 AMG vorliegt. b) Überwachung Das Arzneimittelgesetz macht die zustimmende Bewertung der Ethik-Kommission in § 40 I 3 AMG nur zur Voraussetzung des Beginns der klinischen Prüfung und dem entspricht es, dass wie schon gesagt, der Prüfplan zentrale Bewertungsgrundlage ist. Eine erneute Stellungnahme während der Durchführung schreibt § 10 GCP-VO noch bei bestimmten Änderungen des Prüfplans vor. Eine fortwährende Überwachung durch die Kommission ist dagegen weder im novellierten AMG57 noch in der GCP-VO vorgesehen und ebenso wenig die Rücknahme oder der Widerruf des Votums. Diese Aufgaben werden allein den 54
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Ausführlich dazu Rittner/Kratz/Walter-Sack, Zur Angemessenheit des Probandenschutzes nach § 40 Abs. 1 Nr. 8 AMG – Bericht der Arbeitsgruppe „Probandenversicherung“ des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen, VersR 2000, 688 ff. Voit, Anforderungen des AMG an die Ausgestaltung der Probandenversicherung bei der Durchführung klinischer Studien und ihre Konsequenzen für Sponsor, Prüfer und EthikKommission, PharmR 2005, 345, 350. Vgl. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 344 gegen BGHZ 34, 375. Anders Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz im Recht des medizinischen Erprobungshandelns, S. 155, für das frühere Recht unter Berufung auf § 40 I 4 AMG aF. Diese Vorschrift statuierte aber ebenso wie jetzt §§ 12 VI, 13 II - IV GCP-VO nur die Pflicht zur Unterrichtung der Ethik-Kommission über schwerwiegende oder unerwartete unerwünschte Ereignisse, nicht deren Pflicht zur fortlaufenden Überwachung der Studie.
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zuständigen Landesbehörden und Bundesoberbehörden übertragen58, die die Ethik-Kommmission allerdings von ihren Maßnahmen zu unterrichten haben. Eine Informationspflicht gegenüber der Kommission besteht auch für den Prüfer beim Tod eines Prüfungsteilnehmers (§ 12 Abs. 6 GCP-VO) und für den Sponsor bei ihm bekannt gewordenen unerwarteten schwerwiegenden Nebenwirkungen (§ 13 Abs. 2 GCP-VO), insbesondere mit Todesfolge oder -gefahr (§ 13 Abs. 3 GCPVO). Zwar knüpfen weder das Gesetz noch die Verordnung daran eine Pflicht der Ethik-Kommmission einzugreifen. Jedoch ergibt sich diese aus allgemeinen Verkehrssicherungsregeln. Ähnlich wie bei der Produktbeobachtungspflicht muss die Ethik-Kommission aufgrund solcher Informationen ihre Stellungnahme überprüfen und ggf. aufgrund einer Neubewertung widerrufen59. Tut sie das sorgfaltswidrig nicht, so löst das Schadensersatzansprüche späterer Opfer aus.
2. Prüfer- und sponsorenbezogene Pflichten Wie schon (unter II 3 b) dargelegt, haben auch die Prüfer und Sponsoren einen Anspruch auf sorgfältige Begutachtung. Die Kommissionsmitglieder sind also nicht nur verpflichtet, Versuche mit unvertretbaren Risiken zu verhindern, sondern auch solche mit vertretbaren Risiken zustimmend zu bewerten. Dazu müssen sie die neuesten zugänglichen Forschungsergebnisse ihres Fachgebietes heranziehen und berücksichtigen. In der Bewertung selbst muss ihnen ein Beurteilungsspielraum zugestanden werden60, so dass nur der Weg dorthin einer gerichtlichen Kontrolle im Hinblick auf Sorgfaltsverstöße unterliegt, nicht das Ergebnis einer Richtigkeitskontrolle. Was die Verfahrensregelungen betrifft, so muss das Unabhängigkeitsgebot auch zugunsten der Prüfer (und Sponsoren) eingehalten werden. Seine Verletzung kann bei negativem Votum für diesen Personenkreis Schadensersatzansprüche auslösen. Die haftungsrechtlich problematischsten Verfahrensregeln stellen m. E. die Fristen dar, innerhalb deren die Ethik-Kommission entscheiden muss. Die Regelfrist des 42 I 9 AMG beträgt 60 Tage, bei einer einzigen Prüfstelle nach § 8 Abs. 3 GCP-VO nur 30 Tage, und diese kurze Frist gilt auch für die lokalen nicht federführenden Ethikkommissionen. Das ist bei risikoreichen Versuchen ein nicht gerade großzügiger Zeitraum, in dem die Kommission zwischen der Szylla der Patientenschädigung und der Charybdis der Forschungsblockade hindurchsteuern muss. Überlegt man, welche Schäden aus einem fehlerhaften Negativvotum und aus einer Fristenüberschreitung entstehen können, ist die Frage einer Haftpflichtversicherung für Kommissionsmitglieder vielleicht doch nicht so abwegig, wie sie die Versicherungen teilweise einschätzen, auch wenn primär die öffentliche Hand haftet und der Regress eher selten droht.
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Vgl. Wölk, aaO. S. 147. Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 1063. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 1068.
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IV. Gesamtbewertung Man könnte deshalb überlegen, ob nach der Neuregelung des AMG das Haftungsrisiko nicht zu groß ist. Das hatte auch der Bundesrat gemeint und deshalb für § 42 Abs. 1 AMG eine Ergänzung vorgeschlagen61, die folgenden Wortlaut haben sollte: „Die Haftung der Mitglieder der nach Landesrecht zuständigen EthikKommission und der Körperschaft, in deren Dienst sie stehen, wird auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.“ Der Bundesrat hatte dabei allerdings weniger das Interesse der Kommissionsmitglieder als vielmehr das der Landesärztekammern als Träger von Ethikkommissionen im Auge. Dass davon auch die Länder als Träger universitärer Ethik-Kommissionen profitiert hätten, war ein sicher nicht unerwünschter weiterer Effekt. Rechtspolitisch wäre die – nicht Gesetz gewordene – Entlastung der Träger aber nicht unproblematisch. Denn sie ginge zu Lasten der Versuchsteilnehmer, soweit deren Schäden nicht durch die Probandenversicherung gedeckt sind. Die allgemeine Kritik, die an § 839 I 2 BGB geübt wird62, müsste deshalb auch diese Regelung treffen. Dass die Kommissionsmitglieder vor Ersatzansprüchen wegen leichter Fahrlässigkeit geschützt werden, ist jedenfalls bei den öffentlich-rechtlichen Kommissionen schon durch die Begrenzung des Regresses auf Fälle mindestens grober Fahrlässigkeit sichergestellt. Dass auch der Träger entlastet wird, soweit der Schaden nicht von der Probandenversicherung getragen wird, geht m.E. zu weit63. Wichtiger wäre es, dafür zu sorgen, dass die Probandenversicherungen endlich den Anforderungen des § 40 III 2 AMG entsprechen, und damit ein unnötiges Haftungsrisiko auszuräumen.
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BR-Drucks. 287/04 vom 14.05.2004, S. 6. S.o. Fn. 39. Zur Unwirksamkeit von Haftungsausschlüssen durch Landesgesetz, Satzung, Bescheid oder Vereinbarung s. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 1070.
Beweiserleichterung nach groben und einfachen Behandlungsfehlern
Ulrich Foerste Der schwierigste Part des Arzthaftungsprozesses ist oft der Beweis des Patienten, dass der Behandlungsfehler seine Gesundung erschwert hat. Dieser Kausalitätsbeweis wird allerdings durch Richterrecht erleichtert: bisweilen durch Anscheinsbeweis, also die diskrete Senkung des Beweismaßes1 auf bloße Wahrscheinlichkeit, wenn die konkrete Schädigung typischerweise Folge des jeweiligen Behandlungsfehlers ist,2 vor allem aber nach grobem Behandlungsfehler, nämlich durch Beweislastumkehr. Nach einfachen Behandlungsfehlern erfährt der Patient keine vergleichbare Hilfe: Die Beweislast für die Folgen soll bei ihm, das Beweismaß unberührt bleiben. Hatte der Arzt allerdings die klare Pflicht, Kontrollbefunde zu erheben, und verletzte er diese schuldhaft, so wird vermutet, dass die Befunderhebung ein „reaktionspflichtiges Ergebnis“ gezeigt hätte, wenn es hinreichend wahrscheinlich war. Der Beweis, dass die Unkenntnis dieses Befundes zum Schaden führte, soll dagegen weiter dem Patienten obliegen − mit einer interessanten Ausnahme für Fälle, in denen der nicht erhobene Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis gezeigt hätte, dessen Übergehung dann sogar als „grober“ Fehler hätte gelten müssen. Das weite Feld dieser Beweisregeln hat gerade den Jubilar über Jahrzehnte beschäftigt.3 Der Verfasser hofft dennoch auf Verständnis für eine altbackene und eine unübliche Frage: Überzeugt die Beweislastumkehr nach groben ärztlichen Fehlern? Und bleibt die Rechtsprechung ihrem Anliegen treu, den Beweis für die Folgen des Behandlungsfehlers lediglich bei groben Fehlern zu erleichtern?
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Zutr. Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, 1975, S. 120 ff.; Walter, Freie Beweiswürdigung, 1979, S. 206 f., 215. Das ist eher selten; zur Rspr. ausf. Soergel/Spickhoff, BGB, 13. Aufl. (2005), § 823 Anh I Rn. 224 ff. S. nur Deutsch, Festschrift Hermann Lange, 1992, S. 433 ff.
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I. Plausibilität der richterlichen Beweislastumkehr nach groben Behandlungsfehlern 1. Die Rechtsprechung: Beweislastumkehr statt Beweismaßreduzierung Im Schrifttum wird teilweise vertreten, die BGH-Rechtsprechung zur Kausalität grober Behandlungsfehler sei der Sache nach keine Beweislastumkehr, sondern lediglich eine Beweismaßreduzierung.4 Dieser Eindruck wurde durch gewisse ältere Entscheidungen in der Tat nahegelegt.5 Nachdem der BGH allerdings klargestellt hat, der Beweislastumkehr stehe nicht einmal entgegen, dass die Kausalität des groben Fehlers durchaus unwahrscheinlich sei,6 ist unzweifelhaft, dass heute eine echte Beweislastumkehr vorgegeben wird.
2. Die Kritik an der Rechtsprechung Die Beweislastumkehr beruht auf Rechtsfortbildung. Als solche muss sie jenseits der Überwindung bloßer „Unbilligkeit“, die mit jeder Beweislastregel verbunden ist um nachvollziehbare und verallgemeinerungsfähige Begründung bemüht sein. Insofern hat Gewicht, dass die BGH-Rechtsprechung zum groben Behandlungsfehler, trotz breiter Zufriedenheit mit ihren Ergebnissen, auf anhaltende Kritik stößt. Seit jeher wird moniert, die Beschränkung der Beweiserleichterung auf Folgen grober Fehler sei sachwidrig, da eine Abstufung nach dem Verschuldensgrad im materiellen Recht keinen Anhalt finde,7 pönale Begründungselemente in das Haftungsrecht hineintrage8 und vor allem ohne Bezug zur Beweisnot des Patienten sei, zumal die Folgen grober Fehler oft sogar besser als die Tragweite leichter Fehler feststellbar seien.9 Ohnehin seien grobe und leichtere Fehler teilweise schwer abgrenzbar.10 Vielfach wird daher zu allgemeiner Erleichterung des Kausalitätsbeweises geraten, vereinzelt sogar zur Beweislastumkehr, vor allem aber zur Beweismaßsenkung oder gar zur Abkehr von der Alles-oderNichts-Lösung des geltenden Haftungsrechts, d.h. zur Proportionalhaftung entsprechend der Wahrscheinlichkeit einer Schädigung.
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Eingehend Musielak, JuS 1983, 609, 612 ff.; MünchKomm-BGB/Wagner, 4. Aufl. (2004), § 823 Rn. 732. Z. B. in BGH NJW 1981, 2513; dazu Musielak, JuS 1983, 609, 614 f. BGHZ 159, 48, 54 ff. (Wahrscheinlichkeit u.U. nur 10 %!). Hanau, NJW 1968, 2291. Fleischer, JZ 1999, 766, 773 m. w. N.; Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986, Rn. 684 („moralische Wertung“). H. Weber, Der Kausalitätsbeweis im Zivilprozeß, 1997, S. 235 Anm. 86. Laut Bydlinski warnt „der fließende Übergang ... vor einer so abrupten Lösung“ (Probleme der Schadensverursachung nach deutschem und österreichischem Recht, 1964, S. 87).
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3. Die Proportionalhaftung als Alternative? Neben dem Jubilar11 und anderen hat zuletzt Gerhard Wagner12 dafür plädiert, den möglichen Schädiger bei zweifelhafter Kausalität seiner Tathandlung im Umfang der Wahrscheinlichkeit dieser Kausalität haften zu lassen, um so den Nachteilen der tradierten Alles-oder-Nichts-Lösung zu entgehen. Auf Einzelheiten der bestechenden Modelle kann hier nicht eingegangen werden. Gegen jede Anteilshaftung dürfte aber sprechen, dass sie dem geltenden Recht allzu fern steht. Anlehnen könnte sie sich allenfalls an § 830 I 2 BGB, wonach bereits mehrere mögliche Täter, zumal rechtswidrig und schuldhaft gefährdende Personen, dem Opfer vollständig, beim folgenden Innenausgleich aber nur anteilig haften sollen. Namentlich F. Bydlinski und Canaris plädieren dafür, dieses Prinzip auf den Fall zu erstrecken, dass die Haftung eines Täters in Frage steht, weil Haftungsgrund und Zufallsereignis konkurrieren, und diese Person von vornherein nur anteilig haften zu lassen. Bydlinski räumt freilich ein, dass dieser Schritt von der ratio des § 830 I 2 BGB nicht mehr gedeckt sei, also eigentlich nur rechtspolitisches Postulat sein könne. Er fordert ihn dennoch, weil die Beweislast des Geschädigten für Kausalität heute (scil. ohnehin) nicht mehr akzeptiert werde.13 Canaris hingegen sieht den Zweck der Norm darin, den „unverdiente(n) Glücksfall“ zu verhindern, der einem Beteiligten erwüchse, wenn er trotz konkret schadensgeeigneten Verhaltens nur deshalb von der Haftung verschont bliebe, weil auch noch ein anderer den Schaden verursacht haben könnte.14 Diese Deutung entfernt sich jedoch wesentlich vom Tatbestand des § 830 I 2 BGB und ist daher nicht mehr die des Gesetzgebers. Die Norm lässt mögliche Kausalität eben nur in einem Sonderfall genügen: wenn ein Schadensersatzanspruch zweifelsfrei besteht und nur unklar ist, gegen welchen der möglichen Täter er sich richtet.15 Dies lässt sich nicht auf den Fall übertragen, dass möglicherweise niemand haftet − auch nicht mit der Ergänzung Wagners, jedenfalls beim Innenausgleich solcher Gesamtschuldner bleibe „überhaupt nichts anderes übrig“, als ihn an der (bloßen) Wahrscheinlichkeit zu orientieren, dass der jeweilige Beteiligte Verursacher sei;16 denn dieser Ausgleich beruht auf einer ganz anderen Wertung: auf der für Solidarbeiträge praktizierten Analogie zu §§ 254 BGB, 287 ZPO, die deshalb − entgegen Wagner − auch nicht einfach „nach außen gekehrt“ werden darf und ohnehin bedenklich ist, weil zunächst einmal jede Tatsache, die einen vom Paritätsprinzip (§ 426 I 1 BGB) abweichenden Ausgleich rechtfertigen soll, des vollen Beweises bedarf.17 Dass der Gesetzgeber eine Beteiligtenhaftung überhaupt vorsieht, spricht eigentlich eher dagegen, dass er sich eine generelle Beweiserleichterung für Kausalität vorstellen konnte; denn dann hätte das Randproblem konkurrierender Täter keiner Erwähnung bedurft. 11 12 13
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Deutsch, Festschrift v. Caemmerer, 1978, S. 329, 335 (de lege ferenda). Gutachten zum 66. DJT, 2006, A 60 f. Festschrift Beitzke, 1979, S. 3, 30 ff.; Festschrift Frotz, 1993, S. 3 ff.; ihm i. E. folgend Gottwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung, 1979, S. 118 ff. Larenz/Canaris, Schuldrecht, Band II/2, 13. Aufl., § 82 II 3 b, c. Deutlich Prot. zum BGB, Bd. 2, 1898, S. 606. G. Wagner, Festschrift G. Hirsch, 2008, S. 453, 466. Staudinger/Noack, BGB, Neubearb. 2005, § 426 Rn. 40 m. w. N.
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4. Bloße Beweismaßreduktion als Alternative Weitaus zahlreicher sind die Versuche, den Kausalitätsbeweis durch Beweismaßreduktion zu erleichtern, sei es durch Leugnung einer gesetzlichen Beweismaßvorgabe, sei es durch Zuordnung jedweder Kausalfrage zu § 287 ZPO, sei es durch Relativierung des „normalen“ Beweismaßes, das nach herrschender Meinung anzuerkennen ist, im Wege teleologischer Reduktion. Daran gemessen, ist die vom BGH vorgegebene Beweislastumkehr zwar überschießend, aber meist weniger hilfreich, da sie auf Fälle grober Behandlungsfehler begrenzt sein soll. Beweismaßreduktion könnte viel elementarer helfen. a) Beweismaßvorgabe im geltenden Recht Allerdings ist unbestreitbar, dass unser Zivilprozessrecht sehr wohl ein Beweismaß vorgibt und an dieses im Grundsatz auch hohe Anforderungen stellt. Der Einwand, mit § 286 ZPO sei nur über die Freiheit der Beweiswürdigung, nämlich gegen die legale Beweistheorie, nicht aber über das Beweismaß entschieden worden, wird zwar unermüdlich wiederholt,18 ist von Walter19 aber schon vor 30 Jahren widerlegt worden: Die Freiheit der Beweiswürdigung wurde bei Beratung der CPO selbstredend auf die Wahrheitsfindung bezogen, da es um die Frage ging, ob die Wahrheit zuverlässiger mit oder ohne Vorgaben zur Gewichtung von Beweismitteln zu finden sei. Dass der Richter entsprechende Überzeugung20 gewinnen müsse, wurde also vorausgesetzt. Andernfalls wäre auch nicht verständlich, dass der zivilprozessuale Beweis in der Begründung zu E § 249 CPO ohne weiteres mit dem im Strafprozess zu führenden Beweis verglichen wurde,21 denn dessen Anforderungen stehen außer Frage. Denkbar ist freilich, dass jener hohe Standard Ausnahmen erfährt; darauf wird zurückzukommen sein. b) Abgrenzung der §§ 286, 287 ZPO Weniger klar ist, wo die Grenzlinie zwischen dem Vollbeweis i. S. d. § 286 ZPO und bloßer Wahrscheinlichkeit der Schädigung (§ 287 I ZPO) zu ziehen ist. Ausweislich der Materialien sollte sie sichtlich zwischen haftungsbegründender und -ausfüllender Kausalität verlaufen.22 Dies macht den Erfolg der Haftungsklage allerdings davon abhängig, ob sie (auch) auf Normen gründet, die bereits für Verhaltensunrecht haften lassen (z. B. §§ 280 I, 823 II, 826 BGB). Denn danach mag der Haftungsprozess des Patienten scheitern, weil wegen § 823 I BGB eine Verschlechterung der Gesundheit bewiesen werden muss, aber nicht hinreichend belegbar ist (§ 286 I ZPO), während er gelingen müsste, wenn dank eines Behandlungsvertrags genügt, dass dem Arzt ein Fehler unterlief, der den Zustand des 18 19 20
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Zuletzt von G. Wagner (Fn. 16), S. 460 f. (Fn. 1), S. 163 f. Der Begriff findet sich auch in der Begründung zu E § 249 CPO, in: Hahn (Hrsg.), Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Bd. II/1, 1881, S. 275. Motive zur CPO (Fn. 20), S. 275. Motive zur CPO (Fn. 20), S. 277; der BGH folgt dem nur teilweise, z. B. in NJW 2004, 777, 778.
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Patienten wahrscheinlich (§ 287 ZPO) verschlechterte. Diese Diskrepanz wird überwiegend für unerträglich gehalten;23 auch der VI. Senat des BGH sorgt für Angleichung, indem er die Beeinträchtigung des Patienten − systemwidrig − selbst dann zur haftungsbegründenden Kausalität schlägt, wenn eine Vertragsverletzung in Rede steht.24 Andererseits wäre die Rechtsunsicherheit, welche mit einer generellen Absenkung des Beweismaßes für haftungsbegründende Kausalität i. S. d. § 823 I BGB einherginge,25 ebenfalls problematisch. Noch heikler ist, dass die Harmonisierung konsequenterweise auch auf die Frage zu erstrecken wäre, ob überhaupt ein Recht(sgut) verletzt wurde. Zumindest besteht kein hinreichender Grund, die klare gesetzliche Differenzierung der Beweisanforderungen an Ersatzpflicht und Schädigung generell (!) − und über das bisherige Richterrecht hinaus − einzuebnen. De lege lata müssen wir daher wohl auch die zweifelhaften Konsequenzen hinnehmen, welche gerade dann spürbar werden, wenn Verhaltens- und Eingriffsnormtatbestände konkurrieren.26 Demnach gilt: Bei (vermutet schuldhafter) Verletzung eines Behandlungsvertrages genügt dank § 287 ZPO, dass der ärztliche Fehler den Zustand des Patienten wahrscheinlich verschlechtert hat. Kann sich die Haftung nur aus § 823 I BGB ergeben, so genügt das nicht; die schädliche Auswirkung des Behandlungsfehlers bedarf im Zweifel des Beweises. Daran ändert auch nichts, dass eine Körper- oder Gesundheitsverletzung bereits in dem ärztlichen Heileingriff liegen kann. Denn haftungsbegründend ist sie nur, wenn sie auch widerrechtlich und schuldhaft erfolgt; Eingriffe de lege artis (und mit Zustimmung des Patienten) genügen also keineswegs.27 c) Beweismaßreduktion je nach materiellem Recht? Breite Zustimmung findet die These, das hohe Regelbeweismaß sei teleologisch zu reduzieren, wenn es Wertungen des materiellen Rechts unterlaufen würde,28 insbesondere dort, wo die angeordnete Haftung andernfalls wegen der (typischen) Schwierigkeiten des Kausalitätsbeweises vereitelt würde.29 Ungeklärt ist indessen, woran man derart abweichende Vorgaben des materiellen Rechts erkennen soll. Wo dieses sich nicht gerade explizit zurücknimmt (wie in § 252 S. 2 BGB), bestehen ja immer zwei Möglichkeiten: Entweder beharrt der Gesetzgeber auf dem Eingriff, an den er die Haftung schließlich auch gebunden hat, also auch auf dessen Nachweis (ungeachtet typischer oder singulärer Beweisnot, auf die er auch außerhalb des Haftungsrechts wenig Rücksicht nimmt). Oder er billigt eine Haftung schon unterhalb dieser Schwelle. Für letzteres müsste die Norm freilich Anhalt geben. Insoweit begnügt man sich offenbar mit dem Befund, die mit der Norm verbundene Präventionswirkung sei um so stärker, je öfter Verstöße sankti23 24 25 26
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S. nur Gottwald (Fn. 13), S. 78 ff., 87 f. („undenkbar“). BGH NJW 1987, 705, 706. Dazu instruktiv Walter (Fn. 1), S. 181 ff. So auch noch BGH VersR 1975, 540, 541; Arens, ZZP 88 (1975), 1, 26 f., freilich unter Hinweis auf die Besonderheit frühzeitiger „Konkretisierung“ vertraglicher Pflichten. Anders jetzt offenbar Wagner (Fn. 16), S. 464 f.; i. d. S. schon Schiemann, 66. DJT (2006), L 153, 154 f.; klärend Taupitz, a. a. O., L 162. S. nur Walter (Fn. 1), S. 165, 223; Gottwald, KF 1986, 1, 15, 16 f. R. Weber, KF 1986, 48.
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oniert werden könnten.30 Ergänzen ließe sich, dass natürlich auch der Opferschutz umso besser wird, je eher die Haftung greift. Beide Erkenntnisse helfen aber wenig. Sie gelten (grosso modo) für jede Haftungsnorm,31 können also kaum Topoi der Differenzierung sein, welcher sie doch dienen sollen. Vor allem bleibt offen, ob die greifbare Verbesserung von Prävention und Ausgleich dem Gesetzgeber Anlass genug war, deshalb auch die Zumutungen an den Täter zu erhöhen. Realistisch betrachtet, kann der Interpret also nur sein entsprechendes Rechtsgefühl unterlegen. Dies bereits als Fernwirkung des Haftungsrechts zu deuten, fällt schwer. d) Beweismaßreduktion nach unerlaubter Handlung Immerhin besteht Anhalt dafür, dass auch der Gesetzgeber das Beweismaß für die Kausalität absenken wollte, soweit deliktische Haftung in Streit steht. Denn das Allgemeine Landrecht stellte insoweit sogar eine Vermutung auf: „Wer aber in der Ausübung einer unerlaubten Handlung sich befunden hat, der hat die Vermuthung wider sich, daß ein bey solcher Gelegenheit entstandener Schade durch seine Schuld sey verursacht worden.“ (ALR I 6 § 25). Sie wurde aber bewusst nicht in das BGB übernommen, mit dem Hinweis, auch insoweit „greift das Prinzip der freien Beweiswürdigung ein“.32 Der I. BGB-Kommission war nun gewiss gegenwärtig, dass die Vermutung dem Geschädigten aus deliktstypischer Beweisnot half. Während der Beratungen der Kommission (1874 - 1887) entschied das RG nämlich gleich mehrfach, dass zu entsprechender Hilfe auch Anlass bestehe:33 Hatte der Täter schuldhaft gefährlich gehandelt, so sollte für seine Haftung ausreichen, dass pflichtgemäßes Verhalten die Gefahr wesentlich vermindert hätte, und im Übrigen die Beweislast auf den Täter übergehen34 − eine Kombination von Beweismaßreduktion und Vermutung, die über den heutigen Anscheinsbeweis in doppelter Hinsicht hinausging35 (und später ständige Rechtsprechung wurde36). Die BGB-Kommission wird also realisiert haben, dass ein Verzicht auf die ALRVermutung den Geschädigten erheblich treffen mochte. Und „freie Beweiswürdigung“ konnte auf den ersten Blick keinerlei Ersatz sein, solange das unterstellte 30
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Dies betonend Gottwald, KF 1986, 1, 16; Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, 1998, S. 317 (zugleich relativierend); entsprechend schon Bydlinski (Fn. 10), S. 80. Auch Gottwald konzediert, die von Fikentscher für bestimmte Bereiche postulierte Absenkung der Haftungsvoraussetzungen sei „schwer greifbar“ (KF 1986, 1, 18). Das lässt sich verallgemeinern. Motive zum BGB, Bd. 2, S. 729 mit Anm. 3. RGZ 1, 271, 274 (1879); 10, 140, 143 f. (1883): „so würde die Rechtsverfolgung nahezu ausgeschlossen sein“; deutlich auch RGZ 10, 64, 66, obschon zu § 260 CPO = § 287 ZPO: Kausalität lasse „sich nachträglich nie mit voller Sicherheit bestimmen“. RGZ 1, 271, 273 f. (Schutzbrillen); sogar für volle Beweislastumkehr RGZ 10, 140, 143 f. (schwerer Explosionsfall, „große Gefahr“ für „weite Kreise“). Da auf Typizität des Erfahrungssatzes verzichtet wurde und dessen bloße Erschütterung nicht genügte. Vgl. RGZ 95, 249 f. (1919): „Ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit muß dann bei Abwesenheit gleich starker Möglichkeiten dem Richter genügen“; Planck/Flad, BGB, Bd. II/2, 4. Aufl. (1928), § 823 Anm. B II 2 a γ m. w. N.
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Beweismaß weiterhin die Überzeugung von der Kausalität sein sollte. Wenn die Kommission dennoch meinte, dank der ihr „vorliegenden Erfahrungen“ (gewiss auch der RG-Judikatur) bestehe für Sonderregeln „kein Bedürfnis“, weil dem Richter freie Beweiswürdigung zustehe,37 spricht also einiges dafür, dass diese hier auch die Freiheit einschließen sollte, ihren Bezugspunkt zu ändern, nämlich das später so genannte (Regel-) Beweismaß bei Bedarf abzusenken.38 Heute würde man solches eher als „kreative“ Beweiswürdigung abtun. Doch damals war man ohnehin großzügiger. So wurde vertreten, wahrhaft freie Beweiswürdigung sei keiner Überprüfung anhand rationaler Maßstäbe (Denk- und Erfahrungssätze) zugänglich;39 das musste zugleich das implizite Beweismaß (der richterlichen „Überzeugung“) gefährden. Die Gerichte wussten den Freiraum zu nutzen. Und auf Ebene des Haftungsrechts erhielt er wohl sogar den Segen des Gesetzgebers, der die vom Entwurf vorausgesetzte Beweiserleichterung mit der Verabschiedung des BGB in seinen Willen aufnahm.
5. Zulässigkeit selbst einer Beweislastumkehr? Eine Absenkung des Beweismaßes hilft dem Patienten freilich nicht, wenn die Kausalität des Behandlungsfehlers für seine Verletzung nicht einmal überwiegend wahrscheinlich ist. Die Rechtsprechung will aber auch in diesem Fall helfen: durch Beweislastumkehr. a) Begründung der richterlichen Beweislastumkehr Soweit deren Anbindung an grobe Behandlungsfehler als „Pönalisierung“ des Haftungsrechts kritisiert wird, ist klarzustellen, dass ein grober Fehler nach der Rechtsprechung gerade nicht von entsprechendem Verschulden abhängen soll.40 Der BGH berücksichtigt ihn vielmehr im Rahmen einer „gerechten Interessenabwägung“; entscheidend soll sein, dass der schwerwiegende Verstoß gegen die lex artis die Entwicklung des Gesundheitszustandes ungewiss gemacht habe, weshalb der Arzt „näher dran“ sei, mit dem Beweisrisiko belastet zu werden.41 Erich Steffen hat ergänzt, es würde § 242 BGB verletzen, wenn der Arzt aus den besonderen Erschwernissen, die er „durch seinen Verstoß gegen elementare Behandlungsregeln“ in die Kausalitätsfeststellung trug, noch prozessualen Nutzen ziehen könnte.42 Dies deutet schon an, dass die Beweislastumkehr auch nicht auf den Gesichtspunkt besonderer Gefahrerhöhung gestützt wird, nämlich weder auf hinreichende 37 38 39
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Motive zum BGB (Fn. 32). So i. E. auch Gottwald (Fn. 13), S. 81. Immerhin von Stein, Das private Wissen des Richters, 1893 (Neudruck 1969), S. 34 ff., 41 f., 110 ff., auch für die „Causalitätserfahrung“, unter Hinweis auf die RG-Judikatur (S. 112); drastisch in der Tat RGZ 21, 162, 165; zur Flexibilität des Schrifttums Stoll, KF 1986, 60. BGH NJW 1992, 754, 755; Steffen, Festschrift Brandner, 1996, S. 327, 335 f. Vgl. BGH NJW 1959, 1583, 1584; s. schon RGZ 171, 168, 171. Steffen (Fn. 40), S. 334 f.; ähnlich schon RGZ 10, 64, 66.
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Indizien für Kausalität, die eine Umkehr der Beweislast ja auch erübrigen würden, noch auf überwiegende Wahrscheinlichkeit;43 selbst eine nur 10 %ige Wahrscheinlichkeit, dass der Fehler kausal wurde, soll genügen.44 Das ist insofern konsequent, als andernfalls das Kriterium des „groben“ Fehlers durch den ungleich präziseren Maßstab erhöhter Wahrscheinlichkeit einer Schädigung durch den Fehler zu ersetzen, jedenfalls aber zu ergänzen wäre. b) Beweisvereitlung im klassischen Sinne Ist freilich − dem BGH folgend − allein darauf abzustellen, dass der Arzt durch seinen Behandlungsfehler die Klärung von dessen Folgen erschwert hat, so fragt sich, inwiefern dies auf grobe Fehler beschränkt bleiben kann. Jedenfalls dann, wenn man auf die Beweisnot, also auf die Schutzbedürftigkeit des Patienten abstellt, ist wichtig, dass dessen Beweisführung durch weniger gravierende Fehler zumindest gleichermaßen erschwert werden kann; Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen groben und sonstigen Fehlern kommen noch hinzu. Nach den Regeln der Beweisvereitlung genügt denn auch durchweg einfache Fahrlässigkeit, um der benachteiligten Partei zu helfen. Nötig ist zwar „doppelte“ Fahrlässigkeit. Wer aber als Arzt schuldhaft schlecht behandelt, wird meist auch fahrlässig verkennen, dass er den Patienten auf diese Weise in die Gefahr bringt, die Folgen des Kunstfehlers für den Organismus nicht eindeutig belegen zu können. Auf einen „groben“ Fehler scheint es daher ebenso wenig anzukommen wie darauf, dass die Rechtsprechung für ihn kein Verschulden fordert. Indessen wäre es verfehlt, unser Problem den Regeln der Beweisvereitlung zu unterwerfen. Diese setzt ihrem Zweck nach voraus, dass ein Beweismittel für eine wahrnehmbare Tatsache vorhanden oder doch greifbar ist, aber dennoch nicht erfasst und gesichert wird. Daran fehlt es bei haftungsbegründendem Verhalten zumindest dann, wenn der Fehler selbst gar nicht Beweisthema ist (z. B. weil er im Prozess unter Beweis gestellt wird) und wenn er auch irgendwelche erfassbaren Folgen seinerzeit noch gar nicht ausgelöst haben konnte: Hier geht es gar nicht um Beweismittel, deren Vernachlässigung den Patienten benachteiligen könnte. Man muss schon einen Schritt weitergehen und postulieren, ein Verkehrspflichtiger habe nicht nur Gefahren für Rechtsgüter zu steuern, sondern damit auch zu vermeiden, dass bei Realisierung der Gefahr für mögliche Opfer Beweisnot entstehe − ungeachtet verfügbarer Beweismittel. Mit Beweisvereitlung klassischen Zuschnitts hätte dies aber nichts mehr zu tun. Der Terminus sollte hier daher besser vermieden werden, da er verfehlte Assoziationen weckt. c) Beweisvereitlung als Analogon der Herbeiführung von Beweisnot? Immerhin wird die Beweislastumkehr darauf gestützt, dass der Patient ohne den (groben) Behandlungsfehler nicht in Beweisnot wäre und es dem Arzt versagt sei 43
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Nüßgens, Festschrift Hauß, 1978, S. 287, 295 ff.; anders anscheinend A. Diederichsen, 66. DJT, 2006, L 156 („eo ipso“), freilich ohne Anhalt in der Rechtsprechung ihres Senats. BGHZ 159, 48, 54 ff.
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dies auszunutzen. Trägt dieser also eine Mitverantwortung für die Beweisnot und muss sie deshalb analog der Vereitlung von Beweismitteln behandelt werden? Auf den ersten Blick gilt eher das Gegenteil: Wer in haftungsbegründender Weise handelt, trägt das Risiko der Unaufklärbarkeit entsprechender Folgen nicht schon deshalb, weil er durch sein Verhalten zugleich Beweisnot geschaffen hat, die andernfalls nicht bestünde, da dann eine Schädigung entweder ausgeblieben oder doch eindeutig der Sphäre des Opfers zurechenbar wäre (casum sentit dominus).45 Dies folgt aus den Regeln über Beweislast und -maß, den §§ 286 f. ZPO und e contrario § 830 I 2 BGB. Für den Fall, dass die haftungsbegründende Kausalität streitig ist, akzeptierte der Gesetzgeber zwar eine Minderung des Beweismaßes, und dies gewiss auch im Hinblick auf das festgestellte deliktische Verhalten des Gegners. Doch für eine Beweislastumkehr, jenseits von Sonderrecht, fehlt jeder Anhalt; im Gegenteil: Eine allgemeine Kausalitätsvermutung nach Delikten, wie im preußischen Recht, wurde gerade verworfen, weil freie Beweiswürdigung, also auch Konstanz der Beweislast, ausreichend und vorzugswürdig erschienen. Eine generelle Beweislastumkehr zu Lasten deliktischer Täter würde also das Haftungsrecht „verkürzen“ und wäre Rechtsfortbildung contra legem. Sie kommt daher allenfalls für Sonderfälle in Betracht; die normierte Ausnahme der „Beteiligung“ Mehrerer (§ 830 I 2 BGB) unterstreicht das. Damit verbietet sich auch, die Schaffung von Beweisnot einer Beweisvereitlung gleichzustellen. d) Sonderfall wegen des Gebots von Waffengleichheit? Als Indiz für einen Sonderfall gilt offenbar auch die Notwendigkeit, im Arzthaftungsstreit prozessuale Waffengleichheit im Verhältnis zur Behandlungsseite herzustellen, um die vielfältige Unterlegenheit des Patienten auszugleichen.46 Das überzeugt nicht.47 Die strukturelle Unterlegenheit des Patienten ist weniger Spezifikum als Beispiel für das Alltagsphänomen, dass in der heute hochgradig arbeitsteiligen und technisierten Welt Spezialisierung und Komplexität derart zunehmen, dass Laien und Außenstehende von Erkenntnissen oft abgeschnitten sind. Deswegen ist der Spezialist aber längst nicht allwissend. Ist z. B. ein Behandlungsfehler unterlaufen, dessen Folgen selbst für Sachverständige unklar sind, so überblickt der Behandler sie nicht besser als der Patient.48 Jedenfalls hier also legitimiert Informationsasymmetrie keine Beweiserleichterung.49 Umgekehrt scheint kein Grund zu bestehen, Beweiserleichterungen gerade auf ärztliche Fehler zu beschränken. 45
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S. nur Gottwald, KF 1986, S. 16 Anm. 170; für die Arzthaftung BGHZ 99, 391, 398 („in aller Regel“). So − auch zur Beweislastumkehr − wohl BVerfG NJW 1979, 1925 f.; Franzki, Die Beweisregeln im Arzthaftungsprozeß, 1982, S. 84; Schiemann, Festschrift Gernhuber, 1993, S. 387, 398; Krämer, Festschrift G. Hirsch, 2008, S. 387, 390. Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 463 m. w. N.; differenzierend auch Soergel/Spickhoff (Fn. 2), § 823 Anh I Rn. 216. Verkannt bei Schiemann (Fn. 46), S. 401. RGZ 78, 432, 435; MünchKomm/Wagner (Fn. 4), § 823 Rn. 729. − Deshalb hilft auch die „Gefahrenkreistheorie“ nicht: Musielak, AcP 176, 465, 477 ff.; anders, aber wenig klar Franzki (Fn. 46), S. 88 f.
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e) Sonderfall wegen groben Fehlers? Soweit Beweislastumkehr an grobe Fehler anknüpft, sind immerhin diese eine Besonderheit.50 Das Rechtsgefühl würde strapaziert, wenn der Patient mangels Kausalitätsbeweises ohne Ersatz bliebe, obwohl die Behandlungsseite ihn nicht nur gefährdete,51 sondern durch einen groben, d. h. besonders leicht vermeidbaren, Fehler gefährdete.52 Sachgerechter wäre es allerdings, auf das jeweilige Verschulden des Täters abzustellen; allenfalls so wären die Folgen der Beweislastumkehr auch individuell zumutbar. Umgekehrt wirkt eine Beweislastumkehr weniger dringlich, wenn der schwere Fehler sich (entgegen allem Vorverständnis) in casu wenig auswirkte: Erhöhte der Täter die Gefahr für den Verletzten nur um 10 %, so würde man den Taterfolg vielleicht nicht einmal bei Vorsatz vermuten wollen. Auch der Gesetzgeber hielt eine Vermutung der Kausalität ja bei jedem deliktischen Handeln für entbehrlich, also selbst bei schweren Fehlern. Unerträglich pauschal erscheint dies allenfalls dann, wenn mindestens grobe Fahrlässigkeit vorlag und der Fehler die Gefahr nachteiliger Folgen erheblich erhöhte (zumindest um 30 %).53 f) Sonderfall wegen groben beruflichen Fehlers? Wer darauf abstellt, dass der Geschehensablauf bei Einhaltung elementarer Berufspflichten hätte generell beherrscht werden können,54 führt einerseits kein neues Argument ein, sondern umschreibt (in unserem Kontext) nur neuerlich, dass ausgerechnet ein grober Fehler die Gefahr erhöhte. Andererseits ist der berufliche Fehler ein weiteres qualifizierendes Merkmal, zumal dann, wenn man − so die Tendenz der Rechtsprechung − nur Gefährdungen für Körper und Gesundheit ins Auge fasst. Ob dies sachgerecht ist, ist eine andere Frage. Die Grundentscheidung des Gesetzgebers gegen eine Kausalitätsvermutung nimmt keine Rücksicht darauf, ob verkehrserforderliche oder berufliche Sorgfalt verletzt wurde. Berufliche Standards sind richtigerweise auch nur eine Untergruppe der nach § 276 II BGB stets maßgebenden verkehrserforderlichen Sorgfalt. Unabhängig davon geben sie keinen Anhalt für eine Fernwirkung auf die Beweislast für die Kausalität eines Verstoßes; denn solches würde weder durch Expertentum (s. o.) noch durch Vertrauen auf die Wahrung gerade professioneller Standards55 nahe gelegt.
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In diesem Sinne Nüßgens (Fn. 43), S. 300. Das geschieht bei jedem Behandlungsfehler, muss also nach dem oben Gesagten (I. 5. c)) außer Acht bleiben; anders Walter (Fn. 1), S. 242 f.; offenbar auch Katzenmeier (Fn. 47), S. 465 zu Anm. 379. Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. (2008), Rn. 529 f.: „Die Schwere des Fehlers gleicht also die Unsicherheit in der Kausalverknüpfung aus.“. Zur Bedeutung des Schutzeffektes verkehrsgerechten Verhaltens auch Stoll, AcP 176, 145, 175; Franzki (Fn. 46), S. 90 f., der diese Hürde dann freilich mit Fiktionen unterläuft. Dazu Katzenmeier (Fn. 46), S. 465 m. w. N. Anders Katzenmeier (Fn. 46), S. 466 f.
Beweiserleichterung nach groben und einfachen Behandlungsfehlern
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g) Ergebnis Nach allem dürfte ein grober Behandlungsfehler kein hinreichender Grund für eine so folgenschwere Rechtsfortbildung wie eine Beweislastumkehr sein.
II. Unterbliebene Befunderhebung als einfacher Behandlungsfehler Zweifelhaft ist aber auch die Konsistenz der Rechtsprechung. Denn der BGH gibt eine Kausalitätsvermutung nicht nur nach groben, sondern teils auch nach einfachen Behandlungsfehlern vor, z. B. für den Fall, dass schuldhaft eine Befunderhebungspflicht verletzt wird. Hinzukommen soll, dass die Befunderhebung medizinisch zweifelsfrei geboten war.56 Ihre Unterlassung mag sich daher oft auch als grober Fehler erweisen − mit der Folge der oben skizzierten umfassenden Beweislastumkehr. Aber auch in sonstigen Fällen ist laut BGH zu unterstellen, dass eine Befunderhebung ein positives und deshalb „reaktionspflichtiges Ergebnis“ gezeigt hätte, wenn ein solches immerhin wahrscheinlich war.57 Der Sache nach wird hier eine Teil-Kausalität vermutet, nämlich die, dass der ärztliche Fehler bewirkte, dass ein reaktionspflichtiges Ergebnis unbekannt blieb58 − während die Beweislast für den weiteren Kausalverlauf (dass die Unkenntnis des fingierten positiven Befundes mangels adäquater Behandlung nachteilige Folgen hatte) im Prinzip unverändert bleiben soll. Diese Kausalitätsvermutung bei bloßer Wahrscheinlichkeit dürfte zwar den Vorstellungen des Gesetzgebers nahekommen (s. o. I. 4. d)). Sie ist aber deutlich anders strukturiert als die oben behandelte Hilfe nach sonstigen Behandlungsfehlern: Nur hier nämlich soll grobe Pflichtwidrigkeit entbehrlich sein, während der fragliche Erfolg (die Reaktionspflichtigkeit des Befundes) aber immerhin wahrscheinlich sein muss. Lassen sich diese Divergenzen rechtfertigen? Der BGH betrachtet die unterbliebene Befunderhebung sichtlich als Besonderheit; diese soll − „ähnlich“ der unterbliebenen Dokumentation von Befunden − in der Beweis- und Prozessbezogenheit der Befundungspflicht liegen und deshalb Ausgleich der „von der Gegenpartei zu verantwortenden Aufklärungshindernisse“ gebieten, sofern die Befundsicherung „gerade wegen des erhöhten Risikos“ des Ursachenverlaufs, den der Patient behauptet, geschuldet war.59 Die letztgenannte Einschränkung soll abgrenzen gegenüber dem Prinzip, dass der Schädiger in der Regel keine Mitverantwortung für die Beweisnot trägt, in die der Verletzte infolge des Fehlverhaltens geraten ist (s. o. I. 5. c)). Doch die Formel vom „erhöhten Risiko“ dürfte eher rhetorischer Art sein; sie lässt sich nämlich dahin verdichten, dass jedes absehbar gefährliche Defizit an Befunderhebung Beweiserleichterung rechtfertige. Was bleibt, ist die Aussage, ein durch Unterlassen geprägter Behandlungs-
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BGHZ 138, 1, 6. S. nur BGHZ 138, 1, 4 f. So deutlich schon Nixdorf, VersR 1996, 160, 162. BGHZ 99, 391, 397 ff.
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fehler gebiete prozessuale Hilfe dann, wenn er einen rechenschaftspflichtigen Befund vereitelt habe. Ist das begründbar? Ob hier Beweisvereitlung gegeben ist, hat der BGH offen gelassen.60 Für Vereitlung scheint zu sprechen, dass korrekte Befunderhebung immerhin die Chance bietet, ein Beweismittel aufzufinden; ein solches ist für den Arzt dann also auch greifbar (anders als oben I. 5. b)). Andererseits wird vielfach angenommen, beweisvereitelnd könne nicht schon eine Handlung sein, die sich mit haftungsbegründendem Verhalten, z. B. einem Behandlungsfehler, deckt, soweit gerade dessen Folgen streitig sind.61 Das schließt Beweiserleichterung freilich dann nicht aus, wenn Befundsicherung oder Dokumentation unterblieben ist. Beides mag zwar auch aus therapeutischen Gründen geschuldet sein,62 doch der prozessuale Streit dreht sich kaum je um die Folgen solcher Behandlungsfehler, sondern um Folgen anderer Fehler. Wurde dagegen Befunderhebung versäumt, so ist dies regelmäßig haftungsbegründend. Zumindest dann sollte Beweisvereitlung nicht auf solche Beweismittel erstreckt werden, die der Arzt überhaupt erst aufzufinden hatte. Andernfalls würde die Haftungsnorm sachwidrig verkürzt:63 Es gibt keinen Grund, den Nachweis der Folgen einer Pflichtverletzung ausgerechnet dort zu erleichtern, wo eine Befunderhebung unterblieb, denn haftungsrechtlich ist es belanglos, ob eine Untersuchung oder die Therapie versäumt wurde.64 Helfen kann daher nur die Annahme, der Arzt handle treuwidrig, wenn er prozessual eine Beweisnot ausnutzt, zu der sein Fehlverhalten beigetragen hat (Selbstwiderspruch). Dies nimmt der BGH nunmehr an.65 Eine solche Mitverantwortung des Schädigers ist jedoch, auch nach Ansicht des BGH, im „Regelfall“ nicht gegeben.66 Entscheidend ist also, ob der Umstand, dass der Arzt einen Befund, der rechenschafts- und (wahrscheinlich) auch reaktionspflichtig gemacht hätte, gar nicht erst erhob, eine Ausnahme rechtfertigt. Das ist nicht ersichtlich. Dass ein Befund nicht erhoben wird, ist weder gefahrträchtiger als andere Fehler, noch erschwert es den Kausalitätsbeweis stärker, noch weist es auf besonders schwere Fehler hin. Und dass der Befund, wäre er denn erhoben worden, dann hätte dokumentiert werden müssen, um (auch) das Persönlichkeitsrecht des Patienten zu wahren,67 ändert nichts daran, dass eine derart hochrangige Pflicht nun 60 61
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BGHZ 99, 391, 398. Vgl. allgemein RG JW 1938, 2152; OLG Bamberg VersR 1971, 769, 770; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl. (2008), § 286 Rn. 190; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1976, S. 171 f.; Musielak/Foerste, ZPO, 6. Aufl. (2008), § 286 Rn. 64; i. Ü. Gaupp, Beweisfragen im Rahmen ärztlicher Haftungsprozesse, 1969, S. 59, 84 ff.; Franzki (Fn. 46), S. 79 f.; Kaufmann, Die Beweislastproblematik im Arzthaftungsprozeß, 1984, S. 69 ff.; Baumgärtel, Festschrift Kralik, 1986, S. 63, 69 f; Sundmacher, Die unterlassene Befunderhebung des Arztes, 2008, S. 135 f. Dezidiert BGHZ 72, 132, 138 (Dokumentation). So schon Gaupp (Fn. 61), S. 86 f. Zur besonderen „Nähe“ von Befunderhebung und Behandlungsfehler auch Spickhoff (Fn. 2), § 823 Anh I Rn. 248. Vgl. BGH NJW 1993, 528, 529; dazu Steffen (Fn. 40), S. 332 f.; krit. schon Foerste, VersR 1988, 958 f. S. nur BGHZ 99, 391, 398 (zur Arzthaftung). Dies betonend BGHZ 99, 391, 397.
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einmal nicht entstand − wegen eines „einfachen“ Behandlungsfehlers. Nach allem besteht kein Anlass zu spezifischer Sanktionierung unterbliebener Befunderhebung. Wie könnte eine Beweiserleichterung auch davon abhängen, ob der Arzt vergaß, ein Implantat periodisch auszuwechseln (grober Fehler nötig!) oder zu überprüfen (jeder Fehler ausreichend?).
III. Beweislastumkehr bei hypothetischem groben Behandlungsfehler? Bei schlichtem Verstoß gegen Befunderhebungs-, Befundsicherungs- oder Dokumentationspflichten erleichtert der BGH den Kausalitätsnachweis nur insofern, als ggf. ein positiver, reaktionspflichtiger Befund vermutet wird. Der Beweis, dass die Unkenntnis dieses Befundes mangels adäquater Behandlung schädigte, soll dagegen weiterhin dem Patienten obliegen und erst entbehrlich sein, wenn der vernachlässigte Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis gezeigt hätte, dessen Übergehung dann sogar als „grober“ ärztlicher Fehler hätte gelten müssen.68 Letzterenfalls werden zwei Beweiserleichterungen kombiniert, nämlich diejenige wegen Vereitlung eines Beweises mit derjenigen wegen schwerwiegender Mitverantwortung für Beweisnot. Diese Staffelung trägt nur teilweise. Die Beweislastumkehr wegen groben Behandlungsfehlers setzt schließlich voraus, dass ein solcher auch festgestellt ist. Bei unterbliebener Befundsicherung oder Dokumentation soll sich die Vermutung, ein immerhin wahrscheinlicher positiver Befund habe tatsächlich vorgelegen, auch darauf beziehen können, der Befund sei derart aussagekräftig oder bedeutsam gewesen, dass seine Verkennung sogar ein grober Fehler gewesen sein müsse. Das ist immerhin schlüssig. Im Haftpflichtprozess weitaus wichtiger ist allerdings erschöpfende Befunderhebung. War schon diese unterblieben, so rechtfertigt das (für sich allein) gar keine Beweiserleichterung (s. o. II.). Aber auch die Gegenansicht hilft nicht weiter; denn aus ihr lässt sich bestenfalls folgern, dass − so der BGH − ordnungsgemäße Befunderhebung ein immerhin wahrscheinliches positives Ergebnis tatsächlich „gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befunds als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde“.69 Schon der Irrealis dieser Aussage unterstreicht, dass aus der Vernachlässigung des vermuteten Befundes − ungeachtet der Wahrunterstellung − ein weiterer (grober) Fehler nicht hergeleitet werden soll (und kann), sondern dass der Fehler nur hätte unterlaufen können, wenn der Befund denn erhoben worden wäre. Ohne Befunderhebung kann die Übergehung des vereitelten (und deshalb fehlenden!) Befundes eben gar kein Fehler sein. Der BGH sanktioniert also die Schaffung von Beweisnot durch einen fiktiven groben Fehler.70 Das widerspricht seiner übrigen Judikatur zur Beweislastumkehr, die 68
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BGH NJW 2004, 1871, 1872 (Befunderhebung); BGHZ 132, 47, 52 f. (Befundsicherung). BGH NJW 2004, 1871, 1872 (sub b). So jetzt auch Sundmacher (Fn. 61), S. 157; zu pauschal daher die Replik von Gross, Festschrift Geiß, 2000, S. 429, 435 a. E.; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl.
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natürlich nur an reale Behandlungsfehler anknüpft (Verbot des Selbstwiderspruchs), und dem Willen des Gesetzgebers, der eine generelle Kausalitätsvermutung ablehnte.
IV. Ergebnisse 1. Dass die Rechtsprechung den Beweis der haftungsbegründenden Kausalität nur bei Anscheinsbeweis und nach grobem Behandlungsfehler erleichtert, erscheint teils zu eng, teils zu weitgehend: Einerseits bleibt außer Acht, dass der Gesetzgeber nach deliktischem Verhalten wohl bereits das Beweismaß senken wollte. Andererseits dürfte ein grober Behandlungsfehler kein hinreichender Grund für eine so folgenschwere Rechtsfortbildung wie eine Beweislastumkehr sein. Diese wäre eher zu rechtfertigen, wenn der Fehler grob fahrlässig war und die Gefahr nachteiliger Folgen auch noch erheblich erhöhte (mindestens um 30 %).
2. Solange die Rechtsprechung den Kausalitätsbeweis nur nach groben Behandlungsfehlern erleichtern will, ist ihre weitergehende Hilfe bei Verletzung der Befunderhebungspflicht überzogen. Denn hier geht das beweiserschwerende Verhalten − anders als bei unterbliebener Befundsicherung oder Dokumentation − kaum über den jeweiligen Behandlungsfehler hinaus, um dessen Folgen gestritten wird; dann bleibt kein Raum für Beweiserleichterung. De facto nähert sich die Rechtsprechung also einer Beweismaßreduktion für Kausalität.
3. Soweit die Rechtsprechung bei unterbliebener Befunderhebung der Behandlungsseite auch die Beweislast für die Kausalität zuschiebt, lässt sie dafür einen fiktiven groben Behandlungsfehler ausreichen. De facto sollen hier also schon einfache Behandlungsfehler die Beweislast umkehren. Das bricht mit der übrigen Judikatur und ist zudem Rechtsfortbildung contra legem.
(2006), Rn. B 297; soweit Spickhoff der Beweislastumkehr bei grobem Fehler „gewissermaßen Fernwirkungen“ (Rückwirkung?) zuschreibt (NJW 2004, 2345, 2346), setzt auch das einen realen Fehler voraus.
Der „Off-Label-Use“ von Fertigarzneimitteln: Offene Fragen an der Schnittstelle von Standard, Humanität und Wirtschaftlichkeitsgebot
Jens Göben
I. Rechtstatsächliches Der „Off-Label-Use“ eines Arzneimittels bezeichnet dessen Anwendung außerhalb der zugelassenen Indikation. Die zulassungsüberschreitende Anwendung basiert auf einer entsprechenden medizinisch-pharmazeutischen Praxis, weil sich der Therapieansatz in der täglichen Behandlungspraxis bewährt hat. Aus der zivilrechtlichen Perspektive des Arzthaftungsrechts handelt es sich dabei spätestens seit der „Aciclovir“-Entscheidung1 des OLG Köln um ein Realphänomen: Behandlungsvertraglich schuldet der Arzt dem Patienten stets die bestmögliche Behandlung – deshalb kann im Einzelfall ein Verlassen des arzneimittelrechtlichen Zulassungsstandards geboten, jedenfalls erlaubt sein. Freilich ist der Begriff „Standard“2 relativ: In einer Vielzahl von Fällen mag der durch §§ 21 ff. AMG fixierte Zulassungsstandard des Präparates zugleich die aus medizinischer Sicht optimale medikamentöse Versorgung vorgeben. Eine neue Arzneimitteltherapie wird dann zum Standard, wenn sie an einem für Aussagen über die NutzenRisiko-Bilanz ausreichend großen Patientenkreis medizinisch-wissenschaftlich erprobt, im Wesentlichen unbestritten und für den jeweiligen Patienten risikoärmer bzw. weniger belastend ist oder doch bessere Heilungschancen verspricht. Existiert mangels hinreichender Datenlage (noch) kein feststehendes Behandlungsschema, gewährt erst der „Off-Label-Use“ dem Patienten eine erfolgversprechende Behandlung oder eine zusätzliche Therapiechance. Zu nennen ist hier zunächst der Bereich der Pädiatrie.3 Wichtige Gründe für den „Off-Label-Use“ 1 2
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OLG Köln VersR 1991, 186 f. m. Anm. Deutsch. Zum Begriff des Standards mit Blick auf den Sorgfaltsmaßstab Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rz. 189 f.; Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozess, S. 53 f.; auch Walter, Medizinische Leitlinien und Behandlungsfehlerhaftung, GesR 6/2003, 165. Wie oft Erwachsenen Medikamente außerhalb der Zulassung verschrieben werden, ist statistisch nicht genau erfasst. Für die ambulante Pädiatrie hat die Universität Tübingen genaue Daten ermittelt: 13,2 % aller Verordnungen im Referenzzeitraum lagen außer-
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sind dabei das geringe Marktpotential pädiatrischer Indikationen sowie die hohen Anforderungen an Planung und Durchführung klinischer Studien an nicht oder nur beschränkt einwilligungsfähigen Minderjährigen. Darüber hinaus spielt der zulassungsüberschreitende Einsatz von Arzneimitteln in der Onkologie4, aber auch in der Neurologie und Infektiologie eine wichtige Rolle. Der „Off-Label-Use“ wirft unter mehreren Gesichtspunkten Fragen auf: So ist in arzneimittelrechtlicher Hinsicht zunächst zu klären, unter welchen Umständen der Einsatz von Arzneimitteln außerhalb ihres zugelassenen Indikationsbereichs überhaupt erlaubt ist. Dies betrifft besonders das Verhältnis des bestimmungsgemäßen Gebrauchs des Arzneimittels nach § 84 AMG zu der Überschreitung des Therapiegebietes. Die intensive juristische und öffentliche Diskussion des zulassungsüberschreitenden Einsatzes von Arzneimitteln hat ihre eigentlichen Wurzeln freilich in den immer schwieriger werdenden finanziellen Rahmenbedingungen des öffentlichen Gesundheitswesens. Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verpflichtet den Arzt zu einer zweckmäßigen, ausreichenden und nicht mehr als notwendigen Arzneimitteltherapie, §§ 2, 12, 70 SGB V. Die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels zu Lasten der GKV setzt dessen Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz voraus. Fehlt die Zulassung, scheidet eine Verordnung zu Lasten der GKV aus. Liegt sie vor, darf das Präparat grundsätzlich nur zulassungsbegrenzt verordnet werden, d. h. nur für diejenige Indikation, die im Zulassungsbescheid verkörpert ist. Da das Zusammenspiel von Arzneimittelrecht und Recht der GKV bei Arzneimitteln gesetzlich nicht exakt geregelt ist, besteht ein grundsätzliches Regressrisiko für den behandelnden Arzt (§ 106 Abs. 5 SGB V). Darüber hinaus sehen sich gesetzlich versicherte Patienten der Situation ausgesetzt, nach erfolgter Ablehnung eines Kostenübernahmeantrags die Leistungsverpflichtung ihres Kostenträgers sozialgerichtlich durchsetzen zu müssen, um dringend benötigte Therapien zu erhalten. Unter welchen besonderen Umständen Arzneimittel, die off label verordnet werden, ausnahmsweise erstattungsfähig sind, ist erst durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts allmählich konkretisiert worden.
II. Der Begriff des „Off-Label-Use“ Eine gesetzliche Definition des zulassungsüberschreitenden Einsatzes von Arzneimitteln wird zwar gelegentlich5 postuliert, besteht aber bislang weder im Arzneimittelrecht noch im Sozialrecht. Dementsprechend gehen die Vorstellungen
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halb des Zulassungsbereichs des jeweiligen Medikaments, weil keine Zulassung für Kinder vorlag. Im Bereich der stationären Pädiatrie kommen bis zu 90 % der Präparate off label zum Einsatz; vgl. im Einzelnen dazu Bücheler/Schwoerer/Gleiter, BundGesBl. 2003, 467 ff. Je nach Art der Erkrankung 70 % bis 90 %; der Off-Label-Use ist hier der Standard; Weißbach/Boedefeld, Off-Label-Verordnungen in der Onkologie, BundGesBl. 2003, 462 ff. Freund, PharmaR 2004, 275 ff. (299).
Der „Off-Label-Use“ von Fertigarzneimitteln
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darüber, wann ein Arzneimittel off label eingesetzt wird, erheblich auseinander. Der Begriff selbst hat sich im US-amerikanischen Pharmamarkt entwickelt, wo Arzneimittel größtenteils die entsprechenden Informationen durch den pharmazeutischen Unternehmer lediglich auf den Etiketten tragen, die unmittelbar auf der Primärverpackung aufgebracht sind. Gerade im Bereich der OTC-Präparate sind in den USA Packungsbeilagen oder Umverpackungen regulatorisch nicht vorgeschrieben. „Off-Label-Use“ bedeutet in diesem Zusammenhang also, dass ein Arzneimittel außerhalb der genehmigten Anwendungsgebiete (Indikationen) – wie sie auch in den Informationstexten aufgeführt sind – bei Patienten Anwendung findet.
1. Verlassen des Indikationsgebietes Eindeutig liegt ein Fall der Zulassungsüberschreitung vor, wenn die durch den Zulassungsbescheid formulierte Indikation oder das Indikationsgebiet verlassen wird. Das zulassungsbezogene Indikationsgebiet bestimmt sich nach dem Antrag des pharmazeutischen Unternehmers und den mit dem Antrag eingereichten Unterlagen. Nach § 22 Absatz 1 Nr. 6 AMG soll der Antrag die Anwendungsgebiete, für die die Zulassung beantragt wird, beinhalten. Das BfArM prüft die Unterlagen nur in Bezug auf den eingereichten Antrag und muss die Zulassungsentscheidung auf diese Kriterien beschränken; eine Zwangszulassung oder Zulassungserweiterung von Amts wegen ist dem deutschen Recht fremd. Bisweilen wird bezweifelt, ob auch der Einsatz eines Arzneimittels abweichend von der genehmigten Darreichungsform oder den Anwendungsmodalitäten6 einen „Off-Label-Use“ darstellt. Ein enges Begriffsverständnis setzt etwa bei den gesetzlichen Änderungsmöglichkeiten des § 29 AMG an; nur Änderungen, die eine Verpflichtung zur Neuzulassung für den pharmazeutischen Unternehmer nach § 29 Abs. 3 AMG zur Folge hätten,7 unterfielen dann dem „Off-Label-Use“.8 Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass Grundlage der Unterscheidung dann ein komplexer Gesetzestext mit einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe,9 einem geringen Erkenntniswert und ohne Hilfestellung für den behandelnden Arzt wäre. Das Bundessozialgericht hat eine genauere Begriffsfestlegung bislang vermieden.10 6
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Etwa Abweichungen vom Dosierungsschema, dem Anwendungsintervall, dem Applikationszweck, der Kontraindikation oder der Kombination mit anderen Arzneimitteln. Auch die der Indikation entsprechende Anwendung eines Präparats bei Kindern – ohne dass eine Anwendung bei Kindern vorgesehen wäre – fiele darunter. Hierzu gehört insbesondere eine Erweiterung der Anwendungsgebiete über § 29 Abs. 2 a Nr. 1 AMG hinaus. Dierks, Gesetzliche Rahmenbedingungen und die Leistungsgrenzen der GKV für die Arzneimitteltherapie, in: Glaeske/Dierks, Off-Label-Use, Weichenstellung nach dem BSG-Urteil 2002, S. 56. Zutreffend v. Harder, Arzneimittel & Recht 3/2007, 99 ff. In der „Sandoglobulin“-Entscheidung – Urteil v. 19. 03. 2002, BSGE 89, 184 ff. – betont das BSG die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit des pharmazeutischen Unternehmers, ggf. eine Zulassungserweiterung für weitere Anwendungsgebiete zu beantra-
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2. „Unlicensed Use“ Unter „Unlicensed Use“ ist demgegenüber die Anwendung eines Arzneimittels zu verstehen, das bislang über keine Zulassung11 verfügt.12 Ein solches Präparat ist nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 1 AMG nicht verkehrsfähig, darf somit vom pharmazeutischen Unternehmer nicht in Verkehr gebracht werden. Grundsätzlich kommt allerdings die Versorgung von Patienten mit derartigen Arzneimitteln im Wege eines Individualimports nach § 73 Abs. 3 AMG in Betracht.13 Dafür ist freilich Voraussetzung, dass derartige Arzneimittel im jeweiligen Ausfuhrstaat verkehrsfähig sind, von einer deutschen Apotheke bestellt werden und nur in geringen Mengen auf besondere Bestellung einzelner Personen bezogen und abgegeben werden. Eine Kostenerstattung zu Lasten der GKV scheidet in aller Regel aus.14 Durchbrechungen sind nach neuerer Rechtsprechung15 allenfalls dann denkbar, wenn der Krankheitsverlauf ohne den Einsatz des nicht zugelassenen Arzneimittels den tödlichen Ausgang schon in näherer, wenn auch ggf. noch nicht genau absehbarer Zeit erwarten lässt. Ein langer Krankheitsverlauf bietet hingegen aufgrund der typischerweise voranschreitenden medizinischen und pharmakologischen Erkenntnisse Aussicht auf zukünftige Therapieoptionen. Die mit Blick auf den grundgesetzlichen Lebens- und Gesundheitsschutz gebotene verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen des Krankenversicherungsrechts kommt mithin nur dann in Betracht, wenn beim Patienten eine notstandsähnliche Situation mit einem der Lebenserhaltung dienenden, akuten Behandlungsbedarf vorliegt.16
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gen; dies könnte in Richtung eines engen Begriffsverständnisses interpretiert werden. In einer späteren Entscheidung – BSG Urt. v. 26. 09. 2006, Az. B I KR 1/06 – Ilomedin – ergibt sich die Begründung für die Zulassungsüberschreitung sowohl aus der nicht zugelassenen Indikation als auch aus der nicht zugelassenen Darreichungsform. Es liegen weder eine nationale Zulassung nach §§ 21 ff. AMG noch die Anerkennung einer in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft erworbenen Zulassung (Mutual Recognition Procedure bzw. Decentralized Procedure gem. § 25 b Abs.2 und Abs. 3 AMG i. V. m. Art. 8, 28 ff. RL 2001/83/EG) noch eine zentrale europäische Zulassung durch die EMEA gem. VO (EG) Nr. 726/2004 vor. Vereinzelt wird der Begriff im Sinne der vorgenannten weiten Off-Label-UseDefinition verwendet, d. h. bei Anwendungsmodifikationen, die nicht zustimmungspflichtige Änderungsanzeigen nach § 29 Abs. 1 AMG darstellen, z. B. SchroederPrintzen/Tadayon, Die Zulässigkeit des Off-Label-Use nach der Entscheidung des BSG vom 19. 03. 2002, SGb 12/2002, 664 ff. Hauck, A & R 4/2006, 147 ff. (152). BSG PharmaR 2005, 211 ff.: Kostenübernahme für Immucothel, das zur Verringerung der Rezidivrate bei Harnblasenkarzinomen eingesetzt wird; die Zulassung bestand lediglich in den Niederlanden. BSG, Urt. v. 14. 12. 2006 – Az. B 1 KR 12/06 R. Dazu unten IV. 2.
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3. „Compassionate Use“ Als gesetzliche Ausnahmeregelung, nach der es einer Zulassung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels nicht bedarf, nennt § 21 Abs. 2 Ziffer 6 AMG den „Compassionate Use“17. Es handelt sich um die Bereitstellung eines nicht marktreifen Arzneimittels aus humanitären Gründen. Grundsätzlich durfte schon bisher ein (noch) nicht zugelassenes Arzneimittel auch jenseits klinischer Prüfungen unter dem Gesichtspunkt des rechtfertigenden Notstands bei Schwerstkranken angewendet werden, um einer wesentlichen Verschlechterung der Gesundheit oder der Gefahr des Todes entgegenzuwirken.18 Die Regelung ist durch das 14. AMGÄnderungsgesetz19 – inhaltlich vergleichbar mit Art. 83 der VO (EG) Nr. 726/2004 – neu ins nationale Recht aufgenommen worden und erlaubt jetzt strengrechtlich einen „Compassionate Use“ als ultima ratio: Neben dem Fehlen einer Therapiealternative und dem europarechtlich vorgegebenen Schweregrad der Erkrankung wird der Nachweis gefordert, dass das betreffende Arzneimittel entweder Gegenstand eines Zulassungsantrags oder Gegenstand einer noch nicht abgeschlossenen klinischen Prüfung ist. Damit ist eine Ersterprobung am Menschen im Rahmen eines Compassionate Use ausgeschlossen. Im Falle der Erprobung im Rahmen einer klinischen Prüfung muss diese nahezu abgeschlossen sein, um zu gewährleisten, dass ausreichende Unterlagen zur Dokumentation von Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität des Arzneimittels vorliegen. Die vom CHMP der EMEA erstellte Richtlinie zum „Compassionate Use“ stellt klar, dass damit keinesfalls eine klinische Prüfung ersetzt werden kann.20 Bislang liegt die konkretisierende Rechtsverordnung nach § 80 AMG erst im Entwurf vor. Deshalb hat das BfArM derzeit noch keine Befugnis, über „Compassionate Use“-Programme zu entscheiden. Es werden seitens des BfArM lediglich empfehlende Hinweise gegeben, die aus Sicht der Zulassungsbehörde vor der Durchführung eines solchen Programms erfüllt sein sollten: • Vorliegen eines Nachweises, dass die Patienten an einer lebensbedrohenden oder zu einer schweren Behinderung führenden Krankheit leiden; • Vorliegen eines Nachweises, dass es keine zufriedenstellende alternative Therapiemöglichkeit mit einem in der EU zugelassenen Arzneimittel gibt; • Vorliegen des Nachweises, dass das betreffende Arzneimittel entweder Gegenstand eines Zulassungsantrags oder Gegenstand einer noch nicht abgeschlossenen klinischen Prüfung ist;
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Gelegentlich findet sich auch der Begriff „Named Patient Programme“, MDSMedizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen, Gemeinsame Hinweise zur Einordnung von Arzneimitteln in der Erprobung, Stand 01. 07. 2003, S. 15 f. Deutsch, Die Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren als Rechtsproblem, MedR 2001, 435, 437. BGBl. 2005 I S. 2570. Guideline on Compassionate Use of Medical Products Pursuant to Art. 83 of Reg. No. 726/2004 [19.07.2007], EMEA Doc. 27170/2066, abrufbar über www.emea.europa.eu/ pdfs/human/euleg/2717006/enfin.pdf.
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• Berücksichtigung der EMEA-Guideline on Compassionate Use (EMEA Doc. 27170/2066); • zum Nachweis einer Wirksamkeit in der vorgesehenen Indikation und der Sicherheit der Behandlung Existenz geeigneter Dokumente, z.B. aktuelle „Investigator’s Brochure“ (Prüferinformation) mit den für die Anmeldung relevanten nicht-klinischen Daten (Studiendaten); • Definition von Ein- und Ausschlusskriterien sowie ggf. Abbruchkriterien für das „Compassionate Use“-Programm; • Maßnahmen zur Pharmakovigilanz im „Compassionate Use“-Programm.
III. Haftungsrechtliche Einkleidung des „Off-Label-Use“ Aus Patientensicht stellt sich die Frage, gegen wen im Falle von Arzneimittelschäden, die aufgrund eines off-label verwendeten Präparates eintreten, Schadensersatzansprüche bestehen. Sofern sich der Patient gegen den pharmazeutischen Unternehmer wenden könnte, bestünde für ihn im Rahmen der §§ 84, 84 a AMG der Vorteil der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung, die auch Schmerzensgeld erfasst. Für den Unternehmer würde die arzneimittelrechtliche Verantwortlichkeit für den zulassungsüberschreitenden Einsatz seines Präparates hingegen einen wesentlichen zusätzlichen Kostenfaktor bei seiner Preiskalkulation darstellen.
1. Haftung des pharmazeutischen Unternehmers Soweit ersichtlich, ist es bislang noch zu keiner (Gefährdungs-) Haftung eines pharmazeutischen Unternehmers im Rahmen des Off-Label-Use gekommen. Gleichwohl ist die Fragestellung nicht lediglich theoretischer Natur: So hat der Gesetzgeber im Zuge der Umsetzung der Leitentscheidung des Bundessozialgerichtes vom 19. März 200221 mit der Schaffung des § 35 b Abs. 3 SGB V Wissenschaft und Verwaltung verpflichtet, sich fortlaufend um valide Feststellungen zum jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung von zugelassenen Arzneimitteln für Indikationen und Indikationsbereiche, für die sie nach dem Arzneimittelgesetz nicht zugelassen sind, zu bemühen. Die daraufhin beim BfArM eingerichteten Expertengruppen22 "Anwendung von Arzneimitteln außerhalb des zugelassenen Indikationsbereiches" bereiten das verfügbare wissenschaftliche Erkenntnismaterial auf, um sodann Empfehlungen an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) im Hinblick auf eine Änderung der für die Erstattung relevanten Arzneimittelrichtlinien abzugeben. Die Bewertung, ob die Anwendung eines Präparates jenseits des zugelassenen Anwendungsbereichs dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entspricht, kann nur erfolgen, wenn und 21 22
„Sandoglobulin“ – BSG v. 19. 03. 2002 – B 1 KR 37/00 R, BSGE 89,184 ff. Es existieren drei Off-Label-Expertengruppen, die beim BfArM angesiedelt sind: Die Expertengruppe Onkologie, die Expertengruppen Neurologie und Infektiologie/HIV.
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soweit der pharmazeutische Unternehmer dieser Anwendung des Arzneimittels als „bestimmungsgemäßer Gebrauch“ im Sinne des § 84 AMG zustimmt. a) „Bestimmungsmäßiger Gebrauch“ gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG ? Nach § 84 Abs. 1 AMG ist ein pharmazeutischer Unternehmer zum Schadensersatz gegenüber dem Geschädigten verpflichtet, wenn infolge der Anwendung eines zum Gebrauch beim Menschen bestimmten Arzneimittels, das durch den Unternehmer im Geltungsbereich des AMG in Verkehr gebracht und an den Verbraucher abgegeben wurde und das der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit wurde, ein Mensch getötet oder Körper oder Gesundheit eines Menschen nicht unerheblich verletzt worden ist. Der Tatbestand knüpft damit an die Gefahrenquelle „Inverkehrbringen eines Arzneimittels“ an und weist die dadurch entstehenden Haftungsrisiken dem Unternehmer als Träger der Gefahrenquelle zu. Pharmazeutischer Unternehmer ist nach der Legaldefinition des § 4 Abs. 18 AMG der Inhaber der Zulassung oder Registrierung und auch derjenige, der Arzneimittel unter seinem Namen in Verkehr bringt. Der Begriff Inverkehrbringen wird in § 4 Abs. 17 AMG weit gefasst: Hierzu gehört zunächst der Verkauf und die sonstige Abgabe von Arzneimitteln, aber auch bereits das Vorrätighalten, das Feilhalten und Feilbieten von Arzneimitteln sowie die Abgabe von Arzneimitteln an andere. Als pharmazeutischer Unternehmer und damit Anspruchsgegner kommt daher je nach Einzelfall der Zulassungsinhaber, der Parallelimporteur oder auch ein Mitvertreiber neben dem Zulassungsinhaber in Betracht. Das zentralisierte Zulassungsverfahren bei der EMEA nach den Regeln der EG-Verordnung Nr. 726/2004 kennt den Begriff des pharmazeutischen Unternehmers nicht. Aus diesem Grunde unterfallen zentral zugelassene Arzneimittel dem Haftungsregime des § 84 AMG nur dann, wenn der für das Inverkehrbringen Verantwortliche, d. h. der Zulassungsinhaber, das Arzneimittel mit einer Kennzeichnung und Aufmachung in Verkehr gebracht hat, die es in Deutschland verkehrsfähig machen, insbesondere mit der Beschriftung in deutscher Sprache.23 Demgegenüber bringt ein Arzt, der mit der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels beim Patienten eine weitere Gefahrenquelle unmittelbar eröffnet, nach ganz überwiegender Auffassung24 das Präparat nicht „in den Verkehr“: Eine Abgabe an andere im Sinne des § 4 Abs. 17 AMG setzt voraus, dass die tatsächliche Verfügungsgewalt über eine Sache vom bisherigen Berechtigten auf einen anderen übergeht, ohne dass die Sacheigenschaft verloren geht.25 Dies ist bei angewendeten Arzneimitteln regelmäßig nicht der Fall. Ob die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG (fehlerhafte Arzneimittelherstellung oder -entwicklung) erfüllt sind, hängt im Wesentlichen davon ab, ob die zulassungsüberschreitende Anwendung eines Arzneimittels als bestim23 24
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Rehmann, Kommentar zum AMG, § 84 Rz. 3; Koenig/Müller, MedR 2008, 190 (193). Pabel, NJW 1989, 759 ff.; Rehmann, Kommentar zum AMG, § 4 Rz. 19; auch BVerwGE 94, 341 ff. (für Tierarzneimittel). Rehmann a. a. O. (Fn. 24).
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mungsgemäßer Gebrauch im Sinne des § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG einzuordnen ist. Das Merkmal „bestimmungsgemäßer Gebrauch“ dient der Abgrenzung der typischen Risiko- und Verantwortungssphären von Hersteller, Arzt und Patient. Es ist im Arzneimittelgesetz an insgesamt 18 Stellen erwähnt, allerdings nicht legaldefiniert. Zur konkreten tatbestandlichen Ausgestaltung dieses Merkmals werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Einigkeit besteht allerdings darin, dass der bestimmungsgemäße Gebrauch jedenfalls auch vom pharmazeutischen Unternehmer festgelegt wird26. Diese Festlegung erfolgt in der Regel schon mit dem Zulassungsantrag und den darin enthaltenen Informationen; sie bilden als allgemeine Merkmale des Arzneimittels (Summary of Product Characteristics, SPC) die Grundlage der Zulassungsentscheidung. Namentlich handelt es sich um das Therapiegebiet, die Indikationen, Dosierungsvorgaben, Art und Dauer der Anwendung, Gegenanzeigen, Nebenwirkungen und Warnhinweise. Andererseits kann der Unternehmer durch die ausdrückliche und eindeutige Nennung von Kontraindikationen den bestimmungsgemäßen Gebrauch – und damit auch sein Haftungsrisiko – beschränken. Nach überwiegender Meinung ergibt sich der bestimmungsgemäße Gebrauch allerdings nicht nur aus den Angaben des Unternehmers, sondern auch aus den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft.27 Findet ein in der Praxis üblicher Arzneimittelgebrauch wissenschaftliche Anerkennung und schließt ein Unternehmer diesen Gebrauch nicht aus, obwohl er ihn kennt oder kennen müsste, so ist auch dieser als „bestimmungsgemäß“ anzusehen. Dies gilt auch für off-labelAnwendungen, sofern sie in der ärztlichen Praxis üblich sind und nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis die begründete Aussicht besteht, dass damit ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Wegen der in § 63 a AMG geregelten Pflicht des pharmazeutischen Unternehmers, über einen Stufenplanbeauftragten systematisch Arzneimittelrisiken zu sammeln, zu erfassen und zu bewerten, werden die Anforderungen an das Kennenmüssen nicht sehr hoch anzusetzen sein. Hiervon abzugrenzen sind die Fälle des „naheliegenden Fehlgebrauchs“. Unter naheliegendem Fehlgebrauch sind Anwendungen zu verstehen, die abweichend von den – ggf. auch unklaren oder unvollständigen – Vorgaben der Packungsbeilage erfolgen und die bei objektiver Betrachtung voraussehbar sind. Sie stellen keine bewusste28, sondern eine versehentliche Fehlanwendung des Arzneimittels dar. Bisweilen wird auch dieser naheliegende Fehlgebrauch als bestimmungsge26
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Krüger, PharmaR 2004, 52; Kloesel/Cyran, Kommentar zum AMG, § 5 Blatt 24 g; Deutsch/Spickhoff, Rz. 1512; Sander, Kommentar zum AMG, § 84 Anm. C 13; Kullmann, PharmaR 1981, 113 ff.; Göben, Arzneimittelhaftung und Gentechnikhaftung (1995), S. 77 f.; Papier, Der bestimmungsgemäße Gebrauch der Arzneimittel (1980), S. 12 ff., 53, vertritt die Auffassung, dass neben den Unternehmerangaben auch die allgemeine Verkehrsauffassung maßgeblich sei. Kloesel/Cyran, § 5 Blatt 24 g; Rehmann, § 84 AMG Rz. 1; Koenig/Müller, MedR 2008, 192 (195); Kempe-Müller, Der bestimmungsgemäße Gebrauch von Arzneimitteln gem. § 84 AMG (2008), S. 43 f.; Besch, Produkthaftung für fehlerhafte Arzneimittel (2000), S. 52. Bewusst bestimmungswidriger Fehlgebrauch – z. B. suchtbedingte Fehldosierung – schließt eine Haftung des pharmazeutischen Unternehmers nach § 84 AMG aus, Vogeler, MedR 1984, 18 (20); BGH NJW 1972, 2217, 2221 (Estil).
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mäßer Gebrauch angesehen.29 Richtigerweise wird man diese Fälle jedoch unter die Instruktionsfehler im Sinne des § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG fassen.30 Für die Einbeziehung des wissenschaftlich anerkannten Off-Label-Use in den bestimmungsgemäßen Gebrauch spricht, dass der pharmazeutische Unternehmer auch nach der Zulassung für die Verkehrsfähigkeit seines Präparates verantwortlich bleibt. Dies wird durch § 25 Abs. 10 AMG ausdrücklich bestimmt. Ihn trifft, wie jeden anderen Hersteller eines risikobehafteten Produkts, eine Nachmarktbeobachtungspflicht.31 Sie bezieht sich grundsätzlich auch auf das Anwendungsspektrum: Der Unternehmer muss fortlaufend ermitteln, ob sein Arzneimittel den Gebrauchs- und Fachinformationen entsprechend angewendet wird. Stellt er einen indikationsfremden Einsatz fest, liegt es an ihm, dies durch geeignete Maßnahmen zu unterbinden, etwa mit Warnhinweisen in der Fach- und Gebrauchsinformation, der Aufnahme der Off-Label-Anwendung als Kontraindikation oder mit „RedHand-Letters“ zu reagieren. Unterlässt er dies und duldet – z. B. aus wirtschaftlichen oder regulatorischen Gründen – die Zulassungsüberschreitung, wäre die Berufung auf die begrenzte Zweckbestimmung jedenfalls rechtsmissbräuchlich.32 Aus diesen Überlegungen folgt, dass die Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers zur Bewertung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Rahmen eines Off-Label-Use keine zwingende Voraussetzung der Gefährdungshaftung nach § 84 AMG ist. Die Soll-Vorschrift über die Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers in § 35 Abs. 3 S. 3 SGB V hat damit lediglich eine deklaratorische Wirkung und die Funktion einer Beweissicherung. Ist der Beweis über die Kenntnis des pharmazeutischen Unternehmers eindeutig anderweitig erbracht, kann die Zustimmung auch entfallen. Im Extremfall könnte die Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis eines bestimmten Off-Label-Use sogar gegen den Willen des pharmazeutischen Unternehmers durchgeführt werden:33 Dies wäre etwa denkbar, wenn ein Arzneimittel dringend für eine größere Patientenzahl mit lebensbedrohlichen Erkrankungen benötigt wird, keine andere Therapie möglich ist und voraussichtlich die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen eines Off-Label-Use hinsichtlich der wissenschaftlichen Erkenntnisse erfüllt werden. Die Kenntnis des pharmazeutischen Unternehmers vom Off-Label-Use kommt spätestens mit dem Ersuchen um Zustimmung zustan-
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Wolter, ZRP 1974, 260, 262; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel (1991), S. 62 f. So z. B. Koenig/Müller, MedR 2008, 190 ff. (195). Krüger, PharmaR 2004, 52 ff.; Franken, A&R 2006, a. a. O.; Meyer/Grunert, PharmaR 2005, 205 ff. Deutsch/Spickhoff, Rz. 1135 (die in der Sache einen objektiv bestimmungswidrigen Gebrauch bejahen); kritisch zum Gedanken der unzulässigen Rechtsausübung Krüger, PharmaR 2004, 52 ff. Dieses Szenario ist eher theoretischer Natur: In aller Regel wird die Zustimmung im Rahmen der wissenschaftlichen Aufbereitung durch die Expertengruppen erteilt; die Haftpflichtversicherungsbedingungen der pharmazeutischen Unternehmer sind angepasst worden und erfassen den wissenschaftlich aufbereiteten Off-Label-Use als bestimmungsgemäßen Gebrauch.
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de. Seine Haftung könnte er nur verhindern, wenn er den Off-Label-Use aktiv und ausdrücklich, z.B. durch Aufnahme einer Kontraindikation, ausschließt.34 b) Unvertretbarkeit schädlicher Wirkungen Wann die schädlichen Wirkungen eines bestimmungsadäquat eingesetzten Arzneimittels über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen, bestimmt sich nach einer Nutzen-Risiko-Abwägung im Einzelfall. Es ist zu prüfen, ob die schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels, wenn sie bei seinem Inverkehrbringen bereits bekannt gewesen wären, im Lichte des damaligen Arzneimittelangebots hätten in Kauf genommen werden dürfen. Mit der Unvertretbarkeitsprüfung wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Arzneimittel grundsätzlich hinnehmbare Nebenwirkungen haben können. Der Haftungsgrund des § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG korrespondiert mit dem Zulassungsversagungsgrund des § 25 Abs. 2 Nr. 5 AMG und dem Rücknahmegrund des § 30 Abs. 1 AMG. In die Nutzen-Risiko-Abwägung sind ökonomische Aspekte, insbesondere der Preis des Arzneimittels, nicht mit einzubeziehen. Denn der Arzt ist nicht verpflichtet, auf die Anwendung eines teureren Arzneimittels mit geringerem Nebenwirkungsrisiko zu verzichten, wenn für dasselbe Krankheitsbild ein kostengünstigeres Arzneimittel mit höherem Unsicherheitsfaktor für Nebenwirkungen erhältlich ist. Speziell vor diesem Hintergrund wird die aktuelle Diskussion um die medikamentöse Behandlung der altersbedingten neovaskulären („feuchten“) Makuladegeneration (AMD) geführt. AMD ist eine Netzhauterkrankung, die überwiegend ab dem 50. Lebensjahr auftritt. Sie führt zu einem Verlust der zentralen Sehkraft, weil Sinneszellen an der Makula im Zentrum der Netzhaut zerstört werden. Die Zerstörung erfolgt durch krankhafte Blutgefäßwucherungen unterhalb der Netzhautmitte. Als Behandlungsoptionen steht neben einer thermischen (Laserkoagulation) und einer photodynamischen auch eine medikamentöse Therapie mit gefäßwachstumshemmenden Substanzen zur Verfügung. Mit dem Präparat Lucentis® steht ein Wirkstoff (Ranibizumab) zur Verfügung, der gegen die feuchte AMD in den USA sowie in Europa zugelassen ist. Ranibizumab wurde aus dem Wirkstoff Bevacizumab entwickelt, der in dem Arzneimittel Avastin® verwendet wird. Avastin® ist arzneimittelrechtlich für die Anwendungsgebiete der First-Line-Behandlung von Patienten mit metastasierendem Kolon- oder Rektumkarzinom und mit metastasierendem Mammakarzinom zugelassen. Eine Zulassung für die Behandlung der AMD ist seitens des Herstellers nicht beabsichtigt. Im Jahre 2005 berichtete eine universitäre Arbeitsgruppe von der Austrocknung der Makuladegeneration mit dem Wirkstoff Bevacizumab. Aufgrund des vergleichbaren Wirkungsansatzes wird dieser Wirkstoff in Fachkreisen seitdem als alternative Behandlungsmethode bei AMD im Off-Label-Use diskutiert. Nicht auszuschließen ist, dass mit der Behandlung von AMD durch Avastin® ein erhöhtes Risiko für Infektionen am Auge sowie eine Schädigung der Retina einhergeht. Eine einschlägige Head-to-Head-Studie ist noch nicht abge34
Buchner/Jäkel, PharmaR 2003, 433 (436).
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schlossen. Sollte sich erweisen, dass die Therapie der AMD mit Avastin® zwar zu einer Sehverbesserung führt, dass aber – anders als beim indikationsspezifisch zugelassenen Präparat Lucentis® – zugleich ein erhöhtes Risiko für eine Retinaschädigung oder eine Augenverletzung besteht, ergäbe die Nutzen-RisikoAbwägung, dass der „therapeutische Wert“ von Avastin® dessen „schädliche Wirkungen“ bei der Off-Label-Indikation „AMD“ nicht überwiegt. Dabei wäre unbeachtlich, dass eine Injektion von Lucentis® etwa 30mal so teuer ist wie eine Injektion von Avastin®.35 c) Sonstige Haftungsgründe Daneben kommt die Gefährdungshaftung wegen Instruktionsfehlers gem. § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG im Rahmen des Off-Label-Use in Betracht. Maßgeblicher Beurteilungszeitraum für den letzten medizinischen Erkenntnisstand ist nicht der Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens, sondern der Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkret angewandten Arzneimittels selbst.36 Dies gilt auch für Risiken im Zusammenhang mit einer zulassungsüberschreitenden Anwendung. Besteht also nach den neuesten medizinischen Erkenntnissen konkreter Anlass zu einem nicht unerheblichen Risiko für schädliche Nebenwirkungen im Off-LabelUse, ist der pharmazeutische Unternehmer gehalten, in seiner Produktinformation auf diese Risiken – ausdrücklich auch in Verbindung mit der zulassungsüberschreitenden Anwendung – hinzuweisen. Kommt er seinen entsprechenden Warnund Informationspflichten nach, so liegen die auf der Gesundheitsverletzung beruhenden Schäden nicht im Schutzbereich der Norm. Eine bloße öffentliche Mitteilung, die Zulassung werde nicht erweitert, genügt dabei nicht. Schließlich besteht die verschuldensunabhängige Produzentenhaftung gem. § 823 ff. BGB. Zwischen beiden Haftungstatbeständen besteht gem. § 91 AMG echte Anspruchskonkurrenz. Soweit eine arzneimittelbedingte Schädigung bereits von § 84 AMG erfasst ist, verdrängt § 84 AMG eine verschuldensunabhängige Produkthaftung nach dem Produkthaftungsgesetz, § 15 Abs. 1 ProdHG.
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Dazu „Schuss ins Auge“, DIE ZEIT v. 08. 05. 2008; bemerkenswerterweise hat das SG Düsseldorf mit Beschluss vom 23. 08. 2007 (Az. S 2 KA 104/07 ER) einen Antrag des Herstellers von Lucentis® auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Angefochten war ein Vertrag zwischen dem Verband der chirurgischen Augenärzte in NRW und einzelnen GKV, der die Versorgung und Kostenerstattung bei AMD mit Avastin® zum Gegenstand hatte. In dem vom Vertragsarzt gegenüber dem Patienten zu verwendenden Aufklärungs- und Einwilligungsformular wurden Avastin® und Lucentis® vorgestellt und – auch unter Kostenaspekten – bewertet. Auf den off-labelCharakter einer möglichen Behandlung mit Avastin® wurde hingewiesen. Der Antragsteller sah hierin einen zivil-, wettbewerbs- und kartellrechtlich unzulässigen Totalboykott seines Präparats. Anders das SG Düsseldorf: Dass die Willensbildung von Arzt und Patient durch die Bezifferung der Kosten für die Medikamente gesteuert werden soll, sei ein legitimes Anliegen der Vertragspartner. BGH NJW 1989, 1542; OLG Stuttgart VersR 1990, 631.
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2. Die Haftung des Arztes Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes für den zulassungsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln bleibt von § 84 AMG unberührt. Das Haftungsrisiko liegt sogar allein bei ihm, sofern eine Haftung des pharmazeutischen Unternehmers ausscheiden sollte. Die vertragliche und deliktische im Hinblick auf das Pflichtenprogramm aneinander gerückte Haftung nimmt den im Zeitpunkt der ärztlichen Behandlung geltenden Standard in den Blick: An diesem Standard muss der Arzt seine Arzneimittelauswahl ausrichten; der Standard konkretisiert seine Therapiefreiheit. Standard ist, was auf dem betreffenden Fachgebiet belegbar dem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht, z. B. basierend auf Erkenntnissen aus kontrollierten Studien, langjähriger Praxiserfahrung im Ausland, qualitätssichernden Leitlinien37 oder Therapieempfehlungen, darüber hinaus, was in der medizinischen Praxis zur Behandlung der jeweiligen gesundheitlichen Störung allgemein anerkannt ist.38 Dies lässt den Konflikt deutlich werden, dem ein Arzt in der Off-LabelTherapie stets unterliegt: Die arzneimittelrechtliche Zulassung lässt nur Rückschlüsse auf die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels im Hinblick auf die vom Hersteller im Zulassungsantrag genannten Anwendungsgebiete zu. Die zulassungsüberschreitende Anwendung entspricht dann - und nur dann - dem medizinischen Standard, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das off label eingesetzte Präparat sowohl für das jeweilige Therapiegebiet als auch für die betreffenden Indikationen zugelassen werden kann, und wenn es in der medizinischen Praxis zur Behandlung der jeweiligen gesundheitlichen Störung anerkannt ist. Davon kann nach der Rechtsprechung nur für zwei Konstellationen ausgegangen werden: Entweder ist eine Erweiterung der Zulassung des jeweiligen Arzneimittels bereits beantragt und es sind die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht, die eine klinisch relevante Wirksamkeit bzw. klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen. Oder es sind außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Ergebnisse veröffentlicht, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen. Dabei muss in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne bestehen.39 Vor einem zulassungsüberschreitenden Einsatz hat der Arzt sämtliche Informationsquellen sorgfältig auszuschöpfen, um eine umfassende Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen zu können. In aller Regel kann er auf seine unmittelbar fachgebietsbezogenen Erfahrungen hinsichtlich der Nebenwirkungen, Gegenanzeigen und Wechselwirkungen bzw. auf Erfahrungswerte hinsichtlich altersgebundener Spezifika der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik nicht zurückgreifen. Trifft also der Arzt gleichwohl eine Entscheidung zugunsten des Off-Label-Use allein aufgrund von Einzelfallbeobachtungen und Einzelfallerfahrungen oder auf der Basis von Veröffentlichungen 37 38
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Differenzierend OLG Naumburg MedR 2002, 471. v. Hirschfeld/Stampehl, in Ehlers/Broglie (Hrsg.), Arzthaftungsrecht (2005), Rz. 69 f.; Palandt/Sprau, Kommentar zum BGB (2008), § 823 Rz. 135. BSGE 89, 184 ff.; dazu unten IV. 2.
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mit unzureichenden Aussagen über den wissenschaftlichen Stand, genügt dies nicht den Anforderungen an einen gesicherten medizinischen Standard. Er handelt dann sorgfaltswidrig. Mit Blick auf die Einwilligung und Aufklärung des Patienten sowie auf die ärztliche Dokumentation gelten die allgemeinen Prinzipien des Arzthaftungsrechts.40 Dass auch bei der Verschreibung von Arzneimitteln eine ärztliche Aufklärungspflicht besteht, die sich auch auf die Risiken und Nebenwirkungen erstreckt, hat der BGH41 ausdrücklich klargestellt. Auch über den Off-Label-Use ist explizit aufzuklären, da dem Arzneimittel gerade das „Gütesiegel“42 der Zulassung fehlt, welches – unabhängig von der tatsächlichen Qualität oder Sicherheit – für die Einwilligung des Patienten maßgeblich sein kann. Bei der indikationsfremden Anwendung des Präparates ist die Dokumentationspflicht im Vergleich zur Behandlung mit einem zugelassenen Arzneimittel deutlich gesteigert. So hat der Arzt sämtliche Normabweichungen sorgfältig zu registrieren. Während der pharmazeutische Unternehmer im Zweifel nur die im Rahmen der klinischen Prüfungen aufgetretenen oder bei Nachmarktbeobachtungen ermittelten Risiken kennt, hat der behandelnde Mediziner seltene bzw. bislang unbekannte Auffälligkeiten festzustellen und der zuständigen Bundesoberbehörde anzuzeigen. Verletzt der Arzt seine weitergehende Dokumentationspflicht, kommen dem Patienten Beweiserleichterungen zum Vorliegen eines Behandlungsfehlers zu. Jenseits dessen verbleibt die Pflicht zum Nachweis der Schadenskausalität allerdings beim geschädigten Patienten. Gelingt dies, haftet der Arzt dann freilich auch für die unerwünschten Nebenwirkungen und bislang unbekannten Nebenfolgen: Sie liegen im Schutzbereich des Behandlungsvertrages. Das geringere Maß der Einschätzbarkeit ergibt sich gerade durch die fehlenden therapiegebietsbezogenen klinischen Studien.43
3. Die Haftung des Apothekers Die Verantwortung des Apothekers beim Off-Label-Use wird höchstens ausnahmsweise in Betracht kommen. Ist das Arzneimittel verkehrsfähig, darf es der Apotheker auch abgeben, auch wenn es erkennbar außerhalb der zugelassenen Indikation eingesetzt werden soll. In aller Regel wird der Apotheker die OffLabel-Anwendung schon gar nicht erkennen können, da ärztliche Rezepte keine Diagnosen enthalten. Selbst wenn dies der Fall ist, etwa ein für Kinder nicht zugelassenes Präparat einem Kind verordnet wurde, gilt § 17 Abs. 4 ApBetrO. Danach müssen Verschreibungen vom Arzt unverzüglich ausgeführt werden. Die abgegebenen Arzneimittel müssen den Verschreibungen entsprechen. Der Apotheker hat lediglich die Pflicht, bei Bedenken den verschreibenden Arzt zu konsultieren. Der 40
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Koenig/Müller, MedR 2008, 190 (201); vgl. auch v. Harder, A & R 2007, 99 (104); Kozianka/Hußmann, PharmaR 2006, 457 ff.; Buchner/Jäkel, PharmaR 2003, 433 ff. (437); Freund, PharmaR 2004, 275 ff. (293). BGH NJW 2005, 1716 ff. BGH MedR 1996, 22 ff. („Surgibone“). Koenig/Müller, MedR 2008, 190 (201).
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Apotheker muss eine Abgabe lediglich dann verweigern, wenn das abzugebende Präparat bedenklich im Sinne des § 5 Abs. 1 AMG ist. Bezugspunkt ist hier jedoch die generelle Bedenklichkeit des Arzneimittels, unabhängig von der Indikation.
IV. Die Erstattungsfähigkeit von off-label verordneten Arzneimitteln zu Lasten der GKV 1. Vorgreiflichkeit der Arzneimittelzulassung Die Kostenerstattung im Recht der GKV ist lange Zeit durch die Vorgreiflichkeit der arzneimittelrechtlichen Zulassung geprägt worden. Nach § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähig sind.44 Die Richtlinien des G-BA45 über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien) knüpfen den Versorgungsanspruch an die Verkehrsfähigkeit der Arzneimittel nach dem AMG. Nach dieser Systematik ist der Off-Label-Use eine „neue Behandlungsmethode“ im Sinne des § 135 SGB V. Derartigen Methoden, mit denen medizinisches Neuland betreten wird, stand das Bundessozialgericht stets restriktiv gegenüber: In der „Remedacen“-Entscheidung46 wurde die Leistungspflicht der Kassen davon abhängig gemacht, dass der Therapieerfolg aus wissenschaftlich einwandfreien Statistiken ablesbar sei; der Erfolg im Einzelfall war irrelevant. Bestätigt wurde dies im „Jomol“-Urteil47 ebenso wie in der „SKAT“-Entscheidung48. § 135 SGB V wird als „Qualitätssicherungsregelung“ interpretiert, die auch sicherstelle, dass das System der GKV nicht die Arzneimittelforschung finanziere. In den „ASI“Urteilen49 wird ein Kostenerstattungs- bzw. Freistellungsanspruch des Versicherten allenfalls für den Fall eines „Systemversagens“ erwogen, d. h. wenn die fehlende Anerkennung der Außenseitermethode lediglich darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem G-BA nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt wird. Dies müsse allerdings gerichtlich festgestellt worden sein.
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Anders im Bereich der Privaten Krankenversicherung; die PKV-Musterbedingungen definieren die Ansprüche der privat Versicherten wie folgt: „Der Versicherer leistet im vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen.“. Ermächtigung gemäß § 92 SGB V. BSG NJW 1996, 2451 ff. – Drogensubstitution. BSGE 82, 233 ff. – Krebstherapeutikum. BSG NJW 2000, 2764 ff. – Autoinjektionstherapie bei erektiler Dysfunktion. BSG SGb 2001, 436 ff.; BSG ZfS 2000, 180 – Immuntherapie bei Nierenkarzinom.
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2. Das „Sandoglobulin“-Urteil50 des BSG Mit seiner Grundsatzentscheidung zur Behandlung von Multipler Sklerose mit Sandoglobulin hat das BSG nunmehr die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der GKV im Falle des Off-Label-Use bestimmt. Eine an multipler Sklerose mit primär chronisch progredienter Verlaufsform erkrankte Patientin klagte auf Erstattung der Kosten für die Behandlung mit dem Präparat Sandoglobulin (ein intravenös zu applizierendes Immunglobulin), das nicht für die MS-Behandlung, sondern für Antikörper-Mangelsyndrome zugelassen ist. Die Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, es stehe eine (zugelassene) Behandlungsalternative für diese Verlaufsform der MS mit Betaferon zur Verfügung.
Die drei wesentlichen erstattungsrechtlichen Voraussetzungen für die zulässige Off-Label-Verschreibung formuliert das BSG wie folgt: 1. Es muss sich um eine schwerwiegende (lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung) handeln; 2. es darf keine andere Therapie verfügbar sein; 3. aufgrund der Datenlage muss die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betreffenden Präparat ein (kurativer oder palliativer) Behandlungserfolg erzielt werden kann. Dafür müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Hiervon kann dann ausgegangen werden, wenn entweder • die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder • außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Schon die Feststellung der ersten beiden der genannten Voraussetzungen bereitet in der Praxis Schwierigkeiten. Soweit eine Erkrankung nicht als schwerwiegend zu qualifizieren ist, muss der Arzt vom Standpunkt des Sozialrechts aus von einer indizierten medikamentösen Therapie Abstand nehmen, obgleich diese unter Umständen Behandlungsstandard und berufsrechtliche Pflicht sein kann.51 Das BSG hat den Begriff „schwerwiegende Erkrankung“ später dahingehend konkretisert, 50 51
BSGE 89,184 ff. Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2004, 655 (657) unter Hinweis u. a. auf das ärztliche Berufsrecht; Engelmann/Meurer/Verhasselt, NZS 2003, 70.
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dass sich die Erkrankung durch „ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben muss“. Abzustellen ist dabei auf die konkreten Therapieziele, nicht auf eine möglicherweise vorhandene oder mitursächliche Grunderkrankung. Ist Therapieziel nicht die Behandlung der schwerwiegenden Grunderkrankung, sondern eine darauf basierende Symptomatik, muss diese die Graviditätsschwelle der schwerwiegenden Erkrankung überschreiten. Bejahend: BSG Urteil v. 26. 09. 200652 – „Ilomedin“: Inhalative Ilomedin-Therapie bei sekundärer pulmonaler Hypertonie bei CREST-Syndrom im Stadium NYHA IV; verneinend: BSG ArztR 2007, 187: „Restless Leg“-Syndrom keine schwerwiegende Erkrankung: keine Off-Label-Anwendung eines Parkinson-Präparates zur Suizidprophylaxe; BSG Urteil v. 04. 04. 200653 – Myopathie wegen MAD-Mangels; LSG Bayern Urt. v. 13. 06. 2006 – ADS/ADHS bei Volljährigen.
Ob eine therapeutische Alternative für den Patienten zur Verfügung steht, ist im Wege einer eher großzügigen Interpretation zu beantworten. Ein zugelassenes Alternativpräparat stellt die Vermutung auf, dass eine Behandlungsalternative besteht.54 Allerdings kann dessen Anwendung wegen schwerer Neben- oder Wechselwirkungen im Einzelfall unzumutbar sein. Die mit der Umstellung auf ein zugelassenes Arzneimittel verbundenen Compliance-Probleme reichen noch nicht aus. Die Datenlage, die eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bietet, ist jedenfalls dann negativ zu beurteilen, wenn das BfArM die Zulassung des Arzneimittels versagt, widerruft, zurücknimmt oder dessen Ruhen anordnet. Gleiches gilt, wenn für das Präparat die Zulassung im zentralen Verfahren bzw. im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung verweigert wird. In der Iloprost/Ilomedin-Entscheidung des BSG hatte der Hersteller bei der EMEA beantragt, Iloprost zur inhalativen Anwendung bei primärer pulmonaler Hypertonie und auch speziellen Formen der sekundären pulmonalen Hypertonie, u. a. der mit Kollagenosen assoziierten Form der pulmonalen Hypertonie im NYHA-Stadium III und IV zuzulassen. Die EMEA erteilte die Zulassung nur für NYHA-Stadium III, versagte sie jedoch für Stadium IV. Diese Teilversagung führte dazu, dass das BSG die Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit mit Blick auf den nicht hinreichend sicheren voraussichtlichen Behandlungserfolg verneinte. Soweit Erkenntnisse außerhalb eines Zulassungsverfahrens für die Beurteilung des Behandlungserfolgs herangezogen werden, kommt es darauf an, inwieweit valide Studienergebnisse, Publikationen, Leitlinien von Fachgesellschaften, Sachverständigengutachten etc. verfügbar sind. In aller Regel kann ein Vertragsarzt diese Frage nicht im Wege eigener Beurteilung beantworten. Methodisch kommen die Grundsätze der Evidenz-basierten Medizin (EBM) als gesetzlicher Qualitätsmaßstab für den Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des 52 53 54
BSGE 97, 112 ff. BSG NZS 2007, 88 ff. Vgl. BSG NJW 2007, 1385 ff. zum äquivalenten Problem der alternativen Behandlungsmethode (Thermotherapie zur Tumorzerstörung).
Der „Off-Label-Use“ von Fertigarzneimitteln
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Arzneimittels zur Anwendung.55 Ziel der EBM ist es, Verfahrensvorgaben für die Evaluation von medizinischen Erkenntnissen zu machen. Als Rangskala kennt sie unterschiedliche Evidenzen, angefangen von der Meta-Analyse kontrollierter Studien bis hin zu ärztlicher Erfahrung.56 Das BSG verlangt in seinem Sandoglobulin-Urteil bewusst eine hohe Evidenzstufe in der Rangskala der EBM. Eine gewisse Abschwächung im Sinne einer verfassungskonformen Rechtsfortbildung ist allerdings durch den sog. NikolausBeschluss57 des Bundesverfassungsgerichts erfolgt. Bei der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung ist für eine Aussicht auf Behandlungserfolg im Einzelfall eine auf Indizien gestützte nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreichend. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG strahlt hier in der Weise aus, dass Ausnahmefälle unerforschbarer58 Krankheiten oder (akut) lebensbedrohlicher Erkrankungen die GKV zur Kostenübernahme auch dann verpflichten können, wenn das Medikament off label oder sogar ohne jede Zulassung eingesetzt wird. In der Praxis sind derartige Fälle freilich selten.59 Um therapeutische Erkenntnisse außerhalb des formalisierten arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens im Sinne einer höchstmöglichen Evidenz verwerten zu können, sind seit dem Jahr 2002 gem. § 35 b Abs. 3 SGB V beim BfArM multidisziplinäre Expertengruppen zur Anwendung von Arzneimitteln außerhalb des zugelassenen Indikationsbereichs eingerichtet worden.60 Einschlägige Gruppen – mit jeweils zeitlich befristetem Mandat – gibt es bislang für die Bereiche Onkologie, Infektiologie mit Schwerpunkt HIV/AIDS und Neurologie/Psychiatrie.61 Die Expertengruppen leiten dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ihre Empfehlungen zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Off-Label-Use der von ihnen bewerteten Arzneimittel zu. Treffen positive Empfehlung der Gruppe, die Anerkennung dieses Off-Label-Use als „bestim55 56 57
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Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2004, 655 (659). Hart, MedR 2000, 1 ff. BVerfGE 115, 25 ff.: Kostenübernahme für eine Bioresonanztherapie bei Duchenne’scher Muskeldystrophie. BSG, Urt. v. 19. 10. 2004 „Visudyne“: Drohende Erblindung eines Kindes aufgrund eines Koloboms; Erstattungsfähigkeit einer Off-Label-Anwendung von Visudyne nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil Krankheit so selten ist, dass eine systematische Erforschung ausscheidet. Bejaht bei fortgeschrittenem, metastasiertem Karzinom, z. B. BSG NJW 2007, 1380 ff.; LSG NRW, Beschl. v. 05. 03. 2007 (Az. L 1 B 1039/05 KR ER); Multipler Sklerose (LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 31. 01. 2007, Az. L 5 KR 28/06); verneint bei Prostatakarzinom im Anfangsstadium (BSG Urt. v. 14. 12. 2006, Az. B 1 KR 12/06 R); Kardiomyopathie bei Friedreich’scher Ataxie (BSG Urt. v. 14. 12. 2006, Az. B 1 KR 12/06 R) sowie in 20 bis 30 Jahren drohender Erblindung (BSG, Beschl. v. 26. 09. 2006, Az. B 1 KR 16/06 B). Der Bearbeitungsstand der einzelnen Bewertungsaufträge in den jeweiligen Expertengruppen ist abrufbar unter www.bfarm.de. Die Arzneimittel-Richtlinie des G-BA mit der zugehörigen Anlage sowie die Entscheidungsgrundlagen zur Umsetzung der Empfehlungen der Expertengruppen sind abrufbar unter www.g-ba.de.
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mungsgemäßer Gebrauch“ durch den pharmazeutischen Unternehmer und die Aufnahme des Arzneimittels und der Off-Label-Indikation in Teil A der entsprechenden Anlage 962 zur Arzneimittel-Richtlinie (§ 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V) durch den G-BA zusammen, ist eine Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV gegeben. Die Bewertung einzelner Indikationen und Präparate ist allerdings sehr arbeits- und zeitaufwendig.
3. Konsequenzen Die Rechtsprechung des BSG löst die Problematik der Verordnungsfähigkeit eines Off-Label-Einsatzes zu Lasten der GKV nach den bisherigen Erfahrungen nur ansatzweise. Dies betrifft zum einen die Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung der vom Gericht vorgegebenen Kriterien, zum anderen aber auch die Frage, ob ein Off-Label-Use ohne Aufnahme in die Arzneimittel-Richtlinien nunmehr ausgeschlossen ist. Bei der Beschlussfassung des G-BA über die ArzneimittelRichtlinien handelt es sich um untergesetzliche Normsetzung, deren Entscheidungsprogramm primär in § 92 SGB V geregelt ist. Für den G-BA dürfte deshalb keine strenge Bindung an die vom Bundessozialgericht entwickelten Ausnahmevoraussetzungen für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln bestehen. Der Nikolaus-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts weist die Richtung, inwieweit ein Off-Label-Use jenseits einer positiven Entscheidung des G-BA über die Erweiterung der Arzneimittel-Richtlinien realisiert werden kann. Im Einzelfall wird der betroffene Patient allerdings auch künftig nicht davor bewahrt bleiben, eine Kostenübernahme für eine erstrebte Off-Label-Anwendung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bei den Sozialgerichten zu erwirken. Im Übrigen sind – gerade auch auf europäischer Ebene – deutliche Anstrengungen erkennbar, eine zumindest partielle Regelung des Off-Label-Use im Arzneimittelrecht selbst vorzunehmen. Dies betrifft namentlich die Kinderarzneimittel: So haben Europäisches Parlament und Rat eine Verordnung über Arzneimittel bei Kindern verabschiedet.63 Danach muss ein Zulassungsantrag für ein neues Arzneimittel nunmehr die Ergebnisse klinischer Studien an Kindern und Jugendlichen enthalten, es sei denn, das Arzneimittel ist für die Anwendung in dieser Gruppe nicht geeignet. Die Anforderungen an die klinische Prüfung sind in einem Forschungs - und Entwicklungsprogramm („PIP – Pediatric Investigation Plan“) niederzulegen. Jedes Prüfkonzept muss dann einem eigens dafür bei der EMEA eingerichteten Ausschuss zur Zustimmung vorgelegt werden. Ausgenommen hiervon sind lediglich homöopathische und traditionelle pflanzliche Arzneimittel. Als Ausgleich für diese neuen Anforderungen werden den pharmazeutischen Unternehmen nunmehr Anreize und Vergünstigungen in Form verlängerter Schutzfristen bei der Vermarktung der Arzneimittel gewährt.
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Stand: 13. 09. 2007. VO (EG) Nr. 1906/2006, ABl. L 378 v. 27. 12. 2006, S. 1 ff.
Nutzen und Risiko in klinischen Prüfungen von Arzneimitteln – Abwägung, Aufklärung, Verfahren
Dieter Hart Im Kapitel „Arzneimittelprüfung“ der 6. Auflage des Medizinrechts schreibt Deutsch1: „Es ist ohne weiteres ersichtlich, dass therapeutischer Fortschritt und Patientenschutz in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander stehen. … Therapeutischer Fortschritt und Patientenschutz sollten einander ergänzen, sich aber nach Möglichkeit nicht behindern.“
Dieses Spannungsverhältnis wird im Recht der klinischen Prüfung von Arzneimitteln als Teil des Arzneimittelforschungsrechts an den Regelungskomplexen Vertretbarkeit der Risiken gegenüber dem Nutzen (Nutzen/Risiko-Abwägung) und der Einwilligung nach Aufklärung (Patienteninformation) sowie dem Verhältnis beider zueinander entweder besonders sichtbar oder es löst sich auf. Der dritte Aspekt der Relationierung ist im Arzneimittelprüfrecht kein ausdrücklicher Regelungsgegenstand, spielt aber in der Praxis der Bewertung von Prüfanträgen durch Ethikkommissionen durchaus eine wichtige Rolle. Der Beitrag konzentriert sich nach einem kurzen schwerpunktbezogenen Überblick über das neue Arzneimittelprüfrecht (I.) und seine Normzentren (II.) auf das Wissen über Nutzen und Risiken (III.) und die Abwägung zwischen beiden (VI.), die durch die Unsicherheit im Wissen und in den Bewertungsmaßstäben gekennzeichnet ist (V.), die partiell durch Verfahrensvorgaben (VI.) und die Patienteninformation „kompensiert“ werden kann (VII.). Die Prüfung von Kinderarzneimitteln ist ein Beispiel für die Bewährung der formulierten Grundsätze (VIII.), die resümierend als Leitlinien formuliert werden (IX.).
1
Deutsch in: Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht – Arztrecht, Arzneimittelrecht, Medizinprodukterecht und Transfusionsrecht, 6. Aufl. 2008, Rz. 1295; der zitierte letzte Satz bezieht sich auf Fülgraff, Patientenschutz und therapeutischer Fortschritt, in: Bock/Hofmann (Hrsg.), Arzneimittelprüfung am Menschen – ein interdisziplinäres Gespräch, 1980, 186, 187 f.
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Dieter Hart
I. Neues Recht der klinischen Arzneimittelprüfung „Klinische Prüfung bei Menschen ist jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen. Satz 1 gilt nicht für eine Untersuchung, die eine nichtinterventionelle Prüfung ist. Nichtinterventionelle Prüfung ist eine Untersuchung, in deren Rahmen Erkenntnisse aus der Behandlung von Personen mit Arzneimitteln gemäß den in der Zulassung festgelegten Angaben für seine Anwendung anhand epidemiologischer Methoden analysiert werden; dabei folgt die Behandlung einschließlich der Diagnose und Überwachung nicht einem vorab festgelegten Prüfplan, sondern ausschließlich der ärztlichen Praxis.“2
Arzneimittelwirkungsforschung ist der Gegenstand des klinischen Prüfrechts, das durch die GCP-Richtlinie europäisch harmonisiert wurde. Diese ist national insbesondere durch die 12. AMG-Novelle3 sowie die GCP-V4 umgesetzt und mittelbar durch die 14. AMG-Novelle5 ergänzt worden. Eine nicht-interventionelle Prüfung („Anwendungsbeobachtung“) ist arzneimittelrechtlich nicht klinische Arzneimittelprüfung, kann aber durchaus Arzneimittelwirkungsforschung sein. Gegenüber dem früheren Recht gibt es erhebliche, hier nicht vollständig aufgezählte Änderungen: • erstmalige Definition wichtiger Begriffe des klinischen Prüfrechts (klinische Prüfung, § 4 Abs. 23 AMG; Sponsor, § 4 Abs. 24 AMG; Prüfer, § 4 Abs. 25 AMG; verbundenes Risiko, § 4 Abs. 27 AMG; Nutzen-Risiko-Verhältnis, § 4 Abs. 28 AMG; multizentrische klinische Prüfung, § 3 Abs. 1 GCP-V; Prüfplan, § 3 Abs. 2 GCP-V; Einwilligung, § 3 Abs. 2b GCP-V; Ethikkommission, 6 § 3 Abs. 2c GCP-V) ; • „Zulassungspflicht“ für klinische Prüfungen statt der früheren Beratung und Regelung der Verfahren vor den Ethikkommissionen und den Bundesoberbehörden (§ 40 Abs. 1 S. 1, 2 AMG; §§ 42, 42a AMG, §§ 7 – 10 GCP-V);
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§ 4 XXIV AMG; Umsetzung von Art. 2 lit. a und c GCP-RiLi, Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln, ABl. L 121/34 v. 1.5.2001. Zwölftes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 30. Juli 2004, BGBl. I, S. 2031. Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen vom 9. August 2004, BGBl. 2004 Teil I Nr. 42 v. 12. August 2004, S. 2081 ff. Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 29. August 2005. BGBl. Teil I Nr. 54 v. 5.9.2005; 2570. Die Aufzählung ist nicht vollständig.
Nutzen und Risiko in klinischen Prüfungen von Arzneimitteln
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• Verfahren bei multizentrischen Prüfungen (§ 42 Abs. 1 S. 2 AMG; § 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1 S. 4, 5, § 8 Abs. 5 GCP-V); • Einwilligung und Datenschutz (§ 40 Abs. 2a AMG); • Einwilligung von Patienten in Notfallsituationen (§ 41 Abs. 1 S. 2, 3 AMG); • grundsätzliche Regelung zum individuellen Nutzen oder direkten Gruppennutzen als möglicher Legitimation der klinischen Prüfung an Kranken (§ 41 Abs. 1 AMG); • Sonderregelungen für die klinische Prüfung an Minderjährigen (§§ 40 Abs. 4, 41 Abs. 2 AMG) und nicht-einwilligungsfähigen Volljährigen (§ 41 Abs. 3 AMG); • die Einrichtung einer Kontaktstelle für Prüfungsteilnehmer = betroffene Personen (§ 40 Abs. 5 AMG). Die genannten arzneimittelrechtlichen Normen sind im Lichte der GCP-RiLi auszulegen. Das betrifft vor allem die dortigen Normen zum Schutz von Prüfungsteilnehmern, die in Art. 3 Abs. 2 lit. a S. 2 GCP-RiLi eine klare Anweisung zum Erfordernis der Nutzen-Risiko-Abwägung enthalten, die nicht ausdrücklich ins deutsche Recht übernommen wurde, aber interpretatorisch von Bedeutung ist: „Eine klinische Prüfung darf nur beginnen, wenn eine Ethikkommission und/oder die zuständige Behörde zu der Schlussfolgerung kommt, dass der erwartete therapeutische Nutzen und der Nutzen für die öffentliche Gesundheit die Risiken überwiegen, und nur fortgeführt werden, wenn die Einhaltung dieser Anforderung ständig überwacht wird.“
§ 4 Abs. 27, 28, § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AMG und § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AMG nehmen das in dieser Eindeutigkeit nicht auf, wenn auch das Überwiegen des Nutzens im deutschen Arzneimittelrecht nach allgemeiner Ansicht Bestandteil der Bilanzierung ist.7 Das Überwachungsmoment kommt in § 40 Abs. 4 Nr. 4 a. E. AMG zum Ausdruck. Jenseits der materiellrechtlichen Präzisierungen und Neuerungen sind vor allem die Verfahrensregelungen von Bedeutung, die das „Zulassungsverfahren“ für klinische Arzneimittelprüfungen einem klaren und straffen Regime unterwerfen, das einen erheblichen Präzisierungsgewinn schafft.8
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Art. 3 Abs. 2 lit. a GCP-RiLi; Kloesel/Cyran, § 40 AMG Anm. 49. Siehe insgesamt insbesondere den ausgezeichneten Leitfaden für Ethikkommissionen von Raspe/Hüppe/Steinmann, Empfehlungen zur Begutachtung klinischer Studien durch Ethik-Kommissionen. Deutscher Ärzteverlag, Köln, 2006.
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II. Normzentren des Prüfrechts Die klinische Arzneimittelprüfung9 ist ein Instrument der Überprüfung der Eigenschaften, besonders der Sicherheit von Arzneimitteln am Menschen. Sicherheit ist im Arzneimittelrecht insbesondere definiert durch die Voraussetzungen Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Die positive Sicherheitsbewertung in der klinischen Prüfung ist Voraussetzung für die Feststellung der Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels im Rahmen der Zulassung sowohl auf nationaler wie europäischer Ebene und sowohl im nationalen (§§ 21 II Nr. 2, 22 II Nr. 3, 40 – 42a AMG) wie europäischen Arzneimittelrecht (Art. 6 Abs. 1 VO 726/2004 EWG10 unter Verweis auf insbesondere die in diesem Zusammenhang wichtigen Art. 8 und 10, 10a, 10b, und 11 Richtlinie 2001/83/EG11 und Teil 4 des Anhangs I des Gemeinschaftskodexes) geregelt. § 40 AMG enthält Regelungen (allgemeine Voraussetzungen) für alle klinischen Prüfungen von Arzneimitteln (Menschen = Probanden und Patienten), die in § 41 AMG (besondere Voraussetzungen) für Prüfungen am Patienten (Person, die an einer Krankheit leidet), insbesondere an spezifischen Patientengruppen, ergänzt und spezifiziert werden.12 § 42 AMG enthält Regelungen über das Verfahren bei der Ethikkommission13 und das Genehmigungsverfahren bei der Bundesoberbehörde. § 42a AMG regelt die Rücknahme, den Widerruf und die Anordnung des Ruhens der Genehmigung durch die Bundesoberbehörde. Die GCP-V beruht auf der Ermächtigung des § 42 III AMG und soll insbesondere die Einhaltung der Guten Klinischen Praxis bei der Planung, Durchführung und Dokumentation klinischer Prüfungen am Menschen und der Berichterstattung darüber sicherstellen. Die GCP-V soll gewährleisten, „dass die Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen der betroffenen Person geschützt werden und die Ergebnisse der klinischen
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Die folgenden beiden Absätze sind an Hart, Klinische Arzneimittelprüfung, in: Rieger (Hrsg.), Lexikon des Arztrechts (zukünftig: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), Heidelberger Kommentar – Arztrecht, Krankenhausrecht, Medizinrecht [HK-AKM]), 2. Aufl. 2002, Stand Mai 2008, BVZ 2880 angelehnt. Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur, ABl. L 136/1 v. 30.4.2004. Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl. L 311/67 v. 28.11.2001, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2004/27/EG v. 31. März 2004, ABl. L 136/34 v. 30.4.2004. Siehe Pestalozza, Risiken und Nebenwirkungen: Die klinische Prüfung von Arzneimitteln am Menschen nach der 12. AMG-Novelle, NJW 2004, 3374 ff, 3377 f; Krüger, Rechtliche Grundlagen der klinischen Prüfung von Arzneimitteln am Menschen, KHuR 2/2005, 24 ff; insgesamt dazu – allerdings altes Recht – Glaeske/Greiser/Hart, Arzneimittelsicherheit und Länderüberwachung, S. 108 ff; Hasskarl/Kleinsorge, Rechtliche und medizinische Voraussetzungen zur Durchführung klinischer Prüfungen von Arzneimitteln, in: Kleinsorge/Steichele/Sander (Hrsg.), Klinische Arzneimittelprüfung, 1987, 25 ff. Insgesamt dazu Deutsch, Das neue Bild der Ethikkommissionen, MedR 2006, 411-416.
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Prüfung glaubwürdig sind.“ (§ 1 Abs. 1 S. 2 GCP-V; Art. 1 Abs. 2 S. 2 GCPRiLi). Im Zentrum dieser Regelungen stehen die • Nutzen/Risiko-Abwägung, die • Einwilligung nach Aufklärung (informed consent) und die • Verfahren der Genehmigung der klinischen Prüfung. Alle drei Bereiche des Prüfrechts enthalten sicherheitsrechtliche Spezifizierungen, die auf die komplexe Unsicherheitssituation der klinischen Arzneimittelprüfung durch legitimatorische Anforderungen reagieren.14 Die arzneimittelrechtliche Nutzen/Risiko-Abwägung besteht aus vier Elementen: • • • •
der Indikation, dem Nutzen, den Risiken und dem absoluten und relativen Vergleich zwischen Nutzen und Risiken.
Der Prozess der Abwägung setzt den Nutzen und die Risiken dieses Arzneimittels in Beziehung zueinander und beide in Beziehung zur Indikation. Nur bei einer positiven Nutzen/Risiko-Bilanz für die angegebene(n) Indikation(en) ist das Arzneimittel unbedenklich.15 Die Situation der zu beginnenden klinischen Prüfung ist durch eine klare Indikation, aber die Unsicherheit über Nutzen und Risiken und über den Vergleich gekennzeichnet. Die Unsicherheit bezieht sich auf das Wissen über Nutzen und Risiken sowie auf ihre Bewertung und Aussagen über den Vergleich lassen sich einigermaßen verlässlich meist erst am Ende der Prüfung machen, insbesondere dann, wenn die Prüfung gegen Standard erfolgte. Die klinische Prüfung soll erst die Informationen schaffen, die bei der Arzneimittelzulassung die positive Aussage wirksam und unbedenklich erlauben, aber trotzdem wird die „Zulassung“ der klinischen Prüfung an die Aussage „Nutzen für die Heilkunde“ oder/und „Nutzen“ oder „direkter Gruppennutzen“ für den Patienten gebunden. Die Qualität dieser Nutzenaussagen beim Beginn der klinischen Prüfung muss deshalb von der Qualität der Nutzenaussage bei der Zulassung ebenso abweichen wie die Qualität der Nutzenaussage in der Pharmakovigilanz. Dasselbe gilt für die Risikoaussagen, für die Bilanzierung und den Vergleich.
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Vgl. insgesamt Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz im Recht des medizinischen Erprobungshandelns, 2004. Hart, Die Nutzen/Risiko-Abwägung im Arzneimittelrecht - Ein Element des Health Technology Assessment, Bundesgesundheitsblatt GesundheitsforschGesundheitsschutz, 2/2005, 204-214; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 226 ff.
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III. Nutzen und Risiko: Wissen Am Beginn der klinischen Prüfung neuer Wirkstoffe, also vor der Phase I-Prüfung am Probanden ist das Wissen über einen neuen Wirkstoff des Arzneimittels auf die Ergebnisse der analytischen und der toxikologisch-pharmakologischen Prüfung, mögliche Analogieschlüsse zu vergleichbaren Wirkstoffen und Arzneimitteln, auf durchgeführte (individuelle) Humanexperimente und Heilversuche und darauf basierte Hypothesen beschränkt. In der Qualitätsrangskala der Evidenzbasierten Medizin (EbM)16 sind die Aussagen über die Eigenschaften des Prüfarzneimittels grundsätzlich auf dem letzten Rang (ärztliche [systematische] Beobachtung von Einzelfällen; Expertenmeinungen). Allerdings ist für die unterschiedlichen typischen Ausgangssituationen der Prüfung zu differenzieren. Die folgende Auflistung ist nach absteigendem Wissensschatz geordnet: • Phase IV-Prüfungen17 sind in der Regel durch hochwertiges Wissen über das Arzneimittel aufgrund vorangehender Zulassungsprüfungen der Phasen I – III gekennzeichnet. In der Klassifizierung und Bewertung von Unterlagen gemäß § 18 Abs. 2 G-BA-VerfO18 handelte es sich in der Regel um die Evidenzstufe I b oder I c, also randomisierte kontrollierte Studien oder andere Interventionsstudien oder nach § 18 Abs. 3 G-BA-VerfO der Evidenzstufen I b randomisierte klinische Studien. • Bei Therapieoptimierungsprüfungen (TOP) etwa in der Onkologie19 ist die Ausgangssituation hinsichtlich des Wissens anders als am Beginn dieses Abschnitts als Grundsatz geschildert. Die TOP ist eine vom Zweck her näher eingegrenzte Therapieprüfung: Sie geht von einem vorhandenen Standard aus und zielt auf seine Verbesserung oder seine Evaluation. Geht es um die Optimierung einer Arzneimitteltherapie (z. B. durch eine Dosisänderung eines zugelassenen Arzneimittels), dann handelt es sich um die klinische Prüfung eines 16
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Siehe insgesamt Raspe, Theorie, Geschichte und Ethik der Evidenzbasierten Medizin, in: Kunz/Ollenschläger/Raspe/Jonitz/Donner-Banzhoff (Hrsg.), Lehrbuch Evidenzbasierte Medizin in Klinik und Praxis, 2. Aufl. 2007, S. 15-29 sowie Bertelsmann/Lerzynski/Kunz, Kritische Bewertung von Studien zu therapeutischen Interventionen, ebendort, S. 133-148. Zur Phaseneinteilung siehe Hart, Klinische Arzneimittelprüfung, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM BVZ 2880, Rdnr. 4. In der Fassung vom 20.09.2005 BAnz. 2005, Nr. 242 (S. 16 998), zuletzt geändert am 18.04.2006 BAnz. 2006, Nr. 124 (S. 4876). Hart, Juristische Grundlagen von Therapieoptimierungsstudien, individuellen Heilversuchen und klinischen Prüfungen, in: Glaeske/Berlit (Hrsg.), Arzneimitteltherapie außerhalb der Regelversorgung, München 1999, S. 17-34; ders., Therapieoptimierungsprüfungen. Einordnung, Arzneimittel- und Krankenversicherungsrecht, Onkologe 2000/8, 778-782; Francke/Hart, Rechtliche Bedingungen von Therapieoptimierungsprüfungen: Arzneimittel-, Haftungs- und Sozialrecht, FORUM DKG Sonderheft 1/2000, 31-33; Pfeffer, Therapieoptimierungsstudien und klinische Prüfungen von Arzneimitteln in der Onkologie, 2003.
Nutzen und Risiko in klinischen Prüfungen von Arzneimitteln
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Arzneimittels nach den AMG-Vorschriften. Die Prüfung eines Therapiekonzepts, das sich aus verschiedenen Therapieelementen zusammensetzt, deren eines eine Arzneimitteltherapie ist, ist nur dann eine klinische Arzneimittelprüfung, wenn ihr Zweck darin besteht, Arzneimittelwirkungen zu erkennen. TOP zur Verbesserung eines vorhandenen Standards (z. B. Dosisänderungen, Veränderungen der Applikationsweise) sind deshalb nur dann klinische Arzneimittelprüfungen, wenn tatsächlich und nach dem Prüfdesign Aussagen über das eingesetzte Arzneimittel gewonnen werden sollen und können. Dann aber liegen in der Regel vorangehende klinische Studien vor, die hochwertiges Wissen über das Arzneimittel in dieser Indikation der Evidenzklasse I b oder I c enthalten können. Phase III-Studien neuer Produkte/Wirkstoffe sind ebenfalls grundsätzlich mit hochwertigem Wissen aus Studien der Phase II (Evidenzstufen I b oder I c) insbesondere zur wirksamen Dosis und zum Wirkprinzip unterlegt, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass Phase II-Studien häufig weder kontrolliert gegen Standard prüfen noch randomisiert und/oder verblindet erfolgen und dann einen niederwertigeren Qualitätsrang haben. Phase II-Studien erlauben erstmals (eher grundsätzliche) Aussagen zur Wirksamkeit und Sicherheit des indizierten Arzneimittels. Möglich ist auch, dass Phase III-Studien schon auf vorangehende Phase III-Studien etwa geringerer Patientenzahl oder mehrere Phase II-Studien zurückgreifen können. Studien der Phase I lassen zusätzlich gewisse Aussagen über Risiken des Arzneimittels zu – allerdings ohne Indikationsbezug. Phase III-Studien von zugelassenen Arzneimitteln in einer anderen Indikation oder sonst off label können unter dem Wissensaspekt auf die hochwertigen Zulassungsstudien zurückgreifen, die möglicherweise Analogieschlüsse erlauben. Ansonsten gilt die eingangs geschilderte Grundsituation. Phase II-Studien sind, sofern es sich um neue Produkte/Wirkstoffe handelt, durch die eingangs geschilderte Grundsituation und zusätzlich gewisse Aussagen über Risiken des Arzneimittels aufgrund von Phase I-Studien gekennzeichnet. Im Sinne von § 18 VerfO-G-BA handelt es sich um die Evidenzstufe IV oder V, also Beobachtungen, Berichte, Meinungen von Experten. Die Wissenssituation bei Phase I-Studien entspricht der eingangs geschilderten.
Bei bekannten Wirkstoffen/Arzneimitteln in neuen Indikationen, Darreichungsformen u. ä. ist mindestens der Rückgriff auf die Risikodaten möglich, sodass in der Regel von einem guten Wissensstand aufgrund der Zulassungsdaten ausgegangen werden kann. Bis auf die ersten beiden Konstellationen ist die Wissenssituation bei der Durchführung klinischer Arzneimittelprüfungen durch einerseits hohe Unsicherheit und andererseits erhebliche Lückenhaftigkeit gekennzeichnet. Das macht deutlich, dass die informationelle empirische Grundlage für eine Nutzen/RisikoAbwägung im klinischen Prüfrecht in der Regel dürftig und damit notwendigerweise der Anteil an prognostischen Bewertungen hoch ist. Die Nutzen/RisikoAbwägung im klinischen Arzneimittelprüfrecht ist ihrerseits riskant. Das ist ein
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Hinweis auf die gravierende Bedeutung der zweiten Legitimationssäule klinischer Forschung: die Einwilligung der Prüfteilnehmer nach Aufklärung.20
IV. Die Abwägung: Bewertung und Vergleich Je qualitativ besser und umfangreicher die Evidenz über Nutzen und Risiken des Prüfarzneimittels, desto sicherer kann das Abwägungsurteil begründet werden und ausfallen. Je geringerwertig die Evidenz, desto höher ist der Unsicherheitsanteil in der bewertenden Abwägung. Je mehr hochwertige vergleichende Evidenz – insbesondere gegen einen Standard – vorliegt, desto verlässlicher ist die Abwägungsbilanz.21 Im Rahmen der §§ 40, 41 AMG sind zwei Abwägungen zu unterscheiden: • die ärztliche Vertretbarkeit der vorhersehbaren Risiken und Nachteile gegenüber dem Nutzen für die betroffene Person (Menschen = Probanden (Gesunden) und Patienten), § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AMG, • wobei diese prüfteilnehmerbezogene Vertretbarkeit für Patienten in § 41 Abs. 1 S. 1 AMG durch eine individuelle oder direkt gruppenbezogene Nützlichkeit präzisiert wird, (2.) und • die ärztliche Vertretbarkeit der vorhersehbaren Risiken und Nachteile gegenüber der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde („Heilkundenutzen“), § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AMG (1.). Für Phase I-Prüfungen an Probanden22 kann es nur um die zweite Abwägung gehen, weil es keinen Nutzen des Arzneimittels für Gesunde gibt, weshalb sich dort die Abwägung nur auf den Heilkundenutzen beziehen kann.
1. Heilkundenutzen Die Abwägung Risiken für die betroffene Person gegen einen Heilkundenutzen setzt prinzipiell Unvergleichliches in Beziehung.23 Umschreibt man aber den Heilkundenutzen als die Behandlungschance für zukünftige Patienten und damit den Heilkundenutzen als potentiellen Patientennutzen, ist man jedenfalls auf dem Wege, individuelle Risiken mit einem potentiellen Gruppennutzen in Beziehung zu setzen und damit die Unvergleichlichkeit zu relativieren. Wenn man zusätzlich erkennt, dass selbst bei hochwertiger Evidenz aus kontrollierten klinischen Prüfungen die Kenntnis über Risiken relativ gering ist, dann weiß man, dass es sich 20
21
22
23
Überblick bei Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 230 ff m. umfassenden Angaben. Siehe auch Francke/Hart, Bewertungskriterien und -methoden nach dem SGB V, MedR 1/2008, 2-24, bes. 7 ff. Das gilt nicht für Phase I-Prüfungen in der Onkologie, die an Patienten durchgeführt werden. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 1317.
Nutzen und Risiko in klinischen Prüfungen von Arzneimitteln
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bei dieser Abwägung nur um „Plausibilitätsindizien“ handeln kann. Das ist bei bekannten Wirkstoffen/Arzneimitteln natürlich anders. Dass die Risikobelastung für (z. B. onkologische) Patienten bei Indikationen mit hohen Mortalitäts- und Morbiditätsraten, aber nur unzureichenden therapeutischen Angeboten wegen der Möglichkeit der Fortentwicklung der Behandlungschancen der Heilkunde (also für potentielle Patienten) höher sein darf als bei Indikationen mit befriedigenden Behandlungsangeboten, ist plausibel. Dass dies bei Probanden nicht vertretbar wäre, ebenso. Insofern lässt sich sagen, dass die Entdeckung bzw. Lückenschließung bei bisher fehlenden oder nur geringen Behandlungschancen („Innovationen“) ein höheres Maß an Risikobereitschaft legitimiert, als dies bei gesicherten Standardbehandlungen der Fall wäre. Insofern gehen Relevanzaspekte in die Bewertung ein. Die Formulierung „wenn und solange“ am Eingang von § 40 Abs. 1 S. 3 AMG erfordert die positive Bilanz beider Abwägungen nicht nur vor Beginn der klinischen Prüfung, sondern während ihres gesamten Verlaufs (permanente positive Bilanz).24 Es handelt sich gleichsam um die Etablierung der Pharmakovigilanz im klinischen Prüfrecht. Das impliziert, dass Verfahren vorgehalten werden, die geeignet sind, die Einhaltung dieses Erfordernisses auch zu gewährleisten. Insofern geht es nicht nur um das Ergebnis „positive Bilanz“, sondern auch um das Verfahren der Verlaufsbeobachtung und Erfolgskontrolle in der klinischen Prüfung und dessen effektive Institutionalisierung. Der Zugewinn an Wissen im Verlauf der klinischen Prüfung darf die Nutzen/Risiko-Bilanz nicht negativ werden lassen. Diesen Aspekt behandelt Abschnitt VI. Die Abwägung Risiko/Heilkundenutzen ist der Sache nach eher eine Relevanzbewertung der möglichen zukünftigen Arzneimittelbehandlung als eine eigenschaftsbezogene Nutzen/Risiko-Abwägung. Sie ist auch jenseits des Wissensdefizits über die Risiken durch hohe Bewertungsunsicherheit gekennzeichnet, weil der Vertretbarkeitsmaßstab auf einer sehr abstrakten Beziehungsebene ansetzt. Die Konsequenz aus dieser Situation kann nur lauten: konservative, vorsichtige Bewertung.
2. Patientennutzen Für die klinische Prüfung am Patienten muss entweder ein individueller Nutzen oder ein (allgemeiner) direkter Gruppennutzen gegeben sein („vertretbar“ = § 40 I 3 Nr. 2 AMG, „angezeigt“ = § 41 I 1 Nr. 1 AMG oder „für die Gruppe... verbunden“ § 41 I 1 Nr. 2 AMG). Nur wenn das Verhältnis zwischen Nutzen und Risiken positiv ist, also der prognostische Nutzen des Arzneimittels seine prognostischen Risiken überwiegt, darf die Prüfung durchgeführt und – bestätigt sich die Prognose – das Arzneimittel zugelassen werden. Die positive Nutzen/Risiko-Bilanz muss während des gesamten Verlaufs der klinischen Prüfung („wenn und solange“) gewährleistet sein; wird die Bilanz negativ, muss die Prüfung abgebrochen werden. 24
Kloesel/Cyran, § 40 AMG Anm. 45a, 47, 49.
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Die Abwägung zwischen (individuellem/allgemeinem) Nutzen und Risiken bewertet beide auf der Basis des gegebenen grundsätzlich unzureichenden, aber nach den typischen Prüfsituationen unterschiedlichen Wissens. Die prognostizierbare Nutzenchance muss die prognostizierbaren Risiken am Beginn der Prüfung und während ihrer Durchführung überwiegen. Das Maß der Vertretbarkeit (= positive Bilanz) ist bei grundsätzlich erforderlichen kontrollierten Studien grundsätzlich die existierende Standardbehandlung, ansonsten als add on zur Standardbehandlung oder die Nicht-Behandlung bei fehlender Standardbehandlung oder bei begründeter Abweichung eine andere (unkontrollierte) Studienform. Der Standard bildet das Maß des prognostisch zu erreichenden Nutzens und der prognostisch zu erreichenden Unschädlichkeit. Bei Phase IV-Studien und TOP mit ihren eher hochwertigen Wissensgrundlagen ist diese Bewertung relativ gut begründbar und bereitet keine erheblichen Schwierigkeiten, sofern tatsächlich eine Standardbehandlung gesichert ist – was bei onkologischen Studien ohne industriellen Sponsor nicht immer der Fall ist. Anders ist es häufig bei Phase II- und Phase III-Prüfungen. Während Phase III-Prüfungen überwiegend kontrolliert und randomisiert ablaufen, ist das bei Phase II-Prüfungen eher selten der Fall. Die kontrollierte Studie gegen Standard orientiert sich bei dem Vertretbarkeitsmaß an dem des Standards, weil sie dieses mindestens erreichen muss, um als Zulassungsstudie anerkannt zu werden. Die Ergebnisse der vorangehenden Phase II-Prüfung(en) geben erste relativ sichere Hinweise für die Erreichung dieses Ziels, weil Nutzen und Risiken in ihrem Verhältnis abschätzbar und vergleichbar werden. Die unkontrollierte Phase II-Prüfung kann auf solche Abwägungsdaten regelmäßig nicht zurückgreifen, sodass die Unsicherheit der (positiven) Bewertung am Beginn der Prüfung erheblich höher ist. Die Konsequenz aus dieser Situation kann auch hier nur lauten: konservative, vorsichtige Bewertung. Für bekannte Wirkstoffe/Arzneimittel, die in einer neuen Indikation, Darreichungsform usw. geprüft werden, kann evtl. auf die positiven Bewertungen jedenfalls in wenn auch bedingter Analogie zurückgegriffen werden, sodass eine gewisse Qualitätsbasis der abwägenden Bewertung gewährleistet ist. Insgesamt muss man also auch hinsichtlich der Qualität der Abwägungsbewertung bei der Prüfung am Patienten differenzieren. Je umfangreicher das empirische Material an Wissen und das normative Material an Bewertung, desto höher ist die Qualität der Bewertungsentscheidung „Zulassung“ der klinischen Prüfung.25 Das kann man tabellarisch folgendermaßen darstellen:
25
Ähnlich Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 299 ff.
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Wissen
Sicherheit
207
Abwägung
Qualität des Materials
ansteigend
ansteigend Unsicherheit
V. Die Unsicherheit im Wissen und bei der Bewertung Unsicherheit ist das grundlegende Dilemma der klinischen Arzneimittelprüfung, jener Bewältigung ihre Aufgabe.26 Abgesehen von den skizzierten Situationen des Vorhandenseins umfangreichen hochwertigen Wissens und hochwertiger Bewertungsdaten schafft die klinische Prüfung in ihrem Prozess erst die Daten, die erforderlich sind, um eine verlässliche Nutzen/Risiko-Abwägung zu ermöglichen, obwohl dies doch die Voraussetzung ihres Beginns unter dem Aspekt des Prüfteilnehmerschutzes wäre. Bis auf die eher seltenen Ausnahmefälle hat damit jede Nutzen/RisikoAbwägung im klinischen Prüfrecht einen hohen Unsicherheits- und Hypothesenanteil. Der Sache nach handelt es sich um Prognosen, die sich im Verlaufe der Prüfung bestätigen oder falsifizieren oder unsicher bleiben. Aus diesem Grunde verlangt die Sicherheit der Prüfpersonen die Orientierung der Prüfung am Gebot der konservativen Schätzung und Bewertung: je geringer das Wissen, desto höher die Risikoprognosen (Annahme Risiko hoch) und je unsicherer die Abschätzung, desto eher muss die Bewertung negativ ausfallen.
26
Pfeiffer, Güterabwägung in der klinischen Forschung, in: Sass/Viefhues (Hrsg.), Güterabwägung in der Medizin: ethische und ärztliche Probleme, 1991, 220 ff, 225; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 48 f, 233 f, 247 f, 258 ff.
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Die Wahrscheinlichkeit, dass im Prozess der Prüfung das Wissen und die Sicherheit der Nutzen/Risiko-Bewertung zunehmen, ist hoch. Die Probanden- und Patientensicherheit, denen das Prüfrecht verpflichtet ist, erfordern, dass die Prüfteilnehmer an diesem Wissens- und Sicherheitsgewinn während der klinischen Prüfung beteiligt werden: durch aktuelle Information, durch permanente Abschätzungsüberprüfung und durch institutionalisierte Kontrollen (Verfahrenskontrollen) beider. Das erste Prinzip konservativer Schätzung gilt vornehmlich für den Beginn der klinischen Prüfung („Zulassung“), das zweite der Beteiligung der Prüfpersonen am Wissens- und Sicherheitsgewinn für den Prozess ihrer Durchführung („Verfahren“).27 Aber auch das zweite Prinzip ist für die „Zulassungsentscheidung“ von erheblicher Relevanz, weil seine Institutionalisierung im Prüfplan und in der Praxis der Prüfung einen Einfluss auf die Abwägung von Nutzen und Risiken hat. Es scheint geeignet, das doppelte Unsicherheitsrisiko durch entsprechende Kontrollen unter Patientensicherheitsaspekten zu minimieren und damit die Chance der positiven Bestätigung der Prognosen und Hypothesen zu erhöhen.
VI. Kompensation von Unsicherheit durch Verfahrensvorgaben („Prozeduralisierung“) Es ist Inhalt der gesetzlichen Regelung der positiven Nutzen/Risiko-Bilanz am Beginn und während des gesamten Verlaufs der klinischen Arzneimittelprüfung, dass die Prüfung bei einer negativen Wendung ausgesetzt oder abgebrochen werden muss.28 § 7 Abs. 3 Nr. 17 GCP-V verlangt auch deshalb, im Antrag an die Ethikkommission „Kriterien für das Aussetzen oder die vorzeitige Beendigung der klinischen Prüfung“
vorzulegen. Jenes Schutzgebot bedarf einer verfahrensmäßigen Absicherung im Prüfplan in der Art einer „Pharmakovigilanz der klinischen Prüfung“, die dem Prüfer, dem Leiter der klinischen Prüfung (LkP) oder/und dem Sponsor obliegt. Der Sache nach geht es um ein Risikomanagement der klinischen Prüfung als permanenten Diskurs über Wissen, Bewertungen und Entscheidungen.29 Die Prüfpläne sind in dieser Hinsicht nur selten vorbildlich und manchmal nachlässig, weil das Gebot der permanenten Aufrechterhaltung einer positiven Nutzen/Risiko27 28
29
Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 310 ff, 317 ff. Hart, Heilversuch, Entwicklung therapeutischer Strategien, klinische Prüfung und Humanexperiment – Grundsätze ihrer arzneimittel-, arzthaftungs- und berufsrechtlichen Beurteilung, MedR 1994, 94-105, bes. 97; Klösel/Cyran, AMG § 40 Anm. 45a sowie § 41 Anm. 7, 8. Hart, Zur Rechtsverfassung der Kommunikation über Arzneimittelrisiken. Risikoinformation, Risikotransparenz, Risikomanagement, in: Hart/Kemmnitz/Schnieders (Hrsg.), Arzneimittelrisiken: Kommunikation und Rechtsverfassung, 1998, S. 139-171, bes. 141.
Nutzen und Risiko in klinischen Prüfungen von Arzneimitteln
209
Bilanz in der klinischen Prüfung in seinen institutionell-organisatorischen Anforderungen und Auswirkungen eher unterschätzt wird. Als Instrumente einer solchen institutionell-organisatorischen Gewährleistung von Patientensicherheit („Prozeduralisierung“) kommen beispielsweise in Betracht: • Festlegung und ständige Beobachtung einer im Prüfplan definierten Risikoschwelle oder einer Belastungsgrenze30 bzw. von Abbruchkriterien durch alle Prüfer; • diesbezügliche Berichtspflichten der Prüfärzte an den LkP und Festlegung von Eingreifsschwellen bzw. Abbruchkriterien für den LkP; • systematische Beobachtung der Berichte über unerwünschte Ereignisse und Nebenwirkungen durch den LkP; • Festlegung der Verfahrensweise bei einzelnen, nach bisherigen Erfahrungen am häufigsten zu erwartenden unerwünschten Ereignissen und Wirkungen; • (zeitliche, sachliche) Festsetzung von Zwischenauswertungen mit oder ohne Aufhebung der Verblindung; • Einrichtung eines (unabhängigen) data safety monitoring board mit einer genauen Bezeichnung seiner Aufgaben etwa in der Art der vorangehenden Aufzählung (z. B. periodische Prüfung der Daten nach Zeitpunkten des Empfangs der Studienmedikation und nach eingeschlossenen Patienten, Risikoschwelle, Verfahrenszuständigkeiten, Maßnahmenbündel); • Beobachtung der Entwicklung des medizinischen Standards der Behandlung während der klinischen Prüfung durch den LkP mit gegebenenfalls Reaktionspflichten (Information, Aussetzen, Abbruch), wenn sich dort prüfungsrelevante Änderungen für die Nutzen/Risiko-Abwägung ergeben. Empirisch werden grundsätzlich bei großen multizentrischen Studien viele dieser Instrumente eingesetzt. Ob und welche dieser Instrumente eingesetzt werden müssen, hängt von dem jeweiligen Typus der klinischen Prüfung, dem Stand des Wissens und der Qualität der Bewertungen über Nutzen und Risiken ab. Prinzipiell sind allerdings die Beobachtung des Standards, der Risikoschwelle, der unerwünschten Ereignisse und Wirkungen sowie die Festlegung von Aussetzungsoder/und Abbruchkriterien im Prüfplan zu gewährleisten, um die gesetzlichen Erfordernisse des klinischen Prüfrechts zu erfüllen. Ethikkommissionen müssen sich an diesen Maßstäben bei der Prüfung der vorgelegten Anträge orientieren.
30
Dazu unter VIII. Prüfung an Minderjährigen.
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VII. Kompensation von Unsicherheit durch Patienteninformation Nach § 40 Abs. 2 AMG ist die betroffene Person „über Wesen, Bedeutung, Risiken und Tragweite der klinischen Prüfung sowie über ihr Recht aufzuklären, die Teilnahme an der klinischen Prüfung jederzeit zu beenden; …“
Es handelt sich – jedenfalls auch – um die informationelle Seite der Nutzen/Risiko-Abwägung. Der Prüfteilnehmer muss in den Stand versetzt werden, Nutzen und Risiken der Teilnahme an der klinischen Prüfung gegen den Verlauf, Nutzen und Risiken der Nichtteilnahme abzuwägen, also eine eigenständige informierte Entscheidung auf der Basis verständlicher, umfassender und wahrheitsgemäßer Information zu treffen. Die Anforderungen an die Aufklärung sind bei der klinischen Prüfung gegenüber der individuellen ärztlichen Behandlung erheblich gesteigert.31 Die Aufklärung hat insofern die Unsicherheit32 des Wissens und der Bewertung von Nutzen und Risiken am Beginn zu umfassen, weshalb eine Entscheidung des BGH zur Aufklärung beim individuellen Heilversuch33 ebenso als Beleg für dieses Erfordernis gelten kann wie die Robodoc-Entscheidung34, die eine Aufklärung über die Möglichkeit unbekannter Risiken bei Neulandbehandlungen konstatiert. Beide Entscheidungen sind Konsequenz des Gebotes „im Zweifel Risiko ja“, das auf der Informationsebene Befolgung erheischt: Die Möglichkeit eines Risikos erfordert die Aufklärung darüber. Deshalb ist bei der Aufklärung nicht zu beschönigen, sondern vom „worst case“ auszugehen. Die mögliche Chance der Teilnahme an der Prüfung legitimiert keinesfalls die Relativierung ihrer Risiken in der Aufklärung – es gibt kein „ärztliches Privileg“ oder „humanitäres Prinzip“ im Interesse der Durchführung einer klinischen Prüfung.35 31
32 33
34
35
Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 1318; Hart, Aufklärung bei der Arzneimittelbehandlung, in: Rieger (Hrsg.), Lexikon des Arztrechts, 2. Aufl. 2002, Stand Mai 2008, BVZ 643, Rdnr. 8, 12, 13; siehe auch früher ders., Arzneimitteltherapie und ärztliche Verantwortung, 1990, S. 145 ff. So im Ansatz auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 1318. BGHZ 172, 1 – Aufklärung beim Heilversuch = NJW 2007, 2767 = VersR 2007, 995 = GesR 2007, 311 = MedR 2007, 653 = JZ 2007, 1104 m. Anm. Katzenmeier 1108 ff; dazu auch Hart, Arzthaftung wegen Behandlungs- und Aufklärungsfehlern im Zusammenhang mit einem Heilversuch mit einem neuen, erst im Laufe der Behandlung zugelassenen Arzneimittel, MedR 2007, 631 ff. BGHZ 162, 320 = NJW 2006, 2477 = MedR 2006, 650; dazu B. Buchner, Der Einsatz neuer medizinischer Behandlungsmethoden – ärztliche Aufklärung oder präventive Kontrolle?, VersR 2006, 1460 ff. Deutsch vertritt das humanitäre Prinzip im Rahmen der individuellen Behandlung für eng begrenzte Fallgruppen, vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 321-325; im
Nutzen und Risiko in klinischen Prüfungen von Arzneimitteln
211
Diese Anforderungen an die Aufklärung gelten aber nicht nur am Beginn, sondern ebenso über den gesamten Verlauf der klinischen Prüfung. Gelegentlich spricht man auch heute noch von Trendaufklärung.36 Ergeben sich während der klinischen Prüfung einwilligungsrelevante Änderungen der Prüfsituation, so sind diese Gegenstand der Studienverlaufsaufklärung. Einwilligungsrelevant sind Änderungen, die die Entscheidung des Patienten über die weitere Studienteilnahme beeinflussen können, also etwa • Veränderungen des medizinischen Standards, der in der Prüfung zugrunde gelegt wurde, in Form der Steigerung des Nutzens oder der Verringerungen der Risiken der Behandlung oder • sichtbar werdende erhebliche Nutzensteigerung oder Risikosenkung in der Behandlungsgruppe gegenüber der Kontrollgruppe oder umgekehrt oder • das auffällige Auftreten von unerwünschten Ereignissen oder Wirkungen, auch ohne dass dadurch die Nutzen/Risiko-Bilanz negativ würde.37 Das „wenn und solange“ des Überwiegens des Nutzens über die Risiken während des gesamten Verlaufs der klinischen Prüfung (§ 40 Abs. 1 S. 3 AMG) findet seine Entsprechung in der Aufklärung über diese Bedingung als Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einwilligung über den gesamten Verlauf der klinischen Prüfung. Die Patienteninformation muss auf dem Stand der Entwicklung des Wissens und Bewertens in der klinischen Prüfung sein. Das Recht, „die Teilnahme an der klinischen Prüfung jederzeit zu beenden“ setzt informationell voraus, über den jeweiligen Stand des Wissens und der Bewertungen in der klinischen Prüfung „auf dem Laufenden“ zu sein – ansonsten wäre es gegenstandslos. Im Prozess der klinischen Prüfung sind der Prozess der Entwicklung von Wissen und Bewertungen mit dem Prozess der Patienteninformation in Gleichklang zu halten. Die Wirksamkeit der Einwilligung über den gesamten Prozess der Prüfung erfordert die Aktualität der Aufklärung über ihre Nutzen und Risiken.38
36
37
38
klinischen Prüfrecht ist eine diesbezügliche Norm im früheren § 41 Nr. 7 AMG, der in der 12. AMG-Novelle entfallen ist, enthalten gewesen, der wortgleich von Deutsch im Kapitel über klinische Prüfungen als Legitimation für das auch dort behauptete humanitäre Prinzip „zitiert“ wird, a.a.O. Rdnr. 1334. § 41 Abs. 1 S. 2 AMG kann als Beleg für das humanitäre Prinzip nicht herangezogen werden, weil die Notfallsituation gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Einwilligung nicht eingeholt werden kann. Sie ist deshalb konsequenterweise gemäß § 41 Abs. 1 S. 3 AMG einzuholen („wenn dies möglich und zumutbar ist“; diese Formulierung bezieht sich auf die individuelle Konstitution des Patienten). Siehe schon früher Hart, Arzneimitteltherapie und ärztliche Verantwortung, S. 136, 151; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 383 ff, 404 ff. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 1321; dazu Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 401 f. Deutsch verneint diese Verpflichtung in der Tendenz, Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rdnr. 1321, obwohl sich diese Verpflichtung zur Aufklärung in der Praxis durchgesetzt hat und in allen Patienteninformationen als Standard formuliert wird. Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 388.
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Die Einwilligung nach Aufklärung kann eine negative Nutzen/Risiko-Bilanz nie kompensieren.
VIII. Die Arzneimittelprüfung an Kindern und Jugendlichen § 40 Abs. 4 Nr. 4 AMG ist eine besonders auf die Risikoseite bezogene Ausprägung der Voraussetzung einer positiven Nutzen/Risiko-Bilanz; er gilt prinzipiell für alle klinischen Prüfungen von Arzneimitteln an Minderjährigen.39 „Die klinische Prüfung darf nur durchgeführt werden, wenn sie für die betroffene Person mit möglichst wenig Belastungen und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden ist; sowohl der Belastungsgrad als auch die Risikoschwelle müssen im Prüfplan eigens definiert und vom Prüfer ständig überwacht werden.“
Der erste Halbsatz wird in § 41 Abs. 2 S. 1 Nr. 2d AMG für Minderjährige bei Prüfungen mit direktem Gruppennutzen spezifiziert, indem für die Prüfung an Patienten das „möglichst wenig Belastungen …“ durch „minimales Risiko und minimale Belastung“ ersetzt wird. Was eine minimale Belastung und ein minimales Risiko sind, wird in § 41 Abs. 2 S. 1d AMG und parallel dazu an einer anderen Stelle, in Art. 17 Zusatzprotokoll über biomedizinische Forschung zum Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates40 definiert. In den beiden großen AMG-Kommentaren41 findet sich zum einen eine wörtliche Wiederholung des Gesetzestextes, zum anderen der Hinweis auf die Herkunft des Gesetzestextes aus der GCP-Richtlinie 2001/20/EG vom 4. April 2001, die die Grundlage für das neue Prüfrecht nach der 12. AMG-Novelle war. Es heißt dort in Art. 4 lit. g:
39
40
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Anders wohl Sander, Erl. § 41 AMG Nr. 8, der allerdings aufgrund des „Verweises“ auf § 40 Abs. 1 - 4 AMG in § 41 Abs. 2 S. 1 AMG zum selben Ergebnis kommt. Systematisch bezieht sich nur § 40 Abs. 4 Nr. 1 AMG auf die Prüfung von Diagnostika und Prophylaktika an gesunden Minderjährigen, die übrigen Regelungen des § 40 Abs. 4 wie der gesamte § 40 AMG auf Menschen, also Gesunde und Kranke. Europarat, Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin über biomedizinische Forschung (englische Fassung), SEV-Nr.: 195, zur Unterzeichnung ausgelegt seit 25.01.2005. Die Formulierung „minimal risk/minimal burden“ findet sich schon in Art. 17 Abs. 2 lit. ii Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin, SEV-Nr. 164. Kloesel/Cyran, § 40 AMG Anm. 114; Sander, Erl. § 40 AMG Nr. 44; zur GCP-RiLi A. Laufs, Die neue europäische Richtlinie zur Arzneimittelprüfung und das deutsche Recht, MedR 2004, 583-593, bes. 588 ff.
Nutzen und Risiko in klinischen Prüfungen von Arzneimitteln
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„.. darf eine klinische Prüfung an Minderjährigen nur durchgeführt werden, wenn … g) die klinischen Prüfungen so geplant sind, dass sie unter Berücksichtigung der Erkrankung und des Entwicklungsstadiums mit möglichst wenig Schmerzen, Beschwerden, Angst und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden sind; sowohl die Risikoschwelle als auch der Belastungsgrad müssen eigens definiert und ständig überprüft werden; …“
In der Kommentierung Kloesel/Cyran42 heißt es dann: „Diese Forderung sollte als Grundsatz für jede klinische Prüfung auch an Volljährigen gelten.“ Die Änderung der Teilformulierung von § 40 Abs. 4 Nr. 4 AMG in § 41 Abs. 2 S. 1d AMG soll laut Gesetzesbegründung die Ethikkommission und die Bundesoberbehörde zu einer besonders gründlichen Überprüfung der Nutzen/Risiko-Bilanz bei Prüfungen an minderjährigen Patienten anhalten.43 Die Besonderheit der Regelungen besteht einerseits in ihrer Prozessorientierung („Prozeduralisierung“), die jeweils in den letzten Halbsätzen zum Ausdruck kommt und insofern mit den hiesigen Ausführungen zu den Verfahrensvorgaben (VI.) zusammenpasst.44 Die Norm hat das Ziel, die Anforderungen an den Probanden- und Patientenschutz bei Minderjährigen in besonderer Weise zu präzisieren. Belastungsgrenze und Risikoschwelle sind Umschreibungen für eine bei Minderjährigen besonders intensive und betonte Nutzen/Risiko-Abwägung unter Risikovorsorgegesichtspunkten. Belastungsgrenze und Risikoschwelle sollen durch ihre präzise „Festlegung“ dazu dienen, den Prozess der Beobachtung von Nutzen und Risiken während der klinischen Prüfung an Minderjährigen in Permanenz und durch eindeutige Kriterienbildung zu organisieren und den Prüfärzten das Schutzziel als ständige Aufgabe vor Augen halten. Die Besonderheit der Regelungen besteht andererseits in einer Art „Stoppregel“: die Grenze und Schwelle gelten absolut. Sie dürfen auch dann nicht überschritten werden, wenn sich ein vorher nicht prognostizierter (Zusatz-)Nutzen während der Prüfung zeigen sollte.45 Über die quantitative oder qualitative Festlegung solcher Schwellen besteht nach unserer Kenntnis kaum Erfahrung und keine Routine. Beide Varianten erscheinen möglich. Quantitativ könnte man daran denken, eine bestimmte Intensität und Häufigkeit des Auftretens von unerwünschten Wirkungen oder das Auftreten bestimmter unerwünschter Wirkungen ähnlich der Festlegung von Abbruchkriterien als Schwelle und Grenze zu formulieren, womit für den Fall ihres Überschreitens die Nutzen/Risiko-Abwägung negativ würde. Zur Orientierung wäre es für Ethikkommissionen hilfreich und wünschenswert, eine Skalierung oder Graduierung jedenfalls von minimalen Belastungen und minimalen Risiken für therapeutische Studien (§ 41 Abs. 2 S. 1d AMG) zu haben,
42 43
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Kloesel/Cyran, § 40 AMG Anm. 114. Entwurf eines zwölften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, BT-Drs. 15/2109, S. 31 f. In diese Richtung auch Eck, Die Zulässigkeit medizinischer Forschung mit einwilligungsunfähigen Personen und ihre verfassungsrechtlichen Grenzen, 2005, S. 108 f, 128, 328 f. Entwurf eines zwölften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, BT-Drs. 15/2109, S. 31 f; vgl. auch die Formulierungen in Art. 15 Abs. 2 lit. ii Zusatzprotokoll.
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die auf einem Konsens in der pädiatrischen Fachgesellschaft46 beruhten.47 Die prozessorientierte, qualitative Variante („Prozeduralisierung“) erscheint ebenso geeignet, die Schutzziele zu erfüllen, am besten in Kombination mit einer quantitativ-absoluten Festlegung eines Maßes. Der Prüfplan soll also eine Belastungsgrenze und eine Risikoschwelle festlegen, die als Kontrollkriterien eine permanente Aufgabe der Prüfärzte prozesshaft organisieren. Es wird auf diese Weise mindestens ein Aufmerksamkeitssignal generiert, bei dessen „Leuchten“ auf der Ebene der gesamten Prüfung die Mechanismen in Gang gesetzt werden, die nach eingehender Analyse und Bewertung durch den LkP und der sonstigen Institutionen der Überwachung in der Folge zum Umkippen der Nutzen/Risiko-Bilanz und damit zum Ruhen oder Abbruch der Prüfung führen können. Bei klinischen Prüfungen an Minderjährigen müssen deshalb alle unter VI. genannten Instrumente eingesetzt werden, um einen angemessenen Schutz von Probanden und Patienten zu gewährleisten.
IX. Leitlinien für Ethikkommissionen Wichtige Zentren der Arbeit der Ethikkommissionen bei der Beurteilung der Anträge auf zustimmende Bewertung von klinischen Prüfungen von Arzneimitteln48 sind die Relevanz der Prüfung49, die umfassende Nutzen/Risiko-Abwägung und die Aufklärung und Einwilligung der betroffenen Personen. Diese Bewertungen entscheiden über das Verhältnis von Innovation, Bewährung und Schutz bei medizinischen Behandlungen. Das Verhältnis von Autonomie, als Entscheidung für Risikogeneigtheit und Schutz, als Entscheidung für Risikovorsorge sollte nicht auf dieser Ebene des systematischen, sondern der des individuellen Heilversuchs bestimmt werden – der systematische Heilversuch in der Form der klinischen Arzneimittelprüfung ist nicht der Ort für individuelle Entscheidungen über Heilexperimente, die wegen der individuellen Autonomielegitimation ohne vorangehende Absicherungen im Wissen und Bewerten erfolgen dürfen.50 Im Folgenden werden Prinzipien für die Analyse, Beurteilung und Entscheidung der Ethikkommissionen über die Bewertung von Anträgen auf zustimmende Bewertung von klinischen 46 47
48
49
50
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). Siehe insgesamt Seyberth, Arzneimittel in der Pädiatrie: Ein Paradigmenwechsel bahnt sich an, Dt Ärztebl 2008; 105(27): A-1497-1499, bes. 1499 die Forderung, kindgerechte Studien zu entwickeln und durchzuführen. Siehe zu diesem Abschnitt und zu den Schritten der Nutzen/Risiko-Abwägung demnächst Hüppe/Raspe, Analyse und Abwägung von Nutzen- und Schadenpotenzialen aus klinischer Forschung, in: Boos/Merkel/Raspe/Schöne-Seifert (Hrsg.). Nutzen und Schaden aus klinischer Forschung am Menschen. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln (erscheint Ende 2008) und Raspe/Hüppe/Steinmann, Empfehlungen zur Begutachtung klinischer Studien durch Ethik-Kommissionen, S. 51-53. Art. 6 Abs. 3 lit. a GCP-RiLi; § 7 Abs. 3 Ziff. 1 GCP-V. In diesem Zusammenhang ist die Unterrichtungspflicht der zuständigen Bundesoberbehörde zu anderen klinischen Prüfungen nach § 42 Abs. 2a AMG von erheblicher Bedeutung. Siehe dazu Hart, Heilversuch, MedR 1994, 94-105.
Nutzen und Risiko in klinischen Prüfungen von Arzneimitteln
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Arzneimittelprüfungen formuliert, die sich insbesondere auf die drei genannten Zentren ihrer Arbeit beziehen. • Nutzen/Risiko-Bewertung und Aufklärung vor Einwilligung vor und während der klinischen Prüfung stehen in einem gegenseitigen Ergänzungs-, nicht Ersetzungsverhältnis. • Für die Nutzen/Risiko-Bewertung sind der Stand des Wissens über beide und die Bewertungen über ihr Verhältnis gründlich zu überprüfen, nachzufragen und gegebenenfalls zu erforschen. • Voraussetzung dafür ist u. a. die Klärung der Frage, ob es einen Standard der Behandlung für diese Indikation gibt, wie sein Nutzen/Risiko-Profil beschaffen ist und ob und wie er in der Studie und in der Patienteninformation berücksichtigt ist. • Ein positives Votum der Ethikkommission setzt voraus, dass die Nutzen/Risiko-Bilanz der Studienbehandlung der Standard-Behandlung mindestens gleichwertig ist. • Ein positives Votum der Ethikkommission setzt voraus, dass der Nutzen der Studienbehandlung ihre Risiken überwiegt. • Für die Beurteilung der beiden letzten Voraussetzungen sollte möglichst hochwertige Evidenz herangezogen werden, wobei zwischen den Anforderungen an die Feststellung des Nutzens (möglichst hochwertig) und an die der Risiken (Verdacht reicht wegen der Geltung des Vorsorgeprinzips aus) unterschieden werden muss.51 • Es müssen im Prüfplan verfahrensmäßige Vorgaben enthalten sein, die eine Verlaufsbeobachtung und Erfolgskontrolle hinsichtlich des Überwiegens des Nutzens gegenüber den Risiken während des gesamten Prozesses der klinischen Prüfung gewährleisten. • Für Prüfungen an Minderjährigen gelten je nach Studienart (nichttherapeutisch/therapeutisch) und Nutzencharakteristik (Individualnutzen/direkter Gruppennutzen) unterschiedliche Zusatzanforderungen hinsichtlich Belastungen und Risiken, aber gleichermaßen sind (quantitativ und/oder qualitativ) Belastungsgrenzen und Risikoschwellen im Prüfplan festzulegen und durch die Ethikkommission auf ihre Angemessenheit zu überprüfen. • Es sind institutionell-organisatorische Vorgaben hinsichtlich der Überprüfung der Nutzen/Risiko-Bilanz vorzusehen. Dies gilt für Prüfungen an Minderjährigen verstärkt. Es ist besondere Aufmerksamkeit bei der Überprüfung solcher Mechanismen erforderlich. • Die Einwilligung nach Aufklärung kann eine negative Nutzen/Risiko-Bilanz keinesfalls kompensieren. • Die Einwilligung setzt eine umfassende Aufklärung der betroffenen Personen voraus. Sie ist sowohl vor Beginn der klinischen Prüfung wie während des gesamten Verlaufs zu gewährleisten („Studienverlaufsaufklärung“). 51
Ausführlich Francke/Hart, Bewertungskriterien und -methoden nach dem SGB V, MedR 1/2008, 2-24, bes. 5 ff.
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• Während der klinischen Prüfung sind der Prozess der Entwicklung von Wissen und Bewertungen über Nutzen und Risiken mit dem Prozess der Patienteninformation in Gleichklang zu halten, um das Recht auf einen jederzeitigen Widerruf der Einwilligung informationell zu gewährleisten. • Das „wenn und solange“ des Überwiegens des Nutzens über die Risiken während des gesamten Verlaufs der klinischen Prüfung (§ 40 Abs. 1 S. 3 AMG) findet seine Entsprechung in der Aufklärung über diese Bedingung als Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einwilligung über den gesamten Verlauf der klinischen Prüfung. Das Spannungsverhältnis löst sich auf im rechtlich verfassten Prozess von Nutzen/Risiko-Bilanzierung und Aufklärung sowie seiner verfahrensmäßigen Kontrolle. Die Ethikkommission kann sein Steuerungszentrum sein.
Verantwortung der sachkundigen Person nach § 14 AMG
Horst Hasskarl
I. Einführung Das deutsche Arzneimittelrecht befasst sich mit den großen Komplexen „Entwicklung und Prüfung von Arzneimitteln nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“, der „Herstellung und Qualitätskontrolle von Prüfpräparaten und zugelassenen Arzneimitteln“, der „Zulassung von Arzneimitteln“, dem “Inverkehrbringen von Arzneimitteln“, der „Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken (Pharmakovigilanz)“, der „Werbung für Arzneimittel“, und der „Überwachung von Arzneimitteln“ durch die zuständigen Behörden. In allen genannten Bereichen hat der Gesetzgeber es für erforderlich gehalten, persönliche Verantwortungsträger zu benennen, deren Tätigwerden von einer bestimmten Sachkunde abhängig zu machen und diese mit einem gesetzlich definierten Aufgaben- und Verantwortungsbereich zu versehen. Im Bereich der Entwicklung und Prüfung sind dies der für die pharmakologisch-toxikologische Prüfung verantwortliche Wissenschaftler (§ 40 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 Arzneimittelgesetz – AMG1 ) und ein Hauptprüfer oder Leiter der klinischen Prüfung (§ 40 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 AMG), im Bereich der Herstellung und Qualitätskontrolle die sachkundige Person nach § 14 AMG (Abs. 1 Nr. 1, 19 AMG), häufig Qualified Person, QP genannt, der Leiter der Herstellung und der Leiter der Qualitätskontrolle (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 AMG in Verbindung mit § 12 Abs. 1 der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung – AMWHV2), die verantwortliche Person nach § 20c AMG, die für die Lagerung verantwortliche Person (§ 7 Abs. 5 AMWHV), im Bereich der Zulassung und des Inverkehrbringens von Arzneimitteln der Stufenplanbeauftragte gem. § 63a und der Informationsbeauftragte gem. § 74a AMG und im Bereich des Großhandels mit Arzneimitteln eine verantwortliche Person (§ 52a Abs. 2 Nr. 3 AMG). Allen benannten Verantwortungsträgern ist gemeinsam, dass 1
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I.d.F. der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631). Vom 3. November 2006 (BGBl. I S. 2523), geändert durch Verordnung vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 521).
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sie die jeweils umschriebene Sachkunde sowie die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen müssen. Diese Personen sind der zuständigen Behörde, also der jeweiligen Landesbehörde, gegenüber zu benennen; Wechsel sind entsprechend anzuzeigen. Der Gesetzgeber hätte sich damit begnügen können zu verlangen, dass die Anforderungen an die jeweiligen Tätigkeiten in den Bereichen abstrakt durch den Entwickler, Hersteller, Inverkehrbringer und Werbung betreibenden Unternehmer, also durch die Einrichtung oder den Betrieb, der auf dem Gebiet rechtlich tätig ist, zu gewährleisten sind, wie auch immer er das intern organisiert. Er hat sich im Laufe der Jahrzehnte jedoch zunehmend dazu entschlossen zu fordern, dass sachkundige Personen der zuständigen Behörde namentlich bekannt zu geben sind und der Behörde, der Exekutive, die Gelegenheit gegeben wird, jeweils die Sachkundevoraussetzungen für die einzelnen Funktionen zu überprüfen. Es hat also im Arzneimittelrecht eine starke Personalisierung der Verantwortung stattgefunden, wodurch zugleich die Überwachung durch die zuständige Behörde deutlich vereinfacht wurde. Dies geht natürlich einher mit der Verpflichtung des verantwortlichen Betriebs zur Vorlage von Unterlagen, aus denen sich die Sachkunde – und auch die Zuverlässigkeit der Verantwortungsträger – ergibt. Der Betrieb, in der Regel eine juristische Person, bleibt trotz der von ihm zu benennenden persönlichen Verantwortungsträger selbstverständlich der rechtliche Zentraladressat arzneimittelrechtlicher Verpflichtungen. In besonderem Maße galt die Verantwortungspersonalisierung schon seit dem Inkrafttreten des heutigen AMG am 1. Januar 19783 für den Bereich Herstellung und Qualitätskontrolle. Voraussetzung für die Erteilung einer Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG war das Vorhandensein einer Person mit der erforderlichen Sachkenntnis, unter deren Leitung die Arzneimittel hergestellt werden sollen (Herstellungsleiter), einer Person mit der erforderlichen Sachkenntnis, unter deren Leitung die Arzneimittel geprüft werden sollen (Kontrollleiter), und einer Person – ohne Sachkenntnis –, unter deren Leitung die Arzneimittel vertrieben werden sollen (Vertriebsleiter). Diese in § 14 Abs. 1 AMG enthaltenen personellen Voraussetzungen wurden um die Sachkenntnisvoraussetzungen in § 15 AMG ergänzt.
II. Gesetzlicher Werdegang Die bis zum Inkrafttreten der 14. AMG-Novelle am 6. September 20054 geforderte personelle Verantwortungsdreiheit von Herstellungsleiter, Kontrollleiter und Vertriebsleiter wurde durch diese Novelle beseitigt. Es wurde jetzt für eine Herstellungserlaubnis das Vorhandensein einer sachkundigen Person nach § 14 sowie eines Leiters der Herstellung und eines Leiters der Qualitätskontrolle gefordert. Der Vertriebsleiter entfiel als eigenständiger Verantwortungsträger.
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Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24. August 1976 (BGBl. I S. 2445). 14. Gesetz zur Änderung des AMG vom 29. August 2005 (BGBl. I S. 2570).
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Vorausgegangen war jedoch eine bereits im Rahmen der Betriebsverordnung für Pharmazeutische Unternehmer eingeführte Änderung5. Erstmalig erschien in § 7 (Freigabe) der Pharmabetriebsverordnung das Erfordernis, dass der Kontrollleiter oder eine gleich qualifizierte Person (sachkundige Person) zu bestätigen hat, dass die Arzneimittelcharge ordnungsgemäß nach den geltenden Rechtsvorschriften und bei den zugelassenen Arzneimitteln entsprechend denen der Zulassung sowie bei Prüfpräparaten entsprechend den der Genehmigung der klinischen Prüfung zugrunde gelegten Anforderungen hergestellt und geprüft wurde. Damit enthielt der Begriff der Freigabe erstmalig eine gesetzliche Definition.6 Obwohl in § 7 Abs. 1 Satz 1 PharmBetrVO also bereits durch die 12. AMG-Novelle die sachkundige Person im Wege einer Legaldefinition eingeführt wurde, verblieb es hinsichtlich der personellen Anforderungen im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Herstellungserlaubnis nach § 14 AMG zunächst bei dem Erfordernis eines Herstellungsleiters, Kontrollleiters und Vertriebsleiters. Dieser Zustand hat sich durch die 14. AMG-Novelle7 geändert. Jetzt wurde § 14 Abs. 1 AMG in seinen Nummern 1 bis 4 vollständig novelliert. Zum ersten Mal befand sich nunmehr die Legaldefinition der Sachkundigen Person nicht mehr nur in der Pharmabetriebsverordnung (§ 7), sondern im AMG selbst. Die Vorschrift lautete und lautet noch heute: § 14 Entscheidung über die Herstellungserlaubnis (1) „Die Erlaubnis darf nur versagt werden, wenn 1. nicht mindestens eine Person mit der nach § 15 erforderlichen Sachkenntnis (sachkundige Person nach § 14) vorhanden ist, die für die in § 19 genannten Tätigkeiten verantwortlich ist, …“
Damit wurden zugleich der Herstellungsleiter (bisher § 14 Abs.1 Nr. 1 AMG a.F.), der Kontrollleiter (bisher § 14 Abs. 1 Nr. 2 AMG a.F.) und der Vertriebsleiter (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 AMG a.F.) abgeschafft. Zugleich entfielen auch die bisher in § 19 Abs. 1, 2 und 3 AMG gesetzlich definierten Verantwortungsbereiche dieser Verantwortungsträger. In § 19 AMG wird seitdem lediglich der Verantwortungsbereich der sachkundigen Person nach § 14 definiert. Die Vorschrift lautet: § 19 Verantwortungsbereich(e) „Die sachkundige Person nach § 14 ist dafür verantwortlich, dass jede Charge des Arzneimittels entsprechend den Vorschriften über den Verkehr mit Arzneimitteln hergestellt und geprüft wurde. Sie hat die Einhaltung dieser Vorschriften für jede Arzneimittelcharge in einem fortlaufenden Register oder einem vergleichbaren Dokument vor deren Inverkehrbringen zu bescheinigen.“
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Art. 3 des 12. Gesetzes zur Änderung des AMG vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 2031). Zu der Rolle dieser sachkundigen Person nach damaligem Recht s. Hasskarl/Ziegler, Rechtliche Verantwortung und Aufgaben der sachkundigen Person, in: Pharma Recht 2005, S. 15 ff. S. Fußnote 4.
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III. Europarechtliche Einbettung Durch die 14. AMG-Novelle hat der deutsche Gesetzgeber endlich das nachvollzogen, was durch das EG-Richtlinienrecht seit langem vorgeschrieben war.8 Die Richtlinie 75/319/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten9 forderte bereits seit 1977 für die Herstellungserlaubnis das ständige und ununterbrochene Vorhandensein von mindestens einer sachkundigen Person (Art. 21 Abs. 1). Diese Person musste die Qualifikationsvoraussetzungen erfüllen, die im Einzelnen in der gleichen Richtlinie festgelegt wurden (Art. 23). Diese sachkundige Person muss danach mindestens 2 Jahre auf dem Gebiet der qualitativen Analyse von Arzneimitteln, der quantitativen Analyse der wirksamen Bestandteile sowie der Versuche und Prüfungen tätig gewesen sein, die erforderlich sind, um die Qualität der Arzneimittel zu gewährleisten. Diese Tätigkeit musste in einem Betrieb abgeleistet werden, der über eine Herstellungserlaubnis verfügt (Art. 23b). Die Richtlinie 75/319/EWG wurde bekanntlich durch die für das Arzneimittelrecht in Europa zentral wichtige Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel vom 6. November 200110 ersetzt. Dieses als Gemeinschaftskodex und damit als das „europäische AMG“ zu bezeichnende Normenwerk enthält nunmehr in den Artikeln 40 bis 53 zusammenfassend die normativen Anforderungen für die Erteilung einer Herstellungserlaubnis bzw. einer Importerlaubnis. Darin ist – wie zuvor in der Richtlinie 75/319/EWG – das Erfordernis einer sachkundigen Person enthalten (Art. 49); der Aufgaben- und Verantwortungsbereich ist in Art. 51 der Richtlinie 2001/83/EG umschrieben. Erst durch die 14. AMG-Novelle – und also mit achtundzwanzigjähriger Verspätung – wurden diese Bestimmungen insoweit in das deutsche Arzneimittelrecht transponiert und wurde die Rechtsfigur der sachkundigen Person nach § 14 AMG auf Gesetzesebene geschaffen.
IV. Die Sachkenntnis der sachkundigen Person Wie sich dem bereits zitierten § 14 Abs. 1 Nr. 1 AMG entnehmen lässt, muss die sachkundige Person die nach § 15 AMG erforderliche Sachkenntnis besitzen. Diese Bestimmung lautet: § 15 Sachkenntnis (1) Der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis als sachkundige Person nach § 14 wird erbracht durch 1. die Approbation als Apotheker oder 8
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S. die Gesetzesbegründung in Bundestagsdrucksache 15/5316 vom 20. April 2004 (elektronische Fassung), S. 85. Amtsblatt Nr. L 147 vom 9. Juni 1975, S. 13. ABl. EG Nr. L 311/67 vom 28. November 2001, zuletzt geändert durch Richtlinie 2008/29/EG vom 11. März 2008, ABl. EU Nr. L81/51 vom 20. März 2008.
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2. das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem Hochschulstudium der Pharmazie, der Chemie, der Biologie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung sowie eine mindestens zweijährige praktische Tätigkeit in der Arzneimittelprüfung.
Soweit es sich bei der sachkundigen Person nach § 14 nicht um einen approbierten Apotheker handelt, sondern um einen Pharmazeuten, Chemiker, Biologen, Humanmediziner oder Veterinärmediziner, müssen die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 AMG zusätzlich erfüllt sein. Dies bedeutet ausreichende nachweisbare Kenntnisse in Experimenteller Physik, Allgemeiner und Anorganischer Chemie, Organischer Chemie, Analytischer Chemie, Pharmazeutischer Chemie, Biochemie, Physiologie, Mikrobiologie, Pharmakologie, pharmazeutischer Technologie, Toxikologie und Pharmazeutischer Biologie. Soweit es sich um die zuvor genannten Berufsgruppen und die Sachkunde für Blutzubereitungen, Sera und Impfstoffe handelt, sind Kenntnisse für diesen Personenkreis in den zusätzlichen zwölf Fächern des § 15 Abs. 2 AMG nicht erforderlich. In einer differenzierenden Weise legt § 15 Abs. 3 und Abs. 3a AMG für diese und andere Fälle besondere Anforderungen fest, die u.a. auch transfusionsmedizinische Erfahrungen umfassen. Fraglich kann sein, was unter einer praktischen Tätigkeit in der „Arzneimittelprüfung“ zu verstehen ist. Eine Auslegungshilfe bietet hier § 17 Abs. 1 Satz 3 AMWHV. Danach soll die Prüfung „neben der vollständigen qualitativen und quantitativen Analyse, insbesondere der Wirkstoffe, auch alle sonstigen Überprüfungen erfassen, die erforderlich sind, um die jeweilige Produktqualität zu gewährleisten“. Diese Bestimmung zielt zwar auf die erforderliche Arzneimittelprüfung ab, die erfolgen muss, wenn das Arzneimittel importiert und in Deutschland geprüft wird. Da § 17 Abs. 1 Satz 2 AMWHV aber ausdrücklich auf § 14 AMWHV hinsichtlich der Prüfung verweist und § 14 AMWHV die Anforderungen an die erforderliche Qualitätskontrolle enthält, ist erkennbar, dass die Arzneimittelprüfung im Sinne des § 15 Abs. 1 AMG die qualitative und quantitative Analyse von Arzneimitteln und Wirkstoffen umfasst. Dies lässt sich auch Art. 49 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG, dem Gemeinschaftskodex, entnehmen. Die Bestimmung lautet: Art. 49 Abs. 3 Die sachkundige Person muss mindestens zwei Jahre in einem oder mehreren Unternehmen, denen eine Herstellungserlaubnis erteilt wurde, auf dem Gebiet der qualitativen Analyse von Arzneimitteln, der quantitativen Analyse der wirksamen Bestandteile sowie der Versuche und Prüfungen, die erforderlich sind, um die Qualität der Arzneimittel zu gewährleisten, tätig gewesen sein.
Auch wenn der Begriff der Arzneimittelprüfung – im Gegensatz zum Begriff der Herstellung, vgl. § 4 Abs. 14 AMG – nicht legal definiert ist, stellt das Zurückge-
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hen auf die umzusetzende und umgesetzte Richtlinie 2001/83/EG eine sachgerechte Auslegungshilfe dar.11 Erstaunlicherweise ist in dem legal definierten Verantwortungsbereich der sachkundigen Person nach § 14, der in § 19 AMG scheinbar abschließend umschrieben ist, die eigentliche rechtlich erhebliche und konkrete Kerntätigkeit, nämlich die Freigabe von Arzneimittelchargen, nicht enthalten. Dass die Freigabe zum Inverkehrbringen der außerordentlich verantwortungsvolle und entscheidende Akt ist, der es erst gestattet, ein Arzneimittel an Ärzte, Patienten, Großhändler und Apotheken abzugeben, ergibt sich also nicht aus dem AMG. Die Notwendigkeit der Freigabe durch die sachkundige Person nach § 14 AMG ergibt sich vielmehr aus der AMWHV, deren Ermächtigungsgrundlage in § 54 AMG enthalten ist. Von überragender rechtlicher Bedeutung für die Verantwortung der sachkundigen Person nach § 14 AMG ist § 16 AMWHV (Freigabe zum Inverkehrbringen). Der Bedeutung wegen soll diese Vorschrift im Wortlaut zitiert werden: § 16 Freigabe zum Inverkehrbringen (1) Die Freigabe einer Charge zum Inverkehrbringen darf von der sachkundigen Person nach § 14 des Arzneimittelgesetzes, die mit dem Produkt und mit den für dessen Herstellung und Prüfung eingesetzten Verfahren vertraut ist, nur nach von ihr vorher erstellten schriftlichen Anweisungen und Verfahrensbeschreibungen nach Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 vorgenommen werden. (2) Die Freigabe darf nur erfolgen, wenn 1. das Herstellungsprotokoll und das Prüfprotokoll ordnungsgemäß unterzeichnet sind, 2. zusätzlich zu den analytischen Ergebnissen essentielle Informationen wie die Herstellungsbedingungen und die Ergebnisse der In-Prozess-Kontrollen berücksichtigt wurden, 3. die Überprüfung der Herstellungs- und Prüfunterlagen die Übereinstimmung der Produkte mit ihren Spezifikationen einschließlich der Endverpackung bestätigt hat und 4. bei zugelassenen oder registrierten Arzneimitteln die Übereinstimmung mit den Zulassungs- oder Registrierungsunterlagen und bei Prüfpräparaten die Übereinstimmung mit den Unterlagen für die Genehmigung für die klinische Prüfung, in der sie zur Anwendung kommen, vorliegt.
V. Aufgaben- und Verantwortungsbereiche des Leiters der Herstellung und des Leiters der Qualitätskontrolle Der Aufgaben- und Verantwortungsbereich der sachkundigen Person nach § 14 AMG ist nicht gründlich bestimmbar, ohne zuvor die Aufgaben und Verantwortungsbereiche der übrigen Verantwortungsträger, nämlich des Leiters der Herstellung und des Leiters der Qualitätskontrolle, in die Betrachtung einzubeziehen, deren eigenverantwortliche Tätigkeiten der abschließenden Tätigkeit der sachkun11
So auch VG Köln, Urteil vom 17. Dezember 2007 – 24K2342/07, abgedruckt in: Gesundheitsrecht 2008, S. 159 ff.
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digen Person nach § 14 AMG zeitlich vorausgehen. Das Vorhandensein dieser Leiter ist für die Erteilung einer Herstellungserlaubnis gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 AMG erforderlich. Die Qualifikationsvoraussetzungen der beiden genannten Leiter sind deutlich geringer als diejenigen, die an den bisherigen Herstellungsleiter und den bisherigen Kontrollleiter gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AMG a. F. gestellt wurden. Herstellungsleiter und Kontrollleiter benötigten die Sachkunde gemäß § 15 AMG, also eine formalisierte akademische Ausbildung mit einer zeitlich genau festgelegten praktischen Erfahrung. Demgegenüber enthält § 14 Abs. 1 Nr. 2 AMG als Qualifikationsvoraussetzung für den Leiter der Herstellung und den Leiter der Qualitätskontrolle lediglich eine „ausreichende fachliche Qualifikation und praktische Erfahrung“. Beide Begriffe sind unbestimmte Rechtsbegriffe und müssen im Hinblick auf die Art des Arzneimittels, das Gefährdungspotential des Arzneimittels und die einzuhaltenden Bedingungen bei der Herstellung und Prüfung des Arzneimittels nach Sinn und Zweck ausgelegt werden. Hier muss eine jeweils fallbezogene Subsumption vorgenommen werden, um die ausreichende fachliche Qualifikation und die praktische Erfahrung bei der Herstellung bzw. der Qualitätskontrolle zu ermitteln. Eine akademische Qualifikation kann grundsätzlich nicht verlangt werden, wobei eine solche Forderung der zuständigen Landesbehörde im Einzelfall ausnahmsweise ihre Berechtigung haben könnte, wie u.U. bei Blutzubereitungen. Rechtlich ganz und gar unabhängig von der Frage der Qualifikation und der praktischen Erfahrung in der Arzneimittelherstellung und in der Arzneimittelprüfung hat der Verordnungsgeber es für notwendig erachtet, die Aufgaben und Verantwortungen der genannten Leiter präzise zu umschreiben. Er hat dies in § 12 AMWHV getan. Die zentral wichtige Vorschrift des § 12 Abs. 1 AMWHV hat folgenden Wortlaut: § 12 Personal in leitender und in verantwortlicher Stellung (1) Der Verantwortungsbereich der sachkundigen Person ist nach Maßgabe von § 19 des Arzneimittelgesetzes schriftlich festzulegen. Die Aufgaben der Leitung der Herstellung und der Leitung der Qualitätskontrolle sind ebenfalls schriftlich festzulegen. Zu den Aufgaben der Leitung der Herstellung gehören insbesondere 1. Sicherstellung, dass die Produkte vorschriftsmäßig hergestellt und gelagert werden, 2. Genehmigung der Herstellungsanweisung nach § 13 Abs. 1 und Sicherstellung, dass diese eingehalten wird, 3. Kontrolle der Wartung, der Räumlichkeiten und der Ausrüstung für die Herstellung, 4. Sicherstellung, dass die notwendigen Validierungen der Herstellungsverfahren durchgeführt werden, und 5. Sicherstellung der erforderlichen anfänglichen und fortlaufenden Schulung des Personals, das im Bereich der Herstellung tätig ist. Zu den Aufgaben der Leitung der Qualitätskontrolle gehören insbesondere 1. Billigung oder Zurückweisung von Ausgangsstoffen, Verpackungsmaterial und Zwischenprodukten, 2. Genehmigung von Spezifikationen, Anweisungen zur Probenahme und von Prüfanweisungen nach § 14 Abs. 1 sowie Sicherstellung, dass diese eingehalten werden,
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Horst Hasskarl 3. Sicherstellung, dass alle erforderlichen Prüfungen durchgeführt werden, 4. Zustimmung zur Beauftragung sowie Überwachung der Analysenlabors, die im Auftrag tätig werden, 5. Kontrolle der Wartung, der Räumlichkeiten und der Ausrüstung für die Durchführung der Prüfungen, 6. Sicherstellung, dass die notwendigen Validierungen und Prüfverfahren durchgeführt werden, und 7. Sicherstellung der erforderlichen anfänglichen und fortlaufenden Schulung des Personals, das im Bereich der Prüfung tätig ist. Die Leitung der Herstellung und die Leitung der Qualitätskontrolle muss, abgesehen von den Fällen des § 14 Abs. 2 und 2 b des Arzneimittelgesetzes, voneinander unabhängig sein.
Der Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Leiters der Herstellung wird weiter konkretisiert durch § 13 AMWHV. Die Bestimmung lautet: § 13 Herstellung (1) Die Herstellungsvorgänge sind mit Ausnahme der Freigabe unter Verantwortung der Leitung der Herstellung nach vorher erstellten schriftlichen Anweisungen und Verfahrensbeschreibungen (Herstellungsanweisungen) durchzuführen. Sie müssen in Übereinstimmung mit der guten Herstellungspraxis sowie den anerkannten pharmazeutischen Regeln erfolgen. (2) Bei Arzneimitteln, die zugelassen oder registriert sind, muss die Herstellungsanweisung den Zulassungs- oder Registrierungsunterlagen, bei Prüfpräparaten den Genehmigungsunterlagen für die klinische Prüfung, in der sie zur Anwendung kommen, entsprechen. [...] (7) Die Herstellung jeder Charge ist gemäß der Herstellungsanweisung nach Abs. 1 durchzuführen und vollständig zu protokollieren (Herstellungsprotokoll). [...] (8) Im Herstellungsprotokoll ist von der Leitung der Herstellung mit Datum und Unterschrift zu bestätigen, dass die Charge entsprechend der Herstellungsanweisung hergestellt wurde.
Daraus ergibt sich, dass der Leiter der Herstellung – insoweit entsprechend dem Herstellungsleiter des alten Rechts – derjenige ist, unter dessen Leitung und Verantwortung das Arzneimittel hergestellt wird. Der Umfang seines Aufgabenbereichs definiert sich also grundsätzlich über den Begriff des Herstellens nach § 4 Abs. 14 AMG. Da die Freigabe ein Akt des Herstellens ist, wie sich § 4 Abs. 14 AMG entnehmen lässt, für die Freigabe als Herstellungsakt jedoch die sachkundige Person nach § 14 AMG verantwortlich ist, siehe § 16 Abs. 1 AMWHV, gehört der Herstellungsakt „Freigabe“ nicht in den Verantwortungsbereich und Aufgabenbereich des Leiters der Herstellung. Er ist in § 13 Abs. 1 Satz 1 AMWHV daher ausdrücklich ausgenommen. Wie bereits dargestellt, sind die Aufgaben und damit die Verantwortungsbereiche des Leiters der Qualitätskontrolle in § 12 Abs. 1 Satz 4 AMWHV beschrieben. Da es sich insoweit, wie bezüglich des Leiters der Herstellung, um Mindestaufgaben handelt („insbesondere“), kann betriebsintern der Aufgabenbereich – wie beim Leiter der Herstellung – auch bei dem Leiter der Qualitätskontrolle erweitert werden. Wie § 13 AMWHV den Bereich des Leiters der Herstellung konkretisiert,
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so geschieht dies für den Leiter der Qualitätskontrolle durch § 14 AMWHV. Diese Bestimmung lautet: § 14 Prüfung (1) Ausgangsstoffe und Endprodukte sowie erforderlichenfalls auch Zwischenprodukte sind unter Verantwortung der Leitung der Qualitätskontrolle nach vorher erstellten schriftlichen Anweisungen und Verfahrensbeschreibungen (Prüfanweisung) zu prüfen. Die Prüfung muss in Übereinstimmung mit der guten Herstellungspraxis sowie den anerkannten pharmazeutischen Regeln erfolgen. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für Behältnisse, äußere Umhüllungen, Verpackungs- und Kennzeichnungsmaterialien sowie Packungsbeilagen. (2) Bei Arzneimitteln, die zugelassen oder registriert sind, muss die Prüfanweisung den Zulassungs- oder Registrierungsunterlagen, bei Prüfpräparaten den Genehmigungsunterlagen für die klinische Prüfung, in der sie zur Anwendung kommen, entsprechen. [...] (4) Die Prüfung ist gemäß der Prüfanweisung nach Abs. 1 durchzuführen und vollständig zu protokollieren (Prüfprotokoll). Alle Abweichungen im Prozess und von der Festlegung in der Spezifikation sind zu dokumentieren und gründlich zu untersuchen. Die Leitung der Qualitätskontrolle hat im Prüfprotokoll mit Datum und Unterschrift zu bestätigen, dass die Prüfung entsprechend der Prüfanweisung durchgeführt worden ist und das Produkt die erforderliche Qualität besitzt. (5) Wurde die erforderliche Qualität festgestellt, sind Produkte entsprechend kenntlich zu machen; bei zeitlicher Begrenzung der Haltbarkeit ist das Enddatum anzugeben.
Da die AMWHV u.a. die Umsetzung der Richtlinie 2003/94/EG der Kommission vom 8. Oktober 2003 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel und für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate darstellt12 und eine Verbindlichmachung des EGGMP-Leitfadens für die gute Herstellungspraxis für Arzneimittel und Prüfpräparate einschließlich seiner Anhänge vorsieht (vgl. § 3 Abs. 2 i.V. mit § 2 Nr. 3 AMWHV),13 ist es für die Inhaber von Herstellungserlaubnissen wichtig, dass nach den EG-GMP-Leitlinien der Leiter der Herstellung und der Leiter der Qualitätskontrolle auch gemeinsam Aufgaben wahrnehmen können. Demgemäß heißt es in Kap. 2.7 des EG-GMP-Leitfadens: 2.7 Die Leiter der Herstellung und der Qualitätskontrolle teilen im Allgemeinen einige die Qualität betreffenden Verantwortungsbereiche untereinander auf oder üben die Verantwortung gemeinsam aus. Je nach nationalen Regelungen können dies sein: - Genehmigung schriftlicher Verfahrensbeschreibungen und anderer Dokumente einschließlich Ergänzungen; - Überwachung und Kontrolle der Umgebungsbedingungen bei der Herstellung; - Betriebshygiene; - Validierung von Verfahren; - Schulung; 12 13
ABl. EU Nr. L 262/22 vom 14. Oktober 2003. Die deutschsprachige Veröffentlichung erfolgte im Bundesanzeiger Nr. 210 vom 9. November 2006, S. 6887.
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Genehmigung und Überwachung von Materiallieferanten; Zustimmung zur Beauftragung der Hersteller, die im Lohnauftrag arbeiten, sowie deren Überwachung; Festlegung und Überwachung der Lagerungsbedingungen für Material und Produkte; Aufbewahrung von Protokollen; Überwachung der Einhaltung der Anforderungen der guten Herstellungspraxis; Überprüfungen, Untersuchungen und Entnahme von Proben zur Überwachung von Faktoren, die die Produktqualität beeinflussen können.
VI. Aufgaben- und Verantwortungsbereich der sachkundigen Person nach § 14 AMG Der Aufgaben- und Verantwortungsbereich der sachkundigen Person nach § 14 AMG wurde mit Hinweis auf § 19 AMG sowie § 16 AMWHV bereits dargestellt. Ergänzend ist zu betonen, dass die sachkundige Person nach § 14 AMG in einem fortlaufenden Register oder einem hierfür vorgesehenen vergleichbaren Dokument die Einhaltung der Vorschriften des Arzneimittelrechts für die Herstellung und Prüfung vor dem Inverkehrbringen der Arzneimittel zu bescheinigen hat (§ 19 S. 2 AMG). Eine entsprechende Vorschrift findet sich in § 17 Abs. 5 AMWHV. Sollte ein Arzneimittel in Teilherstellungsstufen oder Prüfungen in anderen Herstellungsbetrieben vorgenommen werden, so kann die sachkundige Person nach § 14 für die endgültige Freigabe zum Inverkehrbringen zwar die Bestätigungen anderer sachkundiger Personen über die Teilherstellungsstufe oder die Prüfung mit heranziehen. Sie bleibt jedoch auch in diesem Fall persönlich für die Freigabe zum Inverkehrbringen der Charge verantwortlich, vgl. § 16 Abs. 4 Satz 2 AMWHV. Diese Verantwortung geht einher mit der zusätzlichen Verpflichtung, sich durch persönliche Kenntnisnahme oder durch Bestätigung anderer ausreichend sachkundiger Personen davon zu überzeugen, dass der Hersteller in der Lage ist, die Arzneimittel GMP-gerecht herzustellen und zu prüfen, vgl. § 16 Abs. 5 AMWHV. Im Zusammenhang mit der Freigabe von Prüfpräparaten,14 die in einem Nicht-EU-Mitgliedsstaat hergestellt wurden und für die eine Genehmigung für das Inverkehrbringen im Herkunftsland vorliegt, ist die sachkundige Person nach § 14 AMG dafür verantwortlich, dass jede Herstellungscharge allen erforderlichen Prüfungen unterzogen wurde, um die Qualität der Prüfpräparate gemäß den Genehmigungsunterlagen für die klinische Prüfung zu bestätigen, vgl. § 17 Abs. 4 AMWHV. Eine weitere Verpflichtung der sachkundigen Person enthält § 18 AMWHV, wonach die sachkundige Person nach § 14 sicherzustellen hat, dass Rückstellmuster von jeder Charge eines Fertigarzneimittels in ausreichender Menge zum Zwecke einer gegebenenfalls erforderlichen analytischen Nachtestung und zum Nachweis der Kennzeichnung einschließlich der Packungsbeilage mindestens ein Jahr über den Ablauf des Verfalldatums hinaus aufbewahrt werden. Diese Verpflich14
im Sinne des § 3 Abs. 3 der GCP-Verordnung vom 9. August 2004 (BGBl. I S. 2081, zuletzt geändert durch Verordnung vom 3. November 2006 (BGBl. I S. 2523).
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tung wird konkretisiert durch den Anhang 19 des EG-GMP-Leitfadens, der Leitlinien für Referenz- und Rückstellmuster enthält. In der Literatur,15 aber auch in einschlägigen Fortbildungsveranstaltungen wird gelegentlich die Auffassung vertreten, dass die Verantwortung für die GMPgerechte Herstellung eines Arzneimittels und für die GMP-gerechte Prüfung des Arzneimittels vollständig auf die sachkundige Person nach § 14 übergegangen sei, dass also Herstellung, Prüfung und Freigabe in deren Verantwortungsbereich liegen. Diese Auffassung trifft nicht zu. Wie § 14 Abs. 1 Nr. 2 AMG erkennen lässt, ist das Vorhandensein eines – separaten – Leiters der Herstellung und eines – separaten – Leiters der Qualitätskontrolle mit ausreichender fachlicher Qualifikation, praktischer Erfahrung und Zuverlässigkeit weiterhin, wie im alten Recht, erforderlich. Diesen Leitern kommt somit eine eigenständige öffentlichrechtliche Verantwortung zu. Dies ergibt sich nicht nur, wie oben bereits dargestellt, aus § 12 Abs. 1 AMWHV, sondern lässt sich z.B. § 14 Abs. 4 Nr. 4 AMG entnehmen. Danach können bestimmte Herstellungsschritte und Prüfungsschritte in beauftragten oder anderen Betrieben durchgeführt werden, ohne dass diese Betriebe Inhaber einer Herstellungserlaubnis sein müssen, „wenn ... gewährleistet ist, dass die Herstellung und Prüfung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erfolgt und der Leiter der Herstellung und der Leiter der Qualitätskontrolle ihre Verantwortung wahrnehmen können“. Die sachkundige Person nach § 14 spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Dies schließt ein Weisungsrecht der sachkundigen Person gegenüber den genannten Leitern aus.16 Das schärfste Instrument, das der sachkundigen Person zur Verfügung steht, ist die Nichtfreigabe einer Charge. Konsequenterweise hat die sachkundige Person gemäß § 19 AMG lediglich zu bestätigen, dass die „Charge des Arzneimittels entsprechend den Vorschriften über den Verkehr mit Arzneimitteln hergestellt und geprüft wurde“. Demgegenüber hat § 12 Abs. 1 AMWHV dem Leiter der Herstellung die Verantwortung dafür auferlegt, dass die Arzneimittel vorschriftsmäßig hergestellt und gelagert werden (§ 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1). Gleiches gilt für die Verpflichtung des Leiters der Qualitätskontrolle. Er muss sicherstellen, dass alle erforderlichen Prüfungen durchgeführt werden und wurden. Daraus folgt, dass die sachkundige Person nach § 14 für die tatsächliche Herstellung und Prüfung nicht verantwortlich ist, sondern – ex post – die ordnungsgemäße und von anderen zu verantwortende Herstellung und Prüfung lediglich bescheinigt, falls die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Sie schuldet also eine sachkundige retrospektive Beurteilung der Herstellung und Prüfung einer Arzneimittelcharge. Ihr insoweit bestehender Verantwortungsbereich wird durch Anhang 16 (Ergänzende Leitlinien für
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Z.B. Wesch, Überörtliche „Freigabe“ von Arzneimitteln und Verpackungsmaterial, in: Pharmazeutische Industrie 2008, S. 736 (737); zum Gesamtkomplex der Aufgaben, Pflichten und Verantwortlichkeiten der sachkundigen Person s. Die Qualified Person, Herausgeber: Concept Heidelberg, 2007; s. auch Hasskarl, Herstellungserlaubnisse im novellierten Arzneimittelrecht in: Transfusion Medicine and Hemotherapy 2007, S. 105 ff. A.A. Wesch, a.a.O.. Das Verhältnis zwischen der sachkundigen Person und den Leitern dürfte zutreffend als Kooperation zu bezeichnen sein.
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die Zertifizierung durch eine sachkundige Person und Chargenfreigabe) des GMPLeitfadens17 konkretisiert. Wie bereits erwähnt, ergibt sich die originäre und eigenständige Verantwortung des Leiters der Herstellung und des Leiters der Qualitätskontrolle direkt aus der AMWHV (§§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 AMWHV). Schließlich ist die zentral wichtige Vorschrift des § 12 AMWHV überschrieben mit „Personal in leitender und in verantwortlicher Stellung“. Nimmt man hier noch die Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 2 AMWHV hinzu, wonach zwischen den Verantwortungsbereichen des Personals keine Lücken oder unbegründete Überlappungen bestehen dürfen, folgt daraus, dass nicht nur der Aufgabenbereich, sondern auch der Verantwortungsbereich der sachkundigen Person gegenüber den Verantwortungsbereichen des Leiters der Herstellung und des Leiters der Qualitätskontrolle abzugrenzen ist. Mithin liegt die originäre und wegen der gesetzlichen Fixierung in § 12 AMWHV nicht übertragbare Verantwortung für die GMP-gerechte Herstellung eines Arzneimittels beim Leiter der Herstellung und für die GMP-gerechte Prüfung beim Leiter der Qualitätskontrolle. Diese Feststellung wird bestätigt durch § 66 Satz 2 AMG. Danach sind neben der sachkundigen Person der Leiter der Herstellung (wie früher der Herstellungsleiter) und der Leiter der Qualitätskontrolle (wie früher der Kontrollleiter) gegenüber den zuständigen Behörden persönlich zur Auskunftserteilung usw. verpflichtet. Aufgaben und Verantwortlichkeiten laufen also weiterhin parallel. Die sachkundige Person nach § 14 AMG besitzt einen eigenständigen, hoch bedeutsamen Verantwortungsbereich insoweit, als sie die Freigabe zum Inverkehrbringen vorzunehmen hat und eine Überprüfung von Vorgängen durchzuführen hat, die in der Vergangenheit bereits unter der Verantwortung anderer Personen geschehen sind. Die sachkundige Person ist damit ein sachkundiger Kontrolleur, nicht jedoch ein Hersteller oder Prüfer. Mit der Freigabe ist also nicht etwa die Übernahme der Verantwortung für Herstellung und Prüfung verbunden. Im Übrigen ist der Inhaber der Herstellungserlaubnis verpflichtet, der sachkundigen Person nach § 14, aber auch dem Leiter der Herstellung und dem Leiter der Qualitätskontrolle ausreichende Befugnisse einzuräumen, damit sie ihrer Verantwortung nachkommen können, wie sich dies § 4 Abs. 2 Satz 5 AMWHV entnehmen lässt. Die genannten drei Verantwortungsträger bleiben jedoch in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer des Inhabers der Herstellungserlaubnis arbeitsrechtlich stets weisungsgebunden. Auch die sachkundige Person nach § 14 steht nicht etwa rechtlich eigenständig neben dem Erlaubnisinhaber, sie ist vielmehr ein unerlässlicher organisatorischer Bestandteil von ihm.
VII. Ordnungswidrigkeitsrechtliche und strafrechtliche Verantwortung Eine abschließende Betrachtung wendet sich der strafrechtlichen Verantwortung der sachkundigen Person zu. Eine spezielle Strafvorschrift, die ein Verhalten der 17
Veröffentlicht in: Bundesanzeiger Nr. 87 vom 10. Mai 2007, S. 4826.
Verantwortung der sachkundigen Person nach § 14 AMG
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sachkundigen Person unter Strafe stellt, gibt es weder im AMG noch in der AMWHV. Dagegen handelt eine sachkundige Person ordnungswidrig, wenn sie unter Verletzung des § 16 Abs. 1 AMWHV (Freigabe zum Inverkehrbringen) eine Charge freigibt, wenn sie nicht sicherstellt, dass die erforderlichen Rückstellmuster gemäß § 18 Abs. 1 AMWHV aufbewahrt werden oder wenn sie bei Prüfpräparaten, also bei Arzneimitteln, die für die klinische Prüfung bestimmt sind, nicht sicherstellt, dass ausreichende Muster jeder Charge aufbewahrt werden (§ 18 Abs. 3 AMWHV). Diese Ordnungswidrigkeitstatbestände sind in § 32 Nr. 1, 3 und 4 AMWHV enthalten. Eine derartige Ordnungswidrigkeit kann, wie sich § 97 Abs. 2 Nr. 31 i.V. mit Abs. 3 AMG entnehmen lässt, mit einer Geldbuße bis zu 25.000 € geahndet werden. Derartige spezielle Ordnungswidrigkeitstatbestände bestehen im Hinblick auf den Leiter der Herstellung und den Leiter der Qualitätskontrolle nicht. Gleichwohl kann dieser Personenkreis ordnungswidrigkeitsrechtlich über § 9 Abs. 2 OWiG in Anspruch genommen werden. Strafrechtlich können alle drei Verantwortungsträger nach allgemeinem Strafrecht belangt werden. Dies folgt aus § 14 Abs. 2 StGB. Wenn beispielsweise eine kontaminierte Charge eines Arzneimittels hergestellt und die Herstellung im Herstellungsprotokoll durch den Leiter der Herstellung als „ordnungsgemäß hergestellt“ bescheinigt wird, wenn diese kontaminierte Charge vom Leiter der Qualitätskontrolle als „ordnungsgemäß geprüft“ bezeichnet wird und ihre Qualität somit bestätigt ist und schließlich die sachkundige Person nach § 14 die Freigabe zum Inverkehrbringen gemäß § 16 AMWHV ohne Beanstandung vornimmt und durch diese kontaminierte Charge ein Patient zu Schaden kommt, hängt die Strafbarkeit der beteiligten drei Personen (fahrlässige Körperverletzung gemäß § 229 StGB) vom Umfang ihres je eigenen Verschuldens ab. Eine Regelung, dass in einem solchen Fall lediglich die sachkundige Person strafrechtlich verantwortlich ist, gibt es nicht. Im Gegenteil dürfte ihr Verschulden wohl grundsätzlich als geringer zu bewerten sein, weil zuvor der Leiter der Herstellung und der Leiter der Qualitätskontrolle in schriftlicher Form die ordnungsgemäße Herstellung und Prüfung bestätigt haben. Die zivilrechtliche persönliche Haftung der drei Verantwortungsträger, also die Haftung auf Schadensersatz, verdient keine eigenständige Darstellung, weil dieses Risiko wegen der Haftung des Zulassungsinhabers gemäß § 84 AMG und seine Absicherung durch eine Pharmahaftpflichtversicherung gemäß § 94 AMG, wegen der beim Hersteller in aller Regel bestehenden freiwilligen Betriebshaftpflichtversicherung zur Absicherung von Risiken nach dem Produkthaftungsgesetz oder nach § 823 BGB und aus arbeitsrechtlichen Gründen praktisch nicht besteht.18 Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass die drei genannten arzneimittelrechtlichen Verantwortungsträger in einem Verantwortungsverbund stehen und dass jeder für die Einhaltung der ihm gesetzlich übertragenen Verantwortungen persönlich verantwortlich ist. Eine Gesamtverantwortung der sachkundigen Person für Herstellung und Prüfung eines Arzneimittels ist nicht gegeben. 18
S. hierzu Wesch, Haftungsrechtliche Verantwortung der Qualified Person, in: Pharmazeutische Industrie 2008, S. 239 ff. Die von ihm vertretene Auffassung einer weiterreichenden Haftung der sachkundigen Person (a.a.O., S. 242) wird nicht geteilt.
Oversight of Marketing Relationships Between Physicians and the Drug and Device Industry: A Comparative Study
Timothy Stoltzfus Jost∗
Professional Industry Relationships Two of the abiding concerns of the scholarship of Professor Erwin Deutsch have been medical and pharmaceutical law. It is appropriate, therefore, that a chapter in this Festschrift commemorating the eightieth birthday of Prof. Deutsch should examine the interaction between the pharmaceutical industry and physicians. Throughout the world, complex mutually-dependent relationships exist between physicians and pharmaceutical or medical device companies.1 These relationships are found in research, education, and clinical practice. They include, for example, drug and device company sponsorship of research, fellowships, and continuing professional education; industry payments to physicians for consulting; gifts to physicians and their employees in marketing; and industry involvement in the formulation of clinical practice guidelines. Some physicians also hold equity interests in drug or device companies or intellectual property interests in their products. Physician-industry relationships present conflicts of interest because the physician’s primary commitment to patients in the clinical context, students in the educational context, and science (and patients) in the research context comes into conflict with a secondary commitment to a drug or device company based on the financial interest of the physician.2 The literature on physician/industry conflicts of interest has generally viewed these relationships negatively. There is a concern that industry funding of research may bias the findings of research or obscure the source of research reports, or at
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I thank Timothy Diette and Jeff Caswell for comments on earlier drafts, John Appelbaum for research assistance, and the Lewis Law Center for research support. See, documenting these relationships, Campbell, et al., A National Survey of PhysicianIndustry Relationships, NEJM 2007, 1742 (94% of physicians in a recent survey in the United States had some type of relationship with the pharmaceutical industry). See Emanuel/Thompson, Conflicts of Interest, in Emanuel, The Oxford Textbook of Research Ethics (2008).
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least delay or limit the release of results and sharing of data.3 Industry support of undergraduate, graduate, or continuing education may bias presentations to favor the products of sponsors. Physicians in clinical practice may favor drugs and devices produced by firms that offer them consulting contracts or gifts, or in which they hold property interest, rather than the product that is most appropriate for a particular patient or most cost effective.4 Conflicts of interest may even infect clinical practice guidelines.5 Biases resulting from industry-physician relationships may result in bad research, patient injury, and high health care system costs. But there are also arguments favoring close relationships between industry and physicians.6 In most countries, industry support for research is necessary if medical research is to continue. Support from government and from non-profit foundations is far from adequate to support continued medical progress, and is any event usually is focused on basic science rather than on clinical trials and product development. Industry support for medical education may provide much needed funds to make up short-falls educational institutions would otherwise face if they had to depend on public support and on student fees. Industry marketing and support for continuing professional education helps busy doctors in practice learn about new products that may prove very beneficial to their patients but that they may not otherwise have known of. Moreover, doctors are trained to be scientists and to think critically–it should not be assumed that a gift of a meal or pen will distort their judgment, which a life-time of training tells them should be devoted solely to the welfare of their patients. Conflicts of interest do not necessarily result in bias. But they may. Common sense tells us that financial interests do affect judgment, or are likely to. Indeed, there is considerable empirical evidence that even small gifts, even when given without any strings attached, create an expectation of reciprocity on both sides that distorts judgment and result in bias.7 Tellingly, physicians who are skeptical that pharmaceutical representatives influence their own prescribing believe that the behavior of their colleagues is influenced by industry relationships.8 Indeed, a systematic review of the medical literature on gifting
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See, Berkelman/Li/Gross, Scope and Conflict of Financial Conflicts of Interest in Biomedical Research: A Systematic Review, JAMA 2003, 454; Steinbrook, Gag Clauses in Clinical-Trial Agreements, NEJM 2005, 2160; Martinson/Anderson/de Vries, Scientists Behaving Badly, Nature 2005, 737; Lemmens, Leopards in the Temple: Restoring Scientific Integrity to Commercialized Research Science, JLMedEth 2004, 641. Wazana, Physicians and the Pharmaceutical Industry: Is a Gift Ever Just a Gift? JAMA 2000, 373. See Eichacker/Nathanson/Danner, Surviving Sepsis–Practice Guidelines, Marketing Campaigns, and Eli Lilly, NEJM 2006, 1640; Choudhry/Stelfox/Detsky, Relationships Between Authors of Clinical Practice Guidelines and the Pharmaceutical Industry, JAMA 2002, 612. See Stossel, Regulation of Financial Conflicts of Interest in Medical Practice and Medical Research: A Damaging Solution in Search of a Problem, Bio&Med 2007, 54. Katz/Caplan/Merz, All Gifts Large and Small: Toward an Understanding of the Ethics of Pharmaceutical Industry Gift Giving, Am.J.Bio 2003, 39; Dana/Loewenstein, A Social Science Perspective on Gifts to Physicians from Industry, JAMA 2003, 252. Dana/Lowenstein, JAMA 2003 at 254.
Marketing Relationships between Physicians and the Drug and Device Industry
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found that gifts had a negative effect in most instances.9 There is reason, therefore, to be cautious in encouraging, or even permitting, financial relationships between industry and physicians. This chapter considers why physician-industry conflicts of interest exist, how developed countries regulate them, and how they should be regulated. It examines first the economic basis of physician/industry relationships and then considers how a number of developed countries have responded to these relationships. It focuses primarily on industry activities best described as “marketing.” It specifically does not address in any detail industry sponsorship of research. Industry sponsorship of research is perhaps unavoidable, and is generally accepted as making a positive contribution, despite the concerns it raises. Most (although not all) commentators agree that industry research funding should be regulated rather than banned.10 It is less clear that industry marketing efforts aimed at medical education and clinical practice are necessary. The argument for banning them, or at least regulating them, is stronger.
The Market for Drugs and Devices The market for drugs and devices is quite distinctive. The supply side, demand side, and regulation of the market are each atypical. On the supply side, the market is characterized by very high fixed costs with relatively low variable production costs.11 This is particularly true with small molecule drugs, where research and development can cost hundreds of millions of dollars, while manufacturing costs are comparatively small. Second, manufacturers often have considerable market power. Drugs and devices are usually protected by patents (or sometimes trade secrets), and in some countries by market exclusivity periods that supplement patent rights. Intellectual property rights give breakthrough products sole dominance over the market. Because of the high cost of developing innovator products, companies often find it more profitable to produce new products that offer only marginal improvements over existing products (longer lasting slow release products, for example) or products that are therapeutically similar to competing products that dominate lucrative markets.12 But even products that have therapeutic equivalents often retain some market power until 9 10
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Wazana, JAMA 2000, 373. See, e.g. AAMC-AAU Advisory Committee, Protecting Patients, Preserving Integrity, Advancing Health: Accelerating the Implementation of COI Policies in Human Subjects Research (2008): FASEB, Call to Action: Managing Financial Relationships Between Academia and Industry in Biomedical Research (2007). The cost of developing a new drug has been estimated at over $800 million, though this estimate is quite controversial. See Adams/Brantner, Estimating the Cost of New Drug Development: Is it really $802 Million?, Health Aff 2006, 420. Only about a quarter of drug company revenues are spent on production costs. Reinhardt, Perspectives on the Pharmaceutical Industry, HealthAff 2001, 136, 141. See Pattikawa, Longitudinal Study on the Performance of U.S. Pharmaceutical Firms: The Increasing Role of Marketing (2007).
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they face competition from multiple generics.13 Many countries regulate in one way or another the prices paid for drugs and devices, but regulated prices are often a function of prices paid by other countries, and throughout most of the developed world, prices are not radically different.14 On the demand side, drugs and devices usually face relatively low price elasticity of demand.15 Health is of great value and sick patients are often willing to pay for the restoration of health and well-being or for protection against a worsening of their condition. An even more important factor influencing demand is moral hazard. In developed countries, most patients are covered by public or private insurance, or both. In most developed countries, patients rarely pay the full cost of drugs and devices. Patients often face some cost-sharing obligations, but most of the cost of a drug or device is usually borne by insurance. Insurance coverage allows pharmaceutical companies to keep prices high.16 Moreover, purchasing decisions are often not made by the patient, but rather by an agent – in the first instance by the physician who must write a prescription, and beyond that by institutional formulary committees or by national coverage determination entities. In short, the demand mechanisms that normally control price are fundamentally distorted with respect to drugs and devices. Medicinal products are also heavily regulated. While drugs and devices offer great value to society, they also often have serious side effects and can cause serious injury if they malfunction or are used excessively or inappropriately. Moreover, if harmless or ineffective products are relied upon when effective alternatives are available, patients may suffer serious health consequences. Developed countries, therefore, usually require that drugs and potentially harmful devices be proven safe and effective through rigorous testing.17 This is usually done through clinical trials. However, clinical trials are usually limited in their length, the scope of the population that participates, and the indications that they consider. Yet drug and device approval agencies do not usually control the prescribing or use of the products themselves, and prescribing in practice is usually not limited to the indications for which a product is tested – off-label use is common.18 There is an incentive, therefore, for drug companies to conduct clinical trials and to get approval for a relatively narrow indication and then to encourage use of the product for a whole range of other treatments without further clinical trials.19 13 14
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See Pavcnik, Do Pharmaceutical Prices Respond to Insurance?, (2000), 20. See Danzon/Furukawa, International Prices and Availability of Pharmaceuticals in 2005, HealthAff 2008, 221; Cabrales/Jiménez-Martín, The Determinants of Pricing in Pharmaceuticals: Are U.S. Prices Really Higher Than Those of Canada? (2007). See Ringel, et al., The Elasticity of Demand for Health Care (2002), 35-36. Pavcnik, 2000 at 20. This is usually done on a national basis, though in Europe it is also done at the European level by the European Medicines Agency. For a brief description and history of the approval process, see History and Future of the ICH, at http://www. ich.org/cache/compo/276-254-1.html. See Radley/Finkelstein/Stafford, Off-label Prescribing Among Office-Based Physicians, ArchInternMed 2006, 1021; Conroy, et al., Survey of Unlicensed and Off Label Drug Use in Paediatric Wards in European Countries, BMJ 2000, 79. See, Steiman, et al., Characteristics and Impact of Drug Detailing for Gabapentin, PLoS
Marketing Relationships between Physicians and the Drug and Device Industry
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These characteristics of drug and device markets often result in troubling relationships between manufacturers and professionals. Drug and device companies face a host of incentives to spend a great deal of money marketing their products. As noted above, their variable production costs tend to be low, but they are able to keep prices high because of low elasticity of demand, moral hazard, and relative lack of competition as long as a product is covered by a patent or exclusivity period. Even when products are therapeutically equivalent, there is an incentive for aggressive marketing as manufacturers try to differentiate their products from competitor products or to break into a market dominated by other manufacturers. The money that companies receive because of the difference between low production costs and high prices can be devoted to research and development, profit, or marketing. Companies that wish to stay in business must spend some money, often a great deal, on research and development. But companies face in particular an incentive to spend heavily on marketing. Generally, market power results in decreased quantity supplied and a higher price than that found in a competitive market. But in drug and device markets, it seems that increased demand need not result in reduced price, thus the optimal strategy of drug and device companies would seem to be to engage in aggressive marketing to shift the demand curve.20 As long as a dollar or euro spent on marketing brings in more than an additional dollar or euro after variable costs (including marketing costs) are covered, marketing makes sense. In fact, while the average manufacturing industry spends less than 1 % of its sales income on marketing, drug companies spend 10% to 20%.21 The fact that drugs and devices are prescribed or ordered by physicians, rather than purchased, also has a profound effect on the nature of marketing. In most developed countries, direct to consumer brand advertising of prescription drugs is still prohibited. Even where direct-to-consumer advertising is permitted, however, it does not really sell the product to consumers, who cannot legally buy it without a prescription. Rather direct-to-consumer advertising enlists consumers to pressure their doctors to order the product.22 Most marketing is in fact directed at physicians, the real decision-makers with respect to drug and device purchases, and is aimed at persuading them to order or prescribe a particular product.23 In 2004, pharmaceutical companies in the United States spent almost $43 billion on marketing to physicians, $61,000 for each physician in the United States.24 Marketing can also be aimed less directly at formulary committees, guideline committees, or 20 21
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Medicine 2007, e134. See Garber/Jones/Romer, Insurance and Incentives for Medical Innovation (2006). King, Marketing, Product Differentiation, and Competition in the Market for Antiulcer Drugs (2002), 2. This marketing is often aimed at getting physicians to switch from one drug to another rather than to expanding the market. Id. at 23-24. Mintzes, et al., Influence of Direct to Consumer Pharmaceutical Advertising and Patients' Requests on Prescribing Decisions: Two Site Cross Sectional Survey, BMJ 2002, 278. See Narayanan/Manchanda/Chintagunta, The Informative Versus Persuasive Role of Marketing Communication in New Product Categories: An Application to the Prescription Antihistamines Market (2 003). Gagnon/Lexchin, The Cost of Pushing Pills: A New Estimate of Pharmaceutical Promotion Expenditures in the United States, PLoSMed 2008, e1.
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at others who decide whether or not a particular product will be covered or available to patients. The prevalence of off-label prescribing increases the incentives faced by manufacturers to market their products aggressively, since they cannot depend on physicians or formulary or guideline committees learning of all of the indications for which products may be used through official channels. Marketing takes place through a wide variety of channels. First, companies advertise in professional and scientific journals. This strategy makes sense because it allows drug companies to disseminate information about their products directly to their most important audience. It also, however, makes journals financially dependent upon them and thus vulnerable to their influence when a journal must decide whether or not to publish an article favorable to a product or critical of the industry.25 Second, companies sponsor medical education, including continuing medical education which physicians may need to attend to maintain their licensure or specialty certification. In 2000, industry sponsored 314,000 educational events for physicians in the U.S.26 Traditionally drug companies in the United States could pick the speakers for continuing education symposia and even provide them with the text and slides for their presentations. Although drug companies are no longer supposed to be so directly involved in CME in the United States, they still fund over half of continuing education, usually indirectly through commercial CME providers.27 Industry CME funding amounts to over one billion dollars a year and compliance with requirements is far from universal.28 In some other countries, companies continue to be more directly involved in CME.29 In the past, continuing professional education programs were often held at resorts or other recreational destinations and companies covered travel costs for physicians and sometimes even for their families. Most countries now limit payments for physician entertainment, but continuing education still takes place in attractive settings and companies can still fund travel costs for speakers (who sometimes do not have to do much to earn their pay) and even for CME attendees in many countries. While most professions finance continuing education by paying fees, the medical profession seems to believe that continuing education is only possible if it is funded by drug and device companies. Third, companies play a major role in funding specialty societies and even patient disease organizations.30 Companies help sponsor specialty society annual meetings and journals and pay fees for space in exhibition halls at society meet25
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See, Smith, Medical Journals Are an Extension of the Marketing Arm of Pharmaceutical Companies. PLoS Med 2005, e138. Brennan et al., Health Industry Practices That Create Conflicts of Interest: a Policy Proposal for Academic Medical Centers, JAMA 2006, 429 at 430. Relman, Defending Professional Independence: ACCME’s Proposed New Guidelines for Commercial Support of CME, JAMA 2003, 2418. Sen.Fin.Comm.Staff, Use of Educational Grants by Pharmaceutical Manufacturers, (2007). Moynihan, Doctor’s Education: The Invisible Influence of Drug Company Sponsorship, BMJ 2008, 416. See, e.g. Harris, Drug Makers Scrutinized Over Grants, NYTimes, 11 Jan. 2006; Rowland, Doctors Fight Over Drug Firm Influence, BosGlobe, 16 June 2005.
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ings. Companies often offer their own marketing programs in tandem with specialty association meetings. Specialty societies in turn often play an active role in formulating practice guidelines, which can favor particular products or approaches to the treatment of diseases. Companies also provide funding for some patient disease organizations, which in turn pressure government and insurers to cover particular products or procedures.31 Fourth, companies often pay medical opinion leaders to market their products to other doctors through consulting or “speaker’s bureau” contracts.32 These arrangements not only have the potential to distort the judgment of the physician hired as a consultant or speaker, but can also be quite effective in affecting the prescribing behavior of physicians with whom opinion leaders interact. These operations can be quite sophisticated where companies have access to physician prescribing data, allowing them to target their efforts on “switching” doctors who are low prescribers of their products and to track changes in prescribing behavior after physicians have been exposed to a company presentation.33 Physicians also receive payments for participating in post-marketing research. While this research can be a legitimate effort to discover longer-term side effects of drugs or to study the safety and effectiveness of drugs in new populations or for new indications, it is sometimes little more than a ploy to pay doctors for prescribing a particular drug.34 Doctors participating in sham research collect little useful data, which is in any event not effectively reviewed. Finally, companies engage in detailing. Britain has 8000 drug company representatives, while the United States had 83,000 in the year 2000.35 It is the responsibility of detailers to personally contact physicians or their offices to distribute information about drugs. Detailers provide food for the office and leave behind mementos of their visit.36 These are often trivial items – coffee mugs, pens, pads of paper.37 Historically, however, they included much more expensive gifts such as sports equipment or tickets to sports or entertainment events, and these practices may continue in some countries. Drug companies also frequently offer food, entertainment, and small gifts to doctors in training – undergraduate or graduate medical students. These can include practice-related gifts, such as stethoscopes or reference books which can be useful to the students, but even these establish a bond between the company and the future professional. Moreover, industry largess can create dependence on the part of institutions and their leadership as well as 31
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See Ginsberg, Donations Tie Drug Firms and Nonprofits: Many Patient Groups Reveal Few, if Any, Details on Relationships with Pharmaceutical Donors, Philadelphia Inquirer, 28 May, 2006. Smith, Curbing the Influence of the Drug Industry: A British View, PLoSMed 2005, e241. See Carlat, Dr. Drug Rep., NYTimes, 25 Nov. 2007. See OIG, HHS, Compliance Program Guidance for Pharmaceutical Manufacturers, Fed. Reg. 2003, 2731. Smith PLoSMed 2005, at 822; Clayton, ‘Tis Always the Season for Giving (2004), 3. See Moynihan, Who Pays for the Pizza? Redefining the Relationships Between Doctors and Drug Companies, Entanglement, BMJ 2003, 1189. Sikora, Whose Pen is In Your Pocket? CanFamPhys 2006, 394.
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individual physicians.38 Finally, drug companies often give physicians samples or vouchers for the purchase of drugs, thus encouraging physicians to get patients started on their products. Products that doctors prescribe in response to marketing may or may not be the most appropriate for a particular patient. Patients who are prescribed inappropriate drugs may, of course, suffer side effects or experience aggravation of their medical conditions. Marketing tends to focus on newer products, which may be safer or more effective than older products, but which also may not have been fully tested for long term side-effects. Several widely noted incidents in recent years have involved heavily marketed drugs such as VIOXX that turned out to be dangerous or ineffective.39 Heavily advertised products also tend to be more costly than alternatives. It also increases the cost of health care by leading to overprescribing of drugs and probably over-diagnosis of illnesses.40 Thus marketing may drive up health care costs, which are often not directly borne by the patient because of insurance. To sum up the argument thus far, developed countries have attempted to encourage drug and device innovation by granting intellectual property rights and market exclusivity, and by setting prices quite high where prices are regulated. Markets generally fail to keep prices low because of low elasticity of demand and moral hazard. Because high prices are often coupled with low production costs, drug and device companies can expand their income by expanding their markets. They do so primarily by marketing their products to physicians, either directly or indirectly through influencing medical and scientific journals, specialty societies, disease advocacy groups, and guidelines panels. These marketing practices effectively transfer large sums of money from patients, government, and insurers to drug companies, who in turn spread it throughout the health care industry, but primarily to doctors and their organizations. Doctors, who often believe themselves to be underpaid, have come to expect this largess, and indeed many believe that they are entitled to it.41 The entire arrangement, however, has the potential to corrupt medical judgment and thus to be contrary to the interest of patients. The question then becomes, what is the appropriate response to this situation?
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See Mather, The Pipeline and the Porcupine: Alternate Metaphors of the PhysicianIndustry Relationship, SocSciMed 2005, 1323. See Topol, Failing the Public Health–Rofecoxib, Merck, and the FDA, NEJM 2004, 1707; Lenzer, Secret US Report Surfaces on Antidepressants in Children, BMJ 2004, 307. Moynihan/Heath/Henry, Selling Sickness: The Pharmaceutical Industry and Disease Mongering, BMJ 2002, 886. Sierles, et al., Medical Students' Exposure to and Attitudes about Drug Company Interactions: a National Survey, JAMA 2005, 1034, 1035.
Marketing Relationships between Physicians and the Drug and Device Industry
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Comparative Approaches to Regulation of Industry/Professional Relationships One of the most common responses is industry self-regulation through codes of conduct. The IFPMA Code of Pharmaceutical Marketing Practices lays down a baseline for pharmaceutical promotion worldwide. In Europe, the Code on the Promotion of Prescription-Only Medicines to, and Interactions with, Healthcare Professionals of the European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA), adopted in 1991 and revised most recently in 2007, establishes a self-regulatory framework for the thirty pharmaceutical-producing countries of Europe. The major pharmaceutical producing countries of Europe each also have their own independent codes, including the recently revised Association of the British Pharmaceutical Industry (ABPI) Code of Practice and the Code of Conduct of the Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V. In the United States, the Pharmaceutical Research and Manufacturing Association (PhRMA) Code governs interactions between pharmaceutical companies and professionals while the AdvaMed code governs device manufacturers. These codes vary from country to country in their stringency. At a minimum they proscribe or limit the least defensible forms of marketing. The EFPIA Code, which sets out a minimum standard for European codes, permits companies to host promotional events and pay travel costs for professionals to attend, but cautions companies to avoid venues that are “‘renowned’ for their entertainment facilities or are ‘extravagant’.”42 It also prohibits companies from offering gifts to professionals as an inducement to prescribe a particular product, but allows “inexpensive” gifts that are relevant to the practice of medicine.43 European national codes tend to reinforce the EFPIA Code, but contain national variations. The German Code, for example, prohibits “unreasonably molesting advertising,” including faxes and e-mails without prior permission.44 National codes can also be more specific and detailed. The British Code prohibits gifts with a value in excess of £6. The Japanese code is quite permissive, allowing pharmaceutical companies to pay for transportation for doctors attending conferences and to engage in unlimited assistance to providers in connection with their own products.45 In general, industry codes are vague and open to interpretation. It is also often not clear that any serious consequences follow from violating industry codes. The EFPIA Code suggests that national associations require offending companies to cease unpermitted activities and sanction offending companies with a combination of publication and fines.46 Complaints of violations of the ABPI Code in Britain are investigated by the Prescription Medicines Code of Practice Authority, which investigated 127 complaints in 2007, although many of these had to do with ad42 43 44 45
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§§ 9.01, 9.07. §§ 10.01, 10.02. § 13. Rodwin, Physicians’ Conflicts of Interest in Japan and the United States: Lessons for the United States, JHealthPolPol’yL 2000, 343, 354. Art.18.
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vertisements and a number were brought by competing pharmaceutical companies.47 I know of no independent research, however, as to the extent to which companies are in fact complying with marketing codes. A second common approach to regulating these relationships is professional association codes of conduct, which focus on the physician target of marketing. The World Medical Association’s 2004 “Statement Concerning the Relationship Between Physicians and Commercial Enterprises” is weaker than the statements of many national professional or regulatory bodies but at least provides a baseline for countries in which regulation does not exist or is minimal.48 The American Medical Association has issued an ethical opinion addressing gifts to physicians from industry and a lengthy set of questions and answers explicating that opinion.49 It permits, for example, gifts that are primarily for the benefit of patients and not of substantial value (defined as around $100) and “modest” dinners, but does not permit gifts of cash or sweepstakes offering expensive prizes. Significantly, it does not allow pharmaceutical companies to pay for travel, lodging, or meal expenses for physicians to attend conferences or meetings, although it does allow funding for social events during conferences and for travel expenses for “bona fide faculty.” The Canadian Medical Association Policy on Physicians and the Pharmaceutical Industry prohibits industry funding of travel expenses for physicians attending CME. It also prohibits “receipt of personal gifts of any significant monetary or other value,” and notes that gifts of any value have been shown to have the potential to influence clinical decisions.50 Finally, it prohibits doctors from charging a fee to see manufacturing representatives.51 Professionals must in all developed countries be licensed (or in a few countries, registered). A number of countries have professional licensure regulations limiting industry/physician relationships. Regulatory guidance is often quite vague. A General Medical Council Opinion of 2006, for example, states, “You must not ask for or accept any inducement, gift or hospitality which may affect or be seen to affect the way you prescribe for, treat, or refer patients.” The German (Muster-) Berufsordnung likewise prohibits gifts that are not “geringfügig.”52 It also prohibits doctors from participating in pharmaceutical advertising and requires doctors to file any contracts between them and pharmaceutical companies with the physician chamber.53 It does permit, however, pharmaceutical companies to pay travel costs for doctors to attend continuing education programs.54 In France, the Code de la Santé Publique (Article L.4113-6) prohibits doctors from 47 48 49
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PMCPA, Annual Report (2007), 2. See http://www.wma.net/e/policy/r2.htm. See Opinion E-8.061, Gifts to Physicians from Industry http://www.amaassn.org/ama/pub/category/4001.html; and Addendum II, Clarification on Gifts to Physicians from Industry. CMA Policy, Guidelines for Physicians in Interaction with Industry, sec. 44. Id. at sec. 49. MBO 2006, § 33 (2) & (3). MBO §§ 33 & 34. See Lippert/Ratzel, Arzt und Industrie nach den Beschlüssen des 106. Deutscher Ärztetag 2003, NJW 2003, 3301. Id. at § 33(4).
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receiving gifts worth more than 30 €.55 In the Netherlands both drug companies and doctors have been fined for providing and receiving “excess hospitality.”56 Again, however, it is hard to know how widespread noncompliance with regulatory requirements is, or how frequently disciplinary actions are brought. In a few countries continued licensure status depends on fulfilling continuing medical education (CME) requirements.57 In other countries, CME is not required, but physicians’ fees may be increased or decreased based on continuing education credits. In most countries, continuing education is voluntary and is handled through specialty associations or colleges and faculties.58 Industry involvement in CME seems pervasive, yet it does not seem to be addressed by government regulation in most countries.59 It is addressed in some, however, through private accreditation agencies. In the United States the Accreditation Council for Continuing Medical Education accredits continuing medical education. Accreditation is in turn required by state regulatory boards for CME credit. The ACCME attempts to limit the control that drug and device companies exert over continuing education that they finance. Its standards, for example, prohibit commercial interests from dictating the content or choosing the speakers for accredited CME activities, or for paying travel costs for doctors receiving CME.60 Marketing practices can also be addressed by government regulation of advertising. Title VIII of the European Council Directive 2001/83/EC addresses advertising of medicinal products, including advertising to health care professionals. Articles 94 and 95 permit drug and device companies only to offer inexpensive gifts and hospitality to professionals. Article 97 obligates member states to enforce the directive. In the U.K., pharmaceutical marketing is regulated by the Healthcare Products Regulatory Agency, in cooperation with the self-regulatory PMCPA.61 The HPRA publishes The Blue Guide: Advertising and Promotion of Medicines in the UK, which explains the UK Medicines Regulations, which in turn implement the EC Directive. It contains specific interpretation of the regulations, for example, defining “inexpensive” as not costing more that £ 6 (excluding VAT), and items “relevant to the practice of medicine” as including coffee mugs.62 The United States Food and Drug Administration (FDA) has statutory authority to regulate drug and device labeling and advertising.63 The FDA does not attempt to 55
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Wager, How to Dance with Porcupines: Rules and Guidelines on Doctor’s Relations With Drug Companies, BMJ 2003, 1196. McGuaran, Royal College Issues New Guidelines on Gifts from Drug Companies, BMJ 2002, 511. See Peck, et al., Continuing Medical Education GMC, Guidance on Continuing Professional Development, International Comparisons, BMJ 2000, 432. http://www.gmcuk.org/education/continuing_professional_development/cpd_guidance.asp. Peck, et al., BMJ 2000, at 433. Moynihan, BMJ 2008, 416. See ACCME, The ACCME Standards for Commercial Support (2007). See Memorandum of Understanding, available at http://www.gmc-uk.org/education/ continuing_professional_development/cpd_guidance.asp. Blue Guide ( 2005), at 30. 21 U.S.C. §§ 352(f), (n),(q) & (r), 353.
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control industry supported educational programs as long as the programs are independently administered, as outlined in an industry guidance.64 Professional school faculty and employees must also abide by the policies that govern their institution. Some medical schools in the United States have adopted policies greatly limiting pharmaceutical promotion on campus, for example. The Association of American Medical Colleges is currently in the process of considering recommendations for greater restrictions on interactions between industry and academic medical centers and their students.65 In countries where professional schools are state run, laws governing the institutions may require that the administration approve payments that faculty receive from industry.66 Finally, relationships between industry and physicians may also raise criminal law issues. This is particularly likely in countries where physicians are public employees. In Germany and Japan, for example, doctors employed by public hospitals or public educational institutions are civil servants. Gifts or payments to them could be considered to be attempts to bribe or corrupt public officials, which is in turn potentially a serious offense. Section 331 of the German Criminal Code prohibits a public official from accepting a benefit for discharge of an official duty, while section 332 prohibits an official from accepting a benefit in return for violating the officer’s official duties.67 In a recent decision, the Bundesgerichtshof refused to find a university professor guilty of violating section 331 where the doctor had received payments from a pacemaker manufacturer for services but where there was no evidence that the services were not approved by the university or that they had influenced treatment decisions. The court went on to observe that prosecutions for payments received by officials from third parties in connection with their official duties were certainly possible, and that it was very important that university faculty disclose industry relationships to the university administration and receive approval where necessary.68 In Japan, a “National Public Official Moral Code,” adopted in 2000 imposes constraints on doctors working at university hospitals similar to those found in the German law.69 Physician-industry relationships may also be problematic if they increase the costs of public insurance programs. In the United States, for example, it is illegal for an entity such as a pharmaceutical or device company to offer or pay “remuneration” to a physician in exchange for the referral of a patient or the ordering of a service, or for a physician to solicit or receive such a payment.70 Additionally, a physician may not refer a patient for a “designated health service,” including out64
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See FDA, Guidance for Industry: Industry-Supported Scientific and Educational Activities (1997). See Report of the AAMC Task Force on Industry Funding of Medical Education to the AAMC Executive Council (2008). See § 42, Beamtenrechtsrahmengesetz. StGB §§ 331, 332. See Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht 6 Auf. 2008, 491, 492; Lippert/Ratzel, NJW 2003, 3304-3305. 5 StR 363/02, BGH 5. Strafsenat, 25.2.2003. Akabayashi/Slingsby/Takimoto, Conflict of Interest: A Japanese Perspective, CambQHealthcareEth 2005, 277, 278. 42 U.S.C. § 1320a-7b(b).
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patient pharmaceuticals and durable medical equipment, if the physician has an investment or compensation arrangement with the entity providing the services.71 Both laws the antikickback and self referral laws cover all forms of remuneration, direct and indirect, in cash and in kind. It is, of course, always possible for physicians or companies to argue that a payment from a company was for something other than a referral, for example for genuine consulting services, but if “one purpose” for a payment is to secure a referral, it violates the law.72 The sanctions for violation of the antikickback and self-referral laws are potentially very serious. Violation of the antikickback law is a felony, punishable by up to five years in prison. Violation of the self-referral law results in the service for which the patient is referred not being covered by public insurance, but intentional violation of either law can potentially result in administrative sanctions or civil fines. Civil fraud cases brought against companies for violation of the law in recent years have been settled for amounts in the hundreds of millions of dollars. The Office of Inspector General of the Department of Health and Human services has issued a number of “compliance guidances” for pharmaceutical companies identifying a number of questionable practices, including: • Payments for switching patients from competing products; • Illegitimate consulting or advisory payments; • Payments to physicians for listening to detailers or provision of entertainment, recreation, travel, meals, or other benefits in association with information or marketing presentations; • Gifts, gratuities, and other business courtesies; and • Compensation relationships with physicians for services connected directly or indirectly to a manufacturer's marketing and sales activities, such as speaking, certain research, or preceptor or "shadowing" services.73 Pharmaceutical manufacturers have been a primary focus of fraud and abuse enforcement in recent years. In 2007, Purdue Pharma and Purdue Frederick agreed to pay $600 million for illegal marketing of Oxycontin, while three of its chief executives pled guilty to criminal charges. In 2006, Serono agreed to pay a fine of $704 million for illegal promotion of Serostim. Among other illegal practices, Serono had paid for a number of physicians to attend an AIDS conference in Cannes at its expense. The Department of Justice has also recently entered into “deferred prosecution agreements” with a number of medical device companies in which they have agreed to pay over 300 million dollars for violations of the fraud and abuse laws, and to agree to a number of practices in the future and continuing monitoring of their marketing practices by an independent monitor.74 It is possible that in other countries, receipt of payments from pharmaceutical companies could be seen as fraud as well, but in Germany, the fact that physicians have no direct 71 72
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42 U.S.C. § 1395nn. United States v. Greber, 760 F.2d 68 (3rd Cir. 1985). OIG, FedReg 2003, 23731. http://www.usdoj.gov/usao/nj/press/files/pdffiles/hips0927.rel.pdf.
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relationships with sickness funds because the Kassenärztlichen Vereinigungen intervene, makes this unlikely.75 In other countries, the potential of conflicts to affect medical costs is recognized but not criminalized. In Scotland, for example, financial relationships between physicians and drug companies are simply subject to public disclosure.76 In sum, regulation of marketing relationships between physicians and the drug and device industry are universally addressed by regulation, self-regulation, or criminal prohibition. Countries vary in the extent to which they rely on each of these approaches. Countries also vary in the stringency of their regulation. Some, for example, allow drug companies to finance physician travel to educational events sponsored by drug companies, others do not, and some even prohibit direct drug company funding of continuing education. Countries also vary in the specificity and clarity of their requirements. It is easier to evade and harder to enforce a requirement that gifts not be “excessive” than one that they not exceed £ 6. But all countries permit some financial benefits to flow from industry to physicians, none examined here permit them without limitation. Moreover, the international trend is toward stricter limits on these relationships.
How Should Industry Professional Relationships be Regulated? Drug and device companies should be prohibited from giving any gifts to professionals who have the authority to prescribe or order their products, to the families or employees of such professionals, or to undergraduate or graduate professionals in training. Where drug or device companies contract with a professional to provide a service for remuneration, compensation should be for a service of real value to the company for some purpose other than marketing (or assistance in marketing to others) and the compensation should be for the fair market value of the services and not be based on the volume and value of referrals. Drug and device companies should be absolutely prohibited from funding medical education, including continuing medical education, directly or indirectly. Drug and device companies must, of course, be allowed to continue to market their products, in print media, electronically, through presentations by company employees, and through face-to-face contact with physicians. Limitation of their right to do so may be unconstitutional in several countries as an abridgement of freedom of expression.77 But freedom of expression does not include the right to pay professionals to use a product, or even for their attention. Such payments should be stopped. 75 76
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Deutsch/Spickhoff, 2008, 493. Christie, Scottish Doctors Will Have to Register Financial Links to Drug Companies, BMJ 2004, 328. See Kesselheim/Avorn, Pharmaceutical Promotion to Physicians and First Amendment Rights, NEJM 2008, 1727; RJR-MacDonald Inc. v. Canada [1995] 3 S.C.R. 199 (commercial speech protected in Canada).
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Ending payments from drug companies to professionals will, however, upset the financial balance that currently exists in health systems in developed nations. The basic thesis of this chapter is that drug and device companies have been overpaid for their products and have passed on some of the excess payments they have received to others in the health care industry through marketing. The continuing medical education industry in particular, but also specialty societies and even patient disease organizations and medical schools (not to mention the office staff of doctors in clinical practice) have come to depend on funding from the drug and device industry. In most developed countries physicians are generously paid and should be able to afford their own lunches without drug industry assistance, but real shortfalls may appear in the funding of medical education and practice guideline development. Also, physicians may face diminished access to information about new drugs and devices. This funding shortfall should be made up by a tax imposed on the drug and device industry to raise funds for education and for practice guideline development. This money could be distributed through a government agency or through one or more nonprofit foundations formed for this purpose. Part of this money should be used to fund new “academic detailing” programs that would disseminate to doctors accurate, evidence-based, and unbiased information on drugs and devices. There is a long and successful track record for such programs in Canada, England, the Netherlands, Australia, and a number of American states.78 The rest of the funding would be passed on to continuing medical education providers for CME, specialty societies and patient groups for guidelines development and patient education, and perhaps to medical schools for fellowships.79 Drug and device manufacturers will protest that limitations on their marketing practices will diminish physician knowledge of new products (or new uses of existing products), and thus harm patient care. Limits on marketing may also reduce sales and thus the income that the industry depends on to do research and product development. It is not obvious that these results would follow. Drug companies will still be able to advertise their products through traditional channels, as do other successful industries. An adequately funded drug information agency should be able to get information out quickly to physicians about innovative products. It is demeaning to physicians to believe that they will inform themselves about products that will benefit their patients only if the information comes with free pizza. Truly superior products should thrive as their benefits are revealed by unbiased, evidence-based information. The producers of superior products will prosper, allowing them to pursue further innovative research. Drug companies, on the other hand, will find little profit in “me too” products that offer no comparative advantages to existing products unless they decide to compete seriously on price. Educational institutions – undergraduate, graduate, and continuing – will be able to focus their efforts on education, not on marketing. Unbiased practice guidelines and formularies will improve medical practice and patient care.
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See, Statement of Jerry Avorn, available at http://aging.senate.gov/events/hr190ja.pdf. See Brennan, et al., JAMA 2006, 431-432, calling for funding of CME through voluntary pooling of funding by drug companies.
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In the end, the goal of our health care systems is the care of patients. Patients are not well served by our current system for marketing of drugs and devices, the goal of which seems to be the distortion, indeed the corruption, of medical judgment through financial inducements. Vague and easily evaded prohibitions of particular practices are unlikely to improve the situation. Indeed, total prohibition of marketing inducements is not alone the optimal solution. Prohibition must be coupled with redirection of financial flows so that the educational functions currently served by marketing practices could be carried on, but in an objective and unbiased fashion. The proposal put forth by this chapter would make this possible.
Ersatzleistungen bei angeborenen Schäden statt Haftung für neues Leben: Rechtsentwicklung in Frankreich - Anregungen für das deutsche Recht
Christian Katzenmeier und Jonas Knetsch Mit seinen zahlreichen Publikationen hat Erwin Deutsch das Medizinrecht über Jahrzehnte wie kaum ein anderer geformt und viele Denkanstöße gegeben. Sein besonderes Interesse gilt immer wieder dem Ersatz angeborener Schäden. Dabei beschränkt sich Deutsch nicht darauf, die hiesige Rechtsprechung zu kommentieren und zu kritisieren1, schon früh richtete er den Blick auf alternative, in anderen Rechtsordnungen beschrittene Wege2. In Fällen von „wrongful life“ und „wrongful conception“ spricht Deutsch sich trotz dogmatischer Bedenken für einen eigenen Anspruch des Kindes aus3 und sieht darin eine pragmatische Lösung.4 Die folgenden, dem Jubilar zugeeigneten Ausführungen gelten der bis heute nicht befriedigend gelösten Problematik. Der Beitrag präsentiert die Rechtsentwicklung in Frankreich und regt eine neue Lösung für das deutsche Recht an.5
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Vgl. etwa die Anm. zu OLG Celle, JZ 1978, 528 u. OLG Bamberg, JZ 1978, 529 in JZ 1978, 532; zu BGHZ 76, 259 in SGb 1981, 78; zu BGHZ 86, 240 in JZ 1983, 451; zu BGHZ 89, 95 in JZ 1984, 889; zu BVerfGE 88, 203 in NJW 1993, 2361; zu BGHZ 124, 128 in NJW 1994, 776; zu BGHZ 143, 389 in JZ 2000, 729; zu BGHZ 151, 133 in NJW 2003, 26. Vgl. insbes. die Abhandlung „Unerwünschte Empfängnis, unerwünschte Geburt und unerwünschtes Leben verglichen mit wrongful conception, wrongful birth und wrongful life des anglo-amerikanischen Rechts“ in MDR 1984, 793; sowie „Das Kind oder sein Unterhalt als Schaden“ in VersR 1995, 609. Deutlich in VersR 1995, 609 (614): „Angesichts der gravierenden Fehler bei der Beratung der Eltern vor der Konzeption sollte der wirklich Geschädigte, und das ist das Kind, einen Ersatzanspruch haben“; aus jüngerer Zeit „Das behindert geborene Kind als Anspruchsberechtigter“ in NJW 2003, 26 (27 f.); s. auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 446. Zur spezifischen, „phänomenologischen“ Methode des Jubilars s. Ahrens, Festschrift für Deutsch, 1999, S. 1 (6). Dabei kann angeknüpft werden an die Überlegungen von Katzenmeier, Festschrift für Jayme, 2004, S. 1277 ff. und Knetsch, VersR 2006, 1050, diese werden zusammengeführt und fortgeschrieben.
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I. Der Streit um „Haftung für neues Leben“ Seit Jahrzehnten begreift die Rechtsprechung der Zivilgerichte den Unterhaltsaufwand für ein – gesund oder behindert geborenes – unerwünschtes Kind als ersatzfähigen Vermögensschaden und gewährt den Eltern, die aufgrund eines schuldhaften ärztlichen Versäumnisses in ihrer Familienplanung gestört wurden, einen prinzipiell umfassenden Schutz6. Wichtige Fallgruppen dieser „Haftung für neues Leben“7 bilden die fehlgeschlagene Sterilisation, der unterlassene oder falsche Hinweis auf die Versagerquote bei einem sterilisierenden Eingriff, der missglückte erlaubte Schwangerschaftsabbruch, sowie die im Rahmen pränataler Diagnostik pflichtwidrig nicht als Möglichkeit eröffnete zulässige Abtreibung. Trotz des Widerspruchs des Zweiten Senats des BVerfG, der die rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schaden mit Rücksicht auf die in Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantierte Würde des Menschen untersagte8, hält der BGH an seiner Spruchpraxis fest, denn nicht das Kind, sondern dessen Unterhalt stelle den Schaden dar9. Diese Position billigte zuletzt der Erste Senat – unter Verzicht auf die wohl eröffnete verfassungsgerichtliche Plenarentscheidung – zumindest in Fällen fehlgeschlagener Sterilisation und fehlerhafter genetischer Beratung10. Der Streit über das Thema „Kind als Schaden“ ist damit aber keineswegs verstummt, sondern wird leidenschaftlicher denn je ausgefochten. So entfachten die BGHUrteile der letzten Jahre erneut eine Grundsatzdebatte11. Kritiker sehen in der Differenzierung einen letztlich unstatthaften Kunstgriff. Die Unterhaltspflicht knüpfe an die Abstammung an, man könne sie nicht im Wege der Schadensersatzpflicht auf Dritte abwälzen12. Dies verbiete sich auch deshalb, weil es nachteilige seelische Folgen für das Kind mit sich bringen könne, wenn es später erfahre, dass seine Existenz als Schadensereignis gewertet werde. In der Auseinandersetzung darf eines nicht verkannt werden: Die Judikate sind kein Zeugnis moralischer Stumpfsinnigkeit der urteilenden Richter, vielmehr das Ergebnis einer pragmatischen, in sich schlüssigen juristischen Dogmatik. Mit 6
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Grdl. BGHZ 76, 249 u. 259; 86, 240; 89, 95; 95, 199; 151, 133; jüngst BGH, NJW 2006, 1660 und NJW 2007, 989. H. Lange, Haftung für neues Leben?, Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Geistes- und Sozialwissenschaftliche Klasse, Jg. 1991, Nr. 2, 1991, S. 19; Laufs, NJW 1998, 796 (796 f.). BVerfGE 88, 203 (296) = NJW 1993, 1751 (1763 f.). BGHZ 124, 128 (136 ff.); BGH, NJW 1997, 1638 (1640). BVerfGE 96, 378 = NJW 1998, 519. Zu dem Konflikt zwischen den beiden Senaten vgl. Stürner, JZ 1998, 317. BGH, Urt. v. 18. Juni 2002 – VI ZR 136/01 = BGHZ 151, 133 = NJW 2002, 2636; Kritik etwa von Stürner, JZ 2003, 155; C. Wagner, NJW 2002, 3379; SchmidtRecla/Schumann, MedR 2002, 643; Katzenmeier, JR 2003, 70; auch Deutsch, NJW 2003, 26; ders., ZRP 2003, 332; um Verständnis werbend G. Müller, NJW 2003, 697 – Zu der Fortentwicklung der Rspr. durch BGH, Urt. v. 14. November 2006 – VI ZR 48/06 = NJW 2007, 989, s. Mörsdorf-Schulte, NJW 2007, 964; Schlund, JR 2007, 463; Born, FamRZ 2007, 129; Katzenmeier, LMK 2007, 213142. Vgl. nur etwa Laufs, Arztrecht, 5. Aufl. 1993, Rn. 347 ff.; ders., NJW 1998, 796; ders., in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 106, Rn. 11 m.w.N.
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Nachdruck verficht der VI. Zivilsenat des BGH die Wertneutralität seiner allein die wirtschaftliche Seite eines hochkomplexen Lebenssachverhalts erfassenden Betrachtungsweise, die Begriffe „Schaden“ und „Schadensersatz“ seien juristische Kategorien, die bei sachlicher und emotionsfreier Betrachtungsweise kein Unwerturteil enthalten13. Da in der Rechtsordnung auch anderweitig anerkannt ist, dass Unterhaltspflicht und Elternschaft auseinanderfallen können, vermag der BGH in der Übernahme der Unterhaltslast durch den Arzt keine Missachtung des Lebensrechts und der Menschenwürde des betreffenden Kindes zu erkennen, sondern sieht darin im Gegenteil einen wirtschaftlichen Vorteil für das Kind, der geeignet sei, dessen Akzeptanz durch die Eltern zu erhöhen14. Dem mit Behinderung geborenen Kind selbst gewährt die Rechtsprechung keine eigenen Ansprüche15. Denn eine Alternative zum Leben unter schweren und schwersten Bedingungen wäre in den einschlägigen Fällen ja nicht das (nicht mögliche) Leben als gesunder Mensch, sondern die Nicht-Existenz. Ein Recht auf Nicht-Existenz aber lasse sich nicht postulieren, und die Existenz könne gegenüber der Nicht-Existenz auch nicht als Nachteil begriffen werden. Diese Feststellungen tragen dem BGH zusätzliche Kritik ein: Das Gericht messe mit zweierlei Maß, wenn es dem unerwünschten, mit kongenitalen Gebrechen geborenen Kind Ersatzansprüche versagt, wenn es also das Lebensgut einmal mit Blick auf das Kind für absolut sakrosankt, dann wieder aus der Perspektive der Eltern für weitgehend disponibel halte16. Darüber hinaus wird auf die bedenkliche Folge dieser Ansicht hingewiesen, dass dem Kind nach einem Ableben der Eltern nichts mehr zugute kommt, es also gerade dann ganz unversorgt dasteht, wenn es einer Versorgung wegen des Wegfalls der Unterhaltspflichtigen am meisten bedarf. Die unzureichende Absicherung des Kindes wird von Kritikern wie Befürwortern der BGH-Rechtsprechung in besonderem Maße als unbefriedigend empfunden. Bei der Suche nach einer Lösung mag die Rechtsvergleichung wertvolle Anregungen geben. Besondere Aufmerksamkeit gilt der jüngeren Rechtsentwicklung in Frankreich. Dort ist eine bemerkenswerte neue Regelung getroffen worden. Der Weg verlief nicht geradlinig, sondern ist durch unterschiedliche Ansatzpunkte und kontroverse Debatten gekennzeichnet. Eine genauere Betrachtung und Analyse verspricht Gewinn für die Problembewältigung auch hierzulande.
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G. Müller, NJW 2003, 697 (699). BGHZ 124, 128 (143 f.). Ebenso nunmehr das Schweizerische Bundesgericht (BGer) 20. Dezember 2005 (BGE) 132 III 359, 4C.178/2005; aus der österr. Rspr. vgl. zuletzt OGH 7. März 2006, 5 Ob 165/05h, RdM 2006, 90; 14. September 2006, 6 Ob 101/06f, ÖJZ 2006, 171 mit Anm. Steininger; 30. November 2006, 2 Ob 172/06t. BGHZ 86, 240 (250 ff.); OLG München, NJW 1981, 2012; OLG Düsseldorf, VersR 1995, 1498. Picker, Schadensersatz für das unerwünschte eigene Leben – „Wrongful life“, 1995, S. 26 ff. und passim; dazu Zimmermann, JZ 1997, 131 f.; Laufs, NJW 1998, 796 (797).
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II. Rechtsentwicklung in Frankreich 1. Übersicht Ausgangspunkt der Entwicklung ist der sog. arrêt Perruche vom 17. November 2000. Er gilt als die am meisten kommentierte Gerichtsentscheidung in der Geschichte des französischen Privatrechts. Wohl nie zuvor erregten sich Juristen, Politiker und die Gesellschaft so sehr über ein Verdikt des Kassationsgerichtshofs. Die Cour de cassation hatte einem behindert geborenen Kind einen Anspruch auf Schadensersatz zugesprochen, da sich die Mutter ohne die Sorgfaltswidrigkeit des Arztes bei der pränatalen Vorsorgeuntersuchung für eine Abtreibung entschieden hätte. Auch im französischen Recht sind bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit ärztlichen Pflichtverletzungen vor der Geburt eines Kindes verschiedene Fallgruppen zu unterscheiden. Juristisch ohne größere Probleme lässt sich die Konstellation erfassen, in der das ungeborene Kind durch aktives Handeln eines Dritten noch im Mutterleib geschädigt wird. Schon vor der PerrucheRechtsprechung eröffnete das Haftungsrecht hier dem Kind nach der Geburt einen eigenen Anspruch auf Ersatz des Schadens17. Dieser Anspruch wurde im Jahr 2002 legislativ bestätigt und die Ersatzpflicht ausdrücklich auch auf die Fälle ausgeweitet, in denen ein Arzt eine therapierbare Krankheit des ungeborenen Kindes nicht erkannt oder falsch behandelt hat18. Anders als der deutsche Bundesgerichtshof sieht die Spruchpraxis der französischen Zivil- und Verwaltungsgerichte19 allerdings keinen Anspruch der Eltern auf Entschädigung für die Geburt eines ungewollten gesunden Kindes vor. Sowohl die Cour de cassation als auch der Conseil d’Etat vertreten den Standpunkt, dass Eltern nach einer fehlgeschlagenen Sterilisation oder einem „missglückten“ 17
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Vgl. Conseil d’Etat (CE), 27. September 1989, Recueil Dalloz (D.) 1991, jur. 80 mit Anm. Verpeaux und Cour de cassation (Cass.), 1. Zivilkammer (Civ. 1), 16. Juli 1991, La semaine juridique – Edition générale (JCP G) 1992, II, Nr. 21881 mit Anm. Moreau. Ähnlich auch Cass. Civ. 1, 3. Februar 1993, Nr. 91-12.391 (unveröffentlicht). Art. 1 des Gesetzes vom 4. März 2002: „La personne née avec un handicap dû à une faute médicale peut obtenir la réparation de son préjudice lorsque l’acte fautif a provoqué directement le handicap ou l’a aggravé ou n’a pas permis de prendre les mesures susceptibles de l’atténuer“ (eine Person, die mit einer auf einem ärztlichen Fehler beruhenden Behinderung geboren wurde, kann Schadensersatz erhalten, wenn das Fehlverhalten die Behinderung unmittelbar verursacht oder verschlimmert hat oder das Fehlverhalten verhindert hat, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Behinderung zu lindern). Das zuständige Gericht sowie das anwendbare Recht (Verwaltungs- oder Zivilrecht) bestimmen sich nach den in Anspruch genommenen Personen. Im französischen Recht kommt es nur bei Behandlung durch niedergelassene Ärzte oder private Kliniken zu einem privatrechtlichen Behandlungsvertrag, anderenfalls besteht ein öffentlichrechtliches Vertragsverhältnis, das der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte unterliegt, s. T. Winter, „Bébé préjudice“ und „Kind als Schaden“, 2002, S. 34. Unterschiede in der Spruchpraxis sind jedoch selten (siehe aber unter II. 2. zu CE, 14. Februar 1997, Quarez).
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Schwangerschaftsabbruch keinen Schadensersatzanspruch gegen die behandelten Ärzte geltend machen können20. Hierzu führt der Kassationsgerichtshof aus, dass für die Mutter die alleinige Existenz des von ihr geborenen Kindes keinen juristisch ersatzfähigen Schaden darstellen kann („l’existence de l’enfant qu’elle a conçu ne peut, à elle seule, constituer pour sa mère un préjudice juridiquement réparable“)21, insofern es sich um die normalen Belastungen einer jeden Mutterschaft handele und nicht eine besondere Schadensposition hinzutrete22. Augenscheinlich sind insoweit rein ethische Gesichtspunkte maßgebend, die Rechtsprechung folgt jedenfalls keiner erkennbaren juristischen Argumentationsstruktur, um den Ersatzanspruch auszuschließen23. Die Ablehnung solcher „wrongful birth“Forderungen steht hierbei im Einklang mit der Rechtsprechung in manch anderen europäischen Ländern, die ebenfalls einen Anspruch der Eltern auf Ersatz des Schadens bei Geburt eines gesunden Kindes verneinen24. Einem Anspruch des Kindes steht seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 4. März 2002 auch die Regelung in Art. L. 114-5 des französischen Sozialhilfegesetzbuchs (Code de l’action sociale et des familles [C. act. soc. fam.]) entgegen: „Niemand kann einen Schaden allein daraus geltend machen, dass er geboren wurde.“25 Die umstrittene Konstellation, die zur Perruche-Rechtsprechung führte und Auslöser für das Gesetz vom 4. März 2002 war, betrifft die Frage nach der Ersatzpflicht bei der Geburt eines behinderten Kindes in einem Fall, in dem die Mutter bei pflichtgemäßem Verhalten des Arztes oder des Krankenhauses von ihrem Kinderwunsch Abstand genommen hätte, also die Schwangerschaft vermieden hätte oder hätte abbrechen lassen. Für diesen Fall erkannte die französische Cour de cassation in ihrem umstrittenen Judikat einen eigenen Ersatzanspruch des Kindes an. Anders entschied der Conseil d’Etat, welcher nicht dem Kind, sondern den Eltern einen Anspruch auf Schadensersatz zusprach. Die divergierenden Positionen der Höchstgerichte stellten beide auf eine Lösung nach allgemeinem Haf20
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Grundlegend CE, 2. Juli 1982, Gazette du Palais (Gaz. Pal.) 1983, I, 193 mit Anm. Moderne sowie Cass. Civ. 1, 25. Juni 1991, D. 1991, jur. 566 mit Anm. Le Tourneau. Zu einer Entscheidung der Cour d’appel de Paris (29. November 2001, D. 2003, 661 mit Anm. Pomart), die nach einem fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruch der Mutter einen Schadensersatzanspruch auf der Grundlage einer mangelhaften Aufklärung über das Risiko des Fortbestehens einer Schwangerschaft zuspricht, siehe Arnold, VersR 2004, 309. Cass. Civ. 1, 25. Juni 1991, D. 1991, jur. 566. Die Cour de cassation verlangt „un dommage particulier ajouté aux charges normales de la maternité“. So auch Demme/Lorentz, Revue internationale de droit comparé (RID comp.) 2005, 103 (107 ff.). Vgl. v. Bar, The Common European Law of Torts, Vol. 1, 1998, Nr. 582 und die diversen Urteilsanmerkungen in European Review of Private Law 2003, 201 (227). Zum italienischen, dänischen und wohl auch niederländischen Recht s. Rebhahn, ZEuP 2004, 794 (797); zu den jüngsten Entwicklungen im österreichischen Recht s. die Nachweise in Fn. 14. Anders aber die Position der belgischen, spanischen, englischen sowie der Gerichte in den meisten amerikanischen Staaten, vgl. v. Bar, a.a.O., Nr. 582 und Demme/Lorentz, RID comp. 2005, 103 (107 ff.). Dazu eingehend unter II. 3.
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tungsrecht ab (sub 2.). Aufgrund vehementer Proteste der Ärzteschaft, von Versicherungen, von Behindertenverbänden und Juristen beschloss das französische Parlament am 4. März 2002 das Gesetz über die Patientenrechte und die Qualität des Gesundheitswesens („loi relative aux droits des malades et à la qualité du système de santé“)26. Dieser Legislativakt beschnitt in erheblichem Maße die durch die französischen (Zivil- und Verwaltungs-) Gerichte bis dato gewährten Entschädigungsrechte der Eltern respektive des behindert geborenen Kindes. Das Gesetz verwies für den Ausgleich der weitaus bedeutendsten Schadensposition, dem Mehraufwand für Pflege und Erziehung des Kindes, auf die nationale Solidarität („solidarité nationale“), ohne jedoch konkrete Alternativlösungen vorzusehen (sub 3.). Erst mit Gesetz vom 11. Februar 200527 entschloss sich der französische Gesetzgeber, die entstandene Regelungslücke zu schließen und die Versorgung des behindert geborenen Kindes durch das Sozialversicherungs- und Fürsorgerecht aufzufangen. Mit Gesetz vom 19. Dezember 200728 wurde der neu geschaffene und umfassend angelegte Ausgleichsanspruch („prestation de compensation“) auf Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren ausgeweitet, womit die „Kind als Schaden“-Problematik vorerst einer abschließenden Lösung zugeführt worden ist (sub 4.).
2. Haftungsrechtliche Lösungsansätze Im Quarez-Urteil vom 14. Februar 1997 bejahte der Conseil d’Etat in einer „wrongful birth“-Konstellation einen Schadensersatzanspruch der Eltern, da sie sich bei korrekter Interpretation einer Amniozentese und Entdeckung der Behinderung für den Abbruch der Schwangerschaft entschieden hätten29. Ein eigener Anspruch des Kindes wurde abgelehnt. Das Urteil stützte sich insoweit ganz auf den fehlenden Kausalzusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Krankenhauses bei der Amniozentese und dem vorgebrachten Schaden des Kindes. Erst in einer Pressemitteilung vom 20. Februar 1997 führte der Conseil d’Etat darüber hinaus an, dass der Umstand zu leben, nicht als ein erlittener Schaden des Kindes angesehen werden könne („le fait d’être en vie ne saurait être regardé comme un préjudice subi par l’enfant“). Das Gericht orientierte sich seinerzeit wohl an dem Schlussantrag („conclusions“) der Regierungskommissarin V. Pécresse, die einen Ersatzanspruch des Kindes auch aus rechtsethischen Gründen ausschloss: Bejahe man einen Anspruch des Kindes, so könne dies letztlich auch zu einer Inanspruchnahme der Mutter mit der Begründung führen, dass diese die Schwangerschaft nicht abgebrochen und damit dem Kind durch die Behinderung einen Vermögensnachteil zugefügt habe30. 26
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Loi n° 2002-303, Journal officiel (JO) v. 5. März 2002, 4118. Der Originaltext jedes französischen Gesetzes ist kostenlos abrufbar unter http://www.legifrance.gouv.fr. Loi n° 2005-102, JO v. 12. Februar 2005, 2353. Loi n° 2007-1786, JO v. 21. Dezember 2007, 20603. CE, 14. Februar 1997, Quarez, Revue française de droit administratif (RFDA) 1997, 382 mit Anm. Mathieu. Vgl. Pécresse, RFDA 1997, 374. Zu dieser Rechtsprechung in deutscher Sprache Son-
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Im Gegensatz zur Rechtsprechung des Conseil d‘Etat hatte die Cour de cassation bereits ein Jahr vor dem Quarez-Urteil, in einer Entscheidung vom 26. März 1996, einen Anspruch des behindert geborenen Kindes auf Ersatz der Schäden, die ihm aus der vom Arzt schuldhaft nicht erkannten Behinderung entstanden sind, bejaht. Besondere Aufmerksamkeit erregte gleichwohl erst die Entscheidung der Assemblée plénière (Vollversammlung) der Cour de cassation vom 17. November 200031. Sie bestätigte das erste Judikat der Cour de cassation (sub a)) und wurde in einer Fülle von Beiträgen scharf kritisiert (sub b)). a) Die Entscheidungen der Cour de cassation in der Sache „Perruche“ Der umstrittenen Rechtsprechung der Cour de cassation lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Januar 1983 wurde Frau Perruche von ihrem Sohn Nicolas entbunden, der schwerstbehindert mit dem sog. Gregg-Syndrom zur Welt kam, welches typischerweise durch eine Rötelinfektion der Mutter während der Schwangerschaft verursacht wird. Frau Perruche war in der Tat im Mai 1982 an Röteln erkrankt und hatte aus diesem Grund ihren Hausarzt aufgesucht. Sie teilte ihm mit, dass sie die Leibesfrucht abtreiben würde, sollten in ihrem Körper nicht ausreichend Antikörper vorhanden sein. Aus der fehlerhaften Interpretation zweier widersprüchlicher serologischer Befunde durch das Labor zog der behandelnde Arzt den Schluss, die Schwangere sei gegen Röteln immun, woraufhin Frau Perruche die Schwangerschaft nicht unterbrach.
Nach Art. L. 162-12 a.F. Code de la santé publique wäre eine Abtreibung zu dem Zeitpunkt nicht strafbar gewesen, da diese im französischen Recht aus therapeutischen Gründen ohne zeitliche Begrenzung durchgeführt werden darf32. Die Klage der Eltern (im eigenen Namen und im Namen ihres Kindes) richtete sich sowohl
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nenberger, FamRZ 2001, 1414 (1417). Cass. Ass. plén., 17. November 2000, JCP G 2000, II, Nr. 10438 mit Bericht des Referenten P. Sargos, den Schlussfolgerungen des Generalanwalts J. Sainte-Rose sowie einer Anm. von F. Chabas. Ein Nachweis der zahlreichen Urteilskommentierungen findet sich u.a. bei Lambert-Faivre, D. 2002, chr. 1217 (dort Fn. 2). Siehe auch die Dokumentation auf http://www.courdecassation.fr. Die durch Neufassung des Gesetzbuches nunmehr unter Art. L. 2213-1 des Code de la santé publique zu findende Regelung besagt, dass eine Abtreibung zu jeder Zeit vorgenommen werden kann, wenn zwei Ärzte bescheinigen, dass die Fortsetzung der Schwangerschaft die Gesundheit der Schwangeren in besonderem Maße gefährdet oder falls das Kind bei Geburt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine besonders schwere Gesundheitsbeeinträchtigung haben wird, die zum Zeitpunkt der Diagnose als unheilbar gilt („L'interruption volontaire d'une grossesse peut, à toute époque, être pratiquée si deux médecins membres d'une équipe pluridisciplinaire attestent, après que cette équipe a rendu son avis consultatif, soit que la poursuite de la grossesse met en péril grave la santé de la femme, soit qu'il existe une forte probabilité que l'enfant à naître soit atteint d'une affection d'une particulière gravité reconnue comme incurable au moment du diagnostic“).
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gegen den Hausarzt als auch gegen das Labor auf Ersatz der den Eltern und dem Kind entstandenen Schäden. Das Erstgericht (Tribunal de grande instance d’Evry) gab der Klage statt33 und verpflichtete die beiden Beklagten gesamtschuldnerisch zu einer Zahlung von 500.000 Francs an das Kind als Ersatz seines Körperschadens und nahezu zwei Millionen Francs an den Sozialversicherungsträger für die Behandlungskosten. Ohne konkret auf das Verschulden des Arztes einzugehen, wurden beide Beklagte für die fehlerhafte Analyse der serologischen Untersuchungen verantwortlich gemacht34. Nach Berufung des Arztes bestätigte die Cour d’appel de Paris am 17. Dezember 199335 das Verschulden beider Akteure, wies jedoch die Klage auf Ersatz des dem Kind entstandenen Schadens mit der Begründung ab, aus dem Unterlassen der Abtreibung könne kein für das Kind ersatzfähiger Schaden abgeleitet werden36. Ferner sei die Behinderung nicht auf das Fehlverhalten von Labor und Arzt, sondern allein auf die Rötelinfektion zurückzuführen, die der Existenz des Kindes unabhängig von jeglicher medizinischer Behandlung anhafte37. Mit Entscheidung vom 26. März 199638 hob die Cour de cassation das Urteil der Cour d’appel de Paris nach Kassationsbeschwerde der Eltern auf. Die erste Zivilkammer entschied, dass das Fehlverhalten des Arztes und des Labors sehr wohl einen Schaden des Kindes verursacht habe, da die Eltern ihren Willen geäußert hatten, im Falle einer Rötelinfektion eine Abtreibung vornehmen zu lassen und sie daher durch die fehlerhaft durchgeführte serologische Analyse davon abgehalten worden seien, sich gegen die Austragung des Kindes zu entscheiden39. 33
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TGI Evry, 13. Januar 1992 (unveröffentlicht), zusammengefasst bei Labrusse-Riou, Naissances handicapées et responsabilité (Forschungsbericht Université Paris 1), 2005, S. 15. Kritisch zu dem Umstand, dass dem Arzt das Verschulden des Labors zugerechnet wurde v. Bar, Anm. zu Cass. Civ. 1, 26. März 1996, ZEuP 2000, 121 (122). CA Paris, 17. Dezember 1993, D. 1995, somm. 98 mit Anm. Penneau. In dieselbe Richtung auch CA Bordeaux, 26. Januar 1995, JCP G 1995, IV, Nr. 1568 sowie CA Versailles, 8. Juli 1993, D. 1995, somm. 98 mit Anm. Penneau. Hierzu die Cour d’appel in der Originalfassung: „le fait pour l'enfant de devoir supporter les conséquences de la rubéole faute pour la mère d'avoir décidé une interruption de grossesse ne peut, à lui seul, constituer pour l'enfant un préjudice réparable“. Dazu im Originaltext: „les séquelles dont est atteint Nicolas X... ont pour seule cause la rubéole que lui a transmise in utero sa mère […] cette infection au caractère irréversible est inhérente à la personne de l’enfant et ne résulte pas des fautes commises“. Cass. Civ. 1, 26. März 1996, D. 1997, 35 mit Anm. Roche-Dahan und ZEuP 2000, 120 mit Anm. v. Bar. Am selben Tag erging eine weitere Entscheidung der ersten Zivilkammer, in der die Richter dem Kind ebenfalls einen eigenen Ersatzanspruch gegen einen Arzt zusprachen. In dieser Sache hatten die Eltern des Kindes sich mehr als vier Jahre vor Zeugung des Kindes bei einem Genetiker erkundigt, wie hoch das Risiko sei, dass ein Kind die Erbkrankheit des Vaters erben könnte. Trotz negativen Gutachtens traten bei dem Kind nach der Geburt die Symptome der befürchteten Krankheit auf. Zu diesem Punkt führt die Cour de cassation aus: „il était constaté que les parents avaient marqué leur volonté, en cas de rubéole, de provoquer une interruption de grossesse et que les fautes commises les avaient faussement induits dans la croyance que la mère était immunisée, en sorte que ces fautes étaient génératrices du dommage subi par
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Die Richter erkannten daher (vier Jahre vor der umstrittenen PerrucheEntscheidung der Assemblée plénière) dem Kind einen eigenen deliktischen Schadensersatzanspruch zu. Zwar kam es zu einigen kritischen Reaktionen von Juristen und Ärzten, jedoch fielen diese bei weitem nicht so heftig aus wie nach dem Perruche-Urteil vom 17. November 2000, wohl auch weil der Conseil d’Etat ein knappes Jahr später in seiner Quarez-Entscheidung40 in einem anderen Fall nur den Eltern einen Anspruch zuerkannte und man erwartete, dass diese Lösung sich durchsetzen würde41. Die Cour de cassation verwies das Verfahren an die Cour d’appel d’Orléans zurück. Diese entschied am 5. Februar 1999 wie schon das Erstberufungsgericht (Cour d’appel de Paris), dass das Kind keinen ersatzfähigen Schaden erlitten habe, der in einem Kausalzusammenhang zum Verschulden von Arzt und Labor steht42. Vom Referenten P. Sargos als „arrêt de rébellion“ bezeichnet, wandte sich das Urteil der Cour d’appel also ausdrücklich gegen die Lösung der Cour de cassation und entzog dem Kind den gewährten eigenen Schadensersatzanspruch. Da im französischen Prozessrecht das Berufungsgericht, an welches das Verfahren zurückverwiesen wird, üblicherweise der Rechtsauffassung der Cour de cassation folgt, kam die erneute Kassationsbeschwerde der Eltern wiederum vor das oberste Zivilgericht, das nunmehr in seiner würdevollsten Besetzung eines großen Senats, der Assemblée plénière, ausschließlich über den Anspruch des Kindes zu befinden hatte43. Die Cour de cassation hob die abweisende Entscheidung der Cour d’appel d’Orléans auf und sprach dem Kind erneut einen eigenen Schadensersatzanspruch zu. Selbst für französische Verhältnisse ist das Urteil vom 17. Dezember 2000 ausgesprochen knapp und wenig aussagekräftig44. Die für die umstrittene Rechtsposition des Kindes entscheidende Passage beschränkt sich auf einen Absatz, aus dem sich die genaue Rechtsauffassung der Cour de cassation nur ungefähr ableiten lässt:
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l'enfant du fait de la rubéole de sa mère“. Siehe oben II. 2. So Rebhahn, ZEuP 2004, 794 (802). CA Orléans, 5. Februar 1999, Revue trimestrielle de droit civil (RTD civ.) 2000, 80 ff. mit Anm. Hauser: „l'enfant Nicolas X... ne subit pas de préjudice indemnisable en relation de causalité avec les fautes commises par le laboratoire de biologie médicale et le docteur Y...“. Zu dem Grundsatz, dass der Kassationsgerichtshof anders als der deutsche Bundesgerichtshof nicht in der Sache selbst entscheiden, sondern das angefochtene Urteil nur aufheben und die Sache an ein anderes Gericht verweisen kann, siehe Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 9 I. Falls nach der Entscheidung durch die Assemblée plénière erneut auf Aufhebung erkannt und die Sache an ein drittes Gericht zurückverwiesen wird, ist erst dieses an die Rechtsauffassung der Cour de cassation gebunden. Vgl. zum Stil französischer Gerichtsentscheidungen Hübner/Constantinesco, Einführung in das französische Recht, 4. Aufl. 2001, S. 11 f. m.w.N. und Murad/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht: Einführung und Allgemeiner Teil des Zivilrechts - Band 1/1, 2. Aufl. 1994, Rn. 1 B 61.
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„(…) dès lors que les fautes commises par le médecin et le laboratoire dans l'exécution des contrats formés avec Mme X... avaient empêché celle-ci d'exercer son choix d'interrompre sa grossesse afin d'éviter la naissance d'un enfant atteint d'un handicap, ce dernier peut demander la réparation du préjudice résultant de ce handicap et causé par les fautes retenues“
Aufschlussreicher hierzu sind der Bericht des Referenten P. Sargos und der Schlussantrag des Generalanwalts J. Sainte-Rose, welche dem Gericht bei der Urteilsfindung vorlagen, sowie der Jahresbericht 2000 der Cour de cassation, der die Entscheidungsgründe darlegt. Das Höchstgericht stellte in dem Judikat nicht auf die Behinderung an sich ab, für die die Pflichtverletzung des Arztes und des Labors nicht ursächlich gewesen seien, sondern auf die Nachteile, die dem Kind aus der Behinderung entstanden sind. Was die Richter des französischen Kassationsgerichtshofs allein interessierte, war die Entwicklung des Lebens des Kindes, welches von Leiden und Nachteilen aller Art geprägt sein werde. Diese seien den Beklagten zuzurechnen, da durch deren Verschulden die schwangere Frau das ihr zustehende Recht über die Austragung des Kindes oder den Abbruch der Schwangerschaft nicht wirksam habe ausüben können. Anders als J. Sainte-Rose, der in seinem Schlussantrag Zweifel an dem Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem geltend gemachten Schaden und dem Fehlverhalten von Arzt und Labor äußerte45, qualifizierte P. Sargos den Umstand, dass die Fehldiagnose des Arztes rein biologisch betrachtet nicht die Ursache der Schädigung des Kindes ist, als bedeutungslose Binsenweisheit („lapalissade sans portée“)46. Es sei unerheblich, dass die aus dem Vertrag mit der Mutter sich ergebenden ärztlichen Pflichten a priori nur dieser gegenüber bestanden, denn ein Dritter, der geltend macht, er sei durch eine Vertragsverletzung gegenüber dem Gläubiger geschädigt worden, berufe sich auf die verletzte Pflicht als Grundlage einer deliktischen Haftung nach Art. 1382 ff. Code civil47. Für P. Sargos bestand die Hauptschwierigkeit einer Entschädigung des Kindes darin, eine Verletzung der Menschenwürde („principe du respect de la personne humaine“) zu begründen, hatten es doch erst die Fehler des Arztes und des Labors dem Kind ermöglicht, auf die Welt zu kommen, wenn auch mit einer Behinde45
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Hierzu im Originaltext: „Sous le prétexte d'indemniser un handicap alors que celui-ci ne peut être rattaché par un lien de causalité au comportement fautif des praticiens, n'est-ce pas, en réalité, la naissance et donc la vie de l'enfant qui sont considérées comme un préjudice?“. P. Sargos teilt damit die Auffassung von Jourdain, der in seiner Anmerkung (RTD civ. 1996, 623) zum ersten Perruche-Urteil der Cour de cassation schrieb: „La motivation utilisée par les magistrats du second degré pour nier le lien de causalité entre les fautes constatées et les séquelles de la rubéole semblait bien fragile. Dire en effet que ces séquelles ont pour cause la rubéole est une lapalissade sans portée. La vraie question était de savoir si, sans les fautes commises par le médecin et le laboratoire, ces séquelles auraient pu être évitées“. Siehe Nr. 39 des Berichts und vgl. Cass. Civ. 1, 7. Juli 1998, D. 1999, 391. Allgemein zu diesem Punkt, Terré/Simler/Lequette, Droit civil - Les obligations, 9. Aufl. 2005, Rn. 495 m.w.N. Anders wohl aber die Vorentscheidung vom 26. März 1996, s. dazu in deutscher Sprache v. Bar, ZEuP 2000, 120.
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rung, die die Mutter bei zutreffender Diagnose durch einen Schwangerschaftsabbruch verhindert hätte48. P. Sargos wehrte sich gegen den Vorwurf, die Entschädigung des behinderten Kindes komme einer Eugenik gleich, indem er anführte, es sei inkonsequent, die Kausalität bei dem Ersatzanspruch der Mutter zu bejahen, beim Ersatzanspruch des Kindes aber zu verneinen, handele es sich doch um dasselbe Fehlverhalten. Spreche man dem behinderten Kind keinen eigenen Anspruch zu, so bleibe es oft ohne Hilfe, bisweilen auch noch zu Lebzeiten der Eltern. Die Menschenwürde werde durch Anerkennung eines Schadensersatzanspruchs des behinderten Kindes eher geschützt als durch die Ablehnung einer Ersatzpflicht. Der Kassationsgerichtshof ist an den Bericht des Referenten nicht gebunden, er kann sich über die Lösungsvorschläge des Berichts oder des Schlussantrags des Generalanwalts49 hinwegsetzen. Der Jahresbericht 2000 der Cour de cassation greift aber die Überlegungen von P. Sargos auf und begründet die PerrucheJudikatur damit, dass ein effektiver und nicht bloß theoretischer Respekt der Person die Zuerkennung eines Ersatzanspruches an das behinderte Kind selbst erfordere50. Zwar habe der Conseil d’Etat in seiner Quarez-Entscheidung sich für den alleinigen Ersatzanspruch der Eltern und die Entschädigung in Form einer Einmalzahlung entschieden, doch unterliege damit die Versorgung des behinderten Kindes Wagnissen, die allein der Sphäre der Eltern zuzurechnen sind, wie Scheidung, Tod eines Elternteils, verbunden mit einer dem Kind ungünstigen Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, oder einer unsicheren Geldanlage51. Trotz des Widerstands einiger Instanzgerichte52 gewann die Perruche-Judikatur mit drei Folgeentscheidungen der Vollversammlung der Cour de cassation vom 13. Juli 200153 weiter Konturen. Das Gericht hatte in einem gleichlautenden Ur-
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Vgl. Nr. 41 des Berichts. Ausführlich zu beiden Dokumenten in der Perruche-Entscheidung Sonnenberger, FamRZ 2001, 1414 (1417 ff.). Rapport annuel 2000 de la Cour de cassation, S. 389 (390): „L’Assemblée plénière n’ignorait certes pas ces impératifs fondamentaux d’une société démocratique, mais il lui est apparu que le respect effectif, et pas seulement théorique, de la personne passait par la reconnaissance de l’enfant handicapé en tant que sujet de droit autonome et que devait être reconnu son droit propre à bénéficier d’une réparation du préjudice résultant de son handicap – et exclusivement de celui-ci – de façon à lui permettre de vivre dans des conditions conformes à la dignité humaine malgré ce handicap“. Dazu im Originaltext, a.a.O., S. 390: „Mais les inévitables aléas inhérents au versement d'un capital (séparation ou divorce des parents avec partage du capital entre eux, décès qui entraîne aussi un partage dont l’enfant handicapé peut n’avoir qu’une faible part successorale, placement hasardeux, dilapidation …) ne permettent pas d'être certain que l’enfant en sera le réel bénéficiaire sa vie durant. La défense de son intérêt, comme la présentation de la dignité de ses conditions de vie futures, paraissent mieux assurées par l’attribution d’une indemnisation qui lui soit propre“. So z.B. CA Aix-en-Provence, 21. März 2001, JCP G 2001, II, Nr. 10600 mit Anm. Bloch (Entschädigung allein der Mutter und nicht des Kindes). Cass. Ass. plén., 13. Juli 2001, D. 2001, 2325 mit Anm. Jourdain (weitere Nachweise bei Jourdain/Viney, Les conditions de la responsabilité, 3. Aufl. 2006, Rn. 249-6 [dort Fn. 43]).
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teilsmotiv die Rechtsprechung in der Sache Perruche neu formuliert und konkretisiert: „L’enfant né handicapé peut demander la réparation du préjudice résultant de son handicap si ce dernier est en relation de causalité directe avec les fautes commises par le médecin dans l’exécution du contrat formé avec sa mère et qui ont empêché celle-ci d’exercer son choix d’interrompre sa grossesse.“
Nach diesen Folgeentscheidungen ist einerseits erforderlich, dass die dem Kind aus der Behinderung entstehenden Nachteile einen direkten Kausalzusammenhang mit dem ärztlichen Verschulden aufweisen, andererseits muss der Mutter durch die Pflichtwidrigkeit die Wahlmöglichkeit zwischen Austragung des Kindes und Unterbrechung der Schwangerschaft genommen worden sein. In allen drei Urteilen fehlte es an der zweiten Anspruchsvoraussetzung, denn es war nicht bewiesen, dass die Behinderung des Kindes eine Abtreibung nach der zehnten Schwangerschaftswoche gemäß Art. L. 162-12 a.F. Code de la santé publique gerechtfertigt hätte54. In einer weiteren Entscheidung vom 28. November 2001 stellte die Cour de cassation (erneut in der Besetzung der Assemblée plénière) klar, dass die Nachteile des behinderten Kindes nicht aus dem Verlust einer Chance („perte de chance“), sondern aus der Behinderung selbst resultieren. Dementsprechend sei nicht nur anteilig, vielmehr umfassend Schadensersatz zu leisten55. b) Reaktionen auf die Perruche-Rechtsprechung Von Juristen wie von Medizinern, von Behindertenverbänden und von Politikern ist die Perruche-Rechtsprechung heftig kritisiert worden. Die Reaktionen auf die Entscheidung vom 17. November 2000 fielen außergewöhnlich scharf aus. Die Zivilrechtler P. Jourdain und G. Viney sprechen zudem von einer Manipulation der öffentlichen Meinung durch diverse Lobbys, die in Presse und Medien eine verzerrte Darstellung der Entscheidung verbreiteten56.
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Bis zum Ablauf der zehnten (seit dem Gesetz vom 4. Juli 2001: zwölften) Schwangerschaftswoche erlaubt das französische Strafrecht eine Abtreibung, wenn sich die Schwangere in einer Notlage („situation de détresse“) befindet. Danach ist ein Schwangerschaftsabbruch nur dann zulässig, wenn dieser aus therapeutischen Gründen indiziert ist. Siehe oben unter II. 2. a). Hintergrund dieser Entscheidung ist die Rechtsprechung der Cour de cassation, nach der Ersatz für den Verlust einer Chance („perte de chance“) verlangt werden kann. Ist nur für den Verlust einer Chance aufzukommen, so wird lediglich ein Anteil des potentiellen Vorteils entschädigt, s. zu dieser Fragestellung Deutsch, Allg. Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 852; Katzenmeier, ZZP 117 (2004), 187 (206 ff.). Jourdain/Viney, Les conditions de la responsabilité, 3. Aufl. 2006, S. 24: „L’arrêt fut mal accueilli par une opinion publique il est vrai largement manipulée par divers lobbies qui en firent dans la presse et sur les medias une présentation déformée. On faisait en effet croire que la Cour de cassation avait indemnisé le fait de vivre“.
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aa) Reaktionen seitens der Rechtswissenschaft In der Rechtswissenschaft wurde beanstandet, die Perruche-Judikatur laufe auf eine Haftung ohne Kausalität hinaus57. In diesem Kritikpunkt spiegeln sich die Ausführungen des Generalanwalts J. Sainte-Rose wider, der bereits in seinem Schlussantrag darauf hinwies, dass die dem Kind aus seiner Behinderung entstehenden Nachteile einzig und allein auf der Krankheit der Mutter, demzufolge auf dem Erbgut beruhen, keinesfalls auf dem Fehlverhalten von Arzt und Labor58. Die Kausalkette zwischen der Krankheit der Mutter und der Behinderung des Kindes sei durch das Verhalten beider Akteure nicht betroffen. Dem wurde entgegnet, dass dies zwar unter rein biologischen Gesichtspunkten zutreffend sei, jedoch neben der angeborenen Behinderung auch andere Umstände für die Nachteile ursächlich sein können, u.a. eben ein ärztlicher Behandlungsfehler. Wenn bewiesen sei, dass ohne das Fehlverhalten die Behinderung hätte vermieden werden können, dann sei das schuldhafte Unterlassen im Sinne der Äquivalenztheorie, welche im französischen Recht vorherrsche59, sehr wohl Ursache für die Nachteile des Kindes. Das französische Haftungssystem der Art. 1382 ff. Code civil erleichtert eine solche Argumentation. Im Unterschied zur Grundnorm des deutschen Deliktsrechts (§ 823 Abs. 1 BGB) verlangt es nicht, dass der Arzt oder das Labor eine Rechtsgutsverletzung (Gesundheit oder körperliche Integrität) verursacht hat. Nach französischem Deliktsrecht kann eine Einstandspflicht bereits dann begründet sein, wenn die Pflichtwidrigkeit von Arzt und Labor für irgendwelche materiellen oder immateriellen Nachteile ursächlich war60. Der zweite Hauptkritikpunkt an der Perruche-Rechtsprechung betrifft den von der Judikatur zugrunde gelegten Schadensbegriff. Vorgebracht wird, das behindert geborene Kind könne keinen Schaden geltend machen, da das Leben an sich kein Nachteil sei und die Alternative zu diesem Zustand, die Nicht-Existenz, rechtlich nicht geschützt werde. Das Kind habe kein Recht darauf, nicht geboren worden zu sein, die menschliche Existenz könne daher nicht als Schaden anerkannt werden61. Darauf wurde erwidert, dass nicht das Leben des Behinderten, sondern die Behinderung oder genauer das Leben mit Behinderung einen ersatzfähigen Schaden darstelle. Zwar werde bei dieser Herangehensweise impliziert, dass das NichtLeben dem Leben als Behinderter vorzuziehen sei, was ethisch in höchstem Maße 57
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Ausführlich zum Problem des Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Fehlverhalten und dem Schaden des behinderten Kindes, Winter, „Bébé préjudice“ und „Kind als Schaden“, 2002, S. 55 ff. Siehe II. B. 2. des Schlussantrags. In dieselbe Richtung auch D. Mazeaud, D. 2001, jur. 332 (333). Allgemein zur Frage der Kausalität im französischen Recht Terré/Simler/Lequette, Droit civil – Les obligations, 9. Aufl. 2005, Rn. 858 ff. So Sonnenberger, FamRZ 2001, 1414 (1416). Allgemein zu den Unterschieden zwischen dem deutschen und französischen Deliktsrecht, Berg, „L'influence du droit allemand sur la responsabilité civile française“, RTD civ. 2006, 53 ff. Insoweit scharfe Kritik an dem Perruche-Urteil vom 17. November 2000 findet sich z.B. in den Anmerkungen von Chabas, JCP G 2000, II, Nr. 10438 und Aynès, D. 2001, chr. 492.
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bedenklich sei. Andererseits führe die Ablehnung eines ersatzfähigen Schadens dazu, dass die Behinderung selbst und die damit verbundenen Leiden juristisch nicht erfasst würden. Ferner sei es inkonsistent, einen Schaden der Eltern anzuerkennen und gleichzeitig die Existenz eines Schadens des Kindes zu verneinen. Ein mittelbarer Schaden der Eltern könne nur dann zu einem Ersatzanspruch führen, wenn auch ein unmittelbarer Nachteil des Kindes existiere62. Darüber hinaus spreche für einen eigenen Ersatzanspruch des Kindes, dass eine große Anzahl schwerstbehindert geborener Kinder von ihren Eltern bei oder unmittelbar nach der Geburt verstoßen werde. Erkenne man dem Kind keinen Ersatzanspruch zu63, sei seine Versorgung gefährdet. P. Jourdain und G. Viney äußern gar die Befürchtung, dass ein alleiniger Ersatzanspruch der Eltern zu einer „Plünderung“ („spoliation“) des Kindes führen könne, indem die Eltern ihr Kind verstoßen, nachdem sie ihren Ersatzanspruch gerichtlich geltend gemacht haben64. Kritisiert wurde schließlich, dass die Perruche-Rechtsprechung zu einer Ungleichbehandlung unter behinderten Menschen führe. Kinder mit nicht erkennbaren genetischen Behinderungen, zufälligen Behinderungen oder Behinderungen, bei denen die Eltern nicht an eine Abtreibung denken, blieben ohne Ersatzanspruch, sie können allenfalls die – bis dato unzureichenden – Sozialversicherungsleistungen in Anspruch nehmen65. bb) Reaktionen seitens der Ärzte und der Behindertenverbände Ebenso stark wie die Proteste der Juristen66 fielen die Reaktionen der Ärzteschaft aus. Sie verwiesen auf die Gefahr, dass im Zuge der Perruche-Rechtsprechung die Anzahl der medizinisch indizierten Abtreibungen massiv ansteigen könne. Im Hinblick auf das verschärfte Haftungsrisiko rieten Ärzte verstärkt zu einer Abtreibung, auch in Fällen, in denen sich nach dem Schwangerschaftsabbruch herausstellen sollte, dass die befürchtete Behinderung nicht drohte. Jedenfalls erhöhe die neue Judikatur das Haftungsrisiko erheblich, da zu befürchten sei, dass sich die Rechtsprechung der Cour de cassation zu pränatalen Untersuchungen hin zu einer Erfolgseinstandspflicht („obligation de résultat“) entwickele, bei der der Arzt für jede nicht verhinderte Behinderung gewissermaßen automatisch hafte. Einige Versicherungsunternehmen reagierten umgehend und erhöhten die Prämien der ärztlichen Haftpflichtversicherung betroffener Fachmediziner. Ärzteverbände erwogen die Einstellung der vorgeburtlichen Beratung67. 62
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Hierzu ausführlich Jourdain/Viney, Les conditions de la responsabilité, 3. Aufl. 2006, Rn. 249-6. So allerdings die Position des Conseil d’Etat in seinem Quarez-Urteil, s. oben II. 2. Jourdain/Viney, Les conditions de la responsabilité, 3. Aufl. 2006, Rn. 249-6: „Une telle position, soi-disant inspirée de considérations morales, pourrait même conduire à spolier l’enfant au profit des parents qui l’abandonneraient après avoir reçu l’indemnité“. So Rebhahn, ZEuP 2004, 794 (805 f.) m.w.N. aus der französischen Literatur. Siehe nur die öffentliche Protestnote „La vie humaine comme préjudice?“ von 30 prominenten Rechtsgelehrten (abgedruckt in Le Monde, 24. November 2000, S. 20). Siehe Blanchard, „Après l’arrêt Perruche, des obstétriciens abandonnent leur métier“, Le Monde, 31. Januar 2002.
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Behindertenverbände forderten – angesichts der ihrer Auffassung nach lebensfeindlichen und diskriminierenden Rechtsprechung der Cour de cassation –, dass künftig der Staat die finanziellen Lasten der Pflege behinderter Menschen trage. Die Forderung wurde nicht nur für pränatal Geschädigte erhoben, vielmehr müsse in Anbetracht der unzureichenden finanziellen Hilfen die Versorgungssituation aller Menschen mit Behinderung verbessert werden68. Einige wenige Interessenvertretungen behinderter Menschen werteten die umstrittene Rechtsprechung differenzierter. Sie sahen in dem Urteil vom 17. November 2000 eine strikte Anwendung des Rechts ohne jedweden Anspruch auf eine ethische Wertung, mahnten jedoch ebenso, dass die Rechtsprechung zu einer Inanspruchnahme der Eltern durch ihr behindert geborenes Kind führen könne69.
3. Das Gesetz vom 4. März 2002 und das „amendement antiPerruche“ Im ersten Halbjahr 2001 befasste sich der Nationale Ethikrat (Comité consultatif national d’éthique pour les sciences de la vie et de la santé) mit der Frage der Entschädigung behindert geborener Menschen. Er veröffentlichte am 29. Mai 2001 eine Stellungnahme70, in der er sich zwar jeder Kritik an Rechtspositionen enthielt, aber deutlich machte, dass eine Versorgung der Kinder durch Haftungsklagen eine Diskriminierung gegenüber anderen behinderten Menschen impliziere. Vorzugswürdig sei eine Verbesserung der Versorgung durch die Solidargemeinschaft. Die Lage der Menschen mit Behinderung dürfe nicht von Entschädigungsklagen abhängig sein, sondern müsse Ausdruck der kollektiven Verantwortung der Gesellschaft gegenüber seinen schwächsten Mitgliedern sein71. Angesichts der scharfen Reaktionen auf das Perruche-Urteil vom 17. November 2000 verwundert es, dass die damalige Regierung unter Premierminister L. Jospin lange Zeit keinen Anlass für eine Intervention des Gesetzgebers sah. Die 68
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Vgl. nur die Stellungnahme der Vorsitzenden der „Association des paralysés de France“ (APF), Desaulle, abgedruckt in Labrusse-Riou, Naissances handicapées et responsabilité (Forschungsbericht Université Paris 1), 2005, S. 42 ff. Die staatliche finanzielle Hilfe an eine Familie mit behindertem Kind betrug zum damaligen Zeitpunkt zwischen 700 und 6.000 Francs im Monat (umgerechnet 110 bis 900 Euro). So die Pressemitteilung der „Union Nationale des Associations de Parents et Amis de Personnes Handicapées Mentales“ (UNAPEI) vom 22. November 2000, abgedruckt in Labrusse-Riou, Naissances handicapées et responsabilité (Forschungsbericht Université Paris 1), 2005, S. 40 f. Vgl. auch den Standpunkt der Regierungskommisarin Pécresse im Quarez-Urteil, s. unter II. 2. Stellungnahme Nr. 68 vom 29. Mai 2001 „Handicaps congénitaux et préjudice“, abrufbar unter http://www.ccne-ethique.fr. In der Originalfassung: „La reconnaissance d’une responsabilité humaine, individuelle ou collective, dans la survenue d’un handicap peut légitimement conduire à des réparations, dans le cadre de recours judiciaires. Le sort de la personne handicapée ne doit cependant pas dépendre de celles-ci. Il doit être assuré indépendamment d’elles comme la manifestation de la responsabilité collective de la société envers ses membres fragilisés“ (S. 7).
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erste Initiative für eine legislative Lösung der Problematik wurde bereits am 10. Januar 2001 von einem Vertreter der damaligen Opposition, J.-F. Mattei, in Form eines Änderungsantrags („amendement“) zum Gesetz über die soziale Modernisierung vorgebracht72, dieser fand jedoch nicht die nötige Zustimmung. Ein in dieselbe Richtung gehender zweiter Gesetzesvorschlag von Mattei und anderen Abgeordneten der Oppositionspartei UMP vom 3. Dezember 2001 sah vor, Artikel 16 Code civil um einen weiteren Absatz zu ergänzen: Schadensersatzklagen behindert Geborener sollten ausgeschlossen werden, ausgenommen die Fälle, in denen die Behinderung direkte Folge einer Pflichtwidrigkeit ist73. Auch wenn dieser Vorschlag ebenfalls nicht die erforderliche Mehrheit fand, so beeinflusste er doch maßgeblich die endgültige Fassung des Gesetzes vom 4. März 2002. Nach der parlamentarischen Debatte über den Antrag von Mattei ergriff die sozialistische Regierung Jospins Ende des Jahres 2001 schließlich doch die Initiative und brachte einen Änderungsantrag zu einem bereits in parlamentarischer Beratung befindlichen Gesetz über das Gesundheitswesen ein. Dieser lehnte sich nach Diskussion in der Nationalversammlung (Assemblée nationale) stark an den Antrag von Mattei an und wurde fast einstimmig von den zuständigen Ausschüssen angenommen. Entgegen dem Drängen der Ärzteverbände wurde keine Haftungsfreistellung der Ärzte vorgesehen. Der an den Senat verwiesene Text sah vielmehr vor, dass die Eltern eines behindert geborenen Kindes dann Entschädigung für die ihrem Kind entstehenden Nachteile erhalten können, wenn eine besonders schwere Behinderung wegen groben Fehlverhaltens nicht erkannt wurde74. Daraufhin kündigten im Januar 2002 die betroffenen Ärzte einen Streik an und drohten, keine pränatalen Untersuchungen mehr durchzuführen. Als Reaktion beschloss der Senatsausschuss für soziale Fragen („commission des affaires sociales“) einstimmig einen veränderten Gesetzesentwurf, der die Frage der Haftung der Ärzte bewusst weitaus restriktiver beantwortete als der ursprüngliche, vom Rechtsausschuss („commission des lois“) verabschiedete Entwurf. Dieser zweite Gesetzesentwurf kam zur Abstimmung vor den Senat und wurde fast einstimmig verabschiedet. Wegen der unterschiedlichen Auffassungen der Assemblée nationale und des Senats tagte eine „commission mixte paritaire“ (in der Funktion mit dem deutschen Vermittlungsausschuss vergleichbar), in der sich der vom Senat verabschiedete Text durchsetzte. Dieser wurde in der Folge als Artikel 1 des Gesetzes über die Patientenrechte und die Qualität des Gesundheitssystems („loi relative aux droits des malades et à la qualité du système de santé“) am 4. März 2002 vom Parlament beschlossen.
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Amendement au projet de loi de modernisation sociale du 10 janvier 2001. Ein Überblick über die Gesetzgebungsgeschichte bietet das vom französischen Senat zusammengestellte „dossier législatif“ unter http://www.senat.fr/evenement/dossier_perruche. html. In deutscher Sprache siehe Rebhahn, ZEuP 2004, 794 (807 ff.), aus der französischen Literatur Jourdain, D. 2002, 891. Im Originaltext: „Nul n’est recevable à demander une indemnisation du fait de sa naissance. Lorsqu’un handicap est la conséquence directe d’une faute, il est ouvert droit à réparation dans les termes de l’article 1382 du présent code“. Zu diesem Entwurf, siehe Rehbahn, ZEuP 2004, 794 (808 f.).
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Analysiert man den Inhalt dieser Regelung, so zeigt sich der Wille des Gesetzgebers, dem Wunsch der Behindertenverbände und der Position des Ethikrates Rechnung zu tragen und die Versorgung der Menschen mit Behinderung vom Haftungsrecht in das Sozialrecht zu verlagern. Die Fürsorge für das behinderte Kind obliegt – nach dem Wortlaut des Gesetzes – nunmehr der nationalen Solidarität („solidarité nationale“). Im Gegenzug wurden die Ansprüche von Kind und Eltern radikal beschnitten (sub a)). In Anbetracht der wiederholten Anwendung der durch die PerrucheRechtsprechung entwickelten Grundsätze durch die Cour de cassation75 fügte der französische Gesetzgeber in das Gesetz vom 4. März 2002 eine Regelung ein, nach der die neuen Grundsätze auch auf bereits anhängige Verfahren anzuwenden seien. Damit sollte dem Kassationsgerichtshof die Möglichkeit genommen werden, nach In-Kraft-Treten des Gesetzes noch auf einen Schadensersatzanspruch zugunsten des Kindes zu entscheiden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte jedoch in zwei Entscheidungen aus dem Jahre 2005 klar, dass diese Vorschrift mit dem Ersten Zusatzprotokoll zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1. ZP zur EMRK) unvereinbar ist (sub b)). a) Inhalt des Gesetzes Die endgültige Fassung von Artikel 1 des Gesetzes vom 4. März 2002 (nunmehr in Art. L. 114-5 C. act. soc. fam. kodifiziert) sieht folgende Regelung vor: „(1) Niemand kann einen Schaden allein daraus geltend machen, dass er geboren wurde. (2) Eine Person, die mit einer auf einem ärztlichen Fehler beruhenden Behinderung geboren wurde, kann Schadensersatz erhalten, wenn das Fehlverhalten die Behinderung unmittelbar verursacht oder verschlimmert hat oder das Fehlverhalten verhindert hat, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Behinderung zu lindern. (3) Wenn die Haftung eines Fachkundigen oder einer Gesundheitseinrichtung gegenüber den Eltern eines Kindes besteht, welches mit einer Behinderung geboren wurde, die während der Schwangerschaft auf Grund eines qualifizierten Verschuldens nicht entdeckt wurde, so können die Eltern Entschädigung lediglich ihres eigenen Schadens verlangen. Dieser Schaden umfasst nicht die Mehraufwendungen, die dem Kind lebenslang aus seiner Behinderung entstehen. Der Ausgleich dieser Behinderung unterliegt der Zuständigkeit der nationalen Solidarität.“76
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Cass. Ass. plén., 13. Juli 2001 und 28. November 2001. Siehe oben, II. 2. a). In französischer Sprache heißt es: „Nul ne peut se prévaloir d’un préjudice du seul fait de sa naissance. La personne née avec un handicap dû à une faute médicale peut obtenir la réparation de son préjudice lorsque l’acte fautif a provoqué directement le handicap ou l’a aggravé, ou n’a pas permis de prendre les mesures susceptibles de l’atténuer. Lorsque la responsabilité d’un professionnel ou d’un établissement de santé est engagée vis-à-vis des parents d’un enfant né avec un handicap non décelé pendant la grossesse à la suite d’une faute caractérisée, les parents peuvent demander une indemnité au titre de leur seul préjudice. Ce préjudice ne saurait inclure les charges particulières découlant, tout au long de la vie de l’enfant, de ce handicap. La compensation de ce dernier relève
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Die ersten beiden Absätze des Artikels betreffen den Schadensersatzanspruch des behindert geborenen Kindes. Die Regelung beginnt mit dem „dispositif antiPerruche“, demzufolge niemand die alleinige Tatsache seiner Geburt als Schaden geltend machen kann. Die politische Absicht des Gesetzgebers ist eindeutig: Klagen nach dem Muster der Perruche-Rechtsprechung sollen nicht mehr angenommen werden dürfen. Streng genommen unterbindet der Wortlaut des Abs. 1 dies nicht, hatte die Cour de cassation doch stets präzisiert, dass sie nicht die Behinderung selbst als ersatzfähigen Schaden erkennt, sondern allein die sich daraus ergebenden Nachteile. Es erschließt sich aber aus den Gesetzesmaterialien und aus dem Zusammenhang mit Abs. 2, dass „wrongful life“-Klagen behindert geborener Kinder fortan nicht mehr zulässig sind77. Nur in den Fallkonstellationen des Abs. 2 (also einer Behinderung, die direkt durch ärztliches Fehlverhalten verursacht oder verschlimmert wird oder deren Behandlung pflichtwidrig unterlassen wird) bleibt dem Kind der Ersatzanspruch erhalten. Demnach werden Fehler im Rahmen einer Pränataldiagnose nur dann mit einem deliktischen Schadensersatzanspruch sanktioniert, wenn die Fehlbildung noch während der Schwangerschaft hätte behandelt werden können, jedoch nicht wenn die drohende Behinderung weder durch medikamentöse Behandlung noch durch eine sonstige medizinische Maßnahme hätte beeinflusst werden können. Diese Regelung knüpft an die vormalige Rechtsprechung des Conseil d’Etat und der Cour de cassation78 an und erweitert die Haftung auf die Fälle, in denen der Mediziner es schuldhaft unterlässt, eine therapierbare Fehlbildung zu diagnostizieren und zu behandeln79. Abs. 3 betrifft den Ersatzanspruch der Eltern. Sah der von der Assemblée nationale verabschiedete Gesetzentwurf noch vor, dass die Eltern Entschädigung für die besonderen Lasten („charges particulières“) verlangen können, die sich aus der Behinderung ihres Kindes ergeben, so hat der Senat dies entscheidend verändert. Nach langer Diskussion80 bestimmt Abs. 3 nunmehr, dass der Anspruch der Eltern einzig und allein den Ersatz ihres eigenen Schadens abdeckt, der aber eben nicht den Mehraufwand für Pflege und Erziehung des behinderten Kindes umfasst, sondern anscheinend nur den immateriellen Schaden („préjudice moral“) anspricht, der den Eltern durch die Geburt des behinderten Kindes entsteht81. Unter
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de la solidarité nationale“. So die ganz h.M., vgl. nur Jourdain/Viney, Les conditions de la responsabilité, 3. Aufl. 2006, Rn. 249-7; a.A. aber etwa Radé, „La réforme de la responsabilité médicale après la loi du 4 mars 2002“, Responsabilité civile et assurances (Resp. civ. et assur.) 2002, chr. Nr. 8. S. oben unter II. 1.: CE, 27. September 1989 und Cass. Civ. 1, 16. Juli 1991. Diese Neuregelung ist bereits zur Anwendung gekommen, u. a. in einem Urteilsspruch der Cour d’appel de Versailles vom 28. November 2003 (D. 2004, 2814 mit Anm. Hennion-Jacquet), die auf einen Ersatzanspruch des Kindes erkannte, da der behandelnde Arzt es unterließ, bei einer Zwillingsschwangerschaft zu untersuchen, ob es sich um eine mono- oder bichoriale Schwangerschaft handelte, was eine Verhinderung von Gehirnschäden durch die Einleitung einer Frühgeburt ausschloss. Hierzu ausführlich in deutscher Sprache, Rebhahn, ZEuP 2004, 794 (810 f.). Vgl. Cour administrative d’appel (CAA) Paris, 13. Juni 2002, D. 2002, 2156 mit Anm. de Montecler. Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 3. Aufl. 2006, Rn.
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Umständen kann auch das entgangene Gehalt eines Elternteils, der für die Pflege des Kindes seine berufliche Tätigkeit aufgibt, unter den Schadensbegriff subsumiert werden82. Die ersten zu Art. L. 114-5 Abs. 3 C. act. soc. fam. ergangenen Urteile zeigen, dass die Instanzgerichte diese Regelung eher restriktiv auslegen und die zugesprochenen Schadensersatzbeträge recht gering ausfallen83. Eine Entschädigung ist überdies an den Beweis qualifizierten Verschuldens („faute caractérisée“) des Arztes geknüpft. Dieser im französischen Zivilrecht bis dato unbekannte Rechtsbegriff impliziert einen besonderen Schweregrad der Pflichtverletzung und ist wohl mit dem schweren Verschulden („faute lourde“) und der „faute caractérisée“ des französischen Strafrechts gleichzusetzen84. Der letzte Satz des dritten Absatzes, nach dem der Ausgleich der Behinderung in jenen Fällen Aufgabe der nationalen Solidarität ist, kündigt zwar ein Auffangen durch das Fürsorgerecht an. Kommentatoren sprachen seiner Zeit jedoch von „leeren Verheißungen“85, da mangels Konkretisierung des Begriffs der „solidarité nationale“ durch Sondergesetze oder Ausführungsverordnungen keine konkreten Leistungsansprüche gegen die Sozialversicherungsträger entstanden. Festzuhalten bleibt: Art. 1 des Gesetzes vom 4. März 2002 weicht ab von dem im französischen Haftungsrecht verankerten Prinzip der „réparation intégrale“, der Entschädigung sämtlicher Nachteile, die durch das Fehlverhalten eines Schädigers verursacht wurden86. Die Neuregelung stellt aus Sicht der Eltern einen unerwarte-
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249-7 sprechen von dem Schaden, der der genommenen Möglichkeit zur Abtreibung, der fehlenden Vorbereitung auf die Geburt eines Kindes mit Behinderung sowie dem Erblicken des behinderten Kindes bei der Geburt entspricht. So jedenfalls CA Metz, 21. September 2004, JCP G 2005, IV, Nr. 1142. In diesem Sinne auch Tribunal administratif Paris, 25. November 2003; vorsichtiger aber noch CA Aix, 19. September 2002; beide Entscheidungen sind auszugsweise abgedruckt bei Labrusse-Riou, Naissances handicapées et responsabilité (Forschungsbericht Université Paris 1), 2005, S. 128 ff. Siehe die Nachweise von Urteilen, die einem Elternteil lediglich 3.000 bis 15.200 Euro zusprechen, bei Labrusse-Riou, Naissances handicapées et responsabilité (Forschungsbericht Université Paris 1), 2005, S. 132 (dort Fn. 123). Auf ein qualifiziertes Verschulden erkennend CE, 19. Februar 2003, JCP G 2003, II, Nr. 10107 mit Anm. Mistretta. Die CAA Lyon definiert in einer Entscheidung vom 11. Februar 2003 (Revue Droit&Santé 2004, 26 mit Anm. Lambert-Garrel) die „faute caractérisée“ durch die Intensität und die Evidenz des Fehlverhaltens („le fait d’avoir nettement manqué au devoir d’information constitue une faute qui par son intensité et son évidence doit être regardée comme caractérisée“). Für eine Auslegung zugunsten einer Verschuldensvermutung, Deguergue, Anm. zu CE, 19. Februar 2003, AJDA 2003, 855. Siehe auch die ausführliche Erörterung dieser Frage bei Labrusse-Riou, Naissances handicapées et responsabilité (Forschungsbericht Université Paris 1), 2005, S. 122 ff. Vgl. nur Durry, „Responsabilité médicale et solidarité nationale“, Risques 2002, 113 ff. (115 f.): „La solidarité nationale n’est, pour l’heure, qu’une espérance […]. On verra ce qu’il adviendra de ces bonnes intentions“. Dieses Prinzip kommt indirekt schon in der zentralen Haftungsnorm des französischen Zivilrechts (Art. 1382 Code civil) zum Ausdruck: „Tout fait quelconque de l’homme qui cause un dommage à autrui oblige celui par la faute duquel il est arrivé à le réparer“ (jede Handlung eines Menschen, von welcher Art sie auch sei, die einem anderen Schaden verursacht, verbindet denjenigen, durch dessen Verschulden der Schaden entstan-
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ten Rückschritt dar87. Erhielten sie zuvor nach den Regeln der QuarezRechtsprechung des Conseil d’Etat neben einer Entschädigung für ihren eigenen immateriellen Schaden auch Ersatz des Mehraufwands für Pflege und Erziehung des behinderten Kindes88, ohne dass dies auf Widerstand in der Öffentlichkeit stieß, so wird ihnen nach Art. L. 114-5 C. act. soc. fam. nur eine partielle und äußerst niedrige Entschädigung zugestanden. Daher überraschte es nicht, dass schon wenige Monate nach Inkrafttreten der Regelung Behindertenverbände eine gemeinsame Protestnote gegen das „Anti-Perruche-Gesetz“ dort veröffentlichten, wo zwei Jahre zuvor die Perruche-Rechtsprechung auf das Schärfste kritisiert worden war89. b) Zeitlicher Anwendungsbereich Nach Art. 1, I Abs. 4 des Gesetzes vom 4. März 2002 erstrecken sich die neuen Grundsätze auf Verfahren, die zum Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes anhängig und noch nicht endgültig entschieden waren. Wie bereits erwähnt, sollte damit der Cour de cassation die Möglichkeit genommen werden, auch nach dem 4. März 2002 noch auf einen Schadensersatzanspruch zugunsten des Kindes zu erkennen. Mit zwei Urteilen vom 8. Oktober 200590 haben die Richter des EGMR diese Regelung für unvereinbar mit Art. 1 Abs. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK91 erklärt und auf eine Verletzung des darin enthaltenen Eigentumsschutzes erkannt. Die den Urteilen des EGMR zugrunde liegenden Beschwerden wurden jeweils von Elternehepaaren eines behinderten Kindes eingebracht. In beiden Fällen wurden während der Schwangerschaft Anomalien der Entwicklung der Leibesfrucht übersehen, die sich kurz nach der Geburt als erhebliche körperliche Behinderungen herausstellten. Beide Ehepaare reichten daraufhin Klage beim Verwaltungsgericht gegen den Krankenhausträger ein und forderten insbesondere Ersatz für die auf Grund der Behinderung erlittenen materiellen und immateriellen Schäden92. Unter Verweis auf das neu in Kraft getretene Gesetz wurde zwar auf Ersatz der ihnen entstandenen Schäden erkannt, die durch die Pflege des behinderten Kindes
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den ist, denselben zu ersetzen). Deutsch, NJW 2003, 26 (27) spricht insoweit von einem „eher kleinkarierten Gesetz“. Anders als im deutschen Recht erhalten die Eltern allerdings nur Ersatz des Mehraufwands und nicht Entschädigung für sämtliche Kosten für die Pflege des Kindes, vgl. hierzu Demme/Lorentz, RID comp. 2005, 103 ff. (129 f.). Siehe Blanchard, „Les associations exigent l’abrogation de la loi «anti-perruche»", Le Monde, 26. Juni 2002. EGMR, 6. Oktober 2005, JCP G 2006, II, Nr. 10061 mit Anm. Zollinger. Siehe hierzu auch die Urteilsanalyse in deutscher Sprache von Knetsch, „Entwicklungen der „Kindals-Schaden“-Problematik in Frankreich“, VersR 2006, 1050. Nach Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK hat „jede natürliche oder juristische Person […] ein Recht auf Achtung ihres Eigentums“. Ferner darf „niemandem […] sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen“. CE, 6. Dezember 2002, AJDA 2003, 283 mit krit. Anm. Donnat/Cassas.
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entstandenen Mehrkosten (Umbau des Hauses, Anschaffung eines geeigneten Kraftfahrzeugs etc.) wurden aber nicht ersetzt. Mit ihren Beschwerden beim EGMR warfen die Ehepaare dem französischen Staat unter anderem vor, dass sie durch das am 4. März 2002 in Kraft getretene Gesetz in ihrem Eigentumsrecht verletzt worden seien. Die Beschwerdeführer machten geltend, dass sie nach der ständigen Rechtsprechung des Conseil d’Etat93 auf eine wesentlich höhere Entschädigungssumme hatten vertrauen dürfen. Durch die Rückwirkung des Gesetzes vom 4. März 2002 sei ihnen dieser Anspruch genommen worden, ohne dass ihnen der Gesetzgeber einen angemessenen Ausgleich zugebilligt habe. Die Regierung Frankreichs hatte ein öffentliches Interesse an der Regelung und zur Begründung drei Argumentationslinien angeführt: Das Gesetz habe ethischen Bedenken gegen die Rechtsprechung der Cour de cassation und des Conseil d’Etat Rechnung tragen wollen. Es sei zudem als Ergebnis eines wesentlichen Entscheidungsprozesses der französischen Gesellschaft zu verstehen. Ferner seien auch Gesichtspunkte der Gerechtigkeit und der zweckmäßigen Organisation des französischen Gesundheitssystems beim Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt worden. Die Straßburger Richter überzeugte dieses Vorbringen nicht. Dabei respektiert der EGMR die Entscheidung des französischen Gesetzgebers, den Protesten der Öffentlichkeit gegen die Perruche-Judikatur mit einem umfassenden Gesetz entsprechen zu wollen. Jedoch sei der Eingriff in die Rechtsposition der Eltern, die noch vor Inkrafttreten des Gesetzes auf Schadensersatz geklagt hatten, unverhältnismäßig. Die Anwendbarkeit eines Gesetzes auf anhängige Zivilverfahren begründe zwar nicht per se die Unverhältnismäßigkeit der staatlichen Maßnahme, jedoch sprächen in den vorliegenden Fällen die Höhe des jeweils weggefallenen Anspruchs auf Entschädigung sowie die nur unzureichenden Ausgleichsmaßnahmen (Rückgriff auf die „solidarité nationale“) gegen die Proportionalität des Eingriffs durch das Gesetz vom 4. März 2002. Die Urteile des EGMR kommen nur denen zugute, die ihr Schadensersatzbegehren noch vor In-Kraft-Treten des Gesetzes vom 4. März 2002 gerichtlich geltend gemacht haben. Für diese Altfälle wird die Perruche-/Quarez-Judikatur angewandt und den Eltern Ersatz sämtlicher Schadenspositionen inklusive Mehraufwand für die Pflege ihres Kindes (Position des Conseil d’Etat) oder dem Kind ein eigener umfassender Ersatzanspruch (Position der Cour de cassation) zugesprochen94. In zwei Entscheidungen vom 30. Oktober 2007 und vom 8. Juli 2008 erkannte der Kassationsgerichtshof darauf, dass auch in Fällen, in denen das Kind zwar vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 4. März 2002 geboren wurde, aber erst nach diesem Zeitpunkt eine Schadensersatzklage anhängig gemacht wurde, die Perruche93 94
Zur Quarez-Rechtsprechung, siehe oben II. 2. Siehe die drei Entscheidungen Cass. Civ. 1, 24. Januar 2006, JCP G 2006, II, Nr. 10062 mit Anm. Gouttenoire/Porchy-Simon sowie in der Folge auch 21. Februar 2006, Revue de droit sanitaire et social (RDSS) 2006, 357 mit Anm. Hennion-Jacquet. Vgl. auch CE, 24 janvier 2006, Resp. civ. et assur. 2006, comm. Nr. 127 mit Anm. Radé. Weitere Nachweise bei Knetsch, VersR 2006, 1050 (dort Fn. 10).
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Judikatur weiterhin Anwendung findet95. In der Urteilsbegründung stellen die Zivilrichter wie schon das EGMR auf eine Verletzung des Eigentumsschutzes nach Art. 1 Abs. 1 1. ZP zur EMRK ab, da die Kläger im Moment des Schadenseintritts – der nach Lesart des Gerichts auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes fällt – auf eine umfassende Entschädigung nach den Grundsätzen der Rechtsprechung der Cour de cassation hätten vertrauen dürfen96.
4. Sozialversicherungs- und fürsorgerechtliche Regelungen Die Verurteilung des französischen Staates durch die Richter des EGMR stützte sich auf die unzureichende Absicherung behinderter Menschen nach französischem Sozialrecht. Zwar wurden durch Gesetz vom 11. Februar 2005 die fürsorgerechtlichen Leistungen für Menschen mit Behinderung umfassend reformiert, jedoch war zum Zeitpunkt der Entscheidungen der tatsächliche Nutzen der Neuregelungen für die Beschwerdeführer nicht ersichtlich (sub a)). Erst mit Gesetz vom 19. Dezember 2007 ist der neu geschaffene Ausgleichsanspruch („prestation de compensation“) auf behinderte Menschen unter 20 Jahren und damit auf die typischen Geburtsschadensfälle ausgeweitet worden. Behinderte Kinder, deren Versorgung vormals durch die Perruche- oder Quarez-Rechtsprechung abgesichert war, haben nunmehr das – zumindest theoretische – Recht auf vollen Ersatz der durch die Behinderungen bedingten Mehrbelastungen (sub b)). a) Das Gesetz vom 11. Februar 2005 über die Chancengleichheit und Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung Mit Gesetz vom 11. Februar 2005 hat der französische Gesetzgeber die vormaligen Regeln zur Versorgung behinderter Menschen (Gesetz vom 30. Juni 1975) einer weitreichenden Reform unterzogen. Neben der Schaffung neuer Institutionen wie der Nationalen Solidaritätskasse für Autonomie („Caisse nationale de solidarité pour l’autonomie“) sind auch die Mechanismen der finanziellen und materiellen Versorgung behinderter Menschen grundlegend neu gestaltet worden. Die Entschädigung jener Schadenspositionen, die nach Art. 1 des Gesetzes vom 4. März 2002 nicht durch das allgemeine Haftungsrecht erfasst werden dürfen, wird nunmehr durch das Sozialversicherungsrecht übernommen. Diese Verlagerung von der haftungsrechtlichen Verantwortung Einzelner hin zur sozialrechtlichen Versorgung nach dem Solidarprinzip gilt hinsichtlich aller Schäden, die durch das Gesetz vom 4. März 2002 ausgeklammert worden sind. Nach allgemeinem zivil- oder öffentlich-rechtlichem Haftungsrecht wird fortan nur noch der eigene, ungleich niedrigere Schaden der Eltern ersetzt, der, wie bereits erwähnt, nach Art. L. 114-5 Abs. 3 S. 2 C. act. soc. fam. ausdrücklich nicht den Mehraufwand für die Versorgung des behinderten Kindes umfasst97. 95
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Cass. Civ. 1, 30. Oktober 2007, Gaz. Pal. 2008, 975 mit Anm. Cerveau, und 8. Juli 2008, JCP G 2008, I, Nr. 186, mit Anm. Stoffel-Munck. Hierzu kritisch Marais, Revue des contrats 2008, 909. Siehe oben II. 3. a). Im Falle der Haftung öffentlicher Krankenhausträger leistet nach
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Art. L. 114-1-1 C. act. soc. fam. proklamiert seit der Neufassung durch das Gesetz vom 11. Februar 2005, dass jeder behinderte Mensch Anspruch auf den Ausgleich der Folgen seiner Behinderung hat, unabhängig von Ursache und Art der Behinderung, Alter oder Lebensumständen des Betroffenen98. Dieser neue Ausgleichsanspruch ist Element einer weitreichenden Sozialreform, die behinderten Menschen nicht nur die Verwirklichung eines frei gewählten „Lebensprojekts“ („projet de vie“) ermöglichen soll, sondern auch deren Teilnahme am sozialen Leben sowie eine als Service verstandene Betreuung gewährleisten und die Vorsorge und Früherkennung von Behinderungen verbessern soll99. Kernstück der Reform ist gleichwohl die Kompensation der Behinderung („compensation du handicap“), die verschiedentlich als Ausdruck einer „philosophischen und politischen Revolution“ verstanden wird100. Das Gesetz differenziert hierbei zwischen einem kollektiven und einem individuellen Kompensationsaspekt. Das Recht auf Kompensation („droit à compensation“) richtet sich an die Solidargemeinschaft und mahnt an, den Bedürfnissen behinderter Menschen in allen Lebenslagen Rechnung zu tragen, sei es bei der Kinderbetreuung, der Schulbildung, der beruflichen Integration und anderen in Art. L. 114-1-1 C. act. soc. fam. aufgezählten Bereichen. Hierbei kommt den französischen Gebietskörperschaften („collectivités territoriales“, d.h. Départements und Regionen) durch neu geschaffene Kompetenzen eine besondere Bedeutung zu101. Der Ausgleichsanspruch („prestation de compensation“) ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers das finanzielle und individuelle Äquivalent zu diesem Recht auf Kompensation. Hatten Personen mit Behinderung bislang lediglich Anspruch auf eine (in der Regel niedrige) pauschalierte Leistung des Sozialträgers zur Übernahme einiger weniger Pflegekosten102, so sieht Art. L. 245-1 C. act. soc. fam. nunmehr einen umfassenden Kompensationsanspruch zugunsten des behinderten Menschen vor. Diese Ausgleichsleistung kann sowohl Natural- als auch
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wie vor der Staat die entsprechende Entschädigung, anderenfalls der Schädiger nach den Regeln des allgemeinen Deliktsrechts. Art. L. 114-1-1 Code de l’action sociale et des familles: „La personne handicapée a droit à la compensation des conséquences de son handicap, quels que soient l’origine et la nature de sa déficience, son âge ou son mode de vie“. Zwar kündigte der französische Gesetzgeber dies bereits im Gesetz vom 17. Januar 2002 (Art. 53) an, jedoch wurde diese programmatische Formel seinerzeit kaum mit Leben erfüllt. Zu diesen vier Zielen des Gesetzes s. die detaillierte Analyse bei Borgetto/Lafore, Droit de l’aide et de l’action sociales, 6. Aufl. 2006, Rn. 405 ff. Siehe nur Triomphe, RDSS 2005, 371: „Il n’empêche que l’inscription du «droit à la compensation» dans la loi du 11 février 2005 constitue une double révolution: philosophique et politique“. Andere Kommentatoren sind skeptischer, vgl. Everaert-Dumont, La semaine juridique – Social (JCP S) 2006, Nr. 1040. Zu diesem Aspekt eingehend Chabrol, Droit social 2004, 993 (997 f.) und EveraertDumont, JCP S 2006, Nr. 1040, Rn. 6. Diese „allocation forfaitaire compensatrice pour tierce personne“ ermöglichte in der Regel lediglich die Finanzierung einer Pflegeperson während drei bis vier Stunden am Tag. Die restlichen Bedürfnisse wurden üblicherweise durch nicht gesetzlich vorgesehene Fürsorgeleistungen der Départements oder der Régions („collectivités territoriales“) abgedeckt.
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Geldleistungen umfassen und soll sämtliche Mehrkosten, die der Person durch ihre Behinderung entstehen, unabhängig davon abdecken, ob eine häusliche oder stationäre Pflege besteht103. Der Gesetzestext spricht von einer „prestation universelle“, also einem universellen Anspruch. Allerdings wird die Leistung durch eine Ausführungsverordnung104 auf Personen beschränkt, deren Behinderung einen besonderen Schweregrad aufweisen105. Umfang und Art der Ausgleichsleistung bestimmen sich nach einem personalisierten Kompensationsplan („plan personnalisé de compensation“), der von einer interdisziplinären Kommission anhand ministeriell festgelegter Sätze aufgestellt wird106. Das Verfahren orientiert sich dabei an den Regelungen für die durch Gesetz vom 20. Juli 2001 geschaffene „allocation personnalisée d’autonomie“ für pflegebedürftige alte Menschen. Finanzielle Leistungsfähigkeit des behinderten Menschen und seiner Familie ist kein Versagungsgrund für den Kompensationsanspruch, allerdings variieren die dem Kompensationsplan zugrunde liegenden Höchstsätze je nach Liquidität des Betroffenen107. Angesichts der Beschränkung des Kompensationsanspruchs auf besonders schwere Behinderung und der Variation der Höchstsätze je nach Vermögensverhältnissen stellt sich die Frage, ob die Neuerung in das Fürsorgerecht oder in das Sozialversicherungssystem zu integrieren ist108. Obwohl im französischen Sozialhilfegesetzbuch (Code de l’action sociale et des familles) verankert, orientieren sich die Neuregelungen am sozialversicherungsrechtlichen Prinzip der Universalität der Leistung und weisen der das Fürsorgerecht kennzeichnenden Bedürftigkeit nur eine untergeordnete Rolle zu. Das spricht für eine Annäherung an versicherungsrechtliche Regeln („attraction vers l’assurantiel“)109. In Anbetracht des nach Willen des Gesetzgebers umfassenden Anspruchs ist jedoch erstaunlich, dass die durch das Gesetz vom 11. Februar 2005 geschaffenen „maisons départementales des personnes handicapées“ (zentrale Anlaufstellen für behinderte Menschen in jedem Département) nicht nur für die Auszahlung des Kompensationsanspruchs zuständig sind, sondern auch für die Einrichtung eines „fonds départemental de compensation du handicap“, eines Kompensationsfonds auf Département-Ebene. Dieser soll laut Art. L. 146-5 C. act. soc. fam. bedürftigen behinderten Menschen finanzielle Unterstützung gewähren, um die Kosten zu decken, die durch den
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Art. L. 245-1, I C. act. soc. fam. Décret Nr. 2005-1591 vom 19. Dezember 2005, JO v. 20. Dezember 2005, 19598. Art. D. 245-4 C. act. soc. fam. stellt auf eine „difficulté absolue“ bei der Verrichtung mindestens einer im Anhang des Gesetzes aufgeführten Tätigkeit bzw. eine „difficulté grave“ bei der Verrichtung von mindestens zwei dieser Tätigkeiten ab. Dies entspricht etwa einer Erwerbsunfähigkeit von mindestens 80 %. Zu den Einzelheiten der Bearbeitung des Antrags durch die Sozialverwaltung, siehe Borgetto/ Lafore, Droit de l’aide et de l’action sociales, 6. Aufl. 2006, Rn. 444 f. Art. L. 245-6 C. act. soc. fam. Kritisch dazu Everaert-Dumont, JCP S 2006, Nr. 1040, Rn. 13. Allgemein zu dieser Abgrenzung im französischen Recht, siehe Borgetto, Droit social 2003, 115 sowie Borgetto/Lafore, Droit de l’aide et de l’action sociales, 6. Aufl. 2006, Rn. 85 ff. So jedenfalls Everaert-Dumont, JCP S 2006, Nr. 1040, Rn. 7 f.
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(eigentlich umfassend verstandenen) Kompensationsanspruch nicht erfasst werden110. Die sozialversicherungsrechtliche Versorgung durch die neu geschaffene Nationale Solidaritätskasse für Autonomie (CNSA) bezieht ihr Budget nicht allein aus Umlagen der staatlichen Krankenversicherung, sondern auch aus allgemeinen Steuergeldern. Die Zuwendung von jährlich zwei Milliarden Euro, die durch die Einführung eines zusätzlichen Arbeitstags, dem „Tag der Solidarität“ (journée de solidarité), erwirtschaftet werden111, unterstreicht die Absicht, die Versorgung von Menschen mit Behinderung zukünftig stärker auf die Schultern der Allgemeinheit zu verteilen. b) Die Rechtslage nach dem Gesetz vom 19. Dezember 2007 Der Kompensationsanspruch war zunächst nur Menschen mit Behinderung zwischen 20 und 60 Jahren vorbehalten (Art. L. 245-1, I Abs. 1 C. act. soc. fam.). Für aktuell behindert geborene Kinder sowie ältere Menschen galt – auch nach dem Gesetz vom 11. Februar 2005 – das bisherige Sozialrecht fort, welches von den Richtern in Straßburg in den Urteilssprüchen vom 8. Oktober 2005 als unzureichend qualifiziert wurde112. Die Ankündigung des Gesetzgebers, die Ausgleichsleistung binnen drei Jahren auf behinderte Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren auszuweiten113, wurde mit Gesetz vom 19. Dezember 2007 umgesetzt. Seit dem 1. April 2008 können Eltern für ihre behinderten Kinder die „prestation de compensation“ beantragen und nunmehr zwischen dem personalisierten Kompensationsanspruch des Kindes und der bisherigen Beihilfe zur Erziehung des behinderten Kindes („allocation d’éducation de l’enfant handicapé“ [AEEH])114 wählen. Der feste Sockelbetrag der AEEH (ungefähr 120 Euro pro Monat) ist zwar mit der „prestation de compensation“ kumulierbar, nicht aber die je nach Schwere der Behinderung variierende, deutlich höhere Ergänzungsbeihilfe („complément d’AEEH“)115. Durch das Wahlrecht soll gewährleistet werden, dass infolge der Ausweitung des Kompensationsanspruchs auf Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren niemand schlechter gestellt 110
Art. L. 146-5 C. act. soc. fam.: „Chaque maison départementale des personnes handicapées gère un fonds départemental de compensation du handicap chargé d’accorder des aides financières destinées à permettre aux personnes handicapées de faire face aux frais de compensation restant à leur charge, après déduction de la prestation de compensation“. 111 Gemäß Art. 2 der Loi n° 2004-626 du 30 juin 2004 relative à la solidarité pour l'autonomie des personnes âgées et des personnes handicapées verfügt nunmehr Art. L. 212-6 des Code du travail die unbezahlte Werktätigkeit an einem zusätzlichen Arbeitstag. Wenn nicht anders im Tarifvertrag geregelt, fällt dieser Tag auf den Pfingstmontag. 112 Siehe oben II. 3. b). 113 Art. 13 des Gesetzes vom 11. Februar 2005: „Dans les trois ans à compter de l’entrée en vigueur de la [loi du 11 février 2005], la prestation de compensation sera étendue aux enfants handicapés“ ; kritisch Bacache, Gaz. Pal. 2006, 2046 (2050). 114 Ausführlich zur „allocation d’éducation de l’enfant handicapé“, s. Morvan, Droit de la protection sociale, 3. Aufl. 2007, Rn. 380 f. m.w.N. 115 Zu den genauen Modalitäten des Wahlrechts, siehe Art. L. 245-1, III C. act. soc. fam. in der seit dem 1. April 2008 gültigen Neufassung.
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ist als zuvor. Der Berichterstatter H. Féron führte dazu im Gesetzgebungsverfahren aus, dass es zumindest für behinderte Menschen, deren Pflege nicht ausschließlich durch die Eltern, sondern durch eine dritte Person gewährleistet wird, regelmäßig günstiger sein werde, die „prestation de compensation“ zu beziehen116. Die Neuregelungen vom 19. Dezember 2007 und insbesondere die Modalitäten der Kumulierung von AEEH und „prestation de compensation“ sind derweil durch Ausführungsverordnungen („décrets d’application“) ergänzt worden117.
III. Bewertung der Rechtsentwicklung in Frankreich Die Rechtsentwicklung in Frankreich zeigt mehrere neue Ansätze, das komplexe Problem der Schäden im Zusammenhang mit fehlerhafter Pränataldiagnostik und unterbliebenem Schwangerschaftsabbruch zu bewältigen. Die Cour de cassation hatte die Verbesserung der finanziellen und materiellen Versorgung behindert geborener Menschen im Blick und versuchte dies über das allgemeine Haftungsrecht zu erreichen. Letztlich gab sie damit den Anstoß zu einer Verbesserung der Lage aller behinderten Menschen. Diese Rechtsprechung führte aber auch dazu, dass Schäden im Zuge der Geburt eines behinderten Kindes nunmehr nach sozialrechtlichen Regelungen ersetzt werden. Einzig der Anspruch der Eltern auf Ersatz ihres immateriellen Schadens verbleibt beim Haftungsrecht. Warum Schadensersatzansprüche gegen den Arzt nahezu komplett abgeschnitten wurden und warum man sich für eine Kompensation durch Leistungen der Solidargemeinschaft entschieden hat, lässt sich nicht allein durch die Gesetzgebungshistorie118 erklären. Der Übergang zur allgemeinen Fürsorge gegenüber Menschen mit Behinderung scheint Ausdruck des Strebens, von einer als lebensfeindlich wahrgenommenen Rechtsprechung abzurücken, die sich der im französischen Recht besonders formbaren Rechtsbegriffe des Schadens und der Kausalität bedient hatte. Dass dabei der Einfluss der Gesellschaft auf die Rechtsentwicklung bedeutender war als die zum Teil heftigen Reaktionen aus juristischen Fachkreisen, verstärkt den Eindruck, dass es sich bei der Verdrängung des Deliktsrechts um eine rechtspolitische Entscheidung handelt119, die vor allem den vorgetragenen ethischen Bedenken Rechnung trägt.
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Féron, in: Rapport sur le projet de loi de financement de la sécurité sociale pour 2008 (Drucksache Nr. 295 der Assemblée nationale, abrufbar unter http://www.assembleenationale.fr/13/pdf/rapports/r0295-tIII.pdf), Bd. III, S. 61; skeptisch Martin, Gaz. Pal. 2008, 7. Juni 2008, 45. Décrets Nr. 2008-450 und 2008-451 v. 7. Mai 2008, JO v. 11. Mai 2008, 7832 sowie Décrets Nr. 2008-530 und 2008-531 v. 4. Juni 2008, JO v. 6. Juni 2008, 9332. S. oben II. 3. Strukturelle Schwächen des Haftungsrechts, komplexe Schadensfälle einer juristisch und politisch akzeptablen Lösung zuzuführen, benennen Guégan-Lécuyer, Dommages de masse et responsabilité civile, 2006 und Lacroix, La réparation des dommages en cas de catastrophes, 2007 sowie allgemein Viney, Introduction à la responsabilité, 3. Aufl. 2008, Rn. 57 ff.
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Mit dem Gesetz vom 11. Februar 2005, welches behinderten Menschen einen umfassenden Kompensationsanspruch einräumt, hat sich der französische Gesetzgeber auch gegen die Einrichtung eines Entschädigungsfonds entschieden. Dies obwohl Fondslösungen u.a. im Nachfeld des Skandals um HIV-verseuchte Blutkonserven oder zugunsten der Opfer von Asbestschäden geschaffen120 und auch im vorliegenden Kontext diskutiert wurden121. Der französische Gesetzgeber zog die Einrichtung eines Entschädigungsfonds wohl deshalb nicht in Betracht, da in der parlamentarischen Debatte von Anfang an eine umfassende Lösung des Problems der Versorgung von Menschen mit Behinderung angestrebt wurde. Das Parlament orientierte sich hier an den Empfehlungen des Nationalen Ethikrates122. Mit den Gesetzen vom 11. Februar 2005 und vom 19. Dezember 2007 verbesserte es die Versorgungslage aller behinderter Menschen und nicht nur jener, deren Nachteile vormals durch die Perruche- oder Quarez-Rechtsprechung ausgeglichen wurden. Man entschied sich bewusst gegen eine Sonderlösung der Geburtsschadensfälle. Zwar wurden nach neuem Recht die „fonds départementaux de compensation du handicap“ eingerichtet, welche für die Mehrkosten aufkommen, die durch den Ausgleichsanspruch nicht abgedeckt werden, jedoch kommt diesen Hilfsfonds nur eine untergeordnete Rolle zu123. Ob sich die neue Lösung über den sozialrechtlichen Ausgleichsanspruch bewährt, wird die Zukunft zeigen. Es scheint, als sei die „Kind als Schaden“Problematik nach jahrelangem Ringen nun einer allgemein akzeptierten Lösung zugeführt. Angesichts des auch in Frankreich knappen Sozialhaushalts124 ist allerdings eine gewisse Skepsis angezeigt, ob die seit 1. April 2008 auf Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren ausgedehnte „prestation de compensation“ wirklich umfassend ist. Die Deckelung des Anspruchs durch einkommensabhängige Höchstsätze, die Beschränkung auf besonders schwere Behinderungen sowie die Existenz der subsidiär eingreifenden „fonds départementaux de compensation du handicap“125 deuten an, dass das haftungsrechtliche Prinzip der Totalreparation die Verlagerung in das Sozialversicherungsrecht wohl nicht unbeschadet überstanden 120 121
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Hierzu Brun, Responsabilité civile extracontractuelle, 2005, Rn. 1024 ff. Siehe z.B. Blanc, Rapport d’information sur la politique de compensation du handicap (Drucksache Nr. 369 des Sénat, abrufbar unter http://www.senat.fr/rap/r01-369/r013691.pdf), 2002, S. 183. Der Nationale Ethikrat wies in seiner Stellungnahme Nr. 68 vom 29. Mai 2001 „Handicaps congénitaux et préjudice“, S. 7, abrufbar unter http://www.ccne-ethique.fr. (siehe III. 3.) darauf hin, dass die Pflicht zur Solidarität („devoir de solidarité“) gegenüber behinderten Menschen unabhängig von der Ursache der Behinderung bestehe und dass eine Privilegierung der Fallkonstellationen, in denen die Behinderung auf einen ärztlichen Fehler zurückzuführen ist, zu inakzeptablen Diskriminierungen führe („Privilégier les situations où le handicap pourrait être attribué à une faute médicale et relever d’une responsabilité individuelle introduirait d’inacceptables discriminations entre les personnes handicapées“). Siehe oben II. 4. a). Die französische Sozialversicherung wies allein für das Jahr 2007 ein Defizit von etwa 10,5 Milliarden Euro auf. Vgl. Commission des comptes de la sécurité sociale (Hrsg.), Rapport „Les comptes de la sécurité sociale“, 2007, S. 10. Zu den verschiedenen Elementen siehe oben II. 4. a).
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hat und der französische Gesetzgeber auch durch die Gesetze vom 11. Februar 2005 und 19. Dezember 2007 kein vollwertiges Pendant für die Ersatzansprüche geschaffen hat, die dem Kind im Rahmen der Perruche-Rechtsprechung sowie den Eltern durch die Quarez-Judikatur zugesprochen wurden.
IV. Perspektiven im deutschen Recht Der Blick auf die Rechtsentwicklung in Frankreich regt dazu an, auch im deutschen Recht neue Wege zu beschreiten, um die bis heute nicht befriedigend gelöste Problematik des Ersatzes angeborener Schäden endlich angemessen zu bewältigen. Dabei verdeutlicht der arrêt Perruche die Schwierigkeiten, die Gerichte angesichts der Fortentwicklungen der modernen Medizin mit den überlieferten Regeln des privaten Haftungsrechts haben. Indem er bewusst und grundsätzlich von den bisher vorliegenden Entscheidungen der Obergerichte anderer Staaten126 einschließlich des BGH abweicht, hat er die Diskussion über die Sicherung der Existenzgrundlagen der betroffenen Kinder auch hierzulande wieder eröffnet127.
1. Schadensersatz für „wrongful life“? a) Der Standpunkt der Rechtsprechung Die Frage, ob neben den Eltern wegen „wrongful birth“ das Kind selbst Ansprüche gegen den Arzt wegen „wrongful life“ hat, lag dem BGH erst ein einziges Mal zur Entscheidung vor. Sie wurde vom VI. Zivilsenat mit solcher Entschiedenheit verneint128, dass keine weiteren Fälle an das Gericht herangetragen wurden. Die Richter begründen ihren Standpunkt damit, dass zum einen dem Beratungsvertrag zwischen Arzt und Patient die erforderliche Schutzwirkung für Dritte (nämlich für das ungeborene Kind) nicht zu entnehmen sei; denn das geltende Recht gewähre der Mutter die rechtfertigende Erlaubnis zum Schwangerschaftsabbruch ausdrücklich nur in ihrem eigenen Interesse. Vor allem aber sei in diesem Bereich eine rechtliche Regelung der Verantwortung für weitgehend schicksalhafte und natur126
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Koziol/Steininger, European Tort Law 2006, S. 70 ff. u. 74 ff. (Österreich), 122 (Belgien), 355 f. (Niederlande), 384 ff. (Polen) und 441 ff. (Spanien); Überblick von Koch, in: Koziol/Steininger, European Tort Law 2002, S. 523 ff.; Stürner, JZ 1998, 317 (321 ff.); v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. I, 1996, S. 576 ff.; Picker, AcP 195 (1995), 483 ff.; ders., Schadensersatz für das unerwünschte eigene Leben – „Wrongful life“, 1995, S. 1 ff.; Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, 1993, S. 270 ff. Vgl. Sonnenberger, FamRZ 2001, 1414; Winter, JZ 2002, 330; Spickhoff, NJW 2002, 1758 (1764); Deutsch, NJW 2003, 26 (27); Stürner, JZ 2003, 155; SchimmelpfengSchütte, MedR 2003, 401; Rebhahn, ZEuP 2004, 794; Arnold, VersR 2004, 309; Mörsdorf-Schulte, NJW 2006, 3105 (3108); Spickhoff, VersR 2006, 1569 (1570 f.); Brüggemeier, Haftungsrecht, 2006, S. 258 f. – Der Argumentation der Cour de cassation ist fünf Jahre später das oberste Gericht der Niederlande gefolgt, vgl. Hohe Raad, 18.3.2005, RvdW 2005/42; dazu Koziol/Steininger, European Tort Law 2005, S. 421 ff. BGHZ 86, 240 (250 ff.).
