Clemens Schwender Median und Emotionen
SOZIALWISSENSCHAFT
Clemens Schwender
Medien und Emotionen Evolutionspsycholo...
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Clemens Schwender Median und Emotionen
SOZIALWISSENSCHAFT
Clemens Schwender
Medien und Emotionen Evolutionspsychologische Bausteine einer Medientheorie
2., aktualisierte Auflage
Deutscher Universitats-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iiber abrufbar.
1.AuflageOktober2001 2. Auflage August 2006 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag i GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Brigitte Siegel / Dr.Tatjana Rollnik-Manke Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media, www.duv.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden durften. Umschlaggestaltung: Regine ZImmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, ScheBlitz Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8350-6045-7 ISBN-13 978-3-8350-6045-6
Vorwort zur 2. Auflage The fundamental things apply As time goes by Die Nachfrage nach der 1. Auflage war iiberraschend groB. Die Ideen gewinnen immer mehr Anhanger und mittlerweile entwickelt eine Reihe von Medienwissenschaftlem den Ansatz weiter. Auf humanethologischen Tagungen gibt es medienwissenschaftliche Panels, auf medienwissenschaftlichen Kongressen finden sich evolutionspsychologische Beitragsreihen. Was hat sich zur ersten Auflage verandert? Verandert wurden eine Menge Details. Das Eine und Andere wurde nochmals iiberarbeitet und besser fundiert. Einzelne Kapitel sind hinzugekommen, andere wurden neu geschrieben. Aktuellere Zahlen und Daten wurden soweit wie moglich aufgenommen. Ungenauigkeiten wurden weiter reduziert. Die Grundgedanken und die Thesen sind unverandert geblieben: Medien sind Attrappen fur unsere Vorstellungen, sie liefem dem Gehim Bilder und Tone, die jenes zur emotionalen Verarbeitung der Eindriicke veranlassen. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, Erkenntnisse der Evolutionspsychologie fiir die Medienwissenschaft nutzbar zu machen. Da sich die beiden Disziplinen wechselseitig kaum kennen, kann es zunachst nur darum gehen, beiden die jeweiligen Positionen naher zu bringen, damit eine zukiinflige gemeinsame Forschung neue Erkenntnisse bringen kann. Keine fertige und abgeschlossene Theorie kann bei diesem Schritt herauskommen, sondem eine Sammlung von Gedanken, die medienwissenschaflliche Themen unter neuen Aspekten betrachtet. Evolutionspsychologische Erklarungen sollen helfen, sich medientheoretischen Fragestellungen zu nahem. Evolutionspsychologie kann im Idealfall Bausteine zu einer Medientheorie bereitstellen. Ein fertiges Haus kann dabei nicht herauskommen. Dabei ist selbst der Begriff der Medientheorie nicht unumstritten. Die Betrachtung der Medien lasst sich einerseits einteilen in die einzelnen Medien wie Film, Femsehen, Radio, Telefon, Bilder, Print oder Internet, auf der anderen Seite versteht man auch so unterschiedliche Disziplinen wie Kritik, Analyse, Wirkung oder Geschichte darunter. Streng genommen muss eine Medientheorie in der Lage sein, alle Sichtweisen und Teilaspekte zu vereinen. Weiter gefasst nutzt man jedoch den Begriff der Medientheorie, um iiber Medien nachzudenken, um Hypothesen zu formulieren, oder um im Gegensatz zur bloBen Empiric Vermutungen daruber anzustellen, wie „das funktioniert mit den Medien". Dieser letzte, weiter gefasste Begriff der Medientheorie soil hier Anwendung finden, dabei aber streng an empirische Befunde und testbare Hypothesen gebunden sein. Medientheorie ist keine gesellschaflstheoretisch begriindete „Theorie fur alles", wo die Medien nur Anwendungsfalle fiir Gesellschaft sind, sondem Medientheorie sucht nach Mustem, die spezifische medienkommunikative Phanomene erklarbar machen sollen. Die Arbeit bietet keine medienkiinstlerische Debatte. RegelverstoBe, die wichtig sind flir die Entwicklung einer Gattung, finden hier nur peripher Wiirdigung. Es geht um die Regeln des Medienumgangs und um die evolutionspsychologische Begriindung flir Konventionen.
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Vorwort
Der Beitrag ist im eigentlichen Sinn interdisziplinar mit alien Schwierigkeiten, die derartige Ansatze mit sich bringen. Sie konnen dort erfolgreich sein, wo sie aus der Verkniipfung von Altbekanntem Neues schaffen. Ein grundsatzliches Problem interdisziplinarer Arbeiten ist, dass jeweils die grundstandigen Wissenschaften zu kurz kommen. Eine Arbeit iiber eine evolutionspsychologische Medientheorie wird weder den Anspruch der Evolutionspsychologen nach neuen Erkenntnissen erfiillen konnen, noch werden Medienwissenschaftler unbedingt Neues erfahren. So kann jedes Medienlehrbuch beschreiben, was ein Achsensprung ist und wie man ihn vermeidet. Ob das Problem jedem Evolutionspsychologen spontan begreiflich ist, bleibt zu bezweifeln. Ahnliches gilt umgekehrt: Der Begriff „Theory of Mind" gehort zum etablierten Begriffsapparat der Evolutionspsychologie, doch ihn fur die Wahmehmung von Medieninhalten zu nutzen, bringt fur Medienwissenschaftler einen Erkenntnisgewinn. Die Arbeit muss daher beiden Seiten die jeweils andere Sichtweise verstandlich machen. Eine evolutionspsychologische Verankerung des Phanomens des Achsensprunges ist also mehr als eine Bestatigung von Altbekanntem. Man kann erfahren, wie die veranlagte Wahmehmungsweise der Bewegungskonstanz Einfluss auf die Positionswechsel der Kamera haben oder wie die Theory of Mind den Standortwechsel der Kamera im Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren erklaren kann. Medienwissenschaftliche Arbeiten unterliegen auf Grund ihres interdisziplinaren Charakters haufig dieser Problematik und Querbeziige zu anderen Disziplinen werden seit langem fruchtbar genutzt: Psychologic, Okonomie oder Sozial- und Technikgeschichte gehoren zu den Konstanten. Die Evolutionspsychologie wird ein weiterer Baustein - so zumindest der Anspruch - flir das Verstandnis der medienvermittelten Konamunikation. Die Begrifflichkeit unterliegt bei interdisziplinaren Ansatzen einer besonderen Problematik, geht es dabei doch um fundamentale Konzepte. Einerseits werden die Begriffe der Evolutionspsychologie entlehnt und so verwendet, wie sie in diesem Zusammenhang iiblich sind. Auf der anderen Seite fmden auch medienwissenschaftliche Begriffe Verwendung. Grundlegende Sichtweisen sind mitunter divergierend, wie etwa die Trennung zwischen Wahmehmung und deren Verarbeitung in der empirischen Psychologic, wahrend in der Medienwissenschaft diese Trennung nicht so leicht von der Hand geht. In den folgenden Kapiteln sollte nicht vergessen werden, dass es sich nicht um eine innermedienwissenschaftliche Debatte handelt, sondem um den Versuch, evolutionspsychologische Konzepte zu adaptieren. Die Losung kann nur in einem gelassenen Akzeptieren methodischer und theoretischer Divergenzen liegen, um von den zu erwartenden Resultaten zu profitieren. Hingewiesen sei nochmals auf den Untertitel der Arbeit. Es geht darum, Bausteine zu liefem fiir eine Betrachtung von Medieninhalten und deren Rezeption. Es liegt also keine vollstandige und umfassende Theorie vor, die in der Lage ware, alle Aspekte der medial vermittelten Kommunikation zu erklaren. So kann die Theorie zwar Uberlegungen zur Erklanmg anbieten, warum es asthetische Urteile gibt und welche Funktion sie haben; eine asthetische Debatte, die kulturelle oder modische Eigenheiten thematisiert, ist aber damit nicht zufiihren.Fiir den Sinn und die moglichen Vorteile von Narration flir das Gedachtnis sind Argumente zu liefem, nicht jedoch fur diese oder jene Besonderheit in der narrativen Stmktur eines einzelnen Werkes.
Vorwort
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Es geht hier darum, eine Theorie - namentlich die Evolutionspsychologie - darauf zu hinterfragen, welche Erklamngsmuster sie fiir ein komplexeres Verstandnis der Medienkommimikation beitragen kann. Die hier entwickelten Ideen stiefien auf groBes Interesse. Zunachst von Femsehproduzenten, die sich erhofften, endlich den Knopf beim Rezipienten zu finden, auf den man driicken muss, um ihn emotional zu stimulieren. Sie wurden enttauscht. Geraianistische und geisteswissenschaftlich orientierte Medienwissenschaftler hatten Probleme mit der empirischen Fundierung der Thesen. Hier war das Menschenbild des kulturell dominierten Individuums nicht vereinbar mit den Erkenntnissen einer evolutionar-biologischen Grundlegung mit scheinbar anthropologischen Konstanten, die keinen Raum fiir einen freien Willen lassen. Auch sie wurden enttauscht. Es gibt Anzeichen, dass sich ein eigener Theoriezweig im Rahmen der Kommunikations- und Medientheorie entwickeh, der sich explizit auf die Erkenntnisse der Evolutionstheorie beruft. Emotionspsychologie und Neurowissenschaft liefem Ideen, deren Beachtung fur das Verstandnis massenmedial vermittelter Kommunikation fruchtbar ist. Clemens Schwender
Inhalt EvolutionspsychologischeBausteine Die Grundlagen der Evolutionspsychologie Die Evolutionstheorie von Charles Darwin Evolution = Genetik + Spieltheorie , Soziobiologie: Egoistische Gene und kooperatives Verhalten Evolutionspsychologische Fragen im Rahmen einer Medientheorie Ein Gehim, das Betriiger sucht Evolutionspsychologie und Ethologie Medien als Attrappen Fragestellungen im Rahmen einer Medientheorie
1 7 8 11 13 15 19 22 26 30
Wahrnehmung und deren Verarbeitung Medienwahmehmung Sehen Horen Kino-Leinwand Oder Wohnzimmer-Bildschirm Reflexion Vorstellen und Sehen Perspektiveniibemahme Theory of Mind Luge, Rolle und Schauspiel Denken und Vorstellen als Probehandeln Zeit und Montage Wahrnehmung und Emotion Akustische Wahrnehmung und Emotion
33 34 34 57 59 62 62 65 67 71 75 79 89 110
Soziale Motive Klatsch und Tratsch Klatsch und Tratsch als Funktion der Sprache Das Gesprach als TV-Genre Prominenz und Stars: Die Rolle der Medien bei der Kommunikation Die Darstellung der nichtsozialen Welt Asthetik Ethologische Betrachtung der Kunst Asthetische Mittel in den Medien Partnerwahl Evolutionspsychologische Erklarungen zur Partnerwahl Partnerwahl in den Medien
123 124 124 129 146 154 155 158 164 167 167 171
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Inhalt
Elterliche Fiirsorge Kommunikation mit Tieren und Kindem Sport als Wettbewerb Effekte auf den Sportier: der Heimvorteil Effekte auf den Zuschauer Humor Die Biologie des Lachelns und Lachens Evolutionspsychologischelnterpretationen Humor in den Medien Kooperation und Identifizieren von Betriigem Das Gefangenen-Dilemma als Muster fiir Kooperation Die Evolution des moralischen Verhaltens Nichtfiktionale Betruger-Suche in den Medien Fiktionale Betriiger
178 182 184 190 197 202 202 214 216 220 220 223 227 237
Konsequenzen fiir die Rezeption Fakt Oder Fiktion Evolutionspsychologie und Fiktion Unterhaltung Oder Information Medieninhalte als Gegenstand emotional-asthetischer Begutachtung Kracauer revisited
247 248 262 264 266 270
Anhang Literatur Index
275 275 290
EvolutionspsychologischeBausteine Uber 167 Millionen Zeitungs- und ZeitschriftenExemplare wurden 2005 hier zu Lande gekauft, im gleichen Jahr schaute der bundesdeutsche Durchschnittserwachsene ah 14 Jahre tdglich 220 Minutenfern. Die Radionutzung lag bei etwa 221 Minuten. Die Netto- Werbeeinnahmen erfassbarer Werbetrdger in Deutschland betrugen 2004 Uber 20 Milliarden Euro. Warum verbringen wir so viel Zeit mit Medien und bringen so viele Ressourcen fur erfundene Geschichten auf. Uber 97 Yo der bundesdeutschen Haushalte haben Fernseher, Uber 98 % Radio und uber 70 % einen Video- oder einen DVD-Recorder. 2004 erschienen Uber 86.000 Buchtitel und fast 900.000 Sitze standen in Filmtheatern fur die Besucher bereit. Auch Gesellschaften, die Uber keine Massenmedien verfUgen, verbringen viel Zeit damit, Geschichten zu erzdhlen und zuzuhoren, gemeinsam zu singen und zu tanzen, zusammen zu spielen und zu lachen. Warum? Die Theorie der Evolutionspsychologie untersucht die anthropologischen Bedingungen unserer mentalen Fdhigkeiten. Von ihr sind Antworten zu erwarten.
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Evolutionspsychologische Bausteine
Medien sind Mittel zur Kommunikation. Sie tragen Inhalte von einem Sender zu einem Empfanger. Sie sind Mittler iind Speicher. Luft und Wasser als Trager von Wellen konnten damit gemeint sein, doch enger fassen Medienwissenschaftler unter diesem Begriff Artefakte, mit deren Hilfe akustische und visuelle Informationen gespeichert, empfangen oder gesendet werden. Medienwissenschaft beschaftigt sich mit den Bedingungen, unter denen medienvermittelte Kommunikation stattfmdet. Dies betrifft die Medientechnik ebenso wie die Organisationsformen, unter denen Medien operieren, die Medieninhalte und die Medienrezeption. Die Gegenstande der Medienwissenschaft sind also nicht nur die Artefakte - also die Hardware - selbst, sondem auch deren Inhalte - die Software - sowie deren Produktions- und Rezeptionsbedingungen. Medien lassen sich beschreiben als exteme Informationsspeicher. „Extem" meint, dass Inhalte aus dem Gehim auf einem Trager durch Symbole fixiert werden, um sie durch das Ansehen zu aktualisieren. Dies wird erstmals im Feuerwerkbuch von 1420 so formuliert: „Und darumb wann der stuck sovil sind die darzuo gehoered/ die ein yetlicher guetter piichsenmaister kiinden soil/ und die ein mayster on die geschrift in seinem sinne nie gedencken kann/ Darumb so stat hemach geschrieben alles das dann dar zuo nutz und man notturfftig ist." (Hassenstein 1941, 43: „Weil der Stiicke so viel sind, die dazu gehoren, die ein jeglicher guter Biichsenmeister konnen soil und die ein Meister ohne Schrift nicht in seinem Sinn behalten kann, darum so steht hemach geschrieben alles, was dann dazu niitzlich und notdiirftig ist.") Damit werden Medien zur Gedachtnisstiitze und entlasten das Erinnerungsvermogen des Menschen. Wichtig ist, dass es hier nicht um ein Abbild der Welt geht, sondem um eine Erweitemng der Erinnemng. Schrift und Bild stellen dar, was sich im Kopf abspielt, nicht was wirklich oder real sein muss. Medien sind damit nicht nur offen fur Erinnemngen, sondem auch fiir Phantasie, Ertraumtes und Erdachtes. Sobald mentale Inhalte medial fixierbar sind, konnen sie auch von anderen wahrgenommen und ihrerseits aufgenommen werden. Funktion eines Mediums ist es dann, Menschen kommunikativ zu verbinden. Dies betrifft die private Kommunikation zwischen einer Person und einer anderen. Brief und Telefon sind Medien der Individualkommunikation. In der offentlichen Auseinandersetzung um die Medien engt man den Begriff meist auf Massenmedien ein, also die Kommunikation eines Senders mit einer unbekannten Anzahl von Empfangem. Maletzkes Definition aus dem Jahre 1976 trifft immer noch zu: Bei Massenkommunikation handelt es sich um Aussagen, die „offentlich durch ein technisches Verbreitungsmittel indirekt und einseitig an ein disperses Publikum vermittelt werden." Auf der Rezipientenseite ist Kommunikation zunachst individuell. Jeder Kinobesucher sitzt gewissermaBen alleine vor der Leinwand und empfindet Emotionen spontan und direkt. Femsehzuschauer sitzen alleine oder in Gmppen vor der Bild- und Tonprojektion. Jeder Rezipient wahlt nicht nur aus einem immensen Angebot aus, sondem jeder bewertet auch jedes einzelne Ereignis und entscheidet, wie er sich ihm zuwendet. Der Zusammenhang von Emotionen und Auslosem konnte bislang nicht adaquat beschrieben werden. Medienwissenschaft hat bislang diesen Aspekten ungeniigend Rechnung getragen. Neue Sichtweisen sind von einer jungen Forschungsdisziplin zu erwarten, die sich fiir die kognitiven Fahigkeiten des Menschen unter den Voraussetzungen der Evolutionstheorie interessiert. Ihre Fragen sind: Wie entscheiden Menschen unter Bedingungen, die nicht umfassend erkannt werden konnen? Was sind die
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mentalen Grundlagen fur Kooperation in kommunikativen Gruppen, Partnerwahl oder die Versorgung des Nachwuchses? Die Stoffe und Motive der Massenkommunikation - gleichgiiltig ob mit Wahrheitsanspruch oder fantasievoll erdachten Geschichten - erregen nicht nur Aufmerksamkeit, sondem provozieren auch Emotionen. Den Auslosem dieser Emotionen wird in dieser Arbeit nachgegangen. In den 1970er Jahren entstanden erste Aufsatze, die sich der Evolutionspsychologie zurechnen lassen. Und erst 1992 und 1998 erschienen Sammelwerke, die die Grundgedanken der Theorie zusammentrugen. Dabei sind deren theoretische Fundierungen ganz und gar nicht neu. Man beruft sich explizit und uneingeschrankt auf Charles Darwin und dessen Werk „Die Entstehung der Arten durch natiirliche Auslese oder das Erhaltenbleiben der begiinstigten Rassen im Ringen um die Existenz", das am 24. November 1859 erschien. Darwins Verdienst war nicht so sehr die Formulierung der Evolutionsgedanken, sondem die sehr penible Diskussion der moglichen Einwande. Die Erkenntnisse waren unter Wissenschaftlem bald Common Sense und eine groBere Entwicklung schien sich nicht abzuzeichnen. Auch eine Reihe biologischer Bestatigungen, etwa durch die Mendel'sche Vererbungslehre und die Entdeckungen der Genetik, brachte im Grunde keine neuen Impulse. Erst als Soziobiologen wie Richard Dawkins begannen, Darwins Uberlegungen auf das Verhalten anzuwenden, erflihr die Theorie neue Impulse. Der Schritt, auch den Menschen in diese Uberlegungen mit einzubeziehen, schien gewagt, war aber dennoch konsequent. Genauso wie der menschliche Korper das Ergebnis des evolutionaren Prozesses ist, sein aufrechter Gang auf zwei Beinen, seine stereoskopischen visuellen und auditiven Wahmehmungsfahigkeiten, sind auch Gehim und damit alle mentalen Prozesse das Ergebnis dieser gleichen Entwicklung. Erst die Evolutionspsychologie betrachtet den menschlichen Geist konsequent unter dieser Perspektive: Die besonderen Wahmehmungsfahigkeiten und deren Interpretation, die besonderen Formen der Kommunikation und Kooperation, die wirklich einzigartig sind. Insofem ist Evolutionspsychologie nicht primar eine psychologische Theorie, sondem eine Theorie iiber die Entstehung der Psyche. Wenn Wahmehmung und Kommunikation zentrale Bestandteile des menschlichen Wesens sind, muss es nicht nur erlaubt, sondem geradezu angeraten sein, die modernen Mittel der Kommunikation unter der Sichtweise der Evolutionspsychologie zu betrachten. Im Zeitalter der weltumspannenden Kooperation spielen die Medien bei der Ubermittlung von Kommunikationsinhalten eine zentrale Rolle. Es gibt zwar Meinungen, die die Geschichte in Epochen einteilen wie in Agrar-, Industrie- und Informationszeitalter, aber es ist kritisch zu fragen, ob es jemals ein nichtkommunikatives Zeitalter gegeben haben mag. Aus der Zeit vor 135.000 Jahren fmden sich erste Zeugnisse medialer Gestaltung in Form von Korperbemalungen, vor 60.000 Jahren begannen die Menschen bildliche und sinnbildliche Abbildungen zu schaffen, die die Zeit iiberdauerten. Die altesten Medien, die gesprochene Sprache symbolisch festhalten konnten, sind Schriftzeichen, eingraviert auf feste Trager, doch kaum 6.000 Jahre alt. Das Zeitalter der Massenkommunikation konnte erst beginnen, als die Trager beweglich wurden und an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Menschen rezipiert werden konnten. Die Moglichkeit, bewegte Bilder zu prasentieren, ist kaum mehr als 100 Jahre alt. In evolutionarer Zeitrechnung ist Massenkommunikation damit eine recht neue Entwicklung. Evolutionspsychologen behaupten, dass diese Zeit nicht aus-
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Evolutionspsychologische Bausteine
reicht, um adaptive Selektionsmechanismen greifen zu lassen. Darum miissen alte und modeme Medien sich den langst entwickelten Wahmehmungs- und Verarbeitungsweisen anpassen. Doch nicht nur diese, sondem auch das Interesse flir die Inhalte, fiir Motive und Stoffe, wurde entv^ickelt in vorgeschichtlicher Zeit. Wenn das menschliche Gehim - ebenso wie der Korper - sich entwickelt hat, um bestimmte Aufgaben zu losen, dann soUte zu erwarten sein, dass die Psyche auf einige Themen engagierter reagiert als auf andere. Es scheint, dass das Gehim vor allem mit dem Losen sozialer Aufgaben beschaftigt ist. Darum sind Fragen nach Wahmehmungsweisen und nach den Inhalten der Wahmehmung gemeinsam zu diskutieren. Siegfried Kracauers Motivgeschichte Die Idee, Psychologic und Medienbetrachtung zusammenzubringen, ist beileibe nicht neu. Zwischen dem 11. und dem 19. Marz 1927 erschien in der Frankfurter Zeitung eine Sammlung von Aufsatzen unter dem Titel „Film und Gesellschaft", die unter dem Titel: „Die kleinen Ladenmadchen gehen ins Kino" (Kracauer 1977) in die Mediengeschichte eingehen sollte. Der Feuilleton-Redakteur Siegfried Kracauer trifft bereits in den ersten beiden Satzen den Nerv, wenn er feststellt: „Die Filme sind der Spiegel der Gesellschaft. Sie werden aus den Mitteln von Konzemen bestritten, die zur Erzielung von Gewinnen den Geschmack des Publikums um jeden Preis treffen miissen." (Kracauer 1977, 279) Kracauer sah dies dem Zeitgeist entsprechend als System erhaltende MaBnahme des GroBkapitals gegeniiber den kleinen Angestellten mit bisweilen biirgerlichem Geschmack. Die Beispiele sind allesamt treffend und richtig betrachtet, wenn er zum Schluss kommt: „Es mag in Wirklichkeit nicht leicht geschehen, dass ein Scheuermadchen einen Rolls Royce-Besitzer heiratet; indessen, ist es nicht der Traum der Rolls Royce-Besitzer, dass die Scheuermadchen davon traumen, zu ihnen emporzusteigen?" Kracauer unterstellt damit eine Logik des Gesellschaftssystems, eine Logik des Kapitalismus. Er hatte Recht mit seiner Vorstellung, dass die angesprochenen Themen und Motive Bediirfiiisse der Zuschauer ansprechen miissen. Mehr noch: Filmfantasien sind die Tagtraume der Gesellschaft. Obgleich viele Filme vorgeben, andere Wirklichkeiten, andere Zeiten und andere Moglichkeiten darzustellen, stellen sie doch nur eines dar: die Gegenwart in anderem Gewand. Studiert man also die Filme - so die Logik - entdeckt man die geheime Befmdlichkeit der Gesellschaft. Lemt man es, die Motive richtig zu deuten, zeigen sich die Ideologien. Die Serie „Die kleinen Ladenmadchen gehen ins Kino" fiihrt typische Falle auf Siegfiied Kracauers okonomisch-psychologische Betrachtungen gehoren zu den treffendsten Medienanalysen, die sich mit dem Zusammenhang von Film, Produktion und Rezeption beschaftigen. Es gelingt ihm einzigartig, Produktion einerseits und Motivation des Publikums andererseits zusammenzubringen. Die vorliegende Arbeit verfolgt das gleiche Ziel mit etwas anderen Pramissen. Film, Femsehen, Radio und Printmedien werden von den Konsumenten freiwillig konsumiert, sie verbringen einen nicht unerheblichen Teil ihrer Freizeit damit und sie geben Geld dafiir aus. Sie miissen dafiir einen Gegenwert erhalten, der diesen Aufwand rechtfertigt. Kracauer vermutete eine Konspiration der herrschenden Klasse, die Evolutionspsychologie vermutet tiefer liegende mentale Dispositionen. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass Realitat und deren mediale Abbildung in bestimmten Kontexten die gleichen Reaktionen hervorrufen. Das unterstellt Ausloseme-
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chanismen, die auf audio-visuelle Reize zu reduzieren sind. Man muss sich folglich Gedanken machen iiber diese Mechanismen und iiber die auslosenden Faktoren. Die Thesen lauten darum: • Medien sind Attrappen fur visuelle und auditive Wahmehmung. • Medienaufbereitungen thematisieren die psychischen und kommunikativen Anlagen des Menschen. • Diese reflektieren Motive, die sich auf Verhalten beziehen. Dieses wiederum hat sich unter den Bedingungen der Evolution entwickeh und bestimmt auch heute noch wesentlich den Umgang der Menschen miteinander. • SchlieBlich muss sich die Beschaftigung mit imaginierten, fiktionalen Gegenstanden als evolutionar vorteilhaft erweisen. Um Indizien fur diese Thesen aufzufiihren, muss man zunachst die Begriffe und Erkenntnisse der modemen Evolutionsforschung, vor allem der Evolutionspsychologie und deren Vermutungen iiber die Entstehung und den Sinn der mentalen Fahigkeiten darstellen. In einem weiteren Schritt werden die Bedingungen ermittelt, unter denen Menschen Medien wahmehmen. Dies betrifft in erster Linie die Sinne Auge und Ohr im Zusammenspiel mit dem Gehim. Wie sind diese beschaffen, damit die reproduzierten Bilder und Tone aufgenommen werden? Damit die Bilder nicht nur gesehen und die Tone nicht nur gehort, sondem ihnen auch Bedeutung gegeben werden kann, miissen weitere Mechanismen psychischer Art involviert sein. Wahmehmung wird intern verarbeitet und interpretiert. Diese Prozesse sind intensiv zu betrachten, denn sie sind die Voraussetzung fiir die Akzeptanz und damit fiir den Attrappencharakter der Medien. SchlieBlich werden dann diese Erkenntnisse teils theoretisch, teils in exemplarischen qualitativen und quantitativen Untersuchungen auf die Motive und Genres von Film und Femsehen angewandt. Es geht dabei weniger um eine Formulierung einer umfassenden Theorie, als vielmehr um stichprobenartige Versuche, die Evolutionspsychologie fur die Medienwissenschaft nutzbar zu machen und die Konsequenzen zu diskutieren.
Die Grundlagen der Evolutionspsychologie Nimmt man die Evolutionspsychologie als Grundlage Jur eine Medientheorie, sind deren Ausgangspunkte zu hinterfragen. Es geht also um die theoretischen Voraussetzungen der Evolution von Darwin bis zu aktuellen Theorien, die Evolution als Spieltheorie plus Genetik auffassen. Wenn man evolutionswissenschaftliche Gedanken aufVerhalten anwendet, hat das Konsequenzen fur die Methoden undfiir die zu erwartenden Erkenntnisse. Schliefilich geht es um Abgrenzungen zu anderen Theorien und zu Ubernahmen aus verwandten Gebieten. Die Fragen, die im Rahmen der Evolutionspsychologie zu beantworten sind, konnen danach explizit gestellt werden.
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Die Gnindlagen der Evolutionspsychologie
Priester imd Philosophen kummerten sich bislang mit mehr oder weniger Erfolg um die Beantwortung der Frage nach dem Sinn des Lebens. Die Frage nach dem Sinn des Lebens in einer Untersuchung zu stellen, die sich mit der Rolle der Massenmedien beschaftigt, scheint abwegig. Esoterische Gedanken haben hier keinen Platz. Biologie und deren Entwicklung - wie sie erstmals in der Abstammungslehre von Charles Darwin formuliert wurde - soil zur Beantwortung geistes- und sozialwissenschaftlicher Fragen nutzbar gemacht werden. Eine Konsequenz daraus ist die Abwendung von einem anthropozentrischen Weltbild. Der Mensch ist nicht die Krone der Schopfung, ebenso wenig steht er physisch und psychisch auBerhalb der Biologie. Menschen sind Teil der Evolution. Die korperlichen und geistigen Funktionen reflektieren die Bedingungen der Anpassung, unter denen sie entstanden sind. Vom biologischen Standpunkt aus muss die Antwort nach dem Sinn des Lebens namlich auf alle Lebewesen anwendbar sein: auf Hiihner, auf Hunde, auf Sabelzahntiger wie auf Hl-Viren, auf Apfelbaume, Himbeerstraucher und Champignons, auf Krokodile und Brontosaurier. Dieser Ansatz unterscheidet die Antwort von esoterischen wie von religiosen und sonstigen spirituellen Uberlegungen. Es geht dabei nicht um den Beginn des Lebens oder um den Beginn der Welt und des Universums und auch nicht um das Warum des Ganzen. Sobald die Maschine ihren Lauf begonnen hat, geht es im Leben nur noch um eines: ums Uberleben und Reproduzieren. Wie haben es Organismen geschafft, diesen Zyklus in Gang zu halten? Charles Darwin hat dazu eine Theorie entwickelt, die in ihren zentralen Aussagen bis heute praktisch unverandert gilt. Seine Evolutionstheorie ist Grundlage der Betrachtung. Die Strategien der Spezies Mensch weisen Gemeinsamkeiten mit anderen Lebensformen auf, aber auch Besonderheiten. Der Schutz und die Vorteile, die das Leben in einer Gruppe bieten, miissen durch einen besonderen Aufwand bei der gruppeninternen Kommunikation bezahlt werden. Dabei geht es um folgende Tatigkeiten: Sozialund Geschlechtspartner finden, prosoziales Verhalten aushandeln. Hierarchic ausmachen, Betriiger jagen und Brutpflege betreiben. Zunachst wird es also darum gehen, die theoretischen Fundierungen der Evolutionspsychologie darzulegen. Nicht alle angrenzenden Gebiete sind dabei explizit erfasst, aber dennoch implizit prasent. Dazu zahlen Kognitionspsychologie, Entwicklungspsychologie oder Neurophysiologie. Bei den Abgrenzungen konnte auf manches verzichtet werden, etwa auf den materialistischen Ansatz wie er erstmals von Friedrich Engels in „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, im Anschluss an Lewis H. Morgans Forschungen" formuliert wurde. Die Evolutionstheorie von Charles Darwin „Nichts in der Biologie macht einen Sinn, auBer man betrachtet es im Lichte der Evolution." (Theodosius Dobzhansky, in: Wuketits 1988, V)
Wissenschaftstheoretisch und -methodisch ist die Evolutionstheorie schwer einzuordnen. Einerseits ist sie eine historische Wissenschaft. Denn ahnlich wie die Geschichtswissenschaft werden vergangene Ereignisse anhand ihrer Spuren rekonstruiert. Es geht jedoch nicht um singulare Ereignisse, sondem um Muster. Und die Quantitat spielt eine groBe Rolle, damit ist Evolution auch mit mathematischen Messverfahren und Methoden beschreibbar. Sie hat aber in erster Linie zu tun mit dem Leben und den Bedingungen, unter denen es sich entwickelt. Damit ist Evolution andererseits Teil der
Die Evolutionstheorie von Charles Darwin
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Biologic und der Okologie. Auch naturphilosophische Fragen sind nicht ausgeklammert, denn es geht um das Menschenbild. In der Auseinandersetzung mit dem Missbrauch der Evolutionstheorie bleibt zu betonen, dass diese nichts dariiber sagt, wie die Dinge sein sollten, aber vieles dariiber sagt, wie sie geworden sind, was sie sind. Evolutionstheorien sind unbrauchbar als Moraltheorie, selbst wenn sie Aussagen dariiber macht, was moralisches Verhalten ist und wozu sie gut ist. „Hierzu muss ganz deutlich gesagt werden, dass die Evolutionare Erkenntnistheorie keine unmittelbaren ethischen Konsequenzen hat. Sie untersucht die kognitiven Fahigkeiten der Lebewesen. Deshalb liegen ihre wichtigsten Folgerungen auf erkenntnistheoretischem, nicht aber auf ethischem Gebiet." (Vollmer 1994, 215, Hervorhebungen im Original) Wenn auch Charles Darwin nicht der Erste war, der sich Gedanken iiber die Entwicklung der Arten machte, so hat er mit seinen Beitragen die Diskussion popular vorgetragen und dieser Theorie zum Durchbruch verholfen. Die erste Auflage von 1250 Exemplaren seines 1859 erschienenen Werkes „Die Entstehung der Arten" war bereits am Tag des Erscheinens vergriffen. In den weiteren sechs Auflagen, die bis zu Darwins Tod erschienen und von ihm besorgt wurden, gab es keine wesentlichen Anderungen an der Theorie selbst. Er ging aber immer wieder auf die emsthaften Einwande ein, die vorgebracht wurden. Darwin fand Indizien, dass die Arten nicht unveranderlich sind. Besonders das reichhaltige Material, das er auf seinen Reisen sammeln konnte, belegte seine Vermutungen. Fiir ihn vollzog sich die Veranderung durch eine innerartliche Variation, die durch Vererbung an die Nachkommen weitergegeben werden konnte. Er war der Meinung, dass dieser Wandel graduell und in kleinen Schritten vor sich gehen musste. Durch eine Uberproduktion an Nachkommen kommt ein weiteres zentrales Moment in die Theorie, namlich das der Selektion, oder wie es bei ihm hieB: die natiirliche Zuchtwahl. Dies ist das zentrale Element, das andere Evolutionstheorien vom Darwinismus trennt. Jede Veranderung muss sich in der zeitlich und ortlich definierten Umwelt beweisen. Da diese ihrerseits einem standigen Wandel unterliegt, ist die Evolution keine Entwicklung zu einem definitiven Optimalen, sondem eine immer wahrende Anpassung an die Randbedingungen der Umwelt. Darwinismus ist kein Taylorismus. Die wichtigsten Komponenten der Theorie beginnen mit Feststellungen: 1. Es gibt eine innerartliche Variation. Jedes Individuum ist einzigartig. 2. Diese Veranderungen konnen an die Nachkommen weitergegeben werden. 3. Es gibt einen Uberschuss an Nachkommen. Alle Lebewesen produzieren mehr Nachkommen, als schlieBlich zur Reife kommen, um ihrerseits Nachkommen zu produzieren. 4. Trotzdem bleibt die Population (von phasenweisen Schwankungen abgesehen) im AUgemeinen relativ konstant. 5. Das Angebot an Nahrung ist begrenzt. All diese Beobachtungen waren schon vor Darwin durchaus unstrittig, doch er zieht daraus neue Schlussfolgerungen: 1. Die einzelnen Lebewesen stehen miteinander in einem Wettbewerb um die Ressourcen. 2. Nur die Tiichtigsten in diesem Wettbewerb iiberleben („survival of the fittest") und konnen ihre Eigenschaften weitergeben.
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Die Grundlagen der Evolutionspsychologie
3. Erst iiber viele Generationen hinweg kommt es zu merklichen Veranderungen iind zur Entstehung von Arten. Darwins Sichtweise auf die Rolle der graduellen Veranderung und anschlieBender Selektion war fur seine Zeit auBergewohnlich. Bei Platon war die Variation eine Abweichimg vom Ideal, bei Darwin ist sie zentrale Position der Theorie. Die Mutation ist bezogen auf das Individuum eine zufallige Veranderung. Erst die Selektion ist der kreative Faktor, der iiber Untergang und Uberleben entscheidet. Selektion ist kein zufalliger Prozess. Eine Adaption ist der phanotypische Losungsansatz eines lange andauemden Prozesses und keine zielgerichtete, intentionale Entwicklung. In der Evolution kann man funf Einflussfaktoren der Selektion unterscheiden. Der erste Faktor ist die physische Umwelt wie die durchschnittliche Temperatur, der Sauerstoffgehalt der Luft. Diese bestimmen Art und Funktionsweise etwa der Atmungsorgane oder die Hautbeschaffenheit. Die Bedingungen der okologischen Nische wie Dichte und Art des Baumbestandes verschaffen sich Geltung in der Gestaltung der Fortbewegungs- und GreifgliedmaBen oder in der Ausbildung der visuellen und akustischen Wahmehmungsorgane. Die nachsten beiden betreffen die Einfliisse durch artfremde Lebewesen. Auf der einen Seite diejenigen, die als Nahrungsquelle dienen. Sie bestimmen, welche Greif- und Kauwerkzeuge vorteilhaft sind, auch die Entwicklung des Verdauungsapparates und dessen Effektivitat der Ressourcenausbeute ist das Ergebnis von Mutation und Selektion. Auf der anderen Seite die Fressfeinde, denen eine Art als Nahrung dient. Gefahrenwahmehmung und -reaktion, Flucht- und Verteidigungsinstrumente sowie -strategien ergeben sich daraus. SchlieBlich gibt es noch zwei artinteme Merkmale der Selektion, namlich die gleichgeschlechtliche Rivalitat (Rangkampfe) und die andersgeschlechtlichen Auswahlkriterien (fitnessrelevante und asthetische Kriterien). Selektionsdruck offenbart sich also nicht nur durch das Auftreten und Verhalten von Fressfeinden und Beute, sondem ebenso durch die Konkurrenz der Gleichgeschlechtlichen und die Auswahl durch die Sexualpartner. Diese Anforderungen stehen zum Teil im Widerspruch zueinander. Das Geweih der Hirsche etwa ist sicherlich bei der Nahrungssuche oder auf der Flucht im Wald eher hinderlich, doch ist es unerlasslich in der Auseinandersetzung der mannlichen Tieren untereinander bei den Kampfen um die Vorherrschaft im Rudel und damit um den Zugang zu den Weibchen. Damit findet Evolution nicht nur statt als Auseinandersetzung im Kampf um Ressourcen zwischen den Arten, sondem ist wesentlich ein innerartlicher Wettbewerb. Nahrungsangebot und Fortpflanzungsstrategie bedingen sich ebenso wie innerartliche Konkurrenz um Nahrung und Kooperation gegen Fressfeinde. Darum geht es im Kampf urns Dasein nicht um die Erhaltung der Art. Die Evolution bringt keine Arten hervor, sondem Individuen. Vor- und Nachteile innhalb von Gmppen als Motor flir Evolution werden von dem Neodarwinisten Richard Dawkins, dessen Beitrag betrachtenswert ist, hervorgehoben. Darwin konnte noch keine Ahnung von dem Trager der biologischen Informationen und den Mechanismen haben, wie diese gespeichert und weitergegeben werden. Ebenso wenig konnte er fundiert iiber die Mechanismen der Selektion nachdenken. Beide Phanomene sind heute weitgehend bekannt, wenn auch nicht endgiiltig entschliisselt.
Evolution = Genetik + Spieltheorie
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Evolution = Genetik + Spieltheorie Die modeme Auffassung der Evolution weiB mehr iiber den Trager der Information imd die Mechanismen der Selektion. Evolution kann man heute beschreiben als Genetik plus Spieltheorie. Genetik Einen entscheidenden Beitrag lieferte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Wiederentdeckung der Theorie von Gregor Johann Mendel, einem osterreichischen katholischen Priester, der durch Experimente beim Ziichten von Erbsen die Prinzipien der Vererbung formulierte. Er widersprach der Auffassung, dass bei der Fortpflanzung die elterlichen Eigenschaften einfach verschmelzen und als eine Kombination miitterlicher und vaterlicher Anteile erscheinen. Nach Mendel verlieren die Erbfaktoren nicht ihre Identitat, sondem werden in der neuen Generation neu gemischt. Einzelne Charakteristika sind unabhangig voneinander und werden unabhangig voneinander vererbt. Manche Informationen sind dominanter als andere und erst dieses Prinzip der Mischung erklart sowohl Stabilitat als auch die fiir die Evolution enorm wichtige genetische Vielfalt. Hugo de Vries, Carl Correns und Erich Tschermak-Seysenegg modifizierten Mendels Theorie durch die Entdeckung des Tragers dieser Informationen: Chromosomen und Gene sind die biologischen Grundlagen fur die Ubermittlung der vererbbaren Charakteristiken. Diese stellen einen universellen Code dar, der direkte Beweise der Evolution als solche zu liefem vermag, namlich Antworten auf die Fragen: „1. Haben sich Organismenarten verandert? ... 2. Wie verlief (verlauft) die Evolution im Allgemeinen und in den einzelnen Stammesreihen im Besonderen? ... 3. Welche Mechanismen liegen der Evolution zu Grunde?" (Wuketits 1988, lOf) Damit war zudem ein Problem von Darwins Theorie gelost: Mutation, also die Veranderung der Erbinformation, greift auf der Gen-Ebene, wahrend Selektion auf der Ebene der Phanotypen und Individuen wirkt. Das Mischen der Erbinformation und damit die Mutation wird beschleunigt durch die geschlechtliche Fortpflanzung. Damit ist der Wandel nicht nur auf die zufallige Veranderung bei den Kopien wahrend der Zellteilung beschrankt, sondem es kommen neue Informationen in den Kreislauf Damit werden Sex und die Strategien der Auswahl optimaler Gentrager zum Bestandteil des Uberlebens. Die Rolle der Gene, Chromosomen und Genome in der Evolution ist mittlerweile weitgehend Lehrbuchwissen. Genmutation und Rekombinationen von Genen sind verantwortlich fur die Vielgestaltigkeit der Gattungen. Bei der evolutionistischen Beurteilung dieser Vorgange muss immer der Selektionswert der mutierten Gene beriicksichtigt werden. Wenn man von Adaption in einem evolutionaren Kontext spricht, meint man, dass eine bestimmte Eigenschaft einen selektiven Vorteil hat. Das heifit, dass der Trager dieser Eigenschaft mehr der entsprechenden Gene an nachfolgende Generationen weitergeben kann als jede alternative Eigenschaft. Das ist der MaBstab, nach dem man in der Biologic das Angepasstsein einer Eigenschaft misst. Doch nur das zu beschreiben ist zu wenig. Denn das besagt nicht mehr, als dass die Gene, die iiberlebt haben, diejenigen sind, die am besten iiberleben: die darwinistische Tautologie (Dunbar 1998a und 1982). Vielmehr geht es darum festzustellen, warum manche Gene und die damit verbundenen Eigenschaften offenbar Vorteile vor anderen haben. Dies hat zu tun mit Anpassung. Man muss beantworten, auf welche Weise eine bestimmte Eigen-
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schaft seinen Trager in die Lage versetzte, die eine oder andere Aufgabe des Uberlebens besser zu meistem, oder wie es ihm gelang, seine Gene optimaler zu reproduzieren und sie an die folgenden Generationen weiterzugeben. Man muss also iiber die Konsequenzen nachdenken, die eine veranderte Eigenschaft mit sich bringt. Optimiert sie die Chancen des Tragers, diese weiter zu vererben? Die entscheidende Antwort gibt die Spieltheorie. Spieltheorie In „Evolution and the Theory of Games" weist John Maynard Smith (1982) nach, dass die Selektion eine spieltheoretische Struktur aufweist. Er entwickelt ein Modell fiir Evolution, wobei die Fitness eines Phanotyps abhangt von der Haufigkeit seines Auftretens in einer Population. Die richtige Methode, die Vorteile einer bestimmten Auspragung zu bestimmen, ist die Minimax- oder Optimierungstheorie, wobei sich jeder so verhalt, dass er seine Verluste minimiert. Die Spieltheorie wurde zwar urspriinglich entwickelt in Bezug auf okonomisches Verhalten und fiir die Analyse menschlicher Konflikte, Maynard Smith ersetzt die zentrale Voraussetzung, dass sich alle Spieler rational verhalten und sich nicht selbst schaden, durch die der Populationsdynamik und der Stabilitat, das Kriterium des Selbstinteresses durch den Begriff der darwinistischen Fitness. Das Modell der spieltheoretischen Annahmen ist in der Biologic heute allerseits akzeptiertes Allgemeinwissen. Richard Dawkins vergleicht die Evolution mit einer Spielbank. Die Wahrung ist die genetische Information. Die wichtigen GroBen sind Einsatz, Chancen und Gewinn. Ziel ist es, das Uberleben zu sichem und die Rate der Reproduktion zu erhohen. Das Uberlebensspiel entwickelt Strategien, deren erfolgreiche Varianten sich auszahlen in einem Plus an Nachkommen. „Aber selbstverstandlich brauchen wir uns nicht vorzustellen, dass die Tiere ihre Berechnungen bewusst anstellen. Wir brauchen lediglich anzunehmen, dass Individuen, deren Gene ein Gehim so bauen, dass es gewohnlich die richtige Entscheidung trifft, als unmittelbare Folge dessen mit groBter Wahrscheinlichkeit uberleben, und dass eben jene Gene weitervererbt werden." (Dawkins 1978, 105) Die Evolution der Kooperation Nicht nur korperliche Eigenschaften sind fur das Uberleben verantwortlich, auch das Verhalten, das heiBt auch der Umgang mit dem Korper unterliegt den Gesetzen der Auslese. Genetisch fixierte Verhaltensmuster sind ebenso das Ergebnis der Evolution wie korperliche Merkmale. Uber den Trager der Information besteht mittlerweile Klarheit: Es sind die Gene. Doch wie konnen sich Verhaltensmuster herausbilden? Welche haben Vorteile gegeniiber anderen? Vor allem die Kooperation scheint ein Problem darzustellen. Wie kommt es zu einem Verhalten, das fiir den Einzelnen zunachst nicht als Vorteil zu erkennen ist? Wie kann es zu Kooperation unter nicht verwandten Individuen kommen? Die in der Okonomie entwickelte Spieltheorie kann Antworten geben. Die Spieltheorie ist eine allgemeine mathematische Theorie des rationalen Verhaltens in einer Entscheidungssituation, deren Ausgang von den Aktionen mehrerer autonomer Entscheidungstrager bestimmt wird. Begriindet wurde die Theorie von dem Okonomen Oskar Morgenstem und dem Mathematiker Johann von Neumann. Die Theorie wurde untermauert in dem 1944 erschienen Werk „The Theory of games and economic beha-
Soziobiologie: Egoistische Gene und kooperatives Verhalten
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viour". Sie baut auf der Minimax-Regel auf, die den Entscheidungstragem eine risikoaverse Haltung zuordnet und besagt, dass der Entscheidungstrager die Alternative wahlt, die beim jeweils ungiinstigsten Umweltzustand noch zum besten Ergebnis fuhrt. Die beiden Autoren vertreten die These, dass strategisches Verhalten, volkswirtschaftliche Optimierungsprobleme und die Kooperation gesellschaftlicher Gruppen wie auch Konflikte und deren Losung sich in ein einheitliches mathematisches Modell iiberfiihren lassen. Ein wesentlicher Aspekt der Theorie ist, dass die unterschiedlichen Kenntnisse und Inforaiationen iiber die jeweilige Situation und iiber die Moglichkeiten der Gegner den Entscheidungsprozess der Einzelnen maBgeblich beeinflussen. Will man ein Spiel gewinnen, dessen Sieg von der eigenen Strategie abhangt und dessen Spielmoglichkeiten durch Spielregeln beschrankt sind, so ist es notwendig, fur jede zu erreichende Position den nachsten Zug zu bedenken, der Gewinn in Aussicht stellt Oder zumindest die eigene Lage nicht verschlechtert. Von Neumann und Morgenstem klassifizieren verschiedene Formen der Entscheidungssituationen: 1. Extensive Form: Die Spieler sind in jeder Partie immer wieder am Zug. Durch die Interpretation jeder einzelner solcher Zugfolgen als Strategien kann jedes Spiel extensiver Form auf ein Spiel in Normalform zuruckgefuhrt werden. 2. Die Normalform: Der Spieler und der Gegenspieler konnen unabhangig voneinander nur einen Zug ausfuhren. 3. Kooperative Form: Hier stellt sich die Frage, was die Zusammenarbeit von Spielem, die Absprache und gemeinsame langfristige Planung bewirken. Bei von Neumann und Morgenstem befmden sich die Spieler in einem Nullsummenspiel: Der eine bekommt exakt die Summe, die der andere Spieler verliert. Dieses Modell wurde von John F. Nash (fur die Normalform) weiterentwickelt: Im Nash-Gleichgewicht verhalten sich alle Spieler optimal bei gegebenen Aktionen der Mitspieler. Die Akteure werden durch das Verhalten der Mitspieler gezwungen, eine einmal gewahlte Strategie ftir den Rest des Spiels beizubehalten. Da alle diese Erfahrung gleichzeitig machen, bleibt der Verlauf des Spiels stabil. Mit diesen Uberlegungen werden bereits philosophische, erkenntnistheoretische Probleme angesprochen. Damit beriihren sie nicht nur Hintergriinde des rationalen Denkens und Verhaltens. Auch die Bereiche der Kommunikation werden damit angesprochen. Es entsteht zum Beispiel die Frage, wie ein gemeinsamer Wissenshintergrund zu formalisieren ist und wie der gesellschaftliche Austausch dariiber aussehen konnte. John Harsanyi fasste diese Fragen in einem mathematischen Modell zusammen, das ein Gleichgewicht ermoglicht, in dem alle Teilnehmer iiber den Spielverlauf informiert sind. Nach der Auffassung von Biologen lassen sich evolutionare Prozesse, die zum Beispiel die Artenentwicklung betreffen, mit Hilfe einer entsprechenden Veranderung des Nash-Gleichgewichtes besser erklaren als mit dem herkommlichen, inzwischen schon veralteten Survival of the Fittest. (Vgl. Rosenmiiller 1998,92 ff) Soziobiologie: Egoistische Gene und Icooperatives Verhalten Eine konsequente Anwendung der Auffassung von Evolution als Genetik plus Spieltheorie bietet der Begriff des egoistischen Gens. Die provokante Hauptthese - urspriinglich entwickelt von William Hamilton, weiterentwickelt von Robert Trivers und E. O. Wilson und schlieBlich popular gemacht von Richard Dawkins - besagt, dass Menschen, wie alles Leben, von Genen erschaffene Maschinen sind, deren Zweck es ist, eben diese Gene zu reproduzieren. Das fundamental Interesse ist nicht, wie es
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noch bei Darwin schien, die Erhaltung der Art, auch nicht die der Gruppe, genau genommen nicht einmal die des Individuums, sondem es geht um die Erhaltung der Gene, der Inforaiationseinheiten der Vererbung. Der Umstand, dass Gene den Aufbau imd die Fimktionsweisen des Korpers bestimmen, hat evolutionare Bedeutung. Er hat zur Folge, dass Gene zumindest teilweise fiir ihr eigenes Uberleben verantwortlich sind, weil ihr Uberleben von der Effektivitat des Korpers, dessen Bauplan sie lieferten, abhangt. Gute Bauplane reproduzieren mehr gute Bauplan-Replikatoren. So kommt man vom Theorem des „Survival of the fittest" zum Theorem der „inklusiven Fitness", was bedeutet, dass es nicht nur um die Anpassung des Individuums an die Bedingungen der Umwelt geht, sondem um eine Anpassung, die es ermoglicht, effektiv viele Nachkommen zu erhalten. Zweifellos sterben viele Lebewesen jung (in der Tat sterben die meisten Gentrager, bevor sie die Chance bekommen, sich zu replizieren), doch jeder einzelne der Vorfahren lebte lange genug, um seine Geninformationen weiterzugeben. Dass einiges fur die These spricht, ist in der Tatsache zu sehen, dass Individuen Eigenschaften haben und Verhalten zeigen, die nicht im Interesse des Individuums sind, wohl aber im Interesse der Gene. Lebewesen werden nicht sonderlich alt und haben Nachwuchs. Wenn Evolution das Uberleben der fittesten Individuen belohnen wiirde, miissten sie uralt werden und kinderlos bleiben: Nachwuchs zu bekommen und zu versorgen ist gefahrlich sowie energie- und kostenaufwandig. Vom Standpunkt der Gene aus betrachtet, bietet Nachwuchs die Moglichkeit der Veranderung und Anpassung an eine sich verandemde Umwelt. Wann, wie und warum es zu organischen Molekiilen kam, die in der Lage waren, sich zu replizieren, ist nur schwer zu beantworten. Doch als der Mechanismus erst einmal in Gang gesetzt war, griffen die Gesetze der Evolution. Die ersten Gentrager waren wohl nicht mehr als Hiillen, um die Gene gegen eine chemisch feindliche Umwelt zu schiitzen. Solange geniigend Nahrung flir alle da war, war die Reproduktionsrate hoch, sobald diese ganzlich aufgebraucht war, konnte nur eine Variante der Molekiile uberleben, der es gelang, die Energie des Sonnenlichtes zu nutzen. Es waren die Vorlaufer der Pflanzen. Eine andere Variante nutzte die Arbeit und Fahigkeit der Pflanzen fur ihre Energiegewinnung. Tiere emahrten sich von Pflanzen oder von anderen Tieren. Artenvielfalt ist kein Zeichen von reichhaltigem Leben, sondem immer von Knappheit. Alle Arten miissen immer verfeinertere Strategien entwickeln, um sich gegen Konkurrenz um Ressourcen durchzusetzen. Die Strategien bestehen darin, andere Genmaschinen zufi'essenund zu vermeiden, gefressen zu werden (vgl. Dawkins 1978). Eine Moglichkeit besteht darin, sich zu bewegen. Genverandemngen, die Eigenschaflen des Gentragers betreffen, stehen im Zusammenhang mit Verhalten. Eine Verandemng der Organe schlieBt die Verandemng des Verhaltens mit ein. Die evolutionare Entwicklung von Fliigeln ist notwendig mit dem Verhalten verkniipfl, fliegen zu konnen. In diesem Sinne unterliegt Verhalten den Gesetzen der Evolution. Das Organ, das Verhalten steuert, ist das Gehim. „Nach Herz und Nieren hat das Gehim pro Gewichtseinheit den drittgroBten Energieverbrauch aller Organe. Ein durchschnittliches Gehim verbraucht 22 % des gesamten Kalorienbedarfs und dabei macht es keinen groBen Unterschied, ob es sich mit Nuklearphysik oder mit Klatsch und Tratsch beschafligt. Wegen der Verdreifachung unseres Gehimvolumens - verglichen mit unseren nachsten Verwandten, den Primaten - miissen wir zehn Prozent mehr Nahrung finden." (Jourdain 1998, 83)
Evolutionspsychologische Fragen im Rahmen einer Medientheorie
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Da die Evolution auBerst sorgsam mit der Ressource Energie umgeht, muss diesem Aufwand ein entscheidender Uberlebensvorteil gegeniiber stehen. Evolutionspsychologische Fragen im Rahmen einer Medientheorie Darwin deutete die Moglichkeit, die Theorie der Evolution auf den Menschen und dessen Psyche auszudehnen, nur vorsichtig als Ausblick an: „In einer femen Zukunft sehe ich ein weites Feld fur noch bedeutsamere Forschungen. Die Psychologie wird sicher auf der von Herbert Spencer geschaffenen Grundlage weiterbauen: Dass jedes geistige Vermogen und jede Fahigkeit nur allmahlich und stufenweise erlangt werden kann. Licht wird fallen auf den Menschen und seine Geschichte." (Darwin 1963, 678) Heute ist Evolutionspsychologie die Wissenschaft, die diesen Schritt geht. Die Hauptthese der Evolutionspsychologie ist: Die Menschen sind das Ergebnis des evolutionaren Anpassungsprozesses. Der Korper ebenso wie das Gehim haben sich durch die Anpassung an die Umwelt entwickelt. Der Geist ist seit Anfang der Menschheitsgeschichte darauf eingestellt, Probleme zu losen, die bereits bestanden, als unserer Vorfahren noch als Sammler und Jager durch die Savannen und Steppen zogen. Sesshaftigkeit, Ackerbau und das, was man Kultur nennt, ist kaum mehr als 10.000 Jahre alt - in evolutionarer Zeitrechnung sehr wenig. Die immer wiederkehrende Frage ist dabei: Welchen Sinn hatte dieses oder jenes Merkmal im Rahmen der evolutionaren Fitness? Evolutionspsychologie ist keine historische Psychologie im Sinne einer soziologischen Aneignung von Verhalten unter geschichtlichen Bedingungen. Abgeleitet von der Evolution der Biologic, die das Design des Organischen beschreibt, geht es um Argumente in der Funktionalitat der Psyche. Ebenso wie Organe von ihrer Funktionalitat bestimmte Merkmale aufweisen, werden die Funktionalitaten des Gehims gesucht. Ein Schwerpunkt liegt in der Erforschung der psychologischen und mentalen Mechanismen unter den Gesichtspunkten der Entscheidungsprozesse, Informationsverarbeitung und darwinistischer Algorithmen. Dies sind angeborene spezialisierte Lemmechanismen, die sich in vorhistorischer Zeit entwickelt haben, um Wahmehmung und Erfahrung in adaptiv sinnvoUe Schemen zu organisieren. Das Ziel der Evolutionspsychologie ist die Erklarung von Funktionsweisen der psychologischen Mechanismen, einschlieBlich der Konsequenzen auf ihre Arbeitsweisen und der Einfliisse durch unterschiedliche Umweltbedingungen. Die Spannbreite reicht von unmittelbarer sozialer und physikalischer Umwelt bis zur Verarbeitung von Erfahrungen in Lemvorgangen und zukiinftigen Entscheidungen. Adaptive Probleme in vorgeschichtlicher Zeit Es geht darum, die Bedingungen der langsten Zeit der Menschheitsgeschichte zu untersuchen. Die Bedingungen konnen der Umwelt entstanmien wie zum Beispiel das Aufrechterhalten der Korpertemperatur, Fressfeinde erkennen und ihnen aus dem Weg gehen, geniigend und angemessene Nahrung fmden, Krankheiten vermeiden oder das Zusammenleben in menschlichen Gruppen organisieren. Physische, okologische und soziale Elemente spielen zusammen. Zu den sozialen zahlen beispielsweise das Finden eines Sexualpartners, kooperative Gruppenstrukturen bilden, sich vor Betriigem hiiten, Status erlangen, sich vor innerartlichen Feinden schiitzen, mit anderen kommunizieren oder den Gruppenzusammenhalt fordem. Man kann annehmen, dass der soziale Stress ganz wesentlich das Gehim gebildet hat und Einfluss auf dessen Funktionsweise hatte.
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Deiin immerhin sind es diese Probleme, die unser Menschsein ausmachen. Die anderen Probleme losen auch Tiere ganz gut, die mit weniger Himmasse auskommen. Ein wesentliches Erkennungsmerkmal des Menschen ist demnach seine Fahigkeit, kommimikative Probleme durch die Entwicklung verschiedener Mechanismen gelost zu haben. Als Ergebnis des Selektionsdruckes haben sich spezielle Mechanismen entwickelt, die in der Lage sind, mit den genannten sozialen und nichtsozialen Problemen umzugehen. Reproduktion ist unter darwinistischer Sichtweise der eigentliche Sinn des Lebens. Sie geht iiber das Uberleben des Individuums hinaus und schlieBt die Bedingungen mit ein, unter denen man sich effektiv fortpflanzt. Tatigkeiten fallen darunter wie den richtigen Sexualpartner zu finden und schlieBlich den Nachwuchs zu beschiitzen und zu versorgen. Da diese Funktionen sehr eng mit der Vererbung zu tun haben, ist anzunehmen, dass das entsprechende Verhalten eng mit adaptierten Verhaltensweisen erklart werden kann. GemaB Leda Cosmides und John Tooby kann die Evolutionstheorie nicht in direkter Weise zur Erklarung und Vorhersage von Verhalten benutzt werden. Vielmehr muss die Ebene der ,psychologischen Mechanismen' beriicksichtigt werden, die die evolutionaren Prozesse mit dem manifesten Verhalten verbindet. Da die natiirliche Auslese nicht Verhalten als solches, sondem nur Mechanismen auslesen kann, ist die Evolutionstheorie fur die Suche nach den ordnenden Prinzipien menschlichen Verhaltens notwendig, stellt aber selbst nicht die Ebene der ordnenden Prinzipien dar. Dies gilt auch fiir andere Bereiche. So sind Zahne, Speichelproduktion, eine peristaltische Speiserohre, ein mit Saure gefullter Magen, ein absorbierender Darm usw. alles Mechanismen, die Verdauung bzw. Emahrung erzeugen. Verdauung ist ein Effekt, und dieser Effekt kann nicht in Abwesenheit der Mechanismen auftreten, die ihn produzieren. Ebenso ist Verhalten ein Effekt, der durch Mechanismen produziert wird. Die Adaptionen, iiber die die menschliche Spezies heute verfugt, sind keine Reaktionen auf aktuelle Probleme, sondem das Ergebnis von Reaktionen vergangener Probleme. Diese miissen so gravierend gewesen sein und lange genug angedauert haben, dass sich aus zufalligen Veranderungen zentrale Merkmale unseres Wesens entwickelt haben. Um nachzuweisen, dass ein kognitiver Mechanismus eine Adaption ist, muss man nachweisen, dass er geeignet ist, ein adaptives Problem mit besonderer Effizienz zu losen und dass er gleichzeitig nicht besser erklart werden kann als Nebenprodukt eines anderen, allgemeineren Mechanismus. Ein Kriterium fur das Vorhandensein solcher Mechanismen ist das Auftreten von universellen psychologischen Mechanismen. Universell bedeutet, dass sie unabhangig von lokalen kulturellen Eigenheiten existieren. Man kann in der Evolution also neben den Adaptionen so genannte Nebenprodukte und zufallige Mutationen feststellen. Nebenprodukte sind Eigenschaften und Attribute, die nicht selektiert wurden. Dass Knochen etwa eine weiBe Farbe haben, ist nicht auf Grund eines besonderen Druckes entstanden. Die Farbe kommt einfach nur dadurch zustande, dass der Hauptbestandteil des Knochens Kalzium ist. Zufallige Mutationen stellen das entropische Rauschen dar, das notig ist, um neue Varianten zu schaffen. Die Wissenschaften, aus denen man sich bei der Suche bedient, sind breit gefachert. Man zitiert empirische Erkenntnisse aus Palaontologie, Anthropologic, Biologic, Primatenforschung, Ethologie, Neurophysiologie, Linguistik, Psychologic und Soziologie. Darum gibt es nicht den zentralen Vertreter der Theorie, sondem es ist eine lose
Evolutionspsychologische Fragen im Rahmen einer Medientheorie
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Vereinigung von Wissenschaftlem, die jeweils aus ihrer Sichtweise Beitrage liefem. Die Diskussion wird gefuhrt in einer Reihe von Fachzeitschriften, die den einzelnen Disziplinen zuzuordnen sind. Zum Beispiel: Human Nature, Scientific American, Current Anthropology, Annual review of Anthropology, Cognition, Journal of Social and Biological Structures, Advances in the Study of Behavior, Journal of Theoretical Biology, American Anthropologist. Eine Zeitschrift ist jedoch zu nennen, die sich explizit den Themen der Evolutionspsychologie widmet: Evolution and Human Behavior (hervorgegangen aus der Zeitschrift „Ethology and Sociobiology", 1997 umbenannt), das Journal der Human Behavior and Evolution Society. An Monografien sind zwei Hauptwerke erschienen. Das erste, „The Adapted Mind" (Barkow, Cosmides & Tooby 1992), sammelt exemplarisch Ansatze, Theorien und Erklarungen zum Gehim als ein an spezifische Umweltbedingungen entwickeltes und angepasstes Instrument. Das zweite, „Handbook of Evolutionary Psychology" (Crawford & Krebs 1998), fuhrt diese Arbeit fort und bringt die Diskussion auf einen aktuelleren Stand. Diese beiden Bande sowie die Literatur, die den einzelnen Aufsatzen zu Grunde liegt, sind die Basis der vorliegenden Arbeit. Es geht hier nicht um eine Diskussion der Evolutionspsychologie und deren Pramissen, sondem um einen Versuch, deren Erkenntnisse auf die Darstellungen in den Medien anzuwenden. Im ersten Hauptteil geht es um die Frage, wie Menschen wahmehmen und wie Medien gestaltet sein miissen, um Informationen glaubhaft zu machen. Wenn die These vom Attrappencharakter der Medien richtig ist, miissen sich diese auf die Wahmehmungsweisen einstellen. Film und Femsehen weisen Muster auf, die in der natiirlichen Wahmehmung fehlen oder zu fehlen scheinen. Zum Beispiel: Schnitte, Uberblendungen, Zeitraffer oder unterschiedliche EinstellungsgroBen. In der Psychologic trennt man die Wahmehmung von deren mentaler Verarbeitung. Diese Unterteilung wird hier beibehalten, so problematisch sie in diesem Zusammenhang auch sein mag. Medien-Wahmehmung kann man unterscheiden in visuelle und akustische, da nur das Auge und das Ohr von den Medien angesprochen werden. Bei der Frage nach der Verarbeitung von Wahmehmungen geht es vor allem um die Frage, was diese an weiteren Himaktivitaten auslosen. Uber Emotionen und iiber das Auslosen von Emotionen ist nachzudenken. Dies ist dann nochmals zu trennen von der Rezeption. Hier wird dann nach den Interessen gefragt, die Menschen dazu bringen, sich mit fiktionalen wie nichtfiktionalen Geschehnissen zu befassen und dariiber mit anderen zu kommunizieren. Im zweiten Hauptteil werden die in den Medien dargebotenen Inhalte untersucht. Im Zentmm steht das Femsehen, weil es die groBte Zuwendung erfahrt und mittlerweile von alien Medien die groBte Reichweite hat. Es ist ein Konglomerat aus vielen traditionellen Medien und bietet sowohl fiktionale wie faktische Aufarbeitungen. Es verbindet die Aktualitat des Radios mit der Informationsdarbietung der Tageszeitung und der emotionalen Ansprache des Kinofilms. Die Aufteilung der Kapitel und Unterkapitel ist vorgegeben durch die Themen der Evolutionspsychologie: Am Anfang stehen Uberlegungen zur Kommunikation selbst und zur Funktion der Sprache. Wenn es ein TV-Genre gibt, das diese Funktionen am besten darstellen kann, ist es mit Sicherheit die Talkshow. Weitere zentrale Komplexe drehen sich um Selbstdarstellung, Partnerwahl und soziale Einordnung. Fragen der asthetischen Wahmehmung und der Funktion von Asthetik stehen hierbei am Anfang, gefolgt von den evolutionspsychologischen Betrachtungen
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Die Grundlagen der Evolutionspsychologie
zur Partnerwahl. Ein weiteres Moment der Partnerwahl ist die gleichgeschlechtliche Konkurrenz um Sexualpartner. Diese wird unter anderem ausgetragen in Leistungsprasentationen, unter denen Sportveranstaltungen fiir Manner, die untereinander Hierarchien ausmachen, auch medial die wichtigsten sind. Es geht um die Fragen: „Was hat der Sportier davon?" und „Was hat der Zuschauer davon?", denn immerhin erreichen Sportiibertragungen regelmaBig die hochsten Einschaltquoten. Komplexe Kooperation auch unter Nichtverwandten ist eine der Fahigkeiten, die die Menschen von vielen Tierarten unterscheidet. Eine Gesellschaft, die auf reziprokem Altruismus aufbaut, ist anfallig fur Betriiger. Darum ist zu erwarten, dass Kooperation und das Identifizieren von Betriigem ein wichtiges Thema im gesellschaftlichen Diskurs ist. Die Themen der Nachrichtensendungen sind daraufhin zu untersuchen. Alle genannten Themenkomplexe haben dokumentarische und fiktionale Bearbeitungen: Soap Operas als visualisierter Klatsch und Tratsch, Romanzen und Pomografie als die Suche nach Sexualpartnem, Nachrichten und Kriminalfilme als Suche nach Betriigem und deren Bestrafung. Nach den Unterschieden der Prasentationsweisen ist zu fragen. Daran anschlieBend ist das Problem der Unterscheidung zwischen Information und Unterhaltung zu behandeln, das in der Diskussion um offendich zugangliche Medien immer wieder auftaucht. Bei einer Spezies, die groBen Aufwand betreibt, ihre Nachkommen zu hegen und zu pflegen, sollte sich dies in den Themen ihrer Kommunikation niederschlagen. Zum einen sollten sich Verhaltensweisen bilden, die sich besonders fur eine spezifische Eltem-Kind-Kommunikation eignen, zum anderen ist zu erwarten, dass Menschen, die zeigen, dass sie sich fiir Kinder einsetzen, einen guten Ruf haben. Da die Theorie der Evolutionspsychologie kein abgeschlossenes Theoriegebilde ist, kann auch diese Arbeit keine abgeschlossenen Fakten und Daten liefem. Es kann also nur darum gehen, die Evolutionspsychologie heuristisch zu verwenden, um neue Einblicke in die Phanomene der Massenkommunikation zu bekommen. Diese Arbeit kann nur exemplarische Einblicke liefem. An ein paar Beispielen sind die Entdeckungen, die fur diese Untersuchung relevant sind, vorzustellen und daraus die Fragen abzuleiten, die mit der Wahmehmung und der Verarbeitung von Medien und deren Inhalten zu tun haben. Antworten sind zu suchen und auf ihre Plausibilitat zu priifen. Die zentrale These der Evolutionspsychologie lautet: Das Gehim arbeitet nicht wie ein Computer, ist keine Allzweck-Maschine, die fiir alle Arten von Aufgaben programmierbar ist, sondem ist fur besondere Aufgaben eingerichtet. Die natiirliche Selektion konnte nur spezifische Mechanismen entwickeln, um mit spezifischen Problemen umzugehen, die in vorgeschichtlichen Zeiten bestanden. Die menschliche Psyche muss eher spezielle Muster enthalten als allgemeine Mechanismen, die eine groBe Spannbreite von Problemen losen konnen. Die Evolutionspsychologie betrachtet: 1. die Bedingungen der vorgeschichtlichen Gesellschaften, die ein bestimmtes Verbalten hervorbrachten; 2. die Mechanismen, die durch die natiirliche Selektion geformt wurden und adaptives Verhalten hervorbrachten; 3. die Art und Weise, wie diese Mechanismen sich heute darstellen. Der menschliche Geist ist keine Tabula rasa, im Gegenteil, der menschliche Geist ist genau wie der Korper das Ergebnis eines langen selektiven Prozesses. Genauso wenig wie der Magen ein Apparat ist, der alles verdauen kann, ist das Gehim in der Lage, al-
Evolutionspsychologische Fragen im Rahmen einer Medientheorie
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les gleichberechtigt aufzunehmen, was dargeboten wird. (Crawford, in: Crawford & Krebsl998,34f.) Die Fahigkeiten zu lemen und zu verstehen, sind begrenzt. Es gibt Dinge, die man offenbar sehr leicht lemen kann (unsere Muttersprache), wahrend andere schwerer fallen (Schreiben und Rechnen). Das eine lemt man, ohne Grammatik und Vokabeln pauken zu miissen. Das andere kostet viel Miihe, Konzentration und mitunter lange Jahre der Ubung. Die Methoden der Evolutionspsychologie sind der Evolutionsbiologie und der experimentellen Psychologie entnommen. Die Hypothesen werden aus den vermuteten Bedingungen der evolutionaren Vorzeit gebildet. Der aktuelle Stand der Biologie in Bezug auf Genetik ist ebenso Grundlage wie Gedanken der theoretischen Biologie etwa zu den Anwendungen der Spieltheorie auf das Verhalten. Aus den Hypothesen werden Vorhersagen abgeleitet, die durch standardisierte Experimente getestet werden, wobei diese mitunter in verschiedenen Kulturen durchgefiihrt werden miissen, um allgemein giiltige Aussagen machen zu konnen. Das Auftreten eines Merkmals, das in vielen oder alien Kulturen auftritt, ist ein Indiz fur Mechanismen der Art, wie sie die Evolutionspsychologie sucht. Zusammenfassend sind es drei Merkmale, die evolutionspsychologische Gedanken kennzeichnen: „1. Der in Frage stehende Mechanismus tritt speziesweit (beim Menschen: interkulturell) auf und entwickelt sich (ontogenetisch) verlasslich bei den Mitgliedem der betreffenden Spezies, solange ihre Umwelt der evolutionaren Umwelt geniigend ahnlich ist. 2. Es gibt ein Anpassungsproblem, das dieser Mechanismus lost, und er lost es besonders effizient. 3. Seine Existenz kann nicht besser durch die Annahme erklart werden, dass er ein Nebenprodukt einer anderen Anpassung oder eine zufallige Entwicklung darstellt." (Meyer, Schutzwohl & Reisenzein 1997, 185) Evolutionspsychologie griindet auf der Annahme, dass das menschliche Gehim aus einer Anzahl von funktionell spezialisierten Recheneinheiten besteht, die sich in der Evolution gebildet haben, um adaptive Probleme zu losen, vor denen die Jager- und Sammler-Vorfahren standen. Da alle Menschen eine gemeinsame evolutionare Vergangenheit haben, entwickeln alle Individuen verlasslich ein spezifisch menschliches Set von Vorlieben, Motiven, einen gemeinsamen konzeptionellen Rahmen, Emotionsprogramme, inhaltsabhangige Formen von Vemunft und spezielle Interpretationssysteme. Die Programme arbeiten unter der Oberflache der kulturellen Vielfalt, deren Auspragungen eine genaue Definition des menschlichen Wesens liefem. Ein Gehirn, das Betriiger sucht Mit einer Reihe von Experimenten konnten Cosmides und Tooby zeigen, dass - selbst wenn es eine allgemeine Logikfunktion des Gehims gibt - diese bei einigen Aufgabenstellungen offenbar besser funktioniert als bei anderen. Die Behauptung, dass die einzigen aus der Evolution ableitbaren psychischen Mechanismen general-purpose und inhaltsfrei sind, ist genau der Punkt, an dem sich evolutionspsychologische Annaherungen am scharfsten von traditionellen unterscheiden. Nicht die Kultur produziert die Psychologie der sozialen Interaktion, sondem in der Sichtweise der Evolutionspsychologen ist die inhaltsspezifische, in der Evolution entstandene Psyche einer der Bausteine, aus denen die Kulturen ihrerseits bestehen. Die Psyche entwickelte sich, um Infor-
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mationen zu verarbeiten iiber zeitlose und wichtige adaptive Probleme wie soziale Interaktion, sexuelle Eifersucht, Erkennen von Mitgliedem der sozialen Gruppe, Sprachaneignung, emotionale Anerkennimg oder elterliche Fiirsorge. (Cosmides & Tooby, in: Barkow, Cosmides & Tooby 1992, 207f) Die Wason Selection Task Zentral fiir die Theorie der Evolutionspsychologie ist der so genannte Wason Test. Er ist ein Werkzeug, um das Schlussfolgem unter bestimmten Bedingungen zu testen. Die Ergebnisse dieses Tests verandem sich systematisch, wenn man die Inhalte andert. Menschen sind offenbar nicht mit einer inhaltlich vollig flexiblen Disposition zur Adaption von Kultur ausgestattet, sondem im Gehim wurden bestimmte inhaltlich ausgerichtete Mechanismen evolutionar ausgebildet. In der von Cosmides und Tooby durchgefuhrten Versuchsreihe wird die Vorannahme spezifiziert, dass Menschen fur bestimmte soziale Vorgange, speziell „soziale Vertrage" und hier speziell das Entdecken von Betriigem (Leute, die etwas erhalten, ohne dazu entsprechend etwas zu geben), befahigter sind als fur andere Erkenntnisvorgange. Die urspriinglichen Ergebnisse der so genannten Wason Selection Task legten diese Annahme nahe. In den Folgeversuchen wird versucht, alternative Aimahmen zu eliminieren und die eigenen Annahmen zu stiitzen und zu spezifizieren. Es wird nicht aufier Frage gestellt, dass Menschen lemen, nachdenken, sich entwickeln oder Teil einer Kultur sind. Jedoch wird von der Evolutionspsychologie betont, dass diese Funktionen zimiindest teilweise von kognitiven Mechanismen ausgefiihrt werden, die nicht nur veranlagt, sondem dariiber hinaus inhaltsspezifisch sind. Peter Wason interessierte sich dafiir, ob Lemen tatsachlich das permanente Testen von Hypothesen ist. Er fragte sich, ob Menschen gut darin sind, Vorgange zu entdecken, die ihre Hypothese falsifizieren. Die Versuchspersonen sollten erkennen, wenn eine Regel in Form eines Bedingungssatzes von der Form: „Wenn P, dann Q" verletzt wird. Diese Regel wird verletzt, wenn P gegeben ist, aber Q falsch ist, also: „Wenn P, dann nicht Q." Versuchspersonen wird eine Aufgabe gestellt, die eine solche Regel enthalt. Dann haben sie vier verschiedene Karten zur Auswahl. Sie sollen nur die Karte oder Karten aussuchen, die sie brauchen, um die Regelverletzung zu ahnden. Die Regeln waren entweder kausal oder deskriptiv angelegt, es waren eingangige und weniger eingangige Regeln. Beispiel 1: Abstraktes Problem: Wenn jemand die Note „D" hat (P), dann miissen seine Dokumente mit dem Zahlencode „3" markiert werden (Q). Sie haben den Verdacht, dass Schul-Dokumente nicht korrekt bezeichnet sind. Jede ihnen vorliegende Karte reprasentiert ein Dokument. Auf der einen Seite fmden sie die Note, auf der anderen Seite den Zahlencode. Uberpriifen sie nur die Karten, die sie defmitiv brauchen, um zu priifen, ob obige Regel verletzt wurde. Die vier Karten sind folgendermaBen bezeichnet: D F 3 7 (P) (nicht-P) (Q) (nicht-Q) fur Testperson nicht sichtbar! Um den VerstoB zu entdecken, miisste die Versuchsperson nur zwei Karten umdrehen: Die Karte „D", um zu checken, ob auf der anderen Seite eine 3 steht, und die Karte „7", um zu schauen, ob auf der anderen Seite kein D steht. Nur 25 % der Leute haben die richtigen Karten gewahlt, die meisten haben nur „D" oder „D" und „3" umgedreht.
Evolutionspsychologische Fragen im Rahmen einer Medientheorie
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Beispiel 2: Zwischenmenschliche Vereinbamng. Weiin eine Person Bier trinkt (P), dann muss sie iiber 20 sein (Q): Biertrinker Colatrinker 25-jahrig 16-jahrig (P) (nicht-P) (Q) (nicht-Q) Dieser Versuch wurde von 75 % der Versuchspersonen richtig gelost („Biertrinker" imd„ 16-jahrig"). Menschen scheinen nicht generell dafiir angelegt, logisch zu denken. Befriedigende Erfolge konnten mit Abstand nur beim Entdecken von Briichen zwischenmenschlicher Vereinbarungen verzeichnet werden, die das Muster aufweisen: „Wenn du eine Leistung erhaltst, musst du die Kosten dafiir tragen." Die Ergebnisse waren theoretisch so bedeutsam, dass es zu weiteren Fragestellungen und Folgeversuchen kam: Sind die guten Ergebnisse bei Aufgaben mit zwischenmenschlichen Vereinbarungen durch Vertrautheit bedingt? Im nachsten Versuch wurde getestet, ob ganzHch unvertraute Problemstellungen, die zwischenmenschliche Vereinbarungen enthalten, gut gelost werden. Neben der unvertrauten zwischenmenschlichen Vereinbarung einer vollig fiktiven Kultur wurden den Versuchspersonen eine vertraute und eine unvertraute deskriptive Kegel und ein abstraktes Problem vorgelegt. Dabei wurden emeut die Probleme zwischenmenschlicher Vereinbarung, also das Finden von Betriigem (die etwas nehmen und nicht dafiir bezahlen), am besten gelost. Dies beweist, dass Vertrautheit nicht das relevante Kriterium fiir das Losen von Problemen ist und das Losen dieser Probleme nicht einfach nur kulturell implementiert. Erleichtem Aufgaben mit zwischenmenschlichen Vereinbarungen das logische Denken? Als Nachstes wurde getestet, ob die Aufgaben, die sich mit gesellschaftlichen Ubereinkiinften beschaftigen, einfach das logische Denken erleichtem. Hier wurden Aufgaben so gestellt, dass das Finden von Betriigem nicht die Erfiillung der Aufgabe darstellte. Die bisherigen Ergebnisse wurden bestatigt: Das Aufdecken von Betmg fordert das menschliche logische Denkvermogen. Gerd Gigerenzer (Gigerenzer & Hug 1992) konnte dariiber hinaus noch feststellen, dass das Auffmden von Betriigem zudem von der Perspektive abhangt. So wurde die Aufgabe „Wenn ein Arbeitnehmer eine Pension erhalt (P), muss er vorher mindestens 10 Jahre fur die Firma gearbeitet haben (Q)" unterschiedlich gelost, je nachdem, ob man die Perspektive des Arbeitgebers oder die des Arbeitnehmers einnimmt. Die Arbeitgeber untersuchten die Karten „P" und „nicht-Q", wahrend die Arbeitnehmer die Karten „Q" und „nicht-P" untersuchten. Die Definition von Betmg hangt also von der Perspektive ab und das hat Auswirkungen auf menschliches Losungsverhalten. Existiert ein spezieller Mechanismus zum Ausfindigmachen von Betriigem oder sind die Leute einfach gut darin, iiber zwischenmenschliche Vereinbarungen nachzudenken? Schon die Tatsache, dass die Losung der Aufgabe offenbar von der Perspektive abhangt, schwacht diese Annahme. Allerdings kann man das testen, indem man Aufgaben stellt, in denen zwischenmenschliche Vereinbarungen vorkommen, wobei die Aufgabe jedoch nicht ist, den Betriiger zu finden. Wenn man Personen nach Altmisten suchen lasst, haben sie schon wieder groBe Probleme. Verletzungen von zwischenmenschlichen Vereinbamngen, in denen es nicht um Betmg geht, wurden weniger gut verstanden. Gab man zwei Versionen einer Aufgabe, losten 83 % die Betriiger-Version, wahrend nur 44 % die Altmisten-Version losten.
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Die Grundlagen der Evolutionspsychologie
Muss es immer um eine Geben-Nehmen-Rechnung gehen, oder konnen die Leute alle Aufgaben gut losen, in denen es um Erlaubnis geht? AUe zwischenmenschlichen Vereinbarungen haben etwas mit Erlaubnis zu tun, aber nicht alle Regeln, die etwas mit Erlaubnis zu tun haben, sind zwischenmenschliche Vereinbarungen. Allerdings losen nur 21 % der Versuchspersonen generelle Bedingungen fur Erlaubnisse, wahrend 75 % der Versuchspersonen Regeln losen, die mit Erlaubnis im Zusammenhang mit zwischenmenschlichen Ubereinkiinften im Sinne von Geben und Nehmen zusammenhangen. Die Ergebnisse des Wason-Tests und der Folgeversuche zeigen, dass Menschen keine general-purpose-Fahigkeiten haben, um VerstoBe gegen die Regeln der kulturellen Konventionen zu erkennen. Menschliches Denken hat sich entwickelt und ist gut darauf vorbereitet, um Verletzungen gegen soziale Vereinbarungen zu entdecken, wenn diese als Betrug gegen den Sozialkontrakt aufgefasst werden konnen. Hinsichtlich der Hypothesen, die annehmen, dass das erfolgreiche Losen dieser Aufgaben nur eine kulturell erlemte Tatigkeit im Sinne einer inhaltlich nicht bestimmten generellen Anlage zum Erlemen von Kultur darstellt, ist entgegenzuhalten, dass • Vertrautheit das bessere Losen von Aufgaben mit zwischenmenschlichen Ubereinkiinften nicht erklaren kann, • diese Aufgaben nicht einfach nur klares Denken oder Kalkulieren aktivieren, • das bessere Losen auch mit Geben, Nehmen und Betriigen zu tun hat, • eine inhaltsunabhangige Logik ebenfalls nicht die besseren Ergebnisse bei Aufgaben mit zwischenmenschlichen Ubereinkiinften erklaren kann. Die Evolutionspsychologen folgem, dass kulturelle Formen entstanden sind aus der universellen, in der Evolution entstandenen Psyche, betonen jedoch, dass die Informationsverarbeitungssysteme in hohem MaBe kontextabhangig sein sollten, woraus sich kulturelle Differenzen erklaren lassen. Aus den Versuchen kann man die These ableiten, dass der Verstand von der Evolution fur besondere soziale Denkaufgaben trainiert wurde, nicht aber fiir Logeleien. Es muss noch einmal betont werden: Diese neuartige Sicht auf die menschliche Psyche revolutioniert die Psychologic. Nicht nur unsere korperlichen Eigenschaften sind das Ergebnis einer Millionen von Jahren andauemden Entwicklung, auch unser Gehim mit seinen besonderen Fahigkeiten unterlag diesem Prozess. Damit ist unser Geist unter den Bedingungen der evolutionaren Selektion zu erklaren. Die Erkenntnis, dass Logik und Denken nicht inhaltsleere Strukturen sind, sondem offenbar bei gewissen Inhalten besser flinktionieren als bei anderen, hat zur Folge, dass die Inhalte und deren mentale Verarbeitung starker in der Theorie zu beriicksichtigen sind. Evolutionspsychologie und Ethologie Ethologie ist die Untersuchung des Verhaltens von Tieren in ihrer natiirlichen Umgebung. Ethologen beschreiben, was Tiere unter normalen Bedingungen machen, versuchen das Besondere an ihrem Artverhalten zu ermitteln und stellen die Frage, wie dieses Verhalten die evolutionare Anpassung befordert haben konnte. Die Methoden der Erkenntnisgewinnung und das theoretische Instrumentarium lassen sich ebenso anwenden auf die Spezies Mensch, die heute nicht mehr wie einst in der afrikanischen Savanne lebt, sondem in Dorfem und Stadten.
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Ethologische Ansatze sind den evolutionspsychologischen nicht entgegengesetzt. Dass erstere aber in der aktuellen Literatur kaum zitiert werden, liegt wohl eher daran, dass viele Forschungen der Ethologie nicht in ausreichendem Mafie in den USA pubhziert sind. Der wichtigste Vertreter, Irenaus Eibl-Eibesfeldt, hat unter amerikanischen Psychologen nicht den Bekanntheitsgrad, als dass er dort intensiv diskutiert wiirde. Der Ansatz der Ethologie ist jedoch bei den Betrachtungen iiber Geschichte, Fimktion und Sinn des menschlichen Geistes nicht zu umgehen. In dem MaBe wie die Theorie der Evolutionspsychologie intensiver betrachtet wird, werden auch die Gedanken von Eibl-Eibesfeldt starker rezipiert. Entgegen anthropozentrischen Denkansatzen halt die Ethologie den Menschen nicht fiir ein Wesen, das sich von der biologischen Entwicklung befreit hat. Der Mensch ist nicht nur durch seine Kultur und seinen freien Willen gekennzeichnet, sondem auch durch seine angeborenen Verhaltensweisen. Das sollte aber nicht zu einer einfachen Polarisierung fuhren und den Menschen als Sklaven seiner Gene und seiner Instinkte beschreiben. „Biologisches Erbe bestimmt menschliches Verhalten ... in genau feststellbaren Bereichen. Aber ebenso gilt, dass nur der Mensch iiber die Wortsprache verfxigt, mit der er schopferisch immer neue Aussagen formulieren und kulturelles Erbe tradieren kann, und dass man nur ihn als Kulturwesen bezeichnen kann, selbst wenn einige Primaten bescheidene Ansatze dazu zeigen. Kunst, Vemunft und verantwortliche Moral sowie Weltoffenheit und Universalitat sind weitere wesensbestimmende Merkmale des Menschen, an dessen Sonderstellung kein vemiinftiger Biologe zweifeh." (Eibl-Eibesfeldt 1997, 2If) Sind Menschen wie Vogel oder Affen? Inwieweit kann man Verhalten aus der Tierwelt auf menschliches ubertragen? Vogel zeigen zum Beispiel ein ausgepragtes Werbeverhalten. Sie singen, tanzen, balzen und putzen sich heraus. Dabei folgen sie im Wesentlichen ihren Instinkten. Auch Menschen singen, tanzen, balzen und putzen sich heraus. Die RoUe der Instinkte muss beim Menschen iiberdacht werden. Sicher ist er nicht frei davon. Dennoch hat er ein groBeres Repertoire an Verhaltensweisen, die durch den freien Willen moglich sind. Die Auswahl an Reaktionsmoglichkeiten ist ungleich groBer. Der Mensch unterscheidet sich damit nur im Grad, nicht im Grundsatz vom Verhalten der Tiere. Bei Tieren ist vieles relativ unflexibel. Der Mensch hat neben der genetischen Vererbung auch die Moglichkeit und Fahigkeit der kulturellen Weitergabe von Wissen und Verhaltensweisen. Auch das gibt es, wie man weiB, bei einigen Tieren, doch hier ist der Mensch unangefochtener Meister. Diese Fahigkeit ermoglicht es ihm, relativ schnell auf veranderte Umweltbedingungen zu reagieren und sich als kulturelles Wesen anzupassen. Der Begriff „angeboren" gehort zum ethologischen Grundkonzept, wobei darunter schlicht alles Verhalten subsumiert wird, das nicht erlemt ist. Positiv formuliert verfugen Organismen iiber drei Arten von Informationsspeichem: Der genetische Code, das individuelle Gedachtnis und schlieBlich die Speicher, die den Menschen eigen sind, in Form von fixierter Schrift, Bild und Ton auf festen oder elektronischen Medien. Nur der erste - der genetische Code - enthalt angeborene Informationen, die quasi in fest programmierten Neuronenzusammenhangen im Him festgelegt sind. Diese von den nicht festgelegten zu unterscheiden, ist mitunter schwer. Bisweilen kann man in Ausnahmesituationen, etwa bei blind und taub geborenen Kindem, Verhalten beobachten, das nicht erlemt sein kann. Sie zeigen zum Beispiel das gesamte Repertoire an emotionalen Gesichtsausdriicken, sie lachen und sie weinen. Das zeigt, dass es eine Reihe
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von fest verdrahteten Standards geben muss. Die ethologische Definition des Begriffes „angeboren" ist darum: „Stammesgeschichtlich angepasst sind jene Fertigkeiten (Verhaltensweisen und Wahmehmungsleistungen) eines Organismus, deren organisch-physiologisches Substrat - die Nervenzellen in ihrer speziellen Zusammenschaltung mit Sinnes- und Erfolgsorganen - in einem Prozess der Selbstdifferenzierung auf Grund der im Erbgut festgelegten Entwicklungsanweisungen bis zur Funktionsreife heranwachst." (Eibl-Eibesfeldt 1997,47) Ein weiteres ethologisches Grundkonzept ist der Zusammenhang von Wahmehmung und Reaktion. Sauglinge zeigen Greifbewegungen nach Objekten, wenn sie diese in ihrer Nahe sehen, oder sie wenden den Kopf einer Gerauschquelle zu. Es wird dem entwicklungspsychologischen Konzept widersprochen, dass Kinder Zusammenhange von Wahmehmung und Interpretationen erst im Laufe ihrer kognitiven Entwicklung lemen. Aus ethologischer Sicht miissen Reaktionen nicht ausschlieBHch auf individueller Erfahrung beruhen. „Die Interpretation der Reize geschieht offensichtlich auf Grund stammesgeschichtlicher Erfahrungen. Es ist vorteilhaft, wenn man nicht immer erst individueil die schmerzlichen Erfahrungen mit kollidierenden Objekten sammeln muss, sondem Objekten von vomherein ausweicht. Das dazu notige Wissen wurde als stammesgeschichtliche Anpassung bereits in die Daten verarbeitenden Mechanismen eingespeist. Diese sind in solchen und ahnlichen Fallen so gebaut, dass sie auf die Wahmehmung bestimmter Reize oder Reizkonfigurationen bestimmte motorische Instanzen aktivieren, also ganz spezifische Verhaltensweisen auslosen." (Eibl-Eibesfeldt 1997, 88) Auslosemechanismen reagieren nicht nur auf visuelle Reize. Auch taktile und akustische Ausloser sind nachweisbar. Die Reaktionen sind nicht beschrankt auf Abwehrreaktionen, auch soziale Mechanismen treten auf. Eine Ko-Evolution von Ausloser und Reaktion muss stattgeflinden haben. Gesichtsausdriicke (Zunge zeigen, Mund offhen, Augenbrauen heben) werden bereits in den ersten Tagen nach der Geburt nachgeahmt, und Stimmungen bzw. deren Ausdruck stecken an, wobei Bewegung (im Gegensatz zu Fotografie oder statischer Abbildung) eine zentrale Bedingung ist, die zum Nachmachen reizt. „Wir konnen davon ausgehen, dass Sauglinge fahig sind, gesehene Gesichts- und Handbewegimgen mit entsprechenden eigenen Bewegungen zu beantworten, das Vorbild also im eigenen Verhalten zu kopieren, und zwar vor individueller Erfahrung. Das setzt die Existenz von Strukturen voraus, die im Grunde genommen Ahnliches leisten, was angeborene Auslosemechanismen bewirken." (EiblEibesfeldt 1997, 90) Damit ist eine weitere grundlegende Bedingung fiir Medienwahrnehmung beschrieben. Menschen reagieren auf visuelle und akustische Ereignisse und ahmen Stimmungen nach. Ein universeller Wesenszug menschlicher Wahmehmung und einiger Verhaltensweisen ist, dass sie begleitet werden von einem subjektiven Empfmden. Diese Empfmdungen sind Emotionen, Gefuhle oder Regungen. Behaviorismus und einige Richtungen der biologischen Verhaltensforschung haben diesen Teil der Psyche weitgehend aus ihren Untersuchungen ausgelassen. Zuordnung, Definitionen, Messungen, Umgang und Interpretationen sind sehr komplex. Messbare Beobachtungen und experimentelle Wiederholungen sind kaum moglich. Zwar weiB jede und jeder, was Liebe, Hass, Neid oder Eifersucht sind, und damit sind es allgemeine Erlebnisweisen, aber man kann sie nicht unterrichten. Ausloser fur emotionale Bewegungen sind mitunter vermittelbar, das Gefuhl selbst aber nicht. Menschen konnen dariiber sprechen und es
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benennen, konnen es aber nur verstehen, well jedem Emotionen nicht fremd sind. Das setzt ein gemeinsames biologisches Erbe voraus. Der Ursprung von Emotionen liegt in fest programmierten Neuronenschaltungen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich sehr alten Teil des Gehims. Wenn man den modularen Charakter des Hims anninmit, wie ihn die Evolutionspsychologie postuliert, kann es zu Konflikten zwischen diesem Teil des Stammhims und dem relativ jungen Neokortex kommen, der etwa die Sprachzentren enthalt. Das heiBt nicht, dass Menschen getriggerte Reiz-Reaktions-Maschinen sind. Die Dispositionen flirs Lemen und der reflektierten Einschatzung von Situationen sind ebenso Bestandteil des Entscheidungs- und Erlebnisapparates. Fast jedes Tier ist in der Lage zu lemen, wobei bevorzugt jenes gelemt wird, was den Eignungen entspricht. Dass Stammesgeschichtliches und Erlembares nicht losgelost voneinander zu betrachten sind, zeigt sich an Experimenten, die die Lemfahigkeit untersuchen. Nicht alles ist beliebig dressierbar. „Rhesusaffen lemen die Furcht vor Schlangen durch das soziale Vorbild. Sie brauchen nur einmal zu sehen, wie ihre Mutter vor einer Schlange erschrickt. Diese Schlangenfurcht kann ein Jungtier erwerben, wenn es in einem Videofilm sieht, wie ein erwachsenes Tier vor einer Schlange erschrickt. Durch einen technischen Kniff kann man nun nach der Aufhahme der Schrecksituation des sozialen Modells die Schlange durch eine Blume ersetzen. Dann sieht das Jungtier, wie ein erwachsener Affe vor einer Blume erschrickt, und das beriihrt ihn interessanterweise uberhaupt nicht." (Eibl-Eibesfeldt 1997, 117) Offenbar gibt es in der Psyche verankerte Erwartungen. Das Experiment lasst sich ohne weiteres auf Menschen iibertragen: Menschen erwerben Angste und Phobien nur vor Objekten, die bereits in der Stammesgeschichte Angst auslosend waren, es entwickeln sich keine Phobien vor Autos Oder Steckdosen. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Gewalt auslosende Funktion von Film- und Femsehkonsum kann man neben anderen Argumenten dieses anfuhren: Kinder lemen nicht alles, nur weil man ihnen ein entsprechendes Modell vorfiihrt. Sie lemen besonders leicht das, wofur sie eine Disposition mitbringen. Gleiches gilt fiir den Widerspmch zwischen Biologic und Kultur. Es handelt sich dabei um Regeln und Vereinbamngen, die auf der Basis stammesgeschichtlicher Vorgaben griinden. Reziproker Altmismus und Streben nach Rang sind Beispiele solcher gmndlegender Verhaltensweisen, die in unterschiedlichen Kulturen jeweils eigene Auspragungen erhalten. Kultur ist dann die lokal und zeitlich gebundene Auspragung des vereinbarten Umgangs mit angeborenen Verhaltensmustem. Die Formen sind dabei nicht Starr, sondem lediglich konstant. Das fuhrt zu einem weiteren Problem, das auch in der Ethologie diskutiert wird: der freie Wille. Bislang konnte man den Eindmck gewinnen, der Mensch sei nur der Sklave seiner angeborenen Triebe. Menschen erleben jedoch subjektiv Entscheidungsfreiheiten. Sie konnen dies tun, das andere lassen, sie setzen Ziele, definieren Aufgaben, planen in die Zukunft, spielen im Geiste Handlungsaltemativen und Moglichkeiten durch, verhalten sich taktisch und strategisch. Menschen konnen momentane Triebziele zuriickstellen. Die Reflexion, also das bewusste Kalkulieren und Abschatzen von Situationen, hat sich wohl erst mit der Entstehung der Sprache entwickelt. Sprache bildet Handeln in gewissem MaBe ab. Das erfordert die Fahigkeit der Selbstreflexion und die Fahigkeit, Umstande distanziert und damit losgelost von spontanen Eingebungen zu betrachten. Intelligenz in diesem Sinne ist dann nicht das Wissen um Zusammenhange, wie es sich im logischen Denkvermogen darstellt, sondem die Fa-
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higkeit, unabhangig von instinktiven Trieben zu denken iind zu handeln. Die Trennung von Emotionalitat und Sachlichkeit ware das zu messende Kriterium. Medien als Attrappen Dass es angeborenes Verhalten gibt, diirfte von niemandem emsthaft geleugnet warden. Deutlich wird es zum Beispiel beim Lidschlussreflex, Hals-Schulter-Reflex oder bei der Kopfschutzreaktion bei Bedrohung. Ethologen betrachten den Aktions- und Reaktionsrahmen, der den Menschen durch ihre Vergangenheit vorgegeben ist. Es geht zunachst darum, diese Verhaltensmuster zu finden. Ein Indiz fiir das Vorhandensein eines grundlegenden Musters ist dessen universelles Auftreten. Die wichtigste Methode der Ethologie besteht - neben den Beobachtungen im Tierreich - demnach im interkulturellen Vergleich von standardisierten Verhaltensweisen, von Riten und Gebrauchen, von sprachlichen Ausdriicken und nonverbalen Kommunikationsformen. Trifft man auf ein solches Muster, ist es grundsatzlich vemiinftig, angeborene Muster zu erwarten und nach dem evolutionaren Sinn zu fragen. Es ist auch ein Indiz daflir, dass diese eine bestimmte Aufgabe zu erfullen haben oder hatten, die flir den Trager der Eigenschaft iiberlebenswichtig war. Verhaltensweisen der innerartlichen Auseinandersetzung, von Aggression zu Partnerschaft, von Hierarchie zu Kooperation, sind Gegenstand der Forschung. Ebenso wie das Verhalten sind stammesgeschichtliche Anpassungen im Bereich der Wahmehmung Thema der Ethologie. Gerade im vorliegenden Zusammenhang sind diese von besonderem Interesse. Die meisten Tiere konnen sich bewegen. Sie sind nicht wie Pflanzen oder Korallen fest mit dem Untergrund verankert. Sie bewegen sich im Raum und miissen andere feste und sich bewegende Objekte erkennen. Nicht nur, damit sie nicht standig damit zusammenstoBen - Fressfeinde, Beute, Nahrung und Artgenossen miissen unterschieden werden. Innerhalb der Art miissen Freunde und Fremde, Sozial- und Geschlechtspartner erkannt werden. Unterschiedliche Lage im Raum, Lichtverhaltnisse oder Entfemung diirfen die Wahmehmung nicht storen. Fiir diese Leistung muss ein Wahmehmungsapparat zur Verfugung stehen, der kaum Zeit hat, auf gelemte Erfahrungen zuriickzugreifen. Zweifelsohne gibt es hier ein Vorwissen, mit dem Menschen von Geburt an ausgestattet sind. Dieser Apparat hilft nicht nur bei der Orientierung, sondem er liefert auch Informationen fiir schnelle Reaktionen. Oft gibt es Situationen, die langes Reflektieren nicht zulassen. Reaktionen miissen darum auf Grund von Wahmehmungen unmittelbar auslosbar sein. Wahmehmung, Datenverarbeitung und Motorik bilden eine enge Einheit. Beim Vorliegen bestimmter Reize miissen bestimmte Verhaltensweisen aktiviert werden konnen. Daraus ist der Begriff des angeborenen auslosenden Mechanismus abgeleitet. Dieser steht nicht nur im Dienst der Feind- und Beuteerkennung, sondem ist auch im Sinn der innerartlichen Konmiunikation entwickelt. Gesichtsausdriicke, die Emotionen anzeigen, oder das Wahmehmen sexueller Reize, gehoren zum Repertoire, wobei sich beide Seiten, Senden und Erkennen, in einer co-evolutionaren Entwicklung herausgebildet haben. Beim Menschen werden zum Beispiel Mutter-Kind-Interaktionen von angeborenen Auslosemechanismen gesteuert, Schliisselreiz und Reaktion bilden eine Einheit: Flucht, Angriff oder Werben, Hilfeleistung oder Mitleid werden durch auBere Reize und deren inteme Verarbeitung bedingt. Nicht immer sind die Ausloser eindeutig (immerhin kann man manche auch vortauschen) und nicht immer sind die Interpretationen adaquat. Das Reiz-Reaktions-Schema ist beim menschlichen Handeln nicht eindeutig, da
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nicht nur Fehlinterpretationen zustande kommen konnen, sondem auch individuelle Erfahmng und Eriimerung eine Rolle spielen. Hinzu kommt die momentane kontextuelle Einschatzung, die den Besonderheiten des menschlichen Bewusstseins unterliegt. Ausloser lassen sich in Versuchen simulieren. Gegeniiber seinen Artgenossen ist das Rotkehlchen - nach menschlichen MaBstaben gemessen - sehr unduldsam. Es verteidigt mit Nachdruck sein Revier. Dieses grenzt es durch lauten Gesang ab. Dabei tritt in der Drohstellung das Rot an Brust und Kehle stark hervor. Das Rot dient als Warn- und Drohsignal. Bei Versuchen in experimentellen Situationen reagierten die betroffenen Mannchen sofort mit Angriff auf eine Attrappe oder auf ein Biischel roter Fedem. Mit Hilfe der Attrappen lasst sich nachweisen, dass die komplexe Umwelt auf einzelne reizauslosende Merkmale reduziert wird, die als Indizien fur das Auftreten von Komplexen genommen werden. Die Vorteile sind klar: Einfache Muster ermoglichen eine einfache Kodierung und Verankerung im Gehim. Ob diese angeboren oder friih gepragt sind, mag im Einzelfall zu diskutieren sein. Sicher sind die einfache' Handhabung und das spontane Auslosen der Reaktionen vorteilhaft, da sie in Situationen, die eine schnelle Entscheidung erfordem, unmittelbar zu Aktionen fuhren konnen. Bei biologischen Systemen handelt es sich keinesfalls um einfache Reiz-ReaktionsSchemata. Emotionen sind Interpretationen von Wahmehmungen und damit hochgradig abhangig vom wahmehmenden Subjekt. Eine gewisse Spannbreite an unterschiedlichen Interpretationsmustem ist evolutionar sinnvoll. Jede Gemeinschaft braucht Draufganger und Angsthasen, Sensible und Robuste. Die Problematik des freien Willens muss darum nicht einmal bemiiht werden. Verhalten steht im Zusammenhang mit der Reizwahmehmung und -verarbeitung. Reize konnen von innen kommen oder iiber Sinnesorgane. Bestimmte Reize konnen bestimmtes Verhalten auslosen. Fiir Entscheidungen und resultierendes Verhalten muss die Qualitat des Reizes ebenso beriicksichtigt werden, wie die „Gestimmtheit" des Reiz verarbeitenden Systems. Reize wirken starker, wenn eine innere Bereitschaft besteht, auf diese zu reagieren. Medien sind in dem gleichen Sinn Attrappen, wie Vogelscheuchen Attrappen fiir Vogel sind. Sie miissen so gestaltet sein, dass sie geniigend Gemeinsamkeiten mit Figuren haben, die Augen und mentale Verarbeitung der Vogel zu tauschen und sie miissen geniigend Gemeinsamkeiten mit Figuren haben, um von Vogeln als Thematisierung ihrer sozialen Umwelt - hier als Feinde - wahrgenommen zu werden. In Attrappentests werden die Reize gesucht, die Verhalten auslosen. Zum einen geht es um die Spannbreite der Akzeptanz des Reizes, zum anderen um dessen Merkmale. Wie ist es beim Menschen? Es gilt, Argumente zu liefem, die den Medien die Rolle von Attrappen zuweisen. Visuelle und auditive Reize losen Emotionen aus. Menschen sind betroffen und sie sind geriihrt, sie lachen und weinen iiber fiktionale Personen und Ereignisse. „Ceci n'est pas une pipe", miisste man den Medien entgegenhalten. Und obwohl man den Unterschied zwischen realem Erleben und medial vermittelter Wahmehmung kennt, reagieren Betrachter dennoch unmittelbar emotional, gerade als waren die audio-visuellen Medien-Reprasentationen real. Sie akzeptieren selbst nicht-reale Vorstellungen wie singende Mause oder fluchende Enten und lassen sich von deren Verhalten im emotionalen Erleben anstecken. Medien sind somit keine Fenster zur Welt, sondem bieten Einblicke in konstruierte Vorstellungen. Massenmedien sprechen Auge und Ohr so an, dass die Inhalte als Reprasentationen von Realem - wie bei Non-Fik-
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tion - Oder als Modelle - bei Fiktion - der Wirklichkeit wahrgenommen werden. Darum miissen Mediendarbietungen so aufbereitet sein, dass sie als Wahmehmungen von Realem oder Vorstellbarem akzeptiert werden. Ausnahmen mogen abstrakte Kunst Oder Experimentalfilme liefem - auch Musik stellt einen Sonderfall dar. Individualmedien wie Telefon und Brief simulieren ebenfalls etwas, das nicht da ist, namlich Nahe. Die Stimme am Ohr, die Handschrift des Freundes erzeugen eine lebhafte Vorstellung von ihm. Offenbar reichen einzelne Aspekte, um ein Ganzes zu empfmden. Wahmehmung ist darauf eingestellt, aus Teilen das Ganze zu erschlieBen. Die Evolutionspsychologie macht sich Gedanken iiber die mentalen Bedingungen des Menschen. Diese driicken sich in den Stoffen und Motiven als Gegenstand der gedanklichen und kommunikativen Auseinandersetzung aus. Die Inhalte der Medien sind ebenfalls Gegenstand der gedanklichen und kommunikativen Auseinandersetzung. Was liegt also naher, als den Versuch zu untemehmen, medienwissenschaftliche Fragestellungen mit evolutionspsychologischem Wissen zu beantworten? Es ist ein Verdienst der Gestaltpsychologen, dass sie auf das Erkennen von Mustem in ihren Experimenten so groBen Wert gelegt haben. Menschen ordnen Sinneseindriicke und suchen instinktiv nach den Mustem. Elemente in raumlicher Nahe werden zusammengezogen, ahnliche Formen und umschlossene Formen als zusammengehorig interpretiert. Die Sirmeseindriicke werden reduziert auf Muster. Auf der anderen Seite werden Muster zu physiognomischen Gestalten erganzt. Manche sehen in Wolken und Schatten Gestalten. Auch gegen besseres Wissen funktionieren diese und ahnliche optische Tauschungen. Das verweist darauf, dass Wahmehmungen nicht nur von den Sinnen an das Gehim weitergemeldet werden, sondem dass das Gehim einen aktiven Anteil daran hat. So gibt es eine Reihe von Kriterien, wie Menschen die dritte Dimension des Raumes interpretieren. Nur ein einziges - die stereoskopische Uberlagerung der Bilder durch die beiden Augen - ist auf reine Wahmehmung bezogen. Die anderen kommen aus der Interpretation des Bildes zustande. Damit ergibt sich eine wichtige Voraussetzung flir das Erleben zweidimensionaler bewegter bildlicher Prasentationen. Diese Tatsache liefert ein Argument fur die Attrappenfunktion der Medien. Einige dieser Interpretationen, die das Gehim bei visuellen Eindriicken liefert, sind angeboren, einige scheinen erlemt zu sein. Angeboren etwa ist die Angst vor einem Abgrund, der durch Muster vorgetauscht werden kann, ebenso das Phanomen, dass zwei nahe beieinander liegende Lichtpunkte, die in kurzem zeitlichen Abstand an- und ausgehen, als ein einzelner wandemder Bildpunkt interpretieren werden, ist ohne die Beeinflussung des Lemens gegeben. Die Frage ist, warum sich das Gehim so leicht betriigen lasst. Attrappen immitieren bestimmt Aspekte der Vorlage modellhaft. Das kann nur funktionieren, wenn es zuvor keine systematische Verwechslungsmoglichkeit dazu gab. Vogel reagieren auf Vogelscheuchen, weil es in der Zeit, als sich die Reaktion herausgebildet hat, keine derartigen Atrappen gab. Diejenigen, die Vogelscheuchen aufstellen, nutzen also einen bei den Vogeln veranlagen Mechanismus, indem sie ihn bedienen. Das lasst sich auf Medienwahmehmung iibertragen. Das menschliche audio-visuelle System konnte sich nicht auf audio-viseulle Medien vorbereiten, da es diese erst seit relativ kurzer Zeit gibt. Die altesten Hohlenbilder sind gut 40.000 Jahre alt, die ersten Filme liefen im Jahre 1985 in Varietes in Paris und Berlin. Das Gehim hatte keine Zeit, sich darauf einzustellen.
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Man kairn auch feststellen, dass sich das Gehim in dieser Beziehung geme betiigen lasst. Medienwahmehmung scheint SpaB zu machen. Dieses Gefiihl signalisiert, dass es einer bedeutsamen Tatigkeit nachgeht. Die Motive und Stoffe, die medial prasentiert werden, sind Gegenstande, die eine groi3e Bedeutung fiir das menschliche Leben haben, denn sonst wiirden sich ihnen demand derart intensiv zuwenden. Es ist also zu klaren, welche Dinge dies sind, welche Rolle sie als reale und fikionale Themen spielen und wie sie aufbereitet sind, damit sie als Gegenstande der mentalen Beschaftigung akzeptiert werden. Einen Vorteil haben die audio-visuellen Attrappen gegeniiber ihren realen Vorlagen. Die Beschaftigung ist meist gefahrloser und definitiv mit weniger Aufwand verbunden. Menschen konnen alle Abenteuer der Welt virtuell erleben und sie dabei emotional erfahren, ohne dafiir die Strapazen und Risiken aufiiehmen zu miissen, die normalerweise damit einhergehen. Eine mentale Beschaftigung mit iiberlebensrelevanten Themen ist evolutional sinnvoU. Das mentale System belohnt diese Beschaftigung mit positiven Gefiihlen, die dann immer wieder geme gesucht werden. Medien haben dariiber hinaus den Vorteil, dass sie Menschen kommunikativ iiber Zeit und Ort hinweg verbinden. Botschaften - gleichgiiltig ob Berichte iiber Reales Oder Fiktionales - werden ubermittelt. Medien und Medieninhalte werden damit zum Gegenstand der weiteren Kommunikation. Medien als externe Speicher Menschen werden relativ alt und zwar weit iiber die Reproduktionsfahigkeit hinaus. Ein Vorteil dieses Phanomens ist, dass GroBeltem bei der Pflege der Enkel mithelfen konnen. Menschenkinder brauchen in den ersten Lebensjahren sehr viel Zuwendung. Eine Unterstiitzung bei der Versorgung hat eindeutig Vorteile: Mehr Nachkommen konnen zur Geschlechtsreife und zur Reproduktionsfahigkeit gebracht werden. Auch bei Elefanten ist dieses Verhalten bekannt. GroBmiitter und Tanten versorgen und beschiitzen die kleinen Verwandten. Das Alter der Babysitter hat noch einen weiteren Vorteil. Bei lemenden Systemen konnen auch Erfahrungen gesammelt werden. Wenn diese auch noch der Kommunikation fahig sind, sind Alte auch Wissensspeicher fur die Kommunikationspartner. Erfahrung ist bei Tieren bisweilen ein Kriterium fiir Status und Gruppenhierarchie. Wenn Paviane auf ihren Wanderungen in eine unbekannte Situation geraten, gibt das AlphaTier die Fiihrung der Gruppe zeitweise an ein alteres Mannchen ab. Erfahrung ist in bestimmten Situationen hilfi*eich fiir das Uberleben der Gruppe und deren Mitglieder. Ohler und Nieding (2005, 145) sehen drei Ubergange in der hominiden Entwicklung, die das Entstehen einer Kultur bedingen: Der erste stellt sich in der Bildung einer mimetischen Kultur dar, deren Mitglieder in der Lage sind, Als-Ob-Situationen zu verstehen, zielgerichtet zu imitieren und sich durch Korpersprache und Gesten zu verstandigen. Die nachste Stufe bildet die besondere Fahigkeit der gesprochenen Sprache in Kombination mit einem narrativen Denkvermogen. Der dritte und letzte Ubergang vollzog sich vor gut 40.000 Jahren mit der Einfiihrung von Symbolsystemen, die medial fixierbar waren. Diese Vorstellungen vorausgesetzt, kann man Medien als externe Wissensspeicher betrachten. Individuelles und gemeinsames Wissen kann auf langere Zeit symbolisch festgehalten, auf bewegliche Trager gebracht und iiber Distanzen verfiigbar gemacht werden. Inhaltlich geht es nicht nur um harte Fakten, die man mit dem Begriff der
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Nachrichten umschreiben konnte. Es geht auch um ein Wissen von Handlungen, die der Gruppenkoharenz dienen. Hinweise, die Fragen des richtigen und falschen Verhaltens im sozialen Umgang beantworten, sind dabei mindestens so wichtig wie Informationen iiber die Natur, deren Gefahren und Ressourcen. Bereits hier lassen sich medienspezifische Unterscheidungen vomehmen: Fragen der Moral werden offenbar bevorzugt durch fiktionale, narrative Kommunikationsweisen iibermittelt, Fragen des Zustandes der sozialen und physischen Umwelt braucht eher Fakten. Wichtige Forschungsfragen sind demzufolge: • Welche Inhalte sind so bedeutend, dass man sie fixiert? • Wie funktionieren Codierung und Decodierung dieser Inhalte? Wenn man Medien als exteme Wissensspeicher betrachten kann, ist der Begriff der Attrappe auch hier angebracht. Der Zugang zu den Informationen geschieht bisweilen so, also ob die Information von einer menschlichen Quelle kame, deren verbale Signale intern Bilder in der Vorstellung auslosen. Fragestellungen im Rahmen einer Medientheorie Nachdem die Evolutionspsychologie mit ihren Voraussetzungen eingegrenzt und abgegrenzt wurde, sind die Moglichkeiten eines Beitrages dieser Theorie zur Debatte um die Medien zu erkunden. • Wie lasst sich das Zusammenspiel von Wahmehmung und Medien darstellen? Zunachst scheint es Widerspriiche zwischen der Wahmehmung der AuBenwelt und den Darstellungen der Welt in Medien zu geben. Verglichen mit der Wahmehmung von Realem, sind sie seltsam reduziert. So ungeniigend die Qualitat der Abbildungen ist, werden sie in aller Kegel doch als lebendige Vorstellung akzeptiert. • Wie funktioniert Wahmehmung und wie miissen Medien gestaltet sein, damit Menschen sie als Sinneseindriicke, die Reales reprasentieren, akzeptieren? Die Bedingungen der Wahmehmungsapparate, besonders Auge und Ohr, miissen aus evolutionstheoretischer Sicht betrachtet werden. Davon hangt die Gestaltung der Medieninhalte ab, die ihrerseits daraufhin zu untersuchen ist. • Wie werden die Wahmehmungen mental verarbeitet? Texte konnen Bilder evozieren, wobei die Vorstellungen stark genug sind, um Emotionen hervorzumfen. So ist etwa der Zusammenhang von auslosenden visuellen und akustischen Mechanismen in Bezug auf die Medienwahmehmung zu diskutieren. • Wie geht das Gehim mit den Wahmehmungen um und welche Beziige gibt es zur Medienwahmehmung? Der Evolutionspsychologie geht es um die mentalen Fahigkeiten des Menschen. Damm sind von ihr Antworten zu erwarten, die Aufschliisse geben konnen iiber Motivationen der Medienzuwendung. • Welche Motive sind aus evolutionspsychologischer Sicht zu erwarten? • Welche Motive werden geboten und welche Beziige haben diese zu besonderen Funktionen des sozialen Gehims? Da mentale Funktionen nicht inhaltsleer sind, sondem von sozialen und kulturellen Kontexten abhangen, muss man darauf ausflihrlich eingehen. Dies gebietet die Theorie der Evolutionspsychologie. • Wie sind die Motive aufbereitet? Qualitative und quantitative Analysen von Sendungen und deren Themen miissen Antworten liefem. • Welche Konsequenzen hat das fiir die Rezeption, etwa in Hinsicht auf die Unterscheidung zwischen realen und fiktionalen Darstellungen oder auf die Unterschei-
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dung zwischen Information und Unterhaltung? Wenn sich die mentaien Fahigkeiten in vorgeschichtlicher Zeit entwickelt haben und diese Fahigkeiten die Beschaftigung mit Imaginationen einschlieBen, muss deren Funktion hinterfragt werden. Wenn es gelingt, die genannten Punkte fundiert zu belegen, konnen die Erkenntnisse der Evolutionspsychologie einen ganz entscheidenden Beitrag zum Verstandnis der Medien und der Massenkommunikation leisten. Andere, vor allem scheinbar konkurrierende Theorien, darunter etwa kulturhistorische Ansatze, werden nicht explizit behandelt. Die Debatte kann erst vemunftig beginnen, wenn die Positionen festgelegt sind. Dieser erste Schritt ist fur die Evolutionspsychologie in diesem Rahmen zu leisten. Darum mag es erscheinen, dass hier behandelte theoretische Positionen einseitig Oder unreflektiert dargeboten werden. Es ist jedoch zimachst notig, sich innerhalb der wissenschaftlichen Debatte eindeutig zu positionieren. Die Auseinandersetzung kann, muss und wird danach einsetzen.
Wahrnehmung und deren Verarbeitung Wie kommt es, dass wir im Kino weinen, uns erschrecken und lachen? Streng genommen sehen wir nur ein Lichtspiel auf einerflachen, rechteckigen, weifien Leinwand oder zu Hause eine Scheibe mit einer beschrdnkten Anzahl aufleuchtender Bildpunkte; die Farben stimmen nicht mit denen der Realitdt Uberein, esfehlt die dritte Dimension, die Lippen bewegen sich nicht unbedingt synchron zum Gesprochenen, die Bewegungen sind in kleine Einheiten zerlegt, es gibt Sprunge in der Wahrnehmung, wir horen Musik ohne die Musikanten zu sehen, die Gerdusche sind Ubertrieben. Die auftretenden Personen spielen nur, geben nur vor, das zu sein, was sie spielen. Eigentlich mussten wir aus unseren Sitzen aufspringen und rufen: „Alles Liige!" Stattdessen weinen wir bei „Schindlers Liste", erschrecken uns bei „KingKong" und lachen bei „Shrek". Offensichtlich lassen wir uns auf das Spiel ein. Freiwillig. These I: Medien sind Attrappenjur Auge, Ohr und Gehirn.
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Medienwahrnehmung Wenn man iiber Medienwahrnehmung nachdenken will, gilt dies in erster Linie fur die audio-visuellen Medien, also iiberall da, wo Bilder und Tone prasentiert werden. Diese miissen nichts mit wirklichen Gegebenheiten zu tun haben. Es reicht offenbar, dass diese Bilder und Tone an wahmehmbare und vorstellbare Dinge erinnem - und bisweilen nicht einmal das, denkt man an abstrakte Gemalde oder fantastische Filme. Ein Problem bei der Medienwahrnehmung ist die Medienabhangigkeit. Printmedien erzeugen scheinbar auf eine ganz andere Weise die Eindriicke, die bei der Rezeption von AV-Medien entstehen. Doch ob eine Vorstellung durch ein Bild oder durch die Interpretation von Buchstaben erzeugt wird, ist physiologisch in gewisser Weise zu vemachlassigen. Lediglich der Weg zum informationsverarbeitenden System ist ein anderer. Was dafiir sprechen kann, die medialen Unterschiede zu vemachlassigen, ist die Tatsache, dass sich weder der Plot einer Geschichte, noch deren Motive und Stoffe durch den Medienwechsel andem miissen. Asthetische Unterschiede haben natiirlich weiterhin Bestand. Was also Printmedien angeht, muss man verstarkt iiber deren Inhalte und stilistische Merkmale nachdenken, wahrend bei audio-visuellen Medien dariiber hinaus deren Prasentationsformen zu beachten sind. Unterschiedliche Funktionen sind zu diskutieren. Wahmehmung geschieht durch Sinne. Der Tastsinn der Haut nimmt nur Reize wahr, die auf der Haut auftreffen, Gemch und Geschmack ist die Analyse von Molekiilen, die bei den Rezeptoren ankommen. Gerausche wahmehmen heiBt feinste Dmckdifferenzen der Atmosphare interpretieren. Sehen ist die Verarbeitung von Licht und dessen Reflektionen. Medien iibermitteln nur visuelle und akustische Stimulanzen. Um die Bedingungen zu klaren, wie zum Beispiel das Auge durch Lichtspiele und das Ohr durch Lautsprecher zu tauschen sind, muss deren Aufbau, Funktionsweise und im Zusammenhang mit dieser Arbeit interessant - deren adaptiver Charakter betrachtet werden. Sehen Das Gesichtsfeld, also der Bereich, der bei unbewegten Augen zu sehen ist, betragt 180°; das Blickfeld, der Bereich, der bei unbewegtem Kopf zu sehen ist, betragt 220°. Die Sehscharfe ist im Mittelpunkt (etwa T) am scharfsten. Verantwortlich dafiir ist die Fovea, ein Bereich im Auge, in dem die Sehzapfchen mit 160.000 Zellen pro Millimeter am dichtesten angeordnet sind. Die Fovea ist vor allem bei Vogeln und den Primaten ausgebildet und ist wichtig fiir die stereoskopische Wahmehmung bei zielgenauen Bewegungen. Da das stereoskopische Sehen fiir greifende Bewegungen und fiir das Einschatzen von Entfemungen bei Bewegungen notig ist, wird klar, wamm es bei der Medienwahrnehmung keine Rolle spielt. Die Ausbildung einer Fovea muss einhergehen mit der Fahigkeit, diese auf ein Ziel zu richten, das heiBt zu „blicken". Diese Funktion ermoglicht es, den Bereich der optischen Reize durch Blickwendungen (scanning) zu erkunden. Die Fovea wird umgeben von der ovalen Makula, die etwa 3° in der Hohe und 1215° in der Horizontalen erfasst. Der Sehbereich ist klar, aber nicht so scharf wie derjenige der Fovea. Zum Erkennen von Gegenstanden - auch zum Lesen - reicht er aus. Dass die Flache breiter als hoch ist, hat mit der spezifischen Lebensweise von sich auf
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dem Boden bewegenden Lebewesen zu tun. Sowohl Gefahr als auch Beute finden sich eher auf horizontaler Ebene, darum ist die Wahmehmung in diesem Bereich besonders wichtig. Der Rest des Blickfeldes ist aber nicht iiberfliissig, denn er spielt fur das Wahmehmen von Gefahr und damit fiir das Uberleben eine besondere Rolle. Das peripherische Sehen am Rande des Blickfeldes nimmt vor allem Bewegungen wahr, nach denen Kopf, Augen und schlieBlich die Fovea gedreht wird. Der Sinn ist klar: Der Blick durchsucht die Gegend und folgt Bewegungen. Im Traum - also im Zustand nicht willentlicher Erinnerung und Vorstellung - machen die Augen schnelle Bewegungen (Rapid Eye Movement). Das visuelle System ist auch im Schlaf aktiv und liefert Bilder. Dies ist ein Hinweis auf denflieBendenUbergang zwischen innerer Reprasentation und auBeren Sinneswahmehmungen, auf den im Zusammenhang mit der Rezeption von Medien noch intensiver eingegangen werden muss. Sehen heiBt Licht wahmehmen. Visuell wahmehmen ist bereits eine Interpretation und eine Segmentiemng des Lichtspiels. In diesem Sinne sieht eine Kamera, aber sie nimmt nicht wahr. Menschen unterscheiden Formen, Farben, Texturen und Beleuchtungsverhaltnisse. Diese wiederum, stereoskopisch mit zwei Augen wahrgenommen, sind die Vorbedingung fur die Tiefenwahmehmung. „Sehen ist scheinbar unmoglich, doch hat die Evolution das visuelle System mit angeborenen Beschrankungen ausgestattet, die ihm die Bewaltigung der Aufgabe ermoglichen. Einmaligkeit, Kontinuitat der Oberflache, Starrheit und die Beschrankung beziiglich Konturen - sie alle sind daran beteiligt." (Johnson-Laird 1996, 115) Sehen kommt also zunachst aus einer Beschrankung der aufgenommenen Reize zu Stande. Menschen sehen ein Buch und keine Kanten, Ecken und Farben auf Flachen. Sie erkennen und ordnen Gegenstande, registrieren und interpretieren Bewegung. Kontrastumfang Die moglichen Abstufungen zwischen Schwarz und WeiB nennt man Kontrastumfang. Hell und Dunkel einer Film- oder Videoaufiiahme stimmen nicht unbedingt mit dem abgebildeten Objekt iiberein. Wenn man nur das Abbild - also die Attrappe - sehen kann und keine Moglichkeit zum Vergleich hat, merkt man es nicht einmal. Nur das Verhaltnis der Tonwerte zueinander ist wichtig. Der Kontrastumfang beim Film ist das Verhaltnis von der geringsten zur groBten Schwarzung; beim Femsehen bezeichnet der Begriff das Verhaltnis von groBter zu geringster Helligkeit des Bildes. Der Motivkontrast kann in der Realitat viel groBer sein oder kann je nach eingesetzter Technik sogar kleiner sein als der Kontrastumfang in der fotografischen Wiedergabe. Man kann die Grade der Werte fur die einzelnen Medien bestimmen, indem man das Kontrastverhaltnis bestimmt. Dieses beschreibt, um wie viel heller das projizierte WeiB verglichen mit Schwarz ist. Je hoher der Wert, desto groBer der Kontrast. An einem normalen sonnigen Tag nimmt das Auge Werte im Umfang von 10.000:1 wahr, Filmprojektionen schaffen 500:1, ein TV-Bildschirm unter optimalen Bedingungen 100:1, und unter normalen Wohnzimmerbedingungen ist der Wert kaum hoher als 50:1, bisweilen nur 20 oder 10:1. Der Kontrastumfang des Motivs bestimmt dessen Helligkeitsunterschiede. Die Fahigkeit des Aufzeichnungstragers diese abzubilden nennt man Gradation. Gemessen wird diese in Blendeneinstellungen. Ein SchwarzweiBfilm kommt damit auf 8 Stufen, ein Farbfilm auf 6 und Video auf 4 Blendenstu-
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fen. Da der Kontrastumfang wichtig ist fiir die Tiefenwahmehmimg, ist erkennbar, warum das TV-Bild im Vergleich zur Filmprojektion flach wirkt. Um ein Bild aufzunehmen, das alle Details von Schwarz bis WeiB darstellen soil, muss es mindestens einen Abstand von 4 f-Stopps haben. Bereiche, die heller oder dunkler sind, wirken unter- oder iiberbelichtet. Video schafft nur Belichtungsraten kleiner als 1:2. Der Kontrastumfang der Videokamera ist so sehr beschrankt, dass alles moglichst gleich hell sein soUte. Dabei spielt es weniger eine Rolle, ob dieses „gleich hell" nun dunkel oder hell ist, denn das kann man mit der Blende regeln. In der Filmbranche sagt man, dass man Licht setzt, bei Videoaufiiahmen macht man hell. Am deutlichsten ist der Unterschied zwischen Film und Video an der Farbe Schwarz zu erkennen. Schwarz beim Film hat Struktur, Schwarz auf Video ist ein leeres Loch. Diese Einschrankung des Kontrastumfangs macht die Asthetik von Videoaufzeichnungen aus. Im Studio aufgezeichnete Sitcoms oder tagliche Soap Operas und Talkshows sind bis in alle Ecken ausgeleuchtet, um scharfe Schatten zu vermeiden. Auch daran ist der Unterschied zwischen Film und Video zu erkennen. Farben Im Auge gibt es Stabchen, die eine sehr groBe Lichtempfindlichkeit (10'^ Lux) haben. Statt Farben geben sie nur entsprechende Grauabstufungen ans Gehim weiter. Die flir die Farbwahmehmung und Scharfe zustandigen Zapfchen werden bei 1/100 Lux aktiv (normales Tageslicht hat etwa 10 Lux). Das erklart, warum auch SchwarzweiBfilme als Wahmehmung akzeptiert werden. Sie entsprechen der Wahmehmung bei ungiinstigen Lichtverhaltnissen. Farbwahmehmung ist wesentlich komplexer und die Funktionsweisen sind noch nicht endgiiltig geklart. (Shepard, in: Barkow Cosmides & Tooby 1992) Farbe ist die Art und Weise, wie Gegenstande das Licht reflektieren. Die meisten Objekte haben keine eigene Strahlung, sondem werden beschienen, normalerweise von der Sonne. Doch deren Strahlen treffen sehr unterschiedlich auf die Erde. Flache Sonnenstrahlen erzeugen eine Verschiebung zum Roten, direkte Sonneneinstrahlung erzeugt Gelb, ein klarer Himmel eine Verschiebung zum Blau. Die eintreffenden Strahlen haben einen Effekt auf die reflektierenden, die das Auge treffen, und diese nimmt man als die Objektfarben wahr. Durch ein sehr komplexes Verfahren verrechnet das Gehim eintreffende und austretende Strahlung zu einer konstanten Farbe. Dies hat in der Evolution einen Sinn, immerhin dient die Farbwahmehmung dazu, Dinge wiederzuerkennen. Die meisten Tiere haben keine oder kaum Farbenwahmehmung. Die Wahmehmung von Bewegung ist wesentlicher. Das Farbsehen haben Menschen mit den Primaten, einigen Vogeln und Insekten gemeinsam. Der Gmnd liegt in der Nahmngswahl. Friichte sind so vom Laub zu unterscheiden, auch der Reifegrad wird farblich signalisiert. Apparaturen, die Bilder in Farbe aufhehmen, sind nicht in der Lage, die Verschiebungen auszugleichen. Tageslicht, unkorrigiert mit einer Kamera aufgenommen, zeichnet ein blaustichiges Bild auf, wahrend Gliihlampen oder Kerzen einen Rotstich hervormfen, vemrsachen Neonrohren einen Griinstich. Mit entsprechenden Filtem lassen sich die Abweichungen korrigieren. Video- und Digitalkameras werden angepasst durch den WeiBabgleich, das Einstellen der Farbtemperatur. Dabei wird ein Referenzwert in Abhangigkeit zum aktuellen Licht genommen und als WeiB defmiert. Der Unterschied zwischen den Moglichkeiten der Wiedergabe von Filmfarbe und der Wahmehmung der Realfarben ist nicht sehr groB. Lediglich im Bereich von gesat-
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tigten Purpur- und Blautonen reicht der Film nicht ganz an die Wahmehmung der Natur heran. „Aber auch die auBerhalb des Farbenkorpers liegenden Farben konnen naturgetreu gemischt werden, wenn man auf eine strenge Einhaltung der Helligkeitsbedingungen verzichtet." (Meier 1976, 82) Fernsehen und Film sehen Ganz wesentlich fur die Film- und Videoprojektion ist die Fahigkeit des Auges, ein Bild einen Moment langer auf der Retina abzubilden, als es tatsachlich erscheint. So scheinen zwei aufeinander folgende Lichtsignale, wenn sie etwa 50-mal pro Sekunde aufblitzen, kontinuierlich, obwohl sie zeitlich getrennt einzeln dargeboten werden. Fiir helle Lichtblitze betragt die kritische Verschmelzungsfrequenz (vgl. Gregory 1975, 116) iiber 100 pro Sekunde, um den Eindruck eines kontinuierlichen Signals zu erzeugen. Bei Film und Fernsehen reichen etwa 50 Prasentationen pro Sekunde. Film ist in der Tat die schnelle Prasentation von diapositiven Fotografien. Die niedrigere Projektionsrate wird durch einen Trick erreicht. Durch die Schwarzphase, die bei dieser Projektionsgeschwindigkeit zwischen zwei Bildem liegt, wiirde man ein Flackem erleben. Das Flackem wird aufgehoben durch eine Erhohung der Projektionsgeschwindigkeit. In der Stummfilmzeit, als 16 Bilder pro Sekunde als Aufhahmegeschwindigkeit die Kegel war, wurde ein Shutter mit drei Fliigeln benutzt, der ein Bild dreimal beleuchtete, wodurch eine Projektion von 48 Bildem pro Sekunde entstand. Nach der Einfuhrung der Lichttonspur, die den Platz von 24 Bildem benotigte, wurden doppelfliiglige Shutter eingefuhrt, die den gleichen Effekt batten, (vgl. Konigsberg 1989, 258f.) Einer anderen Tragheit des Auges unterliegt der so genannte Phi-Effekt. Die Illusion von Bewegung wird vom Gehim erzeugt, wenn ein Objekt von einer Aufhahme zur nachsten an einem anderen Ort auftaucht. Experimentell taucht der Effekt auf, wenn zwei oder mehr Lampen, die nebeneinander angebracht sind, so geschaltet werden, dass eine angeht, wenn die benachbarte ausgeht. Fiir den Betrachter scheint das Licht zu wandem. Sich bewegende Objekte (Tiere) konnen momentan verschwinden, etwa wenn sie von einem anderen Objekt (Baum) verdeckt werden. Es macht durchaus Sinn, wenn das Gehim die Bewegung erganzt. Es ist zwar eine Hypothese, dass ein Objekt, das hinter einem anderen verschwindet, wieder auftaucht, dennoch konnte man nachweisen, dass diese Fahigkeit angeboren ist. Bereits Sauglinge im Alter von 20 Tagen „erwarten", dass ein Gegenstand, der hinter einem Schirm verschwindet, wieder am anderen Ende hervortritt. (Eibl-Eibesfeldt 1997, 70) Zusammen mit dem „Nachbrenner" auf der Retina sind hiermit die wesentlichen Bedingungen fur die Illusion von Bewegung im Film beschrieben; wahrend das Nachwirken auf eine physiologische Eigenschaft des Sehnervs zuriickzufuhren ist, kann man beim Phi-Effekt von einer Arbeitsweise des Gehims ausgehen. Neben den Einschrankungen der Wahmehmung, die man sich bei der Projektion von Film und Femsehen zu Nutze macht, braucht man ziu- visuellen Wahmehmung noch andere Fahigkeiten: Um Lichtreize (denn nichts anderes kommt auf der Retina an) als nahe oder entfemte, als feste oder sich bewegende Objekte zu erkennen, braucht man Wissen. Zum einen ein Wissen, mit dem die Evolution die Menschen ausgestattet hat, und ein Wissen von der Welt, sie im Laufe ihrer Lebenszeit ansammeln. Das Wissen ist nicht immer explizit. Dafiir erinnert man sich zu schnell. Man erkennt die Stmktur und Bewegung der Gegenstande spontan.
