Percy Ernst Schramm
KAISER KONIGE UND PAPSTE Gesammelte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters
Band!
Anton Hiersemann Stuttgart
1968
Percy Ernst Schramm
BEITRÄGE ZUR ALLGEMEINEN GESCHICHTE Erster Teil
Von der Spätantike bis zum Tode Karls des Großen (814)
Anton Hiersemarm Stuttgart I968
Mit 8 Abbildungen im Text und I 5 Abbildungen auf
IZ
Tafeln
© 1968 Anton Hiersemann, Stuttgart Alle Rechte, insbesondere des Nachdrucks und der Übersetzung, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Werk oder Teile daraus auf photomechanischem oder sonstigem Wege (Photokopie, Xerographie, Mikrofilm u. a.) zu vervielfältigen. Printed in Germany Schrift: Garamond-Antiqua 9/12 und 8/IO Punkt, Monotype Satz und Druck: Großdruckerei Erich Spandel, Nürnberg Klischees: Kunstanstalt Carl Ruck, Stuttgart Einband: Großbuchbinderei C. H. Schwabe, Stuttgart Einband- und Umschlagentwurf: Kurt Weidemann, Stuttgart Umschlagdruck: Buchdruckerei Gottlieb Holoch, Stuttgart
CARL ERDMANN
(r898-r945) und HANS-WALTER KLEWITZ
(1907-1943)
Dem Andenkenzweier mir befreundeter Historiker, die viel geleistet haben und noch viel mehr erwarten ließen. Sie stünden heute in der Kraft der Jahre, wenn sie nicht - zusammen mit vielen Millionen von Menschen - der Krieg dahingerafft hätte.
Vorwort Diese Aufsatzsammlung erfordert vorweg eine Erläuterung, die deutlich macht, daß sie - äußerlich buntgemischt- doch von einem roten Faden durchzogen wird. Mir ist es in meiner wissenschaftlichen Entwicklung merkwürdig ergangen; denn ich bin dazu gekommen, mich in drei verschiedenen Bereichen zu betätigen. In zwei Fällen wurde ich >geschoben<, in einem war ich dagegen Herr meines Entschlusses. Schon in meiner Schulzeit fesselte mich die Sozialgeschichte, zu der ich - stark durch WERNER SaMBARTS Bücher angeregt- von genealogischen Forschungen aus gekommen war. Ich behielt dieses Interesse bei, aber erst das Schimpfen auf den >Bourgeois<, wie es unter Goebbels üblich wurde, gab mir den Anstoß, in einem Buche darzustellen, was die >Bürger< alles geleistet haben. An dieses haben sich dann weitere Bücher, Aufsätze und Vorträge angeschlossen. Im Zweiten Weltkrieg ergab es sich durch einen nicht vorauszusehenden >Zufall
Kaisergeschichte< entdeckte: ich verschlang sie und fühlte mich in meinem Entschluß bestärkt. Als ich nach dem Ersten Weltkrieg in abgeänderter Uniform meine Studien wieder aufnahm, kam noch ein Argument hinzu, das meine Überlegungen abstützte: blickte man auf unsere jüngste Vergangenheit zurück, war schlechthin alles in Frage gestellt; das Mittelalter war jedoch vom Schwanken der Urteile nur mittelbar berührt, bot also einen festen Boden. Dabei schwang der Gedanke mit, daß die Rückbesinnung auf die frühere Vergangenheit uns vielleicht für die Zukunft Halt zu bieten vermöge. In den ersten Semestern lenkten mich noch die politischen Vorgänge vom intensiven Studium ab. Zu Ostern 1920 wurde ich in München immatrikuliert und genoß nun, daß unzählige Anregungen auf mich einstürmten und mit vielen Freunden
8
Vorwort
endlos diskutiert werden konnte. Hier hatte ich auch das >Erlebnis<, das meine wissenschaftliche Tätigkeit als Privatdozent und Professor bestimmte: mich >ergriff< die Darstellung des zwischen geistlichen und weltlichen Großen thronenden Kaisers Otto III., dem die Nationen huldigen. Ich erhielt die Erlaubnis, in der Staatsbibliothek sein in der Reicherrauer Schule gemaltes Evangeliar von Anfang bis Ende umblättern zu dürfen: es war noch großartiger, als ich- zunächst auf Reproduktionen angewiesen - es erwartet hatte. Die Widmungsminiatur ließ mich nun nicht mehr los. Von ABY WARBURG waren mir schon früh die Augen für das Bild als Geschichtsdokument geöffnet, auch der Zugang zu seinem Grundproblem >Nachleben der Antike< gebahnt. Ich spürte, daß dieses Thronbild irgendwie mit dem alten Rom zusammenhing, daß auch Byzantinisches irgendwie mit im Spiele war, daß die beiden Bildseiten jedoch ins Mittelalter gehörten. Die durch das Kaiserbild aufgeworfenen Fragen ließen sich nicht ohne weiteres beantworten. Ich mußte mich in die Geschichte und die Kunst des byzantinischen Reiches einarbeiten und mich über die karolingische Zeit und die Völkerwanderung zur Antike zurücktasten; andererseits bedurfte ich einer Vorstellung von der mittelalterlichen Religions- und Geistesgeschichte sowie einer Einsicht in den Wandel des mittelalterlichen Reichsgedankens. Hatte sich eine Antwort ergeben, so tauchten gleich neue Fragen auf. Auf diese Weise kam ich von einem Bereich zum nächsten. Ich veröffentlichte die zeitgenössischen Bilder der deutschen Könige und Kaiser; ich studierte die Herrschaftszeichen; ich verfolgte die Idee der >Renovatio imperii Romanorum< von ihren Anfängen bis in das hohe Mittelalter; ich mußte mich eingehend mit Karl dem Großen auseinandersetzen und sah mich veranlaßt- um das Besondere der deutschen Entwicklung fassen zu können -, die Geschichte des Königtums in den anderen Ländern (vornehmlich in England, Frankreich und Spanien) zu untersuchen. Jenes Münchener >Erlebnis<, das in mir so lang fortwirkende Unruhe erzeugte, hat sich also als sehr produktiv erwiesen. Rückschauend betrachte ich es daher als ein großes >Glück< - ich muß immer wieder abgenutzte Wörter in Anführungsstriche setzen, damit sie ihre Würde zurückerhalten. Denn wer als Forscher nicht das Glück erfährt, von einem noch ungelösten Problem gepackt und dadurch in Unruhe versetzt zu werden, bleibt ein Handwerker, der Material zusammensucht und es dann geduldig aufarbeitet. Meine Veröffentlichungen in eine sinngemäße Ordnung zu bringen, machte keine besondere Mühe, da sie ja von einer Leitfrage beherrscht waren. Vier Bände werden die Aufsätze umfassen, die die allgemeine Geschichte betreffen: I und II: Bis zum Ende der karolingischen Zeit; III: Vom Io.Jahrhundert bis zum 13. Jahrhundert; IV: Das Reformpapsttum: II./12. Jahrhundert.- Längsschnitte- Zusammenfassende Betrachtungen.
Vorwort
9
Vielleicht ist es mir vergönnt, in weiteren Bänden zusammenzufassen, was ich zu den Bereichen >Herrscherbilder< sowie >Herrschaftszeichen und Staatssymbolik< veröffentlichte (vermehrt durch Nachträge zu meinen Büchern und durch Aufsätze, die noch nicht gedruckt sind). Ich habe meine bisherigen Veröffentlichungen - soweit es mir möglich war - auf den jetzigen Stand der Forschung gebracht und sie aufeinander abgestimmt (Überschneidungen ließen sich nicht in allen Fällen vermeiden). Hinzu fügte ich bisher ungedruckte Vorträge und Aufzeichnungen, die in den Rahmen paßten, sowie Aufsätze, für die ich das Material bereits gesammelt hatte, die niederzuschreiben ich jedoch erst durch die Herausgabe dieser Bände veranlaßt wurde. Ich war bemüht, alle Länder Europas einzubeziehen, und habe auch meinen Problemkreis bis in die beginnende Neuzeit1 hinein verfolgt. In diesen vier Bänden wird das nicht zum Ausdruck kommen, da ich das späte Mittelalter vornehmlich in Büchern behandelte. Das frühe und hohe Mittelalter ist in dieser Sammlung durchweg nur von einer Seite aus betrachtet. Alles, was ich zu seiner Erforschung beitrug, dreht sich im wesentlichen um den Problemkreis >Kaiser, Könige und Päpste des Mittelalters<. Ich habe mich in meinen Vorlesungen zwar bemüht, den anderen Seiten gleichfalls gerecht zu werden, auch den Plan hin- und hergewälzt, wie ich am besten eine große Zusammenfassung gestalten könnte- aber ich habe nur >Beiträge< zu ihr anzubieten, noch dazu solche, die bloß einen bestimmten Bereich behandeln. Ich bin mir also des fragmentarischen Charakters meiner Forschungen bewußt und mache mir den Satz zu eigen, den Leopold (von) Ranke I 8z 5 in ein Vorwort einfügte: »Man bemüht sich, man strebt, am Ende hat man's nicht erreicht« (Werke 33/34 S. VIII)- es handelt sich bei ihm allerdings um sein erstes, eine Reihe von 54 Bänden eröffnendes Buch. Je älter ich werde, nimmt sich daher rückschauend die Leistung L. RANKES, der in allen Zeiten von der Antike bis in die miterlebte Geschichte zu Hause und mit vielen Ländergeschichten eng vertraut war, immer großartiger aus. Aber den Abstand von ihm teile ich ja mehr oder minder mit allen aus meiner Generation. Der Leser lasse sich demnach durch Umfang und Inhalt dieser Sammlung nicht täuschen: sie ist das Dokument einer Zeit, in der die Kräfte der Gelehrten - gemessen an den großen Historikern des 19. Jahrhundert s- nur noch zu epigonalen Leistungen reichen. Meine Generation kann zu ihrer Entlastung das Argument geltend machen, 1
In den Dreißiger Jahren verfolgte ich den Plan, mit Hilfe meiner Schüler alle Länder des Abendlandes zu bearbeiten. Aber sie sind gefallen oder wurden mittlerweile durch andere Aufgaben in Anspruch genommen. Ich darf
nur noch hoffen, daß aus den von mir für Ungarn, Böhmen und Polen gesammelten Materialien einmal Bücher herauswachsen. Aber selbst dann wird der ja weiter ausgreifende Plan ein Torso bleiben.
IO
Vorwort
daß sie zweimal durch Kriege aus der Bahn geworfen wurde und zwischen ihnen eine Zeit erlebte, die das wissenschaftliche Arbeiten immer von neuem erschwerte - ganz zu schweigen von der Zunahme der amtlichen und pädagogischen Verpflichtungen. Den Anstoß zu dieser Sammlung gab Herr ANTON HrERSEMANN, der den von seinem Vater aufgebauten und zu großem Ansehen gebrachten Verlag infolge der Katastrophe nach Stuttgart verlegen mußte, aber es verstand, diesem das alte Ansehen zurückzugewinnen. Ja, mir scheint, daß >Anton Hiersemann, Stuttgart< dank der Energie und Sachkunde des Inhabers heute zu einem Begriff geworden ist, den die wissenschaftliche Welt noch besser kennt als vor 1 94 5. Ich bin dem Verlag zu Dank verpflichtet, weil er die drei Bände >Herrschaftszeichen und Staatssymbolik< und das Buch >Sphaira- Globus- Reichsapfel< druckte. Die Manuskripte fielen jedesmallänger als angekündigt aus, und bei der Fertigstellung ergaben sich manche Wünsche, vornehmlich solche, die auf eine noch stärkere Ausstattung mit Bildern abzielten. Herr A. HIERSEMANN, unterstützt durch seinen langjährigen Verlagsleiter, Herrn Dr. WrLHELM ÜLBRICH, hat das alles-ich darf sagen: >Ohne mit der Wimper zu zucken< - hingenommen, und so sind die vier Bände genau in der Form veröffentlicht worden, die ich mir wünschte. Aus der sachlichen Verbundenheit hat sich daher auch eine menschliche ergeben. Im Zuge unserer - auch nach Abschluß der Drucklegung nicht abgerissenen - Besprechungen überraschte mich Herr A. HrERSEMANN mit dem Vorschlag, er wolle meine - ja weit verstreuten - Aufsätze gesammelt herausgeben. Ich griff natürlich zu und habe ihm nun abermals zu danken: wiederum ging der Verlag auf alle meine Wünsche ein und fand sich auch damit ab, daß die Manuskripte länger auf sich warten ließen, als wir zunächst veranschlagten.
In dem Anhang, der den Band IV abschließen wird, ist - mit Anführung von Gründen- klargestellt, welche Aufsätze (bzw. Abschnitte von Aufsätzen) in diese Sammlung nicht aufgenommen worden sind. Aus meinen Rezensionen und Sammelberichten habe ich nur die Besprechungen wiederholt, die sich in den Rahmen dieser Bände einfügen und als noch nicht überholt angesehen werden dürften. Bei der Herrichtung dieser Bände tauchten- da ja auch Studien aus meinen früheren Dozentenjahren aufgenommen sind- vor meinem geistigen Auge die Männer auf, die als Lehrer, Anreger und Vorbilder auf meinen Lebensweg eingewirkt haben. Für einige von ihnen habe ich Nachrufe verfaßt; ich drucke sie am Schluß der Reihe als Zeichen meiner Dankbarkeit ab und würdige dort auch Weggenossen und Freunde, denen ich verpflichtet bin und bleibe. Dieser Abschnitt soll zugleich deutlich machen, wie sehr meine Forschungen, die dem einen oder anderen neuartig scheinen könnten, in der wissenschaftlichen Tradition verankert sind.
Vorwort
II
Ich war ferner darauf bedacht, die Druckanordnung und die Zitierweise zu normalisieren; aber ganz genau ließ sich das nicht durchführen. Die seither erschienene Literatur ist nach Möglichkeit angeführt und auch im Text berücksichtigt worden; aber auch das war nicht im vollen Umfang möglich. Denn das Schrifttum ist inzwischen so umfangreich geworden, daß kein Gelehrter sich heute auf allen Gebieten den vollen Überblick zu erhalten vermag. Doch nun genug der Entschuldigungen! Jeder tut, was er kann. Allen Verlegern, die sich mit dem Wiederabdruck einzelner Aufsätze in dieser Sammlung einverstanden erklärten, schulde ich Dank für ihr Entgegenkommen. Das Manuskript dieser und der folgenden Bände richtete für mich wiederum Frau GRETE GÄRNER Ct 1967) her, die mir durch lange Jahrzehnte ihre Hilfe geliehen hat: ihrer sei hier noch einmal in Dankbarkeit gedacht. Die Drucklegung überwachte Herr Dr. REIMAR FucHs (Verlag A. Hiersemann). Am Lesen der Korrekturen beteiligten sich mein Sohn Prof. Dr. GoTTFRIED ScHRAMM, mein Assistent Herr LuTz TRIPPLER und Herr Dr. phil. REINHARD ScHNEIDER (Berlin). Bei der Anfertigung des Registers unterstützte mich Herr cand. phil. Bono RASCH. Vor allem aber schulde ich Dank Prof. Dr. RErNHARD ELZE, der mir in manchen Einzelfragen seinen Rat lieh und die Korrekturfahnen nicht nur kontrollierte, sondern mit wichtigen Hinweisen versah: eine Hilfe, die um so mehr wiegt, weil der Freund sich mit ihr bereits bei den voraufgehenden Veröffentlichungen belud. Göttingen, rr.Januar 1968
PERCY ERNST SCHRAMM
Inhaltsverzeichnis Ein vorgesetztes Sternchen * bezeichnet bisher ungedruckte sowie noch nicht in deutscher Sprache bzw. im Ausland veröffentlichte Abschnitte; zwei Sternchen ** deuten an, daß der Text erweitert bzw. stark umgearbeitet wurde.
EINLEITUNG
* 1.
Zur wissenschaftlichen Terminologie: Vorschläge zu einer Bereinigung der >Zunftsprache< a) Die Aufgabe . . .
I9
b) Bedenkliche Begriffe 1. >Quelle<; 2. >Einfluß<; 3· >Symbol<
20
c) Ein empfehlenswerter Begriff: >Zeichen< .
22
d) Weitere Hilfsmittel des Mittelalters, benutzt im Bereich der Staatssymbolik . . . . 1. Topoi 24; 2. Formeln und Model 24; 3· Metaphern 24; 4· Politische Schauspiele 25; 5· Devotions-, Lob- und Ehrenwörter 25
24
e) >Denkmale< der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . ·. . . . . . . . .
26 26
f) Vorschläge zur Bezeichnung historischer Vorgänge . . . . . . . . . . . . . . >Renaissance<, >Nachleben< und >Erbe< der Antike, >Renovatio imperii Romani< und Karls d. Gr. >Correctio<
* z.
I9
Das Grundproblem dieser Sammlung: Die >Herrschaftszeichen<, die >Staatssymbolik< und die >Staatspräsentation< des Mittelalters
}0
Einleitung . . . . . . .
}0
a) Gesten der Untertanen
}2
b) Gesten der Herrscher .
}2
c) Dinge, die den Herrscher zu vertreten vermögen
J2
d) Bilder der Herrscher . . . . . . .
}4
e) Titel . . . . . . . . . . . . . .
}! }7
f) Namen sowie Lob- und Ehrenwörter
g) Herrschaftszeichen . .
j8
h) Salbung und Krönung
40 4I 4I 42 43
i) Krönungseid . . . . . k) Laudes . . . . . . . 1) Die Grenze zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt m) Die Staatspräsentation . . . . . . . . . . . • . . .
Inhaltsverzeichnis
13
Schluß . . • • . . . . . . . . . . . . . . . . Verweise auf die wichtigste Literatur
.................... .
Zur Einleitung 46; Abschnitt a-b 47; Abschnitt c 48; Abschnitt d-e 49; Abschnitt f JJ; Abschnitt g JJ; Abschnitt h J6; Abschnitt i 11; Abschnitt k 11; Abschnitt 1-m J8; Schluß J8
ABTEILUNG A: VON DER SPATANTIKE BIS ZUM ENDE DER MEROWINGER (751) I.
Von der Spätantike: einerseits bis zum Ende des Byzantinischen Reiches, andererseits bis zur fränkischen Zeit (Übersicht über die Buchbesprechungen des Verfassers zu diesem Doppelthema) a) Das sakrale Herrscherturn . . . . . . . . . . b) Die östliche Welt. . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines 62; 2. Byzantinische Geschichte 62; 3· Das Lateinische Kaisertum 6J; 4· Die spätbyzantinische Geschichte 6J; 5· Byzanz und seine Nachbarn [a) Die Hunnen; b) Der turk-ungarische Raum] 6J; 6. Byzantinische Bildungsgeschichte 63; 7· Spätantike, orientalische und byzantinische Kunstgeschichte 6J; 8. Urkunden der byzantinischen Kaiser 64 c) Der Okzident . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die germanischen Stämme und ihr Glauben (besonders: die Angelsachsen) 64; 2. Der neue Glaube und die Kirche 6J; 3· Die Anfänge neuer Ordnung 6J
* z. ** 3·
6r
6I 62
64
Anlage: Besprechung von P. H. FEIST >Untersuchungen zur Bedeutung orientalischer Einflüsse auf die Kunst des frühen Mittelalters< . . . . . . . . . . . . . . .
6J
>Mythos< des Königtums? Eine Einführung in das Problem: Monarchie in Europa (Vortrag) . . • . . . . . . • . . . . . . . . . . . . .
68
>Mitherrschaft im Himmel<: Ein Topos des Herrscherkults in christlicher Einkleidung (vom 4· Jahrhundert an festgehalten bis in das frühe Mittel~~
......
n
a) Karolingische Zeit .
Sr
b) Sächsisch-Salische Zeit
Sj
4· Gregor d. Gr. und Bonifaz . . A Papst Gregor der Große (um 54o--6o4) (Beitrag zu einem Sammelwerk) B
*C
Der Heilige Bonifaz (672/3-754) (Buchbesprechungen) Der Heilige Bonifaz
~s
Mensch . . . . . . . • . .
a) Die erste Hälfte des Lebens, geborgen im Kloster: Lernen, Lehren, Schreiben .
86
90
93 9J
Inhaltsverzeichnis
14
b) Die zweite Hälfte des Lebens, unbehaust, schutzlos, schließlich ermordet; von Angsten und Skrupeln gequält, trotzdem: Baumeister der Zukunft . . . . . . . . I 0J I. Bonifaz der Christ IOJ; 2. Das Recht und der Papst in der Denkwelt des hl. Bonifaz IIJ c) Schluß • . . . . . . . . . . . . • • . . . • . . . . . . . . . . . . . . IIS
5. Der >Traktat über romanisch-fränkisches Ämterwesen<. Ein Text des 7· Jahrhunderts, betrachtet im Rahmen frühmittelalterlicher Aufzeichnungen über den >Staat<, und seine Geistesverwandten aus den folgenden Jahrhunderten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I2o
a) Ein Rundblick auf die literarischen Genera, die sich Init dem Problem >Staat< befaßten I 2 0 ** b) Der >Traktat über romanisch-fränkisches Amterwesen<
. . . . . . . . . . . . I 22
c) Verwandte Texte aus dem 8. und 9· Jahrhundert: Paulus Diaconus und Walahfrid Strabo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I27 d) Die ältere und jüngere Liste der römischen Pfalzrichter (9. oder I. Hälfte des I I . Jahrhunderts) . . .
10.
Jahrhundert und
IJO I
44
Das Versprechen Pippins und Karls des Großen für die Römische Kirche (754 und 774) · . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I
49
a) Die bisherigen Auffassungen . .
I
49
b) Die Promissio im Kaiserordo I .
I
JJ
e) Die Kardinalsliste (12. Jahrhundert)
ABTEILUNG B: DIE ZEIT KARLS DES GROSSEN (751-814)
** I.
c) Vergleich mit einer Eidformel des Winfrid (St. Bonifaz)
IJl
d) Wandlungen des Begriffes >Protector< . . . .
I62
e) Die Datierung der Promissio im Kaiserordo I
I67
f) Die Proinissio Pippins (754)
I70
g) Das Ergebnis . . . . . .
174
*Anhang I: Ging Pippin im Jahre 754 eine Schwurfreundschaft nach merowingischer Artein? (StellungnahmezuWolfgangFritze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . I76 Anhang TI: Der Krönungseid: zunächst >proinissio<, dann >iuramentum< (Buchbesprechungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I79 Anhang III: Die weitere Verwendung des >Protector<-Begriffes und seiner Verwandten . a) In Deutschland (bis zum
12.
Jahrhundert) . . . . . .
* b) In England und in den Vereinigten Staaten (bis heute).
I
84
Inhaltsverzeichnis 2.
** A
KARL DER GROSSE (768-8!4) . . . . . .
I9J
Karl der Große als König (768-8oo) im Lichte der Staatssymbolik
I9J
a) Der Regierungsantritt (768)- >Dei gratia<- Übernahme des Gesamtreiches (771)
I94
b) König der Langobarden- Unterkönige-Unte rtaneneid .
200
c) Patricius Romanorum und Proteetor s. Romanae ecclesiae
204
d) Pfalz und Münster in Aachen- Steinthron und Davidsname
206
e) Rex imperatoris similis . . . . . . .
2I 2
Anlage: Zu Kar! dem Großen und David.
2I4
** B. Die Anerkennung Karls des Großen als Kaiser (bis 8oo). Ein Kapitel aus der Geschichte der mittelalterlichen >Staatssymbolik < . . . . . . . . . Zur Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2I
J
2If
a) Die Vorrechte des Kaisers in Rom (bis zum Jahre 8oo) 220 1.Die Datierung nach dem Kaiser 223; z. Das Prägen der Kaisermünzen 22;; 3· Kaiserbilder in den Kirchen 230; 4· Prozession, Akklamation, Kirchengebet, Laudes 234; 5· Das >Vexillum Romanae urbis< 239; 6. Die Kaisertracht 242
** C
b) Papst und König in ihrer Stellung zum Kaisertum (bis 8oo)
2 46
c) Die Anerkennung Karls als Kaiser . . . . . . . . . .
2f
f
Karl der Große als Kaiser (8oo-8 14) im Lichte der Staatssymbolik . . . . 264 a) Leos III. und Karls Einstellung zum >nomen imperatoris<. Karls Grundauffassung
264
b) Karls Kaisertitel: sein Sinn und seine Varianten. . . . . . . . . . . . . . . . 268 c) Neue Datierung und Invokation- Kaiserbulle- Legimus- Kaiserdenare-Adl er . 273 d) Kaiser Kar! und seine Untertanen: Neue Vereidigung- Kapitularien und Gesetze
284
e) Der abendländische und der byzantinische Kaisertitel .
290
f) Die Erheb~g des einzigen Sohnes zum Mitkaiser (813)
296
* Anlage: Stellungnahme zu J. DEER >Die Vorrechte des Kaisers in Rom<
** D
Karl der Große: Denkart und Grundauffassun gen. Die von ihm bewirkte >Correctio< (nicht >Renaissance<) a) Kar!
~Is
JOO
}02
König .
JOJ
b) Kar! als Christ .
J08
c) Die Bedeutung von Zahl und Winkel für Karls Denkart .
JII
Inhaltsverzeichnis d) Die Rolle des >richtigen< Wortes und des >wahren< Bildes in Karls Denkart.
327
e) Die von Karl bewirkte >Correctio< (nicht >Renaissance<) . . . . . . . . .
336 339
f) Karl als Gestalt der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anhang I. >Kar! der Große oder Charlemagne
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen Tafelanhang (Abbildungen 1-15) . Register
34! 341
3!7 36I 373
EINLEIT UNG
I
Zur wissenschaftlichen Terminologie: Vorschläge zu einer Überprüfung der >Zunftsprache< * a) Die Aufgabe In der Geschichte der Sprache ringen ständig zwei sich widersprechende Tendenzen miteinander: Trägheit und neues Greifen. Neue Wörter und Wendungen werden gefunden, Begriffe werden eingeführt, mit denen sich besser als bisher fassen läßt, was mit der Sprache >dingfest< zu machen ist. Sie bürgern sich ein, werden Allerwehsgut und sind über kurz oder lang durch zu häufigen Gebrauch so abgeschliffen, daß sie nichts Festes mehr bezeichnen: >man< benutzt sie, ohne sich viel dabei zu denken. Dann kommen Neuerer, die an die Stelle der abgenutzten Wörter prägnantere setzen, die Begriffe verfeinern und auf diese Weise die Sprache wieder zu dem machen, was sie sein soll: ein exaktes Greifwerkzeug. Die Frage ist, wann auch ihre Neuerungen der Trägheit der Sprechenden und Schreibenden zum Opfer fallen. Das gilt im besonderen für die wissenschaftliche Fachsprache. Man nehme als Beispiel den von der Romantik aufgebrachten, nicht nur für die Geschichtsforschung, sondern auch für die Rechts-, Religions- und Literaturgeschichte wichtig gewordenen Begriff >Volksgeist<, der ein ganz neues Begreifen von meist bereits bekannten Tatsachen ermöglichte. Aber er schliff sich ab wie eine Münze, die durch viele Hände geht; der Positivismus nahm ihn unter die Lupe sachlicher Kritik, und daher war er bereits vor 1933 in Mißkredit gekommen; heute wird jeder das Wort >Volksgeist< vermeiden, da schreckliche Folgerungen aus ihm gezogen werden konnten. Es gibt noch viele andere Wörter und Begriffe, die von den Historikern benutzt werden, weil es nun einmal üblich ist, weil sie zum wissenschaftlichen >Jargon< gehören. Solcher sprachlicher >Schlendrian< ist jedoch gefährlich für die Forschung; denn was nützt die Erschließung neuer Gebiete, das Aufwerfen neuer Fragen, wenn nicht eine Fachsprache benutzt wird, die imstande ist, das Behandelte exakt zu greifen?1
*
Ungedruckt. r Dieser Sachverhalt trat in einer mich erschreckenden Weise vor meine Augen, als ich das Korreferat zu der von WALTER BussMANN meiner Fakultät eingereichten Habilitationsschrift, die in Treitschkes Begriffsapparat
•*
viele Blößen aufdeckte, zu erstatten hatte (gedruckt: Treitschke, sein Welt- und Geschichtsbild, Göttingen 1952; Göttinger Bausteine zur Gesch.wiss. Heft 3-4; 479 S.). Vgl. hier bes. S. 153 ff. über: Herkunft und Wandlung des Begriffs >Volksgeist<.
20
Einleitung:
I.
Zur wissenschaftlichen Terminologie
Ein Historiker, der nicht darauf erpicht ist, seine Sprache zu überwachen und zu verfeinern, gleicht einem Goldschmied, der mit beschlagener Brille und zu plumpen, mittlerweile veralteten, womöglich verrosteten Werkzeugen an eine Arbeit geht, die sich nur unter der Lupe mit eigens ersonnenen Zangen und Pinzetten durchführen ließe. Die Gefahr ist deshalb so groß, weil mit den nicht mehr zeitgemäßen Wörtern und Begriffen Gedankenassoziationen verbunden bleiben, die in die Irre leiten oder was ebenso schlimm ist - gar nicht mehr gespürt werden, weil der Benutzer sich selbst nicht mehr viel bei dem von ihm benutzten Wortschatz denkt. Wie bedenkenlos werden in der Alltagssprache Begriffe wie >Idee<, >Werden<, >Fortschritt< verwandt, obwohl an ihnen noch immer etwas von ihrer Geschichte hängt! In meinen Büchern und Aufsätzen habe ich mich wiederholt gegen den Gebrauch bestimmter Wörter und Begriffe gewandt, die nach meiner Meinung irreführend sind; für sie habe ich andere vorgeschlagen, die dem Erfordernis besser entsprechen. Ferner habe ich gewisse Bezeichnungen von historischen Vorgängen als verfehlt bezeichnet und angeregt, sie durch andere, genau zutreffende zu ersetzen. Da diese Ausführungen weit verstreut sind, sei es erlaubt, das Wichtigste aus ihnen hier zusammenzufassen. Auf diese Weise ist dann auch der von mir in dieser Sammlung befolgte Sprachbrauch motiviert.
b) Bedenkliche Begriffe 1. In der Fachsprache stoße ich mich seit langem an der Bezeichnung >historische Quelle<. Er ist so eingebürgert, daß ihr metaphorischer Charakter gar nicht mehr empfunden wird: man spricht davon, daß es einem Forscher gelungen sei, eine Quelle in zwei Teile zu >Zerlegen< oder daß sie auf Grund neuer Feststellungen aus dem 9· in das Io. Jahrhundert zu >verschieben< sei. Ich benutzte statt dessen das nicht bildbeladene, deshalb leicht zu handhabende Wort >Zeugnis<, was mir die Möglichkeit eröffnet, einerseits von >Wortzeugnissen<, andererseits von >Bildzeugnissen< zu sprechen. Das führt zu dem Nebengewinn, daß diese bisher vernachlässigte Art von >Quellen< in unserer Forschung den ihr angemessenen Platz erhält. Auch bietet sich die Möglichkeit, analog von >Fundzeugnissen<, >Ausgrabungszeugnissen<, >Zeugnissen der bildenden Kunst< usw. zu sprechen. 2. Womöglich noch länger stoße ich mich an dem Ausdruck >Einfluß<, der in Chemie und Medizin Vorgänge richtig bezeichnet, aber - auf den geistigen Bereich angewandt - in ihn allzu leicht mechanische Vorstellungen hineinträgt, vor allem die Tatsache zudeckt, daß es sich bei Entlehnungen ja immer um einen Vorgang handelt, bei dem der >Beeinfiußte< eine aktive Rolle übernimmt, indem er das eine ablehnt, das andere aufgreift und dieses dann noch so umgestaltet oder umdenkt, daß es in
Bedenkliche Begriffe
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seine Welt paßt. Ich ziehe deshalb eine Aufzeichnun g wieder hervor, die ich in den Jahren des Nationalsozialismus niederschrieb, angetrieben durch die verheerende Wirkung dieses Ausdrucks in der von der Partei geförderten Literatur (>Einfluß<: eine irreführende Metapher) und nehme sie in den IV. Band auf. Ich kann mich hier deshalb mit diesem Verweis begnügen. (Dort auch Vorschläge, wie das Wort >Einfluß< ersetzt werden kann). 3· Ein Wort, das ich sowohl in meinen Arbeiten als auch in denen meiner Schüler völlig ausgemerzt habe, ist: Symbol2• Denn dieses ursprünglich tiefsinnige, von erhabenen Geistern mit eigenem Inhalt erfüllte und dadurch zu neuem Leben erweckte Wort3 ist durch dreisten und leichtfertigen Gebrauch so herabgewürd igt, daß man heute alles und nichts darunter begreifen kann. Für zulässig halte ich das mißhandelte Wort >Symbol< nur, wenn es durch ein Vor-Wort so spezifiziert ist, daß Mißverständn isse nicht möglich sind: wer von >Rechtssymbolik< spricht, kann voraussetzen, daß Hörer und Leser genau wissen, was gemeint ist4. Deshalb halte ich auch das Wort >Staatssymbolik< für berechtigt, ja sogar für geeignet, um einen - an sich sehr bunt zusammengesetzten - Inhalt zusammenzuschließen. Im folgenden Abschnitt ist dargelegt, was ich unter dieser Bezeichnung zusammengefaßt sehen möchte. Dort ist auch das Erforderliche über den ergänzenden Begriff >Staatspräsentation< gesagt . .Bei solchem Sprachbrauch ist eine klare Grenze gezogen gegenüber den Personifikationen einerseits, den allegorischen Deutungen andererseits, die vielfach in den Bereich der >Symbolik< einbezogen werden, obwohl sie von ganz anderer Art sind. Ich vermerke hier nur das Notwendigste, da in Bd. IV meine Einleitung zu der von mir angeregten Dissertation von BERENT ScHWINEKÖPER: >Der Handschuh im Recht, Ämterwesen, Brauch und Volksglaube< wieder abgedruckt werden soll (Berlin I 93 8; Neue Deutsche Forschungen, Abt. Mittelalter, Bd. 3): >Die Erforschung der mittelalterlichen Symbole, Wege und Methoden<. Hier habe ich mich zum erstenmal gegen die Verwendung des Symbolbegriffs gewandt und eine Trennungslinie gegenüber Personifikation en und Allegorese gezogen. 3 Vgl. das Goethe-Wort, das ich dem Bd. I der >Herrschaftszeichen< vorausstellte: »Das Symbol ist die Sache, ohne die Sache zu sein, und doch die Sache, ein im geistigen Spiegel zusammengezogenes Bild und doch mit dem 2
Gegenstand identisch« (Weimarer Ausgabe, I. Reihe 49, I S. 14If.). 4 Für die kultisch-magis cheFrühzeitder Rechtssymbolik habe ich empfohlen, von >Ding< (z. B. Holzspan) und >Gerät< (z. B. Schwert, Topf) zu sprechen und die Prinzipien zu sondern, die in ihr wirksam waren: Teil für das Ganze (z. B. der Holzspan für die Tür des übergebenen Hauses), Glied für das Ganze (z. B. die Hand bzw. der Handschuh für den Menschen), Zubehör des Besitzers (z. B. Ring oder Kleider des Besitzers), Abbild für den Dargestellten (Münz- und Siegelbild für den König, Schandmal für den Verbrecher). Wie sich aus >Ding< und >Gerät< Rechtszeichen (s. den folgenden Abschnitt) gebildet haben, ist ein anziehendes, meist jedoch schwer erheilbares Problem.
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Einleitung: r. Zur wissenschaftlichen Terminologie
Die Personifikationen, den Götterbildern ähnlich, stammen aus der Antike und sind vom Mittelalter nicht nur übernommen, sondern auch noch durch Neuschöpfungen von verwandter Art vermehrt worden; das Zeitalter des Barocks bediente sich ihrer in vielfacher Weise; einzelnen (z. B. der Justitia mit Waage und verbundenen Augen) kann man noch heute begegnen. Die Allegorese5, zuerst erprobt am Texte des Homer, wurde von den Kirchenvätern auf die Bibel übertragen, um das Alte und Neue Testament in Einklang zu bringen und aus dem geoffenbarten Text die verhüllten Geheimnisse, die man in ihm vermutete, hervorzukehren. Die mittelalterliche Kirche hat diese Tradition nicht nur fortgesetzt, sondern auch ausgebaut; ja, sie war darauf bedacht, in ihren Bauten, liturgischen Geräten und priesterlichen Gewändern solchen geheimen, aber dem Kundigen erkennbaren Sinn einzuschließen. Im mittelalterlichen Herrscherkult haben Personifikationen ihre Rolle gespielt, und allegorische Deutungen haben in der Staatssymbolik Bedeutung gewonnen. Aber diese sachliche Verschränkung der Bereiche darf nicht dazu verführen, alles unter dem schwammig gewordenen Begriff >Symbolik< zusammenzufassen.
c) Ein empfehlenswerter Begriff: >Zeichen< Von Einspruch und Warnung komme ich zu positiven Vorschlägen: In den hier vereinigten Aufsätzen wird der Leser nie das abgegriffene Fremdwort >Insignien< verwandt finden. An seine Stelle ist überall das Wort >Herrschajtszeichen< gesetzts; denn in ihm kommt deren Funktion sinnfällig zum Ausdruck: sie machten deutlich, daß der ein Kaiser, der ein König, der ein Herzog, Fürst oder Graf war. Handelt es sich um den Richter, den Boten, den Frohnvogt usw., ergibt sich die Bezeichnung >Amtszeichen<. Ist der Träger nicht genau zu definieren, benütze man das- wohl von A. HAUCK aufgebrachte- Wort: >Würdezeichen<; es hat vor allem in der V orgeschichte7 seinen Platz, in der sich oft nicht entscheiden läßt, ob das Fundstück für einen Mann oder eine Frau, für einen Hochstehenden oder den Höchststehenden angefertigt wurde. Was mit Standes- und Rangzeichen gemeint ist, braucht nicht erläutert zu werden. Bei den Rechtszeichen (z. B. dem Handschuh und dem Schwert des Scharfrichters) ist zu vermerken, daß die Grenze zwischen Amts- und Rechtszeichen sich nicht scharf ziehen läßts. 5 V gl. dazu in Bd. IV: Die Rolle der Allegorese im Ma. und ihre geistesgeschichtliche Funktion (1933; bisher ungedruckt). 6 So bereits in der eben vermerkten Einleitung, die auch zu dem Folgenden heranzuziehen ist. 7 Über >Heilszeichen< und >Heilsbild< in vorgeschichtlicher Zeit (diesen Begriff prägte und
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definierte 1941 H. ZErss) vgl. J. WERNER, Das Aufkommen von Bild und Schrift in Nordeuropa, München 1966 (Sitzungsberichte der Bayer. Akad. der Wiss., Phil.-Hist. Kl. 1966 Heft4). Vgl. dazu oben Anm. 2.
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>Zeichen<
Daß das Wort >Zeichen< für unsere Zwecke geeignet ist, weil es das Wesentliche hervorhebt, werden die folgenden Aufsätze beweisen. Hier ist zu vermerken, daß die >Herrschaftszeichen< durch ihr Grundwort in den weiten Bereich eingegliedert sind, in dem sie gesehen werden müssen. Denn das Mittelalter ist ja allgemein durch das Bestreben gekennzeichnet, das Unsichtbare sichtbar zu machen; andererseits war es darauf bedacht, das Sicht- und Greifbare so zu gestalten, daß ein tieferer Sinn hineingelegt werden konnte. Man dürfte daher das Mittelalter geradezu das >Zeitalter der Zeichen< nennen und als ein Symptom für dessen Ende ansehen, daß die Zeichen ihre Bedeutung verlieren. Nicht zu wiederholen brauche ich hier, was in den drei Bänden der >Herrschaftszeichen< an sonstigen >Zeichen< in die Betrachtung einbezogen wurde. Nur die Nomenclatur, die sich ergab, ist hier anzuführen:
Abzeichen (Besitz-, Urheber-, Pilger-, Waren-, Schandzeichen)9, Sinnzeichen (Cognizances, lmpresen, Emblemata, Signete)1°. In meinem Buch über den Reichsapfel ergab sich zu >Sinnzeichen< der korrespondierende Begriff >Sinnbild<11• Dort werden ferner Handels-, Wahr- und Kennzeichen behandelt12. Das Wort >Zeichen< mit seinen vielen- hier noch gar nicht vollständig aufgezählten-Abwandlungsmöglichkeite n gleicht also einem Werkzeug, dessen Wirksamkeit durch das Einschrauben von Zusatzteilen sich so abändern läßt, daß jeweils der ge~ünschte Effekt erzielt werden kann; mit dem richtigen Vor-Wort versehen, wird sich >Zeichen< als ein allgemein nützliches Sprachwerkzeug von analoger Greiffähigkeit erweisen. Noch viel ist zu tun, um die Einzelheiten zu klären; noch schwerer wird es sein, die Ergebnisse zusammenzufassen. Das Endziel muß ein Buch sein über die >Zeichensprache des Mittelalters<; aber es wird umfangreich ausfallen, da es so ziemlich alle Bereiche des Lebens einzuschließen haben wird. Im Rahmen dieser Aufsatzsammlung ist von Wichtigkeit die - in ihr wiederholt zur Sprache kommende, dem uralten Prinzip: parspro toto entsprechende- Anführung einzelner Herrschaftszeichen für das ganze, vom Träger desselben beherrschte Land. Das gilt in besonderem Maße für corona, aber auch für sceptrum (bzw. sceptra). In Deutschland ist auch thronus in diesem Sinne verw:wdt worden; ob dieses Vorbild nachgeahmt wurde, bleibt noch zu klären; die Formel: der >Heilige Stuhl< hat eine eigene, weit zurückreichende Geschichte.
9 Herrschaftszeichen III S. 977 ff. Ebd. s. 974ff.
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Sphaira-Globus-Reichsapfel S. 163ff. Ebd. s. I]2ff.
Einleitung: r. Zur wissenschaftlichen Terminologie
d) Weitere Hilfsmittel des Mittelalters, benutzt im Bereich der Staatssymbolik Welche >Hilfsmittel< wurden dem Mittelalter sonst noch von Sprache und Kunst angeboten, um das Problem >Staat< zu fassen? 1. Topoi. ERNST RoBERT CuRnus hat in seinem Buch >Europäische Literatur und lateinisches 1-littelalter< (Bern 1948, inzwischen neuaufgelegt) gezeigt, welche große Rolle das Tradieren fester Topoi im literarischen Bereich gehabt hat: vieles, was individuell wirkt, erweist sich - wenn ein Kenner sich der Materie annimmt - als altes, kaum varüertes Überlieferungsgut. Da wir es im politischen Bereich gleichfalls mit vielen Topoi zu tun haben, ist zu wünschen, daß deren Geschichte geklärt wird, damit sich das Überkommene, das Abgewandel te und das tatsächlich Neue schärfer voneinander sondern lassen13• 2. Wir brauchen zusätzlich noch die Bezeichnung en: >Formeln< und >Model<. In der Einleitung zu meinem Buch über die >Herrschaftszeichen< habe ich ausgeführt14: »Wie die Literatur ihre Topoi, so tradiert die bildende Kunst ihre Schemata, die irgendeinmal erfunden worden sind und nun weitergereicht werden, weil sie überzeugend wirken. Mag ein Haus, ein Turm, eine Brücke so oder so aussehen, es genügt für den Betrachter, wenn das Bild sie chiffrenmäßig als >Haus< usw. wiedergibt. Mag ein König jagen, sich beraten, tafeln, schlafen - er trägt eine Krone, da er >König< ist.« Man muß also die traditionellen Bildschemata kennen, wenn man Bilder als Zeugnisse auswerten will. Ich regte deshalb an, einerseits die Ausdrücke >Devotions-< und >Mqjestätsformeln< zu verwenden, andererseits von >Bi!dmodeln< zu sprechen, wenn es sich um feste Formeln handelt, »die- ohne Rücksicht darauf, ob sie der Wirklichkeit entsprachen - weitergegeben werden, weil sie dem Inhalt nach noch immer als passend empfunden v;rurden15«. ;. Eine eigene Art von >Greifwerkzeugen< bilden die Metaphern16 • Ich verweise hier auf den- im nächsten Abschnitt erörterten- Vergleich des >Staates< mit dem Schiff, 13 Einen Beitrag zu diesem Forschungsbereich imAufsatz(unte n S. 79ff.), derdieAuswirk ung einer paulinischen Wendung (Tim. 2, 12) verfolgt: >Mitherrschaft im Himmel<, ein Topos des Herrscherkults in christlicher Einkleidung (vom 4· Jahrhundert an festgehalten bis in das frühe Mittelalter). 14 Bd. I, Stuttgart 1954, S. 15 ff. 15 Ebd., S. 18. Ich schließe mich hier an A:IJY WARBURG an, der die Rückgriffe der Renaissance auf die antiken Darstellungen gesteigerter Effekte studierte und in diesem Zusammenhang den Ausdruck >Pathosformel< prägte. 16 Nur anmerkungsweise sei darauf hingewie-
sen, daß auch der moderne Historiker sich immer wieder prüfen sollte, ob die von ihm verwandten Metaphern der Sacheangemessen sind. Nur ein Beispiel sei angeführt: Ich stoße mich immer wieder daran, wenn Gelehrten, die eine neue These vorbringen, eine >mutige< Haltung nachgerühmt und ihre Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen als ein >Kampf< dargestellt wird. Nach zwei Kriegen wissen wir, wie es mit dem Mut jener, die an der Front eingesetzt waren, beschaffen ist, kennen wir die Natur des Kampfes; wir haben auch erfahren, wieviel Mut von den Männem und Frauen des Widerstandes -
Topoi, Model, Metaphern usw.
des Herrschers mit dem Steuermann, den laut Wipo Kaiser Konrad II. gezogen hat. Für den >Staat< ist diese Metapher nicht festgehalten worden; dagegen wurde sie für die Kirche vielfach benutzt. Es wäre eine lohnende Aufgabe, die Rolle der Metapher im Mittelalter nicht nur im staatlichen Bereich, sondern ganz allgemein zu untersuchen. Dem zu erhoffenden Buche über die >Zeichensprache des Mittelalters< mit der Grundformel >Zeichen für ... <, müßte ein zweites Werk über die Vergleiche des Mittelalters gegenübergestellt werden, dessen Grundformel zu lauten hätte: >Gleich oder ähnlich wie ... <. 4· Der im geschriebenen Text verwandten Metapher entspricht im Geschehen das mit Augen und Ohren wahrzunehmende >politische Schauspiel<. Im folgenden Abschnitt wird zu vermerken und später gerrauer auszuführen sein, wie im Jahre 936 bei der Krönung Ottos I. zum König in Aachen die Herzöge agierten, >als wenn< sie Hofbeamte eines senior seien, also den Verstehenden sinnfällig >vorspielten<, daß der königliche Hof- nur in den Maßen viel größer - der curia eines großen Herrn, eines dominus, entspreche. Man könnte daher auch - an die Terminologie der Bibelallegorese anknüpfend - von einer >anagogischen Manifestation< sprechen. Es gibt noch mehr Akte dieser Art17 ; aber vom hohen Mittelalter an verlieren sie ihre hintergründige Art: sie werden zur reinen >Staatspräsentation<. Was dieser bereits angeführte Terminus bezeichnen will, wird der folgende Abschnitt klären; Material zur Geschichte der >Staatspräsentation< wird ein späterer Band bringen. '5· In bezug auf >Devotionswiirter<16 , >Lobwb'rter<19 und >Ehrenwörter< kann ich mich hier gleichfalls kurz fassen, da im folgenden Abschnitt geklärt wird, was mit diesen Bezeichnungen gemeint sein soll2 o. Es genügt daher, sie hier unter den Begriffen aufzuzählen, deren Gebrauch sich empfiehlt; nur ist zu vermerken, daß neben solchen >Devotionswörtern< wie munus divinum die mit Dei gratia zusammenhängenden, vielfach abgewandelten Wendungen so oft und stereotyp gebraucht worden sind, daß man ein Recht hat, von >Devotionsformeln< zu sprechen. insofern hinter den Opfern der Inquisition nicht zurückstehend - aufgebracht worden ist, und wollen deshalb solche Bewährungen nicht dadurch verkleinert sehen, daß wissenschaftliche Fehden mit ihnen in Parallele gestellt werden. Wenn Denker und Dichter wie Giordano Bruno ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, gebührt ihnen selbstverständlich das Attribut >mutig<; wo höchstens die wissenschaftliche Geltung auf dem Spiele steht, begnüge man sich, die Kühnheit der neuen Gedanken, die Unerschrockenheit des Vergehens, die Beharrlichkeit bei der Ver-
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teidigung der eigenen Anschauungen zu rühmen, spreche man von >Auseinandersetzungen<, vom >geistigen Ringen< mit den Gegnern, aber nicht von >Kampf<. Vgl. P. E. S., Sphaira-Globus-Reichsapfel, Stuttgart 1958 S. 68ff., wo auf verwandte >mystagogische< Schauspiele der Byzantiner hingewiesen wird. V gl. auch Band II über >munus<. V gl. Band II über: decus imperii, Band III über: spes imperii. Die karolingischen Ehrenwörter zähle ich auf in Band II (Titel der Karolinger).
Einleitung: r. Zur wissenschaftlichen Terminologie
Nach Würdigung des gesprochenen oder geschriebenen Wortes lenken wir das Augenmer k des Lesers zurück zum Bereich der Kunst, der bereits kurz zur Sprache gekommen ist. Hier handelt es sich jetzt darum, das Wort >Denkmal< wieder in unserer Sprache heimisch zu machen.
e) >Denkmale< der Vergangenheit Die Humaniste n nannten das, was sich aus der Vergangenheit erhalten hatte, antiquitates, und daher trägt auch noch eine Abteilung der >Monumenta Germaniae Historica< diesen Namen. Er war so unbestimm t, daß in dieser- gelegentlich einmal als >Rumpelkammer< bezeichne ten- Sektion das untergebra cht wurde, was sich nicht in die übrigen Abteilunge n einfügte. Dieser Sprachbrauch ist bis heute unbefriedigend geblieben. In ERNST BERNHEIMS >Lehrbuch der historischen Methode<, dessen Inhalt sich in meiner Jugend jeder Student der Geschichte einverleiben mußte, gab es neben den >Quellen< und den >Darstellungen< noch eine dritte Gruppe: die >Überreste<. In ihnen war vom Thron bis zu frühgeschichtlichen Pflügen und Töpfen alles vereinigt, was dem >Zahn der Zeit< nicht zum Opfer gefallen war. Mit dieser Bezeichnung ließ sich in dem Bereich, der mich anzog, selbstverständlich nicht arbeiten. Ich machte mich auf die Suche nach einem treffenden Wort für alle die Dinge, die einmal zum Herrscher gehört oder sonstwie zu ihm in Beziehung gestanden haben, und stieß dabei auf das seit einigen Generation en in Vergessenheit geratene, aber durch eine ansehnliche Geschichte ausgezeichnete Wort: >Denkmal<21• An Beispielen aus dem alten Sprachbrauch ließ sich zeigen, daß es bei ihm weder auf Form noch auf Größe oder Wert ankommt, sondern nur darauf, daß ein solches >Denk-Mal< an den einstigen Besitzer und die Welt, in der er lebte, denken läßt. Einem Buch, das alle Dinge, die mit den einst in Deutschlan d Regierenden zusammenhängen, in Abbildungen vorführt- über zoo Herrschaftszeichen, Manuskripte, Elfenbeinschnitzereien, Gewänder usw. aus sehr verschiedenen Werkstoffen und von unterschiedlicher Qualität-, gab ich daher den Titel: >Die Denkmale der deutschen Könige und Kaiser<22 und hoffe nun, daß das gute, alte Wort sich von neuem durchsetzt.
f) Vorschläge zur Bezeichnung historischer Vorgänge Das Musterbeispiel für eine- den Zeitgenossen noch nicht geläufige, von einem hellsichtigen Forscher gefundene und dann allgemein angenommene - Benennung einer 21
Sie sind zu scheiden von den >Denkmälern< (monumenta}, die in der Antike errichtet und vom 14. Jahrhundert an so zur Mode wurden, daß heute fast jedes Dorf sein >Denkmal<
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hat. Mit ihnen haben wir es hier nicht zu tun. Herausgegeben mitFLORENTINEMÜTHERICH, München 1963.
>Denkmale< - >Renaissance<
Zeit, die ihren Sinn trifft, ist der >Name<: Renaissance, der zwar schon vorgeformt war, als }ACOB BuRCKHARDT ihn sich zu eigen machte (daher das französische statt des italienischen Wortes), aber erst durch ihn zu einem festen historischen Begriff geworden ist. Aber die fortschreitende Forschung hat den glücklich geprägten Eigennamen: >Renaissance< wieder verwässert. Man sprach von Früh- oder Protorenaissance. CH. H. HASKINS brachte den Ausdruck >Renaissance of the XII. Century< in Umlauf, und man gewöhnte sich daran, auch von einer >karolingischen Renaissance< zu sprechen, sah womöglich bereits in den - um 5oo wirksamen - Bestrebungen, für die klassische Literatur die reine Form zurückzugewinnen, eine Frühform der >Renaissance<. So gesehen, nahm sich die Geschichte von der Antike zur Neuzeit schließlich aus wie eine Folge von Renaissancen, deren Auswirkung von Mal zu Mal stärker wurde, so daß es deshalb an der Schwelle unseres Zeitalters zu dem von JACOB BuRCKHARDT >Renaissance< benannten Vorgang kam, der zu vollem Siege gelangen konnte. Ein solcher Aspekt, der der mittelalterlichen Geschichte eine gar nicht bestehende Zielstrebigkeit oktroyierte, war nur möglich, wenn man sich gefangen nehmen ließ durch die Begriffe >Nachleben der Antike< und >Erbe der Antike<. Daß es sich in beiden Fällen um schiefe Formulierungen handelt, die den tatsächlichen Sachverhalt nicht zu fassen vermögen, wird in Band IV dargelegt23 • Dort ist auch- ausgehend vom Problemkreis >Sphaira-Globus-Reichsapfel< und anknüpfend an den Dialog des Nicolaus Cusanus über den >Iudus globi< - das Wort >Spiel< herangezogen, um das Verhalten des Mittelalters gegenüber dem, was es von der Antike übernahm, zu kennzeichnen: mit Verständnis sich einfühlend, eigenwillig das Entlehnte fortbildend, oftmals dieses geradezu mißverstehend oder willkürlich, doch an >Spielregeln< gebunden. In die offenkundige Begriffsverwirrung, die durch die übermäßige Dehnung des >Renaissance<-Begriffs entstanden ist, habe ich versucht, wieder Übersichtlichkeit hineinzubringen, indem ich zwei Ausdrücke wieder hervorzog, die dem Sprachbrauch des Mittelalters entsprechen: >Renovatio< und >Correctio<. Über >Renovatio< ist nicht viel zu sagen, da das von Karl dem Großen auf seine Bulle gesetzte, in gleicher Art von Otto III. benutzte und auch in der Folgezeit noch begegnende Wort nach dem Erscheinen meines Buches: >Kaiser, Rom und Renovatio< (1929) bereits zu einer festen Vokabel der Wissenschaft geworden ist. Unter >Renovatio< wurde verstanden und ist demnach zu verstehen das Bemühen, einen früheren politischen Zustand wiederherzustellen. In Abteilung 2 D ist gezeigt, 23 Ich wiederhole dort meine Zusammenfassungen zu den Bänden über die >Herrschafts-
zeichen< und über den >Reichsapfel<.
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Einleitun g: r. Zur wissenschaftlichen Terminol ogie
daß Karl bei der Annahm e der auf seine Bulle gesetzten Inschrif t: »Renovatio imp( erii) Rom(anorum)« die Zeit Konstantins des Großen ins Auge gefaßt hatte. Otto III. dachte, als er diese Worte auf seine Bulle setzen ließ, sowohl an Karl, den ersten >renovator <, als auch an die versunk ene römische Kaiserherrlichkeit. In der Folgezeit hat der Inhalt der Renovatio-Vorstellung, deren letzter Vertrete r Cola di Rienzo (t 1354) gewesen ist, sich verände rt; aber allen, die sie sich zu eigen machten, blieb gemeins am, daß sie eine versunk ene Zeit erneuern wollten. >Renovatio< läuft also in jedem Falle auf eine Willensentscheidung gegenüb er der Vergangenheit hinaus. Mit >Renovatio< ist jedoch nicht erfaßt, was unter Karl dem Großen im geistige n Bereich vor sich ging. Für die karolingische Zeit habe ich -an den Sprachb rauch Karls und seiner Umgebu ng anknüp fend- den Ausdruc k >correctio < vorgesch lagen. Denn dem großen Franken kam es im Geistigen nicht darauf an, die Antike zu >erneuern<. In bestimm ten Fällen, in denen sie ihn zu heidnisch dünkte, lehnte er sie sogar scharf ab. Sein Problem war dies: Als er zu regieren anfing, fand er die Schrift, die Sprache, den Unterricht, die Liturgie , das Rechtswissen verwildert und persönlicher Willkür ausgeliefert vor; als er im Jahre 814 starb, war alles wohlgeo rdnet und gegen Entstell ung durch Unwissenheit und Sorglosigkeit abgesichert. Als Lehrmeister nahm er Paulus Diaconu s, den Langoba rden, Theodul f von Orleans, den Westgoten, Alcuin, den Angelsachsen, und Dungal, den Iren, weil sie ihm Verläßliches, offenbar >Richtiges< zu vermitte ln hatten. Wäre Karl schon der- vom hohen 1Y1ittelalter so intensiv benutzt e- Zugang zum Wissen der Moslime geöffnet gewesen, er hätte zweifellos auch ihn ausgenutzt. Da Karls Bestreben, das kulturelle Niveau zu heben, nicht historisch ausgerichtet war, verbiete n sich dafür also alle Wörter, die mit re-begin nen. Im Unterricht, bei der Festlegu ng verläßlicher Texte, blickte Karl nicht zurück, er schaute vielmehr um sich, und jeder war ihm recht, der ihm zu helfen imstande war bei der in Schrift, Textgestaltu ng und Unterric ht eingerissenen Verwilderung. In diesem Bereiche wollte er also nicht >erneuern<, sondern >Verbessern<: Das Wort >corrigere< ist im Zusamm enhang mit den zeitgenössischen Zeugnissen über seine Wirksamkeit belegt. Deshalb spreche ich, wo es sich um politische Ziele handelt, von >Renovatio< und in bezug auf das, was sich im kulturellen Bereich auf Drängen Karls vollzog, von >Correctio<. Es wäre mir eine Genugtu ung, wenn dieser Begriff sich ebenso durchsetzte wie >Renovatio<. Denn dann verfügte n wir über zwei verschwisterte, aber doch voneina nder abgehob ene Bezeichnungen, die zugleich >Namen< sind, als solche geschützt gegen Begriffsverwirrung und -entstellung. Denn ob Bezeichnungen richtig, d. h. nicht auswechselbar sind so wie ein Name, der einem Menschen einmal gegeben ist, zeigt sich daran, daß sie wie Namen >festsitze n<. Dringen meine V arschläge durch, ist damit angebah nt, daß die verwässerte Bezeichnung >Renaissance< wieder den Charakter eines Namens im Sinne von JACOB BuRCKHARDT zurückerhält.
>Renovatio< - >Correctio<
Ich beschränke mich hier, wo es um adäquate Begriffe für die historische Wirklichkeit, um >Namen< geht, auf das Mittelalter. Würde ich mich auch noch auf die Neuzeit einlassen, so wäre so viel zu sagen, daß das den Rahmen sprengen würde. Ich habe in einer öffentlichen Rede24 den heutigen Zustand auf die Formel gebracht: Die Weltgeschichte ist uns davongelaufen, und wir bemühen uns, sie mit einem unzulänglichen, weil noch nicht ausreichend modernisierten Begriffsapparat wieder einzufangen. Das gleiche Anliegen hat die Soziologie; aber ihr Hang zum Systematisieren gefährdet ihre Fähigkeit, die Wirklichkeit mit adäquaten >Begriffswerkzeugen< einzufangen. Sie und die Historiker müssen sich gemeinsam bemühen. Dankbar bekenne ich mich am Schluß dieser Ausführungen zu den Anregungen, die ich in bezug auf die Aussagekraft von Bildern von meinem Lehrer ABY WARBURG (r866-1929) empfing, sowie zu dem Austausch der Gedanken mit dem uns vor der Zeit entrissenen HEINRICH MrTTEIS (r889-1952) und meinem glücklicherweise noch zu den Lebenden gehörenden Altersgenossen ANDREAS ALFÖLDI. In das Leben von HEINRICH MrTTEIS konnte ich zweimal eingreifen: Ich alarmierte nach seiner Absetzung als Professor in Wien - ohne Erfolg - reichsdeutsche Stellen, und ich erstattete, als seine Berufung nach Rostock zur Erörterung stand, dem Dekan der juristischen Fakultät (es war der spätere Präsident der EWG Prof. DR. HALLSTEIN) ein Gutachten (wohl das einzige, zu dem ich in den Jahren I 93 3-4 5 aufgefordert wurde), mit dem er- gegen den Willen der Parteiinstanzen- dessen Ernennung zum Rostocker Professor durchsetzte. ANDREAS ALFÖLDI räumte mir, als mich während des Krieges ein militärischer Auftrag nach Budapest führte, die Benutzung seiner Bibliothek ein. Zu seiner internationalen Geltung konnte ich beitragen, indem ich ihn der Göttinger Akademie der Wissenschaften als korrespondierendes Mitglied vorschlug. Meine persönliche Verbundenheit dokumentierte ich, indem ich ihm und GEORG ÜSTROGORSKY, einem Freund vom Beginn meiner Lehrtätigkeit an, mein Buch über >Sphaira-GlobusReichsapfel< widmete. Was HEINRICH MrTTEIS uns als Verpflichtung auferlegte, sehe ich darin: das Mittelalter muß mit Begriffen erfaßt werden, die ihm angemessen sind, nicht jedoch mit solchen, die erst von der modernen Welt geprägt worden sind und- auf das Mittelalter bezogen- dieses vergewaltigen, indem es, seine Eigenart verfälschend, modernisiert wird. Die bleibende Bedeutung ANnREASALFÖLDIS liegt in meinenAugen darin, daß er- Wort- und Bildzeugnisse souverän kombinierend - uns ein so deutliches Bild der Antike sowie der Spätantike gezeichnet hat, daß wir jetzt festzustellen vermögen: Das wirkte im Mittelalter ungebrochen nach, dies wurde von ihm umgestaltet, umgedacht.
2.4 Auszüge in der Deutschen Universitätszeitung II Nr. II, 1926 S. 6-8 und in: Prisma
derGeorgiaAugusta r Nr.4, Juni 1956 S. 3-5.
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Das Grundproblem dieser Sammlung: Die >Herrschaftszeichen<, die >Staatssymbolik< und die >Staatspräsentation< des Mittelalters* (Vgl. die Literaturangaben am Schluß des Abschnitts)
Einleitung Ich bahne mir den Weg zu dem, was unter >Staatssymbolik< verstanden werden soll, mit Hilfe einer Geschichte, die Wipo, der Biograph des Kaisers Konrad TI., berichtet: Als im Jahre 1024 Heinrich TI. gestorben war, hatten sich die Einwohner von Pavia der Pfalz bemächtigt, die der Kaiser in ihrer Stadt besaß, und sie zerstört. Als Konrad, sein erst nach einigen Monaten gewählter und gekrönter Nachfolger, auf seinem Zug nach Rom dies tadelte, entgegneten ihm die Pavesen, sie hätten doch niemandes Recht verletzt, da es in der Zeit ihres gewaltsamen V orgehens gar keinen Herrscher gegeben habe. Darauf entgegnete Konrad: »Wenn der Steuermann ausfällt, bleibt das Schiff.« Warum sagte der König nicht: »Nach dem Tode meines Vorgängers blieb der Staat«? Er konnte das nicht, weil ihm dieses Wort noch nicht zur Verfügung stand. Denn das lateinische Wortstatus =Zustand, das herhalten mußte, um die >Stände< des Mittelalters zu benennen, hat erst schrittweise die Bedeutung >Staat< angenommen, die uns vertraut ist. Noch im 14. Jahrhundert schillert die Bedeutung des Wortes status gemäß seiner Geschichte zwischen Zustand- Stand- Staat, und zwar gilt dies in gleicher Weise für das italienische stato, für das kastilische estado, das französische etat, das englische state und für das deutsche Staat. Konrad II. konnte also nicht sagen: »Es blieb der Staat (romanisch: status).« Er hätte von dominium sprechen oder - an den klassischen Sprachbrauch anknüpfend sagen können: »Es blieb die respublica«. Aber das wäre eine Ausdrucksweise, die zu gelehrt gewesen wäre - dieses Wortes bediente sich in der voraufgehenden Generation
* Vortrag, gehalten in Rom, Dez. 1963. Die von mir vorgetragene italienische Fassung unter dem Titel: >Il simbolismo dello Stato nella storia del medievo<, ist gedruckt in: La storia del diritto nel quadro delle sdenze storiche: Atti del I congresso internaz. della Soc. ltal. di
Storia del diritto, ed. B. PARADISI, Florenz 1966 S. 247-67. Die deutsche, noch nicht gedruckte Fassung, der ich die Vortragsform beließ, wurde überarbeitet und ergänzt. Die am Schluß zusammengefaßten Nachweise sind stark erweitert worden.
Einleitung
z. B. Gerbert, der spätere Papst Silvester II. Außerdem hing respublica am antiken Imperium Romanum, besaß also nicht jenen rationalen, abstrakten Charakter, der im Laufe der Geschichte in langer Denkarbeit dem Worte status zuteil geworden ist. Insofern hatte die Kirche von Anfang an einen Vorsprung vor dem weltlichen Bereich. Denn ecclesia konnte die einzelne Kirche sowie die Gesamtkirche bezeichnen, konnte ganz konkret, aber auch abstrakt benutzt werden. Konrad II. hat aus dem Dilemma, daß er etwas ausdrücken wollte, wofür das schlüssige Wort noch nicht gefunden war, einen- so möchte man sagen- >eleganten< Ausweg gefunden, indem er einen Vergleich, eine Metapher benutzte. Für das fehlende Wort >Staat< setzte er das Bild >Schiff<, wodurch sich die Gleichung: Herrscher = Steuermann ergab. Der Vergleich der Kirche mit dem Schiff ist im Mittelalter oft gezogen worden, wodurch sich dann der Vergleich Christi mit dem ergab, der das Steuer führt oder die Segel spannt; aber nach Belegen für die Verwendung der Metapher >Schiff< für den >Staat< habe ich mich vergeblich umgeschaut. Führte ein EU1fall Konrad dazu, daß er sie benutzte? Hat sein Biograph Wipo, dem wir die Nachricht verdanken, die Antwort des Königs in dieser prägnanten Weise zugespitzt? Wir vermögen das nicht zu entscheiden, sondern müssen uns mit der Feststellung begnügen, daß dieser Ausweg in den Vergleich dem Geist der Zeit entsprach. Ich weise dafür auf das Mahl hin, das 936 nach der Krönung Ottos I. in der Aachener Pfalz abgehalten wurde und von da an ein wichtiger Teil des deutschen Krömmgszeremoniells blieb. Es handelte sich nämlich nicht einfach um ein >Staatsbankett<, das nach kirchlichen und weltlichen Rechtsakten den Tag ausklingen ließ, sondern diente dazu, in einem >politischen Schauspiel<- so dürfen wir diesen Teil der Krönungshandlung bezeichnen - den Anwesenden deutlich zu machen, wie die Herzöge zu ihrem Herrscher standen. Jeder übernahm für diesen Abend ehrenhalber die Rolle eines Hofbeamten: der eine diente als Truchseß, der zweite als Mundschenk, der dritte als Marschall, der vierte als Kämmerer. Man gewahrte also, was an der Curia großer Herren regelmäßig zu sehen war, wenn sie zur Tafel saßen: sie ließen sich von ihren Hofbeamten bedienen, die sich das zur Ehre anrechneten und trachteten, ihr Amt auf ihre Söhne zu vererben. Diese Hofbeamten übernahmen solche Dienste, die am Alltag gewöhnliche Diener vollzogen haben werden, gern, weil dadurch zum Ausdruck kam, wie sehr sie in der Gunst ihres dominus standen und wie nötig sie waren, damit die curia - modern gesprochen - funktionierte. Als bei Ottos Mahl die deutschen Herzöge agierten, als wenn sie Hofbeamte seien, als sie den König bedienten, als wenn er nicht nur ihr Lehnsherr, sondern ihr dominus sei, wurde also den Anwesenden vor Augen geführt, wie die Struktur des >Staates<, in dem sie gleich hinter dem Herrscher rangierten, zu denken sei, nämlich so wie die Struktur einer curia mit Hofbeamten. Konrad hatte für das fehlende Wort >Staat< die Metapher >Schiff< benutzt; dem Krönungsmahllag die Gleichung: Staat = Curia zugrunde. Doch fiel dieses Wort
Einleitung: z. Herrschaftszeichen, Staatssymbolik, -präsentation
nicht, da es ja nicht fallen konnte: es wurde vielmehr in jener Aachener Szene, die wir also zu Recht ein >politisches Schauspiel< nannten und für die noch manche weitere Parallele in dieser Zeit sich anführen ließe, >agiert<, >vorgespielt<. Damit haben wir uns einen Zugang zu dem Bereich gebahnt, den ich als den der Staatssymbolik bezeichnete. Über ihn liegen bereits viele Studien vor, aber es ist erforderlich, daß sie vervollständi gt und in Zusammenha ng gebracht werden. Denn sehr vieles gehört zusammen, was heute noch disparat nebeneinander traktiert wird. Ich zähle einiges auf und knüpfe daran jeweils methodische Bemerkungen:
a) Gesten der Untertanen Es fehlt noch eine Untersuchun g, mit welchen Gesten die Herrscher des Mittelalters im Laufe der Jahrhunderte begrüßt worden sind: Verneigung, Kniefall, Proskynese, Küsse auf die Wange, auf die Hand, auf das Knie, den Fuß, ferner Reichen der Hand oder Verschränke n der Arme auf der Brust usw. Welche Gesten waren im 9., im Io., im II. Jahrhundert usw. üblich? Welche Traditionen, welche Vorbilder waren maßgebend? Was war in Italien, in Deutschland usw. üblich? Welcher Hofstil gab für die anderen Länder das Muster ab: der französische, der des Kaiserhofes?
b) Gesten der Herrscher Entsprechen d zu untersuchen sind die Gesten, mit denen die Herrscher die Geistlichen, die Großen, die schlichten Untertanen grüßten, mit denen sie Gnaden austeilten, Belehnungen vollzogen, ferner die Gesten, mit denen sie fremde Fürsten oder deren Gesandte empfingen. In dem lateinischen, in Verse gegossenen Roman >Ruodlieb<, den wir jetzt in die Zeit Kaiser Heinrichs III., also in die Mitte des I I . Jahrhunderts setzen, ist eingehend geschildert, wie der >große König< und der >kleine König< sich begegnen: Alle Einzelheiten des Zeremoniells, der wechselseitigen Beschenkung, der Gnadenerweise an das Gefolge des anderen werden von beiden Herrschern auf das sorgfältigste bedacht, weil keiner von ihnen seiner Ehre etwas vergeben darf, modern gesprochen: eine Minderung seiner >Staatsautorität< zu vermeiden hat. Auch in diesem Bereich wären die Unterschiede der Länder und der Wandel der Zeiten genau zu betrachten.
c) Dinge, die den Herrscher zu vertreten vermögen Eine wichtige Rolle spielen im Bereich der >Staatssymbolik< die Dinge, die den Herr-
scher zu vertreten vermögen.
Gesten - Vertretende Dinge
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In Kastilien wurde in jenen Zeiten, in denen der König nicht gesalbt und gekrönt wurde, der Thronwechsel dadurch bekräftigt, daß sein Banner an erhöhter Stelle aufgepflanzt und sein Königsname in die vier Richtungen der Windrose gerufen wurde. Man darf sprechen von einer corroboratio des neuen Rechtszustandes durch ein politisches >Schauspiel<, bei dem das Banner die Rolle des Königs übernahm. Im kastilischen Recht ist entsprechend festgelegt, daß Verletzung oder Mißachtung der Dinge, die den König zu vertreten vermögen, ebenso zu bestrafen seien wie Beleidigungen, die ihm selbst zugefügt wurden. Hier handelt es sich um Bräuche, die dem spanischen Reiche eigentümlich sind. Aber eine Rolle hat die Königsfahne in allen Ländern gespielt. Eine Untersuchung, die ihrer Geschichte nachgeht und die bestehenden Beziehungen einerseits, die Unterschiede zwischen den Völkern Europas andererseits feststellt, wäre zu begrüßen. Sie müßte allerdings sowohl den byzantinischen als auch den moslimischen Bereich mit in die Betrachtung einbeziehen, da auch in ihnen die Fahne zur Staatssymbolik gehörte und Entlehnungen bzw. Austausch zu vermuten sind. Vertreten wird der König ferner durch die Bilder auf seinen Münzen, Siegeln und Bullen. Wir haben aus den meisten Ländern bereits Editionen, in denen die wichtigsten Belege vereinigt sind- zum Teil mustergültige, zum Teil noch unbefriedigende-, und es ist auch schon erkannt, wie wichtig hier Vorbilder gewesen sind. Daß Karl der Große bereits in seiner Königszeit neben seinen Wachssiegeln auch Bleibullen benutzte, läßt erkennen, daß er hinter dem byzantinischen Kaiser nicht zurückstehen ~ollte. Für die Münzen mit seinem Profilbild, die in der Kaiserzeit nach antikem Vorbild geprägt wurden, konnte jetzt die Vorlage ermittelt werden, die die Münzmeister benutzt haben. Es handelt sich um eine Münze Konstantins des Großen, und damit ist jetzt die Frage beantwortet, was die Inschrift >Renovatio imperii Romanorum< besagen will, die Karl auf seine Kaiserbulle setzen ließ: unter >Erneuerung< verstand er die Wiedererrichtung des von Konstantin ausgestalteten christlichrömischen Reiches. Aus der Folgezeit greife ich heraus, daß für die Münzen und Siegel des Königs von Ungarn nach seiner Taufe und dem Eintritt in die europäische Fürstenfamilie das deutsche Vorbild maßgeblich war, daß der König von Kroatien im elften, der König von Kastilien im zwölften Jahrhundert sich gleichfalls nach dem Vorbild des Kaiserhofes richteten. Eine Bearbeitung sämtlicher Münz-, Siegel- und Bullenbilder, die sich auf alle Länder Europas erstreckt, also auch den byzantinischen und byzantinisch-beeinflußten Bereich miteinbezieht, würde manche Beziehungen aufdecken, die für die zwischenstaatlichen Beziehungen des Mittelalters aufschlußreich sind. Kurz vermerke ich die Wappen, deren sich der abendländische Adel vom 12. Jahrhundert an bediente. Unter ihnen nehmen die Königswappen natürlich den ersten Platz ein, die wir auch >Staatswappen
3 Sch=nm, Aufsätze I
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Herrschaftszeichen, Staatssymbolik, -präsentation
den Staat vertreten. Auch dieses Gebiet, gekennzeichnet durch Adler, Löwen,~'Leo parden, durch Kreuze und andere Wappenfiguren, ist ein Bereich, in dem die Herrscher darauf bedacht waren, nicht hinter ihren Nachbarn zurückzustehen. Daher gibt uns das Wandern der Wappenfiguren gleichfalls manchen Aufschluß - verwiesen sei auf den polnischen Adler, auf das Kreuz im dänischen )Danebrog<.
d) Bilder der Herrscher Sachlich gehören die Bilder der Herrscher auf ihren Münzen, Siegeln und Bullen eng mit denen zusammen, die sonst noch von ihnen geschaffen worden sind. Wenn man von der Staatssymbolik ausgeht, sind die Bilder, die den Herrscher vertreten, jedoch von denen zu scheiden, die nur zieren oder rühmen oder das Gedächtnis wachhalten sollen. Auf der Grenze stehen die einst römische Kirchen schmückenden, uns noch durch Abzeichn ungen bzw. Nachbild ungen bekannte n Mosaiken, die Karl den Großen als König neben dem Papst darstellten; denn sie machten dem Beschauer sinnfällig, wer nun weltlicher Herr in Rom war: nicht mehr der byzantinische Kaiser, der früher sein - an Stelle des Herrschers Anerkenn ung heischen des- Bild nach Rom übersand t hatte, sondern fortan der fränkische König. Die Grabplatten, Stein- und Elfenbeinreliefs, die Mosaiken, Wand- und Buchmalereien, die sich vom mittelalterlichen Herrsche r erhalten haben, erweckten schon das Interesse der Humanis ten; aber lange hat bei ihnen die Frage im Vordergr und gestanden , ob sie auch ähnlich seien. Von dem Bestreben, den Dargestellten genau so wiederzugeben, wie er wirklich aussah, kann jedoch erst von der zweiten Hälfte des 1;. Jahrhund erts an die Rede sein, und selbst von da an handelt es sich nicht um ein konseque nt fortschreitendes Bemühen, die Bilder immer ähnlicher zu machen. In der voraufge henden Zeit muß man sich daher damit begnügen , daß die Bilder bestenfalls erkennen lassen, ob die Herrsche r wie Karl der Große einen hängenden Schnurrbart trugen, ob sie wie Otto I. - was Widukind bezeugt - durch einen kräftigen Vollbart gekennzeichnet waren oder ob sie- wie Otto III., der bereits im Alter von 22 Jahren starb- bartlos blieben. So gesehen, geben die älteren Herrsche rbilder also wenig her. Um so mehr jedoch, wenn man sie mit Augen betrachtet, die auf die Staatssymbolik eingestellt sind. Auf diesen Bildern ist nämlich mit Hilfe von Begleitfiguren sinnfällig gemacht, wie das Verhältnis der Herrsche r zu Christus und den Heiligen angesehen wurde, wie das Zusamme nwirken von weltlicher und geistlicher Macht gedacht war, wie der Herrsche r zu seinen Großen, zu seinen Rittern, zu seinen schlichten Untertane n stand. Ferner bedeuten diese Herrscherbilder die besten Zeugnisse für das schon behandelte Gebiet der Gesten und das noch zu betrachtende Gebiet der Herrscherzeichen.