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bedingte Verläufe nicht mehr sinnvoll und tragbar, weil der Mensch grundsätzlich sein Leben so hinzunehmen habe, wie es von Natur gestaltet sei, und ihm kein Anspruch auf seine Verhütung oder Vernichtung zustehe129. b) Argumente für einen eigenen Schadensersatzanspruch des Kindes Die bedenkliche Folge dieser Ansicht, dass behinderten Kindern nach dem Ableben der Eltern nichts mehr zugute kommt, ihr Elend sich also gerade dann noch verschärft, wenn sie einer Versorgung wegen des Wegfalls der Unterhaltspflichtigen am meisten bedürfen, führt dazu, dass sich auch im deutschen Schrifttum die Stimmen mehren, die eine „wrongful life“-Klage bejahen wollen130. So heißt es etwa in der letzten Auflage eines führenden Werkes zum Schadensrecht131, es sei „noch einmal nachzufragen, ob nicht doch eine Zurechnung des Behindertenzustandes des Kindes selbst denkbar ist“132. Gewiss lasse sich für die konkrete Existenz des behinderten Menschen dessen „Schaden“ nicht wegdenken, ohne dass sein Leben und somit seine Möglichkeit, überhaupt Ansprüche zu haben, entfiele. Dies sei aber „eine reine Kausalbetrachtung, die der Zurechnungsfrage als einer vom Gleichbehandlungsgebot bestimmten Bewertung der beteiligten Interessen nicht gerecht wird“. Die hier zu erörternde Problematik sei von derjenigen vorgeburtlicher und vor allem noch vor oder in der Zeugung liegender Schädigungen nicht so weit entfernt, dass deshalb eine grundlegend andere Bewertung angebracht wäre133. Das für die Entscheidung ausschlaggebende Interesse des Kindes sei freilich ein „lebenskonträres“134: Grundlage seines Anspruchs sei die Abwägung, dass es sich – wenn ihm die Entscheidung möglich wäre – eher gegen sein Leben überhaupt entscheiden würde. Da es aber lebt, könne und dürfe die Rechts129
S. auch Franzki, VersR 1990, 1181 (1184); G. Müller, NJW 2003, 697 (699): Das ist der tragende Gedanke, der auch etwaige Ansprüche des Kindes gegen seine Eltern ausschließt, wie sie gelegentlich erwogen werden. 130 Früh bereits Deutsch, VersR 1995, 609 (614); außer den in den nachfolgenden Fußnoten Genannten noch etwa Spickhoff, VersR 2006, 1569 (1570 f.), auf der Grundlage des Arztvertrages; MünchKomm-Wagner, BGB, Ergänzungsband, 2. Lfg. 2005, § 823, Rn. 90, auf der Grundlage von § 823 Abs. 1 BGB; für einen Anspruch auf Schmerzensgeld C. Junker, Pflichtverletzung, Kindesexistenz und Schadensersatz, 2002, S. 597 ff. 131 Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, § 6 IX 7., S. 336 f., anders noch in der 2. Auflage 1990. 132 Mit Hinweis auf zwei frühe Entscheidungen kalifornischer Gerichte Curlender v. BioScience-Laboratories 165 Cal. Rptr. 477 (App. 1980) und Turpin v. Sortini 643 P. 2d 954 (Cal. 1982), angeführt von Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, 1993, S. 283 ff. (dort S. 280 ff. auch zu entgegengesetzten anglo-amerikanischen Entscheidungen). Ausführlich zur U.S.-amerikanischen Rechtslage C. Junker, Pflichtverletzung, Kindesexistenz und Schadensersatz, 2002, S. 45 ff. 133 Zur vorgeburtlichen Schädigung BGHZ 8, 243; 58, 48; 106, 153; s. auch Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, 1993, S. 284 ff. Gegen die Anknüpfung hieran aber Picker, Schadensersatz für das unerwünschte eigene Leben – „Wrongful life“, 1995, S. 20 f. mit Fn. 51. 134 Dazu genauer Picker, Schadensersatz für das unerwünschte eigene Leben – „Wrongful life“, 1995, S. 106 ff.
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ordnung diese Entscheidung nicht mehr von ihm verlangen. Gerade deshalb müsse sie als ein Gebot der Humanität anerkennen, dass die konkrete Form seiner Existenz einem Dritten zuzurechnen sei135. Im Verhältnis zwischen dem Kind und seinen leiblichen Eltern möge man dies aus familienrechtlichen Gründen anders sehen. Gegenüber dem verantwortlichen Dritten, insbesondere dem Arzt, stehe dem Kind ein Anspruch auf Ersatz des behinderungsbedingten Mehrbedarfs zu136. Erwin Deutsch und Andreas Spickhoff postulieren eine „allgemeine deliktische Rechtspflicht des beruflich Tätigen gegenüber dem Ungeborenen, dessen Eltern die Entscheidung zu ermöglichen, dass er nicht ein behindertes Leben führt“, wobei als Schutzgut „das potentielle Persönlichkeitsrecht des Nasciturus“ in Betracht kommen soll137. Die Entscheidung der Mutter für den Schwangerschaftsabbruch beende zwar sein Leben, bewahre ihn jedoch „vor Behinderungen, die jedenfalls belastend sind“. Diese Haftung entspreche auch der Idee der Berufshaftung, nämlich Einstehen für Nichterreichen des Standards des Berufskreises durch Übernahme der typischen Folgen. Es dürfe nicht übersehen werden, dass auf der einen Seite ein Fehler vorliegt, auf der anderen Seite ein daraus hervorgegangener erheblicher Mehrbedarf. Beides soll unter dem Aspekt gerechter Schadenstragung dazu führen, dass das Kind selbst gegen den Arzt vorgehen kann. Der Nasciturus sei zumindest auch in den Schutzbereich des zwischen dem Arzt und der Mutter geschlossenen Vertrages einbezogen138. Wiederholt betont das Schrifttum den Respekt vor der Person des Kindes. Vom BGH als Argument gegen eine Qualifizierung behinderten Lebens als „Schadensfall“ verwendet, bedeutet dieser Gesichtspunkt der Cour de cassation im arrêt Perruche den tieferen Grund für die Gewähr einer Entschädigung. Im Vorfeld der Entscheidung stellte der Referent P. Sargos139 die Frage: „Wo ist der wirkliche Respekt vor der menschlichen Person und dem Leben: in dem abstrakten Zurückweisen jeder Entschädigung oder im Gegenteil in ihrer Anerkennung, die es dem Kind wenigstens materiell erlauben wird, unter der menschlichen Würde eher entsprechenden Bedingungen zu leben, ohne den Zufällen familiärer, privater oder öffentlicher Hilfen ausgesetzt zu sein?“140 Der Schadensersatzanspruch 135
So auch wenigstens als denkbare Alternative Picker, Schadensersatz für das unerwünschte eigene Leben – „Wrongful life“, 1995, S. 116 f. 136 Ebenso Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, 1993, S. 284 ff.; Brüggemeier, Haftungsrecht, 2006, S. 258 f.; Soergel-Mertens, BGB, 12. Aufl. 1990, vor § 249, Rn. 47; Erman-Schiemann, BGB, 12. Aufl. 2008, § 823, Rn. 22. 137 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 446; s. auch bereits Deutsch, VersR 1995, 609 (614), der dabei auch auf „den Aspekt der rechtsverfolgenden Funktion des Haftungs- und Schadensrechts“ hinweist; dagegen etwa Backhaus, MedR 1996, 201 (205): „sehr kühn“. 138 Deutsch, NJW 2003, 26 (27); ders., VersR 1995, 609 (614); Spickhoff, VersR 2006, 1569 (1570 f.); Soergel-Spickhoff, 13. Aufl. 2005, § 823 Anh I, Rn. 176 ff. (192 ff.); Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 446; dafür auch Staudinger-Hager, BGB, 13. Bearb. 1999, § 823, Rn. B 51. 139 Zu dessen Bericht, siehe oben unter II. 2. a). 140 Sargos, JCP G 2000, II, Nr. 10438: „Où est le véritable respect de la personne humaine et de la vie : dans le refus abstrait de toute indemnisation, ou au contraire dans son admission qui permettra à l’enfant de vivre, au moins matériellement, dans des conditions
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wird so zum Ausdruck altruistischer Humanität. Vertreter des Standpunktes, das Kind als unmittelbar Betroffener der ärztlichen Sorgfaltswidrigkeit dürfe nicht rechtlos gestellt werden, nehmen ihrerseits ein moralisch hoch stehendes Prinzip für sich in Anspruch141. c) Hindernisse Nicht wirklich abschließend beurteilen lässt sich, ob den divergierenden Entscheidungen des BGH und der Cour de cassation einfach nur unterschiedliche policy considerations zugrunde liegen oder ob sich hier ein weiteres Mal der Umstand auswirkt, dass man es in Deutschland mit einem mehr analytischen und in Frankreich mit einem offenen Haftungskonzept zu tun hat142. Der in mehrfachem Sinne undogmatische Ansatz der Cour de cassation ist erkennbar von dem Bemühen geprägt, den praktischen Bedürfnissen des Lebens näher zu kommen143. Dabei erweist sich die Berufung auf das verfassungsmäßige Prinzip effektiven Schutzes menschlichen Lebens zur Begründung privater Schadensersatzansprüche durchaus als zweifelhaft und insbesondere mit Blick auf die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung als problematisch. Der BGH hat einen offenen Bruch mit dem geltenden Haftungsrecht nicht gewagt, sondern war stets darauf bedacht, die Grundkonzeption des zivilen Schadensersatzrechts zu wahren144. Ein eigener Schadensersatzanspruch des Kindes setzt einen eigens erlittenen Schaden voraus. Ein solcher kann nicht in der – isoliert betrachteten – Behinderung (oder den Nachteilen aus der Behinderung) gesehen werden, sondern lässt sich nur anhand der Differenzhypothese ermitteln145. Die Frage, ob ein nachteiliger Zustand hervorgerufen worden ist, erfordert einen Vergleich des jetzigen Zustandes mit dem, der ohne schädigendes Ereignis bestehen plus conformes à la dignité humaine sans être abandonné aux aléas d’aides familiales, privées ou publiques?“; ihm ausdrücklich folgend Jourdain, Anm. in D. 2001, 336 (338). 141 Vgl. Winter, JZ 2002, 330 (336). 142 Hierzu eingehend v. Bar, Das deutsche Deliktsrecht in gemeineuropäischer Perspektive, 1999; speziell zur Haftung für neues Leben Winter, „Bébé préjudice“ und „Kind als Schaden“, 2002. 143 Vgl. bereits v. Bar, ZEuP 2001, 121 (124), Anm. zu zwei Urteilen der Cour de cassation v. 26.3.1996; Hinweis auch von Stürner, JZ 1998, 317 (323), dass in Frankreich (und einigen US-Staaten) beim eigenen Anspruch des Kindes „pragmatisches Denken rechtsphilosophische und dogmatische Skrupel überwiegt“. 144 Sonnenberger, FamRZ 2001, 1414 (1416) weist darauf hin, dass Art. 1382 C. civ. die Begründung eigener Ansprüche des Kindes erleichtere, da er im Unterschied zu § 823 Abs. 1 BGB nicht das Vorliegen einer Körper- oder Gesundheitsverletzung verlangt, vielmehr ausreichen lässt, dass eine Pflichtwidrigkeit ursächlich für irgendwelche materiellen oder immateriellen Nachteile ist (s. bereits unter II. 2. b) (1)). Indes bereitet die Feststellung eines vom behandelnden Arzt verursachten Schadens in beiden Rechtsordnungen die gleichen Probleme. 145 Grdl. Mommsen, Lehre vom Interesse, 1855; zum Schadensbegriff Deutsch, Allg. Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 781 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, § 1, S. 26 ff., zur Differenzhypothese s. dort § 1 III. 4., S. 43 f. sowie Deutsch, a.a.O., Rn. 867 f.
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würde. In den hier zu beurteilenden Fällen bot sich die Alternative eines Lebens ohne Behinderung zu keinem Zeitpunkt, bei einer korrekten Durchführung der medizinischen Maßnahme wäre das Kind nicht zur Welt gekommen. Die Nichtexistenz als Folge sorgfältigen ärztlichen Tuns wird jedoch allgemein nicht als taugliche oder auch nur zulässige Vergleichsbasis angesehen. Der begrenzten menschlichen Erkenntnisfähigkeit entzieht sich ein Urteil darüber, ob ein Leben mit schweren Behinderungen gegenüber dem Nichtleben ein Nachteil ist oder nicht eine immer noch günstigere Lage146. An dem Ergebnis, dass dem Kind kein eigener Schadensersatzanspruch gegen den behandelnden Arzt zusteht, ändert sich selbst im Falle grober Fahrlässigkeit des Berufstätigen nichts, denn das auf Ausgleich angelegte Haftungsrecht ist verletzungs- und nicht verhaltensorientiert147. Mitleid mit dem Kind und Empörung über die Nachlässigkeit des Arztes machen zwar Hilfebemühungen verständlich, sind jedoch angesichts der „kühlen Rationalität des Haftungs- und Schadensrechts“ nicht maßgebend. Das Haftungsrecht verschafft dem Kind keinen Anspruch gegen den Arzt und der Rechtsanwender sollte der Versuchung widerstehen, durch dessen Überdehnung nach einer Versorgung und Absicherung des behindert geborenen Kindes zu streben148.
2. Versicherungsrechtliche Vorsorge In Frankreich schließt das Gesetz vom 4. März 2002 nicht nur Ansprüche des auf Grund genetischer Fehldisposition behindert geborenen Kindes gegen den Arzt explizit aus und verkürzt außerdem die Ansprüche der Eltern149, sondern es rückt einen Gedanken in den Mittelpunkt, der in der öffentlichen Diskussion hierzulande bislang zu kurz kam: die Verantwortung der Allgemeinheit. Das Gesetz bestimmt, dass der Ersatz des durch die Behinderung des Kindes anfallenden Unterhaltsmehraufwands Sache der „solidarité nationale“ sei. Zu dieser Klarstellung sah sich der Gesetzgeber angesichts einer für unzureichend erachteten fürsorge- und sozialversicherungsrechtlichen Lage veranlasst, und eben darin liegt die wichtigste Anregung für unsere Diskussion. Seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 11. Februar 2005 und der Ausweitung des Ausgleichsanspruchs auf Kinder und Jugendliche unter zwanzig Jahre durch den Legislativakt vom 19. Dezember 2007 wird der Versorgungsbedarf behindert
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BGHZ 86, 240 (253); Winter, JZ 2002, 330 (333) m.w.N. und einer Auseinandersetzung mit Merkel, in: Neumann/Schulz, Verantwortung in Recht und Moral, 2000, S. 173 ff., der darauf hinweist, dass ein Zustand denkbar ist, jenseits dessen Grenzen menschliches Leben als definitiv unerträglich und für seinen Träger unzumutbar ist. Winter, JZ 2002, 330 (336). Zum Erfordernis einer „faute caractérisée“ im arrêt Perruche vgl. unter II. 3. a). Treffend Winter, JZ 2002, 330 (331 ff.); s. auch Stürner, JZ 1998, 318 (325); Bernat, in: Festschrift für Krejci, 2001, S. 1041 (1057); Coester-Waltjen, Reproduktionsmedizin 2002, S. 183 (188 f.); G. Müller, NJW 2003, 697 (706). Vgl. unter II. 3. a).
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geborener Kinder durch sozialrechtliche Fürsorgeleistungen abgedeckt150. Mit dieser Neuregelung beabsichtigt der französische Gesetzgeber gerade auch, die Öffentlichkeit für die Belange behinderter Menschen zu sensibilisieren und durch die Einführung eines zusätzlichen Arbeitstags (journée de solidarité), der neben Umlagen der staatlichen Krankenversicherung und allgemeiner Steuergelder zur Finanzierung der Leistungen beiträgt151, in die Pflicht zu nehmen. Dabei sind die Fürsorgeleistungen nicht auf Fälle fehlerhaft durchgeführter Pränataldiagnostik oder fehlgeschlagener Schwangerschaftsabbrüche beschränkt, die Neuregelung versteht sich vielmehr als umfassende Reform zugunsten hilfsbedürftiger Menschen ohne Rücksicht auf Art und Hintergrund der Behinderung152. Art. L. 114-5 Abs. 3 C. act. soc. fam. verweist bzgl. des Ersatzes des Mehraufwands für Pflege und Erziehung des infolge einer ärztlichen Pflichtverletzung behindert geborenen Kindes auf die „Zuständigkeit der nationalen Solidarität“. Seinerzeit als „leere Verheißung“ kritisiert, nimmt der Begriff der „solidarité nationale“ für die Fälle von „wrongful life“ durch die Einführung des Ausgleichsanspruchs („prestation de compensation“) nun konkrete Gestalt an. Wenn auch zögerlich, so beginnt sich doch auch hierzulande das Bewusstsein zu entwickeln, dass die Gesellschaft die Eltern behinderter Kinder nicht alleine lassen darf, sondern in wesentlich stärkerem Maße als bisher die Verantwortung für ihre schwachen Mitglieder übernehmen und deren Existenz in angemessener Weise sicherstellen muss153. Vorsorge für den behindert geborenen Menschen lässt sich sachgerecht nur im (Sozial-) Versicherungsrecht ansiedeln, welches Leistungen an der Bedürftigkeit ausrichtet und nicht von dem Verhinderungswillen und damit Schaden der Eltern abhängig macht154. a) Bestehende Vorsorgeregelungen Derzeit ist der krank geborene, behinderte Mensch über die gesetzliche Krankenund Pflegeversicherung abgesichert155. Vor einigen Jahren wurde für Kinder, die als behinderte Menschen i.S.v. § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX außer Stande sind, sich selbst zu unterhalten, ein eigener Anspruch auf Pflege und ärztliche Betreuung begründet, und zwar durch die öffentliche Leistungspflicht der Familienversiche150 151 152 153
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S. unter II. 4. Vgl. unter II. 4. a). Zu den Einschränkungen siehe allerdings oben unter II. 4. a). Vgl. den Schlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik in der modernen Medizin“ v. 14.5.2002 in BT-Dr. 14/9020, S. 82 mit Kritik an einem „lebensfeindlich wirkenden Haftungsrecht“; s. auch C. Wagner, NJW 2002, 3379 (3381); G. Müller, NJW 2003, 697 (706); Mörsdorf-Schulte, NJW 2006, 3105 (3108) und bereits BGHZ 86, 240 (255). Stürner, JZ 1998, 317 (325), mit Kritik an der haftungsrechtlichen Lösung, welche vor allem behinderte und kranke Menschen aus dem „finanziellen Surrogat des Verhinderungsanspruchs“ der Eltern gegen den Arzt versorge und damit das falsche Signal setze. Vgl. §§ 4 Abs. 2, 21 SGB I, 10, 27 ff. SGB V; §§ 21a SGB I, 1, 20, 25 Abs. 2 Nr. 4 SGB XI. Entsprechende Regelungen sind im Privatversicherungsrecht vorgesehen, vgl. § 192 VVG und § 4 AVB für Krankheitskosten- und Pflegekrankenversicherung. Die Sozialhilfe gewährt komplementäre Leistungen.
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rung – einem Kernstück des Solidarausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung156 – nach § 10 Abs. 2 Nr. 4 SGB V. Die Leistungspflicht besteht gegenüber dem Kind selbst157. Damit ist in gewissem Umfang eine Verpflichtung der Solidargemeinschaft begründet worden, für ein behindertes Kind aufzukommen. Allerdings knüpft die Versicherung des Familienangehörigen hinsichtlich Beginn und Ende an die Mitgliedschaft des Stammversicherten158 und deckt auch nur bestimmte Ansprüche ab. b) Einrichtung eines „pränatalen Hilfsfonds“ Zur Schließung verbleibender Versorgungslücken und zur Abmilderung der „Kind als Schaden“-Problematik ist ein originärer sozialversicherungsrechtlicher Anspruch des Kindes159 oder die Einrichtung eines speziellen Entschädigungsfonds in Betracht zu ziehen160. Dadurch ließe sich zum einen eine adäquate Versorgung behinderter Menschen auch nach dem Tode ihrer Eltern über den bisherigen sozialrechtlichen Sockelbetrag hinaus erreichen. Zum anderen wäre der Mehraufwand der Eltern auch dann abgedeckt, wenn diese das behinderte Kind von vornherein angenommen haben. Sie bräuchten nicht mehr den Willen zur Lebensverhinderung durch Abtreibung vorzutragen, um finanzielle Unterstützung zu erhalten. Freilich wirft eine Fondslösung neben der (unter vorgenannten Aspekten positiv zu bescheidenden) Legitimationsfrage eine Reihe von Organisations- und Finanzierungsfragen auf. Klärung bedarf zudem die Frage nach dem Verhältnis zum Haftungsrecht. Ein formeller Ausschluss zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche (nach dem Vorbild bisheriger Fondslösungen auf dem Gesundheitssektor161, nunmehr nicht der Ansprüche des unmittelbar Betroffenen, sondern seiner Eltern) 156
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Vgl. KassKomm-Peters, 57. Aufl. 2008, § 10 SGB V, Rn. 2; Muckel, Sozialrecht, 2. Aufl. 2007, § 8, Rn. 56; Fuchs, in: Preis/Fuchs, Sozialrecht, 2005, § 18 III; Rust, Familienlastenausgleich in der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung, 1990, S. 317 ff. Vgl. BSG, SozR 3-2500, § 10 Nr. 16; BGH, VersR 2002, 192 im Anschluss an OLG Naumburg, VersR 2001, 341. Da dem infolge fehlerhafter ärztlicher Diagnose unerwünscht geborenen behinderten Kind Schadensersatzansprüche gegen den Arzt nicht zustehen, findet auch kein Forderungsübergang gem. § 116 SGB X auf den leistenden Sozialversicherungsträger statt; krit. Spickhoff, NJW 2002, 1758 (1764). Es besteht ein abgeleiteter Versicherungsschutz, vgl. § 19 Abs. 3 SGB V. Während des Bestehens der Stammversicherung ist dieser jedoch rechtlich selbstständig. In einem Satz auch erwogen von Deutsch, NJW 2003, 26 (28): „Ob der Anspruch gegen den schuldhaft handelnden Arzt oder gegen eine öffentlich-rechtliche Versicherungseinrichtung geht, ist vielleicht nicht so wichtig, wenn denn die Höhe der Ansprüche ungefähr gleich ist“. Vgl. auch den Schlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik in der modernen Medizin“ v. 14. Mai 2002 in BT-Dr. 14/9020, S. 82; dafür Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2003, 401 ff.; Stürner, JZ 2003, 155 (157); auch bereits ders., JZ 1998, 317 (325 f.); abl. Riedel, „Kind als Schaden“, 2003, S. 111 ff. So im Falle der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“, eingerichtet als Reaktion auf die Contergan-Katastrophe durch Ges. v. 17. Dezember 1971, BGBl. I 2018; Stiftung „humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“, eingerichtet durch Ges. v. 24. Juli 1995, BGBl. I 972; dazu Deutsch, NJW 1996, 755.
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oder eine Beschränkung (nach dem Vorbild des französischen Rechts162) bedeutete einen empfindlichen Einschnitt in das System des Haftungsrechts und empfiehlt sich schon deshalb nicht. Statt dessen sollte eine Fondslösung darauf zielen, dass die zivilrechtlichen Schadensersatzregeln in der Praxis faktisch weitgehend verdrängt werden, indem Leistungen des Fonds einfacher zu erhalten sind als ein stattgebendes Urteil im streitigen Verfahren gegen den Arzt. Da dieser weiterhin vertraglichen Rückabwicklungsansprüchen der Eltern und dem Anspruch vor allem der Mutter auf billige Entschädigung für die abverlangte Umstellung ausgesetzt ist, halten sich befürchtete Präventionsverluste163 in Grenzen und lassen sich durch verstärkte Maßnahmen der Qualitätssicherung sowie berufsrechtliche Sanktionen kompensieren. Dass die Frage der Haftung für die Geburt ungewollter gesunder Kinder bestehen bleibt (solange man diese nicht mit einbezieht164), spricht nicht gegen den hier unterbreiteten Vorschlag. Eine Fondslösung kann sich darauf beschränken, in den dringendsten Fällen Hilfe zu leisten, ohne dass sie damit gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstieße165. Hinsichtlich der Finanzierung sind unterschiedliche Modelle denkbar. Ein Fonds zur Entschädigung aller behindert geborenen Kinder wäre mit staatlichen Geldern zu speisen166. Wollte man sich darauf beschränken, einen Fonds nur zur Entschädigung der infolge eines ärztlichen Fehlers anlagebedingt behindert geborenen Kinder zu etablieren, ließe dieser sich aus privaten Mitteln der medizinischen Leistungsträger finanzieren167, auch Formen der Mischfinanzierung sind möglich. Einzelfragen der Einrichtung und Ausgestaltung des Fonds (Berechtigung zur Inanspruchnahme, Kriterien der Hilfsbedürftigkeit, Verteilungsschlüssel etc.) müssen der weiteren Diskussion vorbehalten bleiben.
V. Ergebnis Die Judikatur zum „Familienplanungsschaden“, welche sich als das Ergebnis einer pragmatischen, in sich schlüssigen Dogmatik präsentiert, kann den Eltern eines 162 163 164
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Vgl. unter II. 3. a). Dazu Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 249 ff.; ders., VersR 2007, 137 (140 f.). Dafür Stürner, JZ 1998, 317 (325). Eine Minderung der durch Unterhaltszahlungen entstehenden wirtschaftlichen Belastungen der Eltern lässt sich mit Hilfe des Familienleistungsausgleichs (§ 6 SGB I, vormals „Familienlastenausgleich“) erreichen. – Keine Notwendigkeit einer Fondslösung besteht bei Schädigungen der Leibesfrucht durch Fehler des Arztes bei seiner prä- oder perinatalen Tätigkeit. Dafür haftet der Arzt dem Kind nach allgemeinen Grundsätzen, vgl. BGHZ 8, 243; 58, 48; 106, 153. Zur sozialpolitischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Sachs-Osterloh, GG, 4. Aufl. 2007, Art. 3, Rn. 176. Vgl. auch BVerfGE 42, 263 (297 ff.) (Contergan) zur sozialstaatlich motivierten Entscheidung, die Abwicklung von Schadensfälle aus der privatrechtlichen Ordnung in eine gesetzliche Stiftungslösung zu verlagern. Kritisch aber Riedel, „Kind als Schaden“, 2003, S. 111. Dafür Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2003, 401 (403). Dafür Stürner, JZ 1998, 317 (325).
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ungewollt geborenen Kindes dann nichts gewähren, wenn diese sich des Kindes von Anfang an angenommen haben. Auch kann sie dem Kind gerade dann nicht helfen, wenn es der Versorgung am meisten bedarf: beim Wegfall des Unterhaltsverpflichteten. Zugunsten des vorgeschädigten Kindes selbst lassen sich zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen den Arzt nicht begründen. Die gebotene Hilfe und überdies eine Entschärfung der „Kind als Schaden“-Problematik verspricht der Ausbau öffentlicher Leistungen. Ausgleichsansprüche blieben vom Gedanken fortdauernder Kompensation eines Anspruchs auf Verhinderung menschlichen Lebens frei. Sie wären stattdessen geprägt vom Gedanken der Vorsorge für den Fall planwidriger Geburt, wie er humaner Rechtskultur besser entspricht.168
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Stürner, JZ 1998, 317 (326). Ob ein Fortpflanzungsmedizingesetz, wie es der Nationale Ethikrat in seiner Sitzung vom 23. Januar 2003 für erforderlich hielt, über die Fragen der Reproduktionsmedizin hinaus auch die ärztliche Haftung regelte (dafür bereits Laufs, NJW 1998, 796 (798)), bleibt weiter ungewiss; vgl. auch G. Müller, NJW 2003, 697. Zu dem Gesetzesvorhaben i.ü. Laufs, Auf dem Weg zu einem Fortpflanzungsmedizingesetz?, 2003.
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I. Medizinrecht: Eine (etwas personalisierte) Genealogie eines Rechtsgebietes Das juristische Universalgenie gibt es nicht und hat es vermutlich auch nie gegeben. Aber könnte man nicht zumindest von Rechtswissenschaftlern erwarten, dass sie alle Rechtsgebiete wenigstens dem Namen nach kennen? Vielleicht war das noch so, als sich zu Beginn der Neuzeit die das kontinentaleuropäische Rechtsdenken bis heute prägende Unterteilung der Rechtsordnung in das Bürgerliche und das Öffentliche Recht durchzusetzen begann. Diese Unterscheidung ist allerdings historisch, aber, wie andere Rechtskreise belegen,1 nicht apriorisch.2 Allenfalls steht sie für unterschiedliche Funktionsbedingungen der auf der Privatautonomie ihrer Mitglieder beruhenden bürgerlichen Gesellschaft und des mit dem Gewaltmonopol ausgestatteten Staates. Von Rechtsgebieten zu sprechen, die etwas gegenständlich oder räumlich Abgegrenztes assoziieren, fällt angesichts dieser eher funktionalen Kategorisierung von Bürgerlichem und Öffentlichem Recht schwer. So kommt es nicht von ungefähr, dass sich viele den Titel des Rechtsgebiets beanspruchende Teilmaterien der Rechtsordnung wie das Bau-, das Sport-, das Umwelt-, das Kartell- und das noch näher zu behandelnde Sozialrecht einer klaren Zuordnung entziehen, und sich Generationen von Studierenden mit einer Vielzahl von Abgrenzungstheorien quälen, die dann doch nicht einzuhalten vermögen, was sie versprechen: eine klare Abgrenzung. Was wäre etwa die bürgerliche (!) Ehe, die das Bürgerliche Gesetzbuch mit einem gewissen Recht an die Spitze seines Vierten Buches (Familienrecht) stellt, ohne den staatlichen (!) Beamten? Ohne ihn und die sein Handeln regulierenden öffentlich-rechtlichen Regeln entsteht (§ 1310 Abs. 1 BGB) und endet (§ 1564 BGB) sie ebenso wenig wie der öffentlichrechtliche Vertrag ohne die Normen des bürgerlichen Rechts (§ 61 S. 2 VwVfG). Rechtsgebiete, so muss man daraus wohl schließen, beinhalten regelmäßig öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Bestimmungen und lassen sich daher in vielen Fällen nicht in das binäre System des bürgerlichen oder des öffentlichen Rechts pressen. Überhaupt gibt es kein besonderes Zertifizierungsverfahren dafür, 1 2
Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 177ff. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2005, Rn. 3.
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dass eine Gruppe von Normen zu einem Rechtsgebiet wird. Das begünstigt natürlich die Tendenz zur Atomisierung der Rechtsordnung. Schon frühzeitig hat sich im Sachenrecht das Bienenrecht als eigenständiges Rechtsgebiet profiliert, ohne indes jemals eine Gerichtsentscheidung produziert zu haben; anders als übrigens das Katzen-, Hunde- und das Pferderecht, die Rechtsanwälte ausweislich einer Internetrecherche als Beratungsschwerpunkte ausweisen. Ein Pflanzenrecht scheint sich ausweislich dieser Quelle indes erst in der Schweiz als selbständige Rechtsmaterie zu entwickeln. Ob diese Rechtsgebiete mit der gleichen Nachhaltigkeit zu schützen sind wie ihre Gegenstände? Manchem Rechtsgebiet droht sicherlich das Schicksal der Eintagsfliege. Es gibt aber prominente Gegenbeispiele. Sie belegen, dass der Aufstieg in den Kanon der anerkannten Rechtsgebiete von der gesellschaftlichen Bedeutung und der inneren Komplexität der sozialen Subsysteme abhängt, die in einem eigenständigen Rechtsgebiet zusammengefasst werden, ferner von einem Minimum an politischer Bereitschaft zu kodifikatorischer Zusammenfassung und nicht zuletzt von der Überzeugungskraft ihrer rechtswissenschaftlichen Protagonisten. Das Medizinrecht ist ein Beleg für diese These und Erwin Deutsch ohne Zweifel einer seiner wissenschaftlichen Väter. Aber auch das Medizinrecht ist nicht das Resultat eines rechtswissenschaftlichen Urknalls, sondern es steht am (naturgemäß nur vorläufigen) Ende eines wissenschaftlichen Prozesses: dem „Auffinden von Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe“3. Die Entwicklung des mittlerweile in Co-Autorenschaft mit seinem Schüler und meinem Regensburger Kollegen Andreas Spickhoff verfassten und seit Anfang 2008 in 6. Auflage vorliegenden Grundlagenwerks „Medizinrecht“ steht paradigmatisch für dieses allmähliche Wachsen eines Rechtsgebietes. Erstmals erscheint 1983 „eine zusammenfassende Darstellung mit Fallbeispielen und Texten“ zum „Arztrecht und Arzneimittelrecht“. Ausweislich des Vorworts sieht der Jubilar in ihnen „zwei wesentliche Aspekte des Gesundheitsrechts“; vom Medizinrecht ist noch nicht die Rede. Das Problem der kategorialen Zuordnung ist aber schon vor über 25 Jahren deutlich: „Das Arzt- und Arzneimittelrecht ist ein neuer Begriff, der die herkömmlichen Unterteilungen in Zivilrecht, öffentliches Recht und Strafrecht überwindet.“4 Im Arztrecht, das er als „Zusammenfassung der Rechtsverhältnisse, die zwischen jedem den Arztberuf privat ausübenden oder im Krankenhaus tätigen Mediziner und dem Patienten sowie der Gesellschaft bestehen“ definiert, habe, so beklagt er, bis vor etwa 20 Jahren „die Kriminalistik“ den Ton angegeben; ihr Hauptproblem sei die Frage gewesen, ob der ärztliche Heileingriff tatbestandsmäßig als Körperverletzung anzusehen sei. Schon 1983 vermerkt er aber, dass nunmehr Straf-, Zivil- und öffentliches Recht „gleichbeteiligt nebeneinander“ stehen und damit der Anschluss an ausländische Rechtsordnungen hergestellt sei.5 Im Arzneimittelrecht sieht er die These bestätigt, dass Rechtsgebiete auf einigermaßen zusammenhängende Normkomplexe angewiesen sind: „Erst die Gesetze, die gegen Ende des letzten Jahrzehnts erlassen wurden, das Arzneimittelgesetz von 1976 und das Heilmittelwerbegesetz von 3 4 5
BVerfGE 47, 327 (367). Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, 1. Aufl. 1983, Rn. 1. Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, 1. Aufl. 1983, Rn. 3.
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1978, geben die Grundlage zu einer umfassenden wissenschaftlichen Aufarbeitung.“6 1991 sollte eine 2. Auflage mit dem gleichen Titel folgen, die Arztrecht und Arzneimittelrecht als nach wie vor neue Begriffe bezeichnet, aber die Gegenständlichkeit der Rechtsgebiete deutlicher heraushebt.7 Einen für die Genealogie des Rechtsgebietes bedeutenden Einschnitt bringt erst die 1997 erscheinende 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Denn die Klammer für die bislang behandelten Rechtsgebiete ist gefunden: Das Buch heißt nun und fortan Medizinrecht. Das Arztrecht und das Arzneimittelrecht sind in den Untertitel gerutscht, zu ihnen gesellt sich seither das Medizinprodukterecht, das in einem eigenständigen Abschnitt behandelt wird, auch dies übrigens als Folge einer, europarechtlich veranlassten, Kodifikation im Gesetz über Medizinprodukte (MPG) im Jahre 1994.8 Man kann es als Beleg für das allmähliche Herantasten an das Rechtsgebiet ansehen, dass Deutsch die drei genannten Rechtsgebiete zwar im Vorwort nicht mehr als wesentliche Aspekte des Gesundheitsrechts, sondern des Medizinrechts bezeichnet, auf eine Definition des Medizinrechts aber in dieser und übrigens auch noch in der 1999 erscheinenden 4. Auflage9 meint verzichten zu können. Bescheiden erwähnt er im Vorwort lediglich, er sei mit dem Oberbegriff Medizinrecht nur dem allgemeinen Sprachgebrauch gefolgt. Es sind eben immer noch die Glieder, die das Ganze prägen, und es reicht daher aus, diese zu definieren – staatstheoretisch gewendet ein eher staatenbündischer als bundesstaatlicher Zugang. In der 5. Auflage (2003) tritt dann nicht nur Andreas Spickhoff als Co-Autor, sondern auch das Transfusionsrecht als neue Teilmaterie des Medizinrechts hinzu. Das Medizinrecht wird nun auch im Textteil als Oberbegriff für das Arztrecht, das Arzneimittel-, das Medizinprodukte- und das Transfusionsrecht bezeichnet.10 Es ist sicherlich richtig, dass ein Oberbegriff für sich gesehen noch keine Definition ist, sondern nur eine Zusammenfassung von Unterbegriffen.11 Aber die Definition dessen, was das Medizinrecht ausmacht, ist auch nicht einfach. In der mittlerweile auf über 1000 Seiten angewachsenen 6. Auflage (2008) wagen die Autoren erstmals eine inhaltliche Umschreibung, ohne aber deren Charakter als definitorische Probebohrung zu verschweigen: Danach umfasst „das Medizinrecht, das in den Randbereichen nach wie vor durchaus uneinheitlich definiert wird, die Gesamtheit der Regeln, die sich auf die Ausübung der Heilkunde beziehen.“12 Das ist eine durchaus weiterführende und ausbaufähige Definition. Nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) ist Heilkunde jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden 6 7 8 9 10
11 12
Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, 1. Aufl. 1983, Rn. 4. Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, 2. Aufl. 1991, Rn. 1. Deutsch, Medizinrecht, 3. Aufl. 1997, Rn. 978ff. Deutsch, Medizinrecht, 4. Aufl. 1999. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 5. Aufl. 2003, Rn. 1; ähnlich etwa (unter Einbeziehung „weiterer Vorschriften im Dienste der Gesundheit“) Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 5 Rn. 2. Vgl. auch Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2005, § 1 Rn. 11. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 1.
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oder Körperschäden beim Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. Dieser Heilkundebegriff ist von der Rechtsprechung erweitert worden, um möglichst auch jede nichtärztliche Tätigkeit auf dem Gebiet der Heilkunde zu erfassen.13 Einbezogen werden müsste darüber hinaus die Prävention, die ein zunehmend wichtiges Handlungsfeld auch für die Heilkunde ist (vgl. §§ 20ff. SGB V). Zu eng ist die Definition allenfalls noch insoweit, als sich auch das Lehrbuch nicht nur mit der Ausübung der Heilkunde, sondern, wenn auch nur knapp, auch mit dem Zugang zu den Heilkundeberufen befasst, etwa mit dem vertragsärztlichen Zulassungsrecht (§§ 95ff. SGB V).14 Die Entwicklung des Lehrbuches von Erwin Deutsch steht damit paradigmatisch für das lernende Entwickeln und die allmähliche Konturierung eines Rechtsgebietes, dem diesen Charakter heute niemand mehr streitig machen würde. Das neue Rechtsgebiet zeigt sich in einer bereits seit 1983 erscheinenden Zeitschrift, in Universitätslehrstühlen und -instituten, seit 2005 in einem Fachanwalt für Medizinrecht und seit 2007 auch in einer Vereinigung der Medizinrechtslehrer und Medizinrechtslehrerinnen.
II. Ein neues Geschwisterchen: Gesundheitsrecht / Recht des Gesundheitswesens Die in der 6. Auflage des Lehrbuchs erstmals enthaltene Definition dessen, was das Medizinrecht inhaltlich ausmacht, ist vermutlich auch der Tatsache geschuldet, dass mit dem Gesundheitsrecht eine neue Gebietsbezeichnung am Horizont aufzieht, die den Charakter als Rechtsgebiet beansprucht. Das ist eine neue Herausforderung, der sich die Verfasser auch stellen:15 Es bedarf der Abgrenzung oder zumindest der Unterscheidung.
1. Die sozialrechtlichen Wurzeln Um den Standort des Gesundheitsrechts in der Rechtsordnung und sein Verhältnis zum Medizinrecht zu klären, muss man etwas ausholen. Die Wurzeln des Gesundheitsrechts liegen im Sozialrecht und damit im öffentlichen Recht. Das Sozialrecht hatte, ebenso wie das Medizinrecht, zunächst gewisse Orientierungsschwierigkeiten in der dualen Welt des bürgerlichen und des öffentlichen Rechts.16 Seine Herkunft aus dem „Recht der Arbeiterversicherung“17, auf das sich das Sozialversicherungsrecht bis zur Einführung der Angestelltenversicherung im 13 14 15 16 17
BVerfGE 78, 179 (192); 106, 62 (107). Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 30ff. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 1; dazu unten 2. c). Rode, Was ist Sozialrecht?, ZSR 1969, 641 (643ff.). Rosin, Das Recht der Arbeiterversicherung, Bd. 1, 1893; zu Rosins Rolle als Pionier des Sozialversicherungsrechts Mikešic, Sozialrecht als wissenschaftliche Disziplin, 2002, S. 40 ff.
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Jahre 1911 beschränkte, begründete seine Nähe zum Arbeitsrecht;18 zu sehr erinnerte zudem die äußere Regelungsform der Bismarck’schen Sozialversicherungsgesetze an die Strukturen des zivilistisch geprägten Privatversicherungsrechts. Diese Scheinaffinität des durch öffentlich-rechtliche Institutionen und Handlungsformen geprägten Sozialversicherungsrechts zum bürgerlichen Recht ist schon früh kritisiert und der „überwiegend staats- und verwaltungsrechtliche Charakter“19 des Sozialrechts betont worden. Die Einordnung des Sozialrechts in das besondere Verwaltungsrecht wird daher schon seit längerem nicht mehr bestritten.20 Noch 1969 wird ihm aber attestiert, gerade erst aus dem rechtswissenschaftlichen Dornröschenschlaf zu erwachen.21 Es gilt, fälschlicherweise, als Materie der vom gehobenen Verwaltungsdienst beherrschten Verwaltungspraxis mit geringem dogmatischen Anspruch und erzeugt daher nur geringe disziplininterne Reputation. Protagonisten der Profilierung des Sozialrechts als rechtswissenschaftliche Disziplin sind nach 1945 Walter Bogs,22 der langjährige Präsident des Bundessozialgerichts Georg Wannagat,23 ferner Wilhelm Wertenbruch als Gründungsdirektor des Bochumer Instituts für Sozialrecht24 und, last but not least, Hans F. Zacher, der Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Sozialrecht mit seinen bedeutenden Beiträgen zur Systematisierung des Sozialrechts.25 Ein wichtiger politischer Anstoß für die weitere Konturierung des Rechtsgebiets geht zudem von der in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begonnenen kodifikatorischen Zusammenfassung des Sozialrechts im Sozialgesetzbuch aus. Insbesondere entsteht seit Beginn der 80er Jahre eine Fülle von Lehrbüchern.26 Die deutlich veränderte Wahrnehmung zeigt sich zudem in der Fülle der allein in den letzten 10 Jahren erschienenen sozialrechtlichen Habilitationsschriften.27 18 19 20
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Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 3, 5. Aufl. 1913, S. 290. Rosin, Das Recht der Arbeiterversicherung, Bd. 1, 1893, Vorwort, S. V. Dazu näher Kingreen/Rixen, Sozialrecht – ein verwaltungsrechtliches Utopia? Ortsangaben zur (Wieder-)Entdeckung einer Referenzmaterie des öffentlichen Rechts, DÖV 2008, 741 (741 f.). Rode, Was ist Sozialrecht?, ZSR 1969, 641 (643). Bogs, Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit, 1955. Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts Bd. 1, 1965. Wertenbruch, Begriff und Bedeutung des Sozialrechts, 1968, S. 385ff. Zusammengetragen in Zacher, Abhandlungen zum Sozialrecht, 1993. Bley/Kreikebohm/Marschner, Sozialrecht, 9. Aufl. 2007; Eichenhofer, Sozialrecht, 6. Aufl. 2007; Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, 2005; Igl/Welti [begr. von Schulin], Sozialrecht, 8. Aufl. 2007; Muckel, Sozialrecht, 2. Aufl. 2007; Waltermann, Sozialrecht, 7. Aufl. 2008. Aus dem öffentlichen Recht: Axer, Normsetzung in der Sozialversicherung, 2000; Becker, Transfergerechtigkeit und Verfassung, 2001; Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, 2001; Hase, Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, 2000; Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008; Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003; Lenze, Staatsbürgerversicherung und Verfassung, 2005; Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005; Welti, Behinderung und Rehabilitation im sozialen Rechtsstaat, 2005. Aus dem Zivilrecht: Boerner,
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Kontakte zum Medizinrecht hat das Sozialrecht in dieser Zeit kaum, obwohl es in Gestalt des Krankenversicherungsrechts durchaus Ansätze dafür gegeben hätte. Hintergrund ist die traditionelle Fokussierung des Krankenversicherungsrechts auf das Versicherungs-, das Leistungs-, das Organisations- und das Finanzierungsrecht. Hingegen wird das Leistungserbringungsrecht, das die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern betrifft, vergleichsweise stiefmütterlich behandelt. Das mag auch daran gelegen haben, dass die Sozialversicherungsgesetzgebung zum Ende des 19. Jahrhunderts in erster Linie, und dies mit Recht, den Hilfebedürftigen und Versicherten im Blick hatte, den Erbringer der notwendigen Leistungen aber eher als Reflex des sozialen Leistungsrechts ansah. Der entscheidende Grund für die Randstellung des Leistungserbringungsrechts war aber die geringe Regelungsdichte. Hintergrund der gesetzgeberischen Zurückhaltung waren massive Konflikte zwischen Krankenkassen und Ärzten im Vorfeld der 1911 verabschiedeten Reichsversicherungsordnung. Beide Seiten hatten, teils auch durch Streik- und Boykottmaßnahmen, auf die gesetzliche Ausgestaltung ihrer Rechtsbeziehungen Einfluss zu nehmen versucht, um die Machtstellung in den Verhandlungen mit der anderen Seite zu verbessern. Da es zu keiner Einigung kam und das ganze Gesetzeswerk zu scheitern drohte, regelten schließlich kümmerliche acht Normen (§§ 368-375 RVO) „das Verhältnis zu Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern und Apotheken“.28 Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den nichtärztlichen Leistungserbringern hatten sogar bis 1989 überhaupt keine hinreichenden gesetzlichen Grundlagen.29 Das war insgesamt zu wenig für eine vertiefte rechtswissenschaftliche Befassung. Das Recht der krankenversicherungsrechtlichen Leistungserbringung wurde daher, wenn überhaupt, nicht in den sozialrechtlichen,30 sondern in den arzt- und medizinrechtlichen Lehrund Handbüchern behandelt, allerdings auch dort nur äußerst knapp.31 Dieses Mauerblümchendasein fristete das krankenversicherungsrechtliche Leistungserbringungsrecht bis vor etwa 20 Jahren. Erst mit der 1989 einsetzenden ausführlicheren Kodifizierung der Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den verschiedenen Leistungserbringern im Sozialgesetzbuch V rückte es vom Rand in die Mitte des Krankenversicherungsrechts. Es war die Zeit der ersten Kostendämpfungsgesetze, die naturgemäß auch die Leistungserbringer in den Blick nehmen mussten. Prompt erschien 1994 der erste Band des von Bertram Schulin herausgegebenen Handbuchs des Sozialversicherungsrechts, das sich erstmals
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Normenverträge im Gesundheitswesen, 2003; Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, 2001; Rolfs, Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht, 2000. Goldammer, Die Beziehungen zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen, 1964; Zschiegner, Das Friedensabkommen zwischen Ärzten und Krankenkassen vom 23. Dezember 1913, 1919. Vgl. nur zum Heil- und Hilfsmittelrecht Kranig, in: Hauck/Noftz, SGB V. Gesetzliche Krankenversicherung, Loseblattslg, § 124 [11/2007] Rn. 2 und § 126 [8/2005] Rn. 2. Komplette Fehlanzeige etwa im grundlegenden Werk von Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, 1965. Vgl. bereits Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, 1. Aufl. 1983, S. 10f.
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systematisch mit den Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu allen Leistungserbringern befasste.32 Diese verstärkte Wahrnehmung des Leistungserbringungsrechts ist nicht nur der enormen praktischen Bedeutung der Materie geschuldet. Sie ist auch rechtsdogmatisch zwingend, weil das Leistungserbringungsrecht mit dem Leistungsrecht durch ein Geflecht von Normen und Verträgen untrennbar verbunden ist. Das im Leistungserbringungsverhältnis von Kassen und Leistungserbringern Geregelte und Vereinbarte konkretisiert nämlich zugleich den Leistungsanspruch, der im Sozialgesetzbuch V nur dem Grunde nach kodifiziert ist. Im Zentrum dieses Getümmels von Rechtsquellen stehen die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, der neben drei unparteiischen Mitgliedern aus insgesamt zehn vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen, den Kassenärztlichen Vereinigungen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft benannten Mitgliedern besteht (§ 91 Abs. 2 S. 1 SGB V). Ihre enorme Bedeutung verdanken die Richtlinien dem erst 1997 entwickelten sog. Rechtskonkretisierungskonzept des Bundessozialgerichts: Danach sind die Leistungsansprüche der §§ 27ff. SGB V nicht als Leistungsrechte im Vollsinne zu begreifen, sondern als ausfüllungsbedürftige Rahmenrechte.33 Dem trage das SGB V dadurch Rechnung, dass es mit den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses einen Konkretisierungsmechanismus vorsehe, der das gesetzliche Rahmenrecht zum durchsetzbaren Einzelanspruch verdichte.34 Zwischen Leistungsrecht und Leistungserbringungsrecht bestehe daher ein „unmittelbarer sachlogischer Zusammenhang“35: Denn der Umfang der zu gewährenden Krankenversorgung könne im Verhältnis der Versicherten zu den Krankenkassen kein anderer sein als im Verhältnis der ärztlichen Leistungserbringer zu den Krankenkassen. Die Richtlinien haben also die Funktion, die Verpflichtung der Leistungserbringer zu einer medizinisch ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Behandlungs- und Verordnungsweise mit den Ansprüchen der Versicherten zu koordinieren. Bereits aus der gesetzlichen Ermächtigung in § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V folge daher, dass die Richtlinien nicht nur die im Bundesausschuss vertretenen Parteien binden, sondern verbindliches außenwirksames Recht enthalten.36 Leistungen, die in den Richtlinien nicht anerkannt sind, darf der Arzt grundsätzlich nicht erbringen/verordnen und der Versicherte grundsätzlich nicht beanspruchen. Eine Ausnahme erkennt das Bundessozialgericht nur bei einem sog. Systemversagen an, das es beim indikationsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln (sog. off label use),37 bei einzigartigen Erkrankungen, zu denen der Bundesausschuss mangels generalisierbarer Erkenntnisse nicht Stellung nehmen kann,38 und bei einer, trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen, nicht zeitgerechten Entscheidung des
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Schulin (Hrsg), Handbuch des Sozialversicherungsrechts Bd. I, 1994, §§ 28-46. BSGE 73, 271 (279ff.); 78, 70 (75ff.); 81, 54 (59ff.); 81, 73 (76ff.). BSGE 81, 54 (61). BSGE 78, 70 (77). BSGE 81, 54 (63). BSGE 89, 184ff. BSG, NZS 2005, 589 (593).
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Bundesausschusses annimmt.39 Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Ausnahmekatalog in seinem viel diskutierten Nikolaus-Beschluss dezent erweitert, indem es bei schweren Krankheiten, für die keine schulmedizinischen Behandlungsmethoden existieren, bislang noch nicht anerkannte Methoden in die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung einbezieht, wenn eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.40
2. Typologie und Rechtsquellen des Gesundheitsrechts Die in den letzten etwa 10 Jahren rechtspraktisch und -dogmatisch gestiegene Bedeutung des Leistungserbringungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung ist nun auch der Hintergrund für die Entstehung des Gesundheitsrechts. a) Das Leistungserbringungsverhältnis zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern Das in den §§ 69-140 SGB V geregelte Leistungserbringungsverhältnis vervollständigt das Krankenkassen, Versicherte/Mitglieder und Leistungserbringer verbindende Beziehungsdreieck, bestehend aus dem Mitgliedschafts-/Versicherungsverhältnis (unter Einschluss des Leistungsverhältnisses) zwischen den Versicherten und der Krankenkasse, dem Erfüllungsverhältnis zwischen dem Versicherten und dem Leistungserbringer und eben dem Leistungserbringungsverhältnis zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern.41 Diese drei Rechtsverhältnisse hängen aufs Engste miteinander zusammen: Das Mitgliedschafts/Versicherungsverhältnis beinhaltet, neben der Beitragspflicht des Mitglieds, vor allem das Leistungsversprechen der Krankenkasse. Die Krankenkassen erbringen aber nur die wenigen Geldleistungen (Krankengeld, Mutterschaftsgeld) selbst. Sach- und Dienstleistungen hingegen gewähren sie, indem sie im Leistungserbringungsverhältnis Vereinbarungen mit selbständigen Leistungserbringern treffen. Diese Vereinbarungen dienen dazu, die Leistungsberechtigung im Mitgliedschafts- bzw. Versicherungsverhältnis und den Umfang der gegenüber den Krankenkassen abzurechnenden Leistungen zu koordinieren. Denn das, was der Versicherte von seiner Krankenkasse erwarten darf, soll grundsätzlich dem entsprechen, was der Arzt oder ein anderer Leistungserbringer gegenüber der Krankenkasse abrechnen darf. Im Einzelnen kann man in Anlehnung an die verwaltungsrechtliche Zwei-Stufen-Lehre zwei Regelungsebenen im Leistungserbringungsverhältnis ausmachen:42 Auf der Begründungsebene geht es um die Frage, wie der Status des Leistungserbringers begründet wird, der entweder selbst oder durch seine Verbände 39 40 41
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BSG, NZS 2004, 99 (101). BVerfGE 115, 25 (49ff.). Becker/Kingreen, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V. Gesetzliche Krankenversicherung, 2008, § 69 Rn. 4ff. Becker/Kingreen, in: Das Recht des öffentlichen Gesundheitswesens, dtv-Textausgabe, 2008, Einführung, S. XXI-XXIV.
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zur Partei von Rechtsbeziehungen wird; es geht also um das „Ob“ der Leistungserbringung. Statusbegründender Akt ist dabei entweder ein Verwaltungsakt (so im Vertragsarzt- und im Heilmittelrecht, §§ 95 Abs. 3 S. 1, 124 Abs. 4 S. 2 SGB V), oder ein Versorgungsvertrag (neuerdings insbesondere im Hilfsmittelrecht, § 126 Abs. 1 S. 2 SGB V), wobei der Trend derzeit weg von dem durch Verwaltungsakt geregelten Über-/Unterordnungsverhältnis hin zu dem durch Versorgungsvertrag ausgestalteten Kooperationsverhältnis zwischen Kassen und Leistungserbringern geht („from status to contract“).43 Zu einigen Leistungserbringern gibt es nach wie vor keine statusbegründenden Rechtsbeziehungen, so zu den Apotheken (§ 129 SGB V), den pharmazeutischen Unternehmern (§ 131 SGB V) und den Hebammen (§ 134 SGB V). Der Systemzugang richtet sich hier also allein nach dem einschlägigen Berufs- und Gewerberecht (§ 2 ApoG, § 2 HbG, § 13 AMG). Die Statusbegründung ist, wenn auch in unterschiedlicher Verdichtung, jeweils überformt durch verbindliche Kollektivvereinbarungen, im Vertragsarztrecht etwa durch die Bundesmantelverträge (§ 82 SGB V) und die Gesamtverträge (§ 83 SGB V), sowie durch unverbindliche Rahmenempfehlungen (vgl. etwa § 125 SGB V in der Heilmittelversorgung). Auf der Ausgestaltungsebene geht es nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“ der Leistungserbringung. Die ausgestaltenden Rechtsbeziehungen haben dabei nicht nur Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern, sondern wirken sich aufgrund der Interdependenz zwischen Leistungs- und Leistungserbringungsrecht teilweise unmittelbar auf das Leistungsrecht aus. Die Ausgestaltungsebene ist geprägt durch Verträge und Vereinbarungen, an denen zumeist Verbände, seltener aber auch einzelne Leistungserbringer beteiligt sind. b) Die eigenständige Funktion des Gesundheitsrechts Die Entdeckung des Leistungserbringungsverhältnisses allein würde es noch nicht rechtfertigen, von einem neuen Rechtsgebiet Gesundheitsrecht zu sprechen. Denn diese Rechtsbeziehungen dienen dazu, den Leistungsanspruch des Versicherten näher auszugestalten, und könnten daher nach wie vor als Bestandteil des Rechtsgebiets Gesetzliche Krankenversicherung angesehen werden. Das Recht der Leistungserbringung besteht aber nicht nur aus den Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern, sondern umfasst insgesamt die materiellen, verfahrens- und organisationsrechtlichen Regeln für die Erbringung von Gesundheitsleistungen. Dazu gehören vor allem die aus dem krankenversicherungsrechtlichen Kontext gelösten berufs-, gewerbe- und ordnungsrechtlichen Vorschriften in den einzelnen Sektoren der Leistungserbringung, vom Arzneimittel- über das Medizinproduktegesetz bis hin zur Handwerksordnung, in der sich die berufsrechtlichen Voraussetzungen für die sog. Gesundheitshandwerker befinden. Diese Rechtsquellen haben vielfältige Bezüge zum Sozialgesetzbuch V, und zwar nicht nur zum Leistungserbringungsrecht, sondern auch zum Leistungsrecht. So knüpfen etwa die Leistungsansprüche im Bereich der Arzneimittelversorgung (§§ 31-34 SGB V) an die arzneimittelrechtliche Systema43
Vgl. Kingreen, Das Sozialvergaberecht, SGb 2008, 437 (438f.).
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tik (§ 43 AMG)44 an. Ferner sind die §§ 107ff. SGB V zur Regelung der Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Krankenhäusern eng mit den planungs-, finanzierungs- und vergütungsrechtlichen Bestimmungen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) und des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) sowie den Krankenhausgesetzen der Länder verzahnt. Überhaupt baut die sozialversicherungsrechtliche Statusbegründung45 weitgehend auf dem Berufsrecht für die einzelnen Leistungserbringungsbereiche auf, etwa bei den Voraussetzungen für die Eintragung ins Arztregister (§ 95a Abs. 1 SGB V), die gemäß § 95 Abs. 2 S. 1 SGB V Voraussetzung für die sozialversicherungsrechtliche Zulassung ist, oder im Heilmittelrecht, wo § 124 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB V an die für die Leistungserbringung erforderliche Ausbildung sowie eine entsprechende zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigende Erlaubnis anknüpft, deren Voraussetzungen sich aus dem Masseur- und Physiotherapeutengesetz (MPhG), dem Podologengesetz (PodG), dem Logopädengesetz (LogP) und dem Ergotherapeutengesetz (ErgThG) ergeben. c) Begriff: Gesundheitsrecht oder Recht des öffentlichen Gesundheitswesens? Alle vorstehend genannten Gesetze gehen nun aber in ihren Rechtswirkungen über das Krankenversicherungsrecht weit hinaus. Auf die Idee, sie zum Bestandteil des Krankenversicherungsrechts zu erklären, käme daher niemand. Würde man sie aber zusammenfassen, bildeten sie ein Gesundheitsgesetzbuch, in dessen Mitte das Sozialgesetzbuch V steht, um das sich die genannten Gesundheitsgesetze als Nebengesetze gruppieren.46 Da es ein solches Gesundheitsgesetzbuch auf absehbare Zeit nicht geben wird, und zwar auch und gerade wegen der Zentrifugalkraft der Nebengesetze, ist es zumindest wichtig, ihr Zusammenwirken auf einen Begriff zu bringen: „Jede wissenschaftliche Begriffsbildung ist mehr oder weniger ein dezisiver Prozess. Man entscheidet sich zu Zwecken der wissenschaftlichen Verständigung zu einem möglichst bestimmten Bedeutungsinhalt eines Wortes, um in der wissenschaftlichen Diskussion nicht aneinander vorbeizureden.“47 Diese Funktion der Verständigung hat die Bezeichnung Gesundheitsrecht: Es beinhaltet die Gesamtheit der öffentlich-rechtlichen Normen über die krankenversicherungsrechtliche Stellung der Versicherten, die Organisation und Finanzierung der Krankenkassen und den berufs- und sozialversicherungsrechtlichen Status der in der Gesundheitsversorgung tätigen Personen und Einrichtungen. Vergleichbar mit dem Medizinrecht, macht auch das Gesundheitsrecht mittlerweile Karriere. Es ziert eine Fachzeitschrift ebenso wie Lehrstühle und Institute an den Universitäten. Diese Verselbständigung des Gesundheitsrechts könnte darüber hinaus eine auch interdisziplinäre Verständigung ermöglichen. In den Sozialwissenschaften bilden sich mit der Gesundheitspolitik und den Gesund44 45 46
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Dazu Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 1221ff. Vgl. oben a). Vgl. die Zusammenstellung in der Textausgabe „SGB V, Öffentliches Gesundheitswesen“, 2008. Rode, Was ist Sozialrecht?, ZSR 1969, 641 (646f.).
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heitswissenschaften („Public Health“) und in der Wirtschaftswissenschaft mit der Gesundheitsökonomie zunehmend verselbständigte Diskurse und Wissenschaftseinrichtungen heraus,48 die belegen, dass Gesundheit und Gesundheitssysteme Gegenstände einer multidisziplinären Betrachtung sein müssen.49 An den Rändern sind die Konturen allerdings hier wie dort noch unscharf. Erwin Deutsch und Andreas Spickhoff greifen den Begriff des Gesundheitsrechts in der neuesten Auflage ihres Lehrbuches erstmals auf. Das Gesundheitsrecht schließe alle Normen ein, die der Gesundheit in einem sehr weiten Sinne dienen: „Es befasst sich demgemäß mit dem Gesundheitssystem an sich, namentlich dem Recht der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung, aber auch öffentlich-rechtlichen Aspekten wie der Gefahrenabwehr, etwa im Bereich des Seuchen-, Hygiene- oder Lebensmittelrechts, ja sogar des Umweltrechts.“50 Die Verfasser erkennen das Problem der weiten Definition, wenn sie bemerken, dass das Gesundheitsrecht in den letztgenannten Bereichen das Medizinrecht verlässt. Eben diese Anbindung ist aber der Sinn des Gesundheitsrechts, das, wie gleich noch zu zeigen sein wird, der öffentlich-rechtliche Partner des zivil- und strafrechtlich geprägten Medizinrechts ist.51 Es kann, sollen die Konturen klar bleiben, nicht um eine Zusammenfassung aller Normen gehen, die irgendwie mit der Gesundheit des Menschen zusammenhängen; sonst müsste man auch die §§ 223ff. StGB und eben auch das ganze Umweltrecht zum Gesundheitsrecht zählen. Das Gesundheitsrecht wird vielmehr seinen Wurzeln im Sozialrecht nur gerecht, wenn es seinen Ausgang im durch das Sozialgesetzbuch V geprägten, öffentlichen Gesundheitssystem nimmt. Nur dann kann der Begriff die ihm zugedachte Funktion wahrnehmen, zur engeren Verzahnung zwischen zivil-, straf- und öffentlichrechtlichen Normen im Bereich der medizinischen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung beizutragen. Nur dann spricht er übrigens auch bestimmte Ziel- und Berufsgruppen an, die sich mit den wirtschaftlichen, rechtlichen oder ethischen Fragen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung befassen. Wer käme auf die Idee, einer gesundheits- und medizinrechtlich ausgewiesenen Rechtsanwaltskanzlei ein umweltrechtliches Mandat zu übertragen? Über die Begrifflichkeiten kann man sicherlich streiten. Man könnte etwa auch von einem Gesundheitsrecht im von Erwin Deutsch und Andreas Spickhoff definierten weiteren Sinne und einem Gesundheitsrecht im hier beschriebenen engeren Sinne sprechen und letzteres als Recht des öffentlichen Gesundheitswesens bezeichnen. Denkbar ist schließlich auch die Bezeichnung öffentliches Medizinrecht,52 das – ähnlich wie etwa im Baurecht – vom privaten Medizinrecht unter-
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Vgl. Rosenbrock/Gerlinger, Gesundheitspolitik, 2. Aufl. 2005, S. 11ff. Dazu die Beiträge in: Kingreen/Laux (Hrsg.), Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, 2008. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 1; in diesem Sinne etwa auch Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2005, § 1 Rn. 2, 11ff. Auch die von Francke und Hart eingeführte Textsammlung „Gesundheitsrecht“, 2003, verlässt den durch das Gesundheitssystem hergestellten Zusammenhang. Vgl. unten III. Dafür Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2005, § 1 Rn. 19.
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schieden wird. Entscheidend sind nicht die Begriffe, sondern eine Verständigung über den Inhalt des neuen Rechtsgebiets.
III. Medizinrecht und Gesundheitsrecht als komplementäre Rechtsgebiete Die soeben herausgearbeitete Funktion und Definition des Gesundheitsrechts ermöglicht es, Medizinrecht und Gesundheitsrecht als komplementäre Rechtsgebiete anzusehen, die sich mit dem rechtlichen Rahmen für die Erbringung und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen beschäftigen. Für die Erfassung dieses Zusammenwirkens hilft wiederum zunächst das Denken in Rechtsverhältnissen.53 Rechtliche Beziehungen bestehen zwischen Versicherten und Krankenkassen bzw. Krankenversicherungsunternehmen (Versicherungsverhältnis), zwischen Krankenkassen/Krankenversicherungsunternehmen und Leistungserbringern (Leistungserbringungsverhältnis) und schließlich zwischen den Leistungserbringern und den Versicherten (Erfüllungsverhältnis), die in diesem Verhältnis allerdings den Status des Patienten und/oder Kunden haben. Diese Rechtsbeziehungen steuern die Zuordnung der Rechtsgebiete. Das Versicherungsverhältnis der Krankenkasse zu ihrem Versicherten ist ohne Zweifel öffentlich-rechtlicher Natur. § 69 SGB V stellt zudem seit 2000 klar, dass für die Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern primär das öffentlich-rechtliche Sozialgesetzbuch V maßgebend ist; damit soll insbesondere die Geltung des Wettbewerbs- und Kartellrechts ausgeschlossen und auch das allgemeine Zivilrecht nur dosiert (§ 69 S. 4 SGB V) angewendet werden.54 Die Rechtsnatur des Erfüllungsverhältnisses ist zwar nach wie vor umstritten, weil insbesondere die Vertreter des öffentlichen Rechts auf die öffentlich-rechtliche Überformung dieses im Kern zivilrechtlichen Rechtsverhältnisses hinweisen. Doch ändert diese Überformung an der privatrechtlichen Natur der Dienst- bzw. Werkverträge (§§ 611, 631 BGB) nichts; der Öffentlich-Rechtler reiht sich insoweit gerne in den Kreis der herrschenden Ansicht im zivilrechtlichen Schrifttum ein.55 Die beiden zuerst genannten Rechtsverhältnisse betreffen also das öffentlich-rechtlich geordnete Gesundheitssystem und sind daher dem Gesundheitsrecht in dem oben definierten Sinne zuzuordnen. Das Medizinrecht ist demgegenüber die Gesamtheit der zivil- und strafrechtlichen Regeln, die das Verhältnis zwischen Versicherten/Patienten und Leistungserbringern, also im sozialversicherungsrechtlichen Sinne: das Erfüllungsverhältnis, betreffen. Wichtige Schwerpunkte sind insoweit das Vertrags- und das Haftungsrecht, aber auch das Recht der medizinischen Forschung und der Biomedizin.
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Vgl. bereits oben II. 2. a). Becker/Kingreen, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V. Gesetzliche Krankenversicherung, 2008, § 69 Rn. 34ff. Zu dieser Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 79.
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Medizin- wie Gesundheitsrecht gehen aber, wie gesagt,56 in ihrer Bedeutung über die im Sozialgesetzbuch V angelegten Rechtsverhältnisse hinaus, indem sie insgesamt die Erbringung medizinischer Sach- und Dienstleistungen für die Bevölkerung (auch ihren nicht sozialversicherten Teil) betreffen. Hier greifen, etwa bei der ärztlichen Berufsausübung oder bei der Arzneimittelversorgung, privates Vertrags- und Haftungsrecht und öffentlich-rechtliche Regeln (etwa bei der Zulassung von Arzneimitteln oder der Verteilung von Organen nach § 12 TPG) eng ineinander. Es bleibt die abschließende Kontrollüberlegung, ob diese Abgrenzung zwischen Medizin- und Gesundheitsrecht nicht den intradisziplinären rechtswissenschaftlichen Zugriff, den der Jubilar bereits in der 1. Auflage von „Arztrecht und Arzneimittelrecht“ berechtigterweise betont,57 in Frage stellt. Die Entwicklungsgeschichte sowohl des Gesundheits- als auch des Medizinrechts belegt indes, dass diese Befürchtung nicht begründet ist. Das Medizinrecht hat zwar ursprünglich den Anspruch erhoben, auch das öffentliche Recht einzuschließen, doch ist es von seinen Ursprüngen und seinen Schwerpunkten her eine zivil- und strafrechtliche Materie, die sich eher am Rande mit sozialrechtlichen Fragestellungen befasst hat. Die Wurzeln des Gesundheitsrechts hingegen liegen im Sozialrecht, aus dem es sich, als Folge einer verspäteten öffentlich-rechtlichen Wahrnehmung des Leistungserbringungsrechts, als selbständiges Rechtsgebiet abgespalten hat.58 Das intradisziplinäre Potential des Medizin- und Gesundheitsrechts liegt daher wohl weniger darin, dass Gesundheitsrechtler Beiträge zur zivil- und strafrechtlichen Dimension des Lebensbereiches leisten und Medizinrechtler die Sozialrechtsdogmatik bereichern werden. Profitieren können das Medizin- und das Gesundheitsrecht aber von den Anschlüssen an die jeweiligen „Mutterdisziplinen“ und einen daran anschließenden Austausch untereinander. Die Komplexität der neu entstehenden Rechtsgebiete verführt nämlich allzu leicht dazu, sich in diesen gleichsam zu vergraben und den Kontakt mit der Außenwelt des Allgemeinen abzubrechen. Indes setzt gute Medizinrechtswissenschaft eine solide Basis im allgemeinen Straf-, Vertrags- und Haftungsrecht ebenso voraus wie die Wissenschaft vom Gesundheitsrecht Anschlüsse herstellen muss an die Handlungsformen und Denkfiguren des allgemeinen (deutschen und europäischen) Verfassungs- und Verwaltungsrechts. Zu Recht wird daher in der Verwaltungsrechtswissenschaft das Ziel betont, durch die Arbeit mit Referenzgebieten „die Spezialdiskurse des Besonderen Verwaltungsrechts entgegen dem sonstigen Trend wieder stärker für allgemeine Fragestellungen zu öffnen“59, zugleich aber auch die Relevanz allgemeiner Fragestellungen am Maßstab der Einzeldisziplinen kritisch zu untersu-
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Vgl. oben II. 2. b). Vgl. oben I. Hänlein, Sozialrecht als Wirtschaftsrecht, NZS 2003, 617ff.; Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 6ff. Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann /Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts Bd. I, 2006, § 1 Rn. 44.
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chen.60 Diese Rückkoppelung verhindert das Entstehen rechtswissenschaftlicher Parallelwelten, in denen sich das Allgemeine vom Besonderen und dieses von jenem abkoppelt. So kann man, um nur ein Beispiel zu nennen, die Existenz eines Gemeinsamen Bundesausschusses, der weitgehend unbeeinflusst durch parlamentsgesetzliche Steuerung außenverbindliches Recht setzt,61 wohl nur damit erklären, dass das Gesundheitsrecht der verfassungsrechtlichen Welt von Demokratieprinzip und Parlamentsvorbehalt partiell entrückt ist.62 Dass eine Synthese von Allgemeinem und Besonderem möglich ist, beweist Erwin Deutsch. Er steht mit der Kombination von haftungsrechtlicher Grundlagenforschung63 und medizinrechtlicher Pionierarbeit, die auch in der Gliederung der zu seinem 70. Geburtstag herausgegebenen Festschrift zum Ausdruck kommt,64 beispielhaft für die Profilierung des Medizinrechts als bedeutendem Referenzgebiet des allgemeinen Zivilrechts.
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Kingreen/Rixen, Sozialrecht – ein verwaltungsrechtliches Utopia? Ortsangaben zur (Wieder-)Entdeckung einer Referenzmaterie des öffentlichen Rechts, DÖV 2008, 741 (745 ff.). Vgl. oben II. 1. Kingreen, Legitimation und Partizipation im Gesundheitswesen. Verfassungsrechtliche Kritik und Reform des Gemeinsamen Bundesausschusses, NZS 2007, 113ff. Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 1. Aufl. 1963 und 2. Aufl. 1995; ders., Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996 (1. Aufl. 1976 unter dem Titel Haftungsrecht, Allgemeine Lehren). Ahrens/von Bar/Fischer/Spickhoff/Taupitz (Hrsg.), Festschrift für Erwin Deutsch zum 70. Geburtstag, 1999.
Zur Lage der embryonalen Stammzellen in Österreich
Christian Kopetzki
I. Einleitung Mit Verzögerung hat die bioethische Debatte über die Legitimität der Forschung mit embryonalen Stammzellen auch Österreich erfasst. Die Frontlinien dieser Auseinandersetzungen verlaufen ganz ähnlich wie in Deutschland und brauchen hier nicht neuerlich skizziert zu werden.1 In manchen Punkten weist die österreichische Entwicklung allerdings Besonderheiten auf: Zum einen findet Forschung mit embryonalen Stammzellen in Österreich tatsächlich statt, ohne dass dieser Befund Gegenstand besonderer öffentlicher Wahrnehmung oder gar Erregung geworden wäre.2 Und zum anderen unterscheidet sich das rechtliche – vor allem das verfassungsrechtliche – Umfeld doch erheblich von jenem in Deutschland, wenngleich diese Divergenzen gerade am Beispiel der Stammzellforschung nicht auf den ersten Blick sichtbar werden.
II. Regelungen über die Gewinnung und Verwendung embryonaler Stammzellen „Embryonale Stammzellen“ sind in der österreichischen Rechtsordnung als Rechtsbegriff unbekannt. Es gibt zwar eine wachsende Zahl an Regelungen über die therapeutische Nutzung von Zellen, die sich entweder explizit auf alle Arten von Stammzellen beziehen3 oder die deren Verwendung beim Menschen mittelbar 1
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Für eine aktuelle Bestandsaufnahme vgl. die Beiträge in Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Stammzellforschung. Ethische und rechtliche Aspekte (2008). Vgl. Derka, Der Exodus der klugen Köpfe, Die Zeit Nr. 32 vom 31. 7. 2008, S. 10 A. Etwa für die finanzielle Förderung und Koordination der Stammzelltransplantation (§ 59d Krankenanstalten- und KuranstaltenG – KAKuG, BGBl. 1957/1 i.d.F. BGBl. I 2008/49; §§ 4, 15 BG über die Gesundheit Österreich GmbH, BGBl. I 2006/132) oder die Ausbildung der Ärzte auf dem Gebiet der Stammzelltransplantation (Anl. 5, 15, 17 zur Ärzte-AusbO 2006, BGBl. II 2006/286).
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über das Arzneimittelrecht4 und das neue Gewebesicherheitsrecht5 normativ erfassen. Spezifische Bestimmungen für embryonale Stammzellen existieren aber ebenso wenig wie Regelungen für die Forschung mit (embryonalen oder adulten) Stammzellen.6 Insbesondere gibt es kein dem deutschen Rechtsbestand entsprechendes „Embryonenschutzgesetz“ oder „Stammzellgesetz“. Schranken für die Gewinnung und Verwendung embryonaler Stammzellen können sich daher nur mittelbar aus Gesetzen ergeben, die primär andere Sachverhalte regeln, wegen ihrer systematischen Nahebeziehung aber Ausstrahlungswirkungen auf die hier zu beurteilenden Fragestellungen entfalten. Bleibt die Suche nach einschlägigen Verbotsnormen erfolglos, dann ist die fragliche Tätigkeit eben rechtlich erlaubt, ohne dass es hiefür einer expliziten gesetzlichen „Zulassung“ bedürfte.7
1. Gewinnung embryonaler Stammzellen Als sedes materiae für die Ableitung gesetzlicher Schranken für die embryonale Stammzellforschung kommt im Wesentlichen nur das Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG)8 in Betracht. Es regelt die „medizinisch unterstützte Fortpflanzung“, d.h. die „Anwendung medizinischer Methoden zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf andere Weise als durch Geschlechtsverkehr“ (§ 1 Abs. 1 FMedG). § 9 Abs. 1 FMedG enthält in diesem Zusammenhang Bestimmungen für die „Verwendung, Untersuchung und Behandlung von Samen, Eizellen und entwicklungsfähigen Zellen“: Danach dürfen „entwicklungsfähige Zellen … nicht für andere Zwecke als für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen verwendet wer4
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Arzneimittelgesetz – AMG, BGBl. 1983/185 i.d.F. BGBl. I 2008/52. Wegen des weiten, alle Körperbestandteile umfassenden Stoffbegriffs des § 1 Abs. 4 Ziff. 3 AMG sind auch Stammzellen als Arzneimittel zu qualifizieren, wenn sie zu (im weitesten Sinn) therapeutischen Zwecken verwendet werden. Durch die europäische VO (EG) Nr. 1394/2007 vom 13. 11. 2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien (ABl. L 324/121 vom 10. 12. 2007) wurden auch somatische Zelltherapeutika und biotechnologisch veränderte Gewebsprodukte als „Arzneimittel für neuartige Therapien“ eingeordnet und besonderen Regelungen unterworfen. Vgl. das GewebesicherheitsG – GSG, BGBl. I 2008/49, das die europäische RL 2004/23/EG vom 31. 3. 2004 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen (ABl. L 102/48 vom 7. 4. 2004) umsetzt. Auch embryonale Zellen unterliegen dem GSG, sofern es um ihre (im weitesten Sinne therapeutische) Verwendung beim Menschen geht. Die Stammzellforschung scheint lediglich – aber immerhin – als Inhalt der Lehrpläne für den Biologieunterricht an Schulen auf (vgl. die Anlagen A und D BGBl. 1985/88 i.d.F. BGBl. II 2006/321). Vor dem Hintergrund der prinzipiellen Freiheitsvermutung der Bundesverfassung kann alles als erlaubt gelten, was rechtlich nicht verboten ist. Zu diesem „rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip“ m.w.N. Kopetzki, Rechtliche Aspekte des Embryonenschutzes, in Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin? (2003) 51. BGBl. 1992/275 i.d.F. BGBl. I 2008/49.
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den. Sie dürfen nur insoweit untersucht und behandelt werden, als dies nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich ist“. Aus dieser Bestimmung wird unter anderem ein Verbot der Forschung mit menschlichen Embryonen abgeleitet, das vom Gesetzgeber auch beabsichtigt war.9 Das Verwendungsverbot des § 9 Abs. 1 FMedG schließt somit auch die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus in-vitro-Embryonen („entwicklungsfähigen Zellen“) zu Forschungszwecken aus.10 Anders als in Deutschland sind die Verbote des FMedG allerdings nur verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert, wobei die Höchststrafe von 36.000 € eher moderat bemessen ist. Ein justizstrafrechtlicher Schutz des extrakorporalen Embryos besteht nicht.11 Diese Regelung führt einerseits dazu, dass der Schutz des Embryos in vitro stärker ausgeprägt ist als der Schutz des Embryos in vivo in der Frühphase seiner Entwicklung – denn die strafgesetzlichen Bestimmungen über den Schwangerschaftsabbruch (§§ 96 ff. StGB) schützen den Embryo in vivo vor der Nidation (also vor Beginn der Schwangerschaft) noch gar nicht. Andererseits wird mit der Entscheidung zugunsten des Verwaltungsstrafrechts, der zahmen Strafdrohung sowie der Zurückhaltung gegenüber dem Einsatz justizstrafrechtlicher Sanktionen eine deutlich geringere Schutzwürdigkeit früher extrakorporaler Embryonen zum Ausdruck gebracht, die mit dem Lebensschutz Geborener nicht einmal ansatzweise vergleichbar ist.
2. Forschung mit embryonalen Stammzellen Ob neben der Gewinnung embryonaler Stammzellen aus befruchteten Embryonen auch die Forschung mit bereits auf legalem Weg (im Ausland) gewonnenen humanen embryonalen Stammzellen verboten ist, hängt davon ab, ob diese Zellen für sich genommen vom Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 FMedG erfasst sind oder nicht, ob es sich also um „entwicklungsfähige Zellen“ im spezifischen Sinne des FMedG handelt. Träfe dies zu, wäre eine Verwendung zu anderen Zwecken als zur Herbeiführung einer Schwangerschaft unzulässig. Ist dies nicht der Fall, so fände § 9 FMedG auf den Umgang mit diesen Zellen überhaupt keine Anwendung. Die Antwort auf diese Frage erschließt sich aus dem Gesetz nicht auf den ersten Blick. Für vernünftige Zweifel bleibt aber dennoch kein Raum: Nach ganz herrschender Auffassung verbietet § 9 Abs. 1 FMedG lediglich die Gewinnung von Zellen aus einem Embryo zu Forschungszwecken, nicht hingegen die Verwendung von pluripotenten embryonalen Stammzellen, die in zulässiger Weise bereits entnommen worden sind – etwa weil ihre Gewinnung im Ausland außerhalb des örtlichen Geltungsbereiches des FMedG erfolgte.12 9 10
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Vgl. 216 BlgNR 18. GP 20. Näher Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Embryonenschutz 52 ff.; Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht (2003) insb. 97 ff. M.w.N. E. Köck, Der (Straf)rechtliche Schutz des Embryos, ÖJZ 2006, 631 ff. Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Embryonenschutz 56 ff.; Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht 105 ff.
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Dieses Ergebnis hat mit dem eigentümlichen Begriff der „entwicklungsfähigen Zelle“ zu tun, an dem die Verbote des § 9 FMedG anknüpfen und an dessen Reichweite sich daher die Anwendbarkeit des FMedG insgesamt entscheidet: Zunächst stiftet die Legaldefinition der „entwicklungsfähigen Zelle“ freilich eher Verwirrung: Der Wortlaut des § 1 Abs. 3 FMedG, wonach als entwicklungsfähige Zellen befruchtete Eizellen „und daraus entwickelte Zellen anzusehen“ sind, scheint auch eine viel weitere Auslegung zu tragen. Würde man diese Legaldefinition wörtlich nehmen, dann wären nicht nur die befruchtete Eizelle und die totipotenten Stammzellen als „entwicklungsfähige“ Zellen anzusehen, sondern darüber hinaus auch alle Zellen, die sich im Lauf der Embryonalentwicklung herausbilden. Bei einem solchen Verständnis müsste man sowohl den Fötus in utero als auch jede einzelne Körperzelle des geborenen Menschen der Legaldefinition des § 1 Abs. 3 FMedG zuordnen, weil sich letztlich jede humane Zelle aus der befruchteten Eizelle „entwickelt“ hat. Diese Lesart würde die umfassenden Verbote des FMedG etwa auf den Problembereich des Schwangerschaftsabbruchs und der Verwendung menschlicher Zellen insgesamt ausdehnen. Eine derart absurde Konsequenz ist dem FMedG nicht zu unterstellen und war auch nicht beabsichtigt. Auf diese Weise würden völlig unterschiedliche (und mit der Reproduktionsmedizin in keinem sachlichen Zusammenhang stehenden) Rechtsgebiete wie z.B. das Abtreibungsrecht oder Teile des Arzneimittelrechts in den Geltungsanspruch des FMedG einbezogen und durch dieses letztlich auch erheblich modifiziert werden. Das stünde in evidentem Widerspruch zur Umschreibung des Regelungsgegenstandes des FMedG, wie er insbesondere in der Überschrift sowie in § 1 Abs. 1 des Gesetzes zum Ausdruck kommt: Dieser Regelungsgegenstand ist aber (nur) die (medizinisch unterstützte) „Herbeiführung einer Schwangerschaft“ (§ 1 FMedG). Auch aus den Erläuterungen ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass mit dem FMedG so entfernte Sachverhalte wie die Verwendung von sämtlichen humanen Zellen erfasst werden sollten, sofern diese nicht ihrerseits in einem Kontext zur Fortpflanzung stehen. Sowohl aus historischen als auch aus systematischen und teleologischen Gründen muss dem FMedG daher ein restriktives Verständnis zugrunde gelegt werden, das den Rechtsbegriff der „entwicklungsfähigen Zelle“ auf totipotente Zellen beschränkt. Vom Geltungsbereich erfasst sind somit nur (befruchtete) Zellen, die sich noch zu einem ganzen Menschen entwickeln können, nicht jedoch pluripotente Zellen, deren Entwicklungspotenzial auf die Fähigkeit zur Ausbildung unterschiedlicher Gewebstypen etc. beschränkt ist.13 Dies entspricht auch der in Deutschland überwiegenden Auffassung, die den Rechtsbegriff des „Embryos“ im Sinne des (deutschen) Embryonenschutzgesetzes ebenfalls nur auf totipotente Zellen bezieht.14 13
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Wie hier auch Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht 105 ff.; Eder-Rieder, Aspekte der Stammzelltechnologie, ZfRV 2007, 18 (22 ff.); J. Wallner, Health Care zwischen Ethik und Recht (2007) 229; Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt, Stellungnahme zu Fragen der Stammzellforschung im Rahmen des 6. Rahmenprogramms der EU im Bereich der Forschung vom 3. 4. und 8. 5. 2002; Taupitz, Rechtliche Regelung der Embryonenforschung im internationalen Vergleich (2003) 161. Vgl. z.B. von Bülow, Embryonenschutzgesetz, in Winter/Fenger/Schreiber (Hrsg.), Genmedizin und Recht (2001) 127 (143 f.) Rz. 348; Schroth, Forschung mit embryona-
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Dass in manchen Medien beharrlich das Gegenteil zu lesen ist15 und sich die österreichische Rechtslage hinsichtlich der Forschung mit pluripotenten embryonalen Stammzellen aus der Perspektive ausländischer Beobachter mitunter (zu Unrecht) als umstritten darstellt,16 bleibt als irritierende Eigentümlichkeit der Stammzelldiskussion zu verbuchen. Dies dürfte aber eher Ausdruck einer unkritischen Vermischung ethischer, rechtlicher und rechtspolitischer Betrachtungsebenen sein als das Ergebnis einer abweichenden juristischen Analyse.
3. Import embryonaler Stammzellen Anders als in Deutschland, wo der Import von embryonalen Stammzellen durch das Stammzellgesetz beschränkt und die Zulässigkeit der Einfuhr vom Gewinnungszeitpunkt abhängig gemacht worden ist,17 enthält das FMedG weder ein Verwendungs- oder Überlassungsverbot noch Importbeschränkungen für pluripotente embryonale Stammzellen. Auch Importverbote in anderen Gesetzen sind nicht ersichtlich.18 Im Ergebnis besteht somit in Österreich eine Rechtslage, die jener in Deutschland vor dem Inkrafttreten des Stammzellgesetzes und der damit eingeführten „Stichtagsregelung“ vergleichbar ist: Die Forschung mit und die Einfuhr von embryonalen Stammzellen sind zulässig, solange nur die verpönte Gewinnung nicht in Österreich erfolgt. Der Gewinnungsvorgang im Ausland ist für sich genommen nicht nach den Maßstäben des FMedG zu beurteilen, weil sich der örtliche Geltungsbereich von Bundesgesetzen gem. Art. 49 Abs. 1 B-VG auf das Bundesgebiet beschränkt. Dazu kommt als Folge der verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionierung, dass auch die Mitwirkung österreichischer Forscher an Gewinnungsvorgängen im Ausland
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len Stammzellen und Präimplantationsdiagnostik im Lichte des Rechts, in Oduncu/ Schroth/Vossenkuhl (Hrsg.), Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen (2002) 252 (= JZ 2002, 170); Brewe, Embryonenschutz und Stammzellgesetz (2006) 32 f. Statt aller z.B. N.N., EU-Geld für Stammzellen, Salzburger Nachrichten 17. 6. 2006, 9 („Wie in den meisten Mitgliedstaaten ist diese Forschung in Österreich und Deutschland verboten“). Vgl. z.B. Heyer/Dederer, Präimplantationsdiagnostik, Embryonenforschung, Klonen. Ein vergleichender Überblick zur Rechtslage in ausgewählten Ländern (2007) 47 ff. Die in der Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft aufgestellte Behauptung, in Österreich sei neben der Gewinnung auch der Import embryonaler Stammzellen und „somit die Forschung an HES-Zellen insgesamt untersagt“, bleibt einen näheren Nachweis schuldig (DFG, Stammzellforschung in Deutschland – Möglichkeiten und Perspektiven, Oktober 2006, 52, unter www.dfg.de). Gesetz vom 28. 6. 2002 zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit der Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG), dBGBl. I 2002, 2277 i.d.F. der vom Bundestag beschlossenen Novellierung vom 11. 4. 2008. Zur mangelnden Anwendbarkeit des Arzneiwareneinfuhrgesetzes auf dem Import zu Forschungszwecken vgl. Kopetzki, Stammzellforschung in Österreich – eine Bestandsaufnahme des geltenden Rechts, in Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Stammzellforschung (2008) 269 (277 ff.).
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nicht mit der Gefahr einer Kriminalisierung einhergeht: Eine verwaltungsstrafrechtlich relevante Beteiligung (Beihilfe, Anstiftung) an Auslandstaten kommt wegen § 7 VStG nicht in Betracht, weil es an der Verwirklichung des objektiven Verwaltungsstraftatbestandes durch den „unmittelbaren Täter“ fehlt. Umso weniger sind Einzelaspekte im Kontext oder im Vorfeld der Stammzellgewinnung im Ausland – etwa die Frage eines ausreichenden „informed consent“ der „Eltern“ oder der Eizellspenderinnen – hinsichtlich ihrer Zulässigkeit einer Beurteilung nach den Maßstäben österreichischen Rechts zu unterziehen.
4. Das „therapeutische Klonen“ Ob die Manipulationsverbote des § 9 Abs. 1 FMedG auch für Zellen gelten, die ihre „Entwicklungsfähigkeit“ anderen Vorgängen als der Befruchtung verdanken,19 ist umstritten und inzwischen zu einem Testfall für die Bedeutung der juristischen Methodenwahl auch und gerade bei weltanschaulich kontroversen Fragen geworden. Auch hier hängt die Antwort wieder von der Auslegung des Begriffs der „entwicklungsfähigen Zelle“ ab: Der nüchterne Blick auf die Legaldefinition in § 1 Abs. 3 FMedG legt den Schluss nahe, dass sich auch das Verbot von Eingriffen an entwicklungsfähigen Zellen gem. § 9 Abs. 1 FMedG nur auf „befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen“ bezieht. Eben dies trifft auf Methoden des Kerntransfers oder der „Reprogrammierung“ jedoch nicht zu, da hier keine Befruchtung stattfindet.20 Der Versuch des Gesetzgebers, dem Begriff der „entwicklungsfähigen Zellen“ durch eine exakte Legaldefinition klare Konturen zu geben und damit ideologisch motivierte Auslegungskontroversen bereits im Keim zu ersticken, führte durch die Kunstfertigkeit der Interpreten allerdings genau zu jenem Problem, das durch diese Definition beseitigt werden sollte. So hat etwa Bernat wiederholt vorgeschlagen, unter „befruchteten“ Zellen jeden Zellverband zu verstehen, „der ge19
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In Betracht kommt insbesondere die Herstellung von embryonalen Stammzellen durch den Transfer somatischer Zellkerne in entkernte Eizellen, die unter dem Schlagwort des „therapeutischen Klonens“ bzw des „Forschungsklonens“ diskutiert wird. Auch eine „Reprogrammierung“, also eine Rückentwicklung differenzierter somatischer Zellen in pluripotente Zellstadien (sog. „induzierte pluripotente Stammzellen“ – IPS) oder gar totipotente Zellen liegt nicht mehr außerhalb des Spektrums biotechnischer Möglichkeiten. In diesem Sinn Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Embryonenschutz 59 f.; insoweit zustimmend auch Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht 101 f.; ebenso Miklos, Rechtliche Überlegungen zum Klonen menschlicher Zellen, in: Kopetzki/Mayer (Hrsg.), Biotechnologie und Recht (2002) 119 (142 ff.); H. G. Koch, Embryonenschutz ohne Grenzen? FS Eser (2005) 1091 (1107); Taupitz, Embryonenforschung im internationalen Vergleich 159; Weschka, Die Herstellung von Chimären und Hybridwesen, RdM 2007, 164 (167 f.); wohl auch Eder-Rieder, ZfRV 2007, 23; ohne klare Stellungnahme E. Köck, ÖJZ 2006, 632. Für die Ableitung eines Verbots des therapeutischen Klonens aus dem FMedG hingegen Eder-Rieder, Vorbem zu §§ 96-98 StGB, in Höpfel/Ratz (Hrsg.), Wiener Kommentar zum StGB2 (WK) Rz. 19; Pernthaler, Menschenrechte und Schutz des Embryos, Imago hominis 2005/2, 117 (123).
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wöhnlich das Potenzial hat, sich zum geborenen Menschen zu entwickeln“.21 Die Folge dieser Auffassung ist, dass auch die unter dem Begriff des „therapeutischen Klonens“ bekannten Techniken der Züchtung embryonaler Stammzellen mit Hilfe der „Dolly-Methode“ in den Einzugsbereich des § 9 Abs. 1 FMedG gelangen und somit verboten wären. Bemerkenswert an dieser Auslegung ist nicht nur, dass sie die Aussagekraft der Legaldefinition von „entwicklungsfähigen Zellen“ zu einer sinnentleerten Tautologie macht.22 Sie muss sich auch über den äußerst möglichen Wortsinn des Begriffs „Befruchtung“ hinwegsetzen, worunter seit Jahrhunderten sowohl im allgemeinen als auch im fachspezifischen medizinisch-biologischen Sprachgebrauch die Verschmelzung von männlichen und weiblichen Keimzellen23 verstanden wird, die sich von anderen – nicht mit einer „Befruchtung“ einhergehenden – Formen der ungeschlechtlichen Fortpflanzung unterscheidet.24 Die Einbeziehung sämtlicher Varianten der ungeschlechtlichen Herbeiführung von „Entwicklungsfähigkeit“ in den Rechtsbegriff der „Befruchtung“ ist keine methodisch vertretbare Auslegung25 mehr. Sie ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen bedenklich: Dass der Interpret eines Gesetzes nur berücksichtigen darf, was der authentische Text nach den Kommunikationsregeln als möglichen Sinn trägt,26 ist zugleich Element des rechtsstaatlichen, demokratischen und gewaltentrennenden Prinzips der Bundesverfassung, die damit die Beliebigkeit der Methodenwahl begrenzt:27 Die Bürger müssen keine staatlichen Eingriffe in ihre Handlungsfreiheiten hinnehmen, die sich nach den Regeln sprachlicher Kommunikation nicht auf eine nachvollziehbare Rechtsgrundlage des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zurückführen lassen. Ziel der Auslegung ist nicht der „wahre“ Wille
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So z.B. Bernat, Wer oder was sind „entwicklungsfähige Zellen“? in Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Stammzellforschung (2008) 372 ff., insbesondere 390 f. § 1 Abs. 3 FMedG definiert die „Entwicklungsfähigkeit“ im Umweg über die Befruchtung. Definiert man nun mit Bernat die Befruchtung wieder unter Rückgriff auf die „Entwicklungsfähigkeit“, dann entsteht eine Zirkeldefinition ohne jeden normativen Aussagewert. Statt vieler Christ/Wachtler, Medizinische Embryologie (1998) 17 ff.; NüssleinVolhard, Das Werden des Lebens (2004) 30 ff.; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch258 (1998) 180 f.; Zetkin/Schaldach, Wörterbuch der Medizin I (1974) 164; Langman, Medizinische Embryologie3 (1974) 23. Z.B. Nüsslein-Volhard, Das Werden des Lebens, 33; umfassend zu der seit jeher üblichen Unterscheidung zwischen geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Fortpflanzung Czihak/Langer/Ziegler (Hrsg.), Biologie (1976) 201-240. Zum äußerst möglichen Wortsinn als Grenze der Auslegung z.B. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982) 467 f. Zur Wortlautgrenze als Grenze der Interpretation im Kontext von strafbewehrten Verbotsnormen vgl. hier nur Höpfel in WK2 § 1 StGB Rz. 51 m.w.N. Erhellend zum Ganzen auch Rill, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, ZfV 1985, 461 (466 f.). Rill, ZfV 1985, 466 f. Zu diesen Zusammenhängen Rüthers, Rechtstheorie (1999) Rz. 705 ff.; Rill, ZfV 1985, 588 f.
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oder der „Ordnungsplan“ des Gesetzgebers, sondern die Ermittlung dessen, was der Rechtssetzer „als von ihm gemeint gegen sich gelten lassen muss.“28 Dazu kommt, dass der von Bernat gegen den Wortlaut des Gesetzes ausgespielte „Ordnungsplan des Gesetzgebers“ auch in den Materialien keine Deckung findet. Der Regelungsanspruch des FMedG war bewusst auf Fragen der medizinisch unterstützen Fortpflanzung begrenzt. Ausdrücklich von einer Regelung „ausgeklammert“ werden sollten all jene Fragen, „die die Nutzung und den möglichen Missbrauch der Erkenntnisse von Biologie und Genetik aufwerfen“, namentlich „die in diesem Zusammenhang immer wieder angeführten Möglichkeiten des Klonens“.29 Deutlicher lässt sich die Herausnahme der – für Zwecke der Stammzellgewinnung und nicht der Reproduktion angewandten – Klonierungstechniken aus der historischen Regelungsabsicht nicht formulieren. Spätere Ansätze im Vorfeld der FMedG-Novelle 2004, das Verbot des § 9 FMedG auch auf Zellen auszudehnen, die durch Kerntransfer erzeugt wurden, konnten sich politisch nicht durchsetzen.30 Doch selbst wenn der Nachweis gelänge, dass die Formulierung des FMedG in „planwidriger Weise“ hinter der Regelungsabsicht und dem „Ordnungsplan“ des Gesetzgebers zurück bleibt, könnte man damit allenfalls die Existenz einer Gesetzeslücke, nicht jedoch die Zulässigkeit der Lückenschließung durch Analogie begründen. Da die Verbote des § 9 FMedG (einschließlich der mittelbar verwiesenen Legaldefinition des § 1 Abs. 3) den Tatbestand einer Verwaltungsstrafbestimmung (§ 22 Abs. 1 FMedG) bilden, steht einer „sinngemäßen“ Anwendung der Manipulationsverbote des § 9 Abs. 1 FMedG das – auch im Verwaltungsstrafrecht beachtliche und durch Art. 7 Abs. 1 EMRK verfassungsrechtlich verbürgte – strafrechtliche Analogieverbot entgegen.31 Die mangelnde explizite Verpönung eines bestimmten Verhaltens stellt dann eben keine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes, sondern allenfalls eine rechtspolitische Lücke dar.32 Blickt man genauer hin, so verbirgt sich hinter der Auseinandersetzung zum Verbot des „therapeutischen Klonens“ wohl eine viel tiefer gehende methodische Divergenz: Bernat räumt selbst ein, dass ein im Wege der Dolly-Methode geklonter Embryo sein Dasein nicht jenem Vorgang verdankt, den man „im landläufigen, aber auch im biologisch-technischen Sinn“ als Befruchtung bezeichnet.33. Dieses Auslegungsergebnis ist also offenkundig nicht durch den Sprachgebrauch gedeckt, es beruht methodisch vielmehr – folgt man dem Autor – auf einer „objektiv28 29 30 31
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Rill, ZfV 1985, 466. 216 BlgNR 18. GP 10. Dazu Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Stammzellforschung 288 ff. M.w.N. Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Embryonenschutz 59 f.; vgl. im vergleichbaren deutschen Kontext auch BT-Drucksache 13/11263 v 26. 6. 1998; Keller, Klonen, Embryonenschutzgesetz und Biomedizin-Konvention, FS Lenckner (1998) 477 (485); Schroth, Forschung mit embryonalen Stammzellen und Präimplantationsdiagnostik im Lichte des Rechts, JZ 2002, 170 (172). Rill, ZfV 1985, 590. Bernat in Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Stammzellforschung 377; noch deutlicher 390: „Dieser Vorgang entspricht ganz eindeutig nicht dem Begriff der Befruchtung, wie er bislang definiert worden ist.“
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teleologischen Interpretation“. Der auf diese Weise ermittelte „wahre Sinn“ wird dann in der Folge in den Wortlaut des – völlig neu und entgegen dem tradierten Sprachgebrauch umdefinierten – Begriffs der „Befruchtung“ rücktransferiert. Mit dieser Neudefinition des Begriffs „Befruchtung“ wird zur „wortlautkonformen“ Auslegung, was unter Zugrundlegung des „landläufigen“ und „biologischtechnischen“ Sprachgebrauchs eine – unzulässige – Analogie gewesen wäre. Im Ergebnis führt diese „objektiv-teleologische“ und auf einen Bedeutungswandel des Begriffs „Befruchtung“ abzielende Auslegung also zu einer gänzlichen Abkoppelung vom Text des Gesetzes und den vom historischen Gesetzgeber verfolgten Zielsetzungen. Wenn diese „objektiv-teleologische“ Auslegung tatsächlich zu leisten vermag, was Bernat von ihr erwartet, dann bestätigt sich freilich einmal mehr der Verdacht, den diese Methode immer schon auf sich gezogen hat: Dass es sich dabei um keine Auslegung, sondern um ein Mittel der Gesetzeskorrektur unter dem Deckmantel der Interpretation handelt.34 Im Gegensatz zur Analogie ist sie mit dem Mehrwert verbunden, dass sie den Interpreten auch noch vom strafrechtlichen Analogieverbot befreit.35 Bei aller Anerkennung, die die „objektivteleologische“ Methode in manchen Rechtsbereichen verdienen mag: Bei der Sinnermittlung grundrechtseingreifender gesetzlicher Verbotsnormen führt ihre Anwendung indes zu einer rechtsstaatlich bedenklichen Entfernung des Interpreten – und letztlich auch der vollziehenden Behörden – vom positiven Recht und damit zugleich zu einer Aushöhlung des Legalitätsprinzips und der Gewaltentrennung. Auch das dem Art. 7 Abs. 1 EMRK innewohnende Bestimmtheitsgebot („nulla poena sine lege“) richtet sich im Kern gegen derart virtuose „korrigierende“ Interpretationen, die den äußerst möglichen Wortsinn weit hinter sich lassen oder die, was auf dasselbe hinausläuft, die verba legalia mit einem neuen und unvorhersehbaren „objektiven Sinngehalt“ aufladen. Wenn die Verfassung den Gesetzgeber zur möglichst klaren und vorhersehbaren Formulierung von „eingriffsnahen“ Verbotsnormen verhält,36 dann kann es nicht angehen, eine – diesen Vorgaben durchaus entsprechende – präzise Legaldefinition auf Sachverhalte auszudehnen, die den verwendeten Rechtsbegriffen „ganz eindeutig“37 nicht entsprechen. Andernfalls werden die Normadressaten von einem Begriffsverständnis überrumpelt, mit dem sie vor der Lektüre Bernats beim besten Willen nicht rechnen mussten.38 34
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Z.B. Rüthers, Rechtstheorie 441 ff. Rz. 796 ff. (insbesondere 808, 810); kritisch auch Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre (1982) 169 f.; Walter/Mayer/KucskoStadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 (2007) Rz. 131 f.; m.w.N. und Diskussion auch bei Rill, ZfV 1985, 468, 584 f. Rüthers, Rechtstheorie 316 Rz. 544. Dazu nur Berka, Das „eingriffsnahe“ Gesetz und die grundrechtliche Interessenabwägung, FS Walter (1991) 37. Vgl. Fn. 33. Zur Bedeutung der Wortlautbindung und zur Problematik korrigierender Auslegung im Lichte des Art. 7 EMRK m.w.N. Höpfel in WK2 § 1 StGB Rz. 46 ff., insbesondere 52, 54 und 57 (dort auch zur gebotenen Differenzierung zwischen Zivilrecht und öffentlichem Recht im Hinblick auf die Intensität der Wortlautbindung). Zur Frage einer bereichsspezifischen Methodenwahl Rüthers, Rechtstheorie Rz. 674; zur Funktion des Art. 7 EMRK bei der Begrenzung der Auslegung von Strafbestimmungen und zum
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5. „Reprogrammierung“ Mit der Beschränkung des Begriffs der „entwicklungsfähigen Zellen“ auf (totipotente) befruchtete Eizellen bzw. deren Folgezellen fallen auch andere – absehbare oder noch unbekannte – Techniken zur „Rückdifferenzierung“ somatischer Zellen in frühere Entwicklungsstadien aus dem Anwendungsbereich des FMedG heraus.39 Ob die Anwendung solcher Techniken nur zu „pluripotenten“ Stammzellen („induzierte pluripotente Stammzellen“) führen oder ob dabei möglicherweise sogar das Stadium der Totipotenz überschritten wird, macht rechtlich keinen Unterschied. Die „Totipotenz“ stellt nach österreichischem Recht für sich genommen kein relevantes Kriterium dar, solange keine „Entwicklungsfähigkeit“ im spezifischen Sinn des FMedG (Befruchtung) vorliegt. Daher wäre die „reprogrammierte“ Zelle auch dann keine „entwicklungsfähige Zelle“, wenn sie totipotent ist oder durch zusätzliche Manipulationen in diesen Zustand versetzt werden könnte.40 Unzulässig ist im Hinblick auf das Verbot des reproduktiven Klonens41 lediglich die Implantation und die Herbeiführung einer Schwangerschaft.
III. Wen oder was schützt das Fortpflanzungsmedizingesetz? Alle Bestrebungen, das FMedG und einen ihm unterstellten „Ordnungsplan“ des Gesetzgebers zu einer Rechtsgrundlage für den umfassenden Schutz extrakorporaler Embryonen hochzustilisieren, sehen sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, überhaupt einen in sich konsistenten gesetzlichen Schutzzweck auszumachen.42 Die Hoffnung, man könnte den normativen Inhalt des FMedG mit moralischen Forderungen nach einem umfassenden „Lebensschutz von Anfang an“ zur Deckung bringen, findet weder in der Entstehungsgeschichte des Gesetzes noch in seinen Detailbestimmungen eine Stütze:
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Schutzzweck der Vorhersehbarkeit aus der Perspektive des betroffenen Normadressaten Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 (2007) 374, 377. Sofern diese Techniken nicht wieder zur Entstehung von Keimzellen führen, die für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen verwendet werden sollen; vgl. § 9 Abs. 1 letzter Satz FMedG. Umso weniger bestehen gesetzliche Verbote der Gewinnung oder Nutzung pluripotenter „reprogrammierter“ Zellen zu Forschungszwecken. Anders in Deutschland, wo die Differenzierung nach dem Kriterium der „Potenz“ relevant sein kann. Auch dort sprechen aber gute Gründe dafür, somatische Zellen auch dann nicht als totipotent zu qualifizieren, wenn es möglich wäre, sie in einen solchen Zustand zu reprogrammieren; m.w.N. Kersten, Das Klonen von Menschen (2004) 548 ff. Zur Begründung Miklos, Das Verbot des Klonens von Menschen in der österreichischen Rechtsordnung, RdM 2000, 35. Dazu und zum Folgenden näher Kopetzki, Der Status des extrakorporalen Embryos – Landesbericht Österreich, in: Eser/Koch/Seith (Hrsg.), Internationale Perspektiven zu Status und Schutz des extrakorporalen Embryos. Rechtliche Regelungen und Stand der Debatte im Ausland (2007) 215 (237 ff.).
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Schon die Entstehungsgeschichte des FMedG zeigt, dass es dem Gesetzgeber nicht um die Erfüllung bestimmter moralischer oder religiöser Grundsätze ging, sondern um den Versuch, unter Berücksichtigung der „der Rechts- und Gesellschaftsordnung zugrunde liegenden, allgemein anerkannten Wertentscheidungen“ und „auf breiter Grundlage einen Ausgleich der verschiedenen Wertungen und Interessen“ 43, kurz: einen Kompromiss44 zu finden. In einer „wertpluralistischen Gesellschaft“ dürfe, so der damals amtierende Justizminister, der Gesetzgeber nur „so wenig Normadressaten wie möglich in ihrer Wertüberzeugung überfordern. Das nötigt, wenn es um die Rechtssetzung geht, zum Ausgleich auf möglichst breiter Basis statt zur weitestmöglichen Durchsetzung einzelner Grundprinzipien.“45 Obgleich das FMedG trotz dieses Bekenntnisses zu einem Interessenausgleich eine auffallend restriktive Grundtendenz aufweist, spielte der Embryonenschutz als eigenständiges Motiv kaum eine Rolle. Der Schutz „entwicklungsfähiger Zellen“ vor medizinischen Zugriffen stellt sich viel eher als eine – auf Missbrauchsabwehr zielende – Nebenwirkung der reproduktionsrechtlichen Bestimmungen des FMedG dar, deren primäre ratio legis nicht im Substanzschutz des Embryos, sondern in der Verhinderung anderer unerwünschter Folgen (Embryoselektion, Forschung, Generationensprünge etc.) zu sehen ist. Das in § 9 Abs. 1 implizierte Verbot, überzählige Embryonen aus der Reproduktionsmedizin für die Forschung zu verwenden, zielte auf die Verhinderung von „Missbräuchen“, der Vermeidung „schwieriger Abgrenzungsfragen“ sowie dem Ausschluss jeder Form der „Genmanipulation“46 als Ausdruck des Würdeschutzes.47 Nur beiläufig wird dieses Forschungsverbot und die damit einhergehende Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit auch mit den „Rechten anderer, auch der Rechte des Ungeborenen“ begründet und angefügt, dass dies „überdies aus ethischen und moralischen Gründen weitgehend abgelehnt“ werde.48 Besonders deutlich wird die Nachrangigkeit des Embryonenschutzes darin, dass der Gesetzgeber die (durch eine längere Kryokonservierung wachsende) Gefahr von „Missbräuchen“ mit der absoluten Begrenzung der Aufbewahrungsdauer von Embryonen auf maximal zehn Jahre49 – und das heißt: mit einem gesetzlichen Gebot der fristgerechten „Entsorgung“ überzähliger Embryonen nach Erreichen des rechtlichen „Ablaufdatums“ – zu lösen trachtete. Hier wird der angestrebten Vermeidung von „Generationensprüngen“ und der durch die „Würde der Beteiligten“ gebotenen Beschränkung von Eingriffen in das „natürliche Zeugungsgeschehen“ ein ausreichendes Gewicht beigemessen, um die Vernichtung 43
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216 BlgNR 18. GP 10. Ebenso der damalige Justizminister Michalek, StProtNR 18. GP 7471 („Ausgleich der gesellschaftlichen Gruppen und Teilinteressen“). Abg. Hlavac, StProtNR 18. GP 7463 („einen Kompromiss, mit dem die meisten der Betroffenen leben können“). Bundesminister Michalek, StProtNR 18. GP 7472. 216 BlgNR 18. GP 12. Abg. Leiner, StProtNR 18. GP 7466. 216 BlgNR 18. GP 14. § 17 Abs. 1 FMedG i.d.F. der Novelle BGBl. I 2004/163. Die ursprüngliche Fassung sah eine Frist von nur einem Jahr vor.
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„überzähliger“ Embryonen nach Fristablauf zu legitimieren. Auch die „Absicherung des Forschungsverbotes“ wird als Motiv für die gesetzlich gebotene Vernichtung überzähliger Embryonen erwähnt.50 Wenn aber der Embryo zum Zweck der Absicherung des Forschungsverbotes in toto geopfert wird, dann steht nicht das Forschungsverbot im Dienst des Embryonenschutzes, sondern die Embryovernichtung im Dienst des Forschungsverbotes. Das eigentliche Ziel der Regelung ist nicht der Schutz des Embryos, sondern die Verhinderung der Forschung mit „österreichischen“ Embryonen. Die unter dem Aspekt des embryonalen Lebensschutzes schon während der Begutachtung wiederholt geforderten „embryonenschützenden“ Regelungsalternativen, entweder die Kryokonservierung überhaupt zu verbieten, die Frau zur Duldung der Implantation zu verpflichten, oder nach Ablauf der Frist wenigstens die Spende der Embryonen zuzulassen, wurden ausdrücklich abgelehnt, da dies zu einem Unterlaufen des Verbots der „Leihmutterschaft“ führen könnte.51 So intensiv der Aspekt des Embryonenschutzes in Teilen der Literatur52 sowie von der katholischen Kirche auch in den Vordergrund gerückt wurde – im Konzept des FMedG spielt er kaum eine Rolle. Wo der Schutz des extrakorporalen Embryos mit anderen Rechten und Interessen kollidiert, fiel die Entscheidung des Gesetzgebers regelmäßig zugunsten der gegenläufigen Interessen aus. Ein besonderes verfassungsrechtliches Problem sah man in dieser Preisgabe der Embryonen schon deshalb nicht, weil sich das Grundrecht auf Leben nur auf das „geborene Leben“ beziehe.53
IV. Die embryonale Stammzelle im Verfassungsrecht Während der Schutz extrakorporaler Embryonen auf einfachgesetzlicher Ebene und trotz einer anders gelagerten Regelungssystematik noch gewisse Parallelen zwischen der österreichischen und der deutschen Rechtslage aufweist, zeigt sich auf der Ebene des Verfassungsrechts ein deutlich anders Bild: Das hat sowohl mit einer abweichenden Tradition der Verfassungsdogmatik54 als auch mit Unterschieden in den Verfassungen selbst zu tun:
1. Allgemeines Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), das auf das Jahr 1920 zurückgeht, enthält – abgesehen von einigen verstreuten Einzelgrundrechten – 50 51 52
53 54
Eder-Rieder, WK2 Vorbem §§ 96-98 StGB Rz. 20. Vgl. 216 BlgNR 18. GP 22. Vgl. z.B. Lewisch, Leben und sterben lassen. Zur Frage verbrauchender Forschung an Embryonen, ÖJZ 1990, 133. 216 BlgNR 18. GP 13; Posch,10. ÖJT (1988) I/5, 26 f. Dazu erhellend Wiederin, Denken vom Recht her. Über den modus austriacus in der Staatsrechtslehre, Die Verwaltung, Beiheft 7 (2007) 293.
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keinen eigenen Grundrechtskatalog; der österreichische Grundrechtsbestand ist vielmehr auf mehrere Dokumente unterschiedlicher Herkunft zersplittert. Die wichtigsten Grundlagen sind das aus der Monarchie stammende Staatsgrundgesetz 1867 sowie die (seit 1964 auf Verfassungsstufe stehende) Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Die Biomedizinkonvention des Europarats und ihre Zusatzprotokolle wurden bisher von Österreich weder unterzeichnet noch ratifiziert. Dennoch ist die österreichische Verfassungsrechtsprechung wegen des Verfassungsranges der EMRK seit jeher viel stärker durch das internationale Recht des Europarates beeinflusst als die deutsche Judikatur. Vom Konzept her ist das österreichische Verfassungsrecht – nicht zuletzt bedingt durch die positivistische „Grundstimmung“ des B-VG 1920 und die historischen Erfahrungen mit dem kulturellen Pluralismus im Vielvölkerstaat der Monarchie – eher dem nüchternen Typus der „Spielregelverfassung“ zuzuordnen, deren Schwerpunkte in der Regelung der Staatsorganisation, des staatlichen Willensbildungsprozesses bzw. dessen rechtsstaatlicher Kontrolle und weniger in inhaltlichen Zielsetzungen für die Gesetzgebung liegen. Punktuelle Staatszielbestimmungen, verfassungsrechtliche Grundprinzipien sowie die Grundrechte stellen zwar materielle Determinanten für den Gesetzgeber dar, deren Einhaltung vom Verfassungsgerichtshof auch überprüft werden kann. Funktional werden die Grundrechte aber von der herrschenden Auffassung primär als Quelle subjektiver Rechte der Bürger gedeutet55 und nicht als Ausdruck einer „objektiven Wertordnung“ nach dem Muster der deutschen Lehre. Das schließt eine – durch die Möglichkeit einer Überprüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit durch den VfGH schon früh prozessual abgesicherte – Bindung des Gesetzgebers (und insofern eine „objektive“ Grundrechtswirkung) keineswegs aus, ebenso wenig die Ableitung von staatlichen Schutzpflichten aus Grundrechten. All diese Grundrechtsfunktionen bleiben aber auf den Schutz der „subjektiven“ verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte bezogen und entfalten kein normatives „Eigenleben“ im Sinne eines von individuellen Grundrechtspositionen losgelösten Schutzes von „Werten“ oder anderen abstrakten oder kollektiven Interessen. Die deutsche Wertordnungsdebatte löst im österreichischen Schrifttum eher den kritischen Hinweis aus, dass die Grundrechte ihre Schutzfunktion gegenüber individuellen Rechten gerade auch gegen die herrschenden Werturteile der Epoche entfalten können.56 In diesem Punkt unterscheidet sich die österreichische Verfassungstradition ganz erheblich von jener Deutschlands, wenngleich sich auch hier für fast jede abweichende Meinung eine Belegstelle finden lässt. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass das österreichische Verfassungsrecht keine spezifischen Aussagen zum Embryonenschutz – weder in vitro noch in vivo – enthält. Es sind auch kaum Normen ersichtlich, denen sich solche Aussagen mit anerkannten Auslegungsmethoden interpretativ abgewinnen lassen:
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Das B-VG spricht daher auch nicht von „Grundrechten“, sondern von „verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten“ (vgl. Art. 144 B-VG). Walter, Grundrechtsverständnis und Normenkontrolle in Österreich, in Vogel (Hrsg.), Grundrechtsverständnis und Normenkontrolle (1971) 1 (20).
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2. Der Embryo und das Grundrecht auf Leben Die (in Deutschland zumindest nicht für abwegig gehaltene) Vorstellung einer subjektiven Grundrechtsberechtigung von Embryonen57 ist für das österreichische Verfassungsverständnis ebenso wenig plausibel wie die Annahme einer „überschießenden“ objektiven grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates ohne ein korrespondierendes subjektives Recht.58 Das gilt nicht nur, aber insbesondere für die Reichweite des Grundrechts auf Leben, das im Wesentlichen durch die genuin völkerrechtliche Norm des Art. 2 EMRK garantiert wird und dessen Auslegung im Lichte eines „europäischen Standards“ partikulären nationalen Sonderwegen weitgehend entzogen ist: Nach herrschender Verfassungsrechtslehre59 und einhelliger Rechtsprechung des VfGH60 und des OGH61 ist das Grundrecht auf Leben erst ab der Geburt anwendbar: Der VfGH hat eine Überprüfung der strafrechtlichen Freigabe der „Fristenlösung“ am verfassungsrechtlichen Lebensschutz explizit abgelehnt, da Art. 2 EMRK das „keimende Leben“ nicht erfasse. Auch unter Aspekten des Gleichheitssatzes hat das Höchstgericht ein stufenweise ansteigendes Schutzkonzept ausdrücklich akzeptiert und betont, dass die menschliche Leibesfrucht während der verschiedenen Entwicklungsphasen nicht unter ein einheitliches Schutzniveau gestellt werden muss. Man könne die Zulässigkeit der „Fristenlösung“, so das Höchstgericht in sehr deutlicher Unterscheidung zwischen ethischen und verfassungsrechtlichen Beurteilungen weiter, zwar rechtspolitisch unterschiedlich bewerten,62 doch ändere dies nichts an ihrer Verfassungsmäßigkeit. Diese Entscheidung des VfGH bezog sich zwar auf den Embryo in vivo; es besteht aber kein Zweifel daran, dass nach der Argumentation des VfGH auch der extrakorporale Embryo in der Frühphase der Entwicklung nicht unter einem spezifischen Schutz der Verfassung steht. Das Fristenlösungserkenntnis des VfGH ist zwar bis heute umstritten; ein verfassungsrechtliches Lebensrecht extrakorporaler Embryonen wird aber auch im Schrifttum nur ganz selten – und dann eher mit moralischen als mit verfassungsrechtlichen Argumenten – bejaht.63 Für die ganz herrschende Auffassung liegt der Embryonenschutz außerhalb des grundrechtlichen Schutzbereichs.64 Anzufügen 57
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Zum weiten Spektrum deutscher Auffassungen Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6 (2008) Rz. 726. Eingehend Kopetzki in Kopetzki/Mayer (Hrsg.), Biotechnologie und Recht 24 ff. Umfassende Nachweise bei Kopetzki in Kopetzki/Mayer (Hrsg.), Biotechnologie und Recht 19 ff. VfSlg. 7400/1974 (Fristenlösung). OGH SZ 72/91 (Schadenersatz für unerwünschte Geburt wegen fehlerhafter Pränataldiagnose). VfSlg. 7400/1974: „Wie immer die getroffene Regelung in rechtspolitischer Hinsicht beurteilt werden mag – je nach dem religiösen, weltanschaulichen oder auch wissenschaftlichen Standpunkt des Betrachters kann sie abgelehnt oder auch gutgeheißen werden –, eine den Gleichheitsgrundsatz verletzende Unsachlichkeit kann in der Regelung nicht erkannt werden.“ Z.B. Lewisch, ÖJZ 1990, 141. Nachweise der Diskussion bei Kopetzki in Kopetzki/Mayer (Hrsg.) Biotechnologie und Recht 19 ff.; ders, Art. 2 EMRK, in Korinek/Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bun-
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bleibt, dass auch die (inzwischen erfolglos beendete) rechtspolitische Diskussion im Verfassungskonvent über eine umfassende Verfassungs- und Grundrechtsreform keinerlei Anzeichen erkennen ließ, den grundrechtlichen Lebensschutz de lege ferenda auf die vorgeburtliche Phase (oder gar auf die Phase in vitro) auszudehnen.65 Dieser verfassungsrechtliche Befund macht zugleich klar, weshalb dem Argument eines verfassungsrechtlichen Lebensschutzes extrakorporaler Embryonen schon bei der Ausarbeitung des FMedG keinerlei Bedeutung zukam. Die amtlichen Erläuterungen halten dazu lapidar fest, dass durch das Recht auf Leben nur das geborene Leben geschützt werde und daher „zu dem Phänomen der überzähligen entwicklungsfähigen Zellen, die im Zusammenhang mit einer In-vitroFertilisation entstehen können, ... aus diesem Grundrecht nichts abgeleitet werden“ könne.66 Pointierter lässt sich der Kontrast zur deutschen Diskussion nicht formulieren. Daran dürfte sich wohl auch künftig nichts ändern.
3. Der Embryo und die Menschenwürde Im Ergebnis ähnlich stellt sich die Situation unter dem Aspekt des Schutzes der Menschenwürde dar. Da die österreichische Bundesverfassung – anders als das deutsche Grundgesetz – keine ausdrückliche Menschenwürdeklausel enthält, ist bereits unklar, ob es de constitutione lata überhaupt einen – über die durch die Einzelgrundrechte verbürgten Schutzgüter hinausgehenden – verfassungsrechtlichen Würdeschutz gibt. Es besteht zwar Einigkeit darüber, dass den verfassungsrechtlich verankerten Grundrechten der Leitgedanke des Würdeschutzes „zugrunde liegt“, der in den einzelnen Grundrechtsformulierungen zum Ausdruck kommt. Strittig ist hingegen, ob es sich bei der Menschenwürde um ein – zu den Einzelgrundrechten hinzutretendes bzw. diese ergänzendes – eigenständiges Recht oder Schutzgut im Verfassungsrang handelt.67 Der VfGH hat die Menschenwürde als „allgemeinen Wertungsgrundsatz unserer Rechtsordnung“ anerkannt (VfSlg.
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desverfassungsrecht 5. Lfg. (2002) Rz. 14 ff. Die fehlende Anwendbarkeit des Art. 2 EMRK auf das ungeborene Leben hat nun auch der EGMR bestätigt: Denn die im Fall Evans (EGMR 7. 3. 2006, Appl. 6339/05 = EuGRZ 2006, 389) getroffene Aussage, dass die Festlegung des Beginns des grundrechtlichen Lebensschutzes mangels eines europäischen Konsenses in den Beurteilungsspielraum der Nationalstaaten falle (Ziff. 45), läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass die Reichweite der Schutzgewährung gem. Art. 2 EMRK zur Gänze den Vertragsstaaten der EMRK anheim gestellt bleibt. Die EMRK entfaltet also insofern keine eigenständige Bindungswirkung. Vgl. den Bericht des Ausschusses 4 (Grundrechtskatalog) vom 4. 6. 2004, 20 zum Recht auf Leben: „Der vorgeschlagene Artikel bezieht sich – wie schon Art. 2 EMRK (in der Rechtsprechung des VfGH und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte) – auf das geborene Leben“. 216 BlgNR 18. GP 13. Verneinend z.B. Kopetzki in Kopetzki/Mayer (Hrsg.), Biotechnologie und Recht 44 ff.; Eisenberger, FS Funk 2003, 181; bejahend Pernthaler, Ungeschriebene Grundrechte und Grundrechtsprinzipien in der österreichischen Rechtsordnung, FS Öhlinger (2004) 447 ff.; Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht 113 ff., jeweils m.w.N.
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13635/1993), jedoch offen gelassen, ob dieser Grundsatz auch auf Verfassungsebene besteht. In der Literatur werden zwar wiederholt Würde-Argumente aus der deutschen Verfassungsdiskussion „importiert“, doch sind diese Versuche dem Einwand ausgesetzt, ethische Überlegungen in ein Verfassungssystem zu projizieren, das für die Entwicklung ungeschriebener „Wertungsgrundsätze“ denkbar schlechte Voraussetzungen bietet.68 Doch auch unter jenen Autoren, die einen eigenständigen Schutz der Menschenwürde auf Verfassungsstufe bejahen, besteht nicht einmal ansatzweise Konsens darüber, welche Tragweite dieses Prinzip für den Umgang mit Embryonen aufweist. Die vertretenen Standpunkte sind in dieser Frage ebenso divergent wie in Deutschland, auch die vorgebrachten Argumente unterscheiden sich kaum.69 Soweit die Menschenwürde mittelbar als Schutzgut des Art. 3 EMRK (Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung) von verfassungsrechtlicher Relevanz ist, scheitert dessen Anwendbarkeit schon an der fehlenden Qualifikation embryonaler Zellen als Grundrechtssubjekte. Art. 3 EMRK gibt keine Antwort auf Fragen der Stammzellforschung.70 Auch dieser Bestimmung können keine über den individuellen Grundrechtsschutz (Geborener) hinausgehenden Folgerungen – etwa im Sinne der weitergehenden Menschenwürdegarantie des deutschen Grundgesetzes – entnommen werden. De lege ferenda gehört die Forderung nach einer ausdrücklichen Verankerung der Menschenwürde in der Verfassung zu den „Dauerbrennern“ der verfassungspolitischen Diskussion. Der Grundrechtsentwurf des Österreich-Konvents, der sich eine – inzwischen gescheiterte – Totalreform der Bundesverfassung zum Ziel gesetzt hatte, sah eine solche Garantie vor. Welche Folgerungen sich daraus – sollte der Vorschlag in die Verfassung Eingang finden – für den Embryonenschutz ergeben könnten, ist freilich völlig offen, da sämtliche grundrechtsdogmatischen Streitfragen (Wer ist „Subjekt“ des Würdeschutzes? Drittwirkung unter Privaten? Bedeutung des Würdebegriffs etc.) auch in diesem Zusammenhang neuerlich und unvermindert aufbrechen würden, ohne dass sich daraus ein Gewinn an verfassungsrechtlicher Problemlösungskapazität ergäbe. Die aporetische Würde- und Statusdiskussion hätte dann neben einer ethischen und religiösen Ebene auch noch eine verfassungsrechtliche Dimension, aber vermutlich kaum neue Argumente. Mit Sicherheit kann lediglich gesagt werden, dass eine derart unbestimmte und wertausfüllungsbedürftige Verfassungsbestimmung zu einem beträchtlichen Kompetenzzuwachs des Verfassungsgerichtshofes – und damit zur einer Verschiebung der Gewaltenbalance vom demokratisch legitimierten parlamentarischen Gesetzgeber zum kontrollierenden Verfassungsgericht – führen würde. Ob diese Verschiebung des Entscheidungsgewichts vom Parlament zur Justiz erwünscht ist71 oder ob die anstehenden „biopolitischen Jahrhundertfragen“ nicht 68 69
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Eingehend Kopetzki in Kopetzki/Mayer (Hrsg.), Biotechnologie 44 ff. Vgl. etwa – ein „Instrumentalisierungsverbot“ gegenüber extrakorporalen Embryonen aus dem Grundsatz der Menschenwürde bejahend – Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht 120. M.w.N. Kneihs, Art. 3 EMRK, in Rill/Schäffer (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht. Kommentar, 5. Lfg. (2007) Rz. 17. Bejahend etwa – schon zur geltenden Rechtslage – Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht 123.
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doch eher vom (abwählbaren) Parlament getroffen (und bei geänderten Mehrheitsverhältnissen allenfalls wieder revidiert) werden sollten, wird wieder unterschiedlich bewertet. Aus rechts- und demokratiepolitischer Sicht (Vorhersehbarkeit des Entscheidungsverhaltens staatlicher Organe; Festhalten am parlamentarischen Mehrheitsprinzip gerade bei moralisch strittigen Wertungsfragen) sprechen – entgegen dem gegenläufigen „Zeitgeist“ – gute Gründe gegen eine explizite verfassungsrechtliche Menschenwürdegarantie, weil dadurch im Ergebnis hochpolitische Entscheidungen als verfassungsrechtlicher „Wertvollzug“ deklariert und der einfachen Parlamentsmehrheit entzogen werden. Das spricht im Übrigen auch gegen ausdrückliche verfassungsrechtliche Festlegungen in moralisch strittigen Grenzfragen: Die Schwelle für eine rechtliche Neubewertung kontroversieller bioethischer Probleme durch künftige Generationen würde dadurch markant erhöht, da jeder Eingriff in geltendes Verfassungsrecht der Zweidrittelmehrheit im Nationalrat bedarf.
4. Stammzellforschung und grundrechtliche Schutzpflichten Da sich nach österreichischem Verfassungsrecht ein eigenständiger Embryonenschutz als Schranke der Forschung mit embryonalen Stammzellen nicht begründen lässt, gewinnen jene Grundrechte an Gewicht, die für die Zulassung dieser Forschung bzw. der Gewinnung der Stammzellen sprechen. Auf der anderen Seite der verfassungsrechtlichen Waagschale stehen zunächst grundrechtliche Schutzpflichten aus dem Recht auf Privatleben gem. Art. 8 EMRK, die jede staatliche Einschränkung der Entwicklung neuer medizinischer Therapieverfahren unter Nutzung embryonaler Stammzellen an den Nachweis binden, dass das Verbot der Gewinnung oder Verwendung von Stammzellen im Lichte des Art. 8 Abs. 2 EMRK zum Schutz eines der dort genannten Rechtsgüter unbedingt erforderlich ist. Dass eine solche Begründung gelingen könnte, ist angesichts der weitaus liberaleren Rechtslage in den übrigen Vertragsstaaten der EMRK höchst zweifelhaft.72
5. Forschungsfreiheit Noch viel schwerwiegendere Einwände gegen die restriktive Rechtslage in Bezug auf die Gewinnung embryonaler Stammzellen ergeben sich aus der verfassungsrechtlichen Garantie der Forschungsfreiheit gem. Art. 17 StGG.73 Forschungen an diesen Zellen stehen ungeachtet der dagegen erhobenen ethischen Einwände unter dem Schutz dieses Grundrechts. Das hinter der Forschungsfreiheit stehende 72
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Zuletzt kritisch wieder Stelzer, Völker- und gemeinschaftsrechtliche Aspekte embryonaler Stammzellforschung, in Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Stammzellforschung 250 (261 f.); ausführlich Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg.), Embryonenschutz 64; ders, in Kopetzki/Mayer (Hrsg.), Biotechnologie und Recht 55 ff. Dazu und zum Folgenden m.w.N. Kopetzki in Kopetzki/Mayer (Hrsg.), Biotechnologie und Recht 53 ff.
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Schutzgut ist nicht eine auf künftige Therapien gerichtete „Ethik des Heilens“, sondern das menschliche Streben nach Erkenntnis. Folglich wird die Berufung auf die Forschungsfreiheit nicht dadurch desavouiert, dass die „Heilsversprechungen“ der Embryonenforschung noch ungewiss sind. Ob die damit verbundenen Hoffnungen begründet sind oder nicht, wird die Zukunft zeigen. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung spielt dieser Aspekt keine Rolle, weil der Sinn der Forschungsfreiheit gerade darin liegt, der Wissenschaft das Tor in die – notorisch ungewisse – Zukunft offen zu halten. Für den Schutz der Forschungsfreiheit kommt es auch nicht darauf an, wie „hochrangig“ die angestrebten Ergebnisse sein werden, wie schnell mit ihnen zu rechnen ist, welche therapeutischen Erfolge bereits vorzuweisen sind und welche Alternativen möglicherweise zur Verfügung stehen. Solche – von den Gegnern der embryonalen Stammzellforschung regelmäßig vorgebrachten – Argumente74 mögen für einzelne Forscher oder Institutionen ein mehr oder weniger gutes Motiv für oder gegen die Beteiligung an dieser Forschung abgeben; sie können auch bei der Frage nach der Bereitstellung öffentlicher Fördermittel eine Rolle spielen. Ein legitimer Grund für ein staatliches Verbot solcher Forschungen ergibt sich daraus aber ebenso wenig wie aus dem steten Hinweis auf moralische Bedenken. Wer die Freiheit der Wissenschaft oder auch der Kunst an eine „ethische Unbedenklichkeitsprüfung“ knüpfen möchte, richtet sich im Kern gegen den Wesensgehalt dieser Grundrechte – weder Galileo Galilei noch Arthur Schnitzler hätten diesen zeitgenössischen Ethik-Test bestanden. Gewiss stünde es dem Gesetzgeber auch in Österreich frei, die Forschungsfreiheit zum Zweck des Embryonenschutzes gewissen Einschränkungen zu unterwerfen, solange er dies in allgemeiner, verhältnismäßiger und in sich konsistenter Weise tut. Davon kann hier aber – wie gezeigt – keine Rede sein. Dazu kommt, dass das aus § 9 FMedG ableitbare Verbot der Gewinnung embryonaler Stammzellen aus Embryonen, die ohnehin der Vernichtung preisgegeben sind, primär auf eine Verhinderung der Forschung (und nicht auf den Existenzschutz des Embryos) abzielt75 und daher von einem „intentionalen Eingriff“ in die Forschungsfreiheit gesprochen werden muss. Ein solcher intentionaler Eingriff müsste nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes durch ein gegenläufiges – auf den Embryonenschutz gerichtetes – Verfassungsrechtsgut legitimiert werden. Eben dafür ist aber keine verfassungsrechtliche Grundlage in Sicht. Im Ergebnis steht § 9 Abs. 1 FMedG daher im begründeten Verdacht der Verfassungswidrigkeit.76
74 75 76
Statt vieler z.B. L. Kenner, Der Stichtag kann bleiben, FAZ 1. 4. 2000, 35. RV 216 BlgNR 18. GP 20. Näher Kopetzki in Kopetzki/Mayer (Hrsg.), Biotechnologie und Recht 53 ff. Ebenso (zur Verfassungswidrigkeit des Verbots bestimmter Zweige der embryonalen Stammzellforschung) Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 Rz. 1507.
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V. Rechtspolitischer Ausblick Aus der Perspektive des Verfassungsrechts sprechen in Österreich also gute Gründe für eine weitgehende Liberalisierung, insbesondere für eine Zulassung der Gewinnung embryonaler Stammzellen aus „überzähligen“ Embryonen aus der Reproduktionsmedizin. Zu welchen rechtspolitischen Ergebnissen die gerade in Gang gekommene öffentliche Diskussion führen wird – und ob es konkrete Ergebnisse überhaupt geben wird –, ist derzeit nicht abzuschätzen. Dass sich anlässlich einer internationalen Tagung des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin an der Universität Wien im Jänner 2008 die Vertreter aller fünf im Parlament vertretenen politischen Parteien für eine deutliche Liberalisierung ausgesprochen haben, sei angemerkt,77 lässt jedoch keine voreiligen Schlüsse auf die Meinungsbildung in den relevanten politischen „Lagern“ zu. Ein umfangreicher Bericht der Bioethikkommission ist geplant und soll den Boden für eine umfassende Neuregelung aufbereiten. Die Hoffnung, dass sich dabei ein breiter moralischer oder zumindest rechtspolitischer Konsens abzeichnen könnte, ist freilich nicht realistisch. Für das österreichische Rechts- und Verfassungssystem, das in der Befriedung moralischer Dissense in einem pluralistischen Gemeinwesen mit den Instrumenten des positiven Rechts eine gewisse Tradition hat, könnte das aber auch als Herausforderung angesehen werden.
77
Vgl. Der Standard vom 19./20. 1. 2008, 39 („Stammzellen: Parteien für Neuregelung – Bestimmungen sollen gelockert werden“) und Die Presse vom 30. 1. 2008 („Stammzellen: Rot-weiß-rote Grauzone“).
Versicherungsschutz während Krankenhausbehandlung und medizinischer Rehabilitation durch die gesetzliche Unfallversicherung
Otto Ernst Krasney
I. Versicherungsschutz bei Folgen von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten Bei Gesundheitsschäden aufgrund eines Versicherungsfalls der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) haben die Versicherten Anspruch u.a. auf Heilbehandlung, die neben der ambulanten Behandlung auch die Krankenhausbehandlung sowie die ambulanten und stationären Leistungen der medizinischen Rehabilitation erfasst (s. §§ 26, 27 SGB VII, § 26 SGB IX). Kraft besonderer gesetzlicher Regelung sind als mittelbare Folgen des Versicherungsfalls (Arbeitsunfall und Berufskrankheit, s. § 7 Abs. 1 SGB VII) Gesundheitsschäden oder der Tod von Versicherten u.a. „infolge der Durchführung einer Heilbehandlung“ in die Entschädigungspflicht der UV bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten einbezogen (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Komplikationen, die im Ablauf des Behandlung und Rehabilitation selbst auftreten, bereits unmittelbare Unfallfolgen sind. Bei mittelbaren gesundheitlichen Unfallfolgen „infolge“ der „Durchführung“ der Heilbehandlung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII muss somit ein weiteres Geschehen von außen, außerhalb des reinen Behandlungs- und Rehabilitationsablaufs eintreten. Der Versicherungsschutz erstreckt sich auf alle Verrichtungen, die dazu bestimmt sind, der Behandlung in dem Krankenhaus oder den Rehabilitationsmaßnahmen wesentlich zu dienen. Deshalb sind – um nur einige Beispiele zu nennen – die Patienten oder Rehabilitanden versichert, wenn sie sich auf Wegen zur Teilnahme an Untersuchungen, Behandlungen oder einzelnen Rehabilitationsmaßnahmen befinden. Gleiches gilt für die Wege nach und von den Toiletten oder Badeeinrichtungen. Mit in den Versicherungsschutz einbezogen sind die einzelnen Verrichtungen bei der Durchführung von Behandlungs- oder Rehabilitationsmaßnahmen. Der Versicherungsschutz besteht, wenn der Versicherte z.B. bei der Behandlung vom Behandlungstisch fällt oder der Rehabilitand sich bei einem Rehabilitationstraining verletzt.
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Entsprechend den anderen den Versicherungsschutz in der UV begründenden Verrichtungen ist dabei nicht Voraussetzung, dass die Verrichtungen im Rahmen der medizinischen Behandlung oder medizinischen Rehabilitation von Ärzten oder von den maßgebenden Therapeuten im Einzelnen angeordnet sind. Entscheidend ist auch hier, dass nach der maßgebenden Handlungstendenz der Versicherte aufgrund von objektiven Anhaltspunkten davon ausgehen konnte, die von ihm durchgeführte Verrichtung sei geeignet1, dem Behandlungs- und Rehabilitationserfolg zu dienen. Begibt sich z.B. der Versicherte zum Schwesternzimmer seiner Station, um seinen gelockerten Verband erneuern zu lassen, braucht aber nach der Beurteilung der Schwester der Verband nicht erneuert zu werden, so war der Weg nach und von dem Schwesternzimmer vom Unfallversicherungsschutz erfasst, weil aufgrund des objektiven Bildes (gelockerter Verband) der Versicherte davon ausgehen konnte, zumindest den Rat einer Schwester einzuholen. Gleiches gilt, wenn eine speziell angeordnete Behandlungs- oder Rehabilitationsmaßnahme tatsächlich nicht zu einem Erfolg führt. Der Versicherte ist aber bei einer stationären Behandlung nicht nur bei Wegen zu bestimmten medizinischen Leistungen versichert, sondern ebenso dann, wenn er den alltäglichen Bedürfnissen entsprechende Verrichtungen vornehmen muss, dabei aber durch die besonderen räumlichen Umstände der stationären Einrichtungen verunglückt. Nicht versichert ist der Patient oder Rehabilitand aber, wenn es so genannte wesentlich allein eigenwirtschaftlichen Zwecken zu dienende Verrichtungen sind, wie z.B. der Kauf von Zeitungen im Kiosk des Krankenhauses oder der Rehabilitationseinrichtung. Kraft Gesetzes sind ausdrücklich in den Versicherungsschutz bei Durchführung der Heilbehandlung einbezogen schon die Wege, die der Versicherte unternimmt, um auf Aufforderung des Unfallversicherungsträgers diesen oder eine von ihm bezeichnete Stelle zur Vorbereitung von Maßnahmen der Heilbehandlung, der Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder von Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung aufzusuchen (s. § 11 Abs. 2 SGB VII). Der Versicherungsschutz umfasst ebenso das Risiko der ärztlichen Behandlung. Liegt ein Behandlungsfehler oder eine unsachgemäße Rehabilitationsmaßnahme vor, so sind die dadurch bedingten gesundheitlichen Schäden Folgen des Versicherungsfalls der UV2. Hier zeigt sich einer der Unterschiede zwischen der für die UV geltenden Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung und der Adäquanztheorie im Zivilrecht. In der UV werden atypische Schadensverläufe aus dem Schutzbereich nicht ausgeschieden. Deshalb erstreckt sich der Versicherungsschutz auch auf außergewöhnliche oder grob fahrlässige Behandlungsfehler 1
2
BSGE 91, 293, 294; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr 19; Krasney in Brackmann/Krasney/ Becker/Burchardt/Kruschinksky, Handbuch der Sozialversicherung, Band 3, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 RdNr 27; Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, § 8 RdNr 17; Schwerdtfeger in Lauterbach, Unfallversicherung, § 8 RdNr 31; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 SGB VII RdNr 6.2. BSGE 46, 283, 284; BSG SozR 2200 § 548 Nr 49; Krasney aaO § 11 RdNr 9; Keller aaO § 11 RdNrn 10, 11; Mehrtens aaO § 11 SGB VII RdNr. 4; Ricke in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 11 SGB VII RdNr. 6; Schmitt, SGB VII, 3. Aufl., § 11 RdNr 8; Rapp in LPK-SGB VII, 2. Aufl., § 11 RdNr. 3.
Versicherungsschutz durch die gesetzliche Unfallversicherung
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des Arztes3. Damit ist das Haftungsrisiko des Arztes oder des Krankenhausträgers sowie der nichtärztlichen Therapeuten nicht auf die von den Arbeitgebern finanzierte UV übertragen. Der Träger der UV nimmt im Rahmen des § 116 SGB X Regress. Der Verletzte verliert seine Schadenersatzansprüche wegen fehlerhafter Behandlung oder Rehabilitationsmaßnahmen gegen den Arzt oder den nichtärztlichen Therapeuten nur insoweit, wie seine Ansprüche auf den Träger der UV übergegangen sind. Darüber hinausgehende Ansprüche – z.B. die auf Schmerzensgeld – sind nicht durch die §§ 104 bis 105 SGB VII beschränkt.
II. Behandlung von Gesundheitsstörungen, die keine Folgen eines Versicherungsfalls der UV sind 1. Allgemeine Gesetzeslage Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit sind im Rahmen der UV grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen. Sie dienen, soweit sie nicht für eine unmittelbare oder mittelbare Folge eines Versicherungsfalls der UV getroffen werden (s. I), zwar zugleich der Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitskraft und damit auch den Interessen des Unternehmens; jedoch sind sie aus der Sicht des Versicherten regelmäßig dazu bestimmt, wesentlich allein der eigenen Gesundheit zu dienen4. Dies ergibt sich auch aus dem vorstehend schon behandelten § 11 SGB VII, der nicht erforderlich wäre, wenn nicht nur die Behandlung von zumindest mittelbaren Folgen eines Versicherungsfalls der UV erfasst sein sollte. Deshalb sind Unfälle während der nicht durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit erforderlichen Krankenhausbehandlung oder einer medizinischen Rehabilitation keine Versicherungsfälle der UV, sofern nicht die Voraussetzungen der unter 2 dargestellten speziellen Regelung erfüllt sind. Das BSG hat selbst beim Besorgen eines Krankenscheines jedenfalls dann, wenn die Behandlungsbedürftigkeit des Kranken nicht auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist, regelmäßig keinen Versicherungsschutz angenommen5. Allerdings wurde der Versicherungsschutz beim Aufsuchen des Arztes bejaht, wenn der Besuch wesentlich betrieblichen Interessen diente, z.B. um danach trotz seiner während der Dienstzeit aufgetretenen Gesundheitsstörung weiterhin betriebliche Arbeiten verrichten zu können6. Gleiches gilt für die Wege zum Besorgen eines Arzneimittels, um dadurch die während der versicherten Tätigkeit aufgetretenen gesundheitlichen Störungen wenigstens soweit mildern zu 3 4
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S. hier Fußn. 2, einschränkend Rapp aaO. BSGE 4, 219, 223; 9, 222, 225; 23, 139, 140; SozR 4-2700 § 8 Nr 6; Krasney aaO § 8 RdNr 171: Stichwort: Gesundheitliche Betreuung; Keller aaO § 8 RdNrn 111, 114; Mehrtens § 8 SGB VII RdNr 7.23; Ricke aaO § 8 SGB VII RdNr 80; Ziegler in LPK.SGB VII, § 8 RdNr 128 ff. BSGE 17, 11. BSG SozR 2200 § 548 Nr 31.
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können, dass die aus betrieblichen Gründen erforderliche weitere Tätigkeit im Betrieb ermöglicht wird7. Ein wesentliches betriebliches Interesse und damit Versicherungsschutz hat das BSG beim Aufsuchen einer Werksambulanz angenommen. Es begründete diese Erstreckung des Versicherungsschutzes mit den Vorteilen für das Unternehmen, die nicht nur die Beschäftigten durch die Behandlung befähigen sollen, unmittelbar weiterzuarbeiten. Es hat den inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit außerdem deshalb als gegeben angesehen, weil durch das Aufsuchen der Werksambulanz regelmäßig weniger Arbeitszeit verloren geht sowohl durch die kürzeren Wege als auch dadurch, dass genauere Termine festgelegt werden können als beim Besuch eines Arztes außerhalb des Betriebes. Ebenso hat das BSG die Interessen des Versicherten und des Unternehmens bei Schutzimpfungen abgewogen. Deshalb hat es bei Grippeschutzimpfungen den wesentlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit darin gesehen, wenn sie einer besonderen, in der Betriebstätigkeit begründenden Ansteckungsgefahr begegnen sollen8, was z.B. bei Fahrern von öffentlichen Verkehrsmittels oder bei Bediensteten im Gaststättengewerbe ebenso der Fall sein kann wie bei den Tetanusimpfungen der Gärtner. Eine allgemeine Grippeschutzimpfung steht aber nicht schon deshalb im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, weil sie vom Unternehmen empfohlen und sogar finanziert worden ist. Eine Impfung kann jedoch dann wesentlich durch betriebliche Umstände bedingt sein, wenn sie vor einer Dienstreise ins Ausland erfolgt, wo eine besondere Ansteckungsgefahr besteht9.
2. Gesetzliche Sonderregelung a) Geschichtliche Entwicklung Durch § 21 Nr. 13 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (RehaAnglG)10 wurde in § 539 Abs. 1 RVO die Nr. 17 u.a. mit dem Buchst. a eingefügt. Danach waren Personen versichert, „denen von einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung oder der gesetzlichen Rentenversicherung oder einer landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre Behandlung iS von § 559 gewährt wird“. Vorsorglich sei erwähnt, dass die Verweisung auf § 559 RVO, also eine Vorschrift der UV, lediglich zur Begriffsbestimmung der stationären Behandlung erfolgte und nicht einen Versicherungsfall der UV voraussetzte. Durch Urteil vom 23. Februar 198311 entschied das BSG, dass die von einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gewährte teilstationäre Behandlung in einer Tagesklinik keinen Unfallversicherungsschutz des Behandelten nach 7
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BSG SozR 2200 § 548 Nr 31; abgrenzend BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 43 und SozR 42700 § 8 Nr 6. BSG SozR 2200 § 548 Nr 2. Krasney aaO § 8 RdNr 171: Stichwort: Gesundheitliche Betreuung; Ziegler aaO § 8 RdNr 132 – aber einschränkend auf dem Weg zur und von der Impfung. BGBl I 1881. SozR 2200 § 539 Nr 88.
Versicherungsschutz durch die gesetzliche Unfallversicherung
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§ 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a RVO begründe. Daraufhin ergänzte der Gesetzgeber durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Verbesserung der ambulanten und teilstationären Versorgung psychisch Kranker vom 26. Februar 198612 § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a RVO dahin, dass stationäre Behandlung im Sinne dieser Vorschrift auch die teilstationäre Behandlung in einem Krankenhaus sei. Die Verweisung auf § 559 RVO sicherte zugleich, dass die stationäre Behandlung nicht nur in einem Krankenhaus, sondern auch in „einer Kur- oder Spezialeinrichtung“ erfasst wurde. Es ist den Materialien sowohl des RehaAnglG als auch des Gesetzes vom 26. Februar 1986 nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Erwägungen der Gesetzgeber den Versicherungsschutz in der UV auf die stationäre und später teilstationäre Behandlung und Rehabilitation von Gesundheitsstörungen erstreckt hat, die nicht Folge eines Versicherungsfalls der UV sind. Gesprächen mit Vertretern der Gewerkschaften konnte allerdings entnommen werden, dass diese zunächst eine entsprechende Erstreckung des Versicherungsschutzes lediglich auf die Wege nach und von Rehabilitationseinrichtungen vorbrachten, da diese sich regelmäßig anders als z.B. Krankenhäuser nicht in der näheren Umgebung von Rehabilitanden befanden. Ein gewisser Anhaltspunkt hierfür kann sich aus der amtlichen Begründung zum Entwurf des RehaAnglG13 ergeben, wonach der Versicherungsschutz nach der neuen Nr. 17 „sich aufgrund von § 550 RVO auch auf die Wege beziehe, die mit der Krankenhausbehandlung oder berufsfördernden Maßnahme zusammen hängen“. Eine weitere Ausdehnung des Kreises der versicherten Personen iS des § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a RVO erfolgte bei der Überleitung des Rechts der UV in das SGB mit Wirkung vom 1. Januar 1997 und danach durch Art. 7 Nr. 2 Buchst. b des SGB IX vom 19. Juni 200114. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII sind versichert „Personen, die auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder einer landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten“. Die Erweiterung des versicherten Personenkreises liegt darin, dass nunmehr auch die Personen versichert sind, die „ambulante“ Leistungen „zur medizinischen Rehabilitation“ erhalten. Die von der Vorschrift des § 539 Abs. 1 Nr. 17 RVO und nunmehr des § 2 Abs. 1 Nr. 15 SGB VII erfassten Personen waren und sind keiner der sonst in § 2 SGB VII aufgeführten Personengruppen zuzurechnen. Es sind dies in erster Linie Versicherte, die eine berufliche Tätigkeit ausüben oder eine vorbereitende Ausbildung durchlaufen, wie z.B. die Beschäftigten sowie die selbständig Tätigen und deren mitarbeitenden Angehörigen, oder die Personengruppen, bei denen die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit sehr schwierig erscheint und die jedenfalls gleich sozial schutzbedürftig sind in der UV wie die Beschäftigten (s. § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 8 SGB VII), oder Personen, die Tätigkeiten für das – im weitesten Sinne – Gemeinwohl verrichten oder zur Entlastung öffent-
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BGBl I 324. BT-Drucks 7/1237 Seite 66. BGBl I 1046.
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licher Kassen tätig sind (§ 2 Abs. 1 Nrn. 10 bis 13, 16 SGB VII)15. Der Versicherungsschutz nach nunmehr § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII ist dagegen von keinerlei beruflicher oder ehrenamtlicher Tätigkeit abhängig. Die gesundheitsstärkenden Maßnahmen der Behandlung und der Rehabilitation dienen wesentlich allein den persönlichen Interessen der Versicherten und haben auch keinerlei öffentlich anzuerkennende Handlungstendenz. b) Versicherte Personen Es mag rückschauend schon fast seltsam erscheinen, dass nach Einfügung der Nr. 17 Buchst. a in § 539 Abs. 1 RVO zunächst nicht nur vereinzelt die Auffassung vertreten wurde, dass diese Vorschrift lediglich für Behinderte gelte16. Dies beruhte wohl darauf, dass die vorstehend angeführte Ergänzung des § 539 Abs. 1 durch das RehaAnglG erfolgte. Das BSG ist dieser Auffassung nicht gefolgt17. Ihm ist nunmehr wohl das gesamte Schrifttum beigetreten. Maßgebend war, dass das RehaAnglG nicht nur Vorschriften zur Rehabilitation enthielt. Außerdem hat die oben angeführte einschränkende Auffassung im Wortlaut des Gesetzes keinen Ausdruck gefunden. Gerade mit Rücksicht auf die Beschränkung des § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. b und c RVO auf Rehabilitanden hätte es nahe gelegen, die in Buchst. a dieser Vorschrift enthaltene Regelung ebenfalls entsprechend zu fassen. Vor allem aber war Sinn und Zweck dieser Vorschrift nicht zu entnehmen, dass sie nur für behinderte Versicherte oder behinderte Familienversicherte gelten sollte. Untere Berücksichtigung des Gleichheitssatzes wäre zudem zu prüfen gewesen, warum den Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a RVO nur diejenigen Personen erhalten sollten, die bei Beginn der stationären Behandlung zu den Behinderten gehören, während die Personen keinen Versicherungsschutz hätten, bei denen sich erst aus dem Verlauf der Krankheit ergibt, dass es sich nicht nur um eine vorübergehende wesentliche Beeinträchtigung ihrer Gesundheit handelt. Weder § 539 RVO noch das RehaAnglG enthielt ausreichende Kriterien für eine Abgrenzung zwischen Behinderten und Kranken. Der Krankheitsbegriff der gesetzlichen Krankenversicherung gilt gleichfalls für beide Fälle, für diejenigen, in denen eine Behinderung bereits vor der Behandlung eingetreten war, und für die Fälle, in denen die Behinderung erst drohte oder sich im Laufe der Behandlung ergab. Schließlich wäre die Verweisung auf § 559 RVO kaum verständlich gewesen, wenn nur Behinderte in den Versicherungsschutz einbezogen worden wären. Diese Vorschrift umfasste sowohl Krankenhäuser als auch „Kur- oder Spezialeinrichtungen“. Es muss sich jedoch um Personen handeln, die entweder in der gesetzlichen Kranken- oder der gesetzlichen Rentenversicherung oder landwirtschaftlichen 15
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S. zur so genannten „unechten“ Unfallversicherung Krasney in Ruland/von Maydell/Papier, Verfassung, Theorie und Praxis des Sozialstaats, Festschrift für Hans F. Zacher, Seite 407. U.a. OLG München NJW 1979, 606; OLG Frankfurt/Main VersR 1979, 1025; LG Darmstadt NJW 1979, 605; Ahrends/Udsching NJW 1978, 1666, 1668; Hamacher Die Berufsgenossenschaft 1977, 567; Spitzenverbände der Rehabilitationsträger Die Betriebskrankenkasse 1975, 221, 222. BSG SozR 2200 § 539 Nrn 71, 72.
Versicherungsschutz durch die gesetzliche Unfallversicherung
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Alterskasse pflichtversichert oder freiwillig versichert sind. Dies könnte zu der Frage führen, weshalb die bei einem privaten Krankenversicherer versicherten Personen in § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII nicht mit aufgenommen wurden. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes dürfte jedoch ausscheiden, weil sachliche Gründe für die Beschränkung auf die in der Sozialversicherung versicherten Personen anzuführen sind. Die UV ist Teil der Sozialversicherung. Die bei ihr – der Sozialversicherung – versicherten Personen sollen im Rahmen des § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII den Versicherungsschutz erhalten. Zwar scheiden in der Krankenversicherung versicherte Personen aus diesem Versicherungsschutz grundsätzlich aus, wenn sie die Versicherungspflichtgrenze (nunmehr) gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V mehr als drei Jahre überschreiten. Sie können sich danach jedoch im begrenzten Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V freiwillig weiter versichern. Wer diese Möglichkeit nicht wahrnimmt, sondern sich in eine private Krankenversicherung begibt, der entscheidet sich hinsichtlich des Versicherungsschutzes nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII ebenfalls gegen den Schutz der Sozialversicherung. Entsprechendes gilt für die Personen, die nicht oder nicht ausreichend lange in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert waren und sich deshalb nicht freiwillig weiterversichern können. Umstritten ist, ob Versicherte, die gemäß § 13 SGB V Kostenerstattung anstelle der Sach- und Dienstleistungen gewählt haben, ebenfalls zu den nach § 8 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII versicherten Personen gehören18. Hiergegen wird vorgebracht19, dass der Sozialversicherungsträger mit den Behandlungseinrichtungen jederzeit und ausnahmslos alle Bedingungen vertraglich festlegen könne, die die Behandlung derjenigen Patienten betreffen, denen er die entsprechende Sachleistung gewährt20. Der Versicherungsschutz der von § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII erfassten Personen wirkt sich, wie unter 4 noch näher dargelegt wird, vornehmlich bei Unfällen aus, die durch die Besonderheiten der Behandlungsoder Rehabilitationsstätte verursacht sind. Insoweit ist aber eine Einflussnahme der Krankenkassen kaum rechtlich, jedenfalls aber tatsächlich nicht nennenswert gegeben. Sie haben weder auf die räumliche Gestaltung noch auf die jeweils anfallenden Verrichtungen der Versicherten einen nennenswerten Einfluss. Ebenso ist zu beachten, dass jeweils im Regelfall der weitaus überwiegende Teil der Patienten und Rehabilitanden die Krankenhausbehandlung und die medizinische Rehabilitation durch die Krankenkassen oder sonstigen Rehabilitationsträger in der Form von Sach- und Dienstleistungen erhalten. Die den Krankenkassen vielleicht mögliche Einflussnahme auf die Behandlungseinrichtungen wirkt sich dann ebenso zugunsten der Versicherten aus, welche die Kostenerstattung gewählt haben. Der Einbeziehung der Versicherten in den Schutz des § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII, die gemäß § 13 SGB V Kostenerstattung gewählt haben, steht nicht die
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Schlegel in Schulin Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2 Unfallversicherungsrecht, § 18 RdNr 32; Riebel in Hauck/Noftz, SGB VII, § 2 RdNr 221. Mehrtens aaO § 2 SGB VII RdNr 29.6; zweifelnd Kruschinsky, aber wohl verneinend aaO § 2 RdNr 712a; Ricke aaO § 2 SGB VII RdNr 82; Richter in LPK-SGB VII § 2 RdNr 171. Kruschinsky aaO § 2 RdNr 712a.
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Entscheidung des BSG vom 22. März 198321 entgegen. In diesem Urteil hatte das BSG § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a RVO für nicht anwendbar angesehen, wenn der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung seinem Mitglied zu einer von diesem mit einem Spezialinstitut vereinbarten stationären Behandlung nur einen Zuschuss aus Mitteln der Gesundheitsfürsorge zubilligt. Insoweit ist zu beachten, dass § 13 SGB V – anders als die Mittel aus der Gesundheitsfürsorge – Regelleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung betrifft und der Gesetzgeber es in die Entscheidungsfreiheit des Versicherten gestellt hat, ob er Sach- und Dienstleistung oder Kostenerstattung wählt. Zwischen der Krankenkasse und dem Spezialinstitut, in dem die für die Entscheidung des BSG maßgebende Behandlung stattgefunden hatte, waren keine „Vereinbarungen“ getroffen. Hinsichtlich der gesetzlich vorgesehenen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen jedoch für alle in den Krankenhausplan aufgenommene oder für die von den Krankenkassen zugelassenen Krankenhäuser Vereinbarungen. Und soweit sich diese Vereinbarungen in für den Unfallversicherungsschutz wesentlichen Bereichen auswirken, sind sie generell getroffen und unterscheiden nicht zwischen Versicherten, welche die Krankenhausbehandlung als Sach- und Dienstleistung erhalten und solchen, welche sie zunächst persönlich finanzieren und dann Kostenerstattung verlangen.
3. Behandlungsarten Unter II 2 wurde bereits darauf hingewiesen, dass die von § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a RVO erfassten Behandlungsarten sich zunächst auf die stationäre und später auch auf die teilstationäre Behandlung erstreckten. Zur stationären und teilstationären Behandlung gehören nicht nur therapeutische sondern ebenso vorangehende oder ihr zwischengeschaltete oder ihr folgende diagnostische Maßnahmen22. Dagegen fällt eine rein pflegerische Betreuung nicht unter § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII23. Nunmehr sind in § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII die „ambulanten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation“ mit enthalten. Diese Erweiterung wurde nicht auf die „ambulante Behandlung“ im Sinne dieser Vorschrift erstreckt. Insoweit kann man unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes doch schon von einem gewissen verfassungsrechtlichen Restrisiko sprechen. Es ist nicht leicht verständlich, weshalb ein Versicherter, der sich vor der ambulanten medizinischen Leistung zur Rehabilitation in die erforderliche ambulante medizinische Behandlung begibt, den Versicherungsschutz nach bei dieser Vorschrift nicht erhalten soll. Ohne eine noch als erforderlich angesehene vorangehende ambulante medizinische Behandlung wären die Leistungen der medizinischen Rehabilitation nicht möglich gewesen. Die Erweiterung des Versicherungsschutzes auf ambulante medizinische Leistungen der Rehabilitation war zwar schon im Regierungsentwurf
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SozR 2200 § 539 Nr 89. BSG Urteil vom 29. 2. 1984 – 2 RU 25/83 – Die Betriebskrankenkasse 1984, 445; Kruschinsky aaO § 2 RdNr 717. Mehrtens aaO § 2 SGB VII RdNr 29.6; Kruschinsky aaO § 2 RdNr 713.
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zum SGB IX vorgesehen, aber eine Begründung24 enthält der Entwurf nicht. Der Versicherungsschutz bei der – zunächst nur – stationären Behandlung war im Rahmen des § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a iVm § 548 RVO von Rechtsprechung und Schrifttum (s. unter 4 Buchst.a) vornehmlich damit begründet, dass der Versicherte sich in eine besondere Einrichtung begeben müsse und dort überwiegend anderen Risiken als zu Hause ausgesetzt sei. Dies gilt aber nicht nur, wie nunmehr allgemein festgelegt ist, für die stationäre und teilstationäre Behandlung, sondern letztlich auch für ambulante Behandlungen, die jedoch anders als ambulante medizinische Leistungen zur Rehabilitation nicht die Zugehörigkeit zum versicherten Personenkreis begründen können. Außerdem besteht hinsichtlich des Behandlungserfolges oder Behandlungsmisserfolges kein wesentlicher Unterschied zwischen Kranken, die stationär oder teilstationär behandelt werden, und denen, deren Behandlung ambulant durchgeführt wird. Man könnte zur Begründung des Ausschlusses der ambulanten Behandlung vom Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII anführen, bei der stationären und teilstationären Behandlung sowie bei den stationären, teilstationären und ambulanten medizinischen Leistungen zur Rehabilitation seien regelmäßig die Zeitpunkte für den Beginn und das voraussichtliche Ende der Leistungen im Voraus bestimmt, während ambulante Behandlungen sehr häufig von Versicherten in Anspruch genommen werden, ohne vorher mit dem Arzt einen Termin zu vereinbaren. Abgesehen davon, dass damit auch die Fälle einer festen Terminabsprache mit ausgeschlossen bleiben, erscheint es nicht überzeugend als tragenden Gesichtspunkt für eine unterschiedliche Behandlung lediglich Beweisschwierigkeiten anzuführen. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass in den Fällen, in denen eine vorherige Terminabsprache für die ambulante Behandlung nicht stattgefunden hat, aus dem Verlauf der Erkrankung häufig Anhaltspunkte dafür gewonnen werden können, ob der oder die Versicherte sich tatsächlich auf dem Wege zu einer ambulanten Behandlung befunden hat. Man wird aber die unterschiedliche Regelung für die ambulante Behandlung einerseits und die ambulante Leistung der Rehabilitation andererseits doch noch dem Entscheidungsfreiraum des Gesetzgebers zuordnen können.
4. Versichertes Risiko a) Verrichtungen der Versicherten Für die nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII versicherten Personen ist ein Unfall nur dann ein Arbeitsunfall, wenn er „infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit)“ eingetreten ist (s. § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Verrichtung, bei welcher der Versicherte verunglückt ist, muss der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sein. Das ist der Fall, wenn ein „innerer Zusammenhang“ zwischen der zum Unfall führenden Verrich-
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BT-Drucks 14/5074 zu Art 7 Nr 2; Gleiches gilt – da kein Änderungsvorschlag – für den Ausschussbericht BT-Drucks 14/5800.
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tung und der versicherten Tätigkeit besteht25. Anders als überwiegend sonst in der UV, bei der es insoweit nicht wesentlich allein auf Ort oder Zeit der Verrichtung ankommt, ist im Rahmen der vorstehend angeführten Vorschrift der Versicherungsschutz davon abhängig, dass die Verrichtung örtlich und zeitlich während einer stationären oder teilstationären Behandlung oder einer stationären, teilstationären oder ambulanten Leistung der medizinischen Rehabilitation stattgefunden hat. Aber allgemein ist – wie sonst in der UV – wertend zu entscheiden, ob das Handeln der Person zur versicherten Tätigkeit gehört. Ebenso wie die Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Bedingung im Rahmen der Kausalität ist die Entscheidung über den inneren Zusammenhang eine Wertentscheidung, die eine wesentliche Verknüpfung der infrage stehenden Verrichtung mit der versicherten Tätigkeit voraussetzt. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenzen liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der UV reicht. Trotz aller wegen der maßgeblichen Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls unvermeidlichen Kasuistik haben Rechtsprechung und Schrifttum allgemeine Kriterien und Grundsätze für die Wertung herausgearbeitet. Es ist jedoch nicht möglich, einheitliche Zurechnungskriterien für alle nur möglichen Verrichtungen oder wenigstens für sämtliche Betätigungsbereiche zu entwickeln, wohl aber beschränkt auf jeweils einige Tätigkeitsfelder. Für die Tätigkeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses wird als kennzeichnend angesehen, dass sie den Zwecken des Unternehmens zu dienen bestimmt ist. Es kommt somit auf die Handlungstendenz des Versicherten an. Dieses Kriterium ist aber insoweit für den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII nicht tauglich, als es auf die Zwecke des Unternehmens abstellt. Entscheidend ist es vielmehr im Rahmen dieser Vorschrift, ob die Verrichtung dazu bestimmt war, den Zwecken der Behandlung oder der medizinischen Leistung zu dienen. Ebenso wie allgemein in der UV beurteilt sich dies nicht danach, ob die Verrichtung der Behandlung oder medizinischen Leistung der Rehabilitation hinsichtlich der einzelnen, zum Unfall führenden Verrichtung speziell angeordnet und ob sie tatsächlich objektiv dienlich war. Vielmehr ist im Rahmen des § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII ausreichend, dass der Versicherte von seinem Standpunkt aus aufgrund objektiver Anhaltspunkte der Auffassung sein konnte, die Tätigkeit sei geeignet, der Behandlung oder Rehabilitation zu dienen. Deshalb hat das BSG einen Spaziergang während der Behandlung der medizinischen Leistung zur Rehabilitation nicht deshalb vom Versicherungsschutz ausgenommen, weil er im Rahmen der Behandlungen oder medizinischen Leistungen nicht ausdrücklich zu einem bestimmten Zeitpunkt und für einen bestimmten Weg vorgeschrieben oder angeordnet war26. Allerdings wird der Versicherungsschutz insoweit nicht begründet, wenn die beteiligten Personen lediglich der rechtlichen Auffassung sind, bei der Tätigkeit bestehe Versicherungsschutz. Davon zu trennen ist die Sachlage, dass der Versicherte aufgrund objektiver Anhaltspunkte davon ausgehen konnte, die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen des Versicherungsschutzes seien gegeben. Der Versicherungsschutz ist auch 25 26
U.a. BSGE 58, 76, 77; 93, 279, 280; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr 19. BSG Urteil vom 17. 10. 1990 – 2 RU 61/89; BSG SozR 2200 § 539 Nrn 48, 84.
Versicherungsschutz durch die gesetzliche Unfallversicherung
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im Rahmen des § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII nicht ausgeschlossen, wenn die Verrichtung – z.B. der Spaziergang – objektiv keinen Nutzen für die Behandlung oder die Rehabilitation gebracht hat, z.B. weil der Versicherte sich dabei zu sehr angestrengt hat oder umgekehrt eine Wegstrecke gewählt hat, bei der nicht die optimale Belastung für ihn erreicht wurde. Dagegen sind allein privaten Interessen zu dienen bestimmte Verrichtungen wie u.a. Besuch eines Cafés oder einer kulturellen oder geselligen Veranstaltung nicht mit in den Versicherungsschutz einbezogen27. Ähnlich wie bei Dienstreisen besteht jedoch Versicherungsschutz, wenn der Versicherte in der stationären Einrichtung einer mit ihr verbundenen besonderen Gefahr erlegen ist. Die Rechtsprechung hat dies u.a. für das Ausrutschen beim Waschen eines Fußes in einem hoch angebrachten Waschbecken28, beim Einstellen eines auf den Schrank im Krankenzimmer bestehenden Fernsehgerätes29, für den Sturz beim Duschen nach dem Thermalbad30 oder für den Weg zum gemeinsamen Essen im Speiseraum bejaht31. Keinen Versicherungsschutz hat die Rechtsprechung angenommen beim Sturz in der Nasszelle ohne durch den stationären Aufenthalt bedingte räumliche Besonderheiten32. Im Ergebnis orientiert sind das BSG an seiner Rechtsprechung zum Versicherungsschutz während Dienst- und Geschäftsreisen33. Versicherungsschutz besteht auch auf dem Wege nach und von dem Ort der stationären oder teilstationären Behandlung. b) Risiko der ärztlichen Behandlung nicht erfasst Schon bald nach Inkrafttreten des § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a RVO war umstritten, ob auch das Risiko der ärztlichen Behandlung selbst Gegenstand des Versicherungsschutzes ist34. Sowohl nach der Rechtsprechung des BSG35 als auch des Bundesgerichtshofes (BGH)36 ist dies jedoch nicht der Fall. Dabei konnte dahinstehen, ob eine aus welchen Gründen auch immer misslungene ärztliche Behandlung überhaupt ein Unfall i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist. Die gesetzliche Definition des Unfalls entspricht der, wie sie vor Inkrafttreten des SGB VII von der Rechtsprechung unter einhelliger Zustimmung des Schrifttums entwickelt wurde. Das BSG nahm zu dieser Frage deshalb keine abschließende Stellung, weil es die Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes
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BSG SozR 2200 § 539 Nr 84. BSG SozR 2200 § 539 Nr 72. BSG Urteil vom 12. 5. 1981 – 2 RU 7/80. BSG Urteil vom 17. 10. 1990 – 2 RU 61/89. BSG Urteil vom 17. 10. 1990 – 2 RU 61/89. BSG Urteil vom 22. 11. 1984 – 2 RU 43/83. Gitter, Die Sozialgerichtsbarkeit, 1982, 221. Bejahend u.a. OLG Frankfurt/Main NJW 1978, 1203; Sanftleben VersR 1978, 403; Küchenhoff, Die Sozialgerichtsbarkeit, 1978, 457. BSGE 46, 283, 284; BSG SozR 2200 § 539 Nrn 56, 71, 72, SozR 2200 § 548 Nr 59, SozR 3-2200 § 539 Nr 2. Vgl. BGHZ 79, 216; bei einer Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des BSG hätte der BGH den Gemeinsamen Senat angerufen.
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vermeiden wollte. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)37 hatte entschieden, dass ein missglückter ärztlicher Eingriff als Unfall angesehen werden könne. Die Auffassung, dass die ärztliche Behandlung mit zum versicherten Risiko der in § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII aufgeführten Personen gehöre, hätte dazu geführt, dass die UV für jeden Misserfolg einer stationären Behandlung oder einer medizinischen Leistung der Rehabilitation einzustehen hätte, soweit das ärztliche Missgeschick bei der Behandlung die Voraussetzungen des Unfallbegriffs erfüllt hätte. Eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf ärztliche Kunstfehler wäre schon deshalb nicht in Betracht gekommen, weil die Entschädigung aus der UV nicht auf Unfälle beschränkt ist, bei denen den Verursacher ein Verschulden trifft. Ein so weitgehender Versicherungsschutz mit den damit zwangsläufig verbundenen Rechtsfolgen war und ist der gesetzlichen Regelung zum Versicherungsschutz während der Behandlungen und der medizinischen Leistungen zur Rehabilitation iS des § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a SGB VII nicht zu entnehmen. Die Einbeziehung des ärztlichen Risikos in den Versicherungsschutz bei stationärer und teilstationärer Behandlung hätte zudem dazu geführt, dass sowohl die Ärzte als auch die Patienten einer an sich aus ärztlicher Sicht möglichen ambulanten Behandlung doch, soweit die irgendwie möglich, eine stationäre oder teilstationäre vorgezogen hätten. Allerdings wird man davon ausgehen müssen, dass auch eine Einbeziehung des Risikos der ärztlichen Behandlung in den Versicherungsschutz nicht zu einer Haftungsminderung der Ärzte nach den §§ 104 ff. SGB VII (vormals §§ 636 ff. RVO) führen würde38. Dennoch wäre es nicht überzeugend, zunächst einmal mit den Beiträgen der Krankenversicherung, die wiederum durch die Versicherten und die Unternehmer aufgebracht werden, das Risiko der ärztlichen Behandlung mit in der UV abzusichern. Zwar wäre es den Trägern der UV unbelassen geblieben, bei schuldhaften Behandlungsfehlern Rückgriff bei den Ärzten zu nehmen, jedoch erscheint dies im Hinblick auf die damit verbundenen und vom Träger der UV zu tragenden Verwaltungskosten und nicht selten ebenso die Prozesskosten nicht angemessen. Das BSG hat seiner Grundentscheidung folgend den Versicherungsschutz in einem Fall versagt, in dem nach einer Meniskusoperation eine Wundinfektion eingetreten war, da zur ärztlichen Behandlung auch die erforderliche sterile Durchführung der Operation gehöre39. Ferner hat es die mit der Entwicklung und dem Verlauf der zur stationären Behandlung führenden Erkrankung selbst verbundenen Risiken nicht zum Gegenstand des Versicherungsschutzes gerechnet40. Die Abgrenzung des ärztlichen Risikos gegenüber anderen Maßnahmen während der stationären oder teilstationären Behandlung oder der stationären, teilstationären oder ambulanten medizinischen Leistung zur Rehabilitation von dem auf allgemeine oder spezielle Anordnung tätig werdenden nichtärztlichen Personal, schien zunächst zahlreiche weitere Entscheidungen vorauszusagen. Dies dürfte 37 38
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BVerwGE 23, 201, 204. BSG SozR 2200 § 639 Nr 1: Keine Haftungsbeschränkung für Träger des Krankenhauses; BGHZ 79, 216. BSG Urteil vom 31. 10.1978 – 2 RU 70/78. BSG SozR 2200 § 539 Nrn 56, 71, SozR 3-2200 § 539 Nr 2.
Versicherungsschutz durch die gesetzliche Unfallversicherung
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wohl deshalb nicht eingetreten sein, weil auch das Tätigwerden des nichtärztlichen Personals aus entsprechenden Erwägungen wie das Risiko der ärztlichen Behandlung nicht vom Versicherungsschutz umfasst wird. Insoweit wird ebenfalls eine Haftungsminderung im Rahmen der vorstehend aufgeführten Vorschriften nicht anzunehmen sein, da das Krankenhaus gegenüber dem behandelten Versicherten weder Unternehmer i.S. des § 104 ist, noch das nichtärztliche Personal Personen i.S. des § 105 SGB VII sind, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebes verursachen. Schließlich fällt auch das nichtärztliche Personal nicht unter die in § 106 SGB VII aufgeführten Personen. Im Hinblick auf die detaillierte Bestimmung der „anderen Personen“, die in die Haftungsbeschränkung durch § 106 SGB VII einbezogen sind, kommt eine analoge Anwendung jedenfalls auf im Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGB VII bereits bekannte Personengruppen nicht in Betracht. Damit verbleiben den infolge der stationären oder teilstationären Behandlung oder der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gesundheitlich geschädigten Versicherten alle zivilrechtlichen Ansprüche gegenüber den Trägern des Krankenhauses sowie den ärztlichen und nichtärztlichen Therapeuten, soweit die Schadenersatzansprüche – wie insbesondere das Schmerzensgeld – nicht auf den Träger der UV gemäß § 116 SGB X übergegangen sind.
Überwachung und Prüfung der Transplantationsmedizin
Hans Lilie In vielfältiger Weise hat Erwin Deutsch seine Skepsis gegenüber dem Transplantationsgesetz vom 5. November 19971 zum Ausdruck gebracht. Viele Einzelregelungen waren mit seinem Verständnis von Medizinrecht nicht vereinbar2, in Gesprächen und Diskussionen hat er seine Bedenken gegenüber zentralen Regelungen des TPG zum Ausdruck gebracht. Vielleicht bietet deshalb dieser Beitrag dem Urgestein des deutschen und europäischen Medizinrechts weitere Einblicke in die komplexen Probleme, die sich aus dem praktischen Umgang mit dem Transplantationsgesetz in jüngster Zeit ergeben haben. In den legendären von den beiden Freunden Erwin Deutsch und Hans-Ludwig Schreiber schon in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts veranstalteten medizinrechtlichen Seminaren hat man damals als Student bei den Vorbesprechungen gelernt, dass komplexe Probleme durch vorangestellte Beispiele anschaulich gemacht werden können. Es geht darum, wie mit Verstößen gegen das Transplantationsgesetz oder den auf der Basis des Transplantationsrechts verabschiedeten Richtlinien in der Lebenswirklichkeit der Transplantationsmedizin umzugehen ist, wie man diese Verstöße aufklären kann und welche Sanktionsmöglichkeiten überhaupt bestehen, wenn sich Ärztinnen und Ärzte, aber auch andere Organisationen wie Eurotransplant oder die DSO nicht an die Regeln des Transplantationsgesetzes halten. Vor wenigen Jahren erregte ein besonders dramatischer Fall, der kein Einzelfall geblieben ist, das Aufsehen der Presse und der an der Transplantationsmedizin Interessierten: In Berlin wurde bei einem Mann der Hirntod festgestellt und seine Angehörigen in der Folge um eine Organspende nachgefragt. Die Angehörigen zeigten sich von vornherein aufgeschlossen, machten aber ihre Zusage zur Organentnahme davon abhängig, dass die Ehefrau des Verstorbenen, die auf der Warteliste für eine Nierentransplantation stand, eine der beiden Nieren ihres Ehemanns zur Transplantation zur Verfügung gestellt bekomme. Hintergrund dieses Anliegens war die Tatsache, dass bereits vor längerer Zeit zwischen dem Ehepaar Einigkeit darüber erzielt worden war, dass angesichts der hoffnungslos langen Wartezeit eine Lebendspende des Ehemanns für die Ehefrau eine bessere Lösung sei.
1 2
BGBl. I Nr. 74, S. 2631 f. Deutsch, Erwin, Das Transplantationsgesetz vom 5.11.1997, NJW 1998, S. 777; ders. Zum geplanten strafrechtlichen Verbot des Organhandels, ZRP 1994, S. 179.
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Hans Lilie
Die Verantwortlichen von Eurotransplant, DSO, der Bundesärztekammer und des Transplantationszentrums haben intensiv miteinander diskutiert und dem menschlich nachvollziehbaren Anliegen zugestimmt. So kam es zur Multiorganspende, wobei eine der Nieren auf die Ehefrau transplantiert wurde. § 12 Abs. 3 des Transplantationsgesetzes regelt, dass die Niere, ein vermittlungspflichtiges Organ, von der Vermittlungsstelle nach den Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln ist . Dabei sind die Wartelisten der Transplantationszentren als einheitliche Liste zu behandeln. Das Transplantationsgesetz sieht also keine gerichtete Transplantation von Organen von Verstorbenen an einzelne Personen vor. Vielmehr sind die medizinischen Kriterien nach Maßgabe des Standes der bundeseinheitlichen Warteliste maßgeblich. Die Kritik an dieser Entscheidung ging so weit, dass aus der Presse der Vorwurf erhoben wurde, dass sich einige ältere Herren selbstherrlich über das Transplantationsgesetz hinweggesetzt hätten. Diese hatten freilich die Situation juristisch sorgfältig geprüft und sich auf die Notstandsregeln berufen. 3 Zur Begründung wurde angeführt, dass die gerichtete Organspende sichergestellt hat, dass alle übrigen Organe überhaupt für Patienten auf Wartelisten zur Verfügung gestanden hätten. Hätte man sich nicht zu dem Verstoß gegen das Transplantationsgesetz entschieden, wären die Organe für alle anderen Patienten verloren gewesen. Angesichts dieser Rettungschancen für die Empfänger von Herz, Lunge, Leber, Niere und Pankreas war die Zustimmung zur Transplantation der einen Niere an die Ehefrau des Verstorbenen ethisch vertretbar und juristisch gerechtfertigt. Ein zweiter Fall beschreibt mögliche Verstöße durch Transplantationszentren selbst. Ein deutsches Transplantationszentrum unterhielt Kooperationen mit einem Krankenhaus im Ausland und hatte eine Reihe von Patienten aus diesem ausländischen Krankenhaus auf der einheitlichen Warteliste bei Eurotransplant gemeldet. Als einem der ausländischen Patienten auf der Warteliste ein Organ zugeteilt wurde, befand sich dieser Patient aber entgegen der Bekundung des Transplantationszentrums nicht in dieser Klinik, sondern hielt sich in seinem Heimatland auf. Gegenüber der Vermittlungsstelle erweckte das Transplantationszentrum den Eindruck, dass sich der Patient in Deutschland aufhielt und akzeptierte für ihn das Organ. Tatsächlich reiste ein Team dieser Klinik nach Entnahme des Spenderorgans mit dem Spendeorgan ins Ausland und transplantierte dort den Patienten, der zu allem Unglück auch unmittelbar nach der Transplantation verstarb, als das deutsche Transplantationsteam schon wieder die Rückreise angetreten hatte. Zunächst einmal ist es grundsätzlich möglich, ausländische Patienten auf die Wartelisten zu melden. Nach der so genannten Non-ET-Resident-Regel, einer freiwilligen Vereinbarung aller Transplantationszentren, die vom Transplantationsgesetz nicht vorgeschrieben ist, haben sich diese Transplantationszentren gegenüber Eurotransplant verpflichtet, nicht mehr als 5 % der transplantierten Patienten des Vorjahres als Ausländer auf der Warteliste anzumelden.4 Auf der Basis 3
4
Ausführlich zur Anwendbarkeit der Notstandsvorschriften auf das Transplantationsgesetz, vgl. Diettrich, Organentnahme und Rechtfertigung durch Notstand? S. 65 ff. Ausführlich zu den Problemen der so genannten Non-ET-Residents, Lautenschläger,
Überwachung und Prüfung der Transplantationsmedizin
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der von der Bundesärztekammer verabschiedeten Richtlinien nach § 16 TPG ist davon auszugehen, dass Organe grundsätzlich nur auf Patienten übertragen werden sollen, deren Aufenthaltsort im Geltungsbereich des TPG ist. Damit stellt sich die Frage, wie mit einem Transplantationszentrum umzugehen ist, das gegenüber Eurotransplant vorgaukelt, dass die entsprechenden Patienten in Deutschland behandelt würden, obwohl sie sich in Wirklichkeit im Ausland aufhalten und dort auch transplantiert werden sollen. Sicherlich gibt es keine Zweifel daran, dass eine sorgfältige und zuverlässige Kontrolle des Verhaltens aller Beteiligten am Transplantationssystem sichergestellt werden muss. Neben den Straf- und Bußgeldvorschriften der §§ 18 bis 20 TPG enthält das Transplantationsgesetz darüber hinaus einige, wenn auch nur sehr schwach ausgebildete, weitere Kontrollmechanismen. Insbesondere ist auffällig, dass das Transplantationsgesetz nicht über tiefer gehende Kontrollmechanismen, wie sie etwa in § 52 Bundesimmissionsschutzgesetz oder in den §§ 9 und 21 WHG vorgesehen sind, verfügt. Die in § 11 Abs. 3 Satz 1 und § 12 Abs. 5 Satz 1 TPG vorgesehenen Genehmigungen helfen für die oben geschilderten Fallkonstellationen nicht weiter. Konkretere Aussagen zu Kontrollen findet man erst in den §§ 11 Abs. 3 Satz 3 und 12 Abs. 5 Satz 3 TPG, die gleich lautend regeln, dass die Spitzenverbände der Krankenkassen mit der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft gemeinsam die Einhaltung der Vertragsbestimmungen überwachen. In der Praxis des Alltags der Transplantationsmedizin haben die so genannten Auftraggeber, also die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft auf der Basis der Verträge nach § 11 und 12 TPG die dort geregelten Überwachungsaufgaben in § 4 ihres gemeinsamen Vertrages der so genannten Prüfungs- und der Überwachungskommission übertragen. So ist diesen beiden Kommissionen, die aus Praktikabilitätsgründen bei der Bundesärztekammer angesiedelt sind, praktisch die Kontrolle des Transplantationssystems übertragen. Gemäß § 11 Abs. 3 und § 12 Abs. 5 bedürfen die Verträge über die Zusammenarbeit mit der Koordinierungsstelle und der Vermittlungsstelle der Genehmigung durch das Bundesministerium für Gesundheit und sind im Bundesanzeiger bekannt zu machen. Eine weitere direkte Beteiligung seitens des Staates ist im Transplantationsgesetz nicht vorgesehen, sodass die Kontrolle der Beteiligten an der Organspende und Organtransplantation sowie der Organallokation der Überwachungs- und Prüfungskommission überlassen bleibt. Eine weitere Möglichkeit zur Einflussnahme besteht nur sehr indirekt, nämlich im Wege der staatlichen Aufsicht über die Landesärztekammern, die wiederum der Bundesärztekammer angehören.5 Will man die oben genannten Beispiele als Verstöße gegen das Transplantationsgesetz untersuchen, so bleibt – abgesehen von strafrechtlichen Verstößen, an die man möglicherweise bei dem ersten Fall denken könnte – keine andere Kontrollmöglichkeit als die durch die Überwachungs- bzw. Prüfungskommission.
5
Der Status ausländischer Personen im deutschen Transplantationssystem. Zu den Einzelheiten siehe ausführlich Berger, Bundesärztekammer, Eine verfassungsrechtliche Studie zu Status, Organisation und Aufgaben, S. 63 f.
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Hans Lilie
I. Die Überwachungskommission Mangels konkreter gesetzlicher Regelungen haben die Auftraggeber in ihrer Vereinbarung mit der DSO die Zusammensetzung und Aufgabenstellung der Überwachungskommission vertraglich geregelt. Auf der Basis der in § 4 Abs. 2 des Vertrages getroffenen Regelungen hat die Überwachungskommission eine zugegebenermaßen sehr knappe und wenig inhaltsreiche Geschäftsordnung verfasst. Die Überwachungskommission setzt sich aus neun Mitgliedern zusammen, die für eine Amtszeit von drei Jahren benannt werden. Auf der Basis des gleichen Vertrages darf jeder der Vertragspartner jeweils drei Mitglieder für die Kommission benennen. Die Kommission wählt ihren Vorsitzenden, der der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer und den Auftraggebern berichtet. Interessant ist, dass in dem Vertag geregelt ist, dass jede der Vertragsparteien nur über eine Stimme verfügt und die Beschlüsse einvernehmlich zu fassen sind. Schon diese Regelung zeigt recht anschaulich, dass die beteiligten Parteien, also die DSO und die übrigen Auftraggeber, oder wie sie gelegentlich genannt werden Vertragspartner, von vornherein wohl – und das muss man heute sagen – irrtümlicher Weise davon ausgegangen sind, dass alle Beschlüsse und die ganze Arbeit der Kommission nur in großer Harmonie erfolgreich sein würde.
II. Die Prüfungskommission Die Prüfungskommission, die auf der gleichen Basis wie die Überwachungskommission zu Stande gekommen ist, setzt sich freilich etwas anders zusammen. Das erklärt sich aus der Tatsache, dass die zu prüfende Stiftung Eurotransplant für die Organallokation zuständig ist und damit auch in die unterschiedlichen Fächer der Transplantationsmedizin eingreift. Aus dieser Tatsache heraus ist es notwendig, dass die Überwachung der Tätigkeit der Vermittlungsstelle auch fachspezifisch erfolgt. Hier geht es also nicht wie bei der Überwachungskommission um die sorgfältige Beobachtung der gesamten Tätigkeit der Koordinierung der Organspende generell, sondern es geht um die Überprüfung der einzelnen Allokationsentscheidungen, die zwangsläufig organabhängig sind. Schließlich gibt es für unterschiedliche Organe unterschiedliche Allokationsrichtlinien.6 Deshalb setzt sich die Prüfungskommission aus acht Mitgliedern, die wiederum für drei Jahre benannt werden, zusammen. Wichtig ist aber, dass darüber hinaus zwei in der Transplantationsmedizin tätige Ärzte aus der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer in die Prüfungskommission entsandt werden. Auch hier schreibt die Geschäftsordnung möglichst eine einvernehmliche Beschlussfassung vor, lässt aber anders als bei der Überwachungskommission auch eine Entscheidung auf der Basis der Mehrheit der Stimmen zu.
6
Vgl. www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.7.45.3263.3264.
Überwachung und Prüfung der Transplantationsmedizin
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III. Strukturprobleme Dieses Modell der transplantationsmedizinischen Binnenkontrolle wird in der Literatur teilweise kritisch gesehen. Abgesehen von schon frühen kritischen Anmerkungen im Gesetzgebungsverfahren7 wird gegenwärtig insbesondere der Vorwurf erhoben, dass beide Kommissionen von einer weit reichenden Untätigkeit geprägt seien, wobei sich das auf die Auftraggeber, aber auch auf die Überwachungskommission bezieht.8 Weiter wurde formuliert, dass hier “kontrolliert kontrolliert“ werde9. Diese aus der Außensicht formulierte Kritik ist gerade in ihren Schwächen dadurch geprägt, dass Außenstehende im Alltag recht wenig von der Tätigkeit der Überwachungs- und Prüfungskommission wahrnehmen können. Zum einen sind die Sitzungen der Kommission grundsätzlich vertraulich, und ihre vertraulichen Berichte erfolgen auf der Grundlage des Vertrages zwischen den Beteiligten eben nur gegenüber den Vertragspartnern und der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer, wo die Mitteilungen ebenfalls vertraulich behandelt werden. Von einer weit reichenden Untätigkeit zu sprechen, wie es Breyer und andere tun, zeugt freilich von mangelnder Information. Beide Kommissionen treten regelmäßig alle zwei Monate zusammen und diskutieren intensiv die problematischen Fälle, die im Bereich der Überwachungskommission aufgetreten sind. Seit ihrer Einsetzung können beide Kommissionen inzwischen auf fast fünfzig Sitzungen (in der Regel ganztags) zurückblicken. Ebenso kritisch wird in der Prüfungskommission die Tätigkeit von Eurotransplant überprüft. Die Unauffälligkeit und Lautlosigkeit der Tätigkeit beider Kommissionen liegt im Wesentlichen daran, dass in der ersten und zweiten Periode dieser Kommission nach Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes praktisch keine schwerwiegenden Vorfälle aufgetreten sind. Allerdings sollte man nicht unterschätzen, dass es gerade die Tätigkeit der Prüfungskommission gewesen ist, die dazu geführt hat, dass auf der Arbeitsebene bei Eurotransplant ganz erhebliche Personalveränderungen eingetreten sind. Schon vor diesem Hintergrund kann man wohl nicht von weit reichender Untätigkeit sprechen. Aktiv und konstruktiv tätig geworden sind die Kommissionen aber gerade vor dem Hintergrund der in jüngerer Zeit gehäuft auftretenden Auffälligkeiten in der Transplantationsmedizin. Der erste größere Fall, der die Überwachungskommission sehr umfassend und nachhaltig befasst hat, war der in der Öffentlichkeit bekannte Tollwut-Fall aus Rheinland-Pfalz. Hier hat die Kommission besonders gründlich und nachhaltig ermittelt, wobei sie ihre Arbeitsergebnisse nicht nur der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer und dem Vorstand der Bundesärztekammer zur Kenntnis gegeben hat. Vielmehr ist der dazugehörige Abschlussbericht ebenfalls den Verantwortlichen in der Landesregierung Rheinland-Pfalz 7 8
9
Holznagel, Ausschussdrucksache 601/13, S. 2, 12. Gutmann, in: Schroth u. a. § 12 Rn. 55; Breyer u. a., Organmangel: Ist der Tod auf der Warteliste vermeidbar?, S. 103. Conrads, Organallokation S. 205; Rechtliche Grundsätze der Organallokation; Verteilung des Mangels oder Mängel der Verteilung?
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sowie der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt worden. Die Arbeit der Ständigen Kommission Organtransplantation ist auf diesen schwerwiegenden Zwischenfall eingegangen und hat eine umfassende Richtlinie nach § 16 Abs. 1 Nr. 4a verabschiedet, die bis dahin fehlte. In dieser Richtlinie sind gerade die Erfahrungen aus diesem folgenreichen und unglücklichen Zwischenfall eingearbeitet worden. Insofern hat auch die Arbeit der Überwachungskommission zu besonders wichtigen Veränderungen geführt. Dem Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer für die Jahre 2006 und 2007 ist darüber hinaus zu entnehmen, dass die Prüfungskommission bis zum Jahre 2007 insgesamt 93 auffällige und klärungsbedürftige Vorgänge im Bereich der Organallokation untersucht hat. In Einzelfällen wurden die Landesministerien und die Landesärztekammern unterrichtet.10 Diese Tätigkeit, insbesondere der Überwachungskommission, hat freilich gezeigt, dass die der Kommission gesetzlich zur Verfügung stehenden Kontrollbefugnisse und Eingriffsrechte nur sehr mangelhaft ausgestaltet sind. Insbesondere fehlt es an einer klaren gesetzlichen Aufgabe, auch im Einzelfall konkret das Verhalten der Transplantationszentren selbst zu überprüfen. Die Tätigkeit von Prüfungs- und Überwachungskommission ist ausgerichtet auf das Geschehen bei der DSO und Eurotransplant. Das Kernproblem für die Tätigkeit von Prüfungs- und Überwachungskommission liegt praktisch darin, dass sie zwar die Tätigkeit der genannten Institutionen kontrollieren sollen, dass ihnen aber keinerlei Kontrollmechanismen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zur Verfügung stehen. Gesetz und Vertrag schweigen hierzu. Dem steht die oben und auch in der Kritik formulierte hohe Erwartung der Öffentlichkeit gegenüber, dass gerade in dem sensiblen Bereich der Organtransplantation, wo es wie einmal formuliert wurde, im Wesentlichen um die Zuteilung von Lebenschancen geht, gerade besonders genau zu regeln ist, welche Eingriffsbefugnisse die Kommissionen benötigen, um ihrer Überwachungs- und Prüfungspflicht detailliert und konkret nachkommen zu können. Stellt man einmal die rechtliche Grundlage für die Kontrollmaßnahmen der beiden Kommissionen zurück,11 so bleibt trotzdem die Frage, ob es für die verantwortungsvolle Tätigkeit beider Kommissionen tatsächlich ausreichen kann, dass einerseits keinerlei rechtliche Befugnisse vom Gesetzgeber den Kommissionen zur Verfügung gestellt wurden und dass andererseits praktisch jede staatliche Einflussnahme auf die Kontrolltätigkeit dieser wichtigen Kommissionen ausgeschlossen bleibt.12 Überlässt man den Vertragspartnern selbst die Ausgestaltung der Kontrolle und die Regelung der dazu notwendigen Eingriffsrechte, so mag man das tolerieren, wenn es den Vertragsparteien gelungen ist, ein für alle Bedürfnisse hinreichendes Kontrollsystem mit der dazugehörigen notwendigen Zuverlässigkeit zu etablieren. Genau an diesem Punkt scheinen die Regeln und Befugnisse der Überwachungskommission unzureichend zu sein. Die DSO hat gegenüber der Überwa10 11
12
Tätigkeitsbericht der BÄK 2007 S. 275. Ausführlich dazu Böning, Kontrolle im TPG, Aufgaben und Grenzen der Überwachungs- und Prüfungskommission nach § 11 und 12 TPG, 2009 S. 97 f. Böning a. a. O. S. 99.
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chungskommission lediglich Berichtspflichten und ist gehalten, den Jahresabschluss vorzulegen, den die Auftraggeber gegebenenfalls durch Dritte überprüfen lassen dürfen. Hier zeigt sich, dass es allenfalls nur um indirekte Überwachungsmöglichkeiten hinsichtlich der Vorschriften des Transplantationsgesetzes geht. Konkreter ist dagegen § 10 Abs. 2 des DSO-Vertrages, nach dem die Koordinierungsstelle verpflichtet ist, der Kommission die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, sowie die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Der Begriff der erforderlichen Auskünfte und erforderlichen Unterlagen ist angesichts der zu kontrollierenden Tatsachen freilich recht vage und auch mit den Vorschriften zur Vertragsauslegung nach dem BGB nur schwer konkretisierbar.13 Besondere Probleme ergeben sich daraus, dass die Vorlagepflicht eben nur auf die „erforderlichen“ Unterlagen zu beschränken ist. Vom Strafrecht wissen wir, dass die erforderliche Notwehrhandlung immer an dem relativ mildesten Verteidigungsmittel zu messen ist.14 Von vornherein wird also deutlich, dass auch hier ein nur beschränktes Recht zur Verfügung steht. Eine vollständige Vorlage ist aus dieser vertraglichen Regelung nur schwerlich abzuleiten, da man am Ende immer um das Maß des Erforderlichen wird rechten können. Erinnert man sich aber der Aufgaben der Überwachungskommission und der dahinter stehenden Interessen und Güter, so geht es doch um die bereits oben erwähnte Zuteilung von Lebenschancen, bei der es schon bedenklich sein kann, wenn den Parteien im Konfliktfall eine Diskussion darüber möglich gemacht wird, was im Einzelfall die erforderliche Information und Auskunft sein soll. Anders geregelt sind interessanterweise die vertraglichen Verpflichtungen der Vermittlungsstelle. Nach § 10 Abs. 3 des Vermittlungsstellenvertrages ist Eurotransplant verpflichtet, sämtliche vermittlungsrelevanten Unterlagen der Prüfungskommission zur Verfügung zu stellen sowie Auskünfte zu erteilen. Auffällig ist, dass die Verpflichtungen von Eurotransplant also deutlich weiter formuliert sind als die der DSO. Während, wie eben beschrieben, die DSO nur die erforderlichen Unterlagen vorzulegen hat, muss Eurotransplant sämtliche vermittlungsrelevanten Unterlagen zur Verfügung stellen. Ein Grund für diese weitergehende Auskunftspflicht bei Eurotransplant ist wohl, und hier sind nur Mutmaßungen möglich, da es in den Materialien hierfür keinerlei Anhaltspunkte gibt, dass es sich bei Eurotransplant um eine Einrichtung handelt, die außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes, nämlich in den Niederlanden angesiedelt ist. Freilich sind diese schärferen Auskunftsverpflichtungen nur eine außerordentlich stumpfe Waffe, weil eine unmittelbare Durchsetzungsmöglichkeit gegenüber Eurotransplant gerade nicht besteht. Hierin ist wohl auch der Grund dafür zu sehen, dass sich Eurotransplant immer wieder in der Praxis bis in alle Details als extrem kooperations- und auskunftsbereit gezeigt hat. Hinzu kommt, dass die Geschäftsordnung zusätzlich in § 1 regelt, dass Eurotransplant die Prüfungskommission unverzüglich, schriftlich und umfassend über sämtliche Unregelmäßigkeiten bei der Vermittlung von Organen zu unterrichten hat, wobei hierzu insbesondere Alloka-
13 14
Ausführlich dazu Böning a. a. O. S. 101 f. Lackner/Kühl § 32 Rn. 9; Fischer § 32 Rn. 16a; LK-Rönnau/Hohn § 32 Rn. 175; MKErb § 32 Rn. 120.
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tionsabweichungen oder Allokationsauffälligkeiten und Unregelmäßigkeiten in der Wartelistenführung darstellen. Diese Aspekte wiegen umso schwerer, als weitere Befugnisse der Kommission nicht geregelt sind. Die Kommission hat keine vertraglichen und schon gar nicht gesetzlich eingeräumten Befugnisse, die Räume der zu überwachenden Institution zu betreten und das Erscheinen von Mitarbeitern der DSO zu Sitzungen zu verlangen oder gar zu erzwingen. Am Ende ist die Kontrolltätigkeit im Wesentlichen von der Kooperationsbereitschaft der zu kontrollierenden Institution abhängig. Nun mag man einwenden, dass die Aufgaben durch das Transplantationsgesetz auf die Überwachung der Koordinierungsstelle und Prüfung der Vermittlungsstelle beschränkt sind. Freilich muss man in diesem Zusammenhang jedoch sehen, dass gerade nach der Zuteilung von Organen an einzelne Kliniken auch hier Auswahlmöglichkeiten, etwa im Falle einer so genannten Rescue-Allocation, bestehen. Daraus ergibt sich notwendigerweise auch die Situation, dass die Auswahl von Transplantatempfängern nach einer Rescue-Allocation für die Prüfungskommission nachvollziehbar gemacht werden muss. Sollte sich der Gesetzgeber zu einer Reform des Transplantationsgesetzes überhaupt durchringen können, so wird er nicht umhin kommen, diese gravierende Lücke zu schließen. Gegenwärtig hilft sich die Kommission damit, dass Eurotransplant alle notwendigen Auskünfte in aller Offenheit zur Verfügung stellt und die Transplantationszentren in der Regel auch einer Einladung zur Kommission Folge leisten und dort Rede und Antwort stehen. Offen bleibt freilich, ob dies in der Zukunft auch so sein wird, da doch leider festzustellen ist, dass die Verstöße gegen das Transplantationsgesetz an Schwere zugenommen haben. Der Gesetzgeber sähe sich dann auch vor die Aufgabe gestellt, einen Rechtsweg zur Durchsetzung der Kontrolltätigkeit der Kommissionen festzulegen. Man stünde vor der Frage, wer als Anspruchsteller auftreten solle. Zu denken wäre hier an die Kommission selbst, an die Auftraggeber oder die Bundesärztekammer. Hier ist eine Reihe von zivilrechtlichen und zivilprozessualen Problemen zu klären, die den Rahmen dieses Beitrages sprengen würden.15 Regelungsbedarf bei einer Überarbeitung des Transplantationsgesetzes würde sich auch darauf erstrecken, im Gesetz zu klären, wem gegenüber die Kommission von festgestellten Verstößen Mitteilung zu machen hat. Dazu gehört auch die Frage, ob eine Meldung seitens der Überwachungs- und Prüfungskommission bereits beim Vorliegen eines Tatverdachts oder erst dann erfolgen darf, wenn die Kommission wirklich von einem tatsächlich festgestellten Verstoß ausgehen kann. Da durchaus Verstöße denkbar sind – wie etwa in den beiden eingangs geschilderten Fällen – die weder eine Ordnungswidrigkeit noch eine Straftat nach §§ 18 bis 20 des Transplantationsgesetzes darstellen, wäre ebenfalls die Frage der berufsrechtlichen Konsequenzen und Maßnahmen in Erwägung zu ziehen. Diese wenigen und sehr punktuellen Überlegungen zeigen jedoch recht anschaulich, dass die Skepsis von Erwin Deutsch gegenüber Einzelregelungen des Transplantationsrechts gar nicht so unberechtigt sind. Deutlich geworden ist jedenfalls, dass der Gesetzgeber vor über zehn Jahren die Transplantationsmedizin 15
Ausführlich dazu Böning, Kontrolle im TPG, S. 110 f.
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insgesamt als ein sehr harmonisches System eingeschätzt hat, in dem die Sorge um die Patienten im Vordergrund steht. Betrachtet man freilich die in jüngster Zeit öffentlich gewordenen Auffälligkeiten in der Transplantationsmedizin, so scheint doch in diesem Punkt eine grundsätzliche Veränderung in der Transplantationslandschaft eingetreten zu sein. Kostendruck und Wettbewerb scheinen den Vorwand für Eingriffe in das System zu fördern. Das hat unausweichlich aber zur Konsequenz, dass das Kontrollsystem zur Einhaltung des Transplantationsgesetzes und der dazu verfassten Richtlinien einer konsequenten und harten Kontrolle bedarf. Freilich erscheint es zweifelhaft, ob Behörden oder andere staatliche Institutionen, wie Ministerien und oberste Bundesbehörden, die Flexibilität und Effizienz besitzen, die dem ärztlichen Berufsrecht bislang innewohnt. Deswegen erscheint es sinnvoll, im Rahmen eines Gesetzgebungsvorhabens einen Kontrollmechanismus zu installieren, der im Wesentlichen auf das bewährte ärztliche Berufsrecht zurückgreift. Dieses System ist aber strenger auszugestalten und mit Eingriffsrechten zu versehen, die es der Überwachungs- und Prüfungskommission ermöglichen, eine effektive Aufklärungsarbeit zu leisten. So etwas ist dem deutschen Rechtssystem nicht fremd.
IV. Rechtsvergleichung Angesichts der bei Erwin Deutsch erlernten Rechtsvergleichung empfiehlt es sich, noch einmal zu überprüfen, ob andere Rechtsordnungen, insbesondere unsere Nachbarn in Österreich und in der Schweiz über bessere Kontrollmechanismen in ihren Transplantationsgesetzen verfügen. Die gesundheitspolizeiliche Aufsicht im Transplantationswesen in Österreich ist nur rudimentär geregelt und zeigt insgesamt ein System, das wenig effektiv ist.16 Weitaus differenzierter sind die Kontrollsysteme des Schweizer Transplantationsgesetzes. Das Schweizer Transplantationsgesetz, das lange auf sich hat warten lassen, konnte auf die deutschen und österreichischen Erfahrungen zurückgreifen, und man hat wohl im Gesetzgebungsverfahren auch die mangelhafte Ausgestaltung des Kontrollsystems in Deutschland und Österreich gesehen. Neben einer Reihe ausgeprägter und dem deutschen Recht ähnelnder präventiver Vorschriften (insbesondere Art. 24 und Art. 29 Schweizer TPG) ist ein umfassender Abschnitt des Gesetzes der repressiven Kontrolle gewidmet.17 Nach § 63 Abs. 1 Schweizer TPG ist das Bundesamt für Gesundheit dafür verantwortlich, dass das Transplantationsgesetz beachtet wird und muss zu diesem Zweck periodische Inspektionen durchführen. Schon hier treffen wir auf ein Eingriffsrecht, das dem deutschen Transplantationsgesetz völlig fremd ist. Weiter können Organisationen und Personen des Öffentlichen Rechts oder des Privatrechts mit Kontrollen beauftragt werden. Besonders weitgehend sind die Kompetenzen in § 63 Abs. 2 und 3 des 16 17
Näher dazu Böning, Kontrolle im TPG, S. 198 f. Ausführlich dazu Böning, Kontrolle im TPG, S. 187.
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Schweizer Transplantationsgesetzes geregelt, wonach das Bundesamt die erforderlichen Auskünfte oder Unterlagen verlangen und jede andere erforderliche Unterstützung anfordern darf. Zur Erfüllung seiner Aufgaben darf das Bundesamt Grundstücke, Betriebe, Räume betreten und Fahrzeuge durchsuchen. Hier sind genau die Eingriffsrechte geregelt, die in Deutschland der Überwachungs- und Prüfungskommission fehlen. Letztlich gehen die Eingriffsrechte nach dem Schweizer Transplantationsgesetz für das Bundesamt weiter als wir es vom deutschen Strafprozess her kennen, da nicht einmal ein Durchsuchungsbefehl notwendig ist, um Räume und Betriebe zu betreten, wobei diese Kontrollen selbstverständlich unangemeldet erfolgen dürfen. Art. 65 Abs. 2 des Schweizer Transplantationsgesetzes eröffnet die Möglichkeit, Beanstandungen auszusprechen, Organe zu beschlagnahmen, Betriebe zu schließen und Bewilligungen zu widerrufen. Hier sind auch Sanktionsmöglichkeiten eingeräumt, die für Transplantationszentren, Koordinierungs- und Vermittlungsstellen existenzbedrohend sind, wenn Verstöße gegen das Transplantationsgesetz vorliegen.
V. Lösungsansätze Es bleibt vor dem Hintergrund freilich zu diskutieren, ob wirklich das Bundesland als staatliche Kontrollinstitution die Aufsicht über das Transplantationsgeschehen führen muss. Das hohe Maß an Flexibilität und die ausgeprägte Sachkunde sind demgegenüber zwei schwerwiegende Argumente für einen eher berufsrechtlichen Ansatz. Viele Verstöße können medizinische Laien von vornherein gar nicht feststellen. Gerade Indikationsstellungen, etwa im Falle von Rescue-Allocations, stellen Verwaltungsbeamte vor große Probleme. Die strikte berufsrechtlich orientierte Kontrolle verspricht wegen der damit verbundenen Sachkunde eine wesentlich höhere Effektivität. Neben der Beleihung scheint eher, wie es schon Böning18 vorgeschlagen hat, eine Konstruktion, die vergleichbar ist mit der Aufsicht über Wirtschaftsprüfer, erwägenswert. Das am 5.11.1975 neu verkündete Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer (Wirtschaftsprüfverordnung WPO)19 regelt die eigenen Angelegenheiten des Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer. Wir treffen auch hier auf eine kammerrechtliche Konstruktion, bei der die Berufskammern als Körperschaft des öffentlichen Rechts agieren.20 Die Aufsichts- und Kontrollregelungen, die in der WPO enthalten sind, sind in ihrem Rahmen und Grundvoraussetzungen eine denkbare Möglichkeit auch für die Transplantationsmedizin. So kann die Wirtschaftsprüferkammer nach § 62a WPO Mitwirkungspflichten durch Erhebung von Zwangsgeld durchsetzen. § 62 Abs. 4 berechtigt, Grundstücke und Geschäftsräume zu betreten, Einsicht in die Unterlagen zu nehmen und Kopien zu verlangen. § 62b WPO lässt darüber hinaus anlassunabhängige Sonderuntersuchungen zu. In diesen wenigen grob skizzierten Möglichkeiten zeigt sich ansatzweise ein berufsrechtliches Modell, das 18 19 20
Böning, Kontrolle im TPG, S. 218 f. BGBl. I. S. 2803. Kluth, Handbuch des Kammerrechts, Abschnitt B Rn. 84.
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in der Grundkonstruktion erwägenswerte Beispiele für eine Neuregelung des Transplantationsgesetzes abbildet. Vor dem Hintergrund solcher Regelungen hätte die Überwachungs- und Prüfungskommissionen Möglichkeiten, gegen Verstöße wie in den oben eingangs genannten Beispielen angemessen einzuschreiten und zu prüfen und dann entweder berufsrechtlich oder im Wege des Bußgeld- oder Strafverfahrens durch entsprechende Maßnahmen Sicherheit und Transparenz im Interesse der Patienten auf den Wartelisten zu schaffen.
Medizinische Forschung am Menschen: Legitimation und Probandenschutz
Volker Lipp
I. Einführung Die großen Erfolge der modernen Medizin beruhen wesentlich auf wissenschaftlicher Forschung. Soweit die medizinische Forschung am Menschen erfolgt, birgt sie jedoch neben den Chancen, neue Erkenntnisse in der Medizin zu gewinnen und Fortschritte bei der Behandlung zu erzielen, zugleich erhebliche Risiken für die beteiligten Versuchspersonen. Deshalb hat gerade die medizinische Forschung am Menschen seit ihren Anfängen grundlegende rechtliche Fragen aufgeworfen. Zwar wird die medizinische Forschung, wie jede wissenschaftliche Forschung, von der Wissenschaftsfreiheit umfasst und rechtlich geschützt.1 Die Forschung am Menschen greift jedoch in die personale und körperliche Integrität der Versuchsperson ein. Für diesen Eingriff bietet die Forschungsfreiheit des Mediziners keine ausreichende Grundlage; er bedarf einer zusätzlichen Legitimation.2 Daher stehen zwei Fragen im Mittelpunkt der rechtlichen Diskussion um die Humanforschung: zum einen die Frage nach der Legitimation der Forschung am Menschen,3 zum anderen die Frage, wie die Versuchspersonen vor den spezifischen Risiken geschützt werden können, denen sie aufgrund ihrer Teilnahme ausgesetzt sind.4 Antworten hierauf geben eine Vielzahl von Regelwerken auf nationaler wie internationaler Ebene. Völkerrechtliche Vorgaben enthält Art. 7 IPBPR5, der im Anschluss an das Verbot der Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Strafen oder Behandlungen bestimmt, dass „…niemand ohne seine freiwil1
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Zur Wissenschafts- und Forschungsfreiheit in der Medizin vgl. Deutsch, Das Recht der klinischen Forschung am Menschen, 1979, S. 13 ff.; Taupitz, Biomedizinische Forschung zwischen Freiheit und Verantwortung, 2002, S. 23 ff.; Spickhoff, in: Deutsch u.a. (Hrsg.), Die klinische Prüfung in der Medizin, 2005, S. 9 ff. Fischer, Forschung am Menschen, 2006, S. 5, und schon ders., Medizinische Versuche am Menschen, 1979, S. 3 f. Zur Legitimation der Forschung durch Recht Deutsch, NJW 1995, 3019 (3021 ff.). Deutsch, Das Recht der klinischen Forschung am Menschen (Fn. 1), S. 23 ff. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte v. 19.12.1966, BGBl. 1973 II, S. 1553.
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lige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden“ darf. Die Deklaration von Helsinki des Weltärztebunds legt die ärztliche Standesauffassung zur medizinischen Forschung am Menschen dar.6 Im Rahmen des Europarats entstanden die so genannte Biomedizin-Konvention von 19977 und das Zusatzprotokoll von 20058, die Deutschland freilich nicht gezeichnet hat, weil man insbesondere den Schutz der einwilligungsunfähigen Versuchspersonen für unzureichend hielt9. Die Europäische Gemeinschaft schuf im Arzneimittelbereich eine inzwischen schon recht große Zahl von Richtlinien und Verordnungen10 und prägt damit das Arzneimittelrecht ganz wesentlich. In Deutschland erfassen die spezialgesetzlichen Regelungen der §§ 40 ff. AMG11, §§ 20, 21 MPG12 und § 8 TFG13 und die entsprechenden Vorschriften der Strahlenschutzverordnung14 und der Röntgenverordnung15 bestimmte Problemlagen. Deutschland verfügt aber über kein allgemeines Gesetz, das die Forschung am Menschen umfassend regelt. Soweit keine spezialgesetzlichen Vorschriften eingreifen, ergeben sich die rechtli6
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Die aktuelle Fassung der „Ethische(n) Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen“ vom 7.10.2000 ist u.a. abgedruckt in NJW 2001, S. 1774 ff., mit einer Besprechung von Deutsch, NJW 2001, 857 ff. Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin v. 4.4.1997, European Treaty Series No. 164 (im Folgenden: BMK). Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin über biomedizinische Forschung v. 25.1.2005, European Treaty Series No. 195 (im Folgenden: ZP). Vgl. nur BT-Drucks. 13/8469, 13/9577 und 13/11241. Richtlinie 2001/20/EG v. 4.4.2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln, ABlEG 2001 Nr. L 121, S. 34 ff. (im Folgenden: Arzneimittel-RL); Richtlinie 2005/28/EG der Kommission v. 8.4.2005 zur Festlegung von Grundsätzen und ausführlichen Leitlinien der guten klinischen Praxis für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate sowie von Anforderungen für die Erteilung einer Genehmigung zur Herstellung oder Einfuhr solcher Produkte, ABlEG 2005 Nr. L 91, S. 13 ff.; Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.11.2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004, ABl L 234 v. 10.12.2007, S. 121 ff. Arzneimittelgesetz (AMG) v. 24.8.1976 in der Fassung der Bekanntmachung v. 12.12.2005, BGBl. I, S. 3394, zuletzt geändert durch Art. 9 Abs. 1 d. G. v. 23.11.2007, BGBl. I, S. 2631. Medizinproduktegesetz (MPG) v. 2.8.1994 in der Fassung der Bekanntmachung v. 7.8.2002, BGBl. I, S. 3146, zuletzt geändert durch Art. 1 d. G. v. 14.6.2007, BGBl. I, S. 1066. Transfusionsgesetz (TFG) v. 1.7.1998 in der Fassung der Bekanntmachung v. 28.8.2007, BGBl. I, S. 2169. §§ 23, 24, 87 ff. Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) v. 20.7.2001, BGBl. I, S. 1714 (2002, 1459), zuletzt geändert durch Art. 3 § 15 Nr. 1 und 2 d. G. v. 13.12.2007, BGBl. I, S. 2930. §§ 23, 25, 28a ff. Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung – RöV) v. 8.1.1987 in der Fassung der Bekanntmachung v. 30.4.2003, BGBl. I, S. 604.
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chen Vorgaben für die Humanforschung daher ebenso wie diejenigen für die ärztliche Behandlung aus den allgemeinen Vorschriften des Zivil-, Straf- und öffentlichen Rechts. Erwin Deutsch hat die Entwicklung des Rechts der Humanforschung wissenschaftlich begleitet und seine heutige Gestalt wesentlich mit geprägt. Der nachfolgende, ihm gewidmete Beitrag zeichnet die Antworten nach, die das Recht heute auf die eingangs genannten Fragen nach der Legitimation und dem Schutz der Versuchspersonen in der Humanforschung gibt. Da nicht nur der experimentelle, sondern jeder medizinische Eingriff mit Risiken verbunden ist, soll zunächst ein kurzer Blick auf die Legitimation der ärztlichen Behandlung und den Patientenschutz bei Behandlungsmaßnahmen geworfen werden (unten II.). Vor diesem Hintergrund ist dann die Forschung am Menschen zu beleuchten (unten III.). Danach wird es um die schwierigen Probleme der Forschung an besonders verletzbaren Personen gehen (unten IV.). Dem Jubilar wie der Materie angemessen dürfte es sein, statt eines Fazits am Ende einen Ausblick zu wagen.
II. Legitimation und Patientenschutz bei der ärztlichen Behandlung Der experimentelle Eingriff unterscheidet sich von einem Eingriff im Rahmen einer „normalen“ ärztlichen Behandlung nicht durch die Ungewissheit des Ausgangs. Auch bei einer Standardbehandlung ist der Erfolg bei weitem nicht gewiss.16 Hinzu kommt, dass jeder medizinische Eingriff, sei er experimentell oder nicht, mit Risiken für den Patienten bzw. Probanden verbunden ist. Die Ungewissheit des intendierten Erfolgs ist daher jedem medizinischen Eingriff ebenso inhärent wie das Risiko, dass der Patient ungewollt weiteren Schaden an Körper und Gesundheit erleidet. Die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit medizinischer Eingriffe lassen sich daher als Regeln zum Schutz der Patienten vor den mit diesen Eingriffen verbundenen Risiken begreifen. Damit ist ihre Funktion aber noch nicht vollständig erfasst. Sie sind nicht nur Schranken für die Tätigkeit des Arztes, sondern beschreiben zugleich die Bedingungen für die Rechtmäßigkeit der ärztlichen Behandlung. Sie schützen daher nicht nur die Patienten, sondern begründen zugleich die rechtliche Legitimation der konkreten Behandlungsmaßnahmen. Das wird besonders deutlich, wenn die Legitimationsvoraussetzungen für einen medizinischen Eingriff im konkreten Fall fehlen und der Eingriff daher rechtswidrig ist. Der Eingriff in die fremde Rechtssphäre wird im Wege der deliktischen Schadensersatzhaftung ausgeglichen, soweit dies mit den Mitteln des Haftungsrechts möglich ist. Die Androhung der Schadensersatzhaftung hat darüber hinaus, ebenso wie die Androhung strafrechtlicher Sanktionen, präventive Wirkung, indem das Verhalten des Arztes als des potentiellen Schädigers gesteuert
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Deutsch, Medizin und Forschung vor Gericht, 1978, S. 42; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 130 Rn. 4.
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wird.17 Der ex post einsetzenden Haftung korrespondiert deshalb die Möglichkeit, bereits im Vorfeld einer drohenden Verletzung die Unterlassung des geplanten Eingriffs zu verlangen.18 Der sich im Haftungsrecht spiegelnde Patientenschutz bei Behandlungsmaßnahmen wird damit von den rechtlichen Voraussetzungen für einen medizinischen Eingriff bestimmt. Diese knüpfen an die Verantwortungsbereiche der Beteiligten an, die ihrerseits wiederum rechtlich festgelegt und voneinander abgegrenzt werden. Die rechtliche Verantwortung folgt dabei der fachlichen Kompetenz: Der Arzt verantwortet die fachgerechte Untersuchung und Diagnose sowie die Indikation und hat den Patienten hierüber jeweils aufzuklären. Der Patient entscheidet, ob er in eine bestimmte medizinische Maßnahme einwilligt. Der Arzt hat dann den Eingriff lege artis durchzuführen und hinreichend zu dokumentieren.19 Sind diese Anforderungen erfüllt, trägt der Patient das Risiko eines Fehlschlags des Eingriffs ebenso wie das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen. Die Einwilligung in die medizinische Maßnahme umfasst damit auch die mit ihr verbundenen Risiken. Gerade deshalb muss sich die Aufklärung auch auf diese Risiken erstrecken, um dem Patienten die selbstverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen, ob er in die Maßnahme einwilligt.20
III. Legitimation und Probandenschutz bei der Forschung am Menschen Das Standardmodell zur Legitimation von ärztlichen Eingriffen wird bei beiden Formen der Humanforschung problematisch: beim Einsatz neuartiger Behandlungsmaßnahmen („Heilversuche“) und bei medizinischen Experimenten zu Forschungszwecken („Forschungseingriffe“).21 Wird eine neuartige Behandlungsmaßnahme zur Behandlung eines bestimmten Patienten eingesetzt, ist der Behandlungserfolg unsicherer als bei einer Standardmaßnahme. Auch sind die mit der Behandlung verbundenen Risiken weitgehend unbekannt. Unsicherheiten und Risiken sind daher ungleich größer als bei einer Standardbehandlung. Gleichwohl handelt es sich weiterhin um eine Behandlungsmaßnahme, wenngleich um eine Behandlungsmaßnahme mit experimentellem Charakter. Der Heilversuch folgt daher im Grundsatz denselben Regeln wie 17
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Spindler, in: BeckOK (Stand: 1.10.2007), § 823 BGB Rn. 0.6 f.; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 17 f. Vgl. jüngst BGHZ 163, 195 ff. m. Anm. Lipp/Nagel, Lindenmaier-Möring, Kommentierte BGH-Rechtsprechung (LMK) 2006 (Beck-online Datenbank, 166262); allgemein Spindler, in: BeckOK (Fn. 17), § 823 BGB Rn. 0.6 f.; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht (Fn. 17), Rn. 17. Zum Vorstehenden Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 18, 184 ff.; Uhlenbruck, in: Laufs/Uhlenbruck (Fn. 16), § 52 Rn. 9. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (Fn. 16), § 63 Rn. 11. Zur Unterscheidung von Heilversuch und Experiment vgl. bereits die Richtlinien des Reichsministeriums des Innern von 1931, DMW 1931, 509; BGHZ 20, 61 – Thorotrast; Deutsch, VersR 1983, 1 (1 f.); Fischer, Forschung am Menschen (Fn. 2), S. 5 f.
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eine Standardbehandlung. Allerdings wird die Stellung der Indikation schwieriger: Angesichts des unsicheren Behandlungserfolgs sowie unbekannter und möglicherweise hoher Risiken ist ein Heilversuch nur indiziert, wenn es zumindest gewisse Anhaltspunkte für den erhofften Erfolg der experimentellen Behandlung gibt und die Risiken in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten Nutzen für den Patienten stehen.22 Zugleich führen die erhöhten Risiken zu gesteigerten Anforderungen an die Aufklärung des Patienten: Der Patient muss umfassend (auch) über den experimentellen Charakter der Behandlung, über ihre ungewissen Chancen und Risiken aufgeklärt werden, um ihn in die Lage zu versetzen zu entscheiden, ob er diese Heilungschance trotz der Risiken ergreifen will.23 Soweit Eingriffe nicht zur ärztlichen Versorgung und Behandlung des Probanden, sondern zu Forschungszwecken erfolgen, sind sie nicht zur Behandlung indiziert. Forschungseingriffe versprechen keinen objektivierbaren Nutzen für die Gesundheit des Probanden, bergen aber Risiken für ihn, die möglicherweise ganz erheblich sind. Das bedeutet freilich nicht, dass sie deshalb per se unzulässig wären. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Medizinrechts sind auch nicht indizierte Eingriffe durchaus erlaubt, wenn sie nur von einer entsprechenden Einwilligung des gehörig aufgeklärten Patienten getragen werden und nicht sittenwidrig sind.24 Das setzt der medizinischen Forschung wohl nur äußerste Grenzen: Versuchspersonen dürfen nicht der konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung ausgesetzt werden.25 Die eingangs genannten Regelwerke suchen daher den Schutz des Menschen vor den besonderen Risiken der medizinischen Forschung durch eine Vielzahl von ineinander greifenden und aufeinander bezogenen Mechanismen zu gewährleisten. Dabei sind verschiedene Aspekte zu unterscheiden: Wie bei der ärztlichen Behandlung bildet auch bei der Humanforschung im Regelfall (1.) ein entsprechender Vertrag die Grundlage für die Teilnahme der Versuchsperson, dessen Inhalt jedoch je nach Art und Ausgestaltung der geplanten Forschung variiert.26 Wegen des mit der Forschung verbundenen Eingriffs in die Rechtsgüter der Versuchsperson bedarf die Teilnahme darüber hinaus (2.) der freiwilligen Einwilligung des Betroffenen, der zuvor entsprechend über die geplanten Maßnahmen und die damit verbundenen Risiken aufgeklärt werden muss.27 Die Freiwilligkeit der Einwilligung wird durch die Möglichkeit ihres jederzeitigen Widerrufs gesichert.28 22
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Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (Fn. 16), § 130 Rn. 23; Fischer, Medizinische Versuche am Menschen (Fn. 2), S. 43 ff. Kirchhof, MedR 2007, 147 (148); Fischer, Medizinische Versuche am Menschen (Fn. 2), S. 57 ff. § 228 StGB; vgl. zu dieser in ihrer Bedeutung im Einzelnen sehr umstrittenen Grenze Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck (Fn. 16), § 139 Rn. 39 ff.; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB. Kommentar, 27. Aufl. 2006, § 223 StGB Rn. 50a. Schönke/Schröder/Eser (Fn. 24), § 223 StGB Rn. 50a, 50c; Deutsch/Spickhoff (Fn. 19), Rn. 960; Fischer, Medizinische Versuche am Menschen (Fn. 2), S. 15 ff. Vgl. nur den Überblick bei Deutsch, VersR 2005, 1609 ff. Vgl. vorerst nur Art. 7 S. 2 IPBPR (Fn. 5). Ausführlich dazu Lippert, VersR 2001, 432 ff.
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Dient der Eingriff im Rahmen der Forschung der Behandlung der Versuchsperson, muss er nach allgemeinen Grundsätzen (3.) medizinisch indiziert sein.29 Handelt es sich nicht nur um einen individuellen Heilversuch, sondern um einen kontrollierten wissenschaftlichen Versuch oder gar um einen reinen Forschungseingriff, dient der geplante Eingriff nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich der Behandlung des Patienten. Die medizinische Indikation erfasst jedoch nur den Behandlungszweck und kann daher den Eingriff nicht legitimieren, wenn und soweit er zu Forschungszwecken erfolgt.30 Deshalb muss darüber hinaus (4.) die geplante Forschung als solche wissenschaftlich gerechtfertigt sein und wissenschaftlichen Standards genügen („wissenschaftliche Vertretbarkeit“).31 Die Teilnahme an einer wissenschaftlichen Forschung dient zumindest auch, wenn nicht gar ausschließlich, den Interessen Dritter oder der Allgemeinheit am medizinischen Fortschritt. Daher sind nicht nur, wie bei der ärztlichen Behandlung oder dem individuellen Heilversuch, die Risiken für den Probanden einerseits und die Chancen und Nutzen für ihn andererseits abzuwägen, sondern auch die Chancen und Nutzen für andere Patienten oder die Allgemeinheit mit in die Abwägung einzubeziehen (5.).32 Die Durchführung der Forschung muss dann (6.) sowohl wissenschaftlichen als auch ärztlichen Standards entsprechen.33 Eine ausreichende Dokumentation ist verpflichtend (7.).34 Entspricht dies, wenngleich mit Modifikationen, den Legitimationsvoraussetzungen der ärztlichen Behandlung, stellen (8.) die außerhalb spezialgesetzlicher Verpflichtung freiwillige Versicherung zur Sicherung eines ausreichenden finanziellen Ausgleichs bei Schäden der Teilnehmer35 sowie (9.) die Sicherung durch Verfahren in Form der Beteiligung neutraler Dritter vor Beginn der Forschung, insbesondere durch die Beteiligung einer Ethik-Kommission bzw. durch das Erfordernis einer behördlichen Genehmigung,36 besondere Bedingungen für die Humanforschung auf. Mit diesen Legitimationsvoraussetzungen medizinischer Forschung am Menschen hat sich Erwin Deutsch intensiv befasst. Deshalb soll im Folgenden ein weiteres zentrales Problem der Forschung am Menschen aufgegriffen werden: der
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Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (Fn. 16), § 130 Rn. 23. Vgl. nur BGHZ 20, 61, wo die Gabe von Thorotrast nicht allein zum Zweck der Behandlung, sondern auch und sogar in erster Linie zu Forschungszwecken erfolgte. Vgl. Deutsch, VersR 2007, 425 (426), und schon ders., VersR 1983, 1 (2); Kratz, VersR 2007, 1448 (1448); Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (Fn. 16), § 130 Rn. 24; von „wissenschaftlicher Indikation“ spricht Kirchhof, MedR 2007, 147 (149). Schreiber, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle in der Medizin, 2000, S. 303 ff.; Deutsch/Spickhoff (Fn. 19), Rn. 932, 935, 960. Fischer, Forschung am Menschen (Fn. 2), S. 12. Vgl. nur Deklaration von Helsinki (Fn. 6): Nr. 22. Die Dokumentationspflicht ist heute Bestandteil praktisch aller Regelwerke und findet sich schon in den Richtlinien des Reichsministeriums des Innern von 1931, DMW 1931, 509. Vgl. nur Deutsch, VersR 2005, 1609 (1613 f.). Überblick bei Deutsch/Spickhoff (Fn. 19), Rn. 999 ff.
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Schutz besonders verletzbarer Personen, d.h. Kinder und einwilligungsunfähiger Erwachsener.37
IV. Medizinische Forschung an besonders verletzbaren Personen 1. Problemaufriss Versteht man die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson als Kernstück der Legitimation der Forschung am Menschen, weil der Proband damit auch das Risiko dieser Forschung auf sich nimmt, wird die Forschung an besonders verletzbaren Personen zum zentralen Rechtsproblem. Säuglinge und Kleinkinder, aber auch Demenzkranke oder psychisch Kranke können die Risiken einer Teilnahme an der medizinischen Forschung entweder gar nicht oder nur unzureichend einschätzen und sind oft leicht zu beeinflussen. Sie benötigen daher besonderen rechtlichen Schutz. Eine Form dieses Schutzes stellt die so genannte Einwilligungsunfähigkeit dar. Dahinter verbirgt sich kein tatsächlicher Zustand des Betroffenen, sondern ein rechtliches Instrument zu seinem Schutz. Die möglicherweise tatsächlich erteilte Zustimmung gilt wegen des geringen Alters oder des geistigen Zustandes der Versuchsperson rechtlich als unwirksam.38 Kann jemand selbst nicht in die Teilnahme am Versuch einwilligen, weil ihn das Recht zu seinem Schutz für einwilligungsunfähig erklärt, scheint dies zwangsläufig auf ein kategorisches Verbot der Forschung an diesem Personenkreis hinauszulaufen. Diese Folgerung zog in der Tat die preußische Unterrichtsverwaltung (1900), die in ihrer Anweisung die Forschung an minderjährigen oder aus anderen Gründen nicht vollständig geschäftsfähigen Personen unter allen Umständen für ausgeschlossen erachtete39. Dasselbe Ergebnis wollen einige Autoren40 heute aus Art. 7 IPBPR41 ableiten, der eine freiwillige Zustimmung des Betroffenen verlangt. Insbesondere in Deutschland beruft man sich in diesem Zusammenhang häufig auf die verfassungsrechtliche Garantie der Menschenwürde. Die Forschung an Einwil37
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Vgl. dazu Deutsch, Das Recht der klinischen Forschung am Menschen (Fn. 1), S. 83 ff., 112 f., 144 f.; Fischer, Medizinische Versuche am Menschen (Fn. 2), S. 34 ff.; Lipp, in: Brudermüller u.a. (Hrsg.), Forschung am Menschen, 2005, S. 187 ff.; Taupitz, ebenda, S. 123 ff., und JZ 2003, 109 ff.; zu den Regelungen der Arzneimittel-RL auch Deutsch, NJW 2001, 3361 (3362 ff.). Ausführlich dazu Lipp, Freiheit und Fürsorge, Der Mensch als Rechtsperson, 2000, S. 44 ff., 60 ff., insbes. 65 ff. Ziff. I.1. der Anweisung, abgedruckt bei Deutsch, Das Recht der klinischen Forschung am Menschen, (Fn. 1), S. 173. Flynn/Honberg, 1 Journal of Health Care Law & Policy (1998), S. 174 (180); Hendriks, KritV 81 (1998), S. 111 (115); dagegen zutreffend Rosenau, Landesbericht Deutschland, in: Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle in der Medizin, 2000, S. 63 (80 ff.). Siehe Fn. 5.
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ligungsunfähigen instrumentalisiere diese für die Zwecke anderer und verletze daher ihre Menschenwürde42. Ein völliges Verbot der Forschung an Kindern oder psychisch Kranken würde allerdings dazu führen, dass deren spezifische Krankheiten nicht erforscht und keine für sie bestimmte Behandlungen entwickelt werden könnten. Medizinische Forschung ist auch an Menschen aus diesen Gruppen nötig, um die Behandlung derartiger Patienten langfristig zu verbessern und sie nicht vom medizinischen Fortschritt auszuschließen („therapeutic orphans“).43 Vor diesem Hintergrund halten sowohl die Helsinki-Deklaration44 als auch die Biomedizin-Konvention45 und die Arzneimittelrichtlinie46 die Forschung an Einwilligungsunfähigen grundsätzlich für zulässig. Auch im deutschen Recht sind derartige Versuche jedenfalls im Bereich der klinischen Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie bei der Forschung mit radioaktiven Stoffen, ionisierender Strahlung oder Röntgenstrahlung grundsätzlich möglich.47 Außerhalb dieser spezialgesetzlich geregelten Forschungsbereiche ist ihre Zulässigkeit indes in Deutschland sehr umstritten48.
2. Der Schutz von Einwilligungsunfähigen in der Forschung Lässt man die Forschung an Kindern und psychisch beeinträchtigten Erwachsenen prinzipiell zu, wie es die eben genannten Regelwerke tun, dann stellt sich die weitere Frage, wie der besonderen Schutzbedürftigkeit dieser Personen in der Forschung Rechnung getragen werden kann. Insofern geht es zunächst darum, in welchen Fällen und unter welchen Kautelen derartige Forschung objektiv zulässig ist (dazu unter a.). Sind diese Bedingungen erfüllt, geht es um die Frage, wie das Selbstbestimmungsrecht des Nichteinwilligungsfähigen gewahrt werden kann (dazu unter b.).
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Glauben, DRiZ 1997, 89 (93); Tolmein, KritV 81 (1998), S. 52 (70); Höfling/Demel, MedR 1999, 540 (545 f.); Spranger, MedR 2001, 238 (241); Eck, Die Zulässigkeit medizinischer Forschung mit einwilligungsunfähigen Personen und ihre verfassungsrechtlichen Grenzen, 2005, S. 175 ff.; kritisch dazu u.a. Taupitz, JZ 2003, 109 (115 ff.); Seelmann, in: Brudermüller u.a. (Hrsg.), Forschung am Menschen, 2005, S. 107 ff. (118 ff.). Begriff geprägt von Shirkey, Pediatrics 1968, 169 f.; zur Problematik Fischer, in: Deutsch u.a. (Hrsg.), Die klinische Prüfung in der Medizin (Fn. 1), S. 29 (32 f.); Merkel, in: Brudermüller u.a. (Hrsg.), Forschung am Menschen, 2005, S. 137 (142 f.). Deklaration von Helsinki (Fn. 6): B 24 – B 26. BMK (Fn. 7): Art. 17; ZP (Fn. 8): Art. 15. Arzneimittel-RL (Fn. 10): Art. 3 Abs. 2 lit. b und d; Art. 4 und 5. §§ 40 Abs. 4, 41 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 und Abs. 3 AMG, §§ 20 Abs. 4, 21 Nr. 2 MPG, § 88 Abs. 4 StrlSchV, § 28d Abs. 4 RöV. Überblick bei Deutsch/Spickhoff (Fn. 19), Rn. 917 ff.; ausführlich Fröhlich, Forschung wider Willen?, 1999, S. 95 ff.; vgl. i.Ü. die Nachweise oben in Fn. 42.
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a) Objektive Beschränkungen der Forschung Zum Schutz der Betroffenen lassen diese Regelwerke Versuche an Nichteinwilligungsfähigen nur eingeschränkt zu. Hierbei wird unterschieden zwischen dem Heilversuch bzw. therapeutischen Versuch einerseits, der der ärztlichen Heilbehandlung zuzuordnen ist, und dem nicht-therapeutischen Versuch andererseits, der gerade nicht der Behandlung des Teilnehmers dient. Während Heilversuche allgemein unter Wahrung bestimmter Kautelen für zulässig erachtet werden, ist die Zulässigkeit nicht-therapeutischer Forschung umstritten, da die Betroffenen aus ihrer Teilnahme am Versuch persönlich keinen Nutzen ziehen, aber das damit verbundene Risiko tragen. Dies führt zu einer objektiven Beschränkung derartiger Forschung, die je nach Regelwerk jedoch ganz unterschiedlich ausgestaltet ist. Die Helsinki-Deklaration verlangt ganz allgemein, dass nicht einwilligungsfähige Personen nur dann in eine Forschungsmaßnahme einbezogen werden dürfen, wenn diese Forschung nicht an anderen, voll einwilligungsfähigen Probanden vorgenommen werden kann und für die Förderung der Gesundheit der Gruppe von Menschen erforderlich ist, zu der der Betroffene gehört49. Dies gilt auch für die nicht-therapeutische Forschung. Enger fasst dies die Biomedizin-Konvention. Die Gruppennützigkeit allein genügt hiernach nicht; nicht-therapeutische und damit fremdnützige Forschung darf darüber hinaus nur mit minimalem Risiko und minimaler Belastung für den nichteinwilligungsfähigen Teilnehmer verbunden sein50. Dies gilt für Minderjährige und Erwachsene gleichermaßen. Demgegenüber differenzieren die Arzneimittelrichtlinie und die deutschen Spezialgesetze über die medizinische Forschung zwischen der Forschung an Minderjährigen und der Forschung an einwilligungsunfähigen Erwachsenen. Beide lassen die medizinische Forschung an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen nur als Heilversuch zu, die nicht-therapeutische Forschung wird dagegen für diesen Personenkreis generell ausgeschlossen. Die Arzneimittelrichtlinie verlangt in Art. 5 lit. e zwar nur, dass sich die Forschung „unmittelbar auf einen […] Zustand bezieht, in dem sich der betreffende nichteinwilligungsfähige Erwachsene befindet“, meint damit aber ausweislich des 4. Erwägungsgrundes einen direkten Nutzen für den Probanden.51 Eine Forschung, die nicht dem Probanden selbst, sondern nur der Gruppe der an derselben Krankheit leidenden Personen nützt, ist demnach bei einwilligungsunfähigen Erwachsenen ausgeschlossen. Die deutschen Gesetze erreichen dieses Ergebnis, indem sie die Einwilligung zur nicht-therapeutischen Forschung bei Erwachsenen als höchstpersönliche, d.h. vertretungsfeindliche Erklärung ausgestalten.52 In gleicher Weise hatte das deutsche AMG bis zur 12. AMG-Novelle (2004) auch bei Minderjährigen die Arzneimittelprüfung nur als Heilversuch zugelassen,
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Deklaration von Helsinki (Fn. 6): B 24. BMK (Fn. 7): Art. 17 Abs. 2; ZP (Fn. 8): Art. 15 Abs. 2. Arzneimittel-RL (Fn. 10): Art. 5 lit. e und 4. Erwägungsgrund; vgl. auch Taupitz, JZ 2003, 109 (111 f.). Vgl. § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3a) AMG und § 41 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 AMG; §§ 20 Abs. 2 MPG, 28d Abs. 1 S. 2 RöV, 88 Abs. 1 S. 3 StrlSchV; vgl. allgemein dazu Lipp, Freiheit und Fürsorge (Fn. 38), S. 170 f.; Fröhlich (Fn. 48), S. 80, 91 f.
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die nicht-therapeutische Forschung dagegen völlig ausgeschlossen.53 Das entspricht noch heute der Rechtslage bei der Prüfung von Medizinprodukten und der Forschung mit radioaktiven Stoffen, ionisierender Strahlung oder Röntgenstrahlung.54 Zu einer Änderung bei der Arzneimittelprüfung führte die Arzneimittelrichtlinie der EG. Sie lässt die nicht-therapeutische Forschung an Minderjährigen zu, wenn sie sich auf die Krankheit bezieht, an der der Minderjährige selbst leidet, oder wenn sie ihrem Wesen nach nur an Minderjährigen durchgeführt werden kann55. Das deutsche Recht ist demgegenüber deutlich restriktiver: Das AMG beschränkt die nicht-therapeutische Prüfung von Arzneimitteln56 an Minderjährigen auf die Fälle, in denen der Minderjährige selbst an der entsprechenden Krankheit leidet, d.h. Teil der Gruppe ist, die von der Prüfung einen Nutzen erwarten darf.57 Im Gegensatz zur Richtlinie genügt es daher nicht, dass sich die Arzneimittelprüfung allgemein auf Kinderkrankheiten bezieht. Das generelle Verbot der nicht-therapeutischen Forschung an bestimmten Personengruppen ist jedoch sachlich kaum zu rechtfertigen. Denn es bedeutet, dass gerade die besonderen Krankheiten dieser Personengruppen wie z.B. Kinderkrankheiten oder altersspezifische Krankheiten nur eingeschränkt erforscht werden können. Wie man im Arzneimittelrecht sehen kann, führt es geradezu zwangsläufig dazu, dass Medikamente für diese Menschen regelmäßig ohne entsprechende Zulassung („off label“) verwendet werden. Insgesamt wird ihre medizinische Versorgung dadurch schlechter als diejenige von Menschen, für die und an denen medizinische Forschung betrieben werden darf („therapeutic orphans“).58 Das pauschale Verbot nicht-therapeutischer Forschung, das die Arzneimittelrichtlinie und die deutschen Spezialgesetze für bestimmte Bereiche aufstellen, sollte daher de lege ferenda gelockert und jedenfalls gruppennützige Forschung allgemein (und nicht nur bei Minderjährigen im Arzneimittelbereich) unter Beachtung weiterer Schutzkriterien zugelassen werden. In Deutschland ist jedoch auch umstritten, ob die nicht-therapeutische Forschung an nicht einwilligungsfähigen Probanden außerhalb des Anwendungsbe-
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Vgl. Fischer, Medizinische Versuche am Menschen (Fn. 2), S. 35 ff.; Spranger, MedR 2001, 238 (244 ff.); Taupitz, JZ 2003, 109 (111). Vgl. § 20 Abs. 4 Nr. 2 MPG (Die Anwendung muss angezeigt sein, um „bei dem Minderjährigen Krankheiten zu erkennen oder ihn vor Krankheiten zu schützen.“) und §§ 88 Abs. 4 Nr. 2 StrlSchV, 28d Abs. 4 Nr. 2 RöV (Die Anwendung muss „gleichzeitig zur Untersuchung oder Behandlung des Probanden angezeigt“ sein.). Arzneimittel-RL (Fn. 10): Art. 4 lit. e und 3. Erwägungsgrund. Zur Einbeziehung von Diagnostika und Prophylaktika in § 41 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG vgl. Eck (Fn. 42), S. 334 ff.; Deutsch, in: Deutsch/Lippert (Hrsg.), Kommentar zum Arzneimittelgesetz, 2. Aufl. 2007, § 41 AMG Rn. 2. § 41 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG. Demgegenüber erlaubt § 40 Abs. 4 Nr. 1 S. 2 AMG nur Heilversuche („wenn seine Anwendung bei dem Minderjährigen medizinisch indiziert ist“), obwohl § 41 AMG die Prüfung an Kranken, § 40 AMG dagegen die allgemeinen Voraussetzungen, d.h. die Prüfung an Gesunden regeln soll (so die Begründung zur 12. AMG-Novelle, BT-Drucks. 15/2109, S. 29 f.). Vgl. die Nachweise in Fn. 43.
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reichs der genannten Spezialgesetze de lege lata überhaupt zulässig ist.59 Mangels eines gesetzlichen Verbots kann sich die Unzulässigkeit derartiger Versuche nur aus allgemeinen Grundsätzen ergeben, insbesondere aus der Verpflichtung des jeweiligen gesetzlichen Vertreters auf das „Wohl“ des einwilligungsunfähigen Probanden60. Das wirft die Frage nach der Bedeutung des Selbstbestimmungsrechtes des Nichteinwilligungsfähigen und der Rolle des gesetzlichen Vertreters auf. b) „Informed Consent“ und Selbstbestimmungsrecht des Nichteinwilligungsfähigen Soweit die Forschung an Einwilligungsunfähigen nicht bereits spezialgesetzlich verboten und deshalb grundsätzlich möglich ist, muss unter anderem61 dem Erfordernis des „informed consent“ Rechnung getragen werden. Zwar kann der nicht einwilligungsfähige Versuchsteilnehmer selbst nicht zustimmen, doch lässt das sein Selbstbestimmungsrecht über die Teilnahme an der Forschung nicht entfallen. Er kann es jedoch nicht selbständig ausüben. Sein Selbstbestimmungsrecht wird deshalb in der Weise verwirklicht, dass sein gesetzlicher Vertreter nach Aufklärung über die Teilnahme am Versuch entscheidet62. Der Vertreter muss dabei den mutmaßlichen Willen des Probanden befolgen.63 Zusätzlich wird entweder die Zustimmung des einwilligungsfähigen Probanden verlangt64 bzw. ihm ein Vetorecht eingeräumt65. Er ist deshalb ebenfalls aufzuklären, soweit er überhaupt ansprechbar ist.66 Freilich sind die Voraussetzungen der „Vetofähigkeit“ nicht festgelegt worden. Aus Sicht des deutschen Rechts ist der vom so genannten „natürlichen Willen“ getragene, d.h. jeder bewusste Widerstand als Veto beacht-
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Vgl. die Nachweise in Fn. 42 und 48. So z.B. Kern, NJW 1994, 753 (756); Giesen, MedR 1995, 353 (355 f.); Jürgens, KritV 81 (1998), S. 34 (42); Tolmein, KritV 81 (1998), S. 52 (68 f.); Höfling/Demel, MedR 1999, 540 (542 f.); Spranger, MedR 2001, 238 (242 f.). Zu den weiteren Schutzmechanismen Fröhlich (Fn. 48), S. 125 ff.; Eck (Fn. 42), S. 139 ff. Deklaration von Helsinki (Fn. 6): B 24; BMK (Fn. 7): Art. 6, 17 Abs. 1 Ziff. 4; ZP (Fn. 8): Art. 15 Abs. 1 Nr. 4; Arzneimittel-RL (Fn. 10): Art. 4 lit. a, Art. 5 lit. a; §§ 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 1, 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 AMG, §§ 20 Abs. 4 Nr. 4, 21 Nr. 2 MPG, § 28d Abs. 4 Nr. 3 S. 1 RöV, § 88 Abs. 4 Nr. 3 S. 1 StrlSchV. Arzneimittel-RL (Fn. 10): Art. 4 lit. a, Art. 5 lit. a; § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 2; § 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 i.V.m. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 2 AMG; §§ 20 Abs. 4 Nr. 4 S. 1, 21 Nr. 2 S. 2 MPG. Deklaration von Helsinki (Fn. 6): B 25; §§ 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 4 AMG, §§ 20 Abs. 4 Nr. 4 S. 3, 21 Nr. 2 S. 3 MPG, § 28d Abs. 4 Nr. 3 S. 2 RöV, § 88 Abs. 4 Nr. 3 S. 2 StrlSchV. BMK (Fn. 7): Art. 17 Abs. 1 Ziff. 5; ZP (Fn. 8): Art. 15 Abs. 1 Ziff. 5; Arzneimittel-RL (Fn. 10): Art. 4 lit. c, Art. 5 lit. c; § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG, § 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 i.V.m. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG. BMK (Fn. 7): Art. 5 Abs. 4; ZP (Fn. 8): Art. 15 Abs. 1 Ziff. 3; Art. 16 Abs. 3; Arzneimittel-RL (Fn. 10): Art. 4 lit. b, Art. 5 lit. b; § 40 Abs. 4 S. 5 AMG; § 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 i.V.m. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 5 AMG.
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lich.67 Die Einwilligungsfähigkeit setzt dagegen voraus, dass der Proband in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite seiner Zustimmung zu verstehen und sich frei für oder wider eine Teilnahme zu entscheiden.68 Darüber hinaus lässt das deutsche Recht Heilversuche bei unaufschiebbarer Behandlung auch ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zu69. Das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen ist dennoch regelmäßig gewahrt, denn in einem solchen Notfall entspricht der Heilversuch regelmäßig seinem mutmaßlichen Willen. Steht jedoch fest, etwa aufgrund einer Patientenverfügung, dass er eine derartige Maßnahme ablehnen würde, darf ein solcher Heilversuch nicht erfolgen70. Die Arzneimittelrichtlinie schweigt sich dazu aus, kann aber insoweit kaum als abschließende Regelung verstanden werden, und lässt daher Raum für die nationale Regelung des Heilversuchs im Notfall.71 Noch darüber hinaus geht die Helsinki-Deklaration, wenn es sich um Forschung an Probanden handelt, bei denen gerade infolge ihres Zustandes keine Zustimmung eines gesetzlichen Vertreters eingeholt werden kann. Zu denken ist hierbei insbesondere an die Forschung mit Unfallopfern. Hier soll jede Art der Forschung, auch die nicht-therapeutische zulässig sein72. Bedenklich stimmt hieran, dass dem mutmaßlichen Willen des Probanden keine Bedeutung beigemessen und damit sein Selbstbestimmungsrecht vollständig außer Acht gelassen wird.73
3. Die Bedeutung des gesetzlichen Vertreters Der medizinischen Forschung an einer nicht einwilligungsfähigen Person muss somit in aller Regel ihr gesetzlicher Vertreter zustimmen. Damit tritt die zweite Form des rechtlichen Schutzes von Kindern und psychisch Kranken oder Behinderten in den Blick: die gesetzliche Vertretung. Soweit der gesetzliche Vertreter die Kompetenz hat, einer Forschungsmaßnahme zuzustimmen, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen er dies tun darf. Die Antwort hierauf fällt für Erwachsene (dazu a.) und Kinder (dazu b.) unterschiedlich aus. a) Einwilligung in die Forschung an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen Für einen psychisch kranken oder behinderten Erwachsenen, der seine Angelegenheiten nicht selbst besorgen kann, wird das Vormundschaftsgericht einen Be67
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Arg. § 1905 Abs. 1 Nr. 1 BGB, dazu schon Lipp, Freiheit und Fürsorge (Fn. 38), S. 218. Deutsch/Spickhoff (Fn. 19), Rn. 250 ff., 685 ff. §§ 41 Abs. 1 S. 2 AMG, 21 Nr. 5 MPG bzw. die Grundsätze der mutmaßlichen Einwilligung. Fröhlich (Fn. 48), S. 178 ff. Ebenso Deutsch, NJW 2001, 3361 (3362), der jedoch auf Notstandsgrundsätze zurückgreifen möchte, die für den Heilversuch nicht passen dürften. Deklaration von Helsinki (Fn. 6): B 26; die Unklarheit dieser Regel hinsichtlich des Heilversuchs kritisiert Taupitz, MedR 2001, 277 (284). Ebenso Taupitz, MedR 2001, 277 (283).
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treuer als gesetzlichen Vertreter bestellen und diesem die Gesundheitsangelegenheiten oder auch die Entscheidung über die Versuchsteilnahme als Aufgabenkreis zuweisen (§ 1896 BGB). In medizinische Eingriffe, die mit der Gefahr des Todes oder dauernder erheblicher Schäden für den Betreuten verbunden sind, kann der Betreuer freilich nicht allein, sondern nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts einwilligen (§ 1904 Abs. 1 BGB). Darüber hinaus unterliegt der Betreuer der allgemeinen Aufsicht des Vormundschaftsgerichts, das ihn regelmäßig kontrolliert und ggf. auch abberufen kann (§§ 1908b, 1908i BGB). Materiell ist die Entscheidung des Betreuers über die Teilnahme des Betreuten an einer medizinischen Forschung dem „Wohl“ des Betreuten verpflichtet (§ 1901 Abs. 2 BGB). Dies ist nicht objektiv zu verstehen74, sondern, wie bereits der Wortlaut des Gesetzes deutlich zeigt, subjektiv von der Person des Betreuten her zu bestimmen, und umfasst insbesondere die Möglichkeit eines Lebens nach eigenen Wünschen und Vorstellungen.75 Man kann daher auch die Frage nach der Teilnahme an der medizinischen Forschung nicht objektiv und generell entscheiden, sondern muss sie subjektiv von jedem einzelnen Betreuten her individuell beantworten. Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen:76 Zunächst kommt es darauf an, ob der Betreute noch Wünsche äußern kann oder nicht mehr ansprechbar ist, weil er z.B. im Koma liegt. Kann sich der Betreute äußern, ist sein Wunsch für den Betreuer grundsätzlich verbindlich, sofern er sich dadurch nicht gerade aufgrund seines psychischen Zustandes selbst schädigt (§ 1901 Abs. 3 S. 1 BGB). Der Betreuer hat deshalb über die Teilnahme an einem medizinischen Versuch mit dem Betreuten zu sprechen, bevor er darüber entscheidet (§ 1901 Abs. 3 S. 3 BGB). Weigert sich der Betreute, daran teilzunehmen, darf der Betreuer dem Versuch nicht zustimmen, denn die Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung liegen bei Forschungsmaßnahmen nicht vor. Für dieses Veto genügt betreuungsrechtlich jeder bewusste, d.h. vom so genannten „natürlichen Willen“ getragene Widerstand.77 Stimmt er jedoch dem Versuch zu, darf der Betreuer seinerseits nur dann anders entscheiden und den Versuch ablehnen, wenn der Wunsch des Betreuten gerade auf seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit beruht und die Teilnahme für ihn mit erheblichen Gefahren verbunden ist. Solange der Betreute ansprechbar ist, müssen deshalb sowohl der Betreuer als gesetzlicher Vertreter, als auch der Betreute über die geplanten Maßnahmen aufgeklärt und über die Forschung informiert werden. Ist der Betreute nicht mehr in der Lage, sich zu äußern, muss sich der Betreuer an dessen früheren Erklärungen und Anordnungen orientieren (§§ 1901 Abs. 3 S. 2, 1901a BGB). Er hat im Übrigen alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Vorstellungen und Einstellungen des Betreuten in Erfahrung zu bringen. Denn Maßstab für das Handeln des Betreuers bei der stellvertretenden Entscheidung über die Teilnahme am Versuch ist in diesem Fall der mutmaßliche Wille des
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So aber die in Fn. 60 Genannten. Vgl. nur Palandt/Diederichsen, BGB, 67. Aufl. 2008, § 1901 BGB Rn. 3. Dazu schon Lipp, Freiheit und Fürsorge (Fn. 38), S. 149 ff., 164 ff., zum Humanexperiment S. 169 ff.; Fröhlich (Fn. 48), S. 161 ff. Arg. § 1905 Abs. 1 Nr. 1 BGB; vgl. dazu Lipp, Freiheit und Fürsorge (Fn. 38), S. 218.
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Betreuten (§ 1901 Abs. 2 BGB). Es kommt daher entscheidend darauf an, wie der Betreute selbst im Hinblick auf die Teilnahme entschieden hätte. b) Einwilligung in die Forschung an Minderjährigen In Deutschland sind Eltern kraft Gesetzes sorgeberechtigt und als gesetzliche Vertreter für alle Angelegenheiten ihres Kindes zuständig (§§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 S. 1 BGB). Sie können daher kraft dieser Allzuständigkeit auch über die Teilnahme ihres Kindes an einem medizinischen Versuch entscheiden. Bei dieser Entscheidung haben die Eltern materiell das „Wohl“ des Kindes zu verwirklichen (§ 1627 S. 1 BGB). Während das „Wohl“ des Betreuten allein durch dessen Lebensentwurf und durch dessen Wünsche bestimmt ist, wird das „Wohl“ des Kindes in weitem Umfang durch die Eltern kraft ihres Erziehungsauftrags festgelegt. Die Eltern sind daher nicht nur nach außen als gesetzliche Vertreter zur Entscheidung für das Kind zuständig, sondern dürfen inhaltlich bestimmen, was für das Kind gut ist.78 Dieser Freiraum der Eltern ist auch grundrechtlich (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) und durch die Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) gesichert. Er endet dort, wo das Kind geschädigt wird und dies den Eltern zuzurechnen ist; dann hat das Familiengericht in Ausübung des staatlichen Wächteramts einzugreifen (§ 1666 BGB). Therapeutischen Versuchen können Eltern daher regelmäßig zustimmen, wenn sie indiziert sind, weil es um die Behandlung des Minderjährigen geht. Bei ihrer Entscheidung haben die Eltern, wie stets bei der Ausübung der elterlichen Sorge, die wachsende Selbständigkeit ihres Kindes zu berücksichtigen und über den Heilversuch mit ihm zu sprechen (§ 1626 Abs. 2 BGB). Soweit der Minderjährige Bedeutung und Tragweite des Eingriffs zu beurteilen vermag, ist darüber hinaus auch seine Zustimmung erforderlich79. Manche Stimmen in der Literatur plädieren sogar für eine alleinige Entscheidungsbefugnis des einsichts- und urteilsfähigen Minderjährigen, haben aber damit in der Rechtsprechung zu Recht keine Gefolgschaft gefunden80. Möchte der Minderjährige an einem therapeutischen Versuch teilnehmen, genügt sein Einverständnis daher auch dann nicht, wenn er einsichtsund urteilsfähig ist. Zusätzlich müssen seine Eltern als seine gesetzlichen Vertreter zustimmen. Auch hier geht es vor allem um die Erziehung des Minderjährigen und nicht nur – wie bei der Betreuung – um den Schutz davor, dass er sich aufgrund seiner Unreife selbst schädigt. Deshalb können die Eltern aus Erziehungsgründen auch der Teilnahme an riskanten Heilversuchen zustimmen, ohne dass darin ein Missbrauch ihres Sorgerechts liegt. Nicht-therapeutische Versuche haben für das Kind keinen Nutzen. Stimmen die Eltern als gesetzliche Vertreter des Kindes zu, kommt es daher allein auf das 78 79
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Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 57 Rn. 30. BGH MedR 2008, 289 m. Anm. Lipp; BGH NJW 1974, 1947 (1950) – obiter dictum; OLG Düsseldorf, FamRZ 1984, 1221 (1222); OLG Karlsruhe, FamRZ 1983, 742 (743); Münchener Kommentar zum BGB/Huber, 4. Aufl. 2002, § 1626 BGB Rn. 43. Zum Streit um die Einwilligungsfähigkeit von Minderjährigen siehe Lipp, Freiheit und Fürsorge (Fn. 38), S. 32 ff.; Peschel-Gutzeit, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, 2007, § 1626 BGB Rn. 88 ff.; Taupitz, Gutachten A zum 63. DJT, 2000, S. A 60 f., A 63 ff.; vgl. im Übrigen die Nachweise in Fn. 79.
Medizinische Forschung am Menschen: Legitimation und Probandenschutz
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Ausmaß der Belastungen und auf die mit dem Versuch verbundenen Gefahren an. Die Zustimmung zu einem fremdnützigen Versuch, der mit geringfügigen Belastungen und Risiken für das Kind verbunden ist, stellt noch keinen Missbrauch des Sorgerechts dar, der ein Eingreifen des Familiengerichts erfordert oder legitimiert. Gravierenden Gefährdungen oder Beeinträchtigungen des Kindes können die Eltern dagegen nicht zustimmen.81 Auch hier gilt wiederum, dass die wachsende Selbständigkeit des Kindes zu beachten (§ 1626 Abs. 2 BGB) und darüber hinaus die Zustimmung des einwilligungsfähigen Minderjährigen neben derjenigen der Eltern erforderlich ist. c) Zwischenergebnis: Forschung an Einwilligungsunfähigen und gesetzliche Vertretung Bereits dieser kursorische Überblick zeigt, dass die Eltern als gesetzliche Vertreter der medizinischen Forschung an ihrem Kind bzw. der Betreuer der Forschung an dem Betreuten grundsätzlich zustimmen können. Der Entscheidungsspielraum und die jeweils zu beachtenden Vorgaben sind jedoch für Eltern und Betreuer sehr unterschiedlich und hängen überdies davon ab, ob es sich um einen Heilversuch oder um die Teilnahme an einem klinischen Experiment handelt. Die mit dieser Abkehr von generellen Vorgaben und Verboten hin zu einer stärkeren Individualisierung verbundenen Risiken werden dabei jedoch nicht ignoriert, sondern durch einen differenzierten Mechanismus von interner rechtlicher Bindung und äußerer Kontrolle des gesetzlichen Vertreters bewältigt. Dieser Ansatz wirkt sich auch im Zusammenhang der Humanforschung aus. Die rechtliche Ausgestaltung des Probandenschutzes wird zu einer gemeinsamen Aufgabe des Medizinrechts und des Familienrechts.
V. Ausblick Das generelle Verbot der nicht-therapeutischen Forschung an nicht einwilligungsfähigen Personen will diese Personen vor den besonderen Risiken der Forschung schützen. Verbote und Beschränkungen schließen sie aber zugleich langfristig vom medizinischen Fortschritt in Diagnose, Behandlung und Prophylaxe ihrer spezifischen Krankheiten und Gebrechen aus. Es ist daher zu begrüßen, dass die Notwendigkeit der Forschung auch an Kindern und einwilligungsunfähigen Erwachsenen zunehmend anerkannt wird, ohne dass deshalb ihre besondere Schutzbedürftigkeit ignoriert wird. Freilich sind noch erhebliche Unterschiede in den rechtlichen Regelungen zu verzeichnen. Auch sind sie nicht frei von Widersprüchen. Das Recht steht daher vor der Herausforderung, eine differenzierende und in sich stimmige Regelung des Probandenschutzes zu entwickeln. Neben dem „Schutz durch Verfahren“ in Gestalt der Ethikkommissionen82 kommt hierbei der 81
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Fröhlich (Fn. 48), S. 200 f.; ähnlich auch Fischer, Medizinische Versuche am Menschen (Fn. 2), S. 38. Zur Rolle der Ethikkommissionen insbesondere bei der Arzneimittelprüfung vgl. jüngst Deutsch, MedR 2006, 411 ff.
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Effektuierung des „informed consent“ durch einen Stellvertreter, der ausschließlich dem subjektiven Wohl des Patienten bzw. Probanden verpflichtet ist, zentrale Bedeutung zu. Denn nur ein Vertreter, der sich persönlich um sie sorgt, kann diese besonders verletzbaren Personen davor bewahren, zu bloßen Objekten der medizinischen Forschung zu werden. Die Legitimation der Forschung am Menschen hängt daher nicht zuletzt von einem effektiven familienrechtlichen Schutz dieser Personen ab.
Wem gehören Daten, die im Rahmen von Forschungsprojekten gewonnen werden?
Hans-Dieter Lippert* Jeder Konflikt hat seine Zeit. Aktuell ist es der Streit um die Rechte an Daten, die vorwiegend im Rahmen von biomedizinischen, seltener in naturwissenschaftlichen Forschungsprojekten gewonnen werden. So jedenfalls die Erfahrungen aus den Kommissionen zur Sicherung Guter Wissenschaftlicher Praxis, in denen derzeit vermehrt Fälle dieser Art zur Verhandlung anstehen. Dies verwundert. Doch möglicherweise verbirgt sich hinter dem Konflikt auch nur ein Scheingefecht. Denn sobald die gewonnenen Daten, um die oft bis aufs Messer gestritten wird, in Veröffentlichungen verarbeitet werden, gelten völlig andere Rechtsvorschriften, nämlich die des Urheberrechts. All dies ist bekannt und auch publiziert1. Nur zur Kenntnis genommen wird es offenbar erst, wenn es zu spät ist. Schon vor gut 25 Jahren hat Erwin Deutsch sich erstmals mit dem Thema der Eigentumsverhältnisse an Forschungsdaten am Beispiel multizentrischer Arzneimittelstudien befasst.2 Dass die Zeit hier nicht stehen geblieben ist, sollen die nachfolgenden Ausführungen belegen.
I. Die Eigentumsverhältnisse an Forschungsmaterialien Bei Forschungsprojekten im geisteswissenschaftlichen und medizinhistorischen Bereich spielt diese Frage gar keine Rolle. Denn der Geisteswissenschaftler, aber auch der theoretisch arbeitende Naturwissenschaftler benötigt im Wesentlichen Bücher, um zu seinen Ergebnissen zu gelangen. So lange er das Urheberrecht der anderen Autoren und das Zitatrecht respektiert, kann der Autor die in den Büchern veröffentlichten Ergebnisse für seine eigenen Forschungen verwerten und in sein Forschungsprojekt übernehmen. Anders dagegen bei Forschungsprojekten im Bereich der experimentellen Naturwissenschaften und in der Medizin, deren Er*
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Dr. iur. Hans-Dieter Lippert, Akademischer Direktor im Institut für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Ulm, Prittwitzstr. 6, 89075 Ulm, Email:
[email protected]. Vgl. hierzu schon Lippert, Rechtsprobleme der experimentellen medizinischen Doktorarbeit, WissR 1998, 43. Deutsch, Multizentrische Studien in der Medizin: Rechtsgestalt und Zugang zu den Daten, NJW 1984, 2611.
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gebnisse auf der Grundlage von wissenschaftlichen Experimenten erzielt werden sollen. Hier spielt bereits das Material, mit dem die Forschung durchgeführt wird, und die Rechte daran eine bedeutende Rolle. Gegenstände, die Forschungszwecken dienen sollen, (Geräte, Verbrauchsmaterialien, Versuchstiere etc.) und die aus Haushaltsmitteln der Universitäten beschafft werden, gehen in das Eigentum des Landes als des Trägers der Universität über. So sehen es nahezu einheitlich alle landesrechtlichen Vorschriften vor. Gleiches gilt auch für Beschaffungen dieser Gegenstände aus Mitteln Dritter, wobei hier (sofern vorgegeben) die Zweckbestimmung des Drittmittelgebers zu beachten ist3. Medizinische Forschung findet am menschlichen Körper insgesamt oder an Teilen davon statt. Zu denken ist hier an Körpermaterialien, wie etwa Blut- und Gewebeproben, Körperflüssigkeiten, Knochen und deren Teile, Hautstanzen, Nabelschnüre, Plazenten und menschliche Zellen, um nur einige zu nennen. Die Legitimation des Forschers zur klinischen Forschung am menschlichen Körper oder an Teilen davon ergibt sich wieder aus Art. 5 Abs. 3 GG. Dem stehen nach unserem Verfassungsverständnis aber die Grundrechte der Patienten oder Probanden aus Art. 1 und 2 GG gegenüber. Erst die Einwilligung4 des Patienten oder des Probanden berechtigt den Forscher daher zum Eingriff in die körperliche Integrität, welcher mit der klinischen Forschung häufig verbunden ist. Mit der Trennung des Körpermaterials vom Körper oder der Entnahme zu Zwecken der ärztlichen Behandlung wird der Patient regelmäßig einverstanden sein, wenn er in den Eingriff einwilligt, aber auch mit einer Verwendung des Materials zu diagnostischen Zwecken (wie bei Blut, Urin, Liquor etc.). In die Verwendung der Materialien zu Forschungszwecken muss der Patient oder Proband ebenfalls – nach entsprechender Aufklärung versteht sich – gesondert einwilligen. Allen genannten Objekten ist gemeinsam, dass sie – im Gegensatz zum menschlichen Körper insgesamt, der nicht eigentumsfähig ist5 – mit der Trennung vom menschlichen Körper Eigentum des bisherigen Trägers werden.6 3 4
5
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Vgl. hierzu z.B. §§ 13 Abs. 5-7, 41 LHG bw. Vgl hierzu Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rz. 243 ff.; Giessen, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl. 1995, S. 105 ff.; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 6 Rz. 21 ff.; Laufs, Arztrecht, 5. Aufl. 1993, Rz. 160 ff.; Münchener Kommentar-Wagner, BGB, 4. Aufl. 2004, § 823 Rz. 309, 665 ff.; Palandt-Sprau, BGB, 67. Aufl. 2008, § 823 Rz. 134 ff.; BVerfGE 52, 131; BGHZ 29, 36; Lippert, Die Einwilligung in der medizinischen Forschung und ihr Widerruf, DMW 1997, 912. Wie hier: Münchener Kommentar-Holch, 5. Aufl. 2006, § 90 Rz. 3, Forkel, Verfügungen über Teile des menschlichen Körpers – ein Beitrag zur zivilrechtlichen Erfassung der Transplantationen, JZ 1974, 594 m.w.Nachw.; so auch Müller, Die kommerzielle Nutzung menschlicher Körpersubstanzen, 1997, S. 77 ff.; Vgl. hierzu auch neuestens Halàsz, Das Recht auf bio-materielle Selbstbestimmung, 2004. Wie hier: Münchener Kommentar–Holch, Rz. 3; Forkel (o.Anm.4); PalandtHeinrichs/Ellenberger (o.Anm.4), § 90 Rz. 2; Staudinger-Dilcher (o.Anm. 3), § 90 Rz. 16; Schröder/Taupitz, Menschliches Blut: verwertbar nach Belieben ?, 1991, S. 35 ff.; Rieger, Lexikon des Arztrechts, 1984, Rz. 973 ff. m.w.Nachw.; nach anderer Ansicht steht dem bisherigen Träger der Sachen, die nach der Trennung zunächst herrenlos sind, das ausschließliche Aneignungsrecht zu. Vgl. Staudinger-Coing, BGB, § 90 Rz. 4; vgl.
Wem gehören Daten, die im Rahmen von Forschungsprojekten gewonnen werden?
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Das Eigentum hieran erwirbt der Träger des Krankenhauses erst durch Übereignung oder wie z.B. bei pathologischen Präparaten durch Verarbeitung (§ 950 BGB). Bei Wahlleistungspatienten wird der behandelnde, liquidationsberechtigte Professor Eigentümer.7 Für die Verwendung der beispielhaft genannten Körpermaterialien zu Forschungszwecken wird von einer gleichsam automatischen Übereignung nicht ausgegangen werden dürfen. Vielmehr muss der Patient – mehr noch der Proband – darüber aufgeklärt werden, was mit dem Körpermaterial geschehen soll. In diesen Fällen empfiehlt es sich, einen Übereignungsvertrag mit dem Patienten/Probanden zu schließen. Darin ist klar zu sagen, was mit dem Material geschehen soll. Eigentümer wird also z.B. die Universität, die den Leiter der jeweiligen Einrichtung, in der an dem Material geforscht werden soll, vertritt.8 Die Allgemeinen Vertragsbestimmungen (AVB) der Universitätsklinika sehen derzeit keine Klausel vor, die eine Übereignung des vom Patienten getrennten Körpermaterials, sei es zu Zwecken der Krankenversorgung, sei es zu Forschungszwecken, an den Träger der Einrichtung zum Gegenstand hätte. Im Hinblick darauf, dass die Übereignung des Körpermaterials zu Forschungszwecken eher die Ausnahme denn die Regel sein wird, ist zu fragen, ob eine derartige Klausel nicht eine überraschende Klausel im Sinne von §§ 305 ff. BGB darstellte, mit der der Proband oder Patient nicht zu rechnen braucht, wenn er Aufnahme im Universitätsklinikum begehrt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die persönlichkeitsrechtlichen Belange des Patienten oder Probanden an den getrennten Körpermaterialien tangiert werden.9 Unter den öffentlich-rechtlichen Ethikkommissionen besteht Einigkeit darüber, dass auch die Forschung an Körpermaterialien als klinische Versuche am Menschen anzusehen ist. Daher hat sich der sie durchführende Arzt nach ärztlichem
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auch zum Ganzen: Laufs (o.Anm.4), Rz. 277 ff. m.w.Nachw., der im Anschluss an Schröder/Taupitz zu Recht auf den persönlichkeitsrechtlichen Aspekt der Verwendung von Körpermaterialien zu Forschungszwecken hinweist. Vgl. zur ähnlich gelagerten Situation bei den Eigentumsverhältnissen an den Krankenakten: Lippert, Übertragbarkeit der Rechtsprechung des BGH zum Urheberrecht an Ausgrabungsunterlagen auf Krankenunterlagen?, NJW 1993, 763. Vgl. hierzu den Fall des John Moore, dessen Körperzellen die Universitätsklinik, in der er sich behandeln ließ, gewerblich genutzt hatte, ohne dass ihm mitgeteilt worden war, welch wertvolle Stoffe aus ihnen gewonnen und gewinnbringend vermarktet werden konnten. Vgl. hierzu Taupitz, Die Zellen des John Moore vor den amerikanischen Gerichten: Ende der heimlichen Nutzung menschlicher Köpersubstanzen? VersR 1991, 369. Vgl. wie hier: Schröder/Taupitz (o.Anm. 6), S. 98 f. m.w.Nachw.; neuestens auch Müller, Die kommerzielle Nutzung menschlicher Körpersubstanzen, 1997, S. 152 ff. m.w. Nachw. aus Rechtsprechung und Literatur und dem Hinweis auf die ähnliche Situation bei der „Sektionsklausel“ in den AVB der Krankenhäuser, die jedoch für zulässig erachtet wird, soweit sie nur die Einwilligung des Patienten zur Vornahme einer Sektion zum Inhalt hat; vgl. zur alten Rechtslage auch BGH NJW 1990, 2313 (ohne Entscheidung zu § 3 AGBG), eine Entscheidung, die im Schrifttum auf Ablehnung gestoßen ist. Vgl. Deutsch, NJW 1990, 2315; für eine eingeschränkte Zulässigkeit Laufs (o.Anm.4), Rz. 268 ff. m.w.Nachw.
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Berufsrecht (§ 15 MBO) durch eine bei der zuständigen Ärztekammer oder bei einer medizinischen Fakultät eingerichtete Ethikkommission über die damit zusammenhängenden berufsrechtlichen und berufsethischen Fragen beraten zu lassen.10 Die DFG besteht jedenfalls bei von ihr geförderten Forschungsprojekten an Körpermaterial, bei denen nach der Trennung des Materials vom Körper des ehemaligen Trägers noch ein persönlichkeitsrechtlicher Bezug besteht, auf der Bewertung durch eine Ethikkommission.11 Diese Pflicht zur Beratung gilt auch bereits für den Doktoranden, sofern das universitäre Satzungsrecht dies so vorsieht (wie z.B. in Ulm). Hat die Institution das Eigentum an personenbezogenen Daten der Patienten oder Probanden erlangt, so berechtigt diese Stellung eines Eigentümers noch nicht zur Verwertung der Daten. Diese unterliegen zunächst erst einmal der ärztlichen Schweigepflicht. Solange der Patient oder Proband nicht in die Veröffentlichung eingewilligt hat, dürfen weder die Institution noch deren Angehörige die Daten durch Veröffentlichung wissenschaftlich verwerten.12 Nach den Forschungsklauseln in den Datenschutzgesetzen ist eine Verwendung zu wissenschaftlichen Zwecken zwar ausnahmsweise auch ohne schriftliche Einwilligung möglich, sofern überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen. Dass dies der Fall ist, hat der Forscher zu belegen. Jedoch hat die ärztliche Schweigepflicht Vorrang vor den datenschutzrechtlichen Vorschriften.
II. Die Eigentumsverhältnisse an Forschungsdaten Man sollte meinen, der Eigentümer des Forschungsmaterials werde normalerweise auch Eigentümer des daraus erzielten Forschungsergebnisses, sofern es ein gegenständliches Ergebnis ist. Der Eigentumserwerb kann sich aber auch, wie schon oben gesagt, durch Verarbeitung vollziehen. Am Beispiel der für medizinische Forschungsprojekte häufig relevanten Krankenakten lässt sich dies besonders gut zeigen.13 Danach gilt für die Eigentumsver10
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Vgl. Hierzu auch § 5 Abs. 1 Satz 3 KammerG bw: „Bei der Landesärztekammer wird eine Ethikkommission eingerichtet ... zur ethischen Beurteilung ärztlicher Tätigkeit und zur Beratung ihrer Kammermitglieder .... durch Satzung. Die Universitäten haben entsprechende Satzungen zu erlassen.“; Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung, 4. Aufl. 2006, § 15 m.w.Nachw. In der Ethikkommission, der der Verfasser angehört, wird für die Begutachtung die Vorlage einer Forschungs- und Übereignungsvereinbarung nebst Patienteninformation und Einwilligung des Probanden oder Patienten gefordert. Andere Kommissionen verfahren identisch. Vgl. hierzu Lippert, Die medizinische Dissertation mit Versuchen am Menschen – Beratung durch eine Ethikkommission ?, MedR 2002, 353. Vgl. hierzu Lippert, Der Krankenhausarzt als Urheber, MedR 1994, 135 (139) m.w.Nachw.; ders. Rechtsprobleme bei der Forschung in Notfall- und Intensivmedizin, DMW 1994, 1796 m.w.Nachw.; ders. Rechtsfragen bei Forschungsprojekten am Menschen, VersR 1997, 545. Vgl. hierzu BGH NJW 1952, 661; Rieger (o.Anm.6), Rz. 1077; Jäckel, Über den Begriff, die Pflicht zur Führung und Aufbewahrung sowie die Rechtsnatur der Krankenun-
Wem gehören Daten, die im Rahmen von Forschungsprojekten gewonnen werden?
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hältnisse an Krankenakten folgendes: Im Rahmen der normalen Krankenversorgung erwirbt der Träger des Krankenhauses Eigentum an den Krankenakten durch Verarbeitung gem. § 950 BGB oder auf vertraglicher Grundlage, weil der Chefarztvertrag es so vorsieht und alle in die Krankenversorgung eingeschalteten nachgeordneten ärztlichen wie nichtärztlichen Mitarbeiter im Rahmen ihrer Dienst- (Arbeits-) verhältnisse verpflichtet sind, diese Tätigkeit für den Arbeitgeber auszuüben.14 An den Universitäten gilt folgende Rechtslage: Das dort tätige Personal genießt gegenüber demjenigen an nichtuniversitären Einrichtungen einen Sonderstatus, jedenfalls soweit es sich dabei um Professoren (im statusrechtlichen Sinn), Hochschuldozenten, Wissenschaftliche Assistenten und Privatdozenten handelt. Diese können sich bei ihrer Tätigkeit auch als Ärzte auf das grundgesetzlich verbriefte Recht zur freien wissenschaftlichen Forschung aus Art. 5 Abs. 3 GG berufen.15 Werden also Krankenunterlagen zu Forschungszwecken angefertigt, etwa im Rahmen Klinischer Prüfungen von Arzneimitteln oder Medizinprodukten oder für epidemiologische Studien (Drittmittelprojekte), so wird derjenige Professor, unter dessen Leitung das Projekt steht, Eigentümer der von ihm und unter Mitwirkung seiner ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter gefertigten Unterlagen. Aus ihrem Dienstverhältnis sind die Mitarbeiter dem Professor gegenüber verpflichtet, wissenschaftliche oder nichtwissenschaftliche Tätigkeiten zu erbringen. Der Eigentumserwerb vollzieht sich nach § 950 BGB. Die Mitarbeiter verarbeiten hier das Material des Trägers der Einrichtung für den Professor. Unter diese Fallgestaltung fallen etwa Anamnesen, technische oder bildliche Aufzeichnungen wie EEG, EKG, CT, Röntgenaufnahmen, NMR-Bilder, Aufzeichnungen von Laborwerten etc.16, wenn und solange an dieser rechtlichen Zuordnung der Ergebnisse medizinischer Forschung vertraglich nichts verändert worden ist. Bei dieser grundlegenden Darstellung der Rechtsverhältnisse ist der (medizinische) Doktorand zunächst einmal völlig außer Acht gelassen worden. Vorstehend gemachte Ausführungen gelten aber auch für ihn uneingeschränkt, sofern er als Bediensteter in einem Dienstverhältnis zum Träger von Universität/Universitätsklinikum stehen sollte. In der Praxis der medizinischen Fakultäten ist dies aber eher die Ausnahme. Die Mehrzahl der medizinischen Dissertationen entsteht schon im 1. und 2. klinischen Studienabschnitt, also zwischen dem 5. - 10. Semester.17 Natürlich spräche
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terlagen, in: Mergen (Hrsg.), Die juristische Problematik in der Medizin, 1971, Bd. II, S. 164; Lenkaitis, Krankenunterlagen aus juristischer insbesondere zivilrechtlicher Sicht, 1979, S. 53 ff.; Lippert (o.Anm.6); ders., Der Krankenhausarzt..., MedR 1994, 135. Vgl. hierzu Lippert (o.Anm.7); so auch BGH NJW 1991, 1480. Vgl hierzu Lipper, (o.Anm.7); ders., Der Arbeitnehmererfinder als Arzt im Universitätsklinikum, Die Personalvertretung, 1996, 107 m.w.Nachw.; BGH NJW 1991, 1480. Vgl. Lippert, MedR 1994, 135; ders, Die Personalvertretung 1996, 107, jeweils m.w.Nachw. Vgl hierzu H.Lippert, Die medizinische Dissertation, 3. Aufl., 1989 m.w.Nachw., immer noch ein hervorragender Ratgeber für den Doktoranden.
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nichts dagegen, mit dem Doktoranden eine vertragliche Abrede über das Eigentum am Forschungsergebnis, die Verwertungsbefugnis und eine Ertragsbeteiligung zu treffen. Nur wird es in der Praxis auch aus fehlendem Problembewusstsein heraus nicht getan. Ist derjenige, der Forschungsdaten erhoben und verkörpert hat, Eigentümer dieser Daten, so kann außer ihm niemand über die Daten verfügen. Ja, er kann jeden von der Nutzung und Verwertung der Daten gegebenenfalls auch auf gerichtlichem Wege ausschließen. Sind die Daten Inhalt eines urheberrechtlich geschützten Werkes geworden, so steht dem Urheber der Schutz des Urheberrechtsgesetzes zu. Auch er kann jeden anderen von der Nutzung oder Verwertung des Werkes ausschließen und gegen widerrechtliche Nutzungen und Verwertungen des Werkes gerichtlich vorgehen. Die Missachtung dieser rechtlichen Grunderkenntnisse führt häufig im Bereich der Hochschulmedizin und in den Naturwissenschaften dazu, dass sich die Kontrahenten, nicht selten in der Konstellation Mitarbeiter gegen Chef, vor der Kommission zur Ahndung von Verstößen gegen die Gute Wissenschaftliche Praxis unter dem Vorwurf des Datendiebstahls zumeist ziemlich frustrierende Scheingefechte um eben diese Rechte liefern, obwohl sie häufig und möglicherweise entgegen gut gemeintem Rat vorher keine Absprachen hierüber getroffen haben.18
III. Forschungsdaten und Arbeitsrecht Nicht nur der sachenrechtliche Aspekt der Eigentumsverhältnisse an verkörperten Forschungsdaten ist für die Beurteilung der Rechtsverhältnisse an diesen Daten von Bedeutung, sondern auch die arbeitsrechtlichen Beziehungen der Beteiligten spielen hier eine Rolle. Ähnlich wie im Urheberrecht hat das Arbeitsrecht Auswirkungen auf das Ergebnis auch forscherischer Tätigkeit. Wer in einem Arbeitsverhältnis steht, zu dessen Aufgabe es gehört, wissenschaftliche Ergebnisse zu erzielen (und dies ist bei den meisten Angehörigen des akademischen Personals der Fall), muss sich fragen lassen, welche Rechte an den erzielten Ergebnissen bestehen. Was die Eigentumsverhältnisse am Ausgangsmaterial angeht, so gilt das oben unter II. Gesagte uneingeschränkt auch hier. Wer nach dem Inhalt seines Arbeitsverhältnisses zur Erzielung wissenschaftlicher Ergebnisse verpflichtet ist oder verpflichtet ist, hierbei unterstützend tätig zu sein, der wird nicht Eigentümer der Ergebnisse. Und selbst wenn er Eigentümer der Ergebnisse nach § 950 BGB würde, wäre er verpflichtet, nach seinem Arbeitsverhältnis das Eigentum daran auf seinen Arbeitgeber zu übertragen, der ihn schließlich für die Erzielung dieser Ergebnisse bezahlt.19 Eine offensichtliche Lücke bleibt allerdings dann bestehen, wenn derjenige, der die Forschungsergebnisse erzielt, in keinem Arbeitsverhältnis zur Institution oder zum Forscher selbst steht. Dies ist regelmäßig bei Studierenden der jeweili18
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Vgl. auch Lippert, Die Fälschung von Forschungsdaten ahnden - ein mühsames Unterfangen, WissR 2000, 210. Palandt-Bassenge, § 950 Rz. 7.
Wem gehören Daten, die im Rahmen von Forschungsprojekten gewonnen werden?
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gen Fachrichtung der Fall. Sie mögen zwar Mitglieder der jeweiligen Universität sein, als solche stehen sie aber auch als Promovenden nicht zugleich in einem arbeits- oder arbeitsrechtsähnlichen Verhältnis zur Institution. Man wird daher zu differenzieren haben.
1. Wissenschaftlicher (Akademischer) Mitarbeiter Zu ihren Dienstaufgaben, einerlei ob Angestellte oder Beamte, gehört die Gewinnung wissenschaftlicher Ergebnisse in abhängiger Stellung. Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Institution, in deren Auftrag sie tätig werden, nicht nur das Eigentumsrecht, sondern auch das Verwertungsrecht an dem erzielten (und verkörperten) Resultat erwerben. Ein eigenes Verwertungsrecht des Bediensteten scheidet aus.
2. Promovenden/Doktoranden Es bleibt also festzuhalten: Der medizinische Doktorand als Student hat aus dem mitgliedschaftlichen Verhältnis zur Universität keine Verpflichtung in Forschungsprojekten, in denen er eingesetzt wird, Eigentum zu schaffen und dieses auf den Betreuer zu übertragen. Auch aus dem Betreuungsverhältnis des Betreuers zum Doktoranden lässt sich eine derartige Verpflichtung nicht herleiten.20 Hier ist zu differenzieren: Ist der Promovend, wie zum Beispiel im Bereich der Medizin häufig der Fall, nur Studierender und steht er nicht in einem Arbeitsverhältnis zur Institution, wenn er die wissenschaftlichen Daten erhebt, so ergibt sich keine rechtliche Verpflichtung, die erzielten Ergebnisse an den Betreuer zu übereignen. Der Doktorand, der Material der Universität oder seines Betreuers verarbeitet, kann, sofern die weiteren Voraussetzungen des § 950 BGB vorliegen, Eigentümer der neuen Sache werden. Der Betreuer hat jedenfalls als solcher kraft Gesetzes keine Rechtsansprüche gegen den Doktoranden etwa auf Herausgabe oder gar Übertragung des Eigentums. Hält man den Promovenden dagegen für verpflichtet, die Ergebnisse seiner Forschungstätigkeit im Auftrag des jeweiligen Betreuers der Forschungsprojekte zu erheben, dann wäre er aus diesem Verhältnis verpflichtet, die Ergebnisse im Auftrag des Betreuers zu erzielen. Er wäre dann nur Erfüllungsgehilfe des Betreuers.. In diesem Fall ergibt sich eine Verpflichtung des Promovenden, die Ergebnisse an den Betreuer zu übertragen, aus § 667 BGB. Es kann dies das Eigentum an den Ergebnissen sein, aber auch das Verwertungsrecht aus dem Urheberrecht.
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Vgl. hierzu Wimmer, Die wirtschaftliche Verwertung von Doktorandenerfindungen, GRUR 1961, 449; BGH NJW 1960, 912 ff.
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3. Drittmittelforschung Anders können die Bedingungen im Bereich der Drittmittelforschung liegen. Hier hat der Sponsor/Drittmittelgeber regelmäßig ein Interesse daran, die Ergebnisse selbst zu verwerten. Dies hat zur Voraussetzung, dass er das Eigentum an den Daten und die weiteren Verwertungsrechte an den Ergebnissen erwirbt. Probleme in der Praxis gibt es deshalb nicht, weil die Bewilligungsbescheide der Forschungsförderungseinrichtungen derartige Eigentumserwerbe bzw. Verwertungsrechte vorsehen oder die vertraglich getroffenen Vereinbarungen dies tun. Aus diesen Vereinbarungen sind die sie schließenden Parteien/Institutionen gebunden, unabhängig davon, welche nachgeordneten Personen sie in die Erfüllung der übernommenen Verpflichtung einschalten. Zu den Dienstpflichten auch der Akademischen Mitarbeiter gehört es nach den meisten Landeshochschulgesetzen, Drittmittel einzuwerben. Tun sie dies und stimmt die Leitung der Hochschule der Annahme der Drittmittel zu, so können die Akademischen Mitarbeiter im Rahmen der Zweckbestimmung des Drittmittelgebers frei forschen. Dies heißt, dass der Leiter der Einrichtung, der sie angehören, weder Eigentümer des Forschungsmaterials noch Eigentümer der verkörperten Daten wird. Zu einer Verfügung darüber, auch zur Verwendung der Daten in Publikationen, ist er nicht automatisch berechtigt. Die oben geschilderten Besonderheiten bei der Erarbeitung wissenschaftlicher Ergebnisse im Arbeits- oder Dienstverhältnis finden im Bereich der Drittmittelforschung keine Anwendung.
IV. Das Verfügungsrecht über Forschungsdaten Die Möglichkeit zur Verfügung über die gewonnenen Forschungsdaten folgt im Regelfall der übernommenen Verpflichtung zur Verwertung dieser Daten. Das Eigentumsrecht an den Daten selbst berechtigt zu nichts, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt. Die Berechtigung zur Verfügung über die erzielten Daten ist überlagert durch andere rechtliche Vorschriften oder übernommene vertragliche Verpflichtungen. Bedienstete im Arbeits- oder Beamtenverhältnis sind nicht ohne weiteres berechtigt, über die erzielten Ergebnisse zu verfügen, weil entsprechend den Inhalten des Dienst- oder Beamtenverhältnisses der Arbeitgeber/Dienstherr Eigentümer der Ergebnisse wird oder durch andere vertragliche Vereinbarungen eine solche Verfügungsbefugnis eingeräumt ist.
V. Forschungsdaten und Urheberrecht Eigentümer der erhobenen Forschungsdaten und ihr Urheber zu sein, heißt nicht zugleich, zu ihrer Verwertung befugt zu sein. Diesen grundlegenden Satz des Urheberrechts verkennen im Wissenschaftsbetrieb viele Beteiligte. Wer die wissenschaftlichen Daten erhoben hat, also ihr Eigentümer und zugleich ihr Urheber ist, muss nicht zugleich auch die Berechtigung besitzen, über sie verfügen zu können. Diese Befugnis ist im Wissenschaftsbetrieb der Universität häufig von ar-
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beitsrechtlichen Vereinbarungen und von gesetzlichen Vorgaben abhängig. Wer im Dienst- oder Beamtenverhältnis wissenschaftliche Daten und Ergebnisse zu erheben verpflichtet ist, ist zwar Urheber der Ergebnisse, aber wegen § 43 UrhG nicht berechtigt, über diese Ergebnisse zu verfügen. Wer in abhängiger Stellung an der Gewinnung wissenschaftlicher Daten beteiligt ist, wird überdies nicht Eigentümer dieser Daten und Ergebnisse, sondern der Arbeitgeber bzw. Dienstherr. Auch wenn es dem Laien nicht einfach zu vermitteln sein mag: Selbst wenn derjenige, der die wissenschaftlichen Daten erhoben hat, deren Eigentümer sein mag, so ist er doch zur eigenen Verwertung nicht befugt, weil er eben für diese Tätigkeit bereits vergütet oder besoldet worden ist. Urheberrechtsfähig im Sinne des Urheberrechtsgesetzes ist nur eine persönliche Schöpfung mit entsprechender Gestaltungshöhe. Nicht urheberrechtsfähig sind somit wissenschaftliche Erkenntnisse, Theorien, Forschungs- und Untersuchungsergebnisse, Diagnosen und Ideen, solange sie nicht vom Urheber schöpferisch verarbeitet und in einem Werk verkörpert sind. Das Urheberrechtsgesetz bezeichnet den Schöpfer des Werkes als Urheber. Denkbar ist auch eine Miturheberschaft21 mehrerer Personen, die gemeinsam ein Werk geschaffen haben, wobei jeder einen schöpferischen Anteil daran leisten muss. Wer Anregungen und Ideen, Fakten und Arbeitsthemen beisteuert, ohne selbst schöpferisch tätig zu werden, ist nicht Miturheber. So ist Urheber des Forschungsprojekts der Doktorand selbst, nicht der Doktorvater, der das Thema angeregt, betreut und das Forschungsprojekt korrigiert hat.22 Miturheberschaft ist beim Forschungsprojekt in der Form denkbar, dass der Doktorand in seine Forschungsprojekte z.B. Röntgenaufnahmen eines Röntgenologen und ihre Beurteilung aufnimmt.23 Nicht Urheber ist, wer nur Hilfstätigkeiten ausgeführt hat. Die Abgrenzung ist in der Praxis schwierig. Sie wird umso schwieriger, als je höherwertiger die geleistete Tätigkeit anzusehen ist. Keine Urheberschaft liegt vor, wenn lediglich handwerkliche Leistungen erbracht werden, also das Schreiben des Manuskripts, das Lesen der Korrekturen, die Fertigung von Registern, das Sammeln von Literaturmaterial, das Zusammenstellen technischer Daten, die Auswertung von Akten und Dateien nach vorgegebenen Schemata und auf Anweisung. In allen diesen Fällen fehlt es dem Mitarbeiter an der Möglichkeit, seine eigene Individualität und seine persönlichen Gedanken zum Ausdruck zu bringen.
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Vgl. hierzu grundsätzlich Schricker-Löwenheim, Urheberrecht, 2. Aufl. 1999, § 8 Rz. 4 ff.; Hubmann/Rehbinder, Urheber- und Verlagsrecht, 7. Aufl. 1991, § 20; zum Beamten als Urheber Seewald/Freundling, NJW 1986, 2688 m.w.Nachw.; Kimminich, Veröffentlichungsrecht des Wissenschaftlers, in: Fortbildungsprogramm für die Wissenschaftsverwaltung Bd. 21, 1985, S. 5 ff. Vgl. Hubmann, Urheberrechtsprinzipien für das Verhältnis zwischen Professor und Mitarbeiter, in: Fortbildungsprogramm für die Wissenschaftsverwaltung Bd. 21, 1985, S. 59 (63); wie hier auch Schricker-Löwenheim (o.Anm.21), § 8 Rz. 4 ff.; Hubmann/Rehbinder (o.Anm.22), § 20 I. In diesem Fall ist auch eine Werkverbindung nach § 9 UrhG denkbar, weil und soweit Bilder und Text getrennt verwertet werden können; Vgl. hierzu Hubmann/Rehbinder (o.Anm.21), § 21, I.
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Auch Fotografien, Röntgenaufnahmen und technische Aufzeichnungen können urheberrechtsfähige Werke sein. Einerlei, ob Röntgenaufnahmen als Darstellungen wissenschaftlicher Art (in Einzelfällen), als Lichtbildwerke (selten) oder als Fotografien zu qualifizieren sind. Urheber ist derjenige, der die Aufnahme fertigt (fotografiert)24. Es kann dies im Einzelfall der Doktorand selbst sein. Häufiger wird dies aber die Röntgenassistentin oder der krankenhauseigene Fotograf sein, der die Aufnahmen im Auftrag des Krankenhausträgers, des Professors oder des Doktoranden fertigt. Der Fotograf ist bei Patientenbildern und Situs-Aufnahmen Urheber. Zur Verwertung ist er aber, da das Verwertungsrecht dem Arbeitgeber zusteht, nicht befugt. Der Doktorand ist aber nicht Arbeitnehmer. Fertigt er selbst die Fotografien, so gilt dies für ihn nicht. Er kann verwerten. Da ein Forschungsprojekt – auch eine medizinisches – immer eine selbständige wissenschaftliche Leistung darstellen muss, ist auf der Grundlage dieser Definition lediglich eine Miturheberschaft des Doktoranden an einem Forschungsprojekt schon begrifflich ausgeschlossen. Im Übrigen versichert der Doktorand, wenn er die Arbeit einreicht, diese selbständig angefertigt und nur die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet zu haben. Will der Betreuer der Forschungsprojekte deren Ergebnisse in eine eigene Veröffentlichung aufnehmen, so kann dies Probleme bereiten. Eine wissenschaftliche Erkenntnis ist nämlich dann nicht mehr neu, wenn sie durch eine Publikation bereits bekannt gemacht worden ist. Auch ein wissenschaftlicher Fortschritt ist dann nicht mehr gegeben. Das Ergebnis eines Forschungsprojekts darf also erst nach Abschluss des Promotionsverfahrens anderweitig veröffentlicht werden.
VI. Forschungsdaten und Erfinderrecht Nicht auszuschließen ist, dass Daten, die aus einem Forschungsprojekt gewonnen werden, eine technische Neuerung enthalten, die die Anforderungen an ein Patent (technische Neuerung, gewerbsmäßige Verwertung) erfüllen und daher zum Patent angemeldet werden können. Handelt es sich beim Erfinder um einen Angestellten oder Beamteten, so sind die Vorgaben des Arbeitnehmererfindungsgesetzes (ArbEG ) zu beachten. Dies bedeutet, dass der Erfinder als Angestellter oder Beamteter zwar Erfinder, aber in der Verwertung seiner Erfindung eingeschränkt ist. Verwerten darf der Arbeitgeber bzw. Dienstherr. Dem Arbeitnehmererfinder steht allerdings eine Vergütung zu. Auf Nicht-Arbeitnehmer ist das Gesetz nicht anwendbar. Keine Arbeitnehmer sind zum Beispiel Studierende und alle diejenigen, die von der Geltung des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) ausgenommen sind. Dieser Personenkreis kann die gemachte Erfindung selbst verwerten. Im universitären Bereich kann es sich empfehlen, mit denjenigen, die nicht unter das ArbEG fallen, Absprachen über die Verwertung von Erfindungen zu treffen. Im Bereich der Drittmittelforschung sind derartige Absprachen im Rahmen von Forschungsverträgen üblich. 24
Vgl. hierzu Lippert, Zum Urheberrecht an Krankenunterlagen, DMW 1990, 1119 m.w.Nachw.
Wem gehören Daten, die im Rahmen von Forschungsprojekten gewonnen werden?
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VII. Zusammenfassung 1. Materialien der Forschung stehen normalerweise im Eigentum von Universität/Universitätsklinikum. Körpermaterialien der Patienten werden nach der Trennung vom Körper des Patienten zunächst dessen Eigentum, erst durch Übereignung Eigentum der Universität. An den Materialien kann der Doktorand, aber auch jeder andere, der in den Bearbeitungsprozess eingeschaltet ist, auch nach § 950 BGB durch Umbildung und Verarbeitung Eigentum erwerben. Dies gilt aber nicht für Personen im Angestellten- oder Beamtenverhältnis, zu deren Aufgaben es gehört, wissenschaftliche Dienstleistungen zu erbringen.
2. Sofern vertraglich nichts anderes vereinbart ist, erwirbt der Doktorand als Student alle Rechte am Ergebnis seines Forschungsprojekts. Weder das Doktorandenverhältnis noch das Betreuungsverhältnis des Betreuers zum Doktoranden stellen Rechtsverhältnisse dar, aus denen urheberrechtlich oder nach Arbeitnehmererfinderrecht Rechte der Universität oder des Betreuers am Ergebnis der Dissertation begründet werden.
3. Sollen bei Forschungsprojekten, die mit Drittmittelförderung entstehen, die Ergebnisse dem Sponsor zustehen, so müssen zwischen der Institution und den Beteiligten wegen Fehlens gesetzlicher Vorgaben am besten vorab entsprechende vertragliche Absprachen getroffen werden. Der Zuwendungsbescheid kann eine solche Vereinbarung entbehrlich machen.
4. Sind Akademische Mitarbeiter aufgrund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses verpflichtet, wissenschaftliche Arbeitsleistungen zu erbringen, dann werden nicht sie, sondern der Arbeitgeber Eigentümer der Ergebnisse, also auch der verkörperten Daten. Eine eigene Befugnis zur Verwertung steht den Mitarbeitern nicht zu.
Der ärztliche Behandlungsabbruch, Änderung der Therapieziele am Lebensende – Rechtssicherheit für den Arzt?
Gerhard A. Müller und Jan Knöbl
I. Einleitung Das Problem der sog. „Sterbehilfe“ ist im Spannungsfeld der ärztlichen Behandlungspflicht und der Patientenautonomie zu sehen1. Hier ist für den Arzt2, der sterbens- bzw. schwerkranke Patienten behandelt, nach wie vor manches unklar. Vor allem strafrechtliche Fragen sind für den Arzt von großer Bedeutung3. Die unsichere Rechtslage und die Vielschichtigkeit der denkbaren Entscheidungsgrundlagen erschweren es ihm, eine Entscheidung für oder gegen einen Behandlungsabbruch am Lebensende zu treffen4. Schon die Ermittlung des Patientenwillens5, der eine zentrale Rolle für den behandelnden Arzt spielt, ist nicht immer einfach. Umso schwieriger gestaltet es sich, wenn weder eine tatsächliche noch eine mutmaßliche Einwilligung des Patienten vorliegt und ein einverständlicher Behandlungsabbruch ausscheidet. In einem solchen Fall stellt sich dann häufig die Frage, ob ein einseitiger Behandlungsabbruch6 möglich ist und welche Kriterien der Arzt bei seiner Entscheidungsfindung zu berücksichtigen hat. Die sozioökonomische Entwicklung führt zu der Überlegung, inwiefern bei der rechtlichen Bewertung von Behandlungsabbrüchen neben dem Lebenserhaltungsinteresse 1 2
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Oduncu, MedR 2005, 437, 437; Mertin, ZRP 2004, 170 ff. Die nachfolgenden Bezeichnungen „Arzt“ und „Patient“ werden einheitlich und neutral für „Ärzte und Ärztinnen“ sowie „Patienten und Patientinnen“ verwendet. Dazu, dass die derzeit bestehenden Regelungen auf den hier behandelten Problemkreis nicht zugeschnitten sind, Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 320. Ausführlich dazu Müller/Knöbl/Blaschke, in Duttge, Ärztliche Behandlung am Lebensende, 2008, S. 61 ff. Eine Studie des Universitätsklinikums Düsseldorf zeigt, dass Ärzte generell dazu neigen, lebenserhaltende Maßnahmen durchzuführen, vgl. vom Lehn, Artikel vom 14. Mai 2008 in: Welt Online, abrufbar im Internet unter http://welt.de/ welt_print/article1992542/Aerzte_scheuen_Therapieabbruch_zur_passiven_Sterbehilfe. html (letzte Einsicht: 19.9.2008). Vgl. dazu Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn 682. Ausführlich Duttge, NStZ 2006, 479 ff.
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auch Gesichtspunkte der Kosteneffektivität eine Rolle spielen können7. Es entspricht der Realität, dass ein Arzt bei seinen Behandlungsentscheidungen immer häufiger auch ökonomische Aspekte8 berücksichtigt bzw. berücksichtigen muss9. Kostenbegrenzungen im Gesundheitswesen zwingen ihn dazu10. Das wurde auch ganz deutlich in der Entscheidung des britischen National Institute for Clinical Excellence, das vor wenigen Wochen entschied, dass 2.100 bis 3.500 Euro pro Mensch und Monat zu viel seien. Dies beinhaltet auch die Maßgabe, dass derzeit vier Krebsmedikamente für Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom künftig vom Gesundheitssystem nicht mehr zu bezahlen sind. Ähnliche – wenn auch nicht eine Behandlung am Lebensende betreffende – Diskussionen gab es auch in Deutschland, als das Pharmaunternehmen Novartis Anfang des Jahres 2007 sein Medikament zur Bekämpfung der altersabhängigen Makuladegeneration11 auf den Markt brachte12. Lässt man derartige Kriterien in die Entscheidung über den ärztlichen Behandlungsabbruch einfließen, bedeutet dies jedoch zugleich, das Lebenserhaltungsinteresse des Patienten mit materiellen Interessen in Verhältnis zu setzen13. Bereits die Grobskizzierung der Problemfelder macht deutlich, dass es erforderlich ist, die Möglichkeiten des ärztlichen Behandlungsabbruchs am Lebensende zu erörtern und mehr Rechtssicherheit für den Arzt einzufordern.
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Dazu, dass diese Frage im Rahmen der Sterbehilfediskussion kaum eine Rolle spielt, Lenckner/Eser in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Vorbemerkungen zu den §§ 211 ff. Rn 30 m. Nachweisen. Kritisch zu derartigen Überlegungen z. B. Bauer, Der Onkologe 2003, 1325, 1326. Ausführlich dazu E.J. Emanuel/L.L. Emanuel, The New England Journal of Medicine 1994, 540 ff. Dazu, dass sog. “Todeskandidaten” sehr kostenintensive Behandlungen benötigen, Zylka-Menhorn, Deutsches Ärzteblatt 1994, A-621. Deutsch, VersR 1998, 261 ff.; vgl. auch ders./Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn 667; Zylka-Menhorn, Deutsches Ärzteblatt 1994, A-621. Vgl. Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 333: „[…] die finanziellen Ressourcen unseres Gesundheitssystems sind nicht unerschöpflich.“ Skeptisch zu Einsparungsmöglichkeiten bei Behandlungen am Lebensende, jedoch nicht auf die deutschen Verhältnisse bezogen, E.J. Emanuel/L.L. Emanuel, The New England Journal of Medicine 1994, 540 ff. Vgl. dazu http://www.novartis.de/therapiebereiche/novartis_pharma/ makuladegeneration/index.shtml (letzte Einsicht: 2.10.08). Vgl. dazu Mayer, in: FOCUS Nr. 38 (2007): http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/ sehen/altersbedingte-makuladegeneration-fokussiert-auf-die-kosten_aid_219942.html (letzte Einsicht: 2.10.08). Vgl. Lenckner/Eser in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Vorbemerkungen zu den §§ 211 ff. Rn 30. Grundsätzlich gegen die Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte am Lebensende Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn 669; Hirsch, ZRP 1986, 239, 241; zweifelnd Eschelbach in von HeintschelHeinegg, Beck´scher Online-Kommentar StGB, Edition 5 (Stand: 1.2.2008), § 216 Rn 4.4. Kritisch zur „Risikobewertung von Intensivpatienten“ durch Softwareprogramme Zylka-Menhorn, Deutsches Ärzteblatt 1994, A-621.
Der ärztliche Behandlungsabbruch – Rechtssicherheit für den Arzt?
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II. Der verfassungsrechtliche Rahmen des Behandlungsabbruchs am Lebensende Auch wenn das Problem der Sterbehilfe überwiegend auf der Ebene des Strafrechts14 und des Zivilrechts diskutiert wird, sind die verfassungsrechtlichen Dimensionen zu beachten15. Bei deren Betrachtung wird deutlich, dass vor allem die Grundrechte einen rechtlichen Rahmen für die Sterbehilfedebatte bieten. Eine wesentliche Stellung in der Diskussion um Behandlungsabbrüche am Lebensende nehmen dabei der Lebensschutz und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ein. Sie sollen im Folgenden den Kern der Skizzierung des verfassungsrechtlichen Rahmens darstellen. Daneben kann auch die Handlungsfreiheit eines Sterbehelfers zu beachten sein16. Des Weiteren können die angesprochenen ökonomischen Aspekte in diesem Zusammenhang eine verfassungsrechtliche Relevanz haben17. Der Lebensschutz genießt gemäß Art. 2 II 1 GG Verfassungsrang. Das Grundgesetz schützt damit eines der höchsten Rechtsgüter18. Art. 2 II 1 GG stellt jedem Menschen ein primär staatsgerichtetes19 Abwehrrecht zur Verfügung20. Darüber hinaus ergeben sich Schutzpflichten des Staates hinsichtlich der Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit21. Art. 2 II 1 GG schützt den Bürger daher sowohl vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen als auch vor Beeinträchtigungen durch private Dritte22. Seiner Schutzpflicht kommt der Staat unter anderem durch die Schaffung normativer Bestimmungen nach, die den Schutz des menschlichen Lebens bezwecken23. Die Schutzpflicht des Staates hat ihre verfassungsrechtliche
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Der Lebensschutz wurde einfachgesetzlich im Wesentlichen im Strafgesetzbuch geregelt, vgl. Storr, MedR 2002, 436, 436. Es finden sich jedoch auch in anderen Rechtsgebieten Normen, die das Rechtsgut Leben schützen, vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, 2006, S. 162 f. Storr, MedR 2002, 436 ff.; Hufen, NJW 2001, 849 ff.; Lindner, JZ 2006, 373 ff.; vgl. allgemein Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, 2006, S. 166. Lindner, JZ 2007, 373, 377. Storr, MedR 2002, 436, 441: „Ein bedeutsames Rechtsgut, das eine Beschränkung des Lebensrechts rechtfertigen kann, ist z. B. die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Staates und der gesetzlichen Krankenversicherungen (Art. 109 Abs. 2 GG […])[…]“. BVerfGE 49, 24, 53; BGH, NJW 2001, 1802, 1803; Storr, MedR 2002, 436, 436; Kunig in von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl. 2000, Art. 2 Rn 44; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, 2006, S. 163. Es handelt sich also vor allem um ein Abwehrrecht gegenüber staatlichen Krankenhäusern und den dort beschäftigten Ärzten, Storr, MedR 2002, 436, 436. Storr, MedR 2002, 436, 436; Lindner, JZ 2005, 373, 375; Kirchhof, Zeitschrift für medizinische Ethik 51 (2005), 229, 232; Kunig in von Münch/Kunig, GrundgesetzKommentar, 5. Aufl. 2000, Art. 2 Rn 51. Storr, MedR 2002, 436, 436; Lindner, JZ 2006, 373, 376; Murswiek in Sachs, Grundgesetz-Kommentar, 4. Aufl. 2007, Art. 2 Rn 188 ff. Vgl. Kunig in von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl. 2000, Art. 2 Rn 55; Landau, ZRP 2005, 50, 53. Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, 2006, S. 162 f.
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Grundlage aber nicht nur in Art. 2 II 1 GG24, sondern auch in Art. 1 I 2 GG25. Daraus ergibt sich, dass Behandlungsabbrüche, die eine Lebensverkürzung zur Folge haben, aus verfassungsrechtlicher Sicht nur zulässig sein können, wenn die Menschenwürde des Patienten nicht angetastet wird, d. h. dieser nicht zum Objekt staatlichen Handelns26 und der Intensivmedizin gemacht wird27. Daneben räumt das Verfassungsrecht dem Patientenwillen einen ebenso hohen Stellenwert ein. Es gewährt ihm die Freiheit der Selbstbestimmung28. Konkret schützt das Grundgesetz durch Art. 2 I GG29 eine Patientenentscheidung gegen lebens- und gesundheitserhaltende Maßnahmen, was ebenfalls der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 I GG) entspricht30. Das in der Einleitung bereits angesprochene Spannungsfeld kann also dahingehend präzisiert werden, dass eine verfassungsrechtliche Konfliktlage besteht, wenn entgegengesetzte Interessen von Verfassungsrang geltend gemacht werden. Bei der rechtlichen Beurteilung ärztlicher Behandlungsabbrüche sind die genannten grundrechtlichen Positionen zu berücksichtigen. Diese sind im Ausgangspunkt als gleichwertig anzusehen. Der Fokus der Untersuchung soll im Folgenden auf der strafrechtlichen Beurteilung der Sterbehilfe liegen, weil gerade in dieser Hinsicht erhebliche Risiken für den Arzt bestehen. Die strafrechtlichen Normen sind – wie allgemein unterverfassungsrechtliche Normen31 – im Lichte der skizzierten Vorgaben der Verfassung anzuwenden32.
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Storr, MedR 2002, 436, 436; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, 2006, S. 163. BVerfG, NJW 1993, 1751 ff.; BVerfG, NJW 1995, 2343; Hillgruber in Epping/Hillgruber, Beck´scher Online-Kommentar GG, Edition 1 (Stand: 1.2.2008), Art. 1 Rn 17. Zum Zusammenhang von Lebensschutz und Menschenwürde vgl. Lorenz in Isensee/Kirchhof, HStR, Band VI, 1989, § 128 Rn 4. Grundlegend dazu Dürig, AöR 81 (1956), 117 ff. Es ist aber mit Hufen, NJW 2001, 849, 850 „nicht jede Beendigung von Leben […] zugleich ein Eingriff in die Menschenwürde.“ Umgekehrt argumentiert können Behandlungsabbrüche, die z. B. mit einer bloßen Schmerztherapie einhergehen, gerade dem Schutz der Menschenwürde am Lebensende zuträglich sein, vgl. Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben durch Patienten-Testament, Betreuungsverfügung, Vorsorgevollmacht, 1997, S. 194. Vgl. Schreiber, NStZ 1986, 337, 337; Kreß, ZRP 2005, 139, 140; Höfling, JuS 2000, 111, 114. Dafür, dass das Recht, über das eigene Leben zu verfügen, von Art. 2 I GG geschützt ist, Storr, MedR 2002, 436, 436; Hufen, NJW 2001, 849, 851. Für eine Ableitung aus Art. 2 II 1 GG BVerfGE 52, 131, 173 f. = NJW 1979, 1925, 1931. Offen Landau, ZRP 2005, 50, 51. Hufen, NJW 2001, 849, 851; Holzhauer, ZRP 2004, 41, 43; Blandini, BWNotZ 2007, 129, 130. BVerfGE 7, 198, 205. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, 2006, S. 166.
Der ärztliche Behandlungsabbruch – Rechtssicherheit für den Arzt?
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III. Strafrechtliche Probleme für den Arzt beim Therapieabbruch als Lebensbeendende Maßnahme 1. Der Eintritt des Todes Für den Arzt ist zunächst die Frage entscheidend, ob bei dem Patienten der Tod bereits eingetreten ist oder nicht. Anknüpfend an das Schutzgut Leben kann der durch die §§ 211 ff. StGB gewährte strafrechtliche Lebensschutz nur den Schutz des noch lebenden Menschen bezwecken33. Bedeutsam ist neben der Klärung des rechtlichen Todesbegriffs auch die medizinische Feststellung des Todes. Bei den sicheren Todeszeichen werden frühe und spätere Zeichen unterschieden. Als frühe Veränderungen gelten die Merkmale: Totenflecke und Totenstarre. Auch Veränderungen am Körper, die mit dem Leben nicht vereinbar sind, werden als solche Zeichen angesehen, wie z. B. das Trennen von Kopf und Rumpf. Späte Veränderungen resultieren aus den Zeichen der Zersetzung wie Verwesung, Mumifizierung, bakterielle Fäulnis oder Autolyse durch körpereigene Enzyme. Hierzu zählen auch die Veränderungen durch Tierfraß etc. Unsichere Zeichen sind z. B. fehlende Atmung, Bewusst- und Pulslosigkeit, Hautblässe oder die Abkühlung des Körpers um nur einige wenige zu nennen. a) Die rechtliche Seite: Der Todesbegriff Für die rechtliche Beurteilung eines Behandlungsabbruchs, welcher zum Tod eines Patienten führt, ist es also erforderlich, den Zeitpunkt des Todes eines Menschen zu bestimmen. Das Strafgesetzbuch verwendet zwar z. B. in § 218 II 2 Nr. 2 den Begriff des „Todes“, normiert in § 212 den „Totschlag“, es definiert diese Begriffe jedoch nicht. Auch dem Transplantationsgesetz ist keine ausdrückliche Entscheidung für einen Todesbegriff zu entnehmen34, der möglicherweise auf strafrechtliche Fragestellungen übertragbar wäre. Ohnehin wäre fraglich, inwiefern einfachgesetzliche Bestimmungen den Lebensbegriff des Grundgesetzes verbindlich bestimmen könnten35. Der Todesbegriff ist daher unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu ermitteln. Aufgrund des hohen Ranges des Schutzgutes Leben (s. o.) muss ein extensiver Lebensbegriff zu Grunde gelegt werden. Mit diesem Erfordernis ist die Annahme, dass der Tod bereits mit dem irreversiblen Ausfall des Cortex eintrete (sog. Teilhirntod)36, nicht zu 33
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Lenckner/Eser in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Vorbemerkungen zu den §§ 211 ff. Rn 16; Schneider in Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 1. Aufl. 2003, Vorbemerkung zu den §§ 211 ff. Rn 5. Müller-Christmann in Bamberger/Roth, Beck´scher Online-Kommentar BGB, Edition 9 (Stand: 1.1.2008), § 1922 Rn 5; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, 2006, S. 147 f. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, 2006, S. 147 f. m. Nachweisen zu den vertretenen Ansichten. Dafür etwa Kurthen/Linke in Hoff/in der Schmitten, Wann ist der Mensch tot?, 1. Aufl. 1994, S. 81, 88 ff.; vgl. auch Dencker, NStZ 1992, 311 315 mit ablehnender Erwiderung Joerden, NStZ 1993, 268 ff. Für weitere Nachweise vgl. Merkel, Früheutha-
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vereinbaren. Es wären etwa Menschen mit irreversiblem apallischem Syndrom für tot zu erklären, obgleich sie eine lange Zeit ohne eine Intensivbehandlung existieren können37. Die Annahme eines so früh eintretenden Todes verkennt, dass bei diesen Personen wesentliche Funktionen des menschlichen Organismus trotz erheblicher Hirnschädigungen erhalten sind38. Sie ist daher weder mit den (verfassungs-) rechtlichen Vorgaben noch mit medizinischen Erkenntnissen konform und demzufolge als nicht hinnehmbare Relativierung des Lebensschutzes abzulehnen39. Auch ökonomische Vorteile, die aus der Annahme des Cortextodes resultieren können40, vermögen kein anderes Ergebnis zu begründen, knüpften sie doch nicht an das Personsein an. Vielmehr ist für die Bestimmung des Todes eines Menschen der sog. Gesamthirntod maßgeblich41. Dieser setzt das Erlöschen aller Gehirnfunktionen voraus42 und beachtet damit, dass gerade dies bewirkt, dass die Wesensmerkmale menschlicher Individualität verloren gehen43. Die früher vertretene Ansicht, der Tod knüpfe an den Stillstand von Kreislauf und Atmung an (sog. klinischer Tod)44, ist vor dem Hintergrund der medizinischen Entwicklung45 und
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nasie, 1. Aufl. 2001, S. 119 Fn 54 und Geilen in Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag, 1972, S. 373, 391 Fn 43. Merkel, Früheuthanasie, 1. Aufl. 2001, S. 119. Schneider in Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 1. Aufl. 2003, Vorbemerkung zu den §§ 211 ff. Rn 21; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, Vorbemerkung vor §§ 211 ff. Rn 4; Vogel/Hocke, Jura 2005, 709, 710. Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, Vorbemerkung vor §§ 211 ff. Rn 4; Schneider in Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 1. Aufl. 2003, Vorbemerkung zu den §§ 211 ff. Rn 21; Vogel/Hocke, Jura 2005, 709, 710; Müller/Knöbl/Blaschke, in Duttge, Ärztliche Behandlung am Lebensende, 2008, S. 65. Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, 1992, S. 128. Lenckner/Eser in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Vorbemerkungen zu den §§ 211 ff. Rn 19; Lorenz in HStR, Band VI, 1989, § 128 Rn 15; Vogel/Hocke, Jura 2005, 709, 710; Lüttger, JR 1971, 309, 312. Dies wird auch in der erbrechtlichen Rechtsprechung so gesehen, vgl. OLG Frankfurt, NJW 1997, 3099 ff.; OLG Köln, NJW-RR 1992, 1480, 1481. Vgl. zum Begriff auch § 3 II 2 Nr. 2 TPG, welcher auf das Gesamthirntodkriterium abstellt, BT-Drs. 13/8027, S. 2; Bamberger in Bamberger/Roth, Beck´scher Online-Kommentar BGB, Edition 9 (Stand: 1.2.2007), § 1 Rn 30; Jauernig in Jauernig, Kommentar zum BGB, 12. Aufl. 2007, § 1 Rn 3; Laufs, NJW 1998, 1750, 1754. Zum Problem dieses Todesbegriffes Deutsch, NJW 1998, 777, 778. Vgl. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer, Deutsches Ärzteblatt 1998, A1861; vgl. auch Lüttger, JR 1971, 309, 312. Allerdings ist auch dieser Todesbegriff nicht über alle Zweifel erhaben, weil bei einem bereits eingetretenen Gesamthirntod ebenso Lebensprozesse beobachtet werden können, vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, 2006, S. 147 m. Nachweisen. Man könnte daher erwägen, einen „variablen“ Todesbegriff einzuführen. Dagegen spricht aber wiederum das Erfordernis der Rechtssicherheit, vgl. Lorenz, HStR, Band VI, 1989, § 128 Rn 15. Schneider in Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 1. Aufl. 2003, Vorbemerkung zu den §§ 211 ff. Rn 16. Hansen, Gerichtliche Medizin, 2. Aufl. 1965, S. 20 f.; kritisch dazu Geilen in Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag, 1972, S. 373, 376 ff.; gegen diesen Todesbegriff auch Blandini, BWNotZ 2007, 129, 129. Zu denken ist z. B. an die Möglichkeiten der Reanimation, vgl. Lenckner/Eser in
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den Anforderungen der Transplantationsmedizin46 nicht mehr haltbar. Festzuhalten bleibt daher, dass der strafrechtliche Lebensschutz mit dem Eintritt des Gesamthirntodes endet. b) Die medizinische Seite: Die Feststellung der Todes Hier werden die bereits vorab genannten sicheren Todeszeichen zur Feststellung des Todes herangezogen. Würden aber ausschließlich diese Kriterien zugrunde gelegt werden, dann wäre nach heutiger Auffassung eine Entnahme von Organen zum Zwecke der Transplantation nicht möglich. Aus diesen Gründen wurden Zeichen zur Festlegung des Hirntodes identifiziert. Sie umfassen im Wesentlichen folgende Parameter: weite lichtstarre Pupillen, die zerebrale Areflexie, das Nulllinien-EEG, sowie der mittels Angiographie oder Dopplersonographie festgestellte Kreislaufstopp in den Hirnschlagadern.
2. Die verschiedenen Formen der Sterbehilfe Im Rahmen der Sterbehilfedebatte hat sich die Unterscheidung zwischen aktiver Sterbehilfe, indirekter Sterbehilfe und passiver Sterbehilfe herausgebildet. Diese Terminologie ist einerseits kritisch zu beurteilen, andererseits haben sich in den letzten Jahren gewisse gefestigte Argumentationsmuster herausgebildet. Kritisch ist die Unterteilung in die genannten Kategorien z. B. deswegen, weil sowohl bei der aktiven Sterbehilfe als auch bei der indirekten Sterbehilfe die Lebensverkürzung durch aktives Handeln vorsätzlich herbeigeführt wird47. Dennoch werden diese Formen der Sterbehilfe rechtlich unterschiedlich bewertet. So kann als Faustregel festgehalten werden, dass die Unzulässigkeit aktiver Sterbehilfe im Anwendungsbereich des deutschen Rechts ebenso anerkannt ist wie die Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe48.
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Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Vorbemerkungen zu den §§ 211 ff. Rn 16; vgl. auch Müller-Christmann in Bamberger/Roth, Beck´scher OnlineKommentar BGB, Edition 9 (Stand: 1.1.2008), § 1922 Rn 5; Bamberger in Bamberger/Roth, Beck´scher Online-Kommentar BGB, Edition 9 (Stand: 1.2.2007), § 1 Rn 30; Lüttger, JR 1971, 309, 310. Vgl. dazu Lenckner/Eser in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Vorbemerkungen zu den §§ 211 ff. Rn 16; Schneider in Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 1. Aufl. 2003, Vorbemerkung zu den §§ 211 ff. Rn 17; vgl. auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn 711; Geilen, JZ 1968, 145, 149 f.; Blandini, BWNotZ 2007, 129, 129. Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 323; vgl. auch Eser in Auer/Menzel/Eser, Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, 1977, S. 88. Die Begründung dieser Einschränkung des Tötungsverbots des § 216 StGB ist umstritten. Vgl. zu den verschiedenen Begründungsansätzen Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 573 f.
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a) Das Verbot der aktiven Sterbehilfe Unter aktiver Sterbehilfe ist eine gezielte Lebensverkürzung zu verstehen. Sie ist nach geltendem Recht unzulässig. Dies kann aus § 216 StGB abgeleitet werden, auch wenn für den dort getroffenen Grundsatz noch zu besprechende Einschränkungen bestehen49. Ob dieses Verbot der aktiven Sterbehilfe verfassungsrechtlich gefordert ist, ist fraglich, da das Grundgesetz – wie gezeigt – sowohl das Leben als auch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten schützt. Das Verbot aktiver Sterbehilfe stellt einerseits eine Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten dar, weil das „ausdrückliche und ernstliche Verlangen“ eines Patienten den Arzt nicht legitimiert, aktive Sterbehilfe zu leisten50. Andererseits stellte die Zulassung aktiver Sterbehilfe eine Beschränkung des Lebensschutzes dar51. Vor diesem Hintergrund ist das Verbot aktiver Sterbehilfe verfassungsrechtlich jedenfalls nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber ist berechtigt, im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes die widerstreitenden Interessen so auszugleichen, dass jedenfalls die „Tötung auf Verlangen“ verboten sein soll. Dieses Verbot dient nicht nur dem Schutz des Lebens, sondern auch dem Schutz Sterbewilliger vor sachfremden Einflüssen und missbräuchlichen Erwägungen52. Eine Lockerung dieses Verbots in dem Sinne, dass die gezielte aktive Tötung Sterbewilliger erlaubt wird, ist daher als zu weitgehende Relativierung des Lebensschutzes abzulehnen53. b) Rechtliche Probleme bei der indirekten Sterbehilfe Bei der indirekten Sterbehilfe handelt es sich um die Durchführung von gebotenen schmerz- bzw. – allgemeiner – leidenslindernden Maßnahmen54 bei einem todkranken Patienten, die eine Lebensverkürzung zur Folge haben können. Die Lebensverkürzung stellt dabei jedoch nur eine unbeabsichtigte Nebenfolge der Medikation dar55. In diesem Fall spricht man also deswegen von indirekter Sterbehilfe, weil die Behandlung nicht auf den Tod des Patienten abzielt, sondern 49
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Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 340; vgl. auch Otto, NJW 2006, 2217, 2222. Vgl. Lindner, JZ 2006, 373, 375; Hirsch, ZRP 1986, 239, 241; Schreiber, NStZ 1986, 337, 339; Landau, ZRP 2005, 50, 50. Hufen, NJW 2001, 849, 854; Storr, MedR 2002, 436, 437; vgl. auch Ruhs, Der Behandlungsabbruch beim Apalliker, 2006, S. 16. Vgl. Lindner, JZ 2006, 373, 383; Kutzer, MedR 2001, 77, 78; vgl. auch Landau, ZRP 2005, 50, 51 f.; Schreiber, NStZ 2006, 473, 476. In anderen Ländern ist die aktive Sterbehilfe z. T. – freilich innerhalb gewisser Grenzen – zulässig, vgl. z. B. Carlet/Thijs/Antonelli u. a., Challenges in end-of-life care in the ICU, Intensive Care Med 2004, 770 ff.; Schreiber, NStZ 2006, 473, 475. Speziell zur Rechtslage in den Niederlanden vgl. z. B. Janssen, ZRP 2001, 179 ff. Die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe entspricht der Ansicht der Mehrheit der Ärzte, vgl. 104. Deutscher Ärztetag, Deutsches Ärzteblatt 2001, A-1463, 1465; Janes/Schick, NStZ 2006, 484, 485. Gegen eine Beschränkung auf schmerzlindernde Maßnahmen zu Recht Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 575. BGH, NJW 2001, 1802, 1803; Holzhauer, ZRP 2004, 41, 42.
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auf die Linderung von Leiden und Schmerzen. Trotz der grundsätzlichen Anerkennung der Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe als Einschränkung des Tötungsverbots des § 216 StGB besteht in Einzelfällen Rechtsunsicherheit für den behandelnden Arzt. Diese betrifft insbesondere Fragen der Abgrenzung zur aktiven Sterbehilfe sowie den Personenkreis, dem zulässigerweise Sterbehilfe geleistet werden darf. Die indirekte Sterbehilfe unterscheidet sich von der aktiven Sterbehilfe auf der Ebene des subjektiven Tatbestandes56. Während die aktive Sterbehilfe die gezielte absichtliche Tötung meint, ist bei der indirekten Sterbehilfe fraglich, ob eine Einschränkung des Tötungsverbots nur bei Vorliegen eines dolus eventualis in Betracht kommt57, oder ob auch derjenige straflos ist, der sicher weiß58, dass eine Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung bewirkt59. Gegen eine Beschränkung der Straflosigkeit auf Fälle des dolus eventualis spricht, dass gerade die schmerzlindernde Behandlung eines Patienten dessen Menschenwürde in der Endphase des Lebens zu wahren versucht60. Dieses entscheidende Motiv der Behandlung sowie die nicht immer einfach zu bestimmende Abgrenzung der Vorsatzformen führen dazu, dass auch sicheres Wissen hinsichtlich der Lebensverkürzung der Straflosigkeit des behandelnden Arztes nicht entgegensteht. Vor diesem Hintergrund ist es wünschenswert, dass eine Regelung geschaffen wird, die ausdrücklich die wissentliche Lebensverkürzung in den Anwendungsbereich der indirekten Sterbehilfe einbezieht. Entsprechende Gesetzentwürfe sind daher zu begrüßen61. Uneinigkeit besteht weiterhin darüber, ob indirekte Sterbehilfe nur bei einem „Sterbenden“ geleistet werden darf62. Von einem Sterbenden spricht man, wenn bei Kranken oder Verletzten ein irreversibles Versagen einer oder mehrerer vitaler
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Schreiber, NStZ 1986, 337, 340; ders. NStZ 2006, 473, 475; Otto, NJW 2006, 2217, 2221. So Schöch, NStZ 409, 411; Kutzer, NStZ 1994, 110, 114 f.; unklar BGH, NJW 1997, 807, 810; a. A. etwa Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 327. Aufgrund der medizinischen Entwicklung wird vielfach angenommen, dass eine Schmerztherapie „nur noch selten mit Sicherheit […] zur Lebensverkürzung führt.“, Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 327 m. w. Nachweisen. Die Relevanz dieser Streitfrage ist jedoch auch wegen z. T. schwieriger Beweisfragen nicht zu unterschätzen. So z. B. Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 327; Schreiber, NStZ 2006, 473, 475. Otto, NJW 2006, 2217, 2221; Müller/Knöbl/Blaschke in Duttge, Ärztliche Behandlung am Lebensende, 2008, S. 61, 73. Vgl. § 214a Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe (AE-Sterbehilfe 1986), § 214a Alternativentwurf Sterbebegleitung sowie den Vorschlag der Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ v. 10.6.2004 für einen neuen § 216 III Nr. 1 StGB. Die Alternativentwürfe sind abgedruckt bei Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 557 bzw. 585. Der Vorschlag der Arbeitsgruppe ist im Internet abrufbar: http://www.bmj.de/ media/archive/695.pdf (letzte Einsicht: 19.9.2008). So z. B. die Grundsätze der Bundesärztekammer, vgl. Vorstand der Bundesärztekammer, NJW 1998, 3406 f.; a. A. z. B. Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 575.
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Funktionen vorliegt und der Eintritt des Todes in kurzer Zeit zu erwarten ist63. Fest steht aber, dass auch bei Patienten, die zwar an einer schweren Erkrankung leiden, jedoch noch längere Zeit leben können, ein erhebliches Schmerzlinderungsinteresse bestehen kann64. Wenn nun bestimmte schmerzlindernde Behandlungen das Risiko einer Lebensverkürzung in sich bergen, so kann genau dieses Risiko den Arzt – wegen der Strafbarkeitsrisiken verständlicherweise – von der Durchführung solcher Behandlungen abhalten65. Die geltende unklare Rechtslage nimmt dadurch eine unzureichende Schmerztherapie und unwürdige Bedingungen für den Patienten hin. Es bedarf daher einer Regelung, die die indirekte Sterbehilfe nicht auf Sterbende beschränkt, sondern solche Menschen in den Anwendungsbereich der indirekten Sterbehilfe einbezieht, die zwar noch Wochen oder gar Monate leben können, dennoch aber unzumutbare Schmerzen haben66.
3. Passive Sterbehilfe als Hauptproblemfeld Im Zusammenhang mit ärztlichen Behandlungsabbrüchen stellt die passive Sterbehilfe den relevantesten Problemkreis dar. Darunter versteht man das Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen durch eine Betreuungsperson, die in den meisten Fällen der behandelnde Arzt ist67. Häufige Beispiele sind das Abschalten eines Beatmungsgerätes oder die Entfernung einer Magensonde68. Bei diesen Verhaltensweisen liegt trotz einer aktiven Handlung im Sinne eines klassischnaturalistischen Handlungsbegriffs ein Unterlassen im strafrechtlichen Sinne vor69. Grund hierfür ist, dass der Abbruch der Behandlung seinem sozialen Sinngehalt nach dem Unterlassen der Weiterbehandlung gleichsteht. Die passive Sterbehilfe unterscheidet sich also bei wertender Betrachtung von der aktiven Sterbehilfe. Dennoch besteht ein Strafbarkeitsrisiko für den Arzt, wenn die Aufnahme bzw. Weiterbehandlung eine Lebensverlängerung bewirken kann und für den Arzt – was regelmäßig der Fall sein wird – eine Erfolgsabwendungspflicht besteht70. 63 64
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Bundesärztekammer, NJW 1998, 3406, 3406. Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 325; Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 575 m. Verweis auf § 214a Alternativentwurf Sterbebegleitung, abgedruckt bei dens., GA 2005, 553, 585. Vgl. Eser, JZ 1986, 786, 793; vgl. auch ders. in Auer/Menzel/Eser, Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, 1977, S. 88; Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, 1992, S. 130. Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 325. Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 328. Müller/Knöbl/Blaschke in Duttge, Ärztliche Behandlung am Lebensende, 2008, S. 61, 74; zu weiteren Beispielen vgl. Kutzer, FPR 2007, 59, 62. Vogel/Hocke, Jura 2005, 709, 710; Czerner, JR 2005, 94, 98; Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 331; Eser in Auer/Menzel/ Eser, Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, 1977, S. 89; Müller/Knöbl/Blaschke in Duttge, Ärztliche Behandlung am Lebensende, 2008, S. 61, 74; vgl. auch Schreiber, NStZ 2006, 473, 474 f. Lenckner/Eser in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Vorbemerkungen zu den §§ 211 ff. Rn 27. Behandlungspflichten für den Arzt können rechtsgeschäftliche
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Zwar besteht Einigkeit darüber, dass es „keine Rechtsverpflichtung zur Erhaltung eines erlöschenden Lebens um jeden Preis gibt“71, die exakten Grenzen der passiven Sterbehilfe sind aber dennoch unklar. So wird – vergleichbar wie bei der indirekten Sterbehilfe – zwischen der passiven Sterbehilfe im engeren Sinne und der passiven Sterbehilfe im weiteren Sinne unterschieden. a) Passive Sterbehilfe im engeren Sinne Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Grundleiden einen irreversiblen und tödlichen Verlauf genommen hat, ein Ausfall von Vitalfunktionen vorliegt und der Eintritt des Todes kurz bevorsteht72. Für die Sterbehilfe im engeren Sinne ist anerkannt, dass das Unterlassen medizinischer Behandlung straflos möglich ist, wenn das Leben unrettbar verloren und ein irreversibler Bewussteinsverlust eingetreten ist73. Dies entspricht der oben getroffenen Prämisse, dass es die Menschenwürdegarantie der Verfassung verbietet, den Patienten zum Objekt der Apparatemedizin zu machen. In dieser Endphase menschlichen Lebens kommt es auf den mutmaßlichen Patientenwillen nicht an74. Sogar ökonomische Faktoren können eine Rolle bei der Beurteilung des Behandlungsabbruchs spielen, wenngleich deutlich hervorzuheben ist, dass die Ressourcenschonung nur ein Nebenmotiv darstellen darf75. Gerade in diesen – zugegeben sehr sensiblen76 – Grenzbereichen des Lebens, in denen die Sinnhaftigkeit einer Lebensverlängerung nicht mehr besteht, sind gewisse Kosten-Nutzen-Relationen sogar sinnvoll, erfolgen sie doch auch zu
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Grundlagen haben (Stichwort: Behandlungsvertrag), aber auch aus gesetzlichen Vorschriften resultieren (vgl. § 323c StGB), vgl. Holzhauer, ZRP 2004, 41, 41. BGH, NJW 1984, 2639, 2642; Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 333; Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 562; Landau, ZRP 2005, 50, 52; Duttge, NStZ 2006, 479, 479; Müller/Knöbl/Blaschke in Duttge, Ärztliche Behandlung am Lebensende, 2008, S. 61, 74. Vgl. Otto, NJW 2006, 2217, 2218; Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, Deutsches Ärzteblatt 2004, A-1298. Kutzer, FPR 2007, 59, 62; Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 333; Otto, NJW 2006, 2217, 2218; vgl. auch BGH, NJW 1995, 204, 204. Kutzer, FPR 2007, 59, 62; Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 652; vgl. auch Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 333. Falls der Bewusstseinsverlust noch nicht eingetreten ist, so kann die Weiterbehandlung mit dem Willen des Patienten unterlassen werden, Otto, NJW 2006, 2217, 2218. Dessen Entscheidungsautonomie muss ohnehin Grundlage einer Behandlung sein, vgl. z. B. Holzhauer, ZRP 2004, 41, 41. Vgl. Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 333. Es darf gerade nicht zur einer „totalen Materialisierung“ kommen, vgl. Lenckner/Eser in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Vorbemerkungen zu den §§ 211 ff. Rn 30. Vgl. auch Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, 1992, S. 113. Nachweise zu der Frage „ob und inwieweit ein einseitiger Behandlungsabbruch auch wegen Unverhältnismäßigkeit von Aufwand und potentiellem Erfolg zulässig sein soll“ finden sich bei Lenckner/Eser in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Vorbemerkungen zu den §§ 211 ff. Rn 30. Lenckner/Eser, a. a. O., nennt die Fragestellung „delikat“.
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Gunsten anderer Patienten, denen durch Einsparungen an anderer Stelle möglicherweise besser geholfen werden kann. b) Passive Sterbehilfe im weiteren Sinne Schwieriger zu beurteilen sind die Fälle der passiven Sterbehilfe im weiteren Sinne. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat. Erfasst sind neben Patienten mit infauster Prognose77 z. B. auch schwerst zerebral geschädigte Personen, die aber, z. B. im Wachkoma befindlich, noch längere Zeit leben können78. Bei letzteren ist der Todeseintritt trotz irreversibler Schädigungen gerade nicht absehbar79. Ein einseitiger Behandlungsabbruch wie im Falle eines Sterbenden kommt in all diesen Fällen nicht in Betracht. Vielmehr kann nur ein einverständlicher Behandlungsabbruch vorgenommen werden. aa) Ein entscheidungsfähiger Patient, der die gesamte Tragweite der Situation erkennt, kann den Arzt mit seinem Willen, die Behandlung abzubrechen, binden; das entspricht der anerkannten Patientenautonomie80. An dieser eigentlich klaren Ausgangssituation sind jedoch nach einer Entscheidung des 12. Zivilsenats des BGH aus dem Jahr 200381 Zweifel aufgetreten. Es ist unklar, ob diese Entscheidung die Möglichkeit eines Behandlungsabbruchs allgemein auf Fälle beschränkt, in denen das Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf im Sinne eines alsbald eintretenden Todes genommen hat. Der Kontext der Entscheidung lässt diese Interpretation wohl nicht zu. Überdies stünde ein strenges Verständnis im Widerspruch zur sog. „Kemptener Entscheidung“ des 1. Strafsenats des BGH aus dem Jahr 199482, die sogar Wachkomapatienten in den Anwendungsbereich der passiven Sterbehilfe einbezieht83. Dennoch bleibt festzuhalten, dass schon die 77
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Patienten mit infauster Prognose befinden sich zwar noch nicht im Sterben, nach ärztlicher Erkenntnis werden sie jedoch in absehbarer Zeit sterben, weil die Krankheit weit fortgeschritten ist, vgl. Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbegleitung, Deutsches Ärzteblatt 2004, A-1298; Müller/Knöbl/Blaschke in Duttge, Ärztliche Behandlung am Lebensende, 2008, S. 61, 63. Erinnert sei hierzu an den Fall der Wachkomapatientin Theresa Maria Shiavo aus den USA. Ausführlich dazu Vogel/Hocke, Jura 2005, 709 ff. m. Nachweisen zur Dokumentation der Krankheitsgeschichte. Vgl. zur Differenzierung auch Becker-Schwarze, FPR 2007, 52, 53 Fn 20. Otto, NJW 2006, 2217, 2218; Holzhauer, ZRP 2004, 41, 41; Verrel, NStZ 2003, 449, 451; Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 562 f.; Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 329; Lenckner/Eser in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, Vorbemerkungen zu den §§ 211 ff. Rn 28; Müller/Knöbl/Blaschke in Duttge, Ärztliche Behandlung am Lebensende, 2008, S. 61, 66; LG Ravensburg, NStZ 1987, 229 f. BGH, NJW 2003, 1588 ff. BGH, NJW 1995, 204 ff.: Das Gericht entschied, dass bei der 70jährigen schwer und irreversibel cerebral geschädigten Patientin ein Behandlungsabbruch unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein könne, auch wenn der Sterbeprozess noch nicht eingesetzt habe. Becker-Schwarze, FPR 2007, 52, 53; vgl. auch Holzhauer, ZRP 2004, 41, 42; Ruhs, Der
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Zweifel daran, ob die höchstrichterliche Rechtsprechung die Autonomie des entscheidungsfähigen Patienten anerkennt, geeignet sind, Rechtsunsicherheit für den behandelnden Arzt hervorzurufen. Ein entscheidungsfähiger sterbenskranker Patient kann sich nicht sicher sein, dass ein Arzt seinem ausdrücklichen und ernstlich geäußerten Willen nachkommt. Dies bedeutet eine nicht hinnehmbare Einschränkung seiner grundrechtlich geschützten Freiheit, die auch das Recht, auf jede Behandlung zu verzichten, umfasst84. Daher ist der Formulierung des § 214 I Nr. 1 Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung85, der die Rechtswidrigkeit des Behandlungsabbruchs ausschließt, wenn der Betroffene „dies ausdrücklich und ernsthaft verlangt“, zu begrüßen. bb) Den umstrittensten Problemkreis der passiven Sterbehilfe bilden die Fälle entscheidungsunfähiger Patienten86. Hierunter fallen klassischerweise Patienten mit apallischem Syndrom (sog. Wachkomapatienten, vgl. bereits oben). Diese können sich im maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr äußern, so dass keine „aktuelle“ Einwilligung in den Behandlungsabbruch erfolgen kann. In diesen Fällen werden sog. antizipierte Willensbekundungen des Patienten, dessen mutmaßlicher Wille sowie Betreuungsentscheidungen und vormundschaftsgerichtliche Entscheidungen bedeutsam: (1) Antizipierte Willensbekundungen liegen z. B. vor, wenn ein Patient eine sog. Patientenverfügung verfasst hat. Verbindliche rechtliche Regelungen über die Voraussetzungen und die Reichweite von Patientenverfügungen existieren in Deutschland – trotz vielfacher Vorhaben87 – bisher nicht88. Weder im BGB noch im StGB hat die Patientenverfügung Eingang gefunden89. Dies ist bedauerlich, da es Sinn und Zweck von Patientenverfügungen ist, dem Willen des Patienten Geltung zu verleihen. Ihre Bedeutung geht über eine Indizwirkung für den mutmaßlichen Patientenwillen hinaus90. Patientenverfügungen sind geradezu Ausdruck des verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts. In Konsequenz dessen hat der Betreuungssenat des BGH die Verbindlichkeit der Patientenverfügungen 84 85
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Behandlungsabbruch beim Apalliker, 2006, S. 18 f. Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 563. Abgedruckt bei Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 584 sowie bei Schreiber, NStZ 2006, 473, 478. Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 334. Vgl. die Nachweise bei Müller in Bamberger/Roth, Beck´scher Online-Kommentar BGB, Edition 9 (Stand: 1.1.2008), § 1901a Rn 8; vgl. auch Müller/Knöbl/Blaschke in Duttge, Ärztliche Behandlung am Lebensende, 2008, S. 61, 68. Otto, NJW 2006, 2217, 2219; Müller in Bamberger/Roth, Beck´scher OnlineKommentar BGB, Edition 9 (Stand: 1.1.2008), § 1901a Rn 8; Wagner in MÜKO/BGB, Band 5, 4. Aufl. 2004, § 823 Rn 674. Dazu, dass nicht nur ein zivilrechtliches, sondern auch ein strafrechtliches Problem vorliegt, Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 564. Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 336; Verrel, NStZ 2003, 449, 450 f. („eigenständige Legitimationsgrundlage“).
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anerkannt91 und Abweichungen nur für sehr begrenzte Sachverhalte für zulässig erachtet92. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass für den behandelnden Arzt keine ausdrücklichen93 rechtlich verbindlichen Entscheidungsfindungshilfen existieren94. Wenn z. B. Vorgaben für die Abfassung von Patientenverfügungen existierten, könnten Entscheidungsschwierigkeiten vermieden werden95. Eine wesentliche Frage, die geklärt werden müsste, ist z. B. die nach einer ärztlichen Aufklärungspflicht im Vorfeld der Abfassung der Patientenverfügung96. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass ein dringendes Bedürfnis nach einer ausdrücklichen Regelung der Fragen im Zusammenhang mit Patientenverfügungen besteht97. (2) Existiert keine antizipierte Willensbekundung muss der mutmaßliche Wille des Patienten ermittelt werden, da das Selbstbestimmungsrecht des Patienten auch im Falle einer Entscheidungsunfähigkeit fortbesteht. Die Ermittlung des mutmaßlichen Willens gestaltet sich oft schwierig, weil unklar ist, ob objektive oder subjektive Kriterien heranzuziehen sind. Um zum einen den Wünschen des Patienten so weit wie möglich Rechnung zu tragen, sich zum anderen aber auch nicht in Spekulationen zu verlieren, ist die Durchführung einer objektiven Interessenabwägung, die unter subjektivem Korrekturvorbehalt steht, vorzugswürdig98. Die Anwendung dieser Vorgaben in der Praxis ist nicht einfach, so dass für den Arzt die Faustregel „in dubio pro vita“ unbedingt gelten muss99. Diese Schwierigkeit, den mutmaßli91 92 93
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BGH, NJW 2003, 1588, 1591. Vgl. dazu Verrel, NStZ 2003, 449, 450. Gesetzentwürfe berücksichtigen die Patientenverfügung durchaus, vgl. z. B. § 214 I Nr. 2 Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung, abgedruckt bei Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 584. Ob die rechtliche Verbindlichkeit einer Patientenverfügung geregelt werden soll, wird unterschiedlich beantwortet, vgl. Zuck, ZRP 2006, 173, 175. Zu den Problemen, denen sich der Arzt ohne klare gesetzliche Regelung ausgesetzt sieht, Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 564. Für eine Bindung an eine Patientenverfügung, die bestimmte Kriterien erfüllen muss, Mertin, ZRP 2004, 170, 172. Vgl. Zwischenbericht der Enquete-Kommission Ethik und Recht in der modernen Medizin, BT-Drs. 15/3700, S. 37 ff.; vgl. auch Wagner in MÜKO/BGB, Band 5, 4. Aufl. 2004, § 823 Rn 674; Roxin in Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl. 2007, S. 313, 337. § 214 I Nr. 2 Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung, abgedruckt bei Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 584, sieht z. B. die Schriftlichkeit als Formvorschrift vor. Die Gremien, die mit der Erarbeitung von Gesetzentwürfen in diesem Zusammenhang befasst sind, sind sich uneinig, vgl. Zuck, ZRP 2006, 173, 174. Zu den einzelnen Streitpunkten vgl. auch Höfling, FPR 2007, 67, 67. Vgl. exemplarisch Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 564. Vgl. Deutsch, AcP 192 (1992), 161, 168; Wagner in MÜKO/BGB, Band 5, 4. Aufl. 2004, § 823 Rn 674. Höfling, JuS 2000, 111, 117; Verrel, MedR 1999, 547, 548; Müller/Knöbl/Blaschke in Duttge, Ärztliche Behandlung am Lebensende, 2008, S. 61, 67; Jung, Anmerkungen zum Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung, S. 6, abrufbar im Internet unter http://jung.jura.uni-saarland.de/Ab%202006/AE.Sterbebegleitung.pdf (letzte Einsicht: 19.9.08).