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Bewegung zu erkennen ist wesentlich fur das Uberleben. Darum sind die Sehorgane, deren Funktion, deren Entwicklungen und Anpassungen zentrale Themen der Evolutionstheorien. Es ist von Vorteil, Licht wahrzunehmen, und es kann ein Selektionsvorteil sein, Bewegung wahrzunehmen. Fressfeinde, Nahrung, gegnerische oder friedhche Artgenossen konnen sich bewegen. Eine Wahmehmung, die schnell und sicher Unterscheidungen treffen kann, ist ohne Zweifel von Vorteil. Da sich auch der Betrachter bewegen kann, muss der optische Wahmehmungsapparat entsprechend ausgestattet sein. In der Tat gibt es bei einigen Organismen Konzepte, die sich nicht bewegende Objekte kaum oder gar nicht visuell wahmehmen. Ein System, das dariiber hinaus auch feste Dinge wahmimmt, ist ziemlich weit entwickeh. Die auBeren Seiten des Gesichtsfeldes sind darauf ausgelegt, nur Bewegung wahrzunehmen. Diese losen einen Reflex aus, der uns hin zur Ursache der Bewegimg schauen lasst. Moglichkeiten, filmische Mittel zu beschreiben und zu systematisieren, gibt es einige. James Monacos „Film verstehen" (1998), Knut Hickethiers „Film- und Femsehanalyse" (1996) oder Friedrich Knillis und Erwin Reiss' „Semiotik des Films" (1971) sind viel zitierte Standardwerke, denen man kaum noch etwas hinzufugen kann. Hier geht es nun darum, diese Mittel der filmischen Ausdrucksweise auf ihre wahmehmungs- und evolutionspsychologischen Hintergriinde zu untersuchen. Tiefenwahrnehmung Die Illusion der Raumwahmehmung ist ein wesentliches Element des Erlebnisses im Kino. Und das, obgleich es nur zweidimensionale Lichtreflexe auf einer Leinwand sind. Zweidimensional ist auch das Abbild der AuBenwelt auf der Retina, der lichtempfindlichen Augeninnenseite. Aber aus den Bildem, die die beiden Augen liefem, errechnet das Gehim eine dreidimensionale Darstellung. Diese Methode ist hauptsachlich dafur verantwortlich, dass Menschen Entfemungen im Nahbereich bis sechs Meter relativ genau einschatzen konnen - eine Fahigkeit, die fur unsere Primaten-Vorfahren im Wald von iiberlebenswichtiger Bedeutung war. Denn wenn man keine exakte Vorstellung von der Entfemung eines Astes hat, nach dem man greifen will, sturzt man ab und scheidet moglicherweise als Gentrager aus der weiteren Evolution aus. Dennoch spielt das Verfahren der stereoskopischen Wahmehmung bei den optischen Medien von wenigen 3-D-Versuchen abgesehen - keine Rolle. Andere Methoden kommen bei der Tiefenwahrnehmung zum Tragen, die einzig und allein im Gehim gebildet werden. Ob visuelles Erkennen angeboren ist oder nicht, kann nicht geklart werden. Sicher ist, dass es nicht erlemt wird in dem Sinne, dass es beigebracht werden muss. Vielleicht kann man - wenn iiberhaupt - von einer Entwicklung sprechen. Kleinkinder im Alter von 3-5 Monaten konnen bereits Gesichter - also Formen - erkennen. Sicher ist, dass das Gehim iiber einen Mechanismus verfugen muss, der die Wahmehmungen ordnet. Neben der Zuordnung zu Formen geht es um Tiefe und Distanz. Die Wahmehmung von Raumtiefe und Distanz wird auf Grund einiger Phanomene gebildet, die James Jerome Gibson (1950) erstmals umfassend beschrieben hat, als er im Auftrag der US Air Force ein Programm fiir Piloten zur besseren Erkennung von Landebahnen entwickelte. Das bekannteste Phanomen der raumlichen Tiefenwahmehmung ist die Tatsache der linearen (geometrischen) Perspektive. Parallele Kanten scheinen aufeinander zuzulaufen, bis sie sich in einem zentralen Punkt treffen. Seit der Entdeckung der Zentralperspektive in der Renaissance ist dieses Mittel in der bildlichen Darstellung
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gelaufig. Die Hohe des Fluchtpunktes entscheidet iiber die Perspektive. Fiir die Normalsicht liegt er auf Augenhohe, bei Untersicht liegt er hoher, bei Aufsicht tiefer. Wenn das Bild keine einheitliche Tiefenstruktur hat, konnen mehrere Fluchtpunkte gefunden werden: Das Bild einer StraBe, die erst nach unten und dann nach oben geht, hat also mindestens zwei. Wenn man die Zentralperspektive zu Grunde legt, ist ein weiteres Phanomen der Tiefenwahmehmung erklarbar: Objekte wirken kleiner, je weiter sie weg sind. Dies setzt mitunter ein Wissen iiber die „normale" GroBe eines Gegenstandes voraus. Auf der lichtempfindlichen Innenseite des Auges wird ein Gegenstand, der halb so grofi und halb so weit entfemt ist wie ein anderer, in der gleichen GroBe abgebildet. Wenn Objekte mit zunehmender Entfemung kleiner werden, finden mehr gleichartige Objekte auf einer gegebenen Flache auf der Retina Platz als naher liegende. Nimmt also der Texturgradient einer Flache kontinuierlich zu, interpretiert man das als eine Ausdehnung in die Tiefe. Betrachtet man Objekte, die in der Nahe des Fluchtpunktes liegen, miissen sie weit entfemt sein. Je hoher im Gesichtsfeld (aber noch unterhalb des Fluchtpunktes) ein Objekt liegt, desto weiter scheint es entfemt. Gleiches gih fur Objekte oberhalb des Fluchtpunktes wie Wolken oder Deckenbeleuchtungen in langen Fluren. Ein weiteres Merkmal fiir Tiefe ist die Tatsache, dass naher liegende Objekte dahinter liegende verdecken. Ein Wissen dariiber beruht auf der Vorstellung, dass das teilweise verdeckte Objekt eine andere Form und Kontur besitzt als die, die man durch die Verdeckung wahmehmen kann. Damit wird ein Raumprinzip eingefiihrt, durch das Objekte eingeordnet in Hintergrund und Umgebung wahrgenommen werden. Vome, hinten und daneben werden Ordnungsbegriffe, die die Welt relativ zum Betrachter beschreiben. Weiter entfemte Objekte wirken blauer. Die Tatsache, dass der Himmel blau erscheint (und nicht schwarz wie der Himmel, den die Astronauten auf dem Mond sahen), sowie die langsame (und nicht schlagartige) Helligkeitsabnahme nach Sonnenuntergang erklaren sich durch Streuung der Lichtes an den Molekiilen der Luft und an Aerosolpartikeln. Dass der Himmel blau aussieht, liegt daran, dass die Intensitatsverteilung des Sonnenlichtes und die Augenempfmdlichkeit ein Maximum im griinen Bereich haben. Die Uberlagemng der Intensitats- und Empfmdlichkeitskurven erzeugt die blaue Farbe des Himmels. Je entfemter ein Objekt ist, desto mehr Luftpartikel streuen das Licht und desto groBer wird der Blauanteil. Die Tatsache, dass Betrachter unterschiedliche Bilder in den beiden Augen sehen, spielt bei einer Entfemung bis 6 m eine Rolle und auBerdem nur fur handlungsrelevante Informationen wie Greifen, Fangen, Gehen, Springen. Die Fahigkeit zur Stereoskopie ist bedingt durch die unterschiedliche Anspannung der Augenmuskeln. Bei nahen Objekten ist die Anspaimung groBer. Dass diese Fahigkeit keine Rolle bei der Medienrezeption spielt, ist ein Indiz dafur, dass es bei der Wahmehmung nicht um ein richtiges, sondem nur um ein adaquates Abbild der Wirklichkeit geht. In der Imagination braucht man Arme und Beine nicht wirklich, darum reichen die iibrigen Mittel der Tiefenwahmehmung und Distanzeinschatzung vollig aus. Ein weiteres Problem der visuellen Wahmehmung ist die Tiefenscharfe. Das Auge ist nicht nur eine Camera Obscura mit einem Loch, das Licht aufhimmt, sondem an der Offhung befmdet sich eine Linse, die mit einem Muskel die eintreffenden Lichtstrahlen lenkt, damit sie gebiindelt auf der Riickseite des Auges auflreffen. Die Mus-
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kelkontraktion ist ein Signal fur Entfemimg. Bei Film und Femsehen andert sich die Entfemung zum projizierten Bild in aller Regel nicht, dennoch ist das Wissen iiber die Objekte so dominant, dass diese Art der Entfemungsmessung keine Rolle spielt. Das Auge adaptiert das Objekt im Bereich der Fovea auf den Bereich, der von groBtem Interesse ist. Dieser Vorgang kann willentlich nicht gesteuert werden, der Blick kann nicht auf den unscharfen Bereich im Gesichtsfeld gelenkt werden. Anders beim Film: Betrachter konnen den Blick lenken. Bilder mit unterschiedlichen Scharfebereichen wirken weniger flach, Vordergrund und Hintergrund beleben die Wahmehmung. Bei einer Filmprojektion blickt man unbewusst auf den scharfen Bereich. Damit weiB der Zuschauer, auf was es ankommt und was er sehen soil. Bei der Scharfeverlagerung wird innerhalb einer Aufiiahme der Blick von einem Objekt auf ein anderes in unterschiedlicher Entfemimg gelenkt. Ein unscharfes Bild wird deswegen als storend empfunden, weil das Gehim standig versucht, die Augenlinse zu akkommodieren. Ein vergebliches Unterfangen. Das Verlieren des Fokus wird im film eingesetzt, um zu zeigen, dass der Protagonist, mit dessen Augen die Zuschauer gerade sehen, ohnmachtig wird. Eine Abblende ins Schwarz sollte logischerweise folgen. Die Tiefenwahmehmung des Auges zu iiberlisten ist schlieBlich ein Teil der Kunst Filme zu machen. Dazu gehort dann auch das Arrangieren von Dingen in der dritten Dimension. Vordergrund, Mitte und Hintergmnd liefem komplexe Informationen. Verlagemngen des Scharfebereiches lenken den Blick. Orson Welles hat diese Kunst am besten entwickelt, sein Film „Citizen Kane" (Welles, USA 1941) fiihrt dieses stilistische Mittel in Perfektion vor. Das Arrangement der Objekte in der Tiefe beeinflusst die soziale Wahmehmung. Wenn eine Person im Vordergrund ist, ist sie dies auch metaphorisch. Personen im Hintergrund sind weiter weg vom Betrachter und damit weniger interessant. Objekte zwischen dem Betrachter und Personen bieten Schutz oder sind Hindemisse. Gitter und Fenster separieren, Aste und Zweige behindem ebenso wie Tische und andere Einrichtungsgegenstande eine direkte Interaktion. Der Standpunkt des Betrachters Die Kamera steht nicht da, wo gerade Platz ist. Zumindest sollte sie das nicht. Der Kamerastandpunkt vertritt die Sichtweise des Zuschauers. Nur das, was man erfahrt, kann Gmndlage dessen sein, wie man empfmdet und entscheidet. Der Regisseur und der Kameramann entscheiden iiber das, was der Kinoganger oder Femsehzuschauer wahmimmt. Diese geben die Kontrolle uber die Sinneseindriicke und ihre Vorstellungen gewissermaBen ab. Die Film- und Femsehmacher iibemehmen sie. Sie lenken die Aufmerksamkeit, sie bestimmen so iiber die emotionale Einbindung in das Geschehen. Der Standpunkt ist nicht nur der Punkt, an dem die Kamera steht, es ist auch der metaphorische Punkt der subjektiven Sichtweise. Dieser gibt nicht nur das wieder, was die Zuschauer zu sehen bekommen, er bestimmt auch die Perspektive, die Eingebundenheit, die Distanz zum Geschehen und zu den Personen, die Anzeichen von Gefahr und Bedrohung, das Wohlergehen und den emotionalen Zustand der Beteiligten. Der Kamerastandpunkt lasst bestimmte Ausschnitte zu, bestimmte Sichtweisen, bestimmte Momente. „Die Kamera kann von oben, von unten oder seitlich auf ein Objekt blicken. Sie kann es von nahem oder aus der Feme betrachten - sie kann es groB oder klein zeigen. Sie kann entschlossen der Gefahr entgegentreten und einen neuen, einen
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naheren Standpunkt einnehmen. Sie kann zuriicktreten und in weiterer Entfemung warten. Die Kamera kann ihre Standpunkte rasch oder zogemd wechseln." (Mehnert 1986, 81) Schon Bela Balazs erkannte: „Jeder visuelle Standpunkt bedeutet auch einen seelischen Standpunkt." (Balazs 1961, hier zitiert nach Mehnert 1986, 80f.) Extreme Kamerapositionen vermitteln extreme Sichtweisen. Bei visueller Wahmehmung gibt es praktisch keine seitlich gekippten Bilder. Das Gehim gleicht Kopfbewegungen aus. Wenn die Kamera gekippte Bilder aufiiimmt, sehen die Betrachter diese schragen Aufhahmen nicht notwendig als unnatiirlich an. Durch die dabei entstehenden Diagonalen entsteht der Eindruck von Ungleichgewicht. Der so genannte Tilt das Kippen der Kamera - ist ein Mittel, Unordnung, Unsicherheit, eine aus den Fugen geratene Welt zu zeigen. Der optische Sinn ist mit dem Gleichgewichtssinn verbunden. Aus der Forschung mit Raumfahrem ist bekannt, dass diese ein Unbehagen empfmden, wenn ein anderer Raumfahrer in der Schwerelosigkeit quasi auf dem Kopf stehend auf sie zuschwebt. Ein Ausgleich, der auf Grund der fehlenden Schwerkraft nur optisch sein kann, wird angestrebt. Wie Sichtweise, Standpunkt und emotionale Interpretation der Bilder zusammenhangen, wird noch intensiver zu diskutieren sein. Einstellungsgrofien Das Einteilen von Raum und Raumzuordnungen ist nichts, was nur den Menschen eigen ist. Vogel und Saugetiere haben nicht nur Territorien, die sie besetzen und gegenuber Artgenossen verteidigen, sondem auch einige weitere Merkmale der subjektiven Distanzeinteilung: Fluchtdistanz und kritische Distanz auf der einen Seite sowie personliche und soziale Distanz auf der anderen. In alien Fallen liegt die Entfemung zwischen Artgenossen der Distanzeinteilung zu Grunde. Bei Menschen spielen die ersten beiden Kategorien (Flucht und kritische Distanz) keine bedeutende Rolle in der Wahrnehmung. Dafiir kann man zwei weitere ausmachen, namlich die intime und die offentliche Distanz. Um Entfemung auszumachen, bedarf es einer Moglichkeit der Messung. Drei Sinne sind daran beteiligt: Auge, Ohr und Gemchssinn. Der letztgenannte spielt beim Menschen erst bei relativ nahen Konstellationen eine Rolle, zudem allgemein eine eher untergeordnete und bei der Medienwahmehmung gar keine. Weder Film und Femsehen, noch das Radio iibermittelt Gemchsreize. Damm kann man den Gemchssinn in diesem Zusammenhang vemachlassigen. Dem Anthropologen Edward T. Hall (1966 und 1982, 113ff) ist es gelungen, die unterschiedlichen Distanzen klassifiziert und beschrieben. Sie sind anwendbar auf die visuelle und auditive Wahmehmung von Medien. Hall definiert vier Abstande mit Jewells zwei Phasen: Offentliche Distanz. Es ist die Distanz, die sich dem direkten Eingriff entzieht. Zentral fur die Definition dieses Abstandes ist die einer offentlichen Person, eines Fiihrers, eines hierarchisch Hochstehenden, eines Priesters, ja selbst die Distanz zu Gott, wie sie in Kirchen und Kathedralen dargeboten wird. Weite offentliche Distanz. Es ist die Distanz, die wichtige offentliche Personlichkeiten um sich aufbauen, es ist ihre Aura. Diese Wahmehmungsweise ist nicht auf offentliche Figuren eingeschrankt, sondem gilt fiir jeden im offentlichen Raum. Ab einer Entfemung von 10 Metem sind genaue Feinheiten in der Stimme wie auch Details in Mimik und Gestik kaum noch erkennbar. Nicht einmal das Gesicht selbst ist zu erkennen und damit fehlt ein wesentliches Merkmal, woran Menschen andere wiedererken-
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nen. Nicht nur die Stimme, sondem auch alles andere muss verstarkt und iibertrieben werden. Ein GroBteil der nonverbalen Kommunikation ist reduziert auf Korperhaltung und ausladende Gestik. Die Person wird als klein und eingebunden in ihre Umgebung wahrgenommen. Bei zunehmender Entfemung geht die Individualitat der Person verloren, zumal dann, wenn sie sich in einer Gruppe befmdet. Die Gruppe gewinnt an Dominanz. Nimmt die Entfemung weiter zu, wird die Gruppe nur dann wahrgenommen, wenn sie die dominante Bewegung auf dem Bild ausfuhrt. Bewegungen am Rande des Gesichtsfeldes gewinnen namlich an Bedeutung. Auch die Sprache verandert ihren Stil durch die Distanz: Die Sprechgeschwindigkeit sinkt, die Artikulation nimmt zu und der grammatische Aufbau wird formaler. Es ist der Unterschied zwischen Dialog und Rede: Viele Menschen konnen zuhoren und mehr Menschen konnen angesprochen sein. Ein Gesprach ist ohne formale Organisation kaum moglich, Monologe oder Statements sind eher typisch. Um in dieser Entfemung als dominant aufzufallen, muss man einiges untemehmen: ausladende, iibertriebene Bewegungen, extrem laute Stimme und eine Kleidung, die farblich und durch ihre Form, besonders die Kopfbedeckung, auffallt. Friiher war dies der Aristokratie und dem Klems vorbehalten, heute sind es Stars, Prominenz und solche, die sich dazurechnen. In der Filmsprache entspricht die weite offentliche Distanz der Totalen, bei der Menschen nicht als Individuen auszumachen sind. Sie zeigt Figuren im Umfeld. Die Totale wird dann gebraucht, wenn Menschen in Bewegung und in groBerer raumlicher Distanz zueinander agieren. Erkennbar sind Individuen nur an besonderen Erkennungsmerkmalen, die sich nicht im Gesicht ausdriicken: eindeutige Kleidung, Kopfbedeckung, unverwechselbare Haartracht oder -farbe. Damm haben FuBballspieler Nummem auf dem Trikot. Nach welchen hierarchischen Gesichtspunkten die Haltung zu einer Einzelfigur interpretiert werden soil, entscheidet sich an weiteren Elementen: „Hierarchisch hoch" zeigt langsame, gravitatische Bewegung mit weniger Schnitten pro Zeiteinheit und eine Kameraposition in Froschperspektive; „hierarchisch niedrig" benutzt schnelle Bewegungen in der Gmppe ohne eine dominante Figur zu portratieren, weist viele Schnitte auf mit einer Kamera in der Vogelperspektive. Nahe offentliche Distanz. Bei einer Entfemung von 3-4 Metem lassen sich MaBnahmen zu Flucht oder Angriff treffen, falls man das Gefiihl einer Bedrohung hat. Die aus dem Tierreich bekannte Fluchtdistanz lasst sich grob hierauf anwenden. Das Gesicht der Person ist zu erkennen, aber keine Details der Hautzeichnung. Die Augenfarbe beispielsweise ist ab etwa 5 Metem nicht mehr auszumachen, nur das WeiBe bleibt erkennbar. Der Korper verliert seine Dreidimensionalitat und erscheint flach. Die Person ist als Ganzes von Kopf bis FuB im Bereich der Sicht-Peripherie mit ein wenig Umgebung. Weitere Personen konnen mit im Bild sein. Die Stimme ist nicht allzu laut, aber deutlich. Linguisten haben erkannt, dass die Worte gewissenhafter ausgewahlt werden und dass der Stil formaler ist. Formales Sprechen erfordert Planung. Weiter entscheidet sich, ob es zu einer Annahemng oder zu einer Entfemung kommt. Im Film stehen hier die EinstellungsgroBen von der Halbtotalen bis zur Amerikanischen zur Verfugung. Gerade die Amerikanische, die zwar den beriihmten Colt oberhalb des Knies zeigen muss und damm im Westem so ausgiebig genutzt wird, veranschaulicht die Erkenntnis, denn auch die Sprache des Westem verrat die Distanz zwischen Annahemng und Entfemen, zwischen Angriff und Flucht.
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Ein Gesprach ist auf diese Distanz nicht moglich. Die Personen bedienen sich einer formalen, wohl formulierten Sprache: „Es geht doch nichts iiber ein bisschen Tabak iind eine Tasse Kaffee. Sehen Sie, manche Leute sind nach Gold und Silber verriickt, andere brauchen zu ihrem Gliick Land und Viehherden. Dann sind da welche, die haben eine Schwache fur Whisky und fur Weiber. Aber wenn man das ausschaltet, was braucht man wirklich? Etwas zu rauchen und eine Tasse Kaffee." {„Wenn Frauen hassen" Ray, USA 1954) Es gibt weniger personliche Ich-Aussagen, oft wird verallgemeinert. Die Gegner werden entpersonifiziert, zu Vertretem einer Klasse: „Wie kann man jemandem trauen, der nicht mal seiner Hose traut?" {„Spiel mir das Lied vom Tod" Leone, I/USA 1968) Soziale Distanz. Hier beginnt der Bereich der direkten Interaktion. Der Begriff „sozial" impliziert bereits eine mogliche Gruppenkonstellation. Ab dieser Entfemung erlebt man die Stimme und die visuelle Wahmehmung als normal. Weite soziale Distanz. Es ist die Entfemung eines geschaftlichen Diskurses. Ein Schreibtisch mit zwei Stiihlen hat die Tiefe, Personen auf dieser Distanz zu halten. 2,50 bis 3 Meter diirfte die Entfemung betragen. Hautstmkturen, Zustand der Zahne und der Kleidung sind sichtbar. Auf diese Entfemung ist die Person als Ganzes sichtbar, wenn man dem Gegeniiber in die Augen blickt, reicht das Gesichtsfeld bis maximal zum Knie. Augen und Mund sind im Bereich groBter Scharfe und Detailzeichnung. Beobachtet man eine Person aus dieser Entfemung, wird es noch nicht als unangenehm empftmden. Dennoch kann man sich leicht auf Einzelne in einer Gmppensituation konzentrieren. Gesprache sind bei dieser Entfemung haufiger durch Blickkontakt abgesichert als bei geringeren Entfemungen. Der Verlust des Augenkontaktes fuhrt allerdings schnell zu einem Abbmch der Kommunikation. Die Stimme ist etwas lauter als normal. Gesprache konnen zum Beispiel bei offener Tiir im Nebenzimmer verfolgt werden. Nahe soziale Distanz. Bei einer Reichweite von 1-2 Meter ist der Bereich um Augen und Nase am besten auf der Fovea abgebildet. Bei Untersuchungen mit amerikanischen Versuchspersonen bewegte sich das Zentmm zwischen Augen, Nase und Mund. In der Peripherie ist eine Person vom Scheitel bis zur Hiifte, an der auBeren Grenze bis zu den FiiBen zu erkennen. Dies ist die Entfemung eines unpersonlichen geschaftsmaBigen Gespraches. Konversationen zwischen Personen, die sich nicht bekannt sind, suchen mehr oder minder deutlich diese Position. Menschen, die miteinander arbeiten, tun dies in dieser Distanz. Fiir die nahe wie ftir die weite soziale Distanz gilt, dass sie zu groB sind, als dass eine Beriihmng stattfinden konnte oder dass man eine Beriihmng erwartet. Damit ist die Grenze beschrieben, die zur personlichen Distanz besteht. Es ist die angenehme Distanz zwischen freundlich gesinnten Fremden. Die Stimme wird als normal empfiinden. Die Kameraeinstellungen werden zwischen Amerikanisch und Nah liegen. Personliche Distanz. Die personliche Distanz - dies gilt fiir die weite wie fiir die nahe Variante - ist wie eine unsichtbare Blase um uns hemm. Menschen bestimmen damit die Beziehung zu anderen Personen. Sie trennen damit „uns nahe Stehende" von Fremden. Sie stehen nicht im Mittelpunkt dieser Blase. Sie ist nach hinten weniger deutlich ausgepragt als nach vome und noch weniger zu den Seiten. Ein Eindringen von Fremden kann als Angriff gewertet werden und GegenmaBnahmen werden ergriffen. Damm drehen sich Personen - wenn es der Raum zulasst - im Fahrstuhl oder in
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der U-Bahn ziir Seite, wenn es zu eng wird. Im Kino lasst.man fremde Menschen direkt neben sich sitzen und empfindet in der Regel keinen Angriff auf die Privatsphare. Weite personliche Distanz. Die Spanne der weiten personlichen Distanz reicht von der Armlange einer Person bis zur Strecke, die man ausfiillt, wenn zwei Personen mit ausgestreckten Armen ihre Fingerspitzen beriihren. Man spricht von Ellbogenfreiheit. Flucht Oder Riickzug sind noch moglich. Es bleibt Raum, sich bei Bedarf zur Wehr zu setzen. Themen von personiichem Belang konnen besprochen werden. Man kann an der Stimme Stimmungen erkennen. Verschiedene Details sind zu erkennen: ein paar graue Haare, kleinere Falten der Haut, Schlaf in den Augen, Flecke oder Schmutz auf der Kleidung. Die Fovea fixiert nur ein Auge oder die Nasenspitze, das Auge muss sich intensiver iiber das Gesicht bewegen. Ansonsten sind der Oberk5rper und die Arme im BHck. Im Femsehen und im Kino wird diese Distanz mit der Naheinstellung prasentiert. Es ist sicher die haufigste EinstellungsgroBe, da sie den kommunikativ sozialen Umgang, den Dialog, am besten ausdriickt. Nahe personliche Distanz. Man konnte, wenn man wollte, sein Gegeniiber fest halten. Das Gefiihl von Nahe resultiert aus dieser Moglichkeit, dennoch bleibt geniigend Raum, dass sich beide unabhangig bewegen konnen. Das Gegeniiber wird plastisch wahrgenommen, die Nase als vorstehend, die Ohren zuriickversetzt. Kleine Haare im Gesicht sind erkennbar, Augenlider, Poren in der Haut. Diese Entfemung zeigt die soziale Beziehung der beteiligten Personen. Nur Freunde und Partner diirfen in diese Nahe. Halbnah bis GroB zeigt dies die Kamera. Film und Femsehen zeigen immer wieder Personen in dieser Distanz. Darum scheinen sie personlich bekannt und vertraut, denn nur Freunde lasst man so dicht an sich heran, dass man nur wenig mehr als ihr Gesicht sehen kann. Intime Distanz. Die Anwesenheit einer Person in dieser Entfemung ist unmissverstandlich und bisweilen heftig. Ein Eindringen in die intime Distanz wird entweder als sehr angenehm empfunden, wenn eine Zuneigung (das Wort spricht fur sich) zu der Person vorhanden ist. Ein spontaner Ubergang vom weniger intimen in den ganz intimen Abstand ist wahrscheinlich. Auf der anderen Seite empfindet man es als auBerst unangenehm, wenn das Eindringen nicht gewollt ist. Die Reaktion ist spontanes Zuriickweichen, Hande und Arme heben zum Schutz und zur Abwehr des Eindringlings. Weniger intime Distanz. Ein groBflachiger Korperkontakt ist bei der weniger intimen Distanz noch nicht vollzogen. Es gibt noch Zwischenraum. Der Kopf des Gegeniiber wird vergrdBert gesehen, seine Bestandteile wie Nase, Lippen, Zahne und Zunge konnen iibergroB und verzerrt wahrgenommen werden. Das maximal mogliche Gesichtsfeld umschlieBt Kopf und Schulterpartie. Blicke gehen oft zu den Handen, die ftir Kommunikation allgemein eine groBe Rolle spielen. Wenn es von beiden Seiten ungewollt zu einem so dichten Kontakt kommt - wie in offentlichen Verkehrsmitteln oder in einem Fahrstuhl - gibt es verschiedene Taktiken, wie Personen darauf reagieren. Bei zufalliger Beriihmng wird man sich zuriickziehen, bei unvermeidbarer wird man sich nicht bewegen. Die Muskeln bleiben dennoch angespannt, die Hande an der Seite. Es gibt keinen andauemden Augenkontakt und auch sonst sind die Augen nicht auf Objekte fixiert.
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Die Lautstarke der Stimme ist bei Dialogen auf ein Minimum reduziert. Niemand anders kami normalerweise mithoren. Sie kami das erreichen, was man Fliistem nennt. Der Atem und eventuell die Korperwarme sind spiirbar. Ganz intime Distanz. Das Gesichtsfeld ist auf Details (Teile des Gesichts oder des Korpers wie Auge, Ohr, Handflache) reduziert. Bei dieser Entfemung spielt die Geruchswahmehmung die groBte Rolle, man spiirt den Atem der anderen Person, die visuelle Wahmehmung ist oft unscharf. Das ist die Distanz von Lieben und Ringen, Trosten und Beschiitzen. Korperlicher Kontakt oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit von einer Einbeziehung des Korpers ist prasent im Bewusstsein beider Personen. Der Gebrauch der Entfemungsrezeptoren ist weitgehend reduziert auf Geruchswahmehmung und die Wahmehmung der Strahlungswarme der Korper, welche beide intensiv erlebt werden. In der intensivsten Phase kommunizieren GliedmaBen und Haut. Sofem nahe Sicht moglich ist innerhalb der ganz intimen Distanz, sind die Bilder stark vergroBert und stimulieren den groBten Teil, wenn nicht sogar die ganze Retina. Die wahrgenommen Details sind einzigartig (Hautstmktur, einzelne Haare). Diese und die starke Muskelbewegung der beiden Augen, die fur stereoskopisches Sehen verantwortlich sind, konnen mit keiner anderen Distanz verwechselt werden. Sprache spielt bei der intimen Distanz eine untergeordnete Rolle im Kommunikationsprozess, der deutlich von anderen Sinneseindriicken dominiert wird. Selbst das Fliistem hat eine VergroBemng der Distanz zur Folge. LautauBemngen sind eher spontan und unwillkiirlich. Sie bezeichnen Geflihlszustande und Regungen. Anthropologische undfilmische Raumwahrnehmung Totale, Nah, GroB und Detail sind die zentralen Einteilungen der filmischen EinstellungsgroBen. Dass auch der Anthropologe Hall auf vier Kategorien kommt, begriindet er so: „Die Hypothese hinter der Entfemungsklassifikation ist folgende: Es liegt in der Natur der Tiere, und damnter des Menschen, ein Verhalten zu zeigen, das man als Territorialitat bezeichnen kann. Dabei benutzen sie die Sinne, um zwischen einer Entfemung und einer anderen zu unterscheiden. Die spezifische Distanz, die gewahlt wird, hangt ab vom Umgang, von der Beziehung der interagierenden Individuen, was sie empfinden und was sie wollen. Die vierteilige Einordnung, die hier benutzt wird, basiert auf Beobachtungen bei Mensch und Tier. Vogel und Affen zeigen ebenso wie Menschen intime, personliche und soziale Distanzen." (Hall 1966 und 1986, 125ff.) Mit der Distanz wird der emotionale Zustand zwischen den interagierenden Personen vermittelt. Der Zuschauer vor dem Bildschirm kann dies auf zweifache Art erleben. Zum einen zeigt sich die Beziehung des Sprechers im Medium zum Betrachter und zum anderen die Konstellation von interagierenden Personen im Medium. Durch die EinstellungsgroBe erfahren die Zuschauer etwas iiber deren Verhaltnis. Dass Distanzen Emotionen beeinflussen, wurde vielfach bestatigt. (Kollier 1985, 11 Iff.) Aufmerksamkeit ist die bewusste, gelenkte und interessegebundene Wahmehmung. Man sieht, was man sehen will. Kameraeinstellungen bestimmen die Wahmehmung. Zuschauer erfahren, wie Personen zueinander und zum Betrachter stehen, Detailaufnahmen verweisen auf die Dinge, die beachtet werden sollen. Schon Filmtheoretiker der Pionierzeit kannten diese Funktionen. So schreibt Pudowkin: „Jedermann weiB: Je naher wir an einen Gegenstand herantreten, je genauer unser forschender Blick ihn betrachtet, je weniger wir gleichzeitig in unserem Gesichtsfeld haben, desto mehr Einzelheiten sehen wir und desto enger, eingeschrankter
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wird unsere Sicht. Wir nehmen den Gegenstand nicht mehr in seiner Gesamtheit wahr, unser Blick greift der Reihe nach die Einzelheiten heraus und erst durch die Assoziation erhalten wir einen Eindruck vom Ganzen, der jetzt aber viel klarer, tiefer und scharfer ist, als wenn wir den ganzen Gegenstand aus der Entfemung betrachtet hatten, wobei unvermeidlich Einzelheiten verloren gegangen waren. Wenn wir etwas genau betrachten, beginnen wir stets mit den Umrissen und dann, indem wir unsere Betrachtung bis zu den Grenzen der Sichtbarkeit vertiefen, bereichem wir das Erfasste durch eine wachsende Anzahl von Einzelheiten. Das Besondere, das Detail, ist stets gleichbedeutend mit Konzentration, Vertiefung. In dieser Fahigkeit einer klaren, iiberaus deutlichen Darstellung des Details liegt das Charakteristische und Besondere des Films." (Pudowkin 1961, 97f) Bewegung Bewegung ist die Kategorie, die den Film von der Fotografie unterscheidet und ihn in die Nahe zu einer anderen Ausdrucksform riickt, namlich zum Theater. Ein statisches Bild hat zwar mit dem Film einiges gemeinsam - den Rahmen und damit EinstellungsgroBe und Perspektive -, in einem wesentlichen Punkt unterscheiden sie sich aber. Die Bewegungslosigkeit eines Bildes ist das Festhalten eines vergangenen Momentes, mithin einer Erinnerung, ein Film hat durch die Bewegung immer etwas Gegenwartiges, selbst wenn er Vergangenes dokumentiert. „Die Gegenstande und die Personen, die uns der Film zeigt, erscheinen dort [in der Fotografie] als Abbild, doch die Bewegung, durch die sie belebt werden, ist kein Abbild der Bewegung, sie erscheint wirklich." (Metz 1972, 27) Ganz so weit wie Metz kann man natiirlich nicht gehen, denn der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Filmwahmehmung ist doch immer zu treffen, dennoch hat er im Kern Recht: Der Eindruck des Gegenwartigen beherrscht die Rezeption von Bewegtbildem. Der Grund liegt im Besonderen der visuellen Wahmehmung. Bewegungen verlangen Aufinerksamkeit, besonders wenn das Ziel der Richtung nicht zu erkennen ist, wenn der Betrachter zum Ziel werden kann oder das Ziel von besonderem Interesse ist. Die Frage „Warum verfolgen wir eine Bewegung mit den Augen?" ist unter evolutionaren Gesichtspunkten leicht zu beantworten mit einer Gegenfrage: „Konnen wir es uns leisten, die Bewegung nicht zu verfolgen?" Fiir die Wahmehmung von Bewegung gibt es zwei grundsatzlich verschiedene Augenbewegungen: die verfolgende und die suchende. Die suchende Augenbewegung ist ruckartig, wobei das Gehim die eigentliche Bewegung ausschaltet. Dies ist die Grundlage fur den Schnitt im Film. Ein Suchblick dauert hochstens 3 Sekunden. Das Erkennen von Objekten - selbst das Wiedererkennen von Gesichtem - dauert kaum eine halbe Sekunde. Dieser Blick entspricht im Film einer Reihe von festen Einstellungen. Es gibt dazwischen keinen Schwenk, auch keinen ReiBschwenk. Da die Zeit dazwischen dem Bewusstsein nicht zuganglich ist, entspricht der Schnitt als Verbindung von Einstellungen der normalen Wahmehmung. Das bedeutet, dass man erstens ziemlich schnell wahmehmen kann und zweitens, dass der Filmschnitt diesen Aspekt der Wahrnehmung imitiert. Auf Gmnd der Suchbewegung des Auges lassen sich Schnitte in zwei Kategorien einteilen: in iiberlappende Schnitte, bei denen Elemente der ersten Einstellung in der folgenden Einstellung wieder auftauchen, und in nichtiiberlappende Einstellungen. Im ersten Fall werden Informationen zur Ausrichtung des Objektes im Raum und zum Verhaltnis zwischen zwei oder mehreren Objekten zueinander gegeben. Das Invariante
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liefert Stmktur, Schnitte werden weniger wahrgenommen, da sie der natiirlichen Wahmehmung entsprechen. Nur Jump Cut und Achsensprung, obgleich sie den Bedingungen des iiberlappenden Schnittes gehorchen, machen den Schnitt und damit die Filmwahmehmung an sich bewusst. (Hochberg 1986) Ebenso storend sind zu kleine Spriinge in der EinstellungsgroBe, wenn sie das gleiche Objekt aufhehmen. Offenbar kommt dies einem Effekt des Jump Cut zu nahe. In der storungsfreien filmischen Umsetzung dieser Wahmehmungsweise findet sich zum Beginn einer Sequenz einen Mastershot, der die Szenerie als Ganzes in der Totalen zeigt. Das verschafft einen Uberblick, von dem aus Teilbereiche gezeigt werden. Die gesamte Szenerie ist im Gedachtnis gespeichert und die Zuschauer behalten die Orientierung. GroBaufiiahmen sind schneller verstandlich als Totalen. SchlieBlich muss man den Fokus nicht suchen oder die Gesamtheit des Bildes ordnen. Darum konnen GroBaufnahmen kiirzer sein. Jede Einstellung wird im Laufe ihrer Darbietung anders wahrgenommen. Zuerst wird ihre Referenz erkannt, also die Beziehung zu der Einstellung zuvor. Es folgt ein Moment hochster Aufinerksamkeit und wenn kein Schnitt folgt, entstehen Langeweile und Ungeduld. Der Schnitt muss also gesetzt sein, wenn die Aufinerksamkeit fallt. Schnitt ist demnach keine zufallige Aneinanderreihung von Einstellungen, sondem folgt dem Rhythmus von Hohepunkten der Aufinerksamkeit, der durch das visuelle System vorgegeben ist. Hat das Auge ein Objekt fixiert, kann es in ruhigen Bewegungen dem Objekt folgen. Dies ist die Grundlage fiir ruhigere und langer andauemde Kamerabewegungen. Die Augenbewegungen sind notig, da der Bereich des scharfen Sehens - auf der Fovea - eingeschrankt ist. Das Gehim lenkt die Bewegungen unbewusst auf die Bereiche und mit der Geschwindigkeit, die in der jeweiligen Situation als notwendig erscheint. Verschiedene Bereiche des Sichtfeldes werden kurz fixiert. Die Bewegungen lassen demnach Ruckschliisse auf unbewusste Himtatigkeiten zu. EinstellungsgroBe (was scharf abgebildet ist), Kamerabewegung und Schnittgeschwindigkeit lenken die Wahmehmung bei den optischen Medien. Der gekonnte und bewusste Einsatz der Mittel simuliert Wahmehmungen in besonderen Situationen. Bewegung der Objekte im Bild Wenn sich auf der Retina eine Form andert, interpretiert dies das Gehim meist als Bewegung. Das setzt voraus, dass der Sehende ein Objekt kennt, dessen Form und Freiheitsgrade der Bewegung. So interpretiert er einen Kreis, der sich konzentrisch vergroBert, als einen Ball, der auf ihn zu fliegt. Eine Tiir, die sich offiiet, andert ihr Aussehen von einem Rechteck mit bestimmter Hohe und Breite zu einem Trapez und schlieBlich zu einem schmalen hohen Rechteck, wenn die Tiir geoffiiet ist. Die Bedingung, dass Sehende immer das Gleiche, namlich ein sich bewegendes Objekt wahrnehmen, liegt in der Objektkonstanz. Man hat eine Vorstellung von den verschiedenen Ansichten eines Objektes, doch nur eine ist jeweils prasent. Objekte konnen sich in alle Richtungen des dreidimensionalen Raumes bewegen. Es gibt Objekte, deren Bewegungseigenschaften sind bekannt, und das sind die Bewegungen, die man erwarten kann. Dennoch regt sich die Interpretation nicht gegen fliegende Hunde oder Menschen. Zuschauer lassen sich auf die Bilder ein, die ihre Fantasie zulasst. Filmwahmehmung hat weniger etwas mit der Illusion des Sehens zu tun als mit einer visualisierten Illusion.
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Einige Bewegungen nehmen in der Wahmehmung eine Sonderstellung ein. An prominenter Stelle ist die Bewegung von Dingen auf den Betrachter zu. Die ersten Aufhahmen der Filmgeschichte nutzen diese Richtung. Die Arbeiter und Arbeiterinnen aus der Fabrik in Lyon kommen auf die Kamera zu und verlaufen sich dann nach rechts und links. Die Bewegung an sich ist das Spektakulare, man beobachtet ohne gesehen zu werden. Die Ankunft des Zuges in La Ciotat ist nichts Besonderes. Der Zug halt da mehrmals am Tag. Der Zug im Film ist Aufsehen erregend. Auf dem Bahnsteig besteht jedoch keine Gefahr, die Eisenbahn kann die Gleise nicht verlassen. Die Filme waren erfolgreich, die Zuschauer waren beeindruckt, die Kritiker lobten den Realismus der Szenen. Objekte, die auf den Betrachter zukommen, scheinen groBer zu werden. Die Abbilder nehmen mehr Flache auf dem Augenhintergrund ein. Diese Erkenntnis scheint angeboren: „Projiziert man vor einem auf einem Stiihlchen festgeschnallten 14- bis 20tagigen Saugling einen sich symmetrisch ausdehnenden dunklen Fleck, dann interpretiert das Kind diese Wahmehmung als ein Objekt, das sich in Kollisionskurs auf es zu bewegt: Es hebt schiitzend einen Arm vors Gesicht, wendet sich ab und blinzelt. Ein sich asymmetrisch ausdehnender Fleck lost keine Abwehrreaktionen aus. Er wird als vorbeigehend interpretiert." (Ball & Tronick, nach: Eibl-Eibesfeldt 1997, 86) Als der Cowboy in ,,The Great Train Robbery'' (Potter, USA 1903) in die Kamera zielte und schoss, loste das angeblich Tumulte aus. Das amerikanische Publikum empfand die Gefahr des auf den Betrachter gerichteten Pistolenlaufes. Der Anblick loste Schrecken aus. Auf das Objektiv zu rasende Objekte sind auch in der aktuellen Filmgeschichte noch Ausloser von Schrecken mit all seinen physischen Reaktionen der Nacken- und Schulterverspannung und des Lidschlussreflexes. Spielbergs .Jurassic Parl^' (Spielberg, USA 1993) nutzt das Mittel. Die Kamera ist in den „bedrohlichsten" Szenen dicht an der Handlungsachse und wenn ein Dinosauriermaul sich auf die Kamera zu bewegt und ungebremst an GroBe zunimmt, lost das beim Zuschauer den beschriebenen Reflex aus. Die gegenlaufige Bewegung ist die Bewegung des Objektes vom Betrachter weg. Es ist die Bewegung, die das Verlassen oder Weggehen darstellt. Dies kann positiv sein, wenn ein unangenehmes Objekt oder eine unangenehme Person Distanz zwischen sich und den Protagonisten bringt. Die Zuschauer erleben mit ihm Erleichterung. Es kann ebenso ein negatives Gefuhl verbunden sein, wenn das Objekt oder die Person positiv besetzt ist. Beobachter empfinden, dass sie verlassen werden. Je langer der Blick das verlassende Objekt verfolgt, desto intensiver nehmen sie den Abschied wahr. Bewegungen im rechten Winkel zum Betrachter beziehen ihn nicht in die Situation ein. Er ist distanziert vom Geschehen. Die Bewegung ist weder eine Gefahr, noch ein Verlassenwerden. Die Bewegung ist nicht auf ihn bezogen. Ublicherweise erlebt man eine Bewegung, die von links nach rechts geht, als natiirlicher. Ob es daran liegt, dass dies die Schreibrichtung ist, ist schwer nachzuweisen. Kulturvergleichende Untersuchungen sind diesbeziiglich noch nicht angestellt worden. Es ware zu untersuchen, ob Filme aus dem arabischen Raum andere Richtungen dominieren als im romanisch-germanischen Sprachraum, wobei japanische Filme als Kontrollgruppe dienen konnten. Standardisierte Bewegungsrichtungen miissen nicht angeborenen Reaktionen entsprechen. Mit Sicherheit gibt es auch Konventionen. Im Western ziehen die Trecks immer von rechts nach links. Sie besiedeln den Westen und Westen ist nach Konven-
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tion links. Sollte es eine andere Bewegungsrichtung geben, geht der Treck zuriick. Das weist darauf hin, dass sich Bewegungsrichtungen erganzen miissen. Diese entscheidet, ob sich Personen aufeinander zu bewegen oder ob sie sich verfolgen, ob sie weiter vorwarts gehen oder zuriick. Der Effekt kann eingesetzt werden, um zu zeigen, dass die prasentierte Person verwirrt ist und nicht weiB, wo es lang geht. Nicht immer sind Bewegungen in ihrer Richtung eindeutig. Das Bild eines Platzes, auf dem Menschen in alle Richtungen gehen, ist unter der Kategorie der Bewegungsrichtung nicht zu fassen. Bei einem solchen Bild wird man jedoch das Durcheinader als Chaos erleben oder nach Ordnungen suchen. Es gibt eine Beziehung zwischen der dargestellten Bewegung und dem Schnitt. Schnelle Bewegungen sollten schnell geschnitten sein. Es darf keine Zeit geben, eine schnelle Bewegung zu verstehen. Sie braucht nur wahrgenommen zu werden. Achsensprung Die Bewegungsrichtung eines einzelnen Objektes muss immer eindeutig sein. Das ist der Grund, warum ein Achsensprung Verwirrung hinterlasst. Legt man eine gedachte Linie zwischen zwei Interaktionspartner und verlangert diese, erhalt man die Handlungsachse. Die Kamera darf normalerweise von einer Einstellung zur nachsten nur auf einer Seite dieser Teilungslinie sein. Ein Achsensprung ist eine Kameraposition im Laufe einer Szene oder Sequenz, die den 180°-Radius der Handlungsachse iiberschreitet. Eine Handlungsachse ergibt sich bei einem einzelnen Objekt oder einem einzelnen Individuum, das sich in eine eindeutige Richtung bewegt oder auf ein Ziel hin agiert; auch hier lasst sich die gedachte Linie verlangem. Die Physiologic des Auges wurde schon in einigen fur die Medienwahmehmung wichtigen Teilen besprochen. So ist bekannt, dass die Zellen der Retina fur unterschiedliche Aufgaben spezialisiert sind. Es gibt Zellen, die fiir Farbwahmehmung zustandig sind wahrend andere auf Schwarz-WeiB-Sehen (dafiir aber lichtempfmdlicher), spezialisiert sind. Es gibt jedoch auch Zellen, die nur fiir Bewegungsrezeption zustandig sind. Drei Typen sind zu unterscheiden: Der erste Typ nimmt grobe Bewegung auf der Retina wahr, Objektdetails sind nicht wahrzunehmen. Der zweite Typ ortet das Objekt in seiner Raum-Zeit-Relation. Damit sind Richtung und Geschwindigkeit einzuschatzen. Besonders deutlich reagieren diese Nervenzellen, wenn die Bewegungsrichtung eindeutig auf der Horizontalen, der Vertikalen oder einer der Diagonalen verlauft. Der dritte Typ ist in der Lage, verschiedene Bewegungsbeobachtungen unterschiedlicher Koordinatenpunkte zu kombinieren, um zu entscheiden, ob diese zusammenhangen. (Reid 1999, 846ff) Wie gesagt, um eine Bewegungsrichtung als eindeutig wahrzunehmen, muss diese immer in eine Richtung gehen, zum Beispiel von rechts nach links. Das Objekt verschwindet in einer Einstellung links, dann muss es in der folgenden rechts wieder auftauchen und sich weiter nach links bewegen. Innerhalb des 180°-Radius einer Neupositionierung der Kamera ist diese Regel nicht gestort. Erst beim Uberspringen der Linie wechselt plotzlich die Richtung. Auch bei einem Dialog gibt es Handlungsrichtungen: Person A spricht nach links. Person B spricht nach rechts. Beim Uberspringen der Linie ist die Richtung gestort. Da die Handlungsrichtung in der Vorstellung offenbar dominant ist, vermuten Zuschauer eher, dass die Personen plotzlich ihre Standorte gewechselt haben, als dass sich die Betrachterperspektive geandert hat. Zumindest bleibt ein Gefiihl der Verwirrung.
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Verstarkt wird die Betrachterposition durch Erfahrung. Wenn wir ein Gesprach beobachten, sind wir auf einer Seite der Handlungsachse. Wir konnen vieies sehen, was auf der anderen Seite der Achse ist. Einen gedanklichen Sprung auf die andere Seite, der den Betrachter als den stillen Zeugen dieser Szene beinhaltet, scheint unvergleichlich schwerer. Handlungsachse
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Es gibt eine viel diskutierte Ausnahme, die aber durch die Theorie einer Beibehaltung der Bewegungsrichtung wieder zur Kegel wird: In dem Gerichtsfilm .JBoomtowrC' (Conway, USA 1949) geht eine Zeugin von rechts nach links auf einen Stuhl zu; wahrend sie sich setzt, springt die Kamera auf die andere - eigentlich falsche - Seite (Beschrieben nach den Abbildungen, in: Hochberg 1986), dennoch erzeugt dieser Achsensprung keine Verwirrung. Zwei Bedingungen verhindem dies: Zum einen ist der Schnitt wahrend der Phase, in der sich die Darstellerin hinsetzt, es also nur eine Bewegung von oben nach unten gibt, die keinen VerstoB gegen die Bewegungskonstanz darstellt, zum anderen dreht sich die Darstellerin um und agiert damit wieder in die gleiche Richtung wie vor dem Schnitt. Ihre Bewegungsrichtung bleibt konstant. Ein weiterer Beleg fiir die Bewegungskonstanz ist ein Phanomen, das man beim Zugfahren erleben kann. Wenn man langere Zeit aus dem fahrenden Zug blickt und der Zug danach zum Stehen kommt, hat man den Eindruck, dass man sich gegen die Fahrtrichtung bewegt. Die angenommene Bewegung ist so stark, dass im Gehim der Eindruck erzeugt wird, dass sie weitergeht, ein stehendes Bild also nur durch eine Gegenbewegung zu Stande kommen kann. Es gibt Ausnahmen: Wenn die Bewegungsrichtung eindeutig ist, kann auch iiber die Achse hinweg geschnitten werden. Wenn also etwa ein Auto in dynamischer Fahrt ist und dessen Richtung zweifelsfrei feststeht, kann die Kamera eine Aktion, die in entlang der Aktionslinie verlauft, auch von der anderen Seite betrachten. Auf die Positionierung der Kamera besonders bei Schnitt-Gegenschnitt-Wechseln innerhalb des 180°-Radius des Handlungsraumes muss spater eingegangen werden, wenn weitere Voraussetzungen geklart sind. Diese betreffen nicht die Wahmehmung, sondem die geistige Verarbeitung und die imaginierende Kraft des Geistes. Bewegung des Betrachters Eine weitere Regel der Filmproduktion lautet: Jede Kamerabewegung muss motiviert sein. Das Publikum verfolgt Objekte oder Personen mit dem Blick. Es geht mit. Sie
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sind zum Beispiel bei einem Gesprach dabei, bei dem sich die Dialogpartner zu FuB, zu Pferd, mit einem Auto oder sonst wie bewegen. Beim Schwenk ist die Kamera auf einem feststehenden Stativ, der Betrachter steht oder sitzt damit und bewegt die Pupillen oder den Kopf mit einem sich bewegenden Objekt. Der Betrachter ist - im Gegensatz zur Fahrt - nicht an der Aktion beteiligt, sondem ist auBerhalb des Geschehens. Ein langerer Schwenk vermittelt Ruhe. Bei Bedrohung springt der Biick, um verschiedene Bereiche des Blickfeldes abzusuchen. Man dreht den Kopf zu interessanten Objekten. Dass Manner einer Frau nachschauen, ist ein bedingter Reflex. Der Blick folgt. Er taxiert die Fitness der Frau, die durch visuelle Anzeichen zu erkennen ist. Zur Einflihrung einer Person muss man sie nur mit der Kamera verfolgen. Eine weitere Funktion erfiillt der Schwenk, indem er in ein Szenarium einfuhrt. Der Blick schweift. Man erhalt einen Uberblick. Nachfolgende Einstellungen sind somit lokal zuzuordnen. Ein Schwenk kann Zusammenhang schaffen: Zwei Ereignisse werden mit einem Schwenk verbunden. Zeitliche und lokale Nahe wird damit gezeigt. Eine typische Einstellung eines Amateur-Urlaubsfilmes ist der langsame Schwenk iiber eine Landschaft, gefolgt von einem Zoom, der auf ein Highlight hinweisen soil. So nehmen Menschen Landschaft aber meist nicht wahr. Der Amateur mochte seine Eindriicke sammeln. Er sammelt sie mit der Apparatur. Mit natiirlicher Wahmehmung hat dies aber nichts zu tun. Um die Gesamtheit einer Situation zu erfassen, ist kein Schwenk, sondem ein Establishing Shot, gefolgt von einzelnen Einstellungen mit unbewegter Kamera (festen Einstellungen), angebracht. Ein schneller Schwenk vermittelt Uberraschung und Dynamik, der Begriff „Reii3schwenk" beschreibt dies kameratechnisch. Verwirmng wird vermittelt, moglicherweise weil die physiologisch angemessene Reaktion der spontane Wechsel ware. Bei der visuellen Wahmehmung gibt es keinen schnellen Schwenk. Die Fahrt, so nennt man jede Bewegung der Kamera im Raum, ist zunachst eine Moglichkeit, die fehlende dritte Dimension bewusst zu machen. Durch die Verandemng der Objekte zueinander erlebt man die Tiefe. Die Fahrt bezieht den Betrachter mit in das Geschehen ein. Er geht mit. Im Gegensatz zum Schwenk verandert er seinen Standpunkt. Zu beachten ist nicht nur die Richtung der Fahrt in Bezug auf die Raumachsen, sondem auch die Fahrt im Vergleich zur Handlungsrichtung. Der Zuschauer ist nicht wie bei den Bewegungen auf feststehendem Stativ als Betrachter distanziert, sondem er ist gewissermaBen beteiligt. Eine Kamerafahrt, die einen Dialog verfolgt, macht den Rezipienten zum Lauscher. Durch die Bewegung verhalt sich der Betrachter zu den Figuren: Er begleitet sie, verfolgt sie, geht ihnen voraus, kommt ihnen entgegen, verlasst sie, betrachtet sie von alien Seiten. Die Geschwindigkeit spielt bei der Kamerafahrt eine Rolle: Eine langsame Fahrt entspricht einer dezenten, innerlich mhigen Beobachterposition. Eine schnelle Fahrt entzieht dem Betrachter den festen Untergmnd, vermittelt Unsicherheit. Die extremste Form der aktiven Kamera findet sich in der Handkamera, wie sie exemplarisch in dem Film ,,Ehemdnner und Ehefrauen'' von Woody Allen (USA 1992) eingesetzt wurde. Bis auf wenige Ausnahmen ist der gesamte Film mit einer Handkamera gedreht. Die Kamera und der Zuschauer sind Teil der nervosen Choreografie durch Wohnungen und Innenleben der Figuren. Es sind die nervosen StadtNeurotiker, die nicht still stehen konnen, die sich nervos an den Haaren zupfen und mmdmcksen, wenn sie etwas sagen wollen. Die Kamera und der Zuschauer miissen
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zur Seite treten, wenn sie der Bewegungsrichtung einer Figur im Wege stehen. Ein anderes Beispiel ist der Film ,JBlair Witch Project (Myrik and Sanchez, USA 1999), der seine Authentizitat auch aus der mangelhaften Bildqualitat der Handkamera bezieht. Ahnlich wie bei der Betrachtung der Objektbewegung sind vorrangig die horizontale und die Bewegung nach vome oderriickwartszu betrachten. Die horizontale Bewegung der Kamera dient in der Kegel der parallelen Begleitung der Handlung. So bleibt der Zuschauer dabei, auch wenn sich die Akteure zu FuB, zu Pferd, auf Wagen Oder gar fliegend fortbewegen. Dass der Betrachterstandpunkt auch auBerhalb des Verkehrsmittels sein kann, ist kein Hindemis fiir die Glaubwiirdigkeit. Die Perspektivenubemahme ist nicht an irreale oder unmogliche Zuschauerpositionen gebunden. Die Nahe zu den Figuren ist entscheidender. Die Bewegung in die Tiefe - auf ein Objekt oder eine Person zu - zeigt einen aktiven und interessierten Betrachter. Eine Kamerafahrt auf ein Objekt zu verweist auf dessen Bedeutung. Die Kamerafahrt von einem Objekt weg ist far die normale Wahrnehmung eigentlich eher selten. Man miisste riickwarts gehend das Objekt im Auge behalten. Tatsachlich stellt sich bald ein unbehagliches Gefiihl ein, das Augenmerk wird sich bald auf den rechten oder linken Bildrand konzentrieren. Man verlasst aktiv einen Ort und das Objekt bleibt zuriick, wird mit zunehmender Entfemung kleiner, verliert an Bedeutung. Diese Art von langer Fahrt ist typisch fur das Ende eines Filmes. Man verlasst den Ort der Handlung in einer ruhigen und langen Einstellung. Der Ubergang zur Welt nach dem Film wird geschaffen, man hat Zeit, die fiktive Welt zu verlassen. Technisch gibt es eine Variante, die eine Fahrt vorwarts oder riickwarts anscheinend simuliert. Die Zoom- oder Gummilinse verandert den Bildausschnitt. Die Veranderung wahrend der Aufhahme lasst die Objekte ebenfalls groBer und kleiner werden. Hilmar Mehnert beschreibt den Zoom, dessen Erkennungsmerkmale und Wirkungsweisen so: „Durch die Brennweitenanderung andert sich der AbbildungsmaBstab. Wird die Brennweite vergroBert, so werden alle Objekteinzelheiten im gleichen Verhaltnis groBer abgebildet. Wird die Brennweite verringert, so gilt das Umgekehrte. In der Filmprojektion scheint sich das gesamte Projektionsbild auf den Betrachter zu zu bewegen, wobei die seitlichen Bildeinzelheiten hinter der Bildwandkaschierung ,verschwinden'. Es ist der gleiche Effekt zu beobachten, wenn ein fotografisches Papierbild rasch dem Auge genahert wird (wobei allerdings - im Gegensatz zimi Kinebild - Akkommodationsschwierigkeiten auftreten werden). Alle Bildeinzelheiten behalten ihre festen geometrischen Zuordnungen zueinander. Ein Zoom-Objektiv vermittelt nicht den Eindruck einer echten Fahraufhahme. Es liefert einen Pseudo-Fahreffekt. Das Perspektivzentrum wandert nicht. Die Einzelheiten der Szeneriefiihrenkeine Relativbewegungen aus. Der Zuschauer tritt nicht mit der Kamera in den Raum hinein. Die Tiefenillusion bleibt aus. Wird wahrend einer Einstellung der Aufhahmeort verandert, so sieht der Betrachter des Kinebildes den gleichen raumlichen Bewegimgseffekt wie bei seinen eigenen ,Fahrten' und Gangen im taglichen Leben. So werden bei einer Autofahrt iiber eine LandstraBe die Baume zunehmend groBer abgebildet, an den Rand des Gesichtsfeldes gedrangt und schlieBlich verschwinden. Die einzelnen Bildelemente verschieben sich gegenseitig. Hinter jedem Baum zeigt sich ein anderer, ein neuer." (Mehnert 1986, 137f)
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Die Bewegung wirkt sich auf den Hintergnmd genauso aus wie auf den Vordergrund. Nahe und entfemte Objekte nahem sich gewissennaBen gleich schnell auf den Betrachter zu. Ein Zoom ist damit eine unnatiirliche Bewegung, die auf Grund des GroBerwerdens der Objekte eine Fahrt simulieren soil. Nur das GroBer- bzw. Kleinerwerden entspricht der Wahmehmung bei der Vorwarts- oder Riickwartsbewegung. Dass man bei der Betrachtung einen Zoom nicht mit einer Bewegung des Objektes verwechselt, liegt am Wissen iiber die Welt: Landschaften, Hauser und Objektensembles lassen sich nicht so leicht bewegen. Vor allem fur Femsehbeitrage wird geme und haufig gezoomt. Mangelnde Ausbildung und okonomische Produktionsbedingungen, die den Einsatz von Schienen, Dolly oder Steadicam nicht erlauben, sind mogliche Ursachen. Ein Vorwartszoom macht auf ein Detail aufmerksam. Er hat die Funktion eines Zeigefmgers: „Das ist zu beachten!" Beim Riickwartszoom wird die Einbettung in das Umfeld gezeigt. Der ReiBzoom auf ein Gesicht zeigt, dass hier emotional etwas im Gange ist. Das Gesicht und dessen Mimik stellen den Emotionsausdruck in den Mittelpunkt der Wahmehmung. Die unterschiedlichen Kamerafahrten werden iiblicherweise mit der Apparatur bezeichnet, die zur Bewegung eingesetzt wird. Eine mhige Bewegung, vor allem fur parallele Verfolgung einer Handlung, erreicht man mit einem auf Schienen oder Radem fahrenden Kamerawagen, der Dolly genannt wird. Ist die Kamera an einem ausladenden Arm befestigt, der aufwandige horizontale und vertikale Bewegungen kombinieren kann, nennt man das eine Kranfahrt. Ein Steadicam ist eine Vorrichtung, die es dem Kameramann erlaubt, zu FuB eine ruhige Bewegung aufzunehmen. Erreicht wird die Ruhe durch ein Geschirr mit Fedem und Hydraulik, das das Auf und Ab, das durch Schrittbewegungen erzeugt wird, abfedert, aber gleichzeitig Bewegungen in alle Richtungen ermoglicht. Vor allem wo der Einsatz von Schienen zu aufwandig oder gar nicht moglich ist, kommt die Steadicam zum Einsatz. Den lebhaftesten Eindmck hinterlasst die Handkamera, da sie das subjektive Erleben und die subjektive Sichtweise am ehesten imitiert, obgleich sie am wenigsten der natiirlichen Wahmehmung entspricht. Wenn Menschen sich bewegen, gelingt es dem visuellen Wahmehmungsapparat, der aus Augen und Gehim besteht, die Unmhe der Bewegung herauszufiltem. Der Blick bleibt fest auf Details fokussiert, wahrend der Kopf oder der gesamte Korper unmhig seine Stellung verandert. Die Handkamera vermittelt also eher eine unmhige und nervose Wahmehmung. Handkamera steht im Gmnde fiir extreme Wahmehmung, fur Wahmehmung unter besonderen auBeren und inneren Bedingungen. Die Erfahmng mit der Nachrichtenberichterstattung im Femsehen von Kriegsschauplatzen und Ungliicksorten spielt eine Rolle bei der Wahmehmung. Die chaotischen Zustande lassen bisweilen keine mhigen Aufhahmen zu. Stative konnen nicht immer mitgefuhrt werden, noch ist Zeit sie aufzubauen. Schon im Laufen zum Ort der Aktion schaltet der Kameramann seine Kamera ein, jeder Schritt bewegt die Aufhahme, zeigt auf den Boden oder in den Himmel, Detonationen erschiittem die Kamera, Menschen laufen in alle Richtungen. Die Kamera bewegt sich vorwarts ohne erkennbares Ziel, sie ist mitunter zur Seite geneigt, hat nur einen difflisen Scharfebereich. Die spontane Aufhahme des Ortes ist wichtiger als die Bildgestaltung. Die technischen Schwachen verstarken den Effekt der Authentizitat. Seit der TV-Berichterstattung aus Vietnam sind derartige Bilder bekannt. Sie werden heute im Spielfilm imitiert. Man bekommt
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den Eindruck, die Kamera ist ganz dicht dabei, die Aufhahme scheint spontan und nicht gestellt. Die Inszenierung wird bis in die Bildfuhrung gestaltet. Zum Abschluss des Kapitels iiber Bewegung muss noch auf ein Phanomen eingegangen werden, das die beiden Arten von Bewegung - die der Kamera oder des Objektes - fiir den Betrachter mitunter schwer unterscheidbar macht. Wenn der Betrachter keine sensorischen Informationen dariiber hat, ob er sich bewegt, ist fur ihn mitunter nicht erkennbar, ob sich die Kamera oder das Objekt bewegt. Ebenso unentscheidbar ist, ob sich ein Objekt fest an einem Ort befmdet oder ob es sich bewegt und von einer parallel mitfahrenden Kamera aufgenommen wird, solange weiterfiihrende Informationen fehlen. Dieses Phanomen wird mannigfaltig genutzt bei der Produktion. Auf diese Art von Sinnestauschung soil hier nicht weiter eingegangen werden, da in diesem Zusammenhang nur der subjektive Eindruck des Betrachters von Bedeutung ist und nicht so sehr, wie dieser Eindruck produktionstechnisch erreicht wird. Frame und Blick. Bislang wurde viel iiber den Blick gesprochen. Abstand, Richtung und Bewegung waren wichtige Kriterien fiir die Betrachtung. Beteiligte sind in der Lage, dem Blick von anderen zu folgen. Sie sehen, wo sie hinblicken. Die Blickrichtungen von anderen enthalten wichtige Informationen fiir Beziehungen. Fremde schaut man nur kurz an, denn langere Blicke dringen in die Privatsphare und wirken aufdringlich. Gute Freunde und Partner konnen sich langer in die Augen sehen. Schauspieler anzusehen, ist kein Eindringen ins Private. Das ist ein Grund dafiir, dass Schauspieler den Zuschauem vertraut scheinen. Ein geradezu intimes Verhaltnis wird aufgebaut in der Kombination von Blick und GroBaufiiahme. Zuschauer in Kino und vor dem Femseher interpretieren die Blickrichtungen der Schauspieler auf Grund dieses Phanomens und erkennen daran die Beziehung der Personen, die sie darstellen. Dariiber hinaus ist die Blickrichtung der Figuren wichtig fiir die Gestaltung des Bildes, das begrenzt ist durch den Frame, den Ausschnitt, den das Publikum zu sehen bekommt. Frame ist zwar ein Wort aus der Fachsprache des Filmemachens, die Ubersetzung als Rahmen beschreibt aber genau, was gemeint ist: Wie ein Bilderrahmen ein Bild begrenzt, bestimmt der Frame fiir eine Kameraeinstellung die geometrische Komposition, Balance und Symmetric der einzelnen Telle zueinander. Gerade die Positionierung der Figuren zueinander (wiederum mit besonderem Augenmerk auf ihre Blickrichtung) lasst Beziehungen erkennen. Wohin die Figuren blicken, ist von Bedeutung. Man schaut unwillkiirlich dahin, wo sie hinschauen. Schauen sie aus dem Bild, erwartet man im Gegenschnitt zu sehen, was sie sehen. Wird es nicht gezeigt, entsteht ein Informationsgefalle, das Ungeduld erzeugt. Die Figuren wissen mehr als die Zuschauer. Auch der umgekehrte Fall steigert die Spannung: Zuschauer bekommen etwas zu sehen, das den Figuren (noch) verborgen ist. Wichtig ist dadurch, was im Bild ist und was auBerhalb des Gesichtsfeldes. Es ist schlieBlich eine Frage des Filmstils, ob sich der Filmemacher fiir eine geschlossene Form entscheidet und den Frame als Rahmen begreift, der das Bild beschrankt, oder ob er den Frame wie ein Fenster begreift, das nur einen gewissen Ausschnitt zulasst, den Raum aber in alle Richtungen offen lasst fiir Bewegungen und Blicke. Perspektive Was nicht in den von Hall beschriebenen Distanzwahmehmungen vorkommt, ist die Perspektive und damit die Sichtweise auf die dargestellten Figuren. Der filmische Ausdruck der Perspektive bezeichnet den vertikalen Winkel des Betrachterstandpunktes.
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Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen Vogelperspektive (der Blick von oben nach unten), Augenhohe und der Froschperspektive (der Blick von unten nach oben). Beschreiben lasst sich der Unterschied mit der Lokalisierung des Fluchtpunktes der perspektivischen Darstellung. Fiir die Unterschiede der perspektivischen Wahmehmung gibt es adaptive Erklarungen. Das Unten und Oben, die Wahmehmung, andere von unten oder von oben zu sehen, ist eine Wahmehmung, die von Erfahrung gepragt ist, die durch die GroBe der Wahrgenommen und Wahmehmenden beeinflusst ist. Dennoch scheint es veranlagt, GroBe (und damit den Bhck nach unten) mit Macht, und den BHck nach oben mit Ohnmacht zu verbinden. Der Grund Hegt in einer angeborenen Reaktion bei Gefahr. Wir ducken uns, wir schiitzen mit den Handen das Gesicht, ziehen die Beine an und sichem damit den Korper. Dieser Schutz wirkt weniger bei Angriffen durch Raubtiere, dafur aber besonders bei Attacken von Artgenossen. Das Ducken und Sichkleinmachen hat noch eine weitere Funktion: Es zeigt, dass die Niederlage der Auseinandersetzung anerkannt ist und dass der Angreifer sein Ziel erreicht hat. Drohen und Unterwerfen, ohne dass es zu Verletzung und Tod kommt, ist ein Verfahren, was auch unter Tieren weit verbreitet ist. Der Blick von oben (etwa von einer Bergkuppe, einem Hiigel oder Felsen) bietet Sicherheit. Der Blick schweift iiber das darunter liegende Gelande. Angreifer sind von weitem zu erkennen. Man kann sich auf mogliche Angriffe vorbereiten, Verteidigungspositionen einnehmen oder die Flucht ergreifen. Besser zu sehen sind auch Beutetiere. Damit wird der Blick von oben zum Blick des potenziellen Angreifers. Diese Reaktionen, die ihre Wurzeln im angelegten Verhaltensrepertoire unserer steppenbewohnenden Sammler- und Jager-Vorfahren haben, spiegeln sich in Ritualen vieler Kulturen: Menschen verbeugen sich, senken den Kopf oder zumindest den Blick, lassen Vortritt, um Ehrerbietung zu zeigen. Im Rang hoch Stehende werden durch kiinstliche GroBe hervorgehoben. Die Kopfbedeckungen der Kaiser und Konige oder die Mitren geistlicher Wiirdentrager sind eine Moglichkeit, eine andere erhohte Sitzpositionen der Monarchen, Regiemngen oder Gerichte. Das Oben und Unten ist synonym mit Macht und Ohnmacht. Wird der Dargestellte aus der Untersicht gezeigt, kann es aber auch ein Anzeichen fur Aufiniipfigkeit und Renitenz sein. Locker provokante und lassige Korperhaltung oder Gestik auf der einen Seite oder aggressive Mimik und Gestik auf der anderen scheinen im Gegensatz zu stehen zum perspektivischen Blick von oben. Freeh ist man aus der Sichtweise des Uberlegenen, wobei die Hierarchic noch aufrechterhalten ist. Der Blick der Kamera imitiert nicht nur den Blick. Sie iibertreibt ihn nicht nur, sondem interpretiert die Sichtweise. „Nimmt die Kamera einen tiefen Standpunkt ein und blickt nach oben, so sieht sie die Dinge und Personen vom Standpunkt des Unterlegenen." (Mehnert 1986, S 85) Orson Welles hat in .^Citizen Kane" (USA 1941) die Kamera in Positionen gebracht, die keiner natiirlichen Wahmehmung entsprechen, es sein denn, der Betrachter hat seine Augen auf Hohe des FuBbodens. Der Blick zur Zimmerdecke ist wichtig fiir die bedriickende Stimmung. Die Dinge wirken aus der Untersicht zudem wuchtig und bedrohlich. Das liegt an der perspektivischen Verzermng. Ein Quader - von unten betrachtet - wirkt wie ein nach oben zusammenlaufendes Trapez, das stabil steht. Von oben betrachtet, scheint ein Quader fragil, da der FuB kleiner wirkt als der Kopf
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Untersicht und Aufsicht sind die filmsprachlichen Begriffe fiir die genannten Phanomene, bei denen es nicht nur darum geht, den Blick eines Beobachters oder eines Protagonisten zu imitieren, sondem die Wahmehmung zu dirigieren. Die Normalperspektive entspricht iiblicherweise der Augenhohe. Der Zuschauer sieht dann mit den Augen eines anderen. Er erkennt, wer groBer ist und wer kleiner, sieht, wer unten ist und wer oben, sieht, wer Macht hat und wer ohnmachtig ist. Eine Ausnahme: Der Blick von oben ins bodenlose Tiefe, besonders wenn der Blickende auf einem nicht stabilen Untergrund steht, kann Hohenangst auslosen. Das heiBt, der sichere Standort ist wichtig fiir die Wahmehmung, die mit den veranlagten Erkenntnisweisen zusammenhangt. Gesichter erkennen Die Evolution hat den Menschen noch mit einer weiteren Fahigkeit ausgestattet, die im Zusammenhang mit Film und Femsehen von Bedeutung ist: Menschen haben eine besondere Fahigkeit andere Menschen wieder zu erkennen. Das Gesicht spielt dabei die zentrale Rolle. Und wie man durch den Thompson-Effekt (Gregory 1975, 74f.) zeigen kann, sind es vor allem Augen und Mund, die durch eine besondere Region im Gehim gespeichert werden. Darum reicht es aus, die Augenpartie unkenntlich zu machen, um ein Gesicht unkenntlich zu machen. Wiedererkennung ist von groBer Bedeutung. Zum einen innerhalb einer Filmhandlung, wenn eine Person mehrmals auftritt, zum anderen im Zusammenhang mit dem Starwesen. Die Fahigkeit der Wiedererkennung ist so gut, dass bekannte Gesichter in einer Menschenmasse sofort und spontan erkannt werden konnen. Normalerweise - wenn man mit der zu erkennenden Person haufiger zu tun hat - dauert es kaum eine halbe Sekunde. Erinnerungen und Erfahrungen mit der Person werden prasent, man freut oder argert sich, ist gespannt oder genervt. Gesichter haben neben dem hohen und relativ sicheren Wiedererkennungswert noch zwei weitere Funktionen: Zum einen dient das Gesicht der Kommunikation von Emotionen. Menschen driicken Gefuhle iiber Mimik aus und sie erkennen den emotionalen Zustand von anderen am Gesichtsausdruck. Zum anderen liefert das Gesicht Informationen iiber Geschlecht, Alter und teilweise iiber den Gesundheitszustand der Person. Das Gesicht entscheidet wesentlich dariiber, ob jemand sympathisch ist und attraktiv wirkt. Durch all diese Elemente ist das Gesicht das Korperteil mit der groBten Informationsdichte. Neurophysiologische Untersuchungen konnen bestatigen, dass es im visuellen Himbereich ein Areal gibt, das nur reagiert, wenn Gesichter oder Hande zu sehen sind. Dies ist ein starkes Indiz dafur, dass das Gehim fur eine Reihe von spezifisch sozialen Aufgaben vorbereitet ist. (Preuss & Kaas 1999, 1299) Der Sinn dieser Fahigkeit liegt in der Funktion: Menschen wieder zu erkennen, hilft bei Betruger-Wiedererkennung, bei Kooperation und Nepotismus. Horen Der Gerauschsinn - das Ohr - ist evolutionsgeschichtlich ein junges Organ. Die ersten hoheren Lebewesen - die Fische - nahmen damit niederfrequente Schwingungen auf, die im Wasser iiber weite Entfemungen wahrzunehmen sind. Damit erweiterte sich die Wahmehmung, die durch das Auge auf einen engeren Umkreis beschrankt war. Der Sinn dieser Erweitemng und deren evolutionarer Vorteil liegen auf der Hand: Sowohl Fressfeinde als auch Beutetiere konnen iiber eine groBere Entfemung und unter un-
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giinstigen visuellen Bedingimgen wahrgenommen werden. Das Gehor erfiillt also zunachst zwei Aufgaben: Die Identifikation von Gerauschquellen und die Schallortung. Das Lokalisieren der Schallquelle wird in erster Linie durch das stereofonische Horen bewerkstelligt. Rechts und links unterscheidet das Gehor durch die Zeitdifferenz, die der Schall braucht, um beide Ohren zu erreichen. Der Unterschied zwischen hinten, vome und oben wird durch die besondere Form der Ohren ermittelt. Die Ohrmuscheln erzeugen unterschiedliche Echos, je nachdem von wo das Gerausch kommt. Das Gehim lemt, die winzigen Unterschiede zu interpretieren. Die Schalllokalisierung spielt beim Femsehen kaum eine Rolle. Um den Schall dem Bild zuzuordnen, miissen beide aus der gleichen Richtung kommen. Da der TV-Bildschirm in aller Regel nicht allzu groB ist, sind stereofone Effekte gering. Normalerweise dreht man den Kopf hin zur vermuteten Klangquelle, deren Richtung dadurch bestimmt wird, dass der Schall gleichzeitig an beiden Ohren ankommt. Beim Femsehen macht das wenig Sinn. Anders im Kino. Nicht nur die GroBe der Leinwand lasst die akustische Zuordnung von rechts und links zu, auch Gerausche von hinten und oben verstarken die Wirkung der Reize, vor allem, wenn das Gesichtsfeld durch die GroBe der Projektion weitgehend ausgefullt ist. Ein weiteres Moment der Schallortung liegt in der Einschatzung der Entfemung. Da ein Klang auf seiner Reise durch die Luft an Lautstarke abnimmt und seine hochfrequenten Anteile verliert, wird er vom Gehim daraufhin untersucht. Es versucht einzuschatzen, wie er sich verandert haben konnte. Durch Erfahrung geschieht die Ermittlung immer besser. Unbewusst verfugen Menschen iiber eine groBe Menge an Erinnerungen, etwa wie ein Hund klingt, der in der Nahe bellt, und wie es sich anhort, wenn er weiter weg ist. Die Anwendung der Phanomene Lautstarkeminimierung und Veranderung des Frequenzspektrums bietet in Film und Femsehen keine Schwierigkeiten, da das Mikrofon nur entsprechend weit von der Klangquelle aufgestellt sein muss, um die gewunschten Effekte aufzuzeichnen. Das Gleiche gilt fiir die typischen Soundmuster bei bewegten Objekten, wie man sie etwa von vorbeifahrenden Fahrzeugen mit lauten Motoren kennt, die aus der Feme kommend hochfrequenter sind, als wenn sie sich vom Zuhorer wegbewegen. Da auf einer Leinwand oder auf dem Bildschirm die Quelle des Gerausches schwer auszumachen ist, nutzen die Zuschauer weitere Indizien, diese auszumachen. Sie erwarten, dass sich die Filmfiguren dem Gerauschvemrsacher zuwenden. Wenn also alle auf eine Wand starren, vermuten wir dort oder dahinter den Ort, wo das Gerausch herkommt. Zuschauer folgen dem Blick der Charaktere. Das gih auch fiir die Richtung eines Sprechenden. Diese ist durch den dem Zuhorer zugewendeten Blick zu erkennen. Mit Gerauschen konnen schlieBlich Handlungen ersetzt werden. Man sieht ein Auto hinter einem Haus verschwinden, hort Quietschen und dann ein Krachen. Die Zuschauer wissen, das war ein Unfall. Gerausche reprasentieren Visuelles. Da Gerausche auch iibertragen werden in visuell ungiinstigen Situationen, erwartet das Publikum den Vemrsacher des Gerausches. Die Wahmehmung von natiirlichen Klangquellen kann gestort sein durch Nebengerausche oder geringe Lautstarke. Es gelingt auch bei schlechten Bedingungen, das selektierte Gerausch wahrzunehmen, etwa eine Sirene im StraBenverkehrslarm oder das Singen eines bestimmten Vogels im Konzert der Waldgerausche. Der Lautsprecher als Schallquelle ist genauso zu orten, wie jedes andere Klang erzeugende Ereignis. Die Stereo wahmehmung ist mit zwei Lautsprechem leicht zu imitieren, ja selbst die Filter-
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funktion der Ohraiuscheln bei der Lokalisiemng, ob ein Ton von vome, hinten oder oben kommt, ist mit entsprechenden Aufhahmetechniken iind durch die Wiedergabe iiber Kopfhorer sehr wirklichkeitsnah zu imitieren. Die Bedingungen fur die Wahmehmung von Gerausch, Sprache und Musik sind damit geklart, die Interpretation ist aber ein besonderer Akt des Gehims. Diese Funktionen werden im nachsten Kapitel geklart. Im Ubergang zum folgenden Abschnitt ist noch eine weitere Frage anzusprechen: Gibt es eine Verwechslung zwischen Medienwahmehmung und der von Wirklichkeit? Auf der einen Seite gibt es viele Parallelen zwischen Medienrezeption und Wirklichkeitswahmehmung. Dennoch kommt es in der Regel zu keinen Missverstandnissen. Jeder weiB, ob er im Kino sitzt oder ob er femsieht oder ob er an der StraBenecke einen Unfall beobachtet. Die Wirklichkeitswahmehmung ist keineswegs getriibt. Wenn man die Grundlage der Evolutionspsychologie emst nimmt und ein Gehim annimmt, das nicht aus einer Einheit besteht, sondem aus verschiedenen Modulen, die jeweils unterschiedliche Aufgaben zu losen haben, ist ein Erklarungsansatz fur das Paradox erkennbar: Der Neokortex ist fur die Wahmehmung und die Einschatzung der ReaHtat verantwortlich, wahrend das Hmbische System fiir die Bewertung der Wahmehmung und die Produktion von Emotionen zustandig ist. Man konnte die Situation so beschreiben: Ich sitze im Kino und der Neokortex weiB das auch - ich habe schlieBHch Eintritt bezahh. Die Bilder sind Lichtprojektionen auf einer weiBen Leinwand, die Stimmen, Gerausche und Musik kommen aus einem Lautsprecher. Doch das Hmbische System sagt: „Ist mir doch egal, was ich sehe, ist traurig" und produziert die Emotion Trauer, die zum Weinen bringt. Um den Zusammenhang zwischen Wahmehmung, Medienwahmehmung und Emotion auf Gmndlage der Evolutionspsychologie naher zu beleuchten, wird die Informationsverarbeitung im Gehim weiter betrachtet. Danach werden einzelne zentrale Motive und deren mediale Umsetzung diskutiert. Denn was emotionsauslosend ist, sind die Stoffe und Motive. Diese sind gepragt von unserer vorgeschichtlichen Erfahmng als Sammler und Jager. Kino-Leinwand oder Wohnzimmer-Bildschirm An dieser Stelle ist noch ein weiteres Problem zu diskutieren, das mit den wahrgenommen GroBen zu tun hat, namlich der unterschiedliche Sinneseindmck von Personen und Gegenstanden auf einem TV-Bildschirm und auf einer groBen Kinoleinwand. Ein Gesicht kann im Kino UberlebensgroBe annehmen, und das Abbild eines Autos wird auf dem Bildschirm immer kleiner sein als sein Original. Doch die wahrgenommene GroBe ist abhangig vom Abstand zum Betrachter. Mit zunehmender Entfemung scheinen Gegenstande kleiner. Dennoch sorgt das Gehim dafiir, dass ein Gegenstand immer, unabhangig von der Entfemung, als gleich groB wahrgenommen wird, obwohl sich die Abbildung auf der Netzhaut je nach Entfemung verandert. Das Sehsystem verfiigt iiber einen Mechanismus, GroBenverandemngen auszugleichen. Das Hintergmndwissen iiber die natiirliche GroBe spielt dabei eine Rolle. Es scheint, dass das Gehim iiber ein intemes Umweltmodell verfiigt. Die GroBe ist nur ein Hinweisreiz, der durch weitere Wahmehmungen korrigiert werden kann und im Fall der GroBe eines Bildes auch korrigiert wird. Entscheidende Distanzkriterien bei der Wahmehmung von Menschen sind - wie im vorhergehenden Kapitel beschrieben - der wahrgenommene Ausschnitt, das Erkennen von Gestik und Mimik bis hin zu Hautdetails bei der
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Darstellung von Menschen. Diese Elemente konnen jedoch sowohl im Kino als auch auf dem Femsehbildschirm mit hinlanglicher Qualitat dargestellt warden. Es sei daran erinnert, dass hier nur die psychologische Dimension der Wahmehmung diskutiert wird, nicht die asthetische. Bin Schlachtengemalde in einem Panoptikum hat asthetisch eine andere Konnotation als ein Abbild des Gemaldes in einem Buch, selbst wenn man sich das Bild direkt vor die Augen halt. Der Unterschied zwischen psychologischer und asthetischer Wahmehmung ist hier jedoch nicht Gegenstand der Betrachtung. Daneben ist das Auge in der Lage zu fokussieren, das heiBt, sich auf einen Ausschnitt so zu konzentrieren, dass alles andere weitgehend ausgeblendet ist. Bewegung und damit Information bekommt das Auge nur von der Leinwand und dem Bildschirm. Darum sind die anderen Dinge des Raumes von einer geringeren Bedeutung, obwohl es sicher graduelle Unterschiede geben mag. Ein dunkler Kinoraum ist moglicherweise besser auszublenden als das bunte, detailreiche Wohnzimmer. Menschen konnen die GroBe eines Gegenstandes nur sehr begrenzt schatzen. Neben der Perspektive spielt der Grad der aufeinander zulaufenden Parallelen eine wichtige RoUe. Auf einer zweidimensionalen Reprasentation ist die reale GroBe des abgebildeten Gegenstandes nicht zu erkennen, da die GroBe auch von der Entfemung der Kamera abhangt. Nah aufgenommene, bildfiillende Modelle haben die gleiche Wirkung wie groBe Gebaude. Die Einschatzung von der KorpergroBe eines Menschen ist schwierig, solange ReferenzgroBen fehlen. Humphrey Bogart war nur 1,70 m groB, dennoch gibt es wohl kaum eine Ablichtung, auf der eine Frau auf ihn herabblickt. Immer fanden sich Partnerinnen, die klein genug waren, um noch zu ihm hoch zu schauen. Notfalls mussten Plateauschuhe und andere Spezialeffekte helfen. ReferenzgroBen konnen zur Tauschung genutzt werden, etwa bei ,J)ie unglauhliche Geschichte des Mr. C." von Jack Amold (USA 1957) oder den Verfilmungen von ..Gullivers ReiserC\ Gibt es keine Referenz und man sieht nur den Korper eines Menschen, ist seine GroBe nicht zu bestimmen, solange man kein MaB fiir die Entfemung zu ihm hat. Viel dominanter sind offenbar die EinstellungsgroBen, die Informationen iiber den Abstand und den sozialen Bezug bereit stellen. Doch wie kommt es zur intensiveren Wirkung im Kino im Vergleich zur Wohnzimmervariante? Da ist zunachst die AusschlieBlichkeit der Wahmehmung in Kinosaal. Das groBe Leinwandbild fiillt das Gesichtsfeld weitgehend aus und der Rest ist dunkel. Die Dunkelheit des Kinos bewirkt eine starkere Ausrichtung und Konzentration auf das Bild. Es gibt weniger andere visuelle Informationen - vor allem keine Bewegung, denn in der Peripherie nimmt das Auge hauptsachlich Bewegung wahr - und damit weniger Ablenkung. Das Ausfiillen des visuellen Wahmehmungsbereiches ist wichtiger als die tatsachliche GroBe der Abbildung. Wenn man nahe an einem Femsehbildschirm sitzt, mag dies eine groBere Wirkung haben, als wenn man in einem Kino weit hinten sitzt und viele Sitzreihen mit im Blickfeld sind. Ahnliches gilt fur die akustische Wahmehmung. Das Klangerlebnis von Gerauschen, Stimmen und Musik, die den gesamten Raum ausfiillen. In einem Kino mit einer Surround-Anlage, wo die Gerausche aus alien Richtungen kommen, muss intensiver sein als die schlechte Akustik eines Wohnzimmers mit einem quakenden Femsehlautsprecher. Hier wird der Schall verzerrt, weil Wande, Mobel und andere Gegenstande vielfache Brechungen hervormfen, wahrend ein groBer Kinosaal zum Resonanz-
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korper wird und den Klang konzentriert. Akustisch und emotional ist man in einem FallfrontalerBetrachter und das andere Mai unausweichlich mitten im Geschehen. Ein weiteres Phanomen, das zur Intensitat des Kinoerlebnisses beitragt, ist unter Umstanden die veranderte Kommunikationssituation. Zu Hause in gewohnter Umgebung gibt es eine Reihe von Ablenkimgen, die den Betrachter aus dem Miterleben herausreiBen konnen. Das Wissen, dass man bei Bedarf zum Kiihlschrank oder zur Toilette gehen kann, lasst eine andere Haltung entstehen als die eingeengte auf einem Kinositz, wo man in der Regel bis zum Ende des Filmes warten soil und der fiktionalen Handlung damit mehr ausgeliefert ist. Die Entscheidung iiber eine Zuwendung zu einem Medienereignis zeigt in den beiden Varianten bedeutsame Unterschiede. Wenn man ins Kino geht, trifft man eventuell Verabredungen, verstandigt sich dabei uber die Auswahl des Filmes und dessen Abspielstatte, diskutiert mogliche Altemativen, verstandigt sich uber Termine, Verkehrsmittel und -wege und prognostiziert Kosten und Nutzen. Zu Hause trifft man zwar ebenfalls Entscheidungen, deren Konsequenzen sind jedoch von einer geringeren Tragweite und konnen spontaner korrigiert werden. Im Kino gibt es eine besondere Form der Etikette, man zahlt Eintritt, versorgt sich mit Getranken und Lebensmitteln (was emotional-evasive Funktionen haben kann), begibt sich auf einen zur Leinwand ausgerichteten Sitz, der Raum wird wahrend der Vorstellung abgedunkelt. Das Programm folgt dem mehr oder minder festen Schema von Produktwerbung, Filmwerbung, Hauptfilm. Ein weiterer Unterschied zwischen Kino und Wohnzimmer liegt in der ko-kommunikativen Situation. Im Kino wird es nicht gem gelitten, dass man sich mit seinem Nachbam unterhalt. Verbale Kommunikation gibt es damit weniger, wohl aber stimmliche EmotionsauBerungen wie lautes heftiges Einatmen beim Erschrecken oder gemeinsames Lachen. Die anderen Kinobesucher werden in diesen Momenten in einer Gefiihlslage erlebt, die der eigenen entspricht. Die eigenen emotionalen Einschatzungen fmden eine kommunikative Bestatigung. Das erhoht die Aufmerksamkeit und intensiviert die Beziehung zwischen Filmhandlung und dem einzelnen Bettachter. In den eigenen vier Wanden ist wahrend der Medienrezeption die verbale Ko-Kommunikation mit Partnem und Partnerinnen jedoch eher die Regel. Innerhalb von so genannten Gesprachsinseln kann man iiber das mediale Geschehen kommunikativ nachdenken. Damit schafft der Zuschauer zu Hause eine dem aristotelischen Theater, das auf Emotion und Mitfuhlen angelegt ist, entgegengesetzte reflexive Haltung, indem immer wieder spontan iiber medienabhangige oder -unabhangige Situationen gesprochen wird. Emotionen und Mitgefuhl sollten darum weniger stark ausgepragt sein. Uber die Asthetik der Darstellung und die Moral des Gesehenen kann ebenso diskutiert werden wie iiber auBermediale Erfahrungen und Ereignisse, deren Assoziationen durch die Medienereignisse ausgelost werden. Weiter besteht ein Unterschied in der Selektion des Medienereignisses. Im Kino wie zu Hause ist es ausgewahlt. Die Art der Wahl und die Moglichkeit einer anderen Entscheidung sind jedoch sehr verschieden. GefaUt ein Film im Kino nicht, muss man aufstehen, was durch die engen Sitzreihen und die Dunkelheit im Saal behindert wird, und den Raum verlassen. Eine Alternative steht in der Regel nicht zur Verfugung. Bei der Heimvariante geniigt ein Griff zur Fembedienung und ein Druck auf einen Knopf, um eine Alternative zu beschaffen oder die Medienrezeption abzubrechen. Bevor der Zuschauer im Kino aufsteht, wird er eine Kalkulation anstellen, die den bereits er-
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brachten Aufwand in Relation zum Abbruch des Erlebnisses stellt. Da die Dienstleistung der Prasentation direkt bezahlt ist, wird diese Tatsache eine RoUe spielen. Zusammenfassend lasst sich sagen: Der Attrappencharakter der Medien scheint im Kino groBer, da die visuellen und akustischen Sinne ausschlieBlicher und unausweichlicher angesprochen werden. Im Heimkino wird durch die genannten Unterschiede eine groBere emotionale Distanz erreicht und damit die Verminderung der Gefiihle Angst, Wut, Ekel, Trauer und Freude. Unter medientheoretischer Perspektive sind Bildschirm und Leinwand natiirlich fundamental verschieden. Film ist ein Speichermedium, das Inhalte aufbewahrt. Prinzipiell ist ein Vor- und Riickspulen denkbar, der wiederholte Einsatz die Regel. Femsehen ist ein Ubertragungsmedium, das Inhalte durch elektromagnetische Wellen oder digitale Signale iibermittelt. Die Tatsache, dass aufgezeichnete, also gespeicherte Inhalte iibertragen werden, tauscht dariiber nicht hinweg. Wenn auf der Empfangerseite keine Aufzeichnung erfolgt und der Inhalt auf einem Speichermedium wie dem Videorecorder nicht festgehalten wird, ist das Signal nicht wieder aufrufbar. Femsehen ist in diesem Sinn ein Live-Medium. Fiir die Wahmehmung und die mentale Verarbeitung durch das Gehim spielen diese Unterscheidungen nur eine untergeordnete Rolle, denn sowohl Femsehen wie Film entfalten sich als zeitbasierte Medien, die Aktualitat vortauschen. Reflexion Fiir Empiristen ist der Geist eine leere Tafel und jegliche Information, die mit den Sinnen aufgenommen werden, kommt von drauBen aus der realen Welt. Der Geist ist wie ein Spiegel, der diese wie auch immer verzerrt aufiiimmt. Fiir Rationalisten enthalt der Geist Informationen und Ideen, die der Wahmehmung vorausgehen. Aus philosophischer Sicht kann man nicht entscheiden, wer Recht hat. Aus evolutionspsychologischer Sicht sind es beide Seiten. Die Gleichung lautet: Wahmehmung = (angeborene + erworbene) Vorbedingungen + Reize aus der AuBenwelt. Wie groB die einzelnen Bestandteile sind, ist im Einzelfall unterschiedlich und als Regel nicht auszumachen. Genau genommen spielen die quantitativen Anteile keine Rolle, wichtig ist das Zusammenspiel der Elemente und deren Funktion. Der Geist ist keine leere Tafel. Er hat Strukturen und Mechanismen, die manche Probleme besser losen konnen als andere. Wie geht das Gehim mit Wahmehmungen und Vorstellungen um? Film und Femsehen als Attrappen Trotz der Tatsache, dass man Filme mit Augen und Ohren wahmimmt, hat Film mehr mit Vorstellung als mit Wahmehmung zu tun. Man kann einen Hund direkt vor den Augen sehen. Man kann ihn auf dem Monitor einer Uberwachungskamera sehen oder man kann ihn im Femsehen sehen, was jeweils durchaus etwas anderes ist. Man kann sich an einen Hund erinnem und man kann ihn sich vorstellen. Normalerweise kennt man den Unterschied. Doch Verwechslungen und Ubergange zwischen den Zustanden kommen vor. Es geht damm zu erklaren, wamm Film und Femsehen mehr mit Vorstellen als mit Wahmehmen zu tun haben. Vorstellen und Sehen Visuelle Imagination kommt der tatsachlichen Wahmehmung sehr nahe. Eine mentale Vorstellung gleicht einer Wahmehmung und der Ubergang kann flieBend sein. Ein
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klassisches Experiment aus dem Jahre 1910 demonstriert die Ahnlichkeit zwischen den beiden Erfahrungen: Cheves West Perky sagte ihren Versuchspersonen, dass es in dem Experiment um die Vorstellung von Farben ginge. Sie wurden aufgefordert, sich auf einen Punkt auf einer Leinwand zu konzentrieren und sich ein farbiges Objekt vorzustellen: „zum Beispiel eine Tomate". Von der Riickseite wurde nun unbemerkt eine Abbildung des entsprechenden Objektes auf den Schirm projiziert, wobei deren Intensitat von einem der Versuchsleiter allmahlich gesteigert wurde. Die Versuchspersonen glaubten fest daran, dass sie eine intensive Vorstellung erleben, obwohl das Bild auch fur die anderen Anwesenden deutlich zu sehen war. Am Ende des Experimentes wurden die Teilnehmer gefragt, ob sie sicher seien, dass sie sich die Objekte tatsachlich vorgestellt hatten. AUein die Frage loste ein gewisses Unverstandnis aus. Und als man sie fragte, ob sie jemals zuvor ein solch intensive Vorstellung hatten, sagte eine der Versuchspersonen, dass sie sich nicht erinnem konne, dass sie es aber auch noch nie probiert hatte. Einige weitere Zitate beschreiben die Vorstellungen: „Es scheint seltsam; weil man so viele Farben sieht und man weiB, dass sie im Kopf sind und doch sehen sie aus wie Schatten." - „Ich kann sie (die Farbe) ausdehnen, wenn ich will" „Es ist reine Erinnerung, mit ein wenig Anstrengung kann ich sie iiber die Wand bewegen." - „Es ist, als ob man Dinge in der Dunkelheit sieht; ich hatte sie im Kopf." - „Es ist so, als hatte die Vorstellung sie gemacht." - „Mit Blau gelingt es mir besser, weil ich vor kurzem mit einem blauen Viereck gearbeitet habe." - „Ich kann es stabil halten, solange ich mich absolut darauf konzentrieren kann." - „Ich kann die Formen hinkriegen, wenn ich daran denke; zuerst stelle ich es mir flach vor, wie gemalt." „Ich kann die Maserung des Blattes sehen und alles." - "Die Banane ist aufgerichtet am Ende; ich habe sie mir wohl wachsend vorgestellt." - „Es ist klarer als meine sonstigen (Vorstellungen); aber ich habe es nie besonders versucht." - „Ich habe es geschafft, es war prachtig." - „Ich stelle mir alles vor; es ist alles Vorstellung." - „Es ist, als ob ich sie in meinem Kopf gemacht hatte." - „Ich habe daran gedacht und es erscheint." (Perky 432) Das Experiment zeigt, dass es einenfliefiendenUbergang von der Vorstellung hin zum Sehen gibt. Die Richtung des Uberganges ist dabei bedeutend: Die wahrgenommene Bilder werden als Vorstellungen hingenommen. Medien reprasentieren in dieser Hinsicht also nicht nur das Sehbare, sondem ebenso das Erinnerbare und das Denkbare. Dies ist eine zentrale Voraussetzung, dass Medien und deren Inhalte als Ausloser von Emotionen wirken konnen. Es ist weiterhin ein zentraler Ansatzpunkt fur deren Attrappencharakter. Das englische Wort „image" verbindet die unterschiedlichen Bedeutungen: Sowohl „Bild", „Abbildung" und „Darstellung" als auch „Vorstellung", „Sinnbild" und „Verkorperung" konnen gemeint sein. Das deutsche Verb „vorstellen" kann ebenfalls sowohl eine reale als eine auch fantasierte Konnotation haben. Mit dem Experiment von Perky bekommt die Uberblendung als Ubergang von einer Einstellung zur nachsten eine klare Bedeutung. Menschen sind in der Lage, wahrend sie visuell wahmehmen, sich etwas anderes visuell vorzustellen. Uberblendung ist demnach nicht der Ubergang von einer Wahmehmung zu einer anderen, sondem bezeichnet den Ubergang von der Wahmehmung zur Vorstellung, die gleichzeitig erscheint. Eine LFberblendung bezeichnet damit eine assoziative Gleichzeitigkeit oder einen assoziativen Ubergang. Auch wenn Vorstellungen verbunden werden, etwa in dem, was Christian Metz (1992) paralleles Syntagma nennt, kommen Uberblendungen
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zum Einsatz. Assoziationen sind chronologisch, selbst wenn sie a-chronologische Elemente verbinden: Nicht im Sinne einer wahmehmbaren Aufeinanderfolge von Ereignissen, sondem im Sinne von „dabei fallt mir ein ... das erinnert mich an ... das steht in Zusammenhang mit...". Der Ubergang von Wahmehmung zu Vorstellung im Film wird geme mit einer Uberblendung eingeleitet: Traume, Fantasien, Visionen. Verstarkt wird der Eindruck durch Unscharfe, die Vorstellung von Wahmehmung filmisch unterscheiden soil. Will man diesen Effekt noch mehr betonen, stehen zudem noch weitere Mittel zur Verfugung: Farbverandemngen, Zeitlupe, Ringblende, Prisma. Eine Sonderform der Uberblendung ist die Einblendung, wie sie mannigfaltig in der Femsehbildgestaltung zum Einsatz kommt: das Senderkennungslogo, aktuelle Spielstande, Rennzeiten und Bestzeiten, Namen und Funktionen von gezeigten Personen Oder Orts- und Zeitangaben. Vor allem die Werbung, die eine Vielzahl von Informationen in kurzer Zeit vermitteln mochte, nutzt die Moglichkeiten der Einblendung mit Produktinformationen und Produktnamen. All dies ist nur auf Gmnd der Fahigkeit moglich, wahrend der visuellen Wahmehmung visuelle Vorstellungen zu aktivieren. Eine Besonderheit dabei ist, dass es in aller Regel nicht zu Verwechslungen kommt. Menschen vertrauen dem, was sie sehen, und wissen andererseits, wann sie imaginieren. Damm werden Einblendungen auch nicht als Teil des Bildes wahrgenommen, sondem als getrennte, unabhangige Uberlagerung. Eine weitere Form der Einblendung ist die Untertitelung. Untertitel reprasentieren die wahrend der Einblendung gesprochene Sprache. Da einigermaBen geiibte Leser schneller lesen konnen, als man sprechen kann, ordnen sie die Schrift dem akustischen Ereignis zu. Hier kommt es selten zu Verwechslungen, selbst die Zuordnung von Inhalten zu einzelnen Sprechem gelingt. Neurophysiologen wissen, dass dem Sehen und dem Vorstellen gemeinsame Mechanismen zu Gmnde liegen. Kosslyn vermutet, dass die Vorstellungen in einer zweidimensionalen intemen Anordnung reprasentiert sind. Die dritte Dimension wird mental konstmiert, wobei das Wissen eine groBe Rolle spielt. Wenn man einen Tisch sieht, sieht man ihn nicht von alien Seiten gleichzeitig, dennoch kann man die Telle erganzen, die momentan nicht zuganglich sind. Da die Bilder nicht nur statisch sind, konnen diese auch transformiert werden. „Wir konnen unsere Vorstellungskraft als Simulation von moglichen - und vielleicht auch unmoglichen - Transformationen der Welt nutzen. Damit ist die Vorstellungskraft eine Hilfe beim Denken iiber die Konsequenzen einer gegebenen Aktion, ist eine Kriicke flir die Entwicklung eines Plans, um ein gewiinschtes Ziel zu erreichen. ... Zusatzlich zum Beitrag beim Lemen von Konzepten, beim Durchdenken von Problemen und dem Erkennen von Mustem, hilft die Vorstellung, unbewusste Gedanken und Wiinsche manifest ins Bewusstsein zu bringen." (Kosslyn 1980, 456) Weder die Schwerkraft noch andere Naturgesetze stehen den Gedanken dabei im Weg. Damit beschreibt Kosslyn genau das, was Zuschauer in Filmund TV-Bildem erkennen. Einen weiteren wichtigen Beitrag zur mentalen Reprasentation liefert Alex Martin in einem Aufsatz iiber die Organisation des semantischen Wissens und die Urspriinge von Wortem im Gehim. In Versuchen mit der PET-Methode (dem Messen von lokalen Gehimaktivitaten wahrend bestimmter Aufgaben) konnte er feststellen, dass sowohl bei der visuellen Prasentation von Abbildungen als auch beim Nennen von Wortem die gleichen Himareale tatig werden: „Unabhangig davon, ob die Stimuli Worte oder Bilder waren, wurde, um Farbinformationen zu vergegenwartigen, der untere Bereich
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des Frontallappens aktiviert, genau vor dem Bereich, von dem man weiB, dass er fiir Farbwahmehmung verantwortlich ist, wahrend bei dem Vergegenwartigen von Aktionen ein hoherer Bereich des Frontallappens aktiviert wird, der Bewegungen verarbeitet. ... Dies geschah, obgleich die prasentierten Bilder und Worte farb- und bewegungslos waren." (Martin 1998, 69-88, besonders 77). Das heiBt, dass beim Erzahlen einer Geschichte Reprasentationen im Gehim entstehen, die denen gleichen, die gebildet werden, wenn man die Geschichte selbst erlebt oder wenn man sie visuell prasentiert bekommt. Vorstellungen sind durch Bilder ebenso auszulosen wie durch Worte, und das Gehim „zeichnet" die Bilder auf gleiche Weise. Perspektivenubernahme Jean Piaget und seine Mitarbeiter sind bekannt durch ihre zahlreichen Arbeiten zur psychischen Entwicklung des Kindes. Unter diesen sind einige Experimente zur Raumvorstellung, denn diese unterliegt im Lauf der Zeit einer Veranderung. Zwar ist die Moglichkeit der perspektivischen Wahmehmung von Beginn an gegeben. Kinder nehmen zum Beispiel einen Wiirfel auch dann als identisch wahr, wenn man ihn von verschiedenen Seiten darbietet. Anders sieht es mit der Vorstellung aus. Wenn ein 3oder 4-jahriges Kind einen Wiirfel in verschiedenen Perspektiven zeichnen soil, versagt es. Nicht das zeichnerische Konnen, sondem auch die visuelle Vorstellung und die Fahigkeit zur imaginierten Rekonstruktion miissen sich noch entwickeln. Die Raumvorstellung durchlauft - das ist eine der zentralen Erkenntnisse Piagets eine Reihe von Phasen. Raumliche Beziehungen miissen Schritt fiir Schritt aufgebaut werden. Wahmehmung ist dabei nicht nur etwas Passives, sondem ein Konstmkt des Geistes. Erst in der vorgestellten Nachahmung des Gegenstandes entstehen raumliche Beziehungen, die nach systematischen Operationen des Abtragens, des Verschiebens und Messens transformiert werden. Vorstellungen sind inteme Bilder, die keine reale Reprasentation benotigen. Erinnemng, Erfahmng und Wissen bilden dabei keine Einschrankungen. Die Vorstellung erlaubt nahezu jegliche Freiheit, begrenzt nur durch logische Widerspriiche: Zum Beispiel einen schwarzen Schimmel oder dass sich ein Objekt unter gleicher Betrachtungsweise gleichzeitig bewegt und still verharrt Freie Assoziation und das mentale Durchspielen von Situationen sind die Endpunkte dieser Entwicklung. Vor allem eine Versuchsreihe, die sich mit dem In-Beziehung-Setzen (Piaget & Inhelder 1971, besonders 249-290) der Perspektive beschaftigt, ist fiir Filmwahmehmung von fundamentaler Bedeutung. Das Problem des Schnittes im Film, also des abmpten Wechsels von einer Einstellung zur nachsten wurde im Kapitel iiber Wahmehmung behandelt. Diese Einstellungsfolgen erlauben - soweit es bis hier aus der Wahrnehmungsforschung hergeleitet wurde - jedoch nur die unterschiedlichen Blickwinkel eines festen oder sich bewegenden Beobachters. Das unvermittelte Springen eines Standpunktes von unterschiedlichen Beobachtem ist damit noch nicht zu erklaren. Daflir bedarf es psychischer Konzepte, die erstmals in der Entwicklungspsychologie Piagets thematisiert wurden. Diese Erkenntnisse fur die Filmwahmehmung nutzbar zu machen, ist eine der Aufgaben dieses Abschnittes der Untersuchung zu evolutionspsychologischen Bedingungen der Filmwahmehmung. Die Perspektive bringt den Blickwinkel des Beobachters zum Ausdmck. Die Relationen der Dinge offenbaren sich zunachst nur aus seinem Standpunkt. Die urspriingliche Haltung eines Kindes ist egozentrisch und es verallgemeinert diese in ein Absolu-
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turn. Die erste Stufe der Entwicklung ist das Erkennen, dass Gegenstande auch noch existieren, wenn man sie nicht sieht. Wenn man bei Kleinkindem Dinge aus dem Sichtfeld entfemt, sind sie weg. Sehen und Sein sind identisch. „Der Plan des konstanten Objektes ist die erste und allgemeinste Invariante, die den Beginn der Objektivierung bildet: das Vorhandensein eines von den Verhaltensakten des Kindes unabhangigen Dinges ,da drauBen'. Objektiv gegebene Realitat ist nicht in der Umwelt als solcher vorhanden." (Piaget & Inhelder 1979, 516) Damit ist die Objektkonstanz kein Ergebnis der Wahmehmung, sondem ein Konstrukt des Geistes. Im Film findet dies Phanomen sehr direkte Verwendung. Normalerweise ist eine Sequenz in einzelne Einstellungen aufgelost. Zu Beginn steht der Mastershot: eine Totale, die die Szene im Uberblick zeigt. Die Zuschauer erfahren, wie die Objekte zueinander stehen. Danach werden die Aktionen in Einstellungen aufgelost. Sie sind in der Lage, die Gesamtszene jederzeit aus der Erinnerung zu konstruieren. Diese Fahigkeit kann nur auf Grund der mental erzeugten Konsistenz der Objekte funktionieren. Der nachste Schritt ist die Entwicklung der Reflexion des eigenen Standpunktes. Tatsachlich ist es ein schwieriges Unterfangen von der eigenen Wahmehmung zu abstrahieren: „Die Perspektive setzt die Herstellung einer Beziehung zwischen dem Gegenstand und dem Blickwinkel der Person, die sich dieses Blickwinkels bewusst geworden ist, voraus, und hier wie anderswo besteht das Erkennen des eigenen Blickwinkels im Differenzieren desselben von den iibrigen und folglich in seiner Koordinierung mit ihnen." (Piaget & Inhelder 1971, 250) Die Schwierigkeit besteht in der Abstraktion von der eigenen Wahmehmung und der imaginierten Perspektive eines moglichen Beobachters. Die Versuchsanordnung, um die geistigen Fahigkeiten der Kinder zu testen, bestand aus einem Tisch mit drei Bergen aus Pappmache in unterschiedlichen GroBen, Formen und Farben. Das Kind bekommt die Anordnung der Berge aus einer Perspektive zu sehen. Zur Anordnung gehort eine kleine Puppe, die nacheinander an verschiedene Stellen gebracht wird. Das Kind soil verschiedene Positionen der Puppe erkennen und nachbilden. Piaget erkennt drei Stadien, in denen sich die Entwicklung zu einer fehlerfreien Perspektiveniibemahme wandelt: „Die im Stadium I befindlichen Kinder verstehen die Frage noch nicht. Sie werden damm auch nicht weiter befragt. Wahrend des Stadiums II wird der eigene Blickwinkel iiberhaupt nicht oder nur sehr mangelhaft von dem der Puppe unterschieden, die an verschiedenen Standpunkten positioniert ist. Im Stadium II A (auf den eigenen Blickwinkel zentrierte Vorstellung) beginnt das Kind zwar bei jeder neuen Aufgabe mit dem Neuarrangieren der Berge, um am Ende aber immer wieder seine eigene Perspektive zu reproduzieren. Auf dieser Ebene geht es lediglich um die Koordiniemng zwischen der momentanen Wahmehmung oder Handlung und den unmittelbar folgenden Wahmehmungen oder Handlungen. In Teilstadium II B (Ubergangsreaktionen, Versuche zur Differenziemng der Blickwinkel) ist das Bemiihen um eine Differenziemng zu erkennen, aber das Kind fallt immer wieder in die egozentrische Konstmktion des Stadiums II A zuriick. Auf der Stufe III A (echte, aber unvoUstandige Relativitat, Kinder zwischen 7 und 9 Jahren) werden gewisse Relationen je nach dem Standortwechsel der Puppe erkannt, aber die Blickwinkel werden noch nicht im Ganzen koordiniert. Diese Gesamtkoordiniemng erreicht das Kind mit ca. 9-10 Jahren auf Stufe III B, das heil3t in dem Alter, in dem auch das Verstandnis der einfachen Perspektiven seine Vollendung erfahrt." (Piaget & Inhelder 1971,254)
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Den Sinn der Fahigkeit zur Perspektiveniibemahme nennt Piaget eine soziale Leistiing, wenn er schreibt: „Auf der Vorstellungsebene dagegen nimmt dieser Ubergang von der aktuellen Zentrierung zur virtuellen Dezentrierung die Form einer allgemeinen Koordinierung des eigenen Blickwinkels mit alien anderen moglichen Blickwinkeln an; diese Koordinierung konrnit dadurch zu Stande, dass die Egozentrik zu Gunsten der Gruppierung eliminiert wird." (Piaget & Inhelder 1971, 290) Piaget versteht die kognitive Entwicklung unter dem Gesichtspunkt eines anfanglichen Egozentrismus, von dem immer mehr dezentriert werden kann. Neben der kognitiven Entwicklung spielen zimehmende Fahigkeiten zur Perspektiveniibemahme in der sozialen Entwicklung eine wichtige Rolle. Hierbei geht es um die Fragestellung, wie Kinder, Jugendliche und schlieBlich Erwachsene soziale Beziehungen und sich selbst in diesen sozialen Beziehungen reflektieren. Den Begriff der Perspektiveniibemahme, der zunachst nur die abstrahierende visuelle Vorstellung betraf, lasst sich auf soziale Perspektiveniibemahme, die alle Formen der Kommunikation einschlieBt, erweitem. Die Fahigkeit, sich einen anderen Blickwinkel vorzustellen, ist demnach dem sozialen und kooperativen Zusammenleben zu verdanken. Der Vorteil besteht darin, dass man Wahmehmungen und mogliche Handlungen von anderen besser voraussagen kann. Bei Gemeinschaften, die nicht nur nach vorprogrammierten Verhaltensmustem reagieren, sondem auf Grund von subjektiven Wahmehmungen und Entscheidungen, reichen standardisierte Verhaltensmuster nicht aus. Wenn jedes Mitglied einen eingebauten Empfanger hat, der die Wahmehmung von anderen iibermittelt, ist eine aufeinander abgestimmte Bewegung der Gmppe sicher leichter zu bewerkstelligen. Auch zur Beurteilung des Verhaltens der Gmppenmitglieder ist die Fahigkeit von Vorteil. Theory of Mind Piagets Perspektiveniibemahme und die Theory of Mind haben einen gemeinsamen Kem. Es geht um die Vorstellung und Wahmehmung des anderen. Der Mechanismus beginnt bei Kindem im Alter von 6-8 Monaten. Sie konnen dem Blick von anderen Personen folgen. Sie lenken ihren Blick auf Dinge, auf die eine andere schaut. Das ist eine mdimentare Form, sich eine Vorstellung davon zu verschaffen, was ein anderer sieht. Mit 10 Monaten beginnen „Geben-und-Nehmen-Spiele", die einen weiteren Schritt hin zu einem Verstandnis des anderen darstellen, denn hier werden Bitte (oder Fordemng) und das Befolgen von Auffordemngen entwickelt. Im Alter von 14 Monaten verstehen Kinder Gesten, die auf etwas verweisen. Ein Verweis ist hier nicht als Auffordemng zu verstehen, etwas haben zu woUen, was auBerhalb der Reichweite liegt. Damit erkennen sie, was andere im Sinn haben, wenn diese auf etwas zeigen. Im Alter von 18-24 Monaten schlieBlich beginnen „Pretend Games", so genannte „AlsOb-Spiele", und das Verstandnis fiir erfundene Geschichten. Gemeinsame „Als-ObSpiele" konnen als ein Beispiel von intentionaler Kommunikation angesehen werden. (Leslie 1994, 141 f) Wenn eine Mutter sagt: „Das Telefon hat geklingelt, es ist fiir dich" und gibt dem Kind eine Banane, dann kann das Kind auf diese eigentlich bizarre Situation nur eingehen, wenn es die Worte nicht wortlich nimmt, sondem versteht, was die Mutter in dieser Situation meint. Das Kind braucht eine Vorstellung, was in der Vorstellung der Mutter vorgeht: Die Mutter tut so, als ware die Banane ein Telefon. Dennoch ist die Fahigkeit, sich eine unabhangige Vorstellung zu machen, noch eingeschrankt. Zeigt man einem dreijahrigen Kind eine Keksdose mit Stiften drin und fragt, was andere glauben, was da drin sei, sagt es: „Stifte". Es gibt fur sie noch keinen Un-
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terschied zwischen der wahrgenommenen (oder vereinbarten) Realitat und der Vorstellung. „Sie verhalten sich, als gabe es eine einfache und verlassliche Kausalverbindung zwischen dem Zustand der Dinge in der Welt und unseren mentalen Reprasentationen." (Gopnik 1994, 266) Im Alter von 4-5 Jahren ist jedoch die Entwicklung im Wesentlichen abgeschlossen und Kinder haben eine Theory of Mind entwickelt. Der Begriff der Theory of Mind ist eine Abkiirzung fiir die Fahigkeit, sich vom geistigen Zustand eines anderen eine Vorstellung zu machen. Man kann nicht in den anderen hineinsehen, darum bleibt sein Zustand eine Theorie. In einer kommunikativen Situation wie dem gemeinsamen Handeln ist es mitunter wichtig zu wissen, was die Absichten des anderen sind. Menschen haben gelemt, durch Anzeichen zu verstehen, was im Innem eines Kommunikationspartners vorgeht: Emotionsausdruck in Mimik und Gestik ebenso wie die Interpretation von Gesagtem in Wortlaut oder klanglichem Ausdruck. Gleichzeitig ist die Theory of Mind die Voraussetzung, Absichten von anderen fern zu halten. Nicht nur das gemeinsame „Als-ob-Spier' oder das Betrachten eines solchen Spiels in fiktionalen Geschichten, sondem auch Liige und Betrug sind nur moglich, wenn man sich eine Vorstellung davon machen kann, was der andere denkt, weiB oder beabsichtigt. Es gibt ein Krankheitsbild, das die Ausbildung dieser Fahigkeit unterdriickt: Autismus wird als die emsthafteste Psychose betrachtet, die in der Kindheit auftreten kann. Die wichtigsten Symptome sind, dass soziale und kommunikative Entwicklungen in den ersten Lebensjahren abnormal sind und nicht die erwahnten Stufen aufweisen. Das Spiel der Kinder zeigt auffallend wenig Flexibilitat, Vorstellung und „Als-ob-Situationen". Es spricht einiges daflir, dass die Krankheit anlagebedingt ist, und damit verweist sie auf ansonsten angeborene Fahigkeiten. Um Autismus zu testen, braucht man nur eine Situation zu prasentieren, in der eine andere Person einem falschen Glauben unterliegt, wahrend die Testperson das richtige Ergebnis kennt. Das oben erwahnte Stifte-in-der-Keksdose-Experiment erfullt die Bedingungen. Kinder ab 3-4 Jahren bestehen ihn, Autisten nicht (Baron-Cohen 1995, 69ff). Die Fahigkeit, sich in die Vorstellungswelt, in Sichtweisen und Glauben von anderen zu versetzen, ist eine fundamental Voraussetzung, um sich auf fiktionale Geschichten einzulassen. Wenn die Theory of Mind bei Autisten gestort ist, diirften sie den Unterschied zwischen Erscheinung und Realitat nur schwer erkennen. Experimente belegen dies: Wenn man nicht-autistischen Kindem Dinge vorlegt, deren Erscheinung und Sein nicht iibereinstimmen, erkennen sie dies: „Es sieht aus wie ein Ei, aber es ist ein Stein." Autisten erkennen nur die Erscheinung: „Es sieht aus wie ein Ei", oder „es ist wirklich ein Ei". Es scheint, als waren sie von ihrer Wahmehmung dominiert und unfahig ihr Wissen darauf anzuwenden. Die soziale Welt ist aber voll von derartigen Widerspriichen. Darum ist sie Autisten verschlossen. Fiir sie muss sie unvorhersehbar erscheinen und sie macht ihnen Angst. (Baron-Cohen 1995, 82f) Empathie Wesentlich fiir das Verstandnis eines Schauspiels ist die Einfiihlung in den emotionalen Zustand des Dargestellten. Grundlage dafiir ist eine angelegte Fahigkeit zur Einfiihlung. Alle hoheren Wirbeltiere zeigen Formen von Stimmungsiibertragung. Wie bei der Einfiihrung in die Gedanken der Ethologie dargestellt, zeigt ein Kleinkind das Phanomen, dass es mitweint, wenn andere weinen. „Das liegt nach Doris Bischof-Kohler daran, dass es noch nicht zwischen eigenen und mitempfiindenen Gefiihlen unter-
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scheiden kann. Wenn es sich durch Weinen anstecken lasst, daiin ist ihm zwar traurig zumute, aber es lokalisiert dieses Gefiihl erlebnismaBig in seinem Inneren. Es lasst sich von dem Gefiihl eines Mitmenschen anstecken - was sicher eine Voraussetzung, aber nicht ausreichend fiir Einfuhlung ist. Das setzt ein reflektiertes, bewusstes Ich voraus, das den anderen als Du erfasst." (Eibl-Eibesfeldt 1997, 771, darin verwiesen auf: Bischof-Kohler, Doris: Selbstobjektivierung undfremdbezogeneEmotion. Identifikation des eigenen Spiegelbildes, Empathie und prosoziales Verhalten im zweiten Lebensjahr. In: Zeitschrift flir Psychologic, Heft 202 (4), 1994) Erst mit etwa zwei Jahren setzt eine solche Fahigkeit ein. Voraussetzung ist das Vermogen zur Selbstobjektivierung, einem reflektierenden Ich-Bewusstsein. Die Fahigkeit ist notig in der miitterlichen Empathie beim Hineinfuhlen in das noch sprachlose Kleinkind. Die Mutter fuhlt, wie es ihm vermutlich geht, um dann MaBnahmen zu ergreifen. Das Sich-hinein-Fuhlen geschieht weiter durch die innere Imitation der Gefuhle, die ganz offenbar durch Reize ausgelost werden. Die Trigger sind Gestik, Korperhaltung, Mimik und LautauBerungen. Die Theory of Mind lasst den Begriff der Identifikation in einem neuen Licht erscheinen. Es geht nicht darum, sich an die Stelle einer medial dargestellten Figur zu setzen. Die Theory of Mind erlaubt vielmehr einen Einblick in das Innenleben einer anderen Person. Deren Erleben, beziehungsweise das, was man dafiir halt, lost Emotionen aus, von denen man annehmen kann, dass es diejenigen der anderen Person sind. Emotionen werden offenbar im Gehim des Beobachters nachgebildet, damit er sie verstehen kann. Man muss also unterscheiden zwischen der Identifikation eines FuBball-Fans mit seiner Mannschaft (wo ein verlorenes Spiel auch ihn betroffen macht) und dem empathischen Verstandnis eines Rezipienten mit einem Protagonisten (wobei jener die Emotionen eines anderen nachempfmdet). Die mentale Perspektivenubemahme kann sehr weit gehen. Kinobesucher und Femsehrezipienten erleben mit Mordem, Monstem, Jung und Alt, gleichgiiltig ob mannlich Oder weiblich, schwul oder hetero, mit Schizophrenen, Traumem, Angsthasen oder Draufgangem. Mit dem Begriff der Identifikation ist das nur sehr unzureichend zu beschreiben. Der Begriff der Theory of Mind fasst dieses Phanomen jedoch adaquat. Schnitt- Gegensch n itt Aus der sozialen Perspektivenubemahme beziehungsweise der Theory of Mind ist ein Wahmehmungsphanomen der Schnittasthetik erklarbar, dem bislang schwer auf den Grund zu gehen war. Die Standardschnittfolge etwa eines Dialoges besteht im Schnitt - Gegenschnitt. Zunachst blickt die Kamera einem Gesprachspartner von hinten iiber die Schulter auf den Sprecher. Beim Gegenschnitt wechselt die Kamera zu dessen Riicken und beobachtet den Antwortenden. Typischerweise nimmt die Kamera die Position des Wahmehmenden ein, also dessen der zuhort und passiv ist. Im Bild ist der aktive Teilnehmer. Die Perspektivenubemahme wird visualisiert. Damit erhalt der Zuschauer Informationen iiber nonverbale Ausdmcksweisen des jeweils Sprechenden, nicht nur Informationen iiber dessen Wahmehmung, sondem iiber dessen emotionale Interpretation des Wahrgenommenen. Schnitt-Gegenschnitt ist der Wechsel von Sicht (ich sehe andere) und Vorstellung (andere sehen mich). Durch den Schnitt-Gegenschnitt werden emotionale Beziehungen klar. Wer wen anblickt und wer den Blick erwidert, all dies sind soziale Informationen, die der Zuschauer durch die Ubemahme der Wahmehmung erhalt. Durch den Mengenkontrast
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(in einer Einstellung sind mehrere Personen zu sehen, in der folgenden nur eine) warden soziale Beziige gezeigt. Durch den Gegenschnitt entsteht ein Gegeniiber. Einen Sonderform des Gegenschnitts ist der Reaktionsschnitt. Man sieht - meist in Grofiaufhahme - einen Menschen, der gerade auf das zuvor Gesehene oder Gehorte durch Emotionsausdruck reagiert. Die GroBaufhahme ist notig, um die emotionale Regung im Gesicht zu zeigen. Auf der Kameraachse gibt es zwei besondere Positionen. Schaut der Betrachter entlang der 180°- bzw. 0°-Linie der Handlungsachse, erlebt er mit einem der Protagonisten. Man sieht mit seinen Augen, was er sieht. Die Tater-Opfer-Dichotomie kommt so am deutlichsten raus. Es gibt nur einen Film, der die subjektive Kamera konsequent durchfuhrte: ,J)ame im See, Die" von Robert Montgomery (USA 1947), nach dem Roman von Raymond Chandler. Die Hauptfigur, der Detektiv Philip Marlowe, bleibt bis auf den Vorspann und Abspann und wenige Augenblicke, wo sie in einem Spiegel zu sehen ist - unsichtbar. Das, was der Protagonist sieht, sieht der Zuschauer. Die anderen Personen spielen in die Kamera, blicken in die Kamera. Ranch kommt unter dem Bild hervor, wenn der Protagonist raucht, das Bild wird unscharf, als er von einem Faustschlag getroffen ohnmachtig hinsinkt. Das Experiment muss dennoch als misslungen bezeichnet werden. In dieser Radikalitat iiberlasst es dem Zuschauer nicht nur keine Wahl der Positionierung, er vermisst die Figur, deren Standpunkt er eigentlich iibemehmen soil. Er ist auf die Wahmehmung Marlowes angewiesen, ohne dass er dessen emotionale Sichtweise tatsachlich iibemehmen kann. Dazu sieht er ihn zu wenig. Man sieht zwar, was der Protagonist sieht, aber Emotionen, die sich auf das Erlebte beziehen, entstehen dabei nicht. Der visuelle Eindmck reicht demnach nicht aus. Jan Marie Peters (1989) weist bei ihren Uberlegungen iiber die Chandler-Verfilmung ,J)ie Dame im See'' (Montgomery, USA 1947) darauf hin, dass die Ubemahme des Blickes noch nicht die Ubemahme des anderen Ichs bedeutet. Daraus folgt, dass das Betrachten des Films eben nicht allzu viel mit Sehen, sondem vielmehr mit Vorstellen zu tun hat. Die Ubemahme ist mental und sie gelingt besser, wenn ein entsprechendes Angebot vorliegt. Der Gegenschnitt - also die visuelle Prasentation der anderen Perspektive - ist bei der emotionalen Verarbeitung hilfreich. Die Emotion braucht offenbar den Gegenschnitt, also die Vorstellung der anderen Perspektive. Eine filmasthetische Konsequenz der subjektiven Perspektive ist, dass die Einstellungen nicht durch Schnitte unterbrochen sein diirfen. Der filmisch dargestellte Blick ist kontinuierlich, ein Schnitt kann nur als zeitliche Unterbrechung in Form des Jump Cut interpretiert werden. Damit Perspektiveniibemahme gelingt, braucht man Informationen uber die andere Seite, iiber nonverbale EmotionsauBerungen zum Beispiel, wie sie in Gestik und Mimik zum Ausdmck kommen. Die subjektive Kamera lasst nichts uber den emotionalen Zustand dessen, mit dessen Augen die Zuschauer sehen, erkennen. Nicht das Ereignis ist zentral an einer Geschichte, sondem die Emotion. Die Rolle der Emotion bei der Wahmehmung ist gesondert zu betrachten. Der Perspektivenwechsel ist ein Phanomen, aus dem Spannung zu ziehen ist. Gerade bei der Dichotomic zwischen later und Opfer ist der standige Wechsel der Wahrnehmung wichtig, denn das Opfer muss sich zu seiner eigenen Sicherheit fragen, wie der Tater wahmimmt. Der Wechsel zwischen Tater- und Opfer-Perspektive ist typisch flir Thriller und Horrorfilm: Das Opfer sieht den potenziellen Tater nicht, hort nur ungewohnliche Gerausche, hat kein groBes Gesichtsfeld. Der Tater sieht aber das Op-
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fer, oft aufgenommen mit Handkamera aus der Frosch-Perspektive, was einerseits das Verstecken signalisiert, andererseits die Perspektive einer Gefahr im Unterholz einnimmt. Zuschauer erleben die Angst und Panik des Opfers und wissen (auf Grund der Perspektiveniibemahme) von der Gefahrlichkeit des Taters. An dieser Stelle ist ein Unterschied zwischen den Medien Literatur und Film erkennbar. Die subjektive Wahmehmung des auktorialen Erzahlers ist beim Lesen problemlos zu iibemehmen. Zum einen erlebt man dabei weniger dessen visuelle und auditive Wahmehmung, sondem vielmehr bereits dessen Interpretation. Auswahl, Emotion und Asthetik sind bereits vermittelter Teil des Rezeptionsprozesses. Die Leser empfmden Literatur, weil sie die beschriebene Emotion iibemehmen und dem asthetischen Urteil folgen. Bei Film und Femsehen muss man diese selbst durch die Anschauung entwickeln. AV-mediale Walimehmung ist unmittelbar. Eine andere besondere Perspektive ist der 90°-Betrachterwinkel. Die Kameraachse lauft spitz auf die Handlungsachse zu. Besonders deutlich ist bei fester Kamera die Position des unbeteiligten Beobachters. Er ist perspektivisch gleich weit von beiden Dialog- Oder Handlungspartnem entfemt. Bei Bewegung der Kamera oder der Protagonisten andert sich der Abstand nicht. Er ist damit kaum beteiligt an den emotionalen Vorgangen, da er weder die Position der einen noch die der anderen Seite angeboten bekommt. Dem Zuschauer werden beim Schnitt-Gegenschnitt-Wechsel die Sichtweisen der Kontrahenten geboten. Er hat dabei die Entscheidung, welcher er intensiver folgt und welche Einschatzungen er auf Grund des Angebotes vomimmt. Das Medienprodukt macht Offerten, der Rezipient entscheidet. Identifikation wird angeboten zimi einen durch die Position der Kamera dicht an der Handlungsebene und durch einen Kameraabstand, der einer GroBaufiiahme entspricht. Lasst man die subjektive Kameraposition, die den Blick einer Person iibemimmt, und den 90°-Betrachterwinkel, der eine Handlung wie aus dem Profil betrachtet, beiseite, kann man inteme und exteme Sichtweisen unterscheiden. Bei der intemen ist jeweils nur einer der Partner in einer Einstellung zu sehen. Er spricht an der Kamera vorbei und richtet sich an den nicht im Bild zu Sehenden. Bei der extemen Position sind beide Dialogpartner im Bild. Uber die Schulter des einen sieht man (meist) den Aktiven. Bei der intemen Sichtweise hat der Gezeigte mehr Bedeutung. Man ist ihm naher. Liige, RoUe und Schauspiel Liige Tauschung ist im Tierreich nichts Seltenes. Beute anlocken, sich vor Fressfeinden tarnen oder eine Verletzung simulieren, um von der Bmt abzulenken, gehort zum normalen Repertoire. Insofem ist Lug und Tmg ein soziobiologisch angelegtes Verhalten und bereits in der Kommunikation an sich angelegt. „Ein Kommunikationssignal wird logischerweise gesendet, weil der Sender fur sich einen Vorteil erwarten kann aus der Reaktion, die der Empfanger auf das Signal hin bringt. Der Sender zielt also auf eine Manipulation des Empfangers, und jedes Mittel ist recht, das diesen Effekt hat. Signale, die keine Antwortreaktion auslosen, sind verschwendet und stehen nicht im Dienste einer Kommunikation; Signale, die eine fiir den Sender nachteilige Reaktion auslosen, etwa indem sie einen Feind aufmerksam machen, werden abgebaut. Der
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Empfanger wird seinerseits solche Signalbeantwortungen moglichst unterlassen, die ihm Nachteile bringen." (Winkler 1991, 104) Von der Tauschimg der Fressfeinde und Beutetiere muss man allerdings das art- und gruppeninteme Liigen abgrenzen. Wenn die egoistischen Betriiger in einer Population iiberwiegen, behindem sie sich wechselseitig und gefahrden schlieBlich das gesamte Kommunikationssystem. So wird sich in der Kegel ein Gleichgewicht herausbilden, das nur so viele Liigner zulasst, wie die Gemeinschaft ertragen kann. Fur diese einfache Form der Tauschung bedarf es keinerlei Bewusstseins. Es reichen die soziobiologischen Mechanismen. Eine komplexe Liige ist jedoch nur moglich, wenn man eine Vorstellung davon hat, was andere wissen konnen, und damit verbunden ist Selbstbewusstsein. Soweit bekannt, bieten dafur nur Primaten und Delfme neben den Menschen die Voraussetzung. Mit anderen Worten, eine Theory of Mind ist die Bedingung fiir eine komplexe Form der Liige. Im menschlichen Zusammenleben haben sich demzufolge komplexere Mechanismen der Lugendetektion herausgebildet, die unter dem Gesichtspunkt der Kooperation betrachtet werden. Wenn es bei der Liige um das Erlangen eines personlichen Vorteils geht, gilt dies auch uneingeschrankt fiir die Formen menschlicher Kommunikation. Liigen mussen nicht nur Tauschungen entsprechen, sie sind sogar notwendig im Rahmen der aggressionshemmenden Funktion der Sprache, etwa wenn man andere lobt. Das heiBt, die Liige ist mitunter auch im Interesse des Belogenen. Die Spannbreite zwischen Diplomatic und Hinterlist ist weit. Die positive Darstellung der eigenen Person hat durchaus einen fitnessrelevanten Charakter. Wenn ein Verletzter seine Wunden als Folge eines heroischen Kampfes beschreibt, ist sein Ruf - so seine Hoffiiung - besser, als wenn er zugeben muss, dass er auf Grund seiner eigenen Ungeschicklichkeit und Unaufmerksamkeit Schaden erlitten hat. Neben dem Hervorheben der eignen Leistung ist auch das Herunterspielen der Beteiligimg anderer von Status bildender Bedeutung. Auch hier sind die Grenzen zwischen eigener interessegeleiteter Wahmehmung und bewusster Falschdarstellung oft kaum exakt auszumachen. Kognitive Dissonanz entzieht dem Erzahler das Bewusstsein fiir distanzierte Betrachtung. In einer vormedialen Welt, die keine Moglichkeit der authentischen Aufzeichnung besitzt, gab es keine Moglichkeit, berichtete Ereignisse auf ihren Wahrheitsgehalt zu iiberpriifen. Klatsch und Tratsch sind zu sehr von Interesse geleitet, als dass sie der objektiven Berichterstattung dienen konnten. So gelten einzig Glaubwiirdigkeitsmerkmale fiir die Authentizitat von vergangenem Geschehen. Bei Untersuchungen zur Glaubwiirdigkeit konnte man vor allem Detailreichtum und Sicherheit bei Nachfi-agen als Kriterien identifizieren. „Unter quantitativem Aspekt ist es die erhebliche Anzahl der Einzelheiten, welche far die Beurteilung der Zuverlassigkeit von Aussagen von Bedeutung ist. Wenn genaue Ortsangaben gemacht werden, Personen in verschiedener Hinsicht beschrieben werden, die Abfolge ihrer Handlungen Schritt fiir Schritt wiedergegeben wird, Gesprache reproduziert und nicht nur das Kemgeschehen, sondem auch nebensachliche Umstande berichtet werden, dann kann man von einem hohen Detaillierungsgrad der Aussage in quantitativer Beziehung sprechen. Eine gegenteilige Auspragung hat man in der ,pauschalen', undifferenzierten, allgemeinen Zeugenaussage. Die Forderung nach Detaillierung ist geradezu eine Grundforderung, die man an jede Aussage, die Glaubwiirdigkeit beansprucht, stellen
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muss." (Amtzen 1993, 27) Damit verbunden ist die Sicherheit bei Nachfragen, denn nur wer tatsachlich seine prasentierte Geschichte erlebt hat, kann Fakten nachliefem. Ein weiteres Merkmal, das oft fur Glaubwiirdigkeit sorgt, ist die emotionale Prasentation. Der Erzahler zeigt mit Stimme, Mimik und Gestik Betroffenheit und Anteilnahme. Tatsachlich setzen Liigner genau dieses Mittel intensiv ein, um ihre Geschichten glaubhaft zu machen. Die Vermittlung des emotionalen Zustandes gehort zum Repertoire der Schauspieler, um bei den Zuschauem entsprechende Emotionen auszulosen. Warum das so ist, wird verstandlich aus der Tatsache, dass Erlebtes eben er-lebt ist. Der Wahmehmungskem ist dabei eindeutig emotional. Freude oder Schmerz unterstiitzen die Erinnerung starker als gewohnliche, unspektakulare Dinge. Gefuhle werden bei der Wiedergabe wieder erlebt und die Bedeutung der Geschichte aus den Gefuhlen erzeugt. Rolle Ein Schauspieler ubemimmt die Handlungsweisen von Personen, deren Handlungskompetenz ihm nicht zuganglich sein muss. Wie kann jemand ohne Ausbildung eine Arztin spielen, einen Feuerwehrmann oder einen Piloten? Dass die Ubemahme einer Rolle so leicht geschehen kann, liegt an der prinzipiellen Fahigkeit, im alltaglichen Umgang verschiedene Funktion zu iibemehmen. Tatsachlich fmdet der Begriff Anwendung in der psychologischen Theorie. Zur Definition des Begriffes ,Rolle' in der Psychologic schreibt Albert Spitznagel: „Mit jeder Position ist eine Rolle verbunden: inhaltlich zu verstehen als ein Biindel von Verhaltenserwartungen mit jeweils sehr unterschiedlichen Charakteristiken, die bestimmte Bezugsgruppen (Rollenpartner) gegeniiber bestimmten Positionen haben." (Spitznagel 1977, 403) Personen sind durch Angaben iiber ihre Stellung in der Gesellschaft genauso gut zu charakterisieren, wie durch personliche Eigenschaften. Der Begriff ,Rolle' wird in der sozialpsychologischen und soziologischen Verhaltensanalyse fiir das Verhalten gebraucht, das den mit seiner bestimmten Position verbundenen Erwartungen iiber Rechte und Pflichten des Positionsinhabers entspricht. Der Begriff Position steht damit fiir jene Einheiten, in welche eine Gesellschaft strukturiert ist. „Personlichkeit als Inbegriff der Eigenart eines Individuums und der Bedingungen seines Verhaltens wird damit zur Summe oder zum Schnittpunkt der Positionen beziehungsweise der mit ihnen verkniipften Verhaltenserwartungen. Entsprechend der traditionellen Rollentheorie sind Individuen in den einzelnen Positionen auswechselbar. Wo das Individuum den Erwartungen nicht folgt, kann rollenkonformes Verhalten durch Sanktionen der Gesellschaft erzwungen werden." (Roth 1981, 88) Dabei kann eine Person durchaus mehrere scheinbar unvereinbare Rollen gleichzeitig spielen. Widerspriichliche Erwartungen konnen auf der anderen Seite daraus resultieren. Dieser Fall ist eher die Regel als die Ausnahme. Ein Mann kann in der Familie gleichzeitig Ehemann sein mit spezifischen Erwartungen durch die Ehefrau, Emahrer der Familie, mit Erwartungen, die denen der Ehefrau widersprechen konnen, Vater einer pubertierenden Tochter, der ihr Dinge verbietet, die er dem ebenfalls minderjahrigen Sohn erlaubt, und fur den Hund spielt er noch dazu die Rolle des Dosenoffhers. Die verschiedenen Verantwortungen erfordem je nach Rolle unterschiedliche Entscheidungen. Die vorwurfsvolle Antwort der Tochter: „Aber dem Bruder hast du es erlaubt ...!" macht die Differenz der unterschiedlichen Rollen und der
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damit verbundenen Erwartungen deutlich. Aber das zeigt, dass das Annehmen von unterschiedlichen Rollen ganz alltaglich ist. Der Begriff „Person" selbst reflektiert dieses Phanomen. Persona kommt aus dem Lateinischen, bedeutete urspriinglich Biihnenrolle und Maske, es leitet sich ab von „per sonare" (= hindurch tonen); gemeint ist die Buhnenmaske, durch die die Stimme hindurch klingt. Die Gesichtsmaske (Person) ist im Theater wesentlich Gesichtsausdruck, der seinerseits einen Emotionsausdruck darstellt und zum Emotionsausloser (beim Publikum) werden kann. Schauspiel Schauspieler liigen. Sie geben vor, etwas zu sein, was sie nicht sind; sie behaupten Sachverhalte, die nicht zutreffen; sie verkleiden und verstellen sich. Auf Biihnen, Leinwanden und Bildschirmen wird dieses Verhalten jedoch nicht als Liige angesehen. Wenn jemand in konstanter Art und damit erkennbar liigt, findet ein wichtiges Ziel der Liige, namlich die Tauschung, nicht statt. Zuhorer und Zuschauer akzeptieren das Setting, in dem sich das Stiick abspielt. Seine entwicklungspsychologischen Grundlagen hat Schauspiel im Pretend Play von Kindem. Wie in den Ausfuhrungen zur Theory of Mind erlautert, sind Kinder ab zwei Jahren in der Lage, Als-ob-Spiele oder Pretend Play zu verstehen. Bereits Dreibis Fiinfjahrige mogen soziales Pretend Play, in dem soziodramatisches Rollenspiel ausgebildet wird. Da Pretend Play in einer dramatisierten und fantasierten Welt spielt, ist diese noch nicht bestimmt durch soziale und physische Realitat. Die Improvisationsfahigkeit - zweifellos eine wichtige Voraussetzung fur soziale Interaktion - entwickelt sich im Vorschulalter. Es ist das Alter, in dem soziale Rollen eingeiibt werden und weitere soziale Entwicklungen zur sozialen Kooperation angelegt sind. Die Fahigkeit, die Emotionen von anderen zu verstehen oder deren Plane und Intentionen zu begreifen, ist eine wichtige Grundlage fur kommunikatives Miteinander. Kinder fangen an, andere zu verstehen durch gemeinsames Pretend Play. In diesem Spiel entwickelt sich das Verstandnis fur eigene und fremde Bediirfiiisse, es manifestieren sich Typen von Wissen, die nicht durch die alleinige Beobachtung von Interaktionen unter Erwachsenen vermittelbar sind. Spontanes, improvisiertes Spiel vermittelt Erfahrungen im Verhandeln untereinander, insbesondere um kontinuierliche Kooperation zu ermoglichen, um gemeinsame Spielregeln anzuerkennen, um Grenzen zwischen Durchsetzen und Nachgeben zu ermitteln. Der Imagination wird freier Lauf gelassen. Pretend Play und Stegreiftheater haben einige Gemeinsamkeiten: Sie benotigen kein festes Skript, sondem werden aus dem Moment entwickelt, es gibt eine grobe Struktur, die das Spiel leitet, und beide sind kollektiv, es ist nicht eine einzelne Person, die das Spiel dirigiert. Schauspiel ist mehr Spiel als Liige. Der Schauspieler tut so als ob. Das Spiel driickt aus, dass die Luge nicht als hinterhaltige Tauschung gemeint ist, sondem als spielerisches Ausprobieren. Tatsachlich gibt es selten Missverstandnisse dariiber, ob jemand auf einer Biihne, auf dem Bildschirm oder der Leinwand spielt oder nicht. Das Gleiche gilt iibrigens fur Musik und Tanz, bei denen man in aller Regel erkennt, dass es sich um eine besondere Kommunikationsform handelt. Doch im Gegensatz dazu imitiert das Schauspiel natiirliche Ausdrucksformen. Normalerweise reagieren Individuen sehr scharf, nachdem sie eine Liige erkannt haben. Bis zum Ausschluss aus der weiteren Kooperation konnen die Sanktionen reichen. Doch beim Schauspiel akzeptiert man das
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Verhalten. Die Bedingimg ist, dass man weiB, dass jemand etwas vormacht. Zur Liige gehort nach diesem Verstandnis die schadigende und Vorteil suchende Absicht. Da man beim Schauspieler weiB, dass er nur so tut als ob, kann ein Betrug nicht gelingen. Vor der Erfmdung von Film und Femsehen, die ununterscheidbar Fiktives und Faktisches mit denselben dramaturgischen Mitteln zeigen, unterlag die Schauspielerei strengen Regeln. Die Sprachhaltung unterschied sich deutlich von der Alltagssprache, oft musste sie in festen Reimforaien dargeboten werden. Requisiten, Masken und Kostiime waren mehr symbolhaft als real. Oft waren Frauen auf der Biihne nicht zugelassen, was den rituellen Charakter des Schauspiels belegt. Die Buhnenrampe bildete die deutliche Grenze zwischen Realitat und Fantasie. Insofem hatte Schauspiel bisweilen den gleichen kommunikativen Rang wie Kunst, Musik, Gesang und Tanz. Wenn Klatsch und Tratsch eine wichtige Kommunikationsform der menschlichen Spezies ist, dann ist es auch natiirlich, das wiederzugeben, was andere gesagt haben. Das Zitat gehort zu den spezifischen Fahigkeiten der menschlichen Sprache. Die Darstellung des Zitates in seiner authentischen Form schlieBt sicher nicht nur deren inhaltlich-verbale Wiedergabe ein, sondem auch deren emotionale Komponente. Die Darbietung von Zitaten in Form einer dramatisierten Erzahlweise ist nur einen kleinen Schritt entfemt vom Schauspiel. Insofem gehort es zum normalen Repertoire menschlicher Kommunikation. Nicht nur das Zitat unterliegt der dramatisierbaren Darbietung. Das Berichten eigener Erlebnisse erhalt eine hohere Glaubwiirdigkeit, wenn es mit emotionaler Beteiligung vorgebracht wird. Offenbar geht man davon aus, dass der authentische Ausdruck bei der Berichterstattung vor allem dann zu Stande kommt, wenn eigenes und beteiligtes Erleben zu Grunde liegt. Das Verstandnis von Schauspiel ist demnach zu verstehen als Abstraktion von der realen Person hin zur Rolle. Die dargestellte Rolle ist eine Art Verallgemeinerung zu einer typischen Situation. Der Schauspieler reprasentiert eine Verhaltensweise oder einen Charakter. Angela Keppler beschreibt den Unterscheid so: „Dennoch lebt das Interesse an Femsehserien ganz entscheidend davon, dass Figuren wie Personen wahrgenommen werden konnen. Menschen, mit denen wir im alltaglichen Leben zu tun haben, nehmen wir als Personen wahr.... An dem Unterschied zwischen jenem ,Als' und jenem ,Wie' im Verhalten zu Personen lasst sich die Differenz zwischen sozialer und parasozialer Interaktion mir exemplarischer Deutlichkeit erkennen." (Keppler 1996,17) Denken und Vorstellen als Probehandeln Der Neokortex ist zentral an der Medienwahmehmung beteiligt. Das GroBhim enthalt mit dem Neokortex seit der Entwicklung zu den Saugetieren eine Struktur zur bewussten Wahmehmung, die zur Vor-Begriffsbildung und zum Denken geeignet ist. Die hoheren Primaten, darunter die Menschen, miissen durch diese ftmktionelle Ausweitung - im Gegensatz zu primitiveren Tieren - nicht reflexhaft handeln; Menschen konnen erst einmal nachdenken und iiberlegen. Doch intensive Reflexion halt ab vom Handeln. Das Nachdenken, das es ermoglicht, flexibel auf Situationen zu regieren, kann zum Nachteil werden, wenn man sich nicht rechtzeitig entscheidet. Um dieses Manko auszugleichen, konnen Individuen Situationen mental vorwegnehmen, sie planen und im Geiste alternative Konsequenzen testen. An dieser Funktion ist der Frontallappen beteiligt: Der Stimlappen ist unter anderem flir die Motorik und Handlungsplanung zustandig. Bei einer Unterftmktion des prafrontalen Kortex nach Verlet-
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zungen oder bei Schizophrenie kommt es zu einer Abflachung der Handlimgsplanung; das heifit, komplexe Handlungsablaufe sind nicht mehr moglich. Im Verhalten des Patienten registriert man Perseverationen, das heiBt, er wiederholt immer wieder anfangs erfolgreiche Antworten und kann sich nur schwer umstellen, selbst wenn sein Verhalten in manchen Situationen nicht adaquat ist. Er ist impulsiv, sozial distanzlos und ungehemmt. Handlungsorganisation setzt vor alien Dingen Hemmung inadaquater Verhaltenstendenzen voraus. Dies ist eine Aufgabe des mentalen Probehandelns. Die Fahigkeit zu entscheiden, bringt auch Nachteile mit sich. Wiirden Menschen jedes Mai vor dem Handeln in Reflexion verfallen, wiirden sie nicht allzu viel bewerkstelligen. Tatsachlich fehlte ihnen die Distanz zum Tun. Leicht wiirden sie den Uberblick verlieren. „Das macht die Bedeutung der abgeleiteten Verhaltenssysteme aus: Dass sich in ihnen die kognitiven Prozesse leichter und wirkungsvoller durchfiihren lassen als im Handeln. Der handelnde Mensch halt inne. Er iibersetzt die sich vollziehende Handlung in das System des inneren Probehandelns oder in die Sprache. Er spricht zu sich selbst und sagt sich, was er tun sollte oder wollte." (Aebli 1981, 311) Der Unterschied zwischen Handeln und Denken ist in dieser Hinsicht relativ gering. Die Handlungsgegenstande sind lediglich anders - namlich mental - reprasentiert. Darum ist es ebenso leicht, „gewisse Handlungen durch die Beobachtung eines fremden Handlungsmodells zu erlemen wie sie durch eigenes Probieren zu finden: Sehr rasch hebt der Vorteil des klaren Handlungsmodells und die Moglichkeit, richtige Steuerungsprozesse im Geiste mitzuvollziehen, die Vorteile des Selbertuns auf." (Aebli 1993 (2), 213) Was vorgestellte Handlungen von tatsachlichen unterscheidet, „ist hauptsachlich die Art, wie ihre Objekte und Ergebnisse im menschlichen Geist reprasentiert sind: in der Vorstellung, im Sprechakt oder in der Wahmehmung." (Aebli 1993 (2), 213) Was-ware-wenn-Gedanken sind in ausgepragter Form beim Schachspiel anzutreffen. Hier ist es vorteilhaft, groBes Wissen von Situationen anzusammeln, die so oder so ahnlich schon einmal vorhanden waren. Gute Schachspieler und groBe Schachcomputer verfiigen iiber ein derartiges Repertoire von Konstellationen und deren Konsequenzen. Fiktion ist nichts anderes als das imaginierte Durchspielen von Konstellationen und deren Konsequenzen. Allgemein lasst sich sagen, dass Probehandeln dort Sinn macht, wo Strategic und Taktik getestet werden. Also nicht jede Form des Lemens unterliegt dem Verfahren, sondem nur solches, das Vor- und Nachteile von Variationen gedanklich testet. Gerade bei sozialen Entscheidungen, die im menschlichen Zusammenleben ganz entscheidend sind, sind strikte Reiz-ReaktionsSchemen untauglich. Das visuelle System liefert Bilder, die intern prasent sind. Ausloser konnen die Informationen sein, die durch die Augen zum Gehim gelangen, also das, was tatsachlich gesehen wird. Es bedient sich aber aus der Erinnerung oder aus der Vorstellung. Hinzu kommen verbale Ausloser. Das Wort „Nilpferd" lost entsprechende Reprasentationen aus. Die Reaktion ist so stark ausgepragt, dass sie sich nicht unterdriicken lasst. Die Aufforderung: „Denken Sie nicht an ein Nilpferd, dieses Tier mit dem groBen Maul, dem fetten Korper und den kurzen Beinen!" kann man nicht befolgen. Die flieBenden Ubergange der extemen und intemen Wahmehmungen wurden im Kapitel zuvor dargelegt. Im Gedachtnis gibt es keine Regionen, die Nilpferde reprasentieren, denn das hatte zur Folge, dass man sich nur individuelle Objekte merken kann und keine Klassen von Dingen. Stattdessen werden bei der Wahmehmung eines Nilpferdes unterschiedliche Regionen im Gehim aktiviert: im Bewegungsareal spezifische Bewe-
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gungen; separiert sind davon Farben, Formen und Kontexte gespeichert. Wird nun ein spezifisches Objekt erinnert - wie etwa ein Nilpferd - wird ein spezifisches Netzwerk von Erinnenmgen aktiv, die gleichen Areale, die bei der Wahmehmung aktiv waren, sind an der Erinnenmg beteiligt. Ein Nilpferd wird erinnert, wenn geniigend Elemente aktiviert sind, die dem Begriff Nilpferd entsprechen. Individuelle Abweichungen der Muster werden so problemloser akzeptiert, ohne dass die Regel verletzt ist. Ein rosa Nilpferd ist immer noch ein Nilpferd. Auch der akustische Klang des Wortes gehort zum Netzwerk. Assoziationen, Erinnenmgen und sogar Verwechslungen sind damit erklarbar. Neurophysiologisch gibt es keinen qualitativen Unterschied, ob die Reprasentation durch das gesprochene oder gelesene Wort „Nilpferd", durch eine Zeichnung, ein Bild, eine Fotografie, einen Film oder durch ein wirkliches Nilpferd ausgelost wird. Immer wird das gleiche spezifische Netzmuster aktiviert. Es gibt quantitative Unterschiede in der Intensitat der Himreaktion. Nicht verwischt werden dabei die asthetischen Unterschiede. Worte losen demnach Visualisierungen aus. Durch das Bebildem in audio-visuellen Ereignissen, sind diese durch Bilder vorgegeben. Zuschauer sollen dann nicht nur bestimmte Assoziationen haben, sondem sie haben sie, wenn sie sich nicht sehr distanziert und genau darauf achtend einem Medienereignis zuwenden. Das visuelle System ist permanent aktiv. Es liefert auch Bilder, wenn keine auBeren Stimuli vorhanden sind. Traume sind das augenfalligste Beispiel. Alle Saugetiere traumen. Auf den flieBenden Ubergang von visueller Wahmehmung und Vorstellung wurde im Zusammenhang mit Perkys Experiment hingewiesen. Vorstellung und Erinnerung sind mitunter nicht scharf zu trennen. „Habe ich eine Erinnenmg davon, dass ich den Wasserhahn zugedreht habe oder habe ich es mir nur vorgenommen und vorgestellt?" Diese Frage kann so manche Reise belasten und wie oft versichert man sich, dass man selbst Handlungen auch ausgefuhrt hat. Der Neokortex ist ein Analysator far bestimmte Verhaltensweisen, das Verhaltensrepertoire wird aufgefachert. Eine Information, vor allem, wenn es sich um soziale Sachverhalte handelt, wird nicht mehr durch simple Reaktionen wie Attacke oder Flucht beantwortet, sondem man kann dezidiert zu diesem Reiz Stellung nehmen, indem er erst einmal analysiert wird. Und das ist ein evolutionarer Gewinn der Assoziationsareale: ein inneres Modell der sozialen Welt aufbauen. Probe handeln, planen und iiberlegen. Bei spontan auftretenden gefahrlichen Konstellationen macht eine langwierige Analyse wenig Sinn. Da haben sich Emotionen als die adaquateren Analyseinstmmente herausgebildet. Bei Situationen hingegen, die eine Planung erlauben, werden Verhaltensweisen durchgespielt. Nach Aebli driickt sich Denken als kognitive Tatigkeit aus, im „Planen, Ausfiihren, Beurteilen von Handlungen und von sachlichen und sozialen Prozessen und Situationen, die in die Handlungen hineinwirken". (310). Aebli argumentiert iibrigens implizit evolutionar, wenn er einleitend Bezug nimmt auf vorhistorische Bedingungen: „Das Uberleben der Menschheit wird sicherlich letztlich durch ihr Handeln bestimmt. In seinen Taten erkennt man nicht nur den Menschen, in diesen spielt sich auch sein Schicksal ab. ... Auch wenn man die Geschichte der Menschheit betrachtet, erkennt man, dass das praktische Handeln urspriinglich den GroBteil ihrer Energie absorbiert hat. Zwar gab es auch schon friih eine Kunst, und es gab sicher auch schon religiose Vorstellungen und Praktiken. Aber auch diese waren urspriinglich auf das engste mit den mit den praktischen Tatigkeiten, dem Saen und
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Emten, dem Belohnen und Strafen, dem Beschiitzen und Besorgen verbunden." (Aebli 1981, 309f.) Da Aebli - beeinflusst durch Piagets Ideen - vor allem am Lemen und an der Entwicklung der menschlichen Psyche interessiert ist, beschreibt er die Aufgaben sehr allgemein. Unter evolutionspsychologischer Sicht ist zu erwarten, dass das interne Probehandeln vor allem soziale Sachverhalte betrifft, in besonderem Mai3e solche, von denen man groBe Relevanz mit entscheidenden Einfliissen auf zukiinftige Statusveranderungen erwartet. Beispielhaft zu nennen sind Priifungen, offentliche Prasentationen, Treffen mit hochrangigen Personen oder moglichen Kooperations- und Sexualpartnem. Ganz zentral sind dabei Situationen, die negative Konsequenzen haben konnen. Da die Vorstellungen auch verbal (gleichgiiltig ob Schrift oder Sprache) und durch Abbildungen (statische oder bewegte) ausgelost werden konnen, kann man Literatur und Kunst als besondere Formen von Sozialitat und Gesellschaft betrachten. Man kann sie in ihrer kommunikativen Funktion als Probehandeln begreifen, die in historisch gewachsenen Formen (Gattungen und Stile) Realitat als ausgeblendete, virtuelle Moglichkeit beobachten, thematisieren und sozial konstruieren. Dabei gibt es kaum Grenzen. VerstoBe gegen die Schwerkraft {^Superman", Donner, USA 1978) der aus eigener Kraft fliegt) oder gegen die Hauptsatze der Thermodynamik werden ebenso hingenommen wie das Ignorieren biologischer Moglichkeiten (sprechende Tiere, schwangere Manner) oder sozialer Wahrscheinlichkeiten (jemand verschenkt eine Million Dollar), Reisen in die Vergangenheit oder in die Zukunft {.fieam me up, Scottie!''), das verletzungsfreie Uberstehen von Unfallen oder Verwundungen, das auBerst unwahrscheinliche Zusammentreffen verschiedener Umstande (jeniand fallt aus dem Fenster und in diesem Moment fahrt ein Heuwagen vorbei). Insofem haben mediale und fiktionale Darstellungen nichts - aber auch gar nichts - mit Realitat (zumindest in Bezug auf den aktuellen Forschungs- und Wissensstand) zu tun, wohl aber mit Referenzen zum Denken als Probehandlung. In der Evolution gab es offensichtlich alien Grund, derartige Vorstellungen als adaquate Anpassungen zu selektieren. Die Grenze zwischen unmoglichen, aber denkbaren und moglichen Plots ist durch den literarischen Begriff des Fantastischen gekennzeichnet. Die ,J^eise zum Mond"' war zu Jules Vemes Zeiten fantastisch, zu Wemher von Brauns jedoch nicht mehr. Die Bibel mit ihren Wundem gehort heute sicher ins Reich der Fantasie, hatte aber fur Menschen anderer Zeiten einen sehr realen Charakter. Fiir die Vorstellung nicht machbar sind hingegen VerstoBe gegen die Gesetze der Logik. Dass etwas ist und gleichzeitig und in gleicher Hinsicht nicht ist, ist schwer zu denken: Es ist taghell und dabei stockdunkel, eine gerade Kurve, ein schwarzer Schimmel. Weitere Ubemahmen des Denkens als Probehandeln lassen sich in den Mediendarstellungen finden: • Die Wiederholung eines Ereignisses aus derselben oder einer anderen Perspektive, • verlangsamte oder beschleunigte Darstellung, • das Verandem des Ausgangs und die Variation von Details. Dabei wird ein Happy End offenbar bevorzugt. Nur ein gliickliches und erfolgreiches Ende beendet ein mentales Testen. Ein nicht erfolgreiches Ende hat eher das Nachdenken (iber weitere Varianten zur Folge. • Der Austausch von Rollen. Die Parallel-Montage erweckt den Eindruck, dass zwei oder mehrere Handlungsstrange, nicht nur einen temporalen, sondem auch einen logisch-kausalen Zusammen-
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hang aufweisen. Der Betrachter bekommt eine allwissende Position, die nur einem Probehandeln entspringen kann. Fantasie ist die zugelassene Aufhebung des Zweifels und das Hingeben an die fantasierten Vorstellungen beim Probehandeln. Dieses kann stellvertretend von anderen Personen durchgefiihrt werden, denn die Fahigkeiten der sozialen Perspektiveniibemahme durch die Theory of Mind erlauben den Riickbezug auf das eigene Erleben. Die Aufgabe, Aktueiles, Vergangenes und Zukiinftiges, aber auch Unwahrscheinliches und Unmogliches auseinander zu halten, stellt sich beim Denken als Probehandeln weniger. Die Reflexivitat hat geradezu die Aufgabe, probeweise unterschiedliche Variationen durchzuspielen. Vergangene Ereignisse werden nicht nur erinnert, sondem auch gedanklich variiert, um aus den Fehlem optimalere Verhaltensoptionen for zukiinftige Ereignisse abzuleiten. Zukiinftige Ereignisse werden durchgespielt, um auf verschiedene Moglichkeiten vorbereitet zu sein und Handlungen bei Bedarf ohne erneute Uberlegungen ausfuhren zu konnen. Die Inhalte des Denkens als Probehandlung sind vorrangig bestimmt durch evolutionar bestimmte Inhalte: • Wie fmde und halte ich Geschlechtspartner? • Wie finde und halte ich Kooperationspartner? • Wie stelle ich mich positiv dar? • Wie werde ich Rivalen los? • Wie hiite ich mich vor Schaden? • Wie schiitze ich meine Lieben und meine Nachkommen? Die mentalen Vorstellungen far Medienwahmehmung lassen sich zusammenfassen: • Unsere Vorstellungen sind audio-visuell. • Menschen konnen die Vorstellungen von anderen ubemehmen. • Die Inhalte der Vorstellungen betreffen Probleme, vor die die Evolution den Menschen stellte. • Probleme, die gelost werden miissen, betreffen Bereiche, wo die Individuen iiber keine festen Reiz-Reaktions-Mechanismen verfiigen. Probehandlungen sind somit praventive Problemlosungsstrategien, Mediendarstellungen sind deren audio-visuelle Darstellung. Es sind deren Attrappen. Probehandlungen miissen nicht nur das eigene Verhalten betreffen. Sie gelten - in Verbindung mit der Theory of Mind - ebenso fur Handlungen und Vorstellungen von Anderen. Medienrezipienten versetzen sich in deren Welt und vollziehen deren Motive nach. Die Grenzen sind hier weit gesteckt: Selbst visualisierte Vorstellungen von Psychosen (,,Ekel" Poloanski UK 1965), Wahmehmungen unter Drogeneinfluss (,^asy Rider" Hopper, USA 1969) oder Traume und Albtraume {,JAulhollandDrive" Lynch, USA 2001) werden als Entwiirfe von Moglichkeit akzeptiert. Zeit und Montage Zeit ist ein Konstrukt des Gehims. Die kleinste Einheit, die vom Gehim unterschieden werden kann, betragt 30 Tausendstel Sekunden. Ereignisse, die schneller auftreten, werden als gleichzeitig erlebt. Erst ab dieser Frequenz kann eine klare Folge der Ereignisse angegeben werden. Das gilt - unter den genannten Bedingungen - far Sehen, Horen und Fiihlen. Das liegt daran, dass das Gehim in einem Takt von 30 Hz arbeitet.