Bilder - Titel
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Ich habe die zeitgenössischen Bilder der deutschen Könige und Kaiser, die von Karl dem Großen bis zum Regierungsantritt Friedrichs I. Barbarossa noch nachzuweisen sind, gesammelt und publiziert. Ein Nachtragsband und die Fortsetzung bis zu Maximilian I. werden vorbereitet. Aber die deutsche Reihe müßte ergänzt werden durch entsprechende Sammlungen aus allen anderen europäischen Ländern. Von einigen liegen sie bereits vor; bei anderen kann man sich das noch Vorhandene mit leichter oder größerer Mühe zusammensuchen; aber selbst für wichtige Länder gibt es noch keine Publikation, die unsere Ansprüche auch nur einigermaßen befriedigt __: das gilt zum Beispiel für Frankreich und England.
e) Titel Von den Dingen, die den Herrscher vertreten konnten, und von seinen Bildern kommen wir zu seinem Titel. Wie lauten die Titel, die die Herrscher im Laufe der Jahrhunderte auf ihren Münzen, Siegeln und Bullen sowie in ihren Urkunden geführt haben? Auszugehen ist in diesem Bereich von den Titeln in den Urkunden, weil sie hier vollständig aufgeführt werden. Doch ist auch die durch den knappen Raum erforderliche Zusammenziehung des Titels auf den Münzen, Siegeln und Bullen aufschlußreich, weil sie uns erkennen lassen, was als das Wesentliche am Herrschertitel, als sein Kern angesehen wurde. Viel beachtet ist bereits der Übergang von Titeln des Typs >rex Francorum< zu dem im Hochmittelalter sich durchsetzenden Typ >rex Franciae<. Denn bei ihm kommt - um die Bezeichnung, die sich eingebürgert hat, zu benutzen - die Umwandlung des >Personalverbandes< der Völkerwanderungszeit und des frühen Mittelalters in den >Flächenstaat<, d. h. in die auch noch unsere Zeit bestimmende Staatsform, zum Ausdruck. Lohnen würde die Herstellung einer chronologischen Tabelle, in die eingetragen ist, wann sich dieser Wechsel in den einzelnen Ländern Europas vollzog. Man könnte dann erschließen, welche Länder bei dieser neuen Konzeption des Staatsbegriffs führten und welche folgten. Aber der Herrschertitel sagt noch viel mehr aus. Als Karl der Große 774 den König der Langobarden vom Thron stieß, verleibte er dessen Land nicht einfach seinem Frankenreich ein, wie er das mit anderen seiner Eroberungen tat, sondern er hielt die Rechtsfiktion aufrecht: das Langobardenreich bestehe weiter, es habe nur den Herrscher gewechselt. Das bezeugt der fortan von ihm geführte Titel: >rex Franeorum et Langobardorum<, den Karl für so wichtig erachtete, daß er ihn noch neben dem Kaisertitel festhielt. Er kombinierte also nur zwei bisher getrennte Reiche, von denen keines in dem anderen aufgehen sollte. Modern gesprochen: Karl vereinigte zwei Länder durch eine >Personalunion<. Damit schuf der große Franke einen Modellfall, der für das Mittelalter die allergrößte Bedeutung erlangt hat. Wir brauchen eine Geschichte der >Personalunion< im
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Mittelalter und der Neuzeit mit Einfluß der >Matrimonialunion<, die oft deren Vorform bildet&. Die Vereinigung Polens mit Litauen kam z. B. dadurch zustande, daß Jadwiga, die Erbin Polens, 1386 den Großfürsten Jagaila von Litauen heiratete; erst in ihrem Sohn, in dem sich sowohl die polnischen als auch die litauischen Ansprüche verkörperten- im wahren Sinne des Wortes: verkörperten-, war aus der Matrimonialuni on eine Personalunion geworden. Ahnliehe Vorgänge gibt es in großer Zahl; besonders im späten Mittelalter begegnen sie oft. Wie haben die Zeitgenossen, wie haben die Herrscher selbst solche Verkoppelung von Reichen rechtlich verstanden? Die deutlichste und schlüssigste Antwort gibt immer der Herrschertitel, auf dessen Gestaltung in allen Zeiten und in allen Ländern immer die größte Sorgfalt gelegt worden ist. Zur Vergrößerung von Reichen kam es jetzt nicht nur durch Personalunionen , sondern auch durch Verträge und Eroberungen. Hier gilt wiederum, daß die Herrschertitel erkennen lassen, wie solche Eingliederungen verstanden werden sollten. Doch ist hier Vorsicht geboten; denn bei der Gestaltung des Titels hat auch das Ruhm- und Ehrbedürfnis der Herrscher eine Rolle gespielt. Der König von Kastilien hat z. B. in seinen Namen alle Namen der kleinen Moslimeeiche aufgenommen, die ihm im Zuge der Reconquista zufielen. Er nannte sich also auch König von Jaen und Murcia, obwohl diesen Eroberungen kein Eigenleben belassen wurde. Auf diese Weise kam im Laufe der Zeit ein sehr langer, sehr pompöser Titel zustande, in dem auch Länder aufgeführt wurden, auf die der König einen Anspruch erhob, die er aber de facto nicht besaß oder nicht mehr besaß. Anders der Titel des Königs von Aragon, der sein Reich nur dadurch zusammenhalten konnte, daß die Rechte eines jeden seiner Teile- der Königreiche Aragon und Valencia, der Grafschaft Barcelona und zeitweise auch noch des Königreichs der Balearen - peinlich respektiert wurden. Der daher gleichfalls lange Titel dieses Königs spiegelt also in wohlüberlegter Weise die komplizierte Struktur dieses Reiches wider. " In Schweden hat der König vom Mittelalter bis heute an dem Titel >König der Schweden, Goten und Wenden< festgehalten, obwohl er bereits im hohen Mittelalter antiquiert war. Der König von Frankreich hat sich nie auf solchen Pomp eingelassen: er war und blieb der >rex Franciae<, der >roi de France<, der nur dann, wenn er zeitweise auch andere Länder in der Form einer Personalunion hinzugewann, sich außerdem noch König von Navarra oder König von Neapel titulierte. In meinen Arbeiten bin ich gelegentlich bereits auf die Rolle des Königstitels eingegangen, habe auch Schüler angeregt, seiner Geschichte nachzugehen. Ein Aufsatz über den karolingischen Titel liegt bereits gedruckt vor; weitere Studien werden folgen, erwünscht wäre auch eine Untersuchung, welche Titel in Italien auf der Stufe unter dem König im Laufe der Zeit benutzt worden sind: dux, princeps, marebio usw. I
Eine Skizze wird Band III bringen.
Titel - Namen - Lob- und Ehrenwörter
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Bei der systematischen Erforschung der Herrschertitel wird darauf zu achten sein, von wann an die einzelnen Herrscher den Zusatz >Dei gratia<, den schon Karl der Große mit dem Königstitel verbunden hat, aufnahmen. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß das auch in den Grafschaften an den Pyrenäen geschah: ein deutliches Zeichen für das Selbstbewußtsein dieser Grafen, die in der Folgezeit einer nach dem anderen- ihren stärkeren Nachbarn erlegen sind.
f) Namen sowie Lob- und Ehrenwiirter In die Nachbarschaft des Königstitels gehören die Namen sowie die Lob- und Ehrenwörter der Herrscher. Die Vererbung der Vornamen unterlag- wie HANs-W ALTER KLEWITZ gezeigt hatim frühen Mittelalter festen Regeln: der älteste Sohn wird getauft auf den Namen des Vatersvaters, der nächste auf den des Großvaters von Mutterseite, der dritte nach dem Urgroßvater oder dem Oheim usw. Aber es gibt doch sehr aufschlußreiche Ausnahmen: Im karolingischen Hause wird der Stammname Arnulf verdrängt durch den Namen Pippin, der aus der noch mächtigeren Familie stammte, in die Arnulfs Sohn eingeheiratet hatte; erst einer der letzten Karolinger heißt wieder Arnulf und belegt, daß die Familientradition nicht vergessen worden war. Höchst bezeichnend ist, daß Karl der Große zwei seiner Söhne Lotbar und Ludwig benannte, ihnen also die Leitnamen des Merowingergeschlechts (Chlothar und Chlodwig) verlieh, obwohl er nicht von diesem abstammte. Wir sprechen jetzt in solchen Fällen von >Ansippung<: Karl trachtete das Ansehen seines Geschlechts zu vermehren, indem er es namenmäßig mit dem von seinem Vater entthronten und nicht mehr zu fürchtenden, aber einst ruhmvollen Hauptgeschlecht der Franken verknüpfte. In Karls Geschlecht blieb natürlich sein Name der bevorzugte. Aber überraschend ist die Tatsache, daß im 1 I. Jahrhundert in keinem Land ein König noch den Karlsnamen getragen hat. Erst Philipp II. August von Frankreich, dessen Ziel es war, sein Reich wieder so ansehnlich zu machen wie das Karls des Großen, gab einem illegitimen Sproß den Karlsnamen, und sein Enkel Karl von Anjou, der spätere König von Sizilien, führte ihn wieder in die fürstliche Sphäre ein, aus der er bis heute nicht wieder verdrängt worden ist. Auch sonst läßt sich an den ausgewählten Namen manches ablesen: bei den Herzögen von Mecklenburg und Pommern z. B. am Übergang von slawischen zu abendländischen Vornamen das Fortschreiten der Eindeutschung, am Wiederaufgreifen des Namens Brich in Schweden, daß man sich im 16. Jahrhundert auf die Frühgeschichte des Reiches besann und so fort. In die Nähe der Namen der Herrscher gehören die Ehren- und Lobwö"rter: also rühmende Bezeichnungen, die nicht offiziell wie Titel geführt wurden, zum Teil nur
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Herrschaftszeichen, Staatssymbolik, -präsentation
literarischen Charakter hatten, aber gelegentlich doch eine- sozusagen- >amtliche< Rolle übernahmen. Ich bin der viel verwandten Bezeichnung >decus imperü spes imperii<, die Konradii. für seinen Sohn Heinrichlll. verwandte 3 • In diesem Falle liegt das Motiv zutage: Da Konrad die Kaiserkrone noch nicht erlangt hatte, konnte er den Sohn nicht zum Mitkönig wählen lassen, aber er mußte den Erben so stattlich wie möglich herausstellen, da er für ihn um eine byzantinische Prinzessin warb. Deshalb ließ er ihn auf seiner Bulle neben sich abbilden und jene Bezeichnung, die gleichfalls ihre literarische Vorgeschichte hat, hinzufügen. Erwünscht sind daher für das Mittelalter solche Zusammenstellungen, wie sie uns ANDREAS ALFÖLDI auf Grund seiner stupenden Belesenheit für >parens patriae< und andere Ehrennamen der antiken Kaiser vorgelegt hat. Für die Stadt Rom besitzen wir seit 1918 die Studie von G. GERNENTZ mit dem gut gewählten Titel: >Laudes Romae<. Der Verfasser verfolgt hier die Geschichte der Bezeichnungen: Roma aeterna, Roma aurea, caput mundi usw. und vermittelt dadurch einen Eindruck von der wechselnden, aber immer von Bewunderung getragenen Hochachtung für Rom. Was ich hier anrege, läuft also hinaus auf eine Erweiterung der von ERNST RüBERT CuRTIUS inaugurierten >Topos<-Forschung, die auch den politischen Bereich des Mittelalters aufzuschließen hat. Einen Sonderfall stellen die Ehrennamen dar, die die Römische Kirche einzelnen Herrschern konzedierte und die dann in den internationalen Brauch übergingen: >roi tres chretien< von Frankreich, >los reyes catolicos< von Spanien, >apostolischer König von Ungarn< usw.
g) Herrschaftszeichen Den Hauptbereich der mittelalterlichen Staatssymbolik nehmen die >Insignien< ein. So nennt man sie herkömmlicherweise. Ich bevorzuge den von >signa< abgeleiteten Ausdruck Herrschaftszeichen, da er prägnant zum Ausdruck bringt, was ihre Funktion war: Sie zeigten, machten sinnfällig für Gebildete und Ungebildete, für Einheimische und Fremde, daß der mit ihnen Geschmückte der Herrscher war. Ich kann mich hier kurz fassen, da ich in drei dicken Bänden die Geschichte der Herrschaftszeichen von der Völkerwanderu ng bis in die Neuzeit verfolgt und in einem Band, der für sich erschienen ist, dann noch die Geschichte des Reichsapfels behandelt habe. Die 48 Kapitel in den drei Bänden sind verschiedener Natur. Zum Teil fassen sie die Ergebnisse anderer Forscher zusammen; einige stammen aus der Feder von Fachkollegen, die in der gleichen Richtung wie ich arbeiten; weitere beruhen auf eigener Forschung und erheben den Anspruch, Neues zu bringen. Mein 2
S.Bandii.
3 S. Band III.
Herrschaftszeichen
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Anliegen war, möglichst alle Länder des Abendlandes einzubeziehen; ferner kam es mir darauf an, zu demonstrieren, daß man mit scharfer Kritik und einer sauberen, der jeweiligen Art der Objekte angepaßten Methode zu gesicherten Ergebnissen zu gelatrgen vermag. Denn bisher war das von mir behandelte Gebiet dadurch diskreditiert, daß sich in ihm vielfach >Romantiker<, wenn nicht sogar Schwärmer betätigt haben, die in die He:r:rschaftszeichen hineinlegten, was sie als deren Sinn für geeignet ansahen. Es sind mehr Herrschaftszeichen erhalten, bzw. durch alte Zeichnungen, Stiche, Beschreibungen usw. bekannt, als ich je anzunehmen gewagt hätte, und es werden sich weitere anfinden, wenn sich ihnen das Interesse noch mehr zugewandt haben wird - nicht zuletzt deshalb, weil Herrschaftszeichen oft Kirchen geschenkt wurden, die sie dann in umgearbeiteter Form für den Schmuck von Schreinen, liturgischen Geräten und Handschriften benutzten. Nachdem die Augen für diese Möglichkeit erst einmal geöffnet sind, tauchen immer neue Objekte auf, mit denen wir bisher nicht rechnen durften. Historisch gesehen sind die Herrschaftszeichen sehr uneinheitlich. Die Thronbank ist germanischen Ursprungs, der Armreif gleichfalls; dieser aber wurde mit dem Armreif des alttestamentlichen Königs zusammengebracht. Der Gedanke, daß der Herrscher einen Reichsapfel in der Hand halten müsse, ist antiken Ursprungs, seine Durchführung dagegen mittelalterlich. Das Lorum ist von Byzanz übernommen, wurde aber mit der Binde des Diakons zusammengebracht und daher >Stola< genannt. Wer sich mit der Frage befaßt, wie Antike und Mittelalter, Germanisches und · Christliches, Byzantinisches und Abendländisches sich zueinander verhalten haben, findet dafür im Bereich der Herrschaftszeichen schlagende Beispiele. Ferner gilt hier in ganz besonderem Maße, was schon in den voraufgehenden Abschnitten heraustrat: An den Herrschaftszeichen läßt sich ablesen, was der geheime Ehrgeiz der Herrscher war. Die Bügelkrone der Karolinger dokumentiert ihr Bestreben, nicht hinter dem byzantinischen Kaiser zurückzustehen. Die besondere Krone, mit zwölf Steinen vorn, zwölf Steinen hinten und nur einem Bügel, die sich Kaiser Otto I. machen ließ, wurde von Wilhelm I. nachgeahmt, nachdem er England erobert hatte. Den Reichsapfel, den als erster Kaiser Heinrich II. in die Hand nahm, haben ihm fast alle Herrscher des Abendlandes, vom 16. Jahrhundert an selbst der Zar nachgemacht, für den vorher der byzantinische Kaiserbrauch maßgeblich gewesen war. Doch will ich hier auf die mannigfachen Einblicke, die die mittelalterlichen Herrschaftszeichen vermitteln, nicht eingehen, weil ich mich darüber bereits wiederholt geäußert habe. Nur ein Aspekt muß hier noch gewürdigt werden: Als Kaiser Konrad II., von dessen Vergleich: Staat= Schiff, Herrscher= Steuermann wir ausgingen, im Sommer 1027 den Reichsbesitz in Bayern feststellen ließ, faßte das darüber angefertigte Protokoll das Rechtsverhältnis in die Worte: es handle sich um das, was >ad solium sui imperÜ<, d. h. was zum Thron seines Reiches gehöre.
Einleitu ng: z. Herrsch aftszeic hen, Staatssymbolik, -präsent ation
Kurz vorher heißt es in gleichem Sinne, aber unanschaulich: quae ad imperii sui statum et utilitatem pertinere videbantur (Mon. Germ. , Const. I S. 645). In Bayern wurde also nicht wie in Pavia ein Vergleich gezogen, sonder n der konkre te Thron für das Abstractu m >Staat< gesetzt, das sich noch nicht präzise benenn en ließ. In Deutsc hland ergab sich die Verwe ndung von >thronus< als >signum< (Zeichen) für den >Staat<, da der Steinth ron Karls des Große n in Aachen , gelegentlich >archisolium imperü corona< mehru ndmeh r benutz t worde n, um das zu benennen, was wir mit >Staat< bezeichnen. Das war so einleuchtend, daß dieser Wortg ebrauc h in andere n Länder n nachge ahmt wurde - ein von MANFRED HELLMANN redigierter, I96I heraus gekommener Band >Corona regni<, in dem sieben einschlägige, sowoh l Westals auch Osteur opa betreffende Aufsätze verein igt sind, hat diesen Vorga ng umfass end erhellt. In Deutsc hland begegn et dieser Gebrau ch des Wortes >corona < gleichfalls, aber nicht in so ausgesprochener Weise, da hier die sowoh l konkre t als auch abstrak t verwendb aren Wörte r >regnum< und >imperium< zur Verfüg ung standen. Bezeichnend ist, daß um I 35o ein Autor die Insign ien schlechthin das Reich nennen konnte : insignia, que imperium dicuntur (Chron. Mathiae deNuw enburg Cont. Cap. I35, ed. A. HoFMEISTER; Script. rer. Germ. , N. S. IV, 2 S. 444). In dieserW endung erkenn t man die Schlüsselstellung, die die Herrschaftszeichen in der Staatssymboli k gewonnen haben.
h) Salbung und Krönung In sichtbarster Weise kamen die Herrschaftszeichen zur Geltun g bei der Krönung: Wir sprachen im Hinbli ck auf Ottos I. Krönu ngsma hl von einem >politischen Schauspiel<, in dem sinnfällig gemac ht wurde , wie das Verhäl tnis der Herzög e zu ihrem Herrsc her verstan den werden sollte. Diesen Ausdr uck dürfen wir erst recht auf die Krönu ng anwenden, da sie sichtbar machte, wie der Klerus, die Große n, der Adel, die Untert anen zu ihrem König stande n und wie dieser sein Verhältnis zu Gott ausgelegt wissen wollte. Beanspruchte er Anteil am geistlichen Amt? Wurde ihm das zugestanden? War seine Salbung der des Bischofs gleichwertig oder geringer? Wer Augen und Ohren öffnete, erhielt die Antwo rt bei der Krönu ng. Ich führe das nicht weiter aus. Denn ich habe der geschichtliche n Krönu ng Büche r und Aufsätze gewidm et und auf diesem Wege hochgeschätzte Mitforscher gehabt : in Frankr eich den leider verstor benen Monsi gnore MrcHEL ANDRI EU, in Hollan d C. A. BouMAN, in Deutsc hland den Profes sor REINHARn ELZE in Berlin. Nicht vergessen sei auch der verstor bene Münch ener Kirche nhistor iker EnuAR D ErcHMANN, dessen Büche r und Aufsätze mich auf dieses Gebiet aufmerksam machten. Daher ist die Geschichte der Krönu ng im wesentlichen geklär t; aber es bleibt doch noch viel zu
Salbung - Krönung - Eid - Laudes
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tun, um die einzelnen Länder voneinander abzusondern. Erforderlich sind vor allem gediegene Ausgaben der >Ürdines< mit den bei den Krönungen gesprochenen Gebeten und mit den im Laufe der Zeit ausführlicher werdenden Angaben, wie im einzelnen zu verfahren war. Eine modernen Ansprüchen entsprechende Edition liegt bisher nur von den Kaiserordines vor: REINHARD ELZE hat sie im Auftrag der Monumenta Germaniae Historica angefertigt und will die Edition der deutschen Königsordines folgen lassen. Bei der Abänderung der Ordines ist zwar mit der Eigenwilligkeit der Redaktoren zu rechnen; meist aber handelt es sich um genau bedachte Retouchen, an denen sich die Abwandlungen der Ansprüche des Königs, der Geistlichkeit, des Adels und des Volks ablesen lassen. Denn sie wirkten ja alle- und wenn auch nur als >Statisten
i) Krönungseid Die Szene innerhalb der Krönungshandlung, die die größte Aufmerksamkeit verdient, ist der Krönungseid. Ursprünglich handelt es sich um Versprechen (promissiones) vager Art, die die Wahrung des Rechts, den Schutz für Witwen und Waisen und Hilfe für die Kirche betreffen, aber sie sind im Laufe der Zeit zu Eiden ( iuramenta) umgeformt worden, die den Herrscher gegenüber seinen Untertanen banden. Diesem Vorgang hat Professor MARCEL DAVID zwei aufschlußreiche Bücher gewidmet. Auch sonst ist in diesem Bereich schon viel gearbeitet worden; denn letzthin führte ja die Vermehrung der den Herrschern im Laufe der Zeit abgenötigten Zusagen zur Begründung des konstitutionellen Systems. Insofern darf man den Krönungseid die Keimzelle der modernen Verfassungen nennen. Das reichste Material liegt in England bereit. Meine Absicht, es in einer für den akademischen Unterricht geeigneten Form zusammenzufassen, habe ich aufgegeben in der Hoffnung, daß ein englischer Forscher das tun würde; aber es ist leider noch nicht dazu gekommen. In anderen Ländern ist das Eidproblem noch gar nicht fest angepackt worden. Es bleibt also noch viel zu tun, wobei die Frage, wie die einzelnen Länder aufeinander wirkten, besondere Aufmerksamkeit verdient. Ein Sonderproblem wirft die vom König bei der Krönung übernommene Verpflichtung auf, nichts vom Kronbesitz zu entfremden. Sie wurde öfters benutzt, um leichtfertige Verleihungen schwacher Herrscher wieder rückgängig zu machen. Das Prinzip der >Inalienabilite< lief also auf eine Bewahrung der Staatsrechte hinaus.
k) Laudes Schließlich ist noch auf die- die Krönungen, aber auch sonstige Feiertage abschließenden- Laudes hinzuweisen, d. h. die im Wortlaut genau festgelegten Akklamationen, die
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die Byzantiner von den alten Römern übernah men, die aber auch im Abendla nd üblich wurden. Die Geschichte dieser Laudes hat der uns 1963 durch den Tod entrissen e ERNST H. KANTOROWICZ in einem als Meisterleistung der Forschu ng anerkan nten Buch dargestellt: Laudes regiae (Berkeley 1946, inzwischen neugedruckt). Die Texte zu Ehren der abendländischen Kaiser und der deutschen Könige hat der Pfarrer Dr. BERNHARD OPFERMANN gesammelt und ediert. In diesem Bereich ist also nur noch mit Nachträ gen zu rechnen.
I) Die Grenze zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt 4 Wichtig geworde n ist im Mittelalter vor allem die Frage, wo die Grenze zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt zu ziehen sei: Da die potestas regalis nicht ohne die auetorilas sacrata pontijicum vorstellbar war, gehörte zur >Staatssymbolik< vor allem jener Bezirk, in dem für Aug' und Ohr zum Ausdruc k kam, daß der Herrsch er beanspruchte, am geistlichen Amte teilzuha ben: seine Mitra, seine dem kirchlichen Ornat angeglichenen Gewänder, sein Ehrenpl atz unter den Kanonik ern, seine Vorrech te in der Weihnachtsmesse, die aus der geistlichen Sphäre stammen den Ehrenna men wie protector ecclesiae und die juristisch greifbaren wie >Vogt der Kirche< - das und noch manches andere hat hier seinen Platz. Bei spiritualis ftlius, compater usw. bewegen wir uns schon im >privaten< Bereich eine Grenzscheide gibt es hier nicht, kann es hier nicht geben, da ja im Mittelal ter private und öffentliche Sphäre genau so wenig präzise geschieden sind wie die staatliche und die kirchliche. Ganz allgemein gilt, daß eine scharfe Grenzlinie zwischen dem, was noch, und dem, was nicht mehr zur >Staatssymbolik< gehört, nicht existiert. Man mag z. B. die Dichtungen für das Begräbnis eines Herrschers, die uns aus Sächsischer und Salischer Zeit erhalten sind, noch mit zur >Staatssymbolik< rechnen ; denn sie sind einmal in würdigs ter Form vor dem gesamten Hofe vorgetra gen worden und haben in poetischer Form verdichtet, was der V erstorbe ne darstellte. Man mag auch noch das eine oder andere Gedicht zu einem offiziellen Anlaß hinzunehmen, wird aber doch andere nur als >Hofpoesie< gelten lassen. Und so ist es auch mit anderem bestellt. Die >Staatssymbolik< ähnelt einem Kreis, der zu seiner Peripherie hin lichter und lichter wird, so daß diese nicht genau bestimm bar ist, er selbst jedoch trotzdem als solcher erkennb ar bleibt.
.4 Ich füge hier neue Absätze ein und übernehm e einige aus dem Abschluß abschnitt: >Die Staatssymbolik des Mittelalters< meines Aufsatzes: >Die Anerkenn ung Karls d. Gr. als
Kaiser< in der Histor. Zeitschr. 172, 1951 S. 5II-15, der nunmehr ersetzt ist durch die nachfolgende ausführlichere Darlegun g.
Welt!. und geist!. Gewalt- Staatspräsentation
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m) Die Staatspräsentation Zu den Ausdrücken )Herrschaftszeichen< und )Staatssymbolik< rücke ich noch einen dritten Begriff: )Staatspräsentation <. Wie )präsentiert< sich der Menge die Obrigkeit, vor allem der Herrscher, der den )Staat< )darstellt Genauer: Wie lange wurde die antike Quadriga benutzt? Wie lange galt es - wie im Mittelalter - als selbstverständlich, sich der Menge zu Pferde darzubieten? Wann kam die Staatskarosse der Neuzeit auf? Wie wurde der Herrscherjeweils eingeholt, angesprochen, geehrt? Welche Rolle spielten Fahnen und Trompeten, Teppiche und Baldachine, Triumphtore und Gedenkmünzen? Was beanspruchten die Fürsten, was der Doge von Venedig und die Podesta, was die Bürgermeister der freien Reichsstädte? Die Einzelheiten waren in der Vergangenheit bis in alle Einzelheiten )ausgetüftelt<, da sie allgemein für die Geltung in der Welt, d. h. für das Ansehen im eigenen Lande sowie in der Fremde, für entscheidend angesehen wurden. Es liegen bereits Studien zur Geschichte des antiken )adventus imperatoris <, der mittelalterlichen )joyeuses entrees< und verwandter Zeremonien vor; aber das Thema (mit dem wir uns in einem späteren Band dieser Sammlung noch beschäftigen werden) ist noch nicht ausgeschöpft. Denn alle - kulturgeschichtlich oft reizvollen Details sind ja nur Ausdruck dafür, daß die Herrschenden das Bedürfnis hatten, den Mächtigen sowie dem schlichten Volk, den Untertanen sowie fremden Besuchern 'vor Augen zu führen, daß sie den Staat verkörperten, daß er in ihnen )präsent< war. Es handelt sich um ein Gebiet, das noch aktuelle Bedeutung besitzt, während die Staatssymbolik mehr und mehr verkümmert ist und nur dort gelegentlich noch zum )Schauspiel< wird, wo monarchische Ordnung sich erhalten hat. Die )Staatspräsentation< dagegen beschäftigt alle heute existierenden Staaten- mögen sie alt oder jung, demokratisch oder kommunistisch, europäisch oder außereuropäisch sein. Denn es gehört nun einmal zur Autorität jeglicher Regierung, daß sie sich )präsentiert<.
Schluß Wir können nunmehr folgendes über die Aussagekraft der Staatssymbolik registrieren: Der Historiker möchte wissen, was die Könige, Kaiser und Päpste des Mittelalters erstrebten, was sie ganz persönlich wollten und veranlaßten. Aber selbst bei den besten Annalen bleibt die Frage offen, ob ihr Verfasser die Absichten seines Herrschers richtig interpretierte, ob er auch in das ganz Geheime eingeweiht war - ganz zu schweigen von der Frage, was er bewußt verschwieg oder im gewünschten Sinne zurechtbog. Das gleiche gilt von allen Briefen; die Herrscher gaben zu ihnen ja nur Anweisungen und überließen die Abfassung Männern, die für solchen Dienst geschult waren; selbst bei der umfangreichen Korrespondenz des Kaisers Friedrich II.,
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Herrschaftszeichen, Staatssymbolik, -präsentation
der sicherlich kontrollierte, was in seinem Namen hinausging, bleibt der Zweifel, ob jede Zeile genau seinen Intentio nen entsprach oder nur die Auffass ung seines Logoth eten Petrus de Vinea wiedergibt. ] edes Wort, das aus einer fürstlic hen Kanzlei herausdrang, war ja berechn et auf die, die es anging, war aus einer einmaligen Situation heraus geboren , und um die Worte, die an einen Herrscher gericht et oder über ihn niedergeschrieben wurden , war es nicht anders bestellt. Sie sollten wirken - womöglich nur in den Tag hinein. Selbst bei den Fürstenspiegeln, die ja das Bestreben hatten, den Angesp rochene n für ein ganzes Leben zu unterrichten, ist noch viel Einmaliges und daher Besonderes in Rechnu ng zu stellen. Wo auch immer man in der schriftlichen Überlieferung einsetzen mag, es bleibt letztlich ein kleinerer oder größere r Zwisch enraum zwischen ihr und den Herrschern. Im Bereich der Staatssymbolik besteht er dagegen nicht. Läßt ein König seine Krone ändern, setzt er sich auf den Thron seiner Vorfah ren, läßt er sich einen neuen herrichten, paßt er seinen Ornat dem Vorbild des Nachba rn, des Hohenp riesters, des byzantinischen Kaisers an, dann handelt es sich um Willensentsche idungen, die uns ihn selbst erkenne n lassen: sein Selbstgefühl, sein Bejahen oder Vernein en der Tradition, sein Verhältnis zur Kirche, zum Adel, zum Volk. Die >Staatss ymbolik< läßt also nicht nur erkennen, was war, sondern auch, was sein sollte. Denn die offenen und geheimen Aspirationen, wie ein Fürst sich und wie sein Volk ihn angesehen haben wollte, offenbart sie ebenso wie das, was Rechtens war. Auch davon steht viel in den schriftlichen Zeugnissen, in den Proklamationen, die im Namen der Kaiser und Könige hinausgegangen, in den Briefen der leitenden Männer - aber all das war berechnet, auf augenblickliche Wirkun g abgestellt. Von der >Staatssymbolik< sind dagege n die Schlacken des Momen tanen abgefallen. Am Beispiel Karls des Großen werden wir zeigen, wie aus der Staatssy mbolik sich neue Einsich ten ergeben, ,wie vor allem seine soviel erörterte >Anerk ennung als Kaiser< dadurch in ein schärferes, noch dazu verläßlicheres Licht gerückt werden kann. In dieser Hinsicht darf man die Herrschaftszeichen, die Königsordines usw. geradezu als >Primärzeugnisse< bezeichnen, die den >Wortzeugnissen< dadurch überlegen sind, daß sie über die Herrsch er selbst zuverlässige Auskun ft zu erteilen vermög en. Allerdings - diese Warnun g dürfen wir am Schlusse nicht unterlas sen - handelt es sich hier um einen Bereich, in dem vorschnelle Schlüsse sehr leicht fehlleiten können. Wer ein Herrschaftszeichen nach Zeugnissen aus einer späteren Zeit interpre tiert, wer irgende ine Geste einfach mit dem matürlichen Menschenversta nde< deutet, wer irgende inen Ehrenn amen gleich für bezeichnend hält, ohne dessen Traditi on zu prüfen, wer ein Bild auslegt, wie es sich auf den ersten Anblick darbiete t, ohne es ikonog raphisc h zurückzuverfolgen, der kommt zu falschen oder schiefen Auslegungen und gewahr t das Eigentliche nicht. Da hilft nichts, als zunächst nach Vorbild ern,
Schluß
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nach Vorstufen und nach Parallelen zu suchen, um festzustellen, was traditionsgebunden, was entlehnt und was wirklich neu ist- als Beispiel nehme man da die Königsbulle und die Kaiserbulle Karls des Großen, die erst dann zu sprechen anfangen, wenn sie sowohl formal als auch ikonographisch in die Entwicklung eingeordnet sind. Dann erst kann das Erfragen des Sinnes einsetzen- behutsam und Schritt für Schritt, damit man nicht herausliest, was man geneigt ist hineinzudeuten. Nur so wird man gewahr, was tatsächlich sinnfällig eingekleidet wurde. Eine Methodenlehre wird sich für dieses Gebiet allerdings nie schreiben lassen, weil jedes Objekt nach seiner Weise wieder zum Sprechen gebracht werden will. Die Bedeutung des Bereiches >Herrschaftszeichen - Staatssymbolik - Staatspräsentation< erschöpft sich nicht darin, daß er sich als nützlich und aufschlußreich für das Verständnis der politischen Geschichte erweist. Von ihm aus ergeben sich eine Fülle von Perspektiven, von denen hier nur die folgenden namhaft gemacht seien: 1. Das Wort >Staat< formt sich erst im 14. Jahrhundert. Aber den Staat selbst hat es lange vorher gegeben. Wer seine Geschichte schreiben will, muß sich mit der mittelalterlichen Staatssymbolik befassen. Sie leitet ihn zurück in Zeiten, in denen schriftliche Zeugnisse spärlich sind, ja stellenweise sogar in solche, in denen sie überhaupt fehlen. z. Vertieft man sich in diesen Bereich, so gewinnt man exakte Anhalte, um zu klären, wieweit einheimische Traditionen (keltische, germanische, slawische) fortwirkten, wieweit sie überdeckt oder abgewandelt wurden. Andererseits ergeben sich Einsichten in die Bedeutung der Bibel sowie des römischen und des byzantinischen Vorbilds beim Aufbau der mittelalterlichen Staatenwelt. 3· Die >Staatssymbolik< vermittelt ferner einen Einblick in das Verhältnis der einzelnen Länder zueinander. Sie läßt z. B. erkennen, wieweit das Vorbild des abendländischen Kaisers nach Norden und Osten ausstrahlte, welche Wirkung das französische Königtum auf die Nachbarländer ausübte. Die Staatssymbolik macht also deutlich, wo jeweils der Schwerpunkt der europäischen Geschichte lag. 4· Schließlich: in allen Bereichen der Staatssymbolik bilden sich im Laufe der Jahrhunderte immer festere Formen aus: ein Vorgang, der auf schärferem Durchdenken, Abgliedern, Unterscheiden beruhte, also auf einer fortschreitenden Rationalisierung, die dann mit der Formung der Wörter stato- estado- etat- state- Staat ihren mittelalterlichen Höhepunkt erreichte. Ich deutete an, daß in manchen der behandelten Bereiche bereits einigermaßen Klarheit geschaffen ist, über anderen noch Nebel lastet. Außerdem bestehen große Unterschiede in bezug auf die in Betracht kommenden Länder: es gibt solche, wo bereits viel, andere, wo bisher nur wenig geleistet wurde. Möchten die bestehenden Lücken geschlossen werden! Möchten viele Einzeluntersuchungen dem bisherigen Gesamtbilde schärfere Konturen verleihen. Vor
Einleitung:
2.
Herrschaftsz eichen, Staatssymbol ik, -präsentation
allem: Möchte unter dem Gesichtswi nkel der Staatssymbolik jedes einzelne Land des Abendland es untersucht werden; denn ein jedes gehört mit zu dem Gesamtbild , muß mitberücks ichtigt werden, wenn wir fragen: Wie fand Buropa zu seinem staatlichen Dasein?
Verweise azif die wichtigste Literatur Ich begnüge mich mit Hinweisen auf neuere Literatur und nenne auch diese nur in Auswahl. Doch sei es mir erlaubt, an passender Stelle meine eigenen Studien anzuführen, da sie weit zerstreut erschienen sind (Abkürzung: P. E. S.). Für den deutschen Abdruck wurden die Nachweise stark erweitert, da es sich um ein schwer zu überschauend es Schrifttum handelt; aber auch in dieser Form bleibt die folgende Bibliographi e fragmentarisc h. Zur Einleitung Wipo: Gesta Chuonradi cap. VII (Opera, ed. H. BRESSLAu, 3· Aufl. 1915 S. 30; Script. in us. schol.) Das Widerspiel zwischen Regnum und Imperium zeigt die Marburger Rede von E. E. STENGEL (1930), jetzt in: Abhandl. u. Untersuchun gen zur Gesch. des Kaisergedank ens im Ma., Köln-Graz 1965 S. 171-205; s. dort ferner S. 241ff.: Kaisertitel u. Souveränitäts idee. Vgl. hier auch H. BEUMANN, Zur Entwicklung transpersona ler Staatsvorstel lungen, in: Vorträge u. Forschungen , hg. von TH. MAYER, III, Lindau/Kons tanz 1956. Zu respublica bringt viele Belege bei F. CROSARA: Respublica e Republicae. Cenni terminologic i dell'et:l romana all' XI. secolo, in den Atti del Congresso Internaz. di diritto romano e di storia del diritto, Verona, 27.-29. Sett. 1948, vol. IV, Mailand 1951 S. 229-61.- Über respublica in der karolingischen Zeit s. Bd. II: »Die Titel der Karolinger«. S. ferner A. MAGDELAIN, Auctoritas principis, Paris 1947 (Co!!. d'etudes latines, Serie scient. 22; 120 S.). Die Krönung in Aachen: P. E. S., Die Krönung in Deutschland bis zum Beginn des Salischen Hauses (1028), in der Zeitschrift für Rechtsgesch. 55, Kanon. Abt. 24, 1935 S. 184-;;2, und: Die Kaiser aus dem Sächsischen Hause im Lichte der Staatssymbolik. Zur Erinnerung an die Kaiserkrönu ng Ottos I. in Rom am 2. Febr. 962, in den Mitteil. des Inst. für Österr. Gesch.-Forsc hung, Ergänzungsb d. XX Heft 1, Graz-Köln 1962 S. 31-52 (S. 34f. über das Mahl) (Beide Aufsätze in Band III wieder abgedruckt). Zum Datum des Ordo zuletzt C. VoGEL, Precisions sur Ia date et l'ordonnance primitive du Pontifical romano-germ anique, in: Ephemerides Liturgicae, 74, 1960 S. 145-62 (zw. 950 und 962[3 im Kloster St. Alban in Mainz). Für den Text ist nunmehr maßgebend die Edition von C. VoGEL-R. ELZE, Le Pontifical romano-germ anique du Xe siede. Le texte I, Citta del Vaticano 1963 (Studie Testi 226) S. 246ff. Über den großen Rahmen orientiert kenntnisreich C. VoGEL, Introducdon aux sources de l'hist. du culte chretien au moyen äge, II, in den Studi medievali, 3· serie, III, 1962 S. 1-98 u. IV, 1964 S. 435-569, jetzt erweitert unter diesem Titel zu einem Band von 385 S. (Biblioteca degli »Studi medievali« I, Spoleto 1966).
Für die folgenden Abschnitte beziehe ich mich auf acht Bände, die ich bei den folgenden Abschnitten nur noch in einzelnen Fällen anführe: 1. Kaiser Friedrichs ll. Herrschaftszeichen. Göttingen 195 5 (Abhandl. der Akad. der Wiss. in Göttingen, Phil.-Hist. Kl., 3· Folge Nr. 36; 162 S. mit 98 Abb.).
Verweise auf Literatur
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2. Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert, mit Beiträgen verschiedener Verfasser, Stuttgart: Verlag Anton Hiersemann (Schriften der Monumenta Germaniae Historica, Band I3): I, I954; II, I955; III, I956 (zusammen n65 Seiten mit I20 Tafeln). 3· Sphaira- Globus- Reichsapfel, Wanderung und Wandlung eines Herrschaftszeichens von Caesar bis zu Elisabeth II. Ein Beitrag zum >Nachleben der Antike<, Stuttgart: Verlag Anton Hiersemann, 1958 (2I9 S. in Quart mit 84 Tafeln). 4· (Zusammen mit Dr. phil. FLüRENTINE MüTHERICH): Denkmale der deutschen Könige und Kaiser. Ein Beitrag zur Herrschergeschichte von Karl dem Großen bis Friedrich II. (768-I25o), München: Prestel-Verlag I 962 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, II); darin (P. E. S.): Versuch der Rekonstruktion des Hortes und sonstigen beweglichen Herrscherbesitzes - Dokumente - (FL. M.): Katalog - 244 Tafeln - Register (zusammen 484 Seiten in Quart). Außerdem behandelte ich einzelne Länder in folgenden Büchern: 5· Imperium Romanum des Mittelalters: Kaiser, Rom und Renovatio, I-II,Lpz. I929 (Photomechan. Neudruck von Bd. I mit Nachträgen: Darmstadt I957). Eine ital. Übersetzung wird vorbereitet. 6. England: Geschichte des englischen Königtums im Lichte der Krönung, Weimar I937 (Photomechanischer Neudruck mit Nachträgen ist vorgesehen); Übersetzung von L. G. WrcKHAM LEGG: A History of the English Coronation, Oxford I937· 7· Frankreich: Der König von Frankreich. Das Wesen der Monarchie vom 9· zum I6. Jahrh. Ein Kapitel aus der Gesch. des abendländischen Staates, 1-II, Weimar I939 (Photomechan. Neudruck mit Nachträgen: Darmstadt I96o). 8. Spanien: Eine Geschichte des Königtums in Spanien (Kastilien-Le6n, Navarra, Aragon) habe ich vorbereitet; eine Reihe von Kapiteln ist bereits in Festschriften und Zeitschriften erschienen. Übersetzt wurden: Eis primers comtes-reis: Rarnon Berenguer IV, Alfons el Cast, Pere el Catolic per P. E. SCHRAMM, J.-F. CABESTANY, E. BAGuE, Barcelona I96o und (aus: Herrschaftszeichen aaO.): Las Insignias de la Realeza en Ja Edad Media Espafiola, Traducci6n y Prologo de L. VASQUEZ DE p ARGA, Madrid I 960.
Abschnitt a-b: Gesten der Untertanen und Gesten der Herrscher Auf diesem Gebiet bleibt noch viel zu tun. Ich führe vornehmlich Arbeiten aus den letzten Jahren an: Viele Perspektiven eröffnen die Studien von HERBERT FISCHER in Graz. Ich nenne hier: Die offene Kreuzhaltung im Rechtsritual, in der Festschrift A. STEINWENTER (Grazer Rechts- u. Staatswiss. Studien III), Graz-Köln I958 S. 9-37; Das Wort im Nacken, in der Zeitschr. für Ganzheitsforschung N. F. V, Wien I96I S. I25-33; Die eheliche Verantwortung u. das Schultersymbol, in: Antaios, Zeitschr. für eine freie Welt I, Stuttgart I959[6o S. I86-2o8. Zum Altertum vgl. C. SITTL, Die Gebärden der Griechen und Römer, Lpz. I89o (vornehmlich auf Wortzeugnisse gestützt) und GERHARD NEUMANN, Gesten und Gebärden in der Griech. Kunst, Berlin I965 (225 S. mit 77 Abb.), der von den Bildzeugnissen ausgeht und die spätklassische Zeit einbezieht. Er scheidet die intentionalen >Gesten< von den emotionalen >Gebärden<; als dritten Bereich grenzt er die >Mimik< ab. Über die verschränkten Hände als antike Geste des consensus vgl. KL. ÜEHLER, Der Consensus Omnium, in: Antike u. Abendland X, I96I S. I03-29; über eine andere Handgeste BR. PARADISI, Rito e retorica in un gesto della mano, in: Stud. in onore de A. C. jEMOLO, Varese 1962. Für die Päpste s. G. B. LADNER, The Gestures of Prayer in Papal Iconography of the XIII. and early XIV. Centuries, in: Didascaliae. Studies in Honor of A. M. ALBAREDA, ed. by S. PRETE, New York I96r S. 245-75. Über die Proskynese vgJ. FEODORA PRINZESSIN VON SACHSEN-MEININGEN, Proskynesis in Iran, in FR. ALTHEIM, Gesch. der Hunnen II, Berlin I96c S. 125-66.
Einleitung: 2. Herrschaftszeichen, Staatssymbo!ik, -präsentation Für die germanische und altdeutsche Zeit vgl. KLARA STROEBE, Altgerm. Grußformen , Diss. Heidelberg, Halle I9II; W. BOLHÖFER, Gruß und Abschied in althochdeutscher und mittelhochdeutscher Zeit, Diss. Göttingen 1912. Für das Mittelalter fehlt, was für das Romische Reich A. ALFÖLDI geleistet hat: Die Ausgestaltun g des monarchisch en Zeremoniells am römischen Kaiserhof, in den Mitteil. des Deutschen Archäol. Inst., Röm. Abt. 49, 1934 S. r-u8. Bemerkensw ert ist, daß Otto I. von seinem Bruder Brun, der sich von ihm verabschiedet, den Handkuß empfängt, obwohl dieser Erzbischof war; vgl. EKKEHARD: Casus s. Galli cap. 16 (Mon. Germ., Script. II S. 147):jratre manu osculata discedente. Die Lit. zu dem im Text angeführten> Ruodlieb< sowie Editionen bei P. E. S., Denkmale aaO. S. 99 ff. S. auch W. HABICHT, Die Gebärde in englischen Dichtungen des Ma.s, in der Abhandl. der Bayer. Akad., Phil.-hist.-Kl. N. F. 46, 1959 (r68 S.).
Abschnitt c: Dinge, die den Herrscher zu vertreten vermogen r. Fahnen und Banner P. E. S., Herrschaftszeichen II S. 643-84 (Kap. 27: Beiträge zur Gesch. der Fahnen und ihrer Verwandten; Kap. 28: Signifer regis, Signifer sacri imperii, Signifer regni Italici).- Nachzutrage n sind K. GoLDAMMER, Die heilige Fahne. Zur Gesch. u. Phänomolog ie eines religiösen Objektes, in: Tribus, Zeitschr. für Ethnologie, N. F. IV/V. 1954/55, Stuttgart 1956 S. 13-55; PETER PAULSEN, Feldzeichen der Normannen, im Archiv für Kulturgesch. 39, 1957 S. r-42; R. EGGER, Das Labarum, die Kaiserstandarte der Spätantike, Wien 1960 (Österr. Akad. der Wiss., Sitzungsberichte, Phil.Hist. Kl. 234, r); H. HoRSTMANN, Die Rechtszeichen der europäischen Schiffe im Mittelalter, in: rooo Jahre Bremer Kaufmann, Bremen 1965 (Bremisches Jahrbuch 50) S. 75-133. Über die Rolle der Fahne (Pend6n) und des Fahnenträger s (Alferez) in Kastilien vgl. P. E. S., Das Kastilische Königtum und Kaisertum (II. Jahrh. bis 1252), in der Festschrift für G. RITTER, Tübingen 1950 S. 105 und Herrschaftszeichen aaO. II S. 667f., 683. Im übrigen vgl. Band VI.
Der Stab des Alkalden Mich berührte seltsam, daß ein indianischer Alkalde, den ich in einem Dorf in der Nähe von Cuzco (Peru) beobachtete, vor dem Beginn der Sonntagsmesse seinen Stab mit silbernem Beschlag an die Mauer der Kapelle lehnte, um seine Gewandung schicklich herzurichten, und ihn dann küßte, als er ihn wieder in die Rechte nahm. Die von mir befragten ibero-amerikanischen Kollegen vermochten mir keine Erklärung zu geben; so wage ich diese: diesen Stab empfingen die Alkalden einst durch Vermittlung von Zwischenins tanzen vom spanischen Vizekönig, der dazu als Vertreter des Königs befugt war: ihm gebührte ein Handkuß und daher auch dem Zeichen, das ihn vertrat. Inzwischen ist Peru eine Republik geworden, aber der - einst sinngemäße - Brauch ist dort im Bergland der Cordilleren offensichtlich unverändert beibehalten worden. 2.
Münzen, Siegel und Bullen
Die Lit. ist so umfangreich, daß sie hier nicht namhaft gemacht werden kann. Meine Beiträge zur karolingischen Zeit werden im folgenden wieder abgedruckt: Die ZeitgenössischenBilder Karls d. Gr., Lpz. 1928 (Beiträge zur Kulturgesch. 29) S. 20-29 über Karls Metallbullen, S. 6o-7o über die übrigen Metallbullen des 9· Jahrhunderts ; Kar! d. Gr. im Lichte der Staatssymbolik, in: Karo!. u. Otton. Kunst, Wiesbaden 1957 S. 37ff. über Karls Münzen (das Bildnis das des Kaisers Konstantirr nachahmend). c) Zu den Wappen (für die gleiches gilt) im Rahmen der >Zeichen< vgl. P. E. S., Herrschaftszeichen III S. 963 ff.
Literatur zu Abschnitt c--e
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Abschnitt d: Bilder der Herrscher Die spätantiken Herrschaftsbilder hat RICHARD DELBRÜCK bearbeitet. Für das byzantinische Reich ist maßgebend ANDRE GRABAR, L'empereur dans l'art byzantin, Paris 1936 (La Faculte des lettres de l'Univ. de Strasbourg); zu der geplanten Neubearbeitung des seit langem vergriffenen Buches ist der Verf. noch nicht gekommen. Die wissenschaftliche Bearbeitung der Papstbildnisse hat G. B. LADNER eingeleitet, aber leider noch nicht zu Ende führen können: I rittratti dei papii, Citta del Vaticano 1941 (Mon. di Antichita Ctistiana II. serie 4), dazu Aufsätze (Papstbildnisse auf Münzen des 8. und ro. Jahrh., in der Numismat. Zeitschr., N. F. 28, 1935 S. 46-50 usw.). Seit langem vergriffen ist P. E. S., Die deutschen Kaiser u. Könige in Bildern ihrer Zeit I: 751I I 52, Lpz.-Berlin 1928 (Text- und Tafelband; dort sowie in: Die zeitgenöss. Bilder Karls d. Gr. aaü. die Mosaikbilder). Später werde ich die von mir gesammelten Nachträge zusammenstellen; mit C. A. WILLEMSEN bereite ich die Fortsetzung bis zum Ende des 15. Jahrh. vor, der dann hoffentlich eine Neubearbeitung des I. Bandes folgen kann.
Abschnitt e: Titel I.
Die Königs- und Kaisertitel Rom
Nachweise erübrigen sich, da viele Hand- und Nachschlagebücher Zugang bahnen. Erforderlich ist eine Fortsetzung von L. BERLINGER, Beiträge zur inoffiziellen Titulatur der römischen Kaiser, Diss. Breslau 1935.
Byzanz und Südosteuropa Für Byzanz vgl. L. BREHIER, L'origine des titres imperiaux a Byzanz, in der Byzant. Zeitschr. XIV, 1905 s. 161-78. V gl. E. STEIN, Postconsulat et avrouearoeta, im Annuaire de !'Institut de Philologie et d'Histoire Orientales II, 1934 S. 869-912. G. ÜSTROGORSKY, Avtokrator i Samodrzac, Belgrad 1935 (Glas der Kgl. Serb. Akad. CLXIV, n. Serie, Phil.-Hist. Wiss. 84). F. DöLGER, Das byzantinische Mitkaisertum in den Urkunden, in der Byz. Ztschr. 36, 1936, S. 123-145. DERS., Besprechung von V. LAURENT (Notes de titulature byzantine, im Echo d'Orient 38, 1939 S. 355-37o); ebd. 40, 1940 S. 518-20. DERS., Die Entwicklung der Byzantinischen Kaisertitulatur und die Datierung von Kaiserdarstellungen in der Byzantinischen Kleinkunst, in seinem Buch: Byzantinische Diplomatik, Ettal 1956 S. 130-161. Über das Verhältnis des Basileus zu den anderen Herrschern, das sich vor allem an den Titulaturen ablesen läßt, vgl. F. DöLGER, Die Familie der Könige im Mittelalter, im Hist. Jahrb. 6o, 1940 S. 397-420 (wieder abgedruckt in: Byzanz u. die europ. Staatenwelt, Darmstadt 1964 S. 34-69; s. auch ebd. S. 14o-58: Bulgar. Zarturn u. Byzantin. Kaisertum und S. 183-96: Der Bulgarenherrscher als geistlicher Sohn des byzant. Kaisers). Ferner F. DöLGER, Die Kaiserurkunde der Byzantiner als Ausdruck ihrer politischen Anschauungen, in der Histor. Zeitschr. 159, 1938/39, S. 229-50 (wieder abgedruckt in: Byzanz u. die europäische Staatenwelt, Darmstadt 1964 S. 1-33). Zu t-tiyar; ßamkvr;, einem nach H. GR:EGOIRE von Michael III. angenommenen Titel, um das Übergewicht über den Westen zu dokumentieren, vgl. die ablehnende Rezension von F. DöLGER in der Byzant. Zeitschr. 31, 1931 S. 170 und DERS., Byzanz u. die europ. Staatenwelt, Darmstadt z. Aufl. 1964, S. 312 Anm. 54·
4 Schramm, Aufsätze I
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Einleitun g: 2. Herrschaftszeichen, Staatssymbolik, -präsentation
Zu vergleichen ist auch noch G. ÜSTROGORSKY, Die byzantinische Staatenhie rarchie, im Seminarium Kondako vianum vrrr, 1936 s. 41-61. S. ferner W. ÜHNSORGE, Drei Deperdita der byzantinischen Kaiserkanzlei und die Frankenadresse des Konstanti nos Porphyro gennetos, in der Byzant. Zeitschr. 45, 1952 S. 331ff. (Jetzt: Abendlan d u. Byzanz, Darmstad t 1963, S. 227-54). Seine Forschun gen kann nicht fortsetzen der uns durch den Krieg entrissene 0. TREITINGER, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee nach ihrer Gestaltun g im höfischen Zeremoniell, Jena 1938 (neugedru ckt von der Wissensch. Buchgesellschaft, Darmstad t) und DERs., Vom oströmischen Staats- und Reichsgedanken, in der Leipziger Vierteljahrschr. für Südosteur opa IV, 1940 S. r-25. Aufschlußreich ist auch H. HUNGER, Prooirnion. Elemente der byzant. Kaiseridee in den Arengen der Urkunden , Wien 1964 (Wiener Byzant. Studien I; 26o S.). Über den bulgarisch-serbisch-russischen Zarentitel vgl. GY. MoRAvcsrK, Zur Gesch. des Herrscher titels >Caesar = l(APb<, in: Melanges G. ÜSTROGORSKY l, Belgrad 1963 (Recueil des travaux de l'Inst. d'etudes byz. VIII) S. 229-32 (danach wohl schon im VI. Jahrh. aus dem Lateinisch en übernomm en). Vgl. Lit. über den byzantinischen Kaisertitel ebd. S. 232 Anm. 29. Über Ungarns. die unten S. 51 angeführt e Diss. von J. BAK; über den für Bela III. geschaffenen Titel, der ihn als Erben des Basileus kennzeichnen sollte, vgl. G. ÜSTROGOR SKY, Urum-Despotes. Die Anfänge der Despotesw ürde in Byzanz, in der Byzant. Zeitschr. 44, 1951 S. 448-6o. Über den Titel, der dem Kaiser Friedrich II. in der arabischen Welt eingeräum t wurde, vgl. H. L. GorrscHALK, Al-anbaratiir-/Imperator, in: Der Islam 33, 1957 S. 3off. (auch: al-anbarür). Diese Bezeichnung wurde auch auf Friedrichs Söhne, Konrad IV. und Manfred, angewand t.
Der abendländische Kaisertitel Da die mit ihm zusammenhängenden Fragen in den folgenden Studien oft berührt werden (vgl. bes. im TI. Band: >Die Titel der .. Karolinger< und im III. Band: Personal- und Matrimonialunionen), begnüge ich mich für Deutschla nd zunächst mit dem Hinweis auf E. E. STENGEL, Abhandl. u. Untersuchunge n zur Gesch. des Kaisergedankens im Ma., Köln-Gra z 1965 (vgl. bes.: S. 1-170: Der Heerkaiser, zuerst Weimar 1910 unter dem Titel: >Den Kaiser macht das Heer<, und S. 239-86: Kaisertitel und Souveränitätsidee. Studien zur Vorgesch. des modernen Staatsbegriffs, zuerst im Deutsche n Archiv III, 1939 s. 1-5 6). H. WoLFRAM, Intitulatio. I: Lateinische Königs- u. Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrh.s, Graz-Wie n-Köln 1967 (Mitteil. des Inst.s f. Österreich. Gesch.forsch., Erg.bd. XXI; 271 S.); dort S. 206--44 über den karolingischen Königstit el vor 8oo. Zu den von Kar! d. Gr. geführten Titeln vgl. P. E. S., Die Anerkenn ung Karls d. Gr. als Kaiser, in der Histor. Zeitschr. 172, 1951 S. 498ff. (auch gesondert : München 1952 S. 54ff.) und DERS., Kar! d. Gr. im Lichte der Staatssymbolik aaO. S. 35 ff. (unten wieder abgedruckt). Von mir angeregt wurde SrGURD GRAF v. PFEIL, Die Titel derfränkischen Könige und Kaiser bis 911, Diss. Göttingen 1958 (nur in Masch.-Schrift vorliegend). Ein Abschnitt erschien unter dem Titel: Der Augustus -Titel der Karolinger, in: Die Welt als Geschichte XIX, 1959 S. 194-210. Vgl. dazu in Bd. II mein Referat: >Die Titel der Karolinge r 813-9II<. Die Frage, von wann an sich die deutschen Könige den Titel »König der Römer« beilegten, hat neu untersuch t R. BucHNER, Der Titel rex Romanorum in deutschen Königsur kunden, im Deutsche n Archiv 19, 1963, S. 326-38. Er zeigt, wie unsicher die Überlieferung ist: alle Belege für die Zeit von Konrad ll. bis Heinrich IV. sind Anzweifelungen ausgesetzt; jedenfalls ist der Brauch damals noch nicht kanzleimäßig. Von Heinrich V. an wird der Titel dagegen oft (auch in der Kanzlei) gebraucht. Über den von König Konrad lll. (II38-p) gelegentlich verwandt en Kaisertitel , der ihm bei den Byzantinern höheres Ansehen verschaffen sollte, vgl. W. ÜHNSORGE, >Kaiser< K. III., in den Mitteil.
Literatur zu Abschnitt e des Inst. f. österr. Geschforsch. 46, 1932 ,S. 343ff. (wieder abgedruckt in seiner Aufsatzsammlung: Abendland u. Byzanz, Weimar-Darmstadt 1958, S. 364ff.). Für den Reichstitel ist noch immer grundlegend K. ZEuMER, Heiliges römisches Reich deutscher Nation. Eine Studie über den Reichstitel, Weimar 1910 (Quellen u. Studien zur Verfassungsgesch. IV, 2),dazuA. DIEHL, HlgesRöm.Reich deutscher Nation, in der Histor. Zeitschr.r56, 1937,S·457-484 (weitere Beiträge s. DAHLMANN-WArTz Nr. 2398). Reichs- unQ. Kaisernamen sowie -titel behandelt K. G. HuGELMANN, Nationalstaat u. Nationalitätenrecht im deutschen Ma., I, Stuttgart 1955, S. 385-404. Über die Einfügung von sacrum in den Reichstitel (vorübergehend auch: sacratissimum) auf Grund alter Tradition durch Reinald von Dassei vgl. R. M. HERKENRATH, R. v. D. als Verfasser u. Schreiber von Kaiserurkunden, in den Mitteil. des Inst. f. österr. Gesch.forsch. 72, 1964, S. 40f. (der Gebrauch von sacrum zusammen mit Romanumgehört erst dem 13. Jahrh. an). Über sacrum imperium (Seit 115 7 von der .Kanzlei Friedrichs I. benutzt) s. H. APPELT, Die Kaiseridee Fr. Barbarossas, Referat im Anzeiger der Oesterr. Akad. der Wiss. Phil.-Hist. Kl. 103, 1966 S. 131f. und ganz in den »Sitzungsberichten« Phil.-Hist. Kl. 252, 4· Abh., 1967.
Hinweise auf andere Länder Die Geschichte des - komplizierten - Titels der Könige von Aragon behandelten J. DELAVILLE LE RouLx in den Nouvelles Archives des missions scient. et litt. IV, 1913, S. 259ff. (darauf gestützt: P. E. ScHRAMM, Der König von Aragon, im Histor. Jahrb. 74, 1955, S. 109f.) und F. MATEU Y LLOPIS in den Spanischen Forschungen der Görres-Gesellschaft, r. Reihe: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgesch. Spaniens IX, 1954. Den kastilischen Königstitel, den ich in Aufsätzen bereits berührte, hoffe ich einmal in dem in Aussicht gestellten Buch eingehend behandeln zu können. Die im Laufe der Jahrhunderte erfolgten Abwandlungen des englischen Königstitels (>Style<) sind wegen ihres staatsrechtlichen Charakters viel beachtet worden. V gl. die Zusammenstellung von H. G. RrcHARDSON im Handbook of Chronology, London 1939 (R. Hist. Soc.). Über die Frage des Titels imperator (bzw. basileus) bei den Angelsachsen vgl. R. DRÖGEREIT, Kaiseridee und Kaisertitel bei den Angelsachsen, in der Zeitschr. für Rechtsgesch. 69, Germ. Abt., 1952, S. 54ff., dagegen E. E. STENGEL, Imperator und Imperium bei den Angelsachsen. Eine wortund begriffsgeschichtliche Untersuchung, im Deutschen Archiv XVI, 1960, S. 15-72 (Wieder abgedruckt in: Abhandl. u. Untersuchungen zur Gesch. des Kaisergedankens im Ma., Köln-Graz 1965, s. 287-338). Über den Titel der normannischen Herzöge vgl. MARIE FAuRoux, Recueil des actes des ducs de Notmandie (9rr-ro66), Caen 1961 (Mem. de Ja Soc. des Antiquaires deN., Bd. 36), S. nff. (s. die Zusätze von W. KrENAST in der Histor. Zeitschr. 199, 1964, S. 47of.). Der Bezeichnung Erzkönige, bezogen auf Dänemark, Frankreich und Ungarn, die in der spätmittelalterlichen Staatstheorie auftaucht, kommt keine offizielle Bedeutung zu; vgl. J. LIEDGREN, Arkekonungen av Danemark och det tyskromerska rikets indelning, in der Finnischen Histor. Tidskrift 40, 1955, S. 76f.; s. hierzu Deutsches Archiv XII, 1956, S. 269 (vgl. die Benennung des 1443 zum König der nordischen Reiche gekrönten Christoph von Bayern: Archirex Daniae). Dr. JoH. M. BAK (z. Z. Delaware, USA), der in seiner von mir angeregten, noch ungedruckten Dissertation (Das ungar. Königtum im späten Ma., Göttingen 1962) der Titelfrage in Ungarn nachgegangen ist, steht vor dem Abschluß eines Buches, in dem er den Herrschertitel des Mittelalters im europäischen Rahmen behandelt.
Einleitung: 2. Herrschaftszeichen, Staatssymbolik, -präsentation 2.
Weitere Fürstentitel
Über die aus der Antike stammende Bezeichnung >princeps< (PAULY-W1SSOWA, Realencycl. 22, 2 1954, S. 199Sf. und Suppl. S, 1956, S. 62Sff.) im Ma. s. H. KoLLER, Die Bedeutung des Titels >princeps< in der Reichskanzlei unter den Saliern und Staufern, in den Mitteil. des Inst. f. Österreich.-Ges ch.forschung 4S, 196o, S. 63-So. R. SPRANDEL, Dux und Comes in der Merowingerzei t, in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 74, German. Abt., Weimar 1957, S. 41-S4 zeigte, daß es sich im 6./7. Jahrh. noch nicht um feste Amts- oder Rangbezeichnu ngen handelte. Beide Titel hatten eine schillernde Bedeutung, bei der die Antike nur durch die literarische Überlieferung mitsprach. Vgl. ferner D. CLAUDE, Untersuchunge n zum frühfränkischen Cornitat, in der Zeitschr. für Rechtsgesch. Sr, German. Abt., r964, S. r-79 (s. die Zusammenfassu ng S. 79: »Der Amtscharakter des Dukats, den das Königshaus zu wahren suchte, schwindet im 7· Jh., so daß seine Inhaber vor allem östlich des Rheins, aber später auch in Aquitanien faktisch zu selbständigen Herrschern werden. Der Unterschied zwischen Amts- und Stammesherzögen besteht in der inneren Struktur ihrer Herrschaftsgebiete. Es gab keine Titularherzöge«). W. KrENAST, Die Ursprünge des Herzogstitels in Frankreich, in: Etudes sur l'hist. des assemb!ees d'etats, ed. FR. DuMONT, Paris 1966 (Travaux et Recherehes de Ia Fac. de droit etc., serie >Sciences hist.< No. S), S. r3-35 (Resümee des Frankreich-Kap itels aus dem vom Verf. vorbereiteten Buch: >Der Herzogstitel in Frankreich u. Deutschland<). Ein Aufsatz mit diesem Titel in der Histor. Zeitschr. 203, r966, S. 532-So. Über >Herzog und Fürst im deutschen Sprachbrauch< vgl. den Aufsatz von EDw. SeHRÖDER (mit dieser Überschrift) in der Zeitschr. f. Rechtsgesch., Germ. Abt. 44, 1924, S. 1ff. Über den Titel Erzherzog und die Titel, die der Herzog Rudolf IV. von Österreich vergeblich anstrebte, vgl. URSULA BEGRICH, Die fürstl. Majestät Herzog Rudolfs IV. von Ö., Wien r965 (Wiener Diss.en aus dem Gebiet der Gesch.; 166 S.). Über die von den Welfen um die Mitte des I4. Jahrh. aufgegriffene, aus der Pfalzgrafenwürde abgeleitete Bezeichnung: Princeps Saxoniae vgl. W. ÜHNSORGE im Niedersächs. Jahrbuch 3I, 1959, S. 127-54; dazu die Miszelle von G. ScHNATHin der Zeitschr. f. Rechtsgesch., Germ. Abt. 79, 1963, s. 245· Über den Titel Großherzog vgl. A. GRUNZWEIG, Le Grand Duc du Ponant, in: Le Moyen Age I 9 56, S. II9-65. H. H. HoFMANN, Serenissimus. Ein fürstliches Prädikat im I 5. Jahrhundert, im Histor. Jahrbuch So, I961 S. 240-p. E. HoLZMAIR, Maria Theresia als Trägerin >männlicher< Titel, in den Mitteil. des Inst. f. österr. Gesch.forschun g 72, I964, S. I23-34 (behandelt: Imperatrix, Regina, Rex, Dux, Archidux, Magna Dux, Princeps usw.). Über den Titel der pommerseben Herzöge s. P. CzAPLEWSKI, Tytulatura ksiaz~t pomorskich, in: Zapiski Towarzystwa Naukowego w Toruniu XV, 1949 S. 9-62 (hier S. 53ff. über: dux, princeps, dominus, vicedominus, domicellus, rex, senior, satrapa). J. Die Dei-gratia-Formel
Grundlegend bleibt K. ScHMITZ, Ursprung u. Gesch. der Devotionsform eln bis zu ihrer Aufnahme in die fränkische Königsurkunde , Stuttgart I9I3 (Kirchenrecht!. Abhandl. Sr), dazu W. STAERK, Dei Gratia. Zur Gesch. des Gottesgnadentu ms, in der Festschrift W. JuDEICH zum 70. Geburtstag, Weimar I929 S. 160-72. Für die Anfänge vgl. W. ENSSLIN, Gottkaiser und Kaiser von Gottes Gnaden, in den Sitz.-Berichten der Bayer. Akad., phil.-hist. Abt. 1943 Heft 6 (s. bes. S. 12off.: Dei Gratia. Ein Ausblick auf die Entwicklung im Westen; s. auch WoLFRAM a. a. 0., S. 213.)
Literatur zu Abschnitt e-f Über den herrscherliehen Bereich führt mit vielen Zeugnissen hinaus J. SCHWIETERING, Die Demutsformel der mittelhochdeutschen Dichter, in den Abband!. der Gesellsch. d. Wiss. in Göttingen, Phil.-hist. Kl. N. F. vn, 3, 1921; DERS. (in Abwehr von E. R. CURTIUS. Europ. Lit. u. latein. Ma., Bem 1948 S. 4I3): The Origin of the Medieval Humility Formula, in PMLA (Pub!. of the Modern Language Ass. of America) 69, I954 S. 1279-9I. über die Frage, ob Kar! d. Gr. -als er 768 die Dei-gratia-Formel in seinen Titel übernahm- dem Vorbild der Angelsachsen folgte, vgl. P. E. S., Kar! d. Gr. im Lichte der Staatssymbolik, in: Karoling. u. Qttorr. Kunst. Werden - Wesen - Wirkung; Wiesbaden I 9 57 S. 20 (dort weitere Lit.) (s. jetzt unten S. 198). Über seine Nachfolger vgl. die oben S. 50 angeführte Diss. von SIGURD GRAF PFEIL und den in Bd. II folgenden Auszug. Die Devotionsformel blieb nicht auf die Könige beschränkt: Boso, der spätere König von Burgund, nannte sich in der Intitulatio einer 878 ausgestellten Urkunde: Ego, Boso, Dei gratia, id quod sum; vgl. unten Bd. TI.- Die Herzöge Arnulf von B'!)'ern (t 937) und sein Bruder Bertold (t 947) fügten ihrem Titel dux hinzu: divina ordinante providentia, bzw. divina favente clementia; s. K. REINDEL, Die bayerischen Luitpoldinger 893-989, München 1953 (Quellen u. Erörterungen zur bayer. Gesch., N. F. XI) S. 78 (a. 908) und S. I 57 (a. 937). Die Gräfin Clementia von Flandern, die während der Teilnahme ihres Gatten Robert am Kreuzzug ihn vertrat, urkundet 1097/8 als: Ego Clementia per manum (bzw. nutu) Dei Flandriae comitissa; vgl. H. SPROEMBERG, 0., Gräfin von Fl., in der Revue beige de philol. et d'hist. 44, 1964 S. I2I3/4· In dieser Zeit setzten auch die Grafen in den kleinen Grafschaften an den Pyrenäen ihrem Namen und Titel bereits Dei gratia zu. In Italien legten sich nicht nur die Podesta, sondern auch die Consules der Städte die Bezeichnung >divina gratia< bei; vgl. für Viterbo NoRBERT KAMP, Istituzioni comunali in Viterbo nel medioevo I: Consoli etc. nei sec. XII e XITI, Viterbo 1963 (Bibi. di Studi Viterbiensi I) S. 9, 14.- Erwünscht wäre eine Zusammenstellung aller derjenigen, die sich im Laufe der Jahrhunderte die >Dei-gratia<-Formel 'angeeignet haben, und die Feststellung, wann das geschah.
Abschnitt f' Namen sowie Lob- und Ehrenwörter I.
Namen und Beinamen
Wichtig ist vor allem H.-W. KLEWITZ, Namengebung und Sippenbewußtsein in den deutschen Königsfamilien des 10. bis 12. Jahrhs., im Archiv für Urkundenforschung XVIIT, 1944 S. 23ff. Über die von Kar! d. Gr. für seine Söhne gewählten Namen vgl. P. E. S., Kar! d. Gr., Denkart und Grundauffassungen, ill der Histor. Zeitschr. 198, 1964 S. 311f. (unten wieder abgedruckt). Über die Wiederaufnahme des Namens >Kar!< in Frankreich um 12.00 s. P. E. S., König von Frankreich a. a. 0. I S. 175 f. Über Ansippung s. K. HAucK, Geblütsheiligkeit, in: Liber floridus, Festschrift für PAUL LEHMANN, St. Ottilien 1950 S. I92f. Über den Beinamen der Große vgl. FRIEDRICH PFISTER, Alexander d. Gr. Die Geschichte seines Ruhms im Lichte seiner Beinamen, in: Historia xm, 1964 s. 37-79, bes. s. 55ff. und PETER P. SPRANGER, Der Große. Untersuchungen zur Entstehung des historischen Beinamens in der Antike, in: Saeculum IX, I958 S. 22-58. Über Magnus als Beinamen Karls d. Gr. s. PAUL LEHMANN, Erforschung des Ma. I, Stuttgart 1959 (Neudruck von 194I) S. I2.9ff. (dazu auch unten). Über die Rolle Konstantins des Großen vgl. H. WoLFRAM, Constantin als Vorbild für den Herrscher des hochmaLen Reiches, in den Mitteil. des Inst. f. österr. Gesch.forsch. 68, 1960 S. 234ff. (dazu auch unten).
54 2.
Einleitung: 2. Herrschaftszeichen, Staatssymbolik, -präsentation Ehren- und Lobwörter
Aus A. ALFÖLDIS Studien sei hier nur genannt die Aufsatzfolge: >Die Geburt der kaiserl. Bildsymbolik< (>Der neue Romulus<, Parens patriae usw.) im Museum Helveticum (VII, I95o S. Iff., VIIT, 1951 S. I90-215, IX, I952 S. 204-43, XI, I954 S. I33-69, XIV, I957 S. Io3-64). Für Roms. G. GERN.ENTZ, Laudes Romae, Diss. Rostock I9I8. Zu splendor imperii vgl. H. WoLFRMf, Sp. imp. Die Epiphanie von Tugend und Heil in Herrschaft und Reich, Graz-Köln I963 (Mitteil. des Österr. Inst. f. Gesch.forsch., Ergänzungsbd. XX, Heft 3; I99 S.). Reiches Material zu: c!ementia, gloria, libera!itas, maiestas, respublica usw. bei H. v. FicHTENAU, Arenga: Spätantike und Ma. im Spiegel von Urkundenformeln, Graz-Köln I957 (Mitteil. des Österr. Inst. für Gesch.forsch., Erg.bd. XVIIT; 284 S.). Über diese Begriffe in der Karolingischen Zeit vgl. in Bd. II: >Die Titel der Karolinger<. In dem noch 799 verfaßten Gedicht KaroJus Magnus et Leo Papa (Mon. Germ., Poet. lat. I S. 366 bis 79) sind die Verse 6I-66 gefüllt mit ail den Lobwörtern und Ehrennahmen, die der unbekannte Verfasser als angemessen für Kar! ansieht: diese Liste bildet einen guten Ausgangspunkt für weitere Forschung im Mittelalter. - Neue Ausgabe von H. BEUMANN, F. BRUNHÖLZL, W. WINCKELMANN: KaroJus M. etLeo papa, Münster I966 (Studien u. Quellen zur Westfäl. Gesch. 8). Über invictissimus in der Kaiserzeit Ottos I. vgl. K.-U. JÄSCHKE, Königskanzlei und imperiales Königtum im IO. Jahrh., im Histor. Jahrbuch 84, I964 S. 288-3;;. V gl. ferner FR. BITTNER, Studien zum Herrscherlob in der mittellateinischen Dichtung, Würzburg/Volkac h 1962 (171 S.). Über die Geschichte der Ehrenbezeic hnung >Majestät< vgl. URsuLA BEGRICH, Die fürstl. >Majestät< Herzog Rudo!fs IV. von Österreich. Ein Beitrag zur Gesch. der fürstl. Herrschaftszeichen im späten Ma., Wien 1965 (Wiener Diss.en aus dem Gebiete der Geschichte; I66 S. in Quart mit Abb.). Über den weiteren Gebrauch von >Majestät< informiert noch gut: H. G. ZEDLER, UniversalLexikon, 19. Bd., Halle u. Leipzig 1739; Sp. 534-550: Majestät. Der Kaiser, der diese Anrede als sein Vorrecht ansah, stand sie I633 den Königen von England und Schweden, I641 auch dem von Frankreich zu. Über die >Lobwörter< decus imperii u. spes imperii vgl. den Anhang zu P. E. S., Die Bügelkrone, ein karolingisches Herrschaftszeichen, in der Festschrift für K. G. HuGELMANN, II, Aalen I959 s. 573-78 Getzt in Band n und Ill). Die ältere Lit. über das Wort >honor< bei P. KEHR, Die Belehnungen der süditalienischen Normannenfürsten, in den Sitzungsber. der Akad. der Wiss. zu Berlin I934, Phil.-Hist. Kl. Nr. I S. 4o; dieneuere bei V. PFAFF, Die Gestalt Innocenz' III. u. das Testament Heinrichs VI., in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 8I, Kan. Abt. 50, I964 S. 123 Anm. I48. Zu der Formel bonor regtli (bzw. imperii) vgl. P. RAssow, Honor imperü. Die neue Politik Friedrich Barbarossas, II 52-II 59, München I 940, Neudruck Darmstadt I 96I (über die Rechtsbedeutung vgl. H. APPELT, Der Vorbehalt kaiserlicher Rechte in den Diplomen Friedrich Barbarossas, in den Mitteil. des Inst. für Österr. Gesch.forsch. 68, I96o S. 8I-97); dazu HARTMUT HoFFMANN in der Festschrift für HARALD KELLER, Darmstadt I963 S. 77ff. Über sublimis (-issimus) vgl. Byzant. Zeitschr. XI, 1902 S. 6I 5. Instruktiv ist der Aufsatz von H. H. HoFMANN, Serenissimus, im Histor. Jahrbuch So, I96I S. 24o-5 I; er müßte ergänzt werden durch die Geschichte der Anreden: >Kgl. Hoheit<, >Durchlaucht<, >Erlaucht< usw. Bei den Ehrenbezeichnungen rex cbristianissimus für den französischen, rex catbo!icus für den spanischen, rex ftdelissimus für den portugiesischen König, >apostolischer König< für den ungarischen Herrscher erübrigt es sich, Literatur anzuführen, da deren Rolle in der Geschichte der Staatssymbolik bekannt ist. Das gleiche gilt
Literatur zu Abschnitt f-g für die Ehrenbezeichnungdefensor ftdei, die der Papst dem König Heinrich VITI. von England verlieh und seine Nachfolger trotz des Bruches mit Rom festhielten.