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chen Willen zu ermitteln, streitet daher auch für die Stärkung der Ausübung der Patientenautonomie durch Patientenverfügungen. (3) Behandlungsabbrüche können grundsätzlich auch von Betreuern veranlasst werden. Sie haben ihrer Entscheidung selbstverständlich den ermittelten Patientenwillen zugrunde zu legen und müssen um dessen Durchsetzung bemüht sein100. War eine Ermittlung des Patientenwillens nicht möglich, muss eine Interessensabwägung, die objektiven Wertmaßstäben entspricht, durchgeführt werden101. Wann allerdings zusätzlich das Vormundschaftsgericht eine solche Entscheidung kontrolliert, ist umstritten. Im Wesentlichen besteht Einigkeit darüber, dass das Vormundschaftsgericht dann zur Entscheidung berufen ist, wenn zwischen Betreuungsperson und behandelndem Arzt ein Konflikt besteht102. Teilweise wird jedoch auch eine Entscheidung hinsichtlich aller Fälle eines tödlichen Behandlungsverzichts gefordert103. Letzteres hat Vor- und Nachteile, weil zwar einerseits Missbrauchsfälle aufgedeckt werden könnten, andererseits die Verfahrensdauer zu Lasten des Patienten geht. Letztlich muss sich der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums für eines der Kontrollmodelle entscheiden. (4) Die vorstehenden Ausführungen haben Folgendes deutlich gemacht: Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten muss als Basis einer jeden ärztlichen Behandlung beachtet werden. Dies ist von der Rechtsprechung auch grundsätzlich anerkannt. Dennoch ist in dieser Hinsicht vieles unklar. Besonders bedeutsam ist die Frage, ob ein ermittelter Wille des Patienten, der auf den Abbruch einer Behandlung gerichtet ist, in den Fällen, in denen der Eintritt des Todes nicht kurz bevorsteht, überhaupt maßgeblich sein kann. Anlass zu dieser Frage gibt die Formulierung des Betreuungssenats des BGH aus dem Jahr 2003, wonach das Grundleiden eines Patienten einen „irreversiblen tödlichen Verlauf“ angenommen haben muss104. Diese Formulierung könnte bedeuten, dass z. B. bei Wachkomapatienten ein Behandlungsabbruch ausscheidet105, auch wenn ein entgegenstehender Wille des 100 101 102
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Otto, NJW 2006, 2217, 2220. Otto, NJW 2006, 2217, 2220. Vgl. BGH, NJW 2003, 1588, 1593 f.; BGH, NJW 2005, 2385, 2385; Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 570 ff.; Deutsch, NJW 2003, 1567, 1567; Mertin, ZRP 2004, 170, 172. Enquete-Kommission Ethik und Recht in der modernen Medizin, BT-Drs. 15/3700, S. 45. BGH, NJW 2003, 1588 ff. (Leitsatz 1). Fraglich ist, was genau unter dieser Voraussetzung zu verstehen ist, vgl. Ruhs, Der Behandlungsabbruch beim Apalliker, 2006, S. 25. Vgl. dazu Weber/Stiehl/Reiter/Rittner, Deutsches Ärzteblatt 2001, A-3184, 3186; Zwischenbericht der Enquete-Kommission Ethik und Recht in der modernen Medizin, BTDrs. 15/3700, S. 38: „Demenz und Wachkoma als solches fallen nicht unter irreversibles tödliches Grundleiden […]“. Dafür, dass der BGH den Eintritt in die Sterbephase fordert, Lipp/Klein, FPR 2007, 56, 57. Ähnlich auch Schäfer/Sommer, ZRP 2007, 135, 135. Dafür, dass auch bei Patienten mit einem apallischen Syndrom eine „irreversibel tödlich verlaufende Krankheit“ vorliegt, Verrel, NStZ 2003, 449, 451. Aus seiner Sicht trifft auch der BGH (NJW 2003, 1588 ff.) diese Aussage. Insgesamt ist die Frage, ob
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Patienten ermittelt wurde und obwohl der BGH den Bereich der passiven Sterbehilfe bereits auf Wachkomapatienten ausgeweitet hatte106. Aufgrund der bestehenden Unklarheit ist der BGH in einer neueren Entscheidung zu Recht davon ausgegangen, dass „die strafrechtlichen Grenzen einer Sterbehilfe im weiteren Sinn […] bislang nicht hinreichend geklärt [sind]“107. Solange dies der Fall ist, muss es für den Arzt tatsächlich dabei bleiben, dass die passive Sterbehilfe bei Wachkomapatienten im Zweifel nicht straflos möglich ist. Weil in dieser Situation das Recht der Selbstbestimmung hinreichend berücksichtigt werden muss, sind gesetzgeberische Vorgaben dringend erforderlich, welche die Reichweite eines auf einen Behandlungsabbruch gerichteten Patientenwillens regeln.
IV. Therapiezieländerung Aufgrund der Ausführungen der Bundesärztekammer aus dem Jahre 2004108 und den heutigen Möglichkeiten der Palliativmedizin wird heute oft nicht mehr vom Therapieabbruch gesprochen, zumal Patienten, die mit dem Begriff „Therapieabbruch“ konfrontiert werden, sich oftmals alleine gelassen fühlen. Hier sollen die Grundsätze der ärztlichen Sterbebegleitung bei Patienten realisiert werden, die sich zwar noch nicht im Sterben befinden, aber nach bestem ärztlichen Wissen und Kenntnis der Sachlage aller Voraussicht nach in absehbarer Zeit sterben werden. Es ist ganz offensichtlich, dass in dieser Situation nicht die Heilung oder Lebensverlängerung (kurative Zielsetzung), sondern die Linderung von Symptomen und die Verbesserung der Lebensqualität (z. B. Schmerzfreiheit) für die verbleibende Lebenszeit (palliative Zielsetzung) im Vordergrund des ärztlichen Handelns stehen109. Dies verlangt vom betreuenden Arzt ein hohes Maß an Wissen und Erfahrung, sowie ein großes Einfühlungsvermögen in die Situation des ihm anvertrauten Patienten. Wenn der Arzt in seinen Bemühungen um das Leben des Patienten berücksichtigt, dass das Leben durch die beiden Eckpfeiler Geburt und Tod eingegrenzt ist und er den Tod in seine Überlegungen hinsichtlich der richtigen therapeutischen Maßnahmen und der Prognose einkalkuliert, dann wird er das Versterben eines Patienten auch nicht als das Scheitern seiner therapeutischen Maßnahmen verstehen. Der Mensch hat ein Anrecht auf einen würdigen Tod. Erkennt der Arzt diese Situation und sind Änderungen der Therapieziele einzuführen, dann sind hierzu Beratungsgespräche über die Erkrankung, die anzunehmende Prognose sowie über Therapieoptionen von großer Wichtigkeit. In die Entscheidungsfindung hinsichtlich der geänderten Therapieziele sollten die Sichtweisen
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die Krankheit einen in naher Zukunft zu erwartenden tödlichen Verlauf nehmen muss, sehr umstritten, vgl. die Nachweise bei Zuck, ZRP 2006, 173, 174. BGH, NJW 1995, 204 ff. BGH, NJW 2005, 2385, 2386. Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, Deutsches Ärzteblatt 2004, A-1298, B-1076, C-1040. Jox/Borasio, Therapieziel nach dem Willen des Patienten. Patientenverfügungen in der Krebstherapie, Focus Onkologie 2008, 11: 51 ff.
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von allen Betroffenen, einschließlich der Pflegekräfte, gegebenenfalls auch der religiösen Betreuer einfließen.
Design Defects in Prescription Drugs: Intersections of Law and Science in American Products Liability Law
David G. Owen* Many have been bewitched, bedazzled, and bewildered in attempting to figure just how the principles of products liability should be applied to prescription drugs.1 Whether and how prescription drugs should be treated differently from other types of products has consumed more time and effort, and resulted in the gnashing of more teeth, than about any other particularized issue in all of American products liability law. In addition to featuring two prominent Restatement provisions – comment k to § 402A of the Restatement (Second) of Torts and § 6 of the more recent Restatement (Third) of Torts: Products Liability – the drug liability story wends through two of the most prominent cases in products liability law history: *
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Carolina Distinguished Professor of Law, University of South Carolina. This essay is dedicated to the distinguished career of Professor Dr. (mult.) Erwin Deutsch, whose many contributions to the scholarship on medical and pharmaceutical liability, including his FORSCHUNGSFREIHEIT UND FORSCHUNGSKONTROLLE IN DER MEDIZIN (Springer 2000 edition with Jochen Taupitz), ARZTRECHT UND ARZNEIMITTELRECHT (Springer 1991 edition), and his magisterial MEDIZINRECHT (Springer 2008 edition with Andreas Spickhoff), have markedly advanced the world’s understanding of the vital intersections of medicine and law. See, e.g., A. Bernstein, Enhancing Drug Effectiveness and Efficacy Through Personal Injury Litigation, 15 J.L. & POL’Y 1051 (2007); Stapleton, Liability for Drugs in the U.S. and EU: Rhetoric and Reality, 26 REV. LITIG. 991 (2007); A. Bernstein/J. Bernstein, An Information Prescription for Drug Regulation, 54 BUFF. L. REV. 569 (2006); V. Schwartz/Goldberg, A Prescription for Drug Liability and Regulation, 58 OKLA. L. REV. 135 (2005); Conk, The True Test: Alternative Safer Designs for Drugs and Medical Devices in a Patent–Constrained Market, 49 UCLA L. REV. 737 (2002); Henderson/Twerski, Drug Designs Are Different, 111 YALE L.J. 151 (2001); Conk, Is There a Design Defect in the Restatement (Third) of Torts: Products Liability?, 109 YALE L.J. 1087 (2000); Cupp, The Continuing Search for Proper Perspective: Whose Reasonableness Should Be at Issue in a Prescription Product Design Defect Analysis?, 30 SETON HALL L. REV. 233 (1999); Gilhooley, When Drugs Are Safe for Some But Not Others: The FDA Experience and Alternatives for Products Liability, 36 HOUS. L. REV. 927 (1999); M. Green, Prescription Drugs, Alternative Designs, and The Restatement (Third): Preliminary Reflections, 30 SETON HALL L. REV. 207, 209 (1999).
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David G. Owen
Feldman v. Lederle Laboratories2 and Brown v. Superior Court,3 which separately established in American law that principles of foreseeable risk and negligence, rather than “strict” liability, are the proper bedrocks of responsibility for manufacturers of pharmaceutical drugs. Drug products liability comprises a vastly complex range of issues, including the learned intermediary doctrine, product category liability, state of the art, federal preemption, the battle for supremacy between the consumer expectations and risk-utility liability tests for design defectiveness, the never-ending struggle between negligence and strict liability, the relationship between design and warning defects, and, at bottom, whether drugs in fact are sufficiently different from other types of products to be treated differently by products liability law.4 As with most products, manufacturers of prescription pharmaceuticals are subject to liability on four separate grounds: (1) for misrepresenting a drug’s dangers, (2) for creating dangers through defective manufacture, (3) for providing inadequate warnings about inherent dangers, and (4) for designing drugs in a dangerously defective manner. There is little debate about the first three grounds: all agree that manufacturers should bear the consequences of selling drugs that are said to be safe when the manufacturer knows that they are not, and for selling drugs that are dangerously contaminated or that contain substantial, hidden dangers of which the manufacturer should be aware. In America, the greatest debate about drug products liability law concerns the extent of a manufacturer’s responsibility for “design” problems in prescription pharmaceuticals. As will be explored below, the issue of design defectiveness is little more than a phantom issue in drug litigation in America where, in the final analysis, “the liability game is with the warnings candle, not with design.”5
I. The Problem of Dangerous Drugs Prescription drugs are paradoxical: as one of the greatest triumphs of the twentieth century, their powerful chemicals and biologics save many millions of humans from suffering and death; yet, these same chemicals also cause great suffering and death.6 All prescription drugs, that is, possess substantial costs as well as benefits. This is because most drug hazards are inherent and unavoidable. Normally, these dangers simply cannot be removed: the same chemical properties in drugs that can cause great harm are usually the very properties that are therapeutic. Put another way, if a drug’s chemical structure were altered to avoid some adverse health effect, that same change often would also reduce or eliminate the drug’s health 2 3 4
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479 A.2d 374, 382–83 (N.J. 1984). 751 P.2d 470 (Cal. 1988). These particular topics are all addressed in David G. Owen, PRODUCTS LIABILITY LAW (Thomson/West 2d ed. 2008). This essay draws from id. § 8.10. M. Green, supra note 1, at 209. “[A]ll drugs do harm.” A. Bernstein/J. Bernstein, An Information Prescription for Drug Regulation, 54 BUFF. L. REV. 569, 570 (2006).
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benefits. Thus, a drug’s “design” normally cannot be changed to improve its safety.7 Penicillin may be the classic example of a drug that, while highly beneficial to most people, can be hazardous, indeed lethal, to others.8 But other examples abound. Accutane is a good modern example of a drug that combines great benefits with great risks of harm: it is highly effective in treating the most severe cases of acne; yet, it is a virulent teratogen that can cause serious birth defects when given to pregnant women.9 Surely the most impelling historical example of this phenomenon is thalidomide, another teratogen, prescribed widely as a sedative and morning sickness drug throughout much of the world (but not the U.S.) during the 1950s and 1960s.10 Despite the enormous toll of birth defects this drug wreaked around the globe, the federal Food and Drug Administration (FDA) approved thalidomide in 1998 for fighting leprosy.11 These are only three examples, and the list of unavoidably unsafe drugs goes on and on.12 Outside of tort law, the American medico-legal systems address this conundrum – the bad-comes-with-the-good aspect of prescription drugs – in two basic ways.13 First, prior to being allowed onto the market, prescription drugs must 7
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“Normally,” because the hazard in some drugs may be reduced or eliminated by changing the prescribed dosage, the active ingredients in combination drugs, or the inert ingredients used in a drug. See M. Green, supra note 1. On inherent product hazards, see Owen, PRODUCTS LIABILITY LAW, supra note 4, §§ 6.2, 10.3. See William L. Prosser, HANDBOOK OF THE LAW OF TORTS § 99, at 661 (4th ed. 1971). See, e.g., Myers v. Hoffman–LaRoche, Inc., 170 P.3d 254, 256 (Ariz. Ct. App. 2007). Thalidomide caused severe limb deformities in children born to women who took the drug while pregnant. The FDA’s protracted review of the drug barely saved most Americans from this terrible tragedy. See Sanders, The Bendectin Litigation: A Case Study in the Life Cycle of Mass Torts, 43 HASTINGS L.J. 301, 313–14 (1992) (characterizing thalidomide as “one of the most potent human teratogens ever found”). See also A. Berstein, Formed by Thalidomide: Mass Torts as a False Cure for Toxic Exposure, 97 COLUM. L. REV. 2153 (1997). “Thalidomide, the sedative that produced thousands of babies with flipperlike limbs and other gross deformities, was approved today for use in the United States for the first time, nearly four decades after it was stripped from pharmacy shelves around the world.” Stolberg, Thalidomide Approved to Treat Leprosy, with Other Uses Seen, N.Y. TIMES, July 17, 1998, at A1. “The whole pharmacopeia is full of drugs which are not safe, and at present cannot be made safe.” Prosser, supra note 8, § 99, at 661. A third approach that lies outside the tort law system is the no-fault compensation system for children suffering adverse reactions to vaccinations required by public health statutes. See National Childhood Vaccine Injury Act of 1986, 42 U.S.C. § 300aa–1 et seq. (2003). Claims are made in the Court of Claims against the Secretary of Health and Human Services, including recovery for economic losses, pain and suffering (limited to $250,000), and death (limited to $250,000). A claimant may accept or reject the court’s award; if it is rejected, the claimant may then (and only then) initiate a products liability action against the manufacturer, except that the Act bars recovery in such actions for “side effects that were unavoidable even though the vaccine was prop-
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David G. Owen
undergo rigorous chemical analyses, laboratory testing, and clinical trials, the results of which are closely scrutinized by the FDA, to assure both the safety and efficacy of all new drugs. Under the Food, Drug, and Cosmetic Act of 1938, as amended,14 Congress has vested more regulatory power in the FDA to regulate drug safety than it has vested in other agencies to regulate the safety of other products, mirroring the special role of prescription drugs in preserving life and health together with the special dangers such drugs pose to life and health. A key function of the FDA is to help ensure that only drugs which on balance are beneficial to some class of patients ever reach the health care market.15 The second relevant feature of America’s medico-legal system is that it positions experts in diagnosis and drug therapy – doctors and nurse practitioners – between beneficial yet dangerous prescription drugs, on the one hand, and the lay
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erly prepared and was accompanied by proper directions and warnings.” 42 U.S.C. § 300aa–22 (2003). See generally Waldenberg/Wallace, When Science is Silent: Examining Compensation of Vaccine-Related Injuries When Scientific Evidence of Causation is Inconclusive, 42 WAKE FOREST L. REV. 303 (2007); Noah, Triage in the Nation’s Medicine Cabinet: The Puzzling Scarcity of Vaccines and Other Drugs, 54 S.C. L. REV. 741 (2002) ; Ridgway, No–Fault Vaccine Insurance: Lessons from the National Vaccine Injury Compensation Program, 24 J. HEALTH CARE L. & POL’Y 59 (1999); Rabin, Some Thoughts on the Efficacy of a Mass Toxics Administrative Compensation Scheme, 52 MD. L. REV. 951, 958 (1993); Dark, Is the National Childhood Vaccine Injury Act of 1986 the Solution for the DTP Controversy?, 19 U. TOL. L. REV. 799 (1988); V. Schwartz/Mahshigian, National Childhood Vaccine Injury Act of 1986: An Ad Hoc Remedy or a Window for the Future?, 48 OHIO ST. L.J. 387 (1987). 21 U.S.C. §§ 301–397 (2003). The Act’s key provisions are § 331(a), prohibiting the sale of “any food, drug, device, or cosmetic that is adulterated or misbranded,” and § 355, requiring FDA approval prior to the marketing of any new drug. On drug regulation by the FDA, see, e.g., Gilhooley, Addressing Potential Drug Risks: The Limits of Testing, Risk Signals, Preemption, and the Drug Reform Legislation, 59 S.C. L. REV. 347 (2008); A. Bernstein, Enhancing Drug Effectiveness and Efficacy Through Personal Injury Litigation, 15 J.L. & POL’Y 1051 (2007); Cahoy, Medical Product Information Incentives and the Transparency Paradox, 82 IND. L.J. 623 (2007); A. Bernstein/J. Bernstein, An Information Prescription for Drug Regulation, 54 BUFF. L. REV. 569 (2006); Law, How Do Regulators Regulate? Enforcement of the Pure Food and Drugs Act, 1907-38, 22 J.L. ECON. & ORG. 459 (2006); Epstein, Regulatory Paternalism in the Market for Drugs: Lessons from Vioxx and Celebrex, 5 YALE J. HEALTH POL'Y L. & ETHICS 741 (2005); Struve, The FDA and the Tort System: Postmarketing Surveillance, Compensation, and the Role of Litigation, 5 YALE J. HEALTH POL'Y L. & ETHICS 587 (2005); M. Green, Safety as an Element of Pharmaceutical Quality: The Respective Roles of Regulation and Tort Law, 42 ST. LOUIS U. L.J. 163 (1998); T. Schwartz, Regulatory Standards and Products Liability: Striking the Right Balance Between the Two, 30 U. MICH. J.L. REFORM 431 (1997); Merrill, The Architecture of Government Regulation of Medical Products, 82 VA. L. REV. 1753 (1996); T. Schwartz, The Role of Federal Safety Regulations in Products Liability Actions, 41 VAND. L. REV. 1121 (1988); Merrill, Compensation for Prescription Drug Injuries, 59 VA. L. REV. 1 (1973).
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public who need drug therapy, on the other. The role of such health care professionals, “learned intermediaries,” is to connect individual drugs with patients – to choose from among the panoply of available prescription drugs the one with the highest benefit-risk ratio for each particular patient’s needs. That is, a doctor’s role in drug therapy is to ensure that the right prescription medicine, in view of its particular benefits and risks, is assigned to the right patient, in view of that patient’s special needs.16
II. The Question for Products Liability Law The question of interest here is what role, if any, does the medico-legal system just described leave for the law of torts and products liability? Because this system breaks down in many ways in practice, American products liability law has assumed a powerful role in compensating persons harmed unnecessarily by defective drugs, and some role (if a lesser one) in promoting drug safety by deterring the sale of such unnecessarily dangerous drugs. The model of a perfect FDA, unfortunately, does not closely fit the real world. Legislative, budgetary, and political constraints mar the ideal of a perfect regulatory body that optimally protects the public from exposure to defective drugs.17 Nor, as most people painfully well know, do doctors typically match prescription drugs to patients in a manner that approaches optimality.18 Thus, due to these and other shortcomings in the medicolegal structure for the production and distribution of prescription drugs in America, products liability law plays a significant role in compensating, and hopefully helping to protect, consumers of defective prescription drugs. Because the answer to the question posed above was that American products liability law plays an important role when people suffer harm from prescription 16
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The “learned intermediary doctrine” is examined in Owen, PRODUCTS LIABILITY LAW, supra note 4, § 9.6. On weaknesses in the perfect FDA model, see, e.g., Owen, PRODUCTS LIABILITY LAW, supra note 4, § 14.4; Conk, Punctuated Equilibrium: Why Section 402A Flourished and the Third Restatement Languished, 26 REV. LITIG. 799, 860-61 (2007); Gilhooley, Vioxx’s History and the Need for Better Procedures and Better Testing, 37 SETON HALL L. REV. 941 (2007); Rabin, Reassessing Regulatory Compliance, 88 GEO. L.J. 2049 (2000); T. Schwartz, The Role of Federal Safety Regulations in Products Liability Actions, 41 VAND. L. REV. 1121 (1988). Congress addressed some of the weaknesses in The Food and Drug Administration Amendments Act of 2007, Pub. L. No. 110-85, 121 Stat. 823, which expands agency oversight of drug safety and provides the agency with additional resources. See President Bush Signs FDA Legislation Expanding Drug Safety, Drug, Device Fees, PROD. LIAB. DAILY, Sept. 28, 2007, at D7. Apart from the increasingly limited time doctors devote to treating each patient, doctors typically receive woefully limited education – from one to three semesters – on pharmaceuticals. See Owen, PRODUCTS LIABILITY LAW, supra note 4, § 9.6. See generally M. Green, supra note 1, at 229 n.67 (explaining how the “idealized role of the physician is not borne out in practice”).
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drugs, we must inquire into what that role is, and, what it should be. The following inquiry reveals that courts, commentators, and the Torts Restatements widely agree that the American products liability system should place its primary emphasis on ensuring that doctors and (indirectly) patients receive adequate warnings about drug dangers, and instructions on how to avoid them, and that judicial reevaluations of prescription drug designs should be limited. The doctrinal evolution of these propositions in the Restatements and courts can now be explored, keeping our focus on design defectiveness.19
III. The Restatements and the Courts 1. The Second Restatement – Comment k An attempt to understand how the notion of a design defect fits together with prescription drugs in American products liability law ideally should begin with a study of the chemistry, manufacture, marketing approaches, and therapeutic applications of this peculiar type of product. Yet, because time and space require that such deep explorations be left to specialized texts on drugs,20 and journal articles,21 the best place to begin the inquiry here is with comment k, a controversial comment to § 402A of the Restatement (Second) of Torts. In a nutshell, comment k provides that manufacturers are not subject to strict liability in tort for harm caused by certain “unavoidably unsafe” but useful products, notably prescription drugs, solely on the basis of inherent hazards that cannot feasibly be designed away.22 The Reporter for the Second Restatement who drafted comment k, William Prosser, justified this exemption in a famous quote: 19
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A pharmaceutical company’s responsibility to provide adequate warnings of danger and instructions for safe use is examined elsewhere. See Owen, PRODUCTS LIABILITY LAW, supra note 4, § 9.6. See, e.g., 1 Marden G. Dixon/Frank C. Woodside, DRUG PRODUCT LIABILITY ch. 3 (2000) (principles of pharmacology). See also 5 Louis R. Frumer/Melvin I. Friedman, PRODUCTS LIABILITY ch. 50 (Cary Stewart Sklaren rev. ed., 2008) (drug litigation). See supra note 1. In fact, this is the theme of three companion comments to § 402A, comments i, j, and k. These three comments are examined in depth in Owen, PRODUCTS LIABILITY LAW, supra note 4, § 6.2. In full, comment k provides: “k. Unavoidably unsafe products. There are some products which, in the present state of human knowledge, are quite incapable of being made safe for their intended and ordinary use. These are especially common in the field of drugs. An outstanding example is the vaccine for the Pasteur treatment of rabies, which not uncommonly leads to very serious and damaging consequences when it is injected. Since the disease itself invariably leads to a dreadful death, both the marketing and the use of the vaccine are fully justified, notwithstanding the unavoidable high degree of risk which they involve. Such a product, properly prepared, and accompanied by proper directions and warning, is not defective, nor is it unreasonably dangerous. The same is true of many other drugs, vaccines, and the like, many of which for
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The argument that industries producing potentially dangerous products should make good the harm, distribute it by liability insurance, and add the cost to the price of the product, encounters reason for pause, when we consider that two of the greatest medical boons to the human race, penicillin and cortisone, both have their dangerous side effects, and that drug companies might well have been deterred from producing and selling them.23
Drugs, in short, are different.24 As a result, most American courts agree that comment k properly exempts useful prescription drugs that are unavoidably unsafe
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this very reason cannot legally be sold except to physicians, or under the prescription of a physician. It is also true in particular of many new or experimental drugs as to which, because of lack of time and opportunity for sufficient medical experience, there can be no assurance of safety, or perhaps even of purity of ingredients, but such experience as there is justifies the marketing and use of the drug notwithstanding a medically recognizable risk. The seller of such products, again with the qualification that they are properly prepared and marketed, and proper warning is given, where the situation calls for it, is not to be held to strict liability for unfortunate consequences attending their use, merely because he has undertaken to supply the public with an apparently useful and desirable product, attended with a known but apparently reasonable risk”. Restatement (2d) Torts § 402A cmt. k. Prosser, supra note 8, § 99, at 661. See Henderson/Twerski, Drug Designs Are Different, 111 YALE L.J. 151 (2001); Note, 27 VT. L. REV. 1017, 1049 (2003) (“Drugs are different.”). In M. Green, Prescription Drugs, Alternative Designs, and the Restatement (Third): Preliminary Reflections, 30 SETON HALL L. REV. 207, 232 (1999), Professor Green examines various claims as to how drugs are different: (1) that “they cannot be manipulated physically to provide marginally greater safety”; (2) that they are harmful for some people while beneficial for others; (3) that their adverse effects frequently are not discoverable through research and testing, such that these harmful effects are not revealed until they injure drug consumers; (4) that they are subject to especially heavy regulatory oversight, much of it pre-market, by the FDA; (5) that they are especially beneficial to mankind, sometimes even necessary to the preservation of health and life; and (6) that learned intermediaries, doctors, stand between drug products and consumers, matching particular drugs to particular people. To these six claims of difference, a seventh might be added: (7) that they are extremely costly to bring to market—each new brand name prescription drug on average costing roughly $500 million for research, development, laboratory testing, clinical testing, FDA submission work, and production. On the costs of getting a single new prescription pharmaceutical to market, see, e.g., John, Informed Consent: Requiring Doctors to Disclose Off-Label Prescriptions and Conflicts of Interest, 58 HASTINGS L.J. 967, 973–74 (2007) (“The FDA approval process takes six to fifteen years and costs between $100 million and $880 million per drug.”); Glasgow, Stretching the Limits of Intellectual Property Rights: Has the Pharmaceutical Industry Gone Too Far?, 41 IDEA 227 (2001) ($250–$500 million estimate, citing FTC Bur. of Econ. Staff Rpt.); Note, 3 J. INTELL. PROP. 120, 142 n.24 (2003) ($800 million, citing economic report).
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from strict products liability,25 assuming always that they were properly prepared and carried adequate warnings.26 In addition to disagreeing on comment k’s very premise – that prescription drug manufacturers should be protected from the rigors of strict liability – courts and commentators disagree on a number of other, important aspects of comment k, including: (1) whether its application is confined to a limited class of drugs properly characterized as “unavoidably unsafe,” or whether it broadly applies to all prescription drugs; and (2) whether the exemption it affords from strict liability in tort applies as well to negligence. On the first aspect, the New Jersey Supreme Court in 1984 ruled in Feldman v. Lederle Laboratories27 that only certain drugs qualify for comment k’s exemption from design defect liability – those proven on a case-by-case basis to be highly useful and unavoidably unsafe.28 The year after Feldman, a California intermediate appellate court decided Kearl v. Lederle Laboratories,29 in which it adopted and elaborated upon the Feldman approach, prescribing a detailed “mini-trial” necessary before a judge could qualify a drug for exemption from strict liability under comment k.30 Soon thereafter, however, the California Supreme Court rejected the Feldman-Kearl approach in Brown v. Superior Court,31 interpreting comment k as embracing all prescription drugs within its 25
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See generally 1 Frumer/Friedman, PRODUCTS LIABILITY, supra note 20, § 8.07 (citing cases from 30 states and the District of Columbia applying comment k). A small number of courts have explicitly rejected comment k. See, e.g, Allison v. Merck & Co., 878 P.2d 948, 954 (Nev. 1994); Collins v. Eli Lilly Co., 342 N.W.2d 37, 52 (Wis. 1984). See also Shanks v. Upjohn Co., 835 P.2d 1189 (Alaska 1992) (refusing to adopt comment k but agreeing with its basic policy). This important proviso, which leaves room for claims of defects in manufacture, warning, and instruction, is from comment k itself. 479 A.2d 374, 382–83 (N.J. 1984). “Comment k immunizes from strict liability the manufacturers of some products, including certain drugs, that are unavoidably unsafe. However, we see no reason to hold as a matter of law and policy that all prescription drugs that are unsafe are unavoidably so. Drugs, like any other products, may contain defects that could have been avoided by better manufacturing or design. Whether a drug is unavoidably unsafe should be decided on a case-by-case basis; we perceive no justification [in policy or under comment k for immunizing prescription drug manufacturers from their safe manufacturing, warning, and risk-utility design obligations under strict liability in tort.]” Id. at 383. 218 Cal. Rptr. 453 (Ct. App. 1985). Sitting in this phase of the trial without a jury, the judge would determine: “(1) whether, when distributed, the product was intended to confer an exceptionally important benefit that made its availability highly desirable; (2) whether the then-existing risk posed by the product both was ‘substantial’ and ‘unavoidable’; and (3) whether the interest in availability (again measured as of the time of distribution) outweighs the interest in promoting enhanced accountability through strict liability design defect review.” Id. at 464. See also Freeman v. Hoffman-La Roche, Inc., 618 N.W.2d 827, 840–41 (Neb. 2000) (exemption applies if: (1) product is properly manufactured and adequate warnings are provided; (2) its benefits exceed its risks; and (3) it was incapable of being made safer). 751 P.2d 470 (Cal. 1988).
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safe harbor for unavoidably-unsafe products. The Brown court reasoned that forcing drug manufacturers to litigate whether their drugs deserve design defect exemption in every case would emasculate comment k’s objective of shielding prescription drug manufacturers ex ante from the risks of design defect litigation ex post in order to reduce the perils of “overdeterrence,” such as higher drug prices and fewer new drugs. While a few courts have followed Brown’s general exemption of all prescription drugs from design defect liability,32 most American courts have taken the Feldman–Kearl case-by-case approach, reluctant to surrender judicial oversight of a drug manufacturer’s responsibility for safety in design.33 The second aspect of comment k which engenders some debate is whether comment k, assuming (as almost all courts do) that it exempts manufacturers of at least some drugs from strict liability in tort, should exempt them also from liability in negligence for defects in design.34 The language of comment k, of course, should not be parsed as if it were a statute, but it should be noted that comment k does not address the question of a drug manufacturer’s liability in negligence for defects in design. After all, this provision is a comment to § 402A, which addresses a seller’s strict liability in tort – not negligence, which is a different topic the Restatement separately addresses in another section.35 Apart from this quite obvious fact, the debate may be resolved quite simply: if the design of a drug is not defective for purposes of strict liability in tort, it cannot ordinarily be negligent to sell it in that nondefective condition.36
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See, e.g., Transue v. Aesthetech Corp., 341 F.3d 911, 916 (9th Cir. 2003) (Wash. law); Grundberg v. Upjohn Co., 813 P.2d 89, 95 (Utah 1991). See also Adams v. Wyeth, 2005 WL 1528656, at *3-4 (Pa. Commw. Ct. 2005); McKee v. Moore, 648 P.2d 21, 24 (Okla. 1982). See, e.g., Hill v. Wyeth, Inc., 2007 WL 674251, at *4 (E.D. Mo. 2007); Bryant v. Hoffmann–La Roche, Inc., 585 S.E.2d 723, 728 (Ga. Ct. App. 2003); Bennett v. Madakasira, 821 So. 2d 794, 809 (Miss. 2002); Freeman v. Hoffman–La Roche, Inc., 618 N.W.2d 827, 837 (Neb. 2000); Glassman v. Wyeth Labs., Inc., 606 N.E.2d 338, 342 (Ill. 1992); West v. Searle & Co., 806 S.W.2d 608, 612 (Ark. 1991); Adams v. G.D. Searle & Co., 576 So. 2d 728, 731 (Fla. Dist. Ct. App. 1991); Savina v. Sterling Drug, Inc., 795 P.2d 915, 923–29 (Kan. 1990); White v. Wyeth Labs., Inc., 533 N.E.2d 748 (Ohio 1988); Castrignano v. E.R. Squibb & Sons, Inc., 546 A.2d 775, 781 (R.I. 1988); Toner v. Lederle Labs., 732 P.2d 297 (Idaho 1987). Most courts hold that negligence liability in fact applies to the design of drugs. See, e.g., Toner v. Lederle Labs., 732 P.2d 297, 310 (Idaho 1987); Johnson v. American Cyanamid Co., 718 P.2d 1318, 1324–25 (Kan. 1986). The Second Restatement addresses a manufacturer’s negligent design of products in § 395, which makes no reference to liability for the sale of dangerous drugs. See, e.g., Prosser, supra note 8, § 99, at 661 (“Where only negligence liability is in question, the answer as to such products [inherently hazardous drugs] is usually a simple one. The utility and social value of the thing sold normally outweighs the known, and all the more so the unknown risk, and there is no negligence in selling it, provided always that proper warning and directions are given.”). See also Owen, PRODUCTS LIABILITY LAW, supra note 4, §§ 2.1, 5.9.
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While this kind of doctrinal, set-theory reasoning normally is sound, it falters somewhat here. Comment k exempts all prescription drugs from strict liability in tort, not because they all are truly nondefective, but because (1) most drugs are (due to market competition and oversight by the FDA) and, (2) a protective umbrella shielding all prescription drugs (including the defective ones) from strict liability avoids discouraging manufacturers from developing important new drugs (most of which will be nondefective) and from setting high drug prices. Thus, some prescription drugs probably are “defective” in design notwithstanding the comment k exemption, and the manufacturers of some of those defective drugs may well have been negligent in their development and sale. Even if strict liability is allowed for design defects in prescription drugs, its usefulness to consumers appears quite limited. Because the doctor is the “consumer” in prescription drug cases under the learned intermediary rule,37 the consumer expectations test provides no relief to patients suffering foreseeable drug injuries if the manufacturer adequately warned doctors of that risk. In addition, because almost every American jurisdiction now shields manufacturers from liability for dangers that are unforeseeable under the prevailing state of the art,38 patients injured by an unforeseeable drug risk in most American courts have no claim under any liability test or theory. Finally, as discussed below, if the drug contains foreseeable dangers that doctors do not expect, failure-to-warn claims protect persons injured by such drugs. Under a risk-utility test (whether called “negligence,” “strict liability,” or simply “design defectiveness,”),39 a manufacturer is subject to liability for failing to adopt a particular design feature that would have prevented the plaintiff’s harm if the safety benefits of the design feature were greater than its costs.40 But this suggests that a drug can be re-engineered to eliminate a particular design danger without sacrificing its health benefits, which normally is impossible since the hazards in most drugs, as mentioned earlier, are ordinarily inherent and unavoidable. This leaves only one narrow version of risk-benefit analysis available for assessing the defectiveness of a drug’s design, the approach adopted by the Third Restatement.
2. The Third Restatement In 1998, the American Law Institute (ALI) promulgated a liability standard for defective drug designs that is unusual, to say the least. Section 6(c) of the Products Liability Restatement provides:
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See Owen, PRODUCTS LIABILITY LAW, supra note 4, § 9.6. On the state of the art, see id. at § 10.4. See id. at §§ 2.2 (negligence), 5.7 (strict liability in tort), 8.4 (design defect). See id. at §§ 8.4, 8.5, 8.8.
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A prescription drug or medical device is not reasonably safe due to defective design if the foreseeable risks of harm posed by the drug or medical device are sufficiently great in relation to its foreseeable therapeutic benefits that reasonable health-care providers, knowing of such foreseeable risks and therapeutic benefits, would not prescribe the drug or medical device for any class of patients.
The most important thing to note about this novel liability standard, which has been judicially applied,41 is that it leaves a very small window for design defect claims for prescription drugs – a window so tiny that almost no drug claim could fit through it. Even thalidomide would not be captured by the Third Restatement test because of its value in treating leprosy. But thalidomide may prove the virtue of this test, rather than its folly, for lepers should not be deprived of beneficial drug therapy because some doctors improperly give the drug to child-bearing women. In such a case, the defect, it would seem, would lie in the doctor rather than the drug. While not minimizing the tragedy of a child born deformed to a woman who was prescribed the drug improperly, perhaps tort (and possibly criminal) remedies against the prescribing doctor would be a better way to address the problem, rather than forcing the manufacturer and lepers to suffer from an untoward misuse of a pharmaceutical that is highly beneficial to this one (especially needy) class of patients. In a world in which the medico-legal scheme described earlier operates with perfection – where manufacturers carefully engage in good-faith drug-safety investigations, where a fully-funded and politically neutral FDA keeps drugs with foreseeable excess dangers from being sold, and where doctors perfectly match individual drugs to individual patients – the § 6(c) formulation of design defectiveness for drugs would appear ideal. The problem, of course, is that the models of an ideal FDA and of ideal prescribing doctors are quite inaccurate. But the solution to imperfections in the medico-legal framework is not to allow juries to engage in risk-utility comparisons between different drugs used to treat the same condition. For example, assume that three drugs, A, B, and C, each are used to fight lung infections, and that drug A causes drowsiness in some persons, drug B causes birth defects when given to some women, and drug C causes acne in some teenage boys. A doctor presumably would prescribe drug B or possibly C to an adult male truck driver, drug A or B to a teenage boy, and drug A or C to a woman capable of bearing children. Surely products liability law should not force substantial economic costs on manufacturers of any of these drugs because a prescribing doctor matches one drug to the wrong patient. Nor should these manufacturers have to litigate such cases of mis-prescription over and over again in courtrooms around 41
See, e.g., Madsen v. American Home Prods. Corp., 477 F. Supp. 2d 1025, 1037 (E.D. Mo. 2007) (Iowa law) (diet drugs; defendant’s expert testified that “risks of obesity for some patients are greater than the risks of those medications”); Gebhardt v. Mentor Corp., 191 F.R.D. 180, 185 (D. Ariz. 1999) (granting summary judgment for manufacturer because plaintiff failed to prove that a reasonable healthcare provider would not have prescribed an Angelchik for any class of patients), aff’d, 15 F. App’x 540 (9th Cir. 2001).
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the nation, assuming, of course that they fully and properly performed their investigation and reporting duties to the FDA. Nor should consumers be deprived of one or two of these drugs because the litigation costs (including occasional lost verdicts) prove too much for the manufacturers of the drugs, particularly when juries begin to classify one drug of the three as causing the least net harm to all these patient groups, considered as a whole. This latter example reveals the perils of using a global, macro-balance approach to risk-utility analysis.42 Notwithstanding the frailties of doctors and the FDA, a drug’s design should not be characterized as defective on the ground that its total harm to all users exceeds its total benefits to all users, assuming that the drug provides net benefits to any class of patients, and assuming further that the drug’s dangers are warned about, and its excessive harm results from its improper use by doctors.43 Applying such a macro-balance test to declare drug designs defective in such cases would be both “unfair and inefficient,” in the words of the Restatement Reporters, because it “would require courts to deny classes of patients access to a particular drug that provides them unique benefits in order to protect other patients from the risks of mis-prescription by negligent physicians.”44 Pointing to the weaknesses in the FDA and health care delivery systems, the profit motivations of drug manufacturers to skimp on research and design,45 a patent system that artificially protects manufacturers from competition, and the industry’s temptation to over-promote its products, some courts46 and commentators47 reject the Third Restatement’s narrow definition of design defectiveness for 42
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For a discussion of “macro-” and “micro-balancing,” see Owen, PRODUCTS LIABILITY LAW, supra note 4, §§ 8.4, 8.5. This assumes that a manufacturer’s sales reps do not promote the drug for such improper use, in which case the manufacturer should be subject to liability. On the prevalence of off-label use, see John, Informed Consent: Requiring Doctors to Disclose OffLabel Prescriptions and Conflicts of Interest, 58 HASTINGS L.J. 967 (2007); Noah, Constraints on the Off–Label Uses of Prescription Drug Products, 16 J. PROD. & TOXIC LIAB. 139 (1994). Henderson/Twerski, Drug Designs Are Different, 111 YALE L.J. 151, 180–81 (2001). For commentators who agree that § 6(c) basically is sound, if in need of some improvement, see, e.g., A. Bernstein, Enhancing Drug Effectiveness and Efficacy Through Personal Injury Litigation, 15 J.L. & POL’Y 1051, 1088–94 (2007) (suggesting how courts may “modify the radicalism of § 6(c)”); M. Green, Prescription Drugs, Alternative Designs, and the Restatement (Third): Preliminary Reflections, 30 SETON HALL L. REV. 207 (1999). See, e.g., Note, 82 CORNELL L. REV. 644, 692 (1997) (“in light of the enormous amounts of money at stake in the global pharmaceutical industry, manufacturers are inevitably tempted to market products that are clearly less effective and more dangerous than others”). See Bryant v. Hoffmann–La Roche, Inc., 585 S.E.2d 723, 725–28 (Ga. Ct. App. 2003); Freeman v. Hoffman–La Roche, Inc., 618 N.W.2d 827, 837 (Neb. 2000). See, e.g., Conk, The True Test: Alternative Safer Designs for Drugs and Medical Devices in a Patent–Constrained Market, 49 UCLA L. REV. 737 (2002); Conk, Is There a Design Defect in the Restatement (Third) of Torts: Products Liability?, 109 YALE L.J.
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drugs. The argument for rejecting § 6(c) is the belief that drug designs should be subject to judicial challenge on some basis or another – either by means of a normal risk-utility test (on proof of a safer alternative design) or a macro-balance test (on proof that a drug caused patients as a whole more harm than good). Yet neither approach works well in most drug cases, as previously discussed. The first simply does not work for most drugs that cannot be redesigned because their hazards are inherent. As for the second test, it is true that any product which causes more harm than good is truly bad (“defective”) from a utilitarian point of view. And, if there were an effective way to identify such products, their manufacturers might fairly be required to pay for all the harm they cause, and such products normally should be banned.48 Yet, as discussed above, particular classes of patients (like lepers) deserve therapy from drugs, even if doctors sometimes do misuse those drugs on other classes of patients. Moreover, there is a devil residing in the process of distinguishing which drugs, on balance, have net value from those that produce net harm – and in the threat of repeated litigation over the ultimate social value of any type of drug that causes someone harm, because it did not suit that patient. So the Third Restatement’s test for defective drug designs, though very narrow, and incomplete in failing to identify important exceptions,49 seems basically correct. That is, by putting most drugs beyond the reach of design defect litigation (under any liability theory), the Third Restatement properly pours most litigation concerning hazardous drugs into the defectiveness of their warnings and instructions.50
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1087 (2000); Cupp, The Continuing Search for Proper Perspective: Whose Reasonableness Should Be at Issue in a Prescription Product Design Defect Analysis?, 30 SETON HALL L. REV. 233 (1999); T. Schwartz, Regulatory Standards and Products Liability: Striking the Right Balance Between the Two, 30 U. MICH. J.L. REFORM 431, 459 (1997); Phillips, The Unreasonably Unsafe Product and Strict Liability, 72 CHI.-KENT L. REV. 129, 130 (1996); Cupp, Rethinking Conscious Design Liability for Prescription Drugs: The Restatement (Third) Standard Versus a Negligence Approach, 63 GEO. WASH. L. REV. 76 (1994); T. Schwartz, Prescription Products and the Proposed Restatement (Third), 61 TENN. L. REV. 1357, 1378–85 (1994); Note, 39 GA. L. REV. 1445 (2005) (criticizing § 6(c) and noting that courts are largely rejecting it). See Owen, PRODUCTS LIABILITY LAW, supra note 4, § 10.3. For discussions of some exceptions, see Dreier, Manufacturers’ Liability for Drugs and Medical Devices Under the Restatement (Third) of Torts: Products Liability, 30 SETON HALL L. REV. 258 (1999); M. Green, Prescription Drugs, Alternative Designs, and the Restatement (Third): Preliminary Reflections, 30 SETON HALL L. REV. 207 (1999). While § 6(c) might seemingly be improved by including a proviso that allows claims for a manufacturer’s failure to meet its research and reporting responsibilities to the FDA, a robust warning approach appears a better way for products liability law to perform its oversight of those responsibilities.
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IV. Resolving the Dilemma: Empowering Warning Claims For the various reasons discussed above, design defectiveness has never been a favored theory of recovery for drug injuries. While strict liability in tort generally got off the ground in America in the 1960s, and while design defect claims for most types of products became prevalent during the 1970s, American courts did not even begin imposing design defect liability on drug manufacturers until the 1980s and 1990s.51 And even to the present, most courts in America are chary in allowing such claims, properly directing drug litigation away from design defect claims to warning claims. While some courts have allowed broad risk-utility challenges to a drug’s design, as discussed above, this approach appears mistaken because of the availability of a preferable basis of recovery in most cases for injuries from harmful drugs. Most prescription drug litigation properly involves the adequacy of warnings and instructions provided to doctors – information that must be clear, complete, and properly conveyed.52 And in the great majority of deserving cases, a challenge to a drug’s design can easily be reformulated as a defect in a warning or instruction. If a drug’s adverse effects are not reasonably foreseeable, the manufacturer should not be responsible for its untoward effects for reasons examined elsewhere.53 If such adverse effects in fact are reasonably discoverable by a manufacturer properly performing its research and development obligations, then it will have a duty to provide adequate warnings to the FDA and doctors of those effects. And if a doctor fails to provide this information to his or her patients – fails to provide them with a basis for informed consent to drug therapy – then a medical malpractice claim would seem the proper remedy, not a claim against the manufacturer for a supposed defect in the drug’s design. As a final backstop to physician failures of this sort, courts might consider abandoning the learned intermediary doctrine and requiring that information about all prescription hazards be provided not only to physicians but also directly to the patients who will take the drugs.54
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Brochu v. Ortho Pharm. Corp., 642 F.2d 652 (1st Cir. 1981) (N.H. law), is widely thought to be the first prescription drug case in which a defective drug design claim figured prominently. A small number of earlier cases also involved challenges to drug designs. See, e.g., Tinnerholm v. Parke Davis & Co., 285 F. Supp. 432 (S.D.N.Y. 1968), aff’d as modified, 411 F.2d 48 (2d Cir. 1969); Stromsodt v. Parke Davis & Co., 257 F. Supp. 991 (D.N.D. 1966), aff’d, 411 F.2d 1390 (8th Cir. 1969). See Owen, PRODUCTS LIABILITY LAW, supra note 4, § 9.6. See id. at § 10.4. See Gilhooley, When Drugs Are Safe for Some but Not Others: The FDA Experience and Alternatives for Products Liability, 36 HOUS. L. REV. 927 (1999). See also Owen, PRODUCTS LIABILITY LAW, supra note 4, § 9.6.
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V. Conclusion Drugs are different from other types of products. Because of the enormous financial investments and financial risks of manufacturers of new prescription drugs in America, and because the safety of prescription drugs is subjected to substantial technical review by the FDA before they ever reach the market, it is best that drug designs remain exempt from scrutiny in American courtrooms in all but special situations.55 Yet, as a counterweight to relieving manufacturers from judicial scrutiny of their drug designs, courts should robustly review the adequacy of drug warnings. Thus, litigation over injuries from prescription drugs lies properly in the sufficiency of their warnings and instructions, not in the sufficiency of their designs.56s
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Such as where a manufacturer failed to comply with all requirements for FDA approval, and that failure caused the plaintiff’s harm, and, possibly, where practicable drug engineering in fact would have allowed a manufacturer to eliminate a drug’s adverse effects without reducing its beneficial effects. See M. Green, Prescription Drugs, Alternative Designs, and the Restatement (Third): Preliminary Reflections, 30 SETON HALL L. REV. 207, 209 (1999).
GKV-Kostentragung für Medizinprodukte in klinischen Prüfungen
Frank Pflüger∗ Die Erscheinungsformen von Medizinprodukten sind bekanntlich sehr heterogen. Es fallen verschiedenste Erzeugnisse und Indikationen darunter: Vom einfachen OP-Besteck über Infusionskatheter und Herzschrittmacher bis hin zu Großgeräten wie Kernspinthomographen. Die Vielfalt der Produkte und Anwendungsgebiete bringt ein rasantes Innovationstempo mit sich. Dies schlägt sich in einem wachsenden Aufkommen von klinischen Studien mit Medizinprodukten nieder.1 Die damit zusammenhängenden Regelungen und Rechtsfragen laufen meistens – jedoch nicht stets – parallel zur Forschung mit Arzneimitteln. Schwerpunkte der Diskussion sind etwa die Abgrenzung zwischen Heilversuch und klinischer Prüfung2, Fragen der Probandenversicherung und Haftung3 oder der Forschung an Einwilligungsunfähigen4. Für die Sponsoren als auch die Kliniken und Prüfärzte kreisen die aufgeworfenen Rechtsfragen – außer um die vorgenannten essentiellen Punkte – immer wieder auch um den Finanzierungsaspekt. Hier liegt der Ausgangspunkt darin, dass durch die im Studienvertrag zwischen Sponsor und Prüfzentrum vereinbarte Vergütung (i.d.R. eine Pauschale pro ausgewerteten Patientenfall) nur die Forschungsarbeiten, also der studienbedingte Arbeitsmehraufwand, honoriert werden. Die Kosten der eigentlichen Krankenbehandlung sowie des (oftmals relativ teuren) Prüfprodukts selbst sind damit nicht abgedeckt. Es ergibt sich an diesem Punkt eine Schnittstelle zum Sozial- bzw. GKV-Recht, denn die klinischen Studienbehandlungen werden, ausgenommen der kleine Anteil der Privatversicherten, von den Studienzentren mit den Krankenkassen abgerechnet. Da bei klinischen Prüfungen vor allem auch (noch) nicht CE-zertifizierte Medizinprodukte zum Einsatz kommen, die gemäß § 6 Abs. 1 MPG auch nur dort verkehrsfähig sind, ∗ 1
2 3
4
Dr. iur. Frank Pflüger, Rechtsanwalt, Dipl.-Betrw. (BA), Partner der Sozietät Baker & McKenzie, Frankfurt am Main. Das Stichwort "medical device" fördert in der Internet-Datenbank clinicaltrials.gov über 4.000 aktuelle klinische Studien zu Tage. Deutsch, VersR 2005/22, S. 1009 ff. Deutsch, VersR 2006/13, 577 ff.; Rittner, Taupitz, Walter-Sack, Wessler, VersR 2008/4, 158 ff. Spickhoff, MedR 2007, 707 ff.; Wachenhausen, Medizinische Versuche und klinische Prüfung an Einwilligungsunfähigen, passim.
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besteht mitunter Unsicherheit, ob solche Produkte bzw. die damit durchgeführten Behandlungsprozeduren überhaupt eine von der GKV zu finanzierende Sachleistung darstellen. Gerade die Krankenkassen sind geneigt, dies in Frage zu stellen, weil bei nicht CE-zertifizierten Medizinprodukten die Sicherheit und Leistungsfähigkeit ja noch gar nicht belegt sei. Mit diesem Beitrag soll die Frage der GKVKostentragung für solche Prüfprodukte untersucht werden. Hierbei beschränkt sich die Darstellung auf den stationären Sektor, wobei im ambulanten Bereich die Ergebnisse ähnlich ausfallen dürften.
I. Rechtlicher Ausgangspunkt ist § 8 Abs. 1 S. 2 KHEntgG, worin das Folgende bestimmt ist: "Bei Patienten, die im Rahmen einer klinischen Studie behandelt werden, sind die Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen nach § 7 KHEntgG zu berechnen; dies gilt auch bei klinischen Studien mit Arzneimitteln." In dieser Vorschrift ist die einschlägige Anspruchsgrundlage der GKVKostentragung für Prüfprodukte und Studienbehandlungen zu finden, auch wenn es sich um Medizinproduktestudien handelt. Dies ist wie folgt herzuleiten:
1. Das Tatbestandsmerkmal "Behandlung im Rahmen einer klinischen Studie" wird auch klinische Prüfungen nach §§ 20 ff. MPG mit einschließen, in deren Rahmen gemäß § 6 Abs. 1 MPG auch nicht CE-gekennzeichnete Medizinprodukte verkehrs- und betriebsfähig sind. Der Terminus "Studie" wird hier ganz augenscheinlich als übergeordneter Begriff gebraucht, worunter Beobachtungsstudien, epidemiologische Studien aber auch interventionelle Studien (also klinische Prüfungen) fallen. Die Bezugnahme auf "klinische Studien mit Arzneimitteln" ist hier nur beispielhaft, was durch die Verwendung des Wortes "auch" deutlich wird.
2. Das Tatbestandsmerkmal "Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen nach § 7 KHEntG" ist nicht etwa dahingehend zu verstehen, dass die allgemeinen Krankenhausleistungen lediglich generelle Hospitalisierungsleistungen wie Unterbringung, Pflege und ärztliche Grundbetreuung beinhalteten und nur solche Leistungen von den Kassen zu bezahlen wären. Vielmehr sind allgemeine Krankenhausleistungen nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 KHEntG "Krankenhausleistungen, die unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten notwendig sind. Krankenhausleistungen umfassen gemäß § 2 I KHEntG neben der ärztlichen Behandlung, Krankenpflege, Unterkunft und Verpflegung auch die Versorgung mit Arznei-, Heilund Hilfsmitteln, die für die Versorgung im Krankenhaus notwendig sind." Diese
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Leistungen umfassen also gleichsam "das ganze Paket" der erforderlichen Krankenhausversorgung, und zwar einschließlich der Applikation notwendiger Medizinprodukte (z.B. Verwendung von Kathetern zur Herzdiagnostik) sowie der Gabe notwendiger Medikationen (z.B. Heparinprophylaxe)5.
3. Die für allgemeine Krankenhausleistungen nach § 7 KHEntgG abrechnungsfähigen Entgelte setzen sich zuvorderst aus DRG-Fallpauschalen (§ 7 S. 1 Nr. 1) sowie aus Zusatzentgelten (§ 7 S. 1 Nr. 2) zusammen. Die weiteren in § 7 KHEntgG genannten Entgeltkomponenten (Grenzverweildauerüberschreitungs-Zuschlag, Qualitätszuschlag, Systemzuschlag) sind praktisch weniger bedeutsam und komplettieren die Fallpauschalen und Zusatzentgelte lediglich. Über die Verweisungskette §§ 7, 9 KHEntG, § 17b KHG gelangt man zur konkreten Abrechnungsbasis für die Krankenhausleistungen, nämlich zum DRG Fallpauschalenkatalog, aufgestellt vom InEK. a) An erster Stelle werden darin für das gesamte stationäre Leistungsspektrum prozedurorientierte Fallpauschalen definiert und diesen jeweils Relativgewichte zugeordnet, welche durch Multiplikation mit dem (einheitlichen) KrankenhausFallwert die betragsmäßige Höhe der abrechenbaren Fallpauschale bestimmen6. Für die hier zu thematisierende Fragestellung relevant ist, dass mit DRGFallpauschalen grundsätzlich auch die Sachkostenkomponenten von solchen Behandlungen abgedeckt werden, welche den Einsatz von Medizinprodukten beinhalten. Um ein Beispiel zu geben: Mit der DRG Ziff. F01A "Neuimplantation eines Kardioverter/Defibrillators […] mit zusätzlichem Herz- oder Gefäßeingriff" (Relativgewicht 11,16) erhält das Krankenhaus ein Entgelt nicht nur für seine Hospitalisierungs- und OP-bedingten Personal- und Gemeinkosten sondern auch für die Anschaffungskosten des implantierten Defibrillators. Eine (mitunter mehr als 40% ausmachende) Sachkostenkomponente ist daher in die DRGFallpauschale mit einkalkuliert7, auch wenn der Sachkostenanteil – anders als noch in dem "alten" Sonderentgeltekatalog der BPflV-1995 – im DRG-Katalog nicht mehr numerisch ausgewiesen wird. b) Für eine Reihe besonders sachkostenintensiver Behandlungen werden im DRGFallpauschalenkatalog des Weiteren sog. Zusatzentgelte vorgesehen (§ 7 S. 1
5
6 7
Vgl. Tuschen/Trefz, Krankenhausentgeltgesetz, Erl. zu § 7: "Alle für die Versorgung des Patienten erforderlichen Krankenhausleistungen". Zur Konvergenzphase, Tuschen, f&w im Krankenhaus 2006, 44. Roeder, Fiorie u.a., das Krankenhaus 2005, 23, 32.
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Nr. 2, 9 Nr. 2 KHEntgG, §17b I KHG)8. Bei zusatzentgeltfähigen Leistungen sind die in der Leistung beinhalteten Medizinprodukte oftmals Teil der Leistungsdefinition des Zusatzentgeltes. Als Beispiele seien genannt das Zusatzentgelt ZE11.05 ”[…] Wirbelkörperersatz durch Implantat mit mehr als 4 Wirbelkörpern“ (€ 8.483) oder ZE09 "Vollimplantierbare Medikamentenpumpe mit programmierbaren variablem Tagesprofil" (€ 10.634). Wie auch bei den DRG-Fallpauschalen sind die beim Krankenhaus für den Erwerb der behandlungsgegenständlichen Medizinprodukte entstehenden Kosten Kalkulationsbestandteil von entsprechenden Zusatzentgelten, so dass diese Medizinprodukte letztlich durch die Kassen bezahlt werden. Aufgrund der grundsätzlichen Einbeziehung von Medizinprodukte- sowie Arzneimittelkosten in die Kalkulation von DRG-Fallpauschalen und Zusatzentgelten erhalten sinnvollerweise die "Spitzenorganisationen der Industrie für Medizinprodukte und der pharmazeutischen Industrie“ Gelegenheit zur Stellungnahme im Zuge der Vereinbarung des DRG-Fallpauschalenkatalogs (§ 17b Abs. 2 KHG). c) Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die "Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen", welche gemäß § 8 Abs.1 S. 2 KHEntgG auch für die im Rahmen klinischer Studien behandelten Patienten berechnungsfähig sind, somit grundsätzlich auch die Anschaffungskosten von Medizinprodukten mit abdecken, und zwar ohne Differenzierung danach, ob die Medizinprodukte innerhalb oder außerhalb einer Studie verwendet werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die (möglicherweise studiengegenständliche) Behandlung durch eine entsprechende DRGFallpauschale (z.B. F01Z: Defibrillatorimplantation) oder ein Zusatzentgelt (z.B. Wirbelkörperersatz) erfasst wird. Da – wie eingangs erörtert – "klinische Studien" i.S.v. § 8 II 2 KHEntgG jedenfalls auch klinische Prüfungen von (noch) nicht CEzertifizierten Medizinprodukten umfassen, kann das von den Krankenhäusern gegenüber den Kassen einzufordernde "allgemeine" Entgelt auch die Kosten für die studiengemäße Verwendung solcher Medizinprodukte einschließen.
II. Die über DRG-Fallpauschalen und ggfs. über Zusatzentgelte erreichbare Abrechenbarkeit studiengegenständlicher Medizinprodukte wird jedoch nicht unbegrenzt gelten. Gemäß § 2 Abs. 2 KHEntgG sind die abrechenbaren "allgemeine Krankenhausleistungen" derart spezifiziert, dass sie für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung notwendig sein müssen. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass solche Leistungen (wie alle Leistungen der GKV) gemäß §§ 12, 27, 39 I 2 SGB V unter dem Vorbehalt der Notwendigkeit bzw. Erforder8
Rapp, B., Zusatzentgelte für Labor- und Apothekenprodukte, Die Möglichkeit der krankenhausindividuellen Entgelte für ausgewählte Leistungen sollte nicht vergessen werden, KH 2005/6, 484 ff.
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lichkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit stehen9. Dies bedeutet, dass Krankenhausbehandlungen mit Medizinprodukten prinzipiell dem Wirtschaftlichkeitsgebot genügen müssen, um abrechenbar zu sein. Für Behandlungen im Rahmen von klinischen Medizinproduktestudien zeigt sich folgendes Bild:
1. Solange eine im DRG-Entgeltsystem abgebildete Behandlungsprozedur, auch wenn sie mit einem nicht CE-zertifizierten Medizinprodukt durchgeführt wird, einer medizinisch notwendigen und zweckmäßigen und damit – im Sinne des Wirtschaftlichkeitsprinzips – standardäquivalenten Versorgung gleichkommt, wird die Krankenkasse das anfallende pauschalierte Entgelt (i.d.R. in Form einer DRG) ohne weiteres zahlen müssen. Wird beispielsweise im Rahmen einer Studie eine weiterentwickelte (noch nicht CE-zertifizierte) Kniegelenks-Scharnierprothese mit (erhofft) besserer Lebensdauer eingesetzt, so muss hierfür die entsprechende DRG-Fallpauschale (Ziff. I43B) gegenüber den Kassen in Ansatz gebracht werden können. Denn ohne die Studie hätte der Patient mit einer herkömmlichen Knieprothese versorgt werden müssen, deren Therapieniveau die neue Scharnierprothese jedenfalls auch erreicht. In einer solchen Situation sollte der Studiensponsor nur die tatsächlich durch die Studie zusätzlich entstehenden Kosten zu tragen haben (z.B. Mehraufwand für studienbedingte Dokumentationen). Für das Prüfmuster (also z.B. die neue Scharnierprothese) berechnet er einen Preis, der am Preisniveau herkömmlicher Knieprothesenmodelle orientiert ist, (welche möglicherweise in der Kontrollgruppe der Studie auch tatsächlich zum Einsatz kommen).
2. Das Krankenhaus wird dagegen zunächst nicht ohne weiteres Entgelte erhalten, wenn in einem experimentellen Ansatz ein neues Therapieangebot abseits des bislang als notwendig und zweckmäßig etablierten (wirtschaftlichen) Standards geprüft wird, wobei bezüglich der damit durchgeführten Behandlungsprozedur in der Regel schon keine DRG-Fallpauschale bzw. kein Zusatzentgelt zu Verfügung steht. Fiktives Beispiel: Zur Verbesserung des eingeschränkten Visus wird einem Patienten eine künstliche, elektrochemisch funktionierende Retina implantiert. Gleichwohl besteht im Ergebnis ein Entgeltanspruch. Gemäß § 137c SGB V sind nämlich grundsätzlich alle Krankenhausbehandlungen durch die GKV zu bezahlen, auch wenn deren Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht erwiesen ist. Denn anders als im ambulant-vertragsärztlichen Sektor ist im stationären Bereich auch eine neue Behandlung von der GKV zu übernehmen, solange sie nicht durch eine Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) "negativ" bewertet wird10. Entscheidend ist hier, dass gem. § 137c Abs. 2 S. 2, 2. Hs. SGB V klinische Studien ausdrücklich unberührt von einem Negativentscheid des G-BA 9 10
So schon gemäß alter BPflV, vgl. Tuschen/Trefz, Krankenhausentgeltgesetz, Erl. § 2. Hauck/Kruschinski, SGB V, § 137c, Rn. 6.
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bleiben, wobei diese Vorschrift, neben dem eingangs genannten § 8 Abs. 1 S. 2 KHEntgG, als Anspruchsgrundlange für die Kostentragung gesehen werden kann. Der Gesetzgeber stellt die "kontrollierte Weiterentwicklung der Medizin"11 hier also einmal ausnahmsweise über die ansonsten faktisch persistierende Allmacht des G-BA. Mangels Abbildung im DRG-System ist administrativ für die Abrechnungsfähigkeit einer neuen stationären Behandlungsmethode freilich gemäß § 6 Abs. 2 KHEntgG eine Vereinbarung über ein fallbezogenes Entgelt abzuschließen, worauf jedoch ebenfalls ein Anspruch besteht. Diese administrative Vorarbeit müsste ein Prüfzentrum also leisten. Parallel zu den bestehenden DRGs muss bei den für neue Methoden zu bildenden Fallentgelten auch ein Sachkostenanteil für die Kosten des Medizinprodukts einkalkuliert werden.
3. Die vorgenannte Beurteilung sollte grundsätzlich auch für stationäre Studienbehandlungen gelten, bei denen die Patienten/Probanden zwar mit CE-gekennzeichneten Medizinprodukten versorgt werden, die studiengegenständliche Geräte-Indikation (bzw. in der MP-Terminologie "Zweckbestimmung") bislang nicht von der CE-Zertifizierung umfasst ist. Bei solchen Studiendesigns dürfte ein Anwendungsfall des § 23 MPG vorliegen12. Danach finden bekanntlich die Vorschriften zur klinischen Prüfung nach §§ 20 ff. MPG ausnahmsweise auch bei Verwendung CE-gekennzeichneter Produkte Anwendung, wenn die Prüfung "eine andere Zweckbestimmung" zum Inhalt hat. Beim grundsätzlichen Bestehen einer CE-Kennzeichnung und lediglich einem partiellen Fehlen der Konformitätsvermutung13 für den Bereich der erweiterten Zweckbestimmung kann sogar noch eher als beim gänzlichen Fehlen des CE-Zeichens davon ausgegangen werden, dass das Produkt auch für eine benachbarte Indikation bzw. eine Zweckbestimmungserweiterung erfolgreich eingesetzt werden kann. Allerdings dürften in der Praxis Beispiele nicht einfach zu finden sein, weil eine "off-label"-Anwendung bei Medizinprodukten schwerer vorstellbar ist als etwa bei Arzneimitteln. Erstens ist die medizinprodukterechtliche Zweckbestimmung, die sich gem. § 3 Ziff. 10 MPG aus diversen Dokumentationen ergibt (Kennzeichnung, Gebrauchsanweisung, Werbung), zumeist von vornherein breiter angelegt als die Indikation von Arzneimitteln, welche nach behördlicher Prüfung in Ziff. 4.1 der SmPC (bzw. Fachinformation) äußerst randscharf zu formulieren ist. Zweitens ist der Mechanismus eines Medizinprodukts i.d.R. technischkonstruktiv auf das CE-gegenständliche Anwendungsgebiet ausgelegt (eine Schulterprothese dürfte sich z.B. nicht "off-label" im Kniegelenk einsetzen lassen). Die Wirkprinzipien von Arzneimitteln haben dagegen oft mehrere therapeutisch relevante Auswirkungen (Immunglobuline wirken z.B. nicht nur im zugelassenen 11
12 13
Vgl. BT-Drs. 14/1245, S. 90; aber BSG (Urt. v. 28.07.2008 – B 1 KR 5/08 R): Die für den ambulanten Sektor geltenden Qualitätsstandards müssen auch im stationären Bereich erfüllt sein. Vgl. WiKo, § 23, Rn. 7. Anhalt/Dieners, Handbuch des Medizinprodukterechts, § 1, Rn. 44.
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Anwendungsgebiet der Antikörpermangelsyndrome sondern auch in der Off-label Indikation Multiple Sklerose)14. Denkbar und in der Praxis vielleicht gar nicht allzu selten könnte allerdings der Fall sein, dass ein Medizinprodukt insoweit jenseits der Zweckbestimmung zum Einsatz kommt, als man seine Effektivität "unterhalb" seiner eigentlichen Indikation testet. Das Medizinprodukt wird also bei Patienten bzw. Krankheiten eingesetzt, für die eigentlich eine simplere Gerätetechnik ausreichen würde (und auch zur Verfügung steht). Dies geschieht, um zu erproben, ob sich mit dem für schwerere Krankheitsstufen konzipierten Gerät ein therapeutischer Zugewinn auch bei den einfacheren Krankheitsbildern erzielen lässt. Beispiel: Ein für die 3-KammerStimulation zweckbestimmter Defibrillator wird testweise bei Patienten eingesetzt, die eigentlich nur eine 2-Kammer-Stimulation benötigen und bisher einen (einfacheren) Defibrillator zur 2-Kammer-Stimulation erhalten haben. Auch wenn hier beim 3-Kammer-Gerät in der Gebrauchsanweisung bzw. Kennzeichnung speziell die 3-Kammer-Stimulation Gegenstand der Zweckbestimmung ist (und die 2Kammer-Stimulation möglw. nicht als "Minus" darin steckt), so dürfte jedenfalls auch das Therapieniveau der 2-Kammer-Stimulation erreicht werden. Auch eine Fallpauschale ist vorhanden (F01Z), so dass die Prozedur abrechenbar sein sollte.
III. Im Hinblick auf das vorstehende Ergebnis bleibt jedoch immer noch abklärungsbedürftig, ob nicht etwa Parallelwertungen zum Arzneimittelbereich bzw. zur dort ergangenen Rechtsprechung zu anderen Schlussfolgerungen führen.
1. Auch unter Geltung von § 8 Abs. 1 S. 2 KHEntG ist im Arzneimittelrecht unbestritten, dass Prüfpräparate vom Sponsor kostenlos zur Verfügung zu stellen sind15. Eine entsprechende Anordnung wird durch die Vertriebswegeregelung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 lit. g) AMG getroffen, wonach die Kostenfreiheit des Prüfpräparates bzw. die Kennzeichnung als solches Voraussetzungen der Direktabgabe an die Krankenhäuser darstellen. Ein paralleles Regelungskonzept ist dem Medizinprodukterecht jedoch fremd. Mangels eines entsprechenden regulatorischen Sonderrechts im Medizinproduktebereich sollten unter den vorstehend dargestellten Bedingungen daher auch "klinische Prüfmuster" im Rahmen abrechnungsfähiger Entgelte erstattungsfähig sein.
14
15
Aus der umfangreichen “Off-label“-Rechtsprechung jüngst BSG, Urt. v. 28.02.2008 – B 1 KR 15/07 R unter "www.sozialgerichtsbarkeit.de". Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1310, 1311 mit Hinweisen auf wichtige Ausnahmen.
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2. Arzneimittel sind grundsätzlich nur verordnungsfähig, wenn sie für die vorgesehene Indikation zugelassen sind (Ausnahme: Erfüllung der off-label Kriterien der Rechtsprechung)16. Ein strukturell ähnlicher Denkansatz ließ sich bei den Medizinprodukten in den sozialgerichtlichen Entscheidungen zum alten Hilfsmittelverzeichnis erkennen17. Danach war der CE-Kennzeichnung eine Tatbestandswirkung zugesprochen worden. Durch die CE-Kennzeichnung galt das Medizinprodukt als Hilfsmittel im Sinne der Produktsicherheit und Zwecktauglichkeit als funktionstauglich im krankenversicherungsrechtlichen Sinne. Diese Tatbestandswirkung erreicht indes noch nicht die Qualität einer materiellen Erstattungsvoraussetzung und kann wohl auch nicht im Hinblick auf andere GKV-Sektoren, namentlich den stationären Bereich, generalisiert werden.
3. Ziff. 12 S. 2 der Arzneimittelrichtlinien bestimmt, dass Erprobungen von Arzneimitteln sowohl vor als auch nach Zulassung nicht auf Kosten des Versicherungsträgers erfolgen dürfen18. Hier handelt es sich indes um eine Spezialregelung für den Sektor der ambulanten Arzneimittelverordnungen. Eine Verallgemeinerung dahingehend, dass eine stationäre Versorgung mit Medizinprodukten betroffen wäre, ist bereits aus systematischen Gründen nicht geboten. Das vertragsärztliche Abrechnungsregime unterliegt gänzlich anderen Regeln als die Vergütung von Krankenhausleistungen. Die hier in Rede stehenden Medizinprodukte sind überdies regelmäßig auch nicht, etwa als Hilfsmittel, verordnungsfähig.
4. Im vorliegenden Kontext beachtlich könnte schließlich die DuloxetinEntscheidung des BSG sein (Urt. v. 22.07.2004 – B 3 KR 21/03 R)19. Darin hatte das BSG darüber zu befinden, ob die Kassen die stationären Kosten einer klinischen Dosisfindungsstudie mit einem noch nicht zugelassenen Arzneimittel durch Zahlung angefallener Krankenhauspflegesätze zu finanzieren hatten. Das BSG verneinte nicht nur die Kostentragungspflicht für die Prüfmedikation sondern darüber hinaus auch für die gesamte stationäre Behandlung. Zur Begründung wurde u.a. auf § 63 Abs. 4 S. 2 SGB V abgestellt. Darin wird bestimmt, dass "Forschungen zur Entwicklung und Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten nicht Gegenstand von Modellvorhaben sein können". Das BSG erhob diese Sonderregelung zu Modellvorhaben nach §§ 63 ff. SGB V zum allgemeinen Prinzip und führte Folgendes aus: "Dieser Ausschluss macht deutlich, dass der Gesetzge16 17 18 19
Vgl. Goecke, NZS 2006, 291 ff.; Hauck, A&R 2006, 147 ff. Instruktiv BSG Urt. v. 28.09.2006 – B 3 KR 28/05 R. Eine parallele Regelung findet sich in Ziff. 13 S. 2 der Hilfsmittelrichtlinien. S. dazu Fuhrmann/Zimmermann, NZS 2005, 352 ff.
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ber jedenfalls dann keine Durchbrechung des Grundsatzes des Verbots der Forschungsfinanzierung durch die GKV zulassen will, wenn die Forschungsergebnisse für Pharma- und Medizinproduktehersteller von Nutzen sein können. Wenn aber eine [...] Studie nicht Gegenstand eines Modellvorhabens sein kann, dann ist sie in der Regel auch nicht als klinische Studie von der GKV zu finanzieren." Im Zuge der 14. AMG-Novelle korrigierte der Gesetzgeber diese fragwürdige Auslegung von § 8 Abs. 1 S. 2 KHEntgG durch Anfügung des Halbsatzes "; dies gilt auch bei klinischen Studien mit Arzneimitteln." Damit ist klargestellt, dass jedenfalls die Kosten für den Versorgungsanteil (allerdings exklusive der Medikationskosten) von der GKV zu tragen sind20. Was die Kosten der Prüfmedikation anbelangt, so war – wie das BSG auch hervorhob – die kostenfreie Lieferung durch die Sponsoren (wenn auch möglicherweise systemfremd) im Arzneimittelrecht geregelt (§ 47 I Nr. 2 lit. g) AMG). Dafür, dass bei Studien mit nicht zugelassenen Arzneimitteln die GKV für die Prüfmedikation nicht aufzukommen habe, führte das BSG materiell u.a. das Folgende ins Feld: "Dem Rückzahlungsanspruch der Beklagten [d.h. der Krankenkasse gegen das Krankenhaus] steht nicht entgegen, dass die in die Arzneimittelstudie einbezogenen Versicherten der Beklagten behandlungsbedürftig gewesen und in der hier fraglichen Zeit in ihrer psychiatrischen Klinik auch tatsächlich behandelt worden sind. Denn die versuchsweise durchgeführte Behandlung mit den nicht zugelassenen Arzneimitteln ist anderer Qualität als eine Behandlung mit zugelassenen und bereits erprobten Arzneimitteln, weil sie in Kauf nimmt, dass die Behandlung wirkungslos ist oder sogar den Patienten schadet. Auch im Nachhinein lässt sich im Einzelnen nicht feststellen, ob sie den Gesundheitszustand der Versicherten verbessert und in welchem Umfang die Beklagte dadurch Kosten einer sog. Standardbehandlung gespart hat. Die bis heute fehlende Zulassung der Arzneimittel für die hier behandelten Erkrankungen lässt eher auf eine unzureichende Wirksamkeit im Vergleich zu eingeführten Medikamenten schließen." Bezogen auf die Situation beim Einsatz nicht CE-gekennzeichneter Medizinprodukte sollte die vorstehende Argumentation dem hier gefundenen Ergebnis jedoch nicht widersprechen. Wenn, wie im vorstehenden Scharnierprothesenbeispiel (I.1.), durch den Einsatz eines noch nicht CE-zertifizierten Produkts eine DRG-Fallpauschalen-gemäße Leistung (hier DRG I43B) erbracht werden kann, so ist allein aufgrund der fehlenden CE-Zertifizierung noch nicht indiziert, dass die Therapie wirkungslos ist oder sogar dem Patienten schadet. Das experimentelle Moment ist bei physisch wirkenden Medizinprodukten strukturell anders zu bewerten als bei pharmakologischen Wirkprinzipien. Beim Studieneinsatz von bereits CE-gekennzeichneten Medizinprodukten für eine bisher nicht von der Zweckbestimmung umfassten Indikation (s.o. II.3.) kann zudem die Vermutung nahe liegen, dass aufgrund der bestehenden CE-Konformität bestimmte Sicherheitsanforderungen bereits geprüft wurden und als gegeben zu unterstellen sind.
20
S. BT-Drs. 15/5728, S. 78.
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IV. Im Ergebnis ist es daher gesetzeskonform, wenn auch nicht CE-zertifizierte Medizinprodukte für den Einsatz in klinischen Studien gegenüber den als Studienzentren fungierenden Krankenhäusern in Rechnung gestellt werden und die Krankenhäuser in der Folge die mit diesen Medizinprodukten erbrachten Leistungen im Form anwendbarer DRG-Entgelte oder neu zu vereinbarender fallbezogener Pauschalen voll gegenüber den Kostenträgern zur Abrechnung bringen. Dessen unbeschadet ist ein Medizinproduktehersteller bzw. Studiensponsor aber freilich nicht gezwungen, die Prüfprodukte gegenüber dem Krankenhaus zu fakturieren. Solange die Grenzen des HWG sowie UWG durch die kostenlose Abgabe nicht überschritten werden, (was regelmäßig nicht der Fall sein dürfte)21, steht rechtlich auch einem "Produktmustersponsoring" nichts entgegen.
21
Die Beschränkungen der Musterabgabe für Arzneimittel gemäß § 47 Abs. 3 AMG gelten nicht analog für Medizinprodukte.
Rechte und Pflichten des Arztes
Heinz Pichlmaier und Hans Friedrich Kienzle Das Arztrecht spielt in der Medizin eine große Rolle. An vielen deutschen Universitäten sind Lehrstühle für Arztrecht entstanden. Für den Arzt ist es unerlässlich, die Grundaussagen des Arztrechts zu kennen. Sie sind auch in den Berufsordnungen der Landesärztekammern enthalten. Im Folgenden werden rechtliche Aspekte angesprochen, die den Arzt im medizinischen Alltag berühren. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den Pflichten des Arztes, weniger auf seinen Rechten. Fragen, die die klinische Forschung berühren, können in diesem Zusammenhang nur angedeutet werden.
I. Rechte des Arztes An vorderster Stelle steht das Recht zur Ausübung ärztlicher Tätigkeit, das durch die Approbation erworben wird. Bei gravierenden Verstößen gegen die in der Approbationsordnung aufgeführten ärztlichen Pflichten kann die Erlaubnis zur ärztlichen Tätigkeit entzogen werden. Die Kompatibilität des nationalen Rechts mit dem Europarecht ist hierbei noch nicht ausreichend gegeben, was zu speziellen Problemen führen kann. Ein weiteres wichtiges Recht des Arztes ist die Therapiefreiheit. Ihr sind allerdings fachliche Grenzen gesetzt. Letztere sind durch den medizinischen Standard definiert. Abweichungen von diesem Standard sind möglich, müssen jedoch begründet werden. Ein Recht des Arztes ist es auch, eine gewünschte Behandlung ablehnen zu können. Allerdings ist dieses Recht vor allem innerhalb der kassenärztlichen Tätigkeit erheblich eingeschränkt und seine Inanspruchnahme bedarf der Begründung und Dokumentation. In keinem Fall dürfen Notfallbehandlungen und Maßnahmen der ersten Hilfe verweigert werden. Besonders auf diesem Feld können schwierige Haftungsfragen auftreten und zu Auseinandersetzungen mit unsicherem Ausgang Anlass geben. Beispiel für eine solche Situation kann eine dringende Intubation (Einführen eines Schlauches in die Luftröhre) zur Beatmung eines Unfallopfers durch einen in dieser Maßnahme ungeübten Arzt werden. Als Arzt ist er verpflichtet, erste Hilfe zu leisten, mit der erforderlichen praktischen Aufgabe ist er jedoch nicht vertraut. Eine Fehlintubation kann tödlich enden, ihre Unterlassung auch. Wie wird das Gericht ex post entscheiden?
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In einer Zeit, in der die Autonomie des Kranken eine überragende Rolle im Arzt/Patienten Verhältnis spielt, muß mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß auch der Arzt ein Recht auf Autonomie besitzt. So kann und darf er Ansinnen, die seinen rechtlichen und ethischen Grundvorstellungen von ärztlichem Handeln widersprechen, zurückweisen. Dies spielt unter anderem eine große Rolle bei Fragen der Abtreibung, der Sterbehilfe oder der Eingriffe ohne medizinische Indikation. Letzteres hat im Zusammenwirken von heutigen gesellschaftlichen Ansprüchen und Idealen, den zunehmenden Möglichkeiten der modernen Medizin und ökonomischen Überlegungen zu bemerkenswerten Erscheinungen geführt. Schnittentbindungen auf Wunsch, Adipositasoperationen, Mammachirurgie aus rein kosmetischen Überlegungen und verschiedene Formen der so genannten „Lifestyle Medizin“ sind zu nennen. Zweifellos bewegen sich der Mediziner und sein Kunde oder Klient – von „Arzt“ kann man in diesem Zusammenhang definitionsgemäß ebenso wenig wie von Patient sprechen – zumindest in einem Teil dieser Fälle auf schwierigem Gelände. An die Aufklärung und Dokumentation sind hierbei besonders strenge Anforderungen zu stellen.
II. Pflichten des Arztes Dabei sind zunächst die allgemeinen ärztlichen Berufspflichten zu nennen, wie sie in den Berufsordnungen der Kammern niedergelegt sind: Hier finden wir neben einer Reihe formaler Gegenstände an vorrangiger Stelle das Sorgfaltsgebot, woraus sich verschiedene Konsequenzen ergeben. Die ärztliche Sorgfalt orientiert sich als Kernqualität ärztlichen Handelns an den Regeln des Faches, die ihrerseits als Standard der jeweiligen Disziplin gültig sind. Der Standard ergibt sich aus der Fachliteratur, den Hinweisen und Verlautbarungen der Gesundheitsbehörden, den Festlegungen medizinischer Fachgesellschaften und deren Arbeitsgemeinschaft (AWMF), wie sie als Empfehlungen, Vereinbarungen, Leitlinien (ebenfalls Empfehlungen, keine Richtlinien!) und Richtlinien niedergelegt sind. Entsprechend der Weiterentwicklung der Medizin ändern sich die Standards. Sie werden dem aktuellen Stand der Medizinischen Wissenschaft in Zeitabständen angepasst und spiegeln den so genannten „gehobenen Facharztstandard“. Dieser ist im Einzelfall nicht immer leicht zu definieren. Es ist – wenn auch in engen Grenzen – ein unterschiedliches Maß unter Berücksichtigung der Versorgungsstufe zugrunde zu legen. Ein gewisser Basisstandard ist jedoch unverzichtbar1. Der Arzt ist verpflichtet, durch Fortbildung und Selbststudium den jeweiligen aktuellen Wissensstand der Medizin, bzw. seines Fachgebietes zu kennen und seiner Behandlungspraxis zu Grunde zu legen. Bei Rechtsstreitigkeiten gilt, was zum Zeitpunkt der strittigen Behandlung Fachstandard war. Die Weiterentwicklung der Medizin erfolgt durch wissenschaftliche Forschung und Beobachtung, die vor allem den Ärzten der Universitätskliniken und 1
Müller G.: Aktuelle Entwicklungen im Arzthaftungsrecht, 7.2.2008. Versicherungsforum Köln.
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vergleichbaren Institutionen aufgetragen ist. Diese, aber auch jeder nicht universitär tätige Arzt, der sich an klinischer Forschung beteiligt, unterliegen strengen internationalen, europäischen und nationalen Regeln und Vorschriften (z.B. Deklarationen von Helsinki und von Tokio, Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarats), vor allem, wenn es sich um Untersuchungen am Menschen handelt. Die genaue Kenntnis des rechtlichen und ethischen Rahmens ist unverzichtbar für jeden Arzt, der in irgendeiner Form mit Menschen forscht. Erster Ansprechpartner ist in diesem Zusammenhang die zuständige lokale Ethikkommission, ohne deren Zustimmung die Forschung mit Menschen problematisch und ihre Finanzierung durch offizielle Förderinstitutionen (z.B. Deutsche Forschungsgemeinschaft) nicht mehr möglich ist. Schwerwiegende Fragen stellen sich im Zusammenhang der klinischen Forschung vor allem bei nicht Einwilligungsfähigen, wie z.B. Kindern, Bewusstlosen oder Demenzkranken. In letzter Konsequenz bedeutet es für diese und ähnliche Gruppen die Wahl zwischen medizinischem Fortschritt durch Forschung und dem Stagnieren der Therapie auf dem gegenwärtigen Stand – ein nahezu unerschöpfliches, eigenständiges Thema. Hierher gehört auch die Forschung mit Kranken, die intensivmedizinisch behandelt werden und häufig nicht oder nur eingeschränkt einwilligungsfähig sind. Ob bei Kranken in einem solchem Zustand eine randomisierte kontrollierte Studie erlaubt ist, stellt ein schwer lösbares ethisches Problem dar. Der Oberbegriff der ärztlichen Sorgfalt ist umfassend und geht an vielen Stellen gleitend in die Pflichten der Aufklärung und der Dokumentation über. Mängel auf diesem Feld können die Einwilligung eines Kranken in eine Behandlung als solche unwirksam machen und damit im Extrem dazu führen, daß selbst eine erfolgreiche ärztliche Maßnahme rechtlich als unerlaubt angesehen wird. Dies kann für den behandelnden Arzt weit reichende Folgen haben. Nur eine angemessene Aufklärung und ihre überzeugende Dokumentation schützen den Arzt vor dieser Gefahr. Die Sorgfaltspflichten im ärztlichen Alltag betreffen nicht nur die Aufklärung über das unmittelbare therapeutische Handeln, sondern gleichermaßen über die Diagnostik, sowie die Vor- und Nachbehandlung. Nachlässigkeiten und Unterlassungen, z. B. bei der Befundweitergabe vom Diagnostiker an den Therapeuten, können zum Vorwurf mangelnder Sorgfalt führen und damit über die Feststellung eines „Behandlungsfehlers“ im weiteren Sinn eine Haftpflicht auslösen. Ähnliches gilt für die Nachbehandlung, wo z.B. übersehene Infektionen, Blutungen, Schockereignisse, mangelhafte Überwachung nach Eingriffen in Narkose und vieles mehr, den Vorwurf eines Behandlungsfehlers begründen können. Die Aufklärung muss die geplanten Maßnahmen laienverständlich darstellen und auf die allgemeinen Gefahren hinweisen. Die eingriffstypischen Risiken sind auch dann zu nennen, wenn sie nur sehr selten auftreten. Der Arzt muß, wenn es anerkannte Behandlungsalternativen gibt, auch diese ansprechen. Sollte der behandelnde Arzt z.B. bei einer Gallenoperation nur die konventionelle Methode beherrschen, genügt es nicht, allein über diese aufzuklären. Er muß vielmehr auch auf die Alternativen hinweisen und den Kranken, falls dieser laparoskopisch operiert werden will, an eine hierfür geeignete Adresse überweisen. Der Arzt muss nachweisen können, daß rechtzeitig, d.h. bei Planoperationen spätestens am Vortag der Operation, ein sachgerechtes Aufklärungsgespräche stattgefunden hat. Die Aufklärung ist die
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rechtliche Basis der Einwilligung in eine Behandlung. Am sichersten ist die unmittelbare Protokollierung der Gesprächsgegenstände mit Zeitangabe und Unterschrift des Einwilligenden und des aufklärenden Arztes. Rechtlich genügt auch die mündliche Aufklärung. Deren Nachweis erfolgt durch Zeugen. Doch welcher Zeuge erinnert sich nach Monaten oder Jahren noch an deren Inhalt und Details. So sollte man, wenn schon aus einem besonderen Grund auf ein unmittelbares Protokoll verzichtet wird, nach dem Gespräch ein solches anfertigen und von dem potentiellen Zeugen gegenzeichnen lassen. Handschriftliche Notizen haben mehr Überzeugungskraft als Formulare. Der vom Kranken unterschriebene Vermerk, daß er keine weiteren Fragen habe, verstärkt die Wirksamkeit. Sehr überzeugend ist ein Aufklärungsprotokoll, wenn es beispielsweise eine während des Gesprächs angefertigte Operationsskizze enthält, denn zu welch anderem Zweck, als zur Erklärung des zu Besprechenden, sollte sie dienen? Bedenken muß der Arzt auch, daß im stationären Bereich eine arztunabhängige Pflegedokumentation geführt wird, die oft ausführlich ist und bei Streitigkeiten zur Beweiserhebung häufig parallel zu den ärztlichen Aufzeichnungen gelesen wird. Nachdrücklich hinzuweisen ist auf die Dokumentationspflicht beim Auftreten von Komplikationen. Jetzt geht es um die Stärkung, wenigstens um den Erhalt des Vertrauens des Patienten und seiner Angehörigen zu dem behandelnden Arzt. Die Delegation einer solchen Aufgabe ist in dieser Situation verderblich (Typische Patientenaussage „Ich habe meinen Arzt danach nie mehr gesehen und gesprochen“). Aufklärung und Dokumentation gehören zusammen. Beide sind eine wesentliche Voraussetzung jeder ärztlichen Behandlung, wobei auch diagnostische Maßnahmen betroffen sind. Fast immer gehört bei juristischen Auseinandersetzungen die vernachlässigte oder unterbliebene Aufklärung zum Standardvorwurf des Rechtsanwalts. Selbst eine erfolgreiche ärztliche Maßnahme ohne Aufklärung ist rechtlich gesehen Körperverletzung mit allen juristischen Folgen. Und es sei nochmals betont, daß Fehler und Unterlassungen in diesem Bereich den Arzt in größte Schwierigkeiten bringen können. Wie leicht wären sie zu vermeiden gewesen! Nicht allzu sehr sollte man sich auf die etwas zurückhaltendere Beurteilung der Gerichte in jüngster Zeit verlassen, die mit dem Begriff der „hypothetischen“, d. h. mutmaßlichen Einwilligung in besonders gelagerten Einzelfällen dem betroffenen Arzt ein wenig Entlastung gibt. Ein nicht einfacher Komplex in diesem Zusammenhang ist die interdisziplinäre ärztliche Kooperation. Sie ist heute vielfach durch Vereinbarungen der beteiligten Fachgesellschaften geregelt. Doch all diese Regelungen bleiben fragwürdig, wenn es den Ärzten nicht gelingt, in ihrer fachlichen Umgebung eine Atmosphäre hohen kollegialen Respekts zu schaffen. Und die Sorgfaltspflichten reichen weiter: So gehört die Beachtung organisatorischer Pflichten, beispielsweise hygienischer Standards, in den Verantwortungsbereich des zuständigen Arztes2. Im operativen Fach spielt in dieser Hinsicht z.B. die mittlerweile weit verbreitete Infektion mit resistenten Keimen eine große Rolle. Innerhalb kürzester Zeit müssen die in diesem Fall zusätzlich erforderlichen 2
Klein M: Voll beherrschbare Risiken. Deutsches Ärzteblatt, (2008) 105,17;783-784.
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Maßnahmen veranlasst sein: Isolierung, aseptischer Umgang mit dem Infizierten durch Tragen von Schutzkleidung und Handschuhen, laufende Desinfektion, Besuchsregelungen, gezielte Antibiotikatherapie und Prophylaxe. Die Einbeziehung eines Hygienebeauftragten des betroffenen Krankenhauses ist dringend zu empfehlen. Der Vermerk seines Namens, des Datums seines Konsiliarbesuchs und die kurze Dokumentation der veranlassten Maßnahmen, sowie des Zeitpunkts ihrer Durchführung, sollten hierbei der Dokumentationspflicht genügen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Pflicht hinzuweisen, komplizierte Fächerkooperationen für den Kranken sicher zu organisieren. So geht es nicht an, im Rahmen einer ärztlich indizierten Adipositasbehandlung einen Magenballon oder ein gastric banding einzusetzen, ohne mit dem Kranken ein Gesamtkonzept der Therapie zu entwickeln, das schon zu Beginn Internisten, eventuell Psychotherapeuten, und nach der Ballonimplantation erfahrene weiterbehandelnde Ärzte einschließt. Diese müssen in der Lage sein, sich anbahnende Störungen zu erkennen und zu handeln. Auch muss ein übergreifendes Konzept, mit dem der Patient einverstanden ist und an dem er bereit ist mitzuwirken, entwickelt werden, das z.B. nach Entfernung des temporär eingesetzten Ballons weiter verfolgt wird. Sehr schwierig können sich Fragen der Sicherheit des Kranken im Durchgangssyndrom oder bei Demenz gestalten. Die hierbei gelegentlich notwendigen Zwangsmaßnahmen, wie Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Sedierung, Fixierung u.a., stoßen an Grenzen, wie sie durch die Begriffe der Menschenwürde und der Autonomie gesetzt sind. Auf der andern Seite steht die Sorgepflicht für das Wohl des dem Arzt anvertrauten Kranken. Hierbei ist großes ärztliches Einfühlungsvermögen erforderlich, nicht zuletzt im Umgang mit seinen Angehörigen. In Grenzfällen kann oder muß die Hilfe eines Vormundschaftsgerichts in Anspruch genommen werden. Schließlich gehören zur ärztlichen Sorgfalt auch Fragen der Übernahme einer Therapie, die die vor Ort vorhandenen Möglichkeiten übersteigt. Nur die erkennbar selbstkritische Haltung des Arztes vermeidet den möglichen späteren Vorwurf eines Übernahmeverschuldens. Bei gemischter Verantwortung zwischen dem ärztlichen und dem Verwaltungsbereich ist der Arzt gut beraten, auf gefährliche Mangelsituationen, die zu dem Vorwurf von Sorgfaltsverletzungen führen könnten, rechtzeitig und nachdrücklich schriftlich hinzuweisen und so die Verantwortung zumindest zu teilen. Aufgabe des Krankenhausträgers ist es, die Klinik personell und sachlich so auszustatten, dass sie dem Versorgungsauftrag entspricht und den Krankenhausbetrieb so zu organisieren, dass die standardgemäße Leistung in ärztlicher, pflegerischer und apparativ-technischer Hinsicht jederzeit erbracht werden kann. Typischen, dem Klinikbetrieb innewohnenden Gefahren muss der Klinikträger durch organisatorische Maßnahmen entgegenwirken3. Gegebenenfalls muß das medizinische Angebot den Möglichkeiten angepasst und eingeschränkt werden.
3
Kienzle H.F.: Aktuelle Entwicklungen im Arzthaftungsrecht, 7.2.2008. Versicherungsforum Köln.
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III. Intensivtherapie und besondere Situationen Im Folgenden soll kurz auf die Intensivtherapie eingegangen werden, die in besonders eindrucksvoller Weise den Zusammenhang von Recht und Medizin erkennen lässt: Intensivmedizin bewegt sich an der Grenze des Lebens. Es ist nicht die Aufgabe des Arztes, über Leben zu entscheiden. Es ist auch nicht seine Aufgabe, Menschen zum Leben zu zwingen. Das wichtigste Instrument des Arztes ist die medizinische Indikation. Diese wird wesentlich durch den Willen des Kranken mitbestimmt. Oft handelt es sich um Patienten, deren Bewusstsein durch die Krankheit eingeschränkt oder durch ärztliche Maßnahmen unterbrochen ist. Es entstehen schwierige Situationen, die oft rasch entschieden werden müssen. Verbindliche Regeln für die jeweilige Einzelsituation gibt es nicht. Wir möchten einige Verfahrensweisen nennen, die sich in der Intensivmedizin bewährt haben. Sie sind Ausdruck unserer übereinstimmenden persönlichen Meinung: Die ärztliche Indikation bestimmt, ob eine Intensivtherapie überhaupt begonnen wird oder nicht. Im weiteren Verlauf muß die Indikation in Zeitabständen überprüft werden, sie kann sich ändern. Der bewusste Kranke kann von seiner Autonomie Gebrauch machen und einem auf ärztlicher Indikation beruhenden Behandlungskonzept nicht zustimmen. In Fällen geplanter Intensivtherapie sollte der Arzt versuchen, über ein eingehendes Aufklärungsgespräch die Vorstellungen und Wünsche des Betroffenen zu erkennen, um sie nachfolgend berücksichtigen zu können. Bei nicht einwilligungsfähigen Kranken kommt einer vorhandenen Patientenverfügung entscheidende Bedeutung zu. Sie hat vergleichbares Gewicht, wie die Einwilligung oder Ablehnung eines Therapievorschlages durch den bewussten Kranken, wenn sie denn vorliegt (z.B. in einer Notfallsituation!), genügend präzise im gegebenen Fall und zeitlich aktuell ist. Durch diese Bedingungen erfährt sie allerdings eine wesentliche Relativierung. Es ist daher ratsam, der Patientenverfügung eine Vollmacht mit Betreuungsverfügung beizufügen4. Dringend zu empfehlen ist es auch, sich bei der Abfassung der Verfügung von einem Arzt beraten zu lassen. Eine notarielle Bestätigung ist überlegenswert. Ist mit dem Kranken vor Intensivbehandlungsbeginn diesbezüglich nicht gesprochen worden und liegt eine brauchbare Patientenverfügung nicht vor, so ist die Erkundung des mutmaßlichen Willens des Betroffenen wichtig, im gegebenen Fall aber oft schwierig und für den Arzt nicht ungefährlich. Angaben von Verwandten oder Bekannten sind womöglich emotional überlagert und manchmal von Eigeninteressen beeinflusst. Kommt man zu keiner Lösung, kann das Vormundschaftsgericht angerufen werden. Da der nicht einwilligungsfähige Kranke dem Arzt in besonderem Maß ausgeliefert ist, übernimmt dieser eine große Verantwortung. Andererseits können allzu rigide juristische Vorgaben die Gefahr defensiver Medizin herbeiführen, die ihrerseits dem Kranken gefährlich wird. 4
Bayerisches Staatministerium der Justiz: Vorsorge für Unfall, Krankheit und Alter, April 2001.
Rechte und Pflichten des Arztes
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Häufig kann der erfahrene Arzt den Zeitpunkt erkennen, an dem Hoffnung in Aussichtslosigkeit umschlägt. Besonders dann ist die medizinische Indikation neu zu überdenken und gegebenenfalls zu ändern. Ärztliche Entscheidungen, die Therapie weiter zu steigern, oder sie auf dem erreichten Niveau zu begrenzen („einzufrieren“) bis hin zum Therapieverzicht oder -abbruch, sind möglich und gegebenenfalls nötig. Wir sind überzeugt, daß derartige Entschlüsse von den behandelnden Ärzten und Pflegenden gemeinsam und einstimmig gefasst werden müssen. Es handelt sich aber dabei um eine ärztliche Aufgabe. Hier ist der seltene Augenblick gekommen, in dem die Hierarchie einer Klinik für alle sichtbar werden muß: Der letztentscheidende Arzt übernimmt nach eingehender Beratung für alle erkennbar die Verantwortung (indem er z.B. das Protokoll unterschreibt oder bei festgestelltem Hirntod selbst den Respirator abschaltet). Ob die auf einer derartigen, breiten Diskussion derer, die den Kranken innerhalb des Klinikums am besten kennen, beruhende Entscheidung durch die Stellungnahme einer lokalen Ethikkommission verbessert wird, darf bezweifelt werden. Sicherlich kann dadurch die Verantwortung des letztentscheidenden Arztes auf ein Gremium verteilt werden. Es entsteht ein gewisser „Verdünnungseffekt“. Ob sie dadurch an moralischem Wert, man könnte auch sagen, an Tiefe gewinnt, steht dahin. Angehörige müssen über die Entwicklung des Krankheitsverlaufes eines Patienten unter Intensivtherapie in verständlicher Art und inhaltlich korrekt informiert werden. In ärztliche Entscheidungen sollten sie nicht einbezogen werden, da ihnen damit unausweichlich eine Verantwortung aufgebürdet wird, die sie weder fachlich, noch emotional, noch im familiären Spannungsfeld tragen können. Sie wird für sie zum Trauma werden, möglicherweise lebenslang. Zwei Beispiele: Ein nachdenklicher Kranker mittleren Alters stand vor einer großen Operation. Am Ende der Aufklärung gab er zu dem Eingriff seine Einwilligung. Eine Behandlung auf Intensivstation nach dem Eingriff lehnte er ab. Ihm wurde erklärt, daß unter dieser Bedingung nicht operiert werden könne, da in einer derartigen Situation die Chance zu überleben auf der Kombination von Eingriff und Intensivbehandlung beruhe. Man einigte sich darauf, eine postoperative Intensivtherapie durchzuführen, sie jedoch abzubrechen, wenn der Umschlagpunkt zur Hoffnungslosigkeit überschritten sei. Dies trat erfreulicherweise nicht ein, doch man kann davon ausgehen, daß das Versprechen eingehalten worden wäre, wenn der Verlauf ein anderer gewesen wäre. Am Ende einer langen Diskussion bei einem 22-jährigen Polytraumapatienten kamen die behandelnden Ärzte zu der Überzeugung, daß alle weiteren Maßnahmen sinnlos waren und entschieden, die Behandlung nicht weiter zu steigern. Der leitende Arzt hörte eine in seiner Nähe stehende Schwestern-Schülerin leise und gleichsam zu sich selbst sagen: „Aber er ist doch so jung“. Dies war für alle Beteiligten der Anlass, die Intensivtherapie in vollem Umfang fortzusetzen. Der Verletzte starb 3 Tage später an Multiorganversagen. Die Schwesternschülerin wurde nach ihrem Examen eine wertvolle Mitarbeiterin auf der betreffenden Intensivstation.
Zu dem Bereich ärztlicher Pflichten als Problemkomplex besonderer Art gehört der Datenschutz. Verschiedene, auch kriminelle Interessen können dabei eine große Rolle spielen. Besonders gefährdet und allgemein in Gebrauch sind elektro-
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nische Daten. Diebstahl und Erpressung sind möglich. Nichtmedizinische Bereiche, Verwaltung, Versicherung, Abrechnungsbeauftragte und andere beanspruchen heute zu sensiblen Daten Zugang. Archive haben viele Interessenten, man denke nur an die zahlreichen Doktoranden. Schließlich gibt es Daten, vor denen der betroffene Patient selbst geschützt werden muss, obwohl dieser grundsätzlich ein Recht auf Einsichtnahme besitzt. In der Psychiatrie kann das eine erhebliche Rolle spielen. Die geplante Einführung der Gesundheitskarte ist bisher von vielen ungelösten Problemen des Datenschutzes überlagert. Dieses Thema hat auch den letzten Ärztetag in Ulm beschäftigt und ist ausführlich im Deutschen Ärzteblatt5 referiert. Manches auf diesem Feld scheint unlösbar. Vielerorts können unerwartete Probleme entstehen und dies ist nur ein kleiner Blick in die Fülle der Möglichkeiten: So war die Weitergabe von Krankendaten unter Ärzten bisher unstrittig und üblich. Das gilt weiter für die im Einzelfall aktiv behandelnden Ärzte. Für die Information von Kollegen, die an der Behandlung eines Kranken im konkreten Fall interessiert, aber nicht beteiligt sind, ist das schon anders. In der Regel ist der Arzt in dieser Situation auf der sicheren Seite, wenn er vor der Weitergabe von persönlichen Daten das Einverständnis des Betroffenen einholt und dokumentiert. Auch die durch den Patienten nicht ausdrücklich legitimierte Weitergabe von Befunden und Diagnosen an die Familie des Betroffenen ist nicht erlaubt: Ein 73-jähriger Mann wurde zur Klärung der Differentialdiagnose Bronchialkarzinom vs. Tuberkulose mediastinoskopiert. Ausdrücklich bestand er bei der Aufklärung auf Nichtinformation seiner Familie. Fehlerhafterweise war dies nicht schriftlich dokumentiert worden. Postoperativ entwickelte er eine nekrotisierende Pankreatitis und verstarb. Nur durch die ärztlich erzwungene gerichtsmedizinische Obduktion, die einen technischen Fehler bei der Mediastinoskopie ausschloss, konnte eine Strafanzeige verhindert werden.
Höchst schwierig können Situationen sein, die sich aus den Erkenntnissen der modernen Genetik ergeben: So hatte ein vermögender Mann 1982 aus diagnostischen Gründen eine Knochenprobe entnehmen lassen. Nach seinem Tod, 13 Jahre später, forderte ein Anwalt die Herausgabe der Präparate, um sie in einer Erbangelegenheit genetisch untersuchen zu lassen. Unter Verweis auf die damals geltende Aufbewahrungsfrist lehnten die Ärzte ab. Der Gewebespender hatte seinerzeit, wie üblich, keinerlei Verfügung über einen Anonymisierungsvorbehalt für das entnommene Material getroffen. Der findige Anwalt entdeckte einen 6 Jahre nach der Knochenbiopsie andernorts entnommenen Darmpolypen und konnte damit die Identität einer im Erbe nicht begünstigten unehelichen Tochter nachweisen. Das sorgfältig vorbereitete Erbgebäude stürzte völlig zusammen.
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Entschließungen zum Tagesordnungspunkt IV: Auswirkungen der Telematik und elektronischen Kommunikation auf das Patient-Arztverhältnis. Deutsches Ärzteblatt (1008) 105, 22;1025-1033.
Rechte und Pflichten des Arztes
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Man sagt, der Arztberuf sei frei und sieht darin zu Recht ein hohes Gut. Man muss sich aber bewusst sein, daß dieser Freiheit immer engere Grenzen gezogen wurden und werden. Das Notwendige und das Erlaubte sind nicht immer deckungsgleich. Auch die Interessen des Kranken, der Angehörigen und der beteiligten Ärzte können divergieren. Zwar sind im konkreten Fall die Grenzen ärztlicher Pflichten nicht starr und Grenzüberschreitungen möglich, für den Fortschritt sogar nötig, doch das Risiko wächst rasch und wird schnell unüberschaubar. Ähnliches gilt für Grenzunterschreitungen bei Unterlassung von oder Verzicht auf die Erfüllung formaler Pflichten. Unerlässlich ist es für den Arzt, sich in den Grenzbereichen seines Handelns auszukennen. Vor diesem Hintergrund sollte man z. B. wissen, daß allein im Kammerbezirk Nordrhein in den letzten Jahren bis zu jeweils 1800 Begutachtungsanträge gestellt wurden. Die langfristige Behandlungsfehlerquote liegt dabei in den operativen Fächern bei 33%. Gründe dafür sind in den meisten Fällen Sorgfaltsmängel, Verletzungen der Grenzen ärztlichen Handelns, sowie Pflichtversäumnisse bei der Aufklärung und Dokumentation. Die meisten von ihnen wären vermeidbar gewesen.
IV. Zusammenfassung Die Rechte des Arztes sind in den Berufsordnungen der Ärztekammern zusammengefasst, wobei zentral die ärztliche Approbation steht. Besonders wichtig ist es für den Arzt, seine Pflichten zu kennen, deren Vernachlässigung zivil- und strafrechtlich erhebliche, vor allem letztere auch existenzielle Folgen für ihn haben kann. Von entscheidender Bedeutung ist die Sorgfaltspflicht, die sich in viele Teilbereiche gliedert. Neben der unmittelbaren ärztlichen Handlung ist Sorgfalt ebenso erforderlich bei der die Einwilligung des Kranken begründenden Aufklärung über die Krankheit, deren Erkennung, Behandlung, Nachbehandlung, Gefahren und Folgen (direkte und indirekte, wie berufliche, ökonomische, soziale usw.) für den einzelnen und eventuell Mitbetroffene. Darunter fällt auch die Organisation der Diagnostik und Therapie. Die Aufklärung muss beweisbar sein (Dokumentation!). Die Sorgfaltspflicht reicht entsprechend der fachlichen Ausrichtung des einzelnen Arztes von Problemen der menschlichen Fruchtbarkeit bis zu den letzten Fragen des Sterbens und des Todes und schließt gegebenenfalls gesellschaftliche, soziale und rechtsmedizinische Bereiche ein. Der vorliegende Text ist von der Sicht des operativ tätigen Arztes geprägt und berührt in der gebotenen Kürze auch einige spezielle Bereiche, die die enge Verbindung von Arzt und Recht deutlich machen.
Lebensschutz durch Legalisierung der anonymen Geburt?
Reinhard Richardi
I. Aktualität des Themas In dem Standardwerk „Medizinrecht“ des Jubilars, das er seit der 5. Auflage mit Andreas Spickhoff verfasst, finden sich in der 6. Auflage 2008 erstmals Ausführungen zur anonymen Geburt.1 Das Thema berührt auch das Haftungsrecht, dem sich der Jubilar ausführlich gewidmet hat. Er hat in der Festschrift für Joachim Gernhuber zu dessen 70. Geburtstag begründet, dass auch die Rechte und Pflichten aus dem Eltern- und Kindesverhältnis in das Deliktsrecht herüberreichen.2 Das Recht der elterlichen Sorge sei ein sonstiges Recht i. S. von § 823 Abs. 1 BGB. Wer es verletzt, hat Schadensersatz zu leisten. Keinem Zweifel unterliegt daher, dass bei einer anonymen Kindesabgabe und deren Organisation der Tatbestand einer unerlaubten Handlung vorliegen kann. Trotzdem erschallt bei jeder Kindstötung in Deutschland der Ruf nach Ermöglichung einer anonymen Geburt. Bayerns Justizministerin, Beate Merk, fordert unter Hinweis auf einen Gesetzentwurf, den Bayern und Baden-Württemberg 2004 in den Bundesrat eingebracht haben, eine Legalisierung der anonymen Geburt.3 Der Gesetzentwurf ermögliche Müttern in extremen Konfliktsituationen eine Geburt unter ärztlicher Aufsicht ohne die – nach bisherigem Personenstandsrecht notwendige – Preisgabe ihrer Identität. In einer Presseerklärung vom 6.2.2008 fordert Walter Jonat, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) Straffreiheit für Ärzte bei der Mitwirkung an einer anonymen Geburt. Das medizinische Personal müsse in dieser Situation Rechtssicherheit haben. Derzeit könne gegen Personen, die an einer anonymen Geburt mitwirkten, strafrechtlich ermittelt werden. Wörtlich erklärt er: „Jede bei einer Geburt beteiligte Person wird helfen und ist dazu auch verpflichtet, unabhängig davon, ob die Daten der werdenden Mutter bekannt sind oder nicht. Es ist aber für uns unzumutbar, von einer Strafverfolgung 1 2 3
Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 771. Deutsch, Familienrechte als Haftungsgrund, in: FS Gernhuber 1993, S. 581 (593). Pressemitteilungen des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 25.9. und 28.9.2007; bereits vom 14.6.2004 und 3.3.2006.
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bedroht zu sein.“ Keine Lösung sei für die Frauenärzte die Einstellung der bisherigen Verfahren, soweit es aus den einzelnen Bundesländern bekannt sei, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage der FDPBundestagsfraktion ergeben habe. Die Bundesregierung hat in der zitierten Antwort vom 15.11.2007 ausführlich über die „Auswertung der Erfahrungen mit anonymer Geburt und Babyklappe“ berichtet.4 Ebenfalls 2007 hat die Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Christa Stewens, eine Machbarkeitsstudie „Anonyme Geburt“ – Das „Moses-Projekt“ in Bayern vorgelegt, um mit ihr eine Basis für eine weiterführende wissenschaftliche Untersuchung zu bieten, „die sich zum Ziel setzt, bundesweit neue Erkenntnisse zu erbringen, welche dann die Basis bilden können für eine ausgewogene gesetzliche Regelung, die auch dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung Rechnung trägt“. Der folgende Beitrag beschränkt sich auf einen Teilausschnitt der Problematik, den Versuch, durch eine Gesetzesregelung, eine anonyme Geburt zu ermöglichen, um dadurch dem Lebensschutz zu dienen.
II. Rechtstatsächliche Grundlagen Im Herbst 1999 wurde, wie die hier genannte Machbarkeitsstudie berichtet, das Projekt Moses von Maria Geiss-Wittmann, der Vorsitzenden des Ortsvereins Amberg des Sozialdienstes katholischer Frauen, ins Leben gerufen und ein Jahr später durch die „Anonyme Geburt“ als Bestandteil des Projekts ergänzt. Nach dem Ausstieg der katholischen Kirche aus dem gesetzlichen System der Konfliktberatung Ende 2000 und dem damit verbundenen Verlust der staatlichen Anerkennung der Beratungsstellen des SkF wurde das Konzept bei dem neu geschaffenen Träger Donum Vitae in Bayern e.V. etabliert. Seitdem wurde auch in anderen Bundesländern ein entsprechendes Beratungsangebot vielfältig organisiert.5 Aus Projekten mit anheimelnden Namen wie „Babywiege“, „Babynest“, „MosesKörbchen“ oder „Lebenspforte“ folgte das Konzept der anonymen Geburt. Grundsätzlich lassen sich drei Arten von anonymer Kindesabgabe unterscheiden: Babyklappe, Übergabesystem und anonyme Geburt.6 Das Konzept einer „anonymen Geburt“ will verhindern, dass Frauen in einer Notlage ihr Kind töten. Entsprechend wird es beworben: die anonyme Geburt als Alternative zur Kindstötung. Bezieht man die Statistiken in die Beurteilung ein, so muss man feststellen, dass trotz der Anonymisierungskampagne die Zahl der Kindstötungen nicht zurückgegangen ist.7 Mit diesen Daten wird von der einen 4 5
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BT-Drucks. 16/7220. Vgl. BT-Drucks. 16/7220, S. 2 ff.; Rupp, „Anonyme Geburt“ – Das „Moses-Projekt“ in Bayern: eine Machbarkeitsstudie, 2007, S. 15 ff.; Mielitz, Anonyme Kindesabgabe: Babyklappe, anonyme Übergabe und anonyme Geburt zwischen Abwehr- und Schutzgewährrecht (Diss. Regensburg 2005), 2006, S. 19 f. Mielitz, Anonyme Kindesabgabe (s. Fn. 5), S. 20 ff. Swientek, ausgesetzt – verklappt – anonymisiert: Deutschlands neue Findelkinder,
Lebensschutz durch Legalisierung der anonymen Geburt?
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Seite die Nutzlosigkeit des Angebots unterstrichen.8 Durch die Bewerbung ist, wie behauptet wird, im Gegenteil ein Bedarf zur anonymen Abgabe von unerwünschten Kindern erst geweckt worden.9 Aber auch von anderer Seite wird eingeräumt, dass die Zahlen aufgrund ihrer Heterogenität, fehlender Systematik und mangelnder Differenziertheit keinen fundierten Beitrag dazu leisten könnten, die Auswirkungen der „anonymen Geburt“ auf die Häufigkeit der Kindstötungen und Kindsaussetzungen zu beurteilen; dafür seien die Fälle zu unterschiedlich.10 Auch die Bundesregierung gelangt zu der Feststellung, bislang lägen keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vor, ob Frauen, die sich in einer so schweren Konfliktsituation und einem psychischen Ausnahmezustand befänden, dass sie ihr Kind aussetzten oder töteten, mit dem Angebot der anonymen Geburt überhaupt erreicht werden könnten.11 Hingewiesen wird vielmehr darauf, dass Missbrauchsfälle denkbar seien, bei denen Frauen, die ansonsten den vielfältigen Beratungsangeboten und dem Angebot einer geregelten Adoption zugänglich wären, diese Möglichkeit nutzten, um sich möglichst einfach und folgenlos von einem ungewollten Kind zu trennen.
III. Rechtliche Rahmenbedingungen 1. These der Rechtsunsicherheit Eine Rechtsgrundlage für die anonyme Geburt fehlt. Wer sie zum Lebensschutz fordert, leitet daraus aber nicht ab, dass sie unzulässig ist, sondern beklagt lediglich mangelnde Rechtssicherheit, obwohl die Gesetzeslage hinreichend geklärt ist.12 Wenn die Frauenärzte nach den Worten des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) „keine allgemeine Ausweitung der Anonymen Geburt, quasi als Ersatz zur bisherigen Adoption“ fordern, „sondern Rechtssicherheit für die seltenen Notfälle, denen sich das geburthilfliche Personal bei einer Anonymen Geburt gegenüber sieht“, so werden durch die Begrenzung auf die „seltenen Notfälle“ die beteiligten Personen keineswegs der Prüfung enthoben, die sich ihnen als Rechtsunsicherheit darstellt. Selbst wenn es gelänge, die „seltenen Notfälle“ in Worte zu fassen, kommt man nicht daran vorbei, dass gerade in derartigen Fällen die Feststellung der tatbestandlichen Voraus-
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2007, S. 39. Vgl. Swientek (s. Fn. 7), S. 83; Herpich-Behrens (Leiterin des Landesjugendamtes Berlin), „Keine Babyklappe – aber Beratung!“ – Vortrag auf einer Fachtagung des Deutschen Roten Kreuzes vom 4. bis 6.12.2003 in Berlin (Manuskript). So Swientek (s. Fn. 7), S. 81; Herpich-Behrens (Leiterin des Landesjugendamtes Berlin), Auf den Prüfstand gestellt – Babyklappen und anonyme Geburt (Manuskript vom 18.3.2003). Rupp, Machbarkeitsstudie (s. Fn. 5), S. 26. BT-Drucks. 16/7220, S. 17. Zur Gesetzeslage ausführlich Mielitz, Anonyme Kindesabgabe (s. Fn. 5), S. 64 ff.; Alfred Wolf, FPR 2001, 345 ff.; ders., Juristische Stellungnahme zu Babyklappen und anonymen Geburten, erstellt im Auftrag des Landesjugendamtes Berlin, 2002.
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setzungen erhebliche Schwierigkeiten bereitet, von denen nicht entlastet werden kann, wer sich auf das Vorliegen eines seltenen Notfalls beruft. Schließlich stellt sich auch das Beurteilungsproblem, ob ein festgestellter Sachverhalt als seltener Notfall subsumiert werden kann. Diese Schwierigkeiten sind nur behoben, wenn der Gesetzgeber den seltenen Notfall unterstellt und jeder Frau das Recht zur anonymen Geburt einräumt. Eine Legalisierung der anonymen Geburt führt aber nach den Worten der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Margot v. Renesse „etwas ein, was unser Recht bisher nicht kennt: die Wegwerf-Elternschaft“.
2. Überblick über die Gesetzeslage Die Zuordnung des Kindes zu den Eltern wird durch das Abstammungsrecht begründet (§§ 1591-1600 e BGB). Soweit es um die Beziehung zur Mutter geht, steht sie mit der Geburt fest; es gilt nach § 1591 BGB der Grundsatz „mater semper certa est“. Daran knüpft das Verhältnis zum Vater (§ 1592 BGB). Mit der Geburt beginnt die elterliche Sorge, die § 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB als die Pflicht und das Recht definiert, für das minderjährige Kind zu sorgen. Mit dem Abstammungsrecht ist auch das Erbrecht verbunden. Das Kindschaftsverhältnis nach dem Gesetz kann nur aufgelöst werden, wenn neue Eltern in einem Adoptionsverfahren bestimmt werden. Zu den Grundrechten zählt, dass Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und zuvörderst ihnen obliegende Pflicht sind (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft (Art. 6 Art. 2 Satz 2 GG). Die grundrechtliche Gewährleistung beschränkt sich daher nicht auf die Kenntnis der Abstammung, die durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet ist (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG). Damit der Staat seine Rechte ausüben kann, bestehen Mitteilungspflichten nach dem Personenstandsgesetz, die hier nicht im Einzelnen dargestellt werden.13 Ein Anonymitätsversprechen entbindet denjenigen, der zur Anzeige verpflichtet ist, nicht von dieser Pflicht. Durch die Inanspruchnahme einer anonymen Geburt ist die Mutter zwar nicht wegen Personenstandsfälschung (§ 169 Abs. 1 StGB) strafbar;14 es kommt aber eine Strafbarkeit wegen der Entziehung von Unterhaltspflichten (§ 170 Abs. 1 StGB) in Betracht,15 wobei eine Strafbarkeit wegen der Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht (§ 171 StGB) hinzutreten kann.16 Damit stellt sich die Frage, ob bei Organisation einer anonymen Kindesabgabe die Mitarbeiter ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a StPO haben, wie es den Mitgliedern oder Beauftragten einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle für Tatsachen eingeräumt ist, welche 13 14 15
16
Vgl. Mielitz, Anonyme Kindesabgabe (s. Fn. 5), S. 93 ff. Mielitz, Anonyme Kindesabgabe (s. Fn. 5), S.118 f. Mielitz, Anonyme Kindesabgabe (s. Fn. 5), S. 112 ff., 118; Badenberg, Das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung unter Berücksichtigung der Problematik der anonymen Geburt (Diss. Köln 2005), 2006, S. 102 f. Mielitz, Anonyme Kindesabgabe (s. Fn. 5), S. 114 ff.; verneinend Badenberg, Recht des Kindes (s. Fn. 15), S. 101.
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ihnen bei einer allgemeinen Schwangerschaftsberatung (§ 3 SchKG) oder einer Schwangerschaftskonfliktberatung (§ 8 SchKG) anvertraut worden sind. Wie auch immer der Sachverhalt gestaltet ist, ist die anonyme Kindesabgabe kein Bestandteil des staatlichen Schutzkonzepts zugunsten des ungeborenen Lebens. § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a StPO ist daher in keiner Konstellation der anonymen Kindesabgabe anwendbar.17
3. Rahmenbedingungen für eine Neuregelung Die Gesetzeslage lässt für die anonyme Geburt als Lebensschutzkonzept keinen Raum. Mit bisher vier Gesetzesentwürfen wurde daher versucht, einen rechtlichen Rahmen für die anonyme Kindesabgabe zu schaffen.18 Der letzte Entwurf wurde von Baden-Württemberg mit Unterstützung von Bayern am 24.9.2004 in den Bundesrat eingebracht.19 In einer Pressemitteilung ihres Hauses vom 14.6.2004 begründete die Bayerische Staatsministerin der Justiz die Notwendigkeit einer Gesetzesregelung mit den folgenden Worten: „Gewichtige Rechtsgüter stehen miteinander im Widerstreit: Körperliche Unversehrtheit und Leben von Mutter und Kind stehen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite haben Kinder ein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung.“ Der Entwurf geht demnach also von einem Widerstreit verfassungsrechtlich verbürgter Rechtsgüter aus, mit dem sich für den Gesetzgeber ein Problem praktischer Konkordanz stellt. Doch bereits dieser Grundansatz ist verfehlt. Das verfassungsrechtlich verbürgte Recht des Kindes auf Elternschaft, zu der die Kenntnis der Abstammung gehört, steht in keiner Wechselwirkung zu einem entsprechend verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht der Mutter gegenüber ihrem Kind, das den Gesetzgeber befugt, als deren Recht eine anonyme Geburt zuzulassen. Das bestätigt nicht zuletzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.5.199320 zum Schwangerschaftsabbruch: Die einzigartige Verbindung von Mutter und Kind erschöpfe sich nicht in einer Pflicht der Frau, den Rechtskreis eines anderen nicht zu verletzen, sondern enthalte „zugleich eine intensive, die Frau existentiell betreffende Pflicht zum Austragen und Gebären des Kindes“ und ziehe „eine darüber hinausgehende Handlungs-, Sorge- und Beistandspflicht nach der Geburt über viele Jahre nach sich“.21 Kriterium für eine Ausnahmelage sei das der Unzumutbarkeit; sie könne allerdings nicht aus Umständen hergeleitet werden, die im Rahmen der Normalsi17
18
19 20 21
Vgl. Mielitz, Anonyme Kindesabgabe (s. Fn. 5), S. 123 ff.; Neuheuser, ZfL 2001, 59 (60). BT-Drucks. 14/4425, 14/8856 und BR-Drucks 506/02, 682/04; ablehnend zu den ersten drei Entwürfen Badenberg, Recht des Kindes (s. Fn. 15), S. 132 ff.; Alfred Wolf, FPR 2003, 112 (114 ff.); Ulrike Riedel, Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Aspekte von Babyklappe und anonymer Geburt, Vortrag auf einer Fachtagung von Diakonie und Caritas am 18.3.2003 in Berlin (Manuskript); weiterhin Benda, JZ 2003, 533 (538 f.). BR-Drucks. 682/04; ablehnend Mielitz, Anonyme Kindesabgabe (s. Fn. 5), S. 136 ff. BVerfGE 88, 203 ff. BVerfGE 88, 203 (256).
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tuation einer Schwangerschaft verblieben.22 Der Gesetzgeber hat deshalb das sog. Untermaßverbot zu beachten, um zu verhindern, dass aus einer Ausnahme die Regel wird. Die Zulassung einer anonymen Geburt muss deshalb den Nachweis ihrer Erforderlichkeit, der Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit erbringen, um durch sie das Ziel des Lebensschutzes zu erreichen. Die bloße Motivation, Leben zu retten, ist noch kein Rechtfertigungsgrund unter dem Blickwinkel der Erforderlichkeit, der Geeignetheit und der Verhältnismäßigkeit.
IV. Überblick über das geplante Gesetzgebungsvorhaben 1. Zielsetzung und finanzielle Auswirkungen Der Entwurf ist als Artikel-Gesetz konzipiert. Er enthält in seinem Art. 1 das „Gesetz zur Beratung bei anonymer Geburt (Geburtsberatungsgesetz – GebBerG)“. Im Art. 2 folgen erhebliche Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie in den folgenden Artikeln Änderungen des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, des Personenstandsgesetzes und des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Modell für die Zulassung der anonymen Geburt ist das Beratungskonzept für die Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs. Wie dort unter dem Deckmantel einer Beratung zum Lebensschutz die als Unrecht eingestufte Abtreibung erlaubt wird, soll hier unter dem Deckmantel einer Beratung zum Lebensschutz eine anonyme Geburt im Rahmen eines abgestuften Modells zugelassen werden. Fragt man bei der vorgesehen Lösung nach den Rechten des anonym geborenen Kindes, so wird ein außerordentlich verengter Blickwinkel deutlich. Mit keinem Wort erscheint im Entwurf und seiner Begründung, dass nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG Pflege und Erziehung der Kinder das „natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ ist. Im Mittelpunkt steht ausschließlich die Abstammungsproblematik, für die der Entwurf sich auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 13.2.2003 bezieht, die den Druck anonym geborener Personen in Frankreich auf Kenntnis ihrer Abstammung abgewehrt hat. Immerhin wird hervorgehoben, dass es eine auf Dauer anonyme Geburt als Ausnahme „nur in einer extremen Konfliktsituation“ geben könne. Dass ein Kind existentiell auf die Zuwendung seiner Mutter angewiesen ist, wird verdrängt. Der Entwurf begnügt sich mit dem Hinweis: Zum Schutz anonym geborener Kinder werde die gesetzliche Vormundschaft des Jugendamtes angeordnet. Soweit es um die finanziellen Auswirkungen geht, wird ausschließlich an die öffentlichen Haushalte gedacht. Für den Bund verursache die geplante Regelung keine unmittelbaren Haushaltsausgaben. Für die Länder entstünden zusätzlich Haushaltsausgaben durch den Erstattungsanspruch der Krankenhausträger für die Durchführung einer anonymen Geburt. Das ist die Perspektive, die der Gesetzgeber dem anonym geborenen Kind bietet. Nur in einer Wohlstandsgesellschaft ist es wohl möglich, dass die zentrale Frage nach der Nahrung und Versor22
BVerfGE 88, 203 (257).
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gung eines Kindes nicht einmal mehr am Rand eine Rolle spielt. Der Entwurf bietet dem Kind, dass das ihm als Vormund bestellte Jugendamt unverzüglich die notwendigen Maßnahmen zu treffen hat, um es bei einer geeigneten Pflegeperson unterzubringen. Erst in der Begründung des zu diesem Zweck eingefügten § 1793 Abs. 2 BGB erfährt man, dass das Jugendamt zu diesem Zweck Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege nach §§ 27, 33 des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe – für das Kind in Anspruch nehmen werde. Ansonsten sorgt sich der Entwurf ausschließlich um die Erstattung der Entbindungskosten.
2. Pflichtberatung bei anonymer Geburt Zur Verhinderung von Kindesaussetzungen soll eine Pflichtberatung eingeführt werden. Es liegt auf der Hand, dass dadurch keine Kindsaussetzung verhindert wird, für die erst Beweggründe der Frau unmittelbar vor der Geburt, insbesondere auf Grund einer Panikhandlung, ursächlich sind. Erreicht werden deshalb nur die Fälle, in denen eine Frau nach Ablauf der Frist für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch vor der Entbindung die Kindstötung in Erwägung zieht und deshalb in einer anonymen Geburt eine Alternative erblickt. Der Entwurf des Geburtsberatungsgesetzes regelt den Inhalt, die Durchführung und den Zeitpunkt der Beratung – dabei keineswegs mit der Zielsetzung die anonyme Geburt zu verhindern, sondern ausdrücklich heißt es: „Die Beratung ist ergebnisoffen zu führen.“ Die Beratungsstelle hat nach Abschluss der Beratung der Rat suchenden Frau eine mit Datum versehende Bescheinigung darüber auszustellen, dass eine Beratung stattgefunden habe und dass die Frau in ihr ihren Willen erklärt habe, nicht in den Geburtseintrag ihres Kindes aufgenommen zu werden. Die Beratungsbescheinigung – und nur sie – öffnet das Tor zur anonymen Geburt. Mit ihrer Erteilung werden die „nach §§ 8, 9 Schwangerschaftskonfliktgesetz staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen“ betraut. In Betracht gezogen werden deshalb auch privatrechtliche Verbände, deren Anerkennung ausschließlich durch den Aufgabenbereich nach § 5 Schwangerschaftskonfliktgesetz bestimmt wird. Bei der Zulassung einer anonymen Geburt geht es aber um die staatliche Mitwirkung an einer Handlung, durch die das Kind seiner Elternschaft beraubt wird. Es handelt sich um die Ausübung einer hoheitsrechtlichen Befugnis, die gemäß Art. 33 Abs. 4 GG als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen ist, die in einem öffentlichrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Obwohl bestimmt wird, dass die Beratung ergebnisoffen durchzuführen sei, wird der Beratungsstelle für die Erteilung der Beratungsbescheinigung die Pflicht auferlegt, die Not- oder Konfliktlage der Frau zu prüfen. Der Gesetzentwurf verschweigt aber die hierfür erforderlichen Kriterien. Von der Not- oder Konfliktlage unterscheidet er nur die extreme Konfliktsituation, bei der die Aufdeckung der Identität der Mutter zu einer Gefahr für Leib oder Leben der Mutter oder des Kindes führen würde, sofern letztere nicht auf dem Geburtsvorgang als solchem beruht. Für den letzteren Fall wird der Beratungsstelle das Recht eingeräumt, auf die Aufnahme der persönlichen Daten der Mutter zu verzichten. In der Bescheinigung über die Beratung ist die bestehende Not- oder Konfliktlage darzustellen, und es
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ist bei einem Verzicht auf die Aufnahme der persönlichen Daten der Mutter die Entscheidung unter Darlegung der besonderen Konfliktsituation der Frau, die den Verzicht der Datenaufnahme erfordert, schriftlich festzuhalten und zusammen mit der Bescheinigung dem für die Beurkundung der Geburt des Kindes zuständigen Standesbeamten zu übermitteln. Den Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen wird dadurch eine Pflicht auferlegt, deren Einhaltung keiner Kontrolle unterliegt. Das mag für den straffreien Schwangerschaftsabbruch offen bleiben können, weil seine Zulassung allein vom Formaltatbestand der Beratung abhängig ist. Bei der Zulassung einer anonymen Geburt aber werden materielle Kriterien genannt, die nur bei ihrem Vorliegen das Recht zur anonymen Geburt geben. Deshalb bleiben ungeklärt die Fälle, in denen die Beratungsstelle die Not- oder Konfliktlage der Frau bejaht, obwohl sie nicht vorliegt, oder verneint, obwohl sie gegeben ist. Gleiches gilt erst recht für die Feststellung einer extremen Konfliktsituation mit Gefahr für Leib oder Leben der Mutter oder des Kindes. Keinem Zweifel unterliegt es, dass bei einer Fehlbeurteilung eine Pflichtverletzung vorliegt, die sich der Rechtsträger der Beratungsstelle zurechnen lassen muss, wenn die für ihn tätige Person sie zu vertreten hat. Es kommen deshalb Schadensersatzansprüche in Betracht, für deren Höhe die höchst umstrittene Problematik „Kind als Schaden“ eine erhebliche Rolle spielt, zumal das Bundesverfassungsgericht für diese Frage in seinen beiden Senaten keine einheitliche Auffassung vertritt.23
3. Recht auf Kenntnis der Abstammung Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Leitentscheidungen mit Gesetzeskraft festgestellt, dass jeder Mensch auf Grund seines in der Menschenwürde verankerten Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 GG ein Grundrecht auf Kenntnis seiner biologischen Abstammung hat.24 Dieses Recht wird durch den Gesetzentwurf nicht nur eingeschränkt, sondern beseitigt. Mit seinem Beratungskonzept verbindet er zwei neue Rechtsinstitute, das Rechtsinstitut einer „geheimen Geburt“ und das Rechtsinstitut einer „anonymen Geburt“. Auch insoweit wird den Beratungsstellen eine Pflicht auferlegt. Bei Feststellung einer Not- oder Konfliktlage wird für den Regelfall der Frau auferlegt, ihre persönlichen Daten mitzuteilen. Die Beratungsstelle hat diese Daten aufzunehmen, verschlossen zu verwahren und nach Mitteilung der Geburt dem zuständigen Standesamt in einem verschlossenen Kuvert zu übermitteln. Durch entsprechende Änderung des Personenstandsgesetzes erhält das Kind nach Vollendung seines 16. Lebensjahres das Recht, Einsicht in die Unterlagen zu nehmen. Doch wird ihm dieses Recht genommen, wenn die Mutter der Auskunftserteilung nach Vollendung des 15. Lebensjahres des Kindes widerspricht. Die „geheime Geburt“ wird dadurch endgültig zur „anonymen Geburt“. Doch wird eine „anonyme Geburt“ von der Beratungsstelle im Beratungsschein bereits dann erlaubt, wenn „die Aufdeckung der Identität der 23
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Vgl. zur Verneinung BVerfGE 88, 203 (295f., 358); zur Bejahung BVerfGE 96, 375 (400 ff.). BVerfGE 79, 256 ff.; 96, 56 ff.
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Mutter zu einer extremen Konfliktsituation mit Gefahr für Leib oder Leben der Mutter oder des Kindes führen würde“. Die Daten der Mutter werden dann nicht erhoben. Da die Unterscheidung in die Kompetenz der Beratungsstelle fällt und insoweit keiner Rechtskontrolle unterliegt, entscheidet sie letztlich rechtsfrei darüber, ob dem Kind – gegen sein verfassungsmäßiges Recht – seine leiblichen Eltern für immer verborgen bleiben.
4. Gesamtwürdigung Die Zielsetzung, dem Lebensschutz zu dienen, mag ehrenwert erscheinen. Wie der Entwurf ihn aber durch die Zulassung einer anonymen Geburt realisiert, ist völlig missglückt. Wer sich persönlich an die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zu erinnern vermag, hat noch im Ohr die täglichen Suchmeldungen des Radios, in denen stundenlang durch Flucht anonym gewordene Kinder ihre Eltern suchten oder Eltern nach dem Verbleib ihrer Kinder fragten, die bei der Trennung von ihnen noch nicht ihren Namen wussten. Damals wäre niemand auf den Gedanken gekommen, in der Anonymität einen Beitrag zum Lebensschutz zu sehen. Ein Recht auf Anonymität war völlig undenkbar in einer Zeit, in der, bedingt durch Evakuierung, Ausbombung, Flucht, Vertreibung und was es sonst noch für Spezialitäten der Zeit gab, die Anonymität für nicht wenige Kinder zu deren Schicksal wurde. Aber die Zeiten ändern sich, und mit ihnen schwindet die Sensibilität. Die Regelungswut unserer Zeit belässt es nicht dabei, dass bereits nach dem geltenden allgemeinen Notstandsrecht keiner niederkommenden Frau medizinische Hilfe nur deshalb verweigert wird, weil sie anonym bleiben will. Wenn im konkreten Fall die Tötung eines Kindes nur deshalb verhindert werden kann, weil einer Frau die Anonymität zugesichert wird, ist dies bereits nach der geltenden Gesetzeslage rechtmäßig. Zu diesem Zweck braucht aber nicht aufgehoben zu werden, dass das Verhalten der Frau Unrecht gegenüber ihrem Kind bleibt.
V. Zusammenfassung Der von Bayern und Baden-Württemberg in den Bundesrat eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der anonymen Geburt beschränkt sich nicht auf eine spezifische Notstandsregelung. Wie die Vielzahl der Babyklappen zeigt, wird auch das von ihm vorgesehene Beratungskonzept Aussetzungen und Tötungen von Babys nicht verhindern. Es mag im Einzelfall anders sein. Aber darüber kann nicht hinweg täuschen, dass er eine anonyme Geburt auch Frauen eröffnet, die an keine Aussetzung oder Tötung ihres Kindes gedacht haben. Selbst wenn man dies im konkreten Fall hinnimmt, um das Leben des Kindes zu sichern, bleibt die anonyme Geburt ein Unrecht der Mutter gegenüber ihrem Kind. Nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sind Pflege und Erziehung das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Recht und Pflicht bedingen hier einander. Damit unvereinbar ist eine gesetzliche Entpflichtung der Mutter und damit für den Regelfall auch des Vaters. Ein Gesetz, das eine anonyme Geburt
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zulässt, verletzt außerdem die Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Wer es dennoch erlassen will, um das Leben des Kindes zu schützen, muss den Nachweis seiner Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit erbringen, um durch sie das Ziel zu erreichen. Dabei darf man für die Notwendigkeit einer gesetzlich vorgesehenen Regelung nicht übersehen, dass bereits nach geltendem Recht eine Mitwirkung an der anonymen Geburt rechtmäßig ist, wenn nur durch sie im konkreten Fall das Leben des Kindes gerettet werden kann. Dieser Nachweis muss aber erbracht werden, und für die Mutter bleibt es dabei, dass sie Unrecht gegenüber ihrem Kind begeht.
Die Setzung von Standards in der Transplantation: Aufgabe und Legitimation der Bundesärztekammer
Henning Rosenau
I. Einführung 1. Allokation der knappen Ressource Organ Allokationsentscheidungen in der Transplantationsmedizin haben eine elementar existenzentscheidende Bedeutung. Mit der Frage, welcher Patient eines der knappen zur Transplantation freigegebenen Organe auf den Wartelisten erhält, entscheiden sich Lebenschancen, kann die Frage von Leben und Tod verbunden sein.1 Da angesichts der mangelnden Spendenbereitschaft in der Bevölkerung ein akuter Organmangel herrscht – 2006 standen den 8473 Patienten auf der Warteliste für eine Niere lediglich 2776 Nierentransplantationen gegenüber2 – findet sich hier auf der Mikroebene geradezu ein Paradebeispiel für die grundsätzliche Frage der Verteilung knapper Ressourcen im Gesundheitswesen. Es kann deshalb auch nicht verwundern, dass die in Deutschland 1997 getroffene gesetzliche Regelung im Transplantationsgesetz (TPG) Gegenstand heftiger Kontroversen geblieben ist. Der Gesetzgeber hat die Allokation der Organe, also die Verteilung an die Patienten und zuvor die Aufnahme von Patienten auf die Warteliste nicht en détail vorgegeben, sondern auf den „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ (§ 12 Abs. 3 S. 1 TPG) verwiesen. Nach diesen Regeln seien die Organe zur Transplantation zu vermitteln, wobei insbesondere „Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten“ eine Rolle spielen.
2. Die Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) Die Konkretisierung nun hat der Gesetzgeber der BÄK übertragen. Sie stellt, so heißt es in § 16 TPG, „den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien fest“. Derartige Richtlinien sind inzwischen für alle vermitt1
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Schroth, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Aufl., Stuttgart u.a. 2007, S. 359. Quelle: Deutsche Stiftung Organtransplantation.
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lungspflichtigen Organe bekannt gemacht worden. Neben vier Richtlinien für die Führung von Wartelisten hat die BÄK fünf Richtlinien für die Organvermittlung verabschiedet, und zwar je eine für die Nierentransplantation, die Lebertransplantation, die Herztransplantation, die Herz-Lungen- und Lungentransplantation, die Pankreastransplantation und die Dünndarmtransplantation. Für die Vermittlung von Organen wird bei allen Organen eine Blutgruppenkompatibilität im A-B-0-System verlangt. Darüber hinaus werden verschiedene Kriterien berücksichtigt und je nach Organ und dessen medizinischen Besonderheiten zu einem bestimmten Prozentsatz gewichtet. Am Beispiel der Niere exemplifiziert: Mit einer Gewichtung von 40 % fließt die Übereinstimmung der Gewebemerkmale in die Vermittlungsentscheidung ein, weil dann von einem langfristigen Transplantationserfolg ausgegangen werden kann. Dies folgt der gesetzlichen Vorgabe der Erfolgsaussicht als einem entscheidenden Kriterium. Daneben fließt zu 10 % die sog. Mismatch-Wahrscheinlichkeit ein, die die Wahrscheinlichkeit bezeichnet, ein weitgehend in den Gewebemerkmalen übereinstimmendes Organ zu erhalten, und die sich aus der Verteilung der Merkmale in der Bevölkerung ergibt. Zu 30 % gewichtet wird die Wartezeit. Sie wird im Gesetz implizit vorgesehen, ist aber zugleich ein Faktor, der die Dringlichkeit bezeichnet, weil bei längerer Wartezeit die medizinische Dringlichkeit in der Regel3 steigt. Da die Erfolgsaussicht einer Transplantation mit der Konservierungszeit von der Organentnahme bis zur Implantation sinkt, wird auch diese sog. kalte Ischämiezeit mit 20 % in Ansatz gebracht. Mittelbar wird so die Nähe des Ortes der möglichen Transplantation zum Ort der Organentnahme berücksichtigt, allerdings ist das lediglich ein Reflex dieser medizinisch begründeten Regel. Einen Zentrumsvorbehalt, wie es ihn früher gab und bei dem die in einem Transplantationszentrum entnommenen Organe zunächst dorthin vermittelt wurden, ist mit dem neuen TPG nicht mehr zu vereinbaren.4 Schließlich sieht die Richtlinie für Kinder und hochimmunisierte Patienten Sonderregelungen vor. Wichtig ist die Bestimmung, dass bei lebensbedrohlichen Situationen eine vorrangige Organzuteilung in Betracht zu ziehen ist. Damit wird dem gesetzlich vorgegebenen Merkmal der Dringlichkeit Rechnung getragen. Man spricht von high urgency (HU)-Patienten.5
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Kühn, MedR 1998, S. 445, 459; zu Unrecht zweifelnd Bausch/Kohlmann, NJW 2008, S. 1562, 1564. Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, Transplantationsgesetz, Kommentar, Stuttgart 2001, § 12 Rn. 11. Vgl. – auch zum vorgehenden – Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler (Fn. 4), § 12 Rn. 16.
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II. Private Governance 1. Private Auftragsnormierung als moderne Gesetzgebungstechnik Mit den Richtlinien der BÄK findet sich auf dem Gebiet der Transplantation ein heute in zahlreichen Bereichen neuer Regelungsgegenstände im Wirtschafts- und Sozialstaat anzutreffendes Phänomen vor, bei dem staatliche und private Rechtsetzung miteinander verwoben sind.6 Wie noch zu zeigen ist, handelt es sich bei den Richtlinien der BÄK nicht um Rechtsetzung im eigentlichen Sinne, so dass zu formulieren wäre, dass staatliche Rechtsetzung und private Regelbildung miteinander verschränkt sind. Es haben sich Mischformen privater und staatlicher Regelbildung entwickelt. Regeln werden von privat organisierten Normungsgebern oder auch der Privatwirtschaft ausgearbeitet und erlangen dann über unterschiedliche Transformations- und Rezeptionsmechanismen Verbindlichkeit. Da der Staat mangels eigener Expertise auf vielen Feldern nicht aus sich heraus zur Regulierung in der Lage und auf den Wissenstransfer von Fachleuten oder Expertenkomitees angewiesen ist, sieht er sich strukturell veranlasst, auf außerstaatlichen Sachverstand zurückzugreifen. Teilweise werden Private extensiv in die Regelsetzung mit einbezogen, teilweise wird das Feld völlig privaten Akteuren überlassen. Die Verwaltungslehre hat dafür die Chiffre der wechselseitigen Auffangordnungen geprägt, die öffentliches und privates Recht bilden.7 Andere sprechen vom kooperierenden Staat, von regulierter Selbstregulierung8 oder von legislativem outsourcing.9 Prominente Beispiele außerhalb des Medizinrechts sind etwa die Regeln der Corporate Governance im Bereich des Kapitalmarktrechtes. Regeln einer verantwortlichen und ordnungsgemäßen Unternehmensführung von Aktiengesellschaften werden in Corporate Governance Codices aufgestellt, die von einer unabhängigen Expertengruppe erarbeitet worden sind, in Deutschland von der sog. Cromme-Kommission.10 Diese Regeln des Deutschen Corporate Governance Kodex sind an sich unverbindlich, allerdings hat der Gesetzgeber auf sie in § 161 AktG Bezug genommen, indem er eine Erklärungspflicht für Aufsichtsrat und Vorstand statuiert, ob den Empfehlungen entsprochen worden ist. Faktisch ist daher die Akzeptanz dieser Codices sehr stark, obwohl privat gesetzte Regeln, werden sie weitgehend befolgt.11 Ein weiteres Beispiel sind die europäischen Techniknormen, bei denen der Stand der besten verfügbaren Technik für umweltrelevante Anlagen etwa durch 6
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Vgl. Nierhaus, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand April 2008, Art. 80 Abs. 1 Rn. 298. Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, Baden-Baden 1996. Schuppert, Die Verwaltung 2001, Beiheft 4, S. 201, 206; Trute, DVBl. 1996, S. 950. Röthel, JZ 2007, S. 755, 758. Kort, in: Möllers (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, Baden-Baden 2008, S. 140 f. Kort (Fn. 10), S. 142 ff. m.w.N.
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einen informellen Informationsaustausch in einem Büro in Sevilla erarbeitet und dann durch die Europäische Kommission bekannt gemacht wird. Auch außerhalb des Umweltbereiches erfolgt die technische Normung in Europa in einem freiwilligen und selbst organisierten Prozess. Die faktische Wirkung der jeweiligen Referenzdokumente ist immens, sie sind faktisch verbindlich.12 Wenn wir konstatiert haben, dass die konkrete Ausgestaltung der Verteilungsregelungen für die Organe durch die Richtlinien der BÄK vorgegeben wird, so befinden wir uns folglich auf einem halbwegs vertrauten Terrain moderner Normsetzung, die sich als ein Miteinander von staatlicher und privater Regelbildung charakterisieren lässt. Bei den Transplantationsrichtlinien handelt es sich der Sache nach um Auftragsnormierung: Denn der Gesetzgeber hat in § 16 Abs. 1 TPG ausdrücklich die BÄK mit der Feststellung des Standes der Erkenntnisse medizinischer Wissenschaft beauftragt.
2. Verbindlichkeit der Richtlinien der BÄK „Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft wird vermutet, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer beachtet worden sind.“ In diesem Satz in § 16 Abs. 1 TPG steckt der Schlüssel für die rechtliche Qualifikation der von der BÄK aufgestellten Richtlinien. An sich handelt es sich bei den Richtlinien um private und daher zunächst nicht mit Befolgungsanspruch versehene Regelungen. Die genuin privaten Regeln gewinnen aber beachtliche Zwangswirkung durch die soeben zitierte gesetzliche Vermutungsklausel des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG. Vom Gesetzgeber ist vorgeschrieben und über die Straf- und Bußgeldtatbestände der §§ 19, 20 TPG auch sanktionsbewehrt, dass bei der Organtransplantation der Stand der medizinischen Wissenschaft zu beachten ist. Die Transplantationsmediziner wären an sich auf der sicheren Seite, wenn sie bei Entnahme und Verteilung von Organen den medizinischen Standard,13 insbesondere Erfolgsaussicht und Dringlichkeit, berücksichtigen. Irgendwelche Richtlinien außerhalb des TPG wären ohne Relevanz. Das ändert die Vermutungsklausel in § 16 TPG grundlegend. Sie statuiert eine Bindungswirkung der beteiligten Transplantationsmediziner und -einrichtungen an die Richtlinien, wirkt somit als gesetzgeberische Klammer zwischen dem gesetzlichen Normbefehl im TPG und der privaten Richtlinie der BÄK. So ist auch zu verstehen, dass es in den Richtlinien selbst heißt, dass die Richtlinien für die Vermittlungsstelle, also Eurotransplant in Leiden, verbindlich seien, wobei diese Verbindlichkeit sich auch in § 5 des Vertrages mit Eurotransplant findet. Nach dem TPG gilt auch für Eurotransplant lediglich die Maßgabe, dass die Vermittlung der gespendeten Organe nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, zu erfolgen habe. Dabei seien insbesondere Dringlichkeit und Erfolgsaussicht zu berücksichtigen. Aus der Ver12
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Appel, in: Möllers (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, Baden-Baden 2008, S. 91, 98 f.; Röthel, JZ 2007, S. 755, 759. Dazu Kifmann/Rosenau, in: Möllers (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, Baden-Baden 2008, S. 49, 64 f.
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mutungsregelung folgt einerseits, dass die Richtlinien diesen Stand zutreffend konkretisieren. Es folgt aber andererseits daraus auch, dass die Richtlinien der BÄK grundsätzlich fehlerhaft sein, dem Stand der Wissenschaft nicht mehr entsprechen könnten. Somit könnte, ja müsste man sich über diese hinwegsetzen, weil die gesetzliche Regelung gegenüber der privaten Ausformung in den Richtlinien Vorrang beanspruchen kann. Damit zeigt sich, dass rechtstheoretisch betrachtet die Richtlinien keinesfalls private Gesetze oder Regelungen mit gesetzesgleicher Wirkung darstellen.14 Folglich fragt sich, wie die Richtlinien in das bekannte Normengefüge einzuordnen wären. Ein Teil der Literatur versteht sie als antizipierte Sachverständigengutachten.15 Diese Einordnung wird indes dem Status der Richtlinien nicht gerecht. Denn die Vermutungsregel des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG verbirgt mehr, als sie preisgibt. Es ist zwar richtig, dass die BÄK nicht mit letzter Rechtsverbindlichkeit tätig wird und damit nicht hoheitlich, also auch nicht als Beliehene handelt.16 Die mögliche Nichtbefolgung einer Richtlinie der BÄK ist zwar theoretisch denkbar, praktisch aber weder relevant noch realistisch durchsetzbar. Es ist nicht vorstellbar, dass Eurotransplant auf andere Art und Weise als in der aktuellen Richtlinie vorgegeben Organe in Deutschland verteilt. Vielmehr dürfte die gesetzliche Vermutung auf einen faktischen Befolgungszwang der Richtlinie hinauslaufen. An den Richtlinien der BÄK kommt kein Akteur im Transplantationswesen vorbei. Die Qualifikation lediglich als Sachverständigengutachten bemäntelt daher eher die wahre Bedeutung der Richtlinien. Zutreffender sollte man die Richtlinien der BÄK, der Normtheorie im öffentlichen Recht folgend, als eine Form der Regelungstechnik der normkonkretisierenden Verweisung beschreiben.17 Der Gesetzgeber verweist in § 16 Abs. 1 S. 2 TPG auf die Richtlinien der BÄK, denen er konkretisierende Kraft zur Ausgestaltung des unbestimmten Begriffes des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zuspricht. Er erreicht damit einen außerordentlich hohen Nachdruck der Richtlinienbefolgung. Die Richtlinien mögen nach den Buchstaben des Gesetzes widerleglich sein. Die Rechtswirklichkeit ist anders. In ihr sind sie faktisch verbindlich,18 von offensichtlichen Irrtümern wie bei Druckfehlern abgesehen.19 Und diese Verbindlichkeit reicht über das Han14 15
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Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1148. Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1148; Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler (Fn. 4), § 16 Rn. 20. Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler (Fn. 4), § 16 Rn. 4; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, Frankfurt a. M. 2001, S. 195; zweifelhaft Gutmann, in: Schroth u.a., TPG, München 2005, § 16 Rn. 5; Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, Frankfurt a. M. 2007, S. 164. Junghanns (Fn. 16), S. 184; vgl. auch Taupitz, NJW 2003, S. 1145, 1148; Parzeller/Henze, ZRP 2006, S. 176, 178; vgl. Röthel, JZ 2007, S. 755, 759 zu technischen Normen. Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler (Fn. 4), § 16 Rn. 20; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl., Heidelberg 2008, S. 374. Zutreffend Deutsch, NJW 1998, S. 777, 780; derslb., in: Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl., Heidelberg 2008, Rn. 900.
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deln der Ärzte hinaus. Auch Rechte anderer, namentlich die der betroffenen Patienten, werden durch Regelungen festgelegt, die nicht vom Gesetzgeber stammen.
III. Die Legitimationsfrage 1. Rechtliche Qualifikation der faktisch verbindlichen Richtlinien Die de facto-Verbindlichkeit der Richtlinien wirft wie bei anderen privaten Regelungen mit Allgemeinverbindlichkeitscharakter die Frage nach ihrer Legitimation auf. In der Tat wird diese auch heute noch heftig diskutiert. Vordergründig scheint diese Frage verfassungsrechtlich unproblematisch zu sein. Die Verfassung verlangt für staatliche Gesetze in Art. 20 Abs. 2 GG die demokratische Legitimation, also eine Rückanbindung an das Volk. Da die BÄK nicht nationales Recht setzt, sondern als Privatsubjekt Regeln ausbildet, wird z.T. eine demokratische Rückkoppelung derartiger Normen für gänzlich unnötig gehalten.20 Das erscheint deswegen nicht unproblematisch, weil die zwingende Wirkung der Richtlinien nicht schlicht aufgrund einer privaten Übereinkunft der beteiligten Verkehrskreise, sondern aufgrund einer Entscheidung des Gesetzgebers eintritt, nämlich aufgrund der Vermutungsregelung des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG. Darüber hinaus werden so Eurotransplant verbindliche Verteilungsvorgaben gemacht, die dort für die digitale Datenverarbeitung weiter konkretisiert werden. Diese Anwendungsregelungen hat Eurotransplant auf der Grundlage der Richtlinien der BÄK zu entwickeln, ist also an die Vorgaben der BÄK gebunden.21 Es tritt hinzu, dass diese Zwangswirkung auch gegenüber Dritten wirkt, hier den betroffenen Patienten, denen aufgrund der Richtlinien ein Organ zugeteilt wird oder eben nicht zugeteilt werden kann. Diese Überlegungen führen zur Frage, ob der Gesetzgeber mit der Verlagerung der faktischen Rechtsetzungsmacht nicht unzulässig seine Aufgaben auf private Dritte, hier die BÄK, überträgt. Gibt der Gesetzgeber die inhaltliche Letztentscheidung über die Organverteilung nicht faktisch aus der Hand? Lässt sich die Übertragung faktischer Regelungsbefugnisse an Private überhaupt legitimieren? Nun könnte man es sich einfach machen und formal argumentieren. Der Gesetzgeber hat die Rechtsetzungsmacht nicht vollständig an die BÄK verlagert. Er hat vielmehr selbst durchaus explizit seine Vorstellung einer gerechten Organverteilung in das TPG aufgenommen. Diese solle nach Erkenntnissen medizinischer Wissenschaft vonstatten gehen. Auch für die vorentscheidende Aufnahme von Patienten auf die Wartelisten hat der Gesetzgeber den Maßstab vorformuliert. Auch hier ist nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der Erkenntnisse medizinischer Wissenschaft entsprechen. 20
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Röthel, JZ 2007, S. 755, S. 762 m.w.N.; Schmidt-Aßmann, Grundpositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, Berlin, New York 2001, S. 99 f. Schreiber, Bundesgesundheitsblatt 2002, S. 761, 764.
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Dabei hat es der Gesetzgeber nicht belassen. Er hat die maßgeblichen Kriterien zusätzlich selbst herausgehoben: bei der Aufnahme in die Warteliste sind diese insbesondere Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Transplantation (§ 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG), bei der Verteilung vorhandener Organe gilt gleiches, hier nennt das Gesetz insbesondere Erfolgsaussicht und Dringlichkeit (§ 12 Abs. 3 S. 1 TPG). Formal sind damit die Richtlinien der BÄK an den legitimierten Gesetzgeber rückgekoppelt. § 16 TPG überträgt ihr das Mandat zur Konkretisierung, durch die Veröffentlichung im Deutschen Ärzteblatt werden diese bekannt gemacht und treten damit auch nach außen in formelle Wirksamkeit. Diese Sicht erscheint aber im hiesigen Umfeld zu kurz gegriffen. Denn es ist auf den ersten Blick deutlich, dass die BÄK mit ihren Richtlinien nicht lediglich schlichte Ausführungs- und Durchführungsbestimmungen erlässt, die sich ohne weiteres aus den vom Gesetzgeber gesetzten Rahmendaten erschließen lassen. Wäre das der Fall, wäre die demokratische Legitimation von vornherein kein Problem. Je mehr aber die Normgebung der privaten Einrichtung regulativen Charakter hat, umso weniger scheint eine rein formale legitimierende Grundlage ausreichend.22 Die Fragen der Dringlichkeit und Erfolgsaussicht bei der Organtransplantation sind teilweise gegenläufige, zumindest aber sehr weitgehend ausfüllungsbedürftige Parameter, so dass die Konkretisierung zwangsläufig auch Züge von Normengestaltung mit einschließt. Jedenfalls erschöpft sich die Arbeit der BÄK nicht lediglich in technischem Nachvollzug dessen, was im BGBl. erstmals am 5.11.1997 bekannt gemacht worden war.23 Es ist daher in der Tat zu fragen, ob der Gesetzgeber zulässigerweise die Ausfüllung dessen, was den Standard der Transplantationsmedizin darstellt, der BÄK überantworten konnte. Hat der Gesetzgeber seine Steuerungsfunktion vernachlässigt, und erfüllt das Recht nicht mehr die Aufgabe, die ihm zukommt, nämlich – im Gegensatz zur Ethik – das zumindest vorläufig wirklich Maßgebliche zu bestimmen?24
2. Notwendigkeit der Einbindung privater Regelgeber Das BVerfG hat für das nationale Recht den Begriff des Legitimationsniveaus geprägt. Die Ausübung von Staatsgewalt, wie sie sich in amtlichem Handeln mit Entscheidungscharakter oder in Entscheidungen mit unmittelbarer Außenwirkung darstellt, bedarf der demokratischen Legitimation. Das erfordert eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit den staatlichen Aufgaben betrau-
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Schmidt-Aßmann (Fn. 20), S. 103; Höfling, Transplantationsgesetz, Kommentar, Berlin 2003, § 16 Rn. 18 f. BGBl. 1997 I, 2631 ff.; die Neubekanntmachung des TPG erfolgte am 12.9.2007, BGBl. I, 2207 ff. Ryffel, Grundprobleme der Rechts- und Staatsphilosophie, Neuwied, Berlin 1969, S. 231 f. und 344 ff.
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ten Stellen.25 Eine rein formale Betrachtung wäre aber verfehlt. Das GG verfolgt – wie viele Verfassungen – neben der demokratischen Legitimation auch den Grundsatz der Gewaltenteilung mit einer Trennung von Gewalten, die jede für sich in eigenständiger Weise Funktionen und Aufgaben haben. Ein Entscheidungsmonopol beim parlamentarischen Gesetzgeber für sämtliche Fragen wäre damit unvereinbar.26 Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass es nicht stets das Parlament ist, wo Entscheidungen möglichst zutreffend und richtig getroffen werden. Jenes Organ soll handeln, welches nach Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die beste Voraussetzung für eine Richtigkeitsgewähr verfügt.27 Wann es einer im Höchstmaß durch den parlamentarischen Gesetzgeber legitimierten Regelung bedarf, „lässt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen“.28 Das heißt, dass bestimmte Punkte eines Regelungsbereiches vom Parlament vorgegeben sein können, während die konkretisierende Ausgestaltung anderen Verfahrensarten und anderen Verfahrensträgern überlassen bleibt. Notwendig, aber auch hinreichend ist ein „bestimmtes Legitimationsniveau“.29 Dabei können unterschiedliche Legitimationsformen institutioneller, funktioneller, sachlich-inhaltlicher oder personeller Art in ihrem Zusammenwirken dieses Niveau herstellen.30 Entscheidend ist, dass ein effektiver Einfluss des Staatsvolkes auf die Ausübung von Staatsgewalt besteht, und dass die zu erreichenden Ziele in effektiver Art und Weise erfüllt werden können. Bestehende Defizite an einem durchgängigen Legitimationszusammenhang bedürfen der Kompensation.31 Zu klären ist folglich, ob die Einbindung der BÄK als Institution der ärztlichen Selbstverwaltung den Willen des Gesetzgebers, die Organvermittlung an den transplantationsmedizinischen Standard zu koppeln, effektiv dadurch umsetzen kann, dass der Gesetzgeber die dadurch auftretenden Legitimationsbrüche oder -lücken in Kauf nehmen durfte. Es ist auf die vom BVerfG angesprochenen Eigenarten des zu regelnden Sachbereichs zurückzukommen. Die Transplantation verlangt nach hoher Expertise, von großer Akzeptanz getragenen Regelungen, die einen hohen Aktualitätsgrad aufweisen müssen, also stets dem veränderlichen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen sollten. a) Expertise Eine unmittelbare demokratische Legitimation der „Ständigen Kommission Organtransplantation“ der BÄK im Sinne einer ununterbrochenen Legitimationskette vom Volk zu den einzelnen Mitgliedern ist nicht gegeben. Eine derart personellorganisatorische Legitimation ist allerdings auch nicht notwendig, wenn andere Gesichtspunkte diese Defizite ausgleichen; denn solche Defizite bestehen notgedrungen, wenn der Gesetzgeber ein pluralistisch besetztes Sachverständigengre25 26 27 28 29 30 31
BVerfGE 107, S. 59, 87. Schmidt-Aßmann (Fn. 20), S. 58. BVerfGE 68, S. 1, 86 f.; so auch Appel, VVDStRL 67 (2008), S. 226, 260. BVerfGE 98, S. 218, 251. BVerfGE 107, S. 59, 87. BVerfGE 83, S. 60, 72; 93, S. 37, 66 f. Röthel, JZ 2007, S. 755, 761.
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mium für die Konkretisierung gesetzlicher Vorgaben einsetzt. Die Legitimation eines solchen Gremiums, das partiell mit seinen Beschlüssen de facto als Entscheidungsgremium wirkt, beruht insbesondere auf seiner Sachkunde. In der Kommission der BÄK sind alle fachwissenschaftlichen Vertreter aller Transplantationsrichtungen vertreten, so dass die Expertenkompetenz im Transplantationswesen nicht in Frage steht. Hinzu treten Vertreter der medizinethischen und medizinrechtlichen Wissenschaften. Wenn bemängelt wird, dass letztlich der Vorstand der BÄK die Richtlinien verabschiedet, dessen Mitglieder aber Repräsentanten der Selbstverwaltung ohne die Expertise der Transplantationsmedizin seien,32 wird übersehen, dass der Vorstand nur auf Empfehlung der fachkundigen Kommission tätig wird. Ein Mangel an sachlich-inhaltlicher Legitimation liegt darin genauso wenig, als wenn etwa die Bundesoberbehörde den Richtlinien zustimmen müsste, wie im gleichen Atemzuge vorgeschlagen wird.33 Ein dahingehender Vorschlag überzeugt auch dann nicht, wenn der Verordnungsgeber in den Begriff des Gesetzgebers im materiellen Sinne mit einzubeziehen ist. Zunächst wäre für den Einwand der Wesentlichkeitstheorie nicht viel gewonnen, weil diese primär auf den parlamentarischen, formellen Gesetzgeber zielt. Aber auch faktisch ergeben sich beim Verordnungsgeber hinsichtlich der schnellen Anpassungsfähigkeit an den sich stetig wandelnden medizinischen Standard Bedenken. Jenem fehlt selbst die Expertise.34 Im Grunde muss er exakt das Gremium, welches sich in der Ständigen Kommission Organtransplantation gebildet hat, heranziehen, um diesen Stand ermessen und dann in einer Verordnung abbilden zu können. Mangels eigener Expertise kann er auch nur in formalen Randbereichen von den Empfehlungen des Beratungsgremiums abweichen, will er nicht Gefahr laufen, den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und damit die gesetzlichen Kautelen zu verfehlen. Ob nun aber diese Empfehlungen vom Vorstand der BÄK oder dem Verordnungsgeber umgesetzt werden und einmal im Ärzteblatt, anderenfalls in einem Verordnungsblatt erscheinen, kann für die Frage der Legitimation keine entscheidende Rolle spielen. b) Neutralität, Objektivität und Partizipation der Betroffenen Darüber hinaus ist wichtig, dass ein hinreichendes Maß an Partizipation der Betroffenen besteht. Partizipation hat neben dem Zweck der Transparenz und laufenden Qualitätskontrolle auch die Bedeutung, Legitimation im Sinne des nötigen Legitimationsniveaus zu erhalten.35 Ein Teil der Mitglieder wird vom Vorstand der BÄK bestellt. Diese lassen sich also der Selbstverwaltung der Ärzteschaft zuordnen. Andere Repräsentanten vertreten die Gesundheitsminister der Bundesländer, die Deutsche Stiftung Organtransplantation, Eurotransplant, die Krankenkassen und die Vertreter der Kliniken, auch aller Transplantationsrichtungen. Damit wird zum einen eine umfassende 32 33 34
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Höfling, JZ 2007, S. 481, 484. Höfling, JZ 2007, S. 481, 486. Das übersehen selbst in Hinblick auf den Gesetzgeber Parzeller/Henze, ZRP 2006, S. 176, 180. Schmidt-Aßmann (Fn. 20), S. 72. Das BVerfG spricht von der Verstärkung des demokratischen Prinzips, BVerfGE 107, S. 59, 92.
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Expertise des Gremiums gewährleistet, zum anderen sind aber alle an der Transplantationsmedizin beteiligten Kreise vertreten, so dass denkbare einseitige Interessenvertretungen in der Kommission als Ganzes ausgeglichen werden. Bereits die vom Gesetzgeber sehr detailliert vorgegebene Zusammensetzung36 gewährleistet die Neutralität und damit einhergehend die Objektivität der Entscheidungen. Besonderes Gewicht kommt der Vertretung der betroffenen Patienten zu. Es hat sich in der Arbeit der Kommission zwar erwiesen, dass insbesondere die Transplantationsmediziner sich engagiert für die Belange „ihrer“ jeweiligen Patienten einsetzen. Das Gesetz sieht aber ausdrücklich vor, dass „Personen aus dem Kreis der Patienten“ bei der Erarbeitung der Richtlinien beteiligt sind (§ 16 Abs. 2 TPG). Daneben sieht das Statut der Ständigen Kommission vor, dass auch ein Vertreter aus dem Kreis der Angehörigen Sitz und Stimme in der Kommission hat. c) Akzeptanz und tatsächliche Übung Herkommen und Akzeptanz der beteiligten Verkehrskreise sind klassische Faktoren, die für die Legitimation eines bestimmten Verfahrens sprechen. Vor Erlass des TPG wurde das Transplantationswesen im Wege der Selbstregulierung der beteiligten Akteure gesteuert. Praktikabilitätsregeln bestimmten die Abläufe, die involvierten Transplantationszentren trafen Absprachen, aus denen dann institutionell verfestigte Verträge und schließlich ein Transplantationskodex der Deutschen Transplantationsgesellschaft hervorgegangen sind.37 Bereits damals war die multinationale Vermittlungsstelle Eurotransplant in Leiden eingebunden.38 Diese Erfahrungen eines historisch gewachsenen und funktionstüchtigen Falles gesellschaftlicher Selbstregulierung wirken heute in der Tätigkeit der BÄK fort. Die Richtlinien der BÄK haben dadurch auf dem hohen Vertrauen und der hohen Akzeptanz der damals in Verträgen und Codices bestimmten Verteilungsentscheidungen aufbauen können. Es ist eine wohl begründete Entscheidung des Gesetzgebers, an diese Akzeptanz anzuknüpfen und bei der konkreten Regulierung auf ein der ärztlichen Selbstverwaltung angegliedertes Expertengremium zu setzen, welches in Fachkreisen eine hohe Autorität genießt.39
3. Weiterer Einwand der Wesentlichkeitstheorie Damit ist gezeigt, dass ein hinreichendes Legitimationsniveau bei der BÄK bzw. der Ständigen Kommission Organtransplantation besteht, weil der Gesetzgeber weder in der Lage noch verpflichtet war, die zugegeben grundlegende Frage der Organverteilung umfassend in allen Einzelheiten selbst zu regeln. Er konnte mit
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Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler (Fn. 4), § 16 Rn. 21. Deutsch, ZRP 1994, S. 179, 181; Diettrich, Organentnahme und Rechtfertigung durch Notstand? Frankfurt a. M. 2003, S. 21 f.; Rosenberg, Die postmortale Organtransplantation, Frankfurt a. M. 2008, S. 28. Holznagel, DVBl. 1997, S. 393, 394 f. Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, Baden-Baden 2000, S. 225, Fn. 1039.
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der konkretisierenden Ausgestaltung des Standes der medizinischen Wissenschaft die BÄK betrauen. Die Kritiker gehen aber weiter und stellen schlechthin in Frage, dass der Gesetzgeber eine hinlängliche Regelung hätte treffen können. Das Hauptargument wird darin gesehen, dass der rechtsstaatliche Gesetzesvorbehalt in der Ausprägung der Wesentlichkeitstheorie verletzt sei,40 wonach der parlamentarische Gesetzgeber alle grundlegenden, wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat.41 Er darf diese nicht der Exekutive oder anderen überlassen. Dies folge aus den Staatsstrukturprinzipien von Demokratie und Rechtsstaat; denn das vom Parlament beschlossene Gesetz gewährleistet die parlamentarische Debatte und ein höheres Maß an Öffentlichkeit.42 Wenn schon für die Regelung des Hochschulzuganges eine gesetzliche Grundlage von der Wesentlichkeitstheorie verlangt werde und dort von der Zuteilung von Lebenschancen gesprochen wird,43 müsse bei der Organverteilung, bei der es um weit mehr als nur um die Berufsfreiheit gehe, erst recht der Parlamentsvorbehalt Geltung beanspruchen.44 Denn der Umfang des parlamentarischen Regelungsvorbehalts bemisst sich nach der Intensität, mit welcher die Grundrechte der Regelungsadressaten betroffen werden. Dem ist zu widersprechen: a) Keine Vergesetzlichung totaliter Gegen eine derart kurzsichtige Übertragung der Wesentlichkeitstheorie von nur bedingt konfliktbeladenen Bereichen und eher formalistischen Fragestellungen wie im Gewerbe- und dem Hochschulzulassungsrecht auf das Feld der Medizin wendet sich prominent Schmidt-Aßmann, mit gutem Grund. Vordergründig wird – das ist zuzugeben – zutreffend darauf hingewiesen, dass es kaum einen anderen denkbaren Bereich gebe, bei dem Entscheidungen nicht von so grundlegender Bedeutung für den Einzelnen sind wie im Bereich des Medizinrechts. Bei der Zuteilung eines Organs kann es in vielen Fällen auf die Zuteilung von Lebenschancen und entsprechend für den nicht berücksichtigten Patienten auf die Nichtgewährung von Lebenschancen hinauslaufen.45 Das, was wesentlich ist, bemisst sich nach der Grundrechtsrelevanz. Lebenschancen und die gerechte Teilhabe an ihr lassen sich aus dem Recht auf Leben des Art. 2 Abs. 2 GG zurückführen. Entsprechend wird gesagt, dass die Entscheidungen über die Verteilung von Lebenschancen dermaßen grundlegende Entscheidungen sind, dass das Parlament sie nicht anderen Instanzen überlassen dürfte. Insbesondere wo sich 40
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Gutmann (Fn. 16), § 16 Rn. 6 a.E.; wohl auch Kühn, MedR 1998, S. 455, 459; Deutsch (Fn. 19), Rn. 900; im Ansatz Laufs, NJW 1998, S. 1750, 1755; Ratzel, in: Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, Bonn 2008, S. 1148. BVerfGE 49, S. 89, 126; 98, S. 218, 251 f.; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 11. Aufl., München 2008, Art. 20 Rn. 70; Nierhaus (Fn. 6), Art. 80 Abs. 1 Rn. 297. Dreier, Grundgesetz, 2. Aufl., Tübingen 2006, Art. 20 (Demokratie) Rn. 120. S. BVerfGE 33, S. 303, 346. Gutmann/Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3366; ähnlich Parzeller/Henze, ZRP 2006, S. 176, 179 für die Hirntodfeststellung; dagegen treffend Kühn, MedR 1998, S. 455, 459; Haslinger, RdM 2005, S. 3. Gutmann/Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3366.
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zwei Patienten gegenüberstehen, die um nur eine und bei der Transplantation nicht teilbare Chance konkurrieren, müsse das Parlament diese Grundrechtskollision selbst lösen. Verlangt man nun, wie es Gutmann und Höfling propagieren,46 dass in solchen Fragen von – holzschnittartig gesprochen – Leben und Tod nicht lediglich die Grundlinien vom Gesetzgeber vorgezeichnet sein müssen, sondern die einzelnen Verteilungsparameter im BGBl. zu erscheinen haben, liefe das auf ein verfassungsrechtliches Festlegungsgebot hinaus, das mit dem Gewaltenteilungspostulat kaum zu vereinbaren wäre. Das wäre in den Worten des BVerfG ein unzulässiger „Gewaltenmonismus“.47 Deswegen verlangt die Wesentlichkeitsdoktrin gerade nicht, dass alle wesentlichen Einzelheiten in umfassender Weise gesetzlich festgelegt seien. Die Möglichkeit der Organisationssteuerung durch andere Einrichtungen bleibt bestehen, wobei dem Gesetzgeber ein breiter Spielraum der Gestaltung zufällt.48 Im Vordergrund steht, wie bereits ausgeführt, die Effektivität,49 die möglichst richtige Entscheidung, die von Institutionen getroffen wird, „die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen“.50 Die Wesentlichkeitstheorie ist folglich stets vor der Folie der jeweiligen Regelungsgegenstände zu sehen. Geht es schlicht um ministeriell quantifizierbare Ziffern, wie sie die Kapazitäten von Hochschulen beschreiben, um eindimensionale Normwerte, wird die Theorie zu anderen Folgen zwingen, als wenn äußerst komplizierte und stets auf dem neuesten Stande der Wissenschaft zu klärende medizinische Verteilungsfragen abzuwickeln sind. Der Hinweis auf die Facharzt-Entscheidung des BVerfG,51 nach der die autonomen Berufsverbände nicht solche Regelungen selbst treffen dürfen, die den Kreis der eigenen Angelegenheiten überschreiten, wie es bei den Verteilungsvorgaben der Organallokation der Fall ist,52 liegt schon deshalb neben der Sache, weil vorliegend die BÄK nicht als Selbstverwaltungskörperschaft tätig wird – das wäre auch den Landesärztekammern vorbehalten –, und es sich nicht um regulierte Selbstregulierung handelt, sondern um eine vom Gesetzgeber entschiedene Einbindung eines fachlich berufenen Expertenkomitees. b) Praktikabilitätsnotwendigkeiten Dafür sprechen auch durchgreifende Praktikabilitätserwägungen, ohne dass man gleich an der Kompetenz des parlamentarischen Gesetzgebers für die Regelung hoch komplexer und vor allem weltanschaulich umstrittener Streitpunkte zweifeln müsste.
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Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, Berlin u.a. 2006, S. 120 ff.; Höfling, JZ 2007, S. 481, 486. BVerfGE 98, S. 218, 252. Schmidt-Aßmann (Fn. 20), S. 59 f. und 62 f. Appel (Fn. 12), S. 104. BVerfGE 98, S. 218, 252. BVerfGE 33, S. 125, 160. Gutmann/Fateh-Moghadam, in: Gutmann u.a. (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, Heidelberg 2003, S. 37, 49 ff.
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Gerade im medizin- und biorechtlichen Bereich zeigt sich indes, dass manche Frage durch eine materielle parlamentarische Entscheidung gerade nicht beantwortet wurde, weil sich oftmals die Notwendigkeit eines Kompromisses stellt. Häufig genug zieht sich das Parlament überhaupt vor einer Klärung gänzlich zurück, wie es derzeit bei der Frage der Sterbehilfe und der Patientenverfügung oder der Spätabtreibung zu konstatieren ist. Ähnlich war es auch beim Stammzellgesetz – mit einer erlaubten Nutzung embryonaler Stammzellen aus dem Ausland, aber keiner aus Deutschland –; und mit dem naturwissenschaftlich weitgehend unumstrittenen Hirntod. Dieser wurde im TPG gerade nicht als Tod des Menschen definiert, um eine breite Mehrheit für das TPG nicht zu gefährden. Der Gesetzgeber hat ihn als Kompromisslösung aber als Voraussetzung für eine Organentnahme normiert und hat somit zumindest normativ-faktisch den Todeszeitpunkt substantiell festlegt (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 TPG einerseits und § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG andererseits).53 Es bleiben ein defizitärer Regelungswille und mangelnde Regelungskraft des Gesetzgebers auf dem Feld des Biorechts zu konstatieren.54 Ein wichtiges Argument gegen eine Vergesetzlichung des Medizin- und Biorechts ist der bereits angesprochene Gesichtspunkt, dass der schnelle Wandel der medizinischen Erkenntnisse und der Fortschritt in der Medizin einen flexibleren Normgeber als das Parlament verlangt. Ein deutliches Beispiel ist das Verbot des Klonens im deutschen ESchG vom 13.12.1990. Dort ist in § 6 ESchG versucht worden, das Klonen zu untersagen. Allerdings hat der Gesetzgeber aufgrund des Wissensstandes im Jahre 1990 eine Formulierung gewählt, mit der ein KlonVerfahren verboten wird, welches der heute üblichen Dolly-Methode gerade nicht entspricht. Mit der an sich gebotenen strengen Wortlautauslegung des § 6 ESchG als einem Strafgesetz kommt man heute nur mit Bedenken zum Ergebnis, dass in Deutschland das reproduktive Klonen überhaupt strafbar sei.55 Es ist gerade zum Schutz des Lebensgrundrechtes und der Teilhaberechte aus Art. 2 Abs. 2 GG ein flexibles und zügig arbeitendes Verfahren geboten. Es gilt für das Gesundheits- und Medizinrecht in gleicher Weise, was das BVerfG in seiner Kalkar-Entscheidung zum Atomrecht aussprach; es ist nur der Begriff „Sicherheitsstandard“ durch den medizinischen Stand der Wissenschaft zu ersetzen: „Die gesetzliche Fixierung eines bestimmten Sicherheitsstandards durch die Aufstellung starrer Regeln würde ..., wenn sie sich überhaupt bewerkstelligen ließe, die technische Weiterentwicklung wie die ihr jeweils angemessene Sicherung der Grundrechte eher hemmen als fördern. Sie wäre ein Rückschritt auf Kosten der Sicherheit“,56 was hier die Rechtssicherheit meint. Dies lässt sich anhand eines aktuellen Beispiels veranschaulichen: Drängend war eine neue Regelung für spezielle Fälle bei der Lebertransplantation geworden. Auch hier werden die vorhandenen Organe nach Dringlichkeit verteilt, bei akut lebensbedrohlichen Situationen, bei denen der Tod ohne eine 53
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Rosenau, in: Heun u.a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 4. Aufl., Stuttgart 2006, Sp. 2478. Wahl, in: Arnold u.a. (Hrsg.), FS Eser, München 2005, S. 1243, 1253. Vgl. dazu Witteck/Erich, MedR 2003, S. 258, 259; Rosenau, in: Amelung u.a. (Hrsg.), FS Schreiber, Heidelberg 2004, S. 761, 763 f. BVerfGE 49, S. 89, 137.
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Transplantation in wenigen Tagen droht, gibt es wie bei der Herztransplantation einen HU-Status mit vorrangiger Organzuteilung. Die reguläre Verteilung außerhalb des HU-Status erfolgt nach einem sog. MELD-Score, welcher die Einschätzung ermöglicht, mit welcher Wahrscheinlichkeit Patienten im Endstadium einer Lebererkrankung innerhalb von drei Monaten sterben würden. Der MELD-Score wird aus verschiedenen Laborwerten errechnet, je höher er liegt, desto eher erhält ein Patient ein Organ. Allerdings hat sich gezeigt, dass in Ausnahmefällen die Dringlichkeit durch diesen MELD-Score anhand von Laborwerten nicht adäquat ausgedrückt werden kann. Bei bestimmten Standarderkrankungen ergeben die Laborwerte keinen adäquaten MELD-Score, obgleich die Monatsmortalität vergleichbar ist. Entsprechend müssen diesen Patienten, etwa solchen mit einem hepatozellären Karzinom, entsprechende MELD-Score-Ziffern zugewiesen werden. Das geschieht nach einem bestimmten Kriterienschlüssel. Es hat sich nun erwiesen, dass über die im Katalog der Richtlinie genannten standardisierten Ausnahmefälle hinaus weitere Sonderfälle eintreten, die bislang auch durch die Standardausnahmen nicht erfasst werden, bei denen aber eine hohe Dringlichkeit für die lebererkrankten Patienten besteht. Hier hat die Kommission inzwischen reagiert und eine Revision der Richtlinie erarbeitet, die binnen eines Jahres in Kraft treten konnte und solche Einzelfälle mit einem speziellen Auditverfahren zu erfassen versucht.57 Mit dem Gesetzgeber wären diese „Feinsteuerungen“, die aber für die Transplantationsgerechtigkeit nach medizinischen Kriterien unerlässlich erscheinen, nicht denkbar.
4. „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ und Erfolgsaussicht und Dringlichkeit als wesentliche gesetzliche Vorgabe Weiter wird behauptet, der Gesetzgeber habe mit den Parametern der Erfolgsaussicht und der Dringlichkeit normative Kriterien für die Organverteilung als die vornehmlich („insbesondere“) ausschlaggebenden Kriterien vorgegeben, die gerade keine Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft seien und deswegen auch nicht mit Mitteln der Medizin und von einem Expertengremium der Medizin auszufüllen seien. Zudem sei das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot verletzt, weil die gesetzgeberische Aufzählung der beiden Kriterien eine Abwägung und Priorisierung dieser gegenläufigen Gesichtspunkte offen lasse. Das Argument sieht diese Ansicht darin, dass sich die Medizin auf einer deskriptiv-faktischen Ebene bewege und die Medizin als Wissenschaft ein deskriptives, kein normatives Fach und folglich auf die Beschreibung des Seins beschränkt sei. Mit der Festlegung des Sollens, also der ethischen und normativen Lösung hier von Abwägungsfragen zwischen Erforderlichkeit und Dringlichkeit sei die Medizin überfordert.58
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DÄBl. 2008, S. A-1461 f. Gutmann (Fn. 46), S. 118; Höfling (Fn. 22), § 12 Rn. 25; derslb., in: Lilie u.a. (Hrsg.), Standardisierung in der Medizin als Rechtsproblem, erscheint 2008, unter III a) (2); im Ansatz auch Schmidt-Aßmann (Fn. 20), S. 103.
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Das erscheint wenig einsichtig, auch wenn es ständig wiederholt wird.59 So kann nur argumentieren, wer die Medizin in ihrem Wesen verkennt. Diese ist keineswegs eine naturwissenschaftlich exakte Erfahrungswissenschaft, die lediglich mit dem Gegensatzpaar wahr oder falsch arbeiten könnte. Schon die Bestimmung dessen, was Gesundheit und was Krankheit bedeutet, ist nicht über rein naturwissenschaftlich feststehende Zustände möglich, sondern nur im historischen, regionalen, religiösen und kulturellen Kontext. Medizin ist vielmehr eine ganzheitliche anthropologische Wissenschaft, die notwendig Elemente des Beurteilens und Abwägens in sich vereint und entsprechend auch ihren Standard erst nach einem wohl abgewogenen Urteil findet.60 Im Grunde nimmt der Mediziner bei jedem medizinischen Eingriff, sei es die Impfung gegen Kinderlähmung oder eine Medikamentation, genau die Abwägung zwischen Dringlichkeit und Erfolgsaussicht bzw. Erforderlichkeit vor, die hier bei der Transplantation die Medizin nicht treffen können soll. Das ist ein unsinniges Ergebnis. Denjenigen, die dem Gesetzgeber vorwerfen, er habe mit Erfolgsaussicht und Dringlichkeit zwei im Einzelfall durchaus gegenläufige Kriterien für die Allokation aufgestellt und es unterlassen, deren Rangverhältnis zueinander zu bestimmen, ist die Ahnungslosigkeit eines Juristen vorzuhalten, der die tatsächlichen Probleme der Medizin nicht kennt und eine glatte Lösung für möglich hält.61 Eine einfache, klare Welt existiert dort so wenig wie im Rechtsraum die Einheit der Rechtsordnung. Es ist typisch für die Medizin, dass sie vor Zielkonflikten steht und diese aushalten und beherrschen muss. Wenig überzeugend ist die Annahme, mit der nicht klar vom Gesetzgeber vorgegebenen Rangfolge sei das Bestimmtheitsgebot verletzt. Das Bestimmtheitsgebot wird zwar immer wieder in allen möglichen Zusammenhängen aufs Tapet gebracht, trägt aber sehr viel weniger Einwände, als gemeinhin angenommen wird. Der Gesetzgeber hat einen weiten Spielraum und kann selbst im Strafrecht wertausfüllungsbedürftige Begriffe nutzen. Wenn selbst „grober Unfug“ vor dem besonders strengen Maßstab des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots aus Art. 103 Abs. 2 GG hinreichend bestimmt ist,62 ist nicht erfindlich, wie die beiden Kriterien von Dringlichkeit und Erfolgsaussicht zu unbestimmt sein sollten. In der Tat sind die beiden vorrangigen Maßstäbe von Erfolgsaussicht und Dringlichkeit nicht bruchlos in Einklang zu bringen. Eine hohe Erfolgsaussicht korreliert oft mit einem wenig dringlichen Zustand, während mit der besonders dringlichen Indikationen häufig eine schlechtere Prognose einhergeht.63 Es handelt sich um das Grundproblem der Organallokation schlechthin, für das die von der BÄK entwickelten Richtlinien versuchen, ein Mischsystem zu entwickeln, welches beide Kriterien berücksichtigt. Dies geschieht, indem die Kriterien in unter59
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Gutmann/Fateh-Moghadam, NJW 2002, S. 3365, 3367 ff.; dieslb. (Fn. 52), S. 54 f. und S. 59, 71 f.; Gutmann (Fn. 16), § 12 Rn. 21; im Ansatz Bausch/Kohlmann, NJW 2008, S. 1562, 1565. Vgl. Holznagel/Holznagel, DÄBl. 1998, S. A-1718, 1721. Vgl. Schreiber, in: DRZE (Hrsg.), erscheint 2008, unter IV. 2. a.E. BVerfGE 26, S. 41 ff. Schreiber, in: Honnefelder/Streffer (Hrsg.), Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik, Bd. 5, Berlin, New York 2000, S. 145 f.
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schiedlicher Gewichtung bei der Zuteilungsentscheidung einfließen, wobei bei einer hohen Dringlichkeit den mit dem Leben bedrohten Patienten der Vorrang gegeben wird.64 Die von Gutmann bemängelte strukturelle Widersprüchlichkeit beider Parameter65 ist zwar eine zutreffende Beobachtung, aber kein tragender Einwand. Die Rechtsordnung ist voll von sich widersprechenden Maximen. Nur ein Beispiel von vielen: Das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Legalitätsprinzip verlangt die unbedingte Verfolgung aller Straftaten, zugleich gebietet das ebenfalls dort angesiedelte Prinzip der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege die Nutzung von Opportunitätsregeln wie der Einstellung der Strafverfahren oder die Zulässigkeit von Absprachen im Strafverfahren.66 Es ist eine Binsenweisheit, dass Lebenswirklichkeit wie Rechtsordnung voll sind von solchen Zielkonflikten. Die Rechtswissenschaft hat aber gerade Mechanismen entwickelt, um solchen Zielkonflikten zu begegnen. Ganz im Sinne der von Hesse für die Kollision von kollidierendem Verfassungsrecht entwickelten praktischen Konkordanz müssen die vom Gesetzgeber hier für maßgebend erachteten Kriterien der Erfolgsaussicht, Dringlichkeit und Chancengleichheit (die sich im TPG unter dem Merkmal der einheitlichen Warteliste verbirgt und daher nicht aus Art. 3 GG herangezogen werden muss)67 einander so zugeordnet werden, dass jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt. Dabei dürfen die Grenzziehungen im konkreten Fall nicht weiter gehen als es notwendig erscheint, um die Konkordanz der Parameter herzustellen.68 Eine solche Güterabwägung zwischen den vom Gesetzgeber in § 12 TPG genannten Kriterien findet sich in den Richtlinien der BÄK umgesetzt. Diese sind insbesondere verfassungsrechtlich zulässige Formen der Standardisierung im Gesundheitswesen.69
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Schreiber, Bundesgesundheitsblatt 2002, S. 761, 765. Gutmann (Fn. 46), S. 120 f. BGHSt 50, S. 40 ff. Insofern unzutreffend Lachmann/Meuter, in: Honnefelder/Streffer (Hrsg.), Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik, Bd. 5, Berlin, New York 2000, S. 151, 154, die eine Akzentverschiebung durch die BÄK vermuten. Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995, S. 28. Wie hier i.E. auch Junghanns (Fn. 16), S. 188 u. 206 f.
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IV. Anhang: Transplantationsgesetz (TPG) vom 5.11.1997 i.d. Fassung vom 12.9.2007 § 12 Organvermittlung, Vermittlungsstelle (3) Die vermittlungspflichtigen Organe sind von der Vermittlungsstelle nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln. Die Wartelisten der Transplantationszentren sind dabei als eine einheitliche Warteliste zu behandeln. Die Vermittlungsentscheidung ist für jedes Organ unter Angabe der Gründe zu dokumentieren und unter Verwendung der Kenn-Nummer dem Transplantationszentrum und der Koordinierungsstelle zu übermitteln.
§ 16 Richtlinien zum Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft (1) Die Bundesärztekammer stellt den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien fest für 1. die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der dazu jeweils erforderlichen ärztlichen Qualifikation, 1a. die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, die Regeln zur Aufnahme in die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der Dokumentation der Gründe für die Aufnahme oder die Ablehnung der Aufnahme, ….. Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft wird vermutet, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer beachtet worden sind. (2) Bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 1a und 5 sollen Ärzte, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt sind, noch Weisungen eines Arztes unterstehen, der an solchen Maßnahmen beteiligt ist, bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 und 5 Personen mit der Befähigung zum Richteramt und Personen aus dem Kreis der Patienten, bei der Erarbeitung von Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 ferner Personen aus dem Kreis der Angehörigen von Organspendern nach § 3 oder § 4 angemessen vertreten sein.
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§ 16b Richtlinien zum Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Entnahme von Geweben und deren Übertragung (1) Die Bundesärztekammer kann ergänzend zu den Vorschriften der Rechtsverordnung nach § 16a in Richtlinien den allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft im Einvernehmen mit der zuständigen Bundesoberbehörde zur Entnahme von Geweben und deren Übertragung feststellen, insbesondere zu den Anforderungen an die ärztliche Beurteilung der medizinischen Eignung als Gewebespender, die Untersuchung der Gewebespender und die Entnahme, Übertragung und Anwendung von menschlichen Geweben. Bei der Erarbeitung der Richtlinien ist die angemessene Beteiligung von Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise einschließlich der zuständigen Behörden von Bund und Ländern sicherzustellen. Die Richtlinien werden von der zuständigen Bundesoberbehörde im Bundesanzeiger bekannt gemacht. (2) Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft wird vermutet, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer nach Absatz 1 beachtet worden sind.
Schutzfähigkeit von ex ante-Unterlagen im Nachzulassungsverfahren
Axel Sander
I. Einleitung Folgende Fallkonstellation sei zur Verdeutlichung der Problematik einführend beschrieben: Der eine Nachzulassung für sein Altarzneimittel begehrende pharmazeutische Unternehmer erhielt im Mängelbescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Aufforderung, die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels durch entsprechende Studien nachzuweisen. Es bestand weder die Möglichkeit auf „anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial“ im Sinne von § 22 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG) zurückzugreifen noch die Möglichkeit, auf bereits vorhandene Studienergebnisse Bezug zu nehmen. Erst nach Vorlage eigener Studien konnte die Nachzulassung durch die Behörde erteilt werden. Mit der positiven Entscheidung über den Antrag eines pharmazeutischen Unternehmers auf Verlängerung der fiktiven Zulassung eines Arzneimittels stellt sich die Frage, ob auch für die Nachzulassungsunterlagen – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – Unterlagenschutz gemäß § 24b AMG besteht.
II. Die deutsche Nachzulassung vor dem Hintergrund des Rechts der Europäischen Gemeinschaften 1. Chronologie der Nachzulassung a) Das Nachzulassungsverfahren bis zum Zehnten AMGÄnderungsgesetz1 Die Bundesregierung hat in einem Schreiben vom 22. Januar 19982 an die Europäische Kommission das deutsche Nachzulassungsverfahren beschrieben und her-
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Zehntes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 4. Juli 2000 (BGBl. I S. 1002).
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vorgehoben, dass seine Ausgestaltung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche: „Nach diesseitiger Auffassung wird die Kommission in ihrer Darlegung den rechtlichen Problemen, die die Behandlung der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Arzneimittelgesetzes bereits in Verkehr befindlichen Fertigarzneimittel aufwirft, nicht umfassend gerecht. Während zum einen die Anpassung an Europäisches Gemeinschaftsrecht die materielle Prüfung neuer und bereits in Verkehr befindlich er Arzneimittel speziell vor ihrer Zulassung erfordert, muss andererseits die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG beachtet werden. Zudem war eine Güterabwägung zwischen den Belangen der Arzneimittelsicherheit, insbesondere hinsichtlich Wirksamkeit und Qualität und den zumutbaren Belastungen der Hersteller unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen. Auch mussten letztlich im Interesse der Patienten ausreichende Kapazitäten der Zulassungsbehörden für die Zulassung neuer Arzneimittel freigehalten werden. Nach diesseitiger Auffassung hat der Gesetzgeber diesen Konflikt mit den Übergangsbestimmungen des § 105 AMG angemessen und verhältnismäßig gelöst, mit dem Ziel, so schnell wie möglich einen uneingeschränkt gemeinschaftskonformen Zustand zu erreichen.“
Die einschlägige Norm, § 105 Abs. 4 AMG, die von der Bundesregierung als verhältnismäßige Regelung für die Aufarbeitung des Altmarktes bezeichnet wurde, lautete: „(4) Dem Antrag auf Verlängerung der Zulassung sind abweichend von § 31 Abs. 2 die Unterlagen nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 beizufügen. Den Zeitpunkt der Einreichung der Unterlagen nach § 22 Abs. 1 Nr. 7 bis 15, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3a […] bestimmt die zuständige Bundesoberbehörde im Einzelnen.“
Im Klartext bedeutete dies, dass die Bundesregierung davon ausging, dass die seit Jahrzehnten im Markt befindlichen fiktiv zugelassenen Arzneimittel grundsätzlich als wirksam und unbedenklich angesehen werden konnten und eine Nachzulassung nur dann versagt werden sollte, wenn die Zulassungsbehörde – sinngemäß wie bei einem Zulassungsverlängerungsverfahren gemäß § 31 AMG – Versagungsgründe darlegen konnte. Eines konkreten Nachweises der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit durch den pharmazeutischen Unternehmer sollte es deshalb nicht bedürfen. Nur dann, wenn Indikationen beansprucht wurden, die von Aufbereitungsmonographien nicht getragen wurden – also die vom pharmazeutischen Unternehmer angegebene therapeutische Wirksamkeit nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse unzureichend begründet war – galt, dass pharmakologisch-toxikologische und klinische Untersuchungen eingereicht werden mussten, um eine Versagung der Nachzulassung zu vermeiden. Dieser Argumentation ist die Europäische Kommission nicht gefolgt. In ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 21.10.1998 stellte sie fest:
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Antwort der Bundesregierung auf das Beanstandungsschreiben der Europäischen Kommission vom 24. November 1997.
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„Die deutsche Bundesregierung hat in ihrer Antwort jedoch nicht nachgewiesen, dass nach deutschem Recht eine klare ‚ex-ante‘-Verpflichtung des Antragstellers besteht, in jedem Fall (und nicht nur nach Ermessen der Behörde) pharmakologischtoxikologische und klinische Prüfungsergebnisse (bzw. entsprechende Verweise gem. Art. 4 Abs. 3 Nr. 8a der Richtlinie 65/65/EWG) vorzulegen.“
Die Europäische Kommission forderte die Bundesregierung auf, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass grundsätzlich bei einem Antrag für eine Genehmigung für das Inverkehrbringen unter anderem auch die Ergebnisse von Versuchen (analytische Prüfungen, pharmakologisch-toxikologische Prüfungen und klinische Prüfungen) vorzulegen sind (Art. 4 Abs. 3 Nr. 8 der Richtlinie 65/65/EWG) und von dem Erfordernis, pharmakologisch-toxikologische Prüfungen und klinische Prüfungen vorzulegen, nur in den drei Ausnahmefällen des Art. 4 Abs. 3 Nr. 8 lit. a sublit. i, ii und iii (eingehende Bezugnahme auf wissenschaftliche Veröffentlichungen oder Verweis auf der Behörde schon vorliegende Untersuchungsergebnisse bei im Wesentlichen gleichen Erzeugnissen; weitere Ausnahme für homöopathische Arzneimittel) abgesehen werden kann. b) Das Nachzulassungsverfahren seit Inkrafttreten des Zehnten AMG-Änderungsgesetzes Durch das Zehnte AMG-Änderungsgesetz wurde die ex-ante-Verpflichtung zur Vorlage pharmakologisch-toxikologischer und klinischer Unterlagen in das Nachzulassungsverfahren eingeführt und hierfür gleichzeitig eine Ausschlussfrist bis zum 1. Februar 2001 gesetzt, soweit diese Unterlagen vom Antragsteller nicht bereits vorgelegt worden waren. Die einschlägige Vorschrift des § 105 Abs. 4a Satz 1 AMG lautet: „(4a) Zu dem Antrag auf Verlängerung der Zulassung nach Absatz 3 sind die Unterlagen nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 und 3 sowie die Gutachten nach § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 bis zum 1. Februar 2001 nachzureichen, soweit diese Unterlagen nicht bereits vom Antragsteller vorgelegt worden sind; § 22 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung.“
Diese Regelung schloss – wie auch Art. 4 der Richtlinie 65/65/EWG – nicht aus, dass anstelle pharmakologisch-toxikologischer und klinischer Prüfungen in bestimmten Fällen anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial im Sinne des § 22 Abs. 3 AMG vorgelegt werden konnte. Dies wird im Anhang I Teil II Abschnitt 1 Buchstabe d) zur Richtlinie 2001/83/EG für Arzneimittel, deren Wirkstoffe allgemein medizinisch – das heißt länger als ein Jahrzehnt – verwendet werden und eine anerkannte Wirksamkeit sowie einen annehmbaren Grad an Unbedenklichkeit aufweisen, wie folgt präzisiert: „Insbesondere ist zu klären, dass ein ‚bibliographischer Verweis‘ auf andere Informationsquellen (beispielsweise Untersuchungen nach dem Inverkehrbringen, epidemiologische Studien usw.) und nicht nur Versuche und Prüfungen als gültiger Nachweis für die Sicherheit und Wirksamkeit eines Erzeugnisses dienen können, wenn der Antragsteller hinreichend erläutert und begründet, warum er diese Informationsquellen anführt.“
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c) Abschluss des Beanstandungsverfahrens der Europäischen Kommission Die Anpassung der Nachzulassung an die Vorschriften des EG-Rechts durch das Zehnte AMG-Änderungsgesetz wurde von der Kommission zustimmend zur Kenntnis genommen. Sie verband damit die Forderung, dass die nach ihrer Ansicht seit 1990 überfällige Überprüfung der fiktiv zugelassenen Arzneimittel nach den Regelungen der Richtlinie 65/65/EWG bis zum Jahre 2005 abzuschließen sei.
2. Vollständige Umsetzung des Europäischen Zulassungsrechts Soweit Nachzulassungsentscheidungen nach dem 1. Februar 2001 getroffen wurden, sind sie in einem von der Europäischen Kommission erzwungenen EGkonformen Verfahren ergangen. Für zuvor erteilte Nachzulassungen schreibt der ebenfalls durch das Zehnte AMG-Änderungsgesetz in das AMG eingefügte § 136 Abs. 1 vor: „(1) Für Arzneimittel, bei denen die nach § 105 Abs. 3 Satz 1 beantragte Verlängerung bereits erteilt worden ist, sind die in § 105 Abs. 4a Satz 1 bezeichneten Unterlagen spätestens mit dem Antrag nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 vorzulegen. Bei diesen Arzneimitteln ist die Zulassung zu verlängern, wenn kein Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 vorliegt; […]“
Da diese Vorschrift – abweichend vom Inkrafttreten der wesentlichen Teile des Zehnten AMG-Änderungsgesetzes zum 12. Juli 2000 – erst am 1. August 2005 in Kraft trat, konnte es sich in manchen Fällen bereits um den zweiten Verlängerungsantrag nach erteilter Nachzulassung handeln, mit dem nachträglich die exante-Unterlagen einzureichen waren, sofern sie nicht „freiwillig“ bereits vor der Nachzulassungsentscheidung eingereicht worden waren. Wenn die deutsche Zulassungsbehörde einen diesen Anforderungen entsprechenden Verlängerungsantrag positiv beschieden hat, so entspricht auch diese Verlängerungsentscheidung einer EG-konformen Zulassungsentscheidung.
3. Gleicher Status von Nachzulassung und Neuzulassung Die Pflicht zur ex-ante-Vorlage der Zulassungsunterlagen auch bei der Nachzulassung – unmittelbar bis zum 1. Februar 2001 oder mittelbar mit dem ersten oder zweiten Verlängerungsantrag nach einer ggf. nicht EG-konformen Nachzulassung – bewirkte, dass die deutsche Nachzulassung vollumfänglich EG-rechtlichen Standards entspricht und den gleichen Status wie eine nach § 25 AMG (entsprechend Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG) erteilte Zulassung hat.3 3
Schneider spricht von einer „Angleichung der materiellen Kriterien der Zulassungen nach § 105 Abs. 3 AMG an solche nach § 25 Abs. 1 AMG“, Unterlagenschutz für Altarzneimittel, Pharm.Ind. 2008, 374ff.
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III. Unterlagenschutz für die Nachzulassungsunterlagen 1. Regelungsinhalt der §§ 24a und 24b AMG Den unterschiedlichen Voraussetzungen für eine Bezug nehmende Zulassung und den erweiterten Bestimmungen zum Unterlagenschutz im europäischen Recht wird seit dem Vierzehnten AMG-Änderungsgesetz4 durch getrennte Regelungen im Gesetz Rechnung getragen. § 24a Satz 1 AMG enthält die Bestimmungen zur Verwendung von Unterlagen bei Zustimmung des Vorantragstellers entsprechend Artikel 10c der geänderten Richtlinie 2001/83/EG. Gemäß § 24a Satz 1 AMG kann der Antragsteller auf Unterlagen nach § 22 Abs. 2, 3, 3c und § 23 Abs. 1 AMG – und damit insbesondere auf die Ergebnisse pharmakologischtoxikologischer und klinischer Prüfungen – einschließlich der Sachverständigengutachten nach § 24 Abs. 1 Satz 2 AMG eines früheren Antragstellers (Vorantragsteller) Bezug nehmen, sofern er die schriftliche Zustimmung des Vorantragstellers einschließlich dessen Bestätigung vorlegt, dass die Unterlagen auf die Bezug genommen wird, die Anforderungen der Arzneimittelprüfrichtlinien nach § 26 AMG erfüllen. § 24b AMG wurde mit dem Vierzehnten AMG-Änderungsgesetz neu gefasst unter Präzisierung der bisher geltenden Vorschriften für die Zulassung von Generika und unter Berücksichtigung der neuen Bestimmungen im europäischen Recht über Schutzfristen für Humanarzneimittel. Die Änderungen entsprechen den Vorgaben in Artikel 10 der geänderten Richtlinie 2001/83/EG. § 24b Abs. 1 Satz 1 und 2 AMG5 lautet: „(1) Bei einem Generikum im Sinne des Absatzes 2 kann ohne Zustimmung des Vorantragstellers auf die Unterlagen nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3, Abs. 3c und § 23 Abs. 1 einschließlich der Sachverständigengutachten nach § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 des Arzneimittels des Vorantragstellers (Referenzarzneimittel) Bezug genommen werden, sofern das Referenzarzneimittel seit mindestens acht Jahren zugelassen ist oder vor mindestens acht Jahren zugelassen wurde; dies gilt auch für eine Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Ein Generikum, das gemäß dieser Bestimmung zugelassen wurde, darf frühestens nach Ablauf von zehn Jahren nach Erteilung der ersten Genehmigung für das Referenzarzneimittel in den Verkehr gebracht werden.“
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Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 29. August 2005 (BGBl. I S. 2570). Nach der Übergangsregelung des § 141 Abs. 5 AMG gelten die Zeiträume für den Unterlagenschutz nach § 24b AMG nicht für Referenzarzneimittel, deren Zulassung vor dem 30. Oktober 2005 beantragt wurde; für diese Arzneimittel gelten die Schutzfristen nach § 24a AMG in der bis zum Ablauf des 5. September 2005 geltenden Fassung.
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2. Anwendbarkeit des § 24b AMG auf die Nachzulassungsunterlagen Die Bezugnahme auf Unterlagen eines Vorantragstellers setzt gemäß § 24b Abs. 1 Satz 1 AMG eine bestehende Zulassung des Referenzarzneimittels seit mindestens acht Jahren voraus. § 24b AMG spricht dabei lediglich von einem zugelassenen Referenzarzneimittel, ohne die Anforderungen an die Zulassung näher zu qualifizieren. Eine positive Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung der fiktiven Zulassung ist – wie oben dargelegt – gleichwertig einer Neuzulassung eines Arzneimittels im Sinne des § 25 AMG bzw. des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG. Damit ist auch für die Nachzulassungsunterlagen – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 24b AMG – Unterlagenschutz für die Zulassungsunterlagen zu gewähren. In der Literatur wird gegen diese Ansicht eingewendet, dass der aus Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG abgeleitete § 24b AMG sich nicht auf die Nachzulassung beziehen könne, weil es sich bei dieser nicht um eine Entscheidung über die Erlangung der Verkehrsfähigkeit, sondern über die Erhaltung der Verkehrsfähigkeit handele6. Diese weder aus dem Wortlaut der Richtlinie noch des AMG ableitbare Interpretation steht im Widerspruch zu dem oben geschilderten Beanstandungsverfahren der Europäischen Kommission, welches gerade darauf gerichtet war, dass für die Nachzulassung die Kriterien des Art. 6 der Richtlinie 2001/83/EG Anwendung finden müssen und somit also keine Erleichterungen gegenüber einem Neuzulassungsverfahren gewährt werden dürfen. Es ist auch nicht einzusehen, warum Zulassungsunterlagen, die sich in nichts von denen für eine Neuzulassung unterscheiden, nur deshalb weniger geschützt sein sollen, weil sie in einem Nachzulassungsverfahren eingereicht wurden. Der für ihre Erstellung erforderliche Aufwand ist jeweils der gleiche. § 24b AMG bezweckt einerseits, dass der Erstantragsteller die für die Erstellung der Zulassungsunterlagen aufgewendeten Kosten während der Schutzfrist amortisieren kann, zum andern aber auch, dass diese vom Erstantragsteller geschaffenen Zulassungsvoraussetzungen nicht durch einen behördlichen Akt auf einen Konkurrenten, der sich entsprechende Aufwendungen durch die bloße Bezugnahme auf diese Unterlagen ersparen will, gleichsam „transferiert“ und dadurch ökonomisch entwertet werden7. Es mag nun durchaus sein, dass bei einem nachzugelassenen Arzneimittel die für die Erstellung der Nachzulassungsunterlagen erforderlichen Mittel bereits zuvor erwirtschaftet werden konnten. Dies kann aber nicht dazu führen, dass das eigentumsähnliche Recht des Erstantragstellers an den Zulassungsunterlagen8 einem anderen Antragsteller ohne jede Einschränkung zur Verfügung steht. Der Schutzzweck des § 24b AMG bedeutet auch, dass sich Dritte nicht ohne weiteres fremden Eigentums (Zulassungsdossier) bedienen dürfen. Bereits vor In6 7
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Schneider, a.a.O. VG Köln, Urteil vom 27. August 2003, Az.: 24 K 5634/00, abgedruckt bei Sander, Entscheidungssammlung zum Arzneimittelrecht; VG Köln, PharmaR. 2001, 68 (69) m.w.N. OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 1. Dezember 1988, Az.: 6 U 163/88, abgedruckt bei Sander, Entscheidungssammlung zum Arzneimittelrecht.
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krafttreten der Zweitantragstellerregelung im AMG am 22. August 19869 sah das OVG Berlin in der kompensationslosen Verwertung der Zulassungsunterlagen des Erstanmelders zugunsten des Zweitantragstellers einen Verstoß gegen Art. 12 und Art. 14 GG.10 Eine Beschränkung des Schutzes auf solche Unterlagen, die für neu in der Therapie eingeführte Stoffe erstellt werden, enthält § 24b AMG nicht. Zwar ist es richtig, dass die Entstehungsgeschichte der EG-rechtlichen Vorschriften zeigt, dass diese auch die Forschung an neuen Stoffen fördern und schützen wollen. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass Zulassungsunterlagen für nicht neue, jedoch in ihren Wirkungen und Nebenwirkungen noch nicht allgemein bekannte Stoffe (Arzneimittel) weniger Schutz erfahren sollen11. Auch der Einwand, dass unnötige Tierversuche und klinische Prüfungen vermieden werden sollen, rechtfertigt nicht den sofortigen Zugriff von Zweitanmeldern, da diese grundsätzlich die Möglichkeit haben, vom Inhaber der Unterlagen gegen Entgelt die Genehmigung zur Nutzung seiner Unterlagen zu erwerben (§ 24a AMG). Auch die ältere Rechtsprechung, welche das Schutzkriterium der automatischen Verschreibungspflicht gemäß § 49 AMG (aufgehobenen durch die 14. AMG-Novelle) als EG-konform bezeichnete, weil ein Unterlagenschutz dann nicht erforderlich sei, wenn „der Bestandteil oder die Bestandteile der Arzneispezialität allgemein medizinisch verwendet werden und eine anerkannte Wirksamkeit sowie einen annehmbaren Grad an Sicherheit aufweisen“ bedeutet nur, dass dieses wörtliche Zitat aus Art. 4 Abs. 2 Nr. 8a) ii) der Richtlinie 65/65/EWG in einem solchen Fall eben gerade keine Durchführung pharmakologischtoxikologischer und klinischer Prüfungen forderte, so dass die Zulassung aufgrund bibliographischer Unterlagen erfolgen konnte, die als nicht schutzfähig einzustufen sind12. Die Ansicht, dass ein Unterlagenschutz für ein vollständiges Nachzulassungsdossier eine nicht gerechtfertigte Privilegierung von Altarzneimitteln gegenüber Innovationen darstelle13 verkennt, dass es sich bei § 24b AMG nicht um ein Zulassungsverbot für gleichartige Arzneimittel (Generika) handelt, sondern lediglich um ein Verbot, fremde Zulassungsunterlagen sofort und kostenlos zu nutzen. Dem aber steht schon das Grundrecht des Eigentumsschutzes gemäß § 14 GG entgegen (s.o.).
IV. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage Für Fallkonstellationen, in denen z.B. die Nachzulassung des Arzneimittels im Jahr 2001 erfolgte, stellt sich die Frage, ob ein Unterlagenschutz zu gewähren ist, 9
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Eingeführt durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 16. August 1986 (BGBl. I S. 1296). OVG Berlin, Beschluss vom 1. Juni 1988, Az.: OVG 5 S 11.88, abgedruckt bei Sander, Entscheidungssammlung zum Arzneimittelrecht So aber Schneider, a.a.O. OVG Berlin, Urteil vom 23.09.1999, Az.: 5 B 12/097. So Schneider, a.a.O.
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obwohl die im Jahr 2001 noch gültige alte Fassung des § 24a AMG einen solchen Schutz für Arzneimittel, die nicht der automatischen Verschreibungspflicht nach § 49 AMG unterlagen, gerade nicht vorsah. § 24a AMG, in der Fassung vor dem Vierzehnten AMG-Änderungsgesetz lautete wie folgt: „§ 24a Verwendung von Unterlagen eines Vorantragstellers Der Antragsteller kann bei einem Arzneimittel, das der Verschreibungspflicht nach § 49 unterliegt oder unterlegen hat, auf Unterlagen nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 und 3, Abs. 3c und § 23 Abs. 1 einschließlich der Sachverständigengutachten nach § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 eines früheren Antragstellers (Vorantragstellers) Bezug nehmen, sofern er die schriftliche Zustimmung des Vorantragstellers einschließlich dessen Bestätigung vorlegt, dass die Unterlagen, auf die Bezug genommen wird, die Anforderungen der allgemeinen Verwaltungsvorschrift nach § 26 erfüllen. Der Vorantragsteller hat sich auf eine Anfrage auf Zustimmung innerhalb einer Frist von drei Monaten zu äußern. Der Zustimmung des Vorantragstellers und dessen Bestätigung bedarf es nicht, wenn der Antragsteller nachweist, dass die erstmalige Zulassung des Arzneimittels in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften länger als zehn Jahre zurückliegt.“
Kommt es in oben genannter Fallkonstellation zum Streitfall, stellt sich die Frage, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechts- und Tatsachenlage und damit für die Erfolgsaussichten einer möglichen Drittanfechtungsklage maßgeblich ist. Kommt es für die Beurteilung entscheidend auf den Zeitpunkt der Zulassung des Generikums, auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides, also auf das Ende des verwaltungsbehördlichen Verfahrens, oder aber auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht an? Bei der umstrittenen Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage verdient nach diesseitiger Ansicht die durch das BVerwG bestätigte Auffassung den Vorzug, die auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellt.14 Das BVerwG hat insoweit ausgeführt: „Maßgeblich für die Entscheidung eines Gerichts sind die Rechtsvorschriften, die sich im Zeitpunkt der Entscheidung für die Beurteilung des Klagebegehrens Geltung beimessen […].15
Die Anknüpfung der Beurteilung der Rechtslage an den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung führt zu sachgerechten Ergebnissen, die einerseits den Interessen der Betroffenen und andererseits der Rechtssicherheit wie auch der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gerecht werden können. Das bedeutet, dass im Streitfall jeweils die Rechtslage zu Grunde zu legen ist, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gilt. Damit ist – auch für die oben genannte Fallkonstellation – die Frage nach der Zulässigkeit der Bezugnahme auf Unterlagen eines Vorantragstellers nach den Vorschriften der §§ 24a und 24b AMG in der Fassung des Vierzehnten AMG-Änderungsgesetzes zu beurteilen. 14 15
Vgl. zum Streitstand nur: Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, § 113, Rdnr. 29ff. BVerwG, Urteil vom 3. November 1994, Az.: 3 C 17.92 - BVerwGE 97, 79, 81f.
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V. Annex 1. Kein weitergehender Drittschutz16 Über den Unterlagenschutz hinaus, gewährt § 24b AMG jedoch keinen weitergehenden Drittschutz z.B. in der Weise, dass das Arzneimittel des Zweitanmelders im Wesentlichen dem Arzneimittel des Erstanmelders gleichen muss. Aus dem Regelungszusammenhang zwischen dem Erfordernis der Zustimmung des Vorantragstellers einerseits und dem Wegfall dieses Erfordernisses nach Ablauf der Schutzfrist für die Referenzunterlagen in § 24b AMG ist der drittschützende Charakter dieser Schutzfristregelung, aber zugleich auch ihre Begrenzung zu ersehen. Die Notwendigkeit des Zustimmungserfordernisses, welche den Vorantragsteller gegen eine kostensparende Bezugnahme des Generikaherstellers auf das in das Zulassungsverfahren eingebrachte Know-how des früheren Antragstellers schützt, verschafft diesem die auf den Schutzzeitraum begrenzte Möglichkeit, den etwaigen Wettbewerbsvorteil des „Nachantragstellers“ abzuwehren. Der Schutzzweck der Regelung besteht und erschöpft sich – wie bereits oben dargestellt – darin zu verhindern, dass ein durch eigene Leistung des Zulassungsinhabers und Originalherstellers gebildeter Wert in Form der kostenaufwendigen Schaffung der Zulassungsvoraussetzungen durch einen behördlichen Akt auf einen Konkurrenten, der sich entsprechende Aufwendungen durch die bloße Bezugnahme auf diese Unterlagen ersparen will, gleichsam „transferiert“ und dadurch ökonomisch entwertet wird.17 Ein darüber hinausgehender drittschützender Charakter der Vorschriften über die Zulassung eines Arzneimittels eines „Nachantragstellers“ ergibt sich aus dem Gesetz nicht.18
2. „Indirekte“ Bezugnahme Bei einem vom BfArM im Jahre 2008 als „bekannt“ eingestuften Stoff wurden vom Zweitantragsteller Kopien von Studienunterlagen des Erstantragstellers vor Ablauf der Schutzfrist eingereicht. Das BfArM bezeichnete den Zulassungsantrag als „stand alone application“, da keine ausdrückliche Bezugnahme auf die dem BfArM vorliegenden Zulassungsunterlagen des Erstantragstellers erfolgt sei. Nachdem der Erstantragsteller Drittwiderspruch eingelegt hatte, kamen dem BfArM jedoch Zweifel, weshalb es den Antrag auf Anordnung des Sofortvollzuges der Zweitzulassung ablehnte. Das Argument hierfür lautete: „Auch wenn die Ausgangsbehörde angesichts der von ihr erteilten verfahrensgegenständlichen Zulassungen in der Entscheidungssituation über den Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht notwendigerweise von der Rechtswidrigkeit ihrer Verwaltungsentscheidung auszugehen braucht und Fragen der Erfolgsaussichten 16
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Ausführlich dazu: Zirkel/Knauer/Wicke, Drittanfechtung einer Arzneimittelzulassung, in: Festschrift für Axel Sander, S. 415ff. VG Köln, a.a.O. Zirkel/Knauer/Wicke, a.a.O.
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des (Dritt-)Widerspruchs als beachtlicher Gesichtspunkt im Rahmen der Interessenabwägung ausscheiden […], hegt das BfArM gleichwohl gegenwärtig keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Entscheidung. Es kann jedoch bei der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht mit der für die Durchbrechung des gesetzlichen Regelfalls der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels erforderlichen Gewissheit angenommen werden, dass der Drittwiderspruch offensichtlich unbegründet ist, d.h. der Widerspruch unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erfolglos sein würde.“19 Das vom Erstantragsteller angerufene Landgericht Frankfurt am Main erließ zeitgleich eine Einstweilige Verfügung, in der es dem Zweitantragsteller untersagte, von der Zulassung Gebrauch zu machen, solange diese nicht „unanfechtbar vorliegt oder die sofortige Vollziehung angeordnet ist.“20 Die verwaltungsbehördliche und die gerichtliche Entscheidung belegen, dass die Art und Weise der Bezugnahme nicht das entscheidende Kriterium für die Anwendung des § 24b AMG ist. Denn Unterlagenschutz bedeutet, dass während der Schutzfrist fremde Unterlagen nicht zur Herbeiführung einer Zulassung genutzt werden dürfen, auch wenn diese veröffentlicht wurden. Im 4. Erwägungsgrund der Änderungsrichtlinie 1999/83/EG hat die Kommission betont, dass die Möglichkeit bibliographischer Zulassungsanträge „innovatorische Unternehmen nicht davon abhalten darf, die Ergebnisse ihrer Forschungen so rasch wie möglich zu veröffentlichen.“ Der Unterlagenschutz wird dadurch nicht verkürzt.21
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BfArM, Bescheid vom 19. Juni 2008, Az.: 64.4 V-11466. LG Frankfurt/M., Beschluss vom 6. Juni 2008, Az.: 2/06 O 314/08. Siehe hierzu ausführlich: Gassner, Unterlagenschutz im Europäischen Arzneimittelrecht, GRUR-Int. 2004, 983ff.
Zu den juristischen Besonderheiten des Arzthaftungsprozess
Gerhard H. Schlund
I. Vorbemerkungen 1. Am 6. April 2009 vollendet Erwin Deutsch seinen 80. Geburtstag. Der Jubilar gilt als Doyen sämtlicher arztrechtlich bzw. medizinrechtlich orientierter Juristen und dies schon seit Jahrzehnten. Die Verdienste von Erwin Deutsch auf diesem Spezialgebiet sprengen den Rahmen einer Aufzählung. Seine fünf Habilitanden haben ihm zu seinem 70. Geburtstag 1999 eine über 1000 Seiten umfassende Festschrift gewidmet, an der über 50 Universitätsprofessoren in- und ausländischer Provenienz, hohe Richter, Rechtsanwälte und auch Ärzte mitgewirkt haben. In dieser Festschrift sind auf 24 Seiten sämtliche Veröffentlichungen (376 insgesamt) des Jubilars aufgelistet. Sie umfassen Monographien, Sammelwerksbeiträge, Bücher und Aufsätze in juristischen und medizinischen Zeitschriften sowie Urteilsanmerkungen und Buchrezensionen. Ein beeindruckendes literarisches Lebenswerk. Damit aber nicht genug: Der Jubilar hat nach seinem 70 Geburtstag weiterhin zur Feder gegriffen und im vergangenen Dezennium allein in der Neuen Juristischen Wochenschrift und im Versicherungsrecht 5 bzw. 16 Fachaufsätze, allesamt arztrechtliche bzw. medizinrechtliche Themen betreffend, veröffentlicht. Darüber hinaus hat er mehr als ein halbes Dutzend Fachbücher heraus gebracht; Transfusionsrecht, Ein Handbuch für Ärzte, Juristen & Apotheker, 2. Auflage 2007; zuletzt noch: Das neue Versicherungsvertragsrecht mit dem Text des VVG 2008 – Ein Grundriss – . Der nimmer müde Autor hat aber schon rechtzeitig dafür Sorge getragen, dass diese seine Werke einst von Jüngeren fortgeführt werden können.
2. Ehe die Besonderheiten des Arzthaftungsprozess thematisiert werden, erscheinen einige wenige Fakten und Zahlen vorausschickungswürdig: Nach verschiedenen Hochrechnungen soll es angeblich jährlich zu ca. 650 – 700 Mio. ambulanten Arzt-Patienten-Kontakten kommen, und ca. 16 – 17 Mio.
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Patienten werden stationär behandelt. Im Rahmen dieser Gesamtmenge an Patienten, die sich ihren Ärzten anvertrauen, sollen zwischen 100.000 und 400.000 ärztliche Behandlungsfehler geschehen. Die Konsequenz hieraus ist, dass es jährlich zu ca. 20 – 30.000 Zivilverfahren gegen Ärzte kommt, von denen aber nicht einmal die Hälfte zu Lasten der behandelnden Mediziner ausgehen. Dafür muss jeder Arzt gemäß seiner Berufsordnung angemessen – sprich ausreichend – berufshaftpflichtversichert sein. Dass ein Zivilrechtsstreit des Patienten gegen seinen Arzt vor allem dessen Reputation schädigt, denn die allgemeinen Medien interessieren sich sehr für diese Art von gerichtlichen Auseinandersetzungen, versteht sich an und für sich von selbst. Zudem kann ein solches Verfahren auch ziemlich teuer werden. Erwähnt seien hier nur einige wenige Gerichtsentscheidungen, die sich zur Haftungshöhe bei während der Geburt nachhaltig geschädigten Kindern geäußert haben. Hierfür sei stellvertretend das OLG Hamm1 erwähnt, das mit Urteil vom 16.01.2002 einem durch Geburt schwerst geschädigten Kind ein Schmerzensgeld von 500.000 € zusprach. Auch das LG Kiel2 erkannte einem schwerst unfallverletzten Kind einen Schmerzensgeldkapitalbetrag von ebenfalls 500.000 € und eine lebenslang zu zahlende monatliche Schmerzensgeldrente von 500 € zu. Zu diesen Schadenspositionen kommen u. a. auch dann noch ein behindertengerechter Umbau der Wohnung oder des Hauses der Eltern und evtl. Betreuungskosten „rund um die Uhr“. Im Streitfall des LG Kiel waren es neben den Eltern sieben Krankenschwestern und ein Pfleger. Solche Dienstleistungen gehen dann leicht in die tausende Euro pro Monat3.
II. Das Thema Man sollte eigentlich meinen, jeder Zivilprozess sei gleich, lediglich unterschieden von vertraglichen oder gesetzlichen Ansprüchen, von der Höhe der geltend gemachten Forderung bzw. von der Anzahl der Parteien links und rechts vom
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VersR 2002, 1163. DAR 2006, 396. Erwähnt sei hier beispielhaft nur der vom Gutachter Gerhard Wagner zum Deutschen Juristentag 2006 in seinem Gutachten (S. A100) zitierte Fall BMW of North America versus Gore. Das zuständige Gericht in Alabama sprach dort dem geschädigten PkwEigentümer (bei der Auslieferung seines BMW wurde dieses Fahrzeug leicht beschädigt und mit Kosten von 600 US-Dollar repariert und in Teilen neu lackiert. Der Kläger erfuhr davon aber erst Monate später. Der merkantile Minderwert des klägerischen Fahrzeugs belief sich auf ca. 4.000 US-Dollar. In den vergangenen sieben Jahren war es aber bei weiteren 1.000 Fahrzeugen zu Nachlackierungen gekommen; die jeweiligen Eigentümer waren jedoch ahnungslos und hatten nicht geklagt) 4 Mio. US-Dollar Schadensersatz zu, in dem es kurzerhand den klägerischen Schadensersatzanspruch mit dem Faktor 1.000 (dies sind die nicht klagenden Geschädigten) multiplizierte.
Zu den juristischen Besonderheiten des Arzthaftungsprozess
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Richtertisch inkl. möglicher Streitverkündeter (§§ 72 ff. ZPO)4 oder Nebenintervenienten (§§ 66 ff. ZPO). Dies gilt aber so nicht für den Arzthaftungsprozess.
1. Haftungstatbestände Bei den Haftungstatbeständen im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses muss – nicht nur, weil sie in aller Regel anspruchshäufend vorgetragen werden – bekanntlich zwischen vertraglichen einerseits und deliktischen Ansprüchen andererseits streng unterschieden werden. Diese Ansprüche treffen i.d.R. nicht nur im Krankenhausbereich, sondern auch bei jedem niedergelassenen Arzt zu. Vertragliche Ansprüche im Krankenhaus- und Klinikbereich resultieren stets auf Grund eines mit dem Patienten geschlossenen Vertrages. Hier wird unterschieden zwischen: • •
einem einheitlichen (totalen) Krankenhausaufnahmevertrag, demzufolge der Träger dem Patienten gegenüber zur ärztlichen und auch pflegerischen Fürsorge verpflichtet wird; einem sog. Gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrag, bei dem der Träger in aller Regel die Haftung für die allgemeine ärztliche Assistenz sowie für sein nichtärztliches Personal hinsichtlich einer Grund-, Funktions- und Behandlungspflege übernehmen muss, während der Privatpatient mit dem selbstliquidationsberechtigten Chef- oder Abteilungsarzt hinsichtlich der reinen ärztlichen Betreuung und Fürsorge einen Zusatzvertrag schließt. Seit einigen Jahren geht aber die höchstrichterliche Rechtsprechung auch beim Privatpatienten von einem einheitlichen Krankenhausaufnahmevertrag mit ärztlichem Zusatzvertrag aus5.
Deliktische Ansprüche kommen hingegen bei der Übernahme der Behandlung durch den oder einen Arzt – seien es ärztliche oder nichtärztliche Mitarbeiter der Krankenanstalt und der Arztpraxis – jederzeit in Frage, wenn man diesen Personen eine Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen kann6. Hinzu kommen kann jedoch in diesem deliktischen Bereich auch noch eine Haftung für Dritte: etwa aus dem Gesichtspunkt der Organhaftung (§§ 31, 89 BGB), der Haftung für Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) und wegen sog. Organisationsverschuldens7. Letztendlich
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Vgl. hierzu Einzelheiten bei G.H. Schlund, ders. A/ZusR 2006, S. 162 ff; Der Arzthaftungsprozess, in: Beck´sches Richter-Handbuch, 2. Aufl. 1999, S. 431 ff.; zudem noch W. Seehafer, Der Arzthaftungsprozess in der Praxis 1991. Vgl. hierzu Einzelheiten bei G.H. Schlund (Fußnote 4); zudem noch W. Seehafer (Fußnote 4); sowie H. Franzki, Der Arzthaftungsprozess 1984. Zur ärztlichen Sorgfaltspflicht – etwa bei operativen Eingriffen – vgl. statt vieler OLG Hamm MedR 2006, 358. Vgl. hierzu Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht, in: Der Chirurg BDC 2006 (Heft 6), S. 174 ff.
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kann es zu einer Arzthaftung auch noch im hoheitlichen Bereich kommen (§ 839 BGB).
2. Arzthaftungsprozesse vor Spezialkammern- und -senaten Schon seit geraumer Zeit ist die höchstrichterliche Rechtsprechung der Ansicht8, dass im Hinblick auf die doch oft sehr komplexen und für jeden Juristen nicht zu selten äußerst schwierigen Fragen in Arzthaftungsprozessen der Bildung und Etablierung von Fachkammern und Spezialsenaten eine besondere Bedeutung zukommt. Denn Schwierigkeiten können gleichermaßen beim Erfassen des Sachverhalts, bei der Erhebung der Beweise, bei ihrer Würdigung und bei der Rechtsanwendung auftreten. An dieser seit Jahren vom BGH vertretenen Ansicht hat sich seither nichts geändert.
3. Keine Übertragung des Rechtsstreits und der Beweisaufnahme auf den bzw. vor dem Einzelrichter Generell sieht die Zivilprozessordnung bekanntlich die Möglichkeit vor, dass gem. § 348 ZPO der Rechtsstreit, der beim Landgericht anhängig ist, dem sog. „originären Einzelrichter“ übertragen wird, der dann auch gem. § 355 Abs. 1 Satz 2 ZPO als Einzelrichter, evtl. auch als ersuchter Richter, die Beweisaufnahme durchführen kann. So sehen es auch die §§ 526, 527 ZPO für die Berufungsinstanz vor. Dies alles gilt nach Ansicht verschiedener Oberlandesgerichte9 und des BGH10 für den Arzthaftungsprozess deshalb nicht, weil nach dieser ständigen Rechtsprechung die Schwierigkeit der Materie, die Besonderheit des Arzthaftungsprozesses und die speziellen Anforderungen, die gerade an diese Art von Verfahren gestellt werden, den Einzelrichter allein Beweis erheben und entscheiden zu lassen, diesen überfordern. Dem widerspricht wohl M. Gehrlein in seinem Beitrag im VersR 2002, 93511, indem er meint, die Neufassung des § 348 ZPO zum 01.01.2002 verlange auch bei komplexen, arbeitsintensiven Arzthaftungssachen eine regelmäßige Bearbeitung durch den Einzelrichter der Landgerichtskammer oder des OLGSenats. Dem muss man aber nachhaltig widersprechen12; denn wenn ein Arzthaftungsfall vor der ZPO-Novelle regelmäßig besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher
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Vgl. nur BGH NJW 1980, 2751; VersR 1985, 343; VersR 1993, 836. Etwa OLG Nürnberg NJW-RR 1993, 573; OLG Celle VersR 1993, 483; OLG Karlsruhe VersR 1994, 806; OLG Köln VersR 1987, 164; OLG Karlsruhe VersR 1989, 810; OLG Oldenburg NJW 1990, 863; OLG Karlsruhe GesR 2005, 555; neuerdings wieder OLG Karlsruhe MDR 2006, 332; A. Spickhoff, NJW 2006, 1630, 1636. BGH MDR 1994, 303 = VersR 1994, 52; MDR 1987, 213 = VersR 1986, 1089; MDR 1993, 623 = VersR 1993, 836. Arzthaftungsrecht nach der ZPO-Novelle. Vgl. hierzu auch E. Schneider, MDR 2003, 555, 556.
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oder rechtlicher Art aufwies, dann kann diese Situation nicht seit dem 01.01.2002 „auf den Kopf gestellt“ werden. Wird trotz zu bejahender Schwierigkeiten in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht der Arzthaftungsfall, der bei der Kammer oder dem Senat anhängig ist, an den Einzelrichter zur Beweisaufnahme und zur weiteren Entscheidung verwiesen, so dürfte darin ein wesentlicher Verfahrensmangel (i.S.v. § 538 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO) zu sehen sein, es sei denn, die Prozessparteien hätten dies ausdrücklich gewünscht und vereinbart.
4. Sachverhaltsermittlung von Amts wegen Entgegen der sonstigen im Zivilverfahren herrschenden Parteimaxime erachtet es der BGH in ständiger Rechtsprechung13 beim Arzthaftungsprozess für erforderlich, die entsprechenden Sachverhaltsaufklärungen bzw. –ermittlungen von Amts wegen zu betreiben. Der BGH folgert diese Verpflichtung aus dem Umstand, dass „in Arzthaftungsprozessen der Patient im allgemeinen die medizinischen Vorgänge und Zusammenhänge nur unvollkommen zu überblicken vermag und deshalb in gewissem Umfang darauf angewiesen ist, dass der Sachverhalt (erst) durch Erholung eines Sachverständigengutachtens aufbereitet wird“ und vielfach sich die „genaue Problemstellung erst aus dem Sachverständigengutachten ergeben“ kann. Diese Erkenntnis führt dazu, dass der BGH in seinem Beschluss vom 08.06.200414 die Auffassung vertrat, dass selbst nach der Reform der ZPO beim klagebegründenden Sachvortrag zu medizinischen Fragen im Arzthaftungsprozess an diesen Vortrag oder zu Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten lediglich maßvolle Anforderungen zu stellen sind. Zudem seien der Patient und sein Prozessbevollmächtigter nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen. Das OLG Düsseldorf15 meinte insoweit, dass der Patient bzw. dessen Prozessbevollmächtigter jedoch diejenigen Tatsachen zumindest in groben Zügen vortragen müsse, aus denen man folgern kann, welches ärztliche Verhalten fehlerhaft gewesen und welcher Schaden dem Patienten daraus entstanden sein soll oder könnte.
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Vgl. u. a. VersR 1980, 533; VersR 1982, 168; NJW-RR 1989, 1275; NJW 1991, 1541; NJW 1992, 722; VersR 1992, 747; in der Berufungsinstanz, GesR 2005, 18. S. VersR 2004, 1177 = NJW 2004, 2825; vgl. hierzu auch noch S. Dieti, VersR2005, 442 ff.; sowie OLG Koblenz GesR 2005, 262; VersR 2008, 123. VersR 2005, 1737; zum Streitgegenstand, Rechtskraft und Amtsermittlung im Arzthaftungsrecht s. M. Rehborn GesR 2004, 403 ff.
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5. Grundsätze für die Beweisaufnahme im Arzthaftungsprozess Bereits vor mehr als einem Vierteljahrhundert – nämlich 1980 – stellte der BGH16 allgemeine Grundsätze für das Beweisverfahren im Arzthaftungsprozess auf. Diese ergeben zusammengefasst folgendes Bild: • • •
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die Beweisaufnahme und das Absetzen des späteren Urteils erfordern ein besonderes Maß an kritischer Sorgfalt; die Tatsachenfeststellungen zwingen zu gesteigerter Aufmerksamkeit; die Frage der Objektivität des gerichtlich bestellten Gutachters muss absolut zweifelsfrei zu beantworten sein, und die Gründe hierfür dürfen in der Entscheidung nicht zu knapp ausfallen; denn immerhin ist in aller Regel der vom Gericht berufene Sachverständige ein Kollege des beklagten Arztes; das Gebot der „Waffengleichheit“17 im Arzthaftungsprozess verpflichtet den zur Entscheidung berufenen Richter in besonderem Maße, sogar den Sachverständigen im Zuge der diesem gleichwohl anvertrauten mündlichen Bekundungen zu Erläuterungen zu veranlassen, die seine sachkundige Meinungsbildung auch für einen aufgeschlossenen Nichtmediziner in möglichst weitem Umfang logisch überprüfbar und nachvollziehbar machen. Insoweit besteht eine strikte richterliche Kontrolle; drängt sich für den Richter der Verdacht auf, dass der Gutachter auf ein rein theoretisches, praktisch als Möglichkeit zu vernachlässigendes zeitliches Zusammentreffen zweier Ereignisse – beispielsweise präoperative Hodenbrüche und Leistenoperation mit postoperativer Hodenathrophie – abstellt, was jedoch forensisch außer Betracht bleiben muss, dann darf sich der Richter nicht ohne konkrete Ergänzungsfragen mit dieser Erklärung (des Sachverständigen) zufrieden geben. Gibt der Sachverständige trotz einer entsprechenden ergänzenden Frage des Richters diesem keine befriedigende Erläuterung oder Antwort, kann er eine solche auch nicht anhand der wissenschaftlichen Literatur geben, dann – so der BGH18 – ist es nicht mehr vertretbar, keine Zweifel an der Objektivität des Gutachtens und seines Gutachters zu hegen und weiterhin seiner Sachkunde zu vertrauen19.
NJW 1980, 2751 = VersR 1980, 940; zur Beweiserhebungspflicht im Arzthaftungsprozess s. auch OLG Koblenz ArztR 2006, 137. Vgl. hierzu H. Franski/D. Franski, NJW 1975, 2225. VersR 1993, 969; NJW 1993, 1524. Zur Problematik des Sachverständigenbeweises im Arzthaftungsprozess vgl. u. a. G. Zwiehoff, GesR 2003, 297 ff.; R. Bürger, MedR 1999, 100 ff.; G. Müller, MedR 2001, 487 ff.; M. Lepa, r.+s. 2001, 441 ff.; nach der Entscheidung des OLG Celle, VersR 2002, 1558, ist es nicht zulässig, bei der Bewertung durch einen Sachverständigen die Frage, ob ein ärztlicher Behandlungsfehler vorliegt, mit Erwägungen zur Kausalität zu verknüpfen.
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6. Beweislastverteilung im Arzthaftungsprozess Wer im Zivilprozess die Beweislast20 trägt, verliert bekanntlich diesen Prozess schon bei einem sog. „non liquet“. Im Arzthaftungsprozess trägt der Patient die Last hinsichtlich des Verschuldens- und des Kausalitätsnachweises, wenn er den Arzt und/oder den Krankenhausträger wegen eines gleichfalls von ihm zu beweisenden Diagnostik- oder Behandlungsfehlers verklagt. Der Arzt muss lediglich insoweit nachweisen, dass er den abgesprochenen und geplanten Eingriff überhaupt durchgeführt hat, und dass die von ihm dabei angewandte Behandlungsweise zur Zeit der Behandlung auf dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis seines Faches entsprach. Eine sog. Umkehr der Beweislast – zu Ungunsten des Arztes – findet hingegen im Falle des Vorliegens eines groben Behandlungsfehlers21 statt22. Demgegenüber hat der Arzt – schon aus Gründen der „Waffengleichheit“ im Haftungsprozess – zu beweisen, dass er für seinen ärztlichen Eingriff, die durchgeführte Diagnostik oder Medikation nach einer ordnungsgemäß vorgenommenen Aufklärung seines Patienten dessen wirksame Einwilligung für sein Tätigwerden hatte.
7. Selbstständiges Beweisverfahren im Arzthaftungsprozess In der Zivilprozessordnung regeln die §§ 485 ff. das sog. selbstständige Beweisverfahren, das aber nur dann als zulässig erachtet wird, sofern hierfür ein rechtliches Interesse besteht. In einem solchen selbstständigen Beweisverfahren – während oder außerhalb eines Streitverfahrens – können gem. § 485 Abs. 1 ZPO – sofern weitere Voraussetzungen erfüllt sind – auf Antrag einer Partei ein Augenschein eingenommen, Zeugen vernommen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden. Ob ein solches selbstständiges Beweisverfahren im Arzthaftungsprozess stets statthaft ist, erscheint bis heute noch umstritten. Während die Oberlandesgerichte Nürnberg und Köln sowie das Kammergericht Berlin23 ein solches selbstständiges Beweisverfahren dann für unzulässig halten, wenn es allein der Ausforschung dient, um damit erst die Voraussetzung für eine Klage zu schaffen und die Grundlagen für einen beweiserheblichen Tatsachenvortrag zu gewinnen, hält das LG
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Zur Beweislast im Arzthaftungsprozess vgl. u. a. G. Müller NJW 1997, 3049 ff.; A. Jorzig, MDR 2001, 481 ff.; A. Hausch, VersR 2005, 600 ff. Zur generellen Definition des Begriffs „grober Behandlungsfehler“ s. BGH NJW 1996, 2428 m.w.N. Zur Vielfalt der Rechtsprechung hierzu vgl. die Zitate bei G.H. Schlund (Fußnote 4) S. 436; zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsprechung der Zivilgerichte zu Beweiserleichterungen im Arzthaftungsprozess vgl. Beschluss des BVerfG v. 15.03.2004, ArztR 2004, 413; zu den besonderen Beweiserleichterungen des Arzthaftungsprozesses s. G. Müller, MedR 2001, 487, 489 ff. Vgl. die Zitate in MedR 2006, 211; sowie ArztR 2007, 163; 2004, 24.
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Kassel24 ein solches Verfahren in Arzthaftungsangelegenheiten jedenfalls dann für unzulässig, wenn hierdurch ein späterer Prozess nicht vereinfacht oder vermieden, sondern verzögert oder gar verkompliziert wird. Auch das LG München I25 hält ein selbstständiges Beweisverfahren im Arzthaftungsprozess dann für unzulässig, wenn es bei einem komplexen Sachverhalt zur Feststellung eines Behandlungsfehlers und dessen Ursächlichkeit eingesetzt wird, wofür es aber ungeeignet ist26. Dem steht jedoch die Entscheidung des BGH vom 21.01.2003 entgegen27, wonach ein selbstständiges Beweisverfahren im Arzthaftungsrecht generell für zulässig erklärt wird28. Ein rechtliches Interesse an der Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens (gem. § 485 Abs. 2 ZPO) kann nach Ansicht des BGH bei Arzthaftungsansprüchen nicht aus grundsätzlichen Erwägungen ohne Prüfung der Umstände des Einzelfalls verneint werden denn der Wortlaut der Norm des § 485 Abs. 2 ZPO lasse eine Ausnahme für Ansprüche aus dem Arzthaftungsrecht nicht zu. Zudem lägen auch die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion des Gesetzeswortlautes nicht vor. Und außerdem sprächen weder die Entstehungsgeschichte noch der Sinn und Zweck des § 485 Abs. 2 ZPO gegen eine generelle Zulässigkeit eines selbstständigen Beweisverfahrens bei Arzthaftungsansprüchen29. Darüber hinaus meint der BGH in seinem Beschluss vom 13.09.200530, dass in einem selbstständigen Beweisverfahren auch die mündliche Erläuterung des Gutachtens des Sachverständigen zulässig sei.
8. Der Richter und der medizinische Sachverständige im Arzthaftungsprozess Einer der „heikelsten“ Punkte war bis vor einiger Zeit das Verhalten und die tatsächliche Bedeutung sowie Macht der medizinischen Sachverständigen im Arzthaftungsprozess31. Die zum 01.04.1991 (Art. 1 Nr. 22 des Rechtspflegevereinfachungsgesetzes) eingeführten §§ 404 a und 407 a ZPO haben jedoch eine 24 25 26 27 28
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GesR 2005, 26. GesR 2003, 87. Vgl. hierzu auch OLG Köln GesR 2004, 235. NJW 2003, 1741 = MedR 2003, 405. Vgl. hierzu A. Bockey, NJW 2003, 3453 ff. und hier die in Fußnote 3 umfangreich zitierten Urteile, die allesamt die Zulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens im Arzthaftungsprozess bejahen. Zu den Voraussetzungen eines solchen selbstständigen Beweisverfahrens vgl. insbesondere A. Bockey (Fußnote 28) sowie OLG Köln ArztR 2002, 332 und OLG Koblenz MedR 2005, 531; zur Frage der Entscheidung über die Kosten eines selbstständigen Beweisverfahrens in einem anhängigen Klageverfahren s. BGH NJW 2005, 294; sowie zur Unzulässigkeit einer einseitigen Erledigungserklärung in einem selbstständigen Beweisverfahren s. BGH NJW-Spezial Heft 2/2005, 72; vgl. hierzu neuerdings auch noch OLG Oldenburg GesR 2008, 421. S. ArztR 2006, 192 = GesR 2006, 28. Zur Auswahl des Sachverständigen im Arzthaftungsprozess vgl. OLG Hamm, VersR 2001, 249; zu dessen Pflichten s. M. Andreas, ArztR 1998, 209 ff.
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„Besserung“ und Veränderung bewirkt. Diese geben zur raschen Erledigung des Prozesses dem Richter im Rahmen der Erholung von Sachverständigengutachten nunmehr eine Reihe von prozessualen Mitteln in die Hand; u. a. in § 404 a ZPO: • •
eine allgemeine Leitungs- und Verweisungsbefugnis (Abs. 1); eine informatorische Vorabbefragung des Sachverständigen vor Abfassung der Beweisfrage, Einweisung desselben in seine Aufgabe, sowie Erläuterung seiner Aufgabe (Abs. 2); eine Festlegung der (streitigen) Tatsachen, welche der Sachverständige seiner Begutachtung zugrunde zu legen hat (Abs. 3).
Und in § 407 a ZPO die Pflichten des Sachverständigen: • •
•
zur Prüfung seiner Kompetenz (Abs. 1); zum Verbot, den Gutachtensauftrag an einen anderen zu übertragen. Soweit (wie nicht selten geschehen) der medizinische Chefarzt oder Ordinarius und Klinikdirektor sich der Mitarbeit einer anderen Person (= Assistenz- oder Oberarzt) bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang deren Tätigkeit exakt anzugeben. Letzteres ist nur dann entbehrlich, sofern es sich um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt (Abs. 2); zur unverzüglichen Kundgabe evtl. aufkommender Zweifel an Inhalt und Umfang des Gutachtensauftrages. Dies trifft auch für erkennbar außer Verhältnis zum Streitgegenstandswert stehende Gutachtenskosten zu (Abs. 3).
Wenn der Richter einem Fußballschiedsrichter gleichgestellt wird, dann sind die Sachverständigen quasi die Linienrichter32! Aus der schier unerschöpflichen Fülle von BGH-Entscheidungen zur Frage der Bewertung und Verwertung von medizinischen Gutachten seien hier nur einige wenige zitiert: •
•
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Der Tatrichter darf beim Umfang mit medizinischen Gutachten nicht übersehen, dass auch heute noch eine nicht geringe Zahl medizinischer Gutachter Schwierigkeiten hat, sich bei der Ausübung ihres Amtes von überholten und in diesem Zusammenhang der Rechtsordnung widersprechenden Standesregeln freizumachen. Dies gilt vor allem im „Kunstfehlerprozess“33. Vermisst das (Berufungs-)Gericht im medizinischen Gutachten eine nähere Auseinandersetzung mit dem einen oder anderen Punkt, muss es auf eine Ergänzung des Gutachtens hinwirken und notfalls den Sachverständigen mündlich befragen. Aus eigener Sachkunde (des Gerichts), die es nicht dargelegt hat, und die es bei einem medizinischen so komplexen Geschehen (im entschiedenen Fall: eine Geburt aus Beckenendlage mit multiplen Hämatomen So G. Ackermann, in: Der Betrieb, Heft 26 vom 26.6.1998. BGH NJW 1975, 1463, 1464.
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an Gesäß und Hoden und am linken Hinterkopf des Neugeborenen, sowie Schlüsselbeinbruch rechts, angedeutete Hakenfüße und einer Facialisschwäche rechts) auch nicht haben kann, dürfte es vermeintliche Lücken des Gutachtens nicht ausfüllen. Der (bloße) Hinweis auf Ausführungen in medizinischen Lehrbüchern ist weder dazu geeignet, die Sachkunde des Gerichts zu begründen, noch dazu, Teile des Sachverständigengutachtens und vor allem dessen Schlussfolgerungen zu widerlegen34. Will das Gericht das Gutachten, das ein anderer als der im Beweisbeschluss benannte Sachverständige schriftlich erstattet hat, entgegen der Rüge einer Partei verwerten, muss es das vorher unmissverständlich mitteilen, damit die Parteien sich darauf einstellen können; das Gutachten kann, sofern es angegriffen wird, i.d.R. auch im Wege des Urkundenbeweises nicht eine weitere Beweisaufnahme ersetzen35. Das (Berufungs-)Gericht muss bei der ersten Vernehmung die Aussage des Sachverständigen protokollieren oder in einem Berichterstattervermerk niederlegen (§ 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO)36. Das Gericht darf von einem Sachverständigengutachten nur abweichen, wenn es seine abweichende Überzeugung begründet und dabei erkennen lässt, dass die Beurteilung nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist37. „Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muss vom Tatrichter erwartet werden, dass er die Äußerungen medizinischer Sachverständiger kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit prüft. Insbesondere darf das Gericht einer Ansicht des Sachverständigen nicht folgen, ohne ihm seine dazu im Widerspruch stehenden früheren Erklärungen vorzuhalten; ohne derartige weitere Aufklärungsversuche bildet das Gutachten keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Tatrichters (BGH VersR 1985, 1187 [1188])“38. Äußert sich ein medizinischer Sachverständiger in einem schriftlichen Gutachten mehrfach kritisch zum ärztlichen Vorgehen, so hat der Tatrichter sich
BGH NJW 1984, 1408, NJW-RR 1989, 1275 = VersR 1989, 378; NJW 2001, 2791; sowie NJW 2004, 2828. Zum Gutachten des medizinischen Sachverständigen vgl. auch F. Jaisle, Schnittentbindung in den Akten der Justiz 1995, S. 80 ff; zur Tätigkeit des medizinischen Sachverständigen im Arzthaftungsprozess s. D. Franzki, in: W. Bayerlein, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 4. Aufl. 2008, S. 828 ff. BGH NJW 1985, 1399 = VersR 1985, 361, 363. BGH VersR 1989, 189; VersR 1995, 195. BGH NJW 1989, 2948; VersR 1994, 162; NJW 1994, 803; vgl. hierzu auch noch CH.M. Steger, VersR 2000, 419 ff. und K. Oehler, VersR 2001, 1354 ff; s. BGH, NStZ 2006, 511. BGH NJW 1992, 2354; VersR 1994, 480 = NJW 1994, 1596; VersR 1997, 698 = NJW 1997, 1638; NJW 1996, 1597; MedR 2002, 28; zur juristischen Wertung ärztlicher Gutachten s.a. noch G.H. Schlund, ZaeF 1996, 596 ff.
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aufdrängenden Zweifeln an seiner Folgerung, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung des Patienten gleichwohl schicksalhaft sei, weiter nachzugehen39. Will der Tatrichter in einer medizinischen Frage seine Beurteilung ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen allein auf Erkenntnisse aus der Fachliteratur stützen, so muss er darlegen, dass er die für deren Auswertung erforderliche Sachkunde besitzt40. Will ein Gericht Erkenntnisse über die Sachkunde und das Verhalten eines Sachverständigen bei der Gutachtenserstattung, die es aus Rechtsstreitigkeiten zwischen anderen Parteien gewonnen hat, bei der Würdigung selbstständiger Äußerungen dieses Gutachtens verwerten und hieraus Bedenken herleiten, so muss es diese seine Erkenntnisse zuvor prozessordnungsgemäß in den Rechtsstreit einführen und den Prozessbeteiligten hinreichend Gelegenheit geben, hierzu Stellung zu nehmen41.
9. Weitere prozessuale Besonderheiten des Arzthaftungsprozesses Abschließend sollen hier noch 40 prozessuale Besonderheiten des Arzthaftungsprozesses aufgelistet werden. Diese Liste orientiert sich überwiegend an der Darstellung von Steffen/Pauge42, erweitert dieselbe aber: •
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Das verfassungsrechtliche Prinzip eines fairen, der Rechtsanwendungsgleichheit Rechnung tragenden Gerichtsverfahrens (Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG) verlangt für den Arzthaftungsprozess prozessuale Modifizierungen, durch die der Informations- und Argumentationsunterschied zwischen den Parteien verringert, die Verständigungsschwierigkeiten zwischen Medizinern und Juristen überbrückt und die faktische Entwicklungskompetenz des medizinischen Sachverständigen auf ein adäquates Maß zurückgeführt werden sollen43. An die Substantiierungspflicht des klagenden Patienten sind maßvolle und verständige Anforderungen zu stellen. Ihm und seinem Anwalt fehlt i.d.R. eine exakte Einsicht in das Behandlungsgeschehen, sowie das nötige Fachwissen zur Erfassung und Darstellung des Konfliktstoffes44. BGH NJW 1993, 1524 = VersR 1993, 835; auf Antrag einer Partei muss das Gericht den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens laden, so BGH VersR 2003, 926. VersR 1993, 749; NJW 1993, 2378; NJW 1994, 794; NJW 1986, 1541 = VersR 1986, 183; sowie OLG Saarbrücken NJW-RR 2001, 671 = MedR 2001, 641. BGH NJW 1993, 2382 = MedR 1994, 31. Arzthaftungsrecht 10. Aufl. 2006 RdNr. 5 78-635; sowie H. Schmid, NJW 1994, 767 ff.; zu den Besonderheiten des Arzthaftungsprozess s.a. G.H. Schlund, A/ZusR 2006, 162 ff. BVerfG NJW 1979, 1925 = VersR 1979, 907, 911. BGH VersR 1981, 752; NJW 1987, 500 = VersR 1987, 310; im Arzthaftungsprozess hat der Patient keinen Anspruch, Kopien der beigezogenen Krankenunterlagen durch
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Das hat auch zur Konsequenz, dass Lücken im klägerischen Vorbringen diesem nicht angelastet, insbesondere nicht als Zugeständnis gewertet werden dürfen45. Wird der klagende Patient vom Gericht persönlich befragt, soll dies in Gegenwart des Sachverständigen geschehen, denn nur dieser kann ermessen und dem Gericht bei der Fragestellung helfen, welche genauen medizinischen Vorgänge der Kläger meint und ansprechen will/wollte. Nach feststehender Rechtsprechung erscheint die Anhörung der Parteien stets erforderlich. Dies insbesondere dann, wenn z.B. im Arzthaftungsprozess der Patient im Einzelnen darlegt, warum er bei einer vollständigen und richtigen Aufklärung hinsichtlich seiner Einwilligung in den ärztlichen Eingriff in einen sog. Entscheidungskonflikt geraten wäre. In einer solchen Situation darf nach der Rechtsprechung der Tatrichter in aller Regel die Plausibilität dieses klägerischen Vortrags nicht abschließend beurteilen, ohne den Patienten persönlich dazu gehört zu haben; denn der Tatrichter darf in einem solchen Fall seine eigene Beurteilung des Konflikts nicht an die Stelle derjenigen des Patienten setzen. Vice versa verlangt die OLG-Rechtsprechung – „abgesegnet“ durch den BGH – auch die Anhörung des beklagten Arztes, wenn dieser vorträgt, dass er jedes Mal und bei jedem Patienten im Rahmen des Aufklärungsgesprächs diesen auf ein mit dem empfohlenen Eingriff nie ausschließbares Risiko hinweist46. Das Gericht muss auch regelmäßig davon ausgehen, dass sich der Patient die ihm günstigen Darstellungen der medizinischen Vorgänge und Zusammenhänge aus dem medizinischen Sachverständigengutachten – wenigstens – hilfsweise zu eigen machen möchte47. Diese Rechtsprechung führt dazu, dass im Vorstadium eines Arzthaftungsprozesses die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht schon daran scheitern darf, dass der Kläger es unterlassen hat, die für ihn zuständige ärztliche Gutachter- oder Schlichtungsstelle anzurufen48. Das Gericht hat kraft des im Arzthaftungsprozess geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes (vgl. oben unter 4.) für eine Präzisierung der Beweisfragen im Beweisverfahren zu sorgen. Insbesondere hat es durch Formulierungshilfen darauf hinzuwirken, dass die Beweisaufnahme auf die medizinisch wesentlichen Umstände ausgerichtet wird. Diese Hilfestellung zur Präzisierung die Geschäftsstelle zu erhalten, da diese nicht Bestandteil der Gerichtsakten sind, so OLG Hamm GesR 2006, 569. BGH NJW 1981, 630 = VersR 1981, 278; NJW 1993, 2383. BGH VersR 1979, 939; neuerdings wieder in MedR 2005, 527 m.w. Zitaten. Vgl. hierzu auch OLG München, Urteil vom 13.01.1994 – AHRS 7030/101; OLG Hamm, Urteil vom 08.05.1995 – AHRS 7030/104; OLG Oldenburg, Urteil vom 27.05.1997 – AHRS 7030/106; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 16.04.1999 – AHRS 7030/109. BGH NJW 1991, 1541 = VersR 1991, 467. OLG Köln, VersR 1985, 791; a.A. jedoch LG Dortmund, VersR 1988, 606, sowie LG Aurich, VersR 1986, 558.
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endet dort, wo ansonsten der Sachverständige sich veranlasst sieht, entsprechende Aussparungen zu machen, die dann die Schwerpunkte des Verfahrens in der erforderlichen Gesamtbetrachtung verlagern könnten49. Bedarf auf Grund sachlicher Einwände das medizinische Gutachten einer weiteren Sachverständigenstellungnahme, dann hat jede der Parteien das Recht auf mündliche Erläuterung desselben (§ 411 Abs. 3 ZPO)50. Selbst wenn der Patient sein Recht auf mündliche Befragung des gerichtlichen Sachverständigen durch grobe Nachlässigkeit im ersten Rechtszug verloren haben sollte, kann das Berufungsgericht gleichwohl verpflichtet sein, substantiierten Einwänden gegen das Gutachten durch eine (nachgeholte) Anhörung des Sachverständigen von Amts wegen nachzugehen51. Erachtet das Gericht trotz eines angeordneten schriftlichen Ergänzungsgutachtens weiterhin Unklarheiten und Widersprüche als vorliegend bzw. nicht ausgeräumt, dann hat es von Amts wegen die mündliche Anhörung des Sachverständigen anzuordnen52. Bei bestehender Unvollständigkeit des Gutachtens muss das Gericht versuchen, diese durch Anhörung des Sachverständigen zu beheben oder ein weiteres Gutachten einzuholen53. Der BGH hat erhebliche Bedenken, dass auf ein schriftliches Gutachten verzichtet und der medizinische Sachverständige lediglich mündlich angehört wird, denn eine exakte Problem- und Fragestellung wird sich i.d.R. erst aus dem/einem schriftlichen Sachverständigengutachten ergeben. Danach sind die Parteien i.d.R. auch erst in die Lage versetzt, ihr (bisheriges) Vorbringen zu präzisieren54. Entsprechendes hat selbstverständlich zu gelten, wenn die Anhörung des medizinischen Sachverständigen gem. § 411 Abs. 3 ZPO gegenüber seinem zuvor schriftlich erstatteten Gutachten eine neue oder ausführlichere Beurteilung ergibt55.
BGH VersR 1982, 168. BGH NJW 1986, 2886 = VersR 1986, 1079; vgl. auch OLG Saarbrücken, GesR 2004, 235; KG, GesR 2007, 544. BGH NJW 1992, 1459 = VersR 1992, 722; NJW 1996, 788; Der Einwand, der Patient hätte sich auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung für den Eingriff entschieden, kann im Arzthaftungsprozess nicht erstmals in der Berufungsinstanz erhoben werden, so OLG Oldenburg, MedR 2008, 437 = VerSR 2008, 124. BGH NJW-RR 1989, 1275 = VersR 1989, 378; VersR 2003, 926; NJW 2001, 2791; zu den Grundlagen eines „guten“ Gutachtens s. auch M. L. Hansis, Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, Mitteilungen Heft 2/2004, 154, 155 ff. BGH NJW 1997, 803 = VersR 1997, 191; VersR 1996, 1257; NJW 1996, 730; vgl. zu den Empfehlungen zur Abfassung von Gutachten in Arzthaftungsprozessen H. Franzki, DGU-Mitteilungen und Nachrichten; Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie Heft 45/2002, S. 49 – 56; zum Aufbau eines schriftlichen Gerichtsgutachtens s. auch W. Bayerlein, (Fußnote 32), S. 340 ff. BGH NJW 1984, 1823 = VersR 1984, 661; OLG Celle, VersR 1982, 371. BGH NJW 1984, 1823 = VersR 1984, 661; VersR 1993, 1550.
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In Arzthaftungsprozessen kommt grundsätzlich nur in Ausnahmefällen eine Aussetzung des Verfahrens wegen eines laufenden Straf- oder Ermittlungsverfahren in Betracht56. Wird ein Sachverständiger im Anschluss an sein schriftlich erstattetes Gutachten vom LG mündlich angehört und daraufhin in einer bestimmten Weise verstanden, so darf das Berufungsgericht von diesem Verständnis nicht ohne eigene Vernehmung des Sachverständigen abweichen57. In diesen Fällen muss auch der Partei eine beantragte Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gewährt werden. Selbst wenn derartiges nicht förmlich beantragt wurde, ist ein nicht nachgelassener Schriftsatz vom Gericht zu beachten und falls in diesem neue Gesichtspunkte vorgetragen und diese Anlass zur weiteren Sachaufklärung geben, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen58. Selbst ein nicht objektivierbarer medizinischer Befund zum Nachweis von – behaupteten – Schmerzzuständen ist für sich genommen noch kein Grund, von der beantragten Erhebung des vom Patienten angebotenen Zeugenbeweises als ungeeignet abzusehen59. Die mündliche Verhandlung in Gegenwart des „medizinischen Laien“ Patient, des beklagten Arztes und des (medizinischen) Sachverständigen hat sich so zu gestalten, dass der Informationsfluss zwischen Gericht und Gutachter für jeden Laien möglichst nachvollziehbar bleibt und nicht allzu sehr in einem Fachdisput zwischen dem Richter und dem Sachverständigen endet60. Das Gericht soll sich durch Studium einschlägiger medizinischer Fachbücher sachkundig machen und muss auch von den Parteien eingeführte, dem Gutachten entgegenstehende Zitate aus der Medizinliteratur – soweit sie einschlägig sind – aufgreifen und zur Diskussion stellen61. Will das Gericht anhand dieser (weiteren) Literaturzitate vom Ergebnis des schriftlichen Sachverständigengutachtens abweichen, darf es dies erst, wenn es die Widersprüche dem Sachverständigen vorgehalten und sich durch ihn über Stellenwert und Reichweite der Angelegenheit vergewissert hat62. Außerdem muss das Gericht seine abweichende Überzeugung im Einzelnen ausführlich begründen und dabei erkennen lassen, dass seine (vom schriftlichen Gutachten abweichende) Beurteilung nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist63. OLG Stuttgart VersR 1991, 1027; sowie OLG Koblenz ArztR 2005, 135 = MedR 2006, 177; Arzt 2006, 330 = MedR 2007, 177. BGH NJW 1986, 1540; NJW 1993, 2380; NJW 1994, 803 = VersR 1993, 1550. BGH NJW 1988, 2302 = VersR 1988, 914; VersR 1991, 229 (LS). BGH VersR 1986, 183. BGH NJW 1980, 2751 = VersR 1980, 940. BGH VersR 1986, 183; NJW 1986, 1541; NJW 1988, 762 = VersR 1987, 1238. BGH NJW 1984, 1408 = VersR 1984, 354; NJW 1993, 2373 = VersR 1993, 749; NJW 1994, 2419 = VersR 1994, 984. BGH NJW 1989, 2948 = VersR 1989, 758; NJW 1994, 2419 = VersR 1994, 984; NJW 1997, 1446 = VersR 1997, 510.
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Einem von den Parteien dem Gericht zugeleiteten Privatgutachten ist die nämliche Aufmerksamkeit zu schenken wie dem gerichtlich bestellten64. Widersprüche im Gutachten oder zwischen (mehreren) Gutachtern muss das Gericht von Amts wegen nachgehen/aufklären und hat sich mit ihnen auch im Urteil dann ausführlich auseinander zu setzen65. Zum Aufklären von Widersprüchen sind einmal schriftliche Ergänzungsgutachten (insbesondere dann, wenn jedes der Gutachten in sich widerspruchsfrei ist), vor allem aber eine Gegenüberstellung in einer mündlichen Anhörung geeignet66. Eine Verpflichtung zur Ladung und Anhörung eines (von den Parteien eingeführten) Privatgutachters besteht dann nicht, wenn sich der gerichtlich bestellte Sachverständige mit dessen Ausführungen und Ergebnissen (bereits) gründlich auseinander gesetzt hat67. Will das Berufungsgericht das Ergebnis der mündlichen Anhörung des Sachverständigen anders verstehen/interpretieren, so muss es den Sachverständigen noch einmal selbst anhören68. Das Berufungsgericht muss auch Zeugen persönlich vernehmen, wenn es ihren Bekundungen eine andere Tragweite als die Vorinstanz geben will69. Für den vom Arzt zu führenden Nachweis (Beweislastverteilung) der Selbstbestimmungsaufklärung des Patienten muss das Gericht auch den Schwierigkeiten des Arztes Rechnung tragen, einen Vorgang zu belegen, der nach MögBGH VersR 1981, 752; VersR 1986, 467; NJW 1993, 2989 = VersR 1993, 1231; NJW 1996, 1597 = VersR 1996, 647; VersR 1998, 853 = MDR 1998, 840; = NJW 1998, 2735; ArztR 2001, 304. Sowie OLG Zweibrücken VersR 1998, 1114. BGH NJW 1990, 759 = VersR 1989, 1296; NJW 1992, 2354 = VersR 1992, 747; NJW 1994, 1596 = VersR 1994, 480; NJW 1994, 2419 = VersR 1994, 984; NJW 1995, 779 = VersR 1995, 46; NJW 1995, 776 = VersR 1995, 659; NJW 1996, 1597 = VersR 1996, 647; NJW 1997, 794 = VersR 1996, 1535; NJW 1997, 1638 = VersR 1997, 698; im Arzthaftungsprozess besteht für das Gericht die Pflicht, sich mit dem von der Partei vorgelegten Privatgutachten in allen Einzelheiten auseinander zu setzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken, wenn sich ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergibt, so BGH VersR 1998, 853 = NJW 1998, 2735. Haben mehrere widerstreitende Gutachten im Arzthaftungsprozess nicht zu einer tragfähigen Entscheidungsgrundlage geführt, kann es geboten sein, eine verlässliche Klärung der medizinischen Zweifelsfragen durch eine gerichtliche Anhörung aller Sachverständigen in einem einzigen Termin herbeizuführen“ so OLG Koblenz, GesR 2007, 591. BGH VersR 1980, 533; NJW 1997, 1446 = VersR 1997, 510; NJW 1997, 1638 = VersR 1997, 698; MedR 2002, 28; NJW 1996, 1597. OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.01.1989 (7 U 155/87), Nichtannahmebeschluss des BGH VersR 1990, 53. BGH VersR 1986, 366; NJW 1993, 2380 = VersR 1993, 1110; NJW 1994, 803 = VersR 1993, 1550; zu den Anforderungen an die Rechtsmittelbegründung im Arzthaftungsprozess s. BGH MedR 2007, 722. BGH NJW 1984, 2629 = VersR 1984, 582; VersR 1985, 839; NJW 1986, 2365 = VersR 1986, 788; NJW 1986, 2885 = VersR 1986, 970; NJW 1992, 741 = VersR 1992, 237; NJW 1997, 466 = VersR 1997, 256.
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lichkeiten von Formalien, Formalismen und Formularen festgehalten werden muss. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Aufklärungsgespräch in den Krankenunterlagen vom Arzt ausreichend dokumentiert wurde. Hier bietet sich dann eine Parteieinvernahme des Arztes an70. Ob ein/der Patient plausibel darlegen kann, dass er bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, lässt sich i.d.R. nur nach seiner persönlichen Anhörung entscheiden71. Das in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erstattete Sachverständigengutachten kann grundsätzlich in einem Arzthaftungsprozess verwertet werden72. Besondere Bedeutung im Arzthaftungsprozess kommt (vgl. II. 2 oben) der Bildung von Spezialkammern und Fachsenaten zu. Irrtümlich wäre es, das gesamte Beweisaufnahmeverfahren dem Einzelrichter zu überlassen, weil dieser der hier besonders verantwortlichen Tatsachenfeststellung nicht gerecht werden kann73. Die Möglichkeit der Entscheidung durch den Einzelrichter im Berufungsrechtszug besteht auch im Arzthaftungsprozess aber nur bei Einverständnis der Parteien i.S.v. § 524 Abs. 4 ZPO74. Das OLG Celle75 meint, dass die mündliche Erläuterung eines Sachverständigengutachtens im Arzthaftungsprozess i.d.R. vor der vollbesetzten Zivilkammer und nicht nur vor dem Einzelrichter zu geschehen hat76. Wird das Ergebnis einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen in einem Vermerk des Berichterstatters festgehalten, so muss dieser so klar und vollständig abgefasst sein, dass das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob der Tatrichter den Sachverständigen zutreffend verstanden hat77. Zur mündlichen Erläuterung, zur Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen: – jede Partei hat das Recht hierauf, wenn sachliche Einwände gegen das Gutachten bestehen;78
BGH NJW 1985, 1399 = VersR 1985, 361; NJW 1990, 3152 = VersR 1990, 1010. BGH NJW 1990, 2928 = VersR 1990, 1238; NJW 1991, 1543 = VersR 1991, 315; NJW 1993, 2378 = VersR 1993, 749; NJW 1995, 2410 = VersR 1995, 1055. OLG Oldenburg NJW-RR 1996, 406 = VersR 1997, 318. BGH NJW 1980, 2751 = VersR 1980, 940; VersR 1985, 343; NJW 1993, 2375 = VersR 1993, 836; NJW 1994, 801 = VersR 1994, 52. BGH NJW 1989, 2321 = VersR 1989, 851. Ist im Arzthaftungsprozess die auf einen Behandlungs- sowie einen Aufklärungsfehler gestützte Klage unter beiden Gesichtspunkten abgewiesen worden, so muss die Berufungsbegründung erkennen lassen, ob das Urteil hinsichtlich beider Fehler angegriffen wird, so BGH, GesR 2007, 163 = NJW 2007, 414. VersR 1993, 483. Vgl. hierzu auch BGH NJW 1994, 801. BGH NJW 1995, 779 = VersR 1995, 195. BGH NJW 1986, 2886 = VersR 1986, 1079.
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– trotz erfolgloser Geltendmachung des Rechts der Partei auf mündliche Befragung des Sachverständigen besteht dieses in der Berufungsinstanz weiter;79 – bei rechtzeitiger Stellung des Antrags muss dem auch dann entsprochen werden, wenn das schriftlich erstattete Gutachten aus der Sicht des Gerichts ausreichend und überzeugend ist;80 – selbst wenn die Partei das Anhörungsrecht wegen grober Nachlässigkeit im ersten Rechtszug verloren haben sollte, kann das Berufungsgericht gleichwohl verpflichtet sein, substantiierten Einwänden gegen das Gutachten durch eine Anhörung des Sachverständigen von Amts wegen nachzugehen;81 – sind Unklarheiten und Widersprüche im Gutachten nicht durch eine schriftliche Ergänzung zu beseitigen, muss das Gericht die mündliche Anhörung des Sachverständigen von Amts wegen anordnen;82 – hat der Sachverständige erklärt, er könne zu einer bestimmten Frage keine Stellung abgeben, weil (etwa) diese nur von den am Eingriff beteiligten Ärzten beantwortet werden könne, so muss das Gericht den Gutachter zu diesem Punkt nicht noch einmal mündlich befragen.83 Der Richter darf den Sorgfaltsmaßstab, der sich weitgehend nach dem medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebiets bestimmt, nicht ohne Sachverständigengrundlage allein aus eigener rechtlicher Beurteilung heraus festlegen84. Bei der Beurteilung eines Behandlungsfehlers als grob, darf der Richter die Würdigung des medizinischen Sachverständigen nicht außer Acht lassen85. Der Richter muss darauf achten, dass sich der Sachverständige an den für den Patienten faktisch erreichbaren Gegebenheiten ausrichtet und nicht generell an den Möglichkeiten einer Universitäts- oder Spezialklinik oder an dem medizinisch Machbaren ohne Rücksicht auf das Gebot der Wirtschaftlichkeit sowie auf Ressourcen- und Finanzierungsgrenzen86. Ebenso muss der Richter darauf achten, dass der Gutachter nicht ausschließlich oder einseitig nach den Parametern und Präferenzen seiner „Schule“ gutachtet87. Privatgutachten muss dieselbe Aufmerksamkeit geschenkt werden, wie dem des gerichtlich bestellten Sachverständigen88. BGH NJW 1996, 788 = VersR 1996, 211. BGH NJW 1997, 802 = VersR 1997, 509. BGH NJW 1992, 1459 = VersR 1992, 722. BGH NJW-RR 1989, 1275 = VersR 1989, 378; MDR 2001, 567. OLG Hamm, Urteil vom 28.11.1994 (3 U 80/94) Nichtannahmebeschluss des BGH vom 17.10.1995, VersR 1996, 332. BGH NJW 1995, 776 = VersR 1995, 659; vgl. ferner hierzu: BGH, VersR 2008, 1217 = MedR 2008, 915; OLG Saarbrücken, MedR 2001, 641. BGH NJW 1997, 798 = VersR 1997, 315; NJW 2001, 2792; OLG Karlsruhe, GesR 2008, 45. BGH NJW 1994, 1596 = VersR 1994, 480. BGH NJW 1993, 1524 = VersR 1993, 835; NJW 1996, 1589 = VersR 1996, 633; NJW 1997, 803 = VersR 1997, 191.
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Im Arzthaftungsprozess hat das Gericht bei der Erhebung von Sachverständigenbeweis in aller Regel zweckmäßigerweise die Krankenunterlagen vor der Einholung des Sachverständigengutachtens beizuziehen und dem Gutachter zugänglich zu machen89.
III. Schlussbemerkungen Arzthaftungsprozesse haben nicht erst seit unseren Tagen eine stetige „Zunahmetendenz“ hinsichtlich ihrer Anzahl und vor allem der Streitwerte. Da hilft den praktizierenden Ärzten nur, um bei Gericht zu bestehen, u. a. auch, wenn sie für jeden Fall eines möglichen „Missgeschicks“ ausreichend berufshaftpflichtversichert sind. Will der Arzt aber verhindern, vor die Gerichtsschranken „gezerrt“ zu werden, dann muss er seine Arbeit am und mit dem Patienten stets sorgfältig erledigen – sprich mit Standard- und Facharztqualität arbeiten –, er muss aber auch den Rechtsprechungsvorgaben hinsichtlich einer optimalen Aufklärung seines Patienten genügen, und schlussendlich sich auch noch einer exakten Dokumentation hinsichtlich seiner Tätigkeit befleißigen. Dann gilt für ihn nicht der Spruch: „Bei Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“.
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BGH VersR 1981, 752; VersR 1986, 467; NJW 1993, 2989 = VersR 1993, 1231; NJW 1996, 1597 = VersR 1996, 647. OLG Oldenburg NJW-RR 1997, 535.
Ärztliche Weiterbildung in medizinischen Versorgungszentren
Karsten Scholz
I. Bedeutung der Weiterbildung Unter Weiterbildung versteht man das geregelte und strukturierte Erlernen spezieller ärztlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten in einzelnen Fachgebieten der Medizin, welche über die im Medizinstudium erworbenen medizinischen Grundkenntnisse hinausgehen. Die Ableistung einer Mindestweiterbildungszeit unter Anleitung dazu befugter bzw. ermächtigter1 Ärzte an zugelassenen Weiterbildungsstätten, ggf. die theoretische Unterweisung in Kursen und das Bestehen einer Prüfung bei der zuständigen Landesärztekammer führt zur Anerkennung einer Arztbezeichnung und bescheinigt dem Arzt eine entsprechende Kompetenz. Zum Erhalt und zur Fortentwicklung der Kompetenz dient hingegen die ärztliche Fortbildung. Die bescheinigten Spezialisierungen haben zuweisende Wirkung mit haftungsrechtlicher Konsequenz2. Die meisten Heilberufe- und Kammergesetze der Länder schreiben als Berufsausübungsregelung vor, dass sich derjenige, der eine Gebietsbezeichnung führt, grundsätzlich hierauf zu beschränken hat. Eine Teilgebietsoder Schwerpunktbezeichnung darf nur führen, wer sie innehat und in dem entsprechenden Bereich weiterhin tätig ist. Dadurch wird der Standard der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gesetzt, welcher den Hausarzt oder Facharzt eines anderen Fachgebiets haftungsrechtlich zwingt, an einen anderen Facharzt oder Inhaber einer Schwerpunktbezeichnung zu verweisen, wenn dessen Spezialbereich deutlich betroffen ist3. Weil an der vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich nur teilnehmen kann, wer über eine Facharztanerkennung verfügt und das Krankenhaus in jeder seiner Abteilungen rund um die Uhr den Facharztstandard gewährleisten muss4, ist das Durchlaufen einer fachärztlichen Weiterbildung zum Regelfall geworden.
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Die Begriffe werden in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich verwendet, ohne dass damit materiell-rechtliche Rechtsfolgen verbunden wären. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 36. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 36. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6, Rn. 383 mwN.
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II. Weiterbildung im ambulanten Bereich Kernelement der Weiterbildung ist die Anleitung des Assistenzarztes bei seiner praktischen Berufsausübung durch einen erfahrenen Arzt. Inhalt der Weiterbildung sind z.B. die Anamneseerhebung, die Patientenaufklärung und die Durchführung besonderer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, für welche in sogen. Richtlinien über den Inhalt der Weiterbildung Richtzahlen vorgegeben werden. Sie geben an, wie viele Operationen ein durchschnittlich befähigter Assistent nach vorherigem Einsatz als Operationsassistent selbstständig unter Anleitung des zur Weiterbildung Ermächtigten durchführen muss, damit er genügend Erfahrungen gesammelt hat, um den Eingriff und die damit verbundenen Untersuchungen eigenverantwortlich durchführen zu können. Früher fand dieses Erlernen, jedenfalls soweit der fachärztliche Bereich betroffen ist, nahezu ausschließlich im Krankenhaus statt. Neue Operationstechniken und Anästhesieverfahren erlauben es heute, Operationen ambulant bei niedergelassenen Ärzten oder in ambulanten Operationszentren durchzuführen. Das neue Abrechnungssystem für stationäre Leistungen, aufgrund dessen statt tagesgleicher Pflegesätze Fallpauschalen gezahlt werden, hat zu einer erheblichen Verkürzung der Verweil- bzw. Liegedauer der Patienten im Krankenhaus geführt. Auch Vor- und Nachuntersuchungen finden daher zunehmend außerhalb des Krankenhauses statt und können von jungen Ärzten nur noch eingeschränkt im stationären Bereich erlernt werden. Die auf der Muster-Weiterbildungsordnung (MWBO) der Bundesärztekammer basierenden, als Satzungsrecht von den Kammer- oder Delegiertenversammlungen beschlossenen Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern sehen daher seit der letzten Neufassung, in der Regel aus dem Jahr 2005, vor, dass längere Weiterbildungsabschnitte auch im ambulanten Bereich abgeleistet werden können. Hierzu gehören neben den Praxen niedergelassener Ärzte seit 2004 auch medizinische Versorgungszentren. Damit korrespondiert die sozialrechtliche Gesetzgebung. Das Vertragsarztrecht gestattet in § 32 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 Nr. 2 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV), dass Assistenten im Rahmen der Weiterbildung mit vorheriger Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung beschäftigt werden können. Insofern wird der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung – anders als bei ermächtigten Krankenhausärzten5 – eingeschränkt.
III. Medizinische Versorgungszentren Medizinische Versorgungszentren können seit 2004 als Leistungserbringer zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden. Es handelt sich nach § 95 Abs. 1 S. 2 SGB V um ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen Fachärzte als Angestellte oder Vertragsärzte fachübergreifend tätig sind. Fachübergreifend ar5
Vgl. Schallen, Zulassungsverordnung6, § 32a, Rn. 1023 mwN.
Ärztliche Weiterbildung in medizinischen Versorgungszentren
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beitet die Einrichtung, wenn in ihr Ärzte mit verschiedenen Facharzt- oder Schwerpunktbezeichnungen tätig sind, sofern es sich nicht lediglich um Fachärzte für Allgemeinmedizin und Fachärzte für Innere Medizin handelt, welche nach § 73 Abs. 1a Nr. 3 SGB V an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen. Die Versorgungszentren können sich aller zulässigen, d.h. ihren Gründern nach gesellschafts- und berufsrechtlichen Normen zulässigen, Organisationsformen bedienen6 und von Leistungserbringern gegründet werden, die auf Grund Zulassung, Ermächtigung oder Vertrag an der medizinischen Versorgung der Versicherten teilnehmen, § 95 Abs. 1 S. 5 SGB V. Das sind u.a. Vertragsärzte, Krankenhäuser, Apotheker und Sanitätshäuser. Über den Umweg der Gründung eines Sanitätshauses kann letztlich jedermann ein medizinisches Versorgungszentrum gründen, was die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Regelung eines eingeschränkten Fremdbesitzverbots zweifelhaft erscheinen lässt.
IV. Zulassung von medizinischen Versorgungszentren 1. Zulassungserfordernis und Zuständigkeit Die besondere Ausbildung in der Allgemeinmedizin und die Weiterbildung zum Facharzt sind über die sog. Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 im Interesse der Grundfreiheiten der Unionsbürger zum Teil europaweit harmonisiert. In den Art. 25 Abs. 2 und 3, 28 Abs. 2 und 3 ist vorgesehen, dass die Weiterbildung an den Universitäten oder an besonderen Weiterbildungsstellen stattfindet, die von den zuständigen Behörden anerkannt werden. Dementsprechend sehen die Heilberufeund Kammergesetze der Bundesländer vor, dass die Einrichtungen der medizinischen Versorgung mit Ausnahme der Universitätsklinika einer Zulassung als Weiterbildungsstätte bedürfen. Da das Recht der ärztlichen Berufsausübung nach Art. 74 Abs. 19 GG Landesrecht ist und nicht zum Bereich der Sozialversicherung nach Art. 74 Nr. 12 GG gehört, tritt die Zulassung als Weiterbildungsstätte neben die sozialrechtliche Zulassung, über welche der Zulassungsausschuss nach § 96 SGB V entscheidet. Zuständig für die Zulassung als Weiterbildungsstätte sind die Landesärztekammern im eigenen Wirkungskreis und für Krankenhäuser, so z.B. nach Art. 32 Abs. 3 S. 2 Bayerisches Heilberufe- und Kammergesetz, zum Teil noch die für Gesundheit zuständigen Landesministerien. Ein in der Organisationsform der unselbstständigen Betriebsstätte eines Krankenhauses bzw. als Krankenhausabteilung für ambulante Medizin betriebenes Versorgungszentrum7 wird dann vom Ministerium zugelassen. Ansonsten entscheidet die Landesärztekammer und erhebt dafür Gebühren nach Maßgabe ihrer Gebührenordnung. Das gilt auch dann, wenn die Hochschule das Versorgungszentrum in einer ausgegliederten GmbH betreibt, deren einzige Gesellschafterin sie ist. 6 7
Pawlita, in: jurisPK-SGB V § 95, Rn. 76f mwN. Unzulässig nach SG Marburg GesR 2008, 30.
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Die sozialrechtliche Zulassung des Versorgungszentrums erfolgt auf Antrag und kann, weil es sich um eine fachübergreifende Einrichtung handelt, auch für mehrere Facharztweiterbildungsgänge erfolgen8. Eine Zulassung auch für Zwecke der Zusatz-Weiterbildung muss nur erfolgen, wenn dieses im Landesrecht vorgesehen ist9 oder die Ärztekammer dieses in ihrer Weiterbildungsordnung auf der Grundlage einer landesgesetzlichen Ermächtigungsnorm angeordnet hat10. Die Zulassung kann11 oder muss12 mit dem Vorbehalt des Widerrufs versehen werden. Der Bescheid muss klarstellen, ob sich die Stättenzulassung auch auf ausgelagerte Praxisstätten erstreckt.
2. Neue Versorgungsformen Ausgelagerte Praxisstätten sind Räumlichkeiten in der Nähe des Sitzes des medizinischen Versorgungszentrums, in denen besondere Untersuchungs- und Behandlungsmethoden wie ambulante Operationen oder MRT-Untersuchungen durchgeführt werden, weil dafür der Platz in der eigentlichen Praxis nicht ausreicht. Die Zulassung kann sich jedenfalls nicht auf eine ausgelagerte Praxisstätte in einem anderen Bundesland erstrecken, weil die Hoheitsrechte der Landesärztekammer in einem föderalen Staat an der Landesgrenze enden und ihr darüber hinaus allenfalls durch einen Staatsvertrag verliehen werden könnten13. Aus dem Umstand, dass die Zulassung einer Weiterbildungsstätte zum einen voraussetzt, dass Patienten in so ausreichender Zahl behandelt werden, dass der sich weiterbildende Arzt die Möglichkeit hat, sich mit den typischen Krankheiten des Gebiets zu befassen, in dem er sich weiterbilden will und zum anderen eine den Erfordernissen der medizinischen Entwicklung Rechnung tragende personelle und materielle Ausstattung erfordert14, folgt, dass über die Zulassung einer Zweigpraxis als Weiterbildungsstätte grundsätzlich gesondert zu entscheiden ist. Das gilt auch für die Betriebsstätten einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft zwischen zwei medizinischen Versorgungszentren nach § 33 Abs. 2 S. 2 ÄrzteZV. In beiden Fällen sind die beiden Praxisteile erste Anlaufstelle für unterschiedliche Patientenkollektive. Das niedersächsische Kammergesetz für die Heilberufe sieht neuerdings in § 48 Abs. 4 vor, dass mehrere Einrichtungen gemeinsam als Weiterbildungsstätte zugelassen werden können, wenn sie nur gemeinsam die Voraussetzungen für die Zulassung einer Weiterbildungsstätte erfüllen. Dadurch können Assistenten auch in „Teleportal-Zweigstellen“15 weitergebildet werden, in welchen ein unausgele8
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Anders die Niedersächsische Landesregierung, in: Niedersächsischer Landtag, Drucksache 16/46 zu § 48. ZB § 37 Abs. 1 Heilberufsgesetz Nordrhein-Westfalen. ZB § 34 Abs. 1 S. 3 Hamburgisches Kammergesetz für die Heilberufe. § 35 Abs. 5 S. 3 Heilberufe-Kammergesetz Baden-Württemberg. § 37 Abs. 5 S. 1 Niedersächsisches Kammergesetz für die Heilberufe Niedersächsischer Landtag, Drucksache 15/3450, S. 6. § 6 Abs. 1 (Muster-) Weiterbildungsordnung. Zum Begriff der Teleportalklinik: Flintrop DÄBl. 2006, A-1104.
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senes Patientengut ohne größeren technischen Aufwand untersucht und nachbehandelt und zur aufwändigeren Behandlung in das technisch gut ausgestattete medizinische Versorgungszentrum „überwiesen wird“. Ihrer Aufsichtsfunktion nach Art. 25 Abs. 2 S. 3 der Richtlinie 2005/36/EG wird die Ärztekammer in diesem Fall jedoch nur gerecht, wenn sie das grundsätzlich nur dem Antrag auf Erteilung einer Weiterbildungsbefugnis beizulegende Programm, § 5 Abs. 5 S. 2 MWBO, im Sinne eines Rotationsplans auch bereits bei der Entscheidung über die Zulassung der Weiterbildungsstätte heranzieht. Deshalb hat sich die Ärztekammer auch Verträge über eine Integrierte Versorgung vorlegen zu lassen. Dem steht § 140d Abs. 5 SGB V nicht entgegen, weil die Vorschrift nur eine Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse der Vertragspartner und den Kontrollrechten der von dem Vertragsabschluss finanziell Betroffenen vornimmt. Die Landesärztekammer, deren Organmitglieder16 und Angestellte die ihnen bei Ausübung ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen Daten über persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse der Kammermitglieder geheim zu halten haben, muss sich an das Landesverwaltungsverfahrensgesetz halten. Danach hat sie den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und bedient sich dabei gem. § 26 Abs. 1 S. 1 VwVfG der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Sie kann dazu auch die in der medizinischen Einrichtung befindlichen Patientenakten einsehen17. Ein weiterer möglicher Anwendungsfall der Zulassung mehrerer Einrichtungen als gemeinsame Weiterbildungsstätte liegt vor, wenn Teilbereiche der ärztlichen Tätigkeit des medizinischen Versorgungszentrums in eine Teilberufsausübungsgemeinschaft nach § 33 Abs. 2 S. 3 Ärzte-ZV ausgegliedert werden. Denn derjenige, der ärztliche Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erbringt, betreibt, auch wenn er uU in einer Organisationsgemeinschaft mit anderen verbunden ist („Praxisgemeinschaft“, Ärztehaus), eine selbstständige Versorgungseinheit und damit grundsätzlich eine eigenständige Weiterbildungsstätte.
3. Adressat der Zulassungsentscheidung bei verschiedenen Trägertypen Adressat des Verwaltungsakts, dem die Zulassungsentscheidung bekannt gegeben wird, ist der Träger des medizinischen Versorgungszentrums. In den Fällen, in denen ein Vertragsarzt den Facharzt eines anderen Fachgebiets nicht nach Maßgabe des § 95 Abs. 9 SGB V anstellt, sondern eine Zulassung nach § 95 Abs. 1 SGB V erhalten hat, ist der Vertragsarzt als natürliche Person Adressat der Zulassung des Versorgungszentrums als Weiterbildungsstätte sowohl für sein eigenes Fachgebiet als auch für das von seinem angestellten Arzt vertretene Fachgebiet. Bezogen auf sein eigenes Fachgebiet ist die Zulassung in Baden-Württemberg davon abweichend nach § 40 Abs. 2 S. 2 des dortigen Heilberufe- und Kammerge-
16 17
Vgl. § 85a Abs. 4 Niedersächsisches Kammergesetz für die Heilberufe. Vgl. § 48 Abs. 5 Niedersächsisches Kammergesetz für die Heilberufe.
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setzes Bestandteil der ihm erteilten Weiterbildungsermächtigung und mithin kein gesonderter Verwaltungsakt. Faktisch sind Träger medizinischer Versorgungszentren und damit Adressaten der Zulassungsentscheidung meistens Personengesellschaften (Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder Partnerschaftsgesellschaften) oder Kapitalgesellschaften in der Rechtsform der GmbH. Ein Gesellschafterwechsel hat auf die Zulassung des Versorgungszentrums als Weiterbildungsstätte keinen Einfluss. Das gilt selbst dann, wenn ein Gesellschafter eintritt, der kein medizinisches Versorgungszentrum gründen darf, vgl. § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V. Für den sozialrechtlichen Zulassungsstatus ist dieses nicht selbstverständlich. Man denke an den Fall, dass Mehrheitsgesellschafter ein Leistungserbringer wird, dem anderenorts die Zulassung des von ihm allein getragenen medizinischen Versorgungszentrums wegen gröblicher Verletzung vertragsarztrechtlicher Pflichten entzogen worden ist. Die Frage des Trägerwechsels ist weder im Sozialrecht noch in den Heilberufe- und Kammergesetzen geregelt. Letzteres gilt im Übrigen generell, also auch für den Fall der Übernahme eines Landeskrankenhauses oder eines kommunalen Krankenhauses durch einen privaten Krankenhausträger oder die formale Privatisierung eines kommunalen oder freigemeinnützigen Krankenhauses hin zu einer gemeinnützigen GmbH. Im Weiterbildungsrecht dürfte es sich bei der Zulassung einer Weiterbildungsstätte um einen sachbezogenen Verwaltungsakt handeln, der Wirkungen auch gegenüber dem Rechtsnachfolger entfalten kann. Er schreibt zwar die Rechtsstellung einer konkreten Person, nämlich des Trägers der Weiterbildungsstätte, im Hinblick auf eine konkrete Sache, die medizinische Einrichtung, fest; die Prüfung erstreckt sich jedoch nicht auf die Zuverlässigkeit des Begünstigten des Verwaltungsakts, sondern beschränkt sich auf das Vorliegen trägerunabhängiger personeller und sachlicher Voraussetzungen18. Die Eignungsprüfung erfolgt im Hinblick auf die die Weiterbildung gestaltenden Ärzte in einem gesonderten, der Zulassung der Weiterbildungsstätte nachgeschalteten Verwaltungsverfahren, das die Erteilung einer Weiterbildungsbefugnis bzw. -ermächtigung zum Gegenstand hat. Zur Nachfolgefähigkeit muss jedoch noch ein Nachfolgetatbestand hinzutreten, der sich auch aus dem Zivilrecht ergeben kann19 und etwa im Umwandlungsgesetz zu finden ist. Vorstehende Überlegungen lassen sich auf das Sozialrecht nicht übertragen. Da die Eignung nach den §§ 20f. Ärzte-ZV Zulassungsvoraussetzung ist, spricht Überwiegendes dafür, dass es sich auch bei der Zulassung eines medizinischen Versorgungszentrums um ein höchstpersönliches Recht handelt. Für den vertragsärztlichen Bereich, in dem es weiterhin eine Bedarfsplanung gibt, deutet die in § 103 Abs. 4 S. 4 SGB V vorgesehene und auch verfassungsrechtlich gebotene Bestenauslese ebenfalls darauf hin, dass ein Trägerwechsel nur im Rahmen eines Nachbesetzungsverfahrens erfolgen kann. Viele medizinische Versorgungszentren entstehen dadurch oder werden auf die Arzt und Weise erweitert, dass ein bislang niedergelassener Arzt gemäß § 103 Abs. 4a S. 1 SGB V auf seine Zulassung verzichtet, um in einem räumlich 18 19
Vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Stelkens, VwVfG7 § 35, Rn. 259. Kopp/Ramsauer VwVfG10 § 43, Rn. 13b.
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an anderer Stelle errichteten medizinischen Versorgungszentrum als Angestellter tätig zu werden. Während in diesem Fall bei gleichzeitigem Praxisübergang aus § 613a Abs. 1 S. 1 BGB folgt, dass das medizinische Versorgungszentrum in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnis mit dem Weiterbildungsassistenten eintritt, fehlt es an einer entsprechenden Regelung im Vertragsarztrecht und Weiterbildungsrecht. Die Kassenärztliche Vereinigung kann die Weiterbeschäftigung des Assistenzarztes nur genehmigen, wenn der für die Weiterbildung verantwortliche Arzt über eine Weiterbildungsermächtigung auch an seiner neuen Wirkungsstätte verfügt. Diese kann jedoch erst erteilt werden, wenn das medizinische Versorgungszentrum auf seinen Antrag hin als Weiterbildungsstätte seitens der Ärztekammer zugelassen wurde. Diese Folgen werden von den Betreibern medizinischer Versorgungszentren häufig nicht bedacht, so dass oft in der ersten Phase nach Übernahme des Vertragsarztsitzes ein faktisches Beschäftigungsverbot für den Assistenzarzt besteht. Wird dieses nicht beachtet, hat das vertragsarztrechtswidrige Verhalten zur Folge, dass die seitens der Kassenärztlichen Vereinigung ausgekehrten Honorare wegen ungenehmigter Assistentenbeschäftigung von dieser zurückgefordert werden können20, da eine Genehmigung nicht rückwirkend erteilt werden kann21. Außerdem kommen Disziplinarmaßnahmen in Betracht.
V. Ermächtigung von Ärzten in medizinischen Versorgungszentren Zur Weiterbildung werden fachlich und persönlich geeignete Kammermitglieder ermächtigt. Dafür ist es unerheblich, ob sie in einer zugelassenen Weiterbildungsstätte selbstständig oder im Angestelltenverhältnis tätig sind. Fachlich geeignet ist, wer nach Abschluss der eigenen Weiterbildung langjährig in verantwortlicher Stelle in dem Fachgebiet tätig war, in dem er zur Weiterbildung ermächtigt werden will. Als Richtschnur gelten für die Facharztweiterbildung drei Jahre und für alle anderen Weiterbildungsgänge zwei Jahre. Eine Ausnahme greift ein, wenn ein jüngerer Arzt Assistenten gemeinsam mit einem älteren Kollegen weiterbilden will. Umstritten ist, in welchem zeitlichen Umfang der die Weiterbildungsermächtigung anstrebende Arzt selbst an der Weiterbildungsstätte tätig sein muss22. Da Art. 22 lit. a) der Richtlinie 2006/36/EG eine Weiterbildung auf Teilzeitbasis zulässt, wenn die Ärztekammern sicherstellen, dass die Gesamtdauer, das Niveau und die Qualität dieser Weiterbildung nicht geringer als bei einer Vollzeitweiterbildung ist, kann auch ein halbtags im medizinischen Versorgungszentrum tätiger Arzt eine Weiterbildungsermächtigung erhalten. Die Ermächtigung ist mit der Auflage zu versehen, dass Weiterbilder und Assistent gleiche Arbeitszeiten haben. 20 21 22
BSG, SozR 3-5525, § 32 Nr. 1 S. 3. BSG, MedR 2007, 673. Berufsgerichtshof für Heilberufe bei dem OVG Mecklenburg-Vorpommern MedR 2006, 551 mwN.
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Die Frage, ob ein Assistenzarzt auch bei Abwesenheit des zur Weiterbildung ermächtigten Chefarztes durch Oberärzte weitergebildet werden kann, stellt sich in medizinischen Versorgungszentren nicht. Bei Krankheit oder Urlaub des Weiterbilders kann der Assistenzarzt ihn nicht vertreten, weil die Vertretung grundsätzlich nur ein Vertragsarzt oder ein anderer Arzt mit abgeschlossener Weiterbildung übernehmen kann, § 32 Abs. 1 S. 5 Ärzte-ZV23. Sind in einem medizinischen Versorgungszentrum zwei Fachärzte derselben Fachrichtung tätig, kann bei Abwesenheit nur eines Arztes ohnehin kein Vertreter bestellt werden24. Der Assistenzarzt kann demnach nur tätig werden, wenn beide Fachärzte gemeinsam zur Weiterbildung in demselben Weiterbildungsbereich ermächtigt sind. Bei einer gemeinsam erteilten Weiterbildungsermächtigung hat die Beendigung der Tätigkeit eines zur Weiterbildung ermächtigten Arztes im medizinischen Versorgungszentrum in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Rechtsfolgen. In Niedersachsen erlischt die Ermächtigung, § 37 Abs. 2 S. 4 des Kammergesetzes für die Heilberufe. In anderen Bundesländern hat der Gesetzgeber die Vorstellung, dass die Ermächtigung für den verbleibenden Arzt fortbesteht, wenn sie nicht seitens der Ärztekammer widerrufen wird. Übernimmt ein fachlich geeigneter Arzt als Nachfolger eine Arztstelle im medizinischen Versorgungszentrum, wird ihm in Niedersachsen zunächst eine vorläufige Weiterbildungsermächtigung erteilt, da sich der zeitliche Umfang der Weiterbildungsermächtigung nach der Anzahl sowie der Erkrankungsarten der Patienten bestimmt, § 5 Abs. 4 S. 1 MWBO, und eine abschließende Beurteilung erst dann auf der Grundlage einer Leistungsstatistik des in das medizinischen Versorgungszentrums eintretenden Arztes möglich ist, wenn sich das Krankengut nach seiner Einarbeitungsphase konsolidiert hat. Die im Vergleich zu Arztpraxen herkömmlichen Zuschnitts deutlich höhere Fluktuation in medizinischen Versorgungszentren gefährdet daher die Weiterbildung, zumal eine Tätigkeit unter der Anleitung eines (noch) nicht zur Weiterbildung ermächtigten Arztes schon begrifflich keine Weiterbildung darstellt25 und Weiterbildungsabschnitte unter sechs Monaten nach § 4 Abs. 4 S. 3 grundsätzlich nicht auf die vorgeschriebene Mindestweiterbildungszeit anrechenbar sind. Der Assistent, der an einer Weiterbildungsstätte begonnen hat, kann sich auch nicht auf einen Bestandsschutz dahingehend berufen, dass er die Weiterbildung bei einem Nachfolger in einem gleichen Umfang fortsetzen kann wie bei dem Arzt, der ihn eingestellt hat. Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage und einer anderen Sichtweise würde der Funktion der Weiterbildungsordnung als eine dem Patientenschutz dienenden Bildungsordnung widersprechen. Mit Erteilung der Weiterbildungsermächtigung hat der Arzt nicht nur die Pflicht, die Weiterbildung persönlich zu leiten und der Weiterbildungsordnung entsprechend zu gestalten sowie Veränderungen in Struktur und Größe der Weiterbildungsstätte unverzüglich anzuzeigen, § 5 Abs. 4 S. 3 MWBO, sondern er wird zum Beliehenen. Das Weiterbildungszeugnis nach § 11 MWBO ist daher 23 24 25
Vgl. Schallen, Zulassungsverordnung6, § 32a, Rn. 945 und 959. BSG GesR 2005, 229, 231. OVG Bremen MedR 1984, 155.
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nicht mit dem Arbeitszeugnis identisch und kann nicht vor dem Arbeitsgericht angefochten werden, sondern ist ggf. vor den Verwaltungsgerichten anzufechten26. Daher ist die in § 7 Abs. 7 der Beratungs- und Formulierungshilfe der Deutschen Krankenhausgesellschaft für einen Chefarztvertrag enthaltene und von vielen Trägern medizinischer Versorgungszentren übernommene Regelung rechtswidrig, wonach das Zeugnis für nachgeordnete Ärzte im Rahmen der Gebietsarztweiterbildung vor Aushändigung an den Assistenten dem Krankenhausträger zur Kenntnis vorzulegen ist und die Krankenhausverwaltung für die Personalakte eine Mehrfachfertigung erhält. Es liegt darin eine Datenübermittlung, die sich an den Landesdatenschutzgesetzen messen lassen muss. Diese sehen vor, dass sie nur mit Einverständnis des Betroffenen, demnach des Weiterbildungsassistenten zulässig ist.
VI. Tätigkeit des Weiterbildungsassistenten Für die Facharztweiterbildungen geben die Richtlinie 2005/36/EG in Art. 25 Abs. 3 S. 1, für die Schwerpunktbezeichnungen die Heilberufe- und Kammergesetze der Länder und für die Zusatz-Weiterbildungen die meisten Weiterbildungsordnungen vor, dass diese hauptberuflich und grundsätzlich als Vollzeitweiterbildung erfolgt. Nach Art. 22 lit. a) der Richtlinie ist eine Facharztweiterbildung auf Teilzeitbasis möglich, wenn die Ärztekammern sicherstellen, dass das Niveau und die Qualität dieser Weiterbildung nicht geringer als bei einer Vollzeitweiterbildung ist. Damit ist ausgeschlossen, dass sich ein Arzt gleichzeitig in mehreren Fachgebieten weiterbildet, die im medizinischen Versorgungszentrum vertreten sind27. Dass er regelmäßig Konsiliararzttätigkeit ausüben kann, fördert hingegen die Weiterbildung; bei Krankenhausabteilungen ist das nach § 6 Abs. 2 MWBO Zulassungsvoraussetzung für die Weiterbildungsstätte. Vom Erfordernis einer hauptberuflichen Tätigkeit, d.h. der Vorgabe, dass der Weiterbildungsassistent seine volle berufliche Tätigkeit der praktischen und theoretischen Weiterbildung widmet, lässt die Berufsanerkennungsrichtlinie auch weiterhin keine Ausnahme zu, weil das Niveau der Weiterbildung zwangsläufig sinkt, wenn sich der Arzt anderen Berufstätigkeiten widmet28. Das gilt in gleicher Weise für Oberärzte, etwa mit Anerkennung als Internist, die keine Möglichkeit haben, halbtags in dem der Klinik angeschlossenen medizinischen Versorgungszentrum ihre Weiterbildung zum Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie abzuschließen. Vertragsärzte müssen auch nach den Lockerungen durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz ihre Zulassung ganz ruhen lassen, wenn sie sich in einem medizinischen Versorgungszentrum zum Erwerb einer Facharztkompetenz weiterbilden wollen. Für Zusatz-Weiterbildungen gelten zum Teil davon abweichende Regelungen. 26 27 28
Schleswig-Holsteinisches OVG MedR 1997, 557. Niedersächsischer Landtag, Drucksache 13/1700, S. 65. Zur entsprechenden Auslegung der Vorgängerrichtlinie 93/16/EWG OVG Lüneburg, MedR 2007, 444.
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Hingegen ist es möglich, dass Assistenzärzte zum Erwerb einer Arztbezeichnung parallel und jeweils auf Teilzeitbasis sowie unter Beachtung von § 2 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. Arbeitszeitgesetz sowohl in einem Krankenhaus als auch in einem medizinischen Versorgungszentrum im selben Fachgebiet beschäftigt werden. Befindet sich das medizinische Versorgungszentrum auf dem Krankenhausgelände oder in dessen Nähe, ist zu erwarten, dass der Assistent auf diese Weise längerfristige Krankheitsverläufe aus dem Blickwinkel beider Versorgungsbereiche kennen lernt. Aus Sicht der Weiterbildung sind solche Modelle, die vertragsarztrechtlich erst durch die Einfügung des Satzes 2 in § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz unbedenklich geworden sind, uneingeschränkt zu begrüßen, weil sie in der Regel eine Qualitätsverbesserung darstellen. Schon bislang konnten niedergelassene Belegärzte solche Weiterbildungsstrukturen anbieten. Dementsprechend können medizinische Versorgungszentren, die über eine durch bei ihnen tätige Ärzte vermittelte Belegarztzulassung verfügen29, in der Belegabteilung mit Genehmigung der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung auch Weiterbildungsassistenten einsetzen. Da die stationäre Tätigkeit des an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztes nicht das Schwergewicht seiner Gesamttätigkeit bilden darf, § 39 Abs. 2 S. 1 BMV-Ä, kommt eine Zulassung der Abteilung als Weiterbildungsstätte nur in Betracht, wenn die Abteilung im kooperativen Belegarztsystem geführt wird30. Der Arzt muss in der Weiterbildungsstätte an sämtlichen dort anfallenden ärztlichen Tätigkeiten beteiligt werden, Art. 25 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie 2005/36/EG. Während dieses im stationären Bereich bedeutet, dass der Arzt dann, wenn kein Schichtdienstarbeitszeitmodell besteht, nach einer Einarbeitungsphase auch am Bereitschaftsdienst teilzunehmen hat, muss er im ambulanten Bereich auch am Notfalldienst, nicht jedoch am Rettungsdienst teilnehmen.
VII. Anstellungsvertrag mit dem Weiterbildungsassistenten Der Arbeitsvertrag mit dem Weiterbildungsassistenten kann nach Maßgabe des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung befristet und die Weiterbildung muss angemessen vergütet werden. Das folgt für die fachärztliche Weiterbildung unmittelbar31 aus Art. 25 Abs. 3 S. 3 der Richtlinie 2005/36/EG und ansonsten in der Regel aus den Heilberufe- und Kammergesetzen der Bundesländern, in denen das Erfordernis einer hautberuflichen und zum Teil auch ausdrücklich einer angemessen vergüteten Tätigkeit auch für andere Weiterbildungsgänge verlangt wird32. Damit soll erreicht werden, dass sich der junge Arzt ganz auf seine Weiterbildung konzentrieren kann und anders als ein Werk29 30 31
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Pawlita, in: jurisPK – SGB V § 95, Rn. 123. VG Hannover vom 28.03.1996 – 5 A 2178/94 und vom 14.09.2005 – 5 A 3016/03. Vgl. EuGH vom 25.02.1999 in der Rechtssache C-131/97 – Annalisa Carbonari u.a. gegen Università degli Studi di Bologna u.a. Z.B. § 29 Abs. 1 S. 2 Hessisches Heilberufsgesetz.
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student seinen Lebensunterhalt nicht durch andere Beschäftigungen sichern muss. Die europarechtliche Vorgabe dient daher der Qualitätssicherung der Weiterbildung und damit letztlich dem allgemeinen Gesundheitsschutz. Die Höhe der angemessen Vergütung richtet sich nach nationalem Recht. Sie ist unangemessen, wenn sie die tarifliche Vergütung im Zeitpunkt der Fälligkeit um mehr als 20% unterschreitet33. Die Einhaltung dieser Vorgabe hat die Landesärztekammer bei Zulassung zur Facharztprüfung durch Einsichtnahme in den Arbeitsvertrag und/oder Lohnnachweise zu überprüfen. Sie käme ihrer Aufsichtspflicht nach Art. 25 Abs. 2 S. 3 der Richtlinie 2005/36/EG nicht nach, wenn sie Ärzten, welche eine unangemessen niedrige Vergütung erhalten haben, die Facharztkompetenz bescheinigte. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG verhindert grundsätzlich, dass mehrere Weiterbildungsassistenten unterschiedlich entlohnt werden. Größere Bedeutung hat diese Bestimmung bei angestellten Fachärzten in medizinischen Versorgungszentren. Verfügen sie über unterschiedliche Facharztbezeichnungen, wurden sie in der Vergangenheit häufig mit dem Argument unterschiedlich vergütet, die Honorarverteilung seitens der Kassenärztlichen Vereinigung führe dazu, dass die Tätigkeit in den verschiedenen Fachrichtungen nicht gleich einträglich sei. Dem steht entgegen, dass dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab für alle Fachgebiete ein einheitlicher kalkulatorischer Arztlohn zugrunde liegt und die Vertragsärzte und medizinische Versorgungszentren seit 1.1.2009 gem. § 87b SGB V innerhalb des Regeleistungsvolumens auf der Grundlage der regionalen Euro-Gebührenordnung mit festen Europreisen honoriert werden. Vereinbaren der Weiterbildungsassistent und der Träger des medizinischen Versorgungszentrums ein bis zu zweijähriges nachvertragliches Wettbewerbsverbot, ist dieses analog § 74 Abs. 2 HGB nur wirksam, wenn zugleich eine Karenzentschädigung in Höhe mindestens der Hälfte der vertraglichen Vergütung gezahlt wird. Das einjährige Wettbewerbsverbot nach § 29 Abs. 2 S. 1 (Muster-) Berufsordnung greift nur ein, wenn Träger des medizinischen Versorgungszentrums ein Arzt oder eine Gemeinschaft von Ärzten ist. Der Zulassungsausschuss darf den ehemaligen Weiterbildungsassistenten dann nicht als Vertragsarzt zulassen34.
VIII. Sozialrechtliche Genehmigung der Beschäftigung des Weiterbildungsassistenten Nach § 32 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 Nr. 2 Ärzte-ZV muss die Beschäftigung des Assistenten zu Weiterbildungszwecken vorher von der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung genehmigt werden. Die Genehmigung wird dem Träger des zugelassenen medizinischen Versorgungszentrums erteilt. Sofern man es wie die Rechtspraxis für zulässig erachtet, dass auch eine fachübergreifende Gemeinschaftspraxis die Zulassung als medizinisches Versorgungszentrum erhalten 33 34
BAG BB 1999, 162; BAG AP BBiG § 10 Nr. 14 = EzA BBiG § 10 Nr. 10. Vgl. Ärztliches Berufsgericht Niedersachsen vom 11.4.2001 – 1 BG 7/00 – mit Anm. Scholz niedersächsisches Ärzteblatt 7/2001, S. 23.
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kann35, ergibt sich aufgrund der eigenständigen Zulassung der Einrichtung ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Zulassungsformen. Während der Arbeitsvertrag jeweils mit dem Träger der Einrichtung, also der rechtsfähigen Personen- oder Kapitalgesellschaft zustande kommt, wird der Weiterbildungsassistent entweder dem medizinischen Versorgungszentrum oder einem der in der Berufsausübungsgemeinschaft zugelassenen Vertragsärzte oder mehreren jeweils zeitanteilig „zugeordnet“, vgl. § 33 Abs. 2 S. 2 Ärzte-ZV. Diese Zuordnung hat Bedeutung, wenn die Berufsausübungsgemeinschaft in der bisherigen Form beendet wird. Das gilt allerdings mehr noch bei Ärzten, die gem. § 95 Abs. 9 SGB V beschäftigt werden. Die Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten dient dessen Anleitung und darf nach § 32 Abs. 3 i.V.m. § 1 Abs. 3 Nr. 2 Ärzte-ZV nicht der Vergrößerung des medizinischen Versorgungszentrums oder der Aufrechterhaltung eines übergroßen Behandlungsumfangs dienen. Analog § 85 Abs. 4b S. 4 wird im Regelfall nur ein Praxiszuwachs bis zu 25% akzeptiert36.
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aA Pawlita, in: jurisPK-SGB V § 95, Rn. 73. BSG, SozR 4-5520, § 32 Nr. 2 Rn. 15.
Patientenverfügung als Lösung des Problems der Sterbehilfe?
Hans-Ludwig Schreiber
I. Seit mehr als zwei Jahrzehnten halten in der Bundesrepublik lebhafte Diskussionen um die Sterbehilfe und die Notwendigkeit ihrer gesetzlichen Regelung an. Drei Juristentage haben sich mit dem Thema befasst1. Zu gesetzgeberischen Maßnahmen ist es bisher nicht gekommen, man überließ die weitere Entwicklung der Rechtsprechung, die Verrel in seinem Gutachten zum 66. Deutschen Juristentag 2006 unter der Überschrift „Bestandsaufnahme: Entwicklungen der letzten 20 Jahre“2 ausführlich und differenziert dargestellt hat. Es schien, dass die Rechtsprechung „zutreffendere und klarere Worte“ auf Fragen der Sterbehilfe als der untätig bleibende Gesetzgeber finden werde3. Zu nennen sind u.a. die von Verrel geschilderten Urteile des Landgerichtes Ravensburg4, der Kemptener Fall des Bundesgerichtshofes5 sowie das Dolantin-Urteil des BGH zur Straflosigkeit zur indirekten Sterbehilfe6. Welche offenen Fragen bei dieser Entwicklung der Rechtsprechung und welcher Regelungsbedarf dabei geblieben sind, beschreibt eindrücklich Deutsch in der neuesten Auflage seines Medizinrechts7.
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So der 56. Juristentag 1986 zum Thema „Recht auf den eigenen Tod“ (Sitzungsbericht M Beschlüsse S. M 190 ff., dazu das Gutachten Otto, S. D 99 ff). Weiter der 63. Juristentag 2000 unter dem Thema „Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens“ mit dem Gutachten von Taupitz, S. A 5 ff. Weiter der Juristentag 2006 mit Gutachten von Verrel, siehe folgende Fußnote. Verrel, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, Patientenautonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung, Teil C (2006), S. 9 ff., 13 ff., 34. Hirsch, Festschrift für Lackner (1987), S. 615 f. NSTZ 1987, S. 299 BGHSt 40, 262; vergl. auch schon BGHSt 35, 246 ff. Kritisch dazu Laufs, NJW 1998, S. 3399. BGHSt 42, 301; BGHSt 46, 279 ff. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Auflage 2008, S. 417 ff.
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II. Die Gründe für den weiter bestehenden Regelungsbedarf und die weiter gehenden Diskussionen sind vielfach benannt worden8. Den wesentlichen Grund für die neueren Auseinandersetzungen bilden die Entwicklung der Medizin und ihre sich ausweitenden Möglichkeiten der Lebenserhaltung und Lebensverlängerung. Zu nennen sind etwa die Künstliche Beatmung, die Herz-Lungenmaschine sowie die verschiedenen Verfahren der Intensivmedizin, die Wiederbelebung und Sondenernährung9. Sie haben für die Erhaltung des Lebens viel geschaffen, haben aber auch problematische Auswirkungen auf die Weiterführung schwergeschädigten Lebens ohne Aussicht auf Besserung unter schweren Belastungen durch Schmerzen und Qualen10. Viele fürchten, dass die Möglichkeiten der modernen Intensivmedizin zu einer sinnlosen, allein an den technischen Möglichkeiten ausgerichteten Verlängerung des Lebens gebraucht werden, die als inhuman bezeichnet wird11. Befürchtet wird eine Übertherapie, eine Auslieferung an einen hochtechnischen und unpersönlichen Medizinbetrieb, in dem der Sieg über den Tod ungeachtet der Qualität des erhaltenen Lebens als Ziel definiert wird12.
III. In den vielen Kommissionsberichten, Entwürfen, Gesetzesvorlagen und Stellungnahmen ist in den letzten Jahren die Patientenverfügung in den Mittelpunkt gerückt, die der Selbstbestimmung am Ende des Lebens dienen soll. Kann der Kranke seinen Willen zur Beschränkung oder Einstellung der Behandlung wegen Einwilligungsunfähigkeit nicht mehr äußern, so soll auf eine vorher im Zustande der Einwilligungsfähigkeit niedergelegte Patientenverfügung zurückgegriffen werden. Patientenverfügungen sind das Transportmittel, den Willen zur Verweigerung bzw. Einschränkung der Behandlung in den Zustand der Einwilligungsunfähigkeit zu vermitteln. Dann soll gelten, was vorher bei Einwilligungsfähigkeit für die spätere Entscheidungssituation geäußert worden ist13. Die Sache soll im Bür8
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Dazu näher Schreiber, Das ungelöste Problem der Sterbehilfe - zu den neuen Entwürfen und Vorschlägen, NSTZ 2006, S. 473 ff. Aus der Fülle der Literatur Nachweise bei Tröndle/Fischer vor §§ 211 Rn 28; Münchner Kommentar vor § 211 Rn 88 ff.; Schönke-Eser vor §§ 211 Rn 21; NK-Neumann vor § 211 Rn 51 ff.; Holzhauer, Patientenautonomie, Patientenverfügung und Sterbehilfe FamRZ 2006, S. 318 ff.; Schroth, Sterbehilfe als strafrechtliches Problem, Goltdammers Archiv,2006, S. 49. Woeller/Schmiedebach, Sterbehilfe (2008), S. 7; Alternativentwurf Sterbebegleitung, Goltdammers Archiv 2005, S. 554. Schreiber wie Note 8, S. 473. Alternativentwurf Sterbebegleitung wie Note 9, S. 554. Gesetzentwurf der Abg. Stünker, Kauch, Jochimsen, Montag u.a., Deutscher Bundestag Drucksache 16/8422 vom 06.03.2008, S. 13. Schreiber wie Note 8, S. 476.
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gerlichen Recht geregelt werden und durch eine Vorsorgevollmacht ergänzt werden können. Die Patientenverfügung ist inzwischen zum Kern der Sterbehilfediskussion geworden14. Zunächst hatte der AE-Sterbehilfe 1986 noch auf Vorschriften zur Patientenverfügung gänzlich verzichtet15, die Rechtsprechung hatte ihr lediglich in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in der Literatur Indizwirkung zugesprochen16. Dann hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung des 12. Zivilsenates im Jahre 2003 mit ausführlicher Begründung ihre prinzipielle Rechtsverbindlichkeit anerkannt17. Danach fand in der weiteren Diskussion diese These grundsätzliche Anerkennung, etwa im Referentenentwurf für ein 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz18, im Bericht der Arbeitsgruppe (Kutzer-Gruppe) des Bundesjustizministeriums „Patientenautonomie am Lebensende“ vom 10.06.200419, im Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Bundestages (Ethik und Recht der modernen Medizin) vom 13.09.200420 zum Thema Patientenverfügungen. Auch der Nationale Ethikrat veröffentlichte im Juni 2005 eine Stellungnahme „Patientenverfügung, ein Instrument der Selbstbestimmung“21. Der Juristentag 2006 trat in seinen Beschlüssen für die Patientenverfügung ein22, die juristische Literatur stimmt durchweg prinzipiell der Einführung der Patientenverfügung zu23. Der Alternativentwurf Sterbebegleitung spricht von einer bemerkenswerten Übereinstimmung der Forderung nach einer gesetzlichen Regelung von Form und Bindungswirkung in den vorliegenden Entwürfen24. Die Patientenverfügung wird nun auch in den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur Sterbegleitung als verbindlich anerkannt25. Die Verfügung muss eindeutig und situationsbezogen sein26. In einigen Punkten unterscheiden sich die Ansichten noch. Das gilt vor allem für die Reichweitenbegrenzung der Verfügung. Aus der jüngsten Rechtsprechung des BGH27 wurde die These aufgenommen, dass das Grundleiden einen irreversiblen tödlichen 14
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Gutachten Verrel, wie Note 2, S. C 47 ff.; Duttge Preis der Freiheit 2. Aufl., S. 6 ff.; Uhlenbruck NJW 1978, S. 566; Lipp FamRZ 2004, S. 317; Holzhauer, Patientenautonomie, Patientenverfügung und Sterbehilfe FamRZ 2006, S. 318 ff. AE-Sterbehilfe, Baumann u.a. (1986), S. 6. Im Kemptener Fall, BGHSt 40, 257 (263). BGHZ 154, 205 (216). Vom 01.11.2004, S. 12 f.; www.gem-online.de Abrufbar unter www.bmj.bund.de BT-Drucksache 15/3700, S. 15 ff. Abrufbar unter www.ethikrat.org. Beschlüsse des 66. Deutschen Juristentages 2006 C Abteilung Strafrecht II.6 Gutachten Verrel wie Note 2, C 48; NK-Neumann vor § 211 Rn 109 ff.; Neumann/Saliger HRRS Ausgabe 8-9/2006, S. 280 ff.; zustimmend, wenn auch kritisch, Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Auflage (2008), S. 442, 444. Alternativentwurf Sterbebegleitung Goltdammers Archiv 2005, S. 563. Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung, Deutsches Ärzteblatt 2004, S. A 1298. Verrel Gutachten, wie Note 2, S. C 48; 66. Deutscher Juristentag, Strafrechtliche Abteilung C II 7 a; Deutsch/Spickhoff, wie Note 23, S. 421. BGHZ 154, 205.
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Verlauf haben müsse und trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen würde28. Der Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag von Bosbach/Röspel u.a.29 führt aus, dass das Grundleiden des Betreuten nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar einen tödlichen Verlauf angenommen haben müsse. Dies wird mit der Verpflichtung des Staates zum Lebensschutz und den bedenklichen Folgen einer uneingeschränkten Vorabverfügungsmacht begründet30. Die Enquete-Kommission will aus diesen Gründen auch für Demenz- und Wachkomapatienten behandlungsbegrenzende Verfügungen verhindern31. Diese Reichweitenbegrenzung hat mit Recht ganz überwiegend keine Zustimmung gefunden. Sie ist mit dem Selbstbestimmungsrecht und mit den ärztlichen Erkenntnismöglichkeiten nicht zu vereinbaren32. Praktisch werden Patientenwünsche für Behandlungsbegrenzungen in der Regel an die Unumkehrbarkeit der Erkrankung und die Nähe des Todes anknüpfen. Eine gesetzliche Begrenzung auf solche Situationen für die Patientenverfügung ist jedoch verfehlt. Auch ist eine genaue ärztliche Abgrenzung zur Todesnähe nicht möglich. Das heißt nicht, dass der Arzt bei einem vorschnellen Wunsch auf Behandlungsbegrenzung sich sofort damit abzufinden habe. Vielmehr gehört es zur ärztlichen Behandlungspflicht, den Patienten von möglicher und sinnvoller Weiterbehandlung zu überzeugen und ihm zur Einwilligung dazu zu helfen. Aber die Weigerung des einwilligungsfähigen, eingehend aufgeklärten und beratenen Patienten ist für den Arzt zu respektieren33. Zutreffend führen die Grundsätze der Bundesärztekammer aus, Patientenverfügungen seien auch gültig bei Patienten, die sich zwar noch nicht im Sterben befinden, aber wegen ihrer fortgeschrittenen Krankheit in absehbarer Zeit sterben werden34. Auch die Abteilung Strafrecht des 66. Deutschen Juristentages im Jahre 2006 hat eine Reichweitenbegrenzung der Patientenverfügung abgelehnt 35. Durchgesetzt hat sich die Ansicht, dass die Schriftform erforderlich sein müsse und Mündlichkeit nicht genügt36. Eine vorherige ärztliche oder gar notarielle Auf28
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Enquete-Kommission Zwischenbericht BT-Drucksache 15-3700 vom 13.09.2004, S. 45. Student, Zeitschrift für Lebensrecht 2004, S. 97. Enquete-Kommission, wie Note 28, S. 38 ff. Enquete-Kommission, wie Note 28, S. 13 ff. Alternativentwurf Sterbebegleitung, Goltdammers Archiv 2005, S. 562 mit ausführlicher Begründung und Literaturnachweisen. Alternativentwurf Sterbebegleitung, Goltdammers Archiv 2005, S. 563; so mit Recht auch Neumann/Saliger HRRS August/September 2006 (8-9/2006), S. 283; Schreiber, Das ungelöste Problem der Sterbehilfe, NStZ 2006, S. 476. Grundsätze der Bundesärztekammer, wie Note 25. 66. Deutscher Juristentag, C Abteilung Strafrecht II 9; zweifelnd zum Kriterium der Irreversibilität Deutsch/Spickhoff, wie Note 23, S. 439. Schreiber, Das ungelöste Problem der Sterbehilfe, NStZ 2006, S. 476 mit weiteren Nachweisen; auch der Nationale Ethikrat fordert Schriftlichkeit, Patientenverfügung unter www.ethikrat.org.; zweifelnd Neumann/Saliger HRRS August/September 2006 (8-9/2006), S. 283; die befürchten, durch das Schriftlichkeitserfordernis könnten frühere mündliche Willensäußerungen des Patienten tendenziell entwertet werden, weshalb zur Vermeidung von Nachteilen für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes Patientenverfügungen formlos möglich sein sollten.
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klärung soll für die Verbindlichkeit nicht gefordert werden37. Richtig erscheint der Hinweis des 66. Deutschen Juristentages auf die notwendige gesetzliche Klarstellung, dass eine Patientenverfügung nicht verbindlich ist, wenn der Patient bei der Abfassung späterer medizinischer Entwicklungen, insbesondere neue therapeutische Möglichkeiten nicht berücksichtigen konnte, bei deren Kenntnis er nach sorgfältiger Ermittlung seines mutmaßlichen Willens möglicherweise eine andere Entscheidung getroffen hätte38.
IV. Inzwischen hat sich im Deutschen Bundestag die Ansicht durchgesetzt, dass sich die Gesetzgebung zur Sterbehilfe auf die Patientenverfügung beschränken und von weiteren Regelungen, wie sie der Alternativentwurf und der Juristentag vorschlagen haben, abgesehen werden solle. Zunächst wurden aus der Mitte des Bundestages parteienübergreifend drei Gesetzentwürfe von den Abgeordneten Bosbach, Röspel u.a., den Abgeordneten Zöller, Faust u.a. sowie den Abgeordneten Stünker, Kauch, Jochimsen, Montag u.a. vorgelegt39. Ihr wesentlicher Unterschied lag in der schon erwähnten Reichweitenbegrenzung, die der Entwurf Bosbach/Röspel enthielt und der Notwendigkeit der Einwilligung des Betreuers. Eingeordnet werden sollten die Vorschriften, wie schon im vorausgegangenen Referentenentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechtes, in die Vorschriften des Betreuungsrechtes im Bürgerlichen Recht, insbesondere auch wegen der stets für erforderlich gehaltenen Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Inzwischen gelten diese Entwürfe wohl als erledigt. Vorgelegt wurde ein neuer, von vielen Abgeordneten aus verschiedenen Parteien unterzeichneter, ausführlich begründeter Entwurf der Abgeordneten Stünker/Kauch/Jochimsen, dem auch die Justizministerin Zypries beigetreten ist, der ebenfalls von einer betreuungsrechtlichen Lösung ausgeht40. Der Entwurf sieht vor, dass die Patientenverfügung im Vormundschaftsrecht verankert und Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung verlangt wird. Die Aufgaben eines Betreuers oder Bevollmächtigten beim Umgang mit einer Patientenverfügung und bei Festlegung des Patientenwillens werden geregelt und dabei klargestellt, dass der Wille des Betroffenen unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung zu beachten ist. Festlegungen in einer Patientenverfügung, die auf eine verbotene Tötung auf Verlangen gerichtet sind, sol37
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Gutachten Verrel, wie Note 2, S. C 50 mit weiteren Nachweisen auch zu abweichenden Ansichten wie der Empfehlung zu einer vorherigen Aufklärung. Ablehnend zu notwendiger ärztlicher Aufklärung auch 66. Deutscher Juristentag, Abteilung Strafrecht C II 7. 66. Deutscher Juristentag, Abteilung Strafrecht C II 8. Zusammengestellt in einer Synopse in www.betreuerlexikon.de; Übersicht über die drei Entwürfe bei Woellert/Schmiedebach, Sterbehilfe (2008), S. 65ff.; Debatte über die Entwürfe im Deutschen Bundestag am 29.03.2007, 91. Sitzung, Plenarprotokolle 16/91. Entwurf eines 3. Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechtes, BT-Drucksache 16/8422, S. 110 ff.
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len unwirksam bleiben. Besonders schwerwiegende Entscheidungen eines Betreuers oder Bevollmächtigten über die Einwilligung, Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen bedürfen bei Zweifeln über den Patientenwillen der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes. Ein neuer § 1901 a umschreibt die Patientenverfügung wie folgt41 „§ 1901 a Patientenverfügung (Absatz 1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, im Zeitpunkt der Festlegung in noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt, oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden. (Absatz 2) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer unter Beachtung des mutmaßlichen Willens des Betreuten zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Abs. 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen, sonstige persönliche Wertvorstellungen und das Schmerzempfinden des Betreuten. Um solche Anhaltspunkte zu ermitteln, soll der Betreuer nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung geben, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist. (Absatz 3) Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten. (Absatz 4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für Bevollmächtigte“.
Der bisherige § 1901 a soll § 1901 b werden. Ein neugefasster § 1904 befasst sich mit der Notwendigkeit der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen. Eine Genehmigung ist nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht. Inzwischen ist ein weiterer Entwurf von einer Abgeordnetengruppe um die Abg. Bosbach (CDU), Göring-Eckardt (Grüne), Röspel (SPD) und Fricke (FDP) vorgelegt worden, der ebenfalls von der Selbstbestimmung, der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen und ihrer Verankerung im Bürgerlichen Gesetzbuch ausgeht, aber eine Abstufung der Verbindlichkeit vorsieht. Nur wenn ein unheilbar tödlicher Verlauf der Krankheit vorliegt, soll jede schriftlich verfasste Verfügung ohne Beratung voll gültig sein. Für Patienten, die lebenserhaltende Maßnahmen ablehnen, obwohl sie nicht unheilbar erkrankt sind, soll eine ärztliche und rechtliche Beratung für die Verbindlichkeit vorgeschrieben sein.42
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BT-Drucksache 16/8422, S. 5. Gesetzentwurf der Abg. Bosbach, Röspel, Göring-Eckardt, Dr. Terpe, Winkler, Fricke u.a.; Deutscher Bundestag, Drucksache 16/… (Nr. noch nicht veröffentlicht).
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Im Bundestag scheint die Ansicht im Vordringen zu sein, von einer gesetzlichen Regelung auch der Patientenverfügung abzusehen.
V. Wird die Patientenverfügung in dieser oder ähnlicher Form Gesetz, so ist eine Regelung für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit gefunden. Liegt eine für bestimmte Fallkonstellation geltende, hinreichend eindeutige und situationsbezogene43 Anordnung vor, so gilt diese. Fehlt eine Patientenverfügung oder treffen die Festlegungen nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, so gilt – das ist eine sinnvolle ergänzende Regelung – für den Betreuer der mutmaßliche Wille des Betreuten. Was aber im Fall der Einwilligungsunfähigkeit inhaltlich angeordnet werden darf, was gelten darf, sagt der Gesetzentwurf nicht näher. In der einleitenden Umschreibung der Lösung wird zwar ausgeführt, dass Festlegungen, die auf eine verbotene Tötung auf Verlangen gerichtet sind, unwirksam bleiben. Die aufrechterhaltene Regelung des § 216 StGB soll also eine aktive Sterbehilfe weiter verbieten44. Was aber gelten soll für den Fall erhaltener Entscheidungsfähigkeit, wie weit dann die zulässigen Anordnungen und auch die zulässigen ärztlichen Empfehlungen gehen dürfen, wird nicht festgelegt. Die zulässigen Grenzen eines erlaubten Sterbenlassens, die früher sog. passive Sterbehilfe und auch die Grenzen der sog. indirekten Sterbehilfe werden nicht näher genannt, ja nicht einmal ansatzweise umschrieben. Patientenverfügungen sind sicher ein förderliches Mittel für die Sterbehilfe. Sie dürfen aber nicht isoliert als das entscheidende Instrument zur Lösung der individuellen und gesellschaftlichen Probleme im Umgang mit dem Sterben angesehen werden45. Mit der Fixierung auf die Patientenverfügung drohen Verschriftlichung und Verrechtlichung. Die für den Sonderfall der Einwilligungsunfähigkeit geltenden Anordnungen können zu Prinzipien erhoben werden, die auch für den Umgang mit willensfähigen Patienten, die doch den Regelfall bilden, gelten sollen. Es besteht die Gefahr, dass ein generalisiertes, abstraktes Bild eines vernünftigen autonomen Patienten entwickelt wird, das generell im Vorhinein festgelegt ist, ohne hinreichende Rücksicht auf die konkrete, individuelle Situation. Es sollte eher darum gehen, eine auf der Autonomie des Patienten aufbauende individuelle Ethik der Fürsorge für den Kranken zu entwickeln. Nicht primär und allein der abstrakt auf die Autonomie abzielende Wille, sondern Aspekte, die dem individuellen, konkreten Wohlergehen dienen, sollten im Mittelpunkt der Sterbebegleitung 43 44 45
Beschlüsse des 66. Deutschen Juristentages, Bericht C II 7 a. BT-Drucksache 16/8422, S. 3 Schreiber, Das ungelöste Problem der Sterbehilfe, NStZ 2006, S. 476; auch Schreiber, Medizinische Klinik 2005, S. 429 ff.; Duttge, Disziplinübergreifende Regulierung von Patientenverfügungen: Ausweg aus der strafrechtlichen Zwickmühle? in Albers, Patientenverfügung, 2008, S. 185 ff.
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stehen46. Die Entwicklung muss dahingehen, in Beachtung der Autonomie des Kranken zu finden, was seinem individuellen Wohl dienen soll. Es besteht die Gefahr, dass generalisierte Regeln für den Umgang mit terminal Kranken in Ausspielung von Selbstbestimmung und Fürsorge gegeneinander entwickelt werden. Diskutiert wurde kürzlich schon, ob etwa die Aufnahme in Pflegeheime vom Vorhandensein einer dem Heim ausreichend Spielraum gebenden Patientenverfügung abhängig gemacht werden solle, die etwa eine möglichst einfache, auch Kosten sparende Beendigung der Behandlung ermöglichen könnte. Die Patientenverfügung kann – so mit Recht Wefing47 – ein „politischer Krückstock“ werden, auf den sich die Parlamentarier stützen, weil sie an den großen Fragen nicht rühren wollen, z.B. an den Fragen der sachlichen Grenzen für die lebensverlängernde Behandlung und an denen der Straflosigkeit der Leidenslinderung mit der Folge einer Lebensverkürzung. Mit Recht spricht Wefing von der Mutlosigkeit, die sich in einer Art Ausweichbewegung ganz auf die Kodifizierung der Patientenverfügung konzentriere48. Die Patientenverfügung setzt sachlich eine deutlich umschriebene gesetzliche Regelung der früher sog. passiven Sterbehilfe voraus. Die Vorschläge des Alternativentwurfes Sterbebegleitung49, denen insoweit auch das Juristentagsgutachen von Verrel und der Juristentag folgen50, zeigen einen möglichen Weg. Sie beschränken sich nicht auf die Patientenverfügung. Dabei bleiben sie beim Verbot der aktiven, direkten Sterbehilfe (§ 216 StGB)51. Manches scheint für diese aktive direkte Sterbehilfe zu sprechen, insbesondere in der Situation des an Vernichtungsschmerzen leidenden Krebspatienten, dem anders nicht geholfen werden kann. Hier werden nicht ohne Grund die Prinzipien des rechtfertigenden Notstandes ins Spiel gebracht52. Gewichtig sind freilich die Befürchtungen einer Aufweichung des Lebensschutzes und die möglichen sozialen Folgen einer Zulassung der aktiven Sterbehilfe53. 46
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Woellert/Schmiedebach, Sterbehilfe (2008), S. 61 f.; Mieth, Grenzenlose Selbstbestimmung – Der Wille und die Würde Sterbender (2008), S. 110 ff. FAZ, 05.02.2007. Schreiber, Gesetzgeberische Initiativen zur Sterbehilfe in: Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (2008), S. 2008 ff. (212). Goltdammers Archiv 2005, S. 573. Verrel, Gutachten Juristentag 2006, S. C 50; 66. Juristentag 2006, Beschlüsse Abteilung C II 9. Neuerdings dafür freilich Merkel, Festschrift für F. C. Schroeder (2006), S. 297 ff. (308), mit differenzierter Abwägung auch der Gegenargumente; abwägend auch Neumann/Saliger HRRS, August/September 2006 (8-9/2006), S. 280 ff.; differenziert Wolfslast, Rechtliche Neuordnung der Tötung auf Verlangen, Festschrift für Schreiber (2003), S. 916. Schreiber, Das ungelöste Problem der Sterbehilfe, NStZ 2006, S. 475; gewichtig die Argumente für den Notstand bei Neumann/Saliger (wie vorhergehende Note), S. 286 f.; ebenso bei Lüderssen, JZ 2006, S. 689, 694. Verrel, Gutachten Juristentag 2006, S. C 69; Alternativentwurf Sterbebegleitung Goltdammers Archiv 2005, S. 582; Schreiber wie Note 51, S. 475; Bioethik-Kommission Rheinland Pfalz, Bericht 2004, verfügbar unter www.justiz.rlp.de
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VI. Jedenfalls sollte es nicht bei der vom Gesetzgeber vorgesehenen Regelung der Patientenverfügung bleiben, sondern es sollte die früher sog. passive Sterbehilfe unter der richtigeren Bezeichnung „Behandlungsbegrenzung“ und die bisher als indirekte Sterbehilfe bezeichnete Form der Sterbehilfe als „leidensmindernde Behandlung“ gesetzlich zugelassen werden. Juristentag und Alternativentwurf Sterbebegleitung treten dafür ein54. Im Alternativentwurf Sterbebegleitung heißt es sachlich praktisch übereinstimmend mit den Juristentagsbeschlüssen: § 214 Beenden, Begrenzen oder Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen. I. Wer lebenserhaltende Maßnahmen beendet, begrenzt oder unterlässt, handelt nicht rechtwidrig, wenn 1) der Betroffene dies ausdrücklich und ernstlich verlangt oder 2) der Betroffene dies in einer wirksamen schriftlichen Patientenverfügung angeordnet hat oder 3) der Betroffene nach ärztlicher Erkenntnis zu einer Erklärung über Aufnahme oder Fortführung der Behandlung außerstande ist und aufgrund verlässlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass er im Hinblick auf Art, Dauer und Verlauf seiner Erkrankung diese Behandlung ablehnen würde oder 4) bei nahe bevorstehendem Tod im Hinblick auf Leidenszustand des Betroffenen und die Aussichtslosigkeit einer Heilbehandlung, die Aufnahme oder Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen nach ärztlicher Erkenntnis nicht mehr angezeigt.
Streiten könnte man insbesondere über die in Ziffer 4) vorgesehene Möglichkeit auch eines einseitigen Behandlungsabbruches. Insbesondere Duttge hat unter Hinweis auf die Futility-Debatte ernstzunehmende Bedenken dagegen vorgebracht und auf die fehlende Präzision und Konkretheit der verwendeten Kriterien hingewiesen55. Die gewählten Formulierungen stellen aber mit den extreme Grenzen bezeichnenden Kriterien der unmittelbaren Todesnähe und der Ausweglosigkeit einer Heilbehandlung hinreichend sicher, dass hier nicht leichtfertig die Tür für eine Euthanasie geöffnet wird56. Es wird vielmehr eine äußerste Grenze für die Pflicht zu lebenserhaltenden Maßnahmen bezeichnet, die ärztliche Verantwortung erfordert, für die es gegenwärtig offenbar keine präzisere Umschreibung zu geben scheint, die aber auch im Interesse des Lebensschutzes nicht mehr eine Weiterführung lebenserhaltender Maßnahmen erforderlich macht. 54
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Juristentag 2006, Beschlüsse Abteilung C II 1; Alternativentwurf Sterbebegleitung, Goltdammers Archiv 2005, S. 584. Duttge, einseitige („objektive“) Begrenzung ärztlicher Lebenserhaltung ein zentrales Kapitel zum Verhältnis von Recht und Medizin, NStZ 2006, S. 479 ff. Zur Kritik Duttges aaO, S. 483, vergl. insbesondere Verrel, Gutachten zum 66. Deutschen Juristentag, Gutachten C S. 99, dort auch (S. C 100), Auseinandersetzung mit weiteren Einwendungen.
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Zutreffend sehen der Juristentag 2006 und Alternativentwurf Sterbebegleitung neben der Behandlungsbegrenzung auch ein Bedürfnis für die ausdrückliche Zulassung und damit zugleich Begrenzung der sog. indirekten Sterbehilfe. Im Alternativentwurf Sterbebegleitung heißt es57: § 214 a Leidensmindernde Maßnahmen Wer als Arzt oder mit ärztlicher Ermächtigung bei einem tödlich Kranken mit dessen ausdrücklicher Einwilligung oder aufgrund des in einer wirksamen schriftlichen Patientenverfügung geäußerten Willens oder gemäß mutmaßlicher Einwilligung nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft Maßnahmen zur Linderung schwerer, anders nicht zu behebender Leidenszustände trifft, handelt nicht rechtswidrig, wenn dadurch als nicht vermeidbare und nicht beabsichtigte Nebenwirkung der Eintritt des Todes beschleunigt wird.
Ähnlich lauten die Vorschläge des Juristentages58. Zuzugeben ist, dass hier ein Grenzbereich zur aktiven Sterbehilfe betreten wird59. Ein schmaler Grad besteht nur zu dieser aktiven Sterbehilfe, die sog. terminale Sedierung wird erlaubt60. Wenn nur die Patientenverfügung gesetzlich geregelt wird, kann unter Berufung auf die Rechtsprechung und die Literatur sowohl die sog. passive Sterbehilfe, das Unterlassen, Begrenzen und Beenden lebenserhaltender Maßnahmen, als auch die Verwendung leidensmindernder Maßnahmen mit der nichtvermeidbaren Nebenwirkung des Todes erfolgen61. Mit Hilfe zulässiger Patientenverfügungen können die genannten Formen der Sterbehilfe in die Situation der Entscheidungsunfähigkeit vermittelt werden62. Nicht möglich ist das bei der aktiven, direkten Sterbehilfe, es sei denn man greift auf den rechtfertigenden Notstand zurück, wie das jetzt von einigen Stimmen in der Literatur vorgeschlagen wird63.
VII. Auch mit Hilfe der Patientenverfügung stellt der assistierte Suizid m.E. keine Lösung des Sterbehilfeproblems dar. Im Zusammenhang mit der ihre Tätigkeit nach Deutschland ausdehnenden Schweizer Sterbehilfeorganisation DIGNITAS
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Alternativentwurf Sterbebegleitung, Goltdammers Archiv 2005, S. 585. Beschlüsse des 66. Juristentages, Abteilung C III 1. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Auflage (2008), Rn 678. Schreiber, Das ungelöste Problem der Sterbehilfe, NStZ 2006, S. 475, 477; zur terminalen Sedierung insbesondere Müller-Busch, Sterbende sedieren?, Deutsche Medizinische Wochenschrift 2004, S. 701 ff.; weitere Nachweise bei Schreiber aaO, Note 68, S. 477. Tröndle/Fischer vor §§ 211 ff. Rn 19 ff.; Münchner-Kommentar (Schneider), vor §§ 211 ff. Rn 104 ff., beide mit vielen weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur. Schreiber, Das ungelöste Problem der Sterbehilfe, NStZ 2006, S. 476. Neumann/Saliger HRRS, August/September 2006 (8-9/2006), S. 286 mit weiteren Nachweisen, vgl. die Nachweise in Note 50.
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ist darüber eine lebhafte Diskussion entstanden64. Ebenso wie die Selbsttötung ist auch die vorsätzliche Teilnahme daran straflos, schon deshalb, weil es an einer Haupttat fehlt. Die Förderung eines freiverantwortlichen Suizides kann aber in eine Täterschaft der Fremdtötung übergehen, die unterlassene Rettung eines handlungsunfähig gewordenen Suizidenten kann auch als unterlassene Hilfeleistung im Sinne von § 323 c StGB angesehen werden65. Die Rechtsprechung des BGH hat die Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid durch die Konstruktion eines Tatherrschaftswechsels mit der Annahme einer ärztlichen Garantenstellung eingeschränkt66. Der Alternativentwurf Sterbebeistand schlägt in seinem § 215 vor, die Nichthinderung einer Selbsttötung straflos zu lassen, wenn die Selbsttötung auf einer freiverantwortlichen und ernstlichen, ausdrücklich erklärten oder aus den Umständen erkennbaren Entscheidung beruht67. Entgegen den Grundsätzen der Bundesärztekammer, die der Ansicht sind, dass die Mitwirkung eines Arztes bei der Selbsttötung dem ärztlichen Ethos widerspreche und standesrechtlich verboten sei, schlägt der Alternativentwurf in § 4 seines Entwurfes für ein Sterbebegleitungsgesetz vor, die Beihilfe zur Selbsttötung auch für den Arzt zu erlauben, wenn er nach Ausschöpfung aller therapeutischen Möglichkeiten auf ausdrückliches und ernstliches Verlangen eines tödlich Kranken zur Abwendung eines unerträglichen und unheilbaren Leidens handelt. In seinem § 215 a sieht der Alternativentwurf dann in Anlehnung an das Schweizer Recht die Unterstützung einer Selbsttötung aus Gewinnsucht als strafbar an68. Diese Lösung erscheint nicht unvernünftig und vertretbar, wenn sie so für extreme Fälle formuliert eine ärztliche Suizidunterstützung zulassen will69. Eine Zustimmung der Bundesärztekammer zu einer solchen auch standesrechtlich Zulassung der Suizidbeihilfe wird freilich kaum erreichbar sein. Zur Hinderung von Sterbehilfeorganisationen wie DIGNITAS hat zunächst ein Gesetzesantrag der Länder Saarland, Thüringen und Hessen im Bundesrat vorgeschlagen, die geschäftsmäßige Vermittlung oder Verschaffung von Gelegenheiten zur Selbsttötung unter Strafe zu stellen70. Dieser Entwurf hat mit dem Abstellen auf die geschäftsmäßige Tätigkeit mit Recht Bedenken ausgelöst71. Inzwischen haben die genannten Länder einen neuen Entwurf gegen die Kommerzialisierung der Sterbehilfe vorgelegt, der die gewerbliche und organisier64
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Schreiber, Strafbarkeit des assistierten Suizides?, Festschrift für Günther Jakobs (2007), S. 615; Schreiber, Gesetzgeberische Initiativen zur Sterbehilfe, wie Note 47, S. 208 ff. (217). Duttge, Preis der Freiheit, 2. Auflage (2005), S. 91 mit genauer Analyse der Rechtsprechung. Schönke-Schröder-Eser, Vorb. §§ 211 ff., Rn 35 ff., mit m.E. zutreffender Kritik dieser Rechtsprechung; vergl. Verrel, Gutachten C zum Juristentag 2006, S. 114 ff. Alternativentwurf Sterbegleitung, Goltdammers Archiv 2005, S. 585. Alternativentwurf wie Note 66, S. 586. Zustimmend auch Neumann/Saliger HRRS, August/September 2006 (8-9/2006), S. 287. Grundsätzlich dafür auch Duttge, Der Alternativentwurf Sterbebegleitung (AEStB) 2005, Goltdammers Archiv 2000, S.573 ff. (584). Bundesrat-Drucksache 230/06, vom 27.03.2006. Schreiber, Das ungelöste Problem der Sterbehilfe, NStZ 2006, S. 478.
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te Suizidbeihilfe verbieten soll72. Eine Lösung des Sterbehilfeproblems über den assistierten Suizid erscheint derzeit generell nicht möglich. Die Patientenverfügung stellt ein begrenztes Hilfsmittel, aber keine sachliche Lösung der Sterbehilfefrage dar. Der Gesetzgebung fehlt außerdem in seinen Konsequenzen undeutlich bleibenden Bekenntnis zu mehr Selbstbestimmung der Mut zu einer Lösung des Problems.
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Bundesrats-Drucksache 436/08 vom 24.06.08. Problematisch erscheint auch die von mir (wie Note 70, S. 478) vorgeschlagene verwaltungsrechtliche Aufsicht und Kontrolle über Sterbehilfeorganisationen.
Zur Legitimation des § 216 StGB
Friedrich-Christian Schroeder In seinem großen Lehrbuch des Medizinrechts behandelt Erwin Deutsch, unter dessen milder und stets mit einer amerikanischen Illustrierten aufgelockerter Aufsicht ich Ende der fünfziger Jahre in München Klausuren schrieb, auch die Sterbehilfe. Dabei spielt der § 216 StGB eine entscheidende Rolle. Diese Vorschrift stand schon immer unter einem doppelten Legitimationsdruck: gegenüber einem uneingeschränkten Lebensschutz musste die erhebliche Strafmilderung im Vergleich zum Totschlag, gegenüber einer Anerkennung der freien Verfügbarkeit über das Leben die Existenz der Vorschrift überhaupt begründet werden. § 216 StGB wird von Deutsch (seit der 5. Aufl. zusammen mit Andreas Spickhoff) kurz und multifunktional damit begründet, dass eine Lockerung des Tötungsverbots zu einer Relativierung des Lebensschutzes führe, die Achtung vor dem Leben untergrabe, reinen Nützlichkeitserwägungen Raum gebe, den Gefahren des Missbrauchs nicht zu begegnen vermöge und das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Ärzteschaft erschüttern würde1. Nun ist allerdings das Tötungsverbot in § 216 StGB zwar nicht gelockert, dabei immerhin doch erheblich abgemildert, und die Straflosigkeit der Selbsttötung und der Teilnahme daran stellen den § 216 StGB unter einen immer stärkeren Legitimationsdruck. Von den zahlreichen Legitimationsversuchen sollen hier nur die wichtigsten erörtert und in das Erfordernis des Rechtsgüterschutzes integriert werden2.
I. Vermutung der Einwilligungsunfähigkeit Kaum noch vertreten wird die Begründung mit der Vermutung der Einwilligungsunfähigkeit des Sterbewilligen. Sie wird schon durch das Erfordernis der „Ernstlichkeit“ des Verlangens in § 216 StGB, im Übrigen durch die gegenüber der Tötung ohne Einwilligung erheblich abgemilderte Strafdrohung widerlegt.
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6. Aufl., 2008, Rdn. 675. Eingehend Schroeder ZStW Bd. 106 (1994), S. 565 ff.
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II. Fehlende Gesichertheit der Autonomie des Sterbewilligen Nach Roxin kann nur bei einer Selbsttötung als „existenziellem und unwiderruflichem Akt“ die Autonomie des Suizidenten mit hinreichender Sicherheit bejaht werden. Der Suizident müsse „eine existenzielle Entscheidung getroffen und durchgestanden haben“, sein Wunsch müsse „eine letzte Entschlossenheit erreicht“ haben; er müsse „Mut gehabt“ haben3. Hiermit hat Roxin allerdings eher eine Begründung für die Straflosigkeit der Selbsttötung als für die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen geliefert. Für letztere bleibt als Begründung nur übrig die fehlende „Sicherheit“ hinsichtlich der Autonomie des Sterbewilligen. Nun gehen Tatsachenzweifel nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ zu Gunsten des Verdächtigen. Es wäre unerträglich, etwa für die Körperverletzung mit Einwilligung wegen regelmäßiger Unsicherheit bei deren Feststellung eine Strafvorschrift mit milderer Strafdrohung vorzusehen. Im Übrigen zeigen Roxins Formulierungen: „Mut“, „letzte Entschlossenheit“, „Entscheidung durchstehen“, „den letzten Schritt zu tun in der Lage sein“ ein eigenartig elitäres Menschenbild nach Art der Nietzscheschen Apotheose des Willens. Außerdem missachtet diese Auffassung inkonsequent den Fall der physischen Unfähigkeit4.
III. Kollektiver „Schutzzweck“ In seiner Habilitationsschrift „Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots“ (2004) hat sich auch Ralph Ingelfinger mit der Rechtsnatur des § 216 StGB befasst. Nach ihm liegt eine Verletzung des Rechtsguts Leben vor, da die Rechtsordnung den Tod immer als etwas Negatives, einen Schaden, d. h. als ein Übel für den Getöteten, beurteile5. Jedoch habe der Opferwille Einfluss auf „den Schutzzweck des Tötungsverbots“. Dieses habe keinen „individuellen Schutzzweck“, sondern den „kollektiven Zweck, die Achtung vor dem Rechtsgut Leben in der Gemeinschaft zu sichern“. Es drohe eine Rechtsgutsverletzung und mit ihr ein Achtungsschaden für den Rechtswert Leben. § 216 StGB schütze das Leben des Todeswilligen nicht um seiner selbst willen, sondern zum Schutz der anderen Menschenleben. Er habe einen “mittelbaren generalpräventiven Zweck“. Die Vorschrift diene dazu, die positive Bewertung des Lebens in der Gemeinschaft zu sichern, um letztlich all jene Menschen zu schützen, die in hohem Maße an Lebensqualität eingebüßt haben und deshalb potenziell gefährdet sind, aus dem Schutzbereich der Tötungstatbestände hinausdefiniert zu werden. Hier wird zu vieles miteinander vermengt. Die Unterscheidung zwischen dem Rechtsgut und dem Schutzzweck eines Tatbestandes erscheint unzulässig. Der „Schutzzweck“ 3
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NStZ 1987, 345, 348; 140 Jahre Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, 1993, S. 184, 186. H.Schneider MünchKommStGB, Bd. 3, 2003, § 216 Rdn. 6. S. 216 ff.