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Das Erlebnis einer Folge setzt einen weiteren Mechanismus voraus. Das Erfassen eines Bildes dauert etwa drei Sekunden. Aufeinander folgende Ereignisse werden dann als Einheit wahrgenommen. Dieser Drei-Sekunden-Rhythmus gilt universell: SprechauBerungen werden danach ebenso wie die Wahmehmung von Sprache geghedert. Gleichformige Metronomschlage werden danach segmentiert. Die Dauer musikalischer Themen und die Lange von poetischen Zeilen entsprechen dem ebenso wie die durchschnittliche Blickfrequenz. Der gesamten Motorik, die einzelne Bewegungsablaufe koordiniert, liegt dieser Rhythmus ebenfalls zu Grunde. Die Wahmehmung ist nach diesem Muster eingeteih. Soviel zu den physiologischen Gmndlagen. In der Debatte um Zeit und Montage bei der Medienwahmehmung sind jedoch noch weitere Grundlagen der Zeiteinteilung zu diskutieren. In der poetischen Literatur gibt es den Erzahler, der iiber die Ereignisse berichtet. Man erfahrt, was er weiB. Er leitet durch die Geschichte. Metakommunikative Ausdriicke wie „er sagte", „sie antwortete" zeigen, dass es einen Ubermittler gibt. Das Tempus einer Erzahlung kann Vergangenes erinnem (der Zukunftsroman „1984'' von George Orwell, 1948 veroffentlicht, ist in der Vergangenheitsform geschrieben). Der Film ist immer in dem Sinn Gegenwart, dass man die Geschichte in dem Augenblick erlebt, in dem sie einem prasentiert wird. Riickblenden tauschen nicht daruber hinweg, denn diese vergegenwartigen Geschehenes. So gibt es im Film immer nur ein Jetzt, selbst wenn dieses Jetzt eine aktuelle Erinnemng an etwas Vergangenes ist. Die Unmittelbarkeit des Films in der Wahmehmung tauscht Gegenwart vor. Das visuelle System hat keine Vergangenheitsform. Uber die Bedeutung der kleinsten Zeiteinheit im Film, das Einzelbild, wurde schon im Zusammenhang mit den Prinzipien des Sehens diskutiert. Ein Einzelbild ist in der Projektion kaum wahmehmbar. Die nachstgroBere Einheit ist die Einstellung, die definiert ist durch die Zeitspanne der ununterbrochenen Aufhahme, also in der Regel von Schnitt zu Schnitt (andere Ubergange wie Uberblendungen oder mechanische Blenden werden an anderer Stelle besprochen). Dabei ist nicht das tatsachliche Ein- oder Abschalten der Kamera ausschlaggebend, sondem die Wirkung beim Zuschauer. Hitchcock hat 1948 in dem Film „Ein Cocktail fir eine Leiche" gezeigt, dass man diese Illusion so weit treiben kann, dass man den Eindmck hat, der Film sei in einer einzigen Einstellung aufgenommen, was Filmzeit und Realzeit gleichsetzt: Die Handlung beginnt um 19.30 Uhr und endet 105 Minuten spater. Die Sequenziemng, die Hitchcock in anderen Filmen so wichtig ist, wird durch die Bewegung der Kamera und die darauf abgestimmte Schauspielerfuhrung sowie die Dramaturgic der Dialoge erreicht. (Tmffaut 1973, 173f) Dieser Film ist eine Ausnahme. UbUch ist, dass Filme in Einstellungen sequenziert sind. Bei der Betrachtung der Einteilung sind drei Kategorien wichtig: die Dauer, der Ubergang zur folgenden Einstellung und der Wechsel des Betrachterstandpunktes. Im Film ist Zeit organisiert durch den Schnitt, also die Aneinanderreihung von einzelnen Einstellungen. Innerhalb einer Einstellung entspricht die Handlungszeit in der Regel der Erlebniszeit. Die Ausnahme bilden Zeitlupe und Zeitraffer. EinstellungsUbergdnge und die Organisation von Zeit Jedes Auge wird von sechs Muskeln bewegt, die die Pupille standig in Bewegung halten. Diese sind in der Regel nicht gleichmaBig, sondem eher mckartig. Wahrend der
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Blick, der einem sich bewegenden Objekt folgt, sich ruhig mitbewegt, springt der suchende Blick. Da der Bereich des scharfen Sehens auf einen engen Bereich eingegrenzt ist, muss die Fovea auf den Teil des Gesichtsfeldes gerichtet werden, der genauer betrachtet werden soil. Die Bewegung, die Auswahl der Blickpunkte und die Verweildauer auf einem Punkt werden beeinflusst durch die Einschatzung des Gehims, bleiben aber dem Bewusstsein weitgehend verborgen. (Gregory 1997, 44) Der Ubergang von einem Bild zum nachsten ist ebenfalls dem Bewusstsein verschlossen. Das Gehim schaltet den Schwenk zwischen den Bildem aus. Dies geschieht offenbar, um die Unscharfe des Ubergangs auszublenden. Aus dieser Betrachtung folgt, dass der harte Schnitt einer ganz natiirlichen Wahrnehmung entspricht, wahrend lange Einstellungen, besonders wenn sie keine Bewegung der Objekte zeigen, fur die visuelle Wahmehmung eher ungewohnlich sind und als langweilig empfunden werden konnen. Bei den Voraussetzungen zur visuellen Wahmehmung wurde ein Phanomen bereits erortert: In gefahrlichen Situationen wird die Frequenz des Blickwechsels erhoht. Es geht darum, die Umgebung abzuscannen und jegliche Bewegung und Veranderung zu bemerken. Dazu muss der Bereich scharfsten Sehens - die Fovea - auf alle Bereiche des Gesichtsfeldes gelenkt werden. Dabei bewegt das Auge die Fovea in kurzen, heftigen Sprungen (Saccaden) iiber das Gesichtsfeld. Das Gehim setzt diese Einzelteile zu einem als scharf wahrgenommenen Gesamtbild zusammen. 3-5 Fixationen pro Sekunde werden durch Saccaden unterbrochen, wobei diese Bewegungszeit selbst dem Bewusstsein nicht zuganglich. Diese Saccaden werden filmasthetisch imitiert durch den Filmschnitt. Schnelle Schnitte suggerieren schnelle Augenbewegungen. In Situationen, die als aktionsreich und dynamisch, als gefahrlich und uniibersichtlich interpretiert werden, steigt der Blickwechsel. Bei filmischen Umsetzungen steigt die Schnittfrequenz. Videoclips, die Musik darstellen, wollen Aktion und Dynamik zeigen, das wohl bekannteste Beispiel fur schnelle Schnittfolge im Zusammenhang mit Gefahr und Uniibersichtlichkeit ist sicher die Sequenz in der Dusche in Alfred Hitchcocks .J^sycho" (USA 1960), wo er nach eigenen Angaben (Tmffaut 1973, 269) fiir 45 Sekunden Film 70 Kamerapositionen benotigte. Schneller Schnitt und kurze Einstellungsdauer suggerieren damit Gefahr, Dynamik und Aktion. Die Fahigkeit des schnellen Blickwechsels lasst im Alter iibrigens nicht nach. Das Vomrteil, dass altere Menschen den schnell geschnittenen Musik-Videoclips visuell nicht folgen konnen, ist nicht zu belegen. Die altersbedingten Einfliisse liegen unterhalb der moglichen Schnittfrequenz. Die Abneigung kann sich auf das beziehen, was sie an Inhalten sehen und horen. Vielleicht mogen altere Menschen einfach Madonna nicht. Vielleicht versuchen sie auch nur, aus dem Gesehenen eine Story zu konstmieren, die es offensichtlich nicht gibt. Der Schnitt organisiert nicht nur den Wechsel der Sichtweise unterschiedlicher Betrachter und den Wechsel verschiedener Blicke eines Betrachters, sondem der Schnitt organisiert auch Zeit. Leere Zeit wird ausgelassen. Jemand steigt in einen Fahrstuhl. Die Tiir schlieBt. - Schnitt - Die Fahrstuhltiir offhet sich, die Person steigt aus. Die Zeit, in der sich der Fahrstuhl bewegt, wird ausgelassen. Bei einer Fahrt im Fahrstuhl ist bei entsprechendem Hintergmndwissen die zeitraffende Funktion des Schnittes fiir den aufmerksamen Betrachter noch zu rekonstmieren, bei einem Dialog im SchnittGegenschnitt-Wechsel ist jedoch ausgelassene Zeit nicht zu erkennen. Damit wird es
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fur den Betrachter in solchen Situationen unmoglich, einen Unterschied zwischen Realzeit und Filmzeit festzustellen. Der Film gibt durch den Schnitt nicht nur Tempo und Rhythmus vor, sondem auch die Bedeutung von Sachverhalten. Zeitwahrnehmung undMedien Film und Femsehen sind Phanomene in der Zeit und dies in doppelter Weise. Zum einen wird ein gegenwartiges (Live) oder vergangenes Ereignis prasentiert, zum anderen wild innerhalb einer Ubertragungszeit organisiert. Bei Live-Ubertragungen scheint das Verhaltnis von Real-Zeit und Rezeptionszeit identisch, wenn man die Ubertragungszeit (im Idealfall Lichtgeschwindigkeit) vernachlassigt. Spannung bezieht man aus dem prinzipiellen Nichtwissen des Ausgangs. Vor allem Sport- und Nachrichten-Sendungen nutzen dieses Konzept. Dabeigewesene haben einen Wissensvorsprung. Bisweilen werden Sendungen so gestaltet, dass sie den Effekt von Direktiibertragungen haben. Talkshows oder Quiz-Sendungen etwa. Doch in aller Regel werden sie als Live-to-Tape aufgezeichnet. Live-Sendungen markieren Bedeutsames. Die Aussage „wir schalten nun live zu ..." signalisiert einen Ort, an dem etwas Ungewohnliches geschieht, etwas, das viele so sehr betrifft, dass die Ubermittlung der Nachricht dringend geboten scheint. Die Einblendung „Live" in einer Ecke des Bildschirmes macht dies asthetisch deutlich. Eine Unterbrechung des regularen Programms oder die Ankiindigung einer Sondersendung macht den Krisencharakter eines Ereignisses deutlich. (vgl. Torres 1998, 142f) Der Effekt des Horspiels ,,War of the Worlds'' von Orson Welles basierte auf der missbrauchlichen Ausnutzung von Live-Elementen in einem fiktionalen Kontext. Femsehen ist grundsatzlich ein Live-Medium, da Informationen zeitbasiert gesendet und empfangen werden. Der Zuschauer hat keinen Einfluss auf den Zeitablauf, es gibt keine Moglichkeit, zuriickzudrehen, keine Moglichkeit vorwarts zu spulen. In dieser Hinsicht ist Femsehen immer Gegenwart. Dagegen sind Film und Video Aufzeichnungsmedien, die einen Eingriff in die Darbietung zumindest potenziell zulassen. Die zweite Art des Zeitumgangs betrifft das Setting. Vergangene oder zukiinftige Ereignisse konnen fiktional umgesetzt sein. Dabei werden durch Requisite und Ausstattung andere Zeiten vergegenwartigt. Die Historienfilme der 1950er sagen oft mehr iiber die Damenmode der Zeit, in der sie entstanden sind, als iiber historisch verbiirgte Sachverhalte. Die Fahigkeit, eine Geschichte zu erzahlen, kann erst entwickelt werden, wenn ein Zeitbegriff entwickelt ist. Dies ist nach Piagets Experimenten bei Kindem erst in einem Alter von etwa elf Jahren moglich. (Piaget 1955, 349) Aus der zeitlichen Differenziemng und der Chronologic entsteht eine kausale. Aus den Erfahmngen mit kausalen Verbindungen entstehen Erwartungen und Assoziationen. Francois Truffaut und Alfi-ed Hitchcock unterhielten sich iiber Zeit im Film: „Tmffaut: AuBerdem verlangt Ihr Stil und die Erfordemisse des Suspense ein standiges Spiel mit der Dauer, die manchmal zusammengezogen und ofter noch ausgedehnt wird, weshalb es fiir Sie etwas anderes ist, ein Buch zu verfilmen, als fiir die meisten anderen Regisseure." (Tmffaut 1973, 6Iff) Hitchcock reagiert verwundert: „Schon. Aber die Zeit zusammenzuziehen oder zu dehnen, ist das nicht die Aufgabe jedes Regisseurs? Sie sind doch nicht auch der Meinung, dass die Zeit im Film nie etwas zu tun haben sollte mit der realen Zeit?", und Tmffaut erganzt: „Ganz bestimmt, das ist etwas ganz Entscheidendes. Das entdeckt man erst, wenn man seinen ersten Film dreht.
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Schnelle Handlungen zum Beispiel miissen gedrosselt, gedehnt werden, sonst begreift sie der Zuschauer nicht. Man braucht wirklich Berufserfahrung und Konnen, um das richtig zu kontroUieren." Filmisch bezeichnet erlebte und erinnerte Zeit innerhalb einer Handlungseinheit den Unterschied zwischen Szene und Sequenz. Die Szene ist eine zeitlich ununterbrochene Folge von Einstellungen. Eine Sequenz ist eine Folge von Einstellungen, die Abschnitte auslasst. Diese Auslassungen sind nicht unbedingt fur den Betachter erkenntlich. Wenn die Kamera zwischen zwei Einstellungen die Position wechselt, sind Aussagen iiber die dazwischen verstrichene Zeit kaum moglich. Nur wenn angefangene Bewegungen weitergefuhrt werden, scheint ein kontinuierlicher Zeitablauf vorzuliegen. Lediglich der Jump Cut ist ein eindeutiges Indiz fur herausgeschnittene Zeit. Aus einer kontinuierlichen Aufhahme sind Teile herausgeschnitten. Die Anschliisse weisen dieselbe Kameraposition auf, die Objekte haben ihre Raumposition verandert. Die WeiBblende zwischen kontinuierlichen Aufhahmen ist eine Kaschierung des Jump Cut. Zwischen den Schnitten wird kurz bis zur Uberbelichtung aufgeblendet, um anschlieBend wieder zur vorhergehenden Beleuchtungsintensitat zuriickzukommen. Mittlerweile wird dieses Mittel haufiger in Interviews eingesetzt, in denen Teile der Aussagen ausgelassen werden. Einerseits ist die Auslassung bewusst, andererseits wird sie durch eine einen Zeitsprung andeutende Blende gemildert. Trickblenden unterstiitzen die Wahmehmung der kontinuierlichen, nicht unterbrochenen Zeit. Wisch-, Klapp-, Schiebe- oder sonstige Blenden (fhiher durch Aufsatze in der Kamera erzeugt, heute meist elektronisch in der Montage) legen die Betonung auf den Ubergang. Ihr Einsatz betont die Gleichzeitigkeit der Ereignisse. Um die Synchronitat von Handlungen, die an verschiedenen Orten stattfmden, deutlich zu machen, gibt es neben der parallelen Montage das Verfahren des Split Screen. Hier wird die Wischblende eingesetzt. Telefongesprache wie in .fiettgefluster" (Gordon, USA 1959) eignen sich in besonderem Mafie. Ist die Trickblende mit einem Jump Cut verbunden - also eine Blende unterbricht eine unveranderte Einstellung - wird eine Zeitraffung betont, die aber das Objekt nicht aus dem Auge lasst. Vorher-Nachher-Effekte konnen so visualisiert werden. Der iJberblendung von einer Einstellung zur nachsten entspricht keine natiirliche visuelle Wahmehmung. Nur in der Vorstellung gibt es fliefiende Ubergange. Zu Organisation der Zeit gelten die gleichen Kriterien wie bei den Blenden. Sonderformen der Uberblendungen sind Abblende und Aufblende. Der Zuschauer verlasst eine Handlung, die weitergeht, beziehungsweise er steigt in eine Handlung ein, die vor dem Dazukommen begonnen hat. Die Montage ist keine Erfmdung des Films. Auch in miindlichen und schriftlichen Geschichten und Berichten wird Zeit ausgelassen, Zeit geraffl, Zeit gedehnt. Das Besondere ist, dass anscheinend die Wahmehmung getauscht wird. Die Tauschung ist jedoch nur dann verwunderlich, wenn man Film als visuelle und akustische Wahmehmung und nicht als Projektion der Imagination versteht. Die Filmpioniere und die ersten Filmtheoretiker hatten damit noch ihre Schwierigkeiten und ihre Verwunderung war groB: „Im Jahre 1920 drehte L. W. Kuleschow als Experiment folgende Szene: 1. Ein junger Mann kommt von links nach rechts. 2. Eine junge Frau kommt von rechts und geht nach links. 3. Sie treffen sich und driicken einander die Hand. 4. Ein groBes weiBes Gebaude, zu dem breite Stufen hinauffuhren, wird gezeigt. 5. Die beiden gehen die Treppe hinauf. Die Stiicke, einzeln aufgenom-
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men, wurden in der angegebenen Reihenfolge zusammengefugt und projiziert. Der Zuschauer empfand die Szene als imxinterbrochene Handlimg; die Begegnung zweier junger Leute, eine Einladung in das nahe Haus und das Eintreten der beiden. Jedes einzelne Stuck war jedoch an einem anderen Ort aufgenommen worden, der junge Mann in der City, die Frau im Westen der Stadt, die BegriiBung nicht weit vom BolschoiTheater; das weiBe Haus war aus einem amerikanischen Film (es war tatsachlich das WeiBe Haus), und die Stufen waren die vor der St. Saviours Kathedrale. Was war das Ergebnis? Obwohl die Aufnahmen an ganz verschiedenen Orten gemacht wurden, sah der Zuschauer die Szene als Einheit. Die Teile wirklichen Raumes, die die Kamera herausgegriffen hatte, erschienen auf der Leinwand gewissermaBen konzentriert. Das Ergebnis war, was Kuleschow ,sch6pferische Geografie' nannte." (Pudowkin 1961, 94f) Pudowkin erkannte, dass das eigentliche Rohmaterial des Filmes nicht die aufgenommene Szene ist, sondem die Anordnung der Szenen. „Fur Pudovkin war die Montage die Methode, die die psychologische Fiihrung des Zuschauers kontrolliert. In dieser Hinsicht war seine Theorie ganz und gar der expressionistischen Tradition verbunden, das heiBt er war hauptsachlich damit beschaftigt, welchen Eindruck der Filmemacher beim Zuschauer machen kann. Er unterschied fiinf voneinander getrennte, unterschiedliche Arten von Montage: Kontrast, Parallelitat, Symbolismus, Gleichzeitigkeit und Leitmotiv." (Monaco, 1995, 417) Der Semiologe Christian Metz hat seine Theorie der Montage konsequenter und systematischer entwickelt. (Metz 1972, besonders: „Uber die groBen Syntagmen des Films", 165-198) Er zerlegt den Film in so genannte Syntagmen und beschreibt deren Zusammenhang. Gemeinsam ist alien iJbergangen, dass sie die einzelnen Inhalte zueinander in Beziehungen setzen. Bei der Montage geben Zuschauer den Zusammenhangen und den damit wahmehmbaren Eindriicken Bedeutung. Der Zusammenhang der Einstellungen wird erreicht durch den gleichen Ort (Dingkonstanz), fortlaufende Bewegung (Bewegungskonstanz) und durch iibergreifendes akustisches Ereignis (Gerausch, Dialog, Kommentar, Musik). Das Beachtenswerte ist nicht das zusammenhangende Erleben der Einzelaufhahmen, untersuchenswert ist das Erlebnis des Wechsels. Der Zeitsprung ist somit kein Problem, da Zeit nicht nur mit Erleben zu tun hat, sondem mit Erinnerung und Imagination. Es gibt keinen kontinuierlichen Fluss der Zeit. Zeit ist subjektive Wahmehmung. Es gibt eine Textsorte, die auf eigene Weise mit der Organisation der Zeit umgeht. Comics frieren Momente ein. Das Besondere an der Rezeption ist nicht das Dekodieren der Bilder, sondem das Fiillen der Zeit zwischen den Bildem. Bewegungen miissen nicht am Anfang gezeigt werden, sondem werden meist mitten in der Verlaufsdynamik gezeigt. Wer mit einem Revolver schieBt, muss ihn zuvor Ziehen. Das Ende einer Bewegung lasst sich haufig vorhersagen, es sei denn, sie nimmt eine iiberraschende Wendung, doch das wird im Folgebild geklart, Bilder zeigen nicht unbedingt den Hohepunkt, sondem den Mittelpunkt der Bewegung. Bewegungslinien sind ein asthetisches Mittel, das Comics dafur entwickelt haben. Die zeitliche Ordnung in Vergangenes, Gegenwartiges und Zukiinftiges hat mit der Strukturierung zu tun. Durch angeborene Auslosemechanismen und mit zunehmender Erfahmng erwartet man das Eintreffen von Ereignissen. Aus dem zeitlichen „Erst dann" wird das logische „Wenn - dann". Fiktion spielt mit diesem Phanomen. Spannung. Suspense und retardierende Momente erfiillen die Erwartung nicht. Erst wenn
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alle aufgeworfenen Konflikte aufgelost sind, lost sich das Unbehagen und man akzeptiert das Ende. Soap Operas enden mit dem Konflikt, um den Zuschauer fur die nachste Folge zu interessieren. Der Begriff „Cliffhanger" beschreibt dieses spezifische Spannungsmoment anschaulich. Zeitlupe Ein bislang kaum analysiertesfilmasthetischesMittel ist die Zeitlupe. Nur Bruchstucke seiner Geschichte und seines Einsatzes in Dokumentation und Fiktion sind betrachtet, eine umfassende systematische Auseinandersetzung steht aus, wenn auch wesentliche Ansatze vorliegen (Becker 2004). Naturfilmer in den 20er Jahren nutzen die Zeitlupenkameras nicht nur fur die Wochenschauen im Rahmen so genannter Kulturfilme, sondem das Material zu wissenschaftlichen Zwecken konnte didaktisch in Lehrfilmen eingesetzt werden. Die Gegenstande des Interesses sind vielfaltig. Uberall, wo die Geschwindigkeit des Geschehens das Tempo der Wahmehmung (ibertrifft, finden Apparaturen Anwendung, die Ereignisse dem visuellen Sinn zuganglich zu machen: In der technisch-physikalischen, aber auch in der belebten Natur bis zur HumanPhysiologie gibt es rasend schnelle Vorgange, deren Ablauf dem menschlichen Auge verborgen bleibt. Heutzutage wird das Verfahren der Zeitlupen-Beobachtung geme beim Sport eingesetzt. Wenn es um lOtel, lOOstel oder gar lOOOstel geht, miissen die Ablaufe erkannt und optimiert werden konnen. Nicht nur unter wissenschaftlichem Interesse, auch unter sozialem muss man bisweilen genauer hinschauen, damit man feststellen kann, was passiert: Ein Auto fahrt vorbei - in Zeitlupe - Blitzlicht-Gewitter, im Auto eine prominente Person. Hier nutzt man die Verlangsamung, da die Vorbeifahrt zu schnell ware, als dass man im Innem jemand erkennen konnte. Es ist der Paparazzi-Blick, der einen Augenblick dokumentieren mochte. Im Auto sitzt jemand, dessen Anwesenheit hier und jetzt festgehalten wird: Eine prominente Person in ungewohnlicher Begleitung oder ein verdachtigter Krimineller auf der Fahrt zum Gericht. Leni Riefenstahl schafft mit ihrem 2-Teiler ,J^est der Volker'' (D, 1936) und ,J^est der Schonheif' (D, 1938) iiber die Olympischen Spiele 1936 das erste Beispiel einer konsequenten Abwendung vom Einsatz der Zeitlupe als dokumentarisches Zeugnis hin zum asthetischen Genuss und zur Asthetisierung der Bewegung. Es geht ihr nicht um die sportliche Leistung und auch nicht um das Festhalten des Ruhmes der Sieger. Sie konzentriert sich in weiten Passagen auf die Dynamik der Bewegung. Exemplarisch dafiir ist die Sequenz der Turmspringer, die in wesentlichen Teilen und zum Ende und Hohepunkt der Sequenz nur noch in Zeitlupe gedreht ist. Die Filmbesucher blicken nach oben gegen einen Himmel mit scharf umrissenen Wolken, aufgenommen mit Orange-Filter, was das Blau des Himmels dunkel und die Springer nur noch als Schattenrisse sichtbar werden lasst. Die letztgenannten Einstellungen sind zusammen montiert, ohne dass das Eintauchen des Springers dargestellt ist. Damit segeln oder schweben sie. Die Gravitat scheint aufgehoben. Dabei kommt es nicht mehr auf den individuellen Sportier an, sondem nur noch auf die archetypisch perfekte Bewegung. Immerhin lasst Riefenstahl im Prolog des Filmes die Menschen aus Skulpturen entstehen und diese werden zum Leben erweckt. Zwar wurde schon aufgefiihrt, dass heutige Sportsendungen die Zeitlupe als dokumentarisches Beweismittel einsetzen, aber ihre Funktion und ihr Einsatz sind damit
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nicht erschopft. Es geht nicht nur um die Frage, ob der Ball iiber der Linie war oder nicht, denn dies ist in den meisten Fallen recht eindeutig, sondem um das Auskosten dieses Momentes. In vielen Sportarten gibt es diese entscheidenden Momente. Diese gilt es zu dehnen: am einfachsten durch eine Wiederholung des Ereignisses, aufwandiger durch den Einsatz von Zeitlupen. Diese Dehnung kann mental durch unterschiedliche Inhalte gefullt sein: Den Moment zu genieBen, sich der Asthetik zu erfreuen oder zu leiden und genau zu schauen, wie das Ereignis hatte verhindert werden konnen, wo der Fehler im Ablauf war. Die Welt als konsequent asthetisches Ereignis sieht der Film ,JCoyaanisqatsi"' (Reggio, USA 1983). Zeitlupe und Zeitraffer bringen Ereignisse in einen parallelen Bewegungsrhythmus, die diese groBartig und erhaben erscheinen lassen: Wellen und Wolken, Menschenmassen der Zeit enthoben, mal durch die Raffling und mal durch die Dehnung der Real-Zeit. Der Schritt von der Dokumentation zur Fiktion war fur Walter Benjamin nicht groB. Er erkennt im Film die „Durchdringung von Kunst und Wissenschaft" (Benjamin 1980, 499). Schon allein durch die Moglichkeit der Ton- und Bildaufzeichnung eroffnet der Film die Wahmehmungsmoglichkeit unter verschiedenen Gesichtspunkten. GroBaufhahme, die den detailreichen Einblick erlaubt, und Zeitlupe stehen fiir den analytischen Blick, durch den man vom „Optisch-Unbewussten" erfahrt (Benjamin 1980, 500). Benjamin bezieht sich dabei auf Rudolf Amheim, der iiber die Zeitlupe schreibt, dass „man da Effekte erreichen konne, wo der Zuschauer gar nicht das Gefuhl hatte, dass es sich um Verlangsamungen von Bewegungen objektiv ganz anderen Charakters handelte, sondem sie als ,Originalbewegung' ansahe." (Amheim 2002, 119) Er nennt an gleicher Stelle auch Beispiele fiir die Nutzung der Technik im Fiktionalen: „Und wieder war Pudowkin der erste. Nach einem Zeitungsbericht benutzt er in seinem neuen Film ,Die Welt ist schon' die Zeitlupe, um z.B. das Lacheln eines Kindes sich langsam in GroBaufhahme entwickeln zu lassen!" und fiigt ein weites Beispiel hinzu: „In der ,Entreact\ einem surrealistischen Film, sieht man einen Leichenwagen, der vor dem Trauergefolge davonlauft. Der Wagen tobt die StraBe entlang, und die Trauemden laufen in Zeitlupe hinterher: ganz langsam heben sie die Beine vom Boden, als klebten sie daran, langsam bewegen sich die Kopfe, und die Arme pendeln mit einer grausamen Seelenmhe vorwarts und riickwarts. Auch hier hat der bezwingend komische Effekt zur Voraussetzung, dass man nicht die Verlangsamung eines normalen Laufens sondem eine stilisierende Persiflage menschlichen Laufens zu sehen glaubt." (Amheim 2002, 119) Ging es beim dokumentarischen Einsatz der Zeitlupe um die Erweitemng der sinnlichen Moglichkeiten, geht es bei der Anwendung dieser Technik im Spielfilm um ganzlich andere Funktionen. Hierzu sind zunachst wieder sinnliche und mentale Bedingungen zu erlautem. Fast jeder kennt das Phanomen, dass beim Gefiihl der Langeweile die Zeit nicht zu vergehen scheint. Eintonige Arbeiten oder gar Nichtstun hinterlassen aber keine Spuren im Gedachtnis. Wenn man sich an langweilige Ereignisse erinnert, sind diese nur als Moment reprasentiert. Anders bei aufi"egenden, erlebnisreichen, emotional bedeutsamen Begebenheiten. Die Zeit fliegt dahin. Spater, in der Erinnemng sind diese jedoch intensiv und mit vielen Details prasent. Dies hat damit zu tun, dass das Gedachtnis nicht Zeit speichert, sondem Episoden. Wenn diese emotional aufgeladen sind, haben sie Bedeutung und es ist sinnvoll, diese in der Erinnemng prasent zu halten. Kurz gesagt dehnt Bedeutung die Zeit. Im Film geschieht das Umge-
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kehrte: Etwas das sich hinzieht - besonders in Zeitlupe - ist ein Anzeichen von Bedeutsamem. Damit wird Zeitdehnung ein narratives Symbol fur Belang. Ein schones Beispiel findet sich in ,J)as Wunder von Bern'' (Wortmann, D 2003) Nach einem Gesprach mit dem Pfarrer kommt Vater Lubanski auf dem Weg nach Hause am Bolzplatz der Kinder vorbei. Er nimmt den liegen gelassenen Ball auf und kickt selbstvergessen, halt ihn iiber dem Boden, bis er ihn kerzengerade in die Luft schiefit. Nun setzt Lubanski zum Fallriickzieher an, den er gekonnt - die Kamera genieBt den Augenblick in Zeitlupe - ausfuhrt. Diese Zeitlupe ist nicht nur eine Erinnerung an das technische Hilfsmittel in der FuBballberichterstattung, denn immerhin kullert der Ball ins Tor, sondem auch eine metaphorische Erhohung dieses Wendepunktes im Film. Hatte der Vater bis dahin ein problematisches Verhaltnis zu seiner Frau und seinen Kindem, ist er von nun an offener und verstandnisvoller. Seine seelische Verhartung durch Krieg und Gefangenschaft losen sich. Nicht zu vergessen, dass der Fallriickzieher an sich eine radikale und nicht ganz gefahrlose Drehung darstellt und symbolisch fur die Wendung und Lauterung des Vaters steht. Die Sequenz verweist auf seine eigene Jugend. Wenn es ihm gelingt trotz Krieg und Gefangenschaft, die im Film bis 1954 geht, so leichtfuBig und behand mit dem Ball umzugehen, muss er sich diese Sicherheit zuvor angeeignet haben. Der Fallriickzieher ist eine Erinnerung, dass auch er einmal von dieser Sportart begeistert gewesen sein muss. Mit der Riickbesinnung erlemt er das Verstandnis fiir seine Familie. Eine mentale Bedingung andert die menschliche Zeitwahmehmung. Es wird immer wieder davon berichtet, dass sich fiir Menschen wahrend eines Unfalls die Zeit dehnt. Sie berichten, dass es ihnen vorkam, als hatten sie alles unter Kontrolle, als konnten sie wissen, was als nachstes passiert und sich darauf vorbereiten. Eine mogliche Erklarung ware, dass das Verlangsamen der Zeit durch Adrenalin verursacht wird, um einen Fall besser zu kontrollieren. Die Flut von zeitlich gedrangten, aber kontrollierten Eindriicken kommt haufig in lebensbedrohlichen oder todesnahen Momenten vor. Aber auch Leistungssportler berichten von diesen Gefiihlen hochster Bewusstheit. Sie empfmden vollstandige Kontrolle und scheinen zu wissen, was als nachstes zu tun ist. Die Geschwindigkeit der Wahmehmung ist erhoht, um mehr Kontrolle iiber Handeln und Entscheiden zu erhalten. Im Film finden sich eine Reihe von Beispielen, die den Einsatz von Zeitlupe als eine intensive und veranderte Zeitwahmehmung unter besonderen Bedingungen beschreibt. Immer wieder sind es Nahtod-Erlebnisse oder Szenen des Todes. ,,Spiel mir das Lied vom Tod'' (Sergio Leone, I 1968) zahlt sicher zu den bedeutendsten Werken der Filmgeschichte. Im Kontext der Zeitlupe ist eine FlashbackSzene wichtig, die den Helden der Geschichte in seiner Kindheit zeigt und die Motivation fiir alle seine Empfindungen und sein Handeln deutlich machen: Der Junge steht mit schwachen Beinen in der Sonne - eine Mundharmonika in dem Mund gepresst und den Vater auf seinen Schultem. Dieser hat eine Schlinge um den Hals, die um einen gemauerten Torbogen geschlungen ist. Die Bosewichte schauen zu - einer von ihnen beiBt in einen Apfel - und warten bis der Junge geschwacht in den Sand fallt. Dieser Moment ist gedehnt. Die Kamera zeigt ihn in Nahaufhahme und verdoppelt das Hinfallen noch einmal, als die Mundharmonika in den Staub sinkt. Uberlegungen zu dem filmasthetischen Mittel der Zeitlupe ohne auf den Film ,Matrix" (Wachowski, USA 1999) einzugehen, greifen zu kurz. An zentraler Stelle gibt es eine einzigartige Form nicht nur der Zeitverlangsamung, sondem nahezu des Zeitstill-
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standes. Mittlerweile hat dieses Verfahren den Copyright-geschiitzen Begriff der „Bullit time". Wie es der Ausdruck erwarten lasst, verfolgt der Betrachter den Plug einer Kugel. Doch nicht nur das. Wahrend sich der Protagonist hinwirft, um den Kugeln zu entgehen, dreht sich die Kamera voile 360° um ihn herum. Die PiiBe am Boden, den Oberkorper aber schon horizontal, rudert Neo mit den Armen, um das Gleichgewicht beim Pall zu halten. Wahrenddessen schweben die Kinobesucher als Betrachter durch die Plugbahnen der Geschosse. Die Zeit steht so still, dass sogar Zeit bleibt, uns im Raum zu bewegen. Wir sind dermaBen auBerhalb des sinnlich wahmehmbaren Ablaufs, dass ein Spaziergang in der Einstellung erlaubt ist. Normalerweise erfordert bereits eine 360°-Kamerafahrt einen immensen Aufwand, da das Licht von alien Seiten gleich gesetzt sein muss, wobei die Lichtquellen wahrend der Kamerafahrt nicht sichtbar werden darf. Das gleiche gih fur die Crew, die sich mit der Kamera durch die Kulisse bewegen muss. Diese Szene ist irreal und doch seltsam vertraut. Sie erregt in der Imagination keinen Widerstand. SchlieBlich - und das erganzt die bislang genannten Veranderungen der Zeitwahmehmung um interessante Aspekte - ist sowohl unter Drogen als auch im Traum die Wahmehmung und das Erleben von den Gesetzen der Thermodynamik und der Schwerkraft gelost. LSD hat eine ahnliche chemische Struktur wie der Himbotenstoff Serotonin und kann an den meisten Serotoninrezeptoren andocken. Wahrscheinlich fuhrt die Verbindung mit den Rezeptoren zu einer Reizintensivierung, so dass Sinnesreize nicht mehr adaquat verarbeitet und interpretiert werden konnen. Halluzinogene, unter ihnen LSD, Meskalin, Psilocybin und Koffein fuhren zu einer Uberschatzung von Zeitstrecken. Die Steigerung der Intensitat des Wahrgenommenen geht vermutlich auf die durch LSD beeinflussten Wahmehmungsfilter des Himstammes zuriick. Diese mit Neuronen in Verbindung stehenden Pilter verlieren ihre Wirkung, wenn sie durch LSD beeinflusst werden. Serotonin hemmt normalerweise die Prequenz der durchlaufenden Reize. Der Botenstoff ist auch beteiligt am Schlaf. Ist Serotonin reduziert, schlafen Versuchstiere nur noch kurz und unruhig und die REM-Schlafphase, in der Menschen wie alle Saugetiere normalerweise traumen, kommt nicht mehr vor. Auch Cannabis hat Auswirkungen auf die Zeitwahmehmung. Bei der Einnahme erlebt man eine subjektiv verlangsamte Zeit im Sinne einer Zeitdehnung und einer Beschleunigung der inneren Uhr. Das veranderte Zeitempfmden ermoglicht zeitweise einen gesteigerten Einblick in die „Zwischenraume der Tone". (Pachner 2001, 2002). Eine Veranderung der Wahmehmung zeigt im Traum ahnliche Stmkturen wie unter Drogeneinfluss. In beiden Pallen erlebt man auch in ansonsten gefahrlichen Situationen das Gefuhl von Sicherheit und KontroUe. Zeit und Schwerkraft unterliegen nicht den Erwartungen der realen Erfahrung. Mit dem Traimihaften der Zeitlupe eroffhen sich die Interpretationsmoglichkeiten der Psychoanalyse, deren Traumdeutung im Zentrum der Theorie steht. Selbst der stark verlangsamten Darstellung eines Pouls beim Sport haftet etwas Traumhaftes an. Die harten Effekte der Verletzung werden nicht als leidvoll vermittelt, sondem als schwerelose Momente, in denen zwar die Gefahr prasent ist, aber der Schmerz fehlt. Ebenso sind literaturwissenschaftliche Zugange angemessen, denn die Zeitlupe eroffiiet eine lyrische Dimension, die den Betrachter aus dem Normalen herausnimmt. Sie wird als anmutige graziose Bewegung eines Balletts empftinden, das im Moment
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der hochsten Dramatik schwelgt. Wenn etwas Anmutiges geschieht, dann muss es von Bedeutung sein. Das ist eine der narrativen Funktionen der Zeitlupe. Bislang wurde die Zeitlupe als ein Verfahren betrachtet, das bewusst ist wahrend des Betrachtens. Es nimmt aus dem normalen Fluss der Zeit heraus und deckt Sichtweisen auf, die ohne die Verlangsamung nicht zu erleben waren. Diese konnen wissenschaftlich begriindet sein oder im Rahmen einer Geschichte asthetisch Bedeutungsebenen offiien. Der Blick und das Bewusstsein werden auf das Ungewohnliche gelenkt. Doch es gibt auch eine Anwendung der Zeitlupe, die dem Betrachter verborgen bleiben soil. Es geht um die Anwendung als Spezialeffekt, der etwas vormacht. Dass der Trick funktioniert, hat wiederum mit einer mentalen Anlage zu tun, namlich mit der Fahigkeit des visuellen Systems, die Welt als dreidimensionale Konstruktion zu reprasentieren. Dass Menschen die Welt raumlich wahmehmen, wird im wesentlichen im Gehim erzeugt. Die stereoskopische Wahmehmung des Augenpaares funktioniert nur auf eine Entfemung von etwa sechs Metem. Bei Distanzen dariiber hinaus spielt der Abgleich der unterschiedlichen Bilder, die von den Augen ins Gehim geleitet werden, keine Rolle mehr. Mit Hilfe einer Reihe von GesetzmaBigkeiten wird die Tiefe des Raumes konstruiert: Parallele Linien scheinen zum Horizont hin aufeinander zuzulaufen. Legt man zwei Strecken (a nahe dem Betrachter und b vom Betrachter entfemt) im rechten Winkel zwischen die Parallelen, so scheint a langer als b zu sein. Wenn sich Objekte auf den Strecken a und b parallel bewegen, scheint die Geschwindigkeit auf der Strecke a groBer zu sein, denn hier muss das Objekt in derselben Zeit eine groBere Distanz iiberwinden. Wenn man nun ein verkleinertes Objekt auf der Strecke a auf Film aufiiimmt und in Zeitlupe abspielt, scheint es ein groBes Objekt auf der Strecke b zu sein. Mit verkleinerten Objekten wird im Film oftmals gearbeitet, vor allem dann, wenn der Bau der groBen aufwandig oder technisch schwierig oder gar gefahrlich ware. Ein Schiff im Sturm fmdet immer wieder diese Darstellungsweise. Das verkleinerte Modell wird in einem Wassertank kiinstlichen Wellen ausgesetzt. Die Zeitlupe lasst die Wellen langsamer schwappen, was sie groBer wirken lasst. Zuschauer haben zudem eine Vorstellung von der GroBe des Schiffes, denn sie wissen wie groB Schiffe normalerweise sind. Durch den Schnitt auf Details im Boot wird die Illusion verstarkt. In vielen Fallen kann man den Effekt beobachten: Abenteuer- („Robinson Crusoe'' Miller, USA 1997) oder Marinefilme {,J)ie Caine war ihr Schicksar Dmytryk, USA 1954). Doch der Trick ist zu erkennen: Wasser perlt nur in kleinen Tropfen und so manche gefahrliche Riesenwelle im Film hat bisweilen gigantischgroBe runde Formen. Geschwindigkeit, GroBe und Distanz stehen unter Beriicksichtigung der Wahmehmung also in einem fixen Verhaltnis: Je weiter ein Objekt entfemt ist, desto kleiner ist es und je kleiner ein Objekt ist, desto langsamer bewegt es sich; je langsamer sich ein Objekt bewegt, desto weiter ist es weg. Dies machen sich visuelle Medien zu Nutze und tauschen den Sehsinn im Sinne eines Attrappen-Experiments. Wahrnehmung und Emotion Wesentlich fiir die Interpretation unterschiedlicher Wahmehmungen ist die mentale Verarbeitung der Eindriicke. Die aus der Umwelt aufgenommenen Informationen andem sich mit dem Stimmungszustand. Die Sichtweise wechselt je nachdem, ob man hungrig ist, Kalte oder Hitze empfindet, nach Kooperations- oder Sexualpartnem Ausschau halt. Gerausche andem ihre Wirkung je nachdem, ob es dunkel oder hell ist, ob
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man alleine ist oder nicht. Die physische Welt ist wertfrei, aber nicht die Okologie. Diese bietet Schutz oder prasentiert Gefahr. Die interessegeleitete Wahmehmung schlieBt die Interpretation der Umweh ein. Den Dingen der Welt Bedeutung zu geben, ist ein Akt des Gehims. Nach Gibson sieht man nicht nur mit den Augen, sondem mit den „Augen-im-Kopf-am-K6rper-mit-den-Fui3en-auf-dem-Boden" (Gibson 1979, 205). Kognition basiert auf Erfahrungen und Veranlagungen, mentale Reprasentationen speichem nicht nur den Gegenstand, sondem auch dessen Umgang, bisherige Erfahrungen und zukiinftige Erwartungen. Dinge und deren Reprasentationen konnen sehr wohl ihre Bedeutung verandem und je nach Kontext variieren. Verwechslungen basieren auf dieser oft mehrdeutigen Form der Abspeicherung. Die Emotion bei der Wahrnehmung ist die notwendige Zugabe zur Interpretation der Welt. Emotionen sind in dieser Hinsicht Instrumente zur Begutachtung und Bewertung von Eindriicken. Neue Erfahrungen werden verglichen mit bereits gemachten, Ahnlichkeiten werden erkannt und Versuche untemommen, das Neue dem Altbekannten zuzuordnen. Der Symbolismus der Mythen und der Kunst nutzt diese Funktionsweise des Gehims. Die westliche Kultur versteht seit den Griechen unter dem Denken einen Prozess des vor- und umsichtigen, rationalen, ordnenden Vorgangs, der Altemativen testet, logische Argumente kalkuliert, um irgendwie etwas zu fmden, was man Wahrheit nennt. Eine Bedingung dafur ist der Umgang mit Symbolen und Sprache. Neuropsychologen betrachten Denken als einen Vorgang, der mentale Reprasentationen verarbeitet, Wahmehmungen interpretiert und Informationen speichert und transformiert. Wahrnehmungen zum Beispiel werden zu Reprasentationen im Gehim, die als gespeichertes Wissen fiir neue Kombinationen oder fiir Handlungsentscheidungen verfiigbar sind. Nonverbale Verarbeitungen sind Teil der Vorgange. Ein Beispiel fur die Interpretation ist die Wahmehmung von zweidimensionalen Bildem und die Konstmktion einer dreidimensionaler Raumauffassung. Emotion und Emotionsausdruck Bereits Charles Darwin war klar, dass Emotionen einen stammesgeschichtlichen Hintergrund haben miissen. In seinem 1872 erschienenen Werk „Der Emotionsausdmck bei Menschen und Tieren" formulierte er seine Gedanken zu deren Funktionsweise und Sinn. Da der Gefiihlsausdmck unmittelbar durch eine Emotion ausgelost wird, ist er auch ein Hinweis auf das Vorliegen einer Emotion. Er zeigt nach auBen, was im Innem des Tragers vorgeht. Dabei hatte ein spezifischer Gesichtsausdmck urspriinglich sicher keine kommunikative Funktion. Das AugenaufreiBen bei Angst erhoht die notwendige visuelle Informationsaufhahme; das spontane Mundoffhen bei Uberraschung, das mit einem kurzen heftigen Einatmen verbunden ist, versorgt den Kreislauf mit zusatzlichem Sauerstoff; das Zungevorschieben bei Ekel schiebt unangenehme (giftige) Partikel aus dem Mund. Diese Erkenntnisse beschrieb Darwin in seinen Uberlegimgen zum Emotionsausdmck. Ebenso war ihm klar, dass damit ein kommunikativer Aspekt verbunden ist, der sich als adaptiver Vorteil erwiesen hat: „Die Ausdmcksbewegungen des Gesichtes und des Korpers, was immer auch ihr Urspmng gewesen sein mag, sind fiir unsere Wohlfahrt von groBer Bedeutung. Sie dienen als die ersten Kommunikationsmittel zwischen Mutter und Kind: Sie lachelt ihm ihre Billigung zu und ermutigt es dadurch, auf dem rechten Weg fortzufahren, oder sie teilt ihm ihre Missbilligimg durch Stimmnzeln mit. Personen nehmen das Mitgefuhl anderer Personen leicht anhand ihres Ausdmckes wahr; dadurch werden unsere Leiden
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gemildert und unsere Freuden verstarkt, wodurch das wechselseitige Gefiihl des Wohlwollens gekraftigt wird. Die Ausdrucksbewegungen verleihen unserem gesprochenen Wort Lebhaftigkeit und Energie. Sie enthiillen die Gedanken und Absichten anderer wahrheitsgetreuer, als es Worte tun, die gefalscht werden konnen." (Darwin 1965, 364, hier zitiert nach: Meyer Schiitzewohl & Reisenzein, 57) Die zentralen kommunikativen Begriffe in diesem Zitat sind: Billigung, Missbilligung, Mitgefuhl und Wohlwollen. Der Ausdruck dieser Emotionen war zunachst offenbar spontan, das Erkennen dieser Emotionen hatte aber schlieBlich einen zusatzlichen Wert, der eindeutig der innerartlichen Verstandigung dienen konnte. Dieser Wert war so groB, dass der Emotionsausdruck nur auf Grund seiner kommunikativen Aspekte verstarkt und weiterentwickelt wurde. Wachsamkeit, Kommunikation und gegenseitige Hilfe bilden den Rahmen fur Emotion und Emotionsausdruck. Gefahr wahmehmen, diese anderen mitteilen und sich damit gegenseitig wamen ist der Ursprung fur dieses Verhalten. Doch nicht nur die Mitteilung iiber Gefahr ist Gegenstand des Emotionsausdruckes, weitere artinteme Inhalte lassen sich vermitteln. Einen Beleg fur den kommunikativen Aspekt der EmotionsauBerung konnten Kraut und Johnson fmden. Sie beobachteten unter anderem das Ausdrucksverhalten von Bowlingspielem in verschiedenen Stadien nach dem Ergebnis ihres Wurfes. Wenn Emotion sich spontan in Bezug auf das eigene Empfmden ausdriickt, diirfte es keinen Unterschied geben, ob das Lacheln nach einem gelungenen Wurf mit oder ohne Zuschauer erfolgt. Beobachtet wurde also der Emotionsausdruck direkt nach der Verifizierung des Wurfes und dann nachdem sich der Spieler oder die Spielerin zu den beobachtenden Freunden zuwandte. Tatsachlich taucht das Lacheln mit sozialem Fokus deuthch haufiger auf (Kraut & Johnston 1979, 1539-1553, hier zitiert nach: Meyer, Schiitzewohl & Reisenzein, 1997, 84ff) Ubrigens wurde auch bei schlechten Wiirfen haufiger gelachelt, was keine Freude iiber das Ergebnis ausdriicken kann, sondem nur zu interpretieren ist, als Versuch den Wurf gegeniiber den Mitspielem zu entschuldigen und praventiv deren negative Reaktionen abzumildem. Gefuhle konnen gemessen werden: Mithilfe von EEGs kann man herausfinden, wie Gefiihle im Gehim verschaltet sind. Die grundlegende Frage ist, ob es getrennte Schaltkreise fur Freude, Ekel, Trauer, Wut, Angst und Uberraschung gibt. Richard Davidson forderte Versuchspersonen auf, Dias anzuschauen und so darauf zu reagieren, als ob sie die Bilder auf der StraBe sehen wiirden und nicht im Labor. Mit diesen Bildem, so die Hypothese, konnen Emotionen hervorgerufen werden. Das Gefiihlsempfinden variiert von Mensch zu Mensch. Verschiedene Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf denselben emotionalen Stimulus. Emotionen bilden den Kern der Personlichkeit. Wenn man Freunde beschreibt, benutzt man unweigerlich Worte, die auf Gefiihle verweisen. Der eine mag freundlich sein, der andere depressiv, ein andererfi-ohlichund optimistisch. Offenbar besteht ein Zusammenhang zwischen diesen Unterschieden und den Unterschieden in der Art und Weise, wie Menschen sich und ihre soziale wie nichtsoziale Umwelt wahmehmen und interpretieren. Diese Unterschiede bestehen bereits im ersten Lebensjahr. Man hat die Himstrome von zehn Monate alten Babys gemessen und sie dabei einem leichten Stress ausgesetzt, der darin bestand, dass die Mutter den Raum verlieB. Manche Babys schrieen wie am SpieB und waren untrostlich, wenn die Mutter wegging. Andere Babys waren sehr viel widerstandsfahiger und schrieen wenig oder gar nicht. Anhand dieser Messungen der Himstrommuster kann man vorhersagen, welche Babys schreien
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werden, und welche nicht, als Reaktion auf eine Trennung von der Mutter. Ein Baby ist aber nicht bis an sein Lebensende vorprogrammiert. Bis zum zehnten Lebensjahr kann sich noch vieles andem, je nach den Erfahrungen, die das Kind mit seiner Umwelt macht. Trotzdem ist der Grad der Veranderung, vor allem fiir die negativen Gefuhle, durch die genetische Anlage begrenzt. Niemand wird vom Angsthasen zum Draufganger. Freude dagegen wird starker durch die Umwelt beeinflusst. Emotionen haben zwei Aufgaben: Zum einen dienen sie dazu, spontane Einschatzungen iiber die Wahmehmung an das Bewusstsein zu leiten, um damit Reaktionen zu koordinieren und Verhahensantriebe auf Reize zu liefem. Emotionen sind Meldungen eines Mangels oder eines Bediirfhisses an das Bewusstsein. Zum anderen dienen sie der Kommunikation. Dazu ist ein Zusammenspiel von Emotionsausdruck und dessen Interpretation notig. Alle in sozialen Gruppen lebenden Tiere benutzen diese Art der vorsprachlichen Kommunikation. Werben, Drohen und Wamen sind die Hauptgriinde fur innerartliche Kommunikation. Emotionen sind Empfindungen, die im Zentralen Nervensystem entstehen. Im evolutionar aheren Teil des Gehim, dem Rhinencephalon, wurden urspriingHch vor allem die Sinneseindriicke der Nase verarbeitet. Selbst bei Fischen ist dieser Teil des Gehims vorhanden. Die Geruchsnervenbahnen enden hier. Der Beitrag dieses Gehimteils ist jedoch weiter gehender als nur die Dekodierung von Geruchswahmehmungen: Stimulationen dieser Himteile fiihren zu Wutausbriichen oder defensivem Verhalten. Bei hoher entwickelten Saugetieren findet sich eine Gruppe von Strukturen, die man unter der Bezeichnung Limbisches System zusammenfasst. Verschiedene Aufgaben werden von hier aus gesteuert: Aufinerksamkeit, Emotionen und teilweise auch Gedachtnis, abstraktes Denken und Lemen. Zum Neokortex gibt es nur wenige Verbindungen. Darum losen Aktionen im limbischen System unmittelbar Korperlichkeit aus. Ein Hinweis dafur, dass Emotionen und Bewusstsein kaum verbunden sind, fmdet man in der mangelhaften Verbalisierung und in der nur teilweise bewussten Steuerbarkeit von Motivation und Emotion. Beide treten spontan und unter Umgehung bewusster Reflexion auf Dies spricht bereits fiir alte Erlebens- und Verhaltensprogramme. Das limbische System besteht unter anderem aus Hippocampus, Hypocamus, Hypophyse, Mandelkem, Fornix und Amygdala. Die drei Erstgenannten sind als Steuerzentrale fur autonome, vegetative Prozesse wie Essen, Sex, Aggressionen erkannt. Die elektrische Stimulierung des Hippocampus rufl eine Erektion des mannlichen Geschlechtsorgans hervor. Wesentliche Aufgaben des limbischen Systems sind demnach die Steuerungen der Basisfunktionen wie die Emotionsregulation. Storungen des limbischen Systems konnen zu Storungen der emotionalen Verhaltensweisen fiihren. Wutanfalle, Angstgefuhle, Geruchshalluzinationen oder unmotiviertes Lachen sind mogliche Symptome. Das menschliche Gehim wird permanent mit einer Unzahl von Reizen konfrontiert, die es gewichten und sortieren muss. Es besteht aus etwa einer Billion Nervenzellen, die miteinander vemetzt sind und Informationen austauschen. Der Informationsfluss verlaufl elektrisch und chemisch. Botenstoffe - wie Dopamin, Glutamat, Acetylcholin oder Serotonin - werden ausgeschiittet, um regulierende Impulse von einer Nervenzelle zur anderen zu leiten. Neuromodulatoren und Hormone regeln die Zustande. Wenn dieser Fluss eine mittlere Intensitat hat, konnen Individuen am besten denken und lemen. Das Gleichgewicht der Botenstoffe ist wichtig fur psychische Gesundheit. Ubrigens wirken die meisten bewusstseinsverandemden Drogen auf das limbische
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System. Heroin verandert zum Beispiel die Funktion, die fiir Belohnung und Bestrafung zustandig ist. Fehlt dem Gehim gewissermaBen die Bremse? Wird der Mensch zum Sklaven seiner Geflihle? Gefuhle entstehen im limbischen System, im Mandelkem. Hier fmdet die Bewertung von Ereignissen statt. Angriff oder Flucht? Das Bewusstsein kommt im Stimhim hinzu. Es dampft Impulse und ermoglicht vorausschauendes Verhalten. Hier sitzt das Arbeitsgedachtnis, das auch daran beteiligt ist, dass die Kopplung zwischen Reiz und Reaktion nicht unbedingt und unausweichlich ist. Botenstoffe, zum Beispiel Dopamin, stellen die Verbindung zwischen den Zentren her. Dabei geht es zu wie im richtigen Leben, wer am lautesten schreit - oder am starksten feuert -, wird gehort. Diese Information gilt als wichtig, und wird weitergeleitet. Der Reiz des Neuen ist dabei besonders groB. Man benutzt verschiedene Worte, um Haltungen auszudriicken und der Umgang mit Gefuhlen als Ergebnis von Lemen und sozialer Kontrolle kann verschieden sein. Aber der Kern der Emotionen selbst ist ein Ergebnis der Evolution. Sie haben sich entwickelt, damit Individuen mit lebenswichtigen Dingen in einer Art und Weise, die fiir unsere Vorfahren vorteilhaft war, fertig werden. Es war ein Anpassungsvorteil fiir die Mehrheit der Jager und Sammler. Wenn wir argerlich werden, wenn uns jemand provoziert, sind wir bereit loszuschlagen, und wenn jemand uns bedroht, sind wir bereit zu fliehen. Das bedeutet nicht, dass wir das dann unbedingt tun, aber wir sehen die physiologischen Veranderungen, die auf diese Verhaltensweisen vorbereiten. Und wir sehen die Signale. Emotionen sorgen dafur, dass im Korper die notigen Energien zum Reagieren bereitgestellt werden. Wut, Ekel, Trauer, Freude, Angst - diese Gefuhle sind universell und angeboren. Mit ihnen fallt man Werturteile und zeigt anderen, wie man wahrscheinlich handeln wird. Emotionen sind nicht erlembar, das heiBt, „wir konnen die subjektiven Korrelate zu bestimmten Verhaltensweisen oder Wahmehmungen nicht lemen - was wir lemen, ist der Gegenstand des Hassens oder der Liebe, nicht aber die Empfmdung selbst. Wir konnen iiber sie zu anderen sprechen; dass wir uns dabei verstehen, setzt ein gemeinsames biologisches Erbe voraus." (Eibl-Eibesfeldt 1997, 113) Eine der Aufgaben des Gehims ist es, Bewegungen zu koordinieren, nicht nur die bewussten wie bei der Bewegung der GliedmaBen, sondem auch die unbewussten wie den Herzschlag, die Operationen des Verdauungsapparates oder die Kontrolle der Blutzirkulation. Bewusste Bewegungen werden durch willentliche Entscheidungen gesteuert, die ihrerseits mitunter ausgelost werden durch inteme Korperreaktionen wie Hunger als Zeichen dafiir, dass es Zeit wird fur Nahrungsaufhahme, oder durch auBere Sinneswahmehmungen, wie sie bei einer Gefahr entstehen, die ihrerseits Emotionen auslosen, denen man folgen kann. Gefuhle von Tatendrang, Anspannung, Ruhe und Miidigkeit sind grundlegende Empfmdungen und Signale der elementaren biologischen Bedurfhisse. (vergl. Thyer 1996, 75ff, Kapitel 7: The Evolutionary Biology of Moods) Verschiedene Wissenschafller haben eine unterschiedliche Anzahl von Emotionen ausgemacht. Darwin identifiziert Traurigkeit, Freude, Wut, Furcht, Uberraschung, Schuld, Scham und Stolz, hinzu kommen weitere psychische Zustande wie Uberlegen, Nachdenken oder Entschlossenheit (Meyer, Schiitzewohl & Reisenzein 1997, 47f). William McDougall findet sieben primare Emotionen (Meyer, Schiitzewohl & Reisenzein 1997, 113).
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Einig sind sich alle Autoren iiber das Auftreten von funf Basisemotionen, die durch aufiere Reize und deren interne Verarbeitung und Einschatzung zu Stande kommen: Angst, Trauer, Wut, Ekel und Freude. Diese sind naher zu betrachten. Dabei geht es nicht um die Frage, ob diese tatsachlich grundlegend sind (immerhin lassen sie sich weiter in positive und negative aufteilen), sondem um Uberlegungen zu deren Entstehung und Ausdrucksweise, die im Rahmen einer Medienbetrachtung eine prominente Rolle spielen. Gefuhle sind Anzeichen fur Reaktionsmodelle. Viele Stimmungen driicken sich in Handlungen aus, doch zuerst sind sie Meldungen an das Bewusstsein. Um es am Beispiel des Hungers klarzumachen: Das Gefuhl lost kein festgelegtes Reiz-ReaktionsSchema aus, sondem mogUcherweise eine komplexe Strategic, die auf Umweltbedingungen kontextabhangig reagiert. Man iiberlegt, welche Nahrungsmittel zur Verfiigung stehen, man organisiert Zeit und Umstande des Essens, schiebt die Befriedung des Bediirfiiisses mogUcherweise auf. Das Bewusstsein steuert nur einen Teil des Repertoires der Handlungen, aber auch dieser Teil muss einbezogen werden, sein Wissen aus den Erfahrungen und seine Moglichkeiten, Altemativen auszuwahlen, werden mitunter gebraucht, wobei dieses auch Riickmeldungen fur die Einschatzung der Gefahr liefert. Das Erleben einer Emotion hangt damit auch vom Standpunkt und von der Interpretation des Wahrgenommenen ab. Wenn Emotionen erst einmal ausgelost sind, sind sie schwer zu stoppen. Und das ist auch gut so. Denn der Sinn der Emotionen besteht darin, dass im Notfall ohne Zogem gehandelt werden kann. Eine der Funktionen der Emotionen ist ja, dass man sich bis zum Zeitpunkt, wo man die Lage geklart glaubt, ganz darauf konzentrieren kann. Angst Angst ist die Emotion, die beschreibbar als die Erwartung von Gefahr. Der Unterschied zwischen Angst und Furcht ist, dass Angst nicht notwendig einen erkennbaren Ausloser zeigt, sondem eher die Interpretation betrifft, wahrend Furcht immer eine Furcht vor etwas in die Begriffsbestimmung einschlieBt. Dennoch sind hier die Begriffe nicht scharf zu trennen, da die Spannbreite von Lampenfieber bis Panik die gesamte Palette abdecken kann. Da es hier zudem eher um den psychischen Vorgang geht als um die tatsachlichen Griinde, wird der Begriff Angst fiir das gesamte Spektrum benutzt. Angst ist ein sehr gutes Beispiel far die Funktionsweise von Emotion. Wenn Angst angebracht ist, folgen iiberlebenswichtige Korperreaktionen und Strategien. Sie versetzen das Individuum in die Lage, adaquat auf Angst auslosende Bedrohung zu reagieren. Der erste Moment der Angst kann eine Uberraschung sein, die im unerwarteten Auftreten eines Ereignisses besteht. Dieses kann sich als harmlos oder als lustig erweisen. Ein befreiendes Lachen lost die Spannung. Es kann sich jedoch auch um eine als emst interpretierbare Uberraschung handeln. Das Erste, was dann einsetzt, ist eine gesteigerte Anspannung. Gesteigerte Anspannung ist ein Gefuhl, das sich mit Angst, Furcht Oder Nervositat beschreiben lasst und anzeigt, dass Gefahr drohen kann. Die Ubergange von einer leichten Anspannung vor dem Auspacken eines Geburtstagsgeschenkes bis zu Panikattacken und Schreikrampfen sind flieBend. Die Gefuhle lassen nach, sobald die Gefahr nicht mehr als solche wahrgenommen wird. Ausloser fiir das Gefuhl ist alles Ungewohnliche: vor allem auditive Eindriicke ohne visuelle Reprasen-
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tation. Gerausche, wo Stille herrschen sollte - Stille, wo Gerausche herrschen sollten. Natiirliche Reaktionen sind stilles Verharren und auf jedes weitere Gerausch achten, ducken und den Kopf langsam drehen, damit die Augen die Landschaft absuchen konnen. Erhohte Aufinerksamkeit, um schlieBlich richtig zu reagieren: Flucht oder Angriff. Dazu erhoht sich der Herzschlag, um vor allem die Muskeln mit der notigen Energie zu versorgen, auch eine intensivere Atmung hilft dabei. Das heftige Einatmen beim Erschrecken ist eine erste Reaktion, den Korper mit zusatzlichem Sauerstoff zu versorgen. Die Muskeln im Nacken- und Schulterbereich sind angespannt. Die Verdauung wird weniger mit Energie versorgt, man bekommt einen trockenen Mund. Die Himtatigkeit wird auf Bewegungsablaufe konzentriert, fur das abwagende und urteilende Denken ist jetzt keine Zeit, es ware hinderlich, Erkennen und reagieren reicht aus. Dabei ist die Interpretation der ungewohnlichen Wahmehmung wesentlich: Gerausche in der Dunkelheit konnen von einer Katze verursacht sein oder von einem Eindringling. Gegeniiber sonstigem Lemen muss der Stimulus nicht ofter auftreten, um eine Langzeitwirkung zu erzielen. Eine einzige schlechte Erfahrung kann ausreichend sein. Bisweilen reicht es sogar, jemand anders zu erleben, der angstlich reagiert, um selbst Angst zu bekommen. Der Zusammenhang von Emotion und Lemen ist bekannt. Gerade Angst ist ein wichtiges Element, das Erinnerung beeinflusst. Angstkonditionierung lasst sich im Gehim in der Amygdala lokalisieren. Menschen, die hier Schaden aufweisen, erleben weniger Angst, sie konnen aber auch Angstausdruck in Stimme und Mimik bei anderen schwerer erkennen. Lemen unter Angst fordert ein konditionales Lemen, das Handlungen reaktiv hervorbringt. Lemen mit positiven Verstarkem fordert kreative und explorative Handlungskompetenz, die Transferleistungen unterstiitzt. Der Schadellappen vermittelt zwischen Neokortex und limbischem System bei der Einordnung und der Interpretation von Angst auslosenden und Gefahr signalisierenden Momenten. Erst wenn dieser Teil des Gehims vollstandig ausgebildet ist, konnen Gefuhle kontrolliert und Sinneseindriicke adaquat verarbeitet werden, etwa wenn man weiB, dass man sich in einem Kino befindet und nicht in Panik ausbricht, wenn man einen Horrorfilm sieht. Der Biologe Robert Thomhill erwartet asthetische Adaptionen bei Gerauschen, die seit vorgeschichtlicher Zeit Bedeutung hatten und Emotionen auslosen. Als Beispiele nennt er Gerausche wie das Summen von Bienen, Wespen und ahnlichen Insekten, das Knurren von Fleisch fressenden Tieren, die Angst oder gesteigerte Aufmerksamkeit auslosen. (Thomhill, in: Crawford, Charles & Krebs 1998, 565) Ebenso sind die Gerausche, die Kinder in vorsprachlichem Alter machen, wie Weinen oder Schreien hinzuzurechnen. Eine Befragungen zu Angstauslosem 1969 in Burlington, Vermont, erbrachte Erstaunliches: An erster Stelle stand mit 25 % der Nennungen die Angst vor Schlangen, es folgten Hohenangst, die Angst vor offentlichen Platzen und Verkehr, dann Angst vor Verletzung oder Krankheit. Eine andere Untersuchung befragte 1982 insgesamt 449 Frauen nach ihren Angst auslosenden Vorstellungen. Es wurden genannt: Angst vor Tieren, vor Tunnels, vor Hohe, vor geschlossenen Raumen, vor schweren Verletzungen und vor dem Alleinsein. Bei Kindem steht Dunkelheit an erster Stelle, eine Angst, die mit zunehmendem Alter abnimmt. Dies macht auch Sinn, denn Kindem fehlt es noch an Erfahrung, sich im Dunkeln zu bewegen und der Erinnemngsspeicher fur die Zuordnung von Gerauschen ist noch unzureichend gefiillt.
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Bei einer Befragung in Deutschland haben Madchen vor alien anderen Nennungen Angst vor Verletzung, Jungen nennen an erster Stelle Angst davor, dass das Fahrrad gestohlen wird. Ein Fahrrad - so die Interpretation - ist immerhin ein wichtiges Statussymbol im Jugendalter. In keiner Untersuchung fand sich etwa Angst vor hoher Geschwindigkeit an prominenter Stelle der Nennungen. „Das bestatigt, dass zumindest eine Anzahl von Angsten biologisch vorbereitet sein muss und daraus folgt, dass die Dinge, vor denen wir am meisten Angst haben, diejenigen sind, die fiir unsere Vorfahren die groBte Gefahr darstellten und weniger jene, die uns in unserer Gegenwart bedrohen." (Power & Dalgleish 1997, 203, alle diesbeziiglich erwahnten Untersuchungen sind diesem Buch entnommen.) Ein Mittel gegen Angst ist Ordnung. Ordnung ist Orientierung in Raum und Zeit, Ordnung gibt an, was man selbst tun soil und was andere diirfen. Der Horrorfilm ist die verfilmte Emotion der Angst. Zunachst geht es um das Nichterkennen von Gefahr durch die Protagonisten, wahrend der Zuschauer iiber mehr Informationen verfiigt. Auch das umgekehrte Informationsgefalle ist Angst auslosend. Die Zuschauer wissen nicht, vor was die Protagonisten erschrecken. Ihr Gesichtsausdruck reicht jedoch fur das Verstandnis ihrer Gefuhle. Dann wird eine Reihe von Angst auslosenden Motiven geboten: Horrorfilme spielen nachts, zeigen eingeschrankte visuelle Informationen, prasentieren plotzliche, laute oder nicht zuzuordnende, unbekannte Gerausche. Ein Wechsel zwischen Tater- und Opferperspektive begriindet die Angst. SchlieBlich geht es um eine fundamentale Angst, namlich die Angst vor dem Tod und vor dem Sterben. Das Bose will den Tod. Der Anthropologe John Tooby erklart den Tod als das absolute Ende der Langzeitplanung. Alle Religionen haben eine Nachtodwelt, die diese Angst auffangen soil. Trauer Die Trauer ist ein haufiges Thema in den Medien, ob Literatur, Theater, Malerei oder Musik. Wahrscheinlich liegt es daran, dass der Ausdruck der Traurigkeit recht eindeutig ist. Am deutlichsten im Weinen, wobei Tranen rinnen und ein wimmemder hoher Ton erzeugt wird. Das Schluchzen steht insofem im Gegensatz zum Lachen, das ein heftiges, stakkatoartiges und lautes Ausatmen ist. Das Gefiihl der Trauer ist schwer zu beschreiben. Normalerweise wird es getan, indem die Situationen beschrieben werden, in denen Trauer auftritt. Es sind Situationen von Verlust und Versagen, wobei man Versagen auch als Verlust eines angestrebten Zieles deuten kann. Das Ziel, das Objekt oder die Person, die abhanden gekommen ist, muss wichtig oder von hohem Wert sein. Dabei kann es sich auch um Werte fur andere handeln. Wenn der Sohn mit schlechtem Zeugnis nach Hause kommt, empfmdet auch die Mutter mit. Ein Verlust kann auch kollektiv sein, wenn die Nationalmannschaft verliert, ein Staatsmann oder ein Prominenter stirbt. Es taucht dabei die Frage auf, ob Trauer ein Gefiihl oder nicht auch eine Botschafl ist. Ist es wichtig zu zeigen, wie nah man jemandem stand? In diesem Sinne ist Trauer auch Gruppen bildend, denn sie erzeugt Solidaritat in der Verbindung der Trauemden. Im Gegensatz zu anderen Emotionen gibt es kaum Handlungen, die direkter Ausdruck der Emotion sind. Das Zeigen von Trauer lost jedoch bei anderen Hilfeverhalten und emotionalen Beistand aus. Trostende Bewegungen sind Umarmung, Kopf streicheln oder die Hand auflegen, auch das Beriihren anderer Korperteile wirkt beruhi-
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gend. Segnen und Heilen mit Handauflegen oder Hande-uber-den-Kopf-halten sind davon abgeleitet. (Eibl-Eibesfeldt 1998(12), 167) Personen, die Hilfeverhalten zeigen, genieBen allgemein hohes Ansehen, umso mehr, wenn die Motivation erkennbar altruistisch ist. Am Beispiel der Trauer lasst sich auch zeigen, dass die Basisemotionen in Kombination auftreten konnen und damit das Spektrum erweitem. Die Paamngen durch typische verbale Beispiele veranschaulichen das: • „Er hat mich verlassen, weil ich eine furchtbare Person bin." (Trauer-Ekel) • „Warum hat mich dieses Arschloch verlassen?" (Trauer-Wut) • „Wie werde ich damit klarkommen, jetzt wo er weg ist?" (Trauer-Angst) • „Wie ich die gliicklichen Stunden mit ihm vermisse!" (Trauer-Freude) In der westlichen Zivilisation ist der Ausdruck von Angst und Trauer bei Mannem nicht so akzeptiert, wohingegen Wut eher als emotionale Verhaltensweise geduldet ist. Wut Wut ist eine Antwort auf einen personlichen Angriff. Wut dient der Selbstverteidigung und regelt interpersonal Beziehungen. Wut richtet den Ausloser fur Aggression gegen jemand anderes. Wut ist so eine moralische Emotion. Gewaltanwendung wird damit zur Bestrafung. Das soziale Umfeld im Rahmen des Klatsch und Tratsch definiert die Griinde und Anlasse, in denen Wut akzeptabel ist. So ist Wut unter gewissen Umstanden als mildemder Umstand bei Mord anerkannt. Wenn in der Hitze einer Auseinandersetzung jemand zu Tode kommt, werden ojftmals keine Absichten unterstellt, so dass der Tatbestand des Totschlages, aber nicht der Tatbestand des Mordes erfuUt ist. Aggressive Menschen nehmen in ihrer Umgebung das wahr, was sie erwarten: Feindseligkeit. Diese Menschen haben die Tendenz, Aktionen ihrer Umwelt als Angriff zu deuten. Entsprechende Reaktionen sind gemaB der blitzschnellen emotionalen Analyse auf Abwehr eingerichtet. Die Hemmschwelle liegt auf Grund der subjektiven Einschatzung niedrig. Diese Sichtweise erklart im Ubrigen auch, warum nicht jeder auf den selben Stimulus gleich reagiert: Die veranlagte Einschatzung spielt die entscheidende RoUe. Wut, Hass und Ekel sind schlieBlich Impulse, die im limbischen System ihren Ursprung haben. In einer Befragung von Averill (Averill 1992, zitiert nach: Power & Dalgleish 1997) nannten 88 % andere Personen, 7 % Institutionen und nur 6 % unbelebte Objekte als Wut auslosend. Nach den Griinden und Umstanden befragt wird vor allem Frustration genannt, also das Abhalten von geplanten Aktionen. Zudem gibt es Nennungen, die Griinde im Verlust der personlichen Ehre sehen, im VerstoB gegen soziale Rollen und Normen sowie tatsachliche oder mogliche Sachschaden oder Verletzungen. Das Empfmden von Ungerechtigkeit und Ungleichbehandlung ist ebenfalls Wut auslosend. Der Angriff auf soziale Betriiger und deren Bestrafung scheint damit gerecht zu sein. Rache ist eine Sonderform der Wut. Sie richtet sich gegen den Verursacher eines Schadens. Rache ist spontan, unersattlich und durchaus lustbetont. Wut in der Auspragung von Rache ist ein Gefiihl, das leicht bei anderen nachzuvoUziehen ist, wenn der Grund der Emotion nachvollziehbar ist. Medial werden besonders der schuldvolle gewaltsame Tod von Eheleuten und der Tod von Eltem, Geschwistem und ganz besonders von Kindem als Motiv fur aggressives Verhalten prasentiert.
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Ekel Ekel ist zunachst eine Reaktion auf eine Meldung des Geschmackes. Er meldet einen Angriff gegen die Gesundheit und es folgt eine Reaktion gegen Vergiftung. Dieses Muster wird iibertragen auf visuelle Wahmehmungen und sogar Vorstellungen und Gedanken. Zunachst folgt die Reaktion der Distanzierung vom Ekel auslosenden Objekt, um einen Sicherheitsabstand zu gewahren. Als Folgereaktion kann durchaus der Wunsch auftreten, das Objekt zu vemichten, das Gefahr signalisiert. Gewalt, Tod, Verletzung - das Gefuhl von Ekel und Abscheu wird auch von der Fantasie ausgelost. Eine Farbe, eine Konsistenz kann Ekel hervorrufen, selbst wenn man weiB, dass im Falle von inszenierten Medienereignissen kein Sanitater, sondem ein Maskenbildner am Werk ist. Ekel definiert und verteidigt die Grenzen des eigenen Korpers. Wie nahe darf jemand kommen? Wem vertraue ich? Wer darf mich beriihren? Ekel ist die Instanz, die diese Fragen beantwortet. Die erste Entscheidung fallt in Bruchteilen von Sekunden. Andere Menschen sind gefahrlich, sie konnen einen kontaminieren. Das Ekelempfinden ist von Mensch zu Mensch verschieden und auBerdem gepragt durch die Normen der jeweiligen Kultur. Trotzdem stellt sich das Gefuhl unabhangig vom Wissen ein, auch wenn im Falle eines medialen Ereignisses alles kiinstlich ist. Ekel sagt: Beriihre mich nicht, komm mir nicht zu nahe, das ist bedrohlich. Ekel erzeugt einen Impuls der Abwendung, aber Ekel fasziniert auch. Das kann zum Teil erklaren, warum Horrorfilme oder Freakshows beliebt sind. Die Medien garantieren eine nicht ansteckende Distanz. Ein leichtes Gruseln mag angenehm sein, rohe Gewalt fmden viele Menschen hingegen abstoBend. Wohin blickt der Zuschauer, wenn Ekelhaftes iiber den Bildschirm flimmert? Welchen Einfluss haben Horror und Gewalt auf ihn? Der Blick scheint von Blut und Ekeligem wie magisch angezogen zu werden. AbgestoBen sein, und trotzdem wieder hinsehen miissen - das Paradoxe des Ekelgefuhls ist gerade in Film und Femsehen immer wieder zu beobachten. Was ist so manches Boulevard-Magazin anderes als eine Ekelshow? Ekel spielt eine entscheidende Rolle dabei, wie alltagliche Werturteile gefallt werden. Die meisten Menschen sprechen in ihrer Alltagssprache nicht wie Philosophen und Theologen vom Guten und Schonen und Richtigen, von Tugenden. Sie bekunden ihre moralischen Praferenzen, indem sie sagen, „Das macht mich krank.", „Du bist zum Kotzen.", „Das dreht mir den Magen um." Es sind diese Art Gefiihle, mit denen die starksten moralischen negativen Werturteile ausgedriickt werden. Mit Schimpfwortem bezieht man Menschen, Dinge und Sachverhalte auf anscheinend Unreinliches: „Schwein, Saustall, Arschloch, Penner." Die neurophysiologische Erklarung: Das limbische System ist besonders eng mit dem Riechzentrum verbunden. Es geht nicht nur darum, dass man Dummheit ekelhaft fmdet und dass Ekel Moralurteile iiber die Intelligenz von Menschen fallt. Ekel fallt auch Moralurteile iiber Schonheit. Manche finden den entstellten oder schrecklich hasslichen Menschen irgendwie moralisch schuldig, dafiir, dass er die Sinne beleidigt. Das Argument, das sei lediglich ein asthetisches Problem und kein moralisches, ist selbst ein moralisches Argument. Und nicht mit so jemandem gesehen werden zu wollen, heiBt: „Er konnte gefahrlich sein, er kann mich entwerten. Er mindert meinen Status." Individuen fallen diese Urteile spontan auf Grund visueller Merkmale. Klassen-, Ethno- oder Statusgrenzen werden haargenau und treffsicher signalisiert durch Haar- und Hautfarbe, welchen Namen man tragt, natiirlich auch durch Kleidung und Frisur.
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Freude Es ist ein Irrtum zu glauben, Emotionen sind einzig dazu da, um mit Notfallsituationen fertig zu werden. Die Emotionen lassen uns kampfen oder fliehen und helfen uns, ungewohnliche Situationen spontan zu bewaltigen. Freude tut nichts dergleichen. Wenn Menschen sich freuen, sieht man weniger deutliche auBerliche Veranderungen, als bei den iibrigen Emotionen. Deshalb hat man lange Zeit gedacht, dass Freude moglicherweise gar keine biologische Bedeutung in Bezug auf das autonome Nervensystem hat. Untersuchungen haben dann gezeigt, dass Freude uns mit einem sehr effektiven Werkzeug ausstattet, um das autonome Nervensystem herunterzufahren, wenn es durch Arger, Angst und andere Emotionen aktiviert wurde. Freude zieht sozusagen die Bremse, verlangsamt die Herzfrequenz, die Atmung wird ruhiger, und zwar viel effektiver, als wenn man einfach abwarten wiirde, bis die negativen Gefuhle vergehen. Physiologisch gesehen ist Freude in dieser Hinsicht niitzlich. Die spezifischen Korperreaktionen, die Trauer, Angst, Wut oder Ekel auslosen, werden durch Freude wieder normalisiert. Herz- und Atmungsfrequenz gehen auf ihren Standard zuriick. Unsere Haut verfugt neben den Tastsensoren auch iiber Sensoren fur Verletzungen, deren Meldungen als Schmerz an das Gehim weitergeleitet werden. Auf Grund von Erfahrung bildet sich eine Schmerzerwartung, die Angst auslosend ist und die zur Schmerzvermeidung fuhrt. Gelingt es, einem erwarteten Schmerz zu entgehen, empfindet man Erleichterung, Wohlempfmden und Freude. Das limbische System, genauer gesagt, der Bereich, der fur Belohnung und Bestrafimg zustandig ist, sendet positive Signale. Dies mag zur Antwort auf die Frage beitragen, wieso man sich freiwillig Angst auslosenden Gefuhlen hingibt, die eine Schmerzerwartung beinhalten. Horror, Grusel, Cliffhanger und ahnliche Gefahren fiir Leib und Leben auf einer Leinwand 15sen auch in der Sicherheit des Kinosessels Angst und Schrecken aus, die durch das Ende des Filmes aufgelost werden. Unter diesem Aspekt bekommt die Diskussion der Katharsis eine neurophysiologische Deutung. Das Empfmden von Freude braucht nicht notwendig negative Erwartungen. Menschen empfinden angenehme Gefuhle bei einem guten Essen, beim Sex, bei herrlichem Sonnenschein im Urlaub am Stand, beim Applaus nach einem Auftritt, beim Losen eines Kreuzwortratsels, beim Erreichen eines neuen Levels oder eines Highscore im Computerspiel, beim Wiedersehen eines guten Freundes, beim Lob des Lehrers, Vorgesetzten oder Partners, beim erfolgreichen Abschluss eines Projektes, bei der Geburt eines gesunden Kindes. Alle Strategien, die fiir Uberleben, Fitness und Fortpflanzung wichtig sind, hat die Veranlagung mit angenehmen Gefuhlen belegt. Ohne dass man in alien Fallen ein exaktes Wissen dariiber hat, warum man sich fiir dieses oder jenes entscheidet, verweist das Gefiihl auf adaptierte Mechanismen. Die List mit der Lust funktioniert. Mitunter sind die Vorlieben, die sich im Laufe von Hunderttausenden von Jahren entwickelt haben, unter heutigen Umstanden kontraproduktive Fehlanpassungen. Vorlieben fiir bestimmte Nahrungsmittel sind ein gutes Beispiel. Wenn unsere Vorfahren eine Neigung fiir nahrstoffreiche Nahrung ausbildeten, darm war diese Neigung vorteilhaft. Mangel bestand mit Sicherheit an Zucker, der nur in Form von Friichten - und das nicht das ganze Jahr hindurch - zur Verfugung stand, an Fett, das aus den sicher nicht regelmaBigen tierischen Beutefangen oder Aasfunden zu ziehen war, und Salz, das kaum in tierischer oder pflanzlicher Nahrung vorkommt. Heute, wo die Nahrung reichhaltiger
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ist, essen viele zu siiB, zu fett und zu salzig. Der Genuss, der einst die Suche nach entsprechenden Nahnmgsquellen motivierte, schadet heute der Gesundheit. Wenn man sich auf die Suche nach den Auslosem von Freude macht, muss man Aussagen sammeln, die sich auf Dinge, Situationen und Aktionen beziehen, „die SpaB machen". Man wird dabei sicher auf eine Vielzahl sozialer Konstellationen treffen, die eine Person innerhalb einer Gruppe bestatigt. Erfolg und Anerkennung gehoren zweifellos dazu. Erfolg und Anerkennung sind Eigenschaften, die einen fur das andere Geschlecht attraktiv erscheinen lassen. Somit ist das Streben nach Freude eine Triebfeder, die evolutionare Vorteile bietet. Personen, die Freude ausstrahlen und SpaB haben, suggerieren, dass sie Erfolg haben und ihr Leben offenbar nicht von Problemen belastet ist. Der Spafi an der Angst Man kann Emotionen allgemein als veranlagte Instrumente betrachten, die spontan Einschatzungen iiber Wahmehmungen sowie iiber deren mentale Korrelate im Erinnem, Vorstellen oder Traumen geben. Negative Emotionen sind Signale, die Situation zu meiden, positive Emotionen fordem auf, den Zustand beizubehalten oder wieder aufzusuchen. Unter den Pramissen der Evolutionstheorie sollte in beiden Fallen fitnessrelevantes Verhalten befordert werden. Angst - ein unangenehmes Gefiihl. Normalerweise sind Menschen froh, wenn sie dem Gefuhl nicht ausgesetzt sind. Doch viele scheinen die Angst geradezu zu suchen: Auf dem Rummelplatz fahren sie mit der Geisterbahn, um sich von hasslichen Gestalten erschrecken zu lassen, verlieren das Gleichgewicht auf dem Karussell, oder sie lassen sich in die Hohe schleudem und fallen in die Tiefe. Bungee Jumping, Paragliding oder Snowboard fahren an Steilhangen gehoren zu den so genannten Fun-Sportarten, deren Betreiber willentlich Sicherheitsrisiken in Kauf nehmen. Kinder lassen sich Marchen erzahlen und wollen diese auch horen, in denen es um ihre Angste geht: um Eltem, die ihre Kinder im dunklen Wald zuriicklassen, um Wesen, die Madchen und Jungen rauben oder auffressen. Jugendliche lassen sich fesseln von Computerspielen, in denen man allerlei Gefahren nicht nur virtuell bestehen, sondem auch per Knopfdruck beseitigen muss. Kids gehen ins Kino, um sich von Horrorfilmen gruseln zu lassen, die ahnliche Motive ansprechen, wie sie in Marchen vorkommen: Dunkelheit, Verlassensein und ekelhafte Monster, die nichts Gutes im Schilde fuhren. Selbst die Vorstellung vor unangenehmen Situationen kann bereits die beschriebenen Symptome auslosen: die kommende Priifung, die bevorstehende Flugreise, verlassen werden, der Weg durch den dunklen Wald, Spinnen, Ratten oder Schlangen. Es gibt gefahrliche und damit Angst machende Situationen, die eine Vorbereitung sinnvoll erscheinen lassen: Wie muss man sich verhalten, wenn man mit dem Auto in einen See stiirzt? Was soil man machen, wenn man uberfallen und bedroht wird, wenn Hab und Gut oder die korperliche und seelische Unversehrtheit auf dem Spiel stehen? Andere Angste scheinen weniger konkret. Bisweilen geht es um eine fundamentale Angst, namlich die Angst vor dem Tod und vor dem Sterben. Das Bose will den Tod. Diverse Arten von Zombies, Draculas und Frankensteins reprasentieren den Tod und die Angst vor diesem Tod wird unvermittelt dargestellt, denn vor dem Tod sollte man sich in Acht nehmen. Eine grundlegende Angst vor dem Tod und alles, was eine Begegnung mit ihm vermeidet, ist lebensverlangemd und gesund.
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Aufden Spuren von Odysseus. Der Held aus Homers Sage gerat von einer Gefahr in die nachste und besteht ein Abenteuer nach dem anderen. Er muss sich dabei als kiihn, stark und mutig, aber auch als vorausschauend, listenreich und innovativ erweisen. Er ist neugierig, hat Interesse an Neuartigem, sucht die Abwechslung und zeigt Risikoverhalten. Damit weist er alle Anzeichen auf, die man heute als Personlichkeitsmerkmale der Sensationssuche bezeichnen kann. Menschen, die diese Eigenschaften mit der Sagenfigur teilen, haben tatsachlich mehr SpaB an der Angst. Personlichkeitsstrukturen sind zwar weitgehend vorgegeben, doch nicht unveranderlich. Wer als Kind ein Angsthase war, wird wohl auch spater kein Draufganger. Doch ist das Verhalten der Sensationssuche bei Mannem starker ausgepragt als bei Frauen. Am intensivsten ist es in der Altersspanne zwischen 9 und 20 Jahren. Trotz der alterbedingten Entwicklung spielen auch kulturelle Einfliisse eine Rolle. Bei entsprechenden Untersuchungen schnitten US-amerikanische Jugendliche mit hoheren Werten ab als etwa thailandische oder japanische. Unter den Sensationssuchem finden sich eher Geschiedene und Singles als Verheiratete und eher Atheisten als Glaubige (Gnich 2002, 80f.). Sensationssucher sind - vielleicht aufgrund ihrer Erfahrung - besser im Umgang mit neuen Situationen und konnen sich schneller auf Veranderungen einstellen. Dabei sind sie schneller gelangweilt von Routine, konnen dafur aber mehrere Tatigkeiten parallel bearbeiten. Sie iibemehmen Verantwortung und sind gute Teamworker. So ungewohnlich oder gar abnormal scheint das parallele Erleben von SpaB an der Angst und den genannten Phanomenen also gar nicht zu sein. Geht es in der Personlichkeitsentwicklung doch darum, seine Grenzen zu erproben. Und das geht nur, wenn man sie testet. Dabei gibt es Menschen, die das mehr tun und es gibt Menschen, die weniger darauf erpicht sind. Ein weiteres Beispiel, dass Erfahrung eine Rolle beim Umgang mit Angst spielt, sind Fallschirmspringer. Anfanger zeigen die groBeren messbaren Reaktionen in dem Augenblick, wo sie aus dem Flugzeug springen. Bei Erfahrenen reagiert der Korper erst bei der Landung. Die Funktion, dass sich Menschen der kontrollierten Angst aussetzen ist nun klar: Es geht darum, zu lemen. Nicht die Emotion der Angst wird gelemt, denn die ist veranlagt, sondem mit Situationen umzugehen, die Angst auslosend sind. Menschen - besonders junge Menschen - bereiten sich mental vor: Woran erkennt man gefahrliche Situationen, bevor sie bedrohlich werden? Um Gefahren zu vermeiden, muss man sie erkennen. Wie muss man sich verhalten, um Gefahren zu iiberstehen? Der Betrachter schaut aus der Sicherheit des Kinosessels oder dem Wohnzimmersofa zu, was andere tun, um zu iiberleben, und was sie untemehmen, um sich gegen das Bedrohende zur Wehr zu setzen. Falsches und unangemessenes Verhalten wird bestraft, positives durchs Uberleben belohnt. Im Genre des Horrorfilms gibt es die Rolle der so genannten „Scream Queen". Sie verhalt sich grundsatzlich falsch und bietet damit ein negatives Vorbild. Sie lauft in den Wald hinein, sie fliichtet in das Haus, von dem Zuschauer wissen, dass dort die Gefahr lauert, und zu allem Uberfluss schreit sie auch noch hysterisch, statt adaquat zu handeln um sich in Sicherheit zu bringen. Die meisten werden wohl nie in all die Situationen kommen, in denen sich die Helden und Heldinnen der Filme, Geschichten und Marchen bewahren miissen, doch woher wissen Kinder und Jugendliche, deren Realitatssinn zudem noch nicht voll entwi-
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ckelt ist, was sie erwartet? Das aufgeklarte Wissen eines wissenschaftlich dominierten Weltbildes ist nicht nur eine Frage des Alters, sondem auch des kulturellen Kontextes. Die Vorbereitung auf auBergewohnliche, aber seltene Konstellationen macht mehr Sinn, als die mentale Vorsorge auf ein Leben hinterm Schreibtisch. Angst ist eine teure Emotion in dem Sinn, dass Gefahr Leben kosten kann. Eigentlich sollte man bestrebt sein, Gefahren und die sie begleitenden Emotionen zu vermeiden. Doch gerade die Vorbereitung auf seltene und kostspielige Ereignisse ist sinnvoll. Darum begeben sich Menschen in die kontrollierte Gefahr: Auf dem Rummelplatz sind die Fahrgaste gesichert, Kinobesucher wissen um die Dramaturgie und Computerspieler kennen die Moglichkeiten und Unmoglichkeiten des Programms. AUe lassen sich im Rahmen ihres Willens und ihrer Entscheidimgen auf die Spiele ein und erleben den Kitzel und den SpaB an der Angst, besonders wenn sie aus dem Fahrgeschaft aussteigen, wenn der Abspann des Films lauft und das Licht angeht, oder wenn man den Computer ausschaltet. Stadler und Kruse (1990) listen eine Reihe von Merkmalen auf, die das Gehim wie eine Checkliste nutzen kann, um den Wirklichkeitsgehalt zu iiberpriifen. In Anlehnung an die zeichentheoretische Klassifikation unterscheiden sie syntaktische, semantische und pragmatische Klassen. Syntaktische beziehen sich auf die Sinnesqualitaten: Je heller, kontrastreicher, farbiger oder strukturierter ein Objekt ist, desto groBer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es echt ist. Ein gewichtiges Kriterium ist die Intermodalitat, also Eindriicke, die gleichzeitig iiber mehrere Sinne wahrgenommen werden. Der Film bietet zwar Bild und Ton synchron, doch fehlen Reize fur den Tastsinn, der fur die Wirklichkeitskonstruktion zentral ist. „Kneif mich mal", sagt jemand in einem auBergewohnlichen Moment, um sich des Nicht-Traumhaften zu versichem. Das fehlende Tasterlebnis und die mangelnde Handlungsnotwendigkeit grenzen das audio-visuelle Erleben im Kino vom tatsachlichen Erleben einer gefahrvollen Situation am deutlichsten ab. Die semantische Ebene fragt unter anderem nach Bedeutung und Kontextstimmigkeit. Was kann der Rezipient mit dem Wahrgenommenen anfangen? Je mehr die Objekte im gegebenen Kontext zusammenpassen und je mehr man mit den Dingen anfangen kann, desto eher ist die Neigung, sie als real wahrzunehmen. SchlieBlich werden pragmatische Wirklichkeitskriterien angewendet: Zwar zeigen die Akteure auf der Leinwand, dass sie sich aufeinander beziehen und eine Wirkung im Sinne eines ReizReaktions-Zusammenhangs besitzen, doch geht dieser Zusammenhang nicht iiber die Leinwand hinaus. Die Bewegung auf den Zuschauer zu - die Aufhebung der „vierten Wand" - wird zwar mitunter simuliert, zum Beispiel wenn ein Dinosaurier sein aufgerissenes Maul mit spitzen Zahnen in Richtung Kamera bewegt. Doch vertraut man der Gewissheit, dass sich das Tier nicht in den Zuschauerraum bewegen wird, um nach einer Zuschauerin zu schnappen. Intensiver kommt dies im so genannten 3-DKino zum Ausdruck. Das synchrone und damit intersubjektive Rezipieren ist normalerweise auch ein Kriterium, doch auch das wird bei massenmedialen Ereignissen getauscht. Dass alle Zuschauer im Raum erschrecken, verstarkt den eigenen Schreck. Dann haben Ereignisse auf Leinwand und Bildschirm keinen Tastwiderstand. Handlungsoptionen - und damit die Moglichkeit einzugreifen - sind nicht vorhanden. Das Geschehen spielt sich ohne das Eingreifen der Betrachter von Vorfiihrung zu Vorfuhrung unverandert ab. Das Be-greifen der Gegenstande ist ein unumstoBlicher Wirklichkeitsbeweis. Bei einem Computerspiel beschrankt sich das Taktile auf ein paar Knopfe und einen Joy-
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Stick. Bei einer Fahrt mit der Achterbahn auf dem Jahrmarkt sind alle genaimten Wirklichkeitskriterien erfuUt. Nicht nur die Fliehkraft driickt die Fahrgaste in die Sitze, Wind und Wetter sind im Gesicht zu spiiren. AUes ist echt und wirklich. Wer Angst hat, klammert sich fest, wer zeigen will, dass er wagemutig ist, hebt die Arme. Denn wirkliche Sorgen muss man sich nicht machen. Es kommt namlich noch Wissen hinzu: Man weiB, dass man angeschnallt ist und geht davon aus, dass dies sicher ist und vor allem erlebt man, wie andere Fahrgaste - zwar emotional bewegt und von der Angst gezeichnet, aber unversehrt an Leib und Leben - den Gondeln entsteigen. Auch im Lichtspieltheater bietet der Kinositz groBes Sicherheitsgefuhl, das man durch Popcorn sogar noch verstarken kann. Beides sind Anker zur realen Welt. Uber die genannten Kennzeichen hinaus gibt es beim Film weitere spezifische Wirklichkeitskriterien. Den meisten Kinobesuchem und Femsehzuschauem ist die Produktion eines audio-visuellen Ereignisses sehr wohl bekannt. Ein Film wird als solcher angekiindigt und moglicherweise wissen die Kinobesucher etwas iiber den Regisseur und erkennen Schauspieler wieder. Sich auf die Asthetik des Films zuriickziehen zu konnen, ist eine Strategic, sich der kiinstlichen Situation bewusst zu werden. Darum sind die Zuschauer zwar emotional betroffen, aber doch nicht wirklich besorgt, wenn eine Figur im Beisein von Zuschauem zu Tode kommt. Anders beim Femsehen: Ubertragimgen von Ungliicksorten - besonders wenn sie live sind und auf mehreren Sendem iibertragen werden - zwar als Medienereignis gesehen werden, geben auch hier die Wirklichkeitskriterien ein gewisses Gefuhl von Sicherheit. Wassermassen sind im mitteleuropaischen Wohnzimmer selten zu erwarten. In einem gefahrdeten Wolkenkratzer sind die meisten auch nicht zu Hause. Betroffenheit, Mitleid und Trauer, die in Hilfeleistung durch Geldspenden oder durch Blumen- und Kerzenarrangements Ausdruck fmden, sind eher die hier anzutreffende Emotion, nicht unbedingt Angst. Sinneseindriicke sind auf den Bildschirm und den Lautsprecher beschrankt. Die Moglichkeiten der Anteil nehmenden Intervention und das Bewusstsein, dass die Ereignisse wirklich sind, haben auf die emotionale Beteiligung dennoch keinen eindeutigen Einfluss. Zuschauer konnen geriihrt sein von fiktionalen wie dokumentierten Ereignissen. Seltsamerweise scheint die mitfiihlende und mitleidende Empathie im Spielfilm bisweilen sogar groBer. Fiir die Zeit eines Kinofilms konnen Zuschauerinnen und Zuschauer bewusst die Wirklichkeitsiiberprufung beiseite und sich emotional auf das Medienereignis einlassen. Sie spiiren die Angst, selbst wenn sie wissen miissten, dass es keine Hexen, keine lebenden Dinosaurier und keine Zombies gibt. Dies ist moglich, well das menschliche Gehim iiber voneinander unabhangige Module verfugt, die getrennt voneinander agieren. Diese befassen sich parallel mit Teilaspekten der Wahmehmung und jedes arbeitet unabhangig vom anderen. Der erste Eindruck wird emotional bewertet und der Korper reagiert gemaB den Interpretationen. Der zweite Eindruck wird abgeglichen mit dem Wissen und der Erfahrung beziiglich der Situation. Die Gefahr kann als harmlos erachtet und die Angst kann vom SpaB begleitet werden. Die Spannung ist dann ein angenehmes Gefuhl. Damit sind Bausteine erlautert, die das Wie der Gehimfunktionen beschreiben. Es scheint eine Matrix zu geben, nach der das Gehim entscheiden kann, wie und ob es sich emotional mit den Sinneseindriicken befasst. Wenn der Abgleich geniigend Hinweise auf Merkmale gibt, dass die Ereignisse nicht wirklich oder nicht bedrohlich sind, kann ein Gefuhl von SpaB zur Angst hinzukommen und diese damit kontrollieren. Das
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Warum des mentalen Spiels ist noch offen. Eine Antwort konnte in der menschlichen Fahigkeit liegen, sich Situationen vorstellen zu konnen, ohne sie real zu erleben. In all den bislang betrachten Fallen geht es um den kontroUierten, willentlichen und wissentlichen KontroUverlust. Der Ausdruck des kontroUierten Kontrollverlusts scheint ein Widerspruch, der sich schnell auflost: Jemand springt aus dem Flugzeug Oder von einer Klippe, hat aber einen Fallschirm, der ihn sicher auf die Erde bringt; jemand lasst sich durch die Luft wirbeln, ist dabei aber angeschnallt auf einem Sitz in der Achterbahn, jemand gibt sich durch Film, Buch, Erzahlung oder Vorstellung seinen Angsten hin im Wissen, dass sich die Gefahr nur auf der Leinwand, auf dem Bildschirm oder im Kopf abspielt. Dies funktioniert so problemlos, da das Gehim hier eine strikte Arbeitsteilung vomimmt: Es gibt Bereiche, die fiir die Wirklichkeitseinschatzung zustandig sind und es gibt Bereiche, die emotionale Bewertungen vomehmen, unabhangig von der Wirklichkeit. Durch die Kontrolle kommt es zum SpaB. Es kann ja nicht wirklich etwas passieren. Erst wenn der KontroUverlust tatsachlich als Verlust erlebt wird, sollte auch die Angst rasch real und spaBfrei werden. In der kindlichen Entwicklung sind die Emotionen veranlagt und sehr fhih aktiv, wahrend der Teil des Gehim, der unter anderem fur die Unterscheidung von Wirklichkeit und Fiktion zustandig ist, erst mit Ende der Pubertat voll ausgereift ist. Neben dem Tastsinn, der bei den verschiedenen kiinstlichen Angstauslosem unterschiedlich intensiv beteiligt wird, sind die Handlungsoptionen doch sehr reduziert. Man mochte im Kino der bedrohten, aber nichts ahnenden Protagonistin zurufen: „Hah! Nicht in den Wald!" Beobachtet man Kinder in Kasperle-Theater, kann man deren direkte Beteiligung und lautstarke Teilnahme erleben. Dem Impuls der Wamung wird hier freien Lauf gelassen. Aktives Handeln ist im Kino nicht erforderlich und auch nicht angemessen, wo sich hier eine sozial angepasste Impulsunterdriickung etabliert hat. Angeschnallt auf einem Sitz in der Achterbahn sind die Fahrgaste zwar den taktilen Reizen ausgesetzt, die Aktionen beschranken sich jedoch auf das Festhalten oder alternativ das Mut zeigende Loslassen. Anders beim Computerspiel: Der Spieler vor dem Bildschirm greift durch seine Tastaturbefehle direkt in den Verlauf ein und wird zum Akteur. Dennoch bleibt er drauBen und taucht hochstens mental in die virtuelle Welt ein. Das Wissen um die Situation ist also ein wesentlicher Indikator fur den Wirklichkeitsgehalt der Szenerie. Bei den lustvollen Gefahrensituationen, denen sich Jugendliche geplant aussetzen, lassen sich drei Phasen unterscheiden: Davor gilt es die Angst zu iiberwinden. Man greift soweit es geht auf Erfahrungen zuriick und kann unter Umstanden andere beobachten, die gleiches durchgemacht haben. Es geht um Entscheidungen. Wahrend der Situation gibt man sich den Emotionen hin, man erlebt die Angst und kostet die Situation aus. Nun kennt man das, was man gerade durchgemacht hat und hat Erfahrung fiir weitere Situationen oder man hat genug. Angst ist attraktiv. Angst haben und das Gefiihl kontrollieren zu konnen, hat noch weitere Funktionen. Diese bediirfen keiner ausftihrlichen himphysiologischen Herleitung, denn sie sind spontan einleuchtend: Jugendliche - vor allem mannliche Jugendliche - beweisen geme ihren Mut. Das macht sie unter ihren Kumpels stark und cool. Alpha-Mannchen konnen sich beweisen. Starke und coole Jungs sind auch bei Madchen beliebt. Angst ertragen, den Gefahren ins Auge sehen konnen und die Situation womoglich noch zu kontrollieren, ist at-
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traktiv. Und wenn es die Situation zulasst, wird sich das Madchen auf dem Karussell Oder im Kino an den Jungen schmiegen, um ihre Angst zu mildem. Und der Junge wird dies spiiren und seine Angst unterdriicken und den Moment geniei3en. Uberwindung der Angst spielt auch in vielen Kulturen eine Rolle im Rahmen von Initiationsriten. Der Entwicklungsschritt zum Erwachsenwerden macht sich fest an der Bewahrung in der Gefahr. Wer sich als mutig genug erweist, kann in der Gemeinschaft der Erwachsenen bestehen: Der zivilisierten Kultur sind diese Rituale abhanden gekommen. Die JugendHchen suchen sie im Kino, vor dem Computer oder auf dem Rummelplatz. Emotionsausloser Die Frage, warum man sich freiwiUig Ekel oder Angst auslosenden Ereignissen zuwendet ist nun im Ansatz erklart. Es gibt dariiber hinaus aber noch ein gewichtiges Argument: Es kann sich als gefahrlicher erweisen, wenn wir Ekel und Angst auslosende Sachverhalte aus der Wahmehmung ausschlieBen, indem wir uns ganz davon abwenden. Es ist zweifelsfrei von Vorteil, wenn wir sie aus sicherem Abstand weiterhin im Auge behalten. Und welcher Abstand kann sicherer sein, als der, den man aus dem Wohnzimmer- oder Kinosessel hat. Emotionen wechseln nicht einfach nur. Welches Gefiihl entsteht, hangt auch davon ab, wie wir eine Situation bewerten, wem man sozusagen die Verantwortung gibt. Der Lidschlussreflex ist eine spontane Reaktion auf einen auBeren Reiz. Dass die Reaktion in aller Regel spontan erfolgt, schlieBt aber eine bewusste Kontemplation aus. Emotionen und deren Ausloser dienen - neben der Ubermittlung eines inneren Zustandes und der spontanen Reaktion auf auBere Reize und der Vorbereitung des Korpers auf Reaktionen - der Kommunikation in sozialen Gruppen, die man als vorsprachliche AuBerungen bezeichnen kann. Dass Emotionen tatsachlich vorsprachlich sind, lasst sich unter anderem durch die Tatsache belegen, dass Emotionen zwar mitunter bewusst, aber die Gefuhle nur schwer verbalisierbar sind. Gefuhle sind so elementar, dass sie keine symbolische Struktur besitzen. Dass Emotionen im Lauf der Evolution entstanden sind und ihre Funktionen als Adaptionen an spezifische Probleme erlangt haben, daran wird niemand zweifeln, der die Pramissen der Evolutionstheorie anerkennt. Evolutionspsychologie beschreibt Emotionen dariiber hinaus als koordinierende Programme. Unter der MaBgabe, dass das Gehim keine All-Purpose-Maschine ist, sondem inhaltsabhangige spezifische Problemlosungen bereitstellt, muss man erwarten, dass es zu Konflikten zwischen unterschiedlichen Bediirfhissen und Interpretationen kommen muss: So sind die Mitglieder der sozialen Gruppe ebenso Kooperationspartner wie Konkurrenten um Geschlechtspartner und Ressourcen. Die Einschatzungen zur Wichtung der unterschiedlichen Komponenten muss von einem koordinierenden Programm geleistet werden. Nach Cosmides und Tooby (2000) iibemehmen die Emotionen diese Rolle. Um funktional zu agieren, benotigen die Unterprogramme des Gehims eine Koordination, um jederzeit als Ganzes auf aktuelle Bedingungen reagieren zu konnen. Dies wird durch Emotionen bewerkstelligt. Im Laufe der Zeit treffen wir immer wieder auf vergleichbare Situationen: Wir miissen kampfen, wir verlieben uns, wir miissen vor einem Angreifer fliehen, wir erleben den Tod eines Angehorigen oder eines fur uns wichtigen Menschen, wir stehen einer Gefahr gegenuber. Jede dieser Situationen erfordert umfassende Reaktionen korperlicher und mentaler Art. Diese Einstellungen
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vorzunehmen ist Sinn der Emotionen, wobei nur ein geringer Teil davon in unser Bewusstsein gelangen braucht. Die koordinierten Einstellimgen und das Vorbereiten der erforderlichen Mechanismen auf die jeweilige Situation ist wesentlich fur deren Bewaltigung. Emotionen lassen sich also beschreiben als adaptive Programme, die korperliche Funktionen je nach Bedarf aktivieren oder unterdriicken. Der Begriff des Programms ist auch deshalb angebracht, weil die genaue Einstellung der einzelnen Elemente aufeinander abgestimmt verlaufen muss, um den Erfolg der Reaktionsweisen zu sichem. SchlieBlich miissen diese wiederholbar und verlasslich sein. Nicht nur Grippe ist ansteckend, sondem auch Weinen, Gahnen und Lachen. Bei Lachen ist es nachvoUziehbar, denn es geht um die Solidaritat der Lacher gegen den Ausgelachten. Beim Weinen scheint Mitweinen eher kontraproduktiv, die angemessene Reaktion ist namlich nicht, auch zu weinen, sondem Hilfeleisten und Trosten. Gahnen synchronisiert den Wachheitsgrad in der sozialen Gruppe und das Aktivitatsniveau wird auf einen gemeinsamen Level gestellt. Das (Mit)erleben von Emotionen hat sich bei Tieren, die in sozialen Verbanden leben, als vorteilhafl erwiesen. Wenn ein Vogel einen Wamschrei ausstoBt, ist es auch fiir die anderen zu empfehlen, Angst zu entwickeln und Fluchtverhalten zu zeigen. Diese Reaktion steigert die Uberlebenschancen des Individuums und hat, wenn das Verhalten vererblich ist, eindeutig reproduktive Vorteile. Dies zeigt auch, dass Emotionen nicht inhaltsfrei sind. Wenn man also die Bedeutung der Wahmehmung durch Medien diskutiert, darf die Behandlung der Inhalte nicht fehlen. Emotionen und deren Ausloser sind kontextabhangig. Nach den Kapiteln iiber Wahmehmung und deren mentale Verarbeitung miissen Kapitel folgen, die sich mit den Inhalten beschaftigen. Die filmische Auflosung in Einstellungen fiir sich lost noch keine Emotionen aus. Nur im Zusammenhang mit den Stoffen und Motiven erlebt man Film und Femsehen. Die Bedeutung der Emotionsauslosung muss vom Beobachter nicht notwendig erkannt werden, denn die Auslosung ist so fundamental, dass es Hinweise dafiir gibt, dass die emotionale Ansteckung angeboren ist. „Spielt man neugeborenen Sauglingen eine Auswahl von Tonbandem vor, dann reagieren sie auf Weinen mit Mitweinen. Die LautauBerung lost in ihnen ein Verhalten aus, das ebensolche LautauBerungen produziert. Man spricht in solchen Fallen von Stimmungsiibertragung." (vgl. Sagi & Hoffmann nach: Eibl-Eibesfeldt 1997, 88) Bei der Betrachtung der ethologischen Theorie wurde der Begriff des angeborenen Auslosemechanismus eingeflihrt. „Stimmungsiibertragung hat wohl generell mit der Aktiviemng der den Emotionen zu Grunde liegenden himchemischen Prozesse zu tun. Nehmen wir ein Lacheln wahr, so setzt dies, vermuten wir, jene himchemischen Prozesse in Gang, die Mitlacheln und freundliche Stimmung bewirken, entsprechend die Wahmehmung des Weinens jene Vorgange, die Trauer und oft Mitweinen aktivieren. Soziale Signale, wie hier solche der Mimik und Lautgebung, triggem chemische Prozesse, die dazu fuhren, dass wir Emotionen und Ausdmck des Partners spiegeln." (Eibl-Eibesfeldt 1997, 114) Der Prozess der Stimmungsiibertragung ist damit exakter beschrieben. Vor allem das Verhaltnis von Mutter und Kind ist auf Reize und Reaktionen ausgelegt. Kinder reagieren auf Aktionen der Mutter und Mutter reagieren mit Bmtpflegereaktionen. Lemtheoretisch lasst sich das nur schwer erklaren, die Reaktionen eines Sauglings sind einzig seine Herzigkeit, ansonsten machen sie nur Arbeit, sind laut und schmutzig. Die Reaktionen auf Kleinkinder sind dennoch positiv. Die wichtigsten aus-
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losenden Signale sind die Proportionsmerkmale bei Sauglingen: kurze Extremitaten imd iibergrofier Kopf und Himschadelpartie, groBe Augen imd Saugmund. Der Begriff des Kindchenschemas hat sich dafur eingeburgert. Eibl-Eibesfeldt bezeichnet die Produkte der Spielwarenindustrie, die diese Muster nutzen, als „Attrappenversuche gro13en Stils" (Eibl-Eibesfeldt 1997, 94). Die iibertriebene VergroBerung der Partien funktioniert sogar besser als getreue Abbildungen, wie man an der Entwicklung der Disney-Figur .Mickey Mouse" sehen kann. In den 50 Jahren seiner Existenz nahm die KopfgroBe im Verhaltnis zur Korpergrofie zu ebenso wie die GroBe der Augen, wahrend die Extremitaten kiirzer und dicker wurden. (Eibl-Eibesfeldt 1997, 96) Dieses Beispiel zeigt auch, dass der Markt ein selektierendes Kriterium ist. Waren miissen sich durchsetzen. Sie miissen den Kunden ansprechen und Vorteile gegeniiber einem anderen Produkt aufweisen. Der Markt ist damit ein gutes Indiz fiir die Wirkung der Muster und Themen. Motive und die Art und Weise ihrer Prasentation miissen sich gegen Konkurrenz durchsetzen. Beim Femsehen konnen Zuschauer jeweils immer nur einen Kanal gleichzeitig sehen. Sie selektieren. Das optische Erscheinungsbild von Sauglingen lost freundliche Zuwendung und Lacheln aus, auch vonfremdenPersonen. Frauen tragen in ihren Gesichtsziigen kindliche Merkmale, die ebenfalls positive Zuwendung auslosen. Besonders deutlich ist dieser geschlechtsspezifische Unterschied an der bei Frauen fehlenden Gesichtsbehaarung zu erkennen. Nicht alle Schliisselreize sind von Geburt an ausgebildet, manche, wie das Erkennen und Reagieren auf Geschlechtsmerkmale, entwickeln sich erst in der Pubertat. Bei der Testanordnung, die Pupillenreaktionen auf Grund von vorgelegten Bildem aufzeigt, lassen sich Zusammenhange erkennen. „Sieht namlich eine Person etwas, was ihr Interesse und Wohlgefallen erregt, dann erweitert sich die Pupille kurzfristig." (Eibl-Eibesfeldt 1997, 354f) Geschlechtsspezifische Unterschiede tauchen auf Beim Anblick eines Kleinkindes reagieren Manner kaum, Frauen jedoch deutlich. Am deutlichsten reagieren Frauen beim Anblick von Mutter und Kind. Manner reagieren nur dann auf Kinder, wenn sie selbst welche haben (Eibl-Eibesfeldt 1997, 622). Die Weitung der Pupille erfolgt unbewusst. Auch der Zustand der Pupille eines anderen Menschen wird offenbar registriert. Legt man Versuchspersonen scheinbar identische Fotografien von Personen vor und fragt nach dem bevorzugten, ziehen die meisten spontan die vor, wo die Pupillen der abgebildeten Person erweitert sind. Erweiterte Pupillen suggerieren freundliche Zuwendung und Interesse. Nonverbale Lautgebung und Mimik, bisweilen unterstiitzt durch Korperhaltung und Gestik, sind Anzeichen fiir Emotionen. Neben dem universellen Auftreten der emotionalen Lautgebung konnten vor allem fiir Mimik interkulturelle Gemeinsamkeiten festgestellt werden. Das zeigt neben der Tatsache, dass auch taubblind geborene Kinder angemessenes Spiel der Gesichtsmuskeln aufweisen, dass diese Kommunikationsformen und deren introspektive Interpretation angeboren sein miissen. In der Literatur gibt es das imaginierte „Du". Vor allem Lieder - gleichgiiltig ob Schnulze, Opem-Arie oder Kinderlied - und Gedichte - vor allem Liebesgedichte bedienen sich dieser Kunstform. Dabei kommt es nicht zu Verwechslungen. Niemand, der im Autoradio einen Schlager hort: „Du, nur du allein sollst gliicklich bei mir sein", wird sich direkt und personlich angesprochen fiihlen, verwirrt und betroffen den Wagen anhalten, zum Handy greifen, um den Sanger anzurufen.