Literatur über den päpstlichen Titel verzeichnen die Kirchenlexika. Ich vermerke hier nur: M. MACCARONE, Vicarius Christi: Storia del titolo papale, Rom I952 (Lateranum, N. s. xvm, I4)· Über den im Dictatus papae angemeldeten Anspruch, daß dem Papst die Bezeichnung sanctm zukomme, vgl. W. ULLMANN in den Studi GregorianiVl, Rom I959f6x S. 229-64; überpapavgl.Bd.IV.
Abschnitt g: Die Herrschaftszeichen Für die Frage, wieweit die Antike für das Mittelalter maßgebend wurde, bietet eine feste Grundlage A. ALFÖLDI, Insignien und Tracht der römischen Kaiser, in den Mitteil. des Deutschen Archäol. Inst., Röm. Abt. 50, I935 S. I-I7I. Für das Mittelalter verweise ich auf meine oben S. 46f. angeführten Bücher sowie auf den später folgenden Band VI, der den Herrschaftszeichen gewidmet sein wird. Dort soll auch wieder abgedruckt werden: Herrschaftszeichen: gestiftet, verschenkt, verkauft, verpfändet. Belege aus dem Ma., Göttingen I957 (Nachrichten der Akad. der Wiss. in Göttingen, Phil.-Hist. Klasse I957 Nr. 5, S. I6I-226). Italienische Leser seien verwiesen auf meinen zusammenfassenden Vortrag: Lo stato post-carolingio e i suoi simboli del potere, in: Settimaue di studio del Centro italiano di studi sull' alte medioevo II, Spoleto I95 5 S. I-53· (Einzelne Abschnitte werden in diese Sammlung übernommen). Alle Monarchien bezieht ein der 707 Quartseiten starke, reich illustrierte Band des Lord TwiNING, A History of the Crown Jewels of Europe, London I96o, der die vorhandene Literatur anführt und sachkundig auswertet. Dieses Werk behandelt alle erhaltenen Herrschaftszeichen; vgl. HErnz BIEHN, Die Kronen Europas und ihre Schicksale, Wiesbaden I957 (235 S. mit II4 Abb.), der gleichfalls auch dieneuere Zeit behandelt (vgl. meine Besprechung in der Histor. Zeitschr. I95, I962 S. I83). Die Geschichte der Krone, des Szepters, des Reichsapfels, des Schwerts und der »lesser ornaments« behandelt Lord TWINING in einem gleichfalls vorzüglich illustrierten Quartband: European Regalia, London 1967 (334 S.). Über die Fibel, auf die ich im folgenden nicht zurückkomme, als Herrscher- und Amtszeichen vgl. J. DE.ER, Der Kaiserornat Friedrichs II., Bern I952 (Diss. Bernenses, Ser. II, Fase. 2) S. 47ff. mit T. XXIVf. und MARVIN C. Ross, Seme Longobard Insignies, in: Allen Memorial Art Museum, Bulletin, Vol. XXI No. 3, Spring I964 S. 142-52 (mit I5 Abb.; byzant. und langob.); vgl. bes. S. I48 die Folgerung »that the Longobard Kings, feeling that they had taken over the royal dignity, would take over as weil the imperial trappings«. Zur Vorgeschichte vgl. T. CAPELLE, Zur germanischen Fibeltracht in taciteischer Zeit, im Niedersächs. Jahrbuch 37, Nachrichten aus Niedersachsens Vorgeschichte Nr. 34, 1965 S. I-I8. Vgl. auch E. H. KANTOROWICZ, >The King's Two Bodies<, Princeton 1957 S. 4I6 über den von der ftbula abzuleitenden >bouton d'or< der französischen Juristen (A. 341 Nachweise, die bis zur Antike zurück;greifen). über den >Thron< für >Staat< in Deutschland vgl. P. E. S., Herrschaftszeichen a. a. 0. I S. 336ff. (S. 349 über archisolium); jetzt abgerundet durch P. CLASSEN, Corona imperii. Die Krone als Inbegriff des Römisch-Deutschen Reiches im 12. Jahrh., in: Festschrift P. E. ScHRAMM I, Wiesbaden I964 S. 9o-101, Für corona = >Staat< vgl. den vorzüglich redigierten Sammelband: Corona regni. Studien über die Krone als Symbol des Staates im späteren Ma., hg. von M. HELLMANN, Darmstadt I961 (Wege der Forschung II). Die sieben Aufsätze behandeln sowohl West- und Mitteleuropa als auch Ungarn, Polen und die slawischen Monarchien im allgemeinen. V gl. ferner HARTMUT HoFFMANN, Die Krone im hochmittelalterlichen Staatsdenken, in der Festschrift für HARALD KELLER, Darmstadt I 963 S. 7I-8 5.
Einleitung: 2. Herrschaftszeichen, Staatssymbolik, -präsentation Über den He"scherornat ist in den angeführten Werken manches zu finden, und da sich Königsmäntel und andere Gewänder erhalten haben, beteiligen sich auch die Kunsthistorike r an der Erschließung dieses Bereichs, der u. a. - wie ich am Beispiel Deutschlands, Frankreichs und Englands darlegte - wegen der Angleichung an die geistliche Bekleidung Aufmerksamkeit verdient. V gl. vor allem J. DEER, Der Kaiserornat Friedrichs II., Bern I952 (Diss. Bernenses, Ser. II, Fase. 2). Über die Hoftrachten des Mittelalters vgl. A. P ARDUCCI, Costumi Ornati. Studi sugli insegnamenti di cortigiania medievale, Bologna I962. Licht auf die Amtstrachten werfen die Kleiderordnung en, zu denen zu vergleichen sind LISELOTTE CoNSTANZE EISENBART, Kl. der deutschen Städte zwischen I350 und noo, Göttingen I96Z (Göttinger Bausteine 32) und GERTRAUD HAMPEL-KALLBRUNNER, Beiträge zur Gesch. der Kl. mit bes. Berücksichtigung Österreichs, Wien I962 (85 S.). Für die Amtstrachten liegen bisher zwei Bücher von W. N. HARGREAVES-MAWDSLEY vor: A Hist. of Academical Dress in Europe until the End of the I 8th Century, Oxford I963 und: A Hist. of Legal Dress in Buropa until the End of the I 8th Century, ebd. I963 (danach imitierte in England und in Frankreich das Richterkostüm den königlichen Ornat). Für die Neuzeit vgl.: Juuus BERNHARD VON RoHR, Einleitung zur Ceremonial-Wissenschaft der Großen Herren, Neue Aufl. Berlin I 73 3 (8 So S.); DERS.: Einleitung zur Ceremonial-Wissenschaft der Privat-Personen, Berlin I73o (678 S. und Reg.). Den Hinweis auf die Bücher verdanke ich meinem polnischen Freund K. GoRSKI (Universität in Thorn). - Noch reichhaltiger ist (wie mir R. ELZE nachweist) das Werk seines Zeitgenossen J. Ch. LÜNIG: Theatrum Ceremoniale- politicum. Abschnitt h: Salbung und Krönung
Ich habe diesen Bereich so oft betreten, daß ich hier von Nachweisen absehe. V gl. noch EDUARD EicHMANN, Die Kaiserkrönung im Abendland, I-II, Würzburg I942, dazu die kenntnisreiche Besprechung von H.-W. KLEWITZ in der Zeitschrift für Rechtsgesch. 63, Kanon. Abt. p, I943 S. 509-26. Für Konstantinopel vgl. W. SICKEL, Das byzant. Krönungsrecht bis zum Io. Jahrh., in der Byzant. Zeitschr. VII, I 898 S. I I ff. Siehe auch W. ENSSLIN, Zur Frage nach der ersten Kaiserkrönung durch den Patriarchen und zur Bedeutung dieses Aktes im Zeremoniell, in der Byzant. Zeitschr. 42, I942 S. IOI-II5• Kenntnisreich und weiterführend ist das Buch von C. A. BouMAN, Sacring and Crowning. The Development of the Latin Ritual for the Anointing of Kings and the Coronation of an Emperor before the XI. Century, Groningen I957 (Bijdragen van het Inst. voor middelleuwse Geschiedenes der Rijks-Univ. te Utrecht 3o; I98 S.); dazu DERS., De oorsprong van de rituele zalving der koningen. De stand van een problem, in: Dancwerc, opstellen aangeboden aan Prof. Dr. B. TH. ENTELAAR, Groningen I959 S. 64-85. Zur Geschichte der Salbung vgl. auc:_h_EvAMÜLLER, Die Anfänge der Königssalbung im Ma. u. ihre hist.-politischen Auswirkungen , im Histor. Jahrb. 59, I938 S. 317-60; M. LINTZEL, Heinrich I. und die fränk. Königssalbung, Berlin I955 (Berichte über die Verhandl. der Sächs. Akad. der Wiss., Phil.-Hist. Kl. I02 Heft 4, S. r8ff.; Kap. 3· Die K. im Karolingerreich), wieder abgedruckt in: Ausgewählte Schriften II, Berlin 1961 S. 583-612. Ordines
Nur die der Kaiserkrönung liegen bisher in einer wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werdenden Ausgabe vor: Ordines coronationis imperialis = Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und der Kaiserin, hg. von REINHARD ELZE, Hannover I96o (Fontes iuris german. antiqui
Literatur zu Abschnitt g-k
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in us. schol. IX). Der Verf. hat die Edition der deutschen Ordines sowie ein Buch mit OrdinesStudien vorbereitet. Editionen der englischen sowie der französischen Ordines habe ich den Weg geöffnet durch >Ürdines-Studien< II-III (im Archiv für Urkundenforschung XIV, 1938 S. 3-55 und XV, 1938 S. 305~1 mit Nachträgen zu II-III, ebd. XVI, 1939 S. 279-86). Hier habe ich die erhaltenen Fassungen gesondert sowie datiert und die mir bekannten Handschriften angeführt. Diese Grundlage ist noch zu überprüfen und auszubauen; aber es dürfte keine allzu großen Schwierigkeiten mehr machen, an die Edition heranzugehen. Ein junger kanadischer Forscher hat sich an die der englischen Ordines · herangewagt. Für die Edition der französischen, die ich gleichfalls immer wieder angeregt habe, besteht wohl noch keine Aussicht.
Festkrönungen (Coronamenta) Über England und Frankreich vgl. P. E. S. in den Büchern über diese Länder (s. oben S. 47); dazu H.-W. KLEW1TZ, Die Festkrönungen der deutschen Könige, in der Zeitschr. für Rechtsgesch. 59, Kanon. Abt. 28, 1939 S. 48-96 und C. BRÜHL, Fränkischer Krönungsbrauch und das Problem der >Festkrönungen<, in der Histor. Zeitschr. 194, 1962 S. 265-326. Zeugnisse und Bilder zu dem in der Antike geübten und bis in die Neuzeit fortgesetzten Brauch, beifestlichen Gelegenheiten Geld unter die Menge zu streuen (womöglich Münzen und Medaillen, die für solche Anlässe geprägt wurden), stellt zusammen H. L. RAsMussoN, Auswurfsmünzen. Eine Skizze, in: Congresso internazianale di Numismatica, Rom n.-16. Sept. 1961, vol. II: Atti, Rom 1965 S. 623-36 (mit 8 Abb.). Abschnitt i: Krönungseid Grundlegend ist jetzt M. DAvm, Le serment de sacre du !Xe au XVe siede. Contributions a l'etude des limites juridiques de Ia souverainite, Straßburg 1951 (auch in der Revue du moyen äge latin VI, · 1950) undDERS., La souverainete et !es limites juridiques du pouvoir monarchique du !Xe au XVe siede, Paris 1954 (Annales de Ia Faculte de droit et des sciences polit. de Strasbourg I); vgl. meine Anzeigen in der Zeitschr. für Rechtsgesch. 69, Germ. Abt., 1952 S. 542-47 und Deutsches Archiv XI, 1954 S. 298 (s. jetzt unten S. 179 ff.). Zum englischen Eid vgl. P. E. S., Gesch. des eng!. Königtums a. a. 0. Kap. VII; dazu jetzt H. G. R1CHARDSON, The Coronation in Medieval England. The Evolution of the Office and the Oath, in Traditio XVI, 196o S. n1-2oz; s. auch R. S. HoYT, The Coronation Oath of 1308. The Background of>Les Leys et !es custumes<, in: ebd. XI, 1955 S. 235-57. Zur Vorgeschichte vgl. P. E. S., Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für die Römische Kirche, in der Zeitschriftfür Rechtsgesch. 58, Kanon. Abt. 27, 1938 S. 18o--z17 (jetzt unten S. 149ff.). Zur Inalienabiliti (Unentfremdbarkeit des Kronbesitzes), die ich in: >König von Frankreich< a. a. 0. S. zoo, 238, 258, z64 berührte, jetzt ausführlicher und weiter ausgreifendE. H. KANTOROW1CZ, The King's Two Bodies; Princeton (N. J.) 1957 passim (s. RegisterS. 543; vorher: Speculum 29, 1954 S. 468-502; dieser Aufsatz wiederholt in den >Selected Studies<, Locust Valley, New York 1965, s. 138-150). Zusammenfassend jetzt HARTMUT HoFFMANN, Die Unveräußerlichkeit der Kronrechte im Ma.,
im Deutschen Archiv XX, 1964 S. 389-474. Die dänischen >Wahlhandfesten< sind gedruckt in: Aarsberetninger fra det Kongelige Geheimearchiv ll; dazu P.
J. }0RGENSEN, Dansk Retshistorie,
z. Aufl. Kopenhagen 1947 S. 64ff.
Abschnitt k: >Laudes< Grundlegend bleibt ERNsT H. KANTOROW1CZ, Laudes regiae. A Study in Liturgical Acelamadons and Mediaeval Ruler Worship, Berkeley and Los Angeles 1946 (inzwischen neugedruckt) (vgl. dazu
Einleitun g:
2.
Herrschaftszeichen, Staatssymbolik, -präsentation
H. GRUNDMANN in der Histor. Zeitschr. 188, 1959 S. n6ff.); vorher DERs.,Iv oriesandL itanies,im Journal of the Warburg and Courtauld Institutes V, 1942 S. 56-Sr (in die >Selected Studies< nicht übernommen). Für Byzanz vgl. A. DIHLE, in der Festschrift F. LAMMERT, 1954 S. 6o-7o. Die mittelalterlichen Texte druckte ab B. ÜPFERMANN, Die liturgischen Herrscher akklamationen im Sacrum Imperium des Ma., Weimar 1953 (226 S.); vgl. dazu R. ELZE, Die Herrscherlaudes im Ma., in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 71, Kanon. Abt. 40, 1954 S. 201-24. Zur Melodie vgl. den Anhang von M. F. BuKoFZER zu KANTOROWICZ a. a. 0. S. 187ff. und H. HucKE, Eine unbekann te Melodie zu den Laudes regiae, im Kirchenmusikalisch en Jahrbuch 42, 1958 s. 32-38. Abschnitt 1: Die Grenze zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt
Da dieses Thema in den folgenden Untersuch ungen immer wieder zur Sprache kommt, sehe ich hier von Nachweisen ab. Abschnitt m: Staatspräsentation
V gl. die für den Schluß dieser Sammlung vorgesehene Abhandlu ng >Der Herrscher zu Pferd und im Wagen< (noch ungedruckt). Schluß
Die Fürstenspiegel vom 12. Jahrhund ert an hat W. BERGES, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Ma., Lpz. 1938 (Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsche Gesch. II, neugedru ckt: Stuttgart 1952, bearbeitet; zu den karolingischen Texten vgl. JoACHIM ScHARF (Münster) : Studien zu Smaragdus und Jonas, im Deutschen Archiv XVII, 1961 S. 333-84 (S. 333 Anm. I die voraufgehende Lit.). Der von mir zu diesem Aufsatz angeregte Verf. wurde uns vor der Zeit entrissen.
ABTEILUNG A: VON DER SPATANTIKE BIS ZUM ENDE DER MEROWINGER (75 r)
I
Von der Spätantike: einerseits bis zum Ende des Byzantinischen Reiches, andererseits bis zur Fränkischen Zeit Übersicht über die Buchbesprechungen des Verfassers zu diesem Doppelthema Weggelassen sind im folgenden die Titel der Buchanzeigen, in denen ich nicht mehr tun konnte, als die Leser mit dem Inhalt vertraut zu machen. Bei den übrigen begnüge ich mich mit dem Nachweis des Erscheinungsortes. Denn ein Abdruck würde sich nicht lohnen, weil die Forschung ja ständig weitereilt. >G. W. U.< bezeichnet die Zeitschrift: >Geschichte in Wissenschaft und Unterricht<, für die ich von ihrem Beginn an (1950) fast jährlich Samrodberichte über das Mittelalter verfaßte; sie ist die Nachfolgerirr von >Vergangenheit und Gegenwart<, für die ich das gleiche in den Jahren 1932-37 tat (dann wurde ich von der inzwischen gleichgeschalteten Redaktion hinauskomplimentiert). Ich bemühte mich, in diesen Übersichten über Neuerscheinungen jeweils deutlich zu machen, welcher Platz ihnen im Fortgang der Forschung einzuräumen sei.
Bei den Rezensionen, die ich für diese und andere Zeitschriften verfaßte, wird dem Leser auffallen, wie viele von ihnen sich mit Byzanz befassen. Das erklärt sich einerseits aus meinem Interesse an diesem Problemkreis, andererseits durch die Lage der Forschung. Als ich in die Forschung eintrat, gab es für die Byzantinistik nur eine Professur, die Münchener (besetzt mit AuGUST HEISENBERG, t 1930, an dessen Festschrift ich mich beteiligte, dann mit FRANZ DöLGER, mit dem mich alte freundschaftliche Beziehungen verbinden). Bei Buchbesprechungen herrschte daher >Not am Mann<, und ich habe Aufforderungen, Bücher zu rezensieren, gern entsprochen, um das Meine zu der heute bereits besser, aber immer noch nicht ausreichend gewürdigten Einsicht beizutragen: Die Geschichte des Abendlandes läßt sich bis in das späte Mittelalter hinein nur begreifen, wenn man sich vor Augen hält, was gleichzeitig in der anderen Hälfte der Christenheit vor sich ging, wenn man weiß, wie der byzantinische Staat aufgebaut war und was Byzanz im Bereich der Kunst und der Kultur hervorgebracht hat.
a) Das sakrale Herrschertum The Sacral Kingship: Contributions to the Centtal Theme of the VIIIth Internat. Congress for the Hist. of Religions (Rome, April 1955) = Studies in the Hist. of Religions (Supplement to NVMEN) IV, London 1959.
6z.
A
I.
Buchbesprec hungen
Vgl.: Comparative Studies in Society and Rist. V, The Hague April 1963 S. 357-59 (ins Englische übersetzt). FRITZ TAEGER, Charisma. Studien zur Gesch. des antiken Herrscherkultes, I-II, Stuttgart 1957-60. Ebd. S. 359-60. C. A. BouMAN, Sacring and Crowning. The Developmen t of the Latin Ritual for the Anointing of Kingsand the Coronation of an Emperor before the XI. Century, Groningen 1957. Vgl.: Vierteljahresschrift für Sozial- u. Wirtschaftsgesch. 45, 1959 S. 527-8.
b) Die östliche Welt I.
Allgemeines
FR. DöLGER- A. M. SCHNEIDER, Byzanz, Bem 1952 (Wissensch. Forschungsberichte, Geisteswiss. Reihe V). G.W.U. N, 1953 S. 584. FR. DöLGER, Byzanz und die europ. Staatenwelt. Ausgewählte Vorträge u. Aufsätze, Ettal 1953· G.W.U. N, 1953 S. 584. FR. DöLGER, Ilaeaanoed. 30 Aufsätze zur Gesch., Kultur u. Sprache des Byzant. Reiches, Ettal 1961. G.W.U. XIII, 1962 S. 597· H. H. BAYNES u. H. ST. Moss, Byzanz. Gesch. u. Kultur des oströmischen Reiches, deutsch von A. HoKLERY, München 1964. G.W.U. XVI, 1965 S. 3II. A. KASHDAN, Byzanz. Aufstieg u. Untergang des oströmischen Reiches (übersetzt aus dem Russischen), Berlin 1964 (Lebendiges Altertum, Bd. r6). G.W.U. XVI, 1965 S. 311. Byzantium and Its Neighbours, ed. by J. M. HussEY, Part I, Cambridge 1966 (The Cambridge Medieval Hist. N.). G.W.U. XVII, 1966 S. 628-9 (dort später über Part II, ebd. 1967). 2.
Byzantinische Geschichte
CH. DmHL, History of the Byzantine Empire, translated from the French by G. B.IVEs, Princeton 1925. Histor. Zeitschr. 133, 1926 S. 273-75. CH. DIEHL, Choseset Gens de Byzance, Paris 1926 (Coll. d'Etudes d'hist. et d'archeol.). Deutsche Lit.-Zeitung 1927 Sp. 2459-64. ERNsT STEIN, Vom römischen zum byzant. Staate (284-476 n. Chr.), Wien 1928 (Gesch. des spätrömischen Reiches I). Theolog. Literaturzeit ung 56, 1931 Sp. 441-2. ERNsT STEIN, Histoire du Bas-Empire (476-555) = Bd. II, Paris-Brüssel-Amsterdam 1949· G.W.U. III, 1952 S. 36o. P. E. HÜBINGER, Spätantike und frühes Ma. Ein Problem der histor. Periodenbildung, in der Deutschen Vierteljahrsschrift für Lit.wiss. u. Geistesgesch. 26, 1952, S. 1-48. G.W.U. III, 1952 S. 36o. P. GouBERT, S. J., Byzance avant l'Islam I, Paris 1951. G.W.U. IV, 1953 S. 585. R. GuARDAN, Himmel u. Hölle von Byzanz. Tausend Jahre eines Weltreiches (aus dem Französischen übersetzt), München 1956. G.W.U. IX, 1958 S. I73·
Zur byzantinischen Geschichte H.-W. HAussrG, Kulturgesch. von Byzanz, ... (Kröner Taschenausgabe, Bd. 2.rr). G.W.U. XII, I96I s. B· E. E. LrPsrc, Byzanz und die Slawen. Beiträge zur byzant. Gesch. des 6.-9. Jahrh., aus dem Russischen übersetzt von Dr. E. LANGER, Weimar I95I· G.W.U. III, 19~2. S. 443· J. Das Lateinische Kaisertum
Vgl. den von R. ELZE und mir verfaßten Abschnitt 37 in: Herrschaftszeichen u. Staatssymbolik Ill, Stuttgart 19~6, S. 837-~8 (mit Anhängen über das Königreich Thessaloniki und den Dogen von Venedig).
4· Die spätbyzantinische Geschichte W. MrLLER, Trebizond. The Last Greek Empire, London 192.6. Deutsche Lit.-Zeitung 192.7 Sp. 2.72.-4. !· Byzanz und seine Nachbarn
a. Die Hunnen JoACHIM WERNER, Beiträge zur Archäologie des Attila-Reiches, München 1956 (Bayer. Akad. der Wiss., Phil.-Hist. Kl., Neue Folge Heft 38 A-B). G.W.U. VII, 1957 S. 12.1. FR. ALTHEIM, Gesch. der Hunnen, I-IV, Berlin 1959-62.. G.W.U. XIIT, 1962 S. 6orf. und XV, 1964 S. 2.40.
b. Der turk-ungarische Raum GY. MoRAVCS1K, Byzantinoturcica, I: Die byzant. Quellen z. Gesch. der Turkvölker; TI: Sprachreste der Turkvölker in den byzant. Quellen, 2. Aufl. Berlin 1958. G.W.U. XII, I96I, s. 54·
6. Byzantinische Bildungsgeschichte G. STADTMÜLLER, Michael Choniates, Metropolit von Athen (ca. II38-ca. 12.2.2), Rom 1934 (Orientalia Christiana, vol. 33,2 = Nr. 91). Deutsche Lit.-Zeitung, 1936 Sp. 159-162. H.-G. BEcK, Theodoros Metochites. Die Krise des byzant. Weltbildes im 14. Jahrh., München 1952. G.W.U. IV, 1953 S. 642. Correspondance de Nicephore Gregoras. Texte edite et traduit par R. GUILLAND, Paris 192.7 (Co!l. Byzantine publ. sous le patronage de 1'Assoc. Guillaume Bude). Histor. Zeitschr. 142, 1930 S. 345-6.
1· Spätantike, orientalische und byzantinische Kunstgeschichte W. FR. VoLBACH, Elfenbeinarbeiten der Spätantike und des frühen Ma.s. 2.. Aufl. Mainz 1952, (Röm.-German. Zentralmuseum, Katalog 7). G.W.U. IV, 1953 S. 58rf. P. H. FEIST, Untersuchungen zur Bedeutung orientalischer Einflüsse für die Kunst des frühen Ma. s., in der Wissensch. Zeitschr. der Martin-Luther-Univ. Halle-Wirtenberg II, 195 2/5 3 Heft 2. S. 27-79. G.W.U. IV, 1953 S. 582.f. (am Schluß dieses Abschnitts im Wortlaut abgedruckt).
A
I.
Buchbesprechungen
E. DIEZ und 0. DEMUS, Byzantine Mosaics in Greece. Hosios Lucas and Daphni, Cambridge (Mass.) 1931. Deutsche Lit.-Zeitung 1932 Sp. 1607-II. REGINE DöLLING, Byzant. Elemente in der Kunst des 16. Jahrh.s. in: Aus der Byzant. Arbeit der DDR II, Berlin, 1957 S. 148-86. G.W.U. IX, 1958 S. 175.
8. Urkunden der Byzantinischen Kaiser Facsimiles byz.er Kaiserurkunden, hg. von PRANz DöLGER, München 1931. Deutsche Lit.-Zeitung 1932 Sp. 1514-19. FR. DöLGER, Byzantinische Diplomatik. 20 Aufsätze zum Urkundenwesen der Byzantiner, Ettal 195 6. G.W.U. IX, 1958 S. 154. Corpus der Griechischen Urkunden des Ma.s u. der Neuzeit, A: Regesten, I. Regesten der Kaiserurkunden, Teil I: 965-1025, München 1924. Neues Archiv 46, 1925 S. 325-7. . . . Teil IV: 1282-1341, ebd. 1960. G.W.U. XIII, 1962 S. 462-64. . . . Teil V: 1341-1457, ebd. 1965. G.W.U. XVII, 1966 S. 627f.
c) Der Okzident I.
Die germanischen Stämme und ihr Glauben (besonders: die Angelsachsen)
R. WENsKus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, Köln Graz 1961. G.W.U. XIII, 1962, S. 599f. 0. HöFLER, Germanisches Sakralkönigtum. I: Der Runenstein von Rök u. die german. Individualweihe, Tübingen u. Münster-Köln 1952· G.W.U. VII, 1957 S. 123. W. BAETKE, Die Aufnahmedes Christentums durch die Germanen, Sonderausgabe, Darmstadt 1959· G.W.U. XIII, 1965 S. 314f. H. NAUMANN, Das Weltbild der Germanen, Lpz. 1935· Vergangenheit u. Gegenwart 26, 1936 S. 543· FR. GRAus, Volk, Herrscher u. Heilige im Reich der Merowinger, Frag 1965. G.W.U. XVII, S. 629-30. V gl. ebd. S. 695-701 meinen (die Kelten und Großmähren einschließenden, bes. die Augrabungen jenseits des Eisernen Vorhangs würdigenden) Bericht: >Neue Fakten aus der Gesch. des Ma. s, gewonnen durch Ausgrabungen<.
Die Angelsachsen Celt and Saxon. Studies in the Early British Borderby Kenneth ]ACKSON etc. and Nora K. CHADW1CK, Cambridge 1963. G.W.U. XVI, 1964 S. 2pf. P. H. BLArR, An Introducdon to Anglo-Saxon England, Cambridge 1956. G.W.U. VII, 1957 S. 125. J. GoDFREY, The Church in Anglo-Saxon England, Cambridge 1962. G.W.U. XII, 1964 S. 253.
Zur frühen Geschichte des Okzidents 2. Der neue Glaube und die Kir&he CHR. DAwsoN, Religion u. Kultur (Gifford Lectures I947), deutsch von N. E. BARING, Düsseldorf I95I· G.W.U. VI, I955 S. 769. G. B. LADNER, The Idea of Reform: The Impact on Christian Thought and Action in the Age of the Fathers, Cambridge (Mass.) I959· G.W.U. XII, I961 s. 56. J. DtcARREAUX, Die Mönche und die abendländische Zivilisation, aus dem Französischen von L. VOELKER, Wiesbaden o. J. (um I963). G.W. U.XVI, I965 S. 3II-2. }OHANNES HALLER, Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit I, Stuttgart-Berlin 1934. Vergangenheit u. Gegenwart 25, I935 S. 282-3.
J. Die Anfänge neuer Ordnung
J. FISCHER,
Oriens- Occidens- Europa. Begriff u. Gedanke >Europa< in der späten Antike u. im frühen Ma., Wiesbaden I957 (Veröffentl. des Inst.s f. Europ. Gesch. 15). G.W.U. IX, 1958 s. I83. W. FREUND, Modemus und andere Zeitbegriffe des Ma.s, Köln-Graz I957 (Neue Münstersehe Beiträge zur Gesch.-Forschung 4). G.W.U. IX, 1958 s. I83. A. BoRsT, Der Turmbau von Babel. Gesch. der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker II-IV, Stuttgart 1959· G.W.U. XII, I961 s. 52-3 und xm, I962 s. 672-3· J. BüHLER, Deutsche Geschichte, I, Berlin 1934. Vergangenheit u. Gegenwart 25, I935 S. 2834. '(Über seine »Kulturgeschichte« vgl. meine in Bd. IV wieder abgedruckte Besprechung in der Histor. Zeitschr. I 55, 1937 S. 350-4, in der ich auch auf P. KLETTER, Deutsche Kultur, Potsdam I934. eingegangen bin).
Anlage Im Wortlaut drucke ich nur die oben unter >b7< angeführte Buchbesprechung ab, da es sich bei ihr um eine grundsätzliche Auseinandersetzung handelt. P. H. FEIST: Untersuchungen zur Bedeutung orientalischer Einflüsse für die Kunst des frühen Mittelalters, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Univ. Halle-Wittenberg TI, 1952/53. Heft 2, Seite 27-79 (mit 32 Abb.). Besprochen in: Gesch. in Wissenschaft und Unterricht IV, I953 S. 582f.
Der Abbildungsteil stellt gleichsam das Herbarium dar, an Hand dessen man die Abstammung der mittelalterlichen Kunst im Lichte der Thesen von PETER H. FEIST nachprüfen kann. Es handelt sich bei dieser Studie des Hallischen kunsthistorischen Assistenten um eine gedankenreiche und von breitem Wissen Zeugnis ablegende Studie, bei der man mit Beruhigung feststellt, wieviel ausländische Literatur aus dem Westentrotz aller technischen Schwierigkeiten von unseren Fachgenossen jenseits des Eisernen Vorhangs verarbeitet werden kann. Andrerseits stößt sich unsereins an der im Text schon wie selbstverständlich in die Sprache der Wissen-
5 Schramm, Aufsätze I
66
A
I.
Buchbesprechungen
schaft eingegangenen marxistischen Terminologie (Urgemeinschaft, Klassengesellschaft mit Sklavenhaltung usw.). Das führt zu Schematismus und Vergröberung, bringt auch in den Ablauf der Entwicklung eine innere, >dialektische< Zwangsläufigkeit hinein, die ihr Gewalt antut. Aber in diesem kunsthistorischen Aufsatz spielt es letzthin keine große Rolle, ob man das späte Römerreich und die Herrschaft Attilas nun so oder so bezeichnet. Das Ziel des Verfassers ist nämlich, die Bedeutung orientalischer Einflüsse für die Kunst des frühen Mittelalters nachzuweisen. Um nicht falsch rubriziert zu werden, setzt sich der Verfasser gleich anfangs von ]. STRZYGOWSKI ab, kommt aber dann doch auf anderen Wegen und mit anderer Sehweise zu einem ähnlichen Ergebnis wie I90I Strzygowskis Buch >Orient oder Rom<, das durch die Abwertung der Rolle >Roms<, d. h. der abendländischen Wurzel unserer Kunst, zugunsten der orientalischen die Gemüter damals in eine lange nachzitternde Erregung versetzt hat. Soweit es sich um die Abwehr der Überbewertung germanischer Leistung und ihrer Eigenständigkeit handelt, stimmen wir dem Verfasser zu, können allerdings die Bemerkung nicht unterdrücken, daß er damit meist bereits geöffnete Türen einrennt. Andererseits ordnet er unter den Begriff >Orient< sowohl die Steppenkunst Südrußlands als auch den Einschlag des Ostens in die spätantike Kunst ein, der seit dem 4· Jahrhundert n. Chr. handgreiflich wird, damals allerdings schon eine lange Vorgeschichte hatte und sowohl in der Hochkunst als auch in der volkstümlichen festzustellen ist, also sich auf ganz verschiedenen Ebenen auswirkt. Betrachtet man FEISTS >Orient< genauer, dann gewahrt man, daß es sich dabei nur um eine - die tiefgreifenden Unterschiede zwischen Persien, Mesopotamien, Syrien, Ägypten usw. überspringende- Fiktion zugunsten wissenschaftlicher Greifbarkeit handelt, hinter der keine historische Realität steht, sondern nur ein unendlich komplizierter Vorgang, bei dem u. a. die >Entorientalisierung <des >Orients< durch hellenistische >Einflüsse< eine wichtige Rolle gespielt hat. Wiederum zeigt sich hier die von mir immer wieder hervorgehobene Gefahr, die bei der Verwendung der unglücklichen Metapher >Einfluß< gegeben ist: angewandt auf geistige und künstlerische Vorgänge, führt sie zwangsweise zu vergröbernden Vorstellungen (F. vermerkt gelegentlich auch >Wellen< ,die vom Orient aus das Abendland überspülten, was die Gefahr falscher Sicht noch vergrößert). Spricht man dagegen von >Einwirkung<, >Auseinandersetzung<, >Übernahme< usw., dann entgeht man einerseits der Gefahr mechanistischer Einengung des geistigen und künstlerischen Wandels und läßt andererseits Raum für fortdauernde Eigenständigkeit und neue Schöpfung. Bezeichnend ist FEISTS Frontstellung gegen die spätbürgerliche Ideologie mit ihrem Kult der regellos ausgestreuten Künstlerindividuen, die alle den gleichen oder keinen Gesetzen und Empfindungskonstanten unterworfen seien (S. 6z); denn sie ist offensichtlich dadurch bedingt, daß auf diesem Wege der Einzelne sich allzusehr aus der Masse löst und dann nicht mehr in das Schema der >aufsteigenden und
Zur Kunst des frühen Mittelalters
der reaktionären Phasen jeder Gesellschaftsformation< (S. 63) hineinpaßt. Außerdem trifft dieser Stoß nicht, da die westliche Kunstgeschichte heute die künstlerische Schopfung im Geistigen verankert und nicht einfach bourgeois-geschmäcklerisch auskostet. Die Stärke des Verfassers liegt in der Verknüpfung von V argeschichte und Kunstgeschichte. Er spricht gelegentlich davon, daß in diese >die V argeschichte zwischen Spanien und Hoangho< einzubeziehen sei, wie es schon STRZYGOWSKI gefordert habe (S. p), und manche Beobachtung, die er vorbringt, beweist es, wie förderlich solche Sehweise ist. Aber dabei ist doch viel strenger, als er es tut, zwischen technischer Nachahmung, ikonographischer Rezeption und stilistischem Einfühlen zu scheiden. Es kann·ja gerade so sein, daß ein orientalisches Bildmotiv zwar übernommen wird, aber derart, daß gerade dadurch der eigene Kunststil zur Selbstbesinnung und somit zur Festigung gelangt. Behutsamer verknüpft koptische und irische Kunst PETER P AULSEN\ der mit FEIST das gemeinsam hat, daß er gleichfalls diesen künstlerischen Vorgang im historischen Raum sieht. Ein solches V ergehen wünschte man allgemein der Kunstgeschichte, und soweit sie über die Formanalyse alten Stils - als eine notwendige Durchgangsphase - hinausgewachsen ist, erfüllt sie ja diese Forderung schon im weiten Maße. Doch zeigt gerade FEIST, wie sehr man ihr anraten muß, bei der Feststellung von Entsprechungen oder sogar von Wechselwirkungen größte Vorsicht walten zu lassen . . Seltsam bleibt, daß der Verfasser bei so weitem Ausgreifen dem Problem >OrientAbendland< im religiösen und kirchlichen Bereich sowenig Aufmerksamkeit schenkt. 2
I P. PAuLSEN: Koptische und irische Kunst und ihre Ausstrahlungen auf altgermanische Kulturen, in Tribus, Jahrbuch des Lindenmuseums Stuttgart I952 und I953, Seiten I49 bis I87 mit uAbb. Auf diesen Aufsatz seien die Kirchenhistoriker hingewiesen, da der Verl. im Arianismus den verbindenden Fak-
2
tor sieht. Vgl. jetzt P. H. FEIST (nunmehr Ordinarius für Kunstgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität), Byzanz u. die figurale Kunst der Merowingerzeit, in: Byzantinische Beiträge, hg. v. J. lRMSCHER, Berlin I964.
2 >Mythos< des Königtums Eine Einführung in das Problem: Monarchie in Europa*
Das Thema, das Sie mir, dem Ausländer, gestellt haben, bildet geradezu ein Schlüsselthema, um Buropa zu verstehen. Ich kann den Satz vorausstellen: Alle staatliche Ordnung Europas ist geschaffen worden durch monarchische Ordnrmg; sie war ein notwendiges Durchgangsstadium für alle europäischen Viilker, auch wenn sie sich jetzt eine andere Staatsform gewählt haben. Im 13. Jahrhundert kam zum erstenmal ein römischer Legat nach Island. Als er ans Land stieg, fragte er: >Wo ist hier ein König?< Man sagte ihm: >Auf der ganzen Insel gibt es gar keinen<. Das wollte er nicht glauben, weil er sich das gar nicht vorstellen konnte. Denn wenn man durch Buropa reiste - nach Polen oder nach Bulgarien oder nach Kastilien -, überall gab es Könige; oder es gab doch wenigstens einen Dogen, der ja ursprünglich ein >Dux<, also ein sein Amt erbender Herzog gewesen war. Deshalb lohnt es wirklich, sich das Problem >Monarchie< zu vergegenwärtigen. Allerdings habe ich als Historiker gleich festzustellen: unter den Königen gab es sehr viele >Varianten<, und da in einzelnen Ländern noch heute Könige amtieren oder zumindest bis vor kurzem die Staatsform bestimmt haben, gibt es noch viel mehr >Varianten<. Das ist die große Schwierigkeit meines Themas. Wo soll ich einsetzen? Ich führe Sie im Geiste durch die Champagne. Wenn Sie von Norden auf Reims zufahren, dann kommen Sie an einem Dorf vorbei, das im ersten Weltkrieg zerstört wurde; es ist wieder aufgebaut, und ein gelbes Schild nennt Ihnen den Namen: Saint Marcoulf. Vielleicht wissen die dort Wohnenden gar nicht mehr, daß dieser Name einmal einen Klang in ganz Frankreich hatte. Denn wenn
*
Vortrag, gehalten auf einer Tagung niederländischer Studenten der Geschichte, Nimwegen 3I. 3.-2. 4· 1966 (hier nach einer Bandaufnahme, bei der die Leser in Rechnung stellen mögen, daß ich auf die Sprachkenntnisse meiner Hörer Rücksicht nahm), gedruckt in: De Monarchie. Referaten gehouden of het historisch congres te Nijmegen 1966 door P. H. WINKELMANN, P. E. ScHRAMM,
L. J. RoGIER, E. H. KossMANN, J. C. DE MEYER, W. DREES SR., Amsterdam 1966 (Athenaeum Paperbacks) S. 21-36. Den Anlaß zu dieser Tagung hatte die Verheiratung der Kronprinzessin gegeben: Es bestand das Bedürfnis, sich grundsätzlich und historisch über das Problem >Monarchie< klar zu werden.
Der König heilt Skrofeln
der König in Reims gesalbt und gekrönt war, zog er nach diesem Dorf, um dort die Skrofelkranken zu heilen (Skrofel ist eine Art Hauttuberkulose). Alle diese Menschen waren gekommen in der Überzeugung, daß der König sie heilen könne (weshalb dieser Glaube sich gerade an diesen Ort gehängt hatte, ist nicht mehr zu klären). Und der König hat in der Tat viele geheilt! Auch sonst ist es ja so, daß die erfolgreichen Akte solcher Art sich fortsprechen; daß keine Besserung unter dem Eindruck dieser· Handlung eintrat, das wird dagegen vergessen. Immer wieder versammelten sich daher in Saint Marcoulf die Kranken, und immer wieder heilte sie der König. Wir kennen sogar die Zahlen derjenigen, denen der König die Hand auflegte; er schenkte ihnen nämlich ein Geldstück, und darüber sind Aufzeichnungen gemacht worden. Den König von England ließ das nicht ruhen: er tat es auch und- siehe da-, auch in England gab es Geheilte. Shakespeare erwähnt das noch; als man jedoch einen König geköpft hatte, war das Charisma des englischen Königtums zerstört. Sie wollen, meine Zuhörer, nun ins Auge fassen, daß dies eine eminent unchristliche Vorstellung ist. Ein Heiliger kann Wunder tun, aber nur deshalb, weil er begnadet ist von Gott auf Grund seiner Heiligkeit. Er mag früher böse gewesen, aber er muß dann geläutert worden sein. Solche Gnade vererbt sich also nicht; in Saint Marcoulf handelt es sich dagegen darum (die Zeugnisse setzen um noo ein), daß die französischen Könige ihre Heilkraft vererben. Die Kirche hat sich damit abgefunden :und eine Erklärung gefunden, die seit dem 12. Jahrhundert nachweisbar ist; sie lautet: >Der französische König kann dieses, weil er vorher in Reims mit dem heiligen Öl gesalbt wurde<. Zugrunde liegt eine alte Legende: Als Remigius von Reims den Merowingerkönig Chlodwig taufen wollte, fehlte Katechumenenöl, aber siehe da: aus den Wolken herunter kam eine Taube mit einem Kristallgefäß voll Öl, so daß Chlodwig so, wie der Brauch es verlangte, getauft werden konnte. Dazu ist zu vermerken: Es bestand im 12. Jahrhundert eine Konkurrenz zwischen den Erz~ischöfen von Sens und Reims: Wer darf den König salben und krönen? Da pochte die Kirche von Reims darauf, Sens besitze kein heiliges Öl, Reims verfüge jedoch noch über das Himmelsöl. Von da an wurde der König stets in Reims gesalbt und gekrönt. Im späten Mittelalter heißt es dann rühmend: Wenn andere Könige sich salben lassen wollen, dann muß Öl beim Apotheker geholt werden; beim König von Frankreich hat sich dagegen der Himmel selbst bemüht. Daher konnte man auch folgern: Weil er dieses besondere Öl empfängt, ist es nicht erstaunlich, daß er solche Heilkraft besitzt. Als dann jedoch auch dem französischen König der Kopf abgetrennt und sein Charisma zerstört wurde, zerschlug ein Grobschmied die Reimser Ampulle mit dem heiligen ÖL Als aber 1825 der Graf von Artois, Karl X., nach Reims kam, um sich salben zu lassen, da hatte man doch noch etwas heiliges Öl, weil angeblich ein Priester eine Scherbe mit einem Tropfen Öl aufbewahrt hatte. Mit diesem wurde Karl gesalbt, dann ging er nach
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>Mythos< des Königtums
Saint Marcoulf; da hatten sich wieder Skrofelkranke angesammelt; er legte ihnen die Hand auf und heilte sie wie seine Vorgänger: wohlvermerkt im Jahre 1825. Die Wappenfigur des Königs von Frankreich war nicht der Adler (wie beim Kaiser) oder der Leopard (wie in England), sondern die Lilie. Sie wurde mit der heiligen Jungfrau zusammengebra cht, und auf diese Weise ergibt sich noch ein weiterer Bezug des französischen Königs zum Himmel. So hat sich in Frankreich seltsamer alter Brauch (wovon gleich zu sprechen ist) verbunden mit Legenden, Sagen, Erzählungen und um den König von Frankreich einen >Mythos< gewebt. Dieser ist überzeugend gewesen nicht nur für die Intelligenzschicht, die es vielfach besser wußte, aber aus patriotischen Gründen keine Einwände erhob, sondern auch herunter bis zum Dorfmädchen. Das zeigte sich im 15. Jahrhundert: Die Vierge d'Orleans hatte nicht viel gelernt, aber vom Königsmythos wußte sie genug: sie war von ihm ergriffen. Als der schwache König Karl VI. - mit dem Spottnamen >roi de Bourges <- nicht mehr an seine Mission glaubte, da glaubte Jeanne d'Arc noch an sie. Den Etendard, die Standarte des Königs, nahm sie in die Hand und führte Karl nach Reims. Bei der Krönung durfte sie neben dem Hochaltar knien. Erst als der König gesalbt war, legte sie ihm den Titel >roi de France< bei; denn bis dahin war er für sie konsequenterwe ise nur der Dauphin. In dieser Szene offenbarte sich, welche ungeheure Kraft der Königsmythos für Frankreich gehabt hat. Gab es ähnliches? Ich wies schon auf die Engländer hin; in Spanien sind Ansätze zu vermerken- darüber haben wir das berühmte Werk von dem auf gemeine Weise ermordeten Mare Bloch: >Les rois thaumaturges< (1924 erschienen in den Publikationen der Universität Straßburg, in Paris 1961 neu gedruckt). Es bleibt noch ein Rest zu erklären: wieso kann im hohen Mittelalter Wunderkraft von einem König auf den anderen übergehen? Denn die Legitimation durch das Öl - das liegt zu Tage - war nur eine nachträgliche Rechtfertigung. Zu dieser Frage haben die Kenner der nordischen Geschichte viel Material über das sogenannte >Königsheil< angesammelt. Ich bemerke dazu, daß man seine Bedeutung zeitweise (so z. B. GROENBECH und andere) übertrieben und es zu weit in die Vergangenheit zurückprojiziert hat. Der Germanist KuHN in Kiel bereitet eine Studie vor, um zu zeigen, daß der Glaube an das Königsheilim wesentlichen erst in der Zeit der Völkerwanderungentstanden ist. Schon vorher hatte es natürlich eine Oberschicht gegeben mit Anführern, Häuptlingen, ja Königen; ich verweise auf die großen Königshügel bei Uppsala in Schweden; auch in der Lüneburger Heide gibt es viele alte Häuptlingsgräbe r, zusammengesetzt aus großen Steinen, die noch viel älter sind. Der Glaube, daß ein König mehr vermöge als andere Menschen, mag also ältere Ansätze gehabt haben, aber die eigentliche Ausformung dieser Vorstellung erfolgte erst in der Völkerwanderun gszeit. Wir können Einzelheiten jetzt archäologisch greifen: denn den Engländern ist kurz vor dem letzten Kriege bei Sutton Hoo in der Nähe von Y ork die Aufdeckung
Die Funde von Sutton Hoo
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eines Schiffsgrabes mit erstaunlichen Schätzen aus der Zeit um 65o n. Chr. gelungen. Gefunden wurde ein angelsächsischer Hort mit zwei seltsamen Objekten, die uns erwünschte Aufklärung vermitteln. Das eine Objekt hat eineLänge von etwa 4ocm; es ist aus Stein, oben rot angestrichen und mit Bronze verziert, darunter ein Kopf mit Bart und Halskette; an den Seiten und auf der Rückseite noch drei Köpfeund dasselbe unten noch einmal, in der Mitte jedoch glatt, so daß man um den Stiel gerade herumfassen kann. Man hat zuerst gesagt, das sei ein Wetzstein, um Messer zu schärfen. Es gibt jedoch gar keine Schärfspuren, und es wäre auch sinnlos, eine solche Alltagsutensilie so herzurichten. Die Erklärung gab Dr. phil. AnoLF GAUERT in Göttingen, der viele Parallelen herangezogen hat. Die acht Köpfe sind verschieden; man kann daher sagen: das sind die Ahnen des Königs, der diesen- jetzt können wir dem seltsamen Objekt einen Namen geben- >Ahnenstab< in der Hand hielt. Aus der angelsächsischen Überlieferung kennen wir die Gerrealogien der Königsdynastien: sie führen alle hinauf zu dem göttlichen Ahnherrn, nämlich W otan. Der König, der sich mit dem Ahnenstab zeigte, hielt also die Kraft seines Geschlechtes in der Hand. Wenn die Welt jedoch in Unordnung geriet, dann sagten die Untertanen: die Ordnung muß wiederhergestellt werden, dann wird der König den zürnenden Göttern geopfert, das heißt: umgebracht. Wir haben solche Zeugnisse aus der nordischen Geschichte. Das andere Objekt, das gefunden wurde, ist etwa 1 1 / 2 Meter lang: ein langer Metallstab, den man in den Boden einrammen kann. Es handelt sich um einen >Standard<: die Standarte >stand<- füruns ungewohnt-ursprünglich fest (König Harald fiel 1066 bei Hastings neben seinem Standard). Oben trägt der Standard von Sutton Hoo eine quadratische Fläche, gebildet wie ein Rost, mit Stierhörnern an den vier Ecken, und darüber einen Reif, darüber noch einen Hirsch. Auch diese Einzelheiten lassen sich erklären; denn Stier und Hirsch begegnen in bestimmten Mythologien. Wir können nun auch die Nachricht Bedas verstehen, daß dem König eine >Tufa< vorausgeführt wurde, die- wenn er irgendwo rastete und Gericht hielt- vor ihm eingepflanzt wurde. Der Ausdruck >Tufa< hängt irgendwie mit Gestrüpp, kleiner Baum zusammen. Das verstand man bisher nicht; aber es haben sich noch weitere >Standarten< nachweisen lassen, z. B. in einem langobardischen Königsgrab des 6. Jahrhunderts in Böhmen. Hier tritt heraus, was der ursprüngliche Sinn dieses Quadrats war: links und rechts zweigen sich .Äste ab mit Blättern, die ursprünglich raschelten. Es handelt sich also um einen Baum aus Metall, Abbild des >Weltenbaums<, der in der germanischen Mythologie bekanntlich eine große Rolle gespielt hat. Wir können nunmehr feststellen, daß in dem französischen Königsmythos, vor allem in dem Anspruch, daß der König eine Heilkraft vererbe, noch etwas aus der frühgermanisch-magischen Geschichte nachwirkt. Zeugnisse dafür gibt es auch in anderen Ländern: Als Kaiser Heinrich IV. starb (uo6), kamen Bauern und legten Getreide auf seinen Sarg in der Überzeugung, daß dieses Getreide bessere Frucht bringen werde, weil das >Königsheil< sich auf die Körner übertragen habe.
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Eine weitere Feststellung: In der Zeit der Merowinger trugen die Könige - nur noch sie -lange Haare. Ein Siegelstein aus merowingischer Zeit kommt uns zur Hilfe: die Königsfrisur hat in der Mitte einen Scheitel und fällt auf beiden Seiten herunter bis zur Schulter. Es handelt sich um eine Haartracht, die ursprünglich den ganzen Stamm auszeichnete. Es gehörte dazu auch eine bestimmte Barttracht: bei den Franken war es ein Schnauzbart, der herunterhing, bei den Ostgoten ein gestutzter Schnurrbart, bei den Langobarden (wie der Name zeigt) ein langer Bart. Als die Franken dann seßhaft wurden, trugen die gewöhnlichen Franken die Haare kurz; wenn man mit langen Haaren pflügt, kann man ja nichts sehen. Die Könige behielten den alten Brauch bei, und selbst wenn sie politisch schwach waren, sah man: Der dort ist der König, denn er trägt lange Haare. Als dann ein neues Geschlecht mit Pippin, dem Ahnherrn des karolingischen Hauses, zur Macht kam, tat er das, was man früher schon in den Streitigkeiten zwischen den Merowingern getan hatte, um das Charisma des Königs zu zerstören: man schor die Könige. Damit war dann ihre magische Kraft gebrochen. Pippin mit nur kurzen Haaren und dem fränkischen Schnauzbart brauchte einen Ersatz; ihn fand er in der Salbung. Wie ist er auf diesen Gedanken gekommen? Er lag gleichsam in der Luft, und bei den Westgoten war er schon früher realisiert worden; denn man kannte ja das Alte Testament. Der König Pippin wurde also gesalbt und seine beiden Söhne, Karl der Große und Karlmann, gleichfalls. Nunmehr gab es wieder einen >Christus Domini<, einen Gesalbten des Herrn. Daß der Bischof gesalbt wurde, ist eine weitere Folge. Das bedeutet nun, daß die Könige sagen konnten: Die Bischöfe sind gesalbt, und wir entsprechen ihnen dadurch, daß wir als einzige Laien gesalbt worden sind, daß auch wir >Christi Domini< zu sein beanspruchen dürfen. Dieses Argument haben die später nachfolgenden Herrscher übernommen, und die Herrscher neuer abendländischer Reiche sind begreiflicherweise darauf erpicht gewesen, gleichfalls das Anrecht auf die Salbung zu erlangen. Sie haben es sich zunächst angeeignet, aber vom hohen Mittelalter an mußte der Papst das Recht ausdrücklich verleihen. Daß der König von Portugal es nicht dazu gebracht hat und der eine oder andere auch nicht, das ist schon im Mittelalter aufgefallen. Wir können nunmehr feststellen: Die alte, magische Kraft ist nicht mehr erforderlich, weil jetzt die sakramentale Kraft der Königssalbung hinzugekommen war. Die Kirche hat begreiflicherweise alles getan, die Salbung in ihrer Kraft wieder einzugrenzen. Als sie die Zahl der Sakramente auf sieben beschränkte, wurde die Königssalbung zu einem >Sakramentale< degradiert. Auch wurde gesagt: Die Bischöfe werden gesalbt mit Chrisma, die Könige mit Katechumenenöl; der Bischof wird auf der Stirn gesalbt, der König nur auf den Schultern und zwischen den Schultern. Selbstbewußte Könige haben das jedoch nicht anerkannt und haben immer wie<;ler
Salbung - Zweigewaltenlehre
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dafür gesorgt, daß sie doch mit Chrisma, daß sie auch auf der Stirn gesalbt wurden. Ich habe 1937 die Krönung des englischen Königs miterlebt, habe also einmal zug,esehen, wie dieser Akt zelebriert wird: Der englische König muß ein Gewand mit einem Schlitz auf dem Rücken anziehen, damit er zwischen den Schultern gesalbt werden kann. Hier gewahren wir einen großen Unterschied gegenüber dem byzantinischen Kaiser, der erst vom späten Mittelalter an gesalbt wurde, und zwar in Nachahmung des abendländischen - also, als der byzantinische Kaiser nicht mehr viel zu sagen hatte. Der byzantinische Kaiser stand dagegen in seiner Glanzzeit seiner Kirche - auf Grund des alten Herkommens -ganz anders gegenüber. Man hat vom >Cäsaropapismus> d,er byzantinischen Kaiser gesprochen; dieser Ausdruck ist auf Einwände gestoßen. Der Überlegene war und blieb im Byzantinischen Reich jedenfalls der Kaiser und nicht der Patriarch von Konstantinopel. Im Abendlande hat sich dagegen die sogenannte >Gelasianische Zweigewaltenlehre< durchgesetzt. Im Jahre 492 prägte nämlich der Papst Gelasius I. eine immer wieder zitierte Wendung, die das Wesentliche festhielt. Er führte aus, es gebe duo potestates (zwei Gewalten), durch die diese Zeit regiert werde: die sacrata auctoritas pontiftcum (die geheiligte Autorität der Priester) und die potestas regalis. So war eine Balance zwischen weltlicher und geistlicher Macht - jedoch mit einer Überlegenheit der Geistlichkeit - hergestellt, und man kann nun die ganze weitere mittelalterliche Staatstheorie aufgliedern anband dieses Satzes, da einmal die weltliche Gewalt versuchte, das Übergewicht über die geistliche zu bekommen, dann die geistliche über die weltliche. Dieser Vorgang ist in den einzelnen Ländern ganz verschieden abgelaufen. Karl der Große hatte auf Grund der tatsächlichen Lage das unbedingte Übergewicht: Er hat dem Papst einmal sagen lassen, er wirke für die Kirche, und wie Aaron Moses unterstützt habe durch das Gebet, so solle der Papst den König bei der Verbreitung des christlichen Glaubens und der Festigung der Kirche durch Gebet unterstützen. Aber Karl ist nie so weit gegangen, daß er das Recht der Kirche, in staatlichen Dingen mitzusprechen, in Frage stellte. Ich habe in einem Aufsatz1 zeigen können, wie Karls ganze Wirkung dadurch geprägt ist, daß er die Ordnung sicherte - und zwar eine richtige Ordnung, ausgerichtet auf die richtigen Zahlen und auf klare Winkel: dreivier- zwölf. Nach diesen Zahlen waren für Karl geordnet das Jahr, der einzelne Tag mit seinen Stunden, sowie der Kompaß, und so hat Karl auch dann seine Hinterlassenschaft aufgeteilt. Er ist also gleichsam ein Bauer in ganz großem Maßstab; denn so wie der Bauer sein Feld in klarer Ordnung bebaut, so überschaute und ordnete Karl der Große sein Riesenreich. Dadurch hat er allen europäischen Herrschern nach ihm ein Maß gesetzt (der Ausdruck >König< im Slawischen kommt ja von dem Namen
1 S. den letzten Abschnitt dieses Bandes (S. 302-41).
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>Karl < her). An ihn hat sich die Legende gehängt, die lehrte: Karl war der gerechte, der weise König, dem man nichts vormachen konnte. Die mittelalterlichen Könige mußten sehen, dem Karlsideal irgendwie zu entsprechen. Der große Franke hat seiner Auffassung vom Herrscheramt einen wunderbaren Ausdruck verliehen in dem von ihm erbauten Aachener Münster. In ihm ließ er sich einen Hochsitz einrichten auf der Empore gegenüber dem Altar, so daß er- das ist ein Wort, das auf Otto I. angewandt worden ist, aber schon auf ihn paßt - von allen gesehen werden und selbst alles sehen konnte. (Hier in Nijmegen können Sie ja in der Kopie des Aachener Münsters eine deutliche Vorstellung gewinnen, wie das einmal gewesen ist.) Karl der Große vollzog also keinen Einbruch in die geistliche Sphäre, aber brachte zum Ausdruck: Ohne die Stütze der potestas regalis ist die Kirche nicht imstande, die Ordnung der Welt aufzurichten. Karl der Kahle, der Enkel, versuchte noch einmal, an die Gedanken des Großvaters anzuknüpfen; aber er hatte es s,chwer, sich zu behaupten gegenüber den weltlichen Großen einerseits, gegenüber der Geistlichkeit andererseits, die auf die Zweigewaltenlehre pochte im Sinne des Gelasius: Wir haben doch letzthin den Vorrang. Es gab nur die Möglichkeit, das hinzunehmen oder das Ansehen der weltlichen Herrschaft zu steigern, indem man das nachmachte, was die Byzantiner vormachten. So war es bereits zu Beginn Karls des Großen; im Laufe der Zeit ist dann immer mehr nachgeahmt worden gemäß der Überlegung: Die Byzantiner haben ja die alte Tradition bewahrt, also alten Kaiserbrauch, zurückgehend bis auf die Zeit Konstantins des' Großen - dieser hatte schon Karl dem Großen vorgeschwebt als Leitbild bei der Annahme des Kaisertitels. Vor kurzem wurde in Ellwangen (Württemberg) ein Kästchen mit Medaillons gefunden, die ich bestimmen konnte: Es handelt sich um Bilder Karls des Kahlen und seines Sohnes, die beide eine byzantinische Krone auf dem Haupt tragen 2 • Das überrascht nicht, weil wir wissen, daß dieser Karl tatsächlich abwechselnd in fränkischer und byzantinischer Kaisertracht aufgetreten ist.
Wie entwickelte sich diese Beziehung zum Osten im 10. Jahrhundert weiter? Wie ist in die Entwicklung, die ich hier schildere, das Kaisertum einzuordnen, das Otto I. nach der Vakanz eines ganzen Menschenalters 962 wieder aufrichtete? Hier läßt sich folgendes feststellen: Widukind von Corvey behauptet, daß unter dem Eindrucke des Sieges auf dem Lechfelde ( 9 55) Otto I. zum Kaiser ausgerufen worden sei; wir finden jedoch in den Urkunden davon keine Spuren. Aber wir können zeigen, wie Otto sich gesteigert fühlte durch den Gedanken: Mir ist ein großer Sieg über die Heiden gelungen, ich bin nicht nur ein König, gesalbt wie die anderen, sondern mir steht offensichtlich die Gnade Gottes mehr zur Seite als anderen, ich bin von Gott
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S. jetzt Band
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Kar! d. Gr. - Otto d. Gr.
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auserwählt als sein im Augenblicke wichtigstes Werkzeug auf Erden. Diesem Selbstgefühl gab Otto Ausdruck in seinem mirus ornatus, den er 962 (das berichtet Luitprand) in Rom trug. Was können wir über seine Einzelheiten feststellen? Drei Nachrichten greifen ineinander. Wir wissen, daß der König von Frankreich und Otto III. um Iooo einen Weltenmantel um die Schultern getragen haben. Was ist unter einem solchen Mantel, bestickt mit den Zeichen des Zodiacus und bestimmten Sternbildern, zu verstehen? Ein solcher Mantel aus dem Nachlaß Heinrichs II. ist erhalten im Domschatz von Bamberg. Wir wissen, daß bereits hellenistische Könige solche Mäntel getragen, also bildlich das Himmelszelt um sich gebreitet haben, um ihre Ansprüche zu manifestieren. Das paßt aber auf die Sprossen des Sächsischen Hauses nicht, auch nicht auf den französischen König, der durch seine Großmutter aus diesem Hause stammte. Weiter: wir haben einen alten Stich aus dem I8. Jahrhundert von einem Gürtel der Ottonen, der verlorengegangen ist. An ihm hängen Glöckchen ( tintinnabu!a). Es liegen weitere Nachrichten vor, daß der Herrscherornat des Ir. und I 2. Jahrhunderts mit Glöckchen benäht war. Wenn der Kaiser schritt, klingelte es also. Sehr seltsam! Woher kommt dieser Gedanke? Im Alten Testament gab es jemanden, der einen Weltenmantel um seine Schultern legte und dessen Gewand mit Tintinnabula versehen war: den Hohenpriester. So darf ich nunmehr folgern: daß Otto I. 962 in Rom mit einem so seltsamen Ornat antrat, war nicht auf Byzanz ausgerichtet, nicht an alten kaiserlichen Sitten orientiert, sondern augepaßt dem Ornate des Hohenpriesters im Alten Testament. Ich kann die letzten Bedenken beseitigen durch den Hinweis auf die Kaiserkrone in Wien. Sie hat heute an der Stirnseite ein Kreuz, das dort erst in der Zeit Konrads II. angebracht wurde; verloren sind Anhänger an der Seite, nur noch die Scharniere sind zu sehen. Der Bügel stammt erst aus der Zeit Konrads, aber die Röhren, in die er hineingesteckt ist, haben dasselbe Karat wie die Krone selbst. Dieser Bügel ist also einmal zerbrochen und deshalb ersetzt worden, gehört demnach zur eigentlichen Krone. Dieser Bügel ist sehr seltsam; denn die voraufgehenden Kronen bestanden entweder aus einem Reif, oder sie hatten einen Doppelbügel, der sich auf dem Scheitel kreuzte. Der Wiener Bügel ist dagegen wie ein Hahnenkamm vom Scheitel bis zum Nacken aufgerichtet. Weshalb? Weil der Kaiser unter der Krone eine Mitra trug! Wir haben zu fragen: Wie sah die Mitra des IO. Jahrhunderts aus? Denn erst um I050 wurde für die Geistlichen die Kopfhaube eingeführt; sie war also nicht das Vorbild. Aber wir wissen, daß die Kaiser schon vorher eine Mitra trugen- noch Karl IV. hat auf sie den größten Wert gelegt. Wir haben nun eine Regensburger Miniatur, die einen Bischof so abbildet, wie man sich im Io. Jahrhundert die Mitra vorstellte, nämlich so, wie es im Alten Testamente steht: weiß und mit zwei cornua (Hörnern), und zwar nicht so wie heute (vorn und hinten), sondern an den Seiten; wenn man diese im rechten Maßstabe in die Wiener Krone einzeichnet, paßt alles zusammen,
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und erklärt ist nun auch, weshalb bei dieser Krone ganz ausnahmsweise der Bügel wie ein Hahnenkamm aufgerichtet sein mußte: sonst wäre kein Platz für die cornua gewesen. Wie seltsam I Die Antwort bietet wieder das Alte Testament; denn da heißt es vom Hohenpriester, daß er eine corona supra mitram trug. Der Hohepriester trat in die Stiftshütte, dann in den Tempel Salomonis nicht nur mit dem Weltenmantel, nicht nur mit den Tintinnabula, sondern auch mit einer Krone über der Mitra, und Otto I. hat alles dieses nachgeahmt! Das heißt- historisch gesprochen- also: Beschwingt durch die Überzeugung, unter der besonderen Gnade Gottes zu stehen, ging er so weit, in den geistlichen Bereich einzudringen. Er begnügte sich nicht damit, nach dem Siege über die Ungarn seinen Platz wie bisher auf der Empore gegenüber dem Hauptaltar einzunehmen, sondern kleidete sich hohenpriesterlich. Einiges ist von diesem neuen Brauch beibehalten worden, aber alles ließ sich auf die Dauer nicht aufrecht erhalten. Ottos Enkel, der jung gestorbene Otto III. (t Iooz), ist lange belächelt oder sogar verspottet worden, weil er den Gedanken hegte, den Brauch des Altertums zu erneuern, aber er muß ernst genommen werden. Doch diese >Renovatio< konnte auf die Dauer nicht aufrechterhalten werden; auch ließ sich nicht mehr nachahmen, was die Byzantiner taten, weil das Selbstbewußtsein des Abendlandes viel zu stark geworden war. Jetzt hieß es: Ihr Byzantiner nennt euch nach Rom und seid ja gar nicht mehr Römer! Ihr seid Griechen! Seit Otto II. lautete der offizielle Titel: Imperator Romanorum. Das Schlagwort ist jetzt: Renovatio Imperii Romanorum: diesen Ausdruck hatte Karl der Große schon benutzt (im Hinblick auf Konstantin den Großen); er wurde wieder aufgegriffen von Otto III., und von da an ist dieses Motto ein bewegendes Element für die mittelalterliche Staatstheorie, besonders für den Kaisergedanken, geblieben. In diesem Falle kann man nicht sprechen von einem >Kaisermythos<, weil ein magischer Untergrund fehlt, auch weil die Legende nicht eine ähnliche Rolle spielte wie in Frankreich. Zur >Kaiseridee< gehörte historisches Wissen, dazu die Auseinandersetzung mit der kirchlichen Lehre. Das I I. Jahrhundert hat die Situation in Deutschland und in Italien völlig verschoben. Fassen wir angesichts dieser Tatsache genau ins Auge, daß der Investiturstreit auch nach England und Frankreich übergriff, aber dort lange nicht die Schärfe angenommen hat wie in Deutschland, obwohl die Kirche hier besser geordnet war und auf einer moralisch höheren Ebene stand als in bestimmten Teilen von Italien und Frankreich. Letztbin ging es in Deutschland eben darum, daß die Kurie nicht binnehmen konnte, was sich im Io. Jahrhundert ergeben hatte: der König gegenüber dem Hauptaltar mit der hohenpriesterliehen Gewandung. Er war zu mächtig, er hatte sich zu weit vorgewagt in den geistlichen Bereich, er mußte deshalb buchstäblich herabsteigen, wenn er in der Kirche einen Platz einnehmen wollte, nur noch links vom Altar gegenüber dem Bischof.
Die >Kaiseridee< - Die Krönung
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Seit dem Investiturstreit bemühte sich die Kirche, ihrerseits auf den Papst weltliche Rechte zu übertragen. Ansätze finden sich bereits in der Konstantinischen Schenkung, also im 8. Jahrhundert; in ihr fällt auch das Kennwort für diese Bewegung: lmitatio lmperii (Nachahmung des Reiches). Das, was Otto I. bewirkte, kann man entprechend nennen: Imitatio Sacerdotii. Der Papstpalast wird - um Beispiele zu nennen - palatium genannt, nachher curia; das Kardinalskolleg wird aufgefaßt als der neue Senat; der Papst nimmt jetzt Platz auf einem Thron, der wie ein weltlicher geformt ist, und eine Thronsetzung, wie sie in Aachen stattfand, wird üblich - so könnte man lange fortfahren. Es wäre nun ein interessantes Thema, zu zeigen, wie im Mittelalter auf der einen Seite die >Imitatio Imperii< weitergeht; zu erwähnen wäre da das >Triregnum<, die dreifach gekrönte Tiara, die der Papst vom 14. Jahrhundert bis in unsere Tage getragen hat. Auf der anderen Seite setzt sich gleichfalls die >Imitatio Sacerdotii< fort. Die langen Kaisergewänder (ähnliche trugen der französische und der englische König) wurden >Dalmatica<, >Tunica< usw. genannt, und noch im 15· Jahrhundert haben die Könige sich darauf berufen, sie hätten eine Art geistlicher Tracht. Karl IV. und Sigismund legten auch großen Wert darauf, daß sie wie ein Geistlicher in der Weihnachtsmette den Text des Evangeliums verlesen durften, was sonst nur ein Geistlicher tat. Die christlich-sakramentale Weihe, eingefügt in die Krönungszeremonie, wurde reich 'entfaltet und immer weiter ausgebaut; bereits im xo. Jahrhundert haben wir einen festen Brauch in England, in Frankreich und in Deutschland. Diese Länder tauschten die Gebetsformeln und einzelne Akte aus; die übrigen Länder folgtenihren Vorbildern. An Hand von Texten, die den Brauch festhielten, können wir jetzt z. B. zeigen: Der König von Böhmen übernimmt dies und das aus Deutschland, dann greift er auf England zurück; sein Zeremoniell wird weitergegeben an Polen; und Entsprechendes vermögen wir in Spanien und auch in Schottland festzustellen. Wir können weiter zeigen, wie die Könige immer aufeinander geschaut haben: Was tun die anderen, um ihr Ansehen gegenüber den Nachbarn und gegenüber den Untertanen zu steigern? Die Krone Wilhelms des Eroberers ist nicht erhalten, aber wir haben eine Schilderung, und aus ihr ergibt sich, daß sie so geformt war wie die Ottos I. Wilhelm hat sich auch bestimmte Ehrenrufe (Laudes) zugesprochen, die bisher ein Vorrecht der Kaiser waren. Deshalb ist es lohnend, das Gebiet der >Herrschaftszeichen< (so sage ich und nicht: Insignien, weil das Wort prägnanter ist) zu untersuchen. Zugespitzt kann man sagen: Zeige mir, was du in der Hand hältst, auf dem Kopfe trägst und worauf du sitzest, und ich will dir sagen, was du bist: ein Kaiser, ein König oder nur ein Fürst; ja wenn man diesen Bereich genau untersucht, dann kann man noch hinzufügen: dann will ich dir auch sagen, was du sein möchtest 1Wer ist dein Vorbild, der Kaiser, der byzantini-
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sehe Herrscher, der Hohepriester, der König von Frankreich? Deshalb habe ich viel Zeit auf die Erforschung der Herrschaftszeichen verwandt und - so möchte ich glauben- wichtige Ergebnisse zutage gefördert; doch ist dieses Gebiet noch lange nicht bis in alle Winkel aufgeklärt. Auf der anderen Seite ist es notwendig, daß man die >Fürstenspiegel< untersucht: Das hat mein früherer Schüler und Freund, der Berliner Professor Wilhelm Berges, getan. Dieses literarische Genus setzt ein im 12. Jahrhundert und zeigt, wie erfahrene, in der Scholastik geschulte Männer die Könige hineinsetzten in die Ordnung des Kosmos : das ist nicht Mythos, das hat mit Magie erst recht nichts zu tun. Das ist vielmehr Gelehrsamkeit, eine >Königslehre< neben dem Königszeremoniell, dokumentiert in Salbung, Krönung nach festem Brauch und dem Tragen von Herrschaftszeichen. Herauszuheben ist aus diesem Bereich die Tatsache, daß seit dem 9· Jahrhundert die Könige vor der Salbung gefragt wurden, ob sie das und das tun bzw. lassen wollten. Aus den promissiones sind Eide geworden. Die Eide, in den einzelnen Ländern verschieden stark erweitert, sind die Keimzellen für das konstitutionelle Regime. Durch sie wurde nämlich der König festgelegt; er war nicht absolut, er hatte bestimmte Pflichten und nahm bestimmte Einschränkungen seiner Rechte hin. Wir brauchten eine Geschichte des Königseides auf europäischer Grundlage, um die Geschichte des konstitutionellen Regimes von seinen Anfängen an zu verfolgen. Dazu gehört ferner folgende Tatsache: Der Ausdruck >Staat<, im Englischen >state<, französisch >etat<, >estado< spanisch, >stato< italienisch, in der Bedeutung, in der wir das Wort heute anwenden, stammt erst aus dem 14. Jahrhundert. Denn für den Staat stand vorher ja ganz selbstverständlich der König, und so sprach man von Regnum, von Imperium, von Dominium, von >Herrschaft<. Deshalb war es nicht notwendig, den abstrakten Begriff >Staat< einzuführen. Das ist erst in der reifen Scholastik geschehen. Jetzt standen ja die Könige anderen Gewalten gegenüber, mit denen sie sich arrangieren mußten: es entstand das ständische System. Die Reiche waren nicht mehr allein durch die Könige regiert; diese mußten vielmehr die Stände befragen, manchmal (wie in England) zwei Stände, aber auch drei oder vier Stände (FRITZ HARTUNG hat das in einem Aufsatz analysiert, der ein Vorbild exakter Geschichtsanalyse darstellt). Ich will nicht mehr sagen; denn den weiteren Vorträgen bleibt es vorbehalten, darzustellen, wie in der Zeit des Absolutismus die Könige noch einmal die Ständeherrschaft in verschiedener Form zurückgeworfen haben. Ich soll ja nur eine Einleitung zu den nachfolgenden Vorträgen bieten, die nun das komplexe Problem >Königtum< behandeln werden. Auch wenn man nicht mehr sprechen kann von einem >Königsmythos<, ist es ein Faktum in der Praxis des Geschehens und auch in den Grundkonzeptionen des geistigen Lebens geblieben.