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von Normen wurde entwickelt, um im Bereich der Fahrlässigkeitshaftung die indizielle Bedeutung der Verletzung von Sorgfaltsvorschriften einzuschränken6. Bei den Strafrechtsnormen deckt sich der „Schutzzweck“ mit dem Rechtsgut der Vorschrift7. Auch die Unterscheidung zwischen einem „individuellen“ und einem „kollektiven Schutzzweck“ ist unzulässig8. Die „Mittelbarkeit“ ist das Wesen der Generalprävention. Schützt § 216 StGB alle Menschen oder nur („letztlich“) diejenigen, die in hohem Maße an Lebensqualität eingebüßt haben? Schließlich wurde das Rechtsgut selbst schon als Achtungsanspruch definiert9.
IV. § 216 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt Origineller ist die Konstruktion von Jakobs. Nach ihm ist § 216 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das – wie es in komisch bürokratischer Ausdrucksweise heißt – die „Vollzugsreife“ des Todeswunsches sichern soll10. Es handle sich nicht um Tötungsunrecht, sondern um einen Verstoß gegen eine Formvorschrift. Es erscheint zweifellos gewagt, eine Vorschrift, die die Tötung eines Menschen mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht, als abstraktes Gefährdungsdelikt einzuordnen. Für Jakobs ist dies auch nur eine Notlösung. Er gibt zu, dass dieses Verständnis nicht dasjenige des historischen Gesetzgebers sei, wie schon an der hohen Mindeststrafe zu erkennen sei. Aber nur mit der Deutung als abstraktes Gefährdungsdelikt lasse sich das Verbot der Tötung auf Verlangen heute begründen. Wer diesem Verständnis nicht folgen wolle, müsse das Verbot streichen11. Problematisch ist allerdings, wie oberhalb der „Ernstlichkeit“, die doch einen „ausgereiften“ Entschluss verlangt, ein weiteres Qualitätskriterium für das Verlangen etabliert werden soll12. Im Übrigen bietet der Ausdruck „Vollzugsreife“ eine erhebliche Unklarheit. Zunächst scheint es so, dass er gar nicht ein bestimmtes Stadium des Entscheidungsprozesses bezeichnen soll, sondern die eigene Zweckverfolgung durch den Lebensmüden. Und auch diese wird noch weiter abgeschwächt, wenn die Übernahme einer fremden Zwecksetzung als eigene unschädlich und nur der Verzicht auf „eigene Zwecksetzung überhaupt“ schädlich 6 7 8
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Schroeder, StGB – Leipziger Kommentar, 11. Aufl., 1994, § 16 Rdn. 157. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts. Allg. Tl., 5. Aufl. 1996, S. 238. Amelung, Der Begriff des Rechtsguts in der Lehre vom strafrechtlichen Rechtsgüterschutz, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, 2003, S. 155ff., 167 f. Schmidhäuser, Strafrecht. Allg. Tl., 2. Aufl., 1975, 2/30; Jescheck/Weigend (Anm. 7), S. 257. Tötung auf Verlangen, Euthanasie und Strafrechtssystem, 1998, S. 19ff. - Vermutlich inspiriert durch mein Verbot der „Abschiebung des Vollzugs“ (Anm. 2, S. 574). Dafür sprechen auch Jakobs' Verbot der „Zuschiebung“ der Entscheidungsgründe und die übereinstimmenden Hinweise auf die „Höchstpersönlichkeit“ der Entscheidung und das Verbot der Stellvertretung. A.a.O., S. 23 u. Maatsch, Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß, 2001, S. 53.
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Friedrich-Christian Schroeder
sein soll13. Der eigentliche Strafgrund soll sein, dass einem anderen überlassen wird, den Zweckzusammenhang herzustellen, die Unterwerfung unter einen noch zu bildenden Willen eines anderen. Ganz am Ende soll es dann aber nur schädlich sein, wenn die Zwecksetzung nicht vollständig vom Lebensmüden durchdacht wurde14. Hier nähert sich die Bestimmung wieder dem Sinngehalt des Ausdrucks „Vollzugsreife“ an. „Rechtsgut“ des abstrakten Gefährdungsdelikts ist also die vollständige Durchdenkung der Zwecksetzung der Tötung. Hier erhebt sich dann allerdings wieder der Einwand, dass die vollständige Durchdenkung auch bei der straflosen - Selbsttötung fehlen kann. Die Lösung von Jakobs changiert somit zwischen der Eigenständigkeit und der Vollständigkeit der Zweckverfehlung. Es erscheint im übrigen völlig unvorstellbar, wie diese überfeinen psychischen Sachverhalte jemals festgestellt werden können sollen. Außerdem erscheint fraglich, inwiefern die Zwischenschaltung der „Vollzugsreife“ dem § 216 StGB den Charakter einer Straftat gegen das Leben nehmen soll. Auch die Ausnutzung des Mangels an Urteilsvermögen nimmt der Erlangung von Vermögensvorteilen nicht den Charakter eines Vermögensdelikts (§ 291 StGB)15. Im Übrigen fragt es sich, warum die Tötung eines anderen ohne „Vollzugsreife“ seines Todeswunsches den Lebensschutz nur „aushöhlen“ soll, und auch dies nur „auf Dauer“16. Schließlich sieht Jakobs hier das abstrakte Gefährdungsdelikt in einem eigenartigen Gegensatz zur „konkreten Tat“17. Im Ergebnis will Jakobs die Anwendung des § 216 StGB auch ausschließen, wenn das Todesverlangen „als objektiv vernünftig feststeht“18. Roxin hält dem entgegen, dass sich dieses Kriterium nicht rechtlich standardisieren lasse19. Darüber hinaus verstößt eine derartige Einschränkung des Tatbestandes gegen den Gesetzeswortlaut20. Nachdem Jakobs die Pandorabüchse des abstrakten Gefährdungsdelikts geöffnet hat, hat diese Konstruktion inzwischen in zwei Dissertationen Nachfolger und Ausweitungen gefunden. Nach Tenthoff ist nicht das Leben des Getöteten Rechtsgut des § 216 StGB, sondern es ist das Leben Dritter. Rechtsgrund des § 216 StGB sei die Gefahr, dass jemand getötet wird, der unerkannt nicht freiverantwortlich seine Tötung verlangt. Die Gefahren ergäben sich aus der Schwierigkeit der Feststellung einer Freiverantwortlichkeit, der Gefahr des Missbrauchs der Norm durch Drohungen oder Zwang oder durch den prozessualen Missbrauch der schwierigen Beweissituation und schließlich auch allgemein durch die „Enttabuisierung“ des Schutzes menschlichen Lebens21. Hier 13 14
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A.a.O., S. 22 u. A.a.O., S. 23. - Die Bestimmung des „Rechtsguts“ des § 216 StGB durch Jakobs hat denn auch viele Missverständnisse hervorgerufen (Maatsch [Anm. 12]; Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, ungedr. Diss. Leipzig 2007, S. 96 f. [erscheint demnächst in den Strafrechtl. Abh. n. F.], S. 81 ff.). Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht. Bes. Tl., Tlbd. 1, 9. Aufl., 2003, § 43 Rdn. 8. A.a.O., S. 19. A.a.O. S. a. „das Leben des konkret seinen Tod Verlangenden“. A.a.O., S. 29. Tatbestandslose Tötung auf Verlangen?, Festschr. für Jakobs, 2007, S. 571 ff., 575. Roxin a.a.O.; H.Schneider (Anm. 4), Rdn. 7. Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen im Lichte des Autonomieprinzips, 2008, S. 125, 144, 180 f., 233.
Zur Legitimation des § 216 StGB
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kehren fast alle Begründungen für den § 216 StGB22 wieder, nunmehr als abstrakte Gefahren für das Leben. Hat die Figur des abstrakten Gefährdungsdelikts seit längerem ohnehin eine bedenkliche Attraktivität entfaltet23, so erscheint eine derartige Ausweitung nicht mehr zulässig. Insbesondere erscheint es unzulässig, Feststellungsschwierigkeiten hinsichtlich eines Tatbestandsmerkmals in einem abstrakten Gefährdungsdelikt aufzufangen. Es wäre sicher unzulässig, wegen der Gefahr der Herbeiführung durch Drohungen einen Straftatbestand zu schaffen: „Wer sich von einem anderen übermäßige Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, wird mit Geldstrafe bestraft“. Abwegig erscheint, dass die Gefahr seines Missbrauchs durch Drohungen oder Zwang die Existenz des § 216 StGB rechtfertigen soll. F. Müller wirft Jakobs eine sachwidrige Verengung auf die Sicherung der Vollzugsreife des Todesverlangens vor. Nach ihm soll § 216 StGB die Gefahr für das Leben abwehren, die durch die Möglichkeit eines Irrtums des Tötenden über die Ernstlichkeit des Verlangens gegeben ist24. Diesem Einwand hatte schon Jakobs vorbeugend entgegengehalten, dass die Möglichkeit von Kommunikationsfehler „nicht nennenswert groß“ sei, da keine blitzschnelle Reaktion erforderlich sei25. Im Übrigen erscheint problematisch, die Gefahr eines Irrtums über einen bloßen strafmildernden Umstand zur Grundlage für ein abstraktes Gefährdungsdelikt zu machen.
V. Schutz des „Lebens als solchen“ Teilweise wird als Aufgabe des § 216 StGB der Schutz „des Lebens als solchen“ angesehen26. Auch bei in Ingelfinger schimmert diese These durch (s. o. III). Sie steht auch hinter den – vorsichtigeren – Formulierungen, dass jede weitere Freigabe der Tötung „die Achtung vor dem Leben der Mitmenschen mindert“27, „zu einer Relativierung des Lebensschutzes führt“28. Diese patente These erweist sich allerdings bei näherem Zusehen als überaus problematisch. Sie muss sich fragen lassen, warum „das Leben als solches“ vom Gesetz einen soviel geringeren Schutz genießt als das Leben der Menschen in den §§ 212f. StGB, zumal es von Lindner zur „essentiellen“, zur „vitalen Voraussetzung der Menschenwürde und somit einem Höchstwert“ er(und ver)klärt wird. Es fragt sich auch, wodurch sich dieser Schutz des „Lebens als solchen“ von der normalen Generalprävention unterscheidet, die ja auch das Leben schützt. Nach Lindner abstrahiert § 216 StGB vom 22 23
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S. Schroeder (Anm. 2). Schroeder, Nuevas tendencias en los delitos de peligro abstracto, Revista de Derecho Penal, Buenos Aires, 2007 – 2, S. 119 ff. § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, ungedr. Diss. Leipzig 2007, S. 96 f. (erscheint demnächst in den Strafrechtl. Abh. n. F.). A.a.O., S. 21. Lindner, JZ 2006, 373, 378. Hirsch, Festschr. f. Welzel, 1974, S. 775, 790. So der Jubilar (s. o.).
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„konkreten Schutz des scheinbar Sterbewilligen“ und stellt auf den „potenziellen“ Sterbewilligen ab, der vor Leichtfertigkeit bewahrt werden soll, schließlich überhaupt nicht auf das Leben des konkret oder abstrakt Sterbewilligen29, sondern auf „das Leben als solches“. Wenn aber die konkret oder abstrakt Sterbewilligen mit ihrem Verzicht auf das Leben aus dem Tatbestand ausgeschieden werden, müsste die Strafdrohung doch erst recht mit derjenigen für die normale Tötung identisch sein. Wenn schließlich Lindner meint: „Der Staat schützt das Leben vor unfreiwilligem Verzicht, in dem er nicht nur diesen, sondern auch den freiwilligen Verzicht für rechtswidrig und strafbar erklärt“ und Ingelfinger sagt: „Das Verbot der Tötung auf Verlangen schützt das Leben des Todeswilligen nicht um seiner selbst willen, sondern zum Schutz der anderen Menschenleben“ (s. o. III), so wird der Verstoß gegen den kategorischen Imperativ offensichtlich.
VI. § 216 StGB als bloßer Handlungsunwert Wie dargelegt, hat es sich als Problem erwiesen, die Vorschrift des § 216 StGB mit der fehlenden Strafrechtswidrigkeit der Selbsttötung zu vereinbaren. Die Versuche, die Vorschrift zum Schutze des Lebens anderer zu nutzen, verstoßen noch mehr als die Generalprävention im Allgemeinen gegen den kategorischen Imperativ, einen Menschen nicht zum Demonstrationsobjekt zu machen. Die Konstruktionen des § 216 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt erweisen sich als problematische Versuche, diese Grundkalamität zu überspielen. U. E. sieht der Gesetzgeber die Tötung eines anderen unabhängig von dessen Einwilligung als für das Rechtsgefühl so unerträgliches Verhalten an, dass er es trotz des fehlenden Erfolgsunwerts für strafwürdig erachtet. Trotz des fehlenden Erfolgsunwerts verbleibt der Handlungsunwert30. Zwar wird der Begriff des Handlungsunwerts üblicherweise in dem Sinne verwendet, dass er alle Elemente des sozialwidrigen Verhaltens außer dem Erfolg und damit insbesondere auch den Rechtsgutsverletzungenvorsatz umfasst31. Es erscheint jedoch vertretbar, den Begriff auch in dem hier erläuterten Sinn zu verwenden32. Nur dies vermag die erheblich mildere Strafdrohung des § 216 StGB gegenüber § 212 StGB zu erklären. Dies dürfte auch eine juristische Begründung für den immer wieder angeführten, aber auch immer wieder angegriffenen Zweck des „Tabuschutzes“33 sein. 29 30
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Ein „abstrakter Sterbewille“ ist schwer zu begreifen. Mein Hinweis, die Entscheidung über den eigenen Tod sei so existenziell, dass sie nicht auf einen anderen abgeschoben werden dürfe (Anm. 2, S. 574), zust. Vöhringer, Tötung auf Verlangen, 2008, S. 65, von Ingelfinger (s. o. III, S. 171) als „Paternalismus“, von Müller (Anm. 14, S. 86) als Sicherung der „Vollzugsreife“ angesehen, bedurfte noch der näheren Begründung. Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., 1969, S. 62; Gallas, Zur Struktur des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs, Festschr. für Bockelmann, 1979, S. 155 ff., 156 ff. S. a. Noll ZStW Bd. 77 (1968), S. 1 ff., 9, 13. Nachw. bei Schroeder (Anm. 2), S. 567; inzwischen auch Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, 1997, S. 118.
Die Therapiefreiheit des Arztes und die Einfuhr von Blut seiner Patienten zu Zwecken der Diagnostik oder der Bearbeitung
Ekkehard Schumann
I. Die immer stärkere Aushöhlung der Therapiefreiheit des Arztes Mit Freude beteilige ich mich an der Festschrift für Erwin Deutsch zu dessen 80. Geburtstag. Die Erinnerung geht zurück an die vielen Diskussionen und Gespräche während der gemeinsamen Assistentenzeit an der Münchener Juristenfakultät. Trotz unterschiedlicher Forschungsgebiete trafen wir uns seither immer wieder in einem Bereich des Medizinrechts, beim Thema der ärztlichen Therapiefreiheit1. Zu dieser Thematik kam ich über das Recht der freien Berufe, die beständig der Gefahr ausgesetzt sind, reglementiert und gegängelt zu werden. Während es der Anwaltschaft in den letzten Jahrzehnten gelungen ist, sich von zahlreichen staatlichen Bevormundungen zu lösen, wird die Berufsfreiheit der Ärzteschaft seit langem immer mehr eingeschränkt. So ist bereits in der Festschrift für Erwin Deutsch zu seinem 70. Geburtstag im Jahre 1999 von einem „Prozeß der allmählichen Aushöhlung der Therapiefreiheit“ die Rede2. In dem Jahrzehnt seither haben sich die Verhältnisse keineswegs gebessert, vielmehr weiter verschlimmert3. Dabei erfolgt der Angriff auf die Freiheit der Ärzteschaft nicht nur 1
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Vgl. Deutsch/Spickhoff: Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, RdNr. 21; Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann: Transfusionsrecht, 2. Aufl. 2007, RdNr. 317 ff. (besonders 319); Deutsch: Anmerkung zu OLG Köln, Urteil vom 30. 5. 1990 (27 U 169/89), VersR 1991, 189; ders.: Ressourcenbeschränkung und Haftungsmaßstab im Medizinrecht, VersR 1998, 261 (262). Laufs: Zur Freiheit des Arztberufs, in: Festschrift für Erwin Deutsch, 1999, S. 625 (628): „Mag danach die Therapiefreiheit noch immer als ein Kernstück der ärztlichen Profession erscheinen, so kann dem aufmerksamen Beobachter der Rechtsentwicklung doch der Prozeß ihrer allmählichen Aushöhlung nicht verborgen bleiben.“ Vgl. auch Laufs: Zum Wandel des ärztlichen Berufsrechts, in: Festschrift für Willi Geiger, 1989, S. 228 (236). Aus der Fülle der Literatur z. B. Debong: Ärztliche Therapiefreiheit und Qualitätssicherung in der Behandlung: Ein Gegensatz?, ArztRecht 2007, 32 ff. mit weiteren Nachwei-
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von einer Seite: Die immer stärkere „Außensteuerung der Medizin“4 üben eine Vielzahl von Instanzen aus. In diesem Wettbewerb zur Gängelung der Ärzteschaft wetteifern insbesondere: Europäische und nationale Gesetz- und Verordnungsgeber, staatliche Verwaltungsbehörden, (demokratisch undurchsichtige5) Beschlußgremien, (angeblich) der Wissenschaft verpflichtete Institute, die gesetzlichen Krankenkassen, die kassenärztlichen Vereinigungen und sogar die Ärztekammern, von denen man eigentlich annehmen müßte, sie seien zum „Hüter der Therapiefreiheit“ auserkoren. Genauso vielfältig wie die Akteure sind auch deren Betätigungsfelder6.
II. Therapiefreiheit und Arzneimittelgesetz Der vorliegende Beitrag widmet sich einem typischen dieser Betätigungsfelder, nämlich der Schnittstelle zwischen Arztrecht und Arzneimittelrecht. Auch hier bestehen Tendenzen, mittels einer exzessiven Anwendung des Arzneimittelrechts die Therapiefreiheit7 der deutschen Ärzte zu beschränken. Diese Tendenzen wurden besonders deutlich, als das Bundesgesundheitsministerium die FrischzellenVerordnung8 erließ mit dem Ziel, die ärztliche Berufsfreiheit unter dem Deckmantel des Arzneimittelrechts einzuengen. Dem Bundesverfassungsgericht ist dafür zu danken, daß es diesen Angriff auf die Therapiefreiheit abwehrte, ihn als grundrechtswidrig brandmarkte und die Frischzellen-Verordnung für nichtig erklärte9;
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sen sowie die engagierte Kritik von Schottdorf: Das Gesundheitsspiel. Wie Deutschlands Medizin ruiniert wird, 2007. Laufs (Fußn. 2), S. 631. Vgl. auch Dettling: Grundrechte, neue Behandlungsmethoden und Grenzen der Rationierung in der GKV, GesR 2006, 97 (106): „Tendenz zur zentralistisch-rationierenden Leitlinienmedzin“. So hat z. B. das Bundesverfassungsgericht beim Gemeinsamen Bundesausschuß im Gesundheitsrecht ausdrücklich offen gehalten, ob dessen Verfahren „verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt“ (BVerfGE 115, 25 [47] – Duchenne’schen Muskeldystrophie). Ähnlich sieht Kingreen: Verfassungsrechtliche Grenzen der Rechtsetzungsbefugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses im Gesundheitsrecht, NJW 2006, 877 (880) nur „lange und dünne Legitimationsketten“ zwischen den Entscheidungen des Bundesausschusses und den Versicherten. Kritisch sehen Kingreen/Rixen auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach der Gemeinsame Bundesausschuss über einen gerichtlich nicht weiter kontrollierbaren Wertungs- und Entscheidungsspielraum verfüge (Kingrenn/Rixen: Sozialrecht: Ein verwaltungsrechtliches Utopia?, DÖV 2008, S. 741 [750]); Vgl. auch ausführlich Vießmann, Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses bei Entscheidungen nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V, Diss. Regensburg 2008 (noch nicht erschienen). Hierzu z. B. Laufs (Fußn. 2), S. 625 ff. Dazu ausführlich Laufs (Fußn. 2), S. 625 ff. Verordnung über das Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe zur Herstellung von Arzneimitteln (Frischzellen-Verordnung) vom 4. März 1997, BGBl. I, S. 432. BVerfGE 102, 26 (33 ff. – Frischzellen), vgl. auch das Zitat unten bei Fußn. 88 sowie den Text bei Fußn. 94 ff.; zum Frischzellenurteil: Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann (Fußn. 1), RdNr. 173. – In diesem Zusammenhang ist z. B. auch der bereits in
Die Therapiefreiheit des Arztes und die Einfuhr von Blut seiner Patienten
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denn dem Bund fehlte bekanntlich die Gesetzgebungskompetenz für die ärztliche Berufsausübung10. Daher war der Bund nicht befugt, Bestimmungen über die Erzeugung „von selbst hergestellten Arzneien durch den Arzt zu treffen“11 und insoweit in die Therapiefreiheit des Arztes einzugreifen12. Diese Grenzlinie beachtet der Wortlaut des Arzneimittelgesetzes [AMG], indem das Gesetz vom Arzt keine Herstellungs- und keine Einfuhrgenehmigung fordert, sofern es um Arzneimittel zur eigenen Anwendung durch den Arzt geht (§ 13 Abs. 1 Satz 3 und § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG)13. Darüber hinaus stellt jetzt der in Reaktion auf das Frischzellen-Urteil im Jahr 2002 eingefügte14 § 4 a Nr. 3 AMG15 klar, daß von der Geltung des AMG ausdrücklich solche Arzneimittel ausgenommen sind, die ein Arzt anwendet, soweit sie ausschließlich zu diesem Zweck unter der unmittelbaren fachlichen Verantwortung des anwendenden Arztes hergestellt worden sind16. In der Verwaltungspraxis hingegen wird – offenbar dem Bundesgesundheitsministe-
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Fußn. 5 zitierte Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 115, 25 – Duchenne’schen Muskeldystrophie) zu nennen; er untersagt, einen gesetzlich Krankenversicherten von den Leistungen auszuschließen, wenn der behandelnde Arzt bei einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung „eine Methode zur Anwendung bringt, die nach seiner Einschätzung im Einzelfall den Krankheitsverlauf positiv zu Gunsten des Versicherten beeinflusst“ (a. a. O., S. 48 [unten]); zu dieser Entscheidung z. B. Deutsch: Die Wissenschaftsklausel im Privatversicherungsrecht, VersR 2006, 1472 f.; Dettling (Fußn. 4) GesR 2006, 97 ff. und Kingreen (Fußn. 5), NJW 2006, 877 ff. Vgl. BVerfGE 102, 26 (37 ff. – Frischzellen), vgl. oben Fußn. 9. BVerfGE 102, 26 (37 [sub c)] – Frischzellen), vgl. oben Fußn. 9. Vgl. Schumann: Die Therapiefreiheit des Arztes bei der Anwendung der von ihm selbst hergestellten Arzneimittel, in: Festschrift für Hans Friedhelm Gaul, 1997, S. 705 ff.; Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann (Fußn. 1), RdNr. 319. Eingehend hierzu unten der Text nach Fußn. 67 ff. Vgl. Beschlußempfehlung und Ausschußbericht zu dem Entwurf des Bundesrates eines Gesetzes zur Änderung tierarzneimittelrechtlicher Vorschriften = Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, BT-Drucks. 14/9252, S. 20: Mit der Änderung „wird dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts“ … „zur FrischzellenVerordnung Rechnung getragen“. … Von der arzneirechtlichen „Bundeskompetenz ist eine Regelung zum Herstellungsverbot von Arzneimitteln, die der Arzt“ … „selbst herstellt und beim Patienten anwendet, nicht gedeckt.“ Aufgrund des Elften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 21. August 2002, BGBl. I, S. 3348. An dieser Rechtslage nach dem AMG hat auch der im Rahmen der Föderalismusreform erweiterte Art. 74 Nr. 19 GG (BGBl. 2006 I, S. 2034 ff.) nichts geändert. Der Bund besitzt nunmehr allgemein die Kompetenz für das Recht der Arzneien, Medizinprodukte, Heilmittel usw. und nicht nur für den Verkehr mit ihnen. Damit könne der Bundesgesetzgeber, wie die Antragsteller der Grundgesetzänderung meinen, „die Herstellung solcher Arzneimittel“ regeln, „die von Ärzten, Zahnärzten, Heilpraktikern zur unmittelbaren Anwendung bei eigenen Patienten angewendet werden (vgl. BVerfGE 102, 26 LS 1)“. (Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Begründung. Besonderer Teil, BT-Drs. 16/813, S. 13 [li. Sp. unten] = Goltschneider/Schön: Die Reform des Bundesstaates, Freiburg 2007, S. 398 [re. Sp.]). Die Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz ändert jedoch nichts an dem Vorrang der ärztlichen Therapiefreiheit (hierzu Fußn. 110 und Text hierzu).
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rium folgend17 – immer wieder versucht, mittels einer unrichtigen Interpretation des AMG die Therapiefreiheit der Ärzteschaft zu unterbinden, wenn es um die Herstellung18 oder um die Einfuhr von Substanzen geht, die der Arzt zur eigenen Anwendung an seinen Patienten verwendet19. Am Beispiel der Einfuhr von Blut widmet sich der Beitrag dieser Thematik; ich hoffe, wenigstens in diesem Bereich mitzuhelfen, Angriffe auf die ärztliche Therapiefreiheit abzuwehren.
III. Die zwei Ausgangssituationen bei der Einfuhr von Blut Will sich ein Arzt das Blut eines seiner Patienten aus dem Ausland zusenden lassen, ist die Frage nach der ärztliche Therapiefreiheit aufgeworfen. Es stellt sich das Problem, ob er hierfür einer Einfuhrerlaubnis nach dem AMG bedarf. Dabei muß von vornherein zwischen zwei Situationen unterschieden werden. Einerseits ist der Fall zu betrachten, daß dem Arzt aus dem Ausland Patientenblut (nur) zur diagnostischen Beurteilung zugesandt wird. Andererseits kann die Konstellation aber auch so sein, daß dem Arzt aus dem Ausland Patientenblut zu dem Zweck zugesandt wird, dieses Blut (auch) zu bearbeiten und es anschließend dem Patienten zu applizieren.
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Selbst nach der Niederlage im Frischzellen-Streit engagierte sich das Bundesgesundheitsministerium weiterhin gegen die ärztliche Therapiefreiheit, indem einer seiner zuständigen Beamten (natürlich nur seine „persönliche Auffassung“ wiedergebend) bemüht war, die Lückenhaftigkeit des Urteils des Bundesverfassungsgerichts darzulegen (vgl. Haage: Zu Umfang und Folgen des Frischzellenurteils, NJW 2001, 1771 [1773, letzter Absatz]). Zu diesen gegen die ärztliche Therapiefreiheit gerichteten Tendenzen gehört auch die abwegige Ansicht, das Bundesverfassungsgericht habe im Frischzellen-Urteil (Fußn. 9) „die Anwendbarkeit des Arzneimittelgesetzes erheblich eingeschränkt“ (so aber Vesting: Möglichkeit und Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen Regelung der Herstellung von Arzneimitteln durch Ärzte für „eigene“ Patienten, NJW 2001, 871 [872]). Das AMG hat niemals für die Anwendung der von einem Arzt selbst hergestellten Arzneimittel gegolten (Schumann [Fußn. 12], S. 705 ff.), so daß von einer erheblichen (!) Einschränkung des AMG überhaupt nicht die Rede sein kann. Richtig ist umgekehrt: Eine erhebliche Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit lag vor; sie hat das Bundesverfassungsgericht unterbunden. Ebenfalls war die Therapiefreiheit betroffen, als man das AMG benutzte, um zu einer Art generellen Überwachung von Arztpraxen zu gelangen, und zwar in der Weise, daß man die Vorschriften der arzneimittelrechtlichen Regelüberwachung (§§ 64 ff. AMG) auf die ärztliche Tätigkeit anwandte. Hier wehrte das Bundesverwaltungsgericht den Eingriff in die Therapiefreiheit ab (vgl. BVerwG NVwZ 2005, 87 [88 f.]).
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1. Die Einschlägigkeit des Arzneimittelgesetzes Es ist selbstverständlich, die aufgeworfene Problematik zunächst anhand der Vorschriften des AMG zu prüfen20. Für die Einfuhr von Medikamenten ist vor allem § 72 AMG maßgeblich. Nur der Vollständigkeit halber sei vermerkt, daß andere Medizingesetze nicht eingreifen: Das Transplantationsgesetz [TPG]21 gilt entsprechend seinem Zweck und gemäß seinem § 1 Abs. 2 unter anderem nicht für Blut. Nicht anders verhält es sich beim Medizinproduktegesetz [MPG]22, das in seinem § 2 Abs. 4 Nr. 3 Blut von seinem Geltungsbereich ausnimmt. Beim Transfusionsgesetz [TFG]23 ist dies naturgemäß ganz anders und insoweit zeigen sich starke Berührungspunkte zum hier zu betrachtenden Sachverhalt; doch versteht sich dieses Gesetz als Teil des AMG, so daß dessen Vorschriften anzuwenden sind, soweit im TFG „nicht etwas anderes vorgeschrieben ist“ (vgl. § 29 Satz 1 TFG). Da das TFG zur Einfuhr nichts vorschreibt, bleibt es also bei § 72 AMG. Im übrigen ist der Kernbereich des TFG die Spende von Blut für einen anderen24.
2. Zur Terminologie und zu den zwei Fragenkreisen Die zwei Ausgangssituationen führen zur Unterteilung der folgenden Ausführungen in zwei Fragenkreise. Sprachlich angenehmer und kürzer würde man diese beiden Fragenkreise als „Einfuhr zu diagnostischen Zwecken“ und als „Einfuhr zu therapeutischen Zwecken“ bezeichnen. Doch könnte dies den mit der Problematik unvertrauten Leser zum Irrtum verleiten, daß in der zweiten Alternative das Blut eingeführt werde, um es therapeutisch zu verwenden. Indessen findet in dieser Variante die Einfuhr des Blutes statt, damit der Arzt es bearbeitet, um es erst nach der Bearbeitung therapeutisch zu verwenden. Daher habe ich die sprachlich weniger schöne, aber eindeutige Terminologie gewählt: „Einfuhr zu Diagnostikzwecken“ und „Einfuhr zu Bearbeitungszwecken“. Damit halte ich mich übrigens an die Begrifflichkeit des Arzneimittelrechts, das in § 3 Nr. 3 AMG bei den Körperbestandteilen und Stoffwechselprodukten zwischen „bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand“ unterscheidet25.
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Vgl. Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann (Fußn. 1), RdNr. 112. Bekanntmachung der Neufassung des TPG vom 4. September 2007, BGBl. I, S. 2206. Bekanntmachung der Neufassung des MPG vom 7. August 2002, BGBl. I, S. 3146; hierzu Deutsch/Lippert/Ratzel: MPG, 2002, § 2 RdNr. 1 und 31. Bekanntmachung der Neufassung des TFG vom 28. August 2007, BGBl. I, S. 2169; hierzu Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann (Fußn. 1), a. a. O. Vgl. Deutsch/Spickhoff (Fußn. 1), S. 949 ff.; Flegel in: Lippert/Flegel: Kommentar zum TFG und den Hämotherapie-Richtlinien, 2002, § 1 RdNr. 2 ff.; Quaas/Zuck: Medizinrecht, 2. Auflage, München 2008, § 51 RdNr. 2. Hierzu auch unten Text bei Fußn. 51.
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IV. Die Erlaubnisfreiheit bei Europäischer Einfuhr Nach § 72 Abs. 1 AMG benötigt derjenige eine Einfuhrerlaubnis, der Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG oder andere zur Arzneimittelherstellung bestimmte Stoffe menschlicher Herkunft gewerbs- oder berufsmäßig zum Zwecke der Abgabe an andere oder zur Weiterverarbeitung aus dem Ausland nach Deutschland26 verbringen will. Die Erlaubnispflicht beschränkt sich jedoch auf die Einfuhr „aus Ländern, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union“27 [EU] und keine „anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum“28 [EWR] sind. Für die „Europäische Einfuhr“ greift also § 72 AMG nicht ein. Blut aus dem Gebiet der EU oder des EWR bedarf deshalb selbst dann keiner Einfuhrerlaubnis, wenn das Blut als „Arzneimittel“ im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG zu qualifizieren wäre. Dasselbe gilt, falls man Blut als „einen zur Arzneimittelherstellung bestimmten Stoff“ ansähe. Daher kann insoweit dahingestellt bleiben, ob Blut unter die soeben genannten Begriffe fällt, und es ist auch gleichgültig, ob das Blut zu Diagnostik- oder Bearbeitungszwecken eingeführt wird. So zeigt sich das Ergebnis: Die Europäische Einfuhr von Blut bedarf keiner arzneirechtlichen Einfuhrerlaubnis.
V. Der Erste Fragenkreis der Nicht-Europäischen Einfuhr zu Diagnostikzwecken Entsprechend der dargestellten ersten Ausgangssituation bildet den ersten Fragenkreis die (Nicht-Europäische) Einfuhr von Blut zu Diagnostikzwecken. Anders als unter Ziffer IV. ist es hier nicht möglich, die Qualifikationsfrage dahinzustellen. Wenn nämlich z. B. das Blut als Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG zu qualifizieren wäre oder wenn es sich bei dem Blut um einen zur Arzneimittelherstellung bestimmten Stoff menschlicher Herkunft handeln würde, der gewerbs- oder berufsmäßig zum Zwecke der Abgabe an andere oder zur Weiterverarbeitung nach Deutschland verbracht wird, bestünde eine Erlaubnispflicht.
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Der in beiden Absätzen des § 72 AMG und auch sonst im AMG enthaltene Ausdruck „Geltungsbereich dieses Gesetzes“ entspricht dem bis zur Wiedervereinigung Deutschlands üblichen, aber seit 1990 überholten Sprachgebrauch; ebenso überholt ist der Begriff „Bundesgebiet“. Gemeint ist stets „Deutschland“. Mitgliedstaaten der EU sind derzeit: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn, Vereinigtes Königreich und Zypern. EWR-Vertragsstaaten sind derzeit die soeben genannten 27 EU-Mitgliedstaaten sowie Liechtenstein, Island und Norwegen.
Die Therapiefreiheit des Arztes und die Einfuhr von Blut seiner Patienten
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1. Zu Diagnostikzwecken eingeführtes Blut ist kein Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG Ob das zu Diagnostikzwecken eingeführte Blut ein Arzneimittel ist, richtet sich nach § 2 Abs. 1 AMG. Unter der gesetzlichen Überschrift „Arzneimittelbegriff“ enthält diese Vorschrift eine finale Definition. Der betreffende Stoff oder die Zubereitungen aus Stoffen muß „dazu bestimmt“ sein, „durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper“ mindestens eines der fünf Ziele dieses ersten Absatzes zu erreichen. Es liegt auf der Hand, daß Blut, das zu Diagnostikzwecken eingeführt wird, nicht unter diesen Arzneimittelbegriff fallen kann; denn es soll ja lediglich untersucht werden, nicht aber ist es im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG zur „Anwendung am oder im menschlichen Körper“ … „bestimmt“.
2. Zu Diagnostikzwecken eingeführtes Blut stellt auch kein normatives Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG dar § 72 Abs. 1 AMG erstreckt ferner die Erlaubnispflicht auf die Einfuhr der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG genannten „normativen“ („fiktiven“29) Arzneimittel. Dies sind Stoffe und andere Gegenstände, die als solche nicht unter den Arzneimittelbegriff des § 2 Abs. 1 AMG fallen, aber vom Gesetz wie Arzneimittel behandelt werden, da sich der in § 1 AMG niedergelegte Zweck des AMG auch auf sie erstrecken soll. Es bedarf keiner weiteren Worte, daß Blut, das zu Diagnostikzwecken eingeführt wird, nicht unter den § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG zu fallen vermag, weil es nicht „dazu bestimmt“ ist, „dauernd oder vorübergehend mit dem menschlichen oder tierischen Körper in Berührung gebracht zu werden“, wie dies dort gefordert wird. Außerdem setzt § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG voraus, daß die betreffenden Gegenstände „ein Arzneimittel nach Absatz 1 enthalten“ oder daß auf sie „ein Arzneimittel nach Absatz 1 aufgebracht ist“: Wie soeben unter 1. gesehen, fehlt dem zu Diagnostikzwecken eingeführten Blut die Qualität als Arzneimittel.
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Wegen der Wendung „Als Arzneimittel gelten“ in § 2 Abs. 2 AMG liegt es nahe, von einer Fiktion zu sprechen; denn „die Fiktion erkennt man in der Verwendung des Wörtchens ‚gilt’“ (Rüthers: Rechtstheorie, 3. Aufl. 2007, RdNr. 123 a); ähnlich verwendet § 2 Abs. 4 AMG zweimal das Wort „gilt“. Folgerichtig spricht die Literatur von „fiktiven“ Arzneimitteln (so Lippert in: Deutsch/Lippert u. a.: AMG, 2. Aufl. 2007, § 2 RdNr. 1 und 7; Quaas/Zuck [Fußn. 24], § 50 RdNr. 5) oder von „Fiktivarzneimitteln“ (so Deutsch/Spickhoff [Fußn. 1], RdNr. 1193). Doch hat der Gesetzgeber wohl eher an eine am Zweck des Gesetzes (§ 1 AMG) orientierte normative Erweiterung des Arzneibegriffs gedacht.
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3. Zu Diagnostikzwecken eingeführtes Blut erfüllt nicht die weiteren Tatbestände des § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG § 72 AMG beschränkt die Erlaubnispflicht nicht auf die Einfuhr von Arzneimitteln. Daher muß ferner geprüft werden, ob die Einfuhr von Blut zu Diagnostikzwecken die weiteren Tatbestände des § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG erfüllt. Es zeigt sich allerdings schnell: Es handelt sich hierbei nicht um „Testsera oder Testantigene oder Wirkstoffe, die menschlicher, tierischer oder mikrobieller Herkunft sind“ oder um „Wirkstoffe, die auf gentechnischem Wege hergestellt werden“. Ebenfalls ist das Merkmal „andere zur Arzneimittelherstellung bestimmte Stoffe menschlicher Herkunft“ nicht erfüllt. Das zu Diagnostikzwecken eingeführte Blut soll untersucht werden, also nicht anderen Zwecken dienen oder als Wirkstoff eingesetzt werden.
4. Zu Diagnostikzwecken eingeführtes Blut stellt keines der in § 72 Abs. 2 Satz 1 AMG genannten Arzneimittel dar Die letzte hier zu beachtende Regelung einer Erlaubnispflicht ist in § 72 Abs. 2 Satz 1 AMG enthalten. Wer „Arzneimittel menschlicher Herkunft zur unmittelbaren Anwendung bei Menschen“ nach Deutschland einführt, bedarf ebenfalls einer Erlaubnis. Da das zu Diagnostikzwecken eingeführte Blut weder – wie erörtert – ein Arzneimittel darstellt noch zur unmittelbaren Anwendung bei Menschen bestimmt ist, ergibt sich auch aus dieser Vorschrift keine Erlaubnispflicht.
5. Ergebnis zur Nicht-Europäischen Einfuhr zu Diagnostikzwecken Die Nicht-Europäische Einfuhr von Blut zu Diagnostikzwecken bedarf keiner arzneirechtlichen Einfuhrerlaubnis. Letztlich spielt es daher keine Rolle, ob die Einfuhr aus dem Gebiet der EU oder des EWR erfolgt oder ob das Blut aus dem sonstigen Ausland zugesandt wird.
VI. Der Zweite Fragenkreis der Nicht-Europäischen Einfuhr zu Bearbeitungszwecken Der Beitrag kann sich nunmehr dem Zweiten Fragenkreis zuwenden, wie die Rechtslage zu beurteilen ist, wenn der Arzt das im Wege der Nicht-Europäischen Einfuhr30 eingeführte Blut bearbeitet und es sodann dem Patienten appliziert.
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Zum Begriff oben Text nach Fußn. 28.
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1. Die in § 72 AMG erfaßten acht Fallgruppen der Erlaubnispflicht Das AMG besitzt keine Generalklausel über die Einfuhrerlaubnis. Es enthält in § 72 AMG vielmehr eine sehr differenzierte, nicht leicht zugängliche Spezialregelung. § 72 AMG sagt in dreifacher Weise, welche Einfuhrsituationen erlaubnisfrei sind. In vierter und fünfter Beziehung sind die Tatbestände genannt, die einer Erlaubnis bedürfen: Erstens ergreift § 72 AMG, wie schon dargestellt, nicht die Europäische Einfuhr. Zweitens sind bei Nicht-Europäischer Einfuhr von der Erlaubnispflicht ausgenommen diejenigen Gegenstände, die entweder 1. privat oder 2. die weder zum Zwecke der Abgabe an andere, 3. noch zur Weiterverarbeitung nach Deutschland verbracht werden. Drittens sind ferner bei Nicht-Europäischer Einfuhr Gewebe und Gewebezubereitungen nicht erfaßt31. Viertens gibt es – soweit diese drei erlaubnisfreien Bereiche nicht vorliegen – sieben verschiedene, sehr genau begrenzte Fallgruppen, in denen eine arzneirechtliche Erlaubnis bei Nicht-Europäischer Einfuhr erforderlich ist32: 1. Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG 2. Normative Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG (vgl. oben Fußn. 29) 3. Testsera 4. Testantigene 5. Wirkstoffe menschlicher, tierischer oder mikrobieller Herkunft (vgl. auch den Text bei Fußn. 63) 6. Wirkstoffe, die auf gentechnischem Wege hergestellt werden 7. Zur Arzneimittelherstellung bestimmte Stoffe menschlicher Herkunft. Fünftens existiert – sofern ebenfalls keiner der drei oben aufgezeigten erlaubnisfreien Bereiche vorliegt – als achte Fallgruppe der Erlaubnispflicht33: 8.
Arzneimittel menschlicher Herkunft.
Wie aus dieser Aufstellung erkennbar ist, unterliegen der Einfuhrerlaubnis des § 72 AMG sehr unterschiedliche Gegenstände. Der rechtsstaatlichen Genauigkeit dieser Vorschrift entspricht es daher, bei den folgenden Untersuchungen mit gleicher Präzision vorzugehen.
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Die maßgebende Vorschrift hierfür ist: § 72 Abs. 3 AMG. Maßgebend ist § 72 Abs. 1 AMG. Maßgebend ist § 72 Abs. 2 AMG.
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2. Die in § 72 AMG enthaltenen fünfzehn Straf- und Bußgeldtatbestände Zu dieser rechtsstaatlichen Genauigkeit ist man um so mehr verpflichtet, falls etwa gegen einen Arzt der Vorwurf erhoben wird, er habe die Regelungen des § 72 AMG verletzt und deshalb ein Vergehen gemäß § 96 Nr. 4 AMG oder eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 97 Abs. 1 AMG begangen: § 72 Absatz 1 AMG: Da die sieben soeben unter Viertens aufgeführten Tatbestände des § 72 Abs. 1 AMG in zwei ganz unterschiedlichen Begehungsarten (entweder „zum Zwecke der Abgabe an andere“ oder „zur Weiterverarbeitung“) verwirklicht werden können, liegen in diesem ersten Absatz des § 72 AMG vierzehn verschiedene Straf- oder Ordnungswidrigkeitstatbestände vor. § 72 Absatz 2 AMG: Hinzu kommt die oben unter Fünftens genannte achte Regelung, die in § 72 Abs. 2 AMG enthalten ist. Es bestehen demzufolge fünfzehn unterschiedliche Tatbestände des Verstoßes gegen die arzneimittelrechtliche Einfuhrerlaubnispflicht. Sie sind strikt zu trennen.
3. Zu Bearbeitungszwecken eingeführtes Blut ist kein Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG Es kann nicht übersehen werden, daß bei der Einfuhr von Blut zu Diagnostikzwecken eine andere Motivationslage besteht als bei der jetzt betrachteten Einfuhr zu Bearbeitungszwecken. Ein Arzt, der das eingeführte Blut lediglich untersuchen will, beabsichtigt nicht die „Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper“ (§ 2 Abs. 1 AMG), so daß offenkundig – wie bereits dargelegt – kein Arzneimittel vorliegt. Wenn der Arzt hingegen bezweckt, das eingeführte Blut zu bearbeiten, um es danach therapeutisch zu verwenden, ist er vom Motiv getragen, das Blut nach seiner Bearbeitung am oder im menschlichen Körper anzuwenden. Damit erhebt sich von selbst die Frage, ob das andere Motiv zu einer abweichenden juristischen Bewertung führt. Maßgebend kann für die Antwort auf diese Frage wiederum nur das Gesetz sein. Es kommt daher darauf an, wann man davon sprechen kann, daß „Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen“ als „dazu bestimmt“ angesehen werden, „durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper“ auf die Ziele des § 2 Abs. 1 AMG gerichtet zu sein. a) Subjektives Begriffsverständnis Auf den ersten Blick bietet sich ein subjektives Begriffsverständnis in folgender Art und Weise an: Wer die Anwendung eines Stoffes am oder im Körper eines Menschen beabsichtigt und dabei eines der in § 2 Abs. 1 AMG genannten Ziele intendiert, wendet ein Arzneimittel an. Das Motiv des Herstellers oder der Beweggrund des Anwenders, den Stoff dieser Bestimmung zuzuführen, wäre die Basis der Qualifikation des Stoffes als Arzneimittel.
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Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings die Unhaltbarkeit eines solchen subjektiven Verständnisses des Arzneimittelbegriffs34. Ein rechtsstaatlicher Gesetzesvollzug kann die Definition der gesetzlichen Begriffe nicht von solchen subjektiven Überlegungen abhängig machen. Im übrigen wäre der Mißbrauch eröffnet. Denn wenn das Motiv zukünftiger therapeutischer Anwendung den Begriff des Arzneimittels konstituiert, dann macht das fehlende therapeutische Motiv notwendigerweise aus einem Arzneimittel das Nicht-Arzneimittel, selbst wenn jedermann dieses Mittel als Arzneimittel ansieht35. Noch grotesker wären die strafrechtlichen Folgen. Vom Vorwurf der Begehung eines Arzneimitteldeliktes müßte derjenige freigesprochen werden, dem nicht das therapeutische Motiv nachgewiesen werden könnte. Spiegelbildlich würde wegen eines solchen Delikts z. B. der Heilpraktiker verfolgt werden, der eine völlig wirkungslose Substanz im Glauben, sie sei ein Arzneimittel, aus Asien eingeführt hat und an seine Patienten verschenkte. b) Objektives Begriffsverständnis Wie sonst bei Rechtsbegriffen muß man infolgedessen von einer objektiven Sinndeutung ausgehen36. So nennt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof als derartig „objektivierte Umstände“: „Name und Aufmachung eines Präparates, Werbung, Erscheinungsform, Verkehrsauffassung, medizinische und pharmazeutische Wissenschaft und Praxis und Verbrauchergewohnheiten.“37 c) Es gibt keine „geborenen“ Arzneimittel § 2 Abs. 1 AMG läßt erkennen, daß es keine sozusagen „geborenen“ Arzneimittel gibt. Denn die Vorschrift sieht nur diejenigen „Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen“ als Arzneimittel an, die „dazu bestimmt“ sind, „durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper“ die Ziele des § 2 Abs. 1 AMG anzustreben. Das in Deutschland geltende, richtlinienkonforme38 Arzneimittelrecht kennt demzufolge keine Stoffe, die von sich aus – also unabhängig von dieser soeben
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Diese Feststellung entspricht auch der Gesetzesgeschichte. Die im § 1 Abs. 1 des AMG 1961 noch enthaltene subjektive Formulierung („vom Hersteller“ … „dazu bestimmt“) hat das geltende Recht bewußt aufgegeben. „Der Hersteller kann aber nicht durch die äußere Gestaltung ein Präparat, beispielsweise mit dem eindeutig medizinischen Zwecken dienenden Inhaltsstoff Chlor-aphenicol, zu einem Nichtarzneimittel machen“, so treffend Kloesel/Cyran/Felden/Pabel: Arzneimittelrecht, [Stand 1. Juli 2007], § 2 AMG Anm. 20; ähnlich bereits BGHZ 23, 184 (196). Subjektive Momente können allerdings auftreten bei §§ 44 f. AMG und bei der Thematik des BGH NJW 1998, 836 (837 sub II. 2 a) [2]), wo ein Stoff zur Anwendung bei Menschen verarbeitet wurde, der bislang als Medikament nicht verwendet worden war. Für die folgenden Gedankengänge spielen diese Sonderprobleme keine Rolle. – Zur objektiven Sinndeutung nach dem Gemeinschaftsrecht unten bei Fußn. 134 ff. BayVGH BayVBl. 1984, 692 f. – Heilpflanzen. Hierzu z. B. Hagenmeyer: Lebensmittel, Arzneimittel und die Dritte Dimension, ZLR 2003, 383 (385). Hierzu näher unten Text nach Fußn. 127 ff.
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genannten Zweckbestimmung – den Begriff des Arzneimittels erfüllen39. Erst die Zweckbestimmung macht den Stoff zum Arzneimittel. Die Gesetzgebungstechnik beim Arzneimittelbegriff des § 2 Abs. 1 AMG ist also deutlich anders als beim Betäubungsmittelbegriff. Das Betäubungsmittelgesetz [BtMG]40 enthält keine Legaldefinition des Betäubungsmittels41. Vielmehr sind nach § 1 Abs. 1 BtMG Betäubungsmittel die in den Anlagen des Gesetzes „aufgeführten Stoffe und Zubereitungen“. Die in diesen „Positivlisten“42 genannten Stoffe sind demgemäß („geborene“) Betäubungsmittel43 – unabhängig davon, welchen Zweck der Hersteller oder der Anwender mit diesem Stoff verfolgt. Umgekehrt ist kein Betäubungsmittel im Sinne des § 1 Abs. 1 BtMG, was nicht in den Positivlisten aufgeführt ist, so daß sie ergänzt werden müssen, sobald eine neue Droge ge- oder erfunden worden ist44. Die mit solchen Positivlisten einhergehende Starrheit vermeidet der (gemeinschaftsrechtliche45) Begriff des Arzneimittels, indem er auf den objektivierten Zweck und auf das angestrebte Ziel abstellt. Ein derartiges teleologisch-finales Begriffsverständnis ist flexibel und für zukünftige Entwicklungen offen. Es verlangt allerdings vom Interpreten klare Unterscheidungen aufgrund der Zielsetzung des Gesetzes und nicht in begriffsjuristischer Manier46 nur aufgrund eines möglichen Wortsinnes. d) Die trennscharfe Unterscheidung der Begriffe „Stoff“ und „Arzneimittel“ Entsprechend der Terminologie des AMG ist daher zwischen „Stoff“ und „Arzneimittel“ scharf zu trennen47. Was das Gesetz unter „Stoff“ versteht, definiert es übrigens in § 3 AMG, und macht dadurch auch in dieser Vorschrift deutlich, daß es keine als Arzneimittel von vornherein „geborenen“ Stoffe gibt. Da der Schutz-
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Vgl. BayVGH (Fußn. 37), BayVBl. 1984, 692 (693 li. Sp.). Bekanntmachung der Neufassung vom 1. März 1994, BGBl. I, S. 358 mit zahlreichen Änderungen (insbesondere der Anlagen) seither. Deutsch/Spickhoff (Fußn. 1), RdNr. 1577. Franke/Wienroeder: BtMG, 3. Aufl. 2008, § 1 RdNr. 1; BVerfG 2. Kammer des Zweiten Senats, NJW 1998, 669 (670): „§ 1 I BtMG bestimmt den Begriff der Betäubungsmittel nicht mittels abstrakter Merkmale, sondern folgt dem Prinzip der sogenannten Positivliste: Alle verbotenen Stoffe und Zubereitungen werden enumerativ aufgezählt und in den Anlagen I bis III zum Betäubungsmittelgesetz erfaßt.“; BayObLGSt 2002, 135 (136). Unter Umständen in Verbindung mit den Vorschriften einer nach § 1 Abs. 2 bis 4 BtMG erlassenen Rechtsverordnung. Franke/Wienroeder (Fußn. 42), § 1 RdNr. 7. Ein klassisches Beispiel findet sich in BGHSt 43, 336 (337 f.): Die Designer-Droge MBDB wurde erst durch die 6. BtMÄndV (BGBl. 1995 I, S. 1161) in die Anlage I des BtMG aufgenommen. Daher konnte der Angeklagte wegen der vorher von ihm in den Verkehr gebrachten Drogen nicht aufgrund des BtMG bestraft werden. Nachweise unten Fußn. 128. Hierzu treffend Deutsch/Spickhoff (Fußn. 1), RdNr. 1188. Vgl. Deutsch: Gesetzliche Voraussetzungen. Der Begriff des Arzneimittels, in: Dölle/Müller-Oerlinghausen/Schwabe: Grundlagen der Arzneimitteltherapie, 1986, S. 9 f.
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zweck des AMG auf einer späteren Stufe erreicht werden kann48, unterstellt es Vorstufen eines Arzneimittels nicht seiner Kontrolle49. e) Macht das Herstellungsziel den Stoff zum Arzneimittel? Die strikte Trennung des AMG zwischen „Stoff“ und „Arzneimittel“ könnte allerdings dann durchbrochen sein, wenn das Ziel besteht, aus dem Stoff ein Medikament herzustellen. Doch eine solche Durchbrechung der Begriffe nimmt das AMG nicht vor. Deshalb macht die Absicht, aus einem Stoff ein Arzneimittel herzustellen, diesen Stoff (noch) nicht zum Arzneimittel. „Die Bestimmung zur Weiterverarbeitung auch zu einem Arzneimittel ist nicht identisch mit der Zweckbestimmung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 AMG.“50 Dem entspricht übrigens z. B. § 72 Abs. 1 AMG, der von „anderen zur Arzneimittelherstellung bestimmten Stoffen“ spricht. Auch diese Formulierung zeigt: Die Bestimmung eines Stoffes zur Arzneimittelherstellung begründet nicht seine Arzneimitteleigenschaft. f) Die Bearbeitung von Blut macht aus ihm nicht stets ein Arzneimittel Ganz auf der Linie seines klaren Begriffsverständnisses sagt das AMG nicht etwa, daß die Bearbeitung eines Stoffes ihn nunmehr automatisch zu einem Arzneimittel macht. Besonders deutlich wird dies in der Regelung des § 3 Nr. 3 AMG: Blut „in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand“ wird als Stoff definiert, d. h. durch eine Bearbeitung wird Blut nicht ohne weiteres zu einem „Arzneimittel“, es kann nach Bearbeitung ein „Stoff“ bleiben. Aus diesen und den vorherigen Ausführungen ergibt sich: Weder das Herstellungsziel verwandelt einen Stoff zum Arzneimittel, noch führt jede Bearbeitung eines Stoffes zu einem Arzneimittel. g) Blut als Stoff im Sinne von § 3 AMG Für die folgenden Überlegungen ist, wie soeben schon erkennbar, § 3 Nr. 3 AMG einschlägig. Als Stoffe i. S. v. § 3 AMG werden dort u. a. „Körperteile, -bestandteile und Stoffwechselprodukte von Mensch oder Tier in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand“ genannt. Damit sieht das Gesetz das menschliche Blut als „Stoff“ an51. Wie betont, wird damit aber nicht zugleich gesagt, es sei ein Arzneimittel. 48
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BayVGH (Fußn. 37), BayVBl. 1984, 692 (693 re. Sp.); Rehmann: AMG, 2. Aufl., München 2003, § 2 RdNr. 3 a. E. Rehmann (Fußn. 48), § 2 RdNr. 3 a. E. BayVGH (Fußn. 37), BayVBl. 1984, 692 (693). BayObLG NJW 1998, 3430 (3431 sub 1 a: Blut sei „Körperbestandteil“) – Neurodermitis; Rehmann (Fußn. 48), § 3 RdNr. 2: Blut sei „Stoffwechselprodukt“; Deutsch/ Spickhoff (Fußn. 1), RdNr. 1187 (S. 693): „Blut als solches ist zunächst ein vom menschlichen Körper produzierter Stoff, der nicht in den Kernbereich des Arzneimittelbegriffs fällt.“ Vgl. auch § 2 Abs. 3 Nr. 8 AMG: Organe im Sinne von § 1 a Nr. 1 TPG (Fußn. 21) sind keine Arzneimittel, wenn sie zur Übertragung auf Menschen bestimmt sind.
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h) Der Unterschied zur Qualifikationsfrage im Lebensmittelrecht Betrachtet man die Äußerungen in Rechtsprechung und Literatur zur Qualifikationsfrage, wann ein Produkt als ein Arzneimittel anzusehen ist, sieht man häufig erhebliche Schwierigkeiten, das Vorliegen eines Medikaments zu bejahen oder zu verneinen52. Die nähere Lektüre läßt allerdings sehr schnell die grundlegenden Unterschiede zur vorliegenden Fragestellung erkennen. Es geht nämlich um den „Dauerbrenner“53 oder „Klassiker“54 der Abgrenzung zwischen dem Begriff des Lebensmittels und dem des Arzneimittels55. Besonders bei Vitamin-, Mineralstoffund Nahrungsergänzungspräparaten ergeben sich immer wieder Abgrenzungsprobleme56. Da sowohl Lebensmittel als auch Medikamente dazu bestimmt sind, „von Menschen aufgenommen“ zu werden57, entstehen diese Probleme auf einer ganz anderen, nämlich sozusagen der „horizontalen“ Definitionsebene. Im vorliegenden Beitrag ist aber die „vertikale“ Frage gestellt, ob ein Stoff (bereits) ein Arzneimittel darstellt oder (noch) nicht als Medikament anzusehen ist. Dementsprechend wird in der Praxis eine solche Frage selten gestellt und führt keineswegs zu den Kontroversen, wie sie bei der Abgrenzung zwischen Lebensmittel und Medikament auftreten. i) Wann wird ein Stoff ein Arzneimittel? Es erhebt sich daher die Frage, wann ein Stoff zu einem Arzneimittel wird. Dies ist der Fall, wenn der Stoff so bearbeitet wurde, daß er „dazu bestimmt“ ist, „durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper“ die Ziele des § 2 Abs. 1 AMG anzustreben. Das betreffende Produkt muß also den Zweck haben, diesen Zielen durch die genannte Anwendung zu dienen58. Sein bestimmungsgemäßer Gebrauch muß in dieser Anwendung bestehen. Umgekehrt ist ein Stoff solange kein Arzneimittel, als er diese Bestimmung (noch) nicht hat. Daher sind Roh- und Grundstoffe, die bei der Herstellung von Arzneimitteln verwendet werden, (noch) keine Arzneimittel, da nicht sie selbst, 52
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Vgl. z. B. die eingehenden Übersichten bei Kloesel/Cyran u. a. (Fußn. 35), § 2 AMG Anm. 22 sowie Deutsch/Spickhoff (Fußn. 1), RdNr. 1211 ff. Meisterernst: Mit dem Wissen wächst der Zweifel, ZLR 2007, 387: „never ending story“. Müller: Grundfragen zur Abgrenzung des Arzneimittels von den Lebensmitteln, NVwZ 2007, 543 mit weiteren Nachweisen. Maßgebend ist § 2 Abs. 2 LFGB in Verbindung mit Art. 2 Buchst. d) VO (EG) 178/2002 (ABl. 2002 Nr. L 31, S. 1) sowie § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG. – „Lebensmittel“ und „Arzneimittel“ sind konträre Begriffe. Vgl. z. B. auch Rehmann (Fußn. 48), § 2 RdNr. 2 (S. 20 ff.) und neuerdings etwa BVerwG NVwZ 2007, 591 ff. und BVerwG Vorlagebeschluß an den EuGH, ZLR 2007, 378 ff. – Red Rice III: Nahrungsergänzungsmittel als Arzneimittel sowie ferner z. B. BGHZ 151, 286 ff.: Muskelaufbaupräparate als Arzneimittel. Gemäß der Definition von Lebensmittel in Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002. Für die Frage, ab wann Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen als Arzneimittel bezeichnet werden können, kommt es entscheidend auf die Zweckbestimmung an, BayObLG (Fußn. 51), NJW 1998, 3431 sub 1 a; vgl. Rehmann (Fußn. 48), § 2 RdNr. 2; BGH NJW 1998, 836 (837 sub II. 2 a) [2]); BayVGH (Fußn. 37), BayVBl. 1984, 693.
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sondern erst die aus ihnen hergestellten Mittel über eine Zweckbestimmung verfügen.59 Dementsprechend unterscheidet auch § 72 AMG zwischen Arzneimitteln und zur Arzneimittelherstellung bestimmten Stoffen. j) Die praktische Qualifikationsfrage Praktisch lautet also die Qualifikationsfrage: Ist das vorliegende Produkt als solches bestimmt, bei einem Patienten angewendet zu werden, um eines der Ziele des § 2 Abs. 1 AMG zu erreichen? Kann man diese Frage bejahen, liegt ein Arzneimittel vor. Anders als in den Lebensmittelfällen60 läßt sich hier diese Qualifikationsfrage leicht beantworten: Blut, das einem Patienten im Ausland abgenommen wurde, damit es sein Arzt in Deutschland bearbeitet, ist kein Arzneimittel. Es ist in seinem jetzigen Zustand der Einfuhr nach Deutschland nicht „dazu bestimmt“, „am oder im menschlichen oder tierischen Körper“ angewendet zu werden; es ist – um mit den Worten des Gesetzes zu reden – dazu bestimmt, bearbeitet zu werden. Das nach Deutschland eingeführte Blut ist als Körperbestandteil oder als Stoffwechselprodukt61 ein Stoff im Sinne des bereits erwähnten § 3 Nr. 3 AMG, der die Grundlage für ein Arzneimittel bilden kann, der aber selbst kein Arzneimittel darstellt. Damit zeigt sich als klares Resultat: Zu Bearbeitungszwecken eingeführtes Blut ist kein Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG.
4. Zu Bearbeitungszwecken eingeführtes Blut stellt auch kein normatives Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG dar Da § 72 Abs. 1 AMG die Erlaubnispflicht auf die Einfuhr der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG genannten „normativen“ („fiktiven“62) Arzneimittel erstreckt, muß auch hier untersucht werden, ob das Blut, das zu Bearbeitungszwecken eingeführt wird, unter § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG zu fallen vermag. Dies ist zu verneinen, weil das eingeführte Blut in seinem jetzigen Zustand nicht „dazu bestimmt“ ist, „dauernd oder vorübergehend mit dem menschlichen oder tierischen Körper in Berührung gebracht zu werden“, was § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG voraussetzt. Außerdem verlangt die Vorschrift, daß die dort genannten „Gegenstände“ … „ein Arzneimittel nach Absatz 1 enthalten“ oder daß auf sie „ein Arzneimittel nach Absatz 1 aufgebracht ist“. Das Ergebnis ist identisch, wie soeben unter 3. am Ende festgestellt: Das zu Bearbeitungszwecken eingeführte Blut ist kein Arzneimittel.
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OVG Lüneburg ZLR 2003, 371 (380 ff.) – Pflanzenteile; Kloesel/Cyran u. a. (Fußn. 35), § 2 AMG Anm. 28; Rehmann (Fußn. 48), § 2 RdNr. 3; Hagenmeyer (Fußn. 37), ZLR 2003, 384 ff. Siehe oben bei Fußn. 52 f. Vgl. oben Fußn. 51. Zum Begriff oben Fußn. 29.
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5. Zu Bearbeitungszwecken eingeführtes Blut stellt kein Arzneimittel gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 AMG dar Wie bereits unter 1. dargestellt, beschränkt § 72 AMG die Erlaubnispflicht nicht nur auf die Einfuhr von Arzneimitteln. Daher muß ferner geprüft werden, ob die Einfuhr von Blut zu Bearbeitungszwecken die weiteren Tatbestände des § 72 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AMG erfüllt. Die Vorschrift des zweiten Absatzes von § 72 AMG sei hier vorangestellt. Wer „Arzneimittel menschlicher Herkunft zur unmittelbaren Anwendung bei Menschen“ nach Deutschland einführt, bedarf nach § 72 Abs. 2 Satz 1 AMG einer Erlaubnis. Da das zu Bearbeitungszwecken eingeführte Blut weder – wie dargelegt – ein Arzneimittel darstellt noch zur unmittelbaren Anwendung bei Menschen bestimmt ist, trifft dieser Tatbestand für eine Einfuhrerlaubnispflicht nicht zu. Auch hier besteht daher keine Verpflichtung zur Einholung einer Einfuhrerlaubnis.
6. Die Einfuhr von Blut zu Bearbeitungszwecken fällt nicht unter die Erlaubnispflicht von Test- oder Wirkstoffen nach § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG a) Testsera. Die Einfuhr von Testsera ist erlaubnispflichtig. Nach § 4 Abs. 6 AMG sind Testsera Arzneimittel, die aus Blut usw. gewonnen wurden, die spezifische Antikörper enthalten und die dazu bestimmt sind, wegen dieser Antikörper verwendet zu werden. Auf das eingeführte Blut trifft dieser Begriff nicht zu. Es ist nicht „aus Blut“ … „gewonnen“, sondern das Blut selbst, und es ist außerdem unbearbeitet. b) Testantigene. Desgleichen dürfen Testantigene nur mit Erlaubnis eingeführt werden. Dies sind gemäß § 4 Abs. 7 AMG diejenigen Arzneimittel, die Antigene oder Haptene enthalten und die dazu bestimmt sind, als solche verwendet zu werden. Das eingeführte Blut gehört hierzu nicht. c) Wirkstoffe menschlicher, tierischer oder mikrobieller Herkunft63. Auch die Einfuhr bestimmter Wirkstoffe unterliegt der Erlaubnispflicht des § 72 Abs. 1 AMG. § 4 Abs. 19 AMG sieht als Wirkstoffe solche Stoffe an, „die dazu bestimmt sind, bei der Herstellung von Arzneimitteln als arzneilich wirksame Bestandteile verwendet zu werden oder bei ihrer Verwendung in der Arzneimittelherstellung zu arzneilich wirksamen Bestandteilen der Arzneimittel zu werden.“ Es ist offensichtlich, daß das eingeführte Blut kein Wirkstoff ist64; es ist in der Nomenklatur des zitierten § 3 Nr. 3 AMG ein „Stoff“ und hierbei „Körperbestandteil“ oder 63
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Erlaubnisfrei ist die Einfuhr solcher Wirkstoffe, die „für die Herstellung von nach einer im Homöopathischen Teil des Arzneibuches beschriebenen Verfahrenstechnik herzustellenden Arzneimitteln bestimmt sind“ (§ 72 Abs. 1 Satz 1 AMG). Zum Wirkstoffbegriff vgl. auch OVG Lüneburg ZLR 2003, 371 (382 f.) – Pflanzenteile.
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„Stoffwechselprodukt“65. Auch bei den sonstigen Begriffsbestimmungen des § 4 AMG ist das Blut in § 4 Abs. 2 AMG deutlich von den Wirkstoffen des § 4 Abs. 19 AMG unterschieden. Unabhängig von aller Terminologie kann man das eingeführte unbearbeitete Blut auch sachlich nicht als Wirkstoff ansehen. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, daß das eingeführte Blut nicht unter die in § 72 Abs. 1 AMG genannte Kategorie der „Wirkstoffe, die menschlicher, tierischer oder mikrobieller Herkunft sind “ fällt. Aus diesem Tatbestandmerkmal kann daher keine Einfuhrerlaubnispflicht abgeleitet werden. d) Wirkstoffe, die auf gentechnischem Wege hergestellt werden. Als zweite Wirkstoffkategorie nennt § 72 Abs. 1 AMG „Wirkstoffe, die auf gentechnischem Wege hergestellt werden“. Auch dieses Merkmal trifft auf das eingeführte Blut nicht zu. Erstens ist es nicht auf diese Weise „hergestellt“ worden und zweitens ist es aus denselben Gründen, wie unter c) ausgeführt, kein Wirkstoff, so daß auch hier keine Einfuhrerlaubnispflicht besteht. Als Zwischenergebnis läßt sich feststellen: Die vier soeben betrachteten Einfuhrerlaubnistatbestände des § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG liegen nicht vor.
7. Die Einfuhr von Blut zu Bearbeitungszwecken ist eine Einfuhr eines zur Arzneimittelherstellung bestimmten Stoffes menschlicher Herkunft Die letzte Gruppe der Einfuhrerlaubnispflicht des ersten Absatzes von § 72 AMG bilden „andere zur Arzneimittelherstellung bestimmte Stoffe menschlicher Herkunft“. Bei dieser Gruppe wird also nicht auf den Arzneimittelbegriff abgestellt, sondern auf den – wie bereits dargestellt – von ihm scharf zu trennenden Begriff des Stoffes. Dieser Stoff muß zur Arzneimittelherstellung bestimmt und menschlicher Herkunft sein. Das eingeführte Blut ist ein Stoff, der zur Herstellung eines Arzneimittels bestimmt ist. Denn nach der Bearbeitung soll das Blut vom Arzt dem Patienten zur Therapie appliziert werden, so daß man bejahen kann, es sei beabsichtigt, ein Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG herzustellen. Ferner ist das Blut „menschlicher Herkunft“. § 72 Abs. 1 AMG erstreckt die Erlaubnispflicht nicht auf die private, wohl aber auf die „gewerbs- oder berufsmäßige“ Einfuhr. Die Tätigkeit eines Arztes ist zwar nicht gewerbsmäßig im Sinne des ärztlichen Berufs- und des Steuerrechts, aber jedenfalls berufsmäßig66, so daß auch dieses Tatbestandsmerkmal gegeben ist. Für die Nicht-Europäische Einfuhr67 besteht daher aufgrund des hier untersuchten Tatbestandsmerkmals des „zur Arzneimittelherstellung bestimmten Stof65 66 67
Hierzu oben Fußn. 51. Kloesel/Cyran u. a. (Fußn. 35), § 72 AMG Anm. 14. Vgl. oben Text nach Fußn. 28.
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fes menschlicher Herkunft“ eine Erlaubnispflicht, sofern die weiteren Voraussetzungen des § 72 Abs. 1 AMG erfüllt sind, was im Folgenden zu untersuchen ist.
8. Ergebnis zur Nicht-Europäischen Einfuhr zu Bearbeitungszwecken Zu Bearbeitungszwecken eingeführtes Blut stellt kein Arzneimittel dar und ist auch keine der anderen in der Einfuhrvorschrift des § 72 AMG genannten Substanzen, fällt aber unter das in § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG aufgeführte Merkmal des „zur Arzneimittelherstellung bestimmten Stoffes menschlicher Herkunft“. Wie die nachfolgenden Untersuchungen ergeben werden, folgt daraus jedoch keine Erlaubnispflicht, weil das sogleich behandelte weitere Merkmal „zum Zwecke der Abgabe an andere“ genauso wenig erfüllt ist wie das sodann erörterte andere Kriterium „zur Weiterverarbeitung“.
VII. Einfuhrerlaubnisfreiheit und Therapiefreiheit Wie unter VI. 1. [sub „Zweitens“] bereits dargelegt, dürfen die von § 72 AMG erfaßten Substanzen aus dem nicht-europäischen Ausland dann erlaubnisfrei eingeführt werden, sofern die Gegenstände entweder privat oder weder zum Zwecke der Abgabe an andere noch zur Weiterverarbeitung nach Deutschland verbracht werden. Von diesen drei Fallgruppen scheidet bei der Tätigkeit eines Arztes naturgemäß die private Einfuhr aus. Die anderen beiden Merkmale einer Erlaubnisfreiheit können jedoch vorliegen.
1. Die Einfuhr zu Bearbeitungszwecken zielt nicht auf die Abgabe an andere Die Erlaubnispflicht sieht § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG für diejenige Einfuhr vor, die „zum Zwecke der Abgabe an andere“ erfolgt. Deutlicher formuliert: Wer die zur Arzneimittelherstellung bestimmten Stoffe menschlicher Herkunft zum Zwecke der Abgabe an andere einführt, bedarf einer Einfuhrerlaubnis. Umgekehrt bedeutet dies: Wer die zur Arzneimittelherstellung bestimmten Stoffe menschlicher Herkunft nicht zum Zwecke der Abgabe an andere einführt, bedarf keiner Einfuhrerlaubnis. Da es in dieser Fallgruppe um die „Arzneimittelherstellung“ geht, ist also folgendes gemeint: Wer die genannten Stoffe einführt, um selbst das Arzneimittel herzustellen, und dieses Medikament nicht an andere abgibt, sondern selbst anwendet, derjenige braucht keine Erlaubnis68. Die Einfuhr von Blut unterliegt dann keiner Erlaubnispflicht. Diese Thematik ist nunmehr zu vertiefen: 68
Pelchen in: Erbs/Kohlhaas: Strafrechtliche Nebengesetze, Loseblattsammlung [Stand Dezember 2007], § 72 AMG, RdNr. 5.
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a) Die Anwendung durch den Arzt ist kein Inverkehrbringen und damit keine Abgabe an andere Wer „andere zur Arzneimittelherstellung bestimmte Stoffe menschlicher Herkunft“ einführt, unterliegt – wie soeben festgestellt – der Erlaubnispflicht, falls er dies „zum Zwecke der Abgabe an andere“ vornimmt. „Abgabe an andere“ ist gemäß § 4 Abs. 17 AMG ein Unterfall des arzneirechtlichen Inverkehrbringens. Bereits im Jahr 1988 hat der Bundesgerichtshof klargestellt: Ein Inverkehrbringen „liegt“ … „dagegen nicht vor, wenn der Arzt im Rahmen einer Behandlung selbst oder durch überwachtes Personal Arzneimittel am Patienten anwendet, z. B. durch Injektion, Infusion, Verabreichung einer einzelnen Dosis oder ähnliche Maßnahmen.“69 Wenn also eine solche Anwendung durch den Arzt kein „Inverkehrbringen“ ist, dann liegt folgerichtig auch keine „Abgabe an andere“ vor, weil eine derartige Abgabe nur einer der Unterfälle des Inverkehrbringens ist70. Dieses Ergebnis bestätigt sich, wenn man sich nunmehr mit dem Begriff der „Abgabe an andere“ beschäftigt. b) Bei Personenidentität zwischen (einführendem) Hersteller und Anwender liegt keine Abgabe an andere vor Was der Gesetzgeber mit dem Begriff „Abgabe an andere“ meint, sagt er in der Legaldefinition des § 13 Abs. 1 Satz 3 AMG71: „Eine Abgabe an andere im Sinne des Satzes 1 liegt vor, wenn die Person, die das Arzneimittel herstellt, eine andere ist als die, die es anwendet.“ Anders ausgedrückt heißt dies: Wenn der das Blut einführende Hersteller personengleich72 mit dem Anwender ist, bedarf es keiner Einfuhrerlaubnis, weil dann keine „Abgabe an andere“ vorliegt73. Damit ist vor allem klargestellt, daß ein Arzt die von ihm selbst hergestellten Arzneimittel74 bei seinen Patienten anwenden darf, ohne hierzu einer Erlaubnispflicht oder einer 69 70 71 72
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BGH NJW-RR 1989, 550 (551 sub II 2 a). Hierzu Deutsch/Spickhoff (Fußn. 1), RdNr. 1203. Vgl. Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann (Fußn. 1), RdNr. 317. Dies ist der treffendste Ausdruck im Rahmen der Diskussion um § 13 Abs. 1 Satz 3 AMG, vgl. Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann (Fußn. 1), RdNr. 318; Wolfslast/Rosenau: Zur Anwendung des Arzneimittelgesetzes auf die Entnahme von Organund Gewebetransplantaten, NJW 1993, 2348 (2350 bei dortiger Fußn. 37). BVerfGE 102, 26 (34 ff. – Frischzellen, vgl. oben Fußn. 9) und BayObLG (Fußn. 51), NJW 1998, 3431 f. sub 1 b jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen; aus neuerer Zeit z. B. LG Hamburg NJW 2002, 3115; vgl. auch OVG Lüneburg GesR 2006, 461 (462 sub 1 [re. Sp.]) und Deutsch/Spickhoff (Fußn. 1), RdNr. 1203 (S. 700) zum eingangs zitierten Frischzellenurteil des Bundesverfassungsgerichts. Anders ist es, wenn eine Herstellung einer dritten Person für einen Arzt vorliegt (so jedoch waren die Fälle des VGH Baden-Württemberg [sämtlich unveröffentlicht] und des Hessischen VGH [MedR 1993, 150], eingehend behandelt von Hoppe: Arzneimittelherstellung durch Ärzte - Zulässigkeit und Stellvertretung, MedR 1996, 72 [73 ff.]). Allerdings schadet es nicht, wenn ein Arzt bei der Herstellung eigener Medikamente einzelne delegationsfähige Tätigkeiten von Assistenzpersonen ausführen läßt (BVerfGE [Fußn. 9], 102, 34 – Frischzellen; Hoppe, a. a. O., S. 73 sub b sowie vorher bei dortiger Fußn. 12).
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Anzeigepflicht zu unterliegen75. Bei Auslegung des § 13 Abs. 1 Satz 3 AMG kommt also „der ärztlichen Therapiefreiheit entscheidendes Gewicht zu“76. c) Therapieverantwortung des Arztes bei der eigenen Anwendung – Keine Abgabe an andere Wie auch sonst üblich und unverzichtbar, darf der Arzt hierbei delegierbare Tätigkeiten durch medizinisches Hilfspersonal77 ausführen lassen78. Derartige Assistenzpersonen sind daher je nach ihrer Qualifikation befugt, nach den Anweisungen des betreffenden Arztes „in seinen Praxisräumen und unter seiner Verantwortung“79 z. B. Spritzen zu geben oder Salben aufzutragen. Zutreffend stellt das Bundesverfassungsgericht daher fest, in „Rechtsprechung und Literatur“ bestehe „Einigkeit darüber, dass bei der Herstellung durch einen Arzt, der das von ihm hergestellte Arzneimittel selbst am Patienten anwendet oder in seinem unmittelbaren Einwirkungsbereich durch weisungsgebundene Hilfskräfte oder durch den Patienten selbst anwenden lässt, keine Abgabe in diesem Sinne [sc. an andere] vorliegt“.80 „Anwender“ – und dies ist der Zentralbegriff – bleibt auch hier der einzelne Arzt als die verantwortliche Person; denn entscheidend ist die Therapieverantwortung, nicht die körperliche Applikation. Als eine solche Anwendung durch den Hersteller selbst und damit als keine Abgabe an andere wird deshalb
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Unbestritten, vgl. z. B. BVerfGE (Fußn. 9), 102, 34 – Frischzellen; BVerwG (Fußn. 19), NVwZ 2005, 87 (88 f. sub 3 und 4); BayObLG (Fußn. 51), NJW 1998, 3431 f. sub 1 b; Schumann (Fußn. 12), S. 707 ff.; Hoppe (Fußn. 74), S. 72; Kloesel/Cyran u. a. (Fußn. 35), § 13 AMG Anm. 15: „Erlaubnisfrei ist die Herstellung des Arzneimittels nur dann, wenn der ärztliche Hersteller das Arzneimittel selbst am Patienten anwendet oder in seinem unmittelbaren Einwirkungsbereich durch weisungsgebundene Hilfskräfte oder durch den Patienten anwenden läßt.“; Rehmann (Fußn. 48), § 13 RdNr. 2: „Ein Arzt, der Arzneimittel selbst herstellt und diese ausschließlich in seiner Praxis selbst anwendet, stellt diese nicht zur Abgabe an andere her. Er benötigt keine Herstellungserlaubnis.“; Sander/May: Arzneimittelrecht, Loseblattsammlung [Stand August 2007], § 13 AMG, Erläuterung 4 zu Absatz 1: „Damit ist klargestellt, dass Ärzte, die Arzneimittel aufbereiten, indem sie zum Beispiel Trockenampullen Lösungsmittel zusetzen“ ... „keine Abgabe im Sinne des § 13 vornehmen. Das gleiche gilt für die Gewinnung von Frischzellen durch einen Arzt zur Anwendung an seinen Patienten und die Bedienung von Dialysegeräten, in denen dem Blut nach Filtration Flüssigkeit zugesetzt wird. In diesen Fällen ist keine Herstellungserlaubnis erforderlich.“ – Zur anderen Rechtslage vor Inkrafttreten des AMG: Schumann (Fußn. 12), S. 710. Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann (Fußn. 1), RdNr. 319 unter Hinweis auf Schumann (Fußn. 12), S. 705 ff. Hierzu bereits Fußn. 74 am Ende. Der Arzt muß die „Kernleistung“ erbringen, darf aber nachgeordnete Aufgaben delegieren, BGH JZ 2008, 685 sub 1 und 2 mit Anm. Spickhoff JZ 2008, 687 (689 sub 5) zur GOÄ; ähnlich bereits Kalis: „Der ständige Streit um den ständigen ärztlichen Vertreter“, VersR 2002, 23 sub 2c mit weiteren Nachweisen. So die Forderung des BayObLG (Fußn. 51), NJW 1998, 3431 sub 1 b, aa); ähnlich S. 3432 sub 1 b, cc). BVerfGE (Fußn. 9), 102, 34 – Frischzellen mit zahlreichen Nachweisen.
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jeder Vorgang angesehen, der innerhalb der „Verfügungsgewalt“81 des Herstellers abläuft82. Dabei ist nicht eine besitzrechtliche, körperliche Herrschaft gemeint, sondern es geht um die Kontrolle83 der Anwendung durch den Hersteller, also – im Fall des von einem Arzt hergestellten Arzneimittels – um das Bestehen der ärztlichen Verantwortung für die Anwendung dieses von ihm hergestellten Arzneimittels84. Vergleichbar der Interpretation von § 950 BGB kommt es nicht auf die physische Nähe einer Person (z. B. des Arbeiters) zum verarbeiteten Gegenstand an, sondern maßgeblich ist, wer den Vorgang verantwortlich beherrscht85. Die Therapiefreiheit86 und die arztrechtliche Verantwortung ist die Grundlage der Erlaubnisfreiheit der Herstellung von solchen Arzneimitteln, die der herstellende Arzt selbst anwendet87. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht herausgestellt: „Die gesetzlichen Definitionen des Arzneimittelgesetzes bewirken danach eine Abgrenzung zwischen verschiedenen Formen ärztlicher Tätigkeit. Ärzte, die ihre eigenen Arzneimittel in Verkehr bringen, werden den allgemeinen Regeln des Arzneimittelrechts unterworfen; zugleich läßt aber das Arzneimittelgesetz die Therapiefreiheit des Arztes insoweit unangetastet, als die Anwendung von Arz-
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In Rechtsprechung und Lehre wird dieser Begriff immer wieder verwendet, um den Ausdruck „Abgabe an andere“ zu bestimmen, vgl. BVerfGE (Fußn. 9), 102, 35 – Frischzellen; BGH NJW-RR 1989, 550 (551 sub II 2 a); OVG Münster NJW 1995, 802 f. mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann (Fußn. 1), RdNr. 317; Vesting: Somatische Gentherapie, 1997, S. 63. So etwa Hoppe (Fußn. 74), sub II 2 (S. 72). Wolfslast/Rosenau (Fußn. 72), S. 2350 sprechen von der „Kontrolle des Herstellers“. Sobald das Arzneimittel aus dessen Kontrolle gerät, entsteht das Sicherheitsbedürfnis und damit die arzneirechtliche Erlaubnispflicht. Zutreffend Deutsch/Spickhoff (Fußn. 1), RdNr. 1367: Der Arzt „kann sich bei der Herstellung des Arzneimittels durch andere Ärzte insoweit vertreten lassen, als sein Verantwortungsbereich gewahrt ist“; Wolfslast/Rosenau (Fußn. 72), S. 2350: Beim Begriff des „anderen“ ist systematisch und teleologisch auf den Verantwortungsbereich abzuheben. Ebenso Hoppe (Fußn. 74), S. 75 f.: „Folgerichtig ist der Begriff des ‚anderen’ i. S. d. § 13 I AMG systematisch und teleologisch so auszulegen, daß unter einem ‚anderen’ i. S. dieser Vorschrift nicht jede andere Person im individuellen Sinne zu verstehen ist, sondern daß auf den einheitlichen Verantwortungsbereich abzustellen ist.“ Auch Ratzel in: Deutsch/Lippert (Fußn. 29), § 13 RdNr. 5 und Vesting (Fußn. 81), S. 64 stellen auf den „einheitlichen Verantwortungsbereich“ ab. Das Bundessozialgericht spricht von der „eigenen unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeit“ des Arztes (BSGE 82, 233 [235] – Jomol). Das Bundesverwaltungsgericht umschreibt den Personenkreis mit dem Ausdruck: das dem Arzt „unterstellte Personal“ (BVerwG [Fußn. 19], NVwZ 2005, 87 [88 sub 3]). Vgl. z. B. Kindl in: Bamberger/Roth: BGB, 2. Aufl. 2008, § 950 RdNr. 9 und 11 mit dortiger Fußn. 66. Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann (Fußn. 1), RdNr. 319. Mit Recht stellt daher das OVG Münster (Fußn. 81), S. 803 entscheidend auf die „Therapiefreiheit“ des Arztes ab: „Therapiefreiheit bedeutet Verfügungsgewalt über das in der Hand des Arztes befindliche Arzneimittel.“ Soweit sie reicht, liegt keine „Abgabe an andere“ vor.
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neimitteln bei den eigenen Patienten nicht als Abgabe im Sinne des Arzneimittelrechts verstanden wird.“88 Der heutige Wortlaut des AMG hat den in Rechtsprechung und Wissenschaft verwendeten Begriff der Verantwortung nunmehr übernommen. Der vor einiger Zeit eingefügte § 4 a Nr. 3 AMG89 stellt solche Arzneimittel von der Geltung des AMG frei, die „unter der unmittelbaren fachlichen Verantwortung des anwendenden Arztes“ … „hergestellt worden sind“90. d) Die Kongruenz zwischen § 13 und § 72 AMG Die hier betrachtete Regelung des § 72 AMG bei der Einfuhrerlaubnis setzt die Regelung zur Herstellungserlaubnis in § 13 AMG nahtlos fort91. Was der Arzt ohne Erlaubnis herstellen darf, kann er auch erlaubnisfrei einführen – sofern er in beiden Fällen keine Abgabe an andere vornimmt, sofern er also das von ihm hergestellte Medikament selbst anwendet. „Die Voraussetzungen der Einfuhrerlaubnis aus Drittländern entsprechen denen für die Herstellungserlaubnis nach § 13 [sc. AMG].“92 Die Kongruenz zwischen § 13 und § 72 AMG zeigt sich an der nahezu wörtlichen Identität der Vorschriften (der Kursivdruck kennzeichnet die Identität): § 13 Abs. 1 Satz 1 AMG formuliert: „Wer Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1, Testsera oder Testantigene oder Wirkstoffe, die menschlicher, tierischer oder mikrobieller Herkunft sind oder auf gentechnischem Wege hergestellt werden, sowie andere zur Arzneimittelherstellung bestimmte Stoffe menschlicher Herkunft gewerbs- oder berufsmäßig zum Zwecke der Abgabe an andere herstellen will, bedarf einer Erlaubnis der zuständigen Behörde.“
§ 72 Abs. 1 Satz 1 AMG lautet: „Wer Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1, Testsera oder Testantigene oder Wirkstoffe, die menschlicher, tierischer oder mikrobieller Herkunft sind und nicht für die Herstellung von nach einer im Homöopathischen Teil des Arzneibuches beschriebenen Verfahrenstechnik herzustellenden Arzneimitteln bestimmt sind, oder Wirkstoffe, die auf gentechnischem Wege hergestellt werden, sowie andere zur Arzneimittelherstellung bestimmte Stoffe menschlicher Herkunft gewerbs- oder berufsmäßig zum Zwecke der Abgabe an andere oder zur Weiterverarbeitung aus Ländern“ … „in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbringen will, bedarf einer Erlaubnis der zuständigen Behörde“.
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BVerfGE (Fußn. 9), 102, 35 – Frischzellen. Zur Therapiefreiheit des Arztes bereits RGSt 67, 12 (22) und z. B. BGH NJW 1991, 1535 (1536). Hierzu oben bei Fußn. 15. Zu § 4 a Nr. 3 AMG später auch der Text bei Fußn. 102. Vgl. Deutsch/Spickhoff (Fußn. 1), RdNr. 1556: Bei § 72 AMG werden „die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die Herstellungserlaubnis im Inland (§§ 13 ff. AMG) weitgehend übernommen“. Pelchen in: Erbs/Kohlhaas (Fußn. 68), RdNr. 1; ähnlich RdNr. 5.
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Die enge Verzahnung beider Vorschriften ist desgleichen in § 96 Abs. 4 AMG erkennbar, der den Verstoß gegen sie einheitlich erfaßt. e) Die Freistellung von § 13 AMG und § 72 AMG folgt aus der Therapiefreiheit Daß § 13 AMG und § 72 AMG sowohl die Herstellung als auch die Einfuhr erlaubnisfrei stellen, ist unmittelbare Folge der Therapiefreiheit des Arztes93, was insbesondere das Bundesverfassungsgericht betont hat94. Es geht also nicht um eine periphere Frage des Arzneimittelrechts, sondern um ein Problem des Arztrechts – nämlich um die ärztliche Methodenfreiheit95 – und hierbei um den Kernbereich der grundrechtlich gesicherten Berufsausübung des Arztes96. Wie eingangs schon dargestellt97, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß das Arzneimittelrecht durch die Frischzellen-Verordnung in diesen Bereich nicht einzugreifen vermochte, sofern keine Abgabe der Arzneimittel an andere vorlag98. Das AMG wendet sich daher nicht an den behandelnden Arzt. Insbesondere kann dieser bei der Behandlung Medikamente einsetzen, die über keine Zulassung nach den Regeln des AMG verfügen99; unterliegt dann aber besonderen Sorgfalts- und Aufklärungspflichten100. f) § 4 a Nr. 3 AMG als Bestätigung der fehlenden Geltung des AMG für die ärztliche Eigeneinfuhr von Blut Die bisherigen Ergebnisse werden schließlich durch § 4 a Nr. 3 AMG101 bestätigt. Diese klare Vorschrift nimmt von der Geltung des AMG sämtliche Arzneimittel aus, die (erstens) ein Arzt bei Menschen (zweitens) anwendet, soweit (drittens) die Arzneimittel ausschließlich zu diesem Zweck (viertens) unter der unmittelbaren fachlichen Verantwortung des anwendenden Arztes hergestellt worden sind 102. 93
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Vgl. Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann (Fußn. 1), RdNr. 319 unter Hinweis auf Schumann (Fußn. 12), S. 705 ff. BVerfGE (Fußn. 9), 102, 35, 36 f. – Frischzellen; vgl. auch Schumann (Fußn. 12), S. 705 ff., besonders 714 f. Vgl. Tamm: Die Zulässigkeit von Außenseitermethoden und die dabei zu beachtenden Sorgfaltspflichten 2007, S. 150 ff. mit umfassenden Nachweisen; Uhlenbruck in: Laufs/Uhlenbruck: Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 44 RdNr. 6 und Laufs, ebenda, § 99 RdNr. 19 f. Vgl. z. B. BGH NJW-RR 1989, 550 (551 sub II 2 a): Es gehört „mit zu den Aufgaben des Arztes, bei der Behandlung des Patienten Arzneimittel unmittelbar zu applizieren“. Oben Text zu Fußn. 8 ff. BVerfGE (Fußn. 9), 102, 39 f. – Frischzellen. BGHZ 172, 1 (6 [Nr. 12]); OLG Köln VersR 1991, 186 Leitsatz 3 (189); OLG München VersR 1991, 471 (473 sub II 1 e); vgl. BSGE 93, 236 (245 sub RdNr. 23). BGHZ (Fußn. 99) 172, 8 f. [Nr. 20], 12 f. [Nr. 29], 13 ff. [Nr. 31 ff.]; vgl. auch unten Fußn. 113. Hierzu oben Text bei Fußn. 15. Lippert, in: Deutsch/Lippert (Fußn. 29) § 4 a RdNr. 4; Kloesel/Cyran u. a. (Fußn. 35), § 4 a AMG Anm. 5; Rehmann (Fußn. 48), § 4 a RdNr. 4; Sander (Fußn. 75), Arzneimittelrecht, § 4 a Erläuterung 4 zu Nr. 3.
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Das vom nicht-europäischen Ausland eingeführte, vom Arzt bearbeitete und von ihm beim Patienten angewendete Blut entspricht diesen vier Tatbestandsmerkmalen des § 4 a Nr. 3 AMG: Es findet (erstens) durch den Arzt bei seinem Patienten (zweitens) eine Anwendung statt, und zwar (drittens) von ausschließlich zu diesem Zweck, nämlich der Anwendung bei dem Patienten, eingeführtem Blut, das (viertens) unter der unmittelbaren fachlichen Verantwortung des anwendenden Arztes hergestellt worden ist. g) § 13 Absatz 1 Satz 3 und § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG als Ausnahmevorschriften? § 13 Absatz 1 Satz 3 AMG wird bisweilen als eine Art „Ausnahmevorschrift“ zugunsten der Ärzte verstanden103. Es wird auch von einem „Ärzteprivileg“ gesprochen104. Man könnte daher meinen, diese Vorschrift und ebenso § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG seien in dem Sinne zu interpretieren, daß im Zweifel das AMG gelte und die ärztliche Therapiefreiheit zurückzutreten habe. Dies wäre freilich ein schwerwiegendes Mißverständnis. Vielmehr regeln die beiden Vorschriften sowie die Norm des § 4 a Nr. 3 AMG105 eine zentrale Schnittstelle zwischen Arzneimittelrecht und Arztrecht. Diese Vorschriften des AMG sind Kollisionsregelungen für die beiden Rechtsgebiete. Als Normen, die eine Grenzlinie zwischen zwei Rechtsgebieten ziehen, können sie schon deshalb keine Ausnahmevorschriften sein. h) Das Gebot der engen Interpretation des AMG Vor allem geht es hier – wie bereits eingangs106 angesprochen – auch um eine kompetenzrechtliche Grenzziehung zwischen Bundesrecht (Arzneimittelrecht) und Landesrecht (Recht der ärztlichen Berufsausübung). Da eine „Vermutung zugunsten der Zuständigkeit der Länder, nicht aber zugunsten einer Bundeskompetenz“107 gilt, ist die Rechtslage ganz im Gegenteil völlig umgekehrt: Soweit die Normen des AMG keine ausdrücklichen Regelungen enthalten, gilt die ärztliche Therapiefreiheit. Diese Aussage folgt auch aus dem Gebot der „strikten Interpretation“ der 103
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Auf diese Ansicht weist der BayVGH in seinem (unveröffentlichten) Beschluß vom 13. September 1994 (Aktenzeichen: 25 CS 94.1897), S. 18 hin, ohne sich in dieser Frage selbst festzulegen. Der Ausdruck „Ärzteprivileg“ (so Deutsch/Spickhoff [Fußn. 1] RdNr. 1367, ähnlich RdNr. 495 zu § 13 BtMG; Deutsch/Bender/Eckstein/Zimmermann [Fußn. 1], RdNr. 317) erscheint mir in diesem Zusammenhang als nicht sehr glücklich, weil in dem Ausdruck der Charakter einer Ausnahme oder auch nur eines Vorrechts mitschwingt (vgl. z. B. Erich und Hildegard Bulitta: Wörterbuch der Synonyme und Antonyme, 2003, Stichwort „Ausnahme“ [S. 126 f.]). So wenig etwa der Führerscheininhaber ein „Privileg“ hat, ein Kraftfahrzeug zu führen, so wenig besitzt der Rechtsanwalt ein „Privileg“, Rechtsberatung auszuüben, oder der Arzt das „Privileg“, Patienten zu behandeln. Zu ihr bereits oben bei Fußn. 15 sowie soeben im vorhergehenden Abschnitt. Oben Text bei Fußn. 9 ff. So das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, z. B. BVerfGE 42, 20 (28 sub II. 1).
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grundgesetzlichen Kompetenznormen108. Im Zweifel ist deshalb das AMG eng oder einschränkend109 zu interpretieren, soweit es die ärztliche Berufsausübung berührt. Die Therapiefreiheit des Arztes hat Vorrang vor dem AMG. i) Der Vorrang der Therapiefreiheit des Arztes Dieser Vorrang der ärztlichen Therapiefreiheit ist durch die grundrechtliche Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und nicht weniger durch die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) abgesichert110. Daher darf ein Arzt im Rahmen der allgemeinen Gesetze diejenige Therapie anwenden, die er für zutreffend hält. Ihre Grenze findet die Therapiefreiheit lediglich in den Vorgaben der medizinischen Wissenschaft und der ärztlichen Praxis111. Zur Therapiefreiheit gehört die Befugnis des Arztes, neue diagnostische und bisher nicht beschrittene therapeutische Wege zu gehen, so daß er insbesondere nicht nur berechtigt, sondern aufgrund seiner ärztlichen Verantwortung sogar aufgerufen ist112, z. B. selbst Diagnose- und Therapieverfahren zu entwerfen und Präparate zu entwickeln oder einzuführen, die es bisher in der deutschen medizinischen Wissenschaft nicht gab113. Zur Wahrnehmung dieser Freiheit ist er ja gegenüber seinen Patienten besonders verpflichtet. Sie dürfen mit ihrem Anspruch auf Leben und Gesundheit nicht aus der 108
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Dieses Interpretationsprinzip hat das Bundesverfassungsgericht ebenfalls immer wieder betont, z. B. BVerfGE 42, 20 (28 sub II. 1), Daher ist eine extensive Auslegung der Kompetenzvorschriften unzulässig, z. B. BVerfGE 26, 246 (254 sub II. 2 a). So die Formulierung BVerfGE 102, 26 (33 sub I. vor 1) – Frischzellen; vgl. oben Fußn. 9. Aufgrund der im Rahmen der Föderalismusreform (oben Fußn. 16) erfolgten Änderung der maßgebenden Kompetenznorm des Art. 74 Nr. 19 GG ist der Bund auch weiterhin nicht ermächtigt, in die ärztliche Therapiefreiheit ohne zwingenden Grund einzugreifen. Die Frage muß hier jedoch nicht näher untersucht werden, weil ein derartiger Eingriff innerhalb des vorliegend behandelten Themenkreises – wie dargestellt – aufgrund der derzeit geltenden § 4 a Nr. 3, § 13 Abs. 1 Satz 3 und § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG ohnehin nicht möglich ist. Deutsch (Fußn. 1), VersR 1998, 261 (262); Laufs (Festschrift Geiger[Fußn. 2], S. 235) sieht in der Verbindlichkeit der Sorgfaltspflichten das unausweichliche Korrelat der Freiheit der Methodenwahl. Dementsprechend ist der Arzt gegenüber dem Patienten zur Behandlung nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft verpflichtet (vgl. Spickhoff in: Soergel: BGB, 13. Auflage 2005, § 823 Anhang I RdNr. 55). Zum Schadensersatz führt daher ein ärztliches Verhalten, das nicht den beruflich geforderten Standard erreicht (vgl. Deutsch: Rechtswidrigkeitszusammenhang, Gefahrerhöhung und Sorgfaltsausgleichung bei der Arzthaftung, Festschrift für Ernst von Caemmerer, 1978, S. 329 [331]). Im Haftungsrecht zeigt sich die Therapiefreiheit insofern, als der Arzt nicht immer den sichersten therapeutischen Weg wählen muß (vgl. Spickhoff, a. a. O, § 823 Anhang I RdNr. 58). Vgl. hierzu die Kontroverse: Frahm: Einschränkung der Therapiefreiheit durch das Haftungsrecht, GesR 2005, 529 ff. und Ziegler: Nochmals: Zur Einschränkung der Therapiefreiheit durch das Haftungsrecht, GesR 2006, 109 f. Deutsch/Spickhoff [Fußn. 1], RdNr. 16: Der Arzt hat zur Fortentwicklung der Wissenschaft beizutragen. Die Anwendung von Außenseitermethoden verlangt vom Arzt allerdings die Beachtung besonderer Sorgfalts- und Aufklärungspflichten gegenüber dem Patienten, BGHZ 172, 254 (258 - 262 [Nr. 16 ff.]); vgl. auch oben bei Fußn. 100.
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Betrachtung ausgeblendet werden. Deshalb ist es selbstverständlich, daß es einem Arzt durch die Rechtsordnung nicht verwehrt sein darf, eigene Diagnose-, Therapie- und Präparatstrategien zu entwickeln. Aus diesen Gründen sind die Vorschriften der § 4 a Nr. 3, § 13 Abs. 1 Satz 3 und § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG auch ein Bekenntnis zur ärztlichen Freiheit. j) Die Grundrechtsposition des Patienten und die patientenfreundliche Auslegung des Arzneimittelgesetzes Das Arzneimittelrecht ist vom Gedanken erfüllt, die Patienten vor schädlichen Präparaten zu schützen114. Demgemäß herrscht ein System des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt. Dieses System erweist sich jedoch dann als nicht unproblematisch, wenn es im Einzelfall über seine Rechtfertigung hinausschießt und nunmehr der einzelne Patient, dem ja geholfen werden soll, gesundheitliche Nachteile erleidet. Auf diesen Aspekt hinzuweisen, ist vor allem veranlaßt, weil im täglichen Vollzug des Arzneimittelgesetzes die Beziehung „Arzt – Staat“ dominiert und daneben die Grundrechtsposition des Patienten gegenüber dem Staat in den Hintergrund zu treten scheint; diese Position hat ihrerseits zum Inhalt, Therapien nicht zu behindern, die aus der Sicht dieses Patienten hilfreich sind. Der Staat ist vielmehr kraft seiner Pflicht, Leben und Gesundheit zu schützen, gehalten, solche Therapien zu ermöglichen, jedenfalls nicht zu unterbinden115. Sicherlich kann der Grundrechtsschutz des Patienten nicht zur Beseitigung der im Interesse der Allgemeinheit bestehenden generellen Regelungen des Arzneimittelrechts führen. Jedoch sind die Grundrechte des Patienten auf erfolgversprechende Behandlung ausgerichtet116. Daher muß sich die konkrete Anwendung des Arzneimittelgesetzes von dem Bemühen leiten lassen, im Wege einer patientenfreundlichen Auslegung zu Lösungen zu gelangen, die den Wunsch von Patienten nach einer für sie erfolgreichen Therapie nicht enttäuscht117. Die Regelungen des AMG sind daher so zu interpretieren, daß kein Nachteil für Patienten entsteht, es sei denn, ein gegenteiliges Ergebnis läßt sich klar und eindeutig aus vorrangigen und beweisbaren Gesichtspunkten rechtfertigen. Würden allerdings einzelne Bestimmungen des AMG derartige patientenfreundliche Lösungen nicht ermöglichen und ohne einen im 114 115
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Vgl. BVerfGE 17, 269 (276). Vgl. auch Vesting (Fußn. 81), S. 102 f. mit weiteren Nachweisen: Aus dem Recht auf Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgt, „daß der Staat den Zugang zu Therapiemethoden, die der einzelne zu Zwecken seiner Heilung nutzen will, grundsätzlich nicht einschränken darf. Diese aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgende Beschränkung staatlichen Handelns kommt jedenfalls dann zum Tragen, wenn eine konkret erkrankte Person eine Therapie oder ein Arzneimittel zur Heilung in Anspruch nehmen will.“; ebenso Vesting/Simon: Die Zulässigkeit des Klonens von Tieren in Deutschland, ZRP 1998, S. 261 (264 sub 3). Deutsch (Fußn. 1), VersR 1998, 261 (264); vgl. dazu auch BVerfGE (Fußn. 5) 115, 25 (44) – Duchenne’schen Muskeldystrophie. Vgl. BVerfGE 52, 131 (170: „Die Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist wesentlicher Teil des ärztlichen Aufgabenbereichs“ [Mehrheitsvotum], 171 ff. betonen noch deutlicher das Selbstbestimmungsrecht des Patienten [Minderheitsvotum]).
Die Therapiefreiheit des Arztes und die Einfuhr von Blut seiner Patienten
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Einzelfall rechtfertigenden Grund eine Therapie untersagen, wären sie mit dem grundrechtlichen Gebot auf Schutz des Lebens und der Gesundheit nicht zu vereinbaren. k) Ergebnis Wenn ein Arzt Blut aus dem nicht-europäischen Ausland einführt, um es zu bearbeiten und um es anschließend selbst beim Patienten anzuwenden, bedarf er keiner Einfuhrerlaubnis. Denn die Einfuhr von Blut hat nicht zum Ziel, das bearbeitete Blut an andere abzugeben.
2. Kein Zweck der Weiterverarbeitung Wie oben VII. vor 1. dargestellt, ist ferner eine Erlaubnis gemäß § 72 Abs. 1 AMG erforderlich, wenn „andere zur Arzneimittelherstellung bestimmte Stoffe menschlicher Herkunft“ … „zur Weiterverarbeitung“ eingeführt werden. Ein solches Ziel einer „Weiterverarbeitung“ ist in der hier zu behandelnden Fallkonstellation nicht gegeben, weil das zu Bearbeitungszwecken eingeführte Blut bisher nicht verarbeitet worden ist. Eine derartige Verarbeitung vor der Einfuhr wäre jedoch notwendig, um von einer „Weiterverarbeitung“ des Blutes in Deutschland sprechen zu können. Dieses Ergebnis beruht auf folgenden Überlegungen: a) Die Begriffe „Bearbeiten“, „Verarbeiten“, „Weiterverarbeiten“ Das AMG verwendet hinsichtlich der Einwirkungen auf die Stoffe verschiedene Begriffe: „Bearbeitung“, „Verarbeitung“ und „Weiterverarbeitung“. Diese Begriffe werden im AMG nicht legaldefiniert. Das AMG geht davon aus, daß sie so verstanden werden wie auch sonst im Rechtsleben. Tatsächlich läßt sich kein Unterschied zum allgemeinen Sprachgebrauch erkennen, wenn man im AMG auf diese Begriffe stößt, etwa auf die Ausdrücke „bearbeitet“ in § 3 Nr. 2 und 3 AMG, „Be- und Verarbeiten“ in § 4 Nr. 14 AMG und „weitere Verarbeitung“ in § 4 Abs. 1 Satz 2 AMG. Für die hier vorzunehmende Auslegung des in § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG verwendeten Wortes „Weiterverarbeitung“118 ist wichtig, daß das Gesetz deutlich zwischen „Verarbeitung“ und „Weiterverarbeitung“ trennt, etwa bei arzneirechtlichen Zwischenprodukten, die nach einer Verarbeitung eine weitere Verarbeitung erfahren (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 AMG). Den Zusatz „weitere“ oder die Vorsilbe „weiter-“ verwendet das AMG in dem üblichen juristischen Verständnis des 118
Dies zeigt auch die Begründung des Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, BT-Drs. 15/2109, S. 37 zu Nummer 50 [Zu Absatz 1]: Der in § 72 AMG neu eingeführte Zusatz „oder zur Weiterverarbeitung“ wird nicht weiter erläutert. Im anschließenden Gesetzgebungsverfahren sahen weder Bundesrat noch Bundestag eine Notwendigkeit, den Begriff „Weiterverarbeitung“ zu definieren, vgl. Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 15/2360, S. 13 und 14 und Beschlußempfehlung und Ausschußbericht, BT-Drs. 15/2849, S. 62.
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Nochmaligen: So ist die Weiterverweisung (im Prozeßrecht oder im Internationalen Privatrecht) die abermalige Verweisung (an ein anderes Gericht oder auf eine weitere Rechtsordnung), nachdem schon einmal verwiesen war. Die weitere Beschwerde ist der zusätzliche Rechtsbehelf nach vorher durchgeführter Beschwerde. Der Weiterverkauf stellt sich als der nochmalige Verkauf derjenigen Sache dar, die bereits einmal verkauft worden war. Die ärztliche Weiterbildung ist die zusätzliche Unterweisung des ausgebildeten Arztes119. Dementsprechend verstehen Literatur und Rechtsprechung den arzneimittelrechtlichen Begriff der „Weiterverarbeitung“ im Sinne des nochmaligen Verarbeitens eines schon vorher verarbeiteten Stoffes120, also etwa als Schlußverarbeitung „des noch nicht vollständig konfektionierten Arzneimittels“121, des Halbfertigarzneimittels oder des bereits erwähnten Zwischenproduktes122 im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AMG. b) Es liegt keine Einfuhr „zur Weiterverarbeitung“ vor Nach dieser Begriffsklärung ist deutlich, was § 72 Abs. 1 AMG meint, wenn er davon spricht, daß „andere zur Arzneimittelherstellung bestimmte Stoffe menschlicher Herkunft“ … „zur Weiterverarbeitung“ nach Deutschland eingeführt werden sollen. Zweck der Einfuhr soll die nochmalige („weitere“) inländische Verarbeitung dieser bereits im nicht-europäischen Ausland verarbeiteten Produkte sein. Handelt es sich hingegen um Blut, das bislang im nicht-europäischen Ausland überhaupt nicht verarbeitet wurde, wird es zur Erstbearbeitung, aber nicht zur Weiterverarbeitung eingeführt. § 72 Abs. 1 AMG greift also bei dieser Konstellation nicht ein123. c) Im übrigen kommt es nicht einmal zu einer Verarbeitung Im übrigen ist zu unterscheiden, ob überhaupt eine Verarbeitung oder lediglich eine Bearbeitung vorliegt. Dies ist kein bloßes Wortspiel. Wie die soeben zitierten Vorschriften des AMG zeigen, unterscheidet es zwischen der Bearbeitung und der Verarbeitung. Insbesondere § 3 Nr. 3 AMG, der – wie erwähnt – auch das Blut erfaßt, verwendet das Begriffspaar „bearbeitet“ und „unbearbeitet“124. Auch für die vorliegende Frage ist dieser Sprachgebrauch zutreffend, weil nur die Alterna119
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Vgl. Art. 27 – 36 BayHKaG und Tamm (Fußn. 95), S. 102 f. zu den unterschiedlichen Begriffen der ärztlichen „Ausbildung“, „Fortbildung“ und „Weiterbildung“. Vgl. z. B. VG Köln Urteil vom 20. Januar 2006, 18 K 6340/03, juris-Abfrage vom 20. Oktober 2008, RdNr. 40 sowie auch 9 und 17 – Tanninalbuminat: Dem 1. Schritt der „Verarbeitung“ sog. Gallen zu Tanninen folgt als 2. Schritt die „Weiterverarbeitung“ der Tanninen zu Tanninalbuminat. Sander (Fußn. 75), § 72 Anm. 4. Kloesel/Cyran u. a. (Fußn. 35), § 4 Anm. 10 a. Auch hier zeigt sich, wie harmonisch das Einfuhrregime des § 72 AMG in das System des AMG eingebettet ist. Wie es keine „geborenen“ Arzneimittel gibt, werden Stoffe, die nicht be- oder verarbeitetet sind, von diesem Regime ausgenommen. Der Schutzzweck des AMG realisiert sich erst auf einer späteren Stufe, s. oben bei und in Fußn. 48 f. Im Zusammenhang mit dem Begriff „Blut“ spricht das AMG nicht von „verarbeiten“.
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tive zwischen Bearbeitung und Nichtbearbeitung besteht, aber die Grenzlinie zwischen Bearbeitung und Verarbeitung nicht überschritten wird. Denn abhängig von der bei der Behandlung des Blutes angewandten Methode kann dieses als Stoff erhalten bleiben. Es wird dann nicht zu einer anderen (neuen) Sache; es wird zwar vom „unbearbeiteten“ zum „bearbeiteten“ Blut im Sinne von § 3 Nr. 3 AMG. Bei einer Verarbeitung (Spezifikation) wäre die Rechtslage allerdings grundsätzlich anders, weil sie meist eine neue Sache entstehen läßt (vgl. § 950 BGB): Aus dem Blut entstünde bei der Verarbeitung eine andere (neue) Sache125. Mit diesem Ergebnis fällt die Einfuhr des Blutes nun vollends aus § 72 Abs. 1 AMG heraus. Die Einfuhr „anderer zur Arzneimittelherstellung bestimmter Stoffe menschlicher Herkunft“ zur Bearbeitung ist nicht erlaubnispflichtig. d) Im vorliegenden Fall wird nicht „zur Weiterverarbeitung“ eingeführt Selbst wenn man davon ausgeht, Blut sei ein „anderer zur Arzneimittelherstellung bestimmter Stoff menschlicher Herkunft“, ist die Einfuhr eines solchen Stoffes zur Verarbeitung oder zur Bearbeitung nicht erlaubnispflichtig. § 72 Abs. 1 AMG betrifft nur denjenigen, der die genannten Gegenstände, die im Ausland bereits einmal verarbeitet wurden, zur Weiterverarbeitung nach Deutschland einführt.
3. Ergebnis Entsprechend der Therapiefreiheit des Arztes ist die Nicht-Europäische Einfuhr von Blut zu Bearbeitungszwecken gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG erlaubnisfrei, da keine Abgabe an andere und keine Weiterverarbeitung vorliegt, wenn der Arzt das eingeführte und von ihm bearbeitete Blut selbst bei dem Patienten anwendet.
4. Arztrechtlicher Exkurs Die arzneimittelrechtliche Erlaubnisfreiheit bedeutet natürlich keineswegs, daß der Arzt nunmehr „im rechtsfreien Raum“ tätig sein darf. Selbstverständlich unterliegt der Arzt bei der therapeutischen Anwendung des von ihm eingeführten und bearbeiteten Blutes den allgemeinen arzt- und standesrechtlichen Normen. Die arzneimittelrechtliche Erlaubnisfreiheit befreit also den jeweiligen Arzt nicht von seiner arztrechtlichen Verantwortung126.
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Ob diese neue Sache ein Arzneimittel wäre, müßte außerdem geprüft werden. Oben Fußn. 111.
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VIII. Gemeinschaftsrechtliche Überlegungen Der Beitrag beschäftigte sich bisher nur mit der Rechtslage nach dem deutschen Recht (insbesondere nach dem AMG) und klammerte das Gemeinschaftsrecht aus.
1. Die zwingende richtlinienkonforme Auslegung Seit langem, nämlich seit dem Jahr 1965 gibt es jedoch auch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben in Form einer Richtlinie127. Sie ist die Grundlage des von der deutschen Zivil- und Strafjustiz sowie der Verwaltungsgerichtsbarkeit anerkannten „gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriffs“128 und gehört deshalb zu der Materie, mit der sich bisher der Beitrag zu beschäftigen hatte. Diese gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben auf dem Gebiet des Arzneimittelrechts haben zwar nur den Charakter einer Richtlinie, deren unmittelbare Adressaten lediglich die Mitgliedstaaten sind (Art. 249 Abs. 3 EG). Doch über die zwingende Interpretationsfigur der richtlinienkonformen Auslegung129 erstrecken sich die Aussagen einer Richtlinie auf die Auslegung und die Anwendung des nationalen Rechts. Wer also das AMG interpretiert, geht ein hohes Risiko ein, wenn er unberücksichtigt läßt, was europäische arzneimittelrechtliche Richtlinien besagen.
2. Die europäischen Richtlinien a) Die Arzneimittelrichtlinien (zum Arzneimittelbegriff) Sehr übersichtlich und kontinuierlich sind die gemeinschaftsrechtlichen Aussagen zum Arzneimittelrecht allerdings nicht. Aus Gründen der Klarheit faßte man im Jahr 2001 sämtliche pharmazeutischen Richtlinien der EG unter Berücksichtigung aller Änderungen in je einem Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel130 und für Tierarzneimittel131 zusammen132. Bereits drei Jahre später wurde der Arzneibegriff neu formuliert133. Wie jüngst auch das Bundesverwaltungsgericht festge127
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Richtlinie des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten, 65/65 EWG (ABl. 1965 Nr. 22, S. 369). Vgl. z. B. BGHZ 151, 286 [Leitsatz a)] (292); BGHSt 46, 380 (385 ff. sub II 3); BVerwG NVwZ 2007, 591 ff. Hierzu Schumann: Eigenständigkeit und Vielfalt der juristischen Hermeneutik, in: Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 1367 (1388 mit umfangreichen Nachweisen in Fußn. 149). Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311, S. 67). Richtlinie 2001/82/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel (ABl. Nr. L 311, S. 1). Vgl. Kloesel/Cyran u. a. (Fußn. 35), § 2 AMG Anm. 2. Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 136, S. 34).
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stellt hat, geht die europarechtliche Sinndeutung in die Richtung einer „stärkeren Objektivierung“134 des Arzneimittelbegriffs. Diese Feststellung entspricht der Ansicht in der Literatur135. Aus deutscher Sicht ist eine solche Tendenz zu begrüßen, da die herrschende Meinung ohnedies von einer objektiven Sinndeutung des § 2 AMG ausgeht136. Deshalb bestand weder bei der Bekanntmachung im Jahr 2005137 noch bei der letzten Änderung des AMG138 ein Grund zur Modifikation dieses Paragraphen. Im Bundesgesetzblatt konnte im Jahr 2005 vielmehr die amtliche Fußnote vermerkt werden, daß das Änderungsgesetz der Umsetzung der soeben in der Fußnote 133 zitierten Richtlinie dient139. Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, daß sich die Definitionsstreitfälle im Gemeinschaftsbereich vornehmlich auf die „horizontale“ Ebene der Abgrenzung zwischen Lebensmittel und Medikament beziehen140; es ist also ähnlich wie in Deutschland141. Abschließend kann dieser Punkt des Beitrages mit folgendem Ergebnis beantwortet werden: Der Arzneimittelbegriff des § 2 AMG ist zwar unbestritten einer richtlinienkonformen Auslegung zugänglich142. Doch bestätigt die derzeit geltende 134
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BVerwG NVwZ 2007, 591 (593 sub Nr. 20, vgl. auch Nr. 18 f.) sowie der Vorlagebeschluß an den EuGH BVerwG ZLR 2007, 378 (386 f. Nr. 33) – Red Rice III; hierzu Liebler, jurisPR-BVerwG 14/2007 Anm. 5; ähnlich BGH NJW 2006, 2630 (2634 Nr. 33). Werner Schroeder: Die rechtliche Einstufung von Nahrungsergänzungsmitteln als Lebens- oder Arzneimittel – eine endlose Geschichte?, ZLR 2005, 411 (419 f.). Ferner die Nachweise bei Groß: Neues zur Abgrenzung zwischen Lebensmittel und Arzneimittel, EuZW 2006, 172 (174 in dortiger Fußn. 33); Groß selbst teilt die h. M. allerdings nicht. Siehe oben Text bei Fußn. 36 f. 14. Gesetz zur Änderung des AMG vom 29. August 2005, BGBl. I, S. 2570. Gewebegesetz vom 20. Juli 2007, BGBl. I, S. 1574. „Dieses Gesetz dient der Umsetzung der“ … „Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. EU Nr. L 136 S. 34)“ (BGBl. 2005 I, S. 2510). Vgl. z. B. EuGH, Urteil vom 9. Juni 2005, HLH Warenvertriebs GmbH und Orthica BV ./. Bundesrepublik Deutschland, C-211/03, C-299/03 und C-316/03 bis C-318/03, 2005, I-5141 (Nahrungsergänzungsmittel); EuGH, Urteil vom 21. März 1991, Strafverfahren gegen Jean-Marie Delattre, C-369/88, 1991, I-1487 (Schlankheitsmittel u. ä.); EuGH, Urteil vom 21. März 1991, Strafverfahren gegen Jean Monteil und Daniel Samanni, C60/89, 1991, I-1547 (Alkohol und Eosin); BVerwG NVwZ 2007, 591 ff. (hierzu Müller [Fußn. 54] NVwZ 2007, 543 ff.); BGH NJW 2006, 2630 (2634 Nr. 33). Siehe oben den Text nach Fußn. 52 ff. – Ähnlich wie das TFG (vgl. Fußn. 23) ist auch die europäische Transfusionsrichtlinie für die Problematik der Einfuhr von Blut nicht einschlägig, vgl. Art. 2 Abs. 1 sowie zahlreiche Erwägungen [z. B. (2), (3) und (6)] der Richtlinie 2002/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, ABl. 2003 Nr. L 33 S. 30. Das TFG dient der Umsetzung auch dieser Richtlinie (BGBl. 2007 I, S. 2170 Fußnote). BGH NJW 2006, 2630 (2634 Nr. 33); BVerwG NVwZ 2007, 591 (592 sub Nr. 16 a. E.]: Außer Frage stehe, daß § 2 Abs. 1 AMG „einer gemeinschaftskonformen Auslegung
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arzneirechtliche Richtlinie das in diesem Beitrag im Einklang mit der herrschenden Meinung in Wissenschaft und Praxis vertretene objektive Verständnis des Arzneimittelbegriffs. Es besteht daher kein Anlaß, die bisherigen Ausführungen im Wege richtlinienkonformer Interpretation zu korrigieren. b) Sonstige Richtlinien (zum Begriff der Weiterverarbeitung) Zu einem anderen Verständnis des oben143 behandelten Begriffs der Weiterverarbeitung in § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG besteht auch aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht kein Anlaß. Das Gemeinschaftsrecht meint – genauso wie bisher dargestellt – mit „Weiterverarbeitung“ die Verarbeitung nach vorher bereits erfolgter Verarbeitung. So nimmt die (berichtigte) Verordnung (EG) Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs144 in Art. 2 „Begriffsbestimmungen“ vor und verweist hierzu u. a. auf ihren Anhang I. Dort sind unter Punkt 7 die „Verarbeitungserzeugnisse“ definiert, und es wird deutlich unterschieden zwischen einerseits den „Verarbeitungserzeugnissen“ und andererseits der „Weiterverarbeitung solcher Verarbeitungserzeugnisse“ oder der „weiteren Verarbeitung solcher Verarbeitungserzeugnisse“145.
3. Ergebnis der gemeinschaftsrechtlichen Überlegungen Die gemeinschaftsrechtlichen Überlegungen führen nicht zu einer Korrektur der bisher im Beitrag gefundenen Ergebnisse.
IX. Gesamtergebnis und Ausblick Während sich die freien Berufe in den letzten Jahrzehnten zunehmend von staatlichen Bevormundungen befreien konnten, wird die deutsche Ärzteschaft immer mehr gegängelt und eingeschränkt. Vor allem die ärztliche Therapiefreiheit ist in Gefahr. Zur ihr gehört unverzichtbar das Recht des Arztes, von ihm selbst hergestellte Arzneimittel ohne staatliche Erlaubnis am Patienten anzuwenden (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 3 AMG). Dieser Therapiefreiheit entspricht die ärztliche Einfuhrfreiheit, nämlich seine Befugnis, diejenigen Gegenstände, die in der Einfuhrvorschrift des § 72 AMG benannt sind, erlaubnisfrei einzuführen, um sie zu bearbeiten und selbst am Patienten anzuwenden (vgl. § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG).
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zugänglich ist“. Text bei Fußn. 118. ABl. 2004 Nr. L 226, S. 22. ABl. 2004 Nr. L 226, S. 34: 7.1., 7.2., 7.4. und 7.3.
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Für die in dem vorliegenden Beitrag untersuchte Einfuhr von Patientenblut lassen sich folgende Aussagen treffen: Kein Arzt benötigt hierfür die Einfuhrerlaubnis des § 72 AMG, wenn es sich um eine „Europäische Einfuhr“146 handelt. Bei einer „Nicht-Europäischen Einfuhr“ gilt folgendes: Wird das Patientenblut nach Deutschland verbracht, um es zu untersuchen (diagnostischer Zweck), liegt keine Einfuhr einer Substanz vor, die in § 72 AMG aufgeführt ist; auch hier ist keine Erlaubnis erforderlich. Ein wenig anders ist die Situation, falls der Arzt das eingeführte Blut nicht (nur) untersucht, sondern (auch) bearbeitet, um es anschließend selbst am Patienten anzuwenden (Bearbeitungszweck). In den meisten der untersuchten acht Fallgruppen des § 72 AMG fehlt es bereits an der Arzneimitteleigenschaft des eingeführten Blutes; es ist arzneimittelrechtlich ein „Stoff“, aber (noch) kein „Arzneimittel“, da das nach Deutschland eingeführte Blut als solches nicht zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt ist. Lediglich bei der Fallgruppe der Einfuhr „zur Arzneimittelherstellung bestimmter Stoffe menschlicher Herkunft“ zeigt sich, daß das eingeführte Blut unter den Begriff dieser „Stoffe“ zu subsumieren ist. Doch ist gleichwohl keine Einfuhrerlaubnis notwendig. Denn die Einfuhr erfolgt weder „zur Abgabe an andere“ noch „zur Weiterverarbeitung“, sondern zur Anwendung durch den Arzt an seinem Patienten. Dieses Ergebnis entspricht § 4 a Nr. 3 AMG, der von einem Arzt selbst hergestellte Arzneimittel von der Geltung des AMG ausnimmt.147
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Vgl. oben Text nach Fußn. 28. Stand: Juli 2008. Für Hilfe, Diskussion und Kritik auch bei diesem Beitrag danke ich meinen wissenschaftlichen Mitarbeitern, den Diplom-Juristen Bastian Bohn und Matthias Schweiger, sowie Frau cand. jur. Judith Wedekind.
De medicis et aegrotis – Arztrecht im Frühmittelalter
Eva Schumann
I. Einführung Obwohl Annette Niederhellmann schon vor mehr als 25 Jahren in ihrer Arbeit „Arzt und Heilkunde in den frühmittelalterlichen Leges“1 nahezu alle Belege zur ärztlichen Tätigkeit in den sog. Volksrechten zusammengestellt hat, liegt bis heute keine rechtshistorische Untersuchung zu diesen Regelungen vor.2 Die von Niederhellmann vorgenommene Analyse der in den lateinischen Texten enthaltenen volkssprachigen Begriffe aus dem Bereich der Heilkunde (Bezeichnungen für Verletzungen, Krankheiten und ärztliche Instrumente) einerseits und deren Einordnung in den medizinhistorischen Kontext (Art des pathologischen Geschehens, Therapieformen und Heilungsverlauf) andererseits3 soll daher um einige Überlegungen zur Relevanz der Volksrechte für die Arztrechtsgeschichte ergänzt werden. Neben Hinweisen auf Vorbilder in antiken Quellen erfolgt auch eine Bezugnahme auf das relativ gut erschlossene Arztrecht des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit,4 wobei es in diesem Zusammenhang den derzeitigen Stand der 1
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Annette Niederhellmann, Arzt und Heilkunde in den frühmittelalterlichen Leges, Eine wort- und sachkundliche Untersuchung, Arbeiten zur Frühmittelalterforschung, Bd. 12, Die volkssprachigen Wörter der Leges Barbarorum, Teil III, 1983. Dazu Adolf Laufs, ZRG-GA 102 (1985), S. 346-349. Vgl. weiter Annette Niederhellmann, Heilkundliches in den Leges. Die Schädelverletzungen und ihre Bezeichnungen, in: Ruth SchmidtWiegand (Hrsg.), Wörter und Sachen im Lichte der Bezeichnungsforschung, Arbeiten zur Frühmittelalterforschung, Bd. 1, 1981, S. 74-90. Völlig ausgeklammert sind die Volksrechte in dem historischen Abriss zu Antike und Mittelalter von Theresa Riegger, Die historische Entwicklung der Arzthaftung, Diss. iur., Regensburg 2007. Niederhellmann, Arzt und Heilkunde (Anm. 1), S. 2. Im Vergleich zu historiografischen oder literarischen Schriftquellen des frühen und hohen Mittelalters enthalten die Volksrechte relativ viele Zeugnisse zur Heilkunde und zum Berufsbild des Arztes. Dazu auch Kay Peter Jankrift, Krankheit und Heilkunde im Mittelalter, 2003, S. 1 ff. Aus der Forschung der letzten Jahrzehnte sind zu nennen: Hugo Kehr, Ärztliche Kunstfehler und mißbräuchliche Heilbehandlung, Eine strafrechtsdogmatische Untersuchung zu Artikel 134 der Carolina, Diss. iur., Marburg 1972; Enno Poppen, Die Geschichte des Sachverständigenbeweises im Strafprozeß des deutschsprachigen Raumes, Göttin-
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Eva Schumann
Forschung, nach dem arztrechtliche Regelungen erst im Zuge der Rezeption des römischen Rechts in das spätmittelalterliche deutsche Recht eindrangen, kritisch zu hinterfragen gilt.
II. Quellen Die kontinentalen, in lateinischer Sprache aufgezeichneten Volksrechte5 bilden das Recht der germanischen Stämme (Westgoten, Burgunder, Franken, Langobarden, Alemannen, Bajuwaren, Thüringer, Sachsen und Friesen) im Zeitraum vom Ende des 5. Jahrhunderts bis zum Anfang des 9. Jahrhunderts ab. Der Einfluss römischen Rechts und kirchlicher Rechtsvorstellungen ist in unterschiedlich starkem Maße in allen Volksrechten nachweisbar, so dass uns in den Volksrechten keineswegs eine reine – oder gar einheitliche – germanische Rechtskultur, sondern ein christlich geprägtes germanisch-romanisches „Mischrecht“ gegenübertritt.6 Da Umfang und Regelungsanliegen der einzelnen Volksrechte höchst unterschiedlich ausfallen – einige Rechte werden über Jahrhunderte überarbeitet bzw. ergänzt und enthalten nahezu alle damals relevanten Rechtsgebiete, während andere vor allem einzelne strittige Rechtsfragen einer Klärung zuführen7 –, überrascht es kaum, dass auch Umfang und Ausgestaltung der arztrechtlichen Fragestellun-
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ger Studien zur Rechtsgeschichte, Bd. 16, 1984 (zum Arzt als Sachverständigen insbesondere S. 10-48, 92-208); Adolf Laufs/Alexander Eichener, Ursprünge einer strafrechtlichen Arzthaftung, Untersuchungen zu Artikel 134 der Constitutio Criminalis Carolina, in: Erik Jayme/Adolf Laufs/Karlheinz Misera/Gert Reinhart/Rolf Serick (Hrsg.), Festschrift für Hubert Niederländer, 1991, S. 71-96; Adolf Laufs, Der Arzt im Recht – historische Perspektiven und Zukunftsfragen: Eine Skizze, in: Dieter Medicus/Hans-Joachim Mertens/Knut Wolfgang Nörr/Wolfgang Zöllner (Hrsg.), Festschrift für Hermann Lange, 1992, S. 163-184; Andreas Deutsch, Zwischen deliktischer Arzthaftung und Wetterzauber, Medizinrechtliche Fragestellungen im Klagspiegel (um 1436), in: BerndRüdiger Kern/Elmar Wadle/Klaus-Peter Schroeder/Christian Katzenmeier (Hrsg.), Humaniora, Medizin – Recht – Geschichte, Festschrift für Adolf Laufs, 2006, S. 45-71. Zur Terminologie und zu anderen in der Literatur verwendeten Bezeichnungen für diese Quellengattung, insbesondere „Stammesrechte“ und „Leges (barbarorum)“, vgl. Eva Schumann, Entstehung und Fortwirkung der Lex Baiuvariorum, in: Gerhard Dilcher/Eva-Marie Distler (Hrsg.), Leges – Gentes – Regna, Zur Rolle von germanischen Rechtsgewohnheiten und lateinischer Schrifttradition bei der Ausbildung der frühmittelalterlichen Rechtskultur, 2006, S. 291, Fn. 1. Statt vieler Franz Wieacker, Vulgarismus und Klassizismus im Recht der Spätantike, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, 1955, S. 32; Hermann Nehlsen, Sklavenrecht zwischen Antike und Mittelalter, Germanisches und römisches Recht in den germanischen Rechtsaufzeichnungen, Göttinger Studien zur Rechtsgeschichte, Bd. 7, 1972, S. 48. Zu Umfang und Regelungsanliegen der Volksrechte ausführlich Eva Schumann, Unrechtsausgleich im Frühmittelalter, Die Folgen von Verletzungen der Person im langobardischen, alemannischen und baierischen Recht, unveröffentlichte Habilitationsschrift, Leipzig 2003, Kap. I (Veröffentlichung in Vorbereitung). Nachweise für die Angaben in Anm. 8-13 finden sich ebenfalls hier.
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gen stark variieren. Einschlägig für die vorliegende Untersuchung sind das westgotische Recht8 (mit einem eigenen arztrechtlichen Abschnitt De medicis et [a]egrotis9), die Rechte der Salfranken10 und Langobarden11 sowie nördlich der 8
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Zugrunde gelegt wird die nach König Rekkeswind (653-672) benannte Lex Visigothorum Reccesvindiana (um 654) – auch Liber Iudiciorum genannt –, bei der es sich um einen systematischen, in zwölf Bücher unterteilten Codex handelt, dessen Regelungen zu mehr als 50 % aus älteren Textschichten bestehen (sog. Antiqua-Kapitel). Die Lex Visigothorum (L.Vis.) stellte auch noch nach der Eroberung des Westgotenreichs durch die Araber im Jahre 711 die wichtigste Rechtsquelle für die Christen in Spanien dar und war bis ins 12. Jahrhundert in Gebrauch. Zitiert wird nach der Ausgabe von Karl Zeumer, Leges Visigothorum, Monumenta Germaniae Historica, LL nat. Germ. I, 1902; ergänzend wird die Übersetzung von Eugen Wohlhaupter, Gesetze der Westgoten, Germanenrechte, Bd. 11, 1936 herangezogen. Der Abschnitt L.Vis. XI, I De medicis et [a]egrotis gehört zu den eben (Anm. 8) erwähnten Antiqua-Kapiteln des westgotischen Rechts, die auf das 6. Jahrhundert zurückgehen. Dazu Herbert Reier, Gesundheit, Krankheiten und Ärzte bei den Goten, 1981, S. 49 ff.; Kay Peter Jankrift, Heilkundige und Kranke im frühen Mittelalter, in: Ortrun Riha (Hrsg.), Das Mittelalter, Bd. 10: Heilkunde im Mittelalter, 2005, Heft 1, S. 35, 39 f. Über Heilkunde und ärztliche Tätigkeit im Westgotenreich informiert noch eine weitere frühmittelalterliche Quelle: Isidor von Sevilla (um 560-636, seit 600 Bischof von Sevilla), dessen Werk Etymologiae (zitiert nach W. M. Lindsay, Isidori Hispalensis Episcopi Etymologiarum sive Originum, 1911, Nachdruck 1957) das Wissen seiner Zeit in zwanzig Büchern überliefert, gibt im vierten Buch seiner Enzyklopädie eine allgemeine Einführung in die Medizin (unter dem Titel De medicina werden vor allem Krankheitsbilder und Therapievorschläge beschrieben). Dazu umfassend HeinzAlbrecht Schütz, Die Schrift „De medicina“ des Isidor von Sevilla, Ein Beitrag zur Medizin im spätantiken Spanien, med. Diss., Gießen 1984 (insbesondere auch zu den Quellen und der Bedeutung des Werkes für die mittelalterliche Medizin; eine Übersetzung des Abschnittes „De medicina“ findet sich auf S. 139 ff.). Bereits der Pactus legis Salicae (P.Sal.), das älteste, unter dem fränkischen Reichsgründer Chlodwig (481-511) nur wenige Jahre nach der Christianisierung der Franken um 507-511 aufgezeichnete Recht, enthält die in diesem Beitrag zitierten arztrechtlichen Regelungen, die sich auch in späteren Fassungen der Lex Salica (L.Sal.) bis zum Beginn des 9. Jahrhunderts wiederfinden. Die Bedeutung des salfränkischen Rechts, das fast alle später aufgezeichneten Volksrechte beeinflusst hat, dokumentiert sich nicht zuletzt in über 80 bis heute erhaltenen Handschriften aus dem 8. bis 16. Jahrhundert. Zitiert wird nach den Ausgaben von Karl August Eckhardt, Pactus Legis Salicae, Monumenta Germaniae Historica, LL nat. Germ. IV 1, 1962 und Lex Salica, Monumenta Germaniae Historica, LL nat. Germ. IV 2, 1969. Für die vorliegende Untersuchung ist aus dem umfangreichen Bestand der Leges Langobardorum, die einen Zeitraum von ca. 200 Jahren zwischen der Mitte des 7. und der Mitte des 9. Jahrhunderts abdecken, das älteste schriftlich niedergelegte Recht der Langobarden, der unter König Rothar im Jahre 643 aufgezeichnete und nach ihm benannte Edictus Rothari (Ed.Roth.), einschlägig. Die Bedeutung des langobardischen Rechts reicht jedoch weit über das Frühmittelalter hinaus; es wurde über Jahrhunderte bearbeitet, seit der Jahrtausendwende auch systematisiert und glossiert und war Bestandteil des oberitalienischen Rechts bis ins Spätmittelalter. Zitiert wird nach der Ausgabe von Friedrich Bluhme, Leges Langobardorum, Monumenta Germaniae Historica, LL IV, 1868; ergänzend wird die Übersetzung von Franz Beyerle, Die Gesetze der Langobarden, 1947 herangezogen.
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Alpen die Rechte der Alemannen12 und Friesen13, während die Rechte der Burgunder, Bajuwaren, Sachsen und Thüringer keine oder kaum arztrechtlich relevante Fragestellungen enthalten.14
III. Vertragsrecht: Ärztliche Tätigkeit, Arzthonorar und Arzthaftung Das wichtigste Regelungsanliegen der Volksrechte ist die Konfliktbewältigung, d.h. die Ausgestaltung des Unrechtsausgleichs im Täter-Opfer-Verhältnis jenseits der Selbsthilfe. Dieser Ausgleich erfolgte in der Regel durch Geldzahlungen der Täterseite an die Opferseite (sog. Bußen und Wergelder [Totschlagsbußen]), wobei die Volksrechte in erster Linie die Höhe dieser nach dem Stand des Opfers und der Art der Verletzung gestaffelten Geldsummen regeln. Da im Gegensatz dazu das Vertragsrecht – und damit auch der Dienstvertrag – eine völlig untergeordnete Rolle spielt, wird auch das Arzt-Patienten-Verhältnis nur vereinzelt ausdrücklich 12
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Beim alemannischen Recht muss zwischen dem nur bruchstückhaft überlieferten Pactus (legis) Alamannorum (P.Alam.) aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts und der Lex Alamannorum (L.Alam.) aus der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts differenziert werden. Die genaue Datierung beider Rechtstexte ist schwierig und daher höchst umstritten, und auch das Verhältnis beider Texte zueinander ist nicht abschließend geklärt. Mehr als die Hälfte aller überlieferten Regelungen des Pactus finden sich in sprachlich oder inhaltlich leicht überarbeiteter Form in der Lex; in einigen Bereichen, so auch bei den arztrechtlichen Regelungen, ergänzt die Lex die im älteren Pactus enthaltenen Regelungen, so dass erst im Wege einer Gesamtschau das alemannische „Arztrecht“ ermittelt werden kann. Da von der Lex Alamannorum fast 50 Handschriften erhalten sind, ist das alemannische Recht nach dem salfränkischen Recht das bestüberlieferte Volksrecht. Zitiert wird nach der Ausgabe von Karl Lehmann, Leges Alamannorum, Monumenta Germaniae Historica, LL nat. Germ. V 1, 1888 (neu aufgelegt von Karl August Eckhardt, 1966); ergänzend werden die Übersetzungen von Karl August Eckhardt, Einung der Alemannen, Germanenrechte, Bd. 1: Die Gesetze des Merowingerreiches 481-714, 1935, S. 155-175 und Recht der Alemannen, Germanenrechte, Bd. 2: Die Gesetze des Karolingerreiches 714-911, 1934, S. 1-71 herangezogen. Von der Lex Frisionum (L.Fris.) sind keine Handschriften erhalten, vielmehr ist sie nur durch einen Druck aus dem 16. Jahrhundert (Editio Princeps des Basler Humanisten Johannes Herold von 1557) überliefert, auf dem alle späteren Ausgaben beruhen. Der Heroldsche Druck enthält in 22 Titeln die Lex und fügt dieser eine in zwölf Titel untergliederte Additio Sapientum mit Rechtssätzen von Rechtsgelehrten an. Zitiert wird nach der Ausgabe von Karl von Richthofen, Lex Frisionum, Monumenta Germaniae Historica, LL III, 1863. Nicht richtig ist aber die Aussage von Jankrift (Anm. 9), S. 39 f., dass nur die Lex Visigothorum arztrechtliche Regelungen enthalte, während „die übrigen Germanenrechte Heilkundige und Behandlungen nicht erwähnen“ würden. Neben den in diesem Beitrag behandelten Regelungen zum Arztrecht im engeren Sinne enthalten fast alle Volksrechte auch Abschnitte zu Schwangerschaft, Geburt und Abtreibung, die ebenfalls wichtige Bereiche der Heilkunde erfassen, hier aber ausgespart bleiben, weil bei ihnen die ärztliche Tätigkeit nicht im Mittelpunkt steht. Umfassend sind diese Bereiche aber dargestellt bei Niederhellmann, Arzt und Heilkunde (Anm. 1), S. 120 ff.
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erwähnt. Allerdings lassen auch die Bestimmungen über den Ausgleich schwerer im Kampf zugefügter Verletzungen der sog. Wundbußenkataloge Rückschlüsse über die Art der Heilbehandlung und ihre Kosten zu.
1. Ausbildung des Arztes und ärztliche Tätigkeit Qualitätssichernde Regelungen zur Tätigkeit des Arztes, etwa zu dessen Ausbildung, bildeten sich erst als Reaktion auf die seit der Jahrtausendwende bestehende Medizinschule von Salerno15 heraus. Zu nennen sind insbesondere die Medizinalgesetzgebung Rogers II. und darauf aufbauend die Medizinalstatuten Friedrichs II. für das Königreich Sizilien aus dem 12. und 13. Jahrhundert, die die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit von einem Medizinstudium und einer praktischen Ausbildung abhängig machten.16 Allerdings erfahren wir auch aus dem frühmittelalterlichen westgotischen Recht, dass die Tradition der spätantiken griechisch-römischen Medizin mit der Landnahme der Germanen im Mittelmeerraum nicht zum Erliegen gekommen war.17 So beschreibt L.Vis. XI, I 7 die ärztliche Ausbildung – wie schon in der Antike – als persönliches Lehrer-Schüler-Verhältnis, bei dem der Schüler gegen Entgelt durch seinen Lehrer in die praktische Tätigkeit des Arztes eingeführt wird.18 Interessant ist aber vor allem der Kontext, in den das westgotische Recht den Abschnitt über De medicis et [a]egrotis stellt. Die beiden letzten Bücher der Lex Visigothorum (L.Vis. XI und XII) fallen ausgesprochen kurz aus und enthalten Regelungen über Ärzte, Kaufleute aus Übersee (transmarini – gemeint sind vermutlich Kaufleute aus dem vorderasiatischen Raum), Andersgläubige und Juden.19 Dies könnte darauf hindeuten, dass es sich bei den im Westgotenreich praktizierenden Ärzten überwiegend um Fremde, wahrscheinlich um griechischbyzantinische Ärzte aus dem oströmischen Reich20 oder um jüdische Ärzte21, ge15
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Dazu Gerhard Baader, Die Schule von Salerno, Medizinhistorisches Journal 13 (1978), S. 124-145; Jankrift (Anm. 3), S. 41 ff. In Salerno wirkte Ende des 11. Jahrhunderts Constantinus Africanus, der zahlreiche medizinische Werke der griechisch-arabischen Welt ins Lateinische übersetzte; dazu Raphaela Veit, Quellenkundliches zu Leben und Werk von Constantinus Africanus, DA 59 (2003), S. 121, 130 ff., 134 ff., 139 ff. Dazu Laufs (Anm. 4), S. 167 ff.; Jankrift (Anm. 3), S. 45 ff. Vgl. auch Hermann Dilcher, Die sizilische Gesetzgebung Kaiser Friedrichs II., Quellen der Constitutionen von Melfi und ihrer Novellen, 1975, S. 681 ff. Dazu auch Baader (Anm. 15), S. 129 f. L.Vis. XI I 7: Si quis medicus famulum in doctrinam susceperit, pro beneficio suo duodecim solidos consequatur. „Hat ein Arzt einen Gehilfen zum Anlernen übernommen, so soll er für diese Guttat als Entgelt 12 Schillinge erhalten.“ Übersetzung nach Wohlhaupter (Anm. 8), S. 293. Dazu auch Niederhellmann, Arzt und Heilkunde (Anm. 1), S. 69; dies., Heilkundliches in den Leges (Anm. 1), S. 81; Baader (Anm. 15), S. 130. Zur Ausbildung von Ärzten im Frühmittelalter vgl. auch Reier (Anm. 9), S. 33 ff. Schon die beiden vorangehenden Bücher (L.Vis. IX und X) behandeln Grenzen und Fremde bzw. Personen, die das Land verlassen (Flüchtige, Asylanten, Deserteure, Landteilung zwischen Goten und Römern und Grenzrecht). Zu den Nachwirkungen der antiken Medizin auch Niederhellmann, Arzt und Heilkunde
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handelt hat. Dass diese Ärzte nicht nur medizinische Kenntnisse,22 sondern auch einige grundlegende Rechtsregeln für das Arzt-Patienten-Verhältnis ins Westgotenreich gebracht haben, scheint angesichts des ausdifferenzierten und in einem eigenen Titel erfassten „Arztrechts“ der Lex Visigothorum nicht unwahrscheinlich,23 zumal die verstreuten arztrechtlichen Regelungen der übrigen Volksrechte den Eindruck einer anderen Traditionen folgenden Volksheilkunde vermitteln. Diese handeln vor allem von Wundärzten (Chirurgen)24, die allerdings auch
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(Anm. 1), S. 39 ff., 299; Jankrift (Anm. 3), S. 9 ff.; Reier (Anm. 9), S. 30 ff. Nachgewiesen ist die Tätigkeit des griechischen Arztes Petros am Hofe des Westgotenkönigs Theoderich II. (453-466) und des Griechen Anthimos am Hofe des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen (Niederhellmann, aaO, S. 45). Zur Stellung des Arztes im Westgotenreich auch Hans-Joachim Diesner, Isidor von Sevilla und das westgotische Spanien, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Phil.-hist. Klasse, Bd. 67, Heft 3, 1978, S. 39 f., 100. Nur am Rande sei erwähnt, dass auch schon in Rom neben Sklaven und Freigelassenen vor allem Fremde (Ägypter und Griechen) den ärztlichen Beruf ausübten, dazu Karl-Heinz Below, Der Arzt im römischen Recht, 1953, 7 ff., 21. Der Chronist und Bischof Gregor von Tours berichtet im 5. Buch seines Geschichtswerks in Kapitel 6 über die Tätigkeit jüdischer Ärzte im Frankenreich des 6. Jahrhunderts (Gregor von Tours, Zehn Bücher Geschichten, hrsg. von Rudolf Buchner, Bd. 1, 1955, S. 290 ff.). Vgl. auch Kay Peter Jankrift, Juden in der mittelalterlichen Medizin Europas, in: Christoph Cluse (Hrsg.), Europas Juden im Mittelalter: Beiträge des internationalen Symposions in Speyer vom 20.-25. Oktober 2002, 2004, S. 355 ff.; ders. (Anm. 9), S. 41 f. Schütz (Anm. 9), S. 161. Insgesamt enthält der Titel De medicis et [a]egrotis in L.Vis. XI, I acht Kapitel, die u. a. die Übernahme der Behandlung aufgrund (schriftlichen) Vertrages, die Vergütung des Arztes, die Arzthaftung und das entgeltliche Ausbildungsverhältnis zu einem Schüler behandeln. Bei einigen Regelungen gibt es Bezüge zum hippokratischen Eid: So darf ein Arzt nach L.Vis. XI, I 1 (Ne absentibus propinquis mulierem medicus fleotomare presumat) bei einer Frau nur in Gegenwart von Verwandten einen Aderlass vornehmen, damit er die Behandlung nicht für sexuelle Handlungen ausnutzt; der hippokratische Eid enthält ein Verbot sexueller Handlungen an Patienten anlässlich eines Krankenbesuchs. Nach L.Vis. XI, I 2 (Ne medicus custodia retentos visitare presumat) ist dem Arzt der Besuch von Gefangenen untersagt, weil diese von ihm den Tod (wohl durch Verabreichung eines Giftes) erbitten könnten, und im Titel über die Abtreibung wird – ohne ausdrückliche Nennung eines Arztes – nach L.Vis. VI, III 1 (De his, qui potionem ad aborsum dederint) die Verabreichung eines Abtreibungstranks mit dem Tode bestraft; nach dem hippokratischen Eid verpflichtet sich der Arzt, niemandem ein tödliches Gift oder einen entsprechenden Rat und keiner Frau einen Abtreibungstrank zu geben. L.Vis. XI, I 7 (s. o. Anm. 18) behandelt das individuelle Lehrer-Schüler-Verhältnis, das auch im hippokratischen Eid angesprochen ist. Dazu auch Reier (Anm. 9), S. 51; zur Überlieferung des hippokratischen Eides und anderer griechischer Schriften bis ins lateinische Mittelalter Reier, S. 30 f. m. w. N. Dazu Niederhellmann, Heilkundliches in den Leges (Anm. 1), S. 76 ff. Der Wundarzt/Chirurg wird in den Volksrechten – wie auch schon im römischen Recht – als medicus bezeichnet; zum römischen Recht Below (Anm. 20), S. 85 f. Zur Trennung von Medizin und Chirurgie im Hochmittelalter vgl. Kehr (Anm. 4), S. 44 f. (mit Hinweis darauf, dass diese in der Praxis nicht streng durchgeführt wurde).
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schwere Kopfverletzungen und Bauchwunden zu meistern wussten und hohes Ansehen genossen,25 während die ebenfalls erwähnten kräuterkundigen Frauen dem Vorwurf der Hexerei und Giftmischerei (hierzu gehörte auch die Verabreichung eines Abtreibungstranks) ausgesetzt sein konnten – jedenfalls begegnen sie uns in den Volksrechten auch in diesem Kontext.26 Insgesamt werden in den Volksrechten drei verschiedene Arten der Behandlung erwähnt: Die Verabreichung von Kräutern und Säften, die pharmazeutische Behandlung mit Medikamenten und die chirurgische Behandlung mithilfe von medizinischen Instrumenten.27
2. Vergütung der ärztlichen Heilbehandlung Das westgotische Recht benennt im Titel De medicis et [a]egrotis neben der unspezifischen Behandlung einer Krankheit oder Wunde28 die Heilbehandlungen „Aderlass“ und „Starstich“ (operative Behandlung des grauen Stars)29 und setzt für letztere eine Vergütung in Höhe von fünf Schillingen fest.30 Hierbei handelt es 25
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Zur Behandlung schwerer Kampfverletzungen vgl. Gundolf Keil, Wunden und Wundbehandlung, Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 34, 2. Aufl. 2007, S. 322 ff., 325 ff., 330 ff. (S. 331: „hervorragendes chirurgisches Können“); ders., Chirurg, Chrirugie (Wundarzt, Wundarznei), Lexikon des Mittelalters, Bd. 2, 1983, Sp. 1845 ff.; ders., Verletzungen, Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 32, 2. Aufl. 2006, S. 215 ff. Dazu ausführlich Niederhellmann, Arzt und Heilkunde (Anm. 1), S. 92 ff., 106 ff., 131 ff. Teilweise sind die einschlägigen Regelungen aber auch geschlechtsneutral formuliert, so bei Verabreichung eines Abtreibungstranks (L.Vis. VI, III 1). Weiterführend zu diesem Thema Ortrun Riha, Medizin und Magie im Mittelalter, in: dies. (Hrsg.), Das Mittelalter, Bd. 10: Heilkunde im Mittelalter, 2005, Heft 1, S. 64-72. Isidor (Anm. 9), Etym. IV, IX 2 nennt in Anknüpfung an die antike Medizin folgende drei Behandlungsmethoden: Sunt autem omni curationi species tres: primum genus diaeticum, secundum pharmaceuticum, tertium chirurgicum. Diese Behandlungsmethoden werden um die althergebrachte Behandlung mit Kräutern ergänzt (Etym. IV, IX 4): Antiquior autem medicina herbis tatum et sucis erat. Dazu auch Peter Dilg, Zum Begriff pharmacia im Mittelalter, in: Ortrun Riha (Hrsg.), Das Mittelalter, Bd. 10: Heilkunde im Mittelalter, 2005, Heft 1, S. 103, 108 f. Auch Isidor (Anm. 9), Etym. IV, I 2 beginnt mit der Differenzierung zwischen Krankheit (morbus) und Behandlung einer Wunde (vulnus). Zu diesen Behandlungsmethoden Niederhellmann, Arzt und Heilkunde (Anm. 1), S. 70 ff.: Aderlass; S. 73 ff.: Starstich, bei dem nach Niederhellmann (S. 73) „im Gegensatz zu den heutigen Behandlungsmethoden […] die getrübte Linse nicht aus dem Auge entfernt, sondern meistens mithilfe einer Nadel in den Glaskörper versenkt“ wurde. Zu antiken Vorbildern vgl. Schütz (Anm. 9), S. 121. L.Vis. XI, I 5: Si de oculis medicus ipocemata tollat. Si quis medicus hipocisim de oculis abstulerit et ad pristinam sanitatem infirmum revocaverit, V solidos pro suo beneficio consequatur. Dass der Arzt den Lohn für seine „Wohltat” empfangen soll, könnte ein frühes Zeugnis für das Spannungsverhältnis zwischen antiker Tradition (angemessenes Arzthonorar) und christlicher Nächstenliebe (kostenlose Pflege von Bedürftigen in den Klöstern) sein. Zur Ethik der Mönchsärzte vgl. Klaus Bergdolt, Das Gewissen der Medizin, Ärztliche Moral von der Antike bis heute, 2004, S. 71 ff. Zur
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sich um eine nicht unbeträchtliche Summe, die dem Wert von Lohnarbeit im Zeitraum von fast zwei Jahren entspricht (vgl. L.Vis. XI, III 4). Im Zusammenhang mit der Höhe der Vergütung wird in der Lex Visigothorum (L.Vis. XI, I 3-4) auch das (schriftliche) Zustandekommen des Behandlungsvertrags (placitum) kurz erwähnt. In den anderen Volksrechten werden hingegen nur die Behandlungen schwerer Kampfverletzungen, insbesondere wundchirurgische Maßnahmen, aufgeführt. Neben der medizinhistorischen Bedeutung dieser teilweise sehr detailliert beschriebenen Heilbehandlungen lassen diese Regelungen auch Rückschlüsse auf die Vergütung des Arztes zu, weil die Kosten für die Behandlung des Verletzten Bestandteil des von der Täterseite zu leistenden Ausgleichs in Geld sind. Das langobardische Edikt Rothars aus dem Jahre 643 enthält einen Wundbußenkatalog von fast hundert Bestimmungen für nahezu alle denkbaren Verletzungen, die einem Mann im Kampf zugefügt werden können, wobei die Bußen – wie auch in anderen Volksrechten – abhängig vom Stand des Verletzten (Freier, Halbfreier oder Unfreier) und der Art der Verletzung der Höhe nach gestaffelt sind. Bei den Wundbußen für die Halbfreien und Unfreien wird in rund fünfzig Artikeln (Ed.Roth. 77-128) insgesamt neunzehnmal der Ersatz des Arbeitsausfalls und der Arztkosten erwähnt, wobei das Edikt regelmäßig am Ende der Beschreibung des Tatbestandes und der Festsetzung der zu zahlenden Buße die Formel anschließt: excepto operas et mercedes medici.31 Dabei handelt es sich ausnahmslos um Verletzungen, die ohne ärztliche Behandlung kaum heilen würden und zu einer (vorübergehenden) Einschränkung der Arbeitskraft führen (das Edikt nennt insbesondere schwere Kopfverletzungen und Stichwunden) und damit für den Herrn des Un-/Halbfreien einen materiellen Schaden darstellen.32 Dass im Wundbußenkata-
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sozial gestaffelten Gebührenordnung des im Benediktinerkloster Lorsch Ende des 8. Jahrhunderts verfassten „Lorscher Arzneibuchs“ vgl. Walter Bruchhausen/Heinz Schott, Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, 2008, S. 42 ff. (zur Bedeutung des „Lorscher Arzneibuchs“ für die Medizingeschichte vgl. Gundolf Keil/Paul Schnitzer (Hrsg.), Das Lorscher Arzneibuch und die frühmittelalterliche Medizin, 1991). Im Einzelnen handelt es sich um folgende Kapitel: Ed.Roth. 78, 79, 82-84, 87, 89, 94, 96, 101-103, 106, 107, 110-112, 118, 128. Ausgenommen sind allerdings ganz schwere Verletzungen, insbesondere der (Funktions-)Verlust wichtiger Körperteile, bei denen häufig der halbe Manneswert des Halbfreien oder Unfreien als Buße zu bezahlen war, so dass der materielle Schadensersatz (Arztkosten und Arbeitsausfall) damit abgedeckt war. So muss derjenige, der einem fremden Ackerknecht ein Auge ausschlägt, dessen Herrn die Hälfte des Wertes des Unfreien bezahlen (Ed.Roth. 105: Si quis servum alienum rusticanum oculum excusserit, medietatem praetii ipsius, quod adpraetiatus fuerit, si eum occidissit, dominum eius conponat.). Auch der Fall, dass die Verletzung nicht ausheilt und somit erst nach geraumer Zeit die erhebliche Beeinträchtigung feststeht, ist geregelt: Für einen Bruch des Armes, Oberschenkels oder Schienbeins ist eine Buße von drei Schillingen nebst Ersatz der Arztkosten und des Arbeitsausfalls vorgesehen; heilt der Bruch nicht binnen Jahresfrist, so erhält der Herr ein Viertel des Wertes des Unfreien (Ed.Roth. 112: Si quis servum alienum rusticanum brachio coxa aut tibia ruperit, conponat solidos tres, excepto operas et mercedes medici. Et si de ipsa ruptura intra anni spatium sanas factas non fuerit, et ad pristinam non redierit sanitatem, quartam partem quod ipse valuerit, domino eius conponat.).
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log der Freien entsprechende Regelungen fehlen, dürfte daran liegen, dass die dort vorgesehenen deutlich höheren Bußsummen den materiellen Schaden regelmäßig abgedeckt haben. Mit dem infolge der Entwicklung eines öffentlichen Strafrechts verbundenen Bedeutungsverlust der Bußen und Wergelder seit dem Hochmittelalter sind allerdings Bemühungen erkennbar, auch Freien einen Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens (Heilkosten und Verdienstausfall) zuzubilligen.33 Von besonderem Interesse ist aber Ed.Roth. 128, die letzte Regelung des Wundbußenkatalogs der Halbfreien und Unfreien: „[Was] der Urheber von Wunden [tun muß] Wer [einem andern] Wunden beibringt, der soll auch selbst einen Arzt herbeischaffen. Säumt er, so mag der Verwundete oder sein Herr einen Arzt ausfindig machen. Und wer [dem andern seinen] Schädel durchhaut oder [ihm] eine der zuvor beschriebenen Wunden beibringt, soll [auch den] Arbeit[sausfall] und Lohn des Arztes bezahlen, wie das von Kundigen geschätzt wird.“34
Nach dieser Regelung war bei Kampfverletzungen immer ein Arzt herbeizuziehen, der neben der Versorgung des Verletzten vermutlich auch die Aufgabe hatte, die Wunde für die spätere Bestimmung der Bußhöhe in Augenschein zu nehmen, denn im alemannischen Recht wird diese Funktion des behandelnden Arztes ausdrücklich erwähnt (dazu unten IV.). Hervorzuheben ist aber vor allem, dass der vom Schädiger zu zahlende materielle Schadensersatz das Arzthonorar umfasste und dieses, d. h. der Wert der geleisteten medizinischen Behandlung, von Fachkundigen (per doctos homines) geschätzt werden sollte. Diese Regelung belegt die hohe Rechtskultur der Langobarden, die keine pauschalisierte Vergütung für die medizinische Behandlung festsetzten, sondern diese von Art und Umfang der Behandlung im Einzelfall abhängig machten. Eine der Höhe nach von der Art der Behandlung abhängige Vergütung des Arztes beschreibt auch das westgotische Recht in L.Vis. XI, I 3-4, wobei dort 33
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So bezeichneten im 12. Jahrhundert die beiden berühmten lombardischen Juristen Ariprand und Albert in ihrer Lombarda-Kommentierung die Beschränkung des Schadensersatzes auf Un-/Halbfreie als unsinnig (quod Ariprandus et Albertus dicunt absurdum et inconsultum); zit. nach August Anschütz, Die Lombarda-Commentare des Ariprand und Albertus, 1855, S. 23. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch für das römische Recht beobachten, das ursprünglich auch nur bei Verletzung eines Unfreien die Erstattung von Heilungskosten und Verdienstausfall vorsah. Dazu Below (Anm. 20), S. 63 ff. Umstritten ist, wann der Anspruch auf Ersatz der Heilungskosten und des Verdienstausfalls auf Körperverletzungen an Freien ausgedehnt wurde (Digesten 9, 1, 3; 9, 2, 7; 9, 3, 7; vgl. dazu Roland Wittmann, Die Körperverletzung an Freien im klassischen römischen Recht, 1972, S. 59 ff.; Max Kaser, Das römische Privatrecht I, 2. Aufl. 1971, § 144, S. 622; Hans Josef Wieling, Interesse und Privatstrafe vom Mittelalter bis zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 1970, S. 131 ff.). Vgl. auch Riegger (Anm. 2), S. 49 und zu dem in Deutschland rezipierten gelehrten Recht Deutsch (Anm. 4), S. 55 ff. Übersetzung nach Beyerle (Anm. 11), S. 39. Der lateinische Text lautet: De eo qui plagas fecerit. Qui plagas fecerit, ipse querat medicus, et si neclexerit, tunc ille qui plagatus est aut dominus eius inveniat medicum. Et ille qui caput rumpit aut suprascriptas plagas fecit, et operas reddat et mercedes medici persolvat, quantum per doctos homines arbitratum fuerit.
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zugleich die Frage der Haftung des Arztes im Fall des Versterbens des Patienten behandelt wird: „3. Wenn ein Arzt zu einem Kranken nach Vereinbarung geholt wird: Hat jemand einen Arzt auf Vereinbarung zum Besuche eines Kranken oder zur Heilung einer Wunde kommen lassen, so soll der Arzt nach Besichtigung der Wunde und Feststellung der Schmerzen sofort gemäß fester schriftlicher Vereinbarung den Kranken (zur Behandlung) übernehmen. 4. Wenn ein nach Vereinbarung übernommener Kranker stirbt: Hat ein Arzt einen Kranken nach Vereinbarung und unter Sicherheitsleistung übernommen, so soll er den Kranken zur Gesundheit zurückführen. Wenn der Tod eintritt, soll er die vereinbarte Entschädigung nicht fordern und kein Teil soll daraus klagen können.“35
Neben diesen beiden Belegen aus dem langobardischen und westgotischen Recht für ein von Fachkundigen festgesetztes bzw. individuell vereinbartes Arzthonorar werden in den Volksrechten aber auch feste Sätze als Arztlohn erwähnt, so beispielsweise in der schon zitierten Regelung L.Vis. XI, I 5 die Zahlung von fünf Schillingen für den erfolgreich durchgeführten Starstich (s. o. Anm. 30). Weiterhin enthält das salfränkische Recht an mehreren Stellen einen pauschalierten Schadensersatz in Höhe von neun Schillingen für die ärztliche Behandlung bei schweren Kampfverletzungen. Nach P.Sal. XVII 7 ist ein Stich in die Rippen bzw. den Bauch, der bis zu den Eingeweiden reicht und zu einer nicht heilenden, nässenden, d. h. Wundsekret absondernden, Wunde führt, als lebensgefährliche Verletzung mit etwa einem Drittel der Totschlagsbuße eines freien Franken auszugleichen und zusätzlich sind neun Schillinge für die Heilbehandlung (medicatura) zu bezahlen. Diese Rechtsfolge sehen auch P.Sal. LXXI 1 und 2 für den Fall der gewaltsamen Entmannung vor36 (gemeint ist – wie andere Volksrechte nahelegen 35
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Übersetzung nach Wohlhaupter (Anm. 8), S. 291, die allerdings wenig glücklich ist, insbesondere fehlt am Ende von L.Vis. XI, I 3 die Übersetzung von cautione emissa (der Arzt übernimmt die Behandlung des Patienten nach schriftlicher Vereinbarung und Leistung einer Sicherheit für das Arzthonorar; dazu unten Anm. 41). Der lateinische Text lautet: 3. Si medicus pro egritudine ad placitum expetatur. Si quis medicum ad placitum pro infirmo visitando aut vulnere curando poposcerit, cum viderit vulnus medicus aut dolores agnoverit, statim sub certo placito cautione emissa infirmum suscipiat. 4. Si ad placitum susceptus moriatur infirmus. Si quis medicus infirmum ad placitum susceperit, cautionis emisso vinculo, infirmum restituat sanitati. Certe si periculum contigerit mortis, mercedem placiti penitus non requirat; nec ulla exinde utrique parti calumnia moveatur. P.Sal. XVII 7 (= L.Sal. XXII 4): Si vero plaga ispa semper currit et ad sanitatem non pervenerit, […] solidos LXII semis culpabilis iudicetur. De medicatura vero, […] solidos IX. Im Falle der komplikationslosen Heilung der Wunde beträgt die Buße nach P.Sal. XVII 6 für die beschriebene Stichverletzung etwa die Hälfte und Behandlungskosten werden nicht erwähnt. P.Sal. LXXI 1 und 2 zur Verletzung eines (einfachen) Salfranken (salicus) und eines königlichen Gefolgsmannes (antrustio, für Mitglieder der fränkischen trustis dominica): 1. Si Salicus Salicum
castraverit et ei fuerit adprobatum, CC solidos culpabilis iudicetur, excepto medicatura solidos IX
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– die Entmannung infolge eines Kampfes37). In diesem Fall (der das Aussterben des Mannesstammes zur Folge haben kann) sind die volle Totschlagsbuße, deren Höhe vom Stand des Opfers abhängig ist, und jeweils neun Schillinge für die Heilbehandlung zu bezahlen – und zwar unabhängig vom Stand des Opfers, weil die zu ersetzenden Arztkosten im Gegensatz zur Buße den materiellen Schaden darstellen. Auch hier handelt es sich um einen pauschalierten Schadensersatz, der als Ausgleich für den zu leistenden Arztlohn sehr großzügig bemessen ist und dem Wert von ca. fünf Ochsen oder neun Kühen entspricht.38 Vor diesem Hintergrund kann auch für das friesische Recht angenommen werden, dass bei besonders schweren Verletzungen die Kosten für Heilbehandlungen zusätzlich zur Buße erstattet wurden. So finden sich in dem langen Wundbußenkatalog des 22. Titels der Lex Frisionum drei Regelungen, in denen außer der Wundbuße vier bzw. sechs Schillinge an den Verletzten zu zahlen sind. Nach L.Fris. XXII 56 sind bei einer Verletzung der Eingeweide, bei der die Därme heraustreten und wieder hineingedrückt werden müssen, neben der Wundbuße vier Schillinge zu bezahlen. Entsprechendes gilt nach L.Fris. XXII 59, wenn ein aus der Wunde herausgetretener Hoden zurückgedrückt werden muss (für diesen Fall sind zusätzlich sogar sechs Schillinge zu bezahlen), und nach L.Fris. XXII 80 bei einem Heraustreten der Lunge (das „Zurückdrücken“ wird hier allerdings nicht erwähnt).39 In diesen drei Fällen ist ein Heilungsverlauf ohne ärztliche Behandlung kaum denkbar und das „Zurückdrücken“ der Eingeweide bzw. des Hodens lässt auf einen ärztlichen Heileingriff schließen.40 Daher liegt es nahe, den im friesischen Recht zusätzlich zur Buße festgesetzten Geldbetrag in Höhe von vier bzw. sechs Schillingen als Ausgleich für den materiellen Schaden, d. h. für die entstandenen Arztkosten, zu begreifen.
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nat>. 2. Si quis antrustionem castraverit et ei fuerit adprobatum, DC solidos culpabilis iudicetur, excepto medicatura solidos IX . Im fränkischen Recht und den davon beeinflussten Rechten der Sachsen, Thüringer und Friesen werden Kastration bzw. Verstümmelung von Penis oder Hoden als Folge von Kampfverletzungen häufig beschrieben. Vgl. die Nachweise bei Niederhellmann, Arzt und Heilkunde (Anm. 1), S. 147 ff. Der Wert der genannten Nutztieren ergibt sich zwar nicht aus dem salfränkischen Recht, wohl aber aus der Lex Ribuaria (L.Rib. XXXV 11), die auch als Lex Salica revisa bezeichnet wird und ihren Namen von den in der Region um Köln lebenden Rheinfranken, den Ribuariern, ableitet. L.Fris. XXII 56: Si botellus de vulnere processerit, et iterum interius remittitur, 4 solidis supra compositionem vulneris componatur. L.Fris. XXII 59: Si testiculus exierit per vulnus, et iterum remittitur in locum suum, 6 solidis supra compositionem vulneris componatur. L.Fris. XXII 80: Si per vulnus pulmo exeat, quatuor solidi supra quantitatem vulneris componantur. Dafür spricht auch, dass in den der Lex Frisionum hinzugefügten Urteilen der Rechtskundigen, Additio Sapientum (Iudicia Wulemari), im Zusammenhang mit einer offenen Wunde im Bauchbereich die Behandlung mit Heilmitteln ausdrücklich erwähnt wird (Iud.Wulemari 2: Si ipse stomachus perforatus fuerit, nec vulnus medicamento claudi potuerit, pro vulneris apertione totidem solidos componat, quod pro ipso vulnere composuit.). Vgl. weiter Niederhellmann, Arzt und Heilkunde (Anm. 1), S. 148.
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Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Vergütung der Ärzte und Chirurgen im Frühmittelalter unter Zugrundelegung des westgotischen, salfränkischen und friesischen Rechts zwischen vier und neun Schillingen betrug. Es überrascht daher nicht, dass die relativ hohen Arzthonorare als materieller Schadensersatz häufig zusätzlich zu den nach Stand des Verletzten und Art der Verletzung festgesetzten Bußen fällig wurden und uns an zahlreichen Stellen des frühmittelalterlichen Rechts begegnen. Aus dem westgotischen Recht, aber auch nur aus diesem, ergibt sich schließlich, dass der Arzt sein Honorar nur im Erfolgsfall erhielt – so ausdrücklich beim Starstich nur im Falle der Wiederherstellung der vollständigen Gesundheit (L.Vis. XI, I 5). Für sämtliche Fälle der Behandlungsübernahme wird festgeschrieben, dass dem Arzt das vereinbarte Honorar nicht zusteht, wenn der Patient trotz der Behandlung an den Folgen der Krankheit oder Wunde stirbt (L.Vis. XI, I 4). Dieser letzte Aspekt leitet über zur Frage der Arzthaftung, die allerdings nur im westgotischen Recht, und auch dort nur rudimentär, geregelt ist.
3. Arzthaftung Nach L.Vis. XI, I 4 führt der Tod des Patienten – und zwar unabhängig von einem Verschulden des Arztes bei Verwirklichung der in der Krankheit oder Wunde angelegten Gefahr des Todes (periculum mortis) – nur zum Verlust des vereinbarten Honorars,41 während weitergehende Ansprüche der Angehörigen des verstorbenen Patienten gegen den Arzt ausdrücklich ausgeschlossen sind. Die Lex Visigothorum betont diesen Ausschluss möglicherweise auch deshalb, weil die Volksrechte überwiegend dem Prinzip einer reinen Erfolgshaftung folgen und unabhängig vom Verschulden – insbesondere bei bloßen Gefährdungen – einen Ausgleich in Geld vorsehen. Dieser Vorstellung entspricht etwa L.Vis. XI, I 6: Dort ist bestimmt, dass ein Arzt, der einen Freien durch den Aderlass um die Gesundheit bringt, 150 Schillinge, d. h. das halbe Wergeld eines freien Westgoten (L.Vis. VIII, IV 16), zahlen muss. Wird hingegen infolge des Aderlasses ein Unfreier um die Gesundheit gebracht oder getötet, so muss der Arzt einen gleichwertigen Unfreien erstatten.42 Ganz im Sinne frühmittelalterlicher Erfolgshaftung 41
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Dazu auch Ernst Levy, Weströmisches Vulgarrecht. Das Obligationenrecht, 1956, S. 279. Umstritten ist, welche Bedeutung die in L.Vis. XI, I 3 und 4 erwähnte Sicherheitsleistung (s. o. Anm. 35 mit Hinweis auf die unzureichende Übersetzung Wohlhaupters) hat. Die Regelung wird in der Literatur teilweise so verstanden, dass der Arzt vor Beginn der Behandlung Sicherheit zu leisten hat, während Reier (Anm. 9), S. 55 ff. überzeugend darlegt, dass der Patient dem Arzt für das später zu zahlende (hohe) Arzthonorar bereits zu Beginn der Behandlung eine Sicherheit zu geben hat. L.Vis. XI, I 6 (in der Fassung Erwigs Ende des 7. Jahrhunderts): Si per flebotomum ingenuus vel servus mortem incurrat. Si quis medicus, dum flebotomiam exercet, ingenuum debilitaverit, CL solidos coactus exsolvat. [Si vero mortuus fuerit, propinquis continuo tradendus est, ut, quod de eo facere voluerint, habeant potestatem.] Si vero servum [debilitaverit aut occiderit], huiusmodi servum restituat. Die Klammern stammen von der Verf.; der Text in den Klammern fehlt in der älteren Fassung aus dem 6. Jahrhundert. Zu dieser Stelle auch Jankrift (Anm. 9), S. 40.
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kommt es dabei auf ein Verschulden des Arztes nicht an.43 Von dieser im Falle des Todes des Patienten nach einem Aderlass angeordneten Arzthaftung abgesehen, nehmen die Volksrechte zur Verantwortlichkeit des Arztes weder im haftungsnoch im strafrechtlichen Sinne Stellung.
IV. Der Arzt als Sachverständiger Noch immer ist Stand der rechtshistorischen Forschung, dass das (früh-)mittelalterliche Gerichtsverfahren den Beweis durch Sachverständige nicht kannte.44 Als Quelle für den in der Constitutio Criminalis Carolina (1532) genannten sachverständigen Arzt45 gilt das römisch-italienische Recht,46 das erst mit der praktischen Rezeption gegen Ende des Mittelalters Eingang in deutschsprachige Quellen gefunden hat. Tatsächlich kennt aber schon das alemannische Recht des frühen 7. Jahrhunderts den Arzt als Sachverständigen. Der nur fragmentarisch erhaltene Pactus Alamannorum beginnt mit einer Regelung zum Beweis durch den sachverständigen Arzt (P.Alam. I 1):
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Im Gegensatz zum römischen Recht, das eine Haftung des Arztes nur bei Abbruch der übernommenen Behandlung (Verletzung der Pflicht zur Nachbehandlung) oder fahrlässigem Behandlungsfehler (impertitia des Arztes) vorsah (Institutionen 4, 3, 6-7 und Digesten 9, 2, 7, 8 und 9, 2, 8 jeweils unter Bezugnahme auf die Lex Aquilia). Zum römischen Recht auch Below (Anm. 20), S. 109 ff.; Kehr (Anm. 4), S. 32 ff. Zu dem in Deutschland rezipierten gelehrten Recht vgl. Kehr, S. 124 ff.; Deutsch (Anm. 4), S. 54. So insgesamt für den Sachverständigenbeweis M. Neidert, Sachverständige, Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, 1. Aufl. 1990, Sp. 1251, 1252; zum Arzt als gerichtlichen Sachverständigen Walter Hepner, Richter und Sachverständiger, Kriminologische Schriftenreihe, Bd. 21, 1966, S. 27 und erst jüngst Andreas Deutsch, Der Klagspiegel und sein Autor Conrad Heyden, Ein Rechtsbuch des 15. Jahrhunderts als Wegbereiter der Rezeption, 2004, S. 566. Art. 147, 149 der Constitutio Criminalis Carolina (CCC). So heißt es in Art. 147 CCC (Körperverletzung mit Todesfolge): „[…] vnd sollen doch sonderlich die wundtärtzt der sach verstendig […] zu zeugen gebraucht werden, mit anzeygung wie lang der gestorben nach den streychen gelebt hab […]“ (Hervorhebung durch Verf.). Vgl. aber auch schon Art. 173 der Constitutio Criminalis Bambergensis (1507) und im zweiten Teil des Klagspiegels (um 1436) Titel 56. Dazu insgesamt Deutsch (Anm. 44), S. 566 ff.; Poppen (Anm. 4), S. 64 ff. So insbesondere Deutsch (Anm. 4), S. 58 f.: „Dem Gerichtsverfahren nach germanischdeutscher Rechtstradition war der Beweis durch Sachverständige ursprünglich fremd. […] Erst ab etwa 1350 lassen sich einzelne Fälle belegen, in denen das Gericht bei seinem Augenschein Wundärzte als Experten hinzuzieht, eine Veränderung, die nachweislich auf römisch-italienische Einflüsse zurückzuführen ist.“ So auch schon Poppen (Anm. 4), S. 65.
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„Wenn jemand einem anderen den Schädel zerbricht, so daß das Gehirn erscheint, zahle er 12 Schillinge; und wenn sie untereinander deswegen Streit haben, daß es keine so große Wunde sei, daß er einen Arzt befrage, wenn der Arzt etwa da ist, leiste er auf sein Gerät den Eid, oder sie mögen 3 Zeugen finden, die aussagen.“47
Auch in der rund 100 Jahre später aufgezeichneten Lex Alamannorum nehmen die in P.Alam. I 1-4 geregelten schweren Kopfverletzungen eine zentrale Rolle im Wundbußenkatalog ein, werden noch wesentlich ausführlicher beschrieben und insbesondere hinsichtlich der beweisrechtlichen Aspekte und der Behandlungsmethoden ergänzt (L.Alam. LVII 3-7): „3. Wenn er ihn aber schlägt, daß die Hirnschale erscheint und verletzt wird, büße er mit 3 Schillingen. 4. Wenn er aber aus der Wunde am Kopfe einen solchen abgeschlagenen Knochensplitter reißt, daß der Knochensplitter über eine 24 Fuß breite öffentliche Straße auf einem Schilde aufklingt, büße jener mit 6 Schillingen. 5. Wenn aber der Arzt diesen verliert und ihn nicht vorweisen kann, dann bringe jener 2 Zeugen herbei, die dies sahen, daß er aus dieser Wunde einen Knochensplitter gerissen habe, oder jener Arzt beweise dies, daß es wahr sei, daß er aus dieser Wunde einen Knochensplitter gerissen habe. 6. Wenn aber die Hirnschale durchhauen ist, so daß das Gehirn erscheint und der Arzt das Gehirn mit einer Nadel oder einem Tuch berühren kann, büße jener mit 12 Schillingen. 7. Wenn aber aus dieser Wunde das Gehirn heraustritt, wie es geschehen kann, so daß der Arzt es mit Heilmittel oder Verband behandelt, und später heilt und dies bewiesen wird, daß es wahr ist, büße jener mit 40 Schillingen.“48
Insgesamt ergeben sich aus P.Alam. I 1-4 und L.Alam. LVII 3-7 folgende Tatbestände und Rechtsfolgen:
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Übersetzung nach Eckhardt, Einung der Alemannen (Anm. 12), S. 157. Der lateinische Text lautet: Si quis alteri caput frigerit, sic ut cervella pareat, solvat solidos 12. Et si inter se de hoc intencione habeat, ut non sit sic granda plaga, ut medicum ille querat, [f]ort[e] medicus fuerit, in ferramenta sua praeviat sacramentum aut tres testes invenian[tur qui] dicant. Es handelt sich nicht um die erste Regelung des Pactus, sondern um die erste des noch erhaltenen Fragments. Übersetzung nach Eckhardt, Recht der Alemannen (Anm. 12), S. 41-43 (dort andere Titelzählung: L.Alam. LIX 3-7). Der lateinische Text lautet: 3. Si enim percusserit eum, ut testa appareat et radatur, cum 3 solidis conponat. 4. Si autem de capite ossum fractum de plaga tullerit, ita ut supra publica via lata 24 pedis in scuto sonaverit ille ossus, cum 6 solidis conponat. 5. Si autem ipsum perdit medicus et non potest eum praesentare, tunc duos testes adhibeat, qui hoc vidissent, quod de illa plaga ossus tullisset, aut ille medicus hoc conprobet, quod verum fuisset, quod de ipsa plaga ossus tulisset. 6. Si autem testa trescapulata fuerit, ita ut cervella appereant, ut medicus cum pinna aut cum fanone cervella tetigit, cum 12 solidis conponat. 7. Si autem ex ipsa plaga cervella exierunt, sicut solet contingere, ut medicus cum medicamento aut cum sirico stupavit, et postea sanavit, et hoc probatum est, quod verum sit, cum 40 solidis conponat.
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(1) Kopfverletzungen, bei denen die Hirnschale zu sehen ist, sind mit drei Schillingen zu büßen; der Arzt wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt (P.Alam. I 4, L.Alam. LVII 3). (2) Splittert durch den Schlag ein so großes Knochenstück aus der Schädeldecke, dass dieses Knochenstück bei einem Wurf über eine 24 Fuß breite Straße hinweg noch einen Ton auf einem Schild erzeugt (sog. Knochenklang), dann wird eine Buße von sechs Schillingen fällig (P.Alam. I 3, L.Alam. LVII 4);49 kann dieser Beweis nicht geführt werden, weil der Arzt das Knochenstück verloren hat, so ist der Beweis durch zwei Zeugen oder durch den Arzt (der vermutlich auch hier einen Eid auf seine Heilinstrumente leisten musste) zu erbringen (L.Alam. LVII 5). (3) Ist die Verletzung an der Schädeldecke so groß, dass das Gehirn zu sehen ist und vom Arzt mit einer Nadel oder einem Tuch (cum pinna aut cum fanone)50 berührt werden kann, dann sind 12 Schillinge zu büßen (L.Alam. LVII 6); herrscht Streit über die Größe der Wunde, so muss der Beweis hierfür durch die beeidete Aussage des Arztes (Eid auf die Heilinstrumente) oder durch die Aussage von drei Zeugen erbracht werden (P.Alam. I 1). (4) Führt die Verletzung der Schädeldecke dazu, dass das Gehirn austritt und die Öffnung vom Arzt mit einem Seidentuch (cum sirico) abgedeckt (bzw. abgedichtet) werden muss, so sind im Falle späterer Heilung 40 Schillinge, d. h. ein Viertel der Totschlagsbuße eines freien Alemannen niedersten Standes (L.Alam. LVII 7), zu büßen. Da archäologische Befunde aus dem alemannischen Raum die erfolgreiche Behandlung schwerer Schädelverletzungen bestätigen, muss davon ausgegangen werden, dass die unter (3) und (4) beschriebenen Behandlungsmaßnahmen bei
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Diese Form des Beweises beschreiben auch andere Volksrechte: Ed.Roth. 47 (sic ita ut unus ossus tales inveniatur, qui ad pedes duodicem supra viam sonum in scutum facere possit), L.Rib. LXVIII 1-2 und L.Fris. Add. Sap. III 34 (Si ossa de vulnere exierint tantae magnitudinis, ut scutum iactum, XII pedum spatio distante homine, possit audiri, unum ter IV solidis compunatur, aliud ter II, tertium ter uno solido.). Auch das norwegische Frostathinglög IV 49 beschreibt diese Form der Beweisführung; Norwegisches Recht, Das Rechtsbuch des Frostothings, übersetzt von Rudolf Meißner, Germanenrechte, Bd. 4, 1939, S. 88. Zum „Knochenklang“ auch Jacob Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer, 4. Auflage, 1899, Bd. 1, S. 109 ff. Nach Niederhellmann, Arzt und Heilkunde (Anm. 1), S. 78 ist mit pinna ein spitzer Gegenstand zur Untersuchung von (Kopf-)Wunden und speziell zur Entfernung von Knochensplittern gemeint. Kritisch dazu Gundolf Keil, Roger Frugardi und die Tradition langobardischer Chirurgie, Sudhoffs Archiv 86 (2002), S. 1, 23 f., der L.Alam. LVII 6-7 folgende Behandlung des offenen Schädel-Hirn-Traumas entnimmt: Ausbreiten eines Seidentuchs über die Oberfläche des freigelegten Hirnareals und Auflegen eines (arzneimittelgetränkten) Wergbausches.
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klaffenden Kopfwunden zur vollständigen Heilung führen konnten.51 Von besonderem Interesse ist aber, dass eine aus Süddeutschland stammende Handschrift der Lex Alamannorum aus dem 11. Jahrhundert eine erläuternde volkssprachige Glosse zu der in L.Alam. LVII 7 beschriebenen Behandlung eines offenen SchädelHirn-Traumas an der Stelle ut medicus cum medicamento aut sirico stupavit enthält: id est virscoppot. Niederhellmann schließt aus dem Umstand, dass ein volkssprachiger Terminus, der in einfacher Weise das Wesentliche der Operation ausdrückt, existiert, dass solche Eingriffe nicht nur zur Heilkunst der besser ausgebildeten Ärzte der Höfe oder Klöster gehörten, sondern auch von den unteren Schichten der Wundärzte durchgeführt wurden.52 Vor allem belegt die volkssprachige Glosse aber, dass die arztrechtlichen Regelungen der Lex Alamannorum im süddeutschen Raum auch weit über das Frühmittelalter hinaus bekannt waren und Ärzte die beschriebene Behandlung praktiziert haben (darauf wird noch zurückzukommen sein). Doch zunächst soll auf die Funktion des Arztes im alemannischen Beweisverfahren eingegangen werden. Die auch in anderen Volksrechten angedeutete Wundschau durch den Arzt (es sei auf die oben zitierten Regelungen Ed.Roth. 128 und L.Vis. XI, I 3 verwiesen) hatte offensichtlich beweisrechtliche Funktion für das spätere Verfahren des Verletzten gegen den Schädiger auf Zahlung der Wundbuße, wobei nach alemannischem Recht der auf die Heilinstrumente (ferramenta)53 geleistete Eid des Arztes das Gewicht von drei (bzw. zwei) Zeugenaussagen 51
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Vgl. dazu die Nachweise bei Niederhellmann, Arzt und Heilkunde (Anm. 1), S. 79 f.; Keil (Anm. 50), S. 22 ff.; Joachim Wahl/Ursula Wittwer-Backofen/Manfred Kunter, Zwischen Masse und Klasse, Alamannen im Blickfeld der Anthropologie, in: Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg (Hrsg.), Die Alamannen, 4. Aufl. 2001, S. 337, 344 ff. Zur Behandlung schwerer Schädelverletzungen vgl. auch Kay Peter Jankrift, Mit Gott und schwarzer Magie, Medizin im Mittelalter, 2005, S. 73 ff. mit Hinweis darauf, dass im alemannischen Raum mehr als die Hälfte aller Personen mit schweren Kopfverletzungen, bei denen lose Knochensplitter entfernt und massive Blutungen gestillt werden mussten, überlebte (S. 73). Zu den anhand archäologischer Befunde ermittelten erfolgreichen Heilbehandlungen bei den Alemannen, Bajuwaren, Franken, Langobarden und Westgoten vom 6.-8. Jahrhundert vgl. weiter Horst Wolfgang Böhme, Krankheit, Heilung und früher Tod zu Beginn des Mittelalters, in: Andreas Meyer/Jürgen Schulz-Grobert (Hrsg.), Gesund und krank im Mittelalter, Marburger Beiträge zur Kulturgeschichte der Medizin, 2007, S. 211, 215 ff. Niederhellmann, Arzt und Heilkunde (Anm. 1), S. 79. Zu dem im Wundarztgrab von Aschersleben, das aus dem 3. Jahrhundert stammt, enthaltenen und eigens für Schädeltraumen zusammengestellten Operationsbesteck vgl. Keil (Anm. 50), S. 23 („Instrumente eigener germanischer Machart“). Allerdings erwähnt auch Isidor (Anm. 9), Etym. IV, XI 1 unter De instrumentis medicorum an erster Stelle Instrumente aus Eisen (ferramenta). Zu den Fortwirkungen der antiken Medizin und ihrer Heilmethoden nördlich der Alpen vgl. Klaus Bergdolt, Leib und Seele, Eine Kulturgeschichte des gesunden Lebens, 1999, S. 130 ff. mit Hinweis auf das um 790 abgefasste „Lorscher Arzneibuch“, das Auszüge aus verschiedenen Werken griechischer und römischer Autoren enthält und auf das Werk Isidors von Sevilla verweist. Weiterhin hat im 9. Jahrhundert Hrabanus Maurus (um 780-856), Abt von Fulda und später Erzbischof von Mainz, aus dem Kapitel De medicina aus Isidors Etymologiae geschöpft; vgl. die Gegenüberstellung Hrabanus Maurus, De universo, Buch 18, Kap. 5 und Isidor,
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hatte.54 Die Regelung, dass die eidliche Aussage des zur Wundschau herangezogenen sachverständigen Arztes im gerichtlichen Verfahren den Beweiswert von mehreren Zeugenaussagen hat, findet sich auch im spätmittelalterlichen Recht,55 wenngleich auch etliche Quellen dieser Zeit alternativ dazu die Wundschau in Gegenwart von Mitgliedern des Rates oder des Gerichts anordnen.56 Dass die eidliche Aussage des sachverständigen Arztes vor Gericht das Gewicht mehrerer Zeugenaussagen hatte, wird ausdrücklich auch in dem um 1436 von dem Schwäbisch Haller Stadtschreiber Conrad Heyden verfassten Klagspiegel, der in starkem Maße deutschsprachige Rechtstexte des 16. Jahrhunderts, u. a. auch die Constitutio Criminalis Carolina, beeinflusst hat,57 beschrieben:
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Etym. IV De medicina bei Schütz (Anm. 9), S. 25 ff. Schließlich stammt das älteste erhaltene Fragment der Etymologiae (7. Jahrhundert) aus dem Kloster St. Gallen, dazu Stephen A. Barney/W. J. Lewis/J. A. Beach/Oliver Berghof, The Etymologies of Isidore of Seville, 2006, S. 24. Dass westgotische (Rechts-)Texte nördlich der Alpen zur Kenntnis genommen und auch verarbeitet wurden, belegt nicht zuletzt die Lex Baiuvariorum (um 740), deren Verfasser einen ganzen Abschnitt aus Isidors Etymologiae in den Prolog übernahmen und zudem in erheblichem Umfang aus dem westgotischen Recht schöpften; dazu Schumann (Anm. 5), S. 293 ff. Niederhellmann, Arzt und Heilkunde (Anm. 1), S. 66 geht davon aus, dass mit dem Eid auf die ärztlichen Instrumente die dem Beruf des Arztes entgegengebrachte Hochachtung symbolisiert wurde. Dazu umfassend Poppen (Anm. 4), S. 27 ff. mit zahlreichen Nachweisen. Im Zusammenhang mit der Wundschau durch den Stadtarzt weist Poppen, S. 13, 31 auf eine Besonderheit des Göttinger Stadtrechts hin. Dort wurden die Wunden von dem Stadtarzt „gepegelt“, d. h. die Größe und Tiefe der Wunde, die auch noch im Spätmittelalter die Höhe der Buße bestimmte, mit einem eigens dafür vorgesehenen Gerät („Wundpegel“) ausgemessen. Dazu Hartmut Bookmann, Das grausame Mittelalter, Über ein Stereotyp, ein didaktisches Problem und ein unbekanntes Hilfsmittel städtischer Justiz, den Wundpegel, GWU 38 (1987), S. 1, 3 ff. mit Hinweis auf die im Göttinger Stadtarchiv überlieferte Zeichnung eines Wundpegels aus dem 15. Jahrhundert, die für den Nachbau im Falle des Verlusts des Wundpegels gedacht war (Dyt is de mate des peghels und is dar umme hir gemalt: weret da de wunden peghel vorleghit eder verloren woerde, dat men denne nach dusseme gemalden eynen anderen machte maken). Dort wird auch erläutert, wie mit dem einen Ende des Göttinger Wundpegels gestochene Wunden und mit dem anderen gehauene Wunden ausgemessen werden sollten. Dazu Poppen (Anm. 4), S. 38 ff. Die Constitutio Criminalis Carolina kennt sowohl in Art. 149 CCC die Hinzuziehung eines oder mehrerer Wundärzte zur Obduktion des Getöteten in Gegenwart des Gerichts (genannt werden der Richter, zwei Schöffen und der Gerichtsschreiber) als auch den Beweis durch sachverständige Wundärzte, wenn zweifelhaft ist, ob eine schwere Körperverletzung zum Tod des Opfers geführt hat (Art. 147 CCC; entsprechend auch schon Art. 173 der Constitutio Criminalis Bambergensis). Diese Differenzierung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Behandlung des Verletzten durch den Arzt in der Regel vor Einschaltung des Gerichts vorgenommen wurde und somit der Arzt nachträglich, d. h. im späteren gerichtlichen Verfahren, zu den Verletzungen befragt werden musste, während nach Versterben des Verletzten die dann erst angeordnete Obduktion auch in Gegenwart des Gerichts durchgeführt werden konnte. Deutsch (Anm. 44), S. 403 ff., 569 ff. nennt neben der Constitutio Criminalis Carolina folgende Werke: Wormser Reformation (1499), Constitutio Criminalis Bambergensis (1507), Ulrich Tenglers Laienspiegel (1509) sowie Justin Goblers Gerichtlicher Prozess
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Wer vnd durch wen sollen die streich vnd wunden beschawet vnd angesehen werden / sprich durch den artzet. […] Item vß disem rechten volgt dz man zweyen wundt artzeten die da sprechen das einer sey von sollichen wunden gestorben / baß glauben sol dan zweyntzig zeugen die sprechen das der verwundt von zu kommen den sachen selber gestorben sey.58
Auch wenn Andreas Deutsch überzeugend nachgewiesen hat, dass sich der Verfasser des Klagspiegels bei den beweisrechtlichen Fragen auf die Werke italienischer Juristen, insbesondere auf den aus dem Ende des 13. Jahrhunderts stammenden Tractatus de maleficiis von Albertus Gandinus, gestützt hat,59 ist die weitere Annahme, dass sich bei den aus dem italienisch-römischen Recht rezipierten „medizinrechtlichen Fragen im Klagspiegel keine eindeutigen Bezüge zur Alltagswelt des Verfassers“, d. h. zur spätmittelalterlichen Stadt, ergäben,60 gerade für den süddeutschen Raum nicht zwingend, denn hier hatte die ärztliche Wundschau nicht nur im Frühmittelalter, sondern vermutlich durchgehend bis ins Spätmittelalter eine dem Klagspiegel entsprechende beweisrechtliche Funktion.61
V. Ergebnisse Zunächst lässt sich festhalten, dass kein anderes Berufsbild und auch keine andere entgeltliche Dienstleistung in den Volksrechten so häufig erwähnt wird wie der Arzt und die ärztliche Tätigkeit. Allerdings gehört die Heilkunde auch zu den elementaren Bedürfnissen menschlicher Gesellschaften und die mit der ärztlichen
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(1536) und Rechten-Spiegel (1550). Der Richterlich Clagspiegel, hrsg. von Sebastian Brant, 1516, Ander Teil, Tit. 56 (Bl. CXLVIII B). Deutsch (Anm. 4), S. 60 f. kommentiert diese Stelle – obwohl der Sache nach kaum Unterschiede zu P.Alam. I 1 bestehen (auch hier hat die eidliche Aussage des zur Wundschau herangezogenen sachverständigen Arztes den Beweiswert von mehreren Zeugenaussagen) – folgendermaßen: „Mit dieser Aussage in Titel 56 (AT) wird der Arzt als Sachverständiger vor Gericht etabliert. […] Diese Worte sind nicht minder bedeutend als die vorangegangenen, denn sie verdeutlichen einprägsam die herausgehobene Position des sachverständigen Arztes, dem aufgrund seiner Fachkenntnisse eine ganz andere Rolle als einem einfachen Tatzeugen zukommen soll. Erst hiermit steigt der vom Gericht um Auskunft gebetene Arzt vom bloßen Handlanger bei der ‚leiblichen Beweisung’ bzw. vom einfachen Zeugen mit Sachverstand auf zum Sachverständigen als eigenständigem Beweismittel.“ Deutsch (Anm. 4), S. 59 f. Deutsch (Anm. 4), S. 70. Auch die Aussage Deutschs (Anm. 4), S. 41 und 59, dass der Klagspiegel zu den frühesten deutschsprachigen Schriften, die einen eigenen Sachverständigenbeweis propagieren, gehört, ist – wie die zahlreichen Belege bei Poppen (Anm. 4) zeigen – zu relativieren. Vgl. nur Goslarer Statuten (um 1350), 2. Buch (Van vredebrake): We tüghen wel dat de wunde kampördich si, de scal den artzet bringhen vor gherichte: dar scal de sweren uppen hilleghen dat de wunde negheles dep si unde ledes lang, so is he des vulkomen: dat scal de artzet don de wunden hebbe gebunden. Zit. nach der Ausgabe von Otto Göschen (Hrsg.), Die Goslarischen Statuten, 1840, S. 31.
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Tätigkeit für den Patienten verbundenen Chancen einerseits und Risiken andererseits lassen zumindest Grundregeln für das Arzt-Patienten-Verhältnis in jeder Rechtsordnung erwarten. Angesichts des zentralen Regelungsanliegens der Volksrechte, der Konfliktbewältigung durch ein geordnetes Unrechtsausgleichsverfahren jenseits der Selbsthilfe, darf uns auch nicht überraschen, dass der Arztlohn als Bestandteil eines Schadensersatzanspruchs und die beweisrechtliche Funktion des sachverständigen Arztes nur indirekt, nämlich im Verfahren um den Ausgleich einer zugefügten schweren Verletzung, eine Rolle spielen. Zum Schluss sind noch zwei Fragen offen: Gab es erstens Vorbilder für die arztrechtlichen Regelungen in den Volksrechten und hat zweitens das Arztrecht der Volksrechte das spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Recht beeinflusst? Für den Abschnitt De medicis et [a]egrotis im westgotischen Recht, der eine Sonderstellung innerhalb der Volksrechte einnimmt, wurde bereits oben darauf hingewiesen, dass eine Anknüpfung an antike Traditionen, insbesondere auch an den hippokratischen Eid (oben Anm. 23), naheliegt. Regressansprüche für ärztliche Aufwendungen (Arztkosten als Bestandteil eines Schadensersatzanspruchs), die vor allem im langobardischen und salfränkischen Recht vorgesehen sind, kennt auch das römische Recht.62 In welchem Umfang beide Rechtsmassen später die Grundlage für das gelehrte Recht in Oberitalien bildeten, muss hier offen bleiben.63 Bei der Formel des langobardischen Rechts, dass Dienstausfall und Arztkosten zusätzlich zu bezahlen sind (excepto operas et mercedes medici), besteht zudem eine Parallele zum 2. Buch Mose 21, 18-19, wonach bei einer im Streit zwischen zwei Männern zugefügten schweren Verletzung Arbeitsausfall und Arztkosten bezahlt werden müssen; ebenso wie später im langobardischen Recht werden auch hier nur solche schweren Körperverletzungen erfasst, die nach dem Heilungsprozess zu einer (weitgehenden) Wiederherstellung der Gesundheit führen.64 62
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Zu den Regressansprüchen nach römischem Recht vgl. Below (Anm. 20), S. 63 ff. Aber auch im norwegischen Recht des 13. Jahrhunderts finden sich entsprechende Regelungen. So ordnen Frostathingslög IV, 11 und 12 (Anm. 49) an, dass dem Verletzten neben der Wundbuße die Arztkosten zu ersetzen sind, wobei der Umfang dieses materiellen Schadensersatzanspruchs in Abhängigkeit von der Dauer des Heilungsverlaufs angesetzt wird. Die Hinweise auf das norwegische Recht verdanke ich Adrian SchmidtRecla. Hier muss der Hinweis genügen, dass die von Deutsch (Anm. 4), S. 55 zitierten Stellen aus dem Klagspiegel, bei denen er nur teilweise Schriften italienischer Gelehrter als Vorlagen angibt, auch ganz deutliche Bezüge zum frühmittelalterlichen Recht erkennen lassen, die entweder über das gelehrte Recht oder auf anderem Wege Eingang in den Klagspiegel gefunden haben könnten. Dies gilt etwa für Titel 157 (Erster Teil des Klagspiegels), der ebenso wie die italienische Vorlage, aber auch schon wie Ed.Roth. 128, die Schätzung des Arztlohnes und des Verdienstausfalls beschreibt, oder für Titel 23 (Erster Teil des Klagspiegels), der – in Abgrenzung zu den in den mittelalterlichen Volksrechten und Rechtsbüchern vorgesehenen hohen Bußen für den Verlust von Körperteilen – festsetzt: Item würt dir abegeschlagen ein arm/ dein naße/ oder auge/ würt dir ungeschaffenheit nit geschätzt/ wann nyemandt ist seiner glieder herre/ allein würt geschätzt die arbeit die underwegen bleybt damitt du verdienet hettest/ und das arztlon. Dazu Eckart Otto, Das Gesetz des Moses, 2007, S. 167 f.
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Keine Vorlagen sind für die Einbindung des Arztes als Sachverständigen in das Beweisverfahren greifbar. Da diese Bestimmungen im Zusammenhang mit wundchirurgischen Maßnahmen bei schweren Kopfverletzungen stehen, für die in den lateinischen Texten volkssprachige Begriffe verwendet werden – was wiederum auf einheimische Volksheilkunde hindeutet –,65 liegt es nicht fern, hier an von antiken bzw. römisch-rechtlichen Traditionen unbeeinflusste Regelungen zu denken.66 Zudem ist die der Wundschau durchaus vergleichbare Schadensschätzung (bei Schäden an fremdem Eigentum) durch Personen, die als vertrauenswürdig und sachkundig gelten (sog. boni homines), im frühmittelalterlichen Recht gut bezeugt67 und dürfte – ebenso wie die Einbeziehung des behandelnden Arztes in das Beweisverfahren – nicht unerheblich zur Beilegung von Konflikten beigetragen und damit ein zentrales Regelungsanliegen der Volksrechte erfüllt haben. Bei der Frage nach einer Fortwirkung der Regelungen über die Wundschau und den Arzt als Sachverständigen ist daher die These von Andreas Deutsch, dass der Arzt als Sachverständiger im gerichtlichen Verfahren erst mit der Rezeption des römisch-italienischen Rechts Einzug in das einheimische deutsche Recht hielt,68 meines Erachtens nicht zwingend. Immerhin war das frühmittelalterliche alemannische Recht noch im Spätmittelalter in Süddeutschland bekannt, die überlieferten Handschriften wurden über 65 66
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Dazu Niederhellmann, Heilkundliches in den Leges (Anm. 1), S. 81 ff. Zumal nach Niederhellmann, Arzt und Heilkunde (Anm. 1), S. 67 auch altnordische Quellen die Tätigkeit eines Gerichtsarztes beschreiben und auch Deutsch (Anm. 4), S. 59 darauf hinweist, dass sich der Sachverständigenbeweis durch einen Arzt im römischen Recht nicht findet und „schlagartig“ in der italienischen Rechtswissenschaft auftaucht, wobei er als frühestes Zeugnis eine Dekretale von Papst Innozenz III. aus dem Jahre 1209 nennt, in der die Beiziehung sachkundiger Ärzte in einem Gerichtsverfahren angeordnet wurde. So ist etwa nach Ed.Roth. 146 das durch Brandstiftung zerstörte Gebäude und Inventar von Nachbarn, die als glaubwürdig gelten (que vicini bone fidei homines adpraetiaverint), zu schätzen. Vgl. zur Schätzung eines Feldschadens durch Nachbarn auch L.Vis. VIII, III 13, 15, Ed.Roth. 346 und Lex Baiuvariorum XIV, 17. Vgl. dazu auch Karin Nehlsen-v. Stryk, Die boni homines des frühen Mittelalters unter besonderer Berücksichtigung des fränkischen Rechts, Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen NF, Bd. 2, 1981, insbesondere S. 252 ff., 287 ff., 326 ff. Zur Schadensschätzung und Wundschau auch schon Franz Beyerle, Das Entwicklungsproblem im germanischen Rechtsgang, I. Sühne, Rache und Preisgabe in ihrer Beziehung zum Strafprozeß der Volksrechte, in: Konrad Beyerle (Hrsg.), Deutschrechtliche Beiträge, Forschungen und Quellen zur Geschichte des Deutschen Rechts, Bd. 10/Heft 2, 1915, S. 195, 426 ff. m. w. N. Deutsch (Anm. 4), S. 47: „Die zum Teil sogar annähernd wörtliche Übernahme einiger medizinrechtlicher Ausführungen […] spr[icht] dafür, dass die abgehandelten Probleme zumindest in juristischer Hinsicht eher entfernt von der Rechtspraxis des Conrad Heyden lagen. Nur spekulieren lässt sich, warum er diese teils umfänglichen Regelungen dennoch in sein Rechtsbuch aufnahm. Möglicherweise empfand er den vorgefundenen Rechtszustand als unbefriedigend. Als Gerichtsschreiber wusste er beispielsweise aus eigener Anschauung, wie unzulänglich eine Wund- und Leichenschau allein durch das Richterkollegium oder die Schöffen ausfallen konnte. Vielleicht entschied er sich ja deshalb für das klare Bekenntnis zur sachverständigen Beschau, durch den artzet’.“
De medicis et aegrotis – Arztrecht im Frühmittelalter
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Jahrhunderte abgeschrieben, glossiert und überarbeitet und einzelne Regelungen der Lex Alamannorum wurden sogar wörtlich in den Schwabenspiegel (um 1275) aufgenommen.69 Zudem wurden südlich und nördlich der Alpen auch noch im Hochmittelalter – häufig in Klöstern – Sammelhandschriften hergestellt, die mehrere frühmittelalterliche Rechtstexte enthielten.70 Die Klöster könnten sich somit nicht nur als Bewahrer antiker Heilkunde erweisen,71 sondern auch für die Überlieferung arztrechtlicher Regelungen vom Früh- zum Spätmittelalter verantwortlich sein. Noch wahrscheinlicher ist jedoch eine Tradierung außerhalb des klösterlichen Umfelds, deren Spuren nach Oberitalien führen und hier nur angedeutet werden können. Dort hinterließ der lombardische Wundarzt Roger Frugardi72 Ende des 12. Jahrhunderts ein chirurgisches Handbuch, in dem die auf germanischen Traditionen beruhende traumatologische Chirurgie im Bereich der Schädelverletzungen eine zentrale Rolle spielt.73 Nach Gundolf Keil gehört „der wundärztliche Traktat Rogers Frugardis […] zu den markantesten und zugleich wirkungsmächtigsten Texten abendländischer Medizinliteratur“.74 Etwa zur selben Zeit kommentieren ebenfalls in Oberitalien lombardische Juristen die frühmittelalterlichen Regelungen zur Erstattung des Arztlohnes aus dem Edikt Rothars (s. o. Anm. 33). Die Frage, ob italienische Juristen des 13. Jahrhunderts wie Albertus Gandinus, an dessen Werk sich der Klagspiegel im Bereich des Arztrechts stark anlehnt, aus 69
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Auf die aus Süddeutschland stammende Handschrift der Lex Alamannorum (11. Jahrhundert), die eine Glosse zu den wundchirurgischen Maßnahmen bei schweren Kopfverletzungen enthält, wurde schon hingewiesen. Eine weitere Handschrift aus dem 13. Jahrhundert enthält eine Zusammenstellung aller Regelungen der Lex Alamannorum, die in der Lex Baiuvariorum nicht enthalten sind (sog. Epitome legis Alamannorum), wobei davon auszugehen ist, dass der mühsame Abgleich zweier Rechtstexte zur Erleichterung der künftigen praktischen Arbeit mit diesen Texten vorgenommen wurde. Zur (teilweise) wörtlichen Übernahme von elf Regelungen der Lex Alamannorum in den Schwabenspiegel (um 1275) vgl. Eva Schumann, Zur Rezeption frühmittelalterlichen Rechts im Spätmittelalter, in: Bernd-Rüdiger Kern/Elmar Wadle/Klaus-Peter Schroeder/Christian Katzenmeier (Hrsg.), Humaniora, Medizin – Recht – Geschichte, Festschrift für Adolf Laufs, 2006, S. 337, 338 f. (Fn. 8). Zu nennen ist insbesondere eine aus Oberitalien stammende Abschrift des berühmten Liber Legum des Lupus v. Ferrières (Cod. Modena, Biblioteca Capitolare, O. I. 2, um 990), die langobardisches und salfränkisches Recht in einer systematischen Bearbeitung, alemannisches und bayerisches Recht sowie zahlreiche Kapitularien enthält. Eine weitere, ebenfalls um die Jahrtausendwende angefertigte Abschrift des Liber Legum stammt aus Mainz oder Fulda. Dazu Schumann (Anm. 5), S. 310 m. w. N. Dazu Bergdolt (Anm. 53), S. 126 ff. (Heilung und Gesundheit im frühen Mönchstum). Den Hinweis auf Roger Frugardi verdanke ich einem sehr anregenden Gespräch mit Gundolf Keil auf der Tagung „Altertumskunde – Altertumswissenschaft – Kulturwissenschaft. Erträge und Perspektiven nach 40 Jahren Reallexikon der Germanischen Altertumskunde“ vom 11.-13. September 2008 in Göttingen. Zu Rogers Werk, insbesondere zur Wirkungsgeschichte (einschließlich der deutschen Rogerbearbeitungen des 13.-15. Jahrhunderts) vgl. Gundolf Keil, Roger Frugardi, Verfasserlexikon, Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 8, 1992, Sp. 140 ff., 148 ff.; ders. (Anm. 50), S. 1 ff., 14 ff., 21 ff. Keil (Anm. 50), S. 5.
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römischen Quellen oder aus dem oberitalienisch-langobardischen, an ältere germanische Traditionen anknüpfenden Statutarrecht75 schöpften, bedarf daher noch eingehender Untersuchung. Schließlich ist die These, dass das von gelehrten Juristen in Italien wiederentdeckte und weiterentwickelte Arztrecht – unabhängig davon, wo seine Wurzeln im Einzelnen zu suchen sind76 – bei den Rechtspraktikern nördlich der Alpen nur deshalb auf fruchtbaren Boden gefallen sei, weil entsprechende Regelungsmaterien im einheimischen Recht völlig fehlten,77 kritisch zu hinterfragen. So finden sich die in den Volksrechten beschriebenen wundchirurgischen Maßnahmen auch in Rogers Handbuch, dessen „lawinenartige Textausbreitung“ in weiten Teilen Europas sich nach Auffassung Keils nur damit erklären lässt, dass die Schrift die landesübliche wundärztliche Tradition widerspiegelte.78 Nördlich der Alpen hat 75
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Zum italienischen Statutarrecht vgl. Gotthold Bohne, Die gerichtliche Medizin im italienischen Statutarrecht des 13.-16. Jahrhunderts, Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches Sanitätswesen, 3. Folge, Bd. 61 (1921), S. 66-86, 238-252 (mit kritischen Anmerkungen zum damaligen Forschungsstand, S. 67 ff., der allerdings bis heute im Wesentlichen unverändert ist). Zur Rezeption frühmittelalterlichen Rechts im Spätmittelalter vgl. Schumann (Anm. 5), S. 314 ff. Denkbar ist schließlich auch, dass sich Teile des Arztrechts losgelöst von römischen oder germanischen Wurzeln erst im Übergang vom Hoch- zum Spätmittelalter eigenständig entwickelt haben. So weist Dilcher (Anm. 16), S. 685 ff. darauf hin, dass etliche Regelungen der Medizinalordnung Friedrichs II. aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ohne unmittelbare Vorbilder sind. So die Auffassung Deutschs (Anm. 4), S. 71, der hier ein letztes Mal zur Bedeutung des Klagspiegels zitiert wird: „Die Darstellung der dort diskutierten Rechtsfragen in einem deutschen Rechtsbuch und in deutscher Sprache war in zahlreichen Punkten völlig neu und dürfte erheblichen Einfluß auf die Rezeption – beispielsweise des (ärztlichen) Sachverständigenbeweises – gehabt haben.“ Keil (Anm. 50), S. 6, 20 und zusammenfassend mit Bezug auf das alemannische Recht S. 24 f.: „[…] denn das in der Rechtsquelle angesprochene Verfahren ist germanisch und hat seine Verschriftlichung erst 1180 gefunden, und zwar in der Lombardei: Rüdiger Frutgard ist es, der in den Eingangskapiteln seines Handbuchs das operative Vorgehen des Wundarztes bei Schädel-Hirn-Traumen ausführlich beschreibt, und zwar in allen Stadien von der Symptomatik über die Diagnostik bis zu den Schritten chirurgischer Versorgung mit abschließender Wundbehandlung – nicht anders als das der alemannische Rechtstext des frühen Mittelalters tut, der das operative Eingreifen gewiß kryptisch, aber doch eindeutig umreißt. Rüdiger Frutgard steht in germanisch-chirurgischer Tradition. Was er um 1170 in Parma seinen Studenten vortrug, war gespeist von jener außerliterarischen Überlieferung, die aus germanischen Bodenfunden ab dem dritten Jahrhundert greifbar wird und sich in beachtlicher Konstanz bis ins Hochmittelalter sowie darüber hinaus verfolgen läßt. Die germanische Chirurgie, die in der römischen Kaiserzeit deutlichere Konturen anzunehmen beginnt, hat sich nicht unabhängig von antiken Kultureinflüssen entwickelt, erlangte jedoch rasch ihre Eigenständigkeit, die sie in operativen Bereichen teilweise über den antiken Standard hinausführte. Eine ihrer Domänen war zweifellos die Schädelchirurgie […]. Das Wissen germanischer Heilkunde unterlag außerliterarischer Vermittlung und wurde vor allem im deutschsprachigen Raum tradiert. […] Ihre eigentliche Verschriftlichung erfuhr sie im 12. Jh. durch den Lombarden Rüdiger Frutgard, der den wundärztlichen Kern germanischer Heilkunde zu einer chirurgischen Lehrschrift gestaltete. Im akademischen Bereich wirkte diese
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bereits Ende des 13. Jahrhunderts Ortolf von Baierland, der in Würzburg als Stadtarzt in bischöflichen Diensten tätig war, in seinem „Arzneibuch“ auf Roger zurückgegriffen und mit diesem Werk ein „Standard-Lehrbuch deutschsprachiger Medizinliteratur“ geschaffen.79 In Ortolfs „Arzneibuch“, aber auch in dem darauf beruhenden „Wundenmann“ – eine nackte männliche Figur, die den Text mit einer Abbildung aller in den mittelalterlichen Rechtstexten beschriebenen Kampfverletzungen an Haupt, Rumpf (mit geöffneter Brust- und Bauchhöhle zur Darstellung der Verletzung innerer Organe) und Gliedmaßen illustriert80 –, lassen sich so deutliche Bezüge zu den Volksrechten erkennen,81 dass dieser Traditionsstrang auch für die spätmittelalterliche Rechtsstellung des Arztes fruchtbar gemacht werden kann. Zumindest in Teilbereichen (Arzt als Sachverständiger, Arztlohn als Teil des Schadensersatzes) dürften daher die hier untersuchten arztrechtlichen Regelungen seit Jahrhunderten in praktischem Gebrauch gewesen sein – mit der Folge, dass die Rezeption des gelehrten Rechts nördlich der Alpen lediglich geringfügige Modifikationen der einheimischen Rechtspraxis bewirkt hat.
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Schrift traditionsbegründend und führte zur Herausbildung der Gattung des modernen chirurgischen Lehrbuchs; im landessprachigen Bereich volkssprachlich kommunizierender Wundärzte läßt sich dagegen eine Traditionsverstärkung beobachten, insofern als die ‚Rogerina’ mit ihren Derivattexten bevorzugt dort rezipiert wurde, wo das Erbe germanischer Heilkunde noch lebendig war.“ Gundolf Keil, Ortolfs chirurgischer Traktat und das Aufkommen der medizinischen Demonstrationszeichnung, in: Wolfgang Harms (Hrsg.), Text und Bild, Bild und Text, 1990, S. 137, 142 ff. Vgl. weiter ders., „ich meister Ortolf, von Beierlant geborn, ein arzet in Wirzeburc“, Zur Wirkungsgeschichte Würzburger Medizin des 13. Jahrhunderts, in: Jahresbericht der Julius-Maximilian-Universität Würzburg über das Akademische Jahr 1975/76, Würzburger Universitätsreden, Heft 56, 1977, S. 19 ff. Zu den Stadtärzten des 13. und 14. Jahrhunderts und deren Aufgaben im Gerichtsverfahren vgl. auch Wolfgang F. Reddig, Bader, Medicus und Weise Frau, Wege und Erfolge der mittelalterlichen Heilkunst, 2000, S. 109 ff., insbesondere S. 114. Der 6. Abschnitt von Ortolfs „Arzneibuchs“ behandelt Verwundungen in der Reihenfolge „a capite ad calcem“ und bildet damit die Grundlage für den „Wundenmann“; dazu Erltraud Auer/Bernhard Schnell, Der ‚Wundenmann’ – Ein traumatologisches Schema in der Tradition der ‚Wundarznei’ des Ortolf von Baierland. Untersuchung und Edition, in: Gundolf Keil (Hrsg.), „ein teutsch puech machen“, Untersuchungen zur landessprachlichen Vermittlung medizinischen Wissens, Wissensliteratur im Mittelalter, Bd. 11, 1993, S. 349, 353. Zwei Illustrationen eines Wundenmannes finden sich ebenda, S. 370 f. Vgl. etwa die Parallelen zum alemannischen Recht in Kap. 141 des „Arzneibuchs“ Ortolfs („Von dem haubt. Das haubt wird manigerley wünt: Etwan so wirt dy hiren schal durch slagen, etwen so wirt nicht denn dy hawt wünt, etwen so wirt daz hiren wünt. Jst daz dy hiren schal wuntr wirt, so saltu mercken, ob icht peyn in der wunden ligen; dy saltu sanfft ausz lösen. Vnd salt im ein seyden tuch dar ein legen […]“) und eines Druckes (um 1495) des „Wundenmannes“ („Wedir vor serunge des hobtes, daz in manchirlei wiß geschit: etzwan gad es in das gehirne, etzwan wirt allein daz huttlin wund vnde gewillet vnde wirt das gehirne vorvnreynt. Ist abir daz gehirne vorserit, so sich, ab kein beynli in der wunde si; die nym uß mit der faret. Vnde leg in de wund ein siden tuchlin […]“); zit. nach Auer/Schnell (Anm. 80), S. 354 und 373.
Notes on the Normative Regulation of Novel Biomedical Technologies
Amos Shapira
I. The Indispensability and Problematics of Normative Regulation of Novel Biomedical Technologies Contemporary biomedical dilemmas in the beginning, throughout and at the end of life – such as embryonic stem-cells research, cloning, the moral and legal status of the embryo, pre-implantation genetic diagnosis and gender selection, organs and tissues donation, and end-of-life medical decisionmaking – raise intriguing queries regarding the goals and modus operandi of the “good society”, including the proper allocation of decisionmaking powers between consumers and suppliers of professional services, between the individual, the family and society, between the scientific community and the state. The developing field of biomedical ethics strives to fashion a calculated balance between various, occasionally contending, values and interests, such as personal autonomy and free choice versus professional privilege and societal paternalism, or taking risks now (in, say, conducting biomedical experiments on humans) versus potential future benefits to humankind resulting from the anticipated progress of biomedical science and technology, or freedom of scientific research versus deeply rooted values of morality, culture and religion. The changing realities of biomedicine make one ponder the suitability of the existing normative order to cope with novel biomedical challenges. To what extent can current legal practices provide appropriate solutions to the problems generated by modern biomedicine? What legal changes are desirable and feasible? How could needed reforms be shaped and implemented? What actors ought to be brought under the umbrella of normative supervision? In Western-liberal societies, biomedical ethics and law are closely related to human rights jurisprudence. Biomedical human rights claims – relating to issues of life and death, health and sickness – are readily identifiable and vigorously voiced. Still, the much acclaimed and often cited concept of human dignity is admittedly rather vague in formulation and nebulous in meaning. It is highly culture-dependent and value-sensitive. Hence, responsible decisionmakers–such as legislators, judges, administrators and members of ethics committees–in a field characteristically surrounded by cultural and emotional debate must exercise highly delicate judgment when choosing between red, green or yellow lights of “stop”, “go” or “wait” in charting the biomedical normative roadmap.
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In a pluralistic society, people of varied religious and humanistic persuasions are prone to display a diversity of moral attitudes towards novel technologies affecting reproduction and genetics, human dignity and social control, family integrity and professional responsibility, religious belief and cultural commitment, freedom of scientific research and state regulation. Such diversity makes it unlikely that any suggested normative scheme will be readily accepted by everyone without reservation. Therefore, to be fair and effective, guiding normative principles in the biomedical sphere ought to present a carefully balanced common social and moral position. A purist, fundamentalist approach to biomedical issues can do more harm than good. And one must also bear in mind the inherent limitation of all regulatory law in a free society, particularly when interfering with the fundamental liberties of individuals and groups. Such law should only attempt to set the truly necessary limits that are indispensable to guaranteeing a tolerable societal life. Law givers must acknowledge that sometimes what is a right answer for you may be a wrong answer for me and that no one has the right answer for everyone. It follows that what is legally permissible is not necessarily socially desirable or morally praiseworthy. Individuals and groups may voluntarily opt, for instance on religious grounds, for stricter norms of behaviour. Within the broad limits of the law, a liberal tolerant society should make room for different moral judgments. The law just cannot and need not guarantee an absolute and uniform quality of all human transactions. To be sure, the opportunities offered by contemporary biomedical technology for the betterment of the human condition are overwhelming. But so also are the many anxieties and risks involved, first and foremost the danger of dehumanization and instrumentalization in the sense of degrading the inherent worth of humans and treating them as a means for an end rather than as an end in themselves. The law is one device, not the only one, which can be used to curb instances of unjustified risks, manipulation and abuse. Yet, like with medicine, it ought to be viewed as a powerful instrument with its own potential for harm and, consequently, it must only be employed sparingly. As certain novel biomedical technologies are hardly supported by a solid societal consensus and are sometimes the object of acute ethical controversy, the precise nature of the optimal mechanism of legal control – if any – ought to be scrutinized with utmost caution. Specifically, one should consider the appropriateness of various modalities of criminal responsibility (e.g. negligence, strict liability and liability irrespective of damage) and weigh the pros and cons of non-penal means of legal regulation in the biomedical field. Such other means may include civil liability in contract or tort, administrative procedures of licensing and reporting, and institutional monitoring by ethics committees making decisions on a caseby-case basis. Also, the scope and intensity of restrictive legal controls – penal or otherwise – may depend on jurisprudential and constitutional notions concerning, e.g. the assumed freedom of individuals to act as they wish except insofar as the legislature has explicitly curtailed freedom of action or, conversely, the postulated need for a positive legal authorization as a pre-condition to legitimate action. In devising a preventive, overseeing or remedial system of normative regulation, one must bear in mind all relevant rights and interests of the groups and individuals involved. Once some experience has been accumulated, the effectiveness of the
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control mechanism at hand – in terms of the measure of deterrence and protection actually achieved and the problems triggered in the process – ought to be reassessed. Evidently, the promises and pitfalls of modern biomedicine transcend national boundaries. Representatives of different socio-legal orders should, therefore, endeavor to engage in a fruitful discourse, learning from the experiences of various systems, considering the need for multinational harmonization, and pondering the feasibility of international coordination through the adoption of universal standards in this dramatically developing field of biomedical technology. To plead for caution in the exercise of normative control is not to advocate noregulation or under-regulation in the sphere of contemporary biomedicine. While the absence of regulation can sometimes be attributed to a deliberate “wait-andsee” strategy, often it seems to result from the lack of foresight or the absence of needed initiative by policy-makers. One ought to recognize that in the absence of appropriate normative control, where it is truly necessary, improper intuition and improvisation, overeagerness and recklessness, misuse and outright abuse may step in and cause irreparable social harm. A telling example of difficulties triggered by under-regulation is the Nachmani case which was decided by the Israeli Supreme Court over a decade ago.1 Danny and Ruthi Nachmani, a married couple, decided to attempt to have a child by retrieving eggs from Ruthi’s ovaries, fertilizing them in a laboratory with sperm taken from Danny, freezing the fertilized eggs, and then implanting them in the womb of a surrogate who would carry the pregnancy to term, give birth and deliver the newborn to the Nachmanis. Over a period of eight months Ruthi underwent a series of medical treatments, culminating in the extraction of eggs from her ovaries, eleven of which were fertilized and frozen. The entire process up to that point progressed with Danny’s full support and cooperation. But then the Nachmanis began having marital difficulties. In 1992, the couple separated. Ruthi requested from the hospital where the frozen fertilized eggs were stored to release them to her, so that she would be able to go ahead with the initial plan and complete the process by implantation of the pre-embryos into the womb of a surrogate. Danny objected to the release of the frozen fertilized eggs into Ruthi’s care and, as a consequence of his objection, the hospital refused her request. Ruthi then filed suit in the District Court of Haifa. The District Court ruled in her favor. Danny appealed to the Supreme Court, which, by a majority of four to one, overturned the District Court decision and found in Danny’s favor. Ruthi petitioned the President of the Supreme Court for a further hearing in the matter. Her petition was granted, and the controversy was brought for a further hearing before an unprecedently expanded panel of eleven justices. Reversing itself, the Supreme Court, by a majority of seven to four, decided to grant Ruthi’s petition and instructed the hospital to release the frozen eggs to her care thus enabling her to attempt to carry on with the assisted reproduction process even in the face of Danny’s opposition. It is not my intention to discuss now the merits of the Supreme Court’s final decision in this case, which in my view was wrong and regrettable. As noted 1
Civil Further Hearing 2401/95 D. Nachmani vs. R. Nachmani, Supreme Court Judgments Vol. 50 (4), p. 661.
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above, I am referring here to the Nachmani affair as an illustration of the negative effects resulting from the lack of proper normative regulation concerning assisted reproduction. To begin with, a responsible legal system should instruct interested couples to deliberate and formulate meticulously detailed Informed Consent forms before they begin IVF treatment and as a condition precedent to it. The parties involved should be asked to consider and specify in advance what ought to be done with the anticipated pre-embryos in a variety of possible future situations (such as separation, divorce, death, illness, disagreement or disappearance of one of the spouses). The parties must be made to ponder these matters, even against their natural inclination to ignore them, and to provide solutions to situations deemed, at the time, cryingly hypothetical. The solutions may include destruction of the pre-embryos, donating them to another couple, making them available for scientific research purposes, or releasing them for the reproductive use of one of the parties. A responsible legal system should also establish ex ante normative arrangements for the disposition of such contingencies in the absence of clear and undisputed advance directives from the parties themselves. Society may opt to prescribe its own preferred normative solutions for such possible future situations, irrespective of whether or not the parties involved considered the matter at the onset of the assisted reproduction process. The point is that an appropriate solid normative foundation must be laid prior to setting the assisted reproduction apparatus into motion. The situation in Israel regarding the requirement of a meaningful and comprehensive Informed Consent process as a precondition to resorting to assisted reproduction technologies often seems to be unsatisfactory, occasionally tainted by improvisation and intuition, not to say light-mindedness and frivolousness bordering on irresponsibility on the part of the infertile couples and professionals who offer their assisted reproduction services. Typically, it appears that Ruthi and Danny Nachmani were not guided, prior to the onset of the IVF and cryopreservation procedures, to consider and consolidate a joint position concerning possible future contingencies, such as divorce. I do not contend that such a prior common decision, if it had existed, necessarily would have offered a ready-made solution to the controversy that later erupted between them. My claim is that the very absence of a serious, responsible Informed Consent process, as an obligatory conditionprecedent to resorting to IVF and freezing procedures, testifies to the improper overeagerness and light-headedness of all concerned. And the lack of preformulated statutory guidelines for dealing with such controversies, in the absence of party-sponsored solutions, only aggravates the situation. To be sure, conceiving well-balanced and widely supported measures of normative regulation is not a light matter considering the often contentious ethical, religious and socio-economic issues raised by novel biomedical technologies. One such issue concerns the appropriate allocation of, and access to, limited biomedical resources. Thus, for instance, pre-implantation genetic diagnosis procedures are costly and heavily demanding on already burdened health-care systems, which are dependent wholly or partly on the public purse. Whether openly acknowledged or not, priorities must always be set and hard allocative choices cannot be avoided. Another typical issue relates to the putative future best interests of children anticipated to be brought to life through novel reproductive techniques. Indeed, an as-
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serted claim to procreative liberty and right to parenthood might be countered by considerations (even if speculative in nature) of the welfare of children who are expected to come into existence by, say, posthumous conception using the sperm of a deceased man or the ova of a dead woman. As already observed, the options for normative regulation of new biomedical technologies range from a “red light” total ban to a “green light” formal sanctioning. Legal prohibitions could combine penal law sanctions with administrative injunctions and civil law remedies. Formal legitimation may be achieved through the establishment of an official regulatory apparatus (administrative and/or judicial) for prior licensing and continuous monitoring of the procedure at hand. To be sure, criminalization of human behaviour is inherently problematic in the sensitive sphere of procreation, reproduction and other intimate personal and family relationships. As a matter of principle, a liberal society should refrain from regulating such intimate individual choices without a good justification. It must avoid rushing into blanket, rigid, statutory criminalization. It is bound to consider first, and prefer where apposite, regulatory modalities and “soft law” mechanisms such as administrative directives and canons of professional ethics. The latter are often better suited to provide the flexibility needed in a rapidly, sometimes dramatically, changing scientific environment. Piecemeal, ad hoc determinations by public officials and members of ethics committees are prone to accumulate necessary information and guiding decisional experience and lay down the required groundwork for the evolution and crystallization of basic policy guidelines, ethical yardsticks, administrative procedures and more generalized and solid statutory measures which will enhance predictability and stability. When neither acceleration nor a complete halt of a novel biomedical technology is feasible or advisable, an evolutionary normative oversight, coupled with continuous reassessment and occasional revision, may provide the better path to follow. Ultimately, the most appropriate system of public control is a direct function of the profile of the community in question and is bound to reflect society’s overall value-system and sociopolitical realities. Thus, the prevailing general attitudes to the notion of governmental regulation in socio-economic matters, and to the constitutional precepts of individual liberty, privacy and autonomy, are likely to inform and shape the particular review mechanism of biomedical science and technology most suitable to the community in question. It has been noted above that the dilemmas posed by present biomedical research and technology cut across national frontiers and transcend cultural boundaries. Communities in the modern world promoting such technologies are bound to face common problems of ethical, socio-political and normative-regulatory dimensions. Yet these underlying similarities are qualified, sometimes substantially, by the inherent differences –in cultural heritage, religious tradition, social organization and form of government – of the various nations of the world community. Any meaningful inter-communal dialogue concerning bioethical issues must reckon with these underlying similarities and inherent differences. And one must recognize that it might prove highly difficult to achieve widespread transnational consensus on such issues.
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II. The Promises and Pitfalls of a Multidisciplinary Discourse in Shaping the Normative Regulation of Novel Biomedical Technologies The normative regulation of biomedical science and technology is a multidisciplinary enterprise that builds on the combined effort of men and women of science, ethics, politics, socio-economics, theology and law. A meaningful multidisciplinary cooperation is a sine qua non to the normative engineering of the biomedical field, where a balancing of varied – and sometimes contending – claims of value and interest is often required. To put it differently, as the field of biomedicine entails trans-scientific dimensions and presents societal dilemmas, society at large is entitled, indeed obligated, to partake in fashioning balanced solutions to these sometimes intricate dilemmas. Biomedical science as a total societal affair naturally calls for multidisciplinary treatment. It cannot and should not cope with the issues involved all alone. It urgently needs support-systems which can and should be provided by other disciplines. Relevant extra-scientific values and concerns must be brought to the forefront of biomedical decisionmaking. It is only through a candid multidisciplinary effort that the public good, in the widest sense, can possibly be articulated. Hence biomedical scientists, ethicists, theologians, psychologists, sociologists, economists, and jurists ought to join forces in an intensive multidisciplinary collaboration designed to formulate the relevant questions and fashion adequate answers. Such a sustained multidisciplinary encounter will provide professionals with an opportunity to examine the underlying values of their respective occupations, by placing one’s convictions in the light of the experiences of professionals in other fields. One is likely to perform one’s professional decisionmaking functions more responsibly if one is prepared to monitor oneself against the onslaught of ideas originating in other relevant disciplines. It is quite understandable that the biomedical research community occasionally is inclined to shun the very notion of outside interference with its professional scientific activity. The involvement of ethicists and jurists in the decisionmaking process is instinctively deemed by many a scientist as an improper intrusion on their own legitimate domain. Yet there is no denying the fact that the scientific community – even in societies which are essentially humane, open and democratic – has failed, time and again, to prevent instances of overreaching, aberration, and even occasional outright abuse in biomedical research. Perhaps, to paraphrase a famous cliché about war and generals, biomedical science is too important – and intricate – to be left to the sole, unimpeded discretion of scientists. To be sure, biomedical scientists are, and should always be, the prime initiators and activators of biomedical research. Their primary responsibility is to elaborate scientifically sound research proposals and to carry them out in a professional valid manner. Ethicists, theologians, jurists and social scientists should enrich the scientific decisionmaking process with relevant humane and social values. Their task is to elucidate and articulate the Olympian moral, ethical and constitutional principles which speak to the perennial dilemmas of individual rights and social responsibility, of self-determination and professional privilege, of present individual sacrifice and future societal progress. Decisionmakers might then be called on
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to mediate between specific research proposals designed by scientists and the over-arching tenets illuminated by philosophers. Jurists in particular are best suited, by schooling and training, to reason from broad norms to specific fact situations, to analyze concrete cases in the light of normative abstractions, to synthesize guiding rules from an aggregation of particular rulings, to balance varied – and sometimes conflicting – claims of policy and fairness. Multidisciplinary cooperation can thus provide the best available framework for analyzing and solving the multi-faceted problems entailed in the complex field of novel biomedical technology. The advancement of such technology should not be pursued freewheelingly in a normative vacuum. Certain guiding substantive and procedural standards are necessary, thus adding a dimension of social responsibility and control to the all-important enterprise of biomedical science. The role of religion can, and often is, rather significant in the multidisciplinary discourse concerning the normative regulation of contemporary biomedical technologies. Let me take Israel as an example. In Israel, the bulk of the population leads an essentially secularist, liberal and permissive individual lifestyle. The Israeli legal culture is rooted in the liberal tradition, which frowns upon an undue governmental interference with fundamental rights and freedoms. Individual liberty is cherished and must not be restrained except for weighty, demonstrable public concerns – first and foremost in order to avoid substantial and likely harm to others. Values such as autonomy, privacy, scientific freedom, procreative choice, right to parenthood and freedom of occupation and contract loom high in such a jurisprudential environment. At the same time, certain cultural-religious values, institutions, practices and injunctions are formally integrated into the Israeli communal fabric. Consequently, the bioethical discourse in Israel has evolved in a socio-cultural context which manifests a unique mix of orthodoxy and secularism, of communal paternalism and assertive individualism, of proscription and permissiveness, of religious norms and liberal ethical values. There can be no denying of the impact of Jewish religious tenets on the shaping of Israeli biomedical jurisprudence. Yet it would be wrong to assume that such impact invariably has been prohibitive and restrictive. A case in point is the rather permissive, accommodating ethical and legal stand manifested by the Israeli normative system on issues relating to the moral status of the embryo. The permissive Israeli normative attitude towards such matters as in vitro fertilization, surrogate motherhood, embryonic stem-cells research, cloning for research purposes and preimplantation genetic diagnosis is grounded in Jewish religious tenets which put a high premium both on procreation and on life saving and disease healing through advancement of scientific knowledge and biomedical progress, on the one hand, and which ascribe a relatively low moral and legal status to the human embryo (certainly in its pre-implantation stage), on the other hand. That a multidisciplinary discourse is indispensable to a meaningful normative regulation of the field of modern biomedicine is not to say that such aspired collaboration is problem-free. Disciplinary affiliation, nourished by sustained professional study and experience, is prone to cultivate typical value orientations, frames of mind, attitudes, sensitivities, instincts and intellectual priorities. Thus it has been my impression that philosophers incline to be fascinated by alleged scientific achievements and research promises far more than lawyers, who tend to be more
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cautious, even skeptical, and to require concrete evidence in support of asserted scientific breakthroughs. Also, it seems that lawyers are more reluctant to hastily accord normative endorsement to any novel biomedical technology, particularly when still in its early, experimental phase. In this view, the natural enthusiastic reaction to innovative scientific achievements, and to their potential for promoting the welfare of humankind, ought to be tempered by a sober assessment of the overall social ramifications of a given novel technology. What is scientifically feasible is not necessarily socially desirable. One need not assume a priori that every biomedical technological innovation is worthy of unqualified normative adoption, especially at its experimental stage and while its long-range consequences are still unknown. Jurists, like philosophers and theologians, perform their professional functions within a normative framework that builds on broad principles and specific rules of conduct. Still, it seems that philosophers and theologians are more prone to be obedient to absolute norms, to cling to abstract thinking, to subscribe to logical purity, to operate within rigid conceptual frames, whereas jurists (particularly those engaged in the shaping of public policy through legislation and other means of regulation) tend more to give weight to a variety of relevant considerations – including social sensitivities, political constraints, economic factors, limits and costs of law enforcement – and to grope for normative arrangements based on balancing of the various factors, interests and constraints, even at the expense of logical pedantry and conceptual purity. Take, for instance, “wrongful life” tort lawsuits for faulty genetic counseling. Such lawsuits are based on the alleged tortious liability of a genetic counsellor towards an infant with hereditary defects, with the latter claiming that he or she would not have been born at all if not for the counsellor’s negligence. This negligence allegedly lies in the failure on the part of the defendant adequately to advise the parents or to conduct properly the relevant testing and thereby prevent the child’s conception or birth (where unimpaired life was not possible). In fact, a “wrongful life” plaintiff asserts that he or she would have been better off not to be born at all rather than to be brought to handicapped existence. Many a philosopher hold the view that there can be no logical foundation to a “wrongful life” claim. A state of non-existence is devoid of any moral status, value and worth and therefore it can offer no basis for comparison with any form of existence. Hence an attempt to evaluate the meaning of non-life as compared to that of defective life is a logical impossibility. Lawyers, on the other hand, may offer support for “wrongful life” compensation actions, arguing inter alia that holding genetic counsellors liable towards an impaired newborn for professional misconduct is likely to prompt them to act with skill and caution. This would conform with the deterrence and prevention policy-goal of tort law. Another argument in support of imposing a legal duty of professional due care upon genetic counsellors emanates from the “damage-spreading” policy-goal of negligence law. Health care organizations and professionals are generally considered to be more efficient “damage spreaders” than individual patients. Also, basic precepts of justice and fairness lend further support to holding negligent professionals responsible for the consequences of their sub-standard conduct and to awarding compensation to severely handicapped newborns.
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Philosophers and jurists might not see eye to eye also regarding the question whether it is appropriate to impose limits on claims to procreative liberty and right to parenthood, due to considerations of the best interests of potential children anticipated to be born in the future through novel technologies of assisted reproduction. Philosophers may argue that there is no logical and moral foundation to such considerations where the matter at stake is the bringing to life, the potential future existence, of a child not yet born or even conceived. Lawyers, however, may contend that in forging public policy regarding assisted reproduction, it is legitimate in certain instances to consider whether it would be proper for society to formally endorse and practically assist in the pre-planned conception and birth, through sophisticated and costly biomedical technological devices, of future children. Unlike natural conception and birth, in the intimacy and privacy of the progenitors concerned, technologically assisted reproduction (via artificial insemination, extra-corporeal fertilization, gametes and fertilized ova donation, embryo freezing and implantation, and surrogacy) necessitates massive biomedical support. This is hardly a “do it yourselves” venture, far from the public eye and devoid of any governmental imprimatur. Often it involves complex procedures supported by scientifically advanced and economically expensive technology. There is an obvious public interest in such matters, not the least since they require setting priorities in the allocation of limited, sometimes scarce, biomedical resources. In shaping general policies in this respect, through legislation or otherwise, society is certainly entitled, if not obliged, to consider whether it would be justified to encourage and support the deliberate, technologically-assisted procreation of descendants to parents who are, say, old, or terminally ill, or afflicted by hereditary genetic defects, or to a parent who lost his or her spouse prior to fertilization. Public policy in this sphere might be affected not only by socio-economic factors of resource allocation but also by considerations relating to the anticipated physical, psychological and social welfare of the prospective children designed to be brought to life by means of technologically assisted reproduction. As already observed, the promise of advanced biomedical technologies to the betterment of the quality of life of individuals longing for parenthood should sensitively be balanced with the possible risk of adverse repercussions on the welfare of other individuals and society at large, including the protection of public health and safety and of the genetic identity and heritage of future generations. Where sufficient knowledge of potential future benefits and risks is lacking, one may indeed end up weighing and balancing two unknowns.
III. Some Further Remarks on the Intricacies of Normative Regulation of Novel Biomedical Science and Technology Recently, the European Council has funded an international and inter-disciplinary research project on “Chimbrids – Chimeras and Hybrids in Comparative European and International Research – Scientific, Ethical, Philosophical and Legal Aspects”. The project has been coordinated by Professsor Dr. Jochen Taupitz, the Institute
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for German, European and International Medical Law, Public Health Law and Bioethics in Mannheim, Germany. The entire final report is scheduled to be published sometime in 2008 by the Springer Publishing House, Berlin. The project coordinators have already released for publishing its Summary, Conclusions and Recommendations. Although the report is focused specifically on Chimbrids research, some of its conclusions and recommendations are clearly relevant and generally applicable to other fields of novel biomedical science. Let me quote a few paragraphs from the Chimbrids report: “...it may be appropriate to prohibit certain chimbrids related activities, with or without the possibility of exemptions (by way of special authorization, in exceptional cases, for certain purposes etc). Detailed regulation may be needed with regard to issues involving particular risks (for example human reproduction, xenotransplantation and medicinal products). In other areas, it may be considered sufficient to make the activities subject to certain restrictions or conditions (notification, procedural assessment, approval or licensing, or substantive conditions such as a specified purpose). In order to provide sufficient flexibility, the regulation should not focus on certain techniques or methods, but primarily on results and risks to be achieved or avoided. It would seem an appropriate minimum requirement, however, that all chimbrids related research is subjected to some kind of prior review by an independent body qualified to address both general and chimbrids specific considerations. Regulation primarily focused on procedures rather than fixed material rules will clearly provide more flexibility. Although this may be considered an advantage, a very generous delegation of powers could endanger democratic values in a way that is particularly problematic in areas where important interests may be at risk. Too wide a margin of appreciation may result in poor predictability and thus conflict with the rule of law. It is also more difficult to achieve uniform application if case-by-case assessment takes place at a regional or even local level. This means that the discretionary powers left to lower level decision-making bodies should be very carefully considered and not only restricted by appropriate legislative frameworks, but also complemented by official guidelines etc. With flexible rules, the qualifications and legitimacy of the bodies making decisions in individual cases thus become increasingly important, and the need for public oversight and openness in the decision-making procedure, as well as the possibility of appeal. Overlapping competency between different decision-making bodies may result in rivalry or quite the opposite, leaving so-called orphan issues. A regulatory system must also provide tools for monitoring and controlling the development in chimbrids research and applications. Such tools traditionally include, for example, the appointment of supervisory agencies, requirements for notification, follow-up, reporting of adverse events etc, as well as appropriate legal sanctions to be applied in case of unlawful activities.”
Debora Spar and Anna Harrington, in discussing markets and law concerning the selling of stem-cell science, offer an illuminating observation on the dynamic interaction of provocative breakthrough scientific technologies, baffled moral attitudes, heated public debate, initial political deadlock, the evolving driving force of market demands and the ultimate generation of new law: “Because breakthrough technologies, by definition, are both radical and new, they often and understandably cause problems for the law, which is based, as it must be, on historical precedent and the status quo. When the law encounters a new area of science, it must generate a correspondingly new type of legislation, or, at least, a new extension of existing legal practice. Yet this process of legal generation is frequently stymied by the moral questions and political deadlock that also accompany scientific advance. When scientific advance veers into such provocative areas as human reproduction and the definition of human life, it can ignite a particularly heated political debate and create an even more extenuated gap between the evolving technology and the law that seeks to regulate it.
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As history suggests, however, a gap between science and the law does not necessarily mean that science simply waits for the law to catch up. On the contrary, in the United States at least, markets tend to develop rapidly, even in the absence of a facilitating or clarifying legal doctrine. In fact, there are certain segments of U.S. business that thrive amidst legal uncertainty or even legal restriction, rushing to accommodate the market demands unleashed by technological advance. What is critical to note, though, is that even in these cases, the law eventually catches up to both the science and the market. As the science proves itself and commerce becomes more robust, the political opposition that surrounded the once-radical technology tends to diminish, pulled by the joint appeal of profits and progress. As political opposition mutes, law can more successfully be forged.”2
Finally, useful advice as to the social regulation of science, backed by longstanding experience as a policy shaper at the interface between science and politics in the U.K., is proposed by Dame Mary Warnock, member of the House of Lords, as follows: “That science develops too fast for morality had become the cliché of the twentieth century... Wisely, the U.K. government decided to set up a committee ... to examine the social and ethical implications of [IVF]... The central and most controversial issue before us was whether or not research using live embryos should be permitted. There was little possibility of a moral consensus. If research were prohibited, IVF could not continue... Prohibition of IVF did not seem ... to be a serious option, given its widespread welcome as an innovative remedy for infertility... [W]e proposed a strict system of licensing, backed up by the criminal law... There was a real danger that women, desperate to conceive, might be exploited... [T]he status of the embryo in vitro was a matter not of science but of moral decision. The novelty of the embryo in vitro meant that there could be no appeal to precedent or existing moral convention or to religious laws... The moral decisions that such committees have to make are essentially matters of public not private morality... As a committee we were given the task of setting such a standard. This must be done by weighing up possible goods against possible harms... The legislation would govern everyone – believers and atheists – and had to take into account wider considerations, such as the relief of suffering... [and seeking] to minimize... the exploitation of the vulnerable and ignorant... One may generalize from the case of IVF to other cases... [including] embryonic stemcell research, therapeutic cloning and the construction of mixed-species embryos for research purposes. But it is essential that ignorance and prejudice should not be allowed to dictate the outcome... [One] should ... have a broad understanding of science, and an appreciation of its potential for good. Without this, we cannot responsibly erect barriers to scientific advance.”3
Scarcity of available scientific information and genuine moral uncertainty are good reasons for public caution and measured societal monitoring – not necessarily by sweeping “red light” prohibitions. The latter assume the yet unresolved moral unacceptability of the novel biomedical technology in question and risk depriving humanity of the potential benefits of scientific progress. Hence a lighthanded regulatory approach may often be the better option. Such an approach will provide a time space for information gathering, public debate, moral soul2
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Spar & Harrington, “Selling Stem Cell Science: How Markets Drive Law along the Technological Frontier”, American Journal of Law & Medicine, Vol. 33 (2007), pp. 541, 564-565. Mary Warnock, “The Ethical Regulation of Science”, Nature 450, 615 (29 November 2007) I doi: 10.1038/450615a; Published online 28 November 2007.
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searching and assessment of long-term social outcomes. At the end of the day, light-handed regulation, initially allowing questionable conduct to occur, may indeed crystallize into “green light” endorsement. Yet one cannot rule out a possible eventual consolidation of a strong moral and social consensus disfavoring the practice at hand, which could then lead to the latter’s ultimate proscription.
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PDG Skegg “Medical law” is a relatively new concept in England and in related common law jurisdictions. For example, it was not until the 1970s that any English, Australian, or New Zealand academic listed his or her academic interests as including “medical law”. It was not until the 1980s that “medical law” was used in the title of any book in England, Australia or New Zealand, and it was not until the 1990s that the term was used in the name of any English language law review. Nevertheless, for decades before the emergence of “medical law” as a subject in England, Australia and New Zealand, academic lawyers and law reformers had sometimes grappled with issues that would nowadays be regarded as being, at least in part, ones of medical law. Outstanding amongst the academics was Professor Glanville Williams. His seminal Carpentier lectures were delivered at Columbia University in 1956, when a young German scholar, Erwin Deutsch, was studying there.1 The book that resulted from these lectures2 is a major reason why Williams came to be regarded, if not as a father, then at any rate as the grandfather of English medical law.3 Before Glanville Williams, no academic lawyer had demonstrated a comparable interest in the intersection of criminal law and medical practice. However, some of the nineteenth century law reformers grappled with such issues. The illustrations provided in Macaulay’s Indian Penal Code4 demonstrated a lively awareness of the potential application of the Code to surgery and to other medical inter-
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There was only one foreign student on the Dean’s List at the Columbia Law School that year. No one who is aware of the ability, energy, and achievements of Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Deutsch (as he now is) would be surprised to learn the name of that student. Williams, The Sanctity of Life and the Criminal Law (1957; revised edition 1958). For the most important assessment and critique of this book, see Keown and Jones, “Surveying the Foundations of Medical Law: A Reassessment of Glanville Williams's The Sanctity of Life and the Criminal Law” (2008) 16 Medical Law Review 85-126. See Grubb, “Glanville Williams: A Personal Appreciation” (1998) 6 Medical Law Review 133, 136. A Penal Code prepared by the Indian Law Commissioners, and published by command of the Governor General of India in Council (reprinted from the Calcutta edition, London, 1838). The Code was forwarded to the Governor General in October 1837 (p. viii), and enacted (in slightly amended form) nearly a quarter of a century later.
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ventions.5 Important amongst those who came later was James Fitzjames Stephen. Stephen was to English criminal law scholarship in the nineteenth century what Glanville Williams was to such scholarship in the twentieth century: the preeminent figure. Stephen contributed – sometimes directly, sometimes indirectly – to the development of almost all of the enacted surgical operation provisions to be discussed in this paper. The provisions to be discussed in this paper remain in force in various Commonwealth jurisdictions. However, for much of this paper the focus will be on the development of these Codes in colonial times.
I. Precursors to the Commissioners’ “surgical operation” provision In 1879 the English and Irish Criminal Code Bill Commissioners proposed a surgical operation provision as part of their Draft Criminal Code.6 It is not clear what the Commissioners intended to achieve with their surgical operation provision. This being so, it is as well to start by examining its three precursors, to see what light they shed on the matter. As will be seen, Stephen was solely responsible for two of them, and had some involvement with the third.
1. Wright’s Draft Criminal Code In 1870 RS Wright (later Wright J), then a young barrister and Fellow of Oriel, was asked by the Colonial Office to draft a Criminal Code for Jamaica which could also serve as a model for other colonies.7 In August 1873 Wright had sent Stephen a copy of his work in progress. In January 1874 Wright submitted his draft to the Colonial Office, who then asked Stephen to examine it. The published version included a prominent statement that the Draft Criminal Code had been “revised by Sir James Fitzjames Stephen, Q.C., K.C.S.I., 1874-5”.8 Section 54 of the published Draft Criminal Code was one of the two main provisions relating to consent,9 and it contained several references to things done for the purposes of medical or surgical treatment.10 Section 54 read in part:11 5
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See especially the illustrations to Chapter III (General Exceptions). The Code did not, however, contain any provisions dealing expressly with surgical operations. See Part II of this paper. It was not until 1877 that the final version was laid before Parliament (along with the Code of Criminal Procedure, which Wright had subsequently drafted): Drafts of a Criminal Code and a Code of Criminal Procedure for the Island of Jamaica, with an Explanatory Memorandum (1877) C—1893. This was printed in bold type on the back of the title page, and was the only printed matter on that page. The other was s13 (“With respect to consent”) in Title II, “General Explanations”. Section 54 (“With respect to the consent of the person against whom force is used”) was in Title VII, “Justifiable Force and Harm”.
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The use of force against a person may be justified on the ground of his consent, subject as follows: ... (ii) A wound or grievous harm cannot be justified on the ground of consent, unless the consent be given and the wound or harm be caused in good faith for the purposes of or in the course of medical or surgical treatment: ... (v) Consent to the use of force for the purposes of medical or surgical treatment does not extend to any improper or negligent treatment:
The section continued: (vi) Consent to the use of force against a person for purposes of medical or surgical treatment, or otherwise for his benefit, may be given against his will by his father or guardian, or a person acting as his guardian, if he be under eighteen years of age, or by any person lawfully having the custody of him if he be insane, or be a prisoner in any prison or reformatory, and when so given on his behalf cannot be revoked by him:
Section 54 concluded by providing that: (vii) If a person be intoxicated or insensible, or from any cause unable to give or withhold consent, any force is justifiable which is used in good faith and without negligence for the purposes of medical or surgical treatment or otherwise for his benefit, unless some person authorized by him or by law to give or refuse consent on his behalf dissent from the use of such force.
It is unlikely that Stephen had a significant role in developing section 54.12 Nevertheless, he must have been aware of it long before he finalized his own (somewhat narrower) surgical operation provisions.13 Despite its many merits, Wright’s Draft Criminal Code was not adopted in Jamaica, or elsewhere on anything like the scale that had been envisaged. By the 10
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See also s108 (“Special provision as to surgical or medical treatment”). For the separate provisions relating to abortion and killing in the course of birth, see ss129-130 and s132 (“Exceptions as to surgical or medical treatment”). In this and all quotations in this paper, emphasis that is provided by way of italics has been added for the purpose of this paper. The emphasis did not appear in the original published text. The text quoted above also provided references to footnotes, which themselves contained cross-references to the Draft Code’s definition provisions (eg, in the case of para (ii): “wound”, “grievous harm”, “consent”, and “caused”). See Friedland, “RS Wright’s Model Criminal Code: A Forgotten Chapter in the History of the Criminal Law” (1981) 1 Oxford Journal of Legal Studies 307, 312-319 for an account of the preparation of the Code and Stephen’s role therein. Stephen had included a “consent” provision in his Homicide Law Amendment Bill 1874: see Special Report from the Select Committee on Homicide Law Amendment Bill (315; 1874), Appendix 2, s19; note also s31. However, it contained no express reference to surgical or medical interventions, and the necessity provision (s17) would not have applied to surgical or medical interventions to save the life or preserve the health of people unable to consent on their own behalf.
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end of the nineteenth century it had, however, been adopted in British Honduras, Tobago, St Lucia, British Guiana (in South America) and the Gold Coast (in Africa).14
2. Stephen’s Digest of the Criminal Law It was during the period when Stephen was revising Wright’s draft15 that he decided to prepare a Digest of the Criminal Law,16 which he regarded as “the first step towards the enactment of a Penal Code”.17 The Digest consisted of a great many “articles”, or formulations of the law, with associated footnotes citing relevant authorities. Many of the articles were followed by illustrations, not unlike those in Macaulay’s Indian Penal Code. In his Digest of the Criminal Law Stephen provided two articles relating to surgical operations, both in the context of several other articles dealing with the limits of consent.18 They were preceded by article 203, which was headed “Consent to Bodily Injury”. It commenced: The consent of a person killed or maimed to the infliction of death or bodily harm, affects the criminality of such infliction to the extent defined in Articles 204-209, both inclusive.
Stephen’s first article dealing with surgical operations was as follows: Article 204. Right to consent to bodily injury for surgical purposes. Every one has a right to consent to the infliction of any bodily injury in the nature of a surgical operation upon himself or upon any child under his care, and too young to exercise a reasonable discretion in such a matter, but such consent does not discharge the person performing the operation from the duties hereinafter defined in relation thereto.
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See Friedland, op cit n12 above, 337-8. Leslie Stephen, The Life of James Fitzjames Stephen (2nd ed, 1895), 376, provides evidence that the decision was made between 23 September and 8 October 1874. Stephen submitted his report on Wright’s Draft Code on 26 October 1874 (although other correspondence followed): see Friedland, op cit n12 above, 314, n62. The full title was A Digest of the Criminal Law (Crimes and Punishments). The first edition was published in 1877. The last edition for which Stephen was personally responsible was the fourth edition, 1887. 1st ed, 1877, p xxiii (Introduction). Early in 1877, before the Digest of the Criminal Law was published, Stephen wrote to the Attorney-General saying that he thought it would form a useful basis of a criminal code. By August 1877 Stephen had received instructions from Lord Chancellor to draft the Bill. It was introduced into the House of Commons in May 1878. See Smith, James Fitzjames Stephen: Portrait of a Victorian Rationalist (1988), 78, 269 n36, for details. All quotations from Stephen’s Digest are from the first edition, and all citations of that work are to that edition. However, the passages quoted (and the article numbers) did not change in the later editions for which Stephen was responsible.
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Stephen’s next article dealt with the situation where a person was incapable of giving consent. It was as follows: Article 205. Surgical operation on person incapable of assent. (SUBMITTED) — If a person is in such circumstances as to be incapable of giving consent to a surgical operation, or to the infliction of other bodily harm of a similar nature and for similar objects, it is not a crime to perform such operation or to inflict such bodily harm upon him without his consent or in spite of his resistance.
To the first of the articles relating to surgical operations, Stephen provided a note “I know of no authority for these propositions, but I apprehend they require none. The existence of surgery as a profession assumes their truth”.19 To the second, he simply provided a cross-reference to the earlier note.20 Had no illustrations been provided, it could reasonably have been assumed that the reference in article 205 to “the infliction of other bodily harm of a similar nature and for similar objects” indicated that (like Wright before him) Stephen had intended to provide for medical interventions which could not be characterized as “surgical operations” but which might cause “bodily harm”. Perhaps he did. However, his illustrations do not confirm this interpretation. Two related to surgical operations, rather than other medical interventions, and the third was as follows: “B is drowning and insensible. A, in order to save his life, pulls B out of the water with a hook which injures him. This is no offence.” Articles 204 and 205 were followed by other articles dealing with the limits of consent. One made express reference to article 204. This was article 207, which stated:21 No one has a right to consent to the infliction upon himself of death, or of an injury likely to cause death, in any case (other than those mentioned in Article 204), or to consent to the infliction upon himself of bodily harm amounting to a maim, for any purpose injurious to the public.
If the implication of article 207 had become accepted, or been enacted, then only a minority of surgical operations would have needed whatever measure of protection was provided by article 204. Many were and are performed with consent, and with little likelihood of causing death or what would count in law as a maim.
3. Stephen’s Criminal Code (Indictable Offences) Bill 1878 During 1877 the Lord Chancellor instructed Stephen to prepare a Bill for a Penal Code and a Code of Criminal Procedure.22 Stephen’s draft criminal code was in19 20
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1st ed, p128, n1. 1st ed, p129, n1 (“see note 1, p.128.”). For the 3rd ed, 1884 Stephen added a crossreference: “Draft Code, s. 67” (It was also included in the 4th ed, 1887.) Article 207 left much more room for a defence of consent than did the English common law of more than a century later: R v Brown [1994] 1 AC 212 (HL). Cf R v Lee [2006] 3 NZLR 42 (NZCA). Note also R v Coney (1882) 8 QBD 534, 549, per Stephen J.
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troduced into the House of Commons as the Criminal Code (Indictable Offences) Bill 1878. Section 124 of the 1878 Bill was the provision that, in greatly revised form, became section 67 of the Commissioner’s Draft Code. It was headed “Surgical operations”, and provided:23 No one commits an offence by inflicting on another any bodily injury in the nature of a surgical operation performed either [1] by the patient’s own consent, or [2] if he is incapable of consenting, then by the consent of any person who has a lawful right to consent thereto, or [3] if no such person’s consent can be had, then if it is inflicted in good faith for the benefit of the patient, provided that this section shall be subject to the provisions herein-after contained as to culpable negligence, and to the provisions of Section 159.
Section 159 provided for the conviction and punishment of anyone “who, for any purpose injurious to the public, maims himself, or maims any other person by his consent”.24
II. The development and migration of the Commissioners’ “surgical operation” provision 1. The Criminal Commissioners’ Draft Bill After the Criminal Code (Indictable Offences) Bill 187825 had been introduced into the House of Commons, it was referred to a specially constituted Criminal Code Bill Commission, which included Stephen.26 Stephen and the three other Commissioners were said to have met daily for over five months27 and to have discussed “every line and nearly every word of every section”.28 The Draft Bill that accompanied the Commissioners’ Report in 187929 differed in various respects from 1878 Bill. Special provision was made for surgical operations, but in a more abbreviated form than in the three precursors quoted above. 22 23
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Leslie Stephen, op cit n15 above, 380. The square brackets, and the numbers therein, have been added for the purpose of this paper, to help bring out the contrast with the Commissioner’s “surgical operation” provision. Section 122 provided in part that: “A ‘maim’ is bodily harm, whereby a man is deprived of any member of his body or permanently deprived of the use of it or of any sense or faculty.”. 41 Vict., Bill 178. The Commissioners were Barry J (an Irish judge), Lord Blackburn, Lush J, and James Fitzjames Stephen (who became Stephen J during the course of its deliberations). Leslie Stephen, op cit n15 above, 320. James Fitzjames Stephen, History of the Criminal Law of England (1883), vol I, vi. Report of the Royal Commission appointed to consider the Law relating to Indictable Offences (C.–2345; 1879), Draft Code, s67 (“Criminal Code Bill Commission” was the
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Section 67 of Commissioners’ Draft Code was headed “Surgical operations” and provided as follows: Every one is protected from criminal responsibility for performing with reasonable care and skill any surgical operation upon any person for his benefit: Provided that performing the operation was reasonable, having regard to the patient’s state at the time, and to all the circumstances of the case.
The Report of the Commissioners provided no indication of why this provision was included in the Draft Code, or what it was expected to achieve.30 With all three precursors to the Commissioners’ formulation, the surgical operation (or equivalent) provision appeared in the context of provisions relating the limits of consent. However, in the Commissioners’ Draft Code this was not so.31 Unlike the surgical operation provision in the Criminal Code (Indictable Offences) Bill that Stephen prepared, section 67 does not expressly require consent in any case. It protects from criminal responsibility anyone who, with reasonable care and skill, operates on a person for that person’s benefit, in circumstances where “performing the operation was reasonable, having regard to the patient’s state at the time, and to all the circumstances of the case.”
2. Adoption of the Commissioners’ provision in Canada and New Zealand Section 67 of the Commissioners’ Draft Code was repeated in identical terms in the Criminal Code Bill which was introduced into the House of Commons in 1879,32 and then again in 1880.33 As is well known, that Bill was never enacted. However, its provisions were in large measure adopted and enacted in Canada and New Zealand in the 1890s.34 The Commissioners’ surgical operation provision was included in both enactments.35 The Commissioners’ surgical operation provision remains part of the criminal law of Canada and New Zealand in the twenty-first century,36 with only inconsequential changes having been made to its wording.
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name given on the first line of the title page.). There is no record of their proceedings, so no illumination can be obtained from such a source. Stephen’s brother later wrote that “The discussions, I gather, were not as harmonious as those in the Indian Council, and his letters show that they sometimes tried his temper.” Leslie Stephen, op cit n15 above, 380. But see s69 of the Draft Code (no right to consent to death). Criminal Code (Indictable Offences) Bill 1879, s67. Criminal Code Bill 1880, s68. Criminal Code 1892 (Canada); Criminal Code Act 1893 (NZ). Ibid, s57 and s69, respectively. Criminal Code 1985 (Canada), s45; Crimes Act 1961 (NZ), s61. The first part of the Tasmanian surgical operation provision, enacted in 1924 (Criminal Code Act 1924 (Tas), s51) and still in force, has much in common with the Commissioners’ provision – although it is by no means identical to it. The remaining parts of the Tasmanian provi-
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Elsewhere in the Commonwealth, the Commissioners’ Bill had its greatest effect in consequence of its provisions providing the basis for much of Griffith’s remarkably influential Code.
III. Griffith’s modification of the Commissioners’ “surgical operation” provision By far the most widely adopted version of the surgical operation provision was that drafted by Sir Samuel Walker Griffith, then Chief Justice of the Colony of Queensland, as part of the Draft Code of Criminal Law that he prepared for the Government of Queensland in 1897.37 Griffith’s Draft Code made considerable use of the Commissioners’ draft, but drew on other sources as well. His Draft Code was much more than a minor development of the Commissioners’ work, and in several respects was more ambitious than the Commissioners has been. For example, Griffith’s Draft Code did not leave the door ajar for a common law defence of necessity (or for other common law defences). It sought to provide for all defences as well as offences. Griffith’s surgical operation provision has much in common with the Commissioners’ one: there can be no doubt that Griffith used it as his starting point and more. However, he added to the Commissioners’ provision, in an attempt to meet a need that resulted from another of his provisions. Section 289 of Griffith’s Draft Code was as follows: A person is not criminally responsible for performing in good faith and with reasonable care and skill a surgical operation upon any person for his benefit, or upon an unborn child for the preservation of the mother’s life, if the performance of the operation is reasonable, having regard to the patient’s state at the time and to all the circumstances of the case.
The minor changes in the first line are of little or no consequence. However, Griffith’s Draft Code diverged significantly from the Commissioners’ Draft Code when it came to the addition of the words “or upon an unborn child for the preservation of the mother’s life”. Griffith explained that the provision “as to an unborn child” in section 289 “is necessary in view of the provisions of s320” – by which he must have meant section 321.38 Section 321 provided that:
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sion are reminiscent of the surgical operation provision that Stephen included in his Criminal Code (Indictable Offences) Bill 1878 (see Part I. 3, above). Draft of a Code of Criminal Law prepared for the Government of Queensland by the Honourable Sir Samuel Walker Griffith, GCMG, Chief Justice of that Colony (1897) Queensland Parliamentary Papers C.A. 89–1897. Section 320 dealt with attempted suicide.
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Any person who, when a woman is about to be delivered of a child, prevents the child from being born alive by any act or omission of such a nature that, if the child had been born alive and had then died, he would have been deemed to have unlawfully killed the child, is guilty of a crime, and is liable to imprisonment with hard labour for life.
Unlike the broadly equivalent provision in the Commissioners’ Draft Code, and hence in Canadian and New Zealand law,39 section 321 did not itself provide a defence for someone who “by means employed in good faith for the preservation of the life of the mother of the child” causes the death such child.40 Instead, Griffith grafted his “preservation of the mother’s life” defence onto what was basically the Commissioners’ surgical operation provision. Griffith’s draft surgical operation provision was adopted, along with most of the rest of his Draft Code, in Queensland in 189941 and then in Western Australia.42 Re-expressed (in one small detail) in “gender-neutral” language,43 this provision remains part of the law of Queensland in the twenty-first century. It is not altogether surprising that Griffith’s Code, complete with its “surgical operation” provision, became (and has remained) part of the law of Papua New Guinea,44 and of many South Pacific jurisdictions.45 But quite remarkable was the adoption of Griffith’s Code in or for substantial parts of Africa: Nigeria, Gambia, Kenya, Uganda, Zambia, Zanziba, Tanzania, and Malawi. Beyond Africa, the Code was adopted in Cyprus, from whence it was imported into Palestine and provided the basis of the criminal law of the State of Israel.46
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Criminal Code 1985 (Canada), s238; Crimes Act 1961 (NZ), s182. Commissioners’ Draft Code, s212. Criminal Code Act 1899 (Queensland), s282. See the Criminal Code Act 1902 (WA), s257, later replaced by the Criminal Code Act 1913 (WA), s259. See Part V, below Criminal Code Act 1974 (PNG); see ibid s289. Eg Penal Code [1945] (Fiji); see ibid s234. However, the route by which Griffith’s Code reached various Pacific jurisdictions was very surprising indeed: see eg Gibbs “Queensland Criminal Code: From Italy to Zanzibar” (2003) 77 Australian Law Journal 232, 237-238. For an account of which South Pacific criminal codes can be traced to that of Queensland (and hence to Griffith’s Draft Code), and which to that of New Zealand (and hence the Commissioners’ Draft Code), see Colvin, “Criminal Responsibility under the South Pacific Codes” (2002) 26 Criminal Law Journal 98, 99. See Regan, New Essays on the Australian Criminal Codes (1988), 103-121 (account of migration of Griffith’s code); Morris, “A History of the Adoption of Codes of Criminal Law and Procedure in British Colonial Africa, 1876-1935” (1974) 18 Journal of African Law 6-23.
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IV. Unresolved issues about the purpose and effect of the main surgical operation provisions Both the Commissioners’ and Griffith’s surgical operation provisions have been modified or supplemented in some jurisdictions over the years.47 However, in the jurisdictions in which they were first adopted – Canada and Queensland – the changes have been mainly cosmetic ones.48 In some other places, they remain in precisely, or very nearly precisely, their original form.49 It has already been noted that the main change Griffith made to the Commissioners’ Draft was the addition of the words “or upon an unborn child for the preservation of the mother’s life”. His decision to use the surgical operation provision to provide for occasions where an unborn child’s live birth is prevented, to preserve the mother’s life, was on the face of it surprising. It was surprising because the acts and omissions that commonly follow from a decision to give priority to preserving the mother’s life were and are not restricted to things done by way of a “surgical operation”. This aspect of the provision has given rise to a good deal of case law, but will not be considered further here.50 The focus here will be on the many aspects of the Commissioners’ and Griffith’s Draft Codes – and hence the Canadian and Queensland surgical operation provisions – that are for all practical purposes identical. Common characteristics include the following: the defence that they appear to provide is available to people who are not health practitioners as well as to those who are; the provisions exempt from criminal liability but not civil liability; they apply only to surgical operations and not to other forms of treatment; they are restricted to operations that are for someone’s benefit; and the defence ceases to apply if the operation is performed negligently. If all the preceding conditions have been met, but only then, the crucial issue is whether the performance of the operation was “reasonable”, having regard not simply to the patient’s state at the time but also to all the other circumstances of the case.51 More than a century after the Commissioners’ and Griffith’s surgical operation provisions were first proposed, and enacted, it is still not entirely clear what these 47
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Eg Crimes Act 1961 (NZ), s61A (addition in 1977 of a second surgical operation provision, which contains no reference to “benefit”); Criminal Code Act 1913 (WA), s259 (amended in 1998, with “surgical or medical treatment” in place of “surgical operation”). But note the Transplantation and Anatomy Act 1979 (Queensland), Part 2 (donations of tissue by living persons). See eg Criminal Code Act 1990 (Nigeria), s25; Penal Code Act 1950 (Uganda), s 224; Penal Code (Ch 63) (Kenya), s240; Penal Code 1930 (Malawi), s243; Criminal Code Act 1907 (Bermuda), s268 (all Griffith’s version). See also Crimes Act 1969, s63 (Cook Islands) (Commissioners’ version, inherited from New Zealand). For an account, see Regan, “Surgery and Criminal Responsibility under the Queensland Criminal Code” (1990) 14 Criminal Law Journal 73, esp 77-82. For a discussion of key elements in the surgical operation provisions (including the question of benefit), see Skegg and Paterson eds, Medical Law in New Zealand (2006), 164-166.
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provisions were designed to do. They differ from equivalent provisions in Wright’s Draft Code in that they are restricted to surgical operations. In this respect, the surgical operation provisions also contrast with other provisions in the drafts and statutes in which they occur, which are expressed in terms of surgical or medical treatment.52 The surgical operation provisions under consideration also differ from the equivalent provisions in Wright’s Draft Code and in Stephen’s Digest, in that no clear distinction is drawn between the issue of whether it is possible to give a legally effective consent to an operation and the issue of when an operation may be performed without consent. Stephen’s Criminal Code Bill combined in one provision the matters that had been dealt with in separate provisions by Wright in his Draft Code and by Stephen himself in his Digest. However, the provision in Stephen’s 1878 Bill was drafted in such a way that it was clear that his provision dealt both with the circumstances when patient or proxy consent was obtainable and also where it was not. In striking contrast to this, the surgical operation provision in the Commissioners’ Draft Bill makes no reference to consent.53 Griffith’s Draft Code follows it in this respect, as in many others. It may be that the Commissioners were of the view that the presence or absence of consent, and the issue of whether it would have been possible to obtain it, could be left to the trier of fact to take into account, in deciding whether the performance of the operation was reasonable in all the circumstances of the case. But the consequence was that there would have been the possibility of submitting that the performance of an operation was reasonable, and should not be visited with criminal sanctions, even if it took place in the face of the objection of a competent patient and without any other authorization. Nowadays there is little or no likelihood of these provisions being successfully invoked if a surgeon was prosecuted for operating on a competent patient who had provided an informed and applicable refusal of consent, or whose consent was not sought when it easily could have been. But the issue of what the provisions were designed to achieve remains uncertain. The provisions can be taken to provide a statutory defence for those who operate on a patient without consent, in circumstances where consent (or other authorization) is unobtainable. However, if this is their primary role, there are two puzzling issues. One is why the provisions exclude only criminal responsibility, when neighbouring provisions are expressed in terms that would also exclude civil liability.54 The other is why they apply only to surgical operations, when there is also a need for a defence (to a charge of assault) when other forms of medical treatment are provided to a patient who is unable to give legally effective consent. It may be that lurking behind many of the enacted provisions, and many of their precursors, is the notion that even beneficial surgical operations cause bodily injury, so are in need of special treatment by the law. 52 53 54
Eg Commissioners’ Draft Code, s162 (“surgical or medical treatment”). Cf Criminal Code Act 1924 (Tas), s51. Eg Commissioners’ Draft Code, s64 (“Every one is justified in . . .”), s66 (“It is lawful to . . . ”).
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Clearly, some operations do cause bodily injury. However competently they are performed, some operations will not, in the event, have the desired effect. Sometimes these operations will cause bodily injury rather than bodily benefit. There will be other operations which may be thought to benefit the patient in some way, but which an impartial observer would consider to have caused more bodily harm than bodily benefit, or else no bodily benefit whatever. But what of those operations that undoubtedly benefit the patient? For a very long time, the assumption in much writing about the common law seems to have been that all operations cause bodily harm, even if they succeed in conferring very considerable bodily benefit – even to the extent of saving the patient’s life. This legal analysis is, on the face of it, absurd. Harm is used as a synonym for injury in this context, and harm is the obverse of benefit. If – as is often the case – all would agree that the operation has benefited the patient’s bodily health, and that this benefit far outweighs the harm caused by the incisions and other incidents of the operation, it is not self-evident that the operation need or should be viewed as causing bodily harm and requiring some special provision to prevent the surgeon incurring criminal liability. Given the grave risks that so often accompanied surgery in the nineteenth century, a negative assessment of surgery was more understandable then than it is today. Nowadays a complicating issue results from the many instances where the question whether the surgery benefits the patient (or, more narrowly, is to the bodily benefit of the patient) will depend upon whose viewpoint is crucial, and whether it is maintained. For example, whether cosmetic breast surgery is to the patient’s benefit may depend in large measure on the patient’s viewpoint, which may change. There is some surgery that does not cause any bodily harm. Orthopaedic surgery, involving the “setting” of a broken bone, may be an example. Conversely, there is a good deal of medical treatment that does not involve surgery but which may cause very serious harm. Examples unknown in the days of Stephen or Griffith, but commonplace now, include chemotherapy and radiotherapy. Where they succeed in eliminating or shrinking a tumour, or slowing its growth, they may be regarded as having conferred bodily benefit, whatever bodily harm they caused in doing so. However, sometimes the treatment will not have any of the desired effect. In these cases the treatment can often be regarded as causing bodily injury, without any countervailing and outweighing benefit. The surgical operation provisions may have been provided, at least in part, to make it clear that surgery is not prima facie unlawful, even if (on one view) it may involve the causing of bodily harm of such seriousness that consent might not, or could not, be a defence. However, the effect of the provisions is (on the face of it) to circumscribe the practice of surgery with conditions that are not imposed in other circumstances where consent has been given, even though serious bodily injury may result. Sporting contacts are an obvious example. Questions can also be asked about whether the inclusion of the surgical operation provisions in the Draft Codes, and the legislation that resulted from them, implies anything about the legality of other medical procedures that may result in bodily injury. In part, no doubt, because these provisions became law long before there were medical
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lawyers to question their purpose and implications, they have not had this – it must be said, much other – effect.
V. Practical effect of the “surgical operation” provisions Although the nineteenth century surgical operation provisions remain part of the law of many Commonwealth jurisdictions in the twenty-first century, their effect appears to have been – at most – minimal. When jurisdictions that have such provisions (such as Canada and Queensland) are compared with those that do not (such as England and New South Wales), the presence or absence of such provisions does not seem to have been of significance. The paucity of case law is not surprising. Provisions like these ones can have a major effect in preventing prosecutions – although, in this instance, there is no reason to believe that surgical operation provisions are the reason why (in the absence of negligence) surgeons have rarely been prosecuted. Prosecutions are equally rare in jurisdictions without surgical operation provisions. Even if prosecutions were brought, and at trial the relevant surgical operation provision was invoked and applied, the likelihood of this being recorded in law reports is slight. However, it is doubtful that the surgical operation provisions have often featured in criminal prosecutions, or in other litigation. Nevertheless, there have been two interesting applications of the surgical operation provisions: one in Canada and the other in Queensland. The Canadian case arose out of an abortion that Dr Morgentaler performed in 1973. A few years earlier the Canadian Criminal Code had been amended, by the insertion of a provision whereby medical practitioners were exempt from criminal liability if they performed an abortion following the provision of a written certificate from a hospital therapeutic abortion committee.55 Dr Morgentaler had performed the abortion in the absence of such a certificate. When prosecuted, he relied in part on the general terms of the Canadian surgical operation provision, which by then read as follows:56 Every one is protected from criminal responsibility for performing a surgical operation upon any person for the benefit of that person if a) the operation is performed with reasonable care and skill; and
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For a helpful account of the legislation and case, see Leigh, “Necessity and the Case of Dr. Morgentaler” [1978] Criminal Law Review 151-158. The section had been in that form since the 1950s, when what was originally s57 of the Criminal Code 1892 (and later s65 of both the Criminal Code 1906 and the Criminal Code 1927) was re-enacted in the form quoted in the text as s45 of the Criminal Code 1953-54. The section was re-enacted unchanged as s45 of the Criminal Code 1970. The one subsequent and inconsequential change occurred when the section was re-enacted as s45 of the Criminal Code 1985 and “on any person” appeared in place of “upon any person”.
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b) it is reasonable to perform the operation, having regard to the state of health of the person at the time the operation is performed and to all the circumstances of the case.
The trial judge provided the jury with a direction that permitted them to rely on this surgical operation provision (which was still, for all practical purposes, that of Stephen and his fellow Commissioners). However, the appellate court ruled that the surgical operation provision was not available on a charge of abortion, and that view was upheld by the Supreme Court of Canada.57 In correspondence with Stephen before the publication of the Draft Criminal Code for Jamaica, Wright had argued that there is no justification for omitting a provision simply because the case is extraordinary or unusual “so long as it cannot be called unnatural or very extreme; as a section would be (e.g.) which should provide for such a case as that of the Siamese twins”.58 The Queensland proceedings concerned just such a case.59 Conjoined twins, Alyssa and Bethany, were born on 3 May 2001. On the evening of 25 May, Bethany’s condition deteriorated rapidly. It was apparent that she could not be kept alive for more than another day or so. Were she to die while still attached to her twin, Aylssa would also die within a few hours. Were an operation to separate the twins, Bethany would inevitably die a little earlier than she would otherwise have done. The case was brought before a judge of the Supreme Court of Queensland at 11pm that night, with the operation scheduled for 6.30am the next morning. The parents had agreed that the operation should be performed, as it was the only means by which Alyssa’s life could be saved. The hearing concluded shortly before midnight, when the judge declared the operation lawful, with reasons to be provided later. Given the terms of Griffith’s Draft Code that had been adopted in Queensland, it was not possible for the judge to rely on the common law doctrine of necessity.60 Instead, the judge relied in part on Queensland’s surgical operation provision, as providing one of the reasons why the operation would not constitute a criminal offence. By then section 282 of the Queensland Criminal Code appeared in the statute book in the following form: A person is not criminally responsible for performing in good faith and with reasonable care and skill a surgical operation upon any person for the patient’s benefit, or upon an unborn child for the preservation of the mother’s life, if the performance of the operation is reasonable, having regard to the patient’s state at the time and to all circumstances of the case.
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Morgentaler v The Queen [1976] 1 SCR 616. CO 137/478/12758, quoted by Friedland, op cit n12 above, 315. State of Queensland v Nolan [2002] 1 Qd R 454. Cf In re A (Children) (Conjoined Twins: Surgical Separation) [2001] Fam 147 (Eng CA).
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The judge accepted that this was not the sort of case Griffith had in mind when drafting the section, but said that the language was wide enough to encompass the facts of this case. “Aylssa is to be regarded as the patient.”61 Intriguingly, the judge was aided in this approach by the recasting of the language of section 282 to render it “gender-neutral”.62 The phrase “for his benefit” had been re-expressed by a drafter as “for the patient’s benefit”. Had the provision been rendered gender-neutral in the way the Canadian one, quoted above, had been (with “for his benefit” re-expressed as “for the benefit of that person”), the judge would not have been able to side-step the issue of benefit to Bethany so neatly. Unlike the Canadian surgical operation provision, the Queensland one had been altered pursuant to a power granted by the legislature,63 but not by legislative amendment of the Criminal Code. This change was not supposed to alter the outcome of any case,64 but on this occasion it did in practice provide a means by which the judge could bolster his decision.
VI. Concluding comment Sometimes, even often, legislation has far-reaching effects on the practice of medicine. However, far-reaching effects cannot be attributed to those aspects of the surgical operation provisions discussed in this contribution towards a tribute to a very distinguished and life-enhancing legal scholar. The surgical operation provisions are still to be found in the criminal codes of a great many Commonwealth jurisdictions, but in many respects their rationale remains uncertain and their practical effects minimal.
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[2002] 1 Qd R 460, per Chesterman J. See Davis, “Case and Comment” (2001) 25 Criminal Law Journal 348-352 for a helpful discussion. Reprints Act 1992 (Queensland), s24. See Acts Interpretation Act 1954 (Queensland), s14C.
‘Too much of a Good Thing’: Changing Legal Responses to Hoarding
Michele Slatter Traditionally, narratives of hoarding and hoarders have reflected amusement (‘the eccentric cat lady’ stereotype); disgust (‘how could anyone live like that?’) or outrage (‘bringing down the neighbourhood: it shouldn’t be allowed!’). More recently, however, research has begun to uncover the reality of compulsive hoarding as a condition. Hoarders are not consciously recalcitrant, defiant, anti-social recidivists: ‘they may know that what they are doing is silly, but there is nothing they can do about it. In other words it’s not rational and they know that but it doesn’t stop their hoarding behaviour’1
As understanding grows, responses are evolving that attempt to address the issue, rather than merely the impact, of hoarding. This poses some interesting challenges for the law, which yet again is ‘marching with medicine but in the rear and limping a little’.2 This article describes the most usual legal challenges to hoarding and points to more therapeutic responses currently developing that address both the issue and its impact.
I. A spectrum of acquisition: normal, eccentric, problematic Everyone, even the most impoverished or the most frugal of us, acquires possessions. In a consumer society, acquisition is encouraged. Our possessions express our wealth, our taste and, to some, our achievement and our (self) worth. Acquisition is normal.
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Associate Professor of Law, Flinders University, Adelaide, South Australia. Email: [email protected]. Dr Graham Burrows, Chairman, Mental Health Foundation of Australia, The Age (Melbourne) 12 June 2007 p 4. Windeyer J in Mount Isa Mines v Pusey (1970) 125 CLR 383 at 395.
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Acquisition may be a ‘hobby’. Collecting is hugely popular. In Australia, for example, a weekly television programme The Collectors, attracts a regular audience of almost five per cent of the population.3 Collections can be very idiosyncratic: navel fluff, dreadlocks and axes featured recently on the programme. The community tolerates these eccentricities with a ‘live and let live’ attitude: ‘odd’ but not ‘bad’. Acquisition may accommodate other hobbies. In his small suburban garden, Mr Butler kept up to eight cars; two trailers; tyres; metal sheets; piping; a roller door; tool boxes; electrical cabling; electrical tools; a work bench; a clothes dryer; three pianos; three stainless steel sinks; a spare washing machine; shelving units; bricks; a concrete mixer; a ride on mower; equipment from a telephone exchange and a hovercraft. A shed in the garden was also full of machinery and parts. Mr Butler enjoyed working with metal and machinery; he claimed this conglomeration of material supplied his hobby.4 Acquisition may be public spirited. In 1990 Mr Blaxland collected discarded hypodermic syringes and improvised receptacles for the smoking of marijuana from public beaches near his home. He wrote about them in the local paper. He continued to collect discarded items in the interest of the environment, and accumulated a considerable quantity of paper, tin, plastic bottles and cans which he stored in his suburban back yard.5 At what point does the acquisition and accumulation of material become ‘problematic’ rather than ‘normal’, or a merely ‘eccentric’ form of selfexpression? Psychologists and psychiatrists continue to research compulsive hoarding, but Frost’s ‘risk and function’ definition is widely used. This defines hoarding as the excessive collection and retention of any materials to the point that it impedes day to day functioning and creates a hazard or a potential hazard for the individual.6 Hazards may include risks of fire, vermin, falls, squalor, access and social isolation. Jeffreys distinguishes collecting from compulsive hoarding because collecting rarely leads to distress or dysfunction and is not undertaken secretly.7 Hoarding research is still a relatively new scholarship. A systematic review of the literature in 2004 highlighted the absence of an agreed definition and emphasised the importance of individual evaluations in each case.8 Compulsive hoarding behaviour may accompany many other conditions, including anorexia, schizophrenia, Alzheimer's disease, dementia and depression. It is most often seen in 3
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TV Tonight 2008 TV Ratings Archive at http://www.tvtonight.com.au/2008/01/2008-tvratings-archive.html, last accessed 9 August 2008. Butler v City of Mitcham [2008] SAERDC 20. Randwick City Council v Blaxland [1997] NWSLEC 191. Frost, R.O. and Gross, R.C. (1993) ‘The hoarding of possessions’, Behavioural Research and Therapy, v 31, pp 367-381; Somers, S. (2006) Understanding hoarding behaviour (DVD). Training Strategies Group SUNY. Jefferys, D. (2005) Compulsive Hoarding, Panic Anxiety Mood Guide http://www. pamguide.com.au/anxiety/hoard.php Last accessed 31 August 2008.
Maier, T. (2004) ‘On phenomenology and classification of hoarding: a review’, Acta Psychiatrica Scandinavia, v 110, iss. 5, p 323.
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patients with obsessive compulsive disorder. However, its classification is not yet resolved.9 According to current estimates, one in forty of us will have a lifetime issue with hoarding.10 Hoarding behaviour is hard to predict: it does not favour a particular gender, age, ethnic background, socio-economic status, educational/ occupational history or tenure. However, as people age, hoarding issues may become more acute, including the so-called ‘Diogenes syndrome’, where compulsive hoarding is accompanied by squalor and self-neglect.11 Age and social isolation are recurrent factors: factors that are set to increase as our population ages, family links become more tenuous and single person households more prominent.12
II. Legal responses to problematic hoarding Legal challenges to hoarding are initiated by third parties, usually in response to the effects of hoarding, perhaps an unsightly property, mess, fire risk, smells or vermin. Neighbours, landlords, local councils, carers, relatives or welfare agencies may act to protect their own interests, the public interest or the perceived interests of the hoarder. The hoarder is placed on the defensive, often without support. As described below, the most usual legal challenges to hoarding share the benchmark of ‘normal’ or ‘ordinary use’ as an explicit or implicit criterion.13
1. Private litigation: private nuisance The tort of nuisance is not used often against hoarders but its criteria influence all other actions. It is the consummate legal vehicle for balancing competing interests. It can be used to challenge ‘unreasonable interference with the use and enjoyment of land’.14 Interference may be tangible or merely perceptible, interfering with the ‘comfort and amenity’ of the occupiers.15 Examples of nuisances potentially relevant to hoarding include: dust blowing from neighbouring land into a shop and
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Wu, K. and Watson, D. (2005) ‘Hoarding and its relation to obsessive-compulsive disorder’, Behavioural Research and Therapy v.43, iss.7, p 897. Somers, S. (2006) Understanding hoarding behaviour (DVD). Training Strategies Group SUNY. Bexon, T. (2004) ‘Mental health’ Environmental Health Journal, October, 302-04. Beer, A., Faulkner D. and Gabriel, M. (2007) 21st Century Housing Careers and Australia’s Housing Future: Literature Review, Australian Housing and Urban Research Institute.
13
The account is primarily based on South Australian law.
14
See Trindade, F. Cane, P. and Lunney, M., 2007, The Law of Torts in Australia 4th ed, Oxford University Press, pp 167-193. St Helen’s Smelting Works v Tipping (1865) 11 HL Cas 642; damage to items on the property: Harris v Carnegies Pty Ltd [1917] VLR 95; Halsey v Esso Petroleum Co. Ltd. [1961] 2 All ER 145.
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damaging goods,16 smells17 and harbouring vermin.18 There has also been speculation that nuisance action could succeed against ‘unsightliness’.19 What constitutes ‘unreasonable interference’? The impact must not be merely trivial20 or transient21 and the complaint must not reflect an abnormal sensitivity of the plaintiff.22 The matter will be judged by the reasonable expectations of the relevant locality23 and the standards of reasonable people ‘according to plain and sober and simple notions, not merely according to elegant and dainty modes and habits of living’.24 The law assumes a degree of give and take between neighbours, recognising the reciprocated tolerance needed in urban and suburban living: ‘The use of a dwelling house in a street of dwelling houses, in an ordinary and accustomed manner, is not a nuisance though it may produce more or less noise and inconvenience to a neighbour’.25
In Baxter v Camden LBC26 Lord Millett stated that ‘the ordinary use of residential premises without more is not capable of amounting to a nuisance’. This includes ‘the necessary and inevitable incidents of the ordinary occupation of residential property’ which ‘are unavoidable’27 if premises are occupied, but
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Harris v Carnegies Pty Ltd [1917] VLR 95. Bamford v Turley (1862) 3 B&S 62 (Ex Ch); Halsey v Esso Petroleum Co. Ltd [1961] 2 All ER 145, [1961] 1 WLR 683, 178 EG 193. Proving ‘unreasonableness’ may be difficult: Baulkham Hills Shire Council v AV Walsh Pty Ltd [1968] 3 NSWLR 138. Cartwright v McLaine & Long Pty Ltd (1979) 24 ALR 97. Kent v Kavanagh (1973) 1 ACTR 43; cf Young J in Bathurst City Council v Saban (No 2) (1986) 58 LGRA 201 at 206. Stormer v Segram (1978) 21 SASR 93. Crown River Cruises Ltd v Kimbolton Fireworks Ltd [1996] 2 Lloyd’s Rep 533.Temporary renovation of adjacent premises must also be endured: Andreae v Selfridge & Co. Ltd. [1938] Ch 1 but may be subject to controls that significantly benefit the plaintiff without compromising the project: Daily Telegraph Co Ltd v Stuart (1928) 28 SR (NSW) 291. Robinson v Kilvert (1889) 41 Ch D 88. Sturges v Bridgman (1879) 11 Ch D 852. Per Knight Bruce VC in Walker v Selfe (1851) 4 De G and Sm315, 64 ER 849 at 852. Per Williams ACJ, Webb, Kitto and Taylor JJ in Clarey v The Principal and Council of the Women’s College (1953) 90 CLR 170 at 173. Southwark London Borough Council v Mills and others; Baxter v Camden London Borough Council [2001] 1 AC 1. Ibid, at 10.
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‘Two conditions must be satisfied: the acts complained of must (i) 'be necessary for the common and ordinary use and occupation of land and houses' and (ii) must be 'conveniently done', that is to say done with proper consideration for the interests of neighbouring occupiers. Where these two conditions are satisfied, no action will lie for that substantial interference with the use and enjoyment of his neighbour's land that would otherwise have been an actionable nuisance’.28
Behaviour that constitutes an actionable nuisance may be described as ‘excessive’ or ‘wanton’29 or ‘malicious’30, to distinguish it from the innocent actions comprised by ‘ordinary residential use’. Plaintiffs who succeed in nuisance actions are likely to secure an injunction controlling the behaviour complained of. The defendant may be ordered to cease accumulating items or to rid the property of existing accumulations. In some cases damages may be payable as well as costs. Failure to obey an injunction would be contempt of court, potentially punishable by imprisonment. Although private nuisance actions could be used against hoarders there is no sign of this. Neighbours are more likely to save themselves the costs and stress of litigation by pressuring the local council to use its powers under public health or development legislation.31
2. Private litigation: tenancy actions - nuisance and more Tenants who hoard are uniquely vulnerable, as they risk eviction and the loss of their home. (Owner-hoarders may suffer debt, fines, charges against their property and the remote risk of imprisonment for contempt but are most unlikely to lose their home.) Evidence indicates that the stress of enforcement process and the threat of eviction can exacerbate hoarding behaviour.32 In South Australia hoarding can be challenged under several provisions of the Residential Tenancies Act 1995 (SA). Section 69, for example, imposes a duty on the tenant to maintain the premises in a ‘reasonable state of cleanliness’. If a tenant does not comply and does not allow the landlord’s contractors into the premises to clean, the Tribunal has been willing to make a possession order: South Australian Housing Trust v Siderius 33. However, where there is the possibility that the tenant may address the issue the Tribunal has been willing to maintain the tenancy and order the necessary work: South Australian Housing Trust v G34. Section 71 of the Act controls tenants’ behaviour more generally. Any use of the premises for illegal activity, any nuisance and any behaviour that interferes 28 29 30 31 32 33 34
Ibid at 12, also Bramwell B in Bamford v Turley (1862) 3 B&S 62 at 83-84. Bamford v Turnley (1862) 3 B&S 62. Stoakes v Bridges [1958] QWN 5. Legal aid is unlikely to be available. Redfern Legal Centre Annual Report 2003-4 p26. [1999] SARTT 35. (RT 06/6181) 10 January 2007.
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with the ‘peace, comfort and privacy of another person who resides in the immediate vicinity’ is a breach of the tenancy, bringing the risk of eviction. Two other sections significantly increase the importance of s 71. First, s 65 imposes a duty on landlords to ‘take reasonable steps to prevent other tenants of the landlord in occupation of adjacent premises from causing or permitting interference with the reasonable peace, comfort or privacy of the tenant in the tenant's use of the premises’. Failure by the landlord could lead to action and also to a maximum fine of $2000.35 Little used in the past, the extension of this section in 2007 to the tenancies of the South Australian Housing Trust highlighted the landlords’ responsibility.36 ‘Reasonable steps’ may include not only investigating complaints but also taking prompt action to enforce tenancy terms and protect the interests of other tenants: Ingram v Department of Housing.37 Secondly, s 90 of the Act extends enforcement rights under the tenancy to third parties. It provides that any ‘interested person’ can enforce s 71 against a tenant by applying to the Tribunal for termination of the tenancy and possession of the premises. ‘Interested persons’ include the landlord and also ‘a person who has been adversely affected by the tenant’s conduct’: s 90(3) (b). Through this unorthodox melange of nuisance and tenancy law, a neighbour who is not party to the tenancy agreement nevertheless has statutory standing to institute the eviction process. Finally, South Australia is one of only two Australian jurisdictions to retain the landlord’s right to terminate a periodic tenancy without specifying any ground of termination. Section 83 provides that this will be valid so long as 90 days’ notice is given to the tenant. These various sections have facilitated a number of ‘hoarding’ actions, in which the Tribunal has established the broad criteria of its approach. It has been reluctant to evict without clear reason and has adopted the common law nuisance approach in its interpretation of the Act. In Ringwood & Noblett v Nancarrow38 for example, the landlord’s agents served notices of termination on the tenant under both s 83 (no cause) and s 90. They indicated their action was in response to complaints about Mr Nancarrow’s ‘scruffy’ appearance, his conduct and accumulations of items near his unit. The Tribunal emphasised that ‘what a tenant does on his own rental property is entirely a matter for him unless it contravenes the Residential Tenancies Act … or the general law, including the criminal law… ‘… the application before the Tribunal is for the Tribunal to consider whether it takes the serious step of terminating a tenancy and granting possession to the landlord. As a consequence the tenant would be evicted from the rental property. It is clear that someone’s appearance and presence without anything further cannot possibly fall within the type of conduct envisaged by s 90…. 35 36 37 38
Section 65 (2) Residential Tenancies Act 1995. Section 92 Statutes Amendment (Affordable Housing) Act 2007 (SA). [2002] NSWCTTT 84 (8 May 2002). [1996] SARTT 1 (24 January 1996).
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Further, the Tribunal decided that ‘”nuisance” in s 90(1)(b) of the Act is confined to its legal and technical meaning. It does not mean that someone is a ‘nuisance’ in the ordinary sense of annoying, although annoying conduct may fall within either s 90(1) (b) or (c) of the Act. ‘… The Tribunal is called on to consider whether the conduct of Mr Nancarrow amounts to “interference with personal pleasure, comfort and enjoyment normally derived from the use of land, such as through noise, smell, dust, etc.” The interference should be substantial and unreasonable. Although the matter is not free from doubt, I am of the view that there must be some connection between the use of premises and the conduct of the tenant. In any urban community and especially in a block of units inevitably there may be aspects of other tenants’ behaviour which do not accord with another’s taster or standards …it is a matter of balancing these competing interests’.
In Donaldson v Ralph39 the Tribunal similarly emphasised the gravity of terminating a tenancy. A neighbour brought an action under s 90 claiming interference from smells. However, after hearing evidence and receiving a long written submission from the defendant the Tribunal found the case not proved: there was ‘no objective basis’ for the complaint. Despite the potential breadth of the Act the Tribunal has taken a cautious approach to actions for possession. Recently it has tailored conditional orders requiring the tenant to remedy the breach, possibly with support from appropriate services, or lose their home: this is discussed later. Where a clean-up is undertaken by the landlord, the order will also require the tenant to repay the cost.40
3. Public action: control of development Public authorities have used the potential of the Development Act 1993(SA) in some hoarding cases, mainly those where accumulated material is visible to the public. The Act can be used to restrict the use of land to the uses permitted for the site: s 84. Hoarding has tested the limits of ‘residential’ use. In Butler v City of Mitcham 41 Mr Butler stored numerous items in his backyard. He claimed that his hobby involved working with the items.42 Judge Cole considered ‘the ordinary use of a dwelling’. She commented:
39 40
41 42
[1997] SARTT 25. South Australian Housing Trust v G (RT 06/6181) 10 January 2007, discussed further below. [2008] SAERDC 20. Listed in full above (I.).
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‘There are many uses which … are part of such ordinary residential use. Those which come easily to mind are the more passive recreations such as sewing, reading, watching television and the like. Others have more active hobbies such as … pottery, handiwork of various kinds, gardening, or such sports as swimming or tennis. …Given that a ‘hobby’ is part of the ordinary use as a residence, it becomes a question of fact and degree as to whether the particular example under consideration is so far out of line with the manner the hobby is normally practiced that it should not be considered as being part of the ordinary residential use.’43
She found it ‘clear’ that the volume of items around the house was well beyond that which could reasonably be said to form part of an ordinary residential use of land and the current use was mixed: ‘residential and junk yard’. In New South Wales the occupier’s intention to use the items ‘one day’ did not prevent them being classified as junk: the test was objective not subjective. There was no requirement for a junk yard to be an income generating activity.44 Context is all-important in such cases: ‘a significant quantity of the metal on the land can truly be described as "scrap" metal, and many of the other items are also "scrap" as far as the world at large is concerned. In order to be "scrap" it is not necessary that an item have no further utility whatsoever. … Cars worked upon in that way, however, when stored in the manner shown in the photographs, are still part of a junk yard in a planning sense.’45
In Holding and Holding v City of Playford sidered the case of a committed ‘car buff’:
46
Commissioner Hutchings also con-
‘[this] is a typical single story detached dwelling on a typical small to mid-sized residential allotment. Its setback from the street frontage is also typical as is the size and shape of the backyard. However, what is occurring in the backyard is by no means typical. For all intents and purposes the whole of the backyard is "used for the collecting, dismantling, storage (and) salvaging.... of automobiles" and therefore between one third to one half of the subject land is obviously used thus. I can but conclude that the land … is "used for two.... purposes (neither) of which is subservient to the other" and that one of these purposes is that of a “junk yard”.’
Where orders under the Development Act are made and ignored, the occupier risks a charge of contempt. In City of Port Adelaide Enfield v Dottore47 Mr Dottore had failed to clear the clutter that constituted a junkyard two years after the original order was made. Judge Cole held that his failure was ‘wilful and contumacious’ and found him guilty of contempt.
43 44 45 46 47
[1997] SARTT 25. Baulkham Hills Shire Council v Stankovic (No 2) [2007] NSWLEC 870. Ibid. [1998] SAEDRC 492. [2006] SAERDC 40.
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4. Public action: public health enforcement The scope of ‘public health’ activity includes the control of insanitary conditions and noxious environments. Public health legislation confers powers of entry, inspection and enforcement on local authorities. As Reynolds and Howse comment: ‘The formal use of powers by public health officials against citizens has always been controversial and open to the charge that it is an example of an oppressive bureaucracy operating at the expense of individual rights. Accordingly, it is essential that powers of entry or search and seizure are exercised carefully and in accordance with the statutory provisions that provide them.’48
The ‘careful’ exercise of these powers is clear in compulsive hoarding cases. A home environment identified by neighbours or public health officials as ‘insanitary’ or otherwise intolerable may be defended by the occupier as a purely private domain and merely self-expressive. As in any hoarding situation, entry and inspection may be prevented; compliance may be unforthcoming; enforcement may be vigorously resisted as an outrageous infringement of personal and property rights. Any improvement is likely to be only temporary. The financial cost of intervention can be significant. An emotional cost will be borne by all concerned. It is not surprising, therefore, that formal action is taken only as a last resort often when there is squalor or incontrovertible risk.49 In South Australia, s 15 Public and Environmental Health Act 1987(SA) provides for orders to be made requiring ‘insanitary premises’ to be improved by the person causing or allowing the condition. ‘Insanitary’ is given a broad meaning, including ‘a risk to health’, ‘so filthy or neglected that there is a risk of infestation’; being such as to cause ‘justified offence to the owner of any land in the vicinity’ or emitting ‘offensive material or odours’. The list includes some very general concepts.50 However, hoarding cases seem to sit at the less ambiguous end of the spectrum. In City of Marion v Lepoidevin51 for example,
48
49
50 51
Reynolds, C. and Howse, G. Public Health Law and Regulation 2nd ed 2004 Federation Press p 55 [original footnote omitted]. All the cases referred to show patterns of repeated hoarding over years, with informal approaches followed by formal action and no, or transient, improvement: see also Waverley Council v Bobolas [2007] NSWLEC 52; Manly Council v Newton [2007] NSWLEC 768. Caruso v Boucher (1974) SASR 71 [1997] SADC 3593.
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‘Most of the rooms were stacked with boxes, books, newspapers, stationary and clothing. The kitchen contained decaying food scraps. Some of the rooms contained blown and rusted tins of food and packets of food in poor condition. Rat droppings were on the floor of a bedroom and in drawers and cupboards in the kitchen. The ceiling fan above the oven did not work, was without a cover, and was heavily soiled. Another bedroom could not be entered because of materials piled up in the doorway. Signs of current white ant activity were present. The toilet had a faulty float valve and did not flush. The bottom of the shower curtain was badly affected with mould. The clothes washing machine was piled with materials. Some of the rooms contained evidence of spider infestation. Walls, ceilings and carpets were soiled. Stored materials were coated with dust. The interior of the refrigerator was soiled and bloodstained. Meat in the refrigerator was unfit for consumption. Mouse droppings were on and in benches, shelves and cupboards. Mice were seen to emerge from a mattress as it was being removed. There were signs of food pest activity in the kitchen’.
After a report from police, environmental health officers visited the property and observed its condition. For six months they unsuccessfully tried negotiation, further inspections and eventually a notice. Then, having obtained a warrant, they arranged for the contents to be sorted, stored or discarded and the premises to be cleaned and fumigated. The premises were held to have been a risk to health, creating a risk of infestation. When sued for the costs of the clean-up ‘the evidence which the defendant gave … was seriously undermined by his outright and repeated denials that his premises were unclean, let alone in an insanitary condition, in any respect at all. … The defendant's capacity for rational thought, and therefore his capacity to give reliable evidence, is rendered suspect by assaults which he committed in the presence of police … and by his ludicrous suggestion in the course of his evidence that the police were responsible for the mice in his premises.’
Mr Lepoidevin was ordered to the Council’s clean-up costs of $6,843.29. In Tavitian v Public and Environmental Health Council and City of Playford52 council officers relied on a ‘risk of infestation’ and causing ‘justified offence’. Mr Tavitian had accumulated ‘numerous items and objects including garden waste, iron, timber, plastic, tyres, dilapidated motor vehicle bodies containing refuse and rubbish, motor parts, mattresses and a variety of metal frames, tubing, fencing materials and general refuse and rubbish.’ He submitted that any risk from his property was merely hypothetical and the action reflected merely ‘individual preferences, imposed as law disregarding the rights of the ratepayer’ a ‘harsh, unreasonable, unfair, unjust’ approach. His procedural challenge succeeded on a technicality but Judge David Smith added
52
[2003] SADC 178.
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‘the following comments "by the way". The photographs show premises cluttered with what can only be described as junk. It is piled high around the house, which is in what I understand to be a residential suburb. I consider that the local Council's resolve to require the appellant to tidy up these premises as nothing less than reasonable, given its obligations to all its rate payers. I exhort the appellant to attend to what is plainly an eyesore. It is not enough to point to the fact that there is a high fence obscuring the view into the premises. Hiding the clutter does not fully address the problem, but perhaps creates another’
In New South Wales, the equivalent statute authorises council action if land or premises are ‘not in a safe or healthy condition’.53 In Randwick City Council v Blaxland54 the Council had received numerous complaints over the years from neighbours and residents about the ‘unsightly and perhaps unhealthy’ state of Mr Blaxland’s premises.55 He had lived in the ‘modest cottage’ for over 40 years. The court accepted that there was a fire hazard and a vermin hazard. However, Mr Blaxland argued that, although he was ‘a person out of step with other members of his community in terms of his living standards’, he should not be penalized for this. Bignold J was not swayed: ‘The Respondent's activities do not reflect the usual and conventional way to use residential premises and although the Respondent is to be commended for his community attitude and responsible attitude in that behalf in collecting materials discarded in public places, unfortunately there is a sting in the tail in that these materials finish up in the yard area of his residence. The Respondent is a self-confessed hoarder of newspapers and apparently has papers going back for many, many decades. He has a passion for reading newspapers. Again he is entitled to pursue that interest, and it is not for me to say whether he uses his time usefully or not. However I am called upon to make a judgment on a consequence of his collecting and hoarding habits, namely the detriment caused in the local community (and especially to his neighbours) by dint of the accumulation of the papers in his yard area, with the consequent concerns for public health and safety. That is the basis upon which the Court is asked to intervene in defence of the environment (including residential amenity) and its proper maintenance.’56
His Honour held that the situation could not be allowed to continue ‘notwithstanding the fact that it evidently has existed for many, many years.’ In Hawkesbury City Council v Dundler57 orders were issued to the owner and the occupier of premises requiring them to render the premises safe and healthy. Council officers inspected the property several times, noting accumulations of cloth, papers, rubbish and animal waste from sheep, cats and a dog. There was no running water and no usable sewerage facility. The occupier, the estranged husband of the owner, had allowed the property to deteriorate to the point where it 53 54 55 56 57
Section 124 Local Government Act 1993 (NSW). [1997] NSWLEC 191. Described above (I.). Ibid. [2005] NSWLEC 662.
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constituted a health risk to him and to the public. However, neither he not the owner had sufficient money to pay for a clean up. The court considered whether it could make an order of sale to recoup the Council’s costs of undertaking the clean up. It held that there was no such power to under the legislation. A costs order was made in favour of the Council against both owner and occupier, even though the owner had not been party to the degradation of the premises. In addition an order was made requiring the occupier to vacate the land and to be restrained from occupying any part of it until water and sewerage were connected. In Wollongong City Council v McLean58Ms McLean’s garden was unkempt: No garden maintenance of any note has been done. Even worse is the accumulation of rubbish. Clothing, shopping trolleys, packaging, building materials, old carpet, discarded kitchen pots and utensils, garden tools and cleaning utensils, plastic bags and plastic bins amongst other materials, as well as food waste and animal faeces, have been allowed to accumulate on the premises. These materials have been piled so high in the past that vehicular access to the garage was impossible, as was pedestrian access to the front door. On one inspection … the materials were stacked against the front door and porch area to a height of approximately six feet.
Preston CJ commented ‘not everyone aspires to have a beautiful garden or is motivated to keep their yard especially neat and tidy. Some latitude in living is permitted. But there are limits’. He found that the land was unsafe and unhealthy because it was a potential harborage for vermin and a fire risk. Detailed orders were made requiring the premises to be cleaned and cleared.
5. Animals Keeping animals may provoke legal challenges to even the best-kept household. The scope of ‘normal residential use’ under the Development Act 1993 has been held to include 150 pigeons kept as a hobby59 but to exclude seven goats.60 An unusually large number of animals does not necessarily imply ‘animal hoarding’. In Randwick City Council v Fuller61 a ‘very aged lady’, kept up to 20 cats at her ‘somewhat dilapidated’ house, which was ‘something of an eyesore’, where she had lived for over 35 years. They were strays which she kept well-fed and in good condition. The local Council, under powers in the Local Government Act 1919 (NSW) required her to keep only four cats. She resisted. Bignold J commented: ‘Mrs Fuller is not a crank or an eccentric. Nor is she a social misfit.’ She had suffered a degree of social ostracism for keeping the cats but had nevertheless maintained them. Bignold J found no evidence of public nuisance in her use of her residential premises such as to interfere with the public health, safety or convenience of the area and he declined to grant an injunction against her, holding that it 58 59 60 61
[2006] NSWLEC 295. Ey v Campbelltown City Council [2008] SAERDC 40. Burton v City of Port Adelaide Enfield Council [2004] SAERDC 16. [1993] NSWLEC 203.
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would be a disproportionate response to a problem that lay essentially in the private sphere. Animal hoarders accumulate more animals than they can possibly care for.62 Their activity is characterized by failure to provide for the animals’ well being, inability to recognize the effects of their actions, obsessive attempts to accumulate animals and denial or minimization of the problems their behaviour causes to the animals and to other people.63 A dog and 21 cats were removed from Mr Dundler’s keeping64 and it is clear that their uninhibited presence inside the house contributed significantly to its insanitary condition. In Kyogle Council v Manning,65 neighbours complained of a noise nuisance from the barking of dogs on the defendant’s premises. An order was made restricting the number of dogs kept to 120 and requiring the relocation of their enclosure and a new site management plan. Delay in compliance with these orders was found to be contempt of court and the matter seems to have ultimately cost the defendant in the region of $130,000 including construction costs of $40,000, a fine for contempt of $15,000 plus legal fees. Contempt of court was also in issue in Sutherland Shire Council v Sawyer.66Mr Sawyer kept up to 320 rabbits in the backyard of his rented property. He consistently breached court and Council orders restricting the number to two desexed rabbits. The court noted ‘not only that orders of the courts must be obeyed but also that the waste, odour and other consequences of intensive husbandry of rabbits in an urban or semi urban environment had the potential to cause public health, environmental and “significant amenity problems” which must be addressed.
His continuing contempt (‘defiance’) of the order was found to be contumacious. The court rejected the option of imprisonment in favour of a financial penalty: a $25,000 fine plus $2,500 per day until the orders were complied with. He was also ordered to pay the Council’s legal costs on an indemnity basis. Like other examples of hoarding behaviour, animal hoarding is likely to be persistent. The vet Helen Hein kept over 120 German shepherd dogs on her semi rural property in Surrey, England despite enforcement actions and criminal prose-
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Lawrie, M. ‘Animal hoarders in Australia – shining light through darkness’, Urban Land Management Conference Proceedings 2005 at http://www.uam.net.au/PDFs/ PUB_Pro05_MarkLawrie_AnimalHoarders.pdf last accessed 31 August 2008. Patronek, G, Loar, L., Nathanson, J, (2006) Animal hoarding: structuring interdisciplinary responses to help people animals and communities at risk, Hoarding of Animals Research Consortium p 10 at http://www.tufts.edu/vet/cfa/hoarding/pubs/ AngellReport.pdf, last accessed 31 August 2008. Above, n 58. [2001] NSWLEC 9. [2000] NSWLEC 162.
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cutions over 20 years.67 Her applications to be reinstated on the roll of licensed veterinarians were rejected by the professional governing body because ‘she has … repeatedly refused to admit that she did anything significantly wrong, irrespective of … the (guilty) pleas made at the time. This gives us considerable concern that her offences may be repeated in the future’.68
Animal hoarders face not only public health or development actions, they may also face criminal prosecution for animal cruelty under the Prevention of Cruelty to Animals Act 1987 (SA). This may result in imprisonment or a substantial fine. However, there is nothing to stop them hoarding again after conviction and research shows this is to be expected.69
III. Recognising compulsive hoarding When the result of hoarding activity has been the subject of legal action, as described above, courts have not traditionally concerned themselves with the issue of the defendant’s state of health or state of mind. Cases describe persistent behaviour, varying degrees of insight and repeated approaches by public officers to negotiate and encourage change before resorting to formal action. However, despite reviewing the defendant’s pattern of behaviour, few judgments until recently have acknowledged that this may reflect a personal vulnerability or mental condition. Judges have commented on the ‘capacity for rational thought’ and therefore the reliability of evidence, as seen in Lepoidevin.70 Sometimes an allusion to wider personal issues has defined them as outside the scope of the case. In Holding and Holding v City of Playford, for example, Commissioner Hitchens commented of the ‘car buff’: ‘He seems to have a number of personal circumstances that would need to be addressed. However, a hearing such as this is not one in which personal circumstances can be addressed and resolved. … It is solely one of determining the validity of the Council's notice in law and I must deal with it accordingly.’71
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Guildford Borough Council v Hein [2005] EWCA Civ 979, discussed in Slatter, M., 2007, 'Treasures, trash and tenure: hoarding and housing risk', People, Place & Policy Online vol 2 iss.1, pp. 28-36. Decisions of the Royal College of Veterinary Surgeons re Helen Elisabeth Hein 12 September 2003; 20 July 2004 at www.rcvs.org.uk. Lawrie n 62 above. Above (II. 4.). [1998] SAEDRC 492.
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Recently a more informed approach is discernible. For example, in Manly Council v Moffit72 the hoarding of rubbish in, and outside, a semi-detached house over many years led to a significant risk of fire and vermin. Biscoe J commented: ‘I am sensitive to the fact that this [order] will involve intrusion into [Ms Moffit’s] home which may cause her anxiety or distress. I will therefore stay the order by 14 days to give her a final opportunity to comply’.
As community understanding of hoarding behaviour has developed, some defendants have been able to explain their situation and respond more proactively to enforcement actions. In Wollongong City Council v McLean Ms McLean was assisted in presenting her case by one of her brothers, who said she was suffering from an obsessive compulsive disorder and detailed its focus on ‘the collection of certain pots and plastic bags as well as junk mail, clothes and other household items, many of which are broken and not able to be used’. 73 Mr McLean submitted that if an order were made it should be ‘quite particular’. As a result of his intervention the Council proposed a draft order which was ‘very particular’, limited in scope but still addressed to the concerns of fire risk, vermin and unpleasant smells. Preston CJ used this as the basis of his order in the case. He also held, in relation to costs: ‘this is an unusual case. The respondent … is in breach for a reason concerned with her state of mental health. The court and the council have been assisted by her brother. The orders that have been made have been brought about by his assistance. In the circumstances it would not be fair and just to make an order that [Ms McLean] pay the costs of the Council ... up to this point.’
Similarly, Mr Butler presented a draft order that would have required the attendance of his general practitioner and treating psychiatrist at the clearout of his yard. It also proposed financial assistance and a detailed set timetable for the work. Judge Cole commented: ‘I do not have the power in these proceedings to order that Mr Butler be provided with financial assistance. Nor do I have the power to order that he would benefit from a clean up of his property … It is not the purpose of the orders to dictate the fate of the items now stored on the property. That is a matter for the appellant upon complying with the orders. The focus of the orders is the use and appearance of the property itself. … In making the orders, I have had regard to the difficulty Mr Butler experiences in approaching a substantial task. Accordingly, the order is detailed and provides for the clean up to occur in manageable stages.74
She commented that there was nothing to stop Mr Butler’s medical advisors attending, but that too was beyond her power to order.
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[2006] NSWLEC 184. [2006] NSWLEC 296. Butler v City of Mitcham (No 2) [2008] SAERDC 30.
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Compared with the mainstream courts, residential tenancies tribunals have long acknowledged the impact of mental illness in many cases before them. In Siderius,75 for example, the hearing was adjourned to allow time for Mr Siderius to obtain advice from a tenant’s advice service. In Donaldson76 the engagement of the tenant with Mental Health Services was a major factor in persuading the Residential Tenancies Tribunal that his tenancy was sustainable. Similarly in New South Wales, the active engagement of a hoarding tenant with a range of social and professional support was crucial to the Tribunal’s decision to maintain his tenancy.77 In South Australian Housing Trust v G78 the Tribunal went much closer to the root of the matter. A condition of the order (agreed at the hearing) was that the tenant must accept ongoing support through a tenancy and living skills programme to address problems including hoarding and cluttering behaviour. Failure to observe this condition, like any other in the order, could result in an eviction. While the Tribunal has considerable discretion in designing its orders79 even this flexibility has recognised limits. In Bradley v Nightingale80 the Presiding Member commented: ‘I have no doubt the tenant has a serious mental illness. [The applicant] has taken exhaustive steps to obtain assistance for her and has been reluctant to take the step of proceeding of (sic) the Tribunal. I share his concern that the provisions of Section 90 are being used to remove a tenant who should be receiving assistance of a very different kind. This is probably a good illustration of the lack of appropriate mental health facilities and support staff in country South Australia.’
IV. Helping hoarders; halting hoarding In 2007, in an attempt to address the cause of animal hoarding and to reduce recidivism, the RSPCA called on the Victorian State government to recognise animal hoarding as a mental illness The organisation, which has the primary responsibility for animal cruelty investigations, had become frustrated that animal cruelty prosecutions failed to deal with any mental health issues and therefore did not prevent repeated offences. The hoarding cases discussed in this article all describe longstanding patterns of behaviour, often over a decade or more, which have continued despite formal legal challenge. This pattern of recidivism pursued by repeated enforcement action consumes public resources, fuels local hostilities, inflicts mental, financial and
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[1999] SARTT 35. [1997] SARTT 25. Department of Housing v Ibrahim [2003] NSWCTTT 293. (RT 06/6181) 10 January 2007. Section 110 RTA 1995. [1997] SARTT 55 (22 October 1997).
‘Too much of a Good Thing’: Changing Legal Responses to Hoarding
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social costs on the hoarder, may cause tenants to lose their home and takes an emotional toll of all those involved.81 Recent decisions acknowledge the reality of hoarding and attempt to address it. They also demonstrate the limits of traditional process. As hoarding is better understood, there is an opportunity to develop more effective, appropriate and therapeutic approaches.82 This is beginning in Australia, inspired by North American precedents of Multidisciplinary Hoarding Task Forces.83 They successfully use collaborative inter-agency models of client management for people with obsessive compulsive hoarding behaviours.84 A wide range of stakeholders is engaged to work with the hoarder to address the condition. Intervention begins when hoarding is reported and aims to help the client address the behaviour and avoid (or respond to) enforcement action.85 In Australia the approach has been welcomed not only for its therapeutic potential but also for its role in avoiding eviction and homelessness.86 There is no ‘quick fix’: this is long, slow work with no guarantee of success. There is no single model of response appropriate to all cases. However, early intervention and multi-agency support offer longer-term solutions that enforcement alone clearly does not achieve. They represent a better use of resources. They are also congruent with the respectful and ‘least restrictive ‘approach of the Guardianship legislation, which prioritises the client’s wishes and interests but seeks to ensure that risk to the client or others is mitigated.87 Finally, the developing approaches may assuage feelings of hopelessness, frustration and guilt experienced by workers who currently encounter hoarding situations.88 A more compassionate, therapeutic and effective response is overdue, in everyone’s interest.
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Merkel, J., 2007, The Role of Agencies in Response to Clients with Obsessive Compulsive Hoarding Disorder, Masters of Psychology (Clinical) dissertation, University of Adelaide. A complete contrast to the English approach using Anti Social Behaviour Orders: see Atkinson v Barking and Dagenham (2004) Environmental Health News, v.48, 10 December, p. 1. For example in Fairfax County, Va: www.fairfaxcounty.gov/hoarding last accessed 31 August 2008. Ibid. p 4 ff. Cobb, Thomas D., Dunn, Eric, Hernandez, Vanessa Torres, Okleberry, Jake Moroni, Pfefferkorn, Riana and Spector, Chelsea E.,Advocacy ‘Strategies to Fight Eviction in Cases of Compulsive Hoarding and Cluttering’ Clearinghouse Review: Journal of Poverty Law and Policy, Vol. 41, pp. 427-441, November/December 2007. For example, Partnership against Homelessness Guidelines for field staff to assist people living in severe domestic squalor at http://www.housing.nsw.gov.au/NR/rdonlyres/ F9EAEB32-C0AC-4C1F-8D2B-0DCA951D98A/0/FinalSqualorGuidelinesSeptember 2007PDF.pdf last accessed on 31 August 2008. Guardianship and Administration Act 1993 (SA), s 5: Williams v Guardianship Board [1999] SADC 25; Batchelor v Guardianship Board [1999] SADC 13; Mental Health Act 1993 (SA) s 5: Hanrahan v Guardianship Board [1999] SADC 7. Merkel, n 81 above.
Einige Gedanken zur Arzthaftung unter einer evidenz-basierten Medizin
Erich Steffen
I. Von dem Streben der Medizin nach wissenschaftlicher Evidenz und von einer haftungsrechtlichen Zukunftsvision Dass die Medizin, seit 15 Jahren deutlich verstärkt, sich um den besten verfügbaren wissenschaftlichen Beleg – „the best available Evidenz“ – für die Qualität ihrer Diagnosen und Therapien durch epidemiologische Daten aus formalisierten, kontrollierten Studien auf der Grundlage von Wirkungsvergleichen zwischen Patienten-Testgruppen und -Kontrollgruppen (Placebogruppen) bemüht und bei der Entwicklung von Leitlinien sich zunehmend an ihnen mitorientiert, ist inzwischen auch im Arzthaftungsrecht angekommen. Das zeigen etwa die vom Institut für Gesundheits- und Medizinrecht der Universität Bremen auf den Weg gebrachten Untersuchungen zur Relevanz von medizinischen Leitlinien für die Arzthaftung1; früher schon Aufsätze in der Festschrift für Erwin Deutsch zu seinem 70. Geburtstag2 und – wen verwundert’s – noch früher seine eigenen Beiträge dazu3. Auch die Gerichte nehmen in letzter Zeit auf wissenschaftliche „Evidenz“ gestützte Leitlinien – vermittelt durch den medizinischen Gutachter, manchmal auch unvermittelter – aufmerksamer in den Blick. Wenn die Bundesrichterin Angela Diederichsen noch 2003 den Leitlinien keine nennenswerte Bedeutung in der 1
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u.a. Hart, MedR 2000, 1 ff; drslb., KritV 2005, 154 ff; Hart/Badura/Engelmann/Raspe (Hrsg.), Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitsrecht, 2005, mit Beiträgen von Hart, Francke, Damm, Comos-Aldejohann; Hart (Hrsg.), Klinische Leitlinien und Recht, 2005, mit Beiträgen von Hart, Ollenschläger u.a., Kopp u.a., Raspe, Gevers, Diederichsen, Rosenberger, Francke, Clemens; ferner Nowak, Leitlinien in der Medizin: eine haftungsrechtliche Betrachtung, 2002; Kopp, Bundesgesundheitsblatt Bd. 45 (2002), 223 ff; Kern, in: Ökonomisierung der Medizin 2004, 222 ff; Linden, ebendort 200 ff; Ollenschläger, ebendort 176 ff. Laufs, Festschrift für Erwin Deutsch zum 70. Geburtstag, 1999, 625, 629; Steffen, ebendort, 799 ff. Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, 1983, 221 ff.
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Rechtsprechung zumessen konnte4, hat sich das heute geändert; juris, die Juristische Datenbank in Saarbrücken, weist derzeit mehr als 50 Fundstellen aus. Noch ist freilich die Evidenz aus verlässlichen Studien alles andere als flächendeckend5. Vor allem randomisierte doppelt verblindete Studien6 der höchsten Evidenzstufe I werden, zumal weil sie stark von Sponsoring-Interessen abhängen oder weil für bestimmte Tests Placebo-Gruppen nicht infrage kommen7, auch in Zukunft Lücken lassen: bei seltenen Krankheiten; chronischen Erkrankungen; Langzeitbehandlungen; Psychotherapien; Therapien der Besonderen Therapierichtungen8. Und als evidenz-basierte Konsensus-Leitlinie der höchsten Stufe S 3 hat Dieter Hart für 2003 erst 27 AWMF-Leitlinien ausgemacht9. Auf niedrigerem Evidenzniveau allerdings findet die Internetrecherche des Arztes häufiger evidenz-basierte Auskunft. Und es bedarf keiner prophetischen Gabe für die Voraussage, dass evidenz-basierte Medizin zunehmend umfassender und intensiver die medizinischen Behandlungskonzepte mitprägen wird: Sogwirkungen ihres Anspruchs auf Wissenschaftlichkeit bewirken das; Neugier und Sehnsucht nach Bestätigung „schwarz auf weiß“, wenn auch nur aus statistischen Chancenberechnungen. Vision von Diagnose- und Therapieentscheidungen per Mausklick des Arztes mit Recherche- und Programmierungsfehlern im Gepäck? Fokussierung ärztlicher Sorgfalt auf Studiendaten: auf den Zeitpunkt ihrer Erstellung, ihr „Design“, ihre Belegstärke, also auf die „best available“ wissenschaftliche Evidenz für die Behandlung? Verlagerung der Arzthaftung vielleicht sogar auf die Produkt- und Computerhaftung? Namhafte Kritiker10 jedenfalls warnen vor einer Abwertung empirischer Evidenz aus klinischer Erfahrung und einer „paternalistischen Regulation“ des Arztes durch Behandlungsanweisungen, Leitlinien-Normen, Positivlisten; ferngesteuert von Industrie, Krankenkasse, Staat. Indes ist der wissenschaftliche Nachweis der Wirkungen von medizinischen Interventionen und die Digitalisierung der Ergebnisse im Internet, das diese Daten mit ihrer Flut und Fluktuation für die Praxis überhaupt erst nutzbar macht, für die Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung der Medizin unverzichtbar, auch für die Bewahrung vor Überdiagnosen und Übertherapien. Nur dürfen die – ja stets 4 5
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Diederichsen, in Hart (Hrsg), Klinische Leitlinien und Recht, 2005, 105, 107. um das Jahr 2000 wurden nur für 10 bis 20 % der Krankheitsbilder Studien der Evidenzstufe I registriert und 90 % der in das EBM-Gebührensystem aufgenommenen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erfüllten auch nicht die schwächeren Evidenzstufen II a bis II c; so Swentowski, Rheinisches Ärzteblatt 12/1998, S. 20; Wigge, MedR 2000, 574, 579. randomisiert: mit nach dem Zufallsprinzip besetzten Test- und Kontrollgruppen; verblindet: Patient und Tester wissen nicht, wer zu welcher Gruppe gehört. z.B. für die Testung der Genauigkeit diagnostischer Verfahren, wenn bei allen Patienten vorab die Krankheit diagnostiziert sein muss; oder für die Testung invasiver Therapien, soweit sie Scheinoperationen bei der Placebogruppe erfordert. u.a. Phytotherapie, Homöopathie, antroposophische Medizin. Hart, KritV 2005, 154, 162. stellvertretend für das große Lager der Kritiker Kienle/Karutz/Matthes/Matthiessen/ Petersen/Keine, DÄrzteBl. 2003, A-2142 ff.
Einige Gedanken zur Arzthaftung unter einer evidenz-basierten Medizin
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nur begrenzten – Aussagen der Studien und die Empfehlungen der sich auf sie stützenden Leitlinien11 nicht überschätzt und darf die Urteilskraft des Arztes aus eigener klinischer Erfahrung nicht unterschätzt werden; zumindest davor warnt die Kritik zu recht. Mit diesem Ordnungsruf auch an die eigene Adresse hat aber das Haftungsrecht die Medizin auf dem eingeschlagenen Weg zu begleiten, darf sie vor allen Dingen nicht behindern. Das schon deshalb nicht, weil die Arzthaftung in enger Symbiose mit den Entwicklungen und Wertungen der Medizin leben muss, insbesondere medizinische Standards mit juristischen Standards allenfalls überformen, aber nicht korrigieren darf; jedenfalls nicht die Standards für das diagnostische und therapeutische Vorgehen des Arztes12. Deshalb wird die zunehmende Bedeutung, die die Medizin der wissenschaftlichen Untersuchung und Untermauerung ärztlichen Behandelns durch Evidenz aus klinischen Studien zumisst, zwangsläufig auch die Arzthaftung beeinflussen bis hin zu Veränderungen ihrer juristischen Sicht- und Vorgehensweisen. Und vielleicht amüsiert es Erwin Deutsch, zu erfahren, wie einer, den er so viele Jahre lang auf den Wegen durch „seine“ Welt der Arzthaftung begleitet, öfter auch gestützt hat, vertraute Straßen und Plätze in Zukunft sich verändern oder wenigstens die Zugänge zu ihnen verstellter sieht; und das hier vorgestellte Zukunfts-Szenario mit seiner Karte zu vergleichen, auf die er selbst – natürlich schon längst – die künftigen Veränderungen vermessen und verortet hat. Außerdem: Zukunftsperspektiven im Blick schärfen das Auge auch mit dafür, wo und wie man gerade so geht.
II. Von dem Haftungsmaßstab unter evidenz-basierter Medizin Einflüsse einer zunehmend evidenz-basierten Medizin auf die Arzthaftung werden zuerst und signifikant spürbar werden bei der Feststellung von Mängeln in der Behandlungsqualität, die als haftungsrelevante Behandlungsfehler vom Arzt oder Krankenhaus auszugleichen sind. Grundsätzlich haftet der Arzt dem Patienten auch bei evidenz-basierter Behandlung für Schädigungen, die darauf zurückzuführen sind, dass er sich von der zugrunde gelegten Studie oder Leitlinie nicht leiten lassen durfte, weil die Befindlichkeit seines Patienten das nicht erlaubte. Auch bei evidenz-basierter Behandlung hat medizinisch wie haftungsrechtlich nicht das Krankheitsbild, sondern der Kranke im Vordergrund zu stehen. Evidenz-basierte Studien und Leitlinien nehmen dem Arzt für sein diagnostisches und therapeutisches Vorgehen nicht die Verantwortung dafür ab, die konkreten Behandlungsbedingungen zu ermitteln und 11
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unter dem Begriff „Leitlinien“ sind hier und im Folgenden die auf formalisierte Studien gestützte AWMF- Konsensus-Leitlinien der Wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften gemeint; stellvertretend für vergleichbare Leitlinien anderer medizinischer Institutionen. zu den Korrekturmöglichkeiten des Haftungsrechts für die organisatorische Qualität der Medizin vgl. meinen Beitrag in der Festschrift für Erwin Deutsch zum 70. Geburtstag, 1999, 799, 808 ff; hier beschränke ich mich auf Diagnose und Therapie.
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zu prüfen, ob die von ihm eingeholten evidenz-basierten Antworten im Kontext auch des konkreten, oft komplexeren Krankheitsbildes „passend“, zumindest plausibel sind: richtig sind auch für die durch die Krankheit gestörte Physis und Psyche seines Patienten, kompatibel sind auch mit den Reaktionen des erkrankten Organismus auf das Vorgehen, vereinbar sind auch mit den von dem Patienten zu bestimmenden Behandlungszielen. Medizinische Studien sind kein Spiegelbild des klinischen Alltags und wollen es auch nicht sein. Sie sollen medizinische Interventionen in formalisierten und kontrollierten Verfahren an Patienten aufgrund von Vergleichen einer Test- mit einer Placebogruppe auf ihre Wirkung untersuchen und diese in Wahrscheinlichkeitsaussagen bewerten. Diese Aussagen sind geprägt und begrenzt durch einen gemessen am klinischen Alltag „künstlichen“ Kontext13: durch ein für die Untersuchung spezifisch definiertes, fest umrissenes Krankheitsbild; durch unter Ausschlusskriterien „verlesene“ Patienten mit entsprechend deutlicher Diagnose; durch eine Therapie, die auf klare, Fehlbeurteilungen möglichst von vornherein ausschließende, Ergebnisse ausgerichtet ist; durch die speziellen und einheitlichen räumlichen-sächlichen-organisatorischen Rahmenbedingungen der Untersuchung. Auch evidenz-basierte Leitlinien sind zwar unmittelbarer als die medizinischen Studien, auf die sie sich stützen, für den klinischen Alltag und die Komplexität seiner Probleme ausgelegt. Auch sie können14 und sollen aber dem Arzt keine Rezepturen für eine „Kochbuchmedizin“ geben15, die ihm die Entscheidung und Verantwortung für die Umsetzbarkeit und das Umsetzen ihrer Empfehlungen im konkreten Behandlungsfall abnehmen könnten. Sie können nur, und dies auch nur für generalisierende Problemstellungen, durch „Erkenntnis-Zusätze“ aus einem „Belegtsein“ mit der „besten verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz“16 unterschiedlicher Stärke und den sie wesentlich mittragenden Konsens der an ihrer Entwicklung beteiligten medizinischen Fachbereiche dem Arzt Entscheidungshilfen17 geben, insbesondere in Bereichen mit großen Unterschieden in der Versorgungsroutine oder Versorgungsqualität. Die externe wissenschaftliche Evidenz der Wirkungen des vom Arzt erwogenen diagnostischen oder therapeutischen Vorgehens darf für seine Entscheidungen im konkreten Behandlungsfall nur eine Koordinate neben anderen sein; andere – bedeutendere – sind Können, Urteilskraft, Intuition, gewonnen aus klinischer Erfahrung mit den konkreten, zumeist ja dynamischen Behandlungsbedingungen, die der Arzt mit der wissenschaftlichen Evidenz abstimmen muss. 13 14
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Raspe, in Hart (Hrsg.), Klinische Leitlinien und Recht, 2005, 63, 67. schon weil „die Kosten für die Entwicklung und Implementierung von Leitlinien in einem angemessenen Verhältnis zum Zielnutzen stehen“ muss; insbesondere zur „number needed to treat“; zur „number needed to screen“; zur „number needed to harm“ (Leitlinien-Manual von AWMF und ÄZQ über die Methodik für die Entwicklung und Implementierung ärztlicher Leitlinien, 2000, Ziff. 6.4.2.6.) und bereits deshalb das Fehlen von Leitlinien nichts über medizinische Standards aussagt, die ja auch (und heute noch überwiegend) auf klinischer Erfahrung beruhen. Leitlinien-Manual (Fn. 14) Ziff. 1.1. Leitlinien-Manual (Fn. 14) Ziff. 5.4.1. Leitlinien-Manual (Fn. 14) Ziff. 1.1.
Einige Gedanken zur Arzthaftung unter einer evidenz-basierten Medizin
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1. Die evidenz-basierten medizinischen Standards und ihre Relevanz für das Haftungsrecht Auch wenn deshalb für Arzt und Haftungsrecht nach wie vor das Umsetzen medizinischer Erkenntnisse, seien sie evidenz-basiert oder nicht, auf den konkreten Behandlungsfall im Mittelpunkt stehen wird, werden ihre Bewertungen dafür von auf Evidenz gerichteten Sichtweisen beeinflusst werden; zunehmend in dem Maß, in dem wissenschaftliche Evidenz und ihre Gewinnung die medizinischen Standards mitprägt, deren Qualität zu sichern und zu verbessern Studien und Leitlinien primär vorhaben. Entsprechend wird evidenz-basierte Medizin mehr und mehr in den Mittelpunkt des Haftungsfalls rücken, weil auch das Haftungsrecht gewöhnt ist, seine Sorgfaltsanforderungen an den Standards der Medizin auszurichten, d.h. an der allgemein anerkannten und praktisch bewährten Qualitätshöhe der medizinischen Wissenschaft im Zeitpunkt der Behandlung. Das Durchtesten diagnostischer und therapeutischer Verfahren in formalisierten kontrollierten medizinischen Studien, das Erheben und Auswerten ihrer Daten nach medizinisch-epidemiologischen Kriterien und das statistische Bewerten ihrer Qualität und Verlässlichkeit sind heute selbst von der Kritik im Grundsatz anerkannte Wege18 zur Sicherung und Verbesserung medizinischer Standards und vom Arzt im konkreten Behandlungsfall auch haftungsrechtlich zu beachten. Auch deshalb muss das Haftungsrecht in die Fortbildungspflicht des Arztes die Unterrichtung über Entwicklungen und Aktualisierungen aus evidenz-basierten Studien und auf sie gestützten Leitlinien-Empfehlungen sowie über die Bedingungen für eine zuverlässige Internetrecherche mit einschließen19. Allerdings dürfen sich Haftungsrechtler und die sie beratenden medizinischen Sachverständigen nicht von der wissenschaftlichen Evidenz blenden lassen, auch nicht von den „Goldstandards“ aus großen prospektiven, randomisierten, kontrollierten klinischen Studien und Metaanalysen. Unter den Einflüssen evidenzbasierter Medizin hat sich das Haftungsrecht bei seiner Fahrt zu den maßgebenden medizinischen Standards vornehmlich an den Klippen und Schründen von drei engeren Passagen zu bewähren: a) Spannungsfeld zwischen normativ-objektivierter und typisierter Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB), statistischem Patienten und patientenbezogener Behandlung Erstens darf es nicht durch eine zu starke Fixierung auf den normativobjektivierten und typisierten Sorgfalts- und Haftungsmaßstab aus § 276 Abs. 2 BGB für Berufshaftungen aus den Augen verlieren, dass der Arzt seine Sorgfalt nicht den Standards der Medizin oder einem homunculus aus den Statistikwerten medizinischer Studien schuldet, sondern seinem Patienten, dessen Reaktionen auf 18 19
Kienle/Karutz/Matthes/Matthiessen/Petersen/Keine, DÄrzteBl. 2003, A-2142 ff. zur Fortbildungspflicht des Arztes vgl. BGH, Urt. v. 29. 1. 1991 – VI ZR 206/90, BGHZ 113, 297 = NJW 1991, 1535 = VersR 1991, 469; OLG Hamm, Urt. v. 27. 1. 1999, 3 U 26/98, NJW 2000, 1801; weitere Nachweise b. Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Aufl., 2006, Rdn. 167 ff.
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eine medizinische Intervention unter den konkreten Behandlungsbedingungen nicht ohne weiteres durch den „statistischen“ Patienten einer medizinischen Studie repräsentiert werden. Jeder menschliche Organismus, insbesondere der durch Krankheit gestörte, reagiert auf eine medizinische Maßnahme individuell, abhängig auch von der physischen und psychischen Konstitution seines Trägers, vom Stadium der Erkrankung bei Behandlungsbeginn, ihrem Zusammentreffen mit anderen physischen oder psychischen Krankheitszuständen, von Behandlungsort und Behandlungsumfeld. Grundsätzlich kann der Arzt die Eigen-Regeln für das für seinen Patienten richtige diagnostische und therapeutische Vorgehen erst während der Behandlung schrittweise auffinden. Dabei kann er sich nicht wie der Jurist an einem abgeschlossenen Regelkodex orientieren. Abweichen vom medizinischen Standardprogramm bedeutet nicht per se Verfehlen der geschuldeten Qualitätshöhe, sondern es kann durchaus „von guter Qualität“ und das Festhalten an einer Standardbehandlung ein Behandlungsfehler sein. Kompetenz und Verantwortung des Arztes für die richtige Entscheidung tastet der medizinische Standard nicht an. Diese Eigengesetzlichkeiten des ärztlichen Behandelns muss auch der normativ-objektivierte Sorgfalts- und Haftungsmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB mitbewerten. Wir dürfen die Standards der Medizin als Maßstab für die Feststellung eines haftungsrelevanten Behandlungsfehlers nur heranziehen, wenn und weil sie dem Arzt für das Abstimmen ihrer Festlegungen mit den konkreten Bedingungen für sein diagnostisches und therapeutisches Vorgehen einen ausreichend breiten Freiraum lassen. Bisher hat das Haftungsrecht mit den Standards der Medizin keine größeren Schwierigkeiten gehabt wegen der eher breiten Unschärfe dessen, was den medizinischen Standard ausmacht, und ihrer auf Anpassung zugeschnittenen, weil maßgebend auf der Evidenz klinischer Erfahrungen beruhenden Aussagen. Wird das Haftungsrecht in Zukunft für seinen Haftungsmaßstab dem Arzt die Freiräume für eine Abstimmung mit den Behandlungsbedingungen vor Ort allein deshalb enger machen, weil und wenn die Medizin ihre Standards mehr und mehr aus wissenschaftlicher Evidenz von Studien bezieht? Solches „Ersetzen des ärztlichen Urteils durch formalisierte statistisch-epidemiologische Verfahren“20 würde in der Tat die von den Kritikern befürchteten Zustände beschwören und den Arzt auf evidenz-basierte Behandlungskonzepte von Studien und Leitlinien beschränken; zum Schutz vor seiner Haftung, aber zum Schaden nicht nur für seinen Patienten, sondern für die Qualität und den Fortschritt der Medizin generell. Bisher zielt ja auch die Suche nach mehr wissenschaftlicher Evidenz nicht auf Komprimierung im Sinn von Verengung der Medizin auf die untersuchten Interventionen ab, sondern auf Erweiterung und Verstärkung von medizinischer Wirksamkeit. b) Bezug der Evidenz auf den Kontext medizinischer Studien Zweitens darf das Haftungsrecht die Evidenz aus medizinischen Studien nicht überbewerten. Uns Richter und vermutlich auch medizinische Sachverständige beeindrucken ihre in Zahlen gegossenen Ergebnisse, schon weil uns die Bere20
Kienle/Karutz/Matthes/Matthiessen/Petersen/Keine, DÄrzteBl. 2003, A-2142 ff.
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chenbarkeit des Zufalls fasziniert. Die Faszination der mathematischen Belege lässt leicht übersehen, dass es sich um Chancenbewertungen handelt für Behandlungsbedingungen, die – wie gesagt – im Interesse klarer Aussagen mit den Bedingungen in der klinischen Praxis nicht ohne weiteres deckungsgleich sind: Testung an Patienten mit stark ausgeprägtem, eingeengtem Krankheitsbild und der Gewähr, für Nachbeobachtungen zur Verfügung zu stehen; ein von Anfang an klar definiertes Therapiekonzept unter intensiver Qualitätskontrolle; Ausschluss erhöhter Risiken von Nebenwirkungen; Zentralisierung auf Standardsituationen und auf ausgeprägte Tendenzen; Durchführung in wissenschaftlich aktiven medizinischen Zentren von Studienärzten mit Studienerfahrung21. Das entwertet zwar diese Erkenntnisse nicht, zeigt aber, dass ihre Aussagen schon deshalb nur eingeschränkt Bewertungen der Qualität einer Behandlung unter den Bedingungen der klinischen Praxis erlauben. Zudem sind sogar randomisierte Studien der höchsten Evidenzstufe nicht gegen Ergebnis-Verzerrungen immun. Untersuchungen aus 2003 haben ergeben, dass unzureichende oder unklare Randomisierung sowie Fehler bei Durchführung und Messung zur Überschätzung von Behandlungseffekten in der Größenordnung von bis zu 40 % geführt haben, dass nicht-randomisierte Studien im Vergleich mit randomisierten zu 60 % über- und zu 25 % unterschätzt worden sind22. „Unterschiedliche professionelle evidenzbasierte Auswertungen identischer klinischer Studien können zu verschiedenen Schlussfolgerungen und sogar zu entgegengesetzten Therapieempfehlungen kommen“; „selbst die Ergebnisse systematischer Reviews – Metaanalysen – von randomisierten Studien erweisen sich als divergent, weil sie aufwendig, störanfällig, schwierig durchzuführen und zu beurteilen sind“23. Auch diese Erkenntnisse über den Einfluss von „Studien-Bias“ sollten das Haftungsrecht zur Zurückhaltung bei der Übernahme von Evidenz-Bewertungen für den Haftungsmaßstab veranlassen. Vor allem darf eine verstärkte Hinwendung zu wissenschaftlicher Evidenz nicht dazu führen, diagnostische und therapeutische Strategien allein deshalb gering einzuschätzen oder gar nicht heranzuziehen, weil die Evidenz ihrer Wirkung „nur“ auf klinischer Erfahrung beruht und nicht durch wissenschaftliche Studien untermauert worden ist24. Es wäre katastrophal, wenn Diagnoseverfahren oder Therapien deshalb aus der Behandlung verschwinden würden, weil für sie kein oder kein ausreichend akzeptierter evidenz-basierter Wirksamkeitsnachweis aus kontrollierten Studien erstellt worden ist25. Wissenschaftliche Evidenz trägt mit 21
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Raspe in Hart (Hrsg.), Klinische Leitlinien und Recht, 2005, 63, 67 f; Kunz in: 4. Symposium Health Technology Assessment, Krefeld 2003. Kunz in: 4. Symposium Health Technology Assessment Krefeld 2003: Stichprobe von 32 Vergleichen aus systematischen Übersichten mit mehr als 3000 Primärstudien; in einigen nicht-randomisierten Studien wurden positive, in vergleichbaren randomisierten Studien negative Effekte für den Patienten gefunden. Kienle/Karutz/Matthes/Matthiessen/Petersen/Keine, DÄrzteBl. 2003, A-2142 ff. was auf den unterschiedlichsten Gründen, insbesondere auf solchen der Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit beruhen kann und kein Indiz für mangelnde Bedeutung und Qualität der Behandlungsstrategie ist. Kienle/Karutz/Matthes/Matthiessen/Petersen/Keine, DÄrzteBl. 2003, A-2142 ff: keine
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dazu bei, die medizinische Qualität zu sichern und zu verbessern. Sie darf aber auch in Zukunft nie die Standards der Medizin und den Maßstab der Haftung allein bestimmen. c) Keine „Subsumtion“ der Behandlung unter „Leitlinien-Normen“ Drittens hat das Haftungsrecht, bei Zunahme ihrer Dichte überproportional mehr, darauf aufzupassen, dass es die Sorgfaltspflichten des Arztes nicht zu unvermittelt unter ein vermeintliches Diktat von Leitlinien stellt. Wir Juristen könnten anfällig dafür sein, weil die Leitlinien uns bekanntere und sicherere Zugangswege zu den uns oft fremden Denk- und Sichtweisen der Mediziner über das uns heimische Umfeld von Normen vorspiegeln könnten. Noch besteht in Rechtsprechung und Literatur durchweg Konsens darüber, dass die Empfehlungen der AWMF und anderer medizinischer Institutionen, auch wenn sie in „evidenz-basierten“ Konsensus-Leitlinien ausgesprochen werden, keine „Normen“ etwa mit einem normativ-abstrakten (Qualitäts-)Norm-Befehl sind26. Zu einer Normsetzung fehlt diesen Institutionen – anders als dem Gemeinsamen Bundesausschuss für den Erlass von Richtlinien zum Leistungskatalog in der Gesetzlichen Krankenversicherung27, um die es hier aber nicht gehen soll – schon die Kompetenz. Neuerlich allerdings weist Dieter Hart den Konsensus-Leitlinien des höchsten Autoritätsgrades, den sog. S 3-Leitlinien der Wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften28, medizinische und juristische Verbindlichkeit von Normen zu, soweit sie einen klar handlungsempfehlenden Charakter haben, nicht nur Behandlungsalternativen aufzeigen oder nach der Stärke des Empfehlungsgrades differenzieren, etwa nur einen schwachen Empfehlungsgrad aussprechen. Nach Hart sind ihre Aussagen wegen ihrer höchst-erreichbaren Qualität nicht von nur deklaratorischer, sondern von konstitutiver Bedeutung; sie setzten konstitutiv den medizinischen Standard fest, seien vom Recht rezipierte Normen. Ihre Anwendung auf den Einzelfall sei Subsumtion29. Ich vermute, dass auch Hart den Wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften keine Normsetzungskompetenzen zugestehen will. Wenn er ihre S 3Leitlinien, soweit sie dazu geeignet sind, als verselbständigte Festlegungen von
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randomisierten Studien z.B. für die elektrische Defibrillation bei Kammerflimmern, die vier mal soviel Leben rettet wie die untersuchte frühe Fibrinolyse; für die Behandlung von Infarktschmerzen; für die Wirksamkeit von Nikotinabstinenz zur Sekundärprophylaxe; von der kariopulmonalen Reanimation zur akuten Myokardinfarktbehandlung. Dressler, Festschrift für Karlmann Geiß, 2000, 379, 380, 383; Dressler/Sandbiller, MedR 2002, 19, 22; Diederichsen, in Hart (Hrsg), Klinische Leitlinien und Recht, 2005, 105 ff; Hart, MedR 1998, 8, 10; Francke/Hart, Patientencharta, 23; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., 2002, § 5 Rz 11. §§ 92 Abs. 9, 137 ff SGVV. evidenz-basierte Konsensus-Leitlinien, die einer systematischen Analyse der Evidenz in einem formalen Konsensusverfahren unter Beteiligung der berührten Wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaft unterzogen worden sind. Hart, KritV Bd. 88 (2005), 154 f, 163, 168 f; drslb.: Klinische Leitlinien und Recht, 2005, 81, 96 f.
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medizinischen Standards allein deshalb qualifiziert, weil ihnen wegen der hochwertigen und breiten Absicherung ihrer Empfehlungen weder medizinisch noch schon gar nicht rechtlich Durchgreifendes entgegengehalten werden kann, wäre gegen eine so begründete „faktische“ Verbindlichkeit allenfalls einzuwenden, dass, wie oben beschrieben, auch S 3-Leitlinien gegen Falschaussagen von Studienergebnissen nicht gefeit sind. Eine Sicht, die Leitlinien – sei es auch „nur“ solche der Stufe S 3 – in die rechtliche Nähe zu Norm und Normanwendung durch Subsumtion rückt, entspricht indes nicht dem, was sie sein wollen und was sie sind. Und sie könnte die Sogwirkung der wissenschaftlichen Evidenz aus medizinischen Studien durch ein Abqualifizieren klinischer Erfahrung und empirischer Evidenz zum Schaden der Behandlungsqualität verstärken. Oft, wenn nicht durchweg, wird der Arzt bei einem Vergleich der von ihm erhobenen Befunde mit dem Krankheitsbild der Leitlinie auf Divergenzen und Brüche stoßen, die ihn zögern lassen, sein Behandlungskonzept voll unter die Leitlinie zu stellen. Die propagierte „Normbindung“ seiner Entscheidung an die Leitlinie mit der Aufforderung, die konkrete Behandlungssituation unter ihre „Norm“ zu „subsumieren“, könnte den Arzt, der ja unter Entscheidungszwang steht, zu einer auf das Leitbild der Leitlinie fixierten selektiven Feststellung der Behandlungsbedingungen veranlassen. Diese Sicht kann bewirken, dass der Arzt die Autorität von „Leitlinien-Evidenz“, „Leitlinien-Design“, „Leitlinien-Aussagen“ überbewertet und entweder auf ihre Heranziehung verzichtet, weil er die konkreten Behandlungsbedingungen zu früh als „nicht subsumierbar“ qualifiziert; oder seine abweichende klinische Erfahrung mit den von ihm festgestellten Behandlungsbedingungen unterbewertet und die Divergenzen und Brüche zu gering einschätzt oder verdrängt, um auf das Leitbild „aufspringen“ zu können, für das die Leitlinie ihm medizinische und haftungsrechtliche Absicherung durch das empfohlene Behandlungskonzept zu versprechen scheint. In keinem Fall ist das ein wünschenswertes Ergebnis, vor allem nicht für den Patienten. Eine Berufungsoder Revisionsinstanz, die „Subsumtions“-Fehler noch korrigieren könnte, gibt es in der Medizin derzeit ja noch nicht. Ebenso kann natürlich ein Zwang zur „Subsumtion“ den Haftungsrichter oder den ihn beratenden medizinischen Sachverständigen dazu motivieren, den Haftungsfall ausschließlich nach den „Leitlinien-Normen“ zu beurteilen. Leitlinien, auch die evidenz- und konsensbasierten S 3-Leitlinien, sind nicht angelegt auf Subsumtion der Versorgungswirklichkeit unter abstrahierende „(Qualitäts-Bewertungs)-Normen“, die einen Ordnungsrahmen für ein angestrebtes medizinisches Qualitätsniveau errichten sollen. Dazu fehlt ihren Empfehlungen schon im Text die nötige Präzision und Stringenz. Meine Analyse ergibt, dass sie nur zurückhaltend und nur für einen eng begrenzten Kernbereich nicht weiter interpretationsbedürftige Forderungen nach „obligatem“ ärztlichem Vorgehen stellen. Durchweg lassen sie deutlich die Variationsbreite der möglichen ärztlichen Entscheidungen aufscheinen und geben eher verhalten Koordinaten an, innerhalb derer sich die Entscheidungen des Arztes bewegen sollten. Zum Beispiel weisen sie selbst darauf hin, dass bei konkurrierenden Diagnose- und Therapiemöglichkeiten auch ein hoher Empfehlungsgrad für eine Methode nicht notwendig bedeu-
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te, dass sie den anderen Methoden überlegen sei, weil häufig „valide“ Daten aus Studien für eine abweichende Methode oder für einen Methodenvergleich fehlen30. Zwar sucht der Konsens der beteiligten Fachgebiete, auf den sich jedenfalls S 3Leitlinien wesentlich mitstützen31, Defizite an Studien-Evidenz zu überbrücken; aber auch der Konsens zielt primär darauf ab, den Arzt bei der Entwicklung seines Behandlungskonzepts durch die Information zu unterstützen, dass die empfohlenen Behandlungsstrategien von den beteiligten Fachgebieten akzeptiert sind. Demgemäß auch wird in Leitlinien der AWMF darauf hingewiesen, dass sie „für Ärzte nicht rechtlich bindend (sind) und…daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung“ haben32.