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Die Funktion der Theory of Mind erlaubt eine Introspektion in das Innenleben einer anderen Person. Diese ubemommene Sichtweise lost zunachst die zu erwartenden Emotionen aus. In der Betrachtung dieser Emotionen empfinden die Zuschauer, was er Oder sie empfindet. Sie wissen nicht nur, wie es ihm oder ihr ergeht, sondem sie erleben es. Gefuhlsiibertragung hat mit der generellen Aktivienmg von Emotionen zu tun. Allein die Theory of Mind reicht offenbar aus, ein entsprechendes Gefiihl erlebbar zu machen. Diese sind jedoch vom wahrgenommenen Kontext abhangig, den man dabei mit interpretiert. Man kennt Situationen, in denen man traurig oderfreudigerregt wird, und solche, die einen neutral lassen. Pudowkin beschrieb ein Experiment Lew Kuleschows, der als junger Filmemacher nach der Oktoberrevolution in seiner Filmwerkstatt Versuche mit der Filmmontage durchfuhrte: „Kuleschow und ich stellten ein interessantes Experiment an. Aus irgendeinem Film schnitten wir das Gesicht des bekannten russischen Schauspielers Mosshuchin in GroBaufhahme heraus. Wir hatten einen ruhigen, nichtssagenden Gesichtsausdruck gewahlt. Diese Einstellungen klebten wir in drei verschiedenen Kombinationen zusammen. In der ersten Kombination folgte dieser Einstellung jetzt ein auf dem Tisch stehender Suppenteller, in der zweiten ein Sarg mit einer toten Frau und in der dritten ein kleines Madchen, das mit einem Spielzeug, einem komischen Bar, beschaftigt war. Als wir diese Kombinationen einem unvorbereiteten Publikum zeigten, war das Resultat erschiittemd. Die Zuschauer waren von dem subtilen Spiel des Schauspielers begeistert. Sie stellten eine tiefe Versonnenheit ob der vergessenen Suppe fest, sie waren von der schmerzlichen Trauer in seinen Augen bewegt, als er auf die Verstorbene blickte, und sie waren von dem zarten Lacheln begeistert, mit dem er das spielende Madchen bewunderte. Wir wussten alle, dass es das gleiche Gesicht war. So stark ist die Montage." Pudowkin 1983, 355) Das Experiment ist zwar nur in dieser Anekdote iiberliefert, dennoch gibt es Einblicke in die Funktionsweise von Film. Grundlage der Montage mit einer GroBaufhahme ist, dass man annimmt, dass das, was nach dem Zeigen von Augen zu sehen ist, das ist, was diese Augen sehen. Die visuelle wie mentale Perspektivenubemahme gehort demnach zur Grundausstattung der visuellen Medienrezeption. Mehr noch: Individuen bringen ihre eigenen Emotionen ein und interpretieren danach den Emotionsausdruck des Schauspielers. Sie interpretieren bei der Filmwahmehmung den Kontext auf der Grundlage der dadurch ausgelosten Gefiihle mit. In der Filmtheorie ist dies eine wichtige Erkenntnis dariiber, welche Moglichkeiten ein Filmemacher hat, die Emotionen der Zuschauer zu beeinflussen. Das von Pudowkin beschriebene Experiment wurde von Munn bereits 1940 in einer Studie bestatigt: „Den Versuchspersonen wurden Fotografien aus dem Magazin Life gezeigt und sie wurden aufgefordert, die Emotionen der Menschen auf diesen Bildem zu bewerten. Bei einigen Bildem war der Hintergrund wegretuschiert worden, so dass nur die Person sichtbar war. Munn fand bei diesem Experiment heraus, dass die Genauigkeit und Ubereinstimmung bei der Benennung der Gefiihle viel besser war, wenn die Hinweise, die die Situation im Hintergrund lieferte, vorhanden waren." (Ruch & Zimbardo 1975, 296, die erwahnte Studie ist: Munn 1940) Offenbar interpretiert man in Situationen, in denen man bestimmte Emotionen und Reaktionen erwartet, weniger den Ausdruck des Gesichts als die Situation selbst.
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Spiegel'Neuronen Erst seit kurzem glauben Neurowissenschaftler die Zusammenhange zu verstehen, die dazu fiihren, dass Individuen andere Individuen verstehen. Denn wenn der Mechanismus evolutionar angelegt ist, muss er eine neuronale Basis haben. Bei der Untersuchung von Makaken-Affen stieBen Vittorio Gallese und seine Kollegen (Gallese et al 1996) auf eine Ansammlung von Zellen im pramotorischen Kortex, die eigentlich fiir die Planung von Bewegimgen verantwortUich sind, die nicht nur feuerten, wenn das Individuum selbst eine Aktion plante, sondem auch dann, wenn es ein anderes Individuum bei einer Aktion beobachtete. Die Wissenschaftler nannten diese Zellgruppe Spiegel-Neuronen. Nicht nur, dass die Zellen das Verhalten imitierten, sie reflektierten auch Empfindungen und Emotionen. Offenbar sind die Individuen von sozial lebenden Spezies fahig, sich in die Lage von anderen zu versetzen und die eigene Vorstellungen, Empfindungen und Emotionen als Modell fur die der anderen zu nehmen. Sehr bald wurden die Experimente auf Menschen ausgedeht. Wicker und Kollegen (Wicker et al 2003) konnten zeigen, dass Ekel empfunden wird und im selben Himareal - Anterior Insula - verarbeitet wird, gleichgiiltig, ob ein Individuum selbst den Stimulus erlebt, Oder ob es den Gesichtsausdruck eines anderen sieht, dem ein Ekel erregenden Stimulus prasentiert wird. Damit scheint dem Theory of Mind-Modul eine neuronale Basis gegeben. Auf Seiten der Medienwahmehmung und -wirkung sind damit neue Erklarungsansatze moglich. Der Kuleschow-Effekt bekommt einen neurowissenschaftlichen Hintergrund. Die Innenwelt der Aufienwelt Die Gestaltung des Filmbildes gibt Hinweise auf den emotionalen Zustand der Person, die sich in diesem Raum befindet. Dies ist zunachst ganz direkt zu betrachten, wenn ein Raum mit einer Person zu identifizieren ist. Die Art und Weise wie jemand den Raum gestaltet, in dem er lebt, ist ein Spiegel seiner asthetischen Wahmehmung. Farben, Wandgestaltung, Stil und Arrangement der Mobel, ja selbst die GroBe und Lage des Raumes machen Aussagen iiber die Person. Extrem wurde dies vorgefuhrt in den Filmen des deutschen Expressionismus. Zentrales Anliegen des expressionistischen Films war es, die innere Welt der Empfindungen durch auBere Entsprechungen sichtbar zu machen. Vor allem elementare Gefuhle wie Angst, Hass und Liebe, die Zwiespaltigkeit des Menschen {.Metropolis" Lang, D 1927), Gewalt und Schicksal („Z)er letzte Mann'' Mumau, D 1924, ,,Caligari" Wiene, D 1920), die Anziehungskraft monstroser oder damonischer Wesen (,,Golem" Boese und Wegener, D 1920), „Caligari", „Nosferatu" Mumau, D 1922) wurden bildhafl vorgefuhrt. Dramatische Lichtsetzung und Set-Gestaltung ist in Robert Wienes „Caligari" beispielhafl. Es gibt kaum einen rechten Winkel, alles scheint aus den Fugen. Das AuBere stehtfiirsInnere. Die „Wild ^nge/5'"-Generation der Filmemacher entdeckt in ihren Hippie-Filmen diese Moglichkeit der bildlichen Gestaltung neu. „Easy Rider'' (Hopper, USA 1969) nutzt einen „Preview Flash Cut", das kurze Vorzeigen einer spateren Sequenz, sowie Farb- und Formveranderungen als Wahmehmungsveranderung unter Drogen. In ,,Zabriski Point (Antonioni, USA 1970) wird eine ertraumte Wirklichkeit enthemmter koUektiver Sexualitat gezeigt, aber auch die Wut auf die Konsumgesellschaft in aggressiven Explosionsfantasien.
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Akustische Wahrnehmung und Emotion Neben den visuellen Reizen, die fur das Erleben im Kino und vor dem Femsehapparat die entscheidende RoUe spielen, wird auch der akustische Sinn angesprochen. Andere sinnliche Wahmehmungen spielen keine Rolle. Mit Tast-, Gleichgewichts- oder Geruchsinn wurde zwar immer wieder mal experimentiert, doch als Standard durchgesetzt hat sich diesbeziiglich nur der Ton. Gerausche, Sprache und Musik sind die Einteilungen, die iiblicherweise in der Filmanalyse fur die akustischen Ereignisse vorgenommen werden. Gerausche. Die Fahigkeit zu horen ist angeboren. Die Interpretation des Gehorten ist weitgehend erlemt. Selbst die Interpretation der Miniechos in den Windungen der Ohrmuscheln muss gelemt werden, da diese bei jedem Menschen anders gebaut sind. Da der evolutionare Vorteil des Horens nicht nur in der Richtungserkennung, sondem in der Zuordnung von Schall zu seiner Quelle besteht, muss zudem ein immenser Speicher an Reprasentationen angelegt werden. Bestimmte Gerausche sollten moglichst schnell bestimmten Objekten zugeordnet werden konnen. Dieser Reflex ist so stark, dass es praktisch keine akustische Wahmehmung ohne visuelle Reprasentation gibt. Bei unbekannten Gerauschen sucht man nach einer Interpretation, fmdet man keine, machen sie Angst. Sie beschreiben zunachst Ungewohnliches und solange die Quelle nicht als harmlos identifiziert ist, kann eine gewisse Vorsicht nicht schaden. Horrorfilme nutzen solche unbekannte Gerausche (z. B. „Die Vogel" Hitchcock, USA 1963). Sprache. Neben den genannten Vorziigen der akustischen Wahmehmung zur Lokalisierung und Identifizierung von Gerauschquellen, ist diese fxir einen weiteren wichtigen Aspekt zustandig. Lautproduktion und Lauterkennung stehen im Dienst der Kommunikation. Die evolutionar altesten Formen der LautauBemng und Lauterkennung findet sich bei Tieren, die ihre Nachkommen beschiitzen. In der Mutter-Kind-Beziehung kann eine Trennung Gefahr fur die ungeschiitzten Nachkommen bedeuten. Wechselseitiges Lautgeben und Lauterkennen bringen Mutter und Kind schnell und effektiv wieder zusammen. Weiter entwickelte Formen fmden sich in Wammfen, die auch innerhalb einer sozialen Gmppe verstanden werden und entsprechende Reaktionen auslosen. Doch bei keiner Spezies ist das vokale System so entwickelt fiir Kommunikation wie beim Menschen. Parallel zu den Sprechorganen Lippen, Zunge und Kehlkopf hat sich auch das Ohr verfeinert. Fiir den Frequenzbereich, in dem die menschliche Sprache liegt, hat das Gehor besondere Fahigkeiten entwickelt. Dass Sprachproduktion und Spracherkennung eine besondere Fahigkeit des Gehims sind, zeigt sich an deren auBerordentlich hohen Verarbeitungsgeschwindigkeit. Der Mensch produziert 2-3 Worter bzw. 10-12 Phoneme pro Sekunde. Der Horer muss in dieser Geschwindigkeit sein mentales Lexikon durchblattem, um die Phoneme zu Wortem zusammenzusetzen und den Wortem im Kontext von Satzen auch Bedeutung zu geben. Dieses mentale Lexikon enthalt 50.000 Eintrage. Hierzu miissen die zu Gmnde liegenden Mechanismen vollig automatisch und auBerhalb der bewussten Kontrolle ablaufen. Daneben iibermittelt die Stimme noch weitere Informationen: Sie gibt Aufschluss iiber das Geschlecht und in gewissem Rahmen uber das Alter. Ist die Stimme des Sprechers oder der Sprecherin bekannt, erkennt man ihn oder sie ohne ihn oder sie zu sehen. Dabei erkennt man auf ein Neues, dass die akustische Wahmehmung intensiv mit dem Gedachtnis gekoppelt ist. Was beim Erkennen von Gerauschen die dazugehorenden visuellen Reprasentationen herstellt, ist auch beim Wiedererkennen von Personen
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dienlich. SchlieBlich ist die Stimme auch noch Tragerin von EmotionsauBerungen. Vor allem der Sprechrhythmus scheint bei der Interpretation, ob jemand angstlich, wiitend, traurig, gelangweilt, freudig oder neutral spricht, eine Rolle zu spielen. (Klasmeyer & Meier 1998) Anne Femald (Femald in Barkow, Cosmides & Tooby 1992) suchte in ihrer Analyse zu Stimmhohenveranderung im Dialog von Miittem und Vatem mit Kindem nach evolutionspsychologischen Erklarungen. Nicht nur Eltem, sondem fast alle Erwachsenen, die sich mit Kindem unterhalten, sprechen langsamer und mit hoherer Stimme, die zudem weicher und iibertrieben in der Intonation ist. Um Kinder zu loben, benutzen Mutter iiblicherweise einen groBen Frequenzumfang mit ansteigenden und fallenden Tonmustem. Um Kleinkinder zu beruhigen, hort man bei Miittem lange, sanfte, fallende Legato-Klangmuster im Gegensatz zu kurzen, scharf intonierten Mustem, wenn sie wamen oder ihnen etwas am Verhalten der Kinder missfallt. Diese Muster wurden in zahlreichen europaischen, asiatischen und afrikanischen Kulturen ebenso wie bei nordamerikanischen Ureinwohnem systematise!! gefunden und haben damit gute Aussichten als universell angesehen zu werden. Femald kann in ihrem Aufsatz gute Argumente liefem, dass diese charakteristischen Sprachmelodien in der Sprechweise von Miittem biologisch relevante Signale sind, die durch die natiirliche Selektion gebildet wurden. Leda Cosmides weist darauf hin, dass die Lautmuster als emotionaler Ausdmck wichtige Hinweise auf Intentionen und Motivationen des Sprechers bieten. (Cosmides 1983) Bereits bei Tieren kann man konsistente Muster fmden: Hohe Tone konnen fiir Angst, Befriedung und freundliche Zuwendung stehen, wahrend tiefe mit Bedrohung assoziiert werden. (Morton 1977) Damit geht einher, dass die Stimme automatisch hoher klingt, wenn man versucht, wahrend des Sprechens zu lacheln. Es geht jedoch nicht nur damm, dem Kommunikationspartner seine Stimmung mitzuteilen, sondem Sprache hat auch auf dieser Ebene einen intentionalen Charakter. Mit der Mitteilung iiber die gegenwartige Laune in Bezug auf ein Verhalten mochte der Sprecher dieses Verhalten bestatigen oder aber auch verandem. Drei Variablen sind bei der emotionalen Stimmanalyse zu unterscheiden: Lautstarke, Tonhohe und Timing. Dennoch sind die Variablen schwer zu interpretieren. Zwar wird Lautstarke allgemein mit einer aggressiven Stimmung verbunden, doch muss man auch den Abstand der Kommunikationspartner beriicksichtigen. Die Tonhohe ist bei jedem Individuum verschieden, dabei hat jeder zudem sein charakteristisches Lautbild. Tonhohenschwankungen kreisen um einen individuellen Mittelwert. Sie sind ein Indikator fiir verschiedene emotionale Zustande, vor allem in der MutterKind-Kommunikation, die noch vorverbal gepragt ist und affektive Zustande vermittelt. Auch Rhythmisiemng und Pausen innerhalb des Sprechflusses sind schwer zu interpretieren. Es scheint, erst in der Kombination der Merkmale sind Zuordnungen moglich (Pittam & Scherer 1993). Das zeigt einerseits, wie komplex das System der emotionalen Kodierung ist und dass es kaum in Schemen zu fassen ist und anderseits, wie einfach die Dekodiemng ist, denn ohne Nachdenken und bewusste Analyse sind Menschen in der Lage, Stimmungen und emotionale Zustande erkennen. Selbst die Grammatik der Sprache gibt Informationen iiber Rang und Status des Sprechers und iiber das Verhaltnis zwischen Dialogpartnem. Dies wird deutlich, wenn man gegen die Regeln verstoBt, etwa wenn man innerhalb der Familie eine formal-korrekte, aber distanzierende Sprache verwendet. Bis in die Wortwahl lasst sich diese
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Funktion der Sprache zeigen. Das in der deutschen Sprache verwendete „Sie" zeigt Distanz und Hierarchic, das „Du" Gleichberechtigung und emotionale Nahe. Sprache konstituiert damit Gruppenzugehorigkeit und Hierarchie. Gruppeninteme Sprechweisen in Grammatik und Wortwahl sind nachweisbar, gruppenexteme Identifizierungen sind festzustellen: Bei einem Sprecher mit Dialekt ist seine lokale Zugehorigkeit zu bestimmen. Sprechen ist ein Instrument der sozialen Determinierung. Auch in der Melodic der Sprache sind Emotionen erkennbar, die man auf Grund von angeborcnen Mustem entschliisseln kann, selbst wenn das Gesprochene in einer fremden Sprache gesagt wird. So konnten die Ausdrucksweisen den Kategoricn „1. bloBe Aussagen, 2. Liebesgcfuhle, 3. Freude, 4. FeierUchkeit, 5. Komik, 6. Ironie, Wut, Trauer, Resignation, 8. Angst, Schrecken, Furcht" (Eibl-Eibesfeldt 1997, 726) signifikant zugeordnet werden. Weitere Merkmale sind gepresste und nicht gepresste Stimme, so wie die Fahigkeit, die Stimmbildung im Kopf oder in der Brust zu konzentrieren. Diese Stimmlagen konnen Anzeichen sein fiir „Arger, Freude, Angst, Trauer, Langeweile und anderes". (Eibl-Eibesfeldt 1997, 729) Hohe Tone werden mit Schwache, tiefe mit Starke assoziiert. Dass eine emotionale Interpretation bei den stimmlichen AuBerungen mehrdeutig sein kann, zeigt, dass offenbar mehrere Elemente gleichzeitig beurteilt werden miissen, um eine Zuordnung zu einem emotionalen Zustand machen zu konnen. Nicht zu vergessen, dass normalerweise auch visuelle Informationen hinzukommen. Die inhaltsvermittelnde Funktion der Sprache muss noch diskutiert werden. Hier soil es nur um die Vermittlung von emotionalen Zustanden gehen. In ganz besonderer Weise leistet dies die Musik, die nicht nur als unabhangiges und autonomes Mittel in den audio-visuellen Medien eingesetzt wird, sondem unterschwellig unter Bilder gelegt wird, ganz offensichtlich um Emotionen zu erzeugen. Die Interpretation der Bilder soil damit deutlich werden. Musik. Musik ist Erleben in der Zeit. Das hat mit der besonderen Funktion des H6rens und der Verarbeitung des Gehorten zu tun. Einerseits macht das Gehorte Riickbeziige zum Gedachtnis, andererseits wird beim Horen antizipiert. Beide Funktionen sind veranlagte und adaptierte Fahigkeiten, die eine emotionale Musikwahmehmung erst moglich machen. Sicher hat das Empfinden eines Klavierkonzertes keinen evolutionaren Vorteil. Ebenso wenig hat uns die Evolution auf RoUschuhfahren und Wellenreiten vorbereitet. Jedoch hat sich auf Grund des aufrechten Ganges auf zwei Beinen ein ausgepragter Gleichgewichtssinn entwickelt, der es manchen nach einiger Ubung erlaubt, auf einem Brett stehend durch unruhiges Wasser zu gleiten oder mit Radem unter den FiiBen nicht hinzufallen. Die Fahigkeit, Musik wahrzunehmen und asthetisch zu beurteilen, ist eher ein sekundarer Effekt der besonderen Fahigkeiten bei der Gerauschwahmehmung und ganz speziell bei der Wahmehmung von Stimmen und Sprache. Vor allem die Interpretation von Tonzusammenhangen im Kontext zueinander ist davon ableitbar. Es gilt der Satz der Gestaltpsychologie: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Telle." Auf Grund der Sprach- und Stimmerkennung bis hin zu deren emotionaler Bewertung haben Menschen die Fahigkeit, rasche Tonfolgen, Tonhohenveranderungen und klangliche Variationen wahrzunehmen und zu interpretieren. Tatsachlich beginnt die musikalische Bildung bei Kindem als rhythmische und melodische Sprache. Erst allmahlich trennen sich Sprache und nonverbales musikalisches Erleben. Auch die Tradition der abendlandischen Musik geht auf Muster der gesprochenen Sprache zu-
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riick. Die Gesange der mittelalterlichen Monche „bestanden aus einer einzelnen aufund absteigenden melodischen Linie im Umfang von ein oder zwei Halbtonschritten, ohne dramaturgische Spriinge. Jeder Ton wurde lang ausgehalten und wies keine andere Betonung als den natiirlichen Rhythmus der gesprochenen Sprache auf. Friiher Gesang war eigentlich nur ein besonders ausgeschmiicktes Gebet, bei dem bestimmte Vokale mit festen Tonhohen verkniipft waren. Den Sangem kam es im Wesentlichen auf die Worte an, nicht auf die Tone." (Jourdain 1998, 128f) Bis ins 13. Jahrhundert blieb das Organum, diese Art melodisch zu beten. Stand der Kompositionstechnik. Ausgelost durch die Zunahme des Tonumfangs, dem nicht mehr alle Sanger folgen konnten, entwickelten sich allmahlich unabhangige Stimmen und die Polyphonie, die Grundlage der westlichen Musik. Robert Jourdain bietet in seiner Untersuchung „Das wohltemperierte Gehim" eine Erklarung, wie Emotionen durch Musik ausgelost werden. Grundlage der Theorie ist eine besondere Rolle der Emotion bei der Wahmehmung. Die sinnlichen Eindriicke sind so vielfaltig, dass sie nicht alle zu verarbeiten sind. Ein effektiver Filter muss eine Vorauswahl treffen und diese Rolle spielt das limbische System. Es entscheidet iiber wichtig und unwichtig, zieht Erfahrungen heran, bewertet, richtet die Aufinerksamkeit und steuert Reaktionen. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit dem Kortex. Emotionen haben viel zu tun mit Erwartungen. Wenn Vermutungen nicht so eintreten, wie man sie vorhergesehen hat, entstehen Gefuhle. Diese konnen negativ sein, wie bei Trauer, Wut, Arger und Ekel, oder sie konnen positiv sein, bei Freude. Wenn Ereignisse so eintreten, wie man sie erwartet hat, werden kaum Emotionen auftreten. Der Sinn liegt in der Reduktion von kognitiver Verarbeitung. Der Effekt der Habitualisierung beschreibt dieses Phanomen. Dinge, die an ihrem Platz sind, werden weniger intensiv wahrgenommen, als Sachverhalte, die nicht in der erwarteten Ordnung auftreten. Und genau hier setzt die Vermutung an, warum Menschen Moll-Akkorde als traurig wahmehmen und Dur-Akkorde alsfrohlich.Dieses Empfmden ist nicht universell, gilt aber fur die westliche Musiktradition, denn diese baut auf der Harmonic des Dreiklangs auf Ein Dur-Dreiklang scheint die Erwartungen zu erfiillen. Bei einem MoUAkkord fehlt etwas, ist die Erwartung nicht erfullt. Tatsachlich baut sich dieser aus einer kleinen Terz auf, wo hingegen bei Dur ein groBerer Frequenzsprung stattfindet. Die Dur-Erwartung wird enttauscht. Die Freude an der Musik ist komplexer. Man empfmdet Freude an Melodien, an Auflosungen nach aufgebauten harmonischen, dynamischen oder rhythmischen Spannungen, an Klangen oder am Musizieren selbst. Wenn ein schwieriges Stiick gelingt, wenn man in der Gruppe synchron spielt, alles das kann den Musikgenuss auslosen. Uber die Funktion des Wohlbefmdens wurde im Zusammenhang mit der Emotion gesprochen. Hier finden sich Anwendungen. Im Zusammenhang von Musik und Film ist nun ein interessantes Phanomen zu beobachten: Offenbar wird die Stimmung, die durch das akustische Ereignis ausgelost wurde, auf das visuelle Geschehen iibertragen. Die Stimmungslage ist bekanntlich mitverantwortlich fur die Interpretation der Wahmehmung. Ein aggressiver Mensch nimmt die Welt als bedrohlich wahr, ein trauriger Mensch als verlustreich, ein frohlicher Mensch sieht eine positive Welt. Aus der Polyphonie, dem Zusammenklingen mehrerer Stimmen, ergibt sich ein weiteres Element der Musik. Gut zusammenklingende Tone werden immer wieder gesucht, dissonante vermieden. Dass dicht benachbarte Klange als dissonant erlebt wer-
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den, hat physikalische Griinde und lasst sich neurologisch erklaren. Verantwortlich dafiir ist der Bau des Innenohres mit seinen Rezeptoren entlang des kortischen Organs: „Bei jeder Frequenz wird diese Membran an einem bestimmten Punkt maximal in Schwingimg versetzt, und dort warden auch die Rezeptorzellen am starksten erregt; die davor und dahinter liegenden Zellen feuem allerdings auch. Dieser gesamte Aktivierungsbereich heiBt kritisches Band des Schalls. Wie man herausgefunden hat, bilden zwei Frequenzen dann ein dissonantes Intervall, wenn sich ihre kritischen Bander iiberlagem. Dadurch dass sie innerhalb der Cochea so dicht beieinander liegen, storen die beiden Schallschwingungen gegenseitig ihre Wahmehmimg." (Jourdain 1998, 136) Dies erklart, warum benachbarte Tone als dissonant wahrgenommen werden. „Eine zweite Form der Dissonanz griindet sich auf das einfache Phanomen der Schwebung. Ein reiner Ton von 100 Hertz erreicht hundertmal pro Sekunde seine maximale Intensitat. Ein zweiter Ton von 102 Hertz erreicht diesen Gipfel 102-mal. Werden diese beiden Tone kombiniert, sind ihre Intensitatsmaxima normalerweise nicht synchron, in regelmaBigen Abstanden fallen die beiden Maxima jedoch auf einen Punkt - in diesem Beispiel zweimal pro Sekunde. Genau zu diesen Zeitpunkten iibt die vereinte Kraft dieser beiden Tone einen besonders starken Druck gegen das Trommelfell aus und man nimmt eine momentane Intensivierung des Schalls wahr, eine Schwebung. Bis zu zwanzig solcher Schwebungen lassen sich pro Sekunde einzeln wahmehmen; bei hoheren Frequenzen verschmelzen sie zu einer unangenehmen Rauheit, einer Art akustischer Reibung." (Jourdain 1998, 136f) Die Harmonic ist wesentlich am Erleben in der Musik beteiligt. Dabei spielen nicht nur physikalische und neurologische Phanomene eine Rolle, sondem auch kulturelle. „Musik baut erst Erwartungen auf und erfiillt diese dann. Sie kann die Auflosung zuriickhalten und so die Erwartungen noch weiter steigem, um sie dann schlieBlich in einem groBen Schlag zu befriedigen. ... Die Theorie, dass negative Emotionen aus unerfullten Erwartungen entstehen, konnte die langjahrige Debatte dariiber beenden, warum Dur-Akkorde ,fr6hlich' klingen und Moll-Akkorde ,traurig'. Viele vertreten die Auffassung, dass derartige Unterscheidungen rein kulturell bedingt sein konnen, und weisen dabei auf die sehr unterschiedlichen Reaktionen hin, die diese Akkorde manchmal bei nicht-westlichen Zuhorem hervorrufen. Trotzdem muss die Tatsache, dass ein Indonesier einen Moll-Akkord als ,fi-ohlich' empfindet, nicht unbedingt heiBen, dass die emotionale Reaktion auf Akkorde vollig willkiirlich ist. Ein Indonesier wendet beim Musikhoren ein vollig anderes Paradigma fur Harmonik an - eines, bei dem nicht Dreiklange im Mittelpunkt stehen - und nimmt deshalb harmonische Beziehungen ganz anders vorweg. Innerhalb des Kontextes konnte ein Moll-Akkord vollig seinen Erwartungen entsprechen und wiirde daher ,fr6hlich' klingen. Trotzdem konnten Moll-Akkorde immer noch innerhalb des auf Dreiklangen auft)auenden westlichen Harmonie-Systems notwendigerweise traurig klingen, weil sie die Erwartung verletzen, die dieses System aufbaut. Die Obertone von Moll-Dreiklangen iiberlappen nicht so gut wie die von Dur-Akkorden, daher sind Moll-Dreiklange durch die Unstimmigkeit in den Obertonen, die fur unser harmonisches System so wichtig sind, grundsatzlich konfliktbeladen." (Jourdain 1998,279f) Doch wenn das Auslosen von Emotionen durch Erwartungen bestimmt ist, wie kann ein Musikstuck die gleiche Wirkung haben, wenn man es zum wiederholten Mai hort? Auch hierfiir gibt es eine neuronale Basis, falls man die Pramisse der Evolutionspsychologie akzeptiert, dass das Gehim aus einzelnen Modulen besteht, die jeweils auf
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besondere Aufgaben spezialisiert sind. Diese reagieren bei Abweichungen und Auflosungen regelmaBig so, wie sie es erwarten. „Ein Modul, das zeitliche Strukturen erfasst, nimmt den nachsten Schlag konstant vorweg, unabhangig davon, wie viele Male es gehort hat, dass dieser Schlag zu spat kommt." (Jourdain 1998, 380) Gewohnung tritt zwar im Laufe der Zeit ein und Musikstiicke werden ihren schockierenden Charakter verlieren, doch wird sie die Erwartung dessen, was eigentlich kommen sollte, niemals aufheben. Musik und Sprache haben neben der melodischen Gemeinsamkeit noch eine weitere: In beiden Ausdrucksformen gibt es Phrasierung. Damit ist die Zusammenfassung von Klangfiguren gemeint, die lange Schallfolgen in leichter fassbare Abschnitte teilt, und nicht zu verwechseln ist mit dem Metrum, dem regelmaBigen Schlag des definierten Taktes. Das Metrum organisiert Tonabfolgen in Sequenzen, die langer sein konnen als die metrische Takteinheit, es ist einer erzahlerischen Dimension vergleichbar. Das Gehim sucht nach Einheiten, die ein Thema begrenzen. Auch hier hilft die Analogic zur Sprache: Man nimmt Phoneme wahr, die zu Wortem zusammengefasst werden, und Worter, die erst im Kontext eines Satzes Sinn machen. In beiden Fallen sammelt man Wahmehmungen im Kurzzeitgedachtnis bis ein Einschnitt erkennbar ist. Man ordnet die Eindriicke zu so genannten Chimks. Die Summe der Chunks ergibt eine grol3ere Einheit, die die einzelnen Teile in Beziehung setzt. Musikalische Phrasierung schafft Zusammenhange zwischen den einzelnen Tonen einer Melodielinie. Bei der verbalen Variante erkennen wir Aussagen, bei der musikalischen die Struktur einer Komposition. Ein gesprochener Satz entspricht einer musikalischen Phrase. Der Sinn eines Satzes kann durch eine variierte Phrasierung verandert werden, ebenso andert sich der Sinn eines musikalischen Themas durch eine Veranderung in der Phrasierung. Sie ist in der Musik wie beim Sprechen an kurzen Pausen, an Betonungen, melodischer Verziehung, an einer markanten Veranderung der Lautstarke oder an einer Stimm- oder Instrumentenanderung zu erkennen. Ein weiteres Element, das in beiden Bereichen der Lautproduktion genutzt wird, ist die Variation des Tempos. Besonders am Ende einer Phrase findet man eine Verlangsamung, ein Ritardando. Dem Sprecher geht die Luft aus. Die meiste Aufinerksamkeit wird den musikalischen Ereignissen im oberen Frequenzbereich gewidmet. Die Melodic findet sich normalerweise in diesem Spektrum. Der Grund liegt in der Parallele zur Sprachbildung und -wahmehmung. Konsonanten entwickeln in diesem Spektrum ihre groBte Energie. Werden mehrere Melodielinien gleichzeitig prasentiert, konzentriert sich das Gehim auf eine einzelne. Ebenso konnte man seine Konzentration in einem Gesprach auch nur einer Stimme gleichzeitig zuwenden. Ein fester Rhythmus in Form von metrischer Eindeutigkeit ist keine Bedingung fur Musik - wie bei den gregorianischen Gesangen zu horen ist. Der Rhythmus ist nicht durch die Phrasierung festgelegt, er schafft lediglich den Rahmen. Dennoch hilft der stetige Schlag des Metrums. Ist ein Rhythmus einmal erkannt, nimmt das Gehim die weiteren Schlage in Erwartung voraus, so intensiv, dass fehlende Schlage problemlos erganzt und unpassende nur schwer nachvoUzogen werden konnen. Die spezifischen Fahigkeiten der Musikwahmehmung haben ihre Wurzeln eindeutig in der Sprachfahigkeit, gehen jedoch in einigen Punkten dariiber hinaus. Sprache und Musik sind Ausdrucksweisen, die Bedeutung transportieren, doch ist die Bedeutung
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von sprachlichen Ausdriicken verglichen mit musikalischen viel eindeutiger. Sprache ist symbolisch, Musik ahmt das Erleben eher nach. In den Tagen der Stummfilms begleiteten Pianisten die visuellen Ereignisse auf der Leinwand; sie batten Sammlungen von musikalischen Themen, die wie Gebrauchsanleitungen Anweisungen zur Unterstiitzung bestimmter Reprasentationen lieferten. Oft waren es Hinweise zur Stimmung: „Arger", „Wut", „Trost", „VerwiiTung", „Mudigkeit", aber auch Aktivitaten wie „Klettem" oder „harte Arbeit" (Jourdain 1998, 358). Dennoch ist schwer zu entscheiden, ob das visuelle nicht auch die Interpretation fiir das akustische Ereignis liefert. Wenn man jemanden fallen sieht, klingt auch die Musik nach Fallen, wahrend dieselbe Musik in einem anderen Zusammenhang auch fur „Enttauschung" stehen konnte. Zwar gibt es eine genaue visuelle Reprasentation fiir Tierlaute, aber es gibt keine Reprasentation fiir einen Kontrapunkt oder eine abwarts laufende Moll-Tonleiter. Fiir das eine gab es eine Millionen Jahre alte Selektion, fiir das andere mit einiger Sicherheit nicht. Statt auBere Ereignisse abzubilden, hat Musik mit dem inneren Erleben zu tun. Wenn Musik inneres Erleben, mithin Emotionen, ausdriickt, ist es nicht verwunderlich, dass Sprache hier versagt. Uber die Bedeutung von Musik in einem evolutionspsychologischen Kontext wird es noch weitere Uberlegungen geben. An dieser Stelle nur noch so viel: Bedeutung ist nichts den Dingen inharentes, es ist keine Eigenschaft der Objekte. Bedeutung ist eine aktive Zuweisung durch den Wahmehmenden. Individuelle Erfahrung im kulturellen Kontext spielt eine nicht zu unterschatzende Rolle bei der Interpretation. Die Zeit, in der Individuen die Klangfarbe eines Tones erkennen, ist identisch mit der, in der sie das sprachliche Ereignis eines Konsonanten erkennen: etwa eine Zehntel Sekunde. Sehr schnell gespielte Tonfolgen verandem wie bei einem Glissando den akustischen Eindruck im Vergleich zu den Einzelnoten, es entsteht ein neuer Klang. Nimmt die Geschwindigkeit zu sehr zu, wird Musik zum Gerausch und bei Sprache kann man deren Bedeutung nicht mehr erkennen. Das Tempo ist bei der Musikwahrnehmung sehr wichtig, weil sie extrem sensibel auf die Geschwindigkeit reagiert. „Jeder Aspekt der Musikwahmehmung - einzelne Tone, ihre Klangfarbe, ihre Gruppierung, ihre harmonische Beziehung - hangt von der Darbietungsgeschwindigkeit ab." (Jourdain 1998, 183) Mit zunehmendem Tempo sind Einzelereignisse schwerer voneinander zu trennen, man nimmt andere Zusammenhange und Strukturen wahr. Obwohl die Geschwindigkeit objektiv zunimmt, scheint das Stuck langsamer zu sein. Jourdain raumt in seinen Uberlegungen zur Psychologic der Musikwahmehmung mit der Vorstellung auf, dass das rhythmische Empfmden mit dem Herzschlag oder mit anderen korperlichen Funktionen, wie etwa der Atmung oder dem Gehtempo und der begleitenden Arm- und Beinbewegung zu tun hat. Dagegen spricht unter anderem, dass Kinder ziemlich lange brauchen, um eine Vorstellung vom Rhythmus zu erlangen, oder auch Musiker mit unterschiedlichem Puis das Tempo eines Stiickes unabhangig davon kontrollieren konnen. Statt dessen werden drei Bereiche im Gehim identifiziert, die eine eigene Rhythmik produzieren. „Eine dieser Strukturen sind die Basalganglien, eine Anhaufimg von Nervenzellen unterhalb des Kortex, die fiir die Intensionsbildung verantwortlich sind, die einer Korperbewegung vorausgeht. Ein weiterer Bestandteil sind die Frontallappen, die die Aktivitat der Basalganglien kontrollieren und dadurch moglicherweise die Frequenz dieser Intervall-Uhr festlegen. Die letzte Struktur sind zwei kleine Kerne, die Substratia nigra, die entscheidend fiir die Funktionsweise der Basalganglien sind." (Jourdain 1998, 190) Wenn also jemand
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Rhythmus im Blut hat, dann betrifft dies neurologisch gesehen eher die Impulse, Arme, Beine, Kopf oder andere Extremitaten im Takt der Musik zu bewegen. Ganz zentral ist Rhythmus beim Darbieten einer Solostimme nicht. Diese kommt auch ohne einen strengen Rhythmus oder ein festgelegtes Tempo aus. Erst in der Koordination von mehreren Sangem oder Instrumentalisten ist eine gemeinsame Verabredung erforderlich. Rhythmus wird nur deswegen als eine Grundlage der Musik angesehen, weil sie den intensivsten Bezug zur Darbietung im Laufe der Zeit aufweist. Giinter Tembrock (1977, 1996) betrachtet Tierstimmen und deren Bedeutung. Er unterscheidet zwischen affmen und diffugen Lauten. Die affinen gehen einher mit einer Verringerung des Abstandes zwischen den Tieren. Einige Tiere signalisieren damit eine Annaherung. Junge Tiere nutzen wimmemde, winselnde Klange um nach ihrer Mutter zu rufen; Muttertiere setzen ahnliche Klange ein, um ihre Kinder anzulocken. Als diffuge Laute bezeichnet Tembrock dagegen solche Laute, in deren Folge die Tiere den Abstand zueinander vergroBem, Sie werden genutzt bei der Revierkennzeichnung oder beim Dominanzverhalten. Dabei werden laute, tiefe, raue, crescendoartige Gerausche eingesetzt. Diese sind zu fmden beim Bellen und Knurren unterschiedlicher Tierarten. Musik weist analoge Auspragungen auf. Heavy Metal und ahnlich aggressive Musik kann vergleichbar zum animalischen Pendant Dominanz ausstrahlen. Es scheint also bei der Musikerzeugung und bei der Musikwahmehmung Konstanten zu geben, die sich in der Evolution gebildet haben. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass Musik kulturell und sogar individual sehr unterschiedlich wahrgenommen wird und dass rein biologische Erklarungen hier zwar eine wichtige Grundlage bilden, aber das Phanomen Musik nicht ausreichend erklaren konnen. Filmmusik Norbert Jiirgen Schneider unterscheidet in seinem Handbuch fur Film- und TVKomponisten (Schneider 1997, 67) eine Reihe von Funktionen der Filmmusik. Alle haben ursachlich mit den Besonderheiten der akustischen Wahmehmung und den in der Evolution entwickelten Aufgaben zu tun. Im Einzelnen sind zu nennen: Zeitempfinden relativieren. Da Musik ein Ereignis im Laufe der Zeit ist, organisiert sie Zeit. Wenn die Musik ununterbrochen lauft, verbindet sie damit sequenzierte Filmeinheiten. Nichtzusammenhangendes wird als zusammenhangend erlebt. Sequenzen raffen Zeit, Musik verbindet die montierten Elemente. Bewegungen illustrieren. Das Verfahren ist unter dem Begriff „Mickey-Mousing" gelaufig. Bewegung ist wie Musik ein Ereignis in der Zeit. Bestimmten Bewegungen werden bestimmten Gerauschverlaufe zugeordnet: einer Abwartsbewegung eine abfallende Melodic, bei einer Aufwartsbewegung steigt auch die Melodic an. Horizontale Bewegungen folgen einer typischen Rhythmisierung. Zu FuB, zu Pferd oder per Zug treibt es auch die Musikebene voran. Vor allem Betonung steht fur das unbedingte, nicht zu unterbrechende Voranschreiten der Handlung. Auch retardierende, zogemde Handlung lasst sich musikalisch beschreiben. Zum Mickey-Mousing gehort schlieBlich auch die Akzentuierung von Bewegimgen. Eine Schlagerei, ZusammenstoBe, die auch metaphorisch krachen. Ausrufezeichen setzen. Nebensdchlichkeiten hervorheben und visuelle Aufmerksamkeit modifizieren. Akustische Zeichen, so auch Musik, lenken den Blick. Etwas, das akustisch im Vordergrund ist, wird auch unwillkiirlich im Bild gesucht.
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Wahmehmung und deren Verarbeitimg
Raumgejuhl herstellen. Jeder Raum hat seine eigene akustische Eigenart. Enge und Weite, Echo und Hall lassen sich musikalisch unterstiitzen, indem sie die spezifischen Klangvarianten imitieren. Typische Klange werden musikalisch nachgebildet: Echo in einer Hohle, Glocken in einer Kirche, Wind in der Wuste. Der gefuhlte Raum ist der wahrgenommene Raum. Je dunkler der Raum, desto diisterer das Echo. Die Raumvorstellung entspricht Tonraum: In einem tiefen Keller gibt es tiefe Tone, hohe Stimmen stehen fiir den Himmel, lange musikalische Bogen fur die Erhabenheit des Raumes, so wie mit ,yAlso sprach Zarathustra'' in ,,2001 - Odyssee im Weltraum " (Kubrik, GB 1968). Emotionen abbilden. Uber den Zusammenhang von Musik und Emotion wurde bereits gesprochen. Die Zuordnung zwischen Emotion und dargestellter Person geschieht iiber die Mechanismen der Theory of Mind. Der Rezipient sieht die Situation, in der sich ein Protagonist befindet, er erlebt die durch die Musik unterstiitzte Emotion und iibertragt sie auf den Dargestellten. Der Bezug zur psychoakustischen Interpretation von LautauBerung und Gefuhlslage ist noch direkter. Das Weinen und Schreien, das Lachen und Johlen des Kleinkindes ist eine Botschaft iiber sein Empfinden. Es gibt eine Analogic zwischen Emotionen und der akustischer Darbietung. Auf gleiche Weise wird die Emotion des medialen Gegeniibers durch die gleichzeitig iibertragene Musik interpretiert. Der Zuschauer erfahrt musikalisch, was eine Figur empfmdet. In der Kontinuitat und in der Unterbrechung wird seine Wahmehmung gedeutet: Monotonie steht far Enge und Beklemmung, Einsamkeit, Ausweglosigkeit und Zeitdehnung. Eine Unterbrechung in der Musik fiir unstabile Wahmehmung. Musikalische Locher mfen aus: „Achtung! Obacht! Schau dich um, hier fehlt was!" Wohingegen ein musikalischer Fluss Sicherheit bedeutet, selbst, wenn diese natiirlich auch unangenehm sein kann. Atmosphdre herstellen. Gmndsatzlich wird mit der emotionsauslosenden Wirkung von Musik immer die Atmosphare erzeugt. Emotionen, die man musikalisch unterstiitzen kann, sind unter anderem: befremdend, finster, traurig, emst, monoton, sanft, idyllisch, majestatisch, festlich, munter, unentwegt, elegant, scherzhaft, hammemd, rasend, wirr. Die Atmosphare entsteht im Zusammenhang von Bild und Ton. Die Musik alleine ist fiir sich genommen schwerer interpretierbar. Gesellschaftlichen Kontext vermitteln. Hier wirkt die akustische Zuordnung zu visuellen Ereignissen. Mit Musik verbindet man unwillkiirlich das Umfeld, in dem diese Musik auftritt. Rockmusik zum Beispiel stellt Opposition zur biirgerlichen Gesellschaft dar. Vergleichbares gilt auch fiir lokale Beziige. Ortsangaben machen. Auf Gmnd der akustischen Erinnemng und des Bezuges zur visuellen Reprasentation ergibt sich eine musikalische Landschaftsmalerei. Vor allem folkloristische Klischees helfen beim Herstellen eindeutiger Bilder: Der Dudelsack steht nun einmal fiir Schottland. Musikalische Ortsangaben werden durch stilistische Idiome gemacht: Jazz, Polka, Klezmer geben Hinweise. Die Musik ergreifl Partei, denn es geht um die „Mimdart" der Personen, die Marseillaise steht fiir Frankreich und Franzosen selbst im marokkanischen ^Casablanca'' (Curtiz, USA 1942). Personen dimensionieren. Ein gangiges Muster ist das Leitmotiv {,J)er weifie Hai" Spielberg, USA 1975, „Winnetou" (Reinl, D/Jug/I 1963) fiir Charaktere. Es schafft die Verbindung von akustischer Reprasentation mit der Erwartung von Objekten. Wenn etwas klingt wie ein Tiger, sollte man annehmen, dass es ein Tiger ist, selbst wenn man ihn (noch) nicht sieht. Zur Dimensioniemng gehort auch die psychische Verfas-
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sung der zentralen Gestalt. Die Musik im Kopf des Protagonisten wird verstarkt durch das Fehlen von Szenengerauschen. Er wird dann auf seine Emotionalitat konzentriert. Textinhalte transferieren. Man kann musikalisch an den Text ankniipfen, etwa wenn ein See thematisiert ist und dazu die Melodie von ,J^ack die Badehose ein'' unterlegt wird. Esfindeteine Dopplung von Verbalem und Akustischem statt. Bildinhalte akustisch abbilden. Die Dopplung kann man noch weitertreiben, wenn noch visuelle Belege hinzukommen: Ein See ist zu sehen. Bezuge herstellen. Wenn sich musikalische Beschreibung und bildliche Darstellung nicht doppeln, kann man Musik auch nutzen um akustisch an andere Ereignisse zu erinnem. Anknupflmgen an positiv besetzte, bekannte Musikstucke werden immer wieder in der Werbung eingesetzt, um Bezuge zwischen Produkt und der popularen Stimmung von Hits herzustellen. Historische Zeit evozieren. Ebenso wie lokale Bezuge oder Stimmungen lassen sich auch historische Bezuge herstellen. Instrumentierung, Harmonien und Melodien sind abhangig von technischen und kulturellen Entwicklungen und damit zeitlich zuzuordnen. Jede Epoche hat ihre akustischen Dialekte: die Erinnerungen werden aufgeweckt durch pseudohistorische Klischees, um das Zeitkollorit zu bestimmen: Scott Joplins .Jtagtime'' verweist in ,^er Clou'' (Hill, USA 1973) auf die 20er Jahre. Karikieren und parodieren. Wenn die drei Ebenen - Verbales, Visuelles und Musikalisches - nicht zusammenpassen, kann man dies als Parodie erleben. Der Sound ist die Botschaft, die Musik gibt vor, wie man die Wahmehmung auffassen soil. In der Komodie ist nichts so, wie es aussieht, darum klingt es auch anders. Ironie zeigt sich als Widerpart zu den Bildem. Musik als Kommentar zum Geschehen kann den Zynismus der Handlung verdeutlichen wie der Einsatz von Richard Wagners ,Jiitt der Walkure'' in ,^pocalypse Now'' (Coppola, USA 1979), wo der herrische Weltherrschaftsanspruch bei einem Hubschrauberangriff dargestellt ist oder Richard StrauB' ,JDonau so blau" in ,,2001 - Odyssee im Weltraum" (Kubrik, GB 1968) als nostalgische Reminiszenz an das Riesenrad im Wiener Prater zu verstehen ist. Fiir das Erkennen der Ironie braucht es eine Erinnerung und eine Vorstellung davon, wo die Musik normalerweise hingehort und welche Konnotationen sie hat. Irreal machen. Wenn das akustische Ereignis keinem bekannten Ereignis zuzuordnen ist, wird auch das gleichzeitig wahrgenommene visuelle als irreal wahrgenommen. Fremdklingende Instrumente, dissonante Harmonien oder ungewohnliche Melodien lassen an Unbekanntes, Fremdes und Irreales denken. Der akustische Albtraum, ein dissonantes Desaster, den gewohnten Tonen widersprechen, hergebrachte Harmonik vermeiden, die Horerwartungen nicht erfiillen. Als Beispiel sei Ligettis ,yRequiem" beim Auftauchen des Obelisken in ,,2001 - Odyssee im Weltraum" genannt. Gerdusche imitieren. Ein Sonderfall der irrealen Darstellung ist die musikalische Bearbeitung von Sounds. Dies geht in zwei Richtungen. In Hitchcocks „Vdgel" wird ein Trautonium eingesetzt, um dem Fliigelschlag eine akustische Ebene beizugeben, der ihn bedrohlich macht. Musik wird Gerausch. Zu Anfang von „Spiel mir das Lied vom Tod' hort man eine Menge von Gerauschen, die aufeinander abgestimmt sind: das Quietschen des Windrades, das Summen einer Fliege, das Rattem eines Telegrafen, ein Zug. Das rostige Windrad nimmt bereits die Tone fur die Titelmelodie der Mundharmonika vorweg. Gruppengefiihl erzeugen und Rezeption kollektivieren. Diese beiden Einsatzmoglichkeiten von Filmmusik verweisen auf eine Funktion, die sich auf die gemeinsame
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Wahmehmung bezieht. In einem gesonderten Kapitel wird darauf zuriickzukominen sein, denn Musik als asthetisches Ereignis ist von so groBer Bedeutimg, dass es unter evolutionspsychologischen Gesichtspunkten zu diskutieren ist. Durch das synchrone Horerlebnis wird das Erleben kollektiviert. Im Kino ist dies seltener der Fall, aber im FuBballstadion gehort es zum Ritual. In einigen Filmen wird die Musik ganz gezielt in diesem Sinne eingesetzt: Bruce Spingsteens Song ,J^hiladelphia'' (Demme, USA 1993) zielt auf zustimmende Gemeinschaftlichkeit, wie sie nur geschaffen werden kann, wenn bekannte Rockmusiker auftreten. Beethovens ,,Ode an die Freude'' lasst die Zuschauer innerlich mitsingen im „Club der toten Dichter"' (Weir, USA 1989) und er flihlt sich eins mit der Stimmung mir den Protagonisten. Neben der sozialen, Gemeinschaft stiftenden Fahigkeit sind es drei Elemente, die Filmmusik bestimmen: Zeit organisieren, Bilder evozieren und Emotionen erzeugen. Akustik und Visuelles Es werden auch Gerausche imitiert, wo es keine gibt. Fliegende Objekte im Weltraum hinterlassen keine akustische Spur, fiir den Zuschauer jedoch betont das Rauschen die Bewegung. Selbst bei dynamischen Kamerabewegungen, bei Wischblenden oder beim Zoom wird das Gerausch eines vorbeirauschenden Objektes eingesetzt - ein Ton von hohen zu niedrigen Frequenzen oder umgekehrt. Gerausche lenken den Blick auf Details. Im Film werden sie darum iibertrieben. Selten ist die natiirliche komplexe Gerauschkulisse zu horen, die eine Reihe von Lauten enthalt, die visuell nicht zu verifizieren sind. Sie wiirden die Rezeption storen. Dariiber hinaus werden die Gerausche verstarkt, die zu Objekten mit Bedeutung gehoren. Wenn Gerausche aus dem Off kommen, miissen sie eindeutig sein. Sie erweitem dann den Wahmehmungsraum. Menschen ordnen das Gehorte dem Umfeld zu, selbst wenn es nicht im Gesichtsfeld liegt. Ist die Gerauschquelle im Bild zu sehen, nennt man den Ton „0n". Off-ScreenStimmen sind komplexer als Off-Gerausche. Im Bild gibt es nur Gegenwart. Im OffKommentar gibt es auch Vergangenheit und Zukunft: „Der Sieg war Steffi Graf nicht zu nehmen. Dann kam der Matchball. Der sollte ihr noch einmal schwer gemacht werden." Erst danach sieht man den Ballwechsel. Der Erzahler ist in der Gegenwart, er evoziert gewissermaBen die Bilder, die in der Vorstellung erscheinen, nur dass sie nicht nur in der Vorstellung, sondem vor den Augen erscheinen. Der Perky-Effekt fmdet hier Anwendung. Dariiber hinaus ist die Off-Stimme ein Hinweis auf die unterschiedlichen Funktionen von Bild und Wort: Das Bild zeigt, das Wort interpretiert. Die Stimme weist darauf hin, wie die Bilder moralisch oder asthetisch zu interpretieren sind. Das Verhaltnis zwischen Bild und Sprache nennt man Ton-Bild-Schere (Wember 1976). Der Kommentar kann das Gesehene quasi verdoppeln, mit Worten wiederholen, was man sieht. Gerade so, als ob man einen FuBballbericht im Radio hort und die Bilder dazu im Femsehen sieht. („Babbel auf halblinks, eine weite Flanke auf Effenberg, der von rechts kommt. Er kommt unbedrangt in den Strafraum. Er umspielt zwei - drei Gegenspieler. Er kann schieBen - knapp am Tor vorbei, der Torhiiter war auch in der richtigen Ecke.") Diese Form ist bei einer TV-Ubertragung kaum noch zu fmden, iiblich ist der erganzende Kommentar, der Informationen liefert, die das aktuelle Geschehen mit Details erganzen, die der Zuschauer nicht unbedingt erkennen kann, etwa wenn nur die
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Namen der Spieler genannt werden, die in einer Totalen auf einem kleinen Bildschirm kaum zu erkennen sind („Babbel - auf Effenberg"). Dariiber hinaus kann auch dieser beschreibende Stil durch stimmliche Veranderungen Emotionen des Kommentators iibermitteln („Babbel - Effenberg - Effenberg - Effe.") Die emotionale und asthetische Begutachtung („Herrlich - ja - schon - gut - wunderbar") ist ein wichtiges Element der Berichterstattung. Sie gibt den Standpunkt des Berichtenden wieder. Danach interpretiert man die Aussagen des Erzahlers und bezieht selbst Stellung. Weiterhin gibt es die Moglichkeit, zusatzliche Fakten, Hintergriinde, Assoziatives, Vermutungen und Einschatzimgen einzufiigen, zum Beispiel iiber den gegenwartigen Gesundheitszustand, momentane Konflikte und Allianzen der gezeigten Spieler. Bei diesen Beispielen ist die Schere zwischen Ton und Bild geschlossen, die Sprache ist noch dicht am Gesehenen. Bilder konnen auch Assoziationen auslosen, die einen sprachlichen Ausdruck fmden. Man erfahrt etwas iiber den vergangenen Fitnesszustand der Akteure, ihren familiaren und sozialen Status, iiber den Verein als Ganzes, iiber vergangene und zukiinftige Gegner. Auch das umgekehrte Verfahren - Sprache wird bebildert - ist nicht uniiblich. Die Sprache verallgemeinert und die Bilder liefem konkrete Bestatigung. Die visuellen Reprasentationen sind Argumente fiir die Worte. Sie belegen scheinbar das Gesagte. Dabei kann der Off-Kommentar durchaus auch ironisierend Kontrapunkte setzten. Die Wirkung des Bildes wird dabei umso starker. Bei der FuBballberichterstattung seltener, aber bei fiktionaler Erzahlung haufiger gibt der Off-Kommentar die Gedanken oder die Erinnerung des Protagonisten wieder. Emotionen konnen dadurch deutlicher werden oder zynische Bemerkungen, um das Geschehen entsprechend einzuordnen. Die Erzahlhaltung kann die des Erzahlers sein, der retrospektiv das Geschehen betrachtet. Die Bilder sind dann nichts anderes als die Bilder, die beim Erzahlen der Geschichte im visuellen Kortex entstehen. Rezipienten erfahren aus dem Off Gedanken und innere Monologe des Protagonisten. Die Erzahlhaltung ist typisch fur literarische Werke. Retrospektiv erzahlt jemand eine Geschichte, die durch Bild und Ton illustriert wird. Oft sind es auch Literaturverfilmungen, die dieses Mittel nutzen. Ein anschauliches Beispiel liefert die Verfilmung des Romans ,J^arewell My Lovel/' (Richards, USA) von Raymond Chandler mit Robert Mitchum aus dem Jahre 1975. Da Gedanken verbal sind, kann man die Off-Stimme als inneren Monolog erkennen und akzeptieren. Die Erzahlperspektive kann dabei sogar unmogliche Positionen einnehmen, wenn etwa jemand, der am Ende der Geschichte umkommt, den Kommentar liefert., Jakob derLugner"' (Kassovitz, USA 1999 mit Robin Williams) und .American Beauty'' (Mendes, USA 1999) nutzen dieses Stilmittel. Alfred Hitchcock nutzte das Stilmittel der bebilderten Erzahlung in ,JDie rote Lola'' (USA 1950) und unterlegte die Zeugenaussage der Protagonistin mit einer Visualisierung, doch diese stellt sich spater als Liige heraus. Hitchcock verwirrte damit das Publikum und betrachtete dies spater als Fehler: „Ich habe mir in dieser Geschichte etwas erlaubt, was ich nie hatte machen diirfen: eine Riickblende, die eine Liige war. ... In Filmen nehmen wir es immer hin, wenn einer beim Erzahlen einer Geschichte liigt. Wir nehmen es auch hin, wenn jemand eine vergangene Geschichte erzahlt und die durch eine Riickblende illustriert wird, als ob sie sich in der Gegenwart abspielte." (Truffaut 1973, 185) Das Problem ist, dass man einer bebilderten Geschichte mehr
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Glauben schenkt, da sie so etwas darstellt wie ein unabhangiger Zeugenbericht. Man sieht, was man glauben soil. Der auditive Sinn hat sich entwickelt, um in Situationen, in denen der visuelle Sinn versagt oder eingeschrankt ist, Informationen zu liefem: bei Dunkelheit, bei optischen Hindemissen oder Distanzen, die ein scharfes Sehen nicht mehr zulassen. Diese Fahigkeit erlaubt es, mit anderen zu sprechen, ohne sie gleichzeitig zu sehen. Ohne diese Veranlagung konnten Menschen das Telefon - ein Medium der Individualkommunikation - und das Radio - ein Massenmedium - nicht nutzen. Dies sind weitere Beispiele fur die Anpassung der Medien an den menschlichen senso-psychischen Apparat. Das Telefon erlaubt verbale Kommunikation mit anderen iiber eine Strecke, die auch durch lautes Rufen nicht zu iiberbriicken ware. Das Telefon ist ein Medium, das technisch die Stimme dicht ans Ohr bringt. Diese Form der Intimitat hat Auswirkungen auf die Art und Weise und auch auf die Inhalte der Kommunikation. (Vgl. etwa: Baumgarten 1989 und Hoflich 1989) Das Radio hat eine Sendeform entwickelt, die Geschichten erzahlt, die nur durch das Ohr wahrgenommen werden: das Horspiel. Akustische Hinweise regen das visuelle Zentrum an und Bilder entstehen im Kopf: GroBe, Alter und Charakter der Figuren, Raume, Ereignisse und Umgebung. Die Wahmehmung ist jedoch beschrankt. Bei Szenen mit mehr als vier Sprechem verliert man den Uberblick. Normalerweise entnimmt man alle wichtigen Informationen dem Sehsinn. Die akustische Ebene ist dann eher eine Begleitung und Bestatigung des Visuellen. Kommt es zu Konflikten zwischen Akustik und Optik, vertraut man eher dem Auge. Selbst wenn das Akustische in der sprachlichen Kommunikation fiXr das Verstandnis von groBer Bedeutung ist, uberpriift man diese Informationen durch nonverbale Signale wie Mimik und Gestik. Wenn jemand sagt: „Ich bin gliicklich" und zeigt heruntergezogene Mundwinkel und Augenlider, ist der Aussage nicht zu trauen. Wenn es zu einem Konflikt zwischen Kommentar und Bild kommt, gibt es eine Dominanz des Visuellen. In einer Renault-Reklame hort man quengelnde Kinder, eine keifende Frau und einen genervten Mann. Dazu sieht man ein sonnendurchflutetes Auto, gliicklich spielende Kinder, zufrieden strahlende Eltem. Der Kommentar am Schluss des Spots macht es noch mal klar: „Sie horten: Urlaub in einem herkommlichen Auto, sie sahen: Urlaub im neuen Renault." Das Gerausch ist ein Ereignis in der Zeit. Damit verbindet es visuelle Ereignisse, wenn diese nicht kontinuierlich sind. Musik, die iiber mehrere Einstellungen hinweg zu horen ist, verbindet diese zur Sequenz. Da das Auge in kurzen Rhythmen springt, kann das Auge von einer Gerauschquelle wegsehen. Durch das Gerausch ist die Quelle aber weiterhin prasent. Im Film nennt man einen visuellen Einschub, wahrend der Ton weiterhin ununterbrochen zu horen ist, einen Insert.
Soziale Motive Eine zentrale Erkenntnis der Evolutionspsychologie ist, dass Wahrnehmung und Emotion keine formalen und inhaltsleeren Reaktionen sind. Unser Gehirn scheint vor allemfiir soziale Interaktionen vorbereitet: Sprache und Kommunikation in der Gruppe, Selbstdarstellung und Konkurrenz um potenzielle Sexualpartner, Schutzjur Nachkommen und schliefilich unsere Fdhigkeiten, Betriiger zu identifizieren. Vom Standpunkt der Medienwissenschaft geht es um die Begriindung einer Programmdsthetik, die aus evolutionspsychologischer Sicht eine neue Sparteneinteilung braucht. These II: Medien sind Attrappen des sozialen Verbaltens.
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Soziale Motive
Klatsch und Tratsch Unter neuer Kultur ist alte Psychologic. (Barkow, in: Barkow, Cosmides & Tooby 1992, 627)
1st es nicht erstaunlich, wie Kinder sprechen lemen? Nicht jedes Wort muss durch Belohnung bestatigt werden und jeder falsche Gebrauch bestraft werden. Die Eltem brauchen weder ihre Zungen- und Kehlkopfstellungen vorfuhren, um zu zeigen, wie Laute gebildet werden, noch miissen sie die Zunge des Kindes in die richtige Form bringen. Kinder haben mit vier Jahren eine entwickelte Grammatik und einen groBen Wortschatz. Das lasst sich mit rein sozialen Lemtheorien nicht erklaren. Die Entwicklung einer solchen Fahigkeit muss genetisch verankert sein. Eine alternative Erklarung ist nicht moglich. Das, was Menschen von Tieren am deutlichsten unterscheidet, ist ihre Sprache. Sprache bildet Gemeinschaft. Wer dazugehort, spricht die gleiche Sprache. Darum gibt es so viele Sprachen und Dialekte. Die Sprache ist nicht geeignet, die Welt abzubilden, so wie sie ist. SchlieBlich erlaubt die Sprache auch zu liigen. Sprache dient der Selbstdarstellung und man berichtet, wie man zu anderen steht. Klatsch und Tratsch als Funktion der Sprache „Sprache hinterlasst keine Fossilien", heiBt das gangige Gegenargument zu Uberlegungen zum Entstehen der menschlichen Sprache. Obwohl die Uberlegungen zum Ursprung der Sprache 1888 offiziell von der Societe de Linguistique verbannt wurden, hat die Debatte nie nachgelassen (Femald, in: Barkow, Cosmides & Tooby 1992, 392). Lange Zeit glaubte man, Sprache entstand mit der Fahigkeit, Werkzeuge herzustellen, wie es etwa prominent formuliert formuliert wurde durch Friedrich Engels (1974). Doch seit man weiB, dass auch Makaken und andere Affenarten die Herstellung und den Umgang mit Werkzeug beherrschen und die Fahigkeiten auch weitergeben konnen, kann diese Theorie nicht mehr schliissig sein. Andere Uberlegimgen gingen davon aus, dass die Sprache im Zusammenhang mit der kooperativen Jagd entstanden sein miisse. Dagegen sprechen zwei Dinge: Zum einen jagen auch andere Tiere kooperativ ohne ein solch ausgefeiltes Kommunikationssystem, und zum anderen: Warum sollte etwas, was eigentlich (sieht man mal von einer Treibjagd ab) leise vonstatten gehen sollte, einen Apparat begiinstigen, den man eher als Quasselstrippe bezeichnen kann? Die Urspriinge der menschlichen Form von Sprache und Kommunikation miissen demnach woanders zu suchen sein. Vor etwa dreieinhalb Millionen Jahren gingen unsere Vorfahren bereits aufrecht. Ihr Him war jedoch nicht wesentlich groBer als das der Primaten jener Zeit. Wie kommt es, dass sich die GroBe dieses Organs im Laufe einer evolutionar gesehen kurzen Zeit verdreifachte und heute das Him-Korper-Verhaltnis das groBte unter alien Arten ist? Wenn das Him so groBe Vorteile hat, wamm haben sich diese Strukturen erst so spat in der Evolution entwickelt? Die Antwort auf beide Fragen ist die gleiche: Das Him kann besondere, ganz spezielle Aufgaben losen, damnter auch die Aufgabe der Kommunikation unter Artgenossen. Unbestritten ist, dass Tiere untereinander und mit AuBenstehenden (Angehorigen anderer Arten oder auch Menschen) kommunizieren konnen. Jeder, der einen Hund Oder eine Katze hat, weiB, dass diese Tiere ihren Empfmdungen und Bediirfhissen
Klatsch und Tratsch
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durch LautauBerungen (Bellen, Miauen, Knurren, Schnurren) oder durch Korpersprache (mit dem Schwanz wedeln, an der Tiir kratzen) Ausdruck verleihen konnen. Es gibt aber auch komplexere und fiir Menschen schwerer dekodierbare Tiersprachen. Bienen zum Beispiel bedienen sich eines sehr interessanten Kommunikationssystems. Die Nahrungsscouts teilen ihren Artgenossen mit, in welcher Richtung und Entfemung sie eine Nahrungsquelle entdeckt haben, indem sie einen Tanz vorfiihren, wobei sie in Schlangenlinie laufen und dabei mit dem Hinterteil wackeln. Auch Tiere haben die Fahigkeit, durch akustische Signale zu kommunizieren. Der Werbegesang der Vogel etwa ist jedoch eher vergleichbar mit Musik als mit Sprache, da es keine erkennbaren Inhalte gibt. Daneben gibt es bei einigen in sozialen Verbanden lebenden Tiere akustische Hinweise auf Futterquellen und Gefahren. Die Wamrufe bei einigen Affenarten haben durchaus symboHsche QuaHtat. Je nach Klangbild deuten sie auf unterschiedHche Feinde hin. Bei „Schlange" erheben sich die Artgenossen auf ihre Hinterbeine und bUcken umher, bei „Adler" ducken sie sich und bei „Leopard" fluchten sie auf einen Baum. Im Unterschied zur menschlichen Sprache sind die Signale jedoch im Hier und Jetzt verhaftet. Menschliche Kommunikation beinhaltet auch zukunftige und vergangene wie auch mogUche und imaginierte Ereignisse. Doch kann man bei der animalischen Art von Kommunikation auch von Sprache sprechen? Es kommt hier naturlich nur darauf an, wie man Sprache defmiert. Andere Arten auBer Menschen aus dem eHtaren Kreis der Sprachfahigen herauszuhalten, scheint ein tiefes Bediirfiiis zu sein. So beharren die Linguisten darauf, dass es sich bei Tieren um reine Kommunikation handele. Als Sprache konne man das nicht bezeichnen, weil sie mit ihrem Bellen und Miauen keine abstrakten Begriffe mitteilen konnen. „In den 60er Jahren schlug der Linguist Charles Hockett achtzehn Merkmale vor, die nach seiner Ansicht echte Sprache definieren. Die vier wichtigsten besagen: Es handelt sich um genuine verbale Sprache, wenn sie erstens Verweischarakter hat (das heifit, die Laute beziehen sich auf Gegenstande in der AuBenwelt), zweitens eine Syntax (grammatikalische Struktur) hat, drittens nicht abbildend ist (das heiBt, die Worter ahneln nicht den bezeichneten Objekten ...) und viertens erlemt wird (im Gegensatz zu instinktivem Verhalten). Diese Kriterien wurden formuliert, um den Unterschied zwischen echter Sprache und zum Beispiel der , Sprache' der Bienen deutlich zu machen." (Dunbar 1998, 69f) Aber auch andere Griinde konnen noch aufgefuhrt werden, um deutlich zu machen, dass man das Verhalten der Bienen nicht als Sprache bezeichnen kann. „Es ist stark formalisiert und kann nur eine begrenzte Zahl von Tatsachen uber ein auBerst eingeschranktes Themenspektrum mitteilen. Aufierdem handelt es sich offenbar um instinktives Verhalten; ob die Bienen ,wissen', was sie sagen, schien auBerst zweifelhaft." (Dunbar 1998, 70) Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass Schimpansen durchaus die Fahigkeit fiir eine Art Basissprache besitzen, sie konnen wichtige Begriffe wie Zahlen oder gnmdlegende Beziehungen wie „groBer als" oder „dasselbe wie" verstehen sowie das Addieren und Subtrahieren lemen. Dennoch hat kein Affe iiberzeugend Satze gebraucht, die mehr als zwei oder drei Worter batten. Tiersprache ist eindeutig etwa als Lockruf oder als Wamruf von den Artgenossen zu verstehen. Das Wort „Leopard" hat beim Menschen alleine aber noch keine Bedeutung. Es kann ein Wamruf sein, ein Hinweis, ein Wort einer Aufzahlung von gefahrlichen Tieren, eine Antwort auf eine Frage nach einem Tier mit Punkten auf dem Fell (Bickerton 1996, 54f). LautauBerungen bei sozia-
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len Tieren zeigen zudem - meist verbunden mit Mimik - den emotionalen Zustand des Lautgebers an. Doch aus dieser Feststellung ergibt sich eine weitere Frage: Wie kam es, dass eine Affenart, aus der sich im Laufe einer langen Evolution der Homo sapiens sapiens, der modeme Mensch, entwickelt hat, den Absprung geschafft und eine unvergleichbare Sprachfahigkeit erlangt hat? Die Sprache als Weiterentwicklung des Kraulens Affen kraulen sich gegenseitig in bestimmten Situationen. Wenn es zum Beispiel Streit zwischen zwei Tieren innerhalb der Gruppe gibt, kommt es vor, dass entweder eines der am Streit beteiligten Tiere ein drittes krault, um gewissermaBen um Unterstiitzung zu werben, oder ein drittes Tier krauh einen der involvierten Affen, um ihm seine Unterstiitzung anzubieten. Es kaim auch vorkommen, dass einer der Streitenden den anderen Streitpartner krauh, um ihm eine Versohnung anzubieten. Daran lasst sich erkennen, dass situationsadaquates Kraulen eine Menge soziales Kommunikationspotenzial in sich birgt. Bei Affen scheint das Kraulen das wichtigste Mittel zu sein, um die Gruppe zusammenzuhalten. Auch Menschen sind als soziale Wesen auf ein soziales Umfeld angewiesen. Aber zur Aufrechterhaltung von sozialen Bindungen bedienen sich Menschen offensichtlich nicht des Kraulens. Die wichtigste Ursache dafiir sieht Dunbar in dem proportionalen Zusammenhang, der zwischen der Zeit, die zur Pflege der sozialen Kontakte aufgewendet werden muss, und der GruppengroBe besteht. „Wurden die heutigen Menschen versuchen, ihre sozialen Bindungen wie die anderen Primaten ausschlieBlich durch Kraulen zu festigen, wurde das nach den Werten der Affen bedeuten, dass wir dieser Tatigkeit ungefahr 40 % unserer Zeit widmen miissten." (Dunbar 1998, 102f) Das ist aber fur kein Lebewesen moglich, das sich neben der Pflege seiner sozialen Kontakte auch noch um Nahrungsbeschaffung kiimmem muss. Sprache ist fur diesen Zweck viel praktischer, denn sie ist dabei sehr zeitsparend. Zwei entscheidende Eigenschaften der Sprache sind dabei von zentraler Bedeutung: Menschen konnen mit mehreren Personen gleichzeitig sprechen und damit die Haufigkeit der Interaktion steigem. Wenn Gesprache dem gleichen Zweck dienen wie das Kraulen, kann ein Mensch mehrere andere zur gleichen Zeit bedienen und kann mit Hilfe der Sprache Informationen iiber ein groBeres Geflecht von Personen austauschen, als es den Affen moglich ist. Ein weiterer wichtiger Nutzen der Sprache ist, dass sie den Informationsaustausch iiber andere Menschen ermoglicht und damit die miihevollen Prozesse abkiirzt, ihr Verhalten zu erkunden. Affen konnen das nur durch unmittelbare Beobachtung, was einen empfmdlichen Mehraufwand bedeutet. AuBerdem ermoglicht Sprache erst, auf abstrakteres Wissen von anderen zuzugreifen. „ Sprache ist also in der Geschichte der Ideen ein entscheidender Faktor. Sie erlaubt uns, auf dem Wissen fhiherer Generationen aufzubauen. Aber sie ermoglicht auch den Austausch von Kenntnissen mit unseren Zeitgenossen, so dass die gesamte Gemeinschaft durch die gleichen Uberzeugungen gepragt wird." (Dunbar 1998, 137) Prufung der Hypothese Wenn die Sprache sich wirklich als eine Art Weiterentwicklung des Kraulens far den Zusammenhalt groBerer Gruppen entwickelt haben sollte, miissten entsprechende Merkmale nachweisbar sein. „Eines ware, dass Gesprachsgruppen proportional groBer
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sein sollten als die ublichen Kraulgruppen der Primaten. Ein anderes: Die Zeit der Gesprache soUte vorwiegend dem Austausch sozialer Informationen dienen. Letzteres ware zumindest in einem gewissen Sinn ein stichhaltiges Argument zu Gunsten der Hypothese, denn nach der herkommlichen Lehre gibt es die Sprache, weil sie den Austausch von Informationen iiber unsere Umwelt vereinfacht - das heifit, wir verbringen unsere Zeit mit Gesprachen iiber den Biiffel unten am See." (Dunbar 1998, 155) Durch Feldversuche, die Dunbar mit seinen Studenten in unterschiedlichsten Gesprachssituationen durchfiihrte, kam er zu Ergebnissen, die seine Hypothese unterstiitzten. Die durchschnittliche Obergrenze einer Gesprachsgruppe liegt bei vier Personen. Das heiBt, sie ist dreimal so hoch wie beim Kraulen. Auch was die Gesprachsinhalte angeht, konnte er beobachten, dass die Gesprache sich zu etwa zwei Dritteln um zwischenmenschliche Belange drehen. „Dazu gehoren Diskussionen iiber private Beziehungen, personliche Vorlieben und Abneigungen, personliche Erlebnisse, das Verhalten anderer und Ahnliches. Kein anderes Thema nahm mehr als 10 % der Gesprachszeit in Anspruch und die meisten kamen nur auf 2-3 %. Hierher gehoren alle Themen, denen man fur unser geistiges Leben eine groBe Bedeutung beimessen konnte, wie Politik, Religion, Ethik, Kultur und Beruf. Selbst Sport und Freizeitgestaltung brachten es zusammen auf gerade einmal 10 %." (Dunbar 1998,158) Klatsch und Tratsch als Selektionskriterium Der Selektionsdruck, der fiir die Entstehung der Sprache verantwortlich war, betrifft die innerartliche Auseinandersetzung. Die Sprache reflektiert diese Bedingungen: Menschen konnen liigen, an Klatsch und Tratsch teilnehmen, intrigieren, Marchen erzahlen. (Bickerton, in: Crawford & Krebs 1998, 615) Diese Fahigkeiten sind zentral fur die Gestaltung der Sprache. Klatsch und Tratsch definiert die soziale Gruppe. Wer keine Neuigkeiten erfahrt, ist ausgeschlossen. Damit wird Klatsch zur sozialen Kontrolle. Es ist eine MaBnahme, die jeden zwingt, den sozialen Normen zu gehorchen. Der Ruf, den man sich erwirbt, wird im Klatsch definiert. Klatsch und Tratsch ist der Austausch von Informationen iiber Mitmenschen. Sie bringen sehr viel Zeit und Energie auf, um sich mitzuteilen und etwas iiber andere zu erfahren. Nicht Nahrungsbeschaffung und der kommunikative Austausch dariiber sind die Hauptbeschaftigungen, sondem der soziale Umgang mit anderen Menschen. Darum besteht fiir Evolutionspsychologen kaum Zweifel, dass es einen Selektionsdruck gab auf die Fahigkeiten, das Verhalten anderer (Partner wie Rivalen) vorherzusagen und zu beeinflussen. Dies mag einen Einfluss gehabt haben auf zwei Fahigkeiten, die als eigentlich menschliche betrachtet werden: das ausgepragte Vermogen der inneren Reprasentation der Gedanken von anderen (Theory of Mind) und selbstverstandlich das Sprachvermogen. Insgesamt spricht vieles fiir die Annahme, dass die Sprache sich entwickelte, um die Bindung in den sozialen Gruppen zu vereinfachen und dass sie diesen Zweck vor allem dadurch erfiillt, dass sie den Austausch sozial bedeutsamer Informationen ermoglicht. Zu diesen bedeutsamen Informationen gehort die Verhandlung iiber soziale Normen. Vor allem der NormverstoB ist ein bedeutender Gegenstand der Unterhaltung. Das Geschlechts- und Familienleben, religiose, berufliche und soziale Aktivitaten und die fmanziellen Moglichkeiten von bekannten Individuen sollten als Themen zu erwarten sein. Monika Wengerzink (1996, 86f) entwickelt einen Zusammenhang von Verhalten, das Anlass zu Klatsch und Tratsch geben kann. Moral definiert einen Ideal-
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fall, der eine existente Norm beschreibt. Die NormverstoBe sind so vielfaltig wie die Themen der Talkshows und die Motive der Soap Operas. Wissen ist Macht und das Wissen iiber andere - auch wenn es nur ein mutmaBliches Wissen ist - ist Macht iiber andere. SchlieBlich konnen Menschen auch Informationen iiber andere in Umlauf bringen, um deren Status zu schaden oder den eigenen zu befordem. Sie wollen wissen, wem man einen Gefallen erweisen kann und wer einen anzubieten hat, wer als glaubwiirdig gilt, wer als Liigner, wer ist als Sexualpartner verfugbar oder konnte es demnachst sein, wer steht unter dem Schutz eines eifersiichtigen Partners. All dies gibt der menschlichen Spezies offensichtlich Vorteile im Spiel des Lebens (Pinker 1999, 540). Dies gilt besonders, wenn es sich um Informationen handelt, die exklusiv und unter dem Siegel der Verschwiegenheit weitergegeben werden. Auf Grund der intriganten Funktion hat Klatsch und Tratsch seinen schlechten Ruf Es kann also schadhaft sein, selbst zum Thema zu werden. Dennoch ist er in anderer Hinsicht iiberlebenswichtig. Nur iiber wen gesprochen wird, kann Eindruck machen. Der Zirkel des Klatsch und Tratsch ist ein verschworener Kreis, der seinerseits Allianzen und Kooperationen fordert, denn immerhin werden hier Informationen reziprok getauscht. Wer aus der Kommunikationsgemeinschaft ausgeschlossen ist, sollte schlieBlich auch Probleme haben, Kooperations- oder Sexualpartner zu finden. Man ist als moglicher Partner nicht mehr sonderlich attraktiv. Das ist das Ende seiner Chancen, sich und sein Verhalten in Nachkommen zu reproduzieren. Da Klatsch und Tratsch eine nicht iiberpriifbare Quelle der Information ist, ist sie hochst unverlasslich. Immerhin geht es nicht um die objektive Wahrheit, sondem um den eigenen Vorteil in der sozialen Konkurrenz. So tief verwurzelt ist die interessegeleitete Darstellung, dass auch die Wahmehmung darauf ausgerichtet ist, Sachverhalte so zu sehen, wie sie in die vorgefasste Theorie passen. Kognitive Dissonanz beschreibt diesen Umstand im Rahmen einer psychologischen Theorie. Obgleich die Interessen zwischen den Geschlechtem und in Abhangigkeit vom Alter unterschiedlich sein miissten, sollten groBe Unterschiede nicht zu finden sein. SchlieBlich miissen Individuen alien moglichen Themen folgen konnen und sie sind oftmals ja auch nur Ubermittler der Nachricht. Dennoch - auf Grund der hoheren emotionalen Fahigkeiten und der hoheren Sprachkompetenz bei Frauen - wiirde ein hoherer Anteil unter Frauen zu finden sein, die sich aktiv und passiv an Klatsch und Tratsch beteiligen. Qualifizierte Einschaltquoten konnen als Gradmesser dienen und das lasst sich bestatigen: 60 - 70 % der Zuschauer von taglichen Talkshows sind Frauen. Frauen haben in mancherlei Hinsicht groBere kommunikative Kompetenzen als Manner: Sie lemen als Kinder fiiiher sprechen, haben in der Schule in sprachlichen Fachem bessere Noten, verfiigen iiber einen groBeren aktiven und passiven Wortschatz. Sprachfehler wie Stottem findet man signifikant selten bei Frauen. All dies ist sinnvoll. SchlieBlich miissen Frauen iiber mehr Sprachkompetenz verfiigen, tragen sie doch die Hauptlast bei der Spracherziehung der Kinder. Dariiber hinaus gibt es kommunikative Unterschiede. Es gibt Vermutungen, aber keine empirischen Befunde, dass Manner eher iiber sich selbst und Frauen lieber iiber andere reden. Der Zwang zur Selbstdarstellung unter Mannem und das Aushandeln von Moral und das Informieren iiber geeignete Sexualpartner unter Frauen mogen die Spekulation begriinden. Ebenso die Tatsache, dass Manner eher streng hierarchische
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Gruppen bilden, wahrend Frauen eher kooperative Strukturen aufbauen, konnte Unterschiede erklaren helfen. Klatsch und Tratsch ist ein Sprechen iiber Menschen. Diese Menschen sind in der Regel nicht anwesend. Inhaltlich geht es um morahsche Aspekte, denn man erfahrt die Regeln der Gruppe. Sie werden in kommunikativen Prozessen gebildet und bestatigt. Nicht zuletzt werden im Kontext des Klatsch und Tratsch Strafen flir Missverhalten gefordert. Dabei kann man das bose Tratschen hervorheben: Es geht um die individuellen Interessen, wobei eigene Vorteile ins Gesprach gebracht werden. Es geht auch um die Manipulation der Zuhorer, um zu beeinflussen, was diese iiber Dritte denken sollen. Bei Rivalen und Statushohen will man eher negative Infos horen, denn diese nutzen der eigenen Strategic aufzusteigen. Es geht bei Klatsch und Tratsch darum, deren Inhalte zu erfahren, zu wissen, weiterzugeben und deren Nachwirkungen zu beobachten. Insofem zeigten sich die Funktionen im sozialen Austausch und in der sozialen Kontrolle durch Kommunikation. Das Gesprach als TV-Genre Ubertragt man die Erkenntnisse der Evolutionspsychologie iiber die Formen der menschlichen verbalen Kommunikation auf Medienkommunikation, so kann man formale Unterscheidungen vomehmen: Wer spricht in welcher Weise zu wem? Monolog. Kriterien zur Definition von massenmedialer Kommunikation sind die Identifizierung eines Kommunikators und eines dispersen Publikums. Diese sind auch bei einer Ansprache erfiillt. Einer spricht (mit lauter Stimme) und richtet sich an viele. Ein Kennzeichen der Rede an eine groBe Menge ist ihre monologische Form, die einen Sprecherwechsel nicht spontan zulasst. Die Rede ist ein stark formalisierter Kommunikationsausdruck. Ihre Grammatik ist strenger, Fehler fallen auf Die Stimme ist lauter, deutlicher und fester. Medien vermitteln den monologischen Diskurs. Ubertragungen aus Parlamenten wie dem Bundestag oder kirchliche Predigten sind Beispiele, wobei diese die Rituale der Institutionen widerspiegeln. Die Monologe stellen die Redner in den Mittelpunkt der Aufinerksamkeit. Dann gibt es die direkte Ansprache des Publikums in Sendungen wie ,J)as Wort zum Sonntag'' (ARD) und „5o gesehen " (SATl). Hier geht es ahnlich wie in Predigten um eine autoritatsgetragene Ubermittlung von Werten. Der Monolog spricht also immer fur einen hierarchisch hochstehenden Rang. Viele TV-Sendungen haben trotz eines einzelnen Sprechers oft eine quasi-dialogische Sprachhaltung. Nachrichtensprecher und Ansager haben nicht den Duktus des Sprechens an eine groBe Menschenmenge, sondem eher den Tonfall eines Gesprachspartners, zwar formal korrekt aber die Distanz scheint geringer. Die Anrede „meine Damen und Herren" suggeriert zwar unpersonliche Ansprache, doch die Nahe entsteht (neben der EinstellungsgroBe „Nah") auch durch die nicht angestrengte Stimme, wie man sie beim Sprechen in der personlichen Distanz erlebt. Monologisches Sprechen ist typisch fiir Informationsiibermittlungen wie Nachrichtensendungen, Lottoansagen oder Sendungsankiindigungen. Die Moderatoren lassen keinen personlichen und keinen emotionalen Bezug zu ihrer Botschafl erwarten. Sie treten auf als Boten. Die Rolle des Ubermittlers von Botschafitem wird noch intensiver zu betrachten sein. Dialog und Interview. Das gleichberechtigte Gesprach mit wechselnden Rollen, mit wechselseitigem emotionalem Engagement und Interesse ist in der nichtfiktionalen
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Form in den Medien sehr selten. In aller Kegel gibt es eine eindeutige Rollenverteilung zwischen Fragendem und Antwortendem. In aller Kegel vollziehen sich Zwiegesprache in der Form von Interviews. Der Unterschied zwischen einem Gesprach und einem Interview ist fundamental. Der Interviewer stellt Fragen, aber enthalt sich eigener Meinung. Er sieht sich als Stellvertreter einer Gruppe, die offenbar ein spezifisches Interesse hat. Der Interviewer ist eine Art Stichwortgeber, um dem Befragten die Moglichkeit zu geben, seiner Kolle und Erwartung gemaB zu antworten. Diese Form des Dialogs ist im taglichen Umgang selten. Die Ausnahmen sind vor Gericht, wo der Kichter die Gemeinschaft vertritt, in der Schule, wo der Lehrer standardisierte Fragen stellt und die Antworten bewertet. In beiden Fallen ist eine eindeutige Hierarchic zwischen Fragesteller und Antwortgebendem festzustellen. Der Interviewer stellt die Fragen stellvertretend fur die Zuschauer und Zuhorer. Damit liefert er Argumente fur die (asthetische) Beurteilung des Befragten und dessen Aussagen. Sie sind Stoff fiir die unmittelbarste Form zwischenmenschlicher Kommunikation: fiir den Klatsch und Tratsch. Interviewte haben besondere Kollen: Sie sind Zeugen von Sachverhalten, sie sind Betroffene, Urheber oder Opfer von Ereignissen, die auch fiir andere von Interesse sein konnen. Auch Experten fiir die Erklarung zu Zusammenhangen werden geme befi*agt. Was macht einen Menschen zum Experten? • Sie haben eine spezifische themenrelevante Ausbildung: Ein Biologe spricht iiber Pflanzenwachstum, ein Arzt iiber Krankheitssymptome, ein Anwalt iiber Verkehrsrecht. Merkmale fiir Expertentum, die man an ihren Aussagen festmachen kann, sind zum einen die Nutzung einer spezifischen Fachsprache und zum anderen ein Detailreichtum in den Inhalten, der nur von jemandem geliefert werden kann, der den Gegenstand kennt. Die Nennung von Fakten und exakte Zahlen sind Indizien. • Sie sind (hochrangige) Angehorige von Institutionen, die einen Themenbezug erkennen lassen: Ein Bischof spricht iiber das Leben vor der Geburt, der Vorsitzende der jiidischen Gemeinde iiber einen antisemitisch motivierten Anschlag, ein Feuerwehrmann iiber Brandursachen. • Sie waren in der Vergangenheit Beteiligte: Giinter Netzer oder Franz Beckenbauer sprechen iiber FuUball. • Sie sind Angehorige der Fiihrungsschicht: Ein Mitglied des Bundestages spricht iiber politische Entscheidungen, ein Gewerkschaftsfunktionar iiber TarifVereinbarungen. Gemeinsam ist alien Experten, dass man ihnen Kompetenz und Erfahrung zuspricht. Ein weiteres wichtiges Kriterium, welche Menschen befragt werden, ist eines, das von den Medieninhalten mitproduziert ist. Man muss nur prominent sein. Medienprasenz und Expertentum werden bisweilen verwechselt. Wer haufig in den Medien auftritt, muss prominent sein. Im Zusammenhang mit Medien ist noch ein Problem zu diskutieren: Wieso interessiert man sich fiir Menschen, die man nicht einmal kennt, die vielleicht sogar nur fiktive Kollen ausfiillen, dargebracht von Schauspielerinnen und Schauspielem? Es werden Personen dargeboten, die man nie zuvor gesehen hat und in vielen Fallen auch nie wieder sehen wird. Hier spielt der Attrappencharakter der Medien die entscheidende Kolle. Personen, die dem Zuschauer so nahe gebracht werden, also welche, die wiederholt auftreten, die in seinem Wohn- und Schlafzimmem prasent sind, miissen Personen
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aus seinem sozialen Umfeld sein oder es muss sich um hierarchisch hohe Personlichkeiten handeln. Die Prasentation lost einen Mechanismus aus, der das Interesse an diesen Menschen bewirkt. Die Evolution hat Film und Femsehen nicht vorgesehen. Wie selbstverstandlich mochte man mehr erfahren iiber ihre Gesundheit, iiber Verandemngen ihrer relativen Hierarchie, iiber Erfolge und Niederlagen und uber ihr Sexualverhalten. Sie werden als Rivalen erlebt oder man mochte mit ihnen befreundet sein. Dann versucht man nicht nur ihnen, sondem auch anderen gegeniiber seine Zuneigung zu zeigen und sie vor Angriffen moglicher Rivalen zu verteidigen. Menschen, die in Medien auftreten, bieten Anzeichen, dass man sie als ranghoch ansehen kann, mit denen befreundet zu sein ist allemal von Vorteil. Ob es sich dabei um fiktive oder reale Figuren handelt, ist ebenso gleichgiiltig wie die Tatsache, dass es auch keine Rolle spieh, ob es sich um Skifahrerinnen, FuBballspieler, Politiker oder nur um Personen handelt, die ihre 15-Minuten-Beruhmtheit erleben. Da es in vorhistorischer Zeit keine Medienfiguren gab, konnte sich auch kein Kriterium entwickeln, das diese von Menschen aus der naheren Umgebung unterscheiden kann. Medienstars reprasentieren ein evolutionar unerwartetes Phanomen. Als Attrappen miissen sie jedoch Muster aufwiesen, an die Wahmehmung und deren Interpretation ankniipfen konnen. Wenn es ein TV-Genre gibt, das die Theorie der Evolutionspsychologie und deren Erklarungen zur Entstehung und der Funktion von menschlicher Kommunikation iiberpriifbar macht, dann ist die Talkshow. Ohne den Charakter des aufwandig inszenierten Fiktionalen bemiihen zu miissen, wird hier unmittelbar Klatsch und Tratsch getauscht. Menschen machen hier nichts anderes als reden. Unmittelbar gilt nur das, was man verbal erfahren kann. Diese Form der Kommunikation ist Alltagserfahrung. Die Aussage „Eine Talkshow ist ein Gesprach zwischen zwei, drei oder noch mehr Leuten" (Menge 1982, 124) hebt das Besondere dieser Sendeform noch nicht heraus, denn ein solches Gesprach haben die meisten Menschen mehrmals am Tag und dennoch handelt es sich nicht um eine Talkshow. Das Medienereignis folgt festeren Regeln als das alltagliche Gesprach. Manfred Sack bietet eine Bestimmung, die gerade das Kiinstliche, das Inszenierte einer solchen, von den Soziolinguisten als Sprechakthandlung bezeichneten Form der Unterhaltung offen legt: „Eine Talkshow ist weder eine Diskussion und wenn sie entsteht oder arrangiert wird, gerat sie chaotisch und wird von den insistierenden Erwartungen der Talkmaster bestimmt -, noch gehort sie unter das Rubrum des Interviews. In Wahrheit ereignen sich in einer Talkshow auch keine um Klarung oder besondere Unterrichtung bemiihten Gesprache, nicht einmal herzhafte Blodeleien ... Eine Talkshow besteht nur aus einer Folge von Unterhaltungen, die dadurch zu Stande kommen, dass eine vom Sender engagierte Person fragt und eine geladene Person antwortet." (Sack 1985) Dem ist trotz aller Kiinstlichkeit der Situation hinzuzufugen, dass der Charakter des Alltaglichen sehr wohl erhalten bleibt. Das Moment des Dabeiseins wird selbst durch die Tatsache nicht geschmalert, dass aufgezeichnete Sendungen den Live-Charakter nur vortauschen. Die Anwesenheit eines Studio- bzw. Prasenzpublikums, das spontan reagiert, verstarkt diesen Eindruck. Nicht vergessen werden darf, dass Femsehen grundsatzlich ein Live-Medium ist, wo der Zuschauer Ereignisse verfolgt, deren weiteren Verlauf er nicht vorhersagen kann. Man schaut und hort zwar offentlich einer Show des Talks zu, die limitierte und inszenierte Spontaneitat beinhaltet und durch Showelemente und Filmberichte bisweilen aufgepeppt wird, aber das Erleben und die emotionale Beteiligung bleiben momentan.
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Zur weiteren Beschreibung sollen einerseits die genrekonstituierenden Merkmale imd andererseits die Bestandteile von Talkshows herausgearbeitet werden. Constantin von Barloewen und Hans Brandenberg (1975) ordnen den Talkshows drei konstitutive Faktoren zu, wobei sie die bereits erwahnte Voraussetzung fiir die Entwicklung eines Genres durch zwei fiir die Gattung typische Merkmale erganzen: 1. Den Seriencharakter der Sendung. 2. Die zentrale Figur des Talkmasters. Die Person des Moderators, seine Art und sein Stil pragen die Talkshow, er selbst wird zum Identifikationsobjekt, zur Show. Sie fiihrt das personenbezogene Gesprach. „Nicht der Fachmann, der Spezialist ist als Gast geeignet, sondem vor allem derjenige, der als Person interessant ist. Die Diskussion einzelner Themen steht nicht im Mittelpunkt." (Foltin 1994, 70) Viel wesentlicher fiir die Auspragung des Genres Talkshow ist das bereits erwahnte Gesprach vor einem Publikum. Erst dadurch wird das Gesprach zur Talkshow. Wenn iiber diese Grundlage hinaus noch Inhalte zu vermitteln sind, die die sozialen Bindungen befordem, sollte sich dieser Vorteil in einem evolutionaren Kontext schnell durchsetzen. Robin Dunbar und Jerome Barkow haben zu den Inhalten der sprachlichen Interaktion Hypothesen entwickelt, die empirisch iiberpriift werden konnen. Robin Dunbar (2004, 105) sieht vier Funktionen: • Auf dem Laufenden bleiben iiber andere Individuum innerhalb des Netzwerkes; • seine eigenen Vorteile als Freund, Kooperations- oder Geschlechtspartner annoncieren (oder vielleicht die Nachteile eines moglichen Rivalen); • Rat suchen bei personlichen Problemen; • und, schlieBlich, soziale Betriiger verfolgen. „Waren wir nicht fahig, Diskussionen iiber diese Themen zu flihren, waren wir nicht in der Lage, die Gemeinschaften so aufrecht zu erhalten, wie wir es tun." (Dunbar 2004, 109) Ein wichtiger Nutzen der Sprache ist es also, dass sie den Informationsaustausch iiber andere Menschen ermoglicht und damit die miihevollen Prozesse abkiirzt, ihr Verhalten zu erkunden. Medien sind Attrappen fiir die Vorstellungen. Sie liefem dem Gehim Bilder und Tone, die es zur emotionalen und kognitiven Verarbeitung der Eindriicke veranlassen. Medieninhalte thematisieren die psychischen und kommunikativen Anlagen: alles, was eine mentale und emotionale Beschaftigung und die Kommunikation dariiber lohnt. Medieninhalte reflektieren Motive, die fiir das soziales Verhalten wichtig sind. (Barkow 1992) Ubertragt man die Uberlegungen der Evolutionspsychologie iiber die Formen der menschlichen verbalen Kommunikation auf Medienkommunikation, so kann man dieselben Fragen stellen: Wer spricht in welcher Weise zu wem iiber was? Um den Untersuchungsgegenstand „Daytime Talkshow" als solchen zu defmieren, miissen formale Bedingungen erkennbar sein: Die Show - das ist bereits durch das Genre vorgegeben - wird werktaglich im Tagesprogramm ausgestrahlt. Meist ist die Sendung nach dem Moderator benannt, was bereits auf dessen zentrale Funktion hinweist. Die Person des Moderators, seine Art und sein Stil pragen die Talkshow bis hinein in die Konzentration der Themen. Die Sendung ist monothematisch, was heiBt, dass ein gemeinsames Thema verabredet wurde, nach dem die Gaste eingeladen sind und zu dem sie etwas beizutragen haben. Es geht um Personen und deren Emotionen, um personliches Erleben und Empfinden, weniger um Sachaspekte. Die Themen sind personalisiert, denn man konzentriert sich auf Einzelschicksale. Das Allgemeine tritt
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hinter dem Individuellen zuriick. Doch das verleiht den Darbietungen Authentizitat: Wahre Geschichten um echte Personen werden erzahlt und inszeniert. Um die Dynamik des Medienereignisses zu beschreiben, kann man unterscheiden zwischen Conjfrontational oder Confessional Talk. In ersten Fall werden unterschiedliche Positionen - asthetische, moralische, politische oder personliche - gegeneinander gesetzt. Bei den Bekenntnissen geht es um das Offenlegen intimster Einstellimgen und Verhaltensweisen. Eine Erkenntnis iiber die Zuschauer vor den Bildschirmen fiir das Genre der Talkshow besagt, dass starke Bindungen im Sinne der parasozialen Interaktion verstarkt bei einsamen, weiblichen Personen ausgemacht werden konnen. Weibliche Zuschauer fuhlen sich mit einem Anteil von bis zu 72 % signifikant haufiger von den Talkshows angezogen. Manner hingegen sind fiir diese Form der Bediirfhisbefriedigung kaum anfallig. „Parasoziale Beziehungen zu Bildschirmpersonen, so scheint es, haben fiir Frauen einen eher funktionalen Aspekt und stehen in direkter Beziehung zum Mangel an echten sozialen Beziehungen, wahrend sie fur mannliche Zuschauer von der personlichen sozialen Situation eher unabhangig sind." (Miihlen 1985, 36) Drei Schlussfolgerungen aus der Studie von Miihlen seien an dieser Stelle genannt: • „Identifikation/Probleml6sung" und „Informationssuche" sind bei Talkshows die signifikanten Motivfaktoren. • Im Hinblick auf die Sehhaufigkeit kommt der Faktor Langeweile/Zeitvertreib hinzu. • AuBerdem scheint die Rolle des Moderators von zentraler Bedeutung fiir die Zuwendung zu diesen Sendungen. Das Thema wird insgesamt als weniger wichtig erachtet. (Miihlen 1985, 35) Was die Zuschauerbindung angeht, ist vor allem die „Theorie der parasozialen Interaktion" ein hilfreiches Erklarungsmodell. Sie geht davon aus, dass Menschen, die vereinsamt sind, dazu neigen, emotionale Bindungen zu Bildschirmpersonen aufzubauen. Je hoher die Einsamkeit, desto groBer die Bereitschaft, sich mit Bildschirmpersonen zu identifizieren und diese als personliche Vertraute zu sehen. Der frohliche und nette Talkmaster ist da ein idealer Partner. Er kommt taglich ins Haus, ist zuvorkommend, aufgeschlossen und hat fiir alles eine passende Antwort. Bei diesem groB angelegten Attrappentest greifen nach Hippel vier tragende Aspekte ineinander: „1. Der Performer verhalt sich so, als ob er sich in einer face-to-face-Situation befande. 2. Der Zuschauer erhalt Informationen von der Art, wie er sie in einer face-to-faceSituation erhielte. 3. Der Performer richtet sich nach den - von ihm unterstellten - Reaktionen der Zuschauer. 4. Der Zuschauer wiederum kann sich so verhalten, als ob der Performer auf seine Reaktion reagiere." (Hippel 1993,129f) Die Produzenten versuchen, eine solche Intimitat fur ihre Interessen zu nutzen: „Neben einer durch die serielle Produktion bedingten erheblichen Kostenreduktion fiir jede Einzelsendung geht es hier auch um den psychologischen Effekt der Gewohnung des Zuschauers an die Sendeform, den Talkmaster bzw. die Talkmasterin oder einfach den taglichen Sendetermin." (Keppler 1994, 42f)
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Uber wen sprechen sie? In Talkshows schaut man Menschen zu, die reden. Jerome Barkow (Barkow 1992, 628) erwartet, dass iiber bestimmte Personen gesprochen wird: „Verwandte, Gegner, Geschlechtspartner, Nachkommen, Partner im sozialen Austausch und die Hochrangigen." Das Besondere daran ist, dass es sich nicht um Verwandte und Personen aus unserem direkten Bekanntenkreis handeln muss. Man kann nicht einmal von einer Stellvertretung sprechen, da die Personen in den Medien mit den uns bekannten meist doch recht wenig zu tun haben. Barkow vermutet, dass es mit dem Medium und dessen Attrappencharakter zu tun hat. Die Evolution hat uns nicht vorbereitet auf bewegte Abbilder. Als sich die Fahigkeiten des Gehims gebildet haben, war an Medien nicht zu denken. Abbilder gibt es seit 30.000 Jahren, die Geschichte des Films mit seinen bewegten Bildem begann 1895, der Femseher hat sich erst in den 1950-er Jahren verbreitet. Selbst wenn man die ersten Hohlenbilder und die ersten Statuen als Beginn der Mediengeschichte sieht, ist dies evolutionar gesehen eine kurze Zeit, zu kurz um das Gehim darauf vorzubereiten. Menschen reagieren also auf die Abbilder, als waren es Personen, die einem nahe stehen, denn immerhin werden sie in den Wohnzimmem in Nah- und GroBaufiiahmen gezeigt. Wen - auBer nahe stehende Bekannte und Verwandte - wiirde man so nahe an sich heran lassen. Und der Moderator der Daytime Talkshow kommt gar werktaglich zu seinen Zuschauerinnen und Zuschauem. Barkows Erwartungen sind operationalisierbar und an Programm-Ankiindigungen zu iiberpriifen. Ausgewertet wurden also nicht die Sendungen selbst, sondem der Abdruck in Programmankiindigungen, die das Thema der Sendung annoncierten. Damit ist also nicht gesagt, dass auBer den genannten nicht auch noch andere Personen in den medial vermittelten Gesprachen angesprochen werden. Doch die Programmzeitschriften eroffhen Erwartungen. Gleichzeitig sind die angegebenen Titel Zusammenfassungen der Sendungen aus Sicht der Produzenten. Hier werden 441 Sendungen analysiert, die im deutschen Femsehen ausgestrahlt wurden. Ausgewahlt wurden die vier Daytime Talkshows mit den hochsten Einschaltquoten: „Meiser" (0 2.52 Millionen Zuschauer), „Fliege" (0 1.46), „Arabella" (0 0.80) und „Vera am Mittag" (0 0.79). Folgende Auspragungen seien mit jeweils ein paar Beispielen genannt: • Nicht erkennbar: „Es ist zu spat - verpasste Chancen", „Rache ist suB", „Uberraschungsshow", „Arabellas 500. Sendung". In diesen Titeln sind keine Personen genannt. Eine Zuordnung - auch eine die als Falsifikation der Thesen gewertet werden konnte - ist hier nicht moglich. • Geschlechtspartner und Rivalen: "Ich lieben meinen Mann - und meinen Liebhaber", "Liebling, ich bin schwul", "Ich zahle fur die Liebe". Die Kontrahenten wurden in einer gemeinsamen Kategorie gefuhrt, da sich gezeigt hat, dass beide haufig gegeneinander gesetzt sind. Damit wird auch der Charakter der Sendungen deutlich: Es geht um Konflikte. • Partner im sozialen Kontext: "Meine Nachbarin ist eine Schlampe", „Reporter zerstorten mein Leben", „Schuler in Gefahr! Wo sind die guten Lehrer?" Ahnlich wie bei der Kategorie zuvor, scheinen hier eher Personengruppen vorzukommen, um deren Konfliktpotenzial auszuloten. Die Titel deuten dies an. • Kinder/Eltem/Geschwister: "Meine Eltem mogen meinen Freund nicht", "Meine Mutter ist die Beste", "Im Schatten meines Bruders". Die Einteilung in Familienzu-
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gehorigkeiten konnte auf nahe Blutverwandte reduziert werden. Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen, Nichten und Neffen kamen bei den Nennungen praktisch kaum vor. • Hochrangige: "Kinderstars", "Ich bin im Kontakt mit Geistem", "Ich sah Gott in meinem Wohnzimmer". Hochrangige bezeichnet alle, die ein groBes Ansehen genieBen. Dazu muss man auch nicht reaie Personlichkeiten zahlen, da man ihnen eine besondere Position und bisweilen auch eine besondere Form von Einfluss zuschreibt. • Zunachst wurden alle weiteren Nennungen, die bislang nicht einzuordnen waren, in der Residual-Kategorie „andere" erfasst. Diese konnten Hinweise erhalten, die als Falsifizierung der Thesen gewertet werden konnen. Bei der Betrachtung dieser Nennungen konnten zwei neue Kategorien gebildet werden. Nach der emeuten Einordnung der bislang nicht zuzuordnenden Personen blieben keine Einteilungen mehr offen. Alle Nennungen konnten nun zugeordnet werden. • Tiere: "Ein Tier rettete mein Leben", Wie Katze und Hund - was Tiere iiber unseren Charakter sagen", „ Tiere sind meine besten Freunde" • Die eigene Person: "Niemand liebt mich so wie ich", "Brustkrebs - warum ich?" "Mein Leben im Gefangnis". Zwei Kategorien mussten Barkows Thesen also hinzugefugt werden. Diese sind jedoch nicht als Widerlegung seiner Thesen anzusehen, sondem als Erganzungen: Tiere und die eigene Person. Charaktereigenschaften von Menschen werden auf Tiere iibertragen. Begriffe wie Freundschaft, Zuneigung, Kommunikation und Verstandnis, das Tier als treuer Gefahrte, Familienmitglied und Heifer werden auf Haustiere projiziert. Zieht man diese Ubertragung in Betracht, wundert es nicht, dass sie auch Gegenstand von sozialer Kommunikation mit anderen sind. Wie Individuen iiber ihre Kinder, ihre Partner und ihre Sozialpartner berichten, iiber deren Eigenheiten, deren Erleben oder deren Verhalten, so berichten sie auch iiber die sozialen Eigenheiten der Haustiere. Dass Barkow bei der Aufzahlimg der Protagonisten und Antagonisten den Sprecher selbst auBer Acht gelassen hat, ist verwunderlich, geht es doch meist um ihn. Klatsch und Tratsch hat nicht nur den Aspekt, dass man iiber jemand anderes spricht, es hat auch die Funktion, die Person zu positionieren, die tratscht. Asthetische und moralische Urteile sind von groBter Bedeutung. Wenn sich mancher nach anderen erkundigt, geht es ihm darum, dass er seine Haltung dazu kundtun mochte. Die Thematisierung des Verhaltens von anderen wird in diesen Fallen dann als Stichwort aufgenommen, dieses zu kommentieren und nach eigenen MaBstaben zu bewerten. Es geht ihm dabei um die Positionierung der eigenen Haltung im Geflecht von moralischen und asthetischen Vorstellungen. Hier kommt mm Dunbars These, dass eine der Funktionen von Klatsch und Tratsch das „Annoncieren seiner eigenen Vorteile als Freund, Kooperations- oder Geschlechtspartner ist" (Dunbar 2004, 105). Diesen Umstand reflektieren auch die Daytime Talkshows, wenn sie Menschen zu Wort kommen lassen, die fur ihre Ansichten einstehen und diese mit oder gegen andere vertreten. Dabei geht es durchaus auch um Macht. Wer darf Werte setzen, die dann als allgemeine MaBstabe fungieren konnen? Gefallen und Missfallen werden spontan durch das anwesende Saalpublikum signalisiert: Klatschen, ausbuhen oder lachen sind Kommentare und Reaktionen zu den subjektiven Varianten des Verhaltens.
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Interessant ist - und dariiber muss noch nachgedacht werden - dass der Moderator sich selbst in der Kegel einer eigenen Stellungnahme enthalt. Er zeichnet sich vielmehr aus durch ein grofies Mafi an Verstandnis, mogen die vorgestellten Positionen auch noch so imspezifisch und gegensatzlich sein. Bei den Nennungen kommen alle durch die Hypothesen erwarteten Personen vor. Bis auf die Titel, in denen Personen uberhaupt nicht genannt werden, bleiben keine Nennungen, die als Widerlegung der Thesen gewertet werden konnten. Die These nach den erwarteten Personengruppen kann im Kontext der Untersuchung von Daytime Talkshows als bestatigt angesehen werden. Uber was reden sie? Denkt man iiber die Themen nach, sind evolutionspsychologisch fitness-relevante Themenkomplexe zu erwarten, die Jerome Barkow als Hypothesen formuliert: "Relative Hierarchic und alles was diese beeinflusst, Kontrolle iiber Produktionsmittel und Rohstoffe, sexuelle Aktivitaten, Geburten, Tode, gegenwartige AUianzen, Freundschaften und politischer Standort, Gesundheit und Ruf iiber die Verlasslichkeit eines Partners im sozialen Zusammenleben." (Barkow 1992, 629) Die hier formulierten Hypothesen lassen sich analog den Personennennungen leicht operationalisieren und an den Themenankiindigungen von Talkshows testen. Gegeniiber den Hypothesen von Barkow musste nach den ersten Voruntersuchungen diesmal nur eine Veranderung vorgenommen werden. „Familienangelegenheiten" ist eine Kategorie, die er nicht formulierte, die aber im Rahmen der Daytime Talkshows immer wieder vorkommt. Da bei den Personen bereits Verwandte als erwartete und bestatigte Nennung geflinden wurde, ist die Thematisierung von Familienangelegenheiten nur folgerichtig. Eine erste Erganzung der Hypothesen, die die Gesprachsinhalte betreffen, wurde also gleich iiberpnift. Die Themen-Kategorien enthalten folgende Auspragungen. Beispielhaft sind auch Sendetitel dazugesetzt, so wie sie der Programmankiindigung entnommen werden konnten: • Sexuelle Aktivitaten: „Jeder will meine Frau", „Mein Mann hat mich verlassen Frauenschicksale", „Die neuen Jungfrauen: Trend oder Spinnerei", „Stress im Bett - ich will ofter als meine Freundin", „Ich kratz dir die Augen aus - weibliche Rivalen", „Ich liebe dicke Frauen", „Ich kriege jeden Mann 'rum", „Jede will meinen Mann". • Gesundheit, Schonheit und Korper. „Cellulite: Muss das sein?", „Ich leide unter meinem Busen", „Graue Schlafen und mehr - Was Frauen anmacht", „Mein Partner hatte einen Unfall", „Ich bin zu schon - keiner traut sich an mich ran!", „Terror in der Nacht - mein Partner schnarcht", „Ich hange an der Flasche - Jugend und Alkohol". • Politische Aktivitdt: „Kriegsspiele in Deutschland" und „Die Mauer muss wieder her". • Partnerschaft: „Der Kampf um den Freund - wie ich meine Beziehung rette", „Ich komme nicht los von ihm", „Meine Frau soil sein wie meine Mutter", „Mein Mann hat mich verlassen - Frauenschicksale", „Wie durchschaue ich einen Mann?", „Den sollst Du bloB nicht heiraten", „Der kommt mir nicht ins Haus", „Stress mit dem Ex", „Ich bin ihm restlos verfallen - Horigkeit", „Mein Mann schlagt mich - wie kann ich mich befreien?"
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• Familienangelegenheiten'. „Mami, warum habt ihr mich rausgeworfen?", „Ich basse Dich" - Mutter und ihre Kinder", „Junge Mutter", „Meine Mutter ist die beste", „Ich basse meine Mutter", „Hilfe, mein Kind wird fliigge - der scbwere Abscbied von zu Hause", „Verzweifelte Eltem: ,Wo ist mein Kind?'", „Terror Kinder - icb balte es nicbt mebr aus!", „Icb versteb mein Kind nicbt mebr". • Geburt und Tod: „Adoption - Mutter obne Kinder", „Ist Abtreibung Mord?", „War's die ricbtige Entscbeidung? - Abtreibung", „Totgeburt - gestorben im Mutterleib", „Abtreibung ist Mord!", „Mein Kind wird bebindert - Abtreiben oder bebalten", „Unerwartet scbwanger", „Gute Hoffiiung, jabes Ende - Totgeburten", „Icb babe ibm ein Kind untergescboben", „Todesflug ALW 301 - Wie sicber ist das Fliegen?", „Selbstmord: Mit der Scbande leben", „Ein Mord bat viele Opfer". • Ruf und Verldsslichkeiv. „Keiner kennt die Menschen so wie icb! - Taxifabrer", „Liebe, Scbnaps und Scbweinebraten - Kneipengescbicbten", „Icb platze vor Neugier - von Scbniifflem und Spannem", „Icb riskiere mein Leben fur Recbt und Ordnung - Polizisten", „Wir sitzen alle im selben Bus - Gruppenfabrten", „Trautes Heim? - Kracb zwiscben Mieter und Vermieter", „Warum ebrlich sein? - Die anderen sind es docb aucb nicbt", „Ein Ricbter bat mein Leben zerstort - Justizskandale in Deutscbland", „Kunde in Deutschland - Du armes Scbwein", „Mobbing - Krieg im Biiro". • Hierarchie und Ressourcen: „Qualitat bat ibren Preis - Luxusfrauen", „Lass das meine Frau mal macben", „Marlene lasst griiBen - Es lebe die Diva", „Alle kennen meinen Freund - aber keiner kennt micb", „Mein Kleid kostet 50.000 Mark", „Nicbt scbon, nur reicb muss er sein", „Mein Mann ist geizig!". Zur Tbematisierung der Hierarcbie gebort aucb die Bescbaftigimg mit Leitfiguren: „Mein Gott beiBt Allab - Moslems in Deutscbland", „Wenn der Glaube krank macbt - Religioser Fanatismus", „Abbangig? - keinen Scbritt mebr obne meinen Guru", „Mit Mister Spock auf Du und Du", „Fans, die auf die Nerven geben", „Fur meinen Star mache icb alles", „Reinkamation - Icb babe scbon einmal gelebt", „Exorzismus: Vom Teufel besessen", „Samson, Rex und Willy Wuff - Tieriscbe Femseb-Stars", „Icb glaube an AuBerirdiscbe". Die Nennungen sind zwar aus Programmzeitscbriften aus Deutschland und bescbreiben Ankiindigungen von Sendungen in Deutscbland, ein kulturiibergreifender Vergleicb ist aber leicbt selbst umzusetzen. Alles was man braucbt, ist eine Programmankiindigung, die die Tbemen der Daytime Talksbows auflistet. Da flir die Untersucbung der deutscben Talksbows aucb die Einscbaltquoten vorliegen, ist eine quantitative Zuordnung sinnvoll. Die Frage dabei ist, ob es zu bestimmten Tbemen intensivere Zuwendungen gibt als zu anderen. Betracbtet man die Anzabl der Zuscbauer - sortiert nacb einzelnen Tbemenkomplexen - sind keine signifikanten Unterscbiede zu erkennen. Die durcbscbnittlicbe Anzabl der Zuscbauer (die Zablen stammen aus dem Anbang von Scblosser 1998) pendelt sicb - mit Ausnabme der Kategorie „politiscbe Aktivitaten", die aucb nur durch vier Falle vertreten ist - im Bereicb zwiscben etwa einer und andertbalb Million Zuscbauer ein. Politiscbe Tbemen, also Tbemen, die das Woblergeben der Gemeinscbaft als Ganzes angeben, werden in den untersuchten Sendungen nur marginal bebandelt. Der Scbwerpunkt liegt auf Sujets, die das Private und Intime bebandeln. Politik gebt dennocb in den Mediendebatten nicbt unter, scblieBlicb gibt es Sendungen, die sicb darauf eber konzentrieren als die bier untersucbten Daytime Talksbows.
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Soziale Motive
Durchschnittl. Anzahl der Anzahl der Durchschnitt Sexuelle Aktivitaten Gesundheit, Schonheit und Korper Hierarchic und Ressourcen Ruf und Verlasslichkeit Partnerschafl Geburt und Tod Familienangelenheiten Nicht erkennbar Politische Aktivitat Other
Zuschauer in Mill. 1.39 1.12 1.33 1.52 1.62 1.59 1.31 1.60 1.44 0.76 1.70
Shows 441 102 90 72 50 40 36 31 14 4 2
Differenz vom Mittelwert
-0.27 -0.06 0.13 0.23 0.20 -0.08 0.21 0.05 -0.63 0.31
Es ist zu erkennen: Alle prognostizierten Themen tauchen auf, wobei die ResidualKategorien genauer zu betrachten sind. Unter die Kategorie „Thema nicht erkennbar" fallen Titel wie: „Arabellas Surprise Show", „Die 500. Arabella-Sendung", „Dieser Tag veranderte mein Leben", „Wenn das Schicksal an die Tiir klopft - Hotelgeschichten", „Wir lagen vor Madagaskar - Kreuzfahrten und Traumschiffe", „Mein Schicksalsflug - Geschichten zwischen Himmel und Erde", „Ab in den Urlaub" oder „Drei nach vier bei Mir". Eine Zuordnung ist auf Grund der angekiindigten Themen nicht zu machen. Da aber auch diese Sendungen nicht vom Durchschnitt der Zuschauerzahl abweichen, kann dies als erstes Indiz gewertet werden, dass andere Kriterien entscheidend sind fur die Zuwendung zu einer Ausstrahlung. Ein weiteres Indiz ist die relative Gleichverteilung der Quoten hinsichtlich der Themennennungen. Kein Thema sticht deutlich heraus. Es scheint keine Rolle zu spielen, iiber was gesprochen wird, solange iiber Themen mit pradisponierter Relevanz gesprochen wird. Unter „anderes" fmden sich die Ankiindigungen: „Petticoat und Nierentisch - Die wilden Fiinfziger" imd „Lasst uns iiber Blumen sprechen - Die geheimen Krafte der Blumen". Was die beiden Titel gemeinsam haben, ist die Thematisierung asthetischer Aspekte. Es geht im ersten Fall - so die Erwartung durch die Ankiindigung - es um nostalgische Haltungen, im anderen Fall um Wirkungen von Blumen durch deren Aussehen und Geruch, einmal unterstellt, dass es nicht um die Zubereitung der Pflanzen zu Tee Oder ahnlichem geht. Denn damit konnte der Titel dem Gesundheitssektor zugewiesen werden. Diskussionsrunden, die sich asthetische Themen nehmen, sind explizit nur mit diesen beiden Nennungen vertreten. Asthetik wird damit zu einer Kategorie, die auch zusammen mit anderen vorkommen kann. Einige der Titelhaben asthetische Aspekte: „Mein Mann hat keinen Geschmack", „Ich bin zu schon - keiner wagt sich an mich ran", Qualitat hat ihren Preis - Luxus". Die Frage ist auch hier wieder, ob es eine Falsifikation der Thesen ist, oder ob man diese als Erganzung der Liste betrachten kann. Im Rahmen dieser Debatte ist der Aspekt der Asthetik und seine Bedeutung im Sinne der Evolutionspsychologie genauer zu betrachten. Es gilt Argumente zu finden, dass das Feststellen der Kategorie „Asthetik" keine Widerlegung von Barkows Thesen ist, sondem eine Erweiterung seiner Liste.
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Der Moderator Es scheint wichtiger, wer iiber ein Thema spricht, als die Auswahl des Themas. Damit ist die Funktion der Sprache zur Herstellung von Klatsch-und-Tratsch-Gemeinschaften zu uberpriifen. Wesentlicher fur die Zuwendung zu den Sendungen scheint der jeweilige Moderator zu sein. Zu belegen ist dies an den Einschaltquoten. Betrachtet man die durchschnittliche Anzahl der Zuschauer in Abhangigkeit des prasentierenden Moderators, ergeben sich signifikante (ermittelt durch das einfach faktorielle ANOVA-Modell) Unterschiede. Die Aufteilung der Zuschauerzahlen nach Moderatoren ergibt ein deutliches Bild: Moderator Gesamt Meiser Fliege Arabella Vera
Durchschnittl. Anzahl der Zuschauer in Mill. 1,3878 2,5192 1,4594 0,7579 0,7909
StandardAbweichung 0,8409 0,6496 0,3821 0,1473 0,1334
N 441 121 87 123 110
Der Moderator, der im Zentrum der virtueilen Tratsch-Gemeinschaft steht, ist demnach ein besserer Pradiktor fur die Zuwendung durch das Publikum als die angekiindigten und dargebotenen Themen. Die Hypothese, dass der Moderator bei der Entscheidung des Zuschauers, sich einer Sendung zuzuwenden, wichtiger ist als das Thema, lasst sich weiter belegen, wenn man sich die Anzahl der Zuschauer eines einzelnen Talkmasters anschaut. Herausgegriffen sei Hans Meiser, da er die groBte Zuschauergemeinde hat. Es ist zu erkennen, dass die Unterschiede der Anzahl der Zuschauer bei den unterschiedlichen Themen weder signifikant voneinander abweichen noch systematisch zu erklaren sind. Die Abweichungen liegen innerhalb des Zufallsspektrums.
Total (Meiser) Hierarchy and Resources Health, Beauty, Body Sexual Activities Reputation and Reliability Family Behavior Partnership Birth and Death not recognizable other
Durchschnittl. Anzahl der Zuschauer in Mill. 2.52 2.49 2.35 2.59 2.54 2.30 2.92 2.59 2.40 2.63
N 121 26 21 19 16 14 13 9 2 1
Abweichung vom Mittelwert
-0.03 -0.17 0.07 0.02 -0.22 0.40 0.07 -0.13 0.11
Die Rolle und Bedeutung des Moderators ist weiter zu betrachten. Eine seiner hervorstechenden Eigenschaften ist sein Verstandnis. Er oder sie kann alles verstehen, hat fur alle ein Ohr. Statt selbst Stellung zu beziehen, werden die Kontrahenten in die Diskussion eingebracht. Die Dramaturgic ist so aufgebaut, dass jeder Zuschauer Argumente flir seine Haltung fmdet, und damit eine Bestatigung seiner Meinung empfmdet. Er kann sich - die Bedeutung dessen wurde bei den Themen erlautert - asthetisch und moralisch positionieren, ohne dass er das Bewusstsein hatte, dass er sich gegen den
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Leiter der Diskussionsrunde stellt. Der Moderator steht im Mittelpunkt einer Kommunikationsgemeinschaft, die scheinbar Noraien aushandelt und deviantes Verhalten verurteilt. Eine Beteiligung an dieser Gemeinschaft scheint wichtig zu sein. Der Moderator ist das Zentrum dieser Clique. Er ist derjenige, dem an alles anvertrauen kann und von dem die anderen Gruppenmitglieder wiederum vieles erfahren. Ein Abwenden von ihm kommt einer Abwendung von der Gemeinschaft gleich. Doch so schlimm ware es nicht, denn immerhin bietet das TV-Programm geniigend Altemativen. Eine geniigend groBe Zahl von Gruppen steht zur Verfiigung, die auch alle bereit sind, neue Mitglieder aufzunehmen. Es ist zu analysieren, wie ein Gesprach unter Menschen initiiert und geleitet wird. In den Daytime Talkshows haben sich Muster gebildet, mittels Fragen und Statements durch den Moderator Konflikte zu schiiren, Widerspriiche zuzuspitzen und am Ende der Sendung Versohnungen anzubieten. In der Talk-Show sind folgende vier Sprech-Haltungen haufig vorzufinden: Bemerkungen mit personlicher Beteiligung, Bemerkungen zur Geschichte, Bestatigung suchende Bemerkungen und strukturierende Bemerkungen. Der Sinn der letztgenannten Bemerkung ist, das Gesprach voranzubringen. Der Moderator lenkt mit diesen Bemerkungen die Erzahlung oder Diskussion auf das im Vorgesprach Besprochene, entweder weil die Erzahlung abweicht oder weil zu viel Sendezeit vergangen ist. Bestatigung ist gleichzeitig eine wichtige Funktion des Klatsch und Tratsch als verbales Kraulen. Es verweist auf den Urheber, verbiindet ihn mit den Zuhorem und schafft damit ein Kooperationsgefiihl. In den Bemerkungen zum Erfragen der Hintergrundstories zeigen die Moderatoren wenig Kreativitat. Die Frage „Was ist da vorgefallen?" fragt im Sinne des Memory Talk (Welzer 2002) zunachst nur nach den Fakten, es folgt meist eine Frage nach den Gefuhlen. In diesem Zusammenhang fallt auf, dass diese Frage oftmals sogar am Anfang des Einzelgesprachs steht. Das Ansprechen der Emotionen verstarkt die Bedeutung des Konflikts ftir die Kontrahenten. Die Konstellationen von Zuneigung und Abneigung, von Sympathien und Antipathien werden damit verbalisiert. Ein Indiz fur den vertraulichen Charakter des Moderators sind Anzeichen von Verstandnis. Wenn ein Gast vor Nervositat nicht sprechen kann, hilft er bei Formulierungen. Die Moderation halt die Gesprache in Gang. Dariiber hinaus gibt sie ihren Gasten zu verstehen, der Geschichte zu folgen. Ein „Hm" oder ein „Ja" als akustische Zeichen der Aufinerksamkeit tragen zu einer flieBenden Erzahlung bei. Ist eine Sendung auf kontroverse Konstellationen aufgebaut, sollen die unterschiedlichen Ansichten in Form von Streit und offenen EmotionsauBerungen deutlich werden. Dem Moderator gelingt es, Konflikte innerhalb der Konstellation und der beteiligten Angehorigen hervorzurufen, indem er Vorwiirfe ausspricht und Stichworter vorgibt, die in einer zuvor geauBerten Bemerkung enthalten waren. In der Sendung finden sich viele Elemente, die Klatsch und Tratsch interessant machen: Der Konflikt zwischen Blutsverwandten, Partnem und Kooperationspartnem, von denen man Unterstiitzung erwartet und die statt dessen Hass zeigen, ist ein Spielart, eine andere die Gemeinschaft bildenden Verurteilungen von Unsozialem und die Parteinahme ftir prosoziales Verhalten.
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Die Gdste Es kommen Menschen zu Wort, iiber die man sonst nicht redet. Man hort ihre ganz personlichen Geschichten, Streitigkeiten und Meinungen. Vor allem dem Privatfemsehen ist der Trend zu verdanken, die klassenlose Gesellschaft in die Talkshows gebracht zu haben. Plotzlich tummeln sich da Mobelpacker und Hausfrauen neben Verkaufmanagem und Designem. Alle bekommen ihren groBen Auftritt. Der unbekannte Noraialbiirger muss aber etwas zu bieten haben. Er wird wegen seiner Geschichte eingeladen, wegen seines ungewohnlichen Hobbys, einer Episode aus seinem Leben, seiner korperlichen oder psychisch auBergewohnlichen Verfassung. Und die Studiogaste haben die unterschiedlichsten Motive, ihre privaten Erlebnisse offentlich mitzuteilen. Mai ist es der Wimsch, einmal ins Femsehen zu kommen, mal die Moglichkeit, sich richtig Luft zu verschaffen. Personen, denen sonst keine groBe Beachtung geschenkt wird, stehen plotzlich fiir einen kurzen Moment im Rampenlicht. Sie sind Figuren mit Meinungen und Haltungen, die einer emotionalen Reaktion unterliegen und einer asthetischen Beurteilung. Sie dienen dazu, den eigenen Standpunkt zu untermauem, Gegenargumente auszuprobieren und Bestatigungen zu fmden. Die Einfuhrung eines Gastes geschieht nach einfachen Mustem (Vgl. Wengerzink 1996, 185f). Der Name wird genannt und ein Statement, das ihn im Meinungs- und Themenspektrum positioniert. Dariiber hinaus bekommen die Zuschauer mehr oder minder standardisiert folgende Informationen: Geschlecht und Alter sind an auBeren Merkmalen festzumachen, wenn nicht, werden diese genannt. Herkunft, Beruf und familiarer Stand dienen der sozialen Einordnung ebenso wie bemerkenswerte gesellschaftliche Aktivitaten. Bisweilen wird der Gegenspieler hervorgehoben, um damit Konflikte und mogliche AUianzen anzuzeigen. Lokale Herkunft dient der Gruppenzuordnung. Wenn andere, nicht anwesende Personen beschrieben werden, gehoren Aussehen und Charakter zu den weiteren Merkmalen, die offenbar wichtig sind, um eine Person zu beschreiben. Diese Muster sind so grundlegend, dass sie in praktisch alien Sendeformen anzutreffen sind. Einblendungen liefem die Information, wahrend die beschriebene Person spricht oder agiert. Die jeweiligen Geschichten und Anekdoten werden nacheinander abgefragt. Interaktion der Talkgaste untereinander ist in den meisten Shows nicht erwiinscht. Die Anlage des Studios ist entsprechend. Die Gaste sind aufgereiht dem Moderator und dem Publikum konfi^ontiert. Die Kommunikation verlauft iiber den Moderator, der Fragen stellt, Kommentare und Bewertungen abgibt und auch schon mal mit dem entscheidenden Ratschlag zur Hand ist. Binnen einer Stunde werden Probleme gelost, die den Betroffenen oft Jahrzehnte der Qual beschert haben. „Die Gleichheit der Menschen verkommt zur Gleichheit in ihrer Abbildung, Briiderlichkeit zum Komplizentum und fi-ei sind wir zu klatschen oder nicht." (Sokolowsky 1996, 15) Fiir einen AuBenstehenden zunachst schwer nachzuvoUziehen, bietet der Auftritt im Femsehen all denjenigen, die sonst nie etwas erleben, die Moglichkeit, ihren Erlebnissen Wert und Bedeutung zu geben. Hier kann auch der kleine Mann auftreten und auftrumpfen. Hier hort man ihm zu. Hier ist er fiir einen kurzen Moment unsterblich. Mit der Studie von Bente und Fromm zum Affektfemsehen liegt empirisches Material vor, das die Psychologic des TV-Auftritts nichtprominenter Personen untersucht. Befi'agt wurden Personen im Alter von 15 bis 65 Jahren, und zwar 22 Manner und 35 Frauen (Vgl. Bente & Fromm 1996). Die meisten der Gaste bewerben sich eher halbherzig fiir eine Show. Sie werden von Dritten angesprochen oder sind einfach neu-
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gierig auf die Themen. Chancen fur einen Auftritt rechnen sie sich nicht aus. Und bereits eine Auswahl der Macher fur die Show schmeichelt daher dem Ego der Bewerber. Ein Sender halt ihre Geschichte fiir wichtig genug, um sie einem Millionenpublikum zu prasentieren. Neben reiner Neugier und dem Interesse, beim Femsehen mal hinter die Kulissen zu schauen, lassen sich die wirklichen Beweggriinde fur den Auftritt in vier Motive unterteilen: Selbstdarstellung, Selbsterfahrung, Appell, Rache (Bente & Fromm 1996, 25f). Selbstdarstellung. Eher nach auBen gerichtete, extrovertierte Personen nutzen das TV-Genre Talkshow, uro sich in Szene zu setzen. Solche Menschen stehen auch privat geme im Mittelpunkt und bezeichnen sich oft selbst als „Exhibitionisten". Sie bedienen sich des Auftritts, so Jo Reichertz, weil sie „einen lohnenden Nutzen, eine ganz bestimmte Losungfiirihre personlichen Probleme erhoffen." (Bente & Fromm 1996,25) Selbsterfahrung. Eher nach innen gerichtete, introvertierte Personen nutzen die Talkshow hingegen zur Selbstbehandlung von personlichen Problemen. So lemen sie, ihre eigene Person zu erfahren und einschatzen zu konnen. „Das war das Hauptproblem, jetzt schaffst du die Menschenmassen nicht wegzustecken, und als ich drauBen war, das war ftir mich das Hochste, dass ich das gepackt hatte" (Bente & Fromm 1996, 26), beschreibt ein Cast seine Beweggriinde. Aufierdem kann der Auftritt der Erkenntnis dienen, dass man mit seinem Problem nicht alleine dasteht. Appell. Selbstdarstellung und Selbsterfahrung sind sehr personenzentrierte Motive. Es ist aber auch moglich, sich durch seinen Auftritt an andere zu wenden, um sie wachzuriitteln, um ihnen neue AnstoBe zu geben. Die Talkshow wird so als Biihne fiir ein bestimmtes Anliegen genutzt. Der Cast kommt, um an das soziale Umfeld zu appellieren, damit es seine Meinung andert. Rache. Einige Personen nutzen den Rahmen der Talkshow auch, um sich an einem Partner oder einer ehemals nahe stehenden Person zu rachen. Die Offentlichkeit wird damit als Zeuge angerufen, um die eigene Sicht der Dinge zu schildem. Da der Beschuldigte im Normalfall nicht zugegen ist, tragt er die ganze Verantwortung und entlastet damit zumindest zeitweise den Anklager. Natiirlich konnen auch mehrere der Motive zusammenkommen, wenn es einen Menschen in die Talkshow treibt. Dariiber hinaus sind jedoch auch Motivationen festzustellen, die iiber die bewusste Begriindbarkeit hinausgehen. Bekenntnisse. In den so genannten Bekenner-Shows eroffiien die Gaste Geheimnisse: Jemand bekennt, dass er schwul ist, jemand gesteht seine Liebe, ein anderer entschuldigt sich fiir ein Vergehen und bittet um Verzeihung. Diese Bekenntnisse vor einer Gruppe - und das Femsehpublikum stellt eine sehr groBe Gruppe dar - haben eine doppelte Funktion. Zum einen schiitzt die Gruppe vor Angriffen bei unangenehmen Eroffiiungen. Wenn sich jemand vor seinen Eltem als schwul bekennt, kann deren Reaktion fur den Bekenner riskant sein. Die Gruppe schafft eine Atmosphare und eine Distanz, in der vermutlich die Eltem nicht angreifen konnen. Eine weitere Motivation, Bekenntnisse in der Offentlichkeit auszusprechen, ist der Druck, der damit auf die Personen ausgeiibt werden soil. Eine Hochzeit ist ein Beispiel fiir ein offentliches Bekenntnis, das durch die Anwesenheit von Zeugen ein groBeres Gewicht und eine groBere Verbindlichkeit bekommt. SchlieBlich kann der Druck einseitig ausgeiibt werden. Wenn ein Mann, der seine Frau misshandelt hat, diese in einer Talkshow um Vergebung bittet und Besserung gelobt, hofft er, dass die anwesenden Zeugen seine Haltung unterstutzen. Der Frau wird
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es schwerer gemacht, die Beziehung zu beenden, wenn sie sich unter Beobachtung sieht. Der Ruf, der im Klatsch und Tratsch erworben wird, ist der Angesprochenen in diesem Augenblick prasent. Der Druck ist nun auf ihr. Sie muss entscheiden, das Angebot anzunehmen oder abzulehnen. Ablehnungen vor einer Gruppe konnen rufschadigend sein. Nach ihrem Auftritt haben die Gaste dann meist gemischte Gefiihle. Sie sind unsicher, konnen ihre Lage noch nicht eindeutig beurteilen. Auf jeden Fall ist die tagelang aufgebaute Spannung gewichen. „Das Bewusstsein, tatsachlich vor Millionenpublikum aufgetreten zu sein, ereilt die Talk-Gaste in der Kegel erst lange nach der Show; dann namlich, wenn sie an ihrem Wohnort von Leuten auf der StraBe angesprochen werden und sich plotzlich fiir das, was sie gesagt haben, rechtfertigen miissen." (Goldner 1996,25) Die Rolle der Offentlichkeit, die durch die Ausstrahlung an ein groBes Publikum entsteht, muss unter den genannten Aspekten bewertet werden. Zwar ist das Publikum nur vermittelt durch das Medium prasent, seine virtuelle Prasenz wirkt sich jedoch auf die Kommunikationssituation in Talkshows aus. Die angefuhrten Motivationen haben alle mehr oder minder mit Offentlichkeit zu tun. Das Publikum „Das Saalpublikum ist nicht einfach nur ,da', nicht einfach nur ,naturliches Publikum', sondem es ist inszeniertes Publikum. Ein Publikum, das fur ein anderes Publikum ,Publikum' spielt." (Goldner 1996, 26) Es ist Bestandteil der Inszenierung und hat Stellvertreterfunktion fiir die Zuschauer vor dem Bildschirm. In dieser Funktion wird ihm oft die Rolle als Zeugen zugewiesen, die mit ihren Ablehnungen und Zustimmungen den Common Sense der Gruppe reprasentieren. Das Prasenzpublikum hat, obwohl ihm in Talkshows nicht inmier die Moglichkeit des Mitmachens gegeben wird, dennoch eine Reihe von Einflussmoglichkeiten auf das Geschehen. Dreht man also die Perspektive um und setzt beim Moderator an: Dieser bekommt ein Feedback, stellvertretend fiir das abstrakte und entfemte eigentliche Publikum, vom Prasenzpublikum, mit dem eine unmittelbare Interaktion stattfmdet. Neben der Kontrollinstanz stellt es gleichfalls ein reprasentatives Publikum dar, das den eigentlichen Adressaten ersetzt. „Die Anwesenheit des Saalpublikums wird also dadurch begriindet, dass ihm eine situative Funktionsrolle (Stichwort: ,Feedback') und eine daraus abgeleitete Stellvertretungsfiinktion (Stichwort ,Reprasentativitat') zugewiesen wird." (Wulff 1988, 32) Der Moderator enthalt sich aus genannten Griinden einer eigenen Meinung, nicht aber das Publikum. Fragen und Bemerkungen aus diesem Kreis durfen provokant sein und Stellung beziehen. Auch hierfiingiertder Moderator, der das Mikrofon halt, als Ubermittler. Die Plausibilitat einer Stellvertreterfimktion des Prasenzpublikums in diesem Sinn (aus der Sicht des Moderators) bestatigt Keppler: „Dieses Publikum im Saal oder Studio bildet fiir jede Moderatorin oder jeden Moderator ein konkretes Gegeniiber, das das fiir ihn zwangslaufig unsichtbare Publikum, das an den Bildschirmen zu Hause sitzt, ersetzt." (Keppler 1994, 51) Aber auch bei den Gasten sorgen die Reaktionen des Prasenzpublikums fiir ein unmittelbares Feedback. Dabei unterstehen beide Gruppen einer wechselseitigen Wirkung: Einerseits kampfen die Gesprachspartner verstarkt um die Gunst des Publikums, wahrend sich die Studiozuschauer im Bewusstsein ihrer Rolle als Stimmungsbarometer dazu animiertfiihlen,besonders heftig zu reagieren.