3 >Mitherrschaft im Himmel<: Ein Topos des Herrscherkults in christlicher Einkleidung (vom 4· Jahrhundert an festgehalten bis in das frühe Mittelalter)*
In einem Panegyricus, den ein unbekannter, noch heidnischer Redner auf Konstantirr den Großen hielt, wird der verstorbene Vater des Kaisers als et imperator in terris et in caelo Deus bezeichnet1 • Diese Vorstellung des Divus Augustus, die sich auch in der lateinisch sprechenden Reichshälfte - von Kaisern geduldet oder gefördert - durchsetzte, war den Christen seit langem ein Greuel gewesen, da sie mit ihrem Gottesbegriff nicht vereinbar war. Eine neue Situation ergab sich, als Konstantirr der Große zum Christentum übertrat und der bisher verfolgte Glaube zur Reichsreligion wurde. Auf das eingehendste ist untersucht worden, wie sich das Christentum einerseits gegen das besiegte Heidentum wandte und wie andererseits vieles vom antiken Herrscherkult in mehr oder minder überdeckender Hülle, in mehr oder minder gewaltsamer Umdeutung gelten gelassen wurde und dadurch noch dem Mittelalter vertraut sein konnte2 • Im Exkurs IV (Anm. 187) zu meinem Aufsatz >Das Herrscherbild in der Kunst des frühen Mittelalters< in den Vorträgen der Bibi. Warburg 1922-1923, I. Teil, Lpz. 1924, S. 222-224, stellte ich bereits einschlägige (hier wiederholte) Zitate zusammen. Sie sind hier ergänzt und neugeordnet; der Text wurde abgerundet und vertieft. Zu Nutzen kamen mir die Notizen, die HERMANN DÖRR1ES, der das Manuskript bereitwillig prüfte, beisteuerte. Ich wiederhole hier meinen ilim abgestatteten Dank.
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Zuerst in: Polychronion. Festschrift PRANZ DöLGER, Beideiberg: Winter I 966, S. 480-8 5. Inzwischen fand ich weitere Zeugnisse, die ich hier eingefügt habe. I XII panegyrici latini, ed. W. BAEHRENS, Teubner 19II S. 203. 2 Ich begnüge mich mit dem Hinweis auf FRITZ TAEGERT, >Charisma. Studien zur Geschichte des antiken Herrscherkultes II <, Stuttgart 1960 S. 676ff.: Die Kirche; (vgl. meine Besprechung in den >Comparative Studies in
Society and History V<, 1963, S. 357-36o); s. auch noch L. BREHIER et P. BATTIFOL, >Les survivances du culte imperial romain<, Paris 1920. Der analoge Vorgang im Bereich der Herrschaftszeichen wird im Bd. VI dieser Aufsatzsammlung vielfach berührt; das Hauptthema bildet er in meinem Buch: Sphaira-Globus-Reichsapfel. Wanderung und Wandlung eines Herrschaftszeichens<, Stuttgart 195 8 (219 S. in Quart mit 84 Tafeln).
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A 3· >Mitherrschaft im Himmel<
Ich freue mich, daß auf diese Weise Belege für einen Beitrag zusammengekommen sind, der seinem Thema nach in eine FRANz DöLGER gewidmete Festschrift hineinpaßt. Denn mit dem Jubilar verbinden mich seit Jahrzehnten freundschaftliche Beziehungen und fruchtbarer wissenschaftlicher Austausch.
Zu diesem Vorgang wollen wir einen Beitrag liefern, indem wir eine Reihe von Belegen aneinanderreihen, die in mehr oder minder fester Art mit einem Spruch des Neuen Testaments zusammenhängen. Im 2. Brief an Timotheus schreibt Paulus: »Hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter, geben wird, nicht mir aber allein, sondern allen, die seine Erscheinung lieb haben« (4, 8). Zusammen mit Apokalypse 2, 10 war hier für die Christen die Grundlage für die Vorstellung der allen Gläubigen winkenden >Krone des ewigen Lebens< gegeben. Es ist bekannt, eine wie große Rolle sie im ganzen Mittelalter, für das sich der Unterschied zwischen Kranz (m:eq;avor;) und corona verwischte, gespielt hat; als endeerter Topos taucht sie ja noch heute in den Grabreden auf. Durch diese Stelle erhält eine im Timotheus-Brief voraufgehende ihr Gewicht. Im 2. Kapitel fordert der Apostel den Empfänger auf, als guter Streiter Jesu Christi zu leiden: »Und so jemand auch kämpfet, er wird doch nicht gekrönet, er kämpfe denn recht« (2, 5). Dieses Leiden sei zu tragen mm der Auserwählten willen< zur Erlangung der Seligkeit (2, 10): »Das ist gewißlich wahr: Sterben wir mit, so werden wir mit leben (2, n); dulden wir, so werden wir mit herrschen; verleugnen wir, so wird ER uns auch verleugnen (2, 12)«. Dieser Satz: Si sustinuerimus, et conregnabimus, der sich bei Paulus fest und logisch in den Gedankengang des Briefes (s. auch Römer 5, 7, vgl. dazu Apost. 20, 4 und 6 sowie 22, 5) einfügt, ist im Mittelalteroftangefü hrt worden und hat dabei einen Ton erhalten, der dem Apostel fern lag. Um die Herrlichkeit des ewigen Lebens metaphorisch zu verdeutlichen, hatte er von der >Mitherrschaft< der bewährten Christen im Himmel und ihrer Krönung gesprochen; benutzt wurde dieser Satz jedoch, um die Herrscher herauszuheben. Das heißt: DerVers II. Tim. 2, I 2 wurde ein locus classicus, um das unterschwellige Fordeben des antiken Herrscherkultes zu rechtfertigen. Dieser Vorgang setzt bereits bei Eusebios ein: er berichtet, Kaiser Konstantin habe einen Bischof zurechtgewiesen, als dieser ihn pries, weil er in dieser Welt von Gott zum Gebieter über alles gesetzt sei und auch im künftigen Leben mit Christus herrschen werde3 - das von ihm benutzte Wort >CJvf-lßaCJlAevetv< legt offen, daß Euse3 Vita Constantini 4, 48 (Griech. christl. Schriftsteller VII: Eusebius I, Lpz. I 902, S. I 37). - H. DöRRIES verweist mich auf Clemens von Alexandria Ct 2I5), ebd. XVII, Lpz. I909:
Clemens, ed. 0. STÄHLIN III S. I8I, sowie auf seine Ausgabe des Makarios des Großen (t um 390), in der avpßaatÄevew und verwandte Wendungen wiederholt begegnen.
Geschichte einer Paulus-Stelle
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bios bei seiner Formulierung des Kaiserwortes die Timotheus-Stelle vor Augen schwebte. Gleiches gilt auch von dem Übersetzer eines Briefes, den Papst Coelestin I. (422-432) an den Kaiser Theodosius II. schrieb: er sei- so formulierte es der Griechegewissermaßen »der Mitherrscher Christi, unseres Gottes, des selbstherrschenden Königs«4 • Wiederum macht das Wort >CJVf.LßaatÄeVetV< deutlich, wer für diese Wendung die Rechtfertigung lieferte5 - im lateinischen Original heißt es nur: vos, qui Christo Deo nostro auctore regnatis. Aus dem 6. Jahrhundert sei Corippus genannt, der Lobredner des Kaisers Justinus 11. (565-578)6 • Dem Oheim, dem sterbenden Justinian, legte er die Worte in den Mund: a regnis in regno vehor (IV 339). Verwandt sind die folgenden Verse: ... dum carne relicta II spiritus ascendens claram penetravit arcem (IV 34 I f. ). Ein Christ brauchte sie nicht zu beanstanden, aber man konnte auch anderes heraushören. An anderer Stelle heißt es: Nunc idem genitor laetus plenusque dierum funere Jelici caelestia regna petivit (I I43 f.). Wer die angeführte Paulus-Stelle im Sinne hat, ist über solche Wendungen nicht erstaunt. Fortan begnügen wir uns damit, die im Laufe der Jahre aufgestöberten Belege, deren Zahl sich natürlich noch stark vermehren ließe, aneinander zu reihen; denn eines Kommentars bedürfen sie nicht mehr. Nur darauf sei hingewiesen, daß mit der Zeit der Grundgedanke sprachlich so varüert wird, daß die Timotheus-Stelle oft nicht mehr durchscheint.
a) Karolingische Zeit Ganz christlich gefaßt sind die Mahnworte des Hlg. Bonifaz an sein Gefolge, die Willibald (t 787) in seiner Vita dem Märtyrer in den Mund legt: >> ViriJratres, ..• (Deus . . . vobis) caelestis aulae sedem cum supernis angelorum civibus condonat • . . subite mortis articulum, ut retJ~are cum Christo possitis in evum<<. (Vitae S. Bonifatii, ed. W. Levison, I9o5 S. 50; Scrip!. in us. schol.). In einem Sinn, der sich mit Paulus vereinbaren läßt, schrieb nach 737 der Bischof Torfhelm von Leicester an den Hlg. Bonijaz (ed. M. TANGL, 1916; Mon. Germ., Epist. sel. I S. 76 Nr. 47): (divina clementia) vos vestrosque omnes in omnibus bonis operibus auxiliare
4 ActaConciliorum oecum., ed. EDUARD ScHWARTZ F, 7 S. 129, 12f. Ich entnehme diese Zitate dem inhaltsreichen Vortrag von FR1EDRICH HEILER, >Fortleben und Wandlungen des antiken Gottkönigtums im Christentum<, in: The Sacral Kingship (=La regalita sacra). Contribu-
6 Schramm, Aufsätze I
tions to the Centtal Theme of the Vlll. Internat. Congress 1959 (Supplements to: NUMEN IV) S. 56o. 5 ScHWARTZ a. a. 0. I", 23 S. 88, 24. 6 In laudem ]ustini, ed. M. PETSCHENIG, Berlin 1886 S. r69, 2r6.
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dignetur, ut ( vestra excellentia) cum Christo in futuro regnet secu!o; aber es kam doch wohl der Gedanke hinzu, daß ein Mensch, der sich hier auf Erden. vor Gott ausgezeichnet habe, dafür im Himmel mit einer besonderen Stellung belohnt werde: ein heiliger Mann wie Bonifaz und - so ließ sich der Gedanke ja fortsetzen - auch ein Herrscher, der für Gott gewirkt hatte. Kar! der Große hat für sich diese Folgerung nicht gezogen: Die Libri Caro!ini I, I (Mon. Germ., Conc. II, Suppt. S. I ff.) polemisieren gegen die Wendung im Briefe des Kaisers Konstantin: Per eum, qui conregnat nobis Deus, da zwischen Gott und Kaiser der Unterschied von ewig und sündig, zwischen einem Apostel wie Paulus und dem Kaiser ein Unterschied persona, tempore und merito bestehe: Regnat ergo i!!e (Deus) in nobis, non conregnat nobis, und zwar in uns Gläubigen, nicht als Herrschern; die Timotheus-Stelle beziehe sich erst auf die Zukunft. Daraus folgt: Nondum enim conregnamus ei, quamdiu huius mortalitatis tunica induti sumus, quod tune nos facturos esse per misericordiam speramus, cum . . . erit Deus omnia in omnibus. Diese Argumentation wird später noch einmal kurz wieder aufgegriffen: IV, 5 S. 179ff.). -In dem Antwortschreiben des Papstes Hadrian I. an König Kar! wünscht ihm dieser daher (christlich korrekt), ut una cum ... regina vestraque ... pro!e !ongiori aevo in hoc regnantes mundo, in futuro sine jine vitam cum regno in arce po!i habere mereamini (ebd. Ep. V S. 57).- Vgl. ähnlich Ders., MG. Epist. III. Cod. Carol. Nr. 68 S. 98 Z. 28 ff. Daran reihen sich folgende Zeugnisse: A!cuin schrieb im Jahre 799 an Kar! den Großen (Mon. Germ., Epist. IV, S. 288): >> ••• deprecor, quatinus qui tibi optima quaeque in terrena felicitate concessit, Ionge me!iora aeternae beatudinis regna tibi aeterna!iter concedere dignetur<<. Derselbe an Karl den Großen: Post haec et teneas cae!estia regna beatus, Cum sanctis pariter in arce poli. (Mon. Germ., Poet. !at. I S. 30I Nr. LXXXIII). Smaragdus von St. Mihie!: Via regia (um 820/5 verfaßt für Pippin I. von Aquitanien; vgl. dazu J. ScHARF, Studien zu S. und]onas, im Deutschen Archiv XVII, I96I S. 344ff.; s. a. ANNELIESE SPRENGLER-RUPPENTHAL, Gebete für den Herrscher im frühmittelalterlichen Abendland und verwandte Anschauungen im gleichzeitigen Schrifttum. Theol. Diss. Göttingen I 9 5o, Maschinenschrift, bes. S. I 69, I 3I): ... ut aeternum cum Christo feliciter perciperes regnum, misericorditer adhuc te parvu!um rex regum adoptavit in ji!ium. Constituit te rege!lJ popufi terrae, et proprii Filii sui in coe!o jieri iussit haeredem. - Tu ergo cum sis rex in terra, ut sis ji!ius Regis in coelo. - Hic te terrenum evexit in regnum; i/!ic tibi coe!este promisit imperium (Migne, Patro!. lat. I02 Sp. 933, 934, 948, 952). Urkunde des Königs Pippinll. von Aquitanien für Trier, 25. 7· 847 (gedruckt bei L. Levillain, Recueil des actes de Pepin rr et Pepin II rois d' Aquitaine, Paris I926 S. 2I4ff. Nr. 54): (wenn der König den Bitten der Geistlichen entspreche): non tempora!iter tantum ad presens nostri (ein Wort fehlt wie: fastigium), sed etiam ad adipiscendatn eterne g!orie coronam pertinere non dijfidimus (benutzt im D. ZwENTIBOLD 13 vom
Zitate (75o-96o)
28. I. 897; gedruckt Mon. Germ., Dipl. Karol. IV, I 960 S. 4I; sowie in einem gefälschten Diplom König Pippins, Vater Karls d. Gr., vom Ende des Io. Jahrh.; Mon. Germ.; Dipl. Karol. I S. 50 Nr. ;6). (Aus den bei Levillain zusammengestellten Arengen ergibt sich, daß die von Nr. 54 für sich steht); im Arengen-Formular Ludwigs des Frommen fehlt dieser Gedanke, vgl. E. E. STENGEL, Diplomatik der deutschen Immunitäts-Privilegien (9.-II. Jahrh.), Innsbruck I96o S. 88f. mit S. 607-10). Papst Hadrian 11. wünschte 872- was theologisch nicht zu beanstanden war- dem König Kar/ dem Kahlen, er möge sein in praesenti ecclesia defensorem et in aeterna cum omnibus sanctis participetn (Mon. Germ., Epist. VI S. 743). In dem (von E. DüMMLER im Neuen Archiv f ältere deutsche Geschichtsforsch., XIII, I888 S. I96 herausgegebenen) wohl dem Ende des 9· Jhs. angehörigen >Ermahnungsschreiben an einen Karolinger< ist der Gedanke in einer abgeschliffenen, für alle möglichen Wendung vorgebracht: cupiens et optans vestram excellentiam ita in presenti seculo prosperari, ut de caducis et de terrenis pervenire mereamini ad stabilia et ftrma in ce/is palatia. Papst Stephan V. schickt Kaiser Kar/ 111. im März 887 Palmenzweige als Zeichen des Triumphes: ut, qui vos ilz terris tribuit praeesse aliis, ipse vobis concedat in praesenti saeculo triumphare de spiritualibus et de carna/ibus hostibus, quatinus duplici triumpho victoriae i/li representari mereamini post jluctuvagi huius decursum temporis in caelesti gloria (Mon. Germ., Epist. V S. 340 Nr. I;,]ajje-L. Nr. 3427). Der süditalienische Grammatiker Eugenius Vulgarius an den Papst Sergius 111. (904-9II):
tua ne deneget diva potestas, quatinus /etus et liber in saeculum vadens /ongum tibi in terris eternumque in ce/is regnare dictu felici perorem (Mon. Germ., Poet. lat. IV S. 4I 8 Z. 49). b) Sächsisch-Salische Zeit Das gewichtigste Zeugnis bietet der in Mainz um 96o dem >Pontificale RomanoGermanicum< einverleibte >Deutsche Königsordo<. In ihm begegnet unser Topos gleich fünfmal, und zwar in Formeln, die alle aus dem >Ordo der sieben Formeln< (so C. ERDMANN) = >Ordo von Stavelot< (so C. A. BouMANN) entlehnt sind (dessen Bezifferung in Klammer): I 3 ( 2 ). Gebet: Deus, Dei ft /ius etc. nach der Salbung: ... quatinus ... aeternaliter cum eo (sei/. Christo) regnare merearis (S. p6). I4 (6). Formel für die Übergabe des Schwertes: Accipe gladium etc . ... , quatinus ... cum mundi Sa/vatore, cuius typumgeris in nomine (d. h. >Christus domini<) sinefine merearis regnare (S. 3 I7)· I 5 (5 ). Formel für Übergabe von Armilla, Mantel und Ring: Accipe regiae dignitatis anulum etc. ... , ut ... cum Rege regum glorieris (S. ; I 8). I7 (3). Formel für die Krönung: Accipe coronam regni etc.: ... ut ... premio sempiternae Jelicitatis coronatus, cum ... Jesu Christo ... sine ftne glorieris (S. 319).
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19 (7). Formel für die Einnahme des Thrones: Sta et retine !ocum etc. ... quatinus (Christus) te ... in regno aeterno secum regnare faciat (S. 320). Bei der Vorlage handelt es sich allem Anschein nach um einen westfränkischen Text, der eine oder zwei Generationen älter gewesen sein mag. Erst durch die Eingliederung seiner Formeln in den deutschen Ordo erhielten sie Resonanz und lange Lebensdauer. Damit nicht genug: aus dem >Deutschen Ordo< wurden die angeführten Formeln in den Ordo für die Krönung des angelsächsischen Königs Edgar (973) und aus dieser um 980 in den Ordo des Abtes Fulrad von Saint-V aast übernommen (vgl. in Bd. II die Texte VII und IX, Anlagen zu dem Abschnitt: >Die Krönung bei den Westfranken und Angelsachsen<). Aus diesen deutschen, englischen und französischen Ordines sind die Formeln in weitere Ordines weitergewandert; sie blieben daher durch das ganze Mittelalter bekannt. Den >Ürdo der sieben Formeln< edierte C. ERDMANN, Forsch. z. polit. Ideenwelt des Frühmas., Berlin 1951 S. 87-9. Die Ordines bei C. VoGEL- R. ELZE, Le Pontifical Romano-Germanique du xe siede, I, Citta del Vaticano (Studi e Testi 226) S. 246ff., 261. Vgl. dazu auch meinen (die Entlehnungen und Entsprechungen deutlich machenden) Abdruck in der Zeitschrift f. Rechtsgesch. 55, Kanon. Abt. 24 S. 31o-24 (danach oben die Seitennachweise). Ferner sind folgende Belege anzuführen: Widmungsverse für Erzbischof Egbert von Trier im Fragment des Registrum Gregorii von etwa 995 über Otto II. (Mon. Germ., Poet. !at. V S. 429 = Denkmale a. a. 0. S. 47): Decessit Romae tua ad atria, Petre, sepultus, Vivat ut aetherii susceptus in atria regni. Odi!o von C!utry an Otto III. oder Heinrich II. im Cod. Bamb. Bibi. 126 (Augustin-
kommentar zu den Paulusbriefen) . . . . simu! exoptans sibi !ongum Vivere post regnum cae!esti in sede paratum (ebd. V S. 396f. = Denkmale a. a. 0. S. 162). Leo von Verce/li in Anschluß an den Ordo als Verfasser einer Urkunde für Otto III. vom Jahre 999 (Mon. Germ., Dip!.II S. 75 3; D. 0. Ill., 324): ut ... de huius vite carcere honestius avo!are et cum domino honestissime mereamur regnare (dazu H. BLOCH im Neuen Archiv XXII S. 61 f.). Widmungfür Otto IIJ. in der Bamberger Apoka!Jpse (hg. von H. WöLFFLIN, München 1918, S. 20 =Mon. Germ., Poet. !at. V S. 432 =Denkmale Nr. 136): Utere terreno, caelesti postea regno. Leo von Verce!!i für Heinrich!!. zum Jahre 1002 (H. BLOCH im Neuen Archiv XXII, S. 120 und Mon. Germ., Poet. !at. V. S. 48off.) über Otto III.: Postquam terrae ma!itia adscendit ad sydera,
Zitate (xo.-II. Jahrhundert)
In ce/um raptus abiit, regem celi adiit Viva habet palatia in eterna patria. Petrus Damiani an Heinrich 111.: ... Deus, qui terreni imperii gubernacu!a tribuit ... et post mortalis vitae decursum ad coelestia regna perducat (Ep. VII, I; Migne: Patr. lat. 144 Sp. 436). Anof!Jmus von York (>Norman Anonymous<): De consecratione pontiftcum et regum (um Iioo): >Sed christiani reges gentiles ab ecclesia reppulerunt, hereticos condempnaverunt et eorum prava dogmata in sinu ecclesie penitus extinxerunt; Christo enim conregnabant, immo in Christi regno christiana iura dispensabant> (Mon. Germ., Lib. de lite III S. 664 =Die Texte des Normannischen Anonymus, hrsg. v. K. PELLENS, Wiesbaden 1966, Veröffentl. des Inst. f. Europ. Gesch., Mainz, 42, S. 199; vgl. ebd. S. 132 die I. Fassung. Vgl. dazu SPRENGLER-RUPPENTHAL a. a. 0.). Aus der nachfolgenden Zeit sind mir keine einschlägigen Zitate, die auf der Timotheus-Stelle beruhen, mehr begegnet. Vielleicht gelingt es noch, solche herbeizuschaffen. Aber selbst wenn das möglich sein sollte, käme ihnen kein großes Gewicht mehr zu; denn die Präzision des scholastischen Denkens ließ solche schimmernde, von christlichem Standpunkt aus nicht zu verantwortende, aber der antiken Vorstellung doch nahekommende Verherrlichung des Herrschers nicht mehr zu. Nur in dem alle Gläubigen betreffenden Sinn, den die von uns behandelten Worte und die Verheißung der >Krone des Ewigen Lebens< bei Paulus gehabt hatten, spielten sie weiter eine Rolle.
4 Gregor der Große und Bonifaz A. Papst Gregor der Große (um 540-604) 1 Aus der untergehenden Schicht des römischen Adels, der bis in die ostgotische Zeit durch Kulturpflege, weitgespannte Politik und Verwaltung riesiger Latifundien eine der Vergangenheit nicht unwürdige Rolle spielte, hebt sich eine imponierende Gestalt heraus, die den Geist dieser in Herrschaft und Verwaltung erfahrenen Aristokratie in neue Formen überzuleiten wußte: Gregor der Große, der >letzte Römer< und der >erste mittelalterliche Papst<. Gregors Aufstieg vollzog sich im Zeichen seiner Abstammung. Er, der Sproß eines jener vornehmen, mit Landbesitz reich begüterten Geschlechter, war kaum dreißigjährig schon Präfekt seiner Vaterstadt, das heißt: er stand bereits an der Spitze ihrer weltlichen Amtsleiter. Aber welches Rom hatte er zu lenken! In dieser Zeit vollzog sich gerade jener Raubzug der Langobarden, der den Byzantinern Stück für Stück fast das ganze Gebiet entriß, das diese den Ostgoten abgenommen hatten. Nochkonnte sich Rom, durch seineMauern geschützt, trotzdes Versagens kaiserlicher Hilfe halten. Aber wie sollte sich die Stadt auf die Dauer in ihrer isolierten Lage behaupten? Verzweiflung über diese Not, die Gregor in Amt und Blut zugleich treffen mußte, mag mitgesprochen haben, daß er für sich den Kampf abbrach und die Stadtpräfektur mit dem Kloster vertauschte. Die Motive dieses Schrittes sind im einzelnen nicht mehr faßbar. Erkennbar ist nur noch das Allgemeine: den Anstoß gab Gregor die Besinnung auf sein Selbst, das er in den Geschäften der Welt gefährdet sah. Ihm genügten nicht mehr die Maximen der römischen Ethik, die den Römer Boethius noch im Kerker des Theoderich aufrechtgehalten hatten; nicht nur dem Namen nach, sondern im tiefsten Innern Christ, entschied sich Gregor für die radikale Lösung von der Welt im Geiste des Hlg. Benedikt. Seinen sizilianischen Besitz verwandte er für die Stiftung von Klöstern; er selbst wurde Mönch in seinem römischen Palast,
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Zuerst in: Männer, die Geschichte machten, hg. von P. R. ROHDEN und G. ÜSTROGORSKY, I, Wien 1931 S. 251-7 (den Anstoß zu diesem Beitrag gab die Bitte meines Freundes Georg
Ostrogorsky; ich erfüllte sie gern. Denn nachdem ich einmal Gregors Briefe gelesen hatte, hat er mich immer wieder angezogen).
Gregors d. Gr. Anfänge
der nun geistlichen Zwecken diente. Ein Leben in Demut, Askese und Betrachtung begann. Es lag nicht an Gregor, daß sein Abtritt von der politischen Bühne nur von kurzer Dauer war. Das Papsttum, durch seine überrömische Stellung noch gefährdeter als Rom selbst, war es, das ihn in seiner Ruhe aufstörte. Es bedurfte der Helfer und konnte daher einem befähigten Gliede der Kirche nicht erlauben, nur auf seine eigene Rettung bedacht zu sein. Gregor mußte ein Amt in der städtischen Verwaltung der Kirche, dann die Vertretung des Papstes am Kaiserhof in Konstantinopel, darauf die Leitung seines römischen Klosters übernehmen. Schließlich wählten ihn trotz seines Widerstrebens Klerus und Volk zum Papst. Im Jahre 590 begann der ehemalige Stadtpräfekt seinen Pontifikat, den er bis zu seinem Tod im Jahre 6o4 mit gleichbleibender Kraft führte. Einen umsichtigeren Sachwalter, einen Seelenhirten von gleicher Erfahrung hätte die Kirche nicht finden können. Als Gregor sein Amt antrat, gab es keinen Sektor am politischen Horizont, an dem sich nicht gefahrkündende Wolken türmten. Aber diese Zeit, in der die alten Gewalten gezwungen waren, sich mit den neuen einzulassen, und eine Machtkonstellation die andere ablöste, schuf Situationen, in denen sich gerade ein Gregor entfalten konnte. Seinem Charakter entsprach es, sich den Realitäten anzupassen, um sie in seinem Sinne ausnützen zu können. Das jeweils Erreichbare herauszuholen und dabei doch eine Verletzung römischer Grundsätze zu vermeiden, darin bestand des Papstes politische Meisterschaft. Gregors Vorgänger waren durch den Druck des byzantinischen Übergewichts auf Konstantinopel ausgerichtet gewesen, von wo der Kaiser das Eigenleben der römischen Kirche, der Patriarch ihren Primat bedrohte. Da nun der Kaiser im Osten festgehalten war, machte sich Gregor ihm durch die Verteidigung Roms unentbehrlich und gewann dadurch die Möglichkeit, seine kirchenpolitischen Ansprüche mit Nachdruck vertreten zu können, so daß die dem Primat drohende Bestreitung wieder vertagt wurde. In Italien selbst lag die Gefahr nicht nur bei den arianischen Langobarden in Mailand, Pavia und Benevent, sondern auch bei dem kaiserlichen Exarchen in Ravenna und den katholischen Kirchen Oberitaliens, die sich der Herrschaft Roms zu entziehen suchten. Fast ein Jahrzehnt des Pontifikats ist ausgefüllt mit unaufhörlich wechselnden politischen Gruppierungen, in denen Gregor nacheinander mit jeder Partei zu operieren versuchte. Erst 598 drückte er einen Waffenstillstand mit den Langobarden durch, den der Kaiser im Hinblick auf seine Ostpolitik stillschweigend sanktionierte. Von hier an datiert die Gewinnung der barbarischen Eroberer, die vor kurzem noch Gregor in Rom belagert hatten, für die Mittelmeerwelt: das folgende Jahrhundert vollzog ihre Einordnung in Glauben, Sprache und Kultur der neuen Heimat. Politisch bedeutet dieser Vertrag jedoch nur ein Hinausschieben des bis in die Zeit Karls des Großen zwischen Rom und den Langobarden geführten Kampfes
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A4:
A.
Gregor d. Gr. (t 6o4)
um die Hegemonie in Italien, in den der byzantinische Kaiser von jetzt an nur noch sporadisch eingriff. Daß er vom Papsttum geführt werden konnte, beruht nicht zum wenigsten darauf, daß Gregor die kirchlichen Prärogativen Roms in Norditalien im vollen Umfang aufrechtzuerhalten wußte. Dieser diplomatische und geistliche Behauptungskampf hatte sein Gegenstück in einem wirtschaftlichen, in dem der ehemalige Herr großer Latifundien seine praktische Erfahrung zu Nutzen des gleichfalls riesigen päpstlichen Besitzes verwandte. Dadurch gelang es ihm, aus diesem die Mittel herauszuwirtschaften, deren Rom in seiner isolierten Lage bedurfte, und da er auch die Verwaltung bis in die Einzelheiten überwachte und straffte, so verschärfte er dadurch zugleich die Tendenz der Kirche, staatliche Kompetenzen zu übernehmen. Auch hier aus einer prekären Lage das Beste herausholend, bereitete der Papst die Zukunft vor, in der aus dem Patrimonium S. Petri ein eigener >Kirchenstaat< erwuchs. Diese Erfolge bedingten, aber wurden andererseits auch wieder ermöglicht durch das, was Gregor jenseits der italienischen Grenzen für die römische Kirche durchsetzte. Er hatte die Genugtuung, daß durch den Übertritt der arianischen Westgoten zum Katholizismus Spanien, eine der ältesten Kirchenprovinzen Roms, dem Papsttum zurückgewonnen wurde: ein Ereignis, das zwar nicht durch Gregor selbst, sondern durch innerspanische Faktoren veranlaßt war, aber ihm sofort Anlaß gab, Rom im Westen zur Geltung zu bringen. Da nach der Vernichtung der arianischen Vandalen durch die Truppen Justinians auch Nordafrika zum Papste hielt, so wäre der Ring um das westliche Mittelmeer wieder geschlossen gewesen, wenn nicht Gregors Versuche, Einfluß auf die fränkische Kirche zu gewinnen, ohne nennenswertes Ergebnis geblieben wären. Hier haben seine Nachfolger erst Erfolge errungen, als Rom schon Nordafrika und fast ganz Spanien an die Araber verloren hatte. Zu diesen Gebieten, die seit alters im Gesichtswinkel der Kirche lagen, fügte Gregor wieder Britannien, das Rom im 5. Jahrhundert entglitten war. Ihm gebührt der Ruhm, daß er bei den neuen Herren der Insel, den Angelsachsen, die Mission einleitete und damit die Kirche auf eine Aufgabe wies, die sie während der nächsten Jahrhunderte in Atem gehalten und in immer neue Fernen geführt hat. Kaum eine dieser Bekehrungen im Norden und Osten hat in der Folgezeit solche Auswirkung gehabt wie gerade Gregors Mission unter den Angelsachsen; denn von ihnen aus vollzog sich wenige Menschenalter später die Wiederaufrichtung der fränkischen, die Begründung der deutschen Kirche. Langobarden und Westgoten, Franken und Angelsachsen: diese Namen sagen schon, was Gregor- insgesamt gesehen- für die römische Kirche bedeutet. Er führte sie aus dem Behauptungskampf gegen Kaiser und Barbaren, den er selbst und auch seine Nachfolger noch in Italien weiterzuführen hatten, hinaus in die Welt, deren
Gregor d. Gr. als Regent und als Autor
westliche Hälfte durch die Völkerwanderung von Grund aus umgestaltet worden war. Er, der selbst seine kirchliche Oberherrschaft nur mit Behutsamkeit anwenden konnte, wies Rom auf seine neue Aufgabe, die geistliche Lenkung jener Völker zu übernehmen, welche die Geschicke des Mittelalters bestimmt haben. Wie Gregor der Kirche fast in anderthalb Jahrzehnten den Stempel seines Wesens aufgedrückt hat, ist der Nachwelt bis in das Einzelne erkennbar, da sich das durch das ganze Mittelalter als Vorbild wahren Regententurns und kirchlichen Rechts bewunderte Registrum Gregorü erhalten hat. In dieser Sammlung von über achthundert Briefen hören wir Gregor unmittelbarer als irgendeinen Menschen dieser Zeit: den Politiker, der in der glatten Sprache des Hofes und der Diplomatie zu locken, drängen, abzuwarten weiß, den Kirchenfürsten voll Verantwortungs- und Rechtsbewußtsein, der lobt, mahnt, tadelt oder Trost spendet, den Verwalter der Kirche, der Stadt und des Patrimoniums, der in nüchternster Weise seine Anordnungen trifft, aber auch den Seelenhirten, der alle Möglichkeiten der Menschenlenkung kennt, und den Gläubigen, dertrotzaller weltlichen Geschäfte noch an seinem Mönchtum hängt- jeweils nach Thema und Empfänger ein anderer und doch immer derselbe: der >Servus servorum Dei<,· der sich notgedrungen mit der Welt einläßt und in ihr als ein Römer wirkt, der immer noch Mittel weiß, um aus ihrer gestörten Ordnung das der Sache Dienliche hervorzuziehen. Neben dieser aktiven Leistung verschwindet die kontemplative. Seine zum Teil umfangreichen Schriften, Sammlungen von Wunderberichten, allegorische Bibelerklärungen, Anleitungen für Seelsorger, Predigten u. a. m. stehen, wo sie sich über die Mitteilung praktischer Erfahrungen erheben, tief unter Augustin, den Gregor als theologischen Lehrmeister in Anspruch nahm, zeigen selbst weiten Abstand von der Kultur, die noch unter der Ostgotenherrschaft in Rom geblüht hatte. Sowohl als religiöse wie als geistige Erscheinung wird Gregor weit von Ambrosius, Augustin und Hieronymus überragt, die ihm die katholische Kirche als Väter zugesellt hat. Das aber trifft nur zum Teil ihn selbst, mehr seine naiv-wundergläubige Zeit, die philosophische Spekulation abstreifte, da sie ihren Gott auf anderen Wegen suchte. Ihr entsprachen besser Gregors einfachere, konkretere, stärker auf das Praktische abgezogene Doktrinen. So ist er bis in das 11. Jahrhundert der geistliche Lehrer des Mittelalters geblieben. Erst die Scholastik hat ihn wieder in den SchattenAugustins zurücktreten lassen. Auf dem geistigen Gebiet ist die persönliche und zeitliche Begrenztheit Gregors zu spüren; aber selbst hier darf man von Größe reden: der Mund, der die Sprache des nächsten halben Jahrtausends zu reden wußte, war der Mund eines Römers, der die Ideale seiner Vorfahren begraben hatte, aber Rom eine neue, geistliche Weltherrschaft sicherte, der ihr Ethos durch das christliche überwand, aber doch in Gesinnung, Haltung und Menschenbehandlung soviel Römerturn in sich bewahrte, daß etwas davon bis heute wirksam geblieben ist.
A4: B. Bonifaz (t 754) (Buchbesprechungen)
B. Der Heilige Bonifaz (672/3-754) Buchbesprechungen ScmEFFER, THEODOR: Angelsachsen und Franken. Zwei Studien zur Kirchengeschichte des 8· Jahrhunderts (Akad. der Wiss. u. Lit., Abh. der geistes- u. sozialwiss. Kl., Jahrg. 1950 Nr. zo). Mainz (Akademie, in Kommission bei FR. STEINER, Wiesbaden) 195 I. I 14 Seiten (Seite 1427-1450). Aus: Gesch. in Wissenschaft u. Unterricht IV, 1953, S. 586.
Für das 8. Jahrhundert ist von entscheidender Bedeutung THEODOR SCHIEFFERS Studie über >Angelsachsen und Franken<; denn sie richtet sich gegen die herrschende, von A. HAUCK formulierte, von H. v. ScHUBERT, E. CASPAR, K. V OIGT u. a. ausgebaute Auffassung, daß die Päpste durch Bonifaz in Deutschland eine römische Kirchenprovinz haben schaffen wollen, während Karlmann und Pippin einen staatskirchlichen Kurs verfolgt hätten und mit ihm zum Ziel gekommen seien. Der V erfass er macht deutlich, daß diese Forscher - den Entwicklungsgedanken überspannend Vorstellungen, die erst für die Zeit des Investiturstreites passen, auf das 8. Jahrhundert zurückprojiziert haben und daß es unsere Aufgabe sein muß, diese Frühzeitlosgelöst von dem, was sich später ergab - ganz aus sich selbst heraus zu verstehen. ScHIEFFER geht von der Tatsache aus, daß die Päpste des frühen 8. Jahrhunderts gar nicht in der Lage waren, die fränkische Kirchenhoheit zu schmälern. Bonifaz wurde nicht als Sendling Roms bekämpft, sondern als unbequemer Mahner und Ausländer, gegen den sich der fränkische Adel und die diesem eng verbundenen Bischöfe wandten. Da unter diesen jedoch eine jüngere, reformfreundliche Generation heranwuchs, setzten sich die Gedanken des Angelsachsen doch noch durch. Allerdings sahen er und seine Landsleute sich kaltgestellt oder doch eingeengt. Das bekam besonders Bonifazens Nachfolger und >enterbter Jünger< Lull, der erste Erzbischof von Mainz, zu spüren, mit dem sich die zweite der beiden in ScHrEFFERS Beitrag vereinigten Studien befaßt. Durch die Klärung schwieriger Fragen der Datierung kann der Verfasser das Bild, das wir bisher vom V erhalten Karl Martells gegenüber den Angelsachsen hatten, vereinfachen, und auch für die Charakteristik Pippins und Karls des Großen, unter dem die Festlegung des Mainzer Sprengels zu ihrem Abschluß kam, ergeben sich neue Einsichten. So zeigt diese Abhandlung wieder einmal, wie durch verfeinerte Methoden und eine Revision der bisherigen Fragestellung selbst aus Stoffen, die immer wieder bearbeitet worden sind, sich ganz neue Einsichten gewinnen lassen 2 • z Zu ScHIEFPERS Interpretation der kirchenpolitischen Lage vgl. H. LöWE, Bonifatius und die bayerisch-fränkische Spannung. Ein Beitrag zur Gesch. der Beziehungen zwischen dem Papsttum und den Karolingern, im
Jahrbuch für Fränkische Landesforschung XV, 1955 Seite 85-127. V gl. dazu H. LöWE, Vom Bild des Bonifatius in der neuerenDeutschen Geschichtsschreihung, in: Gesch. in Wiss. u. Unterricht VI, 1955
Buchbesprechungen ScHIEFFER, THEODOR: Winfried-Bonifatius und die christliche Grundlegung Europas. Freiburg i. Br. (Herder) 1954 (326 Seiten). -Aus: Gesch. in Wissenschaftu. Unterricht V, 1954, S. 695f. 8 •
Zu Ehren des Jahres, in dem sich zum rzoo. Male der Märtyrertod des heiligen Bonifatius jährte, ist eine Darstellung seines bewegten Lebens erschienen, die nichts von einer erbaulichen oder erhebenden Jubiläumsschrift an sich hat, sich vielmehr durch ihren soliden Unterbau über den äußeren Anlaß erhebt. Da sie auch die konfessionellen Bindungen abstreift, wird sie fortan als das maßgebende Werk heranzuziehen sein. Der Verfasser ist THEODOR ScHIEFFER, von dem bereits eine vorbereitende, die These von der mltramontanen< Einstellung des großen Missionars als zeitgebunden beiseite schiebende Studie soeben hervorgehoben wurde. Sein Buch zeichnet den zeitgeschichtlichen Hintergrund der Biographie auf das sorgfältigste. Man könnte es daher geradezu als eine fränkische Geschichte in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts mit Bonifaz als der Zentralfigur ansprechen. Die Darstellung ist einerseits gut lesbar, andererseits beruht sie in jedem Abschnitt auf selbständiger Verarbeitung der Überlieferung. W. LEVISON (t), dem als dem Lehrer des Verfassers das Buch gewidmet ist, würde sicherlich stolz auf dieses Zeugnis für die Fortwirkung seiner durch die sorgfältige Auswertung jeder Einzelheit gekennzeichneten Schule sein. Als Biograph hat ScHIEFPER das Prinzip verfolgt, daß er die Fakten sprechen läßt. In seine Darstellung hat er an den entsprechenden Stellen Zitate aus den Briefen des Heiligen eingefügt, so daß sich beim Leser von Kapitel zu Kapitel der Eindruck verdichtet und schließlich alles über Bonifaz gesagt ist, was ein Biograph heute über ihn niederschreiben kann. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, auf der Höhe seines Lebenslaufes oder am Schluß ein Kapitel einzufügen, um dem Glaubensboten einerseits als Menschen seiner Zeit, andererseits als einmaliger Persönlichkeit gerecht zu werden. Bei allen anderen Gestalten des 8. Jahrhunderts wäre von einem solchen Unterfangen abzuraten. Aber in den Briefen des Bonifaz liegen so viele documents humains vor, und seine Ausdrucksweise, sein Stil, seine Bilder sind so bezeichnend, daß der Versuch gemacht werden könnte, die geistige Struktur des Heiligen zu analysieren und ihn als eigenen Typ unter den Haupttypen der großen Vorkämpfer des Glaubens einzuordnen'. Seine Ängstlichkeit in allen Rechtsangelegenheiten, seine Nüchternheit in den Fragen dieser Erde, seine Wärme in den geistigen Freundschaften und die Beschwingtheit, sowie er auf die himmlischen Dinge zu sprechen kommt, das Verhältnis von Wissen und Glauben, das Beiseiteschieben jeglichen S. 539-5 5 sowie den Literatur- und Forschungsbericht von 0. GRossMANN, im Hessischen Jahrbuch für Landesgesch. VI, Marburg 1956, S. 232-53, der 16 Schriften (darunter die angeführten) kritisch würdigt. 3 Dieses Buch würdigte H. LöwE in: Gesch.
in Wiss. u. Unterricht VI, 1955 S. 539-55, indem er seinen Platz in der Forschung in der neueren deutschen Geschichtsschreibung bestimmte. 4 Einen Anlauf zu dem hier skizzierten Unterfangen unternimmt der folgende Abschnitt.
A4: B. Bonifaz (t 754) (Buchbesprechungen)
Aberglaubens - das und noch anderes gibt es im einzelnen wohl auch hier und dort, ist aber in seiner Summe doch nur ihm eigen. Das würde heraustreten, wenn man Bonifaz etwa mit Beda einerseits, Alcuin andererseits vergliche oder ihn mit den irischen Missionaren konfrontierte; lehrreich wäre wohl vor allem, wenn seine und Karls des Großen Einstellung zu den Fragen des Lebens gegeneinander abgewogen würden. Sankt Bonifatius. Gedankgabe zum zwölfhundertsten Todestag, hrsg. von der Stadt Fulda in Verbindung mit den Diözesen Fulda und Mainz. I. sowie 2. durchgesehene Ausgabe, Fulda (Parzeller u. Co.) I954 (686 Seiten in 4° mit 20 Tafeln, I Plan und 12 Abb. im Text). V gl.: Ebd. VI, I95 5, S. 764f.
THEODOR ScHIEFFERS Buch über Bonifaz hat durch eine sehr stattliche, von der Stadt Fulda im Verein mit den Diözesen Fulda und Mainz herausgegebene >Gedenkgabe zum I2oo. Todestag< des Heiligen eine Abrundung erfahren. Ihr Inhalt kann hier nicht ausgeschöpft werden, da sie 3I Beiträge mit verschiedenen Themen vereinigt. Wir greifen die Beiträge von D. HELLER über das Grab des Heiligen und von H. HAHN über die Ausgrabungen am Fuldaer Domplatz heraus. HELLER bestreitet die (I 94 5/5 I auch von H. BEuMANN vertretene) These des durch jahrzehntelange Ausgrabungen um den Dom hochverdienten JosEPH VoNDERAU, das in der Mitte der Kirche gefundene Felsengrab sei das ursprüngliche; da HELLER die Schriftzeugnisse anders auslegt, vermutet er es vor dem Kreuzaltar in der Apsis. Die Ausgrabungen, die I95; -begünstigt durch den freien Platz vor dem Domeine Fülle weiterer Feststellungen erbrachten, bieten ein Musterbeispiel für die Art, mit wie feiner Methode solche Untersuchungen heute durchgeführt werden. Es ergaben sich Spuren von einem weltlichen Bau merowingischer Zeit, der an ältere Besiedlungsspuren anschließt. Dann hat offensichtlich um 700 ein Sachseneinfall alles Vorhandene zerstört, so daß Bonifaz und Lull in einer Einöde ansetzten. Wie dann der Anfangsbau im 9· Jahrhundert durch eine riesige Kirche ersetzt und diese im Io. Jahrhundert umgewandelt und ausgestattet wurde, ist jetzt im wesentlichen klargestellt. Das Ergebnis vermittelt der Architekturgeschichte des frühen Mittelalters, die ja ganz allgemein durch Ausgrabungen im Zuge des Wiederaufbaus zerstörter Kirchen ein neues Gesicht bekommen hat, wichtige Einsichten. Mit Stichworten sei wenigstens etwas von dem angedeutet, was in der >Gedenkgabe< sonst noch zu finden ist: das Verhältnis des Bonifaz zu Rom, zum Recht, zum Staat und Gründung der mitteldeutschen Bistümer, die Art der adligen fränkischen Bischöfe seiner Zeit, das Vordringen des Christentums zwischen Neckar und Main sowie in Bayern, das Nachleben des Heiligen, die Ansprüche der Abtei Fulda, die Bedeutung Pirmins, Willibrords und Hrabans usw. LoRTZ, JosEPH: Bonifatius und die Grundlegung des Abendlandes (Institut für Europ. Geschichte, Mainz: Vorträge). Wiesbaden (Fr. Steiner) I954· 78 Seiten. Vgl.: Gesch. in Wissenschaft u. Unterricht II, I955 S. 763.
Der Hl. Bonifaz als Mensch
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Ganz knapp ist Bonifaz von J. LoRTZ dargestellt worden. Aber sein Vortrag ist inhaltsreich. Es ist das Anliegen des Verfassers, das Wesentliche an dem Heiligen und an seiner Leistung herauszuarbeiten, was ihm Anlaß gibt, weit zurück und weit voraus zu blicken. J. L. schließt mit der Feststellung, daß auch die Protestanten dem Märtyrer Hochachtung entgegen brächten, daß diese jedoch - verglichen mit der katholischen - eingeschränkt bleibe. Er will die Protestanten nicht überzeugen, aber ihnen doch Fragen vor Augen rücken, um sie mnter Berufung auf evangelische Urteile zu erneuter Prüfung anzuregen<.
C. Der Heilige Bonifaz als Mensch* JosEPH LoRTZ gewidmet zum achtzigsten Geburtstag (13. Dez. 1967)
Vorweg ist festzustellen, daß die aufgeworfene Frage sich nie in einer Weise wird beantworten lassen, die einen mit den Problemen der modernen Anthropologie vertrauten Fragesteller befriedigen kann. Es fehlen die dafür erforderlichen Aussagen. Das Mittelalter rezipierte die griechische Temperamentenlehre, die die Grundanlagen des Menschen: sanguinisch, cholerisch, phlegmatisch, melancholisch mit der verschiedenen Mischung der Säfte im menschlichen Körper in Verbindung gebracht hatte. In neuerer Zeit hat E. KRETSCHMER drei Körpertypen (leptosom, pyknisch, athletisch) geschieden, die nach ihm mit bestimmten Verhaltensweisen gekoppelt sind. Doch kommen wir auf keinem der beiden Wege weiter, da keine Aussage darüber vorliegt, welche Statur Bonifaz eigen war und welches >Temperament< ihn beherrschte. Denn schon die erste Vita des Heidenapostels, erst in den sechziger Jahren begonnen, mußte sich auf Mitteilungen aus dem Schülerkreis verlassen, da ihr Verfasser, der Mainzer Presbyter Willibald, Bonifaz nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Die Vita führt daher nur an den Heiligen, aber nicht an den Menschen heran. Erst recht fehlen in den Viten und Annalen Zeugnisse, die modernen Psychologen auch nur Ansätze zu einer Diagnose liefern könnten. Hier bleibt also auf immer ein Schleier, der uns von Bonifaz trennt. Als einzig Festes halten wir nur die Briefe des Märtyrers in der Hand; zusammen mit den empfangenen handelt es sich um über hundert. Wie weit lassen sie nicht nur den Verlauf seines Wirkens erkennen, sondern ihn selbst?
*
Ungedruckt; niedergeschrieben im Jahre 1967 auf Grund langjähriger Beschäftigung mit den Briefen des Bonifaz. Versucht wird hier, zum Schließen der Lücke beizutragen, die in der voraufgehenden Anzeige des grundlegenden, von THEODOR SCHIEFPER verfaßten Buches gekennzeichnet wurde. Doch bin ich mir so-
wohl in theologischer als auch in philologischer Hinsicht meiner Grenzen bewußt, will hier also nur als Anreger wirken. DiesenAbschnitttrug ich (in verkürzter Form) vor im Rahmen der Vorfeier zum 8o. Geburtstag desBewidmeten (Mainz, AuditoriumMaximum der Universität, 12. Dez. 1967).
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A4: c. Der Hl. Bonifaz als Mensch
Es muß versucht werden, wenigstens Teilantworten zu erhalten. Doch muß man diese Briefzeugnisse richtig befragen. Zunächst hat man sich zu vergegenwärtigen, daß Bonifaz den Boten, die seine Schreiben überbrachten, mündliche Aufträge mitgab und es ihnen überließ, den Empfängern die äußeren Umstände seines Daseins zu erläutern1 : die Briefe enthalten daher über seine Umwelt so gut wie gar nichts, und die Heiden sowie die bereits Bekehrten, mit denen er es zu tun hatte, bleiben Schemen. Diese Blässe ist nicht für Bonifaz bezeichnend, entsprach vielmehr dem Briefkanon, der in seiner und auch noch in der nachfolgenden Zeit galt: der vom Ballast des Alltags freigehaltene Brief hatte bestrebt zu sein, ein literarisches Kunstwerk darzustellen, das eine hochentwickelte epistolographische Tradition fortsetzte und meist darauf rechnete, von Zeit zu Zeit wieder hervorgeholt, von neuem genossen und womöglich als lehrreiches Vorbild kultivierter Ausdrucksweise benutzt zu werden. Die Briefe des Heidenapostels, die keine >documents humains< sein sollten, es nach den Regeln des Genus nicht sein durften, lassen jedoch die Doppelfrage zu: 1. Was dünkte den hlg. Bonifaz so beachtlich, daß er in seinen Briefen davon sprach? 2.. Wie stilisierte er das, was er mitzuteilen hatte? In welches Sprachkleid hüllte er es ein? »Le style c'est l'homme«- das ist zwar erst ein neuzeitliches Dictum, trifft aber bereits auf das frühe Mittelalter zu. Nachdem wir unsere Augen so eingestellt haben, heben wir aus den Lebensfakten einerseits, aus den Schriften des Heiligen andererseits das heraus, was uns aufschlußreich dünkt für: >Bonifaz als Mensch< 2 •
I
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König Aethelbert II. von Kent, dem Bonifaz durch die Init ihm gleichzeitig in Rom weilende Äbtissin Bugga eine mündliche Mitteilung hatte zukommen lassen, schickte ihm darauf ein Schreiben (Ep. 105), in dem er auf die mündlichen Mitteilungen seiner Boten verweist. Die Briefe des Bonifaz und seines Schülers Lull hat l\.f. T ANGL in den >Epistolae selectae< der Mon. Germ. Hist. herausgegeben (Bd. I dieser Reihe; 19I6, neugedruckt I95 5; vorher ediert von E. DüMMLER in Mon. Germ. Hist. Epist. I, I9IZ, S. 2I5-433). Eine Auswahl hat M. T ANGL übersetzt und erläutert (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit 92, Lpz. I9I2). Die Dichtungen: Mon. Germ., Poet. lat. I S. I-I 5. Die Lebensbeschreibungen gab heraus W.
LEVISON: Vitae s. Bonifatii archiepiscopi Moguntini, I905 (Mon. Germ., Script. in us. schol.; übersetzt von M. T ANGL in den Geschichtsschreibern a. a. 0. I3, 3· Aufl. I92o); vgl. dazu W. LEVISON, England and the Continent in the VIIIth Century, Oxford I946. Für die Frühzeit s. A. RuPPEL, Der heilige Bonifatius als Dichter, in: Universitas, Festschrift für Dr. A. STOHR II, Mainz I96o, s. 28-4I. Zur Grammatik des Winfrid-Bonifaz PAUL LEHMANN, Erforschung des MAs. Ausgewählte Abband!. u. Aufsätze IV, Stuttgart 1961, S. 148-71. Er ergänzt hier einen 1931/2 erschienenen Aufsatz, in dem er die Grammatik in die Zeit Aldhelms zurückdatierte, auf Grund von N. FrcKERMANN, der im Neuen Archiv 49, I932, S. 763 ff. auf Grund eines weiteren
Die erste Hälfte des Lebens
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a) Die erste Hälfte des Lebens, geboren im Kloster: Lernen, Lehren, Schreiben Winfrid (Bonifaz) erblickte 672{3 (spätestens 675) das Licht der Welt und wurde 754, über So Jahre alt, von noch heidnischen Friesen ermordet, erreichte also ein für seine Zeit ungewöhnlich hohes Alter. Er war ein Angelsachse und hing noch als Greis an seiner Heimat, die er 7 I 8 auf immer verließ. Aus den Jahren 746{7 stammt ein Brief (Ep. 74), in dem es heißt: »Über Vorzüge und Ruhm unseres Volkes empfinden wir Lust und Freude, seine Fehler aber und der Tadel, den sie finden, erfüllen uns mit Kummer und Betrübnis.« Die Geburt der beiden Großväter muß in Jahre gefallen sein, die nicht weit von der Begründung des Erzbistums Canterbury (597) entfernt waren. Wurden sie gleich getauft oder erst im Laufe ihres Lebens für den neuen Glauben gewonnen? Jedenfalls muß Winfrid in seiner Jugend noch Menschen gekannt haben, die als Heiden in die Welt getreten waren. Die beiden Extreme werden ihm daher von Jugend auf vertraut gewesen sein: der gegen den ab geschworenen Glauben gerichtete Eifer der Neubekehrten und die lässige Anpassung anderer, die das Christentum äußerlich angenommen hatten, aber im Geheimen noch an den erprobten Praktiken heidnischen >Aberglaubens< festhielten. Vergegenwärtigt man sich diese Grunderfahrung seines Lebens, dann versteht man die Schärfe, mit der sich Bonifaz zeitlebens gegen das Heidentum wandte, begreift man auch, wie besorgt ihn jedes Anzeichen von >Aberglauben< machte. Erst im 2. Teil ist aufzudecken, wie das Heidentum für Bonifaz den Charakter einer gefährlichen Krankheit behielt, gegen die viele bereits durch die Taufe >geimpft< waren, die aber rings noch herumschlich und auch die schon Geheilten von neuem anzustecken imstande war.
Fundes Bonifaz als Autor ausfindig gemacht hatte. Zur allgemeinen Orientierung vgl. M. MAN1TIUS, Gesch. der lateinischen Lit. des MA.s I, Lpz. 19rr (Neudruck: ebd. 1959) S. 142-p. V gl. im übrigen die vorstehend besprochene Literatur, der ich mich verpflichtet fühle, auf die ich aber im folgenden wieder Bezug zu nehmen nicht für erforderlich halte. Über den Gegensatz zu dem Bischof Virgil von Salzburg, einem Iren, der unter dem Decknamen »Aethicus Ister« eine halb gelehrte, halb phantastisch-ironische Kosmographie verfaßt hatte, s. H. LöWE, Ein Iitera-
rischer Widersacher des Bonifatius, V. von Salzburg, Wiesbaden 1951 (Akad. der Wiss. u. d. Lit. in Mainz, Abhandl. Geistes- u. Sozialwiss. Kl. 1951 Nr. rr), bes. S. 952ff. (= 44ff.). Für den Vergleich sind lehrreich H. LöwE, Arbeo von Freising. Eine Studie zu Religiosität und Bildung im 8. Jahrh., in den Rheinischen Vierteljahresblättern XV/XVI, 1950/r, S. 87-120 (der Unterschied tritt bes. S. rrof. heraus) und THEODOR MAYER, Bonifatius und Pirmin, in der Gedenkgabe (s. S. 92), S. 45o-64 (von diesem ist so wenig bekannt, daß die Wirksamkeit der beiden sich nur äußerlich parallelisieren läßt).
A4: c. Der Hl. Bonifaz als Mensch
Über seine soziale Herkunft hat sich Winfrid-Bonifaz nie ausgesprochen3 • Mit den Königssippen war er offensichtlich nicht verwandt. Eine vom übrigen Volk abgesetzte Adelsschicht gab es unter den Angelsachsen nicht, sondern nur Gefolgsleute sowie Landbesitzer mit gelegentlich ansehnlichem Eigentum, die niemand als einen der Kleinkönige über sich hatten und sich ihres Wertes bewußt waren. Zu diesen rechneten wohl Winfrids Vorfahren. Jedenfalls fühlte er sich weltlichen Fürsten gegenüber nie unsicher; er konzedierte ihnen, was die kuriale Form verlangte, und ließ sich andererseits ehren, wie es einem Legaten der Römischen Kirche gebührte. Verlegenheit wird ihm bei solchen Anlässen fremd gewesen sein. Entsprechend korrekt, aber nie devot verkehrte er mit den Häuptern der angelsächsischen und der fränkischen Kirche - bei seinem Verhältnis zu den Päpsten sprachen noch andere Faktoren mit, von denen am Schlusse die Rede sein wird. Die Kanzleien dieser Zeit waren froh, wenn sie sich Rat in Formelbüchern holen konnten (der Römischen Kirche stand dafür der >liber diurnus< zur Verfügung). Die Titulaturen und Anreden der Bonifizianischen Schreiben sind so variiert, daß man schließen darf: er benutzte kein solches Hilfsmittel, wußte vielmehr, ohne nachzuschlagen, was sich jeweils >gehörte< 4 • Man nehme hinzu, daß aus den Briefen des Heidenapostels nichts über die soziale Herkunft seiner Mitarbeiter und Schüler zu entnehmen ist: die einzigen Maßstäbe, die er an sie legte, waren korrekter, fester Glaube, Tüchtigkeit und einwandfreie Moral. Natürlich kannte er die Unterschiede der Völker; in seinem Figurengedicht ist der >Germanica tellus< gegenübergestellt: »Rustica gens hominum Selaforum et Scythia dura«. Aber so gebrandmarkt sind dieSlavenund Awaren doch nur, weil sie noch Heiden waren: bekehrt hätte sie Bonifaz mit offenen Armen empfangen. Ein moderner Psychologe könnte also von Bonifaz wenigstens dies aussagen: ein beneidenswerter Mensch, weil ungehemmt durch Komplexe, Ressentiments, Animositäten, nationale V oreingenommenheiten.
Nicht angeführt werden kann hier, daß Winfrid sich im Prolog zu seiner grammatikalischen Schrift nennt: »ignobili stirpe procreatum« (LEHMANN, a. a. 0., S. 16o, Z. 43). Er spricht hier nämlich von den römischen Autoritäten, denen er gegenüberstehe als »aus den äußersten Völkerschaften Germaniens« hervorgegangen, insofern also aus »barbarischem« Stamme d. h. »ignobili stirpe«. Es handelt sich hier also nur um eine rhetorische Zuspitzung. 4 Manche Floskel klingt in unseren Ohren allzu
devot; aber sie finden sich ebenso in Briefen, die an Bonifaz gerichtet sind. Von sich selbst geringschätzig zu sprechen, galt immer und in dieser Zeit ganz besonders als Zier des Christen: Einem ehemaligen Schüler gegenüber bezeichnete sichBonifaz als »parum doctus praeceptor(< und »tusticus patet« (Ep. 34; vgl. ferner Ep. 46: »mea parvitas«; Ep. 67: »ultimus et pessimus ... omnium legatorum«).
Wesen und Stil- Klosterdasein
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Zum Kurialstil gehörte ferner die Anrede in der dritten Person singularis: sie war allgemein üblich. In dieser Hinsicht war die Zeit erfinderisch (z. B.: tua almitas, beatitudo, caritas, celsitudo, clementia, dilectio, fraternitas, sagacitas, sanctitas). Höflichkeitsfloskeln darf man in keinem Zeitalter wörtlich nehmen. Aber die Tatsache, ob sie jeweils stark oder nur wenig entwickelt waren, gibt doch Anhalte. Wer überrascht ist, sie in der Briefsammlung des Bonifaz so kunstvoll variiert zu finden, werfe einen Blick auf den Gold- und Silberschmuck dieser Zeit: bei den Goldschmiedearbeiten, auch bei denen, die für Männer bestimmt waren, stößt man auf einen raffinierten Geschmack, der gelegentlich eine Lupe erfordert, um aller Feinheiten gewahr zu werden. Diese Fakten muß man mit hineinnehmen in das Bild, das wir uns von der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts zu machen haben: mochten die Fürsten sich dem Trunk ergeben und mit Nonnen in Klöstern Unzucht treiben (das hatte Bonifaz z. B. dem König von Mercia vorzuwerfen), die weltliche und die geistliche Oberschicht verkehrten untereinander in wohl ziselierten Formen, und mit am besten verstand sich auf diese zeitlebens Bonifaz. Nicht Winfrid selbst, sondern seine Eltern waren es, die über sein Schicksal entschieden: er wurde- vermutlich erst sieben Jahre alt- dem Kloster Exeter als >puer oblatus< übergeben. Zu einem nicht bestimmbaren Datum trat er in das Winchester benachbarte Kloster Nursling (Wessex) über und verblieb hier bis in die Mitte seines Lebens. Diese über seinen Kopf hinweg getroffene Entscheidung hat Winfrid-Bonifaz - als er herangewachsen war - sich voll und ganz zu eigen gemacht. Der Kirche zu dienen und zu ihrem Ansehen beizutragen, wurde ihm das Grundanliegen seines Lebens. Nie hat er die Verlockung eigenen Besitzes, nie den Stachel, ihn zu vermehren, erfahren. Im Kloster wuchs der ihm willenlos übergebene Knabe zu einem Manne mit eigenem Willen heran. Er erhielt - in den Jahren um 704 - die Priesterweihe und betätigte sich als Lehrers. Man muß die Gunst des Augenblicks beachten. Die auf heidnischem Boden begründete Kirche Angelsachsens war jetzt ein Jahrhundert alt. Sie hatte im Laufe des 7· Jahrhunderts mancherlei von den Iren gelernt, war aber gefeit geblieben gegen die eigenwilligen, vielfach kauzigen, dazu antirömischen Tendenzen, die sich in der Nachbarkirche breit gemacht hatten, und blieb- ihrem Ursprung Rechnung tragendauf Rom ausgerichtet. Die Kirchenväter und die Päpste waren daher die maßgeben5 Über diese Tätigkeit haben wir das Zeugnis des Willibald in: Vitae s. Bonifatii, ed. W. LEVISON, 1965, S. 9 (Script. in us. schol.): »Maxima denum scripturarum eruditione tarn grammaticae artis eloquentia et metro-
7 Schramm, Aufsätze I
rum medullata facundiae modulatione, quam etiam historiae simplici expositione et spiritalis tripertita intelligentiae interpretatione inbutus - dictandique peritia laudabiliter fulsit ... «.
A4: c. Der ID. Bonifaz als Mensch
den Autoritäten. Bei den Angelsachsen gab es- im Gegensatz zu Irland, wo städtische Siedlungen fehlten und die Bischöfe deshalb in Klöstern saßen - Erzbischöfe, unter ihnen Bischöfe, unter diesen wieder Presbyter und Diakone. Die Klöster unterstützten das religiöse Leben, hatten aber neben der Kirche ihr festgefügtes Dasein. In ihnen galt die Regula s. Benedicti, also Lenkung durch den Abt, Askese, Dienst, Humilitas, genaue Ordnung für Tag und Nacht, Arbeit von früh bis spät, abwechselnd körperliche und geistige Betätigung, Verteilung der Aufgaben, so daß jeder sich nützlich machte, und Gehorsam, vor allem Gehorsam, gefordert von den dazu Berufenen, geleistet von den dazu Verpflichteten. Das ist die Erfahrung, die Winfrid-Bonifaz in den ersten vier Jahrzehnten seines Lebens machte und die er in den letzten vier festhielt: den riesigen Missionsraum, in den er Ordnung hineinbrachte, trachtete er so zu regieren, wie er das in seiner heimischen Kirche, besonders in seinem Kloster erlebt hatte. In die Denkweise, die Winfrid im Kloster beigebracht wurde und die er sich so zu eigen machte, daß sie ihn noch im Alter kennzeichnete, führen Prosatexte und Dichtungen aus der ersten Hälfte seines Lebens ein. Winfrid kompilierte aus einem Dutzend römischer Autoritäten eine lateinische Grammatik, ferner eine Metrik, die sich gleichfalls an erprobte Lehrer hielt, zwei nützliche Kompilationen also, die klarstellten, wie ein Satz richtig zu formen war, wie ein korrekter Vers auszusehen hatte. Daß alles richtig gehandhabt wurde, daß jeder die geltenden Regeln genau innehielt, blieb (wie zu zeigen sein wird) das Hauptanliegen des Verfassers, als sein Wirken sich in die Weite gedehnt hatte- insofern war er ein geistiger Vorläufer Karls des Großen. Wie sich das für einen mit der Pflege der lateinischen Sprache befaßten Lehrer schickte, verfaßte Winfrid auch Verse. In ihnen treten nach dem Vorbild des Prudentius in personifizierter Gestalt die Tugenden und Laster auf. Der Inhalt ist - wie das damals in der germanischen Welt beliebt war - verrätselt, aber doch so, daß die gelehrt-erbauliche Lösung leicht zu finden war. Die Anfangsbuchstaben der Verse ergeben - von oben nach unten gelesen - ein Akrostichon, d. h. einen Namen oder eine Sentenz. Dieser Bindung vorn entspricht gelegentlich eine Bindung hinten durch den Reim, der in der lateinischen Vulgärdichtung beheimatet war: Vale,Jrater,ßorentibus. luventutis cum viribus (und so fort bis zum Schluß).
In sich sind diese Verse gelegentlich durch Alliteration gebunden: V ale, verae virgo vita ut et vivas angelicae Recto rite et rumore regnes semper in aethere Christum.
Solche Häufung ging über die germanische Stabreimdichtung hinaus.
Dichtungen
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Für die Verskunst dieser Art gab das Vorbild Aldhelm (um 64o-7o9), Abt in Malmesbury, dann Bischof von Sherborne6 • Seine auf das Reale ausgerichteten, gelegentlich sogar scherzhaften Muster vertiefte Winfrid jedoch in das TheologischDidaktische: die menschliche Seele, eingespannt zwischen Tugenden und Lastern, war sein Thema7. Winfrid versuchte sich auch in der Kunst des Figurengedichts, für die der spätantikeDichter Porfyrius dasVorbild abgab( s. S. 100) : erfügte in das Rechteck, in das er sein Gedicht einpaßte, einen Rhombus, in diesen ein Kreuz, und richtete seine Verse so ein, daß die vorn und hinten an den Kanten stehenden sowie die von den beiden Innenfiguren geschnittenen Buchstaben Namen oder Verse ergaben. Das bedeutete natürlich einen jede echte Dichtung erstickenden Zwang; aber zu denken gibt, daß solche Figurengedichte auch Karl dem Großen gefallen haben: sie richteten sich zugleich an das Ohr und an das Auge, zwangen zu langsamem und wiederhohem Lesen und bereiteten dem Verstande schließlich >Spaß<, wenn die Vernunft alle Bezüge und Versüberschneidungen begriffen hatte. Zu einem solchen Virtuosenstück waren natürlich nur solche befähigt, die das Lateinische in Grammatik und Wortschatz so beherrschten, daß sie mit ihm zu >jonglieren< vermochtens. In dieser Art der Dichtkunst- in unseren Augen das denkbar skurrilste Gegenstück wahrer Poesie 9 - unterrichtete Bonifaz noch im Alter seinen Schüler Lull (Ep. 98; s. auch Ep. 103). Die Frage, ob das besondere Latein, das sich Winfrid auf Grund der Schultradition zu eigen gemacht hatte und mit dessen Pflege und Weitergabe er die erste Hälfte seines Lebens ausfüllte, über ihn als Mensch irgendwelche Auskünfte gibt, stellen wir einstweilen zurück und bezeichnen nur noch, wo seine Interessen ihre Grenze fanden. Keine Rolle spielt bei Winfrid-Bonifaz die Allegorese, die in der karolingischen Zeit wieder eine so große Bedeutung erlangen sollte - auch diese klare, nüchterne Einstellung, die sich an den reinen Wortlaut der Bibel hielt und skeptisch gegen die Aufdeckung tieferer Bedeutung blieb, teilte Bonifaz mit Karl dem Großen10 •
6 Seine Dichtungen sind abgedruckt in Mon. Germ., Auct. ant. XV. 7 Da das Akrostichon am Versende ein >g< erforderte, die lateinische Sprache aber über keine auf >g< endenden Wörter verfügt, zog Winfrid die hebräischen Namen Magog und Abisag heran. 8 Um die Unvollkommenheit der Menschen in dem Figurengedicht hör- und sichtbar zu machen, benutzte Bonifaz in der ersten Hälfte Distichen, in der zweiten im Hinblick auf
die Vollendung durch den Erlöser den >vollkommeneren< Hexameter. 9 In dem Vers (Zeile 15): Regmina ut perdant pariter sub tartara trusi waren nicht nur Anfangs- und Endbuchstabe festgelegt, sondern - durch den Rhombus der fünfte sowie der viertletzte Buchstabe, ferner durch das Kreuz in der Mitte des e in pariter. 10 Vgl. unten: Kar! der Große: Denkart und Grundfassungen (S. 302-341).
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Figurengedicht Winfrids
Dichtungen
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Ebenso bezeichnend ist, daß sich bei dem Heidenapostel nirgends Ansätze zu theologischer Spekulation finden: er nahm Dogmen wie Rechtssätze hin, glaubte der Offenbarung ohne eigne Spekulation und gab seine Gewißheit an seine Schüler weiter. Ein Buch »über die Einheit des katholischen Glaubens und die Apostolische Lehre«, das Bonifaz an alle Geweihten seines Sprengels verschickt hatte, wurde vom Papst gelobt (Ep. So) - in solcher praktisch verwertbaren, ganz unspekulativen Unterweisung lag seine Stärke. Winfrid konnte daher gar nicht auf den Gedanken verfallen, es seinem Altersgenossen Beda gleichzutun, der sich in allen damals den Gebildeten geöffneten Sparten betätigte und so viel schrieb, daß seine Werke in Mignes >Patrologie< sechs Quartbände füllen. Der Missionar erbat sich Beda-Abschriften, und zwar von dem, »was uns für die Glaubenspredigt willkommen, handlich und am nützlichsten scheint«, also exegetische Texte (Ep. 91; s. auch Ep. 75). Das übrige sah er vermutlich als verdienstvoll, jedoch als für ihn nicht verwertbar an. Er begehrte nur da ablehnend auf, wo es galt, Unvereinbares, womöglich Falsches zurückzuweisen und Irrwege zu versperren, welche die Gläubigen in Gefahr bringen konnten; deshalb wandte er sich scharf gegen die kosmologischen Spekulationen des Bischofs Virgil von Salzburg (Ep. 8o)11• Das Seltsamste am Leben des Heiligen bleibt, daß er erst 716, endgültig erst 718 zum Missionar wurde, also als er schon über vierzig Jahre alt war. Ungefähr ebenso lang hat er dann der Heidenbekehrung gedient. Da wir aus der ersten Hälfte seines Lebens keine >documents humains< besitzen, bleibt uns verborgen, wie Winfrids Entschluß zustande kam. Hatte er sich langsam herauskristallisiert? Folgte Bonifaz einer Eingebung? Er selbst schweigt sieb darüber aus. Aber einen Anhalt gibt vielleicht der zweite Brief, der von ihm erhalten ist (Ep. 10: um 717). In diesem Schreiben, das im Druck fünf Quartseiten lang ist, berichtet Winfrid der Abtissin Eadburg, was ihm von einem verstorbenen, aber nach wenigen Stunden in das Leben zurückgekehrten Mönch über die grauenhaften Erlebnisse, die er in der Zwischenzeit durchlitten hatte, berichtet worden war 12 • Der Tote war durch lodernde Feuer emporgetragen worden und hatte beobachtet,
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S. oben 95 Anm. Den Medizinern bleibe die Frage überlassen, wie die >Erlebnisse< des Mönches zustande gekommen sind. Daß sie für Winfrid >wahr< waren, steht außer Zweifel. Zu beachten ist nur, daß sein Bericht darüber zweifach >stilisiert< ist: durch ihn und schon durch den Mönch, dessen >Erlebnisweise< natürlich bereits durch entsprechende Schilderungen und Kenntnis von Personifikationen >prae-
formiert< gewesen sein wird. Winfrid gibt den Bericht zum Teil in dritter, zum Teil aber auch - um seinen Wahrheitsgehalt zu steigern - in erster Person wieder, ohne sich dabei der ihm sonst so geläufigen biblischen oder klassischen Wendungen zu bedienen, bleibt also so eng wie möglich beim Gehörten. M. TANGL (Übersetzung der Briefe S. 4) glaubte hier, Winfrid als Kind seiner Zeit
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wie Engel und Teufel um die Seelen der zum ewigen Gericht pilgernden Seelen gerungen hatten. Bestürzt hört er, wie er selbst die Sünden bekennt, die er zu beichten verabsäumt hatte: Genußsucht, Ruhmbegierde, Lüge, Widerspenstigkeit, Ungehorsam, im Laiendasein verübte Gewalttat usw. Die Teufel wissen Einzelheiten, aber für ihn sprechen Gehorsam, Gebet, Fasten, Kasteiung, gute Werkeeingeführt als Personifikationen. Sein herumschweifender Blick gewahrt das Fegefeuer und darunter die noch schrecklichere Hölle. Ein Fluß mit feurig brodelndem Schwefel trennt das Gefilde der Seligen ab mit den Mauern des himmlischen Jerusalem, zu dem die Auserwählten auf schmalem, schwankendem Brett hinübergelangen. Der Tote erlebt, wie Teufel und Engel um Seelen Gestorbener streiten, und muß mitansehen, wie der König Ceolred von Mercia den Teufeln überlassen wird. Der Mönch erhält den Befehl, in seinen Leib zurückzufahren und den Menschen das Erlebte als Warnung zu verkünden.
Aus der Zeit vor 7I8 sind nur zwei Briefe Winfrids erhalten; dies ist einer der beiden: er muß ihm also besonderen Wert zugemessen haben. War ihm der Bericht des Mönches zu einer Mahnung geworden, sich nicht mit seiner Tätigkeit als Lehrer zufriedenzugeben? Fühlte er sich dadurch angetrieben, den Gefahren, denen auch der Gerechte stets und ständig ausgesetzt blieb, durch den Übergang aus der Klosterschule in die Gott wohlgefälligere, größere Anstrengung verlangende Missionstätigkeit entgegenzuwirken? Trieb ihn die Angst vor Hölle und Fegefeuer auf den Kontinent? Oder folgte Winfrid nur den Spuren anderer Angelsachsen, die sich vor ihm der Heidenbekehrung gewidmet hatten? Bezog er, was Christus den Aposteln aufgetragen hatte, auf sich: »Folget mir nach, und ich werde euch zu Menschenfischern machen«? (In Ep. 38 spricht er von Gott: »qui causa est peregrinationis nostrae«). Sprach der Gedanke an die Vergänglichkeit alles Irdischen, den Winfrid in dem ersten von ihm erhaltenen Schreiben (Ep. 9)- der Bibel folgend- ausmalt, bei seinem Entschlusse mit? Alles wird mitgewirkt haben; aber eindeutig läßt sich die Frage nicht beantworten, weshalb Winfrid zum Missionar wurde. Gewißheit gab dem sein Leben Umstellenden schließlich ein Traum: er erfuhr durch ihn, daß er berufen sei, »die Ernte Gottes einzubringen und die Garben heiliger Seelen in die Scheune des Himmelreiches einzusammeln« (so gibt Bugga wieder, was Winfrid ihr mitgeteilt hatte; s. Ep. I 5; in einem späten Brief an sie sprach er von »timor Christi et amor peregrinationis« als Anstößen zur Trennung von der Heimat, Ep. 94; ein Lieblingsspruch des Heidenapostels- vgl. Ep. 38, 46- war I. Tim. z, 4: »Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen«). In diesem Zusammenhang ist noch ein Hinweis zu beachten, den der Heidenapostel nur einmal vorgebracht hat (Ep. 46), der aber eine Überzeugung bloßlegt, abtun zu können, hingegeben »dem naiven Glauben an die wilde Phantastik des Fieberkranken«. Aber diese rationalistische Auslegung ist allzu billig.
Nicht erwähnt wird dieser Brief von A. RüEGG, Die Jenseitsvorstellungen vor Dante ...!, Einsiedeln-Köln 1945 S. 292ff.