2. Die Beurteilungsfreiräume des Arztes unter evidenz-basierter Medizin Zur zentralen „weichen“ Stelle für ein Eindringen „evidenz-basierter“ Sichtweisen in die Arzthaftung dürften die Beurteilungsfreiräume werden, die das Haftungsrecht auch unter einer zukünftig flächendeckend evidenz-basierten Medizin dem Arzt für das Umsetzen wissenschaftlicher Evidenz in sein Behandlungskonzept lassen muss. Diesen Freiräumen sind erst in zweiter Linie Fehlinterpretationen geschuldet, die die Haftungsrechtsprechung bei Diagnoseirrtümern toleriert, solange sie nicht auf gravierende Versäumnisse bei der Erhebung der Befunde zurückgehen33. In erster Linie sind sie deshalb einzuräumen, weil gute ärztliche Behandlungsqualität, wie gesagt, ganz entscheidend durch die spezifischen „Regeln“ bzw. „Leitlinien“ aus der Gesamtbefindlichkeit des Patienten und seinen Behandlungszielen gesetzt wird. Vorab: bisher beschränkt das Haftungsrecht den Arzt nicht auf eine Behandlung nach den evidenz-basierten Standards, wenn sie bestehen. Er kann sein Behandlungskonzept auf eine zwar nicht durch medizinische Studien untersuchte, aber auf guter klinischer Erfahrung beruhende Therapie ausrichten, die ihm für die
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Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie, der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie, der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie zur Diagnostik und Therapie des Karpaltunnelsyndroms, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 005/003; Einleitung. das Leitlinien-Manual (Fn. 14) verlangt eine „abgewogene Mischung von evidenz- und konsensgestützten Empfehlungen“; es sieht eine ausschließlich evidenzbasierte Strategie der Leitlinienentwicklung als problematisch an „wegen der nicht interessenfreien Generierung, Interpretation und Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse“; „der Nichtbeteiligung betroffener Gruppen“ (Ziff. 6.4.1). außerdem das Bemühen um Haftungsfreizeichnung durch den Zusatz: „Die AWMF erfasst und publiziert die Leitlinien der Fachgesellschaften mit größtmöglicher Sorgfalt – dennoch kann die AWMF für die Richtigkeit insbesondere von Dosierungsangaben keine Verantwortung übernehmen“. Rechtsprechungsnachweise bei Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Aufl., 2006, Rdn. 154 ff.
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Behandlungssituation, insbesondere für den Zustand seines Patienten und die Behandlungsmöglichkeiten vor Ort, angemessener erscheint. Allerdings muss auch diese Therapie das zu fordernde medizinische Qualitätsniveau im Zeitpunkt der Behandlung erreichen; d.h. sie muss etabliert und darf nicht durch evidenzbasierte Erkenntnisse überholt sein. Wird die Therapie von der Medizin nicht als dem „evidenz-basierten“ Standard gleichwertiger „empirie-basierter“ Standard qualifiziert, so ist ihre Anwendung gleichwohl nicht fehlerhaft, wenn der Arzt plausibel begründet, dass die Befindlichkeit des Patienten so stark von der Regel abweicht, dass eine Variante, eine Kombination mit anderen Strategien versucht werden musste. Und schließlich ist der Arzt an einer Behandlung nach evidenzbasiertem Standard gehindert, wenn sein über das Für und Wider ausreichend aufgeklärter Patient das nicht wünscht34. Demgemäß ist im Haftungsrecht bisher anerkannt, dass der Arzt von durch Leitlinien-Empfehlungen konkretisierten Standards der evidenz-basierten Medizin in begründeten Fällen abweichen darf, wobei ihm die Darlegungslast dafür auferlegt wird, dass die konkrete Behandlungssituation ein Abweichen „erfordert“ hat35. Erkennbar ist dabei eine Tendenz, die „Erforderlichkeit“ an vom Arzt darzulegenden Abweichungen der konkreten Behandlungsbedingungen von dem Krankheits-Leitbild festzumachen, auf das die Leitlinien primär ausgerichtet sind. Ich habe zu zeigen versucht, dass unter einer auf Kosten klinischer Empirie auf wissenschaftliche Evidenz gestellten Medizin der Freiraum für ein Abweichen von den Standards der evidenz-basierten Medizin übermäßig eingeengt oder ganz infrage gestellt werden könnte durch einen sich mit evidenz-basierten medizinischen Standards zu stark identifizierenden Sorgfaltsmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB oder durch ein Überbewerten der Aussagekraft wissenschaftlicher Evidenz für die klinische Praxis oder durch ein Heraufzonen von Leitlinien zu „Normen“ der Medizin und ein entsprechendes Abwerten ärztlicher Entscheidungsfindung durch die Forderung nach „Subsumtion“. Außerdem könnten Autorität und Suggestivkraft wissenschaftlicher Evidenz aus Studien und Leitlinien den Haftungsrechtler dazu verführen, den Haftungsfall zu sehr vom Endprodukt einer Studie – ihren Ergebniswerten – her anzugehen und auszuklammern, dass auch einem guten Arzt sich die Behandlungsbedingungen für eine zuverlässige Beurteilung, ob und inwieweit ihre Komplexität von diesen Werten erfasst wird, meistens erst im Fortschreiten des Behandelns, manchmal leider erst zu spät erschließen. Auch dieser Ansatz müsste dem Arzt den nötigen Freiraum für seine Beurteilung nehmen. Seine Entscheidungen an einer „ex-post“– Sicht legitimieren zu müssen, ohne Beachtung dafür zu finden, dass er sie aus einem häufig dynamischen Verlauf des Krankheitsgeschehens heraus schrittweise zu entwickeln hatte, könnte ihn dazu verleiten, in Zukunft die Behandlungsbedin-
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dazu später. BGH, Urt. v. 7. 7. 1987 – VI ZR 193/85, NJW 1987, 2937 = VersR 1988, 155; v. 15. 2. 2000 – VI ZR 48/99, BGHZ 144, 1 = NJW 2000, 1784 = VersR 2000, 725; OLG Zweibrücken, Urt. v. 2. 12. 2003 – 5 U 33/01, OLGR Zweibrücken 2004, 123; weitere Rechtsprechungs-Nachweise bei Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Aufl., 2006, Rdn. 150 a.
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gungen vorschnell und unkritisch als mit den evidenz-basierten Konzepten vereinbar zu qualifizieren; zum eigenen Schutz vor den haftungsrechtlichen Konsequenzen und zum Schaden des Patienten. Eine realistische Rekonstruktion des Behandlungsgeschehens aus der „exante“– Sicht des Arztes, d.h. auch unter Ausschalten des Wissens von dem Ausgang der Behandlung im Hinterkopf der den Haftungsfall entscheidenden Mediziner und Juristen, dürfte allerdings selbst bei ausführlichster Dokumentation kaum gelingen. Im Grundsatz sollten daher Abweichungen der Behandlung von einem evidenz-basierten Konzept schon dann toleriert werden, wenn das Krankheitsbild im Anfangsstadium der Behandlung dem Leitbild der Studie bzw. LeitlinienEmpfehlung nur mit deutlichen Vorbehalten zugeordnet werden konnte, weil Symptome auf ein komplexeres Krankheitsgeschehen, etwa auf überlagernde oder überlappende Krankheitsprozesse hindeuteten, die das abwartende oder modifizierende Behandlungskonzept des Arztes „ex ante“ als medizinisch nicht unvernünftig erscheinen lassen; oder dass es, z.B. aufgrund abweichender bakterieller Befunde oder zur Vermeidung von Resistenzen, dem Arzt „ex ante“ zwar nicht als medizinisch notwendig, aber als medizinisch nützlich erscheinen durfte, den evidenz-basierten Konzepten nicht „aufs Wort“ zu folgen. In Grenzen sollte der Arzt von den Empfehlungen evidenz-basierter Leitlinien auch dann abweichen dürfen, wenn die Behandlungskapazitäten vor Ort ihr Umsetzen nicht erlauben, etwa weil Geräte für neue bildgebende Verfahren oder Fachkräfte zu ihrer Bedienung fehlen, sofern bei sorgfältiger Prüfung die Überweisung des Patienten in eine besser ausgestattete Versorgungseinrichtung ausgeschlossen ist. Andererseits kann sich der Arzt nicht schon deshalb haftungsrechtlich auf der sicheren Seite wähnen, weil er sich für sein Behandlungskonzept auf wissenschaftliche Evidenz berufen zu können glaubt. Fallgestaltungen, die ihn trotz bzw. wegen seines „evidenz-basierten“ Behandelns in eine Behandlungsfehler-Haftung führen können, habe ich eingangs schon genannt: vorschnelles Bejahen der Tragfähigkeit der Studie bzw. Leitlinien-Empfehlung für seinen Patienten ohne kritisches Auseinandersetzen mit den konkreten Behandlungsbedingungen; Fehler beim Umsetzen der evidenz-basierten Behandlungskonzepte; unsorgfältiges oder unkritisches Überwachen der Verträglichkeit der Konzepte im weiteren Behandlungsverlauf; Zugriff auf Leitlinien, die im Zeitpunkt der Behandlung durch neuere Leitlinien bereits überholt gewesen sind. Auch der medizinische Sachverständige, auf den der Haftungsrechtler für die Feststellung von Behandlungsfehlern angewiesen ist, muss sich der Bedeutung der konkreten Behandlungsbedingungen, der Notwendigkeit des Umsetzens von Studien und Leitlinien auf sie und der Grenzen ihrer Aussagen für die erforderliche Qualität „guten ärztlichen Behandelns“ bewusst bleiben. Weder darf er der durch Studien erarbeiteten Evidenz auf Kosten der empirischen Evidenz aus klinischer Erfahrung ein zu hohes Gewicht für die ärztliche Entscheidung im konkreten Behandlungsfall zumessen noch den Beurteilungsfreiraum des Arztes für die Bewertung der konkreten Behandlungsbedingungen nach ihrer Kompatibilität mit den evidenz-basierten Behandlungskonzepten zu eng bemessen noch den Arzt durch den Hinweis auf die Evidenz-Basierung seines Behandlungskonzepts vorschnell aus der Haftung entlassen und dadurch mit dazu beitragen, dass sich ärztliches
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Behandeln weniger dem Patienten und der Suche nach falladäquaten Konzepten verantwortlich fühlt als einer evidenz-basierten Zertifizierung. Ein Automatismus, der mit der Anwendung eines evidenz-basierten Behandlungskonzepts den Qualitätsnachweis und mit Abweichungen von ihm den Fehlernachweis verbindet, wäre unvereinbar damit, dass der Arzt die Qualität „guten ärztlichen Behandelns“ für seinen Patienten einzusetzen hat und nicht für die Qualitätsbemühungen der Medizin und ihre evidenz-basierten Leitlinien.
III. Von der Evidenz aus medizinischen Studien und der Kausalität im Arzthaftungsrecht Eine umfängliche „Verwissenschaftlichung“ ärztlichen Vorgehens durch ein dichtes Netz evidenz-basierter Studien und Leitlinien könnte sich auch auf die haftungsrechtliche Untersuchung auswirken, ob ein festgestellter Behandlungsfehler den Misserfolg des Behandelns verursacht hat. Evidenz-basierte Studien befassen sich wesentlich mit den Wirkungen diagnostischer und therapeutischer Interventionen. Die in den Studien erhobenen Daten über die Behandlungsverläufe bei den beteiligten Patienten – einschließlich der Referenzdaten aus der Kontroll- bzw. Placebogruppe – führen zu statistischen Berechnungen und zu Schlussfolgerungen für das Wirkungsprofil der diagnostischen und therapeutischen Behandlungskonzepte der Studie und der Stärke seiner so belegten Evidenz. Wird bei deutlicher Ausrichtung der Medizin auf wissenschaftliche Evidenz aus Studien und hierauf gestützte Leitlinien das statistisch-mathematische Verfahren, auf dem die Studienergebnisse beruhen, die Feststellung von Ursachenzusammenhängen zwischen einem Behandlungsfehler und dem Misserfolg der Behandlung in Zukunft stärker in seine Regie nehmen? Werden in Studien ausgewiesene signifikante Werte im Haftungsprozess die Feststellung leiten, •
dass die Krankheit B erkannt worden wäre, wenn der empfohlene Diagnoseschritt A gemacht worden wäre?
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dass die positive Wirkung B bei dem Patienten eingetreten wäre, wenn das als wirksam getestete Medikament A eingesetzt worden wäre?
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dass bei Anwendung des empfohlenen Behandlungskonzepts A die „evidenz-bekräftigte“ positive Wirkung B eingetreten wäre?
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dass der Misserfolg mit einem evidenz-basierten Behandlungskonzept auf Sorgfaltsverstöße des Arztes in der Durchführung des Konzepts zurückzuführen ist?
1. Die Faszination des Bayes’schen Theorems für Juristen Zwar stellen medizinische Studien keine Kausalbeziehungen fest. Das Bestehen von Kausalbezügen bleibt für sie eine Hypothese, ihre Berechnungen der Wahr-
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scheinlichkeit arbeiten nur Korrelationen – Wechselbezüge – und ihre Dichte aus, mit denen Kausalität jedenfalls mit wissenschaftlicher Strenge nicht nachzuweisen ist36. Die Schlussfolgerungen aus Dichte und Art der Korrelation auf einen Kausalzusammenhang müssen Arzt, medizinischer Sachverständiger und Haftungsrechtler selbst treffen und verantworten, ohne einen falschen Schluss der statistischen Berechnung anlasten zu können. Aber auch anderswo versteckt sich die Kausalität gern vor uns. Ihren Bausteinen bis in Struktur und Gefüge exakt nachzugehen, ist uns Juristen weder deduktiv noch induktiv möglich. Auch wir sind auf Schlussfolgerungen aus Wechselbezügen jedenfalls dort angewiesen, wo der Zusammenhang nicht so unmittelbar ins Auge springt wie beim Herstellen von Durchlässigkeit durch Beseitigen einer Stenose37. Wir können uns dabei meistens nicht einmal wie die medizinischen Studien auf Wiederholungen des von uns zu beurteilenden Vorgangs oder auf andere Vergleiche unter experimentellen Bedingungen stützen; sondern wir müssen uns im allgemeinen darauf beschränken, unter alternativen ZusammenhangsHypothesen diejenige auf ihre Überzeugungskraft zu prüfen, die uns die möglichst sorgfältig und möglichst vollständig ermittelten positiven und negativen Beweiszeichen am ehesten belegen. Rechtlich genügt das, weil der Richter die Kausalität nicht mit wissenschaftlicher Gewissheit feststellen muss, sondern sich begnügen darf „mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Einhalt gebietet“38. Auf Hypothesen-Bewertungs-und-Ausschlussüberlegungen39, mit denen wir Kausalität feststellen, beruht auch die mathematische Berechnung von Wahrscheinlichkeit40 etwa nach dem Theorem des englischen Priesters John Bayes41 36
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mit Statistiken können z.B. Korrelationen zwischen dem Rückgang der Geburten und dem Rückgang der Storchenpopulation nachgewiesen werden, ohne damit auch bewiesen zu haben, dass der Storch die Kinder bringt; weitere Beispiele bei Schwarze, Grundlagen der Statistik, Neue Wirtschafts-Briefe 2001, 18, u.a. das Ergebnis der Caerphilly-Studie: von 2438 Männern, die über 20 Jahre beobachtet wurden, hatten Männer, die sich seltener als einmal täglich rasierten, eine um 70 % erhöhte Inzidenz an Schlaganfällen und eine um 30 % erhöhte Mortalität (Hinweis bei Ebrahim/Smith/May/Yarnell, Shaving, coronary heart disease, and stroke, Am J Epidemiol 2003, 157, 234 – 238). Beispiel bei Kienle/Karutz/Matthes/Matthiessen/Petersen/Keine, DÄrzteBl. 2003, A2142, 2145. seit BGHZ 53, 245, 256 = NJW 1970, 946, 948 – Anastasia stdg. Rspr. so auch Rüßmann, ZZP 103, 65, 76 f. ich danke an dieser Stelle meiner 13-jährigen Großnichte Anna Bühling, die mir beim Abendbrot die Wahrscheinlichkeitsrechnung erklärt hat. die Bayessche Formel: p (A/B) = p (B/A) mal p (A) geteilt durch p (B/A) mal p (A) + p (B/A neg) mal p (A neg); oder übersetzt: die Wahrscheinlichkeit dafür, dass B eintritt, wenn A eingetreten ist, ist gleich: dem Produkt aus der Anfangs-Wahrscheinlichkeit des Eintritts von A und der Anfangs-Wahrscheinlichkeit dafür, dass A eintritt, wenn B eingetreten ist; ins Verhältnis gesetzt zur Summe aus dem Produkt aus der Anfangswahrscheinlichkeit des Eintritts von A und der Anfangswahrscheinlichkeit dafür, dass A eintritt, wenn B eingetreten ist und dem Produkt aus der Anfangswahrscheinlichkeit dafür, dass A nicht eintritt, wenn B eintritt und der Anfangswahrscheinlichkeit dafür, dass A
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(1702 – 1761). Nach seiner Formel hat das OLG Stuttgart 198842 seine Überzeugung dafür auszurechnen versucht, dass der Zusammenstoß eines Pkw mit einem Lkw von dem Fahrer des Pkw vorsätzlich verursacht worden war. Das Urteil zeugt von mancherlei; jedenfalls von der Faszination, die für den Juristen von einem Wissenschafts-Beleg ausgehen können, seien es auch rechnerische Aussagen über Zufälle und Chancen. Dabei konnte das Gericht die Anfangswahrscheinlichkeit für die zu beweisende Haupttatsache – den Vorsatz des Pkw-Fahrers – und die Werte für die Tragfähigkeit der herangezogenen Indizien nur auf eigene ungesicherte Schätzungen stützen. Eine um wie viel größere Faszination muss bei der Feststellung von Ursachenzusammenhängen für den vom medizinischen Sachverständigen unterstützten Juristen von den in formalisierten und kontrollierten Studien wissenschaftlich ermittelten und belegten statistischen WahrscheinlichkeitsProzenten ausgehen!
2. Das Spannungsfeld zwischen Evidenz, Kausalität und konkreten Behandlungsbedingungen Indes lassen auch die eindrucksvollsten Wahrscheinlichkeitsberechnungen Unsicherheitsmargen bestehen, verschleiern sie zusätzlich durch die Suggestion von Scheinsicherheiten aus ihrer Zahlenakrobatik. Sie entheben deshalb nicht von der Verantwortung für die Entscheidung, sich überzeugen zu lassen oder nicht: dem m.E. durch nichts zu ersetzenden alles entscheidenden Schritt zur „Wahrheit“. Wie groß das Beweismaß zum Gewinnen dieser Überzeugung sein muss, das ist rechtlich nur für Sonderfälle an mathematische Berechnungen zu binden43, um die es hier nicht geht. Im Arzthaftungsrecht wird die Feststellung der Beziehung von Ursache und Wirkung nicht von der Mathematik, sondern von der zitierten „Formel“ des Bundesgerichtshofs beherrscht44. Judex non calculat. Die Urteilskraft desjenigen, der zu entscheiden hat, ist als Grundlage für die Feststellung von Kausalbezügen sicherer, jedenfalls ehrlicher als mathematische Berechnungen es sein können, weil sie Scheingewissheiten aus Defiziten des Rechenwerks und aus statistischen Verzerrungen vermeidet und deutlich macht, dass auch mathematische Formeln nicht von der Verantwortung für die eigene Überzeugung entheben. Selbstverständlich kann der Haftungsrichter in Übereinstimmung mit den Gutachten medizinischer Sachverständiger, auf die er sich auch bei seinen Kausalitätsfeststellungen stützen muss, die Erkenntnisse medizinischer Studien über Zusammenhänge zwischen dem Verzicht des Arztes auf eine medizinische Intervention – einen Diagnoseschritt, eine Medikation – und den infrage stehenden
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nicht eintritt. OLG Stuttgart, Urt. v. 12. 6. 1988 – 6 U 147/87; aufgehoben vom BGH, Urt. v. 28. 3. 1989 – VI ZR 232/88, NJW 1989, 3161 = VersR 1989, 637; Anm. Hagenloch, DRiZ 1990, 392; Rüßmann, ZZP 103, 65; Schneider, ZAP 1989, 271. insbesondere für die Feststellung der Vaterschaft; zuletzt BGH, Urt., v. 3. 5. 2006 – XII ZR 195/03, BGHZ 168, 79 = NJW 2006, 3416 m.w.N. seit BGHZ 53, 245, 256 = NJW 1970, 946, 948 – Anastasia stdg. Rspr.
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negativen Verlauf der Behandlung heranziehen. Er ist dazu sogar jedenfalls dann verpflichtet, wenn die medizinische Intervention nach ihrer Zielsetzung und der Erfolgsbestätigung durch die Studie auf das Vermeiden dieses für den Patienten negativen Verlaufs angelegt ist, d.h. gezielt zum Förder- bzw. Verhinderungs„Programm“ der medizinischen Intervention gehört. Unverzichtbar bleibt dabei aber auch in Zukunft, dass Richter und Gutachter auch für diese Problemstellung die Eignung der Studienergebnisse kritisch diskutieren und sich bewusst bleiben, dass selbst Studien der höchsten Evidenzstufe nur begrenzte Aussagekraft für den konkreten Behandlungsfall haben. Auch hier stößt das Umsetzen dieser Ergebnisse sich ständig daran, dass jeder Organismus, zumal ein erkrankter, auf eine medizinische Intervention individuell reagiert; dass diese Abweichungen trotz ihrer Relevanz für den Behandlungserfolg vielleicht von einer nur momentanen, statistisch nicht erfassbaren Stimmungslage des Patienten abhängen oder wegen ihres geringen Grades durch die statistische „Norm“ der untersuchten Patientengruppen rechnerisch nicht ausgewiesen werden; dass der Behandlungserfolg maßgebend abhängt von der durch die „verlesenen“ Patientengruppen der Studie nicht ausreichend repräsentierten Konstitution des Patienten und seinen Vorerkrankungen, dem Betroffensein durch die Erkrankung und dem Maß der Gewöhnung an sie; von einem etwaigen Zusammentreffen mit akuten anderen Krankheiten; von dem Zeitpunkt, zu dem der Patient in die Behandlung kommt; von seinem beruflichen oder sozialen Umfeld. Zudem lassen die Studienergebnisse unberücksichtigt, dass im Verlauf ärztlichen Behandelns Fehlentwicklungen, auch solche aus Behandlungsfehlern, erkannt und neutralisiert oder von dem Patienten selbst überwunden werden können. Die Aussagen der Studien über Wirkungen der untersuchten medizinischen Intervention können deshalb für die Feststellung von Wirkungszusammenhängen im konkreten Behandlungsfall nur ein Beurteilungsparameter unter anderen sein. Auch wenn die konkreten Behandlungsbedingungen zur Studie oder Leitlinie passen, dürfte der Umstand, dass der Arzt auf eine von der Studie oder Leitlinie empfohlene Maßnahme verzichtet oder sie modifiziert hat, die Feststellung eines Ursachenzusammenhangs mit dem für den Patienten negativen Behandlungsverlauf allein nicht tragen. Es wird stets entscheidend mit darauf ankommen wie deutlich und eng der Zusammenhang zwischen dem „Schutzzweck“ der empfohlenen Maßnahme – der ihnen beigelegten Förder- oder Verhinderungsfunktionen für einen erfolgreichen Behandlungsverlauf – und der negativen Entwicklung der Behandlung ist. Aus demselben Grund kann auch das Ersetzen eines evidenzbasierten Behandlungskonzepts durch eine andere Therapie nicht undifferenziert als Mitursache für einen negativen Verlauf der nicht evidenz-basierten Behandlung festgestellt werden, sondern es ist dafür zumindest mitentscheidend, ob und inwieweit das evidenz-basierte Behandlungskonzept unter den konkreten Behandlungsbedingungen in Bezug gerade auch zum Vermeiden des negativen Verlaufs der Behandlung deutlich überlegen erscheint. Noch weniger kann die positive Beurteilung des vom Arzt angewandten Behandlungskonzepts durch die Studie oder Leitlinie als Nachweis dafür ausreichen, dass ein außerhalb der statistischen Toleranzbreite der Studie liegender Misserfolg der Behandlung darauf beruht, dass der Arzt die Diagnose falsch gestellt oder das Konzept fehlerhaft umgesetzt hat. Auch ein positives Studienergebnis wertet das
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Behandlungskonzept nicht mit einer Erfolgsgarantie auf. Der Schluss allein vom Misserfolg der Behandlung auf einen Behandlungsfehler müsste so viele Gestaltungsmöglichkeiten überspringen, dass er rein spekulativ wäre und schon durch den Hinweis erschüttert werden könnte, dass jeder Organismus anders reagiert und das Studienkonzept nicht das volle Spektrum der Behandlungsbedingungen erfasst. Evidenz-fixierte Bewertungen sollten auch nicht undifferenziert in eine entsprechende evidenz-fixierte Umkehr der Beweislast für die Kausalität aus „grobem“ Behandlungsfehler oder Verletzung von Befunderhebungs- oder Befundsicherungspflichten umgemünzt werden. Der Grundgedanke für diese Beweislastumkehr ist, dass der Arzt keinen Nutzen daraus ziehen soll, dass er sorgfaltswidrig besondere Erschwernis bzw. Verwirrung in die Kausalitätsfeststellung hineingetragen hat45. Dieser Grundgedanke aus dem Gesichtspunkt des „venire contra factum proprium“ hat auch die Anknüpfung einer Beweislastumkehr an Fehler einer evidenz-basierten Behandlung zu tragen und verlangt die besondere Qualifizierung des Pflichtverstoßes als für die Beweislastumkehr geeignet. Diese Bewertungen können evidenz-basierte statistische Erkenntnisse aus den Studien, die den verletzten Empfehlungen aus Leitlinien zugrunde liegen, zwar durch mehr Kontrolle und Transparenz unterstützen, dürfen sie aber nicht diktieren46. Unterm Strich können zwar die statistisch-mathematischen Berechnungen aus der evidenz-basierten Medizin über die Wahrscheinlichkeiten von Wirkungen der untersuchten Konzepte Anstöße und Hilfen für die Feststellung von Ursachenzusammenhängen geben. Sie können und werden hoffentlich aber nie die Überzeugungsbildung des Richters und seine persönliche Verantwortung dafür auf eine statistisch-mathematische Sicht verkürzen, sie errechenbar machen oder ganz durch eine Rechenformel ersetzen.
IV. Von der Aufklärungspflicht des Arztes unter der evidenz-basierten Medizin Eine zunehmende Tendenz der Medizin, ihre Standards auf Evidenz aus wissenschaftlichen Untersuchungen zu stützen, wird auch die Pflicht des Arztes zur Aufklärung seines Patienten über Art und Risiken seiner Behandlung nicht unberührt lassen. Allerdings können Leitlinien das „Ob“ und das „Wie“ der Aufklärungs45
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näher dazu Steffen, in: Festschrift für Hans Erich Brandner zum 70. Geburtstag, 1996, 327, 332 ff. in diesem Sinn OLG Hamm, Urt. v. 11. 1. 1999 – 3 U 131/98, VersR 2000, 1373 = NJW-RR 2000, 405 = AHRS 6585/131: Herz-Kreislauf-Stillstand Notfall – keine Basisreanimation durch ersten hinzugekommenen Arzt – kein grober Fehler; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15. 8. 2000 – 8 U 99/99, VersR 2000, 1019 = NJW-RR 2001, 389: Kniepunktion – Infekt wegen Verstoßes gegen Hygienevorschriften grober Behandlungsfehler; OLG Stuttgart, Urt. v. 22. 2. 2001 – 14 U 62/00, MedR 2002, 650 = AHRS 2715/302 – Crossektomie und Stripping der Venia saphena – Heparin – Lungenembolie: kein grober Behandlungsfehler; Dressler, Festschrift für Karlhans Geiß, 379, 386.
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pflicht nicht festlegen; sie aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten als Ausfluss seines Persönlichkeitsrechts herauszuarbeiten ist nicht Sache der Medizin, sondern des Rechts47. Aber die medizinischen Studien und die auf sie gestützten Leitlinien verdeutlichen Spektrum und Gewicht der Risiken einer medizinischen Maßnahme zunehmend. Hieran kann und muss sich das Ob und das Wie der Aufklärung orientieren. Je dichter das Netz evidenz-basierter medizinischer Standards wird, desto relevanter wird für den Arzt die Pflicht zur Aufklärung über sie auch dann, wenn er von ihnen abweichen will. Zwar muss er den Patienten an dieser Entscheidung nur beteiligen, wenn das evidenz-basierte Behandlungskonzept im konkreten Fall eine echte Alternative zu seinem Behandlungskonzept ist, unter den konkreten Behandlungsbedingungen also ernsthaft in Betracht kommt48. Aber im Streitfall hat darüber nicht der behandelnde Arzt, sondern der medizinische Sachverständige zu entscheiden. Eine vorschnelle Verwerfung der Standardmethode kann deshalb für den Arzt auch unter dem Aspekt versäumter Aufklärung teuer werden. Deshalb wird der Arzt im Zweifel gut daran tun, den Patienten über Art und Risiken, aber auch über die Vorzüge eines zur Wahl stehenden evidenz-basierten Behandlungskonzepts aufzuklären und die Letztentscheidung über das anzuwendende Konzept ihm zu überlassen.
V. Ausblick Ich wollte an einer Zukunftsvision von einer Landschaft, in der ärztliches Behandeln sich weithin umfassend an wissenschaftlicher Evidenz aus medizinischen Studien und Leitlinien zu legitimieren hat, deutlich machen, dass nicht nur heute, sondern auch morgen die eigene klinische Erfahrung des Arztes, seine hieraus erworbene Fähigkeit den Patienten zu beobachten und zu beurteilen, die Behandlungsmöglichkeiten für die konkrete Befindlichkeit zu erkennen, zu bewerten und umzusetzen, sein Können, seine Intuition, seine Urteilskraft aus „empirischer“ Evidenz unverzichtbar mit dazu gehört, den Patienten gesund zu machen. Diese Grundlage darf dem Arzt, dem Patienten, der Medizin nicht entzogen werden durch evidenz-basierte Behandlungsprogramme, auch und gerade nicht in einer Welt, in der vorgefertigte Lebensführungs-Programme die Oberhand gewinnen möchten. Mit der Suche nach dem besten verfügbaren wissenschaftlichen Beleg für ihre Interventionen ist die Medizin ganz ohne Zweifel auf einem guten Weg zu mehr Qualität, mehr Qualitätssicherheit, mehr Qualitätskontrolle. Wir wünschen uns
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vgl. auch OLG München, Urt. v. 29. 6. 2006 – 1 U 2132/05, GesR 2007, 108 ff = OLGR München 2007, 266 ff. Rechtsprechungsnachweise bei Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Aufl., 2006, dazu, dass die Wahl der richtigen Behandlungsmethode grundsätzlich allein Sache des Arztes ist: Rdn. 375; dass der Patient aber über eine konkret bestehende echte Alternative aufgeklärt werden muss: Rdn. 381 f.
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ganz gewiss keine auf Mythen oder allein auf althergebrachten Pfründen basierende Medizin. Aber auch eine evidenz-basierte Medizin darf weder heute noch in Zukunft aus den Augen verlieren, dass Behandeln nicht nach Maßgabe der evaluierten Ergebnisse von medizinischen Studien am wissenschaftlich durchgetesteten Krankheitsbild zu geschehen hat, sondern am Kranken mit seinen höchst individuellen Befindlichkeiten und Potentialen für das Gesundwerden. Das Arzthaftungsrecht hat mit seinen Grundsätzen zu den Pflichten des Arztes, den Patienten über Art und Risiken des Behandelns aufzuklären und ihn in seine Entscheidungen einzubinden, mit dafür gesorgt, dass der Patient im Behandlungsalltag nicht als Person aus dem Blickfeld der Medizin gerät. Es ist auch mit seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Ausrichtung der Behandlung am Kranken nicht über der Suche im Internet nach der besten verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz für die Behandlung der Krankheit verloren geht. Natürlich sind wir noch nicht an den Grenzen zu dieser Zukunftslandschaft angelangt. Die ärztliche Behandlung ist noch längst nicht von evidenz-basierter Medizin beherrscht. Vielleicht bleibt sie nur die Vision eines alten Richters. Aber auch Juristen sollten Tagträume haben dürfen als Ausgleich für einen Beruf, der zur Disziplin im Denken, aber auch zu deren Begrenzungen erzieht. Jedenfalls erscheint mir eine Festschrift fürs Träumen nicht der schlechteste Platz zu sein; zumal die Festschrift für einen Lehrer bestimmt ist, der die wunderbare Gabe hat, uns mit phantastischen Geschichten aus seinen weltumspannenden Erkundungsreisen durch die Medizin- und Rechtskulturen nicht nur unsere Arzthaftung, sondern unsere Standorte darin erlebbar zu machen.
Zur Lage des Arztes als freiem Beruf
Udo Steiner
I. Der freiberufliche Arzt als Vertragsarzt Juristen können, wenn sie wollen, durchaus schön formulieren. Dies gilt auch für das, was den sog. freien Beruf ausmacht. In einem Urteil von 1927 lässt uns der Reichsfinanzhof wissen, als Freier Beruf könnten auf Grund der kulturgeschichtlichen Entwicklung nur solche Tätigkeiten angesehen werden, „die in ihrer letzten Wurzel auf die Geistesdisziplinen zurückgehen, die wie die reinen Wissenschaften, Religion und Kunst, um ihrer selbst willen, ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Auswirkung ihrer Ergebnisse betrieben werden können".1 Heute würde man dies mit etwas mehr Realitätsnähe formulieren. Aber auch das heutige Bundesverwaltungsgericht in Leipzig steht in seiner Sprachkraft dem nur wenig nach, wenn es zur Freiheit der ärztlichen Gewissensentscheidung als dem Essentialen der freiberuflichen ärztlichen Tätigkeit ausführt: Der Arzt befinde sich in den entscheidenden Augenblicken seiner Tätigkeit in einer unvertretbaren Einsamkeit, in der er – gestützt auf sein Können – allein auf sein Gewissen gestellt sei.2 Man könnte in Fortsetzung dieser leicht pathetischen Aussagen formulieren: An irgendeinem Tag der Schöpfungsgeschichte wurden der Arzt und seine Therapiefreiheit erfunden, aber die Menschen haben dann das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch nachgeschaffen, mit vielen kontraproduktiven Ideen: Festzuschüssen und Festbeträgen, Wirtschaftlichkeitsprüfung und Arzneimittelregress, Analogpräparate und Aut-idem-Konzepte, und vor allem die Idee des sog. Vertragsarztes und Vertragszahnarztes, der so heißt, weil er seine Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung nun gerade nicht durch Vertrag begründet. Vielleicht ist der freie Beruf des Arztes durch das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch zum staatlich gebundensten Beruf unter den nichtstaatlichen Berufen geworden.3 Dies könnte man als Ironie der Geschichte sehen, sind es doch gerade die Ärzte gewesen, die sich neben den Rechtsanwälten aus der hoheitlichen Inpflichtnahme durch den Staat
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RFH, Urt. vom 30.5.1927, RFHE 21, 245 (246) - Der RFH gestand in diesem Urteil den Hebammen nicht den Status eines freien Berufes zu. BVerwGE 27, 303 (305). Siehe schon Steiner, MedR 2003, S. 1 (2 f.).
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schrittweise gelöst haben.4 Wollte man die gegenwärtige Stimmung vor allem bei den Hausärzten aufnehmen, so könnte man formulieren, der Gesetzgeber sei beängstigend gut vorangekommen bei der Abwertung des Arztberufes als selbständigem freien Beruf.5 Dies wird noch zu belegen sein. Als Teil des gesellschaftlichen Mittelstandes scheint der Arzt oft nur verbal im Wahrnehmungsbereich der Politik zu stehen. Wahrscheinlich gibt es in Deutschland mehr Gesetze zur Überforderung des Mittelstandes als zu dessen Förderung. Andererseits wird in diesen Tagen gemeldet, nie habe es mehr Freiberufler in Deutschland gegeben als heute.6 Nicht wenige sind es aber nur deshalb, weil sei keine Anstellung finden.7 Wer sehen will, wie das Bild einer Gesellschaft ohne ihren traditionellen Mittelstand, freie Berufe und Bürgertum sich darstellt, hat leider dazu immer noch Gelegenheit bei einem Blick in die Sozialstruktur mancher kleinerer und mittlerer Städte in den neuen Bundesländern.8
II. Qualitätsprobleme der Krankenversicherungsgesetzgebung 1. Der Status des Arztes und die Bedingungen der Ausübung ärztlicher Tätigkeit werden vom Standesrecht der Ärzte (als Arztrecht im engeren Sinne) und von zahlreichen anderen dem Medizinrecht zuzuordnenden Rechtsmaterien bestimmt, deren systematischer Darstellung, inhaltlicher Erschließung und kritischer Begleitung Erwin Deutsch einen großen Teil seines wissenschaftlichen Lebenswerks gewidmet hat.9 Aus gutem Grunde hat ihm Adolf Laufs in seiner Festschrift zum 70. Geburtstag einen Beitrag zur "Freiheit des Arztberufes" gewidmet.10 Insofern gilt für den Arzt nicht wesentlich anderes als für andere freie Berufe, die ebenfalls in den letzten Jahrzehnten eine starke Verrechtlichung erfahren haben. Hinzu
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Siehe Pitschas, Recht der Freien Berufe, in: R. Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Bd. 2, 1996, § 9 Rnr. 8. Siehe zu den Arbeitsbedingungen der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP BT-Drucks. 16/8366 vom 5.3.2008. Siehe FAZ vom 9.6.2008. Zur Zukunft der Freien Berufe in der globalisierten Dienstleistungsgesellschaft siehe Kluth, in: Jahrbuch des Kammer- und Berufsrechts 2006, S. 266. Siehe SZ Nr. 143 vom 21./22.6.2008, Beilage Beruf und Karriere. Siehe schon Pitschas (Fn. 4), Rnr. 113. Eingehend Wirth, Landschaften des Bürgerlichen, 2008. Stellvertretend: Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008. Laufs, Zur Freiheit des Arztberufs, in: FS für Deutsch, 1999, S. 625. Zur Thematik siehe auch Clemens, Der Kassenarzt im Spannungsfeld zwischen der Meinungsfreiheit und beruflichen Sanktionen, in: FS BSG, 2004, S. 373 und Papier, in: Sozialrechtshandbuch (SRH), 4. Aufl. 2008, § 3, Rn. 71 ff.
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kommt auch hier eine Europäisierung des Rechtsrahmens.11 Dazu gehört insbesondere die Regelung der grenzüberschreitenden Gesundheitsleistungen.12 Allerdings muss kein anderer freier Beruf mit einer Gesetzgebung leben, die so stark von formalen Qualitätsmängeln bestimmt ist, wie der Arzt, ist er als Vertragsarzt zugelassen, mit dem Gesetz über die gesetzliche Krankenversicherung. Hier kann das Parlament bemerkenswerte Rekordleistungen aufweisen. Der Gesetzgeber hat seit den 1970er Jahren dem Anstieg der Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung durch ein immer dichter werdendes Netz von Rechtsvorschriften gegenzusteuern versucht, eine permanente Großanstrengung, die fast schon Mitleid erregt. Kostenkasper der Nation hat einmal die Süddeutsche Zeitung den Bundesgesundheitsminister genannt, als er noch nicht eine Ministerin war. Ohne besondere Nehmerqualitäten lässt sich dieses Amt nicht wahrnehmen. Zwölf Kostendämpfungsgesetze im Gesundheitswesen wollen die Statistiker in 3013 Jahren gezählt haben, ständig wechselnde Rechtslagen, darunter auch die Änderung von Gesetzen, bevor sie überhaupt in Kraft getreten sind. Zwischen 1989 und 2000 hat man 56 Gesetzesänderungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung notiert.14 Zwei bis drei Monate erscheinen im Gesundheitsrecht eine lange Zeit der Gesetzesstabilität zu sein; im Steuerrecht soll sie allerdings nur eine Woche betragen.
2. Es wäre allerdings naiv und lebensfremd, vom demokratischen Gesetzgeber, insbesondere unter den gegenwärtigen Medienbedingungen, Gelassenheit zu erwarten und ihm abzufordern, sich ausreichend Zeit zu nehmen zur Erarbeitung gesetzlicher Regelungen, sich auch einmal dafür zu entscheiden, ein öffentlich gewordenes Problem, wenn das mediengestützte Empörungspotential abgeklungen ist, ungelöst zu lassen, weil dessen Lösung – allenfalls – mit unverhältnismäßig hohem Regelungs- und Bürokratieaufwand zu erreichen ist. Es ist vor allem der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat in Zeiten kleiner Koalitionen, der last-minute-Regelungen ohne protokollierte Begründungen produziert, eine Art „Dunkelkammer“ (Wolf-Rüdiger Schenke)15, medizinnah und drastischer formuliert: Das Phänomen der Sturzgeburt ist aus dem Kreissaal in den Vermitt-
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Siehe dazu Spickhoff, NJW 2008, S. 1636 (1636 f.). Vgl. auch Mann, Deregulierung des Rechts auf freie Berufe, in: Jahrbuch des Kammer- und Berufsrechts, 2007, S. 303. Korte, Die Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinien, aa.O., 2007, S. 303. Siehe Alber, Dienstleistungen im Gesundheitsbereich unter besonderer Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung, in: FS für Hirsch, 2008, S. 3. Cassel, Gesundheitswesen 2020, in: FS für Wille, 2007, S. 689 (692). Grundsätzlich: Axer, Kontinuität durch Konsequenz in der Sozialversicherung, FS für Isensee, 2007, S. 965. Krasney, NJW 2000, S. 2697. Zum Zusammenhang zwischen gutem Verfahren und gutem Gesetz Hölscheidt/Menzenbach, DÖV 2008, S. 139.
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lungsausschuss abgewandert. Man kann heute allenfalls einen Naivitätspreis gewinnen, wenn man – wie Schweizer Gesetzesreformer vorgeschlagen haben16 – pro „Paragraph“ maximal drei Absätze erlaubt. Man braucht sich dem gegenüber nur § 85 SGB V anzusehen. Er benötigt für seine Regelung des alten und neuen Vergütungssystems in der kassenvertragsärztlichen Versorgung insgesamt 23 Absätze. 25 Druckseiten sind im Bundesgesetzblatt notwendig, um das „Diagnoseorientierte Fallpauschalensystem für Krankenhäuser“ auf den gesetzlichen Weg zu bringen. Eine fast ebenso umfassende Rechtsverordnung kommt hinzu. Dies alles könnte Gegenstand der Forschung eines Lehrstuhls für Rechtspathologie sein, den es allerdings erst noch einzurichten gilt. Gesetzgebung im Gesundheitswesen ist – wie Gesetzgebung heute auch sonst – Gesetzgebung von Fachleuten für Fachleute, wohl ein Naturgesetz der modernen Legislative. Wenn nur Experten verstehen, was ein Gesetz will, dann ist es – so die Schweizer Gesetzesreformer17 – eigentlich konsequenterweise gleichgültig, ob man das Gesetz in der Landessprache oder in fremder Sprache erlässt und veröffentlicht. Die Sozialrechtler machen im Übrigen die Antike für die Komplexität des Sozialrechts verantwortlich. Sie meinen, als Dädalus das Labyrinth erfunden habe, hätte er nicht wissen können, dass ihm das Modell für die deutsche Sozialgesetzgebung gelungen sei.
3. Das Bundesverfassungsgericht hat die rechtsstaatlichen Anforderungen an die Gesetzesklarheit immer milde formuliert, in kritischen Fällen eher abgemahnt als beanstandet.18 Der österreichische Verfassungsgerichtshof19 zeigt sich hier schon entschlossener. Er hat die Grenze des unklaren Gesetzes hin zum verfassungswidrig unklaren Gesetz dort gesehen, wo nur noch der das Gesetz verstehe, der über eine „subtile Sachkenntnis“, „außerordentliche methodische Fähigkeiten“ und über eine „gewisse Lust im Lösen von Denksportaufgaben“ verfügt. Das Problem der Gesetzesklarheit hat übrigens auch eine demokratische Perspektive: Ein Gemeinwesen, in dem das Volk herrscht, weil von ihm die Staatsgewalt ausgeht (Art. 20 Abs. 2 GG), darf eigentlich nicht von Gesetzen beherrscht werden, die das Volk nicht versteht. Vielleicht genügt es aber auch in Deutschland, wenn man weiß, wozu die Straßenverkehrsordnung anhält.
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Nussbaumer, Gesetze verständlicher machen – dass ich nicht lache!, in: Lötscher/Nussbaumer (Hrsg.), Denken wie ein Philosoph und schreiben wie ein Bauer, 2007, S. 55. Nussbaumer (Fn. 16), S. 58. Siehe aber immerhin BVerfGE 108, 169. Siehe die Nachweise bei Jabloner, in: Festschrift für Adamovich, 1992, S. 193. Zur Verständlichkeit als Gebot der Rechtsordnung aus österreichischer Sicht siehe auch Korinek, in: FS für Isensee, 2007, S. 277.
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III. Zur Gegenwartssituation der Vertragsärzte 1. Man könnte den Satz wagen: Die Lage der Ärzte und auch die der Hausärzte ist besser als deren Stimmung. Das kann schwerlich auch anders sein, denn diese Stimmung wird von vielen Akteuren im Gesundheitswesen beim Tiefpunkt einer nach unten nicht offenen Skala angesetzt. Dabei finden sich allerdings auch sorgfältig überzeichnete Analysen und Prognosen. Die Zukunft – der 1. Januar 2009 – ist nahe, und dennoch kennt man diese Zukunft nicht: Der Gesundheitsfonds (§ 270 ff. SGB V) kommt, aber kann mit Hilfe der sog. Konvergenzklausel der Abfluss des Honorarvolumens aus den süddeutschen Ländern beherrscht werden (§ 272 SGB V)? Ein neues Vergütungssystem soll kommen – der Euro-EBM –, aber dessen Berechnungsgrundlagen werden erst noch erarbeitet. Die zur Einführung anstehende elektronische Gesundheitskarte (§ 291a SGB V) wird von den Heilberufen mit großer Sorge beobachtet. Man verspricht ihnen zwar maximale Integrität, Vertraulichkeit und Datensicherheit dieser datenschutzgeschichtlich wohl einmaligen Konzentration höchst sensibler Daten. Ohne Einverständnis des Versicherten dürfen bestimmte Daten ohnehin nicht erhoben, verarbeitet oder genutzt werden.20 Es ist aber schon jetzt klar, dass die Vereinbarkeit dieses hochkomplexen Vorhabens mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in geeigneten Fällen zur verfassungsgerichtlichen Prüfung kommen wird. Hinzu kommen aus der Sicht der Ärzte sehr aktuelle Probleme. Eine hohe Zahl von Vertragsärzten wird im Zusammenhang mit der Verschreibung von Arzneimitteln von Regress bedroht, der teilweise sechsstellige Summen umfasst. Praktisch und mental wird von vielen Ärzten diese Regressgefahr im Rahmen von Richtgrößenprüfungen (§ 84 SGB V) als die größte Last ihrer täglichen Arbeit mit dem gesetzlich versicherten Patienten bewertet. Die Einkommen der Hausärzte aus der gesetzlichen Krankenversicherung fallen je nach Praxissitz ganz unterschiedlich aus, auch die der Fachärzte, insbesondere differenziert nach Fachrichtungen. Die steigende Anzahl von sog. Medizinischen Versorgungszentren (§ 95 SGB V)21 mit ihren teilweise unklaren Eigentums- und Finanzierungsgrundlagen steht bei den Hausärzten beispielhaft für die Sorge, es entstünden neue, primär renditeorientierte, entindividualisierte Versorgungsformen, die sie langfristig verdrängen könnten. In der Fliegerei spricht man in solchen Fällen wohl von unklaren Bedenken. Man will als Hausarzt – um es drastisch mit seinen Worten zu sagen – nicht in Zukunft auf die Behandlung von Fußpilzen beschränkt sein. Bisher galt der Grundsatz: Der Arzt hat Patienten, und er benötigt für deren Behandlung Geld. Es darf zukünftig nicht gelten: Man sucht nach Geld und vor allem nach mehr Geld im Gesundheitswesen, und benötigt dazu Patienten. Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe. Er ist seiner Natur nach ein freier Beruf, formuliert § 1 Abs. 2 der Bundesärzteordnung.
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Siehe statt vieler Weichert, DuD 2004, S. 391. Siehe Lindenau, Das medizinische Versorgungszentrum, 2008.
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2. Demgegenüber befinden sich die Zahnärzte wohl in einer eher vorteilhafteren Situation.22 Der Aufwand der gesetzlichen Krankenversicherung für zahnärztliche Leistungen bleibt weit hinter dem zurück, was die anderen Leistungsträger dem System abfordern. Die Zahnärzte konkurrieren nicht um den Titel des größten Kostenschurken im Gesundheitswesen. Arzneimittelverschreibung, das berufliche Risikogeschäft des Hausarztes, liegt eher am Rande ihrer ärztlichen Tätigkeit. Der Zahnarzt kann in gewissem Umfang mit seinem Patienten über zahnärztliche Leistungen und deren Preis Vereinbarungen treffen. Das Wartezimmer des Zahnarztes ist nicht verdächtig, Kommunikationsraum für diejenigen zu sein, die sich gerne dort treffen, weil sie dankbar sind, wenn sich jemand für ihre gesundheitlichen und nichtgesundheitlichen Probleme interessiert. Die reale oder gefühlte Androhung der Zufügung von Schmerz durch den Zahnarzt reduziert die Nachfrage des Patienten nach seinen ärztlichen Leistungen auf das medizinisch notwendige Maß.23 Damit soll nicht gesagt sein, die Zahnärzte müssten sich um Gegenwart und Zukunft der Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens keine Sorgen machen. Auch sie haben Probleme, etwa bei zahntechnischen Leistungen in einer Welt der fast unbeschränkten Güter- und Dienstleistungsbewegungen. Auch sie sorgen sich im Zusammenhang mit der anstehenden Honorarreform um eine leistungsgerechte künftige Regelung ihrer Vergütung. Auch hier wird die Entstehung neuer Organisationsformen der zahnärztlichen Versorgung mit Sorge gesehen. Aber aufmerksame Gelassenheit ist jedenfalls den Zahnärzten erlaubt und ist auch möglich. Gleichwohl ist Solidarität mit den anderen Ärzten angezeigt und deren Problemen. Im Gesundheitswesen finden sich offenbar aber gegenwärtig keine gegnerfreien Zonen mehr. Ärzte, Kassen und Kassenärztliche Vereinigungen sind mit- und untereinander in einer fast schon exklusiven Weise zerstritten.
IV. Grundgesetzliche Rahmenbedingungen der Krankenversicherungsgesetzgebung 1. Die Krankenversicherungsgesetzgebung und insbesondere die Regelungen des SGB V über die gesetzliche Krankenversicherung bewegen sich nicht in einem verfassungsfreien Raum.24 Allgemeiner verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt ist die Staat und Gesetzgeber aufgegebene, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und dem Sozial22
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Dazu Muschallik, in: Schnapp/Wiege, Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl. 2006, § 22. Dazu – fachlich formuliert –: Muschallik (Fn. 22), § 22 Rnr. 34. Siehe allgemein dazu Axer, Gesundheitswesen, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbdStR, Bd. IV, 2006, § 95 Rnrn. 7 ff.
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staatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1) zu entnehmende staatliche Aufgabe, jedermann ohne Rücksicht auf Alter und Einkommen den Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung zu gewähren. Der Schutz des Einzelnen in Fällen von Krankheit ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine Grundaufgabe des Staates. So formuliert es das Bundesverfassungsgericht.25 Die gesetzliche Einführung einer Pflicht zur Krankenversicherung oder Krankenkostenversicherung für alle Einwohner in Deutschland auf der Grundlage des GKVWettbewerbstärkungsgesetzes kann man als den jüngsten sozialen Stolz des deutschen Gesundheitswesens werten.26 Man darf der Bundesrepublik Deutschland bestätigen, dass ihr in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit die Herstellung einer weitgehenden Gleichheit in der Qualität der medizinischen Versorgung der Bürger gelungen ist. Diese Gleichheit wird von den Fachleuten teilweise höher bewertet als die Gleichheit der Bildungschancen. Dies macht es zugleich der Politik so schwer, Qualitätsverluste als Folge des Einsparungsbedarfs der gesetzlichen Krankenversicherung offen zu diskutieren. Eine grundgesetzgeleitete Gesetzgebung muss die Freiheitsrechte des Grundgesetzkatalogs zum Ausgangspunkt ihrer Ordnungskonzeption machen. Man kann der deutschen Gesundheitspolitik nicht ohne Weiteres bescheinigen, dass sie diesem positiven Leitbild konsequent gefolgt ist. Die Gesetzgebung, die den Arzt betrifft und sein Verhältnis zum gesetzlich versicherten Patienten, darf man eher als Beispiel einer Misstrauensgesetzgebung bezeichnen. Nur das Antidopingrecht des Staates und des Sports – auch ein Arbeitsfeld des Jubilars27 – ist noch konsequenter vom Verlust des Vertrauens in die Integrität der Beteiligten geleitet. Ist dieses Misstrauen des Gesetzgebers gegenüber der Bereitschaft der Leistungserbringer zum kostenverantwortlichen Umgang mit den notwendig begrenzten Mitteln eines Systems der gesetzlichen Krankenversicherung ganz unberechtigt? Verfügt nicht auch das Gesundheitswesen über Umgehungsbegabungen, wo das Gesetz wirtschaftlich oder aus anderen Gründen lästig ist? Man berichtet, die Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf Fallpauschalen habe teilweise dazu geführt, dass der multimorbide Patient mehrfach nacheinander stationär aufgenommen wird und dass die Fallschwere gestiegen sei. Man wird den Gesetzgeber schwerlich von der Richtigkeit des Satzes überzeugen können, Kontrolle sei im Gesundheitswesen gut, Vertrauen aber besser. Gleichwohl: Die Grundrechte – insbesondere das Grundrecht der Handlungs- und Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und das Grundrecht der beruflichen Freiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) – halten den Gesetzgeber zu einer grundsätzlich freiheitlichen Gestaltung des Gesundheitswesens an. Dessen Organisation ist keine grundrechtsfreie Zone. Die grundrechtlichen Freiheiten lassen sich für das Gesundheitswesen in Gestalt der drei großen Freiheiten konkretisieren: Niederlassungsfreiheit, freie Wahl des Arztes und Therapiefreiheit (Jörg-Dietrich Hoppe). In einem grundrechtlich verfassten Gemein-
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BVerfGE 115, 25 (43). Siehe zur Begründung BT-Drucks. 16/3100 vom 24.10.2006, S. 94. Siehe dazu jüngst auch Deutsch, VersR 2008, S. 145 zu Doping als pharmarechtliches und zivilrechtliches Problem.
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wesen kann Gesundheitspolitik kein Tennisspiel sein, bei dem immer nur der Gesetzgeber das Aufschlagsrecht hat.
2. Es ist schwerlich zu leugnen, dass gerade die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts diejenigen, die im Gesundheitswesen in Deutschland Leistungen erbringen, nicht immer überzeugt. Es existiert einerseits in der verfassungsgerichtliche Judikatur eine durchaus profilierte freiheitliche Linie, die vor allem in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik durch das sog. Apothekenurteil von 195828 und das sog. Kassenarzturteil von 196029 geprägt ist. Eine Freiheit allerdings, die das Bundesverfassungsgericht den Ärzten und Zahnärzten gegeben hat, ist eher ein von vielen ungeliebtes Kind: mehr Spielraum bei der Werbung mit und für ärztliche Fähigkeiten und Leistungen. Für mehr Freiheit zur Information durch den Arzt wurde schon in der Festschrift für den Jubilar zum 70. Geburtstag plädiert.30 Nach der Rechtsprechung des BVerfG fällt in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, der die freie Berufsausübung schützt, nicht nur die berufliche Praxis, sondern auch die berufliche Außendarstellung des Grundrechtsträgers einschließlich der Werbung für die Inanspruchnahme seiner Dienste.31 Seriös muss sie sein, so sagen die Richter, aber in der Praxis sind offenbar die Grenzen nicht wirklich zu kontrollieren und durchzusetzen, jedenfalls nicht mehr mit den Mitteln des Standesrechts. Das BVerfG32 hat es – in Kenntnis dieser Schwierigkeiten – nicht beanstandet, dass die Zivilgerichte den Kammern freier Berufe auch ohne gesetzliche Grundlage die Klagebefugnis nach § 13 Abs. 2 UWG wegen einer Verletzung von Berufspflichten zugestanden haben, die zugleich wettbewerbswidrig ist. Es hat damit die Einschätzung der Zivilgerichte bestätigt, dass die höhere Effizienz der wettbewerbsrechtlichen Untersagungsverfügung, die verschuldensunabhängig und in einem vollstreckbaren Titel ausgesprochen wird, den Kammern ein Mittel an die Hand gibt, das im Verhältnis zu Belehrung, Rüge oder Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens besser und schneller wirkt. Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht33 in diesen Tagen klargestellt, die Nichtheranziehung der freien Berufe zur Gewerbesteuer, übrigens eine steuerrechtliche Tradition von über 70 Jahren, sei wegen der Unterschiede zwischen den freien Berufen und den Gewerbetreibenden mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Gefahr einer längst angedachten, auch die freien Berufe erfassen-
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BVerfGE 7, 377. BVerfGE 11, 30. Ehlers, Das Bild des Arztes in der Öffentlichkeit, in: FS für Deutsch, 1999, S. 531. BVerfGE 111, 366 (373). Zu den Möglichkeiten und Grenzen der Werbung des Arztes siehe Deutsch/Spickhoff (Fn. 9), Rnr. 41 ff. BVerfGE 111, 366 (376). BVerfG, Beschl. vom 15.1.2008, NVwZ 2008, S. 1102. Zur neueren Rechtsprechung des BVerfG zum Berufsrecht der freien Berufe Eichkoff, in: Jahrbuch des Kammerrechts 2003, S. 178.
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den sog. Gemeindewirtschaftssteuer ist aber durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keineswegs gebannt. Das Gericht spricht – gewiss nicht ohne Bedeutung auch für die Heilberufe –, davon, dass in jüngerer Zeit „eine verstärkte Annäherung jedenfalls einzelner Organisationsformen freier Berufe an das Berufsbild von Gewerbetreibenden“ zu beobachten sei.34
3. Es ist aber zugegebenermaßen so, dass den Freiheitsrechten der Gesundheitsberufe in Deutschland längst ein kaum zu überschätzendes Gegengewicht, ein Bleigewicht ihrer Freiberuflichkeit sozusagen, erwachsen ist: das Erfordernis der Erhaltung einer funktions- und leistungsfähigen gesetzlichen Krankenversicherung und die daraus abgeleiteten Folgen für die Finanzierung dieses Systems. Statistikbegabungen35 wollen gezählt haben, dass das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahrzehnten in über 30 Entscheidungen grundrechtsbeschränkende gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als gerechtfertigt angesehen hat. Es hat in diesem Grundsatz einen hochgewichtigen Gemeinwohlbelang gesehen, ist doch die gesetzliche Krankenversicherung organisatorisch und finanziell die Grundlage für die Gesundheitsversorgung der meisten Menschen in Deutschland. Es ist ein Versorgungsschiff mit Tankerausmaßen, dessen Kurs niemand gefährden will. Deshalb sind die Bände der Amtlichen Sammlung des BVerfG weithin auch ein mehrteiliges Buch der Niederlagen von Ärzten und Versicherten im Rechtsraum der gesetzlichen Krankenversicherung.
4. Aus der Sicht der Versicherten steht dem kein grundgesetzbegründeter Anspruch auf ganz bestimmte medizinische Leistungen gegenüber.36 Erfüllt der Gesetzgeber allerdings den Anspruch auf medizinische Versorgung in der Form einer gesetzlichen Krankenversicherung mit Pflichtmitgliedschaft und Pflichtbeiträgen, so erwächst ihm aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung37 eine zusätzliche qualitativ-quantitative Anforderung. Es gilt: Schöpft der Gesetzgeber durch Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung an Einkommen ab, was der Einzelne verünftigerweise zur Vorsorge im Falle der Krankheit aufwendet, ist er bei der Ausgestaltung der medizinischen Leistungen nicht mehr ganz frei. Er muss Leistungsausschlüsse und er muss Leistungseinschränkungen jeweils konkret rechtfer-
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BVerfG (Fn. 33), S. 1107. Schaks, Der Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung, 2007, S. 165. BVerfGE 103, 173 (189). Zum Recht auf Gesundheit siehe Pestalozza, Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, Bundesgesundheitsblatt 2007, S. 1113. BVerfGE 115, 25 (44).
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tigen. Vorsichtig hat zudem das BVerfG die Therapiefreiheit des Vertragsarztes erweitert.38 Ein gesetzlich Krankenversicherter, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, kann nicht von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Methode ausgeschlossen werden, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Das Gericht leitet diese Erkenntnis aus den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ab. Andererseits kann der Gesetzgeber Eigenverantwortung des Einzelnen im Gesundheitswesen – auch die des versicherten Patienten – einfordern, ihn zu einer wert- und kostenbewussten Inanspruchnahme medizinischer Leistungen anhalten, und dies entspricht durchaus dem Menschenbild des Grundgesetzes. Er kann eine solche Eigenverantwortung beispielsweise durch Zuzahlungen zu bestimmten Leistungen der medizinischen Versorgung realisieren. Ob freilich die sog. Praxisgebühr heute noch auf Grund ihrer zahlreichen Befreiungstatbestände die ihr zugedachte Steuerungsfunktion hat, wird von vielen bekanntlich bestritten.
IV. Lösungsansätze 1. Es sieht nicht so aus, dass die Politik den Beruf des freien, niedergelassenen Arztes und dessen spezifische Probleme aus dem Blick verloren hat. Es gibt Programme und wird Programme der Länder geben, die die Situation des Hausarztes verbessern und dessen Nachwuchs fördern. Man kann allerdings nicht mehr wie früher den Arzt allein mit der Inaussichtstellung von Fischerei- und Jagdrechten in abgelegene Landstriche locken. Möglicherweise wird man mit Hilfe einer Gesetzesänderung den Aufkauf von Hausarztpraxen durch medizinische Versorgungszentren einschränken oder ausschließen. Zu erwähnen ist auch die Regelung des § 5 Abs. 7 SGB V über die Beendigung der Zulassung zum Vertragsarzt aus Altersgründen. Man hat sich politisch darüber verständigt, dass die Altersgrenze entfällt. Dies könnte insbesondere die Übergabe des Praxis an Angehörige oder Dritte ermöglichen oder jedenfalls erleichtern. Außerhalb der Behandlung gesetzlich Versicherter Patienten unterliegt die Ausübung des Arztberufes – wie für einen freien Beruf typischerweise – ohnehin keiner Altersbegrenzung. Die Sorge um die Berufschancen der in Vertragsarztsitze nachrückenden Generation, die die ursprüngliche Altersgrenze von 68 Jahren getragen hat, hat sich ohnehin erledigt.39
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BVerfGE 115, 25. Dazu u.a. Deutsch/Spickhoff (Fn. 9), Rnr. 21 und Spickhoff, NJW 2008, S. 1636 (1637), jeweils mit Nachweisen zum Schrifttum, sowie Hauck, NJW 2007, S. 1320. Siehe dazu BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 1998, S. 1776.
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Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung (§ 73b SGB V)40 eröffnen neue Honorarchancen. Andererseits wird sich der Arztberuf auch auf strukturelle Entwicklungen einzustellen haben. Viele andere akademische Berufe stehen vor ähnlichen Herausforderungen. So wird man den Arzt im Angestelltenverhältnis schon deshalb als legitime Ausübung des Arztberufes auch außerhalb der Krankenhäuser fördern, weil diese Ausübungsform der gewachsenen Zahl von Ärztinnen und Zahnärztinnen entgegenkommt. Die Probleme, die vor allem die allgemeinärztliche Praxis durch Verschreibung von Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung aufwirft, harren allerdings noch des genialen Einfalls einer für alle Seiten akzeptablen Problemlösung. Allerdings wissen wir nicht, wie das dem Arzt angemessene Einkommen – nach Abzug seines Aufwands und nach Abzug der Steuern und vor allem unter Berücksichtigung der Stunden, die er aufwenden muss, um Einkommen zu erzielen (eine Komponente der Einkommensgerechtigkeit, die unser Steuerrecht und auch die öffentliche Diskussion um gerechte Einkommen nicht kennt) – beschaffen sein soll. Wir wissen nur, dass Ärzte wohl in allen Gesellschaften höhere Einkommen erzielen als andere akademische Berufe. Das darf auch so sein. Ärzte können heilen, Juristen können dies leider nicht. Freilich wäre es vermessen zu erwarten, unsere Gesellschaft würde für die ärztliche Wertschöpfung die gleichen Entgelte zahlen wie für die Fähigkeit zu verhindern, dass ein Ball die Linie eines Tores überschreitet, das durch zwei Pfosten in Höhe von 2,44m und durch eine Latte in einer Länge von 7,32m begrenzt ist.
2. Vielleicht kann man die Prognose wagen, dass die gesetzliche Fesselung des Arztberufes im System der gesetzlichen Krankenversicherung ihren Höhepunkt überschritten hat und eher Maßnahmen zur Deregulierung anstehen. Als Entfesselungskünstler wird sich der Gesetzgeber aber wohl nicht auszeichnen können, solange am Sachleistungsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung festgehalten wird und dessen Durchbrechung in der Form der Kostenerstattung (§ 13 Abs. 2 SGB V) nicht mehr als nur Aufwand zur Folge hat. Krankenversicherungsrecht wird bis auf weiteres Kompromissrecht sein. Den Kompromiss darf man aber in einer Demokratie nicht grundsätzlich schlechtreden. Es sieht im Augenblick nicht so aus, als würden sich ausreichende politische Mehrheiten für wirklich frische Konzepte der Finanzierung des Gesundheitswesens finden. Eher geht bekanntlich der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbstärkungsgesetz GKV-WSG) vom 26. März 200741 den Weg, Versicherungsmodelle der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Privaten Krankenversicherung einander anzunähern und damit nach Meinung vieler etwas zusammenzufüh40
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Siehe dazu statt vieler Sichert, in: Gesundheits- und Sozialpolitik 2007, S. 28; Schultheis, Hausarztzentrierte Versorgung, 2007. BGBl I S. 378.
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ren, was nicht zusammen gehört.42 Beispielhaft steht dafür der sog. Basistarif (§ 178a Abs. 5 - 9 VVG, § 12 VAG, jeweils i.d.F. des GKV-WSG).43 Das BVerfG wird aufgrund zahlreicher Verfassungsbeschwerden44 privater Krankenversicherer zu entscheiden haben, ob die dem Basistarif zugrunde liegenden Regelungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind.45 Aus der Sicht des Arztes als einem freien Beruf darf man unbeschadet der verfassungsrechtlichen Würdigung der durch das GKVWettbewerbstärkungsgesetzes aufgeworfenen Fragen als Erfahrung festhalten, dass ihm schadet, was die private Krankenversicherung schwächt.
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Zur Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 16/3100 vom 24.10.2006. Zum Überblick: Schlegel, juris Praxis Report 2007 v. 25.4.2007. Dazu Steiner, AuR 2007, S. 147 (149 f.). Siehe etwa Akz. 823/08. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich nicht nur gegen die Regelungen über den Basistarif, sondern auch gegen die sog. Portabilität von Altersrückstellungen und die Erschwerung des Wechsels aus der gesetzlichen Krankenversicherung in die private Krankenversicherung. Eine verfassungsrechtliche Bewertung des Wettbewerbstärkungsgesetzes nimmt U. Becker vor (ZMGR 2007, S. 101). Siehe weiter Sodan, Verpflichtende Basistarife in der privaten Krankenversicherung als Verfassungsproblem, in: FS für Isensee, 2007, S. 983.
Zustimmendes Votum einer Ethikkommission nach Ablehnung der AMG-Studie durch eine andere Ethikkommission?
Jochen Taupitz und Carmen Rösch
I. Problemstellung Durch die Auswahl des in einer Prüfstelle verantwortlichen (Haupt-)Prüfers1 bzw. (bei multizentrischen Studien) des Leiters der klinischen Prüfung (im Folgenden einheitlich Prüfleiter genannt) hat es ein Sponsor in der Hand, welche Ethikkommission letztendlich über die Zulässigkeit seiner geplanten AMG-Studie entscheidet. Denn nach § 42 Abs. 1 S. 1 AMG ist die erforderliche zustimmende Bewertung der Ethikkommission bei der nach Landesrecht für den Prüfer zuständigen Ethikkommission zu beantragen. Wird die klinische Prüfung von mehreren Prüfern durchgeführt, ist der Antrag bei der für den Hauptprüfer oder Leiter der klinischen Prüfung zuständigen Ethikkommission zu stellen (§ 42 Abs. 1 S. 2 AMG).2 Fraglich ist allerdings, ob der Sponsor durch einen Wechsel des Prüfleiters eine andere (zweite) Ethikkommission zuständig machen kann, nachdem sein Antrag von einer ersten Ethikkommission abgelehnt wurde, und ob diese zweite Ethikkommission die klinische Prüfung trotz des negativen Votums der ersten Kommission zustimmend bewerten darf, auch wenn das negative Votum der ersten Kommission nicht etwa mit der Person des Prüfleiters zusammenhing. Die folgenden Ausführungen, die dem Jubilar in dankbarer Verehrung gewidmet sind, gehen auf eine Anfrage aus der Praxis zurück.
1 2
Zum Prüferbegriff nach AMG s. von Kielmansegg, MedR 2008, 423 ff. Zum Zusammenwirken der (im Außenverhältnis allein zuständigen) „federführenden“ Ethikkommission mit den „lokalen“ Ethikkommissionen bei multizentrischen Studien s. hier nur Deutsch, in: Deutsch/Lippert (Hrsg.), Kommentar zum Arzneimittelgesetz, 2. Aufl. 2007, § 40 Rdnr. 18, § 42 Rdnr. 9.
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II. Rechtsgrundlagen für das Tätigwerden der Ethikkommissionen Um die Rechtmäßigkeit des zustimmenden Votums der zweiten Ethikkommission beurteilen zu können, ist zunächst die Frage zu klären, welche verfahrensrechtlichen Vorschriften der Tätigkeit von Ethikkommissionen zugrunde liegen.
1.
Arzneimittelrechtliche Vorschriften
Die Rechtmäßigkeit des Votums einer Ethikkommission richtet sich zunächst nach den §§ 40 bis 42 AMG und §§ 7 bis 11 GCP-VO. Das Verfahren ist dort aber nur sehr lückenhaft geregelt. Insbesondere findet sich zu der hier zu erörternden Problematik lediglich insoweit ein Anhaltspunkt, als der nachträgliche Wechsel des Prüfleiters nach Genehmigung einer AMG-Studie durch die Bundesoberbehörde und nach zustimmender Bewertung durch die Ethikkommission eine Änderung der klinischen Prüfung darstellt, die vom Sponsor nur vorgenommen werden darf, wenn sie von der zuständigen Ethikkommission zustimmend bewertet wurde. Denn der Wechsel des Prüfleiters stellt eine nachträgliche Änderung dar, die geeignet ist, die Art der Leitung der Studie wesentlich zu beeinflussen; u.a. für diese nachträgliche Änderung statuiert § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GCP-VO das Erfordernis einer zustimmenden Bewertung. Zum Verfahren, in dem diese Bewertung vorzunehmen ist, besagt § 10 Abs. 1 S. 2 GCP-VO lediglich, dass die zustimmende Bewertung bei der zuständigen Ethikkommission zu beantragen ist. Welche dies ist, wird dabei nicht ausdrücklich gesagt. Offenbar liegt darin ein impliziter Verweis auf § 42 Abs. 1 AMG, wonach die zustimmende Bewertung bei der nach Landesrecht für den Prüfleiter zuständigen Ethikkommission zu beantragen ist – was bei einem Wechsel des Prüfleiters aber gerade problematisch ist. § 10 Abs. 2 GCP-VO enthält zudem nähere Bestimmungen zu den Fristen, innerhalb derer die Entscheidung der Ethikkommission zu treffen ist. Weitere Vorschriften, insbesondere zu Fragen der Zuständigkeit bei einem Wechsel des Prüfleiters oder zur Frage, in welchem Verfahren eine ablehnende Bewertung einer Ethikkommission widerrufen oder zurückgenommen werden kann, enthält weder das AMG noch die GCP-VO. Damit stellt sich die Frage, ob zusätzlich auf das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht zurückgegriffen werden darf.
2.
Rückgriff auf allgemeines Verwaltungsverfahrensrecht
Die zustimmende oder ablehnende Bewertung einer AMG-Studie ist nach heute herrschender Ansicht als Verwaltungsakt anzusehen3. Damit sind auf das Verfahren die allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetze grundsätzlich anwendbar.
3
Deutsch, in: Deutsch/Lippert (Hrsg.) (Fn. 2), § 42 Rdnr. 7; von Kielmansegg, VerwArch 2008, 401 (402) m. w. Nwen.
Zustimmendes Votum einer Ethikkommission nach Ablehnung der AMG-Studie
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Nach den Subsidiaritätsklauseln des § 1 Abs. 1 letzter HS und Abs. 2 S. 1 2. HS VwVfG und den entsprechenden landesrechtlichen Regelungen ist die Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder jedoch zugunsten spezieller Vorschriften dann ausgeschlossen, wenn diese Regelungen dieselbe Sachmaterie erfassen und eine inhaltsgleiche oder entgegengesetzte Regelung treffen. Das gilt nicht nur, wenn die Spezialnormen explizit Vorrang beanspruchen, sondern auch dann, wenn sie einen bestimmten Aspekt zwar nicht ansprechen, aber vom Gesetzgeber als abschließende Regelung konzipiert sind4. Zu klären ist damit, in welchem Ausmaß die Verwaltungsverfahrensgesetze ergänzend zum AMG und zur GCP-VO hinzutreten können und ob das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes oder das des jeweiligen Landes für das Verfahren vor den Ethikkommissionen Anwendung findet. Gemäß § 42 Abs. 1 S. 3 AMG werden die Ethikkommissionen durch Landesrecht errichtet. Sie führen daher als Behörden der Länder Bundesrecht aus, so dass gemäß § 1 Abs. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes dieses nicht gilt, soweit das Verwaltungsverfahren landesrechtlich durch ein Verwaltungsverfahrensgesetz geregelt ist. Dies ist in allen Bundesländern der Fall5. Diese Maßgeblichkeit des Landesrechts gilt allerdings nur, soweit nicht spezielles Bundesrecht Vorrang beansprucht (Art. 84 Abs. 1 GG)6. Eine vollständige Verdrängung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts kann nicht allein aus dem Schweigen des AMG und der GCP-VO zu bestimmten Verfahrensfragen geschlossen werden7. Vielmehr müssten deutliche Anhaltspunkte für einen bean4 5
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von Kielmansegg, VerwArch 2008, 401 (404). Eigene „Vollregelungen“ in Gestalt von Landesverwaltungsverfahrensgesetzen wurden in folgenden Ländern erlassen: Baden-Württemberg (LVwVfG), Bayern (BayVwVfG), Brandenburg (VwVfGBbg), Bremen (BremVwVfG), Hamburg (HmbVwVfG), Hessen (HVwVfG), Mecklenburg-Vorpommern (VwVfG M-V), Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW), Saarland (SVwVfG), Sachsen-Anhalt (VwVfG LSA) und Thüringen (ThürVwVfG). - Eine statische Verweisung, also eine Bezugnahme auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes in der Gesetzesfassung zum Zeitpunkt der Übernahme, enthält das Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes Niedersachsen (NVwVfG). Eine dynamische Verweisung, in der auf die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes in seiner jeweiligen Fassung Bezug genommen wird, haben Berlin (LVwVfG), Rheinland-Pfalz (LVwVfG) und Sachsen (SächsVwVfG) gewählt. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine dynamische Gesetzesverweisung vgl. Meyer, in: Knack, Kommentar zum VwVfG, 8. Aufl. 2004, § 1 Rdnr. 47 m.w.N. Schleswig-Holstein hat die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes in sein umfassendes allgemeines Verwaltungsgesetz (LVwG SH) aufgenommen. Dabei weicht der Aufbau des LVwG SH stark von den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der anderen Länder ab. Dies ist historisch bedingt: Das LVwG SH wurde 1967 erlassen, das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes erst 1976. Auf Einzelheiten (auch zur unterschiedlichen Rechtslage vor und nach der Föderalismusreform) ist hier nicht einzugehen, s. näher von Kielmansegg, VerwArch 2008, 401 (405 f.). Vgl. Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 1 Rdnrn. 209, 232 f.; v. Dewitz/Luft/Pestalozza, Ethikkommissionen in der medizinischen Forschung – Gutachten im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland für
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Jochen Taupitz und Carmen Rösch
spruchten Vorrang gegeben sein8. Eine solche ausdrückliche Regelung könnte in §§ 42, 42a AMG zu sehen sein. Nach § 42 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 AMG können Regelungen über das Verfahren bei den Ethikkommissionen in einer Rechtsverordnung des Bundes getroffen werden. Dies ist mit der GCP-VO geschehen, die – wie dargelegt – für die hier zu erörternden Fragen jedoch keine ausdrückliche Regelung enthält. Die ergänzende und insbesondere lückenfüllende Anwendbarkeit der allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetze wird durch den Wortlaut von § 42 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 AMG (und auch durch jenen der GCP-VO) zumindest nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Gleiches gilt für die Begründung zu § 42 Abs. 3 AMG. Die dort verwendete Formel, in der Rechtsverordnung sollten „Durchführungsregelungen zum Verfahren bei der Ethikkommission“9 niedergelegt werden, deutet vielmehr eher darauf hin, dass dort die bereichsspezifischen Besonderheiten des Verfahrens, nicht aber allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Gesichtspunkte geregelt werden sollen10. Die nur fragmentarische Regelung des Verfahrens im AMG und in der GCP-VO lässt ebenfalls darauf schließen, dass der Bundesgesetzgeber nur die zur effektiven Umsetzung der Richtlinie 2001/20/EG ihm notwendig erscheinenden Teile im Arzneimittelrecht festgelegt hat und im Übrigen die Anwendbarkeit des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts nicht ausschließen wollte11. Auch aus § 42 Abs. 1 S. 3 AMG ergibt sich kein gesetzgeberischer Wille, Verfahrensfragen abschließend im AMG und in der GCP-VO zu beantworten. Danach ist „das Nähere zur Bildung, Zusammensetzung und Finanzierung“ der Ethikkommissionen dem Landesgesetzgeber zur Regelung überlassen worden. Diese Vorschrift knüpft an § 42 Abs. 1 S. 1 und 2 AMG an, wonach es sich bei der Ethikkommission um eine unabhängige, interdisziplinär besetzte Kommission handelt und der Antrag auf zustimmende Bewertung bei der nach Landesrecht für den Prüfleiter zuständigen Ethikkommission zu stellen ist. Der Wortlaut von § 42 Abs. 1 S. 3 AMG besagt aber nicht, dass das Landesrecht „nur“ das Nähere zur Bildung, Zusammensetzung und Finanzierung der Ethikkommission regeln dürfe12.
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die Enquête-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ des deutschen Bundestages, 15. Legislaturperiode, Oktober 2004, S. 183. BVerwGE 109, 272 (283); von Kielmansegg, VerwArch 2008, 401 (405 f.). - Manche verlangen eine ausdrückliche Regelung, s. Meyer, in: Knack (Fn. 5), § 1 Rdnr. 35; Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 1 Rdnrn. 232 f. BT-Drs.15/2109, S. 32 f. (Hervorh. von den Verfassern). V. Dewitz/Luft/Pestalozza (Fn. 7), S. 183. So auch v. Dewitz/Luft/Pestalozza (Fn. 7), S. 183 f.; für die lückenfüllende Anwendbarkeit der Landesverwaltungsverfahrensgesetze auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rdnr. 1063, 1356; Lippert, in: Deutsch/Lippert (Hrsg.) (Fn. 2), Anhang zu § 42 Rdnr. 11; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Stand: 1.12.2007, § 42 Anm. 24, 51, § 42a Anm. 3; Meuser/Platter, PharmR 2005, 395, 396; Sträter/Wachenhausen, PharmR 2007, 95 (100). So auch v. Dewitz/Luft/Pestalozza (Fn. 7), S. 111 ff., 183; von Kielmansegg, VerwArch 2008, 401 (412f.); a.A. VG Berlin, Urteil vom 27.3.2008 – VG 14 A 81.06 – (nicht rechtskräftig).
Zustimmendes Votum einer Ethikkommission nach Ablehnung der AMG-Studie
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In Rechtsprechung und Literatur wird zwar vermehrt die Auffassung vertreten, die Regelung in § 42a AMG lasse erkennen, dass Fragen der Rücknahme, des Widerrufs und des Ruhens einer positiven Entscheidung abschließend vom Bundesgesetzgeber geregelt seien; da § 42a AMG seinerseits nur die Rücknahme, den Widerruf und das Ruhen der Genehmigung der Bundesoberbehörde regele, ergebe sich daraus im Umkehrschluss, dass die Rücknahme, der Widerruf und das Ruhen der zustimmenden Bewertung einer Ethikkommission nicht möglich seien13. Insbesondere sei insoweit ein Rückgriff auf die allgemeinen Verfahrensgesetze verwehrt. Die insoweit gegen die Möglichkeit eines Widerrufs des Ethik-Votums vorgebrachten Gründe sind gewichtig14. Jedoch kann der sich an § 42a AMG anknüpfende (spezielle15) Streit hier dahinstehen. Denn diese Norm enthält auch bezüglich der Bundesoberbehörde keine Regelung zu der Rechtslage nach Versagung der Genehmigung. Damit kann aus dieser Norm auch keine Antwort auf die Frage entnommen werden, ob bezüglich der Rechtslage nach Versagung der zustimmenden Bewertung durch die Ethikkommission die allgemeinen Verfahrensgesetze anwendbar sind. Nur am Rande sei deshalb darauf hingewiesen, dass die Aussage, wonach ein Widerruf oder eine Rücknahme der zustimmenden Bewertung der Ethikkommission generell ausscheide16, jedenfalls zu pauschal ist. Denn der Wechsel des Prüfleiters in einer Prüfstelle (etwa wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit des früheren Prüfleiters) ist eine nachträgliche Änderung der klinischen Prüfung, die – wie dargelegt – nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GCP-VO erst vorgenommen werden darf, wenn sie von der zuständigen Ethikkommission zustimmend bewertet wurde. Indem die Ethikkommission dem Ausscheiden des früheren und dem Eintritt des neuen Prüfleiters zustimmt, nimmt sie jedenfalls konkludent ihre zustimmende Bewertung der klinischen Prüfung hinsichtlich des früheren Prüfleiters zurück. Sie muss diese auch zurücknehmen, weil sonst von ihr zustimmende Bewertungen für zwei gleichzeitig agierende Prüfleiter vorhanden wären, was jedoch der Intention des Gesetzgebers widerspricht, wonach es nur einen 13
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VG Berlin, Urteil vom 27.3.2008 – VG 14 A 81.06 – (nicht rechtskräftig); Krüger, Klinische Forschung und Recht 2006, 15 (25); offenbar auch Deutsch, in: Deutsch/Lippert (Hrsg.) (Fn. 2), § 40 Rdnr. 25, § 42a Rdnr. 6; differenzierend (s. dazu die folgende Fn.) von Kielmansegg, VerwArch 2008, 401 (403 ff., 418 f.); a.A. (nämlich auf Rücknahme, Widerruf und Ruhensanordnung das allgemeine Verfahrensrecht anwendend) Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rdnr. 1063, 1356; Kloesel/Cyran (Fn. 11), § 42a Anm. 3; v. Dewitz/Luft/Pestalozza (Fn. 7), S. 183 f., 221 ff.; Sträter/Wachenhausen, PharmR 2007, 95 (100). Überzeugend die Differenzierung bei von Kielmansegg, VerwArch 2008, 401 (403 ff., 418 f.), wonach ein Widerruf eines rechtmäßigen Votums wegen der Sperrwirkung des § 42a AMG ausgeschlossen ist, dagegen hinsichtlich der Rücknahme eines rechtswidrigen Votums eine planwidrige Regelungslücke besteht, die durch einen Rückgriff auf § 48 (L)VwVfGe zu füllen ist. Explizit für eine Deutung, wonach der AMG-Gesetzgeber das Verfahren der Ethikkommissionen grundsätzlich dem allgemeinen Regime der Verwaltungsverfahrensgesetze unterstellen wollte, dagegen speziell die Frage der nachträglichen Aufhebung des zustimmenden Ethik-Votums davon ausgenommen habe, von Kielmansegg, VerwArch 2008, 401 (411). So VG Berlin, Urteil vom 27.3.2008 – VG 14 A 81.06 – (nicht rechtskräftig).
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einzigen Prüfleiter für eine klinische Prüfung geben soll. Insoweit ist die Rechtslage eindeutig. Diese Eindeutigkeit betrifft allerdings nicht das im Rahmen dieses Beitrags erörterte Sonderproblem eines durch den Wechsel des Prüfleiters möglicherweise zugleich herbeigeführten Wechsels der Zuständigkeit der Ethikkommission.
3.
Ergebnis
Jedenfalls das nach Versagung einer zustimmenden Bewertung von den Ethikkommissionen einzuhaltende Verfahren richtet sich nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder. Deren Vorschriften (nachfolgend: (L)VwVfGe) stimmen bis auf diejenigen des Verwaltungsverfahrensgesetzes Schleswig-Holstein (nachfolgend: LVwG SH) in der Zählung überein.
III. Erfolgsaussichten eines erneuten Antrags nach vorheriger Ablehnung der Studie durch eine andere Ethikkommission Zu klären ist nun die Frage, ob und unter welchen Umständen eine bereits durch eine Ethikkommission abgelehnte Studie nach Auswechselung des Prüfleiters bei einer zweiten Ethikkommission nochmals beantragt werden kann und ob ein solcher Antrag Aussicht auf Erfolg haben, die neue Ethikkommission also auf rechtmäßige Weise ein zustimmendes Votum erlassen kann.
1.
Änderung des ursprünglichen Antrags
a) Einleitung Im Rahmen der Zulässigkeit des Antrags stellt sich insbesondere die Frage, ob und wie die Zuständigkeit einer neuen, anderen Ethikkommission begründet werden kann. Die Zuständigkeit der Ethikkommission bestimmt sich gemäß § 42 Abs. 1 S. 1 und 2 AMG sowohl bei mono- als auch bei multizentrischen Studien nach dem Prüfleiter. Um die Zuständigkeit einer neuen Ethikkommission zu begründen, muss vom Antragsteller daher ein neuer Prüfleiter bestimmt werden. Fraglich ist aber, ob dies nach bereits erfolgter Ablehnung der Studie noch zulässig ist. b)
Zulässigkeit des Prüfleiterwechsels nach ablehnendem Votum
aa) Arzneimittelrecht Unproblematisch wäre die Bestimmung eines neuen Prüfleiters dann, wenn allein dadurch eine neue, andere klinische Prüfung entstehen würde. Zu klären ist deshalb die Frage, welche Änderungen der bereits abgelehnten Studie eine neue, andere klinische Prüfung entstehen lassen.
Zustimmendes Votum einer Ethikkommission nach Ablehnung der AMG-Studie
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(1) Neue, andere klinische Prüfung? Aus § 10 GCP-VO geht hervor, dass selbst wesentliche Änderungen der klinischen Prüfung – neben einem Leiterwechsel (Abs. 1 S. 1 Nr. 3) gehören dazu auch Prüfplanänderungen (Nr. 1 - 5) oder das Auswechseln von Prüfzentren (Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4) – diese nicht zu einer neuen und damit neu zu beantragenden Prüfung machen, sondern lediglich als Änderung der ursprünglich beantragten Prüfung zu genehmigen sind. Dies gilt selbst und gerade auch dann, wenn sie einen signifikanten Einfluss auf die Sicherheit der Studienteilnehmer und die Studiendurchführung haben. Im Grunde ist es auch nicht einzusehen, warum bei einem Leiterwechsel sowohl ein unveränderter Prüfplan als auch gleichbleibende Prüfzentren nochmals geprüft und bewertet werden sollten. Auch aus der Regelung in § 51 (L)VwVfGe / § 118a LVwG SH über das Wiederaufgreifen des Verfahrens lässt sich schließen, dass nicht jede (entscheidungserhebliche) Änderung der Sachlage einen neuen Sachverhalt entstehen lässt; denn sonst könnte immer ein neuer Verwaltungsakt ergehen, ohne dass der alte aufgehoben werden müsste. Dass allein aufgrund des Wechsels des Prüfleiters nicht von einer neuen Prüfung ausgegangen werden kann, zeigt auch die folgende Überlegung: Würden unterschiedliche Leiter die Prüfung zu einer anderen Sache machen, könnten für dieselbe Prüfung mehrere Leiter bestimmt und könnte parallel bei mehreren Ethikkommissionen ein Antrag eingereicht werden, in der Hoffnung, dass zumindest eine Ethikkommission zustimmt. Dies könnte dazu führen, dass für ein und dieselbe Prüfung, für die auch nur ein Prüfplan vorliegt und nur ein Mal Probanden akquiriert werden sollen, mehrere positive Voten und damit mehrere Leiter und auch mehrere zuständige Ethikkommissionen existieren. Genau das soll aber gemäß Art. 7 der Richtlinie 2001/20/EG und § 42 Abs. 1 S. 1 und 2 AMG gerade nicht der Fall sein. Wann eine über den Wechsel des Leiters hinausgehende Änderung so substantiell ist, dass sie eine neue klinische Prüfung entstehen lässt, ist im Gesetz nicht geregelt. An eine neue Studie wäre etwa zu denken, wenn das Prüfpräparat ausgetauscht oder das Studienziel (Dosisfindung, Feststellen von Nebenwirkungen, Nachweis der Wirksamkeit) geändert wird, darüber hinaus auch dann, wenn das ursprüngliche Prüfpräparat im Rahmen einer anderen Krankheit getestet werden soll. Gleiches gilt unter Umständen auch bei der Einbeziehung einer anderen Patientengruppe (Einwilligungsunfähige, Schwangere, ältere Menschen), wenn dies zu einer anderen Bewertung der Nutzen-Risiko-Abwägung und zu anderen rechtlichen Voraussetzungen führt. Eine klare Abgrenzung wird man aber auch künftig kaum durch gesetzliche Regelungen erreichen können, weil man die Änderungen stets in ihrem medizinisch-wissenschaftlichen Kontext sehen muss. (2) Ergebnis Die Beantwortung der Frage, wann eine Änderung eine neue klinische Prüfung entstehen lässt, ist mangels eindeutiger gesetzlicher Regelung schwierig und vom Einzelfall abhängig. Entsteht eine neue Studie, ist die Bestimmung eines neuen Leiters und die Antragstellung bei einer anderen Ethikkommission unproblema-
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tisch17. Allein ein Wechsel des Prüfleiters macht die Studie allerdings nicht zu einer neuen, anderen klinischen Prüfung. Er ist deshalb nur dann möglich, wenn gleichzeitig die Zuständigkeit des ursprünglich gewählten Leiters endet oder beendet wird, da es arzneimittelrechtlich für jede klinische Prüfung nur einen Prüfleiter und damit zusammenhängend nur eine zuständige Ethikkommission geben darf. Allein durch die Bestimmung eines neuen Prüfleiters wird die Zuständigkeit des ursprünglich gewählten Leiters noch nicht beendet. Es wäre nämlich unter Umständen noch möglich, neben dem Antrag bei der neuen Ethikkommission zugleich einen Rechtsbehelf gegen das bereits vorliegende ablehnende Votum einzulegen. Zu prüfen ist deshalb, ob und wie die Beendigung der Zuständigkeit des ursprünglich für die Studie gewählten Leiters nach einem ablehnenden Votum verfahrensrechtlich noch möglich bzw. zulässig ist. bb) Allgemeines Verfahrensrecht (1) Bedeutung des Antrags Gemäß § 42 Abs. 1 S. 1 und 2 AMG und § 7 GCP-VO wird die Ethikkommission auf Antrag tätig. Ein das Verfahren einleitender Antrag hat die Funktion, den Verfahrensgegenstand eindeutig festzulegen18. Er muss daher so klar gefasst werden, dass ersichtlich wird, welcher Sachverhalt mit welchem Inhalt geregelt werden soll19. Der Inhalt des Verwaltungsaktes hängt dabei auch von der Begründung des Antrags und den beigefügten Unterlagen ab20. Die Frage, wer Leiter der klinischen Prüfung sein soll, ist daher Teil des Antrags auf zustimmende Bewertung. Die Bestimmung eines neuen Prüfleiters stellt somit verfahrensrechtlich eine Änderung des ursprünglich gestellten und bereits abgelehnten Antrags dar. Die Zulässigkeit dieser Änderung richtet sich nicht nach § 10 GCP-VO, da dieser nur für Änderungen gilt, die nach einer bereits vorliegenden Zustimmung erfolgen sollen. Zu prüfen ist daher, ob eine Antragsänderung nach einem ablehnenden Bescheid verfahrensrechtlich zulässig ist. (2) Zulässigkeit einer Antragsänderung nach ablehnender Entscheidung Teilweise wird die Zulässigkeit einer Antragsänderung ab der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes mit der Begründung verneint, das Verwaltungsverfahren sei mit Erlass (= Bekanntgabe) des Verwaltungsaktes beendet21. Danach fehle es an einem
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Im Folgenden soll daher nur noch auf die Fälle eingegangen werden, in denen die Änderungen nicht zum Entstehen einer neuen, anderen klinischen Prüfung führen. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 22 Rdnr. 46; Pünder, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Auflage 2006, § 13 Rdnr. 18. Clausen, in: Knack (Fn. 5), § 22 Rdnr. 18; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 22 Rdnr. 46 f.; Pünder, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.) (Fn. 18), § 13 Rdnr. 18. Clausen, in: Knack (Fn. 5), § 22 Rdnr. 18; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 22 Rdnr. 46. VGH Mannheim, NVwZ-RR 2004, 260 (261); Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 9 Rdnrn. 193 f., § 22, Rdnrn. 70, 75; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage 2006, § 9 Rdnr. 64, § 19 Rdnr. 19.
Zustimmendes Votum einer Ethikkommission nach Ablehnung der AMG-Studie
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Verfahrensrechtsverhältnis22, in dem sich die Änderung noch auswirken könnte. Nach anderer Meinung ist das Verfahren erst beendet, wenn der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist23. Ein Widerspruch soll danach nicht zur Einleitung eines neuen, sondern zur Fortsetzung des laufenden Verfahrens führen24, so dass bis zur Unanfechtbarkeit noch ein Verfahrensrechtsverhältnis besteht, in dem sich eine Antragsänderung auswirken könnte. Die Zulässigkeit einer Antragsänderung wird aber zu jedem Zeitpunkt nur anerkannt, wenn für den geänderten Verfahrensgegenstand dieselbe Behörde zuständig ist, wie für den Verfahrensgegenstand des ursprünglichen Antrags25. Dies folgt aus der Dispositionsmaxime und ergibt sich im Widerspruchsverfahren ausdrücklich aus der Zuständigkeitsregelung der §§ 70 und 73 VwGO, wonach der Widerspruch bei der Behörde zu erheben ist, die den Verwaltungsakt erlassen hat. cc) Ergebnis Im Ergebnis kann somit festgehalten werden, dass durch eine den Prüfleiter betreffende Antragsänderung die Zuständigkeit des ursprünglich gewählten Leiters zwar beendet, dadurch aus verfahrensrechtlicher Sicht aber keinesfalls die Zuständigkeit einer neuen Ethikkommission begründet werden kann. Eine Antragsänderung wäre nach Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung nach teilweise vertretener Meinung allenfalls im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens26 und dort nur zulässig, wenn die Zuständigkeit der ursprünglichen Ethikkommission gemäß § 3 Abs. 3 (L)VwVfGe / § 31 Abs. 3 LVwG SH bestehen bleiben könnte. Vorliegend soll aber gerade der Fall betrachtet werden, in dem der Antragsteller durch den Wechsel des Prüfleiters die Zuständigkeit einer neuen Ethikkommission begründen will. Dies ist durch eine Antragsänderung gerade nicht möglich. Da die Zuständigkeit des ursprünglich gewählten Leiters aber - wie oben ausgeführt - aus arzneimittelrechtlicher Sicht enden oder beendet werden muss, bevor aufgrund eines neuen Antrags ein neuer Prüfleiter tätig werden darf, bleibt dem Antragsteller nur die Möglichkeit, die Zuständigkeit des ursprünglich gewählten Prüfleiters zu beenden, indem er die ablehnende Entscheidung (absolut27) bestandskräftig werden lässt. Fraglich ist dann aber, wie ein erneuter Antrag nach bestandskräftiger Ablehnung der Studie rechtlich einzuordnen ist und ob ein solcher Antrag Aussicht auf Erfolg haben, die neue Ethikkommission also auf rechtmäßige Weise ein zustimmendes Votum erlassen kann.
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Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 22 Rdnr. 70, 74 f. Clausen, in: Knack (Fn. 5), § 9 Rdnr. 31 m.w.N.; implizit auch BVerwG NVwZ 1989, 860 (Antragsrücknahme noch während des Klageverfahrens möglich). Clausen, in: Knack (Fn. 5), § 9 Rdnr. 31, § 22 Rdnr. 21 f. Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 22 Rdnr. 74 f. Zu beachten ist, dass in einigen Bundesländern das Widerspruchsverfahren gegen ablehnende Voten von Ethikkommissionen inzwischen abgeschafft wurde. Zur Abgrenzung zwischen absoluter und relativer Bestandskraft s. Randak, JuS 1992, 33 (34) m.w.N.
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2.
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Erneuter Antrag nach bestandskräftiger Ablehnung der Studie
a) Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens Ein Antrag auf zustimmende Bewertung einer bereits bestandskräftig abgelehnten klinischen Studie stellt verfahrensrechtlich einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 (L)VwVfGe / § 118a LVwG SH dar. Fraglich ist aber, ob im Rahmen eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ein neuer Prüfleiter bestimmt und damit die Zuständigkeit einer neuen Ethikkommission begründet werden kann. b)
Antragsänderung im Rahmen des Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens Wie bereits ausgeführt, wird spätestens mit Eintritt der Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes die Zulässigkeit einer Antragsänderung mit der Begründung verneint, es fehle dann an einem Verfahrensrechtsverhältnis, in dem sich die Antragsänderung noch auswirken könne. Dieser Begründung ist zwar zuzustimmen. Im Rahmen eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens spricht sie aber nicht gegen die Zulässigkeit einer Antragsänderung, da dann ein Verfahrensrechtsverhältnis bezogen auf den ursprünglichen Antrag gerade wieder entsteht. Problematisch könnte aber erneut sein, dass die Antragsänderung zu einer Zuständigkeitsänderung führen soll. c) Zuständigkeit einer neuen Ethikkommission Wie dargestellt, wird die Zulässigkeit einer Antragsänderung grundsätzlich nur anerkannt, wenn sie keine Änderungen der die Zuständigkeit begründenden Umstände enthält. Im Rahmen eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens wird aber gemäß § 51 Abs. 4 (L)VwVfGe / § 118a Abs. 4 LVwG SH eine Änderung der (örtlichen) Zuständigkeit gerade ausdrücklich in Kauf genommen, so dass die Zulässigkeit der Antragsänderung im Rahmen dieses Verfahrens daran nicht scheitern kann. Denn nach § 51 Abs. 4 (L)VwVfGe / § 118a Abs. 4 LVwG SH entscheidet über den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens die nach § 3 zuständige Behörde; ausdrücklich heißt es weiter, dass dies auch dann gilt, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist. Daraus ergibt sich, dass für das Wiederaufgreifen des Verfahrens die „jetzt“, also zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Wiederaufgreifen, für die Sachentscheidung zuständige Behörde berufen ist.28 Dies gilt mangels anderweitiger Regelung im AMG und in der GCP-VO auch für das Wiederaufgreifen eines Verfahrens vor der Ethikkommission. d) Ergebnis Allein die Wahl eines neuen Prüfleiters lässt keine neue, andere klinische Prüfung entstehen. Deshalb kann die Zuständigkeit einer neuen Ethikkommission durch 28
Meyer, in: Knack (Fn. 5), § 51 Rdnr. 55.
Zustimmendes Votum einer Ethikkommission nach Ablehnung der AMG-Studie
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den Prüfleiterwechsel erst nach Bestandskraft der ablehnenden Entscheidung im Rahmen eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens begründet werden. Über den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hat jene Ethikkommission zu entscheiden, die für den nunmehr benannten (anderen) Prüfleiter zuständig ist.
3.
Rechtmäßigkeit einer zustimmenden Bewertung nach bestandskräftiger Ablehnung der Studie durch eine andere Ethikkommission
Fraglich ist, ob eine neue Ethikkommission im Rahmen eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens eine zuvor von einer anderen Ethikkommission bestandskräftig abgelehnte klinische Prüfung auf rechtmäßige Weise zustimmend bewerten kann. a) Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens Der Anspruch aus § 51 Abs. 1 (L)VwVfGe / § 118a Abs. 1 LVwG SH richtet sich auf eine Entscheidung über die Aufhebung oder Änderung des unanfechtbaren Verwaltungsaktes, so dass die Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens der Entscheidung in der Sache vorangehen muss29. aa) Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens Gemäß § 51 Abs. 1 (L)VwVfGe / § 118a Abs. 1 LVwG SH besteht ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens, wenn einer der in Nr. 1 bis 3 genannten Wiederaufnahmegründe vorliegt, wenn sich also zum Beispiel die der ablehnenden Entscheidung zugrunde liegende Sachlage zugunsten des Antragstellers geändert hat. Maßgeblich ist eine Änderung der Sach- oder Rechtslage nach Erlass der Entscheidung; auch Änderungen zwischen Erlass der Entscheidung und Eintritt der Unanfechtbarkeit sind zu berücksichtigen, sofern sie nicht in einem Prozess gegen die ursprüngliche Entscheidung berücksichtigt wurden30. Die Wahl eines neuen Prüfleiters oder sonstige darüber hinaus gehende Änderungen können einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens folglich nur dann begründen, wenn die Punkte, bei denen die Änderungen vorgenommen wurden, der ablehnenden Bewertung zugrunde lagen, für diese also entscheidungserheblich waren31. In einem solchen Fall hat der Antragsteller einen Anspruch auf ein Zweitverfahren32, in dem zu prüfen ist, ob die Änderungen zu einer anderen Sachentscheidung führen können oder müssen. War die ursprüngliche Wahl des Leiters der klinischen Prüfung aber nicht der Grund für die ablehnende Bewertung, sondern erfolgt der Leiterwechsel nur, um 29 30 31
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Meyer, in: Knack (Fn. 5), § 51 Rdnr. 9; Maurer (Fn. 21), § 11 Rdnr. 61. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 51 Rdnr. 91. OVG Hamburg, NVwZ 1985, 512, 513; Meyer, in: Knack (Fn. 5), § 51 Rdnr. 30; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 51 Rdnr. 92. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 51 Rdnr. 84; Meyer, in: Knack (Fn. 5), § 51 Rdnrn. 9, 10.
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den zuvor abgelehnten Prüfplan (unverändert) einer anderen Ethikkommission nochmals zur Entscheidung vorlegen zu können, besteht gerade kein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens. bb) Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung In einem derart gelagerten Fall hat der Antragsteller lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung darüber, ob die neue Ethikkommission erneut in die Sachprüfung eintreten will33. Dies macht aber nur dann Sinn, wenn sie überhaupt die Möglichkeit hat, ein von der ablehnenden Entscheidung abweichendes, rechtmäßiges Votum zu erlassen. b)
Möglichkeit einer rechtmäßigen (anderslautenden) Sachentscheidung Problematisch könnte sein, dass der Antragsteller die ablehnende Entscheidung bestandskräftig werden lassen muss, um die Zuständigkeit einer neuen Ethikkommission begründen zu können. Zu prüfen ist deshalb, ob das Vorliegen einer bestandskräftigen Entscheidung in derselben Sache zur Rechtswidrigkeit einer (entgegenstehenden) erneuten Sachentscheidung führt.
aa) Bindungswirkung des ablehnenden Votums Die materielle Bestandskraft macht die Entscheidung unmittelbar zwar nur für die an dem ersten Antragsverfahren Beteiligten (Antragsteller und ablehnende Ethikkommission) verbindlich34, sie ist für die neue Ethikkommission aber insofern beachtlich, als der Antragsteller eine zustimmende Bewertung nicht ausnutzen kann, da ja gerade schon eine für ihn verbindliche Ablehnung vorliegt, gegen die er dann verstoßen würde. Diese rechtliche Wirkung muss die neue Ethikkommission gemäß Art. 20 Abs. 3 GG beachten35. Umstritten ist, ob dies dazu führt, dass die neue Ethikkommission gar keine neue Entscheidung36 oder nur keine vom 33
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Vgl. BVerwG DVBl. 2001, 726 (728 f.); Meyer, in: Knack (Fn. 5), § 51 Rdnr. 16; Korber, DVBl. 1984, 405 (408); zum vom Ermessen abhängigen Wiederaufgreifen i.w.S. siehe auch Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 51 Rdnr. 13 ff.; Ruffert, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.) (Fn. 18), § 25 Rdnr. 12. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 43 Rdnr. 93 m.w.N.; Maurer (Fn. 21), § 11 Rdnrn. 6, 8; Knöpfle, BayVBl 1982, 225 (228). Für dieses Abweichungsverbot werden teilweise die Begriffe „Beachtlichkeit“ (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 43 Rdnr. 141; Randak, Jus 1992, 33, 37 f.), „Tatbestandswirkung“ (BVerwG, NJW 1983, 1387 [1388]; Maurer (Fn. 21), § 11 Rdnr. 8; Groetschel, DVBl. 1959, 413 ff.; Ruffert, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.) (Fn. 18), § 21 Rdnr. 17), „Drittbindungswirkung“ oder „Verbindlichkeit“ (Stober, in: Wolff-BachofStober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Auflage 2007, § 20 Rdnr. 49) oder „Bindungswirkung“ und „Maßgeblichkeit“ (Knöpfle, BayVBl. 1982 [225, 228 f.]) verwendet. So unterschiedlich wie die Bezeichnung ist auch die dazu veröffentlichte Literatur mit sehr unterschiedlichen Ansatzpunkten bezüglich der Herleitung, der Voraussetzungen und der Reichweite. So Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 43 Rdnr. 142; Groetschel, DVBl. 1959, 413 ff., nach deren Ansicht sich die Bindungswirkung aus der bloßen Existenz der bestandskräftigen Entscheidung ergibt.
Zustimmendes Votum einer Ethikkommission nach Ablehnung der AMG-Studie
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Votum der ablehnenden Ethikkommission abweichende Entscheidung37 treffen darf. Dies kann allerdings dahinstehen, da hier der Fall beurteilt werden soll, in dem der Antragsteller gerade ein abweichendes Votum erwirken möchte, was nach keiner Ansicht zulässig ist. Die neue Ethikkommission kann folglich ein zustimmendes Votum nur erlassen, wenn es ihr gleichzeitig möglich ist, die Wirksamkeit des ablehnenden Votums (§ 43 Abs. 2 (L)VwVfGe / § 112 Abs. 2 LVwG SH) zu beseitigen38. Dies kann im Falle der Rechtswidrigkeit der ablehnenden Entscheidung durch eine Rücknahme gemäß § 48 Abs. 1 (L)VwVfGe / § 116 Abs. 1 LVwG SH und im Falle der Rechtmäßigkeit der ablehnenden Entscheidung durch einen Widerruf gemäß § 49 Abs. 1 (L)VwVfGe / § 117 Abs. 1 LVwG SH geschehen. bb) Rücknahme / Widerruf des ablehnenden Votums (1) Einleitung Gemäß § 49 Abs. 1 (L)VwVfGe / § 117 Abs. 1 LVwG SH kann ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist. Dagegen kann ein rechtswidriger belastender Verwaltungsakt gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 (L)VwVfGe / § 116 Abs. 1 LVwG SH jederzeit zurückgenommen werden. (2) Zuständigkeit der neuen Ethikkommission für die Rücknahme bzw. den Widerruf des ablehnenden Votums Über die Rücknahme bzw. den Widerruf entscheidet grundsätzlich die Behörde, die den zurückzunehmenden bzw. zu widerrufenden Verwaltungsakt erlassen hat. Gemäß §§ 48 Abs. 5, 49 Abs. 5 (L)VwVfGe / §§ 116 Abs. 5, 117 Abs. 5 LVwG SH ist nach dessen Unanfechtbarkeit aber die Behörde zuständig, die im Zeitpunkt der Rücknahme bzw. des Widerrufs für die Sachentscheidung örtlich zuständig ist. Dies gilt ausdrücklich auch dann, wenn der zurückzunehmende bzw. zu widerrufende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist. Somit kann durch den Wechsel des Prüfleiters die Zuständigkeit einer neuen Ethikkommission auch für die Rücknahme bzw. den Widerruf der ablehnenden Entscheidung begründet werden. (3) Ausschluss eines Widerrufs gemäß § 49 Abs. 1 (L)VwVfGe / § 117 Abs. 1 LVwG SH Gemäß § 49 Abs.1 (L)VwVfGe / § 117 Abs. 1 LVwG SH darf die neue Ethikkommission die ablehnende Bewertung nicht widerrufen, wenn sie selbst erneut eine ablehnende Entscheidung treffen müsste. Gemäß § 42 Abs. 1 S. 7 Nr. 1 bis 3 AMG darf eine Ethikkommission eine zustimmende Bewertung nur versagen, 37
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So Hennecke, in: Knack (Fn. 5), Vor § 35 Rdnr. 30; Ruffert, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.) (Fn. 18), § 21 Rdnrn. 17, 19. Nur dann liegt auch nur eine Stellungnahme vor, wie es von Art. 7 der Richtlinie 2001/20/EG verlangt wird.
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wenn die in §§ 40 bis 42 AMG genannten Anforderungen nicht erfüllt sind. Hat eine Ethikkommission danach auf rechtmäßige Weise (das setzt § 49 (L)VwVfGe / § 117 LVwG SH voraus) die Zustimmung versagt und damit zum Ausdruck gebracht, dass die Anforderungen ihrer Meinung nach nicht erfüllt sind, hat das aber nicht zwingend die Rechtswidrigkeit einer zustimmenden Entscheidung durch eine andere Ethikkommission zur Folge. Zwar regeln §§ 40 bis 42 AMG in einem sehr umfassenden Katalog, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit eine klinische Prüfung durchgeführt werden darf. Jedoch wird dadurch nicht ausgeschlossen, dass unterschiedliche Ethikkommissionen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Zum Beispiel können im Hinblick auf die Bewertung der Risiko-Nutzen-Abwägung unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Die Rechtmäßigkeit einer ablehnenden Entscheidung führt daher nicht in jedem Fall dazu, dass auch jede andere Ethikkommission die Zustimmung verweigern muss, weil diese rechtswidrig wäre. Ein Widerruf ist folglich nicht in jedem Fall gemäß § 49 Abs.1 (L)VwVfGe / § 117 Abs. 1 LVwG SH ausgeschlossen. (4) Ermessensreduzierung auf Null wegen fehlenden Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens Zu klären ist jedoch, ob in den Fällen, in denen kein Anspruch des Antragstellers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens besteht, das Ermessen einer Ethikkommission auf Null reduziert wird, so dass die ablehnende Entscheidung nicht zurückgenommen bzw. widerrufen werden darf. Gemäß § 51 Abs. 5 (L)VwVfGe / § 118a Abs. 5 LVwG SH bleiben §§ 48 Abs. 1 S. 1, 49 Abs. 1 (L)VwVfGe / §§ 116 Abs. 1 S. 1, 117 Abs. 1 LVwG SH ausdrücklich unberührt. Dies kann nur so verstanden werden, dass auch beim Fehlen eines Anspruchs auf Wideraufgreifen des Verfahrens eine Rücknahme bzw. ein Widerruf möglich sein soll. Hat der Antragsteller nämlich einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens, kann bei der Entscheidung über die Aufhebung oder Änderung des Verwaltungsaktes gerade nicht auf §§ 48 Abs. 1 S. 1, 49 Abs. 1 (L)VwVfGe / §§ 116 Abs. 1 S. 1, 117 Abs. 1 LVwG SH, nach denen die Rücknahme bzw. der Widerruf im Ermessen der Behörde steht, abgestellt werden.39 Die Aufhebung oder Änderung des Verwaltungsaktes liegt dann vielmehr nur im Ermessen der Behörde, wenn das für den Verwaltungsakt geltende materielle Recht eine Ermessensentscheidung vorsieht. Das Ziel des Wiederaufgreifens würde verfehlt, wenn dem Betroffenen aufgrund des Vorliegens eines Wiederaufgreifensgrundes zwar ein Rechtsanspruch auf ein neues Verfahren gewährt würde, die Aufhebung eines im Zweitverfahren als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakts aber im Ermessen der Behörde stünde. Der Vorbehalt des § 51 Abs. 5 (L)VwVfGe / § 118a Abs. 5 LVwG SH kann daher nur so verstanden werden, dass er die Entscheidungsmöglichkeit nach den §§ 48 Abs. 1 S. 1, 49 Abs. 1
39
A.A. Maurer (Fn. 21), § 11 Rdnr. 61, der lediglich für eine Einengung des Ermessensrahmens plädiert.
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(L)VwVfGe / §§ 116 Abs. 1 S. 1, 117 Abs. 1 LVwG SH auch beim Fehlen eines Anspruchs auf Wideraufgreifen des Verfahrens unberührt lassen wollte40. (5) Ausschluss eines Widerrufs wegen Rechtsmissbrauchs? Möglicherweise ist allerdings die Bestimmung des neuen Prüfleiters als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn und soweit es dem Sponsor nur darum ging, die Zuständigkeit einer anderen Ethikkommission zu begründen, um doch noch ein zustimmendes Votum für die geplante klinische Prüfung zu erhalten. Dabei kann hier dahinstehen, ob im Falle der rechtsmissbräuchlich begründeten Zuständigkeit der zweiten Ethikkommission schon deren Zuständigkeit für die Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens (oben III. 2.) fehlt oder aber in der Sache kein Widerruf der früheren Entscheidung erfolgen darf. Denn bezogen auf einen eventuellen Rechtsmissbrauch ist zu berücksichtigen, dass eine neue Sachentscheidung in der hier geschilderten Konstellation allein im Ermessen der zweiten Ethikkommission liegt. Jedenfalls dann, wenn der Sponsor die zweite Ethikkommission von dem ablehnenden Votum der ersten Kommission informiert und ihr auch die Gründe für die Ablehnung mitteilt, „erschleicht“ er sich keinen Verfahrensvorteil. Von einem rechtsmissbräuchlichen Vorgehen des Sponsors ist jedenfalls dann nicht auszugehen. Im Übrigen gibt es aber auch schon grundsätzlich keine gesetzliche Pflicht des Antragstellers, auf bereits existierende ablehnende Voten anderer inländischer Ethikkommissionen hinzuweisen. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus § 7 Abs. 2 Nr. 14 GCP-VO, wonach dem Antrag ablehnende Bewertungen der zuständigen Ethikkommissionen anderer Mitgliedstaaten der EU bzw. anderer Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftraum beizufügen sind. (6) Konkludente Rückname bzw. konkludenter Widerruf durch neue Sachentscheidung Fraglich ist schließlich, ob die Rücknahme bzw. der Widerruf des Votums der ersten Kommission durch die zweite Kommission ausdrücklich erfolgen muss oder dies im Rahmen einer neuen, anderen Sachentscheidung auch konkludent erfolgen kann. Grundsätzlich kann ein Verwaltungsakt durch eine neue, ihm widersprechende Entscheidung in der gleichen Sache auch konkludent zurückgenommen bzw. widerrufen werden. Eine ausdrückliche Aufhebung der ursprünglichen Entscheidung ist dann nicht erforderlich41. Ist für die Rücknahme bzw. den Widerruf allerdings gemäß §§ 48 Abs. 5, 49 Abs. 5 (L)VwVfGe / §§ 116 Abs. 5, 117 Abs. 5 LVwG SH eine andere als die den zurückzunehmenden bzw. zu widerrufenden Verwaltungsakt erlassende Behörde zuständig, kann von einer konkludenten Rücknahme bzw. einem konkludenten Widerruf nur ausgegangen werden, wenn die neue örtlich zuständige Behörde 40
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Meyer, in: Knack (Fn. 5), § 51 Rdnr. 20, 56 m.w.N.; zum Wiederaufgreifen i.w.S. siehe auch Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 51 Rdnr. 13 ff.; Ruffert, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.) (Fn. 18), § 25 Rdnr. 12. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 7), § 48 Rdnr. 244, § 49 Rdnr. 116.
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auch Kenntnis von dem bereits bestandskräftigen ablehnenden Votum hatte. Der Antragsteller muss die neue Ethikkommission also in jedem Fall darauf hinweisen, dass die klinische Prüfung bereits von einer anderen Ethikkommission ablehnend bewertet wurde. Ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Antragstellers durch ein „Verheimlichen“ der ablehnenden Bewertung wird damit ausgeschlossen. Eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme bzw. den Widerruf der ablehnenden Entscheidung durch die neue Ethikkommission setzt weiterhin voraus, dass der Antragsteller sie nicht nur über das Vorliegen eines ablehnenden Votums, sondern auch über die Ablehnungsgründe informiert. So kann die neue Ethikkommission die Bedenken der ablehnenden Ethikkommission in ihre Überlegungen miteinbeziehen, selbst wenn sie deren Benehmen nicht gemäß § 8 Abs. 5, § 10 Abs. 1 GCP-VO einholen muss, weil der Antragsteller das Prüfzentrum, für das die ablehnende Ethikkommission zuständig ist, in dem neuen Antrag hat entfallen lassen.
4.
Ergebnis
Die neue Ethikkommission kann die Bindungswirkung einer bereits bestandskräftigen ablehnenden Beurteilung einer anderen Ethikkommission durch eine Rücknahme bzw. einen Widerruf beseitigen und dann auf rechtmäßige Weise eine entgegenstehende Sachentscheidung erlassen.
IV. Zusammenfassung Jedenfalls das nach Versagung einer zustimmenden Bewertung von den Ethikkommissionen einzuhaltende Verfahren richtet sich nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder. Die Zuständigkeit einer neuen Ethikkommission durch Wechsel des Prüfleiters kann erst nach Bestandskraft der ablehnenden Entscheidung der früher zuständigen Kommission begründet werden. Allein der Wechsel des Prüfleiters lässt aber keine neue klinische Prüfung entstehen. Der Antragsteller hat in diesem Fall keinen Anspruch auf eine Sachentscheidung durch die neue Ethikkommission. Diese kann jedoch das Verfahren wiederaufgreifen und gleichzeitig mit dem Erlass einer zustimmenden Bewertung das ablehnende Votum (konkludent) zurücknehmen bzw. widerrufen. Der Antragsteller muss abwägen, ob (insbesondere im Falle der Rechtswidrigkeit des ablehnenden Votums) das Einlegen eines Rechtsbehelfs gegen die ablehnende Entscheidung vielleicht der bessere, erfolgversprechendere Weg ist.
Die endlose Geschichte der Patientenverfügung
Wilhelm Uhlenbruck
I. Vorbemerkung Nach neueren demoskopischen Erhebungen sprechen sich über 73 Prozent der Deutschen für die Zulassung straffreier aktiver Sterbehilfe bei unheilbarem und qualvollem Leiden aus.1 Wir konstatieren in Deutschland jährlich etwa 12.000 bis 13.000 Suizide. Allein im Jahr 2002 haben sich 3.534 Senioren (über 65 Jahre alt) das Leben genommen.2 Skandalöse Fälle, wie der im nachfolgenden geschilderte Fall, haben dazu geführt, daß ein regelrechter Freitod-Tourismus in die Schweiz eingesetzt hat. Schätzungsweise haben sich in den vergangenen Jahren etwa 300 Menschen beim Sterben durch die Schweizer Organisation „Dignitas“ helfen lassen. Dignitas versucht inzwischen auch in Deutschland (Hannover) Fuß zu fassen.3 Nach Feststellung von R. Kusch4 werden etwa zwei Drittel aller Klinikärzte, 1
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Infratest-Umfrage, veröffentlicht in Der Spiegel v. 17.10.2005; Forsa-Umfrage, veröffentlicht in Stern Nr. 42 v. 13.10.2005, S. 31; s. auch Kusch, NJW 2006, 261 ff.; Oduncu/Eisenmenger, MedR 2002, 327 ff. Allerdings weist die Deutsche Hospiz Stiftung in Dortmund (FAZ v. 28.5.2004) darauf hin, daß nach einer Umfrage des Emnid-Instituts nur 24 Prozent der Bundesbürger die aktive Sterbehilfe, also das Töten von schwerst kranken Menschen, befürworten. Hierzu der geschäftsführende Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch: „In Wahrheit will hierzulande niemand, daß schwerst kranke Menschen mittels Giftspritze umgebracht werden. Aktive Sterbehilfe ist eine theoretische Diskussion von Menschen, die nicht unmittelbar betroffen sind.“ S. Kutzer in: Familie, Partnerschaft und Recht (RPR) 2004, 683, 689. Der Schweizer Dignitas-Gründer Ludwig Minelli hat angekündigt, Dignitas werde gemeinsam mit einem pensionierten Mediziner einem Schwerkranken in Deutschland bei der Selbsttötung helfen und damit einen juristischen Präzedenzfall schaffen, der notfalls vom Bundesgerichtshof geklärt werden müsse (FAZ v. 19.11.2007). Vgl. auch I. Baezner-Sailer, Ärztlich begleiteter Freitod in der Schweiz, Humanes Leben – Humanes Sterben, Heft 3/2004, S. 22 ff.; Die Zeit v. 27.10.2005 Nr. 44 S. 5; Lüttig, ZRP 2008, 57 ff. Inzwischen liegen Gesetzesentwürfe vor, die die geschäftsmäßige Vermittlung von aktiver Sterbehilfe unter Strafe stellen. NJW 2006, 261 unter Berufung auf Stern Nr. 46 v. 28.11.1996, S. 68: Studie nach der Konzeption von Prof. Dr. Karl-Heinz Wehkamp, Direktor des Zentrums für Gesundheitsethik Hannover; Maisch, Patiententötungen, 1997, S. 234. Der Deutsche Ärztetag
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die regelmäßig mit der Versorgung schwerst kranker Patienten betraut sind, mit dem Verlangen nach direkter Lebensbeendigung konfrontiert. Die rechtliche Problematik, aber auch die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung wird deutlich an einem Vorfall, der vor einigen Jahren im Berliner Ärzte Blatt geschildert wurde: „Eine 70jährige Patientin mit diabetischem Spätsyndrom – einer diabetischen Retinopathie, koronarer Herzkrankheit, schwerer peripherer arterieller Verschlußkrankheit, einer Demenz nach Hirninfarkt und einer terminalen Niereninsuffizienz – befand sich seit zwei Jahren in Dauerdialyse. Sie war seit einem Jahr ständig bettlägerig und stand unter Betreuung. Die Situation wurde noch komplizierter, als sich Nekrosen an beiden Füßen einstellten. Eine Amputation kam wegen des desolaten Gesamtzustandes nicht in Frage. Die Patientin, mehrfach befragt, gab wiederholt zu erkennen, daß sie eine Fortsetzung der Behandlung nicht wünschte, sträubte sich auch körperlich gegen die Dialyse. Das Behandlungsteam kam nach eingehender Beratung zu dem Beschluß, die Dialyse unter diesen Umständen nicht fortzusetzen, konnte aber hierzu kein Einvernehmen mit dem Betreuer erzielen. Dieser rief das Vormundschaftsgericht an, das ohne Anhörung der Patientin und der Ärzte in einer einstweiligen Verfügung beschloß, daß die Dialysebehandlung auch unter körperlichem Zwang durchgeführt werden könne. Das zuständige Amtsgericht erließ eine einstweilige Anordnung, daß diese unverzüglich fortzusetzen sei, wiederum ohne Anhörung der Patientin und der behandelnden Ärzte. Es kam danach unter Einsatz von Sedativa noch einmal zu einer Dialysebehandlung, die wegen Rhythmusstörungen und Hypotonie abgebrochen werden mußte. Wenige Stunden später starb die Patientin. Die vom Betreuer wegen angeblich unterlassener Hilfeleistung eingeschaltete Kriminalpolizei ermittelte und stellte das Verfahren ein.“
II. Was sind die Gründe für die Ängste in der Bevölkerung? Nach dem „World Population Aging“-Bericht 1950–2050 der Vereinten Nationen5 wird sich der prozentuale Anteil der über 80jährigen in den nächsten 20 Jahren verdoppeln und im Jahr 2050 13,2 Prozent der gesamten Bevölkerung erreichen. Die massiven Veränderungen der Altersstruktur, die dazu führen, daß in Deutschland im Jahr 2050 über 114.000 Menschen im Alter von über 100 Jahren leben, lassen es geboten erscheinen, näher auf die Gründe einzugehen, die zu den Ängsten in der Bevölkerung geführt haben.6 Fragt man die Menschen nach den Ursa-
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2003 hat sich klar gegen die aktive Sterbehilfe ausgesprochen und die bessere Versorgung unheilbar kranker Menschen gefordert. Zitiert in: U. Lehr, Die Jugend von gestern und die Senioren von morgen, Aus Politik und Zeitgeschichte (APZ) Heft 20/2003 v. 12.5.2003, S. 3; s. auch H. Birg, Dynamik der demographischen Alterung, Bevölkerungsschrumpfung und Zuwanderung in Deutschland, Aus Politik und Zeitgeschichte (APZ) Heft 20/2003 v. 12.5.2003, S. 6, 11. Außer Betracht bleiben sollen dabei die generellen Gründe für eine Selbsttötung als menschliches Phänomen. Vgl. hierzu Schobert, Der gesuchte Tod. Warum Menschen sich töten. 1989, mit einem umfangreichen Literaturverzeichnis S. 169 ff. Zur Selbstbestimmung und Selbsttötung s. auch Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben, 1997, S. 173 ff.; Eser (Hrsg.), Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem, Stuttgart 1976; Brändel, Über das Recht, den Zeitpunkt des eigenen Todes
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chen, warum sie den ärztlich assistierten Suizid befürworten, so ergeben sich schwerpunktmäßig folgende Gründe7: x x
Die Angst vor einem inhumanen Sterben in einer Klinik mit ständig wechselndem Personal; die Angst vor Entmündigung und Entrechtung;
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die Angst vor einem qualvollen Sterben mit künstlicher Lebensverlängerung im Krankenhaus;
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künstliche Lebenserhaltung in einem komatösen Zustand oder als Demenzkranker ohne Umweltbezug;
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unzureichende Schmerztherapie;
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ruinöse Kosten einer sinnlosen Weiterbehandlung.
1. Defizite in der Schmerztherapie Ohne auf die Einzelheiten näher einzugehen ist festzustellen, daß die fast unbegrenzten Möglichkeiten der modernen Medizin die Frage aufwerfen, ob sie alles darf, was sie kann, oder ob die Würde des Patienten8 bzw. sein Selbstbestimmungsrecht es gebietet, seinem mündlich oder schriftlich geäußerten Willen nach einem Behandlungsabbruch Rechnung zu tragen. Nicht nur alte Menschen, sondern oftmals auch querschnittsgelähmte junge Patienten sind gezwungen, u.U. jahrzehntelang „in der Röhre“ zu verbringen. Deutschland ist im Bereich der Schmerztherapie nach wie vor Entwicklungsland.9 Zudem blockiert ein übertriebenes Betäubungsmittelgesetz bzw. die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung eine ausreichende Schmerzversorgung von Patienten vor allem im ambu-
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selbst zu bestimmen, ZRP 1985, 85, 88; Sporken, Recht auf humanes Leben und Sterben. Verantwortlichkeit des Arztes und des Kranken, in: Zielinski (Hrsg.), Prüfsteine medizinischer Ethik, Band V. Studien der Arbeitsgemeinschaft für medizinische Ethik und Gesellschaftsbildung, 1984, S. 291 ff. So eine Untersuchung der Berliner Charité von 2004, Berliner Zeitung v. 14.9.2004, zitiert von Kutzer FPR 2004, 683, 689. S. auch die am 25.6.1999 vom Europarat verabschiedeten Empfehlungen „Protection of the Human Rights and Dignity of the Terminally Ill and Dying”. Nach FAZ v. 19.9.2007 zählt Deutschland mit einem Verbrauch von etwa 18 kg Morphin pro 1 Mio. Einwohner (Stand 2000) als eines der Schlußlichter im internationalen Vergleich. Als mögliche Gründe für eine Unterversorgung der Patienten wird nach Feststellung von Wirz (DMW, Bd. 132, S. 1503) eine strenge gesetzliche Handhabung und die Scheu der Ärzte, Morphin zu verabreichen, genannt.
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lanten Bereich.10 Die Verankerung schmerztherapeutischer Inhalte in der Approbationsordnung für Studenten im Regelstudium ist unzureichend. Die Anerkennung der Algesiologie als eigenständiges Fachgebiet ist überfällig.11
2. Unzureichende Palliativversorgung Nach Feststellung der Bundestags-Enquetekommission werden in Deutschland Schwerstkranke in ihrer letzten Lebensphase nur unzureichend betreut. Trotz deutlicher Fortschritte in den vergangenen Jahren weise die Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland noch immer deutliche Defizite auf.12 Nach Feststellung des Vorsitzenden der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, stehen für die 850.000 jährlich in Deutschland versterbenden Menschen bundesweit lediglich 1.130 Hospizbetten zur Verfügung.13 Die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat sich im Oktober 2005 dafür ausgesprochen, die palliativmedizinische Versorgung zu verbessern. Der Ausbau dieser Angebote sei die richtige Antwort auf die Forderung nach aktiver Sterbehilfe.14 Die Empfehlung Rec (2003) 24 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zur Strukturierung der palliativmedizinischen und -pflegerischen Versorgung, verabschiedet durch das Ministerkomitee am 12. November 2003, hat bislang wenig bewirkt. Vorbildliche Einrichtungen und Institutionen, wie das Mildred-Scheel-Haus des Uniklinikums Köln (1983), das Hospiz in Aachen (1986), die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (1994) und 1999 die Sackler-Stiftungs-Professur für Palliativmedizin an der Universität Bonn durch die Firma Mundipharma/Limburg15 oder das Interdisziplinäre Zentrum für Palliativmedizin in München sind keineswegs ausrei-
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Vgl. J. Sorge / M. Zenz, DÄBl 86, Heft 31/32/1989, C-1397 ff.; E. Hackenthal/R. Wörz (Hrsg.), Medikamentöse Schmerztherapie in der Praxis, Springer 1985; Kutzer, Rechtliche und rechtspolitische Aspekte einer verbesserten Schmerzbekämpfung in Deutschland, Festschrift (FS) Salger, 1995, S. 663 ff.; s. auch „Grundlagen der Schmerztherapie“. Ringvorlesung im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses, Aachen September 2002. Auch bei der Behandlung postoperativer Schmerzen bestehen noch deutliche Defizite im klinischen Alltag. Vgl. Meißner/Rothaug/Zwacka-/Schleppers/QUIPSProjektgruppe, Qualitätsverbesserung in der postoperativen Schmerztherapie (QUIPS), Anästh Intensivmed 2006; 47: 95–98. Kutzer, Der Schmerz, 1991, S. 53 ff. Flöter/Jungek, FAZ v. 4.7.2007. In der ärztlichen Approbationsordnung ist die Schmerztherapie nicht als Pflichtfach, sondern als Wahlfach unter 25 anderen Wahlfächern geregelt. Der DGHS- Präsident G. Müller-Schwefe meinte noch im Januar 2008 (Kölner Stadt-Anzeiger Nr. 23, Magazin S. 3), viele Ärzte seien einfach überfordert. Sie könnten ihre Patienten weder adäquat behandeln noch ihnen den richtigen Rat geben, wo sie Hilfe bekommen. FAZ v. 28.6.2005. Kölner Stadt-Anzeiger v. 27.11.2005. FAZ v. 21.10.2005. Vgl. E. Klaschik, Palliativmedizin Praxis, 2001.
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chend, um auch nur annähernd den Versorgungsbedarf abzudecken.16 Welcher Stellenwert der Palliativmedizin in der ärztlichen Ausbildung beigemessen wird, zeigt die Tatsache, daß bei den nach § 37 der Approbationsordnung für Ärzte vom 27. Juni 2002 (BGBl I S. 2405) zu erbringenden Leistungsnachweisen zwar Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin genannt werden, nicht aber die Schmerzbehandlung und Palliativmedizin. Letztlich zwingen der Staat und seine Gesetzgebung auch den Wachkomapatienten, der keine Aussicht mehr hat, ein umweltbezogenes Leben führen zu können, zu einem kostenaufwendigen, sinnlosen und ruinösen Weiterleben. In vielen Fällen wird für die Pflege nicht nur das private Vermögen eines Wachkomapatienten aufgezehrt, sondern werden seine Angehörigen zugleich finanziell ruiniert, so daß sich die Frage stellt, ob nicht der Staat, der solche Menschen zum Weiterleben zwingt, verpflichtet ist, für die Kosten aufzukommen.17
III. Patientenverfügung als perimortale Selbstbestimmung Während heute allgemein anerkannt ist, daß das Selbstbestimmungsrecht des Patienten absoluten Vorrang vor dem ärztlichen Behandlungsrecht genießt, sind diejenigen Fälle streitig, in denen der Patient außerstande ist, sein Selbstbestimmungsrecht auszuüben. Um dem Willen des Patienten auch in dieser Situation Geltung zu verschaffen, hat der Verfasser dieses Beitrags bereits 1978 ein sog. „Patiententestament“ entwickelt.18 Weil es sich nicht um ein Testament im Rechtssinne handelt, hat sich inzwischen die Bezeichnung „Patientenverfügung“ allgemein durchgesetzt.19 Die Patientenverfügung, die oftmals mit einer Vorsorgevollmacht kombiniert wird, ist nach den „Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis“20 eine „indi16
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Vgl. auch Klaschik/Nauck, DÄBl 1993, S. B2382; Kutzer, Rechtliche und rechtspolitische Aspekte einer verbesserten Schmerzbekämpfung in Deutschland in: FS Salger, 1995, S. 663, 670; Uhlenbruck, Rechtsfragen der Palliativmedizin, Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 2005, S. 949 ff.; W. Höfling, Recht und Ethik in der Palliativmedizin – ein Problemaufriß in: Höfling/Brysch (Hrsg.), Recht und Ethik der Palliativmedizin, 2007, S. 5 ff.; Brysch, Stand und Perspektiven der Palliativemedizin in Deutschland aus Sicht der Patientenschutzorganisation „Deutsche Hospiz Stiftung“, ebd. S. 11 ff. Jährlich werden in Deutschland etwa 200.000 bis 500.000 Menschen mit der PEGSonde (Perenterale Endoskopische Gastrostomie) künstlich ernährt. Dies kann für bestimmte Operationen sinnvoll sein, nicht aber für einen alten Menschen, dessen biologische Uhr abgelaufen ist und der ein umweltbezogenes Leben nicht mehr zu führen vermag. Vgl. Uhlenbruck, NJW 1978, 566; ders., Selbstbestimmtes Sterben, 1997, S. 174. Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, S. 431 ff., Rz. 485 ff. DÄBl v. 30.3.2007, S. 791, 793.
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viduelle, schriftliche oder mündliche, formfreie Willenserklärung eines entscheidungsfähigen Menschen zur zukünftigen Behandlung im Fall der eigenen Einwilligungsunfähigkeit.“ Patientenverfügungen sind grundsätzlich verbindlich, solange sich die Regelungen im Rahmen der Rechtsordnung bewegen.21 An eine Patientenverfügung ist auch der Bevollmächtigte oder ein gerichtlich bestellter Betreuer gebunden. Trotzdem sind zahlreiche Probleme umstritten, wie z.B. die Konkretisierung, Nachvollziehbarkeit und Aktualität der Patientenverfügung. Ein Hauptproblem ist nach wie vor der vom Patienten verfügte Behandlungs- und Ernährungsabbruch bei Wachkomapatienten, bei denen das Leiden keinen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat.22 Die zur Zeit am meisten diskutierte Frage ist, ob bei irreversibel bewußtlosen Patienten mit schweren Dauerschäden eine kalorienzuführende Sondenernährung durch eine bloße Flüssigkeitszufuhr mit sicherer Todesfolge auch dann ersetzt werden darf, wenn der eigentliche Sterbevorgang noch nicht begonnen hat und daher der Fall der passiven Sterbehilfe noch nicht vorliegt.
IV. Der mutmaßliche Patientenwille Fragt man die Menschen in unserem Land, was sie mit den inzwischen über 180 unterschiedlichen Formen der nicht immer rechtlich validen Patientenverfügung, aber auch generell wünschen, so läßt sich der Wille auf eine kurze Formel reduzieren: Sie wollen in Würde sterben! Der mutmaßliche Wille des Patienten ist auf menschenwürdige Unterbringung, menschliche Zuwendung, Körperpflege, Linderung von Schmerzen, Atemnot oder Übelkeit gerichtet.23 Fehlt es bei dem entscheidungsunfähigen Patienten an einer Patientenverfügung, so hat der Arzt den mutmaßlichen Willen des Patienten zu erforschen und nach bestem Wissen und Gewissen zu beurteilen, was der Patient für sich selbst in der Situation entscheiden würde, wenn er dazu noch in der Lage wäre. Individuelle Interessen, Wünsche, Bedürfnisse und Wertvorstellungen des Patienten spielen dabei eine maßgebliche Rolle.24 Ist auch der mutmaßliche Wille des Patienten nicht feststellbar, ist die Behandlung bzw. die künstliche Ernährung fortzusetzen. Die Erfahrung lehrt, daß jemand, der erfüllte Jahre gelebt hat, meist bereit ist, seine Endlichkeit hinzunehmen und in Frieden aus diesem Leben zu scheiden. Oftmals wird aber der Wunsch des Patienten, in Würde zu sterben, als krankhafter Wille zur Selbsttötung aufge21
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BGH, NJW 2005, 2385; Otto, NJW 2006, 217, 219; Uhlenbruck/ Laufs in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 58, Rz. 9; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 183; ebenso die Empfehlungen der Bundesärztekammer 2007, DÄBl 2007, S. 791, 793, Ziff. 1.2. Einzelheiten bei Schmidt-Recla, MedR 2008, 181 ff.; Coeppicus, Familie, Partnerschaft, Recht (FPR) 2007, S. 63 ff.; Kutzer, MedR 2001, 77, 78. S.R. Kielstein / H.M. Sass, Materialien zur Erstellung von wertanamnestischen Betreuungsverfügungen. In: Medizinethische Materialien Nr. 84 Bochum. Zentrum für Medizinische Ethik, 1993; dies., DMW Heft 6/1997, S. 125 ff. Vgl. Otto, NJW 2006, 2217, 2220; Schmidt-Recla, MedR 2008, 181, 183.
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faßt. Die „Würde der Gesellschaft“ oder das „Sittengesetz“ müssen als Alibi dafür herhalten, einen sterbenden Menschen zum qualvollen Weiterleben zu zwingen. Der „Schierlingsbecher“ und die „Todesspritze auf Krankenschein“ werden als Schreckensbilder heraufbeschworen. Aus Angst vor Mißbrauch sind die Bestimmungen des Betäubungsmittelrechts über den Umgang mit schmerzstillenden Medikamenten völlig überzogen. Schließlich führt eine unzureichende Ausbildung der Ärzte in der Schmerz- und Palliativmedizin dazu, daß manche Patienten, vor allem, wenn sie zu Hause sterben wollen, in ihren letzten Lebenstagen unerträgliche Schmerzen erdulden müssen.
V. Verlust der Sterbekultur und Ohnmacht der Gerichte Die zunehmende Ökonomisierung des Medizinbetriebs führt dazu, daß unsere Sterbekultur, die neben fachlich-technischen Kompetenzen auf einer ethischmenschlichen Kompetenz beruht, immer mehr verloren geht.25 Angst machen letztlich auch Entscheidungen der deutschen Vormundschaftsgerichte.26 Weigert sich ein Patient aus für die Ärzte nicht einsichtigen Gründen in eine medizinisch indizierte Operation einzuwilligen, wird oftmals auf Antrag der Ärzte vom Gericht ein Betreuer bestellt. Als Begründung wird angeführt, der Patient gebe durch seine Verweigerung der Einwilligung in die Operation zu erkennen, daß er sein Selbstbestimmungsrecht nicht mehr eigenverantwortlich auszuüben vermag. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß viele dieser „oktroyierten Operationen“, die vom Gericht und Betreuer gebilligt worden sind, mißlingen. Der oben geschilderte Fall bestätigt die Untersuchungen von Ehninger (Charité Berlin), wonach vor allem ältere Menschen Angst vor Entmündigung und Entrechtung haben.27 Dem Jubilar verdankt der Verfasser dieses Beitrages zahlreiche wertvolle Anregungen und vor allem den Hinweis auf das Beispiel Dr. Schur28, der als Leibarzt von Sigmund Freud diesem versprochen hatte, ihn nicht im Stich zu lassen, wenn sein Zustand nur noch in einer Quälerei bestehen würde. Freud erinnerte ihn an das Versprechen, als trotz mehrerer Operationen der Krebs Mund, Gaumen und Kiefer ergriffen und weitgehend zerstört hatte. Dr. Schur gab Freud eine hohe Dosis Morphium, die Freud in einen tiefen entspannten Schlaf versetzte. Kurze Zeit später wurde die gleiche hohe Dosis noch einmal gespritzt. Bald danach starb Sigmund Freud. Zutreffend stellt Deutsch fest, daß es sich hier um eine aktive Sterbehilfe gehandelt hat, die auf Tötung abzielte, jedoch wirft der Fall die Frage auf, ob nicht
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Zu den Aufgaben und Säulen einer neuen gesamtgesellschaftlichen Sterbekultur und gemeinschaftlichen Sterbebegleitung s. F.S. Oduncu, In Würde sterben, Medizinische, ethische und rechtliche Aspekte der Sterbehilfe, Sterbebegleitung und Patientenverfügung, 2007, S. 157 ff. Simon/Lipp/Tietze/Nickel/von Oorschot, MedR 2004, 303 ff.; Höfling/Schäfer, ZRP 2005, 92; dies., DRiZ 2005, 248; dies., Leben und Sterben in Richterhand, 2006. FAZ v. 31.1.2005, Nr. 25 S. 33. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht 6. Aufl. 2008, Rz. 679 S. 425.
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in außergewöhnlichen Fällen der Arzt berechtigt ist, einem unerträglichen qualvollen Leiden ein Ende zu bereiten.29
VI. Ausländische Rechtsentwicklungen Im Ausland ist die Sterbehilfedebatte weitgehend als Diskussion um die aktive Sterbehilfe und den assistierten Suizid geführt worden.30 Der amerikanische Bundesstaat Oregon hat bereits 1997 einen „Death with Dignity Act“ verabschiedet, der die Beihilfe zur Selbsttötung erlaubt.31 Holland hat am 1. April 2002 als erstes europäisches Land die aktive Sterbehilfe und den ärztlich unterstützten Suizid legalisiert.32 Das belgische „Euthanasie-Gesetz“ vom 16. Mai 2002 erlaubt eine Tötung auf Verlangen auch für unheilbar Kranke, die nicht in absehbarer Zeit sterben würden, sowie für Menschen mit andauernden psychischen Leiden.33 In der Schweiz ist die Beihilfe zum Suizid gem. § 115 StGB erlaubt, wenn sie nicht aus selbstsüchtigen Beweggründen erfolgt.34 In Belgien ist am 16. Mai 2002 vom belgischen Parlament das „Euthanasie-Gesetz“ vom 16.5.2002 verabschiedet worden, das am 23.9.2002 in Kraft getreten ist. 2007 hat die Abgeordnetenkammer in Luxemburg einen Gesetzentwurf verabschiedet, wonach ein Arzt einem unheilbar Kranken, der seinen Wunsch zum Sterben ausdrücklich geäußert hat, helfen darf (ärztlich assistierter Suizid).35 Am 25.6.1999 hatte der Europarat bereits die Empfehlungen zum Schutz der Rechte und Würde von terminal Kranken und Sterbenden verabschiedet.36 In Österreich ist 2007 das Patientenverfügungsgesetz in Kraft getreten.37 Festzustellen ist, daß die ausländische Rechtsentwicklung weitgehend die aktive Sterbehilfe und den ärztlich assistierten Suizid betrifft.
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Zustimmend z.B. Kutzer, MedR 2001, 77, 78; Ankermann, Sterben zulassen, 2004, S. 166; Merkel, Die Zeit Nr. 47/2005 S. 24. S. Oduncu, In Würde sterben, 2007, S. 68 ff. S. Department of Human Services (2006): Eighth Annual Report on Oregon’s Death with Deignity Act. Office of Disease Prevention and Epidemology, 9. März 2006; F.S. Oduncu, In Würde sterben, 2007, S. 97 ff. Einzelheiten bei F.S. Oduncu, In Würde sterben, 2007, S. 68 ff.; ders.; MedR 2005, 437, 443 ff. Vgl. F.S. Oduncu, Zeitschrift für medizinische Ethik, 48: 310–312. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat 2003 Richtlinien zur Behandlung und Betreuung von älteren pflegebedürftigen Menschen und 2004 die Richtlinien zur Betreuung von Patienten am Lebensende verabschiedet. Einzelheiten bei F.S. Oduncu/W. Eisenmenger, MedR 2002, 327 ff. Council of Europe, Protection of the Human Rights and Dignity of the Terminally Ill and Dying, 25.6.1999, zit. bei Oduncu/Eisenmenger, MedR 2002, 334. S. Memmer/Kern (Hrsg.), Patientenverfügungsgesetz 2006; Bachinger PatR Heft 4/2006 S. 109 ff.
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VII. Rechtsentwicklung in Deutschland In Deutschland hat die Sterbehilfedebatte ihren Anfang im strafrechtlichen Bereich genommen.38 Da die Straflosigkeit der Suizidbeihilfe paradoxerweise durch den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323 c StGB) bei Vorliegen einer Garantenstellung in Frage gestellt wird, sah der 1986 von Professoren des Strafrechts und der Medizin sowie ihrer Mitarbeiter vorgelegte „Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe (AE-Sterbehilfe) in § 215 vor, daß nicht rechtswidrig handelt, wer es unterläßt, die Selbsttötung eines anderen zu hindern. Allerdings war Voraussetzung, daß die Selbsttötung auf einer frei verantwortlichen, ausdrücklich erklärten oder aus den Umständen erkennbaren ernstlichen Entscheidung beruht.39 Ziffer II. der Richtlinie der Bundesärztekammer für die Sterbehilfe von 197940 sah vor, daß der Arzt den Willen des urteilsfähigen Patienten zu respektieren hat; beim bewußtlosen oder sonst urteilsunfähigen Patienten sollte rechtlich aber die „letzte Entscheidung“ beim Arzt liegen, wenn nicht ein Pfleger zu bestellen und dessen Einwilligung einzuholen war. In den „Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“ i.d.F. Mai 200441 heißt es in Ziffer IV., daß bei einwilligungsunfähigen Patienten die in einer Patientenverfügung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung einer Behandlung für den Arzt bindend ist, „sofern die konkrete Situation derjenigen entspricht, die der Patient in der Verfügung beschrieben hat, und keine Anhaltspunkte für eine nachträgliche Willenserklärung erkennbar sind.“ 2007 wurden die gemeinsamen „Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis“ als Hilfestellung für die Ärzte veröffentlicht.42 Die rechtlich und ethisch ausgewogenen Empfehlungen enthalten eingehende Ausführungen zur Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung und Betreuungsverfügung. Die BioethikKommission des Landes Rheinland-Pfalz hat in ihrem Abschlußbericht zu „Sterbehilfe und Sterbebegleitung. Ethische, rechtliche und medizinische Bewertung des Spannungsverhältnisses zwischen ärztlicher Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung des Patienten“43 vom 23.4.2004 eine Regelung vorgeschlagen, wonach das Gericht in absoluten Extremsituationen in § 216 StGB von Strafe absehen kann.
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Zum derzeitigen Stand der Diskussion s. Duttge, Preis der Freiheit, 2. Aufl. 2006, S. 80 ff.; Oduncu, MedR 2005, 437, 438 f. Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe, 1986, S. 12. Ein weiterer Alternativentwurf zur Sterbebegleitung wurde von dem Arbeitskreis im Jahr 2005 als „Alternativentwurf zur Sterbebegleitung“ vorgelegt. Vgl. Schöch/Verrel u.a., Goltdammers Archiv für Strafrecht, 152: 533–586. DÄBl 76 (1979), S. 957–960. NJW Heft 22/2004, S. XXIV ff. = DÄBl v. 7.5.2004. DÄBl Heft 13/2007, S. 791 ff. Abrufbar unter: http:/www.med.uni.hd.de/igm/g47/strbrlp.pdf. Vgl. auch Mertin, ZRP 2004, 170, 171.
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Ursprünglich orientierte sich die Diskussion um die Sterbehilfe weitgehend um die Straftatbestände der §§ 216, 323 c StGB.44 Auch die Rechtsprechung hatte sich weitgehend mit der strafrechtlichen Problematik zu befassen.45 Die Situation änderte sich nicht nur durch die bahnbrechende Entscheidung des BGH v. 17.3.200346, sondern bereits mit dem am 1.1.1999 in Kraft getretenen Betreuungsrechtsänderungsgesetz (BGBl I 1998, 1580), durch das das Selbstbestimmungsrecht des Patienten vor allem im Bereich der Vorsorgevollmacht zugunsten richterlicher Entscheidungshoheit weitgehend ausgehebelt worden ist.47 Inzwischen hat sich die rechtliche Diskussion in den Bereich des Zivilrechts verlagert und hier schwerpunktmäßig auf die Gültigkeit und Verbindlichkeit von Patientenverfügungen.48 Erwin Deutsch hat die Entscheidung des BGH vom 17.3.2003 zum Anlaß genommen, aus verfassungsrechtlicher Sicht Sorge zu äußern, „daß so viele privatrechtliche Normen auch noch aus allgemeinsten Regeln der Verfassung hergeleitet werden.“49
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Vgl. H. Otto, Recht auf den eigenen Tod? Strafrecht im Spannungsfeld zwischen Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung, Gutachten Dz. 56. DJT, 1986, S. D 17 ff.; Eser in: Fritzsche/Goulon/Braun/Riquet (Hrsg.), Das Recht auf einen menschenwürdigen Tod, 1977; Eser (Hrsg.), Suizid und Euthanasie, 1976; Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben, 1997, S. 188 ff. S. auch Duttge, JZ 2006, 899; ders., GA 2006, 573; ders., NStZ 2006, 479; ders., Preis der Freiheit, 2. Aufl. 2006; Grauer, Strafrechtliche Grenzen der Palliativmedizin, 2006; Kusch, NJW 2006, S. 261 ff. Vgl. z.B. BGH St 32, 367 ff.; BGH St 40, 257 ff.; BGH NJW 2001, 1807; OLG München NJW 1987, 2940 ff.; LG Ravensburg NStZ 1987, 229. XII ZB 2/03–, NJW 2003, 1588 = VersR 2003, 8 ff.; Vorinstanzen OLG München 2003, 1744, LG Traunstein NJW RR 2003, 221. Vgl. Uhlenbruck, ZRP 1998, 46; ders., NJW 2001, 2770, 2772; Strätling/Fieber/Bartmann/Sedemund-Adib/Scharf/Schmelzer, MedR 2005, 579 ff.; Salziger, MedR 2004, 237 ff. U.a. Spickhoff, NJW 2000, 2297; Taupitz, Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens?, Verhandlungen des 63. DJT, 2000, Band I, Gutachten Teil A, München 2000; Uhlenbruck, Selbstbestimmtes Sterben durch Patienten-Testament, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, 1997; W. Zimmermann, Vorsorgevollmacht – Betreuungsverfügung – Patientenverfügung, 2007; Coeppecus, Sachfragen des Betreuungs- und Unterbringungsrechts, 2000; Winkler, Vorsorgeverfügungen, 2003; Bauer/Klie, Patientenverfügungen/Vorsorgevollmachten, 2. Aufl. 2005. E. Deutsch, Verfassungszivilrecht bei der Sterbehilfe, NJW 2003, 1567 f.
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VIII. Auf dem Wege zur gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen 1. Vorschläge im strafrechtlichen Bereich Obgleich im Strafrecht sowohl von Ärzten als auch Juristen immer wieder darauf hingewiesen wird, daß die – straflose – Beihilfe zur Selbsttötung durch die Rettungspflicht nach § 323 c StGB von der Rechtsprechung unterlaufen wird50 und dies in der Ärzteschaft zur erheblichen Verunsicherung geführt hat, ist eine Korrektur der höchstrichterlichen Rechtsprechung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.51 Ärzten ist wenig damit gedient, wenn nach deutschem Strafrecht die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei ist, jedoch in solchen Fällen die Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz erfolgt. Der 66. Deutsche Juristentag 2006 hat sich in seiner strafrechtlichen Abteilung mit dem Thema „Suizid“ befaßt, die Strafbarkeit einer Teilnahme am straflosen Suizid abgelehnt und sich dafür ausgesprochen, daß die ausnahmslose standesrechtliche Mißbilligung des ärztlich assistierten Suizids einer differenzierten Beurteilung weichen sollte, welche die Mitwirkung des Arztes an dem Suizid eines Patienten mit unerträglichen, unheilbarem und mit palliativmedizinischen Mitteln nicht ausreichend zu lindernden Leiden als eine nicht nur strafrechtlich zulässige, sondern auch ethisch vertretbare Form der Sterbebegleitung toleriert.52Nach Feststellung des ehemaligen Bundesrichters Ernst Ankermann53 gibt es „deutliche Anzeichen für eine sich wandelnde Einstellung der Ärzteschaft zu dem Problem.“ Im Ergebnis bleibe bei näherer Betrachtung nicht viel übrig von dem Verdikt, ärztlich assistierte Selbsttötung sei „unärztlich“.54 Zutreffend weist G. Duttge55 darauf hin, daß die Auffassung von einer „Unzuständigkeit“ des Rechts bzw. der Juristen in derartigen Grenzfragen nachdrücklich zurückzuweisen ist. Da eine Korrektur der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zu erwarten sei, bedürfe es einer expliziten Änderung des geltenden Strafgesetzbuchs.56 Nachdem der Arbeitskreis von Professoren des
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Vgl. BGH St 32, 367; BGH NJW 2001, 1807 m. Anm. Sternberg-Lieben, JZ 2002, 150 ff.; BGH NJW 1983, 350 m. Anm. Eser, NStZ 1984, 56; krit. auch Eser, MedR 1985, 11; Eser in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. StGB Rz. 42, 43; Eser, MedR 1985, 9 ff.; Uhlenbruck, ZRP 1986, 215 f.; Dölling, MedR 1987, 10; Kutzer, ZRP 2004, 213; ders., in: Familie, Partnerschaft und Recht (FPR) 2004, 683, 689; Ankermann, Sterben zulassen, 2004, S. 165 ff.; Bernsmann, ZRP 1996, 87 ff. Vgl. Duttge, Preis der Freiheit, 2006, S. 97. S. Noske, ZRP 2006, 323, 233. Sterben zulassen, 2004, S. 139. Im Nationalen Ethikrat war über die Straflosigkeit einer Beihilfe zum Suizid keine Einigkeit zu erzielen. S. FAZ Nr. 161 v. 14.7.2006, S. 4; Tolmein, FAZ Nr. 161 v. 14.7.2006, S. 34. Ankermann (wie Fn. 53), S. 143. Preis der Freiheit, 2006, S. 5 f. Anders Hoppe/Hübner, ZRP 2008, 225 f. Vgl. auch den Bericht der Bioethikkommission des Landes Rheinland-Pfalz, Sterbehilfe und Sterbebegleitung. Ethische, rechtliche und medizinische Bewertung des Span-
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Strafrechts und Medizin in seinem überarbeiteten Gesetzesentwurf von Oktober 200557 von seiner Forderung, Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) für bestimmte Ausnahmesituationen zuzulassen, abgerückt ist, und sich auch die Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ („Kutzer-Kommission“) sowie der Nationale Ethikrat gegen eine Einschränkung des Straftatbestandes der „Tötung auf Verlangen“ ausgesprochen haben, ist in absehbarer Zeit nicht mit einer gesetzlichen Neuregelung zu rechnen.58 Da die Justizministerinnen und Justizminister auf ihrer Herbstkonferenz am 17.11.2005 beschlossen hatten, eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe wegen der Unantastbarkeit fremden Lebens weiterhin mit Entschiedenheit abzulehnen, hat 2006 der damalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch einen Gesetzesvorschlag zur Neuregelung eines § 217 StGB gemacht.59 Danach soll der Tatbestand des § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) nicht verwirklicht sein, wenn die Tötung durch einen Arzt erfolgt und die Beendigung schwerster, vom Betroffenen nicht zu ertragener Leiden zum Ziel hat, welche nicht durch andere Maßnahmen behoben oder auf ein für den Betroffenen erträgliches Maß gelindert werden können. Der Gesetzgeber hat diesen Vorschlag nicht aufgegriffen.
2. Entwicklungen im zivilrechtlichen Bereich Im Zivilrecht hat sich die Diskussion weitgehend auf die Frage einer gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen konzentriert. Der 63. Deutsche Juristentag 2000 hat sich mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, daß die Patientenverfügung gesetzlich geregelt werden sollte.60 Auch wurde die Bestellung eines Gesundheitsbevollmächtigten als wichtiges Instrument der Selbstbestimmung für die Situation der Einwilligungsunfähigkeit bejaht.61 Schon der Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz – BtG)62 hat das Problem des Behandlungsabbruchs gesehen, aber eine Einbeziehung in § 1904 Abs. 1 S. 1 BGB nicht gewollt.63 Auch das Be-
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nungsverhältnisses zwischen ärztlicher Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung des Patienten, Bericht v. 23.4.2004, S. 106. Vgl. Schöch/Verrel u.a., Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung (AE-StGB) 2005, GA 152: 553–586. Vgl. auch Uhlenbruck, ZRP 1986, 209 ff.; Schöch, ZRP 1986, 236 ff.; G. Hirsch, ZRP 1986, 239 ff. NJW 2006, 261 ff. Vgl. Beilage zu NJW Heft 3/2001, S. 13. Vgl. auch Spickhoff, NJW 2000, 2297 ff.; Strätling/Scharf/Wulf/Eisenbart/Simon, Stellvertreterentscheidungen in Gesundheitsfragen und Vorausverfügungen von Patienten, in: Der Anästhesist, 2000, S. 657 ff. BT-Drucks. 11/4528 v. 11.5.1989. So W. Eberbach, Ausgewählte zivilrechtliche Aspekte des Arzt-Patienten-Verhältnisses am Ende des Lebens, in: Wienke/Lippert, Der Wille des Menschen zwischen Leben und Sterben – Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht, 2001, S. 11, 28 f.
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treuungsrechtsänderungsgesetz v. 11.3.199764 hat die Vorschrift nicht auf die Fälle des Behandlungsabbruchs erstreckt. Bemerkenswert ist die Einfügung eines Abs.2 in § 1904 BGB, wonach die Vorschrift des § 1904 Abs. 1 BGB auch für die Einwilligung eines Bevollmächtigten gilt. Ebenso wie § 1906 Abs. 5 BGB wird durch die Regelung das durch § 1896 Abs. 2 BGB gewährleistete Recht der Bevollmächtigung in Gesundheitsangelegenheiten weitgehend zugunsten einer staatlichen Bevormundung ausgehebelt.65 Die vom BGH in Strafsachen66 geforderte analoge Anwendung des § 1904 BGB auf den Fall des Behandlungs- bzw. Ernährungsabbruchs hat nicht nur berechtigte Kritik erfahren, sondern auch zu der Forderung nach einer zivilrechtlichen Neuregelung der passiven Sterbehilfe und Sterbebegleitung geführt.67 Der Bundesrat hatte in einem „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts“ vom 19.12.2003 in § 1358 a BGB–E eine gesetzliche Vertretungsmacht für nahe Angehörige vorgesehen.68 Der Vorschlag hat sich allerdings nicht durchgesetzt. 2005 hat der Kölner Staatsrechtslehrer Wolfram Höfling einen im Auftrag der Deutschen Hospiz Stiftung erstellten Entwurf eines „Gesetzes zur Sicherung der Autonomie und Integrität von Patienten am Lebensende“ (Patientenautonomie und Integritätsschutzgesetz) mit Begründung vorgelegt.69 Noch bevor sich der 66. DJT 2006 mit großer Mehrheit für eine zivilrechtliche Verankerung der Patientenverfügung ausgesprochen hatte70, war am 8.9.2003 eine Arbeitsgruppe zum Thema „Patientenautonomie am Lebensende“ unter der Leitung des früheren Bundesrichters Klaus Kutzer im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz zusammengetreten.71 Entsprechend der Vorschläge der sogen. „Kutzer-Kommission“ hat das BMJ am 1.11.2004 den Referententwurf eines 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes zur Diskussion gestellt.72 Die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquetekommission „Ethik und Recht in der modernen Medizin“ hat am 24.9.2004 einen Zwischenbericht über Patientenverfügungen mit umfangreichen Sondervoten beschlossen.73 Die Enquetekommission 64 65
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BT-Drucks. 13/7158 v. 11.3.1997. Vgl. Uhlenbruck, ZRP 1998, 46 ff. S. auch Eberbach (wie Fn. 57), S. 31 f.; ders., MedR 2000, 267, 269 f.; Kutzer, ZRP 2000, 402, 404. BGH St 40, 257 = NJW 1995, 204. So z.B. Scheffen, ZRP 2000, 313 ff.; Kutzer, ZRP 2000, 402 ff.; ders., ZRP 2008, 197; Vossler, ZRP 2002, 295 ff.; Strätling/Sedemund/Adib/Scherf/Schmucker, ZRP 2003, 289 ff. Vgl. auch Chiusi, ZRP 2004, 119 ff. Höfling, MedR 2006, 25 ff. Vgl. auch Verrel, Gutachten zum 66. DJT 2006, Bd. I C; ders., Beilage zu NJW Heft 22/2006, S. 14 ff.; Otto, NJW 2006, 2217 ff. Bundesministerium der Justiz (2004). Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“: Bericht „Patientenautonomie am Lebensende: ethische, rechtliche und medizinische Aspekte zur Bewertung von Patientenverfügungen“, 12, online unter: http://www.bmj.bund.de/media/archive/695.pdf. Online unter http://www.user.gwdg.de/-ukee/bmj-041101re.pdf. S. auch v. Dewitz/Kirchner, MedR 2005, 134 ff.; Knopp/Hoffmann, MedR 2005, 83, 86 ff.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rz. 706–709. BT-Drucks. 15/3700 = www.bundestag.de = DÄBl 2004, C 1961.
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will die Gültigkeit von Patientenverfügungen, die einen Behandlungsabbruch oder -verzicht vorsehen, der zum Tode führt, nur anerkennen, wenn „das Grundleiden irreversibel ist und trotz medizinischer Behandlung .. zum Tode führen wird.“ Aufgrund der kontroversen Meinungen hat die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, ihren Gesetzesentwurf74 im Deutschen Bundestag nicht als Regierungsinitiative eingebracht. Inzwischen werden weitere Gesetzentwürfe, wie z.B. der „Entwurf eines Gesetzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht der Abgeordneten Bosbach u.a. vom 28.3.2007“75 und der „Entwurf eines 3. Betreuungsgesetzänderungsgesetzes“ der Abgeordneten Stünker u.a. vom 14.6.200776 sowie der „Entwurf eines Gesetzes zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen“ (Patientenverfügungs-Verbindlichkeitsgesetz – PVVG) der Abgeordneten Zöller u.a. vom 5.6.200777 kontrovers diskutiert.78 Eindrucksvoll hat der Mediziner Gerhard Ehninger79 darauf hingewiesen, daß es zu denken gibt, wenn die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und ganz besonders deren Mitglieder in der Enquetekommission für Recht und Ethik in der Medizin genau und allgemeingültig zu wissen glauben, wieviel Selbstbestimmung dem Bürger zugetraut werden kann. Nach Feststellung von G.P. Hefty80 kommt der Versuch, die Rechtsgültigkeit von Patientenverfügungen gesetzlich festzulegen, dem Versuch nahe, Lebensende und Sterben staatlich zu regeln. Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZEK) weist darauf hin, daß das unveräußerliche Recht jedes Patienten auf Selbstbestimmung „kein Recht auf Durchsetzung des eigenen Willens um jeden Preis“ sei. Nachdem die bisherigen Entwürfe für ein Gesetz zur Regelung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen keine Mehrheit im Deutschen Bundestag gefunden haben, ist nunmehr am 21.10.2008 von einer schwarz-rot-grün-gelben Abgeordnetengruppe der „Entwurf eines Gesetzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht“ vorgestellt worden. Es bleibt abzuwarten, ob dieser komplizierte und detailreiche Entwurf, der u. a. notarielle Beurkundung und vorherige ärztliche Beratung vorsieht, die erforderlichen Mehrheiten im Parlament findet.
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Bundesgesetz über Patientenverfügungen (BGBl I Nr. 55/2006) v. 29.3.2006, online unter www.derstandard.at/politik. Vgl. http://www.medizinethik.de/Patienten-Autonomie.htm und die Homepage der BT Prax http://www.btprax.de. Vgl. auch den Überblick bei A.T. May, BT Prax 2007, 149, 150 ff.; Oduncu, (Fn. 19), S. 15 f. Vgl. http://www.medizinethik.de/Patienten-Autonomie.htm und die Homepage der BT Prax http://www.btprax.de. Vgl. http://www.medizinethik.de/Patienten-Autonomie.htm und die Homepage der BT Prax http://www.btprax.de. Einzelheiten bei May, BT Prax 2007, 149 ff. FAZ v. 31.1.2005, S. 33. FAZ v. 29.9.2007.
Die endlose Geschichte der Patientenverfügung
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IX. Zusammenfassung Insgesamt sind in Deutschland über 180 unterschiedliche Formulare für Patientenverfügungen im Umlauf, deren rechtliche Validität teilweise zweifelhaft ist. In der rechtswissenschaftlichen Literatur, den Empfehlungen der Bundesärztekammer und der höchstrichterlichen Rechtsprechung herrscht weitgehend Einigkeit darüber, daß das Selbstbestimmungsrecht des Patienten absoluten Vorrang genießt und die wirksame Patientenverfügung verbindlich ist. Nach einer neueren Umfrage des „Forsa“-Instituts befürworten 91 Prozent der Deutschen die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung. Dem sollte der Gesetzgeber Rechnung tragen. Es gilt der Grundsatz „voluntas aegroti suprema lex“, nicht „salus aegroti suprema lex“! In seltenen Ausnahmefällen sollte eine aktive Sterbehilfe durch den Arzt von der Strafbarkeit freigestellt werden, wenn die Möglichkeiten der Schmerztherapie und der ärztlichen Kunst nicht ausreichen, einen entwürdigenden Todeskampf zu verhindern.81 Ein akzeptabler Referentenentwurf ist vom BMJ vorgelegt worden, wenngleich die strafrechtliche Problematik ausgeklammert worden ist. Es wäre eine Katastrophe, wenn sich die Politiker bzw. Parlamentarier wieder einmal über den eindeutigen Willen der Bevölkerung hinwegsetzen würden.82 Nach Feststellung des Verfassungsrechtlers, Horst Dreier83 wird seit Jahren die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen, aber auch die individuelle Selbstbestimmung kleingeredet oder zur Chimäre entstellt, nur weil manchen die Konsequenzen, die aus dieser Autonomie gezogen werden könnten, als unvernünftig, unchristlich oder unmoralisch erscheinen. Der neueste Gesetzentwurf ist ein schwer zu praktizierender Kompromiß. Angesichts der fast hoffnungslosen Diskussionslage erscheint nach Feststellung von A. Spickhoff84 „ein Schweigen des Gesetzgebers als die ehrlichste, aber auch unpopulärste Lösung.“ Vernünftige Entscheidungen, wie die des LG Ravensburg v. 3.12.198685, des LG Ellwangen v. 7.5.200386 sowie des LG Essen v. 29.11.200787 zeigen, daß einige Gerichte in diesen schwierigen Fragen auch ohne gesetzliche Regelung zu billigenswerten Ergebnissen gelangen. Trotzdem besteht angesichts streitiger Detailfragen gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen für den Fall des Wachkomas auszuschließen, würde allerdings eine solche Erklärung weitgehend wertlos machen. Was im übrigen fehlt, sind mehr Palliativ- und Hospizeinrichtungen88 sowie eine 81 82
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Vgl. Kutzer, MedR 2001, 77 ff.; Ankermann, Sterben zulassen, 2004, S. 166. Vgl. Coeppicus, FAZ v. 20.4.2007; Tolmein, FAZ v. 27.6.2007; Strätling/SedemundAdib/Scharf/Schmelzer, ZRP 2003, 289 ff. FAZ v. 30.8.2008, S. 8. NJW 2007, 1628, 1638. NStZ 1987, 229. RNotZ 2004, 468. NJW 2008, 1170. S. die Beiträge von Höfling, Voltz, Brysch, Becker-Schwarze, Gronemeyer, in: W. Höfling/E. Brysch, Recht und Ethik der Palliativmedizin, 2007; Rixen, Gesetz zur Verbesserung der palliativen und hospizlichen Leistungen, ebd., S. 75 ff.; Höfling, Perspektiven der klinischen Sterbehilfe aus Sicht des Verfassungsrechtlers, in: Schumpe-
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ausreichende Schmerztherapie durch Hausärzte. Würden die Politiker diesem Petitum entsprechen, würde der Ruf nach einer ärztlich assistierten Selbsttötung oder einem Sterbehilfegesetz, wie z.B. in Holland, Belgien, Oregon oder Luxemburg, bald verstummen.
lick, Klinische Sterbehilfe und Menschenwürde, 2003 S. 363, 373 ff.; Husebö/Klaschik, Palliativmedizin, 4. Aufl. 2006; Kutzer, ZRP 205, 277, 278.
Drug-resistant Tuberculosis and Coercive Legal Measures in South Africa: A Comparative and International Law Perspective
Christa van Wyk
I. Introduction Drug-resistant tuberculosis presents a growing threat to public health in South Africa. The situation is especially serious in the light of the AIDS epidemic, as people with HIV infection are more susceptible to tuberculosis than those whose immune systems are not compromised. South African media reports increasingly deal with the involuntary isolation and treatment of patients with drug-resistant tuberculosis. However, the law surrounding quarantine, isolation and involuntary medical treatment is unclear. This can be attributed to the repeal of legislation which provided extensively for such measures. This article discusses the possible justification for legislative intervention in the interest of public health, and investigates the relevant provisions of the South +African Constitution, especially those pertaining to the application of comparative and international law when the Bill of Rights is interpreted, and the (new) National Health Act of 2003. It includes a discussion of the level of risk to public health which would justify isolation, and also deals with constitutional guarantees and the rights of patients. The conclusion is reached that - provided certain requirements are met - coercive legal measures are not only justified, but also urgently needed.
This material is based upon work supported financially by the South African National Research Foundation. Any opinion, findings and conclusions or recommendations expressed in this material are those of the author and therefore the NRF does not accept any liability in regard thereto.
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II. TB: A threat to public health 1. “Ordinary” TB Tuberculosis (TB) is an airborne infectious disease that affects the lungs, vocal cords and other parts of the body. It is caused by a bacterium (mycobacterium tuberculosis) contained in droplets which are spread primarily by coughing and sneezing, but also by speaking, singing and laughing.1 One “big” sneeze can release up to a million TB organisms which stay in the air for hours until they are removed by natural or mechanical ventilation.2 The biggest risk of transmission exists when TB bacteria are found in a person’s sputum (phlegm) and when people live closely together. Although not as infectious as influenza, TB is still highly contagious and much easier transmitted than many other diseases. Not everyone who is infected with TB become ill with active TB, and only patients with active TB need to be treated. This can usually be done successfully with inexpensive antibiotics.3 This “first-line” treatment consists of a cocktail of four standard medicines which needs to be taken for at least six months.4 After a few weeks of treatment most patients with “ordinary” TB are no longer infectious to others. They can usually go back to their normal routine but have to complete the treatment to prevent drug-resistance from developing. A large percentage of people are infected with the TB mycobacterium, but never become ill.5 Those at highest risk of infection and becoming ill are people with weak immune systems, including the more than five million South Africans living with HIV/AIDS. TB progresses more rapidly in people with HIV and is a leading cause of death among them. It is believed that up to 70% of TB patients in sub-Saharan Africa are co-infected with HIV,6 and according to the World Health Organisation (WHO) South Africa has the highest percentage HIV-positive TB cases in the world.7 1
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Symptoms of TB include persistent cough, phlegm, swollen glands, weight loss, chest pains when inhaling, and loss of appetite. Testing for TB includes a physical examination, a tuberculin skin test, a sputum test and a chest x-ray. The sputum test is the most accurate, but the culture of TB from the sputum often takes weeks. Department of Health, Draft National Infection Prevention and Control Policy for TB MDRTB and XDRTB, April 2007, par 2.2 See also Thom, South Africa: Playing catch up with XDR-TB, Health-e (Cape Town) 18 October 2006. A course of the standard drugs costs as little as R300. See Weyer/Van der Walt/Kantor, Managing multidrug-resistant tuberculosis: Legal implications, MRC Policy Brief Jan 2006. Standard (first-line) TB medicines are the antibiotics rifampicin, isoniazid, pyrazinamide and ethambutol. This treatment was advised by the WHO in 1995. It is estimated that an immunocompetent person infected with TB has a lifetime risk of about 10% of developing active TB. See Underwood/White/Baker/Law/Moore-Gillon, Contact tracing and population screening for tuberculosis – who should be assessed?, J Publ Hlth Med 2003, 25: 59. Van Dyk, HIV/AIDS Care and Counselling- a Multidisciplinary Approach, 2005, 47. See WHO, Global TB Control Report, March 2007. This situation has prompted calls for a more coordinated approach, for example that TB and HIV diagnosis and treatment
Drug-resistant Tuberculosis and Coercive Legal Measures in South Africa
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In 1993 the WHO declared TB a global health emergency and by 2005 South Africa admitted that it had become a national crisis. South Africa has the seventh largest population of TB patients in the world, with India and China ranking first and second. In 2006 alone (the most recent year for which figures are available) over 341 000 new TB cases were diagnosed in South Africa.8 Of these only about 57% were cured, which falls far short of the WHO target cure rate of 85%.9
2. MDR-TB For a variety of reasons about 15% of patients default on the first-line standard treatment of six months.10 Some stop or refuse treatment because of the sideeffects11 or because they start feeling better. Others simply neglect to take their medicines regularly and to properly observe the Directly Observed Treatment, Short-course (DOTS)12 recommended by the WHO. Personal stresses, alcoholism and poor social conditions of patients also contribute to poor compliance. Sometimes clinics fail to supply medicines regularly or too small doses may be prescribed for too short a time. If a patient stops taking the prescribed medicines bacteria which have been exposed to the drugs, remain alive and become resistant. People who are infected with these resistant strains no longer respond to the standard treatment. When two of the standard drugs13 no longer have any effect, multi-drug resistant TB (MDRTB) is diagnosed. It is clear that MDR-TB is a man-made phenomenon which presents a formidable challenge to public health. MDR-TB is highly contagious and when a patient with MDR-TB coughs, he or she can infect other people with the same drugresistant strains. This unfortunately also happens in hospitals with poor infection control standards, for example where people with TB share wards with those who
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be harmonized, preferably within the same clinical setting (Editorial, Stopping tuberculosis proves hard to do, The Lancet 2007, 369: 965). See Department of Health, Draft Tuberculosis Strategic Plan for South Africa, 20072011, 10. By 2006 more than 5.5 million South Africans had active TB. Kahn, Number of tuberculosis cases rises, Business Day 26 Oct 2007, 4. The cure rate she quotes differs slightly from that reported by the UN Integrated Regional Information Networks,South Africa: Emergency plan to counter deadly TB strain, 18 October 2006, which states the cure rate as 53%. Cure rates differ from very low in KwaZuluNatal province (40%) to quite high in the Western Cape province (65% - 84%). See Thom, Health-e (Cape Town), 18 Oct 2006. Singh/Upshur/Padayatchi, XDR-TB in South Africa: No time for denial or complacency, PLoS Medicine 2007, 4(1): e50. First-line medicines have the following side-effects: dizziness, nausea, jaundice, fever, and pins and needles in limbs. In order to improve adherence to first-line TB drugs, the DOTS strategy is followed in South Africa. Patients with TB are closely monitored. They visit their clinic daily and take their TB pills in front of a health worker to make sure they complete the course. Clinic staff may be replaced by someone designated from the community. Namely rifampicin and isoniazid.
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have weak immune systems – such as patients with HIV. The diagnosis of MDRTB is also cumbersome. Although promising new research in South Africa shows that drug-resistant TB may soon be routinely diagnosed within two days,14 anti-TB drug susceptibility tests currently still take weeks to complete. Patients with MDR-TB have to take several second-line medicines. These medicines are much more expensive than the first-line drugs used for ordinary TB15 and have to be taken for a longer time (sometimes up to 25 months). They are also more toxic and less effective.16 Patients have to take up to 30 tablets a day with worse side-effects than those of the first-line medicines.17 They need individualized care in hospital for four to six months, and for the first four months daily injections are required.18 Less than half of MDR-TB patients are cured.19 South Africa is reported to have one of the world’s worst rates of MDR-TB with 6 716 cases reported in 2006 alone.20 Other countries with high numbers of MDR-TB cases are China, India and Russia.
3. XDR-TB About a third of patients with MDR-TB stop taking the prescribed second-line drugs because of their side-effects or discharge themselves from hospital before their treatment is completed.21 Media reports on patients “escaping” from South African hospitals are increasing.22 Strains then develop that even second-line medicines do not cure. MDR-TB that is resistant to three or more of the secondline drugs is called extremely or extensively drug resistant TB (XDR-TB).23 XDR14
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See Barnard/Albert/Coetzee/O’Brien/Bosman, Rapid molecular screening for multidrug resistant tuberculosis in a high-volume public health laboratory in South Africa, Am J Resp Crit Care Med 2008, 177: 782-792. The drugs needed to cure MDR-TB can cost up to R30 000, a100 times as much as those needed for ordinary TB. Editorial, XDR-TB – a global threat, The Lancet 2006, 368: 964. Side-effects of second-line drugs include depression, seizures, hypothyroidism, gastritis, psychosis, hearing loss, renal failure, and optic neuritis. Weyer/Van der Walt/Kantor, MRC Policy Brief Jan 2006. American Lung Association, Multidrug-resistant Tuberculosis Fact Sheet, http://www. lungusa.org (last visited 11 April 2008). See Department of Health, Draft Tuberculosis Strategic Plan for South Africa, 20072011, 15; Nunn, Transmission of XDR-TB in South Africa: Discussion of the global implications, paper delivered at the 14th Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections 25 Feb 2007. Singh/ Upshur/Padayatchi, PLoS Medicine 2007, 4(1): e50. In March 2008 33 patients with MDR-TB and XDR-TB escaped from an Eastern Cape hospital to spend the Easter weekend with their families. In December 2007 49 such patients had escaped from the same hospital (Die Burger 22 March 2008, 6; Die Burger 25 March 2008, 1; Mail & Guardian 20-27 March 2008, 33). XDR-TB is resistant to rifampicin, isoniazid, quinolone and an injectable second-line drug (kanamycin, amikacin or capreomycin) - the drugs used to treat MDR-TB. See Editorial,The Lancet 2006, 368: 964; Parmet, Legal power and legal rights – isolation and quarantine in the case of drug-resistant tuberculosis, NEJM 2007, 357: 433.
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TB is also airborne and highly contagious. It is even more difficult to treat than MDR-TB and treatment can have severe side-effects.24 The mortality rate is extremely high. Many patients with XDR-TB cannot be treated successfully and die even before the diagnosis of XDR-TB can be confirmed.25 A combination of four drugs (the third-line drug regimen) has to be administered under highly controlled conditions to avoid further drug resistance developing.26 Treatment has to be continued for two years, and patients have to be hospitalized as some of the drugs need to be injected daily. Globally, there were 347 cases of XDR-TB reported between 2002 and 2004, mainly in the former Union of Soviet Socialist Republics, Eastern Europe and Asia.27 In 2007 alone XDR-TB spread to sixteen new countries. It is now found in 45 countries, including countries such as Canada and the United States of America (USA).28 XDR-TB was first diagnosed in South Africa in September 2006 when 53 patients became infected with a virulent strain, resistant to almost all known drugs. All the patients were in the Tugela Ferry Church of Scotland Hospital in the province of KwaZulu-Natal. Of the 53 patients (including six health care workers) 52 died, on average only sixteen days after the diagnosis had been made.29 This fatality rate is unprecedented anywhere in the world.30 At least 47 of the patients were also HIV positive.31 When a sample of 536 TB patients at the same hospital was tested, 41% of them were found to have MDR-TB.32 Since then XDR-TB has spread throughout South Africa, and by April 2007 898 cases had been diagnosed, with 65% of the cases in KwaZulu-Natal.33 In 2006 an emergency seven-point plan was developed by the Department of Health, in conjunction with the WHO and Ministers from the Southern African
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Two drugs that are reserved for treating XDR-TB only because of their side-effects, are capreomycin and cycloserine. Editorial, Stopping tuberculosis proves hard to do, The Lancet 2007, 369: 965; Beating drug resistant tuberculosis, Equal Treatment Nov 2006, 26. One of the drugs – capreomycin - needs to be controlled with special care. Editorial, XDR-TB – a global threat, The Lancet 2006, 368: 964; Editorial, The rise and spread of drug-resistant tuberculosis, The Lancet 2006, 371: 698. WHO, New survey finds highest rates of drug-resistant TB to date, News Release 28 Feb 2008 http://www.who.int/mediacentre/news/releasesss/2008/pr05/en/index.html (last visited 12 March 2008). By October of the same year 78 patients had been confirmed with XDR-TB in KwaZulu-Natal of whom 74 died. Many of them were apparently infected in the hospital setting. See Kahn, South Africa: Deadly TB found in all nine provinces of South Africa, Business Day 18 Oct 2006. Singh/Upshur/Padayatchi, PLoS Medicine 2007, 4(1): e50. The HIV status of 47 people was known: They were all HIV positive and 15 were on antiretroviral treatment. Editorial, The Lancet 2006, 368: 964. See Department of Health, Draft Tuberculosis Strategic Plan for South Africa, 20072011, 16.
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Development Community.34 South Africa became one of the first countries to ask the WHO for help in its fight against XDR-TB.35
4. Summary From the above it is clear that TB, especially drug-resistant TB (MDR- and XDRTB), poses a serious threat to public health in South Africa. The danger exists that the largely treatable TB epidemic may become a non-treatable one, as it was before the discovery of antibiotics.36 A significant number of TB patients develop XDR-TB. It is therefore essential that TB be controlled to prevent MDR strains from developing, and that MDR-TB be controlled to prevent MDR strains from evolving into XDR strains. Patients with drug-resistant TB who refuse treatment or hospitalization or who discharge themselves from hospital against medical advice - before treatment is completed - aggravate the problem. They mix freely with their families and the broader society, thereby posing a public health risk. Many patients with MDR-TB and XDR-TB cannot be cured; treatment has severe side-effects, is expensive and has to be administered under controlled conditions for extended periods of time. Unless new diagnostics, an effective TB vaccine or new drugs which are effective against resistant strains are developed (which is not likely to happen before 2012),37 the emerging TB epidemic may have disastrous effects, especially in view of the current HIV epidemic in South Africa. Together they have the potential to escalate into an uncontrollable epidemic, even into what has been described as an apocalypse.38
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The plan involves the following: rapid surveys to assess the prevalence of XDR-TB globally; enhanced local laboratory capacity to carry out culture and drug-resistance testing; increased training of public health workers to identify, investigate and treat XDR-TB outbreaks; implementation of infection control measures; increased research support for drugs to treat XDR-TB and for the development of rapid diagnostic tests for TB, and access to antiretroviral drugs for patients with HIV (Editorial, The Lancet 2006, 368: 964). Representatives from several southern African countries undertook to implement the plan within 3 months, but due partly to lack of funds, not much progress has been made. Thom, Health-e(Cape Town) 18 Oct 2006. Senior, Action needed now to prevent resistant tuberculosis, The Lancet Infectious Diseases 2007, 7: 511, quoting Dr Paul van Helden (attached to the South African Medical Research Council and Stellenbosch University). See the International Herald Tribune 15 Sept 2006, 7. Encouraging news is that South African scientists have mapped the genetic structure of the strain of XDR-TB circulating in KwaZulu-Natal which could lead to better diagnosis and treatment (Business Day 12 Oct 2007, 4). Dr Paul Nunn from WHO’s Stop TB Department, quoted in Die Burger 25 March 2008, 1.
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III. Public health responses The National Health Act39 provides that both the national and the provincial health departments must, among other things, facilitate, promote and provide the provision of health services for the management, prevention and control of communicable40 and non-communicable diseases.41 They have the obligation to protect the public against serious health risks presented by infectious diseases and to uphold the constitutional rights of people, including their right to an environment that is not harmful to their health.42 However, the health departments have been slow in reacting to the public health threat presented by TB. Apart from the fact that TB, and by implication also MDR-TB and XDR-TB, are notifiable conditions in terms of the National Health Act,43 no clear policies or legal framework is currently in place. In 2007 the national Department of Health published a “Draft Tuberculosis Strategic Plan for South Africa, 2007-2011”, and a “Draft National Infection Prevention and Control Policy for TB, MDRTB and XDRTB”. These documents deal with issues such as infection control measures in hospitals but give little guidance on what should be done with patients who discharge themselves from hospital or fail to complete their treatment.44 It is generally accepted that health authorities may override individual rights where public health is at risk. However, the National Health Act makes scant provision for such an eventuality. According to the Act a health service45 may be provided to a user46 without the user’s informed consent if this is authorized in 39 40
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61 of 2003, parts of which came into effect in 2005. Communicable diseases are diseases resulting from an infection due to pathogenic agents or toxins generated by the infection, following the direct or indirect transmission of the agents from the source to the host (s 1 of the National Health Act). S 21(2)(k) and s 25(2)(w) of the National Health Act. See s 24(a) of the Constitution of the Republic of South Africa 1996. The first health care profession or facility with whom a patient presenting with a notifiable medical condition comes into contact must notify the case or death to the relevant local or regional authority. If necessary, a member of the community may notify a death. The Directorate: Epidemiology & Surveillance of the Department of Health has instituted a priority reporting for MDR- and XDR-TB. This means that all health care facilities - public and private - including clinics, hospitals, laboratories, general practitioners and private specialist doctors, are required to report all cases of MDR- and XDR-TB to the Department of Health within 24 hours (http://www.doh.gov.za/ docs/dns.html, last visited 30 April 2008). According to media reports the Department of Health has launched a campaign entitled “Stop TB… Because you can”. In terms of this campaign all provinces have established teams of nurses who trace patients who default on their TB treatment and return them to their treatment regime (Business Day 31 March 2008, 3). That is a) health care services, including reproductive health care and emergency medical treatment, contemplated in s 27 of the Constitution; b) basic nutrition and basic health care services contemplated in s 28(1)(c) of the Constitution; c) medical treatment contemplated in s 35(2)(e) of the Constitution; and d) municipal health services. See s 1 of the National Health Act. That is the person receiving treatment in a health establishment. See s 1 of the National
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terms of any law or court order, or if failure to treat such user will result in a serious risk to public health.47 A health care provider must first take all reasonable steps to obtain the user’s informed consent.48 Where a user is admitted to a health establishment without his or her consent, the health establishment must notify the head of the provincial department in the province in which that establishment is situated within 48 hours after the user was admitted of the admission and must submit such other information as may be prescribed.49 It is interesting to note that the National Health Act does provide for involuntary medical treatment, but that it does not address the issue of isolation or quarantine or of procedures to be followed to safeguard the rights of the patient (apart from the prescribed notification). It also gives no guidance on the period of such treatment or on the measures available if the patient does not respond to treatment. Despite the seriousness of the situation, regulations to give effect to the broad provisions of the National Health Act had not been adopted at the time of the writing of this article (April 2008).50 Health regulations51 (made in 1987 in terms of the now repealed Health Act)52 which do provide extensively for involuntary isolation and treatment to contain communicable diseases53 have never been invoked in the context of drug-resistant TB or subjected to constitutional scrutiny. In terms of the 1987 regulations known and suspected carriers of communicable diseases may be medically examined against their will, they may be removed to a hospital or other place of isolation to remain under medical supervision for a period determined in the order; they may be medically treated against their will until they are “free of infection” or may be discharged “without in any way endangering public health”; and they may be ordered to comply with requirements as are deemed necessary in order to safeguard public health.54 Persons who suffer from, or who are suspected of suffering from a communicable disease and who are not isolated, may be quarantined for a period of fourteen days (which may be extended to a maximum period of 28 days or longer if so determined by the Minister).55 Medical officers of health may issue
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Health Act. S 7(1)(c) and (d) of the National Health Act. S 7(2) of the National Health Act. S 9(1) of the National Health Act. If the 48-hour period expires on a Saturday, Sunday or public holiday, notification must take place on the next day that is not a Saturday, Sunday or public holiday (s 9(2)). S 90(1)(j) of the National Health Act provides that the Minister, after consultation with the National Health Council, may make regulations regarding communicable diseases. Draft Regulations regarding Communicable Diseases were published for public comment in 2008 (No R 27 GG 30681 of 25 January 2008). They need to be redrafted substantially and will not be discussed in any detail in this article. Regulations relating to Communicable Diseases and the Notification of Notifiable Medical Conditions (No R 2438 GG 30 Oct 1987). 63 of 1977. This Act was repealed by the National Health Act of 2003. Communicable diseases are listed in Annexure I to the regulations and include lung tuberculosis. See regulation 14(3). See regulation 2 (1)(d)(i) read with regulation 2(4).
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the above written orders when they are satisfied on medical scientific grounds that the danger exists of a carrier of a communicable disease transmitting such disease to other people. Some procedural safeguards are in place.56 In view of the serious shortcomings of the current legal framework and the absence of clear legal guidance, health authorities have been uncertain about their options and had to obtain high court orders to “isolate” or “quarantine” (the two terms are sometimes used interchangeably even though the two measures differ substantially)57 patients with MDR- and XDR-TB in hospitals and even to forcibly treat them there to reduce the risk of the disease spreading. For example, in March 2007 the member of the Executive Council for Health of Gauteng Province obtained an interim interdict which prevented thirteen patients with MDR-TB from leaving the Sizwe Tropical Diseases Hospital in Johannesburg. Other examples are court orders authorizing the police, officials of the Department of Health and health care workers to fetch patients from their houses and return them to hospital.58 The constitutionality of these courts orders has been contested and many concerns have been raised, some of which include the following: 1. What probability and level of risk would justify isolation? In other words, how infectious must a person be to be isolated? 2. What evidence is needed to determine that a person poses a risk to public health? Would non-compliance with medical advice be sufficient to justify isolation? 3. Can patients with drug-resistant TB be treated against their will in view of the toxicity of treatment, severe side-effects, low success rate of treatment, and their reduced life expectancy? 4. For how long can or should patients with drug-resistant TB be isolated (and treated)? Can they be held and treated until they are cured? Or should they be released once their infectiousness has decreased? Can patients who do not respond to treatment be isolated indefinitely or until they die?59 56
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The medical officer of health must, for example, without delay submit a comprehensive report on his actions and what gave rise to them to the regional director of the region in which the carrier finds himself and the Director-General may, after consideration of representations made by a carrier, set aside or amend an order [regulation 14(5)(b)]. Isolation applies to someone who is known to be contagious, and has been applied for centuries to prevent the spread of diseases such as cholera. It is the correct term to be used in the context of XDR-TB where patients are ill and transmission is possible. Quarantine applies to not-yet ill people and goods that may have been exposed to a communicable disease. “Quarantine” originally referred to the 40 days during which ships were held if they came from an area in which a contagious disease was raging. The free movement of people or goods is curtailed in order to prevent the spread of disease. Quarantine was applied during the acute respiratory syndrome (SARS) outbreak in Asia and Canada. See Parmet, NEJM 2007, 357: 433; Frankenberg, AIDS-Bekämpfung im Rechtsstaat, 1988, 120; Porter, History says no to the policeman’s response to AIDS, BMJ 1986, 293: 1589. See, for example, Legalbrief TODAY 3 May 2007 (http://www.legalbrief.co.za (last visited 30 April 2008). See South African Medical Research Council, Position statement on detention of XDR-
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IV. A role for coercive legislative measures? Isolating patients in a hospital or other institution and treating them without their consent make serious inroads on their rights in terms of the Bill of Rights contained in Chapter 2 of the Constitution of the Republic of South Africa.60 The following constitutional rights might be at stake: the right to dignity,61 the right to freedom and security of the person62 (which includes the rights not to be deprived of freedom arbitrarily or without just cause and not to be detained without trial, as well as the right to bodily and psychological integrity and the right to control over one’s own body), the right to freedom of movement and residence,63 freedom of trade64 and association,65 the right to just administrative action,66 and the right to privacy67 and equality.68 Some of these rights may be so seriously infringed that isolation would not differ much from imprisonment. To crown all, patients usually have done no wrong for which they should be “punished”. The rights mentioned above are of course not absolute. They have to be balanced against the rights of other members of society (for example their right to life and to an environment that is not harmful to their health) and may be limited according to the limitation clause in the Constitution69 x x
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in terms of a law of general application, and to the extent that the limitation is reasonable and justifiable in an open and democratic society based on human dignity, equality and freedom, taking into account all relevant factors, including a) the nature of the right(s) infringed, b) the importance of the purpose of the limitation, c) the nature and extent of the limitation, d) the relationship between the limitation and its purpose, and e) less restrictive means to achieve the purpose.
TB patients, 30 January 2007, http://www.doh.gov.za/docs/pr2007/pr0130.html (last visited on 5 March 2008). 108 of 1996. S 10 of the Constitution. S 12 of the Constitution. S 21 of the Constitution. S 22 of the Constitution. S 18 of the Constitution. S 33 of the Constitution. S 14 of the Constitution. S 9 of the Constitution would be relevant if isolation were to be applied in a discriminatory manner. New York City’s use of isolation orders for TB for the period 1993-1995 shows that more than 90% of the people detained were non-white (Gasner/Maw/Feldman/Fujiwara/Frieden, The use of legal action in New York City to ensure treatment of tuberculosis, NEJM 1999, 340: 359). Although TB sufferers come from all strata of society, the marginalized, the vulnerable and the poor are most likely to be infected. S 36 of the Constitution.
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I will not attempt an in-depth constitutional analysis of the limitation of rights, but will rather approach the limitation clause from a comparative and international law perspective. Section 39(1) of the Constitution provides that when interpreting the Bill of Rights (including the limitation clause) a court, tribunal or forum a) must promote the values that underlie an open and democratic society based on human dignity, equality and freedom; b) must consider international law; and c) may consider foreign law (emphasis added). Legislation or regulations (law of general application) could address many of the concerns raised above and would be preferable to the ad hoc court orders which are currently issued. It is generally accepted that public health authorities may use their power to override constitutional rights in certain circumstances. For example, the “Siracusa Principles” on the Limitation and Derogation Provisions in the International Covenant on Civil and Political Rights, adopted by the United Nations Economic and Social Council in 1985,70 acknowledge that public health may be invoked as a ground for limiting certain rights in order to allow a state to take measures dealing with a serious threat to the health of the population. Such measures must be specifically aimed at preventing disease and must pursue a legitimate aim. Limitations should not be applied in an arbitrary or unscientific manner and should be provided for by national law of general application which is consistent with the Covenant. Coercive measures are deemed reasonable and justifiable in many democratic societies based on human dignity, equality and freedom. In Switzerland, for example, legislation provides for examination, “detention” (a term used in many countries in this context) and treatment of people with TB. Other countries which provide for both isolation and treatment are Norway, Estonia, the Czech Republic, and Russia.71 In the USA the Public Health Service Act of 1946 authorizes the Department of Health and Human Services to apprehend, detain and forcibly examine persons to prevent certain communicable diseases (including TB) from entering the country or traveling across state lines.72 In May 2007 an Atlanta lawyer with MDR-TB had his movement restricted in terms of these provisions. He was isolated and ordered by the Centers for Disease Control (CDC) to cooperate with health officials.73 This was the first such federal order in more than 40 years.74 Various states in the USA have isolation programmes in place in terms of which TB patients can be isolated until they are cured.75 One such patient was isolated in New York City for a total of 654 days. Furthermore, federal regulations were proposed in 200576 which provide for quarantine and isolation orders by the 70 71
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U.N. Doc. E/CN.4/1985/4, Annex (1985). Coker/Thomas/Lock/Martin, Detention and the evolving threat of tuberculosis: Evidence, ethics and the law, Global Health Law, Ethics and Policy 2007, 609. S 361 of the Public Health Service Act. Altman, TB patient is isolated after taking two flights, New York Times 30 May 2007. Parmet, NEJM 2007, 357: 433. The states include California (where TB patients are tried under criminal law and jailed) and Massachusetts. See Lerner, Chest 1999, 115: 236-239. See Department of Health and Human Services Control of Communicable Diseases; Proposed Rule, 70 Fed. Reg. 71892 30 Nov 2005. As far as could be ascertained, these
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CDC for stretches of time determined by the periods of incubation77 and communicability (infectiousness)78 of a disease. In terms of the proposed regulations persons who have been exposed to infectious TB will be first quarantined for a maximum period of six weeks and, if they become ill towards the end of that period, isolated for another eight and a half weeks - a total of almost four months. According to the proposed regulations medical treatment would be offered on a voluntary basis for persons under quarantine and if they refuse, they would remain in quarantine until the periods of incubation and communicability have passed. Public health officials would have broad authority and the CDC would be able to isolate people without having to prove that they posed a significant risk to others or the public health. Their authority would, however, not be unfettered and procedural safeguards would apply.79 It is noteworthy that the proposed regulations provide for isolation but not for involuntary treatment. This is similar to the position in the United Kingdom,80 but contrary to the provisions of the South African National Health Act and the position in New York City. The latter passed regulations in terms of which the commissioner of health can issue orders compelling a person to be examined for suspected TB, to complete treatment, to receive DOTS and to be “detained” for treatment”.81 Furthermore, international documents and organizations provide for the isolation of patients in certain circumstances: The European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms (1950) provides for the lawful detention of persons for the prevention of the spreading of infectious diseases82 and the WHO has a legal framework in place for involuntary isolation. The WHO guidelines provide as follows: “[I]f a patient willfully refuses treatment and, as a result, is a danger to the public, the serious threat posed by XDR-TB means that limiting that individual’s rights may be necessary to protect the wider public. Therefore, interference with freedom of movement when instituting quarantine or isolation for a communicable disease such as MDR-TB and XDR-TB may be necessary for the public good, and could be considered legitimate under international human rights law. This must be viewed as a last resort, and justified only
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regulations have not yet been adopted. In the case of infectious TB the period of incubation following exposure is 4-6 weeks (primary) and variable (secondary). In the case of infectious TB the period of communicability following the onset of illness is 14-60 days. Detained persons would be able to request an administrative review of the quarantine order by the CDC as well as a judicial review of the order and may bring a writ of habeas corpus. Due process has to be followed and the order has to contain information including the date and time at which quarantine commences and ends and the suspected disease. See Parmet, NEJM 2007, 35: 433. Coker/Thomas/Lock/Martin, Global Health Law, Ethics and Policy 2007, 609, 614. Gasner/Maw/Feldman/Fujiwara/Frieden, NEJM 1999, 340: 359. Article 5(1)(e). Article 5 provides for the right to liberty and security: “(1) Everyone has the right to liberty and security of person. No one shall be deprived of his liberty save in the following cases and in accordance with a procedure prescribed by law: …e) the lawful detention of persons for the prevention of the spreading of infectious diseases … ”
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after all voluntary measures to isolate such a patient have failed.”83 In 2001 the WHO provided a model legislative framework for isolation and quarantine, as well as for mandatory medical treatment.84 Factors which should be taken into account to decide on the reasonableness and justifiability of coercive measures include the nature of the rights that are infringed.85 The rights infringed no doubt go to the core of the individual(s) involved. However, the purpose of the limitation (the protection of public health against health risks) is of cardinal importance and should be weighed against the individual patients’ rights. With regard to the nature and extent of the limitation, as a factor to be considered the “Siracusa Principles” suggest that the limitation of rights should be necessary, which includes that it should respond to a pressing public or social need. Rights should therefore not be limited more than is necessary to protect public health and the limitation should be terminated as soon as the threat or risk to public health subsides. This principle introduces the notion that a certain level of risk may have to be tolerated by society, which level will have to be determined by the society itself. The Americans with Disabilities Act of 1990, for example, prohibits discrimination against people with disabilities in a range of areas. People with TB are considered to have a disability and to be protected to the extent that their infectiousness does not pose a significant risk to the health of others that cannot be eliminated or substantially reduced by “reasonable accommodation”.86 The USA federal regulations discussed above provide for isolation even without the CDC having to prove that the patients posed a significant risk to others or the public health. As indicated above, the South African National Health Act provides that patients may be medically treated without their consent if failure to treat will result in a “serious” risk to public health. It is uncertain whether this level of risk would also apply to isolation, or whether a “significant” risk would suffice (in which case the American examples could prove useful). The existence of a “serious” or even “significant” risk has to be determined by and based on the medical or other objective, scientific evidence available. However, scientific evidence on this point seems to be divergent. The South African Department of Health until recently advised that XDR-TB patients should be hospitalized and treated for at least six months until they test “smear negative”87 after which they can return home for community-based treatment to continue until they
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WHO, Guidance on human rights and involuntary detention for XDR-TB control, http://www.who.int/tb/xdr/involntary_treatment/en/index/html (last visited 12 March 2008). WHO, Good practice in legislation and regulations for TB control: An indicator of political will, http://whqlibdoc.who.int/hq/2001/WHO_CDS_TB_2001.290.pdf. According to the “Siracusa Principles” the essence of the limited rights should not be jeopardized. In School Board of Nassau v Arline, 480 U.S. 273 (1987) the court recognised TB as a disability. A sample of sputum is stained with a special dye and placed on a slide. It is then examined under a microscope for the mycobacterium tuberculosis organism.
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are cured.88 This is in line with the generally accepted idea that patients with smear-negative but culture-positive pulmonary disease are non-infectious.89 Patients are considered non-infectious when they have had three negative sputum microscopic smears on three separate occasions over at least a fourteen day period and either a complete resolution of cough or definite clinical improvement in response to treatment. However, scientific studies suggest that although patients with a smear negative sputum result do have a much smaller mycobacterial burden and are less infectious that patients with a positive sputum test result,90 they remain infectious and can still transmit TB.91 Up to 20% of new TB cases in San Francisco could be traced to contact with smear-negative or so-called “noninfectious” patients.92 Furthermore, in patients with HIV infection, TB is difficult to detect since they often test “smear negative” when in fact they are infected and seriously ill.93 Smear-negative patients therefore still pose a risk to public health, albeit a smaller one than that posed by patients who test smear positive. The question arises whether this (reduced) level and probability of risk should be regarded as small enough to warrant the release of such patients back into society? Commentators who argue for the detention of non-infectious patients until they are cured and sputum culture negative, regardless of the public health threat they pose, include Lerner.94 88
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See Butler, Prognosis dismal if state fails to treat TB crisis with urgency, Business Day 10 March 2008, 8. Although not clear, Annexure 2 to the draft regulations of 2008 seems to indicate that MDR- and XDR-TB patients may be released after 4-6 months’ treatment if their sputum culture tests negative. This would be a sensible approach. Underwood/WShite/Baker/Law/Moore-Gillon, J Publ Hlth Med 2003, 25: 59. The presence of acid-fast bacilli in sputum (a “positive” result) is highly predictive of infectiousness. See Coker/Thomas/Lock/Martin, Global Health Law, Ethics, and Policy 2007, 609, 613. There may be between 100- to 1 000-times more bacteria in a smear positive case than in a negative one. See TB patient’s third test result means he’s nearly non-infectious, http:www.thedenverchannel.com/health/13445559/detail.html (last visited 11 April 2008). Patients with smear negative test can have up to 10 000 mycobacteria per millimeter of sputum. See TB patient’s third test result means he’s nearly non-infectious, http:www.thedenverchannel.com/health/13445559/detail.html (last visited 11 April 2008). See also Jafari/Ernst/Kalsdorf/Greinert/Diel/Kirsten/Marienfeld/Lalvani /Lange, Rapid diagnosis of smear-negative tuberculosis by bronchoalveolar lavage enzymelinked immunospot, Am J Respir Crit Care Med 2006, 174: 1048-1054; Behr/Warren/Salamon/Hopewell/Ponce de Leon/Daley/Small, Transmission of mycobacterium tuberculosis from patients smear-negative for acid-fast bacilli, Lancet 1999, 353(9151): 444. TB patient’s third test result means he’s nearly non-infectious, http:www.thedenverchannel.com/health/13445559/detail.html (last visited 11 April 2008). Smart, WHO releases revised guidelines for diagnosis of smear negative and extrapulmonary TB in HIV-prevalent settings, Aidsmap news 30 Nov 2006. Lerner, Catching patients: Tuberculosis and detention in the 1990s, Chest 1999, 115: 236,238. Sputum culture (where sputum is placed on a growth medium and grown in a laboratory) detects lower concentrations of the mycobacteria in sputum than when a stained sputum smear on a slide is examined under a microscope, and usually provides a definitive diagnosis.
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The relationship between the limitation and its purpose, as a factor to be taken into account when judging the justifiability of coercive measures, includes that the measures should be efficient and appropriate tools for protecting public health. Some commentators deny that this is the case. They argue that compulsory isolation scares people away; that it has not been adequately proved that isolation results in a reduction of the incidence of MDR-TB and XDR-TB; that it “lull[s] the public into a false sense of security”; that isolation may drive the disease underground as people might not seek treatment if they know that they face isolation “once diagnosed with XDR-TB” (which is not really a correct rendition of current practice); that the situation will be aggravated by the strong association between TB and HIV; that isolating people with XDR-TB in effect means isolating people with HIV; that patients fear that they will be diagnosed with HIV as soon as they seek treatment for TB; and that treatment involving long periods of isolation may be harder to enforce than DOTS which has limited success in South Africa.95 However, other commentators hold that isolation is indeed an appropriate response to patients who “willfully” refuse treatment and thereby pose a danger to the public,96 and that the threat of isolation will contribute to the success of DOTS.97 As pointed out above, this approach has also been endorsed by the WHO. The “Siracusa Principles” further suggest that limitations should be proportionate to their legitimate aim, and should use no more restrictive means than are necessary for the achievement of the purpose of the limitation.98 This requirement is also contained in the limitation clause of the Constitution and was confirmed by the European Court of Human Rights in 2005.99 In a case before the court an HIV positive man challenged his detention by Swedish public health authorities, basing his challenge on Article 5(1) of the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms.100 He argued successfully that the detention did not constitute a proportionate response to the nature of the disease (HIV infection) and that other less restrictive measures should have been considered first. Similarly, in the case of TB infection (which of course is much easier transmitted than HIV), coercive measures should be the least restrictive alternative for preventing the risk to public health and should be proportional to the public health threat. If the government can protect public health without relying on coercive measures, it must and should do so.101 However, opinions differ on which less restrictive and invasive TB control measures must be in place before coercive measures can be considered the least restrictive alternative. Some hold that these measures include better infection control in hospitals; rapid earlier diagnosis of 95
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France, Careless XDR-TB medical coverage may tip the balance on HIV stigma, AFAIDS eForum 2007, [email protected]); Parmet, NEJM 2007, 357: 433; Coker/Thomas/Lock/Martin, Global Health Law, Ethics, and Policy 2007, 609, 612. Singh/Upshur/Padayatchi, PLoS Medicine 2007, 4(1): e50. Gasner/ Maw/Feldman/Fujiwara/Frieden, NEJM 1999, 340: 359, 364. Principle I.A.10 and 11, read with Principle I.B. ECHR 2005/7 case of Enhorn v Sweden no 56529/00 (second section); Coker/Thomas/Lock/Martin, Global Health Law, Ethics, and Policy 2007, 609, 610. See note 82 above. Parmet, NEJM 2007, 357: 433.
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TB and better and longer treatment of “ordinary” TB to prevent drug resistance from developing;102 better combating of (further) drug-resistant strains;103 the routine sputum collection and testing of suspected TB cases for drug resistance – even if this still take weeks; better identification of new strains when they occur; and appropriate adjustment of medicines – even if these are more expensive or have more side-effects. Some advocate that since disadvantaged and marginalized persons find it difficult to adhere to treatment, efforts should first be made to improve their social condition and to remove impediments to their continued treatment. This includes that current South African policy, which stipulates that those who are hospitalized at state expense forfeit certain social welfare benefits for the duration of their hospitalization,104 should be revised. Some even suggest that tokens or food coupons should be used as incentive.105 On the other hand, other commentators argue that every less restrictive option need not be exhausted before 106 isolation can be ordered for those patients who pose a threat to public health. Parmet describes how, during the 1993-1995 drug-resistant TB epidemic, New York City increased funding for TB control and DOTS. Patients were first offered voluntary DOTS. When they failed to comply, they were ordered to undergo mandatory DOTS in “detention”.107 The failure of patients (who included those who were considered “non-infectious”) to comply with DOTS was accepted by the courts as justification for such detention and as sufficient indication of the risk posed to public health.108 Parmet argues that compulsory isolation may not be found constitutional by American courts in the absence of a DOTS programme.109
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An uninterrupted and appropriate course of treatment is suggested, 2 or 3 times longer than the standard 6 months currently used in South Africa (Seidman, A response from hell, Mail & Guardian 16 to 22 March 2007, 31). Improved control of drug adherence and administration is suggested. Singh/Upshur/Padayatchi, PLoS Medicine 2007, 4(1): e50. Impediments to adherence and continued stay in hospital include regulations such as those made in terms of the Social Assistance Act 13 of 2004 (No R162 GG 27316 of 22 Feb 2005). These provide that eligibility for social assistance (older person’s grant) ends when such a person is maintained in a state institution or institution funded by the state, including a prison and care treatment centre. Lerner, Chest 1999, 115: 236, 238. Gasner/Maw/Feldman/Fujiwara/Frieden, NEJM 1999, 340: 359 refer to an unsuccessful court challenge to the New York City regulations in this respect. Parmet, NEJM 2007, 357: 433. Some criticize this approach and argue that an evidence-based assessment of risk is necessary before any isolation can take place, and that this kind of assessment has not yet been done. See Coker/Thomas/Lock/Martin, Global Health Law, Ethics, and Policy 2007, 609, 613. Parmet, NEJM 2007, 357: 433.
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V. Concluding remarks and proposals TB is a highly contagious, airborne disease. Drug-resistant TB is difficult and expensive to treat; it has a prolonged duration of infectiousness and a high mortality rate. When patients refuse to accept the diagnosis of MDR-TB or XDR-TB or if they fail to comply with treatment, public health is threatened. In these circumstances an intrusion into the rights of such patients for the benefit of public health is justifiable. Individual rights in such instances should not be protected at society’s expense. 1. Although coercive measures cannot play a major role in changing peoples’ attitudes and should not become the primary focus of public health interventions,110 it is submitted that they do have a role to play in the protection of public health. They have through centuries been regarded as appropriate tools to contain contagious diseases when other less intrusive measures fail. They have also been shown to be effective in protecting health in more recent times: Public health orders, including orders for “detention” became a “small but integral part of New York City’s successful efforts to control tuberculosis”.111 The efficacy of coercive measures became evident from impressive completed treatment rates obtained elsewhere in the USA where patients were “detained” for treatment.112 To wait for more evidence-based research to be carried out on the public health benefit of coercive TB measures in order to inform public policy, as is suggested by some commentators,113 is not warranted - especially in view of the seriousness of the South African situation. 2. Isolation should be reserved, as a last resort, for drug-resistant TB patients who are unwilling or unable to adhere to treatment, and who pose a serious risk to public health. Whether a lesser (“significant”) risk would also justify isolation (as opposed to treatment) in South Africa is at this stage uncertain. Voluntary cooperation should be sought first,114 and all reasonable attempts should be made to remove barriers to adherence to therapy,115 and to ensure that DOTS programmes (including DOTSPlus programmes which cater for drug-resistance specifically and allow patients to complete treatment at community level) are functioning properly in South Africa. 110
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Ogden, Improving tuberculosis control – social science inputs, Transactions of the Royal Society of Tropical Medicine and Hygiene 2000, 94: 135. Gasner/ Maw/Feldman/Fujiwara/Frieden, NEJM 1999, 340: 359, 364. Rates of 83% to 97% have been reported in various jurisdictions in the USA, namely Denver, Massachusetts, California and New York City (Lerner, Chest 1999, 115: 236, 238). See, for example, Coker/Thomas/Lock/Martin, Global Health Law, Ethics, and Policy 2007, 609. The National Health Act makes provision for involuntary treatment, provided that all reasonable steps have been taken to obtain the patient’s informed consent. Singh/Upshur/Padayatchi, 2007 PLoS Medicine 4(1): e50 propose that voluntary isolation should first be offered. Where this is declined, coercive measures may be imposed. This may be for an indefinite period or until death occurs. Gasner/Maw/Feldman/Fujiwara/Frieden, NEJM 1999, 340: 359.
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3. It is submitted that a degree of minimal risk has to be endured by society, and that the law cannot guarantee a risk-free environment. The probability and level of risk posed by different categories of patients have to be determined properly and scientifically in order to make an informed decision on this issue. More research on this aspect needs to be done urgently. 4. As a result of the severe side-effects and limited success rate of treatment, it is more difficult to justify coerced medical treatment of patients suffering from drug-resistant TB. South African legislation currently provides that coercive treatment may be given if failure to treat will result in a serious risk to public health. It is suggested that the question of treatment should be addressed on a case by case basis. One option would be to offer treatment on a voluntary basis, and if patients refuse, or if they do not respond to the treatment, to keep them in isolation - if needs be for an indefinite period of time or until they die. To discharge them and allow them to go home would expose people to drug-resistant TB who have no medical training or equipment to deal with the risk this entails. In instances where drug-resistant TB remains potentially curable medicines should be administered and treatment completed under controlled conditions in hospital. This would prevent resistance to third-line drugs from developing. If such resistance were to develop, not much else will be left with which to treat patients. One commentator put it as follows: “[C]oercion … would be hard to justify if detainees were not completing therapy”.116 5. Isolation should not be a punishment of some kind, and patients should not be treated as convicted criminals.117 Legislation and regulations should protect public health and safeguard the legal rights of individuals. Patients should be reasonably accommodated in conditions comparable at least to those which prisoners enjoy in terms of the Constitution118 and the Correctional Services Act.119 Patients should have access to exercise and relaxation facilities and reading material to relieve boredom and frustration. They should receive adequate nutrition and family members should be able to visit them under controlled conditions. 6. Patients in isolation should be treated in facilities which are appropriate to the nature of TB, and which provide treatment as well as public health protection.120 Hospitals should have adequate infection control measures in place. Overcrowding of hospitals should be avoided. Drug-resistant TB patients should be separated from each other and other patients, especially those with HIV. Hospitals should have proper ventilation, and ideally also negative pressure rooms, so as not to become breeding-grounds for XDR-TB which increase, rather than reduce the spread of TB. Drug-resistant TB patients should not be treated by HIV-positive
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Lerner, Chest 1999, 115: 236, 239. In some countries such as Israel, non-adherent TB patients are hospitalized in prison. See Weiler-Ravell/ Leventhal Coker/Chemtob, Compulsory detention of recalcitrant tuberculosis patients in the context of a new tuberculosis control programme in Israel, Public Health 2004, 118: 323. S 35(2)(e) of the Constitution. 111of 1998; ss 7, 8, 9, 13 and 18. Coker/Thomas/Lock/Martin, Global Health Law, Ethics, and Policy 2007, 609, 611.
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nurses as face masks currently used by health care workers have large pores and gaps around the edges and offer little protection.121 7. Procedural safeguards should be in place. An analogy may be drawn between isolation orders and admission to obtain involuntary health care (civil commitment) in terms of the Mental Health Care Act.122 Similar procedures should be put in place for patients who are kept in isolation. Patients who are in isolation should know for how long they will be kept in isolation, they should have access to a legal representation, they should be able to challenge an isolation order in court, and their isolation should be periodically reviewed. In terms of the “Siracusa Principles” even in times of national emergency123 all detentions must be recorded, no person may be detained for an indefinite period of time, no person may be held in isolation without communication with his family, friend or lawyer for longer than seven days, and where they are detained without charge the need for their continued detention must be considered periodically by an independent review tribunal. In this respect it is important that the constitutional guarantees of equal protection and benefit of the law124 and of just administrative action125 be honoured. It is serious indictment against the Department of Health that no regulations have been adopted yet to deal with the threat to public health posed by drugresistant TB. Up-to-date legislation on communicable disease control would have been a clear indication of political commitment and will. This lethargy on the part of the Department is difficult to understand if one considers the current public health crisis and the fact that already in 2001 the WHO made a “Model Legislative Framework” available which offers guidance, based on current best practice, in the drafting of legislation on issues such as compulsory medical examination, compulsory medical isolation and treatment.126 It is of the utmost importance that regulations be adopted as soon as possible and that they deal with the issues discussed above.
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Dr Karin Weyer, Director for TB Research at the South African Medical Research Council, quoted by Thom, South Africa: Playing catch up with XDR-TB, Health-e (Cape Town) 18 October 2006; UN Integrated Regional Information Networks “South Africa: Emergency plan to counter deadly TB strain” 18 October 2006. 17 of 2002; s 32 et seq. That is when an exceptional and imminent danger threatens the life of the nation. It is submitted that this is not currently the case in South Africa. It cannot (yet) be argued that the XDR-TB outbreak in South Africa “affects the whole of the population” and threatens its physical integrity. S 9(1) of the Constitution. S 33 of the Constitution. See Appendix I to WHO, Good practice in legislation and regulations for TB control: An indicator of political will, 2001.
Haftpflicht- und Versicherungsrecht
Deliktische Haftung für Justizunrecht – Privilegien im gerichtlichen Verfahren
Hans-Jürgen Ahrens Fehler bei der Anwendung des Rechts haben vielfältige Ursachen. Sie effektiv zu beseitigen ist eine Aufgabe, die in erster Linie verfahrensintern zu bewirken ist. U.a. wegen der Zeitgebundenheit staatlicher Verfahren lassen sich jedoch nicht alle negativen Folgen auf diesem Wege ausgleichen. Notwendig kann es u.a. sein, einen nachträglichen Schadensausgleich manifest gewordener Fehler zu gewähren. Das Ausweichen auf externe zusätzliche Verfahren darf keine unerwünschten rechtlichen Störungen für das Ausgangsverfahren bewirken, weshalb das Justizpersonal und mittelbar der dahinter stehende Hoheitsträger sowie die anderen Verfahrensbeteiligten im öffentlichen Interesse gewisse Haftungsprivilegien genießen. Der Jubilar hat diese Phänomene als Haftungsrechtler und als einer der ersten Professoren-Richter in Deutschland mit kritischem Blick begleitet. Ihm gilt dieser Beitrag mit herzlichen Geburtstagsglückwünschen.
I. Haftung für Amtspflichtverletzungen als Rechtsgrundlage Die Haftung wegen schuldhafter Verletzung von Amtspflichten gem. § 839 BGB in Verb. mit Art. 34 GG ergreift auch die Rechtsprechungstätigkeit und die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren. Haftungssituationen betreffen gleichermaßen die unrichtige Anwendung von nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht. Art. 34 GG leitet die Haftung auf die Anstellungskörperschaft über, was für die überwiegend betroffene Landesjustiz eine Ersatzpflicht des jeweiligen Bundeslandes bedeutet. Ergänzend ordnet § 839a BGB eine persönliche Haftung des gerichtlich bestellten Sachverständigen für vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtig erstattete Gutachten an. Die zivile Haftung ist nicht davon abhängig, daß der Justizangehörige gleichzeitig einen Straftatbestand verwirklicht hat. Der zivilrechtlich relevante Umfang von Pflichtverletzungen ist weiter gezogen, als es die Straftatbestände wegen der Amtsdelikte des § 339 StGB (Rechtsbeugung) und des § 344 StGB (Verfolgung Unschuldiger) durch eine Strafbarkeitsanordnung markieren. Das Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB schließt Schadensersatzansprüche wegen der Entscheidungstätigkeit von Richtern weitgehend aus, schont
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aber nicht die Pflichtverletzung in Form einer Verzögerung der Amtsausübung, so daß insoweit der Grundtatbestand des § 839 Abs. 1 BGB einschlägig ist. Durch das Spruchrichterprivileg sollen rechtskräftige Entscheidungen vor einer indirekten Überprüfung im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs geschützt werden.1 Demgegenüber ist die Beschränkung der Sachverständigenhaftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit von der Überlegung getragen, die innere Freiheit des Sachverständigen bei der Gutachtenerstattung zu bewahren.2 Beide Haftungen setzen voraus, daß der Geschädigte dem Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels ergebnislos entgegengewirkt hat. Inwieweit die Gewährung von Haftungsbeschränkungen, die auch andere nationale Rechtsordnungen kennen, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, ist noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Jedoch akzeptiert auch das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich die Begrenzung der Haftung für judikatives Unrecht. Die Strafjustiz kann eine Haftung insbesondere wegen Verfahrensverzögerungen und wegen der Information der Öffentlichkeit über neu eingeleitete oder laufende Ermittlungsverfahren treffen. Der Fall Zumwinkel ist ein negativer Höhepunkt öffentlicher Kreuzigung eines Beschuldigten durch Benachrichtigung von Fernsehteams über die bevorstehende Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume eines Beschuldigten. Er stellt aber keinen Einzelfall dar. Der virtuelle Pranger, den eine niedersächsische Mordkommission durch Schaffung und Aufrechterhaltung eines Internetforums zur Aufklärung eines Kapitalverbrechens errichtet hatte, ist vom OLG Celle als unverhältnismäßige und deshalb rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsverletzung qualifiziert worden.3 Der minderjährige Sohn des Dorfpfarrers war drei Jahre lang – ex post gesehen unberechtigt – der aufzuklärenden Tat verdächtigt worden. Die Bevölkerung war zu Hinweisen im Internet aufgerufen worden und jedermann konnte die Hinweise fremder Personen im Internet nachlesen, so als ob die Ermittlungsakten zur Lektüre im Dorfgasthof ausgelegt waren; dadurch sollte der Bevölkerung ein Podium geboten werden, ihre Meinung zu dem Verbrechen zu äußern und es sollten Zeugen und andere Hinweisgeber angesprochen werden. Nach zwei Wochen hegte die Polizei allerdings selbst Bedenken und schaltete die Internetseite ab, trat aber der weiterwuchernden Diskussion – bei fortbestehendem Verdacht – nicht öffentlich entgegen, was erst nach Ermittlung des wahren Täters drei Jahre später geschah. Das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) sieht – fristgebunden – in seinem § 2 die Entschädigung für bestimmte Strafverfolgungsmaßnahmen vor, u.a. wenn das Ermittlungsverfahren eingestellt wird. Neben dem Vollzug von Untersuchungshaft sind in § 2 Abs. 2 StrEG Verfolgungsmaßnahmen genannt, die mit Freiheitsbeschränkungen oder mit Vermögensnachteilen infolge sichernder Verfahrenschritte (z.B. Durchsuchung, Beschlagnahme) oder mit einem vorläufigen Berufsverbot verbunden sind. Die Anspruchsgrundlage des § 839 BGB in Verb. mit Art. 34 GG wird durch die Spezialregelungen des StrEG über die Entschädigung wegen Strafverfolgungsmaß1 2 3
MünchKommBGB/Papier, 4. Aufl., § 839 Rdn. 323. MünchKommBGB/Wagner, 4. Aufl., § 839a Rdn. 3. OLG Celle MMR 2008, 180, 181 = CR 2008, 123, 124.
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nahmen nicht ausgeschlossen. Das StrEG stellt nämlich bei seinem Ausgleich nicht auf eine Pflichtverletzung und damit auf ein rechtswidriges Verhalten ab.4
II. Judikatives Unrecht bei der Anwendung von Gemeinschaftsrecht Wird Gemeinschaftsrecht von einem letztinstanzlich entscheidenden Gericht unrichtig angewandt, kann der Mitgliedsstaat dafür auf Schadensersatz haften.5 Die Haftung für eine gemeinschaftsrechtswidrige Entscheidung besteht wegen der Besonderheit der richterlichen Funktion sowie des Bedürfnisses nach Rechtssicherheit ebenfalls nur im Ausnahmefall, wird aber gemäß der Rechtsprechung des EuGH mittels anderer Kriterien zurückgedrängt, als sie das nationale Recht dafür festlegt. Der Verstoß muß offenkundig sein.6 Die Offenkundigkeit wird bestimmt durch Gesichtspunkte des Einzelfalles wie das Maß an Klarheit und Präzision der verletzten Norm, die Vorsätzlichkeit des Verstoßes, die Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums, gegebenenfalls die Stellungnahme eines Gemeinschaftsorgans sowie die Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EGV.7 Die verletzte Norm muß bezwecken, dem Einzelnen Rechte zu verleihen und es muß ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen Normverstoß und Schaden bestehen.8 Der offenkundige Verstoß kann nicht nur die Auslegung einer materiellen oder verfahrensrechtlichen Gemeinschaftsrechtsbestimmung betreffen, sondern auch die Sachverhalts- und Beweiswürdigung, nämlich die besonderen Vorschriften über die Beweislast, den Wert der Beweise, die Zulässigkeit der Beweisarten oder die Anwendung von Vorschriften, die eine rechtliche Qualifizierung des Sachverhalts erfordern.9 Legt das nationale Recht Kriterien darüber fest, welche Natur oder welchen Grad der Verstoß des Gerichts haben muß, damit eine Staatshaftung begründet ist, etwa ein Erfordernis vorsätzlichen oder grob fehlerhaften richterlichen Verhaltens, dürfen dadurch keine strengeren Anforderungen aufgestellt wer4
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OLG Karlsruhe Justiz 1988, 87; OLG Schleswig SchlHA 1990, 132; Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, 50. Aufl. 2007, vor § 1 StrEG Rdnr. 3. EuGH, Slg. 2003, I-10239 – Köbler = NJW 2003, 3539, 3541 (Tz. 33, 50) = JZ 2004, 295 m. Anm. v. Danwitz, mit Bspr. Kremer NJW 2004, 480 ff. und Schöndorf-Haubold JuS 2006, 112 ff.; EuGH NJW 2006, 3337, 3338 (Tz. 30 f.) – Traghetti del Mediterraneo = EuZW 2006, 561 m. Anm. Seegers. Zur Ausschöpfung des Primärrechtsschutzes vgl. den Vorlagebeschluß BGH III ZR 144/05 v. 12.10.2006 (vgl. EuZW 2006, 677) und OLG Karlsruhe VersR 2006, 700. Zur Haftung wegen wirtschaftsbeeinträchtigender Äußerungen eines Beamten anläßlich eines Interview EuGH EuZW 2007, 480 – AGM-COS.MET. EuGH NJW 2003, 3539, 3541 (Tz. 53) – Köbler. EuGH NJW 2003, 3539, 3541 (Tz. 55) – Köbler; EuGH NJW 2006, 3337, 3338 (Tz. 32, 43) – Traghetti del Mediterraneo. EuGH NJW 2003, 3539, 3541 (Tz. 51) – Köbler. EuGH NJW 2006, 3337, 3339 (Tz. 39) – Traghetti del Mediterraneo.
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den, als sie dem Merkmal eines offenkundigen Verstoßes zu entnehmen sind.10 Das Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB ist daher in Gemeinschaftsrechtsfällen zu modifizieren.11 Zum ersatzfähigen Schaden gehört auch entgangener Gewinn.12
III. Haftung für unrichtige Gerichtsgutachten 1.
Entwicklung der Haftungsgrundlagen hin zu § 839a BGB
Mit der Beauftragung des Sachverständigen durch das Gericht werden keine Sonderrechtsbeziehungen zwischen den Parteien und dem Gutachter begründet, so daß der Sachverständige für eventuelle Fehler bei der Begutachtung den Parteien nicht aus Vertrag oder einer vertragsähnlichen Beziehung haftet13. Es kommt grundsätzlich nur eine deliktische Haftung in Frage. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger übernimmt mit der Begutachtung in der Regel keine hoheitliche Aufgabe. Der Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Sachverständigen und der Spruchtätigkeit des Gerichts ist dafür nicht eng genug. Daher scheidet eine Amtshaftung gemäß Art 34 GG, § 839 BGB für Fehler des gerichtlich bestellten Sachverständigen aus14, auch wenn die Beziehungen zwischen Gericht und Gerichtsgutachter öffentlich-rechtlicher Natur sind15. Etwas
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EuGH NJW 2006, 3337, 3339 (Tz. 44) – Traghetti del Mediterraneo. Zu möglichen, jedoch nicht zwingenden Konsequenzen im Berufungs- und Revisionsrecht der ZPO bei der Erlanung des Primärrechtsschutzes Kiethe/Groeschke WRP 2006, 29 ff. EuGH EuZW 2007, 480 (Tz. 95) – AGM-COS.MET. BGH LM Nr. 1 § 831 (Fc) BGB (Verwechslung der Blutproben für Blutgruppengutachten durch Laborassistentin); OLG Hamm VersR 1995, 225; OLG Rostock OLG-NL 2001, 111; OLG Brandenburg WM 2001, 1920, 1921 = MDR 2000, 1076 (Verkehrswertgutachten für Vollstreckungsgericht). Gleichstellung der Haftung des gerichtlichen Sachverständigen mit der Haftung des Privatgutachters unter Einbeziehung der Interessen von Dritten in Österreich: OGH JBl. 2001, 227, 228 (Schriftgutachten im Strafprozeß). BGHZ 59, 310, 315 f. = NJW 1973, 554 (Ärztl. MdE-Gutachten für ein LSG, Verletzung des Klägers bei einer Untersuchung zur Gutachtenvorbereitung); BGH NJW 2003, 2825, 2826 = VersR 2003, 1049; OLG Nürnberg NJW-RR 1988, 791; OLG Hamm VersR 1995, 225 = BauR 1994, 129; Stein/Jonas/Leipold vor § 402 Rdnr. 69; Klein a.a.O. S. 51; Eickmeier a.a.O. S. 134; a. A. Pieper Gedächtnisschrift Bruns S. 178 f.; kritisch auch v. Mutius VerwArch 64 (1973), 433, 437 f.; noch anders Speckmann MDR 1975, 461, 462, der einen Aufopferungsanspruch annimmt. BGHZ 59, 310, 311; BGH NJW 2003, 2825, 2826; OLG Rostock OLG-NL 2001, 111; offengelassen in BGH LM Nr. 1 zu § 831 (Fc) BGB.
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anderes wird nur angenommen, wenn ein Hoheitsträger ein Gutachten im Rahmen seiner Amtstätigkeit erstattet.16 Denkbar ist eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB, wenn eines der dort aufgezählten oder rechtsfortbildend anerkannten Rechte bzw. Rechtsgüter durch den Sachverständigen verletzt wurde. Primäre Vermögensschäden, etwa der Verlust einer aufgrund des Gutachtens aberkannten Forderung17, sind nicht ersetzbar. Am ehesten dürften Gesundheitsverletzungen durch Kunstfehler bei vorbereitenden ärztlichen Untersuchungen18, Freiheitsentziehungen infolge fehlerhafter Gutachten19 und Persönlichkeitsrechtsverletzungen in Betracht kommen. Ein leichtfertig erstelltes unrichtiges Gutachten, das die Unterbringung des Betroffenen befürwortet, stellt eine rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts dar, die wegen der damit verbundenen unsicheren Situation für den Betroffenen auch dann nicht unwesentlich ist, wenn es anschließend zu keiner Unterbringung kommt.20 Verletzt der Sachverständige durch das fehlerhafte Gutachten ausschließlich die Vermögensinteressen einer Partei, könnte er nach § 823 Abs. 2 BGB in Anspruch genommen werden. Sehr streitig ist allerdings, welche Schutzgesetze die Haftung begründen können. Ist der Sachverständige vereidigt worden (§ 410 ZPO), so verstößt er durch die unrichtige Begutachtung gegen § 154 StGB (Meineid), gegen § 163 StGB (fahrlässiger Falscheid) oder gegen §§ 155 Nr. 2, 154 StGB (falsche Versicherung unter Berufung auf einen früheren Sachverständigeneides). Diese Normen sind nach h. M. Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Prozeßparteien.21 Der vereidigte Sachverständige haftet danach bereits für leicht fahrlässig verursachte Vermögensschäden. In der Versicherung, das Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen erstattet zu haben (vgl. § 410 Abs. 1 ZPO), in Verbindung mit dem beigefügten Stempelabdruck, der den Sachverständigen als „öffentlich bestellten und vereidigten“ Sachverständigen ausweist, ist jedoch noch keine Bezugnahme auf den geleisteten Eid (§ 410 Abs. 2 16
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BGH NJW 2003, 2825, 2826; BGH VersR 1962, 1205, 1206 (Gutachten des Gewerbeaufsichtsamtes für die Staatsanwaltschaft über die Ursache eines Brandes, Schadensersatzbegehren des freigesprochenen Beschuldigten wegen Kosten der Strafverteidigung). So in BGH LM Nr. 1 zu § 831 (Fc) BGB. BGHZ 59, 310, 316; BGHZ 62, 54, 62. Vgl. z.B. OLG Nürnberg NJW-RR 1988, 791 ff. (Grob fahrlässig falsches ärztliches Attest mit Anregung der sofortigen Unterbringung des Kl. durch Ordnungsamt der Gemeindeverwaltung, bei der der Kl. beschäftigt war, Schmerzengeldforderung und Widerrufsbegehren); OLG Schleswig NJW 1995, 791 f. (Vorläufige Unterbringung nach PsychKG aufgrund ärztlicher Bescheinigung des Bekl. über akute Fremd- und Selbstgefährdung). BGH NJW 1989, 2941, 2943 (keine Rechtfertigung durch Recht zur freien Meinungsäußerung, Geldentschädigung). Vgl. BGHZ 42, 313, 318 = NJW 1965, 298, 299; BGHZ 62, 54, 57 = NJW 1974, 312, 313; OLG Düsseldorf MDR 2006, 92 (LS);OLG Brandenburg WM 2001, 1920, 1922 = MDR 2000, 1076; OLG Hamm ZSW 1984, 106 m. Anm. Müller; OLG Hamm ZSW 1989, 158, 159 m. insoweit zust. Anm. Müller; vgl. auch BGH LM Nr.8 zu § 823 Abs.2 (Be) BGB (zu § 156 StGB).
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ZPO) zu sehen; der Stempel weist nur auf die allgemeine Beeidigung hin.22 Verneint worden ist der Schutzgesetzcharakter für § 410 ZPO23 und für § 407a ZPO24. § 411 Abs.1 S. 2 ZPO stellt ebenfalls kein Schutzgesetz zu Gunsten der Parteien dar, so daß der Sachverständige von den Parteien nicht wegen verzögerter Erstattung des Gutachtens in Anspruch genommen werden kann.25 Die Kommission für das Zivilprozeßrecht hat 1977 die Kritik an der Rechtsprechung zur Haftung für beeidete Falschgutachten aufgegriffen und in der darin liegenden Anknüpfung eine Übersteigerung der Bedeutung des Sachverständigeneides gesehen; der Eid sei kein geeignetes Mittel, Zweifel an der Überzeugungskraft eines Gutachtens auszuräumen und sei rechtspolitisch überhaupt verzichtbar.26 In der Tat ist der Eid kein geeignetes Kriterium für eine Haftungsbegründung. Bei genauerem Zusehen fehlt es denn auch an der Erfüllung der Haftungsvoraussetzungen. Zu verneinen ist im Regelfall, daß der Schaden, den die durch ein unrichtiges Gutachten benachteiligte Partei erlitten hat, gerade wegen des besonderen Beweiswertes der Beeidigung entstanden ist.27 Rechtstatsächlich bildet die Vereidigung die Ausnahme, so daß der Geltungsbereich einer an die Eidesleistung anknüpfenden Haftung denkbar gering ist. Bejaht man ein rechtspolitisches Bedürfnis nach einer Haftbarkeit von Gerichtssachverständigen für unvorsätzliche Falschbegutachtung, so ist die nach der Rechtsprechungslösung eintretende faktische Haftungsdifferenzierung willkürlich und konzeptionslos. Unstreitig haftet der Sachverständige gemäß § 826 BGB, wenn er grob leichtfertig und gewissenlos handelt und den Schaden der Partei billigend in Kauf nimmt28, so etwa wenn er sich seines Gutachtenauftrages durch nachlässige Er-
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OLG Oldenburg VersR 1989, 108, 109; OLG München VersR 1984, 590. BGHZ 42, 313, 317 = NJW 1965, 298, 299 (SV im Schiedsgerichtsverfahren); BGH NJW 1968, 787, 788 (zu § 79 StPO); BGHZ 62, 54, 57; OLG Hamm VersR 1995, 225 (jedenfalls mangels Vereidigung); OLG Brandenburg WM 2001, 1920, 1922 = MDR 2000, 1076; OLG Oldenburg VersR 1989, 108, 109; OLG Hamm ZSW 1989, 158, 159 m. abl. Anm. Müller; OLG Düsseldorf NJW 1986, 2891; OLG Frankfurt/M. ZSW 1984, 106, 107; OLG München (20.ZS) VersR 1984, 590; OLG München (5.ZS) MDR 1983, 403; OLG Hamm MDR 1983, 933, 934 = BauR 1984, 664; so auch bereits LG Stuttgart NJW 1954, 1411, 1412; der Rspr. folgend: Jessnitzer/Ulrich Der gerichtliche Sachverständige11 Rdnr. 459; Wessel, in: Praxishandbuch Sachverständigenrecht § 36 Rdnr. 14; so auch Eickmeier a.a.O. S.120. Insoweit a. A. Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, 1998, S. 116. OLG Rostock OLG-NL 2001, 111, 112. Klein, Die Rechtsstellung und die Haftung des im Zivilprozeß bestellten Sachverständigen S.156 f. Kommissionsbericht S. 143. Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung S. 116. BGH NJW 2003, 2825, 2826 = VersR 2003, 1049, 1050; OLG Brandenburg WM 2001, 1920, 1923; OLG München MDR 1983, 403, 404; OLG Hamm ZSW 1989, 158, 159 m. Anm. Müller; OLG Hamm VersR 1995, 225; vgl. auch BGH WM 1962, 933, 935; BGH NJW 1991, 3282 ff.
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mittlungen oder Angaben „ins Blaue hinein" entledigt.29 „Leichtfertigkeit“ darf allerdings den Vorsatztatbestand des § 826 BGB nicht zu einer bloßen Fahrlässigkeitshaftung umgestalten.30
2. Rechtspolitische Probleme: Haftungswillkür, Immunität des Sachverständigen Die willkürliche Differenzierung der Haftungsvoraussetzungen gebot dringend eine gesetzliche Regelung der Sachverständigenhaftung. Klärungsbedürftig war auch, ob bzw. inwieweit Gerichtssachverständige für fehlerhafte Gutachten31 von einer Haftung freizustellen sind, um durch Verminderung ihres Haftungsrisikos die Bereitschaft zur Gutachtenübernahme zu fördern sowie ihre innere Unabhängigkeit zu stärken, um das Wiederaufrollen des entschiedenen Rechtsstreits im Gewande eines Haftungsprozesses zu vermeiden und um dem Gesichtspunkt Rechnung zu tragen, daß der Sachverständige mit der Gutachtenerstattung eine staatsbürgerliche Pflicht erfüllt, deren unzureichende Ausführung nicht mit übermäßigen Sanktionen belegt werden darf.32 Das sind überwiegend Erwägungen, die das Funktionieren der Rechtspflege und damit Belange der Allgemeinheit betreffen. Ähnliche Überlegungen sind auch in anderen Rechtsordnungen anzutreffen.33 Die Antworten auf die Immunitätsfrage sind de lege lata unterschiedlich ausgefallen. Sie kreisen um eine Reduktion des Verschuldensmaßstabs. Der Gesetzgeber hat mit dem Schadensersatzänderungsgesetz von 2002 in § 839a BGB den Tatbestand der Haftung des gerichtlichen Sachverständigen geschaffen. Dieser Tatbestand läßt wegen seiner begrenzten Reichweite die übrigen Anspruchsgrundlagen nicht obsolet werden.
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BGH NJW 2003, 2825, 2826 (Verkehrswertgutachten im Zwangsversteigerungsverfahren mit Hinweisen auf Schätzungen und Vermutungen im Fließtext); s. ferner OLG Köln VersR 1994, 611, 612 = BauR 1994, 390: Haftung aus § 826, wenn Verkehrswertsachverständiger im Zwangsversteigerungsverfahren den Eindruck erweckt, das Gebäude von innen besichtigt zu haben, obgleich ihm der Zutritt verwehrt war. Vgl. BGHZ 62, 54, 56; OLG Rostock OLG-NL 2001, 111, 112. Keine Privilegierung bei sonstigen Schädigungen durch den Sachverständigen, vgl. BGHZ 59, 310, 316. Zu diesen Überlegungen BGHZ 62, 54, 59 f. = NJW 1974, 312, 314; s. ferner BGH NJW 1968, 767, 768. Vgl. für England vor der Justizreform von 1999, als der Sachverständigenbeweis ein reiner Zeugenbeweis war, Stanton v. Callaghan, [1999] 2 WLR 745 C.A. und RSC Order 38 rule 38. Daran hat sich durch die Justizreform nichts geändert; die Pflichtenstellung des Sachverständigen behandelt jetzt CPR rule 35.3 (2).
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3. Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit BGHZ 62, 54, 61 hatte die Auffassung vertreten, der gerichtlich bestellte Sachverständige könne nur für vorsätzlich falsche Begutachtung in Anspruch genommen werden34; im dortigen Fall war dem Geschädigten aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens die Freiheit entzogen worden. Das BVerfG ist dem BGH entgegengetreten: § 823 Abs. 1 BGB stelle eine „Jedermann-Haftung“ auf, die auch für Sachverständige gelte. Soweit das durch Art. 2 Abs. 2 GG verbürgte Recht des Geschädigten auf persönliche Freiheit betroffen sei, überschreite ein Haftungsausschluß für grob fahrlässiges Verhalten die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung.35 Da die anderen in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestattet sind, mußten die verfassungsgerichtlichen Erwägungen zum Rechtsgut der Freiheit auf den Haftungstatbestand des § 823 Abs. 1 BGB insgesamt übertragen werden.36 Sie gelten konsequenterweise ferner dort, wo es um Anspruchsgrundlagen mit primärem Vermögensschutz geht, weil und soweit das Vermögen in den Eigentumsschutz des weit ausgelegten Art. 14 GG einbezogen ist. Zeitlich nachfolgende Rechtsprechung bejahte dementsprechend eine Haftung der Sachverständigen für jede vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechte und Rechtsgüter.37 Diese Haftungslage entsprach dem Regelungsvorschlag der Kommission für das Zivilprozeßrecht, die alternativ zur unmittelbaren Sachverständigenhaftung eine Staatshaftung mit Regreßmöglichkeit erwogen, dies aber zur Herausstellung der persönlichen Verantwortung des Sachverständigen und unter Berücksichtigung der Versicherbarkeit verworfen hatte.38 Die Kommission hatte einen selbständigen Tatbestand der Sachverständigenhaftung für alle vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführten Vermögensschäden vorgesehen. Kritiker befürworteten demgegenüber eine Haftung auch für leichte Fahrlässigkeit.39 Für die Bejahung einer Grundrechtsverletzung durch den vom BGH angenommenen Ausschluß der Haftung bei leichter Fahrlässigkeit hat sich indes keine Mehrheit der Bundesverfassungsrichter gefunden.40
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BGHZ 62, 54, 61 = NJW 1974, 312, 315 = JZ 1974, 548 m. krit. Anm. Hopt. BVerfGE 49, 304, 319 ff. Jessnitzer/Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige11 Rdnr. 460. OLG Nürnberg NJW-RR 1988, 791; OLG Schleswig NJW 1995, 791, 792. Kommissionsbericht S. 143; Vorschlag für einen neuen § 839a BGB S. 358 f. So Arndt DRiZ 1974, 185, 186; Eickmeier a.a.O. S.106; Müller, Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren3 Rdnr. 961 ff.; ders. ZSW 1989, 159, 162; Wasner NJW 1986, 119, 120; wohl auch MünchKommZPO/Damrau2 § 402 Rdnr. 13; diff.: Klein, Die Rechtsstellung und die Haftung des im Zivilprozeß bestellten Sachverständigen S. 157 ff. A. A. OLG Schleswig NJW 1995, 791, 792. BVerfGE 49, 304, 323 f. (Stimmenverhältnis 4:4); der tragenden Auffassung zustimmend Jessnitzer/Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige11 Rdnr. 462 Fn. 41.
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Zuzugeben ist der Kritik, daß die Rechtssicherheit nicht unbedingt zu einem Haftungsprivileg nötigt. Mit dem gleichen Argument könnte man eine Haftungsbeschränkung für Rechtsanwälte im Falle des Regresses befürworten.41 Allerdings gilt einschränkend, daß die Regreßsituationen psychisch nicht gleichwertig sind. Schwieriger ist der Topos der inneren Unabhängigkeit zu bewerten. Vordergründig erscheint der Einwand, der BGH habe Unbefangenheit gesagt, faktisch aber eine gewisse Sorglosigkeit zugelassen. Statt dessen geht es um die Ausschaltung präventiv wirkender verzerrender Einflüsse auf die Urteilsbildung des Sachverständigen, der sich nicht von der Furcht beeinflussen lassen soll, selbst bei gewissenhafter Begutachtung mit der jeweils unterlegenen Partei in Dauerstreitigkeiten mit Auswirkungen auf seine Reputation verwickelt zu werden, und der nicht die Sorge um seine künftige Verteidigung bereits mitbedenken soll. Eine Begutachtung führt im Zivilprozeß stets dazu, daß eine Partei infolge des Gutachtens unterliegt, entweder weil der beweisbelasteten Partei der Beweis mittels des Sachverständigen gelingt, oder weil das Gutachten unergiebig ist und infolgedessen die beweisbelastete Partei den Prozeß verliert. Ist das Gutachten aus der Sicht einer Partei vermeintlich fehlerhaft und die Klageschwelle niedrig, so ist der Anreiz zur Erhebung von Regreßklagen hoch, nämlich entweder durch den Beweisgegner oder durch die beweisbelastete Partei. Den berechtigten Interessen des gerichtlichen Sachverständigen kann nicht ausreichend durch die angemessene Sorgfaltspflichtbestimmung im Einzelfall genügt werden, etwa durch Zubilligung einer gerichtlich nicht überprüfbaren Einschätzungspraerogative bei Gutachten mit prognostischem Charakter.42 Maßgebend ist, wie sich die Haftungsdrohung im Bewußtsein des Sachverständigen spiegelt. Dafür müssen Grenzen gezogen werden, die von juristischen Laien als schützend klar erkannt und empfunden werden. Kein beachtliches Gegenargument gibt es zu dem Hinweis des BGH auf die Vermeidung von Übermaßsanktionen als Kompensation des Gutachtenzwangs nach § 407 ZPO.
4. Ausgestaltung des § 839a BGB § 839a BGB begrenzt die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist auf andere Anspruchsgrundlagen zu übertragen, die die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen für unrichtige Gutachten außerhalb der tatbestandlichen Grenzen des § 839a BGB erfassen. Streitig ist, ob es für die Beurteilung der Fahrlässigkeit auf eine schwere subjektive Vorwerfbarkeit ankommt oder ob – wie generell im Zivilrecht – ein objektivierter Maßstab gilt.43 41 42
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Hopt JZ 1984, 551, 553. Ein Haftungsausschluß für leichte Fahrlässigkeit im Bereich der Forschung wird von Hübner vertreten, NJW 1989, 5, 9. Für Objektivierung MüchKommBGB/Wagner4 § 839a Rdnr. 18; Chr. Huber, Das neue Schadenersatzrecht, 2003, § 5 Rdnr. 61; a.A. Niemöller, Festschrift Thode (2005) S. 309, 320; Spickhoff, Festschrift Heldrich (2005) S. 419, 428.
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Der Schaden muß durch eine gerichtliche Entscheidung verursacht worden sein, was eine Haftung nach § 839a BGB ausschließt, wenn das Verfahren in anderer Weise endet, etwa durch Vergleich, Erledigungserklärung oder Klagerücknahme; die Haftung kann dann den Prozeßbevollmächtigten treffen, der nicht über diese Nebenfolge belehrt hat. Der Sachverständige muß die gerichtliche Entscheidung zudem durch sein Gutachten beeinflußt haben. Daran – oder jedenfalls am Zurechnungszusammenhang – fehlt es bei Anerkenntnis- und Verzichtsurteilen.44 Nicht ausreichend ist der Einfluß durch die Aussage als sachverständiger Zeuge. Die Haftung trifft nur den Sachverständigen persönlich, nicht auch den hinzugezogenen Mitarbeiter.45 Soweit Behörden als Gutachter beauftragt werden, haften sie nach § 839 BGB.46 Gläubiger des Anspruchs können nur Verfahrensbeteiligte sein. Dazu zählt bei unrichtigen Verkehrswertgutachten im Zwangsvollstreckungsverfahren der Ersteigerer des Grundstücks;47 maßgebliche Entscheidung ist der Zuschlagsbeschluß.48 Der Begriff des Verfahrensbeteiligten ist auf das Verfahren zu begrenzen, für das das Gutachten erstattet worden ist. Das selbständige Beweisverfahren und das zugehörige Hauptsacheverfahren, in dem die Verwertung gem. § 493 ZPO stattfindet, sind insoweit als Einheit anzusehen. Einbezogen sind der Streithelfer49 und der Streitverkündungsempfänger wegen der unmittelbaren Bindungswirkung. Bei Verwertung des Gutachtens nach § 411a ZPO sind die Parteien des Folgeverfahrens nicht als Verfahrensbeteiligte anzusehen.50 Die Schadensersatzpflicht tritt nicht ein, wenn es der Geschädigte schuldhaft unterläßt, ein Rechtsmittel einzulegen, § 839a Abs. 2 in Verb. mit § 839 Abs. 3 BGB. Notwendig ist es dafür, von § 411 Abs. 4 ZPO Gebrauch zu machen und Einwendungen gegen das Gutachten und Ergänzungsfragen vorzubringen oder formelle Beweisanträge auf Einholung eines weiteren Gutachtens zu stellen.51
44
45 46 47
48 49 50
51
A.A. MünchKommBGB/Wagner4 § 839a Rdnr. 23; Spickhoff, Festschrift Heldrich S. 419, 433. Offengelassen von BGH NJW 2006, 1733, 1734. Spickhoff, Festschrift Heldrich S. 419, 429. A.A., nämlich § 839a BGB anwendend, Kilian VersR 2003, 683, 685. BGH (3.ZS) NJW 2006, 1733, 1734 (dort auch zur Schadensberechnung); zuvor schon für eine weite Auslegung BGH NJW 2004, 3488, 3489. Gegen die Qualifizierung als Verfahrensbeteiligter Wagner/Thole VersR 2004, 275, 278. Für Haftung des Sachverständigen in Österreich OGH ÖJZ 2000, 892, 893 (Rechtsprechungsänderung). BGH NJW 2006, 1733, 1734. Niemöller, Festschrift Thode S. 309, 319. Cahn, Einführung in das neue Schadensersatzrecht, 2003, Rdnr. 151; Spickhoff, Festschrift Heldrich S. 419, 426 (allerdings von der Verwertung als Urkundenbeweis als Argumentationsbasis ausgehend); a.A. MünchKommBGB/Wagner4 § 839a Rdnr. 29. BGHZ 173, 98, 100 (Tz. 8); BGH NJW-RR 2006, 1454, 1455 (Tz. 11); Spickhoff, Festschrift Heldrich S. 419, 434.
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IV. Haftung für das Betreiben von Verfahren durch Prozeßparteien und Anzeigeerstatter 1.
Haftung des Klägers im Zivilprozeß
Wer als Verfahrenspartei ein staatliches, gesetzlich eingerichtetes und geregeltes Verfahren als Kläger oder Antragsteller einleitet und betreibt, haftet bei subjektiver Redlichkeit nicht gegenüber dem Verfahrensgegner, auch wenn sich sein Begehren als sachlich nicht gerechtfertigt erweist und dem Verfahrensgegner wegen des Verfahrensbetriebs Nachteile erwachsen, die über das Verfahren hinausreichen.52 Der unterliegende Verfahrensbetreiber (Kläger, Antragsteller) soll nicht für eine fahrlässige Fehleinschätzung der Rechtslage einstehen müssen.53 Sein Prozeßgegner wird regelmäßig durch das gerichtliche Verfahren, in dem das Gericht den beiderseitige Tatsachen- und Rechtsvortrag prüft, hinreichend geschützt. Das Verfahrensrecht selbst schafft Sicherungen, die ein Korrelat zu dem Recht auf Irrtum des Verfahrensbetreibers darstellen.54 Dies gilt insbesondere für kontradiktorische Verfahren. Maßgebender Gesichtspunkt für diese Zurückhaltung ist die Gewährung ungehinderten Zugangs des Bürgers zu den staatlichen Rechtspflegeverfahren.55 Ein „Recht auf Irrtum“ eines Klägers besteht freilich nicht uneingeschränkt, wie der VI. Zivilsenat des BGH angenommen hat. Es endet dort, wo die prozessuale Entschluß- und Handlungsfreiheit des Klägers durch Auferlegung eines deliktsrechtlichen Haftungsrisikos nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Das ist bejaht worden für Sachverhalte, in denen die fehlende Berechtigung der Rechtsverfolgung leicht hätte überprüft und berücksichtigt werden können.56 In erster Linie ist der Gesichtspunkt des Mißbrauchs eines staatlichen Verfahrens für das Betreiben von Zivilverfahren (einschließlich Zwangsvollstreckungsverfahren) in der Judikatur erörtert und beurteilt worden. Ausnahmsweise wird dafür nach § 826 BGB wegen (bedingt) vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gehaftet.57 Geringfügig darüber hinausgehend besteht eine Haftung auch für fahrlässiges Verhalten im Bereich des Rechtsgüterschutzes nach § 823 Abs. 1 BGB (Gesundheit, Eigentum, Recht am Unternehmen, allgemeines Persönlichkeitsrecht) und des § 824 BGB (Kreditgefährdung).58 Gedacht ist dabei wohl an Fälle des vorsatznahen „Sichverschließens“ gegenüber der wahren Rechtslage.59 Besonderer Schutz wird Dritten gewährt, die sich in dem Rechtspflegeverfahren mangels eigener prozessualer Rechte gegen die ungerechtfertigte Inanspruch52 53 54 55 56 57
58 59
Zusammenfassend: BGHZ 154, 269, 271 = NJW 2003, 1934, 1935. BGHZ 36, 18, 21 f.; BGHZ 154, 269, 272. BGHZ 74, 9, 16. BGHZ 154, 269, 272. BGHZ 74, 9, 17; bekräftigt von BGHZ 154, 269, 273. BGHZ 36, 18, 20 ff.; BGHZ 74, 9, 13 ff.; BGHZ 118, 201, 206; BGHZ 154, 269, 271; BGH NJW 1985, 1959, 1961. BGHZ 74, 9, 15, 19; s. auch BGHZ 154, 269, 273. BGH NJW-RR 2005, 315, 316.
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nahme nicht ausreichend verteidigen können. Ihnen soll der „uneingeschränkte Rechtsgüterschutz verbleiben, den § 823 Abs. 1 BGB gewährt“.60 Einzustehen hat der Verfahrensbetreiber nach diesen Regeln aber nicht, wenn das für das Verfahren zuständige Gericht oder die das Verfahren leitende Behörde den Dritten rechtsfehlerhaft nicht am Verfahren beteiligt.61 Die enge Haftung nach § 826 BGB setzt voraus, daß die Partei das staatliche Verfahren zur Schädigung der Gegenpartei oder Dritter mißbraucht, etwa in Fällen des Prozeßbetruges.62 Voraussetzung der Sittenwidrigkeitshaftung nach § 826 BGB soll nach Ansicht des VI. Zivilsenats des BGH sein, daß die das Verfahren betreibende Partei nicht nur die fehlende Berechtigung ihres Begehrens kennt, sondern zusätzlich besondere Unlauterkeitsumstände in der Art und Weise der Prozeßeinleitung und –durchführung wirksam werden.63 Dieselben Überlegungen stellt der VI. Zivilsenat des BGH auch für eine das Verfahren verzögernde Prozeßverteidigung an.64 Der für § 826 BGB erforderliche Vorsatz muß die gesamten Schadensfolgen sowie Richtung und Art des Schadens umfassen; die Gefahr des Eintritts dieses Schadens muß der Täter zumindest billigend in Kauf genommen haben, auch wenn er ihn nicht gewünscht hat.65 Das kann gegeben sein, wenn der Täter sein Vohaben trotz starker Rechtsgutgefährdung durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können und wenn er es dem Zufall überläßt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht.66 Der IX. Zivilsenat hat in seiner Entscheidung vom 2.12.2004 offen gelassen, ob er geringere Anforderungen als der VI. Zivilsenat an die Annahme einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung stellen will.67 Die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem VI. und den IX. Zivilsenat betreffen die Sanktionen für eine ungerechtfertigte Einleitung eines Insolvenzverfahrens. Eine Besonderheit gilt für die Verwarnung wegen der Verletzung eines Sonderschutzrechts des Geistigen Eigentums. Sie kann, wie der Große Senat für Zivilsachen des BGH am 15.7.2005 bekräftigt hat, zu einer Schadensersatzhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Eingriffs in das Recht am Unternehmen führen, wenn sie unberechtigt außergerichtlich gegenüber Abnehmern oder Mitbewerbern 60
So BGHZ (VI.ZS) 118, 201, 206 (Verlust des Eigentums eines Dritten durch Vollstreckungsmaßnahmen); vom V. ZS mit dem Hinweis auf fehlende förmliche Beteiligung aufgegriffen in BGH NJW-RR 2005, 315, 316; s. auch BGH NJW 1985, 1959, 1961, 1962. 61 BGH NJW-RR 2005, 315, 316 für ein Grundbuchlöschungsverfahren. 62 BGHZ 154, 269, 273. 63 BGHZ 154, 269, 274, zugleich gegen eine eventuell andere Sicht des IX. Zivilsenats in BGHZ 148, 175, 178 f. argumentierend. 64 BGH NJW 2004, 446, 447. Zur sich nachträglich als ungerechtfertigt erweisenden schädigenden einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 771 Abs. 3 ZPO eine verschuldensunabhängige Haftung analog § 717 Abs. 2 ZPO ablehnend BGH NJW 1985, 1959, 1960. 65 BGH NJW 2004, 446, 448. 66 BGH NJW 2004, 446, 448. 67 BGH NJW 2005, 901, 902 a.E. unter Hinweis auf BGHZ 154, 269, 274.
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ausgesprochen wird,68 vorausgesetzt das Verschulden wird beim Vorgehen aus einem ungeprüften Schutzrecht bejaht69. Die Rechtswidrigkeit der Verwarnung dürfte ebenfalls nicht automatisch aus der (späteren) Verneinung des Schutzrechts folgen, sondern nur als Ergebnis einer einzelfallbezogenen Güter- und Interessenabwägung in Betracht kommen.70 Die Rechtfertigungswirkung des subjektiv redlich betriebenen gerichtlichen Verfahrens wird auf die außergerichtliche Verwarnung wegen deren möglicherweise existenzgefährdender Wirkung nicht erstreckt.71 Abwehransprüche sollen dem von der Abnehmerverwarnung betroffenen Mitbewerber nicht zustehen, wenn damit ein gerichtliches Vorgehen gegen den Verwarner aus dem vermeintlichen Schutzrecht unterbunden werden soll; insoweit ist das prozessuale Privileg des Zugangs zu einer gerichtlichen Anspruchsprüfung einschlägig.72 Den Anspruch auf Unterlassung einer außergerichtlichen Abnehmerverwarnung soll der Mitbewerber allerdings erheben können.73
2. Haftung für das Ingangsetzen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Die Veranlassung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens durch die Anzeige eines möglicherweise strafbaren Sachverhalts darf grundsätzlich ebenfalls keiner zivilrechtlichen Schadensersatzhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB unterworfen werden.74 Wer eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft durch Angabe von Verdachtsmomenten erstattet, handelt regelmäßig nicht rechtswidrig. Es besteht keine Verpflichtung zur sorgfältigen Prüfung, ob das Ingangsetzen des Verfahrens berechtigt ist.75 In Verfahren, deren Ablauf rechtsstaatlich geordnet ist und in denen der Betroffene aufgrund der Gewährung rechtlichen Gehörs Einfluß auf die Entscheidung nehmen kann, bewährt sich das objektive Recht durch die Verfahrensgarantien, die für das Verfahren bestehen.76 Beschuldigter in einem Strafverfahren zu werden, stellt ein allgemeines Lebensrisiko dar, das grundsätzlich nicht zum Haftungsrisiko des Anzeigeerstatters wird.77 Schutz vor vorsätzlich falschen Verdächtigungen und leichtfertig, d.h. ohne erkennbaren Grund erstatteten Anzeigen, gewährt der Straftatbestand des § 164 StGB (falsche Verdächtigung).
68
BGH (GSZ) NJW 2005, 3141, 3142, auf Vorlage des I. ZS in einem Markenrechtsstreit, BGH NJW 2004, 3322 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht I. 69 Verneint von BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II hinsichtlich der Beurteilung absoluter Schutzhindernisse der Markeneintragung. 70 So die Tendenz in BGH GRUR 2006, 432, 433. 71 BGH (GSZ) NJW 2005, 3141, 3143. 72 BGH NJW 2005, 3141, 3143. 73 BGH GRUR 2006, 433, 435 – unbegründete Abnehmerverwarnung. 74 BVerfGE 74, 257, 262 = NJW 1987, 1929. Ebenso für die Anregung eines Jugendhilfeverfahrens durch eine Ärztin OLG München VersR 2003, 120, 121. 75 Soergel/Hönn, BGB, 13. Aufl. 2005, § 826 Rdnr. 215. 76 BVerfG NJW 1987, 1929. 77 Vgl. BVerfG NJW 1987, 1929, 1930.
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V. Die Privilegierung der Äußerungen von Prozeßbeteiligten 1. Unterlassung und Widerruf von Gutachteräußerungen Den Parteien steht in der Regel kein Anspruch auf Widerruf gutachterlichen Äußerungen zu, weder auf schadensersatzrechtlicher noch auf negatorischer Grundlage. Das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens ist grundsätzlich als Werturteil anzusehen, das einem Widerruf deswegen nicht zugänglich ist, weil es mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht vereinbar wäre, dessen Verfasser im Wege staatlichen Zwangs zur Rücknahme seiner subjektiven Überzeugung zu veranlassen, die auf seinen speziellen Kenntnissen, Erfahrungen und Untersuchungen beruht.78 Soweit der Sachverständige innerhalb der Begutachtung unwahre Tatsachenbehauptungen aufstellt, ist ein Widerrufsanspruch grundsätzlich denkbar. Diese Fälle dürften jedoch selten sein. Nach Auffassung des BGH sind diejenigen Äußerungen des Gutachters, die Ergebnis der sachverständigen Entscheidungsfindung sind, grundsätzlich als Werturteile anzusehen, auch wenn sie äußerlich in die Form einer Tatsachenbehauptung gekleidet sind.79 Dies bedeutet, daß Befundtatsachen regelmäßig nicht mit einer Widerrufsklage bekämpft werden können, hingegen die Behauptung unwahrer Anschlußtatsachen im Einzelfall (vgl. § 404a Abs. 3 ZPO) als unwahre Tatsachenbehauptung einer Widerrufsklage zugänglich ist. Eine generelle Beschränkung auf grob fahrlässige Verstöße kommt insoweit schon deswegen nicht in Betracht, weil ein negatorischer Widerrufsanspruch kein Verschulden, sondern nur eine fortwirkende Störung voraussetzt.80 Einem Unterlassungsbegehren stünde aber nach Verfahrensabschluß das Fehlen der Wiederholungsgefahr entgegen. Noch ungeklärt ist, ob Abwehransprüche gegen Gutachteräußerungen nicht auch daran scheitern, daß sie für ein (gegenwärtiges oder zukünftiges) gerichtliches Verfahren aufgestellt worden sind.81 Der BGH hat weiterhin angenommen, das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens könne unter Umständen als unwahre Tatsachenbehauptung angesehen werden, wenn die methodische Untersuchung oder die Anwendung spezieller Kenntnisse nur vorgetäuscht oder grob leichtfertig vorgenommen ist.82 Die unzu78
79 80 81 82
BGH NJW 1978, 751, 752 = VersR 1978, 229 f.; für Widerruf ärztlicher, insbesondere psychiatrischer Diagnosen so auch: BGH NJW 1989, 774, 775 = VersR 1988, 827, 828 (Verdachtsdiagnose mitgeteilt an Privatverrechnungsstelle und im Arztbrief an Hausarzt); BGH NJW 1989, 2941, 2942; BGH NJW 1999, 2736 („Zeichen chronischer Alkoholintoxikation“, wertende Befundangabe in orthopädischem Gutachten für BG); KG MDR 1999, 1068; vgl. auch OLG Hamm MDR 1990, 821, 822 = MedR 1990, 197; LG Aachen NJW 1999, 2746 (Verdachtsdiagnose „Armvenenthrombose“). Zur rechtswidrigen Verhängung einer berufsrechtlichen Sanktion gegen einen Arzt wegen Behauptung leichtfertig ausgestellter Atteste eines anderen Arztes BVerfG NJW 2003, 961. BGH NJW 1978, 751, 752; ebenso OLG Hamm MDR 1990, 821, 822. Übersehen von LG Köln MDR 1990, 821. Offengelassen in BGH NJW 1999, 2736; BGH NJW 1989, 2941, 2942. BGH NJW 1978, 751, 752; BGH NJW 1999, 2736, 2737.
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treffende Tatsachenbehauptung soll in diesen Fällen darin liegen, daß das Gutachten konkludent die unwahre Tatsachenbehauptung enthalte, daß es auf der in Wirklichkeit nicht in Anspruch genommenen fachlichen Grundlage erstellt worden sei.83 Das ist zweifelhaft, weil der Anspruch dann nicht auf Widerruf des Gutachtenergebnisses, sondern nur auf Beseitigung der konkludenten Behauptung gerichtet sein könnte. Es dürfte zutreffender sein, die Inanspruchnahme des Sachverständigen in diesen Fällen damit zu begründen, daß das Grundrecht des Sachverständigen aus Art 5 Abs. 1 GG hinter die Grundrechte des Verletzten zurücktritt.
2. Abwehr von Äußerungen vor Gerichten und Behörden Gesonderte zivilrechtliche Ehrenschutzklagen gegenüber Parteivorbringen in engem und unmittelbarem Zusammenhang mit einem Verfahren und gegenüber Zeugenaussagen sind nach ständiger Rechtsprechung ausgeschlossen.84 Es kann auch nicht Unterlassung oder Widerruf von schriftsätzlichen oder mündlichen Äußerungen verlangt werden, die in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren abgegeben worden sind und die das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen.85 Maßgebend ist dafür, daß die Aufklärungs- und Streitentscheidungsfunktion des Verfahrens nicht beeinträchtigt werden darf. Jede Verfahrenspartei darf aus vorgetragenen Tatsachen, die sie für erheblich hält, Schlußfolgerungen ziehen und vortragen, die die Persönlichkeit eines anderen berühren und seine Ehre angreifen.86 Das Äußerungsprivileg belastet grundsätzlich auch am Verfahren unbeteiligte Dritte. Allerdings sind deren individuelle Ansprüche auf Schutz ihrer durch Prozeßvortrag betroffenen Rechte dann nicht ausgeschlossen, wenn die Äußerung keinen erkennbaren Bezug zum Ausgangsrechtsstreit hat oder wenn es sich um eine Schmähung handelt.87 Diese Grundsätze gelten auch für behördliche Verfahren, wie das Bundesverfassungsgericht für Äußerungen eines Patientenvertreters über einen Arzt gegenüber der Landesärztekammer angenommen hat.88 Eingaben an öffentliche Stellen sollen wegen des öffentlichen Interesses an der Aufdeckung etwaiger Mißstände 83 84
85
86 87
88
BGH NJW 1989, 2941, 2942. BGH NJW 1999, 2736; BGH NJW 1995, 397; BGH NJW 1992, 1314, 1315; BGH NJW 1988, 1016 = VersR 1988, 379, 380 (keine Übertragung auf Abwehr widerrechtlich erlangter Beweismittel wie Tonbandaufnahmen); BGH NJW 1986, 2502, 2503; BGH NJW 1977, 1681, 1682 = VersR 1977, 836, 837 f.; OLG Köln MDR 1999, 1351 (Beschwerde über Rechtsanwalt bei der Rechtsanwaltskammer); LG Hamburg NJW 1998, 85; Helle GRUR 1982, 207 ff. Für Österreich ebenso OGH JBl. 1999, 313, 314. BGH NJW 1962, 243, 244; BGH NJW 1971, 284; BGH NJW 1986, 2501, 2502; BGH NJW 1998, 1400, 1401 m.w.N. – Bilanzanalyse Pro 7; OLG München MDR 2003, 52 m.w.N. BGH NJW 1962, 243, 244; BGH NJW 2008, 996, 997. BGH NJW 2008, 996, 998 (mit Hinnahme deftiger Wertungen wie „parasitär“ und „Zecke“). BVerfG NJW 2004, 354, 355.
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den gleichen Schutz wie Äußerungen in einem gerichtlichen Verfahren genießen.89 In Betracht kommen kann ein eingeschränkter, nämlich zukunftsbezogener Widerruf von Tatsachenäußerungen, wenn nach Wegfall des berechtigten Interesses und nach Feststellung der Unwahrheit weiterhin ehrbeeinträchtigende Wirkungen zu befürchten sind.90 Das wird man bei verfahrensabschließenden Entscheidungen, auf die sich der obsiegende Teil berufen kann, in der Regel nicht annehmen können. Verlangt werden kann auch nicht, daß Behauptungen, die in einer Strafanzeige gegenüber der Staatsanwaltschaft enthalten sind, gegenüber der Staatsanwaltschaft widerrufen werden.91 Was als Inhalt einer Strafanzeige erlaubt ist, ist nicht unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsschutzes einer zivilrechtlichen Widerrufsklage ausgesetzt.92 Unerheblich ist dafür, ob die Strafanzeige der Wahrnehmung berechtigter Interessen diente.93
VI. Amtspflichten der Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Verfahrenseinleitung 1.
Anfangsverdacht
Nach § 152 Abs. 2 StPO ist die Anklagebehörde verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ bestehen. In dieser Weise wird der Anfangsverdacht umschrieben, der auf kriminalistische Erfahrungen abstellt. Bereits zu diesem Zeitpunkt muß allerdings eine rechtliche Prüfung angestellt werden, ob der bekannt gewordene Sachverhalt überhaupt unter ein Strafgesetz fällt, damit eine Amtshaftung vermieden wird.94 Ob ein Anfangsverdacht angenommen werden durfte, unterliegt einer zivilgerichtlichen Kontrolle im Amtshaftungsprozeß. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft für ihre Entscheidung einen Beurteilungsspielraum. Dadurch wird der Staatsanwaltschaft eine gewisse Freiheit bei der Bildung ihrer Auffassung gewährt.95 Das Bestehen eines Anfangsverdachts läßt sich nur auf mangelnde Vertretbarkeit der Beurteilung überprüfen.96 Die Vertretbarkeit ist zu verneinen, wenn das Verhalten bei voller Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege nicht mehr verständlich ist.97 Das OLG Düsseldorf hat für die Entscheidung
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97
BVerfG NJW 2004, 354, 355. BVerfG NJW 2004, 354, 355. BGH NJW 1962, 243, 245. BGH NJW 1962, 243, 245. BGH NJW 1962, 243, 245. BGH NJW 1989, 96, 97 = NStZ 1988, 510, 511. Steffen DRiZ 1972, 153, 155. BGH NJW 1994, 3162; BGH NJW 2000, 2672, 2675 m. Bespr. Fluck NJW 2001, 202 f. BGH WM 1997, 1755; BGH NJW 1989, 96.
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über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens die Faustformel geprägt, daß das Verhalten bei einem kundigen Dritten mit gleichem Kenntnisstand ein „Kopfschütteln“ hervorrufen müsse.98
2. Umfang der Untersuchung Nach § 160 Abs. 1 StPO hat die Staatsanwaltschaft bei Kenntnis vom Verdacht einer Straftat eine Entschließung darüber zu treffen, ob eine öffentliche Anklage zu erheben ist. Als Voraussetzung dafür hat sie den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht zu erforschen, wobei nach § 160 Abs. 2 StPO auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln sind; den Tatsachenstoff hat sie rechtlich zu würdigen. Zu welcher Reihenfolge der Tatsachenaufklärung sich die Staatsanwaltschaft entschließt, steht in ihrem Ermessen und wird grundsätzlich von reinen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten gesteuert, insbesondere von ermittlungstaktischen Überlegungen. Dabei bewegt sich die Staatsanwaltschaft zwischen den Polen des genügenden Anlasses (Untergrenze der Ermittlungsaufnahme) und des hinreichenden Tatverdachts (Anklagereife). Der Umfang der Ermittlungen richtet sich nach der Eigenart des Tatverdachts und den bereits gewonnenen Erkenntnisse.99 Der Staatsanwaltschaft steht auch hinsichtlich der Reichweite der Nachforschungen ein Beurteilungsspielraum zu, der im Amtshaftungsprozeß nur auf Vertretbarkeit der Entschließung zu überprüfen ist. Allerdings steht das Vorgehen unter dem Gebot, zügig zu einem Ergebnis zu gelangen, so daß Ermittlungen, die – abhängig vom Aufklärungsergebnis – zu einer baldigen Einstellung des Verfahrens führen können, an den Beginn der Aufklärung zu stellen sind, damit eine Verfolgung Unschuldiger unterbleibt. Die bundeseinheitlichen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), die sich insbesondere an die Staatsanwaltschaften richten, behandeln in ihrem Allgemeinen Teil unter Nr. 5 das Beschleunigungsgebot. Nr. 5 Abs. 1 S. 1 lautet: „Die Ermittlungen sind zunächst nicht weiter auszudehnen, als nötig ist, um eine schnelle Entscheidung über die Erhebung der öffentlichen Klage oder die Einstellung des Verfahrens zu ermöglichen.“ Durch die RiStBV wird justizintern fixiert, daß das ermittlungstaktische Ermessen pflichtgebunden auszuüben und dem Interesse des Beschuldigten Rechnung zu tragen ist. Die Richtlinien sind aber zugleich Ausdruck von Rechtsüberzeugungen, die – vorbehaltlich einer anderweitigen gerichtlichen Feinjustierung – den Pflichteninhalt auch im Außenverhältnis zu den Beschuldigten fixieren und damit den Sorgfaltsbegriff des § 276 Abs. 2 BGB konkretisieren.
98 99
OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791, 1792 li.Sp. BGH NJW 1989, 96, 98 = NStZ 1988, 510, 511.
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3. Anklageerhebung Eine Anklage ist nach § 170 Abs. 1 StPO zu erheben, wenn die Ermittlungen „genügend Anlaß“ dazu bieten; anderenfalls ist das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO einzustellen. Ob genügend Anlaß für eine Anklageerhebung besteht, richtet sich nach den Voraussetzungen, die § 203 StPO für die Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Strafgericht nennt.100 Es muß nach vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit bestehen, daß es zu einer Verurteilung kommen wird. Dafür muß das zuständige Strafgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens beschließen. Diesen Beschluß trifft das Strafgericht, wenn der Angeschuldigte – so § 203 StPO – nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens einer Straftat „hinreichend verdächtig“ erscheint. Der BGH hat dazu in einem Haftungsverfahren wegen Amtspflichtwidrigkeit formuliert101: „Hinreichender [Tat]Verdacht bedeutet die Feststellung von Tatsachen, die nach praktischer Erfahrung zu einer Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweisen führen werden.“102 Die Staatsanwaltschaft muß demnach eine Prognose anstellen, ob eine Verurteilung wahrscheinlich ist.103 Die Staatsanwaltschaft würde pflichtwidrig handeln, wenn sie das Ermittlungsverfahren nicht einstellen würde, obwohl ein hinreichender Tatverdacht nicht gegeben ist.104 Der hinreichende Tatverdacht ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der Staatsanwaltschaft einen nicht unerheblichen Beurteilungsspielraum (nicht: Ermessen) beläßt.105 Er erstreckt sich auch auf die rechtliche Auslegung der maßgeblichen Straftatbestände. Hat sich zu einer Rechtsfrage noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelt oder bestehen einander widersprechende Entscheidungen, so hat die Staatsanwaltschaft (der Behördenleiter) in eigener Verantwortung über die Anklageerhebung zu entscheiden.106 Die Staatsanwaltschaft kann sogar eine der bisherigen Praxis widersprechende Auffassung durch Anklage zur Entscheidung stellen, auch wenn die Ansicht zweifelhaft ist.107
4. Begleitschäden Erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage, kann darin grundsätzlich selbst dann keine Pflichtverletzung gesehen werden, wenn das Strafgericht das Hauptsacheverfahren 100 101 102 103 104 105
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BVerfG NStZ 2002, 606. BGH NJW 2000, 2672, 2673 = StV 2001, 579, 580. Ebenso BGH NJW 1970, 1543, 1544. BVerfG NStZ 2002, 606; BGH NJW 2000, 2672, 2673 = StV 2001, 579, 580. Grundlegende Entscheidung: BGHZ 20, 178, 181. BVerfG NStZ 2002, 606; BGH NJW 2000, 2672, 2673 = StV 2001, 579, 580; BGH NJW 1989, 96, 97 = NStZ 1988, 510, 511; BGH NJW 1970, 1543, 1544; MeyerGoßner, Strafprozeßordnung, 50. Aufl. 2007, § 170 Rdnr. 1. Schmid, in Karlsruher Kommentar zur StPO (Hrsg. Pfeiffer), 5. Aufl. 2003, § 170 Rdnr. 7. Meyer-Goßner a.a.O. § 170 Rdnr. 2; Graalmann-Scheerer, in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., 19. Lieferung 2001, § 170 Rdnr. 24.
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nicht eröffnet, weil es der in der Anklageschrift vertretenen Rechtsansicht auf der Grundlage des gesamten Akteninhalts nicht folgt. Gleichwohl kommt eine Haftung in Betracht, wenn während des Ermittlungsverfahrens „begleitende“ Pflichtverletzungen begangen wurden. Zu denken ist etwa an Pflichtverstöße wegen einer unrichtigen Presseveröffentlichung oder wegen eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot, also wegen verspäteter Einstellung. Dies ist für die Herausgabe von Presseerklärungen mit unrichtigem Inhalt durch die Entscheidung des OLG Düsseldorf im Fall Esser eindrucksvoll bestätigt worden.108
VII. Amtspflichtverletzung der Verfahrensverschleppung 1. Beschleunigungsgebot für strafrechtliche Ermittlungsverfahren a) Hinzunehmende „Normalbelastung“, Gebot zügiger Ermittlungen Beeinträchtigungen, die mit einem Ermittlungsverfahren für einen Beschuldigten verbunden sein können, müssen „im Interesse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege für einen angemessenen Zeitraum als unvermeidbar hingenommen werden“.109 Allerdings hat die Staatsanwaltschaft entsprechend den Gegebenheiten des Einzelfalles das Beschleunigungsgebot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dazu hat der BGH formuliert: Die Staatsanwaltschaft hat „in ihre Erwägungen auch die Nachteile einzubeziehen, die dem Beschuldigten aus der zeitlichen Abfolge der Ermittlungshandlungen erwachsen.“110 Justizbehörden verletzen durch von ihnen zu verantwortende erhebliche Verzögerungen von Strafverfahren das verfassungsmäßige Recht aus Art. 2 Abs. 1 in Verb. mit Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsgebot).111 Damit sie das Recht auf effektiven Rechtsschutz ohne vermeidbare Verzögerungen beachten können, muß der Staat die Gerichte und Staatsanwaltschaften sachlich und personell ausreichend ausstatten.112
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OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791. So BVerfG NJW 1984, 1451, 1452 m. w. N.; s. ferner OLG Celle MMR 2008, 180, 181. BGH NJW 1989, 96, 98 = NStZ 1988, 510, 511 f. BVerfG (2. Kammer 2. Sen.) NJW 1993, 3254, 3255; BVerfG (2. Kammer 2. Sen) NJW 1995, 1277; BVerfG (1. Kammer 2.Sen.) NStZ 2006, 680, 681; BGH (GSSt) NJW 2008, 860, 862. Zur Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK (in allen Verfahren): EGMR NJW 2001, 211, 212; EGMR NJW 2001, 213 f.; EGMR NJW 2002, 2856, 2857; EGMR NJW 2006, 2389, 2391. BGH NJW 2007, 830, 832 – Amtshaftung wegen verzögerter Grundbucheintragung.
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b) Gesteigerte Beschleunigung in Haftsachen Rechtlich ungeklärt, ja sogar als Problem in Rechtsprechung und Schrifttum wenig beachtet, ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Ermittlungen besonders zu beschleunigen sind. Lediglich für Sachverhalte des Freiheitsentzuges ist das Beschleunigungsgebot durch das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont worden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz setzt der Dauer der Untersuchungshaft unabhängig von der zu erwartenden Strafe eine Grenze. Er ist im Zusammenhang mit von dem Angeklagten nicht zu vertretenden, sachlich nicht zu rechtfertigenden und vermeidbaren erheblichen Verfahrensverzögerungen entwickelt worden.113 Der verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG verankerte Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen114 umfaßt das gesamte Strafverfahren.115 Er verlangt, daß die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen.116 Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer an. Sie wird durch objektive Kriterien bestimmt wie die Komplexität der Rechtssache, die Vielzahl der beteiligten Personen oder das Verhalten der Verteidigung. Das Verfahren der Haftprüfung und Haftbeschwerde muß so ausgestaltet sein, daß nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition besteht.117 Dem ist durch eine verfahrensrechtliche Kompensation118 des mit dem Freiheitsentzug verbundenen Grundrechtseingriffs, namentlich durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen, Rechnung zu tragen.119 c) Ermittlungsverfahren ohne Freiheitsentzug, prioritäre Ermittlungen Eine Beschränkung des Gebots besonderer Beschleunigung auf Sachverhalte des Freiheitsentzuges wäre verfehlt. Der III. Zivilsenat des BGH hat denn auch einen Amtshaftungsanspruch in Fällen unvertretbar verzögerter Einstellung des Ermittlungsverfahrens bejaht, in denen eine Feuerversicherung (bei aufzuklärendem Verdacht der Brandstiftung) davon die Auszahlung der Versicherungssumme ab113
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BVerfG 20, 45, 49 f. = NJW 1966, 1259; BVerfG (3.Kammer Zweiter Sen.) NJW 2006, 1336, 1337 m.w.N. BVerfG 46, 194, 195. BVerfGE 46, 17, 29 = NJW 1978, 152; BVerfGE 63, 45, 68 f. = NJW 1983, 1043; BVerfG (2. Kammer Zweiter Senat) NStZ 2005, 456; BVerfG NJW 2005, 3485, 3486; BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats) NJW 2006, 672; BVerfG StV 2006, 81, 84. Vgl. BVerfGE 20, 45, 50 = NJW 1966, 1259; BVerfGE 36, 264, 273 = NJW 1974, 307. Vgl. dazu BVerfGE 53, 30, 65 = NJW 1980, 759; BVerfGE 63, 131, 143 = NJW 1983, 1179. Vgl. BVerfGE 17, 108, 117 ff. = NJW 1963, 2368; BVerfGE 42, 212, 219 f. = NJW 1976, 1735; BVerfGE 46, 325, 334 f. = NJW 1978, 368; BVerfG (3. Kammer Zweiter Senat) NJW 2006, 1336, 1337 m.w.N. Vgl. BVerfGE 103, 21, 35 f. = NJW 1978, 368.
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hängig machte, wodurch die wirtschaftliche Existenz des Beschuldigten (und späteren Schadensersatzklägers) bedroht war.120 Bemerkenswert ist die Zeitdauer, die der III. Zivilsenat der Staatsanwaltschaft für die Auswertung des Ermittlungsergebnisses zugebilligt hat, um eine Ermittlungsentscheidung nach § 170 Abs. 2 StPO zu treffen. Der Bearbeitungszeitraum ist auf einen Monat bemessen worden, nach dessen Ablauf die Verfahrensfortführung amtspflichtwidrig wurde.121 Einzubeziehen in das Gebot gesteigerter Beschleunigung sind auch diejenigen Sachverhalte, die wegen ihrer öffentlichen Beachtung bereits durch das Betreiben eines Ermittlungsverfahrens eine besondere Prangerwirkung erzeugen. Ein längeres, u.U. mehrjähriges Ermittlungsverfahren gerät ständig wiederkehrend in die Presse und verschafft der Beschuldigung selbst dann Publizität, wenn die Staatsanwaltschaft zu Presseveröffentlichungen nicht aktiv durch Presseerklärungen Anlaß gibt. Die Presse fordert vielmehr selbst zur Informationserteilung auf oder provoziert durch Verdachtsberichterstattung reaktive Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft. Derartige Stellungnahmen werden als Gegenstand eines Informationsanspruchs der Presse angesehen. Seit längerem wird die formalisierte Strenge der Strafprozeßordnung u.a. durch die Presseberichterstattung aufgeweicht. Nach früherer Praxis war über das Ermittlungsverfahren und selbst über die Anklageerhebung Schweigen zu bewahren. Erst der Beschluß des Strafgerichts über die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde als öffentlicher Akt angesehen, über den berichtet wurde. Das Recht auf Anonymität ist aufgeweicht worden.122 Dem beschriebenen Wandel der Verfahrenswirklichkeit ist durch kompensierende Verfahrensmaßnahmen der Verfolgungsbehörden und durch Bereitstellung effektiver haftungsrechtlicher Sanktionen Rechnung zu tragen. d) Rechtsgrundlagen des Beschleunigungsgebotes In Haftsachen bezieht sich das Bundesverfassungsgericht auf das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG (Unverletztlichkeit der Freiheit der Person). Überdies muß das auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 1 GG entwickelte allgemeine Persönlichkeitsrecht als Schutzgut herangezogen werden, um eine staatliche Schutzpflicht in Form eines Beschleunigungsgebotes zu begründen. Weitere Grundlage ist der Anspruch auf effektive Justizgewährung gem. Art. 2 Abs. 1 GG in Verb. mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG, der u.a. das Recht auf eine Entscheidung in angemessener Zeit zum Inhalt hat.123 120
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BGH NJW 1989, 96, 98 = NStZ 1988, 510, 512; ebenso BGH NJW 2000, 2672, 2675 = StV 2001, 579, 580. BGH NJW 1989, 96, 98 = NStZ 1988, 510, 512. Zu dessen Bestand OLG Celle MMR 2008, 180, 182, jedoch mit der sibyllinischen Formulierung: zugunsten „einer insbesondere nicht in der Öffentlichkeit stehenden Person“. Zum Strafverfahren oben VII 1a. Für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten s. BVerfG (1. Kammer 1. Sen.) NJW 2001, 214, 215 m. w. N.; Starck, in v.Mangoldt/ Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, 5. Aufl. 2005, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 130.
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Das einfache Gesetzesrecht befaßt sich mit dem Schutz von Beschuldigten vor einem verschleppenden Ermittlungsbetrieb nicht explizit. Allenfalls kann man der Regelung des § 170 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 StPO über die Bekanntgabe der einstellenden Abschlußverfügung einen mittelbaren Hinweis darauf entnehmen, daß in Ermittlungsverfahren mit besonderer Publizität den Belangen des letztlich unverdächtigen Beschuldigten Augenmerk zu schenken ist. Er ist von der Einstellung in Kenntnis zu setzen, wenn „ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich“ ist. Das trifft auf Ermittlungsverfahren zu, die öffentliche Aufmerksamkeit erregt haben.124 Der Schutz des Beschuldigten verlangt dann allerdings mehr, nämlich auch eine besondere Beschleunigung der Ermittlungen, damit die von der Öffentlichkeitswirkung der Ermittlungen ausgehenden Persönlichkeitsbeeinträchtigungen so gering wie möglich gehalten werden. Die Richtlinien für das Strafverfahren (RiStBV) befassen sich in Nr. 5 Abs. IV mit den Sachverhalten gesteigerter Beschleunigung. Es heißt dort: „In Haftsachen sind die Ermittlungen besonders zu beschleunigen. Das gleiche gilt für Verfahren wegen Straftaten, die den öffentlichen Frieden nachhaltig gestört oder die sonst besonderes Aufsehen erregt haben, und für Straftaten mit kurzer Verjährungsfrist.“ Danach ist eine besondere Beschleunigung bei Tatbeständen geboten, die öffentliche Aufmerksamkeit erregt haben. Man mag zwar Zweifel hegen, ob die RiStBV insoweit an den Beklagtenschutz gedacht haben und nicht nur ein besonderes Aufklärungsinteresse der Allgemeinheit befriedigt sehen wollen, wenngleich im selben Absatz die Haftsachen genannt werden, für die es selbstverständlich nur um den individuellen Beschuldigtenschutz geht. Wegen der Verfassungsverbürgung des Art. 2 Abs. 1 GG ist in dem besonderen Beschleunigungsgebot wegen der Publizität des Vorwurfs aber jedenfalls auch eine individualschützende Pflicht zugunsten des Beschuldigten zu sehen. Darin kommt der Schutzauftrag des Grundrechts zum Ausdruck. Für Verfahren, deren Vorwürfe bundesweit öffentlich in den Medien erörtert werden, ist dies selbst dann zu bejahen, wenn die Staatsanwaltschaft zu der Publizität nicht durch eigene Presseerklärungen beigetragen hat. Auch für eine allein von den Medien erzeugte öffentliche Prangerwirkung muß in dieser Weise ein Ausgleich geschaffen werden. Die Behördenleitung trifft eine Organisationspflicht, den Ermittlungen bei derartigen Sachverhalten eine hochrangige Priorität einzuräumen.
2. „Schmerzensgeld“ wegen Mißachtung des Beschleunigungsgebotes a) Innerverfahrensrechtlicher Ausgleich Wird ein Strafverfahren durch die Strafverfolgungsbehörde oder durch das Strafgericht in rechtsstaatswidriger Weise verzögert, kann dies bei Verurteilung des Angeklagten verfahrensinhärent auf der Rechtsfolgenseite ausgeglichen werden. Der Große Senat in Strafsachen hat mit Beschluß vom 17.1.2008 entschieden, daß 124
Graalmann-Scheerer, in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 2001, § 170 Rdnr. 42: Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens in der Öffentlichkeit.
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abweichend von der bis dahin befolgten Praxis nicht ein bezifferter Abschlag auf die an sich verwirkte Strafe zu gewähren ist, sondern nach dem sog. Vollstreckungsmodell im Erkenntnisverfahren in der Urteilsformel auszusprechen ist, daß zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der schuldangemessen verhängten Strafe als vollstreckt gilt.125 Zugleich hat der Große Senat darauf hingewiesen, daß es den Strafgerichten nach der geltenden Gesetzeslage verwehrt ist, eine Geldentschädigung zuzuerkennen.126 b) Haftungsrechtliche Kompensation der Verzögerung des Ermittlungsverfahrens Wenn die Staatsanwaltschaft ihrer Verpflichtung zur besonders beschleunigten Durchführung des Ermittlungsverfahrens nicht nachkommt, muß die Rechtsordnung darauf durch Bereitstellung einer zivilrechtlichen Haftung reagieren. Dies zeigt bereits ein Blick auf Randüberlegungen, die die Rechtsprechung beiläufig angestellt hat, als sie die Belastungen infolge des Betreibens zivilgerichtlicher Verfahren und den darauf beruhenden weitgehenden Ausschluß einer Haftung des Verfahrensbetreibers (Klägers) für zumutbar erklärt hat. Zwischen dem Erdulden des staatlichen Verfahrens und der aktiven Einwirkungsmöglichkeit auf den Verfahrensbetrieb besteht eine Wechselwirkung. Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren hat ein Beschuldigter bzw. sein Strafverteidiger weitaus geringere Einwirkungsmöglichkeiten auf den Verfahrensbetrieb als eine Prozeßpartei in einem kontradiktorischen Zivilverfahren. Insbesondere die Geschwindigkeit, mit der die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen betreibt, ist der Einflußmöglichkeit des Beschuldigten entzogen. Gegen Begleitnachteile eines Ermittlungsverfahrens, die aus einer Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten resultieren, weil die Rehabilitation infolge einer objektiven Verfahrensverschleppung erst zeitlich verzögert eintritt, bietet der durch die Strafprozessordnung rechtsstaatlich geordnete Verfahrensablauf keine prozeßrechtlichen Vorkehrungen. Die pflichtwidrige Mißachtung des strafprozessualen Beschleunigungsgebotes muß durch kompensatorische Bereitstellung einer zivilrechtlichen Haftung wettgemacht werden. Dies stellt ein gedankliches Äquvalent u.a. zu den Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts dar, eine längere Dauer der Untersuchungshaft kompensatorisch mit der Begründungstiefe von Haftprüfungsentscheidungen zu verknüpfen.127 Die Fortdauer des Freiheitsentzugs setzt dann besondere Abwägungsbegründungen voraus, welche Maßnahmen der besonderen Beschleunigung von den Organen der Strafrechtspflege ergriffen worden sind. Können rechtfertigende Begründungen nicht gegeben werden, weil die Pflicht zur besonderen Beschleunigung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen oder des gerichtlichen Hauptverfahrens verletzt wurde, ist die Haftanordnung aufzuheben. Dadurch tritt eine „Naturalrestitution“ ein.
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BGH NJW 2008, 860, 864 ff. BGH NJW 208, 860, 864 (Tz. 41).w BVerfG NJW 2006, 1336, 1337.
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Soweit eine Naturalrestitution nicht möglich ist, wie dies für pflichtwidrig verstrichene Ermittlungszeiträume zutrifft, bleibt nur ein Ausgleich durch Geldersatz für Vermögensschäden und für immaterielle Schäden möglich. Der BGH hat dementsprechend in den Fällen der verzögerten Verfahrenseinstellung nach Verdacht der Brandstiftung und darauf beruhenden Vermögensschäden wegen verspäteter Auszahlung der Feuerversicherungssumme konsequent einen Amtshaftungsanspruch bejaht.128 Dies deckt sich mit einer schon älteren generellen Feststellung des BGH aus dem Jahre 1956, wonach eine „schuldhafte Verletzung der berechtigten Interessen des Beschuldigten“ zu Amtshaftungsansprüchen führen könne.129 c) Geldersatz wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts Durch ein sich hinschleppendes Ermittlungsverfahren können Vermögensschäden eintreten, etwa wenn die berufliche Stellung eines Beschuldigten beeinträchtigt wird. Darüber hinaus kommt als Sanktion die Zahlung von Schmerzensgeld in Betracht. Zu den durch das Amtshaftungsrecht geschützten Rechten gehört das allgemeine Persönlichkeitsrecht.130 Geschuldet wird im Falle einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung u.a. eine angemessene Geldentschädigung.131 In dem Schadensersatzverfahren, das der Angeklagte Esser in der Sache MannesmannVodafone gegen das Land Nordrhein-Westfalen wegen einer irreführenden Presseerklärung in größerem Umfang erfolgreich betrieben hat, hat das OLG Düsseldorf diese Ansicht eingehend erörtert und bestätigt.132 Für die Sorgfaltsanforderungen, die die Staatsanwaltschaft zu erfüllen hat, gilt ein objektivierter Sorgfaltsmaßstab.133 Zu beachten ist dabei allerdings, daß die Entschließungen der Staatsanwaltschaft nur auf mangelnde „Vertretbarkeit“ zu überprüfen sind.134
VIII.
Amtspflichten der Staatsanwaltschaft bei Abgabe von Presseerklärungen
1. Information der Öffentlichkeit Grundlage der Berichterstattung in der Presse über ein Strafverfahren kann eine Presseerklärung der Staatsanwaltschaft sein. Berechtigte Information der Öffentlichkeit kann leicht in Publizitätssucht umschlagen, von der weder Staatsanwaltschaften noch Gerichte frei sind. Die Staatsanwaltschaft kann durch die Art ihrer 128
129
130 131 132 133 134
BGH NJW 1989, 96, 98 = NStZ 1988, 510, 512; BGH NJW 2000, 2672, 2674 f. = StV 2001, 579, 580 f. BGHZ 20, 178, 180 (Nichteinstellung trotz Einstellungsreife mit der Folge von Berufsbehinderungen für einen Rechtsanwalt). BGH NJW 1994, 1950, 1951; MünchKommBGB/Papier § 839 Rdn. 199. BGH NJW 1994, 1950, 1952 f. („Schmerzensgeld“). OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791, 1797. Vgl. dazu BGH NJW 2000, 2072, 2074 = StV 2001, 579, 581. BGH NJW 2000, 2672, 2675.
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Mitteilungen über ein Ermittlungsverfahren eine Amtspflichtverletzung begehen.135 Eine Staatsanwaltschaft handelt z.B. dann pflichtwidrig, wenn sie bei der Abfassung ihrer Presseerklärung unzutreffend den Eindruck erweckt, die Ermittlungen seien praktisch abgeschlossen und es sei mit einer Anklage zu rechnen, obwohl dies mit den Tatsachen nicht übereinstimmt. Pflichtwidrig sind auch substanzlose Mitteilungen untergeordneter bzw. belangloser Daten, auch wenn diese korrekt wiedergegeben werden. Sie können einen verzerrenden Eindruck erzeugen, wenn ihnen Journalisten erfahrungsgemäß Zwischentöne entnehmen, die sie zu weiterreichenden Schlagzeilen verarbeiten. Die Erklärung bewegt sich dann außerhalb des Vertretbarkeitsspielraums, den die Staatsanwaltschaft für sich in Anspruch nehmen darf. Zu den für sich genommen nicht mitteilungswürdigen äußeren Umständen gehört z.B. die Zeitdauer einer Vernehmung. Deren Bekanntgabe ist grundsätzlich nicht von öffentlichem Interesse, weil sie für den Inhalt der zu treffenden Entscheidung über das weitere staatsanwaltschaftliche Vorgehen belanglos ist. Wird ein derartiger Umstand ausdrücklich in einer Presseerklärung hervorgehoben, muß der unbefangene Leser den Eindruck gewinnen, die Ermittlungsbehörde messe diesem Umstand einen Informationswert zu. Ein derartiger Informationswert könnte allein darin zu sehen sein, daß die Länge der Vernehmung einen Indikator für Verschleierungsversuche eines Beschuldigten bildet, dem umfangreich Tatsachen vorgehalten werden müssen, welche bereits anderweitig ermittelt worden sind und seinen Einlassungen und Verteidigungsbemühungen entgegenstehen. Diese konkludent erzeugte Behauptung ist unrichtig, wenn der Beschuldigte auf eigenen Wunsch aussagt und ihm keinerlei Vorhaltungen gemacht werden, er vielmehr von der Staatsanwaltschaft vorbereitete Fragen zügig beantwortet und seine Antworten sodann lediglich zu Protokoll genommen werden. Im Übrigen wird die Gesamtdauer einer Vernehmung durch das Korrekturlesen des Protokolls oder durch die Erörterung von Rechtsfragen mit dem Verteidiger bestimmt.
2. Störungsbeseitigung durch Richtigstellungen der Staatsanwaltschaft Gegen die ansehensmindernde Wirkung von Presseartikeln kann der Beschuldigte nichts ausrichten, wenn die Grenzen eingehalten worden sind, die einer Verdachtsberichterstattung gezogen werden.136 Jedoch gibt es Abwehransprüche gegen die Staatsanwaltschaft. Inhalt deliktischer Ersatzansprüche ist nach § 249 BGB primär die Naturalrestitution; sie hat Vorrang vor dem Geldersatz. Bei Amtshaftungsansprüchen hat die Rechtsprechung die Naturalrestitution allerdings weitgehend eingeschränkt. We135
136
BGH NJW 1994, 1950, 1951; OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791, 1800; MünchKommBGB/Papier § 839 Rdn. 199. Vgl. dazu etwa OLG Celle NJW 2004, 1461, 1462 m.w.N.; OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 688, 690.
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der soll vor der Zivilgerichtsbarkeit eine Aufhebung oder Änderung von Verwaltungsakten verlangt werden können, noch die Vornahme einer schlichthoheitlichen Amtshandlung Gegenstand eines Amtshaftungsanspruchs sein können, der Anspruch also auf Geldersatz nach § 251 BGB beschränkt sein.137 Diesen Grundsatz hat der Große Senat in Zivilsachen des BGH in BGHZ 34, 99, 105 = NJW 1961, 658, 660 für den Widerruf amtlicher ehrenkränkender oder rufschädigender Behauptungen bekräftigt und statt dessen grundsätzlich auf den negatorischen Beseitigungsanspruch verwiesen.138 Es heißt in der Entscheidung: „Duldet die öffentlich-rechtliche Körperschaft das Fortbestehen des Störungszustandes, obwohl sie zur Beseitigung – etwa durch Richtigstellung ehrkränkender Vorwürfe – in der Lage ist, so ist sie im Sinne der in Analogie zu § 1004 BGB entwickelten Ehrschutzrechtsprechung als ‚Störerin’ anzusehen… Jedenfalls besteht trotz unterschiedlicher Auffassung über die Begründung im einzelnen in der heutigen Rechtslehre kein ernstlicher Zweifel mehr, daß bei Ehrkränkungen die für die Amtsführung des Beamten verantwortliche öffentlichrechtliche Körperschaft im Rechtsweg gezwungen werden kann, den rechtswidrigen Störungszustand durch Richtigstellung unwahrer Behauptungen abzustellen“. Im Sinne der vorstehenden Ausführungen hat das OLG Düsseldorf im Fall Esser eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit der Folge eines auf Zahlung von Schmerzensgeld gerichteten Amtshaftungsanspruchs darin gesehen, daß der dort die Presse unterrichtende Generalstaatsanwalt nicht dem von der Presse aufgrund der Art einer staatsanwaltschaftlichen Pressemitteilung (Anweisung zur Aufnahme der Ermittlungen wegen Untreue „u.a.“) spekulativ gewonnenen Eindruck entgegengetreten war, das Ermittlungsverfahren werde nicht nur wegen des Tatbestandes der Untreue geführt, sondern auch wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit nach § 299 StGB.139 Das OLG Düsseldorf hat u.a. ausgeführt: „Gerade wenn es um ein besonders sensibles Thema wie den Vorwurf der Bestechlichkeit geht und eine klarstellende Aussage ohne weiteres möglich ist, gebietet es auch das ‚Vorsichtsprinzip’, einer unzutreffenden Spekulation entgegenzutreten“.140 Das OLG Düsseldorf hat den Maßstab eines juristisch nicht vorgebildeten Durchschnittslesers der Pressemitteilung und der daraus entstandenen Presseartikel als Auslegungsmaxime genannt. Zur Richtigstellung sei der Generalstaatsanwalt, nachdem die Presseerklärung abgegeben worden war, aufgrund eigener Veranlassung verpflichtet gewesen, auch wenn eine Staatsanwaltschaft nicht sämtliche Presseveröffentlichungen darauf zu kontrollieren habe, ob die von ihr erteilten Informationen richtig wiedergegeben worden sind.141
137
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141
MünchKommBGB/Papier § 839 Rdnr. 295 mit teilweise krit. Stellungnahme in Rdnr. 297 f. BGHZ 34, 99, 109; zustimmend MünchKommBGB/Papier § 839 Rdnr. 295. OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791, 1801. OLG Düsseldorf NJW 2005, 1801 unter Hinweis auf Ausführungen zum Vorsichtsprinzip durch Siems AfP 2004, 485, 486. OLG Düsseldorf NJW 2005, 1801 a.E.
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Die Presserichtlinien, die der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen für die Zusammenarbeit der Justiz mit der Presse verfügt hat, sehen vor, daß Richtigstellungen in der Regel durch einen Leserbrief erfolgen. Das hat das OLG Düsseldorf in dem in der überregionalen Presse behandelten Verfahren gegen Esser u.a. als „nach Lage der Dinge nicht tunlich“ bezeichnet142; nahegelegen habe, die Richtigstellung im Rahmen einer Presseerklärung herbeizuführen, was auch zumutbar gewesen sei. In Erwägung zu ziehen ist auch das Verlangen einer presserechtlichen Gegendarstellung der Staatsanwaltschaft, jedenfalls wenn die Presse die richtigstellende Presseerklärung nicht umgehend aufgreift. Die Staatsanwaltschaft ist zu einer Richtigstellung als Maßnahme der Störungsbeseitigung verpflichtet. Es bestehen gute Gründe, die Staatsanwaltschaft als berechtigt und verpflichtet anzusehen, von dem Pressorgan eine presserechtliche Gegendarstellung zu verlangen. Eine Richtigstellung durch eine erneute Presseerklärung schuldet die Staatsanwaltschaft auch dann, wenn die Presse die erste Presseerklärung lediglich falsch verstanden hat. Die rechtzeitige Störungsbeseitigung kann den Schmerzensgeldanspruch entfallen lassen, wenn keine Folgewirkungen aufgrund der Rufbeeinträchtigung eintreten. Weitere Ansprüche auf Ersatz materieller Schäden bleiben davon unberührt.
3. Gegenmaßnahmen des Beschuldigten, Rechtsweg Der Beschuldigte ist verpflichtet, zur Schadensminderung auf ein pflichtgemäßes Verhalten der Staatsanwaltschaft hinzuwirken. Das hat gegebenenfalls durch eine Dienstaufsichtsbeschwerde an die übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft zu geschehen, wenn Anzeichen für eine Verschleppung des Ermittlungsverfahrens sichtbar werden. Verschleppungen gerichtlicher Verfahren kann mit einer Untätigkeitsbeschwerde begegnet werden.143 Auf der Grundlage des negatorischen Beseitigungsanspruchs muß der Beschuldigte von der Staatsanwaltschaft ein Tätigwerden gegenüber der Presse verlangen, wenn die Höhe des wegen Untätigkeit geschuldeten Schmerzensgeldes nicht nachteilig niedrig angesetzt wird oder der Anspruch insoweit entfallen soll.144 Auf welchem Rechtsweg der Geschädigte seinen Störungsbeseitigungsanspruch gegen die Staatsanwaltschaft durchsetzen kann, wenn die Staatsanwaltschaft dem Verlangen nicht nachkommt, ist streitig. Die herrschende Auffassung der Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit hält den Zivilrechtsweg und dort ein Vorgehen gem. § 23 EGGVG für zutreffend.145 Es empfiehlt sich, die Pflichtwid142 143
144 145
OLG Düsseldorf NJW 2006, 1791, 1801 a.E. Dazu OLG Köln OLGR 2007, 533; OLG Karlsruhe OLGR 2007, 679; OLG Naumburg OLGR 2007, 1052; KG MDR 2008, 228 = NJW-RR 2008, 598. Vgl. OLG Düsseldorf NJW 2006, 1791, 1803. Zum Vorgehen wegen einer unrichtigen Presseerklärung so OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791, 1803; s. ferner BGH NJW 1994, 1950 f.; OLG Stuttgart NJW 2001, 3797;
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rigkeit einer Presseerklärung der Staatsanwaltschaft zeitnah feststellen zu lassen. Die Feststellung hat Bindungswirkung für einen nachfolgenden Amtshaftungsprozeß.146
146
OLG Hamm NStZ 1995, 412, 414; a.A. BVerwG NStZ 1988, 513, 514; VG Berlin NJW 2001, 3799, 3800. BGH NJW 1994, 1950, 1951.
Injuries, Damages and a Puzzle: Can an Effect ever Precede its Cause?
Stathis Banakas1 ‘Der Schadensersatz bezieht sich auf den Schaden. Ein nachteiliges Ereignis soll aus der Welt geschafft, soll wiedergutgemacht werden’2 It is a great honour and pleasure to salute, for a second time in a Festschrift3, Erwin Deutsch, a scholar of gigantic stature in the field of civil liability, whose intellectual mentorship and generosity I have felt since the very beginning of my research in this area. This short paper is on an issue that fascinated me at an early stage of my doctoral research in comparative tort law several years ago and on which Professor Deutsch has written a case note for a leading decision of the Federal Supreme Court (BGH)4. It is an offering of great respect and affection to his latest, and certainly, I hope, not last, Festschrift.
I. Of Injuries and Damages in General 1. What Injuries? When a person has suffered a physical damage, whether personal injury or property damage, all major European traditions of civil liability, French, English and German tort law allow the recovery of all consequential expenses. Such expenses include not only repair costs, consequential losses of profit and the like, but also, normally, all other costs that, in the circumstances, were reasonable for the victim
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Reader in Law, Norwich Law School, University of East Anglia, England; Fernand Braudel Senior Fellow, European University Institute, Florence, Italy. Erwin Deutsch, “Der Ersatz reiner Vermoegensschaden nach deutschem Recht”; E. K. Banakas (ed), CIVIL LIABILITY FOR PURE ECONOMIC LOSS, 1996, p. 55. See my paper “Thoughts on a New European Tort Law”; H.-J. Ahrens/C. von Bar/G. Fisher/A. Spickhoff/J. Taupitz (eds), FS FÜR PROFESSOR DR. DR. ERWIN DEUTSCH 1999, S. 1-15. BGHZ 75, 230, commented with approval by Erwin Deutsch in JZ 1980, 99 f.; see infra, Part II of this paper.
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to incur (for example, the cost of hiring a temporary substitute for a damaged chattel in order to mitigate the cost of its non-availability)5. What amounts to physical damage is not, however, always clear. In the English case of Blue Circle Industries Plc v The Ministry of Defence6, Blue Circle ("BCL") owned some property, the Aldermaston Court Estate. It extended to some 137 acres and included a listed Victorian Manor House, used as a hotel, and a modern office building, Portland House. They were set in attractive grounds which included a large ornamental lake. The estate adjoined the Aldermaston Atomic Weapons Establishment (AWE) whose work at the relevant time included the research, design and production of nuclear devices for the Government. As a result of heavy rain, water from ponds on the AWE site overflowed onto the estate. A survey carried out by AWE personnel shortly thereafter revealed that a small area of marshland near the AWE boundary was contaminated by small quantities of radioactive matter (including plutonium), which, though not posing any threat to health, were above regulatory levels (under the Radioactive Substances Act 1960). At the same time, BCL was conducting negotiations for the sale of the estate to Sun Micro-Systems Ltd ("Sun") at a price of around £10m. Following the disclosure of the contamination, Sun ceased its interest in the site and the estate remained unsold. AWE accepted responsibility to pay for the removal of contaminated material (at a cost of nearly £350,000), but denied liability for any further costs or for the effect of the incident on the saleability or value of the property. BCL presented to the court a claim founded on the statutory cause of action provided by s. 12 of the Nuclear Installations Act 1965 or, alternatively, on nuisance or the rule of so-called strict liability for dangerous escapes in Rylands v Fletcher. Liability under the Act turned on whether the necessary “damage to property” required by s. 7(1) of the Act of 1965 to engage the liability of the defendants meant only physical damage to tangible property or also extended to cover pure economic loss or damage to incorporeal property or property rights. In an earlier case of a claim under the Act for contamination, the case of Merlin v British Nuclear Fuels plc, Gatehouse J had held that the mere presence within the plaintiffs' property of alphaemitting radionuclides emanating from waste discharge which cause no physical damage to the fabric of the property, could not on its own constitute such damage and any diminution in the value of the property caused by their presence was accordingly pure economic loss7. That case concerned a claim by plaintiffs whose house had allegedly been contaminated by radionuclides emanating from the notorious British Nuclear Fuel's plant at Sellafield. They had moved in order to avoid exposing their children to a health risk but were unable to sell the property except at a much reduced price. Their claim failed on the basis that contamination of the air space within a building was not damage to property. The judge said that the plaintiffs’ argument that “property” included the air space within the walls, ceilings and floors of the house and that this was, therefore, dam5
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See, e.g., the discussion in Fleming, TORTS, 5th ed 1977, pp. 170-233; Larenz/Canaris, SCHULDRECHT I, 1987, p. 426 ff. 141 SJ LB 11(Ch.D). Merlin v British Nuclear Fuels plc [1990] 2 QB 557.
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aged by the presence of radionuclides and, as a result, became less valuable as the family's home, seemed to him to be ‘too far-fetched’. Another case, Hunter v LDDC8, concerned Common Law claims for damages, arising from the deposit of dust on the plaintiff's house, during the construction of a new road. The Court of Appeal had to determine as a preliminary issue whether such deposits were capable of constituting damage to property. Interesting is the judgment of Pill LJ (with whom the other members of the Court agreed) who said9: “In my judgment the deposit of dust is capable of giving rise to an action in negligence. Whether it does depends on proof of physical damage and that depends on the evidence and the circumstances. Dust is an inevitable incident of urban life and the claim arises on the assumption that the defendants have caused excessive deposits. Reasonable conduct and a reasonable amount of cleaning to limit the ill effects of dust can be expected of householders. Subject to that, if, for example, in ordinary use the excessive deposit is trodden into the fabric of a carpet by householders in such a way as to lessen the value of the fabric, an action would lie. Similarly, if it follows from the effects of excessive dust on the fabric that professional cleaning of the fabric is reasonably required, the cost is actionable and if the fabric is diminished by the cleaning that too would constitute damage. Excessive dust might also be shown to have damaged electrical apparatus and there could no doubt be many other examples. The damage is in the physical change which renders the article less useful or less valuable. On the assumptions we are invited to make, that rather than any general concept of loss of utility is the appropriate test”. After considering these cases, Carnwath J in Blue Circle Industries Plc v The Ministry of Defence10 was in no doubt that the case fell on the "physical damage" side of the line, accepting Pill LJ’s finding that the damage is in the physical change which renders the property less useful or less valuable. The judge also considered the leading cases of Murphy v Brentwood D.C.11, and Invercargill City Council v Hamlin12. Murphy decided that the duty of care in the tort of negligence is concerned with safety from physical injury, whether to persons or property, and neither the protection of property rights as such, nor, indeed, the compensation of pure economic losses. It follows that the cost of repair of defective property (provided the defect was discovered before any injury was done), as well as the loss from the diminution of its value are not recoverable in negligence. This applies not only to subsequent purchasers of defectively built premises (in the case of which it must, of 8 9 10 11 12
[1996] 1 All ER 482. At p. 366 f. 141 SJ LB 11 (Ch.D). [1991] 1 AC 398. [1996] AC 624 (P.C.) In this case, the Privy Council upheld the right of the New Zealand Court of Appeal not to follow the English House of Lords and develop the Common Law in New Zealand according to local policy considerations. Murphy was not followed in that case, concerning a duty of care arising from statutory powers of a local authority, granted by building byelaws requiring approval of the foundations of a building by the authority's building inspector. When the inspector negligently approved the defective foundations of a house causing damage to the house, the local authority was held to have owed a duty of care to the owner of house.
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course, be accepted that their property rights were instituted on an already damaged object), but also to the building owner, subject to the caveat that the latter may have a claim against the builder in negligence for repair or demolition costs of buildings that create a danger of physical injury on neighbouring land or on the highway. In the culture of English tort law it is the nature of the injury, rather than the legal right infringed, that matters. And it is only “physical” or “property” damage that can be compensated in an action in negligence, not a merely “economic” one13. Murphy also established that if the defect is discovered before there is any injury to health or damage to property, the cost incurred by a subsequent purchaser in putting the defect right is pure economic loss and is not claimable in negligence14. But, interestingly, the Blue Circle Industries case presented the judge with the additional, more difficult question, whether it mattered that the difference in value of the property was partly attributable to the general fall in rental values in England between January 1993 and December 1994, rather than the contamination itself. On this point, he found direct assistance in another New Zealand case, McElroy Milne v Commercial Electronics Ltd15. In that case, a solicitor negligently failed to ensure that a lease granted by his developer client contained a guarantee from the lessee's parent company. The result was that the developer, who had intended to sell the property with the benefit of the lease soon after completion, found himself in dispute with the parent company and was unable to market the property for more than two years, during which time the market fell. The New Zealand Court of Appeal held that the developer was entitled to the difference between what the property would have fetched if sold soon after its completion with a guaranteed lease and what it eventually fetched two years later. In the light of that case, Carnwath J in Blue Circle Industries Plc held that the disclosure of the contamination in January 1993 produced a situation in which BCL, in a period of falling property values, were unable to market the property until remedial works were complete. That was a foreseeable consequence of the contamination and AWE were responsible for it. In arriving at this conclusion, the learned judge is responsible for the only remarkable development in England after Mur13
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Murphy is followed in England in a way that has drastically reduced recovery in tort against negligent architects or builders for anything but physical injury, even for the building owner or first occupier: Lancanshire & Cheshire Assn. of Baptist Churches v Howard & Seddon (a Firm) [1993] 3 All ER 487. But the Supreme Court of Canada is following a more eclectic approach, refusing to apply Murphy as setting a principle of non-recovery, and treating the question of proximity on a more factual basis: Norsk Pacific Steamship Co. v Canadian National Railway [1992] 1 SCR 1021. If the subsequent purchaser repairs the dangerous defect, the non delegable duty of the person whose negligence originally caused the defect to make the premises safe is, thus, discharged “free of charge”. However, the subsequent purchaser may sue the creator of the dangerous defect for the cost of repair while the defect is not yet put right, and the former may be liable for such a cost, as, before the defect is put right, the creator of the defect continues to have a duty of care to all persons whose safety may be at immediate risk. [1993] 1 NZLR 39.
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phy, divorcing himself from the restrictive philosophy of the House of Lords and justifiably extending the legal notion of property damage to allow the compensation in tort of the loss of value caused by negligent direct physical interference with the property. The English and the German systems, in particular, are progressively moving closer to one another in their attitude that the recovery of losses caused by the invasion of physical interests is almost "axiomatic"16, has a "normative" character and does not always depend on actual proof that the costs had already occurred on the day of the trial. This attitude was more naturally formed in the Common Law tradition; while behind the German conversion to it can be found a remarkable case of doctrinal transplantation of a Common Law conception, of great comparative interest. German law has, in the “normative concept of damage”, endorsed an idea similar to the Common Law idea of an action for damages as a vindicative remedy of a right (Rechtsverfolgende Natur des Schadensersatzes). More specifically, the English law of torts has a tradition of so-called “torts actionable per se”17. Because the action for damages used to serve, in the past, also the purpose of testing out the existence of a right; in such cases, the presence of actual harm was not always necessary for the plaintiff to be able to sue. In negligence, however, only actual harm is compensated18. But with their practice of “general damages” awards, English courts have allowed themselves considerable space for normative manoeuvring. It is often the case that such awards go far beyond the monetary value of the actual harm suffered. The usefulness of this practice becomes only too evident with novel types of injury: if the courts feel that they are fit for compensation, the mechanism is there to accommodate them. In Germany, it is often argued that the BGB, apparently under the strong influence of 16
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But in Marc Rich v Bishop Rock Marine, The Nicholas H. [1995] 3 All ER 307 (HL), a plaintiff's claim for a physical loss (loss of property) was denied as “unjust, unreasonable and unfair”. It was held that to allow the claim would be “to interfere with and risk damaging the intricate and carefully regulated international code constituted by the Hague and the Hague-Visby Rules” (adjusting rights and duties between ship-owners and those shipping goods under bills of lading). The plaintiff had shipped his cargo under a bill of lading, and the cargo was lost when the defendant surveyor underestimated the importance of damage to the ship, allowing her to sail after inadequate repairs and sink almost immediately together with the cargo. The defendant was not the shipowner. This shows that, in a commercial context, concerns about commercial market arrangements and market efficiency may overcome the policy of protecting physical interest in property from negligence actions. In some cases an action in tort lies without any proof of damage; the reason is historical: see Clerk & Lindsell, TORTS, para. 302, supplying a catalogue of cases where actual damage is unnecessary. Trespass to land, person (but unintentional trespass to person may now need proof of damage: see Letang v Cooper [1965] 1 QB 232, 245 per Diploclc L.J.) or goods and libel (see Hayward v Hayward (1887) 34 Ch.D. 198) are notable examples of torts actionable per se. The tort of negligence is “traditionally described as damage, which is not too remote, caused by a breach of a duty of care owed by the defendant to the plaintiff”: Clerk & Lindsell, TORTS, para. 859, referring to Lochgelly Iron & Coal Co. v M’Mullan [1934] AC 1, 25 per Lord Wright.
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Mommsen19, endorsed a strictly factual, “materialistic” concept of damage. This is considered to be the philosophy behind the principle of non compensation of socalled “non material” losses (§ 253 BGB). But the comparative work of Neuner in the 1930s, and several other German scholars more recently, has created a theoretical movement in favour of revising the orthodoxy of this view. Neuner’s “normative theory” of damage was directly inspired by the old Common Law tradition of using the tortious action as a test ground for the existence of a right; Neuner called this the “rechtsverfolgende Funktion” of the action for damages. Neuner became, in this way, the apostle of a new faith that has proved for Mommsen’s intellectual disciples hard to fight in the decades following his seminal article in the “Archiv für die civilistische Praxis”20. Neuner’s work and its effect on the evolution of German doctrine and jurisprudence provide a rare and striking example of the transplantation not merely of a principle or a doctrine, but of a whole tradition from a legal system with a highly individual experimental style into a legal system of the highest dogmatic sophistication. The transplantation becomes even more noteworthy if one considers that the tradition in question was, at the time of its initiation in Germany, rapidly declining in England, so that it is today only of peripheral importance. From the “rechtsverfolgende Funktion” of the tortious action Neuner concluded that the concept of “damage” itself has to be a “normative” concept. The law should be left free to work out its own concept of damage for its own purposes. Assessment of damages should, furthermore, be made on the objective basis of the “common value” of the perished interest (“gemeiner Wert”), rather than on the basis of its subjective value. The latter was another postulate of the traditional Mommsenian concept of damage. Neuner’s ideas were further developed by several other authors; among others, by Bydlinski (he calls the award of damages “a sanction for the injured interest or good”)21 and Larenz (who introduced the idea of a “Rechtsfortsetzungsfunktion” of the action for damages)22.
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Mommsen, ZUR LEHRE VON DEM INTERESSE, 1855. Neuner, Interesse und Vermögensschaden, AcP 133, 277 f. (1931); see also, a year later, Wilburg, Zur Lehre von der Vorteilsausgleichung, in JherJb 82, 51 f.; for a critical account of the literature following these two articles see Grunsky, AKTUELLE PROBLEME ZUM BEGRIFF DES VERMÖGENSSCHADENS, 1968; Hagen, Fort- oder Fehlentwicklung des Schadensbegriffs, JuS 1969, 61 f.; Hauss in ZVersWiss 1967, 151; Zeuner, Schadensbegriff und Ersatz von Vermögensschäden, AcP 163, 380 (1963); idem in GEDÄCHTNISSCHRIFT FÜR DIETZ, 1972, S. 99 f.; Baur in FS RAISER, 1974, S. 120 f. PROBLEME DER SCHADENSVERURSACHUNG NACH DEUTSCHEM UND ÖSTERREICHISCHEM RECHT, 1964, p. 29 f. SCHULDRECHT I, 1987, p. 425; a good account of the German debate on the concept of damage can be found in H. Lange/G. Schiemann/J. Gernhuber, SCHADENSERSATZ: HANDBUCH DES SCHULDRECHTS, 2003, p. 26 f.; see also E. Wolf in FS SCHIEDERMAIER 1976, S. 545 f.; Kondgen, AcP 177, 1 f. (1977), attempts an economic analysis of the issue. Finally, a detailed comparative study is Magnus, SCHADEN UND ERSATZ, 1987.
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2. The Causal Link Proof of sufficient causal link is required by every modern tort system as a necessary condition of liability; a postulate of the principle of personal responsibility. The causal connection is preferable to any other, such as, for instance, a spatiotemporal one 23. A great deal of ink has been spilt on the question of the proper criterion of legal causation. Apart from the self-evident fact (about which all tort systems using the causal explanation cannot but agree) that the defendant's conduct must be at least a condition “sine qua non” of the harm complained of, there appears to exist a healthy diversity in modern tort laws as to the criteria of “legal” causation that the courts apply next. In French law, it is commonly accepted in the context of art. 1382 f. of the C.C. that a “direct” causal link must exist between the defendant's conduct and the damage. The exact meaning of this (unwritten, but apparently indisputable) rule, is not very clear24. It cannot mean that the defendant’s conduct must be the sole condition of the harm, because this would be defining liability too narrowly. It has been suggested that whenever there is an independent or subsequent condition of the harm, other than the defendant’s conduct, with a special “explanatory” force (e.g. may be considered “abnormal” under the circumstances), then the defendant’s conduct ceases to be a “direct” cause of the harm25. Another view is that only “necessary” consequences are “direct” consequences, but this hardly explains anything26. It is, on the other hand, noteworthy that “foreseeability”, so important a criterion in Common Law and, also, of central importance in German law, too, has been described as “une idée directrice” for the judge in this connection27. Some French decisions have actually turned to a test of legal causation similar to the German “adequacy” test28. Of special interest is, also, another interpretation of “directness”, which relates the causation rule to the legal notion of fault: the more serious the defendant’s fault, the more “direct” its consequences. If the fault is
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See the discussion in Honore, INTERNATIONAL ENCYCLOPEDIA OF COMPARATIVE LAW XI, ch. 7, p. 7 f.; for a more recent European comparative study see B. Winiger/H. Koziol/B. A. Koch/R. Zimmermann (editors), ESSENTIAL CASES ON NATURAL CAUSATION: 1 (Digest of European Tort Law), 2007. See Weill/Terre, OBLIGATIONS, 2d ed, p. 810 f.; Mazeaud/Mazeaud, TRAITE, Vol. II, 6th ed, No. 1666 f.; Le Tourneau, RESPONSABILITE CIVILE, 2d ed, p. 197 f.; Carbonnier, DROIT CIVIL, IV, 7th ed, p. 319 f.; and also the comparative discussion in Honore, IntEncCompL XI, ch. 7, p. 40 f. Honore, op. cit., p. 41. See, e.g., the discussion in Mazeaud/Mazeaud, TRAITE, Vol. II, 6th ed, No. 1673. Mazeaud/Mazeaud, TRAITE, Vol. II, 6th ed, p. 791; foreseeability plays a central role also in contractual liability and it has been suggested by R. Savatier (RESPONSABILITE CIVILE, Vol. II, 2d ed, No. 472) that all foreseeable harm could qualify as “direct”, regardless of cause of action. See e.g., Mazeaud/Mazeaud, TRAITE, Vol. II, 6th ed, No. 1442Ä2; Weill/Terre, OBLIGATIONS, 2d ed, p. 811; compare Le Tourneau, RESPONSABILITE, 2d ed, Nos 528 f.
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extremely serious, e.g. malice, the defendant must account for virtually all harmful consequences. Marteau, who advanced this view29, may have been influenced by the treatment of serious fault in other legal systems. In Common Law, for example, there is a well-established principle, according to which “intended consequences” are “never too remote”30, and in German law wrongful intention receives a similarly harsh treatment31. Marteau considered the defendant’s fault to be the most important factor to influence the judge’s mind as to the imputability of certain consequences; he believed that «la formule du dommage indirect est une fausse étiquette qui sert a designer le jus moderandi du juge français»32.
But three objections were advanced against this33: Firstly, it has been noted that a similar distinction between intentional and non-intentional consequences is not made in the field of contractual liability (art. 1151 C.C.), where, besides, “directness” itself, as a criterion of causation, originated. Secondly, it has been observed that the very idea of a moderating power of the judge in awarding damages is contrary to the wishes of the authors of the Code Civil, as revealed in the record of its “motives”. Thirdly, since the application of the principle of directness affects the legal issue of causation, it is subjected to the control of the Cour de Cassation; a “jus moderandi”, belonging to the sovereign power of the trial judge, would make this control virtually impossible. It is submitted, however, that Marteau’s observations are not entirely devoid of truth. In an oblique way the French judge has, in fact, been given a certain “jus moderandi” i.e. by being granted, in practice, an effective discretion in the actual assessment of damages. And the courts cannot but be influenced by the degree of fault involved when deciding the issue of “directness”. Carbonnier would go so far as to say that
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Marteau, LA CAUSALITE DANS LA RESPONSABILITE CIVILLE, 1914, p. 221 f. “The intention to injure the plaintiff disposes of any question of remoteness”: Quinn v Leathem [l901] AC 495, 537 per Lord Lindley. The same applies to reckless indifference regarding a harmful event: for the purposes of liability, recklessness is treated as bad intention: see Clerk & Lindsell, TORTS, 14th ed, para. 339. Deceitful statements engage the tortfeasor’s liability for all damage flowing directly from the fraud, whether foreseeable or not: Doyle v Olby (Ironmongers) Ltd. [l969] 2 QB 158 (CA); this is the case despite the fact that the damage is only pecuniary (contrary to what appears to be the general causation rule in negligence, regarding the extent of liability for pecuniary damage). The tortfeasor must account for intended harm, even when it fails to qualify as an “objectively probable” (i.e. “adequate”) consequence of his conduct. Marteau, op. cit. supra, p. 221. See the strikingly similar pragmatic approach of a leading English judge, Lord Hoffmann, infra footnote no. 60. Mazeaud/Mazeaud, TRAITE, Vol. II, 6th ed, No. 1672.
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«on donne une idée assez juste de la jurisprudence, en disant qu'elle s'attache a une causalité morale plutôt que matérielle»34.
The influence of the degree of fault is, besides, no less in the context of an “adequacy” theory of causation relating the “generally foreseeable” harm (the commonest criterion of “adequacy”) to the type of harm of which the defendant’s conduct significantly increased the probability. This version of the “adequacy” theory has been criticised, too, for confusing fault and causation35. But in the case of non-premeditated harm36 it is often likely that a serious amount of carelessness will have a stronger explanatory force, no matter how objectively the “adequate” cause is defined; this is not a confusion of fault and causation, but a reflection of the fact that a causation theory based on probability cannot but take into account the degree to which seriousness of fault and probability of harm are in proportion. In German law, the conditio sine qua non test is coupled with a test of “adequate cause”, whose correctional intervention is meant to avert an intolerable expansion of liability. The most common version of the “adequacy” theory employs a test according to which a condition of the harm may be considered as a causa adequata, when it has increased the objective probability of the harm. The significance of a condition is considered ex post facto (forecast with hindsight: in German “nachträgliche Prognose”). It is, moreover, the “hindsight” of a most prudent and perceptive observer that is to be taken into account, and the calculation of harm-probability is done in the light of “all the knowledge of laws and generalisations” available to mankind37. This formula has run into difficulties in practice, especially in connection with certain types of consequential losses (e.g. ulterior harm)38. The Common Law causation test of “reasonable foreseeability” has strong similarities with the German “adequacy” test39. For example it has been held that foreseeability is determined in the light of the knowledge of the “reasonable” man after the act40. Proof of foreseeability is an absolutely necessary condition for a
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Carbonnier, DROIT CIVIL, 7th ed IV, p. 319; compare Lord Hoffmann’s similarly robust view, above, note 31. See Dalcq, TRAITE DE LA RESPONSABILITE CIVILE, Vol. II, No. 2374; but in most versions of the adequacy theory the “generally foresseable” or “objectively probable” condition is so defined (see infra, under B. in the text) as to defeat this criticism: see Honore, IntEncCompL XI ch. 7, no. 86. “Adequacy” gives way, on the other hand, to the simple conditio sine qua non test in the case of intended harm: supra For the adequacy theory used in Germany see Deutsch, HAFTUNGSRECHT, Vol. I, 1976, p. 146 f.; see also Honore, IntEncCompL XI, ch. 7, p. 49 f., for a general discussion of “probability” theories of causation, of which the adequacy theory is by far the most important. Honore, op. cit., p. 54. See Stathis Banakas, «Causalité juridique et imputation: réflexions sur quelques développements récents en droit anglais», Revue Lamy Droit Civil, Suppl. au No 40, July/August 2007, 93. See the analysis in Dias [1967] CLJ 62, 68, 77Ä82.
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claim to be accepted in negligence in Anglo-American law. If the harm is not shown to be foreseeable “in kind”, then there is no question of recovery, even if it can be shown to be “direct”41. On the other hand, a physical loss that is shown to have been foreseeable, may be recoverable, albeit “indirect”42. In German law, too, it seems that physical losses, if they can be taken to be among the objectively foreseeable consequences of the harmful event, are recoverable, even when they appear to be “indirect”43.
II. The Special Problem of Expenditure to Prevent Anticipated Physical Damage (“Vorsorgekosten”)
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1. A Philosophical Challenge As elegantly put by Erwin Deutsch, “Compensation is for harm: a harmful event has occurred in the world, and the harm should be made good”45. The question may be asked, however, whether the law should not also contemplate the acceptability of the recovery of expenses towards mitigating or totally averting a damage that has not yet materialised but is strongly anticipated. The law generally recognises not only the right to self defence (a valid defence under most tort systems) but also a duty to mitigate the loss ex post facto. It would appear quite reasonable, in view of the existence of such a duty, to recognise the recoverability of mitigation expenses made ex ante. The issue is not easy to decide. Let us consider some examples. A bus company keeps stand-by buses for quick replacement of any vehicles that might be accidentally damaged. An enterprise incurs special overhead expenses towards establishing a mechanism for preventing and/or putting right any damage or break down that might occur and affect business interests. A supermar-
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Since The Wagon Mound (No 1) [l961] AC 388, the House of Lords has held that if the damage is foreseeable in kind neither the unforeseeable extent of the injury nor the unforeseeable manner of its incidence can absolve the defendant: see Smith v Leech Brain & Co., Ltd., [1962] 2 QB 405; Hughes v Lord Advocate [1963] AC 837. These principles apply only to physical loss, i.e. injury to person or property. As has been illustrated by the House of Lords decision in the case of Dorset Yacht Ltd. v Home Office [1970] AC 1004: see the remarks of Lord Denning M.R. in S.C.M. v W.J. Whittall & Son, Ltd [1971] I QB 337, 43. See BGHZ 41,123. See H. Lange/G. Schiemann/J. Gernhuber, SCHADENSERSATZ: HANDBUCH DES SCHULDRECHTS, 2003, p. 295 w. f. r. There is no specialist literature dedicated to this problem in English law. Erwin Deutsch, “Der Ersatz reiner Vermoegensschaden nach deutschem Recht”; E. K. Banakas (ed), CIVIL LIABILITY FOR PURE ECONOMIC LOSS, 1996, p. 73 (translated by Tony Weir)
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ket appoints special security staff to prevent shoplifting46. The television licensing authority spends money to put in place a mechanism to collect license dues from unwilling users47. The musicians’ guilt charges a subscription to a copyright protection agency hunting copyright violators48. When the damage finally materializes, can these precautionary costs be recovered from a tortfeasor, whose anticipated wrongful act caused such expenditure to be incurred in advance of the tortious act? The technical problem at issue here appears to be the following: to what extent expenses incurred in mitigation or aversion of an anticipated damage, likely to be caused by a strongly anticipated harmful event, may be seen as having been “caused” by the subsequent materialization of the harmful event? This problem is a well-known philosophical problem that has received the following general formulation: “Can an Effect ever Precede its Cause?”49. This is what one of the outstanding philosophers of our time, Professor Michael Dummett, has written on the issue:
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See e.g. BGHZ 75, 230, 234, commented with approval by Erwin Deutsch in JZ 1980, 99 f., denying recovery of such precautionary expenditure; cf similarly, LG München DAR 1988, 383. Recovery allowed in BGHZ 75, 238; for some reason the issue, which was quite popular in German literature in the 1970s has not been much discussed recently in Germany (see footnote no. 22 above). For interesting comparisons with Swiss case law and an assessment of German case law see recently Honsell, SCHWEIZERISCHES OBLIGATIONENRECHT, BESONDERER TEIL, 6th ed. 2001, para. 11 IV 2. See the favorable decisions of the Federal Supreme Court for GEMA, the music authors’ society, BGHZ 17, 376, 383 and BGHZ 59, 286; Löwenheim, Schadensersatz in doppelter Höhe der Lizenzgebühr bei Urheberrechstverletzung?, JZ 1992, 12 f.; also the detailed analysis, and evaluation of the hostile literature, in H. Lange/G. Schiemann/J. Gernhuber, SCHADENSERSATZ: HANDBUCH DES SCHULDRECHTS, 2003, at p. 297 f. Michael Dummett, TRUTH AND OTHER ENIGMAS, 1978, p. 319 f.
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“We may observe that the occurrence of an event of a certain kind is a sufficient condition for the previous occurrence of an event of another kind; and, having observed this, we might, under certain conditions, offer the occurrence of the latter event, not indeed as a causal, but as a quasi-causal explanation of the occurrence of the earlier. There are three such conditions that have to be fulfilled if it were to be reasonable to offer such a quasi-causal explanation. First, the occurrence of the earlier event, which was to be explained by reference to that of the latter event, would have to be incapable, so far as we could judge, of being (causally) explained by reference to simultaneous or preceding events; there must be no discoverable explanation of the earlier event which did not refer to the latter. Secondly, there would have to be reason for thinking that the two events were not causally connected, i.e. there must be no discoverable way of representing the earlier event as a causal antecedent (a remote cause) of the latter. Thirdly, we should have to be able to give a satisfactory (causal) account of the occurrence of the latter event which contained no reference to the occurrence of the earlier. If these three conditions were fulfilled, and there really was good evidence of the repeated concomitance of the two events, then the quasi-causal connection between them would be a fact of nature which we could do no more than observe and record.”50.
In the light of these three conditions of Professor Dummett, expenses in mitigation or aversion of anticipated harm come very close to qualifying as “quasi-consequential” losses upon the (subsequent) damage (if and when the latter finally occurs). But it appears that the first condition demands proof that the expenses were inescapably necessitated, in the light of all circumstances, by the kind and scope of the anticipated damage to the extent that they might be seen, at the time of their occurrence, as virtually “forced” upon the will of the plaintiff. Can this, if true, ever be the case in practice? Be that as it may, it is probable that courts are likely to indulge less in technical causation issues and more in broader considerations of policy, to the extent that this is allowed to them. Indeed, the issue has arisen as a concrete problem in the German law of damages, in the form of so-called precautionary expenditure and costs of averting or mitigating an anticipated loss51. The anticipated loss itself will be the product of an unlawful act, which the advance expenditure is intended to prevent: for example, the cost of hiring security personnel to guard the premises of a supermarket from acts of theft. And the person from whom the advance expenditure will be claimed will be anyone found liable for such an anticipated unlawful act, which in their case the expenditure, obviously, eventually failed to prevent. German courts seem to have adopted a rather negative position in connection with such expenditure, when such costs not exceed normal, day to day, overhead 50 51
ibid., p. 322 f. On the problem of the recoverability of expenses made in advance of the harmful event in order to avert it or mitigate its effect see Lange, SCHADENSERSATZ, 1979, p. 192 f.; also from the literature Hagmann, DIE SCHADENSERSATZRECHTLICHE BEHANDLUNG VON VORSORGEMAßNAHMEN,, Diss., Tuebingen 1976; von Marschall in FS MAX RHEINSTEIN, Vol. II, 1969, 625; Schmidt, JZ 1974, 73 f.; Klimke, NJW 1974, 81 f.; Canaris, NJW 1974, 521; Musielack, JuS 1977, 531.
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expenditure. But, exceptionally, when, under the circumstances, established standards of legal policy, like the principle of “Treu und Glauben”, dictate otherwise, such advance expenditure may be recoverable from the defendant who is liable for the main delictual act52. In France considerations of legal policy find more space in the broadness of the liability and compensation principles of the general clauses. This is illustrated by a decision of a lower court in a case where the Electricity Board of France sought the recovery of costs, towards maintaining and putting into operation stand by repair units, from the party responsible for damage to a power cable. The first instance court found that these costs represented no actual harm; they had been “otherwise” indemnified, i.e. mainly in the price of electricity, where all “overheads” of the Board were also reflected. But the Cour de Cassation thought that the Board ought to be allowed to recover those costs on the grounds of the principle of “réparation intégrale”53. This implies that the Cour de Cassation accepted not only that the expenses represented “actual harm”, but that they were also causally connected with the harmful event in anticipation of which they had been incurred. Le Tourneau applauded the recoverability of expenses towards averting or mitigating a damage from the person responsible for that damage on the grounds that, otherwise, “the spirit of initiative and enterprise, profitable to the community, would be discouraged”54. The issue of causation, however, should not be so lightly dismissed. Personal liability, whether based on fault or not (i.e. “strict liability”), cannot and should not be extended beyond events for which the harmful event is, at least, a cause. If “to award compensation without fault” has now come to be regarded by some distinguished lawyers as liable to “make society bankrupt”55, what can one say on the implications of “compensation without causation”. But is there any evidence of causation in such cases? Let us take a closer look: the compensation of such advance expenditure raises three major issues: The first is, can the posterior unlawful act be seen as the cause of the expenditure? Professor Dummett’s three conditions above ought to be satisfied for this to be the case. It seems that, on face-value, these three conditions are satisfied: First, the occurrence of the earlier event, the advance expenditure, is incapable of being (causally) explained by reference to simultaneous or preceding events; there must be no discoverable explanation of the earlier event which did not refer to the latter. Provided, of course, that the advance precautionary (security) expenditure has been exclusively caused by an anticipated unlawful act, such as that of the defendant, and no other event, such as, for example, health and safety or public relations. Second, there can be no reason for thinking that the two events were not 52 53
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See BGHZ 32, 280; BGH JZ 1961, 420; and supra, notes 24, 25. Dalloz Sirey 1976 J. 137 note Le Tourneau; see also Revue Trimestrielle de Droit, 1975, 106 obs. Durry. Ibid. Denning (Lord), THE DISCIPLINE OF LAW, 1979, p. 280 ; compare von Caemmerer in RabelsZ 42, 5 f. (1978).
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causally connected, i.e. there is no discoverable way of representing the prior expenditure as a causal antecedent (a remote cause) of the unlawful act: surely, the theft is not in any way caused by the advance security measures. This, however, will not be the case, obviously, if, on the facts, security measures have in any way precipitated the subsequent theft, for example, by making possible a particular way of carrying it out and the like. Third, there certainly is a satisfactory (causal) account of the occurrence of the latter event which contains no reference to the occurrence of the earlier: the defendant’s fault in committing the unlawful act. Additionally, as Dummett would require, the repeated concomitance of the two events, advance security expenditure and subsequent thefts is evident. This according to Dummett should lead us to accept a quasi-causal connection between them as “a fact of nature”. But a paradox here is that advance precautionary security expenditure is, of course, intended to prevent the subsequent unlawful act from happening; indeed, if security works, that should be the case. If it doesn’t work and a theft takes place, could it be considered as a net loss for the claimant (see below)? A second issue is that clearly only a proportion of the advance precautionary security expenditure can be clearly attributed to the subsequent unlawful act, unless, of course, the measure was an ad hoc advance precaution against an identified single threat. This raises issues of probability and of magnitude of anticipated risk and assessment of advance costs attributable to each subsequent unlawful act, because such an act is as much the cause of the prior expenditure as any other subsequent unlawful act that was committed on the same premises, indeed, also any other attempted unlawful act thwarted by the prior expenditure. A third issue, related to the second, is avoiding the overcompensating of the claimant, whose prior expenditure may have thwarted other subsequent unlawful acts; if the defendant should compensate a portion of the expenditure, assessment must take this into account. A fourth issue is that a distinction needs to be made between precautionary expenditure caused by the threat of, and aiming at, preventing the subsequent unlawful act and other precautionary expenditure, for example, of an indemnificatory nature, such as loss or accident insurance. Last, but not least, comes the issue of the degree to which precautionary expenditure is the result of the exercise of the claimant’s own free will, which is, unlike actual damage caused by the injurer, voluntary expenditure. This has been a major obstacle in actual case law in several European jurisdictions56. Regardless of the logical coherence of the above, calculating the defendant’s liability for prior precautionary expenditure by the claimant may be practically difficult, if not impossible, and will depend on the extent to which statistical evidence may persuade a court of law. Unless, of course, one is prepared to see the defendant’s liability for such expenditure as being at large, i.e. in the form of general, normative damages that a court of law can award without need of concrete calculation of the extent of pecuniary loss. 56
See the analysis of Heinrich Honsell, FS FÜR PETER SCHLECHTRIEM ZUM 70. GEBURTSTAG (edited by I. Schwenzer/P. Schlechtriem/G. Hager), 2003, S. 750 f.
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2. Getting Real about Legal Causation “[The] causal-set model does not imply any chronological relationship among the causal elements involved, although all causes must precede the plaintiff’s harm”57.
This blunt statement, combined with the need to test causation on the so-called counter-factual inquiry test, would immediately appear to shut the door to any speculation on precautionary expenditure qualifying as harm caused by subsequent wrongful activity. It must be made clear that the need for the “effect” to follow the “cause”, and not the inverse, is unanimously accepted by both lawyers and scientists as a self-evident requirement of legal causation58. As put by an eminent scientist, writing on the environment, epidemiology and disease, the first important question always is: “Is the temporal relationship correct?”59
However, legal causation cannot but be also based on the indisputable complexity of natural causation60, famously described by John Stuart Mill as follows: “The cause then, philosophically speaking, is the sum total of the conditions positive and negative taken together; the whole of the conditions of every description, which being realized, the consequence invariably follows.”61
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American Law Institute, RESTATEMENT OF THE LAW THIRD, TORTS: LIABILITY FOR PHYSICAL HARM – PROPOSED FINAL DRAFT No. 1, 2005, Chapter 5, Para. 26 Factual Cause, p. 420 (italics added). A recent review of English and US developments on legal causation is Stapleton, “Cause in Fact and the Scope of Liability for Consequences”, 119 Law Quarterly Review 2003, 388-425. Austin Bradford Hill, “The Environment and Disease: Association or Causation?”, 58 Proceedings of the Royal Society of Medicine 295 (1965). Unless, of course, one has the authority, and, dare I say, audacity of a judge of the stature of Lord Hoffmann, who boldly declared that “There is nothing special or mysterious about the law of causation. One decides, as a matter of law, what causal connection the law requires and one then decides, as a question of fact, whether the claimant has satisfied the requirements of the law. There is, in my opinion, nothing more to be said”, in Leonard Hoffmann, “Causation”, 121 Law Quarterly Review 2003, 592-603. This “common sense” approach of the House of Lords reached an apogee of unscientific “policy” trickery in the causation area in the case of Chester v Afshar [2004] UKHL 41, [2005] 1 AC 134: see more in my paper “Causalité juridique et imputation: réflexions sur quelques développements récents en droit anglais”, Revue Lamy Droit Civil, Suppl. au No 40, July/August 2007, 93-99. John Stuart Mill, A SYSTEM OF LOGIC: RATIOCINATIVE AND INDUCTIVE, ch. V para. 3, ch. VIII para. 1-4; for a modern endorsement of Mill’s view of causation in a so-called necessary element of a sufficient set (NESS) test see Richard W. Wright, “Causation in Tort Law”, 73 California Law Review 1735 (1985): the NESS test is primarily intended
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The fact that precautionary advance expenditure may have (also) been caused by other events, e.g. increase of business competitiveness, greater cost-effectiveness and the like, should be no obstacle, as tort theory traditionally accepts that the tortfeasor’s conduct does not need to be the sole cause of the claimant’s loss, acknowledging the simple scientific proposition that “…there can never be a single cause of an event. A very complex set of circumstances must be present for any effect to occur.”62
While the affirmation that “all causes must precede the plaintiff’s harm” smacks of dogmatism that seems to beg the question, the counter-factual inquiry test, in particular, would immediately point to the fact that such advance expenditure could not have possibly be caused by this particular defendant’s subsequent act, since absent this defendant’s specific act such precautionary expenditure would still have occurred. However, counter-factual inquiry also shows that absent all future wrongful acts that are statistically probable, the precautionary expenditure would, indeed, not have occurred. Can this help, if one takes into account other examples of cases where tort law has found it possible to accept the defendant’s liability although the claimant could not establish factual causation against him specifically, but could only infer such factual causation against a group of persons to which the defendant belonged? So-called “market-share” liability in US law63 may have a surprising potential of application in cases of precautionary expenditure, applicable, although necessarily in reverse chronological order, to cases of advance security expenditure been charged in a similar way to those that share the lucrative market of criminal activity. And this would be more in accordance with so-called normative economics theory (deterrence), as it would encourage the efficient prevention of tortious activity at the expense of the tortfeasor rather than any corrective-justice approach. Dummett’s logical/empirical approach to temporarily inverse natural causation could be not too far from the reality of advance precautionary expenditure imposed on the claimant by the strong probability of the defendant’s wrongful act. True, this expenditure is the result of the claimant’s exercise of his own free will and freedom of choice. Unfortunately, English law is not very clear on the condi-
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to address the problem of duplicative or preemptive causes, which, however, is outside the scope of the present study. David A. Fischer, “Causation in Fact in Omission cases”, 1992 Utah Law Review 1335, 1338; Stapleton, in “Legal Cause: Cause-in-fact and the Scope of Liability for Consequences”, 54 Vanderbilt Law Review 941, 958-961 (2001), refers to Chaos theory to support a similar view. US case law, which began with the Californian case of Sindell v Abbot Labs. 26 Cal. 3d 588, 2, 607 P. 2d 924 (Cal 1980), is reviewed comprehensively in Aaron D. Twerski, “Market Share- A Tale of Two Centuries”, 55 Brooklyn Law Review 869 (1989); Allen Rostron, “Beyond Market Share Liability: A Theory of Proportional Share Liability for Non Fungible Products”, UCLA Law Review 2004, 151; see also Richard W. Wright, “Once More into the Bramble Bush: Duty, Causal Contribution, and the Extent of Legal Responsibility”, 54 Vanderbilt Law Review 1071 (2001).
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tions under which a person may be liable to another for the latter’s voluntary (selfinflicted) loss64. EU Civil liability law, on the other hand, is clearer and considerably meaner when the claimant’s loss appears to be the result of the claimant’s own voluntary act, operating with a causation test based on the idea of a direct causal link between wrongful act and loss65, also used in French law, as we have seen. Without entering the age-old moral debate on whether or not we humans are free agents, we must accept the reality that the law presumes us to be so, and does give effect to our so-called free will to create rights and responsibilities, and also 64
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See in a context totally different than the one discussed in this paper, Corr v IBC Vehicles Ltd, 2008 WL 371099 (HL), [2008] 2 All E.R. 943, [2008], in which the House of Lords held that a company was liable to the widow for damages under the Fatal Accidents Act 1976 s. 1 in respect of the financial loss attributable to the suicide of her late husband, employed by the company as a maintenance engineer. He had been struck on the head by a machine he was working on. After the accident he underwent reconstructive surgery and remained disfigured, suffering from post traumatic stress disorder; he became depressed and his condition worsened over time, until, finally, he committed suicide nearly six years after the accident. The House of Lords rejected the claim by the company that the suicide was a novus actus interveniens, breaking the chain of causation between the accident and the death. In another case, Calvert v William Hill Credit Ltd, 2008 WL 678097 (Ch.D), (2008) 105 LSG 28, [2008] EWHC 454, concerning a claim by a gambling loser that the bookmaker owed him a duty of care as a problem gambler and that the duty was breached with the bookmaker’s failure to comply with a request to exclude the gambler from gambling, the Chancery Court held that only exceptional circumstances could give rise to a Common Law duty of care to prevent or to mitigate the consequences or aggravation of self-inflicted harm, but, in rejecting the gambler’s claim, left those circumstances undefined, referring to the vague three stage test of forseeability, proximity and fairness, introduced in Marc Rich & Co AG v Bishop Rock Marine Co Ltd (The Nicholas H) [1996] AC 211 HL and reinforced, with the addition of the requirement of voluntary assumption of responsibility, in Customs and Excise Commissioners v Barclays Bank Plc [2006] UKHL 28, [2007] 1 AC 181. The Court noted that the voluntary assumption test was most influential where the parties' relationship had the indicia of contract save for consideration: see my forthcoming paper “Voluntary Assumption of Extra-Contractual Liability in English Civil Law: A Paradox?”. In Internationaler Hilfsfonds eV v Commission of the European Communities [2007] 3 CMLR 31, the ECJ held (applying Herpels v Commission of the European Communities (C54/77) [1978] ECR 585 ECJ), that the causal link required under the EC Treaty (Amsterdam) Art. 288 for the civil liability of the EU Commission for an alleged wrongful act could only be established where the damage was the direct consequence of the wrongful act in question (see also P Dumortier Freres SA v Council of Ministers of the European Communities (64/76) (Liability) [1979] ECR 3091 ECJ and Societa Finanziaria Siderurgica Finsider SpA v Commission of the European Communities (C363/88) [1992] ECR I-359). It was the claimant’s own decision to seek legal advice when bringing complaints before the European Ombudsman against the Commission and the Commission could not be held liable for that decision. Accordingly, there was no causal link between the damage alleged, the claimant’s lawyers’ fees and the original act of the Commission that had triggered the complaints.