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Die emotionalen Reaktionen des Prasenzpublikums konnen dem Femsehzuschauer eine spezifische Atmosphare mitteilen imd Sympathien oder Antipathien gegeniiber einzelnen Gasten artikulieren, wobei deren tatsachliches Verhalten und die Prasentation in der ausgestrahlten Sendung durch Selektion bestimmter Ausschnitte, Kamerafiihrung und -perspektive erhebliche Unterschiede aufweisen kann. Wahrend die verbalen AuBerungen eingesetzt werden, um einen Dissens deutlich zu machen, „treten die nonverbalen eher in affirmativer Weise, namlich als Lachen und Applaus bei Belustigung Oder Zustimmung auf." (Miihlen 1985, 29 f) Und das Publikum ist hauptsachlich eingesetzt, um Stimmung und Engagement zu signalisieren. Dies wird wahrend des „Warm Up" mit dem Animateur einstudiert und wahrend der Sendung oftmals durch den Moderator inszeniert, etwa wenn er zur BegriiBung eines Gastes auffordert. „Dies fiihrt zu der Annahme, dass das Prasenzpublikum von der Institution in erster Linie benutzt wird, um Image protegierende und gesprachsbeendigende Aufgaben zu erfullen und um die ,tolle Stimmung' im Studio zu demonstrieren." (Miihlen 1985, 34) Klatschen und Trampeln, Pfeifen und Buhrufe, Grolen und Beschimpfen von allem ist inzwischen in den verschiedenen Talkshows etwas zu horen. Weitere Subgenres von Talkshows Eine Sonderform der Talkshow ist eine mehr oder weniger inszenierte Gerichtsverhandlung. Hier wird Sprache als voraggressiver Problemloser eingesetzt. Prasentiert wird das Gezeter von Rede und Widerrede, von Behauptung und Gegenbehauptung, von wechselseitigen Schuldzuweisungen und Beschimpfungen. Zu den Regeln gehort, dass die Autoritat des Moderators uneingeschrankt anerkannt wird. Richter auBer Dienst beschaftigen sich mit Streitereien, die mehr oder minder groBen Belang haben, mehr oder minder komplexe Rechtsfmdungsstrategien erfordem, mehr oder minder komplizierte Losungen hervorbringen. Im Gegensatz zu Klatsch-und-Tratsch-Talkshows, wo die Konflikte lediglich an- oder auch ausdiskutiert werden und die Losung erst nach dem Ende der Sendung in Aussicht steht, werden die Falle in den inszenierten Verhandlungen quasi rechtskraftig gelost. Wahrend sich der Moderator einer Talkshow kaum zu der einen oder anderen Meinung bekennen wird, da er damit ein groBeres Publikum bindet, muss der Richter klar Stellung beziehen und eine klare Gut-undBose-Zuordnung vomehmen. Prinzipielle Unterschiede zwischen Talkshow und Gerichts-TV sind aus Sicht ihrer evolutionspsychologischen Funktion jedoch kaum auszumachen. Manche Themen konnten problemlos in beiden Subgenres behandelt werden. Hier wie dort geht es oftmals um abweichendes Verhalten, das zu bewerten ist. Getestet und gescharft wird die moralische Urteilskraft: Man teilt ein in richtiges und falsches Handeln, richtige und falsche Motive sowie richtige und falsche Entscheidungen. Unterstiitzt und geleitet werden die Zuschauerinnen und Zuschauer bei der Urteilsbildung durch eine Person in Robe. In beiden Genres geht es um das kommunikative Erinnem und Konstruieren von Vergangenheit. Nach Harald Welzer (2002, 96ff.) geht es hierbei um ein Verfahren durch das im Kindesalter nicht nur Sprache, sondem auch eine gemeinsame Sicht auf die Welt geschaffen wird. Der so genannte „Memory Talk", bei dem jemand immer wieder Bruchstucke der Erinnerung eines Gegeniibers abfragt, ist durchaus vergleichbar mit dem, was Talkshow Moderator oder noch deutlicher TV-Richter oder Richterin machen, namlich immer wieder die Frage stellen: „Wie war das damals?" Das „Con-
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versational Remembering" ist essentieller Bestandteil der sozialen Praxis, die in den Medien und besonders in den entsprechenden Genres simuliert werden. SchlieBlich geiingt es den Gerichtsshows eine Aufgabe zu erfuUen, die Robin Dunbar in seiner Theorie des Gossip postuliert: „Schwarzfahrer" und Betriiger zu iiberwachen. In den vorgefuhrten Debatten wird aufgezeigt, wie sich Menschen mit moralisch abweichendem Verhalten auffuhren, was moralisch falsch ist und woran man es erkennen kann. Die Moderatoren haben hier die Funktion Richtlinien und Leitlinien zu bieten, die sich die Moderatoren bei den Daytime Talkshows verkneifen miissen. Ein weiteres Subgenre ist die politische Debatte. Diskurse iiber Themen von allgemeinem Interesse werden offentlich ausgetragen. Diskutiert werden Handlungsoptionen. Entscheidungen werden beurteilt auf ihre Nutzen und Kosten. Das mentale Probehandeln wird verbalisiert und damit auf eine Ebene gebracht, die eine Gruppe als Ganzes betrifft. Die Konsequenzen von Entscheidungen mit einiger Tragweite miissen unter Umstanden von vielen getragen werden. Vor- und Nachteile miissen gegeneinander abgewogen werden. Doch Vor- und Nachteile sind keine definitiv bestimmbaren GroBen, sondem hangen ab von Interessen und Standorten. Der Vorteil des einen mag der Nachteil eines anderen sein. Themenzentrierte Diskussionen sind von ihrer Funktion fur die Zuschauer zu betrachten. Vorgefiihrt werden politische, moralische und asthetische Haltungen und Meinungen von mehr oder weniger prominenten Vertretem. Oftmals stehen die Vertreter fur diese Haltungen. Politiker prasentieren immer wieder ihre Sicht der Welt. Die Frage ist, nach welchen Kriterien sich Zuschauer der einen oder anderen Meinung anschlieBen. Immerhin konkurrieren viele Sichtweisen miteinander. Offenbar hat jeder ein mehr oder minder festes Weltbild, nach dem dann die Vertreter dieser Haltung ausgesucht werden. Die aktive Rolle des Rezipienten bei der Auswahl und sein jeweiliger Bezug zum Medienereignis werden allgemein unterschatzt. Dabei lasst sich ein erkennbarer systematischer Zusammenhang zwischen Lebenssituation des Rezipienten zu seiner Medienzuwendung nicht nur fiir Diskussionssendungen nachweisen, sondem gilt allgemein auch fiir Nachrichtensendungen und selbst im fiktionalen Kontext. (Knilli & Zielinski 1982, 25) Medien machen divergierende Angebote und die Nutzer wahlen aus. Als 1979 iiber die dritten Programme der ARD die US-Miniserie .Jiolocaust lief, schrieben Tausende von Zuschauem Briefe an den WDR. Drei Gruppen lieBen sich ausmachen: Die groBte Gruppe war diejenige, die betroffen war von der Emotionalitat der Serie. Das Schicksal der Juden im 3. Reich riihrte sie erstmals trotz oder gerade wegen der fiktionalen Gestaltung. Zwei Gruppen lehnten die Fiktion eher ab. Zum einen sagten viele - vor allem jene, die von der Verfolgung selbst betroffen waren -, dass das reale Geschehen weit schlimmer war, als das dargestellte. Zum anderen lehnten Alt- und Neo-Nazis die Serie ab, well sie ihrer Meinung nach Geschichte falsch prasentierte (Knilli & Zielinski 1983, Tabelle 130, 164). Bisweilen reichten absurde Kleinigkeiten wie fehlerhafle Uniformknopfe, um die Darstellung als Ganzes abzulehnen und sich der Imagination zu verweigem. Immer wieder unterstellten sie den Machem suggestive Absichten. Der Erfolg vieler medial iibertragener Debatten resultiert aus der Tatsache, dass widersprechende Positionen vorgetragen werden. Meinung und Gegenmeinung, Argument und Gegenargument, Befurworter und Gegner stehen gegeniiber. Politische De-
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batten positionieren die Rezipienten im politischen und moralischen Spektrum. Sie sind Gruppen bildend durch Zustimmung oder Ablehnung bestimmter Haltungen. Nahezu gleichgiiltig welche Haltimg man hat, sie wird im Rahmen einer Sendung weitgehend bedient. Eingefordert wird dieses Verfahren auch durch die Regulierung der Ausgewogenheit. Der BegrifFwurde zwar gepragt in der Auseinandersetzung um politische Sendungen im offentlich-rechtlichen Femsehen, Ausgewogenheit ist jedoch unter privaten Veranstaltem noch mehr geboten, da mehr Zuschauer mit einer Sendung bedient werden konnen. Eine idealtypische Konstellation einer politischen Debatte versammelt sieben Personen: Ein Betroffener pro und ein Betroffener kontra, je ein Experte pro und kontra, je ein Politiker pro und kontra und ein Prominenter, der sowieso zu allem was beizutragen hat und im Gegensatz zu Betroffenheit, Expertise und Haltung schlieBlich Meinung und Common Sense vertreten kann. Alle erwarteten Klatsch und Tratsch-Themen und -Personen sind prasent. Es konnten in die von Barkow entwickelte Liste sogar weitere Punkte hinzugefiigt werden. Am Femsehen schauen die Zuschauer Menschen zu, die reden. Uber was sie reden ist allerdings weniger wichtig, als wer im Zentrum der Unterhaltung steht. Wichtig ist, wer die Fragen stellt und das Mikrofon halt, wer spricht und anderen Gelegenheit gibt, zu sprechen. Der Moderator ist ein besserer Pradiktor fur die Zuschauerzuwendug als die Themen. All dies fiihrt zur Schlussfolgerung, dass Talkshows als virtuelle Klatschund-Tratsch-Gemeinschaften angesehen werden konnen. Prominenz und Stars: Die RoUe der Medien bei der Kommunikation „Vatta Graf, Stahnke, Lothar Matthaus, das sind sozusagen real existierende Medienfiguren. Weder kenne ich sie, noch interessieren sie mich. Meine Witze beziehen sich nur auf das, was die Leute nachweisbar in Interviews Oder vor der Kamera von sich geben. Jemand, der kein Interview gibt und keine Artikel iiber sich schreiben lasst, der fmdet bei mir auch nicht statt. Ich finde auch, bei dem Gehah, was diese Leute kriegen, haben sie mir zur Verfiigung zu stehen." (Harald Schmidt in einem Interview, TIPMagazinl999,52)
Bevor weitere Genres untersucht werden, muss die prinzipielle Rolle der Medien in der Kommunikation betrachtet werden. Wie kommt es, dass wildfremde Menschen in einer Talkshow auftreten um iiber ihr Privatleben zu erzahlen? Wie kommt es, dass sich Menschen dem Spott von anderen preisgeben? Wie kommt es, dass sich Menschen, die von einem Reporter befragt werden, daflir bedanken? Es muss etwas dran sein an einem Auftritt in den Medien. Wie kommt es, dass man Zeit damit verbringt, sich die Belanglosigkeiten von wildfremden Menschen anzuhoren? Wie kommt es, dass man Emotionen entwickelt, wenn unbekannte Menschen leiden? Man kann Kommunikation einteilen in aktive und passive. Aktive Kommunikation ist, wenn man iiber andere spricht, passive, wenn iiber jemanden gesprochen wird. Personen, iiber die viel gesprochen wird, sind prominenter als jene, iiber die weniger gesprochen wird. Prominent ist, wer durch Massenmedien bekannt ist. Damit bekommt man eine mathematische Regel fur Prominenz (P). Die beiden Variablen sind Anzahl der Zuhorer (Z), die sich iiber eine bestimmte Person zu einem bestimmten Zeitpunkt (t) informieren lassen: P = Z(t). Einschaltquoten, Verkaufszahlen und Intemet-Zugriffe
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sind Indizien, wenn auch keine absolut verlasslichen. Die Qualitat der Medienzuwendung ist durch diese GroBen nur schwer messbar. Dass Menschen etwas imtemehmen mussen, dass man iiber sie spricht, ist klar. Aber sie mussen weder eine positive noch eine aktive Rolle haben. Sowohl Verbrecher als auch deren Opfer erlangen den Status der Prominenz. Was einen Menschen wert macht, dass man iiber ihn spricht, ist noch zu diskutieren. Hatte eine Person schon vorher einen gewissen Ruf, so steigt die Chance, dass dieser zur weiteren Prominenz beitragt. Das System funktioniert teilweise als selbst erflillende Prophezeiung. So genannte Stars werden also einiges untemehmen, um sich immer weiter in der offentlichen Diskussion zu halten. Letztlich konnen sie jedoch nur Kommunikationsangebote machen, entschieden wird dariiber auf dem Markt des Klatsch und Tratsch. Damit ist die aktive Rolle der Rezipienten zentral. Es sind nicht die Prasentatoren, die Prominenz bestimmen, sondem erst die selektive Rezeption der Leser, Zuschauer und Zuhorer. Die Versuche einer gezielten Lenkbarkeit haben ihre Grenzen. Die Jugendzeitschrift BRAVO zum Beispiel ladt Woche fur Woche Jugendliche ein, um durch intensive Befragung zu erkunden, wer in und wer out ist. Nicht die Redaktion der Zeitschrift bestimmt dariiber, iiber wen es Hintergrund-, Home- und sonstige Storys gibt, sondem mit der Verzogerung um eine Woche die Leser und Leserinnen. Geschmack bildet und verandert sich offenbar auf dynamische Weise auBerhalb der Medien. Diese greifen ihn lediglich auf, um ihn weiter zu bedienen, solange bis neue Trends und Moden auftauchen und die alten uninteressant werden. Medienprasentationen sind sicher beteiligt an der Bildung von Idealen, aber sie sind nicht notwendig deren Initiatoren, sondem unter giinstigen Umstanden hochstens deren Spiegel. Die Zeit spielt eine nicht unerhebliche Rolle. Prominenz ist ein verderbliches Gut mit geringer Halbwertzeit. Wie lange jemand in Erinnemng bleibt, hangt unter anderem von der emotionalen Qualitat ab, die zentral ist, ob eine Person und die mit ihr verbundenen Ereignisse ins Langzeitgedachtnis aufgenommen werden. Prominenz ist nur messbar, wenn sie aus dem Gedachtnis abmfbar ist. Der Einfluss der Medienprasenz auf den Bekanntheitsgrad ist nicht nur durch deren Zeitdauer zu bestimmen, sondem auch durch die Umstande der Auftritte und deren emotionale Wirkung. Auf der anderen Seite ist Prominenz auch abhangig von der Position, die eine Person bekleidet. Vor allem politisch Prominente verlieren mitunter ihren durch die offentliche Diskussion verliehenen Status, sobald sie ihre Position aufgegeben haben. Die Anzahl der Personen, die einen Prominenten kennt, ist lokal und sozial sehr unterschiedlich. Es gibt Prominente mit lokaler, nationaler und intemationaler Bedeutung. Die soziale Gmppe bestinmit auch dariiber, wer wichtig ist fiir die Gmppe. Ein Trainer einer Bundesligamannschaft mag fur den einen von groBerer Bedeutung sein als ein Dirigent eines Sinfonieorchesters fiir eine andere. Je mehr soziale und lokale Grenzen jemand iiberschreitet, desto mehr Prominenz kann er oder sie erlangen. Der Inhalt des Diskurses iiber einen Prominenten hat dabei untergeordnete Bedeutung. Prosoziales Verhalten ist ebenso thematisierbar wie deviantes. Betruger wie Altmisten haben Relevanz fiir das Wohlergehen der Gmppe und damit fiir jeden Einzelnen. Das Wamen vor Betriigem ist eine Seite der Medaille, die andere ist das Aushandeln von Hierarchic und Status. SchlieBlich ist prosoziales und asoziales Verhahen auch eine Frage des Standpunktes. Gut und Bose sind nicht eindeutig definiert. Was fiir die einen nicht zu akzeptieren ist, ist fur andere echt cool.
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Die menschliche Existenz basiert auf Geben und Nehmen, auf Teilen und Reziprozitat. Geben ist eng verbunden mit Status, denn nur wer hat, kann auch geben, wahrend die, die auf den Erhalt von Zuwendungen angewiesen sind, keinen sonderlich hohen Rang haben konnen. GroBziigigkeit ist damit ein Zeichen gesellschaftlicher Anerkennung. Das Prasentieren von Geschenken ist ein Ausdruck. Im positiven Fall ist die offentliche Erwahnung offentliche Anerkennung. Man ist als Person akzeptiert, die so wichtig ist, dass man iiber sie spricht. Erwahnung unter diesem Umstand ist ein Indiz fur anerkannte Kompetenz. Darum sind sportliche Leistungen so wichtig. Die Erwahnung in den Medien ist dabei das zentrale Indiz fur offentliche Anerkennung. Dies gilt fur alle Bereiche, in denen Leistungen vergleichbar sind: korperliche Fitness, Asthetik und Intellekt. Auf wissenschafllicher Ebene zahlen Einladungen auf Tagungen und Kongresse, Veroffentlichungen in Zeitschriften und Biichem zu den Kriterien fur die Bedeutung einer Person. Der Traum jedes Wissenschaftlers: In einer FuBnote einer fremden Veroffentlichung erwahnt zu werden. Das Ansehen ist umso groBer, je groBer die Auflage bzw. Reichweite des Mediums. Der Ruf des Mediums spielt ebenso eine Rolle, doch auch der ist innerhalb einer Gemeinde quantifizierbar. Kaum ein Wissenschaftler wird sich dagegen strauben, in der Bild Zeitung erwahnt zu werden, falls die eigene Entdeckung, Erfmdung oder Erkenntnis thematisiert wird. Im negativen Fall geht es um die Bekanntgabe einer Gefahr. Es ist wichtig, dass Personen bekannt sind, vor denen man wamen muss. Uber Betruger wird auch viel gesprochen. Dabei scheinen auch sie einer gewissen Faszination zu unterliegen. Wenn der Ruf es zulasst (bei Pop-Musikem oder Schauspielem), sind Skandale sogar verkaufsfbrdemd. Negativ sind die Auswirkungen dann, wenn der Fehltritt die Leistung betrifft, fur die er bekannt ist: Es kommt raus, dass ein Sanger nicht selbst singt, eine Trompeter nicht selbst blast, ein Sportier gedopt war etc. Dann ist man als Betruger geoutet und zukiinflige Kooperation in Frage gestellt. Klatsch und Tratsch war einst das einzige Mittel, in dem der Bekanntheitsgrad in vormedialer Zeit ausgehandelt wurde. Heute iibemehmen neben dem personlichen miindlichen Klatsch und Tratsch auch Massenmedien diese Rolle. Da diese weit iiber den personlichen Bekanntenkreis hinaus rezipiert werden und sich an eine potenziell groBe Anzahl von Zuhorem richten, bedeutet ein Auftritt vor groBerer Offentlichkeit dann schon an sich Prominenz. Das Mediensystem ist diesbeziiglich ein selbstreferenzielles System. Wer bekannt ist, kommt in die Medien und wer in den Medien ist, wird noch bekannter. So ist es klar, dass bestimmte Medienfiguren nur durch die Medien prominent sind und durch wiederholte Medienauflritte dieses immer wieder bestatigen. So genannte Moderatoren stehen dabei an erster Stelle. Der Diskurs iiber Prominenz hat noch eine weitere Bedeutung. Gruppen werden zum Teil bestimmt iiber deren Fiihrungspersonlichkeiten. Diese Position kann unterschiedlich begriindet sein und ist auch nicht festgeschrieben far alle Zeit. Die Diskussion um diese Personen ist damit bedeutsam auch fur die relative Hierarchic jeder einzelnen Person. Der Bezug zu prominenten Figuren ordnet den Bezugnehmenden zu. Es ist zu erwarten, dass vor allem Kiinstler, Sportier, Politiker und Medienprasentatoren diese Funktion ausfiillen. Fiihrungspersonlichkeiten, Politiker, Adel und Vertreter einflussreicher Interessensgruppen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein Gefolge haben. Menschen, die sie unterstiitzen und fur sie eintreten. Am deutlichsten kommt dies im Vorfeld von Wahlen
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zu Tage, wo iiber ihre Fuhrungsrolle abgestimmt wird. Auch iiber das Ansehen, die RoUe und nicht zuletzt iiber den Zugang zu Ressourcen fur die Anhanger wird abgestimmt. Ein Eintreten fur eine Fiihrungspersonlichkeit ist also allemal sinnvoll. Ein anderes Merkmal von emotionaler Zugehorigkeit ist die Trauer, wenn eine ranghohe Personlichkeit stirbt. Der Verlust kann problematisch sein, Neuorientierungen sind notig. Kiinstler stehen fiir asthetische Konzepte. Je nachdem, ob man sich mit Kunst von Andy Warhol, von Rene Magritte oder Jackson Pollock umgibt, ob man die Musik von Mozart oder von Madonna mag, ob man aus den Werken von Shakespeare oder von Walt Disney zitiert, man macht jedes Mai ein anderes Statement iiber sich selbst: Man weil3 sich als kunstverstandige Elite oder als groBe Gemeinschafl der allgemeinen Geschmacks. Gemeinsame asthetische Konzepte erlauben eine bessere Kooperation, schlieBlich muss man sich weniger iiber gemeinsame Ziele auseinandersetzen. Die Referenz auf Prominenz, das Erwahnen und Zeigen, wem man nahe steht, gehort damit zur bedeutsamen Kommunikation. Sportier - sofem sie Erfolg haben oder hatten - sind attraktive Figuren. Sie reprasentieren eine Gruppe nach auBen in Konkurrenz zu Vertretem von anderen Gruppen. Ihre Siege sind die Siege der Gruppe. Politiker (und ehemals der Adel) stehen ebenfalls fiir Gruppen. Sie stellen diese nach auBen dar, verhandeln in ihrem Namen, In demokratischen Gesellschaften stehen Politiker fiir Ideen und Konzepte. In Debatten nehmen Individuen Bezug auf deren Aussagen, um sich selbst politisch zu verorten positiv als Anhanger oder negativ als Gegner einer Partei. Dass der Adel trotz seiner politisch unbedeutenden RoUe immer noch in den Medien und in den offentlichen wie privaten Debatten bedeutsam ist, liegt zum einen daran, dass seine okonomische Macht noch nicht ganz aufgehoben ist. Einige Lander haben immer noch adlige Staatsreprasentanten. Durch Verwandtschaftsbeziehungen riicken damit auch kleinere Adelshauser in die Nahe von Machtzentren. SchlieBlich verfiigen viele immer noch iiber betrachtliche Reichtiimer. Gleichgiiltig ob adlig oder nicht, sind reiche Personen von groBem Interesse. Ihr Wohlergehen bestimmt mit, wie die Okonomie als Ganzes gedeiht. Sie entscheiden iiber einen nicht unbetrachtlichen Teil der Ressourcen. Nicht umsonst hat sich fiir diese Personen der Begriff Geldadel eingebiirgert. Kiinstler, Sportier und Politiker sind Trager von Gruppenidentitat. Ihr Wohlergehen, ihre momentanen Allianzen und ihre Ressourcen sind von groBer Bedeutung fur den Zustand der Gruppe als Ganzes. Ihr Tod lasst viele Menschen trauem. Trauer ist nicht nur eine Emotion, die jeden allein betrifft, diese Emotion hat auch immer einen kommunikativen Aspekt: Man zeigt anderen, dass man trauert, dass man der verstorbenen Person nahe stand. Dies ist wiederum ein Statement, das den Trauemden einer Gruppe zuordnet. Medienprasentatoren, dariiber wurde schon im Zusammenhang mit Talkshows gesprochen, sind Zentren von Klatsch-und-Tratsch-Gemeinschaften. Von ihnen erfahrt man alles Wichtige. Sie bringen Informationen iiber die Prominenten, sie scheinen die Prominenten zu kennen, sie sind Teil der Welt der Prominenz. In einer reprasentativen Befragung forderte Birgit Peters im Herbst 1990 insgesamt 2029 Personen iiber 18 Jahre auf, prominente Personen zu nennen: „Stellen Sie sich einmal vor, eine der groBen Femsehanstalten plant die bundesweite Sendung einer Talkshow mit prominenten Leuten. Wenn Sie nun die Moglichkeit hatten, sich an der
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Auswahl der Gaste, die eingeladen warden sollen, zu beteiligen, welche prominenten Personen wiirden Sie geme einladen? Sie konnen bis zu drei Personen nennen." (Peters 1996, 223) Von den Befragten machten 1461 Personen insgesamt 3693 Angaben. Auf die methodische Problematik, dass das Untersuchungsdesign bereits eine Vorauswahl auf lebende und in der Regel deutschsprachige Personen reduziert, von denen man die Fahigkeit zur verbalen Auseinandersetzung erwartet, muss hingewiesen werden. Der Rahmen, der durch die Regeln einer TV-Talkshow gesetzt ist, bestimmt schon von vomherein die Grenzen bei der Auswahl. Diese Einschrankungen bedenkend, gibt es dennoch eine Reihe interessanter Befunde. Der zeitaktuelle Bezug lasst sich ganz offensichtlich nachweisen. Zum Zeitpunkt der Befragung - im Herbst 1990 - stand die Bundestagswahl bevor. An Platz eins (268 von 3693 Nennungen) stand Helmut Kohl, auf Platz drei (166 Nennungen) der damalige SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine. Auch andere Politiker fmden sich weit vome in der Liste: Hans-Dietrich Genscher (Platz 4), Willy Brand (Platz 5), Richard von Weizsacker (Platz 6), Norbert Bliim (Platz 8), Helmut Schmidt (Platz 9). Dazwischen sind prominente Medienfiguren zu finden: Thomas Gottschalk auf Platz 2 mit 199 Nennungen, Rudi Carrell (Platz 7) oder Frank Elstner (Platz 10). Auf Platz 11 fmdet sich der zu dieser Zeit bekannteste deutsche Sportier Boris Becker. Insgesamt betreffen 46,2 % aller Nennungen Personen aus Kultur und Medien, 43,1 % Personen aus der Politik und 7,3 % Sportier und Sportlerinnen. Damit sind bereits 96 % der Nennungen erfasst. Der Rest deckt die Gebiete Wirtschaft, Wissenschaft, Adel und sonstige Prominente ab (Peters 1996, 56). Sicher waren die Ergebnisse anders, wenn man wahrend einer FuBballweltmeisterschafl, wahrend einer Konigshochzeit oder wahrend eines intemationalen Konfliktes gefragt hatte. Immerhin wurde Saddam Hussein 12-mal als erwiinschter Gast in einer bundesweiten Talkshow genannt. Das verweist auf eine Funktion dieser Sendeform hin, namlich einer durchaus kontroversen Auseinandersetzung zu folgen. Leider gibt es in der Untersuchung keine Hinweise auf die gewiinschten Talkshow-Konstellationen. Zumindest auf der politischen Ebene ware zu erwarten, dass man sich Prominente auswahlt, denen man politisch nahe steht, und ihnen politische Gegner gegeniiberstellt, um die Uberlegenheit der eigenen Favoriten zu belegen. Dass Prominente stark nach der eigenen Sichtweise ausgewahlt werden, konnte Birgit Peters bestatigen: „Die Befragten schenkten also solchen Prominenten erhohte Aufmerksamkeit, die den eigenen ideologischen Standpunkt vertreten. Allgemeiner gefasst weisen die Ergebnisse darauf hin, dass der Rezipient die prominenten Personen zu sich selbst in ein Verhaltnis stellt, und dass er dabei eher Ahnlichkeiten als Gegensatze sucht." (Peters 1996, 130f) Ahnliches gilt fiir das Geschlecht der Prominenz. Zwar werden durchweg mehr Manner als Frauen als gewiinschte Talkshow-Teilnehmer genannt, doch werden die prominenten Frauen zu zwei Dritteln von befragten Frauen genannt. Eine weitere Homogenitat lasst sich far Generationszugehorigkeit belegen. Zwar sind Politiker generell eher der alteren Generation zuzuordnen und darum sind kaum Zusammenhange nachweisbar. Deutlich ist jedoch die altersabhangige Beziehung bei den Kiinstlem (Peters 1996, 132f). Da Musik im Besonderen und kiinstlerische und asthetische Ausdrucksweise im AUgemeinen der Selbstdarstellung dient - was noch zu zeigen sein wird - ist der Zusammenhang nicht verwunderlich. Die in der Jugend getroffene Praferenz bleibt sogar bis ins Alter hinein stabil: „Im Kunstbereich ist die
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Stabilitat des Status offensichtlich an eine spezifische Generation gekniipft, namlich an diejenige Generation, fiir die die Prominenten Idole ihrer Jugend verk6rper(te)n." (Peters 1996,141) Die Abhangigkeit von demographischen Merkmalen bestatigt den Uses-and-Gratifications-Approach und erfullt evolutionspsychologische Erwartungen. Prominenz ist demnach nicht nur, was die Medien als prominent vorsetzen, sondem was man sich als prominent aus dem Angebot auswahlt. Die Bedeutung des Bereiches, in dem eine Person eine besondere Bekanntheit aufweist, ist damit innerhalb des gruppenspezifischen Bezugs belegt. Die soziodemographischen Merkmale wie Alter, Geschlecht und Bildung sind als Ursache fiir die Auswahl belegbar. Das letztgenannte Merkmal - Bildung - ist ein wichtiges Kriterium fur die Bestimmung von Gruppenzugehorigkeit. Hohe Werte auf der Prominenzskala setzen sich demnach zusammen als Summe der Werte der Teilpublika. Es gibt offenbar eine Reihe von Prominenten, die in alien Untergruppen relativ hohe Werte erzielen. In der 1990 durchgefiihrten reprasentativen Befragung zahlen dazu neben Politikem vor allem Medienprasentatoren wie Thomas Gottschalk und Frank Elstner. Prominente sind in den Medien, wenn sie etwas Neues prasentieren, wenn sie Preise bekommen, wenn sie sich als Altruisten beweisen, wenn sie gegen Normen verstoBen, wenn in ihrem Privatleben (sozialer Status) Veranderungen auftreten (Hochzeit, Nachwuchs, Verletzung und Tod). Auch Superman, der Weihnachtsmann und Schneewittchen sind Prominente. Um prominent zu sein, muss man demnach nicht einmal existieren, auch fiktionale Personen konnen den Status erreichen. Konsequenterweise kann man so etwas wie real existierende Medienfiguren ausmachen: Personen, die zwar eine Realitat besitzen, deren Auftreten aber vorwiegend iiber Medien stattfmdet. Image, Aktionen und Auftreten haben die Aura des Unnahbaren: John F. Kennedy, Marilyn Monroe, Michael Jackson und Madonna (nicht die Mutter Gottes, die Sangerin ist hier gemeint). Der Auftritt ist offenbar wichtiger als der Inhalt. Was ware ein Spielfilm ohne Namensnennungen im Vor- und Abspann? Die Namen der Schauspieler und des Regisseurs stehen fiir besondere Erwartungen. Die Rollenzuweisung setzt Erwartung in Gang. Die Erinnerung an friihere Darstellungen einer Schauspielerin lasst eine vergleichbare erhoffen. Prominente sind Personen aus dem Bekanntenkreis. Durch ihre Darstellung in Nah- und GroBaufiiahme gehoren sie sogar zu denen, zu denen man scheinbar eine intime Beziehung hat. Zuschauer kennen nicht nur ihre Gesichter, sie kennen auch ihre Empfmdungen. Natiirlich freut man sich, wenn man Menschen wieder trifft, die einem nah stehen. Wenn die Erinnerungen positiv sind (was immer das verursacht hat), freut man sich umso mehr. Tatsachlich haben auch negative Figuren mitunter groBe Beliebtheit. Humphrey Bogart, Edvard G. Robinson und James Cagney begannen als Gangster. Offenbar wurden sie trotz der Rollen als Verbrecher nach und nach so beliebt, dass sie auf die Seite der Gesetzeshiiter iiberwechselten. Uber die Faszination der Bosewichte ist noch nachzudenken, immerhin sind deren Charaktere tiefgriindiger und vielfaltiger als die der positiven Helden. Donald Duck wurde eingefiihrt als Gegenfigur zu Mickey Mouse. Der eine durfte fluchen, aggressiv sein und egoistisch, der andere musste brav sein, altruistisch denken und immer wieder Minnie Mouse retten. Auch unter Prominenten kommt es zu Konkurrenz. Hierarchic der Prominenz (das gilt auch fiir die wissenschaftliche) misst sich in Ehrungen, Preisverleihungen, Wett-
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bewerben (von Oscar bis Nobel), Anzahl, Auflage und Umfang von Veroffentlichungen, offentlichen Auftritten. Nachdem die Mechanismen der Ermittiung von Prominenz und der medialen Aufbereitung dargestellt sind, sollen noch ein paar Gedanken zum evolutionspsychologischen Sinn angestellt werden. Lempsychologen gehen davon aus, dass ein beachtlicher Teil des Verhaltens durch Modelllemen erworben wird, also durch die Imitation von Personen aus dem Umfeld des Lemenden (Wellhover 1989, hier zitiert nach: Humpert 2000, Schwender 1998 und 1999). „Es stellt sich fiir Psychologen die Frage, wer diese Modellfunktion ubemehmen kann und warum. Die Ergebnisse sind bis heute zwar sehr unterschiedlich und zum Teil widerspriichlich, jedoch besteht fur folgende Kriterien weitgehend Einigkeit: Eine Person wird dann als Modell akzeptiert, wenn sie selbst erfolgreich ist, das heiBt, wenn sie in der Lage ist, Dinge besser zu vollbringen als andere. Das zweite Kriterium ist der soziale Status und das Prestige einer Person. Handelt es sich um eine Person, die innerhalb einer sozialen Bezugsgruppe einen hohen Rang, eine wichtige bzw. leitende Position einnimmt, so steigt die Modellakzeptanz. Aus diesem Grunde ist es nahe liegend, davon ausgehen zu konnen, dass sowohl Erfolg als auch Status bzw. Prestige an der Entstehung von Glaubwiirdigkeit wesentlichen Anteil haben. Damit ist eine Person dann potenziell glaubwiirdiger, wenn sie in dem das Kommunikationsangebot bzw. den Kommunikationsinhalt betreffenden Bereich erfolgreich ist oder aber in diesem Bereich einen hohen sozialen Status genieBt. Nicht vergessen werden darf dabei, dass iiber die Frage des Zusammenhangs zwischen Glaubwiirdigkeit und Prominenz noch nichts Abschliefiendes gesagt werden kann. Synonym sind die Begriffe jedenfalls nicht. Man stelle sich ein Seminar oder eine Schulklasse mit 20 oder 30 Jugendlichen vor. Ohne Fiihrung ist eine Organisation des Unterrichtes nicht zu denken. Zwar hat man einen vagen Begriff von Fiihrerschaft in Gruppen, doch bei genauer Betrachtung lassen sich differenziertere Defmitionen gewinnen. Man kann Eigenschaften anfiihren, die Fiihrungskrafte haben, wie aggressives, dominantes und Verantwortung iibemehmendes Verhalten. Man kann auch denken an Personen mit den besten Fahigkeiten und Erfahrungen auf dem Gebiet, das als Ziel der Gruppe vorgegeben ist. Zum Beispiel konnten die Klassenbesten als Fiihrer angesehen werden. Beim FuBballspielen sollte derjenige die Leitung ubemehmen, der es am besten kann. Oder jemand ist beliebt und wird als Fuhrer von den anderen akzeptiert und bestimmt oder gewahlt. Diese Beispiele zeigen, dass je nach Situation die Fiihrerschaft wechseln kann. Gemeinsam ist alien Definitionen, dass es sich bei Fiihrem um Personen handeln muss, die einen groBeren Einfluss auf das Verhalten der Gruppenmitglieder haben als andere. Fiihrerschaft ist in jedem Fall eine kommunikative Kompetenz. Leiten kann man nur durch Kommunikation. Gruppen sind auch immer Kommunikationseinheiten. Prominenz ist offenbar ein so hohes und erstrebenswertes Gut, dass so mancher lieber durch einen Makel und als Versager beriihmt wird als gar nicht. Das Abweichende ist allemal interessanter als das Durchschnittliche und wahrgenommen zu werden gehort zu den Bedingungen fiir Rang und Status. Wer medial prasent ist, ist prominent. Prominenz ist ihrerseits ein Indiz fiir eine wichtige offentliche Rolle. Medienprasenz ist gleichzusetzen mit Rang und Status. Dass dieses Verstandnis in Einzelfallen tatsachlich besteht, konnte eine TV-Dokumentation belegen. Sie beobachtete die Teilnehmer einer Talkshow und die Kandidaten einer Gameshow. Sie betrachtete die zuvor weitgehend unbekannten Personen vor, wahrend und nach den Shows.
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Die TV-Dokumentation .Camera Iduft - Hosen runter" (RtgiQ: Erich Schiitz, SDR 1997) zeigt Personen, die in Talkshows auftreten, und solche, die in der Gameshow „Wetten, dass ...?" auftraten. Gefragt wurde nach den Intentionen, die Menschen motivierten sich in der Offentlichkeit zu prasentieren. Grundmotiv und erster Aspekt ist allemal das Streben nach einem offendichen Auftritt, um dadurch wahrgenommen zu werden. Immerhin tritt man auf in einem Medium, das den anerkannten Prominenten ein Forum bietet. Man teilt mit ihnen die Sendezeit. Talkshows inszenieren die Auftritte der Teilnehmer und erhohen damit deren Bedeutung. „Mich wundert", sagte mir Jiirgen Kuttner, der eine Call-In-Radio-Talk-Show hatte, die auch live auf ORB ausgestrahlt wurde, „wie viel Energie die Menschen aufbringen, um in die Sendung zu kommen, um dann nichts zu sagen. Die Leitungen diirften meist besetzt sein und wenn sie es schaffen, in die Sendung zu kommen, ist es gar nicht so einfach, sie zum Sprechen zu bringen." Als zweiter Aspekt ist die Nahe zu prominenten Medienfiguren zu nennen. Hans Meiser, Fliege oder Arabella sind solche Figuren. Auch die Sendung von Jiirgen Kuttner hatte einen gewissen Kult-Status und man konnte damit prahlen, daran teilgenommen zu haben. Einige Teilnehmer von „Wetten, dass ...?" durften dem Sanger Peter Gabriel die Hand schiitteln. Fur manche war das ein groBes Erlebnis. Es scheint, als wiirden sie mit den GroBen der Welt eine Kooperation eingehen. Die Nahe zu Machtigen und Starken bietet nicht nur Schutz, sondem auch Anerkennung. Gleichzeitig gehort man durch die Nahe des Dialoges zu einer sozialen Gruppe, in deren Zentrum der Talkmaster steht. Damit ist die Zugehorigkeit zu einer solchen Gruppe nicht nur virtuell iiber Medien, sondem quasi real zu erleben. Unterstiitzt wird dies durch die Anordnung der Talk-Gaste, die nicht in einem Gesprachskreis, sondem in einer Reihe sitzen. Damit sind Gesprachsbezuge untereinander behindert, die Ausrichtung erfolgt immer auf den Moderator, die Kamera und das Publikum. Dritter Aspekt ist das Gefuhl, von einem Publikum Zuwendung zu erfahren. Sehr viele Menschen - je nach Einschaltquote - sitzen (mehr oder weniger aufmerksam) vor dem Femseher und horen, was die Talk-Gaste zu sagen haben. Dies ist auch fiir diese der Moment von Prominenz. Das ist der Aspekt, bei dem Inhalte sekundar sind. Die bloBe Prasentation verschafft Aufmerksamkeit fur Menschen, die diese sonst nicht erhalten. In den Shows wird das dadurch erreicht, dass Gaste nicht nur ein kleines Honorar erhalten, sondem auch Reisekosten und die Ubemachtung in einem besseren Hotel erstattet bekommen. Sie werden betreut und das vermittelt den Eindmck von Bedeutung. Als weiterer - vierter - Aspekt kommen inhaltliche Momente hinzu. Manche TalkGaste haben eine Botschaft, die sie ihren Mitbiirgem mitteilen mochten. Diese Botschaften konnen allgemein politisch sein, Heil verkiinden oder apokalyptisch wamen. Personliche Haltungen und Vorlieben, die durchaus von den Standards der Gesellschaft abweichen konnen, werden als normal prasentiert. Das Private wird durch die massenmediale Prasentation zum Allgemeinen. Der Auftritt und das verstandnisvolle Zuhoren des Talkmasters scheinen den Gasten und ihren Anliegen Recht zu geben. Botschaften konnen auch personlicher Natur sein. Durch den Dmck der Masse, zu denen sie die Zuschauer an den Bildschirmen machen, versuchen sie Dmck auf andere auszuiiben. Das Bekennen von Liebe soil die Angebetete zwingen, endlich in eine Beziehung einzuwilligen. Entschuldigungen und offentlich vorgebrachte Versprechen sollen Verflossene zuriickholen. Zu diesem Aspekt gehort auch die Hoffhung, dass
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man mit seinem Anliegen erhort wird. Derartige Shows werden auch verstanden als Startrampe einer Musiker- oder Schauspielerkarriere. Ein funfter Aspekt betrifft den Ausgang einer Kontroverse. Die Vorstellung ist verlockend, aus einer Auseinandersetzung als Sieger hervorzugehen. Einen Streit 6ffentlich zu fuhren imd zu gewinnen, steigert das Ansehen. Das Risiko, als Verlierer den Raum zu verlassen, wird sicher nicht immer einkalkuliert. Peinliche Situationen konnen auch das Ansehen unvorhergesehen ruinieren. Das Beispiel eines Mannes, der in einer amerikanischen Talkshow gestand, dass er Interesse an einem anderen Mann hatte, der ebenfalls in die Show geladen wurde, musste er mit dem Leben bezahlen. Der unwissend Angebetete rachte sich und erschoss den nichts ahnenden Liebhaber. Solche Reaktionen sind die Ausnahme. Denen gegeniiber stehen zahlreiche Beispiele von Menschen, die den Moment der offentlichen Prasentation genieBen. Untersucht man das Hierarchieverhalten unter Tieren, fmdet man vergleichbare Indizien. Das Tier, das von den meisten anderen zur gleichen Zeit angeschaut wird, ist das Ranghochste. (Eibl-Eibesfeldt 1997, 736) Bei Menschen gibt es bestatigende Untersuchungen. Zu erkennen ist in alien Fallen ein offensichtlicher Drang, sich in den Medien zu prasentieren. Alle Teilnehmer erlangten kurzjftistig - zumindest in ihrem sozialen Umfeld - Zuwendung, Anerkennung und Respekt. Dies war in vorgeschichtlicher Zeit sicher gleichbedeutend mit einer gestiegenen Attraktivitat fur mogliche Sozial- und Geschlechtspartner. Die Darstellung der nichtsozialen Welt Der Mensch hat eine besondere Fahigkeit. Er ist in der Lage, iiber Dinge nachzudenken, die es gar nicht gibt. Menschen akzeptieren (spielerisch) eine Banane als Telefon. Sie sprechen hinein, warten auf Antworten, reagieren darauf. Auf der anderen Seite haben sie offensichtlich Probleme mit dem Verstandnis von Telefonen, Videorecordem und anderen Beispielen der technischen Welt. Sie haben SpaB an fiktionalen Geschichten, die in femen oder in zukiinftigen Welten spielen, doch die Welt, wie sie ist und funktioniert, widersetzt sich der Vorstellung. Die Literatur, die sich mit fantastischen Welten beschaftigt, nennt man Sciencefiction, die Literatur, die sich mit der mechanischen Welt beschaftigt, nennt man Gebrauchsanleitung. Wie kommt es, dass man die eine sehr leicht versteht, obwohl sie die reale Welt nicht adaquat beschreibt, wahrend man die andere nicht versteht, obgleich sie die Welt logisch-mathematisch in ihren mechanischen Gesetzen beschreibt. Was Menschen zur Wahmehmung der fantastischen Welt befahigt, sind zwei besondere mentale Module: Das Probehandeln-Modul ist nicht an physikalische Gesetze gebunden, es befahigt aber alternative Welten gedanklich zu testen und Konsequenzen hypothetisch entwickeln zu lassen. Das Theory-of-Mind-Modul befahigt den Menschen, andere zu verstehen, sich in sie zu versetzen. Es ist ein Modul, das in der Lage ist, zu interpretieren. Gebrauchsanleitungen beschreiben keine mutmaBliche Welt, es gibt nichts zu interpretieren, nichts zu empfinden. Die Schwierigkeit die nichtsoziale Welt zu verstehen, hangt offenbar damit zusammen. Technik verschlieBt sich diesen Himstrukturen. Eine Moglichkeit des Gehims darauf zu reagieren, besteht in der Animation der Natur. Man erweckt sie und ihre mechanischen Gesetze zum Leben und kann dann mit ihr umgehen, wie mit einem sozialen Wesen (Boyer, 2004). Tatsachlich fmden sich
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eine Reihe von Phanomenen, die dies zu bestatigen scheinen. Religiose Vorstellungen gibt es in alien Kulturen. Auch die Welt der Tiere wird mit menschlichen WertmaBstaben und Motivationen dargestellt. In Eraiangelung adaquater Begriffe nutzen Menschen menschliche: Sie betrachten das Familienleben der Mowen, die Staatengemeinschaften der Ameisen. Sie empfinden mit, wenn die Jimgen schliipfen, erleben die Spannung der Jagd abhangig davon, ob Jager oder Gejagte Protagonisten sind. Sie sind traurig, wenn eine der Figuren stirbt. Tiersendungen sind darauf zu untersuchen, wie Tiere emotionalisiert und vermenschlicht werden. ,JDie Wiiste lebt" (Alger, USA 1953), eine Disney-Produktion, bestatigt die Vermutungen. Tiere bekommen Namen, unterstellte Emotionen werden durch Programmmusik ausgelost. Es gibt eine Kategorie von Beitragen iiber nicht-soziale Themen, die keine aufwandige narrative Struktur braucht und vor allem bei einem mannlichen Publikum Zuschauer findet. Im Sub-Genre „Toysfor Boys'' geht es um groBe, kraftvolle Maschinen, Kriegstechnik, Explosivstoffe oder andere Phanomene, bei denen erhebliche Mengen von Energie umgesetzt werden. Superlative in jedweder Hinsicht gehoren zu den erwahnenswerten Attributen In der Regel werden „Monster-Maschinen" vorgefuhrt, bei denen es um deren Kraft und Potenz geht. Dabei geht es um den Umgang mit groBen Kraften und deren Gefahren. Selbst Modelle von Eisenbahnen, Schiffen oder Flugzeugen dienen als Attrappen fur die groBen Vorbilder. Die Technikbegeisterung von Zuschauergruppen wird angesprochen. Technik, die Kraft ausdriickt, fiingiert als Anzeichen von Hierarchie. Superlative und Komparative, die den Status beschreiben, sind in diesem Kontext wichtige Bestandteile. Testberichte und vergleichende Analysen von Autos und deren technische Leistungen passen in dieses Muster. Weitere Elemente, die bei den ,,Toysfor Z?o>^5"-Beitragen thematisiert sein konnen, sind Organisation und Leitung von groBen Gruppen oder das Erledigen komplexer Aufgaben unter Zeitdruck und gegen widrige Umstande. Zuschauer bekommen Hinweise, wie man sich in Fiihrungspositionen verhalten kann. Die Darstellung der Technik hat in diesem Zusammenhang fiir den Zuschauer die Funktion sozialen Lemens, ohne dass soziales Verhalten im Vordergrund stehen muss. Die Darstellung der Hierarchic-Symbole reicht scheinbar aus. Asthetik „Sch6nheit liegt in den Adaptionen des Betrachters." (Symons 1995)
Die Produktion von Kunst und deren Rezeption verbinden Sinneswahmehmung, Emotion und Kognition. Das macht sie zum Gegenstand dieser Untersuchung. Denn beim gemeinsamen Auftreten dieser drei Aspekte hat sich immer einefiaichtbareInterpretation medienspezifischer Kommunikation unter evolutionarer Sichtweise ergeben. Der Ausgangspunkt ftir eine darwinistische Asthetik ist demnach der folgende: Das Erleben von Schonheit ist das unbewusste Wahmehmen von Wegen zu optimierter Fitness. Schonheit ist das Versprechen auf eine gute Funktion in der Umgebung, in der das Merkmal auftritt (vgl. Thornhill, in: Crawford & Krebs 1998, 544). Hasslichkeit ist die Aussicht auf eine geringe Uberlebenschance und reproduktives Versagen. Unter der Pramisse, dass das Gehim ein informationsverarbeitender Mechanismus ist, der Losungen fiir iiberlebenswichtige und reproduktionssteigemde Probleme bereithalt -
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und dies ist eine evolutionspsychologische Pramisse - dient auch die asthetische Beurteilung der Umgebung dieser Funktion. Von selektivem Vorteil waren in vorgeschichtlicher Zeit sicher asthetische Entscheidungen, die eine Umgebung danach aussuchten, ob sie Hinweise fur Sicherheit und Nahrungsvorkommen bieten konnte. Zum Beispiel: Menschen mogen Landschaften der Savanne, wenn diese Merkmale aufweisen, die auf eine produktive und sichere Umgebung hindeuten. Selbst die Aststruktur eines Baumes oder die Form der Blatter wird unterschieden, wobei solche vorgezogen werden, die ein reichhaltigeres Angebot zu bieten scheinen. Baumformen mit festen und stabilen Asten werden anderen Baumformen gegeniiber bevorzugt, denn diese erlauben die Flucht vor Fressfeinden, die sich auf der Erde bewegen. Diese asthetischen Vorlieben konnten auch bei Menschen belegt werden, die noch nie in ihrem Leben in einer Savanne waren. (Heerwagen & Orians 1993 und Kaplan, in: Barkow, Cosmides & Tooby 1992) Kunst ordnet die Wahmehmung. Ordnung ist, wie schon im Kapitel iiber Wahmehmung diskutiert, eine iiberlebensnotwendige Anpassung. Visuelle Wahmehmung etwa kategorisiert Lichtimpulse in Formen, Umrisse und Farben. Diese werden mit dem Wissen abgeglichen und eingeordnet. Ein wesentliches Merkmal von Kunst ist der Umgang mit Ordnung: in der Anordnung der Gegenstande, im Erkennen von Gesichtem, in der Symmetrie, im Verwenden einfacher geometrischer Muster, in den Wiederholungen von Themen in Literatur und Musik, in der GleichmaBigkeit eines Rhythmus. Man erlebt Beruhigung. Bemd Kersten (2005) identifiziert eine Reihe von Merkmalen, die daflir verantwortlich scheinen, dass Menschen angenehme Gefuhle bei der Betrachtung von Kunst haben. Dazu zahlt, dass die Werke alltagliche Wahmehmungserfahrungen thematisieren. So werden Bilder mit gewohnter Raumperspektive als angenehmer empfunden, als Bilder in denen diese nicht entwickelt ist. Das scheinbare Durcheinander der Bilder von Jackson Pollock enthalt Muster, die aus denfraktalenGestalten der Chaos-Theorie bekannt sind. Strukturen wiederholen sich auf unterschiedlichen MaBstaben. Eine Erfahrung, die man bei der Wahmehmung der Natur immer wieder machen kann. SchlieBlich sind Dynamik und scheinbare Bewegung im statischen Bild reizvoll. Die asthetische Wahmehmung mft Gefuhle hervor, die einem Urteil gleichkommen. Diese entstehen aus der Informationsverarbeitung. Diese Geftihle leiteten unsere Vorfahren zu Umweltmerkmalen, die ihnen ein groBere Chance zum Uberleben anboten. Das asthetische Gefiihl hat damit eine groBe Bedeutung fur die Einschatzung der Wahmehmung. Diese Gefuhle sind nicht ein far allemal und allumfassend festgelegt. Wie an dem Beispiel der Wahmehmung von Landschaften zu erkennen ist, konnen die Interpretationen jahreszeitlich, wetterabhangig oder unter unterschiedlichen Bediirfhisstrukturen jeweils anders vorgenommen werden. Auch Alter und Geschlecht der wahrnehmenden Person spielen, da unterschiedliche Interessen unterschiedliche Interpretationen hervormfen, eine Rolle. Ahnliche Einschatzungen konnen ahnliche asthetische Urteile hervormfen, miissen dies aber nicht: „Wir nehmen nicht an, dass jeder gleich auf eine ahnliche Umgebung reagiert... Variabilitat in Vorlieben und Einschatzungen sind zu erwarten, aber diese Variabilitat ist nicht zufallig. Vielmehr ist sie eine Funktion von biologischen Faktoren wie Alter, Geschlecht, gesundheitlichem Zustand und der Anwesenheit von anderen." (Kaplan, in: Barkow, Cosmides & Tooby 1992, 165) Dies macht auch verstandlich, wamm die Diskussion um das asthetisch Schone so schwierig ist. „Schonheit liegt im Auge des Betrachters" ist ein bekannter Ausweg aus
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dem Dilemma einer allgemein giiltigen Definition. Schonheit zu definieren, ist imter diesem Gesichtspunkt eher eine Funktion von Hierarchie, in der jemand versucht, uber andere mit seiner Auffassung zu dominieren. Obgleich offenbar jeder eine andere Interpretation aufweist, ist die Kommunikation iiber die Einschatzung von groBer Bedeutung. Man sucht Kooperationspartner mit gleichen Interessen, man wahlt Freunde und Partner nach asthetischen Gesichtspunkten. Die Thematisierung von Schonheit und Hasslichkeit ist universell. Viele Aktivitaten wie die Ausstattung von Heim und Arbeitsplatz, von Kleidung und Haartracht, von Freizeitgestaltung und Urlaub, von Lesen oder akustisch-visueller Medienrezeption werden nach asthetischen Kategorien bestimmt. Produkte wie Autos, Kleidung, Mobel haben hohen funktionalen Wert, doch Kaufentscheidungen fallen eher auf der Basis ihrer Asthetik. (Holbrook & Schindler 1994, 2003) Das Urteil iiber den asthetischen Wert einer Sache ist der Introspektion nicht zuganglich. Es scheint nicht aus einem Wissen iiber Prinzipen, Proportionen, Ursachen, noch der Niitzlichkeit oder Funktion zu entspringen. Das Urteil fallt schnell und leicht. Das asthetische Erlebnis ist affektiv, das heifit spontan, intuitiv und produziert ein Gefuhl und eine Stimmung, die sehr tief sein konnen. Ein Bewusstsein dariiber fehlt jedoch vollig. Gefuhle sind, das wurde schon ausgefiihrt, Phanomene, um die menschliche Motivation und das Handeln zu leiten. Sie entstammen sehr alten Informationsverarbeitungen im Him. Ein Bewusstsein dariiber kann zeitaufwandig und damit kontraproduktiv sein fiir adaquates Reagieren in unbekannten Situationen. Da unter evolutionspsychologischer Sicht das Gehim keine All-Purpose-Maschine ist, sollte es Bereiche geben, die besonderer asthetischer Beurteilung unterliegen. Einer davon ist die Auswahl von Sexualpartnem. Da genetische Fitness, wie etwa Resistenz gegen Krankheiten, kaum iiber direkte Wahmehmung zu erkennen ist, kommen bei der Partnerwahl asthetische Kategorien zur Anwendung, die Anzeichen fiir Fitness sein konnen. Auch kulturell abhangige Schonheitsideale zeigen mitunter korperliche Auspragungen: Wie man durch Gesichtsblasse zeigen kann, dass man es nicht notig hat, ungeschiitzt in der Sonne zu arbeiten, oder durch Gesichtsbraune zeigt, dass man Zeit hat, in der Sonne zu liegen. „Alle Adaptionen sind asthetische Adaptionen, weil alle Adaptionen irgendwie mit der inneren wie auBeren Umgebung interagieren und besondere Haltungen zu anderen bevorzugen. Eine Adaption, die die Regel aufstellt ,bevorzuge Gewinn bringende Verhaltensweisen' ist nicht mehr und nicht weniger asthetisch als eine Adaption, die die Regel aufstellt, ,bevorzuge einen bestimmten Blutdruck'." (Kaplan, in: Barkow, Cosmides&Tooby 1992, 543) Asthetik und Partnerwahl Den Erfolg der Fortpflanzung sollten Manner und Frauen irgendwie vorhersehen konnen. Die Investition ist groB und wenn es Anzeichen fiir den Erfolg gabe, ware dies ein enormer Vorteil. Wenn man schon nicht die Fahigkeiten und Eigenschaften des Nachwuchses vorhersehen kann, so kann man doch die Fahigkeiten und Eigenschaften des zukiinftigen Vaters oder der zukiinftigen Mutter auswahlen. Anzeichen fiir Fitness, fiir Gesundheit, fiir Verwegenheit, fiir Kraft und fiir Durchsetzungsvermogen konnen Entscheidungen bestimmen, die fiir die Nachkommenschaft, die gute Chancen hat, ahnliche Attribute zu erben, vorteilhaft sind. Diese Anzeichen sind nichts anderes als asthetische Kriterien.
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Die Attraktivitat eines Partners steigt, je widerstandsfahiger er/sie gegen Krankheitserreger ist. Merkmale, die eine solche physische Stabilitat verraten, werden subjektiv als anziehend empflinden Je intensiver Krankheitserreger verbreitet sind, desto wichtiger ist die Attraktivitat des Partners, wie Gangestad und Buss 1993 in einer Untersuchung von 29 Kulturen feststellten. (vgl. Hejj 1996, 39). Sichtbare korperliche Merkmale, die mit dem Immimsystem im Zusammenhang stehen, sind bei den Mannem breite Backenknochen und ein ausgepragtes Kinn (vgl. Hejj 1996, 40). Diese Merkmale entstehen erst nach der Pubertat, wenn die Testosteronproduktion ausreichend hoch ist. Dieses Hormon ist fur ein starkes Immunsystem mit verantwortlich. Deshalb haben nur Manner diese Gesichtsziige, deren Widerstandsfahigkeit hoch ist, so dass sie die Schwachung ihres Immunsystems iiberleben. Symmetrie ist bei Gesichtem eines der Merkmale, die iiber Sympathie entscheiden. Als weiteres werden die einzelnen Telle des Gesichtes beurteilt. Je mehr Augen, Nase, Mund und Ohren eine durchschnittliche GroBe haben, desto mehr werden sie fiir schon gehalten. Bei Versuchen, wo man Testpersonen Fotos vorlegte, die aus Uberblendungen von vielen Gesichtem bestanden, nahm die Einschatzung der Schonheit mit Zunahme der Uberlagerungen zu. Je mehr ein Gesicht dem Durchschnittsgesicht gleicht, desto attraktiver scheint es. Diese Uberlegungen weisen darauf hin, dass Vorstellungen von Attraktivitat keinesfalls nur kulturell erlemt sind, sondem zum einen bereits sehr fruh angelegt sind und zum anderen in alien Kulturen ahnlich sind (Buss 1997, 90f). Dariiber hinaus unternehmen Menschen eine Reihe von Aktivitaten, ihre Fahigkeiten und Eigenschaften moglichen Geschlechtspartnem zu demonstrieren. Die Reihe der Befunde, die die Bedeutung des Aussehens weit iiber die Paarfmdung betonen, ist lang. So zeigt eine Untersuchung, dass hiibschere Angeklagte geringere Strafen bekamen als weniger attraktive Straffallige. Die Optik entscheidet haufig iiber den ersten Eindruck bei der Begegnung mit einem Fremden. Diese psychische Entwicklung wurde durch den simplen Sachverhalt begiinstigt, dass sich schneller ein Urteil iiber das AuBere bilden lasst als iiber innere Werte. Das Aussehen entscheidet daher auch bei beiden Geschlechtem iiber die Sympathiebeurteilung. Bei der innergeschlechtlichen Urteilsfindung spielt auch das Styling eine groBe Rolle. Ronald Henss (1992) zieht das Fazit: „Wer attraktiv ist, ist auch sympathisch." B. Kindels Untersuchung (1980) zeigt, dass Attraktiven ebenso eine hohere Leistungsfahigkeit zugesprochen wird als Hasslichen. Misserfolg der Attraktiven wird meist auf Pech oder ungliickliche Umstande zuriickgefuhrt (Hejj 1996, 87). Ethologische Betrachtung der Kunst Ethologen haben Kunst bislang nur betrachtet als Sonderform der Kommunikation, als Mittel fur die personliche Zurschaustellung, um die Partnerwahl zu unterstiitzen, zur Identifikation oder als Mittel um Rang und Prestige zu zeigen. Dennoch erklaren diese Funktionen nicht deren Entstehung. Sobald eine Eigenschaft existiert, kann sie fiir verschiedene Zwecke genutzt werden. Es mag sein, dass gewisse Eigenschaften fur die genannten Zwecke genutzt werden konnen, entstanden sind sie aber mitunter in anderem Zusammenhang. Ellen Dissanayake sucht in ihrer Studie (1992 und 1995) die Ursachen fiir das weltweit in alien Kulturen verbreitete Phanomen der Kunst und versucht dieses aus etho-
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logischer Sicht nicht nur als beilaufiges Epiphanomen, sondem als zentrale Eigenschaft zu beschreiben. Der Sinn von Kunst ist einfach: Man fiihlt sich gut dabei, Kunst macht SpaB. In alien Kulturen macht man Musik, singt, tanzt, hort Geschichten zu oder erzahlt welche, schaut Vorfuhrungen zu oder ist beteiligt, stellt schone oder auBergewohnliche Dinge her. Diese Aktivitaten verbinden die Akteure, verbinden Darsteller und Publikum, schaffen Gemeinschaft. Sie erleichtem eine Stimmung, in der Aufmerksamkeit fokussiert, erzeugt, bewegt, manipuliert oder befriedigt werden kann. Ob bei einem rituellen Fest oder bei Unterhaltung, die Kiinste schaffen Gemeinsamkeit und ein positives Gefuhl. Nur wenige asthetische Theorien referieren diesen Punkt. SpaB und Freude haben in der abendlandischen Kulturdiskussion oft etwas Anruchiges. Aber moglicherweise ist diese Art von Diskussion auch eher ein Anzeichen von Elite und Abgrenzung. Der physisch-biologische Faktor wird weitgehend ignoriert. Eine lange Tradition der Trennung von Korper und Geist und der Hervorhebung einiger Emotionen sowie die Unterdriickung anderer spielen dabei eine Rolle seit dem Einsetzen asthetischer Diskussionen im klassischen Griechenland. Die Unterscheidungen in Geist - Korper, objektiv subjektiv, Form - Inhalt spiegeln sich wider. Kunst und Kunstauffassung sind erlemt und kulturell weiter gegeben. Beide unterliegen entsprechenden Veranderungen. Am kiinstlerischen Ausdruck erkennt man lokale und historische Zuordnungen bis hin zu Klassenunterschieden. Kunst und Kunstauffassung erhalten damit ein Element von Hierarchic. Mitglieder einer Gruppe erkennen sich an ahnlichen asthetischen Einschatzungen. Geschmack dient der Gruppenabgrenzung. Der eigene Geschmack wird als adaquat und richtig erlebt. Er ist damit elitar. Das Verstandnis modemer Kunst ordnet zur (intellektuellen) Fiihrungsschicht zu. Das Individuum, das Kunstverstandnis zeigt, ist damit gleichzeitig ein Mitglied einer besonderen Gruppe und zeigt seine Fahigkeit, extreme Ausdrucksformen zu verstehen. Ein gutes Beispiel ftir diese Funktion ist die Diskussion um hohe Kunst versus Kitsch. Wechselnde Moden, Stile und Trends sind im Grunde eine Auseinandersetzung zwischen dem Alten und dem Neuen. Die Anhanger des Neuen rebellieren und begehren auf Das ist ebenfalls ein Zeichen einer individualisierten und heterogenen Gesellschaft. Selbstkontrolle und strikte Unterordnung haben in der westlichen Welt keinen besonderen Stellenwert. Der personliche Ausdruck, Spontaneitat und Selbstdarstellung sind anerkannte Werte der Gesellschaft. In den letzten 200 Jahren hielt dies auch Einzug in die Darstellung von Kunst. Literatur, namentlich die Poesie hat ihre strenge Form verloren, der individuelle Ausdruck in der Musik steht vor der werkgetreuen Wiedergabe. Nicht mehr die Zuordnung zu Stilen und Formen ist heute aussagekraftig, sondem das Anerkennen von einzelnen Kiinstlem und deren unverwechselbare Handschrift. Dies steht nur scheinbar im Widerspruch zum Fankult, zu Massenveranstaltungen und Bestsellem. Man weiB sich einig im Ausdruck von Individualitat. Die Zugehorigkeit zu einer Kultur und das Befolgen ihrer Regeln unterstiitzt die genetische Reproduktion. Menschen werden beurteilt nach ihrer Akzeptanz in der Gesellschaft und dies hat Konsequenzen in Bezug auf ihre Reproduktion. „Darwinistische Anthropologen defmieren Kultur als Handlung, well Handlung den direktesten Einfluss auf den Reproduktionserfolg hat. Sie betrachten andere Aspekte der Kultur, darunter Ideen und Auffassungen, nur in Hinblick auf ihren Einfluss auf das Verhalten als wichtig. Eine interessante Schlussfolgerung dieser These ist, dass sich Gebrauche entwickeln, die ihre biologische Fitness verstarken, aber der Trieb, die Fitness zu ver-
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starken, ist weitgehend unbewusst, die Gebrauche werden anders, oft religios oder moralisch begriindet." (Janicki & Krebs, in: Crawford & Krebs 1998,168) Weiin diese Unterscheidungen unter dem Gesichtspunkt der Ethologie hinfallig werden, muss auch die Unterscheidung in Kognition und Emotion als Kategorien der Psychologie iiberdacht werden. Emotionen und Instinkte werden angesehen als eine Last der Natur, wahrend der Intellekt davon losgelost ein Eigenleben zu fiihren scheint. Siegmund Freuds Einteilung in Es, Uber-Ich und Ego reflektiert dies. Auch in der modemen Neurophysiologie scheint die Wahmehmung einer Farbe mit dem Gefiihl, was diese Farbe erzeugt, nichts zu tun zu haben. Es sei denn, man erkennt sie als zwei Seiten einer Medaille an, als zwei Phanomene, die gemeinsam auftreten. Gedanken und Wahmehmung unterliegen emotionalen Momenten, aus deren Zusammenspiel Haltung und Handlung erwachsen. Emotionen haben als Basis die Wahmehmungen, die ihrerseits bereits von Konzepten geleitet sind. Wut, Liebe oder Eifersucht sind keine frei schwebenden Gefiihle, sondem beschreiben sensorische Wahmehmungen, die mental bewertet und nach Situation und Kontext evaluiert sind. Es ist schwer zu sagen, inwieweit die einzelnen Elemente dabei zu trennen sind. Handlungen entstehen aus freier Wahl und Entscheidung: zu handeln oder nicht zu handeln, so zu handeln oder anders. Menschen entscheiden auf der Basis ihrer Gefuhle. Sie entscheiden sich fiir das, was ein gutes Gefuhl vermittelt und lassen, was ein schlechtes Gefiihl zu geben verspricht. Emotion und Motivation sind auf dieser Ebene nicht zu trennen. Menschen haben offenbar einen gewissen Drang ererbt, auf zwei Beinen zu gehen, zu spielen, zu sprechen und sich in der Nahe von anderen Menschen wohl zu fiihlen. Dies sind adaptive Verhaltensweisen, die einen selektiven Wert haben. Dennoch sind Individuen nicht Gefangene ihrer Gefuhle. Sie konnen in Konfliktfallen - und die sind vielleicht sogar die Regel - abwagen, welcher Neigung sie im gegebenen Kontext Folge leisten. Sie verfolgen kurzfiistige Taktiken oder langfristige Strategien. Die komplexen Fahigkeiten, zu erinnem und vorherzusehen, Altemativen abzuwagen und sich Situationen vorzustellen, unterstiitzen diesen Prozess. Das gute Gefuhl, dem man folgt, ist aus evolutionspsychologischer Sicht nichts anderes als das, was in vorhistorischer Zeit gut fiirs Uberleben war. Dies trifft zu bei den bevorzugten Speisen, aber auch bei den Belangen der Kooperation und Konkurrenz. Das gute Gefiihl verweist auf das, was man braucht: Essen, Trinken, Ruhe, bekannte und sichere Umgebung, Sex, Kinderfiirsorge, verbale Kommunikation, gute Freunde, Anerkennung durch andere. Gute Gefiihle vermitteln auch Aktivitaten wie Singen, Tanzen, Musizieren, Theater mit Kostiimen und Masken. Die Bedeutung dieser letztgenannten Bediirfhisse scheint den erstgenannten untergeordnet zu sein. Wie jedes Verhalten hat auch Kunst seinen normalen und natiirlichen Sinn. Der Begriff Verhalten schlieBt auch die Ergebnisse mit ein, die normalerweise mit Kunst identifiziert werden: visuelle und auditive statische und zeitbasierte Artefakte mit besonderer Qualitat in Schonheit, Form oder Harmonic. Wamm brauchen Menschen Kunst? Die Griinde fiir Kunst wurden bislang in Disziplinen wie Theologie, Geschichte, Soziologie oder Psychologie gesucht - aber nicht in der Biologic. Kunst war eine Manifestation oder ein Geschenk Gottes, etwas, das Menschen von ihren Vorfahren iibemommen und erlemt haben, sie ist ein Emblem Oder ein Werkzeug der politischen oder sozialen Macht, sie ist ein Akt der Flucht aus der Realitat, Katharsis oder Sublimation. Nichts davon muss falsch sein, aber die Biologic fiigt ein Fundament hinzu. Drei Kriterien sprechen fiir eine solche Fundie-
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rung, wobei eines schon eingefuhrt wurde, namlich das „gute Gefuhl", das eine physische Reaktion erzeugt. Das zweite ist die immense Zeit und Intensitat, mit der manche das Geschaft betreiben. Das dritte ist die Universalitat, mit der Kimst auftritt. AUe drei zusammen sind Indizien fiir eine angeborene Disposition fur die Wahmehmung und Ausiibung von Kunst. Kunst als Handlung ist damit aus ethologischer Sicht geradezu ein Erkennungsmerkmal der Spezies Mensch, ein Verhalten, das einen biologischen Uberlebenswert besitzt. SpaB, Zeit- und Energieaufwand sowie Universalitat sind die Merkmale dafiir, dass Evolution im Spiel sein muss. Vielleicht muss man an dieser Stelle noch mal daran erinnem, dass Uberleben nicht nur das Fortdauem des Lebens ist, sondem die Fahigkeit, sich optimal zu reproduzieren, einschlieBt. Einige biologische Vorziige der Kunst wurden auch schon von anderen Ethologen aufgefuhrt: Singen und Rhythmusgefiihl verbessem kooperatives Verhalten, Tanz ist eine Form der Selbstdarstellung und Werbung um eine Partnerin oder einen Partner. Kunst ist allgemein ein Mittel, emotionalen Zusammenhang zu befordem. Dieses Verhalten steht damit gleichberechtigt neben anderen Verhalten wie Aggression, Reproduktion. Spiel ist eine „angeborene Tendenz, sich auf eine bestimme Art zu verhalten, wenn bestimmte Bedingungen erfiillt sind" (Dissanayake 1992 und 1995, 37). Der Grund, warum mannliche Singvogel ihre Kunst auffuhren, liegt in der Tatsache begriindet, dass Weibchen danach ihre Auswahl treffen. Mannchen prasentieren damit ihre Fitness. Es ist der Ausruf: „Bitte wahle mich!" Die Mannchen stehen in Konkurrenz zueinander und das Weibchen hat die Wahl. Liebeslieder haben im Grunde eine ahnliche Funktion. Der Mann zeigt sein Gefuhl der Zuneigung und verspricht Treue. Kraniche und andere Vogel fiihren aus ahnlichen Griinden tanzende Bewegungen aus. Auch da geht es zunachst darum, Weibchen anzulocken, ihnen die Bereitschafl anzuzeigen und das Weibchen in ein Vorspiel zu verfuhren und die sexuelle Koordination der Partner zu steuem. Bei Menschen dient der Tanz in gewissem MaBe dazu, den eigenen Korper und damit die eigene Fitness zu prasentieren. Beim Tanz sind die Geschlechterrollen in der Regel festgelegt. Dass heute auch viele fur sich tanzen, scheint dariiber hinwegzutauschen, dennoch geht es auch dabei um die Presentation der Korper vor moglichen Partnem. Das Werbeverhalten ist eine auBergewohnliche Situation, die auBergewohnliche Mittel verlangt. Mit den Besonderheiten der kiinstlerischen Hervorbringung muss sich auch der Sinn fur diese Form entwickelt haben. Der Zauber der Musik, diese unerklarliche Wirkung, hat wohl in den Werberitualen seinen Ursprung. Die Hoffhung, mit dieser Art von Auffuhrungen Veranderungen bei einem Gegeniiber zu schaffen, ist auch prasent in Riten und Zeremonien. Indianer tanzen und singen, um einen Wetterumschwung herbeizuflihren, Schamanen treiben Damonen aus, die sich in Krankheiten zeigen. Mit Bewegung, Rhythmus und gesungenen Beschworungen glaubt man entsprechende Reaktionen zu provozieren. Dissanayake vermutet einen Drang „etwas tun zu miissen". Im Falle der Zeremonien ist er abgeleitet vom Werbeverhalten. Man tut instinktiv das, was man an Verhaltensrepertoire kennt. Ist es von Erfolg gekront, ist dies eine Bestatigung des Verhaltens. Beim Misserfolg ist es noch kein Beleg flir das prinzipielle Versagen der Aktion. Man kann nur sagen, dass sie im gegebenen Kontext nicht zum Ziel gefiihrt hat. Alles Bedingungen, die auch im Werbeverhalten gelten. Auch in absurden Situationen zeigt sich bisweilen diese Reaktion: Beim Untergang der Titanic spielte das Orchester. In Situationen die Angst auslo-
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send sind und wo gleichzeitig offenbar keine adaquaten Losungsstrategien zu Verfiigung stehen, greifl man auf Muster zuriick, die gelaufig sind. Damit kommt man zu einem Verstandnis von der rituellen Kraft Musik und Tanz. Rituelle Zeremonien sind Ausdruck des Wunsches, Kontrolle auszuiiben. Musik und Tanz sind selbst standardisierte Ablaufe und dabei ihrerseits kontrolliert. Durch rhythmische und iibertriebene Bewegungen, die aus emotionalen Korperbewegungen abgeleitet sind, sind sie eine Art Ubersprungsreaktion auf eine Situation, die keinen anderen Einfluss zulasst. Sie erzeugen Kontrolle, wo keine ist, sie erzeugen Gruppengefuhl und mindem die Angst. Man tut etwas von emotionaler Bedeutung in einer hilflosen Situation. Man setzt das positive Gefiihl gegen das Aussichtslose. Auch hier zeichnen sich Tanz und Musik durch das AuBergewohnliche aus. Poesie verandert die Sprache in einer kiinstlerischen Weise. Obgleich der Inhalt alltaglich Oder banal sein kann, bekommt sie eine neue Bedeutung durch die Art und Weise der Nutzung. Die Mittel sind verbreitet: ungewohnliche Anordnung von Worten, expressive Wortwahl, Reim und Alliteration, Rhythmisierung und Assonanz. Das, was iiber das Magische der Kunst bei der Funktion der Verfuhrung gesagt wurde, gilt hier in besonderem MaBe. Zauberspriiche und rituelle Zeremonien bedienen sich dieser Funktion fast uneingeschrankt. Das Besondere und AuBergewohnliche der Situation soil damit gezeigt werden. Auf der anderen Seite wird der Versuch untemommen, das Ubematiirliche zu kontrollieren. Denn Worter, wenn sie in einem besonderen Zusammenhang gesprochen werden, erhalten Kraft und Macht. Die altesten Aufzeichnungen von Poesie sind die Persischen Gathas und die Sanskrit Vedas, beides Sammlungen religioser Hymnen, magischer Formeln, Gebete, Fliiche - alles Versuche, das „Hohere" zu kontrollieren oder es zumindest zu iiberreden, etwa so, wie man einen potenziellen Partner bezirzen mochte. Natiirliche Sprache ist an sich schon rhythmisch. Vielleicht macht die Uberbetonung dieses Rhythmus das Interesse des Sprechers deutlich, einen emotionalen Effekt hervorzurufen. Wiederholungen und die ausgewahlte Nutzung bestimmter Begriffe unterstiitzen dieses Bemiihen. Damit kann die Bedeutung nicht missverstanden werden. Die universelle sakrale Nutzung in Riten oder Gebeten unterstiitzt die These. Die Variationen der kiinstlerischen Verwendungen in Brauchen sind so vielfaltig wie die Kulturen; die Umstande und Intentionen sind jedoch ahnlich. Die einzelne Auspragung kiinstlerischer Ausdrucksweise ist einzigartig und das Ergebnis eines erlemten Verhaltens. Man tut es aus freien Stiicken. Dennoch kann man eine angeborene Tendenz vermuten, die einen einfach dazu bringt, in besonderen Situationen etwas Besonderes zu untemehmen. Das Sicheinlassen auf die Welt und die Vorstellung des Anderen, was im Zusammenhang mit der Diskussion iiber die Theory of Mind und der sozialen Perspektiveniibemahme in Bezug auf die Medienrezeption ausgefuhrt wurde, ist auch hier von Bedeutung. Akteure und Rezipienten lassen sich auf eine gemeinsame Sache ein. Der evolutionare Sinn liegt im Vorteil fiir die Gruppe als Ganzes, die sich dadurch als solche erlebt. Die Gruppe, die gemeinsam Rituale ausftihrt, bleibt zusammen. Ubereinstimmung, Kooperation und Vertrauen sind allgemein Gruppenwerte, die das Uberleben auch des Einzelnen befordem. Zeremonien und das Herausheben der Aktionen aus dem Alltag dienen auch dazu, die Inhalte - das kulturelle Wissen - besser verfiigbar zu halten und die Weitergabe zu erleichtem. Informationen in Reimen etwa sind auf
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Grund ihrer auBeren Struktur und ihres besonderen emotionalen Mehrwertes besser zu reproduzieren. Das verweist bereits auf eine weitere Funktion von Kunst. Sie dient dem Zusammenhalt der Gruppe. Rituelle Zeremonien festigen die emotionalen Bindungen. Nicht das Alltagliche kann dazu dienen, sondem in besonderer Weise Musik, Gesang und Tanz. Kunst dient auch dazu, Gruppenzugehorigkeit auszudriicken. Gruppenmitglieder sind daran zu erkennen, dass sie das Wissen um Bewegungen, Tonfolgen und Tone miteinander teilen. Damit grenzen sich Gruppen untereinander ab. Die Mitglieder werden erst zu Mitgliedem durch das gemeinsame Wissen um Riten. Damit wird Kunst auch zu einem Instrument der KontroUe. Die Gruppe definiert, welche Variationen erlaubt sind und bestraft unerlaubte. Die Bestrafung kann sich ausdriicken im Ignorieren, im Auslachen, im Sanktionieren bis hin zum Eliminieren bestimmter Auspragungen. Musikalische Vorlieben sind weder personlich noch musikalisch. Vielmehr hort und mag man die Musik, die Individuen einer bestimmten Gruppe zuordnet: Haydn als Symbol fiir die Zugehorigkeit zu einer kulturellen Elite, Rockmusik als Symbol fiir die Zugehorigkeit zu einer Subkultur. Auch innerhalb der einzelnen Stilrichtungen gibt es feine und feinste Abstuflingen. Bestimmte Musiker oder Komponisten scheinen fur bestimmte Haltungen zu stehen. Asthetische Auffassungen sind individualitats- und gruppenbildend. Die intendierte Wirkung auf andere ist dabei die entscheidende Kategorie, die das Bemuhen erklart. Wenn Menschen uber Artefakte sprechen, teilen sie diese nach ihrem asthetischen Geschmack ein. Sie ordnen damit nicht nur die Welt nach kiinstlerischen Gesichtspunkten, sondem sie ordnen sich auch zu. Ob gemiitlich-rustikal, kiihl-modem, poppigschrill, nostalgisch-vertraumt, postmodem-arrangiert oder pragmatisch-reduziert, sie ordnen die Umwelt nach stilistischen Gesichtspunkten. Geradezu irrational werden mitunter Kaufentscheidungen nicht nach sachlichen Erwagungen getroffen, sondem auch nach kiinstlerischen Aspekten (Holbrook & Schindler 1994). Bei der Einordnung nach Werten scheint der asthetische eine sehr hohe Bedeutung zu besitzen. Die affektive Beziehung zu den Gegenstanden und deren Arrangement dient ganz offensichtlich als Botschaft. Damit kommt die kulturelle Ebene des Umgangs mit Natur ins Spiel: die Kontrolle iiber Natur durch Gestalten und Anordnen der Umgebung und das Herausheben aus dem alltaglichen Erleben. Kunst befmdet sich also im Zwiespalt zwischen auffallen miissen als Individuum und akzeptiert sein in der Gmppe, im Zwiespalt zwischen Innovation und Redundanz. In aller Regel erkennt man, wenn man es mit Kunst zu tun hat. Unabhangig von der Funktion eines Gegenstandes scheint dessen kiinstlerische Gestaltung keinen anderen Zweck zu verfolgen. Ein Kmg ist ein Behaltnis fiir feste oder fliissige Rohstoffe, fiir Essen oder Getranke. Die Omamente darauf haben keinen Einfluss darauf. Die Fortbewegung auf zwei Beinen nennt man gehen, wird diese durch zusatzliche Bewegimgen Kraft raubend und hat als Ziel nur noch die Bewegung an sich und kommen noch bestimmte Muster hinzu, erkennt man den Tanz. Intensiver als Sprechen, aber weniger anstrengend als Rufen und Schreien ist das Singen. Kommen noch Rhythmus und Melodic als Merkmale hinzu, gibt es keine Zweifel mehr daran. Unter diesen genannten Aspekten scheint Kunst eine iiberfliissige Zugabe zu sein, die wenig Funktionales beizutragen hat. Kunst ist eine besondere Form der Kommunikation. Neben dem Inhalt der Aussage schwingt noch etwas Unausgesprochenes mit, namlich der Zauber der Kunst, die Ge-
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stalt, die sich aus der Komposition ergibt. Neben der Wahmehmung und der Ordnung, die das Gehim dabei herstellt, kommt ein Wissen hinzu. Kunst hat auch Aspekte des Erlemten und kulturell Tradierten. Zudem lost Kunst auch Emotionen aus von Zustimmung bis Ablehnung, von Gefallen bis Ekel, von Freude bis Trauer oder Arger. Kunst und vor allem Musik dient damit dem Emotionsausdruck. Asthetische Mittel in den Medien Bislang kann man die Funktionen von Kunst und Musik so zusammenfassen: Es geht darum aufzufallen, um zu zeigen, dass man was Besonderes ist, oder dass man in einer besonderen Situation befindet. Dies hat bei der Partnerwahl selektive Bedeutung. Da Kunst eine Auspragung ist, die zunachst keine direkte FunktionaHtat aufweist, zeigt man damit das AuBergewohnliche. Man kann damit Reichtum zeigen oder man kann einen exzentrischen Geschmack beweisen. Beides hebt ab vom Durchschnittlichen und man wird selbst Objekt der Wahmehmung. Kollektive Vereinbarungen iiber Schonheit dienen der Kontrolle innerhalb der Gruppe. Asthetische Merkmale definieren Gruppenzugehorigkeit und emotionalen Zusammenhalt. Das Entwickeln eines gemeinsamen Rhythmusgefuhls verbessert zudem gemeinsame Anstrengungen. Vor allem gruppeninteme Riten und Zeremonien iiben dieses ein. Man lemt, sich aufeinander zu verlassen. SchlieBlich muss man noch auf inhaltliche Aspekte verweisen, denn diese dienen in besonderer Weise der Weitergabe von Erfahrung. Alles was in den Medien prasentiert wird, ist Gegenstand des asthetischen Urteils. Die Sendungen, die Asthetik zum Thema haben, sind vielfaltig. Im Grunde enthalten alle Prasentationen asthetische Elemente. Explizite Beziige decken die gesamte Spannweite der diskutierten Motive ab. Ganze Programme widmen sich ausschlieBlich einzelnen Aspekten: Musiksender senden ausschlieBlich Musik und Tanz fiir eine junge Zielgruppe. Religiose Rituale werden in Form von Gottesdiensten iibertragen. Selbst die Zubereitung von Speisen ist primar asthetisch, geht es doch keineswegs darum zu sattigen, sondem wesentlich darum, die Geschmackssinne angenehm zu stimulieren. Der Aufwand beim Kochen ist ahnlich zu beurteilen wie der Mehraufwand bei der Selbstdarstellung durch Tanz, Musik und Gesang. Exemplarisch soil hier nur eine Form asthetischer Prasentation vorgestellt werden. Werbung nutztfilmisch-asthetischeMittel, um eine Botschaft zu iibermitteln, die aus Zuschauem Kunden machen soil. Werbung Wenn man nach dem Ursprung von Werbung fragt, bekommt man unterschiedliche Antworten: Junge Menschen verbinden Werbung mit Femsehen und vermuten, Werbung gabe es seit den 50em. Das Femsehen ist fur sie das Fenster zur Welt. Altere verbinden das Phanomen mit dem Film und vermuten die Jahrhundertwende. Andere wissen, dass Werbung bereits lange vorher in Printmedien zu fmden war. Doch die richtige Antwort ist radikaler: Werbung gibt es seit dem Zeitpunkt, an dem sich die Zweigeschlechtlichkeit in der Biologic durchgesetzt hat. Konkurrenten konnen sich begutachten oder ihre Starken asthetisch ermitteln. Werbung ist also nichts anderes als die Konkurrenz zwischen Angeboten und der Wahl durch einen Interessierten. Der Begriff Werbung ist durch die mediale Produktanpreisung so in Beschlag genommen, dass man vergisst, dass sie auch vor den alten und neuen Medien eine Funktion hatte.
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Produktwerbung nutzt die gleichen Mittel wie Partnerwerbung, namlich asthetische. Der Gebrauchswert eines Produktes muss vor dem Gebrauch vermittelt werden. Die Oberflache wird gestaltet und die Ware entsprechend verpackt. Das Image und die Umgebung erhalten eine aufwandige Gestaltung. Versprechen und Produkt miissen dabei nicht eimnal in flmktionaler Verbindung stehen. Im Anschluss an die marxistischen Begriffe von Tauschwert und Gebrauchswert formulierte Wolfgang Fritz Haug (1971) eine Theorie der Werbung. Die Werbung modelliert danach die Sinnlichkeit der Verbraucher und erzeugt ein inflationares Verlangen nach sinnlosen Gebrauchswerten. Im Gesamtrahmen der Warenasthetik fallt der bildfixierten und emotionsgesattigten Werbung die Aufgabe zu, Waren in Lebenskontexte einzubetten, sozial zu interpretieren und anhand von Slogans und erlautemdem Text ideell zu iiberhohen. Bild und Text bringen den symbolischen Gehalt der Waren zum Ausdruck, appellieren an das Bedurfhis der Verbraucher nach sozialer Teilhabe und Identitat. Dieser Mechanismus ist so sehr verfeinert, dass die Nachfrager vielfach gar nicht mehr die realen Gebrauchswerte konsumieren, sondem die imaginaren Gebrauchswertversprechen. Haug spricht deshalb von einer Semiotisierung des Konsums, was bedeutet, dass die asthetischen und sozialen Zeichen wichtiger werden als das Bezeichnete, also die Gebrauchsgiiter selbst. Haugs marxistisch gepragte Interpretation steht nicht im Widerspruch zu den bislang entwickelten Funktionen des Asthetischen, wenn man zu Grunde legt, dass Werbung und das Gebrauchswertversprechen keine Erfindung des Kapitalismus ist. Der subjektive Nutzen einer Ware ist entsprechend vielfaltig. Autos sind nicht nur Verkehrsmittel, die Personen und Sachen von A nach B bringen, sondem dienen der Selbstdarstellung des Besitzers. PS-Zahlen, Farbe, Markenimage, Extra-Ausstattungen und selbst Aufkleber eroffhen dem industriellen Massenprodukt Auto eine individuelle Darstellungsmoglichkeit. Man bringt Ware in eine angenehme Umgebung und hofft, dass die Ware deren Image annimmt. Es wird nicht die Droge Nikotin verkauft, sondem das Gefiihl von Freiheit und Abenteuer. Keine Seife, sondem wilde Frische. Kein Alkohol, sondem die Zuneigimg von Frauen in schnellen Autos. Kein Orangensaft, sondem ein Mittel fur gesunde und gliickliche Kinder. Kein Weichspiiler, sondem ein gutes Gewissen. Die Verbindung des Produktes mit einer asthetischen Umgebung fmdet sich intensiv in der Nutzung von Musik. Dabei gilt der Spmch: „Wenn du nichts zu sagen hast, sing es!" Uber Kaugummi, Soft-Drinks, Schokoladen-Riegel lasst sich nun mal nicht viel sagen. Und der gesungene Text wirkt bedeutender. Betrachtet man die Texte jedoch genauer, indem man auf jedes Wort hort oder sie liest, sind sie ftirchtbar. Sie vermitteln den Eindmck, es ginge gar nicht damm, dass man hinhort. Es geht damm, das Produkt vorzustellen, den Slogan einzuhammem mit einer Melodic, die ins Ohr geht. Musik verstarkt die emotionale Wirkung eines TV-Spots und fuhrt sehr schnell in die gewiinschte Stimmung ein. Jingles sind so etwas wie gesungene Slogans. Sie wiederholen den Namen des Produktes und den Spmch. Sie bleiben im Gedachtnis. Werbespots haben die Aufgabe, eine Botschaft verstandlich und effektiv zu vermitteln. Effektiv heiBt, dass es kaum Funktionserlautemngen zu den beworbenen Produkten gibt, dafur aber assoziative Anregungen. Statt belehrender Argumentation liefem die Spots Emotionalitat. Dazu stehen in der Regel nur wenige Sekunden zur
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Verfiigung, eine Beschrankung in den asthetischen Mitteln ist die Folge. Was die Dramaturgie von Werbespots angeht, lassen sich vier Muster identifizieren. Der Beweis. („Es ist nicht nur sauber, sondem rein.") Es geht darum zu zeigen, dass das beworbene Produkt besser ist als andere. Im Femsehen laufen die „Beweis"Werbespots meist nach dem gleichen Muster: 1. Einfiihrung: Waschtag, 2. Problem: Die Wasche ist besonders schmutzig. (Der Hund und die Kinder kommen gerade von Spielen.) 3. Problemloser: Das Produkt tritt auf. 4. Zweifel: Schafft es das Produkt auch wirklich? 5. Beweis: Das Waschmittel zeigt es im Vergleich mit einem herkommlichen Waschmittel. 6. Schluss: Alle sind glucklich und bestatigen nochmals: Dieses Waschmittel ist das beste. Testimonials. Zeugen treten auf. Jemand hebt die Vorziige des Produktes hervor. Das ist alles. Testimonial-Sprecher konnen Prominente sein. Glaubhafter sind jedoch normale Benutzer oder Experten. Normale Benutzer erkennt man daran, dass sie Dialekt reden und nicht so glatt sprechen und aussehen wie professionelle Schauspieler. Wenn eine Marktfrau iiber Tempotaschentiicher spricht, dann glaubt man ihr, dass sie Erfahrungen damit hat, dass sie mit dem Problem vertraut ist. Ahnliches gilt flir Katzen-Besitzerinnen. Der Tipp des normalen Benutzers wirkt wie ein Hinweis von einem Nachbam. Experten werden ebenfalls haufig aufgerufen, um fur das Produkt zu sprechen. Zahnarztfrauen fiir Zahncreme und Zahnbiirsten, Rennfahrer fur Motorol, Koche flir Fertiggerichte und SoBen. Slice of life. Eine Figur diskutiert mit einer anderen die Vorziige des Produktes in einer Umgebung, die das wirkliche Leben darstellt (slice of life). Am Ende wird der Zweifler iiberzeugt. Man sieht das Produkt im Gebrauch. Manchmal auch nur ganz zufallig oder als Hohepunkt der Handlung. Das Produkt erscheint als Teil einer Handlung - mitunter als Problemloser. Die Spots haben mit Menschen zu tun, mit denen man sich identifizieren kann oder zumindest mochte. Die Aussage ist einfach. Der Schwerpunkt liegt auf dem dargestellten Nutzer, nicht auf dem Produkt. Diese Art von Spots wird eingesetzt bei Produkt-Sorten, wo der Unterscheid zum Konkurrenz-Produkt nicht groB ist, oder wenn die Nutzung eher sozial als funktional ist. Besonders deutlich bei Alkoholika, Zigaretten und bisweilen bei SiiBigkeiten und nichtalkoholischen Getranken. Das Produkt ist der Held. Das Produkt ist formatfiillend oder gar in UbergroBe zu sehen. Das Produkt in Bewegung. Auch Musikvideos sind Werbeclips. Immer geht es darum, das Image - die Personlichkeit - des Markenproduktes herauszuarbeiten. „Product is hero" funktioniert besonders gut bei Produkten, deren Markenname far andere sichtbar ist: Zigaretten, Autos, Bier. Das Produkt soil teuer, qualitativ hochstehend und erstrebenswert wirken. Bei der Untersuchung von Femsehprogrammen und deren Inhalten darf man nicht vergessen, was Femsehen - vor allem Privatfemsehen - ist. Die Programmveranstalter verkaufen Publikum an die werbetreibende Industrie. Es geht nicht darum, bedeutsame Informationen altruistisch zu verbreiten, sondem moglichst viele potenzielle Kunden vor dem Bildschirm zu versammeln. Reine Werbesendungen wie Home Shopping Channels sind wenig attraktiv, damm wird ein Werberahmenprogramm geboten, das Zielgmppen anzieht. Die Inhalte der Programme miissen Bediirfhisse und Vorstellungen bedienen, die veranlagt sind. Der Blick in ein Aquarium ist fiir die meisten auf Dauer nicht sonderlich anziehend. Uber den Zusammenhang von Programmgestaltung
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und Werbung muss gesondert nachgedacht werden. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es Zusammenhange zwischen Produktwerbung und Medieninhalten gibt. Der Verkauf von Produkten kann unter den Pramissen der Evolutionspsychologie betrachtet werden: Wie kommen Kaufentscheidungen zu Stande? Denn kein Werbespot macht aus einem Nicht-Raucher einen Raucher, keine Werbespot zwingt einen, Windeln zu kaufen, wenn man keine braucht, kein Werbespot hat die Macht, Gewohnheiten zu andem. Nur Produkte, die in Konkurrenz zueinander stehen, bediirfen der Werbung. Es konnen kaum Aussagen dariiber gemacht werden, wie Werbung Kaufentscheidungen beeinflusst. Ein Dilemma, das in der Werbebranche so ausgedriickt wird: „Die Halfte unseres Budgets ist rausgeworfen, wir wissen nur nicht welche." Partnerwahl Ein gutes Beispiel fur den evolutionaren Mechanismus ist die Partnerwahl. Bereits Darwin war sich sicher, dass nicht nur das Uberleben alleine die Auswahl traf zwischen Reproduktion und Untergang, sondem dass Partnerwahl einen entscheidenden Beitrag lieferte. Wenn Weibchen in konstanter Weise Mannchen auswahlen, dann stellt dies einen Selektionsdruck auf Mannchen dar. Evolutionspsychologische Erklarungen zur Partnerwahl Asthetische Urteile erzeugen starke Gefuhle. Von Ekel bis zu euphorischer Freude kann die Spannbreite reichen. Der Anblick eines Korpers in einem Buch iiber Hautkrankheiten lasst die meisten wohl mit Ekel reagieren. Dagegen weckt der Anblick eines gesunden Korpers einer Person des Geschlechtes, das man sexuell vorzieht, freudige Gefuhle. Das Abbild kann Vorstellungen und Fantasien auslosen. Die Starke dieses Geflihls reflektiert die Bedeutung in der menschlichen Evolution. Wenn sich diese Person in Position und Nacktheit prasentiert, die den Sexualakt suggeriert, konnen die Emotionen so stark sein, dass sie entsprechende Korperreaktionen hervorrufen. Manner reagieren auf visuelle und akustische Reize starker als Frauen. Der Grund liegt in den unterschiedlichen Strategien der Partnerwahl. David Buss hat diese eingehend untersucht. Partnerwahl verlauft ganz offensichtlich nach bestimmten Kriterien selektiv und das hat klar einen evolutionaren Sinn, da man beim Partner bestimmte fur die Weitergabe der Gene wichtige Eigenschaflen sucht. Nach Darwin greifen bei der Evolution zwei Mechanismen im Sinne der Selektion: Wettbewerb mit dem eigenen Geschlecht und die Suche nach bestimmten gefragten Eigenschaften beim anderen Geschlecht. Entsprechend nimmt die Evolutionspsychologie an, dass der Partnerwahl entsprechende Mechanismen zu Grunde liegen. Im Sinne des Wettbewerbs untersucht David Buss Taktiken, die in Konkurrenz zu den Geschlechtsgenossen angewendet werden, um einen Partner anzusprechen und ihn dann auch zu behalten. Die Grundannahmen sind: 1. Menschliche Partnerwahl-Praferenzen sind zentrale psychologische Prozeduren, die tatsachliche Partnerwahl-Entscheidungen beeinflussen und pragen; 2. Partner-Praferenzen iiben einen starken Druck auf den Wettbewerb innerhalb der Geschlechter aus; 3. Es gibt eine Kategorie von Handlungen, die je einem Praferenz-Mechanismus entsprechen;
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4. Die Entwicklung von psychologischen Mechanismen kann nicht vollkommen verstanden werden, ohne diese Kategorien zu identifizieren. (Buss 1992,249) Als Buss sich in den friihen 1980em mit der Thematik zu beschaftigen begann, gab es noch wenig empirisches Material. Er fuhrte dann selbst groB angelegte Studien durch, zum Schluss hatte er insgesamt 10.047 Menschen zwischen 14 und 70 Jahren, verschiedensten Bildungsgrades, aus 37 Kulturen, sechs Kontinenten, funf Inseln, aus den verschiedensten politischen Systemen, unterschiedlichen Familienstands und unterschiedlicher Religion befragt. (Buss, in Crawford & Krebs 1998,407ff) Buss geht davon aus, dass Partnerwahl strategisch ausgerichtet ist, was nicht heiBt, dass die Strategien bewusst sind. Dabei werden sich Manner und Frauen unterschiedlich verhalten, da sie im Sinne der Reproduktion unterschiedliche Interessen verfolgen. Buss folgt hier der Parental Investment Theory: Manner miissen in Kinder und Familie naturgemaB weniger, Frauen mehr investieren. Frauen miissen daher sehr selektiv vorgehen, da sie einen Partner brauchen, der sie weitestgehend unterstiitzt. Diese Selektion fuhrt dazu, dass unter den Mannem der Wettbewerb starker ist. Allerdings gibt es sowohl bei Mannem als auch bei Frauen verschiedene Formen von Partnerwahl, die eine ist auf kurze, die andere auf lange Partnerschaft ausgerichtet. Entsprechend werden sich die Strategien unterscheiden. Die zu leistende elterliche Investition tragt zur Ursachenfindung bei: Frauen sind in der Regel gebunden mehr Energie, Zeit und Gesundheit fiir die Nachkommen aufzubringen. So hat das weibliche Individuum nach der Befruchtung und nach der Geburt des Kindes keine Wahl, als weiter zu investieren. Auch die begrenzte Anzahl der weiblichen Eizellen flihrt dazu, dass Frauen viel selektiver in Bezug auf ihre Partnerwahl sein miissen. Begingen sie namlich einen Fehler und wahlen den falschen Partner, so miissten sie einen viel hoheren Preis zahlen als ihre mannlichen Artgenossen. Diese konnen nach dem Geschlechtsverkehr jede weitere Investition verweigem. Die Sicherung der Fortpflanzungschancen fordert vielmehr den Wettbewerb unter den Mannem. So zwingt die geringe Anzahl der weiblichen Eizellen die Manner, gegeneinander um die weiblichen Ressourcen zu konkurrieren. In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung der (sequenziellen) Monogamie interessant, wahrend im gesamten Verwandtschaftsbereich der Menschen, so bei den hoheren Primaten, Polygamic herrscht. Monogamie entstand auf Grund der besseren Entwicklungsmoglichkeiten der Kinder, wenn beide Eltemteile sich ausreichend um ihre Nachkommen kiimmem. Vater, die ihre Partnerin verlassen, gefahrden die Wietergabe ihrer Gene, da ihre Kinder eventuell nicht iiberleben. Die Psychologic der mannlichen Partnerwahl lasst sich unterscheiden in kurzfristige und langer angelegte Interessen. Es ist ein evolutionarer Vorteil fur Manner, wenn sie sich moglichst vielfaltig fortpflanzen. Sie haben deshalb moglicherweise ein starkes Verlangen nach sexuellem Zugang zu moglichst vielen Frauen entwickelt. Entsprechend mussen sie jedoch ihre Anspriiche an die Frau hinsichtlich moglichst vieler Merkmale wie Alter, Aussehen, Intelligenz senken. AuBerdem soil der Zugang zur Frau so schnell wie moglich hergestellt werden. Ein Mann muss daher Frauen identifizieren konnen, die gmndsatzlich sexuell offen sind und auBerdem fruchtbar. Ein weiterer Indikator, der als attraktiv gilt, ist die Sanduhrfigur, die belegt, dass die Frau nicht schwanger ist. Wenn Manner eine langere Partnerschaft eingehen wollen, mussen sie wahlerischer sein und vor allem darauf achten, dass die Frau im Besitz eines High Reproductive Va-
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lue ist, also moglichst gesund und fruchtbar. AuBerdem muss das Risiko, dass man seine Energie in fremde Kinder steckt, minimiert werden. Es ist also wichtig, moglichst treue Frauen zu finden. Dariiber hinaus sucht der Mann eine Frau, die voraussichtlich eine gute Mutter ist. Da das Erbgut nicht begutachtet werden kann, miissen asthetische Kriterien hergenommen werden, um diesbeziigliche Vorhersagen zu treffen. Manner richten sich hinsichtlich des Wunsches nach weiblicher Fruchtbarkeit nach folgenden Hinweisen: Auf der einen Seite gibt es erkennbare Eigenschaften wie gute und reine Haut, gesundes Haar, weiBe Zahne, keine grauen Haare; dann spielt auch das Verhalten eine Rolle: anmutiger und lebhafter Gang, Energie, Heiterkeit; schlieBlich kann auch der Ruf einen Einfluss haben, der durch Klatsch und Tratsch verbreitet wird: Wichtig ist alles, was man von anderen iiber Alter, Gesundheit, Kondition, Aussehen, Benehmen und sexuelles Verhalten der auserwahlten Frau erfahrt. Auch Frauen zeigen unterschiedliche Strategien, je nachdem ob sie eine Affare suchen Oder eine andauemde Beziehung. Wenn Frauen eine lange Partnerschaft eingehen wollen, dann suchen sie jemanden, der Schutz und existenzielle Sicherheit garantiert. Manner, die sich fur Kinder einsetzen und fur sie fursorglich sein werden, sind attraktiv. Sie werden die Intelligenz, den Ehrgeiz und FleiB, die materiellen Mittel und die bestehenden Verpflichtungen des Mannes priifen. Die korperlichen Eigenschaften des Mannes geben keine genauen Hinweise auf seine Reproduktionsfahigkeit, da seine Spermienproduktion auch im Alter nicht endet. Da die elterliche Investition des Mannes vor allem auch den Schutz und die Versorgung fur die Frau und ihre Kinder beinhaltet, wahlt die Frau den Mann nach entsprechenden Kriterien. Da Menschen oft schon Paare bilden, wenn der Mann sein ganzes Vermogen noch nicht anhaufen konnte, braucht die Frau Indikatoren, die zeigen, dass der Partner zukunftig viel leisten kann. Ambition und Intelligenz sind solche Voraussagekriterien. Eine Untersuchung zeigt, dass in 37 verschiedenen Kulturen Frauen das Einkommen der Manner, ihre Ambition und ihre Intelligenz wichtiger finden als umgekehrt (Buss 1989). Dariiber hinaus ist das emotionale Engagement (bzw. die liebevolle Fursorglichkeit) der Manner ein wichtiges Auswahlkriterium. Die Frau muss sicherstellen, dass der Partner den Belastungen der Vaterschaft nicht ausweicht und dass er willig ist, sein Vermogen mit ihr zu teilen. Von kurzen Partnerschaften haben Frauen wider Erwarten auch Vorteile. Wenn der Mann vermeintlich gute Gene besitzt, konnen Kinder besserer Qualitat gezeugt werden. AuBerdem kann man spekulieren, dass Frauen unter Umstanden versuchen, Kinder von unterschiedlichen Mannem zu bekommen, um zu variieren und zu garantieren, dass unter bestimmten Umweltveranderungen nicht alle Kinder sterben, denn unterschiedliches Erbmaterial erhoht die Chance des Uberlebens von einigen unter extremen Bedingungen. Kurze Partnerschaften konnen auch ein Mittel sein, den eigentlichen Partner loszuwerden, um sich dann einem besseren zuwenden zu konnen. Es gibt natiirlich alle moglichen Faktoren, die das Partnerwahlverhalten beeinflussen: Erfahrungen, Familie, Kultur usw. „Der zentrale Punkt ist, dass Menschen iiber ein komplexes Repertoire an Partnerwahl-Strategien verfiigen; welche Komponenten aktiviert werden, hangt hochstwahrscheinlich stark vom Kontext ab." (Buss, in Crawford & Krebs 1998,415) Zur Ontogenese dieser Mechanismen nimmt Buss an, dass es hier ahnlich wie bei anderen evolutionaren Mechanismen einerseits angeborene Praferenzen, andererseits
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erworbene iind vom soziokulturellen Milieu abhangende gibt. Kulturell unterschiedlich ist beispielsweise der Stellenwert von Keuschheit, wobei in alien Kulturen die Keuschheit von Frauen hoher eingeschatzt wird als die von Mannem. Auch korperliche Attraktivitat wird unterschiedlich eingeschatzt, ebenso monogames bzw. polygames Verhalten. Fiir all diese Abweichungen konnen jedoch regionale Begrundungen gefunden werden, die jeweils einen evolutionaren Vorteil bei den besonderen Praferenzen erkennen lassen. Alle diese Systeme lassen auch Tauschung zu, vor allem, wenn sie auf asthetischen Kriterien beruhen, ist diese unter selektivem Druck programmiert: „Da Manner nach Hinweisen auf Reproduktionsfahigkeit auswahlen, ist zu erwarten, dass Frauen ihr Alter verheimlichen, ihre Erscheinung verandem und friihere sexuelle Begegnungen verheimlichen. Da Frauen die Bereitschaft und die Fahigkeit, Ressourcen einzusetzen, bewerten, darf man von Mannem erwarten, dass sie den Umfang ihrer Ressourcen iibertreiben, Wahmehmungen iiber ihre Bereitschaft sich einzusetzen aufblahen und Liebe vortauschen, um eine Frau zu verfuhren." (Buss, in Barkow, Cosmides & Tooby 1992, 252) Um den Partner zu halten, investieren Manner mitunter Geld und schrecken andere Manner ab, wenn sie sich ihrer Frau nahem. Frauen bemiihen sich um gutes Aussehen und machen ihre Manner eifersiichtig. Eifersucht ist eine Emotion, bei deren Interpretation sich deutliche Geschlechtsunterschiede zeigen. Die mannliche Eifersucht reflektiert das Risiko, das mit der Unsicherheit beziiglich der Vaterschaft von Kindem zusammenhangt. Ein Mann ist eifersiichtig, wenn eine Frau mit einem anderen Mann verkehrt, denn ein einziges Mai kann geniigen, um schwanger zu werden. Weibliche Eifersucht tritt ein, wenn das Risiko besteht, dass der Mann seine Interessen und Ressourcen auf eine andere Frau lenkt. Nicht im Fremdgehen liegt die Gefahr, sondem der emotionale Riickzug. Eine Frau wird eifersiichtig, wenn sich der Mann in eine andere Frau verlieben konnte. Manner ermorden ihre Frauen, wenn diese die Beziehung beenden, Frauen ermorden ihre Manner, um eine Beziehung zu beenden (Batterd Wife Syndrome). In beiden Fallen geht es um mannliche Eifersucht. Die Akten von Polizei und Psychiatric zeigen, dass die Eifersucht das haufigste Motiv fiir den Mord am Ehepartner ist. Ausloser ist die Eifersucht des Mannes und zwar unabhangig davon, welcher Partner dem Mord zum Opfer fallt. Bemerkenswert ist, dass in vielen Kulturen (in vielen Staaten der USA bis in die 1970er Jahre hinein) ein Mann nicht als straffallig angesehen wurde, wenn er seine Frau nach ihrer nachgewiesenen Untreue totete. Die Ursache ist darin zu sehen, dass die Untreue des Mannes und die der Frau sich auf das genetische Schicksal des Partners unterschiedlich auswirkt. Wahrend sich die Frau stets sicher sein kann, dass das Kind, das sie gebart, ihre Anlagen enthalt, kann es dem Mann passieren, dass das Kind seiner Frau die Anlagen eines anderen Mannes weitertragt. Investiert der Mann seine Fiirsorge trotzdem in das fi'emde Kind, so sind seine Anlagen vom Aussterben bedroht. Deshalb belegt der Mann seine Frau mit einem AusschlieBlichkeitsanspruch. Frauen fiirchten im Gegensatz dazu, dass der Mann beim Fremdgehen seine materiellen und emotionalen Ressourcen einer anderen Frau schenkt und sie somit auch um ihr Wohlergehen oder um ihrer Nachkommenfiirchtenmuss. Low (1979) konnte zeigen, dass Frauen ihren verheirateten Status weltweit viel starker zur Schau stellen als Manner. Als positiver Aspekt dieser Entwicklung wird gesehen, dass Frauen
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ihre Manner eifersiichtig machen, damit sie ihre Bemiihungen um sie intensiviert. Machen sie das nicht, so wird das als Mangel ihrer Liebe verstanden. Partnerwahl macht sich nicht nur fest am Zurschaustellen der Vorziige, wobei Werbirng und Auswahl zusammenkommen, sondem auch an der Konkurrenz innerhalb der Geschlechter. Unter Mannem wird der Kampf direkter ausgetragen als unter Frauen, denn die Ressource Frau ist wesentlich seltener. Ihre Reproduktionsrate ist namlich bedeutend geringer. Wahrend ein Mann sein Erbmaterial haufig weiterleben kann, ist eine Frau durch eine Schwangerschaft seltener reproduktionsfahig. Der Konkurrenzdruck unter Mannem ist ungleich scharfer. Manner machen untereinander Rang, Status und Hierarchic aus. Durch direkte Aggression, durch verfeinerte Rituale im Sport, durch Ansammeln und Ausstellen von Reichtum. Frauen konnen begutachten und vergleichen. Informationen dariiber sind also wichtig, Klatsch und Tratsch ist die Kommunikationsform, durch die sich derartige Informationen verbreiten. Frauen prasentieren sich dagegen eher einzeln. Sie miissen iiberzeugen durch asthetische Attribute. Zahlreiche Beispiele belegen, dass die Gesellschaft auch heute noch vollig andere Anspriiche an die Attraktivitat eines Mannes stellen als an die einer Frau. Frauen, die einen jiingeren Partner haben, werden belachelt. Oft wird es von der Familie immer noch erwartet, dass ihre Tochter eine gute Partie machen. Der Ehemann soil in der Lage sein, fur die Tochter zu sorgen, auch wenn diese selbst iiber eine gute Ausbildung und iiber geniigend Einkommen verfiigt. Manner hingegen werden fur ihre viel jiingere Partnerin bewundert, es erscheint normal, wenn diese von ihrem alteren Partner abhangig ist. Es ist akzeptiert, wenn Frauen sich intensiv um ihr AuBeres kiimmem und das Altem mit alien moglichen Mitteln verhindem wollen. Manner diirfen sich nicht so sehr um ihre Korperpflege kiimmem, da sie sonst als homosexuell abgestempelt werden konnten. (Hejj 1996, 27f) Die Untersuchungen von Szilagyi (1975) zeigen, dass die jeweiligen Lebensziele wesentlich zur Beantwortung der oben genannten Frage beitragen. So wiinschen sich Frauen eine gute Ehe und Kinder. Manner hingegen streben bemflichen Erfolg und ein schones Haus an. Die unterschiedlichen Interessen von Mannem und Frauen schlagen sich in unterschiedlicher Wahmehmungsweise nieder. Am Beispiel der Eifersucht wurde dies anschaulich. Beide Geschlechter soUten ein Interesse daran haben, die besten Chancen fur die eignen Gene zu schaffen. Von Frauen ist zu erwarten, dass sie ihre Entscheidung iiber die richtige Partnerwahl reiflich iiberdenken und abwagen. Manner sollten ihre Aufmerksamkeit auf alles richten, was sie fiir eine Auswahl attraktiv macht. Die Darstellung ihrer wichtigen Attribute (Rang, Fitness und elterliches Investment) steht in ihrem Interesse. Diese Unterschiede sollten nicht nur das mentale Probehandeln betreffen, sondem auch die mediale Darstellung der Motive. Partnerwahl in den Medien Wenn die aus den Theoremen der Evolutionspsychologie entwickelten Unterschiede der Wahmehmung geschlechtsspezifisch sind, muss das nachweisbar sein in den Ausdmcksweisen der Massenkommunikation. An zwei Beispielen soil dies geschehen. Ein Untersuchungsfeld ist ein Genre, das im Femseh-Programm nur einen relativ geringen Anteil hat, in den groBen Kinos auch nicht gespielt wird, aber dennoch eine
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ganze Industrie unterhalt. Es geht um die Darstellung von Erotik und Sex, das Genre lasst sich beschreiben mit dem Begriff Pomografie. SchlieBlich wird eine eher weibliche Sichtweise von Partnerschaft in ihrer fiktionalen Darstellung untersucht. Biografien und Melodramen sind Kategorien, unter die das Genre mit der groBten Reichweite fallt, namlich die Soap Opera. Da in unterschiedlichen Situationen und von den beiden Geschlechtem unterschiedliche Auswahlkriterien zum Tragen kommen, sind sehr verschiedene Sichtweise zu erwarten. Ob Realpartner, Traumpartner fiir schone Stunden oder Traumpartner flirs Leben - Massenkommunikation sollte fur jede und jeden etwas bieten. Soap Operas Jerome H. Barkow betrachtet Soap Operas als eine Form des Klatsch und Tratsch iiber fiktionale Personen (Barkow, in Barkow Cosmides & Tooby 1992, 628). Randy Thomhill (in n: Crawford & Krebs 1998) sieht in Soaps Informationen iiber Frauen in Konkurrenz zueinander, iiber Vorteile und Kosten der Untreue, und wie man das Interesse von Mannem sichert und halt. Soap Operas stehen stellvertretend fur ein Genre, das mit Melodrama bezeichnet wird. Thematisiert sind Geschichten, die eher menschliche Schicksale darstellen als individuelle heroische Aktionen. Emotionen, inneres Erleben, Zweifel und Entscheidungen stehen im Vordergrund, ebenso biographische Wendungen, Entschliisse iiber Beziehungen und das private Wohlergehen. Es geht um die Extemalisierung intemer Konflikte. Das unterscheidet Melodramen von aktionsbetonten Darstellungen, wo die Geschichte eher aus extemen Konflikten ihre Dynamik zieht: Es geht dort um die (Wieder-) Herstellung von Recht, Ordnung und Hierarchie. Jede Soap Opera schafft iiber ihr Figurenensemble, ihre Themen und ihre Fortsetzungsstruktur eine kleine Welt, auf die sich der Zuschauer einlassen kann und mit der er schnell vertraut wird. Diese Serienwelt ist als konkreter Handlungsrahmen zu verstehen, in dem das Leben und die Geschichten der Seriengemeinschafl inszeniert werden. Normalerweise verlassen die Serienfiguren die bekannte Serienwelt nicht und die Handlung der Serie ergibt sich durch Probleme und Konflikte, die sich innerhalb der Seriengemeinschaft und der Serienwelt abspielen. Dabei erlauben sie einen Einblick in emotionale und private Themen, die sonst vor der Offentlichkeit verborgen gehalten werden. Das bestatigt die These von Soap Operas als der Visualisierung des Klatsch und Tratsch. Im Folgenden soil untersucht werden, aus welchen Faktoren sich die Serienwelt zusammensetzt und welche Funktion die einzelnen Faktoren fiir die Serie und ihre Zuschauer erfiillen. Das spezifische Gesicht einer Serie ist natiirlich vor allem durch die Figuren bestimmt. Sie stellen am direktesten die Serienwelt her, indem sie mit ihrer Lebenswelt, mit ihren Handlungsweisen und ihren Problemen den thematischen Rahmen der Soap abstecken. Das Personal einer Soap gibt schlieBlich auch die Angebote vor und zielt in seiner spezifischen Zusammensetzung auf ganz bestimmte Zuschauergruppen. So stellen Community-Soaps junge, urbane Menschen dar, die weniger in einem traditionellen Familienverbund stecken. Die dargestellten Charaktere sind nicht so sehr als Vorbilder oder Helden zu verstehen, sondem sie sind so angelegt, dass sie moglichst alltaglich erscheinen (vgl. Giesenfeld 1994, 1). Die Anziehungskraft einer Serienfigur ist denn auch durch ahnliche Faktoren bestimmt wie im ,realen' Leben, namlich durch
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die auBerliche (Schichtzugehorigkeit, Erscheinimg) und ,innere' Attraktivitat wie Mentalitat oder Moral (vgl. Prugger 1994,102). GeiBendorfer beschreibt die Figurenkonzeption folgendermaBen: „Aus der Biografie der einzelnen Figur ergeben sich Ansatze zur Psychologic. Beim Umkreisen der psychologischen Gnmdwerte miisseii die Autoren gewissenhaft auf alle einflussnehmenden Faktoren achten. Der soziale Hintergrund der einzelnen Figuren, der Freundes- und Bekanntenkreis, die gesellschaftspolitischen Schwerpunkte, Krankheiten, physischer Stress, Zufriedenheit oder Unzufriedenheit am Arbeitsplatz, Liebesbeziehiingen und das Scheitem oder Gelingen solcher Beziehungen, Traume, Sehnsiichte, Umwelteinfliisse und direkte politische Einwirkungen auf das Leben des Einzelnen pragen die psychologische Grundstruktur und damit das Verhalten der Figur im komplizierten Konfliktfall genauso wie im simplen Alltagsereignis." (GeiBendorfer 1990, 53) Dabei darf man natiirlich nicht vergessen, dass es in vielen anderen Langzeitfemsehserien nicht so „realistisch" zugeht und es durchaus Uberzeichnungen von Figuren gibt. Doch selbst die typisierten Bosewichter konnen dem Zweck dienen, dass der Zuschauer diese Figur mit ihrem Identifikationsangebot ablehnen kann. Das heiBt, dass zumindest in der ,J.indenstrafie " die Handlungsweisen der Soap-Figuren auf eine ahnlich komplexe Psychologic und personlichc Disposition wie im normalen Leben zuriickgehen. Im Grund beschreibt GeiBendorfer - vermutlich ohne dass er es weiB die Kategorien, die evolutionspsychologische Klatsch-und-Tratsch-Theorien erwarten. Die Charakterisierung der einzelnen Figuren innerhalb einer Soap wird durch zwei dramaturgische Mittel vorgenommen: Erstens iiber die Verhaltensweisen und Meinungen, die von den Figuren vorgefiihrt und durchgespielt werden. Diese dienen zum einen dem Handlungsfortgang der Serie und zum anderen der Charakterisierung der Serienfiguren. Dariiber hinaus konnen die Verhaltensweisen vom Zuschauer wieder aus dem Erzahlkontext herausgelost werden und stehen so zur Disposition: „Aus dem Interaktionszusammenhang der Figuren kann der Zuschauer auf diese Weise einzelne Verhaltenssegmente isolieren und sie mit Verhaltensanforderungen, die er aus seinem Alltag her kennt, in Beziehung setzen." (Hickethier 1991, 45f.) Die zweite Form der Charakterisierung einer Serienfigur findet durch die Darstellung der Konflikte und der Beziehungen statt, in denen die jeweilige Serienfigur steckt, also durch das soziale Umfeld und die auBeren Anforderungen, mit denen die Figur zu tun hat. Robert Allen unterscheidet zwischen drei Arten der personlichen menschlichen Beziehungen in den Soap Operas: Liebes-, Verwandtschafts- und Sozialbeziehungen (Allen 1985, 74). Alle drei wirken an der Entwicklung einer Serienfigur mit und bestimmen in entscheidendem MaBe die Charakterisierung der Figur. Die Handlung der Soap Opera wird in erster Linie durch personliche menschliche Beziehungen motiviert, so dass sich die Serienfigur vor allem durch die Interaktion mit anderen Serienfiguren profiliert (Frey-Vor 1992, 160). So alltagsnah die Serienfiguren und ihre Konflikte konzipiert sind, so tendiert das Genre der Soap Opera dennoch zu Stereotypisierungen. Im Personal einer Soap findet man daher nicht selten den Bosewicht, die Intrigantin oder der Manner mordende Vamp. Zumindest ist eine klare Aufteilung zwischen guten imd bosen Serienfiguren iiblich, die den Figuren letztlich kaum Entwicklungsmoglichkeiten lasst. So sind die Charaktere einer Soap recht eindimensional, aber dies ermoglicht es gerade, sie wie Schablonen in immer neue, verschiedene Themen und Konflikte einzusetzen, ohne dabei ihre Glaubwiirdigkeit aufs Spiel zu setzen. Im Grunde sind nur gute, bose und
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schwache Typen zu finden. Die Medienkritikerin Terry Ann Knopf fasst fiinf Charaktertypen zusammen: der Romantische, der sexy Typ, der Heilige, der Aristokrat und der groBe Vater (Matelski 1988,23f). Das Setting einer Soap reflektiert die besonderen Bediirfhisse weiblicher Zuschauer bei der Partnerwahl. Adel und Geld-Adel suggerieren Hierarchie, Status und Macht. Probleme kreisen in diesen Serien dann auch um Geld und geldwerte Anlagen. Serien wie ,J)allas" und ,J)enver Clan"' haben durchweg hohe Einschaltquoten erreicht. Arzte und Krankenpfleger suggerieren einen hohen mannlichen Elteminstinkt, denn Retter, die sich altruistisch fiir das Wohlergehen von anderen einsetzen, lassen ein ahnliches Verhalten auch fiir den Partner und die Nachkommen erwarten. Beide Elemente - Hierarchie und mannliche Brutpflege - sind aus weiblicher Sicht in hohem MaBe attraktiv. Fiir die spezifische Serienwelt einer Soap sind natiirlich auch die in ihr vorgetragenen und behandelten Themen von Bedeutung. Dabei lasst sich feststellen, dass die Themen zwar einerseits nach dem jeweiligen Rahmen einer Soap ausgerichtet sind (so werden in einer Krankenhaus-Soap naturgemaB mehr Unfalle und Krankheiten Thema sein als beispielsweise in einer Community-Soap), aber andererseits ist die Menge der in Soaps behandelten Themen so umfassend, dass es natiirlich Uberschneidungen zwischen den einzelnen Soap-Genres gibt. Aber selbst davon abgesehen, zeigt sich, dass fast alle Soaps sich thematisch vorwiegend im ,Human interest'-Bereich bewegen (Frey-Vor 1996, 21). Katzmann macht diesbeziiglich vier hauptsachliche Handlungsbereiche in Soap Operas fest: 1. kriminelle und andere abweichende Aktivitaten, 2. soziale Probleme, 3. medizinische Entwicklungen und 4. Liebes- und Eheprobleme (Katzmann 1972). Daraus ergibt sich ein groBes Themenreservoir, das diesen vier Handlungsbereichen entsprechend auch ein hohes MaB an Dramatik und Schicksalsschlagen aufweist. Im Grunde sollen die Themen exemplarisch sein fur alles, was einem Menschen zustoBen kann (Burbach 1994, 64). In ihrer quantitativen Untersuchung zu den Themen in amerikanischen Soap Operas entwickelte Marilyn J. Matelski (1988, S.lOf) folgende Reihenfolge: „1. Ehebruch/Fremdgehen, 2. Romanze, 3. Liebe, 4. Eifersiichtige Liebhaber, 5. Romantische Verwirrungen, 6. Beenden einer romantischen Beziehung, 7. Liebe machen, 8. Hingabe, 9. Wiederherstellen einer Beziehung, 10. Psychologische Probleme, 11. Verbrechen, 12. Tauschung, 13. Geheimnisse, 14. Arbeit, 15. Geld, 16. KrankheitA^erletzung." Sie untersuchte dabei die wochentlichen Zusammenfassungen von 11 Shows in der Zeit vom 24. JuH 1983 bis 22. Juli 1985. Im Median werden 2,81 Themen pro Sendung angeschnitten. Das zeigt, wie dynamisch und breit gestreut die Themen dargeboten werden. Man kann feststellen, dass im Grunde die gleichen Themen aufgenommen werden wie in den Daytime Talkshows. Lediglich die Produktionsasthetik ist eine andere. Agieren hier Schauspieler mit vorgefertigtem Skript, sprechen dort Menschen iiber ihre Erlebnisse. Fiir die Serienwelt von Soap Operas kann man festhalten, dass Alltaglichkeit und Alltagsnahe in der Figurenzeichnung, in den Themen, den Orten und der Zeit als ein Charakteristikum angesehen werden kann. Doch was ist so interessant an der Alltaglichkeit? Es sind die Klatsch-und-Tratsch-Gemeinschaften. Man erfahrt etwas iiber eine (scheinbar) soziale Umwelt. Manche sehen die Figuren der .JLindenstrafie'' oder anderer Soaps haufiger als die eigenen Verwandten. Die Medienfiguren werden zur
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virtuellen Bezugsgruppe. Das Wissen iiber andere und der Informationsaustausch macht die Zuschauer zu Gruppenmitgliedem. Massenmedien bilden Gemeinschaft durch die Teilnahme am Privatleben anderer. Das Nichtwissen derartiger Informationen ist wie ein Ausschluss aus der Gesellschaft. In vorhistorischer Zeit ein Todesurteil. In Soap Operas xind Melodramen wird verhandelt, was iiberlebenswichtige Entscheidungen betrifft. Es geht um die richtige Entscheidung bei der Partnerwahl und um den Zweifel, die richtige Wahl getroffen zu haben. Dies entspricht der weibUchen Sicht auf Partnerschaft. Pornogrqfie Pomografie zeigt die mannliche Sichtweise auf Frauen und deren Attraktivitat. In keinem anderen Genre wird dies deutlicher. Es geht um kurzfristigen Sex, der unverbindlich bleibt. Pomos zeigen Frauen, die immer wollen, und Manner, die immer konnen. Am deutlichsten ist die Reaktion auf die visuellen und akustischen Medienattrappen bei Pomografie aufzudecken. Ausgehend von geschlechtsspezifischen sexuellen Fantasien, die sich bei Mannem eher durch optische Vorstellungen darsteilen, bedienen Pornos auch eher mannliche Kunden. Obgleich keine verlasslichen empirischen Untersuchungen iiber den Markt und die Rezeption von Pomografie bekannt sind, lasst sich dennoch vermuten, dass der iibergroBe Anteil der Produktionen mannliche Fantasien anspricht. Voraussetzung fiir diese Aufteilung des Marktes sind die spezifischen Imaginationen. „Studien aus Japan, GroBbritannien und den Vereinigten Staaten beweisen, dass Manner zweimal so haufig von sexuellen Fantasien heimgesucht werden wie Frauen. Viel haufiger sind an den von Mannem getraumten Szenenfi-emde,anonyme Partner Oder mehrere zugleich beteiligt. Die meisten Manner berichten, dass sie manchmal wahrend einer einzelnen fantasierten Episode ihre Sexualpartner wechseln; bei Frauen, die von ahnlichen Fantasien erzahlen, kommt nur selten ein Austausch des Partners vor. 43 % der Frauen, aber nur 12 % der Manner sagten aus, sie wiirden in einer einzelnen Traumsequenz nie den Partner ersetzen oder wechseln." (Buss 1997, 131) Der Aspekt, dass Manner haufiger wechselnde Vorstellungen haben, wird bedient durch Telefonsex-Angebote, die entweder sexuelle Situationen wie in einem Horspiel vorfuhren und voyeuristische Fantasien bedienen oder Live-Partnerinnen anbieten, die in den verbalen Beschreibungen ihrer korperlichen Attribute, Stellungen und Aktionen gewiinschte visuelle Vorstellungen bei den Kunden auslosen (Mooren 1995). Nicht nur bei der Partnerwahl, auch bei der Art der Fantasien unterscheiden sich die Geschlechter: „Fur Manner stehen Korperteile und sexuelle Positionen, bar jeden gefiihlsmaBigen Zusammenhangs, im Mittelpunkt des Interesses. Ihre Fantasien sind vorwiegend visuell, auf glatte Haut und korperliche Bewegung gerichtet. 81 % der Manner und nur 43 % der Frauen konzentrieren sich vorzugsweise auf visuelle Vorstellungen, weniger oder gar nicht auf Gefuhlsinhalte. Hiibsche Frauen, die viel nackte Haut zeigen und leichte Zuganglichkeit ohne Bindungswunsch signalisieren, sind haufig Ingredienzien mannlicher Traume. ... Demgegeniiber beschaftigt sich die Fantasie der Frauen haufiger mit Partnem, die ihnen bereits vertraut sind." (Buss 1997, 132) Hiermit kann die These von Perky, dass es einenflieBendenUbergang von Vorstellung zu Wahmehmung gibt, besonders bei diesem Genre bestatigt werden. Der Pomomarkt bedient die auf visuelle Reize und Gelegenheitssex ausgerichteten Fantasien der
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Manner. Frauen, die eher emotionale Fantasien mit ihnen bekannten Partnem haben, lassen sich mit massenkommimikativen, anonymen Waren weniger beliefem. Pomografie wird bekanntlich als Stimulans benutzt. Bei einer Befragung gaben 45 % der verheirateten Frauen an, dass sie regelmaBig masturbieren. Der Anteil der unverheirateten Frauen ist geringer. Das verweist darauf, dass sexuell aktivere Frauen mehr sexuelle Fantasien haben. Bei Mannem betragt der Anteil derer, die angeben, dass sie sich selbst befriedigen 85 %. Unterschiedliche Studien bringen unterschiedliche Daten hervor, einig sind sie sich jedoch darin, dass Manner deutlich haufiger angeben zu masturbieren (Blum 1997, 243). Die evolutionspsychologische Erklarung folgt den bislang entwickelten Kriterien: Fiir Frauen ist Sex eine eher emste Angelegenheit, wahrend Manner Spafi am schnellen Sex haben, der weniger emotionale Bindung erfordert. Von der Imagination zur visuellen Information: Da Manner die notigen Informationen fur bevorzugte Geschlechtspartner aus der asthetischen Bewertung der visuellen Informationen bekommen, reagieren sie auch entsprechend auf die Vorlage von bewegten und unbewegten Bildem. Versuche, die Pupillenreaktionen auf Grund von vorgelegten Bildem messen, seien zitiert: „Sieht namlich eine Person etwas, was ihr Interesse und Wohlgefallen erregt, dann erweitert sich die Pupille kurzfristig." (Eibl-Eibesfeldt 1997, 353f) Vor allem geschlechtsspezifische Unterschiede sind messbar. Manner offtien die Pupillen am weitesten - wen wundert es - bei der Prasentation einer nackten Frau. Frauen reagieren starker als Manner beim Anblick eines muskulosen nackten Mannes. Sexuelle Praferenzen lassen sich ebenfalls bestatigen. Homosexuelle reagieren umgekehrt und zeigen bei der Darbietung eines gleichgeschlechtlichen nackten Korpers Pupillenerweiterungen, die unbewusst erfolgt. Auch die Theory of Mind mit der sozialen Perspektiveniibemahme lasst sich an Pomografie verifizieren. Bisweilen ist nicht die Frau alleine zu sehen, wie sie ihren Korper darbietet, sondem sie ist in Aktion mit einem Mann. Der Zuseher iibemimmt dessen Wahmehmung und Emotion. Unter diesem Aspekt ist es auch nicht abwegig, wenn lesbische Beziehungen im Pomo auch fur mannliche Voyeure attraktiv sein konnen. Dabei geht es keineswegs um die Faszination fiir gleichgeschlechtliche weibliche Sexualpraktiken, sondem fur den Blick auf eine Frau aus den Augen von jemandem, der dieser Frau sehr nahe ist. Der letzte Punkt der psychischen Voraussetzungen betrifft das Denken als Probehandlung. Auch hier lassen sich die Thesen bestatigen. Da Menschen im hypothetischen Handeln emotional bedeutende Handlungen simulieren, sind sexuelle Praktiken als Gegenstand der Vorstellung zu erwarten. Jede und jeder hat sexuelle Vorstellungen. Pomografie ist nichts anderes als deren mediale Darstellung. Die Venus von Willendorf ist wohl die bekannteste friihsteinzeitliche Figur. Sie entstand vor 27.000 Jahren. Eine 11 cm groBe vollplastische Figur stellt eine beleibte, unbekleidete Frau dar, deren Kopf aber kein Gesicht hat, dafur ist die Frisur mit parallelen, auch iiber das Gesicht gewickelten Lockenreihen gearbeitet. Haare haben eine erotische Konnotation, nicht unbedingt ihre Lange, Farbe oder Form, sondem in ihrer Fahigkeit den Korpergemch aufzunehmen. An den Handgelenken sind gezackte Armreifen, also Schmuck, erkennbar. Das fehlende Gesicht ist demnach nicht die Folge mangelnder Kunstfertigkeit. Pralle Briiste, mnder Bauch, ein fast iiberdimensionierter Hintem und herausgearbeitete Vagina sprechen fiir die Darstellung fiiihsteinzeitlicher Schonheitsideale. EinfiilligerKorper war bei Jager-, Sammler- und Fischer-
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kulturen ein Indiz flir gute Emahrung und einen gesunden Gesamtzustand. Der rirnde Bauch ist mit Schwangerschaft nicht zu verwechseln, ganz eindeutig ist sie gut genahrt. In der Steinzeit diirfte dies ein eindeutiges Zeichen fur Wohlstand und Status gewesen sein. Sie hatte es wohl nicht notig, viel zu laufen. In Sammler- und Jagergesellschaften diirfte es nur wenige Menschen gegeben haben, die diesen Korperbau aufwiesen, fetthaltige Nahrung stand nicht auf dem alltaglichen Speiseplan. Die fiilligen Haare, die prallen, aber nicht schlaffen Briiste und das Fehlen von Schamhaaren deuten auf eine junge Frau. Das Gesicht, also die individuelle Person, steht nicht im Zentrum der Darstellung. Es geht eben nicht um eine konkrete Person, sondem um einen weiblichen Typus, um ein Sexobjekt, das auf die idealen Geschlechts- und Fitnessmerkmale reduziert ist. Die Venus vom Galgenberg ist eine 7,2 cm groBe, 10 g schwere Figur. Sie stellt eine Frau dar, den Oberkorper zu Seite gedreht (oder es handelt sich um eine fimktionale Perspektive, um die Briiste deutlicher darstellen zu konnen), einen Arm erhoben, den anderen nach unten gewinkelt, in einer leichten, tanzerischen Haltung. Es ist die alteste bekannte Steinplastik, iiber 32.000 Jahre alt. Die Vorderseite ist plastisch, die Riickseite flach gearbeitet. Die dynamische Darstellung ist auffallig. Erinnert sei an die Bedeutung des Tanzes bei der Selbstdarstellung der korperlichen Fitness. Beide Figuren sind Attrappen von Schonheitsidealen in Form von steinzeitlichen Medien. Die Figuren hatten immerhin GroBe und Gewicht, dass man die Statuetten auch auf Wanderungen problemlos mitnehmen konnte. Ihre Form schmiegt sich ideal in die Hand. Die Finger fiihlen die runden Formen der Figur. Ware es vorstellbar, dass sie im Reisegepack eines Jagers war, der auf seiner tagelangen Pirsch ein Medium hatte, das seiner Erinnerung oder Vorstellung von einer Sexualpartnerin eine materielle Form gab? Beiden Figuren wurden kultisch-religiose Funktion unterstellt. Da insgesamt mehr weibliche Figuren als mannliche gefunden wurden, diskutierte man auch die mogliche Stellung der Frau, bis hin zu Uberlegungen, daraus ein Matriarchat abzuleiten. Belegen lasst sich das alles nicht. Eindeutig ist aber der mannliche Blick auf die Dargestellten. Nichts spricht gegen die Interpretation der Plastiken als pomografische Mediengattung. Die Art der Darstellung, die keinen groBen Realismusanspruch erheben kann, ist ein Indiz ftir ihren mentalen Attrappencharakter. Hier wird nicht portraitiert, was ist, sondem, was sich der Kiinstler vorstellt. Darum kann er sich auf das konzentrieren, was fur ihn wesentlich ist und alles weglassen, was in seiner Imagination zu vemachlassigen ist. Diese verzerrten, aber auf die zentralen Aussagen konzentrierten Darstellungsweisen entsprechen den Arbeitsweisen des Gehims. Im Gedachtnis ist reprasentiert, auf was es ankommt. Die gewahlte Darstellungsform stellt nicht dar, was der Kiinstler sieht, sondem was er denkt. Modeme Medien, vor allem das Femsehen, erlauben je nach kulturellem Hintergmnd unterschiedliche Anblicke von nackten Korpem. Sexualitat ist eines der Themen von gesellschaftlichem Tabu und Zensur. Der mannliche Blick auf den weiblichen Korper wird bisweilen verbramt durch Dokumentarisches. Unter der Genrezuweisung der Information prasentieren die Produzenten nackte Haut. Berichte iiber das so genannte Nachtleben oder Produktionsberichte zu Pomofilmen und iiber deren prominente Figuren stehen dafiir. Ein scheinbar sachlich-berichtender Kommentar ist iiber
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mehr oder minder pomographisches Bildmaterial gelegt. Zu erfahren gibt es wenig. Das gesamte Genre ist ein Beispiel fur die Ton-Bild-Schere mit visueller Dominanz. Die so genannten Aufklamngsfilme der 1970er Jahre konnen kaum Aufklarung bieten. Darum ging es auch nicht. In der Tradition der Filme wie „Schulmddchen-Report oder .flausfrauen-Reporf' stehen Femsehsendungen wie „Wa(h)re Liebe'\ „Explosiv-Weekend'' oder ,JLiebe Siinde''. Auch fiktionale Settings lassen mitunter liisteme Einblicke erwarten. In der TV-Serie ^^aywatch'' (Slangausdruck „Babe Watch") miissen trainierte Retter und gut gebaute Retterinnen in knapper Bekleidung nicht minder knackige Korper aus dem Wasser holen und bei Bedarf wiederbeleben. Und das alles vor den Blicken der (mannlichen) Zuschauer. Wenn man also die evolutionspsychologischen Grundlagen der Partnerwahl auf die Medienwahmehmung iibertragt, sind geschlechtsspezifische Unterschiede zu erwarten: Manner reagieren eher auf visuelle und akustische Signale, die Sex implizieren. Frauen sind eher interessiert am Ruf und Ansehen des potenziellen Partners und den Anzeichen fur zukiinfliges Verhalten auf Treue und elterliche Investition. Messbar sind die Unterschiede in der Medienzuwendung (z. B. durch Einschaltquoten oder Verkaufszahlen) der beiden Geschlechter in Abhangigkeit von Medienangeboten, die auf Grund entsprechender Inhaltsanalyse sortiert werden. Elterliche Fiirsorge „Michael Jackson singt fiir Kosovo-Kinder - die Bilder brechen ihm das Herz" {,^risant'\ 13.04.1999)
Investitionen werden nicht nur getatigt in das eigene Uberleben, sondem auch in das Fortkommen der Nachkommen. Das ist der evolutionare Sinn des Lebens. Unterschiedliche Spezies verfolgen dabei unterschiedliche Strategien. Eine Moglichkeit seine Gene weiterzugeben ist die, moglichst viele Nachkommen zu erzeugen um sie danach ihrem Schicksal zu iiberlassen. Aufgrund der groBen Anzahl ist die Chance gut, dass es einige schaffen mogen, das Erwachsenenalter zu erreichen, um ihrerseits Nachkommen in die Welt zu setzen. Wenn es gelingt, die Nachkommen zumindest iiber eine kritische Zeit zu bewachen, ist das sicher ein Vorteil. Den Mehraufwand an Fiirsorge bezahlt man mit einem Weniger an Nachkommen, denn die Kapazitat des Schutzes ist begrenzt. Die Strategic des Menschen liegt darin, relativ wenigen Nachkommen relativ viel Fiirsorge zukommen zu lassen. Da Kleinkinder recht hilflos auf die Welt kommen, brauchen sie die Zuwendung der Eltem. Dass auch Vater daran beteiligt sind, ist im Tierreich keine Selbstverstandlichkeit. Doch da die zukiinftige Mutter seiner Kinder in der Schwangerschaft auf seine Hilfe angewiesen ist, tut er gut daran, im Sinne seiner eigenen Genweitergabe Ressourcen bereitzustellen. Die Uberlebensrate der Kinder von allein stehenden Miittem diirfte in vorhistorischer Zeit wesentlich geringer gewesen sein als heute. Der Emotionspsychologe William McDougall halt den Elteminstinkt - oder Fiirsorgeinstinkt, wie er ihn spater nennt - fur einen angeborenen Verhaltenskomplex. Er halt ihn, einschlieBlich der Neigung, die zugehorige Emotion Zartlichkeit zu erleben, fiir den starksten aller Instinkt. Der Ausloser dafiir ist nicht nur der Anblick seines eigenen Nachwuchs, sondem geht zumindest bei den Menschen weiter. „Der primare Ausloser von Zartlichkeit ist nicht das Kind selbst, sondem dessen Ausdmck von Schmerz, Furcht und Leid jeder Art, insbesondere das Weinen des Kindes bei Leid ... Diese in-
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stinktive Reaktion [wird] nicht nur durch das Weinen des eigenen Nachwuchses, sondem durch das eines jeden Kindes ausgelost." (McDougall, hier zitiert nach: Meyer, Schiitzewohl & Reisenzein 1997, S.l 18.) Als Handlungsimpuls des Elteminstinkts lassen sich Handlungen wie Emahren, Schiitzen und Umsorgen nennen. Wenn diese Thesen richtig sind, lassen sich auch gewisse Medienereignisse erklaren, die Kinder als Opfer zeigen. Die Berichterstattimg iiber den Vietnamkrieg zeigte die Opfer amerikanischer Kriegsfuhrimg. Das Leid der Kinder, die Napalmangriffe schwer verletzt iiberlebten, wurde mit den Verursachem der Qual in Zusammenhang gebracht. Ein solcher Krieg kann nicht viel Unterstutzung erhalten. Bei der Berichterstattimg uber den Kosovo-Konflikt wurden ebenfalls Not leidende Kinder gezeigt, die Verursacher dieses Elends waren die Kriegsgegner, eine Tatsache, auf die hinzuweisen bei keinem Bericht vergessen wurde. Diese Darstellung lasst sich erst nutzen zur Rechtfertigung von Bombeneinsatzen, dann fiir Spendenaufrufe. Spenden vermitteln das Gefuhl, Hilfe geleistet zu haben. Hilfeleistung ist sicher eine allgemeine menschliche Eigenschaft, die sich nicht nur auf Kinder beschrankt. Mitleid wird jedoch intensiver empfunden, wenn Kinder betroffen sind. Nicht nur Kriegsberichterstattung macht sich dies zu Nutze. So genannte CharitySendungen, die zum Spenden aufrufen, sind dann erfolgreich, wenn sie leidende Kinder zeigen und wenn es darum geht, Kindem in Not zu helfen. Normalerweise ist der Instinkt bei Mannem und Frauen unterschiedlich ausgepragt. Das gilt iibrigens fur viele EmotionsauBerungen und die Fahigkeit, diese zu deuten. Frauen haben ein feineres Gespiir, Emotionen bei anderen zu erkennen. Ein Grund dafiir liegt gewiss in den besonderen Aufgaben der Versorgung von Kleinkindem, die zur verbalen AuBerung ihrer Bediirfiiisse noch nicht in der Lage sind. Trauer um Kinder Wenn die spieltheoretischen Deutungen der Sozialbiologie richtig sind, ist ein Unterschied in den Auspragungen der Trauer zu erwarten. Trauer reflektiert die Anstrengungen der Investition und des zu erwartenden Ertrages in Form von Nachkommen. Zu erwarten ist, dass elterliche Zuneigung und Liebe zunehmen bis etwa zum Anfang der Adoleszenz. Bei Kleinkindem war die Investition noch nicht so hoch, so dass sie auch unter Umstanden wiederholbar ware, bei alteren Kindem lasst das Reproduktionspotenzial bereits wieder nach. Es ist auch einleuchtend, dass die Trauer vom Alter der Eltem abhangt. Wenn sie jung sind, ist die Aussicht nach mehr Nachwuchs gut, mit zunehmendem Alter lasst sie aber deutlich nach. Die Trauer bei einem Verlust ist entsprechend groB. (Wright, 1996,283) Dass man iiber altere Kinder mehr trauert, heiBt natiirlich nicht, dass ein Vater oder eine Mutter einen Saugling eher im Stich lasst als dessen groBe Schwester oder Bmder. Zum einen lost das Kindchenschema eine Hilfetatigkeit aus, zum anderen sind die alteren Geschwister einfach in der Lage, sich in gewissem MaBe selbst zu retten. „Bisher sprechen alle Anzeichen dafiir, dass Kummer und Gram auBerordentlich genau mit der Erwartungen der darwinistischen Theorie iibereinstimmen. Im Rahmen einer 1989 in Kanada durchgefuhrten Untersuchung wurden Erwachsene aufgefordert, sich den Tod von Kindem verschiedenen Alters vorzustellen und anzugeben, welche Todesfalle nach ihrer Einschatzung fiir die Eltem emotional den groBten Verlust bedeuten wurden. Die graphische Darstellung des Befragungsergebnisses zeigte, dass Kummer und Gram bis kurz vor der Adoleszenz anstiegen und dann abzunehmen
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begannen. Beim Vergleich dieser Kurve mit einer anderen, die (auf Grund von den in Kanada erhobenen Daten) den Wandel des Reproduktionspotenzials im Lebenszyklus wiedergab, zeigte sich eine weitgehende Ubereinstimmung. Aber noch viel groBere, ja fast voUstandige Ubereinstimmung erreichte die Kummer-imd-Gram-Kurve in der modemen Industriegesellschaft Kanadas und der Reproduktionspotenzial-Kurve der Menschen der !Kung, eines Jager-und-Sammler-Volkes im siidlichen Afrika. Mit anderen Worten: Bezogen auf die demographischen Gegebenheiten der Ur-Umwelt, wies die Variation der Trauerreaktionen fast exakt die von der darwinistischen Theorie prognostizierte GesetzmaBigkeit auf" (Wright, 1996, 284) Sicher liegt eine offenkundige Tragik im Tod eines Kindes, ist diesem doch per se keine Mitverantwortung zuzuschreiben. Zu betrachten ist die mediale Verarbeitung des Kindes als Opfer von Verbrechem und Psychopathen. Zu diesem Thema gibt es nicht viele Filme. Dabei ist Mord und Totschlag nicht nur das Salz in der Suppe des Kriminalfilmes, sondem die Suppe selbst. Ein Krimi ohne Mord ist eher die Ausnahme. Filme mit Kindem als Opfer von Verbrechen war selten ein fmanzieller Erfolg beschieden. Das Thema scheint zumindest fiir den Spielfilm schwierig. Anders in den Medien, die vorgeben, aktuell die Wirklichkeit abzubilden. Da werden Falle von Kindsmorden spektakular vermarktet. Eine typische Einstellung in einem Boulevard-Magazin sind Eltem (manchmal auch GroBeltem oder andere nahe Verwandte), die in ein Fotoalbum weinen oder Blumen an ein Grab bringen, leere Kinderzimmer. Fotos und Graber stehen fur Erinnerung, Tranen fiir virulente Trauer. All dies wirkt als Auslosemechanismus fiir eigene Empfindungen. Die Boulevardpresse - und nicht nur die - schlachtet die Falle aus. Uber Kindermorder wird berichtet. Tater, Opfer und Strafv^erfolger werden ausfuhrlich gecovert. Da die Bedrohung von Kindem die angeborenen Beschiitzerinstinkte weckt, ist die Neugierde iiber diese Gefahr nur verstandlich. Kinder als Opfer sind in den USamerikanischen Lokal-Nachrichten ein fester Bestandteil der Berichterstattung: das Kind, das in New York von seinen Eltem zu Tode misshandelt wurde, das Kind, das im Auto eingesperrt erstickte, das Kind, das in den Bmnnen fiel, die Kinder, die im Klassenzimmer von einem Amoklaufer erschossen werden; alles wird berichtet von der Aufdeckung der Tat, mit Bildem vom Ort des Geschehens, Interviews mit Nachbam, die nichts bemerkten, Kindem, die beobachteten, Lehrem, die fassungslos sind, bis zu Provinz-Politikem, die dubiose Konsequenzen fordem. Die fiktionalen Aufbereitungen dieses Themas (das bekannteste Beispiel: ,M-eine Stadt sucht einen Morder"" Lang, D 1931) waren in aller Kegel vom Publikum nicht geschatzt. Der Unterschied zwischen dokumentarischer Behandlung und fiktionaler ist klein, aber wesentlich: Im Realfall geht es die Pravention vor Gefahr, im fiktionalen Fall geht es um das emotionale Nachempfmden. Doch das Sichhineinversetzen scheint bei Kindermordem nicht zu klappen. Das Theory-of-Mind-Modul spent sich. Die meisten Menschen konnen sich nicht vorstellen, welche Vorstellungen Sexualtater haben konnten. Eine Identifikation im Sinne eines Nachvollziehens von Handlung und Motivation scheint ausgeschlossen. Eine mogliche Erklamng far die unterschiedliche Rezeption des gleichen Motivs in Kino und Femsehen mag in der Tatsache begriindet sein, dass das Femsehen die Opfer-Perspektive einnimmt. Es berichtet iiber den Skandal des Todes. Die filmische fiktionale Aufbereitung hat jedoch eher den Tater im Blickfeld. Bei Kindermord ist die
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Ubemahme der Opferperspektive offenbar einfacher iind der Widerstand der Imagination geringer. Das ist ein seltsamer Widerspruch: Die Realitat wird ausgeschlachtet und vermarktet, die Fiktion erweist sich als Flop. Ein Beispiel ist der Fall Weimar, der hier zu Lande Boulevard-Reporter lange Zeit in Trab hielt. Es ging um eine Krankenschwester, die der Ermordimg ihrer beiden Kinder beschuldigt und nach einem Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Gleich zwei Filme wurden dariiber gedreht, doch beidefielenbeim Kinopublikum durch. Was ist das Besondere und AuBergewohnliche an einem Kindermord? Was ist der Skandal? Man kann einmal versuchen, eine Skala fiir den Mord zu entwickeln. An der imtersten Stelle steht das Duell. Typisch der Showdown im Western. Die potenziellen Morder stehen sich gegeniiber, Auge in Auge, wer von hinten schieBt, ist ein Feigling und hat in der Gesellschaft der Westem-Helden versagt, wer schneller zieht, hat gewonnen, ganz fair. Die Chancen sind gleich verteilt, das heiBt, oft ist der Held sogar benachteiligt. Noch weiB niemand, wer von den Kontrahenten zum Morder wird. Das heiBt, Mord wird in dieser Konstellation zur Notwehr. Die nachste Stufe: Dann gibt es die vielen Morde, die dazu dienen, sich auf die eine oder andere Art zu bereichem. Die Kriminalliteratur ist voll davon. Der Mord dient dem Erreichen eines Zieles. Das sind Geld, Gold, Schmuck, Erbschaft, Versicherungspramien. Es geht um Ehefrauen und um -manner. Es geht um Ziele, die keinem fremd sind. Die Morder sind Menschen, die eigentlich menschliches wollen, nur in der Konsequenz und in der Skrupellosigkeit unterscheiden sie sich vom durchschnittlichen Menschen. Sehr oft haben es die Opfer auch irgendwie verdient, sie werden dargestellt als tyrannische Ehemanner oder geizige Geschaftemacher. Sie sind selbst potenzielle Tater. Der Morder kommt ihnen gelegentlich einfach zuvor. So trifft die Opfer nicht selten eine gewisse Mitschuld. Doch all dies trifft bei Kindem als Opfer nicht zu. Und das macht den Kindermord zu einer eigenen Stufe in der Hierarchic der Morde. Kinder sind unschuldig, per Definition zur Schuld nicht fahig. Gleichzeitig sind sie wehrlos, per Definition ist das Gleichgewicht zwischen Tater und Opfer gestort. Im Kampf zwischen Kind und Erwachsenem ist das Kind immer der Schwachere und damit unterlegen. Das ist der Skandal. Diese Konstellation trifft auf alle Filme dieses Subgenres zu, manchmal weniger deutlich, meistens mehr. Was auf alle Filme zutrifft ist, dass es nur wenige Charaktermerkmale fiir die Kindermorder gibt. Tatsachlich sind es nur drei Kategorien von Mordem. Kalt, skrupellos und etwas unmenschlich sind alle. Da sind zum einen die, die hinter den Kindem her sind, weil diese zu viel wissen. Das Kind hat ein Verbrechen beobachtet und muss als Zeuge verschwinden oder die Kinder wissen, wo etwas versteckt ist, was dem Verbrecher von Interesse ist. Dann gibt es den Typ des Entfiihrers. Das Kind ist nur Mittel zum Zweck. SchlieBlich gibt es den Psychopathen, der nicht mordet, um ein Ziel zu erreichen, sondem weil er von seiner kranken Psyche getrieben wird. Das Trivialkino ist eine moralische Anstalt. Man kann sich mit dem Bosewicht identifizieren, um ihn mit dem Guten zu besiegen. Das Gute allein ist namlich zu Konflikten nicht fahig. Erst das Bose bringt Spannung in die Sache. Diese Art von Personlichkeitsspaltung geht im Kinoganger oder Femsehzuschauer vonstatten und sie scheint zu fimktionieren bei ,J)raculd\ ,J^rankenstein'\ bei den Gangstem und bei anderen Sciencefiction- oder Gruselgestalten. Doch mit den Kindermordem klappt es nicht. Geht es bei den Bosewichten um die rigorose und hemmungslose Befriedigung
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ihrer Bediirfhisse, so scheint dem Kindermord kein Bedurfhis zu entsprechen. Es widerspricht geradezu den Instinkten. Kinder, besonders Kleinkinder, erwecken wohl eher einen Beschutzerinstinkt und dem zuwiderzuhandeln ist widematiirlich. Dracula und andere Gruselmonster haben etwas Menschliches, Mitleiderregendes. Frankensteins Monster mochte doch auch nur geliebt werden. Der Kindermorder hat nichts Liebenswertes. Kommunikation mit Tieren und Kindern Manner, die suggerieren, dass sie Elteminvestment zeigen, sind fiir Frauen attraktiv, die einen zukunftigen Vater fiir gemeinsame Kinder suchen. Manner, die Interesse an Partnerschaft haben und attraktiv wirken wollen, tun gut daran, dies unter Beweis zu stellen. KinderHebe zeigt man auch dadurch, dass man Tieriiebe prasentiert. 21,5 MilUonen Haustiere leben in deutschen Haushalten, Zierfische nicht mitgerechnet. Die Ausgaben fiir Fertignahung und sonstigem Bedarf lieBen sich im Jahre 2000 mit 2,8 Milliarden Euro beziffem. Der Aufwand dient ahnlich wie bei Medien einer Form von Kommunikation mit Attrappen, einer Kommunikation, mit der viele Tierbesitzer diesen Lebewesen begegnen: Sie werden gestreicheh, gefuttert und man spricht mit Tieren, obwohl diese es nachweishch nur sehr reduziert verstehen. Die Art der Kommunikation mit Tieren hat ihre Urspriinge in der Art der Kommunikation mit Kleinkindem, richtet sich hier aber an Wesen, die einige Merkmale mit jungen Menschen teilen. Die Kommunikation mit Kleinkindem ist reduziert auf den mimischen, gestischen, taktilen, stimmlichen, aber nicht verbalen Emotionsausdnick. Bei der Betrachtung der Stimme als Trager von Emotion wurde bereits darauf hingewiesen, dass Erwachsene stimmlich anders mit Kleinkindem sprechen als mit Erwachsenen. Die zentralen Erkenntnisse seien hier wiederholt: Nicht nur Eltem, sondem fast alle Erwachsenen, die sich mit Kindem unterhalten, sprechen langsamer und mit hoherer Stimme, die zudem weicher und iibertrieben in der Intonation ist. Um Kinder zu loben, benutzen Mutter iiblicherweise einen groBen Frequenzumfang mit ansteigenden und fallenden Tonmustem. Um Kleinkinder zu bemhigen, hort man bei Miittem lange, sanfte, fallende Legato-Klangmuster im Gegensatz zu kurzen, scharf intonierten Mustem, wenn sie wamen oder ihnen etwas am Verhalten der Kinder missfallt (Femald, in: Barkow Cosmides&Tooby 1992). Bislang wurde die Meinung vertreten, diese besondere Art zu sprechen diene dazu, dem linguistisch ungebildeten Kind das Sprechen beizubringen. Dagegen spricht, dass eine in der Intonation iibertriebene und grammatisch reduzierte Sprache kaum als Muster dienen kann, einen ausgefeilten Sprachgebrauch zu erlemen. Vielmehr lasst sich zeigen, dass diese Art von vorsprachlichen AuBemngen auch bei Kleinkindem benutzt wird, die weder die semantische noch die syntaktische Information verstehen, und dass auf der anderen Seite diese AuBemngen auch von Kleinkindem verstanden werden und damit eine vorsprachliche Kommunikation zwischen Erwachsenen und Kindem darstellen (Femald, in: Barkow Cosmides & Tooby 1992, 402). In einem fiinfstufigen Modell kann man die Entwicklung von der vorsprachlichen zur sprachlichen Kommunikation darstellen: 1. Stufe: Von Geburt an konnen Kleinkinder unterschiedlich auf bestimmte prosodische Charakteristiken der Kindsprache reagieren. Miitterliche LautauBemngen funktio-
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nieren als unkonditionierte Stimuli beim Aufmerksammachen, Beruhigen, Erfreuen und Wamen. 2. Stufe: Stimmmelodien gewinnen zunehmend an Effektivitat, die Aufinerksamkeit des Kleinkindes zu erlangen und seine Emotion zu verandem. 3. Stufe: Vokaler Ausdruck und Mimik erlauben dem Kind einen ersten Einblick in die Gefiihle und Intentionen von anderen. In diesem Stadium gibt es fiir das Kleinkind erste Konstanzen im Zusammenhang von affektivem Kontext und der Belegung eines Klanges mit Bedeutung. 4. Stufe: Die prosodische Markierung von Wortem hiift den Kindem, innerhalb eines Redeflusses linguistische Einheiten zu entdecken. Einzelne Worter tauchen aus der Melodie auf 5. Stufe: Entwickeltes Sprachverstandnis und Nachlassen der kindgerichteten Sprachhaltung der Erwachsenen. Die Entwicklung ist so ausfiihrlich dargestellt, weil die ersten Stufen auch in der Kommunikation mit Haustieren eine Rolle spielen. Wenn man so manchem Hundebesitzer zuhort, wie er die Stimme hebt, umfreundlichzu sein, kurze StakkatoBefehle gibt, wenn ihm etwas nicht passt, und sogar die Grammatik reduziert, obwohl der Hund nachweislich nicht sprechen lemen wird. Vor allem Hunde scheinen pradestiniert fur eine kindgerichtete Sprachhaltung. Hunde, deren Vorlaufer aus sozialen Rudeltieren stammen, sind zuganglich fiir stinmiliche EmotionsauBerungen. Menschen schatzen ihre scheinbare direkte, ehrliche Art. Sie scheinen treu und dankbar, sie scheinen auf menschliche Emotionen adaquat zu reagieren, Verstandnis zu zeigen fiir Trauer oder Freude. In Tierfilmen und -serien wird vor allem der kommunikative Charakter der Tiere betont: ,JLassie'\ ,J^lipper'\ „Skippy" und „Mr. Ed" konnen nicht nur Befehle, Gefiihlsregungen und sogar Fragen verstehen, sie konnten sich ebenso komplex durch Bellen, Schnattem oder gar durch menschliches Sprechen verstandlich machen. Der besondere kommunikative Vorteil liegt daran, dass Tiere anscheinend Sprache verstehen, dennoch wird es niemals Streit geben, wenn man mit ihnen spricht. Daneben ist es das Kindchenschema, dem viele Tiere, auch Hunde, entsprechen: Es sind kleine Tiere, auf die man herabblickt und zu denen man sich niederbeugt, sie haben im Vergleich zum Korper kurze GliedmaBen, groBe Augen, runde Gesichtsformen. Je nach Art und Ziichtung sind diese Merkmale unterschiedlich ausgepragt, so dass auch noch weitere Eigenschaften eine Rolle spielen. Neben den genannten Kennzeichen der stimmlichen Kommunikation ist die taktile Zuwendung von einer gewissen Bedeutung. Diese dient ebenfalls der Ubermittlung und dem Empfang von emotionalen Zustanden, wobei auch Menschen die emotionalen Ausdrucksformen der Hunde lemen konnen: unterwiirfiges Ducken, freundliches Lecken zur BegriiBung, Schwanzwedeln um Freude zu zeigen. Wie das Kindchenschema beim Menschen Brutpflegereaktionen auslost, wird im Angesicht von Tieren diese Funktion aktiviert: Sie brauchen Schutz und losen Verantwortungsgefiihle aus. Was bieten Tiere in einer Stadtwohnung auBer ihrer emotionalen Zuwendung und ihrer Herzigkeit im Ausgleich fiir fmanzielle Aufwendungen, Dosen offnen und Kot beseitigen? Moglicherweise kann man gerade bei der Betrachtung unterschiedlicher Hunderassen unterschiedliche Aufgaben betrachten, die Hunde erfiillen konnen. Neben den Kindchenschema-Ziichtungen gibt es noch den Hund als Waffe, als Prestige-Objekt
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und als Objekt der Macht. Durch den unbedingten Gehorsam, den Hunde seit ihrer Rudelzeit gewohnt sind, zeigen sie strikte Unterwurfigkeit. Das steigert das Selbstwertgefiihl des Besitzers. In Film und Femsehen werden weitere Tiere prasentiert, jeweils auf Grund spezifischer Auslosemechanismen. Gemeinsam ist alien, dass es um die Erzeugung von Sympathie geht: • Delfine haben eine Schnauzenform, die aussieht wie ein pennanentes Lacheln, sie wirken damitfreundlich{.JFlipper"). • Schweine haben unter anderem die gleiche (kaukasische) Hautfarbe (,JEin Schweinchen namens Babe" Noonan, USA 1995). • Das Gesicht von Katzen entspricht sehr stark dem Kindchen-Schema, zudem haben sie ein warmes Fell und sind ahnlich wie Hunde der Zuwendung des Menschen ausgeliefert. Ohne ihre Hilfe wiirden sie in der Gefangenschaft der Wohnung verhungem. Auch dass Tiere Schmutz machen, gehort zu dem, was sie mit Kleinkindem verbindet. • Vogel scheinen durch ihren fur menschliche Ohren melodischen Klang ihrer Stimme zu singen. Manche Arten, wie die in der Wildnis in kommunikativen Gruppen lebenden Papageien, konnen sogar menschliche Worter imitieren. Sie erfreuen sich besonderer Beliebtheit. • Charaktereigenschaften von Menschen werden auf Tiere iibertragen. Begriffe wie Freundschaft, Zuneigung, Kommunikation und Verstandnis, das Tier als treuer Gefahrte, Familienmitglied und Heifer werden auf Haustiere projiziert {,JLassie", „Kommissar Rex"), auch auf so auBergewohnliche wie Raben, Affen oder Ratten („5eAi" Karlson, USA 1972). • Pferde, fiir die offensichtlich hauptsachlich Frauen Interesse zeigen (Interesse am Pferdesport zeigen zu 80 % Madchen), brauchen zum einen groBe Fiirsorge und stellen gleichzeitig starke Gefahrten dar („Fwry", „ Black Beauty" oder Rosinante in ,J)on Quixote''' oder Jolly Jumper in ,J.ucky Luke''). Auch in dokumentarischen Tiersendungen gehort die Brutpflege zu den zentralen Themen. Zudem werden auch diese Tiere mit vermenschlichten Eigenschaften belegt: „Dem jungen Adler wird es zusehends langweilig im Nest. Jeden Tag untemimmt er weitere Ausfliige." Langeweile und Ausfliige machen werden normalerweise nur Menschen zugesprochen. Uberpriifen lasst sich die Hypothese von der Verwechslung zwischen Kleinkindem und manchen Tieren durch entsprechende Inhaltsanalysen. Mit dieser Methode konnen ebenso Hypothesen iiber die Rolle der Kinder in fiktionalen und nichtfiktionalen Programmen getestet werden. Medial prasentiert werden vergleichbare Sendungen. So gibt es eine Dokusoap, die eine Erziehungshelferin bei der Arbeit in Familien zeigt (^Super-Nanny") und analog eine Sendung, die Ratschlage bei der Hundehaltung gibt. Sport als Wettbewerb „Manner denkt daran, dass ihr nicht nur den deutschen FuBball, sondem auch unser Land - innerhalb und auBerhalb des Spielfeldes - ehrenvoU vertretet!" (Sepp Herberger)
Sucht man Beispiele ftir das, was man unter der Kategorie „Wettbewerb" fassen kann, findet man vielfaltige Auspragungen: singen, buchstabieren, vorlesen, schauspielen
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(„and the Oscar goes to...")» Filme machen, musizieren, Schonheit, auf einem Pfahl sitzen ohne runter zu fallen, Schach spielen, kochen, an einem Tau ziehen, laufen unter verschiedenen Bedingungen und iiber unterschiedliche Distanzen, wissen von nutzlosen Fakten, heben von Gewichten, werfen, kimstvoll auf Eis laufen, tanzen, synchron schwimmen und -springen, Gedichte oder Geschichten schreiben, arbeiten (Held der Arbeit) oder schnelles Autofahren. Selbst die Statistik der Medaillenansammlungen der Nationen wahrend Olympischer Spiele ist wichtiges VergleichsmaB. Das Guinness-Buch der Rekorde bietet Exempel mehr oder minder absurder Leistungsvergleiche. Sport ist nur eine Unterkategorie. Ob man Catchen (Wrestling) zu Sport oder zum Zirkus und damit zur asthetischen Prasentation zahlt, bleibt dem Geschmack iiberlassen. Immerhin geht es auch dabei vordergriindig um Sieger und Verlierer. Schulnoten scheinen auf den ersten Blick auch die Kriterien des definierten Leistungsvergleiches zu entsprechen. Dabei ist die Vergabe von Schulnoten ein MaB fur die eigene Leistung. Erst in der Gegeniiberstellung mit anderen bekommt die Bewertung eine wettstreiterische Komponente. Auch eine demokratische Wahl ist ein Verfahren, einen Wettstreit zwischen Kontrahenten zu entscheiden. Es mag provokant sein, den Prozess einer Regierungsfindung in einem Atemzug mit FuBball, Eiskunstlauf oder einer Gameshow aufzuzahlen. Gemeinsam ist all diesen Ereignissen, dass es um das Aushandeln einer Hierarchic geht. Dies setzt ein Verstandnis voraus, unter welchen akzeptierten Bedingungen das Aushandeln funktioniert, was VerstoBe sind, wie diese zu ahnden sind, welche Leistungen mit welchen MaBstaben gemessen werden. Die Ergebnisse miissen irgendwie quantifizierbar sein und konnen somit in eine Reihenfolge gebracht werden. Ob ausgezahlte Stimmen (wie bei Wahlen), vergebene Punkte, Geschwindigkeit, Distanz oder was auch immer, es geht um eine fiir Gewinner und Verlierer nachvollziehbare und akzeptierbare Hierarchisierung. Kommentkampfe sind billiger als Kampfe auf Leben und Tod. Wettbewerbe wie sportliche Auseinandersetzungen haben vieles mit dieser Art der innerartlichen Auseinandersetzung gemeinsam. Mehr noch, man kann die Auffassung vertreten, dass sportliche Kampfe mit ihren festen Regeln Kommentkampfe der Spezies Mensch sind. Durch Verhaltensweisen, die von den Gegnem in gewissem Rahmen vorhersehbar sind, wird die Veranstaltung auch als Ritual erlebbar. Eine Niederlage ist somit nicht das Ende, sondem nur eine temporare Angelegenheit. Es besteht meist die Chance zum Riickspiel oder die Hoffhung auf die nachste Wahl. SchlieBlich sind Sportveranstaltungen genau wie auch Konzerte, Gameshows und sonstige Darbietungen von besonderen Fahigkeiten und Eigenschaften zunachst einmal Leistungsdarbietungen und unterliegen somit der asthetischen Begutachtung (Vgl. Thomhill, in: Crawford & Krebs 1998, 566). „Schon" und „gut" sind darum im Laufe solcher Ereignisse haufig gehorte Beurteilungen. Sie beziehen sich auf koordinierte Aktionen, geschickte Bewegungen oder einfach auf die Flugbahn eines Balls. Die emotionslose und distanzierte Leistungsbegutachtung ist fur die meisten Sportveranstaltungen jedoch ganz und gar untypisch. Sport ist Leistungsvergleich unter (meist gleichgeschlechtlichen) Einzel- oder Gruppenspielem. Prinzipiell geht es um Wettbewerbe unter definierten Bedingungen. Es geht um das Ermitteln von Hierarchic und Rangfolge. Neben den sportlichen Vergleichen scheint es Sportarten zu geben, die von dieser Art der Motivation nicht getrieben sind. Breitensport wie Jogging scheint frei davon zu
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sein. Dennoch ist auch hier eine kommunikative Komponente sichtbar: Man zeigt, dass man fit ist. Fitness ist aktiv. Dann gibt es eine Reihe von so genannten Extremsportarten, die wenig mit korperlicher Fitness, aber viel mit Mut zu tun haben. Wildwasser-Rafting, Fallschiraispringen und Bungeejumping gehoren dazu. Berichte iiber Unfalle steigem die Attraktivitat noch. Mut ist eine attraktive Eigenschaft. Man grenzt sich ab gegen Feiglinge. Fur die mediale Prasentation sind diese Sportarten wenig geeignet. Menschen, die Mut zeigen, finden sich viel eher in fiktionalen Zusammenhangen. Da konnen sich Abenteurer beweisen. Nicht jeder findet extreme Formen von Mutproben reizvoll. Gerade beirisikoreichemVerhalten ist eine groBe Varianz zu finden. Doch Varianz ist notig in kollektiven Gesellschaften, denn der Erfolg, dass ein hoher Einsatz zu einem Gewinn fiihren kann, ist groBer als das Risiko des Einzelnen. Es geht beim Sport darum, Fitness unter Beweis zu stellen. Ein Versuch, der 1983 durchgefuhrt wurde, liefert ein anschauliches Beispiel. Untersucht wurde die Schnelligkeit von Daueriaufem in einem 90 yd. Intervall auf einem FuBweg an der University of California in Santa Barbara: „Die Probanden wussten nicht, dass sie an einem Experiment teilnahmen. Die ersten 45 yd. liefen alle Laufer alleine. Ein Teil der Probanden lief auch die nachsten 45 yd. alleine. Bei einem anderen (zufallig ausgewahlten) Teil der Probanden saB eine weibliche Person (eine Verbiindete der Versuchsleiter) am Rand der Strecke (am 45 yd.-Punkt) und schaute den Laufem zu. In der letzten Bedingung steigerten die Laufer signifikant ihre Geschwindigkeit in den zweiten 45 yd. im Vergleich zur ersten Streckenhalfte, nicht aber in der ersten Bedingung. Insgesamt zeigen sich also bei Aufgaben, die im Wesentlichen durch Kraft- oder Ausdauerkomponenten zu bewaltigen sind, Leistungssteigerungen bei der Anwesenheit von Zuschauem." (StrauB 1999a und 1999b) Sport ist - wie beschrieben - der Leistungsvergleich unter definierten Bedingungen, denn der Vergleich setzt Vergleichbares voraus. Diese Bedingungen betreffen Spielregeln und Sportstatten. Die meisten Sportarten - besonders die mit Korpereinsatz - lassen nur den Vergleich gleichgeschlechtlicher Spieler zu. Ausnahmen sind das Mixed Doppel beim Tennis, das jeweils eine Spielerin und einen Spieler auf dem Platz erlaubt, jedoch nur Autofahrerinnen und Amazonen der Pferdesportarten treten gleichberechtigt gegen Manner an. Dort, wo Manner und Frauen gemeinsam antreten, wie im Marathonlauf, werden die Leistungen getrennt gemessen. Sport lasst entweder Einzelspieler antreten oder kooperierende Teams. Zusammenarbeit gibt es nicht nur in typischen Mannschaftssportarten wie bei Ballspielen, wo es darum geht, anzugreifen und zu verteidigen, sondem auch bei Sportarten wie Marathonlauf und StraBenradrennen. Hier gibt es Heifer, die Tempo machen, Windschutz bieten oder Verpflegung holen. Bei einigen Sportarten treten die Kontrahenten direkt gegeneinander an, in anderen nacheinander. Verglichen werden dann Geschwindigkeit, Weite oder Hohe. Bisweilen entscheiden Kampfiichter auch iiber Asthetik und Treffer. Sport ist damit ein Mittel zum Aushandeln von Hierarchic und Status. Bei Sport geht es um Sieger. Dabeisein ist nur fiir die alles, die keine Spitzenleistungen bringen konnen. Zeugen dieser Auseinandersetzung zu sein, ist sicher von Vorteil. Das entspricht einer interessierten, aber distanzierten Beobachterposition. Es ist eine asthetische Haltung, die bei manchen Sportarten auch Motivation der Zuwendung sein kann: Tanzen, Eiskunstlauf, Synchronschwimmen und Ahnliches. Vor allem Frauen haben
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Interesse an diesen Leistungsdarbietungen. Der Sieger stellt seine Fitness unter Beweis, er ist attraktiv. Gameshows, in denen imverblumt Manner gegeneinander antreten, um die Gunst einer Frau zu erlangen (oder vice versa), zeigen diese Funktion des Leistungsvergleiches. Durch schlaue und witzige Spriiche gilt es in Sendimgen wie .Jierzblatt die Mitkonkurrenten auszustechen. Die Frau und eine Reise mit ihr erwarten den Sieger. So direkt werden Sieger selten belohnt. Es gibt darum gewisse Zeichen, die Sieger erkennen lassen. Sie prasentieren sich in Siegerposen mit geschwellter Brust und erhobenen Armen, damit sie weithin sichtbar sind. Der Siegestanz ist eine asthetische Darbietung, die vollfuhrt wird im Moment des Erfolges. Sieger werden geehrt in Ritualen und gefeiert. Reichte fhiher eine Lorbeerkranz, so gibt es heute neben Schiisseln, Pokalen und Medaillen eine ordentliche Pramie. Sieger konnen sich dariiber hinaus vermarkten. Sie bekommen schlieBlich Werbeeinnahmen und Gelder dafur, dass sie iiberhaupt an den Start gehen. Das macht deutlich, wie sich Hierarchic und Status im verbesserten Zugang zu Ressourcen ganz direkt auswirken. Die Ehrung des Siegers ist das offentHche Anerkennen seiner Leistung. Sie ist von nun an Referenzpunkt zukiinftiger Interaktion. Da Hierarchic und Status jedoch nicht nur durch individuelle Kraft und Fitness ausgemacht werden, sondem auch durch Kooperation und AUianz, sollte das Gehim auch auf diese Aufgaben vorbereitet sein. Da es von Vorteil ist, zu einer erfolgreichen Gruppe zu gehoren, sind Mechanismen nicht nur des direkten Eingreifens, sondem auch der emotionalen Unterstiitzung und Beihilfe zu erwarten. Kinobesucher reagieren auf dargestellte Situationen durch emotionale Reaktionen: Erschrecken, Trauer und Schadenfreude etwa zeigen sich in spontanen LautauBerungen. Femsehzuschauer reden auf den Femseher ein. Von der emotional-vorsprachhchen kommt es zur pseudo-verbalen Kommunikation. Einen Effekt auf den Ausgang des Ereignisses hat dieses Verhalten nicht. Es ist nur erklarbar mit dem Attrappencharakter der Medien. Dieser ist so stark, dass es in ko-kommunikativen Situation zu kollektiven GefiihlsauBerungen kommt. Die Rezeption von Live-Ereignissen ist in Anwesenheit von Gleichgesinnten intensiver als die Rezeption alleine. Spontane Gefiihlsausbriiche und die asthetische Diskussion der Leistungen scheinen ein wichtiges Element zu sein fiir dieses Phanomen, das bei keinem anderen TV-Genre in diesem MaBe auftritt. Der Zuschauer erlebt Spannung. Gameshows beruhen auf der Moglichkeit der mentalen Teilnahme. Die Zuschauer haben nicht mehr Informationen als die Kandidaten. Die Dramaturgic verlangt es, dass die Antwort in aller Regel verzogert wird durch die Spielregel. Der Antwortende muss zuvor eine Taste driicken oder eine bestimmte Einleitung geben. In „ Wer wird Milliondr?'' zogert der Moderator die Auflosung der Antwort mitunter hinaus. Der Zuschauer hat die Chance, selbst die Antwort zu suchen und so an dem Spiel virtuell teilzunehmen. Auch die Aussicht auf Gewinn steigert die Spannung. Zum einen bestatigt dies die Theorie, dass es einen Zusammenhang zwischen Spiel und Kriegszug gibt, auf der anderen Seite hat die Aussicht auf groBen Gewinn bei kleinem Risiko ihren eigenen Reiz. Auf beide Aspekte ist noch gesondert einzugehen. Bei Quizshows, die Schul-, Medien-, Kultur- oder Fachwissen abfragen, tritt der Aspekt von Wissen als Macht besonders zu Tage. In einer Gesellschaft ohne Speichermedien ist Wissen von besonderer Bedeutung. Wer viele, auch nebensachliche und scheinbar belanglose Fakten mental parat hat, ist fur eine soziale Gruppe wichtig.