Der Klosterlehrer wird Missionar
die sein ganzes Wirken überschattet haben muß: »Bedenkt, daß der Weltuntergang nahe ist«. Religionsgeschichtlich heißt das, daß auch Bonifaz chiliastisch bestimmt war; aber schaut man auf ihn als Menschen, dann bedeutet dieses Wort, daß ihn die Erwartung, das Ende sei nahe, vorangetrieben haben muß, wie in der klassischen Zeit den Bösen die Erinnyen gejagt hatten. »Wer Ohren hat zu hören, höre! Das Ende ist nahe!« Der Christ, der zu solcher Überlegung gekommen war, wurde von ihr von Morgen bis Abend angetrieben und wußte, was er zu tun hatte. Wer Bonifaz bestaunt, weil er - ganz auf sich gestellt - nie auf den Gedanken kam, sich in Sicherheit zu bringen, findet einen Schlüssel für sein V erhalten in diesem Satz: »Bedenkt, daß der Weltuntergang nahe ist.«
b) Die zweite Hälfte des Lebens, unbehaust, schutzlos, schließlich ermordet; vonA."ngsten und Skrupeln gequält, trotzdem: Baumeister der Zukunft Die beiden Lebenshälften: die im sicheren Kloster als Lehrer verbrachte und die durch die >Vita activa< bestimmte zweite, von außen vielfach gefährdet und durch innere >tribulationes< noch schwerer geworden: sie waren denkbar verschieden, hängen aber doch wie die Glieder einer Kette zusammen. Denn es war ja nicht eine Bekehrung wie im Falle eines Sünders, es war keine Erleuchtung erfolgt wie bei Ignaz von Loyola; sondern ein sich gleichbleibender Mensch wandte sich größeren ·Aufgaben zu. Wie weit wandelte er sich dadurch? Wie entfaltete er, was bei ihm schon vorher angelegt war? I.
Bonifaz der Christ
Wir beginnen mit dem, was am greifbarsten ist: mit der Sprache, derer sich Bonifaz fortan benutzen wir nur noch den ihm 719 in Rom zugeteilten Namen- auf dem Kontinent bediente. Daß Bonifaz lange Lehrer gewesen war, spürt man noch an seinen Altersbriefen: er war und blieb in der lateinischen Sprache ein Meister, der manche seltene Vokabel benutzte und die Stilmittel seiner Zeit sicher beherrschte (z. B. Doppelung: laetemur et gaudemus, tribulamur et constrictamur; Koppelung von Wörtern gleichen Stammes; gubernacula gubernare; Koppelung ähnlich klingender Wörter: jlorentem et proftcientem; ftdeliter ac ftdualiter; Koppelung von Wörtern mit gleicher Endung: emendando et corrigendo; viele Abstracta wie z. B. generositas, oft noch verbunden mit einem zweiten Substantiv und so fort13). Sein Lehrmeister blieb dabei Aldhelm, dessen Dichtungen 13 Zahlreich sind die Verkleinerungsformen auf: ulus, -a, um; vgl. z. B.: epistiuncula, munusculum, pauperculus, puerufus.
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Bonifaz mehr oder minder im Kopf gehabt haben muß; denn die Herausgeber konnten bis in dieAltersbriefe des Apostels mancheAnklänge anAldhelmsche Wendungen feststellen. Diese Kunst steckte Bonifaz so in der Feder, daß er nicht lange über solche Stilmittel nachzusinnen brauchte. Mehrmals benutzte er den Vergleich seines Wirkens mit einer gefährlichen Fahrt auf dem Germanischen Meer; aber er hatte es nicht nötig, seine früheren Briefe auszuschreiben, sondern formulierte diesen Gedanken stets neu, da ihm genügend flüssige Wendungen zu Gebote standen. Gegen die Korrektheit des Bonifizianischen Lateins könnten klassische Philologen nicht viel vorbringen- Vulgarismen und grammatische Fehler, wie sie anderthalb Jahrhunderte vorher Gregor von Tours unterlaufen waren, finden sich bei Bonifaz nicht, weil ihn nicht wie diesen das Gemenge von gelerntem Latein der klassischen Zeit und von noch gesprochenem Spätlatein unsicher machte. Bonifaz hatte das Hochlateinische als Fremdsprache gelernt, hatte es gründlich gelernt, so gründlich, daß er sich in der Fremdsprache sicher klarer und wendiger au&zudrücken vermochte als in seiner Muttersprache, die dem christlichen Ausdrucksbedürfnis ja noch gar nicht gewachsen war. Des Reizes, der dem Bonifizianischen Latein eigen ist, wird man inne, wenn man seine Briefe laut vor sich hin liest. Durch das Umstellen der grammatisch zusammenhängenden Wörter erhalten seine - stets mit Kraft geladenen- Sätze, gegliedert durch Zäsuren und zusammengehalten durch einen eigentümlichen Wohlklang, eine schwingende Spannung. Vgl. z. B. Bonifaz an die Äbtissin Eadburg, Ep. 65; Dilectionis vestrae clementian /1 intimis imploramus precibus, II ut pro nobis incMere II apud auctorem omnium dignemini (viermal Dactylus, dafür einmal Umstellung), II ut non ignoretis causam hUius precis, II sciatis, II quia nostris peccatis exigentibus II conversatio peregrinationis nostrae II variis tempestatibus inltiditur (Wechsel von Trochäen und Dactylen). 1/ tindique ltibor, /1 tindique meror (zweimal Hexameterschluß). Durch den Wechsel der Kadenzen sowie der Zäsuren, einmal nach parallelen Gliedern, dann auch bei singulären, entgeht diese Sprache der Gefahr der Monotonie. Also ein Satzfluß, der bei aller formalen Abhängigkeit von Aldhelm und anderen doch Bonifaz eigen ist. Versucht man den Stilcharakter dieses Lateins zu erfas&en, drängt sich noch einmal ein V ergleich mit der germanischen Ed !lmetallkunst auf, die wir in einem anderen Zusammenhang schon einmal herangezogen haben. Hier legen wir jetzt den Finger darauf, daß sie die ganze Grundfläche mit einem Gewirr von Schlingen überdeckt, das sich bei genauer Betrachtung als raffiniertes, die Teile wiederholendes Muster erweist; aufgesetzt sind - gleichfalls in wohlüberlegter Ordnung - Halbedelsteine und bunte Glasflüsse, die das Auge so erfreuen, wie das Ohr bei den seltenen V okabeln und besonderen Klängen Genuß empfindet.
Briefstil - Bibel - Lebenspraxis
In der zweiten Lebensphase des Heidenapostels ist seine Sprache durch und durch geprägt durch die Sprache der Bibel, sei es, daß er einzelne Sprüche als wörtliche Zitate vorbringt, sei es, daß er bei seinen Mahnungen und Trostworten wie von selbst in ihre Ausdrucksweise hineingleitet. Zweifellos waren ihm immer biblische Texte zur Hand, und sie werden auf dem Kontinent seine wichtigste Lektüre dargestellt haben. Aber auch ohne sie hätte er so zu schreiben vermocht, da er sicherlich alle wichtigen Stellen auf Grund jahrelangen Lesens im Kopfe hatte. Die zweite Hälfte des an Kar! Martells Sohn Gripo gerichteten Mahnschreibens (Ep. 48) besteht aus einer Psalmenstelle und vier Zitaten aus dem Neuen Testament; ein Trostschreiben an die Äbtissin Bugga enthält ein Dutzend Bibelstellen, die durch einen kurzen, nur erläuternden Text verbunden sind (Ep. 94; ähnlich Ep. 30: nur 81 / 2 Zeilen im Druck mit einem Paulus-Zitat und vier Anklängen an die Psalmen).
Was ihm die Bibel bedeutete, hat Bonifaz in einem Brief an die Äbtissin BadburgPsalmworte benutzend - so ausgedrückt: »er, der die finsteren Winkel der Völker Germaniens durchwandert, würde in die Schlingen des Teufels fallen, wenn er nicht das Wort des Herrn als Leuchte für seine Füße und als Licht auf seinen Pfaden hätte« (Ep. 3o). Bezeichnend für Bonifaz ist, daß er in Bayern eine Taufe wiederholte, weil der des Lateinischen kaum kundige Priester die Formel verunstaltet hatte zu: »in nomine patria et filia et spiritus sancti«. Nach seiner Auffassung konnte nur das richtige Wort die rechte Wirkung ausüben. Der Papst Zacharias dachte in diesem Falle nüchtern über die Magie des Wortes: er hielt sich nicht an die Vokabel, sondern an den Vorgang und ordnete deshalb an: da es sich bei dem Taufenden weder um Irrtum 'noch um Ketzerei gehandelt habe, sondern um ein Radebrechen, solle Bonifaz fortan Zweittaufen, die er aus diesem Grunde vornehmen wolle, unterlassen (Ep. 68).
Auf die sozial gehobene Abstammung des Apostels wird man zurückführen dürfen, daß er sich im praktischen Leben auskannte, zu verwalten verstand und mit Menschen jeglicher Art umzugehen wußte. Man nehme dafür als Beleg den Brief, mit dem er- als er 736/7 Rom aufsuchte- die durch einen Todesfall erforderlich gewordenen Bestimmungen traf, wie im Kloster Fritzlar die Ämter neu zu verteilen seien (Ep. 46): Der Priester Wigbert und der Diakon Megingauz sollten die geistliche Leitung haben; »Hiedde soll Propst sein und unsere Diener zum Rechten weisen, Hunfrid ihn unterstützen, wo es not tut; Sturm walte in der Küche; Bernhard sei der Werkmeister und baue, wenn Bedarf ist, unsere Wohnstätten«. Notfalls ist der Abt Taterin um seinen Rat zu bitten. Beleg dafür ist auch dies: dem König Aethelstan schickte Bonifaz einen Habicht, zwei Falken, zwei Schilde und zwei Lanzen (Ep. 69), und dieser wandte sich noch einmal an ihn mit der Bitte, ihm zwei gute Falken für die Kranichjagd zu senden, weil es solche in Kent nicht gebe (Ep. 105)- ein Händler hätte den Fürsten wohl nicht besser bedienen können. Daß Bonifaz mit den Großen dieser Erde nicht nur diplomatisch geschickt umzugehen verstand, sondern ihnen notfalls als Seelenführer unverhohlen ihr sündiges
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Leben vorhielt, zeigt sein Brief an Aethelstan von Mercia (Ep. 73: 746/7): zunächst lobt er ausführlich dessen gute Regierung, dann hält er dem König vor, was er über seinen Lebenswandel gehört hatte, und beschwört ihn, sich zu ändern. Kompliment und Tadel richtig zu mischen, hatte auch Gregor der Große verstanden. Bonifaz erbat sich aus Rom eine Abschrift des >Registrum GregorÜ< (Ep. 54); er war sich also bewußt, daß ihn mit dem großen Papst eine Verwandtschaft verband und er von ihm lernen konnte. Ein Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Lebenshälfte scheint insofern zu bestehen, als Bonifaz erst nach der Aufnahme seiner Missionstätigkeit es mit wirklichen Heiden zu tun bekam; aber er besteht nur an der Oberfläche. Eingangs wurde ja bereits ausgeführt, daß für einen um 672/3 geborenen Angelsachsen das Heidentum eine eben erst zurückgedrängt e Gefahr war. Auch drohte sie sich überall wieder zu regen; denn es gab genug Christen, die sich mit dem Munde zu Gottvater, Sohn und Heiligem Geist bekannten, aber sich trotzdem heidnischen Praktiken hingaben. In den Briefen des Bonifaz bleibt die Ausmalung der »gentilitas« in der traditionellen Schablone stecken. Es ist die Rede von den »paganae, barbarae, erroneae, ferae, ignavae gentes« mit ihren »superstitiones«, ihren »absurdae opiniones«, ihren »nefarü ritus ct fabulae«, von ihrer »vanitas«, ihrem »error«, ihren »idola«, ihrer Niedertracht, von »den bisher steinigen und unfruchtbaren Herzen der Heiden«. Dieser Acker des Herrn, der bisher brach lag und von stachligen Dornen starrte, war von Schmutz und Schuld des Heidentums zu säubern und durch die Pflugschar der christlichen Lehre umzubrechen und zu reicher Ernte zu bringen (Ep. 26: Gregor II. ). Nur ein einziges Mal zeichnete Bonifaz Einzelzüge auf, die den Rahmen der Schablone sprengen (Ep. 73): er mahnte, der unvermählte und mit Nonnen Unzucht treibende König von Mercia solle dieses Treiben aufgeben, das nicht nur die christlichen Gebote verletze, sondern auch von den heidnischen Sachsen und Wenden mit schweren Strafen belegt werde: hier sind die Angaben des Apostels einmal so konkret und so detailliert, daß die Sitten- und Rechtsgeschichte sie auszuwerten vermag. Sonst ist nur noch hervorzuheben, daß Bonifaz vor Trunkenheit warnte mit dem Hinweis, dieses »den Heiden und unserem Volk eigentümliche Laster« finde man weder bei den Franken, noch Galliern, noch Langobarden, noch Römern, noch Griechen (Ep. 28).
So traditionsgebun den das sich aus den Briefen ergebende Bild nun auch ist, so läßt es doch das Überlegenheitsgefühl erkennen, das die Missionare und ihre Auftraggeber beflügelte. Sie bringen- so Papst Gregor III. (Ep. 45, ähnlich schon Ep. 24)den Unwissenden die Erleuchtung; sie verkörpern die Kultur gegenüber der Unkultur, die überlegene Vernunft gegen einen Glauben, der in sich Widersprüche aufweist und nicht bis zum letzten durchdacht ist. Das Bewußtsein, einen überlegenen Glauben zu vertreten, tritt vor allem aus den Ratschlägen heraus, die Daniel von Willchester Bonifaz erteilte (Ep. 23): die heidnische Mythologie wußte auf manche Fragen keine Antwort, gegen die Göttergenealogi e ließ sich dies und das einwenden;
Bonifaz und die Heiden - >Aberglaube<
die christliche, auf eine schriftliche Offenbarung gestützte Lehre von der Weltschöpfung konnte dagegen in allen Fällen sagen: so ist es gewesen, so ist es bezeugt. Bonifaz selbst spricht von den »Blinden, welche die eigene Finsternis nicht kennen und nicht sehen wollen« (Ep. 32) von den >mngeschlachteren Menschen, den Alamannen, Bajuvaren und Franken« (Ep. 5o). Man mußte diese Heiden aufrütteln, bis auch sie imstande waren, sich die »salutiferae doctrinae« des christlichen Glaubens zu eigen zu machen (Ep. 64: Daniel von Winchester). Aufhorchen läßt in diesem Zusammenha ng eine Mahnung, die Bonifaz den mit der Mission unter den Sachsen befaßten Angelsachsen zukommen ließ (Ep. 63): »Erbarmt euch ihrer, die ja selbst zu sagen pflegen: >Wir sind mit Euch von gleichem Blut und gleichem Bein<«- die Kluft der >gentilitas< wurde in diesem Falle gemildert durch die gemeinsame >germanitas<. Die unterschwellige Gefahr für den christlichen Status war für Bonifaz der >Aberglaube<, d. h. die Wahnvorstel lung, daß nicht Gottes Wille das Geschehen lenke, sondern magische Praktiken es so zu dirigieren vermöchten, wie die Menschen sich das wünschten. Auf Mitteilungen des Apostels muß zurückgehen , was Papst Gregor Ill. im Jahre 737/8 an den Thüringern zu tadeln hatte: die Getauften sollten sich fernhalten von jeglichem Götzendienst , von »Wahrsagen und Losdeuten, Totenopfern , von Ausspähen in Hainen und bei Quellen, von Amuletten, Beschwörern , Zauberern und , Hexen und allen gotteslästerlichen Gebräuchen, die bei euch im Schwange sind« (Ep. 43; Verbot der Totenopfer betr. Baiern und Alamannen in Ep. 44). Zehn Jahre später konnte Bonifaz dem Erzbischof von Canterbury berichten, eine Synode habe beschlossen, daß jeder Bischof jährlich seine Diözese bereisen und unterdrücken solle: »Zauberei, Losdeuterei, Wahrsagerei, Amulette, Beschwörung en und alle Greuel des Heidentums« (Ep. 78: paganas observationes, divinos vel sortilegos, 14 auguria, filacteria, incantationes vel omnes spurcitias gentilium) • Das Schlimme war, daß Bonifaz in seinem Sprengel Bischöfe und Priester antraf, die noch den Heidengötter n Stiere und Böcke opferten und an Totenmahlen , d. h. dem >Erbbier<, teilnahmen. Er stieß auf Geistliche, die keine kanonische Weihe empfangen hatten, vom rechten Glauben weniger wußten als Katechumen en, und daher zur Unterrichtun g der Bekehrten völlig ungeeignet waren, sittlich Zügellose, entlaufene Hörige, oder mit sonstigem Makel Behaftete (Ep. So). Noch schlimmer war, daß selbst in Rom der Aberglaube es wagen konnte, dreist 14 Ahnlieh Ep. 56: die von Karlmann bestätigten Synodalbeschlüsse von 742/3: Verbot von »Totenopfern, Losdeuterei, Zauberei. Amulette, Wahrsagerei, Beschwörungen der Schlachtopfer, die einfältige Menschen nach
heidnischem Brauch bei Kirchen unter dem Namen von heiligen Märtyrern und Bekennern vornehmen«, ferner »jenes gotteslästerliche Feuer, das sie niedfyor nennen«.
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sein Haupt zu erheben. Augenzeugen hatten Bonifaz berichtet, daß in der Stadt des Apostel Petrus am Neujahrstag »nach Heidenart die Straßen auf und ab Reigen aufgeführt und Feste unter heidnischen Zurufen und gotteslästerlichen Gesängen begangen« wurden, wobei sich Weiber, nach Heidenart mit Amuletten und Bändern um Arme und Beine geschmückt, feilboten (Ep. 50). Bonifaz beschwor den Papst, solche heidnischen Gebräuche abzustellen, und in seiner Antwort (Ep. 51) beteuerte Papst Zacharias, daß ihm und allen Christen abscheulich und verderblich vorkomme, was in Rom an »Wahrsagerei, Amuletten, Zaubereien und verschiedenen Bräuchen« geschehe; er habe deshalb solchen Aberglauben gleich nach Antritt seines Amtes abgestellt. Wir wissen, daß die Kirche bis heute mit dem >Aberglauben< nicht fertig geworden ist, daß sie ihn nur zu verharmlosen vermochte, indem sie ibm ein christliches Mäntelchen lieh. Für Bonifaz, den Sprossen von Heiden, bedeutete der >Aberglaube< dagegen noch eine unmittelbare Gefahr: tilgte ihn das Christentum nicht bis zur Wurzel aus, dann erhob eines Tages von neuem das Heidentum sein freches Haupt. Die Verstockthei t der Heiden, der sie beherrschend e und bei den Christen noch nicht ertötete Aberglaube, dazu die Sünde, die die ganze Welt durchwaltete und selbst die Besten bedrohte, das hing im Grunde alles zusammen, war Werk des Diabolus, des Satanas. Mit seinen Stricken hielt er die Heiden gefesselt; sie zu zerreißen und die Bekehrten der Mutter Kirche zuzugesellen, war die Aufgabe (Ep. 46). Der >Feind< war schlau, war gewandt, hielt sich im Verborgenen und ließ sich daher schlecht packen- mit solchen traditionellen, bereits in der Bibel vorbereiteten Wendungen ist vom Teufel die Rede. Im Gesamt bleibt sein Bild jedoch blaß; man wird annehmen dürfen, daß Bonifaz zu >aufgeklärt< war, um in so leichtgläubiger Weise, wie sie selbst Gregor dem Großen eigen gewesen war, hinter allem und jedem, das sich nicht glatt erklären ließ, das Wirken des Teufels zu spüren. Beängstigend war, daß der schlaue Feind selbst heiligen Männem etwas anzuhaben vermochte. Das Gefühl eigener Sündhaftigkeit verließ den Heidenapostel daher nie (Ep. 27 an Bugga vor 738: »für meine Sünden von vielen Widerwärtigkeiten heimgesucht und mehr noch durch geistige Anfechtung und Bekümmernis als durch leibliche Mühsal bedrängt«; Ep. ;o an Eadburg, 735/6: Bitte um Gebet für ihn, »der ich um meiner Sündenwille n durch die Stürme des gefahrdrohen den Meeres umhergewor fen werde«; usw.). Man kann solche Äußerungen nicht damit abtun, daß es sich um Topoi der christlich-aszetischen Literatur handele; das Motiv klingt so oft an, wird auch so nachdrücklich vorgebracht, daß man- bei aller Stilisierung in herkömmlicher Weise- an seinem Wahrheitsgehalt nicht zweifeln darf. Ob Bonifaz von den >tribulationes<, die sein Herz heimsuchten, seinen Mitarbeitern - sie waren immer nur wenige und stets jünger als er - etwas mitgeteilt hat, läßt sich
Angst vor der Sünde - Bitten um Gebetshilfe
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nicht erkennen. Zu rechnen ist damit, daß er ihnen seine inneren Kämpfe nicht offen legte, da er ja ihr gdstlicher Vater zu sein hatte. So bedurfte er der Hilfe von außen, bedurfte er des Gebetes vieler anderer, um seinen Kampf bestehen zu können und nicht zu erlahmen. Inständig bat er - dies ein Beispiel für viele-, »weil es uns, dem von Gefahr Umdrehten not tut, uns durch ... Gebet zu unterstützen, damit wir ... ans Gestade ewiger Ruhe gelangen und nicht . . . von der Finsternis der eigenen Sünden eingehüllt werden«. Viele Briefe, die nach England gingen, hatten nur den einen Inhalt, neue Gebetsfreunde zu gewinnen und alte zu mahnen, daß sie nicht nachließen; aber auch viele Briefe mit sachlichem Anliegen münden in Bitten um Gebetshilfe. Solches Ansinnen entsprach ganz der christlichen Anschauung von der Kraft des Gebets und beherrschte nicht nur die Zeitgenossen, sondern ebenso die anschließenden Jahrhunderte- auch ein Karl der Große hat seine Macht ausgenutzt, um sich in seinem ganzen Reiche Gebetshilfe zu sichern15• Aber Bonifaz brachte seine Bitte so ständig und so intensiv vor, daß wir ihn hier einmal ganz persönlich fassen: er mußte sich in eine solche >communio< von Mitchristen eingebettet fühlen, um der überall wirksamen, offen oder verdeckt hervorbrechenden Gegenkraft des Teufels gewachsen zu bleiben. Er hätte daher seine Bitten genauso begründen können, wie das der König Aethelbert II. von Kent dem Heidenapostel gegenüber tat: »Die Zeiten sind bös, und täglich mehren sich verschiedenartige und unvermutete Anfechtungen in dieser von Ärgernis erfüllten Welt« (Ep. 105). Diese Not läuterte die Beziehungen, die Bonifaz mit Landsleuten und anderen verbanden, zu >Seelenfreundschaften< -wir scheuen diesen Ausdruck nicht, obwohl er eine völlig falsche Assoziation zu pietistischem Gedankenaustausch zwischen Gleichgestimmten wachrufen könnte. Diese Bezeichnung ist nämlich berechtigt, weil sie dem Sprachgebrauch der Briefe entnommen ist. Sie besagt, daß zwei Menschen, die sich von Gott gelenkt fühlen, - mögen sie noch so weit voneinander entfernt sein gewiß sind, daß der andere seiner in Freundschaft und Gebet gedenkt und auf diese Weise dem verzagenden Gemüt Kraft zuleitet. Im Jahre 745 hatte der Römir.che Diakon Gernmulus dem Heidenapostel geschrieben: »Ich bin mir bewußt, daß ich durch eure Gebetshilfe den Nachstellungen des bösen Feindes entrissen wurde und daß der Herr in seinem Erbarmen seinem Diener Heilung zuteil werden ließ« (Ep. 6z). Er hatte Bonifaz inständig um weitere Gebetshilfe gebeten. Dieser schrieb darauf dem Römer: oft verbinde geistig die Liebe (Ep. 104: >Sepe spiritaliter amicitia jungit<16) die körperlich Weitgetrennten; aber nahe seien die Feinde! »Ü, könnte ich dich, Bruder, auf dieser Wanderfahrt als 5 V gl. unten: Kar! der Große: Denkart und Grundanschauungen (S. 302.-341). 16 Vgl. auch Ep. 78, gesandt dem Erzbischof I
von Canterbury: »Spiritalis adfinitatis necessitudine copulando fratri«.
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Tröster zur Seite haben, deinen heiligen Rat genießen, deines Trostes mich erfreuen, am Anblick deines lieben Antlitzes mich erheitern, an deiner heiligen Ermahnung mich erquicken«. Das könne nicht sein, aber im Geiste des Gebots, daß die Menschen einander lieben sollen (Joh. 15, 12), herrsche zwischen beiden wahre Liebe (vera caritas). »Möge jeder den Abwesenden wahrhaft in Gott lieben, den er körperlich nicht um sich haben kann« (Amet in Deo veraciter absentem, quem corporaliter presentem tenere nequit). Man würde diese Art der Gottesgemeinschaft völlig verkennen, wenn man sie mit irgendeiner Art von Mystik sehen wollte: jeder der in schrecklicher Vereinzelung Dahinlebenden, aber aus ihr durch wechselseitige Gebetshilfe Heraustretenden war für sich seines Gottes gewiß und gemeinsam noch gewisser. Unsere Teilnahme wecken noch heute die Briefe, die Bonifaz mit .Äbtissinnen und Nonnen in seiner Heimat ausgetauscht hat, obwohl uns zwölf Jahrhunderte von ihnen trennen. Ob sie bereits Matronen waren oder noch jung, ist ganz unwesentlich; denn >castitas< war - selbst in den letzten Gedanken- für beide Seiten die selbstverständliche Voraussetzung. Die Forschung hat nachgewiesen, welche Wendungen auf die Bibel, auf die Kirchenväter, auf Aldhelm zurückgehen: Empfänger und Empfängerinnen, sie schreiben alle gepflegtes, gelerntes Latein. Aber das schließt ja nicht aus, daß es zu einem solchen Klingen gebracht wurde, daß man die Stimme der Herzen noch heraushört. Man nehme als Beispiele die Anrede von Bp. 27 an seine liebste Schwester die Abtissin Bugga, seine Herrin, die in der Liebe zu Christus allen anderen Frauen vorzuziehen sei, oder an die Abtissin Badburg (Bp. 65): Bonifaz fühlt sich ihr verbunden durch die goldene Fessel göttlicher Liebe und berührt sie mit dem göttlichen, jungfräulichen Kuß der Liebe. Bugga nennt er im Text >matrem ac dominam dulcissimam<; von Badburg heißt es in einem anderen Brief (Bp. 30) außer >Schwester< noch: »iam dudurn spiritalis clientelae propinquatite conexae.« Seinen Worten entsprechen die Anreden der Frauen: »Abbati sancto veroque amico« (Bp. 13), »Benedicto in Deo ... Wynfritho ... virginalis castimoniae floribus velud liliarum sertis coronato ... « (Bp. 14), »Venerando Dei famulo et plurimis spiritalium carismatum ornamentis predito« (Bp. 15). Für sich steht der Brief der mit Bonifaz versippten, naher männlicher Verwandten jedoch entbehrenden Leobgyth, die Bonifaz bittet, ihn als Bruder ansehen zu dürfen (Bp. 29) - in dem nicht erhaltenen Antwortbrief muß Bonifaz ja einmal aus der sonst von ihm beobachteten Zurückhaltung herausgetreten sein.
Von bleibender Würde sind diese Briefe, weil die Frauen- wie immer ihre Stellung im weltlichen und kirchlichen Recht sein mochte - im Zentralbereich des menschlichen Lebens, dem des Glaubens, als völlig auf gleicher Stufe stehend behandelt wurden. Auch hier mag man wieder darauf hinweisen, daß das nichts Neues war, daß sowohl die christliche als auch die germanische Tradition dafür Voraussetzungen geschaffen hatte; aber diese Ebenbürtigkeit bleibt trotzdem für Bonifaz bezeichnenddas gewahrt man, wenn man auf die Folgezeit blickt, in der die religiöse Gleichberechtigung der Frau ja immer wieder von neuem zurückgewonnen werden mußte.
>Seelenfreundschaften<- Himmelsvorstellungen
III
Solche >Seelenfreundschaften< bedingten den Austausch von >Pfändern<: »dilectionis ligaturae« und zugleich ständiges Mahnzeichen an die in der Ferne Gebetshilfe Leistenden17 - von Gaben solcher Art ist in den Briefen des Bonifaz oft die Rede, empfangenen und abgesandten. Von den vielen Zellen, in denen Bonifaz die zweite Hälfte seines Lebens verbrachte, erfahren wir nichts: waren sie aus Holz oder Stein, geräumig oder eng, warm oder zugig, für Bonifaz war das so unwichtig, daß er darauf nicht ein Wort verwandt hat. Nur das wi&sen wir, daß ihn- wo immer er weilte - außer Büchern die Pfänder vielfacher Seelenfreundschaften umgaben. Läßt sich darüber hinaus noch etwas über die Frömmigkeit aussagen, die nicht nur die Zeit dieses großen Mannes, sondern ihn persönlich kennzeichnet? Das Bild der Dreieinigkeit, das uns die Briefe vermitteln, ist das christlich-korrekte, aber es entbehrt der besonderen Züge. Nirgends ein Hinweis, Gott in seiner Güte habe da und da einmal geholfen, womöglich persönlich eingegriffen, der Erlöser habe dem Legaten in besonderer Not Trost gespendet. Auch fallen nicht die Namen von Heiligen und Märtyrern, denen sich Bonifaz verbunden gefühlt und auf deren Fürsprache er sich besonders verlassen hätte. Von Reliquien, selbst den kleinsten Partikeln, ist nicht die Rede, obwohl so viele Geschenke vermerkt werden18 • Wir finden hier das genaue Gegenbild zu der Teufelsvorstellung des Bonifaz: eine böse Kraft durchzieht und bedroht die ganze Welt; die göttliche, dreieinige Kraft hält sie jedoch in Schach und wird eines Tages Sieger sein. Unbeirrt muß der Christtrotz aller Versuchungen, trotz aller Bedrohungen - dieser göttlichen Kraft dienen in der Erwartung, einmal den Himmel betreten zu dürfen. Von ihm ist die Rede, aber es ergibt sich nur ein leuchtendes, ganz durch die Tradition bestimmtes Bild ohne feste Konturen und ohne Einzelzüge (caelestes mansiones et aeterna tabernacula, superna curia angelorum; ad ethera, in alto caelorum culmine, in regno cae!orum etc.). Auch hier zeigt sich wieder, daß Bonifaz ein Mensch mit einem >aufgeklärten<, vom Verstande gelenkten Glauben war. Für sein Wirken hier auf Erden, von außen oft bedroht und durch innere Zweifel heimgesucht, benutzt Bonifaz eine ganze Reihe von Bildern. Bibelstellen ausspinnend, 17 Ep. 29: Leobgyth an Bonifaz: »Hoc parvum munusculum mittere curavi, non ut dignum esset tuae almitatis aspectui, sed ut memoriam parvitatis meae retines, ne longa locorum intercapidine oblivioni tradas, quin immo vere dilectionis ligatura reliquum nodetur in aevum.« 1 8 Von dem Petruskult der Germanen, den TH. ZwöLFER herausgearbeitet hat, kann
bei Bonifaz nicht die Rede sein; auch spürt man nichts von einer Übertragung des germanischen Gefolgschaftsgedankens in den religiösen Bereich und von einem Aufrechnen guter Werke gegen die begangenen Sünden. Die Vulgärlegende hat Bonifaz offensichtlich unberührt gelassen; über seine Distanz zum Wunderglaubens. bereits oben S. 107 f.
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A4: c. Der Hl. Bonifaz als Mensch
sprach er von sich als dem Hirten, der seine Herde zu lenken und gegen Wölfe mit dem Mut eines Soldaten zu schützen habe, als dem Gärtner, dem die Aufgabe obliege, brachliegenden Boden fruchtbar zu machen, Disteln und Unkraut auszujäten. Einmal verglich er sich im Hinblick auf die fränkischen Bischöfe, gegen die er sich nicht durchzusetzen vermochte, mit dem Wachhund, der das Eindringen der Räuber nicht verhindern kann und »nur knurrend und winselnd trauert« (Ep. 78). Wiederholt beschrieb Bonifaz sein Wirken als eine Fahrt in gebrechlichem Schiff auf stürmischem Meer, für die er der Gebetshilfe der im Hafen Gebliebenen bedürfe: das Ziel ist die Landung an den Gestaden ewiger Ruhe. Andererseits betrachtete er die Missionare- an Paulus anknüpfend- als >milites Christi<, die mit den Tugenden des Soldaten ihren Kampf zu bestehen haben und dafür Lohn im Himmel erwarten dürfen19 • An anderen Stellen spricht er von seiner Pilgerschaft im Dienste Gottes. Einen persönlichen Klang hat es, wenn Bonifaz sich >exul Germanicus< nannte: im Geiste blieb er -wir sahen das bereits - mit seiner Heimat bis zum Tod verbunden. Von den verschiedensten Seiten haben wir jetzt den,zum Missionar gewordenen Klosterlehrer gemustert, diesen gewaltigen Mann, dessen Gestalt heute ohne Heiligenschein nicht mehr vorstellbar ist, der aber als Mensch nicht so eindeutig war, wie die Nachwelt das wahrhaben wollte. Zum Teil erklärt sich das aus den Gegebenheiten seiner angelsächsischen Umwelt und deren eigentümlicher Kultur; das Wesentliche bleibt jedoch unerklärbar, weil Bonifaz unter seinen Zeitgenossen ein Mensch eigenen Schlages war und blieb. Bietet sich irgendein Oberbegriff an, unter dem sich unsere Einzelfeststellungen zusammenschließen? Wir sagen ja und geben die Antwort: >vernünftig<. Bonifaz hatte nichts mit Mystik zu tun, belastete seine Lehre nicht mit allegorischem, bei allem Scharfsinn doch fragwürdig bleibendem Tiefsinn, haßte den Aberglauben, schaute im Bewußtsein geistiger Überlegenheit auf das Heidentum herab, war vom Wunderglauben, vom Reliquienkult seiner Zeit kaum berührt. Er wußte mehr als andere von der Gefährlichkeit des Teufels, verharmloste aber den großen Gegenspieler nicht, indem er ihn hinter jeder Kleinigkeit wirksam wähnte; er achtete Heilige und Märtyrer, klammerte sich aber nicht an sie, indem er sich mit ihren Reliquien als Schutzwall umgab. Bonifaz war >vernünftig<, d. h. er war >aufgeklärt<. Aber wir meiden diese Bezeichnung, die früher einmal auf die karolingische Zeit angewandt worden ist 20 , weil sie falsche Vorstellungen wachruft. Bonifaz war zu >aufgeklärt<, um magische Praktiken gelten zu lassen, aber er war kein >Aufklärer<- diese Bezeichnung reserviere man für das 18. Jahrhundert. 19 Über den Gedanken der >militia Christi< in dieser Zeit s. die Nachweise bei LöwE, Arbeo a. a. 0., S. nof.
20
H. REUTER, Geschichte der religiösen Aufklärung im MA. vom Ende des 8. bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts, I-II, 1875{7.
Bonifaz, der >Vernünftige<
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Bonifaz, der> Vernünftigeabergläubischen< Tun gekennzeichnet, sondern auch - hier und da greifbar - durch eine >aufklärerische< Skepsis, die selbst vor den Göttern nicht Halt machte und im Nichtsglauben endete. Geistesgeschichtlich besteht die Bedeutung des großen Angelsachsen darin, daß er die >vernünftige< Haltung seiner Vorfahren in die christliche Welt einbrachte. Unter seinen Landsleuten hatte er allerdings wenig Gefolgsleute: Alcuin, der Pfleger der Allegorese, gehörte in eine andere Gedankenwelt. Der wahre Schüler des >vernünftigen< Bonifaz war- ohne daß dieser sich dessen je bewußt geworden sein wirdKarl der Große: in einem Abschnitt dieses Bandes werden wir ihn als einen gleichfalls >Vernünftigen< darzustellen haben 21 • Verfolgte man diese Linie weiter, dann wäre aus der folgenden Generation, d. h. aus der Ludwigs des Frommen und Benedikts von Aniane, die von ganz anderen Tendenzen beherrscht waren, etwa der Erzbischof Agobard von Lyon (816-40) zu nennen. Dann aber fehlt es ihr an weithin sichtbaren Repräsentanten. Aber unterschwellig hat die >Vernünftigkeit< des Bonifaz fortgewirkt: so konnte sie letzthin zu einer der konstitutiven Kräfte der modernen Welt werden.
2.
Das Recht und der Papst in der Denkwelt des hl. Bonifaz
Es gibt noch einen zweiten Weg, der an den Menschen Bonifaz heranführt. Ein Thema, das in seinen Briefen wohl ebenso oft angeschnitten wird wie die Sorge um seine Seele und die ihr zu gewährende Gebetshilfe, betrifft die Frage: Was ist rechtens? Ist der und der Fall im kanonischen Recht bereits geklärt? Wenn nein, wie ist zu entscheiden 22 ? Um die konkrete Bedeutung zu ermessen, die diese Fragestellungen für Bonifaz hatten, muß man sich die anstößigen Rechtsverhältnisse, mit denen er in seinem Amtsbereich sich auseinanderzusetzen hatte, vor Augen halten. Auf seine Klagen ging die Mahnung zurück, die Papst Gregor III. im Jahre 737/8 an die Bischöfe Bayerns und Alemanniens richtete: »Brauch und Lehre des Heidentums oder umherziehender Briten oder falscher, irrgläubiger oder ehebrecherischer oder sonst umherschweifender Priester sollt ihr zurückweisen, verfolgen, ablegen«
2I
22
8
V gl. unten: Karl d. Gr. : Denkart und Grundanschauungen. H. NoTTARP, Sachkomplex und Geist des
Schramm, Aufsätze I
kirchlichen Rechtsdenkens bei Bonifatius, I 73-96 hält sich an die konkreten Vorgänge.
in der Quart-Festschrift (s. S. 92) S.
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(Ep. 49). Anfang 742. berichtete Bonifaz dem Papste Zacharias, es gebe in seinem Sprengel »Bischöfe, die behaupten, keine Hurer und Ehebrecher zu sein, die aber Trinker, Zänker und Jäger sind, gewappnet im Aufgebot zu Felde ziehen und mit eigener Hand Menschenblut, gleichgültig ob von Heiden oder Christen, vergießen« (Ep. 50). Im Jahre 744 hatte der Legat sich in Rom zu beschweren über die Irrlehren zweier falscher Propheten; der Gallier Aldebert und der Schotte Clemens wurden darauf von einer römischen Synode verurteilt (Ep. 57, 59, 6o). Aldebert, ein religiöser Ekstatiker, bei dem die Grenze zwischen übersteigerter Erregbarkeit und Betrug nicht deutlich ist (TH. ScHIEFFER), hatte Zulauf bei Bauern und Frauen gefunden, weil er behauptete, ein Engel habe ihm Reliquien von unfaßbarer Heiligkeit gebracht; er hatte sich die Weihe erschlichen und stellte sich den Aposteln gleich: »Er errichtete Kreuze und Bethäuser auf Feldern, an Quellen und wo es ihm gut dünkte, und ließ dort öffentliche Gebete abhalten ... auch gab er seine Nägel und Haare hin, daß man sie verehre und zusammen mit den Reliquien des heiligen Petrus trage«. Er trieb also Magie nach dem Prinzippars pro toto. Die Beichte erklärte dieser Anführer für unnötig, da er behauptete, die Sünde auch ohne Bekenntnis zu erkennen; er absolvierte daher seine Zuhörer ohne Beichte. Gegen Clemens, einen »theologischen Eigenbrödler« (TH. ScHIEFFER), der sich Bischof nannte, lagen ähnliche, gleichfalls schwerwiegende Anklagen vor23 • Um sich inmitten solcher Widersacher zu behaupten, die die Kirche immer von neuem in Mißkredit brachten und dadurch unterhöhlten, gab es nur eins: der Schnur des Rechts so konsequent zu folgen, daß seine Richtigkeit nicht in Frage gestellt werden konnte. Am Anfang seiner Tätigkeit hatte Papst Gregor II. Bonifaz eine Abschrift des Gesetzbuches ausgehändigt, das in Rom gültig war: der Canones des Dionysius Exiguus. Es war wohl nicht nötig, daß ihn 745 der Papst Zacharias mahnte, es im Recht auf das genaueste so zu halten, wie man nach den Vorschriften der heiligen Väter und den Ratschlägen der heiligen Satzungen vorzugehen habe (Ep. 6o). Vermutlich hatte der Heidenapostel auch noch den einen oder anderen kanonistischen Text zur Hand, aber manche Frage konnte er nicht von sich aus entscheiden, und er wandte sich deshalb an angelsächsische Landsleute, die rechtserfahren waren. Dem Erzbischof Ekbert von Y ork schrieb er (Ep. 7 5): »Werde mir zum Berater und Helfer in der Auffindung und Erforschung der kirchlichen Bestimmungen über die Gesetze Gottes«. Dem Bericht über einen ungewöhnlichen Fall setzte er hinzu: »Diese Art der Sünde ... kannte ich bisher nicht«. Er bat deshalb einen schottischen Bischof, in den einschlägigen Texten nachzuschlagen und - falls sie die Frage nicht entschieden- ihm seine 2.3 Über den fränkischen Episkopat in der Zeit des Bonifaz vgl. E. EwrG, >Milo et eiusmodi sinriles<, in der Quart-Festschrift a. a. 0.,
S. 412.-40 (es handelt sich um den in Ep. 51 genannten Bischof Milo von Trier und Reims).
Bonifaz und das Recht
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eigene Meinung mitzuteilen (Ep. 32). Ferner ergaben sich Fälle, bei denen die strikte Befolgung des Rechts der Kirche zu schaden drohte: Ein Priester, der in Unzucht gefallen war, aber gebüßt hatte, übte wieder sein Amt aus. Setzte man ihn im Einklang mit dem kanonischen Recht ab, konnten die Kinder nicht getauft werden, da in seiner Gegend niemand anders zur Verfügung stand. Bonifaz war geneigt, ihn zu dulden, weil das das kleinere Übel sei, erbat sich aber dringend Rat beim Erzbischof Ekbert von York (Ep. 91). Zu einem Kompromiß wollte sich Bonifaz auch in einer anderen Frage entschließen: Er konnte den Schutz des fränkischen Königs nicht entbehren, war dadurch aber gezwungen, mit unmoralischen Menschen zu verkehren. Damit verstieß er gegen den Eid, den er einst dem Papst geleistet hatte; aber noch größeren Nachteil für seine >legatio< befürchtete er, wenn er den fränkischen Hof mied. Bonifaz neigte zu der Lösung, daß er sich soweit angängig von jenen fernhielt, fragte aber bei Daniel von Winchester an, was dieser von solchem Vorgehen halte (Ep. 63). Von den Vorschriften abzuweichen, war Bonifaz ferner in diesen Fällen geneigt: Darf man- wenn Mangel besteht- Priester (entgegen dem Grundsatz des Kirchenrechts) bereits vor dem 30. Lebensjahr weihen? Darf man - wenn die Lage es erforderlich macht - Weihen auch an Tagen vollziehen, die im Kirchenrecht nicht vorgesehen sind?
Bonifaz war also einerseits peinlich auf das Befolgen der kirchlichen Satzungen bedacht, und ließ sich, wenn sein kanonistisches Wissen nicht ausreichte, beraten. Aber er war doch nicht so starr, daß er den Grundsatz befolgte: »Fiat iustitia, pereat mundus«. Er wog vielmehr gegebenenfalls ab, was das kleinere Übel sel: striktes Befolgen der Satzung oder Entscheidung gemäß dem eigenen Verstande, der gewissenhaft Vor- und Nachteile solchen Vorgehens für das Wohl der Kirche gegeneinander abwog. Also auch hier tritt seine >Vernünftigkeit< heraus. Einen zwiespältigen Eindruck erhält man, wenn man - ohne Vollständigkeit anzustreben- die Fragen, die Bonifaz sich nicht allein zu entscheiden getraute, in eine sachliche Ordnung zu bringen versucht (die eine oder andere ließe sich auch in einer voraufgehenden oder nachfolgenden Rubrik unterbringen): Abendmahl: Dürfen solche, die nahe Verwandte ermordet haben, das Abendmahl empfangen? Sind auf dem Altar mehrere Kelche statthaft oder nur einer? Dürfen Aussätzige am Abendmahl teilnehmen? Darf man Opferspeisen essen, wenn schon das Kreuz über ihnen geschlagen ist? Taufe: Ist die Taufe zu wiederholen, wenn sie gespendet wurde: a) von ehebrecherischen oder unwürdigen Priestern? b) von solchen, die noch Wodan opfern und Opferfleisch essen? Ist eine Taufe gültig, die ein Gerechter gespendet hat, jedoch ohne die trinitarische Formel? (Nach Kirchenrecht galt die von einem Ketzer oder Verbrecher vollzogene Taufe, wenn die Formel richtig gesprochen war). Galt eine Taufe, bei der sich nicht mehr feststellen ließ, ob der (inzwischen verstorbene) Priester die Formel gesprochen hatte?
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Ehe: Weiche Verwandtschaftsgrade stehen einer Eheschließung entgegen? Darf man dreimal heiraten? Wie soll ein Mann handeln, dessen Frau so krank ist, daß sie zum Beischlaf unfähig ist? Dürfen Mönche, die bereits als Kinder in ein Kloster gebracht wurden, dies verlassen und heiraten? Darf jemand eine Witwe heiraten, bei deren Kind er Pate stand (also >pater spiritualis< war)? Darf jemand die Witwe seines Oheims ehelichen, die in erster Ehe mit dem Vetter vermählt gewesen, von diesem aber verlassen worden war und dann den Schleier genommen hatte? Kirchenzucht: Darf man mit unwürdigen Priestern Tischgemeinschaft halten? Was soll mit einem Priester geschehen, der beschuldigt wird, dem man aber seine Schuld nicht nachzuweisen vermag? Dürfen sich Nonnen (ebenso wie die Männer) am Gründonnerstag gegenseitig die Füße waschen? (d. h. gemäß Christi Vorbild). Kirchenpraxis: Dürfen Priester einer von der Pest befallenen Kirche, Mönche eines solchen Klosters dieses verlassen, um sich vor der Gefahr der Ansteckung in Sicherheit zu bringen? Was soll geschehen mit: a) aussätzigen Menschen? b) mit kranken oder tollwütigen Tieren? Fragen, die mit dem Heidentum zusammenhängen: Ist der Genuß von Pferdefleisch: a) von wilden, b) von zahmen, zulässig? Darf man essen: a) Dohlen, Krähen und Störche, b) Biber, Hasen und wilde Pferde (Ep. 87)? Wieviel Zeit muß nach der Herrichtung von Speck verstreichen, bis man ihn ißt? Dürfen von Christen Sklaven verkauft werden, die dann von Heiden geopfert werden? Darf man von Sklaven, die von Christen Land gepachtet haben, Zins annehmen? Darf man für Verstorbene Opfer bringen?
Zwiespältig ist der Eindruck dieser Liste deshalb, weil es sich einerseits um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung handelt, von denen manche im Kirchenrecht eine große Rolle gespielt haben, andererseits um Quisquilien, die klein bleiben, selbst wenn man die rechtlich noch so unbefestigte Lage im heidnisch-christlichen Grenzraum in Betracht zieht. In seinem Rechtsdenken erweist sich also Bonifaz, der im praktischen Leben so Tapfere, als überwach in seinem Gewissen, geradezu als überängstlich-skrupulös. Hier ist wieder eine Stelle, wo wir Bonifaz als Mensch fassen. Denn mögen seine Zeitgenossen auch noch so sehr auf die Bewahrung des Rechts bedacht gewesen sein, bei keinem spüren wir ein solches überpenibles Nachsinnen bis in die letzten Kleinigkeiten über das, was rechtens sei. Zu Grunde liegt bei Bonifaz die Überzeugung, daß das Recht ein Ganzes darstelle und daher in Gefahr gerate, wenn auch nur in einer Ecke Rechtsunsicherheit, womöglich Rechtsverfälschung eintrete. Bonifaz witterte daher stets und ständig die Gefahr, daß »scandala et scismata vel novi errores« (Ep. 5o) auftreten und das Erreichte wieder in Frage stellen könnten.
Der Papst als Rechtsautorität
Mit der Sittlichkeit war es ja nicht anders bestellt. Sie glich der körperlichen Gesundheit: war sie gefestigt, drohte keine Ansteckung; war sie angekränkelt, war das Schlimmste zu befürchten. Völker, die sich der Unsittlichkeit hingaben, gehen zu Grunde - darauf führte Bonifaz das Schicksal der Germanen in Spanien, in Burgund und in der Provence zurück; als Strafe habe ihnen Gott jetzt die Sarazenen geschickt. Diese Beispiele hielt er mahnend dem König von Mercia vor, damit nicht auch die Angelsachsen einem solchen Schicksal verfielen (Ep. 73). Gleicher Auffassung war de;r Papst Zacharias. Er mahnte die Franken, anrüchige Priester auszumerzen; hätten sie nur einwandfreie Geistliche, wie ihnen das Bonifaz mahnend empfahl, werde es ihnen gut gehen: »Dann wird kein Volk vor eurem Anblick bestehen können, sondern die Heidenscharen werden vor eurem Angesicht zu Boden sinken, und ihr werdet Sieger sein, überdies aber durch rechtes Handeln das ewige Leben gewinnen« (Ep. 61). Die Instanz, die Bonifaz bei seinen Rechtsskrupeln noch besser als die angelsächsischen Rechtskenner zu helfen vermochte, war der Papst. Als Haupt der Kirche kannte er am besten ihr Recht, und wenn sich Lücken herausstellten, durfte er sie kraft seines Amtes schließen. So erklären sich die- selbst im Rahmen des üblichen Briefstils- betont demütigen Wendungen in den von Bonifaz nach Rom gesandten Briefen (Ep. 50: »ante vestigia vestra geniculantes«, d. h. die Proskynese erweisend); entsprechend kennzeichnete er sich als »subditi sub iure canonico, ... ,catholicam fidem et unitatem Romane ecclesiae servando« (ebd.). Wenn er die verwahrloste fränkische Kirche wieder herstellen solle, müsse er - so heißt es in diesem Brief an den Papst Zacharias weiter- »Vorschrift und Entscheidung des apostolischen Stuhls nebst den kirchlichen Satzungen zur Hand haben«. In einem weiteren Brief an diesen Papst (Ep. 86) beteuerte er ihm, er erhoffe Verzeihung, wenn diesem irgendetwas an den getroffenen Maßnahmen mißfalle; er wolle gegebenenfalls angemessene Buße leisten. In dem vorletzten Brief, der von Bonifaz erhalten ist (Ep. 108), bat er StephaniT., den vierten Papst, den er in den 36 Jahren seiner >legatio< erlebte, als dessen getreuer und ergebener Knecht, daß er ihn ebenso wie seine Vorgänger durch Belehrung und Machtwort unterstützen möge: »Wenn ich aber in Wort oder Tat einer Unbesonnenheit oder eines Unrechts überführt werde, dann gelobe ich, dies nach dem Urteil der Römischen Kirche bereitwillig und in Ergebenheit wieder gutmachen zu wollen.«
Hier handelt es sich nicht um Phrasen der Höflichkeit im kurialen Stil, an denen die Briefsammlung sonst so reich ist, sondern um Bitten, bei denen es Bonifaz bitter ernst war: überängstlich im Gewissen brauchte er Rechts gewißheit, um sich behaupten zu können, und letzte Gewißheit vermochte ihm nur das Oberhaupt der christlichen Kirche zu geben. In diese Anerkennung des römischen Lehrprimats darf -wie schon betont wurde 24 - nichts von dem universalen Jurisdiktionsprimat hineingetragen werden, der im Laufe des Mittelalters den Päpsten eingeräumt wurde. Für Bonifaz waren die fränki24 S. oben S. 90f.
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sehe Landeskirche und die >ecclesia Romana< noch keine Gegensätze, und auf den Gedanken, den Papst gegen Pippin und seine Bischöfe auszuspielen, konnte er bei der bestehenden Machtlage gar nicht kommen. Schluß Als Bonifaz die Siebzig überschritten hatte, begann er in seinen Briefen seine die Mühen seines Daseins noch vermehrenden Alterserscheinungen zu erwähnen. (Nr. 63: Greisenalter und schwach werdende Augen, die das Lesen kleiner Buchstaben nicht mehr erlauben, dazu »fessae mentis angustiae«, Nr. 86 »fessum senectute corpus«, Ep. 108: »senectutem meam atque infirmitatem«). Das Paulus-Wort: »Außen Kampf und innen Furcht« (II. Kor. 7, 5) steigerte Bonifaz für sich zu: »auch innen Kampf und Furcht«, weil falsche Priester und Heuchler sein Werk gefährdeten (Ep. 63; ähnlich Ep. 63, vor dem Spruch noch: »Überall Mühe und Kummer«). >Tribulatio< wird zu einem Wort, was wiederkehrt. Dazu kam äußere Not. An Pippin schrieb Bonifaz, seine an den Grenzen der Heiden wirkenden Priester vermöchten sich zwar noch Brot für den Lebensunterhalt verschaffen, »aber Kleidung können sie doch nicht bekommen« (Ep. 93). Ja, so war es: »ein Leben unter Hunger, Durst und Kälte und unter der Anfeindung der Heiden« dieser Satz stammt aus einem der letzten Briefe des Apostels (Ep. 101). Der Papst Gregor III. hatte Bonifaz 739 gemahnt: »Laß es dich nicht verdrießen, gellebtestet Bruder, beschwerliche und vielfache Reisen zu unternehmen, auf daß der christliche Glaube durch dein Bemühen weit und breit sich erstrecke« (Ep. 4 5). Danach hatte der Legat gehandelt. Seine letzte Bleibe wurde das 744 von ihm begründete Kloster Fulda. Im Alter von rund 8o Jahren -ein Alter, das (wie abermals betont werden muß) in dieser Zeit nur selten erreicht wurde- suchte Bonifaz im Frühjahr 75 3 noch einmal den fränkischen Hof auf und erhielt hier gemäß seinem Wunsche das Bistum Utrecht zugesprochen. Auch erlangte er die Erlaubnis, die Friesenmission wieder aufzunehmen, die nach dem Tode des hlg. Willibrord (t 739) steckengeblieben war. Zu Schiff fuhr der Erzbischof - versehen mit Büchern und einem Leichentuch für den Fall, daß den Greis der Tod vor der Heimkehr bei der Hand nahm- von Mainz den Rhein herunter, verbrachte den Winter in oder bei Utrecht und nahm, als die Jahreszeit es erlaubte, die Mission unter den Ostfriesen auf. Sein Werk ließ sich gut an: am Mittwoch der Pfingstoktav (4. Juni) 754 strömten Neubekehrteam Flusse Doorn zusammen, um sich firmen zu lassen. Da erschienen Heiden und erschlugen Bonifaz und seine Begleiter - anscheinend nicht, weil sie den Vorkämpfer eines fremden Glaubens unschädlich machen wollten, sondern wohl nur, weil sie sich Beute versprachen.
Schluß
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Sicherlich wäre Bonifaz immer bereit gewesen, den Märtyrertod zu sterben - aber in diesem Augenblick erwartete er ihn nicht, und was geschah, war nicht Glaubenskampf, sondern Mord, Mord aus niedrigen Instinkten. Es kam so, aber es mußte nicht so kommen. Schon die Zeitgenossen nahmen das nicht hin, sondern sahen in dem Tod des Heidenapostels das sinngemäße Ende seines Wirkens: Gott hatte ihm vier Jahrzehnte lang die Möglichkeit gegeben, in seinem Dienste den rechten Glauben zu verbreiten, hatte ihm nun noch die Märtyrerkrone verliehen. Der Leib des Toten wurde nach Fulda gebracht, das fortan von dem Ruhme zehrte, die Gebeine eines Heiligen zu bergen. In der Zwischenzeit war es zum Bund des fränkischen Königs mit dem Römischen Papst gekommen- ein Bund, der die Geschichte der folgenden Jahrhunderte bestimmte, an dessen Zustandekommen Bonifaz aber nicht mitgewirkt hat. Der Aufbau der deutschen Kirche vollzog sich nicht so, wie ihr Begründer das geplant hatte, aber er war es, der ganz auf sich Gestellte, der die Voraussetzungen geschaffen hatte. Wir wüßten gern noch viel mehr von Bonifaz, dem Heidenapostel, der zu vollem Recht unter den Heiligen der Katholischen Kirche seinen unbestrittenen Platz hat. Aber bei einer noch so intensiven Befragung seiner Briefe und Viten wird nicht viel mehr herauskommen als das, was in den voraufgehenden Seiten zusammengestellt · wurde. Als eine nicht nur in den Gang der Geschichte eingreifende, sondern auch als Mensch faßbare Gestalt folgt auf Bonifaz erst wieder Karl der Große, von dem in einem späteren Abschnitt25 die Rede sein wird- wir überlassen es dem Leser, die angestellten V ergleiehe zwischen dem Heidenapostel und dem Kaiser, zwischen dem Angelsachsen und dem Franken zu vermehren und festzustellen, wo sie sich sonst noch ähnelten, wo sie sich unterschieden. 25 Vgl. unten: Karl d. Gr.: Denkart und Grundanschauungen (S. 302-341).
5 Der >Traktat über romanisch-fränkisches lünterwesen< Ein Text des 7· Jahrhunderts, betrachtet im Rahmen frühmittelalterlicher Aufzeichnungen über den >Staat<, und seine Geistesverwandten aus folgenden Jahrhunderten*
a) Ein Rundblick auf die literarischen Genera, die sich mit dem Problem >Staat< befaßten1 Die antike Tradition der >Fürstenspiegel< ist im Byzantinischen Reich erhalten geblieben und im Abendland erneuert worden. Fast aus allen Jahrhunderten lassen sich Schriften dieser Gattung anführen, wenn man den Begriff nicht zu eng faßt und den selbständigen Texten noch die Mahnschreiben in Briefform, die Gesetzesprologe mit dem Idealbild eines Fürsten und Ähnliches mehr angliedert. Aber wenn diese beliebte Gattung der mittelalterlichen Literatur auch zu allen Zeiten gepflegt worden ist, dann muß doch gleich gesagt werden, daß sie im Abendland bis zum hohen Mittelalter hin in der moralisch-erbaulichen Sphäre bleibt, daß sie also nur den >Rex iustus Fürstenspiegel<, z. B. der Liber de administrando imperio des Kaisers Konstantirr VII. Ct 959) oder die Schriften des Kekaumenos aus dem Ir. Jahrhundert3, z. T. drastisch beleuchten.
* Zuerst (unter
dem Titel: >Studien zu frühmittelalterlichen Aufzeichnungen über Staat und Verfassung<, in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte 49, Germ. Abt. 1929 S. r67-232 (Abschnitt II: >Das Polypticum des Bischofs Atto von Vercellidolgt in Bd.III Abschnitt I; Abschnitt lll-IV über die beiden Listen der Römischen Pfalzrichter werden hier in stark verkürzter Form wiederholt). I Um deutlich zu machen, daß dem Verfasser der Unterschied bewußt ist, der zwischen dem modernen und dem mittelalterlichen Staat besteht, ist dieses Wort hier und in den folgenden AbschnittenirrAnführungszeichen gesetzt. Deutlich zu machen, wieso es berechtigt ist, trotzder offenkundigen Unterschiede bereits im
frühen Mittelalter von >Staat< zu sprechen, ist ja einHauptanliegen meiner Bücher undA ufsätze. 2 Von mir wurden angeregt; J OACHIM SCHARF (Professor der Byzantinistik in Münster, t 1965), Studien zu Smaragdus und Jonas, im Deutschen Archiv XVII, r96r S. 333-3 84 (Teil seiner Habilitations·schrift) behandelte die karolingischen Fürstenspiegel; WrLHELM BERGES (Professor der Geschichte an der Freien Universität Berlin) >Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters< Leipzig 1938 (Neudruck: I952) (Schriften der Monumenta Germaniae II; 364 Seiten). 3 Über Druck und Übersetzung s. unten in Bd. III: Kaiser, Basileus u. Papst in der Zeit der Ottonen, Anhang 2.
Literarische Genera, mit dem Problem }Staat< befaßt (S. 167-169)
12!
Anders liegen die Dinge bei der Gattung der Staatshandbücher, in denen die Beamten nach Amt und Würde zusammengestellt sind. Mit dem Zusammenbruch des antiken Beamtenstaates im Westen war Werken wie der der Boden entzogen. Nur in Rom selbst und im Schoße der Römischen Kirche ist es im frühen Mittelalter noch zu solchen Aufzeichnungen gekommen; denn hier, wo sich ja Reste des antiken Beamtenstaates erhalten haben und wo sich ein neuer kirchlicher Beamtenstaat entwickeln konnte, blieb der Anlaß zu solchen Aufzeichnungen bestehen. Drei von ihnen sind im folgenden herangezogen. Wie bescheiden nehmen sie sich aus, wenn man sie - um von antiken Staatsdenkmälern ganz zu schweigen - neben die byzantinischen Parallelwerke wie etwa das Kletorologion des Philotheos legt! Denn dort im Osten, wo der Staat dauernd auf einem komplizierten Beamtenturn begründet geblieben ist, riß auch die Tradition der >Notitia dignitatum< nicht ab. Es gibt kaum ein einprägsameres Zeichen für den Unterschied zwischen Antike und frühem Mittelalter, zwischen Byzanz und Abendland als die dürftigen Usten, . die hier behandelt werden. Die Gattung der Lehrbücher der staatlichen Verwaltung hat im karolingischen Reich eine Neubelebung erfahren. Die verlorene Schrift des Adalhard von Corbie und der >Ubellus de ordine palatii<, den Hinkmar von Reims unter Zugrundelegung dieses dadurch im wesentlichen geretteten Werkes verfaßte, sind wichtige Zeugnisse für den Ausbau der Verwaltung in dem neuen Großreich. Aber mit dessen Zusammenbruch war für das erste auch wieder der Anlaß verschwunden, solche Lehrbücher zusammen' zustellen. Nur die Kirche hat ihrer fortlaufend bedurft, und wenn man sich z. B. ein Werk wie die später noch zu nennende Schrift des WALAHFRID STRABO ansieht, dann wird man zugeben, daß das Bedürfnis nach Orientierung in den vielgestaltigen Einrichtungen der Kirche zu sehr respektablen Leistungen geführt hat. Eine Sondergattung bilden in dieser dem Staat gewidmeten Literatur die Aufzeichnungen, in denen die öffentlichen Handlungen fixiert sind: die Ordines, wie sie im Mittelalter genannt werden. Die abendländischen Texte können sich nicht im entferntesten an Reichtum und Ausführlichkeit mit den byzantinischen Aufzeichnungen messen, die- in Jahrhunderten gewachsen- in der Riesenkompilation des >Uber de cerimoniis aulae Byzantinae< aus dem 10. Jahrhundert vorliegen. Vor allem besteht ein Unterschied darin, daß im frühen Mittelalter für den abendländischen Herrscher zunächst nur kirchliche Akte festgelegt worden sind; seit den Karolingern ist in allen Jahrhunderten aufgezeichnet worden, wie die Krönung des Kaisers und • des Königs zu veranstalten sei, wie man den Herrscher in der Kirche empfangen müsse, und welche Akklamationen, Utaneien und Gebete ihm gebührten. Aber es ist nicht fixiert worden, welche Feierlichkeiten auf einem Hoftag üblich waren, unter welchen Formen sich die Belehnung eines weltlichen Großen, die Anstellung eines Hofbeamten u. a. m. vollzog. Wiederum ist hier das kirchliche, besonders das päpstliche Schrifttum viel reicher und ausführlicher.
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A 5. Der >Traktat über romanisch-fränkisches Amterwesen<
Außer diesen feststehenden Gattungen gibt es noch eine reiche Fülle von diplomatischen Schreiben, Urkunden, Festgedichten, Streitschriften usw., insbesondere die Behandlung des speziellen Themas, wie sich die beiden Gewalten, die weltliche und die geistliche, zueinander verhalten, daneben dann noch das große Gebiet der Rechtsaufzeichnungen mit ihren Glossen, Exzerpten, Kommentare n, die alle über den bestimmten Zweck ihrer Niederschrift hinaus Wesen und Aufbau des frühmittelalterlichen >Staates< erkennen lassen. Aber da dies nicht der unmittelbare Anlaß ist, der zu ihrer Entstehung geführt hat, wird man sagen dürfen, daß die eigentliche, dem >Staate< gewidmete Literatur des frühen Mittelalters nur auf einigen Sondergebieten größeren Reichtum zeigt. Die wenigen Texte, die es aus diesem Schrifttum gibt, verdienen deshalb besondere Aufmerksamkeit, die sich allerdings weniger auf ihren tatsächlichen, meist durch andere Quellenzeugnisse schon bekannten Inhalt als auf den geistesgeschichtlichen Hintergrund richten wird. In diesem Sinne soll auch der Text behandelt werden, der den ersten Gegenstand dieses Abschnittes bildet.
b) Der >Traktat über romanisch-fränkisches Amterwesen< Im Jahre 1908 hat MAX CoNRAT (Cohn) in der Z. f. Rechtsgesch. 4 eine merkwürdige Aufzeichnun g veröffentlicht, der er zur Charakterisierung des Inhalts die Überschrift >Ein Traktat über romanisch-fränkisches .Ämterwesen< gab, während der eigentliche Titel Decursio de gradibus lautet5 • Er hatte ihn in dem um das Jahr rooo geschriebenen Cod. Vat.lat. Reg. 1050 (f. I 57b-r 58•) gefunden und durfte ihn für unbekannt halten; denn ein früherer Abdruck, auf den mich nur der Zufall geführt hat, findet sich an allerdings leicht übersehbarer Stelle. Schon im Jahre r8p hat nämlich FRIEDRICH BLUHME (Blume) in einer Reihe von Miszellen >ein Bruchstück über römisch-germanische Stadt- und Reichsverfassung~ nach einer modernen Abschrift publiziert, über deren Herkunft er selbst nichts Näheres anzugeben wußte. Er hatte den Oberamtrat SPANGENBERG als Entdecker genaont, der sich dann unmittelbar darauf als Besitzer des Originals öffentlich vorstellte und den von BLUHME nicht genau edierten Text noch einmal buchstabeng etreu abdruckte7 • Er teilte mit, daß es sich um ein aus einem 4 XXIX (XLII) Germ. Abt. S. 239f., bes. S. 246-6o; der Nachtrag in : ebd. XXX S. 326 bezieht sich nicht auf den Traktat, der bei R. SCHRÖDER, Lehrbuch der deutschen Rechtsgesch. 16 (Leipzig 1919) S. 295 mit verwandten Aufzeichnunge n zitiert ist. C. will S. 247 die Worte >de gradibus< auf die danebenstehenden Auszüge aus Isidors Verwandschaftsbezeichnungen beziehen und >Decurio< in Verbindung mit Decanus und Centurio bringen, die amAnfang des Traktats stehen.
Statt dieser gezwungenen Erklärung liegt es im Hinblick auf die sehr schlechte Überlieferung in der Vatikanischen Hs. (s. dazu unten) näher, >Decursio de gradibus< zu lesen; denn dadurch ist der Inhalt des Traktats tatsächlich charakterisiert; vgl. dazu Thesaurus ling. lat. V p. 234: Decursio. 6 Neues Rheinisches Museum für Jurisprudenz I ( = Rhein. Mus. f. J. V), 1833, S. 138-40. 7 Rezension von F. BLUHME in: Göttingisehe Gelehrte Anzeigen III, 1832, S. 1661-3.
Überlieferung des Traktats (S. r69-172)
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gedruckten Buche herausgelöstes Vorsatzblatt in Folioformat handelt, dessen Verbleib nicht bekannt ist (beim Binden wurde die untere Hälfte weggeschnitten); die Rückseite bietet einen noch nicht bestimmten theologischen Text8 • Da der Verbleib dieses Fragments nicht bekannt zu sein scheint, sind wir also auf SPANGENBERGS Druck angewiesen, wenn wir diese von CoNRAT übersehene Überlieferung (S) des Traktats mit der Vatikanischen (V) vergleichen. Das Fragment S liefert durch sein Alter einen festen Terminus ante, der bisher fehlte; denn nach SPANGENBERG, der sich dafür auf einen >sehr geübten Kenner< beruft, stammt es aus dem Anfang des 9· Jahrhunderts, es ist also ungefähr zwei Jahrhunderte älter als V. Außerdem stammt es aus einem ganz andern Überlieferungsbereich; es ist nämlich in angelsächsischer Schrift aufgezeichnet, während der Hauptteil der Vatikanischen Handschrift, dem auch der >Traktat< angehört, >einem ursprünglichen, gewiß auf ehedem gallo-römischem Boden geschriebenen Kodex entlehnt< sein muß 9 • Der Text hat also über seine Heimat hinaus Interesse und Verbreitung gefunden. Für die Interpretation des Traktats gibt S gleichfalls neue Aufschlüsse - wenn auch nicht in dem Umfang, den man wünschen möchte. Der Text ist in V so überliefert, daß CoNRAT sich zu einem doppelten Abdruck, einem buchstabengetreuen und einem durch zahlreiche Konjekturen verständlich gemachten, entschließen mußte. S bestätigt nun, daß er bei seinen Verbesserungen eine glückliche Hand gehabt hatlO. Dagegen wird die Frage bei dem >rei dominus< und dem >Agis< (Plural: · Agites), die CoNRAT zu vicedominus und agens (Pl.: agentes) verbesserte, nur komplizierter; denn S schreibt hier an der ersten Stelle einfach >dominus<, was dem Sinne nach unmöglich ist, und an der zweiten gleichfalls >Agis<, aber im Plural >Ages<. Dazu muß man noch den Passus aus § 2 heranziehen, der angibt, daß die Konsuln >dona regis consulant<, wofür CoNRAT >consulunt< lesen will. Hier heißt es in S: consul dicitur, quia domina11 regis consulat. Man wird kaum an einen Konjunktiv, sondern wie auch an der andern Stelle an eine ungrammatikalische Form zu denken haben, die wohl in der Urhandschrift selbst gestanden hat12 und deren Latein charakterisiert. Die übrigen Konjekturen CoNRATS, bei denen auf Grund dieser Feststellung z. T. vorsichtiger zu verfahren sein wird, lassen sich mit Hilfe von S nicht nachprüfen; aenn hier ist der Text ja stark beschnitten: er umfaßt nurTeile von§ 2, sowie§§ 3-4. Innerhalb dieser in beiden Überlieferungen vorhandenen Abschnitte ist die Reihenfolge der Sätze mehrfach verschieden, aber in diesen Fällen verdient V immer den
8 Abgedruckt ebd. S. r662f. 9 CoNRAT a. a. 0. S. 240. ro Als richtig erweisen sich z. B. S. 248 preses; S. 249 qui precellit; que; malos; dominatur; S. 250 ville.
Von BLUHME zu >dominio< verbessert. 12 Oder diese Formen müßten erst in eineS und V gemeinsame Stammhandschrift hineingekommen sein.
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A 5. Der >Traktat über romanisch-fränkisches Amterwesen <
Vorzug vor S, wo der klar erkennbare Gedankengang des Traktats offensichtlich gestört ist. Deshalb liegt auch kein Grund vor, aus dem Fehlen einzelner Sätze des § 2 in S, wo dieser Absatz auseinandergerissen ist, zu schließen, daß diese in V zugesetzt seien. Nur bei der Stelle >sicut iaconimus sub abbate<, die CoNRAT zu >sicut oeconomus (oder: vice dorninus) sub abbate< 13 verbessert hat, ist zu überlegen, ob sie nicht ein Zusatz sein kann; denn die sie umrahmenden Sätze sind in Svorhanden, und sonst entbehrt der Traktat der Parallelen aus der K.losterfassung. Auf der anderen Seite bestätigt S, daß der in V von einer >etwas späteren Hand<14 nachgetragene Satz in § 3 : >Ipse- agitur< keine Zufügung dieses Schreibers ist, sondern dem Urtext angehört. So darf - den Textvergleich abschließend - gesagt werden, daß das wieder an das Licht gezogene Fragment SPANGENBERGS trotz seiner Unvollständigkeit und seines Reichtums an offensichtlichen Abschreibefehlern in einer ganzen Reihe von Fällen geeignet ist, den Wortlaut des merkwürdigen Schriftstückes sicherzustellen. In seiner Veröffentlichung hat CoNRAT ausdrücklich erklärt, kein abschließendes Urteil geben zu wollen15 • Er hat sich darauf beschränkt, durch den Vergleich der einzelnen Angaben des Traktats mit dem, was uns sonst bekannt ist, festzustellen, welcher Quellenwert dieser Aufzeichnung zukommt. Er gelangte zu dem Schluß, daß das Stück weithin Fakten enthalte, >die auch durch unsere bisherigen Quellen eine Bestätigung erfahren<, und daß es in manchen sonstigen Äußerungen >keine Beanstandung verdienen< dürftet6 • Er hat dann allerdings eine Reihe bedenklich scheinender Angaben aufgezählt, aber die Verdächtigung dieser Notizen doch auch wieder aus anderen Gründen für nicht einwandfrei erklärt. Hier ist nun ein Bedenken zu äußern, das die Interpretation des Traktats weiterzuführen geeignet ist. CoNRAT hat genauere Angaben über die Umgebung gemacht, in der uns der Traktat in der Vatikanischen Handschrift erhalten ist17 • Danach geht ihr eine zehn Seiten lange Kompilation von Worterklärungen verschiedener Herkunft voraus. Neben Isidors Etymologien, der unerschöpflichen Quelle des Mittelalters für solche Fragen, sind auch seine >Libri de differentÜs< ausgebeutet. Außerdem hat CoNRAT die Benutzung des >Liber glossarum< und der Interpretation des Breviars festgestellt. Dieser Liste ist schließlich noch Isidors Schrift >de ecclesiasticis officüs< anzufügen18 • Eine I3 A. a. 0. S. 248, auch S. 255 (nichtS. 256, wie S. 248 Anm. b angegeben ist). 14 A. a. 0. S. 247 und 249 Anm. c. I5 A. a. 0. S. 26o. I6 A. a. 0. S. 259 17 A. a. 0. S. 239f. und 246f. I 8 Aus einer Abschrift charakteristischer Stellen, die ich der bereitwillig gewährten Hilfe des Prof. Dr. theol. A. MICHEL (t) verdankte, ersehe ich folgendes: Der Text beginnt ohne
Initiale auf f. 148 a col. I mitten in einem Satz, den ich deshalb nicht zu bestimmen vermag. Es folgt: garrire = Isidor, Diff. I 267; gener = Is., Etym. IX, 6, 19; greges = ebd. XII, I, 8; grues = eb. xn 7, I4; usw. entsprechend dem Alphabet, das auf 150b col. 2 noch einmal von vorn beginnt und bis uxores läuft. Die Erklärung zu diesem Wort stammt aus Is., Etym. IX 7, I2 und 27-30; das folgende dann aus Is., de eccl.
Deutungen des Traktats (S. 172-I74)
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"Analyse des merkwürdigen Textes bis ins einzelne ist Aufgabe der Glossenforschung, die, soviel ich sehe, die Aufzeichnung noch nicht analysiert hat19 • Für unsere Zwecke genügt schon, was CoNRAT über diese Kompilation bekanntgemacht hat. Es handelt sich um eines jener Exzerpte aus Isidor, von denen wir eine ganze Anzahl kennen20 , und .aus deren Reihe hier besonders ein juristisch orientierter Auszug anzuführen ist. Außerdem kann noch ein Traktat in Dialogform genannt werden, der auf Grund von Isidor in Frage und Antwort gleichfalls Rechtsprobleme behandelt. Von beiden Texten gibt es eine ganze Anzahl von Handschriften, die ihre Verbreitung bezeugen. Da siez. T. schon aus dem 9· Jahrhundert stammen, ist damit eine untere Grenze für ihre Entstehungszeit gegeben. Beider Heimat wird auf französischem Boden zu suchen sein21 • In diese Tradition gehören also die Exzerpte der vatikanischen Handschrift hinein, die nur durch die Hinzuziehung von weiteren Schriften und vielleicht noch durch den Zusatz eigener Bemerkungen eine etwas selbständigere Stellung einnehmen22 •
Dem Germanisten GEORG BAESECKE, der durch meinen Aufsatz auf den Traktat aufmerksam geworden war, gelang es, dessen handschriftliche Grundlage zu verbreitern: er fand ihn in dem Cod. Sangallensis 9IJ, der um 790 in Murbach geschrieben wurde23, und machte außerdem noch einen - von B. BrscHOFF entdeckten - Auszug bekannt, der in fünf Handschriften
offic. II 20, IO (Migne, Patrollat. 83 S. 8I2), aus unbestimmter Quelle und schließlich aus Is., Etym. V 25, 20 (betr. pignus). Darauf folgt die Amterliste (Decur[s]io de gradibus, dies in Rot geschrieben, während sonst nur der erste Buchstabe so herausgehoben zu sein pflegt), die von f. I 57 b col. 2 unten bis f. I 58 a col. 2 unten reicht. Auf f. I 58 b beginnen wieder Auszüge aus Isidor, die mit einem unvollständigen Satz aus Etym. IX 6, I7 einsetzen. Das Folgende stammt aus den Kap. 6-7 desselben Buches. Das Blatt I 59 ist zur Hälfte abgeschnitten und rückwärts unbeschrieben. Der Text selbst ist gut lesbar, aber durch Fehler stark entstellt. 19 Von den zwei bei CONRAT a. a. 0. S. 246f. A. 5 als unbestimmbar aufgeführten Stellen ist die zweite im Cod. Mon.lat. 14429, einer teils in Irischer, teils in Regensburger Schrift verfaßten Handschrift vom Ende des 9· Jahrhunderts, nachweisbar; vgl. Glossaria Latina iussu acad. Brit. edita I (Paris 1926) S. 492, wo auch der Schluß des bei C. unvollständi-
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gen Satzes zu lesen ist; über diesen Codex, der den Liber Glossarum (Glossarium Ansileubi) in einer besonderen, auch von Salomon von Konstanz benutzten Fassung enthält, vgl. auch Corp. Gloss. Lat. ed. G. GoETZ I p. 169, V P. XXIII. CH. H. BEESON, Isidorstudien in: Quellen u. Untersuch. z. lat. Philol. des MA.s IV, 2 (München 1913), S. 12off. J. TARDIF, Un abrege juridique des etymologies d'Isidore de Seville in: Melanges Julien Havet (Paris 1895) p. 659-81, der das Exzerpt im Süden, den Dialog im Norden lokalisiert; vgl. auch M. CoNRAT, Gesch. der· Quellen u. Lit. des röm. Rechts im MA.I (Leipzig 1889), S. 15off., 314ff. BEESON a. a. 0., der auf S. 99 andere Auszüge aus dem IX. Buch zusammenstellt, kennt weder die Hs. noch einen ähnlichen Text. De Gradus Romanorum, in: Kritische Beiträge zur Gesch. des MA.s Festschrift für RoBERT HoLTZMANN (Berlin 1933) S. 1-8.