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contribute through its exercise to our own losses, extinguishing or decreasing the responsibility of others that have also contributed to them. But the law also acknowledges the effect of external compulsion on a person in exercising their freedom of will, when such compulsion is physical/psychological (duress) or even economic. And compulsion in deciding to incur expense may not just be physical/psychological/economic, but also legal, for example, security expenditure required by insurance. This could be seen as close to an objective constraint on the claimant’s free will as it can get, and could provide enough evidence of expenditure attributed to an event outside the claimant’s control. To reach a conclusion, Dummett’s criteria are specifically intended to explain causation empirically, not scientifically. Moreover, in an age where quantum physics has demonstrated that anything is scientifically possible in nature, Dummett’s criteria offer a pragmatic understanding of causation and can be applied to human acts without serious difficulty. However, even if factual causation could thus be established, the question of how far the wrongdoer should be held responsible for advance precautionary expenditure66 remains an important issue of legal policy. And causation is as much an area of legal policy as it is, or should be, of philosophical or scientific speculation67. If advance security expenditure qualifies as recoverable loss, what about the cost to the claimant of loss insurance against the risk of losses caused by wrongful acts such as the act of the defendant? It could be argued that in view of the fact that the claimant is allowed, under most systems, the windfall of tort damages and loss insurance payouts, if such insurance had been privately purchased, this would be taking the wrongdoer’s responsibility too far; but it might also be argued, from an economic deterrence perspective that the cost of such insurance, as indeed other, advance precautionary expenditure should be charged to the wrongdoer for
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Pragmatism also dictates a realistic approach to the issue of whether wrongdoers, other, perhaps, than violators of musical copyright rights, can be expected to be solvent enough or to be liability-insured. “Courts of law must accept the fact that the philosophic doctrine of causation and the juridical doctrine of responsibility for the consequences of a negligent act diverge. To a philosopher – a term which I use in no disparaging sense, for what is a philosopher but one who, inter alia, reasons severely and with precision? – to a philosopher, the whole legal doctrine of responsibility must seem anomalous. To him, if event C could not occur unless each of two previous events – A and B – had preceded it, it would be unmeaning to say that A was more responsible for the occurrence of C than was B, or that B was more responsible for its occurrence than was A.” Per Lord Asquith of Bishopstone in Stapley v Gypsum Mines Ltd [1953] AC 663 at 687. Commenting on this passage, Lord Hoffmann said: “Lord Asquith had been awarded firsts in Mods and Greats at Balliol, so he presumably knew what he was talking about. But the proposition seemed to mean that if someone buys a gun and shoots someone, a philosopher would say that it was “unmeaning” to treat the killer as more responsible for the victim’s death than the shopkeeper who sold the gun. At that point I thought that if this was philosophy, I was glad I was reading law”: “Causation”, 121 Law Quarterly Review 2003, 592, 593.
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maximum deterrence68. And from a corrective-justice perspective, is it not imperative that wrongdoers account for all losses and expenditure caused by their wrongful conduct? Admittedly, though, the moral case looks stronger in relation to advance security expenditure caused by the need to prevent intentional wrongful acts, such as shoplifting, or copyright violations, rather than merely negligent ones.
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On whether or not tort law can actually achieve economic deterrence see the masterful study of the late Garry Schwartz, “Reality in the Economic Analysis of Tort Law: Does Tort Law Really Deter?”, in 42 Ucla Law Review, 376-444 (1994).
Gemeinsamer Referenzrahmen (Entwurf), Buch VI: „Außervertragliche Haftung für die Schädigung anderer“ – eine kritische Stellungnahme
Gert Brüggemeier Ein Gespenst geht wieder um in Europa. Diesmal ist es das „Gespenst des Gemeinsamen Referenzrahmens“ (Common Frame of Reference – CFR).1 Dessen Schaffung steht seit Anfang 2003 auf der Agenda der Europäischen Kommission.2 Diese ausgefallene Blüte eurotechnokratischer Sprache bezeichnet gleichwohl unfreiwillig das, worum es geht: dass etwas sein soll, was nicht sein darf und von dem deshalb niemand wissen soll, was es ist. Beamte in der Europäischen Kommission in Brüssel, Abgeordnete im Europäischen Parlament in Straßburg3 und eine kaum mehr überschaubare Zahl akademischer Juristen in den Mitgliedstaaten4 begannen den Traum eines europäischen Zivilgesetzbuchs5 zu träumen. Nur ist die EU unzweifelhaft kein Nationalstaat und braucht deshalb auch keine nationale Verfassung und kein nationales Zivilgesetzbuch.6 Genauso wenig gibt es eine EUrechtliche Kompetenz für die Mitgliedstaaten zur Verabschiedung eines EU-
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Formulierungen von Reich, A European Contract Law, (2005) 28 J Consum Policy 383. Mitteilung KOM (2003) 68 endg. v. 12.2.2003 (Action Plan). Vgl. die Entschließungen des EU-Parlaments A2-157/89 v. 26.6.1989, A3-0329/94 v. 25.7.1994, B5-0228, 0229-0230/2000 v. 29.12.2000 sowie A5-0384/2001 v. 6.11.2001, die alle die Schaffung eines europäischen Zivilgesetzbuches fordern. Hervorzuheben ist insbesondere die „Study Group on a European Civil Code“, die sich 1999 konstituiert hat; vgl. dazu von Bar, in: FS Henrich, 2000, S. 1. Einen Überblick über die diversen akademischen Arbeitsgruppen zum europäischen Privatrecht gibt Wurmnest, ZEuP 2003, 714. Arbeitsgegenstand der Study Group war das gesamte Vermögensrecht. Vgl. dazu von Bar/Drobnig, The Interaction of Contract Law and Tort and Property Law in Europe, 2004. – Zum europäischen Zivilgesetzbuch vgl. auch Hartkamp u.a. (Hrsg.), Towards a European Civil Code, 3. Aufl. 2004. Zu Sinn und Unsinn, Notwendigkeit und Überflüssigkeit eines vereinheitlichten europäischen Haftungsrechts wird hier nicht Stellung genommen. Vgl. dazu u.a. Magnus, Europa und sein Deliktsrecht, in: Liber Amicorum Widmer, 2003, S. 221; van den Bergh/Visscher, ERPL 2006, 511.
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Zivilgesetzbuches und es wird diese auch so bald nicht geben. Die politischen Instanzen der EU rudern denn auch mittlerweile wieder deutlich zurück.7 Das Schicksal des Anfang des Jahres 2008 in Buchform veröffentlichten Entwurfs eines Gemeinsamen Referenzrahmens (DCFR)8 bleibt so ziemlich ungewiss. Der Entwurf enthält sieben Bücher: eines mit allgemeinen Bestimmungen, drei zum Vertragsschuldrecht und drei zu gesetzlichen Schuldverhältnissen9. Die für Ende 2008 geplante Endfassung des CFR soll noch drei weitere Bücher zu ausgewählten Problemen des Sachenrechts10 enthalten. Eine Aussicht auf EU-amtliche Veröffentlichung als Referenzrahmen haben wohl am ehesten die Bücher zum Vertragsrecht. Ihre Funktion dürfte dann wohl die einer tool box für die Erarbeitung neuer EU-Rechtsakte und zur Steigerung der Kohärenz des europäischen (Verbraucher-)Vertragsrechts (Acquis) sein. Scheint die praktische Bedeutung von Buch VI11 des DCFR auch gering, so ist in einer dem Jubilar gewidmeten Festschrift eine kritische Auseinandersetzung damit gleichwohl gerechtfertigt. Handelt es sich doch – wie bei den Principles of European Tort Law (PETL)12 – um einen Modellentwurf eines europäischen Haftungsrechts, in dem konzeptionelle Grundfragen des Haftungsrechts thematisiert werden. Diese waren immer ein Arbeitsschwerpunkt in dem beeindruckenden akademischen Lebenswerk des Jubilars.13 Ich stelle zunächst Inhalt und Struktur des Modellentwurfs vor (I) und setze mich dann damit kritisch auseinander (II). Die Ausführungen können schon aus
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Zu der Stellungnahme des Justizministerrats vom 18.4.2008 vgl. Remien, GPR 2008, 124. von Bar/Clive/Schulte-Nölke (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law – Draft Common Frame of Reference, 2008. Es handelt sich dabei um das Gemeinschaftswerk der Study Group und der sog. Acquis-Group (Research Group on Existing EC Private Law). Der DCFR stellt den vertraglich geschuldeten Abschlussbericht im Rahmen der EU-Forschungsförderung dar. – Vgl. dazu Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, Der Gemeinsame Referenzrahmen für das Europäische Privatrecht, JZ 2008, 529; Hesselink, CFR & Social Justice, 2008; Somma (Hrsg.), The Politics of the Draft Common Frame of Reference (im Erscheinen). Geschäftsführung ohne Auftrag, ungerechtfertigte Bereicherung und außervertragliche Haftung. Kreditsicherheiten an Mobilien, Eigentumsübergang an beweglichen Sachen, Trustrecht. Buch VI: “Non-Contractual liability arising out of damage caused to another”. Die Erstellung von Buch VI lag ausschließlich in der Kompetenz der Study Group. Die Federführung hatte wohl C. von Bar. Erläuterungen/Comments sind noch nicht verfügbar. Ihre Veröffentlichung ist für Dezember 2008 geplant. Als “Werkstattberichte” vgl. von Bar, ZEuP 2001, 515, und Blackie, in: Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 2003, S. 133. European Group on Tort Law (Hrsg.), Principles of European Tort Law – Text and Commentary, 2005; vgl. dazu u.a. Alpa, EBLR 2005, 957; Schulz, EBLR 2007, 1305; van den Bergh/Visscher, ERPL 2006, 511; Wagner, (2005) 42 CML Rev 1269. Vgl. insbes. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996.
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Raumgründen keinen Vollständigkeitsanspruch erheben. Sie konzentrieren sich auf das Wesentliche. Der Beitrag wird mit einem knappen Resümee abgeschlossen.14
I. Inhalt und Struktur von DCFR, Buch VI: Modellentwurf eines europäischen Haftungsrechts Der Modellentwurf enthält 57 Artikel und ist in sieben Kapitel aufgeteilt, die man wiederum in zwei Teile gliedern kann. Der erste Teil umfasst vier Kapitel und stellt gewissermaßen das Herzstück des Entwurfs dar. Kap. 1 enthält in der Hauptsache eine Grundnorm, deren drei zentrale Elemente als Grundvoraussetzungen jeder Haftung in den folgenden drei Kapiteln im Einzelnen behandelt werden: „rechtlich relevanter Schaden“ (Kap. 2), Zurechnungsgrund (Kap. 3) und Kausalität (Kap. 4). Diese Struktur entspricht in etwa auch dem Aufbau der PETL. Darüber hinaus findet sich in Kapitel 1 („Grundlegende Vorschriften“) an dieser herausgehobenen Stelle auch der vorbeugende Rechtsschutz geregelt.15 Dieser beinhaltet Unterlassungsansprüche und den Ersatz von Rettungskosten; offen bleibt, ob er auch vorbeugende Unterlassungsansprüche i.e.S. einschließt. Der (von mir so genannte) zweite Teil enthält drei Kapitel: Kap. 5 behandelt die Verteidigungsgründe (defences) und Kap. 6 die Haftungsfolgen (remedies). Kap. 7 enthält Aussagen zum Verhältnis dieser Regeln zu den nationalen Rechtsordnungen.
1. Erster Teil: Die Grundnorm und ihre Elemente „Eine Person, die einen rechtlich relevanten Schaden erleidet, hat ein Recht auf Schadensersatz gegen die Person, die vorsätzlich, fahrlässig oder in anderer Weise zurechenbar diesen Schaden verursacht hat.“ So lässt sich etwas verkürzt die Grundnorm des Art. VI-1:101 Abs. 116 übersetzen. Die passivische Formulierung ist dem Umstand geschuldet, dass man bewusst die Opferperspektive in den Vordergrund rücken wollte. Worin der Vorteil gegenüber einer auf aktive Schädigung abstellenden Perspektive besteht, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Gegenüber
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Meine Ausführungen konnten sich dabei stützen auf eine von mir betreute BachelorArbeit an der Hanse Law School von Tobias Pinkel, LL.B. Teil II ist als ZERPDiskussionspapier verfügbar mit dem Titel: „Das Buch VI des Entwurfs eines Gemeinsamen Referenzrahmens (DCFR): Nichtvertragliche Schuldverhältnisse aus Schädigung Dritter“, 2008. Unter der Überschrift: Prevention – Art. VI-1:102. Die das sechste Buch kennzeichnende römische Zahl VI wird im Folgenden bei den Artikeln dieses Buches fallen gelassen.
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dem „Verschulden“ bzw. dem eigenen Fehlverhalten17 scheinen andere Zurechnungsgründe sekundär zu sein. Für „Nicht-Verschulden“ hat man nur einzustehen, sofern dies in Kap. 3 (Zurechnungsgründe/Accountability) so vorgesehen ist.18 Vor die Grundsatzfrage gestellt, von einem Verletzungstatbestand oder einem Schadenstatbestand auszugehen, m.a.W. dem deutschen Modell oder dem französischen Modell zu folgen, scheint sich die Study Group für die Lösung des italienischen Codice civile von 1942 als Kompromiss entschieden zu haben.19 Nicht die Verletzung eines rechtlich geschützten Interesses und ein daraus entstehender Schaden führen zum Schadensersatz, sondern ausreichend ist die Verursachung eines Schadens. Allerdings langt nicht der „Schaden an sich“ wie in Art. 1382 Code civil (dommage) – sondern erforderlich ist ein qualifizierter Schaden: danno ingiusto20 oder rechtlich relevanter Schaden! a) Rechtlich relevanter Schaden Was ist ein rechtlich relevanter Schaden? Davon handelt Kapitel 2. Der grundlegende erste Artikel (2:101) versucht eine Definition. Dazu werden in Absatz 1 zunächst zwei neue Kategorien eingeführt: loss und injury. Der Begriff des Schadens umfasst danach drei Kategorien: Vermögensschaden (economic loss), Nichtvermögensschaden (non economic loss) und Injury (as such)21. Die ersten beiden Begriffe sind international anerkannte Schadenskategorien. Gleichwohl werden beide noch einmal erläutert, während der dritte Begriff, obwohl neu in diesem Kontext, völlig unexpliziert bleibt.22 Rechtlich relevant ist einer dieser drei Schadenstypen unter drei alternativen Voraussetzungen: (i) wenn er in der Auflistung der nachfolgenden Artt. 2:201-211 als solcher bestimmt wird; im Übrigen, wenn er (ii) aus der Verletzung eines Rechts oder (iii) der Beeinträchtigung eines schutzwürdigen Interesses resultiert. Die beiden letzten Varianten sind Auffangtatbestände (default rules) für Fallkonstellationen, die nicht in den Artt. 2:201-211 besonders geregelt worden sind.
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Der DCFR, Buch VI, vermeidet akribisch den Begriff Verschulden. Ursprünglich ging man von Vorsatzdelikten und Negligence als den beiden Grundformen eines Delikts/Tort aus. In der vorliegenden Fassung ist man zu Vorsatz und Fahrlässigkeit als Verschuldensformen oder Typen eigenen Fehlverhaltens zurückgekehrt. Vgl. dazu weiter unten im Text. Vgl. Art. 1:101 Abs. 2. Zwei andere Zurechnungsgründe werden in Kap. 3 behandelt: In der Sache geht es um den Einsatz von Personal/Geschäftsherrnhaftung und um die Gefahrsetzung/Gefährdungshaftung. Entsprechende Hinweise finden sich bei von Bar, ZEuP 2001, 515, 520 und bei Blackie, in: Zimmermann (Hrsg), Grundstrukturen, 2003, S. 133, 137. Art. 2043 it. C. civ. Bei dem danno ingiusto steht allerdings das Problem der Rechtswidrigkeit der Schädigung im Vordergrund! Art. 2:101 Abs. 1 ist insoweit unklar. Die Rede ist zwar nur von „injury“, gemeint ist aber wohl die Kategorie „injury as such“, was auch in den beiden folgenden Artt. 2:201 und 2:203 sowie insbesondere später in Art. 6:204 zum Ausdruck kommt. Es fehlt einfach lit. c: “injury as such”. Vgl. 2:101 Abs. 4.
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Im Absatz 3 werden – meinem Eindruck nach etwas versteckt – die relational torts behandelt, also die mittelbaren oder Fernverletzungen, deren Zurechnung im anglo-amerikanischen Common Law vermittels der duty of care23, im deutschen Recht oft vermittels der Verkehrspflicht bewerkstelligt wird.24 Der Entwurf hat bemerkenswerterweise auf die Pflicht-Kategorie (duty of care/Verkehrspflicht) letztendlich ganz verzichtet. Er stellt stattdessen auf proximity, reasonableness und policy considerations ab. Auf diesen Aspekt wird bei der Kausalität und in Teil II zurück zu kommen sein. Nachfolgend werden dann in den Artt. 2:201 ff. die wichtigsten Anwendungsfälle rechtlich relevanter Schäden aufgelistet. Am Anfang steht der Schaden (loss), der aus der Verletzung personaler Rechtsgüter resultiert: Leben, Körper, Gesundheit. Art. 2:201 Abs. 1 führt hier neben dem (Vermögens- und Nichtvermögens-) Schaden auch „injury as such“ als ausgleichspflichtigen relevanten Schaden ein. Erneut werden bekannte Phänomene – der aus der Verletzung der körperlichen Integrität resultierende Vermögensschaden (Behandlungskosten) und psychische Verletzung nur bei medizinisch diagnostizierbarer Erkrankung – erläutert25; „injury as such“ hingegen bleibt wiederum unexpliziert. Dieser Zusammenhang mit der Körperverletzung und dem Gesundheitsschaden legt jedoch die Vermutung nahe, dass es um die Positivierung des danno biologico geht, wie er sich im italienischen Recht in den letzten 30 Jahren entwickelt hat.26 In einem gesonderten Artikel werden zutreffend die Rechtsfolgen bei der zurechenbaren Tötung eines Menschen geregelt.27 Es folgen die Schäden aus der Verletzung von Persönlichkeitsinteressen (dignity, liberty, privacy).28 Auch hier wird „injury as such“ als dritte Schadenskategorie angenommen. Nach den Schäden aus der Verletzung von Eigentum und rechtmäßigem Besitz29 schließen sich in der Sache relevante reine Vermögensschäden30 an. Es geht um economic torts. Und in der Tat werden sie anhand einzelner Fallgruppen in der Art englischer Torticles31 aufgelistet: Vertrauensbruch, Falschinformation, Ein-
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Das englische Law of Torts spricht von der threshold function der duty of care. Vgl. dazu weiter unten im Text. Vgl. von Bar, Verkehrspflichten, 1980; Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986. Art. 2:201 Abs. 2 lit. a) und b). Vgl. dazu weiter unten im Text (II 4). Hier geht es um den Übergang eigener Ansprüche des Getöteten, um die Reflexschäden der Angehörigen und um ein Angehörigenschmerzensgeld/pretium mortis (!) (Art. 2:202). Art. 2:203. Art. 2:206. von Bar betont allerdings, dass der Entwurf von der Kategorie des reinen Vermögensschadens ganz absehe. Dieser Begriff lasse sich nicht europäisieren. von Bar, ZEuP 2002, 515, 523. Vgl. dazu Rudden, Torticles, 6/7 Tul. Civil L. Forum 105 (1991-92).
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griff in den Gewerbebetrieb, etc.32 Fälle der Schädigung durch wettbewerbswidriges Verhalten fallen unter die letztere Kategorie („unlawful impairment of business“ – Art. 2:208). Inmitten dieser Auflistung der reinen Vermögensschäden findet sich auch der ökologische Schaden (Art. 2:209) als ein rechtlich relevanter Schaden der staatlichen Stellen, die Wiederherstellungsmaßnahmen finanziert haben. Per se-Schaden oder injury as such ist hier für Fälle des Artenverlustes nicht vorgesehen. Systematisch gehört in diesen Kontext auch noch die De minimis-Regel aus dem hinteren Teil.33 Rechtlich relevante Schäden sind m.a.W. nur NichtBagatellschäden! b) Kapitel 3: Zurechnungsgründe (Accountability) Letztlich ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts ist der Hauptzurechnungsgrund für das Haftungsrecht des DCFR das Verschulden, obwohl dieser Begriff in Kap. 3 bewusst gar nicht verwendet wird. Gehaftet wird für die vorsätzliche und fahrlässige Zufügung eines rechtlich relevanten Schadens. Nach langwierigen Diskussionen scheint man die ursprüngliche, dem englischen Common Law of Torts entnommene Unterscheidung zwischen Vorsatzdelikten (trespass torts) und Negligence als allgemeinem Fahrlässigkeitsdelikt aufgegeben zu haben. Übrig geblieben sind zwei Formen personalen Fehlverhaltens: Der Vorsatz wird zutreffend als Wissen und Wollen der Schädigung definiert.34 Die Fahrlässigkeit ist Schädigung durch Nichtbeachtung des Standards des erforderlichen Verhaltens. Der Standard wird objektiv unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles bestimmt.35 Die Kategorie der Rechtswidrigkeit wird nicht benutzt36, im Unterschied zu deren prominentem Stellenwert im deutschsprachigen Rechtsraum.37 Das ist im Grundsatz zu begrüßen, wiewohl die außervertragliche Vorsatzhaftung
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Art. 2:204 (incorrect information), 2:205 (breach of confidence), 2:208 (unlawful impairment of business), 2:210 (fraudulent misrepresentation), 2:211 (inducement of nonperformance). Vgl. dazu Weir, Economic Torts, 1997. Art. 6:102. Art. 3:101. – Demgegenüber beschränken die PETL das Vorsatzdelikt auf die Pflichtverletzung (!) und definieren den Vorsatz deshalb als „bewusste Fahrlässigkeit“ (Art. 4:101 PETL: „intentional violation of the required standard of conduct“). Die wissentliche und willentliche Verletzung/Schädigung als Kern des Vorsatzes gerät aus dem Blick. Art. 3:102. Dass ein Schutzgesetz selbst den Verhaltensstandard bestimmt, dürfte eher eine seltene Ausnahme sein (Art. 3:102 lit. a). Ausnahme insbes. Art. 2:208: „unlawful impairment of business“. Nach Art. 46 des schweizerischen Entwurfs zur Reform des Haftpflichtrechts soll sogar jede Verletzung eines rechtlich geschützten Interesses rechtswidrig sein, selbst wenn dies verhaltensunabhängig durch Realisierung einer bestimmten Gefahr erfolgt, Hundebiss etwa. – Zum österreichischen Recht vgl. Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht, Bd. I: Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 1997, S. 138 ff.
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ohne die Sub-Kategorie Rechtswidrigkeit nicht konzipierbar ist.38 Der DCFR will dieses Problem nach der Art des Common Law über die Verteidigungsgründe (Kap. 5: defences) lösen. Stellt man auf einen objektiven Fahrlässigkeitsstandard ab, liegt es nahe, Ausnahmen für nicht Deliktsfähige vorzusehen.39 Kinder bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres sind deliktsunfähig. Minderjährige zwischen 7 und 18 Jahren werden nach dem Standard ihrer Altersgruppe behandelt. Einsichtsfähigkeit gilt offenbar nicht als Voraussetzung der Fahrlässigkeitshaftung Minderjähriger. Für vorsätzliche Schädigungen scheinen Kinder ab 7 Jahren hingegen voll verantwortlich zu sein.40 Auch nicht deliktsfähige Minderjährige sind ausnahmsweise ersatzpflichtig nach den Grundsätzen der Billigkeitshaftung.41 Die Kategorie der nicht deliktsfähigen Erwachsenen taucht hier dagegen nicht auf, sondern erst später bei den Verteidigungsgründen (Kap. 5: defences).42 Haftbar für Schädigungen durch nicht deliktsfähige Minderjährige bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres sind die Eltern. Diese hier überraschend auftauchende 14-Jahresgrenze scheint der einschlägigen Regelung des niederländischen Burgerlijk Wetboek geschuldet zu sein.43 Was ist mit den nicht deliktsfähigen 1418-Jährigen? Gelten hier die Regeln über nicht deliktsfähige Erwachsene entsprechend? Komplex geregelt ist die Aufsichtshaftung von Heimen und Anstalten über Minderjährige und Erwachsene (!). Beide Gruppen von Aufsichtspflichtigen haften jedoch nur, wenn sie ihre Aufsicht vernachlässigt haben. Im zweiten Teil dieses Kapitels findet dann die arbeitsteilige Industriegesellschaft Eingang in das Haftungsrecht des DCFR. Es geht um die Geschäftsherrnhaftung und um Tatbestände der Gefährdungshaftung44 für klassische Gefahren und industriell-technische Risiken. Art. 3:201 enthält zunächst den traditionellen Fall der Haftung des Arbeitgebers für die Delikte seiner Arbeitnehmer und der juristischen Person/Kapitalgesellschaft für die Delikte ihrer Organpersonen.45 Es kommt anders als in dem Recht des deutschsprachigen Raums nicht auf ein eigenes Verschulden des Arbeitgebers an. Eine allgemeine Unternehmenshaftung für Organisationsverschul-
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Vgl. dazu Brüggemeier, Haftungsrecht. Struktur, Prinzipien, Schutzbereich, 2006, S. 32 ff. Vgl. Art. 3:103. Vgl. Art. 3:103 Abs. 1 (Beschränkung auf Fahrlässigkeit). Art. 3:103 Abs. 3. Art. 5:301. Art. 6:169 Abs. 1 BW. Auch der Begriff der Gefährdungshaftung/strict liability wird gänzlich vermieden. Er verwirre mehr, als er nutze. Stattdessen wird von Haftung ohne Fehlverhalten gesprochen. von Bar, ZEuP 2001, 515, 520. Zu diesem „Klassiker“ s. rechtsvergleichend International Encyclopedia of Comparative Law (IECL), Bd. XI: Torts, Kap. 4: Eörsi, Private and Governmental Liability for the Torts of Employees and Organs, 1976, und Spier (Hrsg.), Unification of Tort Law: Liability for Damage Caused by Others, 2003.
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den, die sich in den meisten nationalen Reformentwürfen und in den PETL findet46, kommt nicht vor. Erneut nach niederländischem Vorbild47 wird die Haftung von Gebäudeeigentümern (und ihnen gleichgestellten Personen) für Schäden infolge des unsicheren Zustands eines Gebäudes geregelt.48 Auch der Tierhalter haftet verschuldensunabhängig.49 In dem monströsen, sich über fast 1 1/2 Seiten erstreckenden (!) Art. 3:204 wird die Produkthaftung geregelt. Hier ist im Wesentlichen die ganze EGProdukthaftungs-Richtlinie von 198550 wortwörtlich in einen Artikel gepackt worden.51 Übernommen worden sind auch die Beschränkung des Schutzbereichs bei Sachbeschädigungen auf das Verbrauchereigentum und der Haftungsausschluss für Entwicklungsrisiken. Eine Produktbeobachtungspflicht zur Lückenfüllung wird nicht vorgesehen. Es fehlt dagegen der Selbstbehalt bei Sachschäden in Höhe von € 500.52 Art. 3:205 bringt die Gefährdungshaftung des Kfz-Halters nach deutschem und französischem Vorbild (Loi Badinter53). Was ist mit der Gefährdungshaftung von Haltern und Betreibern von Eisenbahnen, Flugzeugen und Motorschiffen in einem europäischen Haftungsrecht?54 Neben einer allgemeinen Unternehmenshaftung fehlt auch eine allgemeine Gefährdungshaftung für „besonders gefährliche Aktivitäten“, wie sie nach dem Vorbild des amerikanischen Restatement (First) of Torts55 zur Beseitigung des Wildwuchses der sondergesetzlichen Regelungen jedenfalls im deutschsprachigen Rechtsraum seit langem gefordert worden ist.56 Dieses Thema stand auch auf der Agenda der Study Group.57 Es hat aber keinen Eingang in die vorliegende Fassung
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Vgl. Art. 49a des schweiz. Entwurfs, § 1304 des österreichischen Entwurfs, Art. 1353 des französischen Avant-Projet 2005 und Art. 4:202 PETL. Vgl. Art. 6:174 Abs. 1 BW. Art. 3:202. Art. 3:203. Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (85/374/EWG), ABl. EG 1985 L 210, 2933; vgl. dazu Taschner, Produkthaftung, 1986; geändert durch Richtlinie 1999/34/EG, ABl. 1999 L 141, 20. – Zur europäischen Produkthaftung s. u.a. Howells, Comparative Product Liability, 1993. Art. 3:204 Abs. 3 enthält eine irreführende Wiedergabe von Art. 3 Abs. 3 Produkthaftungs-Richtlinie. Ein Redaktionsversehen? Vgl. dazu Tunc, Loi Badinter – On Traffic Accidents and Beyond, 6/7 Tul. Civil L. Forum 27 (1991-92). Vgl. dazu etwa schon Kötz, Gefährdungshaftung, in: BMJ (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. II, 1981, S. 1779, 1832 (E § 835). § 520 Restatement of Torts, 1938. Vgl. Kötz, Gefährdungshaftung, a.a.O.; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 1980, jew. m.w.Nachw. Vgl. von Bar, ZEuP 2001, 515, 527.
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des DCFR gefunden. Stattdessen enthält Art. 3:206 eine vorsichtige quasi-strikte Regelung einer Anlagen- und Emissionshaftung. Sie betrifft nur gewerbliche Aktivitäten. Die Haftung setzt voraus, dass es hoch wahrscheinlich ist, dass bei Aufsichtsfehlern Schäden der fraglichen Art auftreten können (Abs. 1 lit. a). Dies gilt nicht, wenn staatliche Sicherheitsvorschriften (Grenzwerte etc.) eingehalten worden sind. Eine Erweiterung der Haftung ist jedoch möglich, soweit Haftungsregeln nach mitgliedstaatlichem Recht dies vorsehen.58 Generell ist zu diesem Unterkapitel auf den unterschiedlichen gegenständlichen Schutzbereich und damit zusammenhängend auf eine unterschiedliche Terminologie hinzuweisen.59 Es ist nicht mehr von „rechtlich relevantem Schaden“ die Rede, sondern eingeschränkt von “personal injury and consequential loss, [loss within VI-2:20260] und loss resulting from property damage“. c) Kausalität Der rechtlich relevante Schaden muss durch einen der obigen Zurechnungsgründe verursacht worden sein. Die Kausalität ist ein zentrales Element des Haftungsgrundes. Der DCFR scheint jedoch anders als die PETL61 bewusst darauf zu verzichten, den Kausalitätsbegriff der conditio sine qua non oder einen alternativen Kausalitätsbegriff einführen zu wollen. Eine Person verursacht nach Art. 4:101 Abs. 1 einen Schaden, wenn dieser „als Konsequenz von deren Verhalten oder von einer (von dieser Person zu verantwortenden) Gefahrenquelle zu betrachten ist“. Hier – wie auch an anderen Stellen – macht sich das Fehlen von Erläuterungen schmerzlich bemerkbar. Mir scheint, dass mit dieser vagen Definition beide international geläufigen „Kausalitäts“begriffe erfasst werden sollen: die cause in fact und die legal cause. Das heißt, unter den Kausalitätsbegriff des DCFR fällt auch die normative Zurechnung entfernter Verletzungen/Schädigungen in den Fällen sog. relational torts.62 D.h.: Rechts- und Tatsachenfragen werden nicht getrennt. Geradezu paradigmatische Beispielsfälle hierfür im Common Law sind der amerikanische Fall Palsgraf v. Long Island R.R. Co.63 und der australische Fallkomplex Wagon Mound.64
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Art. 3:207 lit. b). Ausgenommen ist lediglich die Geschäftsherrnhaftung/vicarious liability nach Art. 3:201. Angehörigenschäden in Tötungsfällen. Art. 3:101 PETL. Vgl. dazu Art. 2:201 Abs. 3 und oben im Text. 162 N.E. 99 (N.Y. 1928). Overseas Tankship (U.K.) Ltd v Marts Dock & Engineering Co Ltd (The Wagon Mound No 1) [1961] AC 388; Overseas Tankship (U.K.) Ltd v The Miller Steamship Co Pty Ltd (The Wagon Mound No 2) [1967] 1 AC 617.
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Im deutschen Recht hat sich für diese normative Zurechnungsfrage mittlerweile der Begriff des Haftungs- oder Zurechnungszusammenhangs durchgesetzt.65 Für diese Interpretation von Art. 4:101 Abs. 1 spricht auch, dass in Abs. 2 ebenfalls ein normatives Zurechnungsproblem geregelt wird – die sog. thin skull rule. Der Verursacher eines (nicht vorhersehbaren) großen Schadens kann sich nicht dadurch – ganz oder teilweise – entlasten, dass hierfür eine Prädisposition des Opfers mit verantwortlich war. Die beiden anderen Artikel unter der Überschrift „Causation“ behandeln Fälle von Mehrtäterschaft: die unvermeidliche Mittäterschaft einschließlich Anstifterund Gehilfenschaft und die alternative Kausalität. Die alternative Kausalität klassischen Zuschnitts ist dabei eigentlich ein Fall unaufklärbarer Einzeltäterschaft bei Beteiligung Mehrerer. Aktuell hoch umstritten ist die Rechtsfolge bei alternativer Kausalität: gesamtschuldnerische Haftung oder Proportionalhaftung nach Verursachungswahrscheinlichkeiten? Die PETL haben sich für die Proportionalhaftung entschieden.66 Art. VI-4:103 des DCFR bleibt bei der überkommenen Lösung der gesamtschuldnerischen Haftung, die sich auch in den meisten nationalen Kodifikationen findet.67
2. Zweiter Teil: Die Kapitel 5 bis 7 a) Kapitel 5: Verteidigungsgründe/„Defences“ Liegt ein Haftungsgrund vor – ein rechtlich relevanter Schaden ist zurechenbar von jemandem verursacht worden – dann können Haftungsausschluss- oder Haftungsbegrenzungsgründe ins Spiel kommen. Davon handelt das fünfte Kapitel. Die Ordnung der einzelnen Punkte sperrt sich systematischem zivilistischen Denken. Sie folgt eher der Logik des Common Law. Allerdings ist eine komprehensive Auflistung der Verteidigungsgründe den Darstellungen des anglo-amerikanischen Tort Law eher fremd. Die defences werden zumeist bezogen auf und im Kontext mit den Einzeldelikten behandelt. Behandelt werden Einwilligung und Handeln auf eigene Gefahr (assumption of risk).68 Beides schließt die Haftung aus. Mitverschulden führt zu einer anteiligen Reduktion der Haftung, wobei unwesentliches Mitverschulden außer Betracht bleibt.69 Bei Verletzungen durch Kraftfahrzeuge muss sich das Opfer nach französischem Vorbild nur erhebliches Mitverschulden anrechnen lassen. Bemerkenswert ist, dass bei der Gefährdungshaftung sich die geschädigte Person nach deut-
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Vgl. u.a. BGHZ 93, 351 (Haftungszusammenhang); BGHZ 106, 391 (Zurechnungszusammenhang). Art. 3:103 Abs. 1 PETL. So u.a. in § 830 Abs. 1 S. 2 BGB, in Art. 6:99 niederl. BW; vgl. jetzt auch Art. 1348 franz. Avant-Projet 2005. Art. 5:101. Art. 5:102.
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schem Vorbild die eigene Betriebs- oder Tiergefahr anrechnen lassen muss.70 Die Erforderlichkeit, den Fall der fahrlässigen Schädigung eines Mittäters durch den anderen bei Begehung einer Straftat zu regeln, erschließt sich auch auf den zweiten Blick nicht.71 Es folgen weitere Fälle, die im deutschen Recht als Rechtfertigungsgründe betrachtet würden: gesetzliche Ermächtigung, Notwehr und Notstand. Hinzu kommt noch berechtigte Geschäftsführung. Den Abschluss bildet das Handeln zur Verteidigung der öffentlichen Ordnung. Gedacht ist insbesondere an investigativen Journalismus und entsprechende Medienveröffentlichungen.72 Das, was man vorne bei der Deliktsfähigkeit erwartet hätte, erfolgt jetzt hier in Kap. 5: die Regelung der fehlenden Einsichts- und Steuerungsfähigkeit erwachsener Personen.73 Die Billigkeitshaftung findet auch hier Anwendung. In einem nur schwer nachvollziehbaren Zusammenhang damit wird als ein weiterer Haftungsausschlussgrund noch das unabwendbare Ereignis (event beyond control) eingeführt.74 Die Alternative wäre höhere Gewalt (vis maior/force majeure) gewesen. Über die Rechtsfolge wird nichts ausgesagt; vermutlich besteht sie im Haftungsausschluss. Die PETL eröffnen alternativ beides: Haftungsausschluss und Haftungsreduktion.75 Es folgen noch zwei weitere Punkte in diesem Kapitel. Zunächst die vertragliche Haftungsfreizeichnung.76 Die Vorsatzhaftung kann nicht vertraglich ausgeschlossen oder beschränkt werden, die Haftung für grobe Fahrlässigkeit nicht bei Personenschäden oder wenn es ansonsten gegen Treu und Glauben verstoßen würde. Die Haftung für einfache Fahrlässigkeit und – abgesehen von der Produkthaftung – für Gefährdungshaftung ist abdingbar. AGB werden hier nicht erwähnt.77 Aber es ist wohl davon auszugehen, dass dies individualvertraglich und durch AGB möglich ist. Der letzte Punkt, neu aufgenommen gegenüber den Vorentwürfen, behandelt wohl eher einen Sonderfall des Mitverschuldens und sollte besser dort geregelt werden. Dritte Personen – Angehörige, Lebenspartner – müssen sich bei ihren eigenen Reflex-Schadensersatzansprüchen in Tötungsfällen und in Fällen schwerer Personenschäden eine Mitverantwortlichkeit des Erstopfers bei der Herbeiführung des Schadens anrechnen lassen.78
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Art. 5:102 Abs. 4. Art. 5:103. Artt. 5:201-203. Art. 5:301. Art. 5:302. Art. 7:102 Abs. 1 PETL. Art. 5:401. Vgl. dazu aber Buch II Artt. 9:402 ff. (Unfair Terms). Art. 5:501.
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b) Kapitel 6: Haftungsfolgen/Remedies Hauptsächliche Haftungsfolge ist der Schadensersatz. Hier ist als Begriff „reparation“ gewählt worden, der anders als damages auch nicht monetäre Formen des Schadensausgleichs umfassen soll. Der wichtige Art. 6:101 regelt Ziel und Formen des Schadensersatzes. Ziel des haftungsrechtlichen Schadensersatzes ist die Wiederherstellung des vorherigen Zustandes (restitutio in integrum). Das kann durch Geldentschädigung („compensation“) oder auf andere Art und Weise – hier ist wohl an Naturalrestitution gedacht – erfolgen. Bei Sachbeschädigungen gibt es die Alternative des Ersatzes des Wertverlustes oder der Zahlung der Wiederherstellungskosten im Rahmen der Verhältnismäßigkeit. Der später erfolgende Hinweis, dass der Geschädigte frei ist, die Reparatur durchführen zu lassen,79 gehörte wohl besser hier hin, mit der dann auch deutlichen Einschränkung, dass dies nur bei Sachbeschädigungen gilt.80 Ausnahmsweise („where this is reasonable“) kann die Herausgabe des mittels der Schädigung gemachten Profits verlangt werden.81 Es schließen sich Regeln über den Vorteilsausgleich sowie Gesamtgläubigerschaft und Gesamtschuldnerschaft an. Die Schadensersatzansprüche sind abtretbar (und vererblich). Die De minimis-Regel gehört – wie betont – richtiger nach vorne zum Begriff des rechtlich relevanten Schadens. In dem Abschnitt über die Geldentschädigung finden sich die Reduktionsklausel und die Klarstellung, dass die Entschädigung durch einmalige Kapitalzahlung oder durch eine Geldrente zu leisten ist. Schließlich enthält Art. 6:204 die lakonische Feststellung, dass „injury as such“ (alias danno biologico) neben dem Vermögens- und Nichtvermögensschaden zu kompensieren ist. Hinsichtlich der Berechnung wird auf das nationale Recht verwiesen.82 Darauf ist in der Kritik des Entwurfs (II 3) zurückzukommen. Während vorne an hervorgehobener Stelle ein Recht auf Abwehr weiterer drohender Schädigungen geregelt worden ist,83 wird dieser vorbeugende Rechtsschutz nun eingeschränkt auf Fälle, wo der Schadensersatz kein ausreichender Rechtsbehelf wäre und wo es dem Schädiger zumutbar ist, den Schadenseintritt zu vermeiden.84 Dritte, die zur Schadensvermeidung intervenieren und denen dabei Kosten entstehen, und der Geschädigte, der Kosten zur Schadensminderung aufwendet („Rettungskosten“), können diese Kosten ersetzt verlangen. c) Kapitel 7: Ergänzende Bestimmungen Das Schlusskapitel enthält fünf salvatorische Regeln85: Es wird ein Generalvorbehalt zugunsten des jeweiligen nationalen Verfassungsrechts gemacht. Das nationa79 80 81 82
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Art. 6:201. Oder soll dies auch in Fällen von Personenschäden gelten? Art. 6:101 Abs. 4. So verstehe ich jedenfalls Art. 6:203 Abs. 2, obwohl da von „personal injury“ die Rede ist. Art. 1:102. Art. 6:301. Artt. 7:101-105.
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le Recht bestimmt weiter über das Vorliegen von Schutzgesetzen. Die Staatshaftung wird nicht geregelt. Haftungsfragen, die sich innerhalb von Arbeitsverhältnissen und zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften stellen, bleiben ausgeschlossen. Dies betrifft auch das Problem der Außenhaftung von Arbeitnehmern und Geschäftsleitern, eine im deutschen Recht äußerst umstrittene Frage.86 Ebenso bleibt es dem nationalen Recht überlassen, das Schicksal der Schadensersatzansprüche in den Fällen zu regeln, in denen Versicherungen, Arbeitgeber oder sonstige Dritte Geldzahlungen an den Geschädigten erbringen. Fragen des Beweisrechts87, insbesondere die in den europäischen Privatrechtsordnungen kontroverse, aber überaus bedeutsame Frage des Beweismaßes, bleiben ebenso ausgespart wie Aspekte des Verhältnisses von Haftungsrecht und Haftpflichtversicherung88. Hinsichtlich der Verjährung scheint man sich mit den vertraglichen Vorschriften des DCFR begnügen zu wollen.89
II. Kritik des Haftungsmodells Ich beschränke mich auf vier Kritikpunkte, die um einen weiteren Aspekt in der Schlussbemerkung ergänzt werden.
1. Die konzeptionelle Fehlentscheidung Die Arbeitsgruppe hatte zu Buch VI eine Grundentscheidung zu treffen: Soll auf die Verletzung rechtlich geschützter Interessen abgestellt werden – oder auf die Verursachung eines Schadens? Wie geschildert entschied man sich grundsätzlich für letztere Lösung, allerdings nicht ohne sie entscheidend zu modifizieren. In den Mittelpunkt wurde der rechtlich relevante (!) Schaden gestellt. Was ist ein rechtlich relevanter Schaden:90 der Nachteil aus der (i) Verletzung eines Rechts oder (ii) eines geschützten Interesses oder (iii) seine gesonderte Regelung? Worum geht es in den gesonderten Regelungen? Um die Verletzung rechtlich geschützter Interessen wie Leben, Körper, Gesundheit, Persönlichkeitsinteressen, Eigentum und
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Hinsichtlich der Arbeitnehmer vgl. BGH, NJW 1987, 2510; hinsichtlich der Geschäftsleiter vgl. BGHZ 109, 297; allg. dazu Brüggemeier, Haftungsrecht, 2006, S. 151 ff.; Sandmann, Die Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten, 2001. Vgl. dazu M. Brinkmann, Das Beweismaß im Zivilprozess aus rechtsvergleichender Sicht, 2005; Wagner, Europäisches Beweisrecht, ZEuP 2001, 441. Vgl. dazu informativ der schweiz. Entwurf zur Reform des Haftpflichtrechts („Haftpflicht und Privatversicherung“ Artt. 54 - 54i) und als europäische Bestandsaufnahme Wagner, Tort Law and Liability Insurance, 2005. Vgl. DCFR, book III, chap. 7: Prescription. Vgl. dazu oben im Text (I 1) mit den Nachweisen.
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Vermögen. Das Vermögen ist ein nur eingeschränkt geschütztes Interesse, unterhalb der Vorsatzgrenzen definiert über bestimmte Schädigungssituationen. Die konzeptionelle Grundentscheidung des Entwurfs ist m.E. eine Fehlentscheidung. Sie gibt vor, etwas nicht zu tun, was sie dann re vera doch tut, möglicherweise tun muss: Abstellen auf die Verletzung eines geschützten Interesses. Dies passiert denn auch in erstaunlich offener Inkonsequenz bei den Gefährdungshaftungstatbeständen der Artt. 3: 202-306 („personal injury“, „property damage“). M.a.W.: Der rechtlich qualifizierte Schaden ist der aus der Verletzung eines rechtlich geschützten Interesses resultierende Schaden.91 Der Preis, den die Verfasser für ihre Entscheidung zahlen, ist hoch: sprachliche Unübersichtlichkeit und konzeptionelle Unstimmigkeit. Verletzung als Haftungsgrund und Schaden als Haftungsausfüllung sind klare Kategorien. Der Entwurf benutzt eine verwirrende Vielfalt von Begriffen: damage, loss, injury, personal injury, injury as such, violation. Alle Begriffe dienen dazu, ein und dasselbe zu bezeichnen: den objektiven Tatbestand des Haftungsgrundes. (Letzterer wird noch ergänzt um den Zurechnungsgrund und die Kausalität). Dies führt notwendig zu Vermischungen von Haftungsgrund und Haftungsausfüllung. Wo ist das Schmerzensgeld zu regeln? (Wo ist es eigentlich geregelt in dem Entwurf?92) Wohin gehören die Reparaturkosten? Nach vorne zum rechtlich relevanten Schaden oder nach hinten zu den Haftungsfolgen? Diese Unentschiedenheit wird auch deutlich bei der De minimisRegel. Traditionell gehört sie in die Haftungsausfüllung. Entfällt aber die Unterscheidung zwischen Haftungsgrund und Haftungsausfüllung, gehört sie in jedem Fall zu dem rechtlich relevanten Schaden. Ich halte die Unterscheidung zwischen dem Haftungsgrund der Verletzung eines rechtlich geschützten Interesses und dem daraus entstehenden Schaden als Haftungsausfüllung für eine evolutorische Errungenschaft der Privatrechtswissenschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dabei ist allerdings der Fehler des BGB-Gesetzgebers zu vermeiden, der bekanntlich meinte, in § 823 Abs. 1 einen abgeschlossenen Katalog der geschützten Interessen aufstellen zu müssen. Beispielhaft für eine alternative Lösung ist das japanische Deliktsrecht von 1898, das einen offenen Tatbestand geschützter Rechte und Interessen vorsieht, deren Verletzung schadensersatzpflichtig macht.93 „Ein Interesse ist dann ein geschütztes, wenn das Deliktsrecht eine Verletzung bejaht und ihretwegen in irgendeiner Form Ersatz gewährt.“94 Genau diesen Weg beschreitet auch der DCFR Buch VI selbst mit seinen beiden Auffangtatbeständen (default rules) in dem wichtigen Art. 2:101 lit. b) und c). Warum dann diese ganze Camouflage? Warum diese klare Struktur
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Vgl. z.B. Art. 2:206: „Loss caused to a person as a result of an infringement of that person’s property right“. Eine Legaldefinition findet sich vorne bei dem rechtlich relevanten Schaden (Art. 2:101 Abs. 4 lit. b). In Kapitel 6 bei den „Remedies“ findet sich nur noch die Feststellung, dass sich die Bemessung des Schmerzensgeldes nach nationalem Recht bestimmt (Art. 6:203 Abs. 2). Art. 709 japan. ZGB. So absolut zutreffend von Bar, ZEuP 2001, 515, 521.
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zerstören durch den unproduktiven Umweg über die Kompromissformel des „rechtlich relevanten Schadens“ als zentralem Element des Haftungsgrundes?
2. Zurechnungsgründe Auch hier finden sich Licht und Schatten und die ausgeprägte Tendenz zur Vermeidung sprachlicher Festlegungen. Die Begriffe Verschulden und Gefährdungshaftung (strict liability) tauchen im Text nicht auf, obwohl es in der Sache nur darum geht. Vorsätzliche und fahrlässige Schädigung fungieren als Zurechnungsgrund. Es wird – wie betont – erfreulicherweise auf die Kategorien Rechtswidrigkeit und Pflichtwidrigkeit verzichtet.95 Das ändert nichts daran, dass man m.E. die Rechtswidrigkeit als Subkategorie bei der Vorsatzhaftung im Unterschied zur Fahrlässigkeitshaftung braucht. Der Entwurf arbeitet insoweit – wie ebenfalls bereits betont – mit „defences“. Buch VI des DCFR widersetzt sich letztlich auch eindeutig den vom Common Law ausgehenden Tendenzen, das Delikt in der Pflichtverletzung aufgehen zu lassen.96 Zu den Schattenseiten zähle ich, dass nicht von einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Verschuldens- und Gefährdungshaftung (ich benutze diese Begriffe, um die Sache zu bezeichnen) ausgegangen wird. Dazu müsste dann wohl auch zählen, dass in dem personellen und gegenständlichen Schutzbereich nicht mehr differenziert wird. Ebendies wird, insoweit u.a. der vorfindlichen deutschen Rechtslage entsprechend, getan. Ein weiteres Manko besteht darin, dass der Komplex der Unternehmenshaftung ausgespart bleibt. Fast sämtliche nationalen und transnationalen Reformentwürfe zum Haftungsrecht sehen heute eine Art quasi-strikter Unternehmenshaftung für fehlerhafte Prozesse und Organisation vor.97 Der DCFR, Buch VI, kennt nur die traditionelle Geschäftsherrnhaftung für Arbeitnehmerdelikte98/vicarious liability. Dieses Defizit mag damit zusammenhängen, dass lange Zeit an dem Typ des Negligence-Delikts für die allgemeine Fahrlässigkeitshaftung festgehalten worden ist. Darunter ließen sich, wie repräsentativ die klassische deliktische Produzentenhaftung international zeigt99, auch diese Fälle der Unternehmenshaftung fassen. 95
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Zu den scheinbar unentwirrbaren Konfusionen um den Rechtswidrigkeits- und Pflichtwidrigkeitsbegriff vgl. Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 2. Aufl. 1995; MünchKomm/BGB/Wagner, Bd. 5, 4. Aufl. 2004, Einleitung zu § 823; als rechtsvgl. europäische Bestandaufnahme s. Koziol (Hrsg.), Unification of Tort Law: Wrongfulness, 1998; vgl. aber auch Brüggemeier, Haftungsrecht, 2006, S. 42 ff. Vgl. etwa G. Wagner: Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 10. Aufl. 2006; MünchKomm/BGB/Wagner, Bd. 5, 4. Aufl. 2004, Einleitung zu § 823. Vgl. die Nachweise in Fn. 46. Einschließlich der Haftung von Kapitalgesellschaften für die Delikte der Organpersonen. Von MacPherson v Buick Motor Co., 111 N.E. 1050 (N.Y. 1916) über Donoghue v Stevenson [1932] AC 562 zu BGHZ 51, 91 – Hühnerpest (1968).
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Der Verzicht auf das Negligence-Delikt führt zu einem weiteren intrikaten Kernproblem des modernen Deliktsrechts. Setzt zumindest die Fahrlässigkeitshaftung stets eine Pflichtverletzung voraus? Das Negligence-Delikt des Common Law arbeitet immer mit einer duty of care. Das mag zu recht als redundant beklagt werden. Teilweise wird versucht, diese Pflichtkategorie in drei Begriffe aufzulösen: notional function in Unfallsituationen, threshold function bei Fernverletzungen und affirmative duties, die eine Plicht zum Handeln vorgeben.100 Ohne letztere gibt es keine Haftung für Unterlassungen. Seinen black letter rules nach verfällt das Haftungsrecht des DCFR in das andere Extrem. Es kennt gar keine Pflichttatbestände à la Verkehrssicherungspflicht. Sie zu entwickeln bleibt scheinbar der Rechtsprechung überlassen. Eine allgemeine Regelung der Gefährdungshaftung, wie ursprünglich ins Auge gefasst und etwa in den PETL vorgesehen, fehlt ebenfalls. Dies wird nur sehr eingeschränkt ausgeglichen durch den Tatbestand der quasi-strikten Haftung für gefährliche Substanzen und Emissionen.101 Völlig ausgespart bleibt der Bereich der Staatshaftung, ohne dass dafür in den vorliegenden Werkstattberichten Gründe genannt werden. Dabei finden sich gerade hier durch eine gefestigte Rechtsprechung des EuGH102 ausgearbeitete Grundsätze eines europäischen Haftungsrechts wie in keinem anderen Feld des außervertraglichen Schadensersatzrechts.103 Wieso wird das EU-Richtlinienrecht der Produkt- und Umwelthaftung vorbehaltlos übernommen, das Richterrecht des EuGH dagegen ignoriert? Inakzeptabel ist weiter, dass die in den EUMitgliedstaaten sehr kontrovers behandelte, sozialpolitisch relevante Frage der Außenhaftung der Arbeitnehmer (und Geschäftsleiter) ausgeblendet bleibt.104 Insbesondere Frankreich und die skandinavischen Länder gehen hier im Grundsatz nur bei Vorsatz von einer Haftung aus. In Deutschland und anderswo haften Arbeitnehmer und Geschäftsleiter auch bei leichter Fahrlässigkeit für unmittelbare und mittelbare Schädigungen. Was den Arbeitnehmer anbelangt, ist dieser ggf. geschützt durch einen Freistellungsanspruch gegen seinen Arbeitgeber. Gerade auch wegen der tool box-Funktion des CFR würde man Harmonisierungsvorschläge für derartige kontroverse Rechtsfragen erwarten. M.a.W.: In ein modernes europäisches Haftungsrecht gehört der Komplex der Unternehmenshaftung für versicherbare Schäden. Dieser beinhaltet dreierlei: eine quasi-strikte Haftung für fehlerhafte betriebliche Prozesse (vermutetes Organisati100
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Vgl. für das englische und schottische Recht Norrie, in: The Laws of Scotland, Stair Memorial Encyclopaedia, vol. 15: Obligations, 1995, Rz. 265. Art. 3:206 als einziger Fall einer expliziten Unternehmenshaftung. EuGH, 19.11.1991, Rs. C-6/90 und 9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357; 5.3.1996, Rs. C-46/93 und 48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029. Das EU-Staatshaftungsrecht nimmt denn auch einen prominenten Stellenwert ein bei van Gerven et al. (Hrsg.), Tort Law, 2000, S. 889 ff. und bei van Dam, European Tort Law, 2006, S. 23 ff.; zum genuin europarechtlichen Haftungsrecht vgl. Koziol/Schulze (Hrsg.), Tort Law of the European Community, 2008. Auch dies war offenbar in früheren Entwürfen anders vorgesehen. Vgl. von Bar, ZEuP 2001, 515, 529.
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onsverschulden), eine strikte Arbeitgeberhaftung für Mitarbeiterdelikte und die Regelung der Außenhaftung der Mitarbeiter, vom Arbeitnehmer bis zum Vorstands- und Aufsichtsratsmitglied. Die Staatshaftung folgt im Wesentlichen diesen strukturellen Vorgaben der privaten Organisationshaftung.105
3. Sonderfall Produkthaftung Die Regelung der Produkthaftung in dem monströsen Art. 3:204 führt zurück zu den eingangs angesprochenen, undeutlichen europarechtlichen Grundlagen der Arbeit der Study Group. Worum geht es hier eigentlich? Ist die europarechtliche Ermächtigungsgrundlage für die Produkthaftungs-Richtlinie von 1985 auch die Rechtsgrundlage für die Arbeit der Study Group an dem Referenzrahmen bzw. dem Europäischen Zivilgesetzbuch? Wenn dem so ist, dann ist es ein grober handwerklicher Fehler, den Selbstbehalt von € 500 bei Sachbeschädigungen nicht vorzusehen. Dazu gibt es eine vielleicht wenig überzeugende, aber in der Sache eindeutige Rechtsprechung des EuGH.106 Wenn dem aber nicht so ist, falls die Rechtsgrundlage – welche auch immer das sein mag – weiter ist, kann auch der Selbstbehalt von € 500 entfallen. Allerdings macht es dann keinen Sinn, in dem Haftungsrecht eines Europäischen Zivilgesetzbuchs (!) die Produkthaftung auf Verbrauchereigentum zu beschränken und gewerbliches Eigentum auszuschließen. Haftet der Hersteller im Übrigen nicht für Entwicklungsrisiken, wie es Art. 3:204 Abs. 4 lit. e) vorsieht, dann sollte diese Lücke mit der Einführung einer nach-marktlichen Produktbeobachtungspflicht geschlossen werden. Da es sich dabei formal um eine Verschuldenshaftung handelt, wäre eine derartige Regelung nach der Rechtsprechung des EuGH wohl auch im Geltungsbereich der Produkthaftungs-Richtlinie zulässig.
4. Die Europäisierung des „danno biologico“ Es ist schon ein außergewöhnlicher Vorgang, dass der interessierte und wohlmeinende Leser völlig auf sich gestellt bleibt, was eine neu eingeführte juristische Kategorie anbelangt. Es ist oben schon deutlich geworden, dass der Begriff „injury as such“ an keiner Stelle in dem gesamten Buch VI erläutert wird. Man kann nur mutmaßen. Art. 2:201 Abs. 1107 “makes clear that a claim lies simply because of the fact of injury per se“, heißt es bei Blackie.108 In der Tat besagen Art. 2:201 und Art. 2:203 i.V.m. Art. 6:204, dass in Fällen von Personenschäden und der
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Vorbildlich insoweit unverändert das Staatshaftungsgesetz von 1981, BGBl. 1981 I, S. 553. EuGH, 25.4.2002, Rs. C-52/00, Kommission/Frankreich, Slg. 2002, I-3827. “Loss caused to a natural person as a result of injury to his or her body or health and the injury as such are legally relevant damage.” Blackie, in: Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen, 2003, S. 133, 140.
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Verletzung von Persönlichkeitsrechten auch die Verletzung als solche neben einem Vermögens- und Nichtvermögensschaden auszugleichen ist. Es ist eine dritte Schadenskategorie. Damit ist allem Anschein nach der danno biologico bzw. danno alla salute, der sich seit Ende der 70er Jahre im italienischen Recht entwickelt hat, rezipiert und europäisiert worden.109 Diese Rechtsentwicklung diente in Italien dazu, die engen Grenzen für den Nichtvermögensschadensersatz, die der Codice civile von 1942 – nach deutschem Vorbild – in Art. 2059 eingeführt hatte, zu überwinden. Ausgangspunkt war die Bezugnahme auf das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Gesundheit.110 Konsequenz dieser Rechtsentwicklung waren drei Schadenskategorien bei Personenschäden: Vermögensschaden, Nichtvermögensschaden/Schmerzensgeld und Verletzungsschaden an sich. Dies führte seit 2003 dazu, dass über den Bereich der „biologischen“ Personenschäden hinaus in jedem Fall der Verletzung eines verfassungsrechtlich garantierten Rechts der Person ein Anspruch auf Nichtvermögensschaden gegeben ist.111 Taugt dies für eine europäische Lösung? Sieht man die sehr zurückhaltende Linie bei der Unternehmens- und Staatshaftung, müssen die stürmische Innovation und apodiktische Festlegung hier überraschen: „Injury as such is to be compensated independent of compensation for economic and non-economic loss“ (Art. 6:204); ist hier doch noch vieles – national und international – dogmatisch ungeklärt. Der Ausgangspunkt für die italienische Entwicklung war die Erweiterung des zu engen Nichtvermögensschadensersatzes. Da der vorgelegte Entwurf mit seinem weiten Begriff des Nichtvermögensschadens diese Einschränkung gerade nicht teilt, fehlt eigentlich der Anlass für diese Rechtsinnovation.112 Möglicherweise geht es um nichts anderes als darum, innerhalb dieser Schadenskategorie eine begriffliche Differenzierung herbeizuführen. Diese könnte zwischen dem klassischen Schmerzensgeld als Ausgleich eines Gefühlsschadens113, der möglicherweise die Empfindungsfähigkeit des Opfers voraussetzt114, und den sog. Per se-Schäden oder Ereignisschäden bestehen. Per se-Schäden gleichen bei Personenverletzungen bleibende Beeinträchtigungen aus: Verlust von Organen (Finger, Arm, Bein etc.) oder den Verlust von Fähigkeiten (Blindheit, Taubheit, Steifheit) oder die „Zerstörung der Persönlichkeit“115. Hier wie beim Schmerzensgeld geht es um eine billige Entschädigung in Geld. Für beides lassen sich Orientierungen in den bekannten Tabellenwerken finden. Die Aussage von Art. 6:204 wäre danach so zu lesen: Per se-Schäden sind bei Personenverletzungen neben einem Vermö-
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Vgl. Busnelli, Il danno biologico, 2001; Alpa, Il danno biologico, 1993. Art 32 it. Verfassung. Cass. it., 31.5.2003, n. 8828, Foro it. 2003, I, 2272; Cass. 31.5.2003, n. 8827, Foro it. 2003, I, 2273; Corte const. 11.7.2003, Foro it. 2003, I, 2201. So auch schon Wagner in Eidenmüller et al., JZ 2008, 529, 540. Art. 2:101 Abs. 4 lit. b): pain and suffering und impairment of the quality of life! Unabhängig von der Doppelfunktions-Doktrin des BGH: BGHZ (GS) 18, 149. Auch die englischen Gerichte erkennen nur bei Empfindungsfähigkeit auf ein Schmerzensgeld: Wise v Kaye [1962] 1 QB 638. Grdl. BGHZ 120, 1.
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gensschaden und ggf. einem Schmerzensgeld zu ersetzen. Das würde genau der Trias des italienischen Schadensersatzrechts entsprechen. Jeglicher Hinweis auf die Berechnung des Per se-Schadens unterbleibt. Es fehlt auch ein Verweis auf das nationale Recht. Bei den Persönlichkeitsrechtsverletzungen liegen die Dinge anders. Hier geht es zumeist um eine Geldentschädigung für die bloße Verletzung, soweit nicht einmal ausnahmsweise ein Ausgleich durch Naturalrestitution in Betracht kommt (Widerruf, Gegendarstellung). Das ist nichts Neues, sondern gängige Praxis. Der BGH hat den Übergang vom Schmerzensgeld zur Geldentschädigung sui generis denn auch ausdrücklich vollzogen.116
III. Schlussbemerkung: “The Making of a Hybrid”117 Pierre Legrand hatte bereits vor mehr als einer Dekade, wie weiland Martin Luther in Wittenberg, seine These an die virtuelle Hörsaaltür der europäischen Rechtsfakultäten gehämmert: „European legal systems do not converge!“118 Der eine ein Reformator, der andere ein Restaurator? Nun, Konvergenz von Civil Law und Common Law, und um die geht es, kann verschiedene Formen annehmen. Eine inhaltliche Annäherung, was die Lösung vergleichbarer Sachverhalte angeht, ist ohne weiteres innerhalb der unterschiedlichen nationalen Rechtskulturen möglich. Aber lassen sich beide distinkte Rechtsformen „aufheben“ in einer hybriden dritten Form? Es ist zuzugeben, dass gemischt zusammengesetzte Arbeitsgruppen aus exzellenten Vertretern des Civil Law und des Common Law wahrscheinlich gar nicht umhin können, derartige Kompromisslösungen zu produzieren. Aber wird das Ergebnis deshalb besser? Bei dem Buch VI hat man sich noch nicht einmal auf einen Namen einigen können. Um die leidige Dichotomie von delict – tort zu vermeiden, hat man eine umständliche Legaldefinition von Haftungsrecht als Titel gewählt. Die sprachlich-terminologischen Probleme stehen nur für Probleme in der Sache. Der Begriff Verschulden wird nicht verwendet, obwohl Vorsatz und Fahrlässigkeit in Artt. 3:101 und 3:102 dieselbe Funktion haben wie im Deliktsrecht der kontinentalen Zivilgesetzbücher: abstrakte Haftungsvoraussetzung und nicht individuelles Einzeldelikt (torticle). Der „rechtlich relevante Schaden“ tritt als Substitut an die Stelle der Verletzung eines rechtlich geschützten Interesses und eines daraus resultierenden Schadens. Die Common Law defences werden in Civil Law-Manier aufgelistet, obwohl sie im Common Law eher den einzelnen Deliktstypen zugeordnet sind, die der DCFR, Buch VI, wiederum nicht kennt. Als
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BGHZ 128, 1 – Caroline v. Monaco I. Formulierung von Basedow, Codification of Private Law in the European Union, ERPL 2001, 35. Legrand, European Legal Systems are not Converging (1996) 55 ICLQ 52; ders., Against a European Civil Code (1997) 60 MLR 44; ders., AntivonBar (2006) 1 J Comp L 13.
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ein konkretes Anschauungsbeispiel für mögliche Konsequenzen dieser Hybridisierung der Rechtsformen kann die Regelung der Deliktsfähigkeit Erwachsener in Buch VI dienen. Sie ist in Art. 5:301 in dem Kapitel über Verteidigungsgründe (defences) gegen die Haftung enthalten. Dieses Kapitel ist deutlich vom Common Law geprägt. Aber was soll eine Verteidigung gegen eine Haftung, wenn das Bestehen der Haftung bereits das Fehlen der Einwendungstatsache voraussetzt? Fehlverhalten (alias Verschulden) ist in dem DCFR ein Element eines abstrakten Haftungstatbestands (Art. 1:101 Abs. 1). Es liegt aber nur vor, wenn die Person verschuldens- oder deliktsfähig ist. Die Deliktsfähigkeit ist nach der Struktur von Buch VI eine Voraussetzung der Haftung für eigenes Fehlverhalten (alias Verschulden) – und keine Verteidigung gegen ein vorliegendes Delikt. (Deshalb ist die Deliktsfähigkeit von Minderjährigen auch vorne bei dem Zurechnungsgrund „Vorsatz“ und „Fahrlässigkeit“ geregelt.) Daran würde auch eine Beweislastumkehr nichts ändern. Dass Erwachsene die Vermutung ihrer Deliktsfähigkeit widerlegen müssen, ist eine durchaus sachgerechte Regelung. Die Deliktsfähigkeit mutiert aber deshalb nicht von einer Verschuldensvoraussetzung zu einem Verteidigungsgrund gegen ein Delikt. Offensichtlich soll der vordergründige Aspekt, dass die Deliktsfähigkeit (Erwachsener) Einsichts- und Steuerungsfähigkeit voraussetzt, die Gleichbehandlung mit der Einwendung unabwendbarer, d.h. nicht steuerbarer Ereignisse (die den Ausschluss der Gefährdungshaftung (!) betreffen)119 rechtfertigen. Hybridisierung der Rechtsform meint notwendig Denaturierung von beiden – von Civil Law und Common Law. Insoweit hat Legrand Recht. Die Harmonisierung des Haftungsrechts in Europa sollte über eine Annäherung der Inhalte auf parallelen Spuren innerhalb der jeweiligen Rechtsform und Rechtskultur erfolgen: Restatement für das Common Law und Reform des kodifizierten Rechts im Civil Law.120
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Art. 5:302. Ein Überblick und Kommentare zu den aktuellen nationalen Initiativen zur Reform des Haftungsrechts in Frankreich, Österreich und der Schweiz finden sich bei Winiger (Hrsg.), Haftungsrecht von Morgen – La responsabilité civile de demain – Europäisches Haftungsrecht morgen, 2008.
Durchführungsdefizite beim Ersatz des Schadens?
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I. Einleitung 1. Die ökonomische Analyse des Rechts ist modern und macht auch vor dem Schadensersatzrecht nicht halt. Einer der weitestgehenden Vorschläge will im Ausgangspunkt statt des Grundsatzes der Naturalrestitution, der den Ersatz zugunsten des Geschädigten in Höhe des numerisch entstandenen Schadens vorsieht, den Anspruch des Opfers aber auch auf diese Summe begrenzt, das Multiplikationsprinzip zu Hilfe nehmen. Schädige ein Täter drei Personen in jeweils identischer Höhe, sei aber zu erwarten, dass er nur von zwei in Anspruch genommen werde, so sei der Ersatzbetrag mit dem Faktor 1,5 zu multiplizieren. Damit stehe der Schädiger so, wie er es „verdient“ habe; er müsse – man kann hinzufügen: nur – den gesamten von ihm verursachten Schaden ersetzen.1 Bei Massenschäden sei diese Regel allerdings nicht anzuwenden;2 hier sei eine effektiv gestaltete Gruppen-3 bzw. Verbandsklage4 vorzuziehen.
2. Umgekehrt sei ein Geschädigter, der nur eines Teils der Täter habhaft werde, berechtigt, von diesen den Gesamtschaden zu fordern und entsprechend die Quote, die ihm der Einzelne zu entrichten habe, zu erhöhen. Werde einem Geschädigten von 10 Schädigern ein Schaden von jeweils 100 zugefügt, würden jedoch nur 7 1
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Wagner, Gutachten für den 66. DJT, 2006, A 98; ders. AcP 206 (2006), 444, 464 f.; der Sache nach ders. KF 2006, 125. Wagner, Gutachten für den 66. DJT, 2006, A 100; ders. KF 2006, 126 (dort allerdings mit der Annahme, Massenschäden begännen schon relativ früh, im konkreten Beispiel bei 10); in AcP 206 (2006), 466 lehnt Wagner bei Streuschäden die Multiplikationslösung ab. Wagner, Gutachten für den 66. DJT, 2006, A 101, 119 ff., 124; ders. KF 2006, 126. Wagner AcP 206 (2006), 466.
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identifiziert, so sei der jeweilige Anspruch um den Faktor 1,428 zu multiplizieren.5 Paradefall sei die GEMA-Rechtsprechung,6 aber auch die sonstige Verletzung von Immaterialgüterrechten.7
3. Auch bei einem rein bilateralen Verhältnis sei mit der Multiplikationsthese zu arbeiten. Als Beispiel biete sich die Produktpiraterie an. Ein Unternehmen, das durch Verwendung eines fremden Markenzeichens, dessen Lizenzgebühr etwa 4,Euro pro Stück betrage, das aber dann einen zusätzlichen Gewinn von 1,- Euro erzielen könne, habe mit folgenden Konsequenzen zu rechnen: Bei einer Entdeckungswahrscheinlichkeit, die beispielsweise 50 % betrage, sei der Anspruch auf die hypothetische Lizenzgebühr zu verdoppeln.8 Daneben trete der Anspruch auf Gewinnabschöpfung. Auch er sei bei einer Entdeckungswahrscheinlichkeit von 50 % zu verdoppeln.9 Vorrang genieße indes der Schadensersatzanspruch, der gegebenenfalls mit dem Multiplikationsprinzip errechnet werde.10
4. Das Bereicherungsverbot stehe in allen diesen Fällen nicht entgegen; denn es sei nur eine Frage, wer bereichert sei, der Schädiger oder der Geschädigte.11 Und diese Frage zu Gunsten des Geschädigten zu entscheiden sei nicht schwer.12
5. Die Thesen mögen zunächst nur als Vorschläge für eine künftige Gesetzgebung gedacht sein.13 Gleichwohl fordern sie zum Widerspruch heraus. Schon die Ergeb5 6
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Wagner KF 2006, 127. Vgl. z.B. BGHZ 17, 376, 383; 59, 286, 287 ff.; 97, 37, 49 ff.; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, Vorb. vor § 249 Rn. 45; abl. nahezu einhellig die Literatur; vgl. z.B. MünchKomm/Oetker, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 5. Aufl. 2007, § 249 Rn. 200 m.w.N. Wagner, Gutachten für den 66. DJT, 2006, A 103. Wagner KF 2006, 131. Wagner KF 2006, 131. Unklar ist das Berechnungsbeispiel bei Wagner KF 2006, 130132. Das Produkt kostet in der Herstellung 8, ist zu 10 veräußerbar. Bei einer Lizenz, die 4 gekostet hätte, der sich der Unternehmer aber vorsätzlich entzieht, wurden 15 erzielt; dann müsse neben der (doppelten) Lizenzgebühr der Gewinnabschöpfungsanspruch verdoppelt werden. Damit käme man wohl auf 18 – und nicht nur auf 10 (so aber Wagner KF 2006, 132) -, was jedenfalls übermäßig wäre. Wagner, Gutachten für den 66. DJT, 2006, A 113 f. Wagner, Gutachten für den 66. DJT, 2006, A 99; ders. AcP 206 (2006), 470 f. Wagner, Gutachten für den 66. DJT, 2006, A 99; ders. AcP 206 (2006), 471. So ausdrücklich Wagner, Gutachten für den 66. DJT, 2006, A 109; weniger deutlich
Durchführungsdefizite beim Ersatz des Schadens?
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nisse leuchten wenig ein. Um die wichtigsten Argumente vorwegzunehmen: Geht es nur um einen Schädiger, so ist nicht einzusehen, warum es ihm nicht zugute kommen soll, dass nicht sämtliche seiner Taten aufgeklärt werden. Werden von mehreren Schädigern nicht alle ertappt, so gibt es kaum ein Argument, die namhaft gemachten Täter mehr haften zu lassen als für den Schaden, den sie tatsächlich verursacht haben. Noch diffuser wird das Bild, wenn es um viele Schädiger und viele Geschädigte geht. Es bleibt unklar, wieso ein beim Diebstahl einer Tafel Schokolade ertappter Ladendieb für den Schaden haften soll, den ein Kaufhaus erleidet, wenn Kleidung entwendet wird, das Unternehmen den Täter aber nicht ermitteln kann. Und schließlich kann das Modell bei einem Geschädigten zu einer überproportionalen Haftung des Täters führen, wenn zwar die Aufklärungswahrscheinlichkeit gering ist, die Tat aber gleichwohl aufgedeckt wird.
II. Die Prävention 1. Prävention ist wichtig, kann aber nicht verabsolutiert werden. Natürlich soll der Täter abgeschreckt und motiviert werden, Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen.14 Doch verkürzt diese Sicht unzulässigerweise das Problem, ist insbesondere nicht mit dem Kriterium der Rechtswidrigkeit vereinbar, das ein Rechtsgut unabhängig von der wirtschaftlichen Machbarkeit und Zumutbarkeit zuordnet.15
2. So kollidiert etwa die Prävention mit der freien Entfaltung der Persönlichkeit – und zwar nicht nur des präsumtiven Täters, sondern auch des potentiellen Opfers. Zum einen gibt es auch einen Bereich des Täters, der seinerseits – vor allem grundrechtlich – geschützt ist; man denke hier an die Freiheit der Presse, auch über nicht endgültig geklärte Fakten und Verdachtsmomente berichten zu dürfen.16 Zum anderen hat auch das Opfer Vorteile. Je schärfer die Verkehrspflichten festgelegt werden, desto enger sind unter Umständen die Bewegungsmöglichkeiten des Geschützten.
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ders. KF 2006, 125, der vom Multiplikationsprinzip als Bordmittel des Schadensersatzrechts spricht; wohl offen gelassen bei Wagner AcP 206 (2006), 469 f. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1995, Rn. 4; Staudinger/J. Hager, BGB. 13. Bearb. 1999, Vorb. zu §§ 823 ff. Rn. 10; MünchKomm/Wagner, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. 2004, vor § 823 Rn. 39; Soergel/Spickhoff, Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Aufl. 2005, vor § 823 Rn. 31 ff. Deutsch (Fn. 14), Rn. 4. Vgl. statt aller Staudinger/J. Hager (Fn. 14), § 823 Rn. C 119 ff.
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III. Die Haftung des einzelnen Täters bei mehreren Geschädigten Nicht überzeugend ist die Lösung schon, wenn ein Täter mehrere Personen geschädigt hat. Hier gerät die These der Multiplikationsfunktion in ernsthafte Konflikte mit hergebrachten, aber auch bewährten Prinzipien des Prozessrechts. Das gilt nicht nur bei Massenschäden.17
1. Man stelle sich zunächst den Fall vor, der erste Geschädigte gehe gegen den Täter gerichtlich vor. Niemand weiß, ob weitere Opfer aktiv werden wollen oder können. Es stellt sich die Frage, ob das erste Opfer alle Schäden soll liquidieren können. Das Problem ist schwer lösbar. Sollte nämlich ein weiteres Opfer den Täter in Anspruch nehmen, so liefe der Täter Gefahr, mehr als den gesamten Schaden – also die Einbußen aller Opfer – begleichen zu müssen. a) Um dies zu verhindern, müsste man das Multiplikationsprinzip in all diesen Fällen von vornherein ablehnen.18 Als Alternative könnte man zunächst das Multiplikationsprinzip billigen, dann aber Korrekturen vornehmen. Denn es geht nicht an, den Täter insgesamt auf mehr als den allen Geschädigten gegenüber verursachten Schaden haften zu lassen.19 Ansonsten wäre es oft reiner Zufall – oder ein von den Geschädigten gesteuerter Vorgang, um Zusatzgewinn zu erzielen –, ob sie gleichzeitig klagten oder aber hintereinander und dadurch den Ersatzanspruch vervielfachten. Im Parallelfall des § 10 Abs. 2 S. 2 UWG wird allgemein die zeitliche Reihenfolge der Klagen als irrelevant erachtet.20 b) Sollte nach rechtskräftiger Entscheidung des ersten Prozesses ein weiteres Opfer klagen, müsste man dem Täter zumindest die Vollstreckungsgegenklage des § 767 ZPO zubilligen; das ist auch der Wertung von § 10 Abs. 2 UWG zu entnehmen. Der Anspruch kann nach § 767 ZPO geltend gemacht werden.21 Ist die
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So aber Wagner; vgl. die Nachweise in Fn. 2. So Wagner, Gutachten für den 66. DJT, 2006, A 100; ders. KF 2006, 126 jeweils für Massenschäden; vgl. auch schon oben I 1 mit Fn. 2. So auch Wagner, Gutachten für den 66. DJT, 2006, A 99. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1487 S. 24; MünchKomm/Micklitz, UWG, Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 2006, § 10 Rn. 175. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1487 S. 24; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 26. Aufl. 2008, § 10 Rn. 13.
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Zwangsvollstreckung bereits beendet, steht ihm die Bereicherungsklage offen.22 Dabei stellt sich allerdings das Problem, ob die Klage eines weiteren Geschädigten eine Einwendung darstellt bzw. die Bereicherungsklage tragen kann. Selbst wenn man das bejaht, wirft § 767 Abs. 2 ZPO Fragen auf. Die Einwendung dürfte nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sein. Der Täter weiß aber, dass er mehrere Opfer geschädigt hat. Dies muss – folgt man der Ausgangsthese – im Prozess auch zur Sprache gekommen sein; nur dann kann es ja zur – hier hypothetisch unterstellten – Verurteilung zu mehrfachem Schaden gekommen sein. Man müsste also für die zeitliche Zäsur auf den Sieg des zweiten Opfers abstellen. Für diesen Fall gerät man in erhebliche Schwierigkeiten. Denn dann wäre keine Einwendung entstanden. Der Anspruch im ersten Prozess ist indes rechtskräftig festgestellt. Der Sieg im zweiten Prozess würde dem Beklagten also nichts nützen.
2. Das Spiel lässt sich fortsetzen. Bei – unterstellt: 100 – Geschädigten, die allesamt auf ihre Schädigung aufmerksam gemacht werden und ihre Ansprüche nach und nach geltend machen, gibt es bis zu 99 zusätzliche Klagen gegen den ersten Anspruchsteller. Das Anliegen der ökonomischen Analyse des Rechts, Kosten sparen zu wollen,23 gerät hier in Bedrängnis – und zwar auch, wenn es um nur 5 Geschädigte geht.
3. Im Ausgangsfall sind gar zwei Vollstreckungsgegenklagen zu erheben. Jeder der beiden Kläger hat ja 50 % zuviel erhalten.24
4. Es kann ferner zu Konkurrenzsituationen kommen, die nahezu ausweglos sind. Wenn etwa zwei von drei Geschädigten klagen, ist ja keineswegs gesichert, dass die Gerichte, was Grund und Höhe des Anspruchs betrifft, einer Meinung sind. Will etwa das erste Gericht Schadensersatz zusprechen, während das zweite den Anspruch ablehnt, so hat das unmittelbare Auswirkungen auf das Multiplikations22
23 24
BGHZ 83, 278, 280; 99, 292, 294; 100, 211 f.; 163, 339, 341; BGH NJW 1984, 2826, 2827; 1986, 2047, 2048; 1987, 651, 652; 1989, 1990, 1991; 1991, 1063; 1993, 3318, 3320; 2000, 2022, 2023; NJW-RR 1988, 957, 958; 2001, 1450, 1451; 2003, 1155; ZIP 1995, 290; Musielak/Lackmann, Zivilprozessordnung, 6. Aufl. 2008, § 767 Rn. 15; MünchKomm/K. Schmidt, ZPO, Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2007, § 767 Rn. 21; Stein/Jonas/Münzberg, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Aufl. 2002, § 767 Rn. 56. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl. 2005, 140. S. I 1.
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prinzip. Im Gegensatz zum Ausgangsfall müsste das Gericht dem ersten Geschädigten nicht nur 50 %, sondern 100 % mehr zuerkennen. Doch weiß das erste Gericht – je nach zeitlichem Ablauf des zweiten Prozesses – noch nicht, wie dieser Rechtsstreit ausgehen wird.
5. Noch größere Probleme macht der Fall, dass – aus der Sicht des zweiten Gerichts fälschlicherweise, aber rechtskräftig – die erste Klage abgewiesen wurde. Hier geht es dann um tragende Prinzipien der Rechtskraft. a) Wenn in der zweiten Klage der Schaden, der gegenüber dem ersten Kläger verursacht wurde, zugebilligt würde, so widerspräche das der materiellen Rechtskraft. Denn es ist rechtskräftig ausgesprochen, dass der Anspruch des ersten Klägers nicht bestand; spätere Prozessergebnisse dürfen das nicht abweichend beurteilen25. Dann allerdings entsteht eine Aporie. Der Richter des zweiten Prozesses könnte nurmehr den 99fachen Betrag zusprechen, selbst wenn er überzeugt sein sollte, dass der Täter den 100fachen Schaden verursacht habe. b) Man könnte das noch als unvermeidbaren Schönheitsfehler abtun. Doch offenbart sich darin ein grundlegendes Dilemma. Denn die materielle Rechtskraft und das Recht auf rechtliches Gehör, das vorher gewährt worden sein muss, entsprechen einander.26 Genau an dieser Voraussetzung fehlt es. Der Kläger des zweiten Prozesses war am ersten in aller Regel nicht beteiligt, hatte wohl auch keine Kenntnis vom Rechtsstreit. Das Multiplikationsprinzip stößt hier an seine Grenze. c) Der erste Kläger habe – so sei unterstellt – den 100fachen Schaden geltend gemacht, sei aber, was den Grund oder den Betrag angeht, unterlegen. Der Beklagte habe beispielsweise dartun können, dass er nicht 100 Leute geschädigt habe. Gleichwohl riskiert er den Prozess eines angeblich ebenfalls Geschädigten mit dem 99fachen Betrag. Denn diesem gegenüber ist keine Rechtskraft eingetreten. Das Vorgehen lässt sich wiederholen. Der Multiplikationsfaktor nimmt zwar mit jedem Prozess um einen Schadensposten ab. Aber der potentielle Schuldner wird hier insgesamt mit sehr viel höheren Ansprüchen konfrontiert, als er jemals an Schaden verursacht haben kann, wenngleich er natürlich jeweils die Chance hat zu obsiegen.
25
26
BGHZ 123, 137, 140 f.; Musielak/Musielak (Fn. 22), § 322 Rn. 21; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 29. Aufl. 2008, § 322 Rn. 7. BVerfGE 60, 7, 13; BVerfG NJW 1988, 1963.
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d) Der Gläubiger kann – aus welchen Gründen auch immer – daran interessiert sein, nur den ihm tatsächlich entstandenen Schaden geltend zu machen; vielleicht will er – nur, aber immerhin – Kosten sparen. Es stellt sich das Problem der Stellung des Schuldners. Behandelt man den Fall wie eine offene Teilklage, so könnten weitere – potentielle – Gläubiger noch klagen. Bei der verdeckten Teilklage wird der Schuldner jedenfalls nach der Mindermeinung indes dann geschützt, wenn der Gläubiger die Höhe seiner Ansprüche falsch einschätzt oder schlichtweg nicht kennt.27 Das geht nach rechtskräftiger Entscheidung zu seinen Lasten, aber eben nur zu seinen. Dritte werden dadurch nicht gebunden. Das kann hier nicht anders sein; doch nimmt man dem Schuldner die Wohltat, die er ansonsten bei der verdeckten Teilklage genießt.
IV. Die Haftung mehrerer Täter bei nur einem Geschädigten 1. § 830 Abs. 1 S. 2 BGB ist ein besonderer Tatbestand, der hier nicht näher erörtert wird. Die dort geregelte Nebentäterschaft gehorcht besonderen Regeln und ist an spezielle Voraussetzungen geknüpft – man denke nur an die Fragen der möglichen Selbstverletzung des Geschädigten, der Rechtfertigung des Handelns eines der Täter und ähnliche Probleme.28
2. Es geht vielmehr um die Haftung mehrerer völlig unverbundener Täter. Beispiele sind zeitlich unzusammenhängende Diebstähle zu Lasten des Inhabers eines Supermarkts. a) Statistisch wird nur ein Teil der Ladendiebstähle, ca. 1,5 %, erfasst oder aufgeklärt.29 Den gefassten Ladendieben eine mehrfache Schadensersatzpflicht aufzuerlegen scheint gleichwohl nicht plausibel zu sein. Ein verfassungsrechtliches Bedenken – das letztendlich den Ausschlag gibt – kommt hinzu. Der – wie unterstellt sei: zum ersten Mal tätige – Ladendieb müsste für die Tat der nicht entdeckten Täter haften. Das bedeutete einen Bruch mit grundlegenden Prinzipien. Der Täter 27
28 29
Vgl. z.B. Musielak/Musielak (Fn. 22), § 322 Rn. 73; a.A. allerdings BGHZ 135, 178, 181; 151, 1, 3 m.w.N. Genauer J. Hager, FS Canaris, 2007, S. 403 ff. http://www.ehi.org/no_cache/presse/pressemitteilungen/detailanzeige/article//30-miolade.html
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hat den Schaden nicht verursacht. Dass andere Personen eine unerlaubte Handlung begangen haben, kann ihm nicht zur Last gelegt werden. Dass er weitere – nicht entdeckte – Schäden verursacht habe oder noch verursachen werde,30 ist weder bewiesen noch auch nur wahrscheinlich. Das verdeutlicht gerade das Problem der GEMA-Rechtsprechung, bei der bekanntlich der Täter das Doppelte der Lizenzgebühr zu entrichten hat.31 Diese Rechtsprechung trifft den Ersttäter genauso wie den, der erst beim 10. oder 100. Versuch erwischt wird. b) Auch hier stellen sich nahezu unlösbare Probleme, wenn das Opfer nach dem ersten Prozess einen weiteren Schädiger ausmacht. Es kann durchaus an einer weiteren Klage interessiert sein, z.B. wenn sich der erste – verurteilte – Beklagte als insolvent erweist. Doch auch hier droht die Gefahr einer Überkompensation, wenn der erste Beklagte vor Ablauf der Frist des § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB wieder zu Geld kommt. Es stellen sich dann die soeben geschilderten Probleme der Vollstreckungsgegenklage bzw. der Bereicherungsklage. c) Unklar bleibt letztendlich auch der Rückgriff zwischen den Schädigern. Zu diesem Problem kann es kommen, wenn die bisher unbekannten Schädiger nach dem Prozess bekannt werden. Da kein Fall des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB vorliegt, greifen auch nicht gemäß § 840 Abs. 1 BGB die Regeln der Gesamtschuld, so dass § 426 BGB nicht einschlägig ist. Man müsste auf § 255 BGB oder die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag ausweichen. Die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag dürften schon wegen § 687 Abs. 1 BGB regelmäßig ausscheiden.
V. Die Haftung mehrerer Schädiger bei mehreren Geschädigten Hier stellen sich die soeben geschilderten Probleme in verschärfter Form. Soll etwa der ertappte Ladendieb, der eine Tafel Schokolade gestohlen hat, für entwendete teure Weine aufkommen müssen? Hinzu kommt die Frage, wie denn die Gruppen der Geschädigten zu bilden sind. Man kann die Ladendiebe nehmen oder die Gesamtheit der Diebe, die Täter von Vermögensdelikten oder sämtliche Straftaten erfassen. Die Resultate sind wenig vorhersehbar.
30 31
So Wagner AcP 206 (2006), 465. Vgl. die Nachweise in Fn. 6.
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VI. Die Haftung eines Täters bei einem Geschädigten Zuletzt ist noch der Fall der Lizenzverletzung in den Blick zu nehmen; hier geht es jedenfalls nicht selten weder um mehrere Schädiger noch um mehrere Opfer, sondern um den Fall eines einzelnen Täters, der den Inhaber schädigt, mag diese Schädigung etwa bei der Lizenzverletzung auch längere Zeit anhalten.32 Konsequenz des Multiplikationsprinzips wäre es dann, dass der entdeckte Täter je nach der Wahrscheinlichkeit, dass die Verletzung aufgedeckt wird, Schadensersatz multipliziert mit dem Kehrwert der Wahrscheinlichkeit zu entrichten hätte. Abgesehen davon, dass es kaum möglich sein dürfte, bei einer einmaligen entdeckten Lizenzverletzung die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung ex ante zu ermitteln, gerät die Lösung in Konflikt mit dem Postulat, der Schädiger stehe so, wie er es verdient habe.33 Immerhin hätte er unter Umständen ein Vielfaches des tatsächlich entstandenen und von ihm verursachten Schadens zu ersetzen. Auch die Präventionsfunktion bleibt angesichts der kaum zu ermittelnden Zahlen unklar. Wie soll der potentielle Schädiger prognostizieren, mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit er ermittelt wird? Darin dürfte es sich auch nicht um das eigentliche Steuerungsinstrument handeln. Vielmehr wird im Vordergrund stehen, ob ein Verstoß gegen das UWG gegeben ist. Der Täter wird nur handeln, wenn er glaubt, die Norm nicht zu verletzen. So wurde etwa im Fall der Imitation exklusiver Waren zunächst vor allem um die Reichweite des § 1 UWG gestritten.34
VII. Grundlegende Bedenken 1. In der Vielfalt der Probleme spiegelt sich die Problematik des Ansatzes. Hier sei zunächst die Frage der Kenntnis herausgegriffen. Der Kläger ist kaum in der Lage festzustellen, ob und dass er nur einer von mehreren Geschädigten ist. Das wird an einem Fall der amerikanischen Rechtsprechung deutlich. Beim Import von Kraftfahrzeugen der Marke BMW war es zu Lackschäden gekommen. Diese wurden von der importierenden Firma beseitigt; gleichwohl verblieb ein merkantiler Minderwert von ca. 4.000,- Dollar bei dem beschädigten Fahrzeug. Diesen Minderwert bemerkte nur einer der Käufer, während er den anderen nicht auffiel.35 Der Kläger müsste mit sämtlichen anderen Käufern Kontakt aufnehmen, um zu klären, wie viele Fahrzeuge tatsächlich bei der Überfahrt über den Atlantik beschädigt 32
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35
Beispiel ist BGHZ 119, 20 ff. Dass im konkreten Fall noch dritte Verletzer existierten, kann außer Acht gelassen werden. Das war keineswegs zwangsläufig so und spielte eine Rolle im konkreten Fall nur für die Höhe des Schadensersatzes; BGH NJW 1992, 2753, 2756, insoweit in BGHZ 119, 20 ff. nicht abgedruckt. Vgl. oben I 1 am Ende mit Fn. 1. BGH NJW 1986, 381 ff.; das Berufungsgericht hatte immerhin die Klage noch abgewiesen. BMW of North America, Inc. v. Gore 517 U.S. 559, 564 (1996).
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und repariert worden sind. Bei einem Importeur mag das noch feststellbar sein; schwierig wird die Lage spätestens dann, wenn etwa Vertragshändler die Fahrzeuge eingeführt haben. Man müsste dann flächendeckend sämtliche Vertragshändler befragen und zur Auskunft zwingen, wie viele Fahrzeuge beschädigt angekommen sind.
2. Dasselbe gilt natürlich auch, wenn es um ein Opfer geht, das von mehreren Tätern geschädigt wurde. Das machen auch und gerade die Beispiele der Literatur deutlich. Wenn ein Produktpirat ermittelt wird, so ist keineswegs klar, wie viele weitere nicht aufgeklärte Fälle es gibt. Das kann allenfalls grob geschätzt werden. Und erst recht stellt sich das Problem natürlich bei mehreren Schädigern und mehreren Opfern. Die Schäden etwa durch Ladendiebstähle oder generell durch Diebstähle sind praktisch nicht zu ermitteln.
3. Der nächste Punkt betrifft ein grundlegendes Problem. Das deutsche Delikts- und Schadensrecht legt es generell in die Hände des Forderungsinhabers, ob und inwieweit er seine Ansprüche geltend machen will.36 Das ist nicht zuletzt Ausfluss der Privatautonomie und im Dispositionsgrundsatz der Zivilprozessordnung bekräftigt. Jeder Geschädigte kann darauf verzichten, seinen Schaden geltend zu machen, kann Vergleiche schließen oder seine Klage zurücknehmen. In diese Freiheit kann nicht ein Dritter eingreifen, indem er stellvertretend für den Geschädigten dessen Schaden geltend macht.
VIII. Zusammenfassung 1. Das Multiplikationsprinzip widerspricht grundlegenden Regeln der deutschen Rechtsordnung. Es kann zu einer Reihe von Folgeprozessen führen, namentlich etwa dazu, dass der Täter mehr zu ersetzen hat als den von ihm verursachten Schaden. Vor allem gerät das Prinzip in Kollision mit der materiellen Rechtskraft.
36
So auch Wagner, Gutachten für den 66. DJT, 2006, A 99.
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2. Letztendlich stellt man mit der Dispositionsmaxime als Ausfluss der Vertragsfreiheit einen Grundpfeiler des deutschen Zivilprozesses in Frage.
Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten: Spiegelbild- oder Differenzierungsthese?
Helmut Koziol
1. Die Gleichbehandlungsthese § 1304 des altehrwürdigen ABGB bestimmt: „Wenn bei einer Beschädigung zugleich ein Verschulden von Seite des Geschädigten eintritt, so trägt er mit dem Beschädiger den Schaden verhältnismäßig.“ Eine ganz entsprechende Regel enthält auch § 254 Abs. 1 BGB unter der Überschrift „Mitverschulden“: „Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.“ Die Grundregel, dass der Geschädigte bei Mitverschulden an der Schadensentstehung zwar nicht – wie früher vielfach vorgesehen war1 – seinen gesamten Ersatzanspruch verliert, wohl aber eine Schadensteilung eingreift und der Geschädigte vom Schädiger nur den Ersatz eines Teiles des Schadens begehren kann, ist heute weitgehend Gemeingut fast aller Rechtsordnungen2. Es wird angenommen3, die Schadensteilung bei Mitverschulden beruhe auf dem Gedanken, dass sich der Geschädigte ein Verhalten zurechnen lassen müsse, das ihn bei Schädigung eines Dritten haftbar gemacht hätte; dies sei ebenso Ausfluss des Verantwortlichkeitsprinzips wie die Haftung des Schädigers für sein Verschulden. Ferner wird betont, dass die innere Rechtfertigung für die Berücksichtigung des Mitverschuldens im Gleichheitssatz liege: Wenn der Schädiger auf 1
2
3
Hausmaninger, Das Mitverschulden des Verletzten und die Haftung aus der lex Aquilia, in: Gedächtnisschrift für H. Hofmeister (1996) 237 ff; Koziol, Die Mitverantwortung des Geschädigten im Wandel der Zeiten. Gedanken zur Bedeutung der Selbstverantwortung, Hausmaninger-FS (2006) 139 ff; Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht (1999) 6 ff. Siehe Looschelders, Mitverantwortlichkeit des Geschädigten 65 ff; Magnus/MartinCasals, Comparative Conclusions, in: Magnus/Martin-Casals (Hrsg), Unification of Tort Law: Contributory Negligence (2004) 259 f. Siehe mit weiteren Nachweisen Looschelders, Mitverantwortlichkeit des Geschädigten 116 ff.
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Grund bestimmter Zurechnungsgründe für den Schaden verantwortlich sei, so stellte es eine Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte dar, wenn das Vorliegen entsprechender Gründe auf Seiten des Geschädigten unbeachtet bliebe. Es wird dementsprechend festgehalten, dass eine Schadensteilung nur dann erfolge, „wenn auf der Geschädigtenseite genau solche Umstände vorliegen, die auf der Schädigerseite Haftungsgründe sein können“4. Dementsprechend wird von der Gleichbehandlungs- oder Spiegelbildthese gesprochen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung von Schädiger und Geschädigtem fordert, dass auch zu Lasten des Geschädigten der Verschuldensbezug verkürzt wird, wenn Schutzgesetze verletzt werden (§ 823 Abs. 2 BGB; § 1311 ABGB) oder eine „Billigkeitshaftung“ eingreift (§ 829 BGB; § 1310 ABGB)5. Darüber hinaus hat diese These auch zur Annahme geführt, dass nicht nur das Mitverschulden des Geschädigten zu berücksichtigen ist, sondern in analoger Anwendung auch andere Zurechnungsgründe, die auf seiner Seite wirksam werden6. Der Einsatz einer besonders gefährlichen Sache durch den Geschädigten kann ihm demnach ebenso zugerechnet werden, wie dies bei Schädigung eines Dritten auf Grund der Gefährdungshaftungsnormen der Fall wäre7. Die heutige, auf der Gleichbehandlungsthese beruhende herrschende Auffassung zur Mitverantwortung kann daher ganz allgemein folgendermaßen formuliert werden: Hat nicht nur der verantwortliche Schädiger, sondern auch der Geschädigte eine Ursache für das Entstehen des Schadens gesetzt und liegen auch auf seiner Seite Gründe vor, die gegenüber einem Dritten die Zurechnung eines verursachten Schadens rechtfertigen würden, so hat er einen Teil des Schadens, der unter Abwägung der auf beiden Seiten gegebenen Zurechnungsgründe zu bestimmen ist, zu tragen.
2. Die Kritik an der Gleichbehandlungsthese Die Gleichbehandlungs- oder Spiegelbildthese ist sicherlich insofern völlig einleuchtend, als zumindest jene Zurechnungsgründe zu einer Schadenstragung des Geschädigten selbst führen, die auf Schädigerseite eine Haftung auslösen. Es wäre offenkundig eine nicht sachgerechte Ungleichbehandlung von Schädiger und Geschädigtem, wenn das Vorliegen entsprechender Zurechnungsgründe nur auf der Seite des Schädigers, nicht aber auf der Seite des Geschädigten bei der Festlegung der Schadenstragung zu berücksichtigen wäre. 4
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F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996) 229; siehe denselben, Gehilfenmitverschulden beim Arbeitgeber und betriebliche Hierarchie, Tomandl-FS (1998) 54 ff. Siehe Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht² (1996) Rz 564 f, 575. Deutsch, Haftungsrecht² Rz 566, 579 f; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht³ I (1997) Rz 12/77; Looschelders, Mitverantwortlichkeit des Geschädigten 388 ff; Magnus/Martin-Casals in Magnus/Martin-Casals (Hrsg), Contributory Negligence 271 f; Lange/Schiemann, Schadensersatz³ (2003) § 10 VII. MünchKomm/Oetker, BGB5 II (2007) § 254 Rz 5 und 14 mwN.
Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten
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Darüber hinaus ist diese These jedoch bei näherer Betrachtung keineswegs so überzeugend, wie sie auf den ersten Blick erscheint, und sie wurde deshalb auch schon abgelehnt. Die Kritik betont vor allem den Grundsatz „casum sentit dominus“ (§ 1311 Satz 1 ABGB)8 und sieht daher gerade keine Grundlage für eine völlige Gleichbehandlung von Schädiger und Geschädigtem9: Die Ausgangslage auf Seite des Geschädigten und auf Seite des Schädigers sei völlig unterschiedlich, da der Geschädigte nach der Grundregel auch die Folgen zufälliger Ereignisse zu tragen hat, während der Schädiger nur dann die von ihm verursachten Nachteile des Geschädigten ausgleichen muss, wenn ihn besondere Zurechnungsgründe treffen. Im österreichischen Recht ist sogar noch darüber hinaus festzuhalten, dass wegen des recht starren Grundsatzes eines nach dem Grad des Verschuldens des Schädigers abgestuften Schadenersatzes (§§ 1323, 1324 ABGB) der Geschädigte selbst bei leichter Fahrlässigkeit des Schädigers noch immer den entgangenen Gewinn nicht ersetzt erhält, sondern diesen selbst zu tragen hat.
3. Die Differenzierungsthese Wegen dieser ungleichen Ausgangslage, die neben dem Spiegelbild noch ein zweites, viel weiter gehendes Bild erkennen lässt, wird deshalb von einer Mindermeinung eine Differenzierungsthese vertreten, die einer unterschiedlichen Behandlung, und zwar zu Lasten des Geschädigten, das Wort redet10. Aus der Erkenntnis mangelnder Gleichstellung werden allerdings unterschiedliche Lösungen abgeleitet, nämlich einerseits, dass dem Geschädigten nicht bloß ein Verschulden zuzurechnen sei, sondern jegliche Verursachung des Schadens11 oder allenfalls an das strenge Gefährdungsprinzip anzuknüpfen sei12. Andererseits wird weniger weitgehend vertreten, dass lediglich statt eines subjektiven ein objektives Fehlverhalten ausreichend für die Zurechnung des Schadens zum Geschädigten sei13. Diese letztere These erscheint allerdings inkonsequent, da der Ausgangspunkt – die Tragung auch jedes zufälligen Schadens durch den Geschädigten – nur eine sehr weitgehende Zurechnung rechtfertigen könnte, jedoch gerade nicht eine derartige Einschränkung, die immerhin „den halben Weg“ zur Gleichbehandlungsthese geht. 8
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Dazu Dullinger, DRdA 1992, 415; Koziol, Haftpflichtrecht³ I Rz 12/67; Staudinger/Schiemann, BGB (2005) § 254 Rz 43. Das betont auch Looschelders, Mitverantwortlichkeit des Geschädigten 117. Siehe vor allem J. Gernhuber, Die Haftung für Hilfspersonen innerhalb des mitwirkenden Verschuldens, AcP 152 (1952/53) 76 f; vgl ferner etwa Lange/Schiemann, Schadensersatz³ § 10 V 2. So etwa Wieling, Venire contra factum proprium und Verschulden gegen sich selbst, AcP 176 (1976) 349 f. Gernhuber, AcP 152, 77. Vgl Lange/Schiemann, Schadensersatz³ § 10 V 2; Medicus, Bürgerliches Recht21 (2007) Rz 869; Weidner, Die Mitverursachung als Entlastung des Haftpflichtigen (1970) 27 f.
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4. Vorzüge und Nachteile beider Thesen Der Differenzierungsthese in all ihren Varianten kommt jedenfalls das Verdienst zu, darauf aufmerksam zu machen, dass die weitgehende Schadenstragung durch den Geschädigten ein umfassendes und selbstverständliches Prinzip ist, und daher zwischen der Zurechnung des Schadens zum Geschädigten selbst und der Überwälzung auf einen anderen ein ganz erheblicher Unterschied besteht, der auf durchaus anders gearteten Wertungen beruht. Die Differenzierungsthese wird allerdings insofern von manchen zu starr umgesetzt, als sie den Grundsatz der Risikotragung durch den Eigentümer selbst als so gewichtig ansieht, dass er bei einer schuldhaften oder sonst zurechenbaren Schädigung durch einen anderen jedenfalls ins Gewicht falle und daher stets zu einer Schadensteilung führe. „Stets“ deshalb, weil die Existenz des Geschädigten und das Vorhandensein des geschädigten Gutes in jedem Schadensfall eine conditio sine qua non für das Entstehen des Schadens sind, so dass die Sphäre des Geschädigten ausnahmslos ursächlich ist. Diese These, die dazu führt, dass der Geschädigte nie vollen Ersatz verlangen kann, ist allerdings nach ganz herrschender Auffassung unzutreffend14: Gegenüber einem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten des Schädigers spielt die stets vorhandene bloße Ursächlichkeit der Sphäre des Geschädigten, ohne dass ein weiteres belastendes Moment vorliegt, keine Rolle mehr. Der Gleichbehandlungslehre scheint hingegen insofern erhebliche Überzeugungskraft zuzukommen, als sie betont, dass zumindest ein Mitverschulden des Geschädigten, also eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten, einem Verschulden des Schädigers, also einer Sorglosigkeit anderen gegenüber, gleich zu halten sei. Da der Geschädigte jedenfalls nicht besser behandelt werden dürfe als der Schädiger, komme es daher bei Mitverschulden zu einer gemeinsamen Schadenstragung. Das Unbefriedigende an beiden Lehren ist allerdings, dass sie jeweils einer gedanklichen Monokultur huldigen und recht einseitig stets nur ein Argument berücksichtigen und das andere völlig vernachlässigen. Damit gelangen sie zu sehr schematischen Ergebnissen und schieben differenzierende Wertungsgesichtspunkte beiseite.
5. Ein vermittelnder Ansatz Ausgangspunkt der Überlegungen muss zwar sicherlich sein – und insofern ist der Differenzierungsthese zuzustimmen –, dass grundsätzlich jeder die Risiken in seiner eigenen Sphäre selbst zu tragen hat und eine Überwälzung des Schadens auf einen anderen von der Rechtsordnung nur unter bestimmten, verhältnismäßig engen Voraussetzungen zugestanden wird. Es ist jedoch keineswegs zwingend, wegen dieser grundsätzlichen Risikotragung des Eigentümers, jeden Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen einen verantwortlichen Schädiger mit dem 14
Siehe etwa Bamberger/Roth/Unberath, BGB² (2007) § 254 Rz 12.
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Argument zu kürzen, dass der Schaden wegen der generellen Belastung des Geschädigten mit dem Risiko seiner eigenen Sphäre stets beiden zurechenbar und daher von beiden gemeinsam zu tragen sei. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass den verschiedenen Zurechnungsgründen unterschiedliches Gewicht zukommen kann. Sind die Zurechnungsgründe auf einer Seite gewichtiger als auf der anderen, so wird auch die Schadenstragung nicht zu gleichen Teilen anzusetzen sein und bei starkem Überwiegen der Gründe auf einer Seite können sogar jene auf der anderen Seite gänzlich vernachlässigt werden, so dass es zu einer alleinigen Schadenstragung durch einen der Beteiligten kommt. Das ist an sich dem Grunde nach auch schon derzeit durchaus anerkannt; welches Gewicht den einzelnen Gründen zukommt und wann ein solches Überwiegen auf einer Seite vorliegt, dass eine alleinige Schadenstragung gerechtfertigt erscheint, ist allerdings eine Wertungsfrage, die sicherlich einen gewissen Spielraum gewährt. Heute wird diese Überwiegensregel etwa mit Selbstverständlichkeit in jenen Fällen herangezogen, in denen auf Seite des Geschädigten oder des Schädigers Vorsatz gegeben ist, auf der anderen Seite hingegen nur leichte Fahrlässigkeit; eine Schadensteilung wird hier regelmäßig verneint15 und dem Vorsatztäter die volle Ersatzpflicht auferlegt. Ebenso scheint es aber auch – und dies ist einer ganz streng gehandhabten Differenzierungsthese entgegen zu halten – sachgerecht, die bloße Ursächlichkeit der Sphäre des Geschädigten als Zurechnungsgrund zu vernachlässigen, wenn den Schädiger ein Verschulden und damit doch ein schwerwiegender Vorwurf trifft. Andernfalls könnte es den vom Gesetz als Regelfall vorgesehenen vollen Schadensausgleich grundsätzlich überhaupt nicht geben, da – wie schon erwähnt – die Existenz der geschädigten Sache oder der verletzten Person stets eine der Ursachen für das Entstehen des Schadens ist. Haben daher der Geschädigte und seine Sphäre nur insofern eine conditio sine qua non für die Schadensentstehung abgegeben, als ihr Vorhandensein die Schädigung ermöglichte, dann überwiegt jedenfalls ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Schädigers als Zurechnungsgrund so sehr, dass dieser den Schaden allein zu tragen hat. Andererseits ist aber auch die Gleichstellungslehre zu starr, wenn sie davon ausgeht, dass ausschließlich ein solcher Zurechnungsgrund auf Seiten des Geschädigten zu einer Schadensteilung führen könne, der den vom Gesetz vorausgesetzten Zurechnungsgründen bei Schädigung eines anderen entspreche. Zunächst zeigt schon der Grundsatz “casum sentit dominus“, dass es gerade nicht um eine logisch exakte und damit rein schematisch spiegelbildliche Gleichbehandlung von Schädiger und Geschädigtem gehen kann. Es handelt sich vielmehr – wie schon betont wurde – um eine Wertungsfrage, wann der Geschädigte bei Ursächlichkeit seiner Sphäre seinen Schaden vollständig oder nur teilweise oder überhaupt nicht auf den Schädiger überwälzen kann. 15
MünchKomm/Oetker, BGB5 II (2007) § 254 Rz 11 mwN; Karner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB² (2007) § 1304 Rz 4 mwN; Koziol, Haftpflichtrecht³ I Rz 12/17.
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Zweitens formuliert die Gleichbehandlungslehre ihre Grundregel sicherlich zu starr, wenn sie nur dann eine Schadensteilung anerkennen will, wenn die Zurechnungsmomente auf beiden Seiten gleich sind. Die Elastizität der Schadensteilungsnorm verlangt nämlich keineswegs unbedingt eine Gleichheit der Zurechnungsmomente, sondern sie eröffnet durchaus die Möglichkeit, selbst bei einem Zurechnungsmoment von geringerer Wertigkeit auf Seite des Geschädigten als auf Seite des Schädigers, eine Schadensteilung vorzunehmen, allerdings nicht zu gleichen Teilen, sondern eben auch mit einer geringeren Belastung des Geschädigten. Dies wird ja in der Sache auch schon heute durchaus so gehandhabt: Ist dem Schädiger grobe Fahrlässigkeit, dem Geschädigten hingegen nur leichte Sorglosigkeit vorzuwerfen, so wird dennoch eine Schadensteilung vorgenommen, allerdings nicht je zur Hälfte, sondern in einem anderen Verhältnis zu Lasten des Schädigers. Entsprechendes gilt selbstverständlich auch umgekehrt. Wurde erkannt, dass es bei der Frage der Schadensteilung nicht um eine mechanische Anwendung der Spiegelbildthese geht, sondern um eine durchaus diffizile Wertungsfrage, so ist der Weg frei für Lösungen, die zwischen der Spiegelbildthese und strikter Differenzierungsthese vermitteln. Wie schon erwähnt, wird weitestgehend anerkannt, dass der Gedanke der Risikotragung durch den Eigentümer dann keine Rolle spielt, wenn auf Seite des Schädigers Verschulden gegeben ist, dem Geschädigten hingegen keine Sorglosigkeit vorzuwerfen ist: Hier wird von einem so starken Überwiegen der Zurechnungsgründe zu Lasten des Schädigers ausgegangen, dass die allgemeine Risikotragung auf Seite des Geschädigten nicht mehr zu Buche schlägt. Diese Wertung liegt auch eindeutig den gesetzlichen Bestimmungen zu Grunde, die vom Prinzip des vollen Schadensausgleichs bei Verschulden des Schädigers ausgehen und damit die bloße Ursächlichkeit der Sphäre des Geschädigten regelmäßig vernachlässigen. Allerdings ist damit noch nicht zwingend vorgegeben, dass stets dann, wenn dem Geschädigten kein Verschulden vorzuwerfen ist, allein der Schädiger den Nachteil zu tragen hat; es kann in diesem Bereich ja durchaus weiter differenziert werden, da selbst bei Schuldlosigkeit noch Zurechnungsmomente unterschiedlicher Stärke vorhanden sein können. Wegen der allgemeinen Belastung des Geschädigten mit dem Risiko seiner Sphäre wäre es wertungsmäßig durchaus zu rechtfertigen, dass immerhin schon dann, wenn entweder die Zurechnungsgründe auf Seite des Schädigers nur in abgeschwächter Form vorliegen oder wenn andererseits immerhin neben dem Risikogedanken noch zusätzliche geringgewichtige belastende Gründe auf der Seite des Geschädigten gegeben sind, dies als ausreichend anzusehen ist, um dem Geschädigten doch die Tragung eines Teiles des Schadens aufzubürden. Dass bei geringem Gewicht der Haftungsgründe auf Schädigerseite und einer zu Gunsten des Schädigers ausschlagenden Vermögensabwägung die Ursächlichkeit der Sphäre des Geschädigten oder der neutralen Sphäre, die weder Schädiger noch Geschädigtem zurechenbar ist, berücksichtigt werden sollte, hat F. Bydlinski16 überzeugend herausgearbeitet: Wo Vermögensabwägung und geringes Gewicht der Haftungsgründe auf Schädigerseite im Einzelfall für eine Milderung 16
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der Ersatzpflicht sprechen, treten nach ihm bei prinzipieller vergleichender Gesamtschau schon die Schadensursachen auf der Seite des Beschädigten als eigenständige Abwägungsfaktoren stärker in den Vordergrund. Ebenso könnten in solchen Fällen auch „äußere“ Ursachen Berücksichtigung finden. F. Bydlinski17 tritt auch für die Fälle alternativer Kausalität, in denen ein möglicherweise ursächliches, haftbar machendes Ereignis mit einem vom Geschädigten zu vertretenden potentiell ursächlichen Ereignis oder einem Zufall konkurriert, für eine Teilhaftung des Geschädigten ein, wobei die Schwere der Zurechnungsmomente zu berücksichtigen ist. Bydlinski hat mit dieser These zu Recht eine breite Gefolgschaft18, insbesondere auch beim österreichischen Obersten Gerichtshof19, gefunden. Dass hier schon der Zufall in der Sphäre des Geschädigten zu einer teilweisen Schadenstragung durch den Geschädigten führt, kann nur auf dem Gedanken beruhen, dass bei alternativer Kausalität das Verursachungserfordernis bloß in stark abgeschwächter Form, nämlich als bloß potentielle Kausalität, vorliegt und wegen des geringen Gewichts der Zurechnungsgründe schon die allgemeine Risikotragung des Geschädigten für seine Sphäre, also der Satz „casum sentit dominus“, durchschlägt.
6. Das „Mitverschulden“ In Wahrheit wird jedoch – wenn auch weitgehend unbewusst – der Satz „casum sentit dominus“ ganz allgemein auch in den unstrittigen und gesetzlich vorgesehenen Schadensteilungsfällen in der Sache berücksichtigt und anerkannt, dass die weiteren den Geschädigten belastenden Momente nur von erheblich geringerem Gewicht zu sein brauchen als die Zurechnungsmomente auf Seite des Schädigers, um zu einer Schadensteilung zu führen. Während nämlich auf Schädigerseite ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten vorausgesetzt ist, genügt auf Seite des Geschädigten schon ein sorgloses, aber keineswegs notwendigerweise rechtswidriges Verhalten20: Die Gefährdung der eigenen Güter ist von der Rechtsordnung nicht untersagt; es besteht somit keine Pflicht, die Gefährdung zu vermeiden, sondern bloß eine Obliegenheit, deren Verletzung zur Schadenstragung führt. Für die hier diskutierte Frage ist es nun von entscheidender Bedeutung, dass gerade dem Verstoß gegen die Rechtsordnung, also der Rechtswidrigkeit eines Verhaltens, besonderes Gewicht im Rahmen der Zurechnungsgründe zukommt, 17
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F. Bydlinski, Aktuelle Streitfragen um die alternative Kausalität, Beitzke-FS (1979) 30 ff; derselbe, Haftungsgrund und Zufall als alternativ mögliche Schadensursachen, Frotz-FS (1993) 3. Siehe dazu die Angaben bei Koziol, Schaden, Verursachung und Verschulden im Entwurf eines neuen österreichischen Schadenersatzrechts, Juristische Blätter (JBl) 2006, 773. OGH in JBl 1990, 524; JBl 1996, 181; anders jedoch OGH in JBl 1992, 522; JBl 1994, 540 mit Anmerkung von Bollenberger. Vgl etwa Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht4 (2002) Rz 161; Koziol, Haftpflichtrecht³ I Rz 12/3 ff.
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das jenes einer schlichten Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten, also einer schlichten Obliegenheitsverletzung, erheblich übersteigt, da die Obliegenheit eine Rechtspflicht minderen Grades ist21. Bei der Rechtswidrigkeit eines Verhaltens wird von einem besonders schwerwiegenden Mangel in der Sphäre des Schädigers gesprochen22. Bei einer Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern, also beim sogenannten Mitverschulden, kann hingegen grundsätzlich nicht von einem derart schweren Mangel gesprochen werden: Die Rechtsordnung überlässt es jedem selbst, welche Sorgfalt er sich selbst und seinen Gütern gegenüber aufwenden will, und sie bewertet das Verhalten trotz fehlender Sorgfalt nicht als rechtswidrig. Ein Vorwurf wäre auch völlig fehl am Platz, da es jedermann zusteht über seine Güter weitgehend nach Belieben zu disponieren, er seine Person und Güter daher auch gefährden oder gar vernichten darf. Die grundsätzliche Entscheidung zwischen Einschränkung der eigenen Bewegungsfreiheit durch Sorgfaltsanforderungen und Eingehung des Risikos bezüglich der eigenen Sphäre muss daher grundsätzlich zur Disposition jedes Einzelnen stehen. Die negativen Folgen treffen allerdings ihn und er genießt andererseits auch die Vorteile größerer Bewegungsfreiheit, wenn er sich für ein höheres Schädigungsrisiko infolge geringeren Sorgfaltsaufwands entscheidet. An dieser Beurteilung des Verhaltens des Geschädigten ändert sich nichts, wenn neben seinem Verhalten auch das haftbar machende Verhalten eines Dritten eine conditio sine qua non für den bei ihm eingetretenen Schaden bildet. Auch dann geht es nicht um einen gegen den Geschädigten gerichteten Vorwurf wegen eines von der Rechtsordnung missbilligten Verhaltens, der zur Kürzung seines Schadensersatzanspruches gegen den haftbaren Schädiger führt, sondern es geht nur darum, dass er auch in dieser Situation das Risiko seines eigenen erlaubten Verhaltens angemessen zu tragen hat. Dem Geschädigten wird somit nur verwehrt, die Folgen seiner Disposition völlig auf andere zu überwälzen; es wird ihm aber nicht wegen seines Verhaltens ein schwerwiegender Vorwurf gemacht, was mangels Rechtswidrigkeit grundsätzlich ausscheidet23. Es geht also beim Mitverschulden des Geschädigten in Wahrheit nicht um die Berücksichtigung eines gravierenden Vorwurfs und nicht um die besonderer Gründe bedürfenden Zurechnung eines Schadens zu ihm selbst, sondern um eine selbstverständliche Tragung des Risikos der eigenen Sphäre. Die Spiegelbildthese beachtet daher viel zu wenig einen fundamentalen Unterschied zwischen der Zurechnung von Schäden, die einem Dritten zugefügt wurden, und der Tragung nachteiliger Veränderungen in der eigenen Sphäre: Die Haftung gegenüber Dritten bedarf besonderer, eng umgrenzter, verhältnismäßig schwerer Zurechnungsgründe; die Tragung der in der eigenen Sphäre eingetretenen Nachteile bedarf hingegen keiner besonderen Zurechnungsgründe, sondern greift unweigerlich ohne weitere Voraussetzungen ein. Die Spiegelbildthese verwischt daher in unzutreffender Weise den Unterschied zwischen der besonders begründungsbedürftigen 21 22
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Deutsch, Haftungsrecht² Rz 567. Das besondere Gewicht dieses Vorwurfs betont etwa F. Bydlinski, System und Prinzipien 214, im Zusammenhang mit der Rechtfertigung der Gehilfenhaftung. Vgl F. Bydlinski, System und Prinzipien 190.
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Überwälzung des Schadens auf einen anderen und der selbstverständlichen, keiner weiteren Begründung bedürftigen Risikotragung für die eigene Sphäre. Verschulden des Schädigers und Mitverschulden des Geschädigten sind eben keineswegs gleichartig und dem Mitverschulden kommt wegen des Fehlens einer Rechtswidrigkeit auch bloß erheblich geringeres Gewicht zu als dem echten Verschulden24. Eine Gleichheit der Zurechnungsgründe auf Seiten des rechtswidrig und schuldhaft handelnden Schädigers und des sorglos in eigenen Angelegenheiten handelnden Geschädigten ist daher – worüber die heute gängige Auffassung geflissentlich hinwegsieht – in den üblichen Fällen allein auf Grund des „Mitverschuldens“ gerade noch nicht gegeben. Das wird nur durch den „terminologischen Trick“ verdeckt, dass sowohl das objektiv rechtswidrige Fehlverhalten des Schädigers als Verschulden bezeichnet wird, als auch beim objektiv nicht rechtswidrigen Verhalten des Geschädigten von Mitverschulden gesprochen wird. Die heute fast unbestrittene herrschende Auffassung begnügt sich somit in Wahrheit ganz offenkundig beim Geschädigten mit erheblich geringeren Zurechnungsgründen als beim Schädiger, nimmt aber dennoch bei leichtem Verschulden des Schädigers und leichtem Mitverschulden des Geschädigten eine Schadenstragung zu gleichen Teilen an. Das kann in der Sache nur damit erklärt werden, dass auf Seite des Geschädigten zusätzlich der Gedanke der Tragung des Risikos im Bereich seiner eigenen Sphäre in die Waagschale fällt und deshalb insgesamt von einer Gleichgewichtigkeit der Zurechnungsgründe ausgegangen werden kann. Damit ist aber auch erwiesen, dass auf Seite des Geschädigten neben dem Moment der Risikotragung für die eigene Sphäre geringere Zurechnungsgründe – als die für eine Auslösung der Haftung gegenüber Dritten vorausgesetzten – ausreichen, um ihn mit dem Schädiger gleichzustellen. Diese Erkenntnis ist vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen ganz allgemein zu berücksichtigen und sollte zunächst dazu führen, dass die Schadensteilung dann stärker zum Nachteil des Geschädigten ausfällt, wenn auch er rechtswidrig handelt, weil er Verhaltensnormen verletzt, die die Rechtsordnung – zumindest auch – zu seinem Schutz erlassen hat, wie etwa Straßenverkehrsvorschriften.
7. Mitverantwortung wegen anderer Mängel und Gefahrenquellen Vor allem aber ist auch dann, wenn den Geschädigten kein Vorwurf eines sorglosen Verhaltens trifft, sondern ein anderer Mangel oder eine Quelle erhöhter Gefahr in seiner Sphäre gegeben ist, zu berücksichtigen, dass auf der Seite des Geschädigten neben der ihn belastenden Risikotragung für die eigene Sphäre schon weitere Zurechnungsmomente in geringer Ausprägung für die Schadenstragung 24
Darauf macht auch Dullinger, Zum Mitverschulden von Gehilfen ex delicto, JBl 1992, 407, aufmerksam.
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ausreichen und nicht Zurechnungsgründe auf seiner Seite vorauszusetzen sind, die gleiches Gewicht wie jene auf Seite des Schädigers haben. Das gilt insbesondere für die Zurechnung von Schäden, die durch Quellen erhöhter Gefahr verursacht wurden. Nach der Gleichbehandlungsthese sind dem Geschädigten nur jene Gefahrenquellen als Halter zuzurechnen, die auch seine Haftung gegenüber Dritten auszulösen vermögen25. Das ist ein verhältnismäßig enger Kreis von Gefahrenquellen, da es sich einerseits um Quellen sehr hoher Gefahr handeln muss, andererseits weder in Deutschland noch in Österreich26 derzeit eine Generalnorm sondern nur Einzelregeln für die Gefährdungshaftung vorhanden sind. Auf Grund der bisherigen Ausführungen ist jedoch auch beim Haftungselement der Gefährlichkeit davon auszugehen, dass einerseits schon eine Quelle erheblich niedrigerer Gefährlichkeit für die Zurechnung auf Geschädigtenseite ausreicht als für die Begründung der Haftung Dritten gegenüber erforderlich ist27. Vor allem aber ist auch hervorzuheben, dass auf Geschädigtenseite der ganz allgemeine Grundsatz der Zurechnung der Risiken der eigenen Sphäre herrscht und daher nicht bloß einzelne, gesondert geregelte Gefahrenquellen zuzurechnen sind, sondern schlechthin – wie schon bisher etwa von J. Gernhuber28 und Deutsch29 vertreten – alle Quellen erhöhter Gefahr. So wie eben auf Seite des Geschädigten statt der schwerwiegenden Rechtswidrigkeit des Verhaltens und einem echten Verschulden schon eine bloße Obliegenheitsverletzung für die Zurechnung genügt, so muss auch statt einer Quelle hoher Gefahr schon eine schlichte Risikoerhöhung, die keineswegs für eine strikte Haftung gegenüber Dritten ausreichen würde und nicht auf bestimmte, gesetzlich geregelte Fallgruppen beschränkt ist, bei der Entscheidung der Schadenstragung Berücksichtigung finden. Zur Verdeutlichung des Gedankens, dass es durch den Fehler einer Sache in der Sphäre des Geschädigten zu einer erheblichen Risikoerhöhung kommen kann und dies bei der Entscheidung über die Teilung der Schadenstragung zu berücksichtigen ist, möge folgendes Beispiel dienen: Es sei angenommen, dass ein Unfall einerseits durch das Versagen der Bremsen des Fahrrades des Geschädigten – dem keine Sorglosigkeit vorgeworfen werden kann – und andererseits durch das Verschulden eines Fußgängers verursacht wurde. Meines Erachtens spricht der Gedanke, dass der Geschädigte die Risiken seiner Sphäre zu tragen hat, verbunden mit der durch die Fehlerhaftigkeit seines Fahrrades erheblich erhöhten Gefährlichkeit dafür, dass er einen Teil des Schadens zu tragen hat, der allerdings unter der 25 26
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MünchKomm/Oetker, BGB5 II (2007) § 254 Rz 14. Der österreichische Entwurf eines neuen Schadenersatzrechts sieht jedoch eine Generalnorm vor; siehe dazu Apathy, Schadenersatzreform – Gefährdungshaftung und Unternehmerhaftung, JBl 2007, 205 ff. Das wird immerhin auch von einem Teil der Lehre vertreten, siehe Deutsch, Haftungsrecht² Rz 581; Weidner, Mitverursachung 43 ff; vgl auch die Diskussion des Problems bei Looschelders, Mitverantwortung des Geschädigten 395 ff. AcP 152, 81 ff. Deutsch, Haftungsrecht² Rz 581; siehe auch Esser/Schmidt, Schuldrecht I, Allgemeiner Teil 28 (2000) § 35 I 4.
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Hälfte anzusetzen ist. Wäre es nämlich ohne den das Risiko erhöhenden Fehler in der Sphäre des Geschädigten nicht zum Unfall gekommen, war also das Versagen der Bremsen eine conditio sine qua non für den Schadenseintritt, so wäre es nicht sachgerecht, wenn der Geschädigte dieses erheblich erhöhte Risiko seiner Sphäre völlig auf den Schädiger überwälzen könnte. Den Schädiger trifft zwar ein Verschulden, doch hätte dieses eben dann nicht zum Schaden geführt, wenn – wie in unserem Beispiel – in der Sphäre des Geschädigten kein Fehler vorhanden gewesen wäre und der Geschädigte sich sorgfältig verhalten hätte. Um die Zurechnung eines Fehlers in der eigenen Sphäre geht es beim Problem, dass jemandem – vor allem einem Unterhaltsberechtigten – wegen der Tötung einer Person, insbesondere des Unterhaltspflichtigen, Ersatzansprüche gegen den Täter zustehen, jedoch auch dem Getöteten eine Mitverantwortung anzulasten ist. Es wird angenommen, dass sich der Ersatzberechtigte auch das Mitverschulden des Getöteten entgegenhalten lassen muss30, weil dieser seiner Risikosphäre zuzuzählen ist31.
8. Die Zurechnung des Gehilfenverhaltens im außervertraglichen Bereich Die eben entwickelten Gedanken können auch für die Lösung des häufiger diskutierten Problems der Zurechnung der Gehilfen bei Schädigung des Geschäftsherrn durch einen Dritten außerhalb von Schuldverhältnissen hilfreich sein. Die Gleichstellungsthese führt auf Grund der doch recht engen Haftung für den Besorgungsgehilfen in Deutschland und Österreich zu einer nur sehr geringen Zurechnung des Gehilfenverhaltens im Rahmen der Mitverantwortung. § 831 BGB sieht eine Haftung des Geschäftsherrn für widerrechtliche Schädigungen seines Gehilfen überhaupt nur dann vor, wenn ihn ein Verschulden bei der Auswahl, Ausstattung, Leitung oder Überwachung trifft, wobei allerdings eine Beweislastumkehr vorgesehen wird. § 1315 ABGB sieht neben der Haftung des Geschäftsherrn für eigenes Verschulden, für die keine Beweislastumkehr angeordnet wird, nur noch eine Zurechnung bei Untüchtigkeit oder – dem Geschäftsherrn bekannter – Gefährlichkeit des Gehilfen vor, womit die Risikoerhöhung durch Einschaltung des Gehilfen berücksichtigt wird. Allerdings wird für Eisenbahnen und Kraftfahrzeuge eine weite Haftung für den Betriebsgehilfen vorgesehen (§ 19 Abs. 2 EKHG). Derzeit ist die Antwort auf die Frage der Zurechnung des Besorgungsgehilfenverhaltens bei Schädigung des Geschäftsherrn durch einen Dritten außerhalb eines Schuldverhältnisses sowohl in Österreich als auch in Deutschland heftig umstritten. Die österreichische Lehre ist gespalten; die Vertreter der Auffassung, dass 30
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Zu den rechtsvergleichenden Anhaltspunkten siehe B.A. Koch/H. Koziol, Vergleichende Analyse, in: B.A. Koch/H. Koziol (Hrsg.), Compensation for Personal Injury in a Comparative Perspective (2003) 380. Siehe auch die Argumentation bei den Schock- und Trauerschäden: Karner, ZVR 2001, 288 f; OGH in ZVR 2004/105 mit Anmerkung von Danzl.
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dem Geschädigten wegen seiner grundsätzlichen Risikotragung für seine Sphäre auch außerhalb von Schuldverhältnissen jedes Gehilfenverschulden zuzurechnen ist32, halten sich mit den Gegnern dieser Auffassung, die auf die Gleichbehandlung von Schädiger und Geschädigtem pochen33, ziemlich die Waage. Der österreichische Oberste Gerichtshof neigt der weiten Zurechnung zu34, die sich für den Bewahrungsgehilfen auch auf einige Gefährdungshaftungsbestimmungen (§ 7 Abs. 2 EKHG, § 1a RHG; § 20 LuftVG) berufen kann. Auch in Deutschland ist die Lehre gespalten35, die Rechtsprechung folgt hier hingegen der Gleichbehandlungstheorie36. Für den Bewahrungsgehilfen sehen allerdings einige Gefährdungshaftungsnormen auch in Deutschland eine umfassende Zurechnung desjenigen vor, der die Gewalt über die Sache ausübt (§ 9 StVG; § 4 HPflG; § 34 Luft VG; § 27 AtomHG), doch wird dies nicht auf Körperverletzungen und nicht auf die Verschuldenshaftung erstreckt37. Ausgangspunkt der Überlegungen muss auch bei der Frage der Gehilfenzurechnung sein, dass die Hilfsperson vom Geschäftsherrn in seine Sphäre eingegliedert wird38 und es sich daher bei einer Schädigung durch den Gehilfen um ein Ereignis handelt, das in seinen Risikobereich fällt. Der Geschäftsherr kann derartige Schäden zwar unter bestimmten Voraussetzungen auf den Gehilfen überwälzen, aber eben nur in verhältnismäßig engen Grenzen und gerade nicht in den letztlich entscheidenden Situationen: Zunächst trägt der Geschäftsherr endgültig das volle Risiko für schuldlose Schädigungen durch den Gehilfen, den er in seine Sphäre eingebunden und dadurch auch erst die Schädigung seiner Güter durch ihn ermöglicht hat. Aber auch bei schuldhaftem Verhalten des Gehilfen trifft den Geschäftsherrn wegen der weitgehenden Haftungsbefreiung von Dienstnehmern39 vielfach endgültig das Risiko einer Schädigung. Vor allem aber hat der Geschäfts32
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Siehe Dullinger, Mitverschulden von Gehilfen, JBl 1990, 20 und 91; Iro, Besitzerwerb durch Gehilfen (1982) 221 f; Koziol, Die Zurechnung des Gehilfenverhaltens im Rahmen des § 1304 ABGB, JBl 1997, 201; Reischauer in Rummel, Kommentar zum ABGB³ (2002) § 1304 Rz 7 und 7d. F. Bydlinski, Tomandl-FS 54 ff; Karollus, Gleichbehandlung von Schädiger und Geschädigtem bei der Zurechnung von Gehilfenverhalten, ÖJZ 1994, 257; Kleteþka, Mitverschulden durch Gehilfenverhalten (1991); M. Wilburg, Haftung für Gehilfen, ZBl 1930, 734 f. OGH in SZ 64/140. Siehe Deutsch, Haftungsrecht² Rz 577; Looschelders, Mitverantwortlichkeit des Geschädigten 505 ff; MünchKomm/Oetker, BGB5 § 254 Rz 128 und 137 f mwN. BGHZ 1, 248; BGHZ 103, 338. MünchKomm/Oetker, BGB5 II (2007) § 254 Rz 138. Selbständige Unternehmer, die nicht in die Sphäre des Geschäftsherrn eingegliedert werden, sind nicht als Besorgungsgehilfen anzusehen (Karner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB² § 1304 Rz 2; MünchKomm/Wagner, BGB4 V (2004) § 831 Rz 10), so dass es hier nur um weisungsabhängige Hilfspersonen geht. In Österreich wird dies durch das Dienstnehmerhaftpflichtgesetz bestimmt, in Deutschland von der ständigen Rechtsprechung und von der herrschenden Lehre vertreten, siehe Deutsch, Haftungsrecht² Rz 433.
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herr selbst bei haftbar machenden Schädigungen durch den Gehilfen endgültig den Schaden zu tragen, wenn dieser zahlungsunfähig ist. Es stellt sich wiederum die Frage, warum dem Geschäftsherrn in all diesen Fällen das Risiko zur Gänze bloß deshalb abgenommen werden sollte, weil neben dem Gehilfen noch ein verantwortlicher Dritter eine conditio sine qua non für den Schaden gesetzt hat. Nur dann nämlich, wenn den Gehilfen weder der subjektive Vorwurf eines Verschuldens, noch der eines objektiv sorgfaltswidrigen Verhaltens trifft, könnte bei einer Abwägung der Zurechnungsgründe davon ausgegangen werden, dass diese auf Seiten des rechtswidrig und schuldhaft handelnden Dritten so stark überwiegen, dass der Schädiger den Schaden in voller Höhe zu tragen hat: In der Sphäre des geschädigten Geschäftsherrn ist kein risikoerhöhender Mangel feststellbar, der ihn belasten könnte, wenn der Gehilfe sorgfältig agiert hat. Bei objektiv sorgfaltswidrigem Verhalten des Gehilfen ist hingegen stets ein das Risiko erheblich erhöhender Mangel in der Sphäre des Geschäftsherrn gegeben, der für seine anteilsmäßige Schadenstragung spricht. Das muss umso mehr gelten, wenn den Gehilfen noch zusätzlich ein subjektiver Vorwurf, also Verschulden, trifft und vor allem auch dann, wenn der Gehilfe nach den Regeln der Dienstnehmerhaftung vom Ersatz befreit ist. Es ist bemerkenswert, weil gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßend, dass Vertreter der Gleichbehandlungsthese in diesen besonders kritischen Fällen der Haftungsfreiheit des Gehilfen dem Geschäftsherrn das Gehilfenverhalten im Ergebnis umfassend, also über die für den Schädiger geltenden Haftungsregeln des § 1315 ABGB und des § 831 BGB hinaus, zurechnen40. In jenen Fällen, in denen der Gehilfe dem Geschäftsherrn in vollem Umfang für den schuldhaft verursachten Schaden haftet, ist die Lösung der Zurechnungsfrage häufig ohne größere praktische Bedeutung: Wird der Gehilfe dem Geschäftsherrn nicht zugerechnet, dann haftet der Gehilfe mit dem Dritten solidarisch, da jeder von ihnen in zurechenbarer Weise eine conditio sine qua non für den Schaden gesetzt hat. Leistet der Dritte vollen Ersatz, dann kann er Rückgriff gegen den Gehilfen nehmen und trägt somit nur einen Teil des Schadens. Damit wird dasselbe Ergebnis erzielt wie bei voller Zurechnung des Gehilfenverhaltens zum geschädigten Geschäftsherrn, dem dann nur ein Anspruch auf Teilersatz zusteht. Praktisch bedeutsam wird die Zurechnungsfrage jedoch bei Zahlungsunfähigkeit des Gehilfen: Während bei weitgehender Zurechnung des Gehilfen der Geschäftsherr das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Gehilfen zu tragen hat, wird dieses von den Vertretern der Gleichbehandlungsthese endgültig dem Dritten aufgebürdet, der seinen Rückgriffsanspruch nicht durchsetzen kann. Diese völlige Überwälzung des Risikos der Zahlungsunfähigkeit des Gehilfen vom Geschäftsherrn, dessen Sphäre der Gehilfe zuzuzählen ist, auf den Dritten, erscheint nicht wertungsgerecht. Das möge wieder ein Beispiel veranschaulichen: Hat der Geschäftsherr G dem A seinen LKW anvertraut, so trägt G das volle Risiko der Zahlungsunfähigkeit des A, wenn A das Fahrzeug sorglos gegen einen Baum lenkt und dieses beschädigt wird. Warum sollte G von diesem Risiko dann 40
MünchKomm/Oetker, BGB5 II (2007) § 254 Rz 6; Kleteþka, Solidarhaftung und Haftungsprivileg, ÖJZ 1993, 787 ff; siehe dazu näher Koziol, JBl 1997, 203 und 209.
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völlig freigehalten werden, wenn A den LKW nicht gegen einen Baum, sondern gegen ein von D vorschriftswidrig und verkehrsbehindernd abgestelltes Auto lenkt? Warum sollte hier G von D vollen Ersatz erhalten und D das gesamte Risiko der Zahlungsunfähigkeit des von G ausgewählten A tragen, gegen den ihm dann nur ein nicht durchsetzbarer Rückgriffsanspruch zustünde? Es ist schließlich zu bedenken, dass der Geschäftsherr das Risiko der Schädigung durch seinen Gehilfen insofern beherrscht, als er diesen auswählt und auch dessen Zahlungsfähigkeit überprüfen kann. Zieht der Geschäftsherr einen sorglosen und zahlungsunfähigen Gehilfen bei, so wurde dieses Risiko durch seine freie Disposition geschaffen und er hat daher sachgerechter Weise dieses erhöhte Risiko seiner Sphäre mitzutragen, wenn auch ein Dritter eine Schadensursache setzt. Das bedeutet: Der Geschäftsherr muss sich dann, wenn sein Schaden durch ein fehlerhaftes Verhalten seines Gehilfen, dem er seine Sache anvertraut hat, und durch ein haftbar machendes Verhalten eines Dritten herbeigeführt wurde, das Fehlverhalten seines Gehilfen zurechnen lassen und hat daher eine Schadensteilung in Kauf zu nehmen. Er trägt das Risiko, dass er den nicht ausgeglichenen Schadensteil vom Gehilfen ersetzt bekommt.
Schadensersatz bei Streiks nach englischem Recht – Neue Risiken durch OBG Ltd. v. Allan?
Rüdiger Krause
I. Streikfreiheit und „Immunitäten“ als Eckpunkte des englischen Arbeitskampfrechts Die Tarifautonomie und damit das kollektive Aushandeln von Arbeitsbedingungen als zentrales Element einer freiheitlichen Arbeitsverfassung bedingen den Streik als Instrument der Arbeitnehmerseite zur Überwindung von Verhandlungsblockaden.1 Ohne die grundsätzliche Möglichkeit von Streiks wären Tarifverhandlungen nur „kollektives Betteln"2. Dies ist in Deutschland nicht anders als in Großbritannien. In diesem Sinne hat Lord Wright in der Crofter-Entscheidung schon vor Jahrzehnten davon gesprochen, „the right of workmen to strike is an essential element in the principle of collective bargaining“.3 Die rechtliche Ausgestaltung der grundsätzlichen Befugnis der Arbeitnehmer, durch kollektive Vorenthaltung ihrer Arbeitsleistung einen Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben, kann freilich sehr unterschiedlich sein. In Deutschland gilt schon seit über fünfzig Jahren der Primat des kollektiven Arbeitsrechts. Nach der durch den Großen Senat des BAG begründeten „Einheitstheorie“ darf ein kollektivrechtlich zulässiges Geschehen nicht individualrechtlich als Vertragsbruch qualifiziert werden.4 Die individuelle Vertragsbindung stellt keine Schranke der kollektiven Interessenwahrnehmung dar. Vielmehr führt die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik im Allgemeinen nur zu einer bloßen Suspendierung der Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis.5 Rechtskonstruktiv ist dieser 1 2
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Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, 1997, S. 939 m. w. N. So plastisch BAG, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (unter A I 2 a) in Anlehnung an Blanpain. Der Ausdruck hat auch in den USA Anklang gefunden; vgl. Estreicher, 93 Mich. L. Rev. (1994), 577, 599. Crofter Hand Woven Harris Tweed Co. Ltd. v. Veitch [1942] AC 435, 463 (HL). Siehe ferner Kahn-Freund, Labour and the Law, 3rd Ed., 1983, p. 291 f. BAG (GS), AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. BAG (GS), AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ausdrücklich bestätigt durch BAG (GS), AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
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Befund am überzeugendsten durch ein subjektives privates Recht der einzelnen Arbeitnehmer zu erklären, die Arbeitspflicht – und damit auch die Entgeltzahlungspflicht – bei Vorliegen aller Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen rechtmäßigen Streik einseitig zu suspendieren.6 Spätestens seit der Entscheidung des BVerfG von 1991 steht zudem endgültig fest, dass das Streikrecht Teil der grundrechtlich durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit ist.7 Die deutsche Rechtslage zeichnet sich demnach schon seit langem durch einen Übergang von einer bloßen Streikfreiheit zu einem Streikrecht aus. Folgerichtig scheiden bei einem rechtmäßigen Streik sowohl vertragliche als auch deliktische Schadensersatzansprüche gegen die Arbeitnehmerseite von vornherein aus. Ganz anders die Situation in Großbritannien. Hier hat sich die spätliberale Grundkonzeption gehalten, die kollektive Ausübung von Freiheitsrechten zwar nicht mehr strafrechtlich zu brandmarken, wie es die vom frühliberalen Revolutionsgeist geprägte Loi Le Chapelier von 1791 in ihrem Kampf gegen „intermediäre Mächte“ getan hatte,8 die individuelle arbeitsvertragliche Bindung aber gleichwohl noch als eine grundsätzlich geltende Grenze des Kollektivhandelns anzusehen.9 Dementsprechend besteht Streikfreiheit. Zur Herausbildung eines echten Streikrechts ist es trotz eines dahin gehenden zarten Ansatzes in der Judikatur10 sowie mehrfacher Forderungen des Schrifttums nach einer Fortbildung des common law bzw. entsprechenden legislativen Maßnahmen11 bis zum heutigen Tage indes nicht gekommen.12 Vielmehr wertet das common law den Streik ohne vorherige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach wie vor als Vertragsbruch,13 mag der Court 6
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Umfassend Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 46 ff., 182 ff., 227 ff.; hierzu auch Konzen, AcP 177 (1977), 473, 503 ff. Ob auch die Streikbefugnis des Außenseiters auf einem subjektiven Recht beruht oder nur ein Reflex des Streikrechts der Gewerkschaft ist, dessen es zur Sicherung einer funktionsfähigen Tarifautonomie bedarf, ist zwar umstritten; vgl. Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, 1996, S. 23 ff. Dass auch der Außenseiter mit der Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik keinen Arbeitsvertragsbruch begeht, ist indes unstreitig. BVerfGE 84, 212 ff. Vgl. Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, 23e Éd., 2006, No. 8; dazu ausführlich Simitis, KJ 1989, 157 ff.; ferner Kittner, Arbeitskampf: Geschichte – Recht – Gegenwart, 2005, S. 158 ff. Zu den geistigen Hintergründen der verschiedenen Konzeptionen siehe Tomandl, ZfA 1974, 187, 194 ff. Morgan v. Fry [1968] 2 QB 710, 728 (Lord Denning). Vgl. Elias/Ewing, 41 CLJ [1982], 321, 356 ff.; Ewing, 15 ILJ [1986], 143, 158 ff.; ders., The Right to Strike, 1991, p. 141 ff.; Foster, 34 Mod. L. Rev. [1971], 275, 285; Lord Wedderburn, The Worker and the Law, 3rd Ed., 1986, p. 192. Vgl. Bowers, Duggan & Reade, The Law of Industrial Action and Trade Union Recognition, 2004, p. 9 ff.; Deakin & Morris, Labour Law, 4th Ed., 2005, p. 968; Smith & Thomas, Industrial Law, 8th Ed., 2005, p. 749 f.; siehe auch Kahn-Freund, 51. DJT (1976), S. R 6 f.; ders., Labour and the Law, 3rd Ed., 1983, p. 354 ff. Barretts & Baird (Wholesale) Ltd. v. IPCS [1987] IRLR 3, 8; Miles v. Wakefield MDC [1987] 1 AC 539, 559 (HL); London Underground Ltd. v. NUR [1996] ICR 170, 187 (CA); in diesem Sinne auch Simmons v. Hoover Ltd. [1977] ICR 61, 76 (EAT).
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of Appeal die Streikbefugnis auch gleichzeitig als ein fundamentales Menschenrecht bezeichnen14. Der erforderliche Schutz vor zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen und Abwehrrechten der Arbeitgeberseite, die zu einer Aushöhlung der Streikfreiheit führen würden, wird seit rund einhundert Jahren nicht durch ein Streikrecht des einzelnen Arbeitnehmers oder der Gewerkschaft, sondern durch „Immunitäten“ gewährleistet: Bestimmte Handlungen sind nicht „actionable in tort“, wie es sec. 219 des derzeit geltenden Trade Unions and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 (TULR[C]A 1992) in Fortführung der mit dem Trade Disputes Act 1906 begonnenen Tradition ausdrückt, also unter dem Gesichtspunkt eines Delikts nicht klagbar.15 Auch wenn sich diese Immunitäten zu keinem Zeitpunkt auf die Vertragshaftung erstreckt haben,16 entstehen allein dadurch keine wesentlichen Schutzlücken: Soweit es um die einzelnen Arbeitnehmer geht, können diese zwar grundsätzlich wegen „breach of contract“ auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, sofern sie ohne vorherige Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse in den Ausstand treten.17 Soweit ersichtlich, spielt dieser Haftungsgrund in der Praxis aber keine Rolle.18 Dies dürfte zunächst darauf beruhen, dass nach common law nur derjenige Schaden geltend gemacht werden kann, der auf dem konkreten Vertragsbruch des einzelnen Arbeitnehmers beruht, wobei der Anspruch zudem der Höhe nach auf die Kosten einer Ersatzkraft begrenzt ist.19 Im Gegensatz zum deutschen Arbeitskampfrecht20 wird eine gesamtschuldnerische Haftung auf den gesamten Schaden des Arbeitgebers für bloße Vertragsverletzungen also abgelehnt. Da sich ein Nachweis des kausal verursachten Einzelschadens zumindest bei größeren Streikaktionen kaum jemals exakt führen lässt, ergibt sich aus „breach of contract“ somit kein bedrohliches Haftungsszenario. Davon abgesehen wird jeder Arbeitgeber, dem an einem weiteren gedeihlichen Zusammenwirken mit der Belegschaft gelegen ist, von sich aus von einer Inanspruchnahme einzelner Arbeitnehmer absehen, zumal auf diesem Wege regelmäßig ohnehin kein nennenswerter Beitrag zur Schadensregulierung zu erwarten ist. Von sehr viel größerem Interesse ist deshalb im Allgemeinen ein gerichtliches Vorgehen gegen die Gewerkschaft, weil insoweit nicht nur Haftungsmasse zur Verfügung steht, sondern zugleich – und vielleicht zuweilen noch wichtiger – ein Warnschuss abgegeben werden kann, der die Arbeitnehmerseite bei der nächsten Auseinandersetzung zur Mäßigung zwingt. Für die Gewerkschaften ist die Ausklammerung der Vertragshaftung aus den Im14 15
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London Underground Ltd. v. NUR [1996] ICR 170, 181 (CA). Zu den historischen Wurzeln dieser „curious British method“ prägnant Lord Wedderburn, 9 ILJ [1980], 65, 71 ff. Lord Wedderburn, The Worker and the Law, 3rd Ed., 1986, p. 587. Deakin/Morris, Labour Law, 4th Ed., 2005, p. 1055. Grote-Seifert, Das englische Arbeitskampfrecht unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung seit 1979, 1994, S. 93. National Coal Board v. Galley [1958] 1 WLR 16, 29. RAG, ARS 14, 293, 300; 15, 41, 46; 18, 241, 247 f.; BAG, AP TVG § 1 Friedenspflicht Nr. 3; Löwisch, Der Deliktsschutz relativer Rechte, 1970, S. 221; Weitnauer, DB 1970, 1687, 1689; a. A. aber Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, 1997, S. 1211; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 2006, § 15 Rn. 41.
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munitäten indes von vornherein bedeutungslos, weil Tarifverträge nach englischem Recht grundsätzlich keinen bindenden Charakter haben.21 Anders als im deutschen Arbeitskampfrecht22 bieten sie daher keinen Anknüpfungspunkt für eine vertragliche Haftung wegen Verletzung der Friedenspflicht. Es bleibt die deliktische Verantwortlichkeit, mag sie im Gewande von Schadensersatzbegehren oder des negatorischen Rechtsschutzes23 auftreten. Dabei macht sich die unterschiedliche Herangehensweise der beiden Rechtsordnungen schon bei der Frage bemerkbar, welche Akteure die Rahmendaten für die Austragung industrieller Konflikte setzen. In Deutschland ist und bleibt das Arbeitskampfrecht angesichts der legislativen Abstinenz Richterrecht reinsten Wassers. Es sind allein die Gerichte, die aus obersten Prinzipien wie dem Paritäts- und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Fülle subtiler Rechtssätze ableiten, durch die der Arbeitskampf in halbwegs geordnete Bahnen gelenkt werden soll. Demgegenüber weigern sich die englischen Gerichte beharrlich, Regeln über die Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen zu entwickeln,24 sondern beschränken sich traditionell darauf, aus dem common law bestimmte allgemeine Haftungstatbestände herauszupräparieren, die vom Gesetzgeber für den Bereich des Arbeitskampfes dann in einer recht kasuistischen Weise korrigiert werden, um einen hinreichenden Freiraum für die Austragung industrieller Konflikte zu schaffen. Dieser verschiedenartige Stil hat weitreichende Konsequenzen. Während in Deutschland das Haftungsrecht nur die Kulisse bildet und seit Jahrzehnten praktisch ausschließlich die Arbeitsgerichtsbarkeit unmittelbar über die Grenzen des Streikrechts befindet, führt im englischen Recht jede richterrechtliche Veränderung des tort law umgehend zu dem Problem, ob die gesetzlichen Immunitäten den neuen haftungsrechtlichen Gegebenheiten noch gerecht werden. Vor diesem Hintergrund sei die kürzlich ergangene Entscheidung in der Sache OBG Ltd. v. Allan, die das House of Lords25 zu grundsätzlichen Klarstellungen im tort law genutzt hat,26 zum Anlass genommen, die historische Entwicklung dieser Thematik nachzuzeichnen sowie 21
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Vgl. sec. 179 TULR(C)A; Ford Motor Co. Ltd. v. Amalgated Union of Engineering and Foundry Workers [1969] 2 QB 303, 330 ff. (CA); Deakin & Morris, Labour Law, 4th Ed., 2005, p. 854 ff.; ferner Deinert, ZfA 1999, 361, 382; ausführlich Mecke, Zur rechtlichen Verbindlichkeit kollektiver Vereinbarungen in England, 1997, S. 110 ff. Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, 1997, S. 1216; Kissel, Arbeitskampfrecht, 2002, § 26 Rn. 140; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 2006, § 15 Rn. 4. Vgl. Lord Wedderburn, The Worker and the Law, 3rd Ed., 1986, p. 681 ff. Soweit der negatorische Rechtsschutz im Wege einstweiliger Verfügungen durchgesetzt wird, gelten gemäß sec. 221 TULR(C)A besondere Regeln. Allerdings werden einstweilige Verfügungen teilweise ohne Rücksicht auf die Aussichten einer erfolgreichen Berufung der Gewerkschaft auf die Immunität allein deshalb erlassen, weil ein hoher Schaden droht; vgl. Mercury Communications Ltd. v. Scott-Garner [1984] ICR 74, 125. Symptomatisch Miles v. Wakefield MDC [1987] 1 AC 539, 558 f. (HL): “History has proved that any form of determination is speculative and liable to be unsound”. Ab Herbst 2009 als Folge des Constitutional Reform Act 2005: Supreme Court for the United Kingdom. [2007] 2 WLR 920.
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der Frage nachzugehen, ob das aktuelle Urteil zu neuen Schutzlücken für die Arbeitnehmerseite und damit für ihre Streikfähigkeit führt, wie im englischen Schrifttum sogleich befürchtet worden ist.27 Mit diesen Überlegungen, die an der Schnittstelle von englischem Haftungsrecht und Arbeitskampfrecht angesiedelt sind, sei zumindest teilweise an die Forschungsfelder des Jubilars angeknüpft, der wie kein zweiter schon seit Jahrzehnten das deutsche Haftungsrecht prägt und dabei auch das englische Recht in meisterlicher Weise in seine Betrachtungen einbezogen hat.28
1. Entwicklung der deliktischen Haftung für Streiks nach englischem Recht Um die Risiken und Nebenwirkungen von OBG Ltd. v. Allan zu erfassen, ist es hilfreich, sich zunächst das wechselvolle Verhältnis zwischen dem richterrechtlichen tort law und den gesetzlichen Immunitäten des statute law der letzten rund einhundert Jahre vor Augen zu führen. Als Anknüpfungspunkte für eine deliktische Haftung wegen der Durchführung bzw. Androhung eines Streiks kommen im Wesentlichen nur die sog. economic torts in Betracht, die sich auf den Schutz primärer Vermögensschäden vorzugsweise im Wirtschaftsleben beziehen. Entsprechend dem enumerativen Charakter des tort law29 handelt es sich um verschiedene Tatbestände, die freilich keine in jeder Hinsicht scharfen Konturen aufweisen. Während etwa Clerk & Lindsell30 vier Tatbestände unterscheiden (procuring a breach of contract, intimidation, unlawful interference und conspiracy), lassen es Markesinis & Deakin31 bei drei Tatbeständen (wrongful interference with the plaintiff’s pre-existing rights, interference with the plaintiff’s trade or business by unlawful means und conspiracy) bewenden und ordnen „intimidation” (Nötigung) als einen Unterfall der „interference by unlawful means” ein. Nicht umsonst steht im Zentrum von OBG Ltd. v. Allan gerade die Abgrenzung der einzelnen torts.
2. Die Anfänge des Wechselspiels von Gerichten und Parlament Gleichsam als Vorspiel der späteren Entwicklung kam es bereits im 19. Jahrhundert auf dem Gebiet des Strafrechts zu einem ersten Schlagabtausch, als der englische Gesetzgeber die Kriminalisierung friedlich verlaufender Arbeitskämpfe mit dem Conspiracy and Protection of Property Act 1875 als Reaktion auf eine anderslautende Judikatur32 beseitigte und damit in einem bemerkenswerten Gegensatz 27 28 29 30 31 32
Simpson, 36 ILJ [2007], 468 ff. Siehe nur Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl., 1996, passim. Statt aller v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. I, 1996, Rn. 254. Torts, 19th Ed., 2006, Ch. 25. Tort Law, 6th Ed., 2008, p. 571 ff. R. v. Rowlands [1851] 5 Cox CC 436; R. v. Bunn [1872] 12 Cox 316.
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zur deutschen Rechtsentwicklung33 insoweit schon frühzeitig vollständige Streikfreiheit herstellte. Der Konflikt zwischen richterlich entfaltetem common law und parlamentarischer Sozialpolitik34 verlagerte sich daraufhin in den Bereich des Zivilrechts. Wiederum anders als in Deutschland, wo die Zivilsenate des RG im Hinblick auf eine Haftung für Schädigungen im Rahmen gewerblicher Kämpfe eine eher liberale Haltung einnahmen,35 indem sie dem freien Spiel der Kräfte36 bei der Austragung sozialer Konflikte nur äußerste Grenzen setzten und lediglich bei Boykottmaßnahmen die Zügel im Laufe der Zeit etwas strenger anzogen,37 schmiedeten die englischen Gerichte an der Schwelle zum 20. Jahrhundert zwei scharfe haftungsrechtliche Waffen, die an mit gewerkschaftlichen Streikaktionen zumindest häufig verbundene Phänomene anknüpften und deshalb das Potential hatten, sich bei industriellen Konflikten als eine ernste Bedrohung für die Arbeitnehmerseite zu erweisen. Dabei war der Ausgangspunkt des common law im Hinblick auf die Zulässigkeit des Einsatzes wirtschaftlichen Drucks mit dem klaren Ziel, die wirtschaftlichen Interessen Dritter zu schädigen, keineswegs ungünstig, so dass sich daraus durchaus eine haftungsrechtliche Unbedenklichkeit von Streiks hätte entwickeln können. So lehnte es das House of Lords in der Mogul-Entscheidung von 1892 ab, dem Opfer eines Unterbietungskartells, das ihn aus dem Rennen geworfen hatte, Schadensersatz zuzubilligen, weil die Teilnehmer am Kartell legitime Eigeninteressen verfolgt hätten, der schlichte Schädigungswille noch keinen tort generiere und es nicht Aufgabe des Gerichts sei, eine Grenze zwischen fairem und unfairem Wettbewerb zu ziehen.38 In einem vergleichbaren Sinne entschied das House of Lords 1898 in Allan v. Flood,39 dass es für einen tort nicht genüge, wenn der Schädiger (konkret handelte es sich um einen einzelnen Gewerkschaftsfunktionär) 33
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Die ursprüngliche Kriminalisierung von Streiks in Deutschland wurde 1869 durch die §§ 152, 153 GewO (ursprünglich Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, ab 1871 Reichsgewerbeordnung) zunächst nur halbherzig zurückgedrängt. Darüber hinaus leisteten die Strafsenate des RG bis in das 20. Jahrhundert hinein anhaltenden Widerstand gegen eine Liberalisierung von Streik und Boykott; vgl. RGSt 21, 114, 117 ff.; 27, 292, 293 ff.; 36, 236, 237 ff.; 47, 1, 2 ff.; einschränkend für bestimmte Fälle erst RGSt 40, 226, 227 ff.; 41, 365, 367 ff.; dazu Kittner, Arbeitskampf: Geschichte – Recht – Gegenwart, 2005, S. 304 ff.; eingehende Darstellung bei Schröder, Die Entwicklung des Kartellrechts und des kollektiven Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, 1988, S. 293 ff. Drastisch Kahn-Freund, Labour and the Law, 3rd Ed., 1983, p. 295, 300: „Vendetta between the Courts and the Legislature“. Vgl. (teilweise zu Kampfmaßnahmen von Arbeitgebern) RGZ 51, 369, 372 ff.; 54, 255, 258 ff.; 64, 52, 55 ff.; RG, JW 1913, 146, 147; umfassende Analyse bei Schröder, Die Entwicklung des Kartellrechts und des kollektiven Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, 1988, S. 250 ff. So ausdrücklich RGZ 51, 369, 384. Vgl. RGZ 66, 379, 383 ff.; RG, JW 1912, 810 f.; JW 1913, 91, 92 f.; JW 1913, 146, 147 f. Mogul Steamship Company Ltd. v. McGregor, Gow & Co. [1892] AC 25 (HL). [1898] AC 1 (HL).
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durch die Drohung mit einer kollektiven Arbeitsniederlegung die Schädigung und Maßregelung anderer Arbeitnehmer durch Entlassung erzwinge, weil es sich jeweils um Tagelöhner handelte und damit weder der Streik noch die Entlassung einen Vertragsbruch darstellte. Auch wenn damit eigentlich die Ingredienzen für eine zivilrechtliche Streikfreiheit bereitlagen, änderte sich nur kurze Zeit später das Bild. In Quinn v. Leatham40 entwickelte das House of Lords 1901 nämlich im Anschluss an Temperton v. Russell41 aus dem hergebrachten Straftatbestand der „conspiracy“ (Verschwörung) den zivilrechtlichen tort der „(simple) conspiracy to injure“, wodurch die Freistellung von strafrechtlicher Verantwortung als Folge des Act von 1875 weitgehend konterkariert wurde. Zugrunde lag die von mehreren Gewerkschaftsfunktionären ausgesprochene Streikdrohung, die den Kunden eines Fleischproduzenten dazu brachte, die geschäftlichen Beziehungen mit diesem abzubrechen, um den Produzenten (und Kläger) als eigentlichen Kampfgegner zu zwingen, Gewerkschaftsmitglieder an Stelle der bisherigen Mitarbeiter einzustellen. Den Einwand der beklagten Funktionäre, dass es der Gewerkschaft in erster Linie um die Förderung der Interessen ihrer Mitglieder gehe, ließ das House of Lords, anders als in der strukturell vergleichbaren Mogul-Entscheidung, nicht gelten. Der Unterschied zu Allan v. Flood wurde darin gesehen, dass anders als in jenem Fall nicht ein einzelner Gewerkschaftsvertreter, sondern eine Gruppe von Funktionären gehandelt habe. Zwar kann Quinn v. Leatham aus heutiger Sicht im Ergebnis zumindest insoweit überzeugen, als das Ziel der gewerkschaftlichen Streikdrohung, nämlich die Durchsetzung eines closed shop, gegen die negative Koalitionsfreiheit (Art. 11 EMRK) verstößt42 und deshalb nicht akzeptabel ist. Die Entscheidung ging über dieses berechtigte Anliegen indes deutlich hinaus, indem sie das einem Streik immanente kollektive Geschehen gleichsam unter Generalverdacht stellte und als Zwang, Nötigung, Belästigung und Behinderung zu Lasten von Arbeitgebern und arbeitswilligen Arbeitnehmern bezeichnete, dem die Gerichte durch den neuen Haftungstatbestand der „conspiracy to injure“ entgegentreten müssten.43 Spätere Entscheidungen bestätigten diese Sichtweise.44 Ein weiterer Entwicklungsstrang betrifft die deliktische Haftung wegen der Störung vertraglicher Beziehungen. Den Ausgangspunkt dieser für das common law eigentümlichen Rechtstradition, die vertragliche Rechte als eine spezifische Form von Eigentum begreift, bildet Lumley v. Gye.45 In dieser nichtarbeitsrechtlichen Entscheidung hatte der beklagte Inhaber einer Oper eine Opernsängerin46 40 41 42
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[1901] AC 495 (HL). [1893] 1 QB 715 (CA). Vgl. EGMR, EuGRZ 1981, 559 ff. (Young, James und Webster/Vereinigtes Königreich); dazu Scholz, AöR 106 (1981), 79 ff. und AöR 107 (1982), 126 ff.; ferner Mair, ZIAS 2006, 158, 180 ff. Die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen der Nichtmitgliedschaft in einer Gewerkschaft wird zudem heutzutage als „unfair dismissal“ qualifiziert; vgl. sec. 152 (1) (c) TULR(C)A 1992. Lord Lindley, in: Quinn v. Leatham [1901] AC 495, 538 (HL). Giblan v. National Amalgamated Labourers’ Union [1903] 2 KB 600 (CA). [1853] 2 E&B 216 (QB). Es handelte sich um Johanna Wagner (die Nichte von Richard Wagner).
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dazu angestiftet, ihren exklusiven Auftrittsvertrag mit dem klagenden Betreiber einer anderen Oper zu brechen, um für ein höheres Entgelt ausschließlich bei ihm zu singen. Der Court of Queens Bench nahm diesen Fall zum Anlass, unabhängig von einem Anspruch des Klägers gegen die Opernsängerin aus „breach of contract“ einen Anspruch des geschädigten Klägers gegen den beklagten Anstifter auf Schadensersatz aus tort in Form eines „inducing (procuring) breach of contract“ zu etablieren. Damit stand zugleich eine mögliche Grundlage für Schadensersatzansprüche von Arbeitgebern gegen Gewerkschaften bzw. Gewerkschaftsvertreter zur Verfügung, konnte doch jeder Streikaufruf, den die Arbeitnehmer ohne vorherige Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse befolgten, als Anstiftung zum Vertragsbruch qualifiziert werden. In der South Wales Miners’Entscheidung zog das House of Lords in der Tat die Konsequenz aus diesem Ansatz und sah im erfolgreichen Aufruf zur Arbeitsniederlegung einen entsprechenden tort.47 Hierbei sollte es keine Rolle spielen, dass es der Gewerkschaft in erster Linie um die Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder und nicht um die Verletzung der Interessen des Arbeitgebers gehe.48 Eine Grenze dieser Haftung wurde nur durch die bereits erwähnte Entscheidung Allan v. Flood49 gezogen, nach der es keine Verleitung zum Vertragsbruch darstellt, wenn auf Dritte lediglich dahin eingewirkt wird, von vornherein nicht in vertragliche Beziehungen mit dem Geschädigten zu treten. Da es sich bei den als Folge einer Streikandrohung entlassenen und dadurch geschädigten Arbeitnehmern um Tagelöhner handelte, die kein Recht, sondern nur eine Erwartung auf fortgesetzte Beschäftigung hatten, konnte die seinerzeitige Klage gegen den verantwortlichen Gewerkschaftsvertreter somit auch unter diesem Aspekt keinen Erfolg haben. Im Übrigen verschlechterte das House of Lords mit der berühmt-berüchtigten Taff Vale-Entscheidung50 massiv die Position der Arbeitnehmerseite, indem es aus den Regeln des Trade Union Act 1871, der den Gewerkschaften als ursprünglich nichtrechtsfähigen Vereinigungen das Privileg eröffnet hatte, sich registrieren zu lassen und Eigentum zu erwerben, die für sie nachteilige Folge ableitete, selbst verklagt werden zu können und für Handlungen ihrer Funktionäre verantwortlich zu sein. Mit den beiden Haftungstatbeständen „conspiracy to injure“ und „inducing breach of contract“ sowie der Taff Vale-Judikatur standen die britischen Gewerkschaften und ihre Mitglieder zu Beginn des 20. Jahrhunderts somit, wie es Ewing drastisch ausdrückt, „naked and unprotected at the altar of the common law“.51 Schon kurze Zeit später ging das für das englische Arbeitskampfrecht charakteristische Wechselspiel zwischen Judikatur und Legislative in die nächste Runde. Nachdem bei den Parlamentswahlen des Jahres 1906 die Konservativen abgelöst 47 48
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South Wales Miners’ Federation v. Glamorgan Coal Co. Ltd. [1905] AC 239 (HL). Die Gewerkschaft hatte sich auf den – allerdings ungewöhnlichen – Einwand berufen, der Streik diene auch dem Arbeitgeber, weil er dazu beitrage, durch eine Produktverknappung die Preise hochzuhalten. [1898] AC 1 (HL). Taff Vale Railway Company v. Amalgamated Society of Railway Servants [1901] AC 426 (HL). Collins, Ewing & McColgan, Labour Law, 2nd Ed., 2005, p. 870.
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wurden und die Liberalen einen erdrutschartigen Sieg eingefahren hatten, wurde auf Drängen der Gewerkschaften sowie der erstmals im Parlament vertretenen, erst einige Jahre zuvor gegründeten Labour-Partei der Trade Disputes Act 1906 erlassen, der zugunsten der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder verschiedene „Immunitäten“ enthielt und die Arbeitskampffreiheit somit weitgehend wieder herstellte. In rechtstechnischer Hinsicht handelte es sich streng genommen um Verfahrenshindernisse, indem bestimmte Handlungen als „not actionable“ bezeichnet wurden bzw. davon die Rede war, eine „action … shall not be entertained by any court“. Im Einzelnen wurden „conspiracy to injure“ (sec. 1) und „inducing breach of employment contract“ (sec. 3) „immunisiert“, wenn es sich um Maßnahmen „in contemplation or furtherance of a trade dispute“ handelte. Damit war die „golden formula“52 des Haftungsausschlusses für industrielle Konflikte geboren, die als solche ohne jede sprachliche Veränderung bis heute überlebt hat.53 Zusammen mit der praktisch vollständigen Enthaftung der Gewerkschaften als solcher, kraft derer die gegenteilige Sichtweise des House of Lords in der Taff Vale-Entscheidung ausgehebelt wurde (sec. 4), wurden auf diese Weise die Grundlagen für den „Voluntarismus“ („collective laissez-faire“)54 geschaffen, der über Jahrzehnte die englischen Sozialbeziehungen prägte und sich deutlich von der zunehmenden Verrechtlichung der kontinentaleuropäischen Arbeitsrechtsordnungen55 unterschied. Der Trade Disputes Act 1906 enthielt vorsorglich sogar eine Immunität für einen tort, der nach common law gar nicht existiert, indem sich sec. 3 auch auf die Haftung für schlichte „interference with the trade, business, or employment“ erstreckte. Die zukünftige Entwicklung der verschiedenen economic torts durch die Gerichte erschien dem Gesetzgeber trotz Allan v. Flood zu unsicher, als dass er von vornherein mögliche Schutzlücken in Kauf nehmen wollte.56 Tatsächlich hat die Judikatur erst später in aller Deutlichkeit klargestellt, dass der bloße (boshafte) Schädigungswille keinen tort generiert, sofern keine „unlawful means“ eingesetzt werden,57 so dass die gewährte Immunität insoweit stets ins Leere griff. Immerhin darf die in der älteren Rechtsprechung vereinzelt auftretende gegenteilige Ansicht den Ruf einer „leading heresy“ für sich in Anspruch nehmen.58
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So die vielzitierte Wendung von Lord Wedderburn, The Worker and the Law, 3rd Ed., 1986, p. 520. Vgl. sec. 219 TULR[C]A 1992. Nach der heute gültigen gesetzlichen Definition gemäß sec. 244 TULR[C]A 1992 ist unter einem „trade dispute“ jede Auseinandersetzung zu verstehen, die sich auf einen in dieser Vorschrift aufgelisteten Gegenstand bezieht, wobei dieser Katalog grds. weit interpretiert wird; vgl. Deakin & Morris, Labour Law, 4th Ed., 2005, p. 997 ff.; van Scherpenberg, Kollektive Bestimmung der Arbeitsbedingungen in Deutschland und England, 1995, S. 118 ff. Deakin & Morris, Labour Law, 4th Ed., 2005, p. 970. Simitis, in: Kübler (Hrsg.), Verrechtlichtung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität, 1984, S. 73 ff. Kahn-Freund, Labour and the Law, 3rd Ed., 1983, p. 337 f. Sorell v. Smith [1925] AC 700 (HL). So Lord Dunedin, in: Sorell v. Smith [1925] AC 700, 719 (HL).
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Darüber hinaus ist die durch den Trade Dispute Act 1906 eingeführte Immunität für „(simple) conspiracy to injure“ aufgrund einer Weiterentwicklung des common law für die wichtigsten Fälle gewerkschaftlicher Kampfmaßnahmen gegen-standslos geworden. Nachdem das House of Lords schon in den 1920er Jahren durch Reynolds v. Shipping Federation Ltd.59 und Sorell v. Smith60 eine gewisse Einschränkung der strengen Grundsätze von Quinn v. Leatham vorgenommen hatte, kam es 1942 durch die Crofter-Entscheidung zu einer umfassenden Kehrtwende.61 In diesem Fall ging es um den Aufruf von Gewerkschaftsfunktionären an Hafenarbeiter, bestimmte Stofflieferungen nicht mehr zu löschen, um Tweedspinnereien zu einer closed-shop-Vereinbarung zu zwingen, die diese unter Verweis auf günstiger arbeitende Konkurrenten verweigert hatten. Das House of Lords entschied erstmals, dass eine Haftung für „(simple) conspiracy to injure“ eine Schädigungsabsicht voraussetze, an der es fehle, wenn es dem Schädiger ausschließlich oder doch zumindest in erster Linie um die Förderung eigener legitimer Interessen gehe, zu denen eben auch gewerkschaftliche Ziele gehörten. Dabei sei nur auf das subjektive Ziel der „Verschwörer“ abzustellen, wohingegen den Gerichten eine objektive Beurteilung des Zieles oder der zu dessen Erreichung eingesetzten Mittel untersagt bleibe. Wenn und soweit die ergriffenen Maßnahmen als solche nicht ungesetzlich sind, also keine Haftung für „conspiracy to use unlawful means“ in Betracht kommt, besteht somit schon nach common law keine Haftung, so dass die Streikfreiheit insoweit nicht erst durch spezielle Immunität hergestellt wird. Das House of Lords vollzog damit die deutlich positivere Bewertung gewerkschaftlicher Aktivitäten nach, zu der Oliver Wendell Holmes bereits fünfzig Jahre zuvor in seiner berühmten dissenting opinion in Vegelahn v. Guntner gelangt war.62 Diese weitgehende Privilegierung bestimmter Ziele betrifft, wie später ausdrücklich klargestellt wurde, allerdings nur die „(simple) conspiracy to injure“, nicht dagegen andere torts.63
3. Die weitere Ausdehnung von Haftung und Immunitäten bis in die 1970er Jahre Nachdem durch die Immunitäten des Trade Dispute Act 1906 über Jahrzehnte hinweg Klarheit darüber hergestellt war, dass im Grundsatz friedliche Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern bzw. Gewerkschaften in Arbeitsstreitigkeiten keine Haftung auslösen, änderte sich nach dem zweiten Weltkrieg das Bild. Der wohl spektakulärste Fall ist die Entscheidung Rookes v. Barnard,64 in der das House of Lords in den sechziger Jahren wie ein Blitz aus heiterem Himmel
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[1924] 1 Ch. 28. [1925] AC 700 (HL). Crofter Hand Woven Harris Tweed Co. Ltd. v. Veitch [1942] AC 435 (HL). 44 N.E. 1077, 1079 ff. (1896). TimePlan Education Group Ltd. v. NUT [1997] IRLR 457, 461. [1964] AC 1129 (HL).
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einen neuen tort schuf,65 für den es zugleich die Immunität ablehnte, so dass für die Arbeitnehmerseite ein ernstzunehmendes neues Haftungsrisiko erwuchs. In jenem Fall ging es um die erfolgreiche Drohung durch einige Gewerkschaftsfunktionäre gegenüber einem Arbeitgeber mit einem Streik, die darauf abzielte, einen nicht organisierten Arbeitnehmer zu entlassen. Da die Entlassung als solche nach dem damaligen rechtlichen Rahmen zulässig war, nahm der Arbeitnehmer die Funktionäre in Anspruch. Das House of Lords nahm diesen Fall zum Anlass, den altehrwürdigen tort des „interference with trade, business or employment by unlawful means“ weiterzuentwickeln und nicht nur die Ausübung von oder die Drohung mit Gewalt, sondern auch die Drohung mit einem Vertragsbruch als „unlawful“ und damit als einen tort anzusehen, der erstmals als „intimidation“ (Nötigung) bezeichnet wurde.66 Eine Immunität wurde nicht gewährt, weil der Trade Dispute Act 1906 zwar die Verleitung zum Arbeitsvertragsbruch, nicht aber die Drohung mit einem Arbeitsvertragsbruch decke, die den Bedrohten zu einer für einen Dritten nachteiligen Maßnahme veranlasse.67 Dies mag aus deutscher Sicht reichlich rabulistisch erscheinen, hatte das RG doch schon sechzig Jahre zuvor die Annahme als „unmöglich“ bezeichnet, dass das Gesetz die Arbeitseinstellung gestatte, die Drohung mit der Arbeitseinstellung aber verbiete.68 Die Vorgehensweise des House of Lords, die statutarische Immunität streng am Wortlaut orientiert auszulegen, ist indes für den früheren Umgang der englischen Gerichte mit gesetzlichen Regelungen nicht untypisch69 und beleuchtet im Übrigen anschaulich, zu welchen Verrenkungen ein System führt, das kein grundsätzliches Streikrecht kennt, sondern aus enumerativen Haftungstatbeständen und enumerativen Immunitäten besteht. Wiederum reagierte der britische Gesetzgeber umgehend, indem er im Trade Dispute Act 1965 die Immunität auf die Drohung mit einem Arbeitsvertragsbruch bzw. mit der Verleitung zu einem Arbeitsvertragsbruch erstreckte. Über Rookes v. Barnard hinaus hat sich das tort law in den letzten rund fünfzig Jahren in verschiedene Richtungen weiterentwickelt, die immer wieder aufs Neue die Frage nach der Reichweite der Immunitäten aufgeworfen haben. Systematisch lassen sich im Wesentlichen zwei Strömungen unterscheiden, die zum einen an die verletzte Rechtsposition des Geschädigten, zum anderen an den Einsatz ungesetzlicher Mittel anknüpfen, sich aber teilweise in einer nur schwer zu entwirrenden Weise überlappen, wenn die Verletzung des konkreten Rechts eines Dritten als gesetzeswidriges Element qualifiziert wird, das zu einem tort im Verhältnis zum Geschädigten führt. Zwar haben alle diese Entwicklungen den Kern der Haftungs65 66
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Zust. Weir, CLJ [1964], 225 ff. Zur umstrittenen Einordnung als eigener tort oder als Unterfall von „unlawful interference“ siehe oben Fn. 30 u. 31. In Morgan v. Fry [1968] 2 QB 710, 729 (CA) versuchte Lord Denning, diese Unstimmigkeit nachträglich dadurch zu überbrücken, dass seiner Ansicht nach die Gewerkschaftsfunktionäre in Rookes v. Barnard wegen „conspiracy to injure by unlawful means“ gehaftet hätten. RGZ 64, 52, 60. Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent, 2001, Bd. II, S. 780 ff.; zum allmählichen Übergang zu einem zweckorientierten Ansatz a. a. O., S. 963 ff.
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freistellung, nämlich die Befugnis der Arbeitnehmer zur kollektiven Arbeitsniederlegung mit dem Ziel, den eigenen Arbeitgeber zu günstigeren Arbeitsbedingungen zu zwingen, nicht oder zumindest nur in Ausnahmefällen direkt eingeschränkt. Da die englischen Gewerkschaften traditionell in einem größeren Maße als ihr deutsches Pendant auch indirekte Formen des wirtschaftlichen Drucks wie insbesondere Unterstützungsstreiks in ihr Kampfrepertoire aufgenommen hatten, wurden sie durch die immer stärkere Ausweitung der deliktischen Haftung, denen nicht in jedem Fall umgehend eine entsprechende legislative Ausdehnung der Immunitäten folgte, aber doch vergleichsweise hart getroffen. Die in diesem Zusammenhang wohl wichtigste Fallgruppe betrifft den indirekten Vertragsbruch, der sukzessive zu einem tort ausgebaut wurde, der erheblich weiter reicht als das deutsche Pendant der Haftung von Dritten aus § 826 BGB für Eingriffe in Verträge70. Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist D.C. Thomson & Co. Ltd. v. Deakin.71 In diesem Fall hatte eine Gewerkschaft einen Boykott gegen einen Arbeitgeber organisiert, der einen non-union-shop, also ein gewerkschaftsfreies Unternehmen, durchsetzen wollte. Ein Zulieferer sah mit Rücksicht auf Widerstände in der eigenen Belegschaft von vornherein davon ab, seinen Vertrag mit jenem Arbeitgeber zu erfüllen. Die Besonderheit dieses Falles bestand darin, dass der Zulieferer als Vertragspartner anders als in Lumley v. Gye nicht direkt zu einem vorsätzlichen Vertragsbruch verleitet, sondern nur indirekt tatsächlich außerstande gesetzt wurde, seinen Vertrag mit dem Arbeitgeber als dem Kampfgegner der Gewerkschaft zu erfüllen (indirect procurement to breach a contract).72 Nach Ansicht des Court of Appeal kann dies für einen tort genügen, wobei man sich allerdings bis heute darüber einig ist, dass ein mittelbares Bewirken eines Vertragsbruchs nur dann eine Haftung auslösen kann, wenn dies auf den Einsatz 70
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Dazu BGHZ 12, 308, 317 ff.; BGH, NJW 1981, 2184 ff.; NJW 1994, 128 f.; Staudinger/Oechsler, BGB, Neubearb., 2003, § 826 Rn. 224 ff.; einschränkend Köhler, FS Canaris, 2007, Bd. I, S. 591, 595 ff. [1952] 1 Ch. 646. Dies unterscheidet D.C. Thomson & Co. Ltd. v. Deakin auch von der rund sechzig Jahre zuvor ergangenen Entscheidung Temperton v. Russell [1893] 1 QB 715 (CA). In jenem Fall hatten Gewerkschaftsvertreter durch Streikdrohungen die Zulieferer eines Baustoffproduzenten unmittelbar dazu gebracht, ihre Lieferverträge zu brechen, um den Produzenten zur Einstellung der geschäftlichen Beziehungen mit einem bestimmten Kunden zu bewegen, den die Gewerkschaftsvertreter auf diese Weise zur Einhaltung kollektiver (nicht klagbarer) Vereinbarungen zwingen wollten. Der Baustoffproduzent klagte gegen die Gewerkschaftsvertreter wegen „(direct) inducement to breach a contract“ erfolgreich auf Schadensersatz. Aus der Sicht des Kunden als eigentlicher Kampfgegner hätte es sich lediglich um einen seinerzeit nicht klagbaren indirekten Vertragsbruch gehandelt. Im Übrigen wird teilweise noch die Fallgruppe der unmittelbaren Verursachung eines Vertragsbruchs (direct procurement of a breach of contract) abgeschichtet, die zwischen der Anstiftung zum Vertragsbruch (inducement to breach a contract) und dem bloß mittelbaren Bewirken eines Vertragsbruch (indirect procurement of a breach of contract) stehen soll; vgl. Grote-Seifert, Das englische Arbeitskampfrecht unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung seit 1979, 1994, S. 34 f.
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von „unlawful means“ zurückgeführt werden kann.73 Da es in D.C. Thomson & Co. Ltd. v. Deakin mangels eines Arbeitsvertragsbruchs der Arbeitnehmer und damit auch einer Anstiftung seitens der Gewerkschaft hierzu nicht gekommen war, schied die Inanspruchnahme aus tort (konkret eine Unterlassungsverfügung) aus. In der kurze Zeit nach Rookes v. Barnard ergangenen Entscheidung Stratford v. Lindley wurde indes klargestellt, dass die Veranlassung eines Arbeitsvertragsbruchs, die tatbestandlich als „direct inducement“ für sich genommen einen tort darstellt und damit zumindest grundsätzlich „unlawful“ ist, genügen kann, um zu einem tort wegen „indirect procurement of a breach of contract“ zu gelangen.74 In diesem Fall hatten Gewerkschaftsfunktionäre die Arbeitnehmer der Mieter von Lastkähnen dazu bewegt, die Arbeit an bestimmten Kähnen unter Bruch ihrer Arbeitsverträge zu verweigern, um den Vermieter dieser Kähne zu einem bestimmten Verhalten (Anerkennung einer Gewerkschaft) zu zwingen. Dieses Verhalten wurde als tort der Gewerkschaftsfunktionäre im Verhältnis zum Vermieter qualifiziert. Zeitgleich wurden die subjektiven Voraussetzungen herabgesetzt, die für diesen tort erforderlich sind. Während in D.C. Thomson & Co. Ltd. v. Deakin noch eindringlich eine Kenntnis des Schädigers vom beeinträchtigten Vertrag verlangt wurde, sanken die subjektiven Anforderungen in Stratford v. Lindley und späteren Entscheidungen75 ab, wodurch sich die Stellung der Arbeitnehmerseite weiter verschlechterte. Diese Ausdehnung der deliktischen Haftung wäre bei einem Eingreifen der Immunitäten zwar letztlich folgenlos geblieben. Genau dies war aber nicht der Fall. Vielmehr wurden die Immunitäten der Acts von 1906 und 1965 von den Gerichten als eigentlich irreguläre Ausnahmen vom common law eng gehandhabt. So wurde etwa in Stratford v. Lindley die Haftungsfreistellung verweigert, weil kein trade dispute vorliege, sondern der Arbeitskampf (Anerkennung einer Gewerkschaft) nur Rivalitäten zwischen verschiedenen Gewerkschaften betreffe.76 Vor allem aber betrafen jene Immunitäten ihrem Wortlaut nach nur den Bruch von „contracts of employment“, nicht jedoch von „commercial contracts“,77 so dass über jedem Streik nunmehr das Damoklesschwert des mittelbaren Bruchs eines Vertrages des Arbeitgebers mit einem Zulieferer bzw. Kunden hing. Folgerichtig begannen die Arbeitgeber in jener Zeit, der Arbeitnehmerseite vorsorglich sämtliche Verträge zuzuleiten, die durch Arbeitskampfmaßnahmen in Mitleidenschaft
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Siehe nur Clerk & Lindsell, Torts, 19th Ed., 2006, Ch. 25-53; Markesinis & Deakin, Tort Law, 6th Ed., 2008, p. 581. Stratford v. Lindley [1965] AC 269 (HL); ebenso Emerald Construction Co. v. Lowthian [1966] 1 WLR 691 (CA); Merkur Island Shipping Corp. v. Laughton [1983] 2 AC 570 (HL); Dimbleby & Sons Ltd. v. NUJ [1984] 1 WLR 427 (HL). Emerald Construction Co. v. Lowthian [1966] 1 WLR 691, 700, 704 (CA); Merkur Island Shipping Corp. v. Laughton [1983] 2 AC 570, 608 f. (HL). [1965] AC 269, 326 (HL): Der Arbeitgeber hatte eine konkurrierende Gewerkschaft anerkannt, der kämpfenden Gewerkschaft die Anerkennung (recognition) aber verweigert. Stratford v. Lindley [1965] AC 269, 334 (HL); Emerald Construction Co. v. Lowthian [1966] 1 WLR 691 (CA).
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gezogen würden, um ihnen auf jeden Fall die für eine Haftung erforderlichen subjektiven Voraussetzungen zu vermitteln.78 Eine weitere mit Torquay Hotel Co. Ltd. v. Cousins79 beginnende Rechtsprechungslinie betrifft die im Einzelnen allerdings sehr umstrittene Absenkung der Intensität des Eingriffs in den anderen Vertrag als Voraussetzung für eine Haftung. In diesem Fall hatte sich im Rahmen einer Auseinandersetzung zwischen einer Gewerkschaft und einem Hotelinhaber ein anderer Hotelinhaber verbal in den Kampf eingeschaltet und die Arbeitnehmerseite attackiert. Daraufhin forderten die Gewerkschaftsvertreter die Firma Esso erfolgreich auf, die Lieferung von Heizöl an den Intervenienten einzustellen. Die Mehrheit der Richter sah darin ungeachtet eines im Liefervertrag vereinbarten Haftungsausschlusses für Streik einen Vertragsbruch, zu dem die Gewerkschaftsvertreter angestiftet hätten. Während man der Arbeitnehmerseite in Stratford v. Lindley den Einwand aus der Hand geschlagen hatte, über die genauen Bedingungen des von ihr indirekt verletzten Vertrages nicht im Bilde zu sein, wurde es ihr in Torquay Hotel Co. Ltd. v. Cousins somit im Ergebnis genau umgekehrt untersagt, sich auf ihre genaue Kenntnis der Konditionen des verletzten Vertrages zu berufen.80 Lord Denning wählte sogar von vornherein einen anderen Ansatz, indem er annahm, dass für eine Haftung bereits eine bloße Einflussnahme (interference) auf einen Vertrag ausreiche, die seine Ausführung verhindere, es also nicht zu einem Vertragsbruch kommen muss.81 Spätere Entscheidungen haben diesen Ansatz aufgegriffen und bestätigt.82 Im Übrigen wurde eine Immunität zugunsten der Gewerkschaftsvertreter wiederum verneint, weil zwar ein „trade dispute“ vorgelegen habe, das Unterbinden der Heizölzufuhr aber nicht auf die Unterstützung dieses Konfliktes gerichtet gewesen sei. Neben der im Laufe der Zeit immer weiter ausgedehnten Haftung für eine Einflussnahme auf bereits existierende Rechtspositionen des Geschädigten wurde auch der tort wegen „unlawful interference with trade, business or employment“83 ausgebaut, der sich auf sonstige Beeinträchtigungen geschäftlicher Aktivitäten außerhalb der Verletzung oder Störung von Verträgen und vergleichbaren speziellen Rechten (etwa statutory duties) bezieht. Am spektakulärsten geschah dies durch die bereits erwähnte Entscheidung Rookes v. Barnard.84 Dieser Ansatz, nach dem Schädigungsintention und der Einsatz ungesetzlicher Mittel notwendige wie hinreichende Bedingungen sind, findet sich aber auch in anderen Urteilen. 85 Dabei wird verschiedentlich auch der „breach of contract“ als „unlawful means“ einge78 79 80
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Lord Wedderburn, The Worker and the Law, 3rd Ed., 1986, p. 588. [1969] 2 Ch. 106 (CA). Scharfe Kritik deshalb bei Lord Wedderburn, The Worker and the Law, 3rd Ed., 1986, p. 593. [1969] 2 Ch. 106, 138. Ebenso Merkur Island Shipping Corp. v. Laughton [1983] 2 AC 570 (HL); Dimbleby & Sons Ltd. v. NUJ [1984] 1 WLR 427 (HL). Elias/Ewing, CLJ [1982], 321, 334 bezeichnen ihn als „New Innominate Tort“. [1964] AC 1129 (HL). Hadmor Productions Ltd. v. Hamilton [1982] IRLR 102, 109 ff. (HL); Merkur Island Shipping Corp. v. Laughton [1983] 2 AC 570, 609 f. (HL).
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stuft, so dass man – wie bereits erwähnt – über den Weg eines Arbeitsvertragsbruchs durch Streik bzw. einer Anstiftung hierzu grundsätzlich zu einem tort aufgrund „unlawful interference with trade, business or employment gelangen“ kann.86 Eine Grenze stellt lediglich der mittlerweile mehrfach bestätigte Grundsatz dar, dass ein durch eine Immunität geschützter Arbeitsvertragsbruch nicht seinerseits als „unlawful means“ klassifiziert werden kann.87 In den 1970er Jahren unternahm der Gesetzgeber den vorläufig letzten Versuch einer Ausdehnung der gesetzlichen Immunitäten mit dem Ziel, die Schutzlücken zu schließen. Nach dem Scheitern des kurzlebigen Industrial Law Act 1971, der sich an der gänzlich anders gearteten Philosophie des US-amerikanischen National Labor Relations Act orientiert hatte,88 kam es mit dem Trade Union and Labour Relations Act 1974 und dem Amendment von 1976 zu dem am weitesten gehenden Versuch des Gesetzgebers, das tort law gänzlich aus industriellen Konflikten zu verbannen. So wollte der Act von 1974 den Gerichten mit seinem zweimaligen „for the avoidance of doubt“ geradezu einhämmern, dass eine „interference with trade, business or employment“ in Verfolgung der durch die „golden formula“ geschützten Zielen nicht klagbar ist und geschützte Handlungen nicht durch Richterecht herangezogen werden dürfen, um daraus wiederum einen neuen tort zu entwickeln. Noch einen Schritt ging der Act von 1976, der die Immunitäten in zwei Richtungen ausdehnte: Zum einen wurde der „breach of a contract of employment“ durch den schlichten „breach of a contract“ ersetzt, um streikbedingte Einwirkungen auf kommerzielle Verträge aus der Schusslinie des tort law zu ziehen. Zum anderen wurde über die Verleitung zum Vertragsbruch hinaus auch die bloße „interference“ haftungsfrei gestellt, was sich freilich als ein zweischneidiges Schwert erwies, weil die Gerichte aus dieser und vergleichbarer späterer Regelungen die gesetzliche Anerkennung des „tort of interference with contractual rights“ ableiteten.89 Gegen Ende der 1970er Jahre veränderte sich zwischenzeitlich der Charakter der Auseinandersetzung zwischen den Gerichten und dem Gesetzgeber. Ging es zuvor um die richterrechtliche Herausbildung neuer Haftungen nach common law, mit denen die jeweils vorhandenen gesetzlichen Immunitäten ausgehebelt werden konnten, unternahm der Court of Appeal nunmehr erste Ansätze, die Immunitäten selbst einschränkend zu interpretieren. So wurde zum einen aus „unvernünftigen“ Forderungen geschlossen, dass es der Gewerkschaft mit ihrem Arbeitskampf in Wirklichkeit nicht um einen „trade dispute“, sondern um andere nicht geschützte Ziele gehe.90 Zum anderen wurden Unterstützungsarbeitskämpfe einem objektiven Test auf Nützlichkeit unterzogen bzw. auf Nähe (remoteness) überprüft, bei deren Fehlen sie nicht mehr als eine geschützte Hilfestellung für den eigentlichen „trade 86 87
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Barretts & Baird (Wholesale) Ltd v. IPCS [1987] IRLR 3, 6 ff. Hadmor Productions Ltd. v. Hamilton [1982] IRLR 102, 109 ff. (HL); Barretts & Baird (Wholesale) Ltd. v. IPCS [1987] IRLR 3, 6. Vgl. eingehend aus deutscher Sicht Colneric, Der Industrial Relations Act 1971, 1979. Merkur Island Shipping Corp. v. Laughton [1983] 2 AC 570, 608 (Lord Diplock). Star Sea Transport Corporation of Monrovia v. Slater [1978] IRLR 507; PBDS (National Carriers) Ltd. v. Filkins [1979] IRLR 356; hierzu Ewing, 8 ILJ [1979], 133, 143 ff.
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dispute“ qualifiziert wurden.91 Auch wenn beide Ansätze, die – wenngleich in einem gänzlich anderen normativen Umfeld – in der jüngsten deutschen arbeitskampfrechtlichen Diskussion ebenfalls eine Rolle gespielt haben,92 vom House of Lords auf der Grundlage des seinerzeit geltenden Gesetzesrechts letztlich verworfen wurden,93 sparten die Richter nicht mit rechtspolitischer Kritik an den aus ihrer Sicht zu weit reichenden Immunitäten94 und deuteten damit die Entwicklung der nächsten Jahre an.
4. Der gesetzgeberische Kurswechsel seit den 1980er Jahren Nachdem die Konservativen 1979 wieder an die Macht gekommen waren, wurden die Immunitäten in den folgenden Jahren in mehreren Schritten deutlich zurückgestutzt und vor allem eigenständige und komplexe Regelungen für Urabstimmungen und Unterstützungsarbeitskämpfe geschaffen, die von der Arbeitnehmerseite eingehalten werden müssen, wenn sie in den Genuss der Haftungsfreistellung kommen will.95 Diese Änderungen wurden im Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 zusammengefasst und seither zwar noch mehrfach modifiziert, trotz des neuerlichen Regierungswechsels zu „New Labour“ im Jahr 1997 aber nicht mehr grundlegend verändert. Die derzeit geltenden Bestimmungen schützen im Ausgangspunkt neben der Haftung aus „(simple) conspiracy to injure“ (sec. 219 [2] TULR[C]A) auch vor einer Inanspruchnahme aus Anstiftung zum Vertragsbruch (sec. 219 [1] [a] TULR[C]A), aus der Störung eines Vertrages (sec. 219 [1] [a] TULR[C]A) sowie aus Nötigung, also aus „intimidation“ (sec. 219 [1] [b] TULR[C]A). Nicht erfasst ist die Haftung aus „unlawful interference with trade, business or employment“.96 Dasselbe gilt für die Haftung wegen der Anstiftung zur Verletzung bzw. wegen der Störung gesetzlicher bzw. nach equity begründeter Pflichten, was bei Arbeitskampfmaßnahmen durchaus eine Rolle spielen kann, weil insbesondere im öffentlichen Dienst nicht wenige Arbeitspflichten gesetzlich untermauert sind.97 Darüber hinaus können wegen „economic duress“ unter Umständen – eher dem Bereicherungsrecht zuzuordnende – Rückgewähran91
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Beaverbrook Newspapers Ltd. v. Keys [1978] ICR 582, 586; Express Newspaper Ltd. v. McShane [1979] ICR 210, 218 f.; United Biscuits (U.K.) Ltd. v. Fall [1979] IRLR 110; Associates Newspapers Group Ltd. v. Wade [1979] ICR 664, 694 f.; Duport Steels Ltd. v. Sirs [1980] ICR 161, 171 ff.; hierzu Ewing, 8 ILJ [1979], 133, 138 ff. Vgl. BAG, AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2: Keine Kontrolle der offiziellen gewerkschaftlichen Streikforderung auf „wahre“ Ziele; BAG, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 173: Kontrolle von Unterstützungsstreiks (nur) auf offensichtliche Ungeeignetheit und offenkundig fehlende Erforderlichkeit sowie auf Unangemessenheit. NWL Ltd. v. Woods [1979] ICR 867, 878, 886 f.; Express Newspaper Ltd. v. McShane [1980] ICR 42. Duport Steels Ltd. v. Sirs [1980] ICR 161, 177 (Lord Diplock). Geraffter Überblick bei Docksey, RIW 1991, 722, 724 f.; eingehend Simpson, 54 Mod. L. Rev. [1991], 418, 426 ff. Clerk & Lindsell, Torts, 19th Ed., 2006, Ch. 25-147. Näher Elias/Ewing, CLJ [1982], 321, 330 ff.
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sprüche bestehen, wenn die Gewerkschaften mit rechtswidrigem Druck bestimmte Zahlungen erzwingen.98 Allerdings ging es in den unter diesem Blickwinkel entschiedenen Fällen jeweils um besondere Gestaltungen und nicht um einen Streik zur Erzwingung schlichter Entgelterhöhungen für die Arbeitnehmer. Schließlich ist die grundsätzliche Möglichkeit der eigenen Haftung von Gewerkschaften wieder eingeführt und damit die Grundsatzentscheidung des Trade Dispute Act 1906 revidiert worden, wobei dieser Kurswechsel aber durch (moderate) Haftungshöchstgrenzen abgemildert wird (sec. 22 TULR[C]A).99 Immerhin sind, was praktisch von noch größerer Bedeutung sein dürfte, damit einstweilige Verfügungen direkt gegen Gewerkschaften möglich.100
II. Modifikationen des Tort Law durch OBG Ltd. v. Allan Zwar haben sich die Streitigkeiten über das Ausmaß der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit der Arbeitnehmerseite für Streiks seit den 1980er Jahren weitgehend auf die Auslegung der komplizierten Vorschriften über Urabstimmungen (sec. 226 ff. TULR[C]A) und Unterstützungsarbeitskämpfe (sec. 224 TULR[C]A) konzentriert. Für eine umfassende Einschätzung der Haftungsrisiken muss der Blick aber auch stets darauf gerichtet bleiben, in welche Richtung sich das tort law entwickelt, weil die Immunitäten mit dieser Entwicklung nicht immer Schritt halten und es ohnehin eine Tendenz gibt, sie als regelwidrige Abweichung vom common law restriktiv zu interpretieren. Vor diesem Hintergrund verdient die Entscheidung des House of Lords in OBG Ltd. v. Allan zur Systematik und zu den Voraussetzungen der economic torts auch aus arbeitsrechtlicher Sicht Beachtung, obwohl weder sie noch die beiden anderen verbundenen Fälle101 arbeitskampfrechtliche Gestaltungen betrafen.102
1. Entscheidungsinhalt Das House of Lords (genauer Lord Hoffmann) nutzt die Gelegenheit zu einer grundlegenden Positionsbestimmung hinsichtlich der beiden economic torts „inducing breach of contract“ und „causing loss by unlawful means“ bzw. „interfe98
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Universe Tankships Inc. of Monrovia v. ITF [1982] ICR 262; Dimskal Shipping Co. SA v. ITF [1992] ICR 37; dazu Deakin & Morris, Labour Law, 4th Ed., 2005, p. 985; Markesinis & Deakin, Tort Law, 6th Ed., 2008, p. 595; eingehend Sterling, 11 ILJ [1982], 156 ff.; Lord Wedderburn, 45 Mod. L. Rev. [1982], 556 ff. Die Höchstgrenzen richten sich nach der Gewerkschaftsgröße und reichen von 10.000 £ bei weniger als 5.000 Mitgliedern bis zu 250.000 £ bei mehr als 100.000 Mitgliedern. Die Ausklammerung bestimmter Ansprüche ist für Arbeitskämpfe praktisch bedeutungslos. Siehe dazu bereits oben Fn. 23. Douglas v. Hello! Ltd. und Mainstream Properties Ltd. v. Young. Die Sachverhalte spielen für den vorliegenden Zusammenhang keine Rolle.
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rence with business by unlawful means“ (so Lord Nicholls). Nach Ansicht von Lord Hoffmann handelt es sich um zwei prinzipiell voneinander zu trennende torts, die auf gänzlich unterschiedlichen Traditionslinien beruhen, einen abweichenden Charakter aufweisen und deshalb sehr verschiedenartige Voraussetzungen haben.103 Allerdings sei es im Verlaufe des 20. Jahrhunderts zu einer Konfusion beider torts gekommen, die nunmehr rückgängig zu machen sei. Im Einzelnen führt Lord Hoffmann „inducing breach of contract“ auf die schon erwähnte Entscheidung Lumley v. Gye zurück, während er für „causing loss by unlawful means“ sogar bis in das 17. und 18. Jahrhundert zurückgreift und Garett v. Taylor104 und Tarleton v. M’Gawley105 heranzieht. Der grundlegende Unterschied zwischen beiden torts wird in vier Aspekten gesehen: „inducing breach of contract“ ist eine „akzessorische“ Haftung, verlangt eine gewisse Partizipation am primären Unrecht eines Dritten, setzt einen Vertragsbruch voraus und erfordert einen gerade auf den Bruch dieses Vertrages gerichteten Willen des Schädigers. Demgegenüber stellt „causing loss by unlawful means“ eine primäre Haftung dar, baut auf dem Einsatz von für sich genommen ungesetzlichen Mitteln auf, ist unabhängig vom Vorhandensein vertraglicher Beziehungen und verlangt einen auf eine Schädigung gerichteten Willen des Schädigers. Während Allan v. Flood die Unterscheidung zwischen den beiden Torts noch gewahrt habe, seien durch Quinn v. Leatham, die (nichtarbeitsrechtliche) Entscheidung GWK Ltd. v. Dunlop Rubber Co. Ltd.106 und schließlich D.C. Thomson & Co. Ltd. v. Deakin die Grenzen verwischt und eine Einheitstheorie entstanden, nach der „inducing breach of contract“ nur ein Unterfall von „interference with contractual rights by unlawful means“ sei und damit letztlich zu „causing loss by unlawful means“ gehöre.107 Lord Hoffmann will diese aus seiner Sicht abzulehnende Vermengung verschiedener Elemente rückgängig machen. Nach seiner Auffassung besteht „inducing breach of contract“ aus dem tatsächlichen Bruch eines Vertrages, der Kenntnis des Schädigers von diesem Vertrag und dem Willen zum Vertragsbruch. Dagegen setzt sich „causing loss by unlawful means“ zusammen aus der Einflussnahme auf die Handlungen eines Dritten, dem Gebrauch ungesetzlicher Mittel und dem Schädigungswillen des Schädigers.
2. Folgerungen für die Reichweite des Tort Law in Arbeitskonflikten Diese neue Systematisierung der beiden wichtigsten economic torts durch OBG Ltd. v. Allan, die in der Sache nicht weniger bedeutet, als verschiedene Entwicklungen des tort law der letzten Jahrzehnte rückgängig zu machen, führt zunächst zu zwei wesentlichen Änderungen: Erstens wird die durch D.C. Thomson & Co. 103 104 105 106 107
So bereits die Analyse von Sales/Stilitz, 115 L. Quart. Rev. [1999], 411, 433 ff. [1620] Cro Jac 567. [1790] 1 Peake NPC 270. [1926] 42 TLR 376. In diesem Sinne auch Merkur Island Shipping Corp. v. Laughton [1983] 2 AC 570, 609 f. (Lord Diplock): “one species of the wider genus of tort”.
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Ltd. v. Deakin entwickelte Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Vertragsverletzung aufgegeben. Zweitens wird die Konstruktion einer Vertragsverletzung durch bloße „interference“ und damit die durch Torquay Hotel Co. Ltd. v. Cousins und Merkur Island Shipping Corp. v. Laughton begründete Entwicklung verabschiedet. Ob sich die Neujustierung von „inducing breach of contract“ auch auf statutory duties und equitable bzw. fiduciary obligations auswirkt, lässt die Entscheidung dagegen ausdrücklich offen. In OBG Ltd. v. Allan von vornherein nicht thematisiert werden die torts „(simple) conspiracy to injure” und „conspiracy to injure by unlawful means”. Der erstgenannte tort spielt, wie erwähnt, seit Crofter in industriellen Konflikten praktisch keine Rolle mehr. Dagegen könnte sich eine mögliche Aufwertung von „causing loss by unlawful means“ auch auf “conspiracy to injure by unlawful means” auswirken, weil man die ungesetzlichen Mittel in den verschiedenen torts wohl einheitlich interpretieren muss.108 Weiter führt die Neuorientierung zu einem gewissen Rückbau der Haftung der Arbeitnehmerseite nach tort law für „inducing breach of contract“, weil es nunmehr insoweit in jedem Fall eines klaren Vertragsbruchs und nicht nur einer bloßen interference bedarf. Außerdem dürften in Zukunft nur noch „direkte“ Einflussnahmen auf einen Vertragspartner ausreichen, um die akzessorische Haftung auszulösen, wobei die hierfür eingesetzten Mittel als solche freilich keine Rolle spielen, also insbesondere auch die Drohung mit einem Streik genügen müsste. Die wichtigste Neuerung von OBG Ltd. v. Allan besteht aber in der Gewichtsverlagerung von „inducing breach of contract“ zu „causing loss by unlawful means“ als einem Tort mit einem denkbar weiten Anwendungsbereich. Da ein Streik nach wie vor regelmäßig einen Arbeitsvertragsbruch darstellt und seit Rookes v. Barnard klargestellt ist, dass auch die Drohung mit einem Streik grundsätzlich „unlawful“ ist, ermöglicht dieser Haftungstatbestand zumindest im Ansatz ein Vorgehen jedes mittelbar von einem Streik betroffenen Unternehmens gegen die Arbeitnehmerseite,109 während das deutsche Recht Drittbetroffenen bei rechtmäßigen Arbeitskämpfen sämtliche Störungen entschädigungslos zumutet und bei rechtswidrigen Streiks Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 826 BGB zumindest regelmäßig ablehnt110. Für das englische Recht hängt dagegen letztlich alles davon ab, ob die Immunitäten des Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 die neuerlichen Veränderungen im tort law erfassen oder ungewollte Lücken aufweisen.
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Vgl. Simpson, 36 IJL [2007], 468, 475. So bereits Smith & Thomas, Industrial Law, 8th Ed., 2005, p. 772. Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, 1997, S. 1219; Kissel, Arbeitskampfrecht, 2002, § 73 Rn. 11, 71 f.; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 2006, § 16 Rn. 120 ff.; zu Ausnahmen bei der Amtshaftung BGHZ 69, 128, 138 ff.; BGH, DB 1979, 2131.
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III. Auswirkungen auf den „Golden Formula“-Einwand Ausgangspunkt ist insoweit, dass es an einer expliziten Immunität für „causing loss by unlawful means“ bzw. „interference with business by unlawful means“ fehlt. In den meisten Fällen werden allein hierdurch jedoch keine neuen Schutzlücken entstehen. Soweit sich der Streik gegen einen Dritten mit dem Ziel richtet, dessen Beziehungen mit dem Arbeitgeber zu torpedieren, um den Arbeitgeber zu schädigen, wird die Immunität schon durch die Restriktionen verhindert, die seit den 1980er Jahren für Unterstützungsstreiks gelten (nunmehr sec. 224 TULR[C]A)). Wirkt sich ein direkt gegen den Arbeitgeber gerichteter Streik nur faktisch auf dessen Möglichkeiten aus, seinen Geschäften mit Zulieferern oder Kunden nachzugehen und entstehen diesen Personen hierdurch Schäden, wird es für einen Anspruch der Zulieferer oder Kunden gegen die Arbeitnehmerseite hingegen vielfach an einem Schädigungsvorsatz fehlen. Freilich bestehen insoweit gewisse Unsicherheiten, weil trotz der Klarstellungen in OBG Ltd. v. Allan nicht auszuschließen ist, dass die englischen Gerichte die subjektive Komponente letztlich doch bejahen und auf diese Weise zu Schadensersatzansprüchen Dritter gelangen, die durch rechtswidrige Streiks in ihren Vermögensinteressen beeinträchtigt worden sind. So wurde in einer freilich schon aus den 1980er Jahren stammenden Entscheidung einem Reisenden der Ersatz von Hotelkosten zugebilligt, die ihm als Folge eines Verkehrsstreiks entstanden waren, der allein wegen Verletzung der (gesetzlichen) Vorschriften über die Urabstimmung rechtswidrig war.111 Außerdem ist es zumindest denkbar, dass mit einem Streik gegen einen am Arbeitskonflikt unmittelbar beteiligten Arbeitgeber zugleich ein anderer Arbeitgeber wirtschaftlich getroffen werden soll. Insoweit würde gegenüber einer Inanspruchnahme der Arbeitnehmerseite aus „causing loss by unlawful means“ nur noch die Aussage aus Hadmor Productions Ltd. v. Hamilton helfen, dass eine geschützte Handlung nicht ihrerseits für einen anderen tort als „unlawful“ qualifiziert werden kann. Soweit in einer solchen Gestaltung dagegen andere Pflichten verletzt worden sind (insbesondere statutory duties), würde es indes zu einer Haftung kommen. Insoweit würde sich die Beschränkung des „golden formula“Einwandes auf die Verleitung zum Bruch eines Vertrages bzw. auf die Drohung mit einem Vertragsbruch bemerkbar machen.
IV. Fazit Die haftungsrechtlichen Auswirkungen von OBG Ltd. v. Allan auf die Austragung industrieller Konflikte in England werden sich voraussichtlich in engen Grenzen halten. Das früher öfter beschworene Problem, dass der Gesetzgeber nur auf bereits bekannte, nicht aber auf noch unbekannte deliktische Tatbestände reagieren
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Z. B. Falconer v. ASLEF and NUR [1986] IRLR 331 (Sheffield County Court); dazu auch Lord Wedderburn, The Worker and the Law, 3rd Ed., 1986, p. 644 f.
Schadensersatz bei Streiks nach englischem Recht
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kann,112 hat sich angesichts des mittlerweile erreichten Entwicklungsstandes von Haftungsrecht einerseits und Immunitäten andererseits deutlich verringert. Gleichwohl ist die Unsicherheit, die durch Veränderungen im tort law insoweit regelmäßig ausgelöst wird, aus arbeitsrechtlicher Sicht bedauerlich. Die grundsätzliche Fähigkeit der Arbeitnehmerseite zur Druckausübung durch Streiks, die ein Kernelement des Prozesses der kollektiven Aushandelung von Arbeitsbedingungen ist, wird nämlich nicht nur durch strenge Anforderungen an die Rechtmäßigkeit beeinträchtigt, sondern auch durch eine diffuse Rechtslage, die einen Streik zu einem kaum zu kalkulierenden Haftungsrisiko macht. Solange sich das englische Arbeitskampfrecht nicht zu einem klaren Streikrecht durchringt, sondern es bei dem komplizierten Ineinandergreifen von richterrechtlichem tort law und gesetzlichen Immunitäten bleibt, das selbst für englische Arbeitsrechtler nur mit Mühe zu durchschauen ist,113 werden diese Unsicherheiten indes fortbestehen. Im Übrigen kann aus deutscher Sicht nur wieder einmal konstatiert werden, dass die Uhren im kollektiven Arbeitsrecht in Großbritannien anders schlagen als auf dem Kontinent.
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So etwa Ewing, 15 ILJ [1986], 143 f.; ders., 10 Comp. Lab. L. J. [1988], 1, 24 f. Vgl. Kahn-Freund, Labour and the Law, 3rd Ed., 1983, p. 327 „labyrinth“.
Das Anknüpfungssystem des neuen europäischen internationalen Deliktsrechts
Gunther Kühne
I. Einleitung Wie viele andere Rechtsgebiete, so ergreift die europäische Rechtsvereinheitlichung auch das Internationale Privatrecht (IPR). Dies sogar mit besonderer Berechtigung: Sie beseitigt innerhalb des mitgliedstaatlichen Raumes seine Einzelstaatlichkeit und damit den „Krebsschaden des IPR“1. Der europäische Rechtsvereinheitlichungsprozess hat hier also seine ganz besondere Legitimation. Nach der technisch noch außerhalb des EG-Rechtssetzungsprozesses vollzogenen Vereinheitlichung des internationalen Schuldvertragsrechts durch das Römische „EG-Übereinkommen vom 19.06.1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht“2, das jetzt in weiterentwickelter Form in die sog. Rom IVerordnung umgegossen worden ist3, ist jetzt die Vereinheitlichung des internationalen Deliktsrechts in Gestalt der sog. Rom II-Verordnung gelungen. Sie ist am 11.01.2009 in Kraft getreten4.
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Kegel, IPR, 7. Aufl. 1995, S. 112, seit der 8. Aufl. (Kegel/Schurig, 2001), S. 122, nicht mehr enthalten. BGBl. 1986 II 809. Die Rom I-Verordnung ist am 06.06.2008 vom EG-Justizministerrat verabschiedet worden. Sie wird 18 Monate nach ihrem Inkrafttreten wirksam und Mitte Dezember 2009 in den EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark unmittelbar anzuwenden sein, IPRax 2008, Heft 4, U-Seite II. Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. EG Nr. L 199 v. 31.07.2007, S. 40 ff.; zu der VO vgl. die Einführungsaufsätze von Junker, NJW 2007, 3675 ff.; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 ff.; G. Wagner, IPRax 2008, 1 ff. Das Inkrafttreten der als loi uniforme wirkenden Rom IIVerordnung hat das autonome deutsche Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse nicht gänzlich obsolet gemacht. Zeitgleich mit der Rom II-Verordnung soll das „Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 864/2007“ wirksam werden. Insbesondere im Hinblick auf von der Rom II-VO nicht erfasste Sachbereiche (z.B. das Kollisionsrecht des deliktsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes und der Haftung für Schäden aus Kernenergie) und auf
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In einer Zeit, die im Kollisionsrecht tendenziell durch eine stärkere Rückkopplung mit dem relevanten materiellen Recht geprägt ist5, ist dessen intime Kenntnis auch für den Umgang mit dem IPR unerlässlich. Was das Deliktsrecht angeht, erfüllt wohl kaum jemand diese Voraussetzung so weitgehend wie Erwin Deutsch. Er hat die Verbindung zwischen materiellem und internationalem Deliktsrecht schon in der Frühzeit seines wissenschaftlichen Wirkens für einen Spezialbereich, das Recht des unlauteren Wettbewerbs6, hergestellt und später z.B. im Bereich der Arzthaftung7 und des Unfallrechts8 fortgeführt. Aber nicht nur durch Kenntnisnahme wissenschaftlicher Abhandlungen, sondern auch in der Lehre konnte sich der Verfasser aufgrund der vom Jubilar gemeinsam mit ihm in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Göttingen (mit gelegentlicher Auslagerung nach Clausthal) veranstalteten IPR-Seminaren von den Vorzügen einer Beherrschung sowohl des materiellen als auch des Kollisionsrechts in der Person des Jubilars überzeugen. Die nachfolgenden Ausführungen zum neuen europäischen internationalen Deliktsrecht mögen daher das Interesse des Jubilars finden und seine Erinnerung an die gemeinsame Lehrtätigkeit beleben.
II. Neuere Entwicklungsschritte des internationalen Deliktsrechts, insbesondere aus deutscher Sicht Das internationale Deliktsrecht bietet gerade auch aus deutscher Sicht den Reiz interessanter binnenrechtshistorischer Vergleiche über einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum. Es ist noch nicht sehr lange her, daß das deutsche internationale Deliktsrecht als ein Hort weithin akzeptierter Grundregeln galt – dies zu einem Zeitpunkt, als andere Teilgebiete des deutschen IPR wie vor allem das internationale Ehe- und Familienrecht in Aufruhr gerieten: Bis weit in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein waren im Deliktskollisionsrecht Tatortregel, das Ubiquitätsprinzip bei Distanzdelikten und die Anwendbarkeit der Rückverweisung so gut wie allgemein anerkannt. Erste Ansätze zur „Auflockerung des Deliktsstatuts“9 und zur Herausbildung eines differenzierteren „Anknüpfungssystems für das Deliktsstatut“10 zeigen sich im deutschen Recht in den 50er und 60er Jahren. Diese Flexibilisierungstendenzen haben dann insbesondere in den 60er und 70er Jahren durch die revolutionären Umbrüche im US-amerikanischen Kollisionsrecht Auftrieb erhal-
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Übergangsfragen wird das nationale deutsche Recht beibehalten, vgl. den RegE des Anpassungsgesetzes, BR-Drucks. 346/08 v. 23.05.2008, abgedr. in IPRax 2008, 364, und dazu R. Wagner, IPRax 2008, 314 ff. Vgl. dazu Kühne, FS Heldrich, 2005, S. 815 ff. (817). Wettbewerbstatbestände mit Auslandsbeziehung, 1962. Das internationale Privatrecht der Arzthaftung, in: FS Ferid I, 1978, S. 117 ff. Internationales Unfallrecht, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform des Internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 1983, S. 202 ff. So der Titel des Aufsatzes von Binder, RabelsZ 20 (1955), 401 ff. So der Titel des Aufsatzes von Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601 ff.
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ten. Vorbereitet durch und begleitet von verschiedenen theoretischen Neuansätzen im Schrifttum wie dem Governmental-Interest-Approach (Currie), dem MostSignificant-Relationship Approach (Restatement Second of Conflict of Laws), dem Principles of Preference Approach (Cavers) und dem Better Law Approach (Leflar)11 haben sich die amerikanischen Gerichte seit den 60er Jahren – eingeleitet durch die Landmark-Entscheidung Babcock v. Jackson12 – in eine längere turbulente Auseinandersetzung um die Neuausrichtung des US-amerikanischen Kollisionsrechts gestürzt13. Diese Diskussionen entzündeten sich ganz überwiegend an interlokalen und internationalen Sachverhalten außervertraglicher Schadenshaftung im Straßenverkehr, bei Flugzeugunfällen und Produktschäden. In einer sehr großen Gruppe der Haftungsfälle ging es um das Anknüpfungsrangverhältnis zwischen Tatortregel und (gemeinsamem) Personalstatut der Beteiligten. Ein zusätzliches Element bei der Herausbildung flexiblerer Anknüpfungen war auch das Auftreten von Schadensfällen und Deliktstypen, die sich durch hochgradig grenzüberschreitenden Charakter und multilaterale Täter-Opfer-Konstellationen auszeichnen. Hierzu gehören insbesondere die Produktschäden, medienverursachte Persönlichkeitsverletzungen, grenzüberschreitende Großimmissionen und Großunglücksfälle (Flugzeugabstürze). Die sehr ins Grundsätzliche gehenden amerikanischen Auseinandersetzungen fanden in Europa nur teilweise14, in Deutschland jedenfalls in der Praxis kaum Widerhall. Gewisse Auflockerungstendenzen zeigten sich allerdings auch in der deutschen gerichtlichen Praxis seit den 70er Jahren, wo etwa im Kollisionsrecht der Straßenverkehrsunfälle unter dem Dach des „Grundsatzes der engsten Verbindung“ ein Vordringen der Maßgeblichkeit des gemeinsamen Personalstatuts (gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt) von Schädiger und Geschädigtem gegenüber der Tatortanknüpfung zu beobachten ist15. Gesetzgeberisch wurde eine Neukodifikation des deutschen internationalen Deliktsrechts im Zusammenhang mit der grundlegenden IPR-Reform des Jahres 1986 mit Rücksicht auf schon damals im Gange befindliche Vereinheitlichungsbestrebungen auf europäischer Ebene zurückgestellt16. Sie wurde dann mit der IPR-Restkodifikation von 199917 nachge-
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Überblick bei Kegel/Schurig, IPR, 9. Auf. 2004, S. 197 ff.; v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 1 (Allg. Lehren), 2. Aufl. 2003, § 6 V (S. 533 ff.). 12 N.Y. 2d 473; 240 N.Y.S. 2d 743; 191 N.E. 2d 279. Vgl. dazu ausführlich Hohloch, Das Deliktsstatut – Grundlagen und Grundlinien des internationalen Deliktsrechts, 1984, insbes. S. 126 ff. So etwa in England durch die Entscheidung Boys v. Chaplin [1968] 2 Q.B. 1 (Q.B.D.); 11 (C.A.); [1971] A.C. 356 (H.L.). Z.B. BGHZ 90, 294 ff. (299 f.) (gewöhnlicher Aufenthalt des Täters und des Verletzten in demselben Staat); BGHZ 93, 214 ff. (219 f.) (Schädiger und Geschädigter haben gemeinsam ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen als dem Tatortland); ebenso BGHZ 108, 200, (202 f.); BGHZ 119, (137 ff.) (gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt auch dann maßgebend, wenn die Unfallbeteiligten dem Staat des Tatorts angehören). BT-Drucks. 10/504, S. 29.
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holt18. Sie brachte einige wesentliche Änderungen, insbesondere die Modifikation des Ubiquitätsprinzips. Im Folgenden sollen einige der mit der VO vorgenommenen grundsätzlichen Weichenstellungen – auch im Lichte vorheriger abweichender Grundsätze – kritisch untersucht und hinterfragt werden19.
III. Einzelne Anknüpfungsgrundentscheidungen 1. Allgemeines Das neue europäische Deliktskollisionsrecht versteht sich als Normensystem, welches in der Tradition des Savigny’schen Ansatzes vom „Sitz des Rechtsverhältnisses“ oder – um es moderner auszudrücken – der Maßgeblichkeit der Rechtsordnung steht, mit der ein Sachverhalt (Lebens-, Rechtsverhältnis) am engsten verbunden ist20. Bei dieser Betrachtung stellen sich die Anknüpfungsnormen als Konkretisierungen des „nächsten Rechts“ für bestimmte Sachverhaltssituationen dar. Da die Anzahl der für das „nächste Recht“ in Betracht kommenden Anknüpfungspunkte über lange Zeiträume sehr begrenzt ist, wird das IPR durch eine stark ausgeprägte Neigung zur Perpetuierung kollisionsrechtspolitischer Streitfragen (Bsp.: Staatsangehörigkeit vs. Wohnsitz-(Aufenthalts-)Prinzip) geprägt. Zusätzliche Variationsspielräume ergeben sich dann im Wesentlichen nur durch Einbeziehung materiellrechtlicher Kriterien (Wahl der Anknüpfungspunkte mit Rücksicht auf materielle Schutzinteressen, alternative Anknüpfungen, Eingriffsnormen) oder durch Verlagerung der Anknüpfungsentscheidung auf die Partei(en, d.h. durch Rechtswahl). Gesetzgeberische Anknüpfungsentscheidungen sind denn auch im Kollisionsrecht rechtspolitisch kaum als „abgeschlossen“ zu betrachten. In diesem Sinne seien im Folgenden ungeachtet des gerade erfolgten Inkrafttretens der VO zum Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse einige Anknüpfungsgrundentscheidungen auch rechtspolitisch kritisch hinterfragt.
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„Gesetz zum internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen“ vom 21.05.1999 (BGBl. I 1026). Aus dem Einführungsschrifttum vgl. z.B. Spickhoff, NJW 1999, 2209 ff.; Staudinger, DB 1999, 1589 ff. Die von G. Wagner, IPRax 2006, 372 ff. 8373), geäußerte Ansicht, die Reform von 1999 habe dem Zweck gedient, Einfluß auf den Inhalt der kommenden europäischen Rechtsvereinheitlichung zu nehmen, findet in der von ihm angezogenen Fundstelle (R. Wagner, IPRax 1998, 429 ff., 438) keine Stütze. Zur Vorgeschichte der VO vgl. in Kürze Junker, aaO. (Fn. 4), 3676. So auch Leible/Lehmann, aaO. (Fn. 4), 721.
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2. Das Tatortprinzip Es stellt keine rechtspolitische Überraschung dar, wenn Art. 4 Abs. 1 VO das Tatortprinzip (lex loci delicti commissi) zur Grundregel macht. Zum Schwur zwischen der sich hinter dem Begriff „Tatort“ verbergenden Alternative zwischen dem „Handlungsort“ und dem „Erfolgsort“ kommt es bei den Distanzdelikten. Die VO hat sich als Grundanknüpfung für den Erfolgsort entschieden, während Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB noch an den „Handlungsort“ anknüpft. Die VO-Lösung des Erfolgsorts (lex loci damni) wird mit der Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen, dem Ausgleich zwischen den Interessen des Täters und des Opfers – Mittellösung zwischen der Anwendung des Rechts am Handlungsort (täterbezogen) und am Wohnsitz des Opfers (opferbezogen) – sowie der modernen Konzeption der zivilrechtlichen Haftung und der Entwicklung der Gefährdungshaftung gerechtfertigt21. Der deutsche Gesetzgeber hatte seinerzeit die Wahl des Handlungsorts mit dessen leichterer Bestimmbarkeit begründet22. Gerechtfertigt wird die Wahl des Erfolgsorts nach der VO auch damit, daß auch die Kompensationsund die Steuerungsfunktion des Deliktsrechts dafür sprechen sollen, das Opfer in seinen Verhaltens- und Kompensationserwartungen zu schützen und dem Schädiger zuzumuten, seinen Sorgfaltsaufwand den Standards einer Nachbarrechtsordnung anzupassen, wenn sein Verhalten in deren Geltungsbereich hineinwirkt23. Diese Argumentation offenbart die Problematik materiellrechtlicher Rechtfertigung einzelner kollisionsrechtlicher Anknüpfungsentscheidungen. Erfasst die Kollisionsnorm materiellrechtliche Gegenstände, welche strukturell und teleologisch von einer Mehrzahl von in unterschiedliche Anknüpfungsrichtungen weisenden Elementen geprägt sind, so ähnelt eine materiellrechtliche Argumentation dem Umgang mit einer Schrotflinte: Einige Kugeln treffen in die eine, andere in die andere Richtung. So ist die Lage im internationalen Deliktsrecht. Materiellrechtlich ist es bifunktional angelegt: Verhaltenssteuerungs- und Kompensationszweck sind ineinander verwoben24. Selbst die Gefährdungshaftung bezieht ihre Rechtfertigung neben der Kompensationsfunktion aus Elementen, die der Betreibersphäre zuzurechnen sind, etwa dem Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung wirtschaftlicher Chancen und der Tragung von Risiken, oder der Versicherbarkeit und ihrer Ausgestaltung25. Die materiellrechtliche Basis für die alleinige Anknüpfung an den Erfolgsort ist daher zu schmal, wie sie es im Übrigen auch bei der alleinigen Anknüpfung an den Handlungsort wäre. Daß die Maßgeblichkeit des Erfolgsorts der Gewährleistung der Wettbewerbsgleichheit dient26, trifft für wettbewerbs- und marktbezogene Delikte durchaus zu, ist im Übrigen aber irrelevant. Die kollisionsrechtspolitische Unbeachtlichkeit des Handlungsorts kann auch 21 22 23
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So Erwägungsgrund 16 der VO. BT-Drucks. 14/343, S. 11. So dezidiert G. Wagner, aaO. (Fn. 4), 5, und schon zuvor in IPRax 2006, 372 ff. (376 f.). Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. II 2 Bes. Teil, 13. Aufl. 1994, S. 350 („Spannungsverhältnis zwischen Güterschutz und Handlungsfreiheit“). Vgl. auch insoweit Larenz/Canaris, aaO. (Fn. 24), S. 605. So G. Wagner, IPRax 2006 (Fn. 23), 376 f.
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nicht mit der Überlegung gestützt werden, damit würde wegen einseitiger Täterbevorzugung unberechtigterweise das Herkunftslandprinzip verwirklicht27. Abgesehen davon, daß es zunächst nur um die mögliche Relevanz, nicht aber um die Alleinherrschaft des Handlungsorts geht, kann das Stichwort „Herkunftslandprinzip“ kein Argument dagegen sein, sachlogisch relevante Gesichtspunkte wie die Auch-Handlungsbezogenheit unerlaubter „Handlungen“ bei kollisionsrechtlichen Anknüpfungsentscheidungen mit zu berücksichtigen28. Bedeutung und gleichzeitig Bedenklichkeit des Herkunftslandsprinzips haben mit den Verkehrsfreiheiten des EG-Vertrages zu tun29. Dabei geht es um die willentliche Anbahnung und Herstellung rechtsgeschäftlicher Vorgänge im Rahmen beiderseitiger Vertrauensinvestition – ein Umstand, der jedenfalls in dieser Allgemeinheit im Deliktsrecht nicht obwaltet. Die prinzipielle Ausblendung des Handlungsortes aus der Anknüpfung des Deliktsstatuts in Art. 4 Abs. 1 VO ist mithin nicht zu billigen. Zwischen Handlungs- und Erfolgsort besteht jedenfalls grundsätzlich ein Anknüpfungsgleichgewicht. Dabei mag es einen leichten Vorteil für den Erfolgsort geben, weshalb die primäre Anknüpfung an ihn durchaus gut vertretbar ist. Der Handlungsort wäre dann auf der 2. Ebene (Ubiquitätsregel) zu berücksichtigen.
3. Die Ubiquitätsregel Hält man entgegen Art. 4 Abs. 1 VO sowohl den Handlungs- als auch den Erfolgsort für die kollisionsrechtliche Anknüpfung für relevant, so gelangt man unweigerlich zur Frage der alternativen Anknüpfung. Diese hat im deutschen internationalen Deliktsrecht jahrzehntelang in Gestalt der Ubiquitätsregel gegolten30. Es war das dem Geschädigten günstigere Recht anzuwenden. Art. 40 Abs. 1 EGBGB hatte diese Regel 1999 durch die Anknüpfung an den Handlungsort in Verbindung mit einem Optionsrecht des Verletzten für den Erfolgsort modifiziert. Die europäische VO verbannt die Regel mit der Eliminierung des Handlungsorts aus dem Deliktskollisionsrecht. In neuerer Zeit ist die Ubiquitätsregel verstärkt in die Kritik geraten31. Dem zu ihren Gunsten insbesondere von Kegel32 vorgebrachten Gedanken der größeren Sympathie mit dem Opfer im Vergleich mit dem Täter wird normative Leere33 vorgehalten. Es sei nicht gerechtfertigt, aus kollisionsrechtlicher Verlegenheit eine materiellrechtliche Entscheidung zugunsten des Verletzten zu 27 28
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In diesen Kategorien denkend insbesondere Leible/Lehmann, aaO. (Fn. 4), 721 f. Die Verwendung des Begriffs „Herkunftslandprinzip“ ist geeignet, die sachlogischen Gesichtspunkte zu vernebeln. Kritisch dazu mit Recht Basedow, EuZW 2004, 423 f, der sich dort allerdings auch gegen ein „pauschales Bekenntnis zum Herkunftslandprinzip im Bereich der deliktischen Haftung“ wendet. Die Relevanz der wesenseigenen Verhaltenselemente im Deliktsrecht hat jedoch mit „Herkunftslandprinzip“ nichts zu tun. Vgl. statt vieler: Kegel/Schurig, aaO. (Fn. 1), S. 723 ff. So z.B. bei Sonnentag, ZVglRWiss. 105 (2006), 256 ff. (269 f.) m.w.Nachw. Kegel/Schurig, aaO. (Fn. 1), S. 725. So G. Wagner, aaO. (Fn. 26), 377.
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treffen. Methodisch bemerkenswert ist insbesondere das Argument der störenden Ungleichbehandlung gegenüber Inlandsfällen: Für die mit der Ubiquitätsregel verbundene Besserstellung des Verletzten gegenüber einem rein nationalen Sachverhalt gebe es keinen Grund34. Für die Privilegierung des Opfers in Fällen mit internationalem Bezug („international bonus“) fehle jede Rechtfertigung. Berufe sich der Verletzte bei Geltung der Ubiquitätsregel auf ein strengeres ausländisches Handlungsrecht, so liege darin eine Diskriminierung der Anbieter von Importware, die den Grundfreiheiten des EG-Vertrages widerspreche34. Zunächst ist die unterschiedliche Behandlung von Inlandsfällen und grenzüberschreitenden Fällen bei alternativen Anknüpfungen eine generelle Erscheinung (vgl. z.B. Art. 11 EGBGB – Anknüpfung der Form von Rechtsgeschäften). Zudem entfernen sich die auf die Gegenüberstellung von Inlandsfällen und grenzüberschreitenden Fällen abstellenden Argumentationslinien von dem klassischen kollisionsrechtlichen Denken Savigny’scher Prägung mit der Suche nach der „engsten Verbindung“, welches auch der VO zugrunde liegt. Gleichheitsvorstellungen gegenüber Inlandsfällen (welches Inland?) vergewaltigen die Internationalität der Sachverhalte. Derartige Gesichtspunkte reflektieren ebenso wie die Binnenmarktbezogenheit Anklänge von governmental interests, die vor allem im Verhältnis zu Drittstaaten unangebracht sind. Wettbewerbs- und Marktgesichtspunkte sind sicher relevante Kriterien für wettbewerbs- und marktbezogene Delikte. Innerhalb der Anknüpfungen für wettbewerbliche Unlauterkeitsdelikte (§ 6 Abs. 1 VO: Marktortprinzip) wie auch Kartelldelikte (§ 6 Abs. 3 lit. a) VO: Auswirkungsprinzip) haben sie ihren berechtigten Platz. Auch fließen solche Gesichtspunkte in die nach Art. 4 Abs. 3 S. 2 VO (wie nach Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB) vorrangig in Betracht zu ziehende vertragsakzessorische Anknüpfung ein. Als allgemeine Rechtfertigung für die Grundanknüpfung im internationalen Deliktsrecht sind diese Erwägungen indes nicht hinreichend tragfähig. Die alleinige Anknüpfung an den Erfolgsort unter vollständiger Verdrängung des Handlungsorts einschließlich dessen Berücksichtigung zumindest über das Ubiquitätsprinzip in welcher Spielart auch immer ist nach allem zu bedauern. Es passt auch schlecht zu dem für die Wahl des Erfolgsorts ins Feld geführten Gedanken des Opferschutzes, diesen gerade dann auszuschalten, wenn er im Rahmen eines opferbezogenen Günstigkeitsvergleichs zum Tragen kommen könnte35. Es ist daher nicht überraschend, daß sich neuerdings im Schrifttum36 eine Neigung abzeichnet, dem Handlungsort über Art. 17 VO einen gewissen Einwirkungsspielraum zu eröffnen. Nach Art. 17 sind bei der Beurteilung des Verhaltens der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, faktisch und soweit angemessen die Sicherheits- und Verhaltensregeln zu berücksichtigen, die an dem Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses in Kraft sind. Diese Regelung enthält zunächst einmal nichts anderes als die allgemein anerkannte Regel, wonach spezielle lokale, d.h. ortsgebundene, Verhaltensregeln z.B. im Straßenverkehr als datum innerhalb des wie auch immer zu bestimmenden Deliktstatuts 34 35
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G. Wagner, aaO. (Fn. 26), 377. Vgl. zur Verteidigung des Ubiquitätsprinzips auch Junker, Diskussionsbericht in IPRax 2006, 390. So bei G. Wagner, aaO. (Fn. 4), 6.
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zu berücksichtigen sind. Dieses enge Verständnis der „Sicherheits- und Verhaltensregeln“ scheint auch dem Gesetzgeber vorgeschwebt zu haben37. Weitergehend soll indes auch der allgemeine Sorgfaltsstandard unter die lokalen Verhaltensvorschriften subsumiert werden38. Es bleibt die Frage, ob es dann nicht auch konsequent wäre, die zahlreichen, aus dem allgemeinen Deliktsrecht (§ 823 BGB) abgeleiteten Verkehrspflichten dem Recht des Handlungsorts zu entnehmen. Die VO hat denn auch immerhin für den Bereich der deliktischen Umweltschädigungen wieder auf das Ubiquitätsprinzip zurückgegriffen. Neben der auch hier geltenden grundsätzlichen Anknüpfung an das Recht am Ort des Schadenseintritts (Art. 7, 4 Abs. 1 VO) besteht für den Geschädigten die Möglichkeit, das am Handlungsort (Ort des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses) geltende Recht zu wählen. Begründet wird dies mit der präventiven, verhaltenssteuernden Funktion des Umwelthaftungsrechts39. Ob sich das Umwelthaftungsrecht insoweit so wesentlich von anderen Bereichen des materiellen Deliktsrechts unterscheidet, kann füglich bezweifelt werden. Der Sonderregelung für Umweltschäden liegt wohl eher eine Verbeugung vor dem politischen Stellenwert des Umweltschutzes zugrunde40. Jedenfalls führt diese Sonderregelung zu – wie im Schrifttum41 mit Recht hervorgehoben wird – gänzlich unbegründbaren Differenzierungen: So besteht bei über Umweltschädigungen vermittelten Gesundheitsbeeinträchtigungen ein Wahlrecht des Verletzten, bei unmittelbar verursachten demgegenüber nicht. Derartiges wäre mit einer allgemeinen Zulassung des Ubiquitätsprinzips vermieden worden42. Es ist sachgerecht, daß die VO die Entscheidung zwischen den alternativ anwendbaren Rechtsordnungen bei der Umwelthaftung nicht in die Hand des Gerichts, sondern in die des Verletzten gelegt hat. Schon Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB hat die früher bestehende Wahlpflicht des Richters zugunsten des günstigsten Rechts in ein Optionsrecht des Verletzten umgewandelt und dies mit Erwägungen der Justizentlastung begründet43. Diese Entscheidung verdient auch deswegen Zustimmung, weil die damit dem Verletzten auferlegte Optionsausübungslast als Preis für den ihm eingeräumten Rechtsvorteil verstanden werden kann.
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Erwägungsgrund 34. So G. Wagner, aaO. (Fn. 4), 6. Erwägungsgrund 25, KOM (2003) 427 endg., S. 21. Erwägungsgrund 25, KOM (2003) 427 endg., S. 21 f. Leible/Lehmann, aaO. (Fn. 4), 728. Unklar ist geblieben, wie im Rahmen des Ubiqitätsprinzips des Art. 7 VO öffentlichrechtliche Genehmigungen der schadensauslösenden Anlage zu behandeln sind. Hier liegt es nahe, sie auch bei Maßgeblichkeit des Rechts des Erfolgsorts über Art. 17 VO immer dem Recht des Betriebsorts zu unterstellen, vgl. auch Junker, aaO. (Fn. 4), 3681. BT-Drucks. 14/343, S. 11.
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4. Abweichende Grundanknüpfungen, insbesondere die Rechtswahl Art. 4 Abs. 2 enthält als Abweichung von der Tatortregel die Anknüpfung an ein im Zeitpunkt des Schadenseintritts etwa vorhandenes gemeinsames Recht des gewöhnlichen Aufenthalts von Täter und Opfer. Die Regelung entspricht Art. 40 Abs. 2 EGBGB und verkörpert wesentliche Teile der „Auflockerung des Deliktstatuts“ aus den letzten Jahrzehnten. Die mittlerweile als Ausweichklausel bekannte Regel, wonach von der Regelanknüpfung dann abzuweichen ist, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände eine offensichtlich engere Verbindung mit einer anderen Rechtsordnung als der durch die Regelanknüpfung zur Anwendung berufenen ergibt, findet sich in Art. 4 Abs. 3 VO. Die Vorschrift des Art. 4 Abs. 3 S. 2 VO benennt den Hauptanwendungsfall der Ausweichklausel, die akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts an ein Vertragsstatut. Auch insoweit nimmt die VO den modernen Entwicklungsstand wie schon Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB auf. In Einzelheiten umstrittener ist die Errungenschaft der Rechtswahl (Art. 14 VO). Ihr Erscheinen innerhalb des internationalen Deliktsrechts ist ebenfalls neueren Datums. Es steht in entwicklungsgeschichtlichem Zusammenhang mit der Ausbreitung der Parteiautonomie über ihren klassischen Standort des Schuldvertragsrechts hinaus in weitere Bereiche des IPR44. Zu nennen sind hier insbesondere das internationale Erbrecht45, das internationale Familienrecht46, das internationale Namensrecht47, am Rande auch das internationale Sachenrecht48. Über den Geltungsgrund der Parteiautonomie – Verlängerung der materiellrechtlichen Privatautonomie ins Kollisionsrecht oder Ausweg aus kollisionsrechtlichen Anknüpfungsgleichgewichtslagen ? – wird nach wie vor gestritten49. Auf der anderen Seite hat sich im überkommenen Anwendungsbereich der Parteiautonomie, dem internationalen Schuldvertragsrecht, seit einiger Zeit für den Bereich der Verbraucherverträge oder – allgemeiner – Situationen struktureller Ungleichgewichtslagen eine rückläufige Entwicklung Bahn gebrochen50. So stand z.B. die Rechtswahl bei Verbraucherverträgen im Rahmen der Beratungen über die im Dezember 2009 wirksam werdende Rom I-VO51 kurz vor dem Verbot. Der Gehalt von Art. 14 VO lässt diese gespaltene Entwicklung klar erkennen:
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Vgl. dazu Kühne, Liber Amicorum Gerhard Kegel, 2002, S. 65 ff. (68 ff.). Vgl. Kühne, Die Parteiautonomie im internationalen Erbrecht, 1973; ders., JZ 1973, 403 ff.; ders., IPR-Gesetz-Entwurf, 1980, S. 10, 157 ff., Art. 25 Abs. 2 EGBGB. Kühne, IPR-Gesetz-Entwurf aaO. (Fn. 45), S. 6, 95 f. (persönliche Ehewirkungen), 6, 103 f. (Güterrecht), Art. 14 Abs. 3, 15 Abs. 2 EGBGB. Art. 10 Abs. 2 EGBGB. Vgl. Staudinger/Stoll, BGB Internationales Sachenrecht, 13. Aufl. 1996, Rdnr. 282 ff. Vgl. dazu Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 40 I – III (S. 292 ff.). Vgl. Kropholler, aaO. (Fn. 49), § 40 IV (S. 297 f.); Kühne, aaO. (Fn. 44), S. 71 ff. Die Rom I-VO ist am 06.06.2008 vom EU-Justizminister-Rat verabschiedet worden. Zu den Veränderungen hinsichtlich der Rechtswahl vgl. Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493 ff. (495).
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Die Zulassung der Rechtswahl überhaupt wie sogar auch durch eine vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses getroffene (vorherige) Vereinbarung52, sofern „alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen“, ist Ausdruck einer weitherzigen, rechtswahlfreundlichen Einstellung. Die Nichtzulassung einer vorherigen Rechtswahl bei nicht kommerziell tätigen Parteien – Art. 42 EGBGB lässt generell nur nachträgliche Rechtswahl zu – sowie die Regelungen des Art. 14 Abs. 2 (Unbeachtlichkeit der Wahl einer anderen Rechtsordnung als der gesetzlich berufenen gegenüber deren intern zwingendem Recht, wenn es sich aus der Sicht dieser Rechtsordnung um einen Inlandssachverhalt handelt) und des Art. 14 Abs. 3 (Unbeachtlichkeit der Wahl des Rechts eines Drittstaats gegenüber intern zwingendem Gemeinschaftsrecht bei Binnenmarktsachverhalten) spiegeln demgegenüber die rückläufigen Entwicklungstendenzen wider. Als weitere, den Wirkungsbereich gerade einer Rechtswahl einschränkende Instrumente kommen die allgemeinen Regelungen über Eingriffsnormen (Art. 16)53 und den ordre public (Art. 26) in Frage. Die Handhabung der vorherigen Rechtswahl (Art. 14 Abs. 1 b) VO) wird freilich durch die Wahl einer ungebräuchlichen und unscharfen Terminologie bei den Tatbestandsmerkmalen „einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen“ sowie „frei ausgehandelte Vereinbarung“ erschwert. Hier zeigt sich die auch sonst bei internationaler und nationaler Gesetzgebung zu beobachtende Tendenz zu mangelnder systematisch-terminologischer Stringenz. Abgesehen von dem allgegenwärtigen Zwang zu Formelkompromissen entspringt sie zuweilen der gut gemeinten Absicht, das Gewollte durch innovative sprachliche Nuancen klarer zum Ausdruck zu bringen. Aber auch in der Gesetzgebung ist das gut Gemeinte oft das Gegenteil von gut. Im Schrifttum ist denn auch mit Recht an der Formulierung „einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen“ kritisiert worden, daß sie sich nicht an der sonst gebräuchlichen Zweiteilung „Verbraucher“ – „Gewerbetreibender“ („Unternehmer“) orientiert54. Das Merkmal der „frei ausgehandelten Vereinbarung“ erzeugt unmittelbar eine Assoziation zu § 305 Abs. 1 S. 3 BGB, wonach AGB nicht vorliegen, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien „im Einzelnen ausgehandelt sind“. Orientiert man die Auslegung von Art. 14 Abs. 1 b) sachlich – selbstverständlich nicht formal – an § 305 Abs. 1 S. 3 BGB, so könnte trotz Vorliegens einer allseits ausgeübten kommerziellen Tätigkeit eine vorherige Rechtswahl nicht mittels AGB (AGB als Gegensatz zum „freien“ oder „im Einzelnen“ „aushandeln“) erfolgen. Dies macht auch rechtspraktisch keinen Sinn. Eine vorherige Rechtswahl mittels AGB muss daher grundsätzlich möglich sein55. Von einer „frei ausgehandelten Vereinbarung“ kann allerdings jedenfalls dann nicht mehr die Rede sein, wenn die Voraussetzungen für die Einbeziehung von AGB in den Vertrag (im deutschen Recht: § 305 Abs. 2, § 305 c Abs. 1 BGB) nicht gegeben sind.
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Zur antizipierten Rechtswahl neuestens Rugullis, IPRax 2008, 319 ff. Vgl. dazu näher unter 5. So auch G. Wagner, aaO. (Fn. 4) 13. So zutreffend auch G. Wagner, aaO. (Fn. 4), 14.
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5. Eingriffsnormen Der Gesetzgeber hat in Parallele zu Art. 9 Rom I-VO in Art. 16 VO eine Regelung über „Eingriffsnormen“ vorgesehen. Danach berührt die VO nicht die Anwendung der nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts geltenden Vorschriften, die ohne Rücksicht auf das für das außervertragliche Schuldverhältnis maßgebende Recht den Sachverhalt zwingend regeln. Die Regelung in Art. 9 Rom I-VO ist demgegenüber ausführlicher (Abs. 1: Definition der „Eingriffsnorm“, Abs. 2: Eingriffsnormen der lex fori, Abs. 3: Eingriffsnormen von Drittstaaten (Erfüllungsort)). Die Definition in Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO56 wird man auch für Art. 16 VO zugrunde legen können. Erfreulicherweise stellt jetzt auch Erwägungsgrund 37 Rom I-VO den Unterschied zwischen national zwingenden („Bestimmungen, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann“) und international zwingenden („Eingriffsnorm“ = zwingende Vorschrift: Art. 9 Abs. 1) Vorschriften klar. Diese Unterscheidung entspricht Art. 14 Abs. 2, 3 a.E. bzw. Art. 16 („Sachverhalt zwingend regeln“) Rom II-VO. Zu beachten und zu begrüßen ist auch, daß der Gesetzgeber jetzt sowohl innerhalb von „Rom II“ als auch von „Rom I“ das Institut der „Eingriffsnormen“ sehr restriktiv gehandhabt wissen will. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Erwägungsgründe 32 („Rom II“) und 37 („Rom I“) („unter außergewöhnlichen Umständen“) wie auch daraus, daß in beiden Fällen Ordre public und Eingriffsnormen in einem Atemzug genannt werden. Der bei weitem bedeutendere Anwendungsbereich kommt den Eingriffsnormen innerhalb des internationalen Schuldvertragsrechts zu. Hier hat das Institut seine historischen Wurzeln als Gegengewicht gegen eine staatliche (öffentliche) Interessen unbeachtet lassende parteiautonome Lokalisation von Schuldverträgen57. Die vom Vertragsstatut abgespaltenen, zunächst dogmatisch noch etwas vereinsamt abseits stehenden zwingenden Vorschriften wirtschafts- oder sozialpolitischer Art sind über Art. 7 EVÜ von 1980 in das internationale Schuldvertragsrecht integriert worden. Die von Deutschland lediglich übernommene Regelung des Art. 7 Abs. 2 EVÜ zu den Eingriffsnormen der lex fori ist in Art. 34 EGBGB eingegangen. Innerhalb dieser Vorschrift entwickelten die „Eingriffsnormen“ dann in Rechtsprechung und Schrifttum ein expansives Eigenleben, das sich nicht auf materielle Bestimmungen zur Wahrung öffentlicher Interessen beschränkte, sondern in Normenbereiche mit wesentlich individualschützender Zielrichtung wie z.B. den Verbraucherschutz ausgriff58. Die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung hat hier zu nicht durchweg einleuchtenden und der Rechtssicherheit zuträglichen
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Art. 9 Abs. 1 lautet: „( 1 ) Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.“ Vgl. dazu Kropholler, aaO. (Fn. 49), § 52 IX, X (S. 497 ff., 503 ff.). Vgl. dazu die Nachw. bei Palandt/Heldrich, BGB, 67. Aufl. 2008, Rdnr. 3 ff. zu Art. 34 EGBGB; problematisierend Kühne, aaO. (Fn. 5), S. 815 ff., insbes. 820 ff.
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Differenzierungen geneigt59. Ungeachtet der nunmehr in Art. 9 Abs. 3 Rom II-VO gegebenen Möglichkeit, auch Eingriffsnormen von Drittstaaten „Wirkung zu verleihen“, sollten die deutlichen Worte in den Erwägungsgründen in Zukunft zu zurückhaltendem Gebrauch mahnen. Für das internationale Deliktsrecht ist bis in die jüngste Vergangenheit die Notwendigkeit einer gesetzgeberischen Vorsorge für das Problem „Eingriffsnormen“ bezweifelt worden60. In der Tat eröffnet die verhältnismäßig großzügige Zulassung der Rechtswahl im internationalen Schuldvertragsrecht den Parteien die Möglichkeit, die Geltung bestimmter, von öffentlichen Interessen getragener Beschränkungen „auszuhebeln“. Im Deliktsrecht kommt den gesetzlichen Anknüpfungen dagegen eine ungleich größere Bedeutung zu. Gerade in den von öffentlichen Interessen besonders geprägten Materien des Lauterkeits- und des Kartellrechts wählt Art. 6 VO mit dem Markt- und dem Auswirkungsort Anknüpfungspunkte, die in aller Regel auch die öffentlichen Interessen einfangen, denen die Sachmaterien zu dienen bestimmt sind61. Die Rechtswahl ist hier zudem ausgeschlossen (Art. 6 Abs. 3 VO). Tendenziell kann die Zulassung der Rechtswahl zu einer Vermehrung der „Eingriffsnormen“-Konstellationen führen. Daran ändert auch die Regelung des Art. 14 Abs. 2, 3 VO nur wenig. Die nach diesen Vorschriften angeordnete Beschränkung der Rechtswahl auf die materiellrechtliche Verweisung gilt nur für reine („alle Elemente des Sachverhalts“) Inlands – bzw. Binnenmarktfälle62. Die parteiautonome Wahl des Rechts des Handlungsortes statt des Erfolgsorts derogiert damit auch dessen intern zwingendes Recht. Über konkrete Fallgestaltungen von „Eingriffsnormen“ im internationalen Deliktsrecht erfährt man im Schrifttum wenig. Soweit erkennbar, hat sich bislang einzig von Hoffmann63 bemüht, solche Fälle ausfindig zu machen. Im Wesentlichen kommen danach Haftungsausschlussnormen in sozialversicherungsrechtlichen Zusammenhängen sowie Haftungskanalisierungen auf den Geschäfts(Dienst-)herrn zum Schutz von Arbeitnehmern und Beamten in Betracht64. Wichtig ist, daß die Bezüge zu öffentlichen Interessen das prägende Element darstellen. Legt man den Entwicklungsstand der „Eingriffsnormen“ innerhalb des Art. 34 EGBGB zugrunde, so kann man allerdings auch bei einigen zivilrechtlichen Deliktsnormen zweifeln: Stellt etwa § 829 BGB (Billigkeitshaftung) eine Eingriffsnorm gegenüber Haftungslosigkeit vorsehendem ausländischem Deliktsstatut dar65? Reicht der kinderschutzpolitische Hintergrund66 des § 828 Abs. 2 BGB aus, 59
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Vgl. nur BGHZ 165, 172 ff. (180 ff.) betr. § 661a BGB; BGHZ 165, 249 ff. (257 ff.) betr. VerbrKrG. Vgl. G. Wagner, aaO. (Fn. 4), 15. So auch G. Wagner, aaO. (Fn. 4), 15. Dies übersieht G. Wagner, aaO. (Fn. 4), 15. Staudinger/v. Hoffmann, BGB, Neubearb. 2001, Vorbem. zu Art. 40 EGBGB Rdnr. 72; v. Hoffmann, FS Henrich, 2000, S. 283 ff. v. Hoffmann, FS Henrich (Fn. 63), S. 291 ff., (294). Dabei werden die methodischen Grenzen zwischen Qualifikation, allseitiger Sonderanknüpfung und einseitigen Eingriffsnormen nicht durchweg deutlich. Unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des sozial Schwachen.
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um diese Vorschrift zu einer Eingriffsnorm gegenüber die Verantwortlichkeit bejahendem ausländischem Deliktsstatut zu machen? Stellt § 393 BGB (Aufrechnungsausschluss) bei einer nach ausländischem Deliktsstatut (Art. 17 Rom I-VO) zulässigen Aufrechnung gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung eine „Eingriffsnorm“ dar67? Richtigerweise wird man die „Eingriffsnorm“-Eigenschaft all dieser Normen verneinen müssen.
IV. Besondere Anknüpfungen für einzelne Deliktstypen 1. Allgemeines Die Rom II-VO hält neben den Grundanknüpfungen auch spezielle Anknüpfungsregeln für einzelne Deliktstypen bereit. Dabei geht es im Wesentlichen um einerseits sachlogische oder opferschutzorientierte und andererseits das Täterinteresse an der Voraussehbarkeit des anwendbaren Rechts berücksichtigende Modifikationen der Tatortregel. Bei den speziell geregelten Deliktstatbeständen handelt es sich um die Produkthaftung (Art. 5)68, Unlauterkeits- und Kartelldelikte (Art. 6, dazu unter 2.), die Umweltschädigung (Art. 7: Wiederherstellung der Ubiquitätsregel mit Optionsrecht zugunsten des Rechts des Handlungsorts)69, die Verletzung geistigen Eigentums (Art. 8)70 sowie Delikte im Zusammenhang mit Arbeits-
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Zu den diesbezüglichen rechtspolitischen Überlegungen vgl. BGHZ 161, 180 ff. (184 f.); 172, 83 ff. (86). Rechtspolitischer Hintergrund des § 393 BGB sind insbesondere sittliche und soziale Gründe, vgl. MünchKomm/Schlüter, BGB, 5. Aufl., 2007, Rdnr. 1 zu § 393. Hier hat das Bemühen um die Austarierung von Opferschutz- und täterbezogenen Voraussehbarkeitsinteressen eine komplexe Anknüpfungsleiter mit folgenden Sprossen hervorgebracht: ( 1 ) Rechtswahl gemäß Art. 14 VO; ( 2 ) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt von Geschädigtem und Ersatzpflichtigem (Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 2 VO); ( 3 ) Gewöhnlicher Aufenthalt des Geschädigten, sofern das Produkt in diesem Staat in Verkehr gebracht wurde (Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. a) VO); ( 4 ) Ort des Erwerbs des Produkts, falls dieses im Staat des Erwerbsorts in Verkehr gebracht wurde (Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit b) VO); ( 5 ) Ort des Schadenseintritts, falls das Produkt dort in Verkehr gebracht wurde (Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. c) VO); ( 6 ) falls Inverkehrbringen in den Fällen ( 3 ), ( 4 ) und ( 5 ) für den Ersatzpflichtigen nicht voraussehbar: gewöhnlicher Aufenthalt des Ersatzpflichtigen (Art. 5 Abs. 1 S. 2 VO); ( 7 ) Recht der offensichtlich engeren Verbindung (Art. 5 Abs. 2 VO). Vgl. dazu schon unter III. 3. Unter Ausschluss der Rechtswahlmöglichkeit (Art. 8 Abs. 3 VO) wird das Recht des Staates für anwendbar erklärt, für den der Schutz beansprucht wird (Art. 8 Abs. 1 VO). Bei Verletzung gemeinschaftsweit einheitlicher Rechte des geistigen Eigentums gilt hinsichtlich der gemeinschaftsrechtlich nicht erfassten Fragen das Recht des Verletzungsortes (Art. 8 Abs. 2 VO). Diese Anknüpfungen gelten auch für alle anderen außervertraglichen Schuldverhältnisse, z.B. Bereicherungsrecht (Art. 13 VO).
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kampfmaßnahmen (Art. 9)71. Es ist außerordentlich zu bedauern, daß mangels Einigung die Persönlichkeitsdelikte aus dem sachlichen Anwendungsbereich der VO ausgeklammert worden sind (Art. 1 Abs. 2 lit. g)72. In diesem Bereich gilt daher weiter das autonome IPR der Mitgliedstaaten73.
2. Wettbewerbliche Unlauterkeitsdelikte Anders als im allgemeinen Deliktsrecht, wo eine bipolare Interessenkonstellation (Schädiger – Geschädigter) herrscht, ist die Situation im Wettbewerbsrecht durch Multipolarität gekennzeichnet. Auf der Geschädigtenseite sind die Wettbewerber des Schädigers sowie die auf der Marktgegenseite stehenden Abnehmer, insbesondere die Verbraucher, zu berücksichtigen. Zusätzlich dienen die Normen des materiellen Wettbewerbsrechts der Wahrung des öffentlich-institutionellen Interesses am Schutzgut Wettbewerb, beim Lauterkeitsrecht dessen Lauterkeit, beim Kartellrecht dessen Freiheit. Trotz der deliktsrechtlichen Natur der Ansprüche hat die Praxis auch in Deutschland seit langem dieser besonderen Interessenkonstellation durch eine differenzierte kollisionsrechtliche Behandlung Rechnung getragen. Unter dem Einfluss u.a. der bereits oben erwähnten74 frühen Publikation des Jubilars zum internationalen Lauterkeitsrecht hat der BGH75 bereits in den 60er Jahren den deliktsrechtlichen Begehungsort dort lokalisiert, wo die wettbewerblichen Interessen aufeinander treffen, d.h. am Marktort. Später hat der BGH76 dann für die Fälle verbraucherbezogener Unlauterkeit den Marktort dort angenommen, wo auf die Entschließung der Kunden (Verbraucher) eingewirkt werden soll. Von der Marktortanknüpfung abgegangen ist die Rechtsprechung vor allem für die sog. bilateralen Wettbewerbshandlungen, bei denen sich das unlautere Verhalten gezielt gegen einen Wettbewerber richtet. Mangels Marktbezogenheit wird hier zum Deliktsstatut übergegangen, was dann zur Folge hat, daß bilaterale Unlauterkeitshandlungen zwischen inländischen Unternehmen, die auf Exportmärkten tätig sind, inländischem Wettbewerbsrecht unterstellt werden77.
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Unbeschadet des Art. 4 Abs. 2 VO (Maßgeblichkeit des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts von Schädiger und Geschädigtem) ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Arbeitskampfmaßnahme erfolgen soll oder erfolgt ist. Das Bedauern wird ganz überwiegend geteilt, vgl. G. Wagner, aaO. (Fn. 4), 10; Leible/Lehmann, aaO. (Fn. 4), 723 f. Zu den Handlungsoptionen des deutschen Gesetzgebers vgl. G. Wagner, aaO. (Fn. 4) 10. Der Gesetzentwurf der BReg (oben Fn. 4) hält an der Geltung der Art. 38 – 42 EGBGB für den autonomen Bereich fest. Der Gesetzgeber hätte auch auf die Rom IIVO verweisen können. Von einer Konterkarierung des Willens des europäischen Gesetzgebers, so R. Wagner, oben Fn. 4, 317, könnte in diesem Falle keine Rede sein. Fn. 6. BGHZ 35, 329 ff. (333 f.) – Kindersaugflaschen; 40, 391 ff. (395 f.) – Stahlexport. BGHZ 113, 11 ff. (15). BGHZ 40, 391 ff. (395 f.) – Stahlexport; zur Entwicklung der Anknüpfung im internationalen Recht des unlauteren Wettbewerbs vgl. MünchKomm/Drexl, BGB, Bd.11 (Int. Wirtschaftsrecht), 4. Aufl. 2006, Rdnr. 81 ff. zu IntUnlWettbR.
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Die Regelung in Art. 5 VO entspricht dieser Rechtslage: Abs. 1 beruft für marktbezogene Unlauterkeitshandlungen das Marktortrecht („Recht des Staates, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden“). Rein betriebsbezogene Wettbewerbsdelikte werden dagegen der allgemeinen deliktsrechtlichen Kollisionsnorm des Art. 4 unterstellt (Abs. 2). Insbesondere der Ort der wettbewerblichen Interessenkollision in Art. 6 Abs. 1 VO lässt natürlich Raum für Differenzierungen nach den verschiedenen Arten von unlauterem Verhalten78.
3. Kartelldeliktsrecht Art. 6 Abs. 3 lit. a) VO sieht eine Kollisionsnorm auch für unerlaubte Handlungen im Zusammenhang mit wettbewerbsbeschränkendem Verhalten vor: Es gilt das Recht des Staates, dessen Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird. Anders als im Falle des UWG liegt der Vollzug des Kartellrechts schwerpunktmäßig in der Hand von Behörden (Kartellbehörden). Gleichwohl hat sich seit einigen Jahren nicht zuletzt unter dem Einfluss des EuGH79 in Europa, aber auch in Deutschland, eine starke Tendenz herausgebildet, Kartellverstöße vermehrt über privatrechtliche Sanktionen (in Deutschland: § 33 GWB) zu ahnden (private enforcement)80. Dem Kartelldeliktsrecht wird in Zukunft also verstärkte Bedeutung zukommen. Die Regelung des Art. 6 Abs. 3 lit. a) VO verallseitigt die bislang schon im deutschen Recht (§ 130 Abs. 2 GWB)81 geltende einseitige Anknüpfung an das Recht des Staates, in dem sich der Kartellverstoß wettbewerblich auswirkt. Die Bestimmung erfasst Verstöße gegen nationales wie auch gemeinschaftsrechtliches Kartellrecht (Art. 81, 82 EG)82.
4. Multistate-Wettbewerbsdelikte Wettbewerbsdelikte, z.B. Preiskartelle, haben ebenso wie z.B. über Medien transportierte Persönlichkeitsverletzungen oft Auswirkungen auf mehreren nationalen Märkten zur Folge. Hier stellt sich das Problem effektiver Rechtsdurchsetzung in besonderem Maße. Diese wird gefördert, wenn ein Gerichtsstand zur Verfügung steht, an dem der gesamte Schaden eingeklagt werden kann und der Gesamt78 79
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Vgl. dazu im einzelnen Sack, WRP 2008, 845 ff. EuGH, Rs. C-453/99 (Courage Ltd. ./. Crehan), Slg. 2001, I-6297, 6321 ff.; Rs. C295/04 bis C-298/04 (Vincenco Manfredi u.a. ./. Lloyd Adriatico Assicurazioni SpA u.a.), Slg. 2006, I 6619, 6660 f. Vgl. dazu z.B. Bechtold, GWB, 5. Aufl. 2008, vor § 32; Grünbuch der Kommission v. 19.12.2005, SEK (2005), 1732, sowie grundsätzlich-dogmatisch K. Schmidt, AcP 206 (2006), 169 ff. (193 ff.), und ZWeR 2007, 394 ff., sowie Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law, 2007. Vgl. dazu MünchKomm/Immenga, BGB, aaO, (Fn. 77), Rdnr. 16 ff. zu IntWettbR/IntKartR. Erwägungsgrund 23.
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anspruch dann dem Recht des Gerichtsorts (lex fori) unterstellt ist. Dies ist das Ziel von Art. 6 Abs. 3 lit. b) Halbs. 1 VO: Danach kann ein Kläger (Geschädigter) bei einer Klage im Wohnsitzmitgliedstaat des Beklagten (Schädigers) seinen Anspruch auf den gesamten Schaden auf die lex fori stützen, sofern (auch) der dortige Markt unmittelbar und wesentlich beeinträchtigt ist. Darüber hinaus kanalisiert Art. 6 Abs. 3 lit. b) 2. Halbs. VO bei Klagen gegen mehr als einen Beklagten das anwendbare Recht auf das Wohnsitzrecht eines der Beklagten (Schädiger) als lex fori83 unter der Voraussetzung, daß das wettbewerbsbeschränkende Verhalten, auf das sich der Anspruch gegen jeden dieser Beklagten stützt, auch den Markt im Forummitgliedstaat unmittelbar und wesentlich beeinträchtigt. Rechtspolitisch sind die Lösungen des Art. 6 VO sicherlich zu billigen. Der Anwendungsbereich ist jedoch teils zu eng, teils zu weit geraten. Zu eng ist die Begrenzung des Art. 6 Abs. 3 lit. b) auf Kartelldelikte. Gesichtspunkte, weshalb die Kanalisierung auf die lex fori nicht auch auf Unlauterkeitsdelikte angewendet werden kann, sind nicht ersichtlich84. Zum anderen erscheint der in Art. 6 Abs. 4 VO angeordnete generelle Ausschluss der Rechtswahl im Hinblick auf rein konkurrentenbezogene unlautere Verhaltensweisen zu weit85.
V. Schlußbemerkungen Wie im Hinblick auf ihren Ursprung und ihr Ziel als Akt der europäischen Rechtsvereinheitlichung nicht anders zu erwarten, hält sich die Rom IIVerordnung innerhalb des Mainstreams der europäischen Entwicklung des internationalen Deliktsrechts im besonderen und des Internationalen Privatrechts im allgemeinen. Die Abweichungen von der Tatortregel, die jenseits des Atlantiks zu revolutionären Umwälzungen geführt haben, tragen hier ein überschaubares und normativ gebändigtes Erscheinungsbild. Aus deutscher Sicht ist das Verschwinden der Ubiquitätsregel in jeglicher Form zu bedauern. Gelegentlich gewinnen dem Zeitgeist entspringende materiellrechtliche „policies“ unziemlich die Oberhand86 wie etwa bei der – aus der Sicht der Rom II-VO systembrechenden – Verankerung der Ubiquitätsregel im Bereich der Umwelthaftung. Verschiedentlich verwendet die VO Ausweichanknüpfungen wie etwa die „offensichtlich engere Verbindung“ (Art. 4 Abs. 3) und insbesondere die „Eingriffsnormen“ (Art. 16), deren rechtspolitische Angemessenheit sich erst durch klugen und zurückhaltenden Gebrauch erweisen muss. Sehr unschön ist die Eingrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der VO durch Herausnahme der Persönlichkeitsverletzungen (Art. 1 Abs. 2 lit. g)) in Ver83
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Die Zuständigkeit des Gerichts muß sich aus den Regelungen über die internationale Zuständigkeit ergeben (EuGVVO). So zutreffend auch G. Wagner, aaO. (Fn. 4), 8, der für analoge Anwendung plädiert. In diesem Sinne auch Leible/Lehmann, aaO. (Fn. 4), 730 f. Kritisch zu teilweise aggressiven Durchsetzungstendenzen moderner materiellrechtlicher Errungenschaften innerhalb des Kollisionsrechts Kühne, aaO. (Fn. 5), 830, und aaO. (Fn. 44), 82.
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bindung mit der vom deutschen Gesetzgeber gewählten Aufrechterhaltung eines abweichenden internationalen Deliktsrechts für die autonomen Gegenstände. Es ist zu hoffen, daß dieser Mangel bei der nächsten Revision der VO behoben werden wird.
Rettungsobliegenheit des Versicherungsnehmers und Ersatz der Rettungskosten nach dem neuen VVG
Dirk Looschelders
I. Einleitung Zu den Forschungsgebieten von Erwin Deutsch gehört seit langem auch das Versicherungsrecht. In neuerer Zeit hat der Jubilar nicht nur die Entstehung des VVG 2008 kritisch begleitet.1 Aus seiner Feder stammt vielmehr auch das erste umfassende Lehrbuch zum Versicherungsvertragsrecht auf der Grundlage des neuen Gesetzes.2 Dies lässt hoffen, dass die nachfolgenden Überlegungen aus dem Bereich des Versicherungsrechts auf sein Interesse stoßen. Die Rettungsobliegenheit des Versicherungsnehmers hat eine lange Tradition. Erste Beispiele für entsprechende Vereinbarungen und Satzungen finden sich im 16. und 17. Jahrhundert.3 Bei der VVG-Reform von 2008 wurden die Vorschriften über die Rettungsobliegenheit (§ 62 VVG a.F.) und die damit korrespondierende Pflicht des Versicherers zum Ersatz der Rettungskosten (§ 63 VVG a.F.) nicht vollständig umgestaltet. Es finden sich aber einige wesentliche Neuerungen, die nachfolgend einer genaueren Betrachtung unterzogen werden sollen.
II. Dogmatische Einordnung der Rettungsobliegenheit 1. Entstehungsgeschichte des § 82 VVG 2008 Der Gesetzgeber des VVG 1908 war bei der Kodifikation der Rettungsobliegenheit in § 62 VVG a.F. davon ausgegangen, dass es sich um eine echte Rechtspflicht handele; bei Verletzung dieser Rechtspflicht sollte dem Versicherer ein 1 2 3
Vgl. Deutsch, VersR 2004, 1585 ff. Deutsch, Das neue Versicherungsvertragsrecht, 6. Aufl. 2008. Dazu Siebeck, Die Schadensabwendungs- und -minderungspflicht des Versicherungsnehmers, 1963, S. 3 ff.; Stange, Rettungsobliegenheiten und Rettungskosten im Versicherungsrecht, 1995, S. 6 ff.
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Schadensersatzanspruch zustehen, mit dem er gegen den Anspruch des Versicherungsnehmers auf die Versicherungsleistung aufrechnen könne.4 Dagegen sprach der durch die Verordnung vom 19. 12. 1939 eingefügte § 62 Abs. 2 VVG a.F. bereits von „Obliegenheiten“. Die Vorschrift führte auch die für Obliegenheitsverletzungen typische Rechtsfolge – Wegfall der Leistungspflicht des Versicherers – ein und beschränkte das relevante Verschulden des Versicherungsnehmers im Einklang mit § 6 Abs. 3 VVG a.F. auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Die h.M. ging deshalb schon vor der Reform des VVG davon aus, dass die Abwendung und Minderung des Schadens eine bloße Obliegenheit des Versicherungsnehmers darstellt.5 Die Gegenauffassung hielt an der Einordnung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten als echte Rechtspflichten fest. Dabei wurde mit Blick auf § 62 Abs. 1 VVG a.F. geltend gemacht, dass der Versicherungsnehmer nach dem Gesetzeswortlaut „verpflichtet“ sei, für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen.6 Demgegenüber spricht § 82 Abs. 1 VVG 2008 jetzt davon, dass der Versicherungsnehmer für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen hat. Die „Verbindlichkeitstheorie“ kann also auch insofern nicht mehr auf den Gesetzeswortlaut gestützt werden.7
2. Abgrenzung von Rechtspflichten und Obliegenheiten Der genaue Unterschied zwischen echten Rechtspflichten und bloßen Obliegenheiten ist in der Literatur bislang nicht geklärt. Weitgehend anerkannt ist heute aber, dass Obliegenheiten nicht als bloße Voraussetzungen für die Erhaltung eines Anspruchs angesehen werden können.8 Denn dieser Ansatz verkennt die strukturellen Übereinstimmungen zwischen Rechtspflichten und Obliegenheiten, die darin bestehen, dass dem Normadressaten in beiden Fällen ein bestimmtes Verhalten aufgegeben wird.9 Ein Teil der Literatur sieht das Charakteristikum der Obliegenheiten darin, dass die Verhaltensanforderungen dem Normadressaten im eigenen Interesse auferlegt werden und von ihm auch im eigenen Interesse zu befolgen
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Motive zum VVG von 1908, 1963, S. 136; Hager/Bruck, Reichsgesetz über den Versicherungsvertrag, 2. Aufl. 1910, Anm. 1; Kisch, WuRdVers 1928, 1, 86 f.; Ehrenzweig, Deutsches (Österreichisches) Versicherungsvertragsrecht, Wien 1952, S. 272. In Österreich werden die einschlägigen Verhaltensanforderungen noch heute meist als echte Rechtspflichten qualifiziert (Beckmann, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 2004, § 15 Rn. 118). Vgl. statt vieler BGH VersR 1972, 1039, 1040; Bruck/Möller/Möller, VVG, Bd. 2, 8. Aufl. 1980, § 62 Anm. 5; Berliner Kommentar/Beckmann, VVG, 1999, § 62 Rn. 4; Deutsch, Versicherungsvertragsrecht, 5. Aufl. 2005, Rn. 286. Prölss/Martin/Prölss, VVG, 27. Aufl. 2004, § 6 Rn. 30. Zur Einordnung des § 82 VVG 2008 als Obliegenheit Deutsch (Fn. 2) Rn. 211, 281; Meixner/Steinbeck, Das neue Versicherungsvertragsrecht, 2008, § 2 Rn. 22. So aber die sog. Voraussetzungstheorie, vgl. dazu die Nachweise bei Prölss/Martin/Prölss (Fn. 6) § 6 Rn. 30. Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 299 ff. Zur Kritik an der Voraussetzungstheorie vgl. auch Deutsch (Fn. 2) Rn. 207.
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sind.10 Hiergegen ist aber einzuwenden, dass es nicht Sache der Rechtsordnung sein kann, dem Einzelnen vorzugeben, ob und auf welche Weise er seine eigenen Interessen zu schützen hat.11 Obliegenheiten bezwecken daher ebenso wie Rechtspflichten einen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten. So dient die Rettungsobliegenheit des Versicherungsnehmers dem Interesse des Versicherers und der Versichertengemeinschaft an einer sachgemäßen Begrenzung des versicherten Risikos.12 Die Anknüpfung an die Interessenlage bei der Befolgung der Obliegenheiten hilft ebenfalls nicht weiter. Denn in gewisser Weise liegt auch die Befolgung von Pflichten im wohlverstandenen Eigeninteresse des Normadressaten, weil er so die an die Verletzung geknüpfte Sanktion (insbesondere eine Schadensersatzpflicht) vermeiden kann.13 Die Besonderheit der Obliegenheiten besteht somit allein darin, dass die Rechtsordnung dem Normadressaten freistellt, ob er die Verhaltensanforderung einhält oder nicht; er muss gegebenenfalls nur den angedrohten Rechtsnachteil tragen.14 Ein kategorisches Ge- oder Verbot ist entbehrlich, weil die Interessen der anderen Partei durch den Eintritt des Rechtsnachteils ausreichend geschützt sind. Rechtspflichten sind dagegen unbedingt zu befolgen, also auch dann, wenn der Normadressat bereit wäre, die angedrohte Sanktion auf sich zu nehmen.15
3. Vergleich mit dem Mitverschulden nach § 254 Abs. 2 BGB Aus dogmatischer Sicht weist die Rettungsobliegenheit nach § 82 VVG 2008 einen engen Zusammenhang mit § 254 Abs. 2 S. 1 BGB auf.16 In beiden Fällen trifft den Normadressaten die Obliegenheit, einen drohenden Schaden abzuwenden oder zu mindern.17 In der Literatur wird teilweise sogar mit einem Erst-RechtSchluss argumentiert. Wenn der Geschädigte nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB schon gegenüber dem schuldigen Schädiger zur Abwendung oder Minderung des Schadens gehalten sei, so müsse dies „umso gewisser“ gegenüber dem Versicherer gelten, der nach dem Versicherungsvertrag für den Schaden einzustehen habe.18 Bei dieser Betrachtung erscheint allerdings überraschend, dass der Geschädigte gegenüber dem Schädiger für jede Fahrlässigkeit verantwortlich ist, während der Versicherungsnehmer sich im Verhältnis zum Versicherer nur Vorsatz und grobe 10
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Vgl. statt vieler Bruck/Möller/Möller, VVG, Bd. 1, 8. Aufl. 1961, § 6 Anm. 5; BK/Schwintowski (Fn. 5) § 15, 17; Deutsch (Fn. 2) Rn. 205; ders., Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 567. Vgl. Looschelders (Fn. 9) S. 189 ff. Zum Schutzzweck der Rettungsobliegenheit vgl. Bruck/Möller/Möller (Fn. 5) § 62 Anm. 3; BK/Beckmann (Fn. 5) § 62 Rn. 2. Vgl. Prölss/Martin/Prölss (Fn. 6) § 6 Rn. 30. Deutsch (Fn. 2) Rn. 205. Vgl. Looschelders (Fn. 9) S. 210. Zu dieser Parallele R. Schmidt, Die Obliegenheiten, 1953, S. 219 ff.; BK/Beckmann (Fn. 5) § 62 Rn. 3; einschränkend Bruck/Möller/Möller (Fn. 5) § 62 Anm. 6. Zur Obliegenheitsverletzung als notwendigem Element des Mitverschuldens vgl. Deutsch (Fn. 10) Rn. 567; Looschelders (Fn. 9) S. 216 ff. So Ehrenzweig (Fn. 4) S. 272.
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Fahrlässigkeit anrechnen lassen muss.19 Der unterschiedliche Verschuldensmaßstab erklärt sich indes daraus, dass der Geschädigte im Rahmen des § 254 BGB nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht besser – freilich auch nicht schlechter – gestellt werden darf als der Schädiger.20 Bei § 82 VVG 2008 spielt der Gleichbehandlungsgrundsatz keine Rolle, weil der Versicherer nicht aufgrund eigenen Verschuldens, sondern aufgrund rechtsgeschäftlicher Bindung für den Schaden einstehen muss.21 Die Privilegierung des Versicherungsnehmers beruht auf dem Gedanken, dass der Versicherungsschutz durch eine Haftung für jede Fahrlässigkeit übermäßig eingeschränkt würde. Die unterschiedliche Interessenlage bei § 254 Abs. 2 S. 1 BGB und § 82 VVG 2008 spiegelt sich auch in der Einstandspflicht für Dritte wider. Während der Geschädigte sich aufgrund der Verweisung durch § 254 Abs. 2 S. 2 BGB das Verschulden jedes Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB anrechnen lassen muss, haftet der Versicherungsnehmer nach h.M. nur für das Verschulden seiner sog. Repräsentanten.22 Aus rechtstheoretischer Sicht wäre man zwar nicht gehindert, die Vorschrift des § 278 BGB auf die Verletzung versicherungsrechtlicher Obliegenheiten entsprechend anzuwenden. Denn § 254 Abs. 2 S. 2 BGB zeigt, dass § 278 BGB nicht nur bei Verletzung von Rechtspflichten eingreifen kann.23 Bei § 254 BGB beruht die Anwendbarkeit des § 278 BGB indes wiederum auf dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Demgegenüber spricht der Zweck der Versicherung gegen die Anwendung des § 278 BGB auf Obliegenheitsverletzungen, weil der Versicherungsnehmer sich durch den Versicherungsvertrag im Allgemeinen auch vor dem Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen schützen will.24
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Die Privilegierung ist durch die Novelle von 1939 eingeführt worden. Nach der ursprünglichen Fassung musste der Versicherungsnehmer noch für jedes Verschulden einstehen (vgl. Hager/Bruck [Fn. 4] § 62 Anm. 1). Zur Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei § 254 BGB Deutsch (Fn. 10) Rn. 563 ff.; Looschelders (Fn. 9) S. 128 ff. In der Literatur finden sich allerdings Ansätze, den Mitverschuldenseinwand zumindest im Verkehrsunfallrecht aus sozialen Gründen auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu begrenzen (vgl. Deutsch, ZRP 1983, 137 ff.; für Ausbau des Sozialversicherungsschutzes Karollus, ZfRV 1992, 161 ff.). Zur entsprechenden Problematik im Verhältnis von § 254 BGB und § 81 VVG 2008 Looschelders, VersR 2008, 1, 6. Zur Repräsentantenhaftung vgl. Deutsch (Fn. 2) Rn. 230, 277; Looschelders, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 2004, § 17 Rn. 29 ff.; für Anwendbarkeit des § 278 BGB Prölss/Martin/Prölss (Fn. 6) § 6 Rn. 48. Vgl. Looschelders (Fn. 22) § 17 Rn. 24; R. Schmidt (Fn. 16) S. 283 ff.; im gleichen Sinne bezeichnet Deutsch (Fn. 2) Rn. 229 das Fehlen einer Rechtspflicht als „eher vordergründige Rechtfertigung“ für die Unanwendbarkeit des § 278 BGB. Bruck/Möller/Möller (Fn. 10) § 6 Anm. 73; Looschelders (Fn. 22) § 17 Rn. 25.
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III. Beginn der Rettungsobliegenheit 1. Abkehr von der „Vorerstreckungstheorie“ bei der Rettungsobliegenheit Die Rettungsobliegenheit des Versicherungsnehmers setzt nach § 82 Abs. 1 VVG 2008 „bei Eintritt des Versicherungsfalles“ ein. Dem Wortlaut nach besteht Übereinstimmung mit § 62 Abs. 1 VVG a.F. In der Sachversicherung war die h.M. vor der Reform allerdings davon ausgegangen, dass die Rettungsobliegenheit nach § 62 VVG a.F. bereits dann eingreift, wenn der Versicherungsfall unmittelbar bevorsteht.25 Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass der Versicherungsnehmer nicht den Eintritt des Versicherungsfalls abwarten dürfe, sondern schon vorher Abwehrmaßnahmen ergreifen müsse. Den meisten Vertretern der „Vorerstreckungstheorie“ ging es freilich vor allem darum, dem Versicherungsnehmer auch dann einen Aufwendungsersatzanspruch nach § 63 VVG a.F. zu verschaffen, wenn der Versicherungsfall bei Vornahme der Rettungshandlung noch nicht eingetreten war, aber unmittelbar bevorstand.26 In der Haftpflichtversicherung war die Geltung der Vorerstreckungstheorie umstritten. Der BGH hatte die Frage in neueren Entscheidungen wiederholt offen gelassen.27 Auf der Grundlage des neuen VVG lässt sich die Vorerstreckungstheorie für die Rettungsobliegenheit nicht aufrechterhalten.28 Denn der Gesetzgeber hat in § 90 VVG 2008 für die Sachversicherung ausdrücklich angeordnet, dass die Vorerstreckungstheorie nur in Bezug auf den Aufwendungsersatz gelten soll. Für die Haftpflichtversicherung fehlt eine entsprechende Regelung zwar. Eine Vorerstreckung der Rettungsobliegenheit aus § 82 VVG 2008 ist aber schon deshalb abzulehnen, weil der Versicherungsnehmer sonst entgegen der Wertung des § 103 VVG 2008 nicht nur für Vorsatz einstehen müsste. Man kann sich daher allenfalls fragen, ob die Vorschrift des § 90 VVG 2008 bei der Haftpflichtversicherung entsprechend angewendet werden kann. Da der Gesetzgeber den erweiterten Aufwendungsersatzanspruch bewusst auf die Sachversicherung beschränkt hat, fehlt es insoweit jedoch an der erforderlichen Regelungslücke.29
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BGHZ 113, 359, 361; BGH VersR 1985, 656; VersR 1994, 1181; VersR 2003, 1250; BK/Beckmann (Fn. 5) § 62 Rn. 40; Bruck/Möller/Möller (Fn. 5) § 62 Anm. 29. Vgl. Römer/Langheid/Römer, VVG, 2. Aufl. 2003, § 62 Rn. 2; Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen, VVG, Bd. 3, 8. Aufl. 2002, Anm. G 152. BGHZ 113, 359, 361; BGH VersR 1994, 1181; ablehnend noch BGHZ 43, 88, 93 f. Begr. RegE., BT-Drucks. 16/3945 S. 80, S. 82 f.; Marlow/Spuhl, Das neue VVG kompakt, 3. Aufl. 2008, S. 161. So i. E. auch Burmann/Heß/Höke/Stahl, Das neue VVG im Straßenverkehrsrecht, 2008, Rn. 425; Rixecker, zfs 2007, 255, 256. Zu den Gründen für die Unanwendbarkeit des § 90 VVG 2008 außerhalb der Sachversicherung vgl. Begr. RegE., BT-Drucks. 16/3945 S. 83.
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2. Verhältnis zur Herbeiführung des Versicherungsfalls nach § 81 VVG 2008 Die Aufgabe der Vorerstreckungstheorie hat zur Folge, dass der Versicherungsnehmer die Rettungsobliegenheit aus § 82 VVG 2008 erst erfüllen muss, sobald die versicherte Gefahr (z.B. Feuer) beginnt, sich schädigend auf das versicherte Interesse (z.B. an einer Sache) auszuwirken. Hieraus folgt aber keineswegs, dass es dem Versicherungsnehmer nicht schadet, wenn er vor diesem Zeitpunkt angesichts einer Gefahr für das versicherte Interesse untätig bleibt. Vor Eintritt des Versicherungsfalls richtet sich der Ausschluss bzw. die Kürzung seines Leistungsanspruchs nach den Vorschriften über die Herbeiführung des Versicherungsfalls (insbesondere § 81 VVG 2008).30 Das wirft indes einige interessante dogmatische Fragen auf. a) Einordnung der Verhaltensanforderungen vor Eintritt des Versicherungsfalls Ob der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall durch Unterlassen „herbeiführen“ kann, war früher sehr umstritten.31 In der neueren Rechtsprechung und Literatur wird die Frage allgemein bejaht.32 Gleichwohl wird meist daran festgehalten, dass den Versicherungsnehmer vor Eintritt des Versicherungsfalls weder eine Pflicht noch eine Obliegenheit zur Verhütung des Schadens trifft.33 Diese Sichtweise erscheint jedoch problematisch, weil Unterlassungen nach allgemeinen Grundsätzen nur relevant sind, wenn der Normadressat zur Vornahme einer entsprechenden Handlung gehalten ist.34 Vorzugswürdig ist daher die Auffassung, dass § 81 VVG 2008 ebenso wie § 82 VVG 2008 an die Verletzung von Verhaltensnormen anknüpft, die strukturell den Obliegenheiten entsprechen.35 Die traditionelle Einordnung als subjektiver Risikoausschluss bzw. subjektive Risikobeschränkung kann dennoch aufrechterhalten werden, weil damit nur zum Ausdruck gebracht wird, dass der Versicherer das Risiko der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls von vornherein ausschließt bzw. nur in beschränktem Umfang übernimmt.36 Dabei handelt es sich aber um eine terminologische Frage, mit der keine praktischen Konsequenzen verbunden sind. 30 31
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Vgl. Begr. RegE., BT-Drucks. 16/3945 S. 80; Armbrüster, ZVersWiss 2001, 501, 511. Ablehnend z.B. Bruck, VVG, 7. Aufl. 1932, § 61 Anm. 18; von BGHZ 42, 295, 299 noch offen gelassen. Vgl. BGH VersR 1976, 649; VersR 1986, 962, 963; VersR 1989, 582, 583; Bruck/Möller/Möller (Fn. 5) § 61 Anm. 29; Prölss/Martin/Prölss (Fn. 6) § 61 Rn. 6. BGH VersR 1976, 649; VersR 1984, 25, 26; BK/Beckmann (Fn. 5) § 61 Rn. 7 f.; Prölss/Martin/Prölss (Fn. 6) § 61 Rn. 2; Römer/Langheid/Römer (Fn. 26) § 61 Rn. 2, 11; a.A. Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl. 1992, Rn. O I 61 ff. Zur parallelen Problematik im Haftungsrecht vgl. Deutsch (Fn. 10) Rn. 98 ff. Looschelders, VersR 2008, 1, 3 ff.; ähnlich Martin (Fn. 33) Rn. O I 61 ff.; weitergehend Deutsch (Fn. 2) Rn. 275, der eine „Obliegenheit zur Verhütung des Schadens“ anerkennen will. Looschelders, VersR 2008, 1, 2; a.A. in Bezug auf § 81 Abs. 2 VVG 2008 Deutsch (Fn. 2) Rn. 275.
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So kann die dogmatische Einordnung als subjektiver Risikoausschluss entgegen der h.M.37 nicht dazu führen, dass der Versicherer sich in der KfzHaftpflichtversicherung gegenüber dem Direktanspruch des Geschädigten auf seine Leistungsfreiheit nach § 103 VVG 2008 berufen kann.38 b) Verschärfung der Verhaltensanforderungen bei Eintritt des Versicherungsfalls Die strukturelle Übereinstimmung der Verhaltensnormen, denen der Versicherungsnehmer sich nach § 81 und 82 VVG 2008 gegenübersieht, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Eintritt des Versicherungsfalls die beweisrechtliche Stellung des Versicherungsnehmers deutlich verschlechtert. Während der Versicherer bei § 81 VVG 2008 alle tatbestandlichen Voraussetzungen einschließlich der Kausalität zwischen dem Verhalten des Versicherungsnehmers und dem Eintritt des Versicherungsfalls und der subjektiven Merkmale „Vorsatz“ und „grobe Fahrlässigkeit“ nachweisen muss, sieht § 82 Abs. 3 S. 2 HS. 2, Abs. 4 S. 1 VVG 2008 eine Beweislastumkehr bei der Kausalität und der groben Fahrlässigkeit vor.39 Die unterschiedliche Verteilung der Beweislast wird damit begründet, dass es bei der Herbeiführung des Versicherungsfalls an einer Obliegenheitsverletzung fehlt, die eine Beweislastumkehr rechtfertigt.40 Geht man davon aus, dass die dem § 81 VVG zugrunde liegenden Verhaltensanforderungen den Obliegenheiten entsprechen oder sogar als solche zu qualifizieren sind,41 so erscheint die Legitimität der Differenzierung aber zweifelhaft. Bei den vertraglichen Obliegenheiten lässt sich noch darauf abstellen, dass den Versicherungsnehmer konkrete objektive Verhaltensanforderungen treffen; kann der Versicherer die Verletzung einer solchen Verhaltensanforderung nachweisen, so lässt sich die Beweislastumkehr auf der subjektiven Seite mit den gleichen Erwägungen wie bei Pflichtverletzungen (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB) rechtfertigen.42 Bei § 82 VVG 2008 hilft der Hinweis auf die größere Bestimmtheit „echter“ Obliegenheiten dagegen im Allgemeinen nicht weiter, weil die Rettungsobliegenheit – sofern sie weder durch die AVB noch durch Weisungen des Versicherers konkretisiert wird – sehr allgemein und offen formuliert ist, so dass der Versicherungsnehmer die erforderlichen Maßnahmen in der gleichen Weise wie bei § 81 VVG 2008 selbst konkretisieren muss. In der 37
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Zum alten Recht BGH VersR 1971, 239, 240; OLG Düsseldorf VersR 2003, 1248; Prölss/Martin/Knappmann (Fn. 6) § 158c Rn. 18 und § 3 Nr. 4 PflVG Rn. 2. Die Begründung zum Regierungsentwurf (BT-Drucks. 16/3945 S. 89) geht davon aus, dass hieran auch nach der Reform festzuhalten ist. So auch Deutsch (Fn. 2) Rn. 280; ausführlich dazu Looschelders, VersR 2008, 1, 2 f. und GPR 2007, 273, 275. Zur Beweislast bei § 82 VVG 2008 Deutsch (Fn. 2) Rn. 283; Marlow/Spuhl (Fn. 28) S. 161; Rixecker, zfs 2007, 255, 256. Vgl. Begr. RegE., BT-Drucks. 16/3945 S. 80. So bei § 81 Abs. 2 VVG 2008 Deutsch (Fn. 2) Rn. 275. In sachlicher Hinsicht besteht zwischen beiden Auffassungen kein Unterschied. Die Einordnung hängt insoweit allein davon ab, ob man einen engeren oder weiteren Begriff der Obliegenheiten zugrunde legt. Vgl. Looschelders, VersR 2008, 1, 4 f.
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Reformdiskussion ist daher die Auffassung vertreten worden, dass die Beweislastverteilung hinsichtlich des Verschuldens bei der allgemeinen Rettungsobliegenheit nicht anders als bei der Herbeiführung des Versicherungsfalls ausgestaltet werden sollte.43 Der Gesetzgeber ist diesem Vorschlag jedoch nicht gefolgt. Diese Wertentscheidung muss akzeptiert werden, zumal der Eintritt des Versicherungsfalls eine gewisse Zäsur darstellt und eine höhere Appellwirkung gegenüber dem Versicherungsnehmer entfaltet. Die beweisrechtlichen Besonderheiten des § 81 VVG 2008 erklären sich vor diesem Hintergrund vor allem aus dem berechtigten Bestreben, dem Versicherungsnehmer vor Eintritt des Versicherungsfalls keine übermäßigen Verhaltensanforderungen aufzuerlegen, die dem Zweck der Versicherung zuwider laufen würden. In Bezug auf die Kausalität wird die Beweislastumkehr bei den vertraglichen Obliegenheiten (§ 28 Abs. 3 S. 1 VVG 2008) mit deren Zweck gerechtfertigt, den Eintritt des Versicherungsfalls bzw. des Schadens zu verhindern oder dem Versicherer die Feststellung der Leistungspflicht zu ermöglichen.44 Diese Erwägung trifft auch auf die Rettungsobliegenheit zu. Die Beweislastumkehr nach § 82 Abs. 4 S. 1 VVG 2008 erscheint insoweit also konsequent.
IV. Umfang der Rettungsobliegenheit 1. Das Kriterium der Zumutbarkeit Der Umfang der Rettungsobliegenheit ist bei der Reform nicht verändert worden. Der Gesetzgeber hat lediglich klargestellt, dass der Versicherungsnehmer die Weisungen des Versicherers nur im Rahmen des Zumutbaren zu befolgen hat (§ 82 Abs. 2 S. 1 VVG).45 Damit soll deutlich gemacht werden, dass sich der Versicherer bei der Erteilung einer Weisung nicht über berechtigte Interessen des Versicherungsnehmers hinwegsetzen darf.46 Der Sache nach hat sich aber nichts geändert, weil die Zumutbarkeitsgrenze bei der Befolgung von Weisungen bislang aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleitet werden konnte.47 Soweit der Versicherer die Rettungsobliegenheit nicht durch die AVB oder durch Weisungen konkretisiert hat, muss ihre Reichweite aufgrund einer Interessenabwägung im Einzelfall festgestellt werden. Die Rechtsprechung stellt darauf ab, welche Maßnahmen ein ordentlicher Versicherungsnehmer nach pflichtgemäßem Ermessen zur Abwendung oder Minderung des Schadens getroffen hätte. Der Versicherungsnehmer habe „die in der jeweiligen Situation möglichen und zumutbaren Rettungsmaßnahmen unverzüglich und mit der im Verkehr erforderlichen 43 44 45 46 47
Armbrüster, ZVersWiss 2001, 501, 509. Vgl. Looschelders, VersR 2008, 1, 5; Prölss, ZVersWiss 2001, 471, 481. Vgl. Grote/Schneider, BB 2007, 2689, 2696. Vgl. Begr. RegE., BT-Drucks. 16/3945 S. 80. Vgl. BGH NJW 1962, 491; OLG Hamburg VersR 1984, 258, 259; Bruck/Möller/Möller (Fn. 5) § 62 Rn. 22.
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Sorgfalt zu ergreifen, wie wenn er nicht versichert wäre“.48 Die Anknüpfung an das Verhalten einer nicht versicherten Person steht in einem gewissen Gegensatz zum Zweck der Versicherung, dem Versicherungsnehmer das Risiko des Schadenseintritts abzunehmen.49 Das Spannungsverhältnis lässt sich aber mit dem Kriterium der Zumutbarkeit auflösen. Eine nicht versicherte Person würde vielleicht überobligatorische Anstrengungen entfalten, um den Eintritt des Schadens zu verhindern. Das Unterlassen solcher Anstrengungen kann nach § 82 VVG 2008 aber nicht zu Lasten des Versicherungsnehmers gehen.50 Das gleiche Spannungsverhältnis besteht auch bei § 254 Abs. 2 S. 1 BGB. Die h.M. stellt hier darauf ab, wie sich ein einsichtiger und besonnener Mensch verhalten hätte, wenn er den Schaden nicht auf einen anderen abwälzen könnte. Das heißt aber nicht, dass der Geschädigte seine übliche Lebensführung einschränken oder übermäßige Belastungen auf sich nehmen müsste.51
2. Besonderheiten bei der Obliegenheit zur Duldung von Operationen Besondere Bedeutung kommt dem Kriterium der Zumutbarkeit bei der Frage zu, ob der Versicherungsnehmer zur Minderung des Schadens eine Operation auf sich nehmen muss. Das Problem stellt sich vor allem in der Kranken-, Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherung. Soweit die Krankenversicherung nach den Grundsätzen der Schadensversicherung betrieben wird, beurteilt sich die Obliegenheit zur Schadensminderung gemäß § 194 Abs. 1 VVG 2008 nach den allgemeinen Regeln des § 82 VVG 2008. Auf die Unfall- und Berufunfähigkeitsversicherung ist § 82 VVG 2008 nicht anwendbar. Dies ergibt sich bei der Berufsunfähigkeitsversicherung daraus, dass es sich um eine Summenversicherung handelt.52 Bei der Unfallversicherung schließt § 184 VVG 2008 die Anwendbarkeit des § 82 VVG 2008 selbst für den Fall aus, dass sie als Schadensversicherung betrieben wird.53 Die Unanwendbarkeit des § 82 VVG 2008 hindert den Versicherer aber nicht an der Statuierung von Rettungsobliegenheiten in den AVB. So findet sich in § 4 Nr. 4 BUZ 99 und § 1 Nr. 1 AUB 2008 die Klausel, dass der Versicherungsnehmer die Anordnungen seines Arztes zu befolgen hat; nach h.M. kann dazu auch die Duldung einer vom Arzt für notwendig erachteten Operation zählen,54 obwohl fraglich erscheint, ob die Duldung einer Operation 48 49 50 51 52
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BGH VersR 1972, 1039, 1040; Prölss/Martin/Voit/Knappmann (Fn. 6) § 62 Rn. 11. Zu diesem Spannungsverhältnis R. Schmidt, NVersZ 1999, 401, 404. Vgl. Looschelders (Fn. 9) S. 464 Fn. 29. BGHZ 115, 364, 368 f.; Looschelders (Fn. 9) S. 464 f. Vgl. Rixecker, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 2004, § 46 Rn. 210; für entsprechende Anwendung des § 62 VVG a.F. Benkel/Hirschberg, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung, 1990, § 4 BUZ Rn. 32. Vgl. Begr. RegE., BT-Drucks. 16/3945 S. 108. Vor der Reform sah § 183 VVG a.F. eine Rettungsobliegenheit des Versicherungsnehmers sogar bei Ausgestaltung der Unfallversicherung als Summenversicherung vor. Vgl. Prölss/Martin/Knappmann (Fn. 6) § 9 AUB Rn. 6; Grimm, Unfallversicherung,
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„angeordnet“ werden kann.55 Keine Probleme bereitet insofern der Wortlaut des § 9 Nr. 4 MB/KT 2008, wonach die versicherte Person in der Krankentagegeldversicherung „für die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu sorgen … und die Weisungen des Arztes gewissenhaft zu befolgen“ hat. Lehnt man die Zulässigkeit von „Weisungen“ in Bezug auf die Duldung einer Operation ab, kann jedenfalls auf das allgemeine Gebot zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit abgestellt werden. Unabhängig von der konkreten Rechtsgrundlage muss in jedem Fall geprüft werden, ob dem Versicherungsnehmer die Duldung der Operation zumutbar ist. Bei der Interessenabwägung fällt auf Seiten des Versicherungsnehmers ins Gewicht, dass es nach der Rechtsprechung des BGH „eine höchsteigene Entscheidung des Patienten und Versicherten bleiben [muss], ob er sich zu diesem wesentlichen Eingriff in seine körperliche Integrität angesichts der damit verbundenen Risiken und Belastungen entschließt oder nicht“.56 Vor diesem Hintergrund kann man nicht allein darauf abstellen, ob ein vernünftiger Patient ohne Versicherungsschutz die Operation auf sich genommen hätte. Vielmehr müssen auch die individuellen Verhältnisse des Versicherungsnehmers berücksichtigt werden. Dem Grundsatz nach hat der Versicherer zwar ein berechtigtes Interesse daran, nicht mit den Folgen von unvernünftigen Entscheidungen des Versicherungsnehmers belastet zu werden. Soweit es um höchstpersönliche Entscheidungen geht, kann der Versicherer aber mit Rücksicht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Versicherungsnehmers (Art. 1, 2 Abs. 1 GG) nicht darauf vertrauen, dass dieser sich wie ein besonnener und vernünftiger Angehöriger seines Verkehrskreises verhält. Die h.M. knüpft daher zu Recht an die Grundsätze an, die für die Zumutbarkeit einer Operation bei § 254 Abs. 2 S. 1 BGB entwickelt worden sind.57 Selbst wenn der Eingriff nach dem Stand der Medizin einfach, gefahrlos und ohne besondere Schmerzen durchführbar ist und sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bietet – was ohnehin nur in seltenen Fällen denkbar ist – 58, kann sich der Betroffene immer noch darauf berufen, dass ihm die Duldung der Operation aus persönlichen Gründen nicht zumutbar sei.59 Die Feststellung, dass
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4. Aufl. 2006, § 7 AUB 99 Rn. 5; Benkel/Hirschberg (Fn. 52) § 4 BUZ Rn. 31. Krit. unter diesem Aspekt Prölss/Martin/Voit/Knappmann (Fn. 6) § 4 BUZ Rn. 9; im konkreten Fall zweifelnd auch OLG Hamm r+s 1991, 389, 390. BGH VersR 1991, 57 = r+s 1991, 68, 69. So LG Stuttgart VersR 1980, 161 (§ 62 a.F.); OLG Hamm r+s 1991, 389 (zu § 4 Nr. 4 BUZ); Rixecker (Fn. 52) § 46 Rn. 214; Prölss/Martin/Knappmann (Fn. 6) § 9 AUB 94 Rn. 6; zur parallelen Rechtslage bei § 61 schweiz. VVG vgl. VVG-Komm/Hönger/ Süsskind Art. 61 Rn 16. Krit. Prölss/Martin/Voit/Knappmann (Fn. 6) § 4 BUZ Rn. 10, wonach es dem Versicherer generell verwehrt sein soll, die Entscheidung des Versicherungsnehmers über die Duldung einer Operation zu beeinflussen. Den diesbezüglichen Bedenken lässt sich aber durch die Subjektivierung des Zumutbarkeitsmaßstabs Rechnung tragen. Nach h.M. liegen diese Voraussetzungen selbst bei chirurgischen Routineeingriffen nicht zwangsläufig vor, vgl. Rixecker (Fn. 52) § 46 Rn. 214; a.A. OLG Koblenz r+s 1994, 35. Zur Subjektivierung des Zumutbarkeitsmaßstabs bei § 254 Abs. 2 S. 1 BGB vgl. RGZ 139, 131, 134 f.; BGHZ 10, 18, 19; BGH VersR 1987, 408, 409 m. Anm. Deutsch,
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die Zumutbarkeit einer Operation sich bei der Schadensminderungsobliegenheit nicht objektiv, sondern subjektiv bestimmt,60 gilt damit auch für die Rettungsobliegenheit des Versicherungsnehmers.
V. Subjektive Voraussetzungen Auf der subjektiven Ebene bleibt es wie nach altem Recht dabei, dass der Versicherungsnehmer sich nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit entgegenhalten lassen muss. Beide Begriffe bestimmen sich nach den allgemeinen Kriterien. Bei der groben Fahrlässigkeit besteht allerdings die Besonderheit, dass auch subjektive Gegebenheiten relevant sind.61 Ob eine solche Subjektivierung wirklich in allen Fällen gerechtfertigt ist, in denen das Gesetz auf grobe Fahrlässigkeit abstellt,62 erscheint zweifelhaft,63 mag hier aber dahinstehen. Im Rahmen des § 82 VVG 2008 rechtfertigt sich die Subjektivierung jedenfalls daraus, dass es bei den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers allein um den internen Interessenausgleich im Verhältnis zum Versicherer geht. Es gibt also keine Verkehrsschutzerwägungen, die eine Objektivierung des Verschuldensmaßstabs rechtfertigen.64 In der Literatur wird zwar die Auffassung vertreten, dass es den durchschnittlichen Mitgliedern der Versichertengemeinschaft nicht zumutbar sei, die individuellen Defizite einzelner Versicherungsnehmer über ihre Prämie mitfinanzieren zu müssen.65 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass auch der unterdurchschnittliche Versicherungsnehmer ein legitimes Interesse an ausreichendem Versicherungsschutz hat.66 Bei der Bestimmung der groben Fahrlässigkeit ist zu beachten, dass der Versicherungsnehmer meist völlig überraschend mit dem Eintritt des Versicherungsfalls konfrontiert wird. Es erscheint daher verständlich, wenn er aus Verwirrung oder Schrecken nicht die geeigneten Maßnahmen trifft. Davon abgesehen kann sich bei
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VersR 1987, 559 f.; BGH NJW 1994, 1592, 1593; MünchKomm/Oetker, BGB, Bd. 2, 5. Aufl. 2007, § 254 Rn. 81; Deutsch (Fn. 10) Rn. 573. Looschelders (Fn. 9) S. 473 ff.; ders., Schuldrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2007, Rn. 1032. Deutsch, VersR 1987, 559 f. mit rechtsvergleichenden Hinweisen. Vgl. Deutsch (Fn. 2) Rn. 281; zu § 62 VVG a.F. BGH NJW 1972, 1810 = VersR 1972, 1039, 1040 (verkürzt); VersR 1985, 730; VersR 1987, 351, 352; Bruck/Möller/Möller (Fn. 5) § 62 Anm. 37. Zum Begriff der groben Fahrlässigkeit s. auch unten VI. 2 a). So die h.M., vgl. BGHZ 10, 14, 17; 119, 147, 149; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 277 Rn. 5; Jauernig/Stadler, BGB, 12. Aufl. 2007, § 276 Rn. 33; einschränkend MünchKomm/Grundmann (Fn. 59) § 276 Rn. 95. Für eine Differenzierung nach den besonderen Bedürfnissen und Funktionen des speziellen Rechtsgebiets Deutsch (Fn. 2) Rn. 220; ders. (Fn. 10) Rn. 425 f.; ders., VersR 2004, 1485, 1487; speziell zum gutgläubigen Erwerb auch Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 2. Aufl. 1995, S. 344 ff. Zur parallelen Interessenlage auf der Rechtsfolgenseite des § 254 BGB vgl. Deutsch (Fn. 10) Rn. 572. So etwa Prölss/Martin/Prölss (Fn. 6) § 61 Rn. 13; Müller, VersR 1985, 1101 ff. (jeweils zu § 61 VVG a.F.). Zur parallelen Interessenlage bei der Herbeiführung des Versicherungsfalls Looschelders, VersR 2008, 1, 5.
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der Verletzung der Rettungsobliegenheit – ebenso wie bei der Herbeiführung des Versicherungsfalls – das Problem des Augenblicksversagens stellen.67 Nach h.M. schließt ein Augenblicksversagen den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zwar nicht generell aus.68 Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Versicherungsnehmer sich in einer Situation befunden hat, in der von ihm ein besonderes Maß an Konzentration erwartet werden konnte. Repräsentativ ist das Heranfahren an eine Ampel. Eine mildere Bewertung ist aber geboten, wenn der Eintritt des Versicherungsfalls auf einem völlig ungewöhnlichen Ereignis beruht, mit dem der Versicherungsnehmer nicht rechnen musste.69
VI. Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung Ein grundlegender Wandel hat sich auf der Rechtsfolgenseite des § 82 VVG 2008 durch die Abkehr vom Alles-oder-nichts-Prinzip ergeben. Bei grober Fahrlässigkeit verliert der Versicherungsnehmer nicht mehr den ganzen Versicherungsanspruch; der Versicherer kann seine Leistung lediglich in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis kürzen (§ 82 Abs. 3 S. 2 VVG 2008). Das Kürzungsrecht des Versicherers besteht außerdem nur, soweit der Versicherungsnehmer nicht nachweisen kann, dass die Obliegenheitsverletzung weder für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht ursächlich war (§ 82 Abs. 4 S. 1 VVG 2008). Bei Vorsatz entfällt die Leistungspflicht des Versicherers vollständig (§ 82 Abs. 3 S. 1 VVG 2008). Sofern keine Arglist vorliegt, steht dem Versicherungsnehmer aber auch hier der Kausalitätsgegenbeweis offen. Die gleichen Grundsätze gelten für die Gefahrerhöhung (§ 26 Abs. 2 und 3 Nr. 1 VVG 2008) und die Verletzung vertraglicher Obliegenheiten (§ 28 Abs. 2 und 3 VVG 2008). Die Rechtsfolgen des § 82 VVG 2008 fügen sich somit in das System des neuen VVG ein.
1. Vergleich mit den Rechtsfolgen des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB In der Reformdiskussion ist die Abschaffung des Alles-oder-nichts-Prinzips teilweise auf erhebliche Kritik gestoßen,70 die hier nicht wieder aufgegriffen werden soll.71 Instruktiv ist aber ein Vergleich mit den Rechtsfolgen des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB. Zu dieser Vorschrift ist die Auffassung verbreitet, dass eine Aufteilung des 67 68
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Vgl. BGH VersR 1997, 351, 352; BK/Beckmann (Fn. 5) § 62 Rn. 51. Vgl. BGHZ 119, 147, 150; BGH VersR 2003, 364; Prölss/Martin/Prölss (Fn. 6) § 61 Rn. 12; Münch-Komm/Grundmann (Fn. 59) § 276 Rn. 101; Römer, VersR 1992, 1187 ff.; Looschelders, VersR 2008, 1, 5 f. Vgl. BGH VersR 1997, 351, 352. Vgl. etwa Armbrüster, Das Alles-oder-nichts-Prinzip im Privatversicherungsrecht, 2003; ders., ZVersWiss 2001, 501 ff.; ders., VersR 2003, 675 ff.; Steinbeck, Die Sanktionierung von Obliegenheitsverletzungen nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip, 2007. Zur Rechtfertigung der Quotelung vgl. – mit Blick auf § 81 VVG 2008 – Looschelders, VersR 2008, 1 f.
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Schadens im Regelfall unangemessen sei; soweit sich der vermeidbare Schadensteil vom Gesamtschaden abgrenzen lasse, müsse er nach dem Zweck der Schadensminderungsobliegenheit allein dem Geschädigten zur Last fallen.72 Dieser Ansatz kann jedoch schon bei § 254 Abs. 2 S. 1 BGB nicht uneingeschränkt praktiziert werden.73 Bei § 82 VVG 2008 kommt hinzu, dass der Reformgesetzgeber sich bewusst nicht darauf beschränkt hat, dem Versicherungsnehmer den Kausalitätsgegenbeweis zu eröffnen. Aus dem systematischen Verhältnis von § 82 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 VVG 2008 folgt vielmehr, dass die Quotelung sich gerade – und allein – auf den vermeidbaren Teil des Schadens bezieht.74 Bei § 254 Abs. 2 S. 1 BGB lässt sich eine stärkere Belastung des Geschädigten noch damit rechtfertigen, dass die Vorschrift primär auf die wechselseitigen Verursachungsbeiträge abstellt. Da die Minderung des Schadens regelmäßig im „Machtbereich“ des Geschädigten zu erfolgen hat, überwiegt meist auch dessen Verursachungsbeitrag. Bei § 82 VVG 2008 spielt dieser Gedanke keine Rolle, weil die Einstandspflichten der Beteiligten auf unterschiedlichen Zurechnungsgründen beruhen. 75 Nach dem Gewicht der Verursachungsbeiträge wäre der Schaden ohnehin stets allein vom Versicherungsnehmer zu tragen. In der Reformdiskussion ist zwar gefordert worden, den Grad der Ursächlichkeit – ebenso wie bei § 254 BGB – als eigenständigen Abwägungsfaktor vorzusehen.76 Der Gesetzgeber hat aber das Maß des Verschuldens zum alleinigen Kriterium erklärt. Der Grad der Ursächlichkeit kann daher bei § 82 VVG 2008 nur im Rahmen des Verschuldens gewürdigt werden. Die praktische Relevanz dieser Überlegungen lässt sich am Beispiel der Gebäude- und Hausratversicherung aufzeigen. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, es sei „nicht einzusehen, wenn ein Versicherer Vorräte, die vollständig gerettet worden wären, hätte der Versicherungsnehmer sie dem Hineinregnen in sein Lager rechtzeitig entzogen, was ihm ohne besonderen Aufwand möglich gewesen wäre, zu mehr als einem geringen Bruchteil entschädigen müsste.“77 Diese Argumentation erscheint insofern bedenklich, als sie den Eindruck erweckt, zu Lasten des Versicherungsnehmers falle ins Gewicht, dass die betreffenden Sachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Obliegenheit vollständig gerettet worden wären. Hiergegen spricht jedoch, dass die Quotelung nach § 82 Abs. 3 S. 2 VVG 2008 ohnehin nur für solche Schäden eingreift, welche durch die gebotene Handlung vermieden worden wären. Das besondere Gewicht des Verschuldens kann daher nur damit begründet werden, dass dem Versicherungsnehmer die Rettung der Vorräte ohne besonderen Aufwand möglich gewesen wäre.
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MünchKomm/Oetker (Fn. 59) § 254 Rn. 76, 107; Palandt/Heinrichs (Fn. 62) § 254 Rn. 65; Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, § 31 Ie; aus rechtsvergleichender Sicht Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, 1993, S. 250 ff. Zur Kritik BGH NJW 2001, 3257, 3258; Looschelders (Fn. 9) S. 561 ff. Vgl. Marlow/Spuhl (Fn. 28) S. 161; Meixner/Steinbeck (Fn. 7) § 2 Rn. 37. Vgl. oben II. 2. Vgl. Armbrüster (Fn. 70) Rn. 193 ff. So Rixecker, zfs 2007, 255, 256.
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2. Praktische Umsetzung des Quotenprinzips a) Der Begriff der groben Fahrlässigkeit Erhebliche Unsicherheiten bestehen hinsichtlich der konkreten Umsetzung des Quotenprinzips. Die Probleme beruhen in erster Linie darauf, dass der Begriff der groben Fahrlässigkeit sich einer genauen Definition entzieht.78 Die h.M. versteht darunter ein Verhalten, „bei dem die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen“.79 Wie der Jubilar treffend dargelegt hat, ist diese Formel jedoch „ungenau und ungeeignet“.80 Eine gewisse Konkretisierung lässt sich zwar erreichen, wenn man auf die Verletzung elementarer Sorgfaltsanforderungen abstellt.81 Da zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit nur ein gradueller Unterschied besteht,82 entzieht sich die genaue Grenzlinie aber einer stringenten Festlegung.83 Es kann daher nicht verwundern, dass die Abgrenzung von einfacher und grober Fahrlässigkeit in der Rechtsprechung zu einer unüberschaubaren Kasuistik geführt hat, wobei die Probleme bislang allerdings meist bei § 61 VVG a.F. aufgetreten sind.84 In der Literatur wird die Befürchtung geäußert, die mit der Abgrenzung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit verbundenen Probleme würden durch die Notwendigkeit einer feineren Unterscheidung im Rahmen der groben Fahrlässigkeit potenziert.85 Dieser Einwand verkennt jedoch, dass man es bei der Quotenbildung damit bewenden lassen kann, die ungefähre Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung zu bestimmen. Es geht also keineswegs darum, feste Kategorien der einfachen, mittleren und schweren groben Fahrlässigkeit zu entwickeln, unter die der Fall dann zu subsumieren wäre.86 Letztlich dürfte sich die Vorhersehbarkeit der Entscheidungen somit erhöhen. Dies entspricht auch den Erfahrungen aus der Schweiz, wo bei der „Modellvorschrift“ des Art. 14 schweiz. VVG meist nur über das „Ob“ der groben Fahrlässigkeit gestritten wird, nicht aber über deren genaues Ausmaß.87 Aus rechtstheoretischer Sicht wäre es dennoch vorzugswürdig, das unklare Merkmal der groben Fahrlässigkeit bei Obliegenheitsverletzungen überhaupt nicht zu verwenden. Der 78 79
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Treffend Deutsch (Fn. 2) Rn. 220; ders., VersR 2004, 1485, 1485. RGZ 141, 129, 131; BGHZ 10, 14, 16; 119, 89; 153, 161; BGH NJW 1994, 2093, 2094; BGH VersR 1999, 1004 m. Anm. E. Lorenz; Jauernig/Stadler (Fn. 62) § 276 Rn. 33; Palandt/Heinrichs (Fn. 62) § 277 Rn. 5. Deutsch (Fn. 2) Rn. 220; zur Kritik an der hergebrachten Definition der groben Fahrlässigkeit vgl. auch ders. (Fn. 10) Rn. 421. Deutsch (Fn. 2) Rn. 220; ders. (Fn. 10) Rn. 423. So überzeugend Larenz (Fn. 72) § 20 V. Zutreffend Begr. RegE., BT-Drucks. 16/3945 S. 49. Zur Problemstellung Looschelders, VersR 2008, 1. So Armbrüster, VersR 2003, 675, 677; Grote/Schneider, BB 2007, 2689, 2695; Franz, VersR 2008, 304. Krit. gegenüber einem solchen Vorgehen zu Recht Felsch, r+s 2007, 485, 492; für entsprechende Differenzierungen aber offenbar Schwintowski, VUR 2008, 1, 7. Vgl. Ritter, Die Folgen der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer in der Kasko-, Kfz-Haftpflicht- und Insassenunfallversicherung, 2005, S. 142.
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Verzicht auf die Sanktionierung grober Fahrlässigkeit würde aber den Präventionsinteressen des Versicherers nicht gerecht. So wäre die Rettungsobliegenheit bei einer solchen Lösung praktisch weitgehend obsolet. Die gesetzgeberische Entscheidung für das Quotenprinzip erscheint somit als tragbarer Kompromiss. b) Die maßgeblichen Abwägungskriterien Die vorstehenden Überlegungen entkräften auch den Einwand, dass es für die Quotelung bei Obliegenheitsverletzungen keine tauglichen Kriterien gebe, weil die besondere Schwere des Sorgfaltsverstoßes schon auf der tatbestandlichen Seite der einschlägigen Vorschriften vorausgesetzt werde und daher keine Differenzierungen der Rechtsfolgen ermögliche.88 Stellt die grobe Fahrlässigkeit eine graduelle Steigerung der einfachen Fahrlässigkeit dar, so markiert die besondere Schwere des Sorgfaltsverstoßes auf einer gedachten Schwereskala nämlich von vornherein keine punktuelle Größe, sondern einen bestimmten Bereich, der zwischen der einfachen Fahrlässigkeit und dem bedingten Vorsatz liegt.89 Die Möglichkeit einer graduellen Differenzierung ist der groben Fahrlässigkeit also immanent. Nach altem Recht war diese Frage aber nicht relevant, weil man sich mit der Feststellung begnügen konnte, dass das Verschulden des Versicherungsnehmers die Grenze zur groben Fahrlässigkeit überschritten hat. Zentrale Elemente der Fahrlässigkeit sind die Erkennbarkeit und die Vermeidbarkeit des Normverstoßes bzw. des Erfolges.90 Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit wird dadurch begründet, dass beide Elemente – oder wenigstens eines davon91 – in besonderem Maße gesteigert sind.92 Bei der Gewichtung der (groben) Fahrlässigkeit sind also alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Erkennbarkeit oder Vermeidbarkeit von Bedeutung sind. Weitere Differenzierungsmöglichkeiten bieten die subjektiven Gegebenheiten. Die für die grobe Fahrlässigkeit erforderliche Steigerung der subjektiven Vorwerfbarkeit93 ergibt sich im Regelfall aus der objektiven Schwere der Obliegenheitsverletzung. Es gibt aber zahlreiche subjektive Umstände, die das Gewicht der Obliegenheitsverletzung mindern können (z. B. Aufregung, verständliche Ablenkung, verminderte Einsichtsfähigkeit).94 Andere subjektive Faktoren (z.B. Rücksichtslosigkeit, Gedankenlosigkeit, Eigennutz) haben dagegen erschwerende Wirkung.95 88
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So Armbrüster (Fn. 70) Rn. 157; ders., VersR 2003, 675, 677; vgl. auch Felsch, r+s 2007, 485, 493 f. Vgl. Begr. RegE., BT-Drucks. 16/3945 S. 80; Deutsch (Fn. 2) Rn. 220. Vgl. MünchKomm/Grundmann (Fn. 59) § 276 Rn. 68 ff., 77 ff.; Deutsch (Fn. 10) Rn. 384; Looschelders (Fn. 59) Rn. 514. Aus rechttheoretischer Sicht handelt es sich um ein bewegliches System. Das hat zur Folge, dass das geringere Gewicht eines Elements durch das größere Gewicht des anderen kompensiert werden kann (vgl. MünchKomm/Grundmann [Fn. 59] § 276 Rn. 97). Vgl. MünchKomm/Grundmann (Fn. 59) § 276 Rn. 101 ff. Dazu BGH VersR 2003, 364; VersR 1997, 351, 352; VersR 1989, 840; MünchKomm/Grundmann (Fn. 59) § 276 Rn. 95; Schwintowski, VUR 2008, 1, 5. Vgl. Maier/Stadler, AKB 2008 und VVG-Reform, 2008, Rn. 129; Knappmann, VRR 2008, 10, 11. Vgl. Felsch, r+s 2007, 485, 495.
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c) Beweislast Besondere Schwierigkeiten bereitet die Aufspaltung der Beweislast im Rahmen der groben Fahrlässigkeit. § 82 Abs. 3 S. 2 HS. 2 VVG 2008 sieht vor, dass der Versicherungsnehmer die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt.96 Daraus lässt sich im Umkehrschluss folgern, dass den Versicherer die Beweislast für das Maß der groben Fahrlässigkeit trifft.97 Diese Auslegung wird durch die Regierungsbegründung zur parallelen Vorschrift des § 28 Abs. 3 S. 2 HS. 2 VVG 2008 bestätigt. Dort heißt es ausdrücklich, dass der Versicherer für das Verschuldensmaß, nach dem sich im Fall grober Fahrlässigkeit der Umfang der Leistungspflicht bestimmt, beweispflichtig ist.98 Welche Konsequenzen aus dieser Aufspaltung zu ziehen sind, wenn sich die für die grobe Fahrlässigkeit maßgeblichen Umstände nicht aufklären lassen, ist umstritten.99 Ein Teil der Literatur will grundsätzlich von einem durchschnittlichen Maß grober Fahrlässigkeit ausgehen, dem eine Leistungskürzung von 50 % entspricht.100 Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die vermutete grobe Fahrlässigkeit eine solche „mittlerer Art und Güte“ sei.101 Dieser Ansatz widerspricht aber der gesetzgeberischen Wertentscheidung, dass die Vermutung gerade nicht für das Maß des Verschuldens gelten soll.102 Auf der anderen Seite wäre es allerdings nicht mit dem Sinn der Vermutung vereinbar, die zulässige Kürzung bei Nichtaufklärbarkeit der für das Maß des Verschuldens relevanten Umstände auf eine minimale Quote von allenfalls 10% zu beschränken.103 Denn dadurch würde die Beweislastumkehr hinsichtlich des Vorliegens der groben Fahrlässigkeit praktisch entwertet und das Präventionsinteresse des Versicherers verletzt. Bei der Würdigung der Problematik ist zu berücksichtigen, dass eine Quotelung wegen vermuteter grober Fahrlässigkeit nur in Betracht kommt, wenn der Versicherer die objektive Obliegenheitsverletzung nachgewiesen hat. Da das Verschulden des Versicherungsnehmers auf die Obliegenheitsverletzung bezogen ist, wird es hierdurch auch maßgeblich geprägt.104 Mit der objektiven Obliegenheits96 97
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Vgl. Begr. RegE., BT-Drucks. 16/3945 S. 80; Deutsch (Fn. 2) Rn. 283. Rixecker, zfs 2007, 255, 256; ebenso ders., zfs 2007, 73 (zu § 28 Abs. 2 S. 2 VVG 2008); Deutsch (Fn. 2) Rn. 159 (zu § 26 VVG 2008) und Rn. 222 (zu § 28 Abs. 2 S. 2 VVG 2008); Marlow/Spuhl (Fn. 28) S. 75 (zu § 26 VVG) und S. 96 (zu § 28 Abs. 2 S. 2 VVG 2008); a.A. Pohlmann, VersR 2008, 437, 441, die dem Versicherungsnehmer auch die Beweislast für das Maß der groben Fahrlässigkeit aufbürden will. Begr. RegE., BT-Drucks. 16/3945 S. 68; dagegen Pohlmann, VersR 2008, 437, 441 mit dem Argument, dass diese Äußerung im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden hat. Der Meinungsstreit betrifft zwar vor allem die Vorschrift des § 28 Abs. 3 S. 2 HS. 2 VVG 2008; er lässt sich aber ohne weiteres auf § 82 Abs. 3 S. 2 HS. 2 VVG 2008 übertragen. So Meixner/Steinbeck (Fn. 7) § 1 Rn. 216; Felsch, r+s 2007, 485, 493; Knappmann, r+s 2002, 485, 486; Langheid, NJW 2007, 3665, 3669; Nugel, MDR 2007, S 23, S 26; Weidner/Schuster, r+s 2007, 363, 365. Vgl. Felsch, r+s 2007, 485, 486. So auch Marlow/Spuhl (Fn. 28) S. 96. Zutreffend Pohlmann, VersR 2008, 437, 440. Zur Bedeutung der objektiven Obliegenheitsverletzung für das Maß des Verschuldens
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verletzung steht also immer ein Ausgangswert zur Verfügung, der eine vorläufige Einordnung des Verschuldens in die Schwereskala ermöglicht.105 Macht der Versicherer darüber hinaus noch belastende Umstände geltend, so trifft ihn die Beweislast. Die gleiche Beweislastverteilung gilt an sich auch für entlastende Umstände. Zu beachten ist jedoch, dass sich der maßgebliche Geschehensablauf im Allgemeinen in der Sphäre des Versicherungsnehmers abgespielt hat. Außerdem geht es bei den entlastenden Umständen meistens um subjektive Gegebenheiten, von denen der Versicherer schwer Kenntnis erlangen kann.106 Diese Schwierigkeiten rechtfertigen nach der gesetzgeberischen Wertentscheidung zwar keine vollständige Beweislastumkehr. Den Versicherungsnehmer trifft insoweit aber eine sekundäre Darlegungslast.107 Die Beweislast des Versicherers wird also erst dann relevant, wenn der Versicherungsnehmer konkrete Entlastungsgründe substantiiert dargelegt hat.
VII. Anspruch des Versicherungsnehmers auf Ersatz der Rettungskosten 1. Allgemeines In engem Zusammenhang mit der Rettungsobliegenheit des Versicherungsnehmers steht die Pflicht des Versicherers zum Ersatz der Rettungskosten nach § 83 VVG 2008. Da die Abwendung oder Minderung des Schadens in erster Linie den Interessen des Versicherers dient, hat dieser auch die mit der Rettung verbundenen Kosten zu tragen. Der Anspruch auf Ersatz der Rettungskosten nach § 83 VVG 2008 beruht damit auf einem ähnlichen Gedanken wie der Aufwendungsersatzanspruch im Recht des Auftrags und der Geschäftsführung ohne Auftrag.108 Soweit die Besonderheiten des Versicherungsrechts keine abweichende Beurteilung gebieten, können die Wertungen der §§ 670, 677, 683 BGB daher ergänzend herangezogen werden. Übereinstimmungen bestehen insbesondere beim Begriff der Aufwendungen. Ebenso wie § 670 BGB erfasst § 83 VVG 2008 nicht nur freiwillige Vermögensopfer, sondern auch Schäden, die auf den spezifischen Gefahren der Rettungsmaßnahme beruhen.109 In früherer Zeit wurde zwar teilweise in Zweifel gezogen, ob der Versicherungsnehmer in der Sachversicherung (z.B. Feuerver-
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Felsch, r+s 2007, 485, 493; Rixecker, zfs 2007, 15, 16; speziell zur Kraftfahrtversicherung Maier/Stadler (Fn. 94) Rn 124. So auch Pohlmann, VersR 2008, 437, 440. Zur Problemstellung Deutsch (Fn. 2) Rn. 159. Zu vergleichbaren Problemen beim Nachweis der subjektiven Seite der groben Fahrlässigkeit im Haftungsrecht vgl. ders. (Fn. 10) Rn. 427. Zum Grundgedanken der sekundären Darlegungslast vgl. BGH, r+s 2008, 62; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 28. Aufl. 2007, Vorbem. § 284 Rn. 18. Vgl. Deutsch (Fn. 2) Rn. 282. Vgl. Bruck/Möller/Möller (Fn. 5) § 63 Rn. 8; Prölss/Martin/Voit/Knappmann (Fn. 6) § 53 Rn. 12; enger Woesner, ZVersWiss 1960, 399, 400 f., wonach eine bewusste Inkaufnahme des Schadens erforderlich ist.
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sicherung) den Ersatz von Personenschäden (z.B. Verbrennungen beim Löschen) verlangen kann.110 Da es bei den Rettungskosten nicht um die Versicherungsleistung als solche geht, kommt es jedoch nicht darauf an, ob die betreffende Versicherung den entstandenen Schaden abdecken soll.111 Dies führt zu der weiteren Frage, ob dem Versicherungsnehmer im Fall der Körperverletzung auch ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens zusteht. Vor der Reform des Schadensrechts von 2002 kam ein solcher Anspruch schon deshalb nicht in Betracht, weil § 847 BGB a.F. nur für Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung galt, nicht aber für Aufwendungsersatzansprüche aus § 670 BGB.112 Auf der Grundlage des geltenden Rechts ist dagegen die Auffassung verbreitet, dass § 253 Abs. 2 BGB auf Ansprüche aus § 670 BGB entsprechend anwendbar ist.113 Da die Ersatzpflicht für Schäden nach § 83 VVG 2008 auf den gleichen Wertungen beruht, erscheint eine analoge Anwendung des § 253 Abs. 2 BGB auch insoweit konsequent. Hierfür spricht auch, dass die Aufwendungsersatzpflicht des Versicherers nach § 83 VVG 2008 Schmerzensgeldansprüche Dritter erfasst, die dieser gegen den Versicherungsnehmer wegen der Hilfe bei Rettungsmaßnahmen nach §§ 670, 683 BGB i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB geltend machen kann.
2. Auswirkungen des Quotenprinzips auf § 83 VVG 2008 Bei grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers schlägt das Quotenprinzip des neuen Rechts auf den Anspruch auf Ersatz der Rettungskosten durch. Ist der Versicherer berechtigt, die Versicherungsleistung zu kürzen, kann er den Aufwendungsersatz nach § 83 Abs. 2 VVG 2008 in einem entsprechenden Umfang herabsetzen. Praktische Bedeutung hat dies vor allem dann, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt oder seine Rettungsobliegenheit grob fahrlässig verletzt hat. Eine anteilige Kürzung des Aufwendungsersatzanspruchs kommt aber auch im Fall der Unterversicherung (§ 75 VVG 2008) in Betracht.114 Unklar erscheint demgegenüber, ob das Quotenprinzip auch bei einem Irrtum über die Gebotenheit einer Rettungsmaßnahme eingreift. Die Frage stellt sich vor allem im Hinblick auf den erweiterten Aufwendungsersatz nach § 90 VVG 2008. Repräsentativ ist in diesem Zusammenhang der Fall, dass der Versicherungsnehmer den Ersatz eines Fahrzeugschadens verlangt, der durch das Ausweichen vor einem Hasen oder Fuchs entstanden ist. Bei der Teilkaskoversicherung wird der durch den Unfall verursachte Fahrzeugschaden als solcher nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Versichert ist nämlich nur der Zusammenstoß des Fahrzeugs mit Haarwild (Ziff. A 2.2.4 AKB 2008), der durch das Ausweichmanöver aber gerade vermieden wird. Nach der 110 111 112 113
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Ablehnend Ehrenzweig (Fn. 4) S. 262, 276. So überzeugend Bruck/Möller/Möller (Fn. 5) § 63 Rn. 18. Vgl. Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen (Fn. 26) Anm. G 160. So Palandt/Sprau (Fn. 62) § 670 Rn. 13; Jauernig/Mansel (Fn. 59) § 670 Rn. 10; MünchKomm/Oetker (Fn. 59) § 253 Rn. 18; Looschelders, Schuldrecht BT, 2. Aufl. 2008, Rn. 812; Däubler, JuS 2002, 625, 626. Vgl. Begr. RegE., BT-Drucks. 16/3945 S. 81.
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Rechtsprechung kann das Ausweichen aber eine Maßnahme sein, um einen unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfall – eben den Zusammenstoß mit dem Wild – abzuwenden oder in seinen Auswirkungen zu mindern.115 Nach geltendem Recht könnte der Fahrzeugschaden somit als ersatzfähige Aufwendung nach § 90 i.V.m. § 83 VVG 2008 anzusehen sein. Erforderlich ist danach, dass der Versicherungsnehmer die Aufwendungen den Umständen nach für geboten halten durfte. Bei objektiver Betrachtung ist eine Maßnahme geboten, wenn die damit verbundenen Kosten oder Risiken in einem angemessenen Verhältnis zum drohenden Schaden stehen. Die Rechtsprechung stellt hier auf die Umstände des Einzelfalls ab. Bei einem kleineren Tier wie einem Hasen oder Fuchs wird ein riskantes Ausweichmanöver aber meist unverhältnismäßig sein.116 Entscheidend ist dann, ob der Versicherungsnehmer das Ausweichmanöver wenigstens subjektiv für geboten halten durfte. Welcher Maßstab dabei für das Verschulden des Versicherungsnehmers gilt, war vor der Reform sehr umstritten. Da die Neuregelung des Ersatzanspruchs in §§ 83, 90 VVG 2008 keine Klärung gebracht hat, ist die Frage weiterhin offen. Der BGH hatte in einer älteren Entscheidung die Auffassung vertreten, dass der Aufwendungsersatzanspruch nach § 63 VVG a.F. keine Schäden umfasse, die der Versicherungsnehmer bei Einhaltung der zumutbaren Sorgfalt hätte vermeiden können.117 Für einen solchen strengen Maßstab könnte auch die Parallele zu § 670 BGB sprechen, wonach nur die Aufwendungen zu ersetzen sind, die der Beauftragte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) für erforderlich halten durfte.118 Auf der anderen Seite lässt sich den Wertungen der §§ 81, 82 VVG 2008 aber entnehmen, dass der Versicherungsnehmer nicht für jede Fahrlässigkeit einstandspflichtig sein soll.119 Die h.M. geht deshalb zu Recht davon aus, dass nur ein grob fahrlässiger Irrtum über die Gebotenheit der Aufwendung schadet.120 Die Abweichung von § 670 BGB kann dabei durch die besondere Interessenlage im Versicherungsrecht gerechtfertigt werden. Liegt ein grob fahrlässiger Irrtum über die Gebotenheit der Aufwendung vor – was bei einem riskanten Ausweichmanöver vor einem Hasen oder Fuchs häufig der Fall ist121 –, stellt sich die Frage nach den Rechtsfolgen. Der Wortlaut des § 83 Abs. 1 S. 1 VVG 2008 spricht dafür, dass der Aufwendungsersatzanspruch in diesem Fall ganz ausgeschlossen ist. Denn der Versicherer muss die Aufwendungen nur „insoweit“ erstatten, als der Versicherungsnehmer sie für geboten halten 115 116 117 118
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BGHZ 113, 359, 360 ff.; BGH VersR 1997, 351; VersR 2003, 1250 (zu § 63 VVG a.F.). Vgl. BGH VersR 1997, 351, 352; VersR 2003, 1250, 1250 f.; Deutsch (Fn. 2) Rn. 282. BGH VersR 1973, 809, 810. Zum Erforderlichkeitsmaßstab des § 670 BGB Erman/Ehmann, BGB, 12. Aufl. 2008, § 670 Rn. 7. Vgl. BGH VersR 1977, 709, 710; VersR 1997, 351, 352; VersR 2003, 1250, 1250 f.; Der BGH hat die Frage in diesen neueren Entscheidungen aber letztlich immer offen gelassen. OLG Koblenz VersR 2004, 464, 465 f.; OLG Jena VersR 2001, 855; OLG Hamm r+s 1994, 167; BK/Beckmann (Fn. 5) § 63 Rn. 26; Bruck/Möller/Möller (Fn. 5) § 63 Anm. 21; Prölss/Martin/Voit/Knappmann (Fn. 6) § 63 Rn. 9; i.E. auch Dörner, JR 1997, 501, 503; a.A. Lücke, NVersZ 1999, 61 ff.; Schulz, VersR 1994, 1275 ff. BGH VersR 1997, 351, 352; VersR 2003, 1250, 1250 f.
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durfte. Die Voraussetzungen für eine Kürzung des Aufwendungsersatzanspruchs nach § 83 Abs. 2 VVG 2008 liegen demgegenüber nicht vor. In Bezug auf die Leistung steht dem Versicherer nämlich kein Kürzungsrecht zu, weil der eingetretene Schaden schon gar nicht versichert ist.122 Der durch das Ausweichmanöver verhinderte Schaden wäre dagegen zwar versichert gewesen; dieser Schaden hat sich aber gerade nicht realisiert. Soweit das Problem in der Literatur bislang angesprochen worden ist, wird dennoch eine Quotelung befürwortet.123 Überträgt man die Wertungen der §§ 81, 82 VVG 2008 hinsichtlich des Fahrlässigkeitsmaßstabs auf die Gebotenheitsprüfung im Rahmen des § 83 VVG 2008, so erscheint es in der Tat konsequent, diesen „Transfer“ auf die Rechtsfolgen der groben Fahrlässigkeit zu erstrecken, zumal sonst erhebliche Wertungswidersprüche auftreten können. Hätte der Versicherungsnehmer den Zusammenstoß mit dem Tier aufgrund grober Fahrlässigkeit (z.B. überhöhter Geschwindigkeit) herbeigeführt, wäre der Anspruch auf die Leistung nicht vollständig ausgeschlossen, sondern gemäß § 81 Abs. 2 VVG nach dem Maß des Verschuldens zu kürzen. Unternimmt der Versicherungsnehmer den Versuch, den Eintritt des Versicherungsfalls zu verhindern, so sollte er in Bezug auf den Aufwendungsersatzanspruch aber nicht schlechter gestellt werden als bei Herbeiführung des Versicherungsfalls in Bezug auf die Leistung. Der dem Quotenprinzip zugrunde liegende Gedanke, dass die grobe Fahrlässigkeit im Regelfall keinen vollständigen Anspruchsausschluss rechtfertigt, trifft nämlich auch auf den grob fahrlässigen Irrtum über die Gebotenheit einer Rettungsmaßnahme zu.
VIII. Fazit Die vorstehenden Überlegungen verdeutlichen, dass der Gesetzgeber bei der Reform des VVG an den bewährten Instituten der Rettungsobliegenheit des Versicherungsnehmers und der Ersatzpflicht des Versicherers für die Rettungskosten festgehalten hat. Bei der Auslegung der neuen Vorschriften kann daher an die bisherigen Grundsätze angeknüpft werden. Die größten praktischen Auswirkungen hat in beiden Bereichen der Übergang zum Quotenprinzip bei grober Fahrlässigkeit. Demgegenüber wird die Abkehr von der Vorerstreckungstheorie bei der Rettungsobliegenheit durch die Anwendung des § 81 VVG 2008 weitgehend kompensiert. Dem Versicherungsnehmer bleibt allerdings der Vorteil, dass er beim unmittelbaren Bevorstehen des Versicherungsfalles in den Genuss einer günstigeren Beweislastregelung kommt.
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In der Vollkaskoversicherung ist der durch das Ausweichmanöver eingetretene Schaden versichert. Das Kürzungsrecht des Versicherers ist hier aber unmittelbar nach § 81 Abs. 2 VVG 2008 zu beurteilen, so dass sich das Problem einer Quotelung des Aufwendungsersatzanspruchs nach § 83 Abs. 2 VVG 2008 nicht stellt. So Burmann/Heß/Höke/Stahl (Fn. 29) Rn. 427 ff.; Meixner/Steinbeck (Fn. 7) § 2 Rn. 42 f.; Rixecker, zfs 2007, 255, 256.
Zur quotalen Kürzung der Leistungspflicht des Versicherers bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer
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I. Die Abschaffung des Alles-oder-nichts-Prinzips In den Einführungen zum neuen VVG (von 2008) ist die Abschaffung des Allesoder-nichts1-Prinzips bei grob fahrlässigem Verhalten des Versicherungsnehmers immer wieder als eine der bedeutendsten Errungenschaften der Reform des Versicherungsvertragsrechts bezeichnet worden.2 Bei der Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer ergibt sie sich aus dem Übergang von § 61 VVG a.F.3 zu § 81 VVG. Nach § 61 VVG a.F. ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hat. Das heißt: Der Versicherungsnehmer erhält dann überhaupt keine Versicherungsleistung, also „nichts“. Hat er dagegen weder grob fahrlässig noch vorsätzlich gehandelt, kann er die gesamte Versicherungsleistung verlangen, also „alles“. Davon stark abweichend bestimmt § 81 Abs. 2 VVG: Wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeiführt, kann der Versicherer seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis kürzen. Der Versicherungsnehmer verliert bei grober Fahrlässigkeit also nicht ausnahmslos „alles“, sondern nur die Quote, um die sein Anspruch auf die (volle) Versicherungsleistung dem Grad seines Verschuldens, hier also dem Grad seiner groben Fahrlässigkeit, entsprechend von dem Versicherer gekürzt werden kann. Gesetzgeberisches Vorbild für § 81 Abs. 2 1
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Die Kleinschreibung des Begriffsteils „nichts“ ist bewusst vorgenommen worden; denn das „Alles“ wird nur groß geschrieben, weil es am Anfang des zusammengesetzten Begriffs „Alles-oder-nichts-Prinzip“ steht. Vgl. nur die Presseerklärungen des BJM. Das VVG von 1908 wird im Folgenden als VVG a. F. bezeichnet und das VVG von 2008 als VVG.
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VVG ist § 14 Abs. 2 schweiz. VVG von 1908/1910, in dem es heißt: „Hat der Versicherungsnehmer oder Anspruchsberechtigte das Ereignis grob fahrlässig herbeigeführt, so ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem dem Grade des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen.“
II. Reaktionen In der Reformdiskussion des Versicherungsvertragsrechts war die Abschaffung des Alles-oder-nichts-Prinzips nicht unumstritten.4 Nach der Entscheidung des Gesetzgebers in § 81 VVG und anderen Vorschriften (z. B. § 28) des neuen VVG ist der Streit aber bis auf weiteres kein Thema mehr. Bis auf weiteres ist diese Zurückhaltung auch deshalb geboten, weil die Abschaffung des Alles-oder–nichtsPrinzips von den „interessierten Kreisen“ zumindest überwiegend begrüßt wird. Die Versicherungsnehmer – nicht nur die Verbraucher – sind dafür, weil sie bei grober Fahrlässigkeit günstiger gestellt werden als bisher. In der Anwaltschaft ist ebenfalls kein starker Widerstand aufgekommen. Vielleicht auch deshalb nicht, weil der durchschnittliche Versicherungsnehmer aus dem neuen § 81 Abs. 2 VVG nicht ohne sachkundige Beratung entnehmen kann, was ihm zusteht, wenn er den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hat. Die Richterschaft hat – soweit ersichtlich – ebenfalls keine Bedenken erhoben. In seinem bekannten Beitrag „Reformbedarf des Versicherungsvertragsrechts aus höchstrichterlicher Sicht“5 hat Römer im Gegenteil nachdrücklich die Ersetzung des Alles-oder-nichts-Prinzips durch die von dem Grad der groben Fahrlässigkeit abhängige Quotierung gefordert. Er sieht in dem Alles-oder-nichts-Prinzip sogar eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Rechtssprechung, weil zu beobachten sei, dass einige Instanzgerichte „eine an sich grob fahrlässige Handlung herunterstufen, um das harte Ergebnis eines völligen Anspruchsverlustes zu vermeiden“. Der Befürchtung einiger Pessimisten, dass den Gerichten keine überzeugende Anwendung des Quotenmodells6 in § 81 Abs. 2 und anderen Vorschriften des VVG gelingen werde, ist schon in den Reformberatungen deutlich widersprochen worden. Optimisten haben sogar gemeint, es sei für die Gerichte ein Leichtes, „das pralle versicherungsrechtliche Leben in Verschuldensgrade und Leistungsfreiheitsquoten zu saldieren“7. Nach einer Mitteilung des Abschlussberichts der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004 (Abschlussbericht der Reformkommission)8 hat auch die Versicherungswirtschaft keinen Anlass zu Bedenken; 4
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Zum Meinungsstand zuletzt Looschelders, VersR 2008, 1 mit Nachweisen in seiner Fn. 6. VersR 2000, 661, 663 zu bb). Vgl. auch dens. in VersWissStud (Bd. 29), 11, 20. Ausdruck von Felsch, r+s 2007, 485, 491. So in seinem Bericht über den Meinungsstand zur Beurteilung der Qualität des Quotenmodells Felsch, wie vorige Fn., 491, der in seinen weiteren Ausführungen auch optimistisch ist, aber zurückhaltender. Herausgegeben von E. Lorenz als Band 25 der VersR-Schriftenreihe, 2004.
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denn es heißt dort9: In der Regulierungspraxis der Versicherer sei eine Quotelung zur Vermeidung von Prozessen „durchaus bereits verbreitet“. Das spreche dafür, dass auf Seiten der Versicherer keine größeren praktischen Probleme bei der Festlegung einer Quote zu erwarten seien.10 An dieser Argumentation ist richtig, dass sich Versicherungsnehmer und Versicherer auch schon unter der Herrschaft des Alles-oder-nichts-Prinzips durch Vergleich auf eine von dem Versicherer zu zahlende Quote der Versicherungsleistung geeinigt haben, wenn begründet darüber gestritten werden konnte, ob der Versicherungsnehmer nur einfach fahrlässig gehandelt hatte und damit „alles“ verlangen konnte, oder ob sein Verhalten grob fahrlässig war und ihm deshalb „nichts“ zustand. Im Übrigen ist diese Argumentation jedoch nicht überzeugend11; denn die Vergleiche, die hauptsächlich auf einem Kostenkalkül beruhen, haben mit der Festlegung der Quoten nach dem Grad der groben Fahrlässigkeit so gut wie nichts zu tun. Die Versicherer sehen deshalb in ihrer Vergleichspraxis auch keine Hilfe bei der bedenklich-schwierigen Festlegung der nach § 81 VVG zu bestimmenden Quoten.12 Im Schrifttum ist die verschuldensabhängige Quotierung bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls nach schweizerischem Vorbild (§ 14 Abs.2 schweiz. VVG) ziemlich häufig gefordert worden.13 Eine herausragende monografische Darstellung des Meinungsstandes, der ihn tragenden Argumente und eine Würdigung dieser Argumente hat Armbrüster vorgelegt.14
III. Die Qualifikation der Regelung des § 81 Abs. 2 VVG als subjektiver Risikoausschluss 1. Das Problem Bei der Regelung der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls in § 61 VVG a.F. handelt es sich nach herrschender Meinung15 um einen (gesetzlichen) subjektiven Risikoausschluss. Diese Qualifikation scheint sich auf § 81 Abs. 2 VVG nicht ohne weiteres übertragen zu lassen, weil er in mehrfacher Hinsicht von § 61 VVG a.F. abweicht.
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Abschlussbericht der Reformkommission, wie vorige Fn., S. 70. Ebenso Römer, in VersWissStud (Bd. 29), 11, 20. So schon mit Recht Armbrüster, in VersWissStud (Bd. 29), S. 21, 29 zu c). In den Regierungsentwurf ist diese Argumentation nicht übernommen worden. In diesem Sinne die Mitteilung von Gas, in VersWissStud (Bd. 29) 2005, S. 59, 64. Vgl. etwa Römer, NVersZ 2000, 259, 261; van Bühren, ebenda, 417;Terbille, r+s 2001,1, 7. Weitere Nachweise bei Looschelders, VersR 2008, 1, 2 seine Fn. 5. Armbrüster, Das Alles-oder-nichts-Prinzip im Privatversicherungsrecht – Zugleich ein Beitrag zur Reform des VVG – Veröffentlichungen der Hamburger Gesellschaft zur Förderung der Versicherungswesens mbH, Heft 29, 2003. Vgl. dazu nur Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 61 Rn. 2 mit vielen Nachweisen.
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Der auffälligste Unterschied ergibt sich aus den Worten, mit denen § 81 Abs. 2 VVG den Umfang der Rechtsfolge einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls gegenüber der Regelung des § 61 VVG a.F. begrenzt und damit das Alles-oder-nichts-Prinzip abschafft. Auffällig, aber – soweit ersichtlich – noch nicht näher gewürdigt, ist ferner der Wechsel in der Formulierung der Rechtsfolge: Während § 61 VVG a.F. bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls die Leistungsfreiheit des Versicherers vorsieht, gewährt § 81 Abs. 2 VVG dem Versicherer ein Recht zur Kürzung der Versicherungsleistung; er bestimmt also nicht, dass der Versicherer in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis von der Leistung frei ist. Aufgrund der genannten inhaltlichen und sprachlichen Unterschiede zwischen der alten und der neuen gesetzlichen Regelung ist die Frage, ob § 81 Abs. 2 VVG wie § 61 VVG a.F. als subjektiver Risikoausschluss zu qualifizieren ist, zu einer Streitfrage geworden.
2. Der Meinungsstand Zu diesem Streit hat auch der Jubilar Stellung genommen. In der soeben erschienenen neuesten (6.) Auflage seines Grundrisses des Versicherungsvertragsrechts heißt es ohne weitere Begründung wörtlich: „Mit dieser Bestimmung hat der Gesetzgeber eine Obliegenheit, nicht aber einen subjektiven Risikoausschluss formuliert.“16 In dem bisher vorliegenden übrigen Schrifttum wird § 81 Abs. 2 VVG dagegen als „begrenzter subjektiver Risikoausschluss“ qualifiziert.17
3. Die Beurteilung In den Materialien, zu denen auch der Abschlussbericht der „Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004“18 gehört, findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Regelung der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls in § 81 Abs. 2 VVG (der mit § 83 Abs. 3 des Entwurfs der Reformkommission wortgleich ist), anders qualifiziert werden sollte als § 61 VVG a.F., nämlich nicht als gesetzlicher subjektiver Risikoausschluss, sondern als Vorschrift, in der die Verletzung einer allgemeinen Obliegenheit zur Vermeidung des Versicherungsfalls19 geregelt wird. Die Materialien enthalten deshalb auch keinen Hinweis darauf, dass durch § 81 Abs. 2 VVG eine über den bisherigen Stand des Versicherungsvertragsrechts hinausgehende und auch zweifelhafte allgemeine Obliegenheit des Versicherungsnehmers zur Vermeidung des Versicherungsfalls begründet werden sollte. 16
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So Deutsch, Das neue Versicherungsvertragsrecht mit dem Text des VVG 2008. Ein Grundriss 6. Auflage, 2008, S. 174 Rn. 276. Begriff von Looschelders, VersR 2008, 1, 2. Fundstelle oben Fn. 8. Dagegen schon überzeugend Römer, in VersWissStud (Bd. 29), 13 (zu § 61 VVG a.F.).
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Ein solcher Hinweis ergibt sich auch nicht daraus, dass § 81 Abs. 2 VVG den Versicherer (anders als in Absatz 1 bei der vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls und anders auch als in § 61 VVG a.F.) nicht (in dem begrenzten Umfang) als „leistungsfrei“ (§ 61 VVG a.F.) oder als „nicht zur Leistung verpflichtet“ (§ 81 Abs. 1 VVG) bezeichnet, sondern als „berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen.“ Dieser Formulierungswechsel beruht auf der bereitwilligen Übernahme der Formulierung des oben (zu I. am Ende) zitierten, als Vorbild genommenen § 14 Abs. 2 schweiz. VVG, der im schweizerischen Schrifttum auch bei dieser Formulierung als subjektiver Risikoausschluss qualifiziert wird.20 Außerdem: Kürzung setzt Leistungsfreiheit voraus.21 Der Formulierungswechsel schließt die Qualifikation des § 81 Abs. 2 VVG als subjektiven Risikoausschluss also nicht aus. Gegen diese Qualifikation wird außerdem noch vorgebracht, dass der Versicherer – anders als nach § 61 VVG a.F. – bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls nicht völlig von seiner Leistungspflicht befreit werde und deshalb das Risiko der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls nicht ausgeschlossen sein könne. Die Argumentation hängt mit der Verwendung des Begriffs „Versicherungsfall“ in § 81 Abs. 2 VVG und auch schon in § 61 VVG a.F.22 zusammen. Anzusetzen ist bei § 81 Abs. 1 VVG, der – wie bisher § 61 VVG a.F. – bei vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalls die volle Leistungsfreiheit des Versicherers vorsieht und – wie die Regelung des § 61 VVG a.F. – als subjektiver Risikoausschluss zu qualifizieren ist. Das heißt: Das Risiko der vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls fällt nicht in den von dem Versicherer übernommenen Risikobereich. Daraus ergibt sich das folgende Verständnis des Gesetzes: Ein Versicherungsfall ist zunächst (unter dem Vorbehalt eines Risikoausschlusses) auch ein Versicherungsfall, wenn er schuldhaft und sogar vorsätzlich herbeigeführt worden ist. Das Risiko, dass der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich herbeiführt (und der Versicherer wegen des eingetretenen Versicherungsfalls die Versicherungsleistung zu erbringen hat) wird aber durch § 81 Abs. 1 VVG, also kraft Gesetzes, in vollem Umfang aus dem von dem Versicherer übernommenen Risiko- und Verpflichtungsbereich herausgenommen, also als nicht versichert erklärt. In anderen Worten: Mit dem Ausschluss eines Risikos entfällt der zunächst festzustellende Versicherungsfall und soweit der Risikoausschluss reicht auch die Leistungspflicht des Versicherers.