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Achtung, Ehrerbietung und Lohn sind die Konsequenzen, wenn dieses Wissen fur andere hilfreich ist. Ganz explizit geht es also auch bei Quizshows wiederum um Rang und Hierarchie, der sich in Gewinn ausdriickt. Nimmt man die Einschaltquote als Indiz fur die Zuwendung, stehen Sportsendungen an der Spitze der Zuschauergunst: „Die Attraktivitat von TV-Sport ist schier unglaublich. Unter den dreiBig quotenstarksten Sendungen von Februar bis Mai 1999 finden sich 18 FuBballspiele und vier Formel-l-Rennen. AuBer „Wetten, dass ...?" konnten sich lediglich .JDerrick" und ,J)er Alte" in die Athletenphalanx einreihen. In den Sport- und Gottschalk-Club der zweistelligen Millionen-Hits wurden in diesem Jahr 13 Sendungen aufgenommen. Nur eine fiel aus der Reihe: ,JDer Konig von St. PaulV\ 6. Teil." Auch die Gottschalk-Sendung ,,Wetten, dass ...?" kann man getrost als Sportsendung qualifizieren, wenn sie auch noch weitere Genres einschlieBt wie Prominententalk und Musiksendung. Akzeptanzwerte der FuBballspiele im Femsehen (Quelle: GfK, UFA-FuBballposter, Durchschnittswerte, Zuschauer ab 3 Jahre) in der Saison 1997/98, einschlieBlich WM geben weiter Aufschluss iiber Funktionen von Sportiibertragungen: Zuscliauer (in Mio.)
Marktanteil (in %)
Sport-Magazine Das aktuelle Sportstudio (Sa.) ranissimo (So.) Sportschau (So.) ra/iSAT.lFuBball(Fr.) m«SAT.lFuBball(Sa.)
2,85 3,91 3,31 4,36 6,03
13,1 14,2 16,5 20,2 29,1
Nationale Events 2. Bundesliga (29) (Anzahl der ubertragenen Spiele) Liga-Pokal (5) 1. Bundesliga (5) DFB-Pokal (7)
1,04 5,28 9,67 8,06
3,7 21,8 27,9 30,0
Internationale Events Europapokal der Pokalsieger (9) mit deutscher Beteiligung UEFA-Cup (23) Champions League (13) Landerspiele (8) WM-Qualifikation (4) Weltmeisterschaft (56)
5,87 6,30 8,92 9,79 12,46 10,27
21,1 26,2 32,4 39,3 45,0 47,9
Die Tabelle macht es deutlich: Je bedeutender das Ereignis, desto hoher die Marktanteile und zwar genau in der Reihenfolge Weltmeisterschaft, WM-Qualifikationsspiele, Landerspiele, Champions League. Erst danach kommen nationale Wettkampfe. Es geht demnach nicht darum, besondere Leistungen zu sehen von hervorragenden Sportlem und der Kooperation von Teams auf hohem Niveau. Genau genommen geht es darum, die eigene Mannschaft gewinnen zu sehen. Herren-Tennis war hier zu Lande nur fiir weite Zuschauerkreise interessant, solange Boris Becker in der Weltspitze mitspielte. Das Gleiche gait fiir Damen-Tennis und Steffi Graf oder Skispringen und Martin Schmitt Oder Formel 1 und Michael Schumacher. Eine Sportart ist offenbar nur
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dann fiir weite Zuschauerkreise interessant, solange Vertreter der eigenen Gruppe erfolgreich mitmischen. Bin Beleg fur das Interesse sind die Einschaltquoten. Die detaillierten Daten wahrend der FuBballweltmeisterschaft in Frankreich 1998 bestatigen die Hypothesen: „Die Top-Quoten in Sachen FuBball lieferte erwartungsgemaB die FuBball-WM in Frankreich. Die 56 Spiele versammelten durchschnittlich 10,3 Millionen bundesdeutsche Zuschauer vor dem Bildschirm und sie hatten einen Marktanteil von 47,9 %. Die groBte Resonanz fanden die Begegnungen mit deutscher Beteiligung. An der Spitze Deutschland - USA mit 24,4 Millionen Sehem und einem Marktanteil von 70,1 % vor Deutschland - Iran (24,3 Millionen, 74,0 %), Deutschland - Kroatien (23,3 Millionen, 72,0 %), Deutschland - Mexiko (19,5 MiUionen, 83,1 %) und Deutschland - Jugoslawien (17,3 Millionen, 83,5 %). Das Endspiel BrasiUen Frankreich kam dagegen auf ,nur' 24,1 Millionen Zuschauer (Marktanteil: 67,0 %)." Trotz des vorzeitigen Ausscheidens der deutschen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft 2000 konnen die Befunde bestatigt werden. Nur funf Ereignisse schafften es iiber einen Marktanteil von iiber 60 %: Deutschland - Rumanien (15,75 Millionen, 68,5 %), die Verlangerung des Endspiels Frankreich - Italien (20,45 Millionen, 64,2 %, England - Deutschland (17,43 Millionen, 63,9 %), das Elfineter-SchieBen beim Spiel Italien - Niederlande (19,11 Millionen, 63,3 %) und Portugal - Deutschland (16,76 Millionen, 60,3 %). (AGF/GfK, pc#tv, 30.06. - 02.07.2000). Die Befunde konnten bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal bestatigt werden. Auch hier schied das deutsche Team nach den Gruppenspielen aus, dennoch hatte die Ubertragung von deren letzen Spiel einen Marktanteil von 69,3 %, 0,9 % mehr als das Endspiel, das durch Otto Rehagel, dem Trainer der Griechen, gewissermaBen unter deutscher Beteiligung statt fand (Zubayr und Gerhard 2004, 422). Die Zahlen belegen nicht nur die Attraktivitat des Sports an sich, sondem noch etwas anderes: Die Spiele der WM und der EM mit deutscher Beteiligung hatten zum Teil mehr Zuschauer und weitgehend hohere Marktanteile (Anteil der eingeschalteten Gerate auf diesem Programmplatz) als die meisten anderen Spiele inklusive den Endspielen. Zu bedenken bei der Interpretation der absoluten Zahlen ist auch die Sendezeit. So war das Spiel Deutschland - Kroatien an einem Montagnachmittag angesetzt, wahrend das Endspiel zuschauerfreundlicher an einem Sonntag stattfand. Also nicht die Veranstaltung und deren allgemeine Bedeutung - immerhin geht es bei dem Endspiel um die Entscheidung einer bedeutenden Meisterschaft, sondem die Kontrahenten sind entscheidend. Es geht um die Gruppenzugehorigkeit und damit die emotionale Betroffenheit. Sport ist damit nicht nur eine Auseinandersetzung unter Rivalen, sondem eine lokale Auseinandersetzung. Der sportliche Kraftevergleich ist ein ritueller, stellvertretender Kampf zwischen Gmppen. Sieg und Niederlage haben Auswirkungen auf den emotionalen Haushalt der assoziierten (zuschauenden) Gmppenmitglieder. Das emotionale Verhaltnis zwischen Sportier und Sportzuschauer muss in diesem Rahmen naher betrachtet werden. Wenn das Verhalten der Zuschauer adaptiv ist, muss nach dem evolutionaren Vorteil gefragt werden. Was hat der Sportier davon, dass Zuschauer auf ihn reagieren, ihn durch Applaus unterstiitzen oder durch Pfiffe und Rufe aus dem Konzept bringen? Was hat auf der anderen Seite der Zuschauer davon, dass er sich an den Leistungen von fremden Menschen beteiligt und sie emotional zu unterstiitzen versucht? Und schlieBlich, wie sieht eine solche Untersttitzung aus und lasst sich deren Effekt nachweisen?
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Formen emotionaler Unterstiitzung Viele Sportereignisse werden live ubertragen. Der Attrappencharakter kommt trotz des realen Charakters hierbei durch folgende Elemente zum Tragen: Ein Kommentator berichtet. Br hat zum einen die Rolle des Zeugen vor Ort, zum anderen wird ein imierer Monolog vorgefuhrt, der die Gedanken des Betrachters darstellt. Die Kamerafuhrung nutzt Bild- und Blickpunktwechsel wie bei dramatischen Umsetzungen. Man erlebt beide Seiten. Besondere technische Tricks unterstiitzen den handlungshypothetischen Charakter der visuellen Darstellung: Zeitlupe und Wiederholung sind Elemente des Denkens als Probehandlung. Die Konsequenz des Tuns wird unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet und analysiert, nicht zuletzt der Effekt auf die anwesenden Zuschauer. Die Zuschauer, die ein Ereignis live verfolgen, haben einen Aktualitatsvorteil. Sie werden damit zum potenziellen Berichterstatter fiir andere. Sie waren quasi dabei und konnen authentischer berichten. Sie werden auch zu kompetenten Gesprachspartnem bei der Auswertung der Ereignisse. Die Zeugen von bedeutenden Ereignissen haben Imagevorteile. Das Dabeigewesensein macht einen zum Mitglied einer Elite. Gleichzeitig ist man Teil einer imaginaren Masse. Irgendwie weiB man, dass jetzt viele andere auch vor dem Femseher sitzen und mitleiden. Gruppenbildung und Sicherheit in der Gruppe sind vorhistorische Komponenten der menschlichen Psyche. Bereits Darwin erkannte den Vorteil der EmotionsauBerung fur die Kommunikation: „Wir nehmen das Mitgefuhl anderer Personen leicht anhand ihres Ausdruckes wahr; dadurch werden unsere Leiden gemildert und unsere Freuden verstarkt, wodurch das wechselseitige Gefuhl des Wohlwollens gekraftigt wird." (Darwin, hier zitiert nach: Meyer, Schiitzewohl & Reisenzein 1997, 57) Gruppen miissen spezifische Ausdrucksformen entwickeln, um die gemeinsame Stimmung untereinander und moglichen Gegnem zu vermitteln. Komplexe Argumente sind nicht moglich, verbale Mitteilungen nur in gewissem Mafie, namlich in Form von festgelegten Texten und fester Metrik. Gruppen-AuBerungen sind koordiniert, die gelaufigen Formen sind Klatschen, Pfeifen, Rufen, Singen und Tanzen. Eine einzelne Person iibemimmt die Rolle des Anheizers, sie gibt Rhythmen vor, initiiert das „social reinforcement", wobei das Publikum aufgefordert wird zu agieren. Ahnlich wie bei der vorsprachlichen Kommunikation mit Kindem bedeuten hohe Tone Freude und Unterstiitzung, niedere Tone Missfallen. Die Vorgabe von schnellen Rhythmen fordert auf zur Bewegung. Manche Sportier fordem zum Klatschen auf, das ihre Bewegungsdynamik unterstiitzt: Hochsprung, Stabhochsprung und Weitsprung sind Beispiele. Effekte auf den Sportier: der Heimvorteil „Der Applaus wird mir fehlen - der Lohn fur ehrliche Arbeit auf dem Tennisplatz." Steffi Graf bei ihrem Riicktritt vom Tumiertennis
Bleibt die Frage, ob die Untemehmungen der Fans nicht nur einen verspiirten, sondem auch nachweisbaren Erfolg haben. Also ob die Sportier die emotionale Beteiligung empfinden und diese als leistungsmotivierend und -fordemd erleben und schlieBlich, ob diese sich auch in einer nachweisbaren Leistungssteigerung niederschlagt. Methodisch sind die motivationalen Aspekte zu untersuchen, die performativen Effekte zu bewerten und schlieBlich deren Auswirkungen zu betrachten.
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Die subjektive Komponente: die Leistungsmotivation 1897 wurde erstmals ein Experiment iiber den Zusammenhang von psychomotorischer Leistung und sozialer Beeinflussung durchgefiihrt. Dabei „zeigte Norman Triplett, ein Radfahrenthusiast und Sozialwissenschaftler, klare Leistungsunterschiede zwischen Radrennfahrem mit und ohne Schrittmacher und zwischen Personen, die allein, und solchen, die in Wettbewerb zueinander eine Winde betatigen. Triplett testete weiterhin Radrennfahrer iiber eine Sti-ecke von 25 Meilen und stellte dabei fest, dass Radfahrer, die nur gegen die Zeitnahme fuhren, im Durchschnitt um fiinf Sekunden pro Meile langsamer fuhren als diejenigen Radrennfahrer, die sich mit direkten Konkurrenten auf diese Strecke begeben haben." (Neururer 1994, 16f.) Diese offensichtliche Beeinflussung der Leistung kann man noch als spielerisches Aushandeln der Hierarchie erklaren. Etwas komplizierter wird die Erklarung der Wirkung von anwesenden Zuschauem. Im Labor wurde von Murray (1983) eine Versuchsreihe durchgefiihrt, um den Effekt von Anwesenden auf die Durchfuhrung einer motorischen Aufgabe zu kontrollieren. Versuchspersonen soUten auf einer Wippe (einem Stabilometer) die Balance mit einer moglichst geringen Fehlerabweichung von der Horizontalen halten. Gezahlt und ausgewertet wurde die Anzahl der ausgleichenden Bewegungen. Untersucht wurden zwei Gruppen: eine unter der Anwesenheit von Zuschauem und eine, die nicht unter Beobachtung stand. Diese experimentelle Situation fiihrte zu dem recht eindeutigen Ergebnis, dass die motorische Leistung, die den Personen im Ubrigen vorher unbekannt war, durch die bloBe passive Anwesenheit von Publikum deutlich negativ beeintrachtigt wird. Versuchspersonen unter Beobachtung brauchten mehr ausgleichende Bewegungen, um die Balance auf dem Versuchsinstrument zu halten. Eine Interpretation des Ergebnisses konnte in der Tatsache zu sehen sein, dass die Live-Prasentation einer Leistung prinzipiell unangenehm ist, wenn die Situation unbekannt und der Ausgang damit offen ist. Das Risiko der offentlichen Blamage ist sicher Angst auslosend und damit leistungshemmend. Bei dieser Interpretation spielten offenbar der Ruf und das Ansehen eine groBe Rolle. Zwei Elemente dieses Versuches sind in einer nichtexperimentellen Situation unrealistisch: Zum einen wird man sich selten offentlich einer Aufgabe stellen, fiir deren Losung man wenig oder keine Erfahrung hat, und zum anderen reagiert ein Publikum normalerweise auf die dargebrachte Leistung durch Zustimmung oder Ablehnung und verharrt nicht - wie in der Versuchsanordnung - ohne Regung. Einen realitatsnaheren Zugang untemahm Peter Neururer mit seiner Diplomarbeit an der Kolner Sporthochschule. Er befragte FuBballprofis. 76 Bundesligaspieler der beiden hochsten deutschen Spielklassen aus dem Ruhrgebiet wurden intensiv zu leistungssteigemden und leistungshemmenden Einfliissen befragt, die sie der Anwesenheit von Zuschauem zuschrieben. Zunachst die Frage nach der quantitativen Prasenz von Beobachtem: „Wie zu erwarten war, erfahrt der Bundesligaspieler in einem voUen, bzw. fast vollen Stadion durchschnittlich die starkste positive Leistungsbeeinflussung, wogegen ein leeres Stadion ihn im Durchschnitt eher in seiner Leistung hemmt, was moglicherweise damit zu begriinden ist, dass der Spieler mit dem Anblick der anwesenden Zuschauer und der damit verbundenen Stimulanz das Interesse am Spiel und dessen Wertschatzung einstuft und somit eine starkere bzw. schwachere Leistungsmotivation erlebt. Eine starke positive Leistungsbeeinflussung erfahren die Spieler bei der Anwesenheit von Freunden und Bekannten sowie bei der Gegenwart von
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wichtigen Trainem, wie zum Beispiel anderen Bundesligatrainem und Bundestrainem, wogegen die Beeinflussung durch die Presse zwar positiv leistungsfordemd wirkt, im Durchschnitt jedoch schwacher ist als die Leistungsbeeinflussung durch anwesende Freunde und Trainer." (Neururer 1994, 94f.) Damit zeigen die Befragten Sensibilitat fur Anzahl und Qualitat der anwesenden Beobachter. Freunde und Bekannte, von denen sie eine positive Zuwendung erwarten, spielen eine groBe Rolle bei der Motivation. Man kann sich vor Zeugen beweisen. Die Anwesenheit fremder Trainer ist iibrigens weniger motivierend als die von Freunden. Neben der erwarteten Anerkennung fur die erbrachte Leistung hat offenbar die Furcht von kritischer Beobachtung und die Angst vor dem Versagen einen gewissen Einfluss. Bei psychisch labileren FuBballem zeigt sich diese Tendenz starker. „ErwartungsgemaB zeigt sich ein hoher Grad der Leistungsbeeinflussung im leistungsfordemden Sinne, wenn die FuBballspieler sich personlich mit Anfeuerung und Beifall durch die Zuschauer bedacht sehen. Leistungshenunend wirken sich Missfallenskundgebungen gegen die eigene Person aus. Anfeuerungen und Beifall fiir die gesamte eigene Mannschaft wirken, ebenso wie Pfiffe gegen die eigene Mannschaft, eher schwacher leistungsfordemd bzw. leistungshenunend. Als relativ unerheblich ist es im Durchschnitt fiir den einzelnen Spieler, wie sich das Verhalten der Zuschauer gegeniiber der gegnerischen Mannschaft darstellt." (Neururer 1994, 95f.) Dass die akustische Unterstiitzung fur die Mannschaft als Ganzes weniger motivierend ist als das Anfeuem des einzelnen Spielers, verweist auf die eher starke psychische Stabilitat und auf das Selbstbewusstsein des Leistungssportlers. Zudem ist evolutionspsychologisch gesehen - die Anerkennung der eignen Leistung allemal wichtiger als die der ganzen Gruppe. Darum erlebt er es als besonders positiv, wenn sich der Beifall auf ihn direkt bezieht. Besonders negativ werden entsprechend Pfiffe gegen die eigene Person erlebt. In diesem Fall empfindet er Arger und schwache Angst. Auch die Bedeutung des Spieles an sich spielt eine Rolle beim Erleben der Publikumsreaktionen. Neururer kommt zum Schluss: „Augenscheinlich ist eine Beeinflussung durch den Zuschauer nur bei Meisterschafls- oder Pokalspielen moglich." (Neururer 1994, 99) Also immer dann, wenn es fiir den Zuschauer und die Mannschaft um etwas geht, ist die emotionale Bindung zwischen Akteur und Unterstiitzer besonders zu empfmden. Die subjektive Einschatzung ist eine Frage, die der Performanz und des Nachweises eine andere. Es ist also die Frage zu beantworten, ob die empfundene Leistungsmotivation sich in einem veranderten und messbaren Verhalten ausdriickt. Die statistischen Daten zu dieser Fragestellung sind immens. Ausgewertet wurden die Spielergebnisse nicht nur von deutschen, italienischen, englischen und US-amerikanischen FuBball-Ligen, sondem auch die Resultate von Eishockey, Basketball, Football, Baseball und schlieBlich Schach. Die nachweisbare Komponente: das Spielergebnis Niemand wird behaupten, dass der Heimvorteil so groB ist, dass praktisch jedes Heimspiel gewonnen wird. Dann waren entsprechende Sportveranstaltungen reine Prasentationen der Dominanz der Heimmannschaft, die Gegner kommen nur zur Hilfestellung Oder als Sparringspartner - was ftir diese kaum eine Motivation darstellen kann. Natiirlich wird Bayem Miinchen am Ende der Saison mehr Siege verbuchen als viele andere Mannschaften, auch schlechte Mannschaften werden das eine und andere Spiel
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gewinnen. Die statistisch auswertbare Frage ist dabei: Wo werden mehr Siege errungen? Auf heimischem Platz oder auf den Platzen der Gegner? Die Heimdominanz scheint nicht einmal ausschlaggebender Faktor fiir eine Meisterschaft. Unter der Uberschrift „Wodurch die Klubs Meister wurden" untersuchten die Redaktionen von „Sport-Bild" und „ran" die Ergebnisse der ersten FuBballbundesliga seit ihrem Bestehen. Die Ergebnisse zeigen, dass die beste Heimmannschaft nur in 44 % der Falle mit dem jeweiligen Meister identisch war: Wenigste Niederlagen Meiste Siege Beste Hinrunde Wenigste Gegentore Beste Auswartsmannschafl Beste Heimmannschaft Beste Riickrimde Meiste Tore
Anzahl der Falle 31 28 25 23 22 16 16 16
Meisterchance 86% 78% 69% 64% 61% 44% 44% 44%
„Was die Tabelle nicht zeigt: Die Bayem gingen in der letzten Saison auf Nummer sicher: Sie waren in jeder der acht Kategorien bestes Team der Liga." (Sport-Bild und ran 1999, 159) Diese Daten reichen noch nicht aus, um den Einfluss der Zuschauer auf das Ergebnis zu wiirdigen. Die Dominanz der Heimsiege im ProfifuBball ist in der Tat gravierend. Von den 772 Platzierungen in der Bundesliga seit der Saison 1963/64 bis zur Saison 2005/05 gibt es nur acht Mannschaften, die am Ende der Saison mehr Auswarts- als Heimspielpunkte errungen haben. Es ist zu erwarten, dass auch die Heimsiege deutlicher ausfallen als die Auswartssiege und dass die Heimniederlagen knapper sind als die Auswartsniederlagen. An der durchschnittlichen Tordifferenz lasst sich dies quantitativ belegen. Unter dieser Fragestellung wurden alle 13.100 Bundesliga-Spiele ausgewertet, die zwischen 1963/64 und 2005/06 in deutschen Stadien ausgetragen wurden: Durchschnittliche Durchschnittliche Durchschnittliche StandardAnzahl der Tore der Anzahl der Tore der Tordifferenz abHeimmannschaft Auswartsmannschaft weichung Zu Hause gewonnen 2,81 0,68 2,14 1,25 Zu Hause verloren 0,71 2,52 -1,80 1,04 Differenz des Betrages 0,34
Alle statistischen Kontrollzahlen belegen den Vorteil: Bei den zu Hause gewonnenen Spielen ist die Standardabweichung der Tordifferenzen groBer (1,25 zu 1,04 bei verlorenen), was zeigt, dass die Grundgesamtheiten unterschiedliche Streuungen haben. Doch woran liegt es, dass die Mannschaften im heimischen Stadion besser spielen? Sind es die Zuschauer, die die Heimmannschaft nach vome treiben? Neururer stellte die Frage an Profis und fand heraus: „89,5 % der befi^agten Lizenzspieler empfinden die groBte Einflussmoglichkeit der Zuschauer in FuBballstadien, die wie zum Beispiel das Ruhrstadion in Bochum, das Westfalenstadion in Dortmund und die ,Alm' in Bielefeld Wettkampfstatten darstellen, in denen sich die Zuschauer in auBerst kurzer Entfemung zum Spielfeld befmden." (Neururer 1994, 100)
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Dies ist statistisch sehr schwer nachzuweisen. Welche Daten legt man zu Grunde? Stadien konnen voll oder schlecht besucht sein, Stadien konnen eng sein, das heiBt ohne Leichtathletikanlagen, oder weit. All dies kann eine Rolle spielen. Dann die Frage nach dem Mal3stab der Ergebnisse: Die Anzahl der Tore oder die Anzahl der Punkte alleine reicht nicht aus, da schwache Mannschaften sowohl zu Hause verlieren wie auch aus warts. Eine gute Mannschaft muss auch auswarts punkten. Man konnte die Frage stellen, wie das Verhaltnis der Heimsiege zu den Auswartssiegen ist. Damit ist eine gewisse Heimstarke zu belegen. Auf dieser Tabelle liegt der 1. FC Kaiserslautem auf Platz 1. Wer den Betzenberg kennt und die Stimmung dort, kann bestatigen, dass es dort heiB hergeht. Wenn 40.000 Menschen grolen, mag das einen Einfluss auf Spieler haben. Wenn 40.000 Menschen „Four' briillen, kann dies auch einen Einfluss auf den Schiedsrichter haben, der dann doch noch den entscheidenden Strafstofi gibt. Auf dem 2. Platz dieser Heim-/Auswartssieg-Tabelle steht Hertha BSC Berlin, deren Olympia-Stadion alles andere als eine intensive Atmosphare vermittelt. Bei Spielen mit schlechter Resonanz verlieren sich die Zuschauer in der Weite des Stadions. Allgemein gilt fur enge FuBballstadien ohne Tartan-Bahn, dass der Heimpunktanteil bei 67,7 % liegt, wahrend er in weiten Stadien 67,4 % ausmacht (hier wurden nur Ergebnisse seit der Saison 1972/73 gewertet, da Daten iiber den baulichen Zustand der Stadien vor dieser Zeit fehlen). Der Unterschied ist zu gering, um ihn auBerhalb des Zufallsbereichs zu diskutieren. Mehr Daten, zum Beispiel wie gefullt das Stadion tatsachlich war und die Attraktivitat des Gegners, miissten beriicksichtigt werden. Vermeintlich starke Gegner ziehen mehr Zuschauer an und dies konnte Auswirkungen auf das Engagement der Heimmannschaft haben. Subjektiv zumindest auBem dies FuBballprofis: „Bedeutend ist bei der Abhangigkeit der Zuschauerbeeinflussung sowohl die Wertigkeit des Gegners als auch der aktuelle Spielstand. Hierbei kann festgestellt werden, dass die starkste Beeinflussung durch die Zuschauer bei einem knappen Riickstand und bei einem starken Gegner zu verspiiren ist, dass die Sportier gerade unter diesen Gegebenheiten die Unterstiitzung durch die Zuschauer erwarten und moglicherweise auch benotigen." (Neururer 1994, 100) Statistisch gibt es ein Indiz dafur: Die Anzahl der auswarts erreichten Unentschieden steigt mit dem Rang. Je hoher der Rang, desto ofter erreicht eine Mannschaft nur einen Auswartspunkt. Wertet man die gesamte Bundesligazeit von 1963-2005 aus, finden sich 2571 Elfmeter, die fur die Heimmannschaft gegeben wurden und 1070, die der Gastmannschaft zugesprochen wurden. Das sind etwas weniger als 30 %. Das Ergebnis ist naturlich auch eine direkte Folge des Heimvorteils. Wenn die Gastmannschaft sich darauf einstellt und eher ihr Augenmerk auf die Verteidigung legt, ist klar, dass sich mehr Szenen in deren Strafi'aum abspielen werden. Verteidiger sind eher geneigt unlautere Mittel einzusetzen als Angreifer. So sind die Ergebnisse zu deuten. Ob die Heimmannschaft tatsachlich weniger Fouls begeht oder ob die Schiedsrichter auf Grund der Atmosphare weniger pfeifen, lasst sich nicht feststellen, denn es gilt die Regel: „Foul ist, wenn der Schiedsrichter pfeift." Bei der Befragung zu Leistung und Motivation von Profispielem fragt Peter Neururer auch nach dem Einfluss der Zuschauer: ,,72,4 % (55) der Akteure bemiihen sich, durch stetig groBe Leistungsbereitschaft ein positives Zuschauerverhalten herbeizufiihren, wogegen lediglich 9 der 76 befragten Spieler versuchen, jegliches Zuschauerver-
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halten zu ignorieren, um in ihrer Leistung nicht beeinflusst zu werden." (Neumrer 1994,94) Der Einfluss von Zuschauem kann einen anregenden oder einen storenden Einfluss haben. Geringer Stress oder mafiige Anregung wirkt leistungsfordemd, wogegen hoher Stress negative Auswirkungen auf die Leistung hat. Eine weitere Bedingung kommt hinzu: Je komplexer und damit belastender die Aufgabe ist, desto weniger wird die Anwesenheit von Zuschauem positive Effekte zeigen und je einfacher und wenig belastend die Aufgabe ist, desto mehr wird die Anwesenheit und positive Zuwendung durch andere Anwesende deren Erledigung erleichtem. Um diese Unterschiede zu priifen, wurden die Heimvorteile verschiedener Sportarten in unterschiedHchen Landem iiberpriift. Sportart Handball Bundesliga 1995-98 FuBball Serie A (Italien) 1993-98 FuBball 1. Bundesliga seit 1963 Fui3ball 1. Bundesliga 1996-98 FuBball (USA) 1996-98 FuBball Premier League (England) 1996-98 Basketball USA (ohne Play Off-Spiele) 1988-98 Football USA (ohne Play Off-Spiele) 1996-98 Schach Bundesliga 1. und 2. Liga 1998 Baseball USA (ohne Play Off-Spiele) 1996-98
Heimvorteil in % 70,7 69,1 66,9 66,6 64,5 63,5 63,1 61,6 55,0 53,9
Drei Dinge fallen auf: Erstens gibt es in alien Sportarten einen Heimvorteil, auch wenn er unterschiedlich ausgepragt ist. Moglicherweise spielt Revierverteidigung als psychologischer Vorteil eine Rolle. Zweitens ist der Heimvorteil bei Schach wohl eher ein Auswartsnachteil und drittens ist die Heimstarke bei Baseball noch schlechter als bei Schach. Das liegt daran, dass Baseball ein Spiel ist, das viel Geschick und Konzentration erfordert. Zudem reagieren die Zuschauer erst mit Applaus und LautauBerungen, wenn der Ball getroffen ist und unterwegs auBerhalb der Reichweite gegnerischer Spieler. Zu diesem Zeitpunkt ist aber eine Einflussnahme zu spat. Die Ellipse der Flugbahn ist nur abhangig von den Gesetzen der Schwerkrafl und nicht von der emotionalen Zuschauerbeteiligung. Die Experimente von Murray mit dem Gleichgewichtsmeter scheinen sich auBerhalb des Labors zu bestatigen. Bei Sportarten mit komplexen Bewegungsablaufen, die Konzentration und Aufinerksamkeit erfordem, ist der Einfluss der Zuschauer eher gering. Offenbar erzeugen die Zuschauer eine allgemeine Erregung beim Sportier, die bei einfachen Aufgaben die Motivation erhoht. Eine Leistungssteigerung ist in Kraft- und Ausdauersportarten durch die Anwesenheit von anfeuemden Zuschauem nachweisbar. Doch auch andere Aspekte des Heimvorteils sind zu diskutieren. Wenn die Hypothese des Sports als Variante des Gruppenkonfliktes richtig sein soil, ist auch der Lohn der Auseinandersetzung von Belang. Die Aussicht auf Anerkennung ist im Falle eines Erfolges auf beiden Seiten gewiss. Die anwesenden Zuschauer beurteilen die Leistung. Doch wenn es bei den Feldziigen mehr zu gewinnen gibt, bedeutet dies allemal auch ein Mehr an Motivation. Diese kann in direktem Geldwert (oder prahistorisch ausgedriickt in der zu erwartenden Beute) liegen. Auch hier liefem die Ergebnisse der FuBball-Bundesliga auswertbare Daten. Betrachtet man die Kurve des prozentualen Anteils der zu Hause erreichten Punkte, fallt
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auf, dass der Anteil bis 1988/89 immer iiber 64 % (im Schnitt bei 68,0 %) liegt. Seit dieser Zeit liegt der Wert meist unter 65 % (im Schnitt bei 62,1 %). In der Saison 2003/04 gab es immerhin zwei Mannschaften (1. FC Koln irnd SC Freiburg), die auswarts kein Spiel gewinnen konnten und damit den Durchschnitt des Anteils der zu Hause erreichten Punkte wieder kurzfristig anhob. 75 -
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Durchschnittlicher prozentualer Anteil der Heimpunkte an der Gesamtpunktzahl pro Saison Bei der Berechnung wurde die Drei-Punkte-Regel beachtet. Durch die Einfiihrung dieser Kegel seit der Saison 1995/96 werden Siege deutlicher belohnt.
Tatsachlich lasst sich nachweisen, dass sich der Lohn fiir die Spieler seit dieser Zeit erhoht hat. Ursache fiir die Preisexplosion ist die Zulassung des privaten Femsehens in den 80er Jahren. Als 1988/89 die Agentur Ufa erstmals fur RTL {.Mpfiff) die Bundesligarechte die Angebote der ARD iiberbot, stiegen die Einnahmen des DFB von 18 auf 40 Millionen D-Mark. Und als SAT.l 1992/93 ubemahm, verdreifachte sich der Preis von 55 auf 170 Millionen Mark. 1999 erloste der DFB durch den Verkauf der Bundesliga-Rechte insgesamt 320 Millionen Mark im Jahr, wovon ein GroBteil an die Vereine geht, die die Gehalter und Pramien an ihre Profis zahlen. Seit 1995 hat sich die finanzielle Situation und damit die in Aussicht stehende Belohnung fur die Spieler weiter verbessert, als der Europaische Gerichtshof das Transfersystem im ProfifuBball kippte: So darf der abgebende Club kiinftig keine Ablosesumme mehr fiir (europaische) auslandische Spieler verlangen, wenn dessen Vertrag ausgelaufen ist. Der Gerichtshof verwarf zudem die Beschrankung fur die Anzahl auslandischer FuBballer als eine unzulassige Diskriminierung auf Grund der Staatsangehorigkeit. Die Europarichter gaben mit ihrem Urteil dem beschwerdefuhrenden belgischen Profispieler Bosman Recht. Nimmt man die These, dass Sport eine relativ friedliche Variante des Krieges ist, emst, muss auch die Revierverteidigung in die Betrachtung einbezogen werden. Viele Evolutionspsychologen sehen Sport als Form der Auseinandersetzung zwischen Gruppen und ziehen damit eine direkte Linie zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Steven Pinker glaubt gar, dass der Krieg in der Menschheitsgeschichte eine so bedeutende
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Rolle spielte, dass er als Selektionskriterium im evolutionaren Prozess angesehen werden kann. Nicht nur Tiere, sondem auch Menschen beanspruchen Reviere, markieren sie durch Symbole und verteidigen sie gegen Eindringlinge. Der Verteidiger eines solchen Raumes hat viel mehr zu verlieren. Eine Niederlage kann bedeuten, Ressourcen aufgeben zu miissen, die eine weitere Reproduktion schwieriger machen. Die Anstrengungen der Verteidiger sind verbissener als die der Angreifer. Auch hier sind mogliche Griinde fur den Heimvorteil zu suchen. Ein Indiz fur eine Veranlagung derartiger Reaktionen fanden Nick Neave und Sandy Wolfson (Duckworth 2002), Verhaltenspsychologen an der University of Northumbria in Newcastle, als sie den Testosteron-Spiegel von FuBballspielem untersuchten. Im Normalfall finden sich 100 Picogranun pro 100 ml Blut eine Stunde vor Beginn eines Spiels. Bei Heimspielen steigt er auf etwa 150, bei Auswartsspielen pendeh die Marke um 120. Bei den Torhiitem - und dies unterstiitzt die These der Revierverteidigung - ist der Unterschied zwischen den Trainingswerten und dem Heimspiel-Level am groBten. Testosteron starkt den Kreislauf, verkiirzt Reaktionszeiten und scharft die Raumwahmehmung. Tatsachlich weiB man auch aus Tierbeobachtungen, dass Revierverteidiger hefliger kampfen als Angreifer. Sie haben mehr zu verlieren. SchlieBlich gibt es noch einen Vorteil des Verteidigers, namlich die Revierkenntnis. Bei uniibersichtlichem und weitlaufigem Gelande sollte dies eine entscheidende Rolle spielen, bei Sportveranstaltungen sicher weniger, da die Spielstatten einen regelgerechten Aufbau haben. Bei alien Spielen gibt es zwar einen Platzwechsel, so dass der Zustand des Platzes, die Lichtverhaltnisse, die Akustik und die Position der Zuschauer in etwa gleich sind, dennoch haben die Gastspieler Nachteile. Heimspieler kennen den Platz besser: seine Unebenheiten oder die moglichen Wettereinfliisse. SchlieBlich mussten die Gaste auch noch die Strapazen einer Reise in Kauf nehmen, miissen womoglich in ungewohnter Umgebung iibemachten, konnen sich nicht in gewohnter Weise vorbereiten. Damit addieren sich Heimvorteil und Auswartsnachteil auf Vom Deutschen Schachbund wurde die ungewohnte Umgebung der Gastspieler und das Fehlen der gewohnten Rituale als Griinde fiir eine erschwerte Konzentration angegeben. Damit ist der Heimvorteil des Schach, der bei 55 % liegt, erklarbar, denn Zuschauer haben hier wohl keinen Einfluss. Sie verhalten sich - das ist Konvention eher ruhig und werden bei wichtigen Begegnungen von den Spielem gar abgeschirmt. Alles in allem lassen sich Parallelen zwischen vorhistorischen Gruppenkonflikten und dem modemen Sport nicht von der Hand weisen. Einschaltquoten und Heimvorteile unterstiitzen die These. Wenn es um Ausdauer, Kraft und Energie geht und wenn die motorischen Leistungen nicht allzu viel Konzentration erfordem, lasst sich der Effekt durch das Anfeuem der Zuschauer nachweisen. Reserven werden mobilisiert, wenn ein Publikum Partei ergreifl. Auch Marathonlaufer - von den Breitensportlem bis zu den Profis - bestatigen die motivierende Wirkung der Zuschauer. Das emotionale Engagement der TV-Seher lasst sich nur sinnvoll interpretieren als Versuch, die Sportier zu unterstiitzen, die ihnen nahe stehen, ihr Ziel zu erreichen, was immer das Ziel auch ist. Effekte auf den Zuschauer Bei Sportfans von Teams, die gewonnen haben, steigt der Testosteronspiegel um 20 % verglichen mit dem der Sportier selbst, bei den Fans der Verlierermannschafl fallt der Wert um 20 %. (The Sciences 1998, 7) Durch diese korperliche Reaktion ist die emo-
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tionale Beteiligung des Zuschauers am Ausgang des Sportereignisses deutlich belegt. Doch wozu? Der Grund fiir die emotionale Unterstiitzung liegt in der Fahigkeit des Menschen begriindet, iiber Verwandtschaftsgrenzen hinweg zu kooperieren. Die Trennung in verschiedene Aufgaben der Geschlechter ist eine in der Evolution entwickelte iind spezialisierte Form. Tiere, die in Gesellschaften leben, haben mitunter komplexere Formen. Bei der Verteidigung vor Fressfeinden oder beim Jagen gibt es Rollenverteilungen. Menschen zeigen die komplexeste Form von Kooperation imd damit von Aufgabenteilung. Der reziproke Altruismus ist in einer Weise entwickelt, die einzigartig ist. Wenn es zu einer Kooperation kommen soil, braucht man Verabredungen. Diese Verabredungen miissen nicht ausgesprochen sein, sondem sie konnen auch stillschweigend erwartet und erfiillt werden. Eine Bestatigung der wechselseitigen Rollenzuweisung hilft jedoch unterstiitzend. Die jeweils anderen Rollentrager wissen, dass ihr Handeln erwiinscht ist und fahren fort mit ihrer Anstrengung. Sport und Krieg In seiner Untersuchung zur prahistorischen Kriegsfuhrung beschreibt Lawrence H. Keeley die Rolle der Frauen: „Frauen waren sehr selten bei Kampfhandlungen beteiligt, aber sie leisteten oft Hilfestellung bei der Mobilisierung und der Logistik. Bevor die Feindseligkeiten begannen, batten sie wohl Feiglinge beschimpft, die Zogerlichen aufgestachelt und an den Anfeuerungstanzen teilgenommen. Bei einigen Gruppen haben Frauen die Kriegsteilnehmer begleitet und ihre Waffen und Nahrung getragen. Wahrend der Schlacht haben sie wohl die eignen Manner angefeuert, erste Hilfe geleistet oder Wurfgeschosse der Feinde aufgesammelt um die eignen Krieger damit zu versorgen. ... Im Allgemeinen war es die Aufgabe der Frauen die Heimatfront aufrecht zu halten, Garten und Tiere zu versorgen und die Verwundeten zu versorgen. Wahrend der Krieg die Angelegenheit von alien war, war er normalerweise die Arbeit der Manner." (Keeley 1996, 35) Damit war die Arbeitsteilung zwar festgelegt, Beispiele kriegerischer Frauen sind jedoch historisch ebenso belegt. Tatsachlich haben junge Manner weniger zu verlieren und mehr zu gewinnen. Der Verlust von Mannerleben ist zudem eher zu verkraften. Krieg ist nur moglich auf Grund der spezifisch menschlichen Fahigkeit zur Kooperation. Ohne Kooperation ware jeder Konflikt nur zwischen Individuen auszutragen. Krieg ist ein Bestandteil menschlicher Auseinandersetzung zwischen Gruppen. Die GruppengroBe kann variieren von einer Kleingruppe bis zu Staaten und Staaten-Allianzen. In vielen Gesellschaften sind viele Mitglieder extrem fiiedlich untereinander, jedoch aufierst gewalttatig gegeniiber Nichtmitgliedem. Kampferische Auseinandersetzungen zwischen Gruppen lassen sich nachweisen bis in die Steinzeit. Selbst unter Schimpansen sind Konflikte zwischen Gruppen belegt. Wahrend es bei Streitigkeiten innerhalb der Gruppe auBerst selten zu todlichen Verletzungen kommt, sind diese bei Kriegen haufiger. Mord war vor 12.000 Jahren eine durchaus verbreitete Todesursache (Keeley 1996, 37). Tiv-Krieger benutzen vergiftete Pfeile nur in Auseinadersetzungen mit Nicht-Tiv-Gegnem (Keeley 1996, 52, aber auch 65). Toten in kriegerischen Auseinandersetzungen ist nicht motiviert durch den Hass auf den Gegner, sondem geschieht auf Grund der Kooperation mit der Gruppe und des Bediirfiiisses diese und sich zu schiitzen.
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Die Fahigkeit, Krieg zu fiihren, setzt Kooperationsfahigkeit voraus, denn nur solidarisches Empfinden und Verhalten sowie koordiniertes Vorgehen machen Auseinandersetzungen dieser Art moglich. Die meist positiv bewertete Fahigkeit zur Kooperation ist eine Bedingung zur Kriegsfuhrung. Kampf ist sicher abgeleitet von der gemeinsamen Jagt, geht es doch in beiden Fallen um Ressourcen. Mangel der Kriegsfuhrung auBem sich in mangelndem Training und Disziplin, schlechter Schlachtfeld-Fiihrung, dilettantischer Logistik, die iiber den ersten Schritt nicht hinausgeht, schlechter Krafteeinteilung und schwacher Verteidigung. All diese Mangel gelten auch fur die meisten Mannschaftssportarten. Eine Vorbereitung auf den Kampf bieten diverse Sportarten, da diese viele der benotigten Fahigkeiten entwickeln und einiiben. Ganz explizit ist das zu finden im SchieBen (mit Pistole oder Pfeil und Bogen), Biathlon, das Langlauf mit SchieBen verbindet und beim Military, das diverse kriegerische Fahigkeiten (Reiten, SchieBen, Fechten, Laufen und Schwimmen) verbindet. Fitnesssteigemd ist Sport also in den Bereichen Kooperation, Kraft, Ausdauer, Disziplin, Agilitat, Geschicklichkeit und nicht zuletzt im Schmerzertragen. Sport ist insofem eine Vorbereitung auf Situationen, die eine oder mehrere dieser Fahigkeiten verlangen. Im Sport werden Aggressionen geduldet, die sonst strafl)ar waren. Obgleich alle Sportarten definierte Regeln haben, gehort der VerstoB durchaus zum Spiel. FreistoB, Strafzeit oder Ahnliches ahndet das Vergehen umgehend. Strafen dariiber hinaus sind selten und werden verhangt, wenn eine Verletzung intendiert war und nicht „im Kampf um den Ball" oder „im Eifer des Gefechts" zugefiigt wurde. Sportmannschaften kampfen reprasentativ fiir die gesamte Gruppe, die lokal definiert ist. Dabei ist ein Spiel nicht nur ein Spiel, es hat hohe symbolische Bedeutung. Sportliche Vergleiche zwischen USA und der fruheren Sowjetunion hatten traditionell einen hoheren Stellenwert als andere Begegnungen, denn es ging nicht nur um den Ausgang eines Spieles. Der Sieger war auch immer das iiberlegene System. Erinnert sei auch an den so genannten FuBballkrieg zwischen El Salvador und Honduras, der 1969 viele Tote kostete. Ursache waren Grenzkonflikte, doch Ausgangspunkt waren Quahfikationsspiele der Nationalmannschaften fiir die FuBballweltmeisterschaft 1970 im Mexiko (Kapuscinski 2001). Ein weiteres historisches Beispiel fiir die Identifikatibn der Mannschaft mit der Nation zeigt die Radioberichterstattung des Endspiels der FuBballweltmeisterschaft 1954 in Bern. Der westdeutsche Kommentar von Herbert Zimmermann ist allseits bekannt und wird auch geme zitiert: „Aus. Aus. Aus. Aus. Das Spiel ist aus. Deutschland ist Weltmeister!" Der zeitgleich iibertragene Kommentar fiir das Publikum in der DDR trug die Stimme von Wolfgang Hempel. Bereits als das 2:3 durch Rahn fiel, verschlug es ihm iiber 30 Sekunden die Sprache. Es ist kaum vorzustellen, dass beim Endspiel einer Weltmeisterschaft das entscheidende Tor fallt und der Radioberichterstatter eine halbe Minute schweigt. Nach dem Schlusspfiff setzt ein weiteres, diesmal 15 Sekunden andauemdes Schweigen ein, im Radio eine Ewigkeit. Der Berichterstatter kann den Sieg nicht fassen, da er nicht in sein Weltbild passt. Wie kann ein ideologisch unterlegener Gegner (die BRD) eine Weltmeisterschaft gegen ein Land gewinnen, das zur sozialistischen Welt gehort (Ungam)? SchlieBlich erklart er: „Das Unvorstellbare ist passiert, die westdeutsche Nationalmannschaft wird FuBballweltmeister 1954 im Endspiel gegen Ungam." Im westdeutschen Kommentar war es Deutschland, das gewonnen hat, hier nur die Nationalmannschaft, und selbst das ist unfassbar. Eine Identi-
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fizierung zwischen Land und Sportlem als deren Stellvertreter liegt beiden Fallen zu Grunde. Die Peinlichkeit, dass westdeutsche Fans nach dem Spiel die erste Strophe der deutschen Nationalhymne sangen, passt dabei ins Bild. Sport und Zuschauer So eindeutig war die Aufteilung in Zuschauer und Akteure historisch gesehen nicht immer. Guttmann berichtet „von einigen Bauem, die rannten, sprangen, warfen und rangen, wahrend andere zuschauten, feierten, johlten und auf des Nachbars Riicken einschlugen. Fiir gewalttatige Zuschauerausschreitungen groBeren AusmaBes gab es deshalb wenig Gelegenheit, weil es den Zuschauer im engeren Sinne gar nicht gab, denn es kampften ganze Dorfer gegeneinander, also Manner und Frauen, Erwachsene und Kinder, Reiche und Arme, Klerus und Laienstand." (Guttmann 1998, 116f) Vielleicht ist ein Rest dieses Verhaltens in den Aktionen der Hooligans prasent, die sich zum Spiel nach dem Spiel treffen um sich zu priigeln. Normalerweise gelten dafiir strenge Regeln: So priigeln jeweils nur Kontrahenten aus den unterschiedlichen Lagem aufeinander ein, wahrend unter denen, die aus dem gleichen Ort kommen, Solidaritat herrscht und Hilfe geleistet wird. Es gilt als verabredet, dass niemand gepriigelt wird, der am Boden liegt. So sinnlos gewalttatig dies scheint, gegen historisch verbiirgte Szenen aus dem Altertum sind modeme Hooligans gesittet: „Haufig schlug das Unterhaltungsbediirfiiis der groBen Zahl der Zuschauer (bis zu 250.000) in gewalttatige Tendenzen um. So brannten die Zuschauer in Konstantinopel das holzeme Hippodrom viermal innerhalb von 40 Jahren nieder, und im Jahre 532 n. Chr. kamen im Byzantinischen Reich im Anschluss an ein Rennen 30.000 Menschen bei kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Volk und Armee ums Leben." (Gabler 1998, 116) Auch bei anderen kulturellen Veranstaltungen sind Reste des engagierten Zuschauens zu beobachten. Zu Beginn der Filmgeschichte waren Vorfuhrungen auf Jahrmarkten und im Variete eine eher proletarische Angelegenheit. Das Publikum ging mit, johlte und grolte. Man kommentierte lautstark die Szenen, pfiff und buhte, reagierte auf den Film und auf Bemerkungen untereinander. Feste Sitze gab es nicht, nur einfache Holzbanke und Stiihle. Erst als man feste Kinosale einrichtete und das kaufkraftigere bourgeoise Publikum ansprach, entwickelten sich gesittetere Sehgewohnheiten. Mit dem Tonfilm war die aktive Zuschauerbeteiligung dann endgiiltig unerwiinscht. Diese Form von Zuschauerbeteiligung kann man noch beobachten bei Kindervorfuhrungen. Sieht man Kindem zu, wie sie ein Kasperletheater rezipieren, kann man die emotionale und motorische Teilnahme beobachten. Sie bleiben kaum ruhig auf ihren Platzen, sondem engagieren sich mit den handelnden Protagonisten. Im Puppenspiel wird das von den Zuschauem sogar verlangt. Die Frage „Seid ihr alle da?" ist nicht nur rhetorisch, sondem wird lautstark beantwortet. SchlieBlich wamt das Publikum den Kasper auch vor dem Krokodil und das Wissen des Publikums wird genutzt, um Probleme zu losen. Die engagierten Kinder sind Teil der Dramaturgic. Bei Sportveranstaltungen kann man im Grunde vier Arten von Zuschauerbeteiligung feststellen: Erstens: Die Zuschauer verhalten sich passiv, beschranken sich auf das Zuschauen. In offentlichen Sportveranstaltungen, besonders bei Mannschaflsspielen, diirfte diese Art der Rezeption auBerst selten vorkommen. Die Motivation, nur als distanzierter Betrachter zu einer Veranstaltung zu gehen, ist nur nachzuvoUziehen, wenn es um die asthetische Beurteilung der Darbietung geht. Das emotionale Engagement muss eine wichtige Rolle zu spielen, bei der Entscheidung, Miihe, Zeit und Geld
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aufzuwenden. Bei TV-Zuschauem kann diese wie die folgende Haltung jedoch durchaus vorkommen. Zweitens: „Sie engagieren sich unparteiisch, indem sie zum Beispiel Leistungen beklatschen oder durch rhythmisches Klatschen versuchen, die Akteure zu motivieren." Auch diese Form der Beteiligung diirfle nur dairn eine RoUe spielen, wenn kein emotionales Verhaltnis zum Beispiel durch eine lokale Gemeinsamkeit zwischen Akteur und Fan besteht. Drittens: „Sie engagieren sich parteiisch, indem sie eine Partei anfeuem oder" Viertens: „versuchen, die andere Partei zu storen." (Gabler 1998, 134) Diese Form ist bei Mannschaftssportarten die Regel. Am Gewinnen und Verlieren sind damit auch die Anwesenden beteiligt. Sportveranstaltungen sind kollektive Ereignisse, bei denen man gemeinsam in Stimmung kommt. Dies wiederum starkt das Gruppengefuhl. Es gibt einen Zusammenhang zwischen PublikumsgroBe und emotionaler Ansteckung, wobei vor allem Dichte und GroBe positiv mit einem initiierten Mitklatschen korrelieren. (Butcher & Whissell, hier zitiertnach: Dollase 1998, 157) Es gilt noch ein Phanomen zu klaren, das im Zusammenhang mit Sportlem auftritt. Politiker lassen sich mit Sportlem sehen, Werbung greift geme auf das Image des Sportlers zuriick. In der Biologic gibt es ein Phanomen, das man mit dem Begriff „Satellit Fucker" umgangssprachlich umschreibt. Der wissenschaftlich korrekte Begriff heiBt „Kleptogamie" und lasst sich iibersetzen mit Diebespaarung (Wickler 1991, 54). So quaken mannliche Frosche, um Weibchen anzulocken. Diese Tatigkeit ist mit hohem Energieaufwand verbunden und nicht ganz ungefahrlich. Fressfeinde horen das Quaken schlieBlich auch. Mannliche Frosche, die nicht quaken, sich aber in der Nahe eines Quakers aufhalten, haben Vorteile. Sie sparen Energie und begeben sich nicht in Gefahr. Satellit Fucker profitieren von den Anstrengungen anderer. Dass dieses System nur sehr begrenzt funktioniert, ist klar, denn wenn es zu wenige Quaker und zu viele Satelliten gibt, werden keine Weibchen mehr kommen. Dennoch macht es Sinn, sich als Nichterfolgreicher in der Nahe von Erfolgreichen aufzuhalten. Die Chancen, vom besseren Ressourcenzugang anderer zu profitieren, sind verlockend. In der Wirtschaft hat sich der Begriff „Easy Rider" fur eine derartige Strategic eingebiirgert. Bislang standen Ereignis und die Reaktion der Zuschauer im Zentrum der Betrachtung, um das Ereignis und die Reaktionen - auch die Reaktionen auf die Attrappe Femsehen - zu erklaren. Zum Schluss sind die Medienereignisse selbst zu untersuchen, denn Sport im Femsehen nimmt einen wichtigen Rang ein, nicht nur was den Umfang der Ausstrahlung betrifft, sondem auch was die Zuschauerzuwendung angeht. Grundsatzlich kann man in Sportberichten drei Ereigniskategorien unterscheiden: Erstens: Das Live-Event, wo die Kameras den Verlauf einer Veranstaltung direkt iibertragen. Zweitens: Die Zusammenfassung konzentriert sich auf folgende Fragen: Wer sind die Gegner? Wer ist der Sieger? Mit welchem Ergebnis wurde gewonnen? Wie waren die Ausgangsvoraussetzungen und die daraus abgeleiteten Erwartungen? Wie waren die spielerischen Vorgehensweisen und Leistungen der Akteure? Wie war das Verhalten und der Zustand einzelner Akteure und welchen Einfluss hatte das auf das Ereignis? Wie waren die Rahmenbedingungen des Ereignisses (Zuschauer, Wetter)? Was waren die Besonderheiten? Damnter zahlen vor allem die RegelverstoBe, die einen groBen Raum bei der nachtraglichen Diskussion und der Bewertung einnehmen. RegelverstoBe scheinen auch beim Sport eine herausragende Bedeutung zu haben, denn
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die Gerechtigkeit des Ergebnisses wird anhand von nicht gegebenen StrafstoBen, Fouls Oder weiteren nichterkannten RegelverstoBen eingeschatzt. Drittens: Die Meldung schlieBlich beschrankt sich auf Gegner und Ergebnis, bisweilen auf das Zustandekommen des Resultats, seltener auf die Rahmenbedingungen. Sportmeldungen sind immerhin von so groBer sozialer und gesellschaftlicher Bedeutung, dass sie fester Teil der nationalen Nachrichten sind. AbschlieBend ist die Frage zu beantworten, warum Sport die hochsten Einschaltquoten hat und warum Menschen auf so besondere Weise emotionale Regungen zeigen: Sportveranstaltungen - ob vor Ort oder in den Medien - sind kommunikative und kooperative Ereignisse, wobei die Rollen unterschiedlich sein konnen und auch im Laufe eines Spieles nicht festgelegt sein miissen. Auch Mitspieler feuem sich wechselseitig an. Die positiven Auswirkungen auf Kraft und Ausdauer sind nachgewiesen. In dieser Hinsicht sind Zuschauer Mitspieler, deren RoUe sich auf die emotionale Unterstiitzung beschrankt. Die strikte Trennung in Ausfuhrende und Zuschauende braucht also in dieser Hinsicht nicht konsequent aufi^echterhalten zu werden. Betroffenheit ist eine adaquatere Beschreibung, die sich auf die Gruppe als Ganzes bezieht, deren Mitglieder lediglich unterschiedliche Rollen haben. Vor allem Live-Ubertragungen simulieren die Dramatik einer Entscheidung in der Auseinandersetzung zwischen Gruppen. Als Gruppenmitglied ist das Interesse am Ausgang nur verstandlich, entscheidet er doch auch iiber das Wohlergehen des einzelnen Gruppenmitgliedes. LFberschaumende Freude oder tiefe Trauer sind die konsequenten emotionalen Empfmdungen, die das Ergebnis begleiten. Das Interesse am Ausgang ist starker mit zunehmender Bedeutung des Ereignisses. Humor Lachen benotigt emotionale Distanz, Mitleid emotionale Nahe. Lachen kann man wahrend der ersten Einstellung eines Filmes, Weinen braucht langer. Letztlich bleiben nur die evolutionspsychologischen Ansatze, die alle Phanomene um Lachen, Komik und Humor umfassend erklaren konnen. Die Biologie des Lachelns und Lachens Viele Saugetiere, darunter fast alle Primaten und Menschen zeigen Mundwinkel-Reaktionen, wie sie zum Beispiel beim Grinsen entstehen, mit Glottalverschluss und Ausatmen, moglicherweise verbunden mit einer LautauBerung. Bei den meisten Primaten sind sie auch verbunden mit einem Anheben des Kopfes, was dem Heben der Augenbrauen bei Menschen korrespondiert. Grinsen und LautauBerungen erscheinen iiblicherweise als Reflex in einer Situation innerartlicher Bedrohung. Konsequenterweise erscheint Grinsen auch praventiv. Uber den Ursprung gibt es unterschiedliche Interpretationen. Irenaus Eibl-Eibesfeldt fiihrt zwei Moglichkeiten an: „Da man beim Lacheln die Zahne zeigt, hat man vermutet, es konne sich um eine Drohbewegung handeln, die ihre urspriingliche Bedeutung im Laufe der Evolution ins Gegenteil verkehrte. Dagegen spricht jedoch die Tatsache, dass man beim Drohen die Zahne auf andere Weise zeigt. Wir drohen, indem wir die Mundwinkel offtien und die unteren Lippenwinkel besonders weit herabziehen, wohl um den nicht mehr vorhandenen oberen Eckzahn in seiner ganzen Lange zu entbloBen, wie das noch verschiedene Affen tun. Es ist auch nicht gut vorstellbar, wie sich ausgerechnet eine BeiBbewegung bei voll erhaltener Bezogenheit auf den Partner - eine
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Umorientienmg nach Art etwa des DrohgruBes der Graugans ist nicht zu erkennen zu einer so ausgesprochen beschwichtigenden Gebarde entwickelt haben sollte. Moglich ware die Ableitung aus einem defensiven Angstdrohen. Wir finden bei verschiedenen Affen ein ,Angstgrinsen' der Unterlegenen, die dabei die Zahnfront entbloBen. Bei vielen Saugetieren kommt es in Furchtsituationen zu einem Freilegen des Oberkiefers jedoch ohne BeiBstellung mit geof&ietem Mund. Dieser mimische Ausdruck findet seine Entsprechung beim Grinsen vieler Menschen in schwierigen Situationen. Es gibt aber noch eine andere Ableitungsmoglichkeit. Viele Primaten kammen Gmppenmitgliedem das Fell, und wir erwahnten, dass ritualisierte Fellkammbewegiingen in der Luft ausgefUhrt werden. Dabei werden die Schneidezahne entbloBt, mit denen man kammt. Das ist ein durchausfreundlichesZahnezeigen, und ich halte es fiir wahrscheinlicher, dass sich auf diesem Wege das Lacheln entwickelte." (Eibl-Eibesfeldt 1998(12), 197) Gleichgiiltig wie der Ausdruck letztendlich entstand, ist das menschliche Lacheln der am weitesten verbreitete Ausdruck, sowohl als emotionale und intentionale Bewegung, um Zusammengehorigkeit, Befriedung und Spiel zu signalisieren, als auch um Zustimmung oder Bereitwilligkeit zu zeigen. Da der Ausdruck entstand als Reaktion auf Bedrohung, zeigt er in Situationen, wo keine Bedrohung herrscht: „Ich bin keine Bedrohung, ich habe nicht die Absicht, anzugreifen." Die Allgegenwart des Lachelns kommt seinen verschiedenen Funktionen zu Schulden: Befriedung, Unterwerfung und Zusammenarbeit. Lacheln dient auch als Anzeichen fiir Angriffe. Sie sagen: „Nimm es nicht emst, ich spiele nur." (Fridlund 1994, 306f) Auch emsthafte Diskurse bediirfen des Lachelns, um sich wechselseitig anzuzeigen, dass man trotz der Emsthaftigkeit weiterhin den Dialog fortfiihren mochte. Sucht man nach Anlassen, in denen Lachen vorkommt, lassen sich folgende Gelegenheiten klassifizieren: expressiver Ausdruck von Freude und als Reaktion auf Kitzeln. Spiel bei Kindem, das Erkennen von Witz und Komik, aber auch in Situationen von Peinlichkeit und Verzweiflung (Plessner 1961). Hinzufiigen lasst sich Lachen als befreiender Ausdruck nach einem Schreck und Comic Relief Zu unterscheiden sind demnach Grinsen, das durch eine Kombination aus Furcht, leichtem Drohen und leichter Unterwerfimg bestimmt ist, Lacheln, das eine Kombination aus defensiver Entschuldigimg und freundlichem Appell ausdriickt, und schlieBlich Lachen, das durch LautauBerung gekennzeichnet ist und ein Anzeichen fiir das Erkennen einer Fehlleistung mit hierarchischem Ausdruck ist. Kitzeln und Humor Darwin glaubte an einen Zusammenhang von Kitzeln und Humor wegen der gleichartigen Wirkungen (Lachen und Lacheln) und wegen der Qualitat der Ausloser. Darwin beschreibt die Analogic: „Aus der Tatsache, dass sich ein Kind kaum selbst kitzeln kann, zumindest zu einem viel kleineren Grad, als wenn es von einer anderen Person gekitzelt wird, scheint es so zu sein, als diirfe man den exakten Punkt, der beriihrt werden muss, nicht genau wissen; das Gleiche gilt fiir den Geist, etwas Unerwartetes - eine unerwartete oder widersinnige Idee, die aus dem gewohnten Fluss der Gedanken ausbrechen - scheint ein wichtiges Element fiir das Komische zu sein." (Darwin 1872) Die Reaktion auf Kitzeln ist nicht notwendig Lachen. Zunachst resultiert der Versuch zu fliehen und die Situation zu vermeiden. Lachen setzt auch erst dann ein, wenn
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der Angriff als harmlos identifiziert wird. Die kitzligen Stellen des Korpers sind allesamt Regionen, die verwimdbarer sind als andere und die normalerweise vor Zugriff geschiitzt werden: Achseln, Taille und Rippen, Nacken, FuBimterseite, Handinnenflache, Knie, Kehle, Kinn und Wangen. Was fiir diese These spricht, ist auch, dass das Kitzeln durch eine andere Person durchgefuhrt werden muss. Selbstauslosendes Kitzeln ist nicht bekannt. Auch hier spielen der spielerische Angriff und das Erkennengeben der nichtaggressiven Situation eine Rolle. Dies ist wichtig beim Kinderspiel und der Einiibung in aggressives Verhalten, das Angriff und Verteidigung iibt. Dafiir spricht auch, dass Manner kitzHger sind als Frauen. Kitzeln und Reagieren sind somit ein spielerisches kindliches Nahkampftraining. Friedlund (1994) und Loftis fanden eine Bestatigung fiir die These, dass die Anfalligkeiten far Kitzeln und Humor miteinander in Verbindung stehen. Aus Befragungen ergab sich eine hohe Korrelation zwischen der Angabe kitzlig zu sein und Neigungen far kichem, lachen, lacheln, Gansehaut bekommen, erroten und weinen. Dass Lacheln und Lachen angeboren sein miissen, zeigt sich in der Tatsache, dass Taubblinde ganz zweifelsfrei den Gesichtsausdruck zeigen, und Hiittinger beobachtete bei seinem eigenen Kind ein erstes Lacheln am 45. Tag nach der Geburt und ein erstes lautes Lachen am 113. Tag (Heinrich 1986, 17). Eltem stimuHeren ihre Kinder zum Lachen mit unterschiedHchen Mitteln: Sie kitzeln, machen Spiele, die das Kind zum Lachen bringen, versuchen spater visuelle Wortwitze, gefolgt von Wortspielen je nach verbalem Entwicklungsstand. Im Erwachsenenalter sagt Lachen: „Ich habe erkannt, dass es nicht so gemeint ist." Es ist bei verbalem Humor ein Zeichen: „Ich habe verstanden, ich habe den Fehler Oder die Fehlleistung erkannt" Der Lacher zeigt damit Intellekt. Lachen ist damit ein Anzeichen von privilegiertem Wissen. Man hat erkannt, was andere (noch) nicht erkannt haben. Daraus folgt, dass das Anzeigen vom Erkennen einer Fehlleistung eine leichte Form der Kritik ist. Lachen und Humor Das Lachen als Ausdruck von Humor wurde lange als eine Besonderheit des Menschen betrachtet. Zudem wird der Humor lange schon als Zeichen fiir Intelligenz angesehen. Man denke hierbei an die Etymologie der deutschen Worte Witz, witzig und gewitzt. Doch dass Humor nicht auf die menschliche Rasse beschrankt ist, zeigt Ottmar Bahner in seiner Dissertation. (Bahner 1997) Als Beispiel for lachende Affen fohrt er Koko an, die iiber eigene Scherze und die anderer lacht. Von ihr werden auch Beispiele berichtet, auf Widersinniges mit Lachen zu reagieren wie auch die AuBerung von Schadenfreude. Humor kann auch durch die AuBerung des Gegenteils dessen ausgedriickt werden, was eigentlich gemeint ist. Vor einer Kamera machte Koko zum Beispiel auf die Aufforderung zu lacheln das Zeichen far „trauriges Gesicht". Folgendes Beispiel erlaubt einen, wenn auch vagen, Einblick in den Humor von Gorillas: „Koko versucht gelegentlich auch verbale »Scherze« zu machen. Am 30. Oktober 1982 zeigte ihr Barbara Hiller das Bild eines Vogels, der seinen Jungen fiittert. Koko: »Das ich« (und zeigt dabei auf den erwachsenen Vogel). Barbara: »Bist du das wirklich?« Koko: »Koko guter Vogel.« Barbara: »Ich dachte, du bist ein Gorilla.« Koko: »Koko Vogel.«
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Barbara: »Kannst du „Fliege"n?« Koko: »Gut.« (»Gut« kann auch »ja« bedeuten.) Barbara: »Zeige es mir.« Koko: »Nachmachen Vogel, Clown.« (Koko lacht.) Barbara: »Du neckst mich.« (Koko lacht.) Barbara: »Was bist du wirklich?« Koko lacht wieder und macht nach einer Minute das Zeichen: »Gorilla Koko.«" (Patterson & Gordon 1994, 107f.) Ahnlich wie Menschen reagieren Menschenaffen empfindlich auf Humor, der sich gegen ihre eigene Person richtet, das heiBt sie vertragen es nicht, ausgelacht zu werden. Kainz berichtet von der Gua, dass sie sich vor Wut bellend hin und her warf, biss und schlug, wenn man mit dem Finger auf sie zeigte und dabei lachte. (Bahner 1997, 280f.) Was Humor ist und wozu er gut sei, ist immer wieder diskutiert worden. Philosophen und Psychologen haben sich immer wieder daran versucht, selbst die Verbindung mit einer sozialbiologischen Funktion ist nicht neu. Darwin wurde dazu bereits zitiert. So lassen sich drei Formen von Humor unterscheiden: 1. Der standardisierte Humor, wie er in Witzen vorkommt. Es handelt sich um Geschichten, die man weitererzahlt, wobei Variationen durchaus moglich sind. (AUe Formen von Late Night Comedy, mit Sketchen, die ja nichts anderes als gespielte Witze sind, Formen von Kabarett und Komodie oder Schwank.) 2. Der spontane Humor, der aus der Konstellation entsteht und eine nicht geplante Situation zum Anlass nimmt, eine witzige Bemerkung zu machen. (TalkshowGesprache, solange die Pointen nicht vorher festgelegt sind, entsprechen diesem Muster.) 3. Der natiirliche Humor, wobei nachtraglich eine Situation als humorvoll uminterpretiert wird. (,yBitte Idcheln'' mit zufallig aufgenommenen Sequenzen, die Beispiele misslungener Kommunikation, die der „Spiegel" auf der vorletzten Seite im .yHohlSpiegel"' sammelt oder die Beispiele misslungener Ubersetzungen in Gebrauchsanleitungen.) Die ersten beiden Formen sind intentional in dem Sinne, dass eine Absicht besteht, humorvoll zu sein. Die dritte Form ist nicht intentional in dem Sinne, dass ein zufalliges Ereignis eine Wendung nimmt, die nicht beabsichtigt als humorvoll geplant war. Bisweilen scheint Lachen ganzlich unangebracht, etwa in gefahrlichen Situationen. Spiel kann in Ernst umschlagen, Lachen in Weinen. Weinen ist dann ein deutliches Zeichen, dass Schmerz einsetzt; das Weinen dient dann dazu, genau das dem Angreifer zu signalisieren. Umgekehrt kann eine Situation, die zunachst als gefahrlich und angstvoll erlebt wird, in Harmlosigkeit umschlagen. Das gemerkt zu haben, gibt der Lacher zu erkennen. Lachen ist das Signal fur andere, dass die Situation bislang falsch eingeschatzt wurde, dass sie statt wie erwartet gefahrlich zu sein, sich nun als gefahrlos herausgestellt hat. Das unangebrachte Lachen in tatsachlich gefahrlicher Situation ist der Versuch, die Interpretation zu verandem. Lachen wahrend der grausamen und gruseligen Situationen wahrend eines Horrorfilms entspricht diesem Angstlachen. Bereits Shakespeare verband in seinen Tragodien dramatische Szenen mit lustigen. Es war ein Verfahren, das im Elisabethanischen Theater zur gangigen Praxis gehorte. Der Einsatz von Humor dient dazu, die Stimmung in tragischen Momenten aufzulo-
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ckem iind die Anspannung zu losen. Als „comic relief bezeichnet man diese Technik. Beriihmt ist die Szene mit den Totengrabem in .Jiamlet oder die Szene mit dem Turhiiter in .Macbeth " nach dem Konigsmord. Sprache und Inhalt von Humor Standardisierter Humor in der Form eines Witzes hat einen hochst fiktionalen Charakter. Die Geschichte weist oft eine Reihe von unplausibien Elementen auf: „Nachdem ein Mann in eine andere Stadt umgezogen war, ging er abends in die Bar. Er bestellte was zii trinken und unterhielt sich mit dem Barkeeper. Nach einer Weile kommt ein kleiner Mann zur Tiir rein. Er besteilt sich einen Sherry und trinkt ihn. Der Barkeeper scheint den kleinen Mann zu kennen, denn sie tauschen freundhche Worte. Dann geht der kleine Mann zur Wand, geht die Wand hoch, die Decke lang, die Wand runter und zur Tiir raus. „Wow, das war aber seltsam", sagt der Mann zum Barkeeper. „Ja", sagt der Barkeeper, „das war seltsam, sonst besteUt er immer Whisky." Die Geschichte besteht zunachst im Ignorieren des Unmoghchen, man akzeptiert Geschichten mit an der Decke laufenden Menschen, sprechenden Tieren oder seltsamen Zusammensetzungen von Flugzeugpassagieren. Der Witz hegt im Finden der L6sung innerhalb des Unmoghchen. Man lacht hier iiber die Fehlleistung des Barkeepers, der die Unmoghchkeit ignoriert. „In der Tat sind Struktur und Inhah jedes Witzes und jeder humorvoUen Bemerkung so gestaltet, dass sie das Nichtzusammenpassende produzieren." (Mulkay 1988, 21, auch der Witz ist hier entnommen) Nicht nur der Witz ist an sich fiktional, sondem bisweilen auch die Realitat innerhalb der Geschichte. Der Witz braucht Widerspruch, Doppeldeutigkeit und Inkonsistenz. Im normalen Leben bemiiht man sich, die unterschiedlichen Rollen einander anzugleichen. Konventionen helfen dabei. Im Witz treffen die verschiedenen Welten unvermittelt aufeinander, im Leben tauchen Widerspriiche als Probleme auf. Im Witz dagegen sind diese notwendige Bestandteile. Witz entsteht durch die plotzliche Verschiebung oder unerwartete Kombination von Interpretationsrahmen. Das Besondere ist, dass man einen Witz nicht zweimal erzahlen kann in dem Sinn, dass man ihn nicht erklaren kann. Die Pointe muss sich sofort und spontan eroffhen. Durch die Erklarung wird er zum Losen eines Problems innerhalb einer konsistenten Welt, die den Rollenkonventionen gehorcht. Die Pointe deckt den Widerspruch fur den Horer auf. Sie kommt plotzlich und unerwartet oder gar nicht. Auch der Beginn eines Witzes hat Regeln. Er wird eingefuhrt durch eine verbale Einleitung, die klarmacht, jetzt kommt eine fiktive Geschichte mit iiberraschendem Ausgang. „Soll ich dir mal einen Witz erzahlen?" Das heiBt, dass die Erwartung eine groBe Rolle spielt. Man erwartet die nicht vorhergesehene Interpretation, die eine Fehlleistung darstellt. Der erste Teil des Witzes schafft immer ein narratives Setting, eine Situation, in der die Fehlleistung dann vorkommt. Die Pointe ist sowohl eine notwendige Folge des Settings, als auch ein Widerspruch. Doch der Widerspruch alleine geniigt nicht. Eine widerspriichliche Situation ist Nonsens, das Erkennen des Widerspruches ist Witz. Insofem ist die semantische Kombination von Witz und Intelligenz durchaus berechtigt. Jerry Suls (1988) hat folgende Erklarung fur die Funktionsweise von Humor: Menschliche Informationsverarbeitungsstrategien und -fahigkeiten sind so konstruiert, dass die Eingangsinformationen normalerweise mit einer einzigen Interpretation verarbeitet werden. Darum kann der Rezipient kein Set von vielfaltigen Interpretationen
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aufrecht erhalten. (Suls 1988, 31) Aber das konnen Menschen sehr wohl. Vor Gericht etwa werden unterschiedliche Wirklichkeitsinterpretationen ruhig und sachlich verhandelt, ohne dass standig dariiber gelacht wird. Beim Witz besteht die Fehlleistung erst darin, dass jemand nicht bemerkt, dass er unterschiedliche RoUen zusammenbringt. Nach Suls hingegen ist ein Witz dann zum Lachen, wenn der Zuhorer versucht, den Widerspruch zwischen Pointe und Setting zu losen und aus der Inkongruenz eine Kongruenz macht. Inkongruenz ist der Widerspruch zwischen dem, was man erwartet und dem, was eintritt. Aber warum lachen dann nicht standig Wissenschaftler lauthals auf, wenn sie eine Entdeckung machen und in dem Augenblick ebenfalls Inkongruenz in Kongruenz auflosen. Sie rufen hochstens: „Heureka!" und freuen sich, doch das hat nichts zu tun mit Humor. Das Wesen des Humors ist damit noch nicht erfasst, Suls gelingt es mit dieser Definition nicht, eine Unterscheidung zu treffen, zwischen emster und humorvoUer Situation. Die Erkenntnis, dass Humor gleichzeitig Inkongruenz und Kongruenz aufweist, ist jedoch eine wichtige Bedingung. Wiedererkennen erzeugt Freude, aber nicht unbedingt Lachen. Die These, dass Neuartigkeit und Uberraschung den Humor ausmachen, ist widerlegt durch eine Untersuchung von Pollio und Mers. „Es wurde die Vorhersagbarkeit von Pointen bei Auftritten der Komodianten Bill Cosby und Phyllis Diller dadurch bestimmt, dass man einer Stichprobe von Ratem die Performance bis kurz vor der Pointe vorspielte. Diese mussten dann die Fortsetzung erraten - stimmte sie iiberein, war die Pointe vorhersagbar. Dieser Vorhersagbarkeitswert korrelierte mit der Responsivitat eines Publikums je nach Messung von r=.43 bis r=.81." (Pollio & Mers, hier zitiert nach: Dollase 1998, 157) Victor Raskin (zitiert nach Mulkay 1988) bietet eine andere, zunachst recht einfach klingende Interpretation: Ein Witz muss einer Regel folgen, die aus zwei Satzen besteht: „(a) der Text ist - ganz oder teilweise - kompatibel mit zwei unterschiedlichen Skripts und (b) die zwei Skripts, zu denen der Text kompatibel ist, widersprechen einander."(zitiert nach Mulkay 1988, 40) Ein Skript ist eine kognitionspsychologische Kategorie: „Das Skript ist eine kognitive Struktur und sie reprasentiert das Wissen um eine Sache. Jeder hat eine groBe Anzahl solcher Skripts gespeichert als das Wissen iiber gewisse Routinen, Standardverfahren, grundlegende Situationen, dariiber wie man sich in bestimmten Situationen verhalt und was man macht, in welcher Reihenfolge etc." (zitiert nach Mulkay 1988, 40) Das heiBt, man kann den Sinn eines Witzes nicht verstehen, indem man die einzelnen Worter in einem Lexikon nachschlagt. Worter und Satze verweisen auf einen Hintergrund, der nicht explizit genannt ist. Dieses Hintergrundwissen spieh eine Rolle bei der Einordnung des Fiktionalen. Die Skripts sind zudem kontextabhangig, was man bisweilen an den typischen Figuren eines Witzes erkennen kann. Das Skript iiber einen „Ostfiiesen" ist anders, wenn man weiB, dass es in einer humorvollen Situation gebraucht wird, als wenn es um die Bewohner einer deutschen Landschafl in einer geographischen Abhandlung geht. Gleiches gilt fur „Manta-Fahrer" oder „Blondinen". Harald Schmidt benutzt fiir ,,Bayern Munchen" in seiner Sendung ein anderes Skript als die FuBballberichterstattung im „Sportstudio'\ Die Personen und Personengruppen bekommen im Witz eine neue Konnotation allein durch die Tatsache, dass sie vorkommen. Widerspriiche und Fehlleistungen im Witz und Humor, die mit Lachen quittiert werden, konnen auf verschiedenen Ebenen vorkommen:
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• Sprachliche Fehler auf syntaktischer („Konnen Sie mir sagen, wie lange Kiihe gemolken werden?" - „Genauso wie kurze.")» semantischer („Warst du mal in Verlegenheit?" - „Ja, da war ich auch schon.") oder phonetischer („Hieroglyphen - das ist, was man kriegt, wenn man auf kaltem Stein sitzt." Oder „Die Schopfung - von einem Heiden/Haydn." Haufig sind Reime, wenn ein Wort, das eine neutrale Bedeutung, aber einen ahnliches Klang hat, fur ein Wort steht, das eine andere emotionale (bevorzugt sexuelle) Bedeutung hat. („The difference between a nun and a bathing virgin: The nun has the soul full of hope, a bathing virgin has the hole full of soap), • soziale Fehler, wo jemand gegen kulturelle Konventionen verstoBt (besonders offensichtlich bei Kleidung und Haartracht), • intellektuelle Fehler, bei denen jemand durch fehlende Allgemeinbildung unangebracht reagiert (oft gegen Gruppen, deren mangelnde intelligente Fahigkeiten man offen legen mochte, wie Blondinen, Ostfriesen, Polen oder Manta-Fahrer), • Fehlleistungen, bei denen jemand unpassende Bewegungen in Mimik und Gestik vollfiihrt oder hinfallt (am besten ins Wasser), sowie • korperliche Fehler bis hin zu korperlichen Gebrechen, die als unpassend empfunden werden konnen. Auch Abweichungen vom Schonheitsideal (dick, klein, groBe Nase, abstehende Ohren) werden in der Karikatur iibertrieben. Das erste, woriiber Kinder durch soziale Wahmehmung ausgelost lachen, sind korperliche Fehlleistungen - etwa beim Hinfallen - oder korperliche Missbildungen oder Verletzungen. Erst spater lachen sie iiber mentale oder kulturelle Fehlleistungen. Den humorvollen Fehlleistungen ist gemeinsam, dass sie unbewusste oder nicht intentionale Aussagen oder Handlungen darstellen. Die Urheber wissen oft nicht, dass sie eine Fehlleistung begehen. Bestimmte Themen - wie Sexualitat oder Religion - scheinen for intentionalen Humor besonders geeignet. Siegmund Freud war an diesem Aspekt besonders interessiert (vgl.: Freud 1999) Humor hilft dabei, iiber Tabu-Themen zu kommunizieren. Man wird nicht verantwortlich gemacht fiir die inhaltlichen Aussagen, man kann in der Doppeldeutigkeit Andeutungen machen, ohne explizit zu werden und man kann damit testen, inwieweit ein Thema ankommt. Man macht ein Kommunikationsangebot, ohne dass man weiter darauf beharren muss, wenn es nicht oder nicht in der richtigen Weise aufgenommen wird. Ein weiterer Grund dafiir, dass Tabus geme als Thema fiir Humor herhalten miissen, liegt in der sozialkontrollierenden Funktion von Humor. Bei Sexualitat und Religion sind soziale Vereinbarungen von besonderer Brisanz, das FehlverhaIten darum eher Objekt der sozialen Zurechtweisung durch Humor. Humor erlaubt einen Einblick in Obszonitaten, Sexualverhalten und die Manifestation von GeschlechterroUen. Damit kommt man zu einem Aspekt des Humors, der bei den linguistischen Betrachtungen noch nicht vorkam, namlich der soziale Kontext von Humor und Lachen. Humor und Lachen als soziales Phdnomen Was bei den bisherigen Erklarungen versaumt wurde, sind die Bedingungen, unter denen Humor auftritt. Die linguistischen Interpretationen bieten zwar wichtige Erkenntnisse iiber Form und Inhalt, sie reichen aber nicht aus, das Phanomen zu erklaren. Sie vergessen, dass manchmal ein Witz ankommt und manchmal nicht, dass es Situationen
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gibt, in denen man keinen Sinn fiir Humor hat, und dass es offenbar Menschen gibt, die keinen SpaB bei bestimmten Themen verstehen. Arthur Kostler sah das Lachen als Reflex an. Ahnlich wie der Lidschlussreflex eine unwillkiirUche und spontane Reaktion ist, wenn etwas auf das Auge zukommt, ist das Lachen fiir ihn eine automatische Reaktion auf einen Stimulus komischer Art. Die grundlegende Idee dabei ist, dass wenn irgendetwas Komisches passiert, ein Mechanismus ausgelost wird, iiber den man wenig Kontrolle hat. Warm immer Humor auftritt, wird Lachen ausgelost. Das heiBt aber nicht, dass man keine Kontrolle iiber das Lachen hat. Man kann es sowohl unterdriicken oder abkiirzen als auch bewusst hervorbringen. Lachen ist also nicht notwendig der Geiger-Zahler des Komischen. Eine Moglichkeit zu unterscheiden, welche Art des Lachens in einem konkreten Fall vorliegt, ist ebenso wenig gegeben. Daraus zu schlieBen, dass die Reflex-Theorie nicht stimmt, wie Michael Mulkay (Mulkay 1988, 95f.) das tut, ist aber falsch. Denn man kann auch das Augenlid willentlich schlieBen und dennoch ist dadurch der Reflex nicht unwirksam. AuBerdem sind sowohl Kostler als auch Mulkay die Interpretationen eines Sinns fur diesen offenbar angeborenen Reflex nicht zuganglich, was sie zusatzlich an der Stimulus-Response-Theorie zweifeln lasst. Denn eine Definition des Lachens muss erklaren konnen, wie eine automatische Reaktion auf etwas Komisches einen wesentlichen Beitrag zur biologischen Effektivitat der Art leisten kann. Lachen als Reflex zu sehen, ist auch darum schwer, weil andere Reflexe auf physikalische Veranderungen der Umwelt reagieren. Im Falle des Humors ist es ein komplexer kultureller Ausloser, der zudem komplizierte mentale Prozesse benotigt, die schlieBlich zum Erscheinungsbild des Lachens flihren: Muskeln im Gesicht geraten auBer Kontrolle und ein hefliges, rhythmisches Ausatmen bestimmt die Atmungsorgane. Kostler, aber nicht Mulkay, gelingt dieser Zusammenhang, indem er auf den subtilen aggressiven Akt verweist, der im Lachen mitschwingt. Schadenfreude, Hohn und Spott, die verborgene Grausamkeit des Von-oben-herab-Betrachtens oder zumindest die Abwesenheit von Sympathie fiir das Opfer des Witzes sind fiir ihn Ausdrucksweisen, die mit Humor einhergehen. AuBer dem stoBartigen Ausatmen und Lauterzeugen gehen weitere korperliche Symptome mit Lachen einher, die schwer in Zusammenhang mit Humor zu bringen sind: Der AdrenalinausstoB steigt, ebenso der Blutzucker-Spiegel, die Herzschlagfrequenz nimmt zu, das Blut gerinnt schneller sowie Muskelanspannung und Zittem sind zu konstatieren. Die zentrale Erklarung fiir Kostler ist, dass das aggressive Element wesentlich ist fiir den Humor und dass die Spannung, die dadurch zwischen den Beteiligten aufgebaut wird, plotzlich unangebracht ist durch die unerwartete Wendimg im interpretativen Zusammenhang, die im Humor notig ist, und dass diese Energie sich in der Atmung und der Muskelanspannung entladt. Die aggressive Stimmung, die falschlicherweise aufgebaut wurde, muss gefahrlos abreagiert werden. Wahrend einer normalen Konversation gibt es eine Anzahl von kurzen Lachem, die an Aussagen anschlieBen, die einen aggressiven Charakter haben konnen. Man nimmt ihnen damit die herausfordemde Stimmung, als wiirde man sagen: „Ich habe es zwar gesagt, es ist auch etwas Wahres dran, aber bitte versteh' es nicht als Angriff" Fiir Eibl-Eibesfeldt ist das Lachen einer Gruppe von Menschen iiber eine von der Gruppennorm abweichende Person als erste Eskalationsstufe erzieherischer Aggressionen zu sehen (Eibl-Eibesfeldt 1997, 454), die dazu dienen soUen, den abnormen Menschen zu richten und wieder der Gruppe anzugleichen. Er erkennt in der Reaktion
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der Gruppe einen Norm erhaltenden Mechanismus (Eibl-Eibesfeldt 1997, 455), der in der Kleingruppe wichtig war, um das Verhalten jedes Einzelnen jederzeit voraussagen zu konnen. Diesen Mechanismus konnte man heute in der modemen Zivilisationsgesellschaft schlicht als Schadenfreude bezeichnen. Die soziale Emotion Schadenfreude wiirde sich demnach im Auslachen zeigen, das als eine Art Mechanismus automatisch ablauft, wenn etwas als abnorm erkannt wird. Es ware denkbar, dass durch die jahrelange Gewohnung an diesen Mechanismus dieser inzwischen reflexartig auftritt. Man kann daher weiter von einem sozialen Reflex sprechen. Die Gruppe, von der Eibl-Eibesfeldt ausgeht, ist untereinander personlich bekannt und handelt nach denselben Normen, was ein gegenseitiges Verstandnis erleichtert. Die Gruppennorm liest er an der Sprache, dem Brauchtum, der Kleidung und dem Schmuck ab. Eine Einhaltung der gruppenspezifischen Norm ist nach Eibl-Eibesfeldt auch wichtig, um sich gegen Fremde abzugrenzen (Eibl-Eibesfeldt 1997, 447). Um die Gruppennorm zu verteidigen, richtet sich eine normangleichende Aggression gegen Gruppenmitglieder, die von der Gruppennorm abweichen. Eibl-Eibesfeldt schildert verschiedene Eskalationsstufen, und zwar in alien Kulturen in sehr ahnlicher Weise, bis zum Ausschluss, wenn sich der Abweichende nicht angleichen kann. Vor allem die erste Eskalationsstufe, das Hanseln und Auslachen des von der Norm Abweichenden, kann man immer wieder beobachten. Das gemeinsame Auslachen eines Dritten fordert den Zusammenhalt der Gruppe. Der Ausgelachte hingegen wird nicht mitlachen und schlimmstenfalls sein Ausgelacht-Werden als aggressiven Akt oder Form des Drohens empfmden und sich bestenfalls der Gruppe angleichen, um nicht mehr aufzufallen und wieder der Norm zu entsprechen. Eibl-Eibesfeldt erkennt: „Uber etwas oder jemanden lachen zu konnen, scheint etwas hochst LustvoUes zu sein. Die Witzseiten in den Zeitschriflen leben von diesem Bediirfhis." (Eibl-Eibesfeldt 1997, 448) Und damit wird Femseh-Comedy gemacht. Nichts ist leichter, als iiber andere zu lachen, wenn man sich selbst im Trockenen, im Femsehsessel, wahnt. SchlieBt man einen einer Gruppe zugehorigen Menschen durch Lachen aus, kommt dies auch einer Unterstreichung der Machtverhaltnisse gleich: Wer lacht, hat die Macht, wer ausgelacht wird, steht in der Hierarchic weiter unten. Wer mit lachenden Menschen mitlacht, steht demnach auch auf deren Stufe. Anlass zum Lachen bietet haufig allein ein kleines Missgeschick, das Stolpem eines Mitmenschen, der dadurch dem Lachenden, vielleicht durch eine Art Reflex, wie Eibl-Eibesfeldt ihn schildert, bedingt, niedriger erscheint. Lachen ist zuerst Sache der Satten. Die Opfer haben nichts zu lachen. Auch iiber die Urspriinge des Spotts macht sich Eibl-Eibesfeldt Gedanken. Er entdeckt bei alien von ihm beobachteten Kulturen dieselben Formen des Verspottens. Nach dem Auslachen ist der Spott seiner Ansicht nach die zweite Stufe der Aggressionen, um eine von der Norm abweichende Person zu korrigieren. „Das Wort Spotten leitet sich von Spucken (,spitting') ab." (Eibl-Eibesfeldt 1997,448f) Damit ist das Lachen ein Zeichen fiir das Erkennen eines Fehlers oder einer Fehlleistung. Fiir den Ausgelachten ist es eine Form der Aggression und fur die Zeugen ein Zeichen von Intelligenz und gleichzeitig eine Aufforderung zum Mitlachen. Die Lacher verbiinden sich gegen den Ausgelachten. Sie zeigen gemeinsames Einverstandnis und Kooperation. Die Interpretation des Humors als eine Form von Aggression auBerten bereits Platon (Der Staat) und Aristoteles (Rhetorik II, 12) und fmdet sich iiber Hobbes (Human Nature, Leviathan) bis zu Konrad Lorenz (iJber Aggression).
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Das Spiel mit der Unterhaltung durch das Deformierte, Niedrigere, Monstrose und Andersartige hat eine lange Tradition. Der traurige Clown ist nur das Ende der Kette. Zu seinen Vorfahren zahlen meist Menschen, die auch in gesellschaftlichem Rahmen am Ende der Hierarchie zu erkennen waren: Hofharren, Kleinwuchsige oder auch deformierte Menschen jeglicher Art, die zum offentlichen Amusement auf Jahrmarkten ausgestellt waren. In abstrakterer Form fmdet sich diese Lust am Abnormen heute bei Horrorfilmen, die durch die Beschreibung des Grotesken faszinieren. Einen aktuellen Beitrag zu dieser Interpretation liefert Charles R. Gruner (1997) in seiner Untersuchung. Fur ihn ist menschliche Interaktion wesentlich gepragt durch Konkurrenz. Ein Beleg dafiir ist seine Aufzahlung der entsprechenden Themen in den Medien. Demnach kategorisiert er die Themen, die in Witzen behandelt werden: die Konflikte des taglichen Lebens, der SpaB an Tod, Zerstorung und Desaster. Gelacht wird iiber Menschen, Gruppen imd Konzepte, iiber sexuellen, sexistischen und obszonen Humor. Auch Wortspiele sind Spiele, die gewonnen werden. Insofem raumt Gruner auf mit der Vorstellung des unschuldigen Humors. Das triumphierende Lachen hat sich daraus entwickelt. Humor ist ein fester Bestandteil sozialer Interaktion. Er braucht einen Erzahler und mindestens einen Zuhorer. Selbst das Lachen, wenn man alleine ist, ist ein Nebenprodukt des Lachens als soziale Erfahrung, oder es kommt aus einer (para-)sozialen Beziehung. Dabei ist der Ausloser fur das Lachen offenbar so stark und fest im Nervensystem verankert, dass Individuen auch lachen, ohne dass jemand dabei ist, dem sie ihre Empfindung mitteilen. Zudem - und das war aus Untersuchungen schon bekannt - spiek die Vorstellung des Gegeniiber eine Rolle, ohne dass der Begriff Theory of Mind explizit benutzt wird: „Manchmal kann uns ein Autor so sehr gefangen nehmen, dass wir uns in der Geschichte verlieren und uns als direkte Beobachter der lustigen Situation erleben. Wenn wir lachen, ist es, als waren wir tatsachlich in der Geschichte prasent. Darin liegt eine Erklarung, warum Lachen, eine ansonsten soziale Reaktion, seinen Ausdruck fmden kann, wenn wir allein sind: Wir sind physisch allein, aber nicht psychisch." (Chapman 1983, 148) Die Gegenwart von anderen hat entscheidenden Einfluss auf das Lachverhalten. Menschen lachen weniger, wenn ein anwesender Partner nicht in gleichem MaBe mitlacht (sogar weniger als in Situationen, wenn man allein ist), sie lachen mehr und intensiver, wenn er das tut. (Osborne & Chapman 1977) Und das, obwohl sich das subjektive Empfinden fur Humor in keiner der Situationen unterscheidet. So sind auch weitere Details von Einfluss, etwa wie viele Personen anwesend sind, wie gut sich die Personen kennen, wie weit eine Person entfemt ist und wie intensiv der Blickkontakt ist. Dies sind alles Indikatoren fiir den Grad der Partnerschaft und das soziale Verhaltnis, was offenbar Einfluss auf das Lachverhalten hat. (Chapman 1983,137) Lachen ist auch eine Einladung zum Lachen. Derjenige, der etwa einen Witz erzahlt, lacht nicht nur mit, er gibt auch das Zeichen, dass der Witz zu Ende ist, durch sein Lachen oder zumindest durch ein Grinsen. Rein linguistische Interpretationen von Humor konnen dies nicht wahmehmen, denn derjenige, der die Pointe kennt, ist ja nicht iiberrascht iiber den Ausgang. Wenn man also lacht, wahrend man selbst eine lustige Bemerkung macht - sowohl im standardisierten wie auch im spontanen Humor, zeigt der Lacher an, dass es kein emster Diskurs ist und ladt gleichsam zu einer entsprechenden Interpretation und einem entsprechenden Ausdruck ein. Die Anzeichen konnen auch in der Veranderung der Stimme liegen, wenn sie neckisch oder schel-
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misch wird. Damit macht man ein Angebot, auf diese Ebene einzugehen, was durch wechselseitiges Lachen bestatigt wird und es ist eine Absicherung, dass man sich auf der gleichen Ebene befmdet. Die Verweigerung von Lachen kann als unfreundlicher, ja aggressiver Akt aufgefasst werden, was wiedemm auf die soziale Funktion verweist. Kann man lachen, wenn eine unsympathische Person einen Witz erzahlt? Lachen verweist damit auf Kooperation und schafft und festigt soziale Bande. Humor entsteht durch Interpretation und diese ist abhangig vom sozialen Kontext. Das emotionale Klima spielt eine RoUe dabei. Wenn jemand hinfallt, kann man lachen Oder helfen, einmal herrscht Schadenfreude vor und einmal Mitleid. Zum einen kommt es auf die Zeichen an, wie der Sturz wirkt. Gibt es Anzeichen von Schmerz und Verletzung, dann wird eher Mitleid einsetzen. Auch der soziale Bezug zum Opfer ist relevant. Lachen kann man spontan auch bei Personen, die man nicht kennt. Der Impuls zu helfen, ist wahrscheinlicher bei emotional nahe stehenden Personen. Es gibt auch Bedingungen, die das Lachen verhindem, die intern emotional gepragt sind. Wenn Trauer das dominierende Gefiihl ist, fehlt oft der Sinn fiir Humor. Wenn man weinende Kinder zum Lachen bringt, konnen sie mit Wut reagieren, weil sie diese Reaktion als nicht angemessen erachten. Auch verbieten emsthafte Situationen normalerweise die Stimmung fiir Humor. Gesetzliche Regularien Die Bedingungen, unter denen Humor stattfmden darf, liefem bisweilen Gesetzgebung Oder Standards, vor allem um festzulegen, welche Themen und Personen nicht der Kritik zu unterwerfen sind. Ein Beispiel ist der so genannte Hays-Code, eine Selbstkontrolle der Motion Picture Producers and Distributors of America, unter der Kontrolle von Will Hays, der 1930 verabschiedet und ab dem 1. Juli 1934 durch eine Kommission durchgesetzt wurde. Der Code setzte Standards fiir guten Geschmack und definierte spezifische Darstellungen, die in amerikanischen Filmen vorkommen durften Oder nicht. Darunter hieB es: „Verfiihrung und Vergewaltigung ... sind niemals das geeignete Thema einer Komodie" und an anderer Stelle: „Priester ... sollten nicht als komische Figuren ... eingesetzt werden." Dass Priester und alles, was mit Kirche zu tun hat, nicht als Gegenstand von Humor dienen darf, macht sich fest am Begriff des Sakrilegs. Ein Sakrileg ist als Sunde klassifiziert und schliefit Handlungen ein, die sich gegen Gottesverehrung, Verunglimpfimg gottgeweihter Personen oder Sachen richten. Es ist ein Begriff, der Wiirde und Rang einer Autoritat in Frage stellt. Dafiir steht auch der Begriff der Majestatsbeleidigung. Friihe Zeugnisse lassen sich nachweisen bis ins Romische Kaiserreich. Nicht der physische Angriff oder die Gefahr einer Verletzung eines Reprasentanten des Staates ist der Ursprung des Majestatsverbrechens, sondem der Angriff auf die Wiirde und das Ansehen der Volksvertreter. Als der Kaiserkuh als Bestandteil der Staatsreligion ins offentliche Bewusstsein riickte, konnte das „crimen maiestas" gleichzeitig Religionsfrevel sein. Christen und unter den christlichen Kaisem Haretiker wurden daher des crimen maiestas beschuldigt. In vielen totalitaren Staaten gibt es den Straftatbestand der Majestatsbeleidigung. Diese (crimen laesae maiestatis) war im Mittelalter ein zusammenfassender Rechtsbegriff fiir verschiedene Formen von Aggression und Dissens von Seiten der Untertanen gegeniiber den Machthabem. Die Funktion lag eindeutig im Interesse der Macht-
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erhaltung und der Unterdruckung von Kritik. Bis in die Neuzeit ist der Begriff des crimen laesae maiestatis gelaufig. Explizit werden damnter verbale Angriffe verstanden: „Das Laster der beleidigten Majestat, welche entweder mit Worten oder Wercken, wider das gemeine Wesen, oder dessen, bey welchem die hochste Herrschaft ist, Sicherheit, Ehre und Gewalt, begangen wird ... z. B. wenn man eines Fiirsten Befehle schimpflich tractiret, oder wider den Fiirsten Iniurien ausstosset." (Zedler 1733, Nachdruck 1961, Sp. 1645) Belegen lassen sich juristische Dokumente im Zusammenhang mit dem politischen Witz im Nationalsozialismus. Seit dem 28, Februar 1933 wurde die Meinimgsfreiheit zur „Abwehr kommunistischer staatsgefahrdender Gewaltakte" eingeschrankt. Konkreter wurde es am 20. Dezember 1934 mit dem Gesetz gegen heimtiickische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutze der Parteiuniformen, wo es gleich zu Beginn heiBt: „Wer vorsatzlich eine unwahre oder groblich entstellte Behauptung tatsachlicher Art aufstellt oder behauptet, die geeignet ist, das Wohl des Reiches oder das Ansehen der Reichsregierung oder das der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei oder ihrer Gliederungen schwer zu schadigen, wird, soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist, mit Gefangnis bis zu zwei Jahren, wenn er die Behauptung offentlich aufstellt oder verbreitet, mit Gefangnis nicht unter drei Monaten bestraft." Im Folgenden wird es dann noch konkreter: „Wer offentlich gehassige, hetzerische oder von niederer Gesinnung zeugende AuBerungen iiber leitende Personlichkeiten des Staates oder der NSDAP, iiber ihre Anordnungen oder die von ihnen geschaffenen Einrichtungen macht, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Fiihrung zu untergraben, wird mit Gefangnis bestraft." (Gamm 1990, 23If) In ihrer Untersuchung zum Heimtiickegesetz fand Maike Wohlert (1997) allein in den Akten aus der Gestapoleitstelle Diisseldorf 54 Falle, wo gegen Personen wegen Witzeerzahlens aktenkundig ermittelt wurde. Ralph Wiener erwahnt sogar einen Fall, der vor dem Volksgerichtshof verhandelt wurde. Eine technische Zeichnerin wurde am 26. Juni 1943 fiir folgenden Witz zum Tode verurteilt: „Hitler und Goring stehen auf dem Berliner Funkturm. Hitler sagt, er mochte den Berlinem eine Freude machen. Darauf Goring zu Hitler: ,Dann spring doch vom Turm herunter!'" (Wiener 1994, 9) Alle Beispiele belegen, dass Humor eine Form von Kritik ist, die von den Machthabem und deren Zensoren nicht immer als SpaB verstanden werden. Humor und Hierarchie Der Charakterzug des Humorvollen wird auf Personen angewandt, die auf die gleichen Witze reagieren wie man selbst, das heifit den gleichen intellektuellen und sozialen Hintergrund haben und ahnliche Einschatzungen teilen. Eine humorvolle Person ist keine, iiber die man lacht, sondem die andere zum Lachen bringt. „SpaB verstehen" ist das Gegenteil, es heiBt, dass jemand die humorvollen Angriffe akzeptiert und sie nicht emst nimmt. Personen, die SpaB verstehen, bieten sich als Objekt an. Die Lingusitik-Professorin Deborah Tannen (1994b) betrachtet den Gebrauch von Humor in ihren Untersuchungen iiber Geschlechtsunterschiede bei Unterhaltungen. Ihr Interesse ist weniger die Suche nach den Wurzeln als eine Beschreibung der sozialen Phanomene: Am Arbeitsplatz beteiligt sich fast jede und jeder am Witzeln, Auf-denArm-nehmen und am Lachen. Individuelle Unterschiede variieren vor allem durch Geschlecht, Stellung in der Firma, kulturellen Hintergrund und Personlichkeit. Humor im Biiro hat die Funktionen, das Wohlbefinden zu steigem, Spannungen zu entscharfen.