A 5· Der >Traktat über romanisch-fränkisches Ärnterwesen<
des g.-I I. Jahrhunderts überliefert ist und irrtümlicherweise unter dem Namen des hf. Hierof!Jmus weitergetragen wurde24 • Die Lesarten Iaufon so weit auseinander, daß die Stammtafel der bekannten Abschriften des Traktatsjetzt eine komplizierte Form angenommen hat; seine Struktur wird dadurch jedoch nicht berührt. F. BEYERLE, der in dem Traktat ein Schulheft sah, wollte I9 J 2 einen ostgotischen Kern aus der Zeit Athalarichs ( J26-;4) und etwas jüngere merowingische Zusätze trennen25 • K. A. EcKHARDT schied I9J9 zwei merowingische Textschichten: eine ältere (um !44/8) und eine jüngere ( 64;/ 6z ) 26 • Beide lassen also mein Argument, daß der Traktat in die Nachfolge lsidors (f 6;6) gehb'rt, unbeachtet! Maßgebend ist nunmehr der Paralleldruck der vorliegenden Fassungen, der G. BAESECKE verdankt wird. Den Stand unseres Wissens hat jetzt- ohne sich auf das Datum festzulegenH. SCHLOSSER übersichtlich zusammengefaßt'lfl. Hier kommt es nicht darauf an, die Einzelangaben des Traktats a~f ihre Richtigkeit zu überprüfen. Unser Anliegen soll nur sein, ihngeistesgeschichtlich einzuordnen. Dafür können wir auf die Erstfassung dieses Aufsatzes zurückgreifen. Form und Inhalt des Ämtertraktat s lassen klar erkennen, daß er in die angeführte, Isidor fortsetzende Literatur hineingehört , wenn auch- soviel ich sehe- kein Wortgut des Sevillaners übernommen ist28 • Damit ist zugleich über den geschichtlichen Wert des Traktats ein Urteil gefällt. Er ist nicht einfach eine Aufzeichnun g über heimische Rechts- und V erfassungszustände, sondern er stellt eine Gelehrtenarb eit dar; er steht seiner Umwelt nicht unbefangen gegenüber, sondern er gehört in eine bestimmte literarische Tradition hinein. Man darf in seinen Angaben deshalb nicht einfach das Bild einer bestimmten Zeit suchen, sondern muß sondern, was durch die 24 Ein Auszug aus dem >Traktat über rorn.fränk. Ärnterwesen<, in der Zeitschrift für Rechtsgesch. 55, Germ. Abt. 1935, S. 23o-2. 2 5 Das frührnittelalterl. Schulheft vorn Ämterwesen, in der Zeitschrift für Rechtsgesch. 69, Germ. Abt. 69 (1952) S. 1-23. 26 Gerrnanenrechte, N. F., Westgermanisches Recht: Lex Ribvaria, I. Austrasisches Recht im 7· Jahrh. (Göttingen 1959) S. 73-9 (kurz auch: Germanisches Recht, von K. v. AMIRA, 4· Aufl. bearbeitet von K. A. EcKHARDT I, Berlin r96o, S. 54). 27 Artikel: >Ämtertraktat< im Handwörterbu ch zur deutschen Rechtsgesch., hg. von A. ERLER u. C. KAUFMANN (Berlin-BielefeldMünchen 1964) S. 154f. (verwiesen ist im Text auf einen erst später zu erwartenden Artikel: >Traktatliteratur<).
Vgl. auch R. BucHNER, Die Rechtsquellen. Beiheft zu: Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquel!en im MA. Vorzeit u. Karolinger (Weimar 1953) S. 6o und H. CoNRAD, Deutsche Rechtsgesch. I, 2. Aufl. (Karlsruhe 1962) S. I 36 (beide nur referierend). Da im >Traktat< der merowingische, im 6. Jahrh. verschwindend e Thunginus nicht mehr erwähnt ist, hat ihn vermerkt R. WENSKUS, Bemerkungen zum Thunginus der Lex Salica, in: Festschrift P. E. ScHRAMM I (Wiesbaden 1964) S. 217ff. (sein Ergebnis bildet ein Argument gegen die Frühdatierung des Traktats). 28 Man lese neben dem Traktat vor allem Etym. IX 3-4, in dem die Ämter behandelt werden.
Wert und Alter des Traktats (S. 174-176)
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Tradition der >Etymologien< bestimmt ist und was über sie hinausführt. Es ist also z. B. nicht nötig, sich mit CoNRAT29 darüber Gedanken zu machen, ob mit dem Patricius ein fränkischer oder ein römisch-byzantinischer Beamter gemeint sei; denn bei den ihn betreffenden Angaben handelt es sich offensichtlich um die antiquarische Gelehrsamkeit eines Glossators. Dabei ist der konstruktive, in den neuen Untersuchungen nicht ausreichend gewürdigte Zug zu beachten, der durch den ganzen Traktat hindurchgeht. Er kann den Verfasser gleichfalls davon abgebracht haben, die Zustände, die er um sich sah, unbefangen wiederzugeben30• Demgegenüber stehen aber andere Angaben, die zweifellos unmittelbar aus dem Rechtsleben der Abfassungszeit geschöpft sind31• Es wäre eine Arbeit für sich, die einzelnen Angaben des Traktats mit Hilfe glossographischen und etymologischen Schrifttums einerseits, der geschichtlichen Zeugnisse andererseits in Gelehrtenwerk und Beschreibung tatsächlicher Zustände aufzuteilen. Auf diesem Wege wird sich vielleicht auch eine genauere Datierung und Lokalisierung finden lassen. Bis dahin wird der >Traktat< durch die Abfassungszeit der Etymologien Isidors (nach dessen Tod im Jahre 636 abgeschlossen) bzw. des Liber glossarum (die jedoch nicht weiterführt, da man zwischen dem 7· und 8. Jahrhundert schwankt) und durch das Alter des Fragments (Anfang des 9· Jahrhunderts) zeitlich eingegrenzt. Da nach dem Latein die Zeit der karolingischen >CoRRECTIO< wohl kaum mehr in Betracht kommt, wird wohl an das 8., eher wohl noch an das 7· Jahrhundert zu denken sein. Durch eine solche Sonderung des Traktats in zwei Elemente, deren Notwendigkeit der Entdecker des Traktats wohl erwogen, aber doch nicht genügend scharf ins Auge gefaßt hat, werden sich wohl eine ganze Anzahl erwünschter Zeugnisse zur frühmittelalterlichen Rechts- und Verfassungsgeschichte gewinnen lassen. Der eigentliche Wert des Traktats dürfte aber doch auf anderem Gebiete liegen. Er ist ein Versuch, mit alten literarischen Mitteln ein neues Thema, die eigenen Rechts- und V erfassungszustände, zu fixieren. So dokumentiert er, wie sich die Behandlung staatlicher Probleme aus den Fesseln der Glossen, Differentien und Etymologien befreit.
c) Verwandte Texte aus dem 8. und g.jahrhundert: Paulus Diaconus und Wa!ahfrid Strabo Damit entsteht eine neue Art schriftlicher Aufzeichnung, die hier zwar erst im Keim vorhanden, aber zur Entfaltung bestimmt ist. Zum Vergleich kann die Be29 A. a. 0. S. 25rf., 26o. 30 Das trifft z. B. auf die Art zu, wie Rex, Imperator, Caesar und Augustus in Relation gesetzt sind. 31 Z. B. die schon von CoNRAT a. a. 0., S. 251
hervorgehobene Angabe, daß ein Herzog über zwölf Civitates gesetzt sei, die durch die Ann. q. d. Einh. ad a. 748 (Mon. Germ. SS. I S. 137) gestützt wird: [Pippinus} Griphonem more ducum duodecim comitatibus donavit.
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A 5· Der >Traktat über romanisch-fränkisches Amterwesen<
arbeitung der lexikographischen Schrift des Festus durch P AULUS DrACONUS 32 aus den achtziger Jahren des 8. Jahrhunderts dienen; denn nach dem Widmungsbrief an Karl d. Gr. hat der gelehrte Italiener sein antiquarisches Opus als Nachschlagebuch für aktuelle Zwecke, insbesondere für die Kenntnis der Zustände in Rom gedacht, das ja gerade damals in den Gesichtskreis des Frankenkönigs getreten war. Hier handelt es sich weniger um eine selbständige Fortsetzung, als um ein Lebendigmachen der alten Tradition für die eigene Zeit, das gleichfalls in die Zukunft weist. Man darf diese Entstehung eigenen Schrifttums aus der etymologisch-glossatorischen Literatur der Antike, die hier auf einem Spezialgebiet beobachtet wurde, nicht isoliert sehen. Aus der philosophischen und philologischen Produktion dieser Zeit ließen sich ähnliche Beispiele anführen33• Als reifste und selbständigste Leistung, die die karolingische Zeit aus dem glossatorischen Erbe gestaltet hat, darf man wohl den >Libellus de exordiis et incrementis quarundam in observationibus ecclesiasticis rerum< bezeichnen34 , den WALAHFRID STRABO, der berühmte Abt der Reichenau, in den Jahren 84o--2 verfaßte. Diese Schrift gehört zu der großen Literatur über den Kultus, die gerade im 9· Jahrhundert bedeutende Werke aufzuweisen hat. Unter ihren Produkten zeichnet sich W ALAHFRIDS Buch durch das starke Interesse an der Wort- und Sachgeschichte aus. Wo kommen die mit dem Kult zusammenhängenden Dinge her und was sagt ihr Name aus? Diese Fragen beschäftigen ihn und führen ihn naturgemäß auf Isidor zurück, dessen Etymologien und Differentien auch in diesem Buch wieder die Hauptquelle der Erklärungen bilden. Was es im Kap. 6:
32 Sexti Pompei Festide verb. signif. cum Pauli Epitome ed. W. M. LINDSAY (Leipzig 1913) p. r: hoc . . . conpendium optuli. In cuius serie ... quaedam ... invenietis, et praecipue civitatis vestrae Romuleae portarum, viarum, montium, locorum tribuumque vocabula diserta repperietis, ritus praeterea gentilium et consuetudines varias ... ; vgl. dazu M. MANrTius, Gesch. der lat. Lit. des MA.s I (München 19rr, Neudruck 1959) S. 264ff. über den Umfang der eignen Zusätze des Paulus. 33 Ich erwähne hier einen von den Kunsthistorikern und Archäologen viel beachteten Text, der ursprünglich gleichfalls als historische Quelle angesprochen worden ist, sich dann aber als rein glossatorisches Machwerk erwies, zu dem später einzelne Zusätze aus eigenem Wissen bzw. Unwissender Abschreiber hinzugekommen sind; vgl. CH.
HüLSEN, Die angebliche mittelalterliche Beschreibung des Palatins, in: Mitt. des K. Deutschen Archäol. Inst., Röm. Abt. XVII (Rom 1902), S. 255-68. Zu der dort angeführten älteren Lit. ist der durch HüLSEN überholte Aufsatz von J. v. ScHLOSSER, Beiträge z. Kunstgesch. aus den Schriftquellen des frühen MA.s II in: Wiener Sitz.-Ber., Phil.-hist. Kl. CXXIII Nr z (r89o), S. 41-64 nachzutragen. P. LAUER, Le Palais de Latran (Paris r9rr) p. 122-4 hat den alten Irrtum weitergeschleppt. Danach hat FEDOR ScHNEIDER, Rom und Romgedanke im MA. (München 1926), S. qr den Text erwähnt, dazu S. 267 mit weiterer Lit. 34 Abgedruckt Mon. Germ. Capit. II S. 473ff.; vgl. dazu MANITIUS a. a. 0., S. 305 f., 3r2f. ;· K. KÜNSTLE, Die Theologie der Reicherrau in: Die Kultur der Abtei R. II (München 1925), s. 707ff.
Paulus Diaconus und Walahfrid Strabo (S. 176-179)
>Expositio nominum quorundam sacris rebus adiacentium<36 mitzuteilen hat, stammt von den Bezeichnungen für das Kirchengebäude (domus, templum, tabernaculum, aedes usw.) bis zu den Namen der einzelnen Gebäudeteile (ianua, camera, lacunaria usw.) . aus Isidor. Diese >Kirchenbeschreibung< ist nach ihrem inneren Wert ein rechtes Parallelstück zu der >Palastbeschreibung<, von der anmerkungsweise die Rede war. Zu dem >Traktat über das Ämterwesen< finden wir in WALAHFRIDS Libellus gleichfalls ein in manchem vergleichbares Kapitel. Nach Erschöpfung der rein kultischen Dinge leitet er dazu über, daß es zwar viele Unterschiede von Land, Leuten und Zeiten gebe, daß er aber doch einen V ergleich zwischen weltlichen und geistlichen Würden36 einfügen wolle37 : placet inserere quandam saecularium atque ecclesiasticarum comparationem dignitatum . . . Er bezeichnet genau die dabei verfolgte Absicht: ... comparemus, ut ostendamus ordinationes mundanae sapientiae in spiritalem ecclesiae universa/is rem pub/icam sacris distinctionibus commutatas. Wie die Juden die Schätze der Ägypter für die Stiftshütte benutzt hätten- das ist das seit den Kirchenvätern ständig benutzte Musterbeispiel-, so habe auch die geistliche Respublica den Aufbau der weltlichen nachgeahmt: eine Auffassung, in der ja ein sehr richtiger Kern steckt. Es kommt hier nicht darauf an, den Vergleich selbst, der für das Selbstbewußtsein der karolingischen Kirche ungemein bezeichnend ist, zu analysieren. An dieser Stelle brauchen wir allein die weltliche Amtsleiter zu beachten. In ihr finden wir fränkische und römische Ämter auf Grund einer Namensgleichheit nebeneinandergerückt wie . Decuriones und Decani, Centuriones und Centenarii. Ferner werden Ämter wie Praetores und Comites palatii miteinander verbunden sein, weil WALAHFRID ihre Aufgaben für verwandt hielt. Er hat also keine bestimmten historischen Zustände vor Augen, sondern er versucht - wie er ja selbst in seinen einleitenden Worten erkennen läßt -, die allgemeine Norm einer Ämterleiter zu konstruieren. Daß er dabei sein Wissen über die römischen Beamten gleichfalls Isidor entnommen hat, läßt sich mangels wörtlicher Übereinstimmungen nicht mit Bestimmtheit behaupten; 35 Ebd. S. 474, 479-81, wo die Entlehnungen kenntlich gemacht sind. 36 Die Reihenfolge der geistlichen Amterist in der Mitte des 9· Jahrhunderts bildlich dargestellt im Sakramentar von Autun, vgl. L. DELISLE, Le sacramentaire d' Autun (Paris 1884) PI. 20 u. p. 7, dazu H. V. SAUERLAND und A. HASELOFF, Der Psalter Egberts v. Trier (Trier 1901), S. 51; über ein späteres Beispiel von etwa 1ooo s. P. E. ScHRAMM, Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit, 751-1152 (Leipzig 1928, Das Bildnis l), S. 98,195; s. jetzt: Denkmale der deutschen Könige u. Kaiser, I, hrsg. von
9 Schramm, Aufsätze x
P. E. S. u. FL. MüTHERICH, München 1962 S. 105 mit Abb. 105: der Aachener Weihwasserkessel. Die Ansätze zu einer entsprechenden bildliehen Darstellung der weltlichen Stufenleiter sind in den Illustrationen der karolingischen Rechtshandschriften zu suchen, vgl. Ders., Die zeitgenöss. Bilder Karls d. Gr. (ebd. 1928), S. 53· 37 c. 32, a. a. 0., S. 514-6, für die Darstellung der >altkatholischen< Kirchenverfassung benutzt von R. SoHM, Das altkatholische Kirchenrecht und das Dekret Gradans (München und Leipzig 1918), S. 6pf.
A 5· Der >Traktat über romanisch-fränkisches Ämterwesen<
aber da der größte Teil der von ihm gebrachten lateinischen und griechischen Bezeichnungen bei Isidor in Buch IX Kap. 3 beisammensteht, ist diese Abhängigkeit doch sehr wahrscheinlich38 • Jedenfalls ist klar, daß WALAHFRID gleichfalls aus der etymologisch-glossatorischen Tradition entstammt, aber es ist bemerkenswert, wie selbständig er mit ihr schaltet. Das, was er bei Isidor gefunden oder auf irgendeine andere Weise in Erfahrung gebracht hat, ist bei ihm zu einer ganz eigenen Leistung vereinigt, die in ihrer konstruktiven Art, ihrer Verschmelzung von Vergangenern und Gegenwärtigem und vor allem in ihrer Gegenüberstellung von Weltlichem und Geistlichem echt mittelalterlich genannt werden darf. Was sie durch ihre Anlage und das Hineinziehen antiquarischen Wissens an historischem Quellenwert einbüßt, steigert ihre Bedeutung als ein Dokument für die Tatsache, daß man von neuem beginnt, das Problem des >Staates< und seines Aufbaus spekulativ und deskriptiv zu ergreifen. W ALAHFRID STRABO bringt zuletzt die alten, aber von ihm mit sicherer Hand zusammengefaßten und genau ausgeführten V ergleiehe des Staates sowie der christlichen Gemeinschaft mit dem Organismus des menschlichen Körpers. Er schließt mit den W orten39 : Ceterum ex utriusque ordinis confunctione et dilectione una domus Dei construitur, unum corpus Christi efjicitur membris cunctis officiorum suorum fructus mutuae utilitati conferentibus4o.
d) Die ältere undjüngere Liste der rijmischen Pfalzrichter (9. oder IO. Jahrhundert und I. Hälfte des II. Jahrhunderts)
Der zweite und dritte Text müssen zusammen behandelt werden, da sie ein gemeinsames Thema haben: sie behandeln die Namen und Kompetenzen der sieben römischen Pfalzrichter ( Iudices de clero, i. ordinarii, i. sacri palatii Lateranensis, i. palatini}, die im frühen Mittelalter als päpstliche Beamte die römische Verwaltung in Händen hatten41 • Durch den noch eine Erklärung fordernden Umstand, daß diese .Ämter zum 38 Ein Teil der Amter steht auch im Traktat, dessen Reihenfolge jedoch eine wesentlich andere ist. 39 A. a. 0., S. 516, S. r6 ff. 40 Die S. I So-98 meines Aufsatzes folgen in Bd. III s. I ff. 41 Vgl. über sie L. HALPHEN, Etudes sur l'administration de Rome au m. a. (Paris 1907, Bibi. de l'ecole des hautes etudes r66) p. nff., Sr ff.; H. BRESSLAU, Handb. d. Urkundenlehre I" (Leipzig 1912; Neudruck: Berlin 1958), S. zooff. Vergleiche ferner TH.
HIRSCHFELD, Über das Gerichtswesen der Stadt Rom vom 8.-12. Jahrhundert (Diss. Berlin 1912, auch: Arch. f. Urkundenforsch. IV); R. L. PooLE, Lectures on the history of the papal chancery (Cambridge 1915) p. r8oss.; dadurch ist überholt S. KELLER, Die sieben römischen Pfalzrichter im byz. Zeitalter (Stuttgart 1904, Kirchenrecht!. Abh. H. 12) und ders., in: Zeitschr. f. Kirchenrecht 3· Folge, IX-X, 19oo-r, vgl. dazu BRESSLAU a. a. 0., S. 200 Anm. 2.
Die beiden Listen der Pfalzrichter (S. 179-180, 198-199)
Kaiser in Beziehung gesetzt werden, kommt den Aufzeichnungen eine Bedeutung zu, die weit über die Stadt Rom hinausgreift. Beide Listen, die mehrfach gedruckt und oft für die stadtrömische und päpstliche Verwaltungsgeschichte herangezogen worden sind, hat man mangels fester Anhaltspunkte - dazu noch durch eine falsche V erknüpfung der Listen mit der Otto III. zugeschriebenen >Graphia aureae urbis Romae<42 irregeleitet- gleichfall5 in die Zeit dieses Kaisers gesetzt, da dessen Reformabsichten die mit der Wirklichkeit nicht vereinbaren Nachrichten der Listen noch am ehesten zu erklären schienen. Im folgenden wird sich zeigen, daß die eine Liste, die sog. >Notitia<, mit der Überschrift >Quot sunt genera iudicum< um etwa ro8 5 durch Zusätze entstellt wurde und daß ihr Kern wohl erst in nachottonischer Zeit verfaßt ist. Sie soll deshalb als >jüngere Richterliste< bezeichnet und an vorletzter Stelle behandelt werden. Aber auch die andere Liste ist falsch datiert. Daß diese, hier >ältere Richterliste<43 genannte Aufzeichnung zu spät angesetzt ist, ergibt sich einfach daraus, daß eine der schon für den Abdruck der Mon. Germ. Hist. benutzten Handschriften, ein Codex der Laurentiana (L), bereits aus den Jahren 962-67 stammt. In dieser Datierung stimmen die verschiedenen Forscher, die sich mit L befaßt haben, überein44 , so daß an ihr kaum mehr gerüttelt werden kann. Die Beurteilung der älteren Liste muß sich nun noch weiter dadurch verschieben, daß eine mit L ungefähr gleichzeitige Abschrift bisher übersehen worden ist. Sie findet sich in einer von Rechtshistorikern viel behandelten Institutionen-Handschrift der Bamberger Bibliothek (Bg), die allem Anschein nach von einem der Ottonen nach Deutschland gebracht wurde und dann durch Heinrich II. an die Bamberger Kirche gelangte. Das bedeutet für die Liste, daß man auch am kaiserlichen Hof von ihr Kenntnis gehabt haben mag. Hier ist Bg deshalb wichtig, weil die Liste an dieser Stelle in der ältesten Fassung bewahrt ist, die allein den Aufschluß über die bei der Aufzeichnung maßgebenden Absichten bietet. Außerdem ist die Liste noch in der >Graphia aureae urbis Romae< (um 1030) und im >Liber polypticus< des Benedikt (um n4o) erhalten, aus dem sie wieder die >Gesta pauperis scholaris< des Albinus (um n88) und der >Liber censuum< des Cencius (n92) übernommen haben. Bei Benedikt ist die Liste mit den vermutlich von ihm selbst auf Grund älterer Aufzeichnungen verfaßten >Mirabilia urbis Romae< kombiniert worden. Mit diesen wurde sie dann im 13. Jahrhundert in das Italienische übersetzt<•. 42 Über diese Schrift s. Bd. III. 43 Über sie SCHNEIDER, Romgedanke im MA. a. a. 0. S. 172 (die ältere Lit. S. 267), der die Liste für kaum älter als das 10. Jahrhundert hält und in der Fassung des Benedikt die bessere Überlieferung sehen will. Maßgeblich jetzt R. ELZE, Das >sacrum Palatium Lateranense<, in: S~di Gregoriani IV, Rom 1952 S. 29ff. (In einem Gebet der Florentiner Handschrift wird gebetet für Otto I. und seinen Sohn als rex; die Bamberger Handschrift setzt zwei imperatores
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voraus, also: Otto I. und Otto II., auf die allein dies zutrifft). R. ELZE erhebt gegen vier meiner Argumente für die Datierung Einwände, läßt aber ein fünftes gelten: »So muß dahingestellt bleiben, ob die Liste 867/ 77 oder um 962 verfaßt ist« (S. p). 44 Aufgezählt im Erstabdruck S. 200, Annr. 4· 45 Im folgenden ist der- die gesamte Überlieferung berücksichtigende - Abdruck der >Älteren Richterliste< (S. 199-204) weggelassen.
A 5· Der >Traktat über romanisch-fränkisches Amterwesen<
Auf die Datierung dieses merkwürdigen Textes, die im groben schon durch die erste urkundliche Erwähnung des Protoscriniars (861)46 und das Alter der Handschriften (zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts) gegeben ist, führt uns sein Schluß, der in der Überlieferung von Schicht zu Schicht umgestaltet und entstellt worden ist. In der ursprünglichen, allein sinnvollen Fassung steht der Protoscriniar als der zuletzt eingesetzte Beamte noch an letzter Stelle, also hinter dem Bibliothekar, der ihm im Laufe der Überlieferung seinen Platz hat einräumen müssen47 • Das spricht schon dafür, daß wir uns an die obere Grenze der eben festgelegten Zeitspanne zu halten haben; die Aufführung des Bibliothekars unter den sieben Iudices gibt die Gewißheit, denn tatsächlich hat dieser nie dem Kollegium der Richter angehört48 • Die Liste kann also nur einen ganz vorübergehenden, für uns nicht mehr feststellbaren Zustand im Auge haben, oder sie verttitt bloß eine Tendenz, den Bibliothekar unter die Iudices einzureihen. Wir können nun nicht nur wahrscheinlich machen, daß diese Tendenz wirklich einmal bestanden hat, sondern für die gleiche Zeit auch nachweisen, daß man in ihr den Bibliothekar tatsächlich mit einem byzantinischen Beamten vergleichen durfte, der debet renuntiare omnem scriptionem ad imperatorem. Das Bibliothekarsamt haben seit 829 nur Bischöfe innegehabt, während kaum einer der ludices, unter denen ein Laie noch im 10. Jahrhundert nachgewiesen werden kann 49, diese Würde erreichte. Eine Ausnahme unter den bischöflichen Bibliothekaren bildet der bekannte Anastasius Bibliothecarius (gest. nach Mai 877) 50 • Achten wir nun auf den Vergleich, wonach aller Schriftverkehr durch die Hände des Logotheten und des Referendarius, d. h. also des mit ihnen gleichgestellten Bibliothekars gehen soll. Die Entwicklung dieses Amtes zu einer so umfassenden Bedeutung trat erst nach der Mitte des 10. Jahrhunderts5' , also nach dem hier in Betracht kommenden Zeitraum ein. Vorher erscheinen die Bibliothekare wohl auch schon als Datare, aber doch nicht in der späteren, führenden Stellung. Hier bildet wiederum Anastasius die einzige Ausnahme, da er ja einen hervorragenden Anteil an dem Briefwechsel des Papstes Nikolaus I. und seines Nachfolgers gehabt hat52 • Besonders auffällig ist, daß Anastasius selbst sein Bibliothekaramt in einer Note zu seiner Übersetzung der Akten des VIII. Konzils53 in Parallele zu der byzantinischen Würde des Chartophylax, eines Beamten des Patriarchen in Konstantinopel54, gestellt hat, den er als chartarum custos interpretiert. Wie die Liste, die den Referendarius des Patriarchen neben dem kaiserlichen Logotheten als Vergleich zum Bibliothekar heranzieht, von jenem sagt: debet renuntiare omnem scriptionem ad imperalorem, so heißt es hier u. a. vom Chartophylax: nu!lius episto!a patriarchae 111issa recipitur .. . , nisi iste hunc 46 Vgl. BRESSLAU, Handbuch der Urkundenlehre a. a. 0. I", S. zo6, Anm. I. 4 7 In Y sind die beiden letzten Sätze weggefallen, außerdem ist in Z der Protoscriniar, dessen griechische Bezeichnung durch eine einfache Etymologie ersetzt ist, vor den Bibliothekar gerückt. Der mit ihm verglichene Referendar erscheint hier durch Mißverständnis als ein neunter Beamter. (Y und Z sind von mir erschlossene Zwischenglieder des Hss.-Stammes; s. den Erstabdruck S. 199f.). V gl. zum Folgenden die Einwände von R. ELZE. 48 Über ihn vgl. BRESSLAU a. a. 0., S. 2II ff.
49 Ebd. S. 206. 50 Über ihn s. E. PERELS, Papst Nikolaus I. und Anast. Bibi. (Berlin 1920). 5I BRESSLAU a, a. 0., S. 212, 52 V gl. den umfangreichen Nachweis bei PERELS a. a. 0. 53 Zu Actio II (Migne, Patrol. lat. 12.9 Sp. 47f. Anm. b); vgl. dazu G. LAEHR in: Neues Archiv 47 (192.8), S. 427. 54 ComNus Curop. : de officialibus pal. Cpol. ed. J. BEKKER (Bonn 1839) p. 12.6ff.; A. ScHRöDER, Entwickl. d. Archidiakonats bis zum 11. Jahrhundert (Diss. München 1890), S. noff.
Die >ältere Richterliste< (S. 205-207)
approbet . . . Dazu weiß Anastasius noch von weiteren Rechten seines byzantinischen Kollegen zu berichten, der neben geistlichen Befugnissen die Ankommenden beim Patriarchen einführt, sie den kirchlichen Versammlungen vorstellt und die kirchlichen Beförderungen überwacht. Da sein Kommentar zu den Akten des achten Konzils sonst nicht überreich ist, ersieht man daraus sein besonderes Interesse an den mancherlei Rechten des ihm entsprechenden byzantinischen Beamten und wohl auch den Wunsch, diese reichen Befugnisse für sich selbst zu erlangen. Hier wie in der Liste wird man demnach auf dieselbe Tendenz gestoßen: Nur in der Zeit des Anastasius kann ein Interesse bestanden haben, den Bibliothekar zu den sieben Richtern zu zählen und deshalb den jüngsten der Sieben an eine achte Stelle zu schieben.
Diese Argumente führen dazu, die Abfassung der Liste in die Zeit des Anastasius Bibliothecarius zu setzen, der wahrscheinlich zu Anfang des Jahres 86z nach bewegtem Vorleben und einer schnell gescheiterten Usurpation des päpstlichen Stuhles wieder in den Dienst der Kurie trat, von Hadrian II. 867 zum Bibliothekar erhoben wurde und im Mai 877 zuletzt genannt wird55 • Ob wir die Liste in eine persönliche Beziehung zu ihm rücken dürfen, muß natürlich dahingestellt bleiben. Bei seinem Ehrgeiz, den er bei seiner Papstkandidatur zeigte, ist es nicht unwahrscheinlich, daß er- da ihm der Kardinalstitel seiner Kirche Santa Maria in Trastevere vorenthalten blieb56 und er auch nicht den üblichen Bischofsrang der Bibliothekare besaß - sich durch die Einordnung in das Kollegium der sieben Iudices de clero zu entschädigen versucht hat. Außerdem setzt die Liste wegen ihrer mehr oder minder richtigen Kenntnis von byzantinischen Beamten einen Verfasser voraus, der in diesen Dingen . Bescheid wußte. Viele Männer dieser Art gab es damals kaum in Rom, wo ja die Kenntnis des Griechischen nur spärlich verbreitet war. Der beste Kenner des Griechischen und durch seine Gesandtschaften nach Konstantinopel auch der beste Kenner der byzantinischen Verhältnisse war aber wiederum Anastasius. Jedenfalls wird man das Recht haben, die Entstehung der >älteren Richterliste< in den Umkreis des Anastasius Bibliothecarius zurückzuverlegen (es besteht andererseits - wie R. ELZE dargelegt hat - die Möglichkeit, die Liste um 962 anzusetzen). Auf die weitere Frage, warum denn in der Liste trotz der acht Beamten an der Siebenzahl so streng festgehalten wurde, die ja in ihrer Überschrift ausdrücklich genannt wird, antworten wir mit der Begründung, die ein Römer- allerdings nicht Johannes Diaconus gen. Hymmonides, der Freund des Anastasius und Biograph Gregors des Großen, wie man früher meinte - für die sieben Osteraltäre in Rom gegeben hat67 : »Üb unsere Vorfahren es im Geiste der siebenförmigen Gnade zu tun bestimmten oder deswegen, weil bei uns die geistliche Mannschaft in sieben Regionen ... zusammengefaßt ist ... , oder weil die Sieben eine mystische und geheiligte Zahl ist - da ja der ganze Erdkreis, der in seinen vier Teilen von der Schrift oft beschrieben wird, seinen Glauben auf die Trinität baut und durch die Verbindung der Dreizahl mit der Vierzahl die Siebenzahl zum Ausdruck bringt, die gleich-
55 PERELS a. a. Ü., bes. S. 215, 231, 239· 56 Ebd. s. z1 3. 57 Epist. ad Senarium . . . de variis ritibus ad baptismum pertinentibus etc. cap. XI (].
MABILLON, Museum Italicum I 2, Paris 1687, p. 74); vgl. M. MANITIUS, Gesch. der lat. Lit. des MA.s I, (München I 9 II ; Neudruck: ebd. 1959) S. 694.
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A 5· Der >Traktat über romanisch-fränkisches Amterwesen<
samunter jenen geheiligten Geheimnissen das Bild der ganzen Welt darstellt-, oder aber ob irgendein anderer Grund bei der Einrichtung (dieser Altäre) maßgebend war, das ist mir wahrlich unbekannt.« Ebenso wird auch kein bestimmter Grund ausschlaggebend gewesen sein, daß man sich bei dem Richterkolleg an die Siebenzahl klammerte. Sie war eben eine heilige Zahl5 8 , auf die man in den geoffenbarten Texten, aber auch in der Struktur der Welt immer wieder stieß. Was Wunder, daß man dann auch die menschlichen Einrichtungen durch diese Zahl bestimmt sein ließ und dadurch die eigenen Schöpfungen in Proportion zu denen Gottes brachte. So hat man es in Rom während des 9· Jahrhunderts, aber auch noch viel später59 gehandhabt, so ist man auch außerhalb Roms vorgegangen. Man muß sich dabei vor Augen halten, daß für die mittelalterliche Philosophie die Zahl die größte Bedeutung hat, und daß - um mit Isidor zu reden - alles zugrunde geht, wenn man die Zahl aus den Dingen nimmt.
Um nun den Wert der Liste für die Römische Verwaltungsgeschichte und die bei ihrer Abfassung maßgebende Absicht feststellen zu können, ist eine Nachprüfung des Vergleichs der Iudices de clero mit byzantinischen Beamten, der in den jüngeren Handschriften schon ganz entstellt ist, auf die Richtigkeit und sachlichen Gehalt hin nötig. In den beiden Handschriften des ro. Jahrhunderts ist bei sechs Amtern der Vergleich mit den angeblich entsprechenden byzantinischen Würden durchgeführt. Der dem Primicerius60 gleichgestellte Papias (o nanlac; rov p,ey6).ov naÄarlov) und der dem Secundicerius gleichgestellte Deuteros (o ßevreeoc; rov p,ey6.Äov naÄarlov) standen sich in der byzantinischen Beamtenhierarchie ganz nahe, so daß der erste Vergleich den zweiten bedingte; sie gehörten zu den &d )..6yov ernannten, nicht mit einer Amtsinsignie, dem ßeaßeiov, beliehenen Eunuchen61 • In der Angabe, daß sie beim Kaiser >honorabiles< sein sollen, ist möglicherweise versucht, die Bezeichnung oluetau6c; wiederzugeben, womit gegenüber dem weiteren Begriff ßaatÄtu6c; der persönliche Dienst beim Kaiser ausgedrückt wird62 • Daß beide ständig im Palast quartiert gewesen sind, stimmt ebenfalls63 • Auch entspricht es den byzantinischen Verhältnissen, daß der Papias die Schlüssel des ganzen Palastes verwahrte, für dessen Ordnung und Sicherheit er zu sorgen hatte64 • Daß der Deuteros für die Krone und die kaiserliche Festgewandung verpflichtet war, ist gleichfalls richtig6 5 • Von dem mit dem Nomenculator verglichenen Quae-
58 Vgl. darüber 0. WEINREICH, Triskaidekadische Studien (Gießen 1916, Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten XVI, r), S. 95 f., weitere Lit. zur Siebenzahl S. 96,
Anm.3. 59 J. ScHNACK, Richard v. Cluny (Berlin 1921, Histor. Studien q6), S. ro2ff. 6o Iletp,tui}ewc; als byzant. Titels. J. B. BuRY, The imperial administrative system in the ninth century (The British Acad., Suppt. Papers I, London 19II, S. 122f.), dessen Feststellungen auf dem von ihm neu edierten Kletorologion des Philotheos, einer aus der zweiten Hälfte des 9· Jahrhunderts stammenden und demnach der Richterliste ungefähr gleichzeitigen Amterliste, beruhen. V gl. zum
6r 62 63
64 65
folgenden außerdem J. EBERSOLT, Melanges d'hist. et d' arch. byzantines (Paris r 9 I7, Extrait de la Revue de l'Hist. des Religions LXXVI). BuRY a. a. 0. p. r26s. Ebd. p. 12os. ]. J. RErsKE im Kommentar zu Const. Porphyr. Libri de cerimoniis aulae byzantinae (Bonn 1829f.) II p. 3rf.; vgl. auch Theoph. Cont. III c. 43 (Bonn 1838 p. 144). BuRY a. a. 0. p. 126. Ebd. p. 127.- Die Form depteros usw. der Hss. wird durch die byzant. Aussprache des >v< bedingt sein; vgl. auch die Formen logothetis und proto a sicritis (i statt rJ !).
Die angeführten Richter (S. 208-211)
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stor (6 -xvaün:we), der nach der Liste für Witwen, Waisen und Fremdenhäuser sorgen soll, wird, was in Konstantinopel tatsächlich seine Richtigkeit hatte66, ausgesagt, daß vor ihm über die Testamente verhandelt werden soll. Auch hatte der Quaester die Aufsicht über Hinterlassene und Minderjährige, für die er Vormünder bestellte und die Vermögensverwaltung beaufsichtigte67 • Ungenau ist dagegen die ihm zugeschriebene Kompetenz über die Fremdenhäuser, deren Aufsicht einem anderen Ressort unterstand68 • Anlaß zum Vergleich wird hier die Aufgabe des römischen Nomenculators, für Bittsteller und Hilfsbedürftige zu sorgen, geliefert haben69 • Der nun folgende Primus defensor wird was auf der Hand liegen mußte - neben den Protekdikos (Ilew-r:e-x&-xor;) gestellt, der angeblich mit seinen Untergebenen den Thron, sobald der Kaiser in der Kirche weilt, verteidigen soll. Darin steckt der richtige Kern, daß die byzantinischen Defensores nur noch kirchliche Beamte waren70 • Daß ihnen dann eine verteidigende Tätigkeit zugeschrieben wird, ist eine etymologische Konstruktion, welche den ursprünglich weltlichen und gar nicht auf den Kaiser zugeschnittenen Charakter des Amtes völlig verkannte. Für den Protoscriniar hat der Verfasser einen Vergleich in dem Proto a secretis (6 7l(!W7:oal1'Y)'X(!f}7:'Y)r;) gefunden, der für die den kaiserlieben Schreiben beigesetzten Siegel sorgen soll. Dieser Beamte war der Chef der >a secretis<, welche seit der Mitte des 6. Jahrhunderts als kaiserliche Sekretäre die Referendarü ersetzten71 • Die Funktionen des Proto a secretis sind im einzelnen nicht ganz klar, doch scheint er mit dem Aufsetzen der kaiserlichen Urkunden, der xevaoßovÄÄa, beschäftigt gewesen zu sein, so daß er auch die Bullierung gehabt haben kann. Komplizierter hat sich der Verfasser den Vergleich beim Bibliotlrekar gemacht, den er gleich mit zwei byzantinischen Beamten in eine Reihe stellt, nämlich mit dem Logotlreten (6 ÄoyofJh'Y)!,; -r:ov fle6pov) 72 und dem Referendar (6 (!BqJB(!8'1Jflaew~,;) 78 , von denen der erste kaiserliche, der zweite seit 66 Ebd. p. 73SS. 67 Ebd. p. 73 ss. 68 Ebd. p. 94, ror, 104 betr. xaeTOvÄaewr; -r:ov aa-xeÄÄ{ov und peya~,; -xovea-r:we. 69 BRESSLAU a. a. 0., S. 205. Aus W. ScHÖNFELD, Die Xenodochien in Italien und Frankreich im frühen Mittelalter in: Zeitschr. f. Rechtsgesch., Kan. Abt. XII, 1922, S. IIff. geht nicht viel über die Beamten hervor, die in Rom für die Fremdenhäuser zuständig waren (vgl. S. r3f., 21, 50). An der letzten Stelle ist aus dem J. 598 für sie der Titel amministrator nachgewiesen, der später mit dem des Nomenculators zu den bei BRESSLAU a.a. 0., S. 204,Anm. 4aufgezählten,durchdie Lesarten der älteren Richterliste noch zu erweiternden Formen wie amminiculator u. ä. verschmolzen wird. Über die Annahme der Bittschriften durch den Nomenculator s. den Römischen Ordo bei MAB1LLON und bei H. GRISAR, Analeeta Romana I (Rom 1899), S. 2 I 8; über die gleiche, aber spätere Einrichtung in Byzanz s. A. HErSENBERG in: Münchener Sitz.-Ber. Phil.-Hist. Kl. 1920 Nr. ro, S. 6of. 70 REISKE a. a. 0. p. 133f.; Codinus a. a. 0. p.
13of.; HErsENBERG a. a. 0. S. 52; DucANGE, Gloss. Graec. I (Lugd. r688) p. 300-2; G. SCHLUMBERGER, Sigillographie de J'empire Byz. (Paris I 884) p. 392 s., 492 s. 71 BuRY a. a. 0. p. 97ss.; E. STEIN, Untersuch. über das Officium der Prätorianerpräfektur (Wien 1922), S. 48ff. 72 BuRY a. a. 0. p. 91 ss.; E. STEIN, Studien zur Gesch. des byz. Reiches (Stuttgart 1919), S. 144ff.; DERS., Untersuch. zur spätbyzant.Verfass. u. Verwaltungsgesch. in: Mitt. zur osman. Gesch. II (1923-5), S. 34ff. Der Aufsatz von A. SEMENOV, Über Ursprung und Amt des Logotlreten in Byzanz in: Byzant. Zeitschr. XIX, 1910, S. 44o-9 ist unbefriedigend; G. MrLLET, L'origine du logothete general in: Melanges d'hist. du m. a. offerts a M. Ferd. Lot (Paris 1925) p. 5ooss. behandelt einen andern Logotheten. Die ungedruckte Münchener Diss. von A. MüLLER über das Amt des L. ist mir nur durch das Urteil von F. DÖLGER, Beitr. z. Gesch. der byzant. Finanzverwaltung (Leipzig 1927; Byzant. Archiv IX), S. 10 Anm. 2 bekannt. 73 STEIN a. a. 0. S. 51, wonach die kais. R. zwischen 552-5 beseitigt wurden; auch J. B.
A 5· Der >Traktat über romanisch-fränkisches Ämterwesen< dem 6. Jahrhundert nur noch patriarchaler Beamter war. Der Logothet war einer der wichtigsten Würdenträger, der die Korrespondenz mit fremden Mächten und den Empfang ihrer Gesandten zu leiten hatte. Die Angabe der Liste, wonach er dem Kaiser den ganzen Schriftverkehr vorlegt, enthält also einen richtigen Kern. Die Anziehung eines patriarchalen Beamten dagegen, die bei einem Vergleich von päpstlichen Würdenträgem natürlich am nächsten lag und hier wohl auch sachlich berechtigt war, ist uns schon beim Primus defensor begegnet. Die jüngeren Handschriften bringen auch für den Arcarius, bei dem in den beiden alten Codices trotzdes auehirnByzantinischen Reich vorkommendenArcarius ( dexaewc;) 74 kein Vergleich gezogen, sondern nur die von ihm in Rom tatsächlich geleitete Finanzverw:altung angeführt wird75, durch eine schiefe etymologische Deutung eine Ausfüllung dieser Lücke und dann noch durch den Zusatz >de provinciis< eine antikisierende Erklärung, die nicht zu den historischen Rechtsverhältnissen paßt. Auch für den Saccellarius ist kein entsprechender byzantinischer Beamter angeführt, obwohl die Nennung des byzantinischen Saccellarius (o aaxeÄÄd(!toc;)76 sehr nahe hätte liegen müssen. Vielleicht hielt der Autor die Gleichstellung für so selbstverständlich, daß er sie nicht besonders erwähnte. Dem Saccellar wird die Fürsorge für die Nonnenklöster sowie die Einführung der Würdenträger vor dem Herrscher an Festtagen zugeschrieben. Bei der ersten Pflicht könnte an den gleichfalls nach dem Sakellion, dem kaiserlichen Schatz, genannten byzantinischen Beamten für die staatlich unterstützten Wohltätigkeitsanstalten, den Toii aaxeÄÄlov (sc. 1:. a. XaeTovÄd(!tac;) gedacht sein77 • Aber weder ihm noch dem byzantinischen Saccellarius stand die Einführung bei Hofe zu78 • Da ja kein Vergleich gezogen wird, ist an dieser Stelle vermutlich an die für uns nicht ganz klaren römischen Verhältnisse gedacht; denn dort hatte ja der Saccellarius zusammen mit dem Nomenculator die Aufgabe, bei den Prozessionen des Papstes auf die Bittsteller einzugehen79 •
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Wenn man berücksichtigt, daß durch die Titelgleichheit bei Saccellar und Arcarius besondere Verhältnisse vorliegen, so zeigt sich in der ursprünglichen Fassung der Liste ein klar durchgeführtes Prinzip: so wie der Titel: de nominibus septem graduum, quomodo aput Grecos et Latinos nominantur es in Aussicht stellt, sind für die römischen Pfalzrichter aus der gleichzeitigen byzantinischen Ämterhierarchie die durch Namen, Kompetenzen usw. anscheinend entsprechenden Beamten herausgesucht, bei denen dann - mehr oder minder richtig - ihre Obliegenheiten angegeben sind. In dieser Aufstellung verrät der Verfasser eine bei einem Römer immerhin überraschende Kenntnis byzantinischer Institutionen. Wenn man sich über deren Umfang klar ist und auch die durch falsche Etymologien und V ergleiehe gegebenen Gefahren berücksichtigt, dann findet man in der Liste doch noch Angab~n, die über die Römische Verwaltungsgeschichte des 9·/ro. Jahrhunderts Aufschluß geben können.
BuRY in: Harvard Studies in Classical Philology XXI, 1910, p. 23~; BRESSLAU a. a. 0. S. 189f., 742 (R. als kais. Beamte); R.ErsKE a. a. 0. p. Gof., II5 (R. als Beamte des Patriarchen). 74 BuRY, System a. a. 0. p. 105. 75 BRESSLAU a. a. 0. S. 202. 76 E. STEIN, Untersuch. zum Staatsrecht des Bas-Empire II: Sacellarius in: Zeitschr. f.
Rechtsgesch. LIV (XLI Rom. Abt.), 1920, S. 239ff.; ders., Studien z. Gesch. des byzant. Reiches (Stuttgart 1919), S. 146f., 184f.; BuRY a. a. 0. p. 8os., 84s. 77 BuRY a. a. 0. p. 94, 104; R.ErsKE a. a. 0. p. 156,498. 78 Über die hierfür zuständigen Beamten BuRY a. a. 0. p. n8. 79 Vgl. oben Anm. 69.
Deutung der älteren Richterliste (S. 2I I-2 I4)
Solche Vergleiche anzustellen war schon damals beliebt, wie die oben genannte secularium atque ecclesiasticarum comparatio dignitatum des im Jahre 849 gestorbenen W ALAHFRID STRAB080 zeigt, aber die viel engere Auswahl der Beamten in der Liste, das Gezwungene des Vergleiches und der Umstand, daß der römische, eines Vergleichsmannes entbehrende Saccellar auf die Stufe eines kaiserlichen Beamten gehoben scheint, gibt den Hinweis, daß es sich bei der Liste nicht nur um eine beliebige Spielerei handelt, sondern daß der Liste eine ganz bestimmte Tendenz zugrunde ·liegt. Wir haben die Erklärung in der Konstantinischen Schenkung, in der der Kaiser Konstantin dem Papste unter vielem anderen folgendes verleiht: ... clericis diversis ordinibus eidem sacrosanctae Romanae ecclesiae servientibus illud culmen, singularitatem, potentiam et praecellentiam habere sancimus, cuius amplissimus noster senatus videtur gloria adornari, id est patricios atque consules ef!ici, nec non et ceteris dignitatibus imperialibus eos promulgantes decorari ... s1• Im 8. Jahrhundert, als die Fälschung hergestellt wurde, herrschte also an der römischen Kirche der Ehrgeiz, ihre Beamten als denen des Kaisers an Ehren nicht nachstehend und die Kurie selbst als mit dem Glanze eines Kaiserhofes geschmückt erscheinen zu lassen. Einem solchen Streben nach Rang und Ansehen mußte das Andenken des großen Konstantin Vorschub leisten. Dieser Ehrgeiz ist nun, wie die Liste zeigt, auch im folgenden Jahrhundert lebendig geblieben; denn diese ist einfach eine Ausführung zu dem kühnen Anspruch der Fälschung, indem sie die · Hauptstützen des Papstes mit hervortretenden Beamten am Hofe der Nachfolger Konstantins auf eine Stufe stellt. Manche haben die Aufzählung der verschiedenen höfischen Rechte in der Kaustantinischen Schenkung als seltsam empfunden. Schon deren Anordnung in der Urkunde vor den Festlegungen der territorialen Rechte des Papstes sowie ihre bis ins einzelne gehende Behandlung zeigt jedoch, welchen Wert man ihnen beigemessen hat. Die Liste ist ein Beweis dafür, daß die römische Kirche auch in der Folgezeit sehr wohl etwas mit dieser Klasse von Konstantins Verleihungen anzufangen wußte, und daß nicht erst die >Graphia aureae urbis Romae< (um 1030) und Gregor VII. in seinem >Dictatus papae< (1075) ihren Wert erkannt haben. 82 Der Zusammenhang der >älteren Richterliste< mit der Konstantinischen Schenkung wird noch durch den nur in der Handschrift Bg erhaltenen, allerdings beschädigten, aber in seinem Sinne klaren Schlußsatz deutlich. Nach der Aufzählung heißt es: Quia
So S. oben Anm. 34· SI § IJ, vgl. C. MIRBT, Quellen z. Gesch. des Papsttums (4. Aufl., Tübingen I924), S. III und E. EICHMANN, Quellensammlung zur kirchlichen Rechtsgeschichte I (Paderborn 1912) S. II5. H. FuHRMANN hat eine kritische Ausgabe für die Mon. Germ. Rist. vor-
bereitet. 8z Vgl. zur Graphia Bd. III sowie: Kaiser, Rom u. Renovario (Lpz. 1929; Neudruck: Darmstadt 1957) S. 193ff.; zu Gregor VII. Bd. IV: Sacerdotium u. Regnum im Austausch ihrer Vorrechte.
A 5. Der >Traktat über romanisch-fränkisches Ämterwesen<
ab imperatore processerint, esse autem hon(ora)bi(les debent)83• Nur die Fälschung läßt die Würden der römischen Kleriker aus kaiserlicher Verleihung hervorgehen I Diese Feststellung ist deshalb wichtig, weil es bisher an einem sicheren Nachweis84 aus dem 9· Jahrhundert für die Verwendung der Kaustantinischen Schenkung in Rom selbst fehlt"•. Wohl war anzunehmen, daß man sie dort kannte, seitdem man die Pseudoisidorische Dekretalensammlu ng in Händen hielt. Aber Nikolaus I., der sich zuerst dies Werk zunutze machte, hat sich nie auf die Schenkung berufen, so nahe seine Forderungen auch ihrem Geist gekommen sind. Nachdem nun die Benutzung im Umkreis seines einflußreichen Bibliothekars nachgewiesen ist, verstärkt sich die von G. LAEHR näher ausgeführte Vermutung, daß auch Nikolaus I. das Constitutum Constantini zwar gekannt, aber sich gehütet habe, von ihm Gebrauch zu machen, weil dadurch die von ihm verteidigte Ableitung der geistlichen Gewalt unmittelbar aus Gott in Gefahr hätte kommen können. (Für R. ELZE ist das ein Argument für die Datierung der Liste um 962).
Dem Papste Nikolaus ist schon von seinen Zeitgenossen nachgesagt worden, daß er sich wie ein Kaiser aufgeführt habe. Die Liste läßt erkennen, daß in seiner Beamtenschaft ähnliche Tendenzen lebendig waren. Nach ihr beruhen die Ämter der römischen Richter auf kaiserlicher Verleihung an den Papst und stehen an Ehre und Rang nicht hinter den Beamten zurück, die in Konstantinopel die Geschäfte des byzantinischen Kaisers besorgten. Es verdient unterstrichen zu werden, daß es Byzanz ist, das zum Vergleich herangezogen wird. Es zeigt sich darin, daß der Kaiserhof am Bosporus als Bewahrer der altrömischen Tradition noch immer die Maßstäbe liefert, wenn es sich darum handelt, das wahrhaft Kaiserliche zu bestimmen. So war es ja auch bei der Konstantirrischen Fälschung gewesen, so ist es auch noch bei der >älteren Richterliste<, die nicht auf den fränkischen, sondern auf den byzantinischen Hof blickt. Diese Orientierung nach Osten fällt um so mehr auf, als sich unter den Nachfolgern des Papstes Nikolaus I. die ersten Anzeichen einer Rückwendung zur römischen V ergangenheit bemerkbar machen. In den folgenden Generationen ist die Stadt Rom immer mehr auf sich selbst gestellt worden. Als einer der italienischen Kleinstaaten hatte sie sich unter vielen anderen zu behaupten. An der Erinnerung an die große Vergangenheit hat man sich damals aufgerichtet, ja wohl auch berauscht. Diese Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit zeigt sich nun nicht nur in der Be83 Ähnlich wird vom Papias gesagt: lpse debet ... esse ibi honorabilis aput imperatorem und vom Deuteros: In palatio honorabilis est. 84 Die Vermutung eines noch früheren Nachweises bei P. E. ScHRAMM in: Histor. Zeitsehr. CXXXV, 1927, S. 46zf. (Besprechung von G. LAEHR, s. Anm. 85). 85 Zum folgenden vgl. G. LAEHR, Die Konstantinische Schenkung (Berlin 1926, Histor. Studien 166), S. 14ff., 181ff.; jetzt maßge-
bend H. FuHRMANN, Konst. Schenkung u. abendländisches Kaisertum, im Deutschen Archiv 22, 1966 S. 63-178 (der S. 66ff. über den Stand der Forschung berichtet und S. 103ff. die Grundlage der Thesen von W. ÜHNSORGE erschüttert: Das Constitutum Constantini und s. Entstehung, in seinem neuen Sammelband: Konstantinopel u. der Okzident, Darmstadt 1966 S. 92-162.
Die Liste als Dokument ihrer Zeit (S. 2I4-217)
nutzung alter Floskeln und Titel, im Nacherzählen sagenhaft ausgestalteter Vorgeschichte, sondern auch in einer Umwandlung der städtischen Amter, ja zum Teil sogar in ihrer Neuschaffung nach antikem Muster, von dem man natürlich nur noch die dürftigste Kunde hatte86 • In diese Entwicklung ist auch das Kolleg der sieben Pfalzrichter mit hineingezogen worden. Wenn für sie seit dem 10. Jahrhundert die Bezeichnung Iudices ordinarii auftaucht87 , so wird diese Wandlung dadurch zu erklären sein, daß dieser Titel sich im Corpus iuris findet und man es nun für notwendig hält, die Pfalzrichter mit ihrem für alt und >korrekt< gehaltenen Titel zu belegen88 • Diese neue Auffassung ist bis in die Überlieferung der >älteren Richterliste< hinein zu verfolgen. Es ist schon erwähnt worden, daß eine Abschrift sogar in den Besitz des kaiserlichen Hofes gelangt ist. Ihre Abweichungen vom Urtext berühren den Inhalt noch nicht wesentlich, anders aber liegen die Verhältnisse schon bei der Fassung, die bereits in der >Graphia<, also um I03o, benutzt ist. Vielleicht darf man als ihre obere Zeitgtenze die Zeit Ottos III. annehmen, da diese den römischen Erinnerungen einen neuen und starken Auftrieb gegeben hatte. Denn diese sind es, die - außer einfachen Fehlern aus Unverständnis und mangelnder Sorgfalt- den Urtext in eine neue Form gebracht haben. Hier ist folgendes zu vermerken: Hinter dem den Zensus einsammelnden Arcarius ist de provinciis eingeschoben, was für sich allein zeigt, wie der Text nun unter dem Eindruck antiker Erinnerungen interpretiert wird. Außerdem heißt es jetzt vom Arcarius auf Grund einer solchen Etymologie, daß er die geheimen Pläne des Kaisers wissen müsse. Durchgehend ist auch der V ergleich zwischen römisch-päpstlichen und byzantinisch-kaiserlichen .Beamten, dessen Kenntlichmachung in der Überschrift nunmehr wegfällt, ins Wanken geraten. Die ursprünglich durchgefühtte · Scheidung dieser beiden Beamtenkörper ist verwischt, und die päpstlichen Beamten stehen jetzt wie kaiserliche da- d. h. als ehemalig kaiserliche und nun im Laufe der Jahrhunderte in den Dienst des Papstes übergegangene Beamte. Der Hinweis auf die Konstantirrische Schenkung ist weggefallen, aber die Erklärung durch eine besondere Verleihung war ja auch nicht mehr nötig, da die Römer des I o. und I I. Jahrhunderts nunmehr von der Kontinuität ihrer Verfassungszustände überzeugt waren.
Diese Vorstellungen der Römer über die Herkunft des Richterkollegiums sind bisher nur aus Textvarianten erschlossen; daß tatsächlich nicht zu viel in sie hineininterpretiert worden ist, zeigt eine stadtrömische Urkunde, der dieselbe Auffassung zugrunde liegt, und die uns außerdem den V orteil eines festen chronologischen Anhalts bietet, da sie vom 22. November 1034 datiertistB 9 • Hierwird ein Curator genannt: 86 Diese Entwicklung habe ich in meinem in Anm. 82 zitierten Buch näher ausgeführt. 87 Nachweise bei L. HALPHEN, Etudes sur l'administration de Rome au m. a. (Paris I907, Bibi. de l'ecole des hautes etudes I66) p. 36 n. 2; damit wird auch zusammenhängen, daß Benedikt von S. Andrea von iudices preordinati im Lateranpalast spricht (Mon. Germ. SS. III p. 7I2). 88 Dieser Anschluß an die Antike ist bei dem ja
nicht in Italien entstandenen Brachylogus ganz deutlich, der definiert: Qui propriam iurisdictionem habent, iudices ordinarii dicuntur; vgl. J. FICKER, Über die Zeit und den Ort des B. in: Wiener Sitz.-Ber. Phil.hist. Kl. LXXIII, I87I, S. 6o3. 89 L. M. HARTMANN, Eccl. s. Mariae in Via Lata Tabulatium I (I895) Nr. 63 p. SI, auch zitiert bei BRESSLAU a. a. 0. I, S. 205, Anm. 8.
A 5· Der >Traktat über romanisch-fränkisches Amterwesen<
auctoritate domni Crescentii d. m. c. nomenclatoris s. apostolicae sedis, qui curam et diligentiam pupillorum et orfanorum sibi traditam ab imperatoribus legumque datoribus habere dinoscitur. Man müßte dem Schreiber der Urkunde, einem noch mehrfach nachweisbaren lohannes scriniarius s. Romanae ecclesiae90 , vorwerfen, daß er sich selbst widersprochen habe, als er den Nomenkolator in einem Atem als Beamten des apostolischen Stuhls und als vom Kaiser eingesetzt bezeichnete. Aber die geistige Verwandtschaft mit der >älteren Richterliste< geht ja bis zu wörtlichen Anklängen; denn in ihr heißt es vom Nomenkolator: debet habere curam de viduis et orfanis et omnibus xenodochiis. Sowie man nun erkannt hat, daß die Liste zu einer vermeintlichen Aufzeichnung über die altrömischen Vorgänger der sieben Pfalzrichter geworden ist, dann versteht man auch, daß man an dem durch Mißverständnis zu einem Richter gewordenen Referendar keinen Anstoß nahm, sondern ihn als angeblichen altrömischen Beamten weiter mitschleppte - dann versteht man aber auch, warum die Liste im I I. Jahrhundert mit der >Graphia<, im I2. Jahrhundert mit den >Mirabilia< verschmolzen worden ist. DerenVerfasser gingen ja darauf aus, die erreichbaren Tatsachen über dieVergangenheit zusammenzustellen, der eine über den römischen Kaiser und seinen Hof, der andere über die Bauten der Stadt Rom. Was konnte es da für sie geeigneteres geben als jene Liste, die man nun als ein antiquarisches Dokument wertete und mit besonderem Interesse las, weil man in ihr einen besonderen Beleg für die immer nachdrücklicher behauptete Kontinuität vom antiken zum mittelalterlichen Rom zu finden glauben durfte. Man muß sich vor Augen halten, daß sich in der >Graphia< das Bündnis des Römerturns mit dem Kaisertum in der Zeit Ottos III. spiegelt, und daß die >Mirabilia< die literarische Begleiterscheinung der >Wiedereinsetzung< des römischen Senats vom Jahre I I44 sind. In diesem Zusammenhang gehört nun auch die >;ungere Richterliste<, die in der Literatur auch kurz als >Notitia< zitiert wird 91 • Sie ist mehrfach überliefert: Bonizo von Sutri (c. 1045-I09o) bringt sie in seinem während der achtziger Jahre des I I. Jahrh.s zusammengestellten >Liber de vita Christiana<; dann findet sie sich in der >Descriptio Sanctuarü Lateranensis Ecclesiae<, die vermutlich um II23 abgefaßt und gegen II6o von Johannes Diaconus unter dem Titel >Liber de ecclesia Lateranensi< überarbeitet worden ist; als dritter benutzt den Text dann Gottfried von Viterbo in seinem um I I 90 geschriebenen >Pantheon<. Durch Bonizo ergibt sich die Zeit vor rund Io8 5 als Datum der Liste in der vorliegenden Form. Sachlich gliedert sie sich in drei Teile: Anfang und Schluß ordnen dieArten der Richterklassen. Diese beidenAbschnitte sind als Zusätze Bonizos auszuscheiden; denn in ihnen haben Anschauungen ihren Niederschlag gefunden, die uns aus seinen Schriften bekannt sind. 90 91
Vgl. das Register bei HARTMANN a. a. 0. Über sie ScHNEIDER, Romgedanke, a. a. 0. S. 172. (die ältere Lit. S. 2.67), der sie als
Werk der römischen Rechtsschule von Ravenna auffassen will.
Die >jüngere Richterliste< (S. ZI7-21.7)
Das Mittelstück bildet die >jüngere Richterliste<, die Bonizo fertig vorfand und nur noch durch einige - sich deutlich abhebende -Zusätze für seine Zwecke zurechtstutzte92. Die erste Frage ist naturgemäß: Stehen ältere und jüngere Richterliste in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander? Wörtliche Endehnungen fehlen, aber in der äußerlichen Nachahmung geht die jüngere Aufzeichnung so weit, daß über Primicerius und Secundicerius am ausführlichsten gehandelt wird. Beachten wir dann die Verschiedenheit der einzelnen Angaben, so können wir den Grund mutmaßen, der zur Abfassung eines nach Thema und Form gleichen, nach dem Inhalt aber selbständigen Textes führte. Die ältere Liste war zu einem historischen Dokument geworden. Dieses durch einen neuen, der Wirklichkeit Rechnung tragenden Text zu ersetzen, mußte eine dankbare Aufgabe sein. Als einen solchen werden wir die >jüngere Richterliste< ansehen dürfen. Ihre inhaltliche Verschiedenheit rührt eben daher, daß sie sich unausgesprochenermaßen gegen ihre Vorlage wendet. Daß dabei ein paarmal verwandte Angaben gemacht werden, ist darin begründet, daß beide Listen dieselbe Institution behandelten. Die Reihenfolge der fünf letzten Richter ist gegenüber der ersten Liste geändert. Zusa=engehalten mit den übrigen Quellenstellen, in denen mehrere Iudice.r de dero aufgezählt werden, spricht alles für die Richtigkeit von H. BRESSLAUS Annahme98, daß sie unter sich gleichgestellt waren und daß im einzelnen Lebens- oder Dienstalter die Reihenfolge bestimmt haben wird. Das meiste hat die Liste über die beiden Hauptrichter, Primicerius und Secundicerius zu sagen, die historisch richtig in ihrer Bedeutung für das römische Prozessionswesen und - zusa=en mit ihren Kollegen - als Mitwähler des Papstes gekennzeichnet werden. Der Angabe, daß sie rechts und links den Kaiser umgeben, mag der Umstand zugrunde liegen, daß sie bei der Krönung dem Kaiser und der Kaiserin zur Seite gingen"'· Die weitere, an sich mögliche Bemerkung, daß sie vor allen Bischöfen bei größeren 95 Feierlichkeiten die Oktavlektion lesen, kann durch Belege anscheinend nicht gestützt werden • Die Wichtinichts sie ohne der regieren, Kaiser dem mit gewissermaßen sie daß Behauptungen dagegen, ges beschließen könne, daß alle sieben Richter den Kaiser ordinieren, und daß sie nicht nur für die römische Kirche, sondern auch für das Römische Reich beansprucht werden, sind historisch falsch, aber uns jetzt wohlverständlich, da wir die Auffassung schon kennen, wonach die Iudices sich als Nachfolger altrömisch-kaiserlicher Beamten fühlten, die Kompetenzen im Dienste des Kaisers ausgeübt hatten.
Die in der Liste vertretene Ansicht, daß die Iudices den Kaiser einsetzen, findet 92. Weggelassen sind hier die S. zi8-zz5 mit einem kritischen Abdruck der Liste und der Analyse der Zusätze Bonizos, dessen »Liber« I930 herausgegeben wurde von E. PERELS. R. ELZE weist mir außerdem noch ein Pontifikale des I z. J ahrh.s mit einer Abschrift der Liste nach: Cod. Troyes (Tresor de la Cathedrale) I f. I 2.7 f. 93 A. a. 0. I S. zoo, Anm. I.
94 V gl. den Ordo Cencius II in: Le Liber censuum ed. Fahre et Duchesne p. I*. Der Ordo sta=t zwar erst aus dem Iz. Jahrhundert, aber wie manches andere wird auch diese Angabe auf altem Brauch beruhen; vgl. jetzt Ordines coronationis imperalis, ed. R. ELZE (Mon. Germ., Fontes iuris germ. antiqui IX, I96o) S. 3 5ff. 95 KELLER a. a. 0.
A 5· Der >Traktat über romanisch-fränkisches Amterwesen<
ihren historischen Rückhalt in dem Anspruch der mittelalterlichen Römer, daß sie auch jetzt noch zur Wahl des Kaisers berechtigt seien. Sie findet sich im I I. Jahrhundert gerade bei römischen und römisch denkenden Autoren und steht in deutlichem Zusammenhang mit klassischen Erinnerungen. Ihr haben auch die Kaiser und unter ihnen besonders Heinrich IV. dadurch Rechnung getragen, daß sie der Mitwirkung der Römer bei ihrer Krönung gedachten96 • Nach der römischen Auffassung ist der Kaiser der von römischen Würdenträgern oder vom Senat Erwählte. In dem Krönungsbericht beim Josippon, einem der Liste ungefähr gleichzeitigen, in hebräischer Sprache vorliegenden Text, heißt es von den >Königen und Räten in Rom<, daß sie den Kaiser >hier auf Erden krönen< 97 • Im 12. Jahrhundert läßt Petrus Diaconus von Monte Cassino den Kaiser Lotbar von >consules, praefecti, dictatores, duces et principes < wählen98 • Daß der Wahlmodus der alten römischen Kaiser, wie ihn sich Petrus dachte, seine Phantasie bestimmte, erkennt man an anderer Stelle, wo er von Justinian berichtet, daß er in Rom von Senat und Volk empfangen, auf den kaiserlichen Thron gesetzt, vom römischen Senat gekrönt und zum Monoetator eingesetzt worden sei 99 • Diese Auffassung der Kaiserwürde sprachen im Jahre I I49 die Römer selbst in ihrem Schreiben an König Konrad III. aus. Sie stellten ihm Konstantin und J ustinian als Vorbild hin, die >kraft des römischen Senats und Volks< geherrscht hätten100 • Noch schärfer kommt das in dem Briefe Wezels an Friedrich I. zum Ausdruck, der fragend ausruft: >Welches Gesetz, welcher Vernunftsgrund hindert Senat und Volk, einen Kaiser zu wählen?<101• Deshalb konnte Helmold den Römern auch eine Rede an Friedrich I. in den Mund legen, in der sie hohe Forderungen stellten, >damit dadurch die Stimmung des Senats zum Wohlwollen gelenkt würde und er ihm (dem Kaiser) die Ehre des Triumphes gewähre, und damit er, den die Wahl der Fürsten zum Könige machte, durch Beschluß des Senats schließlich zum Kaiser erhoben würde<102 • Das sind Ideen, die in der Zeit Ludwigs des Bayern ihre höchste Auswirkung erzielt haben. 96 E. ScHOEN1AN, Die Idee der Volkssouveränität im mittelalterlichen Rom (Frankf. Hist. Forsch. N. F. 2, 1919), bes. S. 44, daß Hein- · rich IV. »außergewöhnlich« stark die römische Beteiligung erwähnt. Er schreibt im Jahre ro81 den Römern, daß er kommen will, ut . . . dignitatem communi omnium vestrum assensu et favore a vobis accipiamus (Cod. Udalr. Nr. 66; PH. }AFFE, Bibi. rer. Germ. V S. 139). Dieselbe Auffassung auch bei deutschen Geschichtsschreibern, z. B. Wipo, Gesta Chuonr. c. 16: a Romanis ad imperatorem electus (Script. rer. Germ.• S. 36); Ann. Corbeiens. (MG. SS. III p. 6) über Heinrich III.: Papa ... domnum Heinricum voto et favore maximo populi Romani coro-
navit imperatorem. 97 Vgl. über Josippon Bd. ill. 98 Chron. IV c. 87 (Mon. Germ. SS. VII S. 8o5), dazu E. CAsPAR, Petrus Diaconus und die Monte Cassineser Fälschungen (Berl. 1909), S. 155 Anm. 4· - Über ihn s. auch H.-W KLEW1TZ, P. Diaconus u. . . . Leo von Ostia, im Archiv f. Urkundenforsch. XIV (1936) s. 414-53· 99 Ebd. S. II4 Anm. 7. 100 Ono VON FRE1S1NG, Gesta I 29 (Script. rer. Germ.• 1912, S. 45), vgl. auch li 29 (S. 136), 101 WIBALD Nr. 404 (Ph. }AFFE, Bibi. rer. Germ. I S. 542). 102 I 8o (Script. rer. Germ.• 1937, S. rpf.}.
Die >jüngere Richterliste< (S. 227-229)
I43
Nachdem die >jüngere Richterliste< nunmehr in die Entwicklung der römischen Theorien hineingestellt ist, fragt es sich, ob sich für sie noch eine genauere Datierung als >vor 1085< feststellen läßt. Als untere Grenze ist wohl das Jahr 1059 gegeben, in dem die Papstwahl den Kardinälen vorbehalten wurde. Aber schon durch die Einsetzung der Reformpäpste war die Bedeutung der Pfalzrichter geschmälert worden, so daß noch an die Zeit vor 1046 zu denken sein wird. Andererseits möchte man auch hier die Zeit Ottos III. mit ihrer starken Wirkung auf die römische Vorstellungswelt als vorausgegangen annehmen. Wir dürfen die Liste daher in die erste Hälfte des II. Jahrhunderts rücken, also in die Nähe der Rezension Z der älteren Liste, der Urkunde von 1034, der Graphia aureae urbis Romae und des Krönungsberichts in dem Geschichtswerk des Josippon (R. ELZE grenzt die Entstehungszeit auf die Jahre 1002-32 ein).
Die Geschichte der beiden Richterlisten ist mit dem I I. Jahrhundert nicht abgeschlossen. Von der Fortwirkung des älteren Textes ist schon gesprochen worden. Wenn man die zahlreichen Redaktionen und Abschriften der Mirabilia, die ja auch in das Italienische übersetzt worden sind, mitrechnet, wird man bis in das I 3. Jahrhundert geführt. An dem Umstand, daß in der Übersetzung die letzten Richter weggefallen sind, hat man ein Zeichen, daß diese Angaben immer unverständlicher geworden sind - war doch seit der Konstantinischen Schenkung damals schon ein halbes Jahrtausend vergangen! Auch der jüngeren Liste war noch eine Weiterwirkung beschieden. Sie wurde -wie schon angemerkt worden ist- im Iz. Jahrhundert für die Lateranbeschreibung sowie für das Pantheon des Gottfried von Viterbo herangezogen. Schon in dieser Zeit hatten die Kardinäle die Pfalzrichter in ihrer Bedeutung abgelöst1 o3 • Nur von
103 M. BuCHNER, Die Entstehung des trier. Erzkanzleramtes in: Histor. Jahrb. d. Görresgesellschaft XXXII, 19II, S. 8-15 und: Die Entstehung u. Ausbildung d. Kurfürstenfabel in: ebd. XXXIII, 1912, S. 69-71 hat die auffällige Reihenfolge der Kurfürsten in der Chronik des Martin von Troppau (Mon. Germ. SS. XXII S. 466) damit motivieren wollen, daß dieser die >jüngere Richterliste< gekannt und wegen des Satzes >... qui ordinant imperatorem ... < in den Iudices Vorläufer der Kurfürsten gesehen habe. Deshalb soll er deren Reihenfolge der Liste angepaßt haben, indem er die Erzämter mit den Römischen Amtern nach der Namensähnlichkeit zur Deckung zu bringen suchte. Den umständlichen Erwägungen, die diesen Zusammenhang beweisen sollen, wird der Boden entzogen durch H. BRESSLAU, D. ältesten Zeugnisse für das Erzkanzleramt der Erzbischöfe von Trier.
Diesen bisher unveröffentlichten Aufsatz hat mir der Verfasser noch zu seinen Lebzeiten zugänglich gemacht. Hiernach ist die Umstellung gegenüber den bekannten, auch von Martin angegebenen Versen über die Kurfürsten »sehr einfach zu erklären. Martin war bekanntlich päpstlicher Kaplan und Poenitentiarius; am päpstlichen Hofe aber nahm zu seiner Zeit der Kardinalkämmerer unter allen Beamten in Rang, Ansehen und Bedeutung den ersten Platz ein; so ist es leicht begreiflich, daß der Schriftsteller auch unter den officiales imperii den Kämmerer allen anderen voranstellte. Abgesehen von dieser Umstellung hat Martin die Reihenfolge der Kurfürsten, wie sie die Verse geben, beibehalten ... «. Damit fällt die These BucHNERS über die Fortwirkung der >jüngeren Richterliste< bis nach Deutschland in sich zusammen.