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Vgl. Maurer, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3. Aufl. 1995, S. 347, und Ritter, Die Folgen der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer in der Kasko-, Kfz-Haftpflicht- und Insassenunfallversicherung. Rechtsvergleich Deutschland – Schweiz, 2005, S. 136 zu cc) mit Nachweisen. Nebenbei ist zu bemerken, dass in der deutschen und in der schweizerischen Vorschrift von der „Schwere“ bzw. dem „Grad“ des Verschuldens gesprochen wird und nicht von der fremd klingenden Schwere oder dem Grad der groben Fahrlässigkeit, die gemeint sind. Vgl. dazu schon E. Lorenz, VersR 2000, 2, 3 f. zu III. 1.
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Aufgrund dieser Überlegungen ist zur Beurteilung des § 81 Abs. 2 VVG zu sagen: Das Risiko, dass der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeiführt, wird nicht mehr – wie durch § 61 VVG a.F. – ganz aus dem von dem Versicherer übernommenen Risiko- und Verpflichtungsbereich herausgenommen, sondern nur noch in einem der Schwere des Verschuldens (der groben Fahrlässigkeit) entsprechenden Verhältnis. Das heißt: Nach § 81 Abs. 2 VVG ist die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer in einem der Schwere der groben Fahrlässigkeit entsprechenden und in diesem Sinne begrenzten Umfang nicht versichert. § 81 Abs. 2 VVG lässt sich damit reibungslos als ein subjektiver Risikoausschluss erklären. Da er das Risiko der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer im Vergleich zu § 61 VVG a.F. nicht vollständig ausschließt, kann man ihn als begrenzten subjektiven Risikoausschluss bezeichnen. Man muss dabei nur beachten, dass der Risikoausschluss durch § 81 Abs. 2 VVG, soweit er reicht, ein subjektiver Risikoausschluss wie jeder andere ist, also dieselben Konsequenzen hat.23
4. Einige Konsequenzen der Qualifikation als subjektiver Risikoausschluss Im Schrifttum zum alten und zum neuen VVG werden die grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen und die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls meist einheitlich in einem Zug abgehandelt. Die Beseitigung des Allesoder-nichts-Prinzips ist deshalb bei beiden Fallgruppen auf dieselben Gründe gestützt und inhaltsgleich geregelt worden; denn das neue VVG hat die Quotelung der Leistungsfreiheit (des Kürzungsrechts) des Versicherers nach der Schwere der groben Fahrlässigkeit in den Vorschriften über die Obliegenheitsverletzungen (in den §§ 28 Abs. 2, 81 Abs. 2, 82 Abs. 3 und 86 Abs. 2 Satz 3) und in § 81 Abs. 2 VVG mit denselben Worten eingeführt. Diese Gleichartigkeit ist keineswegs selbstverständlich, weil die gleich geregelten Fallgruppen wesentliche Unterschiede aufweisen: Bei der grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung geht es um die Sanktion der Verletzung einer vertraglichen Verbindlichkeit. In deren rechtspolitische Diskussion passen deshalb all die Argumente, die gegen das Alles-oder-nichts-Prinzip vorgebracht worden sind.24 Etwa die Argumentation mit dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot und mit der unangemessenen Härte, mit dem pönalen Charakter des Alles-oder-nichtsPrinzips und mit dem Erfordernis der Flexibilität. Alle diese Argumente, gegen die sich auch sonst vieles sagen lässt und gesagt worden ist,25 passen dagegen nicht zu dem (in § 61 VVG a.F. und nun) in § 81 Abs. 2 VVG geregelten subjektiven Risikoausschluss; denn hier ist die Leistungsfreiheit des Versicherers nicht Sanktion für (versicherungs-) vertragswidriges Verhalten des Versicherungsnehmers, weil es eine allgemeine Obliegenheit zur Vermeidung des Versicherungs23 24 25
Zu diesen Konsequenzen neuestens Looschelders, VersR 2008, 1, 2 ff. Erschöpfend dargestellt von Armbrüster, wie Fn. 14, S. 12-15. Vgl. nur Armbrüster, wie vorige Fn. S. 35-64.
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falls nicht gibt. Die Leistungsfreiheit des Versicherers ist vielmehr die Folge der Abgrenzung des von dem Versicherer übernommenen Risikobereichs, aus dem die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls – wie dargelegt – (durch § 61 VVG a.F. und nun) durch § 81 Abs. 2 VVG in den dort genannten Grenzen von vornherein herausgenommen wird. Die rechtspolitische (Änderungs-) Frage, war somit die, ob der in § 61 VVG a.F. vorgesehene vollständige Ausschluss des Risikos der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls aus dem von dem Versicherer übernommenen Risikobereich sachgerecht war. Angezeigt war also eine Diskussion mit anderen Argumenten als denen, die bei der Beurteilung der grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen eine Rolle gespielt haben. Hinweise auf eine solche Diskussion sind aber in den Materialien kaum zu finden. Das überrascht, weil das VVG a.F. (anders als das neue VVG) die Obliegenheitsverletzungen in § 6 Abs. 1-3 und die Herbeiführung des Versicherungsfalls in § 61 VVG a.F. wegen der unterschiedlichen Struktur der beiden Fallgruppen unterschiedlich geregelt hat. Übereinstimmend unterschiedlich regeln das VVG a.F. und das neue VVG die beiden Fallgruppen bei der Frage der Abdingbarkeit der gesetzlichen Vorschriften. Danach sind die Vorschriften über die Obliegenheitsverletzungen (§ 6 Abs. 1-3 VVG a.F. und § 28 Abs. 1-4 VVG) halbzwingend, also nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abdingbar (§ 15a VVG a.F. und § 32 VVG), während die Vorschriften über die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 61 VVG a.F. und § 81 Abs. 2 VVG auch zum Nachteil des Versicherungsnehmers abbedungen werden können (§ 15a VVG a.F. und § 87 VVG). Insoweit anerkennt also auch das neue VVG die Unterschiedlichkeit der grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung und der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls. Die Vertragsgestaltungsfreiheit, die das VVG a.F. und das neue VVG gewähren, steht aber bei der Gestaltung des Versicherungsvertrags durch AVB, die der Regelfall ist, unter der Kontrolle des § 307 BGB. Wenn die AVB zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 81 Abs. 2 VVG abweichen, ist also immer zu fragen, ob die Abweichung unwirksam ist, weil sie eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers enthält.
IV. Die Vermehrung der Streitquellen durch die Quotenregelung Im Sinne der zuvor dargelegten strukturellen Überlegungen ausgedrückt, besteht das Grundanliegen des in § 81 Abs. 2 VVG enthaltenen Risikoausschlusses darin, den von dem Versicherer durch den Versicherungsvertrag übernommenen Risikobereich weniger einzuschränken, als das durch § 61 VVG a.F. geschehen ist. Dieses Bestreben entspricht ganz dem modernen Ausbau des Schutzes nicht nur der Verbraucher, sondern auch der Versicherungsnehmer, die nicht Verbraucher sind. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, solange die Kosten für die „Finanzierung“ des erweiterten Versicherungsnehmerschutzes nicht zu Prämien führen, die für viele nicht mehr bezahlbar sind.
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Soweit ist es aber noch lange nicht. Nachdrücklich in Kauf genommen worden ist jedoch die (im Vergleich zu § 61 VVG a.F.) starke Vermehrung der Streitquellen bei der Handhabung der durch § 81 Abs. 2 VVG eingeführten Quotenregelung.
1. Die Abgrenzung der einfachen von der groben Fahrlässigkeit Wie bei § 61 VVG a.F. erfordert die Anwendung des § 81 Abs. 2 VVG die Feststellung, dass der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hat. Um diese Feststellung geht es in vielen gerichtlichen Entscheidungen, weil der Versicherungsnehmer sein Verhalten als einfach fahrlässig ansieht und der Versicherer es als grob fahrlässig bewertet. Allein die damit fällige Abgrenzung der einfachen von der groben Fahrlässigkeit ist bei der Abwicklung eines Versicherungsfalles eine Streitquelle besonderer Dimension, was die reichhaltige Rechtsprechung und das inzwischen üppige Schrifttum eindrucksvoll belegen.
2. Die Feststellung der Schwere der groben Fahrlässigkeit Mindestens ebenso große Schwierigkeiten wie bei der Abgrenzung der einfachen von der groben Fahrlässigkeit entstehen, wenn eine grobe Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers festgestellt worden ist und die Schwere oder (nach schweizerischem Sprachgebrauch) der Grad der groben Fahrlässigkeit bestimmt werden muss, weil davon abhängt, in welchem Umfang das Risiko der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls aus dem Risikobereich des Versicherers herausfällt. Diese weitere Streitquelle, denn das ist sie, weil sich über die Schwere (den Grad) der groben Fahrlässigkeit leicht mit Grund streiten lässt, ist die erste, die § 81 Abs 2 VVG neu eingeführt hat. Hilfe bei ihrer Kanalisierung soll man (wie in der Diskussion über die Abschaffung des Alles-oder-nichts-Prinzips gelegentlich versprochen) in der Rechtsprechung und dem Schrifttum zu dem hundertjährigen § 14 Abs. 2 schweiz. VVG,26 dem Vorbild der neuen deutschen Regelung, finden. Sieht man genauer hin27, so gewinnt man allerdings den Eindruck, dass die Feststellung des Grades der groben Fahrlässigkeit in der Schweiz immer noch eine Streitquelle ernst zu nehmenden Ranges ist. Bedenken bestehen auch gegen Strukturierungen der groben Fahrlässigkeit durch AVB, die Stufen mit pauschalierten Quoten vorsehen, etwa einfache, mittlere und grobe grobe Fahrlässigkeit; denn Strukturierungen dieser Art28 bescheren das zusätzliche Problem der Abgrenzung dieser drei Stufen, und sie führen zu der Frage, ob die AVB der Kontrolle nach § 307 BGB standhalten; denn sie fassen in den einzelnen Stufen grob fahrlässige Verhalten von unterschiedlicher Schwere 26 27 28
Wortlaut oben zu I. am Ende. Etwa mit Armbrüster wie Fn. 14, S. 50-52. Vgl. auch Ritter, wie Fn. 20, S. 136 zu bb). Vgl. zu ihnen und zu ihrer Beurteilung auch Schwintowski/Brömmelmeyer/ Kloth/Neuhaus, PK-VersR, § 81 Rn. 95.
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zusammen, etwa bei der einfachen groben Fahrlässigkeit Verhalten, die zwar nicht mehr als einfach fahrlässig, aber nur gerade eben schon als einfach grob fahrlässig anzusehen sind, mit solchen, die gerade noch als einfach grob fahrlässig angesehen werden können und nicht schon den Fällen der mittleren groben Fahrlässigkeit zuzuordnen sind. Die Aufteilung der Fälle grober Fahrlässigkeit in Fälle einfacher, mittlerer und grober grober Fahrlässigkeit führt also dazu, dass jeder der drei genannten Fallgruppen Fälle zugewiesen und als im gleichen Grade grob fahrlässig behandelt werden, die zwar innerhalb der Spannweite der drei Fallgruppen liegen, aber untereinander nicht die gleiche Schwere (den gleichen Grad) der groben Fahrlässigkeit aufweisen. Die den drei Fallgruppen zugeordneten Fälle werden also nicht – wie es § 81 Abs. 2 VVG verlangt – gemäß der Schwere (dem Grad) ihrer groben Fahrlässigkeit beurteilt, sondern – in vielen Fällen nachteilig – danach, ob ihre grobe Fahrlässigkeit als einfache, mittlere oder grobe grobe Fahrlässigkeit einzustufen ist. Es muss daher in jedem Fall bestimmt werden, mit welcher Schwere (in welchem Grade) der Versicherungsnehmer bei der Herbeiführung des Versicherungsfalls grob fahrlässig gehandelt hat. Das heißt: Es ist jeweils festzustellen, in welchem Schweregrad der Versicherungsnehmer die Kriterien, die ein Verhalten zu einem grob fahrlässigen machen, durch sein Verhalten verwirklicht hat. Dabei reicht die Scala der Schweregrade von „gerade eben“ oder „schlicht“, was besagen soll, dass keine Schwere der groben Fahrlässigkeit vorliegt, bis „in höchstem Maße“, was bedeutet, dass schwerste grobe Fahrlässigkeit gegeben ist.
3. Die Kürzung der Versicherungsleistung um die der Schwere der groben Fahrlässigkeit entsprechende Quote Die dritte Streitquelle ist die zweite, um die § 81 Abs. 2 VVG die Streitquellen gegenüber § 61 VVG a.F. vermehrt hat. Sie ergibt sich aus dem Recht des Versicherers, die Versicherungsleistung bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls um eine der Schwere der groben Fahrlässigkeit entsprechende Quote zu kürzen. Im Sinne der Qualifikation des § 81 Abs. 2 VVG als subjektiven Risikoausschluss ausgedrückt heißt das: Es muss die Quote bestimmt werden, in deren Höhe die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls von vornherein nicht versichert (also aus dem von dem Versicherer übernommenen Risikobereich ausgeschlossen) ist. Und dabei muss die Höhe der Quote der Schwere der von dem Versicherer begangenen groben Fahrlässigkeit entsprechen. a) Die Spanne des subjektiven Risikoausschlusses wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer Aus der zuletzt genannten Streitquelle sind schon früh die Streitfragen erwachsen, ob ein subjektiver Risikoausschluss (eine Kürzung der Versicherungsleistung) mangels Schwere der groben Fahrlässigkeit zu verneinen ist und ob er bei einer im höchsten Maße groben Fahrlässigkeit zum vollständigen Ausschluss des Risikos der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versiche-
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rungsnehmer (zur vollständigen Kürzung der gesamten Versicherungsleistung) führen kann.29 Auf der Grundlage der vorangegangenen Überlegungen zur Feststellung der Schwere der groben Fahrlässigkeit ist auf die erste der Streitfragen so zu antworten: Die grobe Fahrlässigkeit, die zwar die Kriterien der groben Fahrlässigkeit erfüllt, aber keinerlei Schwere aufweist und deshalb als „schlichte grobe Fahrlässigkeit“ bezeichnet werden kann, begründet noch keinen subjektiven Risikoausschluss (keine Kürzung der Versicherungsleistung). Die Ausschlussquote (Kürzungsquote) ist also Null. Zu einer Ausschlussquote kommt es erst, wenn die Kriterien, nach denen ein Verhalten als grob fahrlässig zu bewerten ist, auf qualifizierte Weise erfüllt worden sind, also wenn eine im Sinne einer weiten Skala der Schweregrade zu verstehende schwere grobe Fahrlässigkeit festzustellen ist. Das heißt zugleich, wenn es an der Schwere der groben Fahrlässigkeit fehlt, also nur eine schlichte grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist das Risiko der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer nicht ausgeschlossen, also keinerlei Risikoausschluss (keinerlei Recht zur Kürzung der Versicherungsleistung) gegeben.30 Ebenfalls zu bejahen ist die Frage, ob ein vollständiger Ausschluss des Risikos der Herbeiführung des Versicherungsfalls (also eine vollständige Kürzung der Versicherungsleistung) anzunehmen ist, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall im höchsten Schweregrad grob fahrlässig herbeigeführt hat. Dem steht nicht entgegen, dass in § 81 Abs. 2 VVG nur von einer Kürzung und nicht auch von einer Streichung oder einer ähnlichen Formulierung die Rede ist.31 Gegen diese Argumentation spricht neben den schon vorgebrachten Einwänden32, dass sie die Frage aufwirft, welche Quote der Versicherungsleistung der Versicherungsnehmer denn bei einer groben Fahrlässigkeit im höchsten Schweregrad jedenfalls erhalten müsste. Es ergäbe sich damit also eine weitere Streitquelle, für die sich aus § 81 Abs. 2 VVG und aus seiner Geschichte33 glücklicherweise keine überzeugenden Anhaltspunkte ergeben. Wenn der Gegenansicht damit auch nicht zu folgen ist, so stützt sie doch den Hinweis, dass der vollständige Ausschluss des Risikos der Herbeiführung des Versicherungsfalls (die Kürzung der gesamten Versicherungsleistung) wegen schwerster grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers die seltene Ausnahme sein wird und muss.
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Zu dieser Streitfrage eingehend Looschelders, VersR 2008, 1, 6. Vgl. ferner Marlow/Spuhl, Das neue VVG kompakt, 3. Aufl., S. 158 und die Hinweise in ihrer Fn. 440. Im Ergebnis ebenso schon Römer, VersR 2006, 740, 741, Weidner/Schuster, r+s 2007, 363, 364, Felsch, ebenda 485, 492, und Looschelders, VersR 2008, 1, 6 zu V. 2. So Marlow/Spuhl, wie Fn. 29, S. 158. Vgl. nur Looschelders, VersR 2008, 1, 6. Vgl. dazu den Hinweis bei Marlow/Spuhl, wie Fn. 29, S. 157 f., wonach im Regierungsentwurf (anders als im Referentenentwurf) zu § 81 VVG nicht mehr gesagt wird, dass vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers „nur“ bei Vorsatz des Versicherungsnehmers angenommen werden dürfe.
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b) Das Zusammentreffen eines subjektiven Risikoausschlusses nach § 81 Abs. 2 VVG mit Rechten des Versicherers zur Leistungskürzung wegen Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers Zu den früh erkannten Problemen der nach § 81 Abs. 2 VVG zu bestimmenden Quote gehört auch das, wie zu urteilen ist, wenn der Versicherungsnehmer nicht nur den Versicherungsfall durch ein zu einem begrenzten oder vollständigen Risikoausschluss (zu einem Kürzungsrecht) führendes grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt, sondern auch nach § 28 Abs. 2 VVG zur Kürzung berechtigende Obliegenheitsverletzungen begangen hat. Die Beantwortung der Frage, wie das genannte Nebeneinander zu beurteilen ist, bereitet Schwierigkeiten, wenn man – wie es meist geschehen ist – § 81 Abs. 2 VVG und die sonstigen Quotenregelungen, insbesondere die für Obliegenheitsverletzungen, einheitlich (ununterschieden) behandelt; denn dann stößt man auf all die „Theorien“, die für die Bewältigung der Konkurrenz aller Arten von Quotenregelungen einheitliche „Methoden“ vorschlagen.34 Beachtet man dagegen, dass § 81 Abs. 2 VVG einen subjektiven Risikoausschluss enthält und deshalb eine Sonderstellung einnimmt, so ist in einem Fall, in dem eine Quote nach § 81 Abs. 2 VVG und eine weitere nach § 28 Abs. 2 VVG (wegen einer Obliegenheitsverletzung) zu bestimmen ist, wie folgt zu argumentieren: Die Obliegenheitsverletzung bezieht sich auf den Risikobereich, für den der Versicherer einstehen muss (für den Versicherungsschutz besteht), und das ist der Risikobereich, der nach Abzug des aus § 81 Abs. 2 VVG zu entnehmenden subjektiven Risikoausschlusses übrig bleibt. Es ist also zuerst die Quote zu bestimmen, in deren Höhe das Risiko der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch § 81 Abs. 2 VVG ausgeschlossen worden ist (in dessen Höhe die Versicherungsleistung zu kürzen ist), weil insoweit von vornherein kein Versicherungsschutz bestand. Gegenstand der Kürzung nach § 28 Abs. 2 VVG (wegen Obliegenheitsverletzung) ist dann nur die Versicherungsleistung, die dem nicht durch § 81 Abs. 2 VVG ausgeschlossenen Risiko entspricht. In Zahlen ausgedrückt heißt das für den Beispielfall: Wenn die Versicherungsleistung 100.000 € beträgt und der Ausschluss nach § 81 Abs. 2 VVG ein Viertel, so ist die (in dem Risikobereich des Versicherers) verbleibende Versicherungsleistung von 75.000 € (der versicherte Teil) nach § 28 Abs. 2 VVG zu kürzen und der Rest dem Versicherungsnehmer zuzusprechen. Komplizierter wird es, wenn mit dem subjektiven Risikoausschluss nach § 81 Abs. 2 VVG die Quotenregelung wegen der grob fahrlässigen Verletzung mehrerer Obliegenheiten (§ 28 Abs. 2 VVG) oder gar auch noch wegen grob fahrlässiger Gefahrerhöhung (§ 26 Abs. 1 und 2 VVG) zusammentreffen. Fest steht auch dann dies: Zu beginnen ist wie zuvor mit dem subjektiven Risikoausschluss nach § 81 Abs. 2 VVG. Was wegen der konkurrierenden Quotenregelungen für Obliegenheitsverletzungen und Gefahrerhöhungen mit dem nicht durch § 81 Abs. 2
34
Umfassende Übersicht bei Schwintowski/Brömmelmeyer/Kloth/ Neuhaus, PK-VersR, § 81 VVG Rn. 69-79.
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VVG ausgeschlossenen Rest geschieht, steht auf einem hier nicht zu beschreibenden anderen Blatt.
V. Die nicht überzeugende Quotenregelung und ihre Überwindung durch Vertrag 1.
Die Hauptmängel der Quotenregelung
Die Absicht, den in § 61 VVG a.F. enthaltenen vollständigen Ausschluss des Risikos der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer zugunsten des Versicherungsnehmers abzuändern, war und ist zu begrüßen. Die Verwirklichung dieser Absicht durch § 81 Abs. 2 VVG ist aber nicht überzeugend gelungen.35 Die Mängel sind bekannt: Mit seinen gegenüber der alten Gesetzeslage verdreifachten Streitquellen ist es zu einem Ursprungsbiet dornenreicher Streitfragen geworden. Die Schwierigkeiten bei der Handhabung der Quotenregelung sind erheblich. Jede der Streitquellen führt zu Unsicherheiten.36 Hinreichend sichere Einschätzungen über die Höhe der zu erhebenden und notfalls einzuklagenden Ansprüche der Versicherungsnehmer sind kaum möglich. Mit langwierigen und kostenträchtigen außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtsstreiten ist sicher zu rechnen und mit deutlich unterschiedlichen Entscheidungen im Instanzenzug auch. Diese Befürchtung bestätigt Armbrüsters37 Bericht über die schweizerische Rechtsprechung, in der das Bundesgericht die Kürzung der Versicherungsleistung durch kantonale Gerichten als zu mild bezeichnet und in einem Fall eine von der Vorinstanz vorgenommene Anspruchskürzung von 15% auf 80 % angehoben hat.
2.
Die Überwindung der Quotenregelung durch Vertrag
Die Reaktion auf die nicht überzeugende Quotenregelung des § 81 Abs. 2 VVG kann nicht darin bestehen, nach dem Gesetzgeber zu rufen, und auch nicht darin, das bisherige Alles-oder-nichts-Prinzip durch entsprechende AVB wieder einzuführen. Diese § 81 Abs. 2 VVG abändernde Vertragsgestaltung zum Nachteil des Versicherungsnehmers lässt das VVG (wie schon erwähnt) nach § 87 VVG zwar zu. Nicht zu vereinbaren wäre eine solche AVB-Regelung aber mit § 307 BGB,
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Ebenso zu dem mit § 81 Abs. 2 VVG wortgleichen § 83 Abs. 2 des Entwurfs der Reformkommission schon Baumann, in FS für Ulrich Weber, 2004, S. 1, 14. Eindrucksvoll dazu schon Armbrüster, wie Fn. 14, S. 45 f.. Vgl. außerdem dens., VersWissStud (Bd. 29), S. 21, 30 ff. Armbrüster, wie Fn. 14, S. 52, und ders. VersWissStud (Bd. 29), S. 31. Zu der schweizerischen Diskussion über die Unsicherheit der Quotenregelung vgl. Ritter, wie Fn. 20, S. 140, wo er (wenig überzeugend) die Unsicherheit geringer einschätzt.
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weil sie eine unangemessene Benachteiligung der Versicherungsnehmer enthielte.38 Mit § 307 BGB vereinbar wäre dagegen eine AVB-Regelung, die den Absatz 2 des § 81 VVG ersatzlos abbedingt und damit den in dieser Vorschrift vorgesehenen begrenzten subjektiven Risikoausschluss ersatzlos beseitigt. Ein subjektiver Risikoausschluss, und zwar ein vollständiger, bestünde dann also nur noch bei dem in § 81 Abs. 1 VVG geregelten Ausschluss des Risikos der vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer. Die soeben vorgeschlagene AVB-Regelung ist nicht so ungeläufig, wie sie klingt; denn es gibt schon jetzt Versicherungsprodukte, bei denen die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer in den Versicherungsschutz einbezogen werden kann.39 Immerhin ein Fingerzeig dafür, dass die Regelung für die Versicherer tragbar ist und auch zu einer für den Jedermann-Versicherungsnehmer bezahlbaren Prämie angeboten werden kann. Zumindest hinzuweisen ist ferner darauf, dass in der Haftpflichtversicherung nach § 103 VVG (§ 152 VVG a.F.) nur die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls die Leistungsfreiheit des Versicherers begründet.40 Die Präventivwirkung der subjektiven Risikoausschlüsse durch § 81 VVG wird durch die vorgeschlagene AVB-Regelung zwar abgebaut. Sie ist aber hier wie meist nicht von allzu großer Bedeutung.41 Ihr Abbau lässt sich deshalb aushalten. Jedenfalls überwiegen die Vorteile, die eine vollständige Abdingung42 des subjektiven Risikoausschlusses der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer mit sich bringen. Im Einzelnen heißt das: Die schon nach altem Recht bestehende Streitquelle der Grenzziehung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit und die durch die Quotenregelung zusätzlich eingeführten, noch bedeutenderen Streitquellen werden beseitigt. Die Gefahr einer Störung der (Kunden-) Beziehungen zwischen den Versicherern und den Versicherten und der Aufwand an Zeit und Kosten für die Abwicklung von Versicherungsfällen werden stark reduziert. Und die Versicherer und Versicherungsnehmer, die bei den Schwierigkeiten der Regelung des § 81 Abs. 2 VVG bleiben wollen, können das dadurch, dass sie die hier vorgeschlagene AVBRegelung nicht mitmachen. Es ist aber wohl damit zu rechnen, dass die Mehrheit der Versicherungsinteressenten die Einbeziehung der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls in den Versicherungsschutz wählen wird; denn grobe Fährlässigkeit unterläuft für einen Augenblick auch denen, die sich im Allgemeinen sorgfältig verhalten. Für diese Einschätzung steht das in letzter Zeit viel diskutierte „Augenblicksversagen“. 38 39
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Ebenso schon Looschelders, VersR 2008, 1, 7 zu 4., MarlowSpuhl, wie Fn. 29, S. 159. Zur Praxis in der Schweiz (Zusatzversicherung) vgl. den Bericht von Ritter, wie Fn. 20, S. 143. Vgl. zu den Besonderheiten der Haftpflichtversicherung aber auch E. Lorenz. VersR 2000, 2, 7. Eine eindringliche Analyse zu § 152 VVG a.F. und seinem Verhältnis zu § 61 a.F. VVG bietet Baumann, r+s 2005, 1, 4 und 7. Näher dazu schon E. Lorenz, VersR 2000, 2, 4 f. und 8. Andere Vorstellungen zur Prävention unterbreitet Ritter, wie Fn. 20, S. 143. Die versicherungstechnisch auf verschiedene Weise möglich wäre.
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VI. Schlussbemerkung Innerhalb der Quotenregelungen, die das neue VVG eingeführt hat, nimmt die Regelung in § 81 Abs. 2 VVG eine Sonderstellung ein, weil sie einen (begrenzten) subjektiven Risikoausschluss enthält. Sie muss deshalb (anders als es geschieht) von den sonstigen Quotenregelungen gesondert behandelt werden. Die hier zur Handhabung der Quotenregelung in § 81 Abs. 2 VVG unterbreiteten Gedanken und Vorschläge lassen sich also auf die anderen Quotenregelungen, insbesondere auf die für Obliegenheitsverletzungen, nicht ohne weitere Überlegungen übertragen.
Richterliche Mediation im Lichte der Amtshaftung
Karl-Heinz Matthies∗ Seit Herbst 2002 wird an zahlreichen deutschen Gerichten mit zunehmender Tendenz gerichtsinterne Mediation praktiziert. Die Mediationssitzungen werden mit dem Ziel einer konsensualen Erledigung anhängiger Rechtsstreitigkeiten durch Richter mit Mediationsausbildung geleitet. Die sich hieraus ergebenden Haftungsfragen sind Gegenstand dieses Beitrages. Inzwischen gibt es auch einige Modelle anwaltlich geleiteter gerichtsnaher Mediation. Die daraus resultierenden Haftungsfragen erfordern eine weitgehend eigenständige Betrachtung und sollen an dieser Stelle daher nicht erörtert werden.
I. Was ist Mediation? Mediation ist ein in jedem Stadium eines Konflikts anwendbares, in jeder Hinsicht flexibles Verfahren zu dessen Beilegung. Zwei oder mehr Parteien der Streitigkeit suchen mit Unterstützung eines unparteiischen Dritten (Mediator/in) einvernehmliche Regelungen, die ihren Bedürfnissen und Interessen dienen. Der Mediator hilft den Beteiligten, Streitpunkte zu identifizieren und möglichst breit gefächerte Lösungsoptionen zu erarbeiten. Ob gemeinsam entwickelte Lösungsmöglichkeiten ergriffen werden, entscheiden die Parteien ausschließlich in eigener Verantwortung. Es handelt sich um ein im anglo-amerikanischen Rechtskreis entwickeltes Instrument, das dort bereits in jeder Hinsicht weitgehend implementiert ist. Auch in Deutschland wird Mediation außergerichtlich seit längerer Zeit von zahlreichen Anbietern – nicht nur aus juristischen Berufsfeldern – vorgehalten, wenngleich noch immer selten nachgefragt. Die Methoden der Mediation sind vielschichtig. Kenntnisse darüber können in Crashkursen erworben werden; es existieren aber auch viele auf eine intensive Ausbildung gerichtete Angebote bis hin zu Studiengängen an Universitäten. An umfassenden gesetzlichen Regelungen zur Mediation einschließlich Qualifikati-
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Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Braunschweig.
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onsanforderungen der Mediatoren fehlt es in Deutschland bislang1. Die im April 2008 vom Europäischen Parlament angenommene Richtlinie über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen beinhaltet nur marginale Regularien2. Der 67. Deutsche Juristentag 2008 hat sich mit dieser Problematik befasst3 und die gesetzliche Regelung der Mediation einschließlich der gerichtsinternen Mediation empfohlen.
II. Die gerichtsinterne Mediation Die Erfahrung lehrt, dass zahlreiche Zivilprozesse nur deswegen geführt werden, weil die Parteien nicht mehr miteinander reden können oder wollen. Sie verbauen sich so ohne Not Chancen für einvernehmliche Lösungen. Es ist deshalb sinnvoll, auch während eines bereits anhängigen Zivilprozesses oder sogar erst im Berufungsrechtszug den abgebrochenen Gesprächsfaden neu zu knüpfen. Denn wer versteht mehr von dem Konflikt und seinen Hintergründen als die Parteien selbst? Die Justiz offeriert daher ein von einem zum Mediator ausgebildeten Richter geleitetes, nicht öffentliches und vertrauliches Gespräch zwischen den Parteien und ggfls. auch sonstigen Konfliktbeteiligten4. Die Teilnahme an einer Mediation ist in jeder Hinsicht freiwillig. Sie ist eine zusätzliche Chance. Misslingt die Mediation, wird der Rechtsstreit im ordentlichen Verfahren fortgesetzt. Der Richtermediator ist nach der überwiegend gehandhabten Praxis nicht für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig. Dies ist ein die Mediationslage maßgeblich prägender Aspekt. Denn nur vor einem nicht für die Sachentscheidung zuständigen, überdies zur Verschwiegenheit verpflichteten Richter werden die Parteien in jeder Hinsicht offen verhandeln. Auch stellt sich ihnen im Rahmen einer solchen Verhandlung nicht die Alternative, es auf eine Entscheidung ankommen zu lassen. Im Unterschied zum herkömmlichen richterlichen Vergleichsgespräch legt der Mediationsrichter die Parteien auch nicht auf einen von ihm vorgegebenen rechtlichen Pfad fest. Das Verhandlungsspektrum verbreitert sich dadurch. Der Richtermediator ist in jeder Hinsicht neutral, besser allparteilich. Er hilft den Parteien, eigene, für alle Beteiligten möglichst optimale Wege zur Konfliktlösung zu finden. Verläuft eine Mediation erfolgreich, so hat der Richtermediator die Befugnis, kraft Protokollierung eines Vergleiches einen Vollstreckungstitel zu schaffen.
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Österreich verfügt bereits über ein Mediationsgesetz; in Niedersachsen existiert ein Entwurf für ein entsprechendes Landesgesetz, das aber nur die außergerichtliche Mediation regeln soll. Entwurf einer EU-Richtlinie zur Mediation in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des gemeinsamen Standpunkts, Ratsbeschluss v. 9.11.2007, LIMITE 15003/07. S. Kurzfassung des Gutachtens von Hess, Beilage zu NJW Heft 21/2008 S. 26. S. dazu mehrere einen Überblick vermittelnde Aufsätze in Heft 7 der SchleswigHolsteinischen Anzeigen 2007, 109 ff.
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Verfahrenstechnisch läuft ein gerichtsinternes Mediationsverfahren nach dem sog. Göttinger Modell wie folgt ab: In der Regel nach Eingang der Klagerwiderung fragt der für die Sache zuständige Richter oder Spruchkörper in aus seiner Sicht für eine einvernehmliche Regelungen geeigneten Prozessen die Mediationsbereitschaft der Parteien ab und legt die Akten seinem als Mediator agierenden Kollegen vor. Sofern Kläger, Beklagter und deren Anwälte der Mediation zustimmen, kann kurzfristig (meist innerhalb von 4 bis 6 Wochen) ein Termin vereinbart werden. Die persönliche Teilnahme der Parteien hieran ist, ebenso wie deren anwaltliche Begleitung, grundsätzlich unumgänglich. Das streitige Gerichtsverfahren ruht auf Antrag der Parteien für die Dauer der Mediation. In dem Mediationstermin, der nach den bisherigen Erfahrungen je nach Komplexität durchschnittlich etwa ein bis drei Stunden in Anspruch nimmt, wird der Konflikt mit den Beteiligten und ihren Anwälten erörtert. Es werden interessengerechte Lösungen gesucht. Neben den Parteien des Rechtsstreits können in die Mediation auch weitere, nicht am Prozess beteiligte Personen einbezogen werden, wenn dies die Streitschlichtung erleichtert. Die Auswahl der zu erörternden Themen liegt bei den Parteien. Dadurch sind die Beteiligten des Mediationstermins nicht förmlich auf die Erörterung des eigentlichen Prozessstoffs beschränkt und es wird die Chance auf eine möglichst umfassende Konfliktlösung eröffnet.
III. Mögliche Haftungsfälle Die Richtermediation ist nicht frei von Haftungsrisiken, mag auch die Vielfalt des Lebens uns diese nicht abschließend vorhersehen lassen. Für die nachfolgende Untersuchung sollen vier Fallgruppen ausgewählt werden: 1. Die Tätigkeit des Richtermediators samt Vergleichsprotokollierung als solche: Wenn der Justiz dies nicht gestattet ist und alles, was an Maßnahmen ergriffen wird, mithin rechtswidrig sein sollte, könnte sich allein schon hieraus die Gefahr einer Haftung ergeben. 2. Fehler bei der Terminsvorbereitung, z. B. unterlassene Abladung der Geladenen wegen verspäteter Terminsaufhebung, so dass nutzlos Reisekosten aufgewandt werden. 3. Fehler bei der Vergleichsprotokollierung, z. B. Aufnahme eines Widerrufsvorbehalts und damit einer aufschiebenden Bedingung in einen Vergleich, der eine Auflassung beinhaltet, was gemäß § 925 Abs. 2 BGB zu deren Unwirksamkeit führt5; infolge einer dadurch eintretenden Verzögerung der Eintragung des neuen Eigentümers in das Grundbuch kommt es zu Zwischeneintragungen. 4. Falscher Rechtsrat: Ein Richtermediator erteilt einer Partei – entgegen seinem Rollenbild – rechtliche Ratschläge oder Hinweise; diese treffen nicht zu; die Partei schließt daraufhin einen für sie nachteiligen Vergleich ab.
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BGHZ 88, 364, 367.
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1. Fallgruppe 1 Der Richtermediator wird auf der Grundlage des § 278 Abs. 2 ZPO tätig. Danach hat der mündlichen Verhandlung in der Regel eine Güteverhandlung vorauszugehen. Denn der Gesetzgeber sieht eine Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich als die in vielen Fällen vorzugswürdige Option an, weil dieser dem Rechtsfrieden oft nachhaltiger dienen wird als eine streitige Entscheidung6. In der Güteverhandlung ist dem Gesetz zufolge der Sach- und Streitstand mit den Parteien unter freier Würdigung aller Umstände zu erörtern, erforderlichenfalls sind Fragen zu stellen. Nichts anderes geschieht in der Richtermediation, mag auch methodisch anders als üblich angesetzt werden. Gemäß § 278 Abs. 5 ZPO kann die Güteverhandlung einem beauftragten oder ersuchten Richter übertragen werden. Während beauftragter Richter nur ein Mitglied des zuständigen Kollegialspruchkörpers sein kann 7, ist der ersuchte Richter in § 362 Abs. 1 ZPO als an einem anderen Gericht tätiger Richter definiert; als Rechtshilfegericht kommt nur ein Amtsgericht in Betracht, § 157 GVG. Der Richtermediator gehört indessen – abgesehen von einem Ringtauschmodell, das einige niedersächsische Amtsgerichte anwenden – demselben Gericht an, jedoch nicht dem für die Sache zuständigen Spruchkörper bzw. der für die Sache zuständigen Abteilung. Nach allgemeiner Auffassung rechtfertigt sich diese Handhabung aus einer analogen Anwendung des § 362 Abs. 1 ZPO. Denn es ist kein Sachgrund erkennbar, welcher es untersagen könnte, die Güteverhandlung einem zwar verfahrensfremden, jedoch infolge der Zugehörigkeit zu demselben Gericht zweifellos sachnäherem Richter als dem eines fremden Amtsgerichts zu übertragen8. Deshalb stellt die Tätigkeit eines ersuchten Richtermediators, der dem für die Sache zuständigen Gericht angehört, als solche keinen Haftungsfall dar. Von einem solchen Richter nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften protokollierte Vergleiche sind grundsätzlich wirksam. Denn der ersuchte Richtermediator übt richterliche Tätigkeit aus9, wird mithin als deutsches Gericht i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO tätig und ist daher ermächtigt, wirksam einen Prozessvergleich zu protokollieren. Dies folgt nicht nur daraus, dass der ersuchte Richter schon kraft Gesetzes gem. § 278 Abs. 5 S. 1 ZPO als dazu befugt anzusehen ist; Prozessvergleiche können überdies nämlich ohnehin vor für die Streitsache unzuständigen oder
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BTDrs 14/4722 S. 62. Zöller/Greger, ZPO, 26. A., § 361 RN 1. Zöller/Greger, § 278 RN 5; Greger, DRiZ 2008, 48; Spindler, Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen, 2006, S. 41 ff.; Götz v. Olenhusen, ZKM 2004, 104, 105; Löer, ZZP 119 (2006), 199, 209. Das räumen auch Wimmer/Wimmer, NJW 2007, 3243, 3246, ein, die Gerichtsmediation grundsätzlich nicht der Rechtsprechung zu-, sondern als Verwaltungstätigkeit einordnen. A. A. zutreffend z. B. Hess, Beilage zu NJW Heft 21/2008 S. 26; Greger, DRiZ 2008, 48.
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auch vor nicht ordnungsgemäß besetzten Gerichten geschlossen werden, denn das Gesetz fordert nur den Vergleichsschluss vor einem deutschen Gericht10. Zu einer anderen Sichtweise freilich könnte verleitet sein, wer der von Spindler11 vertretenen Auffassung folgt, der Richtermediator werde nicht kraft seines Richteramtes im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Beziehung zu den Parteien bzw. Medianten tätig, sondern die Justiz trete mit dem Richtermediator als ihrem Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB in eine privatrechtliche Beziehung zu diesen. Protokolliert indessen der Richtermediator im Anschluss an das Medationsgespräch einen Vergleich, wird wohl auch von Spindler nicht bezweifelt, dass jedenfalls ab diesem Zeitpunkt eine richterliche Tätigkeit aufgenommen wird12; spätestens dann muss folglich auch nach dieser Auffassung eine öffentlichrechtliche Beziehung zu den Medianten begründet werden, denn ohne konkrete Ausübung seines Richteramtes ist eine wirksame Vergleichsprotokollierung durch den Richtermediator nicht denkbar. Entgegen Spindler wird der Richtermediator aber auch bereits im Vorfeld der Vergleichsprotokollierung ausschließlich als Güterichter und in Ausübung dieses Amtes tätig. Ein privatrechtlicher Vertrag mit den Medianten kommt nicht zustande. Deshalb haftet der Dienstherr des Richtermediators in diesem Bereich auch nicht nach §§ 280, 278 BGB13. Denn Richtermediation ist – wie bereits dargelegt – nichts anderes als eine Güteverhandlung mit besonderen Methoden. Diese ist durch § 278 ZPO fest im zivilprozessrechtlichen System verankert. Der Richtermediator wird in seiner Funktion als Richter mit der Güteverhandlung durch Gerichtsbeschluss betraut. Er wird funktional und auch der gewählten Rechtsform nach14 öffentlich-rechtlich und hoheitlich tätig. Hat man dies erkannt, muss folgerichtig das gesamte Haftungsregime als ein solches der Amts- bzw. Staatshaftung (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG) angesehen werden.
2. Fallgruppen 2 bis 4 Wenden wir uns vor diesem Hintergrund den oben unter 2. bis 4. skizzierten Fällen mediationsrichterlichen Fehlverhaltens zu. Es stellen sich dabei jeweils folgende Fragen: -
Liegt eine Amtspflichtverletzung vor? Fällt diese unter das Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB? Welcher Haftungsmaßstab gilt?
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Vgl. etwa Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 21. A., § 794 RN 26. A. a. O., S. 29 ff. A. a. O., S. 41 ff. So aber Spindler, a. a. O., S. 33 ff., wonach allerdings eine persönliche Inanspruchnahme des Richtermediators wegen der vorrangigen vertraglichen Haftung des Dienstherrn am Subsidiaritätsgrundsatz des § 839 Abs. 2 S. BGB scheitern soll. Dies ist wesentlich für das Haftungsregime: BGH, NJW 2000, 2810.
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Welche Auswirkungen entfaltet ggf. der Subsidiaritätsgrundsatz (§ 839 Abs. 1 S. 2 BGB)?
a) Fallgruppe 2: Die unterlassene Abladung Ein Geschäftsstellenbeamter ist verpflichtet, richterlich verfügte Abladungen möglichst rasch vorzunehmen, um unnötige Reisekosten der Verfahrensbeteiligten zu verhindern; notwendige Voraussetzung einer solchen Abladung ist die vom Richter anzuordnende Terminsaufhebung. Dann ist nicht einzusehen, weswegen für den Fehler des Geschäftsstellenbeamten die Haftung eintreten sollte, für denjenigen des Richters aber nicht. Den Richter trifft somit – auch wenn er als Mediator tätig ist – die Rechtspflicht, sachlich, z. B. wegen Erkrankung eines Beteiligten gebotene Terminsaufhebungen so zügig zu verfügen, dass die Verfahrensbeteiligten noch rechtzeitig abgeladen werden können. Hintergrund hierfür ist die Erkenntnis, dass es in dieser Konstellation um Justizpflichten geht, die der verwaltenden und nicht der rechtsprechenden Tätigkeit zuzuordnen sind15. Haftungsrechtlich unerheblich ist, welchen Justizbediensteten konkret der Pflichtverletzungsvorwurf trifft. Pflichtversäumnisse solcher Art fallen schon deswegen nicht unter das Spruchrichterprivileg, weil dieses für verzögerte Amtsausübung ohnehin nicht gilt (§ 839 Abs. 2 S. 2 BGB). Nun ist allerdings für richterliche Pflichtverletzungen außerhalb des Spruchrichterprivilegs allgemein anerkannt, dass aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der richterlichen Unabhängigkeit eine Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit folgt16. Wo indessen der Richter verwaltend und nicht entscheidend oder auch nur eine Entscheidung vorbereitend tätig wird, fehlt es an einem sachlichen Grund für ein derartiges Haftungsprivileg. Denn die richterliche Unabhängigkeit kann verzögerte Amtsausübung jedenfalls dann nicht rechtfertigen, wenn es an jedem richterlichen Entscheidungsspielraum fehlt, so wie es im Beispielsfall anzunehmen ist. Unerheblich ist hierbei, ob der Richter als Mediator tätig wird. Da sich Subsidiaritätsfragen hier grundsätzlich nicht stellen, kann festgehalten werden, dass die Amtshaftung für das Fehlverhalten des Richtermediators in Ausübung von verwaltenden Aufgaben der Justiz nach den allgemeinen Maßstäben des § 839 Abs. 1 BGB iVm Art. 34 S. 1 GG zu beurteilen ist. b) Fallgruppe 3: Fehler bei der Vergleichsprotokollierung Protokolliert der Richter einen Vergleich, so gießt er materiellrechtlich und/oder prozessrechtlich erhebliche Parteierklärungen in diejenige Form, der es zur Herbeiführung jener Wirkungen bedarf, also zur Prozessbeendigung, zur Begründung eines Vollstreckungstitels, oder eben – wie im Beispielsfall 3. – zur formwirksamen Übertragung eines subjektiven Rechts. Diese Tätigkeit des Richters steht
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PK/Zimmerling, 3. Aufl., § 839 RN 186. BGHZ 155, 306; OLG Frankfurt/Main, NJW 2001, 3270; Staudinger/Wurm, BGB, 13. Bearb., § 839 RN 655; Soergel/Vinke, BGB, 13. Aufl., § 839 RN 215.
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haftungsrechtlich derjenigen eines Urkundsnotars gleich. Den Richter trifft daher die Amtspflicht darauf hinzuwirken, dass die Parteien formwirksame und eindeutige, zu Auslegungszweifeln keinen Anlass bietende Erklärungen abgeben17. Es ist kein Sachgrund erkennbar, der es rechtfertigen könnte, den Richtermediator insoweit anders zu behandeln als den Streitrichter, der in der mündlichen Verhandlung einen Vergleich protokolliert. Zweifellos wird in der Mehrzahl dieser Fälle die Amtshaftung am Subsidiaritätsgrundsatz des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB scheitern, weil die geschädigte Partei von der an sich haftenden Körperschaft auf die vorrangige Inanspruchnahme ihres (haftpflichtversicherten) Prozessbevollmächtigten verwiesen werden kann. Denn natürlich sind in erster Linie diese darauf zu achten berufen, dass die von ihren Mandanten abzuschließenden Prozessvergleiche wirksam sind; auch wird kaum je ein Richter vorsätzlich einen Fehler bei der Vergleichsprotokollierung begehen. Allerdings muss nicht bei jedem Prozessvergleich ein Rechtsanwalt mitwirken. Daran kann es mangels Anwaltszwangs im Amtsgerichtsprozess fehlen; auch müssen Dritte, die ohne Prozesspartei zu sein einem Prozessvergleich beitreten, nicht zwingend anwaltlich vertreten sein18. Und schließlich kann der Geschädigte nicht auf Ansprüche gegen einen insolventen Primärschuldner verwiesen werden19, wobei denkbar ist, dass auch die Berufshaftpflichtversicherung wegen Überschreitens der Deckung oder aus sonstigen versicherungsvertragsrechtlichen Gründen nicht (vollständig) eintritt. Die im Mittelpunkt stehende Beurkundungsfunktion des Richters verbietet in solchen Fällen die Anwendung des Spruchrichterprivilegs, wonach eine Amtspflichtverletzung nur dann anzunehmen ist, wenn der Richter zugleich eine Straftat begeht. Heute besteht Einigkeit darüber, dass der Zweck des Spruchrichterprivilegs darin besteht, die Rechtskraft der getroffenen Entscheidung zu sichern; diese soll im potentiellen Amtshaftungsprozess nicht nochmals überprüft werden können. Zwar gilt das Spruchrichterprivileg nicht nur für die Entscheidung selbst, sondern auch für ihr vor geschaltete richterliche Maßnahmen. In der Rechtsprechung wird sogar vertreten, das Spruchrichterprivileg solchenfalls selbst dann eingreifen zu lassen, wenn es letztlich nicht zu einer richterlichen Entscheidung in der Hauptsache kommt20. Indessen hat die Vergleichsprotokollierung gerade nichts mit der Entscheidungsvorbereitung zu tun; sie verhindert vielmehr eine Entscheidung. Auch schafft ein Prozessvergleich keine materielle Rechtskraft. Er beendet nur das Prozessrechtsverhältnis und klärt die materiell-rechtliche Beziehung zwischen den Vergleichsparteien. Anders als einem rechtskräftigen Urteil kann es einem Vergleich vor allem an einer endgültigen und beständigen Wirkung fehlen, weil ihm allgemeine zivilrechtliche Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe bis hin zum Fortfall der Geschäftsgrundlage entgegen gehalten werden können21. 17 18 19 20
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Allgemein Zöller/Greger, § 278 RN 26. BGHZ 86, 160. BGH, NJW 1996, 3009. BGH v. 19.11.1956 – III ZR 119/55, zitiert nach juris (obiter dictum); OLG Bremen, NJW-RR 2001, 1036; zustimmend Staudinger/Wurm, § 839 Rn 329. Vgl. dazu Zöller/Stöber, § 794 RN 15 m. w. N.
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Der Sicherung der Rechtskraft bedarf es daher im Falle fehlerhafter Protokollierung eines Prozessvergleichs gerade nicht. Daher kann das Spruchrichterprivileg im Zusammenhang mit derartigen richterlichen Pflichtverletzungen keine Anwendung finden22. Nichts anderes gilt für die aus der richterlichen Unabhängigkeit hergeleitete Haftungsbegrenzung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit soll die Freiheit richterlicher Rechtsanwendung und -auslegung sichern. Die Urkundstätigkeit bei der Vergleichsprotokollierung hat damit nichts zu tun. Die Staatshaftung für Fehler des Richters oder des Richtermediators greift daher auf diesem Gebiet uneingeschränkt. c) Fallgruppe 4: Falscher rechtlicher Hinweis Diese Fallgruppe wirft die schwierigsten Fragen auf. aa) Zunächst einmal wird davon auszugehen sein, dass richterliche Hinweise auf die Rechtslage, die zu erteilen das Gericht nach § 139 ZPO verpflichtet ist, richtig zu sein haben. § 139 ZPO soll Überraschungsentscheidungen abwenden23. Der Zweck der Hinweispflicht erschöpft sich aber nicht in der Erteilung des Hinweises als solchem, mag auch dem Anspruch auf rechtliches Gehör damit schon genüge getan sein. Denn die durch die ZPO-Novelle erweiterte gerichtliche Hinweispflicht soll vor allem auch der Herbeiführung materiell richtiger Entscheidungen dienen, indem sie bewirken soll, dass alle entscheidungserheblichen Tatsachen beigebracht und die rechtlich wie tatsächlich erheblichen Fragen erörtert werden24. Deshalb spricht alles dafür, eine Amtspflicht zur Erteilung inhaltlich zutreffender Hinweise anzuerkennen. Deren pflichtwidrige Verletzung kann folglich zu Amtshaftungsansprüchen führen. bb) Dies gilt auch, wenn ein derartig unzutreffender Hinweis im Rahmen von Vergleichsgesprächen erteilt wird und das Prozessverhalten der Parteien beim Vergleichsschluss bestimmt. Doch hängt die Amtshaftung dann vielleicht zusätzlich auch davon ab, wie manifest der Hinweis erteilt wird? Dies ist eine Frage des Zurechnungszusammenhangs, denn wir bewegen uns auf dem Feld der sog. psychisch, nämlich durch einen Willensentschluss des Geschädigten vermittelten Kausalität. Die Zurechnung erfolgt hier, sofern sich der Verletzte dazu herausgefordert fühlen durfte25. Besteht die Reaktion des Verletzten im Abschluss eines Vergleichsvertrages, so wird dieses Kriterium näher mit der Formel umschrieben, dass sein Verhalten nicht als ungewöhnliche Reaktion
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Ebenso Stürner, DRiZ 1976, 202, 204; Soergel/Vinke, § 839 RN 210 m. w. N. Zöller/Greger, § 139 RN 5. Zöller/Greger, § 139 RN 1; Musielak, ZPO, 6. A., § 139 RN 1; MK/Wagner, ZPO, 3. A., § 139 RN 1 f., 5. Deutsch, Haftungsrecht I, 1976, S. 161 f.
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auf das Verhalten des Schädigers anzusehen sein dürfe26, etwa weil er seine Rechtsposition leichtfertig preisgebe27. Äußert der Richter, im Falle des Misslingens der Vergleichsverhandlungen im Sinne des erteilten Hinweises entscheiden zu wollen, wird man davon auszugehen haben, dass das nachfolgende Prozessverhalten der Parteien maßgeblich hiervon gesteuert sein wird, die geschädigte Partei sich also dazu grundsätzlich herausgefordert fühlen durfte. Denn die Gefahr, es könnte zu ihrem Nachteil entschieden werden, muss dieser Partei dann als so beträchtlich erscheinen, dass es unvernünftig wäre, selbst einen nicht besonders attraktiven Vergleich abzuschließen. Wie aber liegt es, wenn der Richter sich – wie meist – nur im Sinne einer mehr oder weniger großen Möglichkeit und im Konjunktiv äußert, etwa in dem Sinne, er weise darauf hin, die Parteien hätten eine bestimmte Rechtsfrage noch nicht unter dem gut vertretbaren Blickwinkel der in der Literatur vertretenen Auffassung gewürdigt, was u. U. die rechtliche Konsequenz haben könne, dass die Klage abzuweisen sei? Damit hat das Gericht seine Hinweispflichten erfüllt, denn eine Überraschungsentscheidung wird vermieden. Die Parteien können entsprechend dem Hinweis ergänzend vortragen, mag der Hinweis auch falsch sein, weil z. B. das Gericht die Konsequenzen der Literarturmeinung falsch verstanden hat. Indessen ändert dies nichts daran, dass unzutreffende Hinweise generell zu unterbleiben haben. Für das meist ad hoc zu führende Vergleichsgespräch hat das Gericht damit zugleich eine Verhandlungsgrundlage geschaffen, welche die Risikoeinschätzung verzerrt und zu einem dadurch bedingten Verhandlungsverhalten führen kann. Dass eine Partei einen selbst nur in der Möglichkeitsform erteilten richterlichen Hinweis ernst nimmt, stellt gewiss keine ungewöhnliche Reaktion dar, denn das Gericht hat das letzte Wort; erst recht gilt dies, wenn – voraussichtlich – kein Rechtsmittel mehr gegen eine solche Entscheidung eingelegt werden kann. Anders wird es allenfalls dann liegen, wenn der rechtliche Hinweis so evident falsch ist, dass mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, das Gericht werde sich argumentativ von einer Entscheidung im Sinne des unzutreffenden Hinweises abhalten lassen oder die Entscheidung werde im Rechtsmittelzug kassiert werden. cc) Doch selbst wenn von einem amtspflichtwidrigen Hinweis auszugehen und Zurechnungszusammenhang anzunehmen ist, führt dies für sich genommen noch nicht zwingend zur Amtshaftung. Denn auch außerhalb des Richterprivilegs des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB ist ein reduzierter Haftungsmaßstab für richterliches Verhalten anerkannt. (1) Vorab jedoch ist zu diskutieren, ob das Richterprivileg eingreift. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes geht dahin, die Gesamtheit der richterlichen Maßnahmen seien privilegiert, die objektiv darauf gerichtet sind, die Rechtssache 26
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BGH, NJW 1988, 1141; NJW 1989, 100; NJW-RR 1992, 1197; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. A., vor § 249 RN 77 ff. BGH, NJW 1993, 1589.
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durch Urteil zu entscheiden, also die Grundlage für eine Sachentscheidung zu gewinnen28, selbst wenn es später nicht zu einem Urteil kommt29. Selbst die im Rahmen eines Vergleichsgesprächs ausgesprochenen Hinweise sind in diesem Sinne urteilsbezogen, weil sie nicht nur erteilt werden, um den Vergleichsschluss zu fördern sondern auch um den richterlichen Hinweispflichten vor Urteilserlass Rechnung zu tragen; auch kann der Richter bei Hinweiserteilung noch gar nicht absehen, ob sich die Parteien vergleichen werden oder ob durch Urteil zu entscheiden sein wird. Auf der Grundlage der Rechtsprechung wird man Hinweise dieser Art mithin unter das Richterprivileg zu subsumieren haben30. Mit Blick auf den Gesetzeswortlaut, wonach das Richterprivileg nur Handlungen „bei einem Urteil“ betrifft, wird jene herrschende Ansicht indessen teilweise mit guten Gründen in Zweifel gezogen31. Vor allem aber führt ein Amtshaftungsprozess um richterliche Fehler in diesem Bereich keineswegs zur Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung und tangiert mithin nicht den gesetzlichen Zweck des Richterprivilegs32. Das Richterprivileg greift daher nach zutreffender Auffassung nicht ein33. (2) Anders freilich liegt es hinsichtlich der durch den Verfassungsgrundsatz der richterlichen Unabhängigkeit legitimierten Haftungsbegrenzung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Diese gilt schlechthin für richterliche Rechtsanwendung und Gesetzesauslegung und deswegen auch für Äußerungen und Hinweise hierzu im Rahmen eines erfolgreichen Vergleichsgesprächs. Wenn es nun allerdings im Falle evident falscher richterlicher Rechtsausführungen in der Regel an einem Zurechnungszusammenhang für den Entschluss der Partei, einem Vergleich zuzustimmen, fehlt, läuft die Amtshaftung in solchen Fällen in der Regel leer. Denn wenn diese ohnehin nur für vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch erteilte Hinweise greift, dem Richter also auch subjektiv ein schwerer Vorwurf zu machen ist, wird zugleich auch objektiv eine evidente Fehlleistung gegeben sein. In der praktischen Handhabung wird es mithin kaum je zur Amtshaftung wegen Vergleichsschlusses aufgrund falscher richterlicher Hinweise kommen. Denkbar ist dies allenfalls bei anwaltlich nicht vertretenen Parteien. Denn diese werden sich, sofern sie nicht rechtskundig sind, auch durch evident fasche richterliche Hinweise zum Vergleichsschluss herausgefordert fühlen dürfen. Immerhin treten sie derjenigen staatlichen Gewalt gegenüber, die das Recht und seine Anwendung schlechthin verkörpert; wenn sie sich selbst durch offenkundig falsche richterliche Rechtsausführungen zum Vergleichsschluss motivieren 28 29
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BGHZ 50, 14. BGH v. 19.11.1956 – III ZR 119/55, zitiert nach juris (obiter dictum); ebenso OLG Bremen NJW-RR 2001, 1036; Staudinger/Wurm, BGB, Bearb. 2007, § 839 RN 329; In diesem Sinne OLG Bremen, NJW 2001, 1036. Soergel/Vinke, BGB, 13. A., § 839 RN 210, FN 1093; MK/Papier, 4. Aufl., § 839 RN 327. Merten, Festschrift für W. Wengler II, 1973, S. 538 f. Stürner, DRiZ 1976, 202, 204.
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lassen, wird man dies nicht als ungewöhnliche und unsachliche Reaktion anzusehen haben. dd) Wie aber steht es, wenn das Vergleichsgespräch nicht von dem für die Sachentscheidung zuständigen Richter, sondern von einem Richtermediator als beauftragtem Richter geführt wird? (1) Kommt diesem bzw. seinem Dienstherr etwa schon deswegen nicht die Haftungsbeschränkung wegen des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit oder gar das Richterprivileg zugute, weil er für die Sachentscheidung nicht zuständig ist? In der Tat: Selbst wer dafür eintritt, das Richterprivileg greife auch für richterliche Äußerungen im Rahmen von Vergleichsgesprächen, wird nicht der Erkenntnis ausweichen können, dass der Richtermediator schlechthin nichts zu entscheiden hat; dessen Tätigkeit endet, wenn es nicht zu einer gütlichen Erledigung der Sache kommt und hat nichts mit einem Verhalten „bei einem Urteil“ zu tun. Schon deswegen greift § 839 Abs. 2 S. BGB hier nicht ein. Anders sind die Auswirkungen des Verfassungsgrundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit zu bewerten: Das Richterbild der Zivilprozessordnung ist janusköpfig. Die ZPO ordnet dem Richter sowohl die Entscheidungs- als auch eine Schlichtungsfunktion zu. Auch Art. 97 Abs. 1 GG differenziert nicht zwischen diesen beiden Funktionen sondern verleiht dem Richter schlechthin Unabhängigkeit für seine ihm vom Gesetz vorbehaltene richterliche Tätigkeit. Diese besteht neben der Rechtsprechung als solcher und der ihr zugeordneten Maßnahmen34 auch z. B. in der dem Richter gesetzlich zugewiesenen Präsidiumstätigkeit35. Auch Aktivitäten als richterlicher Mediator sind dem Richter gerade in seiner richterlichen Funktion an die Hand gegeben. Insoweit ist er daher ebenfalls allein Gesetz und Recht unterworfen. Solange richterliches Verhalten als vor Gesetz und Recht vertretbar erscheint, findet eine Amtshaftung nicht statt36. Dieser Grundsatz entfaltet Wirkung, sobald die richterliche Tätigkeit überhaupt nur etwas mit Gesetzesanwendung oder -auslegung zu tun hat. Das ist prinzipiell auch der Fall, sofern im Rahmen des Mediationsgesprächs rechtliche Erörterungen stattfinden. (2) Aber ist es überhaupt Aufgabe des Richtermediators, Gespräche solchen Inhalts zu führen; verletzt er nicht seine Pflichten allein schon dadurch, dass er sich darauf einlässt? Oder anders: Ist § 139 Abs. 1 ZPO auf den Richtermediator überhaupt anwendbar? Kodifizierte Regeln der Richtermediation gibt es nicht; zum Inhalt der Mediationsgespräche werden solche auch im Gesetzgebungsverfahren nicht einmal an34 35 36
Vgl. insoweit die Nachweise bei Jarras/Pieroth, GG, 9. A., Art. 97 RN 3. BGHZ 112, 197, 201. BGHZ 155, 306, 310.
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gedacht. Schon dies spricht dafür, in Rechtsgesprächen per se keine Pflichtverletzung zu sehen. Nur eines steht fest: Der Richtermediator hat nichts zu entscheiden, weil ihm vom Gesetz – und auch nach den ungeschriebenen Regeln der Mediation – keine Entscheidungsgewalt zugewiesen ist. Deshalb wäre es zumindest problematisch und sogar haftungsrechtlich relevant, wenn sich ein Richtermediator zu der Bemerkung hinreißen ließe, eine bestimmte Rechtsfrage sei in diesem oder jenem Sinne zu entscheiden. Sofern dies inhaltlich nicht zutrifft, kann auch der Unabhängigkeitsgrundsatz den Richtermediator nicht schützen, weil er sich außerhalb des ihm rechtlich zukommenden Rechtsanwendungsrahmens bewegt. Freilich sind dem Richtermediator rechtliche Bemerkungen nicht schlechthin untersagt. Die Rechtslage ist und bleibt auch im mediativ geführten Vergleichsgespräch einer von – vielleicht vielen – Katalysatoren der Einigung. Denn ob und in welche Richtung sich eine Partei bewegt, hängt nicht zuletzt von ihren Prozessaussichten ab. Stets nämlich ist die Entscheidung die Alternative zur Einigung. Ob man sich einigen möchte, wird neben zahlreichen anderen Faktoren auch von der Bewertung jener Alternative bestimmt. Das gilt schon für die außergerichtliche Mediation, erst recht aber in dem Falle, dass bereits ein Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien mit entsprechender Kostenfolge entstanden ist. Es kann deshalb durchaus sinnvoll sein, mit den Parteien – sofern diese es denn wünschen – auch über die Bewertung der Fortführung des streitigen Verfahrens als Alternative zur Einigung zu reden. Dies betrifft zum einen den formalen und kostenrechtlichen Fortgang des streitigen Verfahrens. Den Parteien darf durchaus aufgezeigt werden, mit welchen Instanzen, mit welcher Zeitdauer und welchen Kosten sie künftig bei streitigem Fortgang der Sache möglicherweise noch zu rechnen haben. Es kann aber auch sinnvoll sein, gemeinsam mit den Parteien in inhaltliche Erörterungen ihrer Prozessaussichten einzusteigen. Die Mediatorentätigkeit lehrt nämlich, dass zahlreiche, insbesondere forensisch weniger erfahrene Parteien mit der felsenfesten Überzeugung in den Prozess zu gehen, im Recht zu sein und deswegen natürlich auch zu obsiegen. Es fehlt ihnen an Empathie sowohl für die Haltung des Gegners als auch für die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts. Mediatives Arbeiten muss darauf abzielen, die dadurch errichteten Mauern zu durchbrechen. Im Extremfall kann es sogar geboten sein, die Sache im Sinne einer Prozessrisikoananlyse37 mit den Parteien und ihren Anwälten an der Flipchart optisch mit Hilfe der Relationstechnik aufzubereiten. Die Parteien können so besser Verständnis für die Hürden entwickeln, die bei Fortführung des Prozesses tatsächlich vor ihnen liegen. Dieses Verständnis lässt die Einigungsalternative oftmals als vorzugswürdig erscheinen. Allerdings hat sich der Richtermediator aus den bereits genannten Gründen davor zu hüten, diese Erörterungen wie ein Streitrichter zu führen. Er darf jeweils nur den möglichen Prozessfortgang skizzieren, also Chancen und Risiken aufzeigen, beispielsweise rechtliche Zweifelsfragen oder Beweislasten. Auch auf völlig eindeutige, von einer Partei bislang übersehene Rechtsprechung wird er hinweisen
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Vgl. zu diesem Ansatz z. B. Duve/Eidenmüller, Mediation in der Wirtschaft, S. 225.
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dürfen – wenn auch nicht in dem Sinne, durch diese Rechtsprechung sei die Marschrichtung klar vorgegeben. Wenn nun dabei Fehler unterlaufen, geschieht dies im Rahmen der dem Mediator und zwar als Richter gesetzlich zugewiesenen Tätigkeit. Deshalb greift auch dann die Haftungsprivilegierung dahin, dass die Amtshaftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit begrenzt ist.
IV. Fazit Der als gerichtlicher Mediator tätige Richter trägt im Wesentlichen dieselben Haftungsrisiken wie der Güterichter. In seltenen Fällen kann eine Kompetenzüberschreitung zu einer weitergehenden Haftung führen. Die persönliche Inanspruchnahme des Richtermediators ist durch Art. 34 GG zwar ausgeschlossen. Doch Fälle des Regresses des Dienstherrn nach den Beamtengesetzen sind durchaus denkbar. Dem Richtermediator ist daher der Abschluss einer entsprechenden Haftpflichtversicherung anzuraten.
Die eigenübliche Sorgfalt und der Straßenverkehr
Dieter Medicus Der verehrte Jubilar hat sich schon in seiner Habilitationsschrift1 und dann weiter über Jahrzehnte hinweg mit der Haftung für Fahrlässigkeit beschäftigt. Dabei hat auch die eigenübliche Sorgfalt seine Aufmerksamkeit gefunden2. So mag ein Beitrag mit dem hier gewählten Thema auf sein freundliches Interesse hoffen.
I. Die Fragestellung Die eigenübliche Sorgfalt (auch als diligentia quam in suis oder als culpa in concreto bezeichnet) kommt im BGB in verschiedenen Zusammenhängen vor: Die §§ 1359, 1664 I BGB betreffen mit der Ehe und dem Eltern-Kind-Verhältnis eine besondere persönliche Verbundenheit; gleiches gilt jetzt für § 4 LebPartG3. Auch bei § 708 BGB kann eine persönliche Verbundenheit der Gesellschafter untereinander vorliegen. Dagegen beruht § 690 BGB auf der Unentgeltlichkeit der Tätigkeit des Verwahrers. § 2131 BGB erweitert die Freiheit des Vorerben bei der Verwaltung des (ihm ja einstweilen gehörenden) Nachlasses. Ähnliches will die im BGB jüngste Erwähnung4 der eigenüblichen Sorgfalt in § 346 III 1 Nr. 3 BGB: Der Rückgewährpflichtige soll bei der Ausübung eines gesetzlichen Rücktrittsrechts vor einer Ersatzpflicht wegen einer eigenüblichen Sorglosigkeit geschützt werden, und dieselbe Funktion verfolgt § 347 I 2 BGB hinsichtlich der Nutzungen. Umfang und Grund dieses Privilegs im Rücktrittsrecht sind umstritten5. Besondere Probleme knüpfen sich an die Wirkung der eigenüblichen Sorgfalt im Straßenverkehr. Diese sind bisher vor allem bei den §§ 708, 1359, 1664 I BGB aufgetreten: Bei einem von dem Fahrer mit leichter, aber eigenüblicher Fahrlässigkeit verursachten Unfall werden der Mitgesellschafter, der Ehegatte oder Kin-
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Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt (1963, 2. ergänzte Aufl. 1995). Abschied von der culpa in concreto?, JuS 1967, 496 ff. Diese Vorschrift wird im Folgenden nicht mehr eigens erwähnt. Freilich mit Vorläufern in § 1 d II AbzG, zudem in § 3 II HWiG und § 7 IV VerbrKrG. Vgl. etwa MünchKomm-Ernst, BGB (5. Aufl. 2007) § 346 Rn. 56 f. mit Nachw.; zu meinem eigenen Standpunkt vgl. Prütting/Wegen/Weinreich, BGB (3. Aufl. 2008) § 346 Rn. 15 ff. unter Bezug auf Heinrichs, Liber Amicorum Eike Schmidt (2005) 178 ff.
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der verletzt. Aber auch die anderen Anwendungsfälle der eigenüblichen Sorgfalt können, wie später6 noch zu zeigen sein wird, ähnliche Probleme erzeugen. Deren Grund liegt in zwei Besonderheiten des Straßenverkehrs: Erstens verlangt er wegen der Gefährlichkeit der schnell bewegten Kraftfahrzeuge besondere Sorgfalt. Und zweitens wird bei Unfällen im Straßenverkehr noch stärker als anderswo das zivile Schadensrecht durch eine Schadensabnahme insbesondere durch Versicherungen überlagert. Hinter dem Verletzer und teils auch hinter dem Verletzten stehen daher andere Personen, die häufig auch die Ersatzprozesse führen. Der sonst beherrschende Gesichtspunkt einer Hilfe für den Verletzten wird daher für das zivile Haftungsrecht zweitrangig.
II. Zweifel an der Eignung der eigenüblichen Sorgfalt für den Straßenverkehr Dass eine Beschränkung der Haftung auf Verletzungen der eigenüblichen Sorgfalt für den Straßenverkehr überhaupt nicht passt, wird mit zwei verschiedenen Argumenten behauptet.
1. Die Rechtsprechung des BGH
ĂͿ Wegweisend für die Argumentation des BGH ist ein Urteil des VI. Zivilsenats vom 20.12.19667 geworden: Mehrere Personen hatten eine als BGB-Gesellschaft zu qualifizierende Fahrgemeinschaft begründet. Der Beklagte als Lenker kam leicht fahrlässig von der Fahrbahn ab; dadurch wurde ein Mitfahrer verletzt. Dessen Unfallversicherer verlangte aus übergegangenem Recht (§ 67 II aF8 VVG) den Ersatz ihrer Auslagen; der Beklagte beruft sich auf § 708 BGB. Der BGH billigt zwar die Annahme einer BGB-Gesellschaft9 und bejaht auch die Anwendung von § 708 BGB auf Schädigungen, die zugleich ein Delikt bilden10. Endlich verneint er eine behauptete „stillschweigende“ Abrede über einen Ausschluss des § 708 BGB als "Zuflucht in einen fiktiven Parteiwillen“11. Trotzdem hält er die Vorschrift im Ergebnis für unanwendbar12: Diese sei "für das Straßenverkehrsrecht allgemein ungeeignet". Die Fahrgäste bräuchten nicht deshalb ihr Leben und ihre Gesundheit vom Fahrzeuglenker mit geringerer Sorgfalt behandeln zu lassen, weil sie sich
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Unten IV 2. BGHZ 46, 313 ff., behandelt auch von Deutsch, JuS 1967, 496 f. als Nr. 2. Jetzt § 86 VVG. (Fn.7) S. 315 f. aaO. S. 316 f. aaO. S. 317. aaO. S. 317 f.
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gesellschaftlich verbunden hätten. Der Straßenverkehr erlaube "seiner Natur nach keinen Spielraum für individuelle Sorglosigkeit“13. Diese Rechtsprechung ist durch den IV. Zivilsenat wenig später mit gleichartiger Begründung auf § 1359 BGB übertragen worden14. Dem sind weitere Entscheidungen gefolgt15. Dagegen hat der BGH für den Luftverkehr abweichend geurteilt16, obwohl dieser gewiss ja kaum weniger Sorgfalt verlangt.
ďͿ Der geschilderten Rechtsprechung zum Straßenverkehr stehen aber gewichtige Bedenken entgegen. Denn sie vermischt gewissermaßen das Innen- und das Außenverhältnis: Wie sich der Fahrzeuglenker gegenüber jedermann insbesondere zur Vermeidung von Verletzungen zu verhalten hat, ergibt sich zwingend aus den allgemeinen Verkehrsregeln und insbesondere aus der StVO. Parteivereinbarungen können hieran nichts ändern, und ebenso wenig wollen das auch einzelne gesetzliche Haftungserleichterungen. Wer sich etwa an Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht zu halten pflegt, kann aus dieser Gewohnheit keinesfalls einen Rechtfertigungsgrund herleiten. Von diesem Außenverhältnis ist aber die im Innenverhältnis entstehende Frage streng zu trennen: Beseitigt eine solche eigenübliche Unsitte die Haftung gegenüber einem Mitfahrer, dem im Allgemeinen nur für die Einhaltung der eigenüblichen Sorgfalt gehaftet wird? Hierfür lässt sich nicht mit den Eigenarten des Straßenverkehrs argumentieren, weil dessen Sicherheit nicht in Frage steht. Übrigens müsste, wenn man im Innenverhältnis nicht einmal eine gesetzliche Haftungsbeschränkung (wie die in § 708 BGB) zulassen will, erst recht eine vertragliche Haftungsbeschränkung unzulässig sein17. Das nimmt aber auch, soweit ersichtlich, der BGH nicht an: Insoweit bleibt es, wenn nicht Allgemeine Geschäftsbedingungen im Spiel sind, bei den §§ 276 III BGB, 8 a StVG. Zudem würde dann der Streit seine Grundlage verlieren, der um "stillschweigende" Haftungsbeschränkungen bei der unentgeltlichen Mitnahme von Bekannten geführt wird 18: Eine solche Beschränkung wäre ja ohnehin unzulässig. Auch das bisweilen vom BGH19 verwendete weitere Argument, der Gesetzgeber des BGB habe bei der Haftungsbeschränkung auf Verstöße gegen die eigenübliche Sorgfalt nicht mit den heutigen Verhältnissen im Straßenverkehr gerechnet, überzeugt nicht. Denn sowohl das Schuldrecht des BGB wie auch das StVG sind inzwischen ziemlich weitgehend reformiert worden, ohne dass die fragliche Haftungsbeschränkung geändert oder gar gestrichen worden wäre.
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aaO. S. 318. BGHZ 53, 352 ff. v. 11.3.1970. Etwa BGHZ 61, 101 ff.; 63, 51, 57 ff.; BGH NJW 1992, 1227, 1228. JZ 1972, 88 f., dazu Brandenburg, JuS 1974, 16 ff. Sie wirkten dann ja als Vertrag zu Lasten Dritter. Dazu etwa Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht (2.Aufl. 1996) Rn. 613 ff., dort (Rn. 619 ff.) auch zu den Einschränkungen. Etwa BGHZ 46, 313, 318; 55, 352, 355 f.
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Kurz: Die auch vom BGH bejahte Zulässigkeit vertraglicher Haftungsbeschränkungen ist mit dem Straßenverkehrsrecht genau so vereinbar wie das gesetzliche Haftungsprivileg bei Einhaltung der eigenüblichen Sorgfalt.
2. Die Argumentation von Larenz In einem ähnlichen Sinn wie der BGH hat auch Larenz20 argumentiert: Ein Fehlverhalten im Straßenverkehr betreffe regelmäßig auch andere Personen; daher gebe es dort keine "eigenen" Angelegenheiten. Das ist zwar in dem Sinn richtig, dass ein Fehlverhalten des Fahrers auch Dritte schädigt, doch wird die Haftung ihnen gegenüber durch die Vorschriften über die eigenübliche Sorgfalt in keiner Weise beschränkt. Aber im Verhältnis zu der Person, der gegenüber nur beschränkt gehaftet werden soll, besagt das nichts. Vielmehr fallen dort eigene und fremde Angelegenheiten auch sonst häufig zusammen. Das gilt etwa für die Vermögensverwaltung: Wenn die Eltern das Sparbuch ihres Kindes gemeinsam mit einem eigenen bloß hinter der Wäsche verstecken, statt es ordentlich wegzuschließen, fließen die Eigen- und die Fremdverwaltung zusammen. Die Lage ist dann nicht anders, als wenn ein Fahrfehler des Lenkers nicht nur diesen gefährdet, sondern auch die übrigen Insassen. Fälle einer solchen Parallelität von eigenen und fremden Angelegenheiten eignen sich für die Haftungsbeschränkung auf eine Verletzung der eigenüblichen Sorgfalt sogar besonders gut21.
III. Zweifel gegen das Abstellen auf die eigenübliche Sorgfalt überhaupt Noch weiter gehen einige Kritiker22, die auch außerhalb des Straßenverkehrs das Abstellen auf die eigenübliche Sorgfalt insgesamt für verfehlt halten: Es sei doch seltsam, dass im Ersatzprozess der klagende Geschädigte den Schädiger als jemanden darstellen müsse, der ganz gegen seine sonstige Gewohnheit die nötige Sorgfalt nur einmal unbeachtet gelassen habe. Und umgekehrt müsse der Beklagte beweisen, dass er allgemein zur Schlamperei neige, so dass die schadensbringende Unachtsamkeit ganz seinem Wesen entspreche. Doch lässt sich dieses Paradox gerade im Straßenverkehr bei sinnvoller Anwendung durchaus vermeiden, wie noch zu zeigen sein wird23. Zudem hat auch der Gesetzgeber diese Kritik nicht aufgenommen, sondern im Gegenteil das bean-
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Festschr. H. Westermann (1974) 299 ff. Vgl. unten V 2 b. Etwa Hoffmann, NJW 1967, 1207 ff., der konsequent (S. 1209 f.) die gänzliche Abschaffung der diligentia quam in suis fordert. Auch der Jubilar bezeichnet den § 708 als eine "höchst fragwürdige Vorschrift", JuS 1967, 496, 497. Doch gilt dies wohl vor allem für gewerbliche Gesellschaften. Vgl. unten V 2 b.
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standete Haftungsprivileg noch erweitert. Damit muss der Rechtsanwender sich abfinden.
IV. Die Wirkung bei Haftungsfällen aus dem Straßenverkehr Im Straßenverkehr ist für die Anwendung der Haftungsminderung auf Verletzungen der eigenüblichen Sorgfalt vor allem an zwei verschiedene Fallgruppen zu denken.
1. Körperschäden Körperschäden kommen insbesondere in Betracht, wenn ein Ehegatten den anderen (§ 1359 BGB), die Eltern ihr Kind (§ 1664 I BGB) oder der eine Gesellschafter einen anderen (§ 708 BGB) in seinem Kraftfahrzeug mitnimmt und dabei eine Verletzung24 des anderen bewirkt. Dann kommen Ersatzansprüche etwa aus den §§ 7, 18 StVG, 280, 823 I und II BGB in Betracht. Dabei wird aber (mit Ausnahme von § 7 StVG) Fahrlässigkeit erfordert. Die Anwendung der Haftungsminderung bedeutet, dass im Prinzip der Verletzer nachweisen muss, er verfahre auch in eigenen Angelegenheiten nicht minder unsorgfältig.25 Dieser Nachweis wird aber regelmäßig gerade dem Fahrzeuglenker dadurch erleichtert, dass er sich durch sein Verhalten in gleicher Weise gefährdet hat.26 Nur bei (vom Geschädigten nachzuweisender) grober Fahrlässigkeit bleibt die Haftungsminderung außer Betracht (§ 277 BGB). In vielen Fällen ist der Lenker freilich auch konkurrierenden Unterhaltsansprüchen des Geschädigten ausgesetzt,27 die wenigstens die Heilungskosten decken. Ein Schmerzensgeld lässt sich so freilich nicht erreichen, doch spielt dieses innerhalb einer Familie ohnehin keine große Rolle. Der Blick auf die Rechtsfolgen muss aber auch die obligatorische KfzHaftpflichtversicherung einbeziehen. Diese deckt Schadensersatzansprüche gegen den Versicherungsnehmer, § 10 Nr. 1 AKB. Dieser Versicherungsschutz wirkt in doppelter Weise: Er entlastet den Schädiger und verschafft dem Geschädigten
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Oder auch den Tod; dann treten die §§ 844 bis 846 BGB hinzu. Zur Beweislastverteilung etwa BGH VersR 1960, 804; OLG Karlsruhe NJW 1994, 1967 f.; MünchKomm-Grundmann (oben Fn. 5) § 277 Rn. 4 mit vielen Nachw. in Fn. 11; Palandt-Heinrichs, BGB (67. Aufl.2008) § 277 Rn. 3, ein Beispiel zu § 690 BGB in OLG Karlsruhe NJW 1994, 1966 f. So BGH VersR 1960, 802, weitere bei MünchKomm-Grundmann (oben Fn. 25) § 277 Rn.4. Deswegen betreffen die meisten Streitfälle in der Judikatur Regressansprüche, die durch Versicherer von außen in die Familie hineingetragen werden, vgl. Kötz, NJW 1967, 1213, 1215.
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einen leistungsfähigen Schuldner. Wenn die Ersatzpflicht des Schädigers wegen der Haftungsminderung wegfällt, belastet das im Ergebnis durch den Ausfall des Versicherungsschutzes den Schädiger, den die Haftungsminderung doch gerade begünstigen soll. Das ist allerdings höchst unbefriedigend; über eine Abhilfe wird noch unten VI nachzudenken sein.
2. Sachschäden und bloße Vermögensschäden
ĂͿ In der zweiten Fallgruppe geht es um Sachschäden und primäre Vermögensschäden. Vor allem Sachschäden können zwar auch in der eben behandelten ersten Fallgruppe auftreten, etwa als Schäden an der Kleidung des körperlich Verletzten. Aber typisch sind andere Schäden für die §§ 346 III 1 Nr. 3, 690 und 2131 BGB. Das zeigt etwa ein Leitfall aus dem Bereich des rechtspolitisch höchst umstrittenen28 § 346 III 1 Nr. 3 BGB: Ein Käufer möge das gekaufte Kraftfahrzeug bei einem Verkehrsunfall leichtfahrlässig beschädigen oder gar zerstören. Danach möge er einen Mangel entdecken und deswegen vom Kaufvertrag zurücktreten (§§ 440, 323, 326 I 2, V). Dem Wertersatzanspruch des Verkäufers (§ 346 II 1 Nr. 3 BGB) möge er entgegenhalten, er sei in den Unfall trotz Einhaltung der eigenüblichen Sorgfalt verwickelt worden. Wenn er das beweisen kann, schuldet er nach § 346 III 1 Nr. 3 BGB den Wertersatz nicht. Den Schaden trägt also der an dem Unfall typischerweise unbeteiligte Verkäufer. Diese Lösung wird auch regelmäßig nicht durch Versicherungen korrigiert. Insbesondere greift die Kfz-Haftpflichtversicherung nicht ein: Es geht ja nicht um eine Haftpflicht des Halters oder einer mitversicherten Person gegen einen Dritten.
ďͿ Freilich muss das nicht ausnahmslos zutreffen. So erstreckt sich die Haftpflichtversicherung auch auf die Halterhaftung für Sachschäden aus dem Gebrauch des versicherten Fahrzeugs (vgl. § 10 Nr. 1 b AKB), etwa beim Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug. Die Fahrzeugversicherung (§§ 12 ff. AKB) umfasst sogar Schäden am eigenen Fahrzeug des Versicherten. Aber bei solchen Sachschäden fehlt es wohl regelmäßig an einer Konstellation, bei der die Haftung durch die eigenübliche Sorgfalt beschränkt sein könnte.
ĐͿ Ausnahmsweise kann aber auch eine solche Beschränkung vorliegen: Es möge etwa der Ehemann mit Erlaubnis seiner Ehefrau deren Wagen benutzen und diesen dabei beschädigen. Vor der dann wenigstens nach § 823 I BGB eintretenden Haftung kann ihn bei Einhaltung der eigenüblichen Sorgfalt § 1359 BGB schützen. Eine solche Einschränkung von Ersatzansprüchen innerhalb einer Familie ent-
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Vgl. oben bei Fn. 5. Dieser Streit bedarf hier aber keiner Vertiefung.
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spricht aber gerade dem Schutzzweck des § 1359 BGB; dazu passt ja auch das Regressverbot in § 86 III VVG.
3. Zwischenergebnis Die Haftungsbeschränkungen auf Verstöße gegen die eigenübliche Sorgfalt sind also keineswegs "für das Straßenverkehrsrecht allgemein ungeeignet", wie der BGH29 gemeint hat. Denn nicht der Straßenverkehr führt zu Schwierigkeiten, sondern erst die dort geltende Pflicht des Halters zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung. Denn wenn diese deshalb nicht eingreift, weil ein Haftungsprivileg des Halters dessen Ersatzpflicht ausschließt, wird das Privileg sinnwidrig zur Plage. Nur für solche Fälle muss man sich also um eine Abhilfe bemühen. Ehe diese erörtert wird, empfiehlt sich aber zunächst ein genauerer Blick auf das Haftungsprivileg.
V. Die Einhaltung der eigenüblichen Sorgfalt als Haftungsgrenze 1. Entstehung Die diligentia quam in suis (rebus adhiberi solet) stammt (wie könnte es anders sein) aus dem römischen Recht. Sie hat dort wohl zunächst eine Haftungsverschärfung begründet: Die Zurückstellung der fremden Interessen hinter die eigenen wird als fraus bezeichnet, die eine Haftung für dolus erzeugt30. Später wird die diligentia quam in suis der exactissima diligentia gegenübergestellt und erscheint so als Haftungsmilderung31. Diese letzte Deutung ist von Justinian übernommen worden32 und hat die weitere Entwicklung bis ins BGB hinein bestimmt.
2. Die praktische Anwendung
ĂͿ Schwierigkeiten bei der praktischen Anwendung bereitet heute vor allem das Abstellen auf diejenige Sorgfalt, die der Verletzer in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. Diese Übersetzung des lateinischen adhiberi solet passt vor allem schlecht für ein (gerade im Straßenverkehr häufiges) Augenblicksversagen: Dieses
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Vgl. oben II 1 a mit BGHZ 46, 313, 317. Cels.D.16,3,32, dazu etwa Hausmaninger, Festschr. Kaser (1976) 265, 267 f., zum Ganzen Kaser, Römisches Privatrecht I (2.Aufl. 1971) 510, 586; II (1975) 354 f.; Kunkel/H. Honsell, Römisches Recht (1987) 237 f. So nach h.M. in Gai.D.17,2,7; dazu Hausmaninger (vorige Fn.) 272 f. Inst. Iust. 3, 25, 9.
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kann jedem Fahrer unterlaufen (und tut es auch, freilich meist ohne einen Unfall zu verursachen). Man denke etwa an das Übersehen eines schlecht erkennbaren Rotlichts oder anderen Verkehrszeichens. In solchen Fällen wäre, wie die oben III genannten Kritiker hervorheben, eine wortgetreue Gesetzesanwendung in der Tat absurd. Denn dann müsste der Fahrer zu seiner Entlastung beweisen, dass er undeutliche Verkehrszeichen üblicherweise nicht wahrnimmt, also solche Verkehrsverstöße gewöhnlich begeht. Wenn es darauf ankäme, wären gerade diejenigen haftungsfrei, die es am wenigsten verdienen. Eine solche Auffassung könnte zu der Ansicht des BGH führen, dass sich ein Abstellen auf die eigenübliche Sorgfalt für den Straßenverkehr (und übrigens auch für weitere Bereiche) nicht eignet.
ďͿ Zu sinnvolleren Aussagen kommt man, wenn man sich auf die Funktion der eigenüblichen Sorgfalt besinnt: Diese steht zwischen der strengeren verkehrserforderlichen Sorgfalt von § 276 II BGB33 und der nach § 277 BGB die obere Enthaftungsgrenze bezeichnenden groben Fahrlässigkeit. In diesem Intervall soll der Schuldner für fremde Interessen nicht mehr Sorgfalt anwenden müssen als für die eigenen. Das rechtfertigt sich regelmäßig daraus, dass die Interessen gemeinsam wahrgenommen werden und der Schuldner dabei nicht verschiedenen Sorgfaltsmaßstäben unterliegen soll. So verhält es sich häufig bei den §§ 1359, 1664 I BGB, aber auch bei den §§ 690 und 2131 BGB: Regelmäßig wird der Schuldner ja auch eigene Sachen zu verwahren oder eigenes Vermögen zu verwalten haben. Aber selbst § 346 III 1 Nr. 3 BGB passt häufig hierher: Vor Kenntnis von dem Rücktrittsgrund oder dem Rücktritt selbst34 weiß der Schuldner ja noch nicht, dass der Vertragsgegenstand zurückzugeben ist und dass daher dessen Unversehrtheit im Interesse des Rücktrittsgegners liegt. Dazu passt auch § 357 III 3 BGB: Bei einem binnen kurzer Frist auszuübenden Widerrufs- oder Rückgaberecht ist es dem Verbraucher zuzumuten, diejenige Sache mit aller Sorgfalt zu behandeln, über deren künftiges Schicksal er noch selbst entscheiden will. Aus diesem Rahmen fällt nur § 690 BGB: Der Verwahrer weiß ja, dass es sich um eine fremde Sache handelt, die der Hinterleger jederzeit zurückfordern kann. Dass der Verwahrer dennoch nur bei Außerachtlassung der eigenüblichen Sorgfalt haften soll, erklärt sich hier allein aus der Unentgeltlichkeit.
ĐͿ Speziell für den Straßenverkehr kommt vor allem die gemeinsame Fahrt in einem Kraftfahrzeug in Betracht: Ein Ehegatte nimmt den anderen oder sein Kind im Kraftfahrzeug mit (§§ 1359, 1644 I BGB), oder mehrere Personen vereinbaren eine Fahrgemeinschaft (§ 708 BGB): Hier sind die Mitfahrer einer vergleichbaren
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Mehr Sorgfalt wird regelmäßig auch bei Eigenüblichkeit nicht geschuldet: etwa MünchKomm-Grundmann (oben Fn.5) § 277 Rn. 3 mit Nachw.; Erman/H.P. Westermann, BGB (4. Aufl. 2004) § 277 Rn.2. Auf diesen Zeitpunkt kommt es an: Vgl. die oben in Fn. 5 Genannten.
Die eigenübliche Sorgfalt und der Straßenverkehr
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Gefahr ausgesetzt wie derjenige, der das Fahrzeug lenkt. Unachtsamkeiten des Lenkers betreffen daher zugleich mit diesem auch die Mitfahrer; regelmäßig kann der Lenker das Gefahrenpotential seiner Fahrweise gar nicht auf seine eigene Person beschränken35. In anderen Fallgruppen lässt sich die eigenübliche Sorgfalt freilich nicht so einfach feststellen. So wird etwa der Verwahrer regelmäßig nicht auch eigene Sachen mit sich führen, die den fremden nach Wert und Schadensanfälligkeit gleichen (§ 690 BGB). Vollends braucht der später zum Rückgewährschuldner Gewordene (§ 346 III 1 Nr. 3 BGB) vorher keinen anderen Kraftwagen gehabt zu haben, mit dem er ebenso unsorgfältig umgegangen ist wie jetzt mit dem neu gekauften. Wie in solchen Fällen die Einhaltung der eigenüblichen Sorgfalt zu erweisen sein wird, lässt sich wohl nur nach den Eigenarten des Einzelfalls36 beantworten. Schlimmstenfalls gelingt dieser Beweis nicht, so dass der Schuldner von seinem Haftungsprivileg keinen Gebrauch machen kann. Aber damit verwirklicht sich nur das allgemeine Risiko aus der Beweisbelastung.
VI. Ausnahmen wegen eines Versicherungsschutzes 1. Die beteiligten Interessen
ĂͿ Schon früher37 ist darauf hingewiesen worden, dass die seit 1938 geltende Pflicht zur Haftpflichtversicherung die Haftungsverhältnisse wesentlich verändert hat. Das betrifft zunächst den Halter oder Fahrer als Schädiger: Zwar haftet er dem Geschädigten nicht auf Schadensersatz, soweit er nur für eigenübliche Sorgfalt einzustehen hat und deren Einhaltung auch beweisen kann. Aber gegenüber dem anderen Ehegatten oder dem Kind wird doch häufig eine Unterhaltspflicht des Schädigers eingreifen. Diese umfasst zwar kein Schmerzensgeld und mag auch sonst wegen § 1603 BGB beschränkt sein. Trotzdem droht das Haftungsprivileg häufig, gerade dem Schädiger Nachteile zu bringen, dem es eigentlich nützen soll.
ďͿ Dagegen hat der Geschädigte durch das Privileg, das ja den Schädiger begünstigen soll, naturgemäß Nachteile: Er erhielte ebenso wenig Ansprüche auf Schadensersatz, wie er sie bei einer vereinbarten Haftungsmilderung hätte. Zugleich geht dem Geschädigten damit ein Vorteil verloren, den man für einen Nebenzweck der Versicherungspflicht halten kann: nämlich dem Unfallopfer einen leistungsfähigen Schuldner zu garantieren. Dieser Verlust ginge über den Nachteil hinaus, der für
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Vgl. oben bei Fn. 26. Wobei es vor allem auf das subjektive Leistungsvermögen des Schuldners ankommt: Deutsch wie oben Fn. 22. Oben IV 1.
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den Geschädigten notwendig mit dem Haftungsprivileg des Schädigers verbunden ist.
ĐͿ Beteiligt sind endlich noch die Haftpflichtversicherer (oder richtiger: deren Prämienzahler): Sie werden letztlich mit dem Schaden belastet, wenn man das Haftungsprivileg des Schädigers nicht wirken läßt. Aber dieser Effekt entspricht nur der verbreiteten Tendenz zur Sozialisierung von Schäden, der hier - rechtpolitisch erwünscht - zu einer Entlastung der Familien führt.
2. Der Vorrang der Haftung gegenüber der Haftpflichtversicherung Dogmatisch stört freilich Folgendes: Die Haftpflichtversicherung soll nur da eingreifen, wo der Versicherte selbst haftet. Danach müsste vorrangig nach dem Bestehen einer solchen Haftung gefragt werden (vgl. § 100 VVG). Aber heute wird auch in vielen anderen Zusammenhängen der Schutz des Schädigers durch eine Haftpflichtversicherung als Argument für die Erträglichkeit einer Haftung und damit für deren Bestehen verwendet. Erinnert sei etwa an die wohl h. M. zu § 829 BGB38. Inwieweit das allgemein überzeugt, kann an dieser Stelle offen bleiben. Denn hier geht es nicht um ein allgemeines Billigkeitsargument. Vielmehr soll, wie oben 1 a angedeutet, die Entstehung eines Wertungswiderspruchs verhindert werden: Das vom Gesetz als Begünstigung für den Schädiger gewollte Haftungsprivileg soll sich nicht wertungswidrig zu dessen Nachteil auswirken. Die Wertungswidrigkeit tritt besonders deutlich hervor, wenn man zum Vergleich an einen grobfahrlässigen Schädiger denkt: Für ihn gilt nach § 277 BGB das Haftungsprivileg nicht, so dass er Versicherungsschutz genösse, der noch dazu wegen § 86 III VVG dem Versicherer keinen Rückgriff erlaubt. Der grobfahrlässige Schädiger stünde folglich besser als der leichtfahrlässige. Allein diese deductio ad absurdum trägt hier die Annahme, bei Bestehen von Haftpflichtversicherungsschutz wirke ausnahmsweise die Haftungsbeschränkung auf Verstöße gegen die eigenübliche Sorgfalt nicht.
VII. Zusammenfassung Die Annahme des BGH, ein Haftungsausschluss bei einer Verletzung der eigenüblichen Sorgfalt gelte nicht für die Teilnahme am Straßenverkehr, lässt sich in die-
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Etwa MünchKomm-Wagner, BGB (4. Aufl. 2004) § 829 Rn. 20 mit der Angabe gewichtiger Gegenstimmen in Fn. 69. Einen weiteren Fall der Haftungsbegründung durch Versicherungsschutz bringt BGH NJW 2008, 1591 Tz. 11 f. mit Angabe der früheren Rechtsprechung.
Die eigenübliche Sorgfalt und der Straßenverkehr
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ser Allgemeinheit nicht halten. Denn nach der Argumentation des BGH dürften auch vereinbarte Haftungsbeschränkungen nicht gelten, was dem Gesetz widerspricht. Vielmehr verhält es sich so, wie der Jubilar39 schon vor mehr als vierzig Jahren bemerkt und anscheinend auch das OLG Hamm40 übernommen hat: „Es ist also offenbar - entgegen dem BGH - nicht das Straßenverkehrsrecht selbst, sondern die Zwangshaftpflichtversicherung des Fahrers, welche den Haftungsmaßstab des § 708 (BGB)41 unpassend macht.“
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JuS 1967, 496, 497. NJW 1993, 542, 543. Die Beschränkung der Aussage auf diese einzelne Vorschrift beruht offenbar auf dem von Deutsch behandelten Einzelfall.
Das sonstige Recht – abschreckendes oder gutes Beispiel für ein europäisches Deliktsrecht?
Gottfried Schiemann
I. Die deliktsrechtliche Alternative für Europa: Generalklausel oder Enumerativprinzip? Sollte es in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft ein gemeinsames europäisches Deliktsrecht geben1, dürfte es vermutlich dem Modell einer Generalklausel nach dem Vorbild der romanischen Rechte und somit letztlich der Erkenntnisse des europäischen Vernunftrechts2 folgen. Bekanntlich wurde eine solche Lösung auch zu Beginn der Arbeiten am BGB in Deutschland3 von vielen befürwortet. Daher enthielt der Dresdner Entwurf für ein Allgemeines Deutsches Obligationenrecht von 1866 ebenso die deliktische Generalklausel wie die Vorlage des Redaktors v. Kübel für die Arbeiten der Ersten Kommission4 zur Vorbereitung des BGB. Dennoch hat der Text, der schließlich Gesetz geworden ist, ein durchaus anderes 1
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Vgl. hier nur die Entwürfe der Principles of European Tort Law (PETL), ZEuP 2004, 427 ff. und der Study Group http://www.european-legal-studies.org/privatelaw/vonbar sowie zu beiden Magnus, ZEuP 2004, 562 ff. Vgl. knapp Coing, Europäisches Privatrecht 1500-1800 (Bd. 1), 1985, 512 m. Nachw.; für die deutsche Entwicklung vor 1800 differenzierend J. Schröder, in: Vacca (Hrsg.) La responsabilitá civile da atto illecito nella prospettiva storico-comparatista, 1995, 144, 150 ff. Dazu vor allem Benöhr, in: Zimmermann (Hrsg.) Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 1999, 499 ff. Art. 211 S. 3 Dresdner Entwurf: (Jeder ist) „verpflichtet, alle Handlungen zu unterlassen, durch welche er einem anderen widerrechtlich einen Schaden zufügt.“, sowie Art. 212 Abs. 1 S. 1: „Wer die im Art. 211 bezeichnete Pflicht aus Absicht oder Fahrlässigkeit verletzt, haftet für den dadurch einem anderen an dessen Person oder Vermögen verursachten Schaden …“ (vgl. Benöhr, aaO. 531 m. Nachw. 530 Fn. 223). - § 1 Abs. 1 Entwurf v. Kübel: „Hat jemand durch eine widerrechtliche Handlung oder Unterlassung aus Absicht oder aus Fahrlässigkeit einem anderen einen Schaden zugefügt, so ist er diesem zum Schadensersatz verpflichtet.“ (Schubert, Hrsg., Die Vorlagen der Redaktoren für die 1. Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines BGB, Recht der Schuldverhältnisse …, 1980).
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Gottfried Schiemann
Gesicht. Man könnte meinen, dies sei gegenüber dem Anfang der Diskussion ein bemerkenswerter Rückschritt gewesen. Im Gegensatz hierzu finden sich in der aktuellen Diskussion zur Beurteilung des geltenden deutschen Deliktsrechts manche Stimmen, die geradezu vehement den Standpunkt einnehmen, die Lösung des BGB sei das bessere legislatorische Modell im Vergleich zur Generalklausel5. In dieser Sicht könnte eine gesamteuropäische Generalklausel für das Deliktsrecht nur ein Rückfall in Zeiten primitiverer Modelle der Gesetzgebung sein. Jedenfalls lohnt sich offenbar als spezifisch deutscher Beitrag zur Entwicklung eines europäischen Deliktsrechts eine genauere Untersuchung, warum der Gesetzgeber des BGB eine Lösung gewählt hat, die vielleicht enger war als der schon seinerzeit herrschende gemeineuropäische „Trend“6 und dennoch die nötige Flexibilität besaß, um die von Ernst v. Caemmerer7 so durchschlagend formulierten „Wandlungen des Deliktsrechts“ in Deutschland während der ersten 60 Jahre der Geltung des BGB zu ermöglichen.
II. Das sonstige Recht als Öffnungsklausel der deutschen Lösung Ein wichtiger Anstoß zur Flexibilisierung des BGB-Deliktsrechts war die Erstreckung des Schutzes vor fahrlässigen Verletzungen auf „sonstige Rechte“. Jedenfalls die Rechtsprechung hat die beiden spektakulärsten Fortentwicklungen des § 823 Abs. 1 BGB auf dieses Merkmal gestützt: Schon im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hat das RG8 das „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ als sonstiges Recht eingeordnet, und auch der BGH spricht zwar noch nicht am Anfang seiner Judikatur, in der „Leserbrief“-Entscheidung9, aber schon wenig später10 und seitdem wiederholt11 vom Allgemeinen Persönlichkeitsrecht als einem sonstigen Recht. Gegenüber dieser zeitgeschichtlich eminent großen Bedeutung des Merkmals „sonstiges Recht“ überrascht, wie gering die Aufmerksamkeit der dogmatischen Literatur dafür ist. Die genannten grundlegenden Entwicklungen der Rechtsprechung werden ganz überwiegend zwar hinsichtlich ihrer Sachgerechtigkeit und ihrer Einpassung in das System des Schutzes materieller Rechte und Interessen im Allgemeinen intensiv diskutiert; aber die Anknüpfung an das sonstige Recht ist 5 6
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Insbesondere Canaris, in: FS für Karl Larenz zum 80. Geburtstag, 1983, 27, 35 ff. Überblick bei Coing, Europäisches Privatrecht 1800-1914 (Bd. 2), 1989, 513, 516 ff. Dazu aber auch Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 2003, 362 Fn. 10. In: FS zum hundertjährigen Bestehen des deutschen Juristentages, 1960, 49 ff. RGZ 58, 24 („Juteplüsch“). Zu Vorläufern schon vor 1900 Zeuner, in: 25 Jahre Karlsruher Forum, Beiheft zur Zeitschrift „Versicherungsrecht“, 1983, 196 f. m. Nachw.; zu Urteilen zwischen 1900 und 1904 Zimmermann/Verse, in: Falk/Mohnhaupt (Hrsg.) Das BGB und seine Richter, 2000, 326 Fn. 23. BGHZ 13, 334. BGHZ 24, 72, 77 f. Z. B. BGH NJW 1957, 1146; 1957, 1276.
Das sonstige Recht
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meist keine Vertiefung wert. Dies stimmt auf merkwürdige Weise mit dem Verhalten des Gesetzgebers überein. Denn die Materialien zum BGB sind für das sonstige Recht fast ganz unergiebig12. Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck eines Zufallsprodukts, ja eines Wechselbalgs der Gesetzesschöpfer. Hiernach liegt die Einstellung nicht fern, was der Gesetzgeber selbst nicht sehr ernst genommen zu haben scheine, verdiene auch als Zitat in der Rechtsprechung keine besondere Aufmerksamkeit der juristischen Literatur.
III. Die Gesetzgebungsgeschichte des „sonstigen Rechts“ Wohl vorherrschend ist die vom Jubilar13 geteilte grammatisch-systematische Einordnung des sonstigen Rechts als einer Begriffsschwester zum Eigentum. Seit Beginn der exegetischen Bemühungen um den Gesetzestext wurde das sonstige Recht überwiegend als eigentumsähnlich aufgefasst14. Diese Interpretation taucht in den Gesetzesberatungen schon kurz auf15. Sie war dort aber offenbar als Monitum für eine Klarstellung gemeint, ob die Formulierung des Gesetzes wirklich genau in diesem Sinne verstanden werden solle. Der Anfrager wollte dies wohl im Ergebnis gerade nicht oder glaubte doch wenigstens, die Mehrheitsmeinung der Kommission bei der Schlussredaktion wolle nicht in einem solchen Sinne interpretiert werden. Mehr oder weniger stillschweigend teilte die Kommission diese Einschätzung der gesetzgeberischen Entscheidung, hielt eine Klarstellung aber für überflüssig. Ein Teil der Legitimation der Rechtsprechung bei ihren Neuerungen und Erweiterungen des Deliktsschutzes lässt sich hiernach möglicherweise historisch untermauern. Freilich ist das historische Argument bei der Auslegung nach der herrschenden Methodenlehre von geringem Gewicht16. Aber auch ohne unmittelbare Verbindlichkeit der im Wortlaut nicht genau wiedergegebenen Absichten des historischen Gesetzgebers können die Aufschlüsse über die historischen Systemgedanken zugleich ein helleres Licht auf das noch geltende System des deliktischen Rechtsschutzes werfen – wenn es denn ein solches System überhaupt noch
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So schon Zeuner (oben Fn. 8), 196; ferner Benöhr (oben Fn. 3), 512; Klippel/LiesBenachib, in: Falk/Mohnhaupt (oben Fn. 8) 343, 344, 354 ff.; Kastl, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, 2004, 85 ff. Z. B. Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 189. – Ausführliche Nachw. zum Meinungsstand bei Staudinger/Hager (1999), § 823 Rn. B 124. Grundlegend, mit der Autorität einer – hier nur scheinbaren – authentischen Interpretation Planck, Bürgerliches Gesetzbuch, 1900, S. 606 f. Mugdan (Hrsg.), Die gesammten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, Bd. 2, Recht der Schuldverhältnisse, 1899, Protokolle, 1078. Repräsentativ Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, 328 ff. insbesondere 333 ff., 345; vgl. auch die Kritik von Rüthers, Rechtstheorie, 3. Aufl. 2007, Rn. 784 ff., 806 ff.
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gibt und nicht vielmehr die Aussage allein kennzeichnend bleibt, dass es sich beim heutigen deutschen Deliktsrecht um „Richterrecht reinsten Wassers“ handle17. Die Einfügung des sonstigen Rechts in den Gesetzestext muss vor dem Hintergrund des Hin und Her bei dem Ringen um die Grundkonzeption gesehen werden. Dieses Ringen wird mit der Alternative von Generalklausel und Enumerativprinzip oder vernunftrechtlichem Schädigungsverbot und aquilischem Numerus Clausus nicht zutreffend wiedergegeben. Der pandektistische Meinungsstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts war keineswegs so weit vom Vernunftrecht entfernt, dass man eine Rückkehr zur lex Aquilia der mittleren römischen Republik für die allein richtige Lösung gehalten hätte18. Aus der Diskussion schon der römischen Juristen selbst entnahm man vielmehr, dass die Kernprobleme einer deliktischen Haftung eher bei der Bestimmung der Widerrechtlichkeit und auch der Kausalität liegen19. Die Grundfrage war hiernach, ob man die Ausfüllung des Merkmals „widerrechtlich“ dem Richter überlassen oder ob das Gesetz selbst der Justiz wenigstens genauere Anhaltspunkte dafür geben solle. Der Erste Entwurf20 übernahm aus der Vorlage die Anknüpfung an die widerrechtliche Handlung oder Unterlassung, ergänzte sie aber um eine speziellere Regelung, die für die Mehrzahl der Fälle eine abwägungsfreie, knappe Subsumtion ermöglichte: Bei der Verletzung eines (subjektiven) Rechts sollte es auf die Merkmale des Verhaltens nicht mehr ankommen, explizit auch nicht auf die Vorhersehbarkeit eines Schadens. Letztere sollte für die ersatzbegründende Qualifikation der „Handlung“ (ausdrücklich: Tun oder Unterlassen) im Allgemeinen hingegen gerade maßgeblich sein. Für die Spezifikation der Handlung als Verletzung eines fremden Rechts gab der Gesetzgeber dann noch die Beispiele des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der Ehre.
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So Kötz im Vorwort der von ihm selbst besorgten Auflagen (bis zur 8. Aufl. 1998) seines „Deliktsrechts“. Vgl. hier nur – unter Hinweis auf Windscheid – Benöhr (oben Fn. 3), 504 und dem folgend etwa Zimmermann/Verse (oben Fn. 8), 328. Überblick bei Benöhr (oben Fn. 3), 521 f. (zur Widerrechtlichkeit) und 518 f. (zur Kausalität). „§ 704 Hat jemand durch eine aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit begangene widerrechtliche Handlung – Tun oder Unterlassen – einem anderen einen Schaden zugefügt, dessen Entstehung er vorausgesehen hat oder voraussehen musste, so ist er dem anderen zum Ersatze des durch die Handlung verursachten Schadens verpflichtet, ohne Unterschied, ob der Umfang des Schadens vorauszusehen war oder nicht. Hat jemand aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit durch eine widerrechtliche Handlung das Recht eines anderen verletzt, so ist er den durch die Rechtsverletzung dem anderen verursachten Schaden diesem zu ersetzen verpflichtet, auch wenn die Entstehung eines Schadens nicht vorauszusehen war. Als Verletzung eines Rechtes im Sinne der vorstehenden Vorschrift ist auch die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der Ehre anzusehen.“ – Nach: Jakobs/Schubert (Hrsg.), Die Beratung des BGB in systematischer Zusammenstellung …, Recht der Schuldverhältnisse III, §§ 652-853, 1983, 891.
Das sonstige Recht
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Es war die Vorkommission des Reichsjustizamtes, die bei der Schlussredaktion des Ersten Entwurfs21 die – wirklichen oder angeblichen – Intentionen der Ersten Kommission so deutete, dass man die Rechtsverletzung voranstellen und die sonstige widerrechtliche Handlung als Verstoß gegen ein Schutzgesetz in den entscheidenden Satz für die Anspruchsbegründung mit aufnehmen könne. Der Katalog von Beispielen für das Recht wurde erweitert um den Besitz und zugleich wurde für die bisher allein erwähnten „Rechtsgüter“ das Wörtchen „gilt“ (nämlich als Verletzung eines Rechtes) eingefügt. Von einer Geschlossenheit der Beispiele als eines Katalogs war nirgends die Rede. Auch der Wortlaut des veröffentlichten Ersten Entwurfs enthielt keinen Hinweis auf ein Enumerativprinzip. Diese Intentionen wurden im Entwurf zweiter Lesung von 189522 in der Weise aufgenommen, dass nunmehr (wieder) auf Beispiele verzichtet und stattdessen in dem Text des Eingangssatzes „das Recht“ durch „ein Recht“ ersetzt wurde. Erst in der Schlussredaktion23, die dann zur Bundesratsvorlage und nach Verabschiedung durch den Reichstag zum Gesetz selbst wurde, kehrte man zu der Technik gesetzgeberischer Beispielgebung zurück, ersetzte deshalb „ein Recht“ durch die früher genannten Rechtsgüter ohne die Ehre und ohne den Besitz, dafür unter Einbeziehung des Eigentums und Hinzufügung eines sonstigen Rechts. Das sonstige Recht repräsentierte hier also, was nach der Aufzählung im vorangegangenen Gesetzestext von der früheren Fassung „ein Recht“ übrig bleiben sollte. Der Richter sollte in der Wahrnehmung von Rechten außerhalb des Deliktsrechts und der Gewährung deliktischen Schutzes für sie demnach durch das Gesetz nicht eingeengt werden24; vielmehr griff man darauf zurück, ihm eine Subsumtionserleichterung mit auf den Weg zu geben. Diese Erleichterung war besonders wirksam, weil die Beispiele die wohl anerkanntermaßen wichtigsten Rechte und Rechtsgüter enthielten. Bei historischer Auslegung des BGB erscheint es hiernach keineswegs zwingend, die Aufnahme des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts am Unternehmen in die geschützten Positionen nach deutschem Deliktsrecht schon deshalb zu kritisieren, weil sie den Rahmen eines „sonstigen Rechts“ von vornherein sprengen würden25. Die „Eigentumsähnlichkeit“ war kein Kriterium des histo21
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„§ 704 Wer vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit widerrechtlich das Recht eines anderen verletzt oder gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt, ist ihm zum Ersatze des dadurch entstandenen Schadens verpflichtet. Zu den Rechten im Sinne dieser Vorschrift gehört auch der Besitz; als Verletzung eines Rechtes gilt auch die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der Ehre.“ – Nach Jakobs/Schubert aaO, 893. „§ 746 Wer vorsätzlich oder fahrlässig ein Recht eines anderen widerrechtlich verletzt oder wer gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt, ist dem anderen zum Ersatze des dadurch verursachten Schadens verpflichtet. Ist nach dem Inhalte des Gesetzes ein Verstoß gegen dasselbe auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.“ – Nach Jakobs/Schubert aaO, 898. Dazu Benöhr (oben Fn. 3), 545; Kastl (oben Fn. 12), 85 f. Vgl. dazu die deutlichen Worte in der Zweiten Kommission, wiedergegeben bei Benöhr (oben Fn. 3), 542. Wie hier schon Zeuner (oben Fn. 8), 196 f.
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rischen Gesetzgebers26. Neuerdings ist historisch belegt worden, dass die unmittelbar an der Formulierung des Gesetzes beteiligten Kommissionen und ihre Mitglieder bis zum Schluss der Gesetzgebungsarbeit sogar die Ehre und auch andere Persönlichkeitsrechte durchaus als Teil der Objekte deliktischen Rechtsschutzes sahen27. Die Streichung der Ehre aus dem Beispielskatalog sollte ebenso wenig wie diejenige des Besitzes diese Positionen definitiv aus dem Deliktsrecht ausschließen.
IV. Die maßgebliche Abgrenzung des Deliktsschutzes: Rechte oder (auch) bloße Interessen? Immer noch bei historischer Auslegung ist freilich eine andere Frage klärungsbedürftig. Außer den Worten transportiert der Gesetzestext ein bestimmtes Systemverständnis. Zu ihm gehört im geltenden deutschen Deliktsrecht, dass eine „reine“ Generalklausel eben nicht gesetzlich niedergelegt werden sollte. Das sonstige Recht darf also nicht im Sinne einer „Generalklausel durch die Hintertür“ umgedeutet werden. In der Schlussphase der Gesetzgebung sind dazu auch rechtspolitische Erwägungen angestellt worden, die sowohl die Bewegungsfreiheit oder „Liberalität“ der Bürger als auch die Arbeitsweise der Richter betrafen28. Sie laufen darauf hinaus, dass durch ein generalklauselähnliches Denken die Bürger zu sehr eingeengt und die Richter zu frei gestellt würden. Als historische Gesichtspunkte sind diese Zielvorstellungen beachtlich. Sie schlagen sich jedoch nicht in der Notwendigkeit einer Abgrenzung zwischen (den Rechten gleichwertigen) Rechtsgütern und (vollgültigen) Rechten nieder29 sondern in der Abgrenzung zwischen Rechten und bloßen – durchaus auch rechtlich geschützten30 – Interessen. Die maßgebliche Abgrenzung hat über 100 Jahre nach dem Inkrafttreten des § 823 BGB neues Gewicht erhalten durch die Aufnahme des § 241 Abs. 2 BGB in das Gesetz. Allgemein geschützt sind individuelle Interessen hiernach dann, wenn sie durch eine Sonderverbindung zum Gegenstand besonderen Schutzes erhoben worden sind. Deliktsschutz gegen fahrlässiges Verhalten ist hingegen nur vorgesehen, wenn entweder ein Schutzgesetz oder ein Recht verletzt worden sind. Demnach hängt die Legitimation des Deliktsschutzes für die „Rahmenrechte“31 bei historischer Betrachtung davon ab, ob diese wirklich als „Rechte“ anzusehen 26
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Entgegen Planck (oben Fn. 14), und der sich auf ihn stützenden, alsbald nach 1900 etablierten herrschenden Meinung, vgl. Kastl (oben Fn. 12), 99 ff. m. Nachw. Klippel/Lies-Benachib (oben Fn. 12), 353 ff.; Kastl (oben Fn. 12), 82 ff. Vgl. auch dazu hier nur den Bericht von Benöhr (oben Fn. 3), 542, 544. So aber die Theorie der „Eigentumsähnlichkeit“, oben Fn. 14 und 26. Z. B. nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit einer entsprechenden Schutznorm. – Zur fehlenden Anlehnung des „sonstigen Rechts“ an das Eigentum im übrigen bereits Zeuner (Fn. 8) 196 r. Sp., ihm folgend z. B. Soergel/Spickhoff, Kommentar zum BGB, 13. Aufl. 2005, § 823 Rn. 86. Nach der bekannten Wortprägung von Fikentscher (Schuldrecht, 1. Aufl. 1965), vgl. Fikentscher/Heinemann Schuldrecht, 10. Aufl. 2006, Rn. 1571.
Das sonstige Recht
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sind, oder ob es sich um Interessen handelt, die nur deshalb als Rechte bezeichnet werden, um sie deliktisch schützen zu können.
V. „Rahmenrechte“ als sonstige Rechte Eine erste Überlegung könnte dahin gehen, die Tauglichkeit für die Auszeichnung als Recht hänge davon ab, ob die Beeinträchtigung als Indiz der Widerrechtlichkeit angesehen werden darf. Dann wären die Rahmenrechte eben doch nur ein Rahmen und keine (deliktisch geschützten) Rechte. Für eine solche Betrachtungsweise scheint historisch zu sprechen, dass der Gesetzgeber auf die Arbeit mit den Rechten gerade deshalb verfallen ist, weil er auf diesem Wege die Arbeit mit der Rechtswidrigkeit „erledigen“ wollte32. Daraus allein folgt aber nicht zwingend, dass alle Rechte die Funktion der Rechtswidrigkeitsindikation erfüllen müssen. Die vordergründige Aufgabe, den Rechtsanwender von der Rechtswidrigkeitsprüfung zu entlasten, kann auch dann schon bewältigt werden, wenn eine praktisch erhebliche Klasse von Rechten tatsächlich diese Aufgabe erfüllt. Durch die Existenz „offener“ Rechte, deren Verletzung erst durch genauere Überlegungen zum rechtswidrigen Verhalten festgestellt werden kann, wird deren Zuordnung zu den Rechten auch im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB nicht ausgeschlossen. Freilich bleibt die Vorstellung relevant, dass ein Recht im Sinne des Deliktsrechts nur sein könne, was außerhalb des Deliktsrechts schon den Charakter des Rechts hat33. Dies wird man für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht spätestens seit der unmittelbaren Geltung der Grundrechte in der gesamten Rechtsordnung ohne weiteres bejahen können34. Das „Recht am Unternehmen“ ist hingegen gerade erst zu dem Zweck „erfunden“ worden, als „sonstiges Recht“ Deliktsschutz zu ermöglichen35. Methodisch ist dies nicht korrekte historisch-systematische Handhabung des Gesetzes sondern Selbstlegitimation der Rechtsprechung nach dem „Münchhausen-Prinzip“.
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Vgl. schon oben bei und in Fn. 24, 28. So grundlegend Heck, Grundriß des Schuldrechts, 1929, 450 f., aufgegriffen von Deutsch, JZ 1963, 385, 388 f. Charakteristisch dafür ist der unmittelbare Rückgriff auf Artt. 1 und 2 GG im Jahre 1954 durch den BGH, BGHZ 13, 334. Zur auch danach vereinzelt geübten Kritik an der Einordnung speziell als „sonstiges Recht“ Kastl (oben Fn. 12), 225 ff. In diesem Sinne insbesondere die Würdigung durch v. Caemmerer (oben Fn. 7), 89. Dies räumt auch – bei sonst durchaus positiver Sicht auf das „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ – K. Schmidt JuS 1993, 985, 986, ein.
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VI. Das Recht am Unternehmen nach der Schutzrechtsverwarnungsentscheidung des Großen Senats Nun ist es allgemein bekannt, dass die schon lange andauernde methodische Kritik36 an der Rechtsprechung zum Gewerbebetrieb nicht gefruchtet hat. Allgemein ist zu beobachten, dass höchste Richter eher mit einem Anflug von Animosität reagieren, wenn ihnen mangelnde methodische Sicherheit oder gar Legitimität bei ihren Entscheidungen vorgeworfen wird37, wo sie doch in der Not des Entscheidungszwangs aus meist recht guten Sachgründen Ergebnisse „produzieren“, mit denen die Praxis besser leben kann als mit einem theoretisch vielleicht gut begründeten Judikat, das aber einer Rechtsverweigerung nahe käme. Für das „Recht am Gewerbebetrieb“ kommt hinzu, dass der Große Senat in seiner Entscheidung vom 15.07.200538 alle Angriffe gleichsam „kalt“ zurückgewiesen hat. Wie erinnerlich, hat der Große Senat in seiner recht knappen Entscheidung zugunsten einer Fortführung der Rechtsprechung zur „unberechtigten Schutzrechtsverwarnung“39 keines der in der Literatur geäußerten Bedenken ausdrücklich aufgegriffen oder gar zitiert. Er bemüht sich auch gar nicht, das konkrete „sonstige Recht“, um das es gehen könnte, näher zu beschreiben. Er formuliert einfach, die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung könne „einen rechtswidrigen Eingriff in eine nach § 823 Abs. 1 BGB geschützte Rechtsposition des … Gewerbetreibenden darstellen“40. Zur Begründung greift er sodann auf die besondere Wettbewerbssituation im Zusammenhang mit den Schutzrechten zurück: Sachlich mit Recht verweist er auf die „einschneidende, die Freiheit des Wettbewerbs begrenzende Wirkung“ des Schutzrechts als Ausschließlichkeitsrecht hin. Dies verlange nach einem „Korrelat“, welches sicherstelle, „dass der Wettbewerb nicht über die objektiven Grenzen hinaus eingeschränkt wird, durch die das Gesetz den für schutzfähig erachteten Gegenstand und seinen Schutzbereich bestimmt.“41 Liest man diese Ausführungen unbefangen, deuten sie darauf hin, dass es um ein Problem der institutionellen Ordnung des Wettbewerbs im Spannungsfeld zu Monopolrechten geht. Dieses Problem kann offenbar nicht durch ein besonderes „Recht“ dessen bewältigt werden, der auf der Seite des freien Wettbewerbs steht. Sein Gegenüber hat nur eben gleichfalls kein wirkliches Recht, und deshalb erscheint das Freiheitsinteresse des gestörten Wettbewerbers schutzwürdig. Die
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Vgl. insbesondere Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts Bd. II/2, 13. Aufl. 1994, § 81 S. 538 ff., vor allem 545, 560 ff. Vgl. Hirsch, ZRP 2006, 161 ff., und zu der sich daran anschließenden publizistischen Kontroverse Hassemer, ZRP 2007, 213 ff. BGHZ 164, 1. Seit RGZ 58, 24, vgl. schon oben bei Fn. 8. BGHZ 164, 2. BGHZ 164, 3.
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dafür maßgebliche Schutzordnung ist das Wettbewerbs- oder Lauterkeitsrecht42. Gerade nach der Neufassung des UWG mit dessen §§ 3, 4 Nr. 1, 8, 10 sowie § 9 ließe sich die unberechtigte Berühmung eines den Wettbewerb beschränkenden Rechts gut erfassen43. Daher bleibt es bedauerlich, dass die Rechtsprechung, die für das Recht am Unternehmen nach § 823 Abs. 1 BGB selbst den Grundsatz der Subsidiarität aufgestellt hat44, gerade diesen Grundsatz für die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung nicht beachtet.
VII. Hypothetisches zum „sonstigen Recht“ des durch eine Schutzrechtsverwarnung Geschädigten Methodisch bleibt es für den Gehalt des „sonstigen Rechts“ dennoch eine Erwägung wert, ob gerade bei der Schutzrechtsverwarnung eine dogmatisch tragfähige Begründung möglich wäre, um den Geschädigten nach allgemeinem Deliktsrecht zu schützen – wenn denn ein solcher Schutz trotz des vorrangigen Schutzes nach dem UWG nötig wäre. Dann wäre freilich herauszuarbeiten, dass es beim Geschädigten nicht bloß um die Wahrung seiner Wettbewerbsfreiheit geht, sondern um den Schutz eines anerkennenswerten Interesses, das einem subjektiven Recht so nahe steht, dass ausnahmsweise (gleichsam im Sinne einer Analogie45) die Gleichstellung mit einem sonstigen Recht erforderlich ist. Durch den Hinweis auf den „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ wird diese Begründungsarbeit gerade noch nicht geleistet. Denn diese Kategorie allein hebt das fragliche Schutzobjekt noch nicht aus der allgemeinen freien Betätigung im Wettbewerb heraus. Berühmt sich jemand des Eigentums an einer Sache, ohne dass es ihm wirklich zusteht, verletzt er damit regelmäßig fremdes Eigentum46. Es besteht also eine strukturelle Gleichheit zwischen dem Rechtsobjekt, das der „Täter“ beansprucht, und demjenigen, das der Betroffene wirklich hat. Dies scheint bei der Schutzrechtsverwarnung anders zu sein, weil dem behaupteten Recht die Freiheit gegenüber steht. Wie der Große Senat bei seiner Begründung offenbar richtig empfindet, greift diese Gegenüberstellung aber zu kurz: Wenn die Rechtsordnung einem Erfinder, Urheber, Markenberechtigten usw. trotz der Grundsatzentscheidung für freien Wettbewerb ein Ausschließlichkeitsrecht gewährt, geschieht dies nicht einfach zu höchst individuellem Nutzen des
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So insbesondere Larenz/Canaris (oben Fn. 36), § 81 III 4 S. 554 ff. und nach der Entscheidung des Großen Senates Wilhelm, in: FS für Canaris, 2007, Bd. I, 1293 ff., 1300 ff.; Wagner/Thole, NJW 2005, 3470, 3471. Wilhelm aaO., 1301 ff. BGHZ 8, 387, 394 f. und seitdem st. Rspr., vgl. Münchener Kommentar BGB/Wagner, 4. Aufl. 2004, § 823 Rn. 188 m. Fn. 843 ff. In diese Richtung geht mein Vorschlag in Erman/Schiemann, BGB 12. Aufl. 2008 § 823 Rn. 51. Vgl. zur ähnlichen Konstellation der Anmaßung einer Dienstbarkeit (Servitut) schon im römischen Recht Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 18. Aufl. 2005, § 27 Rn. 23.
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Rechtsinhabers47. Nicht einmal beim Eigentum ist dies bekanntlich in der deutschen Rechtsordnung der Fall: Obwohl § 903 BGB dieses Recht als Befugnis definiert, nach Belieben mit dem Gegenstand zu verfahren, sieht Art. 14 GG die Sozialbindung des Eigentums vor. Diese vorrangige Pflichtigkeit besteht beim Immaterialgüterrecht keineswegs in geringerem Maße48. So erklärt sich u. a., dass die besondere Berechtigung nur für eine bestimmte Zeit gewährt wird49. Die Intention der Rechtsgewährung ist die Gewährleistung von technischem, künstlerischem, wirtschaftlichen und allgemein gesellschaftlichem „Fortschritt“50. Deshalb werden Rechte letztlich zu dem Zweck gewährt, dass sie genutzt werden. Wird z. B. ein Produkt bereits hergestellt, für das ein Patent das Recht am Herstellungsverfahren gewährt, ist der „letzte“ Zweck der Rechtsgewährung also regelmäßig schon erfüllt. Diese Zweckerfüllung muss nur dann gegenüber dem Instrument des Anreizes zur Betätigung schöpferischer Intelligenz zurücktreten, wenn es dieses Instrument – eben das Schutzrecht – erfordert. Voraussetzung dafür ist aber, dass ein solches Recht wirklich besteht. Bezogen auf das nur gedachte (und deshalb letztlich zu Unrecht beanspruchte) Schutzrecht verdient demnach der Verwarnte oder durch eine Abnehmerverwarnung Behinderte nicht um seiner Freiheit willen Schutz, sondern zum Besten der Ressourcen-Nutzung bedarf die Produktion selbst des Schutzes. Dafür hat das Gebiet der Immaterialgüterrechte durchaus Instrumente: Zwangslizenz und gesetzliche Lizenz51. Daher liegt es nicht fern, dem durch unberechtigte Schutzrechtsbehauptungen Behinderten eine Art von Zwangslizenz oder gesetzlicher Lizenz gerade deshalb zuzusprechen, weil er zu Unrecht behindert wird. Dem Lizenznehmer ähnlich wie z. B. einem berechtigten Besitzer das schutzfähige „sonstige Recht“ zuzusprechen, bereitet keine dogmatischen „Bauchschmerzen“52. Freilich hat der von einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung Betroffene nicht wirklich eine (Zwangs)Lizenz. Im vorliegenden Begründungszusammenhang geht es aber auch nur darum, die Position herauszuarbeiten, die aus dem Betätigungsfeld
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Hierzu und zum Folgenden insbesondere die Darstellung der ökonomischen Grundlagen bei Heinemann, Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung, 2002, 12-31. Im Übrigen vgl. hier nur etwa für das Urheberrecht den Überblick von Rehbinder, Urheberrecht, 15. Aufl. 2008, Rn. 72 ff., insbesondere 79 f., 103 ff. Dazu Rehbinder aaO., Rn. 103. Rehbinder aaO., Rn. 104 ff., mit urheberrechtsspezifischen Einschränkungen der Wertung Rn. 109. Vgl. zur property rights-Theorie in diesem Zusammenhang nur Heinemann (oben Fn. 47), 21 ff. Überblick über die gesetzlichen Lizenzen nach dem UrhG bei Rehbinder (oben Fn. 47), Rn. 432; vgl. ferner etwa die Zwangslizenzen nach § 24 PatG und dazu Heinemann (oben Fn. 47), 178 ff., 185 f. Z. B. sind in § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG die übertragenen Nutzungsrechte dem (ursprünglichen) Urheberrecht gerade für die Aktivlegitimation zu Beseitigungs-, Unterlassungsund Schadensersatzansprüchen gleichgestellt. Zum Ausschluss der Aktivlegitimation beim „einfachen Nutzungsrecht“ aber Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, 2. Aufl. 2006, § 97 Rn. 20.
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der allgemeinen Wettbewerbsfreiheit jenes wirtschaftliche Interesse betrifft, das ausnahmsweise wie ein Recht schutzfähig sein kann.
VIII. Die tragende Gerechtigkeitsüberlegung Der vorstehende Gedankengang entspricht einem gängigen Modell allgemeinen Gerechtigkeitsdenkens: Wer sich gegenüber der Freiheit eines Anderen auf ein Recht beruft, jenem die Betätigung der Freiheit zu untersagen, muss es hinnehmen, dass der von der Rechtsberufung Betroffene gerade ihm gegenüber so behandelt wird, als hätte er ein Recht, das dem Recht entspricht, das er selbst für sich behauptet53. Einfacher ausgedrückt, geht es primär um die Herstellung von Waffengleichheit im Wettbewerb. Ist die Waffe des Einen die Behauptung eines Rechts, muss dem Andern eine gleichartige, also auch zur Behauptung eines Rechts taugliche Waffe in die Hand gegeben werden. Fraglich bleibt freilich bei diesem Gedankengang, ob betroffen wirklich nur ist, wer eine Produktion, einen Vertrieb, eine künstlerische Betätigung schon voll in Gang gesetzt hat, im Sinne der traditionellen Kategorie sein Unternehmen also bereits „eingerichtet“ hat und „ausübt“54. Die Grundidee, Rechte als Instrument für den „Fortschritt“ zu gewähren und demzufolge die Berufung auf das Instrument zu begrenzen, wenn andere legitimerweise den Fortschritt bereits umsetzen, erfordert nicht unbedingt den schon „eingerichteten und ausgeübten“ Betrieb. Problematisch wäre vielmehr unter diesem Gesichtspunkt auch schon die Behinderung des Marktzutritts55. Kritikwürdig erscheint auch unter diesem Gesichtspunkt der Weg des Großen Senats, die Tradition des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs als „sonstiges Recht“ zu zementieren. Schutzwürdig könnten vielmehr gerade diejenigen erscheinen, die sich einen Markt erst erschließen wollen. Sie könnten durchaus schon „Marktteilnehmer“ und „Mitbewerber“ sein56, auch wenn sie erst dabei sind, sich einen Betrieb einzurichten, und damit beginnen, ihre unternehmerische Tätigkeit auszuüben. Dies spricht wiederum für die Anwendung des UWG statt der Einordnung in das „sonstige Recht“.
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Zurückzuführen ist dieser Gedanke wohl letztlich auf die Anwendung der korrigierenden (oder, wie meist gesagt wird, ausgleichenden) Gerechtigkeit auf den „unfreiwilligen Verkehr“ bei Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V Kap. 7, 1131 b – 1132 b; vgl. dazu hier nur Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, 1999, 3 ff. u. ö. Vgl. Münchener Kommentar/Wagner (oben Fn. 44), § 823 Rn. 185; Larenz/Canaris (oben Fn. 36), S. 540. Larenz/Canaris (oben Fn. 36), S. 555; zustimmend Wilhelm (oben Fn. 42), 1296. Für den Marktteilnehmer ergibt sich dies unmittelbar aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG („alle … Anbieter“), ebenso für den Unternehmer als Mitbewerber aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG, vgl. dazu nur etwa im Überblick Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 25. Aufl. 2007, § 2 UWG Rn. 59 – 71.
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IX. Der positive Beitrag der Überlegungen zum „sonstigen Recht“ für ein gesamteuropäisches Deliktsrecht So hypothetisch die vorstehenden Überlegungen zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung angesichts der Entscheidung des Großen Senats sein mögen, zeigen sie m. E. eine beachtliche Seite der Struktur unseres Deliktssystems: Die Überlegungen zur Fortbildung des Schutzes vor unerlaubten Handlungen müssen bei einer Gesetzesfassung mit Rechtsgütern und Rechten trotz aller Offenheit des „sonstigen Rechts“ sehr differenziert und genau und nicht zuletzt tatbestandsbezogen sein. Mit der Tatbestandsbezogenheit ist hierbei gemeint, dass die Merkmale der als sonstiges Recht oder in Analogie zu ihm auszuzeichnenden Interessenposition so genau angegeben werden müssen, als handle es sich um einen subsumtionsfähigen Tatbestand – eben nicht um ein Objekt mehr oder weniger allgemeiner Abwägung, sondern um ein Recht oder eine rechtsähnliche Position, die aufgrund eines methodischen Analogieschlusses nach ihren charakteristischen Eigenschaften einem Recht gleichgestellt werden kann57. In dieser Erkenntnis sollte der Beitrag liegen, den das Nachdenken über das sonstige Recht im deutschen Kodifikationssystem für ein gesamteuropäisches Deliktsrecht leisten kann. Wenn es stimmt, dass eine differenziertere Erfassung von Sachverhalten und der zu ihrer Regelung erforderlichen Bewertungen ein Fortschritt gegenüber allgemeiner Abwägungsjurisprudenz ist, dann handelt es sich bei dem sonstigen Recht des deutschen Gesetzgebers – so unreflektiert und zufällig dieses Merkmal von ihm eingeführt worden sein mag – um ein beachtenswertes Stück der Rechtskultur, das nicht leichthin beiseite geschoben werden sollte.
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Ähnlich schon meine Bemühungen zur tatbestandlichen Eingrenzung in Erman/Schiemann (oben Fn. 45), § 823 Rn. 55, 68 ff.; kritisch dazu aber Soergel/Beater (oben Fn. 30), § 823 Anh V Fn. 110.
Die Einheit des Rechtswidrigkeitsurteils im Zusammenspiel von Internationalem Privat- und Strafrecht
Andreas Spickhoff
I. Problemstellung Grundfragen des Zusammenspiels von Zivil- und Strafrecht, insbesondere von zivilem Haftungsrecht und Strafrecht, haben Erwin Deutsch durch sein gesamtes wissenschaftliches Leben hindurch offensichtlich immer wieder interessiert oder fasziniert, wie nicht nur sein die Grenzen der herkömmlichen „Säulen“ des Rechts sprengendes Lehr- und Handbuch zum Medizinrecht zeigt.1 So hat sich der Jubilar auch unter dem Aspekt der Rechtswidrigkeit im Strafrecht und Haftungsrecht dem Postulat der Einheit der Rechtsordnung gewidmet. Das liegt auch besonders nahe, weil – worauf er treffend hingewiesen hat2 – das Strafrecht gewissermaßen der dogmatische Nachbar des Haftungsrechts ist. Obwohl die Rechtswidrigkeit je nach Rechtsgebiet funktional bestimmt werden sollte3, geht es doch nicht an, dass ein Verhalten in einem Rechtsgebiet verboten und dasselbe Verhalten in einem anderen Rechtsgebiet erlaubt oder gar geboten ist. Der Normgeber steht eben unter dem Gesetz der Unzulässigkeit des Widerspruchs.4 Dabei hat der Jubilar über den üblichen Ausgangspunkt hinaus, wonach die Gründe der Rechtfertigung universal (also rechtsgebietsübergreifend) sind5, noch weiter differenziert zwischen Rechtfertigungsgründen, die eine Pflicht zum Eingriff oder wenigstens ein Recht zur Abwehr bzw. zum Eingriff begründen, und solchen, für welche die Rechtsordnung
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Aus neuerer Zeit Deutsch, Strafrechtsnormen als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, FS für Hans-Ludwig Schreiber, 2003, S. 43 ff.; zum Verhältnis von Haftungsrecht und Strafrecht grundsätzlich ders., FS für Wahl, 1973, S. 339 ff. FS für Wahl, S. 339. Deutsch, FS für Wahl, S. 339, 346. Deutsch, FS für Wahl, S. 339, 347. Statt vieler RGRK/Steffen, BGB, 12. Auflage 1989, § 823, Rn. 376; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl. 2006, Rn. 640.
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den Schutz des Rechtsguts oder des Interesses aus besonderem Anlass fortfallen lässt.6 Kann also schon das Postulat der Übernahme von Rechtfertigungsgründen des einen Rechtsgebietes in das andere wenigstens in speziellen Randbereichen zweifelhaft sein, so potenzieren sich die möglichen Brüche im Hinblick auf das Verbot des Normenwiderspruchs, wenn man die Regeln des Internationalen Privatrechts, insbesondere die Regeln des Internationalen Haftungsrechts auf der einen Seite und die Regeln des Internationalen Strafrechts auf der anderen Seite hinzunimmt, weichen diese doch ohne weiteres voneinander ab. Denn die §§ 3 ff. StGB sind vom Tatortprinzip geprägt, während die Normen des Internationalen Vertragsoder Deliktsrechts (mittlerweile geprägt durch die Rom I/II-VOen) in weitaus großzügigerem Maße Abweichungen von diesem Prinzip zulassen. Denkbar sind solche Abweichungen vom Tatortprinzip (das im Internationalen Deliktsrecht – anders als noch Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB in der Fassung des Jahres 1999 – künftig vom Erfolgsortsrecht und nicht vom Handlungsortsrecht ausgeht, Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO7) zum einen im Falle der nachträglichen Rechtswahl, Art. 14 Rom II-VO (zuvor Art. 42 EGBGB). Sie können sich aber auch aus einer sog. akzessorischen Anknüpfung an vertragliche Ansprüche (Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom IIVO, zuvor Art. 41 Abs. 2 Nr. 1, erste Alt. EGBGB) oder aus der Anknüpfung an einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt zur Zeit des Haftungsfalles (Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO, zuvor Art. 40 Abs. 2 EGBGB) ergeben. Das sei anhand eines Beispiels aus dem Arztrecht, das zunehmend nicht nur durch ausländische Patienten, sondern auch ausländische Ärzte gekennzeichnet ist, exemplifiziert. Angenommen, ein/e 14jährige/r Österreicher/in wird in Deutschland in einem der österreichischen Grenze nahen Krankenhaus von einem österreichischen Landsmann behandelt. Für die Frage der Einwilligung und der Einwilligungsfähigkeit in den Eingriff in die körperliche Integrität (nach deutscher Mehrheitsmeinung und ständiger Rechtsprechung eine Körperverletzung) würde über § 3 StGB deutsches Strafrecht anzuwenden sein. Danach käme es für die Frage der Einwilligungsfähigkeit auf die Urteils- bzw. konkrete Einsichtsfähigkeit des oder der Minderjährigen an. Selbst im Falle von „alltäglichen“ Eingriffen (Blutentnahmen, Behandlung von Erkältungskrankheiten) soll die Einwilligungsfähigkeit nach im deutschen Strafrecht herrschender, wenn auch umstrittener und nicht ganz zweifelsfreier Auffassung in der Regel erst ab dem 16. Lebensjahr angenommen werden können.8 Da-
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Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 261, 262; ders., FS für Wahl, S. 339, 348. Zur für deutsche Leser aus dem Wortlaut des Art. 4 Rom II-VO nur schwer erkennbaren Anknüpfung an den Erfolgsort (in der Diktion der romanischen Rechte) Bamberger/Roth/Spickhoff, BGB, 2. Auf. 2008, Anh. zu Art. 42 EGBGB, Rn. 32; Junker, NJW 2007, 3675, 3678; v. Hein, VersR 2007, 440, 443; G. Wagner, IPRax 2006, 1, 4; Huber/Bach, IPRax 2005, 73, 76. Schönke/Schröder/Eser, StGB, 27. Aufl. 2006, § 223, Rn. 38; siehe auch Leipziger Kommentar zum StGB/Hirsch, 11. Aufl. 2001, § 228, Rn. 16; mit Grund großzügiger
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bei hat der Haftungssenat des Bundesgerichtshofes im Falle der Behandlung Minderjähriger sogar im Falle der Urteilsfähigkeit der betroffenen Person bei schwereren Eingriffen zumindest auch auf der Einwilligung der Sorgeberechtigten bestanden.9 Folgt man dem, so wäre ein Eingriff in die körperliche Integrität des oder der Minderjährigen zumindest bei ausdrücklichem Widerspruch der Eltern nach der Haltung der deutschen Praxis nicht zulässig. Das Internationale Privatrecht würde demgegenüber kraft der Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO, bisher Art. 40 Abs. 2 EGBGB) augenscheinlich zum österreichischen Recht führen. Dieses vermutet indes die Einwilligungsfähigkeit Mündiger nach § 146 c Abs. 1 S. 1 ABGB, sofern mit dem Eingriff keine schwere oder nachhaltige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist (§ 146 c Abs. 2 ABGB). Und mündig ist man nach österreichischer Rechtslage ab dem 14. Lebensjahr (§ 21 Abs. 2 ABGB).10 Ist ein Minderjähriger in diesem Sinne einsichts- und urteilsfähig, so kann eine Behandlung nur mit seiner Einwilligung vorgenommen werden. Eine Substitution seines Willens kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Auch haben die Eltern außerhalb der genannten Fälle des § 146 c Abs. 2 ABGB kein Vetorecht.11 Grundsätzlich hat nach dieser Regelung damit der schon 14-Jährige dieselben Rechte wie volljährige Personen. Man kommt nicht umhin, festzustellen, dass die Einwilligungsfähigkeit nach österreichischer Rechtslage damit zumindest in der Tendenz früher einsetzt als nach deutscher Rechtspraxis. Doch wie soll sich nun der in Deutschland tätige österreichische Arzt verhalten? Hat er – ungeachtet einer möglichen Unwirksamkeit des mit dem Minderjährigen geschlossenen medizinischen Behandlungsvertrages auch nach österreichischem Recht12 – sich durch einen ungefährlichen medizinischen Eingriff z. B. zur Abwendung von dauerhaften Schmerzen bereiterklärt, so würde aufgrund der entsprechenden faktischen Übernahme der Gefahrabwehr13 unser in Deutschland tätiger österreichischer Arzt nicht nur zum Heileingriff berechtigt sein, sondern sein Unterlassen würde sogar eine deliktische Pflicht zum Ersatz eines eventuellen materiellen Schadens und Schmerzensgeld auslösen (§§ 1294, 1325 ABGB). Das über die Regeln des Internationalen Strafrechts anwendbare deutsche Recht würde demgegenüber (zumindest nach der Rechtsprechung des Haftungssenates des BGH) das Veto der Eltern als verbindlich ansehen. Das, was das nach deutschem Internationalen Privatrecht anwendbare österreichische Haftungsrecht also gebie-
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für die Annahme der Einwilligungsfähigkeit Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2008, Rn. 109 ff. m. w. N. BGH, NJW 2007, 217; kritisch Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 389 f. Siehe dazu z.B. Koziol/Bydlinski/Bollenberger/Koch, ABGB, 2. Aufl. 2007, § 21, Rn. 2. Eingehend zum Ganzen Bernat, VersR 2002, 1467, 1475 f. Siehe P. Bydlinski, Bürgerliches Recht I – Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2007, Rn. 2/25 b. Die auch nach österreichischem Recht anerkannt ist, siehe Klang/Wolff, ABGB, 2. Aufl. 1951, § 1294, Anm. I.2.d a.E.: Pflicht zum Tun bei vorherigem Versprechen. Als Beispiel wird die Zusage, einem Nichtschwimmer ggf. zu Hilfe zu kommen, genannt.
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tet (den Heileingriff), verbietet das zu gleicher Zeit über die Regeln des Internationalen Strafrechts anwendbare deutsche materielle Strafrecht. Anders formuliert: Was Staatsanwalt und Strafrichter verbieten würden, würde ein deutscher Zivilrichter geradezu gebieten. Dass es bei einem solchen Ergebnis nicht bleiben kann, liegt nicht nur für den (seltenen) Fall des Adhäsionsverfahrens, in welchem der Widerspruch im gleichen Urteil besonders offensichtlich würde, auf der Hand. Erstaunlicherweise sind die damit aufgeworfenen Fragen, die in Zeiten zunehmender Durchlässigkeit staatlicher Grenzen durchaus einmal praktisch relevant werden können, bislang weder im Schrifttum zum Internationalen Haftungs- noch zum Internationalen Strafrecht erörtert worden. Das lässt sich wohl nur zum Teil aus einer (nur) auf ein Fach bezogenen Sichtweise erklären; immerhin nahm auch ein seinerzeit prominentes Mitglied der Göttinger Juristenfakultät, nämlich Ludwig von Bar, zu unserem Problem nicht Stellung, und das, obwohl er sich zeitlebens gleichermaßen mit dem Internationalen Privat- und Strafrecht befasst hat14.
II. Die tradierte Anknüpfung der Rechtfertigungsgründe im Internationalen Haftungsrecht und im Internationalen Strafrecht 1. Rechtfertigungsgründe im Internationalen Strafrecht In den modernen Standardlehrbüchern zum Internationalen Strafrecht15 finden sich – anders als in den klassischen Darstellungen des Internationalen Haftungsrechts – zum Anwendungsbereich der (einseitigen) Kollisionsnormen des Internationalen Strafrechts der §§ 3 ff. StGB vergleichsweise knappe Ausführungen. Immerhin ist anerkannt, dass als deutsches Strafrecht im Sinne von § 3 StGB, welches für anwendbar erklärt wird, neben den Deliktstatbeständen auch die Unrechts-, Schuldund Strafausschließungsgründe des deutschen Rechts anzusehen sein sollen.16 Ganz in diesem Sinne hat das OLG Köln17 gemeint, gegenüber dem Vorwurf einer im Ausland von einem Deutschen gegenüber einem Ausländer im Anschluss an 14
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Siehe L. v. Bar, Das Internationale Privat- und Strafrecht, 1862; ders., Lehrbuch des Internationalen Privat- und Strafrechts, 1892; ders., Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts, 2 Bde., 1889; ders., Geltungsbereich des Strafgesetzes, aus: Reform des Strafgesetzbuchs, 1910, S. 38 ff. Ein Auseinanderfallen der Anknüpfungen von Internationalem Deliktsrecht und Internationalem Strafrecht konnte sich insbesondere im Falle des Distanzdeliktes aufgrund des im Deliktskollisionsrecht schon damals dominierenden sog. Ubiquitätsprinzips ergeben (siehe – durchaus kritisch – L. v. Bar, Lehrbuch des Internationalen Privat- und Strafrechts, S. 125 m. w. N.). Etwa Ambos, Internationales Strafrecht, 2006; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. 2008. Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, vor §§ 3 – 7 StGB, Rn. 1. MDR 1973, 688.
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einen Verkehrsunfall begangene Körperverletzung beurteile sich der Rechtfertigungsgrund des Festnahme- und Selbsthilferechts zur Personalienfeststellung des Schädigers nach deutschem Recht, selbst wenn das ausländische Tatortrecht einen solchen Rechtfertigungsgrund nicht kennt. Doch wie steht es mit der Akzeptanz von Rechtfertigungsgründen, die am Tatort gelten? Immerhin ist anerkannt, dass zivil- oder verwaltungsrechtliche Inzidentfragen (wie etwa die Fremdheit einer weggenommenen Sache, § 242 StGB) nicht nach den einschlägigen deutschen Vorschriften, sondern nach den jeweiligen Regeln des ausländischen Rechts, welche über die Regeln des Internationalen Privatrechts für anwendbar erklärt werden, zu prüfen sind.18 Ebenso steht es mit ortsgebundenen Verkehrsregeln (in den Grenzen des ordre public).19 Abgesehen von derartigen Sonderfragen wird aber im Falle der Konkurrenz mehrerer anwendbarer Strafrechtsordnungen nach eigenem Recht verfahren. Erklären mehrere nationale Strafanwendungsnormen ihr eigenes Strafrecht für anwendbar, gilt dann in der Sache zum Nachteil des Täters gewissermaßen das Ungünstigkeitsprinzip. Freilich droht in solchen Fällen lediglich die Verfolgung des Täters vor verschiedenen Gerichten nach unterschiedlichen Maßstäben. Wie die Existenz des sog. forum shopping im Internationalen Zivilverfahrensrecht zeigt, ist dieses Phänomen auch dem Internationalen Privat- und Prozessrecht keineswegs fremd.20 Nicht in den Fällen, in welchen deutsches Strafrecht auf Inlandstaten anzuwenden ist, sondern nur in Fällen der Anwendung deutschen Strafrechts auf Auslandstaten nach §§ 5 – 7 StGB ist die Frage der Berücksichtigungsfähigkeit von ausländischen Rechtfertigungsgründen in der Strafrechtswissenschaft näher diskutiert worden und umstritten. Die Spanne der dazu vertretenen Ansichten reicht von der generellen Unbeachtlichkeit ausländischer Rechtfertigungsgründe21 bis zur heute zu Recht im Hinblick auf den Wortlaut von § 7 StGB („am [ausländischen] Tatort mit Strafe bedroht“) herrschenden Auffassung, wonach solche Rechtfertigungsgründe vom Verfolgerstaat zu beachten sind.22 Allerdings ist eine Grenze der Beachtlichkeit ausländischer Rechtfertigungsgründe anerkannt; kaum vertretbar ist es, ausländische Rechtfertigungsgründe ohne jede Einschränkung zu tolerieren.23 Die gebotene Grenze liegt im ordre public, wobei auch insoweit der Maßstab differiert. Im älteren Schrifttum ist augenscheinlich auf einen nationalen Maßstab abgestellt worden.24 Zum Teil ist die Grenze der Anerkennung fremder
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Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 3 – 7, Rn. 22, 23. Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 3 – 7, Rn. 23. Dazu, dass auch ausländische Strafrechtssysteme lediglich ihr eigenes Strafrecht im Sinne einseitiger Kollisionsnormen für anwendbar erklären, Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 1983, S. 573 f. Woessner, ZRP 1976, 250. Ambos, Internationales Strafrecht, § 3, Rn. 52; Grunwald, StV 1991, 33; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 5, Rn. 85 ff; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil: Die Grundlagen und die Zurechnungslehre, 2. Aufl. 1991, 5/18. So aber offenbar Roggemann, ZRP 1976, 243, 246 f. (zur DDR). Leipziger Kommentar zum StGB/Tröndle, 10. Aufl. 1985, § 3, Rn. 2.
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Rechtfertigungsgründe in Grundrechtsverstößen gesehen worden.25 Herrschend ist die Ansicht, wonach wenigstens an sich universal anerkannte Rechtsgrundsätze die Grenze für die Anerkennung ausländischer Rechtfertigungsgründe bilden.26 Nur dann ist das Vertrauen des Täters in die formale Legalität und Straflosigkeit nach dem Tatortrecht nicht schutzwürdig. Eine weitergehende Einschränkung der Beachtlichkeit ausländischer Rechtfertigungsgründe – etwa nach Art des ordre public im Sinne von Art. 6 EGBGB – scheitert an Art. 103 Abs. 2 GG wegen der fehlenden Bestimmtheit der Vorbehaltsklausel. Es ist hervorzuheben, dass das Bestimmtheitsgebot dieser Norm umfassend zu verstehen ist, so dass ihm auch Rechtfertigungsgründe unterliegen.27 Soweit strafgesetzlich geregelte Rechtfertigungsgründe eingeengt werden, ist dem eben mit wesentlich größerer Zurückhaltung zu begegnen als im umgekehrten Fall der gewohnheitsrechtlichen Schaffung oder Erweiterung von Rechtfertigungsgründen.28 Ungeachtet dessen lässt sich als erstes Zwischenergebnis festhalten, dass nach dem herkömmlichen Stand des deutschen (wenngleich europäisierten) Internationalen Privat- und Strafrechts anwendbare Rechtfertigungsgründe und damit für einschlägig erachtete Ge- und Verbote, die jeweils an den Täter adressiert sind, durchaus zunächst einmal unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen können. Im Hinblick auf die internationale Konkurrenz verschiedener Strafrechtsordnungen akzeptiert das (deutsche) internationale Strafrecht grundsätzlich das Ungünstigkeitsprinzip. Immerhin werden aber namentlich zivilrechtliche Inzidentfragen unter Rückgriff auf die Regeln des Kollisionsrechts entschieden und nicht schlicht unter Rückgriff auf eigenes deutsches (Zivil-) Recht.
2. Rechtfertigungsgründe im Internationalen Deliktsrecht Im Internationalen Haftungsrecht entspricht es – soweit ersichtlich – bislang wohl allgemeiner Ansicht, dass das Deliktsstatut (und gegebenenfalls wohl auch das Vertragsstatut) Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe erfasst. Insbesondere ist bislang offenbar nicht einer Sonderanknüpfung von Rechtfertigungsgründen das Wort geredet worden.29
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Küpper/Wilms, ZRP 1992, 91, 93; Wilms/Ziemske, ZRP 1994, 170, 171 f. (zur DDR). MünchKommStGB/Ambos, 2003, § 7, Rn. 15; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 5, Rn. 89; ähnlich (Verstoß gegen international anerkannte Rechtsgrundsätze) Systematischer Kommentar zum StGB/Hoyer (Bearbeitung Juni 1997), § 7, Rn. 4. Sachs/Degenhart, Grundgesetz, 4. Aufl. 2007, Art. 103, Rn. 58. Schönke/Schröder/Eser, § 1, Rn. 14, 14 a. Siehe bereits RG JW 1906, 297 (Notwehr); vgl. auch BGH, NJW 1964, 650, 651; Soergel/Lüderitz, BGB, 12. Aufl. 1996, Art. 38 EGBGB, Rn. 94; Erman/Hohloch, BGB, 12. Aufl. 2008, Art. 40 EGBGB Rn. 60; Bamberger/Roth/Spickhoff, Art. 40 EGBGB, Rn. 10 und Anh. zu Art. 42 EGBGB, Rn. 106 zur Rom II-VO (siehe dort Art. 15 lit. b Rom II-VO); v Bar, Internationales Privatrecht II, 1991, Rn. 714; MünchKomm/BGB/Junker, 4. Aufl. 2006, Art. 40 EGBGB, Rn. 200; AnwaltkommBGB/G.
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Lediglich im Falle von Distanzdelikten wird vertreten, dass sich der Täter dann zumindest auch auf die Rechtfertigungsgründe am Handlungsort berufen können soll.30 Doch wird selbst einer entsprechenden Modifikation des internationalprivatrechtlichen Ausgangspunktes, wonach die Rechtfertigungsgründe dem Deliktsstatut unterliegen, entgegengehalten, dass die Rechtswidrigkeit ein Wesenselement der Haftung aus unerlaubter Handlung darstelle. Dieser Zusammenhang dürfe nicht durch eine Sonderanknüpfung aufgelöst werden. Demgemäß soll selbst im Falle der Alternativanknüpfung an den Handlungs- bzw. an den Erfolgsort die Frage nach Rechtfertigungsgründen nur isoliert nach dem jeweils anwendbaren Handlungs- oder Erfolgsortsrecht beantwortet werden.31 In Zukunft wird diese Frage im Rahmen von Art. 7 Rom II-VO (Umwelthaftung) relevant bleiben, weil nach dieser Vorschrift zwar keine Alternativanknüpfung vorgesehen ist, der Geschädigte seinen Anspruch aber im Falle sog. Distanzdelikte nicht nur auf das Recht am Erfolgsort, sondern auch auf das Recht am Handlungsort stützen kann. Es bleibt lediglich die Möglichkeit einer Berücksichtigung von entsprechenden Rechtfertigungsgründen auf der Ebene des Sachrechts, insbesondere dann, wenn entweder die Auslandswirkung des Handelns nicht vorhersehbar war, oder wenn der Delinquent sich in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum befunden hat.32 Doch hält sich diese Möglichkeit der Korrektur oder Angleichung auf sachrechtlicher Ebene in engen Grenzen.
III. Das Postulat des „inneren“ Entscheidungseinklangs und der Widerspruchsfreiheit der anwendbaren Ge- und Verbote Im Internationalen Privatrecht ist das Anliegen jeden Rechtsanwendungsrechts anerkannt, dass die anwendbaren Regeln möglichst harmonieren bzw. zueinander passen. Schon Friedrich Carl von Savigny33 hatte dieses Ansinnen in dem Sinne umschrieben, dass „die Rechtsverhältnisse, in Fällen einer Collision der Gesetze, dieselbe Beurtheilung zu erwarten haben, ohne Unterschied, ob in diesem oder jenem Staate das Urtheil gesprochen werde“. Dabei wird zwischen äußerem und innerem Entscheidungseinklang unterschieden. Weil die Normen des Internationalen Privat- (und Straf-) Rechts keineswegs international einheitlich formuliert sind, können durchaus von verschie-
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Wagner, 2005, Art. 40 EGBGB, Rn. 11; Im Grundsatz auch Staudinger/v. Hoffmann, BGB, Neubearbeitung 2001, Vorbem. zu Art. 40 EGBGB, Rn. 24. Koziol, FS für Beitzke, 1979, S. 565 ff; noch weitergehend auch im Rahmen der Anknüpfung an das Erfolgsortsrecht Stoll, in: v. Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen Internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 1983, S. 160, 163 f. Staudinger/v. Hoffmann, Vorbem. zu Art. 40 EGBGB, Rn. 24. Staudinger/v. Hoffmann, Vorbem. zu Art. 40 EGBGB, Rn. 24. System des heutigen Römischen Rechts, Bd. VIII, 1849, S. 27 und S. 129.
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denen Staaten auf denselben Sachverhalt unterschiedliche Rechtsordnungen angewendet werden. In derartigen Fällen besteht kein „internationaler Entscheidungseinklang“; im Internationalen Privat- und Prozessrecht provozieren solche Erscheinungen ein für den Kläger im Einzelfall günstiges forum shopping. Neben das Postulat des äußeren Entscheidungseinklangs tritt die Notwendigkeit des inneren Entscheidungseinklangs umso deutlicher. Es geht darum, dass zumindest innerhalb derselben Rechtsordnung die maßgeblichen Rechtssätze dem Postulat der Widerspruchsfreiheit entsprechen müssen.34 Nicht nur durch die Regeln des Internationalen Privatrechts, welche für unterschiedliche Rechtsgebiete zu unterschiedlichen Rechtsordnungen führen können, sondern auch durch das Zusammenspiel der Regeln von Internationalem Privat- und Strafrecht kann – wie unser Eingangsbeispiel zeigt – die Widerspruchsfreiheit in Frage gestellt werden. Genau genommen geht es – insbesondere im hier interessierenden Kontext von anwendbaren bzw. nichtanwendbaren Rechtfertigungsgründen um das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung.35 Dabei besteht allerdings die Besonderheit, dass die zunächst einmal offensichtlich unkoordinierten Rechtsanwendungsbefehle des Internationalen Straf- und Privatrechts unterschiedliche nationale Rechtsordnungen (die in sich typischerweise durchaus widerspruchsfrei sein werden) partiell für anwendbar erklären. Nur aus dieser Konsequenz kann sich ein Verstoß gegen von der eigenen Rechtsordnung gewissermaßen konkret für anwendbar erklärte Verhaltensnormen ergeben. Insbesondere liegt ein entsprechender Normenwiderspruch im engeren und eigentlichen Sinne dann vor, wenn ein konkretes Verhalten zugleich als verboten und erlaubt angesehen wird.36 Im Internationalen Privatrecht werden zur Lösung solcher Konstellationen, die – durchaus geläufig – als echte Normenwidersprüche bezeichnet werden37, im Großen und Ganzen in methodischer Hinsicht drei Möglichkeiten angeboten: In Betracht kommt eine Anpassung der inländischen Kollisionsnormen (in unserem Fall also der Normen des Internationalen Privat- und Strafrechts), eine Anpassung der anzuwendenden Sachvorschriften oder (ausnahmsweise) die Bildung besonderer materieller Rechtssätze.38 Dabei ist das Verhältnis der beiden erstgenannten 34
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Zum inneren Entscheidungseinklang bzw. zum Entscheidungseinklang generell Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 2, II 3a und b (S. 139 ff.); Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 6 (S. 36 ff.). Dazu aus neuerer Zeit Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1989, insbes. S. 16 ff. (allerdings vorrangig im Hinblick auf das Umweltstrafrecht, das Verhältnis strafrechtlicher Rechtfertigungsgründe zu hoheitlichem Handeln, zum Verhältnis von öffentlichem und privatem Nachbarrecht und zum Steuerstrafrecht); Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, insbes. S. 37 ff. (auch insoweit vorrangig im Hinblick auf das Verhältnis von Privatrecht und öffentlichem Recht); Höpfner, Die systemkonforme Auslegung zur Auflösung einfachgesetzlicher, verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Widersprüche im Recht, 2008; grundlegend immer noch Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935. Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 46. Statt aller v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. I: Allgemeine Lehren, 2. Aufl. 2003, § 7, Rn. 253. Eingehend dazu Looschelders, Die Anpassung im Internationalen Privatrecht, 1995, S. 164 ff., 171 f., 220 ff.; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 8 III (S. 361 ff.).
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methodischen Wege (Auslegung der Rechtsanwendungsnormen bzw. des Sachrechts) unklar. Im Allgemeinen soll eine Interessenabwägung im Einzelfall maßgeblich sein. Zumeist werden kollisionsrechtliche Lösungen als vorzugswürdig angesehen.39 Anders steht es, wenn lediglich ein Fall des sog. Auslandssachverhaltes vorliegt, der dazu führt, dass die anwendbaren Sachvorschriften in funktionaler Betrachtung modifizierend ausgelegt werden können und müssen. An einer solchen Möglichkeit fehlt es, wenn die anwendbaren Sachnormen in der Tat miteinander unvereinbar sind.40 Vergegenwärtigt man sich das Postulat des inneren Entscheidungseinklangs in Kombination mit dem Prinzip der Widerspruchsfreiheit der anzuwendenden Verhaltensnormen, so lässt sich als Zwischenergebnis festhalten, dass ein mögliches Auseinanderfallen von anwendbarem Privat- bzw. Haftungsrecht einerseits und Strafrecht andererseits nicht dazu führen darf, dass ein Verhalten zumindest aus der Perspektive des deutschen Rechts gleichzeitig als rechtmäßig und rechtswidrig angesehen wird.
IV. Mechanismen des Internationalen Privatrechts zur Herstellung des „inneren Entscheidungseinklangs“ Es bleibt also die Frage, auf welche Weise der „innere Entscheidungseinklang“ in Gestalt der Einheit des Rechtswidrigkeitsurteils wieder hergestellt werden kann. Nach dem eben genannten Ausgangspunkt würde zur Herstellung entsprechender Konkordanz auf der Ebene des Sachrechts bei schlicht diametral entgegengesetzten Ge- bzw. Verboten nichts anderes übrig bleiben, als dass sich ein Ge- bzw. Verbot durchsetzt bzw. das andere zurücktritt. Durch Auslegung auf der Ebene des Sachrechts lässt sich ein solches Ergebnis schwerlich herbeiführen. Deswegen ist zumindest im hier interessierenden Kontext vorrangig nach Möglichkeiten des jeweiligen Rechtsanwendungsrechts zu suchen, die dazu führen, dass entsprechende Ergebnisse vermieden werden können. Zunächst werden mögliche Mechanismen des Internationalen Privatrechts zur Herstellung „inneren Entscheidungseinklangs“ untersucht.
1. Sonderanknüpfung von Rechtfertigungsgründen? Die erste Möglichkeit besteht theoretisch darin, entgegen der bislang allgemeinen Ansicht Rechtfertigungsgründe sonderanzuknüpfen. Es wurde bereits dargelegt, dass eine solche Sonderanknüpfung von Rechtfertigungsgründen nicht angebracht
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Statt aller Lüderitz, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 1992, Rn. 198; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 34 IV 2 d (S. 240); anders Raape/Sturm, Internationales Privatrecht, Bd. 1: Allgemeine Lehren, 6. Aufl. 1977, S. 261 ff. Looschelders, Internationales Privatrecht, Kommentar, 2004, vor Art. 3 – 6 EGBGB, Rn. 60, 61.
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ist, weil die Rechtswidrigkeit ein Wesenselement der Haftung aus unerlaubter Handlung darstellt, das durch eine Sonderanknüpfung nicht in Frage gestellt werden sollte. Demgemäß wird eine solche Sonderanknüpfung wenn, dann nur für Distanzdelikte vertreten,41 und auch durch diese Möglichkeit kann ein prinzipielles Auseinanderfallen von Rechtfertigungsgründen, die nach strafrechtlichen Maximen anzuwenden sind, und solchen, die nach international-privatrechtlichen Grundsätzen eingreifen, nicht vermieden werden. Hinzu kommt ein weiteres: Zwar ist auch ohne entsprechende ausdrückliche Norm im bisher autonom geregelten deutschen Internationalen Deliktsrecht der Art. 40 – 42 EGBGB die Möglichkeit einer Sonderanknüpfung etwa für zwingende Vorschriften nicht vorgesehen. Doch war seit jeher im Wesentlichen anerkannt, dass es solche Eingriffsnormen auch außerhalb des Internationalen Vertragsrechts geben kann42, und dass entsprechende Eingriffsnormen dann gegebenenfalls im Wege der Sonderanknüpfung durchzusetzen sind. Art. 16 Rom II-VO sieht eine solche Möglichkeit nun explizit vor, wonach die Verordnung nicht die Anwendung der nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts geltenden Vorschriften, die ohne Rücksicht auf das für das außervertragliche Schuldverhältnis maßgebende Recht den Sachverhalt zwingend regeln, berührt. Indes sind Rechtfertigungsgründe keinesfalls – jedenfalls pauschal – international zwingend im Sinne dieser Vorschrift. Genannt werden Strafvorschriften, die nach den Regeln des Internationalen Strafrechts anwendbar sind, ferner § 130 Abs. 2 GWB sowie § 84 AMG.43 Eine durchgehende Einordnung sämtlicher Rechtfertigungsgründe als international zwingende Eingriffsnormen würde die Grundanknüpfungen der Rom II-VO in zu weitreichendem Maße zurückdrängen und wäre daher sogar europarechtswidrig. Ebenso wenig kommt eine Einordnung der Rechtfertigungsgründe trotz der Geltung des Tatortprinzips im Internationalen Strafrecht (in Deutschland gemäß § 3 StGB) als ortsgebundene Sicherheits- und Verhaltensregeln im Sinne von Art. 17 Rom II-VO (die, jedenfalls im Straßenverkehr, seit jeher durch eine Anknüpfung an den Tatort geprägt waren) in Betracht. Vielmehr bleibt es auch im Rahmen von Art. 17 Rom II-VO dabei, dass die Bewertung als rechtswidrig nach dem durch die Grundanknüpfungen geprägten Recht erfolgt.44 Dem entspricht es, dass
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Siehe Staudinger/v. Hoffmann, Vorbem. zu Art. 40 EGBGB, Rn. 24, 25, Art. 40, Rn. 165 (zur Umwelthaftung); eine Sonderanknüpfung von im Familienrecht begründeten Rechtfertigungsgründen erübrigt sich aufgrund der Möglichkeit der akzessorischen Anknüpfung deliktischer Ansprüche an das Kindschaftsstatut oder an das Betreuungsstatut. Siehe v. Hoffmann, FS für Henrich, 2000, S. 283 ff.; Bamberger/Roth/Spickhoff, Art. 34 EGBGB, Rn. 5, 6 m. w. M.; anders, aber mittlerweile durch Art. 16 Rom II-VO überholt, Staudinger/Blumenwitz, BGB, Bearbeitung 2003, Art. 6 EGBGB, Rn. 2. v. Hoffmann, FS für Henrich, 2000, S. 283, 289 ff; Bamberger/Roth/Spickhoff, Anh. Art. 42 EGBGB, Rn. 116. Bamberger/Roth/Spickhoff, Anh. Art. 42 EGBGB, Rn. 120; zur früher ungeregelten Rechtslage in Deutschland ebenso BGH, VersR 1978, 541, 542.
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insbesondere die Einwilligung in eine Heilbehandlung auch im Übrigen vom Schrifttum ohne weiteres dem Deliktstatut unterstellt worden ist.45 Erwin Deutsch46 hat allerdings in Bezug auf die Pflicht zur ärztlichen Aufklärung und damit wenigstens für einen speziellen Ausschnitt einer Voraussetzung des im Arzthaftungs- und Arztstrafrecht prominentesten Rechtfertigungsgrundes, der Einwilligung, dafür plädiert, dass sich diese Pflicht stets, also unabhängig von einem davon eventuell abweichenden Haftungsstatut, nach dem Recht des Behandlungsortes richtet. Auch dies soll indes nur unter der zusätzlichen Voraussetzung gelten, dass das Ortsrecht strengere Anforderungen an die Aufklärung stellt als das Haftungsstatut. Zur Begründung für den Ausgangspunkt einer solchen Sonderanknüpfung könnte man zunächst einmal auf die im Schrifttum seit jeher vertretenen, freilich bestrittenen These einer Sonderanknüpfung von Verhaltensnormen47 zurückgreifen. Für „Sicherheits- und Verhaltensregeln, […] die am Ort und zur Zeit des haftungsbegründenden Ereignisses in Kraft sind“ sieht überdies der neue Art. 17 Rom II-VO vor, dass diese Normen „zu berücksichtigen“ seien. Sie sind indes – in signifikanter Abweichung von sonst im IPR (und auch in den Rom-VOen) gebräuchlichen Rechtsanwendungsbefehlen eben nicht „anzuwenden“, sondern nur zu „berücksichtigen“. Auch würde das Eingreifen einer solchen Norm die damit kombinierte zusätzliche Voraussetzung, das – aus Tätersicht – Ungünstigkeitsprinzip in Bezug auf unterschiedlich strenge Aufklärungspflichten, nicht tragen. Sodann geht es in Art. 17 Rom II-VO um streng ortsbezogene Verkehrsregeln, die das innerstaatliche Recht betreffen. Die Pflichten zur Aufklärung von Patienten können nun zwar über eine Norm wie § 3 StGB als ortsgebunden erscheinen. Anders als etwa Regeln des Straßenverkehrs haben sie davon abgesehen aber keine Auswirkungen auf unbeteiligte Dritte oder berühren spezifische Allgemeininteressen, sondern sie betreffen im Grundsatz das (relative) ArztPatienten-Verhältnis. Deswegen sind die ärztlichen Pflichten zur Aufklärung des Patienten in der Tat „nicht stärker an den Begehungsort gebunden als an allgemeine Verhaltensregeln“, und deshalb können sie auch nicht über eine Norm wie Art. 17 Rom II-VO sonderangeknüpft werden.48 Zudem ließe sich allein mit einer Sonderanknüpfung der bloßen Pflicht zur Aufklärung als eine von vielen Voraussetzungen der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund auch das generelle Problem der Widerspruchsfreiheit der an den Täter adressierten Ge- und Verbote aufgrund unterschiedlich ausgestalteter Rechtfertigungsgründe im Haftungsstatut und am Begehungsort nicht grundsätzlich zufriedenstellend lösen.
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So bereits Deutsch, FS für Ferid, 1978, 117, 123 (das Deliktstatut erfasst – auch im Kontext der Arzthaftung – die Rechtswidrigkeit). FS für Ferid, 1978, S. 117, 123. Für den Bereich der Telemedizin siehe auch Hoppe, MedR 1998, 462, 466. Kritisch insbesondere Stoll, in: v. Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Reform des internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 1983, S. 160, 177 f. Übereinstimmend G. Fischer, FS für Laufs, 2006, 781, 784 f., 787.
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Insgesamt lässt sich mithin festhalten, dass eine Sonderanknüpfung von Rechtfertigungsgründen aus deliktskollisionsrechtlicher Perspektive zur Herstellung „inneren Entscheidungseinklangs“ nicht angezeigt ist.
2. Analoge Anwendung der Art. 7, 12 EGBGB in Bezug auf die Einwilligung und die Einwilligungsfähigkeit? In Betracht kommt sodann, die Einwilligung an das Personalstatut des Einwilligenden anzuknüpfen. Man könnte insoweit an eine analoge Anwendung der Art. 7, 12 EGBGB denken. In Deutschland ist das freilich bisher m. W. nicht vertreten worden. Helmut Ofner49 hat immerhin – bezogen auf das österreichische IPR – für den Sonderfall der Patientenverfügung eine Anknüpfung an das Personalstatut anstelle des Deliktsstatutes vorgeschlagen. Im Falle der Patientenverfügung hat er nicht ohne Grund gegen eine Anknüpfung nach dem Deliktsstatut eingewendet, dass im Zeitpunkt ihrer Errichtung noch nicht absehbar ist, in welchem Land die Wirksamkeit der Patientenverfügung in der Zukunft hinterfragt werden wird. Der Patient kann daher bei der inhaltlichen Gestaltung nicht zureichend Sorge dafür tragen, dass die Patientenverfügung alle Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllt. Nun handelt es sich bei der Patientenverfügung nach richtiger Ansicht aus deutscher Perspektive um nicht mehr und nicht weniger als eine vorweggenommene Einwilligung, die das Ausmaß des ärztlichen Verhaltens leiten soll, wenn der Zustand der Einwilligungsunfähigkeit eintritt. Nach landläufiger Ansicht dient die Patientenverfügung zwar vor allem dazu, Medizinern bestimmte medizinische Maßnahmen zu untersagen.50 Die Patientenverfügung kann aber ebenso gut die Bitte um besonders intensive, lebensverlängernde ärztliche Unterstützung enthalten. Damit teilt die (bekanntermaßen ungenau) sog. Patientenverfügung die Rechtsnatur der Einwilligung selbst und ist daher nach in Deutschland herrschender Ansicht keine Willenserklärung, so dass Art. 7, 12 EGBGB51 nur analog anzuwenden wären.52 Freilich kann durch eine solche Anknüpfung aus der Perspektive des deutschen Kollisionsrechts gleichfalls keine vollständige Vorhersehbarkeit der betreffenden Ergebnisse sichergestellt werden. Es gilt zu bedenken, dass es sich auch im Falle einer analogen Anwendung der Art. 7, 12 EGBGB zunächst einmal um eine Gesamtverweisung handeln würde.53 Selbst wenn man diese Einschränkung beiseite
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In: Körtner/Kopetzki/Kleteþka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, 2007, 185, 190 ff. Siehe auch Ofner, in: Körtner/Kopetzki/Kleteþka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S.185, 190. Art. 12 S. 1 EGBGB entspricht Art. 13 Rom I-VO. Siehe Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 404 und 385 f. m. w. N. zur Haltung in Deutschland. Statt aller Palandt/Heldrich, BGB, 67. Aufl. 2008, Art. 7 EGBGB, Rn. 1 (Art. 4 Abs. 1 EGBGB).
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lässt und den Charme bedenkt, der von der gleichzeitig in Deutschland anzuwendenden Verkehrsschutzvorschrift des Art. 12 EGBGB (= Art. 13 Rom I-VO) ausgehen würde (wodurch der Täter in seinem berechtigten Vertrauen etwa auf Rechtfertigungsgründe des Tatortrechtes geschützt werden könnte), bleibt doch folgendes zu berücksichtigen: Ist z. B. einem Arzt, der in Deutschland an der Grenze zu Österreich tätig ist, ein abweichender oder abweichend akzentuierter Rechtfertigungsgrund des österreichischen Rechtes bekannt, so bliebe es nach dieser Lösungsvariante bei der Maßgeblichkeit von Rechtfertigungsgründen des österreichischen Sachrechts (das österreichische IPR würde die Verweisung annehmen54). § 3 StGB würde aber dennoch aus der Perspektive des Internationalen Strafrechts offensichtlich auf deutsches Recht und damit auch auf die (strengeren) deutschen Rechtfertigungsgründe hinführen. Damit lässt sich ein Normenwiderspruch auch unter Zugrundelegung dieses Ansatzes nicht ausschließen. Nichts anderes würde sich ergeben, wenn man auch nur die Einwilligungsfähigkeit als Vorfrage gemäß den Art. 7, 12 EGBGB analog anknüpfen würde.55 Im Übrigen erschiene es gerade im Bereich der durch die Rom I- und Rom IIVerordnungen europäisierten Regelung des Internationalen Schuldrechts durchaus angreifbar, einzelne Rechtfertigungsgründe gewissermaßen neben diesen Verordnungen oder durch den Kunstgriff entsprechend formulierter Vorfragen nach autonomen Maßstäben sonderanzuknüpfen.
3. Qualifikation und Angleichung auf sachrechtlicher Ebene Auch eine – gleich nach welcher Theorie der Qualifikation (lex fori, lex causae, rechtsvergleichende Qualifikation und international-privatrechtlich-teleologische Qualifikation56) sich ergebende – Möglichkeit der Umqualifikation von Rechtfertigungsgründen, z. B. in bloße Schuldausschließungsgründe oder sonstige Bedingungen der Straf- oder Haftbarkeit, wird keineswegs ohne weiteres bestehen. Im Falle des schlichten Normenwiderspruchs entfällt ferner die Möglichkeit der Angleichung auf sachrechtlicher Ebene, schon weil sich in den beteiligten Rechtsordnungen, die zu diametral entgegengesetzten Handlungsanweisungen kommen, keine Maßstäbe zur Auflösung der Disharmonie finden lassen. Sowohl die (Um-) Qualifikation als auch die Angleichung scheiden daher als methodisches Instrumentarium zur Lösung entsprechender Normenwidersprüche aus. Man kommt daher nicht umhin zu konstatieren, dass – gerade auch vor dem europäisierten Hintergrund des Internationalen Schuldrechts – mit den Mitteln des
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Siehe Ofner, in: Körtner/Kopetzki/Kleteþka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 185, 190 f. Aus österreichischer Perspektive in Bezug auf Patientenverfügungen (konsequent) Ofner, in: Körtner/Kopetzki/Kleteþka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 185, 192 ff. Dazu Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 7 III (S. 336 ff.); Kropholler, Internationales Privatrecht, §§ 15 – 17 (S. 113 ff.); v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht I, § 7, Rn. 138 ff.
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Internationalen Privatrechts der festgestellte Normenwiderspruch kaum aufgehoben werden kann.
V. Möglichkeiten des Internationalen Strafrechts zur Auflösung des Normenwiderspruchs Damit stellt sich umso drängender die Frage, ob nicht im Rahmen der Anwendung der Normen des Internationalen Strafrechts Abhilfe gefunden werden kann. Wenn eine Sonderanknüpfung von Rechtfertigungsgründen indes schon im Internationalen Privatrecht ausscheidet, wird man den § 3 ff. StGB umso weniger eine derartige eigenständige Sonderanknüpfungsregel entnehmen können, noch dazu eine solche, die selbständig ausländische Rechtfertigungsgründe zur Anwendung bringen könnte. Auf der Ebene des sachlichen Strafrechts ist zwar anerkannt, dass zu prüfen ist, ob die konkrete Tat überhaupt vom Schutzbereich des deutschen Straftatbestandes erfasst wird. Doch wird dies ohne weiteres bejaht, wenn es um die Verletzung von Individualrechtsgütern geht, und zwar gleichgültig, ob es sich beim Rechtsgutträger um einen Inländer oder Ausländer handelt.57 Das, was im Internationalen Privatrecht als Vorfrage bezeichnet wird, ist indes auch im Internationalen Strafrecht durchaus bekannt. Demgemäß ist anerkannt, dass – wie bereits erwähnt – zivilrechtliche sog. Inzidentfragen (wie z. B. die Fremdheit einer Sache) nach den Sachvorschriften zu beurteilen sind, auf die das Internationale Privatrecht verweist.58 Wann auf entsprechende ausländische Regeln zurückzugreifen ist, ist jeweils durch Auslegung zu ermitteln. Im Übrigen greift gegebenenfalls als Grenze gegenüber dem Ergebnis der Anwendung ausländischer Normen der ordre public59, wobei hinzuzufügen ist, dass schon international-privatrechtlich nach Art. 6 EGBGB das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts insoweit nicht toleriert wird, als es mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere der Grundrechte, unvereinbar ist (Art. 6 EGBGB). Erkennt man nun einerseits die Akzeptanz des Internationalen Privatrechts im Rahmen des Internationalen Strafrechts in Bezug auf strafrechtliche „Vorfragen“ (Inzidentfragen) und bedenkt andererseits das Postulat der Widerspruchsfreiheit der anzuwendenden Verhaltensnormen, der Vermeidung von Normenwidersprüchen, so ist die Lösung vorgezeichnet: So wie das Strafrecht unter dem Aspekt der Einheit der Rechtsordnung zivilrechtliche Rechtfertigungsgründe übernimmt, wird es nicht umhin können, die durch die Regeln des in Deutschland geltenden Internationalen Privatrechts in casu für anwendbar erklärten ausländischen Rechtfertigungsgründe zu tolerieren. Dabei werden – wie bereits bemerkt – im Hinblick auf 57
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Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, S. 176; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 3 – 7 StGB, Rn. 115 m. w. N. Statt aller Systematischer Kommentar zum StGB/Hoyer, Vor § 3, Rn. 42; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 3 – 7, Rn. 23. Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 3 – 7, Rn. 23, 56.
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Art. 103 Abs. 2 GG wohl nur solche Rechtfertigungsgründe nicht anzuerkennen sein, die gewissermaßen dem völkerrechtlichen ordre public widersprechen.60 Es erhebt sich freilich sofort die weitere Frage, ob gegebenenfalls ausschließlich die Rechtfertigungsgründe des nach Internationalem Haftungsrecht geltenden ausländischen Rechts maßgeblich sind oder – auch – die nach §§ 3 ff. StGB an sich gleichfalls für einschlägig erachteten deutschen Rechtfertigungsgründe. Gegen die ausschließliche Maßgeblichkeit fremder Rechtfertigungsgründe (gar trotz deutschen Tatortes) spricht nicht nur die praktische Erwägung, dass deutsche Staatsanwaltschaften und Strafgerichte sich kaum von der Annahme abhalten lassen würden, dass wenigstens auch deutsche Rechtfertigungsgründe greifen können. Dagegen spricht überdies das Interesse des Täters an der Erkennbarkeit entsprechender Rechtfertigungsgründe. Das Postulat der Einheit des Rechtswidrigkeitsurteils gebietet darüber hinaus aber eben auch und zusätzlich, dass sich der Delinquent auf die nach Internationalem Haftungsrecht anwendbaren Rechtfertigungsgründe berufen kann. Freilich wirkt diese Doppelung der Rechtfertigungsmöglichkeiten insofern als eingriffsbegünstigend, als sich der Täter nunmehr im Sinne eines Günstigkeitsprinzips auf die Rechtfertigungsgründe berufen kann, die nach Internationalem Privatrecht berufen sind (und darunter fallen ggfs. eben durchaus auch diejenigen des ausländischen Strafrechts), als auch auf diejenigen (unter Einbeziehung derjenigen des deutschen Zivilrechts) eines davon gegebenenfalls abweichenden (deutschen) Tatortrechts. Doch handelt es sich bei dieser Konsequenz um das notwendige Zugeständnis an das Postulat der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, an das Postulat des inneren Entscheidungseinklangs. Dass das Internationale Deliktsrecht über das frühere Ubiquitätsprinzip und heute (noch) im Rahmen von Art. 40 Abs. 1 EGBGB (in Zukunft nur noch im Internationalen Umwelthaftungsrecht über Art. 7 Rom II-VO im Internationalen Umwelthaftungsrecht) das Opfer und nicht den Täter begünstigt61, liegt an den unterschiedlichen Funktionen des Strafund des Haftungsrechts: Ersteres belegt den Täter mit Sanktionen und ist daher restriktiv zu handhaben, letzteres gleicht die Interessen zwischen Schädiger und Geschädigtem aus. Als problematisch könnte es sich allerdings erweisen, dass auch im Hinblick auf das Postulat des internen Entscheidungseinklangs die Verweisungen des IPR – namentlich nach den „Römischen“ EG-Verordnungen zum Internationalen Schuldrecht – durch die Anknüpfung der Rechtfertigungsgründe, ggf. auch an den Tatort, nach den Regeln des Internationalen Strafrechts korrigiert oder modifiziert werden können. Relevant werden könnte dies etwa dann, wenn die Einwilligungsfähigkeit eines nach den Regeln des Internationalen Privatrechts anwendbaren
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Dazu näher Spickhoff, Der völkerrechtsbezogene ordre public, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, 2006, S. 275 ff. Klassisch Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 18 IV 1 a) aa) (S. 725): Die Sympathie mit dem Opfer sei größer als die mit dem Täter.
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ausländischen Rechts erst später einsetzt als nach inländischer Auffassung.62 Zwar könnte man daran denken, ausländische Rechtsordnungen über Art. 6 EGBGB in Verbindung mit dem grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht des Patienten (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) abzuwehren, wenn das Selbstbestimmungsrecht des Patienten trotz anzunehmender Grundrechtsmündigkeit über Gebühr eingeschränkt wird. Doch wird man nicht nur dem inländischen, sondern auch dem ausländischen Gesetzgeber bei der Bestimmung der Selbstbestimmungsfähigkeit einen gewissen Einschätzungsspielraum einräumen müssen. Daher kann es durchaus nicht als ordre public-widrig erscheinen, wenn etwa eine 16- oder 17-jährige minderjährige Person gegen ihr Veto aufgrund der Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern operative Eingriffe erdulden muss, auch wenn – schon wegen der Grundrechtsrelevanz – hier gewiss besondere Vorsicht am Platze ist. Nach dem anwendbaren ausländischen Recht würde es damit an einer im Zweifel erforderlichen Rechtswidrigkeit des Eingriffs aufgrund der Zustimmung der Eltern fehlen, anders dagegen nach den Grundsätzen des deutschen Strafrechts. Hier wäre zumindest das Veto des Minderjährigen, richtigerweise sogar seine Entscheidung alleine bindend. Der Täter dürfte also, will er eine Strafbarkeit vermeiden, nicht behandeln. Ebenso stünde es im umgekehrten Fall: Die Eltern verweigern die Zustimmung, der urteilsfähige Minderjährige (dem die Urteilsfähigkeit nach dem kollisionsrechtlich anwendbaren ausländischen Recht indes nicht zuerkannt wird), stimmt dem Eingriff zu. Hier wäre der Eingriff nach den Regeln des Internationalen Haftungsrechts rechtswidrig, obwohl er nach den Regeln des deutschen Strafrechts, die über die §§ 3 ff. StGB anwendbar wären, gerechtfertigt wäre, ja mehr noch: Aufgrund einer entsprechenden Übernahme der Gefahr könnte der Täter sogar zur Behandlung (auch ohne wirksamen Behandlungsvertrag) verpflichtet sein; ein Unterlassen könnte eine Körperverletzung begründen. In dieser Konstellation würden sich im Unterschied zu der eingangs genannten nicht die durch die Verweisungsnormen des Internationalen Privatrechts für anwendbar erklärten Regeln durchsetzen, sondern vielmehr diejenigen nach den autonomen deutschen Vorschriften des Internationalen Strafrechts. Es bleibt die Frage, ob eine solche Einflussnahme der autonom für anwendbar erklärten Rechtfertigungsgründe gegen die Regeln des Europäischen Internationalen Schuldrechts (Rom I-VO bzw. Rom II-VO) verstoßen würde. Indes stellt sich das Problem des inneren Entscheidungseinklangs und der Widerspruchsfreiheit der für anwendbar erklärten Rechtsnormen in allen Staaten gleichermaßen. Sodann ist der hinter dem Tatortprinzip stehende Territorialitätsgrundsatz nicht nur völkerrechtlich akzeptiert, sondern auch weitgehend konsentiert. Er bildet in den Hauptrechtssystemen des anglo-amerikanischen ebenso wie der kontinentaleuropäische Rechtskreise sowie der internationalen Entscheidungspraxis zur Regelung zwischenstaatlicher Konflikte „seit jeher den Ausgangspunkt des Strafanwen-
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Zu den unterschiedlichen Regelungen der Einwilligungsfähigkeit allein in Europa Fischer, in: Fischer/Lilie (Hrsg.), Ärztliche Verantwortung im europäischen Rechtsvergleich, 1999, S. 38 f.
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dungsrechts“.63 Damit erweist sich das Problem des internen Entscheidungseinklangs und das zwingende Anliegen der Vermeidung von Normenwidersprüchen als in der Sache allen Rechtsordnungen immanent. Das führt zu dem Ergebnis, dass das Günstigkeitsprinzip im Hinblick auf möglicherweise eingreifende Rechtfertigungsgründe nicht nur die Rechtsanwendungsbefehle des Internationalen Strafrechts, sondern auch diejenigen des Internationalen Privatrechts modifizieren kann.
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So ausdrücklich Ambos, Internationales Strafrecht, § 3, Rn. 4; siehe früher bereits L. v. Bar, Lehrbuch des Internationalen Privat- und Strafrechts, § 58 (S. 208 ff.); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 4, Rn. 5 („im Internationalen Vergleich ist dieser Grundsatz am weitesten verbreitet“); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts: Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, § 18 II 1 (grundlegender Anknüpfungspunkt des Internationalen Strafrechts); Oehler, Internationales Strafrecht, S. 177 ff. Zur „internationalen Zuständigkeit der deutschen Strafgerichte als eigene Kategorie des Internationalen Strafverfahrensrechts“ Mankowski/Bock, JZ 2008, 555.
Erosion des Persönlichkeitsrechts im Internet?
Gerald Spindler*
I. Einleitung Dass das Internet ein völlig neuartiges Kommunikationsforum ist, das vielen sowohl im positiven wie auch negativen Sinne offenbar eine ungehemmte Plattform für ihre Äußerungen bietet, dürfte inzwischen zum Allgemeingut gehören. Die Möglichkeit, grenzüberschreitend und praktisch nur mit minimalem Aufwand seine Meinung zu Gehör zu bringen, hat zu einer wahren Informations- und Meinungsflut geführt, die allerdings nicht nur die besten Seiten des Menschen zu Tage fördert, sondern auch jegliche Form der Außendarstellung erlaubt. Hinzu kommt, dass das Internet weitestgehend die anonyme Äußerung zulässt, so dass der freien Meinungsäußerung kaum Hindernisse in den Weg gelegt werden, auch wenn diese das tiefste denkbare Niveau erreicht und sich beleidigender und ehrverletzender Formen bedient. Diesen von vielen eher negativ empfundenen Aspekten der freien Entfaltung der Kommunikation im Netz steht die einzigartige Chance eines im Habermas`schen Sinne „herrschaftsfreien Diskurses“1 gegenüber, der wohl zum ersten Male in der Geschichte der Menschheit ohne örtliche und zeitliche Gebundenheit einen Austausch der Gedanken und Meinungen ermöglicht. Um sich der Problematik juristisch zu nähern, gilt es, zunächst einen Blick auf die relevanten Erscheinungsformen und Gefahren für das Persönlichkeitsrecht zu werfen (II), um sodann die rechtlichen Rahmenbedingungen einschließlich des Internationalen Privatrechts Revue passieren zu lassen (IV). Vor diesem Hintergrund gilt es, mögliche rechtspolitische Handlungsoptionen in der hier gebotenen Kürze zu beleuchten (VI).
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1
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Multimedia- und Telekommunikationsrecht, Universität Göttingen. Habermas, Jürgen, Diskursethik – Notizen zu einem Begründungsprogramm, in: ders., Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, 1983, S. 53-125, insb. S. 99, sowie ders., Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1962, insb. S. 343-349. Vgl. dazu auch Geser, Hans, Das Internet als Medium „herrschaftsfreier“ politischer Kommunikation?, in: Imhof/Schulz (Hrsg.): Politisches Raisonnement in der Informationsgesellschaft, 1996, S. 213-227.
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II. Gefahren für das Persönlichkeitsrecht Die klassische Persönlichkeitsrechtsverletzung abseits rein privater Kommunikationsdelikte, wie die unmittelbare Beleidigung und Herabsetzung einem anderen gegenüber, zeichnete sich immer durch die Verbreitung und Vermittlung bestimmter Medien aus. Nachdem zunächst Bücher und Zeitschriften die Kommunikation dominierten und damit auch die ehrverletzende oder verzerrende Berichterstattung, kamen im 20. Jahrhundert Rundfunk und Fernsehen mit ihren besonderen Formaten des Journalismus und der Meinungsbildung hinzu. Stets aber war kennzeichnend, dass – bis auf wenige Ausnahmen wie Livesendungen – Meinungen mediatisiert wurden und vor ihrer Verbreitung kontrolliert werden konnten. Ebenso sehr waren im Prinzip diejenigen, die die Meinungen verbreiteten, identifizierbar. All dies fällt indes für Internet-Publikationen weg, indem Autoren von Meinungen sich direkt an ein diffuses Publikum ohne jegliche Vorab-Kontrolle durch Dritte bzw. eine Organisation (Sendeunternehmen, Pressehaus) wenden können und sie zudem im Grunde2 noch anonym bleiben können. Darüber hinaus ermöglicht das Internet die Verbindung von dauerhafter Publikation ähnlich dem PrintBereich mit audiovisuellen Inhalten (Filme, Tondarbietungen etc.). Die Erscheinungsformen der Meinungsbildung und Verbreitung von Inhalten sind dabei höchst unterschiedlich und unterliegen einem stetigen Wandel, so dass im Folgenden nur einige typische Formen herausgegriffen werden können. Dabei werden von vornherein die klassischen medialen Publikationen, die nur für das Internet aufbereitet werden, außer Acht gelassen. Hierzu zählen etwa online gestellte Printpublikationen oder TV-Sendungen (wie spiegel-online.de oder faz.net bzw. zdf.de etc.), da sie insoweit keine Besonderheiten gegenüber den klassischen Persönlichkeitsrechtsverletzungen aufwerfen.
1. Web 2.0 Unter dem Schlagwort Web 2.0 firmieren etliche der als sog. User-generatedContent verbreiteten Inhalte3. Häufig machen sich kommerziell betriebene Portale das Interesse ihrer Nutzer an der eigenen Erstellung von Inhalten zunutze, indem etwa Werbung parallel zu den jeweiligen Inhalten der Nutzer geschaltet wird oder zusätzliche Dienstleistungen angeboten werden4.
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3
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Abgesehen von aufwendigeren Ermittlungsmaßnahmen, etwa durch Auskunftsersuchen an Provider etc., s. dazu unten VI. Alby, Tom, Web 2.0: Konzepte, Anwendungen, Technologien, 2008, S. 15 ff.; O’Reilly, Tim, What is Web 2.0?, http://www.oreillynet.com/pub/a/oreilly/tim/news/2005/09/30/ what-is-web-20.html (letzter Abruf am 24.8.2008). Krieger, Andreas, Das Phänomen YouTube, http://www.daserste.de/ttt/beitrag.asp?uid= 44ovegka5x7nny&cm.asp (letzter Abruf am 24.8.2008); Kreinau, Sebastian, Mit Web 2.0 Geld verdienen: Podcasts als lukrative Einnahmequelle, http://www.adon-
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2. Foren Foren zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sie Diskussionen zu einem bestimmten Thema ermöglichen (sog. „Threads“), oftmals auch als Annex etwa zu Online-Zeitschriften-Publikationen bzw. Nachrichten-Portalen. Hier können User (Leser) ihre eigene Meinung zu bestimmten Themen publizieren, auf die wiederum andere User Bezug nehmen können. So ist es etwa bei dem populären heise.de-Portal keine Seltenheit, dass binnen weniger Stunden mehr als 300 Kommentare zu bestimmten Artikeln veröffentlicht werden. Diese Foren sind oftmals nicht moderiert, so dass keine vorherige Kontrolle der Foren stattfindet. Allerdings existieren auch moderierte Foren, in denen ein Moderator die Nachrichtenbeiträge beobachtet und gegebenenfalls sperrt, wenn sie seiner Meinung nach unzulässigen oder anstößigen Inhalt enthalten. Als Abart der Foren können die heute wieder durch andere Tauschaktivitäten zu zweifelhafter Popularität gelangten Newsgroups im sog. Usenet gelten5: Schon in den Anfängen, in den achtziger Jahren, dienten diese „schwarzen Bretter“ dem Austausch von Meinungen (news) über bestimmte Themen, schon hier wurden entsprechende Threads entwickelt.
3. Blogs Eine weitere prominente Form der individuellen Meinungsäußerung stellen Blogs dar, eine Kurzform für weblog6. Blogs werden gerne zur eigenen kurzen Kom-
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media.de/doc/2007/01/061107_pm_aads_success.pdf (letzter Abruf am 24.8.2008); Schöneberg, Dominik, YouTube und Co.: Milliardengrab oder Goldgrube, http://www. netzwelt.de/news/74695-youtube-und-co-milliardengrab-oder.html (letzter Abruf am 24.8.2008); Fösken, Sandra, Web-2.0-Fieber erfasst Radiomarkt, Absatzwirtschaft 2008, Heft 6, S. 62, 65 f. Einen vorläufigen Höhepunkt bildet wohl das sog. Consumer generated Marketing – von Konsumenten hergestellte bzw. ausgewählte Werbung, u. a. beim US-amerikanischen Super-Bowl-Event, IKEA und BMW, siehe dazu Richter, K./Weber, M., User Generated Marketing ʹ Aus den USA schwappt eine neue Welle herüber: Verbraucher machen ihre Werbung selber, werben & verkaufen 2007, Heft 7, S. 14. Laut Online-Enzyklopädie Wikipedia ist der Begriff Usenet abgeleitet vom englischen Unix User Network ʹ „Netzwerk für die Benutzer von Unix“ und beschreibt ein weltweites, elektronisches Netzwerk, das Diskussionsforen (sogenannte „Newsgroups“) aller Art bereitstellt. Siehe auch Hütten, Roger, Verantwortlichkeit im Usenet, K&R 2007, 554, 554 f.; Geider, Annekatrin, Newsgroups im Kontinuum von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, http://www.smartroom.de/office/magisterarbeit.pdf (letzter Abruf 24.08.2008), S. 29; Gringmuth, Volker, Das Nutznetz ʹ Eine Einführung, http://einklich.net/usenet/usenet1.htm (letzter Abruf 24.08.2008). Wikipedia definiert den Blog als öffentliches Tagebuch im Internet, der aus der Zusammensetzung des engl. World Wide Web und Log für Logbuch entstanden sei. Zur Geschichte des Begriffs siehe Blood, Rebecca, Weblogs: A History and Perspective, Rebecca's Pocket, 7. September 2000, http://www.rebeccablood.net/essays/weblog_hi-
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mentierung von aktuellen Geschehnissen verwandt, die ein Autor regelmäßig ins Netz stellt, eben vergleichbar einem Tage- bzw. Logbuch. Diese Blogs haben sich inzwischen fest für bestimmte Bereiche etabliert und präsentieren auch Fachwissen auf spezialisierten Portalen, z. B. dem law-blog7 für rechtliche Fragestellungen. Darüber hinaus werden Blogs inzwischen von kommerziellen Portalen regelrecht benutzt, um Fachwissen zu bündeln, oftmals auch in moderierter Form, ja sogar um traditionelle lokale Zeitungen zu ersetzen, indem Blogs in bestimmte Rubriken für Orte gebündelt und geordnet werden, wodurch die lokale Berichterstattung durch Hobby-Journalisten ersetzt wird8.
4. File-Sharing Ein anderes Phänomen, das sich allerdings erst in Ansätzen findet, ist der Meinungsaustausch über Filesharing-Systeme. Während diese ohne eine zentrale Plattform operierenden Systeme bislang im Wesentlichen für den Tausch von Musik oder Filmen eingesetzt wurden, entwickelt sich langsam auch ein Tausch von Textdokumenten und anderen multimedialen Inhalten.9 Anders als bei traditionellen Plattformen, die über einen Host-Provider betrieben werden, liegt die
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story.html (letzter Abruf am 24.8.2008); Riley, Duncan, A short history of blogging, 6. März 2005, http://www.blogherald.com/2005/03/06/a-short-history-of-blogging/ (letzter Abruf am 24.8.2008). Erstmals für ein Internettagebuch verwendet hat den Begriff Weblog am 17. Dezember 1997 wohl Robert Wisdom, http://www.robotwisdom.com/log1997m12.html (letzter Abruf am 24.8.2008). Peter Merholz verkürzte ihn am 12. Oktober 1999 zu Blog, http://web.archive.org/web/ 19991013021124 /http://peterme.com/index.html (letzter Abruf am 24.8.2008). Kategorisierungen von Blogs finden sich bei Koch, Frank A., Von Blogs, Podcasts und Wikis ʹ telemedienrechtliche Zuordnung und Haftungsfragen der neuen Dienste im Internet, ITRB 2006, 260, 260 f. http://www.law-blog.de (letzter Abruf am 24.8.2008). Entsprechende Plattformen bieten beispielsweise das Themenportal NRW [on] mit seinen Lesernachrichten, zugänglich über http://www.nrw-on.de/lesernachrichtennrw_kat159.html (letzter Abruf am 24.8.2008) sowie http://www.mein-simbach.de/ forum/inn/nachrichten/lesernachrichten/ (letzter Abruf am 24.8.2008). Vorreiter aus dem englischen Sprachraum ist http://www.newsvine.com/ und das südkoreanische Portal http://www.ohmynews.com/. Siehe auch Bowman, Shayne/Willis, Chris, We Media ʹ How audiences are shaping the future of news and information, 2003, http://www.hypergene.net/wemedia/download/we_media.pdf (letzter Abruf am 24.8.2008), S. 9; Spielkamp, Matthias, in: Hoofacker, Gabriele (Hrsg.), Wer macht die Medien? Online-Journalismus zwischen Bürgerbeteiligung und Professionalisierung, 2008, S.45; Gisiger, Michael, Bürgerjournalismus – Versuch einer Begriffserklärung, Readers Edition, 18. September 2007, http://www.readers-edition.de /2007/09/ 18/buergerjournalismus-versuch-einer-begriffsbestimmung/ (letzter Abruf am 24.8.2008). Vgl. Rösler, Hannes, Haftung von Medientauschbörsen und ihrer Nutzer in Nordamerika, Australien und Europa, MMR 2006, 503, 503.
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Problematik, wie anonyme Rechtsverletzungen hier verfolgt werden sollen, auf der Hand.
III. Sozial-ethische Entwicklungen: Die Haut zu Markte getragen? Diesen neuen Phänomenen in technischer Hinsicht entspricht ein gesellschaftlicher Wandel im Umgang mit der Abgrenzung von Privat- und öffentlicher Sphäre. Es ist schon oftmals bemerkt worden, wie sich das Bewusstsein der jüngeren Generationen hinsichtlich der Bereitschaft, private Umstände öffentlich bekannt zu machen und sich zu exponieren, verändert hat10. Dennoch genießt auch der Datenschutz nach wie vor einen hohen Stellenwert, wie dies etwa die Vorgänge um die soziale Plattform studiVZ Anfang 2008 bei der Änderung ihrer datenschutzrechtlichen Bedingungen gezeigt haben11. Ohne dass dies hier vertieft werden kann, zeigt sich eine Ausdifferenzierung von privater, semi-privater und öffentlicher Sphäre,, deren Grenzen zwischen den Kommunikationsebenen verschwimmen, etwa indem zunächst rein private Kommunikationskreise durch „Web-Prominenz“ in die Halb-Öffentlichkeit hineinwachsen. Die Bereitschaft, sich auf Diskussionen 10
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Deutlich wird dies in Studien, die die Beteiligung an Online-Netzwerken nach Altersklassen aufschlüsseln, z. B. die Forsa-Umfrage 2008 für den Bundesverband Informationswirtschaft Telekommunikation und neue Medien (BITKOM), http://www.bitkom.org/52795_50462.aspx (letzter Abruf am 24.8.2008), wonach 18 % aller Deutschen persönliche Daten im Internet veröffentlichen, unter den 14-29-Jährigen der Anteil aber 49 % beträgt, sowie die rapleaf-Study of Social Network Users vs. Age aus dem Jahr 2008 für die USA, erhältlich über http://business.rapleaf.com/company_press_2008_07_29.html (letzter Abruf am 24.8.2008), wonach etwa 2/3 der Nutzer sozialer Netzwerke unter 25 sind. Siehe außerdem Bernau, Patrick, Selbstdarstellung im Netz: Ich zeige alles von mir, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 13. Januar 2008, zugänglich über http://fazarchiv.faz.net (letzter Abruf am 29.8.2008); Hauck, Mirjam, Entblößung 2.0: Jugendliche im Internet, Süddeutsche Zeitung vom 29.8.2008, www.sueddeutsche.de/wissen/229/308177/text/ (letzter Abruf am 29.8.2008); Clauß, Ulrich, Der Generation StudiVZ ist der Datenschutz egal, Die Welt vom 8. Mai 2008, http://www.welt.de/politik/article1978046/Der_Generation_St udiVZ_ist_der_Datenschutz_egal.html (letzter Abruf 24.08.2008); Kleinwächter, Wolfgang, Datenschutz als Generationenkonflikt, http://www.heise.de/newsticker/ Datenschutz-als-Generationenkonflikt--/meldung/89231 (letzter Abruf 24.08.2008). Auch im Rahmen von Weblogs geben eher jüngere Nutzer Informationen von sich preis, wie aus der 21. w3b.de-Nutzerbefragung vom Oktober 2005 hervorgeht, http://www.w3b.de/ (letzter Abruf am 24.8.2008). BITKOM, Presseinformation ʹ Neun Millionen Deutsche haben Profile im Internet, http://www.bitkom.org/52795_52791.aspx (letzter Abruf 24.08.2008); Kleinz, Torsten, Werbung und persönliche Daten: Neue AGB für StudiVZ, http://www. heise.de/newsticker/meldung/100579 (letzter Abruf 24.08.2008); Bauer, Stephan, Personalisierte Werbung auf Social Community-Websites ʹ Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Verwendung von Bestandsdaten und Nutzungsprofilen, MMR 2008, 435, 435.
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in der Web-Öffentlichkeit einzulassen, aber auch das Problem der Einschätzung von Qualität und Glaubwürdigkeit von Informationen tritt deutlicher hervor, da oftmals etablierte Institutionen wie Zeitschriften oder Sendehäuser entfallen, die zumindest gewisse Rollen als Informationsintermediäre übernahmen. Dieser Veränderung im Rollen- und Kommunikationsverhalten muss auch das Recht Rechnung tragen – wozu es, wie zu zeigen sein wird, gerade durch die Flexibilität und Offenheit der grundlegenden Tatbestände auch in der Lage ist..
IV. Die rechtlichen Rahmenbedingungen 1. Schutzbedingungen a) Der Schutz des Persönlichkeitsrechts im Zivilrecht Im Zentrum des Schutzes des Persönlichkeitsrechts stand von Anfang an die Herausbildung eines eigenen verfassungsrechtlichen Anspruchs, der entweder als eigenständig betrachtet wurde, wie es die Rechtsprechung herausarbeitete12, oder – ohne inhaltliche Änderungen – seine Wurzel in § 823 Abs. 1 BGB als „sonstiges Recht“ fand13. Ohne dass hier die bekannten Linien des Persönlichkeitsrechts nochmals entfaltet werden sollten, kann es im Lichte des Internet nur um zwei Fragen gehen: 1. 2.
Bedingt die neue Form der Kommunikation eine Änderung des Persönlichkeitsrechts und seines materiellen Gehalts? Verändern die neuen Kommunikationsformen auch die Haftungsrahmenbedingungen für Informationsintermediäre wie Publikationsplattformen?
Hinsichtlich der ersten Frage liegt es auf der Hand, danach zu differenzieren, in welcher Rolle ein Betroffener an dem Kommunikationsprozess im Internet teilnimmt: Handelt es sich um Außenstehende, die selbst nicht an der Kommunikation teilnehmen, ergeben sich keine Änderungen gegenüber traditionellen Mustern 12
13
BVerfGE 34, 269, 273 ff. (C I 2)ʹSoraya; BGHZ 13, 334, 338 – Leserbrief; BGHZ 26, 349, 354 f. – Herrenreiter; BGHZ 35, 363, 367 – Ginsengwurzel. BGHZ 24, 72, 77- Krankenpapiere; 27, 284, 286 ʹTonbandaufnahme I; 50, 133, 143 ʹ Mephisto; Soergel/Beater, 13. Aufl., 2005, § 823 BGB, Anh. IV, Rn. 1; Bamberger/Roth/Bamberger, 2. Aufl., 2007, § 12, Rn. 227, Staudinger/Hager, 1999, § 823 BGB, Rn. C 289, Münchener Kommentar zum BGB/Rixecker, 5. Aufl., 2006, Anh. zu § 12 BGB, Rn. 218; Spindler/Schuster/Spindler/Nink, 2008, § 823 BGB, Rn. 48 f.; Gounalakis, Georgios/Rhode, Lars, Persönlichkeitsschutz im Internet, 2002, Rn. 348; Hubmann, Heinrich, Das Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl., 1967, S. 349 ff. Schlechtriem, Peter, Inhalt und systematischer Standort des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, DRiZ 1975, 65, 65, 68; einen anderen Ansatz zur Erlösabschöpfung über das Bereicherungsrecht und die angemaßte Geschäftsführung ohne Auftrag präsentieren Beuthien, Volker/Schmölz, Anton S., Persönlichkeitsschutz durch Persönlichkeitsgüterrechte, 1999, S. 4.
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des Persönlichkeitsrechtsschutz. Es besteht kein Anlass, den Schutz durch das Persönlichkeitsrecht zurückzunehmen, nur weil ein entsprechender Angriff über das Internet erfolgt statt über andere Medien bzw. Publikationen. Die Persönlichkeit des Opfers verändert sich nicht durch die Wege, über die es angegriffen wird. Anders ist dies jedoch zu beurteilen, wenn es sich um Opfer handelt, die selbst am Kommunikationsprozess teilnehmen: So, wie die Rechtsprechung schon seit langem für den Meinungskampf in der Demokratie herausgearbeitet hat, dass sich Teilnehmer, insbesondere Politiker, an einer öffentlichen Meinungsbildung härtere Attacken gefallen lassen müssen, wenn sie selber offensiv Meinungen vertreten haben14, wird dies auch für Teilnehmer an Internet-Diskussionen und einer Internet-Öffentlichkeit gelten müssen, sofern sie denselben Diskussionskreisen angehören.15 Eine Privilegierung des Privaten, der sich in die Öffentlichkeit begibt, kann nicht angenommen werden, da er sich im Internet bewusst außerhalb seines privaten Umfelds bewegt. Die Entwicklung dieses Grass-root-Journalismus und des User-generated-Content legt daher auch eine Weiterentwicklung des Persönlichkeitsrechts als offenes Rahmenrecht und als in Wechselwirkung mit der gesellschaftlichen Entwicklung stehendes Grundrecht nahe. Die zunehmende Bereitschaft von Individuen, sich öffentlich zu exponieren und selbst darzustellen, führt zu einer wesentlich konfliktoffeneren Interpretation des Persönlichkeitsrechts und zu einer wesentlich großzügigeren Interpretation des deliktischen Schutzes. Aber auch hinsichtlich der Rahmenbedingungen für eine Inanspruchnahme der Intermediäre sind die besonderen Bedingungen des neuen Mediums Internet bzw. der unterschiedlichen Publikationsformen zu berücksichtigen – unabhängig von den noch zu beleuchtenden allgemeinen haftungsrechtlichen Privilegierungen für Provider. Denn schon seit jeher hat die Rechtsprechung im Lichte der besonderen Funktion der Informationsintermediäre für die öffentliche Meinungsbildung (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) gewisse Haftungsprivilegierungen anerkannt, um diese nicht durch überzogene Prüfungspflichten vor einer Publikation ihrer Funktion als Multiplikator und Bündelung der Meinungen im demokratischen Prozess zu berauben.16 Dies lässt sich besonders deutlich an der Panorama-Entscheidung des BGH ablesen, die den besonderen Charakter einer Livesendung hervorhebt und deren Moderator von einer Haftung für ehrverletzende Äußerungen während eines
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15
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BVerfGE 12, 113, 131 f. – Schmid/Spiegel; BVerfGE 54, 129, 138 ʹ Kunstkritik; BVerfGE 66, 116, 150 f. – Springer/Wallraff; BGHZ 45, 296, 309 – Höllenfeuer; BGH NJW 1971, 1655, 1657 – Sabotage; LG Mainz NJW 2001, 761, 762 – NPD-Konten; gleiches gilt für Äußerungen im Zusammenhang mit der beruflichen Sphäre, da die Tätigkeit hier von vornherein eine breite Öffentlichkeitswirkung entfaltet, vgl. dazu jüngst OLG Köln MMR 2008, 672, 673 – spickmich.de. So wohl auch LG Hamburg AfP 2007, 277, 278; ebenso wird diese Rspr. uneingeschränkt auf den Onlinebereich übertragen von Gounalakis, Georgios/Rhode, Lars, Persönlichkeitsschutz im Internet, 2002, Rn. 259. BVerfG NJW 2006, 207 – ‚IM Sekretär‘ Stolpe; NJW 2004, 589 – Haarfarbe des Bundeskanzlers; NJW 1992, 1439, 1442 – Bayer; NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; dazu auch Damm, Renate/Rehbock, Klaus, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, 3. Aufl., 2008, Rn. 661.
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solchen Marktplatzes der Meinungen freistellt17. Aber auch die Entscheidungen zur eingeschränkten Prüfungspflicht der Presse vor entsprechenden Publikationen zeugen davon, dass die eigentliche Funktion der Informationsintermediäre nicht eingeschränkt werden soll – was der BGH in der „Schöner Wetten“-Entscheidung explizit auf Internet-Publikationen (hier Hyperlinks auf ausländische Angebote) erstreckt hat18. Allerdings können diese Rechtsprechungslinien nicht unbesehen auf Internet-Publikationsformen gleich welcher Couleur übertragen werden: Ausschlaggebend muss stets sein, ob die Schnelligkeit des Mediums eine Reaktion des Informationsintermediärs nicht mehr zulässt und ob dementsprechend damit auch die zentrale Funktion des Informationsmediums tangiert wird. Während etwa bei Chat-Foren die Parallele zur Livesendung unübersehbar ist, gilt dies für Nachrichten-Foren oder Newsgroups bereits nur eingeschränkt, obwohl auch hier innerhalb weniger Stunden mehr als 300 Nachrichten keine Seltenheit sind, wenn etwa „prominente“ Nachrichten in Rede stehen. Wiederum wesentlich stärkere Prüfungspflichten wird man den Betreibern von Blog-Portalen aufbürden können, denen wesentlich mehr Zeit zur Verfügung steht, einzelne Beiträge auf ihre Rechtswidrigkeit grob zu überprüfen – gerade die von den Informationsintermediären selbst geförderten Parallelen zu (lokalen) Zeitschriften legen es nahe, auch die entsprechenden groben Prüfungspflichten hier anzuwenden, wie sie für PrintPublikationen (Tageszeitschriften) entwickelt wurden.19 Diese Einschränkungen werden inzwischen jedoch grobmaschig und nicht unbedingt feingesteuert durch die gesetzlichen Haftungsprivilegierungen überlagert, die noch näher zu beleuchten sein werden. b) Urheberrechtlicher Schutz Der Schutz durch das Persönlichkeitsrecht wird flankiert durch den bekannten Schutz des Rechts am eigenen Bild, § 22 S. 1 KUG.20 Auf Einzelheiten zu diesem Recht kann hier verzichtet werden21, von Interesse ist lediglich, ob sich auch bei diesem Recht Änderungen bedingt durch die andersartige Kommunikation festmachen lassen. Dreh- und Angelpunkt für die Interessenabwägung im Kommunikationsprozess ist hier das Tatbestandsmerkmal der relativen und absoluten Zeitgeschichte, § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG. Je nachdem wie stark sich eine betroffene Person in einem öffentlichen Kommunikationsprozess engagiert hat und dadurch 17
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BGHZ 66, 182, 188 f.ʹFall Bittenbinder/Panorama-Entscheidung mit Anmerkungen Katzenberger, GRUR 1976, 656 und Mathy, Klaus/Gehrhardt, Erwin, AfP 1976, 85, dort insbes. 86 f. BGHZ 158, 343, 352 f. – Schöner Wetten; Spindler, Gerald, Hyperlinks und ausländische Glücksspiele ʹKarlsruhe locuta causa finita?, GRUR 2004, 724, 728. Zu dieser Parallelität eingehend Pankoke, Stefan, Von der Presse- zur Providerhaftung, 2000. Zur Anwendbarkeit des KUG auch auf „unbekannte Web-Seiten“ Pankoke, Stefan, Von der Presse- zur Providerhaftung, 2000, S. 157. Eingehend dazu etwa Dreier/Schulze, § 22 KUG, Rn. 1 ff.; Ernst-Moll, Jürgen, Das Recht am eigenen Bildnis vor und vor allem nach dem Tode, GRUR 1996, 558; Fricke, Michael, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), Praxiskommentar zum Urheberrecht, 2006, § 22, Rn. 1 ff.; Schricker/Götting, UrhR, § 22 KUG/§ 60, Rn. 1 ff.
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im Zusammenhang mit einem bestimmten zeitgeschichtlichen Ereignis vorübergehend aus der Anonymität heraus in das Blickfeld der Öffentlichkeit rückt, muss sie sich die Einstufung als Person der relativen Zeitgeschichte22 gefallen lassen. Dies gilt erst recht, wenn die betroffene Person selbst eigene Bilder in das Internet einstellt; oftmals liegt dann bereits eine konkludente Einwilligung i. S. d. § 22 S. 1 KUG vor, dass zumindest ein Link auf das entsprechende Bild gelegt wird,23 oder gar dass das Bild im Rahmen von Diskussionen verwandt werden darf. Allerdings ist die gesamte Rechtslage um die Verwendung und Referenzierung von Bildern, etwa auch im Rahmen von Suchmaschinen, noch keineswegs endgültig geklärt24. c) BDSG bzw. Datenschutzrecht Schließlich kann auch das Datenschutzrecht in Gestalt des BDSG oder des TMG zum Tragen kommen, wenn persönliche Daten in Publikationen ohne Einwilligung verwandt werden. Wiederum ist die Frage zentral, inwiefern eine Person, die am öffentlichen Diskussionsprozess teilnimmt und selbst entsprechende Seiten zur Eigendarstellung unterhält, in die Weitergabe der persönlichen Daten einwilligt. Ob man hier in der Regel von einer solchen konkludenten Einwilligung ausgehen kann, da die Daten öffentlich preisgegeben werden, erscheint noch nicht endgültig geklärt.
2. Relativierung des Schutzes durch gesetzliche Haftungsprivilegierungen Der Schutz, den das Persönlichkeitsrecht verleiht, wird aber nicht nur durch entsprechende mediale Modifizierungen im Rahmen des Tatbestandes selbst verändert, sondern auch durch gesetzliche Haftungsprivilegierungen, die breitflächig und völlig unabhängig von der Art und Weise der Rechtsverletzung eingreifen. Der Gesetzgeber wollte damit generell der technischen Funktionsweise und der weitgehenden Neutralität der Diensteanbieter für die neuen Medien Rechnung
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Dazu Fricke, Michael, in: Wandtke/Bullinger, (Hrsg.), Praxiskommentar zum Urheberrecht, 2006, § 23 KUG, Rn. 14-26; Schricker/Götting, UrhR, § 23 KUG/§ 60, Rn. 19 ff.; Wenzel/von Strobl-Alberg, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap. 8, Rn. 13. Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG, Rn. 17; Wenzel/von Strobl-Alberg, Kap. 7, Rn. 78. OLG Jena MMR 2008, 408, 409 f.; LG Erfurt MMR 2007, 393, 393f.; LG Hamburg MMR 2006, 697, 699; Berberich, Matthias, Die urheberrechtliche Zulässigkeit von Thumbnails bei der Suche nach Bildern im Internet, MMR 2005, 145, 145 f.; Ott, Stephan, Die Google Buchsuche ʹEine massive Urheberrechtsverletzung?, GRUR 2007, 562, 562 f.
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tragen25, was sich später auch europaweit in der E-Commerce-Richtlinie durchsetzte.26 Dabei ist es zunächst wichtig, sich vor Augen zu halten, dass die Haftungsprivilegierungen nur eingreifen, wenn es sich – nach deutscher Terminologie – um „fremde Inhalte“ handelt, § 7 Abs. 1 TMG. Damit wollte der Gesetzgeber des TDG 2002 in (vermeintlicher) Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie an die frühere Rechtsprechung zum TDG 199727 anknüpfen, die sich ihrerseits wiederum an presserechtlichen Kategorien des „Sich-zu-Eigen-Machens“ fremder Inhalte orientierte28. Demgemäß werden aus den Haftungsprivilegierungen von vornherein diejenigen Angebote und Dienste ausgeschieden, die zwar fremde Inhalte abspeichern, diese aber dergestalt präsentieren, dass außenstehende Dritte vernünftigerweise annehmen müssen, dass der Diensteanbieter sich mit ihnen identifiziert. In § 10 Abs. 1 S. 2 TMG findet dies nochmals seinen gesetzgeberischen Niederschlag, indem die Haftungsprivilegierung dann nicht eingreift, wenn der speichernde Nutzer unter Aufsicht des Diensteanbieters steht. a) Die Haftungsprivilegierungen für Provider Für die Haftungsprivilegierungen unterscheidet der europäische Richtliniengeber, ebenso wie schon zuvor der deutsche Gesetzgeber, zwischen den verschiedenen technischen Funktionen der Informationsintermediäre bei elektronischen Kommunikationsnetzen: aa) Access Provider Der sog. Access Provider, der lediglich Informationen transportiert, ohne jeglichen Einfluss auf ihren Inhalt oder deren Empfänger zu nehmen, haftet nicht für den übermittelten Inhalt. Dies gilt selbst dann, wenn er den Inhalt kannte; lediglich bei kollusivem Zusammenwirken mit dem Empfänger kann der Access Provider in Anspruch genommen werden, § 8 Abs. 1 S. 2 TMG.29 Damit sind alle klassischen Anbieter, die den Zugang zum Internet gewähren, von vornherein jeglicher straf-
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Vgl. BT-Drs. 13/7385, S. 17 sowie wiederholend in BT-Drs. 14/6089, S. 37, zu Nummer 9. Spindler/Schmitz/Geis, TDG Kommentar, 2004, vor § 8 TDG, Rn. 3; Spindler, Verantwortlichkeit von Diensteanbietern nach dem Vorschlag einer E-CommerceRichtlinie, MMR 1999, 199, 206; Lehmann, Michael, Electronic Commerce und Verbraucherschutz in Europa, EuZW 2000, 517, 519; Waldenberger, Arthur, Electronic Commerce: der Richtlinienvorschlag der EG-Kommission, EuZW 1999, 296, 301. OLG Köln MMR 2002, 548, 548 f.; OLG Düsseldorf NJW-RR 2002, 910, 910 f.; s. ferner LG Frankfurt/M. CR 1999, 45, 46. Spindler/Schmitz/Geis, TDG Kommentar, 2004, § 8 TDG, Rn. 5; Engels, Stefan, Zivilrechtliche Haftung für Inhalte im Word Wide Web, AfP 2000, 524, 527; Leible, Stefan/Sosnitza, Olaf, Neues zur Störerhaftung von Internet-Auktionshäusern, NJW 2004, 3225, 3225 f.; Spindler, Gerald, Die Verantwortlichkeit der Provider für „Sich-zuEigen-gemachte“ Inhalte und für beaufsichtige Nutzer, MMR 2004, 440, 441 f. Spindler/Schmitz/Geis, TDG Kommentar, 2004, § 8 TDG, Rn. 9 f.
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und zivilrechtlichen Verantwortlichkeit enthoben, allerdings mit einer gewichtigen, noch zu besprechenden Ausnahme: der Störerhaftung. bb) Hosting Provider Demgegenüber haften diejenigen Anbieter, die fremde Inhalte im Auftrag eines Nutzers abspeichern, für diese Inhalte (oder Handlungen), wenn sie Kenntnis von der Rechtswidrigkeit hatten, § 10 S. 1 TMG. Für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche geht das Gesetz einen Schritt weiter und lässt bereits die grob fahrlässige Kenntnis von Umständen30, die auf rechtswidrige Aktivitäten oder Inhalte schließen lassen, genügen. Damit unterfallen aber alle Plattformen, die fremde Inhalte hosten, unter diese Haftungsprivilegierungen; mithin auch solche Portale, die Blogs bereithalten, sofern diese nicht bereits als sich-zu-eigen-gemachte Inhalte gelten. Gleiches gilt aber auch für Nachrichten-Foren, in denen User ihre Kommentare zu entsprechenden Artikeln abgeben31. cc) Filesharing-Netze Eine weitere Frage betrifft die Verantwortlichkeit bei Filesharing-Netzen: Wie schon ausgeführt, fehlt es hier aber an einem zentralen Betreiber, es handelt sich vielmehr um sich selbst organisierende, dezentrale Netze. Außer den Usern selbst kommt daher nur die Haftung des Softwareherstellers in Betracht, was nur in Ausnahmefällen angenommen werden kann, wenn das Produkt entsprechend werblich angepriesen wird oder fast ausschließlich für rechtswidrige Zwecke eingesetzt wird.32 Für den Schutz der Persönlichkeitsrechte bedeutet dies – gerade im Hinblick auf die selbst gegenüber immaterialgüterrechtlichen Rechtsverletzungen noch schwierigere rechtliche Einstufung von Inhalten –, dass kaum jemals eine Haftung der Hersteller von entsprechenden Filesharing-Softwareprodukten in Betracht kommen dürfte. b) Das „überschießende“ Korrektiv: Die Störerhaftung Angesichts dieser weitgehenden Haftungsprivilegierungen kommt einer von der deutschen Rechtsprechung entwickelten Ausnahme besondere Bedeutung zu: der 30
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Zur Vorgängervorschrift in § 11 TDG insoweit Spindler/Schmitz/Geis, TDG Kommentar, 2004, § 11 TDG, Rn. 10; Spindler, Gerald, Urheberrecht und Haftung der Provider – ein Drama ohne Ende?, CR 2001, 324, 325; Pichler, Rufus, Haftung des Host Providers für Persönlichkeitsrechtsverletzungen vor und nach dem TDG, MMR 1998, 79, 87 f. OLG Hamburg ZUM 2006, 754, 754 f.; LG Hamburg CR 2006, 638, 639 f. S. dazu den „leading case“ US Supreme Court MGM vs. Grokster, Urt. v. 27.06.2005 – No. 04-480, 545 U.S. 913 ff.; dazu Spindler, Gerald/Leistner, Matthias, Die Verantwortlichkeit für Urheberrechtsverletzungen im Internet ʹ Neue Entwicklungen in Deutschland und in den USA, GRUR Int. 2005, 773, 788 f.; für Deutschland OLG Hamburg MMR 2006, 398, 401 ʹ Cybersky; eingehend Brinkel, Guido, Haftung für Peer-to-Peer-Software, CR 2006, 299, 306 f.
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verschuldensunabhängigen Störerhaftung. Ohne hier die Details vertiefen zu können,33 kann festgehalten werden, dass der BGH die Störerhaftung als generelle Ausnahme zu den Haftungsprivilegierungen der §§ 7 ff. TMG begreift, da kein Konflikt mit dem Verbot der allgemeinen Überwachungspflicht (Art. 15 E-Commerce-Richtlinie) bestehe; denn bei der Störerhaftung handele es sich lediglich um eine auf spezifische Inhalte bezogene Überwachungspflicht, nicht aber um eine allgemeine. Auch wenn dieser Standpunkt durchaus zweifelhaft erscheint, zumindest eine Vorlage an den EuGH nahe gelegen hätte,34 haben auch andere Senate des BGH diese Linie fortgesetzt, insbesondere der VI. Zivilsenat in einer Entscheidung zur Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Hier hob der Senat vor allem hervor, dass es im deutschen Recht keinen Grundsatz der Subsidiarität der Inanspruchnahme eines Informationsintermediärs (nach erfolglosen Versuchen gegen den eigentlichen Urheber der Rechtsverletzung) gebe.35 Demgemäß kann das Opfer einer Persönlichkeitsrechtsverletzung unmittelbar aus der Störerhaftung gegen einen Informationsintermediär, z. B. eine Plattform, vorgehen. So sehr dies aus Sicht eines Opfers verständlich und zu begrüßen ist, dürfen doch die damit einhergehenden Probleme für Informationsintermediäre nicht verkannt werden; denn der BGH verweist hinsichtlich der alles entscheidenden Frage, ob es für den Intermediär eine zumutbare Prüfungspflicht gibt, auf die Prüfung des Einzelfalls im Zwangsvollstreckungsverfahren. Damit wird aber allen Beteiligten Steine statt Brot gegeben, da die erhebliche Rechtsunsicherheit über mögliche Filterverfahren ausgerechnet in das Vollstreckungsverfahren verlagert wird. Weder Opfern noch Intermediären ist damit langfristig gedient, da keiner der Beteiligten definitiv weiß, welche Maßnahmen angewandt werden können und ausreichend sind.
3. Einfluss des RStV: Gegendarstellungsansprüche – meinungsbildende Plattformen Ein spezifisches, aus dem Presserecht lange Zeit schon bekanntes Instrument zum Schutz der Persönlichkeit ist der Gegendarstellungsanspruch.36 Dass dieser An33
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Siehe dazu schon Spindler, Gerald/Volkmann, Christian, Die zivilrechtliche Störerhaftung der Internet-Provider, WRP 2003, 1, 1 f.; Volkmann, Christian, Die Unterlassungsvollstreckung gegen Störer aus dem Online-Bereich, CR 2003, 440, 442 f., 446 f.; Wilmer, Thomas, Überspannte Prüfpflichten für Host Provider?, NJW 2008, 1845, 1846 ff.; Ahrens, Hans-Jürgen, in: FS Canaris 2007, Störerhaftung als Beteiligungsforum im Deliktsrecht, S. 3 ff.; Leible, Stefan/Sosnitza, Olaf, Neues zur Störerhaftung von Internet-Auktionshäusern, NJW 2004, 3225, 3225 ff.; Leistner, Matthias/Stang, Felix, Die Neuerung der wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflichten – Ein Siegeszug der Pfrüfungspflichten?, WRP 2008, 533, 534 ff. Krit. daher insoweit zu Recht Leible, Stefan/Sosnitza, Olaf, Haftung von Internetauktionshäusern – reloaded, NJW 2007, 3324, 3324 f. BGH NJW 2007, 2558, 2559. Monographisch dazu Seitz, Walter/Schmidt, German, Der Gegendarstellungsanspruch: Presse, Film, Funk und Fernsehen, 3. Aufl. 1998; Soehring, Jörg, Presserecht: Recher-
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spruch keineswegs mehr auf Print-Publikationen (die – anders als die sog. elektronische Presse und sonstige Internet-Publikationen37 – dem traditionellen PresseBegriff zuzuordnen sind38) beschränkt werden kann, ist nun zu Recht anerkannt im Rahmen des § 56 Abs. 1 S. 1 RStV, der den Gegendarstellungsanspruch auf meinungsbildende Telemedien erstreckt. Damit werden aber auch alle Portale wie Blog-Plattformen oder Nachrichtenforen erfasst.39
V. International-rechtliche Aspekte Da das Internet neben der potentiellen Anonymität im Prinzip „grenzenlos“ ist und nur einen virtuellen Raum darstellt, wurden schon frühzeitig die entsprechenden internationalrechtlichen Fragen hervorgehoben, insbesondere wie die traditionellen Anknüpfungskriterien des internationalen Deliktsrechts auf das Internet angepasst werden können.40 Insbesondere die Bestimmung des Handlungs- und des Erfolgsortes, als zwei der relevanten Kriterien für die Anknüpfung eines Deliktes an eine bestimmte Rechtsordnung, sorgten immer wieder für Unsicherheit. Einigkeit sollte inzwischen darüber herrschen, dass der Serverstandort kein geeignetes Kriterium darstellt, da er beliebig manipulierbar ist.41 Im Übrigen bleibt es trotz des Internets bei den gewohnten Anknüpfungspunkten, etwa der Steuerung der Publikation (als Handlungsort), hier eben dem Sitz des Betreibers einer Web-
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che, Darstellung und Haftung im Recht der Presse, des Rundfunks und der Neuen Medien, 3. Aufl. 2000, S. 566 ff.; Yeong-ming, Chang, Persönlichkeitsschutz und Gegendarstellung, 1997; im Hinblick auf die neuen Medien auch Mahlke, Alexander, Gestaltungsrahmen für das Gegendarstellungsrecht am Beispiel des Internet, 2005; Korthe, Benjamin, Das Recht auf Gegendarstellung im Wandel der Medien, 2002. Gounalakis, Georgios/Rhode, Lars, Persönlichkeitsschutz im Internet, 2002, Rn. 246; Ory, Stephan, http://www.medienpolizei.de?, AfP 1996, 105, 107; Pieper, Antje Karin/Wiechmann, Peter, Der Rundfunkbegriff – Änderungen durch Einführung des interaktiven Fernsehens?, ZUM 1995, 82, 86. Epping/Hillgruber/Schemmer/Kempen, BeckOK-GG, 2008, Art. 5, Rn. 43; Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, 9. Aufl., 2007, Art. 5, Rn. 25; Sachs/Bethge, GG-Kommentar, 3. Aufl., 2003, Art. 5, Rn. 68; v. Mangold/Klein/Starck, GG-Kommentar, 5. Aufl., 2005, Art. 5, Abs. 1, 2, Rn. 103, 59. Dies gilt jedenfalls insoweit wie es sich beim User-generated-content um journalistischredaktionelle Inhalte handelt, vgl. zu dieser Frage Beck’scher Kommentar zum RundfunkR/Held, 2. Aufl., 2008, § 54 RStV, Rn. 39 ff. Mankowski, Peter, Das Internet im Internationalen Vertrags- und Deliktsrecht, RabelsZ 63 (1999), 203, 274 ff.; Spindler, Gerald, Deliktsrechtliche Haftung im Internet – nationale und internationale Rechtsprobleme, ZUM 1996, 533 ff. Gounalakis, Georgios/Rhode, Lars, Persönlichkeitsschutz im Internet, 2002, Rn. 13; Pfeiffer, Thomas, in: Gounalakis, Rhb. Electronic Business, 2003, § 12, Rn. 147; Mankowski, Peter, Das Internet im Internationalen Vertrags- und Deliktsrecht, RabelsZ 63 (1999), 203, 267; Münchener Kommentar zum BGB/Junker, Art. 40 EGBGB, 4. Aufl., 2006, Rn. 174; Palandt/ Heldrich, Art. 40 EGBGB, 66. Aufl., 2007, Rn. 12; Bamberger/Roth/Spickhoff, 2. Aufl., 2008, Art. 40 EGBGB, Rn. 43.
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Seite, oder dem gewöhnlichen Aufenthaltsort einer Person als Erfolgsort.42 Im Fall des Persönlichkeitsrechts potenzieren sich allerdings mit der Ubiquität des Internets die Anknüpfungsprobleme: Im Geltungsbereich des ehemaligen EuGVÜ, heute der EuGVVO, und der neuen „Rom II“-Verordnung für das Internationale Privatrecht erklärte der EuGH in der richtungsweisenden Shevill-Entscheidung allein den Handlungsort für den gesamten Schaden eines Persönlichkeitsrechts für maßgeblich, für den jeweiligen Erfolgsort indes stets nur den darauf entfallenden Teilschaden.43 Für Sachverhalte außerhalb des Geltungsbereichs der EuGVVO bzw. Rom II-VO dürfte zudem nach wie vor die Mosaik-Theorie gelten, wonach jeweils die Persönlichkeitsrechtsschäden aus verschiedenen Rechtsordnungen als Teilschäden „addiert“ werden müssen, ohne dass indes ein Gericht nur auf einen einzigen Teilschaden beschränkt wäre – wie dies der Shevill-Doktrin sonst entspräche.44 Für die Praxis einer Klage wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung resultieren daher theoretisch aus der Sicht des Opfers keine Besonderheiten gegenüber einer Print-Publikation, da es auch hier eines „minimum contact“ nach wie vor bedarf. Aus Sicht eines Informationsintermediärs indes besteht das Problem, dass er die Streuung seines Informationsangebotes aktiv neben Kriterien wie der Sprache – was schon bei englischsprachigen Angeboten versagt45 – nur bedingt steuern kann, 42
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KG Berlin NJW 1997, 3321, 3321; LG Düsseldorf NJW-RR 1998, 979, 980; Bamberger/Roth/Spickhoff, 2. Aufl. 2008, Art. 40 EGBGB, Rn. 44; Münchener Kommentar zum BGB/Junker, 4. Aufl. 2006, Art. 40 EGBGB, Rn. 173 ff.; Staudinger/v. Hoffmann, 14. Aufl., 2001, Art. 40 EGBGB, Rn. 58; Palandt/Heldrich, 66. Aufl., 2007, Art. 40 EGBGB, Rn. 12; Mankowski, Peter, Das Internet im Internationalen Vertrags- und Deliktsrecht, RabelsZ 63 (1999), 203, 257 ff. EuGH, Urt. v. 07.03.1995, Rs.C-68/93, Slg. 1995, S. I-415 = NJW 1995, 1881, 1882, Rn. 33 – Fiona Shevill I; s. dazu Kreuzer, Karl/Klötgen, Paul, Die Shevill-Entscheidung des EuGH: Abschaffung des Deliktsortsgerichtsstands des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ für ehrverletzende Streudelikte, IPRax 1997, 90. Berger, Christian, Die internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen in Internet-Websites aufgrund des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO, GRUR Int. 2005, 465, 468; Gounalakis, Georgios/Rhode, Lars, Persönlichkeitsschutz im Internet, 2002, Rn. 17; Mankowski, Peter, Das Internet im Internationalen Vertrags- und Deliktsrecht, RabelsZ 63 (1999), 203, 274 ff.; Spindler, Gerald, Deliktsrechtliche Haftung im Internet – nationale und internationale Rechtsprobleme, ZUM 1996, 533, 539 f.; kritisch zur Shevill-Doktrin etwa Schack, Haimo, Internationale Urheber-, Marken- und Wettbewerbsrechtsverletzungen im Internet – Internationales Zivilprozessrecht, MMR 2000, 135, 139. Zum Kriterium der Sprache als Anknüpfungskriterium s. Gounalakis, Georgios/Rhode, Lars, Persönlichkeitsschutz im Internet, 2002, Rn. 16; Spindler, Gerald, Deliktsrechtliche Haftung im Internet – nationale und internationale Rechtsprobleme, ZUM 1996, 533, 537 f. mit FN 220; v. Bar, Christian, Internationales Privatrecht, Bd. II – Besonderer Teil, 1991, Rn. 662; für das Urheberrecht Junker, Michael, Anwendbares Recht und internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet, 2001, S. 362; Bamberger/Roth/Spickhoff, 2. Aufl., 2008, Art. 40 EGBGB, Rn. 44; für das Wettbewerbsrecht insoweit Redeker, Helmut, Rechtsverkehr im Internet ʹAnwendbares Recht, ITRB 2001, 293, 294; Mankowski, Peter, Internet und Internationales Wettbewerbs-
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etwa indem nur bestimmten Staatsbürgern der Zugang zu einer Information erlaubt wird.46 Andere Probleme wirft die Internationalität bzw. Ubiquität des Internets dagegen hinsichtlich der Durchsetzung der Ansprüche auf, womit bereits die rechtspolitischen Probleme und Handlungsfelder angesprochen sind:
VI. Rechtspolitische Probleme und Optionen Gerade die geschilderte Anonymität von Urhebern bzw. Autoren von Persönlichkeitsrechtsverletzungen sowie deren grenzüberschreitende Beweglichkeit kann es mitunter für Opfer von solchen Taten fast unmöglich machen, ihre Ansprüche zu realisieren. Dementsprechend stehen zwei Rechtsbehelfe im Zentrum der Diskussion: Zum einen der Auskunftsanspruch gegen Provider über die Identität von Rechtsverletzern, zum anderen die Störerhaftung gegen die Informationsintermediäre, um die weitere Verbreitung der Rechtsverletzung und zukünftige ähnliche Rechtsverletzungen zu verhindern. Die Auskunftsansprüche gegen Provider bzw. Informationsintermediäre sollen es den Verletzten ermöglichen, die Identität der eigentlichen Urheber der Rechtsverletzung zu erfahren, um entsprechende Klagen einzureichen. Nötig ist dieses, da das deutsche Recht keine Klage gegen unbekannt kennt, anders als das USamerikanische Recht mit den sog. John Doe-Verfahren.47 In Umsetzung der Enforcement-Richtlinie48 hat der deutsche Gesetzgeber auch in die jeweiligen Immaterialgütergesetze und in das UrhG entsprechende Auskunftsansprüche auch gegen Nicht-Störer eingeführt – indes richten sich alle Ansprüche lediglich auf Verletzungen des geistigen Eigentums, gewähren aber nicht den Betroffenen von allgemeinen Persönlichkeitsrechtsverletzungen entsprechende Ansprüche. Dadurch entsteht die eigenartige Situation, dass selbst bei Werken „kleiner Münze“, also mit minimaler geistiger Schöpfungshöhe, ein Auskunftsanspruch entsteht, nicht dagegen aber selbst bei schwersten Persönlichkeitsrechtsverletzungen; das Opfer bleibt hier rechtlos, ein aus verfassungsrechtlicher Sicht im Hinblick auf den hohen Stellenwert des Persönlichkeitsrechts, das in Art. 1 Abs. 1, 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG verankert ist,49 unhaltbarer Zustand.50 Der Gesetzgeber ist aufgerufen,
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recht, GRURInt. 1999, 909, 917; Kotthoff, Jost, Die Anwendbarkeit des deutschen Wettbewerbsrechts auf Werbemaßnahmen im Internet, CR 1997, 676, 682. Angesprochen sind damit die Maßnahmen des Zoning bzw. der Geo-Location bzw. des Geo-Blocking, dazu Hoeren, Thomas, Zoning und Geolocation ʹ Technische Ansätze zu einer Reterritorialisierung des Internet, MMR 2007, 3 ff. Dazu Spindler, Gerald, Der Auskunftsanspruch gegen Verletzer und Dritte im Urheberrecht nach neuem Recht, ZUM 2008, 640 mwNachw. Richtlinie 2004/48/EG, Abl. L 157 vom 30.04.2004, S. 45-86; dazu Spindler, Gerald, Der Auskunftsanspruch gegen Verletzer und Dritte im Urheberrecht nach neuem Recht, ZUM 2008, 640 ff. BVerfGE 27, 1, 6 ʹ Mikrozensus; 35, 202, 220 ʹ Lebach; 54, 148, 153 ʹ Eppler; Sachs/Murswiek, GG-Kommentar, 3. Aufl., 2003, Art. 2, Rn. 60; Hömig/Antoni,
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dieser ungerechtfertigten Ungleichbehandlung ein Ende zu bereiten – wobei der Auskunftsanspruch en detail nach wie vor erhebliche Probleme, insbesondere im Hinblick auf das Verhältnis zum Datenschutzrecht und zur Vorratsdatenspeicherung aufwirft.51 Die andere Frage der Störerhaftung der Informationsintermediäre ist eng verknüpft mit der generellen Überarbeitung der Haftungsregelungen der ECommerce-Richtlinie, wobei sich hier drei Problemkreise als besonders virulent herauskristallisiert haben: Zunächst die Frage, ob wie im französischen Presserecht der Informationsintermediär nur subsidiär haften sollte, nämlich erst dann, wenn der Betroffene erfolglos versucht hat, den eigentlichen Urheber der Persönlichkeitsrechtsverletzung in Anspruch zu nehmen; zweitens, die Definition der Standards für Filter- und Prüfungspflichten, insbesondere des Verweises auf technische Standards oder andere Regeln, und schließlich drittens der Einführung eines Notice-and-Take-Down-Verfahrens nach dem Vorbild des US-amerikanischen Digital Millennium Copyright Act (DMCA).52 Wie oben dargelegt, hat die deutsche Rechtsprechung eine solche Subsidiarität des Informationsintermediärs abgelehnt. Indes spricht doch etliches dafür, dass zunächst ein Verfahren gegen den eigentlichen Urheber versucht wird, bevor der Provider in Anspruch genommen werden kann; denn die Frage, ob ein Inhalt persönlichkeitsrechtsverletzend ist, setzt eine komplexe rechtliche Beurteilung voraus,sssssssssss insbesondere auch verfassungsrechtlicher Wertungen (Art. 5 Abs. 1 GG), die ein Provider kaum vornehmen kann. In engem Zusammenhang steht damit auch die Entscheidung des US-amerikanischen Gesetzgebers für das Noticeand-Take-Down-Verfahren, das den Provider von der Notwendigkeit einer komplexen rechtlichen Abwägung entheben soll – jedoch beschränkt auf das Urheberrecht. Allerdings kann das Notice-and-Take-Down-Verfahren nicht mit dem Prinzip der Subsidiarität gleichgesetzt werden, da beim Notice-and-Take-DownVerfahren der Provider vollständig von der Haftung entlastet wird, während im Fall der Subsidiarität der Provider immer noch in Anspruch genommen werden kann. Darüber hinaus bietet das Notice-and-Take-Down-Verfahren für den Betroffenen keine Sicherheit für die Zukunft; denn stets muss er prüfen, ob eine Rechts-
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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 8. Aufl. 2007, Art. 2, Rn. 6; Münch/Kunig//Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl., 2000, Art. 2, Rn. 30; Dreier/Dreier, Grundgesetz Kommentar, 2. Aufl., 2004, Art. 2 I, Rn. 68; Maunz/Dürig/Di Fabio, GG-Komentar, Stand 39. EL, Juli 2001, Art. 2 I, Rn. 128; Bonner Kommentar zum GG/Degenhart, Stand 122. EL, Juli 2006, Art. 2 Abs. 1, Rn. 361, 375-377. Krit. schon Spindler, Gerald, Das neue Telemediengesetz ʹ Konvergenz in sachten Schritten, CR 2007, 239, 243; ders., Der Auskunftsanspruch gegen Verletzer und Dritte im Urheberrecht nach neuem Recht, ZUM 2008, 640, 648. Spindler, Gerald, Der Auskunftsanspruch gegen Verletzer und Dritte im Urheberrecht nach neuem Recht, ZUM 2008, 640, 645 ff.; zum neuen Recht auch Kitz, Volker, Rechtsdurchsetzung im geistigen Eigentum ʹ die neuen Regeln, NJW 2008, 2374, 2375 ff. Dazu Ott, Stephan, Haftung für verlinkte urheberrechtswidrige Inhalte in Deutschland, Österreich und den USA, GRURInt 2007, 14, 26 ff.
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verletzung vorliegt und ob die gleichen Inhalte wieder auf Plattformen erscheinen, gegebenenfalls in geringfügig modifizierter Version. Dies leitet über zu der grundsätzlichen Frage, wer die Gefahren durch die Verbreitung im Internet einfacher und besser beherrschen kann, Rechteinhaber oder Provider. Während im Notice-and-Take-Down-Modell wie gezeigt der Betroffene stets aufs Neue prüfen muss, ob eine neuerliche Rechtsverletzung eingetreten ist, trifft im „deutschen Modell“ der Störerhaftung den Provider die Pflicht, neue Inhalte auf deren Rechtsverletzung hin zu überprüfen. Entscheidend ist hier, ob und inwieweit es tatsächlich Möglichkeiten der automatischen Prüfung von Inhalten gibt, die es den Providern ermöglichen würde, von vornherein rechtsverletzende Inhalte auszusortieren. Während für Urheberrechtsverletzungen eine automatisierte Prüfung grundsätzlich noch denkbar ist, rückt diese für Persönlichkeitsrechtsverletzungen angesichts der komplexen rechtlichen Prüfung in weite Ferne. Daher muss der Konsequenz einer Störerhaftung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen ins Auge geblickt werden, da angesichts der schwierigen Kontrolle eine breitflächige Diskussionsplattform wie bei Nachrichten-Foren de facto nicht mehr möglich ist; die Idee einer Grass-root-Demokratie und Diskussion wäre damit der Boden entzogen. Eine salomonische Entscheidung fällt hier nicht leicht, dürfte aber in der Eröffnung von summarischen, schnellen Verfahren liegen, die den Providern die komplexe rechtliche Beurteilung abnimmt, Betroffenen aber die Möglichkeit der Verfolgung ihrer Interessen bietet, ohne dass Provider stets ähnliche Inhalte etc. prüfen müssten. In diesem Zusammenhang kommt die Änderung des Kommunikationsverhaltens zum Tragen, allerdings nur für Beteiligte am Kommunikationsprozess. Außenstehende Dritte jedoch wird man kaum auf die Besonderheiten des Netzes verweisen können, da sie auch nicht den andersartigen Bedingungen des Internets als Kommunikationsplattform unterliegen – ohne dass sie deswegen geringeren rechtlichen Schutz genießen würden. Gleichzeitig beantwortet sich damit auch die Frage, ob nicht die Selbstheilungskräfte des Marktes bereits für entsprechende Lösungen sorgen; denn diese können kaum für Drittbetroffene wirken, die nicht am Kommunikationsprozess und damit nicht z.B. an Bewertungs- oder Ratingverfahren beteiligt sind. Der Stein der Weisen in der Abwägung der Interessen zwischen Meinungsurhebern, Betroffenen und Informationsintermediären ist schwer zu finden – was letztlich schon in früheren Diskussionen um die Verantwortlichkeit von Medien im Kern angelegt war und durch das Internet nur zu einer neuen Dimension gefunden hat. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wie sich europäische und deutsche Gesetzgeber entscheiden werden.
Deliktsrechtliche Verantwortung für bewusste Selbstgefährdung des Verletzten
Hans Stoll Die viel behandelte Problematik der sog. „Verfolgungsfälle“ im Deliktsrecht1 ist nach wie vor aktuell. In einer jüngst veröffentlichten Entscheidung erwägt der VI. Zivilsenat des BGH, die Haftung der für einen Verkehrsunfall verantwortlichen Person auf die Grundsätze zurückzuführen, welche die deutsche Rechtsprechung in jenen Fällen entwickelt hat2. Der Jubilar hat sich mit der deliktsrechtlichen Problematik dieser Fälle bereits mehrfach in verdienstlicher Weise auseinandergesetzt, sie vertieft und eine differenzierende Würdigung empfohlen3. Das ermutigt mich, auch meinerseits diese Problematik wieder aufzugreifen4 und einige Überlegungen hierzu vorzutragen. In diesem Sinne sei die folgende Studie dem Jubilar in alter Verbundenheit gewidmet.
I. Einleitung: die „Verfolgungsfälle“ In der erwähnten Entscheidung lehnt der BGH die deliktsrechtliche Haftung eines „Geisterfahrers“ für den Schockschaden (eine „posttraumatische Belastungsstörung“) von Polizeibeamten ab, die nach einem von dem „Geisterfahrer“ verschuldeten Verkehrsunfall das schreckliche Bild der kollidierten, in Brand geratenen Fahrzeuge und der in ihnen verbrennenden Personen hilflos ansehen mussten. Einer der beiden Polizeibeamten war Beifahrer in einem Wagen, der sich zufällig der Unfallstelle genähert hatte und bei dem Versuch, den kollidierten Unfallfahr1
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Aus dem umfangreichen Schrifttum hierzu s. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht2 (1996) 104-107; Kötz/Wagner, Deliktsrecht10 (2006) Rn. 202: Lange/Schiemann, Schadensersatz3 (2003) 134-142; Larenz, Schuldrecht14 I (1987) 449-451; MünchKomm BGB/Oetker5 II (2007) § 249, Rdnr. 164-171; Staudinger/Schiemann, §§ 249-254 (2005) Rdnr. 48-56; jeweils mit Nachweisen. BGH 22.5.2007, JZ 2007, 1154. Deutsch (oben Fn. 1); ders., bereits JZ 1967, 641-643 (Anm. zu BGH 3.2.1967, S. 639); JZ 1975, 375-377 (Anm. zu BGH 29.10.1974, BGHZ 63, 189). S. bereits meinen an der Universität Lund am 6.10.1975 gehaltenen Vortrag „Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet des deutschen Schadensrechts“, Skrifter utgivna av Juridiska föreningen i Lund, Nr. 12 (1976).
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zeugen auszuweichen, gegen die Leitplanke gestoßen war. Angeblich hatte dieser Beamte dann einen Rettungsversuch unternommen, der aber abgebrochen werden musste. Der andere Polizeibeamte kam zur Unfallaufnahme an den Ort des Unfalls und erlitt ebenfalls einen psychischen Gesundheitsschaden. Nach Ansicht des Gerichts waren beide Beamte keine „unmittelbare“ Unfallbeteiligte und deshalb den Personen gleichzustellen, die als zufällige Zeugen eines Verkehrsunfalls einen Schockschaden erleiden. Der Senat habe in seinem Urteil vom 12.11.1985, VersR 1986, 240, 242, offen gelassen, ob auch völlig fremde, mit den eigentlichen Unfallbeteiligten nicht in einer näheren Beziehung stehende Personen bei besonders schweren Unfällen Schadensersatz für einen psychischen Gesundheitsschaden erhalten können. Diese Frage werde nunmehr verneint. Die Haftung rechtfertige sich auch nicht nach der Rspr. des Senats, wonach jemand, der durch ein vorwerfbares Tun einen anderen zu selbstgefährdendem Verhalten herausfordert, diesem anderen den durch die Selbstgefährdung verursachten Schaden zu ersetzen hat, jedenfalls in dem Falle, dass sein Entschluss zur Selbstgefährdung auf einer „mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation“ beruht. In der Tat kann aus den haftungsrechtlichen Grundsätzen, welche der BGH in den Fällen einer „herausgeforderten“ Verfolgung entwickelt hat, im gegebenen Fall nichts hergeleitet werden zur Begründung einer Haftung des „Geisterfahrers“ und seines Haftpflichtversicherers den beiden Polizeibeamten gegenüber. Jene Rspr. legt dem Verfolgten dann die Verantwortung für die Selbstgefährdung eines Verfolgers auf, wenn dieser in vorhersehbarer Weise ein „gesteigertes“ Risiko bewusst in Kauf genommen hat. Die zur Unfallstelle hinzukommenden Polizeibeamten waren sich aber wohl gar keiner Gefahr bewusst – jedenfalls nicht der Gefahr, einen Schockschaden zu erleiden. Im Übrigen verstößt nach der Rspr. die durch die Flucht bedingte „Herausforderung“ nicht schon als solche gegen eine deliktsrechtliche Verhaltenspflicht. Vielmehr handle der Fliehende erst dann und insoweit pflichtwidrig i. S. des Deliktsrechts, als er durch die besonderen Umstände der Flucht, etwa die Erhöhung der Geschwindigkeit trotz unübersichtlichen Straßenverlaufs oder Schneeglätte, den Verfolger erkennbar zur Eingehung eines „gesteigerten“ Risikos verleite5. Die deliktsrechtliche Haftung wird also auf die Verletzung einer selbständigen Verkehrspflicht gegründet, unter besonderen Umständen von der Flucht abzusehen oder sie abzubrechen. In dem vom BGH nunmehr entschiedenen Fall kann aber nicht unterstellt werden, dass der „Geisterfahrer“ außer dem groben Verstoß gegen elementare Verkehrsregeln, der zu dem Zusammenstoß führte, eine zusätzliche Verhaltenspflicht verletzt habe, nicht vorhersehbar einen Unfall zu verschulden, dessen Anblick hinzukommenden Perso-
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BGH 3.2.1967, JZ 1967, 639, 640; 12.3.1996, BGHZ 132, 164, 168: „Freilich trifft auch einen Straftäter keine Rechtspflicht, sich der Strafverfolgung zu stellen. In der Flucht als solcher liegt aber … nicht der Grund für die zivilrechtliche Haftung. Diese gründet sich vielmehr darauf, dass der Fliehende durch die Art seiner Flucht in vorwerfbarer Weise den Verfolger zu der selbstgefährdenden Reaktion herausgefordert hat; in dieser psychischen Beeinflussung … liegt das pflichtwidrige Verhalten des Fliehenden“.
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nen einen psychischen Gesundheitsschaden zufügen kann. Ein solches Monstrum einer „Verkehrspflicht“ bedarf keiner weiteren Widerlegung6.
II. Deliktsrechtliche Verantwortung für die Selbstgefährdung des Verletzten als Haftungsgrund und als Folge deliktsrechtlicher Haftung In der Rechtsprechung und Literatur zu den Fällen einer bewussten Selbstgefährdung des Verletzten überschneiden sich zwei verschiedene Ansätze, eine deliktsrechtliche Verantwortung für bewusste Selbstgefährdung des Verletzten zu begründen. Diese Ansätze müssen indes rechtsgrundsätzlich unterschieden und getrennt betrachtet werden. Einmal ist es gewiss denkbar, dass deliktsrechtlich unerlaubt handelt, wer die bewusste Selbstgefährdung des Verletzten veranlasst oder nicht verhindert. Die vorhersehbare Verwirklichung des vom Verletzten bewusst eingegangenen Risikos begründet dann die Deliktshaftung der verantwortlichen Person nach § 823 I BGB. Voraussetzung ist freilich, dass die Herbeiführung oder Nichtverhinderung der Selbstgefährdung gegen eine deliktsrechtlich begründete Verhaltenspflicht verstößt (dazu III). Es kann aber auch ein schon begangenes Delikt oder die drohende Gefährdung eines deliktsrechtlich geschützten Gutes die bewusste Selbstgefährdung des Deliktsopfers herausfordern und rechtfertigen. Bezweckt nämlich die Selbstgefährdung des Deliktsopfers die Abwendung der Folgen des begangenen Unrechts oder die Vermeidung eines drohenden Delikts und durfte das Deliktsopfer die Eingehung des Risikos als ein angemessenes Mittel zur Verfolgung dieses Zwecks ansehen, so ist die bewusste Selbstgefährdung gleichzustellen mit der Aufwendung von Vermögenswerten zu eben diesem Zweck (dazu IV). Es ist allgemein aner6
Eine andere Frage ist, ob nicht jenen elementaren Verkehrsregeln zur Verhütung eines Verkehrsunfalls auch der Zweck beigelegt werden kann, alle am Unfallort in das Unfallgeschehen – auch ohne jede „Herausforderung“ – vorhersehbar hineingezogene Personen, einschließlich der „zufälligen“ Zeugen, nicht nur vor körperlicher Verletzung, sondern auch vor psychischer Schädigung zu bewahren. Der BGH scheint eine so begründete Haftung wegen Verschuldung eines Verkehrsunfalls nur dann ausschließen zu wollen, wenn die Unfallzeugen „völlig fremde, mit den eigentlichen Unfallbeteiligten nicht in einer näheren Beziehung stehende Personen“ sind. Damit wird indes die Frage nach dem „primären“ Schutz der am Unfall beteiligten Personen in wenig überzeugender Weise verquickt mit dem wesentlich verschiedenen Problem, ob nahe Angehörige eines verletzten Unfallbeteiligten aus dem diesem zugefügten Unrecht einen (sekundären) Anspruch auf Ersatz für psychisch bedingten Gesundheitsschaden oder gar für bloßen „Trauerschaden“ herleiten können. Dieses Problem soll hier nicht weiter verfolgt werden. Zu diesem Problemkreis s. RG 20.9.1934, JW 1934, 2973; LG Tübingen 29.11.1967, NJW 1968, 1187; LG Frankfurt 28.3.1969, NJW 1969, 2286; BGH 12.11.1985, NJW 1986, 777; s. auch schweiz. BG 10.3.1925, BGE 51 II 73; öst. OGH 22.2.2001, JBl. 2001, 659 = ZVR 2001, 204.
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kannt, dass der Deliktstäter als Folge seiner deliktsrechtlichen Haftung dem Deliktsopfer die Aufwendungen zu ersetzen hat, die das Deliktsopfer zur Abwendung oder Minderung der Schadensfolgen für erforderlich halten durfte7, gleichviel, ob der Täter mit solchen Aufwendungen gerechnet hat oder mit ihnen rechnen musste8. Bedingte Kausalität genügt. Entsprechendes gilt für die Eingehung von Verletzungsrisiken zur Abwendung der Deliktsfolgen oder Abwehr eines drohenden Delikts, vorausgesetzt, dass die Selbstexponierung ein nach den Umständen angemessenes Mittel zur Erreichung jenes Zwecks ist. Verwirklicht sich das bewusst übernommene Risiko, so führt das nicht zu einer schuldhaft verursachten Verletzung – oder gar Tötung – des Deliktsopfers i. S. des § 823 I BGB. Wohl aber hat der zum Aufwendungsersatz verpflichtete Deliktstäter als Folge seiner Haftung die Selbstgefährdung des Deliktsopfers zu verantworten und die diesem aus der Selbstgefährdung erwachsenen Nachteile auf sich zu nehmen. Die Parallele zur Schadenshaftung des zum Aufwendungsersatz verpflichteten Auftraggebers gegenüber dem Beauftragten auf der Grundlage von § 670 BGB ist unverkennbar. Auch im Auftragsrecht wird die bewusste Selbstgefährdung des Beauftragten der Aufwendung von Vermögenswerten gleichgestellt, sofern der Beauftragte die Selbstgefährdung für erforderlich halten durfte9. Über die theoretische Begründung mag man streiten10. Jedenfalls ist die Schadensersatzpflicht des Auftraggebers keine Haftung für Unrecht. Vielmehr handelt es sich um eine Form der Aufopferung zu einem rechtlich anerkannten Zweck, welche den Begünstigten verpflichtet11. 7
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Deutsch, (oben Fn. 1) 528-530; Lange/Schiemann (oben Fn. 1) 295 ff.; Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht (1999) 473 ff.; MünchKomm BGB/Oetker (oben Fn. 1) Rdnr. 172 f.; Staudinger/Schiemann) (oben Fn. 1) Rdnr. 109 - 129. Zum englischen Recht Mayne/McGregor, Damages12 (1961) 159 f. Irrtümlich wird jene Haftungsfolge häufig in die Haftungsbegründung hineingezogen und danach gefragt, ob die Haftungsfolge „verschuldet“ ist, vgl. Honoré, Causation and Remoteness of Damage, I. E. C. L. XI, 1, Torts (1983) ch. 7, no. 154: „There is virtual unanimity among systems that reasonable efforts by the injured party to avert or minimize harm do not amount to fault“. Anders liegen die Fälle, in denen ein Delikt entgegen dem Schutzzweck der vom Täter übertretenen Verhaltensnorm zu einer weiteren Verletzung desselben oder eines anderen Rechtsguts des Betroffenen führt (§ 823 I BGB) oder einen Dritten verletzt. Selbstverständlich geht es dann allein um Haftungsbegründung; dazu Zimmermann, JZ 1980, 10-16; vgl. auch oben Fn. 6. Staudinger/Martinek (2006), § 670, Rdnr. 17-30; Looschelders (oben Fn. 7) 274-276; Genius, Risikohaftung des Geschäftsherrn, AcP 173 (1973) 481-526; BGH 24.3.1964, NJW 1964, 1363. Sicherlich trifft es zu, dass der Beauftragte im Interesse des Auftraggebers handelt und es deshalb angemessen ist, diesem auch die Kosten und Risiken einer solchen Interessewahrung aufzuerlegen (dazu eingehend Genius vorige Fn.). Als allgemeiner Rechtssatz eignet sich diese Umschreibung aber nicht. Unbeantwortet bleibt nämlich, welcher Art das verpflichtende Interesse sein muss und welche interessierten Personen auf diese Weise rechtliche Förderung ihrer Interessen erhalten. In einer alten Entscheidung – RG 5.4.1909, JW 1909, 319 = Recht 1909, Nr. 1769 – hat das RG in einem Fall der Nothilfe es ausdrücklich abgelehnt, die bewusste Eingehung
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III. Begründung der deliktsrechtlichen Haftung bei Selbstgefährdung des Verfolgers 1. Fremdverantwortung und Eigenverantwortung bei Selbstgefährdung Aus dem deliktsrechtlichen Schutz von Körper, Gesundheit und Leben (§ 823 I BGB) folgt die Pflicht, im sozialen Verkehr und Zusammenleben alles Zumutbare zu tun, um andere vor erkennbaren Gefahren für diese Rechtsgüter zu bewahren. Diese Verkehrspflicht entfällt aber möglicherweise mit Rücksicht darauf, dass die Gefahr für jedermann erkennbar ist. Eine allgemeine Regel, dass erkennbare Gefahren keine Verkehrspflicht begründen können, lässt sich freilich nicht aufstellen. Die Verkehrspflicht, solche Gefahren zu vermeiden, endet nur dann und insoweit, als anderen Personen zugemutet werden kann, sich in eigener Verantwortung vor der Gefahr zu schützen12. Die Schutzbedürftigkeit ist um so geringer, je besser die Gefahr erkennbar oder gar evident ist und je eher ein Ausweichen möglich ist und zugemutet werden kann. Am geringsten ist das Schutzbedürfnis solcher Personen, welche die Gefahr erkannt haben oder sich ihr gar freiwillig bewusst aussetzen. Der auch im Deliktsrecht wirksame Gedanke der Fürsorglichkeit für andere kann es aber rechtfertigen, selbst solche Personen vor einer erkannten oder bewusst in Kauf genommenen Gefahr zu schützen, für welche der Täter verantwortlich ist. In meiner Schrift über das Handeln auf eigene Gefahr habe ich solche Fälle angeführt, etwa auf eine Entscheidung des OLG Braunschweig verwiesen, wonach ein Reiseleiter für die Verletzung erwachsener Reisegäste verantwortlich ist, die allesamt zur Vermeidung eines Umwegs einen gefährlichen Weg über eine Eisenbahnbrücke wählen13. Auch kann die Verleitung von Kindern, bei Rotlicht die Straße zu überqueren, pflichtwidrig sein14. Offenkundig ist vollends die Pflicht des Leiters eines Krankenhauses, alles Zumutbare zu tun, um der erkennbaren Gefahr des Selbstmords depressiver Patienten vorzu-
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eines Verletzungsrisikos als Aufwendung i. S. des § 670 BGB anzusehen. In Frage könne nur kommen, die Aufopferung von Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit als solche als Aufwendung zu bewerten. Zwar hätten die Kläger die Gefahr gekannt und sich ihr aus freien Stücken unterzogen. Aber das erlittene Opfer an ihrer Gesundheit bei Verwirklichung der Gefahr sei „doch nicht gewollt“. Diese überspitzte Differenzierung überzeugt gewiss nicht. Immerhin aber hat das RG das Problem richtig dem Aufopferungsgedanken zugeordnet. Der Rechtsgedanke einer verpflichtenden Aufopferung im Interesse des Verletzten tritt noch deutlicher hervor, wenn eine Mutter durch Nierenspende für ihr verletztes Kind bewusst ein Gesundheitsopfer erbringt, s. BGH 30.6.1987, BGHZ 101, 215 = JZ 1988, 150 mit Anm. Stoll. S. dazu rechtsvergleichend auch Markesinis/Deakin, Tort Law6 (2007) 166. Stoll, Das Handeln auf eigene Gefahr (1961) 246 ff. Stoll (vorige Fn.) 249; OLG Braunschweig 22.12.1951, VersR 1952, 103. Staudinger/Schiemann (oben Fn. 1), § 249 Rdnr. 52; Staudinger/Hager, §§ 823-825 (1999) § 823, Rdnr. B 28. Auch in diesem Schulbeispiel ist gewiss erheblich, dass Erwachsene eine „überlegene Gefahrenkenntnis“ haben.
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beugen15. Auch kann die Selbstgefährdung durch widerrechtliche Bedrohung erzwungen sein: Von eigenverantwortlicher Selbstgefährdung kann hier selbstverständlich nicht gesprochen werden16.
2. Grundsätzliche Eigenverantwortung des Verfolgers In den Verfolgungsfällen kann die erkennbare Selbstgefährdung des Verfolgers nur durch den Verzicht auf die Flucht vermieden werden. Die Zivilrechtsordnung verpflichtet indes nicht dazu, bei Vermeidung einer deliktsrechtlichen Haftung dafür zu sorgen, dass staatliche Organe ihre Aufgaben erfüllen können. Meist handelt es sich ja bei den Verfolgern um Polizeibeamte und sie unterstützende Personen, die den Verfolgten zur Feststellung der Person oder zwecks Festnahme im Rahmen der Strafverfolgung oder der Strafvollstreckung festnehmen wollen17. Die Verantwortung für eine solche Amtshandlung und deren Verlauf trägt allein der Dienstherr, nicht aber die von der Amtshandlung betroffene Person. Im übrigen gilt: wenn man schon ein zivilrechtliches Fluchtverbot unterstellt18, müsste es folgerichtig allgemein und von vornherein gelten, nicht erst in einer bestimmten Phase unter besonderen Umständen; denn jede Verfolgung eines davoneilenden Flüchtigen ist mit besonderen, „tätigkeitsspezifischen“ Gefahren verbunden19. Dieser Begriff ist durch die bereits erwähnte Rechtsprechung zum Aufwendungsersatz nach § 670 BGB vorgeprägt. Er umfasst jede das allgemeine Lebensrisiko übersteigende Gefahr, die der Beauftragte zu Lasten des Auftraggebers auf sich nimmt. Die Rspr. zur deliktsrechtlichen Haftung in den Verfolgungsfällen läuft darauf hinaus, dem Fliehenden zivilrechtlich wenigstens in gewissen Grenzen die Aufwendungen aufzuerlegen, die ein Amtsträger bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben macht. Von einem Auftrag des Fliehenden kann von vornherein nicht die Rede sein – ebenso wenig aber von einer Geschäftsführung ohne Auf15 16
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Stoll (oben Fn. 12) 249, Fn. 3, mit Nachw. BGH 16.4.2002, NJW 2002, 2234: Der Beklagte tritt auf der Suche nach seiner Frau, die sich in der Wohnung des Verletzten aufhielt, ein Tor zu der Wohnung ein; der Verletzte springt aus 8-10 m Höhe durch ein Fenster in den Hof; s. auch OLG Celle 31.8.1977, NJW 1979, 723, ferner BGH 4.11.1980, VersR 1981, 192: Ein Wirt drängt einen angetrunkenen Gast aus der Wirtschaft, dieser fällt und verletzt sich. Vgl. etwa BGH 3.2.1967, JZ 1967, 639 mit Anm. Deutsch; 12.3.1996, BGHZ 132, 104. Mit Recht bemerkt Stürner, VersR 1984, 297, 300, in Fällen polizeilicher Verfolgung widerspreche die Schadensabnahme letztlich grundsätzlichen Vorstellungen der Risikoverteilung zwischen Bürger und Verwaltung. Die Risiken von Verwaltungsfunktionen sollen nicht auf den Bürger abgewälzt werden. Hiergegen mit Recht grundsätzlich Esser/Schmidt, Schuldrecht I, Allg. Teil8, Teilband 2 (2000) 234 f.; Kötz/Wagner (oben Fn. 1) Rn. 202; Looschelders (oben Fn. 7) 434 f.; kritisch hierzu bereits Stoll (oben Fn. 4); s. auch BGH 27.9.1977, VersR 1978 181: Es gebe weder ein allgemeines Verbot, andere vor Selbstgefährdung zu bewahren, noch auch ein Verbot, sie zur Selbstgefährdung psychisch zu veranlassen. S. schon Stoll (oben Fn. 4) 13: Die Unterscheidung zwischen gesteigertem und normalem Verfolgungsrisiko sei kaum praktikabel und wenig überzeugend.
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trag, die dem Interesse und dem Willen des Verfolgten entspricht (§§ 683, 670 BGB). Ein der Geschäftsführung entgegenstehender Wille kann zwar aus Gründen des öffentlichen Interesses unbeachtlich sein (§ 679 BGB), dies aber nur dann, wenn die Geschäftsführung in der Erfüllung einer Pflicht besteht. Diese wird also vorausgesetzt. Sie liegt nicht schon in der Geschäftsführung als solcher, mag diese auch im öffentlichen Interesse liegen.
3. Verantwortung des Verfolgten bei überlegener Gefahrenkenntnis und Schaffung von Hindernissen Die Rspr., wonach der Fliehende den Verfolger jedenfalls nicht zur Eingehung eines „gesteigerten“ Risikos herausfordern darf20, enthält gleichwohl einen richtigen Ansatz, nämlich in solchen Fällen, in denen der Fliehende eine dem Verfolger überlegene Kenntnis drohender Gefahr hat oder ein Hindernis schafft. Es mag etwa dem Fliehenden ein gefährlicher Straßenverlauf (mit plötzlicher scharfer Kurve, die bei Nacht nur schwer zu erkennen ist u. ä.)21 oder eine sonstige Gefahrenquelle bekannt sein, mit der aber ein Unkundiger nicht rechnet. Erst recht darf der Fliehende den Verfolger nicht bewusst in eine „Falle“ locken22. Dem steht gleich, dass der Fliehende selbst schuldhaft, wenn auch unbeabsichtigt, bei der Flucht ein Verkehrshindernis schafft, welches dem Verfolger in vorhersehbarer Weise zum Schaden gereicht. Es stellt sich etwa das Fahrzeug des mit hoher Geschwindigkeit Fliehenden quer, so dass das verfolgende Fahrzeug mit ihm kollidiert23. Die Schaffung eines gefährdenden Verkehrshindernisses ist als solche pflichtwidrig und begründet die deliktsrechtliche Haftung gegenüber einem Verkehrsteilnehmer, der das Hindernis nicht rechtzeitig erkennt und deshalb zu Schaden kommt. Es kann dann höchstens noch ein mitwirkendes Verschuldens des Verletzten in Betracht kommen. Die geschilderten Fälle stellen aber nicht den Grundsatz in Frage, dass der Fliehende einem Verfolger gegenüber nicht pflichtwidrig handelt, sofern dieser die spezifischen Gefahren der Verfolgung ebenso gut wie der Fliehende erkennt oder erkennen muss und er deshalb auf seine Eigenverantwortung verwiesen werden kann.
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Vgl. insbesondere BGH 13.7.1971, BGHZ 57, 26, 32; 29.10.1974, BGHZ 63, 189; 12.3.1996, BGHZ 132, 167; 3.7.1990, VersR 1991, 111. So wohl im Falle BGH 3.2.1967 (oben Fn. 17). Teichmann, Anm. zu BGH 12.3.1996, JZ 1996, 1182; ein einfaches Beispiel gibt Wilhelm Busch in seinem Kinderbuch „Max und Moritz“: Der von den beiden Lausbuben geneckte Schneider verfolgt sie über einen Holzsteg, den die Buben angesägt hatten. BGH 18.1.1980, VersR 1981, 161 = NJW 1981, 750.
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IV. Belastung des Deliktstäters mit dem Risiko der Selbstgefährdung des Verfolgers als Haftungsfolge 1. Verletzung des verfolgenden Deliktsopfers Eine eher außergewöhnliche Situation entsteht, wenn nach Verübung eines Delikts – etwa einem verschuldeten Zusammenstoß mit dem Wagen des Betroffenen – der Deliktstäter zu fliehen versucht, dabei jedoch von dem Betroffenen verfolgt wird, ungeachtet der Gefährlichkeit einer solchen „Jagd“. Die Verfolgung bezweckt hier in der Regel die Sicherung und Durchsetzung eines schon begründeten deliktsrechtlichen Wiedergutmachungsanspruchs. Die Problematik verlagert sich deshalb in den Bereich der Haftungsfolgen. Der österreichische OGH spricht in einem solchen Fall von erlaubter Selbsthilfe zur Durchsetzung eines Anspruchs24. Die Risiken einer solchen Rechtsverfolgung habe der Deliktstäter zu tragen. In der Tat kommt hier eine Haftung des Deliktstäters aufgrund seiner Wiedergutmachungspflicht in Betracht. Auch der BGH betont zutreffend in einem Fall jener Art, es gehe nicht um die Begründung der Haftung wegen psychischer Beeinflussung des Verletzten25. Vielmehr sei der Verletzungstatbestand bereits gegeben, als der später Verletzte den freien Entschluss zur Verfolgung fasste. An dieses vom Beklagten gesetzte Unrecht knüpften sich die Ersatzansprüche des Klägers an. Eine Haftung des Deliktstäters sei jedoch nicht anzunehmen, wenn eine lebensgefährliche Jagd etwa außer jedem vertretbaren Verhältnis zu dem recht begrenzten Risiko stehe, dass der Ersatzanspruch des Verletzten vereitelt werden könne. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen26. Einem angemessenen Vermögensopfer, das zum Zwecke der Abwendung der Schadensfolgen oder zur Abwehr eines Delikts gemacht wird, muss, wie bereits hervorgehoben, die zweckgerechte Selbstgefährdung des Ersatzpflichtigen gleichgestellt werden, entsprechend dem weiten Verständnis des Aufwendungsersatzes nach § 670 BGB. Es fallen dem Deliktstäter somit die spezifischen Risiken seiner Verfolgung zur Last, es sei denn, dass die Eingehung des Verletzungsrisikos außer Verhältnis steht zu dem erstrebten Zweck, unter Berücksichtigung der Bedeutung des Schadensfalles. Im Einzelnen stellen sich bei der entsprechenden Anwendung der Vorschriften über den Aufwendungsersatz die gleichen Einzelfragen wie bei der Haftung des Auftraggebers für Verletzung des Beauftragten oder die Haftung einer in Not geratenen Person gegenüber einem Retter oder Helfer als Geschäftsführer ohne Auftrag. Einmal scheint die sinngemäße Anwendung der Vorschriften über den 24
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OGH 19.9.1996, SZ 69/214; auch BGH 13.7.1971, BGHZ 57, 25, 28, verweist auf das Selbsthilferecht nach § 229 BGB. BGH 24.3.1964, NJW 1964, 1363. Der BGH stützt allerdings schließlich doch die Haftung des Verfolgten unmittelbar auf § 823 I BGB. Dem ist zu widersprechen, weil es eine deliktsrechtliche Pflicht, sich nach Verübung eines Delikts dem Deliktsopfer zu stellen, nicht gibt. Damit ist die Haftungsfrage aber nicht erledigt, jedenfalls dann nicht, wenn der Deliktstäter hauptsächlich um seiner Ersatzansprüche willen die Verfolgung aufnahm. Im Zweifel ist das anzunehmen, vgl. auch unten Fn. 33.
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Aufwendungsersatz zu einem „Alles-oder-Nichts“ zu nötigen: Entweder trägt der zum Aufwendungsersatz Verpflichtete das spezifische Risiko der bewussten Gefahrübernahme in vollem Umfang, weil der zum Aufwendungsersatz Berechtigte die Gefahrübernahme als ein angemessenes Mittel zur Erreichung des Aufwendungszwecks ansehen durfte. Oder der Berechtigte trägt, falls dies nicht zutrifft, selbst das Risiko und erhält deshalb bei Verletzung keinerlei Schadensersatz. Für eine Schadensersatzverteilung nach § 254 BGB scheint somit kein Raum zu sein27. Dem ist zu widersprechen. Allerdings kann ein mitwirkendes Verschulden des Verletzten nicht schon daraus hergeleitet werden, dass er eine zweckentsprechende Selbstgefährdung auf sich genommen hat. Wohl aber kann eine Mitschuld an der erlittenen Verletzung darin liegen, dass der Berechtigte das von ihm eingegangene Risiko in unsachgemäßer Weise zu meistern versuchte28. Der Anwendung des § 254 BGB steht dann nichts im Wege. Es verhält sich in dieser Hinsicht nicht anders als beim Ersatz für Impfschäden im Rahmen des zivilrechtlich anerkannten Aufopferungsanspruchs. In geeigneten Fällen wird auch hier eine Schadensteilung nach § 254 BGB vorgenommen29. Ferner ist zweifelhaft, ob der zum Aufwendungsersatz Berechtigte im Fall seiner Verletzung auch ein Schmerzensgeld verlangen kann. Der BGH versagt dem Beauftragten ein Schmerzensgeld, wenn der Beauftragte verletzt wurde bei bewusster Selbstgefährdung im Interesse des Auftraggebers30. Ebenso engherzig ist bislang die Rechtsprechung bei Bemessung einer Aufopferungsentschädigung für Impfschäden31. Dagegen spricht jedoch, dass bei mittelbarer oder unmittelbarer Aufopferung der Gesundheit dieses Rechtsgut mitsamt seinen materiellen und immateriellen Werten preisgegeben wird. Das sollte den Ausschlag geben bei der Bemessung der Entschädigung. Mit Recht verweist neuerdings Däubler, in Zusammenhang mit dem Schadensersatzanspruch nach § 670 BGB, auf die Schuldrechtsreform, die nunmehr in allen Fällen der Körperverletzung die immateriellen Schäden des Verletzten den materiellen Schäden haftungsrechtlich gleichstellt (§ 253 II BGB)32.
2. Verletzung eines verfolgenden Dritten Dritte, die den von dem Delikt Betroffenen bei Verfolgung und Durchsetzung seiner Rechte unterstützen oder auch allein die Verfolgung des flüchtigen Rechts27
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Diese Frage wird in den „Verfolgungsfällen“ vielfach auch bei der – primären – Deliktshaftung des Fliehenden gegenüber dem „herausgeforderten“ Verfolger erörtert, vgl. BGH 12.3.1996, BGHZ 132, 172 f.; MünchKomm BGB/Oetker (oben Fn. 1) Rdnr. 165 mit Nachw.; s. auch Looschelders (oben Fn. 7) 274 f., 436. Dabei wird übersehen, dass nur dann Zweifel entstehen können, falls der Ersatzanspruch auf bewusste Aufopferung i. S. des § 670 BGB gestützt wird. Teichmann, JZ 1996, 1183. BGH 6.6.1966, BGHZ 45, 290. BGH 19.5.1969, BGHZ 52, 115; s. auch OLG Düsseldorf 12.6.1957, MDR 1957, 745. BGH 13.2.1956, BGHZ 20, 61, 68 f.; 15.10.1956, BGHZ 22, 43. Däubler, JuS 2002, 625 f.
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brechers aufnehmen, können im Falle einer Verletzung nicht ohne weiteres dieselben Rechte in Anspruch nehmen wie das Deliktsopfer selbst33. Dem Dritten steht zunächst allein gegen das Deliktsopfer nach §§ 683, 670 BGB ein Anspruch auf Aufwendungsersatz zu, bei nicht unverhältnismäßiger Selbstgefährdung auch ein Schadensersatzanspruch, sofern die Intervention des Dritten dem Interesse und dem Willen des Deliktsopfers entspricht. Aufgrund einer solchen rechtlich begünstigten erlaubten Geschäftsführung ohne Auftrag ist dem Dritten aber auch die Befugnis zuzusprechen, den Befreiungsanspruch, den das Deliktsopfer gegen den Deliktstäter hat, gegen diesen geltend zu machen34. 33
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Polizeibeamte, die nach einem Verkehrsunfall die Verfolgung eines Fliehenden aufnehmen, um ihn festzunehmen, sind nicht „Dritte“ im hier gemeinten Sinne; denn sie wirken im öffentlichen Interesse an der Ermittlung und Verfolgung einer Straftat mit, handeln also nicht im privaten Interesse des Deliktsopfers, mag auch die Amtshandlung zugleich dessen Interesse dienen. Die Risiken einer pflichtgemäßen Amtshandlung trägt grundsätzlich allein der Dienstherr nach Maßgabe des Beamtenrechts. Im Falle der Verletzung eines Beamten bei der Verfolgung kommen nur beamtenrechtliche Ansprüche gegen den Dienstherrn in Betracht. Auch Privatpersonen, die an der strafrechtlichen Verfolgung des Fliehenden mitwirken, hauptsächlich ihn vorläufig festnehmen wollen (§ 127 StPO), genießen privatrechtlich keinen weitergehenden Schutz als Polizeibeamte. Sie sind im Falle der Verletzung auf öffentlichrechtliche Ansprüche nach der gesetzlichen Unfallversicherung angewiesen. Zweifelhaft ist die Einordnung des Falles, dass ein Betriebsoberaufseher der Bundesbahn bei Verfolgung eines flüchtigen Schwarzfahrers zu Fall kommt und sich verletzt, BGH 13.7.1971, BGHZ 57, 25. Man wird anerkennen müssen, dass der Aufseher, mochte er auch eine vorläufige Festnahme nach § 127 StPO beabsichtigen, im Rahmen des Privatrechts handelte zwecks Sicherung des bürgerrechtlichen Anspruchs der Bundesbahn auf Zahlung eines (erhöhten) Beförderungsentgelts (so auch BGH S. 28, 32). Dem steht nicht entgegen, dass das erhöhte Beförderungsentgelt nicht nur eine Leistung vergüten, sondern zugleich abschrecken soll und somit auch pönalen Charakter hat. Ein Bediensteter, der sich bei der Durchsetzung eines privatrechtlichen Anspruchs des Dienstherrn verletzt, sollte privatrechtlich ebenso geschützt sein, wie wenn er selbst Anspruchsinhaber wäre; vgl. auch die folgende Fn. Zum Problem der Außenwirkungen einer befugten Geschäftführung ohne Auftrag Bauer, JZ 1952, 328 f.; rechtsvergleichend Stoll, RabelsZ 22 (1957) 457-492; allzu konstruktiv und engherzig Staudinger/Wittmann, §§ 652-704, 13. Bearb. (1995), Vorbem. zu § 677 ff., Rdnr. 60. Der BGH hat sich mit dem angeschnittenen Problem in einer Rheinschifffahrtssache befasst, BGH 13.7.1972, BGHZ 59, 175. Das Schiff des Beklagten hatte durch ein unzulässiges Überholmanöver das Festfahren eines Kahnes verschuldet. Beim Leichtern des Kahnes wurde das zur Hilfeleistung eingesetzte Schiff beschädigt. Aus übergegangenem Recht des Eigentümers dieses Schiffes verlangte die Klägerin von dem Eigner und Schiffer des überholenden Schiffes Ersatz für den an dem Leichterschiff entstandenen Schaden. Der BGH wies die Klage ab. In der Rheinschifffahrt sei es üblich, dass Schäden eines Leichterschiffes grundsätzlich von dem festgefahrenen Kahn getragen werden. Dem Eigentümer dieses Kahns stehe es jedoch frei, seine Aufwendungen als Folgeschaden gegen den Eigner des für das Festfahren des Kahnes verantwortlichen Schiffes geltend zu machen. Es ist unbefriedigend, mit dieser Begründung
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Der Befreiungsanspruch hat dann den gleichen Inhalt wie im Falle einer Abtretung, d. h. der Dritte kann den Deliktstäter unmittelbar auf Leistung in Anspruch nehmen35.
V. Ausblick: Verletzung eines Retters oder Nothelfers 1. Ansprüche gegen die in Not geratene Person und gegen verantwortliche Dritte Die Problematik der „Verfolgungsfälle“ zeigt deutliche Parallelen zur Haftung bei bewusster Selbstgefährdung des Retters oder Nothelfers, der einer in Not geratenen Person beisteht zur Abwehr einer drohenden Gefahr oder zur Abwendung der Folgen eines Unglücks. Inwiefern ist der Retter oder Nothelfer nach Privatrecht geschützt, wenn er sich bei seinem selbstlosen Einsatz verletzt? Im Vordergrund stehen hier, richtig gesehen, Rechtsansprüche gegen die in Not geratene Person; denn der Einsatz geschieht in ihrem Interesse. Die deutsche Rspr. hält sie für verpflichtet, dem Verletzten – soweit er gefährdungsspezifische Risiken auf sich genommen hat und dabei verletzt wurde – nach den Regeln der befugten Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683, 670 BGB) Schadensersatz zu gewähren36. Der Retter oder Nothelfer trägt nur dann den Schaden selbst, wenn der Versuch einer Rettung oder Hilfe gänzlich aussichtslos und unvernünftig war37. Außergewöhnlicher Mut des Retters oder Helfers, der ein hohes Risiko eingeht, allein sollte kein Grund sein, ihm den rechtlichen Schutz zu versagen oder ihm mitwirkendes Verschulden entgegenzuhalten38. In solchen Fällen wird die bei
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der Klägerin die direkte Inanspruchnahme des letztlich verantwortlichen Dritten zu versagen. Die Klagabweisung bedeutet ja, dass die Klägerin notfalls einen zweiten Prozess gegen den Eigner des festgefahrenen Kahns führen muss, um zu ihrem Recht zu kommen. Der verantwortliche Deliktstäter kann indessen abwarten, ob, wann und in welcher Höhe er im Regressweg belangt wird. Richtig ist freilich, dass sich ein direkter Anspruch gegen den Dritten nicht mit dem Schutzzweck der von dem Schuldigen übertretenen Verkehrsregeln begründen lässt (BGH, S. 176 f.) BGH 27.1.1954, BGHZ 12, 136. RG 6.6.1940, RGZ 164, 125; 7.5.1941, RGZ 167, 86; BGH 7.11.1960, BGHZ 33, 251; 27.11.1962, BGHZ 36, 270; 10.10.1984, VersR 1984, 1191. Honoré stellt rechtsvergleichend fest – freilich im Hinblick auf die von ihm allein erwogene deliktsrechtliche Haftung –, dass in den meisten Rechtsordnungen zu Gunsten des Retters eine „tendency towards a lenient assessment“ besteht. Der dem Retter oder Nothelfer erlittene Schaden sei nicht too remote, „unless totally foolhardy“, I.E.C.L. XI, Torts (1983) ch. 7, s. 154. S. zur Rechtsvergleichung auch Ranieri, Europäisches Obligationenrecht2 (2003) 633-647; Stoljar, Negotiorum Gestio, I.E.C.L. X, ch. 17 (1984) 243 ff. Dazu LG Arnsberg 15.9.1960, VersR 1961, 209: Ein Bankkunde stellt sich einem Bankräuber mutig entgegen und wird dabei durch einen Schuss des Bankräubers verletzt; s. auch OLG Stuttgart 24.11.1964, NJW 1965, 112. Treffend bemerken Ma-
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bewusster Selbstgefährdung stets notwendige Abwägung, ob das eingegangene Risiko in einem angemessenen Verhältnis zu dem erstrebten Zweck steht, in besonderem Maße durch die moralische Bewertung des Einsatzes und rechtspolitische Motive mitbestimmt. Richtiger Ansicht nach spielt keine Rolle, ob die gerettete Person ihre Notlage selbst verursacht hat. Auch in diesem Fall hat ein verletzter Retter oder Nothelfer nur Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag gegen die gerettete Person, nicht aber – jedenfalls nicht im deutschen Recht – nach Deliktsrecht. Das Deliktsrecht kennt keine Pflichten „gegen sich selbst“. Solche Pflichten können auch nicht mittelbar konstruiert werden mit Hilfe einer angeblichen Sorgfaltspflicht gegenüber allen potenziellen Rettern oder Nothelfern. Nicht weniger künstlich ist die Unterstellung, die gerettete Person habe die Rettungsaktion und die mögliche Verletzung vorhersehen können und müssen39. Neben einem Ersatzanspruch gegen die in Not geratene Person aus Geschäftsführung ohne Auftrag kommt in Fällen der Rettung oder Nothilfe auch die Inanspruchnahme eines Dritten in Betracht, falls dieser die Notlage zu verantworten hat. Die deutsche Rspr. hat nie gezögert, dem verletzten Retter oder Helfer einen unmittelbare Ersatzanspruch gegen den verantwortlichen Dritten zu gewähren, sei es nach Maßgabe einer Gefährdungshaftung, sei es nach Deliktsrecht. Die Begründung fällt leicht, wenn ein Dritter für die Gefahr, welche die Notlage geschaffen hat, nach den Regeln der Gefährdungshaftung objektiv einzustehen hat, etwa als Tierhalter, Kraftfahrzeughalter oder Eisenbahnunternehmer40. Hier muss nur dargetan werden, dass nicht nur die Verletzung oder die konkrete Gefährdung einer Person, sondern auch die hierdurch geschaffene Notlage und das Eingreifen des Retters oder Nothelfers dem von dem Dritten zu verantwortenden Gefahrenbereich zuzurechnen ist. Nicht gleichermaßen evident ist die deliktsrechtliche Haftung eines Dritten nach den Regeln des Deliktsrechts, falls er die schadensursächliche Gefahr verschuldet hat. Rspr. und Lehre zögern freilich auch hier nicht, dem verletzten Retter oder Nothelfer einen unmittelbaren Anspruch gegen den Dritten nach § 823 I BGB zuzugestehen, begründet mit den üblichen Formeln der adäquaten Kausalität und der Vorhersehbarkeit der Verletzung41. Sicherlich kann und
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zeaud/Tunc, Traité théorique et pratique de la responsabilité civile6 II (1970) 613, das Eingreifen eines Retters oder Nothelfers sei „un acte noble et louable, et il l’est d’autant pus que le sauveteur prend plus de risque“. Auch die französische Rspr. greift bei Rettung aus Not auf das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag (gestion d’affaires) zurück, um den verletzten Retter zu entschädigen, jedenfalls in den Fällen, in denen die gerettete Person schuldlos in Not geraten ist, Mazeaud/Tunc 614, Fn. 11. Selbst bei bewusster Herbeiführung der eigenen Notlage, etwa bei einem Selbstmordversuch, kann das nicht schlechthin unterstellt werden. Eher schon ist eine Ersatzpflicht des Selbstmörders gegenüber einem verletzten Retter oder Nothelfer damit zu begründen, dass der Selbstmörder „contra factum proprium“ handelt, wenn er einerseits den Anschein der Hilflosigkeit und des Rettungswunsches schafft, andererseits aber dem verletzten Retter oder Nothelfer entgegenhält, in Wahrheit habe er seine Rettung oder Hilfe gar nicht gewünscht; zur Problematik Zimmermann, FamRZ 1976, 103, 116. Vgl. RG 20.2.1902, RGZ 50, 218; 6.6.1940, RGZ 164, 125; 12.11.1943, DR 1944, 287. RG 21.3.1892, RGZ 29, 122; OLG Stuttgart 24.11.1964 (oben Fn. 38).
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muss der Deliktstäter voraussehen, dass die pflichtwidrig-schuldhaft geschaffene Gefahr zur konkreten Gefährdung oder Verletzung eines anderen führt. Kann und muss er aber auch voraussehen, dass die gefährdete oder verletzte Person in eine Notlage gerät, welche zur Nothilfe „herausfordert“, dass weiterhin tatsächlich auch ein Retter oder Nothelfer zur Stelle ist und dieser bei seinem Einsatz verletzt wird? Offensichtlich verliert hier das haftungsrechtliche Erfordernis der Vorhersehbarkeit jeden realen Sinn42. In Wahrheit wird die Verletzung des Retters oder Nothelfers dem für die Gefahr verantwortlichen Dritten objektiv zugerechnet als Folge deliktischen Unrechts gegenüber der in Not geratenen Person, vorwiegend aus gewiss billigenswerten Gründen der Rechtspolitik.
2. Die „rescue cases“ im englischen und amerikanischen Recht Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die englische und amerikanische Rspr. zu den sog. „rescue cases“. Ganz im Vordergrund der Betrachtung steht hier die deliktsrechtliche Haftung einer Person, die nach den Regeln der „negligence“ für die zur Nothilfe herausfordernde Gefahr verantwortlich ist43. Ansprüche des verletzten Retters oder Nothelfers gegen die in Not geratene Person stehen außer Betracht, weil das Common Law rechtlichen Schutz bei „Menschenhilfe“, etwa nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag, grundsätzlich nicht kennt44. Zur Begründung der Haftung des für die Notlage verantwortlichen Dritten wird angenommen, dass dieser eine „duty of care“ nicht nur gegenüber der in Not geratenen Person, sondern gleichzeitig auch eine solche Sorgfaltspflicht gegenüber dem verletzten Retter oder Nothelfer verletzt habe. Berühmt ist die von dem New Yorker Richter Cardozo gegebene Begründung: „Danger invites rescue: The cry of distress is the summons to relief […]. The wrong that imperils life is a wrong to
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Bemerkenswert sind die Erwägungen des OLG Saarbrücken im Urteil vom 25.1.1991, OLGE 1991, 483, zum Ausschluss einer deliktsrechtlichen Haftung gegenüber einem Feuerwehrmann, der sich beim Einsatz zur Löschung eines Brandes verletzt hatte. Der Brand war vom Beklagten durch Nichtabschalten eines Elektroherdes verursacht worden. Es frage sich, ob der Beklagte beim Aufwärmen des Fleischstücks habe erkennen müssen, dass durch sein Verhalten auch eine Gefährdung der vorliegenden Art, des zur Löschung herannahenden Feuerwehrmanns, eintreten könne. „Dies zu verlangen wäre eine Überspannung der Anforderungen an die Sorgfalt und Vorausschau des Beklagten“. Das Gericht stützt indes in erster Linie die Klagabweisung darauf, dass sich eine Gefahr des täglichen Lebens verwirklicht habe (der Verletzte war beim Verlassen des Feuerwehrfahrzeugs umgeknickt) und zog jene Erwägung nur unterstützend heran. Vgl. den ähnlichen Sachverhalt im BGH 4.5.1993, NJW 1993, 2234. Honoré (oben Fn. 37), Fleming, The Law of Torts5 (1977) 161-164; Markesinis/Deakin, Tort Law (oben Fn. 11) 150-152, 165 f.; Prosser/Keeton, Torts5 (1984) 306-309. Markesinis/Deakin (oben Fn. 11) 150 f.: Eine „duty to rescue“ wird nur im Rahmen einer besonderen rechtlichen Beziehung anerkannt.
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the imperiled victim; it is a wrong also to this rescuer“45. Wiederum setzt sich eine ergebnisorientierte, moralisch fundierte Rspr. gegen rechtskonstruktive Schwierigkeiten der Begründung durch46. Freilich ergeben sich besondere Probleme, wenn negligence eines Dritten gar nicht in Betracht kommt, etwa weil die in Not geratene Person ihre Notlage selbst verschuldet hat. Hier hilft sich die englische und amerikanische Rspr. mit der Unterstellung einer selbständigen „duty of care“ gegenüber jedem potentiellen Retter oder Nothelfer. Die in Not geratene Person habe durch eigene Unachtsamkeit diese Sorgfaltspflicht verletzt47. Mit dieser Rechtstechnik wird das Haftungsverhältnis des Gefährdeten gegenüber dem Retter oder Nothelfer, das im deutschen Recht von den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag beherrscht und ausgefüllt wird, mangels eines entsprechenden Rechtsinstituts teilweise abgedeckt mit Hilfe des Deliktsrechts.
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Wagner v., International Railway Co. (New York 1921) 133 N. E. 437; entsprechend das englische Recht, Markesinis/Deakin (oben Fn. 11) 165 f. Fleming (oben Fn. 43) 162, hebt hervor, das Kriterium der „foreseeability“ werde in den „rescue cases“ sehr weitherzig ausgelegt, in auffälligem Gegensatz zu den „shock cases“, bei welchen ein enges Verständnis vorherrsche. Das bestätige die Tatsache, dass „far from foreseeability being the true or sole determinant of duty, weighty policy considerations“ dafür sprächen, in dem einen Fall den Rechtsschutz des Verletzten zu begünstigen, in dem anderen Fall aber ihn einzuschränken. Näher hierzu Fleming (Fn. 43) 162 f.; Markesinis/Deakin (oben Fn. 11) 165 f. Vgl. auch meine kritischen Bemerkungen oben bei Fn. 42.
Zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Produkthaftung
Hans Claudius Taschner Der Jubilar hat die Bemühungen der Europäischen Gemeinschaft um die Harmonisierung des Rechts der Produkthaftung in ihren Mitgliedstaaten, für die der Verfasser dieser Zeilen in der Kommission zuständig war, stets mit kritischem Wohlwollen und wohlwollender Kritik begleitet. So war die Wahl des Themas für einen Beitrag zu einer Festschrift aus Anlass seines 80. Geburtstags keine Frage. Dass dieser Beitrag der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft gelten sollte, lag nahe: Es ist Aufgabe dieses Gerichtes, das erzielte Maß an Rechtsharmonie auch auf diesem Gebiet zu bewahren und das gemeinsam Erreichte vorsichtig weiterzuentwickeln. Wenn die Zahl der Urteile, die seit dem Erlass der Produkthaftungsrichtlinie vor mehr als zwanzig Jahren gefällt wurden, auch nicht groß ist, so ist dies durchaus keine negative Feststellung – im Gegenteil: Dieser Umstand spricht dafür, dass die Qualität der europäischen Lösung dieses Problems in dem gerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen liegt. Es gibt nicht viel Streit zu schlichten, es sind nicht viele unklare Regelungen zu deuten. Wenn es etwas anzumerken gibt, dann eher die Mahnung, in dem Grad der Harmonisierung nicht zu weit zu gehen und von den Mitgliedstaaten nicht zu viel zu verlangen. Der Beitrag zu dieser Festschrift ist dem Jubilar in Verehrung mit den besten Wünschen für ein fruchtbares, segensreiches Wirken in den künftigen Jahren gewidmet. Ad multos annos!
I. Die folgenden Ausführungen gliedern sich in fünf Problemkreise, die, sich teilweise überschneidend, in sieben Urteilen der Jahre 1993 bis 2007 erörtert werden.
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1. Der erste Problemkreis betrifft die Frage, welchen Grad an Rechtsangleichung die Produkthaftungsrichtlinie1 erreicht hat, inwieweit den Mitgliedstaaten also die Freiheit genommen ist, über die Regelungen der Richtlinie hinauszugehen. Diese Frage hat allgemeinen Charakter. Zwei Ansichten werden vertreten2. Die erste sieht jede Richtlinie als Mindestrichtlinie: die Mitgliedstaaten sind frei, die Regelungen jeder Richtlinie zu verschärfen, indem sie Vorschriften erlassen, die die eigene Industrie stärker belasten. Begründet wird diese Ansicht mit dem Hinweis auf den Zweck der Rechtsangleichung, in allen Mitgliedstaaten gleiche Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Kein Staat dürfe durch mildere Regeln der eigenen Industrie Wettbewerbsvorteile verschaffen. Nichts hindere den Staat jedoch, die eigene Industrie schlechter zu stellen. Wenn er Umweltschutz oder Verbraucherbelange über Wettbewerbsgleichheit stelle, so bleibe ihm dies unbenommen. Die entgegengesetzte Ansicht sieht in der Rechtsangleichung ein weiteres Instrument der politischen Integration der Mitgliedstaaten in einem geeinten Europa, in welchem so weit wie erforderlich oder wünschenswert gleiche Rechtsregeln gelten sollen. Einig ist man sich, dass die Bereiche eines Sachgebiets, die von der Regelung einer Richtlinie nicht erfasst werden und somit außerhalb ihres Regelungsbereiches liegen, in der Souveränität der Mitgliedstaaten bleiben, auch wenn die Europäische Gemeinschaft allgemein die Befugnis zur Rechtsangleichung für ein gewisses Rechtsgebiet hat, bisher aber keine Initiative oder nur für Teilbereiche dieses Rechtsgebiets unternommen hat. Die Problematik liegt selbstverständlich in der Frage, wo die Grenze zu ziehen ist. Der EuGH hatte sich mit dieser Problematik beim Thema Produkthaftung in mehreren Urteilen auseinanderzusetzen. In drei Entscheidungen, alle am selben Tag, dem 25. April 2002 ergangen, alle in den Händen desselben Berichterstatters, des österreichischen Mitglieds des Gerichtshofes P. Jann erlassen unter Mitwirkung stets desselben Generalanwalts L.A. Geelhoed – Gonzales Sanchez gegen Medicina Asturiana SA (Rs C-183/00), Kommission gegen Französische Republik (Rs C-52/00) und Kommission gegen Hellenische Republik (Rs C-183/00)3 – stand Art. 13 der Richtlinie im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Diese Vorschrift lässt Ansprüche des Geschädigten aus anderem Rechtsgrund als dem durch die Richtlinie geschaffenen unberührt. Als „anderen Rechtsgrund“ nennt dieser Artikel „Vorschriften über vertragliche und außervertragliche Haftung“, daneben Ansprüche „aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Richtlinie bestehenden besonderen Haftungsregelung“. Gedacht war im ersten Fall an die 1
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„Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte“ 85/374/EWG, ABl. 1985 Nr. L 210/29. s. hierzu im Einzelnen Taschner „Artikel 94 EG“ RZ 46 mit weiteren Nachweisen, in: von der Groeben-Schwarze„Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft“, 6.Aufl. 2003. Fundstellen s. unten bei der Besprechung der einzelnen Urteile.
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allgemeine zivilrechtliche Haftung, sei sie vertraglicher oder deliktischer Art. Es schien selbstverständlich, dass die Richtlinie diese traditionellen Rechtsbehelfe nicht abschneiden dürfe, die allerdings nach einhelliger Ansicht fast alle auf Verschulden beruhen und somit weniger weit gehen als der durch die Richtlinie gewährte Anspruch. Die Hinzufügung einer „besonderen Haftungsregelung“ ging auf das Drängen der deutschen Delegation in der Arbeitsgruppe des Rates zurück, die auf das seinerzeit einzige Produkthaftungsgesetz in der Europäischen Union, das 1976 erlassene Arzneimittelgesetz4, ergangen als Folge der „Contergan“-Katastrophe Ende der 60er des vergangenen Jahrhunderts hinwies, dessen teilweise weiterreichende, teilweise weniger strenge Regelungen durch die allgemeine Richtlinie nicht betroffen werden dürften. Dies sei politisch nicht durchsetzbar. Um zu verhindern, dass Mitgliedstaaten nicht nachträglich „besondere Haftungsregelungen“ einführen, wurde das Adjektiv „bestehend“ mit der Angabe des Zeitpunkts der Bekanntgabe, des 30. Juli 1985, hinzugefügt. Es wäre vielleicht deutlicher gewesen, wenn – wie von der Kommission angeregt – Ross und Reiter genannt worden wären. Dem widersetzte sich jedoch die Arbeitsgruppe unter Hinweis auf diplomatische Gepflogenheiten. Nur im 13. Erwägungsgrund taucht diesbezüglich der Begriff „Arzneimittelrecht“ auf.
2. Bei dem ersten hier zu behandelnden Fall Gonzales gegen Medicina Asturiana, Rs C-183/005 war die Klägerin durch eine Bluttransfusion mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert worden. Aufgrund des spanischen Gesetzes Nr. 26/1984 vom 19.7.1984, erlassen als Folge der „Rapsölkatastrophe“ 1982, forderte sie Schadensersatz. Die Beklagte wandte ein, dass dieses Gesetz durch Erlass des spanischen Umsetzungsgesetzes der Produkthaftungsrichtlinie von 1994 hinfällig sei. Das vorlegende Gericht war jedoch der Ansicht, dass der Sachverhalt in den Anwendungsbereich beider Gesetzes falle, dass aber das Gesetz von 1984 weiterginge als das Umsetzungsgesetz. Es sah das Problem des Falles in einer Auslegung des Art. 13 der Richtlinie und frug den EuGH, ob dieser Artikel einer Einschränkung der den Verbrauchern nach dem Recht der Mitgliedstaaten zuerkannten Ansprüche entgegenstehe. Während die spanische Regierung und die Kommission sich auf die Seite der Beklagten stellten, dass Art. 13 nicht die Berufung auf günstigere nationale Vorschriften erlaube, vertraten die Klägerin, die griechische, französische und österreichische Regierung die gegenteilige Ansicht. Die durch die Richtlinie bewirkte Harmonisierung sei nicht umfassend. Art. 13 lasse das günstigere Verbraucherrecht Spaniens unberührt. Es liefe dem Ziel der Richtlinie offensichtlich zuwider, dass ihre Umsetzung zu einem geringeren Schutz des Geschädigten führe. Hinzu4
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„Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts“ BGBl. I 2445 mit zahlreichen Änderungen. Slg. 2002 I 3901.
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komme, dass der neu aufgenommene Artikel 153 EGV von einer künftigen Tätigkeit der Gemeinschaft die Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes fordere. Absatz 5 dieses Artikels hindere die Mitgliedstaaten nicht daran, strengere Schutzvorschriften beizubehalten oder zu ergreifen. Der EuGH entschied, dass Art. 13 den Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit lasse, eine allgemeine Produkthaftungregelung beizubehalten, die von der durch die Richtlinie vorgesehenen abweiche. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass „die Regelung der Herstellerhaftung, die auf derselben Grundlage beruht wie die durch die Richtlinie eingeführte Regelung und nicht auf einen bestimmten Produktionssektor begrenzt ist, unter keine der Haftungsregelungen fällt, auf die Art. 13 Bezug nimmt“6. Das Urteil ist richtig. Es ist gerade der Zweck der Richtlinie, die allgemeine Haftung des Herstellers für die Folgen fehlerhafter Produkte so weit zu harmonisieren, dass für die Hersteller aller Mitgliedstaaten die gleichen Haftungsregeln gelten. Eine strengere Haftung7 in einem Mitgliedstaat würde diesem Grundsatz zuwiderlaufen. Die Vorlagefrage sei also im Sinne der Beklagten zu entscheiden. Auch die Berufung auf eine „besondere Haftungsregelung“ lehnt das Gericht ab. Das spanische Gesetz von 1984 betreffe nicht einen bestimmten Produktionssektor, den Arzneimittelbereich, sondern habe Allgemeingültigkeit. Auch dieses Ergebnis ist zutreffend. In der Tat sieht das Gesetz von 1984 eine allgemeine Regelung der Produkthaftung vor, hat also denselben Anwendungsbereich wie die Richtlinie. Ferner könnte – was der EuGH nicht tut – darauf hingewiesen werden, dass eine behauptete „besondere Haftungsregelung“ am 30. Juli 1985 hätte bestehen müssen. Zwar galt das spanische Gesetz an diesem Tage bereits, Spanien gehörte der Europäischen Gemeinschaft jedoch erst mit dem Beitritt am 1. Januar 1986 an. „Bestand“ ist auszulegen als „innerhalb der Europäischen Gemeinschaft bestehend“. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang ferner daran, dass Spanien während der Mitte 1985 laufenden Beitrittsverhandlungen die Möglichkeit hatte, in Konsultationsverfahren zu entscheidungsreifen Richtlinienvorschlägen Vorbehalte zu machen, also auch bei dem Entwurf der Produkhaftungsrichtlinie zugunsten seines Gesetzes von 1984. Es hat diese Möglichkeit ungenutzt verstreichen lassen. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Beitritts, der Übernahme der Verträge und des acquis communautaire, zu dem dann auch die am 25. Juli 1985 verabschiedete Richtlinie gehörte, hatte Spanien gemäß Art. 19 der Richtlinie die Verpflichtung, die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsakte zu erlassen, um sein Recht der Richtlinie anzupassen. Dazu gehörte auch der Widerruf eventuell entgegenstehender Regelungen. Hinsichtlich des Einwandes des Art. 153 EGV macht der EuGH deutlich, dass die den Mitgliedstaaten in Absatz 5 eingeräumte Möglichkeit sich auf Absatz 4, dieser aber auf Absatz 3 b) bezieht. Die in Absatz 3 a) angesprochenen „Maßnah6 7
RZ 33. Dem kritischen Beobachter sei der Zweifel erlaubt, ob die Ansicht des Vorlagegerichtes richtig ist, das Gesetz von 1984 sei strenger als die Regelung der Richtlinie. Die seinerzeit durchgeführte Prüfung der Dienststellen der Kommission kam zu dem gegenteiligen Ergebnis.
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men zu Verwirklichung des Binnenmarktes“ seien nicht betroffen. Außerdem ziele diese Vorschrift auf die künftige Politik der Gemeinschaft und könne sich nicht auf bereits erlassene Richtlinien beziehen.
II. In engem Zusammenhang mit der bisher behandelten Frage steht das Urteil Kommission gegen Hellenische Republik, Rechtssache C-154/008 und die erste Rüge der Kommission, die der EuGH in der Rechtssache C-52/00, Kommission gegen Französische Republik9 am selben Tag entschied. Da der Rechtstreit in beiden Urteilen dasselbe Problem zum Gegenstand hat, werden die beiden Urteile hier zusammen behandelt. Die Erörterung der weiteren Rügen der Kommission in dem zweitgenannten Urteil folgt im III. Teil. Bei der hier zur Diskussion stehenden Frage ging es um Folgendes: Während Art. 9 Absatz 1 der Richtlinie bei Beschädigung einer privat genutzten Sache eine Selbstbeteiligung des Geschädigten von 500 € vorsieht, fehlt diese Einschränkung in Art. 6 Absatz 6 des griechischen Umsetzungsgesetzes, Gesetz Nr. 2251/94 über den Verbraucherschutz, und in art. 1386-2 Code civil, der zur Umsetzung der Richtlinie durch das Gesetz Nr. 98-389 in das französische Gesetzbuch eingefügt wurde. Die Kommission sah in beiden Fällen eine nicht ordnungsgemäße Umsetzung. Die griechische Regierung widersprach diesem Vorwurf: Die Richtlinie verwirkliche nur eine Mindestharmonisierung. Daher könnten die Mitgliedstaaten den Verbraucher in höherem Maße schützende Bestimmungen erlassen. Art. 9 der Richtlinie mache ferner deutlich, dass der Begriff „Schaden“ nicht in den Regelungsbereich der Richtlinie falle. Er sei daher im Lichte der nationalen Rechte auszulegen. Die französische Regierung sieht in der Selbstbeteiligung eine Beeinträchtigung des Klagerechts des Geschädigten, was gegen die Menschenrechtkonvention von 1950 verstoße, eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, da sie ein ungerechtfertigtes Ungleichgewicht der Hersteller und der Verbraucher untereinander schaffe, und eine Verletzung des französischen ordre public, da sie zu einer vollständigen Freistellung von der Haftung für unerlaubte Handlung führe. Der EuGH folgt diesen Argumentationen nicht. Zwar sei die Bestimmung des genauen Inhalts der von Art.9 erfassten Schadensarten zum Teil den nationalen Gesetzgebern überlassen. Doch sehe die Bestimmung ausdrücklich vor, dass der Schadensbegriff die Beschädigung einer für den privaten Gebrauch zu verwendenden und auch im konkreten Fall so verwandten Sache in Höhe von mehr als 500 € umfasse. Im Übrigen bezwecke die Richtlinie für die darin geregelten Punkte entgegen dem Vorbringen der Hellenischen Republik eine vollständige Harmonisierung. Dabei bezieht sich der EuGH in der griechischen Entscheidung aus8 9
Slg.2002 I 3879. Slg. 2002 I 3827.
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drücklich auf das Urteil Gonzales Sanchez und auf die französische Entscheidung, die hier behandelt wird. Der französischen Regierung hält der EuGH vor, dass die Einführung der Selbstbeteiligung eine übermäßige Anzahl von Rechtsstreitigkeiten bei geringfügigen Schäden vermeiden solle, wobei der Geschädigte seine Ansprüche in diesen Fällen auf die vertragliche oder außervertragliche Haftung des allgemeinen Rechts stützen könne. Daher dürfe von einer Beeinträchtigung des Zugangs zu den Gerichten nicht gesprochen werden. Verschiedene Haftungsregelungen könnten sehr wohl vorgesehen werden, da die Differenzierung nach Maßgabe von Natur und Höhe des erlittenen Schadens objektiv gerechtfertigt sei. Der Entscheidung des EuGH ist voll zuzustimmen. Im Gegensatz zu den Definitionen der Art. 2 „Produkt“, Art.3 „Hersteller“ und Art. 6 „fehlerhaft“ der Richtlinie definiert Art. 9 nicht den Schadensbegriff, sondern legt lediglich fest, welche Schadensarten „umfasst“ werden: Körperschäden, auch Sachschäden, diese aber mit genau bestimmten Einschränkungen, nicht jedoch immaterielle Schäden. Dies war eine heftig umstrittene Frage. Die eine Hälfte der Mitgliedstaaten trat für die Einbeziehung der Sachschäden ein, die andere hielt dies für falsch und wollte dem Entwurf der Konvention des Europarates10 in gleicher Sache folgen, der nur den Ersatz von Körperschäden vorsieht. Der Kompromiss wurde durch die Beschränkung auf den Ersatz von Schäden an „privat“ genutzten Sachen gefunden. Hierdurch führte die Richtlinie eine wirkliche Verbraucherschutzregel ein, so juristisch umständlich und schwierig diese im Haftungsrecht unübliche Einschränkung auch ist. In der Endphase der Diskussion konnte der hartnäckige Widerstand der Gegner der von der Kommission erarbeiteten Lösung schließlich nur durch die Einführung der hier strittigen Selbstbeteiligung überwunden werden. Die Versicherungsindustrie hatte darauf gedrungen, Bagatellschäden herauszunehmen, die den Verwaltungsaufwand nicht lohnten. Der soziale Aspekt wurde dabei vernachlässigt: für die einen sind 500 € ohne Zweifel viel Geld, für die anderen ein zu vernachlässigender Betrag. In der Tat konnte es unter diesen Umständen nicht zur Diskussion stehen, dass die Höhe der Selbstbeteiligung unter dem Aspekt, die Richtlinie sei nur eine Mindestrichtlinie, der Entscheidung der Mitgliedstaaten unterliege. Daher war es richtig zu entscheiden, dass die Nichteinfügung der Selbstbeteiligung durch Griechenland und Frankreich eine unzureichende Umsetzung der Richtlinie und damit eine Vertragsverletzung sei. Bei dieser Gelegenheit sei auf eine Frage aufmerksam zu machen, die zwar nicht Gegenstand der Entscheidungen war, aber in diesem Zusammenhang oft auftaucht: Bedeutet die Grenze von 500 €, dass der Hersteller einen Schaden, der diese Grenze übersteigt, voll oder nur in Höhe des überschießenden Betrags zu tragen hat? Die Verwendung des Begriffs “Selbstbeteiligung“ zielt ohne Zweifel auf die letztgenannte Lösung. Der EuGH hat die Auffassung der Kommission bestätigt, indem er diesen Begriff als selbstverständlich übernimmt. 10
„Europäisches Übereinkommen über die Produktenhaftung bei Körperverletzung und Tötung“ vom 27.1.1977.
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Zu dem französischen Urteil ist in diesem Zusammenhang noch ein Wort zu sagen. Die Kommission hatte in ihrer Klageschrift eine fehlerhafte Umsetzung durch art.1386-2 cc darin gesehen, dass „die Vorschriften über die Produkthaftung auch für Fälle gelte, in denen der Schaden weniger als 500 € beträgt“11. Davon, dass der genannte Artikel ganz allgemein vom „Ersatz des Schadens“ spricht, „der aufgrund der Beschädigung einer …. Sache entstanden ist“, die Beschränkung auf die objektiv und subjektiv private Nutzung jedoch nicht aufgenommen hat, die Art. 9 Abs. 1b) der Richtlinie vorsieht, ist nicht die Rede. Der Gerichtshof zitiert demgegenüber den Hinweis der Kommission – vielleicht in mündlicher Verhandlung? – auf diesen Umstand: Art. 1386-2 cc „erfasse den Schaden an privaten und nicht privaten12 Gütern“13. Die Nichtaufnahme der Selbstbeteiligung verurteilt das Gericht14 wie in dem Urteil gegen Griechenland, die weitergehende Rüge der Kommission wird nicht erörtert und im Tenor – erster Anstrich – auch nicht entschieden. Es ist aus dem Vergleich der beiden Gesetzestexte ganz offensichtlich, dass der französische Gesetzgeber viel weiter gegangen ist als der Rat dies vorgesehen hatte. Das hätte die Kommission in ihrer Klageschrift monieren müssen. Sieht man in der Erwähnung des „Hinweises der Kommission“15 eine Erweiterung des Streitgegenstandes - sofern dies prozessual möglich ist -, so hätte der Gerichtshof entscheiden müssen. Das Ergebnis des Urteils ist damit unbefriedigend: die Selbstbeteiligung gilt, aber sie gilt für alle Schäden, auch diejenigen im wirtschaftlichen Bereich. Das widerspricht dem Sinn der Selbstbeteiligung. Auf der anderen Seite gilt in Frankreich nun, da ungerügt und unentschieden, eine Haftung des Herstellers und der ihm gleichgestellten Personen für alle wirtschaftlichen Schäden nach den strengen Grundsätzen der Richtlinie. Der Kommission bleibt eigentlich nichts anderes übrig, als in einem neuen Verfahren auf die vertragswidrige Umsetzung des Art. 9 Absatz 1 b) durch art. 1386-2 cc zu dringen.
III. 1. Die oben unter II. teilweise besprochene Entscheidung Kommission gegen Französische Republik Rs C-143/00 hat jedoch ein weit wichtigeres Problem zum Gegenstand, nämlich die Frage, ob Frankreich die Richtlinie insoweit falsch umgesetzt hat als dieser Mitgliedstaat neben die Haftung des Herstellers nach art. 1386-1 cc in art. 1386-7 Absatz 1 cc uneingeschränkt eine Haftung „des Verkäu11 12 13 14 15
Schlussantrag des Generalanwalts Slg. 2002 I 03827 RZ 10. Gesperrt durch den Verfasser. RZ 26. RZ 30 bis 33. RZ 26.
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fers, des Vermieters … sowie jedes gewerblich tätigen Lieferanten“ stellt und diese Personen „unter denselben Bedingungen wie den Hersteller“ haften lässt. Einige Jahre später wird dem EuGH dieselbe Frage durch ein dänisches Gericht vorgelegt, Slov gegen Bilka und Bilka gegen Michelsen/Nielsen, Rs C402/0316. Die Kläger Michelsen und Nielsen erkrankten an einer Salmonellenvergiftung, verursacht durch den Verzehr von Eiern, die sie bei der Firma Bilka gekauft hatten, welche diese ihrerseits von der Firma Skov bezogen hatte. Die Geschädigten verlangten von der Firma Bilka Schadensersatz, die ihrerseits die Firma Skov verklagte. Auch das dänische Umsetzungsgesetz Nr. 371 vom 7. Juni 1998 (in der Fassung des Gesetzes Nr. 1041 vom 28. November 2000) lässt den Zwischenhändler, den es als gewerbsmäßigen Vertreiber des Produkts definiert, ohne dass er als dessen Hersteller anzusehen ist (§ 4 Absatz 3), dem Geschädigten oder weiteren Zwischenhändlern gegenüber haften. Hat der Lieferant den Geschädigten entschädigt, tritt er in dessen Ansprüche gegen „die in der Produktions- und Vertriebskette vor ihm liegenden Wirtschaftsteilnehmer ein“ (§ 11 Absatz 3). Ist der Zwischenhändler dem Hersteller gleich zu stellen? Die französische Regierung bestreitet die Abweichung des art. 1386-7 cc von Art. 3 der Richtlinie nicht, macht aber geltend, diese Abweichung folge aus einer nationalen Verfahrensvorschrift, die als solche bei Erlass der Richtlinie nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft gefallen sei. Auch die dänische Regierung weist auf überkommenes Recht, entwickelt durch die Rechtsprechung, hin. Auch hier erlaube Art. 13 der Richtlinie, deren System auf den Lieferanten auszudehnen. Der EuGH lässt diese Einwände nicht gelten. Da die Gemeinschaft für die Produkthaftung zuständig war, war sie auch dafür zuständig zu bestimmen, wem diese Haftung aufzuerlegen sei und unter welchen Voraussetzungen. Unter Bezug auf die oben behandelten Urteile Gonzales Sanchez, Kommission gegen Hellenische Republik und (für das Skov Urteil) die hier zur Diskussion stehende Entscheidung Kommission gegen Frankreich lehnt es die weitgehende Auslegung des Art. 13 ab. Die Vorschrift erlaube den Mitgliedstaaten, eine von der Richtlinie abweichende allgemeine Regelung der Produkthaftung beizubehalten. Damit gibt der Gerichtshof in dem französischen Fall der Kommission Recht und entscheidet in dem dänischen Fall zugunsten der ursprünglich Beklagten. Diese Entscheidung begegnet Bedenken. Sie ist in ihrer Argumentation aufgrund der von dem Gerichtshof angenommenen Ausgangsposition schlüssig und richtig, im Ergebnis ist sie falsch. Die Schlüsselfrage ist wiederum die nach dem Umfang der Rechtsangleichung: wie weit geht die Richtlinie? Stellt man sich, wie es der EuGH tut, auf den Standpunkt, es handele sich um eine „vollständige Harmonisierung der Gefährdungshaftung für fehlerhafte Produkte“ – so der Generalanwalt in seinem Schlussantrag in der Rechtssache C-52/0017, dem der EuGH18mit einer etwas anderen Begründung folgt -, so ist die Schlussfolgerung richtig, es liege eine Vertragsver16 17 18
Slg. 2006 I 199. RZ 56. RZ 59.
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letzung vor, da der Gemeinschaftsgesetzgeber, wie sich aus Art. 3 ergibt, den Zwischenhändler eben nicht in das Haftungssystem einbezogen hat. Wenn Frankreich und Dänemark dies getan haben, ist dies unzulässig und damit eine Vertragsverletzung. Das Ergebnis: keine Haftung des Zwischenhändlers. Vertritt man demgegenüber den Standpunkt, es handele sich bei der Richtlinie nicht um eine vollständige Harmonisierung, dann sind die Mitgliedstaaten so weit frei, wie die Richtlinie nicht reicht. Wer nach Art. 1 „als Hersteller“ haftet, definiert Art.3 abschließend. Dieser Artikel erfasst den Zwischenhändler nicht. Damit wären Frankreich und Dänemark frei, unabhängig von der gemeinschaftlichen Harmonisierung den Zwischenhändler „wie den Hersteller“ haften zu lassen. Folglich liegt keine Vertragsverletzung vor. Das Ergebnis: Haftung des Zwischenhändlers nach autonomen nationalem Recht. Die Diskussion um „Mindestrichtlinie“ –„umfassende Rechtsangleichung“, geführt mit diesen Schlagworten, führt nicht weiter, da beide Begriffe zu grob sind. Man muss unterscheiden: Eine Richtlinie erfasst einen gewissen Regelungsbereich. Diesen steckt sie mit Definitionen ab. Eine Definition bedeutet eine allgemein verbindliche Entscheidung des Gesetzgebers. Innerhalb dieses Regelungsbereichs haben die Mitgliedstaaten keine Änderungsbefugnis. Wenn die Erlöschensfrist des Art. 11 der Richtlinie zehn Jahre beträgt, so kann ein Mitgliedstaat diese Frist nicht verlängern. Insoweit ist die Theorie der Mindestrichtlinie abzulehnen. Rechtsangleichung wäre ihres Sinnes entleert, wenn es anders wäre. Sie ist – so unglücklich dieses Schlagwort ist – „umfassend“. Außerhalb des Regelungsbereichs sind – wie gesagt – die Mitgliedstaaten frei, auch wenn es sich um einen Teilbereich des umfassenden Begriffs „Haftung für fehlerhafte Produkte“ handelt. Wie steht es hier? Die Frage der Haftung des Zwischenhändlers ist im Rat eingehend erörtert worden. Das Ergebnis findet sich in dem Protokoll der 1025. Tagung des Ministerrats vom 25.7.1985, dem Tage der Annahme der Richtlinie, das in der dänischen Entscheidung19 zitiert wird. Dort heißt es, dass „Rat und Kommission in der Frage der Auslegung des Artikel 13 übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass es jedem Mitgliedstaat überlassen bleibt, in seinen nationalen Rechtsvorschriften Regeln über die Haftung des Zwischenhändlers festzulegen, da diese durch die Richtlinie nicht geregelt wird“. Angesichts der Rechtslage in Frankreich, wo die Gerichte in jahrelanger konstanter Rechtsprechung durch eine extensive Auslegung kaufrechtlicher Vorschriften, insbesondere des art. 1645 cc den gewerbsmäßigen Verkäufer, gleichgültig, ob Hersteller oder Zwischenhändler, dem bösgläubigen – und damit schadensersatzpflichtigen –Verkäufer gleichstellen, drängte dieser Mitgliedstaat auf eine solche Klarstellung. Dabei ist zu betonen, dass diese Protokoll-Erklärung vom Rat, also von allen Mitgliedstaaten, sowie von der Kommission getragen wurde. Wenn nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH Protokoll-Erklärungen, die nicht Eingang in den Text der Gesetzesvorschrift gefunden haben, auch keine rechtlichen Wirkungen entfalten, wie das Gericht in der dänischen Entscheidung20 bestätigt, ist eine solche Erklärung doch 19 20
RZ 17, Ziffer 3 des dänischen Vorlagebeschlusses. RZ 42.
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Ausdruck des Verständnisses des Gemeinschaftsgesetzgebers, wer nach Vorstellung des Rates der Haftende sein soll. Das Ergebnis, dass der Zwischenhändler nicht aufgrund der Richtlinie verschuldensunabhängig haftet, ist – wie gesagt – richtig, soweit betont wird „aufgrund der Richtlinie“. Die Begründung dieses Ergebnisses durch den EuGH ist jedoch unzutreffend. Die Haftung des Zwischenhändlers ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil Art. 3 abschließend den Begriff „Hersteller“ definiert und der Lieferant nur in den dort genannten Sonderfällen aufgenommen worden ist, sondern weil der Anwendungsbereich der Richtlinie bewusst und gewollt den Lieferanten als „Zwischenhändler“ nicht umfasst. Dies bedeutet, dass die Mitgliedstaaten frei sind: sie können den Zwischenhändler einer solchen strengen Regel unterwerfen, müssen es aber nicht. Frankreich und Dänemark wollten dies offensichtlich. Es war ihnen nicht zu verwehren. Eine andere Frage ist, ob diese Entscheidungen der beiden Länder sachlich richtig sind. Produkthaftung ist Produzentenhaftung. Unter der Bezeichnung „Produkthaftung“ wurde die durch sie geregelte Haftung geführt. Die Verwendung dieses in der deutschen Sprache philologisch nicht korrekten Terminus – es haftet eine Person für ein Produkt; nicht das Produkt ist Subjekt der Haftung – war bei den Erörterungen im Rat einzig und allein gerechtfertigt, um den interessierten Kreisen der Händler – Anscheins-Hersteller, Auslandsimporteur, Lieferant anonymer Produkte – das Argument zu nehmen, die Kommission sei in ihrem Vorhaben widersprüchlich: sie verwende den Begriff „Produzentenhaftung“, beziehe aber Nicht-Produzenten ein. Im Übrigen hatte sich in den Vereinigten Staaten der Begriff „product liability“, nicht „producer’s liabilty“ herausgebildet. Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass die Produzentenhaftung im Mittelpunkt der Regelung steht und für alle anderen Personen des Handels besondere, sehr genau gefasste Gründe bestehen, sie in die strenge Herstellerhaftung einzubeziehen. Aber eben weil bei ihnen diese besonderen Gründe vorliegen, ergibt sich der Schluss a maiore ad minus, dass der Zwischenhändler als solcher, als Glied der Verteilerkette, nicht einzubeziehen ist. Die sachliche Rechtfertigung ist eindeutig: der Produzent stellt her, schafft neue Produkte, führt aber dabei jene Risiken herbei, die als “Fehler“ bezeichnet werden und zu Schädigungen des Verwenders führen. Der Händler gibt das von ihm im Regelfall nicht veränderte Produkt lediglich weiter. Er steht in dem Synallagma des Nehmens und Gebens, von Ware und Kaufpreis. Für diese Belange haben wir die Sachmängelhaftung nach Kaufrecht. Der Händler schafft kein neues Risiko für den Verwender. Wenn das französische Recht den Zwischenhändler in die „responsabilité du fait des produits“ einbezieht, so liegt das lediglich an den frühen Versuchen, den Hersteller dadurch haftbar zu machen, dass man die Verteilerkette vom Letztverkäufer über den Großhändler zum Produzenten zurückverfolgt. Dass man sich elegant über spezifische Hindernisse, wie z.B. die kurze Verjährungsfrist des „bref délai“, art. 1648 cc, hinwegsetzte, zeigt den Willen, zu dem gewünschten Resultat zu kommen. Richtigerweise nimmt der französische Gesetzgeber nunmehr die Produkthaftung in das Deliktsrecht, wo sie hingehört, und löst sich grundsätzlich von dem nicht sachgerechten Kaufrecht. Wenn die Kritik einer fremden Feder erlaubt ist: Die Regelung der Verkäuferhaftung im Deliktsrecht kann zu schwer lösbaren Konflikten bei der Anwendung des Grundsatzes des französischen
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Rechts führen, dass vertragliche und deliktische Klagen nicht kumuliert werden können. So ist auch die Einbeziehung des Vermieters in art. 1386-7 Absatz 1 cc nicht ganz verständlich. Wenn der Vermieter „für die Schäden, die die von ihm vermietete Sache beim Mieter verursacht“, haften soll, warum dann nicht auch der Verleiher, die unentgeltliche Variante der Gebrauchsüberlassung, oder der Schenker als dieselbe Variante zum Verkäufer? Man könnte diesen Gedanken weiterführen: wie steht es mit dem Verwahrer? Wie mit dem Gesellschafter, der eine Sache als Einlage in die Gesellschaft einbringt? Der Begriff „Produkthaftung“ als Haftung für die Schäden, die ein Produkt verursacht, könnte auch diese Fälle umfassen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat sich aber mit Recht davor gehütet, über die Herstellerhaftung hinauszugehen. Da Dänemark sein Recht nach Erlass des besprochenen Urteils offensichtlich nicht änderte, sah sich die Kommission gezwungen, Dänemark erneut zu verklagen. In der Entscheidung vom 7. Juli 2007, Rs 327/05 Kommission gegen Königreich Dänemark21 wiederholte der EuGH sein Urteil, Dänemark habe durch die Einführung einer Haftung des Zwischenhändlers gegen der Vertrag verstoßen. Im Laufe der Verhandlungen hatte Dänemark allerdings anerkannt, dass die dänische Regelung nicht mit der Auslegung durch den EuGH vereinbar sei und die Kommission informiert, dass es das Gesetz Nr. 371 durch das Gesetz Nr. 541 vom 8. Juli 2006 modifiziert habe22. Zusammenfassend ist somit festzuhalten: Die Urteile in Sachen Kommission gegen Französische Republik und Skov sind im Ergebnis insoweit richtig entschieden, als sie die Erstreckung der Herstellerhaftung im Rahmen der Richtlinie auf den Verkäufer/Zwischenhändler für vertragswidrig erklären und insoweit der Kommission folgen. Sie sind sachlich jedoch falsch, als beide Staaten durchaus das Recht hatten, den Verkäufer/Zwischenhändler einer verschuldensunabhängigen Haftung zu unterwerfen. Dies ist jedoch nicht eine Frage des Art. 13 der Richtlinie und damit „des Grades der Harmonisierung“, sondern folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten außerhalb des Regelungsbereiches einer Richtlinie in ihrer Gesetzgebungstätigkeit frei sind.
2. Der Vollständigkeit halber sollen hier noch ein paar Worte zu der dritten Rüge in der Entscheidung Kommission gegen Französische Republik – Rs C-52/00 - gesagt werden. Art.1386-12 Absatz 2 cc sieht vor, dass eine Entlastung des Herstellers nach Art. 7 d) und e) der Richtlinie nicht möglich ist, wenn dieser „beim Auftreten des Fehlers innerhalb der zehnjährigen Erlöschensfrist keine geeigneten Maßnahmen getroffen hat, um dem Eintritt des Schadens vorzubeugen“. Die Kommission rügt, dass der französische Gesetzgeber dem Hersteller durch diese Vorschrift eine Produktbeobachtungspflicht auferlege, von deren Erfüllung die 21 22
Slg. 2007 I 93. RZ 12 und 13.
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Haftungsbefreiung in beiden Fällen abhängig gemacht werde. Die französische Regierung beruft sich auf die durch Art. 15 der Richtlinie gewährte Wahlmöglichkeit, die von der Richtlinie nicht vorgesehene Haftung für die sog. „Entwicklungsrisiken“ einzuführen. Wenn dies so sei, könne die Haftungsfreistellung – offensichtlich in einem Schluss a maiore ad minus – auch von der Erfüllung besonderer Voraussetzungen abhängig gemacht werden. Für den Buchstaben d) gelte mutatis mutandis dasselbe. Der EuGH begnügt sich mit der etwas knappen Feststellung, Art.15 der Richtlinie gestatte den Mitgliedstaaten, die Haftungsfreistellung auszuschließen, nicht aber die Tatbestandsvoraussetzungen hierfür zu ändern. Diese Entscheidung ist richtig. Allerdings ist festzustellen, dass der inkriminierte Artikel nicht eine Produktbeobachtungspflicht zur Voraussetzung einer Haftungsbefreiung macht, sondern „das Unterlassen von Maßnahmen, einem Schadenseintritt vorzubeugen, wenn sich der Fehler gezeigt hat“ („beim Auftreten des Fehlers“). Diese Kenntnis des Herstellers kann die Folge einer Produktbeobachtung sein, muss es aber nicht. Wesentlich ist sein Nichthandeln. Um ihn hierfür haftbar zu machen, bedarf es dieser Vorschrift nicht. Weiß der Hersteller, dass sein Produkt fehlerhaft ist, ein Schaden jedoch noch nicht eingetreten ist, so ergibt sich eine Handlungspflicht zur Schadensabwehr aus allgemeinen Haftungsgrundsätzen. Dies haben Kommission und Gerichtshof offenbar übersehen.
IV. Ebenfalls zweimal hatte sich der EuGH mit der Frage auseinanderzusetzen, was unter „in Verkehr bringen“ zu verstehen ist. Art. 7a) der Richtlinie gewährt dem Hersteller Haftungsbefreiung, wenn er beweist, dass er die Sache nicht in den Verkehr gebracht hat.
1. Im ersten Fall – Veedfald gegen Arhus Amtskommune, Rs C-203/9923, entschieden am 10. Mai 2001 – hatte sich der Kläger einer Nierenoperation zu unterziehen. Im Laufe dieser Operation wurde die entnommene Niere durch eine Reinigungsflüssigkeit durchspült. Durch diesen Vorgang verklumpte eine Arterie, wodurch die Niere nicht mehr verwendet werden konnte. Die Flüssigkeit war in der klinikeigenen Apotheke, die sich im Klinikkomplex befand, hergestellt und aus dem Kellergeschoß in den Operationssaal gebracht worden. Der Schadensersatzklage hielt die Klinik entgegen, die Flüssigkeit sei durch sie nicht in den Verkehr, sondern lediglich von einem medizinischen Bereich in den anderen gebracht worden. Das Produkt sei „zur rein internen Verwendung“ bestimmt gewesen und habe somit die „Herrschaftssphäre“ des Herstellers nicht verlassen. Der Kläger 23
Slg. 2001 I 3569.
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habe sich ja selbst in das Krankenhaus begeben. Außerdem sei die Flüssigkeit nicht für wirtschaftliche Zwecke hergestellt worden, da das Krankenhaus sich aus öffentlichen Mitteln finanziere und der Kläger im Rahmen des dänischen Gesundheitssystems unentgeltlich behandelt worden sei. Schließlich sei fraglich, um welche Art des Schadens es sich überhaupt handele. Der EuGH geht davon aus, dass die in Art. 7 vorgesehenen Haftungssauschlussgründe als Ausnahmen eng auszulegen seien. Der Umstand, dass das Produkt die „Herrschaftssphäre“ des Herstellers nicht verlassen habe, sei nicht maßgeblich, wenn die Person, für die das Produkt bestimmt sei, sich selbst in diese Herrschaftssphäre begeben müsse. Es sei unerheblich, ob das Produkt im Krankenhaus selbst hergestellt oder von einem Dritten bezogen wurde. Daher sei die Flüssigkeit unter diesen Umständen in den Verkehr gebracht worden. An der wirtschaftlichen und beruflichen Natur der Herstellung der Flüssigkeit ändere nicht, dass diese nicht direkt vom Patienten bezahlt, sondern von der öffentlichen Hand finanziert wurde. Hinsichtlich des Schadens verwies der EuGH die Beantwortung dieses Aspekts an das vorlegende Gericht zurück, da die Ausfüllung dieses Begriffs dem nationalen Recht überlassen geblieben sei; doch könne das Gericht nicht jede Schadensersatzpflicht mit der Feststellung verneinen, dass der Schaden unter keine der in Art. 9 genannten Schadensarten falle. Dem Urteil ist voll zuzustimmen. Der hier strittige Begriff des „Inverkehrbringens“ wurde vom Gemeinschaftsgesetzgeber deswegen nicht definiert, weil er sich von selbst erklärt. Es kommt darauf an, dass der Hersteller das Produkt als fertig in den Wirtschaftskreislauf entlassen hat. Das war hier der Fall. Bereits das Abfüllen und das „In-den-Abgang-Geben“ genügt. Damit hat der Hersteller gezeigt, dass er nicht beabsichtigt, an dem Produkt noch etwas zu verändern. Bei der zweiten Frage ist die Argumentation der Beklagten schwer zu begreifen. Selbstverständlich handelt es sich nicht um eine unbezahlte Tätigkeit des Beklagten, auch wenn der Kläger nichts zu zahlen hatte. Der EuGH24 sagt sehr richtig: „An der wirtschaftlichen und beruflichen Natur der Herstellung ändert es jedoch nichts, dass die Leistung nicht direkt vom Patienten bezahlt wurde“25.
2. Auch bei einer jüngeren Entscheidung des EuGH, O’Byrne gegen Sanofi Pasteur M & D Ltd. und Sanofi Pasteur SA, Rs C-127/0426 geht es um den Begriff des Inverkehrbringens. Der Kläger, ein Kind, hatte durch eine Impfung schwere Schäden erlitten. Der Hersteller des Impfstoffes war eine französische Gesellschaft, die diesen an ihre hundertprozentige britische Tochtergesellschaft verkauft und auch den Kaufpreis hierfür erhalten hatte. Die Tochtergesellschaft verkaufte den Impfstoff an das britische Gesundheitsministerium und lieferte weisungsgemäß das 24 25
26
RZ 21. Ausführlich zu diesem Urteil s. Taschner, Urteilsbesprechung case C-203/99 Veedfald v. Arhus In: CMLR 39, 385, deutsche Fassung in: PHi 2003, Heft 1 S. 1. Slg. 2006 I 313.
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Medikament direkt an das Krankenhaus, das dieses an die Arztpraxis weitergab, in der der Kläger geimpft wurde. Der Kläger verklagte – sehr spät – in einem ersten Prozess die britische Tochtergesellschaft, weitere zwei Jahre später den französischen Hersteller. Diese zweite Klage wurde zehn Jahre und drei Wochen nach der Lieferung des Impfstoffes von der Beklagten an die britische Tochtergesellschaft erhoben. Die Beklagte wandte selbstverständlich Verjährung (besser: Erlöschen) des Anspruchs nach Art. 11 der Richtlinie, Art. 11 A (3) Consumer Protection Act ein. Die Klage sei nach Ablauf der Zehnjahresfrist erhoben worden. Der Kläger behauptete, er habe erst wenige Woche vor der Klageerhebung erfahren, dass der Hersteller nicht die britische Tochtergesellschaft, sondern die französische Muttergesellschaft gewesen sei. Seiner Meinung nach sei das Produkt erst in dem Augenblick in den Verkehr gebracht worden, als es an das Krankenhaus ausgeliefert wurde. Vorsorglich beantragte er, in dem Verfahren gegen die britische Gesellschaft die französische Muttergesellschaft als Beklagte und als tatsächlichen Hersteller zu ersetzen. Der EuGH entschied unter Bezugnahme auf das Urteil Veedfald, dass Art. 11 der Richtlinie einen neutralen Charakter habe, da diese Vorschrift der Rechtssicherheit diene. Eine Sache sei demnach in den Verkehr gebracht, wenn sie „den vom Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen habe und in den Prozess der Vermarktung eingeführt sei, in dem es in ge- oder verbrauchsfertigen Zustand öffentlich angeboten wird“27. Nach diesem Grundsatz habe das vorlegende Gericht zu prüfen, ob eine Verbindung zwischen Muttergesellschaft und hundertprozentiger Tochtergesellschaft so eng sei, dass der Begriff des Herstellers auch diese Beziehung umfasse und die Weitergabe an diese nicht das Inverkehrbringen bewirke. Dabei dürfe nicht darauf abgestellt werden, ob es sich um unterschiedliche juristische Personen handele oder nicht. Zur prozessrechtlichen Frage verweist der EuGH auf das nationale Recht. Dieser Entscheidung ist ebenfalls zuzustimmen. Es kann keinen Unterschied machen, ob die Glieder der Verteilerkette durch juristische Konstruktionen wie die hier beschriebenen rechtlich verbunden oder rechtlich selbständig sind. Dem Sachverhalt zufolge scheint das Inverkehrbringen hier die Weiterleitung an die britische Tochtergesellschaft gewesen zu sein, so dass der Anspruch gegen den Hersteller wohl erloschen ist.
V. 1. Im letzten Abschnitt dieses Beitrags soll das Urteil vom 29. Mai 1997 Kommission gegen Vereinigtes Königreich C-300/9528 erörtert werden. Der von der Kom27 28
RZ 27. Slg. 1997 I 02649.
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mission erhobene Vorwurf ging dahin, dass das Vereinigte Königreich mehrere Artikel der Richtlinie, besonders aber Art. 7 e) nicht richtig umgesetzt habe. Dieses Urteil war die erste Entscheidung, die der EuGH in Sachen Produkthaftung zu fällen hatte und betraf sogleich eines der umstrittensten Probleme, denen sich der Gemeinschaftsgesetzgeber gegenübergestellt sah. Aus diesem Grunde wird dieses erste Urteil als letztes hier behandelt. In der Sache ging es bei der Auslegung des Art. 7 e) um das richtige Verständnis der sog. „Entwicklungsrisiken“. Zur Erinnerung: Soll der Hersteller auch dann haften, wenn die schadensstiftende Eigenschaft des Produkts nach dem Stand von Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt seiner Produktion nicht erkennbar war? Nach dem System der Richtlinie, die eine verschuldensunabhängige Haftung einführt und damit jede wie immer zu qualifizierende Beziehung des Herstellers zu seinem Produkt für unerheblich ansieht, wäre es sachlogisch gewesen, wenn der Hersteller für diesen ohne Zweifel außergewöhnlichen und somit seltenen Fall zu haften gehabt hätte. Dies war die Haltung der französischen Delegation im Einklang mit ihrem Rechtssystem, unterstützt von Belgien und Luxemburg. Großbritannien und Italien widersetzten sich. Die deutsche Haltung war widersprüchlich. Einmal bestand die Regierung, wie oben29 beschrieben, auf der uneingeschränkten Fortgeltung des deutschen Arzneimittelgesetzes von 1976, das die sog. „Entwicklungsrisiken“ einschließt; andererseits lehnte sie eine allgemeine Einführung einer solchen Haftung ab. Der Rat einigte sich bekanntlich nach heftigen Erörterungen durch Einführung einer Haftungsauschlussklausel darauf, den strittigen Fall nicht einzubeziehen, Art. 7 e), fügte aber die Option des Art.15 Abs. 1 b) ein, demzufolge jeder Staat eine solche Haftung für sich einführen könne. Die Tragweite dieser Option wurde dadurch eingeschränkt, dass der Rat zehn Jahre nach Bekanntgabe der Richtlinie, also bis um 30. Juli 1995, nach Vorlage eines Berichts der Kommission und auf deren Vorschlag über die Aufhebung des Art.7 e) beschließen sollte. Dazu ist es mangels Initiative der Kommission nicht gekommen.
2. Vor diesem Hintergrund ist die Auseinandersetzung zwischen der Kommission und dem Vereinigten Königreich zu sehen. Während Art. 7 e) vorsieht, dass der Hersteller nicht haftet, wenn „der vorhandene Fehler nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem er das betreffende Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte“, hatte der britische Gesetzgeber in Teil I des Consumer Protection Act (CPA) in section 4(1)(e) bestimmt, dass der Hersteller frei ist, wenn er nachweisen kann, dass „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik, nicht davon ausgegangen werden konnte, dass ein Hersteller von Produkten mit der gleichen Beschreibung wie das fragliche Produkt die Fehler erkannt hätte, wenn seine Produkte diesen Fehler aufgewiesen hätten, während sie seiner Kontrolle unterlagen“. 29
Siehe oben bei I. 1. (vor 2.).
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Die Kommission vertrat die Ansicht, dass das Vereinigte Königreich das „Verteidigungsmittel des Art. 7 e) erheblich ausgeweitet“ und „die in Art.1 vorgesehene verschuldensunabhängige Haftung in eine Fahrlässigkeitshaftung umgewandelt hat“30. Das Kriterium des Art. 7 e) sei nämlich insofern objektiv, als auf einen Kenntnisstand abgestellt werde, der sich in keiner Weise darauf beziehe, ob der Hersteller das betreffende Produkt oder ein anderer Hersteller eines ähnlichen Produkts die Fähigkeit habe, den Fehler zu erkennen. Section 4(1)(e) CPA setze jedoch eine subjektive Beurteilung voraus, bei der auf das Verhalten eines vernünftigen Herstellers abgestellt werde. Somit sei es dem Hersteller leichter, den Nachweis zu führen, dass weder er noch die Hersteller gleichartiger Produkte den Fehler hätte erkennen können, wenn die in diesem Industriesektor üblichen Vorsichtsmaßnahmen beachtet worden seien und keine Fahrlässigkeit vorliege. Das Vereinigte Königreich wandte sich nicht gegen diese Auslegung des Art. 7 e) durch die Kommission. Section 4(1)(e) CPA enthalte jedoch das gleiche Kriterium wie die Richtlinie und sehe keine Fahrlässigkeitshaftung vor. Der inkriminierte Artikel verwende ein objektives Kriterium in dem Sinne, dass es für den Stand von Wissenschaft und Technik nicht darauf ankomme, was der betreffende Hersteller tatsächlich wisse oder nicht wisse, sondern auf den Kenntnisstand, den man von der Kategorie der Hersteller solcher Produkte objektiv erwarten könne. Genau das sei die Bedeutung der section 4(1)(e). Der EuGH analysiert zunächst Artikel 7 e) und stellt unter Zitat der Ansicht des Generalanwalts fest, dass sich diese Vorschrift mit der Verweisung auf Wissenschaft und Technik nicht speziell auf die üblichen Sicherheitspraktiken und – standards in dem einschlägigen Industriesektor bezieht, sondern ohne jede Einschränkung auf den Stand von Wissenschaft und Technik – „der den höchsten einschließt“ – wie er im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des betreffenden Produkts existierte. Ferner „berücksichtigt die Haftungsbefreiungsklausel nicht den Kenntnisstand, über den der Hersteller konkret oder subjektiv informiert war oder sein konnte, sondern den objektiven Stand von Wissenschaft und Technik, über den der Hersteller als informiert gilt“31. Jedoch, fährt der EuGH fort, setze dies zwangsläufig voraus, dass die relevanten Kenntnisse zu diesem Zeitpunkt zugänglich gewesen seien. Bezüglich dieses Gesichtspunktes bereite Art. 7 e) Auslegungsschwierigkeiten. Hierüber müsse das nationale Gericht entscheiden. Dem Vorbringen der Kommission, der hinsichtlich der behaupteten Vertragsverletzung die Beweislast obliege, dass section 4(1)(e) mit Art. 7 e) offensichtlich nicht vereinbar sei, könne nicht gefolgt werden, „da es selektiv auf bestimmte Begriffe der section 4 (1) (e) abstellt, ohne darzulegen, dass der allgemeine rechtliche Kontext der strittigen Vorschrift es nicht ermöglicht, die vollständige Anwendung der Richtlinie tatsächlich zu gewährleisten“32. Insbesondere lasse sich dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht entnehmen, dass deren Anwendung von den subjektiven Kenntnissen eines normal sorgfältigen Herstellers abhänge. Im vorliegenden Fall habe die Kommission ihre Klage auf keine nationale Gerichtsentscheidung ge30 31 32
RZ 16. RZ 27. RZ 33.