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Beziehungen zu schaffen, aber auch Hierarchic zu bestatigen oder in Frage zu stellen. Tag fur Tag miissen Angestellte ihren Wunsch aufzusteigen ausgleichen mit dem Wunsch mit alien gut klarzukommen. Die beiden Wiinsche sind nicht notwendigerweise im Konflikt, aber in einer Situation, wo hierarchische Settings typisch sind, muss Ausgleich geschaffen werden, vor allem wenn auch Effektivitat, die auch durch ein gutes Arbeitsklima geschaffen wird, gefragt ist. Humor hat die Fahigkeit sowohl Beziehungen zu starken als auch Hierarchic zu bestatigen. Frotzeln und Necken in einem Biiro geschieht nur auf glcicher Hierarchicebene oder nach unten. Der Chef, der seine Angestellten neckt, stellt Verbindung her, wahrend er gleichzeitig seinen Rang bestatigt. Gleichrangige konnen sich necken um Solidaritat zu zeigen, aber Arbeiter necken selten den Chef Untergebene bezeugen Respekt, wenn sic iiber den Witz des Chefs lachen. Lachen zeigt Anerkennung. Ein mittlcrer Angestellter muss nicht unbedingt iiber den Witz eines Untcrgebenen lachen, aber unbedingt iiber den seines Vorgesetzten. Wenn ein Untergebener nicht lacht, kann man das Signal als Rebellion auffassen. Das zeigt, dass nicht der Inhalt eines Witzes fiir den Humor wichtig ist, sondem dass es auch darauf ankommt, wer einen Witz erzahlt. Humor hilft, Spannungen abzubauen und verbale Angriffe zu puffem. Er kann Aussagen abmildem, die ansonsten verletzlich oder bosartig sind. Untergebene konnen ihre Kritik in witzigen Bemerkungen verstecken. Wenn notig, ist es ihnen dadurch moglich, sich leichter herauszureden: „Es war nur ein Witz." Chefs nutzen Humor und Lachen, um die Wirkung ihrer Anordnung, ihrer Kritik oder von schlechten Nachrichten abzufedem. Das gilt iibrigens in hoherem MaBe fur Frauen, die mehr Wert darauf legen, anderen Personen Demiitigungen zu ersparen. Man macht damit auch klar, dass es sich bei der AuBerung nicht notwendig um eine Ablehnung der Person handelt. Das Risiko dabei ist, dass diese Form der Ubermittlung die Nachricht nicht unbedingt riiberbringt, wenn sie in Humor verpackt ist. Zu erkennen ist diese Problematik an dem Phanomen, dass man auch uber eigene Aussagen kurz lacht. Dies nimmt der Aussage die Scharfe, sei es bei Aussagen iiber andere, iiber Anwesende oder bei Selbstlob oder Selbsttadel. Ein Unterschied zwischen dem Humor von Mannem und Frauen sei genannt: Frauen nutzen ihn haufiger, um Nachrichten abzufedem, wahrend Manner eher ihren Rang bestatigen. Ein weiterer ist, dass Frauen haufiger durch Komplimente necken, wahrend Manner Beleidigungen lustig verpacken. Bei einem humorvoUen Wortgeplankel verstarken Frauen eher den angenommenen Humor, wobei Manner eher zankisch einen Kampf vorgeben. Probleme konnen auflreten, wenn die unterschiedlichen Stile wechselseitig nicht ankommen. Bei Zusammenkiinften registrierte Tannen unter Frauen mehr Lachen, unter Mannem mehr Witzemachen und lustige Bemerkungen. Miteinanderlachen erkennt den anderen an und erzeugt Verbindung, Witzemachen richtet die Aufmerksamkeit auf den Sprecher und braucht Opfer. Evolutionspsychologische Interpretationen Jyotsna Vaid (1999) entwickelte vier evolutionspsychologisch begriindete Hypothesen zum Humor. Gefi-agt wird dabei nach den messbaren Vorteilen, die diese Form der Kommunikation mit sich bringen kann. 1. Humor ist ein Mechanismus, der verhindert, Dinge zu tun, die in der gegebenen Situation kontraproduktiv waren. Man gibt damit einer Situation eine andere Bedeu-
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tung, als die, die sie unter nicht-humoristischer Betrachtung hatte. Mit dem Lachen gibt man auch ein Signal an andere, in welchem Interpretationszusammenhang man sich gerade befindet. Das kann ansteckend sein. Immerhin kann eine humorvoUe Interpretation einen so in Anspruch nehmen, dass man nicht in der Lage ist, sie ohne weiteres aufzugeben. Diese Hypothese ware zu testen, indem man Aufgaben stellt, die man humorvoll Oder neutral unterbricht. Hat diese Unterbrechung einen Einfluss auf die Losung? Wenn Humor einen anderen Interpretationszusammenhang schaffen kann, soUte das Auswirkungen auf bestimmte Problemlosungen haben. 2. Humor ist ein sozialer Stimulus, der ahnlich wie das Lachen, das durch Kitzeln ausgelost wird, eine nicht-aggressive Form ist, spielerisch soziale Verhaltensweisen vorzufuhren. Vor allem fitnessrelevante Szenarien sind zu erwarten, die Hinweise geben, wie man sich in emsten Kontexten verhalten kann und soil. Will man diese Hypothese testen, sollte man geschlechts- und altersspezifische Unterschiede finden. Humor ist damit eine Art sozio-intellektuelles Spiel, das vorbereitet auf verschiedene Situationen. Wahrend das Spielen jedoch mit zimehmendem Alter deutlich nachlasst, kann man das fur Humor nicht feststellen, selbst wenn sich Inhalte und Formen verandem, Ein Test fiir diese Hypothese konnte feststellen, ob eine humorvolle Art des sozialen Lemens besser funktioniert als andere. Und: Wie gut konnen sich Individuen Witze merken im Vergleich zu neutralen Geschichten? 3. Humor als Status-Manipulation basiert auf der gruppenbildenden und -unterstiitzenden Wirkung von Humor. Danach ist Humor ein Mittel, den Status einer Person innerhalb einer Gruppe zu verbessem oder zu stabilisieren. Durch Humor werden immerhin andere Personen, Gruppen oder Verhaltensweisen verachtlich gemacht und dadurch stellt sich der Prasentator des Witzes als iiberlegen dar. Das gemeinsame Lachen schlieBt implizit andere aus und starkt die Bindung innerhalb der Gruppe. Der Vorteil dieser Art der Aggression gegeniiber einer direkteren Form ist, dass sie Wege offen lasst fur zukiinftige Veranderungen und dass sie eine akzeptierte und milde Form ist, die weniger verletzend ist. 4. Den aktuellsten Beitrag zur Frage des evolutionaren Vorteils von Humor liefert Robin Dunbar in seinen Untersuchungen zur Evolution der Sprache. Fiir ihn - das wurde an anderer Stelle ausgefuhrt - dient die Sprache der sozialen Bindung, dem Klatsch und Tratsch und der Darstellung eigener sozialer Erfahrung. Hier wird erkannt, dass Sprechen sehr haufig durch kurzes Lachen unterbrochen wird und nicht nur als Quittierung von Humor. Lachen ist ein gutes Gefuhl, das darum auch geme bei anderen erzeugt wird - fur Dunbar die Fortfahrung des Kraulens unter Primaten. Eine weitere Voraussetzung ist die Entwicklung einer Theory of Mind, die es zulasst, Gefiihle und Gedanken von anderen Menschen zu verstehen. Sie ist ebenso die Voraussetzung fiir fiktionale Gedanken und letztendlich auch fiir das Verstandnis fiir Humor. Sprache bekommt durch Humor ein Vehikel, im Rahmen von Klatsch und Tratsch eigene Meinungen und Weltbilder zu vermitteln, die gleichzeitig angenehme Gefiihle bei anderen erzeugen und solidarisierend wirken. Freundschaft und Kooperation zeigten sich auch darin, ein ahnliches Empfinden fiir Humor zu haben und iiber die gleichen Dinge zu lachen. Humor zeigt sich als Ausdruck fur Kooperation.
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Im Ansatz von Dunbar sind die anderen implizit enthalten: Humor unterbricht Routine auf positive Weise, er unterrichtet iiber soziale Interaktion, er lobt und bestraft fur soziales Verhalten infitnessrelevantenThemen und er schafft Bindungen und Abgrenzungen. Untersuchungen zu Partnerwahl zeigen, dass humorvoUe Partner Attraktivitat besitzen. Humor in den Medien Bereits .yL'Arroseur Arrose'\ 1895 ein fhiher Film der Gebriider Lumiere, war ein Slapstick, der auf einem Missgeschick beruhte: Ein vom Pech verfolgter Gartner wird von einem Schelm, der auf seinen Wasserschlauch tritt, nass gespritzt. (Carroll 1991) Schaden, Missgeschicke und Fehlleistungen anderer sind die simpelste und kiirzeste Handlung, mit der ein Publikum zum Lachen gebracht werden kann. 1975 untersuchte Joanne Cantor (zitiert nach Mulkay 1988, 180) in einer systematischen Studie die Haufigkeit von Humor im amerikanischen Femsehen. Sie und ihre KoUegen betrachteten und untersuchten detailliert das Programm der drei groBen Networks und einer Public Broadcast Affiliate Station in Madison, Wisconsin wahrend einer Woche. Ihr Ziel war es, alle Elemente zu fmden, die im Untersuchungszeitraum geeignet schienen, im Publikum eine humorvolle Stimmung zu erzeugen. Sie fand, dass in 81 % aller 310 untersuchten Sendungen mindestens einmal der Versuch imternommen wurde, eine humorvolle Bemerkung oder Aktion zu machen. Dabei nahmen diese Bemiihungen nur 9 % der zur Verfugung stehenden Zeit in Anspruch. Das heiBt, iiber 90 % der Femsehzeit ist eher emsthafter Kommunikation vorbehalten. Lediglich in Unterhaltungsshows (19 %), Kindersendungen (23 %) und in Sitcoms (34 %) wird erkennbar mehr Zeit darauf verwendet. Die Tatsache, dass die Studie bei Sitcoms nur auf einen so niedrigen Wert kommt, zeigt, wie eng sie die Kategorie fasst auch bei Sendungen, die eindeutig in ihrer Ganze humorvoll intendiert sind. Aber auch wenn man die Definition sehr weit fasst, kommt man auf einen Wert unter 13 %. Zillmann (1977) findet 1975 in seiner Untersuchung, die nicht die Zeit, sondem die Anzahl der Sendungen zur Grundlage der Statistik macht, dass 15 % der Programmangebote humoristischer Natur sind. Ein Paradebeispiel far die Prasentation von nichtintentionalem Humor sind Sendungen wie ^yBitte Idcheln", ,,Bitte lachen!, „ Upps - die Superpannenshow"' oder .JPleiten, Pech und Pannen'\ Sie beruhen auf speziellen Strukturen der Komik, bei denen der Zuschauer reflexartig aus der Emotion Schadenfreude heraus lachen muss, ohne mit kritischem Abstand bestimmte Sachverhalte begreifen zu miissen. ,,Verstehen Sie SpafiT ist eine Sendung, die fast seit Anbeginn des Femsehens besteht und in der einen oder anderen Form ihre Zuseher zum Lachen bringt: Ein Autofahrer breitet in einem Stuttgarter Vorort ein Schnittmuster auf seiner Motorhaube aus und bittet Passanten, ihm zu helfen. Er behauptet, dass er sich verfahren habe und alles, was er habe um sich zu orientieren sei dieser Plan, den er als Abwasserplan von Stuttgart bezeichnet. Freundliche Stuttgarter Biirgerinnen und Burger bemiihen sich angestrengt, aber vergebens iiber den Plan gebeugt um Orientierung. Derartige Sendungen folgen dem gleichen Prinzip. Prominente oder weniger Prominente werden ohne ihr Wissen in Situationen gebracht, die sie mit ihrem gewohnten Repertoire an Wissen und Erfahrung nicht in Einklang bringen konnen. Eine scheinbar alltagliche Situation kann mit den bekannten Mitteln nicht gelost werden oder sie nimmt einen Verlauf, der nicht erwartet werden konnte. Es geht darum, mechanische
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und soziale Defekte vorzufuhren. Die Opfer sollen die Fassimg verlieren oder sie werden zumindest zu Fehlleistungen animiert. Eine versteckte Kamera nimmt die Szene jeweils auf. Die Auflosung der Demiitigung und damit die nichtaggressive Interpretation geschieht vor Ort, indem sich der Moderator oder das Kamerateam enttamt. Spater, in der Live-Sendung, die die Clips dann prasentiert, werden die Opfer eingeladen und als Menschen gelobt, die SpaB verstehen. Wer nicht souveran genug ist, sich selbst als Gegenstand des Auslachens zu prasentieren, wird zum unkooperativen Spielverderber. Der Zuschauer hat von Beginn an eine hierarchisch hohere Position, da er um die Falle weiB. Bereits der Titel der Sendung macht ihn darauf aufinerksam, wie die Aufzeichnungen zu interpretieren sind. Es ist komisch, wenn sich jemand in einer falsch interpretierten Situation unangemessen verhalt. Damit erfullen diese Sendungen die Muster des Witzes: irreales Setting, Missinterpretation der Situation und BloBstellen der Fehlleistung. Bleibt die Frage, warum sich Menschen freiwillig - denn immerhin miissen sie nachtraglich eine Einverstandniserklarung fur die Ausstrahlung geben - einer Demiitigung hingeben. „Im Femsehen bloBgestellt zu werden aber ist eine Ehre, ahnlich wie es im Alltag eine - wenn auch zweifelhafte - Ehre sein kann, Held oder Heldin einer immer wieder erzahlten Geschichte zu sein, in der man selbst nicht allzu gut ,wegkommt'. Hier gilt das Gesetz: Auch wer zum komischen Helden wurde, ist einmal zum Helden geworden." (Keppler 1994, 59) Der Gegenwert, namlich das Bekanntwerden durch einen Auftritt in den Medien oder ein Zuwachs der Prominenz, scheint Anreiz genug, zimial durch die Auflosung des inszenierten Settings und den gemeinsamen Auftritt mit dem Moderator die Fehlleistung abgeschwacht wird. Sketch, Klamauk und Kabarett. In Late Night Talkshows wie die ^Jiarald Schmidt Show" und uberall, wo in der einen oder anderen Form durch verbale Mittel Humor gemacht wird, werden im Grunde Witze und Gags erzahlt und mehr oder weniger dramatisch dargestellt. Tabus werden gebrochen oder zumindest werden spielerisch Menschen dargestellt, die dies tun. Der Schauspieler/Moderator/Standup-Comedian iibernimmt spontan verschiedene Rollen, flihrt sie vor, um deren Verhalten oder Meinung zu denunzieren. „Was darf Satire?", fragte Kurt Tucholsky und antwortete: „Alles" und vergisst nicht hinzuzufugen: „Nirgends verrat sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist." Der Effekt ist namlich wichtiger als die Aussage. Der Uberbringer der Botschaft, der Denunziant, will sich als iiberlegener Besserwisser dem Publikum prasentieren. Besonders clever ist Kabarett dort, wo es das Publikum die letzte Schlussfolgerung selbst ziehen lasst, ohne aber zu vergessen, die Spur zuvor deutlich zu legen. Bei Sketchen werden eigentlich immer dumme und ungeschickte Menschen dargestellt. Der gestellte Gesichtsausdruck soil mangelnde Intelligenz zeigen: Uberraschung bei nicht Uberraschendem, unbewegtes Gesicht bei Emotionalem. Gestik und Korperhaltung signalisieren Behinderungen oder ungeschicktes Verhalten. Die Kleidung ist unangemessen in verschiedener Hinsicht. Zu eng oder zu weit zeigt okonomischen Mangel, grelle Kleidung zeigt mangelnden Geschmack und soziale Fehlleistung. Der Trager weiB offenbar nicht, wie man sich angemessen prasentiert. Darum sind die Gastgeber der Late Night Shows korrekt und eher konservativ gekleidet. Sie wissen, was sich gehort und konnen darum besser bloBstellen. Ubertreibung steht grundsatzlich fur ein mangelhafles Normverstandnis. Travestie dient in komischen Situationen
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dazu, den oder die Dargestellten (Politiker, Prominente, soziale oder ethnische Gruppe) als fehlerhaft zu zeigen. Das sich als politisch verstehende Kabarett hat aktuelle Politik und Politiker zum Gegenstand und wird damit zu einer Form von Opposition. Man zeigt die Fehlleistungen der politischen Vertreter. Kabarett sieht sich subversiv, da es die herrschende Ordnung nicht nur in Frage stellt, sondem sie als fehlerhaft darstellt. Humor hat hier die Funktion der Kritik. Damit ist Kabarett moralisch. Es verweist auf eine der Aufgaben von Gruppenordnung, die auch von Medien geme in Anspruch genommen wird. Es geht um das Uberwachen von Verhalten. Politische Schmahschriften, Pamphlete, Spottlieder und -gedichte sowie Karikaturen sind so alt wie die Medien, die sie tragen. Immer dienten sie dazu, politische Gegner zu denunzieren oder Obrigkeiten zu verleumden, indem man sie lacherlich machte. Damit sind sie Ausdruck von Auflehnung. Humor scheint eine Sprache des politischen Widerstandes zu haben. Kritische AuBerungen kommen im Mantel des Harmlosen. Sie reflektieren die bestehenden Formen des politischen Lebens, fordem diese heraus. Schadenfreude hat immer, mal mehr, mal weniger offensichtlich, das Ziel zu emiedrigen, mit dem Ergebnis, wie Eibl-Eibesfeldt ausgefiihrt hat, den Ausgelachten wieder der Norm anzugleichen. Selbst wenn im Rahmen eines Kabarett-Programms Politiker verspottet werden, gilt es dem Ziel, den verantwortlichen Politikem auf die Finger zu klopfen, ihr Verhalten zu korrigieren, indem das Publikum sie anhand von Lachsalven dazu bringt, der sozialen, okologischen oder okonomischen Norm entsprechende Politik zu machen. Beachtet werden muss dabei allerdings vor allem eine wichtige Technik des Komischen: Die auszulachende Person soUte verdinglicht werden, damit sie nicht real wirkt. Auch Henry Bergson nannte diese Voraussetzung mit an erster Stelle in seiner Abhandlung iiber „Das Lachen": „Stellungen, Gebarden und Bewegungen des menschlichen Korpers sind in dem MaBe komisch, als unser Korper dabei an einen bloBen Mechanismus erinnert." (Bergson 1948, 21) AuBerdem weist Bergson darauf hin, dass Gesten „sofort lacherlich werden, wenn sie von einem anderen nachgeahmt werden." (Bergson 1948, 21) Eine beliebte Form dieser Imitierung ist daher sicherlich die Parodie im Kabarett. Um bei den Politikem zu bleiben: Gerade in der Politik lassen sich besonders ausladende Gesten beobachten, die imitiert von einem Kabarettisten nicht nur treffend den fehlbaren Charakter umschreiben konnen, sondem auch vor allem eines gewahrleisten: Eine Autoritat innerhalb einer bestimmten Gmppe vor deren Mitgliedem lacherlich zu machen und zu verspotten. Ein Filmbeispiel hierfiir ist sicherlich Charlie Chaplins Parodie auf Hitler in ,J)er grofie Diktator'' (USA 1940). Gerade das politische Kabarett ist ein gutes Beispiel dafiir, dass Humor Gmppen bildend und definierend sein kann. Sendungen wie „Scheibenwischer'' wenden sich an ein intellektuelles Publikum, das die Anspielungen, Witze und Parodien nur verstehen kann, wenn es ausreichend politisch interessiert ist und die entsprechenden Diskurse verfolgt. In Cartoons & Funny Comics gewinnt der kleine Clevere gegen den groBen Starken: .yRoadrunner" gegen Kojote, Ente oder Hase gegen Jager, Maus oder Vogel gegen Katze. Und das immer wieder. Das ist komisch, weil es nicht den Erwartungen entspricht und weil es eine Fehlleistung des GroBen und Starken darstellt. Damit sind Kinder die ideale Zielgmppe.
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Sind im Zeichentrickfilm die Kleinen die Sieger, sind es in der Komodie die Frauen. Auch hier werden Machtverhaltnisse umgedreht, spielerisch vorgefuhrt und aus weiblicher Sicht kritisiert. Die TV-Variante mit groBer Verbreitung ist die Sitcom, abgeleitet von „Situation Comedy". Ein Feuerwerk an Wortwitz wird aus einer Situation produziert, niemand bleibt keinem eine Antwort schuldig. Sitcoms gleichen sich in ihrer Anlage. Ahnlich wie Witze haben sie eine standardisierte Form in dem Sinn, dass sie klar Humor signalisieren, durch die Programmplatzierung und Ankiindigimg, durch Musik und nicht zuletzt durch eingespielte Lacher eines nicht sichtbaren Publikums, die daran erinnem, wie die Situationen zu verstehen sind. Diese Lacher sind auch Signale, nach Anzeichen im Gesehenen und im Gehorten zu suchen, die humorvoll interpretiert werden konnen. Die Sitcom als normales und alltagliches Setting zu klassifizieren, ist sicher nicht richtig. Zwar scheint es auch auf andere Genres wie Melodram durch Konstellationen wie „Familienleben", „Arbeitsplatz" oder „Bar" zu verweisen, doch sind diese in der Sitcom eher in Anflihrungszeichen zu sehen. Das Gleiche gilt fiir die Charaktere wie „Vater", „Mutter", „Tochter" oder „Sohn". Gerade Kinder spielen Figuren, die den Erwachsenen in ihren intellektuellen Fahigkeiten in nichts nachstehen. Auf ihre Weise stellen sie die Bemiihungen der Erwachsenen bloB. Die Komik erwachst oftmals aus dem Widerspruch zwischen den Rollen, wie sie im kulturellen Hintergrundwissen prasent sind, und der Darbietung in der Sendung. Dass der Vater den Rollenerwartungen einerseits iibertrieben entspricht und andererseits nicht ohne dass es einen emst zu nehmenden Konflikt erzeugt, erweckt die humorvolle Interpretation. Diese wird dadurch immer wieder bestatigt, dass es keine Anzeichen eines andauemden Konfliktes gibt, weder dass die Figuren durch ihre emotionalen AuBerungen (Weinen, physische Aggressivitat) reagieren, noch dass die zum Konflikt fuhrende Situation langer behandelt und in unterschiedlichen Konsequenzen vorgefuhrt wird. Im Grunde handelt es sich um eine Aneinanderreihung narrativer Elemente, die zwar verbunden sind durch das gemeinsame Personal und dessen Rollen, aber ansonsten jeweils fur sich stehen. Sitcoms iibertreiben, verkiirzen und verallgemeinem in einer Weise, wie es in Witzen iiblich ist. Die Figuren scheinen in einer Konstellation, der sie nicht entfliehen konnen. Sie ergeben auch als Gruppe ein Setting, das zwar variiert, aber niemals durchbrochen wird. Das liegt auch daran, dass die Stereotypisierung nicht in Frage zu stellen ist, da sie den Erwartungshintergrund liefert, der den humorvollen Widerspruch erzeugt. Darum gibt es auch keine Entwicklung von einer Folge zur nachsten. Das Verstandnis des Settings gerat ansonsten in Gefahr. Die Pioniere des Humors im Film sind die Slapstick-Komodianten der StummfilmAra. Bei Chaplin geht es um den Kampf zwischen Mensch und Umwelt, zwischen Mensch und Technik, zwischen Mensch und der Tiicke des Objektes. Immer erweisen sich die Objekte als iiberlegen. Die Hauptfiguren dieser Ara sind im Grunde beschadigte Personen: Chaplin, ein schmachtiger kleiner Mann mit zu groBen Schuhen, der geht wie eine Ente; Buster Keaton macht, was immer auch geschieht, ein stoisch trauriges Gesicht, das eigentlich immer unangemessen erscheint. Stan Laurel und Oliver Hardy, das ungleiche wie unzertrennliche Paar, leidet wechselseitig an den Unzulanglichkeiten des anderen. Aggression driickt sich aus in Sachbeschadigung und schmerzloser Korperverletzung. Opfer von Spott sind geme Autoritaten: Polizisten, die im Allgemeinen einen eher emsten Umgang erwarten, werden verpriigelt, fallen ins Wasser, handeln ungeschickt
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und dumm. Der Zuschauer hat daran besondere Freude, die er nur in der medialen Fantasie ausleben darf. Humor in der Werbung. Geme wird in Werbung Humor eingesetzt. Immerhin wird ein positives Gefuhl erzeugt und die Erinnerung an die Episode diirfte groB sein. Doch sollte der Gebrauch wohl kalkuliert sein. Weder das Produkt noch die Nutzer diirfen ausgelacht werden, sondem eher Figuren, die das Produkt nicht oder noch nicht nutzen. Humor ist also ein nicht ganzfreundlicher,aber dennoch deutlicher Hinweis darauf, in welche Situation man gerat, wenn man sich dem Produkt verweigert: Man ist Gegenstand des Spottes. Humor ist also zusammenfassend ahnlich wie Sprache ein Phanomen, das universelle und kulturelle Elemente aufweist. Da er ebenso wie Sprachfahigkeit angeboren ist und die jeweilige Sprache im kulturellen Kontext erlemt wird, ist Humor alien Menschen gemeinsam. Die Unterschiede liegen weniger in den Variationen (z. B. Ratsel, Wortspiele, Witze oder Anekdoten) oder in den Techniken des Humors (wie Nachaffen, Mehrdeutigkeit, Ubertreibung, Spott oder Ironie), die in alien Kulturen vorkommen, sondem eher in der unterschiedlichen Intensitat der Nutzimg der Elemente. Kooperation und Identifizieren von Betriigern Als Einzelner ist man in einer Gruppe gut aufgehoben. Gefahren gemeinsam zu begegnen, darin liegt der groBe Vorteil des Gruppenlebens. Die Gruppe bietet Schutz. Eine Gefahr liegt darin, dass manche wenig beitragen zum Schutz und andere ausnutzen. Das gefahrdet alle. Das Gefangenen-Dilemma als Muster fiir Kooperation Robert Axelrod interessiert die Frage, wie sich kooperatives Verhalten entwickeln konnte, obgleich nichtkooperatives Verhalten in vielen Fallen fur das Individuum mehr Vorteile bringt und Kooperation in manchen Fallen geradezu absurd erscheint. Axelrod berichtet iiber kooperatives Verhalten zwischen gegnerischen Frontsoldaten in den Schiitzengraben wahrend des Ersten Weltkrieges. Denn Kooperation bedarf bisweilen weder der Freundschaft noch der Voraussicht (Axelrod 1997, vierte Auflage, 65ff). Anhand des so genannten Gefangenen-Dilemmas, fur das er eine Computersimulation entwickelte, konnte er die Vor- und Nachteile von verschiedenen Verhaltensstrategien errechnen. Der Begriff des Gefangenen-Dilemmas geht auf folgende Geschichte zuriick, die den Grundkonflikt zwischen Kooperation und Egoismus beschreibt: Zwei Personen werden als Verdachtige eines Verbrechens verhaftet. Die Beweislage ist diinn, wiirde aber geniigen, beide fur jeweils ein Jahr hinter Gitter zu bringen. Der Staatsanwalt macht jedem Einzelnen - ohne dass beide sich verstandigen konnen - das Angebot, dass erfreikonmienkann, wenn er gegen den anderen aussagt, so dass dieser dann fur fiinf Jahre ins Gefangnis muss. Wenn aber beide gegeneinander aussagen, reichen die Beweise, so dass auch beide verurteilt werden. Da sie sich ja aussagewillig gezeigt haben, bekommen beide jeweils eine dreijahrige Gefangnisstrafe. Sagt einer der beiden nicht aus, bringt es ihm nur etwas, wenn der andere auch schweigt. Sagt einer aber aus, so kann sich der andere nur dadurch Erleichterung verschaffen, wenn er ebenfalls aussagt. AuBerdem besteht ja noch die Moglichkeit, dass der andere nichts sagt. In diesem Fall kommt der Aussagende sogar frei. Fiir das Kalkiil des Einzelnen ist eine Aussage also angebracht. Die Verweigerung der Kooperation bringt ihm anscheinend Vorteile. Die Sache ist damit erledigt. Anders wird es.
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wenn Bedingungen hinzukommen: Zum einen wird die Entscheidung haufiger getroffen, das heiBt, es kommt zu wiederholten Begegnungen und Entscheidungen der gleichen Art und zum anderen wenn das System iiber eine Erinnerung verfugt, wie sich der Gegner beim letzten Mai entschieden hat. Wenn jeder diese Erinnerung - nicht seine aktuelle Entscheidung - zur Grundlage der Entscheidung machen kann, wird die Sache anders ausgehen. Das in der wirtschaftstheoretischen Literatur bekannt gewordene Gefangenen-Dilemma - 1950 von Merrill M. Flood und Melvin Dresher eingefuhrt und spater von Albert W. Tucker formalisiert - dient innerhalb der Spieltheorie als ein Modell fur allgemeine Zweipersonenspiele. Hierbei treffen zwei Personen Entscheidimgen iiber Kooperation Oder Nichtkooperation, ohne iiber ausreichende Informationen beziiglich der Entscheidung des anderen verfugen zu konnen. Die Resultate fur die Spieler sind abhangig vom gegenseitigen Verhalten. Die Besonderheit des Gefangenen-Dilemmas besteht darin, dass nicht das individuelle Teilmaximum die optimale Losung darstellt, sondem das gemeinsame Gesamtoptimum. Die Beschafligung mit dem GefangenenDilemma miindet in der Frage, ob kooperatives Verhalten durch die Logik ausgeschlossen wird. Ein Problem, das zunehmend auch von den Evolutionsbiologen thematisiert wird. Der Diskurs kreist hier zum Beispiel um Fragen wie: Kann sich unter Egoisten Kooperation entwickeln? Kann sich Nichtkooperation in Kooperation wandeln? Sind egoistische Organismen ohne Bewusstsein, die einen Lebensraum teilen, zur Kooperation fahig? Das Modell des iterativen Gefangenen-Dilemmas eignet sich zur Beantwortung der Fragen. So bewies 1979 der Politologe Robert Axelrod mit Hilfe eines Computer-Turniers, bei dem eine groBe Zahl von Spielem mit unterschiedlichen Strategien am Gefangenen-Dilemma teilnahm, dass egoistisches Verhalten zu Kooperation fiihren kann (Axelrod 1997, vierte Auflage, 25ff). Computer-Programme symbolisierten diese Spieler, die wahrend des Tumiers alle gegen alle antreten sollten. Die Computer-Programme waren so vorbereitet, dass sie auf ein Kooperieren oder auf ein Mogeln des Gegners entweder mit Kooperieren oder Mogeln reagierten. Die Entscheidungen aus vorherigen Runden konnten dabei beriicksichtigt werden. Die Strategic, die am Ende am meisten Punkte einbrachte, hatte gewonnen. Der Sieger des Tumiers war eine Strategic namens „Tit for Tat" (Axelrod 1997, vierte Auflage, 17), auf Deutsch etwa „Wie du mir so ich dir". Sie kooperiert im ersten Zug und ahmt danach stets die Ziige des Gegenspielers nach. Das vorrangige Ziel dieser Strategic ist es, die anderen Mitspieler zu einem Verhalten zu animieren, das beide Parteien im gleichen MaBe belohnt. Diese Vorgehensweise ist nur moglich, weil es sich hier nicht um ein NuUsummenspiel handelt. AuBerdem fallt sie durch den einfachsten Programm-Aufbau auf, der nur auf einer einzigen kognitiven Fahigkeit aufbaut: das Wiedererkennen von friiheren Partnem und ihrer Verhaltensweisen. Die Charakteristika von „Tit for Tat", die der Strategic zum Sieg verhalfen, wurden von Axelrod folgendermaBen umschrieben: 1. Nettigkeit, das heiBt, es wird nie als erster gemogelt. 2. Versohnlichkeit, das heiBt, die Fahigkeit gegenseitiges Vertrauen wiederherzustellen, nachdem man mit gleicher Miinze zuriickgezahlt hat. 3. Provozierbarkeit, das heiBt, wenn der Gegner mogelt, ist es von Vorteil, schnell aufbrausen und zuruckschlagen zu konnen.
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4. Unkompliziertheit, das heiBt, wenn die Strategic so kompliziert ist, dass sie von anderen nicht mehr verstanden wird, dann halten sie die Strategic fur unbeeinflussbar. Eine Kooperation wird dann nicht fur sinnvoU gehalten. 5. Robustheit, das heiBt, dass sich die Strategien auch in verschiedenen Umgebungen bewahren miissen. Bei der okologischen Variante des Tumiers wird in jeder Runde, die als eine Generation einer Population zu intcrpretieren ist, die erziche Punktzahl der Strategien als Fitness gewertet. Diese zeigt sich in der nachsten Generation als Zahl der Nachkommen und damit als Zahl der Spieler, die diese Strategic als Vcranlagung mitbringen. Die okologische Anpassung cines Programms ist am Wachstum der Population zu crkennen. Die Moglichkeiten der Mutation und die dadurch entstchenden neuen Arten bleiben zunachst unberiicksichtigt. Zu Beginn sind die verschiedensten Strategien vorhanden. Die Unkooperativen dezimieren sich im Laufe der Zeit, da sie ihre Opfer und damit auch ihre Existenzgrundlage vemichten. Die „Tit for Tat"-Strategie gewinnt auch bei dem okologischen Tumier, da sie sich zusammen mit seinen kooperativen Partnem von Generation zu Generation vermehrt. Zunachst wachst die „Tit for Tat"-Population langsam, dann beschleunigt sich diese Entwicklung. Das altruistische Zusammenleben ist in der Okologie von besonderer Bedeutung. Da sich der evolutionare Erfolg eines Lebewesens vor allem in der Fortpflanzung offenbart, ist es auf den ersten Blick kaum zu verstehen, dass Verhaltensweisen entstehen konnten, die nicht nur die eigene Fortpflanzung begiinstigen, sondem auch die der anderen Lebewesen. Die Entstehung von altruistischem Verhalten wird von zwei Thesen gestiitzt: 1. Bei der Vererbung beziehungsweise der Verwandtenselektion wird durch die Fortpflanzung von nahen Verwandten auch das Weiterbestehen von Kopien der eigenen Gene gefbrdert. 2. Hilfestellung unter Nichtverwandten wird erst durch die Gegenseitigkeit lohnend. Der Vorteil kommt zimi tragen, wenn der Gesamtnutzen groBer ist als die Gesamtkosten. Im Vergleich zu Punkt eins konnen sich hier Betriiger besser einschleichen, da der Urheber eines Gewinns nicht unmittelbar von diesem profitieren kann (Vgl. Novak, May und Siegmund 1998, 68ff). In der Folge wurde das System verfeinert und weitere Varianten getestet. Inmier wieder zeigte sich das gleiche Bild: „Tit for Tat" envies sich als die erfolgreichste Strategic. Kooperation zahlt sich aus. Die bei einem Spiel erreichte Punktzahl entspricht der Zahl der Nachkommen einer Population. Von Generation zu Generation andert sich die Umwelt, in der sich die einzelnen Strategien zu bewahren haben, wobei die siegreichen Strategien natiirlich zunehmen. Sehr aggressiv handelnde Populationen sterben dabei aus. Optimistische Theoretiker folgerten daraus, dass sich reziproker Altruismus ganz von allein durch die Selektion einstellen wird. Es ist jedoch zu beriicksichtigen, dass diese Idylle wiederum dazu beitragt, dass Populationen gedeihen, die sich nicht gegen Schadlinge, die eventuell durch Mutation plotzlich entstanden sind, wehren. Die Schadlinge konnen sich somit an der freundlichen, aber naiven Population satt essen. Und damit wird die Idylle wieder unterminiert. Fiir Robert Axelrod ist das iterative Gefangenendilemma ein Modell fur unterschiedliche Situationen von personlichen bis hin zu intemationalen Konflikten. Es gibt keine optimale Strategic, die fiir sich genonmien immer optimal ist. Das Gefangenendilemma ist kein Schachspiel, bei dem man langfristig angelegte Spielziige planen
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kann. Beim Schach ist das Ziel klar: Der letzte entscheidende Zug gegen den Konig. Schach ist im Gegensatz zur Evolution ein Nullsummenspiel. Viel wichtiger ist beim moglichen Kooperieren das Einbeziehen der letzten und damit der erwarteten Verhaltensweise des Gegeniibers. Das Registrieren von guter und schlechter Erfahrung und das Angebot zur Kooperation sind optimale Strategien. Das soUte iiber das aktuelle Entscheiden mit bestimmen, wenn es zu optimalen Losungen fur beide Partner kommen soil. Die Evolution des moralischen Verhaltens Moral kann man mit psychologischen Begriffen beschreiben als SelbstkontroUe, die notwendig ist, um Triebe zu unterdriicken; als Anpassung an soziale Normen; als Achtung vor legitimen Autoritaten; als Einsehen, warum bestimmte Handlungen richtig Oder falsch sind und als Zuwendung zu anderen. Immerhin betont jedes Modell nur bestimmte Aspekte der Moralitat und vemachlassigt andere wichtige Aspekte. Dennis L. Krebs glaubt, dass die Evolutionstheorie in der Lage ist, psychologische Methoden bei der Moralitat zu integrieren, viele ihrer Differenzen zu losen und der Forschung der Moralitat eine neue Richtung zu geben (Krebs in Crawford & Krebs 1998). Es gibt drei Hauptmodelle der Moralitat in der Psychologie: psychoanalytische, sozial erlemte und kognitiv entwickelte Moralitat. Bei dem psychoanalytischen Modell wird angenommen, dass Kinder angeborene starke sexuelle und aggressive Instinkte haben, cUe unmoralisches Verlangen mit sich bringen. Die Eltem widersetzen sich der Befnedigung dieser Triebe, was die klassischen Odipus- und Elektra-Komplexe bildet. Um das vierte Lebensjahr losen die Kinder diese Konflikte, wobei sie sich mit dem Eltemteil des entgegengesetzten Geschlechts identifizieren und dessen Uber-Ich oder Bewusstsein verinnerlichen. Nach der psychoanalytischen Theorie zieht ein moralisches Verhalten zwingende instinktive, Es-basierte, vergniigungssuchende Triebe nach sich. Beim Modell des sozialen Lemens betrachtet man Kinder als von den Eltem und anderen sozialisierend Handelnden beeinflusst, sich moralisch oder unmoralisch zu verhalten. Die Theoretiker dieses Modells heben insbesondere die moralisierenden Effekte der Beeinflussung und der Untermauerung zweiter Hand hervor. Fiir die letzten 30 Jahre war Kohlbergs Modell der kognitiven Entwicklung der Moralitat vorherrschend in der Psychologie. Laut Kohlberg werden Kinder allmahlich moralisch parallel zu den Stufen, bei denen sie die Kapazitat entwickeln, an zunehmend raffinierteren Formen der moralischen Urteilskraft teilzunehmen. Kohlberg nimmt an, dass die kognitiven Strukturen, die die Menschen entwickeln, um moralische Probleme zu losen, Strukturen des Ganzen sind (das heiBt sie organisieren das ganze moralische Denken) und dass spater entwickelte Strukturen fhihere Strukturen ersetzen. Kohlberg erwartete, „dass die Struktur des moralischen Urteils konsistent ist bei sich verandemden Inhalten. Bei der Theorie der kognitiven Entwicklungstheorie beinhaltet das moralische Verhalten, dass man die gerechteste Losung im Zusanmienhang mit moralischen Problemen herausfmdet und dann entsprechend handelt." (Krebs in Crawford & Krebs 1998, 338) Evolution und Moral Wenn man uber biologisch bedingte Dispositionen nachdenkt, dann denkt man an GefraBigkeit, Gier, Neid, Sinneslust, Faulheit, Hochmut und Arger (also die sieben
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Todsiinden). Wie die Psychoanalytiker nehmen die meisten Leute an, dass Instinkte grundsatzlich unmoralisch sind. Wie die Theoretiker des sozialen Lemens nehmen die meisten Leute an, dass die Quelle der Moralitat die Erziehung sei: die Kinder miissen unterrichtet werden, um moralisch zu handeln. Die Idee, dass moralische Charakteristika, Dispositionen und Verhalten biologische Erscheinungen entwickeln konnen, ist auf den ersten Blick hoffhungslos. Wenn die Evolution solche Charakteristika selektiert, die das individuelle Wohlergehen erhohen und wenn die moralischen Charakteristika die Individuen dazu bewegen, ihr Verlangen nach Erhohung ihres Wohlergehens auf Kosten anderer zu unterdriicken, wie haben sich dann moralische Charakteristika herausgebildet? Die Idee, dass sich moralisches Verhalten nicht biologisch entwickeln kann, basiert auf der triigerischen Annahme, dass die moralischen Merkmale die Individuen hindem, ihre Gene zu verbreiten. Diese Idee ist falsch aus zwei Griinden. Erstens konnen sich Individuen opfem, um die Reproduktion der Gene in ihrer Verwandtschaft zu befordem, denn diese sind den eigenen sehr ahnlich. Obwohl solches selbstopfemde Verhalten genetisch egoistisch ist, ist es auf der individuellen Ebene altruistisch. Zweitens kann das Bevorzugen eigener Interessen auf Kosten anderer keine so effektive Strategic sein im Vergleich zu anderen moralischeren Altemativen. Dennis L. Krebs fiihrt ein Beispiel an: Man moge sich eine Gruppe von Individuen vorstellen: Eine der Strategien, die jedes Individuum annehmen konnte - in bestimmten Hinsichten die grundsatzlichste Strategic - ist, seine Interessen individuell zu verteidigen, ohne Riicksicht auf die anderen und, wenn die Ressourcen knapp sind, auf Kosten der anderen Mitglieder der Gruppe. Das Problem bei dieser kompromisslosen egoistischen Strategic ist es, wie Spieltheoretiker wie Axelrod und Hamilton gezeigt haben, dass sich diese nicht so auszahlen wie weniger egoistische Strategien. Durch die spieltheoretischen Experimente konnte man zeigen, dass sich wenigstens eine kooperative Strategic - die gegenseitige Reziprozitat, das „Tit for Tat" - besser auszahlen kann als der egoistische Individualismus. Krebs glaubt, dass das Prinzip, welches die Reziprozitat zu einer so effektiven Strategic werden lieB, dieselbe ist, die die Evolution der Moralitat vermittelte: Individuen in sozialen Gruppen konnen durch Kooperation und mittels Hilfe mancher, aber nicht aller Mitglieder ihrer Gruppe, mehr Ressourcen fiir sich selbst gewinnen als durch die Ausbeutung der Mitglieder oder wenn sic alleine den Gewinn suchen. Wenn Gene, die unsere Vorfahren auf moralisches Verhalten eingestellt haben, ihr Wohlergehen mehr erhoht haben als Gene, die sic auf unmoralisches Verhalten eingestellt haben, sollten sich die fur dieses moralische Verhalten bestimmenden Gene weiter entwickelt haben. Die Ausbeutung anderer ist eine uneffektive Strategic aus drei wesentlichen Griinden: Erstens, einige Ressourcen sind unzuganglich fiir Individuen, wenn sic alleine agieren wurden. Zweitens, unbegrenzter Egoismus wird das Kooperationssystem als Ganzes zerstoren. Drittens, andere sind so entwickelt, dass sic sich der Ausbeutung widersetzen. Im Endeffekt akzeptieren Individuen in sozialen Gruppen moralische Strategien der Interaktion mit dem Ziel, ihren Gewinn zu maximieren, selbst wenn sic sich dessen nicht unbedingt explizit bewusst sind. Moralische Regeln halten diese Strategien aufrecht, wobei sic die Investitionen (die Pflichten) definieren, die von jedem Individuum zu erwarten sind, um die Gegenleistung (die Rechte) zu erlangen. Das Hauptinteresse gilt der Evolution verschiedener, kooperativer, sorgetragender und sich der Versuchung widersetzender Verhaltensformen. Dieses Interesse unter-
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scheidet sich von dem der Psychologen der kognitiven Entwicklung, die die ontogenetische Entwicklung des moralischen Urteilens zu erklaren versuchen. Theoretiker der kognitiven Entwicklung wie Kohlberg wiirden der Ansicht widersprechen, dass jede Verhaltensform, ganz besonders bei Tieren, von auBen als moralisch charakterisiert werden kann. In der Tat argumentierte Kohlberg (1984), dass nur dieses Verhalten als moralisch qualifiziert werden kann, das von der Intention geleitet ist, rationelle, moralische Entscheidungen zu treffen. Es geht darum, zu erklaren, wie sich bestimmte Verhaltenstypen, die als moralisch bezeichnet werden konnen, herausgebildet haben. Die Position der Evolutionspsychologie beziiglich des Verhaltnisses zwischen moralischer Urteilskraft und moralischem Verhalten ist, dass sich die Verhaltenstypen, die als richtig, falsch, gut und schlecht akzeptiert werden sollten, bevor sich deren kognitive Akzeptanz herausgebildet haben. Das bedeutet, dass sich moralische Akzeptanz hat vor den artikulierten moralischen Regeln herausgebildet haben, und die artikulierten moralischen Regeln bildeten sich, bevor die moralischen Richter unter den Menschen appellierten, dieselben aufrechtzuerhalten. AUe moralischen Systeme sind potentiell anfechtbar angesichts des Verlangens von Individuen, ihre Vorteile mittels Betriigerei zu maximieren, was oft moralische Sanktionen mit sich bringt. Krebs bietet folgende These dazu an: Die Fahigkeit von Individuen, Betrug zu entdecken und ihr Hang, diesen zu bestrafen, variierte in Abhangigkeit von den Kosten und Vorteilen beim Habhaft werden und Bestrafen von Betriigem. Was sich bei Individuen entwickelt hat, ist die Kapazitat, konditionale Strategien zu entwickeln: Sich moralisch zu verhalten, wenn es sich lohnt; zu betriigen, wenn einer glaubt, er kame ungestraft davon; Betriiger zu identifizieren und zu bestrafen, wenn das opportun ist. Verhalten, das Autoritat, Gerechtigkeit und Sorgetragen aufrecht erhalt, kann sich biologisch entwickeln. Der Respekt vor einer Autoritat ist mit dem adaptiven Wert der Differenzierung verbunden. Die Evolution der Gerechtigkeit geht einher mit dem adaptiven Wert der Kooperation und die Evolution des Sorgetragens mit dem adaptiven Wert der Paarung und der Hilfeleistung unter nahen Verwandten. Folglich entwickelten sich moralische Eigenschaften durch Gruppenselektion. Prinzipien der Gerechtigkeit haben sich entwickelt, um Kooperationssysteme aufrechtzuerhalten: Mutualismus (Gegenseitigkeit, Gemeinsamkeit) und Reziprozitat. Eine Lowin zum Beispiel jagt eine Antilope so, dass diese auf ihre Gruppe zukommt. Die Antilope wird mit Hilfe aller getotet und alle haben Anteil an der Beute. Ebenso finden sich kooperative Formen der gemeinsamen Verteidigung. Die Kooperationsform, die Gruppenjagd und Gruppenverteidigung befbrdert - Individuen verhalten sich so, dass es einen gemeinsamen Vorteil gibt - nennt man Mutualismus. Individuen gewinnen mehr fiir sich selbst, wenn sie gemeinsam arbeiten, als wenn sie dasselbe alieine tun. Mutualismus entwickelt sich gewohnlich in feindseliger Umwelt, in der Individuen Hilfe zum Uberleben und Reproduzieren brauchen. Gewinne und Verluste und folglich die Konditionen, die ihre Evolution und Aktivierung regulieren, hangen von Faktoren ab wie Qualitat und Wert vorhandener Ressourcen, Zahl der Individuen, die diese Ressourcen erlangen soUen, der Zahl der Individuen, mit denen die Ressourcen geteilt werden miissen, der Fahigkeit der Individuen Ressourcen zu erlangen und der Summe der Bemiihungen oder Risiken im Verhaltnis zu anderen Optionen.
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Die humanoiden Vorfahren haben in einer relativ feindseligen Umwelt gelebt, die voUer Gefahren war. Raubtiere waren viel starker als sie. Wahrend der spaten Steinzeit begannen unsere Vorfahren, groBere Beutetiere zu jagen. Daher und aus anderen Griinden kamen Evolutionstheoretiker zu der Schlussfolgenmg, dass der Mutualismus als Instrument in der Evolution der Menschenspezies gedient habe. Wahrend der neueren evolutionaren Geschichte sollte es einen selektiven Druck gegeben haben, der die Fahigkeit als Gruppe zu kooperieren, gefordert hat. Organisiertes Nahrungssammeln und organisiertes Jagen sind nur dann erfolgreich, wenn jedes Mitglied der Gruppe seine Aufgabe kennt und sich in der Aktivitat seiner Verbiindeten integriert. Der Grad des selektiven Druckes in Richtung Kooperation, Gruppenbewusstsein und Identifikation war so stark, und die Periode, in der dieser Druck wirksam war, war so lang, dass sich die damals entwickelten Eigenschaften mit Sicherheit im genetischen Aufbau einen festen Platz gefunden haben. Tooby und Devore (1987) bestimmten 15 Merkmale, durch die sich menschenartige Wesen von anderen Primaten unterscheiden. Zwei dieser zoologisch einzigartigen Charakteristika schliefien Mutualismus ein: groBere und strukturiertere Koalitionen und ein hoher Grad der Aggression zwischen Gruppen bis zum Krieg. Die wichtigste Eigenschaft fur das Wohlergehen unserer Vorfahren konnten Koalitionen mit anderen Menschen gewesen sein. Da die Macht von Gruppen mit ihrer GroBe zunimmt, sollte der evolutionare Druck solche Gruppen zur Weiterentwicklung gebracht haben, die groBer waren. Zusatzlich zum gemeinsamen Erwerb von Vorteilen konnen Individuen mittels Teilnahme an unterschiedlichen Formen der Reziprozitat kooperieren. Es gibt sechs Bedingungen, die die Evolution der Reziprozitat begiinstigen: lange Lebenszeit, niedriger Grad der Streuung, hoher Grad der gegenseitigen Abhangigkeit, lange Erziehungszeit der Kinder, Fahigkeit, Artmitgliedem im Kampf zu helfen, und flexible Dominanzhierarchien (Trivers 1971). Reziprozitat wird bei Spezies begiinstigt, die fahig sind, einander zu erkennen und sich vorherige Begegnungen zu merken. Gegenseitige Kooperation und Reziprozitat beinhaltet den Ausgleich zwischen Investitionen und Ergebnissen, Rechten und Pflichten, dem Geben und Nehmen hauptsachlich bei der Vorstellung von der distributiven Gerechtigkeit. Reziprozitat basiert auf dem Vertrauen, dass die Investitionen von jemandem zuriickgezahlt werden. Reziproke Abmachungen beinhalten implizite oder explizite Vertrage. Sozialpsychologische Untersuchungen iiber Gruppenbildung konnen belegen, dass Individuen auf der Basis von gemeinsamen Interessen Gruppen bilden und diese schnell wieder losen, wenn die Interessen auseinandergehen. Krebs und Denton konnten belegen, dass sich kognitive Strukturen bei Menschen herausgebildet haben, die ihnen helfen, andere als Mitglieder oder Nichtmitglieder der Gruppe zu kategorisieren (Krebs & Denton 1997). Femer verarbeiten sie Information, die Mitglieder der eigenen Gruppe angeht, systematisch auf eine vorteilhaftere Art und Weise als eine Information iiber Nichtmitglieder. Das Problem mit den Gruppen aufrechterhaltenden Konzepten der Moralitat ist, dass sie nur Mitglieder von Gruppen angehen. Sei es sexuelle, Verwandtschafts- oder Gruppenselektion, alle erhohen das diskriminierende Verhalten. Wie man bei kriegerischen Auseinandersetzungen beobachten kann, korrespondieren moralische Normen generell nicht mit Beziehungen zwischen Gruppenmitgliedem und Nichtgruppenmitgliedem.
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Nichtfiktionale Betriiger-Suche in den Medien Das Weiterleiten von Information ist auch in vorsprachlichen Gemeinschaften anzutreffen: Wamrufe, Notsignale oder Richtung und Qualitat von Nahrungsressourcen sind gelaufige Beispiele. Kooperation und Kommunikation bedingen einander. Eine Nachricht ist demnach eine Information, die fur viele Mitglieder der Gesellschaft von Bedeutung ist oder sein kann. Von eminenter Bedeutung sind innere und aufiere Gefahren sowie Informationen iiber den Zustand der Gruppe. Ein weiteres Kriterium ist der Nachrichtenwert. Nachrichten miissen aktuell sein und damit einen Bezug zu Entscheidungen der Gruppe aufweisen. Unter diesen Aspekten sind die medial vermittelten Informationen zu betrachten. Nachrichten, Polit- und Boulevard-Magazine Die Zusammenfassung von nichtfiktionalen TV-Genres ist sicher nicht unumstritten, vor allem wenn man Boulevard- und Reality-TV mit Nachrichtensendungen und Politmagazinen zusammenbringt. Diese Unterscheidung wird jedoch in erster Linie von einem elitaren Standpunkt aus getroffen, der anscheinend zwischen werter und unwerter Information, zwischen Information und Unterhaltung, zwischen Information und Infotainment unterscheiden kann. Doch wenn man nichtasthetische Merkmale zu Grunde legt, wird eine Unterscheidung unmoglich. Auf den Zusammenhang zwischen Information und Interesse und sozialem Standpunkt ist noch hinzuweisen. Was ein Politiker zu dem einen oder anderen Punkt gesagt und gemeint haben mag, ist in bestimmten Kreisen sicher eminent wichtig und gilt vielen als nachrichtenwertes Ereignis. Aber ebenso wichtig mag es in einem anderen sozialen Umfeld sein, zu wissen, welches FuBballteam wie hoch gewonnen hat, oder wie es diesem oder jenem Schlagersanger in seinem Privatleben ergangen ist. Uber die Themen der aktuellen Dokumentationssendungen gibt es keine verlasslichen Untersuchungen. Dass soziale Konflikte zu den zentralen Themen gehoren, ist nicht umstritten. Aber fiir Begriffe wie „soziale Konflikte" besteht keine eindeutige Definition. So zahlen Cohen, Adoni und Bantz in ihrer Untersuchung (1990, 81) iiber Nachrichtenprogramme in fiinf Landem Sport im Wesentlichen zu den „non-conflict items". Aus evolutionspsychologischer Sicht ist Sport aber geradezu ein Paradebeispiel fiir Auseinandersetzung. Dies widerspricht meines Erachtens sogar ihrer eigenen Definition eines sozialen Konflikts, den sie bezeichnen als „Beziehung zwischen zwei oder mehreren Parteien, die (oder deren Vertreter) glauben, dass sie unvereinbare Ziele haben." (25) Ebenso schwierig ist es, die Kategorie „Katastrophen und Unfalle" iiberwiegend zu den nichtsozialen Konflikten zu zahlen. Bereits die in aller Kegel aufgeworfene Frage nach den Verantwortlichen, die Frage nach der Wiedergutmachung und Kompensation, die Frage, ob der Schaden vermeidbar gewesen ware, verweist auf soziale Konflikte. In einer Betrachtung iiber die Inhalte von Nachrichtensendungen ist es fahrlassig, diese Elemente zu unterschlagen. Fiir die vorliegende Untersuchung bedeutet dies, dass auf bisherige Kategorisierungen und deren Ergebnisse nicht zuruckgegriffen werden kann. Neue Einordnungen miissen vorgenommen werden. Drei Fragen bestimmen den Nachrichtenwert von Informationen: Was bedroht mich und mein soziales Umfeld? Wie geht es mir und meinem sozialen Umfeld besser? Welche aktuellen Ereignisse bestimmen die Antworten zu den beiden Fragen?
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Die Rolle des Uhermittlers Da steht einer vorm WeiBen Haus und spricht in die Kamera. Warum kein Amerikaner, der deutsch spricht? Warum muss ein Deutscher den teuren Plug in Anspruch nehmen? Es geht darum, dass ein Berichterstatter der eigenen Gruppe (erkennbar an der Sprache, Gesichtsziigen imd sozialen Merkmalen wie Haartracht oder Kleidung) die Nachrichten iiberbringt. Dies hat Folgen: Es geht um die Glaubhaftmachung fur die eigene Sichtweise, fur das Interesse und damit xmi die Glaubwiirdigkeit. Subjektive Sicht der Sachverhahe und deren subjektive Logik wurde in einer Erweiterung des Wason-Tests durch Gerd Gigerenzer (Cosmides and Tooby, in Barkow, Cosmides and Tooby 1992, 198f.) in die evolutionspsychologische Theorie eingebracht. Glaubwiirdigkeit ist eine Qualitat, die ein Rezipient einer Nachricht zuweist. Die Quelle einer Nachricht beeinflusst diese Qualitat. Die Komponenten sind Charakter und Redlichkeit des Uhermittlers, die Lauterkeit seiner Motive und seine Kompetenz in Bezug auf den Inhalt der Nachricht. Es geht insgesamt also um die Frage, welche Interessen ein Sprecher vertritt. Interesselosigkeit und ausgewiesenes Expertentum sind Merkmale fiir Glaubwiirdigkeit. Manche neigen allerdings dazu, denjenigen Quellen mehr zu glauben, die ihnen ideologisch nahe stehen oder sonst irgendwie suggerieren, dass sie ihre Interessen vertreten. Auch der friihere Ruf iiber die Verlasslichkeit beeinflusst die Haltung gegeniiber den Uberbringem von Nachrichten. Quellen sind nicht nur die Moderatoren und Prasentatoren, sondem auch Organisation. Der Axel-Springer-Verlag und seine Bild-Zeitung, ARD, ZDP, RTL, Satl oder Pro? haben jeweils einen eigenen Ruf, der bereits vor der eigentlichen Nachricht die Erwartung und Haltung zu dieser bestimmt. Moderatoren und Joumalisten miissen keine Experten auf den Gebieten sein, iiber die sie berichten. Gerade bei Themen des menschlichen Zusammenlebens sind alle mehr oder minder Experten. Warum ist die Meinung von bestimmten Personen wichtig? Gerade wenn Menschen in den Medien auflreten und viele ihnen zuhoren (das ist eine Definition von Prominenz) geht die MeinungsauBerung iiber den Inhalt hinaus. Die Funktion ist dann auch Gruppen bildend. Koordination und Kooperation sind leichter moglich, wenn alle ahnliche Einschatzungen und Meinungen haben, oder - um es metaphorisch zu umschreiben - wenn alle an einem Strang ziehen. Dann ist die Meinung auch wichtig fiir die Interpretation der Nachricht. Nachrichten sind Fakten, aber erst die Interpretation schafft Bedeutung. Ein Reporter vor Ort wird live von der Nachrichtensprecherin befragt: Er ist Zeuge und schildert seine Eindrucke. Dass dabei auch Spekulationen und die Wiedergabe von Geriichten ununterscheidbar mit Fakten vermischt werden, ist fur die Rezipienten kaum nachvollziehbar. Zeugen haben hohe Glaubwiirdigkeit. Es sind nicht nur Zeugen vor Ort, sondem es sind gleichzeitig Vertreter einer Gruppe und einer Sichtweise und bestimmter Interessen. Eine Aufteilung der Prasentatoren im Rahmen der Nachrichtensendungen entspricht nicht nur der Aufteilung in unterschiedliche Kompetenzbereiche, sondem auch in unterschiedliche Sichtweisen. Manner und Frauen sind vertreten, um damit unterschiedliche Perspektiven zu reprasentieren. In multiethnischen Gesellschaften wie den USA sind unterschiedliche Ethnien in den Nachrichtensendungen vertreten. Zumindest Nachrichten, Sport und Wetter sind zudem in aller Regel getrennt besetzt, bisweilen kommen zudem Kommentatoren und Experten ins Studio. Damit ein moglichst groBes
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und disperses Publikum erreicht werden kann, werden diese thematischen wie ethnischen und geschlechtsorientierten Rollenzuweisungen vorgenommen. Unterschiedliche Standpunkte werden zudem meist unkommentiert dargeboten. Befurworter wie Gegner einer Thematik kommen zu Wort. Moderatoren beziehen selten Stellung Oder bewerten die Ereignisse. Sie sehen sich als Boten von Nachrichten. Sie zitieren. Sie enthaiten sich der eignen Meinimg. Dieses Verfahren sichert das, was man gemeinhin Objektivitat oder Ausgewogenheit nennt. Durch die Verweigerung eines Standpunktes wird die Glaubwiirdigkeit unterstiitzt. Jeder Zuschauer bedient sich aus den Angeboten der Positionen von Gegnem und Befiirwortem. TV-Nachrichtensendungen versprechen Antworten, sie bieten aber meist Positionen, aus denen die Rezipienten auswahlen konnen. Moderatoren und Berichterstatter vor Ort haben weitere Bedeutungen, die sich aus der Funktion der Sprache als Erweiterung des Kraulens ableiten. Kinder haben eine Phase des Spracherwerbs, wo sie auf Dinge zeigen und der Erzieher ihnen das dazugehorige Wort mitteilt. Bilderbiicher und Zoobesuche haben diese Zeig- und Defmitionsfunktion. Das Verhaltnis zwischen Erwachsenem und Kind ist zunachst emotional und durch intuitive Reaktionen bestimmt, die sich in der Brutpflege entwickelt haben. Dariiber hinaus beschreibt es auch ein hierarchisches Verhaltnis. Diejenige Person, die benennt, hat die Macht iiber die Definition. Sie gibt einen Bedeutungszusammenhang vor, bewertet den Sachverhalt und empfiehlt Gefuhlsreaktionen. Das Verweisen und Definieren hat einen weiteren statusrelevanten Charakter. Der Berichterstatter macht aufinerksam auf Besonderheiten und auBergewohnliche Begebenheiten. Er zeigt sich den anderen gegeniiber als aufinerksam und verweist damit auf sich: „Ich habe es (als erster) gesehen!" Der Ubermittler hat Macht iiber die Nachricht. Er kann sie zuruckhalten und damit den Ruf einer Person schiitzen und er kann die Verbreitung einer Nachricht steuem. Die Person, die viele Informationen hat, muss mehr oder minder im Zentrum von kommunikativen Gruppen stehen, denn ihr tragt man offenbar Wissenswertes zu. Sie entscheidet, welche Nachricht zur Veroffentiichung kommt. Diese Nachrichten miissen dann von Bedeutung fur die Gruppe als Ganzes sein. Personen, die iiber Nachrichtenwissen verfiigen, haben im Umkehrschluss einen gewissen Rang innerhalb der Kommunikationsgemeinschaft. Wer iiber langere Zeit eine solche Position inne hat, muss auch eine groBe Glaubwiirdigkeit entwickeln, sofem Glaubwiirdigkeit auch auf Erfahrung mit der Quelle beruht. Inhalte der Nachrichten Wenn man Nachrichten zu anderen Genres - vor allem nichtfiktionalen wie Sport oder Talkshow - abgrenzen mochte, ist die Funktion zu bestimmen. Es geht in Nachrichten um den Zustand und das Wohlergehen der Gruppe. Gefahren. Besonders wichtig beim Wohlergehen sind die Gefahren. Diese konnen von anderen Menschen ausgehen, wie Verbrechem und Betriigem. Uber die besondere RoUe des Gehims bei der Identifizierung von Betriigem wurde ausfuhrlich gesprochen. Auch Gruppenkonflikte wie Kriege, Aufstande oder Unruhen sind Thema. Daneben gibt es Gefahren, die durch natiirliche Ursachen hervorgerufen werden, wie Unwetter, Vulkane oder Tierplagen. Nicht zu vergessen sind auch die Gefahren, die durch menschliche Artefakte, also durch Technik, auftreten konnen: Atomkraftwerke und Verkehrsmittel wie Flugzeuge, Schiffe, Ziige sowie Busse und Autos. Die Anzahl
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der betroffenen Menschen spielt sicher eine mitentscheidende RoUe, ob ein Unfall zum Nachrichtenereignis wird. Die einzelnen Gefahrenquellen sind genauer zu betrachten: Verbrechen und ihre Verursacher, die Betriiger, verstoBen gegen den Sozialkontrakt, Sie sind eine wesentliche Bedrohung fiir das Wohlergehen der Gruppe. Das Risiko, mehr zu investieren, als man emten kann, bedroht nicht nur den Bestand der Gemeinschafl, sondem auch das Uberleben jedes Einzelnen. Mord, Verletzung und Vergewaltigung haben nicht notwendig die Aneignung eines Besitzes des Opfers zum Ziei. Es geht um die Macht iiber andere Menschen, und der gewahsame Tod ist die finale Macht iiber andere. Die unterschiedlichen Rollen sind einzeln zu betrachten. Beim Tater interessiert seine Motivation. Liegt diese in der Aneignung von Besitz begriindet, liegen also so genannte niedere Beweggriinde vor, ist die Strafe am hartesten. Bei Psychopathen, die krankhaft zu ihrem Tun getrieben werden, ist die Bestrafung schwierig, da ein Zusammenhang zwischen Tat und Strafe auch fiir den Tater nicht nachvoUziehbar ist. Des Weiteren interessiert das Alter des Taters. Minderjahrige werden in vielen Kulturen anders behandelt als Erwachsene. Strafiniindigkeit ist Voraussetzung fur die Einsicht in die Strafe. Von besonderem Gewicht ist daneben die ethnische Zugehorigkeit. Werden Verbrechen iiber Gruppengrenzen begangen, die durch lokale Zugehorigkeiten definiert werden, lassen sich seltsame Praventiv-MaBnahmen beobachten: Durch willkiirliche Zuordnung kann die ganze Gruppe, zu der der Tater gehort, von Vertretem der Gruppe, zu der das Opfer gehort, bestraft werden. Der gewaltsame Tod wird immer als Skandal erlebt, es sei denn, es trifft Tater. Bei einer Geiselnahme, in deren Verlauf der Entfuhrer durch den so genannten finalen Rettungsschuss ums Leben kommt, bewegt kaum. Der Tod der Opfer trifft emotional starker. Sind die Opfer auch noch dem Tater unterlegen, ist die Emporung groBer: Frauen, Kinder und Unschuldige (was immer darunter zu verstehen ist). Auch bei Opfern kann die ethnische Zugehorigkeit wichtig sein. Sind Deutsche als Opfer betroffen, werden auch Verbrechen aus femen Landem berichtet. Ein weiteres Element, das den Skandal des gewaltsamen Todes verstarkt, ist, wenn das Opfer als Altruist oder sonst als guter Mensch bekannt ist. Er ist das Gegenbild zum Tater, der aus egoistischen Griinden handelt. Eine solche Konstellation lost ein Gefiihl von Ungerechtigkeit und Wut aus. Boulevard-Magazine machen von diesen Mustem Gebrauch und erzeugen Zusammenhange, die den Skandal verstarken: „Zwei Tage vor ihrem 6. Geburtstag wurde die kleine Jessica ermordet aufgefimden." Die beiden Ereignisse haben nicht das Geringste miteinander zu tun. Das emotional Positive (der 6. Geburtstag) verstarkt lediglich das emotional Negative (den gewaltsamen Tod). SchlieBlich gibt es noch weitere Rollen, die im Zusanmienhang mit Kriminalitat wichtig sind, namlich die der Retter, Strafv^erfolger und Bestrafer. Da der Zustand der Organisationen, die dafur verantwortlich sind, fiir den Zustand der Gruppe wesentlich ist, muss er auch offentlich diskutiert werden. Besonders wenn die Person beruflich nicht mit einer der Aufgaben betraut ist, ist ihr Eingreifen heldenhaft. Evolutionspsychologisch zu erwarten ist helfendes Verhalten von Lebenspartnem und nahen Verwandten. Altruisten sind grundsatzlich dann besonders hoch angesehen, wenn keine der vorgenannten Bedingungen zutreffen. Eine Personengruppe erregt immer groBe Aufinerksamkeit, wenn sie in einer der Rollen Tater, Opfer oder Retter auftritt, namlich Prominente. Diese haben fiir das
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Wohlergehen der Gruppe besondere Bedeutung. Ihr Befinden beeinflusst auch den sozialen Status von anderen. Das Gefuhl von Unrecht und Ungerechtigkeit basiert auf einer erwarteten angemessenen Behandlung. Ausgelost wird es durch soziale Beobachtungen. Dieses Gefuhl wird subjektiv unterschiedlich wahrgenommen und findet unterschiedliche Auspragungen. Ein Erleben von Ungerechtigkeit kann sich in der Emotion Wut zeigen, die sich gegen den Verursacher richtet. An dieser Stelle kann man zeigen, dass Emotionen auch soziale Phanomene sind. Moral und Ethik sind insofem neuronal veranlagt. Wie bei der artintemen Bedrohung durch Betriiger kann man auch hier die RoUen unterscheiden. Es geht um Opfer: Wichtig fiir die Berichterstattung sind lokale, staatliche Oder ethnische Zugehorigkeit (wie viele Menschen der eigenen Ethnic oder Nationalitat sind betroffen, und Prominente der eigenen Ethnic und Nationalitat unter den Opfem?), Geschlecht (Frauen, besonders Schwangere bediirfen des besonderen Schutzes) und Alter (Kinder scheinen auch hier besondere Emotionen auszulosen). Autounfalle sind haufig und in der Kegel auch kaum berichtenswert, ist jedoch die ExFrau des englischen Thronfolgers betroffen, bekommt der Unfall Nachrichtenwert. Bei Katastrophen und Ungliicken gilt: Je mehr Schaden, desto wahrscheinlicher die Berichterstattung. Der gewaltsame Tod (durch Unfall oder Katastrophe), der spektakulare Tod (durch Anzahl oder Prominenz) und der skandalose Tod (Kinder als Opfer oder durch unheilbare Krankheiten) bieten sich als Themen an. Der Tod ist ein soziales Phanomen und die Vermeidung eine der Aufgaben der Lebenden. Risikowahrnehmung. Die Berichte iiber Gefahren folgen weniger dem objektiven Gefahrenpotenzial, sondem eher der emotional geleiteten subjektiven Risikowahrnehmung. Diese werden wesentlich durch zwei Faktoren beeinflusst: Zum einen die „Schrecklichkeit" einer Gefahrenquelle. Dazu zahlen unkontrollierbare, todliche und katastrophale Ereignisse, bei denen viele Menschen auf einmal betroffen sind. Zum anderen wirkt die Unbekaimtheit und Neuartigkeit eines Phanomens auf die emotionale Einschatzung. Hierunter fallen technologische Risiken wie Atomkraft, Elektrosmog oder Genmanipulation. Lebhafte Vorstellungen und die unmittelbare, wenn auch medial vermittelte, Konfrontation mit der Gefahrensituation wirken Angst auslosend und haben Einfluss auf die Risikoeinschatzung. Dies hat zur Folge, dass Menschen Gefahrenquellen fur dramtisch halten, die relativ selten, unwahrscheinlich, aber unmittelbar mit groBen Verlusten verbunden sind, wahrend sie reale Gefahren, die der eigenen KontroUe unterliegen und freiwillig eingegangen werden wie Auto fahren und rauchen als weniger riskant eingeschatzt werden. Da Medien eher die emotionale Seite der Wahmehmung bedienen, sind eher Berichte iiber die Katastrophen und auBergewohnliche Ereignisse zu erwarten als statistisch relevante Gefahren flir Leib und Leben. (Renner & Schupp 2005) Prdvention. Bei alien Unfallen und Katastrophen wird auch die RoUe der Vermeidung diskutiert. Politische Fiihrer, die Katastrophen nicht vorhersehen, sind schlechter als solche, die besser darauf vorbereitet sind und Antworten haben zur Vermeidung von Ungliicken. Wo immer ein spektakularer Unfall passiert, stellt man Fragen danach, ob das Ungliick wieder auftreten kann. Ursachenforschung ist ein Teil der Pravention. So wichtig scheint die Antwort, dass in Fallen, wo eine Ursache noch nicht auszumachen ist, dies auch betont wird: „Die Ursache ist noch nicht bekannt." Pravention ist das Ziel. Wo immer auf der Welt ein Ungliick geschieht, sucht man Beziige zu aktuellen und lokalen Bedingungen. Die Frage „Ware das Ungliick zu ver-
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meiden gewesen?", leitet uber zu Fragen wie „Wie sicher sind unsere Fahren/Flugzeuge/Kraftwerke?" oder „Brauchen wir Sicherheitsgurte flir Schulbusse?". Intensiv sucht man Aspekte zu ahnlichen Fallen, um sich auf eine Vermeidung vorbereiten zu konnen. Hier kommt die menschliche Eigenschaft der Mustererkennung zum Tragen, die helfen kann, Ursachen zu analysieren und zukiinftig zu vermeiden. Hierzu zahlt heutzutage der Umweltschutz. Pravention ist eine der Eigenschaften, die zu den menschlichen Besonderheiten gehort. Bedingungen sind: Mustererkennung als Voraussetzung flir das Begreifen von Ursache-Wirkungsmechanismen und die mentale Fahigkeit des Probehandelns. Darum kann es auch von Interesse sein, weit entfemte Gefahren zu beachten. Denn es wird gefragt: „Sind wir hier zu Lande auf derartige Situationen vorbereitet?" Die Vemetzung der Massenmedien macht die Informationsubermittlung leicht. Man erfahrt von Uberschwemmungen in Femost, Flugzeugentfuhrungen in Afrika, Erdbeben in Lateinamerika. SchlieBlich gehort auch die Beschaftigung mit der Zukunft zur Pravention. Wetter. Wenn Pravention wichtig ist, muss man interessiert sein an den moglichen kommenden Gefahren. Dazu zahlte in evolutionarer Vorzeit mit Sicherheit das Wetter. Die Nahrung hing direkt vom jahreszeitlichen Wechsel ab, die Wanderung der Tiere ebenso wie der Stand von Friichten oder Getreide. Das Wetter ist nicht zuletzt eine anerkannte Ursache flir Katastrophen: Uberschwemumungen, Sturmschaden, Brande und Trockenheit sind direkte Auswirkungen klimatischer Phanomene. Die Darstellung des Wetters erfahrt damit weitgehend asthetische und emotionale Darstellung und Bewertung. Die Kriterien der Bewertung sind die flir Menschen angenehmen Temperaturen (nicht zu kalt, nicht zu heiB) und keine Niederschlage. Bisweilen wird das Wetter nach dem Freizeitwert (Skifahren, Schwimmen, Sonnen) beurteilt, in Extremsituationen und bei entsprechenden Schaden nach landwirtschafllichen Bediirfiiissen. Der Bote der Wettermeldungen hat eine besondere Rolle. Er schaut in die Zukunft und berichtet daruber. Das Wissen iiber zukiinftige Ereignisse hat naturgemaB einen besonderen Reiz. Der Blick von oben, dessen Perspektive sogar die Wolken unter sich lasst, ist ein weiteres Faszinosum, dessen Sichtweise die des Machtigen ist. Das Wetter selbst wird zum Akteur, dem man Eigenstandigkeit zuspricht. In den alten Sagen wurden Wetterphanomene personalisiert. Der Hammer schleudemde Donar kann als Beispiel stehen. Durch Rituale versuchte man direkt auf ihn Einfluss zu nehmen. Animierte Reste sind auch heute noch zu entdecken: In der modemen Meteorologie erhalten Hochs und Tiefs Vomamen. Das verstarkt den Eindruck von willentlich handelnden Subjekten. Wenn Pravention durch Gefahrenabwehr geleistet wird, dann ist zu erwarten, dass die Diskussion zu diesen Themen besonders intensiv geflihrt wird. Die Unterhaltung iiber das Wetter scheint dazuzugehoren. Das Wohlergehen und der okonomische Status der Gruppe. Der aktuelle Zustand der Gruppe ist Gegenstand der Diskussionen, um zukiinftige Gefahren abzuwenden. Der Zustand der Gruppe als Ganzes macht sich fest am Zustand der Ressourcen, also an der Okonomie. Wirtschaftswachstum, Energieverbrauchszahlen, Arbeitslosenquoten, Aktien- und Wechselkurse oder die Plansollerfiillung sind - wenn auch sehr unterschiedlich - Indizes fiir die wirtschaftliche Lage der Gruppe, die in den Nachrichten mitgeteilt und diskutiert werden. Weitere Informationen, die das Wohlergehen der Gruppe anzeigen, sind Statistiken und Berichte iiber den gesundheitlichen Zustand. Jahresstatistiken uber Unfallopfer
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Oder Drogentote, auch Reportagen iiber Arztekongresse tragen zu dem Wissen bei, wie es um die eigene Gruppe und deren Gefahrenabwehr bestellt ist. Mit Hilfe der Statistiken lassen sich zwei Bewertungen vomehmen. Zeitreihenvergleiche zeigen an, wie sich ein bestimmter Aspekt des Wohlergehens verbessert oder verschlechtert hat. Unfallstatistiken gehoren dazu. Man kann damit ablesen, ob die untemommenen Anstrengungen, diese Gefahr zu bannen, von Erfolg gekront waren. Auf der anderen Seite dienen Statistiken dazu, sich mit anderen Gruppen zu messen. Aktien- und Wechselkurse zeigen dies an. Es kommt also nicht nur zu einer Konkurrenz zwischen Individuen, sondem auch zu einer unter Gruppen. Verwandte zu beschadigen oder gar zu toten ist kaum von Vorteil. Man zerstort damit Gene, die den eigenen sehr ahnlich sind. Brutpflege auch an Verwandten findet sich in der Evolution immer wieder. Auf der anderen Seite fmdet man haufig Falle, in denen sich Verwandte gegen Nicht-Verwandte stellen um gegen diese zu kampfen. Verwandtschaft ist nicht immer direkt sichtbar, ein hinlangliches Indiz ist aber lang andauemde Bekanntschaft. Gruppen definieren sich iiber Merkmale, die fur lang andauemde Bekanntschaft sprechen, wie gemeinsame Sprache, Dialekt oder Idiom, gemeinsame Rituale und asthetische Erkennungszeichen. Fremde Artgenossen werden angegriffen, wenn sie als Rivalen auftreten. Da auch die Fremden moglicherweise einer Gruppe angehoren, kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Gruppen, die man als Krieg bezeichnen kann. Die menschliche Fahigkeit zur Kooperation ist Grundbedingung fiir diese destruktive Erscheinung menschlicher Auseinandersetzung. In vielen Sprachen der Welt bezeichnet das Wort „Mensch" auch „Stammeszugehoriger", Stammesfi'emde sind demzufolge nicht notwendig Menschen und man kann entsprechend mit ihnen umgehen (Wickler 1991, 89f). Ethnozentrismus und Xenophobic haben ihren Ursprung in der evolutionaren Vorzeit. Diese Veranlagung darf kein Vorbild fur moralisches Verhalten sein. Die Uberlegungen dazu konnen jedoch Erklarungen fur Verhaltensweisen bieten, ethnisch motivierte Kampfe, wie sie weltweit stattfanden und auch weiter stattfinden, zu begreifen. Ahnlich wie unter Individuen gibt es auch unter Gruppen Allianzen und Gegner. Bis zum Ende des Kalten Krieges war die Zugehorigkeit der Nationen zum einen oder anderen Block von groBer Bedeutung. Der Wettkampf zwischen den Elitenationen USA und UdSSR wurde mitunter symbolisch gefuhrt iiber Leistungen im Wettlauf zum Weltraum oder iiber die Anzahl der olympischen Medaillen. Alles was dazu dienen kann. Hierarchic zu zeigen, ist geeignet die Uberlegenheit zu belegen. Besondere Leistungen der eigenen Gruppe oder deren Verbiindeter sind berichtenswert. Medienanalysen aus der Zeit des Kalten Krieges konnten den Nachweis fuhren, dass Nachrichten aus und iiber Elitenationen einen bedeutenden Anteil hatten. Der Zustand dieser Nationen hatte natiirlich Einfluss auf das Wohlergehen der eigenen (Cohen, Adoni Bantz 1990). Gruppen definieren sich nicht nur iiber Feinde von auBen. Zu den Elementen, die eine Gruppe nach innen formen, gehort die gemeinsame Identitat. Sie wird gebildet durch gemeinsame Kunst und Kultur. Im entsprechenden Kapitel ist dariiber mehr aus evolutionspsychologischer Sicht zu erfahren. Im Rahmen von Nachrichten-Sendungen werden die zentralen Riten etwa an besonderen Feiertagen begangen. Allianzen und Oppositionen innerhalb der Metagruppe sind ebenfalls Themen des offentlichen Diskurses. Gewerkschaft - Arbeitgeber, Regierung - Opposition, Naturschiitzer - Industrie sind typische Widersacher in ihren Interessen. Die Rezipienten des
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Diskurses haben unterschiedliche Interessen und nehmen demgemaB unterschiedliche Rollen ein. Auch in diesem Zusammenhang wird klar, dass die Wahmehmung und die Wahmehmungslogik vom Standpimkt des Betrachters abhangt. Es geht nicht nur um die Widerspriiche zwischen Untergruppen. Einzelne innerhalb von Gruppen konnen Positionen beziehen, die nicht mit denen der Gruppe als Ganzes zu vereinbaren sind. Wenn die Dissidenten prominent sind, werden deren Haltungen intensive! diskutiert, als wenn sie bislang noch nicht aufgefallen waren. Personen, die in der Hierarchic hoch stehen, losen naturgemaB mehr Irritationen aus als niedrigranDas Wohlergehen ist nicht nur durch die Gefahren oder durch den Zustand der Gruppe als Ganzes oder seiner Untergruppierungen bestimmt, sondem auch durch das Wohlergehen einzelner, fur die Gruppe wichtiger Personen. Auch deren Gesundheitszustand, deren Koalitionen und Oppositionen sind von Bedeutung fiir den Zugang zu Ressourcen. Uber die Themen, die im Zusammenhang mit Prominenten wichtig sind, wurde im Kapitel iiber Talkshows ausfuhrlicher nachgedacht. Es geht in Variationen immer wieder um Altruismus, Skandale, okonomischen Zustand, Sexualleben oder Partnerschaften. Zu den Prominenten in Nachrichten gehoren Politiker und Funktionare als Vertreter gesellschaftlich relevanter Gruppen und Sportier als Leistungstrager. Der Tod von Prominenten ist in mancherlei Hinsicht bedeutsam. Zum einen zeigt man durch Trauer, wie nah man der verstorbenen Person stand. Zum anderen lost das Ausscheiden eines Ranghohen moglicherweise Neuorientierungen innerhalb der Hierarchic aus. Neue AUianzen miissen sich bilden, Rangniedere sehen Chancen aufzusteigen. Neue Fiihrungskrafte bedeuten immer wieder Neuorientierungen innerhalb einer Gruppe, was auch zu einer zeitweiligen Destabilisierung fiihren kann. Das Wissen um den gesundheitlichen Zustand von Prominenten ist also fur jeden Einzelnen bedeutsam. SchlieBlich wird iiber den Tod von Kiinstlem berichtet, die fur asthetische Konzepte stehen. Damit hat diese Nachricht auch einen nostalgischen Aspekt. Das Erlangen und der Besitz von Ressourcen ist zweifellos ein bedeutsames Thema. Besitz bedeutet Status und Rang. Beim Gliicksspiel geht es um das Erlangen von Ressourcen ohne Anstrengung und Betrug und das gegen die Wahrscheinlichkeit. Die Beliebtheit von Lotto liegt mit Sicherheit nicht primar an der Spannung der groBen Unwahrscheinlichkeit. Die Chance, einen 6er zu tippen, liegt bei 1:13.938.816, die Chance auf den groBen Griff, einen 6er inklusive der einstelligen Superzahl, bei 1:139.838.160. Ein Gliicksjager, der Roulette spielt, hat wesentlich bessere Chancen (von 1:2,06 bis zu 1:37), der Gewinn ist das Doppelte bei einem 1:2,06-Spiel und hochstens das 36-fache des Einsatzes bei einem 1:37-Spiel. Anders bei Lotto. Selbst bei geringem Einsatz sind Millionengewinne moglich. Wenn sehr viele Menschen wochentlich spielen, erhoht dies die Chance, dass es Gewinner gibt. Besonders zahlreich sind die Teilnehmer der Tippgemeinde, wenn extrem hohe Gewinne in Aussicht stehen, obwohl genau das wieder die Chance auf einen groBen Einzelgewinn verhindert, denn je mehr auf die richtigen Zahlen setzen, desto geringer ist die Ausbeute fur den Einzelnen. Diese Art von Spiel hat eine psycho-physiologische Komponente. Das Einsetzen von Geld und die darauf folgende Spannung, ob es verloren oder um ein Vielfaches vermehrt ist, setzt im Gehim die endogene Droge Dopamin frei und wirkt ahnlich wie Heroin auf das Belohnungs- und Bestrafungssystem.
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Da so viele Menschen Geld in Gliicksspiele und dabei vor allem in die Tipps auf zufallige Zahlreihen investieren, ist das Thema von allgemeinem Interesse. Der Nachrichtenwert ist entsprechend hoch. Nach dem Umsatz liegt Lotto mit 9,5 Md. DM im Jahr 1998 zwar an dritter Stelle hinter Spielbanken (1997: 15,9 Md.) und Spielautomaten (1997: 11 Md.), aber Lotto vereinigt gleichzeitig mehr Spieler am selben Spiel. Das Ergebnis wird live ermittelt und medial iibertragen. Die Gewinne haben auch iiber den Tag hinaus Akttialitatswert. Nicht zu vergessen die Berichte iiber die Gewinner, denn diese fiihren die scheinbare Sinnhaftigkeit des Untemehmens vor. Die Prasenz dieser Gewinner in den Medien lasst einen Erfolg moglich erscheinen. Das Denken als Probehandlung erlaubt es, den potenziellen Gewinn bereits zu verjubeln. Die Vorstellung zu gewinnen reicht aus, den Loskauf zu veranlassen. Irgendeinen muss es jatt'effen- und das ohne groBen Aufwand und ohne Betmg. Tatsachlich sprechen also einige Argumente fur evolutionsbedingte Erklarungsmuster fur die Faszination der Teilnahme an Lotterien. Spieltheoretisch macht es durchaus Sinn, einen kleinen Einsatz zu wagen mit der Aussicht auf hohen Gewinn. Dieses Muster wird noch verstarkt, wenn man nicht viele Ressourcen hat und auch kaum in Aussicht steht, in ausreichenden MaBe Zugang zu erhalten. Vielleicht liegt es daran, dass eher armere Menschen Geld investieren, um Zahlenreihen zu raten. Die Attraktivitat verdankt sich also nicht nur der Tatsache, dass man viel gewinnen kann, sondem auch, dass man wenig verliert. Quizshows Ziehen auch aus den absurd hohen Gewinnen ihren Reiz. Wer fiir die richtige Beantwortung von ein paar Fragen Millionar werden kann, hat scheinbar keinen hohen Einsatz geleistet. Der Gewinn - die Differenz von (minimalem) Aufwand und (immensem) Ertrag - ist unverhaltnismaBig. Ein Risiko gibt es nicht, denn man kann hochstens leer ausgehen und das ist der Zustand vor dem Spiel. Was hat der Zuschauer davon? Immerhin hat diese Programmform hochste Einschaltquoten. Die Kandidaten beantworten Fragen, die sich auf Themen beziehen, die mehr oder minder zum kulturellen und zum schulischen Allgemeinwissen gehoren. Jeder und jede konnte Spieler oder Spielerin respektive Gewinner oder Gewinnerin sein. RTL bietet konsequenterweise an, dass die Zuschauer zu Hause per Internet die Gameshow „Wer wird Millionar?'' mitspielen konnen ohne freilich am Gewinn beteiligt zu sein. Es geht also nicht um die Identifikation mit dem Kandidaten in dem Sinn, dass man sich fragt, ob er die gestellte Frage richtig beantwortet, es geht vielmehr darum, ob der Zuschauer selbst die Antwort weiB. Im Grunde gehoren auch die Nachrichten iiber Aktienkurse in die Lotto-Kategorie. Wenn es nicht um langfristige Vorsorge oder um die Dividende geht, sind die Kurse der Aktien von Stimmungen und unvorhersehbaren Zufalligkeiten abhangig. Sie sind spekulativ. Boulevard-Magazine als Freakshows Der Unterschied zwischen Nachrichten und anderen nichtfiktionalen Dokumentationen von gesellschaftlichem Geschehen liegt im zeitlichen Bezug der gezeigten Ereignisse. In Nachrichten-Sendungen werden in der Regel Ereignisse gezeigt, die eine aktuelle Beziehung zum Ausstrahlungstermin haben. Das heiBt auch, dass das Ereignis nicht notwenig abgeschlossen sein muss und eine endgiiltige Bewertung noch aussteht.
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Boulevard-Magazine zeigen eher abgeschlossene und bewertbare Geschehnisse. Menschen in auBergewohnlichen Situationen sind beliebte Themen. Hier werden abnorme Menschen gezeigt, Menschen in auBergewohnlichen psychischen oder physischen Zustanden, Menschen mit schweren geistigen oder korperlichen Gebrechen. Darunter sind unterschiedliche Typen zu unterscheiden: Einmal geht es um traumatisierte Menschen, die durch extreme Erlebnisse psychisches Leid erfahren haben und nun in ihrem emotionalen und kommunikativen Erleben beeintrachtigt scheinen. Es geht weiter um Menschen mit Einschrankungen, die von Verletzungen oder genetischen Veranderungen der GliedmaBen betroffen und damit in ihrer Bewegungsfreiheit und in ihrer Selbstversorgung eingeschrankt sind. SchlieBlich geht es auch um Krankheiten, die eines groBen Pflegeaufwandes bediirfen. Siamesische Zwillinge sind Beispiele. An der Prasentation dieser Menschen ist von Interesse, wie sie mit dem alltaglichen Leben zurechtkommen. Hier reicht es offenbar zu zeigen, wie sie gehen, essen oder einfach kommunizieren. Ihre Fitness wird hinterfragt, oftmals sogar explizit ihre Reproduktionsfahigkeit. Das eigentliche Thema ist dabei, wie die Betroffenen am alltaglichen, kommunikativen Gruppenleben teilnehmen konnen, welchen Beitrag sie leisten konnen und welcher Unterstiitzung sie bediirfen. Die Freakshow behandelt die Frage der Fitness unter extremen Bedingungen. Ausgelost werden dabei unterschiedliche Emotionen: Bei offensichtlichen Krankheitsbildem zunachst Ekel, der eine Ablehnung auslost. Gleichzeitig wird Trauer und Mitleid erlebt, verursacht durch die erlebte Hilflosigkeit und Hilfebediirftigkeit der Betroffenen. Doch um Hilfe geht es in den wenigsten Fallen. Es geht einzig um die Evozierung der Emotionen. Visualisierung von Geruchten Ein Problem der Berichterstattung spektakularer Falle ist das bisweilen mangelnde Bildmaterial. Ein Kriterium fiir die mediale Prasentation eines Ereignisses, das evolutionspsychologisch leicht herleitbar ist, Wenn man den Attrappencharakter der Medien akzeptiert. Es ist das Vorhandensein einer Kamera. Wenn es spektakulare Bilder gibt, erhoht sich die Wahrscheinlichkeit fur deren Ausstrahlung und Verbreitung. Doch was, wenn von bedeutsamen Ereignissen keine Aufhahme gibt? Daflir mtissen dann Bilder von den Orten des Geschehens herhalten, selbst wenn nichts mehr geschieht. Die Reporter vor der Polizeiabsperrung miissen reichen, aber sie suggerieren die Nahe zur Tat. Selbst Aussagen wie „Mit einem solchen Baseball-Schlager wurde das Opfer geschlagen (Reporter halt einen Baseball-Schlager hoch) und wurde danach in dieses Krankenhaus (Reporter zeigt auf ein Gebaude im Hintergrund) gebracht" bebildem Aktionen, die nicht live aufgenommen wurden. Kritisch betrachtet haben diese Berichte keinen groBeren Wahrheitsgehalt als ein Geriicht. Eine zweite Moglichkeit, das nicht zu Sehende zu visualisieren, besteht darin, die verbale Information mit Bildem zu karikieren. Die Ton-Bild-Schere ist weit geoffhet. Der Bericht iiber einem Unfall in einer japanischen Atomfabrik teilte mit: „So schlimm wie bei einer Atomexplosion war es jedoch nicht." Im Bild wurde wahrenddessen ein Atompilz gezeigt. Die verbal vemeinte Assoziation wird visuell geliefert. Die Bebilderung bestimmt die Vorstellung. Das Auge ist glaubwiirdiger als das Ohr, selbst wenn es sich um eine inszenierte Imagination im Sinne von Perkys Experiment handelt. Verbale Negation lasst sich bekanntlich nicht visuell darstellen. Der Text wird
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unterlegt mit Bildem, die das zeigen, was gedacht oder vorgestellt wird. Die Bilder interpretieren den Text und geben ihm eine intendierte Bedeutimg. Zur Emotionalisienmg derartiger Berichte setzen die Produzenten zudem Musik ein, die Angst und Bedrohung miterlebbar machen soil. Die Schnitttechniken erinnem denn auch oftmals eher an Spielfilme als an Dokumentationen. Extreme Perspektiven, schnelle Schnitte spielen die Wahmehmung im Augenblick der Gefahr nach. Der Schritt zur Spielhandlung ist nicht groB. Wenn medial manifeste Aktionen fehlen, lassen diese sich nachliefem, indem man sie fiktionalisiert: Der Holocaust in ,yHolocausf\ der Untergang der Titanic in ^Titanic"' (Cameron, USA 1997), der Mord an Sharon Tate in .flelter Skelter''' (Gries, USA 1976), die „Todesspiele"' in Heinrich Breloers Dokudrama iiber die RAF. Fiktionale Betriiger Inhaltlich geschieht in den fiktionalen Aufarbeitungen des Themas im Vergleich zu Nachrichten und dokumentarischen Sendungen nichts Neues. Es geht um die Identifizierung von Betriigem, also in der Kegel um strafrechtlich relevantes Verhalten und StrafVerfolgung, es geht um altruistisches Verhalten und um den Zustand der Ressourcen. Es geht wie bei den Inhalten der Nachrichtensendungen um den Umgang mit bedrohlichen Situationen, Situationen, in denen man Mut beweisen muss. Im Gegensatz zu Melodramen, Soap Operas und Biografien, wo personliche und zwischenmenschliche Konflikte, Krankheit und Partnerschaften behandelt werden, bewahren sich die Protagonisten in aktionsorientierter Fiktion gegen auBere Unbill, gegen alles, was das Individuum, die Familie, die soziale Gruppe oder die Nation bedroht. Play Fighting Wenn im Zusammenhang mit dem Schauspiel die Beziige zum Pretend Play als Grundlage entwickelt wurden, die das Spiel als Instrument in der sozialen Entwicklung kermzeichnen, dann gilt das Gleiche fiir das so genannte Play Fighting in Bezug auf die Entwicklung der Korperbeherrschung. Play Fighting ist unter Fleisch fressenden Jagem und unter Primaten verbreitet. Hier findet man eine ausgepragte Kindheit, die durch eine Versorgung mit Nahrungsmitteln gepragt ist, wahrend die Jungen im Spiel die Fahigkeiten erwerben und trainieren, die sie fiir spateres Jagd- und Verteidigungsverhalten brauchen. Jagemachwuchs spielt deutlich haufiger als Pflanzenfresser, wobei Primaten hier eine Sonderstellung einnehmen. Jager miissen lemen, sich anzuschleichen, die Beute zu jagen und zu toten, wahrend deren Opfer in der Regel keine ausgefeilten Fertigkeiten zum Nahrungserwerb benotigen. Primaten, die gelegentlich Fleischfresser sind, miissen sich mit den sozialen Normen im Gesellschaftsleben vertraut machen. Tierkinder raufen und balgen mit ihren Geschwistem, mit anderen Minderjahrigen oder mit Erwachsenen (meist den Miittem), um dadurch Bewegungskoordinationen und taktisches Verhalten zu erlemen. Die kampferischen Auseinandersetzungen mancher Tierkinder konnen einen durchaus emsten Charakter bekommen. In Jahren, in denen Knappheit an Nahrung herrscht, konkurrieren die Geschwister auch untereinander und kampfen um die Zuneigung der Eltem. Diese greifen in aller Regel nicht schlichtend ein, sondem akzeptieren die Vormacht. Viele Vogel legen und briiten grundsatzlich mehr Eier, als sie Junge aufziehen konnen.
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Die Lange der Kindheit und Jugend, also der Zeit, in der Nachwuchs von den Erwachsenen mit versorgt wird, variiert unter den Tieren, doch eindeutig die langste Jugend in Relation zur Lebenserwartung weisen Primaten und Menschen auf. Zwischen einem Viertel und einem Drittel der Lebenszeit verbringen Menschen in Obhut und haben Zeit, sich zu Mitgliedem der Gesellschaft zu entwickeln. Dieser Aufwand muss sich auszahlen. Betrachtet man die Formen des Play Fighting, kann man moglicherweise Riickschliisse auf die Funktionen der jeweiligen Ubung ziehen. Unterscheiden kann man folgende Kategorien: • Interartliche (Jager, Beute) • Innerartliche (territoriale Auseinandersetzung, Krieg) • Interindividuelle (Gleichgeschlechtliche Konkurrenz um Partner, Konkurrenz um Nahrung und andere Ressourcen, Konkurrenz um Rang und Fiihrerschaft) (Aldis 1975, 164f) Primaten - wie auch Menschen - haben eine ausgepragte soziale Struktur des Zusammenlebens. Da diese entscheidend ist fur das Uberleben, kann man spezifische Anpassungen erwarten, die Menschen und Primaten darauf vorbereitet. Die Auseinandersetzungen unter Artgenossen sind dabei so bedeutend wie die Vorbereitung auf innerartliche Angriffe und Verteidigung. Play Fighting und Realitat haben Gemeinsamkeiten, aber auch Trennendes: Bin Ball kann fur ein Katzchen ein Beutetier darstellen, das es zu jagen gilt. Die Katze lemt Bewegungen und Reaktionen. Der Ball wird jedoch nicht als mogliche Beute gespeichert. Der Unterschied zwischen Realitat und Metapher bleibt erhalten. Bis zum Alter von etwa 6 Jahren spielen Jungen und Madchen miteinander. Danach spielen die Kinder lieber mit Geschlechtsgenossen. Da beide offenbar nach anderen Regeln und Zielen spielen, kommt es zu Missverstandnissen. Madchen fiihlen sich provoziert durch Attacken von Jungen, reagieren aber nicht notwendig so, wie es Jungen erwarten, namlich indem sie nicht darauf eingehen, weglaufen statt sich zur Wehr zu setzen. Es gibt eine Form von Raufen, die nahezu ausschlieBlich unter Knaben vorkommt. Es geht darum, den anderen auf den Boden werfen, iiber ihn zu kommen um ihn flach hinzulegen. Attacken haben das Ziel, den Gegner bewegungsunfahig zu fixieren. Dabei geht es um Rang und Position, denn wer in diesem Spiel gewinnt, ist der Uberlegene. Dominanz wird durch Starke und Geschicklichkeit ermittelt. Beide lemen K5rperbeherrschung, Angriff und Verteidigung. Kiirzere Formen der korperlichen Auseinandersetzung fmden sich in StoBen, Schlagen, Ziehen und Treten. Autos und Geschwindigkeit Ein Spiel, das beide Geschlechter nachhaltiger spielen, ist Nachlaufen oder Fangen. Oft geht es um kurze Sprints, meist 5-10 m, kaum weiter als 30. Wechselseitigkeit im Laufen und Verfolgen ist ein typisches Element. Ofl ist dieses Spiel mit anderen Formen kombiniert wie Verstecken, kurzen Attacken, Schlagen oder Ahnliches. Nicht nur das Geradeauslaufen mit definiertem Ziel, sondem das spontane Ausweichen mit Hakenschlagen, um dem Angreifer zu entgehen, der auch schneller sein kann als man selbst, sind Elemente der Spielhandlung, die auf den Emstfall vorbereiten soil. Die Vorbereitung auf das Fliehen war in vorgeschichtlicher Zeit eine sinnvolle Tatigkeit, im Emstfall betrifft sie jeden und jede, der oder die den Schutz der Gruppe
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verlassen hat. Freude und SpaB zu entwickeln bei Aktionen, die mit Tempo zu tun haben, ist unter diesem Aspekt nahe liegend. Die meisten Kinderspieiplatze sind mit Rutschen ausgestattet. Rutschen kann man auch mit Schlitten, Skiem, Rollschuhen, Skateboards, Surfbrettem, Zwei- oder Dreirader. Auch der Transport auf Pferden und mit von Pferden gezogenen Wagen bietet die Moglichkeit Geschwindigkeit intensiver zu erieben als das Laufen auf eigenen Beinen. Selbst Schaukeln vermitteh ein ahnliches Gefuhl, das positive Empfmdungen auslost. Roller, Motorrader und Autos sind die Instrumente, durch die auch Erwachsene den Geschwindigkeitskick bekommen. Schaut man sich die Ausstattung von Rummelplatzen an,findetman weitere Formen. Nachdem der SpaB an Laufen, Verfolgen und Fliehen geklart ist, sind weitere Phanomene einer Interpretation zuganglich. Der SpaB und die Bedeutung von Autos: Irgendwie instinktiv scheint ein Unbehagen, iiberholt zu werden. Das Uberleben des Steppenjagers mag davon abhangig gewesen sein, von den Fressfeinden nicht eingeholt zu werden. Leoparden - einer der Feinde derfriihenMenschen - sind schneller als Menschen, umso wichtiger war es, schnell und unverziiglich sich in die (bewafftiete) Gruppe Oder in ein Gewasser zu retten. Dabei ging es nicht um ein ausdauemdes Rennen, bei dem der Mensch sowieso der Unterlegene ist, sondem um den kurzen Sprint. Ein guter Laufer zu sein, war wichtig, ein schlechter Laufer zu sein, ohne den Ehrgeiz nicht eingeholt zu werden, lebensbedrohlich. Es ist kein Wunder, dass viele erfolgreiche Sportarten Laufen und Geschwindigkeit ins Zentrum des Leistungsvergleiches stellen. Bei schnellem Laufen und der Wahmehmung von Geschwindigkeit reagiert der Korper mit einer Reihe von chemischen Prozessen. So werden Endorphine produziert, die als korpereigene Schmerzmittel wirken. Seratonin ist ein Hormon, das Stress und Angst indiziert, schliei31ich wird nach dem Lauf Dopamin ausgestoBen, das den Erfolg nach dem Risiko als Belohnung quittiert. Mit dem Auto sind auch metaphorische Fluchten moglich. Jugendliche entfliehen damit der elterlichen Obhut. Sie konnen Musik horen so laut sie wollen, sie erlangen die Mobilitat, sich mit der Peer Group zu treffen. Auch die Macht iiber Bewegung und Geschwindigkeit tragt dazu bei, eigene Autoritat zu spiiren. Autos haben schlieBlich auch noch eine asthetische Funktion. Ihr Aussehen in Form und Farbe reprasentiert asthetische Vorlieben des Besitzers. Fabrikate ordnen ihn einer sozialen Schicht zu. Individuen werden mit dem Auto gesehen und damit nutzen sie die Moglichkeiten der Botschaft, die das Vehikel bietet. Ein Auto besitzt fitnessrelevante Symptome. Drohen und Waffen Drohen unter ethologischen Gesichtspunkten ist Gewaltpravention. Bevor fur Angegriffenen und Angreifer das Risiko einer Verletzung besteht, wird Kraft, LFberzeugung und Emsthaftigkeit der Gewaltanwendung angedroht. Es besteht fiir beide die Chance zu erkennen, dass das eigene Anliegen keine Chance auf Durchsetzung hat und der potentiell Unterlegene kann sich rechtzeitig zuriickziehen. Nur wenn beide Kontrahenten sich von der Androhung alleine nicht einschiichtem lassen, kann es zu einer gewalttatigen Auseinandersetzung kommen. Kriege - also bewafftiete Auseinandersetzungen zwischen Gruppen - folgen oft diesen Mustem (abgesehen von Uberraschungsangriffen, die den Vorteil nutzen, den Gegner unvorbereitet zu treffen). Die atomare Bedrohung wahrend des Kalten Krieges
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wurde verstanden als Drohgebarde, die definitiv abschreckend sein sollte, da diese Waffen nicht nur den Gegner, sondem auch den Rest der Welt und damit auch die Verteidiger vemichtet hatte. Drohung funktioniert nur, wenn man auch glaubhaft macht, dass man als Angreifer auch willens ist, den Drohungen Taten folgen zu lassen. Das Ziel ist allemal, beim Gegner durch Signale Angst zu erzeugen, die ihn dazu bringt, sich zuriickzuziehen. Eine Auseinandersetzung kleineren AusmaBes zwischen zwei Kontrahenten beginnt standardmaBig mit verbalen Signalen. Die Stimme wird deutlicher, dann lauter auch bei geringem Abstand zwischen den Gegnem. Verbal werden Konsequenzen angedroht, Mimik und Gestik unterstiitzen die Aussagen. Wutausdruck in Mimik und geballte erhobene Fauste, die als Vorbereitung eines Hiebes oder Schlages erkannt werden soUen, oder ausgestreckte Finger in Richtung des Rivalen sind universell verstandliche Signale. Waffen sind Anzeichen fur Macht und Durchsetzungsvermogen. Der geschickte Umgang mit Waffen war im Zeitalter der Jager und Sammler iiberlebenswichtig. Ein hoher Status war denen sicher, die eine gewisse Perfektion darin hatten, da sie durch die Technik einen besseren Zugang zu den Ressourcen hatten. Waffen haben eine Bedeutung in den innerartlichen Auseinandersetzungen. Waffen sind Werkzeuge der Aggression. Wer aggressiv droht, zeigt Dominanz. Waffen sind Symbole far Macht und dienen als Imponierobjekt. Sie sind auch Mittel zum Schutz vor Angriffen. Mit ihnen kann man sich auch gegen korperlich iiberlegene Gegner wehren. Menschen, die eine Faszination far Waffen haben, erleben die Umwelt als Bedrohung und die Waffe dient als Drohung gegen potentielle Angriffe. In Action-Filmen wird nicht nur geballert und gekampft. Eine wichtige Vorstufe der korperlichen Auseinandersetzung ist das Drohen. Das Zeigen einer Waffe ist das deutlichste Anzeichen. Die Waffe wird jedoch nicht einfach nur hergezeigt, sondem in Richtung des Angegriffenen mit ausgestrecktem Arm prasentiert. Ein Zweifel kann dabei nicht mehr aufkommen. Waffen im Film reflektieren all diese Funktionen. Es gibt das Phanomen, dass bei Befragungen immer diejenigen Antwort bekommen, die mit einem SchieBeisen drohen. Das hat nichts mit Folter zu tun, denn eine Schusswaffe qualt nicht, sondem verletzt oder totet. Die Bedrohung scheint so stark Angst auszulosen, dass man alle Informationen gibt. Die Bedrohung lauft zwar eigentlich ins Leere, denn wenn der Drohende den Bedrohten totet, wird er mit Sicherheit nichts erfahren. Im ersten Western der Filmgeschichte, ,,The Great Train Robbery'' (Potter, USA 1903), zielt der Gangster mit seinem Revolver direkt in die Kamera und driickt ab. Die Szene hatte bei vielen Vorfulmingen den gleichen Effekt: Unter den Zuschauem brachen Tumulte aus. Diese Sensation war so beliebt, dass man sie in der Folgezeit in alien moglichen und unmoglichen Situationen einsetzte. Aggression ist eine Verhaltensweise, bei der anderen Individuen Gewalt angetan wird. Die Formen sind vielfaltig, offen oder subtil, gestisch oder verbal, mit oder ohne Waffen. Die Funktion ist eindeutiger, es geht um das Erlangen von Ressourcen, von Rang und Status. Es geht stets um Bereichemng, bei der es immer zulasten anderer geht. Das Opfer ist ein Indiz far Aggression. Nicht jede Situation lasst sich in eine win-win-Situation gestalten. Geht es um den Wettstreit nach Hierarchic, ist sie ausgeschlossen. Im Ausfechten von Rang wird mitunter der direkte Vergleich von Starke
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herangezogen. Attraktiv waren starke Manner in vorhistorischer Zeit allemal, am besten gepaart mit taktischem Verstandnis. Dominanz und Status Dass Hierarchic cin konstitutives Element vielcr Gruppen ist, kann nicht bczwcifclt werden. Die Vorteilc ciner solchcn Struktur und die adaptiven Voraussctzungen fur den Wahmchmungsapparat wurden noch nicht diskutiert. Dominanz heiBt, dass einige Individuen Vorrang haben beim Zugang zu den Ressourcen. Der Vorteil ist, dass Streitigkeiten vermieden werden und die Ressource in Konkurrenzsituationen effektiver flir alle genutzt werden kann. Dominanz sichert soziale StabiUtat auf Kosten individueller Freiheit. Rang basiert in sozialem Kontext auf Koalitionen und AUianzen und weniger auf GroBe und Starke. Auch Wissen kann zu Ansehen beitragen. Status braucht damit Symbole, die fiir alle erkennbar sind. Evolutionspsychologen wurden auf Grund dominanz-hierarchischer Strukturen erwarten, dass sich die sozial-kognitiven Strukturen entsprechend entwickelt haben. Das heiBt, dass Gruppenstrukturen mentale Entsprechungen bei den Individuen haben miissen. Das erste und offensichtlichste Indiz ist die Kontrolle sozialer Beziehungen, weitere sind: Gesichter erkennen. Status erkennen, Reziprozitat iiberwachen und Verhalten vorhersagen. Fiir die letzte Fahigkeit ist das Theory-of-Mind-Modul zustandig. Der Stress-Hormon-Level ist abhangig vom Status, woraus folgt, dass es biologische Grundlagen fur Hierarchic geben muss. Was man darf und was man tun nicht darf, ist abhangig vom Rang. Wahrgenommene Verletzungen des Sozialcodes sind iibrigens der haufigste Grund fur Aggression unter Primaten. Da das Wissen um cine Verletzung nicht angeboren ist (es andert sich in Abhangigkeit vom kulturellen Kontext), gehort es zum Repertoire, das erlemt werden muss. Hochrangige bestarken soziale Normen, um den privilegierten Zugang zu Ressourcen zu behalten, Niedrigrangige bestatigen sie, um sich vor Bestrafung zu schiitzen. Die Wason-Selektionsaufgabe wird von Ranghohen besser gelost. Niedrigrangigen ist es eher gleichgiiltig, wenn jemand bestrafl wird, denn sie haben sowieso nichts davon. Manner-Gruppen tendieren eher zu hierarchischen Strukturen. Jagd und Krieg sind sicher durch taktische Koordination besser zu bewerkstelligen. Mehr als 10-12 Personen sind in anarchistischen Ordnungen nicht mehr spontan auf gemeinsame Ziele zu konzentrieren. Fiihrerschafl, Verantwortung, Entscheidungsbereitschafl und Erfahrung verbindet, kann die notige Struktur schaffen. Frauen bilden eher Solidargemeinschaften. Bei Brutpflege und beim Nahrung sammeln sind Hierarchien nicht erforderlich. Die meisten innerartlichen Auseinandersetzungen werden nicht intentional mit T6tungsabsicht gefiihrt. Die Drohung als Vorstufe reicht in vielen Fallen aus, um dem Schwacheren klarzumachen, dass seine Chancen zu gewinnen nicht aussichtsreich sind. Drohen ist ein Prasentieren der Moglichkeiten. Eine laute, tiefe und kraftige Stimme ist ein Indiz fiir GroBe und Krafl, das bereits auf einige Distanz Wirkung zeigen kann. Man versucht den Widersacher weiter durch Drohsignale einzuschiichtem. Die weitere Annaherung gipfelt in der Fluchtdistanz, in der der Unterlegene letztmals die Chance hat, den Kampf zu vermeiden und sich durch einen Riickzug der drohenden Niederlage zu entziehen.
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Der so genannte Kommentkampf ist die nachste Stufe der Auseinandersetzung. Hier geht es um das Kraftemessen, wenn die Drohungen keine Anerkennung der Niederlage erbracht haben. Diese Kampfe sind nicht nur bei Menschen, sondem auch bei Tieren stark ritualisiert, das heiBt sie folgen unausgesprochenen Regeln, die das Ziel haben, den Gegner zu schwachen ohne ihn zu toten. Wenn der Unterlegene keine Kraft mehr hat zu weiteren Angriffen, muss er seine Niederlage eingestehen. Der Unterlegene wird aufgeben, wenn er vom Angreifer fixiert auf dem Boden liegt, oder wenn es andere Anzeichen der Niederlage gibt, etwa wenn Verletzungen auftreten, Blut flieBt Oder verbale Zeichen des Schmerzes gegeben werden. Die Totungshemmung ist nicht nur im Interesse des Unterlegenen. Da jeder irgendwann in die Situation kommen kann, einmal unterlegen zu sein, hat auch der Sieger ein Interesse daran, mit dem Leben davonkommen zu konnen. Der Biologe Wolfgang Wickler driickt es so aus: „Evolution und Selektion bringen im Falle der Beschadigungs- und Kommentkampf-Taktiken etwas Ahnliches zu Stande wie ein Versicherungssystem. Sozialversicherungen ftmktionieren ja letztlich nicht, weil wir aus Nachstenliebe dem, der in Not gerat, helfen wollten, sondem sie basieren darauf, dass jeder seiner eigenen Not vorbeugen will. Aus Ungewissheit, ob ihn die Not treffen wird, hilft er anderen. Das ist weder besonders moralisch noch moral-analog." (Wickler 1991, 55) Selbst Verletzungen sind bei Beschadigungskampfen selten fatal. Biss-, Schlag-, Kratz- und Quetschwunden heilen nach einiger Zeit. Todliche Unfalle bei Kommentkampfen sind die Ausnahme. Dass es in zwischenmenschlichen - oder genauer gesagt zwischenmannlichen - Auseinandersetzungen so haufig zu Todesfallen kommt, liegt meines Erachtens an den eingesetzten Waffen. Schusswaffen toten auf Distanz, einer Distanz, die in der Evolution eher flir Drohgebarden vorbehalten blieb. Noch bevor iiber Angriff oder Flucht zu entscheiden ware, kommt es zur todlichen Interaktion. Distanzwaffen werden ansonsten nicht nur eingesetzt fur das Erlegen von Beutetieren, sondem auch in Auseinandersetzungen zwischen Gmppen. Nach Ansicht vieler Evolutionspsychologen war der Krieg in der humanoiden Vergangenheit so dominant, dass er auch ein Selektionskriterium gewesen sein mag, das Verhaltensweisen begunstigte, die im Kampf zwischen Gmppen vorteilhaft waren. Nicht zuletzt Formen des Ethnozentrismus fmden hier Erklamngsansatze. Robin Dunbar gibt sich Uberlegungen hin, ob nicht Dialekte und unterschiedliche Sprachen auch dazu dienen, Fremde identifizieren zu komien. Gerade Dialekte sind im Erwachsenenalter kaum fehlerfrei zu erlemen. Steven Pinker wies mich darauf hin, deutlich zwischen inner- und aufiergmppenspezifischen Verhaltensweisen zu unterscheiden. In der Analyse ist die Unterscheidung jedoch sehr schwer, da die eingesetzten Waffen die Grenzen verwischen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass nicht immer zweifelsfi-ei festzustellen ist, ob es sich um einen Konflikt innerhalb der Gmppe handelt oder ob hier ein AusgestoBener als Gmppenfremder verfolgt und bestraft wird. Kriegsfilme handeln von Konflikten zwischen Gmppen, die mit Waffen ausgetragen werden. Zentral ist jedoch oftmals nicht die Auseinandersetzung zwischen den Gegnem, sondem die Kooperation der Gmppenmitglieder untereinander. Die daraus resultierenden Konflikte werden thematisiert: Hierarchic, Gehorsam und Verantwortung. Es geht darum, Opfer zu bringen, um andere zu retten. Der Begriff des Helden ist eng mit Kampf- und Kriegshandlungen verbunden. Helden sind Individuen, auf die
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andere stolz sein konnen. Heldenverehmng reflektiert die Notwendigkeit des selbstlosen Einsatzes fur die Gruppe als Ganzes. In Filmen, in denen Aktion, Abenteuer und Krieg dominieren, geht es standig um lebenswichtige bedeutsame Entscheidungen. Es geht um Helden und Versager. Manner miissen sich beweisen und dies ist ein Moment, der bei Frauen als attraktiv gelten kann. Die Motive der Handelnden sind also haufig (praventiver) Schutz, Dekodieren, Jagen, Finden und Bestrafen von Betrugem. Werden der mannliche Brutpflegeinstinkt (Male Parental Investment) behindert oder Frau(en) und Kind(er) bedroht, wird Wut schneller ausgelost und scheint fiir den Betrachter akzeptabel. Mannliche Brutpflege auBert sich vorwiegend durch die Bereitstellung von Ressourcen und den Schutz der Familie. Derartige Konstellationen finden sich immer wieder im Setting derfiktionalenStoffe. „Du soUst nicht toten!" heiBt einer der Grundsatze der zehn Gebote aus dem alten Testament. Auch in anderen Kulturen gilt dieses Prinzip. Zum einen ware dieses Prinzip sinnlos, wenn es nicht Falle gabe, auf die es anzuwenden ware. Zum anderen gab es auch immer schon sozial anerkannte Ausnahmen: Das Toten im Krieg war erlaubt und bisweilen sogar geboten. Innerhalb der Gruppe wurde bestrafl, was auBerhalb der Gruppe belohnt wurde. Im alten Israel war auch die Rache akzeptiert. Die Todesstrafe war kaum einer Kultur unbekannt. Das Toten des Bosen war also erlaubt, das Toten anderer nicht. Selbst veranderte Koalitionen konnen aus Freunden Feinde machen oder umgekehrt. Da die Auswahl von Totungsopfer und Totungsgrund einerseits nicht zum instinktiven Verhaltensrepertoire gehort, andererseits die Entscheidung aber fundamental wichtig ist, kaim man erwarten, dass sowohl die mentale Beschafligung damit und der offentliche Diskurs von besonderer Bedeutung sind. Innerhalb der Gemeinschaft miissen die Regeln festgelegt werden, wer Betriiger ist und was mit ihm zu geschehen habe. Die Definition von Gut und Bose geschieht nicht durch abstrakte Gesetze, sondem in Form von realen und fiktionalen Geschichten. Man lemt deviantes Verhalten kennen und erlebt die Folgen. Ein Interesse oder eine Faszination des Bosen ist damit verstandlich. Gut und Bose Zu betrachten ist bei den fiktionalen narrativen Aufarbeitungen auch die Darstellung der Figuren. Freund und Feind sind die wesentlichen Unterscheidungen. Das Erkennen von Gut und Bose ist eine asthetische Aufgabe. Soil man Bosewichte im Film schnell erkennen, werden asthetische Merkmale prasentiert: unsymmetrisches Gesicht, Hautunreinheiten, fettige Haare, schmutzige oder dunkle Kleidung, unangemessenes Verhalten, Auffalligkeiten in der Aussprache. Dariiber hinaus gibt es unsympathische Verhaltensweisen mit egoistischen Motiven, verweigerte Hilfeleistung und mangelnde Tier- oder Kinderliebe. Untersuchungen zu Comic-Figuren belegen die asthetische Ausformung von schonen Helden und diisteren Bosewichten, mehr noch, „der Charakter einer Comic-Figur manifestiert sich primar in ihrer physiognomischen Gestaltung, wobei die Unterscheidung zwischen den Guten und den Bosen meist allein durch die Formung der Augenbrauenpartie und Mundwinkel erfolgt. Mit zeichnerischen Tricks werden in einem Gesicht Bosheit, Neid oder Eifersucht ablesbar."(Fuchs & Reitberger 1978, 133) Damit wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen asthetischer Wahmehmung, edlen oder niedertrachtigen Handlungsmotivationen und altruistischen oder egoistischen Zielen.
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Bei den asthetischen Darstellungen schwingen uralte Stereotypen mit: vom blonden ,,Siegfried" und dem dunklen Hagen, vom verschlagenen Loki und dem Lichtgott Balder. In denfriihenWestern der Filmgeschichte hatte der Gute den weiBen Hut und der Bose den schwarzen. Erst der Italo-Western scheint dieses Muster zu durchbrechen; doch dass hier auch die Bosewichte schnell ihre Pistole ziehen konnen und auch die schonen Frau bekommen, ist nur ein retardierendes Moment, denn das Ende halt auch flir die Strafe bereit, die auf Grund ihres Verhaltens als gerecht erwartet werden darf. Gut und Bose sind keine klar defmierten Begriffe. Es gibt auch kein universelles Moralsystem. Werte und Normen sind abhangig von der jeweiligen Situation und dem Zustand der Gemeinschaft. Eine standige Beschaftigung ist sinnvoll. Eine Anpassung kann damit immer wieder vorgenommen werden. Die Mitglieder miissen auf dem Laufenden gehalten werden, wie der Stand der Diskussion ist. Eine systematische Filmgeschichte des Bosen und der Bosewichte steht noch aus, doch lassen sich Veranderungen belegen. Die Gegner in Kriegsfilmen variieren mit den Kriegsgegnem. In den 1930er und 40er Jahren waren die Deutschen die Bosewichte in englischen und amerikanischen Filmen, auch Japaner und spater Koreaner eigneten sich. Zu Zeiten des Vietnamkrieges trat der Vietcong auch als Gegner in Filmen auf Sowjetische Agenten kampften gegen James Bond. Als der Nahost-Konflikt schwelte, gab es auch immer wieder Gangster mit arabischem Aussehen. In einem deutschen Film „Titanic'' aus dem Jahre 1943 waren habgierige Englander fur den Untergang des Schiffes verantwortlich. Auch metaphorisch kann das Bose auftauchen. Fiir die Zeit der McCarthy-Ara fanden Filmhistoriker eine Zunahme an Monster- und Alien-Filmen. Invasionen von Fremden wurden gedeutet als Angst vor der Unterwanderung des Kommunismus. ,yDie Ddmonischen'' (Siegel, USA) aus dem Jahre 1956 darf dafiir als prototypisch gelten. Es bedarf offenbar der narrativen Imagination, um Gut und Bose zu bestimmen. In Form von Marchen erfahren Kinder diese Definition schon recht fhih. Die extensive Darstellung von Gewalt in dieser Literaturgattung ist unbestritten. Auch Real-Geschichte dient als Fundus fiir die Definition. Den Nationalsozialisten unterstellt man in ihrem Bestreben, einen Genozid zu vollbringen, einen geradezu mystischen Bezug zum Bosen. Ohne die Geschichte zu verharmlosen, ist dennoch der Blick einmal auf das Selbstverstandnis der later zu wenden. In ihren eignen Augen wollten sie der Welt einen Gefallen tun. Kaum ein later sieht sich alleine verantwortlich fiir seine Tat. Dies gilt flir die Graueltaten der Antisemiten in gleichem MaBe wie flir Serientater, Massenmorder, Mafia-Killer oder Morder aus Eifersucht. Sie sehen sich nicht verantwortlich fiir ihr Tun, denn in ihren Augen war die Tat nicht initiiert durch sie selbst. Als Initiator wird nicht selten das Opfer genannt. Das Bose ist also immer auBerhalb des Selbst und bezogen auf KoUektive auch auBerhalb der Gruppe zufinden.Der Trick der Tater liegt darin, das Menschsein zu definieren und die Opfer davon auszugrenzen. Dies gait fir Sklaven, flir Hexen, flir Unglaubige, fiir Juden oder Auslander. Die Begriindung fiir die Todesstrafe liegt nicht zuletzt in dem Versuch begriindet, das Bose mit dem Tod des Taters auszurotten. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Gut und Bose ist eine der wichtigsten Aufgaben der Kultur. Die Kontrolle iiber die Definition ist eine Frage der Macht und der Interessen. In wohl alien Landem mit Massenmedien gibt es eine Kontrolle der Medieninhalte. Bisweilen ist sie staatlich in Gesetzen organisiert und bisweilen tritt sie als Selbstkontrolle der Industrie auf Was Gut und Bose angeht, schiitzt man damit das
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Definitionsmonopol. Dahinter steht die Vorstellung, dass die Kontrolle der Kommunikations- und Medieninhalte die Kontrolle der Denkweisen der Rezipienten zur Folge hat. Dies mag im Groben richtig sein, es lasst aber keine Aussagen iiber Einzelfalle zu. Sicher ist es sinnvoll fiir Rang und Status, im moralischen Rahmen einer Gruppennorm zu agieren. Fiir Aufienseiter gilt diese Regel allerdings nicht. Hier zu Lande ist die „Freiwillige Selbstkontrolle" ein Organ, das die gesellschaftliche Kontrolle iibemimmt. Laut ihrem Selbstverstandnis stehen im Zentrum der Arbeit Priifungen fur Filme, Videokassetten und andere Bildtrager, die in der Bundesrepublik Deutschland fur die offentliche Vorfuhrung und Verbreitung vorgesehen sind. Entsprechend den Grundlagen der FSK wird eine Freigabe fiir eine bestimmte Altersklasse beschlossen. Eine Vorlagepflicht bei der FSK besteht nicht, allerdings haben die in der SPIO zusammengeschlossenen Wirtschaftsverbande ihre Mitglieder verpflichtet, nur von der FSK gepriifle Produkte offentlich anzubieten. In den Richtlinien fiir die Priifung heiBt es: „Die FSK hat die im Grundgesetz geschiitzten Werte, im Besonderen die verfassungsmaBige Ordnung und das Sittengesetz (Art. 2, Abs. 1 GG) sowie die in Art. 5 GG eingeraumte Freiheit zu beachten. In diesem Rahmen darf kein Film oder Bildtrager 1. das sittliche oder religiose Empfinden oder die Wiirde des Menschen verletzen, entsittlichend oder verrohend wirken oder gegen den grundgesetzlich gewahrleisteten Schutz von Ehe und Familie verstoBen, im Besonderen brutale und sexuelle Vorgange in iibersteigerter, anreiBerischer oder aufdringlich selbstzweckhafter Form schildem; 2. die freiheitlich demokratische Grundordnung gefahrden oder die Menschenrechte oder Grundrechte missachten, im Besonderen durch totalitare oder rassenhetzerische Tendenzen; 3. das friedliche Zusammenleben der Volker storen und dadurch die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten gefahrden, imperialistische oder militaristische Tendenzen fordem oder das Kriegsgeschehen verherrlichen oder verharmlosen." Auch das deutsche Strafgesetzbesetzbuch befasst sich mit dem Problem und geht in den Paragraphen 130a und 131 auf die Darstellung von Gewalt ein. In § 130a „Anleitung zu Straftaten" des Strafgesetzbuches heiBt es: „(1) Wer eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die geeignet ist, als Anleitung zu einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, und nach ihrem Inhalt bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fordem oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen, verbreitet, offentlich ausstellt, anschlagt, vorfiihrt oder sonst zuganglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." § 131 beschaftigt sich mit der Gewaltverherrlichung: „Wer Schriften, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttatigkeiten gegen Menschen in einer Art schildem, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttatigkeiten ausdriickt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwiirde verletzenden Weise darstellt, 1. verbreitet, 2. offentlich ausstellt, anschlagt, vorfiihrt oder sonst zuganglich macht, 3. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, iiberlasst oder zuganglich macht oder 4. herstellt, bezieht, liefert, vorratig halt, anbietet, ankiindigt, anpreist, einzufiihren oder auszufuhren untemimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stiicke im Sinne der Nummem 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen
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eine solche Verwendung zu ermoglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr Oder mit Geldstrafe bestraft." Dass KontroUmechanismen von der Medienindustrie auch immer wieder freiwillig initiiert wurden, hatte in der Kegel okonomische Hintergriinde. Um Verboten zuvorzukommen, entwickelte man anerkannte Richtlinien. Bekannt ist der so genannte HaysCode. Als er 1930 eingefuhrt und 1934 durchgesetzt wurde, wurde damit in Hollywood der Versuch untemommen, ethische Standards fiir die Filmindustrie festzulegen. In den allgemeinen Prinzipien heiBt es, dass kein Film die moralischen Standards derjenigen emiedrigen diirfe, die ihn sehen. Darunter verstand man, dass die Sympathie niemals auf Seiten von Verbrechen, Fehlverhalten, Ubel oder Siinde sein diirfe. Man vermutete sonst, dass der Zuschauer inspiriert wiirde, das Gesehene zu imitieren. Unter die besondere Beobachtung fielen die Darstellungen von Mord und dessen Methoden, Rache in modemen Zeiten, die methodischen Details von Raub, Safeknacken oder das Sprengen von Ziigen oder Gebauden. Der Gebrauch von Feuerwaffen sollte beschrankt sein auf das Notigste. Eine verfiihrerische Wirkung vermuteten die Verfasser auch bei der politisch nicht korrekten Darstellung von Sexualitat, Obszonitat in Worten und Gesten, Nacktheit, Religion oder nationalen Gefiihlen. Der Umgang mit der medialen und fiktionalen Darstellung von Gewalt (dazu zahlt nach der hier entwickelten Definition auch Humor) zeigt, wie bedeutend fiir das gesellschaftliche Zusammenleben die Auseinandersetzung mit dem Thema ist.
Konsequenzen fiir die Rezeption Bislang war die Untersuchung der Wahrnehmung, deren Verarbeitung und der Motiventwicklung gewidmet. Im Schluss-Kapitel wird die Frage nach der Rezeption gestellt. Es sind Schlussfolgerungen aus den bisher entwickelten Erkenntnissen in Bezug aufdie Nutzung zu Ziehen. Vor allem die Unterschiede zwischen Fakt und Fiktion und die zwischen Information und Unterhaltung sind zu kldren. Warum beschdftigen wir uns iiberhaupt mit Imaginationen? Schliefilich miissen die Erkenntnisse der Evolutionspsychologie in die Theoriebildung der Medienwissenschaft einfliefien.
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Fakt Oder Fiktion Steven Spielberg wurde fiir seinen Realismus im Film „Soldat James Ryan"' (Spielberg, USA 1998) gelobt. Das ist ein Widerspruch. Wie kann man Fiktion fiir Realismus loben? Nur, wenn man den Attrappencharakter der Medien vergisst. Das Bild „Ceci n'est pas une pipe" von Rene Magritte ist ein Bild mit der Darstellung einer Pfeife. Der Realismus der Darstellung betrifft dessen visuelle Wahmehmung. Der Eindruck des Realismus in „Soldat James Ryan'' ist ebenso durch die Produktionstechniken entstanden. Nahaufiiahmen und bewegte Handkamera, Dolby-Surround-Ton und Spezialeffekte sind verantwortlich fiir Wahmehmungen. Wozu Imagination? Die Frage betrifft die Funktion. Keine andere Spezies hat diesbeziiglich auch nur annahemde Fertigkeiten. Wenn einer unserer Vorfahren des Abends ohne Beute zuriick zum Lagerfeuer kam und am Arm blutete, sollte er dann die Wahrheit sagen, dass er iiber einen Ast gestolpert ist und sich dabei verletzt hat Oder sollte er eine Geschichte erfinden, die ihn als heldenhaften Kampfer darstellt, der im Kampf gegen einen Sabelzahntiger die groBe Beute aufgeben musste? Die Liige Oder die eigenwillige Interpretation der Wirklichkeit ist sicher von evolutionarem Vorteil. Das Hinnehmen einer Liige ist es gewiss nicht. SchlieBlich hat sich ein mentales Modul entwickelt, das darauf spezialisiert ist, Betriiger zu identifizieren. Imagination ist also mehr geleitet von dem, was man sieht und glauben will, als von dem, was man tatsachlich sehen kann. Das Problem bei der Unterscheidung zwischen Fiktion und Realitat beginnt bei der Glaubwiirdigkeit der Quelle. In der Vorzeit, in der die miindliche Berichterstattung die einzige Quelle war, war diese hochgradig unzuverlassig. Es gab nur wenige Moglichkeiten der Verifikation. Klatsch und Tratsch wie auch das Weitergeben von Geriichten sind von dem Interesse geleitet, sich selbst positiv und Rivalen negativ darzustellen. Die Wiedergabe einer Geschichte dient der Selbstdarstellung. Man berichtet, was dem eigenen Interesse niitzt. Als Glaubwiirdigkeitsmerkmale betrachten Individuen unter anderem die Konsistenz einer Geschichte. Stehen einzelne Telle zu anderen in Widerspruch? Dann wird eingeschatzt, ob das Berichtete ins Weltbild passt. Jemand, der heutzutage erzahlt, er hatte soeben gegen Hexen und Drachen gekampft, wiirde keine groBen Chancen haben. Ein weiteres Merkmal ist die emotionale Beteiligung beim Erzahler. Durchleidet der Berichter nochmals die Geschichte, tendieren Zuhorer dazu, diese eher zu glauben. Dabei sollte man hier misstrauisch sein, denn gerade Liigner und Schauspieler nutzen dieses Kriterium fiir ihre erfundenen Geschichten. Die RTL-Talkshow .M^iser'' prasentierte 1999 einen Vater, der mit seinem Sohn zu dessen 18. Geburtstag ins Bordell ging, wahrend sich dieser in der Sendung als homosexuell outete. Als Gast geladen war zudem eine Mutter, die mit dem Liebhaber der Tochter fremdging. Entriistung herrschte allerorten angesichts der offentlichen Prasentation solcher Skandale. Was viele Kritiker und Zuschauer der Sendung verpassten, war der Hinweis am Ende der Show, dass es sich um einen Beitrag zum 1. April handelte und dass alle Gaste Schauspieler waren, die verabredete Rollen mimten. Die Linie, die Realitat und Fiktion trennt, ist offenbar diinn und bisweilen nicht auszumachen. Nicht eingegangen werden kann hier auf die bewusste Tauschung von realen Sachverhalten (hinzuweisen ist jedoch auf: Junge 2000, 178).
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Fakten - also tatsachliche Ereignisse und Sachverhalte - sind bisweilen mediengerecht produziert. Eine Bundestagsdebatte, die offentlich abgehalten wird, bringt andere Kommunikationsformen und Inhalte hervor, als wenn sich die Volksvertreter in einem abgeschlossenen Raum wissen. Offentlichkeit unterstiitzt strengeres Verhalten gemafi Rollenerwartungen. Opposition verhalt sich wie Opposition, weil die Offentlichkeit es von ihr erwartet, unabhangig von inhaltlichem Sinn oder Unsinn der Haltung. Medien sind ein Instrument fiir Offentlichkeit. Als im Fall des kubanischen Jungen Elian Gonzales, der von seinen Verwandten in Miami erst aufgenommen und dann festgehalten wurde, Menschenmengen vor dem Haus auftauchten, erschienen bald auch Kameras und Ubertragungswagen. Diese wiederum zogen weitere Sympathisanten an. Das Ganze wurde zu einer Feedback-Schleife. Zunachst scheint Fiktion kontraproduktiv: Menschen verbringen viel Zeit damit Zeit, die unproduktiv zu sein scheint. Sie geben viel Geld dafiir aus. Dann werden durch Fiktion Emotionen ausgelost, die inadaquat scheinen. Warum soUten Menschen iiber Menschen weinen, die im Film oder auf der Biihne nur so tun, als ob sie leiden oder traurig sind? Sie reagieren auf literarische Figuren wie Karl Mays Winnetou ebenso wie auf die Comicfiguren Superman oder Donald Duck, auf VR-Charaktere wie Lara Croft oder auf real existierende Medienfiguren. Wie kommt es zu Verwechslungen zwischen Fiktion und Realitat? Jeder weiB doch, dass er im Kino sitzt oder vor dem Femseher oder dass er ein Buch in der Hand hat. Die Antwort aus evolutionspsychologischer Sicht ist einfach: Das menschliche Gehim besteht aus einzelnen Modulen, die jeweils ihre Aufgabe erfiillen. Unterschiedliche Bereiche konnen unterschiedliche Einschatzungen haben. Wenn etwas klingt wie ein Lowe und in gewissen Aspekten auch aussieht wie ein Lowe, dann ist es besser, anzunehmen, dass es ein Lowe ist und konsequenterweise so zu reagieren, als sei man der Gefahr ausgesetzt. Die Emotion Angst trifft die notigen Vorbereitungen. Das limbische System reagiert auf optische und akustische Ausloser unmittelbar. Der Neokortex, der ebenfalls fiir die Wahmehmung der AuBenwelt zustandig ist, weiB, dass man gerade sieben Euro Eintritt bezahlt hat oder dass man im Wohnzimmer vor dem Femseher sitzt. Beim Auslosen von Emotionen ist dieser Teil des Gehims jedoch nicht beteiligt und wird ignoriert. Die Unterscheidung zwischen Fiktion und Realitat ist nicht immer eindeutig zu treffen. Realitat ist also nichts so Eindeutiges, dass immer dariiber zu entscheiden ware. Kinder glauben an den Weihnachtsmann und wenn dann Zweifel kommen, konnen sie diese zunachst noch einmal verdrangen. Der Glaube an den Weihnachtsmann ist durchaus von Vorteil, denn schlieBlich bringt er SiiBigkeiten. Mit Hilfe von Fiktion bilden Menschen sich auch eine Vorstellung von der Welt und was sie im Innersten zusammenhalt. Lehrt die Evolution doch, dass der Umgang mit den Anforderungen der Realitat von Vorteil sei. Wie kann Fiktion dann von Vorteil sein? Es geht in der Evolution nicht um Wahrheit, sondem um Adaquatheit. Das heiBt, solange eine Losung besserfimktioniertals eine andere, ist sie angebracht. Damit steUt sich die Frage: Ist Fiktion eine Adaption, also eine besondere Anpassung, die das Losen spezifischer Aufgaben ermoglicht, oder ein Nebenprodukt? Evolutionspsychologische Kriterien sind: Ist die Fahigkeit angeboren? Diese Frage lasst sich eindeutig bejahen. Bereits Kinder im Alter von zwei Jahren besitzen die Fahigkeit, Dinge nicht nur fiir das zu nehmen, was sie sind. Eine Banane wird imaginar zum Telefon. Ein zweites Kriterium betrifft die Universalitat eines Phanomens. Tatsachlich ist keine Kultur bekannt, in der
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es keine fiktionalen Geschichten oder Reprasentationen gibt. Die altesten Hohlenmalereien sind fiktionale Darstellungen der Natur, die metaphorische Deutungen nicht nur zulassen, sondem geradezu implizieren. Der Hohlenmensch hat keinen Bison gemacht, sondem nur einen gemalt. („Ceci n'est pas une pipe.") Ein drittes Kriterium ist die schliissige Beantwortimg der Frage: Verbesserte die Fahigkeit zur Imagination die Uberlebenschancen imserer Vorfahren in der Jager-und-Sammler-Vorzeit? Diese ist schwerer zu beantworten und bedarf einiger Ausfuhrungen. Viele der mentalen Fahigkeiten und Emotionen sind Adaptionen. Dazu zahlt auch die Emotion „Freude". Freude erlebt man bei Dingen, die die Fitness erhohen. Zucker hat einen angenehmen Geschmack, weil er den Korper mit notwendigen Kohlehydraten versorgt und den Serotonin-Haushalt beeinflusst. Menschen haben auch SpaB am Erkennen von kausalen Zusammenhangen, die wiederum beim Losen von Problemen helfen. SpaB ist zunachst eine chemische Reaktion im Gehim. Ausgelost wird diese Reaktion durch fitnesssteigemde Wahmehmungen. Der „SpaB-Knopf' kann jedoch auch ausgelost werden durch Drogen. Welcher Art „SpaB-Ausloser" sind also Literatur und anderefiktionaleMedienprodukte? Horaz bezeichnete die Aufgaben der Literatur als „prodesse et delectare", als „lehren und unterhalten". Die Literatur der Aufklarung verbindet aus ihrem Selbstverstandnis heraus stets die beiden Elemente Belehrung und Unterhaltung. Dabei ist die Vorstellung leitend, dass die textlich herausragende Gestaltung als sinnliches Erlebnis die Intensitat der Lektiire steigert. AuBerdem merkt sich das Publikum besser und leichter, was schon gesagt wird. In diesem Sinne gehort Dichtung zur Bildung. Literatur soil mit Hilfe poetischer Mittel explizit Wissen iiber den Umweg eines fiktiven Geschehens vermitteln: Wissenselemente werden durch einen literarischen Plot poetisiert. Dichtung dient ganz allgemeinen Zielen: darunter der Verbreitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen oder seit dem Mittelalter der Befestigung der christlichen Moral und biirgerlichen Tugenden. Literatur soUte vor allem durch die Demonstration von Tatsachenkenntnissen (in Aufsatzen und Essays) und Vermittlung von moralischen Lehren (in Fabeln und Dramen) niitzlich sein und durch Witz und Scharfsinn (in Reden und Dramen) erfreuen. Die Funktion von Fiktion aus evolutionspsychologischer Sicht liegt im gefahrlosen Ausprobieren von hypothetischen Situationen. Beim Achterbahn fahren testet man die Grenzen der Schwerkraft, ohne sich einem Risiko auszusetzen. Nach Steven Pinkers Meinung ist die Frage, warum sich Individuen an Fiktionen erfreuen, ebenso zu beantworten wie die Frage, warum sie sich am Leben erfreuen: „Wenn wir in ein Buch oder einen Film eintauchen, sehen wir atemberaubende Landschaften, sind mit wichtigen Leuten auf Du und Du, verlieben uns in hinreiBende Manner oder Frauen, beschiitzen die, die uns nahe stehen, erreichen unmogliche Ziele und besiegen iible Bosewichte." (Pinker 1999, 539) So fiktional die Geschichte oder das Setting auch sein mag, es geht doch inmier um Figuren mit Emotionen und Emotionsausdriicken, die gelaufig sind; Figuren mit Motivationen, die den meisten nicht fremd sind; Figuren, die in jeder Hinsicht Thema von Klatsch und Tratsch sind oder werden konnen. Literarische Imagination stimuliert die gleichen Himteile, die stimuliert werden, wenn die Sinne Reales wahmehmen. Uber die Bedeutung von Klatsch und Tratsch wurde ausfuhrlich berichtet. Die Beschaftigung mit Literatur ist die Beschaftigung mit Informationen und Entscheidungen im sozialen Zusammenleben.