DA 5· Der >Traktat über romanisch-fränkisches Amterwesen<
ihrer Stellung aus kam den von ihnen verdrängten Beamten des Papstes später noch Bedeutung zu. In diesem Sinne verwandte sie im r6. Jahrhundert Onofrio Panvinio, der die schrittweise Einengung der zur Papstwahl Berechtigten schildert und unter diesen auch die sieben Hauptbeamten der Kirche nennt. Er zählt sie auf und erwähnt -der zweiten Richterliste folgend- ihre Kompetenzen. Nach ihm sind ihre Ämter entweder völlig veraltet oder unter anderem Namen in das Kardinalskolleg eingeschlossen worden1M. Dalnit haben die Richterlisten ihren den Zeittendenzen entrückten Platz gefunden. Nun stand nur noch ihr historischer Wert zur Debatte, der mehr oder minder kritisch angesehen wurde, der aber bis heute nie ganz geleugnet worden ist. PAuL FABRE hat von der seltsamen Liste gesprochen, die so viel Probleme aufgebe, deren Lösung allein etwas Licht in das Dunkel bringen könne, das über der römischen Geschichte im Io. und I I. Jahrhundert liegt105• Diese Aufgabe sollte hier weitergeführt werden. Die Prüfung hat gezeigt, daß die Verwertung der beiden Listen für die römische Verfassungsgeschichte mit größerer Vorsicht vorzunehmen ist, als vielfach geschehen ist, daß sieb dann aber aus ihnen einige sichere Fakten ergeben. Ungleich wichtiger sind sie dagegen für die in Rom entwickelten Theorien, deren Fortbildung durch die verschiedenen Redaktionen und Verwendungen der Listen illustriert wird. Die festgestellten Abhängigkeitsverhältnisse mögen der größeren Deutlichkeit wegen noch in folgendem Schema veranschaulicht werden: Konstantinische Schenkung (8. Jahrh.),
I Altere Richterliste (9. Jahrh. zweite Hälfte, nach R. ELZE: um 96z)
A Benutzer,
Jüngere Richterliste (II. Jahrh. erste Hälfte),
I Bonizo: Lib. de vita christ. (um 1085),
I Benutzer.
e) Die Kardinalsliste ( I2. Jahrhundert) Die Richterlisten danken ihr Fortleben über das 12. Jahrhundert hinaus dem Interesse an den Institutionen, die man mit den alten römischen Kaisern in Zusammenhang brachte. Die Richter selbst aber traten in ihrer Bedeutung immer mehr zurück, um langsam einer nach dem andern zu verschwinden. Der Erbe der sieben Richter war das Kardinalskolleg, dessen Macht durch das Papstwahldekret vom Jahre 1059 fest verankert worden war, und das seitdem ständig an Bedeutung gewann. Kein Wunder
I04 Der Passus ist gedruckt bei SÄGMÜLLER a. a. 0. S. 27 Anm. I; über P. selbst vgl. P.
KEHR in: Götting. Nachr. Phil.-hist. Kl. I90I, S. z und E. MENKE-GLÜCKERT, Die
I05
Geschichtsschreibung der Reformation und Gegenreformation (Leipzig I9IZ), S. 96ff. Etude sur Je Liber censuum (Paris I 892, Bibi. des ecoles frans:. 6z) p. I 53 n. I.
Die Kardinalsliste (S. 229-232)
145
daher, daß bald darauf eine Kardinalsliste auftaucht- das den Zeitverhältnissen entsprechende Gegenstück zu den beiden Richterlisten, das ganz wie diese immer wieder abgeschrieben und in andere Werke übernommen worden ist106 • Ja, es sind auch Richter- und Kardinalsliste in einem Werk - ungeachtet des historischen Nacheinanders - zusammengefügt worden. Zuerst begegnet die Kardinalsliste in der >Descriptio sanctuarü Lateranensis ecclesiae<, die vermutlich um I I 2 3 abgefaßt ist. Hieraus übernahm sie nicht nur der um II56/63 schreibende Richard von Cluny in seine Chronik, indem er ihr damit in den nordalpinen Ländern Eingang verschaffte; auch Johannes Diaconus behielt sie um II 59-65 (?) in seinem >Liber de ecclesia Lateranensi<, der Neubearbeitung der >Descriptio<, bei, in der die zweite Richterliste gleichfalls eingefügt ist. Unmittelbar darauf, um II65/7, verfaßte Petrus Mallius für die St.-Peters-Kirche, die Rivalin des Laterans, im Anschluß an Johanns Buch dieI I92 noch einmal neu bearbeitete - >Historia basilicae Vaticanae<, in die er die Liste ebenfalls aufnahm. Diese wanderte - vermutlich aus der Lateranbeschreibung - auch noch in die um I I 88 verfaßten >Gesta< des Albinus, der außerdem im Zusammenhang der >Mirabilia< die erste Richterliste brachte, und weiter dann in das Rituale aus der ersten Hälfte des I 3. Jahrhunderts. Richard von Clunys Liste wurde andererseits 1267 die Quelle für Martin von Troppau, der gleichfalls die Mirabilia mit der älteren Liste aufnahm. Von ihm gelangte das Kardinalsverzeichnis dann zu Bernhard Gui, der um I 3 I 7 seine Chronik verfaßte. Ungeachtet aller Umwandlungen in Stellung, Zahl und Bedeutung der Kardinäle während der Zwischenzeit folgen die Autoren getreu durch die Jahrhunderte dem vorgefundenen Texte, indem der eine als Anhänger, der andere als Gegner, der dritte aus historischem Interesse der Liste der Kardinäle einen Platz einräumt. Das Kardinalsverzeichnis bildet also gleichsam die Fortsetzung der beiden Richterlisten, die dem großen Wandel des I I. Jahrhunderts Rechnung trägt, dann aber demselben Schicksal verfällt: zu veralten, da keiner der Benutzer sich die Mühe macht, den Wortlaut der Zeit entsprechend zu ändern. So bilden die drei Listen lehrreiche Dokumente aus der vielfach gewandelten Verfassungsgeschichte Roms und des Papsttums, aber auch Zeugen für den wechselnden Charakter der Stadt, den byzantinischen, den antikischen, den päpstlichen.
106 Eingehend behandelt von ScHNACK a. a. 0., der ich mich im folgenden anschließe (vgl. dazu jetzt ELZE a. a. 0. S. 41 f.).
1o
Schramm, Aufsätze I
ABTEILUNG B: DIE ZEIT KARLS DES GROSSEN (75 r-8 14)
.•.......•.................•. canemll.!,
unde sit imperii linea, norma, genus. GOTTFRIED VON VITERBO: Speculum regum
(Mon. Germ., Script. XXII S. 31)
xo*
I
Das Versprechen Pippins und Karls des Großen für die Römische Kirche (7 54 und 774) * Ich glaube bereits beim Niederschreiben zu spüren, wie der Jubilar (ULRICH STUTZ) beim Lesen der Überschrift die Stirne runzelt: >Wieder einmal der so viel umstrittene Eid von Ponthion, und zu vielen Thesen nun als Festgabe noch eine neue<1 • Ich bitte ihn - und zugleich auch die anderen Leser -, mir trotzdem zu folgen und sich davon zu überzeugen, daß ich nicht einfach die bekannten und nun oft genug hin- und hergewendeten Zeugnisse - diesmal in meinem Sinne - auslegen will, sondern versuchen werde, ein abseits gelegenes und bisher noch nicht in diesen Zusammenhang hineingezogenes Zeugnis für die Frage von Ponthion auszuwerten - ein Zeugnis besonderer Art; denn es handelt sich nicht um eine Aussage über das Geschehene, sondern um den Wortlaut eines Versprechens, bei dem sich die Frage erhebt, ob und wieweit in ihm der in Ponthion gewählte Wortlaut festgehalten ist.
a) Die bisherigen Auffassungen Den Stand der Forschung im vollen Umfang zu kennzeichnen, wäre ein hoffnungsloses Bemühen; denn es gibt eine Unzahl von Meinungen, die sich zum Teil schroff gegenüberstehen, zum Teil nur die Akzente anders setzen2 • Wir begnügen uns des-
* Zuerst in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte
1
58, Kanon. Abt. 27, 1938, S. 18o--217 (vgl. dazu das Referat von J. GAuDEMET in der Revue bist. de droit 1944, S. 93). leb trug den Inhalt am 22.. IV. 1938 in der Göttingiseben Akad. der Wiss. vor (vgl. den Kurzbericht in den Göttingisehen Gelehrten Anzeigen, 200. Jahrg. 1938, S. 183). Außer diesem Aufsatz widmete ich (neben KARL BRANm) dem noch im Jahre 1938 verstorbenen ULRICH STuTZ mein 1939 erschienenes Buch >Der König von Frankreich< als Zeichen dankbarer Erinnerung. Er hatte nämlich von mir eine Reihe von Aufsätzen in der von ihm redigierten >Zeitschrift für Rechts-
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geschichte< abgedruckt und dabei große Geduld geübt, da er ein bestimmtes Drucksystem von allen Autoren beachtet haben wollte. leb bekam daher manche mahnende, doch im Grunde gütige Postkarte, und als ich ihn in Berlin aufsuchte, empfing er mich mit einem Wohlwollen, für das ich ihm noch heute dankbar bin. Vgl. DAHLMANN-WAITZ, 9· Aufl. Nr. 5386. L. LEVILLAIN, L'avenement de Ia dynastie Carolingienne et !es origines de I'etat pontifical, in der Bibi. de l'ecole des chartes 94, 1933, S. 2.48 f. behandelt die Ereignisse von Ponthion nur ganz kurz, da es ihm vor allem auf die Frage ankommt, wie die Ereignisse auf-
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1.
Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
halb damit, dem Leser die auseinanderlaufenden Auffassungen BRICH CASPARS 3 und J OHANNES HALLERS4 in das Gedächtnis zu rufen. Wir beginnen mit CASPARS Buch über Pippin (I914), in dem er zu HALLERsAufsatz in der Historischen Zeitschrift (I 9 I 2) Stellung nahm- daß wir nicht den dritten Band seiner Geschichte des Papsttums• als Grundlage nehmen können, mahnt uns wieder einmal daran, welchen Verlust durch seinen Tod die Wissenschaft im allgemeinen und seine Freunde im besonderen erfahren haben. Im Anschluß an WrLHELM SrcKEL, der einer von WrLHELM MARTENS gewiesenen Spur gefolgt war, schied BRICH CASPAR scharf zwischen I. einem Schutzvertrag, der am 7· Jan. 754 in Ponthion die Antwort auf die Kommendation Stephans in den fränkischen Schutz bildete, die Form eines dem Hlg. Petrus geleisteten Eides hatte, die Worte >iustitia< (im Sinne von Gerechtsame) und >defensio< enthielt, also Pippin einseitig gegenüber dem Papste band, sowie 2. einem wechselseitigen Bündnis, das den König und den Papst in gleicher Weise verpflichtete. Wann und wo es innerhalb des Jahres 754 abgeschlossen wurde, wagte CAsPAR mangels näherer Anhalte nicht zu bestimmen. Für seinen Inhalt nahm er im Anschluß an seine Vorgänger die Begriffe >voluntas< und >fides< sowie die Formel >amicis amici, inimicis inimici< in Anspruch, die er auf eine germanische Wurzel zurückführte. Daraus ergab sich ihm, daß es sich um den Abschluß eines Schutzund Trutzbündnisses gehandelt habe. Pippin hat nach dieser Auslegung zwei Eide geleistet, einen für den Schutzvertrag und einen für das Bündnis, der Papst dagegen nur einen, nämlich für das Bützdnis. >Insbesondere<, so meinte CASPAR, »machte der Schutzvertrag von Ponthion Epoche. Ohne daß die Kurie das autonome Reichsgebiet von der Souveränität des Kaisers einander folgten (vgl. dazu Histor. Zeitschr. Ip, I935, S. 626). Nachzutragen sind M. LINTZEL, Der Codex Carolinus u. die Motive von Pippins Italienpol., in der Hist. Zeitschr. I6I, I940 S. 33-41 (wiederabgedruckt in: Ausgewählte Schriften II, Berlin I961 S. I-9) und L. SALTET, La lecture d'un texte et Ia critique contemporaine. Les pretendues promesses de Quierzy (754) et de Rome (774) dans Je »Liber pontificalis«, im Bulletin de litt. ecch!s. pupl. p. l'Inst. cathol. de Toulouse I940 S. q6-2o6, I94I S.6I-85. 3 Pippin und die Römische Kirche. Kritische Untersuchungen zum fränkisch-päpstlichen Bunde im 8. Jahrhundert, Berlin I9I4. 4 Das Papsttum, Idee und Wirklichkeit I, Stuttgart und Berlin 1934, S. 39I ff. mit S. 507f.,
jetzt neugedruckt (mit gleicher Paginierung) in Rowohlts Deutscher Enzyclopädie Nr. 22I/2. (Vgl. dazu H. v. CAMPENHAUSEN, Zu Hallers Papsttum, in den Theologischen Blättern I6, 1937 Sp. 2zr-8, der weitere Gegenäußerungen verzeichnet). Hallers Darstellung beruht auf seinem Aufsatz: Die Karolinger und das Papsttum, in der Hist. Zeitschr. Io8, I9I2, S. 38-76. Auf Hallers Aufsatz baute weiter TH. ZwöLFER, Sankt Peter, Apostelfürst und Himmelspförtner, Stuttgart I929, S. 85ff., bes. I34ff.; auf ihn stützt sich dann wieder Haller in seinem Buche. Fragmente erschienen als: Das Papsttum unter fränkischer Herrschaft, in der Zeitschr. für Kirchengesch., Dritte Folge 5 (54), I935. S. I 32-264; doch fehlen hier die uns angehenden Abschnitte.
Die bisherigen Auffassungen (S. 181-183)
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löste, schuf sie ihm doch gleichzeitig in dem fränkischen Schutzpatron noch einen zweiten Oberherrn«6 • JoHANNES HALLER hat seine Auffassung in seinem >Papsttum< noch einmal dargelegt und dabei seinerseits zu CASPAR Stellung genommen. Er liest aus den Zeugnissen nicht zwei Eide Pippins und einen Bündniseid des Papstes, sondern zwei reziproke Handlungen heraus, die sich in Ponthion unmittelbar aneinander schlossen: z. die auch von CASPAR angenommene Kommendation des Papstes in den fränkischen Königsschutz, für die HALLER als Parallele auf die heutige Vormundschaft verweist, sowie z. einen von Pippin dem Hlg. Petrus geleisteten Vasalleneid, der gleichfalls den fränkischen Rechtsformen entsprach und ihn zum Gefolgsmann des Apostelfürsten machte. »Ein doppelter Vertrag also wurde in Ponthion am 7· Januar 754 geschlossen, in dem gegenseitige Rechte und Pflichten einander entsprachen: Pippin als Mann des heiligen Petrus in dessen Schutz und ihm verpflichtet, die Kirche als Eigentum des Apostels dem Schutz des Königs anvertraut und seinerVormundschaftunterworfendas war der Inhalt des >Bündnisses gegenseitiger Liebe<, wie es im gesalbten Stil der päpstlichen Kanzlei fortan hieß«7 • Vorausgesetzt ist dabei, daß Pippin ein Mensch war, >der durchaus primitiv in allen Dingen, auch in Religion und Politik, empfand<8 ; hell hebt sich davon die - allerdings skrupellose und selbst das Religiöse geschickt als Mittel ausspielende - Überlegenheit der päpstlichen Politik ab. CASPAR hat dieser Einschätzung der beiden Vertragspartner nicht widersprochen, hat sie allerdings eingeschränkt. Nach seiner Meinung ist Pippin der politisch Unterlegene, der die Absichten des Gegners nicht durchschaut, der in der Defensive verharrt und seinen Vorteil durch zurückhaltende Vorsicht wahrt9 • Im übrigen aber weichen beide Forscher - wie HALLER selbst in seiner neueren Darstellung unterstrichen hat - weit auseinander. HALLER hat eine Auseinandersetzung im einzelnen mit dem Hinweis abgelehnt, daß der der Wahrheit am nächsten komme, dem »es gelingt, das Bild der Dinge im Zusammenhang glaubhaft und anschaulich zu zeichnen«10 • Gerade hierin scheint mir allerdings eine Schwäche seiner These zu liegen. Es ist hier nicht der Ort, das Bild, das HALLER von der religiösen und kirchenpolitischen Lage des 8. Jahrhunderts entwirft, unter die Lupe zu nehmen; wir halten uns hier nur an seinen Bericht, wie der Papst den König überrumpelt, indem er ihn unter Benutzung einer fränkischen Rechtsinstitution zu seinem Schutz
6 A. a. 0. S. 181. 7 8
9
s. 393f. s. 40j. S. zoz-8. P. RAssow, Pippin und Stephanll., in der Zeitschr. für Kirchengesch. 36, 1916,
S. 499 ff. kam dagegen auf der von CASPAR gelegten Grundlage zu der Überzeugung, daß man den König nun »als ganz ausgezeichneten Politiker« erkenne. 10 A. a. 0. S. 507f.
B
I.
Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
verpflichtet, wie der König dann, schnell gefaßt, die Kommendarion nicht nur annimmt, sondern nun seinerseits ein Vasallenverhältnis gegenüber dem Hlg. Petrus daraufsetzt - alles das ist von vornherein im Rahmen der Zeit und zumal der äußeren Umstände verblüffend. Zwar nicht im Handumdrehen, wohl aber im Handreichen soll, ohne daß eine Beratung erkennbar ist, ein so verschachteltes, gleich dreiseitiges Rechtsverhältnis zwischen Papst, König und Apostelfürsten, das den Stellvertreter Petri einerseits unter, andererseits über den König rückte, geschaffen sein?11 Glaubhaft und anschaulich ist dies Bild sicherlich nicht. Nur wenn es Strich für Strich durch Zeugnisse belegt werden kann, dürfen wir es hinnehmen. Wie aber steht es damit? Auf die Kommendationstheorie, die auf W. GUNDLACH zurückgeht, brauchen wir nicht mehr im einzelnen einzugehen. Alle Quellenstellen, die für sie angeführt worden sind oder angeführt werden könnten, hat K. HELDMANN kritisch gemustert und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß sie nicht in diesem Sinne gedeutet werden können: wo >commendare< und entsprechende Verben benutzt werden, geschieht es im untechnischen Sinne12 • Von anderen Gelehrten sind gleichfalls Einwände gemacht worden; im Jahre 1933 hat sieH. MrTTEIS erneuert13 • Er legt den Nachdruck darauf, daß der bei einer Kommendarion unentbehrliche Treueid des Papstes fehlt und auch nicht von einem Einlegen seiner Hände in die des Königs die Rede ist. Der Papst bittet dringend um Hilfe und läßt sich, um sein Werben so sinnfällig wie nur möglich zu machen, mit flehend erhobener Hand zu Boden gleiten; Pippin ergreift sie und hebt ihn auf- das sollte nach Stephans Worten das Zeichen der Hilfsbereitschaft sein und ist als solches von Pippin gewährt worden. Zwei allgemein geübte Gesten, durch die ein politischer Vorgang in die Sphäre des Moralischen gehoben wurde, nicht Teilakte eines Rechtsvorgangs, dessen übrige Vorgänge die Geschichtsschreiber festzuhalten unterließen-wer mehr zu gewahren glaubt, dem fällt dieLast des Beweisens zu; da er sich mit den bisher bekannten Zeugnissen nicht führen läßt, müßte er also schon einen noch nicht beachteten Beleg ans Licht ziehen! Und damit ist nicht zu rechnen. Wir wenden uns den übrigen Akten zu, die in Ponthion vollzogen sein sollen: Wenn zwei Forscher, die gerade in der Interpretation geschichtlicher Zeugnisse als Meister anerkannt sind, nach einer Erörterung von Jahrzehnten zu so verschiedenen Ergebnissen kommen, dann muß es an der Dürftigkeit und Unbestimmtheit der zur VerAblehnend auch Cl. FRHR. v. ScHWERIN in seiner Neubearbeitung von H. BRUNNER, Deutsche Rechtsgesch. II, 2. Aufl., München undLpz. 1928, (Neudruck: 1958) S. u8Anm. 15: »Daß der Schutzherr seinerseits >Mann< des Schützlings wird, ist eine contradictio in adiecto«. r 2 Kommendation und Königsschutz, in den Ir
Mitt. d. Österr. Inst. f. Geschichtsforsch. 38, 1920, s. 541-70. 13 Lehnrecht und Staatsgewalt, Weimar 1933, S. 75 ff. (S. 77 Anm. 2II weitere ablehnende Stimmen). W. FRITZE (s. Anh. I) hat außerdem nachgewiesen, daß es sich bei der Schilderung dieser Szene zum Teil um biblische Wendungen handelt.
Die Promissio im Kaiserordo I (S. r83-r86)
fügung stehenden Zeugnisse liegen. Es hätte also keinen Sinn, sie noch einmal hin und her zu wenden, um für oder gegen den einen der beiden oder womöglich gegen alle zwei Stellung zu nehmen.
b) Die Promissio im Kaiserordo I Es muß ein neuer Ausgangspunkt gesucht werden. Da drängt sich die Frage auf: Hat denn die Kurie, die selbst aus dieser frühen Zeit so vieles treu bewahrt hat, den Eid bzw. die EidePippins, die doch alles andere an Wichtigkeit übertrafen, weniger sorgfältig aufgehoben? Wir erfahren zufällig, daß dies die ersten vier Menschenalter lang jedenfalls noch der Fall war. Denn als Papst Johann VIII. sich 878 im Frankenreich einfand, um nach dem Tode Karls des Kahlen die Hilfe des Sohnes, Ludwigs II. des Stammlers, zu gewinnen, da brachte er auf der Synode von Troyes vor der fränkischen Geistlichkeit die Verpflichtungen des 8. Jahrhunderts vor, um zu beweisen, daß auch der nunmehrige Träger der Krone ihm beistehen müsse: »Deinde promissio regum lecta est, et sacramenta, quae Pippinus et Carolus obtulerunt b. Petro apostolo, lecta sunt«14 -das Wort promissio, das (wie sich noch ergeben wird) korrekter ist als >Eid<, wird von uns nunmehr bevorzugt werden. Die angeführten Worte sind verschieden ausgelegt worden: E. CASPAR bezog '}sacramenta< auf die Eide15, C. RoDENBERG auf die Schenkungen Pippins und Karls16 • Hat CASPAR Recht, so handelte es sich um Formeln des 8. Jahrhunderts, und es erhebt sich die Frage, ob der Papst wirklich zwei Formeln verlesen ließ oder ob man einfach annahm, daß Vater und Sohn sich derselben Formel nacheinander bedient hätten. In dem anderen Fall bezeichnete >sacramenta< die Pakten Pippins und Karls; >promissio regum< ist dann auf jene allgemein gefaßte Zusage zu beziehen, deren Rechtsnatur so umstritten ist17 - da von Königen und nicht von Kaisern gesprochen wird, muß man auch hier des Glaubens gewesen sein, ein altes Dokument in der Hand zu halten. Wie dem auch sei - zur Zeit J ohanns VIII. kannte die Kurie noch die alten Schenkungen und Zusagen. Wir müssen uns also umblicken, ob wir in dem mit diesem Papst zusammenhängenden Schrifttum nicht die Formel einer >promissio< bzw. eines >sacramentum< finden. Wir brauchen nicht lange zu suchen; denn der Eid im ältesten der Ordines für die Kaiserkrönung I (früher >B< bzw. >Cencius I<) gehört- wie eine frühere und von unseren nunmehrigen Feststellungen ganz unabhängige Unter14 Acta conc. Trecen. cap. 4 (J. D. MANS1, Conciliorum collectio q, Venedig 1772, S. 347)· 15 A. a. 0. S. 19.
16 Pippin, Karlmann und Papst Stephan II. (Histor. Studien 152), Berlin 1923, S. 33
Anm.
20.
17 Dies stellt sich unten als das Richtige heraus.
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B r. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
suchung ergab18 - in die Jahre um oder kurz vor 88o--9o. Dieser dem Ordo vorangehende Eid lautet: In nomine Christi promitto, spondeo atque polliceor ego N. imperator coram Deo et beato Petro apostolo, me protectorem ac defensorem esse huius sanctae Romanae ecclesiae in omnibus utilitatibus, in quantum divino fultus fuero adiutorio, secundum scire meum ac posse.
EnuARD ErcHMANN hat schon einmal bemerkt, daß es sich wohl um die Formel Pippins handel& 9 • Aber wir wollen uns von schnellen Schlüssen zurückhalten und erst einmal feststellen: aus der zweiten Hälfte des 9· Jahrhunderts kann der Eid nicht stammen. Denn wir kennen den Eidstil dieser Jahrzehnte aus mancherlei Belegen und wissen daher, daß so einfache und knappe Formeln in dieser Zeit nicht mehr als ausreichend angesehen wurden: die allgemeine Rechtsunsicherheit der Epoche hatte dazu geführt, die Eide mit mancherlei Sicherungen gegen ihren Bruch zu behängen und möglichst viele Einwände gegen die Erfüllung von vornherein auszuschließen. Diese Erscheinung ist so augenfällig, daß die in den Capitularia vereinigten Belege gar nicht im einzelnen vorgeführt zu werden brauchen2o. Also ist dem Kaiserordo eine ältere Promissio einverleibt worden. Diese Annahme liegt ja von vornherein nahe; denn der Redaktor arbeitete nicht nach eigenem Gutdünken, sondern hielt sich auch bei den übrigen Teilen an das Herkommen: bei den sachlichen Angaben an den ältesten Papstordo und bei den Gebeten an die Sakramentare21. Bevor wir uns an den V ersuch machen, das Alter der Promissio aus inneren Gründen zu erschließen, müssen wir erst einmal feststellen, daß sie in doppelter Weise mit Schriftstücken zusammenhängt, die kurz vor und kurz nach der Kaiserkrönung Karls des Kahlen (875) entstanden sind22 • I 8 Die Ordines der mittelalterlichen Kaiserkrönung, im Arch. f. Untersuchungsforsch. XI. I93o,S. 354 (ebd. S.37I f. einAbdruck des Ordo). Maßgebend ist jetzt die Edition von R. ELZE: Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers u. der Kaiserin, Hannover 1960 (Mon. Germ., Fontes iuris Germ. Antiqui IX) S. 2f., nach dessen Untersuchungen dieser Ordo - wohl in Mainz - vor 960 entstand (S. X f., ebd. S. I). In bezugauf den Eid hat sich R. ELZE meiner Auffassung angeschlossen, daß es sich um die 875 benutzte Formel handelt (S. XXXII). 19 Die römischen Eide der deutschen Könige, in der Zeitschr. f. Kirchengesch. 37, I916 Kan. Abt. 6 S. 15 2. 20 Näheres in meinem gleich zu nennenden
Aufsatz. 21 Kenntlich gemacht in dem angeführten Druck. 22 Zu beachten ist, daß zwei Gebete des Ordo I sich auch in dem Ordo finden, der mit einem von Johann VIII. bei der Krönung Ludwigs II. gesprochenen Gebet abschließt. Diese bildete den Ausklang der Synode von Troyes, und es ist zu vermuten, daß damals auch die mit diesem Gebet verbundenen Formeln benutzt wurden. Vgl. P. E. ScHRAMM, Die Krönung bei den Westfranken und Angelsachsen von 878 bis um woo, in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 54, 1934 Kan. Abt. 23 S. 192 bis I95, dazu S. I24ff. (wiederabgedruckt in Bd. II).
Analyse der Prornissio (S. 186-189)
I
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Diese Krönung wurde auf Grund einer >Wahl< durch den Papst und die Römer vollzogen, die im Februar 876 zu Pavia durch das Vollwort der lombardischen Großen bekräftigt wurde. In dem Schriftstück über diesen Vorgang heißt es: »nos unanimiter vos protectorem, dominum ac defensorem omnium nostrum eligimus«23, und diese Worte wiederholt kurz darauf das entsprechende Schriftstück der fränkischen Geistlichkeit: »elegerunt sibi protectorem ac defensorem esse«24 • Hier kehren die Kernworte der Promissio wieder : »protectorem ac defensorem«, die - wie wir im Anhang 3 a sehen werden- in dieser Zeit ganz ungewöhnlich sind. Andererseits ist eine entsprechende Abhängigkeit des Ordo von der westfränkischen Rechtssprache dieser Zeit festzustellen bei der Schlußwendung: »secundum scire meum ac passe«. Die folgende Zusammenstellung läßt ihre Geschichte deutlich erkennenl!ö: S. Bonifaz 716-7 (s. unten S. 158, früher S. 192.): »in quantum vires subpeditent«. Eine Vermischung mit der in der Prornissio vorausgehenden Formel: >in quantum- adiutorio< findet sich in den Petitiones et promissiones monachorum (Mon. Germ., Formulae S. 568ff.), die zu Anfang des 9· Jahrhunderts nachgewiesen, aber wohl älter sind: (Nr. 33 = Mon. Germ., Epp. IV S. 514 (hier Ende des 8. Jahrhunderts), Nr. 2.9: »in quantum mihi ipse Deus dederit adiutorium ... et in quo possum«, Nr. 2.8: »in quantum vires nostrae suppetuntet Dominus dederit nobis adiutorium ... in quantum possumus«. Untertaneneid von 8oz (Mon. Germ., Capit.IS.1o1): »in quantum mihi Deus intelleeturn dederit« bzw. »in quantum ego scio et intelligo«; dazu Kapitular von 8oz § 3 (ebd. S. 92): »secundum intellectum et vires suas« (im Eid von 789 fehlt noch eine entsprechende Wendung, ebd. S. 63). Eid der Römer von 82.4 (ebd. S. 32.4): »iuxta bzw. secundum vires et intelleeturn meum« (zweimal). Straßburger Eide von 842 (ebd. II S. 172.): »in quant Deus savir et podir me dunat« (entsprechend in der deutschen Formel).
23 Mon. Germ. Capit. II, S. 99 (so ist der Text richtig zu stellen). 24 Ebd. S. 348. Ich fasse mich hier kurz, da ich auf diese Akte der Jahre 875-6 und ihre rechtliche Bedeutung in der Buchausgabe meines >Königs von Frankreich< näher zu sprechen komme (Weimar 1939, Neudruck Darmstadt 196o, S. 62ff.). 2 5 Auf die Eidsprache dieser Zeit, allerdings nicht im einzelnen auf die angeführte Wendung, gingen ein A. DuMAS, Le serment de fidelite du I
Ders., The Concept of Royal Power in Carolingian Oaths of Fidelity, ebd. 20, 1945 S. 2. 79-89; dazu sein Buch: Vassi and Fideles in the Carolingian Empire, Harvard Univ. Press 1945 (Harvard Hist. Monographs XIX; 166 S.). Über Amtseide vgl. jetzt R. ScHEYHING, Eide, Amtsgewalt und Bannleihe. Eine Untersuchung zur Bannleihe im hohen und späten Ma., Köln-Graz 196o (Forsch. z. deutschen Rechtsgesch. II). S. auch REINHARn ScHNEIDER, Brüdergemeine und Schwurfreundschaft. Der Auflösungsprozeß des Karlingerreiches im Spiegel der caritas-Terminologie in den Verträgen der karlingischen Teilkönige des 9· Jahrhs., Lübeck-Hamburg 1964 (Eherings Histor. Studien 388).
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Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
Nithard, Historiarum lib. IV cap. r, (SS. rer. Germ., 3· ed. E. MüLLER. Hannover 1907 S. 40): »in quantum nasse ac passe Deus illis concederet«. Synode von Beauvais 845 (Cap. II S. 387): »iuxta quod sciri poterit et Deus vobis passe dederit«; vgl. Eid König Odos von 888 (ebd. S. 376). Eid der Missi von 8 54 (ebd. S. 278): »secundum meum savirum«. Adnuntiatio Lotharii von 857 (ebd. S. 294): »quantum Deus mihi scire et passe donaverit«. Eide von Quierzy 858 (ebd. S. 296): »quantum sciero et potuero, ... quantum Deus rnihi intellectum et possibilitatem donaverit (so die Fideles); quantum sciero et rationabiliter potuero«, dann wie die Fideles der König, danach die Bischofs- und Laieneide von 872 (ebd. S. 342). Libellus proclamationis Karls d. Kahlen von 862, verfaßt von Hinkmar von Reims: »quantum mihi Dominus scire et passe donaverit« (ebd. S. r6r Z. 37). Kapitular von Pitres 869 (ebd. S. 333 § 3; vgl. zu 858): »quantum sciero et iuste ac rationabiliter potuero«; wiederholt, jedoch in die Pluralform übersetzt, im Kapitular von Quierzy 877 (ebd. S. 362; auch: »secundum suum scire et passe«), danach Eid Karlmanns von 882 (ebd. S. 370, ohne: >suum<). Eid Karls des Kahlen in Metz 869 (ebd. S. 339): »iuxta meum scire et passe.« Professio des Bischofs Adalbert von Terouane von 870 (?) für Hinkmar von Reims als Metropoliten (Harduini Acta conciliorum V, Paris 1714 S. 1445; zum Datum H. ScHRÖRS, Hinkmar Erzbischof von Reims, Freiburg i. B. r 884 S. 567 Anm. 42): »pro scire et passe.« 872 S, ZU 858. Treueid von Ponthion 876 (Cap. II S. 348): »quantumcumque plus et melius sciero et potuero«; Gegenvorschlag Hinkmars von Reims (Migne, Patr. lat. 125 S. II27): »secundum meum scire et posse« 26 • Bischofseid von 877 (Capit. I S. 365): »secundum meum scire et passe et meum ministerium«. 877 s. zu 869; 882 s. zu 869. Eid König Odos von 888 (ebd. S. 376): »prout scire et passe rnihi Deus racionabiliter dederit et tempus dictaverit«; vgl. oben zu 845.
Die Entwicklung der Wendung verläuft nicht gradlinig, da ältere Vorlagen von neuem zu Rate gezogen werden; aber es ist doch deutlich zu beobachten, wie herumprobiert wird, um eine schlüssige Fassung zu gewinnen - einmal, indem man sie breiter, das andere Mal, indem man sie kürzer gestaltet. Dann wird 869 die scharfkantige Form geschliffen: »secundum suum scire et posse«- sie entspricht in ihrer Knappheit und Begriffsschärfe dem Geiste des damals einflußreichen Hinkmar von Reims, der sie dann auch 876 forderte, als wieder eine längere Fassung eingeführt werden sollte. Diese Wendung nun, die vorher noch nicht gefunden war und bald darauf ver5chwand, schließt auch die >Promissio imperatoris< ab. Die auffallende 26 Hinkmars Worte sind so bezeichnend, daß sie im vollen Wortlaut angeführt werden müssen: »Quod hic scripturn est: >quantocunque plus et melius sciero et potuero<, non convenit Apostolo dicenti: >Non plus sapere, quam oportet sapere, sed sapere ad sobrietatem (Rom. 12, 3)<, id est: ad temperantiam. Et sanctus Petrus interraganti se Domino:
>Diligis me plus his? (Joh. 21, 15)<, quia merninit, imminente eius passione, plus sibi constantiae tribuisse quam haberet, cautius sua infirrnitate eruditus non respondit: >Plus his amo te< sed: >Quia amo te (ib.)<. Reetins igitur dieturn est: >secundum meum scire et passe< quam: >Quantocunque plus.et melius sciero et potuero<.«
Analyse der Promissio (S. 189-191)
I
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Tatsache läßt sich genau so wie das fast gleichzeitige, aber nur zweimalige Auftauchen des Ausdrucks »protectorem ac defensorem« in italienischen und fränkischen Aufzeichnungen nur so erklären, daß Karl der Kahle diese Promissio bei seiner Kaiserkrönung im Jahre 875 geleistet hat. Dabei muß dann - natürlich von fränkischer Seite - die vor kurzem aufgetauchte, eingrenzende Schlußwendung angehängt worden sein. Gleichzeitig wird man wohl auch, wie wir hinzufügen können, den Königs- in den Kaisertitel umgeändert haben. Hier entsteht der Verdacht: ist etwa die ganze Formel erst damals aufgesetzt? Und hat Johann VIII. ihr dann ein Ansehen verschafft, indem er sie als alt ausgab? Wir können diesen Gedanken gleich wieder zurückdrängen. Man würde - zumal ein kritischer Sinn gerade Hinkmar und seine Zeitgenossen in überraschendem Maße auszeichnete27 - die Leichtgläubigkeit der in Troyes versammelten Geistlichkeit überschätzen. Andererseits kann die Promissio nicht erst damals aufgesetzt sein. Auf die Gründe, die sich aus der Form ergeben, wiesen wir bereits hin, und die Wortgeschichte wird das noch im einzelnen belegen; hier dürfen wir darauf hinweisen, daß in der Zeit Karls des Kahlen die Kurie nicht mehr bereit war, den Kaiser als >Protector< anzuerkennen: gerade Johann VIII., der Nachfolger eines Nikolaus I., dachte den fränkischen Herrschern eine ganz andere Stellung zu28 • So schließen sich die Zeugnisse von 875 bzw. 876 und 878 mit den Eigentümlichkeiten der >Promissio imperatoris< und ihrer Überlieferungsgeschichte zusammen: . die Kurie besaß noch in der Zeit Johanns VIII. das Königsversprechen des 8. Jahrhunderts, und dieses liegt - auf einen Kaiser abgestellt, am Schluß durch eine fränkische Eidklausel erweitert und in dieser Form 875 von Karl dem Kahlen bei seiner Kaiserkrönung geleistet- im Kaiserordo I (Cencius I) in seinem Wortlaut vor.
c) Vergleich mit einer Eidformel des Win:frid (St. Bonifaz) Eine zweite Ausschau auf sonstige Zeugnisse ist nötig. Bevor wir nach der geschichtlichen Lage suchen, aus der diese Formel hervorgegangen sein kann, müssen wir fragen, wie sie rechtsgeschichtlich einzuordnen ist. Ein Rückblick in die Zeit der Merowinger hilft nicht weiter, da keiner der Eide, mit denen deren Verträge be2.7 P. RA:ßBOW, Zur Gesch. des urkundlichen Sinns, in der Hist. Zeitschr. 126, 1922., S. 58 ff., bes. S. 68 ff. 2.8 Näheres im »König von Frankreich« a. a. 0. S. 37ff. - Das Singular der Formel weist nicht unbedingt auf das 8. Jahrhundert; denn, wenn es auch dem Plurale maiestatis durchweg Platz macht, so bleibt es doch bei
Zusagen für die Römische Kirche noch erhalten; vgl. z. B. den Sicherheitseid Ottos I. (Mon. Germ., Const. I S. 21), andererseits das Ottonianum von 962., das gegenüber der Vorlage die Pluralform herstellt (vgl. bes. ebd. S. 2.6 Z. II, woOttoi. sichnebenseinem Sohne im Plural nennt).
BI. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
kräftigt wurden, im Wortlaut vorliegt29, und unter den Parallelen, die man bisher für den Eid von Ponthion herangezogen hat, Mannschaftseiden u. ä., findet sich keine auch nur ungefähr entsprechende Formel. Aber wir können eine andere anführen, die noch dazu den auf jene Auslegungen nicht zutreffenden Vorteil hat, nachweislich älter als der Eid von Ponthion zu sein. Sie findet sich, wo man sie nicht erwartet, nämlich in einem Jugendbrief des Hlg. Bonifaz. Er richtete ihn, als er noch Winfrid hieß, an einen uns nicht näher bekannten Freundnamens Nithard3 o. Es handelt sich anscheinend um die Jahre 716-717, als der Missionar nach seinem ersten Zug zu den Friesen den zweiten erwoga1 • In dieser Lage verspricht er seinem Freunde in der Ferne für den Fall der Wiedervereinigung Freundschaft und Hilfe. Gegenüber dem Hauptteil des Briefes, der in jenem dunklen und bilderreichen Stil abgefaßt ist, dessen Vorbild Aldhelm bot, ist dieser Schlußsatz klar und knapp gehalten. Man gewinnt den Eindruck, daß Winfrid sich hier einer ihm geläufigen festen Formel bediente, die für solche Freundschaftsbünde üblich war. Stellen wir sie dem Eid des Kaiserordo gegenüber, so ergeben sich im Aufbau und selbst in der Wortwahl auffallende Entsprechungena2: Winfrid:
..••. spondeo, me tibi in his omnibusforefidelem amicum et in studio divinarum scripturarum, in quantum vires subpeditent, devotissimum adiutorem.
Promissio regis : In nomine Christi promitto, spondeo atque polliceor ego N. [ imperator] coranr Deo et beato Petro apostolo, me protectorem ac defensorem esse huius sanctae Romanae ecclesiae in omnibus utilitatibus, inquantumdivino fultus fuero adiutorio [ secundum scire meum ac posse].
Man sieht: nicht nur der Aufbau und der Grundgedanke, sondern selbst einzelne Worte entsprechen sich. Durch den Parallelfall wird nunmehr vollends gewiß, daß Winfrid die Worte nicht beliebig wählte, sondern aus der Rechtssprache entnahm.
2.9 Die Verträge der Merowinger hat F. L. GANSHOF untersucht: Les traites des rois Merovingiens, in der Tydschrift voor Rechtsgeschiedenis = Revue d'hist. du droit 32., I964, S. I63-92.: sie wurden schriftlich festgehalten (S. I8zff.) und durch Eide bekräftigt; doch ist über deren Fassung nichts Wesentliches bekannt (S. I87ff.). Über die Formel:jidem et &aritatem vgl. S. I68, I84; B. PARADISI, Storia del diritto intemaz. nel medio evo. L'eta di transizione, 2.. Auf!. Neapel I956, S. I02f. und jetzt W. FRITZE
(s. unten Anhang I). 30 Die Briefe des Hl. Bonifatius und Lullus, hg. vonM. TANGL, Berlin I9I6 (Mon. Germ., Epp. selectae I) S. 6 Nr. 9 = ed. E. DÜMMLER I892. (Mon. Germ., Epp. III S. 2.5I). 3I Er spricht im Briefe davon, es sei Gottes Wille, daß er wieder nach jenen Gegenden gelange. 32 Sperrdruck macht wörtliche Entsprechung kenntlich; spätere Veränderungen bzw. Zusätze stehen in Klammern.
Vergleich mit der Eidformel Winfrids (7I6/7) (S. I9I-I94)
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Andererseits ergibt sich für die >Promissio regis<, daß sie eine Abart der im 8. Jahrhundert üblichen Freundschaftsversprechen darstellt. Eine Abart- damit ist bereits angedeutet, daß sich im einzelnen auch bezeichnende Unterschiede feststellen lassen. Wir gehen sie nacheinander durch; dabei werden sich einige wichtige Fingerzeige ergeben, die uns später weiterleiten werden. Das allgemeine Ergebnis dürfen wir jedoch bereits hier vorwegnehmen: der Vergleich mit anderen Belegen des 8. Jahrhunderts beweist, daß nicht nur das Grundschema, sondern auch alle einzelnen Wendungen und Ausdrücke bereits in diesem Jahrhundert nachzuweisen sind. Andererseits finden sich einige, die nach dem 8. Jahrhundert wieder verschwanden. Die Folgerung aus den geschichtlichen Umständen läßt sich also auch philologisch sichern: die Promissio des Kaiserordo stammt tatsächlich aus dem 8. Jahrhundert- ja, auf diesem Wege werden wir sogar zu einer noch genaueren Datierung gelangen. Aus dem angeführten Grunde müssen wir selbst jene Unterschiede zwischen der Promissio und Winfrids Formel ins Auge fassen, die sachlich ohne Bedeutung sind: I. Die Invokation >In Christi nomine< ist bei einem so feierlichen Versprechen das Naturgemäße. Sie findet sich daher gleichfalls in dem Bischofseid des Liber diurnus33 und in einem Mönchseid, der am Ende des 8. Jahrhunderts nachgewiesen werden kann, aber vermutlich noch älter istM. 2.. In diesem Mönchseid findet sich auch die Beteuerung: »coram Deo et sanctis angelis eius.« In dem Bischofseid heißt es dagegen: »per Patrem et Filium etc. et hoc sacratissimum corpus tu um.« Warum die >Coram<-Formel gewählt wurde und weshalb hier Petrus für die Engel eingesetzt ist, wird später zu erörtern sein. 3· Winfrid sagt >fore<, wie es der Lage seines Briefes entspricht; die Promissio und der Bischofseid haben >esse<. Die Eidsprache des 8. und 9· Jahrhunderts hat dafür keine feste Regel ausgebildet; im Untertaneneid von 789 heißt es sogar: »fidelis sum et ero.«36 4· Die Beteuerungsformcl, die den Abschluß bildet, lautet bei Winfrid: »in quantum vires subpeditent«. Wir wissen bereits, wie diese Formel sich bis zum Ende des 9· Jahrhunderts weiter entwickelt hat. In der Promissio ist an dieser Stelle ein anderer Gedanke ausgedrückt: nicht auf die eigenen Kräfte, sondern auf die Hilfe Gottes bezieht sich der das Versprechen Ablegende (»in quantum divino fultus fuero adiu33 Ed. TH. E. v. SICKEL, Wien I889 Nr. 75 S. 79, danach Mon. Germ., Epp. III S. z65 Anm. I zu S. Bonifatii ep. I6: dem gleichlautenden Eid des Hl. Bonifaz als Bischof. 34 Mon. Germ., Epp. IV S. 514, auch ebd., Formulae S. 570 (hier vom Anfang des 9• Jahrhunderts). 35 >Sum< heißt es in der Erneuerung der Unter-
taneneide 8oz, >fore< in dem Versprechen, das Lotbar I. 823 neu zugunsten seines Bruders Karl eingeht, >ero< in der Formel, die 854 einer Vereidigung auf den Namen Karls des Kahlen zu Grunde gelegt werden sollte, im Eid von Ponthion 876 und dem Gegenvorschlag Hinkmars; vgl. die Nachweise oben S. I 55 f. (S. I 89).
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Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
torio«). Wir finden fast die gleichen Worte in zwei klösterlichen Formeln wieder, die zu Anfang des 9· Jahrhunderts nachgewiesen, aber offenbar älter sind36• Das eine Mal heißt es: »in quantum mihi ipse Deus dederit adiutorium«; das andere Mal ist diese Fassung mit der von Winfrid benutzten verbunden: »in quantum vires nostrae suppetunt et Dominus dederit nobis adiutorium.« In der verkürzten Form »cum Dei adiutorio« findet sich die Wendung noch gelegentlich in der Eidsprache des 9· Jahrhunderts37; aber sie hat doch nunmehr einer Reihe von anderen Formulierungen Platz gemacht. 5. Die Steigerung von >spondeo< bei Winfrid zu dem Dreiklang >promitto, spondeo atque polliceor< des Königversprechens paßt zu dem Sprachgebrauch der Papstbriefe im Codex Carolinus38 ; denn in ihnen begegnen die drei V erben unzählige Male. Einige bezeichnende Beispiele genügen als Beleg: >pollicentes spopondistis< (S. 534 Z. z6), >promissione amoris, quam ... polliciti estis< (S. 559 Z. 23f.), >ab eadem ... promissione, quod ... spopondistis< (ebd. Z. z8f.). Daß die drei Verben in völlig gleichem Sinn angewandt werden, zeigt ein Brief aus dem Jahre 761 39, in dem es nacheinander heißt: »polliciti estis, spopondere studuistis, promissa sunt«. Auch die Reihung bzw. Verknüpfung dieser und anderer Ausdrücke ist ein übliches Mittel des Kurialstils: »ea ipsa spopondens confirmasti eidemque Dei apostolo ... eandem offeruisti promissionem (S. 579 Z. 6); peto itaque et deprecor te ... atque ... coniuro et ... deposco«. Aber es liegt näher, hierfür auf die Urkundensprache mit Formeln wie >habeant, teneant et possideant< zu verweisen40 • Es fehlt das Verbum >iuro< oder ein entsprechender Ausdruck, der das Ablegen eines Schwurs bezeichnet41 • Aber auch in den Papstbriefen beherrschen die Verben des Versprechens das Feld. Dagegen sagt der Liber pontificalis, daß Pippin >iureiurando< die Bitte des Papstes erfüllt und Karl sich mit Hadrian >per sacramenta< verbunden habe. Wir stoßen hier auf eine Frage, die nur am Rand unserer Untersuchung liegt, die jedoch einmal im größeren Zusammenhang behandelt werden müßte: es handelte sich demnach nur um ein Gelöbnis und nicht um einen Eid. Das überrascht nicht mehr, nachdem MARCEL DAVID - dem Hinweis im Erstabdruck dieses Aufsatzes gerrauer nachgehend - geklärt hat, daß es sich auch noch bei den nachfolgenden Krönungseiden um promissiones handelt; erst im xz. Jahrhundert nehmen sie die Natur des >iuramentum< an42 • Es bleibt die Frage: Wurden damals schon Gelöbnisse durch Eidformeln und Schwurformeln noch verstärkt?43 Ich kann darauf hinweisen, 36 Formulae S. 569 Z. 10 und 33· 37 Cap. II S. 294 und 295: 857. 38 Eo. W. GUNDLACH in Mon. Germ., Epp. m s. 469-6 57 . 39 A. a. 0. S. 523· 40 E. E. STENGEL, Diplomatik der deutschen Immunitäts-Privilegien, Innsbruck 1910 S.
429ff. Vgl. auch das Ludovicianum 817 (wohl nach älterer Vorlage): >statuo et concedo<, im Ottonianum von 962 ersetzt durch: >spondemus et proinittimus<. - Daß die Erweiterung erst 875 geschah, bleibt denkbar. 41 Z. B. im Eid der Römer von 896 (Mon. Germ., Capit. II S. 123).
Vergleich mit der Eidformel Winfrids (7r6/7) (S. 194-197)
daß die Untertanen Karls des Großen, die schwören, geschieden werden von den Mönchen, die in verbum tantum et in veritate promittant44 - dann wird aber auch wieder unter dem Lemma De sacramento von denen gesprochen, qui antea ... ftdelitatem non promiserunf40. Die Begriffe werden also einerseits geschieden, andererseits auch wieder vermischt. Wir müssen also sprechen von einem dem Papste gernachten Versprechen, von einer >prornissio<, wie der Kaiserordo sagt, halten aber die Möglichkeit offen, daß sie beim Ablegen noch eidlich bekräftigt wurde - das geschah, wie wir noch sehen werden, im Jahre 774 bei der Neuausfertigung des Pakturns und bei einem zweiten Akt, der uns noch mehr angeht. 6. Deutlicher liegen die Verhältnisse wieder bei der Erweiterung von in omnibus zu in onmibus utilitatibus. Das zugesetzte Wort ist der fränkischen Rechtssprache nicht frernd46 , aber bezeichnend ist es vor allem für den kurialen Sprachgebrauch, der sichwie ERICH CASPAR bereits nachgewiesen hat47 - seiner seit langem bediente. Im 8. Jahrhundert wurde es gebraucht wie iustitia =Gerechtsame, soz.B. im Bischofseid: tibi utilitatibusque ecclesiae tuae. Der Prornissio kommen solche Stellen in den Papstbriefen nahe wie diese: pro perftcien vdutilitate fautoris vestri beati Petri (Stephan II., S. 488 Z. I7, auch Z. 8), pro utilitatibus s. nostrae ecclesiae (Paul I.; S. 549 Z. 27). Später bediente man sich anderer Ausdrücke. Natürlich ist ein einzelnes Wort ein zu schwa42 V gl. im Anhang 2 zu diesem Kapitel über die (an diese Ausführungen anschließenden) Bücher von Marcel David, in denen die Umwandlung der königlichen promissio in ein iuramentum an Hand der Ordines und anderer Zeugnisse in erschöpfender Weise dargestellt ist. 43 V gl. »sub iureiurando promissionibus« im Pakturn von 8 17· Der bekannte Rechtssatz, daß der König außer bei seiner Krönung nicht selbst schwört, hat sich erst im Laufe der Zeit herausgebildet und kommt daher als Erklärung nicht in Betracht. Hinweisen kann man dagegen darauf, daß Pippin und der byzantinische Kaiser ihren Freundschaftsbund auch durch Gelöbnisse sicherten: amicitias, quas inter se mutuo promisserant, s. Fredeg. Cont. cap. 40 (Mon. Germ., SS. rer. Merov. II S. r86). Über zwischenstaatliche Verträge vgl. W. HEINEMEYER, Studien zur Diplomatik mittelalterlicher Verträge vornehmlich des I 3. Jahrhunderts, im Arch. f. Urk.forsch. 14, 1936 S. p1-413, bes. S. 345 über die unmittelbare Vertragschließung (»aus den bei-
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Schramm, Aufsätze I
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den Einzelhandlungen der Eidesleistung und der Ausfertigung bzw. Überreichung der Vertragsurkunden zusammengesetzt«) mit Belegen, die bis in die karolingische Zeit zurückgreifen. Über die Merowinger vgl. die oben S. 15 8 Anrn. 29 angeführte Untersuchung von FR. L. GANSHOF. R. HELM, Untersuchungen über den auswärtigen diplomatischen Verkehr des römischen Reiches im Zeitalter der Spätantike, ebd. 12, 1932, S. 393 f. streift die Frage nur. - Auf die Profeß der Mönche, für die Zeugnisse vorliegen, sei nur am Rande verwiesen. Mon. Germ., Capit. I S. 66, dazu SIEGEL (s. Anm. I I 5) S. 55 nach dem Kapitular von 8o5 c. ro, daß der Eidschwur ursprünglich als das stärkere der Bänder betrachtet wurde. Ebd. s. 131, ähnlich s. 92 c. 2, s. IOO c. I usw.; vgl. auch: »cum iuramento, quale d. Eugenius papa . . . factum habet per scripturn« im Römereid von 824. Vgl. das Register zu Mon. Germ., Forrnulae s. 780. S. 17 mit Anm. 5; vgl. auch DuMAS a. a. 0. s. 303·
BI. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
eher Anhalt für die Behauptung, daß demnach die Kurie auf die Formulierung der Promissio Einfluß gehabt haben muß. Aber als Gedanke darf sie einmal aufgeworfen werden48 • Denn dadurch wird unser Augenmerk für den folgenden Punkt geschärft. Den wichtigsten Unterschied zwischen Winfrids Formel und der Promissio haben wir nämlich bis zuletzt zurückgestellt, da wir bei ihm einen Einsatzpunkt für weitere Schlüsse finden werden: 7· Winfrid, der einen Freundschaftsbund bekräftigt, bekennt, dem Nithard amicum et . . . devotissimum adiutorem sein zu wollen. Diese Doppelung bleibt der Rechtssprache bis in das 9· Jahrhundert eigen, in dem sich noch drei- und vierteilige Formeln hinzugesellen. Es findet sich auch das in mannigfacher Weise verwandte Wort adiutor, das u. a. auch von der liturgischen Sprache benutzt wird, als Rechtsausdruck: nach dem Vertrage von Meersen (8 5I) sollen die Getreuen der Könige sein: fideles et oboedientes ac veri adiutores atque cooperatores49 , nach der Formel von 8 58 haben sie zu schwören: jide!is vobis adiutor err/> 0 , und ähnlich heißt es 876 im Bischofseid: jide!is et obediens et adiutor.
d) Wandlungen des Begriffes >Protector< Der Eid des Ordo weist noch die alte Doppelung auf, benutzt aber zwei andere Ausdrücke: >me proteetotem ac defensorem esse<. Seit wann werden sie auf das V erhältnis des fränkischen Königs zur Römischen Kirche bezogen? Und seit wann werden sie in dieser Weise miteinander verbunden? Das reiche Material des Codex Carolinus mit etwa hundert päpstlichen Schreiben aus den Jahren 739 bis 79I erlaubt uns, eine ganz genaue Antwort zu geben - doch müssen wir den Leser bitten, einen begriffsgeschichtlichen Exkurs in Kauf zu nehmen. Wir legen ihm das Wort protector zugrunde; denn die Gruppe >defensor-defensiodefendere< schillert nicht nur in den Papstbriefen, sondern auch sonst so sehr in einer bald rechtlichen, bald erbaulichen, einmal konkret gemeinten, dann wieder ganz unscharfen Verwendung, so daß sich daraus keine sicheren Schlüsse ergeben- außerdem wird der fränkische König bereits in der Zeit Chlodwigs non so/um praedicator jidei catho!icae, sed defensor genannt51 ; die Promissio steht also in einer sehr alten Tradition, 48 W. FRITZE (s. Anh. I) weist auf den ähnlichen Bau des Bischofseides (7. Jahrh.) und anderer Formeln aus dem kirchlichen Bereich hin. 49 Cap. II S. 73 § 6. 50 Ebd. S. 296; vgl. auch S. 368 Z. 25: König Boso von Burgund als domni Karoli defensor et adiutor necessarius in der voraufgehenden Zeit bezeichnet. Über den von Alcuin verwandten und noch
im rr. Jahrhundert belegten Ausdruck rector et defensor vgl. 0.-H. KosT, Das östliche Niedersachsen im Investiturstreit, Göttingen I962, s. 5rf. 5r Brief des Remigius von Reims (Mon. Germ., Epp. III s. I 14). Über die päpstliche Auslegung des DejensioBegriffes vgl. E. EwiG, Zum christl. Königsgedanken, in: Vorträge u. Forsch., hg. vom
Wandlungen des Begriffs >Protector< (S. I97-I99)
wenn sie das Wortdefensor gebrauchJ:52 • Ganz anders liegen die Dinge dagegen bei dem Ausdruck >protector<. >Protector< findet sich gegen zwei dutzendmal in der Vulgata, besonders in den Psalmen, die die Verbindung: »adiutor et protector« lieben. Das Wort spielt daher eine an Bedeutung gewinnende Rolle in den Gebetsformeln der Römischen und der Fränkischen Kirche: Sacr. Leonianum58 S. 5, 46, I35: »Protector in te sperantium Deus« dreimal als Gebetsanfang; S. I44: »dexteram tuae protectionis ostende«; S. 59: »ab omni mortalitatis incursu continuata miseratione nos protegas, quia tune defensionem tuam non diffidimus«; S. 73: >qui te protectore confidunt< usw.usw. Sacr. Gelasianum54 LVII 3 ( = LX 3): »Romanorum regnum tibi subditum protege principatum«; ebd. 4: »in tuae protectionis securitate«; ebd. LIX 2 = Leon. S. I44; ebd. 3: »qui tua expectant protectione defendi«; ebd. 5 = Leon. S. 73; LX 3 s. oben; ebd. 5: »Protege, Domine, famulos tuos«; LXI 2: »in tua protectione fidentium«; ebd. 7: »Protector noster, aspice, Deus«; LXII I: »Deus, regnorum omnium et Romanimaxime protector imperü«; ebd. 4: »maiestatis tuae protectione confidens«, usw. usw. Während für diese beiden Sakramentare mangels eines Wortindex nur Stichproben gegeben werden können, weist das Wörterverzeichnis, das für das ursprüngliche Sacr. Gregorianum vorliegt55 nach, daß »protector, protectio, protego« in dieser Sammlung 28mal vorkommen: durchweg bezogen auf Gott, einen Heiligen usw. Miss. Gothicum56 Nr. 226: »maiestatis suae protectione«.
Inst. f. geschieht!. Landesforschung in Konstanz, geleitet von TH. MAYER III: Das Königtum, Konstanz I954, S. 47· 52 Belege bei G. TELLENBACH, Röm. u. christl. Reichsgedanke in der Liturgie des frühen MA.s, in den Sitzungsber. der Heidelberger Akad., Phil.-Hist. Kl. 25, I934/5, S. 42; ]. FLECKENSTE1N, Die Bildungsreform KarJs d. Gr., Prigge-Ruhr I953, S. 67 mit S. II8 (Anm. I48). Die Geschichte des kirchlichen DefensorAmtes behandelte Ono KAMPE, Die >defensores ecclesiae< der Spätantike in Rom, Diss. Göttingen 1949 (ungedruckt). 53 Ed. CH. L. FELTOE, Cambridge 1896 und K. MoHLBERG, Rom 1956. Vgl. dazu VoGEL (Anm. 54) S. 3I ff. (Die Benennung istfalsch; der Text liegt vor in einer Hs. vom Anfang des 7· Jahrh.; im Text ist Material aus dem 5. oder 6. Jahrh. verarbeitet). 54 The Gelasian Sacramentary, ed. H. A. W1LSON, Oxford I894 und K. MoHLBERG, Rom I96o. Zur Datierung vgl. C. VOGEL, Introducdon aux sources de !'bist. du culte chretien au moyen äge, in den Studi medievali,
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3· Serie III, I, I962, S. 48ff. (danach: Rom zw. 628-7I 5). Dadurch sind überholt A. BAuMSTARK, Missale Romanum, Nijmwegen I929; TH. KLAusER, Die liturg. Austauschbeziehungen zw. der röm. u. der fränkisch-deutschen Kirche vom 8. bis zum Ir. Jahrhundert, im Histor. Jahrh. 53, I933, S. I84ff.; weitere Lit. bei TELLENBACH a. a. 0. 55 H. LrnTZMANN, Das Sacramentarium Gregorianum nach dem Aachener Urexemplar, Münster I92I, S. I64; zum Datum VoGEL a. a. 0. S. 67ff. 56 Missale Gothicum. Das Gallikanische Sakramentar (Cod. Vat. Reg. lat. 317) des 7.-8. Jahrhunderts. Eingeleitet von C. MeHLBERG (Cod. Iiturg. e Vaticanis praes. delecti I), Augsburg I929; neue Ausgabe von DEMS., Rom I96I; auch hg. von H. M. BANNISTER 2. Druck, London 1917-I9 (Henry Bradshaw Society Fund 54). Hinzu kommt noch eine neue These: Nach K. GAMBER, Il sacramentario di Paolo Diacono. La redazione del Gelasiano s. VIII in Pavia, in: Rivista di storia della Chiesa in
BI. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche Sakramentar von Gellone (77o-78o)67. »(Gott möge dem König sein) in protectione clipeum sempitemum; dum fidellissime christiane fidei Franeorum gentem protegis; protegas eos, ne ab impiis contaminentur; quia Tu es protector et defensor omnium in te sperantium.« Sakramentar von Angouleme (um 8oo) 58 Nr. 1857: »Tribue ei, omnip. Deus, ut sit fortissimus protector patriae et consolator (S. zoo) ecclesiarum atque cenobiorum«; Nr. 2307: »protegente dextera tua«; Nr. 2309: »mitte angulum tuum sanctum protectorem«; Nr. 2316: »sub tua protectione ... ab omni mortalitatis incursu continuata rniseratione nos protegas (vgl. Sacr. Leon. S. 59) atque ab hostium forrnitudine defendas«; Nr. 2317 »(reges) sint tuo clipeo protecti cum proceribus«; Nr. 2329 = Sacr. Leon. S. 59· Entsprechend heißt es in dem Brief eines englischen Bischofs an den Hlg. Bonifaz (nach 737): >habetis protectorem humanum generis redemptorem ... Jesum Christum 59 <. Überall ist, wie man sieht, im Sinne der Bibel >protector< auf Gott bezogen oder doch auf Gottes Engel und seine Heiligen. Aus dieser Reihe springt nur das Sakramentar von Gellone insofern heraus, als es in die Psalmworte »protector omnium in te sperantium« (Ps. 17, 31), die bereits das Sacr. Leonianum aufgegriffen hatte, noch >et defensor< einschiebt, so daß sich die von uns gesuchte Formel (protectorem ac defensorem) ergibt. Doch ist zu beachten, daß sie hier von Gott und nicht vom König gebraucht wird. Leider liegt von dieser wichtigen Handschrift, die heute in der Pariser Bibliothek geborgen ist, noch keine Ausgabe vor, jedoch darf als geklärt angesehen werden, daß sie bereits den Anfangsjahren Karls des Großen angehört. Durch diese liturgische Sprache ist auch die der Papstbriefe bestimmt: Gott ist der Proteetor des Königs60, beweist ihm seine protectio81 ; Pippin ist der »a Deo protectus rex« oder >filius<- eine vielfach abgewandelte Formel••, die dem griechischen ffeoq!'vAaxroc; entspricht. Und nicht nur Gott, sondern auch seine Heiligen sind Schützer, so z. B. der Hl. Chrysogon63, vor allem natürlich S. Petrus selbst, der als >fautor, nutritor< usw., aber auch als >protector< des Königs bezeichnet wird. Ein Schritt weiter, und auch die Geistlichen nennen sich gegenüber dem Christenvolk »protectores in orationibus suis«64 • Bezeichnend für den religiösen Sonderklang" 5, der >protegere< mit seinen Nebenformen anhaftet, ist der Brief, in dem 756 Stephan II. in höchster Not den Frankenkönig beschwört: »Ne elonges a Italia XVI, 196z, S. 412-438 handelt es sich um das amtliche Missale des Langobardenreichs, das Paulus Diaconus in Pavia redigierte und in das Frankenreich mitnahm, wo es vermutlich von Alkuin überarbeitet wurde. 57 Cod. Paris lat. 12 048, noch ungedruckt; der folgende Abschnitt bei G. TELLENBACH, Römischer und christlicher Reichsgedanke in der Liturgie des frühen Mittela., SB. Beideiberg I934/5 I. Abh. S. 71. Zum Datum D. A. WILMART in der Revue Benedictine 42, I93o, S. zzz und VoGEL a. a. 0. S. 58, 6I, 66; zur Verwandtschaft mit dem Sacr. Gelas. saec. VIII vgl. P. DE PUNIET in den Ephemerid. Iiturg. 51, I937, S. 38-56. 58 Ed. P. CAGIN, Le sacramentaire Gelasien d'Angouleme, ebd. I9I8; dazuVoGEL a. a. 0. s. 58.
59 Ed. M. TANGL, I916 (Mon. Germ., Epist. sei. I) S. 76 (Nr. 47). 6o Z. B. Mon. Germ., Epp. III S. 544 Z. 3I. 6I Z. B. S. 567 Z. r6f. 6z Z. B.: »a Deo protecta excellentia, potentia« usw. 63 Epp. III s. 5Z9 z. I I. 64 Mon. Germ., Conc. II, I S. 51 Z. 34s.: Bayerische Synode von 74o-5o. 65 Ich verweise hier nur auf die Widmung der Collectio Dionysio-Hadriana: Karl wünscht »iustitias almi Petri sui protectoris tueri«; angeführt im Liber Pontificalis, ed. L. Duchesne I, Paris I886, S. p6. Vgl. auch Paulus Diaconus: Gedicht Nr. XLIII v. I9: sit tibi protector centri regnator et orbis (Mon. Germ., Poet. lat. I S. 76).
Wandlungen des Begriffs >Protector< (S. 199-202) nobis auxilium ... : sie non elonget Dominus auxilium suum et protectionem a te tuaque gente.« 66 Doch deutet sich der Wandel gerade in diesem Schreiben an; denn an späterer Stelle erklärt der Papst, daß er dem Könige, seinen Söhnen und den Franken übertragen habe »sanctam Dei ecclesiam et nostrum Rarnanorum rei publice populum ... protegendum«67 . Wie allgemein dieser Ausdruck hier noch zu nehmen ist, zeigt der berühmte gleichzeitige Brief, der im Namen S. Petri ausgestellt ist und die Aufgabe Pippins immer wieder- und zwar ausschließlich- als >defendere< und >liberare< auslegt. Die Zeit Pauls I., der von 757-67 amtiert, bringt nicht nur den Höhepunkt in der Entwicklung kurialen Reichtums an Floskeln, Dankeswendungen und Beteuerungen, sondern zeichnet sich auch durch das Bemühen aus, das Verhältnis der fränkischen Herrscher zur Römischen Kirche sprachlich deutlicher zu fassen. >Auxiliator et defensor<, >defensor et liberator<, auch >tutor< heißt es gleich am Anfang seines Pontifikats, in Fortsetzung der Tradition, aber doch durch Prägnanz über sie hinausführend68. Etwa zwei Jahre später schreibt Paul I.- gleichsam als Zusammenfassung der vorbereiteten Möglichkeiten-, daß Pippin >defensor ac liberator< der Kirche und dazu >auxiliator et protector< des Papstes sei. Es ist deutlich, wie hier der Wunsch nach Wandlung des Ausdruckes das Wort >protector< auf dieselbe Ebene wie >defensor< herabgezogen hat. In einem weiteren Schreiben, das nur ungefähr, nämlich zwischen 761 und 766, eingeordnet werden kann69, finden wir dann zuerst die gesuchte Formel: hier bittet der Papst den König, »ut sis nobis post Deum firmus proteetot ac defensor«7o. Von Papst Konstantin II. (767) liegen nur zwei Schreiben vor, die sich an den unter Paul I. ausgebildeten Sprachgebrauch anschließen: Pippin der >defensor<, der >liberator ac defensor< zwecks >exaltatio< und >defensio< der Kirche, aber auch des orthodoxen Glaubens, ferner zwecks >liberatio< des römischen Gebietes; vor allem der Papst hat sich übergeben »in vestro solito auxilio et protectione«71. Es folgt die Zeit, in der Kar! in die Alleinherrschaft hineinwächst und erst Stephan III. (768-72), dann Hadrian I. (772-95) gegenübersteht. Der Stil der päpstlichen Schreiben wandelt sich; er wird , sachlicher und kürzt die bisher üblichen Floskeln und Beteuerungen. Dem entspricht es, daß die unter Paul I. ausgebildete Terminologie für das Verhältnis des fränkischen Herrschers zur Römischen Kirche wieder vereinfacht wird. Defensio, exaltatio, liberatio, augmentum und die zugehörigen Formen bleiben;protectio verschwindet so gut wie ganz aus dieser Sphäre, während es in der Fassung »a Deo protectus«, »Petrus protector vester« u. ä. wie bisher weiter verwendet wird. Nur noch einmal taucht
66 Epp. a. a. 0. S. 496 Z. I I ff. 67 Ebd. s. 497 z. IZf. 68 V gl. hier auch die Konstantinische Schenkung § II, die angibt, Konstantin habe sich Petrus und seine Nachfolger gewählt als »firmos apud Deum patronos et defensores«. 69 Ebd. S. 539 Z. 6. Zu >firmus< im Kurialstil vgl. P. SCHEFFER-BOICHORST, Gesammelte Schriften I, Berlin I 90 3 (Histor. Studien 42) S. 15f., vorher: Mitt. des Österr. Inst. f. Gesch. forsch. Io, I889, S. 3 I2. 70 Den Hintergrund für diese Begriffsverschiebung bildet die Wandlung der päpstlichen Schutzverleihungen. In ihnen bildete anfangs der dem römischen Recht entnommene Ausdruck iurisdktio den Angelbegriff. Zu ihm
war 70I zum erstenmal der Ausdruck tuitio getreten; daß er in einer für ein angelsächsisches Kloster (Malmesbury) ausgestellten Urkunde erscheint, wird kein Zufall sein, da ja in der germanischen Rechtswelt Schutzverhältnisse eine große Rolle spielten. Der Ausdruck, abgewandelt in: protectio apostolica, findet sich ganz isoliert in einer Bulle Stephans IV. vom 26. Febr. 757; mit ihr wurde der von Pippin in den wichtigsten Angelegenheiten benutzte Abt Pulrad von St. Denis belohnt; vgl. dazu H. APPELT, Die Anfänge des päpstlichen Schutzes, Mitt. 62, 1954, S. IOI-II, bes. S, I06 und III. 71 Epp. a. a. 0. S. 651 Z. 10.
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BI. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
die gesuchte Formel auf: Ein Jahr nach Karls erstem Besuch in Rom nennt ihn Hadrian I.: >>noster cum Deo defensor et protector«72 • Dann wird - so weit ich sehe - dieser Ausdruck in der kurialen Sprache fallengelassen. Kein Wunder, denn durch die Gebete des Kirchenjahres behielt er seine ursprüngliche Weihe, und manchem mochte es unpassend scheinen, diesen nun einmal Gott und seinen Heiligen zukommenden Ausdruck auf den weltlichen Herrscher herabzuziehen. Auch sonst mußte der Ausdruck unpassend anmuten: der König Helfer, Verteidiger der Kirche- ja, aber: Beschützer - das barg Konsequenzen in sich, die dem Papsttum nicht erwünscht sein konnten. Und die königliche Seite? Dem Königstitel wurde bald nach dem Regierungsantritt Karls in den Kapitularien der Zusatz beigefügt: »et devotus sanctae ecclesiae defensor atque adiutor in omnibus«73 • In der >Admonitio generalis< von 7S9 lautet Karls Titel entsprechend: »rex et rector regni Franeorum et devotus s. aecclesiae defensor humilisque adiutor74 • Aber es begegnen auch schon protegere - protector: Noch nicht bestimmtist dasAlter des vom IO. Jahrhundert an zum festen Bestand der Kaiserin- und Königinordines gehörenden, aber wohl viel älteren Gebets: Omnipotens sempiterne Deus, fons etc.; in ihm heißt es: ad decorem totius regni statumque s. eccl. Dei ecclesiae regendum necnon protegendum75 • Um die Jahrhundertwende, vielleicht noch etwas früher, ist das bereits genannte Gebet von Angouleme anzusetzen, das von Gott erfleht, der König möge der »fortissimus protector patriae et consolator ecclesiarum atque cenobiorum« sein76 - hier ist der Ausdruck also verweltlicht. In dieser Form findet er sich bei Alcuin wieder, der in einem für Karl aufgesetzten Brief an den König von Mercia diesen (im Pluralis maiestatis) als patriae ... protectores, ... ftdei defensores bezeichnet"'. In einem anderen Brief, den Alcuin im Jahre 799 an seinen König richtete, heißt es dann (der untersuchten Formel sehr nahe kommend): tanta devotione ... , quam forinsecus a vastatione defendere vel protegere conaris'a. Anders der Abt Theodemar von Monte Cassino, der zwischen 7S7-97 Karl dem Großen als »propagatori ac deftnsori christianae religionis« einen Brief sendet, also ein ähnlich klingendes Wort einfügt79 • Diesen Brief hatte Paulus Diaconus aufgesetzt, der an anderer Stelle Karl als »defensoremque patremque« preist80 • Der älteste Beleg für die Verwendung des Wortes protector durch Karl selbst stammt- wenn ich recht sehe- erst aus dem Jahre Soa, also aus der Zeit nach Karls drittem Besuch in Rom, bei dem es zur Erhebung Karls zum Kaiser kam. Diese muß ja die 774 aufgeworfene Frage, wie der nunmehrige Kaiser zur Kirche stehen solle, wieder aufgerührt haben. Es handelt sich um einen Text von großer Bedeutung, nämlich das Capitulare missarum generale, das nicht nur die neue Vereidigung der Untertanen regelt, sondern auch die Grundsätze verkündet, die durch die Missi im ganzen Reich zur Befolgung gebracht werden sollen. Hier heißt es im Absatz 581 : »Ut sanctis ecclesiis Dei neque viduis neque orphanis neque peregrinis fraude vel rapinam vel aliquit iniuriae quis facere presumat; quia ipse domnus imperator, post Domini et sanctis eius( !), eorum et protector et defensor esse constitutus est.« Man beachte die Einschränkung, daß Karl sich nur nach Gott und seinen Heiligen als Beschützer bezeichnet; Ebd. S. 577 Z. 9· Die Beleges. unten S. I73 (S. 2.I3). Mon. Germ., Capit. I S. 53· Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und der Kaiserin, hg. von R. ELZE, Hannover 1960 (Mon. Germ., Fontes iuris Germ. antiqui IX) S. S, 4I usw. 76 S. oben S. I64. 77 Mon. Germ., Epp. IV S. I45 Nr. IOO vom J. 796; vgl. auch S. ISo Nr. I2.2. an einen
72. 73 74 75
7S 79 So
SI
angelsächsischen Großen: Proteetores sitis patriae. Ebd. S. aS9 (ähnlich S. aSa: defendere vel propagare). Ebd. S. 5Io. H. LILIENFEIN, Die Anschauungen von Staat und Kirche im Reich der Karolinger (Heidelb. Abh. zur mittl. u. neueren Gesch. I), Beideiberg I 902., S. I o f. Mon. Germ., Capit. I S. 93·
Wandlungen des Begriffs >Protector< (S. 202-204) wann aber war er als solcher eingesetzt? Die Antwort drängt sich auf: als er die von uns untersuchte Promissio »vor Gott und dem Hl. Petrus« abgelegt hatte, Beschützer und Verteidiger der Kirche sein zu wollen. Die in Karls Sprache ungewöhnliche Wendung wird also ein Nachklang seines eigenen Versprechens sein, auf das er sich besann, als er von seinen Untertanen einen neuen Eid verlangte. Sehr bezeichnend ist, daß indem Kapitularüberdie Reichsteilung (8o6) Kar! der Großeseinen Söhnen auferlegt: ut ip.ri tre.r fratru curam et defen.rionem eccle.riae .r. Petri .ru.rcipiant .rimul, .ricut quondam ab avo no.rtro Karolo et b. m. genitore no.rtro Pippino rege et a nobü po.rtea .ru.rcepta e.rt, ut eam cum Dei adiutorio ab ho.rtibu.r defendere nitantur et iu.rtitiam .ruam, quantum ad ip.ro.r pertinet et ratio po.rtulaverit, habere faciant 82 • Denn obwohl sich der Kaiser hier auf die Eide von 754 und 774 bezieht, umgeht er das Wort protectio - wie er dessen Sinn verstand, ist deutlich: Aufrechterhalten der iu.rtitia, was die Kirche aus eigener Kraft nicht vermag. In der Folgezeit hat sich kein fester Wortbrauch gebildet. Neben den angeführten Begriffen begegnet auch Proteetor immer wieder- da dieses Wort in der dem Kaiserordo I vorgesetzten Promü.rio vorkam, konnte es ja nicht vergessen werden. Belege für diese Entwicklung sind im Anhang :Ja zusammengestellt.
e) Die Datierung der Promissio im Kaiserordo I Die Folgerung für die Promissio tritt jetzt zutage: Da sie die Formel >protectorem ac defensorem< bereits auf den weltlichen Herrscher bezieht, kann sie nicht vor den sechziger Jahren des 8. Jahrhunderts aufgesetzt sein. Ihr Wiederauftauchen im Jahre 8o2 deuteten wir bereits als Anspielung auf die von Karl abgelegte Promissio - so bleibt als sicherer Beleg für die untere Grenze der Brief Hadrians vom Jahre 775, in dem er Karl als Beschützer und Verteidiger bezeichnet. Hier ist nun der Augenblick gekommen, wo wir einer Betrachtung genauer nachgehen müssen, die wir im Voraufgehenden einstweilen beiseitegeschoben haben83 • Wir stellten fest, daß die Promissio des Ordo >coram Deo et Petro apostolo< beteuert wird, während es im Bischofseid des Liber diurnus an der entsprechenden Stelle heißt: »per Patrem et Filium et Spiritum sanctum, Trinitatem inseparabilem, et hoc sacratissimum corpus tuum.« Dies ist nicht nur ein formaler, sondern auch ein sachlicher Unterschied, denn die >Per<-Formel bezieht sich auf einen Eid, bei dem der Schwörende das Corpus Christi - in anderen Fällen das Evangelium, das Kreuz oder Heiligenreliquien- mit den Fingern berührt84 • Sie ist allgemein verbreitet. Ich nenne als Beispiele die Eide der Gottesurteile85, der Römer86, der Juden87, daneben als Sonderform die Untertaneneide und andere Formeln aus der Mitte des 9. Jahrhunderts, 82 Mon. Germ., Capit. I S. 129 Nr. 45 § 15. 83 S. oben S. 159 (S. 194). 84 Vgl. zum Folgenden jetzt PH. HoFMEISTER, Die christlichen Eidesformen. Eine liturgieund rechtsgeschichtl. Untersuchung (München 1957), der sich vornehmlich mit den äußeren Formen befaßt, die bei der Eides-
Ieistung beachtet wurden (S. 14ff. Eid auf Reliquien, S. 3of. auf Evangelien). 85 Form. a. a. 0. S. 618-n, darunter Beispiele mit langen Reihen hinter >per<. 86 Capit. I, S. 324 Nr. 161. 87 Ebd. S. 259 Nr. 131.