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stützt, in der die strittige nationale Vorschrift nicht in richtlinienkonformer Weise ausgelegt worden wäre. Da die Kommission ihr Vorbringen nicht bewiesen habe, sei die Klage abzuweisen.
3. Dieses Urteil vermag der Kritik nicht standzuhalten. Zuerst einmal hat der Gerichtshof sich seiner Aufgabe entzogen, die Vereinbarkeit der britischen Norm mit dem Text der Richtlinie zu prüfen, wenn er verlangt, dass die Kommission ihre Klage auf eine nationale Gerichtsentscheidung stütze, in der die strittige Vorschrift falsch ausgelegt worden sei. Es handelte sich in dem dem Gericht vorgelegten Fall – wie eingangs ausgeführt – nicht um eine entscheidungserhebliche Auslegung einer Gemeinschaftsnorm, um einen Rechtsstreit zwischen zwei Parteien zu entscheiden. Es ging allein um die Frage, ob Art. 7 e) durch section 4 (1)(e) CPA richtlinienkonform umgesetzt worden ist. Nach Erlass des CPA 1987 hatte die Kommission ihrer Aufgabe entsprechend dieses Gesetz auf seine Vereinbarkeit mit der Richtlinie überprüft und eine Reihe von Beanstandungen erhoben. Die zuständigen Regierungsstellen wurden auf diese Bedenken aufmerksam gemacht. In mehreren längeren Sitzungen mit Regierungsvertretern versuchte die Kommission, das Vereinigte Königreich von der Richtigkeit ihrer Auffassung zu überzeugen. Hauptpunkt war die hier den Streitgegenstand bildende Frage. Während in einigen nebensächlichen Punkten Einverständnis erzielt werden konnte, bestand die britische Seite darauf, section 4(1)(e) CPA sei richtlinienkonform. In der Diskussion entstand allerdings der Eindruck, dass es gar nicht so sehr um die Richtigkeit der Argumentation ging, sondern dass vornehmlich politische Gründe bei der vertretenen Haltung im Vordergrund standen. Da die britische Regierung nicht einlenkte, blieb der Kommission nichts anderes übrig, als ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Der Gerichtshof war also einzig und allein aufgerufen, diesen Streit zu entscheiden. Der Vorwurf, der Klage liege keine anstehende nationale Gerichtsentscheidung zu Grunde, geht also ins Leere – mehr noch: mit diesem Vorwurf weicht er der Aufgabe aus, zu der er berufen ist. Es ist zuzugeben, dass die passive Formulierung des Artikel 7 e) es offen lässt, welche Person die fehlende Eigenschaft besaß, den Fehler zu erkennen. Dass es nicht der verklagte Hersteller sein kann, ergibt sich aus der Logik des Haftungssystems sowie aus Art. 1, der die verschuldensunabhängige Haftung festlegt. Denn hätte der Hersteller den Fehler erkannt (und das Produkt trotzdem in den Verkehr gebracht), würde der Vorwurf der Fahrlässigkeit, ja sogar des bedingten Vorsatzes zu einer Verurteilung zu Schadensersatz ausreichen. Dazu hätte es des Art. 7 e) nicht bedurft. Natürlich wäre es besser, ja erforderlich gewesen, diese Unklarheit der Vorschrift zu beseitigen. Lange Diskussionen im Rat führten jedoch zu keinem Ergebnis. So blieb als „diplomatische“ Lösung nur die mangelnde Deutlichkeit der passiven Formulierung, die den Dissens verschleierte. Es darf dabei nicht verges-
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sen werden, dass die Richtlinie nach Art. 100 a.F. EGV nur einstimmig angenommen werden konnte. Die britische Regierung zog aus dieser Undeutlichkeit den Vorteil, als Bezugsperson für die Erkennbarkeit in „objektiver Weise“ die „Hersteller von Produkten der gleichen Beschreibung“ zu nehmen, um ihre Auffassung durchzusetzen. Das bedeutete jedoch das Beharren auf dem überkommenen Fahrlässigkeitsmaßstab: das Abstellen auf den „reasonable producer“ entspricht dem Abstellen auf den „pater familias“ oder den „bon père de famille“, also auf das Verhalten einer Person, die für das zu messende Verhalten als verlässlicher Maßstab genommen wird. Das kann aber nicht der Sinn dieser Vorschrift sein. Art. 7 e) ist nicht eine allgemein gefasste Ausnahme von Art. 1. Er hebt als Haftungsauschlussklausel nicht generell wieder auf, was als grundlegende Vorschrift der Richtlinie festgelegt worden ist. Er ist wie die anderen Fälle dieses Artikels eine Ausnahme, die es ausnahmsweise gerechtfertigt sein lassen kann, von dem Grundsatz abzuweichen. Als solche ist sie eng auszulegen. Hinzukommt, dass Buchstabe e) auf den „Stand von Wissenschaft und Technik“ abstellt, also auf die allgemeine Kenntnis von Wirkung und Tragweite der Funktionsweise eines Produkts. Das ist ein objektiver Maßstab. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass nur gemeint sein konnte – und es war so gemeint -, dass der Erkenntnisstand, der der Allgemeinheit zur Verfügung stand und von ihr getragen wurde, die Grenze zwischen Haftung und Haftungsbefreiung zog: Stand der Wissenschaft und Technik kein Mittel zur Verfügung, den „Fehler“ zu erkennen und konnte dies der Hersteller beweisen, ist er frei; gab es diesen Stand der Erkenntnis, gleichgültig, ob sie Fachkreisen bekannt war oder nicht, so kann der Hersteller keine Haftungsbefreiung fordern. Unzulässig ist es, den Stand von Wissenschaft und Technik mit dem Kenntnisstand des „vernünftigen Herstellers“ gleicher Produkte gleichzusetzen. Es mag sein, dass dieser Kenntnisstand sich mit jenem deckt, es muss aber nicht so sein. Der EuGH hat sich im Grunde genommen einer Entscheidung dieser Frage auf doppelte Weise entzogen, indem er einmal auf den fehlenden Beweis für die Klage abstellte, zum anderen die Forderung erhob, die Kommission hätte ihre Klage auf eine nationale Gerichtsentscheidung stützen müssen. Angesichts der Rechtslage zu Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, also kurz nach Verabschiedung des CPA und der tatsächlichen Verhältnisse - noch überhaupt keine gerichtliche Entscheidung in Großbritannien auf der Grundlage des neuen Rechts, geschweige denn eine, bei der die heikle Frage des Art. 7 e) ausschlaggebend ist kann man den EuGH nur höflich und mit allem Respekt auf die Maxime hinweisen: Impossibilia non est obligatio. Es bleibt abzuwarten, ob in Zukunft ein Fall zur Entscheidung vorgelegt wird, bei dem es auf die Auslegung des strittigen Artikels ankommt, und es steht zu hoffen, dass der EuGH sich dann eingehend mit dessen Problematik auseinandersetzt, ohne ihr auszuweichen, so dass ein richtiges Ergebnis erwartet werden kann.
Das Koreanische Produkthaftungsgesetz (KPHG)
Kee-Young Yeun
I. Einleitung In den meisten führenden Wirtschaftsnationen wurde eine verschuldensunabhängige Haftung (Gefährdungshaftung) für fehlerhafte Produkte entweder per Gesetz eingeführt oder durch die Rechtsprechung entwickelt.1 Die Notwendigkeit eines Produkthaftungsgesetzes wird in Korea schon seit langem diskutiert. Im Jahr 1999 wurde der Gesetzesvorschlag zum koreanischen Produkthaftungsgesetz (im Folgenden: KPHG) im Parlament besprochen. Das KPHG wurde am 12.01.2000 verkündet und ist seit dem 01.07.2002 in Kraft. Dieses Gesetz trägt dem Schutz der Verbraucher Rechnung und trägt zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bei. So hat sich der private Konsum stabilisiert, da der Verbraucherschutz durch dieses Gesetz gefördert wurde. Zudem trägt das KPHG zur Entwicklung der nationalen Wirtschaft bei, da es die Qualitätskontrolle in den Unternehmen verbessert hat. Entscheidend ist aber, dass der Verbraucher den Hersteller auf der Grundlage des KPHG, das eine Sonderregelung zum allgemeinen Koreanischen Bürgerlichen Gesetzbuch darstellt, für den Schaden haftbar machen kann, der ihm durch fehlerhafte Produkte entstanden ist. Gleichzeitig kann der Verbraucher in das internationale Produkthaftungssystem einbezogen werden. In meinem Beitrag möchte ich nun den Gesetzgebungsprozess, die wichtigsten Inhalte dieses Gesetzes und die Zielsetzung dieses Gesetzes näher erläutern.
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Für die Entwicklung der koreanischen Produkthaftung bis Anfang 1998: siehe KeeYoung Yeun, Entwicklung und Tendenz der Produkthaftung in Korea, in FS für Erwin Deutsch zum 70. Geburtstag, Carl Heymanns Verlag KG, 1999, SS. 405-425; vgl. auch Kee-Young Yeun/ Reiner Fuellmich, Tendenzen des Produkthaftungsrechts in Korea, ZVglRWiss 94(1995), S. 310-330; Hyung-Bae Kim, Produkthaftung in Korea, RIW 1989, 528-532; Kee-Young Yeun, Von der Verschuldenshaftung zur Gefährdungshaftung für fehlerhafte Produkte, Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien Bd. 132, 1988, S. 128-137.
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II. Der Gesetzgebungsprozess des KPHG 1. Die Diskussionen im Vorfeld In Korea gibt es nicht viele Urteile2, in denen die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte behandelt wird. Allerdings fand in der Wissenschaft diesbezüglich ein reger Diskurs statt.3 Um heraus zu finden, wie die Produkthaftung in dem koreanischen Gesetzsystem ausgestaltet werden soll, wurden zahlreiche ausländische Gesetze analysiert. Insbesondere seit Anfang der 70er Jahre haben Rechtswissenschaftler in Korea damit angefangen, sich für dieses Problem zu interessieren.4 Von besonderer Wichtigkeit war es, dass ausländische Urteile und wissenschaftliche Stellungnahmen zusammengefasst und analysiert worden sind. So lässt sich auf der Grundlage zahlreicher Magisterarbeiten bzw. Dissertationen nachverfolgen, wie sich die Struktur des KPHG und dessen wesentliche Grundideen entwickelt haben.5 Leider sind die Dissertationen jedoch meist gleichen Inhalts und aufgrund des indirekten Zitierens aus japanischer Literatur teilweise fehlerhaft, was freilich zu bedauern ist. Im Juli 1977 hielt die koreanische Gesellschaft für Zivilrecht ein wissenschaftliches Symposium zum Produkthaftungsrecht ab. Dort wurde der Zustand der Produkthaftung im Ausland in verschiedenen Arbeitsgruppen diskutiert. Außerdem beschäftigte man sich mit der Frage, wie man die unterschiedlichen Ansätze und Regelungen im Ausland verbinden könnte, um eine reibungslose Integration in das koreanische Rechtssystem zu erreichen. Durch dieses Symposion wurde die Diskussion um ein Produkthaftungsrecht in der koreanischen Rechtswissenschaft lebhafter denn je.6 Vor allem wurden rechtsvergleichende Forschungen in Angriff genommen, um herauszufinden, auf welchen Haftgrund die Haftung für fehlerhafte Produkte basieren solle. Dabei wurde unter Zuhilfenahme der Konzepte des Delikts- und Vertragshaftung versucht, die Verschuldenshaftung und die verschuldensunabhängige Haftung bzw. die Nichterfüllungshaftung und Sachmängelhaftung zu unterscheiden. 2
Für die Entscheidungen des Koreanischen Obersten Gerichtshofs (KOGH) bis 1998: Kee-Young Yeun, FS für Erwin Deutsch zum 70. Geburtstag, S. 408-411; von 1999 bis 2008 nur 7 Urteile vom KOGH. 3 Dazu Kee-Young Yeun, Entwicklung und Gesetzgebungstendenz der Produkthaftung, Zeitschrift für Verbraucherprobleme Nr. 14, Verbraucherschutzanstalt, 1994, S. 9-10. 4 Vgl. Kee-Young Yeun, Saengsanmul Sonhaebaesang Chaegim eui ippbopronjeok Kwaje (Aufgaben der Regierung betreffend die Rechtspolitik zur Produkthaftung und Schadensersatz), FS für Prof. Dr. Chang zum 70. Geburtstag, Seoul: Dongguk University Press, 1987, S. 260. 5 Dazu Kee-Young Yeun, a.a.O.(FN 4), 260; ders., Von der Verschuldenshaftung zur Gefährdungshaftung für die fehlerhafte Produkte (FN1), S. 134. 6 Bong-Hee Han, Jejomul Chaegime kwanhan Bikyobupjeok Yeonku (Eine rechtsvergleichende Studie über Regelungen der Produkthaftung), Legal Administration Journal, 1978, Nr. 9, 6-17.
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Auf diese Weise wurden Probleme, die im damaligen koreanischen Schadensrecht nicht gelöst werden können, aufgedeckt. Hingegen wurde die Grundaufgabe, eine neue gesetzliche Struktur herauszuarbeiten, nicht ausreichend behandelt.7 Zum Beispiel wurden folgende Punkte nicht genügend berücksichtigt: Anwendungsbereich der Produkthaftung, Bedeutung bzw. Inhalt der Fehlers und Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zwischen Mangel und Fahrlässigkeit,8 (unter der Voraussetzung, dass eine gesetzliche Regelung vernünftig wäre9) die Beantwortung der Frage, ob die Gefahr zum typischen Risiko oder zum speziellen Risiko gehört10 und letztlich die Beantwortung der Frage, ob die Produkthaftung im Rahmen einer Generalklausel innerhalb des KBGB oder in einem Spezialgesetz geregelt werden soll.11 Die Analyse der damaligen koreanischen Literatur ergibt, dass die Einführung einer verschuldensunabhängigen Haftung bevorzugt wurde, falls auf Grundlage des damals bestehenden Gesetzes keine vernünftige Lösung gefunden werden würde.12
2. Tendenzen in der koreanischen Rechtsprechung In der koreanischen Rechtsprechung lassen sich bis Mitte der siebziger Jahre keine Entscheidungen zu Produkthaftungsfällen finden. Diese Tatsache steht mit dem Entwicklungsprozess der Industrialisierung in Korea im Zusammenhang. Ab dem Jahr 1975 gab es jedoch Entscheidungen, die Produkthaftungsfälle zum Gegenstand hatten. Beispiele aus dieser Zeit zeigen, dass eine Systematisierung als spezielle Deliktshaftung, die im KBGB als Haftung für Verrichtungsgehilfen bzw. Haftung für Gebäudeeigentümer geregelt ist, versucht wurde. Exemplarisch seien hier der Colaflaschen-Fall13 aus dem Jahre und der Werkzeug-Fall14 aus dem Jahr 1979 genannt. Es scheint, dass alle damaligen Fälle für Produkthaftung auf der Grundlage der Deliktshaftung für Fahrlässigkeit und nicht auf Grundlage einer Vertragshaftung, die auch Garantieansprüche enthalten hätte, entschieden wurden. 7
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Vgl. Lukes, Reform der Produkthaftung, S. 1 ff; Anhalt, Produzentenhaftung, S. 11; Deutsch, BB 1979 1325 ff; ders., VersR 1979, 688; ders., VersRsch 1979, 79 f. Vgl. Knöpfle, Zur Problematik des subjektiven Fehlerbegriffes im Kaufrecht, JZ 1978, 12 ff; Schmidt-Salzer, Produkthaftung, S. 134 ff; Diederichsen, DAR 1976, 314. Lukes, aaO, S. 56 ff, 178 ff, 296 ff; Simitis, Grundfragen der Produzentenhaftung, S. 10 ff; v. Caemerer, Refom der Gefährdungshaftung, S. 27. Leßmann, JuS 1978, 433 ff; Rehbinder, Fortschritte in der Produkthaftung, ZHR 129(1967), 171 ff. Kee-Young Yeun, Von der Verschuldenshaftung zur Gefährdungshaftung für fehlerhafte Produkte (FN1), 5. Kapital A; Deutsch, Haftungsrecht, 317ff; ders., Karlsruher Forum 1968, Wortlaut und Begründung; Burki, Produkthaftpflicht, S. 226 ff. Kee-Young Yeun, Von der Verschuldenshaftung zur Gefährdungshaftung für die fehlerhafte Produkte (FN1), S. 134-137. KOGH Urteil vom 22. 7. 1975, 75 Da 844; Kee-Young Yeun, FS für Erwin Deutsch (FN 2), 408-409. KOGH Urteil vom 10.7.1979, 79 Da 714.
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In den meisten Urteilen hat der KOGH einen Kausalzusammenhang zwischen der fahrlässigen Handlung des Produzenten und der Schädigung des Verbrauchers festgestellt und folglich Schadensersatzansprüche gewährt. Der Kausalzusammenhang wurde dabei jedoch einzig auf Indizien oder Indizien gestützt.15 In einem Fall vermutete das Gericht indes den Kausalzusammenhang, ohne dafür eine Begründung zu geben.16 Dieses Urteil wurde zum Präzedenzfall für alle zukünftigen Entscheidungen, in denen es um den Schutz des Verbrauchers ging. De lege lata, unter der Geltung des KBGB, gibt es jedoch keine Vermutung eines Kausalzusammenhangs. Somit ist zu konstatieren, dass der KOGH in seinen Urteilen über das geltende Recht hinausgegangen ist. Im Jahre 1980 wurden die meisten Klagen abgewiesen. So wurde im Sewonfuttermittel-Fall17 die Annahme von Kausalität abgelehnt und beim SchiffmotorFall18 der Haftungsumfang der Produkthaftung beschränkt. Wir wissen heute, dass die Probleme der Industrialisierung zu dieser Zeit virulent wurden und die Idee des Verbraucherschutzes daher nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Im Jahre 1990 wurde im Messinstrument-Fall19 der Begriff des Produktfehlers geklärt. In diesem Fall führte der KOGH eine neue Definition der Produkthaftung ein: Hersteller seien gehalten, ihre Produkte so zu fertigen, dass sie allgemeinen Sicherheits- und Haltbarkeitsanforderungen entsprechen. Diese Anforderungen seien aber durch den Stand der Technik und der Wirtschaftlichkeit beschränkt. Die Messinstrument-Entscheidung war von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung eines neuen und besseren Produkthaftungsrechts. Im Zuge der Entwicklung der Industrialisierung wurden mehr und mehr Schäden durch Produkte wie TV, Auto usw. verursacht. Dies hat die Gerichte veranlasst, in ihren Urteilen die besonderen Charakteristika der Produkthaftung und die Idee des Verbraucherschutzes zu berücksichtigen. Dabei waren die Gerichte bemüht, die Risiken zwischen Hersteller und Verbraucher gerecht zu verteilen, was sie dazu veranlasste, von der Verletzung der Pflicht zur Herstellung eines sicheren Produktes auf die Fahrlässigkeit des Herstellers zu schließen.
3. Der Gesetzgebungsprozess a) Gesetzesentwurf Der erste Entwurf eines Produkthaftungsgesetzes wurde dem Parlament 1982 von 26 Abgeordneten (darunter Sun-Gu Kim) vorgelegt. Es bestand aus 14 Paragraphen, die das Prinzip der verschuldensunabhängigen Haftung (Gefährdungshaftung) für die fehlerhafte Herstellung und eine Regelung für den Kausalzusammen15
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Vgl. Kee-Young Yeun, Von der Verschuldenshaftung zur Gefährdungshaftung für fehlerhafte Produkte (FN1), S. 131-132; ders., FS für Erwin Deutsch (FN 2), S. 413. Vgl. Kee-Young Yeun, FS für Erwin Deutsch (FN 2), S. 413. KOGH Urteil vom 24.5.1983, 82 Da 390 Gerichtsreporter 1983 (Nr. 708), S. 10081009; Kee-Young Yeun, FS für Erwin Deutsch (FN 2), S. 410. Seoul Landgericht Urteil vom 1.1.1987, 86 Ka-Hap 3459. KOGH Urteil vom 24.11.1992, 92 Da 18139; Kee-Young Yeun, FS für Erwin Deutsch (FN 2), S. 411.
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hang zwischen Fehler und Rechtsgutverletzung enthielten.20 Wegen der intensiven Lobbytätigkeit von Industrievertretern wurde der Gesetzesvorschlag jedoch abgelehnt. Im Jahre 1989 hat die koreanische Verbraucherschutzanstalt einen Gesetzesentwurf für ein Produkthaftungsgesetz veröffentlicht. Seitdem hat die Verbraucherschutzanstalt den Gesetzentwurf für die Produkthaftung verbessert und der koreanischen Regierung im Januar 1995 diesen Gesetzesentwurf, der eine ähnliche Struktur wie die EG-Richtlinie hat, unterbreitet. Darüber hinaus wurde in diesem Jahr von der Rechtsanwaltskammer ein Entwurf für ein Produkthaftungsgesetz zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit vorgeschlagen.21 Folgende Regelungen erscheinen am wichtigsten: 1. 2.
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Produkte sind alle beweglichen Sachen, darunter auch landwirtschaftliche Produkte, Tiere und auch Gebäude. Fehler wurden nach der Typologie der Ursachen in verschiedene Fehlergruppen unterteilt; z.B. Konstruktionsfehler, Fabrikationsfehler, Instruktionsfehler, Entwicklungsfehler usw. Sofern mehr als zwei Personen für das Schadensereignis durch fehlerhafte Produkte verantwortlich sind, wird die Haftung nach dem Prozentsatz der Beteiligung am Schadensereignis verteilt. Die Offenbarungspflicht bzgl. Unterlagen im zivilrechtlichen Prozess, um Beweislast für die Geschädigten zu erleichtern.
b) Der Gesetzgebungsprozess in der koreanischen Regierung Durch öffentliche Befragung wurde der Erlass des KPHG diskutiert. Im Dezember 1992 wurde in der Republik Korea als Ergebnis freier Wahlen eine neue demokratische zivile Regierung gewählt. Die Regierung initiierte die “Neue Korea Bewegung”, durch welche die Menschen dazu veranlasst worden sollten, eine bessere Gesellschaft zu formen. Die Reformabsichten dieser Regierung schließen auch eine Politik zum Schutz von Verbraucherrechten ein. Im Jahr 1994 wurde der Erlass des Gesetzes vom Verwaltungsausschuss vorgeschlagen. Im Dezember 1997 ging der bisher oppositionelle Kandidat Daejung Kim bei den Präsidentenwahlen als Sieger hervor. Er hat bereits im Wahlkampf versprochen, den Verbraucherschutz zu fördern und weiter zu entwickeln. Sobald möglich, sollte deshalb ein Produkthaftungsgesetz verabschiedet werden.22 Im Jahr 1998 wurde der Erlass des Produkthaftungsgesetzes als eine von 100 dringlichen Aufgaben bestimmt. Der Wirtschaftsminister hat einen Ausschuss zum Produkthaftungsgesetz eingerichtet23 Dieser Ausschuss hat im Oktober 1998 einen 20
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Dieser Gesetzantrag basiert auf dem Produkthaftungsrecht, welches 1975 von der japanischen Forschungsgruppe für Produkthaftung vorgeschlagen wurde und auf den Entwurf der EG-Richtlinie zum Produkthaftungsrecht aus dem Jahre 1979. Sungjae Moon, Jadongcha Jejojaeui Chaegime Kwanhan Yeonku, Eine Studie über die Haftung des Autoherstellers, Diss. Kyongnam University, 1996, 5. Kapital V 3. Siehe Kee-Young Yeun, FS für Erwin Deutsch (FN 2), S. 425. Ich war Vorsitzender dieses Ausschusses und habe den Entwurf des KPHG in den öffentlichen Sitzungen vorgestellt.
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Entwurf für ein Produkthaftungsgesetz vorgelegt. Nach öffentlicher Befragung hat der Ausschuss für Verbraucherschutzangelegenheiten im März 1999 entschieden, diesen Entwurf dem Parlament vorzulegen. Seitdem hat das Wirtschaftsministerium zusammen mit dem Justizministerium entschieden, die Einführung des KPHG voranzutreiben, was zur Veröffentlichung des Gesetzesentwurfs am 13. Juli 1999 führte. Das Gesetz wurde dann am 16. Dezember 1999 endlich im Parlament beschlossen und am 12.1.2000 öffentlich bekannt gemacht.24 Nach der Nebenvorschrift (1) trat das KPHG am 1.7.2002 in Kraft.25
III. Der Inhalt des KPHG 1. Zweck des Gesetzes In § 1 KPHG wird der Schutz des Geschädigten als das Hauptzweck definiert. Durch diesen Zweck soll das Leben des Volkes und die Entwicklung der Wirtschaft verbessert werden. Der Schutz desjenigen, der durch fehlerhafte Produkte das Leben, der Körper oder das Vermögen geschädigt wird, wird dabei nicht beschränkt. Natürlich werden Personen, die das Produkt selber benutzen, geschützt. Aber auch Dritte werden vom Schutz des Gesetzes nicht ausgeschlossen. Dies folgt daraus, dass das KPHG zum Ziel hat, nicht nur den Schutz der Interessen der Verbraucher, sondern auch den Schutz aller Geschädigten zu gewährleisten.26
2. Das Produkt Gemäß § 2 Nr. 1 KPHG ist “Produkt” – im Sinne dieses Gesetzes – “jede bewegliche Sache, die industriell hergestellt oder bearbeitet wird, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet.“ Solche Sachen verlieren ihre Produkteigenschaft nicht, wenn sie in einen anderen beweglichen oder unbeweglichen Gegenstand eingebaut worden sind. Diese Regelung stimmt mit § 2 des deutschen Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG) überein.27 Grundsätzlich ist Gegenstand der Produkthaftung die Sache, die 24 25
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Gesetz Nr. 6109. Vgl. Zur Darstellung: Joung-Hyun Kim, Die Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Produkte im Bürgerlichen Gesetzbuch und Produkthaftungsgesetz - Eine rechtsvergleichende Untersuchung zwischen deutschem und koreanischem Recht, Logos Verlag Berlin, 2004; Kyong-Lyang Park, Fehlerhaftung in Korea, FS Kollhosser Bd. II, 2004, S. 523-538. Kee-Young Yeun, Das Gesetzgebungsverfahren und der wichtige Inhalt des KPHG, Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaften Bd. 37 Nr. 2, Institute of Comparative Law Waseda University in Japan, 2004, S. 198-199. Von Westphalen, Produkthaftungshandbuch Bd. 2, 2. Aufl. 1999, S. 56.
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massenhaft hergestellt und verbraucht wird. Dienstleistungen sind keine beweglichen Sachen im Sinne dieses Gesetzes und fallen damit aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes.28 Unter Herstellung fallen alle Handlungen, die aus Rohmaterial durch Bearbeitung ein neues Produkt hervorbringen, wozu auch Entwurf, Bearbeitung, Prüfung und Bezeichnung des Produkts gehören. Dabei ist die Verarbeitung von geringerer Bedeutung als die Herstellung. Verarbeitung bedeutet, dass man durch die Verarbeitung einen neuen Wert schafft. Dazu gehören auch die Tiefkühlung und das Vertrocknen von Lebensmitteln. Natürliche Produkte wie landwirtschaftliche Produkte und Waldprodukte fallen aber nicht unter den Produktbegriff dieses Gesetzes. Dies unterscheidet sich vom deutschen ProdHaftG.29 Nach dem KBGB wird der Sachbegriff folgendermaßen definiert: Sachen im Sinne dieses Gesetzes sind körperliche Gegenstände, Elektrizität und die sonstige beherrschbaren Kräfte der Natur (§ 98 KBGB). Unbewegliche Sachen sind der Boden und die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen(§ 99 Abs. 1 KBGB). Dazu gehören insbesondere Gebäude, die Erzeugnisse des Grundstücks und Bauwerke, solange sie mit dem Boden zusammen hängen.30 Beweglich sind all die Sachen, die nicht unbeweglich sind (§ 99 Abs. KZGB 2). Der Produktbegriff des KPHG soll ergänzend unter Berücksichtigung des Systems des KBGB ausgefüllt werden. Daher gehört Elektrizität automatisch zum Produktbegriff gemäß § 2 Nr. 1 KPHG.31 a) Energie wie Elektrizität usw. Fehler in der Energieerzeugung, die zu einem Schaden führen, können den Hersteller zu Schadenersatz verpflichten. Beispielsweise können Elektrogeräte Verbraucher durch fehlerhafte Energiezufuhr schädigen. Gas oder Wasser sowie Fernwärme können auch als Produkt im Sinne vom § 2 Nr. 1 KPHG ausgelegt werden.32 In den meisten Staaten der USA wird die Anlieferung des Stroms als Dienstleistung angesehen und ist aus dem Anwendungsbereich der verschuldensunabhängigen Haftung (strict liability) ausgenommen. Es gibt jedoch auch Urteile, in 28 29
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Vgl. Auch von Westphalen, aaO, 58-59. Bis 1.12.2000 waren auch landwirtschaftliche Naturprodukte ausgenommen, soweit sie noch keiner Verarbeitung unterzogen worden waren. Aber aufgrund des BSE-Skandals ließ dies nicht mehr aufrechterhalten, da es auch für den Fleischbezug gegolten hätte. Die EG-Richtlinie wurde deshalb geändert. Der deutsche Gesetzgeber hat dem umgehend Rechnung getragen. Vgl. Richtlinie 1999/34/EG vom 10.5.99, ABl Nr. L 141/20; Gesetz zur Änderung produkthaftungsrechtlicher Vorschriften vom 2.11.2000, BGBl S. 1478. Vgl. § 94 BGB. Vgl. Taschner/Frietsch, Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtlinie, Kommentar, 2. Aufl. 1990, § 2 ProdHaftG; Kullmann/Pfister, Handbuch Produzentenhaftung, 1999, Kza. 3603; Cahn, Münchener Komm, § 2 Rz 1. Vgl. Taschner/Frietsch, aaO, § 2 ProdHaftG; von Westphalen, aaO, 57; Rolland, Produkthaftungsrecht, Bonn 1990, § 2 Rz. 14.
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denen das Kriterium der Sicherheitserwartung des Verbrauchers in Bezug auf die Haftung für einen Brand, der wegen zu hoch angelieferten Stroms verursacht wurde, angewandt wurde und die Stromfirma daher verschuldensunabhängig haften musste.33 Das 3rd Restatement of Torts- Products Liability bestimmt: Obwohl ein Gegenstand wie Elektrizität unkörperlich ist, wird dieser Gegenstand dann als Produkt angesehen, wenn er durch seine Anwendung einem körperlichen Gegenstand gleichsteht. In der EG-Richtlinie bzw. deutschem ProdHaftG wird Elektrizität vom Produktbegriff umfasst, andere Energieformen wie Wärme, Strahlung usw. aber nicht erwähnt. Die Richtlinie ist daher in diesem Punkt auslegungsbedürftig.34 b) Geistige Produkte wie Software Software, die ja ein geistiges Produkt darstellt, hat mittlerweile direkt bzw. indirekt auf unser Leben großen Einfluss. Zum Beispiel kann ein Softwarefehler einen großen Verkehrsunfall verursachen und fehlerhafte Software, die in einen Computer eingesetzt wurde, reine Vermögensschäden entstehen lassen. Auch hier stellt sich die Frage der Anwendung des KPHG. Für die gesamte IT-Industrie ist die Frage von entscheidender Bedeutung, ob Software als Produkt im Sinne des Produkthaftungsgesetzes zu qualifizieren ist.35 Information und Software selber verursachen keinen Brand und keine Körperschäden. Zudem könnte der Schaden schon nach den Gewährleistungsvorschriften des KBGB ersetzt werden. In der Literatur wird daraus z.T. der Schluss gezogen, dass Informationen und Software nicht dem KPHG unterfallen.36 Allerdings wird auch die Meinung vertreten, dass Software, die auf Diskette oder CD-ROM gespeichert ist und so auf den Markt gebracht wird, als bewegliche Güter anzusehen seien und daher unter § 2 Nr. 1 KPHG fallen würden. In Deutschland wird für Standard-Software überwiegend angenommen, dass es sich hierbei um industriell hergestellte Produkte handelt, weil sie auf einem Datenträger verkörpert sind.37 Für Online-Software, sowie Software-Programme gilt dann der Fehlerbegriff des § 3 ProdHaftG. Unter Berücksichtigung der herrschenden Meinung in Deutschland ist die Auslegung, dass jede Software vom Produktbegriff des § 2 Nr. 1 KPHG umfasst wird, unproblematisch.
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Dan B. Dobbs, The Law of Torts (West Group, 2000), p. 1041; Stein v. Southern California Edison Co., 7 Cal. App. 4th 565, 8 Cal.Rptr. 2d 907 (1992); Beacon Bowl, Inc. v. Wisconsin Elec. Power Co., 176 Wis. 2d 740, 501 N.W. 2d 788 (1993). Vgl. Taschner/ Frietsch, aaO, § 2 ProdHaftG; von Westphalen, aaO, 57; Rolland, aaO, § 2 Rz. 14. Vgl. auch Taschner/Frietsch, aaO, § 2 ProdHaftG Rz 22f; von Westphalen, aaO, 67; Rolland, aaO, § 2 Rz. 17; Lehmann, NJW 1992, 1721, 1724; Kullmann, Produkthaftungsgesetz, Kommentar 2. Aufl. Bielefeld, 1997, S.71f. Taeseung Kwon, Software und Produkthaftungsrecht, Journal of Information and Industry, Vol. 173, 1996, p. 31; Youngsik Park, Fehler der Software und Produkthaftungsgesetz, 2000, Monthly Commerce. von Westphalen, aaO, 67; Kullmann, aaO (FN 36), 72; BGH CR 1988, 124; BGH CR 1990, 707; BGH CR 1993,422; BGH NJW 1993, 2436.
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c) Blut und körperliche Organe Dass Blut und körperliche Organe als Gegenstand der Produkthaftung diskutiert werden, liegt daran, dass das Leben und die körperliche Unversehrtheit eines Menschen durch Bluttransfusionen geschädigt werden können. Insbesondere wenn übertragenes Blut mit einem Virus infiziert ist, hat der Patient einen großen Schaden. Klar ist, dass Blut und körperliche Organe zu beweglichen Sachen werden, sobald sie vom Körper sie getrennt werden. Wenn sie aber als Gegenstand im Sinne des KPHG betrachtet werden, fragt sich, wer die haftungsrechtliche Verantwortung tragen soll. Der Lieferant hat nur Blut bzw. Organe entnommen, d.h. der Lieferant kann nicht als Hersteller angenommen werden. Der Arzt hingegen, kann nicht als Verkäufer, sondern nur als Anbieter einer Dienstleistung verstanden werden. Deshalb sollten Blut und körperliche Organe aus dem Gegenstand der Produkthaftung ausgeschlossen werden. Bearbeitetes Blut kann allerdings als Produkt angesehen werden und sollte dem KPHG unterliegen.
3. Der Produktfehler: Haftungsvoraussetzung a) Der Fehlerbegriff Der Fehlerbegriff bildet das Kernstück der Produkthaftung, da eine auf den Vorwurf des Verschuldens verzichtende Haftung keine sonstigen Voraussetzungen aufweist. Deshalb ist Produkthaftung als Fehlerhaftung zu bezeichnen.38 Hinsichtlich des Fehlerbegriffs hat das KOGH im Messinstrument-Fall39 folgendermaßen geurteilt: “Produkte müssen den allgemeinen Sicherheits- und Haltbarkeitsstandards entsprechend hergestellt werden. Anzulegender Maßstab ist der jeweils existierende Stand der Technik und der wissenschaftlichen Effizienz.” In diesem Urteil hat das Gericht Fehler und Mangel nicht unterschieden. Es versuchte vielmehr, eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Gemäß § 2 Nr. 2 KPHG ist ein Produkt dann fehlerhaft, wenn es nicht die Produktsicherheit aufweist, die billigerweise erwartet werden dar. Das Gesetz unterscheidet drei Fehlertypen: (1) § 2 Nr. 2 (a) KPHG: Fabrikationsfehler liegen vor, wenn bei der Herstellung oder Bearbeitung der Produkte Fehler unterlaufen, durch die unsichere Produkte entstehen. Diese Unsicherheit entspricht nicht der eigentlichen planmäßigen Konstruktion. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Hersteller eine Sorgfaltspflicht bzw. Verkehrssicherungspflicht im Herstellungs- oder Bearbeitungsprozess verletzt. Die Haftung für Fabrikationsfehler ist eine verschuldensunabhängige (Gefährdungshaftung).40 (2) § 2 Nr. 2 (b) KPHG: Von einem Konstruktionsfehler geht diese Regelung 38 39
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Kyong-Lyang Park, Fehlerhaftung in Korea, FS Kollhosser Bd. II, 2004, S. 523-538. KOGH Urteil vom 24.11.1992, 92 Da 18139; Kee-Young Yeun, FS für Erwin Deutsch (FN 2), S. 411. Vgl. Kyong-Lyang Park, aaO, S. 526; vergleichbar “manufacturing defects in 3rd Restatement of Products Liability (1998) §2 (a).
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dann aus, wenn die Gefährlichkeit und das Schädigungspotential des Produkts durch eine vernünftige Alternativkonstruktion des Produkts vom Hersteller vermindert oder vermieden hätte werden können und die Entscheidung gegen diese Alternativkonstruktion das Produkt unsicher macht.41 (3)§ 2 Nr. 2 (c) KPHG: Ein Fehler bzgl. Gebrauchsanweisung und Warnung liegt vor, wenn der Hersteller bestimmte Maßnahmen unterlässt, durch die die vom Produkt verursachte Schädigung vermindert oder vermieden hätte werden können. Aufklärung bzw. Warnung müssen in geeigneter Weise und inhaltlich vollständig erteilt werden. Art, Umfang und Inhalt der erforderlichen Instruktion hängen vom Grad der objektiven Gefährlichkeit der Produkte ab.42 Der koreanische Gesetzgeber hat drei Fehlertypen geregelt. Daneben hat er aber auch einen einheitlichen übergreifenden Fehlerbegriff bestimmt, um neue Fehlerarten, die in der Zukunft entstanden können, zu umfassen. Diese Regelung des Fehlerbegriffs wurde stark vom amerikanischen § 2 Restatement of Torts(Third)- Product Liability 1988) beeinflusst. Das KPHG regelt den Fehlerbegriff daher umfassend.43 b) Einschätzungskriterien für das Vorliegen eines Fehlers In den vorhandenen koreanischen Urteilen findet man Versuche, die Haftung des Herstellers in erster Linie auf die in § 750 KBGB enthaltene Deliktshaftung zu stützen. Unklar ist dabei durchwegs, ob die Theorie der Produkthaftung angewendet wird. Daher ist es schwierig, Beispiele für die Bestimmung des Fehlerbegriffs und die relevanten Einschätzungskriterien zu nennen. Nur beim explodierenden Messinstrument-Fall44 wurde der Fehlerbegriff klar dargestellt. Beim TV-Explosionsfall im Jahr 200045 wurden die Sicherheitserwartungen des Verbrauchers als Beurteilungskriterium erwähnt. Darüber bestimmt das KPHG in § 2 den Fehler wie folgt: Ein Fehler soll dann vorliegen, wenn es dem Produkt an der Sicherheit mangelt, die generell erwartet werden kann. Anschließend beschreibt das Gesetz die relevanten Fehler bei Herstellung, Planung, Gebrauchsanweisung und Warnung. Im Folgenden betrachte ich die Beurteilungskriterien für die Annahme eines Fehlers. aa) Die Sicherheitserwartungen Unter den Fehlerbegriff nach § 2 Nr. 2 KPHG fällt das Zurückbleiben hinter der gewöhnlich zu erwartenden Produktsicherheit. Wir können den Ausdruck, “generell erwartet werden können” zwar so auslegen, dass das Kriterium der Sicherheitserwartung des Verbrauchers angewendet wird. Man kann den Ausdruck aber auch so verstehen, dass durch das Wort “generell” das Gefahr-Effekt-Kriterium 41
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Vgl. Kyong-Lyang Park, aaO, S. 526; vergleichbar “design defects in 3rd Restatement of Products Liability (1998) §2 (b). Vgl. Kee-Young Yeun, Von der Verschuldenshaftung zur Gefährdungshaftung für fehlerhafte Produkte (FN1), S. 77. Vgl. § 6 Abs. 1 EG- Richtlinie; § 3 Deutsches ProdHaftG. KOGH Urteil vom 24.11.1992, 92 Da 18139; Kee-Young Yeun, FS für Erwin Deutsch (FN 2), S. 411. KOGH Urteil vom 25.2.2000, 98 Da 15934.
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angewendet wird. Bei der Beurteilung der jeweiligen Fehlerart ist diese Bestimmung das generelle Kriterium und diese Bestimmung soll auf die jeweils angebrachte menschliche Handlung im Prozess der Planung, Herstellung und Bezeichnung usw. angewandt werden. Insbesondere hat die Regierung vor der Verabschiedung des KPHG verschiedene verwaltungsrechtliche Gesetze festgelegt, um den Schaden der Verbraucher zu verringern.46 Ich gehe davon aus, dass diese Gesetze zur Beurteilung des Produktfehlers eine Rolle spielen. bb) Annahme der vernünftigen Alternativkonstruktion Der Hersteller ist gehalten, eine vernünftige Auswahl zu treffen, wenn mehrere Konstruktionsmöglichkeiten für sein Produkt zur Verfügung stehen (§ 2 Nr. 2 (b) KPHG). Notwendig für das Vorliegen eines Konstruktionsfehlers ist eine gesteigerte Gefährlichkeit; eine bloße abstrakte Gefährdung reicht nicht aus.47 Aus diesem Grund werden bei der Beurteilung des Konstruktionsfehlers unter diesem Kriterium die folgenden Sachen berücksichtigt: Erstens kann ein Fehler nicht angenommen werden, wenn die Alternativkonstruktion denselben Fehler hervorbringt. In einem solchen Fall kann man die im Konstruktionsentwurf steckende Gefahr nur durch die Information, Anweisung bzw. Warnung vermeiden. Wenn dies nicht geschieht, liegt ein Instruktionsfehler vor. Zweitens sollte man für Alternativkonstruktionen grundsätzlich die höchste technische Machbarkeit voraussetzen. Wenn die Alternativkonstruktion zwar theoretisch möglich, aber praktisch unmöglich ist, kann man nicht behaupten, dass es einen Fehler darstellt, diesen Entwurf nicht umgesetzt zu haben. Drittens sollten die Kosten für die Alternativkonstruktion berücksichtigt werden. Wenn eine Alternativkonstruktion technisch möglich ist, es aber nicht rentabel ist, diesen Konstruktionsentwurf umzusetzen, müsste der Hersteller die Entwicklung bzw. Herstellung aufgeben, um seine Haftung zu vermeiden. Dadurch kann der Verbraucher die Möglichkeit verlieren, das Produkt überhaupt nutzen zu können. Die Analyse der Rentabilität spielt daher für die Fehlerbeurteilung eine wichtige Rolle. Viertens, muss auch die vom Alternativkonstruktionsentwurf ausgehende Gefahr berücksichtigt werden. Da die Alternativkonstruktion andere Gefahren hervorbringen könnte, muss die bestehende Gefahr mit der neuen Gefahr verglichen werden.48
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Das Verbraucherschutzgesetz vom 4.1.1980; Das Lebensmittelgesetz vom 20.1.1962; Das Arzneimittelgesetz vom 13.12.1963; Das Gesetz zur Sicherheitskontrolle vom Elektrogeräte vom 4.1.1974; Das Gesetz zur Kontrolle von Produktqualität vom 30.3.1967; usw. Diese Gesetze sind bisher mehrmals geändert worden. Vgl. Kee-Young Yeun, Von der Verschuldenshaftung zur Gefährdungshaftung für fehlerhafte Produkte (FN1), S. 73. Vgl. Kyong-Lyang Park, aaO, S. 529.
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cc) Bezeichnungen der vernünftigen Erklärung, Anweisung und Warnung usw. Ähnlich wie beim Konstruktionsfehler wird bei der Fehlerbeurteilung bzgl. Bezeichnung und Warnung das “Vernünftigkeitskriterium” angewandt. Falls im Hinblick auf dieses Vernünftigkeitskriterium die Pflicht zur Gebrauchsanweisung und Warnung nicht erfüllt wird, liegt ein Fehler vor. Hier besteht eine Missbrauchskontrolle bzgl. der Erwartungshaltung des Verbrauchers. Wann eine Warnung oder Information vernünftigerweise angezeigt ist, kann mittels der Verbrauchererwartung (consumer expectation) und einem risk-utility-test festgestellt werden.49 dd) Der Zeitpunkt der Beurteilung Bei der Beurteilung des Fehlers bestimmt das KPHG keinen Beurteilungszeitpunkt wie zB das japanische Produkthaftungsgesetz. Als maßgeblicher Zeitpunkt hinsichtlich der Sicherheitserwartungen bestimmt §4 Abs. 1 KPHG, dass auf die Umstände abzustellen ist, die im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts vorherrschen.50 Soweit jedoch Nebenwirkungen eines Produkts auftreten, die im Rahmen der Sicherheitserwartungen des Benutzers nicht hingenommen werden können, stellt sich die Frage, ob der Hersteller solche Produkte als fehlerfrei vermarkten darf, soweit diese Nebenwirkungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht ausgeschlossen werden können.51 Im Übrigen lässt sich argumentieren, dass kein Fehler bestehen würde, wenn keine Auslieferung vorliegt. Mit dieser Begründung kann man in Anlehnung an das japanische Produkthaftungsgesetz auf den Zeitpunkt der Auslieferung des Produktes abstellen. ee) Produktbeobachtungsfehler Wenn der Hersteller oder der Importeur nach der Anlieferung des Produkts Kenntnis erlangt haben, dass das Produkt einen Fehler hat, und dennoch keine geeigneten Maßnahmen ergriffen haben, liegt ein sog. Produktbeobachtungsfehler vor.52 Derjenige, der das Produkt in Verkehr gebracht hat, soll sein Produkt sorgfältig prüfen. Falls ein Fehler gefunden wird, soll der Hersteller die Sicherheit der Verbraucher durch Maßnahmen wie Nachricht, Warnung, Recall oder Verbesserungsmaßnahmen wie verbesserte Konstruktionsänderung herstellen. Der Hersteller hat aus später ermittelten Gefahren oder der Entwicklung von Wissenschaft und Technik die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Wenn er dieser Verpflichtung nicht nachkommt, haftet er für diesen Produktbeobachtungsfehler.53 49
50
51 52
53
Vgl. Mark A. Geistfeld, Principles of products Liability, Foundation Press, 2006, Chapter 2; Kyong-Lyang Park, aaO, S. 529. Vgl. auch Taschner/Frietsch, aaO, § 3 ProdHaftG Rz 48; von Westphalen, aaO, 74; Rolland, aaO, § 3 Rz. 38; Kullmann/Pfister, aaO, Kza. 3604, S. 11. Vgl. von Westphalen, aaO, 74. Vgl. Kee-Young Yeun, Von der Verschuldenshaftung zur Gefährdungshaftung für fehlerhafte Produkte (FN1), S. 80. Dazu vgl. Kee-Young Yeun, aaO, S. 80.
Das Koreanische Produkthaftungsgesetz (KPHG)
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4. Der Hersteller: Der Anspruchsgegner In § 2 Nr. 3 KPHG wird bestimmt, dass die Hersteller für Fehler des Produkts haften sollen. Hersteller im Sinne dieses Gesetzes ist derjenige, der beruflich die Herstellung, Bearbeitung und Einfuhr des betreffenden Produkts ausübt. Aus § 2 Nr. 3 (b) KPHG folgt, dass der Quasi-Hersteller für Personen- und Sachschäden wie ein Hersteller haftet. a) Hersteller bzw. Importeur Da die Entwicklung der verschuldensunabhängigen Haftung (Gefährdungshaftung) für fehlerhafte Produkte von der Massenproduktion bzw. Massenkonsumtion ausgelöst wurde, beschränkt das KPHG den Herstellerbegriff auf den Fall, dass die Herstellung, Bearbeitung oder der Import des Produkts als berufliche Tätigkeit ausgeübt wird. Berufliche bzw. geschäftliche Tätigkeit bedeutet, dass die gleiche Handlung wiederholt ausgeübt wird. Wenn jemand eine Handlung mit der Absicht der Fortsetzung ausübt, wird allerdings schon die erste Handlung als berufliche ausgelegt. Nicht nur Endhersteller des Produkts, sondern auch die Hersteller der Ersatzteile oder des Rohmaterials gehören zu den Herstellern. Wenn der Fehler des Produkts aus den Ersatzteilen oder dem Rohmaterial stammt, ist der Hersteller der Ersatzteile oder des Rohmaterials für die fehlerhaften Produkte verantwortlich. Was das Verhältnis zum Endhersteller betrifft, besteht ein Gesamtschuldverhältnis zwischen mehreren Herstellern, sofern diese für denselben Schaden auf Schadensersatz haften (vgl. § 5 KPHG). Die Haftung des Importeurs gemäß § 2 Nr. 3 (b) KPHG ist davon abhängig, dass dieser das Produkt im Rahmen seiner geschäftlichen Tätigkeit – d.h. mit wirtschaftlichem Zweck – in Korea eingeführt hat. Dabei ist nicht entscheidend, ob das importierte Produkt verkauft, vermietet oder in einer anderen Form vertrieben wird. Es kommt ausschließlich auf den Zeitpunkt des Imports an. In diesem Zeitpunkt muss die wirtschaftliche Zielsetzung vorliegen.54 b) Das Anbringen von Namen, Warenzeichen Falls derjenige, der das Recht des Warenzeichens hat, dieses Recht jemand anderem durch Vertrag übertragen hat, und Schaden entstanden ist, ergibt sich die Frage, wer die Haftung übernehmen soll. Es gibt keinen Grund, die Tatsache zu verleugnen, dass derjenige, der das Recht des Warenzeichens hat, sofern er mit der Produktverarbeitung zu tun hat, der Produkthaftung unterfällt. Aus diesem Grund gehe ich davon aus, dass der Hersteller, der einem anderen Hersteller die Herstellungstechnik und -methode liefert, und dabei das Recht hat, die Qualität des Produkts zu kontrollieren, eine ausreichende Verbindung zum Herstellungsprozess hat. Daher ist es selbstverständlich, dass derjenige, der das Recht des Warenzeichens hat, für einen Produkt-
54
Vgl. auch Taschner/Frietsch, aaO, § 4 ProdHaftG Rz 62; von Westphalen, aaO, 76; Kyong-Lyang Park, aaO, S. 532.
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fehler die verschuldensunabhängige Haftung (strict liability) übernimmt.55 Artikel 400 des zweiten Restatements im amerikanischen Deliktsrecht bestimmt wie folgt: Derjenige, der Immobilien, die von der anderen Person hergestellt wurden als eigene Produkte bezeichnet, haftet wie der Hersteller.56 Das japanische Produkthaftungsgesetz sieht die verschuldensunabhängige Haftung (Gefährdungshaftung) des Bezeichnung-Herstellers (Artikel 2 Abs. 4 Nr. 2) vor. Danach übernimmt derjenige, der wegen der Bezeichnungen von Namen, Warenzeichen usw. als Hersteller missverstanden werden kann, die Produkthaftung. c) Teilhersteller – Konstruktion, Dienstleistung Da Hersteller und Verkäufer durch den Vertrieb des fehlerhaften Produkts Gewinn erwirtschaften, sollen sie die Gefährdungshaftung gegenüber dem geschädigten Verbraucher übernehmen. Aber sollen sie auch dann wegen ihrer Einbindung in den Vertriebsprozesshaften, wenn für die Handelsbeziehung das Dienstleistungsangebot im Mittelpunkt steht? Das oberste Gericht Kaliforniens hat es im Jahre 1985 abgelehnt, eine Apotheke für eine verschreibungspflichtige Arznei in die Verantwortung zu nehmen.57 Die amerikanischen Gerichte nehmen generell keine Produkthaftung an, die auf einer strengen d.h. verschuldensunabhängigen Haftung (strict liability) basiert. Es wäre richtig, eine Produkthaftung, die auf einer verschuldensunabhängigen Haftung basiert, auf die Personen zu beschränken, die durch die Beteiligung am Vertriebsprozess Gewinn erwirtschaften. d) Informationsanbieter Weiterhin ist fraglich, ob ein Anbieter von Information in Büchern oder Software aus Produkthaftung auf Schadenersatzhaften soll. Wenn wegen des Inhalts von Büchern ein Schaden entsteht, wird eine Haftung des Verlags abgelehnt. Das folgende Urteil betrifft einen solchen Fall: Ein Kläger kochte ein Essen nach Buchrezept und hatte daraufhin gesundheitliche Probleme, da eine Warnung hinsichtlich der Schädlichkeit des Gerichtes fehlte. Ein Gericht in Florida urteilte, dass das Buch zum Produkt gehöre.58 Es gibt eine andere Entscheidung bezüglich der Haftung eines Verlags. Der Kläger, der eine Heimarbeit nach einer Beschreibung in dem Buch “Sonntagszimmermann” ausgeführt hatte, hatte sich dabei verletzt. Die Klage wurde abgewiesen.59 Außerdem gibt es ein Urteil, in dem die Haftung eines Informationsanbieters anerkannt wurde. Dabei wurde die Haftung des Herausgebers einer Luftfahrtskarte
55
56 57 58 59
Kasel v. Remington Arms Co. 24 Cal. App.3d 711, 101 Cal.Rptr. 314 (1972); Hart-ford v. Associated Contsr. Co., 34. Conn. Supp. 204, 384 A.2d 390 (1978). RESTATEMENT(SECOND) OF TORTS § 400 (1965). 221 Cal. Rptr. 447, 710 P. 2d 247 (1985). 342 So.2d 1053, (Fla. Dist, Ct. A[[/ 1977), cert. demoed. 353 So.2d 674 (Fla. 1977). Alm v. Van Nostrand Reinhold Co, 134 Ill. App. 3d 716, 480 N.E. 2d 1263 (1985).
Das Koreanische Produkthaftungsgesetz (KPHG)
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für eine Schädigung bejaht, die aus einem Mangel einer Luftfahrtskarte entstand.60
5. Produkthaftung: die verschuldensunabhängige Haftung, Gefährdungshaftung, Fehlerhaftung § 3 KPHG bestimmt den Haftungsgrund der Produkthaftung. Voraussetzung für eine Schadensersatzpflicht des Herstellers ist, dass durch den Fehler eines von ihm hergestellten oder in den Verkehr gebrachten Produkts ein Mensch getötet, verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Die Schadensersatzpflicht des Herstellers ist ausgeschlossen, wenn der Schaden nur am Produkt selbst eintritt. Nach § 3 KPHG tritt die Haftung des Herstellers ein, ohne dass ihm Verschulden zur Last fallen müsste. Im Einzelnen ist umstritten, ob § 3 KPHG als verschuldensunabhängige Haftung oder als Gefährdungshaftung anzusehen ist. Bei dem Gesetzgebungsverfahren sprachen sich zahlreiche Stimmen dafür aus, die verschuldensunabhängige Produkthaftung als Gefährdungshaftung nach dem Vorbild der EG-Richtlinie oder als strict liability in Anlehnung an das US-amerikanische Vorbild einzuordnen.61 Im Rahmen der der Gesetzgebungsprozesses im koreanischen Parlament wurde der Regierungsentwurf im Hinblick auf die Haftungsvoraussetzungen und die Fehlerdefinition geändert. Der koreanische Gesetzgeber hat entschieden, nur im Bereich des Fabrikationsfehlers eine verschuldensunabhängige Produkthaftung als Gefährdungshaftung einzuführen. Anders verhält es sich bei Konstruktions- und Instruktionsfehlern. Der Hersteller ist gehalten, eine vernünftige Auswahl zu treffen, wenn ihm mehrere bessere Konstruktionsentwürfe für sein Produkt zur Verfügung stehen (§ 2 Nr. 2 (b) KPHG). Das Wort “vernünftig“ -als Beurteilungskriterium für den Entwurfsprozess- enthält das Gebot, sich für bessere Alternativkonstruktion zu entschieden. Falls die Pflicht der Warnung der Verbraucher nicht nach dem Vernünftigkeitsmaßstab ausgeführt wird, liegt ein Fehler vor. Zu den zu ergreifenden Maßnahmen zählen die Umsetzung vernünftiger Alternativkonstruktion, die Anweisung und die Warnung. Auch hier gilt das Verbot des Missbrauchs dieser Pflichten durch den Verbraucher. Wann die Information vernünftig ist, kann mittels der Verbrauchererwartung (consumer expectation) und des risk-utility-test festgestellt werden. Deshalb liegt bei Konstruktions- und Instruktionsfehlern Vorwerfbarkeit vor.62
60
61
62
Aetna Casualty & Sur. Co. v. Jeppesen & Co., 642 F.2d 339, (9th Cir. 1981); Saloomey v. Jeppessen & Co., 707 F.2d 671 (2d Cir. 1983); Brockleshy v. Jeppesen Co., Prod. Liab. Rep. (CCH) 10, 610 (9th Cir. 1985). Kee-Young Yeun, aaO(FN1), 5. Kapitel; ders., FS für Erwin Deutsch (FN 2), 420-425; auch zur deutschen Gesetzgebung: Deutsch, FS für Larenz 1983, 111, 112; Diederichsen, NJW 1978, 1281, 1289; Hollmann, Betr. 1985, 2389; Taschner, NJW 1986, 611, 612; Bürggermeier/Reich, WM 1986, 149, 154 usw. Auch Kyong-Lyang Park, aaO, S. 526.
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6. Der Haftungsausschlussgrund § 3 KPHG bestimmt, dass sich Hersteller von der Haftung befreien können, wenn sie die bestimmte Tatsachen beweisen können. In diesen Regelungen sind vier Haftungsausschlussgründe der Hersteller bestimmt worden. Dabei wurde die EGRichtlinie zum Vorbild genommen. Erstens ist die Ersatzpflicht des Herstellers gem. § 4 Abs.1 Nr. 1 KPHG ausgeschlossen, wenn er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat. Es gibt eine Definition des Begriffs “Inverkehrbringen”.63 Im Allgemein muss das fehlerhafte Produkt mit Wissen und Wollen des jeweiligen Herstellers dessen Herrschaftsund Organisationssphäre verlassen haben.64 Dies liegt z.B. nicht vor, wenn ein Produkt, das im Lager aufbewahrt wurde, gestohlen wurde. Zweitens haftet der Hersteller gem. § 4 Abs.1 KPHG dann nicht, wenn er nachweist, das das Produkt zu dem Zeitpunkt, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde, zwar einen Fehler hatte, dieser aber nach dem damals verfügbaren, allgemeinen Stand von Wissenschaft und Technik nicht zu vermeiden war (§ 4 Abs.1 Nr. 2 KPHG). Dabei handelt es sich um sog. Entwicklungsrisiken.65 Dieser Haftungsausschlussgrund behandelt also “die Einrede der Entwicklungsgefahr”. Ein Entwicklungsrisiko verwirklicht sich dann, wenn es unmöglich war, auf dem Technikniveau im Zeitpunkt des Inverkehrbringens einen Fehler zu entdecken, dies aber später möglich wird. Wenn Hersteller die Verwirklichung einer Entwicklungsgefahr beweisen können, werden sie von ihrer Haftung befreit. Fraglich ist jedoch, wie das Forschungs- und Technikniveau festzulegen ist. Um befreit zu werden, ist es nötig, zu beweisen, dass es auch bei höchstem Wissenstand nicht möglich war, den Mangel zu erkennen. Drittens entfällt die Haftung, wenn der Fehler des Produkts darauf beruht, dass das Produkt in dem Zeitpunkt, in welchem der Hersteller es in den Verkehr brachte, den “Rechtsvorschriften” entsprochen hat (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 KPHG). Der koreanische Gesetzgeber hat nur “Rechtsvorschriften” erwähnt. Er meinte aber “zwingende Rechtsvorschriften”. Die EG-Richtlinie geht in Art. 7 lit. d von dem Begriff der “verbindlichen, hoheitlich erlassenen Normen” aus.66 Zwingende Rechtsvorschriften liegen daher nur dann vor, wenn sie in Form eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung erlassen worden ist.67 Auch werden Hersteller von Ersatzteilen von der Haftung befreit, wenn sie beweisen, dass der Fehler wegen des Konstruktionsentwurfs oder wegen der Befolgung der Anweisung der Hersteller entstanden ist (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 KPHG). Aber es ist selbstverständlich, dass Hersteller der Ersatzteile für den Fehler des 63
64
65 66 67
Dazu auch Taschner/Frietsch, aaO, Art. 7 Rz 7; von Westphalen, aaO, 72; BT-Drucks. 11/2447 S. 14. Dazu auch Taschner/Frietsch, aaO, § 1 ProdHaftG Rz 53; von Westphalen, aaO, 36-41; Kullmann/Pfister, aaO, Kza. 3602, S. 9. Vgl. auch Taschner/Frietsch, aaO, § 1 ProdHaftG Rz 98; von Westphalen, aaO, 50-52. Dazu auch Taschner/Frietsch, aaO, Art. 7 Rz 24. Vgl. auch Taschner/Frietsch, aaO, § 1 ProdHaftG Rz 84; von Westphalen, aaO, 46-50; Rolland, aaO, § 1 Rz. 130.
Das Koreanische Produkthaftungsgesetz (KPHG)
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Produkts, das sie produziert haben, verantwortlich sind. Wenn dieser Fehler entweder wegen des fehlerhaften Entwurfs oder wegen der Befolgung der Anweisung des Herstellers entsteht, sind sie dafür nicht verantwortlich. Dies ist eine Schutzbestimmung für mittlere Unternehmen. Letztlich schließt § 6 KPHG die Entschädigungspflicht aus oder macht spezielle Verträge ungültig, um Verbraucher zu schützen.
7. Die Haftung mehrerer Hersteller: Mehrheit von Ersatzpflichtigen § 5 KPHG bestimmt, dass ein Gesamtschuldverhältnis zwischen mehreren Herstellern entsteht, sofern diese für denselben Schaden zum Schadensersatz verpflicht sind. Für den Endhersteller, den Teilhersteller, den Hersteller eines Grundstoffs, den Quasi-Hersteller und den Lieferanten gilt die gesamtschuldnerische Haftung nach dieser Regelung nur dann, wenn für jeden einzelnen Hersteller und mindestens für zwei von ihnen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 KPHG vorliegen. § 5 KPHG gilt auch für die Situation, dass mehrere Personen Schadensersatzleisten müssen, eine der Personen aber nur für begangene Fahrlässigkeit haftet. Dabei ist es nicht von Belang, ob die Schäden durch eine gemeinschaftliche rechtswidrige Handlung oder durch fehlerhafte Produkte entstanden sind. Im Übrigen haftet jeder Gesamtschuldner auf den gesamten Schadensbetrag.
8. Verjährungsfrist Die Verjährungsregelung von KPHG entspricht der des § 766 KBGB. Die Verjährungsfrist beträgt also 3 Jahre. Die Frist des § 7 Abs. 1 KPHG beginnt von dem Zeitpunkt an zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat.68 Nach § 7 Abs. 2 KPHG erlischt der nach diesem Gesetz zustehende Schadensersatzanspruch zehn Jahre nach dem Inverkehrbringen des Produkts durch den Hersteller. Diese Vorschrift geht auf Art. 11 EG-Richtlinie sowie § 13 deutsches ProdHaftG zurück.69 Im Hinblick auf die Verjährungsfristen wiederholt § 7 KPHG die Regelung von § 766 KBGB (3 Jahre ab Kenntnis vom Schadenseintritt und der Identität des Haftenden, längstens jedoch 10 Jahre nach dem Inverkehrbringen des Produktes). Im Hinblick auf Substanzen, die sich im menschlichen Körper ansammeln und seine Gesundheit beschädigen oder andere Schäden, deren Symptome nach Verstreichen einer Latenzphase auftreten, stellt § 7 S. 2 KPHG ergänzend klar, dass die zehnjährige Verjährungsfrist mit Auftreten des Schadens zu laufen beginnt.
68 69
Vgl. auch Taschner/Frietsch, aaO, § 12 ProdHaftG Rz 6; von Westphalen, aaO, 149. Von Westphalen, aaO, 151.
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9. Anwendung des KBGB a) Umfang der Schadensersatzpflicht Anders als im deutschen Recht ist die Haftung nach dem KPHG betragsmäßig weder im Hinblick auf Bagatellfälle noch auf eine maximale Schadenssumme begrenzt. Anders als das ProdHaftG trifft das KPHG auch keine präzisierenden und einschränkenden Regelungen über den Umfang der Schadenersatzpflicht bei Körperverletzung oder Tötung. Schließlich enthält das KPHG auch keine Regelungen in Bezug auf Schadensminderungen im Falle eines Mitverschulden des Geschädigten (so aber § 6 ProdHaftG). Eine Versicherungspflicht sieht das KPHG nicht vor. Da das KPHG keine spezielle Bestimmung über den Umfang des Schadenersatzes enthält, ist es möglich, auf die generellen Vorschriften des Schadensersatzes des KBGB für Personen- oder Sachschäden zurückzugreifen. Die Bestimmungen der §§ 7-11 des ProdHaftG hingegen enthalten besondere Regelungen für den Umfang der Ersatzpflicht bei Tod und Körperverletzung. Diese Vorschriften sind eingeführt worden, weil Art. 9 Satz 1 lit. a EG-Richtlinie den Grundsatz aufgestellt hatte, dass der durch Tod und Körperverletzung verursachte Schaden zu ersetzen ist, ohne den Schadensbegriff im Einzelnen zu definieren.70 Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, rein ökonomische Schäden vom Schadenersatz nach dem KPHG auszunehmen. Sofern sich dadurch die Gefahr ergibt, dass die Haftung der Hersteller unbegrenzt erweitert wird, sollte man dieses Problem auf der Ebene der Prüfung der zwischen Fehler und Schaden bestehenden Kausalität einer Lösung zuführen. b) Mitverschulden Das KPHG enthält keine Regelung für Mitverschulden oder eine Haftungsminderung. Deshalb schreibt § 8 KPHG vor, dass § 396 KBGB unmittelbare Anwendung findet.71 § 396 KBGB bestimmt, dass im Fall des Mitverschuldens des Gläubigers (des Geschädigten) die Verpflichtung zum Schadensersatz von den Umständen abhängt, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einem oder anderen Teil verursacht worden ist. Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Gläubigers mitgewirkt, so hat das Gericht dies bei der Haftung sowie beim Umfang des Schadensersatzbetrags zu berücksichtigen. Bei der Produkthaftung könnte ein fehlerhafter Gebrauch des Produkts durch die Fahrlässigkeit des Verbrauchers entstanden sein. Diese fahrlässige Handlung des Verbrauchers oder Benutzers könnte ein Mitverschulden darstellen. Was die Einrede des Fehlgebrauchs durch den Verbraucher betrifft, sollten allerdings leichte Fehler beim Gebrauch des Produktes mit einberechnet werden. Ich meine daher, dass es richtig wäre, den Schadensersatzbetrag bei leichter Fahrlässigkeit des Geschädigten nicht zu vermindern und eine Anrechnung des Mitverschuldens nur dort durchzuführen, wo jemand die Sache trotz Kenntnis des 70 70 71
Taschner/Frietsch, aaO, Art. 9 Rz 9; von Westphalen, aaO, 141. von Westphalen, aaO, 151. Vgl. auch § 6 Abs. 1 deutsches ProdHaftG, § 254 BGB.
Das Koreanische Produkthaftungsgesetz (KPHG)
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Produktfehlers benutzt hat, mithin grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Die EG-Richtlinie bestimmt, dass alle Umstände bei der Verminderung der Haftung des Herstellers berücksichtigt werden müssen, wenn der Schaden durch einen Dritten mit verursacht ist (Art. 8 Abs. 1). Der deutsche Gesetzgeber hat diese Regelung in § 6 Abs. 2 ProdHaftG berücksichtigt.
IV. Schlussbemerkungen Es ist erforderlich, die Gesundheit als Schutzgut zu ergänzen. In § 3 Abs.1 KPHG ist die Verletzung des Rechtsguts auf das Leben, der Körper und das Vermögen beschränkt. Selbstverständlich kann man diese Bestimmung als nicht abschließende Aufzählung betrachten. In §823 Abs.1 BGB oder §1 ProdHaftG wird die Gesundheit aber gerade als Schutzgut erwähnt. Auch nehmen besonders die Schäden zu, die aus der Schädigung der körperlichen und seelischen Gesundheit herrühren. Obwohl infolge des fehlerhaften Produkts ein Unfall passiert ist, kann der Hersteller vom Opfer nicht zur Rechenschaft gezogen werden, wenn der Hersteller die gesetzlichen Vorschriften eingehalten hat. Meiner Ansicht nach ist diese Bestimmung sehr problematisch. Aus meiner Sicht wäre auch die Einführung eines Zwangsversicherungssystems hinsichtlich von Produkten ausgelöster Schäden nötig. Eine Versicherung auf freiwilliger Basis wird von mittelständischen Unternehmen nur unzureichend durchgeführt, so dass die Geschädigten nicht ausreichend abgesichert sind. Die Einrichtung von PL-Zentren sollten geplant werden. Eine gesetzliche Einführung von PL-Zentren, die Beratung zur schnellen Lösung von Produkthaftungsstreitigkeiten und Streitschlichtung anbieten, ist dringend erforderlich. In Japan wurde dies durch Beschluss des Parlaments geplant und ausgeführt. Im Gesetzgebungsprozess gab es Vorschläge zu Beweislasterleichterungen. Aber es wurde entschieden, den Gerichten die Etablierung von Beweislasterleichterung anzuvertrauen. Nach § 3 Abs.1 KPHG sollen die Geschädigten das Vorhandensein eines Fehlers und die Kausalität zwischen Fehler und Schaden beweisen. Im Hinblick darauf, dass der Geschädigte, der ja in der Regel kein Experte ist, den Fehler und die Kausalität nur schwer beweisen kann, ist zu hoffen, dass die Gerichte die Beweislast den Herstellern übertragen.
V. Anhang: Product Liability Act (No. 6109, Jan. 12, 2000) Article 1 (Purpose) The purpose of this Act is to protect consumers against damage caused by defective products, and contribute to the safety of the citizen's life and the sound development of the national economy by regulating the liability of manufacturers, etc. for damages caused by the defectiveness of their products.
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Article 2 (Definitions) The definitions of terms used in this Act shall be as follows: 1. The term "product" means all movables, industrially manufactured or processed, even though incorporated into another movable or into an immovable; 2. The term "defect" means the defect of any product in manufacturing, design or expression falling under any of the following items or the lack of safety that the product ordinarily should provide: and a) The term "defect in manufacturing" means the lack of safety caused by manufacturing or processing of any product deviating from the originally intended design, regardless of whether the manufacturer faithfully performs the duty of care and diligence with respect to the manufacturing or processing; b) The term "defect in design" means the lack of safety caused by the failure of the manufacturer to adopt a reasonable alternative design in a situation that any damage or risk caused by the product would otherwise be reduced or prevented; and c) The term "defect in expression" means conditions that a manufacturer fails to give reasonable explanations, instructions, warnings and other indications on the product, while there occurs any such damage or risk caused by the product that would otherwise be reduced or prevented; 3. The term "manufacturer" means a person falling under any of the following items: a) A person who is engaged in a business of manufacturing, processing or importing any product; and b) A person who presents himself as any person falling under item (a) by putting his name, firm name, trademark or any other distinguishable feature (hereinafter referred to as "his name, etc.") on the products, or a person who puts his name, etc. on the product in a manner mistakable for any person falling under item (a).
Article 3 (Product Liability) (1) A manufacturer shall be liable for either damage of death or personal injuries or damage to any item of property (other than the defective product itself) which is suffered by any person, due to a defect of the product. (2) With respect to any product the manufacturer of which can not be identified, a person who, for profit, supplies it in a form of sale or lease, etc. shall be liable for damage referred to in paragraph (1), if, in spite that he knows or would be able to know the identity of the manufacturer or the person who has supplied it to himself, he fails to inform any injured person or his legal representative of said identity within a reasonable period.
Article 4 (Exemptions) (1) Where a person who is liable for damage in accordance with the provisions of
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Article 3 proves the fact falling under any of the following subparagraphs, he shall be exempted from such liability: 1. That the manufacturer did not supply the product; 2. That the state of scientific or technical knowledge at the time when the manufacturer supplied the product was not such as to enable the existence of the defect to be discovered; 3. That the defect is due to compliance of the product with any Act or subordinate statute at the time when the manufacturer supplied it; and 4. That, in case of raw materials or components, the defect is attributable to the design of the product in which any raw materials or components have been fitted or to the instructions concerning manufacturing given by the manufacturer of the product using them. (2) Where, in spite that he knows or would be able to know the existence of any defect of the product after it has been supplied, the person who is liable for damage under the provisions of Article 3 fails to take appropriate measures to prevent the damage caused by the defect from occurring, he shall not enjoy any exemption referred to in paragraph (1) 2 through 4.
Article 5 (Joint and Several Liability) Where not less than two persons are liable for the same damage, they shall be liable jointly and severally.
Article 6 (Restrictions on Special Agreement Concerning Exemption) Any special agreement intended to exclude or limit any liability for damage under this Act shall be null and void: Provided, That this shall not apply to the case where a person who is supplied with any product only used for his own business concludes said special agreement with respect to damage to his business property caused by the product.
Article 7 (Time Limitations, etc.) (1) The right for damage under this Act shall be extinguished by prescription if the injured person or his legal representative does not exercise their rights within three years from the date on which the damage and the person liable therefore under the provisions of Article 3 have come to the knowledge of either of them. (2) The right for damage under this Act shall be exercised within 10 years from the date on which a manufacturer supplies a product causing damage: Provided, That with respect to damage caused by any substances which are accumulated in human's physical body and, in turn, hurt his heath, or any other damage the symptoms of which appear after a lapse of a certain latent period, the aforesaid period
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shall be reckoned from the date on which the damage occurs actually.
Article 8 (Application of Civil Act) Matters concerning any liability for damages caused by the defect in products shall be governed by the Civil Act except as otherwise provided for in this Act.
Addenda (1) (Enforcement Date) This Act shall enter into force on July 1, 2002. (2) (Applicable Cases) This Act shall apply to products supplied by a manufacturer on or after the enforcement date of this Act.
Der deliktische Schutz des Persönlichkeitsrechts im koreanischen Zivilrecht Eine rechtsvergleichende Untersuchung
Seok-Chan Yoon
I. Einleitung Die Frage, wie die Persönlichkeit vor Verletzungen am effektivsten geschützt werden kann, wird nicht nur in Deutschland sondern auch in der Republik Korea derzeit heftig diskutiert. Daher kann es nützlich sein, eine rechtsvergleichende Untersuchung zu versuchen, um Anregungen bei einer solchen Diskussion zu erhalten. Vor allem ist eine Untersuchung der koreanischen Rechtslage hierbei interessant, da das Persönlichkeitsrecht, z. B. das Recht auf Körper und Gesundheit, das Recht auf Ehre, das Recht am eigenen Bild, das Namensrecht usw. in der Republik Korea als Grundrechte in der Verfassung von 1960 anerkannt1 und der deliktsrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts im koreanischen Bürgerlichen Gesetzbuch (im Folgenden: KBGB) 2 zivilrechtlich berücksichtigt worden ist, obwohl das KBGB weder ein allgemeines Persönlichkeitsrecht noch einzelne Persönlichkeitsrechte kennt. Daher fragt sich vor allem, wie sich dieser deliktsrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts auswirkt. Um diese Frage zu beantworten, soll zuerst ein kurzer Blick auf die geschichtlichen Grundlagen geworfen werden.
* 1
2
Professor für Zivilrecht an der Pusan-National-Universität in Busan/Südkorea. Vgl. dazu Chel-Su Kim, Verfassungsrecht (2000), S. 360 ff.; Young Hue, Verfassungsrecht (2000), S. 318 ff. In der Republik Korea trat am 1. Januar 1960 das koreanische bürgerliche Gesetz (minbhöb) in Kraft, welches stark vom deutschen Zivilrecht geprägt ist. An diesen koreanischen BGB wurden viele auf dem Code civil beruhende Vorschriften durch solche des deutschen BGB sowie des schweizerischen ZGB und OR ersetzt. Vgl. dazu Frank Pflüger/ Seok-Chan Yoon, Die Kfz-Halterhaftung im Recht von Korea, VersR 2001, 1219 ff.
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Seok-Chan Yoon
II. Rechtsgrundlagen In der Republik Korea überließ man, ähnlich wie in Deutschland, den Schutz der Persönlichkeit vorwiegend dem Strafrecht. Dort fanden sich die Vorschriften zum Ehrschutz. Für Ehrverletzungen und Beleidigungen gelten die §§ 307 bis 312 des koreanischen StGB. Dem Zivilrecht oblag es, den Ersatz des immateriellen Schadens zu leisten. Jedoch erkennt auch das KBGB den Schadensersatz wegen Ehrverletzung an. Daher tritt bei der Diskussion um das Persönlichkeitsrecht die Frage nach der Ehrverletzung in den Vordergrund. Im Gegensatz dazu hat weder im Strafrecht noch in einem anderen Rechtsgebiet der Schutz der weitergehenden Privatsphäre praktisch eine große Rolle gespielt, obwohl diesem im gegenwärtigen Leben eine immer größere Bedeutung zukommt. In Bezug auf dem Schadensersatz wegen der Ehrverletzung infolge der Verletzung der Persönlichkeit gibt es in der Republik Korea bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Stellungnahmen. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts in der Form einer Ehrverletzung ist ein Produkt der koreanischen Rechtsprechung. Als zivilrechtliche Rechtsgrundlage dient der koreanischen Rechtsprechung das Deliktsrecht im KBGB. Dafür lautet die zentrale Vorschrift über unerlaubte Handlungen von § 750 KBGB (Inhalt der unerlaubten Handlung): „Wer vorsätzlich oder fahrlässig durch widerrechtliche Handlung einem anderen einen Schaden zufügt, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet.“ Danach hat derjenige, der einem anderen vorsätzlich oder fahrlässig einen Schaden zufügt, diesem Schadensersatz zu leisten. Das koreanische System der Haftung für unerlaubte Handlung folgt damit nicht dem deutschen Enumerationsprinzip. Es muss nicht ein bestimmtes Rechtsgut verletzt sein. Vielmehr folgt die Republik Korea dem französischen System der Generalklausel.3 Erforderlich ist daher ein Schaden, schuldhaftes oder fahrlässiges Verhalten und Kausalität. Grundsätzlich kann jeder Schaden entschädigt werden, es sei denn, dass das verletzte Interesse rechtswidrig ist, weil die Generalklausel vom § 750 KBGB jede rechtswidrige Handlung umfassen kann. Diese Generalklausel setzt – anders als § 823 BGB – keine Verletzung eines absoluten Rechts voraus, so dass die Verletzung jedes schutzwürdigen Interesses einen Schadensersatzanspruch nach sich zieht. Auch wie in Frankreich wird nicht nur materielle, sondern auch der immaterielle Schaden in der Republik Korea ersetzt.4
3 4
Vgl. Art. 1382 und 1383 Code civil in Frankreich. Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., 1996, S. 700.
Der deliktische Schutz des Persönlichkeitsrechts im koreanischen Zivilrecht
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§ 751 KBGB betrifft Schmerzensgeldansprüche5. Dieser lautet: „Wer den Körper, die Freiheit oder die Ehre eines anderen verletzt oder diesem sonstige seelische Schmerzen zufügt, muss neben dem Vermögensschaden auch einen weitergehenden Schaden ersetzen.“ Danach werden die Verletzung der Ehre und die Zufügung seelischen Schmerzen zu den unerlaubten Handlungen gezählt. Für diese Fälle wird der Anspruch auf Schmerzensgeld umfassend anerkannt. Im Gegensatz zu § 751 KBGB wird im BGB der Schadensersatz für einen immateriellen Schaden gemäß § 253 BGB nur in den durch Gesetz bestimmten Fällen gewährt6. Außerdem bestimmt § 764 KBGB, dass das Gericht gegen denjenigen, der „die Ehre“ eines anderen schädigt, je nach dem Verlangen des Verletzten statt eines Schadensersatzes oder neben ihm eine zur Wiederherstellung der Ehre angemessene Maßnahme aussprechen kann. Unter „der Ehre“ im Sinne von § 764 KBGB ist die von der sozialen Anschauung ausgehende objektive Bewertung zu verstehen.7 Daher besteht die Verletzung der Ehre in einer Minderung der gesellschaftlichen Bewertung. Im Falle der Verletzung vom subjektiven Ehrgefühl ist der Tatbestand der Ehrverletzung nicht zu erfüllen.8 Im Zusammenhang mit der Auswirkung des Verfassungsrechts auf dem Schutz der Persönlichkeit bestimmt Art. 10 der koreanischen Verfassung (im Folgenden: KVerf): „Jedem Staatsbürger kommt die Würde und der Wert als Mensch zu, und er hat das Recht, nach Glück zu streben“. Und Art 17 KVerf lautet: „Die Geheimnisse und die Freiheit des geheimgehaltenen Privatlebens jedes Staatsbürgers werden geschützt.“ Das auf die oben genannten Verfassungsvorschriften begründete Persönlichkeitsrecht wird als das grundlegende und zentrale Grundrecht anerkannt.9
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In der Republik Korea wird Schmerzensgeld als Uisahryo bezeichnet. Die Bedeutung dieses Wortes ist Trostgeld. Diese Übersetzung legt bereits nahe, dass der koreanische Immaterialschadensersatz inhaltlich vom deutschen Schmerzensgeld abweicht. Für Uisahryo werden Schmerzen in der Rechtspraxis nicht vorausgesetzt. Schmerzensgeld ist daher beispielsweise bei Ehescheidung in Korea zu zahlen. Außerdem haben koreanische Gerichte den Opfern in Umweltschadensfällen unter Berücksichtigung des künftigen Verlaufs der Krankheit und der dadurch entstandenen Veränderungen Schmerzensgelder zugebilligt; vgl. koreanischer OGH, Urteil vom 26.07.1991, 90 daka 26607, 90 daka 26614. In Deutschland greift das 2. Schadensersatzrechtsänderungsgesetz wesentlich in das System des Schadensersatzes ein. Dadurch entsteht die Festschreibung des Schmerzensgeldes in § 253 BGB. Der neue § 253 BGB gewährt kein Schmerzensgeld für die Verletzung des Lebens, worin er sich mit § 847 a.F. BGB deckt. Für den Tod und für die Verkürzung des Lebens sieht das Gesetz kein Schmerzensgeld und keine Entschädigung vor; vgl. BGH MDR 1998, 1029. Koreanischer OGH, Urteil vom 27.10.1992, 92 da 756; Koreanischer OGH, Urteil vom 14.06.1988, 87 daka 1450. Koreanischer OGH, Urteil vom 24.10.1997, 96 da 17851. Jae-Hyung Kim, Der Schutz des Persönlichkeitsrechts im koreanischen Zivilrecht, ZvglRWiss 101 (2002), 236.
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III. Inhalt und Grenzen der Persönlichkeitsrechte Bei einem Vergleich der deutschen mit der koreanischen Rechtslage kann man feststellen, dass der Inhalt der einzelnen Persönlichkeitsrechte ähnlich ist. Wie im deutschen, so ist auch im koreanischen Recht die Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht und der Meinungsfreiheit stark verfassungsrechtlich geprägt, weil in Deutschland sowie in der Republik Korea die Persönlichkeitsrechte und die Meinungsfreiheit in der jeweiligen Verfassung verankert sind.
1. Das Recht am eigenen Bild Im Gegensatz zu Deutschland ist das Recht am eigenen Bild in der Republik Korea nicht gesetzlich geregelt. Trotzdem wird nach der koreanischen Rechtsprechung das Recht am eigenen Bild dadurch anerkannt, dass die Vorschriften von §§ 10 und 17 KVerf Anwendung finden.10 Darüber hinaus genießt es nicht nur Schutz über die zivilrechtliche Generalklausel des § 750 KBGB, sondern ist weitgehend als eine Art allgemeines Persönlichkeitsrecht anerkannt.11 In Deutschland macht § 22 KUG die Verbreitung des eigenen Bildes von der Einwilligung des Abgebildeten abhängig. Daher gibt das Recht am eigenen Bild in Deutschland und der Republik Korea jeder Person die ausschließliche Befugnis, sich der Verbreitung seines Bildnisses ohne Einwilligung zu widersetzen. Wenn ein Foto ohne Einverständnis gemacht und veröffentlicht wird, liegt nach der koreanischen Rechtsprechung eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild vor. 12 Interessant ist, wenn ein Foto zwar mit Einverständnis des Betroffenen aber anders als erwartet verwendet wird, ist eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild in der Republik Korea anzunehmen. 13 Allerdings werden von diesem Erfordernis der Einwilligung Ausnahmen gemacht, die wegen des Informationsbedürfnisses der Öffentlichkeit bestehen. Solche Ausnahmen gibt es auch in § 23 KUG. Die in der Praxis wichtigste Ausnahme ist § 23 I Nr. 1 KUG, der „Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte“ ausdrücklich ausnimmt. Daher ist es strittig, wer als öffentliche Personen anerkannt werden kann. Öffentliche Personen sind solche, die im politischen, künstlerischen, sozialen oder auch finanziellen Umfeld bekannt sind oder auch durch ein wichtiges Ereignis bekannt werden.14 Die Veröffentlichung von Bildern einer öffentlichen Person an öffentlichen Orten ist grundsätzlich zulässig, es sei denn, dass dadurch ein Eingriff in die Privatsphäre vorliegt. Jedoch wird diese Privatsphäre bei einer öffentlichen Person stark schränkt. Deshalb darf eine öffentliche Person in der Öffentlichkeit während ihrer privaten Aktivitäten fotografiert werden, z.B. bei einer Urlaubsreise, beim Essen in einem Restaurant usw. 10 11 12 13 14
Koreanischer OGH, Urteil vom 30.09.1997, 97 do 1230. Dong-Meng Lee, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (XVIII), § 751, S. 397. Landgericht Seoul für Zivilsachen, Urteil vom 08.07.1993, 92 gadan 57989. Landgericht Seoul für Zivilsachen, Urteil vom 22.09.1992, 92 gahap 12051. Wie etwa Straftäter oder Opfer.
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2. Das Recht auf Ehre Das Persönlichkeitsrecht umfasst das Recht auf Ehre, das Namenrecht, das Recht am eigenen Bild, das Recht auf Privatleben usw. Besonders wird das Recht auf Ehre am häufigsten durch die Veröffentlichung von Tatsachen oder verunglimpfender Äußerungen verletzt. 15 Daher kann das Recht auf Ehre einerseits durch Verbreitung von Tatsachen, zum anderen durch Meinungsäußerungen beeinträchtigt werden. In der Republik Korea gilt dies unabhängig davon, ob die Tatsachen unwahr oder wahr sind.16
3. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als sonstiges Persönlichkeitsrecht Aufgrund der Generalklausel vom § 750 KBGB hat die koreanische Rechtsprechung genau so wie in Deutschland das allgemeine Persönlichkeitsrecht anerkannt. Hierzu gehört das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Bei der Verletzung dieser informationellen Selbstbestimmung durch den behandelnden Arzt wird nach der koreanischen Rechtsprechung der Schmerzensgeldanspruch anerkannt.17 In Deutschland ist das aus Art. 1 und Art. 2 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht bereits seit Jahrzehnten als „sonstiges Recht“ i.S. des § 823 I BGB anerkannt.18 In dieses Recht greift der behandelnde Arzt ein, sobald er sich die personenbezogene Information über den Gesundheitszustand des Patienten ohne dessen Einwilligung verschafft. Dieser Arzt ist wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verpflichtet.19
4. Das Recht am eigenen Körper Anders als in Deutschland, wie oben erwähnt, sind die Persönlichkeitsrechte in der Republik Korea gemäß der Generalklausel des § 750 KBGB umfassend zu schützen. Aufgrund der Generalklausel des § 750 KBGB gibt es eine Lehre20 in der Republik Korea, dass der Begriff des Persönlichkeitsrechts unnötig ist. Dagegen gibt es auch eine Gegenmeinung. Nach dieser Meinung ist der Begriff des Persönlichkeitsrechts nötig. Denn bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts kann neben dem Schadensersatzanspruch zusätzlich ein Unterlassungsanspruch anerkannt werden.21 Meiner Meinung nach gilt das Persönlichkeitsrecht als Abwehrrecht und 15 16 17 18 19 20 21
Vgl. koreanischer OGH, Urteil vom 26.05.1996, 90 da 33828. Vgl. koreanischer OGH, Urteil vom 25.07.1967, 67 da 1000. Koreanischer OGH, Urteil vom 15.04.1994, 93 da 60953. Vgl. BGHZ 95, 212 (214). Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. (2008), Rn. 450. Vgl. Eun-Young Lee, Schuldrecht BT (1992), S. 733 ff. Jae-Hyung Kim, Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Die zivilrechtliche Rechtsprechungsforschung (XXI), S. 637 ff.
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Verfügungsrecht. Er ähnelt dem Sacheigentum. Das Recht am eigenen Körper kann in der Republik Korea als allgemeines Persönlichkeitsrecht anerkannt werden. Im Falle der Verletzung dieses allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird Schmerzensgeld gewährt.22 In Deutschland spricht § 823 Abs. 1 BGB das Recht am eigenen Körper als Persönlichkeitsrecht zwar nicht ausdrücklich an. Jedoch wird das Recht am eigenen Körper als Persönlichkeitsrecht qualifiziert. Nach herkömmlicher Auffassung unterfallen vom lebenden Körper getrennte Körperteile ab dem Zeitpunkt der Trennung nicht mehr dem Schutz im BGB. Bemerkenswert ist, dass der BGH die Grenzen der getrennten Körperteile zugunsten eines weitergehenden Schutzes des Körpers verschoben hat.23
5. Der postmortale Persönlichkeitsschutz § 3 KBGB lautet: „Der Mensch ist zu seinen Lebzeiten Träger von Rechten und Pflichten“. Daraus folgt, dass man nach dem Tod nicht mehr Rechtsträger oder Pflichtenträger sein kann. Daher kann der Tote einen Schmerzensgeldanspruch wegen Ehrverletzung nicht gelten machen. Darüber hinaus spielt § 308 des koreanischen StGB eine Rolle als die einschlägige Vorschrift im Falle der Ehrverletzung des Toten. In dieser Situation wird die Persönlichkeit des Toten nach koreanischer Rechtsprechung anerkannt, weil die Persönlichkeit des Menschen über den Tod hinaus geschützt ist. Auch in Deutschland wird dem Toten ein Persönlichkeitsrecht zuerkannt. Daher ist der Tote selbst als Grundrechtssubjekt zu betrachten. Auch sind Schutzobjekt des postmortalen Persönlichkeitsrechts nicht die nächsten Angehörigen des Toten, die durch den Angriff auf die Ehre des Toten mittelbar in ihrer Ehre verletzt sind. In Deutschland vertritt das BVerfG die Auffassung seit der MephistoEntscheidung, dass der Schutz des Andenkens Verstorbener nicht über Art. 2 Abs. 1 GG, sondern über Art. 1 Abs. 1 GG zu gewährleisten ist, weil das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nur einer lebenden Person zukommen kann.24
IV. Die zivilrechtlichen Sanktionen Bei Verletzung der Persönlichkeitsrechte bedeuten die zivilrechtlichen Sanktionen „alle Maßnahmen, die notwendig sind, um dem rechtswidrigen Eingriff ein Ende zu machen und den Verletzten in den vollen Genuss seiner Rechte wiedereinzusetzen, sowie um weitere Eingriffe vorzubeugen oder diese zu verhindern“. Darunter fallen die folgenden Maßnahmen: die Anerkennung des Schadensersatzanspruchs, des Unterlassungsanspruchs, des Gegendarstellungsanspruchs usw. Auf 22 23
24
Vgl. Yoon-Jik Kwack, Schuldrecht BT (1995), S. 712. Vgl. die Sperma-Entscheidung, NJW 1994, 127; Taupitz, Der deliktsrechtliche Schutz des menschlichen Körpers und seiner Teile, NJW 1995, 745 ff. Vgl. Bender, VersR 2001, 817.
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den ersten Blick und in der Theorie ähnelt das koreanische zivilrechtliche Sanktionssystem dem deutschen. In der Praxis wird in der überwiegenden Zahl der Fälle nur auf Schadensersatz im Vergleich zum Gegendarstellungsrecht geklagt.
1. Der Schadensersatzanspruch Der Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte in der Republik Korea setzt, wie alle anderen Ansprüche, einen rechtswidrigschuldhaften Eingriff voraus, denn es handelt sich bei der Haftung für die Verletzung der Persönlichkeitsrechte konstruktiv um eine Haftung aus unerlaubter Handlung nach § 750 KBGB. Zudem ist die Verletzung des Persönlichkeitsrechts anders als im deutschen BGB umfassend unter § 750 KBGB zu subsumieren, da § 750 KBGB eine generalklauselartige Verschuldenshaftung statuiert. Um Schadensersatz zu erlagen, muss der Betroffene prinzipiell beweisen, dass dem anderen ein Fehlverhalten vorzuwerfen ist und dieses bei ihm einen Schaden verursacht hat. Die Form des Schadensersatzes regelt die Vorschrift des § 394 KBGB: „Der Schaden ist in Geld zu ersetzen, sofern nicht etwas Abweichendes vereinbart ist.“ Diese Vorschrift wird gemäß § 763 KBGB auf den Schadensersatzanspruch wegen unerlaubter Handlungen entsprechend angewendet. Der Schadensersatz wird für materielle und immaterielle Schäden gewährt. Besonders für die Verletzung des Persönlichkeitsrechts ist der Schadensersatz zuerst in der Form eines Geldersatzes, sog. Schmerzensgeld, zu gewähren.
2. Der Unterlassungsanspruch Bei der Verletzung des Persönlichkeitsrechts erfüllt das Geldersatzprinzip im KBGB nicht die Erwartungen zur effektiven Schadensdeckung. Die koreanische Rechtsprechung25 erkennt daher den Unterlassungsanspruch zu, der im Sinne eines Präventionsmittels einen Eingriff unterbinden kann, obwohl keine Vorschrift zur Unterlassungsanspruch im KBGB geregelt ist.
3. Der Gegendarstellungsanspruch Die Gegendarstellung ist das primäre presserechtliche Mittel. Sie ist eine Erklärung des Betroffenen, die der Erstmitteilung widerspricht. In der Republik Korea ist der Anspruch auf Gegendarstellung in den Spezialgesetzen zum Medienrecht, z. B. § 16 des Gesetzes über die Registrierung und § 91 des Rundfunkgesetzes, geregelt. Dieser Anspruch hat die gleiche Funktion wie in Deutschland. Zum einen dient er dem Schutz der Persönlichkeit und zum anderen der öffentlichen Meinungsbildung. Das Recht auf Gegendarstellung steht jeder natürlichen oder juristischen Person zu. Zudem wird die Unwahrheit der betreffenden Information durch 25
Koreanischer OGH, Urteil vom 24.10.1997, 96 da 17851; koreanischer OGH, Urteil vom 12.04.1996, 93 da 40614.
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Presseveröffentlichungen für das Recht auf Gegendarstellung nicht vorausgesetzt.26
V. Die Grenzen des Schutzes durch die Meinungsfreiheit und Pressefreiheit Meinungs- und Pressefreiheit haben für die Entfaltung des Einzelnen und die Festigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung seit jeher ein besonderes Gewicht.27 Wie in Deutschland, so werden auch in der Republik Korea die Persönlichkeitsrechte insbesondere von der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit begrenzt. Im Sinne des Grundrechts schützt die koreanische Verfassung nicht nur das Persönlichkeitsrecht, sondern auch die Pressefreiheit.28 Bei der Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch die Presse entstehen oft Kollisionen zwischen Grundrechten. Wenn diese Pressefreiheit in Konflikt mit dem Persönlichkeitsrecht tritt, dann muss in der Republik Korea in erster Linie eine Interessenabwägung vorgenommen werden29. In der Republik Korea löst die Rechtsprechung jedoch die Kollisionen des Persönlichkeitsrechts mit der Pressefreiheit in der Regel gemäß § 310 koreanisches StGB auf.30 Nach dieser Vorschrift ist die Rechtswidrigkeit der Ehrverletzung durch Presse ausgeschlossen, wenn die Ehrverletzungshandlung im öffentlichen Interesse begangen wird und auch die Wahrheit der behaupteten Tatsache bewiesen wird. In der Republik Korea kann daher die Veröffentlichung einer wahren Tatsache eine Ehrverletzung bewirken. In Deutschland ist das Presse- und Äußerungsrecht im Normgefüge der §§ 823 und 824 BGB, §§ 185 ff. StGB dabei weitgehend durch die Rechtsprechung geprägt. In der deutschen Rechtsprechung gibt es eine Entscheidung vom BGH31, die ein Meilenstein in der Entwicklung eines stärkeren Schutzes der Persönlichkeitsrechte ist. In Deutschland geschehen die meisten Verletzungen der Persönlichkeitsrechte durch die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen.
VI. Schlussbemerkung Die Persönlichkeitsrechte sind in der Republik Korea von der Rechtsprechung weit entwickelt worden. Daher ist die Persönlichkeit des Menschen in beiden 26
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Koreanischer OGH, Urteil vom 15.01.1991, 90 daka 25468; koreanischer OGH, Urteil vom 28.01.1986, 85 daka 1973. Vgl. BVerfGE 7, 198 (208) = NJW 1958, 257. Gemäß Art. 21 Abs. 1 KVerf wird die Pressefreiheit geschützt. Koreanischer OGH, Urteil vom 10.10.1988, 85 daka 29. Jae-Hyung Kim, Der Schutz des Persönlichkeitsrechts im koreanischen Zivilrecht, ZvglRWiss 101 (2002), S. 242 ff. BGH, NJW 1995, 861.
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Ländern über den Tod hinaus geschützt. Dieser Schutz folgt aus dem Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG in Deutschland und aus dem Verfassungsrecht des § 10 KVerf, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG kann hingegen nur einer lebenden Person zukommen, denn dieses auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit gerichtete Grundrecht setzt die Existenz einer wenigstens potentiell oder zukünftig handlungsfähigen Person voraus. Auch gemäß § 3 KBGB kann man nach dem Tod nicht mehr Rechtsträger oder Pflichtenträger sein. Soweit die Persönlichkeitsrechte dem Schutz ideeller Interessen dienen, sind sie unauflöslich an die Person gebunden und als höchstpersönliche Rechte unverzichtbar. Hinsichtlich der Sanktionen steht den Betroffenen in der Republik Korea, ähnlich wie in Deutschland, ein breites zivilrechtliches Instrumentarium zur Verfügung, das aus Unterlassungsanspruch und Schadensersatzmaßnahmen besteht. In der Republik Korea kann der Betroffene als Rechtsfolge den ihm entstandenen Nichtvermögensschaden neben dem Vermögensschaden gemäß § 750 KBGB ersetzt verlangen, wenn ein widerrechtlicher und schuldhafter Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vor. In Deutschland hat der BGH den immateriellen Ersatzanspruch bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts bereits früh vom zivilrechtlichen Schmerzensgeldanspruch des § 847 aF BGB abgekoppelt.
Grundfragen des Zivilrechts
A Pacific Medley – Conflicts, Codes and Comparisons
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I. Prelude Professor Erwin Deutsch visited New Zealand many times. In the course of those visits he gave lectures and did research on a wide range of topics, including not only his special interest areas of medical law and the accident compensation system of New Zealand but also on more general matters relating to the European Communities, comparative law, and private international law. The students in the private international law class that Professor Deutsch taught in Wellington had an experience somewhat different from that of those in other years. Notably, he gave an extensive introduction to the topic from a historical and conceptual point of view, in contrast to the almost totally contemporary practical consideration of the topic given in other years. The second distinctive aspect of the course was that the assessment, for the part of the programme taught by Professor Deutsch, was by oral examination. That was certainly new for students in an undergraduate law programme in Wellington! It is that link with private international law matters that led to this reflection on the subject area more generally and on the much under-researched topic of the conflict of laws in the South Pacific countries. In that context several things come to mind immediately. One is that most of the countries in the South Pacific area have a Common Law heritage; second, they are mostly very small, and third, except for the larger countries of Melanesia to the west, they are resource poor. These factors have led to a substantial reduction in the possible and actual volume of private international law disputes and also to the relative insignificance internationally of the case law because of the absence of the international commercial imperative. Nevertheless, there are some things worthy of comment: (1) the most extensive private international law judgment in the region is Samoan Public Trustee v Collins1 and it concerned German law; (2) two of the countries in the South Pacific have pieces of legislation in the conflict of laws area which are of interest in themselves; (3) the potential for a codification of private international law rules and the role of code-like texts such as Dicey and Morris The Conflict of Laws. 1
Samoan Public Trustee v Collins (1961) [1960-1969] WSLR 52.
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This paper will first introduce Samoan Public Trustee v Collins. It will then identify current legislation and practice in the field of private international law in the countries of the South Pacific and refer to codes of private international law and the use of model laws. The purpose of the consideration of the current laws is to promote the use of codes and model laws in the interests of clarity, legal certainty, and harmonisation. There is no initiative in the South Pacific for a unified set of private international law rules. The ideas, nevertheless, give rise to the thought that there should be such a set of private international law rules in order to preserve the present commonality of the rules. The title of this paper might therefore well have been ‘The Vocation of our Age for a Pacific Conflict of Laws Code’.
II. Samoan Public Trustee V Collins - Allemande Samoan Public Trustee v Collins is a fascinating case and one of the most significant private international law cases in the South Pacific record. It is also a treasure trove of information on the law in Samoa a century and more ago. The subject of the litigation was the ownership by succession of a small piece of land in Samoa; the value of the land was insignificant in financial terms. The de cuius was an American citizen born in Samoa of American and Samoan parents; he was domiciled and resident in Samoa at all relevant times, and died intestate in 1920. Of the de cuius several domestic relationships, the one in question was entered into in about 1870. It was a potentially polygamous union valid according to Samoan custom. Of that relationship there were three children, and the succession contest was between those three children and the children of the sister of the de cuius – between the lineal descendants and the collateral line. The de cuius died in 1920. In order to ascertain who were the persons entitled to the estate, the Samoan Public Trustee, who was the administrator of the estate, brought the matter to the High Court of Western Samoa in 1933. The Chief Justice found that the de cuius and the mother of the three children were married in Samoa according to the customs of the Samoan people at a time when Samoa was not within a jurisdiction of any civilised government. The Chief Justice held that the marriage was a legal marriage and that the children of that marriage had legitimate status. The children were therefore entitled to succeed to the estate. Given the potential precedent significance of his judgment, the Chief Justice on his own motion referred the matter by way of case stated to the Supreme Court of New Zealand (which was then the highest court for Western Samoa). The case stated was, in the operative part:2
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Samoan Public Trustee v Collins (1933) [1930-1949] WSLR 70, 80.
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Is a marriage performed in accordance with Samoan custom previous to any civilised government having jurisdiction in Samoa between a national of the United States of America and a Samoan woman a legal marriage? The said national of the United States was born in Samoa and of half Samoan blood. He lived as a Samoan, he had only a Samoan domicile, and he died in Samoa on the 21st day of February, 1920.
The case stated was sent to the Supreme Court. Then nothing happened … for a long time. The matter was finally heard in 1961 by two judges of the New Zealand Supreme Court. The case was treated as one of urgency! The hearing took place over three days, 4-6 December 1961, and a reserved judgment was delivered on 13 December 19613. It affirmed the judgment of 1933. The case involved the law in force in Western Samoa at various times between 1870 and 1933 and in particular, the law of Germany that was applied in Western Samoa from 1 March 1900 to 1 May 1920. The de cuius was subject to German law from 1 July 1900 till his death on 21 February 1920. Samoan custom was of high relevance for the period before 1900; in the German period, both the BGB and the EGBGB applied. The preparation by counsel for the Supreme Court case included seeking advice from the German authorities on several matters of German law. The main advice was given in English through the Legation of the Federal Republic of Germany in Wellington, New Zealand, on 19 April 1960. The substantive part of the letter read - 4 (1) German substantive law has received from Roman law the principle of the “unity of the estate” which also holds good in the field of the conflict of laws. The result is that - unlike English law - German private international law does not distinguish between successions in respect of movable or immovable property. The relevant rule is laid down in Article 25 of the Introductory Law to the German Civil Code which reads as follows: “The succession to a person is governed by the law of the state whose nationality the deceased possessed at the time of his death”. Though the purpose of this rule is to maintain the legal unity of the estate, its application in practice very often does not achieve this aim, because the foreign laws to which it refers are frequently based – as in English law – on the principle of distinguishing between movable and immovable property. As regards the present case one can safely assume that the land in question would fall to be devised according to the law of the father’s nationality viz. American law, unless the latter refers the question back to German law. Such a renvoi would, of course, be accepted.
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Ie it was completed just weeks before the independence of Western Samoa on 1 January 1962. Quoted in large part in the judgment of the Supreme Court at p 59.
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(2) According to the Introductory Law to the German Civil Code questions of legitimacy are governed by the law of the country of which the father is a national at the time of the child’s birth or, if he should die before that time, at his death (Article 18). The validity of the parents’ marriage is, of course, a preliminary question. Under German law the marriage would be considered valid if it is concluded in the form of the lex loci actus (Article 11 (1) Second Sentence). (3) Your questions concerning the recognition of customary law by the German authorities have been submitted to the Federal German Ministry of Justice whose reply on the subject can be summarized as follows: The Ministry regret that their files and other documentation do not allow to ascertain with any degree of certainty whether the German authorities did in fact recognise Samoan customary law prior to 1890. It is felt, however, that - at least for the purpose of interpreting the rules of conflict of laws – the union according to Samoan customary law would have been regarded as sufficient to form a valid marriage. At the period in question the local inhabitants of Samoa were not in a position to adopt a form of marriage other than a union according to the law of the land. It would not be reasonable to deprive these marriages of legal effect and to consider the entire population of the island to be of illegitimate birth. The same consideration should hold good for a marriage between an American citizen and a Samoan native. The Federal Ministry conclude that the outcome of the case at hand would depend ultimately on the interpretation of the relevant laws of the United States. When considering the validity of a marriage according to Samoan law it would be right, however, to bear in my mind that the German courts interpret rules of conflict of laws somewhat more broadly than the corresponding terms in a rule of German municipal law.
Samoan Public Trustee v Collins was a Samoan law case, but the conflict of laws rules applied would probably have been the same in each of the Common Law countries of the South Pacific. In addition to its interest as a Pacific window onto the law of Germany and the Common Law rules of 100 years ago, the case covered almost the complete spectrum of private international law matters: jurisdiction, consideration of the nice distinction between substantive and procedural matters, the connecting factors in relation to personal status and in relation to land, the burden of proof of foreign law5, and the impact of renvoi. In addition to the conflict of laws presumptions, there was also in play the common law presumption in favour of the validity of marriage.6
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Much of the relevant German law was presented by the parties in an agreed statement of facts. Beyond that and in the absence of proof of a relevant foreign law, Samoan law applied as the lex fori. The BGB and the EGBGB were referred to and quoted by the court. The two commentaries relied upon in the case were described as “Varneyers Commentary (1928)” (at pp 58 and 60) and “Plancks Commentary” (at pp 60 and 61). The US law which might have been applicable was unascertainable: it was not known to which state of the USA the de cuius’ father was connected. Hutchison J (p63), McGregor J (p70).
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III. Private International Law and the South Pacific Barcarolle 1. The Colonial Inheritance For the South Pacific, the main legal tradition7 is that of the English Common Law and that is well exemplified by the Samoan Public Trustee case. The development of private international law has been by precedent rather than by legislation, there is no single Common Law piece of legislation for private international law.8 The countries of the South Pacific were basically all within the British Empire at some time9 and, by virtue of the Common Law or statutes based on a common legislative precedent10, there was a high degree of consistency among the countries between which conflict of laws issues would typically have arisen in practice.11 In the post-independence period little has changed. The result is that the Imperial or Commonwealth harmonised legislation has continued, but in an increasingly dated form. Very little legislation relating to private international law matters has been passed since decolonisation and the number of reported cases on private international law matters is small. The typical features of Pacific law generally – paucity of legislation and reported decisions, difficulty of access to the law, and the English Common Law12 as the basic body of principle, - are also features of the private international law of the South Pacific. That said, two countries of the Pacific have legislated rules which at the least indicate the possibility of a codified private international law. They are Nauru and Tokelau.
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The tradition is different in the French overseas territories of French Polynesia, New Caledonia, and Wallis and Futuna. The situation is the same in the French and US countries of the South Pacific. The exceptions are the French territories, and theoretically also Vanuatu. As a former Anglo-French Condominium, Vanuatu has inherited both English and French private international law (Constitution art 95). In practice the English Common Law is applied in Vanuatu. See eg the statements of the Chief Justice in Banga v Waiwo [1996] VUSC 5. Eg the Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 (c.13) (UK) for enforcement of foreign judgments. Ie those within the British Empire. On this matter see Corrin and Paterson Introduction to South Pacific Law (2 ed, Routledge – Cavendish, London, 2007) 27. The Common Law is sometimes supplemented by use of English statutes either in a reproduced or replicated form or as a law of ‘general application’. For the meaning of the important phrase ‘statutes of general application’, see eg Christian v R [2006] UKPC 47 para 13 (a criminal appeal from Pitcairn), and Corrin and Patterson (op cit) 31.
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2. Nauru13 The Conflict of Laws Act 1974 of Nauru has six sections and occupies one page of text. It is deceptively simple and indirectly provides for all conflict of laws issues for Nauru. The starting point is section 2. It identifies a conflict of laws issue as one “which is not governed by the internal laws of Nauru”. “Internal” in this context must mean a situation for which the law of Nauru has not otherwise provided. If “internal” was construed to mean the law for cases that had no foreign element, it would potentially preclude the application of Nauru legislation such as procedural or foreign judgment laws that deal expressly with conflict of laws issues. Further “internal” will include all the adjectival law of Nauru. This can follow from an interpretation of the Act which sees its purpose as identifying the appropriate choice of law rule for the substantive issue in the case. Even if “internal” did not refer to all matters of procedure, evidence and remedies, the reference to English law would result in the application of Nauru law as the lex fori. The laws to be applied to “any matter which is not governed by the internal rules of Nauru” are determined by “the rules of private international law in force in England on [31] January, 1968”. How to interpret or apply English rules will be dealt with as a matter of Common Law and English cases would then be relevant as a source of the Common Law.14 It can be very difficult in Pacific countries to establish precisely what the law of England was on a specific date. The necessary texts are often not available. In many ways however the date of 31 January 196815, at first appearing arbitrary, may be a convenient one for those wishing to access that body of law because the eighth edition of Dicey & Morris, The Conflict of Laws was published in 1967. The phrase “rules of private international law” is not limited and therefore it can include the statutory and Common Law principles in force in England on that date. a) Proper Law Section 2 of the Act states that the English law is “the proper law to which effect is to be given”. This is an unusual use of the phrase ‘the proper law’. The usual context for the phrase is in relation to the governing law for a contract. Here the meaning is clearly “the law which is to govern” or “the appropriate law”. To use “proper law” in its technical sense would, in section 2, be circular and would also indicate wrongly that there could be several proper laws.
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Nauru is a small independent state on the Equator due north of Vanuatu. From 2 October 1888 to 1919, Nauru was part of German Marshall Islands Protectorate. Constitution of Nauru art 85, and Laws Repeal and Adopting Ordinance 1922-1936. The date of Nauru’s independence.
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b) Domicile Section 3 deals with the question of domicile. The English law of domicile can be a complex matter with its interaction of domicile of origin, domicile of dependence, domicile of choice and a derivative of domicile.16 Section 3 provides that where the governing law “would be the law of the country of any person’s domicile” the matter is to be determined by “the law of the country in which that person habitually resides.” This may be seen to be ahead of the times for a Commonwealth jurisdiction; it changed the status connecting factor from a matter of law to a matter of fact. Hence the English choice of law rule “Capacity to marry is governed by the law of the domicile” becomes for Nauru “Capacity to marry is governed by the law of the place of habitual residence”. c) Renvoi Section 4 provides that a reference to the law of another country is a reference to its internal law. Therefore the renvoi issues are obviated. This approach is consistent with that of a number of codes of international private law, but is one to which the Common Law generally has moved very slowly.17 d) Public Policy The first three sections of the Act therefore deal with a number of crucial conflict of laws issues and provide for them in a clear manner. At the same time the Act simplifies them by resolving some knotty problems. Section 5 (which amounts to half of the text of the Act) deals with the exceptions to the rules stated in sections 2, 3, and 4. In essence this section preserves the Common Law public policy rule. It says that where the exceptions apply Nauru internal law will apply despite the foreign element in the case. The exceptions identified are matters relating to penal or revenue law or a law in conflict with “the overriding principles of the laws of Nauru”. Section 5(2) identifies “overriding principles of the laws of Nauru” as those which offend the human rights and freedoms set out in the Nauru Constitution or disregard fundamental concepts of justice, infringe Nauru morality, or prejudice the interest of Nauru or good international relations. These matters are “deemed” to be overriding principles by subsection (2). Whether by deeming them to be so subsection (2) provides a definition of overriding principles for the purposes of subsection (1) or whether by deeming them to be overriding principles they are to be seen as additional to whatever else is actually an overriding principle, may be debated. Given the substantial nature of the matters listed in subsection (2) the deeming clause should probably be read as one of definition rather than as providing additional detail. 16
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The Common Law rules have in recent decades been superseded in many countries by statute (principally affecting the revival of a domicile of origin) and by constitutional norms on gender equality (affecting the derivative domicile of a married woman). See on this topic Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws chapter 4 and, for instance, the development in the field of contract from Re United Railways of Havana and Regla Warehouses Ltd [1966] Ch 52, 96-97 to Amin Rasheed Shipping Corp v Kuwait Insurance Co [1984] AC 50, 61-62.
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3. Tokelau18 The situation in Tokelau is similar to that of most countries in the South Pacific. The default body of rules is the “English common law (including the principles and rules of equity) for the time being” (section 4B Tokelau Act 1948). That rule can be superseded by Tokelau legislation. In 2003 the Tokelau legislator enacted the Crimes, Procedure and Evidence Rules, and rules 153 – 162 of that legislation are grouped in a Part entitled “Cases with Foreign Elements”. These rules provide a “code” of private international rules of the same nature as the Japanese Horei. They provide choice of law rules for matters of contract, property, marriage, tort, custody, and adoption19, and are basically an enactment of the applicable Common Law rules. Additionally, the Tokelau enactment prescribes the governing rule for matters of procedure, evidence and remedies; it enacts the public policy and good moral exceptions for conflict of laws cases, and deals with renvoi by providing that “A reference to a law of another country is a reference to its internal law only…”20. The primary connecting factor for status matters is habitual residence. The enactment also provides, in rule 160, for the enforcement of foreign judgments. It is basically a statement of the Common Law rules relating to the enforcement of foreign money judgments as they are found in the statutory formulations of those rules in the relevant statutes of other Common Law countries.21 There is no mention of nor requirement for reciprocity. The system operates by registration of a foreign judgment in the High Court of Tokelau. The definition of “judgment” includes orders for the payment of money as compensation or damages, and arbitral awards and maintenance orders.
4. The Role of the Common Law Tokelau and Nauru are the exceptions in the South Pacific. The other countries do not have anything similar to the legislation of Nauru and Tokelau. What the other countries do have in common with Nauru and Tokelau is that either expressly or by virtue of judicial knowledge the default law is the Common Law22 and the basic principles of private international law are those of the Common Law of England. There is therefore a high degree of similarity and consistency in the private international law of the South Pacific countries. In judgments on private international law matters in South Pacific courts the Common Law is referred to through precedents (mostly of the English courts) and 18
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Tokelau is, in international law, a non-self-governing territory under the administration of New Zealand (see Tokelau Act 1948 (NZ)). Tokelau consists of three small atoll communities that lie between Samoa and the Equator. Tokelau has a legal system distinct from that of New Zealand. Divorce is provided for in rule 15 Divorce Rules 1987. Rule 153(3) of the Crimes, Procedure and Evidence Rules 2003. See eg the Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 (c.13) (UK), and Reciprocal Enforcement of Judgments Act 1934 (NZ). See Corrin and Paterson (op cit) above n 12, 28.
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on procedural matters by reference to the ‘White Book’ of English civil procedure.23 Another common point of reference is Dicey’s Conflict of Laws.
5. Dicey’s Conflict of Laws a) A Code Dicey’s The Conflict of Laws, now in its fourteenth edition24, is the successor volume to what began as Dicey’s The Law of Domicile (1879). In the preface to that book Dicey said “this treatise has further some peculiarities of form. The law of domicile is therein reduced into a series of definite rules, which constitute a code of what may be termed the English law of domicile.” The book began with a table of the rules – a code on domicile. There were 73 rules. The balance of the book proceeded, as does the current edition of Dicey, with the statement of a rule followed by comment and illustrations. As a matter of historical interest Rule 1 of the Code of 1879 was “The domicile of any person is, in general the place or country which is in fact his permanent home”. The current equivalent in Dicey is Rule 4: “A person is, in general, domiciled in the country in which he is considered by English law to have his permanent home”. In 1879 Dicey’s Rule 2 stated “No person can at any time be without a domicile”; Rule 5 of the current edition is “No person can be without a domicile”. In the preface to the first edition of The Conflict of Laws, Dicey stated: In the following pages the principles of private international law recognised by English courts … are exhibited in the form of systematically arranged Rules and Exceptions, and each of these Rules and Exceptions is, when necessary, elucidated by comment and illustrations.
He went on to state that it was in many ways a second and improved edition of The Law of Domicile as a Branch of the Law of England. This branch of law has been created within little more than a century by a series of judicial decisions, and is now, to the great benefit of the public, year by year extended and developed through the legislative activity of our judges.
He saw the book as “a complete digest … of the law of England with reference to the conflicts of laws”. Whether it is a digest or a code, it may, in certain circumstances, be a matter of consequence.25 In the context of the present paper the difference is probably of no great significance. 23 24
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Now based on the Civil Procedure Rules 1999 (UK). Dicey, Morris and Collins, On the Conflict of Laws (14 ed, Sweet and Maxwell, London, 2006). Jenks in his A Digest of English Civil Law (Butterworth & Co, London, 1921) stated in the Preface: A digest differs from a Code, mainly in that it professes merely to state the rules which are covered by existing authority. It claims … no other respect than that which is
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In preparing his Digest Jenks26 declared that he and his co-authors had followed “what is now the generally accepted plan of the European Civil Codes”. Dicey’s Conflict of Laws proceeds on the basis of procedure, foreign judgments, then persons, property and obligations. That has some resonance with the Institutes of Justinian. Jenks for his part, perhaps influenced by the then recently enacted BGB arranged his material in order of chapters headed General, Obligations, Property, Family, and Succession. Story27 on the other hand ordered his great work as – persons, obligations, property, succession, foreign judgments, procedure, penal law and evidence. b) The Practice Dicey in practice fulfils the role of a code for many in the South Pacific. A selection of recent cases from the Pacific serves to illustrate the point. In the United States of America v A Limited28, which involved the striking out of the plaintiff’s action because it disclosed no reasonable cause, the High Court of the Cook Islands began its judgment by citing Dicey The principle foundation for this application is based on conflict of laws and private international law principles and in particular how the principle or rule, which is stated as follows (see Dicey & Morris, Conflict of Laws (12 ed, 1993, Rule 3, p 97) is applied: English courts have no jurisdiction to entertain an action: (1) For the enforcement, either directly or indirectly of a penal, revenue or other public law of a foreign State; or (2) Founded upon an act of State.
In the National Court of Justice of Papua New Guinea on 13 March 200629, Dicey & Morris (12 ed) was referred to in relation to the enforcement of foreign judgments and the meaning of “judgment” in that context.
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derived from a belief that it represents a honest, intelligent, and industrious attempt to reduce the chaos of existing materials to simplicity and order. The chief intellectual effort demanded of the authors of the work has been to extract, by appropriate treatment, from this formless heap of statutes and judicial decisions, the rules in such authorities enunciate and expound, and to arrange those rules in the most convenient and accessible form. The contrast between a code and a digest is according to Fiorini between legislation which simply gathers together and orders existing rules, without engaging in reform and the more classical codification which may involve engaging in reform in order to simplify, systematise, and complete the existing system of legislation: “The codification of private international law; the Belgian experience” (2005) 54 ICLQ 499. Fiorini’s view is that the Belgian Code of Private International Law 2004 is a codification in the classical form. Ibid. Story Commentaries on the Conflict of Laws (1834). United States of America v A Limited (2001) 4 ITELR 797 Plaint no 57/1999. Work Cover Authority of NSW v Placer (PNG) Exploration Ltd [2006] PGNC 47.
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The High Court of Solomon Islands in a case involving the uttering of a forged document30 used Dicey & Morris (12 ed): “It is a fundamental principle of Common Law that parties are at liberty to choose the law which should govern their contract”. Wagner v Radke & Schuhhardt31, an international custody dispute heard in the Supreme Court of Western Samoa in 1997, referred to Dicey & Morris (12 ed) for the purpose of interpreting the Hague Convention on the Civil Aspects of International Child Abduction. Also in Samoa, in 200532, in the course of deciding whether an interim injunction should be set aside, the Supreme Court had to deal with the question of security for costs. The plaintiff company was a Samoa company but the director and 99 % shareholder was a German citizen. The court quoted from both Cheshire & North and Dicey & Morris (12 ed). Whether the plaintiff company had to furnish security for costs in the case depended on whether or not the plaintiff was resident out of the jurisdiction. The court applied Dicey’s rule 154 (1) The domicile of corporation is in the country under whose law it is incorporated (2) A corporation is resident in a country where its central management and control is exercised. If the exercise of central management and control is divided between two or more countries then the corporation is resident in each of these countries.
Accordingly the court held: “Applying the legal tests for domicile and residence as a country as set out, there is no doubt that the plaintiff company’s place of domicile and of residence are both Samoa.” An order for costs could not therefore be made against the plaintiff company. The examples can be multiplied many times. The use of Dicey, and to a lesser extent other private international law texts from Common Law countries, and of leading Common Law judgments is the norm in the South Pacific as it is in most countries of the Commonwealth. The difference between the island countries of the South Pacific and countries such as Australia and New Zealand is that Australia and New Zealand have a significant body of conflict of laws principle in the local legislation and, as a consequence, have many more cases specific to their local law. Australia may be said to have a distinct body of conflict of laws principle; the New Zealand law is gradually becoming more differentiated from that of the English Common Law; but the island states of the South Pacific maintain systems which essentially use the Common Law of England.
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R v Solomons Mutual Insurance Ltd [2002] SBHC 116. Wagner v Radke & Schuhhardt [1997] WSSC 6. Dive & Fly Samoa Ltd v Schmidt [2005] WSSC 40.
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IV. Codes of Private International Law - Aus der Fremde 1. Special Legislation There are a number of legislated codes of private international law. The German Introductory Act to the Civil Code of 1896 is one of the best known. The Horei of 1898 of Japan (influenced by the German Code) is another well-known and compendious collection of choice of law rules. More substantial in terms of coverage and length is the Bustamante Code of Private International Law of 1928. It was adopted by the International American Conference in Havana in 1928 and ratified by fifteen Latin American countries. In the five year period 1984-198933, seven European countries had codified their private international law34. The trend has continued through the succeeding years with more codes being promulgated35. These endeavours have been made almost exclusively in countries with a Romano-Germanic legal cultural background. Codification is no more a Common Law pattern in this subject area than it is for other subjects. Codification has not been the Common Law or Pacific experience. A survey of six important codes from the time of the EGBGB through to the Belgian Code of 2004, plus the two South Pacific statutes indicates a number of different approaches to the matter: Some of those differences reflect the specific circumstances of the countries concerned; others reflect views about the proper content of a private international law code; the documents of the last decade reflect the changing social circumstances. The heartland of a code on private international law seems clearly to be in the substantive choice of law area and all the codes deal in varying ways with family law matters, property and the law of obligations. There are differences in the treatment of the adjectival law; the Code Bustamante dealt, as did Story, with penal law matters; the current Swiss and Belgian Codes have special provisions on commercial law matters, which reflects the rise in importance of international trade by corporations and the importance of a coherent set of rules for international trade and sovereignty. The typical range of the number of articles of the private international law codes surveyed is from 43 provisions (in the case of the Japanese statute) to 437 (in the case of the Bustamante Code)36. Dicey is set out as a code and it now has 242 rules.
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Symeonides The New Swiss Conflicts Codification: An Introduction (1989) 37 AJCL 187. Germany (BRD and DDR), Turkey, Austria, Yugoslavia, Spain and Hungary. Eg Italy (1995) and Belgium (2004). The number of articles does not necessarily relate to the bulk in terms of length. The German, Japanese and Italian Codes are relatively short; the Code Bustamante, and the Swiss and Belgian Codes are much longer. The Swiss is the longest; it fills 66 pages of text.
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2. Treaties and Model Laws Treaties provide a source of uniformity of rules of law. This is particularly so where implementing legislation enacts the treaty without variation. In that way the opportunity to develop common patterns of interpretation is greatly increased. In the field of private international law in the South Pacific there are few examples of this happening. One important but limited case is that of the Hague Rules relating to the Sea Carriage of Goods. A number of Pacific countries apply these rules and have them appended as a Schedule to a local enactment37. The Hague Conference Conventions could also be an important source of common private international law rules but to date only Fiji, Samoa and Tonga have implemented Hague Conventions – Samoa on legalisation, Tonga on legalisation and the form of wills, and Fiji on legalisation, the form of wills, and child abduction. The potential is there, but the record is weak. Model laws provide another basis for harmonising or unifying the laws of different countries. Several of the UNCITRAL Model Laws are under consideration in Pacific countries and there are other models, such as those from the European Union, which could be adopted by a South Pacific country. However, this legislative approach has not yet been used. A prime example would be the UNCITRAL Convention on the International Sale of Goods. Seventy countries have implemented that Convention, but in the South Pacific, only Tokelau has adopted those rules into its law38.
V. Coda 1. Allegretto con grazia The coherence of private international principle in most countries of the South Pacific is a coherence worth maintaining. This is so because the base from which the countries are working is the same or very similar and because litigation in the conflict of laws area is limited or non-existent. Little has changed since the times of Samoan Public Trustee v Collins: Customary law is still very important in relation to land and status matters39; there are still many expatriate judges in the superior courts40; the rules of private international are foreign in the sense that they are an inheritance from colonial times and have not been generated at the national level; Dicey is still the reference text of preference. 37
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Eg Tokelau (Carriage of Goods by Sea Rules 2004), Samoa (Sea Carriage of Goods Ordinance 1960, Schedule), Fiji (Sea Carriage of Goods Act [Cap 231] Schedule), Tonga (Carriage of Goods by Sea Act [Cap 141] Schedule I). Contract Rules 2004 (Tokelau). They are also the domestic law of contract. It is particularly relevant to marriage, adoption, and custody of children. Many are not resident within the jurisdiction for which they are judges, and some are appointed ad hoc on a case by case basis.
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Now would therefore be a good time to put in place a system that retained, for the future, the commonality of conflicts rules that these countries have enjoyed for the last 100 to 150 years41. The theme song these days is globalisation, regionalisation and economic development. A conflict of laws code would fit very well in that context and with the Pacific Plan42, the WTO, the EC/ACP arrangement, and the regional trade agreements of PICTA and PACER43. The sources for a model law are many. The current system of using foreign cases44 can produce a harmonised result but it is uncoordinated and, given the foreign origin of the leading cases, is prone to encourage the development of specific legislative rules within each country. The British Imperial practice of having similar legislation45 was successful because of the centralising authority of London and a common allegiance. Those unifying factors have now largely gone. A second possibility is for individual countries to use foreign legislation as a precedent or simply to incorporate a foreign law into the national legislative system (this was not uncommon within the Realm of New Zealand) and is still the situation for a number of Pacific countries which have English statutes as their law by virtue of a “law of general application” type provision. Using these foreign statutes depends on adaptation to the local circumstance, and requires an adapter who has extensive local knowledge46. Therefore using a model law is better than using a foreign precedent, but having a treaty would be better still in that it would provide a complete set of common rules: when the treaty is incorporated into the domestic system of a country it provides uniformity of rules with every other country that has implemented the treaty. Codifying the conflicts rules is not a matter on the Pacific Islands Forum’s agenda47, but it is a matter that warrants consideration at a regional level. In the meantime South Pacific countries should follow global trends and individually implement treaties and adopt model laws to the greatest extent possible. This will produce clarity as to the rules and, as the number of countries involved increases, the laws within the region will be harmonised.
2. Con brio The stimulus to creativity and research endeavour is never ending. Professor Deutsch has, as the New Zealand connection witnesses, spread his influence afar. 41
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The recent editions of Dicey reflect less the Common Law and increasingly the specificity of UK legislation and the EU treaty influence. See www.pacificplan.org. See www.austlii.edu.au. Principally from Australia, New Zealand and the United Kingdom. For instance on enforcement of judgments, maintenance, or service of process. Which is not always the situation in the Pacific judiciaries which still have relatively large numbers of expatriate judges in the superior courts. Such an initiative would be consistent with several of the strategic objectives identified in the Pacific Plan. See www.pacificplan.org – attachments A and B.
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His erudition and indomitable spirit have been an example to many. May he long continue to inspire, admonish as necessary, and be a mentor and friend. Ave et salve Doctor!
Zwischen wissenschaftlichem Entwurf und politischer Willensbildung: Funktionen und Struktur des Gemeinsamen Referenzrahmens
Christian von Bar
I. Einleitung Im Januar 2008 konnten die daran beteiligten Arbeitsgruppen im Brüsseler Gebäude des Europäischen Parlaments eine Vorabveröffentlichung des wissenschaftlichen Entwurfs für einen Gemeinsamen Referenzrahmen (Common Frame of Reference, CFR1) überreichen.2 Um seine Funktionen und um seine Struktur soll es in diesem Erwin Deutsch mit einem herzlichen Geburtstagsglückwunsch zugeeigneten Festschriftbeitrag gehen. In den CFR-Entwurf sind Gestaltungsideen von insgesamt ca. 200 Kolleginnen und Kollegen aus allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft eingeflossen;3 der Text ist in insgesamt mehr als 25-jähriger Arbeit entstanden und profitiert in den Büchern II und III wesentlich von den Arbeiten der Lando-Kommission.4 Es ist ein akademischer Text, ein Draft Common Frame of Reference (DCFR), noch kein „politischer“ oder „amtlicher“ Referenzrahmen. Über die Zwecke des DCFR können sich seine Verfasser folglich wie die Autoren eines jeden beliebigen wissenschaftlichen Textes autonom äußern; die Funktionen des CFR werden demgegenüber noch für eine ganze Weile Gegenstand politischer und akademischer Debatten bleiben. Die Zwecke des DCFR haben seine Verfasser
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Der Ausdruck „Common Frame of Reference“ ist eine Wortschöpfung der Europäischen Kommission (COM (2003) final, OJ C 63/1, para 72). Das inhaltliche Konzept geht auch auf Anregungen aus der Wissenschaft zurück, siehe von Bar/Lando/Swann, Communication on European Contract Law: Joint Response of the Commission of European Contract Law and the Study Group on a European Civil Code, ERPL 2002, 183248. von Bar/Clive/Schulte-Nölke and Beale/Herre/Huet/Schlechtriem/Storme/Swann/Varul/ Veneziano/Zoll, Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law. Draft Common Frame of Reference (Munich a.o. 2008). Nähere Angaben in der List of Academic Contributors, aaO 41-48. Nähere Informationen unter http://frontpage.cbs.dk/law/commission_on_european_ contract_law/.
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Christian von Bar
in der Einleitung zu der Interim Outline Edition deutlich gemacht5, die möglichen Funktionen des CFR zeichnen sich erst allmählich ab.
II. DCFR und CFR Zwischen DCFR und CFR zu unterscheiden, empfiehlt sich aber nicht nur wegen solcher Selbstverständlichkeiten, sondern auch noch aus einer Reihe von weiteren Gründen. Denn erstens sieht zwar derzeit vieles danach aus, dass es tatsächlich zu einem „amtlichen“ Gemeinsamen Referenzrahmen kommen wird, doch völlig sicher ist das keineswegs. Das Parlament6 und der Rat7 senden recht positive Signale aus (wenngleich sich beide Verfassungsorgane in der anzustrebenden gegenständlichen Reichweite des CFR durchaus unterscheiden), aber über den Stand des Entscheidungsprozesses innerhalb der Europäischen Kommission ist derzeit (Juli 2008) noch wenig bekannt. Möglicherweise wird sie im Jahre 2009 ein Weißbuch vorlegen. Manches wird außerdem davon abhängen, ob es dem Entwurf gelingt, das Feuerwerk akademischer Stellungnahmen, mit dem er begleitet sein wird, halbwegs unbeschadet zu überstehen.8 Zweitens liegt den Entwurfsverfassern daran zu betonen, dass ihre „Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law“ auf eigenen Füßen stehen; 5 6
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AaO (Fn. 2), 6-8; 29-37. Die letzte Entschließung zum Europäischen Vertragsrecht datiert vom 12. Dezember 2007 (zu ihr u.a. Schmidt-Kessel, Neues aus Brüssel, GPR 2008, 50-51); mit einer erneuten Resolution des Parlaments ist im Herbst 2008 zu rechnen. Der Rat der Justiz- und Innenminister hat am 18. April 2008 eine wichtige Entscheidung zum CFR getroffen. Er unterstützt einstimmig die Entwicklung eines Gemeinsamen Referenzrahmens für das allgemeine Vertragsrecht unter Einschluss des Verbraucherschutzrechts. Der CFR soll ein Werkzeug für bessere Gesetzgebung auf Gemeinschaftsebene sein und den nationalen Gesetzgebern als Inspirationsquelle dienen. „This Council position does not in any way prejudge the future work on the Common Frame of Reference within the Council or the discussions on all relevant aspects which will take place at a later stage. Nor does it in any way prejudge a discussion on the need or the possibility of a legal basis for the Common Frame of Reference” (Nachweise zu den bislang verfügbaren Internetquellen bei Remien, Zweck, Inhalt, Anwendungsbereich und Rechtswirkungen des Gemeinsamen Referenzrahmens: Eine erste Analyse des Standpunktes des Justizministerrates vom 18.4.2008, GPR 2008, 124128; die Dokumente sind im Amtsblatt noch nicht veröffentlicht). Der Rat der europäischen Regierungschefs hat daraufhin auf dem Brüsseler Gipfel vom 19. und 20. Juni 2008 die Notwendigkeit unterstrichen, “to rapidly follow up on the project to establish a common frame of reference for European contract law” (Council of the European Union, Brussels, 20 June 2008, 11018/08. CONCL 2, no. 20). Zahlreiche Missverständnisse z.B. leider bei Eidenmüller, Faust, Grigoleit, Jansen, Wagner und Zimmermann, Der Gemeinsame Referenzrahmen für das Europäische Privatrecht, JZ 2008, 529-550. S. ferner z.B. Smits, Het ontwerp-Gemeenschapelijk Referentiekader (GRK) voor een Europees privaatrecht, WPNR 2008, 109-111 und Lando and Nielsen, Europæisk obligationsret, UfR 2008 B, 187-193.
Funktionen und Struktur des Gemeinsamen Referenzrahmens
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sie sind auch, aber gerade nicht nur ein „Draft Common Frame of Reference“. Sie möchten ein gesamteuropäisches Restatement des marktrelevanten Privatrechts schaffen, ihm ein systematisches „Bild darüber“ geben und dieses auch dazu nutzen, dem akademischen Unterricht neue Impulse zu geben. Ob der CFR ähnliche Funktionen haben kann bzw. soll, lässt sich derzeit aber noch nicht abschätzen. Entsprechendes gilt für die Funktion des DCFR, den derzeitigen Stand der europäischen Privatrechtsentwicklung für die gegenwärtige und für kommende Generationen in einer Momentaufnahme umfassend abzubilden und ihn auf diese Weise weiterer Forschung zugänglich zu machen. Ein dritter Punkt betrifft den Umstand, dass es bislang immer noch zu früh für eine politische Meinungsbildung zu der Frage zu sein scheint, in welcher äußeren Gestalt der CFR eines Tages das Licht der Welt erblicken könnte. Aber selbst wenn man einmal annähme, dass es tatsächlich einen politischen CFR geben und dass er als solcher in Teil C des Amtsblattes veröffentlicht werden wird – mit welchen Inhalten eigentlich: Mit oder ohne guiding principles und Definitionen, mit oder ohne Kommentare und rechtsvergleichende Anmerkungen? Würde die Entscheidung zugunsten der jeweiligen Langfassung ausfallen, dann würde der CFR, jedenfalls wenn er dem DCFR auch nur noch halbwegs ähneln sollte, die bislang wohl umfangreichsten Texte des Amtsblattes – diejenigen zum Haushalt – längenmäßig um einen eindrucksvollen Faktor schlagen. Denn die vollständige Fassung des DCFR wird aller Voraussicht nach deutlich mehr als 5000 Seiten umfassen. Würden dagegen die Kommentare und die Hinweise auf die Rechtslage in den Mitgliedstaaten nicht im „politischen“ CFR zu finden sein (wer außer den Verfassern des DCFR sollte für sie eigentlich die Verantwortung übernehmen?9), dann wäre ein nicht ganz geringer Teil der Funktionen dieser Texte vom CFR schon wieder auf den DCFR zurückverlagert. Dessen Verfasser jedenfalls haben stets betont, dass es ihnen nicht „nur“ darum geht, dem Gemeinschaftsgesetzgeber, den nationalen Gesetzgebern und den Gerichten beider Ebenen Modellregelungen vorzustellen, sondern auch und vor allem darum, ihnen wesentliche Hintergrundinformationen zur Verfügung zu stellen. Wenn sich das Gemeinschaftsrecht harmonisch in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einfügen und weder unabsichtliche Lücken reißen noch stärker als von der Sache her nötig in das nationale Recht eingreifen will bzw. soll, dann kommt es darauf an zu wissen, was der Gemeinschaftsgesetzgeber an nationalem Recht stillschweigend voraussetzen darf und was ganz einfach deshalb nicht acquis communautaire werden muss, weil es bereits acquis commun ist und bleiben kann. Eine der wichtigen Funktionen des DCFR ist mit anderen Worten, dass er jedem Interessierten ein rechtsvergleichendes Material an die Hand geben wird, das es in dieser Dichte und Menge bislang einfach noch nicht gibt.10 Ob es auch Teil des CFR sein wird, insbesondere dann, wenn der CFR vom DCFR signifikant abweichen sollte, vermag noch niemand zu sagen. Noch nicht alles ist derzeit 9
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Das Copyright hinsichtlich der Kommentare und der rechtsvergleichenden Anmerkungen liegt bei den Forschergruppen; allerdings sind insoweit besondere Vereinbarungen mit der Kommission getroffen worden. Siehe zu diesem Anliegen des DCFR jetzt auch McGuire, Der Gemeinsame Referenzrahmen: Ein erster akademischer Entwurf, ecolex 2008, 493-496.
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schon wirklich durchdacht; auch wird es alsbald Zeit werden, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wie das über Jahre unter Investition erheblicher öffentlicher Mittel zusammengetragene rechtsvergleichende Material vor dem Veralten geschützt werden kann. Es ist schließlich viertens wichtig zu betonen, dass der DCFR gegenständlich ganz bewusst weit ausgreift, also weder nur allgemeines Vertragsrecht oder gar nur allgemeines Verbrauchervertragsrecht bringt, sondern sich weit in das Recht einzelner „besonderer“ Verträge und das Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse vorgewagt hat11, und dass die für 2009 geplante final edition12 sogar Aspekte des Sachenrechts abdecken wird (s. dazu noch unten zu IV). Es liegt auf der Hand, dass die gegenständliche Reichweite des CFR nicht ohne Auswirkungen auf seine Funktionen bleiben kann. Denn je schmaler er ausfällt, desto weniger Zwecke kann er erfüllen. Man sieht das u.a. gut an dem, was man die Systembildungsfunktion des DCFR (bzw. des CFR) nennen könnte. Wir besitzen heute nur deshalb eine einigermaßen klare Vorstellung darüber, was in einem europäischen Kontext Vertragsrecht „ist“, weil die Principles of European Contract Law (PECL) entscheidend zu der Klärung dieses Begriffes beigetragen haben.13 In 11
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Die einschlägigen Vorarbeiten sind bzw. werden in der Principles of European Law (PEL) Serie der Study Group on a European Civil Code veröffentlicht. Erschienen sind derzeit: Principles of European Law. Study Group on a European Civil Code. Service Contracts (PEL SC). Prepared by Maurits Barendrecht, Chris Jansen, Marco Loos, Andrea Pinna, Rui Cascão, Stéphanie van Gulijk (Sellier, Bruylant, Staempfli, Oxford University Press 2006); Principles of European Law. Study Group on a European Civil Code. Benevolent Intervention in Another’s Affairs (PEL Ben.Int.). Prepared by Christian von Bar (Sellier, Bruylant, Staempfli, Oxford University Press 2006); Principles of European Law. Study Group on a European Civil Code. Commercial Agency, Franchis and Distribution Contracts (PEL CAFDC). Prepared by Martijn W. Hesselink, Jacobien W. Rutgers, Odavia Bueno Díaz, Manola Scotton and Muriel Veldmann (Sellier, Bruylant, Staempfli, Oxford University Press 2006); Principles of European Law. Study Group on a European Civil Code. Personal Security (PEL Pers.Sec.). Prepared by Ulrich Drobnig (Sellier, Bruylant, Staempfli, Oxford University Press 2007); Principles of European Law. Study Group on a European Civil Code. Lease of Goods (PEL LG). Prepared by Kåre Lilleholt, Anders Victorin, Andreas Fötschl, Berte-Elen R. Konow, Andreas Meidell and Amund Bjøranger Tørum (Sellier, Bruylant, Staempfli, Oxford University Press 2008); Principles of European Law. Study Group on a European Civil Code. Principles of European Law on Sales (PEL S). Prepared by Ewoud Hondius, Viola Heutger, Christoph Jeloschek, Hanna Sivesand and Aneta Wiewiorowska (Sellier, Bruylant, Staempfli, Oxford University Press 2008). Weitere sechs Bände sollen in den Jahren 2008 und 2009 folgen. Die Teams unterscheiden zwischen der final outline und der full and final edition. Bei ersterer wird es sich um eine weitere Paperback-Ausgabe der model rules, bei letzterer um eine vollständige Ausgabe mit Kommentaren und rechtsvergleichenden Anmerkungen handeln. Ole Lando and Hugh Beale (eds.), Principles of European Contract Law Parts I and II. Prepared by the Commission on European Contract Law (The Hague 1999); Ole Lando, Eric Clive, André Prüm and Reinhard Zimmermann (eds.), Principles of European Contract Law Part III (The Hague, London and Boston 2003). Die PECL sind in die fran-
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vielen Randbereichen freilich ließen sie Unschärfen, insbesondere an den Grenzen zum Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse. Diese Grenzen präziser zu fassen, nicht nur dem Vertrags-, sondern auch dem Schuldrecht europäische Konturen zu geben, den Anwendungsbereich des gesetzlichen Schuldrechts und seiner Gliederungen zu identifizieren und dem Ganzen konkrete Gestalt zu geben, das sind Ausprägungen dieser Systembildungsfunktion, und dasselbe gilt für die Zusammenführung von verbraucherschützendem acquis communautaire und allgemeinem Zivilrecht in einem einzigen kohärenten Text. Je schmaler der politische CFR werden sollte, desto weniger vermag er zu dieser Funktion beizutragen. Die Verfasser des DCFR könnten in Relation zu einem gegenständlich schmalen CFR nur noch hoffen, das Ersterer rein faktisch, ohne jedwede normative Grundlage, eine Art „äußerer Bezugsrahmen“ bleibt, auf den man bei der späteren Fortentwicklung und der Interpretation des „inneren Referenzrahmens“ wieder Bedacht nehmen wird. Es bleiben mit anderen Worten noch eine ganze Reihe von Baustellen; das europäische Privatrecht reift nur tastend heran.
III. Funktionen des CFR Welche Funktionen sollte nun der politische Gemeinsame Referenzrahmen haben? Sicher scheint, dass er, jedenfalls auf absehbare Zeit, nicht die Funktion zugeschrieben erhalten wird, einem europäischen Vertrags- oder gar Zivilgesetzbuch den Grund zu legen. Das Wort „Europäisches Zivilgesetzbuch“ scheint geradezu zu einem „verpönten“ Wort geworden zu sein, das unter allen Umständen zu vermeiden ist. Persönlich bedauere ich diese Entwicklung, nicht aus ideologischen,
zösische (Principes du droit européen du contract. Version francaise préparée par Georges Rouhette, avec le concours de Isabelle de Lamberterie, Denis Tallon et Claude Witz, Droit privé comparé et europeéen, vol. 2, Paris 2003), die deutsche (Grundregeln des Europäischen Vertragsrecht, Teile I und II, Kommission für Europäisches Vertragsrecht. Deutsche Ausgabe von Christian von Bar und Reinhard Zimmermann, München 2002; Grundregeln des Europäischen Vertragsrecht Teil III, Kommission für Europäisches Vertragsrecht. Deutsche Ausgabe von Christian von Bar und Reinhard Zimmermann, München 2005); die italienische (Commissione per il Diritto Europeo dei Contratti. Principi di Diritto Europeo dei Contratti, Parte I & II, Edizione italiana a cura di Carlo Castronovo, Milano 2001; Commissione per il Diritto Europeo dei Contratti. Principi di Diritto Europeo dei Contratti, Parte III. Edizione italiana a cura di Carlo Castronovo, Milano 2005) und die spanische Sprache (Principios de Derecho Contractual Europeo, Partes I y II. Edición espanola a cargo de Pilar Barres Bennloch, José Miguel Embid Irujo, Fernando Martínes Sanz, Madrid 2003) übersetzt worden. Matthias Storme hat die Artikel der Teile I-III ins Niederländische (Tijdschrift voor privaatrecht 2005, 1181-1241), M.-A. Zachariasiewicz und J. Bełdowski haben die Artikel der Teile I und II (Kwartalnik Prawa Prywatnego 3/2004, 814-881) und J. Bełdowski und A. Kozioł die Artikel des Teils III ins Polnische übersetzt (Kwartalnik Prawa Prywatnego 3/2006, 847–859).
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sondern aus rein praktischen Gründen.14 Ich bedaure auch, dass sich in diesem Zusammenhang kaum jemand Gedanken über den Begriff des „Gesetzbuchs“ bzw. „Code“ zu machen scheint, der doch in den unterschiedlichsten Materien des Gemeinschaftsrechts längst gang und gäbe ist.15 Aber die Dinge sind nun einmal nicht schneller zu bewegen. Immerhin dürfte das Stichwort „European Civil Code“ wohl nie wieder ganz aus den Köpfen der europäischen Juristen verschwinden. Schon bislang hat es viel dazu beigetragen, dass die Arbeiten der akademischen Netzwerke eine so verhältnismäßig große Aufmerksamkeit finden konnten. Realistischer jedenfalls ist die „toolbox function“, die Werkzeugkastenfunktion des CFR.16 Das Bild vom Werkzeugkasten für Gesetzgebung ist vielleicht nicht besonders gelungen. Aber es erfüllt eine Aufgabe, die vielen wichtig ist: Es soll politisch klarstellen, dass mit dem CFR keine rechtliche Bindungswirkung verknüpft sein wird, weder für den Gemeinschaftsgesetzgeber, noch für die nationalen Gesetzgeber, noch für irgendjemanden sonst. Damit entfallen alle Zuständigkeitsprobleme für die Verfassungsorgane der Gemeinschaft, aber man mag sich natürlich auch fragen, warum unter solcher Voraussetzung überhaupt so viel Aufheben um den CFR gemacht wird. Dass er der nationalen Gesetzgebung als Inspirationsquelle dienen und vom Gemeinschaftsgesetzgeber in Betracht gezogen werden „kann“, ist ja schön und gut. Aber wenn der CFR vom Gemeinschaftsgesetzgeber nicht in Betracht gezogen werden „muss“ oder wenigstens in Betracht gezogen werden „soll“, dann schiebt man sein Angleichungspotential doch auf eine sehr lange Bank.17 Wichtig jedenfalls ist, dass es in der zukünftigen Gemein-
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Mit Recht bemerkt jüngst wieder Honsell, Die Erosion des Privatrechts durch das Europarecht, ZIP 2008, 621, 630, dass ein Europäisches Zivilgesetzbuch im Hinblick auf die gemeinsamen Wurzeln im europäischen ius commune die Chance für die Erhaltung des dogmatischen Niveaus der europäischen Zivilrechtsordnungen böte, „welches die pointillistischen und fragmentarischen EU-Richtlinien zum Privatrecht leider völlig vermissen lassen.“ Für einige eindrucksvolle Beispiele siehe Council Regulation (EEC) No 2913/92 of 12 October 1992 establishing the Community Customs Code; Directive 2001/83/EC of the European Parliament and of the Council of 6 November 2001 on the Community code relating to medicinal products for human use; Directive 2001/82/EC of the European Parliament and of the Council of 6 November 2001 on the Community code relating to veterinary medicinal products; Regulation (EC) No 562/2006 of the European Parliament and of the Council of 15 March 2006 establishing a Community Code on the rules governing the movement of persons across borders (Schengen Borders Code); Annex to the draft proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council establishing a Community Code on Visas: Summary Impact Assessment {COM(2006) 403 final} {SEC(2006) 957}. Erstmals erwähnt in der Mitteilung der Kommission an Parlament und Rat zum europäischen Vertragsrecht vom 11. Oktober 2004 („The revision of the acquis: the way forward“, COM(2004) 651 final, zugänglich unter http://europa.eu.int/eur-lex/de/com /cnc/de_cnc_month_2004_10.html). Das Thema der Verbindlichkeit des CFR scheint einer der politischen Hauptdiskussionspunkte innerhalb des Rates der Justizminister gewesen zu sein.
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schaftsgesetzgebung zum Privatrecht gewohnheitsmäßig dazu kommt, dass die Erwägungsgründe auf den CFR verweisen. Das Bewusstsein für das Potential, das dem DCFR bzw. dem CFR für die Herausbildung eines europäischen Privatrechts innewohnt, wird sich ohnehin erst dann voll entfalten, wenn die Beteiligten die eher blutleere Ebene der abstrakten politischen Diskussion verlassen und sich seinen konkreten Inhalten zuwenden.18 Die allgemeine politische Situation mag sich dann noch einmal grundlegend verändern. Werden die Vorschläge des DCFR für akzeptabel oder jedenfalls für verbesserungsfähig und -würdig befunden, dann sollte man mutig voranschreiten, werden sie inhaltlich verworfen, dann nutzt auch die vordergründige Unverbindlichkeit nichts; man sollte auch einen unverbindlichen CFR auf solcher Grundlage nicht in die Welt setzen. Aber natürlich geht es um etwas, nicht nur um Fragen juristischer Ästhetik und auch nicht „nur“ um die Verbesserung der inneren Kohärenz des verbraucherrechtlichen acquis. Es geht u.a. darum, eine zusätzlich wählbare europäische lex contractus zu schaffen19, um den Binnenmarkt wieder aus der Falle herauszuholen, in die er sich mit der nahezu durchgängigen Anknüpfung an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers manövriert hat. Für die vielen kleinen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ist es beispielsweise ein gewaltiges Problem, wenn Touristikunternehmen diese Länder meiden, weil es sich nicht lohnt, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für einen kleinen Kreis potentieller Kunden in „exotische“ Sprachen zu übersetzen. Exporteure aus diesen Ländern haben auch auf der B2B-Ebene so gut wie nie eine Chance, ihr Recht zu vereinbaren, und so sind es gerade die sog. „kleinen“ Länder, die die Idee eines Optionalen Instruments in besonderer Weise unterstützen. Das Recht der Sicherheiten hat für den grenzüberschreitenden Handel und den grenzüberschreitenden Kredit immer noch keine geeigneten Instrumente. Kleine und mittlere Unternehmen können sich den Aufwand an Zeit und Kosten zur Ermittlung ausländischen Rechts nicht leisten. Dieser Teil der Wirtschaft lässt keinen Zweifel daran, dass er ohne einen brauchbaren gemeinsamen Rechtsrahmen die Möglichkeiten des Binnenmarktes nicht ausschöpfen kann.20 18
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Erste Schritte in diese Richtung hatten bereits die estnische Regierung und die slowenische Ratspräsidentschaft mit Tagungen in Tartu und Ljubljana unternommen. Seither finden an vielen Orten Europas Veranstaltungen zum Inhalt des DCFR statt. Unter den Regeln der Rom II-Verordnung hat die Parteiautonomie inzwischen zwar eine erhebliche Bedeutung auch außerhalb des Vertragsrechts erlangt, doch finden sich dort keinerlei Hinweise zu der Frage, ob hiervon auch europäische Modellregelwerke profitieren könnten. Diese Frage ist erst im Rahmen der Verabschiedung der Rom IVerordnung diskutiert worden. Da beide Regelwerke schon wegen der verbreiteten vertragsakzessorischen Anknüpfungen im gesetzlichen Schuldrecht eng aufeinander bezogen sind, werden die rechtsanwendungsrechtlichen Fragen noch einmal genauer durchdacht werden müssen. Das ergab früh schon eine Studie der Rechtsanwaltsgesellschaft Clifford Chance (verfügbar unterhttp://www.cliffordchance.com/showimage/showimage.aspx?LangID=UK &binaryname=/clifford%20chance%20survey%20european%20contract%20law1.pdf) und entspricht auch den Ergebnissen einer Umfrage im Kontext einer weit ausgreifen-
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IPR und Anerkennungsrecht bieten dem Binnenmarkt keine langfristigen Lösungen, auch dann nicht, wenn diese Materien (noch) weiter vereinheitlicht werden. Ihre Instrumente sind einfach untauglich, den in einem Binnenmarkt erforderlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Im Rahmen einer Sammlung des deutschsprachigen Materials zum ausländischen Privat- und Privatverfahrensrecht21 fiel auf, dass es in zwanzig Jahren deutscher Rechtsprechung nicht mehr als ca. 2500 veröffentlichte Entscheidungen staatlicher Gerichte gibt, die auf der Basis ausländischen Rechts ergangen sind. Die meisten stammen aus dem Bereich des Familien- und Erbrechts und betreffen selbst hier überwiegend Fälle mit Bezug zu Ländern, die keine Mitgliedstaaten der EU sind. Die entsprechende Zahl für das Vertragsrecht beläuft sich, bezogen auf die Mitgliedstaaten, auf 125 Entscheidungen! Man muss diese dramatische Zahl geradezu dahin deuten, dass die IPR-Lösung im Vertragsrecht einfach nicht funktioniert; der Rechtsschutz ist, sofern er überhaupt noch gesucht wird, längst in die Schiedsgerichtsbarkeit abgewandert. Erforderlich ist es deshalb, zur Anwendbarkeit der lex fori zu kommen, und genau das wäre der technische Effekt der Entwicklung eines Optionalen Instruments. Nur – gegenständlich zu schmal darf auch dieses nicht sein, weil es andernfalls die rechtsanwendungsrechtlichen Probleme nicht etwa entschärfen, sondern exponentiell verschärfen würde. Mit einem angemessen breit angelegten CFR ließe sich übrigens das sog. Optionale Instrument selbst dann schaffen, wenn das Letztere keinen besonderen rechtlichen Status erlangen sollte. Das gilt ganz unabhängig davon, welche normative Bedeutung der Verlagerung des ehemaligen Entwurfsartikels 3 Abs. 2 in die Erwägungsgründe des endgültigen Textes der Rom I-Verordnung22 beizumessen ist. Denn wenn der CFR (wie der DCFR) das (halb)zwingende Verbraucherprivatrecht bereits enthalten sollte, dann wird der Unterschied zwischen kollisionsrechtlicher Partei- und sachrechtlicher Privatautonomie kaum mehr auszumachen sein. Die toolbox-Funktion des CFR hat, wie gesagt, nicht nur den Gemeinschaftsgesetzgeber zum Adressaten, sondern ihr wird mit Recht auch die Funktion einer
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den Studie zu den Interferenzen zwischen Vertrags-, Delikts- und Sachenrecht (von Bar and Drobnig, The Interaction of Contract Law and Tort and Property Law in Europe, München 2004). Eindrucksvolle Umfrageergebnisse finden sich ferner in dem kürzlich von der Kommission veröffentlichten Eurobarometer (http://ec.euro-pa.eu/public_ opinion/archives/eb_special_en.htm), nach welchem 57% der Bevölkerung in den Mitgliedstaaten ein europäisches Vertragsrecht befürworten. von Bar, Ausländisches Privat- und Privatverfahrensrecht in deutscher Sprache (6. Aufl. Köln 2006; 7. 2008). Erwägungsgrund 13 zur Rom I-Verordnung lautet in seiner endgültigen Fassung: „Diese Verordnung hindert die Parteien nicht daran, in ihrem Vertrag auf ein nichtstaatliches Regelwerk oder ein internationales Übereinkommen Bezug zu nehmen“. Und Erwägungsgrund 14 fügt hinzu: „Sollte die Gemeinschaft in einem geeigneten Rechtsakt Regeln des materiellen Vertragsrechts, einschließlich vertragsrechtlicher Standardbestimmungen festlegen, so kann in einem solchen Rechtsakt vorgesehen werden, dass die Parteien entscheiden können, diese Regeln anzuwenden“ (ABl. L 177/6 vom 4.7.2008, S. 6-7). Erwägungsgrund 13 betrifft offenbar (u.a.) den CFR, Erwägungsgrund 14 das Optionale Instrument.
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Inspirationsquelle für die nationalen Gesetzgeber zugeschrieben. Schlagwortartig ließe sich sagen, es ginge in der ersten Ausrichtung um den top-down-approach, in der zweiten um den bottom-up-Ansatz europäischer Rechtsangleichung. Dass der Letztere keineswegs unrealistisch ist, zeigen eine Vielzahl von Entwicklungen aus neuester Zeit; nahezu alle Verfasser neuer Schuld- oder Zivilgesetzbücher haben sich der PECL bedient23, und es besteht Grund zu der Annahme, dass dem DCFR dasselbe widerfahren wird.24 Ein politischer CFR würde natürlich noch einen weit größeren Angleichungsschub, ja eine Art Angleichungsdruck erzeugen. Ein Referenzrahmen ist allerdings nicht nur ein Referenzrahmen für Gesetzgeber. Er sollte auch zum Referenzrahmen für die anderen Akteure auf der juristischen Bühne werden. Das gilt zunächst für die Gerichte. Schon heute beobachten wir in vielen Jurisdiktionen eine große Bereitschaft der Obergerichte, die Principles of European Contract Law zu zitieren.25 Entsprechendes gilt für eine wachsende Zahl von Schlussanträgen der Generalanwälte beim EuGH26, wobei sich Letztere bereits auf die Nachfolgetexte umgestellt haben und interessanterweise von ihnen auch außerhalb des Vertragsrechts Gebrauch machen.27 Es muss in einem zusammenwachsenden Europa ein valides methodisches Argument sein bzw. werden, auf die vorherrschende Rechtsauffassung in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zu verweisen, und die Möglichkeit hierzu schafft jedenfalls der DCFR, hoffentlich alsbald aber auch der CFR. Die Obergerichte stehen der rechtsvergleichenden Argumentation ja ohnehin lange schon nicht mehr mit unüberwindlichen Vorbehalten gegenüber28, nur bestand das Problem bislang eben
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Das gilt jetzt auch wieder für den Vékás-Entwurf für ein neues ungarisches Zivilgesetzbuch: Vékás, Lajos, Szakértöi Javaslat az új Polgári Törvénykönyv tervezetéhez (Budapest 2008). 24 Auch das französische Justizministerium wird demnächst eine von ihm in Auftrag gegebene französische Übersetzung der ersten drei Bücher des DCFR auf seiner Webseite veröffentlichen. 25 Besonders eindrucksvoll insoweit die Rechtsprechung der spanischen Obergerichte, dazu näher Vendrell Cervantes, The Application of the Principles of European Contract Law by Spanish Courts, ZEuP 2008, Heft 2 (im Erscheinen). 26 EuGH vom 15. November 2007, Quelle AG v. Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände, C-404/06 (Schlussantrag der Generalanwältin Trstenjak, Rn. 44 mit Fn. 28); EuGH vom 10. April 2008, Hamilton v. Volksbank Filden eG, C412/06 (Schlussantrag des Generalanwalts Maduro, Rn. 23-24 mit Fn. 9); EuGH vom 28. Juni 2007, Bonn Fleisch Ex- und Import GmbH v. Hauptzollamt Hamburg-Jonas, C-1/06 (Schlussantrag der Generalanwältin Trstenjak, Rn. 68 mit Fn. 30). 27 Schlussantrag des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache C-282/05, Holcim v. Commission, Rn. 115 mit Fn. 58. 28 Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen rechtsvergleichende Argumente in die Begründung gerichtlicher Entscheidungen einfließen dürfen, wird von Richtern nur selten offen reflektiert. Eine Ausnahme aus neuerer Zeit bildet Lord Reed, Foreign Precedents and Judicial Reasoning: the American Debate and British Practice, 124 [2008] Law Quarterly Review 253-273. Die hier mitschwingenden methodischen Sorgen lassen sich durch einen CFR durchweg aus der Welt schaffen.
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ganz überwiegend darin, dass der Zeitaufwand zur Erschließung des hierfür erforderlichen Materials viel zu groß war. Der CFR wird schließlich noch eine wichtige weitere Funktion wahrnehmen: Die Funktion, europäisches Privatrecht lehrbar zu machen. Er wird an allen europäischen Universitäten unterrichtet werden. Schon im gerade abgelaufenen Sommersemester starteten einige europäische Fakultäten Unterricht auf der Basis der vorläufigen DCFR-Ausgabe; andere stellen ihren Studierenden größere Kontingente in die Bibliothek. Das Bedürfnis der heranwachsenden Juristengeneration, in einem gesamteuropäischen Geist studieren zu können, sollte niemand mehr unterschätzen.
IV. Die Struktur des DCFR Die Entstehungsgeschichte des DCFR kann hier nicht referiert werden. Es ist aber wichtig, in knappen Worten wenigstens noch seine Inhalte und mit ihnen seine Struktur zu skizzieren. Der DCFR enthält im Wesentlichen Modellregeln und einen Terminologie- oder Definitionenkatalog. Der Stoff der Modellregeln ist in Bücher, Teile (nur relevant in Buch IV), Kapitel und Abschnitte gegliedert; die (etwas gewöhnungsbedürftige) Zählweise der Artikel folgt der der meisten neueren Kodifikationen. Die Interim Outline Edition enthält bislang nur die ersten sieben Bücher; zehn sollen es in der Full and Final Edition des DCFR werden. Die Terminologieliste, die aus den Modellregeln entwickelt worden ist, ist in einem Anhang abgedruckt, auf welchen das erste Buch des DCFR verweist. Dieses erste Buch wiederum folgt ganz bewusst nicht dem Modell des Allgemeinen Teils des BGB und der ihm insoweit nachgebildeten europäischen Zivilgesetzbücher. Es sollte vielmehr so knapp wie möglich gehalten bleiben; vielleicht ist es sogar zu knapp geraten. In der zweiten Auflage wird es geringfügig erweitert und in drei Kapitel gegliedert sein: (i) Anwendungsbereich und Auslegung der Modellregeln, (ii) Definitionen und (iii) Zeit (Time). In I.-2:101 (n.F.) werden insbesondere auch die Definitionen von consumer and business einfließen, die sich bislang nur in Annex 1 finden. Dieser Annex als solcher bleibt aber erhalten, während der bisherige Annex 2 (Computation of time) in I.-3:101 (n.F.) übersiedelt. Verhältnismäßig unproblematisch war auch die Stoffanordnung in den Büchern IV-X. Das Buch IV gilt den besonderen Verträgen. Es ist als einziges Buch in Teile gegliedert, was nötig schien, um die für die Einbeziehung weiterer Teile erforderliche Flexibilität zu gewährleisten. Der Teil F (über Gelddarlehen; Loans) wird noch eingearbeitet werden, desgleichen ein Teil H über Schenkungen. Das Versicherungsvertragsrecht wird dagegen nicht in den DCFR übernommen werden können. Das Versicherungsteam des Netzwerkes hat mitgeteilt, dass es eine inhaltliche, terminologische und editorische Abstimmung in der Kürze der verbliebenen Zeit nicht für realistisch halte. Die Bücher V-VII bringen das Recht der gesetzlichen Schuldverhältnisse, also das Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag, das außervertragliche Haftungsrecht und das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung. In der Europäischen Kommission, so war in Ljubljana zu hören, scheint man sich mit den Büchern V und VI vorerst allerdings nicht befassen zu wollen, was schon deshalb nicht ganz
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einsichtig ist, weil sie doch mehrfach die Notwendigkeit eines europatauglichen Definitionenkataloges am Beispiel des Begriffs des damage erläutert hat. Das Parlament wird sich demgegenüber voraussichtlich erneut für einen umfassenderen Ansatz stark machen, und was das Bereicherungsrecht anlangt, so stehen seine Überlebenschancen innerhalb des CFR bislang eher günstig. Die Bücher VIII, IX und X existieren bislang nur als Dateien auf den Computern der Study Group. VIII betrifft das Recht des Erwerbs und des Verlustes von Eigentum an beweglichen Sachen, IX ein Konzept für registrierte Kreditsicherheiten an beweglichen Sachen, und in X geht es um den Versuch, das Trustrecht in ein gesamteuropäisches Regelwerk einzupassen. Alle drei Bücher haben natürlich noch einmal Quer- und Rückwirkungen auf schon vorhandene Texte, mit denen sie inzwischen auch abgestimmt werden konnten, z.B. im Bereich des Zessionsrechts. Alles Weitere muss in den nächsten Jahren wachsen; Stellen zum Andocken gibt es zuhauf. Man denke etwa an das Gesellschafts-, das Lauterkeits- und das Insolvenzrecht. Die eigentlich schwierigen Struktur- oder Gliederungsfragen des DCFR betrafen die Bücher II und III. Klar war, dass hier das Material eingestellt werden sollte, dass sich bereits in den PECL befand, und das Material, dass die AcquisGruppe erarbeitet hatte und über das in gemeinsamen Redaktionssitzungen Einvernehmen hergestellt worden war. Das Problem war nur, wie sich dieser Stoff in seiner Gesamtheit ordnen und aufteilen ließ und wie die beiden Bücher genannt werden sollten. Darüber hat insbesondere die Study Group lange diskutiert, sogar eine eigene Arbeitsgruppe eingesetzt, und schließlich mit deutlicher Mehrheit das Folgende beschlossen. Buch II sollte Verträge und andere Rechtsgeschäfte zum Gegenstand haben, und Buch III Obligations and corresponding rights, also ein allgemeines Schuldrecht. Eine der Grundlagen dieses Ansatzes war bzw. wurde die Unterscheidung zwischen dem Vertrag als Einigung bzw. Rechtsgeschäft, und dem aus dieser Einigung folgenden Rechtsverhältnis zwischen den Parteien. Buch II bringt folglich neben einigen allgemeinen Bestimmungen, in denen es vor allem um die Vertragsfreiheit geht, und neben zwei Abschnitten über Nichtdiskriminierung und andere vorvertragliche Pflichten Modellregeln zum Vertragsschluss, zum Widerruf, zur Stellvertretung, zu den Unwirksamkeitsgründen, zur Auslegung und zum Vertragsinhalt, darunter Vorschriften zum Recht der Verträge zugunsten Dritter und zum Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Buch III trägt, wie gesagt, die Überschrift „Obligations and corresponding rights“. Sein erstes Kapitel bringt Definitionen, stellt (in III.-1:102) u.a. klar, dass dieses Buch sowohl auf vertragliche als auch auf außervertragliche Ansprüche Anwendung findet, und bringt weitere allgemeine Vorschriften. Sodann geht es um die Erfüllungsmodalitäten, um die Rechtsfolgen der Nichterfüllung, um Gläubiger- und Schuldnermehrheiten, um Abtretung, Schuld- und Vertragsübernahme, um die Aufrechnung und um die Verjährung. Bei alledem ist natürlich nicht übersehen worden, dass einige der in Buch III genannten Rechtsbehelfe für außervertragliche Obligationen bedeutungslos sind. Rechtsbehelfe, die nur für das Vertragsrecht „passen“, sind in den nachfolgenden Regeln ausdrücklich gekennzeichnet. Das ist z.B. in III.-3:501(1) (Scope and definition) geschehen, also der Regel, die den Abschnitt über das Rücktrittsrecht einleitet („This section applies only to contractual obligations and contractual relationships“), ferner in III.-3:601
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(Right to reduction), wo sich eine entsprechende Anwendungsbeschränkung des Minderungsrechts aus dem Begriff price ergibt, oder in III.-3:203(a) (When creditor need not allow debtor an opportunity to cure), der schon seinem Wortlaut nach nur auf vertragliche Obligationen angewandt sein will. Andere Rechtsbehelfe des allgemeinen Schuldrechts werden aber natürlich im Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse dringend benötigt (z.B. das Zurückbehaltungsrecht im Bereicherungsrecht), und Entsprechendes gilt für die Regeln zur Erfüllung der Obligation. Die Koordinierung des vertraglichen mit dem außervertraglichen Schadensersatzrecht erfolgt im Übrigen über VI.-1:103(c) und (d) (Scope of application). An manchen Stellen hätte man vielleicht sogar noch weiter gehen können, als im DCFR geschehen, und einige Regeln des außervertraglichen Haftungsfolgenrechts in das allgemeine Schuldrecht „umbetten“ sollen. Auch das ist erörtert worden. Es wurde verworfen, um das einigen Rechtsordnungen nach wie vor fremde Konzept eines allgemeinen Schuldrechts nicht zu überfrachten.
V. Schluss Die Verfasser des DCFR wissen natürlich, dass mehr als ein Anfang noch nicht gemacht ist. Der Entwurf zeigt indes bereits, dass es heute wieder möglich geworden ist, sich in Europa flächendeckend über Kernfragen des privaten Vermögensrechts auszutauschen und in sehr vielen Bereichen Einigkeit zu erzielen. Er zeigt auch, dass sich die Politik nicht vorschnell auf eine gegenständliche Verengung des CFR auf einige sehr allgemeine Fragen des Vertragsrechts verstehen sollte. Jedenfalls verhält es sich so, dass mit dem DCFR – vor allem dann, wenn er im Jahre 2009 vollständig kommentiert und annotiert vorliegen wird – nun ein Instrument vorliegt, das eine umfassende Ordnung des Stoffes erlaubt, aus dem sich ein modernes europäisches Privatrecht entwickeln kann.
Fragen zur Reichweite vertraglicher Leistungspflichten (§§ 275, 313 BGB)
Jürgen Costede Neue Gesetze bringen neue Probleme mit sich. Häufig sind es über einem anders geschneiderten Gewand aber doch die alten Gesichter. So rühren auch die Regelungen des § 275 und des § 313 BGB n.F. an altbekannten Zweifeln. Es geht um die Reichweite vertraglicher Leistungspflichten.1 Immerhin ist aber die Mischung neu, die hierzu der Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung aufbereitet hat. Sie hat heftige Diskussionen um kontroverse Standpunkte ausgelöst. In welche Richtung die weitere Entwicklung laufen wird, ist noch nicht gewiss.
I. Was heißt Unvermögen? Dass eine vertraglich begründete Leistungspflicht außer durch Anfechtung, Rücktritt oder Kündigung auch dann endet, wenn es unmöglich geworden ist, die geschuldete Leistung zu erbringen, scheint unangreifbar festzustehen. Jedenfalls verhält es sich so, wenn niemand imstande ist, die Schuld zu erfüllen. Unklar jedoch war und ist noch immer, wann die Leistung, die einem anderen möglich wäre, dem Schuldner unmöglich ist. Zwar sagt § 275 I BGB, der Anspruch auf Leistung sei dann ausgeschlossen. Da jedoch in der Konstellation, die hier betrachtet wird, ein anderer die Leistung erbringen könnte, könnte mit seiner Hilfe es auch der Schuldner. Ist er verpflichtet, sich dieser Hilfe zu bedienen? Und um welchen Preis? Kann er sich dem nur, wenn der erforderliche Aufwand exorbitant hoch wäre und gegenüber dem Leistungsinteresse des Gläubigers ein grobes Missverhältnis bestünde, entziehen, nämlich durch die Einrede nach § 275 II BGB? Ist also der Schuldner im Sinne des § 275 I BGB zur Leistung außerstande nur dann, wenn der besagte Dritte nicht auffindbar oder aber zur Mithilfe nicht bereit und dazu auch nicht zu bewegen ist? So jedenfalls lautet die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 275 BGB.2 Und so lautet auch eine im Schrifttum
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Dazu schon Venuleius, D. 45, 1, 137, 4 und 5. Bundestagsdrucksache 14/6040, zu (§ 275) Absatz 1, S. 129.
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von verschiedener Seite vertretene Ansicht.3 Die Begründung stammt aus einem Rückschluss, der aus § 275 II BGB gezogen wird: Dürfte der Schuldner die Einrede, die ihm diese Regelung gewährt, erst dann erheben, wenn sein Aufwand zur Leistung in einem groben Missverhältnis zum Interesse des Gläubigers an dieser Leistung stünde, dann fordere die Rechtsordnung doch offenbar unerhörte Anstrengungen vom Schuldner, verlange von ihm sogar noch mehr, falls er es nicht als unbillig verweigere. Die Phalanx dieser Argumente ist allerdings nicht ganz geschlossen. Von einigen wird der Schuldner für verpflichtet gehalten, den geschuldeten Ring sogar vom Meeresboden heben zu lassen oder ein Hochhaus zu versetzen, um den darunter vergrabenen Ring zu bergen. Das werde zwar kein vernünftiger Gläubiger erwarten. Rechtlich freikommen könne der Schuldner in solch einem Fall aber nur nach § 275 II BGB.4 Andere dagegen, die an sich im Allgemeinen für eine weitreichende Schuldnerpflicht zur Leistung eintreten, befürworten in diesem Fall deren Ausschluss nach § 275 I BGB, wegen Unvermögens also.5 Die dafür ins Feld geführte Überlegung, der Schuldner werde wegen der Einredemöglichkeit doch nicht leisten, es läge daher näher, anstelle des § 275 II BGB gleich § 275 I heranzuziehen,6 kann Überzeugungskraft allerdings nicht beanspruchen. Stringent ist auch nicht der Begründungsversuch, dass auf solche Extremfälle der strikte Ausschluss der Leistungspflicht gemäß § 275 I BGB eher „passe“ als das von einer Interessenabwägung abhängige Leistungsverweigerungsrecht des § 275 II BGB.7 Wäre letztlich aber doch so zu entscheiden, dann könnte das Unvermögen nicht nur als eine vorrechtliche Gegebenheit betrachtet werden. Die Erkenntnis, dass eine Leistung - mag sie auch anderen möglich sein - dem Schuldner unmöglich ist, wäre dann nicht nur schlicht Einsicht in ein Faktum, das das Recht hinnehmen muss, sondern könnte sich auch aus einer rechtlichen Wertung ergeben. Lautete sie in einem Fall, dass der Schuldner nicht gehalten sei, dies oder jenes einzusetzen, um einen Dritten, der zur Leistung imstande wäre, ausfindig zu machen und ihn zu der Leistung zu bewegen, dann hieße das, da der Schuldner ohne diese Hilfe in der hier betrachteten Konstellation zur Leistung selbst außerstande ist, dass sie ihm nicht möglich und dass deshalb der Anspruch des Gläubigers auf die Leistung nach § 275 I BGB ausgeschlossen wäre.
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Canaris, JZ 2001, 499 gegenüber 501; Zimmer, NJW 2002, 1, (2); Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, 2002, Rn. 12; Canaris, JZ 2004, 214; Emmerich, Leistungsstörungen, 6. Aufl. 2005, Rn. 42/43; Münchener Kommentar/Ernst, BGB, 5. Aufl. 2007, § 275, Rn. 51/52; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 275, Rn. 24/25; Bamberger/Roth/Unberath, BGB, 2008, § 275, Rn. 42 ff. Canaris, JZ 2001, 499, (501). v. Wilmowsky, JuS 2002, Beilage 1, S. 7; Staudinger/Löwisch, BGB, Recht der Schuldverhältnisse (§§ 255 - 304) 2004, § 275, Rn. 19. v. Wilmowsky, JuS 2002, Beilage 1, S. 7. Staudinger/Löwisch, BGB, Recht der Schuldverhältnisse (§§ 255 - 304) 2004, § 275, Rn. 19.
Fragen zur Reichweite vertraglicher Leistungspflichten (§§ 275, 313 BGB)
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II. Wie verhält sich die Überwindung von Leistungshindernissen zum Schadensersatz? Der abgegriffene Ringfall eignet sich nicht, um die Berechtigung der einen oder der anderen These zu erproben. Die Fragestellung, ob die Leistungspflicht schon nach § 275 I BGB entfällt oder aber erst nach § 275 II BGB, würde im Fall des unglücklichen Ringes das Rechtsgewissen des Juristen nicht beunruhigen. Anders sähe es erst vor Gericht aus, wenn der Schuldner wegen Versäumnis zur Leistung verurteilt werden sollte. Diese Situation kann sich aber niemand real vorstellen. Die Problematik als solche, wann die Leistungspflicht wegen Unvermögens entfällt, hat jedoch durchaus fühlbare Bedeutung. Picker hat dies am Fall "Das Auto in Murmansk" exemplifiziert.8 Seine vehemente Kritik am Schuldrechtsmodernisierungsgesetz im Allgemeinen und an der Regelung des § 275 II BGB im Besonderen mündet in ein flammendes Bekenntnis zur Privatautonomie. Picker versteht § 275 II BGB - wie auch Canaris - dahin, dass der Schuldner bei Leistungshindernissen zu einem Mehraufwand verpflichtet sei, selbst wenn er das Hindernis nicht zu vertreten hat. Er müsse also das ihm unverschuldet gestohlene Auto, das er verkauft hatte, als es noch in seiner Garage stand, um der Pflicht zur Übergabe und Übereignung zu genügen, auf seine Kosten gegebenenfalls sogar aus Murmansk zurückführen lassen. Während er bei einer Zerstörung des Autos ohne weiteres frei werde, helfe § 275 II BGB erst jenseits eines groben Missverhältnisses. Die Vertragsrisiken seien damit, und dies prangert Picker an, ungerecht verteilt.9 Schadensersatz ist nach deutschem Recht gemäß kontinentaleuropäischem Rechtdenken grundsätzlich nur geschuldet, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Die oben beschriebene, von Picker so harsch kritisierte Rechtsansicht verlangt vom Schuldner jedoch finanzielle Anstrengungen, die einem Schadensersatz deshalb nahe kommen können, weil sich ihr Umfang an dem Leistungsinteresse des Gläubigers orientiert. Dessen Interesse wird fraglos durch den potentiellen Schaden im Fall der Nichtleistung mitbestimmt. Und deshalb läuft die These, dass der Schuldner sich gegebenenfalls mit Einsatz aller nur erdenklichen Mittel der Mithilfe Dritter bedienen müsse, um die Leistung zu erbringen, auf eine Schadensersatzpflicht zu, auch in Fällen, in denen der Schuldner das Leistungshindernis nicht zu vertreten hat. Das ist ein Bruch mit unserer Rechtstradition. Zugleich trägt es den Stempel des Unrechts, da eine Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte als widersprüchlich und dies zu Recht als ungerecht empfunden wird. Anders wäre nur dann zu urteilen, wenn Aspekte hinzukommen, die es als gerecht erscheinen lassen, dass der Schuldner das Risiko des Leistungshindernisses in dieser Weise zu tragen hat.
8 9
Picker, JZ 2003, 1035, (1036 ff). Picker, JZ 2003, 1035, (1037 ff).
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III. Warum gibt es Unvermögen bei konkretisierten Gattungsschulden? Lobinger, der in seiner Habilitationsschrift die Kritik Pickers zu untermauern sucht, zählt weitere – seines Erachtens – Ungereimtheiten der Neuregelung auf.10 Eine seiner Thesen lautet, dass die strikte Trennung zwischen Unmöglichkeit und Leistungserschwernissen im Sinne von § 275 II BGB nicht durchzuhalten sei. Vielmehr könnten auch Fälle von Leistungshindernissen zum befreienden Unvermögen zählen.11 Einen Beleg dafür sieht Lobinger darin, dass im Fall einer konkretisierten Gattungsschuld – bislang jedenfalls unangefochten – Unvermögen des Schuldners angenommen wird, wenn die Sache, auf die sich die Schuld nach § 243 II BGB beschränkt hat, untergegangen ist. Dieses Argument ist bestechend. Fraglos kann sich der Schuldner die Gattungssache in dieser Situation anderweitig beschaffen und den Gläubiger beliefern. Aber dazu ist er - so jedenfalls sagte man bisher und sagt man wohl auch heute noch - eben nicht verpflichtet. Weil ihm die anderweitige Beschaffung nicht geboten, die Sache, auf die sich die konkretisierte Schuld jetzt beschränkt, aber untergegangen ist, ist ihm die Leistung unmöglich geworden. Die Frage, ob und wann dies der Fall ist, muss also mit Blick auf die Schuld beantwortet und nicht umgekehrt die Schuld danach bestimmt werden, was alles möglich wäre. Diese Einsicht hätte sich schon einstellen müssen, wenn man zur Interpretation des § 275 II BGB die Funktion dieser Norm berücksichtigt hätte. § 275 II BGB soll die Leistungspflicht einschränken, gilt deshalb nur in Fällen, in denen die Leistung geschuldet, die Pflicht zur Leistung also nicht nach § 275 I BGB ausgeschlossen ist. Umgekehrt zu folgern, dass zur Leistung größte finanzielle Anstrengungen geboten sind, dass Unvermögen nur vorliegt, wenn sie trotzdem nicht erbracht werden kann, wie das Schrifttum,12 wie der Regierungsentwurf zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz13 argumentiert, ist inakzeptabel. Wann ein Unvermögen des Schuldners anzunehmen ist, folgt nicht allein aus vorrechtlichen Gegebenheiten, die das Recht hinnehmen muss. Auch Leistungshindernisse, die ein Dritter beheben könnte und zu beheben bereit wäre, können nach rechtlicher Wertung ein Unvermögen des Schuldners begründen. Lobinger ist also darin Recht zu geben, dass Fälle eines Unvermögens und Fälle von Leistungshindernissen nicht anhand des äußeren Erscheinungsbildes strikt geschieden werden können, dass vielmehr auch Leistungshindernisse in den Bereich der subjektiven Unmöglichkeit hineinreichen.
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Lobinger, Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004. Lobinger, Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 97. Oben N. 3. Oben N. 2.
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IV. Wann ist dem Verkäufer eine Mängelbeseitigung unmöglich? Modernisiert worden ist nicht nur das Allgemeine, sondern ebenso das Besondere Schuldrecht, so die kaufrechtliche Gewährleistung. Der Erfüllungsanspruch des Käufers ist jetzt auf eine mangelfreie Kaufsache gerichtet (§ 433 I 2 BGB). Hat sie aber doch einen Sach- oder Rechtsmangel, so kann der Käufer als Nacherfüllung vom Verkäufer, soweit das möglich ist, Nachlieferung verlangen oder Beseitigung des Mangels (§§ 437 Nr. 1, 439 BGB). Der Privatgelehrte, der seinen gebrauchten Computer preisgünstig verkauft hat, sieht sich deshalb im Fall eines Sachmangels nicht mehr, wie vordem, mit einer Wandlung konfrontiert. Er ist primär einem Anspruch auf Mängelbeseitigung ausgesetzt. Muss er, so fragt sich, die Kaufsache auf seine Kosten von einer Fachwerkstatt reparieren lassen, weil er als Schöngeist dazu selbst nicht imstande ist? Oder begründet seine Unfähigkeit rechtlich subjektive Unmöglichkeit im Sinne des § 275 I BGB? Dann käme es doch zum Rücktritt (§ 437 Nr. 2 BGB), wie früher durch Wandlung. Durchblättert man die Kommentarliteratur zur Nacherfüllungspflicht gemäß § 439 BGB, dann findet sich diese Fragestellung nicht.14 Offenbar hält man sie an dieser Stelle für entbehrlich, hat man doch zu § 275 BGB das Nötige gesagt, dass der Schuldner nämlich alles Erdenkliche einzusetzen habe, um die geschuldete Leistung zu erbringen.15 Unterschiede werden nur sichtbar bei Beantwortung der Frage, wann der Verkäufer die Einrede nach § 439 III BGB erheben kann.16 Müsste danach also auch unser Privatgelehrter zur Reparatur seines gebrauchten Computers eine Fachwerkstatt einschalten, dann zieht es Weiterungen nach sich, wenn er das unterlässt. Wegen Verletzung einer Pflicht aus dem Schuldverhältnis, die er dann ja auch zu vertreten hätte, wäre er nämlich zum Schadensersatz verpflichtet (§ 280 I BGB),17 und das, obgleich er den Mangel als solchen nicht zu vertreten hatte. Widerspruch gegen die These, dass jeder Verkäufer in jedem Fall Sachmängel notfalls beheben lassen muss, wird kaum geäußert.18 Wenn aber das Unvermögen, wie die obigen Überlegungen annehmen lassen, nicht nur eine vorrechtliche Gegebenheit ist, sondern sich auch aus einer rechtlichen Wertung ergeben kann, dann muss diese Wertungsfrage für den geschilderten Kauf gleichfalls gestellt werden. 14
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Siehe etwa Palandt/Weidenkaff, BGB 67. Aufl. 2008, § 439, Rn. 1, 15; Bamberger/Roth/Faust, BGB, 2. Aufl. 2007, § 439, Rn. 37; Münchener Kommentar/Westermann, BGB, 5. Aufl. 2008, § 439, Rn. 19; Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB, Recht der Schuldverhältnisse, Neubearbeitung 2004, § 439, Rn. 38. S. o. N. 3. Ackermann, JZ 2002, 378, (379/384); Huber, Festschrift Peter Schlechtriem, 2003, S. 521, (540 ff); Münchener Kommentar/Westermann, BGB, 5. Aufl. 2008, § 439, Rn. 20 ff (23), mit einer offenen Frage zum Privatverkauf gebrauchter Sachen durch einen Verkäufer ohne eigene Werkstatt. Huber, Festschrift Peter Schlechtriem, 2003, S. 521, (528 ff). Wohl aber von Wilhelm, DB 2004, 1599 ff, (1603 f), im Abschluss an die grundsätzliche Kritik von Picker, JZ 2003, 1035, (1036 ff).
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In vielen Fällen wird es zutreffen, dass der Verkäufer verpflichtet ist, einen Mangel auch mit erheblichem Aufwand beseitigen zu lassen. Dies entsprach schon in der Vergangenheit in weiten Bereichen vertraglich zugrunde gelegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dass aber jetzt auch jeder Privatverkäufer stets gehalten sein soll, Sachmängel auf seine Kosten notfalls mit fremdem Beistand beseitigen zu lassen, wird der rechtlichen Unterschiedlichkeit nicht gerecht. Vielmehr kann sich ergeben, dass die Inanspruchnahme eines leistungsbereiten Dritten nicht geboten ist. Dann bedeutet die persönliche Unfähigkeit des Verkäufers, den Mangel selbst zu beheben, Unvermögen. Und dies schließt - ohne deswegen die generelle Nacherfüllungspflicht zu tangieren - den Anspruch auf Mängelbeseitigung aus.
V. Woraus ergibt sich, dass der Schuldner das Risiko von Leistungshindernissen zu tragen oder nicht zu tragen hat? Eine Antwort auf die Frage, ob die Beseitigung eines Leistungshindernisses mit allen Mitteln geboten ist oder nicht, kann nur dem Schuldverhältnis entnommen werden. Genauer: Nur mit Blick auf die allgemeine Typik und die spezifische Eigenart des Schuldverhältnisses kann rechtlich erschlossen werden, wie weit die Schuld reicht. Damit ist nicht gemeint, dass wir nach einer ausdrücklichen oder stillschweigend getroffenen Vertragsabsprache suchen, die den Umfang der an sich weiterreichenden Schuld in den Grenzen des - etwa nach §§ 444, 475 BGB Zulässigen einschränkt. Die Reichweite der Leistungspflicht kann bereits durch den dem jeweiligen Schuldverhältnis immanenten Rahmen bestimmt sein. Daraus kann sich ergeben, ob dieses und jenes geschuldet oder nicht geschuldet ist, ob folglich dieses oder jenes Ereignis ein Unvermögen begründet und den Anspruch des Gläubigers nach § 275 I BGB ausschließt. So verstehe ich den Appell im Schrifttum, den Vorrang der Privatautonomie gegenüber der Dekretierung einer schrankenlosen, nur durch die Einreden der §§ 275 II, 439 III, 313 BGB beschränkbaren Erfüllungspflicht zu verteidigen.19 Wenn damit allerdings gemeint sein sollte, dass es allein der privatautonome Parteiwille ist, der den Umfang der Leistungspflicht bestimmt, so dass gefragt werden müsste, wie weit die Parteien die Leistungspflicht des Schuldners ziehen wollten, dann weicht mein Standpunkt ab: Zwar steht auch für mich die privatautonome Gestaltung des Vertragsverhältnisses im Mittelpunkt, dies aber deswegen, weil das Recht auf dessen Typik und dessen spezifische Eigenart eingehen muss. Danach entscheiden nicht allein die Parteien, die sich im Übrigen nicht schrankenlos, sondern nur im Rahmen des rechtlich Erlaubten entfalten können, über die Reichweite der Schuld. Die rechtliche Wertung des Vertrages, die Antwort auf die Frage, was ihm gerecht wird, bemisst sich nach dem Recht. Es ist daher das Recht, das den Umfang der Leis19
Picker, JZ 2003, 1035, (1036 ff); Lobinger, Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 139, 140, 248 ff, 258; Wilhelm, DB 2004, 1599 ff, (1603 f).
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tungspflicht festlegt. Weil Gerechtigkeit eine dem Fall angemessene rechtliche Beurteilung gebietet, verbietet sie, unterschiedliche Fallgestaltungen unbesehen gleich zu behandeln. Es wäre ungerecht, rechtlich bedeutsame Unterschiede zu ignorieren, maßgebliche Abweichungen einzuebnen. Um dieses Gebot der Gerechtigkeit zu verwirklichen, müssen wir Juristen gesetztes Recht gerechtigkeitskonform interpretieren oder, wenn dies nicht möglich erscheint, ungerechtes Recht als nicht verbindlich verwerfen. Legt man diesen Maßstab an, dann überzeugt Pickers Grundsatzkritik.20 Dagegen muss die Entgegnung von Canaris, sein starres Beharren auf einer unbedingten Pflicht des Schuldners, zugunsten des Gläubigers um jeden Preis den Erfolg zu schulden,21 in dieser Allgemeinheit auf Widerspruch stoßen. Denn es wird nicht am Maßstab der Gerechtigkeit gemessen, ob das nach Murmansk verschleppte Auto vom Verkäufer zurückgeholt werden muss, ob die Pflicht zur Übereignung und Übergabe das alles mitumfasst; auch wenn es ein Gebrauchtwagen war, den ein Privatmann gegen niedrigen Kaufpreis "abstoßen" wollte. Es wird gerade nicht gefragt, ob das geltende Recht - gemessen am Maßstab der Gerechtigkeit - dahin verstanden werden darf, dass die Schuld des Verkäufers so weit führt. Dies wird vielmehr der Lösung als Aussage des geltenden Rechts vorgegeben. Aus einer Umkehrung des § 275 II BGB lässt sich diese Vorgabe aber nicht herleiten. Denn die durch § 275 II BGB markierte Grenze eines zumutbaren Leistungsaufwands gilt nur, wenn die Leistung geschuldet ist. Ob und wann dies der Fall ist, kann nicht umgekehrt aus dem dann gebotenen Aufwand gefolgert werden. Spinnt man den Fall fort, dann sind nicht nur die Rückführungskosten, zu denen fraglos noch Kosten für die Sistierung des Autos im Ausland hinzukommen, im Voraus schwer abzuschätzen. Man muss noch einkalkulieren, dass das Auto beschädigt worden sein könnte. Dann weist es bei Übergabe an den Käufer Sachmängel auf, so dass jetzt auch noch Mängelbeseitigung geschuldet wäre. Nach der von mir angezweifelten Auslegung des § 275 I BGB hieße dies, dass der Verkäufer auf seine Kosten eine Fachwerkstatt mit der Reparatur beauftragen müsste. Und das alles von Rechts wegen? Ich meine nein. Weder muss der Verkäufer in diesem Fall das gestohlene Auto auf seine Kosten aus dem Ausland zurückschaffen lassen; dass er es, wenn es sich in greifbarer Entfernung auffindet, selbst abholen muss, steht auf einem anderen Blatt. Noch muss der Privatmann, der eine gebrauchte Sache verkauft, den Sachmangel, den zu beheben er selbst nicht imstande ist, in jedem Fall auf seine Kosten reparieren lassen. Das nämlich käme einer Schadensersatzpflicht nahe, was aber unangemessen wäre, wenn der Verkäufer den Verlust der Kaufsache bzw. dessen Beschädigung nach Kaufabschluss nicht zu vertreten hat und andere Aspekte, die eine solche Risikozurechnung begründen könnten, nicht ersichtlich sind.22 In anderen Konstellationen kann das Risiko, um den Preis auch hoher Kosten die geschuldete Sache zu beschaffen oder instand zu setzen, durchaus den Schuld20 21 22
Picker, JZ 2003, 1035, (1036 ff). Canaris, JZ 2004, 214, (223/224). Gleicher Ansicht Wilhelm, DB 2004, 1599, (1603, 1604), der materiale Rechtfertigungsgründe für eine solche Risikozurechnung verlangt.
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ner treffen. Das kann sich zum einen aus der Typik des Vertrages ergeben. Im Falle eines Werkvertrages reicht mit der Pflicht, das Werk herzustellen, auch die Pflicht, Mängel des Werkes zu beseitigen oder beseitigen zu lassen, weiter als beim Kauf. Aber auch bei einem Mietvertrag sieht die Risikoverteilung anders aus. Der Vermieter schuldet nicht lediglich die Übergabe der Mietsache, sondern die Übergabe zum Gebrauch. Daher hat hier auch die Pflicht zur Beseitigung von Mängeln, die den Gebrauch beeinträchtigen, einen anderen Hintergrund als beim Kauf. Diese Unterschiede dürfen bei der rechtlichen Beurteilung nicht einfach eingeebnet werden. Darauf ist schon von anderer Seite hingewiesen worden.23 Neben der Typik des Vertrages müssen aber auch innerhalb einer Vertragsart spezifische Abweichungen des einen Falles von dem anderen rechtlich erfasst und gerecht beurteilt werden.24 Jedenfalls der Privatverkäufer schuldet beim Verkauf gebrauchter Sachen aus seinem Besitz zur Beseitigung eines Mangels nicht in jedem Fall kostenträchtige Reparaturen durch eine Fachwerkstatt. Hat er den Mangel zu vertreten, dann verhält es sich anders, wie bereits die Schadensersatzpflicht ergibt. Aber auch andere Gesichtspunkte können eine entsprechende Risikozurechnung begründen. Nur trifft dieses Risiko den Verkäufer eben nicht unabweislich stets. Ist es nicht der Fall, dann ist das laut Vertrag Geschuldete, nämlich die Übereignung und Übergabe des Autos wie auch die Reparatur der defekten Kaufsache dem Verkäufer im Sinne des § 275 I BGB unmöglich und er wird frei. Dass der allgemeine Maßstab der Gerechtigkeit vage ist und deshalb viele Unwägbarkeiten mit sich bringt, kann nicht geleugnet werden. Aber bereits die Einsicht, dass die Gerechtigkeitsfrage für den einzelnen Fall gestellt und für die spezifische Situation konkretisiert werden muss, ist ein methodischer Gewinn gegenüber der Einstellung, das positive Recht sei für sämtliche Konstellationen unterschiedslos einheitlich zu verstehen. Die wünschenswerte Rechtssicherheit wird sich dann durch die Rechtspraxis einstellen.
VI. Darf die Unmöglichkeit rechtlich geleugnet werden, um ihre Rechtsfolgen zu vermeiden? Der Bundesgerichtshof hatte im Jahre 2005 über einen Fall zu entscheiden, der in den Zusammenhang unserer Thematik gehört. Der Kläger war mit seinem Auto, das er von der Beklagten, einer Autohändlerin, gebraucht gekauft hatte, auf einer auswärtigen Fahrt liegen geblieben und hatte das Fahrzeug an Ort und Stelle reparieren lassen. Die Klage auf Ersatz der Reparaturkosten wurde abgewiesen. Die dagegen gerichtete Revision hatte keinen Erfolg. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs begründete dies damit, dass der Kläger der Beklagten Gelegenheit zur Nacherfüllung hätte geben müssen. Erst wenn der Käufer dem Verkäufer dazu erfolglos eine Frist gesetzt habe, komme Minderung oder gegebenenfalls ein 23 24
Wilhelm, DB 2004, 1599, (1600, 1602, 1604). In diesem Sinne auch Lobinger, Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 258.
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Schadensersatzanspruch in Betracht.25 Diese Begründung des Senats ist, nachdem das Auto repariert worden ist, nicht stichhaltig. Die Reparatur eines schon reparierten Fahrzeugs ist nicht mehr möglich. Und deshalb entfällt nach § 326 V BGB eine jetzt sinnlose Fristsetzung als Voraussetzung zum Rücktritt und also auch zur Minderung. Im Schrifttum wird demgegenüber erwogen, die Nacherfüllung könne auch dann, wenn der Mangel schon behoben worden sei, noch möglich sein, nämlich in Form einer Ersatzlieferung. Sie dürfe dem Verkäufer nicht benommen sein, wenn er eine Nachbesserung nach § 439 III BGB wegen unverhältnismäßiger Kosten hätte verweigern dürfen.26 Aber abgesehen davon, dass diese Konstellation selten vorliegen wird, verfängt das in unserem Fall nicht, denn bei einem Gebrauchtwagenkauf ist auch die Nachlieferung unmöglich und deshalb nach § 275 I BGB ausgeschlossen. Also ist zu konstatieren, dass nach der Reparatur jede Form einer Nacherfüllung jetzt unmöglich ist, so dass der Anspruch auf Nacherfüllung nach § 275 I BGB entfällt. Das Gericht hat das nicht gewürdigt. Die Unmöglichkeit einer Mängelbeseitigung wird also, um nicht die sich daran anschließenden Rechtsfolgen akzeptieren zu müssen, ignoriert, offensichtlich mit der Überlegung, dass der Käufer seine Rechte durch sein Vorgehen verwirkt habe. Während ich dafür eintrete, dass die Annahme des Unvermögens nicht nur als Faktum festzustellen, sondern gegebenenfalls aus einer rechtlichen Wertung zu erschließen ist, und dass der Erfolg, den eine Leistung bewirken soll, nicht um jeden Preis geschuldet wird, muss ich es ablehnen, die Unmöglichkeit aus Wertungsgründen zu leugnen. Die Wertungsgesichtspunkte müssen dann, wenn sie zwingend sind, anders eingebracht werden. Die Rechtsfolgen, die ein Ausschluss des Nacherfüllungsanspruchs auslöst, nämlich die Möglichkeit eines Rücktritts, einer Minderung und gegebenenfalls auch eines Schadensersatzanspruchs, könnten zwar unangemessen erscheinen, wenn der Käufer die Voraussetzungen dafür durch die Reparatur selbst geschaffen hat. Diese rechtliche Konsequenz kann aber ihrerseits nicht durch blindes Abstreiten eines doch unabweisbaren Faktums erzwungen werden. Im Übrigen bieten sich andere Sanktionen an, die effektiver und angemessener erscheinen. Der Verkäufer, der sich im Fall eines Verbrauchsgüterkaufs der für ihn ungünstigen Vermutung des § 476 BGB ausgesetzt sieht, muss befürchten, dass ihm die Widerlegung erschwert oder unmöglich gemacht wird, wenn nicht er, sondern eine andere Werkstatt zur Reparatur herangezogen wird. Das ist verständlich. Auf der anderen Seite aber ist auch das Interesse des Käufers, einen kostspieligen Rücktransport zu vermeiden und mit dem reparierten Auto weiterfahren zu können, berechtigt. Ob der Verkäufer die Überführungskosten nach § 439 II BGB tragen wird, kann immerhin zweifelhaft sein. Es könnte also sein, dass der Käufer sowohl für die Reparaturkosten aufkommen muss und auch für die Rückführungskosten keinen Ersatz erhält. Sucht man nach einem vertretbaren Kompromiss zwischen den gegenläufigen Interessen, dann muss man dem Käufer zubilligen, das Auto reparieren zu lassen und den Nacherfüllungsanspruch dadurch nach 25
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BGH, NJW 2006, 1195. Ebenso bereits BGHZ 162, 219, (221 f) und BGH, NJW 2006, 988, (989). Kritisch Lorenz, NJW 2006, 1175, (1177, 1178). Münchener Kommentar/Westermann, BGB, 5. Aufl. 2008, § 439, Rn. 10.
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§ 275 I BGB selbst auszuschließen, dies aber um den Preis, dass die Vermutung nach § 476 BGB entfällt. Dann trifft die Beweislast dafür, dass der Mangel, der die Reparatur erforderlich gemacht hat, schon bei Gefahrübergang vorhanden war, den Käufer. Er kann diese Obliegenheit, indem er noch vor der Reparatur einen Sachverständigen einschaltet, auch erfüllen. Noch ein zweites Problem wirft die Reparatur durch den Käufer auf. Sie nimmt dem Verkäufer die Möglichkeit, durch Beseitigung des Sachmangels einen Rücktritt und gegebenenfalls sogar Schadensersatz statt der Leistung (§ 281 BGB) abzuwenden. Und deshalb muss der Käufer diese Rechte im Fall einer eigenmächtigen Reparatur gerechterweise verlieren.27 Das ist auch nicht unbillig. Denn schließlich drückt die Reparatur aus, dass er das Auto behalten will. Das Minderungsrecht aber sollte erhalten bleiben, wenn in der gegebenen Situation die Reparatur an Ort und Stelle angemessener war als die kostenträchtige Überführung des Autos zum Verkäufer. Dann müssen die Reparaturkosten den Verkäufer jedenfalls in der Höhe treffen, in der sie ihn bei einer Nacherfüllung auch belastet hätten. Das könnte durch eine Minderung nach § 441 BGB annähernd erreicht werden. Demgegenüber ist die Konsequenz, die das Urteil des Bundesgerichtshofs hat, dass dem Käufer stets sämtliche Rechte abgeschnitten werden, überzogen.
VII. Welche Bedeutung haben die §§ 275 II, 313 BGB für die Reichweite vertraglicher Leistungspflichten? Trifft den Schuldner das Risiko, ein Hindernis, das ihm die geschuldete Leistung erschwert, zu beseitigen, dann fragt sich, bis zu welchem Grad das Recht ihm das abverlangt und wann die Überwindung des Hindernisses ihm nicht mehr zugemutet wird. Dies ist seit alters die Aufgabe der Lehre vom Fortfall oder vom Fehlen der Geschäftsgrundlage, jedenfalls seit Oertmann mit seiner Schrift von 1921 die Formel von der Geschäftsgrundlage erfunden und dadurch die Lehren von der Voraussetzung28 und von der clausula rebus sic stantibus29 fortentwickelt hat.30 Bis in die jüngste Zeit haben die Gerichte, um den Maßstab zu kennzeichnen, der die Grenze der Leistungspflicht angibt, zumindest verbal die OertmanĔsche Formel zugrunde gelegt. Sie besagt: „Geschäftsgrundlage ist die beim Geschäftsabschluss zutage tretende und vom etwaigen Gegner in ihrer Bedeutsamkeit erkannte und nicht beanstandete Vorstellung eines Beteiligten oder die gemeinsame
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Ob dafür § 323 VI BGB ins Feld geführt werden kann, wie dies z.T. vertreten wird (Lorenz, NJW 2006, 1175, 1177), ist nicht unzweifelhaft, weil auch der Sachmangel, den der Käufer nicht zu verantworten hat, Rücktrittsgrund ist. Windscheid, Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung, 1851; AcP 78, (1892), 16. Erich Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus, 1911; Krückmann, AcP 116 (1918), 157. Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, ein neuer Rechtsbegriff, 1921.
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Vorstellung der mehreren Beteiligten vom Sein oder vom Eintritt gewisser Umstände, auf deren Grundlage der Geschäftswille sich aufbaut.“31,32 Die Annahme, dass es die Parteien sind, die so die Reichweite der vertraglichen Leistungspflicht festlegen, dass man daher diese Grenze durch Rückgriff auf besagte Parteivorstellungen markieren könnte, trügt aber. Es gibt viele Vorstellungen, die eine Vertragspartei zum Vertragsschluss veranlasst haben können. Manche davon werden der anderen Vertragsseite auch bekannt sein. Dadurch aber gewinnen sie noch nicht die Bedeutung einer Grundlage des Vertrages in dem Sinne, dass dann, wenn sie sich von Anfang an oder aber im Laufe der Zeit als Fehlvorstellungen erweisen, die Vertragsbindung weichen müsste. Ein Kauf in der Erwartung, die Kaufsache für die berufliche Laufbahn nutzen zu können, kann fraglos nicht bereits deshalb rückgängig gemacht werden, weil die Karriere etwa wegen einer Erkrankung ausbleibt, auch nicht, wenn der Verkäufer von der Zielsetzung des Käufers weiß, sie billigt und vielleicht auch erwünscht. Kein Urteil hat bisher angeben können oder auch nur anzugeben versucht, warum die eine Vorstellung eine Vertragsgrundlage bildet, eine andere dagegen nicht. Die Formel, mit der die Gerichte ihr Ergebnis nach Oertmann begründet haben, ist nur vorgeschoben.33 Das wird ganz deutlich, wenn es in dem einen oder anderen Urteil heißt, es komme nicht darauf an, dass die Parteien sich die die Geschäftsgrundlage bildenden Vorstellungen bewusst gemacht hätten.34 Richtigerweise ist es eine rechtliche Wertung, die sich auf das Fehlgehen von Erwartungen stützen kann, häufig aber aus anderen Umständen resultiert. Die Gerichte haben von Beginn der Rechtsprechung zur Geschäftsgrundlage an betont, es komme letztlich darauf an, ob ein starres Festhalten am Vertrag mit Treu und Glauben vereinbar oder unvereinbar sei.35 In ständiger Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof hervorgehoben, eine Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage setze voraus, „dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbaren Ergebnis führen würde und der betroffenen Partei daher nicht zuzumuten ist.“36 Diese Aussage liefert allerdings keine Formel, die eine Subsumtion mit einem auch nur annähernd zwingenden Resultat erlaubt. Auch den verschiedenen Theorien des Schrifttums37 ist das nicht gelungen. Das darf nicht verwundern. 31 32
33
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Oertmann, Die Geschäftsgrundlage 1921, S. 37. Fast gleichlautend in ständiger Rechtsprechung: BGH, NJW 1953, 1585, und jüngst BGHZ 167, 25, (33, Rn. 27). Kegel, Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag, 1953, S. 157, (161): "reines Ornament"; Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, 1971, S. 15: nur "äußerlich mitgeschleppt und im Einzelfall nicht ernstlich geprüft ...". BGHZ 133, 281, (293). RGZ 143, 212, (217). Zitiert nach BGHZ 127, 212, (218); so auch BGHZ 2, 176, (188/189); NJW 1951, 836, (837); NJW 1958, 1772; BGHZ 84, 1 (9 sub c); 131, 209, (216); 147, 244, (261). Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, 3. Aufl. 1963; Kegel, Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag, 1953, S. 135; Schmidt-Rimpler, Festschrift Hans Carl Nipperdey, 1955, S. 1; Esser, Schuldrecht, 2. Aufl. 1960, S. 384; Lange, Festschrift Paul Gieseke, 1958, S. 21; Wieacker, Festschrift Walter Wilburg 1965, S. 229; Flume,
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Denn die Ausnahme von dem Grundsatz der Vertragsbindung kann nicht ihrerseits auf ein Prinzip gegründet werden. Deshalb aber hat sich auch nach der Kodifizierung durch § 313 BGB nichts daran geändert, dass die Grenzen der Vertragsbindung nicht formelhaft bestimmbar sind.38 Da § 313 II BGB Fälle der sogenannten subjektiven Geschäftsgrundlage erfassen soll, die Konstellation nämlich, dass sich wesentliche Vorstellungen der Parteien, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, als falsch herausstellen, betrifft § 313 I BGB Situationen, in denen die - wie es traditionell heißt Grundlage des Vertrages durch Umstände gebildet wird, die nicht in Vorstellungen der Parteien zu finden sind. Wann aber, und warum dies oder jenes eine Vertragsgrundlage in dem Sinne bildet, dass Unstimmigkeiten, also Abweichungen von dem Vorgestellten oder Veränderungen der besagten Umstände die Vertragsbindung beeinflussen, sagt § 313 BGB nicht. Und das kann man auch nicht erwarten, da es in hundert Jahren niemandem gelungen ist. Es ist eben doch die Wertungsfrage, ob „ein Festhalten an der vereinbarten Regelung zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbaren Ergebnis führen würde.“ Das muss der Jurist in einem heuristischen Verfahren durch Vergleich mit anerkannten Entscheidungen zu Fällen gestörter Geschäftsgrundlage, auf der Basis einer Falltypologie also, ermitteln. Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat sich aber nicht auf § 313 BGB beschränkt, sondern mit § 275 II BGB eine weitere Norm geschaffen, die die Reichweite der Schuld bestimmt. Die Rechtsfolgen beider Vorschriften unterscheiden sich erheblich. Während § 313 BGB die Anpassung des Vertrages oder gegebenenfalls eine Vertragslösung durch Rücktritt vorsieht, normiert § 275 II BGB die Befugnis zur Leistungsverweigerung durch eine prozessuale Einrede. Diese Unterschiede wären einsichtig, wenn sich die Fallgestaltungen, die betroffen sind, unterscheiden ließen. Das wird so auch behauptet. § 275 II BGB beziehe sich auf Fälle einer faktischen, § 313 BGB auf die sogenannte wirtschaftliche „Unmöglichkeit“.39 Diese Unterscheidung entspringt aber nicht einer gerechten Bewertung der Lebenswirklichkeit, sondern ist auf dem Reißbrett scholastischer Konstruktionskunst entworfen worden.40 Wenn der Aufwand des Schuldners, um die Leistung zu erbringen, in einem auffälligen Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers steht, wie dies § 275 II BGB normiert, dann können sich mit dieser
38
39 40
Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl. 1979, § 26; Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, 1971; Fikentscher, Schuldrecht, 7. Aufl. 1985, § 27; Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis, 1971; Köhler, in 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, 2000, S. 295; Häsemeyer, Festschrift Hermann Weitnauer 1980, S. 67; Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, 1979. Die gesetzliche Regelung sollte nur das in Rechtsprechung und Schrifttum zur Lehre von der Geschäftsgrundlage bereits Anerkannte wiedergeben: Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1992, S. 146 ff, (148). Canaris, JZ 2001, 499, (501). Picker, JZ 2003, 1035, (1045); Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 76 ff; Schmidt-Recla, Festschrift Adolf Laufs, 2006, S. 641, (662 ff).
Fragen zur Reichweite vertraglicher Leistungspflichten (§§ 275, 313 BGB)
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Unausgewogenheit Umstände geändert haben, die im Sinne des § 313 BGB eine Vertragsgrundlage bilden. Denn bei einem Austauschvertrag spielt die Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung eine Rolle. Zwar muss das Interesse des Gläubigers an der Leistung nicht notwendig seiner Gegenleistung entsprechen. Da er die Gegenleistung jedoch einsetzt, um die Leistung zu erhalten, kann es sich bei Vertragsschluss so verhalten. Jedenfalls aber geht es in § 275 II BGB um die Unverhältnismäßigkeit des Schuldneraufwands. Und diese Situation gehörte in der Vergangenheit zu den klassischen Fällen einer gestörten Geschäftsgrundlage.41 Zur Lösung dieses Konkurrenzproblems gibt es verschiedene Vorschläge: Außer der These, dass beide Vorschriften gestrichen werden sollten,42 findet sich die an den Gesetzgeber gerichtete Empfehlung, dass § 313 BGB,43 oder dass § 275 II BGB fallen44 bzw. dass § 275 II BGB gegenüber § 313 BGB eingeschränkt werden sollte.45 Da es aber jedenfalls im Bürgerlichen Recht lange dauert, bevor Gesetzesänderungen revidiert werden, ist mit einer weiteren Reform durch den Gesetzgeber nicht zu rechnen. Die Rechtspraxis wird daher entscheiden müssen, wie mit den §§ 275 II, 313 BGB umzugehen ist. Juristen aber scheuen Radikallösungen. Man wird sich vielmehr bemühen, § 275 II BGB wie § 313 BGB einen eigenständigen Platz zuzuweisen. Da das Interesse des Gläubigers an der Leistung regelmäßig entsprechend dem zur Leistung erforderlichen Aufwand des Schuldners steigen wird, kann der Anwendungsbereich des § 275 II BGB eingeschränkt werden.46 Anzumerken ist zu § 275 II BGB schließlich noch, dass nicht nur der Sinn dieser Norm fragwürdig ist. Leider liefert sie ein Beispiel für schlechten Gesetzgebungsstil unserer Tage. Der Ausschluss der Leistungspflicht im Fall eines groben Missverhältnisses wird nicht, wie dies dem Ethos des Rechts entsprechen würde, von Rechts wegen angeordnet. Die aus Gründen der Gerechtigkeit gebotene Aussage soll vom Richter erst auf eine prozessuale Einrede hin berücksichtigt werden, wie wenn es sich um kleine Münze der Partei zur Verwirklichung disponibler Eigeninteressen handelte.
41 42 43 44 45 46
Schmidt-Recla, Festschrift Adolf Laufs, 2006, S. 641, (652 ff). Picker, JZ 2003, 1035, (1045). Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 241. Schmidt-Recla, Festschrift Adolf Laufs, 2006, S. 641, (662 ff). Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 268, 269. Darauf läuft der Vorschlag Lobingers hinaus: Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 268, 269. Nach Schmidt-Recla hat § 275 II BGB überhaupt nur virtuelle, aber nicht praktische Bedeutung: Festschrift Adolf Laufs, 2006, S. 641, (668).
Intensitätsstufen arbeitsvertraglicher Bindung
Peter Hanau Wenn ein Arbeitsrechtler seine Verehrung für Erwin Deutsch durch erneute Beteiligung an einer ihm gewidmeten Festschrift zum Ausdruck bringen darf, muss er ein arbeitsrechtliches Thema mit unmittelbarem Bezug zum Schuldrecht suchen, zu dessen Großmeistern der Jubilar gehört. Hier bietet sich ein Bericht über die der Einbeziehung des Arbeitsvertrages in das AGB- Recht folgende Rechtsprechung des BAG zu den verbreiteten Arbeitgeberleistungen an, die unter Freiwilligkeits- oder Widerrufsvorbehalt stehen. Dies ist eine weitere Facette der Intensitätsstufen vertraglicher Bindung, die von voller und dauernder vertragsrechtlicher Bindung über befristete und bedingte Versprechen, einseitige Leistungsbestimmungen bis zu Absichtserklärungen und Gefälligkeitszusagen reichen. Die nachstehenden Überlegungen versuchen die arbeitsrechtliche Entwicklung in das vertragsrechtliche System einzubinden.
I. Ausgangspunkt (wichtig für einen Vertrauensschutz bei Altverträgen) Bis zur Einbeziehung der Arbeitsverträge in das AGB- Recht (ab 01.01.2002, bei Altverträgen 01.01.2003) war in der Rechtsprechung anerkannt, dass Arbeitgeberleistungen unter Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt werden können. Besonders deutlich BAG 12.1.20001: „Wird im Arbeitsvertrag eine Weihnachtsgratifikation als freiwillige Leistung bezeichnet, die ohne Anerkennung einer Rechtspflicht gewährt wird, so kann der Arbeitgeber in jedem Jahr erneut eine Entscheidung darüber treffen, ob, unter welchen Voraussetzungen und an welche Arbeitnehmer eine Gratifikation gezahlt werden soll.“ Dies wurde in Entscheidungen des BAG vom 25.9.20022 und vom 28.3.20073 wiederholt. All diese Entscheidungen bezogen sich auf Gratifikationen und andere Jahresleistungen, doch wurde die Zulässigkeit des Freiwilligkeitsvorbehaltes nicht mit einer Besonderheit dieser Leistungen begründet.
1 2 3
10 AZR 840/ 98, NZA 2000, 944. 10 AZR 554/01, EzA § 4 TVG Tariflohnerhöhung Nr. 40. 10 AZR 261/06, EzA § 611 BGB 2002 Gratifikation und Prämie Nr. 21.
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Ein Urteil des 5. Senats des BAG vom 25.4.20074 summiert die frühere Rechtsprechung dahin, das BAG habe die Wirksamkeit sog. „Freiwilligkeitsvorbehalte“ nur in Bezug auf Sondervergütungen (wie Weihnachtsgeld und andere Gratifikationen) anerkannt. War das laufende Arbeitsentgelt betroffen, sei der vertragliche Ausschluss von Rechtsansprüchen als Widerrufsvorbehalt ausgelegt worden. Das Urteil stützt sich auf eine nicht veröffentlichte Entscheidung des BAG vom 22.10.19805, ferner beruft es sich auf ein Urteil des BAG vom 17.5.19736. In der Tat hat diese Entscheidung einen Freiwilligkeits- zwingend in einen Widerrufsvorbehalt umgedeutet, doch wurde dies mit der besonderen Bedeutung des Vertrauensschutzes in der betrieblichen Altersversorgung begründet. Endlich hat ein Urteil des BAG vom 7.9.19827dies verallgemeinert: Eine Erklärung, die Leistung werde freiwillig ohne Rechtspflicht erbracht, sei in der Regel als Widerrufsvorbehalt zu verstehen. Noch einen Schritt weiter ging ein Urteil des BAG vom 13.5.19878: Die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalt nach freiem Ermessen sei jedenfalls insoweit unzulässig, wie sie sich auf Bestandteile des laufenden Verdienstes bezieht. Ebenso wie Arbeitnehmer gegen Verträge geschützt werden müssen, mit denen das KSchG umgangen wird, bedürften sie des Schutzes gegen Vereinbarungen, die dem Arbeitgeber entgegen § 315 BGB das Recht zum einseitigen Widerruf nach freiem Ermessen oder gar nach Belieben einräumen und damit ermöglichen, das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung unkontrolliert zu verändern. Das müsse jedenfalls dann gelten, wenn es sich um eine Leistungszulage handelt. Damit war eine weitgehende Absage an Freiwilligkeitsvorbehalte bei laufenden Leistungen erteilt, denn wo der Widerruf nach freiem Ermessen unzulässig ist, muss ein Freiwilligkeitsvorbehalt erst recht unzulässig sein. Ein weiteres Urteil des BAG vom 15.11.19959 hat dann ganz allgemein ausgesprochen, dass die Ausübung eines vereinbarten Widerrufs gem. § 315 BGB nach billigem Ermessen zu erfolgen habe. Dies ist seitdem ständige Rechtsprechung des BAG10. Insgesamt lässt sich also feststellen, dass bis zur Einbeziehung des Arbeitsvertrages in das AGB- Recht Freiwilligkeitsvorbehalte bei Sonderleistungen in der Rechtsprechung anerkannt wurden, bei laufenden Leistungen dagegen nicht. Allerdings wurden Freiwilligkeitsvorbehalte bei laufenden Leistungen nicht für unwirksam erklärt, sondern ohne Weiteres in Widerrufsvorbehalte umgedeutet. Eine Begründung für die unterschiedliche Behandlung der beiden Leistungsarten fehlte aber, deshalb auch ein begründete Abgrenzung. Bei den Widerrufsvorbehalten bestand ausgesprochene Einigkeit darüber, dass sie bei laufenden und Sonderleistungen nach billigem Ermessen ausgeübt werden müssen, unausgesprochene Einigkeit zudem darüber, dass die Kriterien der Ermessensausübung nicht schon in 4 5 6 7 8 9 10
5 AZR 627/06, NZA 2007, 853. 5 AZR 825/78 (nicht amtlich veröffentlicht). 3 AZR 381/72, AP § 242 BGB Ruhegehalt- Unterstützungskassen Nr. 6. 3 AZR 5/80, AP § 3 TVArb Bundespost Nr. 1. 5 AZR 125/86, AP § 305 BGB Billigkeitskontrolle Nr. 4. 2 AZR 521/95, AP § 1 TVG Tarifverträge: Lufthansa Nr. 20. z.B. Urteil vom 8.5.2003, 6 AZR 43/02, AP § 315 BGB Nr. 82.
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die Zusage selbst aufgenommen werden müssen. Auch wurde nicht erörtert, ob ein Widerruf nach freiem Ermessen, den § 315 BGB auch zulässt, möglich sein muss, wenn auch ein Freiwilligkeitsvorbehalt zulässig wäre.
II. Die Auswirkung des AGB- Rechts auf Widerrufsvorbehalte 1. Die Bedeutung des Widerrufsgrundes vor und nach dem Widerruf Die wichtigste Auswirkung ist nach dem Urteil des BAG vom 12.1.2005 zu einer laufenden Leistung (Fahrtkostenerstattung)11, dass die an dem Maßstab der §§ 307 I, II, 308 Nr. 4 BGB zu bemessenden Anforderungen an den Widerruf im Text der Klausel zum Ausdruck kommen müssen. Es müsse sich aus der Regelung selbst ergeben, dass der Widerruf nicht ohne Grund erfolgen kann. Zu den erforderlichen Gründen heißt es, unabhängig davon, ob der Grund als sachlich, hinreichend, triftig oder schwerwiegend bezeichnet wird, müsse die Interessenabwägung zu einer Zumutbarkeit der Klausel für den Arbeitnehmer führen. Das richte sich in Anlehnung an § 307 BGB insbesondere nach Art und Höhe der Leistung, die widerrufen werden soll, nach der Höhe des verbleibenden Verdienstes und der Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen. An anderer Stelle ist das Urteil großzügiger. Die Klausel könne allgemein auf die wirtschaftliche Entwicklung, die Leistung oder das Verhalten des Arbeitnehmers gestützte Gründe ausreichen lassen. Es heißt sogar, der Arbeitgeber sei bis zur Grenze der Willkür frei, die Voraussetzungen des Anspruchs festzulegen und dementsprechend den Widerruf zu erklären. Die Verschiedenheit der Anforderungen könnte damit zusammenhängen, dass es in den Urteilen vom 12.1.2005 und 11.10.2006 um Fahrtkostenerstattungen ging, die keine unmittelbare Gegenleistung für die Arbeitsleistung darstellten, sondern Ersatz für Aufwendungen, die an sich der Arbeitnehmer selbst tragen müsste. Denkbar ist aber auch, dass sich die großzügige Formulierung auf die Angabe des Widerrufsgrundes im Klauseltext bezieht, während die erhöhten Anforderungen maßgeblich sind, wenn die Begründetheit des Widerrufs nach seiner Erklärung geprüft wird. Es ist ja zu beachten, dass die Widerrufsgründe nicht nur in der Klausel erscheinen, sondern bei der Erklärung des Widerrufs auch vorliegen müssen. Während die Widerrufsgründe bisher nur einer Ausübungskontrolle gem. § 315 BGB unterzogen wurden, müssen sie nun folgerichtig von der Angemessenheitskontrolle erfasst werden.12 11
12
5 AZR 364/04, NZA 2005,465; bestätigt durch Urteil vom 11.10.2006, 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87. Däubler/Dorndorf/Bonin/Deinert, AGB- Kontrolle im Arbeitsrecht, 2. Aufl., 2008, § 308 BGB, Rn. 45; Thüsing in Arbeitsrechts- Kommentar, 3. Aufl., 2008, § 611 BGB, Rn. 513; ErfK/ Preis, 8. Aufl., 2008, §§ 305- 310 BGB, Rn. 62 verbindet Angemessenheits- und Ausübungskontrolle.
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Die Formulierung in dem Urteil des BAG vom 12.1.2005, die Widerrufsgründe müssten in dem Text der Klausel zum Ausdruck kommen, liest sich so, als wenn Widerrufsklauseln der Schriftform bedürften. Dem ist aber nicht so; Schriftform besteht nur für den nicht konstitutiven Nachweis der Arbeitsbedingungen. Deshalb müssen sich die Widerrufsgründe als Bestandteil der Widerrufsklausel auch aus begleitenden Umständen ergeben können.
2. Höchstgrenzen Zusätzlich wird vom BAG (Fn. 11) aus der Rechtsprechung zur Umgehung des KSchG in das AGB- Recht übernommen, dass die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts nur zulässig ist, soweit der widerrufliche Anteil des Gesamtverdienstes unter 25% liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird. Bei dem Ersatz für Aufwendungen wie Fahrtkosten, die an sich der Arbeitnehmer selbst tragen müsse, könne sich der widerrufliche Teil auf bis zu 30 % des Gesamtverdientes erhöhen. Bei Geringverdienern ist das eine erhebliche Spanne, an deren Gründe man je nach Höhe des Widerrufs besondere Anforderungen stellen wird. Umgekehrt bei Besser- oder Bestverdienern. Auf die Erheblichkeit der Höhe des verbleibenden Verdienstes hat das BAG ausdrücklich hingewiesen. Für einen begründeten Änderungswiderruf dürften diese Grenzen nicht gelten, soweit sie im Endergebnis eingehalten werden.
3. Widerrufsvorbehalte in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen Die Übernahme der prozentualen Grenzen aus dem Kündigungsschutz- in das AGB- Recht kann nichts daran ändern, dass es sich jedenfalls auch um kündigungsschutzrechtliche Grenzen handelt, die für Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen maßgeblich sind, die nach § 310 Abs. 4 S. 3 BGB der AGB- Kontrolle nicht unterliegen. Zu den Betriebsvereinbarungen hat ein Urteil des BAG vom 1.2.200613 offen gelassen, ob die für die Angemessenheitskontrolle von Individualvereinbarungen geltenden Grundsätze nach § 75 BetrVG für Betriebsvereinbarungen maßgeblich sind, sodass § 310 Abs. 4 S. 3 BGB insoweit leerlaufen würde. Unberührt bleibt, dass die Kündigung einer Betriebsvereinbarung über freiwillige Arbeitsentgelte zu ihrem Wegfall führt, wenn keine Nachwirkung vereinbart wurde.
4. Ergänzende Auslegung bei Altfällen Die Entscheidung vom 12.1.2005 kommt den Arbeitgebern dadurch entgegen, dass sie bei Altfällen (vor dem 1.1.2002 oder 2003 abgeschlossenen Verträgen) 13
5 AZR 187/05, EZA § 310 BGB, 2002, Nr. 3.
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eine ergänzende Auslegung zulässt, da die neuen Anforderungen an die Vertragsformulierung auf eine echte Rückwirkung hinausliefen. Es liege nahe, dass die Parteien bei Kenntnis der neuen gesetzlichen Anforderungen die Widerrufsmöglichkeit zumindest bei wirtschaftlichen Verlusten, wie sie von dem Arbeitgeber im Rechtsstreit vorgetragen waren, vorgesehen hätten. Gegebenenfalls werde das LAG eine weitergehende ergänzende Vertragsauslegung vornehmen müssen, welche sonstigen wirtschaftlichen Gründe für einen Widerruf ausreichen sollten. Hier deutet sich also an, dass nicht irgendwelche, sondern nur bestimmte wirtschaftliche Schwierigkeiten relevant sein können. Nicht so behutsam und schonend wie die Urteile des fünften Senates ist ein Urteil des 9. Senats vom 19.12.200614. Hier ging es wiederum um eine widerrufliche Leistung, die Privatnutzung eines Kraftfahrzeuges, für die kein Widerrufsgrund angegeben war. Es müsse ein „anzuerkennender Sachgrund“ daran bestehen, die Privatnutzung einzustellen. Bei der ergänzenden Auslegung weicht der 9. Senat vom 5. ab, ohne dies allerdings zu erwähnen. Obwohl es sich auch hier um einen Altfall aus 2001 handelte, wurde die ergänzende Auslegung abgelehnt. Da allen Arbeitgebern im EGBGB eine einjährige Übergangsfrist bis zum 1.1.2003 eingeräumt worden war, hätte der Arbeitgeber hier die Zeit nutzen müssen, nach anwaltlicher Beratung die Widerrufsklausel auf das zulässige Maß zurückzuführen. Da ein solcher Versuch während der einjährigen Übergangsfrist unterblieben sei, verdiene das Vertrauen in den Fortbestand der unwirksam gewordenen Klausel keinen Schutz. Der 5. Senat war auf diesen Gedanken nicht gekommen, zumal er ja erst 2005 abweichend von der früheren ständigen Rechtsprechung das Postulat aufgestellt hatte, die Widerrufsgründe in die Widerrufsklausel selbst aufzunehmen. Darüber setzt sich der 9. Senat hinweg. Dem Vertragspartner des Verwenders solle die Möglichkeit sachgerechter Informationen verschafft werden. Dies lasse sich nicht erreichen, wenn jeder Verwender zunächst die Grenze dessen überschreiten könnte, was er zu seinen Gunsten gerade noch vereinbaren durfte. Dies ist das Standardargument gegen geltungserhaltende Reduktion von AGB, passt aber nicht für Altverträge, bei denen der Verwender die ihm gesteckten Grenzen noch gar nicht kennen konnte. Ein Gutes hat der Gedanke des 9. Senats. Er entfernt sich nämlich von dem Zwang, die Widerrufsgründe unbedingt in der Widerrufsklausel selbst zum Ausdruck zu bringen. Der Senat lässt ja ein nachträgliches Angebot von Widerrufsgründen ausreichen. Wenn dies hier auch auf das erste Jahr beschränkt wird, so wirft es doch die allgemeine Frage auf, warum Widerrufsgründe nicht wenigstens einvernehmlich nachgeschoben werden oder sich erst recht von Anfang an aus begleitenden Umständen und Erklärungen ergeben können. Das allgemeine Vertragsrecht spricht dafür.
14
9 AZR 294/06, NZA 2007, 809.
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III. Die Auswirkung des AGB- Rechts auf Freiwilligkeitsvorbehalte 1. Abgrenzung Auch wenn die Rechtsprechung wenigstens des 5. Senats zu den Widerrufsklauseln partiell großzügig ist, bleibt doch noch Raum für Freiwilligkeitsklauseln. Dies umso mehr, als noch gar nicht klar ist, wie intensiv die Widerrufsgründe nach der Ausübung des Widerrufs überprüft werden. Deshalb ist die Entscheidungsfreiheit der Arbeitgeber größer, wenn sie sich durch einen Freiwilligkeitsvorbehalt jede Begründung für die Einstellung einer Leistung sparen können. Dies macht die Abgrenzung von Widerrufs- und Freiwilligkeitsvorbehalten erforderlich und wichtig. Abstrakt ist sie klar. Ein Widerrufsvorbehalt enthält eine auflösende Potestativ-Bedingung. Dabei wird einerseits ein Anspruch auf eine Leistung begründet, der aber andererseits unter der auflösenden Bedingung steht, dass er durch einen Widerruf beendet wird. Bei einem Freiwilligkeitsvorbehalt wird dagegen überhaupt kein Anspruch auf eine Leistung begründet oder nur ein Anspruch auf eine einmalige Leistung, sodass bei weiteren Leistungen der Anspruch auf sie immer wieder ausdrücklich oder konkludent neu begründet wird. Bei einmaliger Leistung liegt ein Grenzfall der Befristung vor, wiederholen sich die Leistungsfälle eine Kettenbefristung. Dies ist freilich, wie man zu Recht bemerkt hat15, ein hauchdünner konstruktiver Unterschied, von dem keine wesentlich unterschiedlichen praktischen Rechtsfolgen abhängen dürfen. Daraus folgt einerseits, dass das Erfordernis eines begründeten Widerrufs nicht durch Freiwilligkeitsvorbehalte unterlaufen werden darf. Andererseits, dass ein Widerruf nach freiem Ermessen erst recht zulässig sein muss, wenn eine Leistung unter Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt werden könnte, insbesondere (bisher) bei Sonderleistungen. Dies ist auch für die Auslegung der Klausel wichtig, eine Leistung sei freiwillig und jederzeit widerruflich. Strittig ist, ob dies ein wirksamer Widerrufsvorbehalt oder eine intransparente und deshalb unwirksame Regelung ist.16 M.E. handelt es sich um einen Vorbehalt des Widerrufs nach freiem Ermessen, der dort zulässig ist, wo auch der reine Freiwilligkeitsvorbehalt zulässig wäre, insbesondere bei Sonderleistungen.
15 16
Strick, NZA 2005, 723,725; ErfK/Preis, aaO, Rn. 71. s. ErfK/ Preis, aaO., Rn. 70 mit weiteren Nachweisen.
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2. Die Unzulässigkeit von Freiwilligkeitsvorbehalten bei laufenden Leistungen a) Grundsatz In dem einschlägigen Grundsatzurteil des BAG, wiederum der 5. Senat17, ging es um monatliche Leistungszulagen, deren Zusage mit dem Vermerk verbunden war, dass die Zahlung als freiwillige Leistung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolge, aus der Zahlung könnten für die Zukunft keinerlei Rechte hergeleitet werden. Dies war also eindeutig eine Freiwilligkeitsklausel, sodass sich das Urteil nicht weiter mit der Auslegung aufhält. Entscheidend wichtig ist dann das Ergebnis der AGB- Kontrolle nach § 307 BGB, im Leitsatz dahin formuliert, dass eine monatlich zu zahlende Leistungszulage unter Ausschluss jeden Rechtsanspruchs den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt. Könnte dies noch dafür sprechen, dass sich das strikte Verdikt nur auf Leistungszulagen erstreckt, zeigt die Begründung, dass alle laufenden Leistungen gemeint sind: „Der Arbeitnehmer kann in dem als Dauerschuldverhältnis ausgestalteten Arbeitsverhältnis grundsätzlich auf die Beständigkeit der monatlich zugesagten Zahlung einer Vergütung, die nicht an besondere Voraussetzungen geknüpft ist, vertrauen. Er erbringt im Hinblick hierauf seine Arbeitsleistung und stellt auch sein Leben darauf ein. Behält sich der Arbeitgeber vor, monatlich neu über die Vergütung zu entscheiden, weicht dies von dem in § 611 BGB gekennzeichneten Wesen des Arbeitsvertrages ab. Dies gilt nicht nur für die Grundvergütung, sondern auch für zusätzliche regelmäßige Zahlungen, die von den Parteien als Teil der Arbeitsvergütung und damit als unmittelbare Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer zu erbringende Arbeitsleistung vereinbart werden.“ Damit ist klar, dass sich die Unzulässigkeit nicht nur auf Leistungszulagen erstreckt, doch bleibt offen, ob alle zusätzlichen regelmäßigen Zahlungen einbezogen sind oder nur solche, die von den Parteien als Teil der Arbeitsvergütung und damit als unmittelbare Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer zu erbringende Arbeitsleistung vereinbart werden. Darüber gibt eine weitere Formulierung des Urteils Auskunft. Auch die zusätzliche Abgeltung der Arbeitsleistung in Form von Zulagen stelle laufendes Arbeitsentgelt dar, sei also in das vertragliche Synallagma eingebunden. Dies spricht dafür, dass der Freiwilligkeitsvorbehalt bei allen laufenden Leistungen unzulässig sein soll. Dem entspricht es, dass Widerrufsvorbehalte auch bei nicht unmittelbar im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Leistungen wie Fahrtkosten nach der Rechtsprechung des 5. Senats der Begründung bedürfen. Das Urteil erwähnt auch die im Gegensatz zu den laufenden Leistungen stehenden Sondervergütungen und berichtet, dass bei ihnen bisher Freiwilligkeitsvorbehalte anerkannt waren. Das Urteil vermeidet aber jede Stellungnahme dazu, ob dies so bleiben kann, und wodurch der Unterschied gerechtfertigt wäre. Fehlt es am Vertrauen des Arbeitnehmers? Fehlt es am Synallagma? Ohne weiteres erschließt sich das nicht. 17
25.4.2007, 5 AZR 627/06, NZA 2007, 853. Dazu u. a. Gaul, FS Hromadka, 2008, 99; Singer RdA 2008, 246.
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b) Umdeutung und ergänzende Auslegung? Die Entscheidung lehnt es dann ab, den unzulässigen Freiwilligkeitsvorbehalt in einen begründeten Widerrufsvorbehalt umzudeuten. Das BAG habe zwar in der Vergangenheit einen unzulässigen Freiwilligkeitsvorbehalt als nicht näher konkretisierten Widerrufsvorbehalt behandelt. Das sei aber nach Einbeziehung der Arbeitsverträge in die AGB- Kontrolle nicht mehr möglich. Danach müssten Voraussetzungen und Umfang der vorbehaltenen Änderungen vertraglich konkretisiert sein. Der Hinweis auf Leistungen, der dem Begriff Leistungszulage entnommen werden könne, sei zu pauschal, um im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung den Widerrufsgrund zu konkretisieren. So sei nicht erkennbar, ob bereits durchschnittliche oder unterdurchschnittliche Leistungen den Widerruf rechtfertigen sollen. Der Senat erwähnt mit keinem Wort, dass er in der Entscheidung vom 12.1.2005 bei Altverträgen eine ergänzende Auslegung zum Nachschieben von Widerrufsgründen zugelassen hatte. Vorliegend handelte es sich zwar auch um einen Altvertrag, doch ging die Leistungszulage auf einen Anhang zum bestehenden Arbeitsvertrag vom 2.4.2002, also nach der Einbeziehung der Arbeitsverträge in das AGB- Recht, zurück. Die Entscheidung vom 25.4.2007 beruft sich aber nicht darauf, sondern auf die fehlende Konkretisierung der erforderlichen Leistungen. Der Senat hatte dagegen in seiner Grundsatzentscheidung vom 12.1.2005 ausgesprochen, es genüge, dass allgemein auf die Leistung gestützte Gründe ausreichen sollen. Nun wird aber eine Notenskala (durchschnittlich oder unterdurchschnittlich) verlangt und wir können möglicherweise einer Rechtsprechung entgegensehen, die nach dem Vorbild akademischer Prüfungen feststellt, ob eine Arbeitnehmerleistung durchschnittlichen Anforderungen noch entspricht. Allerdings wird man den Arbeitgebern einen Beurteilungsspielraum einräumen, wie ihn auch die Prüfungsämter nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung haben.
3. Besser keine Leistungen als freiwillige Leistungen? Schließlich setzt sich der Senat mit dem Einwand des Beklagten auseinander, der Ausschluss jeden Rechtsanspruchs werde dadurch gerechtfertigt, dass die betreffenden Zahlungen sonst überhaupt nicht gewährt würden. Hier wird deutlich, dass es sich um ein Gegenstück zu der Diskussion über kontraproduktive Wirkungen des Kündigungsschutzes handelt. Geht es dort um die Frage, ob der Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse ihre Begründung verhindert, steht hier zur Diskussion, ob der Bestandsschutz laufender Leistungen die Gewährung solcher Leistungen erschwert oder verhindert. Der Senat lässt sich nicht auf faktische Vermutungen darüber ein, sondern wird grundsätzlich. Wenn der Arbeitnehmer aus von ihm nicht beeinflussbaren Gründen keine realistische Möglichkeit besitze, die Zusage einer festen Vergütung zu erreichen, und deshalb unter ungesicherten Bedingungen tätig werden müsse, begründe die damit verbundene Chance des Arbeitgebers kein schützenswertes Interesse. Der Schutz durch die Rechtsordnung hänge nicht davon ab, ob Arbeitnehmer angesichts der Arbeitsmarktsituation dazu bereit seien, bestimmte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Mit anderen Worten:
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Besser keine Leistung als eine freiwillig bleibende Leistung. Oder auch: Die Arbeitgeber werden hoffentlich auf Widerrufsvorbehalte ausweichen.
4. Die Zulässigkeit von Freiwilligkeitsvorbehalten bei Sonderleistungen Mit Urteil vom 24.10.2007 hat der 10. Senat des BAG die Zulässigkeit von Freiwilligkeitsvorbehalten bei Sonderleistungen grundsätzlich bestätigt. 18 Der Senat hat dies aber nicht vertieft und insbesondere nicht erörtert, warum Freiwilligkeitsvorbehalte bei laufenden und Sonderleistungen verschieden behandelt werden, selbst wenn es sich wie im Anlassfall um einen erheblichen jährlichen Bonus handelt. Stattdessen wurde die Freiwilligkeitsklausel für intransparent und deshalb unwirksam erklärt, weil ihr die Formulierung vorausgegangen war: Sie erhalten einen Bonus; sie nehmen an dem in unserem Hause üblichen Bonussystem teil. Da hier zunächst ein Anspruch begründet und dann doch unter Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt wurde, lag m.E. ein Vorbehalt des Widerrufs nach freiem Ermessen vor, der zulässig wäre, wenn bei Leistungen dieser Art auch ein Freiwilligkeitsvorbehalt zulässig wäre.
IV. Offene Fragen 1.
Bei laufenden Leistungen
Hier sind die Würfel gegen den Freiwilligkeitsvorbehalt und damit gegen den freien Widerruf gefallen. Die in der Klausel anzukündigenden und bei dem Widerruf nachzuprüfenden Gründe dürften in der Mitte zwischen der bloßen Herkunftsangabe und den Anforderungen an eine Änderungskündigung liegen, differenziert nach dem Umfang des Widerrufs und der Höhe des Grundeinkommens. Die Ausübungskontrolle nach billigem Ermessen gem. § 315 BGB wird dahinter zurücktreten; sie dürfte sich vor allem auf die vom Widerrufsgrund nicht erfasste Widerrufsfrist beziehen. Zu klären bleibt auch, ob der Widerrufsgrund unbedingt in der Klausel selbst enthalten sein muss oder sich aus begleitenden Umständen ergeben oder sogar einvernehmlich nachgetragen werden kann. Aus dem Erfordernis eines Widerrufsgrundes dürfte folgen, dass die Befristung einer laufenden Leistung („sie erhalten in den nächsten beiden Jahren eine Leistungszulage“) eines sachlichen Grundes vergleichbarer Art und Güte bedarf.
18
10 AZR 825/ 06, NZA 2008, 40; ebenso LAG Hamm 24.1.2008, 8 Sa 1805/07.
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Peter Hanau
2. Bei Sonderleistungen Es ist anzunehmen, dass der 10. Senat bald grundsätzlich zu der Frage Stellung nehmen wird, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen Freiwilligkeitsvorbehalte bei Sonderleistungen eher zulässig sind als bei laufenden Leistungen. Angesichts der bis 2007 reichenden Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Freiwilligkeitsvorbehalten bei Sonderleistungen wird der Senat in jedem Fall Vertrauensschutz gewähren. Allerdings dürfte der Senat ausweislich seiner bisherigen Rechtsprechung an der Zulässigkeit von Freiwilligkeitsvorbehalten bei Sonderleistungen festhalten.19 Für den Unterschied zu den laufenden Leistungen gibt es in der Tat Gründe. Es entspricht einer geradezu gewohnheitsrechtlich verfestigten Rechtsauffassung, dass die Bindung des Arbeitgebers an Sonderleistungen lockerer sein kann, weil dies einerseits seinen Flexibilitätsinteressen entgegenkommt und andererseits der Lebensstandard der Arbeitnehmer stärker auf laufende Leistungen als auf Sonderleistungen ausgerichtet ist. Dies kommt auch in § 4a Entgeltfortzahlungsgesetz zum Ausdruck, der stärkere Kürzungen von Sonderleistungen bei Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit erlaubt. Dies alles zu berücksichtigen entspricht der nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB gebotenen Beachtung arbeitsrechtlicher Besonderheiten. Diese Unterschiede werden freilich je geringer, desto höher die Sonderleistungen sind und in desto engerem Zusammenhang sie mit der Arbeitsleistung stehen. Es muss auch verhindert werden, dass laufende Leistungen zu Sonderleistungen umfunktioniert werden, um ihnen den Zugang zum Freiwilligkeitsvorbehalt zu ermöglichen. Sicher ist, dass die 25- 30% Grenze für Widerrufsvorbehalte auch für Freiwilligkeitsvorbehalte gelten muss. Es ist aber zu erwägen, bei den Sonderleistungen eine geringere Spanne anzunehmen, etwa bis zu 2 Monatsgehälter, wie sie maximal für die traditionellen Sonderleistungen üblich sind. Um dem Transparenzerfordernis Rechnung zu tragen, ist zu bedenken, ob ein Freiwilligkeitsvorbehalt bei der Zusage von Sonderleistungen im Arbeitsvertrag oder seiner Ergänzung reicht oder ob der Vorbehalt bei jeder einzelnen Leistung wiederholt werden muss. Ein grundsätzliches Wiederholungsgebot lässt sich § 133 BGB nicht entnehmen. Es wird vielmehr darauf ankommen, ob die Arbeitnehmer bei jeder Leistung erkennen konnten, dass sie sich im Rahmen des bisherigen Arbeitsvertrages hält. Im Übrigen würde auch ohne Freiwilligkeitsvorbehalt im Arbeitsvertrag eine Bindung für die Zukunft nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung erst nach dreimaliger Leistung entstehen. Schließlich sollte klargestellt werden, dass der Widerruf nach freiem Ermessen zulässig ist, soweit ein Freiwilligkeitsvorbehalt zulässig wäre. Wie immer diese offenen Fragen beantwortet werden, konnte mein Beitrag hoffentlich zeigen, dass sich eine stimmige Antwort nur finden lässt, wenn sowohl die schuldrechtlichen Grundlagen als auch die arbeitsrechtlichen Besonderheiten berücksichtigt werden. So bestätigt sich im Kleinen, was Erwin Deutsch für Medi19
So in der Tat die nach Abschluß des Manuskripts ergangene Entscheidung vom 30.7.2008, 10 AZR 606/07, DB 2008, 2194 = ZIP 2005, 1839.
Intensitätsstufen arbeitsvertraglicher Bindung
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zin- und Versicherungsrecht im Großen geleistet hat, Notwendigkeit und Ergiebigkeit der Verbindung allgemeiner rechtsdogmatischer Prinzipien mit den Besonderheiten einzelner Lebensbereiche.
Ist auf die Rechtsausübungssperre des § 1600 d Abs. 4 BGB noch Verlass?
Dieter Henrich „Die Rechtswirkungen der Vaterschaft können, soweit sich nicht aus dem Gesetz anderes ergibt, erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden“. So lautet § 1600 d Abs. 4 BGB. Erst wenn ein Mann als Vater eines Kindes festgestellt worden ist, können aus dieser Feststellung Rechtsfolgen abgeleitet werden. „Festgestellt“ heißt in diesem Zusammenhang festgestellt mit Wirkung gegenüber jedermann, also mit Statuswirkung. Zu einer solchen Statusfeststellung bedarf es (wenn keine Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 und 2, § 1593 BGB besteht) eines gerichtlichen Verfahrens. Ein Abstammungsgutachten, das die biologische Abstammung mit Sicherheit erweist, kann zu einer gerichtlichen Statusfeststellung führen. Ohne gerichtliches Verfahren kann die Vaterschaft zwar bewiesen, aber nicht mit Wirkung gegenüber jedermann festgestellt werden. Ziel des Abstammungsrechts ist es, dem Kind eine Rechtsposition zu verschaffen, in der es abgesichert ist, in die nur durch ein gerichtliches Verfahren eingegriffen werden kann, die gleichsam durch eine starke Mauer geschützt ist. Erstrebt wird Rechtssicherheit, Rechtsklarheit, Statusklarheit, Verlässlichkeit und Erhaltung des Familienfriedens1. Steht der Status des Kindes noch nicht fest, muss, um im Bild zu bleiben, die Mauer erst errichtet werden. Das geschieht durch die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft. Da die Feststellung der Vaterschaft inter omnes wirkt, hat sie Auswirkungen nicht nur für das Kind und seinen Vater, sondern gilt für jedermann. Wer immer aus einer Vater-Kind-Beziehung Rechte herleiten will, muss damit grundsätzlich warten, bis die Vaterschaft „festgestellt“ worden ist. Auswirkungen hat die Rechtsausübungssperre vornehmlich im Unterhalts- und Erbrecht. Das Kind kann, solange die Rechtsausübungssperre besteht, gegen seinen angeblichen Vater weder Unterhaltsansprüche noch ein gesetzliches Erb- oder Pflichtteilsrecht geltend machen, auch wenn an der biologischen Vaterschaft keine Zweifel bestehen. Vor seiner Feststellung als Vater gerät ein Mann auch nicht in Verzug, wenn er dem Kind keinen Unterhalt zahlt. Der Scheinvater des Kindes, insbesondere der Ehemann der Kindesmutter, der seine Vaterschaft erfolgreich angefochten hat, kann – hält man sich an den Wortlaut des Gesetzes – vom wirklichen Vater des Kindes nicht aus übergegangenem Recht (§ 1607 Abs. 3 S. 2 BGB) 1
Schwonberg, Scheinvaterregress und Rechtsausübungssperre, FamRZ 2008, 449, 450.
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wegen des an das Kind gezahlten Unterhalts oder wegen der Kosten des Anfechtungsprozesses Regress verlangen, solange die Rechtsausübungssperre andauert. Die Rechtsausübungssperre steht auch Unterhaltsansprüchen der Mutter des Kindes gegen den angeblichen Vater des Kindes nach § 1615 l BGB entgegen. Ein Mann, der noch nicht als Vater festgestellt ist, kann auch nicht zusammen mit der Mutter eine Sorgeerklärung (§ 1626 a Abs. 1 Ziff. 1 BGB) abgeben. Noch nicht einmal, wenn er die Mutter heiratet, wird er mitsorgeberechtigt. Auch auf ein Umgangsrecht kann er sich nicht berufen. Zu beachten ist die Rechtsausübungssperre auch außerhalb des Zivilrechts. Im Verfahrensrecht kann sie eine Rolle spielen z. B. bei der Ausschließung von der Mitwirkung als Richter oder Sachverständiger oder im Zeugnis- oder Eidesverweigerungsrecht oder beim Antragsrecht und Beschwerderecht (vgl. z. B. § 57 Abs. 1 Nr. 8 FGG). Im Strafrecht kann der noch nicht festgestellte Vater nicht wegen Verletzung seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht (§ 170 StGB) verurteilt werden. Im Sozialrecht sieht sich der Sozialhilfeträger, der Unterhaltsansprüche gegen den Vater auf sich überleiten will, an der Überleitung durch § 1600 d Abs. 4 BGB gehindert. Die deutsche Staatsangehörigkeit seines Vaters erwirbt ein Kind nur dann, wenn die Vaterschaft nach den deutschen Gesetzen wirksam anerkannt oder festgestellt worden ist (§ 4 Abs. 1 StAG). Diese umfassende Rechtsausübungssperre gilt allerdings nicht ausnahmslos, sondern nur, „soweit sich nicht aus dem Gesetz anderes ergibt“. Ausnahmen ergeben sich teils unmittelbar aus dem Gesetz, teils lassen sie sich dem Gesetz durch Auslegung entnehmen. So lässt etwa § 1615 o BGB eine einstweilige Verfügung auf Zahlung von Kindesunterhalt für die ersten drei Monate nach der Geburt sowie auf Zahlung der nach § 1615 l Abs. 1 an die Mutter zu leistenden Beiträge (Unterhalt für die Dauer von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt des Kindes) gegen denjenigen zu, der nach § 1600 d Abs. 2 BGB als Vater vermutet wird (weil er der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt hat). Eine Unterhaltsregelung durch einstweilige Anordnung sieht § 641 d ZPO vor, sobald ein Rechtsstreit auf Feststellung der Vaterschaft nach § 1600 d BGB anhängig oder ein Antrag auf Bewilligung von PKH eingereicht ist. Dass das Eheverbot der Verwandtschaft (§ 1307 BGB) bei Blutsverwandtschaft auch dann gilt, wenn es an einer gerichtlichen Feststellung der Abstammung noch fehlt, ergibt sich aus dem Schutzzweck der Norm. Falls die Berufung auf die Sperrwirkung des § 1600 d Abs. 4 BGB ausschließlich den Zweck verfolgt, den Scheinvater zu schädigen, kann sie mithilfe des § 826 BGB (fraus omnia corrumpit) ausgeschaltet werden2. Der Schadensersatzanspruch des Scheinvaters gegen denjenigen oder diejenigen, die es böswillig oder arglistig unterlassen, die wahre Abstammung des Kindes feststellen zu lassen, um weiterhin den Scheinvater für den Unterhalt des Kindes zahlen zu lassen, entspricht dem Regressanspruch aus § 1607 Abs. 3 BGB. Dass die Mutter des Kindes und der biologische Vater die Abstammungsfeststellung allein deswegen unterlassen, um den Scheinvater zu schädigen, wird sich freilich nicht oft nachweisen lassen. Der biologische Vater kann beispielsweise vortragen, er sei verheiratet und habe eheliche Kinder und wolle darum nicht 2
BGH FamRZ 1993, 696; OLG Karlsruhe FamRZ 2005, 474; LG Heilbronn FamRZ 2005, 474.
Ist auf die Rechtsausübungssperre des § 1600 d Abs. 4 BGB noch Verlass?
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durch eine Vaterschaftsanerkennung den Familienfrieden gefährden oder schlicht, er habe keine persönliche Beziehung zu dem Kind oder er sei nicht verpflichtet, die Abstammung des Kindes anzufechten, wenn der Scheinvater die Anfechtungsfrist versäumt habe3. Die Mutter kann sich etwa darauf berufen, im Interesse des Kindes oder dessen Wunsch folgend auf eine Vaterschaftsfeststellungsklage verzichtet zu haben4 oder einfach nur deswegen, weil sie die Beziehung zum Erzeuger des Kindes abgebrochen habe und mit ihm nichts mehr zu tun haben wolle. Scheidet eine Berufung auf § 826 BGB aus, so fällt es schwer, dem Erzeuger des Kindes die Berufung auf die Rechtsausübungssperre des § 1600 d Abs. 4 BGB zu versagen. Vereinzelt hat man versucht, die Sperre durch eine analoge Anwendung der gesetzlichen Vorschriften, die eine Inanspruchnahme des Erzeugers schon vor der Feststellung seiner Vaterschaft gestatten, zu durchbrechen5. Indessen stellen sich diese Fälle so offensichtlich als Vorgriff auf eine mit Wahrscheinlichkeit zu erwartende definitive Regelung dar, dass aus ihnen nicht im Wege der Rechtsanalogie ein allgemeiner Grundsatz des Inhalts abgeleitet werden kann, dass eine inzidente Feststellung der Vaterschaft immer dann zuzulassen ist, wenn schutzwürdige Belange des Kindes, der Kindesmutter oder Dritter, insbesondere des Scheinvaters, tangiert werden6. Größere Zustimmung hat das Argument gefunden, die Berufung auf die Rechtsausübungssperre könne unter bestimmten Umständen gegen § 242 BGB verstoßen7. In der Tat kann es als unbillig empfunden werden, wenn dem Scheinvater ein Unterhaltsregress gegenüber dem wahren Vater des Kindes versagt wird, obgleich an dessen Vaterschaft keine Zweifel bestehen und es nur an der gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft fehlt. Andererseits lässt sich wohl nicht behaupten, der wahrscheinliche Vater, der nichts unternimmt, von sich aus die Vaterschaftsfeststellung zu betreiben, verstoße gegen Treu und Glauben. Darum geht es aber nicht. Es soll ja nicht die Vaterschaft festgestellt werden, sondern trotz nicht festgestellter Vaterschaft dem Scheinvater ein Regressanspruch wegen seiner erbrachten Unterhaltsleistungen zuerkannt werden. Gleichwohl führt aber auch der Weg über § 242 BGB nicht weiter. Schließlich ist es der Scheinvater, der den Regressanspruch geltend macht und dem es deswegen obliegt, die Anspruchsvoraussetzungen zu beweisen. Es ist seine Sache darzulegen, dass der Beklagte „als Elternteil“ dem Kind hätte Unterhalt zahlen müssen. Auf die Vaterschaft des Beklagten kann er sich aber wegen der Rechtsausübungssperre des § 1600 d Abs. 4 BGB nicht berufen. Seine Klage ist darum nicht schlüssig8. Der Beklagte braucht nichts zu tun. 3 4 5
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OLG Hamm FamRZ 2003, 401; LG Saarbrücken, FamRZ 2009, Heft 2. OLG Hamm FamRZ 2007, 1764. MünchKomm/Mutschler, BGB, 3. Aufl., § 1600 a Rz. 15; Raiser, Die Rechte des Scheinvaters in Bezug auf geleistete Unterhaltszahlungen, FamRZ 1986, 942, 945; mit Einschränkungen auch MünchKomm/Seidel, BGB, 5. Aufl., § 1600 d Rz. 143. BGH FamRZ 1993, 697; OLG Hamm (Fn. 3); OLG Koblenz NJW-RR 2004, 146; OLG Hamm FamRZ 2007, 1764; Staudinger/Rauscher (2004), § 1594 Rz. 20. OLG Düsseldorf FamRZ 2000, 1032; Chr. Huber, Der Unterhaltsregress des Scheinvaters, FamRZ 2004, 145, 146. OLG Hamm (Fn. 3).
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Er kann die Prüfung der Schlüssigkeit der Klage dem Gericht überlassen. Das Gericht hat von Amts wegen9 zu prüfen, ob der Scheinvater trotz des scheinbar entgegenstehenden Wortlauts des § 1600 d Abs. 4 BGB Unterhaltsregressansprüche gegen einen Mann geltend machen kann, der (noch) nicht als Vater des Kindes feststeht. Hält es die gesetzliche Regelung für eindeutig, hat es die Klage abzuweisen. Auf die Motive des Beklagten kommt es nicht an. Er handelt nicht arglistig, wenn er schweigt oder lediglich auf den Gesetzeswortlaut verweist10. Hält das Gericht die gesetzliche Regelung für unbefriedigend, das gefundene Ergebnis für unbillig, so kann es entweder den Gesetzgeber auf die Wünschbarkeit einer Gesetzesänderung hinweisen oder es kann den Versuch machen, das Gesetz anders, neu, einschränkend zu interpretieren. Diesen Weg hat der BGH in seiner Entscheidung v. 16.4.2008 beschritten11. Er hat klargestellt, dass zwar eine analoge Anwendung der bekannten Ausnahmeregelungen nicht in Frage kommt, dass es der Rechtsprechung aber unbenommen ist, den Anwendungsbereich einer gesetzlichen Vorschrift im Wege der teleologischen Reduktion einzuschränken, wenn und soweit dies erforderlich erscheint, um in besonders gelagerten Fällen, die vom Gesetzgeber offensichtlich nicht bedacht worden sind, untragbare Ergebnisse zu vermeiden. Was der Gesetzgeber offensichtlich nicht bedacht hat, war Folgendes: Die Vorschrift, wonach die Rechtswirkungen der Vaterschaft erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden können, wurde durch das NEhelG 1969 eingeführt (damals § 1600 a S. 2 BGB). Zugleich wurde aber auch bestimmt, dass mit der Geburt eines nichtehelichen Kindes das Jugendamt Pfleger des Kindes wird (§ 1709 S. 1 BGB a. F.) und dass zu den Aufgaben des Pflegers u. a. auch die Feststellung der Vaterschaft gehört (§ 1706 BGB a. F.). Dabei blieb es bis zur Abschaffung der gesetzlichen Amtspflegschaft durch das Beistandschaftsgesetz v. 4.12.1997. Dieses Gesetz trat am 1.7.1998 in Kraft, am selben Tag wie das Kindschaftsrechtsreformgesetz v. 16.12.1997. In diesem Gesetz übernahm der Gesetzgeber die Rechtsausübungssperre des bisherigen § 1600 a S. 2 BGB inhaltlich unverändert als § 1600 d Abs. 4 BGB, ohne zu bedenken, dass wegen der Aufhebung der Amtspflegschaft der Scheinvater nicht mehr, wie bisher, damit rechnen konnte, dass das Jugendamt schnellstmöglich den Vater des Kindes ermitteln und feststellen lassen würde, und dass es dem Scheinvater deswegen zumutbar war, mit der Geltendmachung seines Regressanspruchs bis zu dieser Feststellung zu warten. Für ihn bestand von da an keine Möglichkeit mehr – geht man vom Wortlaut des Gesetzes aus –, seine Rechte geltend zu machen, wenn die nunmehr allein Feststellungsberechtigten, nämlich die Mutter (zugleich als gesetzliche Vertreterin des Kindes) und der Erzeuger des Kindes, nicht bereit waren, die Vaterschaft feststellen zu lassen. Der BGH hält diese völlige Rechtlosstellung des Scheinvaters für untragbar und folgert daraus, dass der Gesetzgeber diese Konsequenz seines Handelns offensichtlich nicht bedacht habe. Diese Lücke im Gesetz könne nur durch eine 9
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BGH FamRZ 2008, 1424 ff.; OLG Koblenz NJW-RR 2004, 146 f.; Schwonberg (Fn. 1), 453. OLG Hamm (Fn. 3), 402. BGH FamRZ 2008, 1424 ff.
Ist auf die Rechtsausübungssperre des § 1600 d Abs. 4 BGB noch Verlass?
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Neuinterpretation des § 1600 d Abs. 4 BGB geschlossen werden. Aus diesem Grund könne er auch nicht mehr an seiner Entscheidung v. 17.2.199312, die noch vor dem Hintergrund der alten Rechtslage ergangen sei, festhalten. Neben diesem Grund für eine teleologische Reduktion des § 1600 d Abs. 4 BGB gibt es noch einen zweiten. Zu dem Zeitpunkt, zu dem § 1600 d Abs. 4 BGB in Kraft trat, konnte die Abstammung eines Kindes nur in einem Statusprozess vor dem Familiengericht bestritten werden. Nach dem Gesetz zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren v. 26.3.2008 kann nunmehr die Abstammung geklärt werden, ohne dass zugleich das Statusverhältnis tangiert wird. Wenn aber die wahre Abstammung des Kindes auch ohne gleichzeitige Änderung seiner statusrechtlichen Zuordnung festgestellt werden kann, dann – so der BGH – erscheint es gerechtfertigt, die früher vorhandenen Bedenken gegen eine Inzidentfeststellung der Vaterschaft in einem Regressverfahren des Scheinvaters zurückzustellen; denn auch eine Inzidentfeststellung der Vaterschaft in dem Regressverfahren lässt die statusrechtliche Zuordnung des Kindes zum Ehemann der Mutter unberührt. Mit dieser Begründung lässt sich in der Tat eine teleologische Reduktion des § 1600 d Abs. 4 BGB rechtfertigen. Die Vorschrift wird damit allerdings nicht außer Kraft gesetzt. Nur in bestimmten Ausnahmefällen soll die Inanspruchnahme eines noch nicht als Vater festgestellten Mannes möglich sein. Einen solchen Ausnahmefall hält der BGH dann für gegeben, wenn zum einen der wahrscheinliche Vater des Kindes keine Bereitschaft zeigt, das Kind anzuerkennen, und die Mutter ihrerseits die Erhebung einer Vaterschaftsfeststellungsklage ausdrücklich ablehnt und zum anderen Anhaltspunkte für die Vaterschaft des auf Regress in Anspruch genommenen Mannes bestehen, z. B. wenn unstreitig ist, dass der Mann der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt hat (§ 1600 d Abs. 2 BGB). Eine Behauptung der Vaterschaft „ins Blaue hinein“ reicht nicht aus. So also ist § 1600 d Abs. 4 BGB nunmehr zu lesen. Sind die allgemeinen Voraussetzungen für eine Durchbrechung der Rechtsausübungssperre gegeben, ist als nächstes die Vaterschaft zu klären. Wird sie vom Beklagten nicht bestritten oder ist sie bereits bei früherer Gelegenheit, etwa im Rahmen des Vaterschaftsanfechtungsprozesses des Scheinvaters, durch ein DNAGutachten nachgewiesen worden, so steht dem Fortgang des Regressverfahrens nichts entgegen. Bestreitet der Beklagte dagegen die Vaterschaft, ist diese in einem Zwischenverfahren festzustellen. Wie bei jedem Verfahren zur Feststellung der Abstammung haben auch hier die Beteiligten entsprechende Untersuchungen (Blutgruppenuntersuchung, DNA-Analyse) zu dulden, soweit dies ihnen zumutbar ist (§ 372 a ZPO). Von einer solchen Untersuchung kann aber auch abgesehen werden, wenn aufgrund von Indizien die Vaterschaft des Beklagten zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Dafür könnte z. B. sprechen, dass es in Verfahren der hier in Rede stehenden Art nicht um eine Statusfeststellung, sondern lediglich um ein Unterhaltsregressverfahren geht. Ziel ist nicht die statusrechtliche Zuordnung des Kindes zu seinem wirklichen Vater, sondern die Rückerstattung der vom Scheinvater geleisteten Unterhaltszahlungen. Dass der Beklagte der Vater des 12
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Kindes ist, wird nur inzidenter festgestellt. Ist unstreitig, dass der Beklagte der Mutter innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt hat, oder liegt eine Aussage der Mutter vor, wonach der Beklagte der Vater des Kindes ist, weigert dieser sich aber, sich einem Abstammungstest zu unterziehen13, so erscheint es vertretbar, die Beweislast umzukehren. Will der Beklagte seine Verurteilung im Unterhaltsregressverfahren abwenden, so bleibt es ihm unbenommen, seine Nichtvaterschaft durch entsprechende Untersuchungen zu beweisen14. Soweit in früheren Entscheidungen eine Durchbrechung der Rechtsausübungssperre in Erwägung gezogen oder sogar bejaht worden ist, wurde dies meist mit dem Argument gerechtfertigt, die Durchbrechung der Rechtsausübungssperre sei erforderlich, um untragbare, mit Recht und Gerechtigkeit offensichtlich unvereinbare Ergebnisse zu vermeiden15. Maßstab dafür war der Grundsatz von Treu und Glauben. Das AG Euskirchen fragte danach, ob es für den Scheinvater aufgrund seiner beschränkten Vermögensverhältnisse eine unerträgliche Härte sei, wenn er seine Regressforderung nicht durchsetzen könne16. Andere sprachen von einer unerträglichen Härte schon dann, wenn der Scheinvater schlüssig darlegen könne, dass der Beklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit Erzeuger des Kindes sei, sich aber weigere, an einem außergerichtlichen Vaterschaftstest teilzunehmen17. In der Entscheidung des BGH v. 16.4.2008 ist von einer unerträglichen Härte nicht mehr die Rede. Die Durchbrechung der Rechtsausübungssperre wird allein damit begründet, dass die Änderung der Rechtslage eine teleologische Reduktion des § 1600 d Abs. 4 BGB rechtfertige. Das heißt zwar nicht, dass die Interessen der Beteiligten nicht mehr zu prüfen und gegeneinander abzuwägen sind. Aber gegenüber dem Interesse des Scheinvaters, seine geleisteten Unterhaltszahlungen zurückerstattet zu bekommen, haben die Interessen des – wahrscheinlichen – Erzeugers, der Mutter und des Kindes in der Regel geringeres Gewicht. Dass das Interesse des Beklagten, von Zahlungen verschont zu bleiben, nicht schutzwürdig ist, ergibt sich bereits aus dem Gesetz, das ihn zu solchen Zahlungen verpflichtet (§ 1607 Abs. 3 BGB). Die Mutter des Kindes könnte möglicherweise an der Nichtfeststellung der Vaterschaft ein Interesse haben, wenn sie mit dem biologischen Vater zusammenlebt und darum von der Rückzahlung mittelbar betroffen wird, aber auch dann, wenn sie mit dem biologischen Vater nichts mehr zu tun haben will und fürchtet, dass dieser nach seiner Feststellung Vaterrechte geltend machen könnte. Das Interesse, mittelbar durch die Regresszahlungen betroffen zu sein, wiegt aber nicht schwerer als das Interesse des Scheinvaters, das gezahlte Geld zurückzubekommen. Die Sorge, dass der in Anspruch Genommene nach seiner Feststellung Vaterrechte geltend machen könnte, ist unbegründet, da die Inzidentfeststellung der Vaterschaft keine Statusbeziehung begründet, sondern nur inter partes wirkt. Das Kindesinteresse wird im Regelfall der inzidenten Vaterschaftsfeststel13 14 15
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Vgl. zu dieser Sachlage OLG Hamm FamRZ 2007, 1764. BGH FamRZ 2008, 1424 ff. So etwa OLG Düsseldorf FamRZ 2000, 1032; Chr. Huber, Der Unterhaltsregress des Scheinvaters, FamRZ 2004, 145, 146. AG Euskirchen FamRZ 1990, 198. Huber (Fn. 14).
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lung ebenfalls nicht entgegenstehen; denn nach einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung geht das Interesse des Kindes regelmäßig auf Kenntnis seines wirklichen Erzeugers. Eine Ausnahme ist allenfalls denkbar, wenn der auf Regress in Anspruch Genommene, der mit der Mutter des Kindes zusammenlebt, seine Vaterschaft zu Recht bestreitet und die Gefahr besteht, dass bei Feststellung seiner Nichtvaterschaft das Vertrauen des Kindes in den Fortbestand der sozialfamiliären Beziehung erschüttert wird18. Die Rechtsausübungssperre ist keine Besonderheit des deutschen Rechts. Auch in anderen Rechtsordnungen können Rechte gegen den Vater eines Kindes erst geltend gemacht werden, wenn seine Vaterschaft feststeht. Anders als im deutschen Recht ist aber das Recht, die Vaterschaft gerichtlich feststellen zu lassen, nicht überall auf das Kind und seine Mutter begrenzt. So kann z.B. in England nach Sec. 55 A (1) des Family Law Act 1986 i. d. F. des Child Support, Pensions and Social Security Act 2000 jedermann bei dem High Court, einem County Court oder einem Magistrates’ Court die Feststellung beantragen, dass eine im Antrag bezeichnete Person ein Elternteil einer anderen bezeichneten Person ist. Meist geht es dabei um Unterhaltsansprüche des Kindes. Das Gericht kann die Entscheidung allerdings verweigern, wenn es der Auffassung ist, dass die beantragte Feststellung nicht im Interesse des Kindes liegt. In Spanien ist jede Person, die hieran ein rechtliches Interesse hat, befugt, die Abstammung des Kindes gerichtlich feststellen zu lassen, wenn die Abstammung aufgrund Statusbesitzes offenkundig ist und nicht in Widerspruch zu einer kraft Gesetzes bestehenden Abstammung steht (Art. 131 C.c.). Der Scheinvater, der seine Vaterschaft erfolgreich angefochten hat, kann somit auf Feststellung der Abstammung des Kindes von dem Mann klagen, der mit der Mutter des Kindes zusammenlebt und das Kind wie sein eigenes behandelt. Und schließlich kennt auch das griechische Recht eine besondere Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Vater-KindVerhältnisses (Art. 614 Abs. 1 c ZPO). Weigert sich in diesem Verfahren eine Prozesspartei, sich einem vom Gericht angeordneten Abstammungstest zu unterziehen, so gilt die vom Prozessgegner behauptete Vaterschaft als bewiesen (Art. 615 Abs. 1 ZPO). Die Beispiele zeigen, dass das Bedürfnis des Scheinvaters, den wahren Vater feststellen zu lassen, auch in anderen Ländern (freilich nicht überall) gesehen wird. Die Frage ist nun: Wie geht es weiter? Hat die Entscheidung des BGH v. 16.4.2008 Auswirkungen auch auf andere Fallgestaltungen? Hier ist zunächst an die Fälle zu denken, in denen dem Kind von der öffentlichen Hand ein Unterhaltsvorschuss gezahlt worden ist oder aufgrund anderer Leistungen Unterhaltsansprüche des Kindes auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen sind. Einschlägige Vorschriften sind hier § 7 des Unterhaltsvorschussgesetzes (UVG), § 94 SGB XII und § 37 BAföG. Anspruch auf Unterhaltsvorschuss hat, wer das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt, und nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt von dem anderen Eltern18
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teil erhält (§ 1 Abs. 1 UVG). Diese Voraussetzungen wären an sich gegeben, wenn das Kind bei seiner unverheirateten Mutter lebt und sein Erzeuger keinen Unterhalt zahlt19. Gleichwohl wird hier nur selten ein Fall des § 1600 d Abs. 4 BGB gegeben sein. Ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss besteht nämlich nicht, wenn die Mutter sich weigert, bei der Feststellung der Vaterschaft des anderen Elternteils mitzuwirken (§ 1 Abs. 3 UVG). Die Mutter muss also, wenn sie Unterhaltsvorschuss beantragt, zugleich die Vaterschaftsfeststellung betreiben. Das Problem, dass derjenige, der Unterhalt zahlt oder gezahlt hat, den wirklichen Vater nicht auf Feststellung der Abstammung verklagen kann, weil ihm dazu die Klagebefugnis fehlt, stellt sich hier also nicht. Ausnahmen sind allenfalls denkbar, wenn das Kind bei seinem mittellosen Scheinvater lebt, die Mutter spurlos verschwunden ist, der Scheinvater nach Anfechtung seiner Vaterschaft durchaus bereit ist, den Namen des wirklichen Vaters zu nennen, diesen aber nicht selbst auf Feststellung der Vaterschaft verklagen kann. Hier erscheint es nicht ausgeschlossen, dass dem Scheinvater zunächst Unterhaltsvorschuss gewährt wird. Soll dann der auf das Land übergegangene Unterhaltsanspruch (§ 7 UVG) gegen den wirklichen Vater geltend gemacht werden, setzt dies die Feststellung der Vaterschaft voraus. Wird einem Bedürftigen Hilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe) geleistet (§ 27 SGB XII) und hat die leistungsberechtigte Person für die Zeit, für die Leistungen erbracht werden, nach bürgerlichem Recht einen Unterhaltsanspruch, so geht dieser bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf den Träger der Sozialhilfe über (§ 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Ist der Vater dieser Person bekannt, aber niemals als Vater festgestellt worden, setzt die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft voraus. Hier ist die Situation des Trägers der Sozialhilfe mit derjenigen des Scheinvaters vergleichbar, der seine Unterhaltsregressforderung geltend machen will. Man wird darum auch dem Trägerw der Sozialhilfe das Recht zubilligen müssen, bei der Geltendmachung des auf ihn übergegangenen Unterhaltsanspruchs den wirklichen Vater, der sich weigert, seine Vaterschaft anzuerkennen, im Wege einer Inzidentfeststellungsklage als Vater feststellen zu lassen. Ein Unterschied zum Unterhaltsregressanspruch des Scheinvaters ergibt sich daraus, dass der Scheinvater den gesamten gezahlten Unterhalt vom festgestellten Vater zurückverlangen kann, während der Träger der Sozialhilfe seinen Regressanspruch nicht geltend machen kann, soweit der Übergang des Anspruchs eine unbillige Härte bedeuten würde, und den übergegangenen Unterhalt nur von der Zeit an fordern kann, zu welcher er dem Unterhaltspflichtigen die Erbringung der Leistung schriftlich mitgeteilt hat (§ 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, Abs. 4 S. 1 SGB XII), wobei eine solche Mitteilung freilich auch schon vor Rechtskraft der Abstammungsfeststellung erfolgen kann. Dem § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII entspricht § 37 BAföG. Auch hier ist vorgesehen, dass dann, wenn der Auszubildende für die Zeit, für die ihm Ausbildungsförderung gezahlt wird, nach bürgerlichem Recht einen Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern hat, dieser Unterhaltsanspruch bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf das Land übergeht. Steht der Geltendmachung des Unterhaltsan19
Zur Rechtslage, wenn die Mutter verheiratet ist, aber von ihrem Ehemann getrennt und mit dem Erzeuger des Kindes zusammen lebt, vgl. VerwG Freiburg, Urt. v. 5.3.2008 – 7K1405/06.
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spruchs gegen den Vater die Rechtsausübungssperre des § 1600 d Abs. 4 BGB entgegen, so wird man nach der Entscheidung des BGH v. 16.4. 2008 auch dem Land das Recht zugestehen müssen, bei der Geltendmachung der Unterhaltsansprüche die Vaterschaft des in Anspruch Genommenen inzidenter feststellen zu lassen. Anders als nach dem UVG kann aber weder nach dem SGB XII noch nach dem BAföG die Leistung von Sozialhilfe bzw. Ausbildungsförderung von der Bereitschaft des Berechtigten abhängig gemacht werden, seinen Erzeuger auf Feststellung der Vaterschaft zu verklagen. Man wird ihn aber in jedem Fall für verpflichtet halten müssen, die Ermittlung des Vaters durch entsprechende Auskünfte zu ermöglichen (auch wenn in § 117 SGB XII eine Auskunftspflicht nur bezüglich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse statuiert ist). Dagegen kann der Träger der Sozialhilfe den auf ihn übergegangenen Unterhaltsanspruch nicht gegen den Willen des Leistungsberechtigten auf diesen zur gerichtlichen Geltendmachung rückübertragen (und es damit dem Leistungsberechtigten überlassen, seine Abstammung vom Unterhaltsschuldner feststellen zu lassen), § 94 Abs. 5 S. 1 SGB XII. Nach § 1607 Abs. 3 BGB können neben dem Scheinvater auch andere Personen für an das Kind geleistete Unterhaltszahlungen Regress verlangen, nämlich ein nicht unterhaltspflichtiger Verwandter oder der Ehegatte der Kindesmutter, also der Stiefvater des Kindes. Hier wird allerdings im Regelfall die Mutter an der Seite des Unterhalt Leistenden stehen und deswegen zur Ermöglichung des Unterhaltsregresses die Vaterschaft des Erzeugers feststellen lassen. Sieht sie aus nachvollziehbaren Gründen von einer solchen Feststellung ab, etwa weil sie mit dem Kindesvater, der sie vergewaltigt hat, nichts mehr zu tun haben möchte, so wird derjenige, der für den Unterhalt des Kindes aufgekommen ist, z. B. ihr Vater oder ihr Ehemann, meist den Wunsch der Kindesmutter respektieren. Immerhin ist denkbar, dass bei Tod der Mutter der Unterhalt Leistende sich an den Wunsch der Kindesmutter nicht mehr gebunden fühlt und nunmehr seine Unterhaltsleistungen zurückhaben möchte. Seine Situation ist in diesem Fall mit derjenigen des Scheinvaters vergleichbar. Fraglich ist nur, ob er sich entgegenhalten lassen muss, dass er – u. U. jahrelang – den Wunsch der Kindesmutter respektiert habe und der Regressanspruch aus diesem Grund verwirkt sei. Neben der positiven Rechtsausübungssperre des § 1600 d Abs. 4 BGB kennt das Gesetz auch die negative Sperre. Sie verhindert das Bestreiten einer nicht oder nicht wirksam angefochtenen Vaterschaft. Die Entscheidung des BGH v. 16.4.2008 könnte möglicherweise die Diskussion um die Zulassung einer statusneutralen Abstammungsfeststellungsklage20 neu beleben. Sollte etwa die Ehefrau eines Erblassers Erbansprüche eines Kindes aus der ersten Ehe des Erblassers bestreiten können mit der Behauptung, das Kind stamme in Wahrheit nicht vom Erblasser ab? Man wird diese Frage verneinen müssen. Der klare Wille des Gesetzgebers, nur bestimmten Personen das Recht zur Bestreitung der Abstammung einzuräumen, lässt sich nicht mithilfe einer teleologischen Reduktion korrigieren. Der Gesetzgeber hat hier keinen Härtefall übersehen. Er ist bewusst dem Beispiel 20
Vgl. Staudinger/Rauscher (2004), Einl. zu § 1589 ff., Rn. 80.
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anderer Gesetzgeber, die auch den Erben eines Verstorbenen das Recht zuerkennen, die Abstammung eines Erbprätendenten zu bestreiten, nicht gefolgt. Das schließt es aus, die Einschränkung der positiven Rechtsausübungssperre durch die Entscheidung des BGH auf die negative Rechtsausübungssperre zu übertragen.
Das Bürgerliche Gesetzbuch Koreas Eine vergleichende Darstellung
Seokin Huang* Dieser Aufsatz befasst sich mit einer vergleichenden Betrachtung des koreanischen BGB1 mit dem deutschen BGB2. Zuerst erfolgt eine kurze Beschreibung der Entstehung des koreanischen BGB und seiner Reformen. Die inhaltliche Beschreibung der Paragraphen des koreanischen BGB erfolgt dann jeweils im Vergleich mit den entsprechenden Vorschriften des deutschen BGB. Der Vergleich umfasst den Allgemeinen Teil, das Sachenrecht und das Schuldrecht des koreanischen BGB. Herausgegriffen werden aus dem allgemeinen Teil die Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit und die Verschollenheit natürlicher Personen, sowie über die Rechtsgeschäfte und die Verjährung, aus dem Sachenrecht die Übertragung dinglicher Rechte, Besitz und Eigentum, aus dem Allgemeinen Teil des Schuldrechts die Verpflichtung zur Leistung, Gesamtschuld, Bürgschaft und Schuldübernahme und schließlich aus dem Besonderen Teil des Schuldrechts culpa in contrahendo, Kaufvertrag, Miete und ungerechtfertigte Bereicherung.
I. Die Entstehungsgeschichte des KBGB 1. Vor der Befreiung von der japanischen Herrschaft (1945) Die Bewegung zur Schaffung eines modernen koreanischen Zivilrechts begann im Zusammenhang mit den „Reformen des Jahres kabo (=1894)“.3 Diese Reformen
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Emeritus Professor, Nationaluniversität Seoul und Mitglied der Nationalakademie der Wissenschaften, Korea. Nachfolgend KBGB. Nachfolgend BGB. Pyong-Ho Park, Characteristics of Traditional Law, in: Legal System of Korea, Seoul, 1892, S. 13; Zong-Uk Tjong, Beziehungen zwischen dem deutschen und koreanischen Strafrecht, in: Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag, Berlin/New York, 1974, S. 281 (Fn. 1). Bei den „Reformen des Jahres 1894“ (Kab-o Kyong-jang) handelte es sich um staatliche Reformmaßnahmen zur Modernisierung Koreas, durch die das Land beabsichtigte, die erstarrten konfuzianistischen gesellschaftlichen und politischen
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leiteten in Korea eine Aufklärungsbewegung ein, die alle Bereiche der politischen, juristischen und gesellschaftlichen Strukturen betraf. So wurde 1895 das erste staatliche rechtswissenschaftliche Fachinstitut zur Ausbildung von Juristen gegründet, und im selben Jahr setzte die Regierung im Justizministerium eine Kodifikationskommission ein, die nach Überprüfung aller Materialien Entwürfe für ein Zivil-, Handels- und Strafgesetzbuch sowie für eine Zivilprozess- und eine Strafprozessordnung erarbeitete.4 Im Rahmen dieser Neuregelungen wurde im Familienrecht das Verbot der Frühheirat ausgesprochen und die Wiederheirat nach dem Tod des Ehepartners erlaubt. Bei den vermögensrechtlichen Regelungen wurde Ausländern verboten, Grundstücke, Wälder oder Bergwerke zu besitzen bzw. käuflich zu erwerben. Im Jahre 1898 wurden dann neue Vorschriften für Pfandleiher und für das Pfandleihgewerbe erlassen. Diese eigenständige Entwicklung wurde dadurch unterbrochen, dass Korea unter japanische Herrschaft geriet. Nach dem Sieg Japans im chinesischjapanischen Krieg (1894-1895) hatte der japanische Einfluss in Korea bereits sehr stark zugenommen, nach dem Sieg im russisch-japanischen Krieg (1904-05) wurde Korea dann zunächst zwangsweise zu einem japanischen Protektorat erklärt, ehe es durch den Annektionsvertrag von 1910 zu einer japanischen Kolonie wurde. Nach der Annektion begann Japan schnell damit, die rechtlichen Verhältnisse in Korea in seinem Sinne umzugestalten. Als erste rechtliche Maßnahme wurde das „Edikt (Chokurei) betreffend die Einführung der Gesetze und Verordnungen in Korea“ verkündet, das am 25. März 1911 durch das „Gesetz Nr. 35“ ersetzt wurde. Dieses Edikt enthielt als Dekret (Seirei) Nr. 1 das „Dekret betreffend die Wirkung der Gesetze und Verordnungen in Korea“. Im März 1912 wurde als Dekret (Seirei) Nr. 7 des japanischen Generalgouverneurs die „Verordnung betreffend die Zivilsachen in Korea (Chosen Minjirei)“ verkündet, womit das japanische Zivilrecht in Korea in Kraft gesetzt wurde. § 1 dieser Verordnung schrieb vor, in Korea in Zivilsachen das Bürgerliche Gesetzbuch Japans anzuwenden, das sich im Wesentlichen an den ersten Entwurf zum deutschen BGB von 1888 anlehnte, wobei zum Teil auch Regelungen des französischen Code Civil von 1804 Eingang gefunden hatten. Auf dem Gebiet des Familien- und Erbrechts galt allerdings zunächst übergangsweise nicht das japanische BGB, sondern das koreanische Gewohnheitsrecht (§ 11 des Dekretes Nr. 7). Nach dreimaliger Reform dieses Dekretes wurde seit 1939 das gesamte japanische BGB auch auf dem Gebiet des Familien- und Erbrechts in Korea angewendet. Auch nach der Befreiung von der japanischen Herrschaft übte das japanische BGB zunächst weiterhin seine Wirkung in Korea aus.
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Strukturen zu überwinden und den Anschluss an die moderne Entwicklung in Westeuropa und in Japan zu finden. Hyeong-Kyu Lee, Die Rezeption des europäischen Zivilrechts in Ostasien, ZVglRWiss 86 (1987), 163 m.w.N.
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2. Kodifikation des koreanischen BGB Nach der Unabhängigkeit Koreas von Japan im Jahr 1945 blieben nämlich die bis dahin geltenden Gesetze und Verordnungen fürs Erste weiterhin in Kraft. Denn nach Art. 1 der „Verordnung der amerikanischen Militärregierung Nr. 21“ vom 2. November 1945 sollten alle geltenden japanischen Gesetze und Verordnungen weiterhin gültig sein, sofern sie nicht demokratischen Grundsätzen widersprachen. Und auch § 100 der koreanischen Verfassung von 1948 bestimmte als Übergangsregelung, dass alle bisher gültigen Gesetze und Verordnungen weiter in Kraft bleiben sollten, soweit sie nicht der Verfassung widersprachen. Als die Republik Korea im Jahr 1948 gegründet wurde, setzte die Regierung bald eine Kodifikationskommission ein, die den Auftrag hatte, einen Entwurf zu einem neuen koreanischen BGB auszuarbeiten. Die Kommission bestand vor allem aus Richtern, Anwälten und Jura-Professoren. Sie nahm am 15. Dezember 1948 ihre Arbeit auf. Zuerst fertigte die Kommission 107 Thesen im Hinblick auf die ‚Kodifikation des Bürgerlichen Gesetzbuches‘ und 49 Thesen zum Familienund Erbrecht an. Da jedoch der Korea-Krieg ausbrach, Mitglieder der Kommission verschleppt wurden und Grundmaterial verloren ging, wurde die Kodifikationsarbeit unterbrochen. Trotz der Kriegswirren wurde die schwierige Arbeit wieder aufgenommen und vorangetrieben. Am 4. Juli 1953 hatte die Kommission schließlich einen Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches fertig gestellt. Dieser wurde im Oktober 1954 von der Regierung dem Parlament vorgelegt. Nach längeren Beratungen erarbeitete der Rechtsausschuss der Nationalversammlung einen Änderungsentwurf. Beide Entwürfe wurden nach weiteren Beratungen vom Plenum vereinheitlicht und am 17. Dezember 1957 verabschiedet. Das koreanische BGB wurde am 22. Februar 1958 als Gesetz Nr. 471 verkündet und trat am 1. Januar 1960 in Kraft. Es ist – wenngleich in abweichender Reihenfolge – wie das deutsche BGB in fünf Bücher eingeteilt: Allgemeiner Teil, Sachenrecht, Schuldrecht, Familienrecht und Erbrecht. Bei den Beratungen des neuen Gesetzes wurden viele Einzelbestimmungen des früheren Zivilrechts, die auf den französischen Code Civil zurückgingen, aufgehoben und durch die entsprechenden Vorschriften des geltenden deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches und auch durch einige Rechtssätze des schweizerischen Zivilgesetzbuches ersetzt. Auf diese Weise ist das koreanische Vermögensrecht dem deutschen Vermögensrecht noch näher gerückt als dies bei anderen Zivilrechtsordnungen der Fall ist, die durch das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch beeinflusst wurden.
II. Reformen des bürgerlichen Gesetzbuchs Erste Änderung (29. 12. 1962): Familienrecht Zweite Änderung (31. 12. 1962): Anlagenänderung Dritte Änderung (31. 12. 1964): Anlagenänderung Vierte Änderung (18. 06. 1970): Anlagenänderung Fünfte Änderung (31. 12. 1977): Familienrecht
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Sechste Änderung (10. 04. 1984): Vermögensrecht Siebte Änderung (13. 01. 1990): Familienrecht
Seit der Kodifikation des KBGB im Jahre 1958 sind nun fast fünfzig Jahre vergangen. Die wichtigste Reform des KBGB in diesem Zeitraum war die des Vermögensrechts im Jahre 1984, die die §§ 303, 312, 312-2 betraf (Sechste Reform). Außerdem wurden mehrere Sondergesetze auf verschiedenen Gebieten des Zivilrechts erlassen, nämlich das Gesetz zum Schutz der Wohnungsmieter (1981), das Gesetz betreffend das Eigentum und die Verwaltung von Gesamtgebäuden (1984, Apartmentgesetz)‚ das Gesetz betreffend die Regelung von Klauseln (1986, AGBGesetz), das Gesetz betreffend Sondermaßnahmen zur Eintragung unbeweglicher Sachen (1990), u. a. Seit 1999 laufen die Vorarbeiten zu einer grundsätzlichen Reform des KBGB. Nach einer dreijährigen Arbeitszeit legte die Kommission für die KBGB-Reform ihren Entwurf von 766 Paragraphen vor. Im Jahre 2004 hat das Justizministerium dann die Sammlung des Materials zur Reform des Zivilrechts (Vermögensrecht) veröffentlicht. Diese umfasst 1236 Seiten.
III. Deutsche Elemente im Allgemeinen Teil des KBGB Im Folgenden werden zur Illustration des deutschen Einflusses auf das koreanische Zivilrecht Elemente des Allgemeinen Teils des KBGB, deren Ursprung im deutschen Recht zu finden ist, im Wortlautvergleich zum BGB dargestellt.
1. Widerrufsrecht und Zurückweisungsrecht des anderen Teils bei Geschäftsunfähigen (§ 16 KBGB) Die Regelung über das Widerrufsrecht hinsichtlich eines von einem Geschäftsunfähigen geschlossenen Vertrages, das sich in § 16 Abs. 1 KBGB findet, wurde von § 109 des deutschen BGB übernommen, das dort dieselbe Materie beim so genannten „beschränkt Geschäftsfähigen“ betrifft. § 16 Abs. 1 KBGB (Widerrufsrecht) lautet: „Bis zur Genehmigung eines vom Geschäftsunfähigen geschlossenen Vertrages kann der andere Teil seine Erklärung widerrufen“. § 109 Abs. 1 BGB (Widerrufrecht des anderen Teils) bestimmt: „Bis zur Genehmigung des Vertrags ist der andere Teil zum Widerruf berechtigt. Der Widerruf kann auch dem Minderjährigen gegenüber erklärt werden“. Das in § 16 Abs. 2 KBGB geregelte Zurückweisungsrecht des anderen Teils bei von einem Geschäftsunfähigen vorgenommenen einseitigen Rechtsgeschäften wiederum hat seinen Ursprung in § 111 BGB. § 16 Abs. 2 KBGB (Zurückweisungsrecht) lautet: „Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das der Geschäftsunfähige vornimmt, kann der andere Teil bis zur Genehmigung des Geschäfts zurückweisen“. Diese Vorschrift entspricht wortgleich § 111 BGB.
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2. Wohnsitz (§ 18 KBGB) § 18 KBGB bestimmt: „(1) Der Ort, an dem jemand ständig lebt, ist sein Wohnsitz. (2) Der Wohnsitz kann gleichzeitig an mehreren Orten bestehen“. Die obige Vorschrift entspricht § 7 BGB (Wohnsitz; Begründung und Aufhebung): „(1) Wer sich an einem Orte ständig niederlässt, begründet an diesem Orte seinen Wohnsitz. (2) Der Wohnsitz kann gleichzeitig an mehreren Orten bestehen“.
3. Verschollenheit (§ 27 KBGB) Gemäß § 27 Abs. 1 KBGB beträgt die Frist, nach der ein Verschollener für tot erklärt werden darf, 5 Jahre, nach § 3 Abs. 1 des deutschen Verschollenheitsgesetzes 10 Jahre. Die besondere Verschollenheitsfrist des KBGB betrug hingegen 3 Jahre (1 Jahr im deutschen Verschollenheitsgesetz). Im geltenden Recht seit der Änderung vom 10.4.1984 beträgt die Frist auch im KBGB nur noch 1 Jahr, und die Regelung über die Luftverschollenheit wurde wie im deutschen Recht ergänzt.
4. Die Kommorientenvermutung (§ 30 KBGB) § 30 KBGB beinhaltet eine Kommorientenvermutung: „Sind zwei oder mehrere Personen in derselben lebensgefährlichen Situation gestorben, so wird vermutet, dass sie gleichzeitig gestorben sind“. Diese Vorschrift ist wortidentisch zu § 11 des deutschen Verschollenheitsgesetzes.
5. Juristische Personen (§§ 31 ff. KBGB) § 33 KBGB schreibt für die Gründung einer juristischen Person vor: „Die juristische Person entsteht durch Eintragung der Gründung an dem Ort, an dem sie ihren Hauptsitz hat“. Die alte Fassung des KBGB (vor 1960) bestimmte: „Die juristische Person entsteht mit der Genehmigung der zuständigen Behörde“. Aber das geltende koreanische BGB folgt § 21 des deutschen BGB, wonach die juristische Person „Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister des zuständigen Amtsgerichts [erlangt]“.
6. Sachen (§ 98) § 98 KBGB definiert den Begriff der Sache wie folgt: „Sachen im Sinne dieses Gesetzes sind körperliche Gegenstände, Elektrizität und sonstige beherrschbare Kräfte der Natur“. § 90 des deutschen BGB bestimmt: „Sachen im Sinne dieses Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände“. Der Unterschied zwischen dem koreanischen und dem deutschen Recht besteht also darin, dass in letzterem unkörperliche Gegenstände nicht dem Sachbegriff unterfallen.
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7. Rechtsgeschäfte (§§ 103 ff. KBGB) a) Rechtswirkung des Irrtums (§ 109 KBGB) Während in der alten Fassung des KBGB ein Irrtum unerheblich war, wird nunmehr in § 109 KBGB die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäfts im Falle eines relevanten Irrtums normiert. Vorbild dieser Regelung war § 119 BGB, dessen Inhalt übernommen wurde. b) Teilnichtigkeit des Rechtsgeschäfts (§ 137 KBGB) § 137 KBGB bestimmt: „Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, so ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig. Ist jedoch anzunehmen, dass das Rechtsgeschäft auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre, so ist der übrige Teil wirksam“. In der alten Fassung des KBGB gab es eine solche Vorschrift nicht. Wegen der Notwendigkeit einer entsprechenden Normierung hat man bei der Schaffung des § 137 KBGB n.F. auf § 139 des deutschen BGB zurückgegriffen. c) Umdeutung des nichtigen Rechtsgeschäfts (§ 138 KBGB) Auch § 138 KBGB hat ein eindeutiges Vorbild im deutschen Recht. Er lautet: „Entspricht ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts, so gilt das letztere als vorgenommen, wenn anzunehmen ist, dass die Vertragsparteien dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt hätten“. Für die Umdeutung wurde die Formulierung des § 140 BGB rezipiert.
8. Verjährung (§§ 162 ff. KBGB) Zur Verjährung bestimmte § 167 Abs. 1 KBGB a.F.: „Eine Forderung verjährt, wenn sie zehn Jahre lang nicht geltend gemacht wird“. Dazu hieß es einschränkend in § 145 KBGB a.F.: „Die Gerichte dürfen ihre Entscheidung nicht auf Verjährung stützen, wenn sich die Parteien nicht darauf berufen“. § 162 KBGB n.F. schreibt nunmehr entsprechend vor: „Eine Forderung unterliegt der Verjährung, wenn sie zehn Jahre nicht geltend gemacht wird“. Hinsichtlich der Geltendmachung der Verjährung gibt es jedoch im geltenden KBGB keine Vorschrift. Infolgedessen haben sich in Korea zwei Ansichten dazu gebildet, die sog. absolute und die relative Erlöschenslehre. Nach der von der herrschenden Meinung in Korea vertretenen absoluten Erlöschenslehre erfolgt die Verjährung allein aufgrund Zeitablaufes ohne weiteres. Gestützt wird diese Lehre auf den Gegenschluss zum alten Recht. Denn § 145 a.F. KBGB wurde nicht in das neue Recht übernommen und es findet sich auch keine Nachfolgenorm, so dass davon auszugehen sei, dass der Gesetzgeber damit eine Änderung der Rechtslage zugunsten einer nicht von einem Sich-Berufen abhängigen Berücksichtigung der Verjährung herbeiführen wollte. Die Anhänger der relativen Erlöschenslehre teilen diese Ansicht nicht, sondern gehen weiterhin davon aus, dass die Forderung nicht ohne weiteres erlischt, sondern dass der Verpflichtete nur das Recht erhält, eine Forderung nach Ablauf der Verjährungsfrist zu verweigern. Diese Auffassung beruft sich auf ein rechtsver-
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gleichendes Argument: Denn auch im deutschen BGB findet sich keine ausdrückliche Normierung des Einredecharakters der Verjährung. Allein § 194 Abs. 1 BGB besagt: „Das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (Anspruch), unterliegt der Verjährung“. Dennoch wird davon ausgegangen, dass im deutschen Recht die Verjährung eine Einrede ist, auf die sich der Schuldner jeweils im konkreten Prozess berufen muss. Freilich spricht in Korea wegen der Abschaffung der ursprünglichen ausdrücklichen Normierung einiges dafür, nunmehr vom Gegenteil auszugehen. Mir scheint angesichts der Situation im deutschen Recht allerdings die relative Erlöschenslehre zutreffend zu sein.
IV. Deutsche Elemente im Sachenrecht Auch im Sachenrecht finden sich viele Vorschriften, die eindeutigen Vorbildern im deutschen Recht zugeordnet werden können. Sie sollen nachfolgend im Wortlaut und im Vergleich mit den jeweils zugrunde liegenden deutschen Vorschriften dargestellt werden:
1. Erwerb und Übertragung der dinglichen Rechte Bei der Übertragung des Eigentums an unbeweglichen Sachen ist in Korea seit jeher das Grundbuch von Bedeutung. Folgte unser Rechtssystem früher allerdings dem französischen System, so hat sich nunmehr eine Änderung zugunsten eines Systems nach deutschem Vorbild ergeben. § 176 a.F. KBGB (Begründung und Übertragung dinglicher Rechte) schrieb folgendes vor: „Begründung und Übertragung dinglicher Rechte werden durch bloße Willenserklärungen der Parteien wirksam“. § 177 a.F. KBGB ergänzte hierzu: „Aber Dritten kann der Erwerb, der Verlust oder die Änderung dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen nur entgegengesetzt werden, soweit eine Eintragung ins Grundbuch erfolgt ist“. Diese Bestimmung wurde durch das in Art. 711, 1138 Code Civil niedergelegte Konsensprinzip beeinflusst. Die Einigung an sich führte zwar schon zum Rechtserwerb inter partes. Für eine inter-omnes-Wirkung musste hingegen die Eintragung in das Grundbuch erfolgen. Unter diesem System haben die Koreaner beinahe ein halbes Jahrhundert gelebt. Es führte jedoch zu Problemen, weil ein großer Teil der Bevölkerung nicht an eine „Eintragung“ gewöhnt war. So entstanden massive Probleme im Hinblick auf die Entgegensetzbarkeit des Grundeigentums Dritten gegenüber im Sinne des § 1775. Deshalb entschied sich das neue KBGB für das „Eintragungsprinzip“ nach deutschem Vorbild, bei dem die Eintragung konstitutiv für den Rechtserwerb ist (§ 186 KBGB). Infolgedessen gibt es keine Probleme mehr, zu welchem Zeitpunkt die Rechtsänderung erfolgt war, oder welche Wirkung die Einigung der Parteien 5
Vgl. Igarashi, Kiyoshi, Einführung in das Japanische Recht, Darmstadt, 1990, S. 74-75; Marutschke, Hans Peter, Einführung in das japanische Recht, München 1999, S. 132133; Eubel, Paul, Das japanische Rechtssystem, 1979, S. 105.
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Dritten gegenüber hatte. Nun erfolgt der Eigentumsübergang bei unbeweglichen Sachen zum Zeitpunkt der Eintragung in das Grundbuch. Die neu gefassten Vorschriften über die Eigentumsübertragung und den Eigentumserwerb bei Grundstücken lauten nunmehr im Wortlaut: § 186 KBGB: „Der Erwerb, Verlust oder eine sonstige Änderung eines dinglichen Rechts an einer unbeweglichen Sache durch ein Rechtsgeschäft wird erst durch Eintragung ins Grundbuch wirksam“. § 187 KBGB: „Die Eintragung ist nicht erforderlich, wenn ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache durch Erbschaft, Enteignung, Gerichtsurteil oder durch öffentliche Versteigerung sowie kraft gesetzlicher Bestimmungen erworben wird. Ohne Eintragung kann jedoch der Erwerber über die Sache nicht verfügen“. Nicht in das KBGB aufgenommen wurden die Vorschriften § 311 b Abs. 1 S. 1 BGB zur notariellen Beurkundung, § 925 BGB zur Auflassung und § 925 a BGB, der die Urkunde über Grundgeschäft betrifft. Denn diese sind Ausdruck des dem System des KBGB fremden Abstraktionsprinzips. Auch der Gutglaubensschutz des Grundbuchs wurde nicht aus dem BGB übernommen. Auch bei Mobilien ist das koreanische Recht vom Konsensprinzip abgerückt und verlangt nunmehr als für die Eigentumsübertragung konstitutiven Modus die Übergabe der Kaufsache, so dass auch hier der Zeitpunkt des Eigentumserwerbs eindeutig bestimmbar ist. § 188 Abs. 1 KBGB schreibt hierzu vor: „Die Übertragung eines dinglichen Rechts an einer beweglichen Sache wird durch Übergabe an den Erwerber wirksam“.
2. Besitz Das Recht des Besitzes wurde ebenfalls geändert. Ursprünglich bestimmte § 180 a.F. KBGB: „Hat jemand eine Sache inne mit dem Willen, sie für sich zu behalten, erwirbt er das Besitzrecht“. Demzufolge war es für den Erwerb des Besitz(recht)es notwendig, außer der tatsächlichen Herrschaft über die Sache den Willen zum Besitzen zu haben. Jedoch wurde diese Bestimmung anlässlich der Gesetzgebung von 1958 verändert. § 192 Abs. 1 KBGB schreibt nunmehr vor: “Wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache erlangt, erwirbt das Besitzrecht an der Sache“. Inhaltlich stimmt dies mit § 854 S. 1 BGB überein: „Der Besitz einer Sache wird durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben“. Zum mittelbaren Besitz bestimmt § 194 KBGB: „Verschafft jemand durch Erbbaurecht, Jeonserecht6, Pfandrecht, Leihe, Miete, Verwahrung oder in einem 6
Für das „Jeonserecht“ wurde in § 303 KBGB festgelegt: „Begründet durch das Tschonsae-Recht, für das die Entrichtung des vereinbarten Tschonsae-Betrages vorausgesetzt wird, steht dem Berechtigten das Recht zu, das belastete Grundstück seiner wirtschaftlichen Bestimmung nach zu benutzen.“ Der Jeonse-Betrag ist keine Kautionssumme, er entspricht eher einer Pachtsumme, denn der Mieter zahlt dem Vermieter in der Regel für zwei Jahre zwar eine einmalige Summe, aber dafür bezahlt er keinen monatlichen Mietzins. Vgl. dazu näher: Lee, Eun-Young, Bewohnung eines Wohnraums auf Grund dinglicher Nutzungsrechte und ihre Entgeltlichkeit im Zusammenhang mit Antichrese.
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ähnlichen Verhältnis einem anderen den Besitz an einer Sache, so hat er gegenüber diesem mittelbar das Besitzrecht“. § 868 BGB lautet hingegen: „Besitzt jemand eine Sache als Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter, Mieter, Verwahrer oder in einem ähnlichen Verhältnisse, vermöge dessen er einem anderen gegenüber auf Zeit zum Besitz berechtigt oder verpflichtet ist, so ist auch der andere Besitzer (mittelbarer Besitz)“. Das KBGB folgt hier dem deutschen BGB, wenngleich koreanische Besonderheiten eine Rolle spielen. Auch die Vorschrift zum Besitzdiener, das sich im koreanischen Recht früher nicht fand, hat die Neufassung des KBGB fast wortgleich aus dem BGB übernommen. § 195 KBGB: „Übt jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis nach der Weisung des anderen aus, so ist nur der andere Besitzer“. § 855 DBGB: „Übt jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis aus, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehende Weisung des anderen Folge zu leisten hat, so ist nur der andere Besitzer“. Zum Besitz des Erben bestimmt § 193 KBGB:„Ein Besitzrecht geht auf den Erben über“. Ebenso normiert § 857 BGB:„Der Besitz geht auf den Erben über“. Die Vorschriften zur Selbsthilfe des Besitzers ähneln § 859 BGB. Im japanischen BGB wird die Selbsthilfe des Besitzers dagegen überhaupt nicht erwähnt. § 209 KBGB bestimmt: „(1) Der Besitzer darf sich einer rechtswidrigen Handlung, durch die ihm der Besitz weggenommen oder er in seinem Besitz gestört wird, mit eigener Gewalt erwehren. (2) Wird dem Besitzer eines Grundstücks der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen, so darf er sich sofort nach der Besitzentziehung des Grundstücks durch Vertreibung des Täters wieder bemächtigen; im Falle der Entziehung einer beweglichen Sache darf er sie dem auf frischer Tat betroffenen oder unmittelbar verfolgten Täter wieder abnehmen“.
3. Eigentum a) Eigentumsschutz Zum Eigentumsherausgabeanspruch bestimmt § 213 KBGB: „Der Eigentümer kann die Herausgabe von dem jeweiligen Besitzer seiner Sache verlangen. Der Besitzer kann, solange er zum Besitz berechtigt ist, die Herausgabe der Sache verweigern“. § 985 BGB hingegen lautet: „Der Eigentümer kann von dem Besitzer die Herausgabe der Sachen verlangen“. Im Unterschied zur koreanischen Bestimmung werden die Gegenrechte des Besitzers im deutschen Recht erst in § 986 BGB geregelt: „(1) Der Besitzer kann die Herausgabe der Sache verweigern, wenn er oder der mittelbare Besitzer, von dem er sein Recht zum Besitz ableitet, dem Eigentümer gegenüber zum Besitz berechtigt ist […]“.
(Vergleich zwischen deutschen Wohnrechten und koreanischem „Tschonsae-Recht“ unter Berücksichtigung des japanischen und chinesischen Nutzpfandrechts.), Diss. Tübingen 1977.
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Für den Anspruch auf die Beseitigung und zur Vermeidung von Eigentumsstörungen bestimmt § 214 KBGB: „Der Eigentümer kann die Beseitigung der Störung seines Eigentums vom Störer verlangen, und beim Bestehen weiterer Besorgnisse kann der Eigentümer Vorkehrung gegen die Störung sowie eine Sicherheitsleistung für Schadensersatz von demjenigen verlangen, der eine Störung herbeiführen könnte“. § 1004 BGB (Beseitigung- und Unterlassungsanspruch) hingegen lautet: „(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen. (2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist“. Der Unterschied besteht darin, dass in § 214 S. 2 KBGB im Falle weiterer Beeinträchtigungen einen Anspruch auf „Sicherheitsleistung für Schadensersatz“ vorsieht. b) Einwirkungen von Nachbargrundstücken § 217 KBGB betrifft ein Verbot das Nachbargrundstück durch Zuführung von Ruß, Hitze, Gasen und anderen Imponderabilien zu stören: „(1) Der Eigentümer eines Grundstücks ist verpflichtet, eine angemessene Maßnahme derart zu ergreifen, dass die Benutzung des Nachbargrundstücks nicht durch Zuführung von Ruß, Hitze, Gasen, Flüssigkeit, Lärm und Erschütterungen sowie ähnlichen Einwirkungen gestört wird und dass dem Nachbarn an seinem Leben keine Schädigungen verursacht werden. (2) Der Nachbar hat die Umstände des Absatzes 1 zu dulden, wenn sie nach ortsüblichen Bestimmungen zumutbar sind“. Im alten KBGB fehlten Vorschriften über Immissionen. Die Neuregelung hat sich daher § 906 BGB zum Vorbild genommen. c) Höchstbetragshypothek In § 357 KBGB hat das koreanische Zivilrecht § 1190 Abs. 1-4 BGB über die Höchstbetragshypothek rezipiert: „(1) Eine Hypothek kann in der Weise bestellt werden, dass nur der Höchstbetrag der gesicherten Schuld bestimmt wird, in übrigen die Feststellung der Schuld der Zukunft vorbehalten wird. In diesem Fall ist das Erlöschen oder die Übertragung der Schuld bis zur Feststellung der Schuld auf die Hypothek ohne Einfluss. (2) Im Falle des Absatzes 1 ist anzunehmen, dass die Zinsen in den Höchstbetrag eingerechnet werden“.
V. Deutsche Elemente im Schuldrecht 1. Wirkung der Schuldverhältnisse – Verpflichtung zur Leistung a) Verschulden des Erfüllungsgehilfen Die Zurechnung des Verschuldens des Erfüllungsgehilfen ist in § 391 KBGB geregelt: „Erfüllt der gesetzliche Vertreter des Schuldners oder die Person, deren der Schuldner sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, diese Verbind-
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lichkeit nicht, so ist das Verschulden des Vertreters sowie des Erfüllungsgehilfen als das des Schuldners selbst anzusehen“. Im alten KBGB hatte es an Vorschriften über das Verschulden des Erfüllungsgehilfen gefehlt. Vorbild der Regelung ist § 278 BGB (Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte). b) Haftungserleichterung während des Verzugs des Gläubigers Auch eine Haftungserleichterung während des Gläubigerverzuges war im KBGB ursprünglich nicht vorgesehen. § 401 (Umfang der Haftung des Schuldners) greift hierfür auf § 300 Abs. 1 BGB (Wirkung des Gläubigerverzugs) zurück. Er lautet: „Während des Verzuges des Gläubigers haftet der Schuldner für die Nichterfüllung nur dann, wenn er vorsätzlich und grob fahrlässig gehandelt hat“. Weiterhin wurde § 301 BGB in § 402 (Keine Zinsen bei Gläubigerverzug) übernommen: “Bei einer verzinslichen Schuld ist der Schuldner während des Gläubigerverzuges nicht verpflichtet, Zinsen zu zahlen“. Mehraufwendungen infolge des Gläubigerverzuges sind nach dem Vorbild von § 304 BGB (Ersatz von Mehraufwendungen) gemäß § 403 KBGB (Ersatzpflicht des Gläubigers) zu ersetzen: „Erhöhen sich infolge des Gläubigerverzuges die für die Aufbewahrung des Gegenstandes der Leistung oder für deren Angebot von dem Schuldner gemachten Aufwendungen, so hat der Gläubiger die Mehraufwendungen zu ersetzen“. c) Gesamtschuld Die Auswirkungen des Gläubigerverzuges im Rahmen von Gesamtschuldverhältnissen regelt § 422 KBGB (Gläubigerverzug): „Der Verzug des Gläubigers gegenüber einem Gesamtschuldner wirkt sich auch auf die übrigen Schuldner aus“. Diese Vorschrift folgt § 424 BGB (Wirkung des Gläubigerverzugs). Dass die Gesamtschuldner zu gleichen Anteilen verpflichtet sind, ergibt sich aus § 424 BGB (Vermutung des gleichen Anteils): „Von der Gesamtschuld wird vermutet, dass jeder Gesamtschuldner im Verhältnis zum anderen Schuldner zu gleichem Anteil verpflichtet ist“. Vorbild dieser Vorschrift ist § 426 Abs. 1 S. 1 BGB (Ausgleichungspflicht). d) Bürgschaftsschuld Einreden des Bürgen betrifft § 433 KBGB: „(1) Der Bürge kann die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden gegen den Gläubiger geltend machen. (2) Der Verzicht des Hauptschuldners auf eine Einrede wirkt nicht gegen den Bürgen“. Diese Vorschrift ist § 768 BGB nachgebildet. Allerdings ist in § 433 Abs. 1 KBGB die Bestimmung des § 768 Abs. 1 S. 2 „Stirbt der Hauptschuldner, so kann sich der Bürge nicht darauf berufen, dass der Erbe für die Verbindlichkeit nur beschränkt haftet“ nicht enthalten. Die Einreden der Anfechtbarkeit und der Aufrechenbarkeit wurden von § 770 BGB übernommen und sind in § 435 KBGB (Erfüllungsverweigern des Bürgen) geregelt: „Der Bürge kann die Erfüllung verweigern, solange dem Hauptschuldner das Recht zusteht, das seiner Verbindlichkeit zugrunde liegende Rechtsgeschäft anzufechten, davon zurücktreten oder es zu kündigen“.
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e) Übertragung der Forderung Zur Übertragung einer Forderung auf einen Dritten bestimmt § 449 Abs. 1 S. 1 KBGB in Anlehnung an § 398 S. 1 BGB: „Eine Forderung kann vom Gläubiger auf einen anderen übertragen werden“. f) Schuldübernahme Eine Schuldübernahme ist im koreanischen Recht einerseits durch Vertrag mit dem Gläubiger möglich. § 453 Abs. 1 S. 1 KBGB bestimmt hierzu: „Ein Dritter kann die Schuld eines anderen durch Vertrag mit dem Gläubiger übernehmen und dadurch den Schuldner von seiner Verpflichtung befreien“. Diese Bestimmung folgt § 414 BGB (Vertrag zwischen Gläubiger und Übernehmer). Andererseits kann eine Schuldübernahme auch durch Vertrag mit dem Schuldner erfolgen, § 454 KBGB: „(1) Wird die Schuldübernahme von einem Dritten mit dem Schuldner vereinbart, so hängt ihre Wirksamkeit von der Genehmigung des Gläubigers ab. (2) Die Genehmigung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Schuldner oder dem Dritten“. Dieser Paragraph folgt § 415 Abs. 1 BGB (Vertrag zwischen Schuldner und Übernehmer). Nicht im Wortlaut übernommen wurden dagegen die beiden anderen Absätze dieser Vorschrift. Im Hinblick auf die Aufforderung zur Genehmigung bestimmt § 455 KBGB stattdessen: „(1) Im Falle des § 454 kann der Dritte oder der Schuldner den Gläubiger unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erklärung über die Genehmigung auffordern. (2) Wird die Genehmigung in der bestimmten Frist nicht erklärt, so gilt sie als verweigert“. Änderung oder Aufhebung des Vertrages richten sich nach § 456 KBGB: „Der Vertrag über die Schuldübernahme zwischen dem Dritten und dem Schuldner kann bis zur Genehmigung des Gläubigers von jeder Vertragspartei abgeändert oder aufgehoben werden“. §§ 455, 456 KBGB stimmen allerdings teilweise mit § 415 BGB (Vertrag zwischen Schuldner und Übernehmer) überein. Die Einwendungen des Übernehmers betrifft § 458 KBGB: „Der Schuldübernehmer kann dem Gläubiger die Einwendungen entgegensetzen, die der bisherige Schuldner dem Gläubiger gegenüber geltend machen konnte“. Diese Vorschrift folgt hauptsächlich § 417 BGB. § 459 KBGB enthält die Regelungen über das Erlöschen von Bürgschaften und Pfandrechten: „Durch die Schuldübernahme erlöschen die für die Forderung bestellten Bürgschaften und das Pfandrechte an den Sachen, die ein Dritter für die Sicherheit der Forderung dem Gläubiger geleistet hat. Das gilt jedoch nicht, wenn der Bürge oder der Dritte in die Schuldübernahme einwilligt“. Übernommen wird hierdurch die Regelung des § 418 Abs. 1 BGB (Erlöschen von Sicherungs- und Vorzugsrechten), jedoch nicht § 418 Abs. 2 BGB.
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2. Verträge a) Begründung des Vertrages – Verschulden beim Vertragsabschluss § 535 KBGB bestimmt: „(1) Wer bei Abschluss eines Vertrages, der eine unmögliche Leistung zum Gegenstand hat, die Unmöglichkeit der Leistung kannte oder kennen musste, hat den Schaden zu ersetzen, den der andere Teil dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit des Vertrages vertraute. Der Schadensersatz kann jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinausgehen, das der andere Teil an der Gültigkeit des Vertrages hat. (2) Die Vorschriften des Absatz 1 finden jedoch keine Anwendung, wenn der andere Teil die Unmöglichkeit der Leistung beim Vertragsabschluss kannte oder kennen musste“. Vorbild für diese Regelung ist § 307 BGB a.F. (Ersatz des Vertrauensschadens; Ausnahme, Teilunmöglichkeit). Durch die Schuldrechtsreform in Deutschland wurde die Rechtslage in Deutschland allerdings tiefgreifend geändert, so dass insoweit keine Übereinstimmung mehr besteht. b) Kaufvertrag Auch im Hinblick auf die Gewährleistung beim Gattungskauf hat das koreanische Recht eine sich mittlerweile nicht mehr im BGB befindende Norm übernommen. § 581 KBGB bestimmt nämlich: „(1) Ist eine gekaufte, nur der Gattung nach bestimmte Sache mit Fehlern behaftet, so gelten die Vorschriften des § 580 entsprechend. (2) Im Falle des Absatzes 1 kann der Käufer statt Wandlung oder Schadensersatz wegen Sachmangels verlangen, dass ihm an Stelle der mangelhaften Sache eine mangelfreie geliefert wird“. Vorbild dieses Paragraphen bildete § 480 BGB a.F. (Sachmängelgewähr bei Gattungskauf). Auch hier hat die Schuldrechtsreform zu einem Auseinanderdriften der Rechtslage in Deutschland und Korea geführt. c) Miete Die Kündigung bei Zahlungsverzug wurde im koreanischen Recht nach dem Vorbild des § 554 BGB a.F. (Außerordentliches Kündigungsrecht des Vermieters bei Zahlungsverzug des Mieters) normiert. § 640 KBGB (Kündigung wegen Rückstand des Mietzinses) sieht folgende Regelung vor: „Der Vermieter eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage kann das Mietverhältnis kündigen, wenn der Betrag des rückständigen Mietzinses die Höhe des Mietzinses für zwei Zeitabschnitte beträgt“. Auch diese Vorschrift ist durch die Schuldrechtsreform im deutschen BGB neu geschaffen worden. Das Vermieterpfandrecht findet sich in § 648 KBGB (Gesetzliches Pfandrecht): „Lässt der Vermieter eines Grundstücks wegen rückständigem Grundzins Einrichtungen, mit denen der Mieter das gemietete Grundstück zum besseren Gebrauch versehen hat, oder eine dem Mieter gehörende bewegliche Sache oder die aus dem Grundstück gezogenen Früchte beschlagnahmen, so gilt dies als Zwangsvollstreckung wegen des Pfandrechts“. Die Norm wurde dem von der Schuldrechtsreform mittlerweile geänderten § 559 BGB a.F. (Vermieterpfandrecht) nachgebildet.
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d) Auftrag Ein deutsches Element im Auftragsrecht ist die Pflicht zur persönlichen Ausführung aus § 682 Abs. 1 KBGB (Beschränkung der Übertragung des Auftrages): „Der Beauftragte ist ohne Erlaubnis des Auftraggebers nicht berechtigt, an seiner Stelle einen Dritten den Auftrag ausführen zu lassen, es sei denn, dass ein zwingender Grund hierfür vorliegt“. Hier wurde § 664 Abs. 1 BGB (Leistung in Person; Haftung des Beauftragten bei Übertragung) übernommen. e) Gesellschaft Aus dem deutschen Gesellschaftsrecht wurde das Gesamthandsprinzip rezipiert. Zum Vermögen der Gesellschaft bestimmt § 704 BGB: „Die Beiträge der Gesellschafter und das sonstige Vermögen der Gesellschaft gelten als Eigentum zur gesamten Hand aller Gesellschafter“. Dies entspricht wörtlich dem § 718 Abs. 1 BGB (Gesellschaftsvermögen; Surrogation). Der Inhalt ist jedoch nicht identisch. Gemäß § 709 KBGB wird die Vertretungsmacht des Geschäftsführers vermutet: „Vom Geschäftsführenden wird vermutet, dass ihm die Befugnisse zustehen, die Geschäfte der Gesellschaft zu führen und die anderen Gesellschafter gegenüber Dritten zu vertreten“. Dies entspricht wortgleich § 714 BGB (Vertretungsmacht).
3. Ungerechtfertigte Bereicherung Auch im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung lassen sich deutsche Vorbilder leicht nachweisen. So wurde in § 744 KBGB (Keine Rückforderung einer der Sittenpflicht entsprechenden Leistung) die zweite Alternative der Regelung des § 814 BGB (Kein Rückforderungsrecht bei Kenntnis der Nichtschuld und bei Anstandsleistung) übernommen: „Wird eine Schuld von demjenigen, der zur Leistung nicht verpflichtet ist, infolge eines Irrtums erfüllt, so ist die Rückforderung ausgeschlossen, wenn die Leistung einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprach“. Den Wertersatz bei Unmöglichkeit der Herausgabe des Empfangenen in natura regelt § 747 Abs. 1 KBGB (Wertersatz; Ersatzpflicht des Dritterwerbers): „Ist es dem Empfänger unmöglich, das Empfangene herauszugeben, so hat er den Wert des Empfangenen zu ersetzen“. Dies entspricht wortgleich § 818 Abs. 2 BGB (Umfang des Bereicherungsanspruchs). Auch im koreanischen Recht wird bei Bösgläubigkeit verschärft gehaftet. § 749 Abs. 1 KBGB (Kenntnisnahme, Bösgläubigkeit) bestimmt hierzu: „Erfährt der Empfänger, dass ihm ein rechtlicher Grund für die Annahme der Leistung fehlte, so ist er vom Zeitpunkt der Kenntnisnahme an zur Herausgabe des Empfangenen verpflichtet, als wenn er zu dieser Zeit in bösem Glauben gewesen wäre“. Dies entspricht § 819 Abs. 1 BGB, der die verschärfte Haftung bei Kenntnis und bei Gesetzes- oder Sittenverstoß im deutschen Recht regelt.
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VI. Schlusswort Obwohl Korea während der japanischen Kolonialherrschaft und auch noch einige Jahre nach seiner Befreiung stark vom japanischen Zivilgesetzbuch von 1898 beeinflusst worden war, wurde das KBGB hauptsächlich an das deutsche BGB angelehnt, während das japanische Zivilrecht sowohl vom deutschen BGB wie auch vom Code civil beeinflusst worden ist. Das deutsche BGB spielt in Korea also eine ganz herausragende Rolle.
VII. Bibliographie Cho, Kyu-Chang, Koreanisches Bürgerliches Gesetzbuch, Textausgabe, Seoul 1984. Rehbinder, Manfred/Ju-Chan Sonn (Hrsg.), Zur Rezeption des deutschen Rechts in Korea, Baden-Baden 1990. Lee, Hyeong-Kyu, Die Rezeption des europäischen Zivilrechts in Ostasien, ZVglRWiss 86 (1987) 158-170. Kim, Chung Han, Bürgerliches Gesetzbuch von Korea in rechtsgeschichtlicher und rechtsvergleichender Sicht, Seoul Law Journal, Bd. 10, Nr. 2 (1968) (Koreanisch mit deutscher Zusammenfassung).
Autorenverzeichnis Ahrens, Hans-Jürgen, Dr. jur., Professor an der Universität Osnabrück, Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht, Richter am OLG Celle, Vizepräsident des Niedersächsischen Landesjustizprüfungsamtes Alston, Andrew, Professor an der Flinders University, Adelaide, Australien Angelo, Tony, Professor an der Victoria University, Wellington, Neuseeland Banakas, Stathis, LL. B. (Athina), Ph. D. (Cantab.), Reader in Law, University of East Anglia, England; Fernand Braudel Senior Fellow, European University Institute Florenz, Italien Bar von, Christian, Dr. jur., Dr. h. c. mult., Professor an der Universität Osnabrück, FBA, Geschäftsführender Direktor des European Legal Studies Institute der Universität Osnabrück, Mitglied der Commission on European Contract Law seit 1992, Mitglied der Unidroit-Arbeitsgruppe International Commercial Contracts seit 2007, Chairman der Study Group on a European Civil Code, einer der Sprecher des CoPECL Exzellenznetzwerkes, co-chairman des Redaktionsteams für den DCFR, Bencher (Hons.) of Gray's Inn. Bernat, Erwin, Dr. jur., a.o. Univ.-Professor am Institut für Zivilrecht, Ausländisches und Internationales Privatrecht der Karl-Franzens-Universität Graz Brüggemeier, Gert, Dr. jur., Professor an der Universität Bremen, Richter am Hanseatischen OLG Bremen a. D. Burchardi, Hilmar, FRCA, Dr. med., em. Professor an der Universität Göttingen und Abteilungsdirektor am Zentrum für Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin in Göttingen a. D. Busnelli, Francesco, D. Dr. jur. an der Scuola Superiore di Studi Universitari e di Perfezionamento S. Anna, Pisa, Italien; member of European Group on Ethics in Science and New Technologies, Bruxelles Butler, Petra, Dr. jur. LLM(VUW), Senior Lecturer, Associate-Director New Zealand Centre for Public Law, Victoria University of Wellington, Neuseeland
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Autorenverzeichnis
Costede, Jürgen, Dr. jur., Dr. h. c., Professor an der Georg-August-Universität Göttingen Diurni, Amalia, Dott., Professorin an der Università degli studi di Roma „Tor Vergatta“, Italien Doppelfeld, Elmar, Dr. med, apl. Univ.-Professor an der Universität Bonn, Vorsitzender des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland, Präsident (2005 – 2007) des Lenkungsausschusses „Bioethik“ des Europarates Duttge, Gunnar, Dr. jur., Professor an der Georg-August-Universität Göttingen, Direktor des Zentrums für Medizinrecht Ehlers, Alexander, P. F. Dr. jur., Dr. med., Professor und einer der Direktoren des Health Care Management Institute an der European Business School, OestrichWinkel Fischer, Gerfried, Dr. jur., LL. M. (Berkeley), Professor an der Martin-LutherUniversität Halle Wittenberg Foerste, Ulrich, Dr. jur., Professor an der Universität Osnabrück Göben, Jens, Dr. jur., Leiter des Justiziariats im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Bonn Hager, Johannes, Dr. jur., Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Hart, Dieter, Dr. jur., Professor an der Universität Bremen Hasskarl, Hors , Dr. jur., Rechtsanwalt, Partner der Sozietät Harms Hasskarl Melzer, Ludwigshafen Hanau, Peter, Dr. jur., Dr. jur. h. c. mult., Professor an der Universität zu Köln, Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht Heinemann, Antje-Katrin, Rechtsanwältin, Rechtsanwaltssocietät Ehlers, Ehlers & Partner, München
Autorenverzeichnis
1091
Henrich, Dieter, Dr. jur., Dr. h. c. mult., Professor an der Universität Regensburg, Universitätspräsident a. D. Huang, Seokin, Dr. jur., em. Professor an der Seoul National University, Mitglied der Nationalakademie der Wissenschaften, Republik Korea Jost, Timothy Stoltzfus, Dr. jur., Professor an der Washington and Lee University School of Law Lexington, Virginia, USA Katzenmeier, Christian, Dr. jur., Professor an der Universität zu Köln, Direktor des Instituts für Medizinrecht Kienzle, Hans-Friedrich, Dr. med., Professor an der Universität Köln Kingreen, Thorsten, Dr. jur., Professor am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Gesundheitsrecht, Leiter der Abteilung Gesundheitsrecht der Forschungsstelle für Medizinrecht und Gesundheitsrecht an der Universität Regensburg Knetsch, Jonas, LL.M., Allocataire-moniteur (wissenschaftlicher Mitarbeiter) an der Université Panthéon-Assas Paris II Jan, Knöbl, Wiss. Ang. am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Wirtschaftsverwaltungsrecht, verbunden mit Kommunal- und Sozialrecht, Eberhard Karls Universität Tübingen, Juristische Fakultät Kopetzki, Christian, Dr. jur., Dr. med., Univ.-Professor an der Universität Wien Koziol, Helmut, Dr. jur., Dr. h. c., o. Prof. i. R. an der Universität Wien, Direktor des Instituts für europäisches Schadenersatzrecht der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Krasney, Otto Ernst, Dr. jur., Honorarprofessor an der Gesamthochschule Kassel und der Justus Liebig Universität Gießen, Vizepräsidenten des BSG a. D. Krause, Rüdiger, Dr. jur., Professor an der Georg-August-Universität Göttingen, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht Kühne, Gunther, Dr. jur., LL.M. (Columbia), em. Professor an der Technischen Universität Clausthal, Honorarprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen
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Autorenverzeichnis
Lilie, Hans, Dr. jur., Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Direktor des Interdisziplinären Zentrums Medizin-Ethik-Recht Lipp,Volker, Dr. jur., Professor an der Georg-August-Universität Göttingen, Zentrum für Medizinrecht / Institut für Privat- und Prozeßrecht Lippert, Hans-Dieter, Dr. iur., Akademischer Direktor des Instituts für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Ulm Looschelders, Dirk, Dr. jur., Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Direktor des Instituts für Versicherungsrecht Lorenz, Egon, Dr. jur., em. Professor an der Universität Mannheim Matthies, Karl-Heinz, Dr. jur., Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Braunschweig Medicus, Dieter, Dr. jur., Dr. jur. h. c., em. Professor an der Ludwig-MaximiliansUniversität München Müller, Gerhard A,. Dr. med., Professor an der Georg-August-Universität Göttingen, Direktor der Abteilung Nephrologie und Rheumatologie Nauck, Friedemann, Dr. med., Professor an der Georg-August-Universität Göttingen, Direktor der Abteilung Palliativmedizin, Universitätsmedizin Göttingen Owen, David G., Dr.jur., Professor an der University of South Carolina, USA Pflüger, Frank, Dr. jur., Rechtsanwalt, Dipl.-Betrw. (BA), Partner der Sozietät Baker & McKenzie, Frankfurt am Main Pichlmaier, Heinz, Dr. med., Dr. med. dent., em. Professor an der Universität zu Köln Richardi, Reinhard, Dr. jur., em. Professor an der Universität Regensburg Rosenau, Henning, Dr. jur., Professor an der Universität Augsburg, Direktor des Instituts für Bio-, Gesundheits- und Medizinrecht
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Rösch, Carmen, Rechtsanwältin, Wiss. Mitarbeiterin, Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim Sander, Axel, Dr. jur., Rechtsanwalt, Frankfurt a. M. Schiemann, Gottfried, Dr. jur., Professor an der Eberhard-Karls-UniversitätTübingen Schlund, Gerhard H., Dr. jur., Honorarprofessor an der Technischen Universität München, Vorsitzender Richter am OLG München a. D. Scholz, Karsten, Dr. jur., Justiziar der Ärztekammer Niedersachsen Schreiber, Hans Ludwig, Dr. jur., Dr. h. c. mult., em. Professor an der Medizinische Fakultät der Universität Göttingen, Universitätspräsident a. D., Staatssekretär a. D., Ehrensenator Schroeder, Friedrich-Christian, Dr. jur., Dr. h. c., em. Professor an der Universität Regensburg Schumann, Ekkehard, Dr. jur., Dr. jur. h. c., em. Professor an der Universität Regensburg Schumann, Eva, Dr. jur., Professorin für Deutsche Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht an der Georg-August-Universität Göttingen, Stellvertretende Direktorin des Zentrums für Medizinrecht, Direktorin der Abteilung für Deutsche Rechtsgeschichte am Institut für Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung Shapira, Amos, M. Jur. (Hebrew University Jerusalem), M. C. L. (Columbia University), J. S. D. (Yale University), Professor an der Tel Aviv University, K. Lubowski Chair of Law and Biomedical Ethics; Direktor, The Minerva Center for Human Rights, Tel Aviv University, Israel Skegg, Donald, Peter, Graham, DPhil (Oxford), Professor an der University of Otago, Neuseeland Slatter, Michele, LL.M. (London), Professorin an der Flinders University, Adelaide, Australien
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Autorenverzeichnis
Spickhoff, Andreas, Dr. jur., Professor an der Universität Regensburg, Direktor der Abteilung Medizinrecht der Forschungsstelle für Medizinrecht und Gesundheitsrecht Spindler, Gerald, Dr. jur., Dipl.-Ökonom, Professor an der Georg-AugustUniversität Göttingen Steffen, Erich, Dr. jur., Vorsitzender Richter am BGH a. D. Steiner, Udo, Dr. jur., em. Professor an der Universität Regensburg, Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D. Stoll, Hans, Dr. jur., em. Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Taschner, Hans Claudius, Dr. jur., M.C.J. (New York University), Honorarprofessor an der Universität Saarbrücken, Direktor der Europäischen Kommission a. D. Taupitz, Jochen, Dr. jur., Professor an der Universität Mannheim, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim, Richter am OLG Karlsruhe a. D. Uhlenbruck, Wilhelm, Dr. jur., Richter am Amtsgericht Köln a. D.; Honorarprofessor an der Universität zu Köln Yeun, Kee-Young, Dr. jur., Professor an der Dongguk University, Leiter des Institute of Comparative Law and Legal Policy, Korea Yoon, Seok-Chan, Dr. jur., Professor an der Pusan National University, Korea Wyk van, Christa, Dr. jur., Professorin an der University of South Africa, Südafrika
Schriftenverzeichnis Erwin Deutsch
Publikationen von Erwin Deutsch
Das folgende Schriftenverzeichnis schließt an dasjenige der Festschrift für Erwin Deutsch zum 70. Geburtstag, 1999, S. 995 ff. an. Die Gewähr für Vollständigkeit können die Herausgeber ebenso wenig wie in dem vorhergehenden Verzeichnis1 übernehmen.
I. Selbständige Schriften Medizinrecht: Arztrecht, Arzneimittelrecht und Medizinprodukterecht, 4. Auflage Berlin, Heidelberg 1999; 5. Auflage (zusammen mit Andreas Spickhoff, seither mit dem Untertitel: Arztrecht, Arzneimittelrecht, Medizinprodukterecht und Transfusionsrecht), Berlin, Heidelberg, New York u.a. 2003; 6. Auflage (zusammen mit Andreas Spickhoff ) Berlin, Heidelberg, New York u.a. 2008 Versicherungsvertragsrecht: ein Grundriss, 4. Auflage (unter Mitarbeit von Christoph Deutsch) Karlsruhe 2000; 5. Auflage Karlsruhe 2005; 6. Auflage unter dem Titel: Das neue Versicherungsvertragsrecht, Karlsruhe 2008 Ethikkommission und klinische Prüfung – Vom Prüfplan zum Prüfvertrag (zusammen mit Hans-Dieter Lippert), Berlin 1998 Transfusionsrecht: Ein Handbuch für Ärzte und Juristen (zusammen mit Albert W. Bender, Reinhold Eckstein und Robert Zimmermann), 1. Auflage Stuttgart 2001; 2. Auflage Stuttgart 2007 Deliktsrecht - Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz, Schmerzensgeld (zusammen mit Hans-Jürgen Ahrens), 4. Auflage Köln u.a. 2002
II. Herausgeberschaft Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle in der Medizin, Freedom and Control of Biomedical Research (Hrsg. zusammen mit Jochen Taupitz), Berlin, Heidelberg 2000
1
Siehe Ahrens, FS Deutsch, 1999, S. 7.
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Publikationen von Erwin Deutsch
Kommentar zum Arzneimittelgesetz (Hrsg. zusammen mit Hans-Dieter Lippert), 1. Auflage Berlin, Heidelberg 2001; 2. Auflage Berlin, Heidelberg 2006 Kommentar zum Medizinproduktegesetz (Hrsg. zusammen mit Hans-Dieter Lippert und Rudolf Ratzel), Köln u. a. 2002 Die klinische Prüfung in der Medizin – Europäische Regelungswerke auf dem Prüfstand, Clinical Trials in Medicine – European Rules on Trial (Hrsg. zusammen mit Hans-Ludwig Schreiber, Andreas Spickhoff und Jochen Taupitz), Berlin, Heidelberg 2005 Mitglied des Herausgeberbeirats der Zeitschrift Versicherungsrecht Mitherausgeber der Schriftenreihe Recht und Medizin, Frankfurt a. M. Mitherausgeber der Zeitschrift Recht und Politik im Gesundheitswesen
III. Kommentierungen Einleitung zum AMG (zusammen mit Lippert/Anker/Ratzel), §§ 5 – 12 AMG, §§ 40, 41 AMG, §§ 62-63a AMG, §§ 84-94a AMG, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, 1. Auflage Berlin, Heidelberg 2001 Einleitung zum AMG (zusammen mit Lippert/Anker/Ratzel/Tag), §§ 5 – 12 AMG, § 6 AMG (zusammen mit Lippert), §§ 40 – 42 AMG, §§ 62-63b AMG, §§ 84-94a AMG, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, 2. Auflage Berlin, Heidelberg 2006 Vor § 1 MPG (Einführung), §§ 1 – 3 MPG, §§ 15 – 24 MPG, Anhang zu § 40 MPG (Haftung im Zusammenhang mit Medizinprodukten), in: Deutsch/Lippert/ Ratzel, Kommentar zum Medizinproduktegesetz, Köln u. a. 2002
IV. Aufsätze Aufklärung und Arzneimitteltherapie, in: Recht und Politik im Gesundheitswesen 1997, S. 19 ff. Virusinfektion durch Blutprodukte, in: VersR 1997, S. 905 ff. Der Nürnberger Kodex – Das Strafverfahren gegen Mediziner, die zehn Prinzipien von Nürnberg und die bleibende Bedeutung des Nürnberger Kodex, in: Ethik und Medizin: 1947 – 1997 (1997), S. 103 ff. Aufklärung und Einwilligung vor Impfungen, in: VersR 1998, S. 1053 ff. Über die Zukunft des Schmerzensgeldes. Pläne zur Reform des Haftungsrechts, in: ZRP 1998, S. 291 ff.
Publikationen von Erwin Deutsch
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Novellierung des Arztstrafrechts? Arztstrafrecht im Internationalen Vergleich, in: ZaeFQ 1998, S. 574 ff. The Nuremberg Code, in: Ethics Codes in Medicine – Foundations and achievements of codifications since 1947, Aldershot, Ashgate 1998, S. 71 ff. Sicherheit bei Blut und Blutprodukten: Das Transfusionsgesetz von 1998, in: NJW 1998, S. 3377 ff. Die Beweiskraft der EDV-Dokumentation bei zahnärztlicher Behandlung, in: MedR 1998, S. 206 ff. Der Einfluss des Strafrechts auf die zivilistische Haftung, in: ZaeFQ 1998, S. 634 ff. Die Produzentenhaftung nach deutschem Recht, in: Produkthaftung in Deutschland und Japan, Hamburg 1998, S. 29 ff. Arbeitstagung "Radioonkologie und Recht", zusammen mit Sack H. und Sauerwein W., in: Strahlentherapie und Onkologie 1998, S. 391 ff. Wird der Sport verrechtlicht?, in: Menschen im Sport 2000 - Dokumentation des Kongresses Berlin 1987, 1998, S. 274 ff. Ethik-Kommission und Freiheit der medizinischen Forschung, in: VersR 1999, S. 1 ff. Fortschreibung des Medizinprodukterechts, in: NJW 1999, S. 817 ff. Zurechnungszusammenhang, Rechtswidrigkeit und Verschulden, in: Festschrift für Dieter Medicus zum 70. Geburtstag, Köln u. a. 1999, S. 77 ff. Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle in der Medizin - zur geplanten Revision der Deklaration von Helsinki (zusammen mit Jochen Taupitz), in: MedR 1999, S. 402 ff. Zivilrechtliche Verantwortlichkeit ärztlicher Sachverständiger, in: Recht und Politik im Gesundheitswesen 1999, S. 3 ff. Sicherheit bei Blut und Blutprodukten - Das Transfusionsgesetz von 1998, in: Pharma Recht 1999, S. 246 ff. Medizinische Qualitätssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Medizinische Qualitäts- und Qualifikationsmängel, 1999, S. 37 ff. Ein Arzneimittel außerhalb der Apotheke, in: NJW 1999, S. 3393 Ethik-Kommission: Probandenschutz in der medizinischen Forschung, in: Forschung am Menschen: Der Schutz des Menschen - die Freiheit des Forschers, Berlin, Heidelberg 1999, S. 33 ff Ärztliche Schweigepflicht und Datenschutz in der medizinischen Forschung, in: ZaeFQ 1999, S. 775 ff. Kausalität und Schutzbereich der Norm im Arztstrafrecht, in: Festschrift für Karlmann Geiß zum 65. Geburtstag, Köln u.a. 2000, S. 367 ff.
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Publikationen von Erwin Deutsch
Die Gefährdungshaftung und der Bundesgerichtshof: Die Geschichte eines Abstoßungsprozesses, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Band 1, München 2000, S. 675 ff. Das Organisationsverschulden des Krankenhausträgers, in: NJW 2000, 1745 ff. Juristische Gesichtspunkte bei der Herstellung von Dialyseflüssigkeiten und Substituaten, in: Nieren- und Hochdruckkrankheiten 1999, S. 71 ff. Klinische Forschung International: Die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes in neuem Gewand, in: NJW 2001 S. 857 ff. Medizinproduktehaftung, in: Zum Recht der Wirtschaft, Festschrift Heinz Krejci zum 60. Geburtstag, Wien 2001, S. 1111 ff. Schmerzensgeld für Vertragsverletzungen und bei Gefährdungshaftung, in: ZRP 2001, S. 351 ff. Verkehrsuntauglichkeit: die Rolle des Arztes aus rechtlicher Sicht, in: VersR 2001, S. 793 ff. Die Unzumutbarkeit als Entschuldigungsgrund, in: Festschrift für Hans Stoll zum 75. Geburtstag, Tübingen 2001, S. 3 ff. Klinische Prüfung von Arzneimitteln - eine Europäische Richtlinie setzt Standards und vereinheitlicht Verfahren, in: NJW 2001, S. 3361 ff. § 40 AMG, die EU-Richtlinie über die Prüfung von Arzneimitteln und die neue Deklaration von Helsinki, in: Pharma Recht 2001, S. 202 ff. Schmerzensgeld für Unfälle bei der Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten?, in: Pharma Recht 2001, S. 3729 ff. Schweigepflicht und Infektiosität, in: VersR 2001, S. 1471 ff. Die Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren als Rechtsproblem, in: MedR 2001, S. 435 ff. Die Verpflichtungen des medizinischen Gutachters, in: Transport – Wirtschaft – Recht, Gedächtnisschrift für Johann Georg Helm, Berlin 2001, S. 685 ff. Das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung und der unerlaubten Handlungen, in: Hundert Jahre Bürgerliches Gesetzbuch in Deutschland und in der italienischen Rechtskultur, Padua 2002, S. 1049, S. 371 (italienische Übersetzung) Der rechtliche Rahmen des Klonens zu therapeutischen Zwecken, in: MedR 2002, S. 15 ff. Private und öffentlich-rechtliche Ethikkommissionen, in: NJW 2002, S. 491 f. Die Medizinhaftung nach dem neuen Schuldrecht und dem neuen Schadensrecht, in: JZ 2002, S. 588 ff. Recht und Ethik der klinischen Forschung am Menschen: Entwicklung und gegenwärtiger Stand, in: VersR 2002, S. 781 ff.
Publikationen von Erwin Deutsch
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Patente für Arzneimittel und Gentechnik, in: Festschrift für Willi Erdmann zum 65. Geburtstag, Köln 2002, S. 263 ff. Der Chirurg im Umgang mit der Infektiosität aus rechtlicher Sicht, in: Qualitätsmanagement in Klinik und Praxis 2002, S. 10 ff. Immaterieller Schadensersatz für neue Ansprüche: Vertragsverletzung, Gefährdungshaftung und Forschungsunfall, in: Privatrecht im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichem Wandel und ethischer Verantwortung, Festschrift für Heinz Hausheer zum 65. Geburtstag, Bern 2002, S. 551 ff. Ethik-Kommissionen für die juristische Forschung: Grundlagen und Funktionen, in: Im Dienste der Gerechtigkeit, Festschrift für Franz Bydlinski, Wien 2002, S. 105 ff. Die Fahrlässigkeit im neuen Schuldrecht, in: AcP 202 (2002), S. 889 ff. Das behindert geborene Kind als Anspruchsberechtigter, in: NJW 2003, S. 26 ff. Eine Schlappe für die öffentlich-rechtlichen Ethikkommissionen, in: NJW 2003, S. 949 ff. Verfassungszivilrecht bei der Sterbehilfe, in: NJW 2003, S. 1567 f. Ombudsgremien und Wissenschaftsfreiheit, in: ZRP 2003, S. 159 ff. Verbraucherschutz gegen den BGH, in: NJW 2003, S. 2881 f. Recht und Ethik der klinischen Forschung am Menschen: Entwicklung und gegenwärtiger Stand, in: Recht und Ethik der Arzneimittelforschung, Wien 2003, S. 15 ff. Klinische Studien für neue Impfungen: ethische und juristische Aspekte, in: VersR 2003, S. 1425 ff. Strafrechtsnormen als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, in: Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie, Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2003, S. 43 ff. Qualitätssicherung als Patientenrecht? - Rechtsbegriff Qualitätsmanagement: Ab wann wird die gesetzliche Forderung des § 135a SGB V erfüllt?, in: Qualitätsmanagement in Klinik und Praxis 2003, S. 1 ff. Medical experimentation concerning chemical and biological weapons for mass destruction, in: Victoria University of Wellington Law Review 2003, S. 157 ff. Die Pflicht des Arztes, den Patienten auf eine Impfung hinzuweisen, in: VersR 2003, S. 801 ff. Die Spätabtreibung als juristisches Problem, in: ZRP 2003, S. 332 ff. Schutzgesetze aus dem Strafrecht in § 823 Abs. 2 BGB, in: VersR 2004, S. 137 ff. Rechtsstaat und Prozess vor zwei Einzelrichtern, in: NJW 2004, S. 1150 f.
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Publikationen von Erwin Deutsch
Deregulierung und Patientenschutz im Arzneimittelrecht, in: VersR 2004, S. 937 ff. Veröffentlichungsklauseln in den Protokollen über klinische Studien, in: Der juristische Lektor als Mittler zwischen Autor und Leser, In Memoriam Klaus W. Frohn, Köln 2003, S. 37 ff. Research and use of stem cells, in: Revista de Derecho y Genoma Humano 2004, Nr. 21 Limitation of medical research in German law, in: Law Hum Genome Review, 2004, S. 15 ff. Die Aufklärung über mögliche Komplikationen durch den Impfarzt, in: Impfdialog 2004, S. 75 ff. Die grobe Fahrlässigkeit im künftigen Versicherungsvertragsrecht, in: VersR 2004, S. 1485 ff. Vier Ombudskommissionen und ein Poster über einen Einzelfall – Wege der „guten wissenschaftlichen Praxis“, in: Kontinuität und Wandel des Versicherungsrechts – Festschrift für Egon Lorenz zum 70. Geburtstag, Karlsruhe 2004, S. 183 ff. Heilversuche und klinische Prüfungen: Zulässigkeit und Voraussetzungen, in: VersR 2005, S. 1009 ff. Zum gegenwärtigen Stand der Produzentenhaftung in den USA, in: PHi 2005, S. 190 ff. Rights and obligations of the persons concerning their genetic data, in: Law Hum Genome Review 2005, S. 75 ff. Klinische Versuche nach aktuellen Regeln im In- und Ausland im Lichte der Deklaration von Helsinki (Fassung Oktober 2000), in: Die klinische Prüfung in der Medizin, Berlin, Heidelberg 2005, S 59 ff. Limitation of the medical research in German Law, in: Revista de Derecho y Genoma Humano 2005, S. 15 ff. Die neuere Entwicklung der Rechtsprechung zum Haftungsrecht, in: JZ 2005, S. 987 ff. Neues zur ärztlichen Aufklärung im Ausland: englische und französische Gerichte positionieren sich neu, in: MedR 2005, S. 464 ff. Das Vertragsrecht des Probanden, in: VersR 2005, S. 1609 ff. Ombudskommissionen vor neuen Hürden, in: MedR 2006, S. 39 ff. Die Aufklärung über mögliche Komplikationen durch den Impfarzt, in: Humaniora, Festschrift für Adolf Laufs zum 70. Geburtstag, Berlin u.a. 2006, S. 753 ff. Das neue Bild der Ethikkommission, in: MedR 2006, S. 411 ff.
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Die Aufklärung bei Medizinprodukten, in: VersR 2006, S. 1145 ff. Das Internationale Privatrecht und das Internationale Versicherungsrecht der klinischen Forschung, in: VersR 2006, S. 577 ff. Rights and obligations of the persons concerning their genetic data, in: Revista de Derecho y Genoma Humano 2006, S. 75 ff. Die Wissenschaftsklausel im Privatversicherungsrecht, in: VersR 2006, S.1472 f. Vertrauen und Misstrauen in der horizontal arbeitsteiligen Medizin, in: VersR 2007, S. 40 ff. Den Letzten beißen die Hunde: Die Haftung in der arbeitsteiligen Medizin, in: Duttge (Hrsg.), Perspektiven des Medizinrechts im 21. Jahrhundert, 2007, S. 69 ff. Impfversuche in den Zeiten der Vogelgrippe: juristische Probleme bei der klinischen Prüfung neuer Impfstoffe zu ansteckenden Krankheiten, in: VersR 2007, S. 425 ff. Das Problem der Kontrollorganisation bei Übertragung der Risikoaufklärung, in: VersR 2007, S. 210 f. Die Auslagerung medizinischer Maßnahmen in das In- und Ausland: haftungsrechtliche und versicherungsrechtliche Aspekte der Telemedizin und des Outsourcings diagnostischer, therapeutischer und experimenteller Behandlung, in: VersR 2007, S. 1323 ff. Doping als pharmarechtliches und zivilrechtliches Problem, in: VersR 2008, S. 145 ff. Die internationale Dimension des Medizinrechts, in: VersR 2008, S. 993 ff.
V. Urteilsanmerkungen Anmerkung zum Urteil des BGH vom 15.02.2000 - VI ZR 135/99, in: JZ 2000, S. 727 ff. Anmerkung zum Urteil des BGH vom 15.02.2000 – VI ZR 48/99, in: JZ 2000, S. 898 ff. Anmerkung zum Urteil des OLG Stuttgart vom 30.11.2000 – 7 U 154/00, in: VersR 2001, S. 1017 f. Anmerkung zum Urteil des BAG vom 18. 04. 2002 – 8 AZR 348/01, in: AP BGB § 611 Haftung des Arbeitsnehmers, Nr. 122 Anmerkung zum Urteil des LG Aachen vom 09.05.2001 – 11 O 132/00, in: VersR 2002, S. 196 f. Anmerkung zum Urteil des BGH vom 11.02.2003 – VI ZR 34/02, in: VersR 2003, S. 597
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Publikationen von Erwin Deutsch
Anmerkung zum Urteil des BGH vom 17. 02. 2004 – IV ZR 39/03, in: JZ 2004, S. 732 ff. Anmerkung zum Beschluss des OLG Naumburg vom 20. 05. 2005 – 10 Sch 1/05, in: SchiedsVZ 2006, S. 103 ff. Anmerkung zum Urteil des BGH vom 07.11.2006 - VI ZR 206/05, in: VersR 2007, S. 210 f.
VI. Rezensionen Rehmann: Arzneimittelgesetz mit Erläuterungen, München 1999, in: NJW 1999, S. 3396 ff. Kloesel/Cyran: Arzneimittelrecht, Stuttgart 1998, in: NJW 1999, S. 3397 Ohly: „Volenti non fit iniuria“. Die Einwilligung im Privatrecht, Tübingen 2002, in: NJW 2003, S. 1854 Owen: Products Liability Law, St. Paul/Minn. 2005, in: RabelsZ 71 (2007), S. 192 ff.
VII. Varia Nachruf für Dieter Giesen, in: MedR 1997, S. 341 Interview zusammen mit R. Altendorfer: Haftungsrisiken für den Arzt durch Arzneimittelnebenwirkungen, in: Der Arzt und sein Recht 2003, S. 127 ff.