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Die Optimierung von zukiinftigein Verhalten besteht unter anderem darin, aus vergangenen und aus fiktional-imaginierten Fehlem zu lemen. Selbst einige Schachprogramme konnen dies in einem gewissen Umfang und reduziert auf ihre Aufgabe, ein Schachspiel zu gewinnen, sogar ziemlich perfekt. Vergangene Erfahrungen werden dabei protokolliert und deren Ergebnisse festgehalten. Positive werden angestrebt, negative vermieden. Mit jedem Spiel gewinnt der Computer an Perfektion. Ein Verlust im Leben ist nicht so billig zu haben wie im Schach. Eine Methode, dieses Verfahren zu nutzen, ist die Simulation. Um einen Plan zu testen, ist es sinnvoll, seine Bestandteile mit der Erfahrung zu vergleichen und die jeweiligen Konsequenzen mental zu vergleichen. Gute Schachspieler nutzen dieses Verfahren iibrigens auch. Bis zu acht Ziige im Voraus konnen sie Varianten und GegenmaBnahmen vorwegnehmen und haben eine groBe Erinnerung an andere Schachsituationen. Schlachten konnen im Modell geschlagen werden, Flugzeuge konnen abstiirzen, ohne dass es den Ruin und den Tod der beteiligten Personen nach sich ziehen muss. Auch soziales Verhalten wie Auseinandersetzungen, Selbstdarstellungen oder Partnerwahl konnen mental getestet werden. Ahnlich wie ein Schachspiel, bei dem es prototypisch um Angriff auf den gegnerischen Konig bei gleichzeitiger Verteidigung des eigenen geht, reduziert Literatur die Komplexitat des realen Lebens auf prototypische Situationen. Wie im Kapitel iiber die mentale Verarbeitung der Wahmehmung beschrieben, ist die Verbalisierung und Beschreibung von Emotionen nicht einfach. Um sie zu erklaren, werden Situationen beschrieben, in denen sie typischerweise auftreten. Zur Erlauterung werden narrative Muster benutzt. „Es gibt geniigend empirische Belege, dass narrative Muster eine fundamentale Art fur Verstehen sind, durch die wir alle Formen menschlicher Aktionen begreifen. Es gibt unterschiedliche Typen narrativer Muster, die beim Verstandnis von Aktionen, beim Einschatzen des moralischen Charakters und beim Ubertragen auf Losungen von moralisch schwierigen Situationen eine Rolle spielen. Narrative Muster sind nicht nur eine Vorrichtung zum Erklaren, sondem sind tatsachlich konstitutiv fiir die Art und Weise, wie wir Dinge erfahren. Keine Moraltheorie kann adaquat sein, wenn sie nicht den narrativen Charakter unserer Erfahrungen in Betracht zieht." (Johnson 1997, 11) Narrative Strukturen sind so grundlegend, dass man Anekdoten benutzt, um moralisches Handeln und Entscheiden damit zu begriinden. Es gibt geniigend literarische Beispiele, die belegen, dass narrative Muster eine Basis fiir moralisches Urteilen bieten. Die Bibel enthalt die zehn Gebote - ein Sammlung scheinbar allgemeingiiltiger Satze ohne narrativen Bezug -, doch selbst diese sind eingebettet in eine dramatische narrative Struktur. Der Rest des Werkes gibt Beispiele von moralischem und unmoralischem Verhalten. Man kann durchaus die These vertreten, dass alle Literatur moralisches Handeln vorfiihrt. Ein Autor oder eine Autorin einer Geschichte ladt ein, iiber ein fiktionales Szenario nachzudenken. Er oder sie hat groBe Freiheiten, die Imaginationen der Zuseher, Zuhorer oder Leser zu leiten: zu sprechenden Tieren, fliegenden Untertassen, in vergangene oder zukiinftige Zeiten. Wohin auch die Reise geht, wir folgen. Die Philosophin Tamar Szabo Gendler (2000) weist darauf hin, dass es Widerstande bei Imaginationen gibt, die nicht den moralischen Werten entsprechen. Man kann sich durchaus Dinge vorstellen, fiir die es keine mentale Reprasentation gibt, und das bezieht sich nicht nur auf Raum-Zeit-Reisen und sprechende Schneemanner. Tom Wolfe beschreibt in seinem Roman „Ein ganzer Kerr (,^an in Full") ein sexuelles Abenteuer: „Sobald sie im
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Konsequenzen fiir die Rezeption
Zimmer waren, nahm sie diese kleine Tasse aus ihrer Handtasche und sie machten es mit der Tasse; etwas, von dem er noch nie zuvor im Leben gehort hatte. Er hat seinen Verstand aufgegeben fiir ihre wahnsinnige Form von Begierde. Gefahr! Bedrohliche Lage! Das mit der Tasse." Weder der Protagonist noch die Leser des Romans hatten eine Vorstellung von „dem mit der Tasse". Als Tom Wolfe, der Autor, danach befragt wurde, sagte er dazu, dass auch er nicht die geringste Idee hatte, was das war, „das mit der Tasse": „Ich habe mir den Satz ausgedacht, um eine Vision einer unvorstellbaren Perversion zu erzeugen. Es klang so einfach und dabei so furchtbar aufreizend, aber ich hatte nie auch nur den Hauch einer Vorstellung, was es sein konnte." (Szabo Gendler 2000, 71) Die Leser der Passage folgen der vagen Vorstellung von etwas Unvorstellbarem. Szabo Gendler fiihrt weiter aus, dass es jedoch fiir einige Satze imaginative Widerstande gibt. In Fallen, in denen der Leser oder die Leserin einen Transfer einer Aussage aus der fiktionalen Welt in die reale Welt machen soil - und das ist immer die jeweils konkrete Welt mit deren moralischen Prinzipien der jeweils rezipierenden Person -, entsteht eine Weigerung, diese Vorstellung in das Repertoire seiner oder ihrer Konzepte mit aufzunehmen. Die Intention einer Geschichte ist demnach nicht etwa zu glauben, dass man sich vom „Raumschiff Enterprise " in andere Welten beamen lassen kann, oder dass sich ein Mensch in einen Kafer verwandelt, sondem die zu Grunde liegenden moralischen und asthetischen Statements. Moral ist in dem Sinn kategorial, in dem moralische Satze iiberall gelten - in der fiktionalen Welt wie in der echten. Moral ist der Teil der Fiktion, der am leichtesten exportiert werden kann. So imaginar oder fiktional eine Geschichte sein mag, immer handeln Figuren nach moralischen Grundsatzen. Vielleicht kann man sich einen Roman vorstellen, in dem die Faschisten den Krieg gewonnen haben und Berlin die Hauptstadt von Germania ist. Dennoch miissen die Personen auch in dieser fiktionalen Welt, in der vieles oder alles anders sein kann, als in der realen, nach moralischen Prinzipien denken und handeln. Diese sind leicht aus dem Rahmen der Fiktion zu trennen. Das Vorfuhren von moralischen und amoralischen Handlungen ist ein Lemvorgang. Man lemt, welches Verhalten am Ende oder im Verlauf der Geschichte belohnt wird und welches bestrafl. Man zieht Lehren. Alles Wissen iiber das Faktische in der Welt, iiber Naturgesetze, auch anderes deklaratives Wissen spielt in Fiktionen eine untergeordnete RoUe und ist schwieriger als Einzelaspekt herauszulosen und zu exportieren. Dass Berlin die Hauptstadt von Germania ist, gilt nur innerhalb der Fiktion, die moralischen Grundsatze auch auBerhalb. Das meint Export. Wie gesehen, konnen Menschen eine Menge Dinge in fiktionalen Welten als gegeben akzeptieren, nicht jedoch, wenn innerhalb der im Setting gegebenen Regeln gegen moralische Prinzipien verstoBen wird. „Die Unmoglichkeitshypothese fiihrt das Versagen auf ein Problem mit der fiktionalen Welt zuriick. Sie besagt im Wesentlichen: Wir sind unfahig, einem Autor zu folgen, wenn die Welt, die er versucht fiktional herzustellen, unmoglich ist. Mein altemativer Vorschlag fiihrt sie auf das Problem mit der realen Welt zuriick. Er besagt im Wesentlichen: Wir sind unwillig, dem Autor zu folgen, denn insofem er eine Welt fiktional macht, verschafft er uns einen Blick auf unsere Weh, den wir lieber vermeiden." (Szabo Gendler 2000, 79) Wenn diese These von Tamar Szabo Gendler richtig ist, soUten Individuen immer dann einen Widerstand gegen Imaginationen finden, wenn man von ihnen verlangt, eine Weltanschauung zu akzeptieren, die nicht in ihr Repertoire von Weltvorstellung passt.
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Diese jeweils subjektiven Weltvorstellungen sind nicht strikt auf moralische Vorstellimgen beschrankt. Sie beziehen sich auf ein allgemeines Weltbild. Einer Geschichte iiber einen sehr guten Torhiiter bei Bayem Munchen namens Andy Warhol schenkt man nicht allzu viel Glauben, Einzelne wiirden sich sogar weigem, dies als fiktive Geschichte weiter zu verfolgen. Eine Berlinerin lehnte den Film ,^ola rennt (Tykwer, D 1998) als unglaubwiirdig ab, weil die einzelnen Szenen, die an verschiednen Orten in Berlin spielen, in keinem lokalen Zusammenhang zueinander stehen. Der Bezug zwischen realen Drehorten und dem fiktionalen Ort der Geschichte wurde nicht akzeptiert. Sie kennt Berlin zu gut. Wer fest an den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik glaubt, soUte Probleme bei der Vorstellung von Zeitreisen in Vergangenheit Oder Zukunft haben. Trotz der Verallgemeinerung und Ubertragung der Giiltigkeit von moralischen Satzen sind allgemein formulierte Regeln nutzlos, kategorische Imperative beliebig anwendbar. AUgemeine Regeln sind nur anwendbar auf idealtypische Falle. Das Leben halt aber eher komplexe und komplizierte Falle bereit. „Du soUst nicht morden!" heiBt es zwar im Alten Testament, doch es werden selbst da geniigend Gegenbeispiele angefiihrt, die das Toten eines Menschen rechtfertigen: im Krieg, aus Rache, zur Selbstverteidigung oder als Bestrafung fur Homosexualitat (3. Mose 20.13) oder Sodomie (3. Mose 20.15). Die Diskussion um Todesstrafe und Abtreibung sind aktuelle Falle, die eine kategorische Regel obsolet erscheinen lassen. Als ein weiteres Beispiel seien die Grundsatzurteile genannt, die Gesetzestexte anwendbar machen. Gibt es keine Grundsatzurteile, miissen diese erst geschaffen werden. Nichts anderes ist Framing. Erst die Anwendung (das Framing) auf einen Fall gibt Handlungsoptionen. Dieses Framing stellt der Regel Interpretation zur Verfugung, die Umstande, Handlungsmotive und Rahmenbedingungen mit einbezieht. Framing ist fundamental narrativ. Richard Rorty (1989) konnte beobachten, dass Menschen mit moralischem Selbstverstandnis sich nicht etwa an philosophische Texte iiber Moraltheorie halten, sondem eher Romane, Kurzgeschichten und Theaterstiicke heranziehen, um ihre Haltung zu begriinden. Fiir Mark Johnson (1997, 196) liegt die Antwort im narrativen Charakter des Lebens. Menschen leben in narrativen Strukturen. Eine fiktionale Aufarbeitung ist unter dieser Pramisse nichts anderes als die Darbietung einer Handlungsoption unter moralischen Gesichtspunkten. Es wird beispielsweise vorgefuhrt, unter welchen Bedingimgen eine Hausdurchsuchung ein Eingriff in die Privatsphare ist und unter welchen Umstanden sie der Gefahrenabwehr dient. Fiktionen wie Fakten sind Exempel fur moralisches Verhalten. Der Film ,,D/e Veriorem Ehre der Katharina Blum'' (Schlondorf, D 1975) wie auch der Roman von Heinrich Boll belegen, dass investigativer Joumalismus Menschen zur Verzweiflung treiben kann. Das fiktionale Werk ist jedoch kein Beleg, dass Pressefreiheit als hochstes Gut zu bestimmen sei. Moral ist damit nichts Absolutes, sondem ist immer wieder kontextabhangig zu bestimmen. Die Bestimmung erfolgt durch narrative Beispiele. Bedingung fur das Ubertragen von einerfiktionalenPrasentation hin zu subjektiven Lehren ist die mentale Fahigkeit, von den Beispielen zu abstrahieren, um daraus Muster fiir Anwendungen im eigenen Lebensbereich zu finden. Das Verstandnis von Metaphem scheint veranlagt zu sein, denn lemen kann man sie nicht. „Neue Besen kehren gut" - dieser Satz ist verstandlich auf einen Kontext anwendbar, auch wenn man die Metapher zuvor noch nie gehort hat. Obgleich der Transfer bei Verwendung eines Beispiels zwei Mai geleistet werden muss, scheinen Beispiele fiir das Gehim eher ver-
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standlich als eine abstrakte Kegel. Belegen konnten dies LeFevre und Dixon in einem Experiment (LeFevre & Dixonl986): Sie gestalteten eine Instruktion und das dazugehorige Beispiel unterschiedlich. Es wurde festgestellt, dass sich 92 % der Versuchspersonen zuerst das Beispiel angeeignet haben, daraus die Instruktion abgeleitet haben, um dann die Aufgabe zu losen. Im griechischen Drama ging es nicht um die Darstellung der Ereignisse, sondem um Emotionen. Die Katharsis, die Reinigung der Gefuhle, ist das Ziel. Insofem gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen Geschichte (Tatsachen) und Geschichten (erfundene Sachverhalte). Ein Unterschied zwischen Fiktion und Realitat ist lediglich, dass eine ausgedachte Geschichte meist zu einem Ende kommt und sich alle gesponnenen Faden am Schluss auflosen, ein Umstand, der im Leben nicht so haufig vorkommt. Aber darum eignen sich erdachte Geschichten auch als moralische Instrumente. Ohne Emotionen gibt es keine WertmaBstabe. Emotionen und asthetische Begutachtung gehen Hand in Hand, wenn es um das Erlemen von moralischen Richtlinien geht. Darum ist das Ende einer Geschichte von besonderer Bedeutung, wird hier doch die Konsequenz des Settings vorgefuhrt, die Wenn-Dann-Folge fmdet ihre Auflosung. Eine Bedingung fur die Gestaltung einer Geschichte ist, dass der Protagonist nicht im Laufe der Geschichte verschwinden darf. Quentin Tarantino lost das Problem in ,J^ulp Fiction'' (USA 1994) dadurch, dass er die Geschichte achronologisch erzahlt und seine Hauptfiguren so bis zum Ende des Filmes zur Verfugung hat. Hitchcock verwirrte die Zuschauer von ,J^sycho"' (USA 1960), indem er zunachst eine Figur als Protagonistin anbot, die dann aber bald in der Dusche von Norman Bates erstochen wurde. Das sind die Ausnahmen. In der Kegel werden Helden vorgefuhrt, die gegen alle Widrigkeiten ihre Sache verfechten. Die Aufgabe des gesetzten Ziels (nicht durch endgiiltiges Scheitem, sondem ohne erkennbaren Grund) wiirde kaum als Story zugelassen. Bei der Diskussion um das Denken als Probehandeln wurde bereits ausgefuhrt, dass Zuschauer ein Happy End ein gliickliches Ende - bevorzugen, da es sie davon befreit, weitere Optionen und Varianten mental durchzuspielen. Ein offenes Ende lieBe sie unschliissig zuriick. Man muss - das ist die Intention des offenen Endes - die Geschichte selbst zu Ende fuhren und dabei Setting und Ziele beibehalten. Da sich das Denken als Probehandeln standig mit Fragen des Was-ware-wenn beschaftigt, behandeln fiktionale wie faktische Geschichten den Zusammenhang von Wenn-dann. Medieninhalte sind insofem visualisierte und vertonte Probehandlungen. Sie liefem durch ein abgeschlossenes Ende L6sungen und damit Hinweise und Anleitungen zum eigenen Handeln und Entscheiden. Nicht vergessen werden darf, dass der Rezipient das Gesehene subjektiv interpretiert und Ubemahmen somit weitgehend offen sind. Geschichten enthalten historisch richtige Informationen. Sie enthalten aber auch Verallgemeinerungen der menschlichen Bedingungen. Sie bestatigen einerseits ontologische Erwartungen und verletzen auf besondere Weise andere. Reality-TV steht produktionsasthetisch zwischen Fiktion und Dokumentarischem. Angeblich wahre Begebenheiten werden moglichst an den Orten des Geschehens zum Teil nachgestellt und von den betroffenen Opfem und Kettem kommentiert. Die Funktion ist jedoch eindeutig: Es geht um die emotionale Betroffenheit. Man erlebt, wie Heifer in selbstlosem Einsatz das Leben von anderen retten. Immer ist die Aktion erfolgreich.
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Die am langsten laufende Reality-Show im deutschen Femsehen ist ,^ktenzeichen XY... ungelosf. Vordergriindig geht es um das Auffmden von Verbrechem. Produktionsasthetisch tragen die dazu eingesetzten Spielszenen, die die Umstande des Verbrechens aufhellen sollen, jedoch wenig bei. Gezeigt werden Tagesablaufe iind Verhalten meist aus subjektiver Sicht. Die Sendung hat damit eher emotionsauslosende Funktion, was sich bis in die Kamerafuhrung zwischen Tater- und Opferperspektive nachweisen lasst. Die Opfer werden als altruistische, fiirsorgliche und beUebte Mitbiirger dargestellt, was mit der eigentlichen Tat natiirlich nichts zu tun hat. Damit wird das Verbrechen aber zxmi Skandal und die Motivation, die Tater zu fassen und zu bestrafen, wird legitimiert. Tatumstande, die auf die Verbrecher hinweisen, sind jedoch nicht notwendig Bestandteil der nachgesteUten Einspielbeitrage. Shows wie ,fiig Brother", die ohne Skript aufwarten, sind damit noch nicht real. Sie sind eher mit einem Stegreiflheater zu vergleichen. Die Teilnehmer stehen unter dem Druck, Aktionen produzieren zu miissen. Sie miissen etwas unteraehmen, was sie in der Show bleiben lasst. Sie sind gezwungen, miteinander zu kooperieren und wissen dabei, dass sie Konkurrenten sind. Mobbing wird zur Spielregel. Ob diese Untemehmungen real sind oder fiktional, ist dabei belanglos, da ihr Wahrheitsgehalt letztlich nicht zu ubeipriifen ist. Die Spielregeln und die Tatsache, dass die Kandidaten unter der standigen Beobachtung stehen, verandem Verhalten ins Artifzielle. Es scheint aber so etwas zu geben wie einen Reality-Kick, also ein besonderes Erleben am Wissen, dass die dargestellten Personen mit den Namen angesprochen werden, die auch auf ihren Ausweispapieren stehen. Es scheint damit eine Gewahr zu geben, dass die Geschichten eine hohere Glaubwiirdigkeit besitzen, dass etwa gezeigte Emotionen nicht nur gespielt, sondem wahrhaftig sind. Dokumentarisches beschreibt, wie es war, Fiktion wie es gewesen sein konnte. Bezogen auf das emotionale Miterleben, das Empathische, sind jedoch geringe Unterschiede zu erwarten. Zwei unterschiedliche Literaturgattungen widmen sich der Darstellung des Realen: zum einen Biografien, die Personen in ihrem Werdegang und in Momenten weitreichender Entscheidungen zeigen. Es geht um Einfliisse von Ereignissen auf Entscheidungen. Deren Tragweite wird vorgefuhrt. Die zentralen Geschehnisse im Leben eines Menschen werden als asthetisch-moralische Momente erfahrbar. Eine andere Gattung heiBt True Crime Literature. Der Titel verrat, dass es sich vorwiegend um die Beschreibung spektakularer Kriminalfalle handelt. Eines der bekannteren Beispiele ist ,^elter Shelter'', geschrieben von Vincent Bugliosi (1974), dem Staatsanwalt im Verfahren gegen Charles Manson. In der verbalen Beschreibung von Ereignissen ist der Unterschied zwischen Fiktion und Fakt im Detail nicht auszumachen. Wenn von einer Person bekannt ist, dass sie geme Jeans und blaue Hemden tragt, dann ist es auch nahe liegend, sie anlasslich einer staatsanwaltlichen Befragimg genau so zu beschreiben, obwohl es keinerlei Beleg dafur gibt, dass sie auch an diesem Tag und zu jenem Ereignis Jeans und ein blaues Hemd trug. Fiir die Wahrheit der Geschichte scheint das belanglos. True Crime Literature hat einen Erzahler, der die Geschichte iibermittelt. Sein Ruf und seine Glaubwiirdigkeit stehen fur die Glaubwiirdigkeit der Berichte (Seger 1992). Bei der filmischen Reproduktion realer Ereignisse sind die Bedingungen komplexer. Der Unterschied ist zunachst ein produktionsasthetischer. Man muss zwischen dokumentarischen und fiktionalen Aufhahmen unterscheiden und innerhalb der fiktionalen nochmals zwischen solchen ohne Bezug zu einem realen Ereignis und solche mit
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Bezug. Fiir die letztgenannten hat sich der Begriff Dokudrama eingeburgert. Es tragt den Stempel „beruht auf einer wahren Geschichte". Dokudrama wie True Crime Literature bieten zusatzliche Informationen zu einem Ereignis, das man aus den Nachrichten Oder dem Geschichtsunterricht kennt, namlich das emotionale und motivational Innenleben der Charaktere. In Biichem wird es beschrieben, im Film kann es jeder durch die Theory of Mind selbst empathisch erleben. Ahnlich der Darstellung von Personen mit Jeans und blauem Hemd miissen Charaktere im filmischen Darstellungen komplex gezeichnet werden. Reicht in True Crime Literature die Beschreibung, miissen hier Schauspieler gefunden werden, die den visuellen Eindruck der Figuren wiedergeben, die sie darstellen sollen. In nachgestellten wie in fiktionalen Geschichten sind die Figuren in ihrer Emotionalitat besser darzustellen. Einstellungen konnen so oft geprobt werden, bis der gewiinschte Ausdruck festgehalten ist. Voraussetzung fur reziproke Kooperation ist Information. Zu wissen, was in der Gemeinde geschieht, ist von strategischem Vorteil vor allem fur Entscheidungstrager. Denn Nachrichten sind wichtig fur diejenigen, die innerhalb einer Gemeinschaft in einer Position sind, die Entscheidungen verlangt. Bei Nachrichten scheint es um Informationen zu gehen, die alle betreffen. Entscheidungstrager werden sich starker um Informationsbeschaffung bemuhen als andere. Dennoch bleibt auch hier die Frage unbeantwortet, wie man die Kriterien fiir Faktizitat festlegt, denn auch das Wissen um fiktionale Personen bedient in gewissem MaBe das Bediirfiiis nach Information. Was ist echt an Michael Jackson? Seine Stimme? Sein AuBeres? Seine Emotionen? Seine Home-Storys? Seine Gerichtsverfahren? Bei Michael Jackson spielt es keine Rolle. Er ist eine echte Medienfigur. Die Debatte um seine padophilen Interessen hat das gezeigt. Uneingeschrankte Kontrolle bei der Produktion hat man bei Kunstfiguren in Comics oder bei digital animierten Charakteren wie Superman oder Lara Croft. In der Musikindustrie werden hin und wieder kiinstliche Figuren prasentiert. Doch ihr Vorteil ist gleichzeitig ihr Nachteil. Zwar kann kein Skandal ihre Karriere gefahrden, aber gerade von Musikem erwartet man emotionale Aktionen, sei es, dass Rock-Musiker auch mal ihr Hotelzimmer zertriimmem oder dass sie wie Michael Jackson geriihrt sind vom Elend der Kinder in Kosovo. Es gibt geniigend Beispiele, die den Versuch untemehmen, nichtfiktionale Geschehnisse fiir eine mediale Prasentation aufzubereiten. Eine niederlandische Spiel-Schau sperrte eine Gruppe junger Menschen in einen Wohn-Container, der rund um die Uhr von Kameras iiberwacht wurde. Die Produzenten schnitten taglich eine Sendung zusammen. Spannend waren nicht nur die Geschehnisse in der Sendung, die bezeichnenderweise unter dem Titel ,,5/g Brother" lief, sondem die Moglichkeit fiir die Zuschauer, in gewissen Abstanden mit dariiber zu diskutieren, wer den Container und damit die Show verlassen musste. Damit geht es nicht mehr um die Story, sondem auch um die asthetische Prasentation der weiblichen und mannlichen Kandidaten und das asthetische Urteil der Zuschauer, die zum Richter werden. Ein weiteres Beispiel fur die Dramatisierung von nichtfiktionalen Geschichten ist eine Serie des US-amerikanischen Senders FOX unter dem Titel ,,Cops'\ Cops ist der Slang-Ausdruck fiir Polizisten und genau das zeigt die Sendung: Polizisten fahren von einem Kameramann mit Handkamera und Mikrofon begleitet - zu ihren Einsatzen: Jugendliche werden auf einem Spielplatz nach Waffen durchsucht, ein Ex-Ehemann, der Hausverbot hat, wird beim Hausfriedensbruch ertappt, betrunkene und ran-
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dalierende Nachbam bekommen eine Anzeige wegen Ruhestorung. Es gibt keine Background-Story. Nur die Polizisten stellen Fragen. Die Zuschauer erfahren nichts iiber die Figuren auBer dem, was sie iiber sich und andere sagen. In nicht mal einer halben Stunde konnen 3-4 Falle gezeigt werden. Diese Sendung erfuUt eine wichtige Bedingung fur Medienereignisse: Es wird eine Moral angeboten und es geht um die Durchsetzung dieser Moral durch eine Exekutive. Die Zuschauer erleben die Emotionen der Betroffenen und entwickeln selbst Reaktionen in Bezug auf altruistische Polizisten im Einsatz, Betriiger und Opfer. Es geht um die Identifizierung von Betriigem. Eine Unterscheidung in instrumentelle und nicht-instrumentelle Medieninhalte ist schwierig. Wenn eine Gebrauchsanleitung eine typische Vertreterin der instrumentellen Literatur ist, die unterrichtet, wie man ein Gerat in Gang setzt, so ist etwa die Bibel als Vertreterin einer nicht-instrumentellen Literatur eine Ansammlung von Texten, die die Konsequenzen von richtigem und falschem Verhalten vorfiihrt. Man kann lemen, wie man sich verhalten soil. Diese Funktion lasst sich feststellen fur die gesamte Literatur, vom griechischen Drama iiber Shakespeare bis zu den modemen Soap Operas. Normalerweise ist der Unterschied zwischen Realitat und Fiktion zu erkennen. Wenn jemand an .J.indenstrafie"' schreibt, um eine frei gewordene Wohnung zu mieten, dann glaubt er nicht, dass diese Wohnung real ist. Nein, er spielt das Spiel einfach mit. Ihm gefallt die Serie so gut, dass er an diesem Spiel teilnehmen mochte. Auch Spiele kann man emsthafl und mit intensiven Emotionen spielen. Man muss nur so manchem Kind zuschauen, das gerade beim Mensch-argere-dich-nicht verloren hat, Oder einen Erwachsenen sehen, der dabei ist, beim Skat zu verlieren. Es gibt Anrufe bei Serienredaktionen, dass doch Soundso die Soundso nicht so schlecht behandeln solle. Auch die so genannten Trekkie-Conventions stehen fur dieses Phanomen. Anhanger einer Serie {.fiaumschiff Enterprise'') treffen sich, um die Inhalte fiktionalen Geschehens zu diskutieren. Das wird so engagiert betrieben, dass die Teilnehmer gar in entsprechender Verkleidung auftreten und diQ geladenen Schauspieler der Serie zu Stargasten werden. Ein engagiertes Mitgehen ist noch kein Beleg fur die Verwechslung von Realitat und Fiktion. In den 1980er Jahren gab es Treffen der so genannten Donaldisten (Anhanger der Comic-Figuren um ,J)onald Duck"), die bei Vortragen nicht applaudierten, sondem ausriefen: „Klatsch Klatsch!" Akteure werden mit ihren Rollen identifiziert. Neben ihrer Biografie haben Schauspieler eine spezifische RoUenbiografie, „das heiBt, das Wissen um die Figur, die sie in anderen Filmen bereits verkorpert haben, kann die Wahmehmung und Beurteilung ihres Spiels beeinflussen." (Hickethier 1996, 164) Die Versuche von Silvester Stallone als Komodiant mussten scheitem, da er als Action-Darsteller eine gewisse Erwartung aufgebaut hatte. Leonard Nimoy betitelte seine Memoiren zunachst mit „Ich bin nicht Spock". Diese Intention musste er aufgeben und nannte sie schlieBlich „Ich bin Spock". (Pinker 1999, 539) Man konnte das Problem zwischen Realitat und Fiktion so darstellen: „Wir kennen den Unterschied, aber bisweilen ist er uns egal." Das Theater als moralische Anstalt, das Femsehen als Lehrmeister der Nation, Literatur als Lebenshilfe. Das sind Attribute, die durchaus auf alle Genres und Medieninhalte zutreffen. Bertolt Brecht versah zwar seine Lehrstiicke mit einem offenen Ende, doch liefi er keinen Zweifel, was er sich als Lehre vorstellte. Es macht kein Problem, aus den fiktionalen Geschichten Lehren zu ziehen. Man versteht sie trotz ihres nichtrealen Charakters. Fantasie und Denken als Probehandeln
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generieren Konzepte, die mental iiberpriift werden. Die Fahigkeit des Gehims, die Lehre aus Metaphem zu erschliefien, ist so stark, dass oft Verstandnisprobleme entstehen, weiin Gleichnisse dieser Art fehlen. Gebrauchsanleitungen beschreiben die Welt in ihrer Faktizitat. Es ist kaum ein Literatur-Genre vorstellbar, das faktischer ist. Es gibt nichts zu interpretieren, nichts zwischen den Zeilen zu verstehen. Alles ist, was es ist. Doch viele werden bestatigen konnen, dass das Gehim eine seltsame Aversion gegen eine derartige Aufbereitung von Informationen hat (Schwender 1998 und 1999). Bisweilen tritt die Funktion des Femsehens als Lebensberatung ganz deutlich hervor, etwa in den so genannten Ratgebersendungen des Femsehens. Auch im Selbstverstandnis bekennen sich die Programmmacher dazu: Titel wie „Ratgeber Rechf\ .fiatgeber Technik" oder ,Jiatgeber Geld'\ Man bekommt Rat auch in Sachen Computer, Sachverstandige und Experten werden aufgeboten, die sich auskennen bei Krankheit, Mietrecht, handwerklichen Arbeiten, Gartengestaltung, Kindererziehung, Tierpflege und Essenszubereitung. Call-Ins helfen bei astrologischen Fragen oder beraten bei psychischen Problemen. Unter den Einsendungen zur TV-Serie ,yHolocaust\ einer fiktionalen Aufbereitung der Shoa, fand sich ein Brief einer Frau, die sich von der Institution Femsehen Hilfe bei ihren Rentenforderungen erhoffte. Dieser Fall ist sicher nicht typisch, aber er spricht fur eine Haltung, die man den Medienprodukten entgegenbringt. Die Verwirrung ist sicher auch der begrifflichen Mehrdeutigkeit der Medien zu schulden. Ihr Begriff umschlieBt gleichzeitig technische Artefakte, joumalistische Organisationen und Inhalte. Geschichten und Geschichte Das, was heute gemeinhin unter Geschichte verstanden wird - namlich die Aufzeichnung tatsachlicher Ereignisse - ist relativ modem. Bis zum Spatmittelalter und zur Renaissance machte man im Gmnde keinen Unterschied zwischen Geschichte und Geschichten. Die Sprache reflektiert diesen Umstand. Die Begriffe in den modemen Sprachen sind noch identisch oder haben erkennbar denselben Urspmng: im Englischen „Story" und „History", das franzosische „Histoire", im Deutschen „Geschichten" und „Geschichte". In der Antike entstand Geschichtsschreibung mit Thukydides und Herodot im 5. Jahrhundert vor Christus. Man fragte nach Griinden von Geschehenem und teilte Glaubwiirdigkeitskriterien ein. Damit grenzte man sich zwar gegen den Mythos ab, das Interesse war nichtsdestotrotz stark literarisch und rhetorisch und nicht zuletzt parteiisch gepragt. Das Mittelalter war im Selbstverstandnis der Chronisten vom Dualismus zwischen der ewigen (Heils-)Geschichte und der verganglichen und profanen Geschichte gepragt. Die Geschichtsschreibung dieser Zeit fand ausschlieBlich im christlichen Interpretationsrahmen statt, wobei die wichtigste Quelle die Bibel war. Man suchte nach dem historischen Sinn der Bibelstellen. „Wie in anderen Epochen erfiillte auch die mittelalterliche Historiographie bestimmte Zwecke. Uniibersehbar ist ihre Bedeutung zur Unterstiitzung von Herrschaftskonzeptionen und -traditionen, als Propaganda und als offizielle Historiographie." (Simon 1996, 55) Die spatmittelalterliche Geschichtsschreibung behah zwar noch den heilsgeschichtlichen Rahmen, bemiiht sich jedoch zunehmend um Genauigkeit in der Darstellung von Personen und Ereignissen. Auch Berichte von Augenzeugen werden verstarkt genutzt.
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Erst der Humanismus hinterfragte die mittelalterliche Geschichtsschreibung grundlegend. Vor allem die Methoden verfeinerten sich und eine Text- und Quellenkritik setzte ein. Nicht alles, was geschrieben war, war auch wahr. So wurden Falschungen entdeckt wie die „Konstantiiiische Schenkung". Deimoch ist auch in dieser Zeit die Beschreibung der Ereignisse interessegeleitet. „Den Humanisten gilt die Historie als besonders geeignet zum Kemstiick ihrer Bildungskonzeption, der Einheit von ethischpraktischer und asthetischer Bildung, beizutragen: Indem sie ebenso Beispiele fur gutes wie schlechtes oder richtiges und falsches Handeln wie Muster zur Erlemung eines schonen sprachlichen Stils aufstellt. ... Ganz entsprechend dient die Historie den Aufklarem dazu, die Prinzipien der Vemunft zu exemplifizieren." (Muhlack 1991,41) Wenn also die Lehre aus der Geschichte das zentrale Moment ist, warum man sich mit der Geschichte beschaftigt, ist es nicht primar wichtig, ob man sich mit Konig Artus, mit der Bibel, mit der Geschichte der Arbeiterbewegung oder mit der Geschichte des Nationalsozialismus befasst. Das Authentische erhebt einen groBeren Anspruch auf Lehrsamkeit, da es nicht das Ergebnis eines Gedankenexperimentes ist, sondem auf Erfahrung beruht. Geschichte als real durchgefuhrtes Experiment zeigt ein Ergebnis unter besonderen Anfangs- und Randbedingungen. Damit scheint es wiederholbar imd ist so objektivierbar. Man kann Lehren ziehen. Geschichtswissenschaft ist bemiiht, Geschichte zu verstehen, das heiBt Motivationen, Strategien und Taktiken zu verstehen. Begreift man die Zusammenhange, begreift man die dahinter vermutete Logik. Hierbei jedoch spielt der Unterschied zwischen Geschichte und Geschichten eine untergeordnete Rolle. Auch Geschichte wird wesentlich emotional erfahren. Das erfolgreiche wie misslungene Handeln unterliegt der asthetischen Begutachtung. Je nach Standpunkt und Interesse dient diese als Grundlage fiir eigene Handlungen oder Positionierungen. Es ist zu entscheiden, auf welcher Seite man steht. Mit Hilfe der Information wird Wirklichkeit gestaltet und seit es die Medien als Mittel der weitreichenden Kommunikation gibt, auch verbreitet. Was ist als Story akzeptabel? Der Regisseur (bzw. der Autor des Drehbuches) entscheidet, was die Zuschauer zu sehen bekommen. In fiktionalen Filmen sind sie es gewohnt, vor allem strategische Informationen zu bekommen: Hinweise, die im spateren Verlauf der Geschichte von Bedeutung sind. Wenn eine Person in einem Film auf die Toilette geht, dann selten, weil sie muss, sondem weil ihr dort etwas Bedeutsames widerfahrt. Die Aussage „Ich habe kein Fleisch im Kiihlschrank" ist eine belanglose Aussage, es sei denn, es besteht ein Wissen dariiber, dass derjenige, der diese Aussage macht, Vegetarier ist oder wenn man weiB, dass er zuvor welches hatte und es ihm abhanden gekommen ist. Informationen dieser Art schaffen Emotionen. Eine Narration braucht - um als solche anerkannt zu werden - die Komponenten Kausalitat, Zeit und Raum. Wenn-Dann-Relationen brauchen zeitliche Abfolgen, denn das Verursachte braucht einen vorgelagerten Verursacher. Ereignisse brauchen Objekte, die ihrerseits an Raum gebunden sind. Eine Reihe zufalliger Ereignisse, die in keinerlei Zusammenhang stehen, wird man nicht als Story erkennen. Bisweilen entschliisseln sich die Zusammenhange nicht spontan oder lassen auf die Auflosung warten, dennoch braucht sie geniigend diegetische Elemente, um als narrative Form er-
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kennbar zu sein. Uberraschung kann auch durch das spontane Erkennen von Verkniipfung beschrieben werden. Zusammenhang kann durchaus auch figurativ durch Inhalt oder Stil hergestellt sein. Ereignisse, die geniigend gemeinsam haben, werden durch Parallelitat in Verbindung gebracht: „So wie hier auch da." Die Ubertragung funktioniert wie beim Verstehen von Metaphem und scheint elementar fiir das Verstandnis von Geschichten. „Im Keller war das Licht an, aber ich habe es ausgemacht" ist als Geschichte etwas diinn und wird als Plot kaum hingenommen. Eine Geschichte, egal ob faktisch oder fiktional, muss eine Aussage in Form eines asthetischen, eines emotionalen oder eines moralischen Statements machen. Asthetische Statements bilden Gruppen, wobei der Urheber des Statements die Macht iiber die Definition hat. Emotionale Statements fungieren als Emotionsausloser. Bedenkt man die Funktion der Emotion und die Beschaftigung mit emotionalen Themen, wird die Funktion des Statements als Probehandeln deutlich, wobei das Statement seinerseits Werte setzt und bestimmte Handlungsoptionen als erfolgreich darstellt. Gleiches gih explizit fur moralische Statements. Hier werden gruppenkonforme Handlungsoptionen angeboten. Was Geschichte und Geschichten gemeinsam haben, ist ihre narrative Struktur, Mark Johnson (1997, 171 ff) hat diese in seiner philosophischen Betrachtung „Moral Imagination" beschrieben. Seine Betrachtung ist eine Untersuchung zur Funktion des Narrativen bei der Entstehung von Moral. Geschichten miissen im Gegensatz zu bloBen asthetischen Statements einige strukturelle Bedingungen erfullen, damit man sie als moralische Instrumente einsetzen kann. Die einfachste Bedingung ist, dass eine Geschichte einen Anfang, eine Mitte und ein Ende braucht. Der Anfang ist gegeben durch die Exposition, in der Zeit, Ort und Umstande des Geschehens eingefuhrt werden. Das Setting legt das mentale Skript fest, in dessen Rahmen die Geschichte sich entfaltet. Jede Zeit und jeder Ort hat eigene Regeln: das viktorianische Dublin andere als San Fransisco im Jahre 1968; Berlin im November 1989 eroffhet andere Erwartungen als Berlin in den 1920em. Bisweilen sind Orte mit Ereignissen eng verbunden und eroffhen damit eindeutige Rahmenbedingungen: ,,Woodstock'\ ,^roadway'\ .Jiaumschiff Enterprise". Die Rezipienten erwarten Jewells andere Werte, Entscheidungsbegriindungen und moralische Prinzipien. Beim Setting „Westem" erwarten sie nicht nur eine zeitliche und ortliche Eingrenzung, sondem Probleme um die Themen Macht und Hierarchic, die unter Einsatz von Waffen gelost werden. Beim Setting „Krankenhaus" erwarten sie Heifer, die in altruistischem Einsatz das Leben anderer retten. Eine weitere Bedingung ist die Beschreibung einer Krise. Aus evolutionspsychologischer Sicht muss diese lokal begrenzte und kurzfristige Probleme beschreiben. Also keinen allgemeinen Endzweck wie die moralische Verbesserung der Welt, sondem Krisen, fiir die das Gehim am besten ausgestattet ist: „ein Feuer, ein Angreifer, ein Rivale, eine Bedrohung fiir unsere eigene Familie, Klan oder Gemeinschaft. Wahrscheinlich waren es Probleme dieser Art, denen unsere Vorfahren gegeniiberstanden und die Selektion hat uns mit Mitteln ausgestattet, diesen zu begegnen." (Barkow 1991, 375f) Das limbische System, das durch Emotionen in das Bewusstsein tritt, verschaffl eine entsprechende Vorbereitung. Es geht immer wieder um Gefahren und deren Abwehr oder um Entscheidungen bei der Partnerwahl.
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Am Anfang werden zudem die Ziele gesetzt, die die Krise beheben soUen: Bin Mann wird eines Verbrechens beschuldigt und muss seine Unschuld beweisen; eine Frau entdeckt, dass das Trinkwasser vergiftet ist und geht gegen die Verursacher vor; ein Verbrechen geschieht und muss aufgeklart werden; ein Vulkan bricht aus und die Menschen versuchen, sich zu retten. Ziele sind allgemein gesagt wiinschenswerte Zustande, die man anstrebt. Diese bestimmen die Dramaturgie der Geschichte, denn alles wird aus dem Blickwinkel der Ziele betrachtet. Die Wahmehmung ist darauf fokussiert. Krisen und deren Losungen haben nicht nur etwas mit Handeln zu tun, sondem auch mit Entscheidungen. Diese werden gesehen als Ursachen fur Handlungen. Entscheidimgen, vor allem wenn sie auf Gnmd der Krise nicht freiwillig getroffen werden, sind wesentlich fur die mentale Beteiligung an der Geschichte. Entscheidungen zu unterteilen in angemessene und falsche ist von groBem Interesse, denn diese stehen auf dem Priifstand des mentalen Probehandelns. In der Mitte der Geschichte wird vorgefuhrt, wie der oder die Protagonisten mit den Problemen und den gesteckten Zielen fertig werden. Fiir eine Story ist es wichtig, dass Konflikte auftreten. Diese konnen aus der Situation selbst entstehen (eine Gefahr muss beseitigt werden) oder aus dem Zusammenspiel der Personen, wobei die Ziele der einen die Hindemisse einer anderen sind. Ein Konflikt kann auch aus dem Rollenkonflikt innerhalb einer Person mit unterschiedlichen Erwartungen resultieren: In der klassischen Literatur gibt es immer wieder den Konflikt zwischen Pflicht und Neigung. Selbst Erfahrungen sind nicht immer koharent. Auch daraus erwachsen Konflikte, die zu losen sind. Dass die genannten Probleme und Konflikte mit dem iibereinstimmen, was aus dem Probehandeln bekannt ist, bestatigt die Funktion der Medien als Attrappen fiir die mentale Verarbeitung. Das Ende schlieBlich muss den Konflikt aufheben. Entweder indem das Ziel erreicht oder eine Alternative akzeptiert wird. Auch das Scheitem kann unter Umstanden als Endpunkt hingenommen werden, doch warum ein Happy End als angenehmer empfunden wird, wurde bereits diskutiert. Uber die Struktur „Anfang-Mitte-Ende" hinaus braucht eine Geschichte Agenten. Dies sind Figuren, die Ziele anstreben oder verhindem. Normalerweise sind sie in Ursache-Wirkungs-Zusammenhangen. Jeder macht etwas, weil jemand anderes etwas getan hat, was seinerseits wieder Anlass fur eine weitere Tat ist. Die Aktionen der Agenten sind motiviert, das heiBt, sie sind in einem gewissen Umfang nachvollziehbar durch die Nennung der Griinde, warum sie ausgefiihrt werden. Die Art und Weise der Ausfiihrung ist unter anderem von den Charakterziigen der Handelnden abhangig. Motivlose Handlungen verwirren die Geschichte. Selbst Psychopathen wird eine Triebfeder als Handlungsmotivation unterstellt. Die Motivation gehort zu den Elementen der Theory of Mind, die bei Handlungen interessieren und die nach ihrer Nachvollziehbarkeit und ihrer Akzeptanz bewertet werden. In diesem Zusammenhang wird auch die Verantwortung von Handlung beurteilt. Der Ausgang einer Geschichte ist nicht zuletzt die Konsequenz von Handlung in gegebener Situation. Damit sind fiktionale wie reale Geschichten moralisch, denn sie fuhren vor, welches Ende bestimmte Handlungen hervorbringen. Die Beurteilung des Endes enthalt Handlungsoptionen. Die Agenten sind nicht nur durch die fiktionalen Figuren festgelegt, sondem auch durch deren Darsteller. Der Ruf und das Image eines Schauspielers eroffhen Erwartungen iiber die Art und Weise der Problembehandlung. Von Peter Falk, den viele in der
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Rolle von ^Colombo " kennen, erwartet man auch in anderen Rollen eine witzig-intelligente Auseinandersetzung. Bei Arnold Schwarzenegger oder Silvester Stallone sind Altruisten zu erwarten, die auf dem Weg zur Losung Sach- und Personenschaden nicht ausschlieBen. Mit der Beschreibimg des Settings und des Konfliktes ist eine Story im Grunde schon beschrieben. Kinoganger entscheiden oft anhand der Inhaltsangaben von Filmen und der darin aufgefiihrten Schauspieler, ob sie sich dem Medienereignis zuwenden wollen oder nicht. Das Setting scheint auch eine zentrale Rolle bei der Frage nach der Akzeptanz und der Glaubwurdigkeit einer Story zu spielen. Der Satz „Sieben plus flinf ist manchmal zwolf und manchmal nicht" erregt imaginativen Widerstand. Erst eine Geschichte um diesen Satz herum macht ihn akzeptabel: Eine Situation, in der Zahlen sprechen konnen und mit Gott diskutieren, schafft ein Marchen-Setting. Im Marchen akzeptiert man Dinge, die sonst nicht moglich sind (Szabo Gendler 2000). Das Ratsel des imaginativen Widerstandes ist moglicherweise im Rahmen der Akzeptanz eines Setting zu erklaren. Lassen sich Zuschauer auf eine Geschichte und deren Regeln ein oder verweigem sie sich der Vorstellung? Die Debatte um den Film ,J)as Leben der Anderen'' (Henckel von Donnersmarcks, D 2006) zeigte divergierende Reaktionen. Wahrend viele Betroffene die Inhalte als zu harmlos ansahen, da sie selbst Erfahrungen gemacht hatten, die mit dem fiktional Dargestellten nicht in Einklang zu bringen waren, empfahlen sie dennoch den Film zum padagogischen Einsatz. Ehemalige Stasi-Mitarbeiter empfanden Passagen des Films hingegen als iibertrieben, da ihnen der dort gezeigte Aufwand zur Bespitzelung eines Paares zu groB schien. Es gibt damit einen erkennbaren und systematischen Zusammenhang zwischen der Lebenssituation des Rezipienten in Form seines ideologischen Weltbildes und seiner Bereitschaft, imaginative Aufarbeitungen bereits im Setting abzulehnen. Evolutionspsychologie und Fiktion Das Areal, das im Gehim unter anderem fur die emotionale Deutung zustandig ist, ist das Limbische System. Es ist zustandig fiir die Bewertung der Eindriicke. Es hat einen direkten Zugang zum Riechzentrum, zum optischen und zum akustischen Kortex gibt es eine Briicke. Informationen kommen dabei nicht nur aus den Sinnesreizen. Die Neuronen feuem im Kortex sehr ahnlich, wenn interne Eindriicke verarbeitet werden. Dazu zahlen Erinnerungen, Vorstellungen und Traume. Bilder konnen durch akustische, ja selbst durch schrift-sprachliche, also symbolische Reize ausgelost werden. Dies geschieht unwillkurlich. Sehen, Vorstellen, Erinnem, Traumen, Film sehen, visuelle Reprasentationen, die durch akustische oder symbolische Zeichen ausgelost sind, all diese Tatigkeiten sind nicht eindeutig und konnen verwechselt werden. Ubergange in alle Richtungen sind zu identifizieren. Was man glaubt, wahrzunehmen, ist nicht immer wirklich. Sinnestauschungen, Halluzinationen oder intensive Vorstellungen sind nicht in alien Fallen von akustischen und viseuellen Sinneseindriicken zu unterscheiden. Traume konnen als erschreckend real empfunden werden. Schizophrene kennen keinen Unterschied zwischen von auBen aufgenommenen imd intern produzierten Bildem und Tonen. Dabei kennen die meisten Menschen in aller Regel den Unterschied zwischen Realitat und Gedachtem.
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Fiir das Gehim ist die Unterscheidung ganz und gar nicht trivial. Auf die Kriterien der Wirklichkeitspriifung wurde hingewiesen (siehe Seite 115). Der Verarbeitungsprozess von Wahrgenommenem wird in der Imagination wiederholt. Beim Erinnem werden die gleichen Hiraareale stimuliert wie beim Sehen. Im Unterschied zum Vorstellen sind beim Sehen zusatzlich noch Bereiche aktiv, die die Tatigkeit der Netzhaut koordinieren. Der visuelle Kortex verarbeitet Bilder aus unterschiedlichen Quellen: Signale konnen direkt von den Augen kommen, aber auch von Erinnerungen, Vorstellungen oder Traumen. SchlieBlich sind audio-visuelle Medienereignisse als besondere Form der Wahmehmung zu betrachten. Das von Perky (siehe Seite 69) beschriebene Experiment zeigt, dass es einen flieBenden Ubergang vom Sehen hin zum Vorstellen gibt. Vorstellen und Erinnem sind auch oft in alltaglichen Situationen nicht klar zu trennen. Erstaunliches beschreibt Harald Welzer (2002) iiber Interviews, die er mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges fuhrte. Nicht nur in Einzelfallen, sondem immer wieder erzahlten ihm Kriegsteibiehmer Geschichten, die sie angeblich selbst erlebt hatten, die aber erstaunliche Parallelen zu Sagen, Geschichten und Filmen aufwiesen. Wenn man den Zeugen nicht eine bewusste Falschimg unterstellen will, kann man zu dem Schluss kommen, dass sie sich narrativer Mustem und Episoden bedienen, die ins eigene Gedachtnis iibemommen wurden. Welzer (2002, 173) erklart dies: „Denn wenn sich zum Beispiel Sequenzen aus Spielfilmen als passend fur die Konstruktion von ,selbsterlebten' Kriegsgeschichten erweisen, dann auch deswegen, weil sie vielleicht umgekehrt eine Art gemeinsame Summe von Erlebnis- und Erfahrungsfragmenten bilden, die vielen ehemaligen Soldaten so oder so ahnlich, vollstandig oder in Teilen, tatsachlich begegnet sind." Medieninhalte werden also ins individuelle Gedachtnis iibemommen und als autobiografisches Erinnem abgemfen. Damit ist ein Ubergang geschaffen von mentalen Tatigkeiten wie Erinnem und Vorstellen zu Fiktion in Form von Literatur oder Film. Nachzudenken iiber den adaptiven Sinn von Fiktion gehort ohne Zweifel ins Repertoire der Evolutionspsychologie. Die Phanomene sind so weit verbreitet und nehmen so viel Zeit und Aufwand der sozialen Interaktion ein, dass man nach einer evolutionaren Funktionfi-agenmuss. Steven Pinker, einer der Mitbegriinder der evolutionspsychologischen Theorie, stellt in seinem Buch „How the mind works" die Frage des Informatikers Jerry Hobbs: „Werden Roboter jemals Literatur haben?" (1997, 541) Der Film .Made Runner'' (Scott, USA 1982), der den Roman von Phillip K. Dick „Trdumen Androiden von elektrischen Schafen?"' als literarische Vorlage hat, behandeh die gleiche Frage. Der Sinn der Frage ist, iiber die psychologische Funktion der Fahigkeit zur Imagination nachzudenken. Hobbs kommt zimi Ergebnis, dass Romane wie Experimente fimktionieren. Rahmenbedingungen werden gesetzt, die Umstande kontroUiert und dann schaut man zu, wie sich die Elemente verhahen. Der Autor eines literarischen Werkes setzt seine Charaktere in eine hypothetische Situation in einer zwar konstmierten, dennoch real scheinenden Welt. Er setzt die Regehi und die Rahmenbedingungen und lasst seine Figuren handeln. Die Leser und Zuschauer folgen einer Person namens Leopold Bloom durch Dublin; sie stellen sich vor, wie sich jemand im Bett Hegend in einen Kafer verwandelt, dabei aber sein menschliches Bewusstsein behalt; sie sind dabei, wenn sich ein paar Erwachsene und Kinder durch eine Insel namens .Jurassic Park" (Spielberg, USA 1993) schlagen und gegen Dinosaurier kampfen miissen. So absurd die Situationen auch sind - selbst die Gesetze
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der Schwerkraft oder der zweite Hauptsatz der Theraiodynamik sind auBer Kraft gesetzt - geht es immer darum, die Konsequenzen des Settings auszuspielen. Die Glaubwiirdigkeitsmerkmale sind dabei sehr unterschiedlich. Wenn man in dem Roman ,,Ulysses'\ der in Dublin spielt, erfahren wiirde, dass der englische Konig der Zeit nicht Konig Edward, sondem Konigin Edwina ware, wiirde das verwirren. Andererseits werden so seltsame Settings wie in Kafkas ^Verwandlung'' akzeptiert, wo jemand zum Kafer mutiert oder die Geschichten des .^aumschiffes Enterprise ", die das bekannte Wissen iiber Physik („Beam me up, Scotty!") weitgehend ignorieren. Wahrheit und Wirklichkeit sind Kategorien im Rahmen des gesetzten Kontextes und keine absoluten GroBen. Auch die fiktionale Welt macht Referenzen zur Realitat. Denn sobald die Welt definiert ist, bekommen die Protagonisten ein Ziel, das sie angesichts von Widrigkeiten verfolgen sollen. Obgleich fiktionale Figuren nicht existieren, haben sie die gleichen mentalen Moglichkeiten und Fahigkeiten wie Menschen. Betrachtet man die Ziele, so findet man das evolutionspsychologische Repertoire von Uberleben und Reproduzieren in alien seinen Aspekten. Vor allem erleben diese Charaktere Motivationen und Emotionen. Das macht sie anschlussfahig. Sobald die Voraussetzungen gesetzt sind, beobachten die Rezipienten, wie sich die Protagonisten gegen die Widerstande durchsetzen. Diese Definition von Plot ist weitgehend identisch mit der Definition von Intelligenz. Die Charaktere tun genau das, was die menschliche Intelligenz ihnen in der wirklichen Welt zu tun erlaubt. Der Zuschauer beobachtet sie und macht mentale Notizen iiber die Ergebnisse der Strategien und Taktiken, die sie in Verfolgung ihrer Ziele einsetzen. Was sind diese Ziele? Pinker verweist auf eine Antwort, die Darwin geben wiirde: Die ultimativen Ziele sind Uberleben und Reproduzieren und dies sind genau die Ziele, diefiktionaleCharaktere zur Handlung motivieren. Insofem ist das Leben wie Schach. Plots sind wie Schachkonstellationen. Gute Schachspieler und auch erfolgreiche Schachcomputer haben viele dieser Konstellationen abruft)ar im Gedachtnis. Schachbiicher sind gefiillt damit. Die Erfahrungen, die sich in diesen Lagen bewahrt haben, helfen, das aktuelle Problem zu losen. Der Unterschied zwischen Schach und dem Leben ist, dass das Leben unendlich reichhaltiger ist, Ziige und Gegenziige hochgradig komplexer, Spieler und Gegenspieler zahlreicher. Unterhaltung oder Information Die Frage nach Unterhaltung und Information kann zum Beispiel in Bezug auf Sport gestellt werden. Ist das Ergebnis „Eintracht Frankfiirt gegen 1. FC Kaiserslautem 2:3" Unterhaltung oder Information? Evolutionspsychologisch ist die Funktion zu betrachten, die das Wissen hat. Wenn jemand in einem sozialen Umfeld lebt, das entsprechende Informationen als wesentlich ansieht, ist das Wissen iiber Spielstande geradezu iiberlebenswichtig. Gruppen definieren sich bekanntlich iiber Kommunikation. Es gehort zu den Riten mancher Gruppen, FuBballereignisse und -ergebnisse zu diskutieren. Das Nichtwissen derartiger Informationen kommt einem Ausschluss aus der Gruppe gleich. Es gibt in der Auseinandersetzung um Medien eine umfangreiche Debatte zum Thema Unterhaltung. Femsehunterhaltung kann man auf verschiedene Weisen definieren. Katrin Gogl geht auf den Funktionsbegriff Hickethiers ein: „Nach dieser Definition ist Unterhaltung an keine bestimmte Programmform gebunden. Sie ist eine Funktion, die dem ganzen Medium zugesprochen wird, wobei das Zustandekommen von
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Unterhaltung sowohl in Abhangigkeit von den Strukturen des Angebots, als auch von der Disposition der Zuschauer zu sehen ist." (Hickethier zitiert nach Gogl 1995, 3ff) Nach dieser Definition ware also alles Unterhaltung, wovon sich jemand unterhalten fuhlt. In der traditionellen Medienkritik, die zwischen hoherwertiger und minderwertiger Kunst unterscheidet, ist Kunst, was sich dem leichten Zugang widersetzt. Unter evolutionspsychologischer Pramisse sind der anscheinend leichte Zugang und das spontane Verstandnis ein Beleg fur den adaptiven Charakter der Inhalte. Die protestantische Arbeitsethik baut auf Leistung und damit auf Hierarchie auf. Auf die Medienrezeption angewandt entsteht damit eine elitare Unterscheidung in emste Kunst und unterhaltsamen Kitsch. Nur die Freizeit kann dem Konsum von Unterhaltung dienen, well sie als „disponible Zeit" gilt, „in einem von der Arbeit bestimmten Lebensrhythmus" (Gogl 1995, 3). Diese Unterscheidung ist im Grunde elitar, da eine gesellschaftliche Schicht dariiber befmdet, wie asthetische Urteile zu treffen sind. Das Wissen iiber Unterhaltung begriindet sich vor allem auf zwei Kemthesen: Zum einen bezeichnet Unterhaltung nicht eine Produkteigenschaft einer Sendung, sondem vor allem eine Form der Nutzung. Unterhaltung ist also ein Rezeptionsbegriff. Hallenberger und Foltin berufen sich auf Ursula Dehm: „Unterhaltung ist nicht das, was die Sendeanstalten ausstrahlen, sondem das, was die Zuschauer mit dem Gesendeten anfangen." (Hallenberger & Foltin 1990, 24) Zum anderen ist dieses Unterhaltenwerden nach Dehms Ergebnissen dadurch bedingt, dass es „der Entspannung dient, SpaB, Abwechslung und Genuss bietet und nicht anstrengt." (Hallenberger & Foltin 1990,26) Unterhaltung scheint etwas zu sein, das nur einen Selbstzweck hat, ein Untemehmen ohne Handlungskonsequenz, wahrend Informationen auf relevante Handlungen verweisen. Die Unterscheidung zwischen Unterhaltung und Information geht davon aus, dass es einen grundlegenden Unterschied, ja einen Widerspruch zwischen Emotion und Vemunft gibt. Dieser Widerspruch, der seit der Aufklarung als Grundlage von Zivilisation und Kultur gilt, lasst sich evolutionspsychologisch nicht aufrecht halten. Vemunft lasst sich unter Sicht dieser Theorie als Ergebnis des Probehandelns betrachten mit der Pramisse, dass das Allgemeinwohl iiber dem Wohl des Einzelnen zu stehen habe. Emotion ist das spontane Signal an das Bewusstsein auf Gmnd von inneren und auBeren Reizen, die unter aufklarerischen Gedanken als prinzipiell egoistisch bewertet werden und traditionell als gegen das Gemeinwohl gerichtet verstanden werden. Die evolutionspsychologische Theorie tritt jedoch den Beweis an, dass Widerspriiche hier nicht begriindet werden konnen. Vemunft und Ratio sind nicht als Widerspmch zu Emotionen zu sehen. Die anscheinende Leichtigkeit der Unterhaltungsrezeption steht offenbar der Schwierigkeit der Aufiiahme von Informationen entgegen. Evolutionar gesehen spricht die Leichtigkeit fiir Anpassung. Das gute Gefiihl, dem man folgen kann, ist aus evolutionspsychologischer Sicht nichts anderes als das, was in vorhistorischer Zeit gut fiir Menschen war. Wenn Erwachsene an ihre Schulzeit denken, fallen ihnen eher die Macken und Schmllen der Lehrer ein als konkretes Sachwissen, das diese vermitteln wollten. Die Erinnemng entscheidet sich fiir das Wesentliche. Wichtiges wird behalten, Unwichtiges vergessen. Macken und Schmllen sind offenbar wesentlicher fiir ein soziales Gehim als mathematische Ableitungen. Man wird sich sicher auch besonders lebhaft an Situationen erinnem, in denen man ungerecht behandelt wurde. Auch das ist ein Wissen, das evolutionspsychologisch sinnvoller ist als Gedicht- und Reimformen.
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Dass es einen Zusammenhang zwischen Unterhaltung und dem Vermitteln moralischer Werte gibt, ist explizit in den Richtlinien von Zensur- oder Selbstkontrollbehorden ausgefuhrt. Zensur ist der Versuch, Kommunikation als wirklichkeitsbildender Prozess zu steuem oder bestimmte Interpretationen zu unterbinden. Entsprechende Richtlinien machen diese Verkettung zur Grundlage von Richtlinien und Verboten: Die moralische Bedeutung von Unterhaltung wird universell anerkannt. Als Teil des privaten Lebens der Menschen beeinflusst Unterhaltung sie direkt. Sie beschaftigt die Gedanken und Gefuhle. Man beurteilt andere nach den Standards der Unterhaltung. Medien sind insofem ethische Institutionen, weil dort auf alien Kanalen moralisches Verhahen prasentiert wird, um es der offentlichen Diskussion zu iibergeben. In fiktionalen Aufbereitungen geht es noch starker und vordergriindiger um Moral als in nichtfiktionalen Aufbereitungen, da dieses auch zur Wamung vor realen Gefahren dienen kann. Wenn es bei fiktionalen Produkten um eine moralische Debatte geht, gibt es keine Unterhaltung im Sinne von Zerstreuung. Es geht um eine gesellschaftlich wichtige Auseinandersetzung. Diese lasst sich einzig als ein Bediirfhis konstruieren. Es gibt einen Bedarf, Gesellschaft zu koordinieren, damit die Gemeinschaft der Menschen iiberleben kann. Das lasst sich evolutionar begriinden. Der Unterschied zwischen Information und Unterhaltung kann also nicht aufrecht gehalten werden in dem Sinn, wie die Begriffe in der offentlichen Debatte meist verwendet wird, namlich als Zerstreuung und Abschalten von der Wirklichkeit einerseits und der miihevoUen Beschaftigung um die Reprasentation von Wissen. Der Unterschied zwischen Fiktion und Dokumentation ist vom Standpunkt des Betrachters ebenfalls schwierig zu treffen. Moglicherweise fmdet man unterschiedliche Schwerpunkte. Geht es bei der Auseinandersetzung um reale Menschen und Geschehnisse darum, vorbereitet zu sein auf Gefahren, auf Kooperationspartner oder auf Gegner. Medieninhalte als Gegenstand emotional-asthetischer Begutachtung Es ist bisweilen leicht zu erkennen, wenn ein Film oder TV-Beitrag fiktional ist. Durch Abgleich mit dem Wissen, was man iiber Wirklichkeit hat, kann man den Unterschied erkennen. Auch Wissen iiber die asthetische Gestaltung von Medien kann dabei helfen. Es gibt so etwas wie die „unmogliche Kameraposition": Wenn in einem James Bond-¥\\m ein Rendezvous im Weltraum gefilmt wird, kann dies unmoglich von einer Kameraposition auBerhalb der Raumschiffe wahrgenommen werden. Wo war die Kamera oder gar der Kameramann, wenn jemand aus einem abstiirzenden Flugzeug springt, um sich mit einem Fallschirm zu retten? Schwieriger ist das Erkennen von nichtfiktionalen Medienereignissen. Angeblich Authentisches lasst sich nachstellen und inszenieren. Auch asthetische Mittel lassen sich so gestalten, dass man den Zuschauem glauben machen kann, dass es sich um die Darstellung von realen Ereignissen handelt. So schwer die Unterscheidung zwischen Fiktion und Fakt am medialen Objekt festzumachen ist, haben beide unterschiedliche Funktionen. Bei Realitat geht es darum, Zeugen und Beteiligte zu horen, die iiber potenzielle Gefahren und andere bedeutende Umstande berichten. Bei fiktionalen Prasentationen sind die Zuschauer Beobachter von Probehandlungen. Um es nochmals zu betonen, die Unterscheidung wird nicht nur vom Produzenten getroffen, sondem letztlich vom Rezipienten. Auch eine Nachrichtensendung hat den Charakter einer Probehandlung. Auch sie eignet sich als
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Lehrstiick. Die Zuschauer konnen aus der Geschichte die Lehre ziehen, gewisse Handlungen, vor allem wenn sie als unmoralisch klassifiziert werden, nicht auszuiiben. In einem Bericht iiber die Schaden eines Sturaies wird referiert, dass Menschen zu Tode kamen, als sie von entwurzelten Baumen in ihren Autos erschlagen wurden. Imaginativ stellt man sich nun vor, wie man sich selbst in einer solchen Situation verhalten wiirde. Man denkt nach, wie man sich in Sicherheit bringen konnte. Das ist der Sinn derartiger Nachrichten. Menschen konnen in gewissem Umfang auch aus den Erfahrungen anderer lemen. In Interviews mit 100-Jahrigen kommt die obligate Frage nach dem Geheimnis des Altwerdens. Die Antwort, so absurd sie auch sein mag, ist von Interesse fiir jeden, der alt werden will. Jedoch auch bedeutsamere Dinge werden diskutiert: Wie lassen sich Flugzeugabstiirze vermeiden? Wie terroristische Anschlage? Wie kann man die Folgekosten von LFberschwemmungen minimieren? Wie kann man Erdbebenopfer umgehen? Wie sind wir hier zu Lande vorbereitet? Wie werden wir in ahnlichen Situationen reagieren? Wenn es bei Medieninhalten um mentales Probehandeln geht, dann ist es konsequent, diese emotional und asthetisch zu beurteilen. Neurophysiologisch diirfte der Unterschied zwischen emotionaler und asthetischer Bewertung gering sein. Das Himareal, das fiir die Registrierung von Schmerz zustandig ist, reagiert auch bei seelischem Schmerz, etwa wenn die Versuchsperson von einem gemeinsamen Spiel ausgeschlossen wird. Asthetisches Gefallen und die Emotion der Freude werden im Belohnungszentrum des Limbischen Systems registriert. Emotionen und Asthetik sind Empfindungen, die spontan Bewertungen vomehmen. Beide sind Instrumente, die Wahmehmungen bewerten. Hypothetisch konnte man den Unterschied darin sehen, dass Emotionen den Korper vorbereiten auf adaquate Reaktionen, wahrend asthetisches Empfinden in der Tendenz eher der kommunikativen und koUektiven Auseinandersetzung dient, die den Abgleich der unterschiedlichen Einschatzungen unter Individuen zimi Ziel hat. Die Diskussion um Film, Femsehen und Literatur dreht sich wesentlich um asthetische Urteile. Wenn man jemanden fragt, ob er oder sie eine Femsehsendung oder einen Film gesehen habe, wird er oder sie nicht vorrangig den Inhalt wiedergeben, sondem eher das Ereignis asthetisch einordnen: „Fand ich gut" oder „hat mir nicht gefallen" wird man oft horen. Diese Einteilungen werten nach den subjektiven Wahmehmungen und Interessen. Ahnlich wie das Ergebnis einer mentalen Probehandlung beurteilt wird, kann man eine audio-visuelle Handlung bewerten: Sind die Ziele akzeptabel? Sind die eingesetzten Mittel zum Erreichen des Ziels erfolgversprechend und angemessen? Bewertet werden die Figuren, deren Attraktivitat, deren Verhalten in Bezug auf Durchsetzungsvermogen oder auf Handlungsmotive wie Elteminvestment oder Altruismus. Bewerten kann man zudem die Asthetik der Bilder. Diese sind zu schichtenspezifischem Wohlgefallen in Bezug zu setzen. Wer etwa die Kamerafuhrung der DogmaFilme um den Danen Lars von Trier schatzt, weiB sich in elitarer Gemeinschaft. Auch unter Laien werden asthetische Elemente intensiv und bewusst diskutiert. Schauspielerische Leistungen, Glaubwiirdigkeit der Darstellung und filmtechnische Umsetzung wie die Verwendung von Spezialeffekten finden sich nicht nur in gedruckten oder gesendeten Filmkritiken. Die Leistungsbetrachtung und asthetische Beurteilung ist keine Erfindung der Massenmedien. Sportliche Darbietungen sind Veranstaltungen, deren Intention es ist, Leis-
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tungen zu vergleichen. Diese Ereignisse gab es lange vor Film, Femsehen oder Druckerzeugnissen. Belege fur ein offensichtlich tief verwurzeltes Kommunikationsbedurfiiis iiber Asthetik finden sich in den Kommentaren der Film- und Buchbesprechungen, aber auch in ko-kommunikativen AuBerungen. Da bekommt auch der Flug eines Balles schon einmal das Pradikat „gut" oder eine Korperbewegung eines FuBballspielers das Attribut „sch6n". Massenkommunikation ist Gegenstand der Individualkommunikation. Die Inhalte werden gemeinsam auf ihren moralisch-asthetischen Wert und auf Glaubwiirdigkeit iiberpriift; Zuwendung oder Abwendung zu bestimmten Sendungen und Filmen ordnet Personen Gruppen zu, die sich durch eben diese Vorlieben und Abneigungen definieren. Die Vorlieben zu bestimmten Genres sind auch unter diesen Aspekten zu betrachten. Vor allem das Mitwirken von bestimmten Schauspielem oder Regisseuren ist nachweislich ein gewichtiges Motiv, sich einem Medienereignis zuzuwenden. Darum wird auch deren Privatleben bedeutsam. Ist der Akteur auch im wahren Leben der attraktive Altruist, den er im Film gibt? Glaubwtirdigkeit in der Darstellung wird dadurch erzeugt, dass in den Drehberichten darauf verwiesen wird, wie sich ein Schauspieler oder eine Schauspielerin auf die Rolle vorbereitet hat. Ein Besuch in einer Polizeistation macht die Darstellung einer Polizistin glaubhafter, der Besuch im Krankenhaus die eines Arztes. Im amerikanischen Film gibt es noch starker als im europaischen ein Besetzungsverfahren, das diese Art von Glaubwiirdigkeit unterstiitzt. Stadtbekannte Trinker werden als Alkoholiker besetzt, Raufbolde als Schlager oder Drogensiichtige als Junkies. Selbst die Rollen der Bosewichte sind in Spielfilmen leicht zu besetzten. Menschen treten in Talkshows auf und stellen ihre Macken und Unzulanglichkeiten zur Schau. Unter diesen Aspekten ist es allemal besser, ein stadtbekannter Trinker zu sein als ein anonymer Alkoholiker. Als jemand, der in den Medien auftritt - sei es als Schauspieler oder als Prasentator einer Idee oder einer guten Laune -, hat man die Moglichkeit, moralisches und richtiges Verhalten zu propagieren, auch indem man unrichtiges und unmoralisches Verhalten durch die Darstellung der Konsequenzen denunziert. Gleiches gilt flir asthetische Statements. Angestrebt ist eine kommunikative Macht, die den Uberbringer einer Botschaft ins Zentrum einer Kommunikationsgemeinschaft stellt. Wissen ist Macht. Und wer Wissen prasentiert, ist im Mittelpunkt. Schauspieler erhalten auch Gelegenheit, zu Themen Stellung zu nehmen, die nicht unbedingt in ihrer Expertise liegen. Da sie aber im Schauspiel eine moralische Haltung darstellen und damit Handlungsoptionen anbieten, konnen sie dies auch in der verbalen Form des medialen Klatsch und Tratsch. Kritiker haben eine Sonderstellung bei der moralisch-asthetischen Begutachtung und der Kommunikation iiber Medienereignisse. Sie sind diejenigen, die aus der narrativen Transformation von asthetisch-moralischen Satzen deren Sinn wieder entschliisseln. Sie geben die Interpretationen vor. Je nach Anerkennung des Kritikers setzt er die Standards fiir die Rezeption. Kritiker gibt es im direkten Umfeld der Leser, Horer und Zuschauer. Freunde und Bekannte, die einen Roman schon gelesen, einen Film schon gesehen haben Es gibt sie in institutionalisierter Form in den Feuilleton-Redaktionen, wenn sie Rezensionen schreiben und es gibt sie in universitaren Kontexten: Die
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akademischen Disziplinen Geraianistik, Kunstgeschichte oder Musikwissenschaft sind Beispiele fur die Beschaftigung mit der Interpretation von kiinstlerischen Aussagen. Sinnbilder, Metaphem oder Allegorien sind nur zum Teil universell und unmittelbar zuganglich. Ansonsten bediirfen sie der Auslegnng, die mitunter nur von Experten kompetent gemacht werden kann. Da diese je nach historischem Kontext variiert, konnen auch alte Kunstwerke immer wieder neu gedeutet werden. Die Interpretation im Rahmen der asthetischen Auseinandersetzung ist wichtiger als der akkurate Bericht. Wirklichkeit ist bekanntlich nicht die Voraussetzung fur Kommunikation, sondem deren Ergebnis. In der Kommunikation geht es darum, anderen eigene Positionen zu vermitteln, um sie als allgemein giiltig zu setzen. Darin driickt sich Macht aus. Wertund Normvorstellungen sind konstituierend fur Gruppen, die Macht iiber die Definition bestimmt den Status. Selbstverstandlich verfugt jeder iiber ein gewisses MaB an individueller Freiheit, doch ist jede und jeder auch Mitglied von Gruppen. Normen und Werte sind das Ergebnis von Setzung und Anerkennen der Setzung. Dariiber wird verhandelt. Damit es zu Verhandlungen kommen kann, miissen Angebote gemacht werden, die untereinander konkurrieren. Das gilt zumindest in demokratischen Mediensystemen, in totalitarer Umgebung bestimmen die Machtigen Normen und Werte und setzten diese ohne Diskussion durch. Nicht Medien schaffen Wirklichkeit, sondem Individuen. Individuen, die durch Medien Gehor fmden, haben bessere Chancen, wahrgenommen zu werden. Bei der Diskussion um politische Debatten wurde ausgefuhrt, warum in solchen Sendungen mehrere konkurrierende Haltungen zu Wort kommen. Es geht namlich nicht um die Vermittlung einer als richtig erachteten Position, sondem um die Darbietung unterschiedlicher Positionen. Jeder Zuschauer beurteilt diese und bezieht Stellung. Pro und Kontra sind keine festgelegten Bestimmungen, der Zuschauer entscheidet diese Frage. Zu jeder Aussage bezieht er Haltung und die Summe der Stellungnahmen beschreibt sein Weltbild. Die RoUe des Rezipienten bei der Konstmktion von Wirklichkeit wird in der Wirkungsdiskussion um die Medieninhalte gemeinhin unterschatzt. Uber die Fakten einer sexuellen Beziehung zwischen dem Prasidenten der Vereinigten Staaten und seiner Praktikantin wurde die Welt ausfuhrlich unterrichtet. Ob diese Fakten aber fur oder gegen den Prasidenten sprechen, ob man die Anklager oder den Angeklagten eines Fehlverhaltens beschuldigt, ob man personliche Entscheidung und politische Verantwortung zusammenbringt oder eine Verschworung vermutet, alles liegt in der Betrachtung des Medienrezipienten. Medienwissen, Erfahrungen und Vorurteile werden zu einem jeweils eigenen Weltwissen gemischt. Die kognitive Dissonanz schiitzt zudem vor Informationen, die dieses Wissen aus den Angeln heben konnten. Wenn Klatsch und Tratsch eine unsichere Quelle ist, reihen sich Massenmedien in dieser Hinsicht hier problemlos ein. Man beurteilt nicht nur die Botschaft, sondem auch den Botschafter auf seine Glaubwiirdigkeit. Selbst die Beziehung der Botschaft zum Ubermittler wird bei der Einschatzung kalkuliert. In alien Fallen geht es um die asthetisch-emotionale Begutachtung. Da viele Kommunikationsinhalte in Konkurrenz zueinander stehen, hat der Rezipient die Wahl. Er wahlt innerhalb der Offerten diejenige aus, die seinen Erwartungen und seinem Weltbild entspricht. Medieninhalte sind Kommunikationsangebote. Man stellt sie der Debatte um die koUektive Wirklichkeitskonstruktion.
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Wenii Medieninhalte keine direkten Handlungsanweisungen sind, daim sind sie doch als Inspiration zu verstehen. Als solche passen sie auch in die Vorstellung vom Denken als Probehandeln. Sie werden ebenso bewertet wie andere Gedanken: fiir gut befunden und damit als Handlungsoption ins Repertoire aufgenommen oder fur schlecht befunden und zumindest momentan als Moglichkeit ausgeschlossen. Im Laufe des Lebens lemen Menschen viel Falsches. Der Glaube an den Weihnachtsmann ist sozial vermittelt und hilft bei der Konstruktion der Welt. Erst wenn andere Konzepte adaquater erscheinen, wendet man sich neuen zu. Diese Entwicklung ist aber nicht neuen, allgemein verbindlichen Informationen zu verdanken, denn der Glaube an den Weihnachtsmann wird weiterhin propagiert. Jedes Individuum entscheidet letztendlich dariiber, welche Quellen im Rahmen der kognitiven Dissonanz glaubwiirdig sind. Medien nehmen einen eigenen Zugang zur audio-visuellen Verarbeitung im assoziativen Kortex. Literatur oder audio-visuelle Medien Am Ende des Kapitels iiber die Wahmehmung stehen Uberlegungen zu den Wahmehmungsunterschieden zwischen Kino und Femsehen. Damit lassen sich Gemeinsamkeit - und damit Universalitaten - sowie Unterschiede beschreiben. Die vergleichende Analyse dient dazu, sich der Besonderheiten der Wahmehmung nochmals gewahr zu werden. Bislang wurden Literatur und audio-visuelle Medien als vergleichbar betrachtet. Wenn es sich bei der Medienwahmehmung um Ausloser fiir den visuellen Kortex handelt und es prinzipiell gleichgiiltig ist, ob dies durch audio-visuelle oder durch sprachliche Reize geschieht, sollten keine prinzipiellen Differenzen zwischen Literatur und Film ausgemacht werden konnen. Auf der anderen Seite lassen sich funktionale Unterschiede festmachen. Der Satz „Sein Biiro sah aus wie ein Saustall" in einem Roman erfordert vom Leser eine Leistung seiner visuellen Fantasie. Er muss sich ein Bild machen, von einem Zimmer, das dem asthetischen Urteil entspricht. Ein Schwenk durch ein Biiro im Rahmen eines Spielfilms erfordert eine andere Form der Fantasie. Hier muss der Zuschauer das asthetisch-moralische Urteil kreieren, das so im Bild nicht angelegt ist. Der Unterschied zwischen Literatur und Film reflektiert den zwischen visueller Wahmehmung und asthetischer Kommunikation. Eine der Fimktionen der Sprache besteht im kommunikativen Abgleich von Wahmehmung und deren Bewertung. Film sehen ist in dem Sinn ein aktives Vorgehen, als dass ein asthetisches Urteil gebildet werden muss, Literatur lesen ist ein aktives Vorgehen, indem ein visuelles Korrelat zur vorgegebenen Asthetik aktiv geschaffen werden muss. Kracauer revisited Wenn Sprache - also Klatsch und Tratsch - das Mittel ist, das eine Gmppe konstituiert, dann ist Massenkommunikation das Mittel, das Massen organisieren kann, sofem diese in bedeutendem Umfang rezipiert werden. Gedmckte Literatur, ausgestrahlte Radio- und TV-Programme und Filmvorfuhren sind das Kraulen von Millionen. Gemeinschaft definiert sich nicht mehr nur als Sprachgemeinschaft, sondem als Mediengemeinschaft. Massenkommunikation lost adaptive Probleme der Kommunikationsgemeinschaft. Nachrichten wamen vor Gefahren, sie berichten iiber den Zustand der Gmppe, ihre wichtigen Vertreter und iiber ihre Ressourcen. Klatsch und Tratsch sowie alle Formen
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der fiktionalen Aufarbeitung von Motiven geben Hinweise und Angebote, wie man sich moralisch zu verhalten habe. SchlieBlich bilden diese Ereignisse Rituale gemeinsamer Erfahrung und festigen das Kollektiv. Massenmedien selbst sind ein Instrument fur Akzeptanz, Zuwendung und Aufinerksamkeit. Wer in den Medien erscheint, scheint prominent. Dies wiederum ist ein mogliches Anzeichen fiir hohen Status und Rang. Dies betrifft alle gesellschaftlichen Schichten und Gruppen. Ist fiir einen der Auftritt in einer Talk- oder Gameshow bereits ein Ereignis, traumen andere davon, in einem Feuilleton einer bedeutenden Zeitschrift erwahnt zu werden oder ais FuBnote in einem wissenschaftlichen Werk aufzutauchen. Teil des offentlichen Diskurses zu sein, ist erstrebenswert und bereits ein Wert an sich. Medien sind Attrappen, die die Sinne und das Gehim tauschen und sie sind Attrappen, die soziale Motive mental darbieten. Da sie auch fiktionales Probehandeln darstellen, sind sie Muster fiir Verhalten. Gleichzeitig sind sie die Instrumente, die in der Lage sind, groBe Gemeinschaflen zu organisieren. Kracauer hatte Recht, als er vom Zusammenhang von Fihn-Motiven und den Rezipienten sprach: „Die Filme sind der Spiegel der Gesellschaft. Sie werden aus den Mitteln von Konzemen bestritten, die zur Erzielung von Gewinnen den Geschmack des Publikums um jeden Preis treffen miissen." Heute ist dieser Zusammenhang mit Hilfe der Evolutionspsychologie adaquater zu beschreiben. Medien - vielmehr deren Botschaften - konnen nur wahrgenommen werden, wenn die technischen Apparate so gestaltet sind, dass man sie mit seinen Sinnen erfahren kann und diese Wahmehmungen hinreichend als visuelle und akustische Reize hingenommen werden. Wahmehmung ist dabei nicht reduziert auf die Rezeption der auBeren Welt, sondem schlieBt ganz explizit auch die Vorstellungen und das Erinnerungsvermogen mit ein. Das Experiment von Perky hat gezeigt, dass die Grenze zwischen Sehen und Vorstellen flieBend sein kann, neuere neurophysiologische Erkenntnisse zeigen, dass die Unterschiede zwischen Vorstellen und Wahmehmen in Bezug auf die dabei auflretende Himtatigkeit nur quantitativ sind. Das visuelle System vollfuhrt die gleichen Operationen bei Erinnem, Vorstellen und Sehen. Lediglich die Intensitat ist beim Sehen groBer. These /, dass Medien Attrappen fiir Auge, Ohr und Gehim sind, lasst sich weniger unterstiitzen durch die Bestatigung, ob mediale Prasentationen die Sinne und deren Verarbeitung mit Eindriicken beliefem, sondem durch die Beschreibimg, wie die Apparaturen und die medialen Produktionen gestaltet sein miissen und wie die Botschaften aufbereitet sind, dass sie als Eindriicke zu akzeptieren sind. Sehen, Horen und mentale Verarbeitung wurden daraufhin untersucht. Sehen und Horen sind keine passiven und von jeglichen Reizen getriggerten Reaktionen, sondem beziehen sich auf spezifische Interessen. Menschen sehen mit „Augen-im-Kopf-am-K6rper-mit-den-FuBen-auf-dem-Boden", wie James Jerome Gibson es ausdriickte. Sehen in diesem Sinne meint auch, dass Menschen ihre aktive Aufmerksamkeit auf Relevantes richten. Die Theorie der Evolutionspsychologie ist in der Lage, das, was relevant ist, naher zu beschreiben. Unter der Pramisse, dass sich die menschliche Physis, der Wahmehmimgsapparat und die Fahigkeit dariiber zu reflektieren in vorhistorischer Zeit entwickelt haben, lassen sich die relevanten Informationen genauer analysieren.
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Unter den Bedingungen der evolutionaren Selektion haben sich Mechanismen herausgebildet, die adaquat auf die Bedingungen und Gefahren der Umwelt reagieren. Organismen mit besser angepassten Mechanismen haben mehr Chancen, sich zu reproduzieren als solche mit schlechteren. Untersucht man die Wirkungsweisen dieser Mechanismen, erfahrt man einiges iiber die Bedingungen, unter denen sie sich entwickelt haben. Damit lassen sich auch die Inhalte beschreiben, denen man verstarkt seine Auftnerksamkeit widmet. Gegenstand von Wahmehmung und Reflexion sind soziale Motive und Konflikte. Die Inhalte der Medien reflektieren eben diese Motive, die in vorhistorischer Zeit unser Verhalten bestimmt haben. These II, dass Medien auch Attrappen des sozialen Verhaltens sind, lasst sich durch eine ausfiihrHche Beschreibung der dargebotenen Motive und durch den Beleg beweisen, dass diese Motive eine im Sinn der Evolutionspsychologie fitnessrelevante Bedeutung haben. Die Thematik und die Beschaftigung mit der Thematik miissen adaptive Probleme losen. Die Filmplots, die Kracauer (1977) in seiner Motivsammlung vorstellt, sind unter diesen Voraussetzungen neu zu interpretieren: Eine Reihe von Feststellungen ist mm besser zu verstehen, etwa dass ein Wettflug um die Erde die Tiichtigkeit von Motoren beweisen soil. Ein Wettflug ist zu verstehen als Veranstaltung, die dazu dient, unter anderem Fitness unter Konkurrenzbedingungen zu zeigen. Die „kleinen Ladenmadchen" sind eine spezifische Zielgruppe mit besonderen Interessen. Ihre Vorstellungen und ihr mentales Probehandeln sollte sich vomehmlich um Themen drehen, die ihre Reproduktionsfahigkeit erhohen. Die von Kracauer vorgestellten Motive bieten mediale Reprasentationen diesbeziiglicher Motive. Die Kinobesucherinnen bekommen also mogliche Problemlosungen vorgefuhrt, die ihre sozialen Wahmehmungen reflektieren. Attraktivitat ist ein wesentliches Element bei der Partnerwahl, die moglichen Auserwahlten sollten also einiges untemehmen, um attraktiv zu erscheinen, Neben asthetischen Mitteln zeigen die mannlichen Protagonisten ein Verhalten, das sie als zukiinftiger Vater anziehend macht: Altruismus, also der selbstlose Einsatz fiir andere (Mann rettet Frau in gefahrlicher Situation), lasst ahnliches Verhalten bei den eigenen Nachkommen erwarten. Immer wieder retten und unterstiitzen Manner Frauen. Der Beweis von Starke und Durchsetzimgsvermogen im Krieg zeigt dariiber hinaus, dass der Mann einer machtigen Gruppe angehort, was wiederum einige Gewahr dafiir bietet, dass auch die Nachkommen den Schutz dieser Gemeinschaft erwarten konnen. Asthetik und Kleidung, die einen gewissen Status und Rang reprasentieren, werden in einigen Plots thematisiert. SchlieBlich konnen sich die Ladenmadchen „nur miihsam des Glanzes der Marsche und der Uniformen erwehren" (Kracauer 1977, 287). Um eine spannende Geschichte zu generieren, miissen die Akteure bisweilen inkognito agieren, bevor sie ihr AuBeres liiften diirfen. Anfangliche Verwirrung und anschlieBende Auflosxmg sind wichtige Elemente von alien fiktionalen Darbietungen. Vor allem, wenn die Protagonisten in Situationen auftreten, die zunachst gegen sie sprechen. Ob falschlicherweise Verurteilte oder schuldlos verarmter Adel, die Verantwortung der Situation steht zur Debatte. Ein Ex-Strafling wird zunachst als Betriiger gebrandmarkt - ein Attribut, dem wir durch die Veranlagung viel Auftnerksamkeit widmen -, doch als seine Unschuld feststeht, kann er wieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden und ist als Partner attraktiv. Es geht um die Unterscheidung zwischen Gut und Bose. In den Filmen wird der erste Eindruck iiberpriift und die
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Protagonisten korinen ihre Fitness beweisen. Das gliickliche Ende zeigt ein im Sinne der Zielgruppe erfreuliches Ergebnis. „Die kleinen Ladenmadchen hatten sich geangstigt. Nun atmen sie auf." (Kracauer 1977,294)
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Index Verschlagwortet sind alle zentralen Begriffe und Personen. Kursiv gesetzt sind Titel von Filmen, TV-Sendungen und Biichem, sowie die Namen fiktionaler Figuren. IKirng 180 1984 80 2001 - Odyssee im Weltraum 118, 119 Abenteuer 165,186,243 Achsensprung 48,50,51 Achterbahn 103,104,250 Adaption 10, 11, 16, 20, 95, 157, 249, 250 Affektfemsehen 141 Affen 23,46, 126, 184, 202, 204 Gorilla 204 Makaken 109, 124 Pavian 29 Primaten 14, 23, 34, 36, 38, 72, 75, 124,126,127,168,202,203,205, 215,226,237,238,241 Rhesusaffen 25 Schimpansen 125,198 Aggression 26, 97, 152, 161, 171, 199, 204, 210, 212, 215, 219, 226, 240, 241 Aktenzeichen XY... ungelost 255 Aktienkurse 232,233,235 Allegorie 269 AUianz 121, 128, 136, 141, 198, 233, 234, 241 AU-Purpose-Maschine 105,157 Also sprach Zarathustra 118 Alte,Der 188 Alter 57, 74, 95, 96, 110, 122, 128, 141, 150, 151, 156, 168, 169, 170, 178,179,215,230,231 Altruismus 18, 21, 25, 97, 147, 151, 198, 222, 224, 230, 234, 237, 243, 255, 257, 260, 262,267, 268,272 American Beauty 121 Amerikanische Einstellung 42,43 angeboren 15, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 35, 37, 38, 49, 56, 62, 68, 84, 93, 106, 107, 110, 112, 161, 162, 169,
178, 180, 204, 209, 220, 223, 241, 249 Angriff 26, 27, 42, 43, 93, 95, 97, 98, 105,204,209,212,238,242,251 Angst 25, 28, 62, 68, 71, 90, 91, 93, 94, 95, 96, 97, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 109, 110, 111, 112, 161, 162, 191, 192, 205, 231, 237, 239, 240, 244, 249 Anpfiff 196 Anthropologie 16,41, 46, 96, 159 Anthropozentrismus 8, 23 Apocalypse Now 119 Arabella 134, 153 Arger 99, 112, 113, 116, 164, 192,223 Artus 259 Asthetik 10, 17, 36, 60, 61, 71, 82, 86, 95, 103, 120, 121, 130, 135, 138, 145, 148, 149, 150, 155, 156, 157, 159, 163, 164, 165, 167, 169, 186, 187, 200, 227, 232, 233, 239, 243, 252, 254, 256, 260, 265, 267, 268, 272 Attraktivitat 57, 100, 128, 154, 158, 166, 168, 169, 170, 171, 173, 174, 175, 176, 182, 186, 187, 188, 189, 194,216,235,243,267,272 Attrappe 5, 27, 28, 62, 63, 130, 177, 187,190,201,248,261,271,272 Aufklarung 265 Aufsicht Siehe Vogelperspektive Auge 5, 17, 28, 34, 35, 36, 38, 39, 40, 41,43,44,46,47,48,53,54,55,56, 57, 60, 62, 70, 76, 80, 83, 89, 90, 95, 105, 107, 108, 120, 122, 156, 158, 176,181,183,209,236,271 Augenbewegung 81 Fixation 81 Saccade 81 Auslosemechanismus 24, 26, 84, 106, 180, 184
Index
Autismus 68 Auto 25, 51, 52, 58, 59, 85, 100, 122, 165, 166, 180, 185, 229, 231, 238, 239,267 Balazs, Bela 41 Basalganglien 116 Baseball 192,195 Basketball 192,195 Batterd Wife Syndrome 170 Baywatch 178 Becker, Boris 188 Beethoven, Ludwig van 120 Benjamin, Walter 86 Bestrafung 18, 93, 97, 99, 163, 230, 241 Betrug 21,22,68,75,234,235 Betriiger 8, 15, 18, 19, 20, 21, 72, 97, 147, 148, 220, 222, 225, 227, 229, 230,231, 237, 243, 248, 257, 272 Bettgefliister 83 Beute 10, 26, 35, 71, 195, 225, 226, 237,238,248 Bewegung 10, 24, 33, 34, 35, 41, 42, 47, 48, 49, 50, 52, 53, 54, 55, 65, 77, 83, 84, 86, 93, 96, 109, 117, 161, 162,163,185,191,208,218,238 Bewegimgskonstanz VI, 51,84 Bewegungsrichtung 49, 50, 51, 53 Bewusstsein 81 Bibel 78,251,257,258,259 Bienen 36, 95,125 Big Brother 255,256 Bildschirm 35, 36, 46, 58, 59, 60, 62, 74, 82, 98, 102, 103, 104, 121, 143, 166,189,280 Bildung 112,147,151,250,259 Biologie 8, 9, 11, 12, 16, 19, 23, 25, 95,99,130,159,160,161,164,201, 202,224,241,242 Bitteldcheln 205,216 Bute lachen! 216 Black Beauty 184 Blade Runner 263 Blair Witch Project 53 Blende 36, 83 Blick 40, 44, 46, 47, 49, 51, 52, 54, 55, 56, 57, 58, 67, 69, 81, 89, 98, 107,
291 117, 120, 167, 176, 177, 178, 191, 222,224,232 Blum,Norbert 150 Bogart, Himiphrey 60, 151 Boll, Heinrich 253 Boomtown 51 Bosewicht 151, 173, 181, 243, 244, 250, 268 Bosman, Jean-Luc 196 Brand, Willy 150 Braun, Wemher von 78 Brecht, Bertold 257 Brief 2,28, 258 Brisant 178 Bruder 73, 179 Brutpflege 8, 174, 184, 229, 233, 241, 243 Bugliosi, Vincent 255 BuUittime 88 Buss, David 167,168,169 Cagney, James 151 Caine war ihr Schicksal, Die 89 Cannabis 88 Carrell,Rudi 150 Casablanca 118 Chandler, Raymond 70, 121 Chaos-Theorie 156 Chaplin, Charles 218,219 Charity-Sendung 179 Citizen Kane 40, 56 Cliffhanger 85, 99 Club der toten Dichter, der 120 Colombo 262 Comic Relief 203 Comics 84,218,243,249,256,257 Computer 18,99,221,251,258 Computerspiel 102,104 Conversational Remembering 145 Cops 256 Cosmides, Leda 16,19,20,105,111 Dallas 174 Dame im See, Die 70 Ddmonischen, Die 244 Darwin, Charles 3, 8, 9, 10, 11, 14, 15, 90,93,167,190,203,205,264 Das Wunder von Bern 87 Dawkins, Richard 3, 10, 12,13
292 Denken 21, 22, 64, 75, 76, 77, 78, 79, 90, 92, 95, 176, 223, 235, 254, 257, 270 Denver Clan \1A DerClou 119 Derrick 188 Detail 46 Dialekt 112,166,233 Die rote Lola 121 Dinosaurier 102,103,263 Disney 107, 155 Disney, Walt 149 Dokudrama 237, 256 Dokumentation 85, 152, 184, 227, 235, 237 Dominanz 42, 117, 122, 192, 193, 238, 240, 241 Don Quixote 184 Donald Duck 151,249,257 Donausoblau 119 Dracula 100, 181 Drohen 26, 40, 42, 52, 56, 92, 94, 111, 180, 202, 203, 230, 231, 237, 239, 240,241 Dunbar, Robin 11, 125, 126, 127, 132, 135,145,215,216,242 Easy Rider 79, 109 Ehemdnner und Ehefrauen 52 Eibl-Eibesfeldt, Irenaus 23, 107, 202, 209,210 Eifersucht 20, 24, 128, 160, 170, 171, 243, 244 Ein Cocktail fur eine Leiche 80 Ein ganzer Kerl 251 Ein Schweinchen namens Babe 184 Einschaltquoten 128, 134, 139, 146, 153, 174, 178, 188, 189, 197, 202, 235 Einstellungsgrofie 17, 41, 42, 44, 46, 47,48, 60, 129 Ekel 62, 79, 90, 91, 93, 94, 97, 98, 99, 113,164,167,236 Elstner, Frank 150 Elterliche Investition 20, 168, 169, 171,179
Anhang
Eltem 18, 97, 100, 111, 122, 124, 134, 137, 142, 168, 178, 179, 180, 182, 204, 223, 237, 267 Mutter 11,25,26,67,69,90,91, 92,96,106,107,110,111,151, 157,169,178,179,182,219,248 Vater 11,73,168,174,178,179, 182,219,248,272 Elteminstinkt 174, 178 Emotion VII, 2, 3, 17, 24, 25, 26, 27, 30, 46, 54, 57, 59, 61, 63, 70, 71, 73, 74, 77, 86, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 99, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 110, 112, 113, 114, 116, 118, 120, 121, 129, 145, 146, 149, 155, 159, 160, 164, 165, 170, 172, 176, 178, 179, 182, 183, 187, 189, 210, 212, 216, 229, 230, 231, 236, 249, 250, 251, 254, 255, 256, 257, 259, 260,265,266,267 Emotionsausdruck 54, 68, 74, 90, 91,92,108,164,182 Emotionsausloser 24, 26, 27, 69, 74, 94,95,100,105,106,170,178, 203,209,211,249,250,260 Empathie 68,69,103,255 Engels, Friedrich 8 Entreact 86 Entropie 16 Erinnerung 27, 35, 47, 63, 65, 66, 73, 76, 77, 80, 84, 95, 100, 118, 121, 147,151,177,180,221,251,265 erworben 62, 152, 170 Erzahler 71,121,255 Ethik 266 ethnische Zugehorigkeit 218,228,230, 231,233 Ethnozentrismus 233, 242 Ethologie 16, 22, 23, 25, 26, 68, 106, 158,160,239 Evolution 5, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 19,22,24,35,36,37,38,57, 78,79,93, 112, 117, 124, 126, 131, 148, 156, 160, 161, 167, 198, 202, 215, 222, 223, 224, 225, 226, 233, 238,241,242,249,265,271,272
Index
Evolutionspsychologie V, VI, VII, 1, 3, 4, 5, 7, 8, 15, 17, 18, 19, 20, 22, 23,25,28,30,31,59, 105, 114, 123, 129, 131, 132, 138, 167, 171, 192, 214, 225, 236, 247, 262, 263, 265, 271,272 Evolutionstheorie 2, 8, 9, 38, 100,223 Explosiv-Weekend 178 Fakt (nichtfiktional) 17, 107, 193, 248, 254, 258, 266 Falk, Peter 261 Familie 73, 111, 136, 168, 169, 171, 237, 243, 245, 260 Fantasie 48, 63, 74, 75, 79, 98, 175, 220, 257 Farewell My Lovely 121 Feind 10, 15, 26, 38, 57, 71, 125, 156, 198,201,233,239,243 Femsehen V, 4, 5, 17, 35, 37, 40, 41, 44, 54, 57, 58, 62, 71, 75, 82, 98, 103, 106, 107, 120, 131, 134, 141, 142, 146, 164, 166, 177, 178, 180, 184, 201, 216, 217, 255, 257, 258, 267, 268, 270, 276, 283, 284, 286, 288 Feuerwerkbuch 2 Feuilleton 4,271 Figuren 41, 42, 52, 53, 55, 70, 107, 122, 131, 132, 141, 151, 153, 155, 166, 172, 173, 174, 176, 207, 212, 219, 220, 243, 249, 250, 254, 256, 257, 263, 264, 267 Charaktere 118,151,172,173,219, 249, 263, 264 Medienfiguren 131, 146,148, 150, 151,153,174,249 Fiktion 17, 18, 30, 61, 68, 76, 78, 84, 85, 121, 151, 154, 172, 178, 180, 181, 186, 206, 215, 227, 229, 235, 237, 243, 246, 248, 249, 250, 252, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 262,263,264,266,271,272 Film 4, 5, 17, 25, 35, 36, 37, 40, 41, 42, 44, 47, 49, 52, 53, 54, 57, 58, 61, 62, 64, 65, 66, 70, 71, 75, 77, 80, 81, 82, 83, 84, 98, 102, 106, 108, 109, 113, 117, 120, 122, 131, 151, 164,
293 180, 181, 184, 185, 200, 212, 216, 219, 240, 243, 244, 245, 246, 249, 250, 256, 257, 259, 262, 263, 267, 268,270,271,272 Filmemacher 40, 55, 84, 108, 109, 259, 268 Filmgeschichte 49, 200, 240, 244 Filmschnitt 81 Filmtheorie 46, 83 Filmzeit 80 Fitness 12, 14, 15, 52, 99, 148, 155, 157, 161, 171, 177, 186, 187, 222, 236, 250, 272, 273 Flashback 87 Fliege 134, 139, 153 Flipper 183, 184 Flucht 10, 26, 41, 42, 44, 56, 77, 93, 95,156,160,242 Fokus 40,48,91 Football 192,195 Fovea 34,40,43,44,48,81 Frame 55 Frankenstein 100, 181, 182 Frau 52, 60, 75, 83, 95, 107, 108, 122, 128, 129, 133, 141, 142, 150, 157, 165, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 175, 176, 177, 179, 181, 182, 184, 186, 187, 198, 200, 204, 214, 219, 230, 231, 241, 243, 244, 250, 258, 261,272 Freiwillige Selbstkontrolle 245 Freud, Siegmund 160,208 Freude 62, 73, 91, 92, 93, 94, 99, 100, 112, 113, 114, 159, 164, 167, 183, 190, 202, 203, 207, 213, 220, 239, 243, 250, 267 Schadenfreude 187,204,209,210, 212,216,218 Frontallappen 75, 116 Froschperspektive 42, 56 F-Stop 36 Fiihrerschaft 41,152,231,238,241 Fury 184 FuBball 42, 69, 87, 130, 131, 147, 152, 189,192,195,264 Gabriel, Peter 153 Gameshow 152, 153, 185, 187,271
294 Gangster 151,181,240,244 Gattung 177 Gebrauchsanleitung 116, 154, 205, 257, 258 Geburt 24, 26, 99, 107, 130, 136, 137, 168,182,204 Gedachtnis 23, 48, 76, 86, 92, 110, 112,147,165,263,264 Gefahr 14, 30, 35, 40, 49, 56, 71, 81, 88, 90, 91, 93, 94, 95, 96, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 110, 125, 134, 148, 155, 170, 180, 201, 205, 212, 219, 220, 226, 227, 229, 231, 232, 233, 234, 237, 249, 252, 253,260,261,266,270,272 Gefangenen-Dilemma 220,221 Gegenschnitt 51, 55, 69, 70, 71, 81 Gegner 13, 43, 121, 150, 192, 194, 198, 199, 201, 202, 218, 221, 229, 233, 238, 239, 240, 242, 244 Gehim 3, 4, 5, 12, 14, 15, 17, 18, 19, 20, 22, 25, 27, 28, 30, 36, 37, 38, 40, 41, 47, 48, 51, 54, 57, 58, 59, 62, 64, 76, 79, 81, 89, 90, 91, 92, 93, 95, 99, 102, 104, 105, 110, 113, 114, 115, 116, 134, 154, 155, 157, 164, 177, 187, 229, 249, 250, 253, 258, 260, 263,265,271 Modul 59,103,114,115,154,180, 241,248,249 Geisterbahn 100 Gemeinschaft 67, 72, 120, 124, 126, 130, 140, 149, 159, 172, 174, 227, 230, 241, 243, 244, 256, 260, 267, 270,271,272 Genetik 3, 11, 12, 13, 14, 19, 23, 92, 157, 159, 168, 169, 170, 178, 222, 224, 233 Genre 5, 17, 129, 131, 132, 142, 146, 171, 172, 173, 174, 175, 177, 181, 187, 188, 219, 227, 229, 257, 258, 268 Genscher, Hans-Dietrich 150 Gerausch 24, 58, 59, 60, 70, 84, 89, 95, 96,110,116,120,122 Gerichts-TV 144 Germanistik 269
Anhang
Geruchssinn 41 Gesang 27,75,113,163 Geschicht (faktisch) 263 Geschichte (faktisch) 73, 140, 141, 142,211,248,255 Geschichte (fiktional) 65, 67, 68, 70, 73, 80, 81, 82, 83, 121, 122, 141, 147, 154, 159, 172, 205, 206, 211, 215, 217, 220, 243, 248, 250, 251, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 261,262,263,264,272 Geschichte (historisch) VI, 3, 15, 23, 65, 95, 119, 126, 145, 160, 226, 233, 244, 254,256, 258, 259, 267 Geschlecht 10, 11, 18, 57, 100, 107, 110, 141, 150, 151, 156, 158, 164, 167, 171, 176, 185, 186, 213, 231, 238 Geschwister 134, 179,237 Gesellschaft 4, 18, 73, 78, 118, 141, 153, 159, 171, 175, 181, 227, 238, 266,271 Gesicht 38, 41, 42, 44, 49, 54, 56, 57, 59, 108, 151, 158, 172, 176, 184, 209,217,219,241,243 Gestik 41, 56, 59, 68, 69, 70, 73, 107, 122,208,217,240 Gesundheit 92, 98, 100, 131, 136, 157, 168, 169 Gewalt 25, 97, 98, 109, 198, 200, 212, 213,230,231,239,240,245,246 Gibson, James Jerome 38,90,271 GlaubwOrdigkeit 53, 72, 73, 75, 152, 173, 228, 229, 248, 255, 262, 267, 268 Gliicksspiel 234,235 Golem 109 Gonzales, Elian 249 Goring, Hermann 213 Gottschalk, Thomas 150,151,188 Graf, Steffanie 120,188,190 Great Train Robbery, The 49, 240 Grinsen 202,203,211 GroBaufhahme 44, 46, 48, 55, 70, 71, 86, 108,151 Grofie Diktator, Der 218
Index
Gruppe 2, 3, 8, 13, 14, 15, 20, 29, 30, 42,67,92, 100, 105, 110, 113, 126, 127, 129, 130, 140, 142, 143, 147, 148, 152, 153, 159, 162, 163, 164, 172, 184, 187, 189, 190, 191, 192, 198, 199, 202, 209, 210, 211, 215, 218, 219, 220, 224, 226, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 237, 238, 239, 241, 242, 243, 244, 256, 260,264, 268, 269, 270, 272 Gruppenmitglied 67, 152, 163, 189, 202,210,224,226 Gullivers Reisen 60 Gut und Rose 144, 147, 243, 244,272 Haar 42, 44, 46, 98, 157, 169, 176, 177,228,243 Halbnah 44 Hall, Edward T. 41,46,55 Hamlet 206 Handkamera 52, 54, 71, 248, 256 Handlungsachse 49, 50, 51, 70, 71 Happy End 78,254,261,273 Harald Schmidt Show 111 Hardy, Oliver 219 Hass 24,97,109,140,198 Hausfrauen-Report 178 Hays-Code 212,246 Heavy Metal 117 Helter Skelter 237,255 Hempel, Wolfgang 199 Herberger, Sepp 184
Herodot 258 Herzblatt 187 Hierarchie 8, 18, 26, 56, 112, 130, 131, 136, 137, 147, 148, 151, 155, 157, 159, 171, 172, 174, 181, 185, 186, 187, 188, 191, 210, 211, 213, 214, 233,234,240,241,242,260,265 Hilfeleistung 26, 106, 179,225,243 Hintergrundwissen 59, 81,207,219 Hitchcock, Alfred 80, 81, 82, 110, 121, 254 Hitler, Adolf 213,218 Hohlenbilder 134 Hohlspiegel 205 Holocaust 145,237,258 Home Shopping Channel 166
295 Homosexualitat 171, 176, 208, 248, 253 Horaz 250 Horen 3, 10, 17, 24, 57, 58, 60, 61, 62, 64, 77, 79, 83, 84, 110, 112, 113, 116, 117, 118, 119, 120, 122, 125, 167,192,249,271 Horrorfilm 70, 95, 96, 98, 99, 100, 101,110,205,211 Horspiel 82, 122, 175 Humor 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 211, 212, 213, 214, 215, 216,217,218,219,220,246 Spott 146,209,210,219,220 Witz 146, 203, 204, 205, 206,207, 208,210,211,212,213,214,215, 217,218,219,220,250 Hund 8, 48, 58, 62, 73, 124, 166, 183, 184 Hussein, Saddam 150 Identifikation 69, 71, 133, 158, 180, 226 Illusion 37, 38,48, 80 Imagination 39, 62, 74, 83, 84, 88, 145, 176, 177, 181, 236, 244, 248, 250, 251, 252, 260, 262, 263, 284 Information 11, 12, 18, 30, 31, 60, 62, 77, 93, 128, 141, 176, 177, 182, 226, 227, 236, 247, 256, 259, 264, 265, 266 Informationsspeicher 2 Insert 122 Instinkt 23, 26, 28, 125, 160, 161, 178, 179, 180, 182, 223, 224, 239, 243 Int-Veen, Vera 140 Jackson, Michael 151,178,256 Jakob der Liigner 121 James Bond 244, 266 Jazz 118 Joplin, Scott 119 Jump Cut 48, 70, 83 Jurassic Park 49, 263 Kabarett 205,217,218 Kabinett des Dr. Caligari, Das 109 Kafka, Franz 264 Kamera VI, 35, 36, 39, 40, 41, 42, 44, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 60, 69,
296 70, 71, 80, 83, 84, 87, 88, 102, 144, 146, 153, 204, 217, 228, 236, 240, 266,281 Digitalkamera 36 Videokamera 36 Kamera Iduft - Hosen runter 153 Kamerafahrt 52, 53, 54, 88 Kamerafiihrung 190,255,267 Kamerastandpimkt 40 Kamssell 100,105 Katharsis 99,160,254 Keaton, Buster 219 Kennedy, John F. 151 Kindchenschema 107,179, 183 King Kong 33 Kino 4, 38, 44, 58, 59, 60, 61, 62, 95, 100,102,180,249 Kitzeln 203,204,215 Klatsch und Tratsch 14, 18, 72, 75, 124, 127, 128, 129, 130, 131, 140, 143, 144, 147, 148, 149, 169, 171, 172,174,215,248,250,269,270 Kleidung 42, 43, 44, 98, 157, 178, 210, 217,228,243,272 Kleptogamie 201 Klezmer 118 Koffein 88 Kognition 2, 20, 24, 67, 76, 77, 90, 113, 155, 160, 207, 221, 223, 225, 226,241,269,270 Kognitive Dissonanz 72, 128,270 Kohl, Helmut 150 Ko-Kommunikation 61, 187,268 Komik 112,202,216,219 Kommentkampf 185,242 Kommissar Rex 184 Kommunikation 2, 3, 5, 8, 13, 17, 18, 26, 42, 43, 44, 57, 61, 67, 68, 71, 72, 75, 78, 91, 92, 105, 110, 111, 122, 124, 125, 129, 131, 132, 135, 141, 143, 146, 152, 155, 157, 158, 160, 163, 182, 183, 184, 187, 190, 205, 214, 216, 227, 229, 236, 264, 269 Kommunikationsgemeinschaft 124, 128, 140, 229,268, 270 Komodie 205,212,219
Anhang
Konflikt 12, 13, 85, 121, 122, 140, 141, 144, 172, 173, 179, 198, 211, 214, 219, 223, 227, 237, 242, 244, 261,262,272 Konig von St. Pauli, Der 188 Konkurrenz 9, 10, 14, 18, 107, 128, 149, 151, 152, 160, 161, 164, 166, 167, 168, 171, 172, 191, 211, 233, 238,241,269 Kontrastumfang 35, 36 Konzert 58 Kooperation 3, 10, 12, 13, 18, 26, 57, 72, 74, 148, 153, 160, 162, 187, 188, 198, 199, 210, 212, 215, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 233, 242, 256 Korper 3, 4, 12, 14, 15, 18, 42, 46, 54, 56, 60, 76, 90, 93, 95, 96, 98, 101, 103, 105, 124, 136, 159, 161, 167, 175, 176, 177, 178, 183, 204, 218, 239,250,271 Korpersprache 29 Kortex 75,109,113,116,121,270 Kostler, Arthur 209 Koyaanisqatsi 86 Kracauer, Siegfried 4, 270, 271, 272 Krieg 179, 187, 198, 199, 226, 238, 239,241,242,243,272 Krimi 18, 180, 181 Krise 260 Kritiker 49, 248, 268 Kuleschow, Lew W. 83, 84, 108 Kuleschow-Effekt 109 Kultur 15, 16, 19, 20, 21, 22, 23, 25, 29, 90,98, 114, 116, 119, 124, 127, 150, 157, 158, 159, 163, 164, 169, 200, 213, 219, 220, 233, 235, 241, 243,249 Kunst 23, 40, 75, 78, 90, 155, 156, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 233, 265, 269 Kunstgeschichte 269 Kunstler 148, 149 Kuttner, Jiirgen 153 L'ArroseurArrose 216 Lacheln 91, 106, 107, 108, 184, 202, 203, 204
Index
Lachen 61, 92, 94, 96, 106, 118, 144, 202, 203, 204, 205, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 218 Lafontaine, Oskar 150 Lara Croft 249, 256 Lassie 183, 184 Laurel, Stan 219 LautauBerung 118 Leinwand 2, 33, 38, 58, 59, 60, 61, 62, 63,74,84,99,102,104,116 Lemtheorie 124, 152 letzte Mann, der 109 Liebe 24, 93, 109, 153, 160, 170, 171, 174,179 Liebe Sunde 178 Ligetti, Gyorgy 119 Limbisches System 25, 59, 92, 98, 99, 113,249,260,262,267 Lindenstrafie 173,174,257 Linguistik 16 Literatur 71, 78, 80, 96, 107, 121, 154, 156, 159, 181, 244, 250, 251, 255, 257, 258, 263,267, 270 Live 62, 82, 131, 153, 175, 187, 190, 191,201,202,217,228,235,236 Lola rennt 253 Lotto 129,235 LSD 88 Lucky Luke 184 Liige 68,71,72,74,121,248 Lumiere, Auguste und Louis 216 M - eine Stadt sucht einen Morder 180 Macbeth 206 Macht 56, 57, 128, 160, 162, 184, 210, 226, 229, 230, 239, 240, 260, 268, 269 Madonna 81,149,151 Magritte, Rene 27,149,248, 250 Maletzke, Gerhard 2 Mann 10, 18, 52, 73, 78, 83, 92, 97, 107, 122, 128, 133, 141, 142, 150, 154, 157, 158, 161, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 174, 175, 176, 177, 181, 182, 186, 187, 198, 200, 201, 204, 206, 214, 219, 233, 241, 243, 250,256,261,272
297 mannlich 5/e/zeMann Manson, Charles 255 Marchen 100, 127,244 Marseillaise 118 Marx, Karl 165 Massenkommunikation 2, 3, 18, 31, 129,171,172,259,268,270 Massenmedien 2, 8, 122, 130, 148, 175,232,244,267,269,271 Mastershot 48, 66 Matrix 87 Matthaus, Lothar 146 May, Karl 249 Maynard Smith, John 12 McCarthy-Ara 244 Medien 2, 3, 5, 17, 18, 23, 28, 30, 31, 35,38,41,48,59,62,63,71,78,82, 96, 98, 106, 112, 129, 130, 146, 148, 149, 150, 151, 153, 154, 162, 164, 171, 177, 180, 187, 202, 211, 216, 217, 218, 227, 228, 235, 245, 248, 259,261,268,269,271,272 Speichermedien 187 Medientheorie V, VI Medienwissenschaft V, 2, 5 Medium 46, 78, 82, 84, 122, 131, 143, 148,153,171,177,264 Meiser 134 Meiser,Hans 139,153 Melodrama 172,237 Memory Talk 140, 144 Mendel, Gregor Johann 3, 11 Mengenkontrast 69 Meskalin 88 Metapher 238,253,258,260,269 Metropolis 109 Mickey Mouse 107, 151 Mickey-Mouseing 117 Mimik 41, 54, 56, 57, 59, 68, 69, 70, 73, 95, 106, 107, 122, 126, 183, 208, 240 Mitchum, Robert 121 Mitleid 26,103,179,202,212,236 Moderator 129, 131, 132, 133, 139, 140, 141, 143, 144, 146, 148, 153, 187,217,228,229 Monogamie 168, 170
298 Monolog 129 Monroe, Marilyn 151 Monster 69 Montage 83, 84, 108 Moral 23, 61, 97, 98, 120, 127, 128, 135, 145, 160, 173, 181, 218, 223, 224, 225, 226, 231, 242, 245, 246, 250, 251, 252, 253, 254, 257, 260, 266,268,271 Mord 97, 170, 180, 181, 182, 198, 230, 237, 244,246, 253 Morder 69,181 Mosshuchin, Iwan 108 Motiv (fotografisch) 35 Motiv (Handlung) 97, 141, 142, 153, 170,243,253,267 Motiv (literarisch) 3, 4, 5, 19, 30, 59, 96, 106, 107, 128, 164, 171 Motiv (musikalisch) 84,118 Motivation 4, 30, 87, 92, 97, 111, 142, 143, 155, 157, 160, 180, 185, 186, 191, 192, 194, 195, 200, 230, 250, 255,259,261,264 Mozart, Wolfgang Amadeus 149 Mr. Ed 183 Mulholland Drive 79 Musik 59, 60, 74, 75, 84, 96, 110, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 122, 125, 147, 149, 150, 156, 159, 161, 162, 163, 164, 165, 219, 237, 239 Musikwissenschaft 269 Mut 104,186,237 Mutation 10,11,16,222 Mutualismus 225,226 Nachkommen 3, 9, 12, 14, 16, 18, 79, 110, 128, 134, 151, 157, 168, 178, 179,222,237,238,244,272 Jugendliche 67,100,101, 104, 147, 179,239,256 Junge 96,238 Kind 18,23,24,25,26,38,49,65, 66, 67, 68, 74, 82, 90, 92, 95, 97, 106,107,110,111,112,116,122, 124,128, 137,165, 166,168, 169, 170,178, 179, 180,181, 182, 183, 190,200,203,204,208,212,218,
Anhang
219,223,224,226,229,230,231, 237,238,243,249,256,257,263 Kleinkind 66, 68, 69, 107, 179, 182, 183,184 Madchen 96,108,184,238 Saugling 24,37,49,179 Nachrichten 18, 30, 54, 82, 129, 151, 180, 202, 214, 227, 228, 229, 232, 233, 234, 235, 237, 256, 266, 270 Nahaufiiahme 43, 44, 46, 60, 87, 129, 151,248 Nahrung 9, 10, 14, 15, 26, 38, 99, 125, 177,198,226,232,237,238 Narration VI, 206, 219, 244, 251, 253, 259, 260 Neid 24,223, 243 Neokortex 25, 75, 77, 92, 95, 249 Nepotismus 57 Neuronen 262 Neurophysiologie 16, 57, 64, 77, 98, 99,160,271 Neururer, Peter 191,193,194 Nikotin 165 Nimoy, Leonard 257 Nosferatu 109 Objektivitat 229 Ode an die Freude 120 Odipus 223 Odysseus 101 Off 120, 121 Offentlichkeit 142, 143, 148, 172,249 Ohr 5, 17, 41, 44, 46, 57, 58, 62, 110, 122, 139, 158, 165, 184, 208, 236, 271 Okonomie VI, 12,149,232 Olympia Fest der Schonheit 85 Fest der Volker 85 Opfer 70, 130, 147, 170, 179, 180, 181, 209, 210, 212, 214, 217, 219, 222, 230, 231, 232, 236, 237, 240, 244, 255, 257 Pack die Badehose ein 119 Palaontologie 16 Paparazzi 85 Parallel-Montage 78
Index
Partner 44, 55, 71, 127, 128, 133, 134, 135, 136, 142, 157, 161, 162, 167, 168, 169, 170, 171, 174, 175, 176, 202,211,216,223,238,272,287 Partnerschaft 26, 136, 168, 169, 172, 182,211 Partnerwahl 3, 17, 157, 158, 164, 167, 168, 169, 171, 174, 175, 216, 251, 272 Perky, Cheves West 63, 77, 120, 175, 236,271 Perspektive 38, 39, 40, 47, 55, 60, 66, 70,71,78,143,144,177,232 Perspektive, subjektive 70 Perspektivenubemahme 53, 65, 66, 67, 69,70,71,79,108,162,176 PET 64 Phi-Effekt 37 Philadelphia 120 Piaget, Jean 65, 66, 67, 78, 82 Pleiten, Pech und Pannen 216 Plot 78, 250, 260, 264, 272 Poesie 159, 162 Politik 137 Politiker 131, 148, 149, 150, 151, 201, 218,227,234 Polka 118 Pollock, Jackson 149, 156 Polygamic 168, 170 Pomografie 18, 172, 175, 176 Pravention 180,231,232 Preview Flash Cuts 109 Printmedien 4, 17, 71, 77, 82, 147, 148, 157, 210, 228, 249, 250, 256, 271 Probehandeln 75, 76, 78, 79, 154, 171, 176, 190, 232, 235, 254, 257, 260, 261,265,266,267,270,271,272 Produktionsasthetik 174 Prominenz 42, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 166, 177, 216, 217,218,228,230,231,234 Psilocybin 88 Psycho 81,254 Psychoanalyse 88,223,224
299 Psychologic VI, 4, 15, 16, 17, 19, 22, 69,73,116,124,141,160,168,173, 223 Psychose 79 Pubertat 104,107, 158 Publikum 2, 49, 74, 108, 121, 132, 143, 144, 153, 159, 180, 190, 191, 197,199,200,216,217,218,250 Pudowkin, Wsewolod lUarionowitsch 46,47, 84, 86, 108 Pulp Fiction 254 Pupille 52, 80,107,176 Quizshow 187,235 Rache 97,142,243,246,253 Radio 4,41, 120, 122, 153, 199, 270 Ragtime 119 ran 188, 193 Rang 10, 25, 56, 75, 111, 148, 152, 158, 171, 188, 194, 201, 214, 229, 234, 238, 240, 241, 245, 271, 272 ranissimo 188 Ratgeber Geld 258 Ratgeber Recht 258 Ratgeber Technik 258 Raumschijf Enterprise 78, 252, 257, 260, 264 Raumvorstellimg 65 Reaktionsschnitt 70 Realitat 35, 59, 66, 68, 74, 75, 78, 151, 160, 181, 206, 238, 248, 249, 254, 257, 266 Reality TV 254 Reflexion 25, 62, 66, 75, 76,92,272 Regisseur 103 Reise zum Mond, Die 78 Reiz 265 Reiz-Reaktions-Schema 25, 26, 27, 79, 94,209 Religion 127,168,208,246 REM 35, 88 Reporter 146,181,228,236 Reproduktion 8, 12, 13, 14, 16, 29, 106, 128, 155, 159, 161, 167, 168, 169, 170, 171, 179, 180, 197, 225, 236,264,272 Ressourcen 1, 9, 10, 14, 15, 30, 105, 137, 149, 168, 170, 171, 178, 187,
300 197, 199, 224, 225, 232, 234, 235, 237,238,240,241,243,270 Retina 37, 38, 39, 46,48, 50 Revier 27,117,195,196,197 Rezeption 2, 4, 18, 30, 35, 40, 46, 47, 49, 52, 53, 55, 61, 69, 70, 71, 74, 80, 82, 83, 84, 85,91,96,98, 108, 118, 119, 120, 128, 130, 131, 133, 137, 139, 143, 147, 150, 155, 162, 172, 173, 175, 180, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 197, 200, 201, 202, 206, 216, 217, 220, 228, 229, 233, 245, 246, 248, 252, 254, 256,257,262,265,266,269,271 Rezipient 235 Riefenstahl, Leni 85 Risiko 101 Risikowahmehmung 231 Ritt de Walkiire 119 Ritual 26, 56, 129, 161, 162, 163, 164, 171, 187, 197, 232, 233, 242, 264, 271 Rivale 79, 127, 129, 131, 132, 134, 136,189,233,240,248 Roadrunner 218 Robinson Crusoe 89 Robinson, Edvard G. 151 Rolle 8, 71, 73, 74, 130, 133, 139, 143, 147, 149, 152, 190, 198, 202, 206, 219,228,248,261,268,269 Rollenkonventionen 206 RoUentheorie 73 Roman 70, 251, 252, 253, 263, 264, 268, 270 Romanze 18,174 Roulette 234 Riickblende 121 Ruf 18, 72, 127, 128, 136, 137, 147, 148,169,191,229,255 Rummelplatz 100, 102, 105 Sammler und Jager 15, 19, 56, 59, 93, 176,180,240,250 Saugetier 77, 202 Schach 76, 185, 192, 195, 197, 223, 251,264 Schall 58,60,110 Schallortung 58
Anhang
Schauspieler 40, 49, 51, 55, 57, 70, 73, 74,75,96, 103, 118, 121, 130, 148, 151, 155, 159, 166, 174, 200, 217, 237, 248, 254, 256, 257, 261, 262, 264, 267,268, 272, 273 Scheibenwischer 218 Schindlers Liste 33 Schizophrenie 69, 76, 262 Schlange 25, 95, 125 Schmidt, Harald 146, 207, 217 Schmidt, Helmut 150 Schmitt, Martin 188 Schmuck 176,181,210 Schneewittchen 151 Schnitt 17, 42, 47, 48, 50, 51, 69, 70, 71,80,81,237 Schulmddchen-Report 178 Schumacher, Michael 188 Schwarzenegger, Arnold 262 Schwenk 47,52,81,270 Schwester 179 Sciencefiction 154, 181 Scream Queen 101 Sehen 2, 3, 5, 10, 17, 24, 28, 34, 35, 37, 38, 39, 41, 43, 46, 47, 48, 50, 52, 54, 57, 58, 59, 60, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 71, 76, 77, 79, 80, 81, 83, 90, 94, 96,98, 108, 110, 112, 113, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 157, 167, 175,176,190,204,236,267,271 Selbstdarstellung 17, 124, 128, 142, 150,159,161,165,177,248,251 Selektion 9, 10, 11, 12, 18,22,61, 111, 116,144,167,168,222,242,272 Setting 74, 82, 174, 178, 206, 207, 214, 217, 219, 243, 250, 252, 254, 260,262,264 Sex 11, 92, 99, 109, 160, 167, 168, 172, 175, 176, 177, 208, 211, 246, 269 Partner 10,15,16,18,78,89, 128, 157, 175 Shakespeare, William 149, 205, 257 Shrek 33 Siegfried 244 Sitcom 36,216,219 Skippy 183
Index
Slapstick 216,219 So gesehen 129 Soap Opera 18, 36, 85, 128, 172, 173, 174,175,237,257 Soldat James Ryan 248 Soziobiologie 3,71,72 Soziologie 16, 160 Spaimung 55, 70, 82, 84, 94, 143, 155, 181,187,209,234 Spal3 100, 101, 102, 103, 104, 154, 159, 161, 176, 209, 211, 213, 217, 239, 250,265 Spende 179 Spezialeffekt 60, 89, 248, 267 Spiegel-Neuronen 109 Spiel 13, 68, 74, 82, 104, 107, 108, 128, 161, 163, 173, 187, 191, 193, 195, 199, 200, 203, 205, 211, 215, 222, 235, 237, 238, 251, 256, 257, 267 Play Fighting 237,238 Pretend Play 67, 74,237 Spiel mir das Lied vom Tod 43, 87, 119 Spielberg, Steven 248 Spielfilm 54,86,103,180,237 Spieltheorie 11, 12, 13, 19, 179, 221, 224, 235 Spingsteen, Bruce 120 Sport 82, 86, 88, 127, 171, 172, 184, 185, 186, 188, 189, 193, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 227, 228,229, 239,264,268 Sport-Bild 193 Sportier 18, 148, 150, 189, 190, 194, 195,197,234 Sportschau 188 Sportsendung 85 Sportstudio 188,207 Sportveranstaltung 18, 185, 192, 197, 200,201,202,272 Sprache 3, 5, 17, 23, 25, 29,42,43,46, 59, 64, 72, 75, 76, 78, 80, 90, 110, 111, 112, 115, 116, 120, 121, 123, 124, 125, 126, 127, 132, 139, 144, 162, 182, 183, 199, 206, 210, 215, 218, 220, 228, 229, 233, 242, 258, 270, 278
301 Stallone, Silvester 257, 262 Status 15, 29, 72, 98, 111, 121, 128, 129, 147, 148, 151, 152, 170, 171, 174, 177, 186, 187, 215, 234, 240, 241,245,269,271,272 Statussymbol 96 Stereotype 173,219,244 Stimme 41, 42, 43, 44, 46, 73, 74, 95, 110, 111, 112, 115, 121, 122, 129, 182, 183, 184, 199, 211, 240, 241, 256 Stimulus 77, 91, 95, 97, 183, 209, 215 StrauB, Richard 119 Superman 78, 151,249,256 Super-Nanny, die 184 Tabu 180,208,217 Talkshow 17, 36, 82, 128, 132, 143, 144, 150, 152, 153, 154, 174, 205, 217,229,234,248,268 Tanz 74, 75, 125, 161, 162, 163, 164, 177, 187, 198 Tarantino, Quentin 254 Tate, Sharon 237 Tater 70, 96, 180, 181, 230, 244, 255 Taylorismus 9 Telefon 2,28,83,122,175 Testosteron 197 Theater 47, 61, 74, 75, 84, 96, 142, 160,205,249,257 Theory of Mind 67, 68, 69, 72, 74, 79, 108, 109, 118, 127, 154, 162, 176, 180,211,215,241,256,261 Thriller 70 Thukydides 258 Tiefenwahmehmung 35, 36, 38, 39, 40,43, 52, 53, 57 Tiere 12, 14, 16, 22, 23, 26, 36, 37, 46, 78,92, 124, 125, 126, 135, 155, 183, 184,197,198,232 Tilt 41 Tit for Tat 221,222,224 Titanic 161,237,244 Tiv 198 Tod 9, 56, 87, 96, 97, 98, 100, 103, 105, 136, 137, 149, 151, 179, 180, 185, 211, 213, 230, 231, 234, 239, 244,251,267
302 Todesspiele l?il Ton-Bild-Schere 120,178,236 Tooby, John 16,19,20,96,105,226 Totale 42,46,48, 66 Toys for boys 155 Trauer 59, 62, 69, 91, 93, 94, 96, 97, 99, 103, 106, 108, 111, 112, 113, 114, 118, 149, 155, 164, 179, 180, 183, 187, 202, 204, 212, 234, 236, 249 Traum 4, 35, 64, 77, 79, 88, 100, 173, 175,262 Trdumen Androiden von elektrischen Schafen? 263 Trier, Lars von 267 Truffaut, FranQois 82 Tucholsky, Kurt 217 TV-Programm 140,270 Tykwer, Tom 253 Uberblendung 17, 63, 64, 80, 83, 158 Ulysses 264 Umwelt 9, 10, 14, 15, 19, 27, 66, 89, 91, 97, 127, 163, 174, 180, 209, 222, 225, 226, 240, 272 unglaubliche Geschichte des Mr. C, Die 60 Ungluck 231 Unterhaltung 18, 31, 127, 131, 146, 159, 200, 211, 216, 227, 232, 247, 250,264,265,266 Untersicht Siehe Froschperspektive Untertitel 64 Upps - die Superpannenshow 216 Uses-and-Gratifications-Approach 151 Venus vom Galgenberg 177 Venus von Willendorf 176 VeraamMittag 134 Verbalisieren 61, 75, 76, 78, 92, 97, 105, 115, 121, 122, 125, 129, 131, 132, 144, 150, 160, 175, 179, 187, 190, 204, 206, 213, 214, 217, 236, 240,242,251,255 Verlorene Ehre der Katharina Blum, Die 253 Verne, Jules 78 Verstehen Sie SpaJP. 216 Verwandlung, Die 252, 264
Anhang Verwandte 134 Video 35,36, 82 visuell Siehe Sehen VogelDie 110,119 Vogelperspektive 42, 56 Vorstellung 4, 35, 38, 39, 40, 48, 50, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 72, 76, 77, 78, 79, 83, 95, 98, 100, 116, 120, 154, 155, 158, 162, 167, 175, 176, 177, 211, 226, 235, 245, 249,250,262,270,271,272 Wa(h)reLiebe 178 Waffe 183, 198, 239, 240, 242, 246, 256, 260 Wagner, Richard 119 Wahmehmung VI, 3, 4, 5, 10, 15, 17, 18, 24, 26, 27, 28, 30, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 43, 46, 47, 48, 49, 51, 52, 53, 54, 56, 57, 58, 59, 60, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 75, 76, 77, 79, 80, 81, 83, 84, 85, 87, 88, 89, 90, 92, 95, 100, 105, 106, 109, 110, 112, 113, 114, 117, 118, 119, 120, 122, 123, 128, 131, 154, 156, 157, 160, 161, 164, 171, 175, 176, 208, 231, 234, 237, 239, 243, 247, 248, 249, 251, 257, 261, 270, 271,272,281 Medienwahmehmung 24, 30, 34, 41,50,59,75,79 War of the Worlds 82 Warenasthetik 165 Warhol, Andy 149,253,267 Wason, Peter 20,22,228,241 Weinen 69, 95, 96, 106, 118, 178, 202, 205,219 weiBeHai,Der 118 Weizsacker, Richard von 150 Welles, Orson 82 Wenn Frauen hassen 43 Wer wirdMilliondr? 187, 235 Werbung 64, 119, 122, 161, 164, 165, 171,201,220 Western 42, 49, 181, 240, 244, 260 Wetten, dass ...? 153, 188 Wetter 156,161,201,228,232 Williams, Robin 121
Index
Winnetou 118,249 Wirklichkeit 4, 28, 39, 47, 59, 102, 103, 104, 109, 180, 248, 259, 264, 266,269,281 Wissensspeicher 29 Wohnzimmer 59, 60, 61, 103, 105, 135,249 Wolfe, Tom 251 Woodstock 260 Wortzum Sonntag, Das 129 Wuste lebt, Die 155 Wut 62, 91, 93, 94, 97, 99, 109, 112, 113, 116, 160, 205, 212, 230, 231, 240, 243 Xenonphobie 233 Zabriski Point 109 Zeichentrickfilm 219 Zeit 47, 50, 51, 53, 54, 79, 80, 81, 82, 83,84,93,94,95,96,112,115,116, 117, 120, 122, 126, 127, 146, 147, 154, 157, 161, 168, 174, 178, 200, 216,229,238,249,263,265 Filmzeit 82
303 Gleichzeitigkeit 63, 83, 84 Realzeit 80, 82 Sequenzierung 80 Zeitdehnung 118 Zeitdifferenz 58 Zeitlupe 64, 80, 85, 87,190 Zeitraffer 17,80 Zeitsprung 83, 84 Zeitwahmehmung 87 Zensur 177,266 Zerstreuung 266 Zimmermann, Herbert 199 Zombies 100, 103 Zoom 52, 53, 54, 120 Zuschauer 40, 46, 48, 49, 50, 55, 57, 58, 64, 66, 70, 71, 77, 83, 84, 86, 89, 96, 101, 102, 103, 107, 108, 118, 120, 130, 133, 134, 138, 139, 141, 144, 145, 146, 151, 153, 155, 173, 174, 178, 187, 188, 197, 235, 254, 257, 259, 262, 263, 264, 266, 268, 269,270 5/6/ie Rezeption Femsehzuschauer 2, 144, 181, 187