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B r. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
da sie die Beteuerung in die Worte fassen: »Sie me adiuvet Deus et ista sanetarum patrocinia, quae in hoc loco sunt« u. ä. Die >Per<-Formel findet sich auch in der gesteigerten Sprache. So beschwört Paul I. Pippin »per Deum ... et corpus b. Petri«88 ; so hat Hadrian den Herzog von Spoleto gemahnt »per Deum omnipotentem et vitam ... domni Caroli, magni regis«89 • Dies Schwören beim Namen des Königs nahm so überhand, daß es ausdrücklich verboten wurde 90 • Die >Coram<-Formel findet sich gleichfalls in den Briefen Hadrians: >peto te coram Deo<, >coram Deo dicimus puriter et fideliter< 91 • Auch sie ist hier nur ein Nachklang aus der Eidsprache. So heißt es in verschiedenen Klosterformeln 92 und der Professio eines Erzbischofs 93 »coram Deo et angelis eius«, im Reinigungseid Leos III. »coram Deo et angelis eius, qui conscientiam meam novit, et b. Petro ... , in cuius basilica consistimus« 93 •. Daß diese Art der Beteuerung als die höhere angesehen wurde, ergibt sich aus der Anweisung der Frankfurter Synode von 794, wie der Bischof Peter von Verdun seinen Reinigungseid ablegen soll: »absque reliquiis et absque s. evangellis, solummodo coram Deo.« 94 Hier muß die Vorstellung zugrunde liegen, daß Gott unmittelbar gegenübertreten mehr besagt als das Berühren heiliger Gegenstände. In der Promissio des Ordo wird nun nicht nur Gott, sondern auch der Hlg. Petrus als gegenwärtiger Zeuge angerufen. Das setzt voraus, daß das Versprechen in einer Peterskirche geleistet wird. Ist etwa die Peterskirche in Rom gemeint, in der sich auch Leo III. im Jahre 8oo auf den Apostelfürsten berief? In der Tat ist die Formel nur so zu verstehen; denn es heißt ja gleich danach: >huius s. Romanae ecclesiae
93a Mon. Germ., Conc. I S. 227 Nr. 26.- über die Formel im Bischofseid des ro. und n. Jahrh. s. TH. GoTTLOB, Der kirchliche Amtseid der Bischöfe (Kanonist. Studien u. Texte, hrsg. v. A. M. KoENIGER 9), Bonn 1936, S. 153. 94 Ebd., Capit. I S. 75 = Conc.l S. 167 Nr. 19 § 9· 95 Vgl. hierzu den Liber Pontificalis I S. 497: Vita Hadriani c. 35, dazu (ganz kurz) CASPAR in den Fragmenten des Ill. Bandes (a. a. 0. S. I p).
Die Datierung der Promissio im Kaiserordo I (S. 204-207)
rum et Francorum, seseque mutuo per sacramenta munientes, ingressus est continuo Romam cum . . . pontifice . . . rex cum suis iudicibus et populo. In eodem sabbato sancto etc«. Diese Schilderung des Liber Pontificalis wird bestätigt durch die Briefe Hadrians aus dem folgenden Jahre; er bezieht sich in ihnen auf »ea, quae inter nos mutuo coram ... corpus . b. Petri confirmavimus atque stabilivimus«96 , auf die sponsio, »quam in invicem ante sacram eiusdem Dei apostoli confessionem adnexi sumus«97 • Hier muß man das >coram ... corpus ... b. Petri< ebenso beachten wie die bereits angeführte Angabe in einem weiteren Briefe dieses Jahres: »Tu enim ... noster cum Deo defensor et protector existis, quia per te s. Dei ecclesia . . . exaltata magno exultat gaudio« 98 ; denn in diesen Stellen schimmert noch der Wortlaut des nun wiedergefundenen Versprechens wieder, das Karl ein Jahr vorher an der Confessio b. Petri abgelegt hatte. Und nicht nur gesprochen und beschworen hat der Frankenkönig sein Versprechen, sondern- so dürfen wir jetzt hinzufügen- er hat es damals auch schriftlich an dieser Stelle niedergelegt. Das war der damals bei wichtigen Dokumenten übliche Brauch, geschah sogar mit auslaufenden Briefen der Päpste, die dadurch ein besonderes Ansehen bekommen sollten. Karl hat daher auch seine Neuausfertigung des Paktums auf der Confessio dargebracht und sich dabei mit seinen Großen >sub terribile( I) sacramento< verpflichtet, den Inhalt auszuführen99 • Die beiden Akte dieses Besuches entsprachen sich also formal: mündliche, durch Eide bekräftigte Zusagen sowie schriftliche, auf dem Grabe Petri hinterlegte Ausfertigungen. Nur darin bestand ein Unterschied, daß der Papst an jenem Sonnabend einen Gegeneid leistete. War auch dieser schriftlich festgehalten? Wir wissen es nicht, und es liegt kein konkreter Anlaß zu dieser Annahme vor. Von seinem Inhalt enthalten Hadrians Briefe einen Nachklang: Im Folgejahr weist er es z. B. von sich, »ab ea, quae vobis polliciti sumus, declinari«, vielmehr ist sein V arsatz: »firmi et stabiles in vestra permanemus caritate.«100 Es handelt sich demnach um eine Zusage ständiger Liebe, 96 Mon. Germ., Epp. III S. 571 Z. 32· 97 Ebd. S. 574 Z. 14. 98 Ebd. S. 577 Z. 8 ff. Auch darin darf man das Versprechen und die Briefe in Beziehung setzen, daß der Begriff >s. Dei ecclesia< stärker als bisher in den Vordergrund tritt; vgl. S. 572 z. 12, S. 573 z. 32f., S. 575 z. 15 usw. Denn sonst wäre es auffallend, daß die Promissio nicht dem Hlg. Petrus, dem Papst sowie seinen Nachfolgern geleistet wurde diese nennt z. B. das an dieser Stelle zweifellos von seinen älteren Vorlagen abhängige Pakturn Ludwigs des Frommen. Auch das weist wieder darauf hin, daß der genaue
Wortlaut von der Kurie- man darf wohl, annehmen: von Hadrian selbst - festgelegt wurde. Es wird auf die Nachricht hin, daß Kar! von Pavia nach Rom komme, geschehen sein. Die damalige Lage des Papstes einerseits, des Königs andrerseits erklärt auch ausreichend, weshalb damals noch kein Anstand an dem Ausdruck »protector« genommen wurde. 99 Liber Pontificalis I S. 498. roo Mon. Germ., Epp. III S. 571 Z. 30; ähnIicl! Z. 3 5 : »qui et vos in nostra caritate firmiter esse permansuros«.
B
I.
Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
wie sie schon früher gegeben worden war - nur wurde eine besonders feierliche Form gewählt.
f) Die Promissio Pippins (7!4) Vielleicht empfindet der Leser ein Bedauern, daß sich nur die Römische Promissio von 77 4, nicht aber der Eid von Ponthion aus dem Jahre 7 54 wiedergefunden hat. Aber sicherlich erwägt er bereits den Gedanken, ob es nicht möglich sein sollte, aus dem V ersprechen des Sohnes das des Vaters zurückzugewinnenl01 • Wir wollen gleich erklären, daß diese Hoffnung sich nur zum Teil erfüllen wird, können aber sogleich hinzufügen, daß sich über den Inhalt doch sicherere Angaben als bisher werden machen lassen. Zu diesem Eingeständnis zwingt uns eine Tatsache, die bisher über Gebühr vernachlässigt worden ist. Wir stießen bereits auf den Gegensatz zwischen dem mündlich geleisteten >Sacramentum< und der schriftlich ausgefertigten >Promissio<. Wir müssen also fragen: Hat Pippin sein Sacramentum durch eine Promissio begleitet oder sie etwa nachträglich ausgestellt? Die erste Möglichkeit kann ausgeschaltet werden: Denn im Gegensatz zu Karls Besuch in Rom, bei dem die Vorverhandlungen über den Besuch durch solche über die wechselseitige Sicherung begleitet gewesen sein werden, überraschte der Papst Pippin in Ponthion durch seine bereits am Tage nach der Ankunft vorgebrachte Bitte. Aber auch die andere scheidet aus, daß Stephan sich den Wortlaut nachher schriftlich übergeben ließ, so daß er ihn zusammen mit dem Pakturn nach Rom mitnehmen konnte. Denn Paul I. bezieht sich 76 I einerseits auf das, »quod ex vestro mellifluo ore prolata et b. Petro promissa sunt«, also auf den gesprochenen Eid, andererseits auf das, was Pippin ihm »et per litteras et vestros sedulae destinatos missos« anvertraut habe, nicht aber auf ein Versprechen, das schriftlich vorlag102 • Die an Floskeln reiche Sprache dieser Schreiben gibt keine festen Umrisse; der Leser mag daher zweifeln, ob diese Auslegung auch stichhaltig ist. In diesem Falle lese er den Rückblick nach, den Stephan III. 770 oder 771 in einem Briefe an Karl und seinen Bruder Karlmann von den Verhandlungen der letzten anderthalb J abtzehnte gegeben hat1 02: 101 RODENBERG (Arun. 16) S.34-8 geht in seiner Kritik gegenüber CASPAR und HALLER ZU weit, wenn er nicht nur Bündnis, Liebesbund und Schutzvertrag ablehnt, sondern feststellt: »Was Stephan II. 754 erlangte, war allein das beschworene Versprechen Pippins, die verlorene Gerechtsame des Hlg. Petrus von Aistulf zu erwerben und der römischen Kirche zu schenken; seine Gegenleistung war die Salbung« (S. 37). Daß die Päpste sich immer wieder auf eine allge-
meine Zusage beriefen, will er durch »formelliafte Worte in der Einleitung der Schenkungsurkunden nach den Kriegen von 754 und 756« erklären (S. 36). Der Wahrheit kam näher BRUNNER-V. ScHWERIN Deutsche Rechtsgesch. a. a. 0. II S. II5,
Anm.9. 102 Mon. Germ., Epp. III S. 523 Z. 7ff., bes. Z. 15 f., 22, 103 Ebd. S. 562.
Die Promissio Pippins (754) (S. 207-2ro) Er weist zurück auf Pippin »promittens in vestris animabus Deo et b. Petro atque eius vicario ... Stephano papae firmiter debere vos permanere erga s. ecclesiae fidelitatem et omnium apostolicae sedis pontificum oboedientiam et inlibatam caritatem; et postmodum ... domno Paulo papae eadem vos una cum eodem vestro genitore certurn et plerumque per missos et scripta promisisse; et post decessum . . . patris vestri et vos ipsi sepius tarn per vestros missos quamque per litteras simulque et per Sergium . . . nostrum nomenculatorem et per alios nostros missos nobis spopondistis, in eadem vos vestra promissione sicut genitor vester circa s. Dei ecclaesiam et nostram fidelitatem esse perseveraturos.«
Dieser Brief beschwört die beiden Brüder, die geplante V ersippung mit dem langobardischen Königshaus nicht einzugehen, und führt deshalb an, was nur irgend anzuführen war, um Stephans Recht zum Einspruch zu begründen- weitere Argumente, die er hätte ausspielen können, besaß er eben nicht. Es handelt sich um drei: r. Bereits Pippin hat in seinen Eid seine beiden Söhne miteinbezogen - diese Angabe wird ergänzt durch ein geschichtliches Zeugnis104, das berichtet, Stephan habe in Ponthion sich nicht eher wieder erheben wollen, »quam sibi praedictus rex Pippinus cum filiis suis et optimatibus Franeorum manum porrigerent et ipsum pro indicio suffragü futuri et liberationis de terra levarent. Tune rex Pippinus omnem pontificis voluntatem adimplens etc.«. Das Sacramentum schloß also gleich von Anfang an die beiden Erben des Königs ein. 2. Zu diesem Sacramentum hat sich Pippin - wiederum zugleich im Namen seiner Söhne- wiederholt bekannt, nachdem 757 auf Stephan Papst Paul I. gefolgt warpnd zwar schriftlich in seinen Briefen wie auch mündlich durch seine Gesandten. Ein vielfach gebrochenes Echo dieser Erklärungen tönt aus den Papstbriefen dieser Jahre heraus: In Pippins Schreiben und erst recht in den Reden seiner Gesandten war sein Sacramentum natürlich nicht wörtlich angeführt, sondern paraphrasiert, in den gekünstelten Briefstil der Zeit übersetzt oder nur mit Hinweis bedacht, da der Empfänger den Eid ja kannte und nur hören wollte, daß der König noch zu ihm stand. Diese Angaben, abermals umgepreßt in den salbungsvollen, gestelzten Stil der Kurie und mindestens ebenso mit Anspielungen arbeitend, da der König sein Sacramentum ja erst recht kannte, ergeben naturgemäß, wenn man sie zu sammeln sucht, keinen klaren Klang- wobei wir ganz von dem Verstimmen des ursprünglichen Tons durch eine nachträglich umgeänderte Auslegung absehen wollen. Erst in diesem Hin und Her ist die Formel >amicus amicis, inimicus inimicis< aufgetaucht, die so lange im Vordergrund der Erörterungen gestanden hat, da sie als ursprünglicher Bestandteil der Abreden von Ponthion angesehen wurde. Besonders für J. HALLERS These war sie von Bedeutung, da er sie als Formel des Mannschafts-
104 Annales Mettenses priores, rec. B. de Sim-
son (Script. rer. Germ.), Hannover 1905, S. 45; Chron. Moissiacense (Mon. Germ.,
Script. I S. 293), vgl. auch den Brief Hadrians von 775 (Mon. Germ., Epp. 111 S. 579 Z. 3 ff.): >Una vobiscum<.
BI. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
eides ansah und daraus auf den Rechtscharakter der eingegangenen Bindung schloß105 • Was noch an sonstigen Begriffen und Hilfskonstruktionen herangezogen worden ist, um das einzigartige Verhältnis von König und Papst zu erläutern, Begriffe des Kirchenrechts wie >compaternitas<, der erbaulich-moralischen Sphäre wie >Liebesbund<, des zwischenstaatlichen Verkehrs wie >sponsio<, ist in seinem Schillern und politisch bedingten Schwanken bereits durch CASPARS Untersuchungen weitgehend klargelegt worden. ;. Nach dem Tode Pippins (768) haben sich seine Söhne, die nun für sich selbst sprachen, wiederum zu dem Eid des Vaters, in den er sie ja bereits eingeschlossen hatte, bekannt: und zwar geschah dies abermals einerseits brieflich, andererseits mündlich. Übermittler solcher Erklärungen waren nicht nur fränkische Gesandte, sondern auch päpstliche, die nach Rom zurückkehrten. Für die Papstbriefe dieser Jahre gilt deshalb das für den voraufgehenden Zeitabschnitt Ausgeführte in noch verstärktem Maße: Es mußte gegenüber dem Berg der inzwischen ausgetauschten Versicherungen und Mahnungen mittlerweile schwer geworden sein zu scheiden, was Pippin ursprünglich beschworen, was er später auf Grund seines Eides versichert, was die Kirche aus seinen Worten gefolgert und er dann angenommen oder wiederum in seiner Weise ausgelegt hatte und was schließlich durch die nächste Generation sowohl in Rom wie im Frankenreich, die durch eine neue Lage und durch neue Absichten bestimmt war, formuliert wurde. Ein fester Halt in diesem Gewoge wurde eben erst 77 4 erreicht, als auf Grund dieser Tradition die Promissio Karls des Großen schriftlich festgelegt wurde. Denn das ist wesentlich: Sie sollte nichts Neues darstellen, sondern nur das Band bestätigen und festmachen, das zwischen König und Papst durch Pippins Sacramentum ge105 So noch Papsttum a. a. 0. S. 507, wo er die Worte als die den Franken des 8. Jahrhunderts geläufige Formel des Mannschaftseides bezeichnet. In seinem Aufsatz (S. 69) hatte er sogar behauptet, daß der germanische Krieger sie >seit grauer Vorzeit< zu sprechen pflegte. Wir wollen uns nicht damit aufhalten, daß seine Belege erst dem angelsächsischen Recht des 10. Jahrhunderts entnommen sind und die Struktur der uns bekannten älteren Formeln eine ganz andere ist; vgl. dazu MITTElS (Anm. 13) S. 43 ff. Denn hier genügt der Hinweis, daß es sich um eine Wendung handelt, die sowohl in der Bibel als auch in der klassischen Literatur begegnet und im Mittelalter an verschiedenen Stellen auftaucht. Darauf wies bereits A. BRACKMANN in seiner Anzeige
CAsPARS hin (Göttinger Gelehrte Anzeigen 180, 1918, S. 4o8f.), und L. WALLACH, Amicus amicis, inimicus inimicis, in Zeitsehr. f. Kirchengesch. 52 ( = 3· Folge 3), 1933, S. 614 hat Belege aus dem 11./12. Jahrhundert beigebracht. In der Zeit Pippins kann man aus den Worten- wenn man sie nimmt, wie sie dastehen - nur entnehmen, daß der Papst die Beziehung des fränkischen Königs zu ihm als ein Bündnis ansah, und zwar nicht von Anfang an; erst seit der Zeit Pauls I. stellte sich die Auffassung, die mit der eines wechselseitigen Liebesbundes verschwistert ist, ein. RoDENBERG a. a. 0. S. 35 glaubt aus den Briefen herauslesen zu können, daß Pippin sich dieser Auslegung gegenüber ablehnend verhalten habe.
Die Promissio Pippins (754) (S. 210-213)
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schlungen war: »ea, quae inter nos mutuo . . . confirmavimus atque stabilivimus«, sagt Hadrian rückschauend in dem bereits angeführten Brief des Jahres 775· Der Wortlaut dieser Promissio ist also auch ein Echo des Sacramentum von 7 54, möglicherweise gebrochen durch das, was die beiden letzten Jahrzehnte aufgetürmt hatten, aber doch von klarerem Klang, weil in ihr Wort für Wort abgewogen und eine herkömmliche Rechtsformel zugrunde gelegt ist. Stellen wir zuerst fest, worin sich die Promissio Karls vom Sacramentum Pippins unterschieden haben muß! Nicht auf den mündlichen Eid Pippins kann - wie wir sahen - die erst nachträglich gefundene Formel: >protectorem ac defensorem< zurückgehen. Auch das wird der Promissio Karls eigen sein, daß sie allein der Römischen Kirche ausgestellt wird; denn darin ist sich die frühere Forschung einig, daß · Pippin-dem Zeitstil entsprechend-sein Sacramentum dem Hlg.Petrus, dem Papste Stephan und seinen Nachfolgern leistete1 os. Ob Pippin sich einer Invokation, einer Beteuerung, einer Schlußformel bedient hat, ist unwesentlich. Auf den Bau der Promissio kommt es an, und von ihm haben wir bereits festgestellt, daß er dem Schema der Freundschaftsversprechen entspricht, das bereits gegen Anfang des 8. Jahrhunderts in dem Briefe Winfrids faßbar ist. Alles spricht dagegen, daß es erst 774 zugrunde gelegt wurde; wir dürfen es deshalb für Pippins Sacramentum in Anspruch nehmen. Es ergibt sich demnach, daß der König im J. 754 sich nicht- wie CASPAR wollte- durch einen Schutzvertrag band, nochwie HALLER behauptet-sich zugunsten des Hlg.Petrus durch einen Vasalleneideinfangen ließ, sondern einen Eid leistete, der in die allgemeine Gattung der Freundschaftseide gehörte. Läßt sich innerhalb dieser Gattung der Eid von Ponthion noch genauer absondern? Winfrid hatte versichert, »fidelem amieuro et . . . devotissimum adiutorem« sein zu wollen. Als Freund des Hlg. Petrus oder der Hlg. Kirche konnte sich niemand bezeichnen; das wäre ein unziemlicher Ausdruck gewesen. Anders lag es bei dem Worte >adiutor<, das sich daher wohl in dieser Verbindung verwenden ließ und daher auch in beiden Lagern so benutzt worden ist. Nun hat E. CAsPAR bereits darauf hingewiesen, daß Stephan bei seinen Berufungen auf die Ereignisse im Frankenreich ein Jahr später vor allem den Ausdruck >defendere<, bzw. >defensio< heranzieht. Der Gedanke drängt sich auf, daß Pippin zusagte, >defensorem et adiutorem< sein zu wollen107• Er erhält eine Stütze durch den Titel, den Karl der Große in einem Kapitular (angeblich aus dem Jahre 769 oder wenig später) führt: »Karolus gratia Dei rex regnique Franeorum rector et devotus s. ecclesiae defensor atque adiutor in
106 Über den Wechsel oben S. 169 Anm. 98 (S. 206 Anm. 4). - Ich sehe hier von der Formel >in omnibus (utilitatibus)< ab, die oben S. 161 (S. 197) besprochen wurde.
107 Im J. 761 entnimmt der Papst einem Schreiben Pippins: »vos paratos adesse in adiutorium et defensionem s. Dei ecclesiae.«
B r. Das Versprechen Pippins u. Kar! d. Gr. für d. Röm Kirche
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omnibus.«108 Dieser Titel, der noch ein paarmal erscheint109, dann aber nach der Eroberung des Langobardenreiches durch einen neuen in den Hintergrund gedrängt wird, weist nicht nur jene beiden vermuteten Worte auf, sondern entspricht der Formel Winfrids auch noch durch die Ausdrücke )devotus< und )in omnibus<. Wir sind uns bewußt, daß diese Vermutungen - so gut sie auch ineinandergreifen mögen - sich nicht zu einem strikten Beweise verdichten lassen. Aber an Hand der Papstbriefe, die wir jetzt wieder mit unvoreingenommenen Augen lesen können, läßt sich wenigstens feststellen, daß der Inhalt des Eides tatsächlich in den Bereich gehörte, den wir eingegrenzt haben. Denn welche Ausdrücke finden sich bei Paul I.? Amicitia, amor, caritas, dilectio, jides (im religiösen Sinne gebraucht), daneben auch pax und concordia. Als Konsequenz des Eides ergibt sich für den Papst: defensio, adiutorium, auxilium, protectio, exaltatio. Dazu gehört, daß der König abwechselnd als defensor, adiutor, patronus, tutor bezeichnet wird. Gelegentlich heißt er auch auxiliator, liberator, cooperator, opitu!ator und propugnator, daneben noch peculiaris s. Petri; doch sind das alles Wendungen, die der Bibel entlehnt sind.
g) Das Ergebnis Das Echo ist während der ersten Dutzend Jahre noch klar und einheitlich genug, so daß wir es als Bestätigung unserer Annahmen anführen können: Mag die Eidformel. so wie vermutet oder etwas anders gelautet haben, jedenfalls muß ihr Inhalt richtig eingegrenzt sein : Ein nach dem Schema des Freundschaftseides gestalteter, dem Hlg. Petrus, dem Papst und seinen Nachfolgern vom König in seinem und seiner Söhne Namen geleisteter Eid für Verteidigung und Hilfe eine >defensionis firmitas<, wie es der Bearbeiter der Reichsannalen ausdrückt110 - so können wir nunmehr den Charakter des Eides von Ponthion bestimmen. Im Banne seiner Kommendationstheorie hatteERICH CASPAR von einem einseitig
108 Mon. Germ., Capit. I S. 44 (Nr. 19). Hinzuweisen ist hier auf einen von Alcuin verfaßten Brief aus dem Jahr 791, in dem Kar! seine Gemahlin auffordert zu beten, daß Gott nobis adiutor et consi!iator atque defensor in omnibus angustiis nostris exsistat hier sind also die beiden Begriffe wieder auf Gott bezogen (Mon. Germ., Epp. IV S. 528 31). 109 Mit >humilisque< statt >atque< und ohne >in omnibus< s. Admonitio Generalis von
z.
IIO
789 (Capit. I S. 53 Nr. 22) = Praefatio domni Karoli zum Capitularium Ansegisi (ebd. S. 397), danach ein Mandat Karls von 799 oder 8oo (Mon. Germ., Conc. II S. 213 Nr. 24B); vgl. auch die Mainzer Synode von 8 1 3 : »imperatori . . . verae religionis rectori ac defensori s. Dei ecclesiae« (ebd. II S. 259 Nr. 36). Ann. q. d. Einhardi, rec. F. KuRZE, (SS. rer. Germ.) Hannover 1895, S. 44f.
Das Ergebnis (S.
213-216)
1 75
durchPippin geleisteten Schutzeid gesprochen; nach unserer Darlegung ist er also einen Schritt zu weit gegangen. Da er den Inhalt des Eides aber nun einmal in dieser Weise gefaßt hatte, war er gezwungen, noch ein wechselseitiges Bündnis anzunehmen, da eine ganze Reihe von Zeugnissen über einen Schutzeid hinaus wiesen. Die Sachlage erweist sich jetzt als viel einfacher: Alles, was CASPAR einerseits auf den Schutzeid, andererseits auf Pippins Bündniseid zurückführen wollte, bezieht sich auf das von uns festgestellte Verteidigungsversprechen vom 7. Januar 7 54· Damit erübrigt sich auch die Frage, die CASPAR offenlassen mußte, wo und wann dieser zweite Eid geleistet worden sei. Ähnlich liegt es mit dem von ihm vorausgesetzten Gegeneid des Papstes. Er mußte selbst einräumen, daß >von einem Eide des Papstes aus Anlaß des Bündnisses mit direkten Worten nichts gesagt< sei und daß >in Ermangelung direkter Zeugnisse< nur auf indirektem Wegefestgestellt werden könne, >ob diese Verpflichtungvon StephaniT. durch einen Eid beschworen worden ist<111• Die von ihm geltend gemachten Wendungen aus den Briefen sind jedoch entweder so allgemein gefaßt oder durch so viele Jahre von der Reise Stephans getrennt, daß wir sie nicht als Beweis annehmen können. Wir streichen deshalb diesen päpstlichen Eid aus der Geschichte und setzen an seinen Platz jene ständig wiederholten, durch Briefe und Gesandte übermittelten, zum Teil noch im Wortlaut vorliegenden Zusicherungen der Päpste, daß sie Gleiches mit Gleichem vergelten, also nicht zurückstehen wollten, wenn der fränkische König ihnen seinen Arm lieh - ihre Reihe wird mit mündlichen Versicherungen dieser Art, die Stephan II. im Gefühl des Dankes bereits im Frankenreich gab, begonnen haben. Damit vereinfacht sich nun auch wieder das rechtsgeschichtliche Bild; denn, wenn es eine solche wechselseitige Abmachung in aller Form gegeben hätte, so würde es sich- worauf H. MITTElS hingewiesen hat112 - um einen der frühesten völkerrechtlichen Verträge, die uns aus dem Mittelalter bekannt sind, gehandelt haben. Pippin und Stephan griffen der Entwicklung nicht vor, sind vielmehr ganz in dem Rahmen ihrer Zeit geblieben. Ähnlich liegt es im Falle J OHANNES HALLERS: Nicht nur die Kommendation des Papstes in den fränkischen Königsschutz, sondern auch der von Pippin dem hl. Petrus geleistete Vasalleneid ist eine gelehrte Konstruktion, die den Blick auf die Wirklichkeit versperrt. Es erübrigt sich, sie nun noch Stein für Stein auseinanderzunehmen. Wir berufen uns statt dessen auf die bereits angeführten Worte HALLERS, daß der der Wahrheit am nächsten kommen wird, dem >es gelingt, das Bild der Dinge im Zusammenhang glaubhaft und anschaulich zu zeichnen<. Das in diesem Aufsatz Entworfene darf beanspruchen, einfacher und plausibler zu sein, im Rahmen der Zeit III
S.
30.
II2
A. a. 0. S. 78f.
BI. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
zu bleiben und auch den besonderen Umständen gerecht zu werden, unter denen Pippin seine Zusicherungen gewährte. 113 Damit will ich schließen; denn ich möchte bei dem Jubilar, der meine jedesmal zu lang gewordenen Beiträge doch immer wieder mit gütigem Verständnis in seine Zeitschrift aufnahm, nicht auch diesmal Anstoß erregen. Die Aufgabe, die von CAsPAR und HALLER entworfene Charakteristiken zu überprüfen, sei deshalb vertagt. Wer sich ihr zuwendet, wird erst einmal die Stadien genauer als bisher scheiden müssen, die die Auslegung des Eides von Ponthion bis 774 durchgemacht hat. Hierfür behält die bisherige Forschung, die die Geschichte der einzelnen Begriffe in diesem Jahrzehnte zusammenstellte, ihren Wert- nur daß man jetzt nicht mehr von ihnen auf die Urabmachung zurückzuschließen braucht, sondern sie als Versuche, sie zu erläutern oder ihren Inhalt zu dehnen, verstehen kann. War bisher die Nähe der Verwandtschaft zum Eide von Ponthion das Entscheidende, so rückt nun in unser Blickfeld die Frage, wie schnell und aus welchen Gründen die nachfolgenden Aussagen über den- nunmehr in seinen Grundlinien bekannten- Eid des Jahres 7 54 hinausgegangen sind. Bei der Überprüfung der bisherigen Feststellungen ist im Auge zu behalten, daß in diesen Jahrzehnten nicht nur das Bedürfnis, sondern auch das Vermögen, das bestehende Rechtsverhältnis auf klare Begriffe zu bringen, sich entfaltete: In der Zeit Pippins und Karls des Großen beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte des >Staatsrechts<.
ANHÄNGE I.
GING PIPPIN IM JAHRE
754
EINE SCHWURFREUNDSCHAFT
NACH MEROWINGISCHER ART EIN?
Stellungnahme zu Wolfgang Fritze* Im Jahre 1954 hat W. FRITZE einen ausgiebig auf Belege gestützten Aufsatz über >Die fränkische Schwurfreundschaft der Merowingerzeit< veröffentlicht114 • Am Schluß erklärt er, daß »das bedeutendste Beispiel einer mittelalterlichen SchwurI I~ Meiner Deutung des Ablaufs hat sich jetzt angeschlossen P. CLASSEN, Karl d. Gr., das Papsttum und Byzanz, in: Kar! d. Gr. Lebenswerk u. Nachleben I, Düsseldorf I965, S. 55of. (Ebd. S. 551, Anm. 50 gegen den Versuch, den Bericht des >Liber pontifica-
Iis< über 774 als einige Zeit später verfälscht zu erweisen.) * Bisher ungedruckt. II4 Untertitel: »Ihr Wesen und ihre politische Funktion«, erschienen in der Zeitschr. für Rechtsgesch. 71, I954, S. 74-125.
754: eine >Schwurfreundschaft
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freundschaft ... ohne Zweifel der sogen. Vertrag von Ponthion (754) zwischen dem Frankenkönig Pippin und Papst Stephan Il.« bilde. Doch solle dessen erneute Analyse einer gesonderten Untersuchung vorbehalten bleiben (S. 125). Ich habe mich nach Erscheinen dieses Aufsatzes sogleich mit dem Verfasser in Verbindung gesetzt, der mir brieflich und mündlich skizzierte, wie seine Argumentation weiterlaufen solle. Zu großem Dank bin ich ihm verpflichtet, weil er mir jetzt noch das Manuskript seines Aufsatzes auslieh und das Manuskript dieser Seiten daraufhin kontrollierte, ob ich seine Auffassung auch in allen Einzelheiten genau wiedergegeben habe115 • Bevor ich mich mit dem Einwand des Berliner Kollegen auseinandersetze, sei um einen festen Ausgangspunkt zu gewinnen- das Ergebnis seiner bereits gedruckten Untersuchung wiedergegeben: Bei den Römern und daher auch bei den Byzantinern war amicitia »ein Terminus von sehr allgemeiner Bedeutung, ein völkerrechtlicher Oberbegriff, der eine ganze Skala der so vielfältig abgestützten zwischenstaatlichen Beziehungsformen der Römer umfaßt« (S. 78). Auch bei den Franken und ihren Verwandten konnte amicitia verschiedene Beziehungsformen bezeichnen, darunter die >Schwurfreundschaft<: Wer sie gelobte, verpflichtete sich zur Treue und daher zu Rat und Hilfe sowie zu Beweisen der >Liebe<. Auf dieser Grundlage wurden Rechtsverhältnisse zwischen Gleichgestellten geschaffen, die beide Partner zu wechselseitiger atnicitia verpflichteten, zu einer >gemachten< Freundschaft, die der natürlichen, innerhalb der Sippe bestehenden entsprach und eidlich bekräftigt wurde. Das heißt: hier handelte es sich um einen Rechtsvorgang. Bei den Chronisten und in der Urkundensprache begegnen daher Wendungen wie amicitiam constringere, jidem et caritatem promittere usw. Diese fränkische ,Schwurfreundschaft< lief also darauf hinaus, daß die sich zu amicitia verpflichtenden Partner bereit waren, sich wechselseitig beim Aufrechterhalten des Friedens zu helfen. Angewandt wurde dieses Rechtsverhältnis sowohl auf Franken untereinander als auch auf Verträge zwischen den Merowingern und fremden Fürsten. In der neuen, sehr gelehrten und sorgfältig auf vielen Zeugnissen aufgebauten Studie schlägt der Verfasser einen Brückenbogen von 817 nach rückwärts, um auf diese Weise die Kluft zu überwölben. II5 Zur Geschichte des Eides vermerkte ich im Erstabdruck (S. 195 f., Arun. 5) folgende Literatur: H. SIEGEL, Der Handschlag und Eid nebst den verwandten Sicherheiten für ein Versprechen im deutschen Rechtsleben, in den Sitzungsber. der Wiener Akad. der Wiss. I3o, I894 Nr. 6 (122 S.) greift nur gelegentlleb auf die älteren Zeiten zurück. W. H.
I2
Schramm~
Aufsätze I
VoGT, Fluch, Eid, Götter - altnordisches Recht, in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 57, I937 Germ. Abt. S. I-57 geht wiederum auf die nachfolgende Zeit nicht ein. Einige Belege bei A. DuMAS in der Revue histor. de droit fran<;ais et etranger, 4e Serie IO, 193 I S. 301 f. Anm. 3· Nur die Profeß ist bisher genauer behandelt.
BI. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
So überzeugend diese Darlegung ist und so viele Belege der Verfasser auch vorgebracht hat, eine Schwäche weist sein Aufsatz auf: Er vermag aus dem 8. Jahrhundert nur eine Formel namhaft zu machen, die beim Abschluß eines solchen Rechtsaktes benutzt wurde (a. a. 0. S. 102 nach Cont. Fred. zu 757: promissioftdei zwischenPippin d. J. und Kaiser Konstantin IV.), sonst nur Erwähnungen und Hinweise auf das eingegangene Rechtsverhältnis. I. Das Factum Ludovicianum (817) erwähnt amicitiam et caritatem ac pacem, wie sie bereits Karl Martell, Pippin d. J. und Karl mit dem Papsttum verbunden hatte. Darin sieht W. FRITZE die alte, wechselseitige Schwurfreundschaft fränkischen Rechts, der die voraufgehende Studie gegolten hatte. Außerdem leistete Ludwig der Fromme einseitig- eine promissio defensionis (auch für die Reimser Verhandlungen mit Stephan IV. im Jahre 8r6 nimmt der Verf. eine solche wechselseitige Schwurfreundschaft an). 2. Im Jahre 79 6 bezieht sich Leo III. gegenüber Karl d. Gr. auf ftdei et caritatis inviolabilis foedus, das diesen mit Papst Hadrian I. verbunden habe. 3· Im fahre 774 scheidet der Verfasser: a) die am Ostersamstag wechselseitig eingegangene >Schwurfreundschaft< ( seseque mutuo per sacrammtutn t11unientes); b) die am Mittwoch mit dem Pactum gekoppelte, einseitig angelegte promissio (nach dem Wortlaut der dem Kaiserordo I. einverleibten Formel). 4· Aus den Nachrichten über den Besuch des Papstes Stephan bei Pippin (754/5) folgert W. FRITZE: a) eine promissio d~fensionis s. Romanae ecclesiae (mit dem von mir erschlossenen Inhalt) und b) eine promissio ftdei et caritatis nach dem Modell der fränkischen Schwurfreundschaft. (Ich nahm nur einen nach dem Schema des Freundschaftseides gestalteten >Eid für Verteidigung und Hilfe< und eine mündlich abgegebene Promissio des Papstes an, Gleiches mit Gleichem vergelten zu wollen). Dieser Brückenschlag nach rückwärts bis in eine Zeit, in der sich das Fortbestehen der fränkischen Schwurfreundschaft noch in einem Falle nachweisen läßt, hat etwas Bestechendes. Aber nach sorgfältigem Abwägen der von dem V erf. vorgebrachten Belege kann ich seiner Auffassung doch nicht beipflichten. Zweifellos hat er sich ein großes Verdienst erworben, indem er die Eigenart und vielseitige Benutzung der fränkischen Schwurfreundschaft herausarbeitete: das von mir ans Licht gezogene Bonifaz-Formular steht jetzt nicht mehr isoliert da, erweist sich vielmehr als Glied einer langen Kette. W. FRITZE setzt jedoch eine Starrheit des Eidwesens voraus, die mich unwahrscheinlich dünkt im Hinblick auf die jeweils veränderte Lage, der sich die Karolinger anpassen mußten: an der Abwandlung des bei Bonifaz greifbaren Wortlauts durch Pippin sowie an der abermaligen Abwandlung durch Karl d. Gr. ließ sich diese Tatsache ja offenlegen.
754: eine >Schwu.rfreundschaft
1
79
Für 774 nehme auch ich eine Gegenzusage des Papstes an, mit einer »Zusage ständiger Liebe, wie sie schon früher gegeben worden war« (oben S. 169f.). Wir dürfen jetzt - W. FRITZE folgend- sagen, daß es sich um ein alterprobtes Zusage-Mod ell handelte. In bezugauf 754/5 habe ich mich nicht festgelegt, da die Aussagen der Papstbriefe zu sehr schillern. Daß der Papst seine Freundschaft beteuert hat, versteht sich nach Lage der Dinge von selbst; aber tat er das in der Form des Rechtes, ein altes Eidmodell benutzend? Band Pippin sich - über die von mir erschlossene promissio hinaus seinerseits zu jides und amicitia? Kam es also außerdem noch zu einer wechselseitigen Bindung nach Art der >fränkischen Schwurfreundschaft Eine bestimmte Antwort läßt sich- wie W. FRITZES Manuskript mir erneut evident machte- nicht geben, da sich alle angeführten Zeugnisse auch anders, d. h. einfacher auslegen lassen. Aber - gesetzt den Fall, daß sich das mit Hilfe eines bisher übersehenen Zeugnisses doch noch stringent nachweisen ließe - geschichtsträ chtig blieb m. E., daß sich Pippin als adiutor et defensor, Karl als protector et dejmsor gegenüber der s. Romana ecclesia band. Das bedeutete sowohl Verpflichtun g als auch die Möglichkeit des Eingreifens - dadurch ist die weitere Geschichte bis in die Zeit des Investiturstre ites gekennzeichnet geblieben. Dieser Ausblick zeigt, wie begrüßenswe rt es ist, daß ein geschulter Kenner die von mir erneut zur Erörterung gestellte Frage, was 754 und 774 geschah- teils zustim. mend, teils widerspreche nd - erneut überprüfte. Ich maße mir nicht an, das letzte Wort gesprochen zu haben.
II.
DER KRÖNUNGSE ID: ZUNÄCHST >PROMISSIO<, DANN >IURAMENTU M<
MARCEL DAVID, Le serment du sacre du IXe au XVe siede. Contribution a l'etude des limites juridiques de Ia souverainete. Straßburg 195 r (Palais de l'Universite, mit Hilfe des Centre National de Ia recherche scientifique; abgedruckt vorher in der Revue du moyen age latin VI, 1950) 230 S. 118
Der Verf., Professor in der Juristischen Fakultät der Universität Straßburg, hat sich mit großer Energie nicht nur in die Geschichte der Krönung, sondern auch in die ja mittlerweile recht verwickelt gewordene Ordines-Fors chung eingearbeitet. Die einschlägige Literatur in deutscher Sprache kennt er so genau, daß kaum etwas nachzutragen bleibt- und nun hat er ein Buch geschrieben, das fortan jeder zu konsultieren haben wird, der sich mit der Geschichte der mittelalterlichen Krönung befaßt. Ich nehme ein Verdienst des Verf. vorweg, das der Titel nicht erkennen läßt. In meinem in der Kanonist. Abt. 27, 1938 abgedruckten Aufsatz über >Das Versprechen Pippins und Karls d. Gr.
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ISO
BI. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
schichte von Eid und Gelöbnis in der merowingisch-karolingischen Zeit fehle und daß dieser Unterschied einmal im großen Zusammenhang behandelt werden müsse (S. I95)· Dieser Wunsch ist jetzt von D. im ganzen Umfang erfüllt: die von ihm gesammelten und sehr sorgfältig abgewogenen Zeugnisse ergeben eine feste Grundlage. Denn die vom Verf. gemusterten kanonistischen Sammlungen und die sie ergänzenden Quellenstellen lassen erkennen, daß bis in das I 2. Jh. der Unterschied zwischen der nur mündlich abgelegten und der Berufung auf Gott, die Heiligen usw. sowie einer Beteuerungsformel normalerweise entbehrenden promissio und dem iuramentum (iusiurandum, sacramentum) festgehalten wird. Denn beim Eid muß eine res sacra (Kreuz, Evangelien, Altar, Reliquie) berührt oder der Eid in die Hand eines Geistlichen abgelegt werden, damit Gott zum Zeugen gemacht ist. Neben dem sacramentum corporatiter prestitunt spielt der aus der kirchlichen Tradition stammende rein mündlich abgelegte Eid (in communi !oquela) keine Rolle, oder er wird sogar offen abgelehnt. Hier wirkt sich der heidnische Untergrund aus, auf den D. nicht eingeht: Beim Eid auf das Schwert tritt das besonders deutlich heraus (Lit. bei K. v. AMIRA-CL. FRHR. v. ScHWERIN, Rechtsarchäologie I, Berlin-Dahlem 1943 S. Io6, dazu S. 74 über das Berühren beim Eid als ursprüngliche Zauberhandlung und S. I7I über Lit. zum germanischen Eid; über die in den Fragenkreis von Waffenmagie und Runenzauber gehörenden Runeninschrift auf Schwertern vgl. auch H. ]ANKUHN in der Festschrift Gustav Schwantes, Neumünster I95I S. 3f.). Eine Sonderstellung nimmt die den Eid vertretende professio der Geistlichen ein, die mit den Wein und Brot verwandelnden Händen- so lautet eine Erklärung aus dem 9· Jh.- nicht schwören sollen (S. 79 ff.). Die professio ist also nicht mit dem Berühren einer res sacra verbunden, führt daher eine Sonderexistenz neben dem Eid und bleibtinsofern auchnicht» une exception veritable ala regle qu'al' epoque carolingienne tout serment doit comporter un element materiel« (S. 89). Es bleibt noch zu untersuchen, ob diese Auffassung, der Geistliche dürfe nicht schwören, zur Erklärung der im Sachsenspiegel so prägnant formulierten Ansicht, auch der König dürfe das nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen, heranzuziehen ist. Die formale Verwandtschaft zwischen königlichen promissiones und geistlichen professiones, die ich nachgewiesen habe, will in diesem Zusammenhang beobachtet sein. Bei der Durchsicht der zeitlich anschließenden Kanonessammlungen ergab sich, daß diese Lehre noch bis zu Gratian unerschüttert bleibt. Der erste von D. aufgeführte Autor, der neben dem auf einer res sacra abgelegten Eid auch noch - an jene kirchliche Tradition wieder anknüpfend - einen solo sermone geleisteten gelten läßt, ist Rufin in seiner I I 57/9 abgefaßten Summa decretorum (ed. H. SrNGER I 902, vgl. dazu S. 168ff). Durch Huguccio, Johannes Teutonicus und andere wird diese neue Auffassung verfeinert und zur allgemein gültigen Lehre gemacht. Sie führte dazu, daß der bisher so deutliche formale Unterschied zwischen promissio und iuramentum verwischt wird. Andererseits ist zu beobachten, daß die promtssio jetzt auch schon ihrer-
Zunächst >promissio<, dann >iuramentum<
seits durch Anruf Gottes oder der Heiligen oder den Zusatz einer Beteuerungsformel eidähnlich ausgestattet ist und die Chronisten von >schwören< sprechen, wo es sich tatsächlich nur um >versprechen< handelt, weil eben der Unterschied verunklärt ist. Dafür bringt D. viele Zeugnisse; doch sucht er die Begriffstrennung bis in das 12. Jh. aufrechtzuerhalten - das scheint mir allzu juristisch ausgelegt; ich möchte vielmehr in der Ausbildung der Übergangsformen und der Begriffserweiterung eine wesentliche Voraussetzung für den im 12. Jh. greifbar werdenden Wandel sehen. Von dieser durch D. gesicherten Grundlage aus ergibt sich eine eindeutige Einordnung jener Zusagen, die von den Herrschern im Zusammenhang mit der Kirche gemacht worden sind. Der Verf., der in seine Untersuchung England, Frankreich, Italien und Deutschland einbezogen hat, kommt zu dem Ergebnis, daß es sich in allen Fällen bis zum 12. Jh. um promissiones und nicht um iuramenta handelt. Daß die Könige nicht weiter gingen, lag in ihrem Interesse; aber es klingt plausibel, daß der Verf. in diesem Zusammenhang auf die entscheidende Rolle hinweist, welche die Geistlichkeit bei der Festlegung der Ordines spielte, die gegen den nur allzuleicht den Meineid bergenden Eid war und ihr Interesse daran hatte, daß durch Zusagen zwar für ein gutes Regiment gesorgt, aber der König, auf den sie gegen die Großen angewiesen blieb, nicht zu stark gebunden wurde. Im vorausgeschickten Abschnitte hat D. die Zusagen der westgotischen und der alttestamentlichen Könige daraufhin geprüft, ob sie imstande sind, die Ausbildung der promissiones zu erklären: sie können höchstens als Vorbilder angesehen werden, die als Bestätigung einer bereits im Gange befindlichen Entwicklung genommen wurden. Wer ihrer Entstehung nachgeht, braucht nur die Bände der Concilia und der Capitularia durchzugehen: Am Anfang stehen kirchliche Mahnungen, die sich dann die Karolinger zu eigen machen und in der Form einer formal und inhaltlich den promissiones schon sehr nahekommenden adnuntiatio verkünden. Als besonders bezeichnend hebt D. das auf dem Hoftag von Coulaines (843) erlassene Kapitular hervor (Cap. II S. 253-5). Daneben sind die zahlreichen, zwischen den Königen abgeschlossenen Facta, Teilungsverträge und Abkommen mit den Großen von Belang: hier seien die Verträge von Meersen (8 5I) und die Zusage Karls d. Kahlen von 8 58, mit der er die der Großen erwiderte, angeführt. Die erste nachweisbare und wohl auch in der Tat erste promissio, die im Rahmen der Weihe abgelegt wurde, ist dann die von Karl bei seiner Krönung in Metz (869) geleistete. Formal geht diese Ableitung restlos auf; materiell scheint mir geboten, auch noch die eidlich oder sonstwie bekräftigten Wechselverhältnisse, wie sie in der germanischen Welt überall zwischen den Herrschenden und Beherrschten, Führenden und Folgenden bestanden, als grundlegend einzubeziehen. Bei der Erörterung des 10. und II. Jh.s folgt D. der Filiation der Ordines, wie M. ANDRIEU und ich sie entworfen haben. Die Berichtigungen für die deutsche Ent-
182
BI. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
wicklung im 10. Jh., die C. ERDMANN in seinem nachgelassenen Werk >Forschungen zur politischen Ideenwelt des Frühmittelalters<, Berlin 1951 Kap. 2 bietet, konnte er noch nicht kennen; manches wird sich noch präzisieren lassen oder auch ändern durch die Nachforschungen, die R. ELZE inzwischen angestellt hat und die Inhalt eines für die Monumenta bestimmten Buches bilden werden. Von weiteren Einzelheiten sei hier abgesehen; es genügt die Feststellung, daß man in allen Ordines aus allen vier Ländern bis zum 12. Jahrhundert nur promissiones findet (mit der oben erwähnten Einschränkung, daß jetzt auch Übergangsformen zu beobachten sind). Doch muß man neben dieser allgemeinen Entwicklung zwei Sonderstränge ins Auge fassen, denen auch D. die ihnen gebührende Aufmerksamkeit geschenkt hat. Bei dem einen handelt es sich um die Verpflichtung, die die Frankenkönige und dann die Kaiser gegenüber dem Papst auf sich genommen haben. Über sie haben H. GÜNTER und E. EICHMANN Aufsätze geschrieben, und D. hat zu dem Thema anscheinend ohne vollen Einblick in die Vorarbeiten- Neues beigetragen. Trotzdem kann es noch nicht als ausgeschöpft angesehen werden. Hier läßt sich - was auch D.s Vorgänger noch nicht straff genug durchgeführt haben - nur weiterkommen, wenn jeder Eid als Glied eines bestimmten genus begriffen und in dessen Rahmen behandelt wird. Meine These, daß der von Pippin geleistete (754) und von Karl erneuerte (774) Eid ein Freundschaftseid war, hatD. sich zu eigen gemacht. Auf einem ganz anderen Blatt stehen die Sicherheitseide, die dem Papst Leib und Leben verbürgen und zu einem zweifellos gleichfalls alten, aber auch noch im hohen Mittelalter nachweisbaren genus gehören. Das ist z. B. auf der Iberischen Halbinsel bei zwischenstaatlichen Verträgen der Fall, deren Geschichte der V erf. streift, aber nicht verfolgt. Hier liegen Vorarbeiten von MrTTEIS, BrTTNER, HELM, HEINEMEYER u. a. vor, mit deren Hilfe die Frage zu prüfen wäre, welche Eidformen sich im zwischenstaatlichen V er kehr ausgebildet haben und wie weit die zwischen Kaiser und Papst ausgetauschten - denn auch dieser bindet sich ja eidlich - sich hier einordnen lassen. Wer sich mit diesem Problemkreis abgibt, wird nicht umhin können, einerseits in die Spätantike, andererseits in die germanische Welt zurückzublicken. D. hatte keinen Anlaß, sich dieser Aufgabe zu unterziehen, da er ja den >serment du sacre< behandelt, und da kann er zeigen, daß bis zum Ordo Cencius II, den er- mir folgend und gestützt auf die mündliche Zustimmung von M. ANDRIEU- Ende des 12. Jh.s ansetzt (der aber wohl etwas früher zu datieren ist), es sich bei der innerhalb der Kaiserkrönung gegebenen Zusage auch nur um eine promissio handelt. Wiederum anders liegen die Dinge in England. Die Charters, deren Reihe mit der Heinrichs I. anhebt (uoo), sind eidlich bekräftigt worden, und dazu kommen noch >Voreide<, die von einzelnen Herrschern vor der Weihe geleistet wurden, um sich den Weg zum Thron zu öffnen. Das hat auf die promissio bei der Krönung abgefärbt: 1189 hat Richard I. die promissio, die formal nicht verändert wurde, noch eidlich bekräftigt. Die weitere, unter dem Gesichtspunkt der Vorbereitung des konstitutio-
Zunächst >prornissio<, dann >iuramentum<
nellen Regimes sehr instruktive Ausgestaltung liegt ja dank der reichen Überlieferung deutlicher als in anderen Ländern offen, und ich hatte deshalb bei der Niederschrift meines Buches über die englische Krönung (1937) ein für Seminarübungen bestimmtes Heft mit allen einschlägigen Texten und Quellenstellen vorbereitet; da der Krieg dazwischenkam, habe ich das Manuskript H. G. RrcHARDSON, der inzwischen seine verdienstvollen Studien auf diesem Gebiet durch weitere Aufsätze vermehrt hat, in der (bisher nicht verwirklichten) Hoffnung ausgehändigt, daß ein englischer Forscher es druckfertig macht. Davids Ausführungen tun erneut kund, wie lohnend es ist, die Entwicklung bis in ihre Einzelheiten zu verfolgen. Vermerkt sei hier noch, daß der >kirchliche Amtseid der Bischöfe<, dessen Geschichte THEODOR GoTTLOB 1936 dargestellt hat, bei der Erhebung eines neuen Papstes keinen Platz fand, da dieser sich in Fragen der Kirchenzucht niemand gegenüber binden konnte (E. ErcHMANN, Weihe und Krönung des Papstes im Ma., München I95 I S. 7). Wir dürfen von D. noch einen zweiten Band erwarten, in dem das im Untertitel umschriebene Thema, die gesetzliche Einschränkung der königlichen Souveränität, im Vordergrund stehen soll. Zweifellos wird er einen wichtigen Beitrag zur Vorgeschichte des neuzeitlichen Staatsrechts liefern. Zu wünschen wäre es, daß die Untersuchung sich auf die übrigen Länder ausdehnt. Aragon, dessen Stände angeblich dem die Fueros und Privilegien bestätigenden Könige ihr >Si no, no!< entgegenriefen (wenn er ihren Willen tue, sei er ihr König, wenn nicht- nicht), tatsächlich ihre Huldigung vom Herrschereid abhängig machten (das erfuhr noch Karl V.), verdient in diesem Zusammenhang besonderes Interesse. Über Kastilien, wo die Krönung gleichfalls wegfiel und die grundlegenden Zusagen genauso wie in Aragon vom neuen König auf der ersten Versammlung der Cortes beeidet wurden, habe ich einiges in der Festschrift für G. Ritter (1950 S. I21 fl) gesagt; aber das ist noch nicht das letzte Wort. Der Norden, der Osten Europas bieten wiederum ganz andere Bilder. Hier ist ein Thema gegeben, das die ganze christliche Welt beschäftigt hat, das aber in jedem Staate verschieden gelöst worden ist und daher Einblicke einerseits in die Eigenart eines jeden Landes, andererseits in die von ihnen inmitten der europäischen Staatengemeinschaft eingenommene Stellung vermittelt. Den II. Band des jetzt in Paris wirkenden Autors, bei dem der juristische Inhalt überwiegt, besprach ich kurz im Deutschen Archiv XI, I954 S. 298: Als MARCEL DAVID I95o sein Buch über den Krönungseid als Beitrag zum Studium der rechtlichen Eingrenzung der Souveränität vorlegte (vgl. meine Anzeige in der ZRG. Germ. Abt. 69, I 9 52, 542 ff. ), stellte er noch einen 2. Band in Aussicht. Dieser liegt jetzt vor: La souverainete et !es limites juridiques du pouvoir monarchique du !Xe au XVe siede (Annales de la faculte du droit et des sciences politiques de Strasbourg I) Paris 1954 (286 S.). Der Inhalt hat sich, wie bereits der Titel erkennen
B r. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
läßt, mehr zum Juristischen hin verschoben; es geht dem Verf. um die grundsätzliche Frage, ob sich Souveränität wirksam beschränken läßt, so daß sie nicht mißbraucht werden kann. Trotzdem kann der Historiker auch dem neuen Bande viel entnehmen. Die Ausdrücke >Souveränität< und >Souverän< kommen erst im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts in Umlauf; vorher bediente man sich für die Sache der Wörter auetorilas und potestas, die ja bereits Papst Gelasius I. auf die geistliche und weltliche >Gewalt< bezogen hat. Der Krönungseid hat einerseits die Handhabe gegeben, gegen den König als Eidbrecher vorzugehen; andererseits haben die Herrscher sich immer wieder auf ihre Krönungseide berufen, wenn sie Forderungen- sei es des Papstes, sei es ihrer Untertanen - ablehnten. Eine besondere Rolle hat er bei der Verteidigung des Kronbesitzes ( inalienabilite) gespielt. Der Verf. verfolgt die Entwicklung in Deutschland, Frankreich und England, bietet also einen Beitrag zur vergleichenden V erfassungsgeschichte. Instruktiv ist, wie die Bedrohung der königlichen >Souveränität< durch den Papst im späten Mittelalter mehr und mehr an Bedeutung verliert.
III. DIE WEITERE VERWENDUNG
DES >PROTECTOR<-BEGRIFFES
UND SEINER VERWANDTEN 116•
a) In Deutschland (bis zum I2.]ahrhundert) Wir reihen hier Belege aneinander, auf die wir gestoßen sind, ohne systematisch nach ihnen zu suchen. Wie bereits auf S. 167 vermerkt wurde, hat sich kein fester Wortbrauch ergeben; vielmehr finden sich bis zum hohen Mittelalter fast alle jene Termini, die wir im 8. Jahrhundert vorgefunden haben- darunter auch die ProteetorFormeL Das bildet die Voraussetzung, daß sie im angelsächsischen Bereich noch eine verblüffende (im folgenden Teil dieserAnhänge behandelte) Fortwirkung hatte:
9· Jahrhundert Ego KaroJus . . . rex et rector regni Franeorum et devotus s. Dei ecclesiae defensor humilisque adiutor (Mon. Germ., Concil. I S. 213). In der 8o7j1o verfaßten Historia Langob. cod. Gothani wird Karl der Großerückschauend auf 774- genannt: adiutor et dejensor domni Petri principis apostolorum
(Mon. Germ., Script. Langob. S. 10). Statt protector wählt Smaragdus das Wort rector: Via regia (um 820/25 für Pippin von Aquitanien) . . . omniumque secundum regale ministerium defensor et rector (Migne, Patrol. Lat. 102 Sp. 958). n6a Teil des vorstehend (S. 149ff.) abgedruckten Aufsatzes (hier vermehrt durch weitere Belege).
>Protector<-Begriff weiter verwandt
In der Mitte dieses Jahrhunderts nennt Sedulius Scottus den König >magni regis dispensatorum adiutor et protector<, d. h. den Arbeiter Gottes im Weinberge117 • Aber die Zeit bezeichnet besser die Eingabe der Bischöfe an Ludwig den Frommen von 829, die sich mit dieser Wendung begnügt: »lpse enim debet primo defensoresse ecclesiarum et servorum Deill8«. Denn vergeblich sucht man in den Kapitularien, den (bis 843 herausgegebenen) Synodalakten, den Schreiben der Päpste Nikolaus I., Hadrian II. und J ohann VIII.: nirgends findet sich >protector< noch auf das Verhältnis des Königs zur Kirche bezogen. Da die Wortverzeichnisse der betreffenden Monumenta-Bände meist sehr genau sind, ist diese Tatsache deutlich zu fassen. Bezeichnend ist ein Schreiben des Papstes Johann VIII. an Karl III. (88o); denn in ihm heißt es: vos pre omnibus eligere et inclitum patronum ac defensorem habere omnino curavimus - also nicht protector, sondern patronusn9. Es gibt nur zwei Ausnahmen: Einmal läßt sich Karl der Kahle 8 53 in verklausulierter Form >protector< nennen ( ut non so/um devotione ecclesiae se Ji!ium esse ostenderet, verum etiam, sicubi opus esset, protectorem regia potestate monstraret)120, und dann taucht die Formel >protector ac dejensor< in den bereits angezogenen Protokollen des Jahres 876 auf. Wir erkannten darin bereits einen Nachklang der 875 von Karl als Kaiser abgelegten Promissio, die diesen Ausdruck enthielt, weil ihr der W ordaut des 8. Jahrhunderts zugrunde lag121 • Auf die gleiche Weise wird sich erklären, daß diese Formel im Jahre 898 vom Kaiser Lambert und dem Papst J ohann IX. auf der Synode von Ravenna benutzt wurde122 • Dagegen nannte die Forchheimer Synode (89o) Arnulf devotissimus adiutor und pius ecclesiarum defensor123 , und in einer Urkunde heißt es am 2. Juli 892 : rex, ecclesiae catholicae ft!ius et defensor 124 - der Ausdruck protector, der ja auch hier nahegelegen hätte, ist also vermieden.
II7 Lib. de rectoribus christianis c. II, bei S. HELLMANN, Sedulius Scottus (Quellen u. Untersuch. z. lat. Philol. des MAs I, I), München I9o6, S. 50. n8 Mon. Germ., Capit. II S. 47 Z. 2of. (Nr. I96). Vgl. auch das Protokoll(§ 6) einer im Okt. 847 unter dem Vorsitz von Hrabanus Maurus abgehaltenen Provinzialsynode über Ludwig den Deutschen: Divinarum rerum defensor et custos divinitus statutus (Mon. Germ., Capit. II S. q8); vgl. auch: verae religionis . .. rectori ac defensori s. Dei ecclesiae, Capit. II S. 173: Nr. 248). Hraban nennt 834 Ludwig den Deutschen im Prolog seines Kommentars in Paralipomena (MIGNE, Patr. lat. I09 Sp. 279): rector membrorum veri
regis Christi. II9 Mon. Germ., Epist. VII S. 225 Z.27; vgl. auch S. 5I (Mai 877): adiutor clemens, defensor potens et salvator. uo Mon. Germ., Capit. II S. 263 Z. 8 5 f. I2I Vgl. oben S. I55 (S. I88). I22 MANsi, Conciliorum Collectio I8, Venedig 1773, S. 231, cap. 3 und S. 233. 123 Mon. Germ., Capit. II Nr. 252 (S. 210, 214). 124 Mon.Germ.,Dipl.Karol.III:D.Arnulfro3. Vgl. auch NonrnR voN ST. GALLEN I cap. 26 (Mon. Germ., Script. rer. Germ., N. S. XII S. 36): der Papst machte Kar! den Großen zum imperatorem defensoremque eccIesie Romane.
r86 IO.ji I.
B
1.
Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
Jahrhundert
Nach dem >Mainzer Ordo< für die Königskrönung wird der Herrscher gefragt: Vis sanctis aecclesiis aecclesiarumque ministris tutor et defensor esse? Die Kaiserordines hielten jetzt den Ausdruck >Protector< fest: In dem alten Gebet: Deus, pater aeternae gloriae, sit adiutor tuus, das schon zum Kaiserordo II (vor 96o) gehört, ist im Ordo VIII (um rooo) der Text erweitert zu adiutor tuus et protector (Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und der Kaiserin, hg. von R. ELZE, S. 5 und r 9; Mon. Germ., Fontes iuris German. ant. IX). In dem Consecrationsgebet: >Prospice, omn. Deus, serenis obtutibus< (Ordo II: S. 4) heißt es: » Tribue ei, omn. Deus, ut sit jortissi11Jus protector patriae et consolator ecclesiarum atque coenobiorum sanctorum (in den weiteren Ordines beibehalten). Daneben bewahrt das alte Gebet: >Deus regnorum omnium et Christiani maxime protector imperii< die Verwendung der Proteetor-Bezeichnung für Gott. Kölner Traditionsurkun de von 9 58 (verfälscht, aber in der Datierungszeile echt): »a. ... DCCCCL VIII . .. Ottone ... tenente ius regium tocius ecclesie rectore et defensore iustissimo« (TH. ]. LACOMBLET, U. B. für die Gesch. des Niederrheins I, 1840 S. 6o Nr. ro4); dazu H. KELLER im Deutschen Archiv XX, 1964 S. 346f. THIETMAR VON MERSEBURG sagt anläßlich der Kaiserkrönung Ottos I.: »ac patronus Romanae effectus aecclesiae« und nennt ihn bei seinem Tode: »patriae rector atque defensor«. Den Papst läßt er 10I4 Heinrich II. bei seiner Krönung zum Kaiser fragen: »Si jidelis vellet Romanae patronus et defensoresse ecclesiae (II I 3, II 44, VII, I ; ed. R. HoLTZMANN, I935 S. 52, 92f., 396; Mon. Germ., Script. N. S. IX). Nach WrPO cap. 2 wurde Konrad II. durch seine Wahl gemacht zum >rector et defensor< (ed. H. BRESSLAU, I9I5; Script. in us. schol., S. I9 mit Anm. 1). Humbert von Silva Candida gebraucht die Wendung: >advocator ecclesiarum vel et dejensores< (Adversus Simoniacos III, Io; Mon. Germ., Lib. de lit. I S. 2rof.). Der >Anoi!Jmus von York< (besser: Normannischer A.) spricht vom >rex defensor ... sanctae ecclesiae< (Tract. IV; ebd. III S. 679 = K. PELLENZ, Die Texte des Norm. Anon., Wiesbaden I966 S. r6I). I 2.
Jahrhundert
Encyclica Lothars III. gegen den Gegenpapst Anaklet (I I 33): >(Deo) placuit, nos patronum ac defensorem s. ecclesiae Romanae statuere< (Mon. Germ., Const. I S. I67). Wahlanzeige Friedrichs I. (I I 52), Z. 6. >debitam iusticiam ac defensionem exhibeamus ... <; Z. I9: >•• • defensionem suscepimus< (ebd. S. I29). Bericht Wiba/ds von S tablo über diesen Vorgang: >ut declaretis eum in regem ac defensoretn Romanae ecclesiae< (ebd. S. 193). Einladung Friedrichs I. an Papst Alexander III. (1159): >ipsius (sei!. s. Rom. eccl.) mra et defensio a divina providentia creditur esse commissa nobis specialius< (ebd. S. 2 55).
>Protector<-Begriff weiter verwandt
Antwort des Papstes (n 59): >Nos recognoscimus domnum imperatorem ... advocatum ac specialem ss. Romane ecclesie defensorem< (ebd. S. 2 56). Im >Ludus de Antichristo< (nach K. HAUCK verfaßt für Friedrichs Königskrönung, I I 52) bitten die Gesandten des Königs von J erusalem den Kaiser: >Defensor ecclesie- nostri miserere<, worauf er ihnen >auxilium< verspricht (Vers I 2 9, I 36; H. KuscH, Einführung in das latein. Ma., I, Darmstadt I957 S. 48o). Diese Stellen ließen sich zweifellos noch vermehren; sie genügen aber als Beleg, daß der Ausdruck >Protector< aus dem offiziellen und offiziösen Sprachgebrauch verschwindet. Er blieb nur im Krönungsbrauch benutzt, bei dem auch die päpstliche Seite am Herkommen in einer geradezu verblüffenden Weise festhielt125• Daher findet sich die alte Eidformel mit >Protector< und >Defensor< auch noch im Ordo XVIII, der an der Kurie zu Anfang des 13. Jahrhunderts redigiert wurde, und da dieser Ordo am Ende des I 3. Jahrh.s in die kurialen Zeremonienbücher übernommen wurde, behielt er bis in das 15. Jahrhundert offizielle Geltung. Aber auch die übrigen Ordines aus dem I 3., I4. und I 5. Jahrhundert enthalten die alte EidformeL Selbst in dem Ordo, der I 529 für die Bologneser Krönung Karls V. zum Kaiser redigiert wurde, findet sie sich noch- obwohl der Ausdruck >Protector< nun vollends unzeitgemäß geworden war.
b) Die weitere Verwendung des >Protector<-Begriffes in England und in den Vereinigten Staaten (bis heute) * Der Eid, den der Präsident der USA bei seinem Amtsantritt vor dem Kapitol abzulegen hat, schließt: »(I) will tothebest of my ability preserve, protect and defend the Constitution of the United States.« Der Wortlaut ist verankert in der Verfassung, die I787 in Philadelphia beschlossen und 1789 - nach der Annahme durch zwei Drittel der die Union bildenden Staaten - in Kraft getreten war (Art. 2 sect. I, Schluß). Die Wendung >to the best of my ability< ließe sich - in das Lateinische übersetzt- mit >Secundum scire ac posse< wiedergeben (d. h. mit der Wendung, die nach unserer Darle-
125 Vgl. wiederum: Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und der Kaiserin, hg. von R. ELZE, Hannover 1960, (Mon. Germ., Fontes iuris Germ. antiqui IX), S. 63: Staufischer Ordo vom Ende des 12. Jahrh.s. (XVII); S. 73: Ordo der Römischen Kurie vom Anfang des 13. Jahrh.s. (XVIII); S. 90: Neuer Ordo der Kurie aus der Mitte des 13. Jahrh.s. (XIX); S. 106: Durandus, 1292/6 (XX); S. 134: Kar! IV.,
*
1359 (XXIII); S. 146: Kuriale Neufassung aus der Mitte des 15. Jahrh.s. (XXIV); S. 169: Kar! V., 1529 (XXVII). 1; vgl. dazu S. XXIX f. Niedergeschrieben für eine Festschrift, durch die mein Kollege HERBERT JANKUHN, mir durch jahrzehntelangen wissenschaftlichen Austausch und lange Gespräche in der Kriegsgefangenschaft verbunden, geehrt werden soll (in Druck).
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BI. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
gung bei der Kaiserkrönung Karls des Kahlen im Jahre 875 der >Promissio< Karls des Großen von 774 angehängt wurde). Aber wir wollen daraus keine Folgerungen ziehen; denn in Eiden von Staatsoberhäuptern war und ist eine solche Klausel angemessen. Wie aber gelangte die Formel >protect and defend< - auf lateinisch: >me protectorem ac defensorem esse ( Romanae ecclesiae)- in den Präsidenteneid? Das Verbum >defend< mag man als in diesem Zusammenhang für gegeben ansehen; für das V erbum >protect< trifft das nicht zu und erst recht nicht für die Verbindung beider Wörter. Gibt es dafür ältere Vorbilder? Im angelsächsisch-normannischen Bereich läßt sich die Formel in der Tat schon früh nachweisen, nämlich im u. Jahrhundert; in seiner 1136/37 abgeschlossenen >Historia ecclesiastica< nennt Ordericus Vitalis, Sohn eines aus Orleans stammenden Priesters und einer Engländerin, den König Heinrich I. von England anläßtich seines Todes (1135) >inermis populi protector aecclesiaeque sanctae fervidus defensor< 126 • Dieser Mönch lebte von 1085 bis II42 in dem normannischen Kloster Saint-Evroul127 , also am Rande des Bereiches, in dem jene Formel seit alters bekannt war. Aber von Ordericus führt kein Weg in die Folgezeit. In der Zeit von Heinrich I!. bis zum 13. Jahrhundert trug der Vertreter des im Ausland weilenden Königs den Titel >Justiciarius<128 • Der Earl Marshall William von Pembroke, der 1216 die Regentschaft für den noch im Kindesalter stehenden Heinrich IIL übernahm, führte diese unter dem Titel >rector regis et regni< 129 und im 14. Jahrhundert wurde in den Fällen der Minderjährigkeit die Regierung wohlweislich nicht einem einzelnen, sondern einem Gremium von Räten überantwortet13o. Die >offizielle< Geschichte des englischen Protector-Titels beginnt daher erst im I5 . Jahrhundert: Als der König Heinrich V., in England vertreten durch seinen Bruder als >custos Anglie<, am 2. Aug. 1422 vor der Zeit im Bois de Vincennes starb, hatte er in einem 126 Mon. Germ., Script. XX S. 53· 127 Über ihn und sein Kloster vgl. H. WoLTERS, Ordericus Vitalis. Ein Beitrag zur Kluniazensischen Geschichtsschreibung, Wiesbaden 1955 (Veröffentl. des Instituts f. Europ. Gesch., Bd. 7). 128 Über ihn vgl. J. FRANcrs WEST, The Justitiarship in England 1066-1232, Cambridge 1966 (Cambridge Studies in Medieval Life und Thought, New Series, vol. XII). 129 Vgl. ebd. S. 224f. usw. und SrR MAuRICE Pow1cKE, The Thirteenth Century (12161307), Oxford 2 1962, S. 2. 130 Für Edward III., der 1327 im Alter von 14 Jahren gekrönt wurde, regierte ein Council
of Regency unter dem Vorsitz des Herzogs von Lancaster. Für dessen Enkel Richard II., der 1377 mit zehn Jahren zur Regierung kam, führten neun Räte (Council/ors), die nur ein Jahr lang im Amt bleiben durften, die Geschäfte: diese Maßnahme wurde ergriffen, um die Rivalität zwischen den Oheimen auszubalancieren und das Übergewicht irgendeiner Partei zu verhindern. Im ganzen 14. Jahrhundert kam es deshalb nicht dazu, für den Stellvertreter des Königs einen neuen Titel zu schaffen; vgl. MAY McKrsAcK, The Fourteenth Century (1307-1399), Oxford 1959, S. 96 und 402.
>Protector< in England und den USA
Kodizill zu seinem Testament für seinen erst einjährigen Sohn, den nunmehrigen König Heinrich VI., eine Vormundschaft vorgesehen131• Dagegen erhoben sich jedoch Einwände, weil die >tutela< aus dem Römischen Rechte stammte132• Der Titel >Governor< kam auch nicht in Frage, da ihn die englische Tradition nicht kannte133 • Einen schlüssigen Präzedenzfall bot die heimische Geschichte nicht134• Die Regierungsgeschäfte übernahm der Bruder des toten Königs, der Herzog Humphrey von Gloucester. Unter welchem Titel sollte er sie führen? Der Herzog wollte begreiflicherweise viel Macht zugesprochen erhalten; die Lords widersetzten sich natürlich seinem Bestreben. >Custos< wurde nicht als angemessen angesehen; der Ausdruck >defensor< war den Engländern zwar vertraut, aber er besagte nicht genug135 ; man besann sich auch darauf, daß r 2 r 6 ein >rector regis et regni Ang!ie< eingesetzt worden war136 • Schließlich einigte man sich auf den Titel: >Protector and defender of the realm and church in England and principa! councillor of the King.< Einige Jahre später (1428) wurde die rechtliche Bedeutung dieses Titels von den Lords dahin ausgelegt, daß er nur >emporteth a personell duetee of entendance to the actuell defense of the land, as weil against thenemy utward,yf cas required, as q_yenst Rebelies inward,yf any were, that God forbedePrincipil councillor<. Entsprechend heißt es von dem jungen König >Protectionem et Defensionem Regni et
I 3 I V gl. zum Folgenden J. S. RosKELL, The Office and Dignity of Proteetor of England, with special Reference to its Origins, in der English Hist. Review 68, I953, S. I93-233. -Der Herzog von Burgund sollte Regens Regis et regni Francie, der Herzog von Bedford, Heinrichs V. Bruder, custos Ducalus Normannie werden. Da der Herzog von Burgund das ihm zugedachte Amt nicht annahm, fiel auch dieses dem englischen Prin-
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zen zu (ebd. S. 2oo). Ebd. S. 2o6f., 2I4f. Ebd. S. 2Io, 2I3. Ebd. s. 2IOf. Ebd. s. 2I2ff. Ebd. s. 2I3f. Ebd. S. 2I5. Ebd. S. 216. s. 220f.
BI. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
Ecclcsie. . suscepit atque ad eadem ... protegenda et defendenda . . . sacramentum prestitit corporalem< 140• Nachdem im voraufgehenden Abschnitt festgestellt worden ist, daß sowohl das Römische Pontificale als auch Durandus im Rahmen der Kaiserordines die alte >Promissio< mit der Wendung: >me protectorem ac defensorem esse< festhielten141, ist es nicht mehr überraschend, einem analogen Titel in England zu begegnen. Denn diese Texte waren natürlich auch auf der Insel bekannt - daß der Doppeltitel einst mehr bedeutet hatte, konnte man freilich nicht mehr wissen. Als Heinrich VI., inzwischen zum Manne herangereift, wahnsinnig wurde, mußte abermals eine Lösung gefunden werden, um die Regierungsgeschäfte weiterzuführen. Am 2.7. März 1454 wurde der Herzog Richard von York zum >Protector et Defender< bestimmt. Er führte dieses Amt mit Unterbrechunge n, die sich aus dem Gesundheitszustand des Königs ergaben, bis zu seinem Tode auf dem Schlachtfelde (; o. Dez. 1460) 1!12. Im Jahre 1461 konnte Eduard IV., Heinrichs Gegenspieler aus dem Hause York, die Herrschaft über England erringen. Seine Gegner, die noch einmal Heinrich VI. auf den Thron setzten, gewannen 1470 die Oberhand. Am 2.6. Nov. machte das Parlament den Earl of Warwick, den >Königsmacher<, zum Protector; aber er fiel bereits im April des folgenden Jahres, als Eduard IV. den Kampf um seine Krone wieder aufnahm143• Als dieser sein Ende kommen sah, bestimmte er testamentarisch - da seine Söhne noch minderjährig waren - seinen Bruder Richard nach dem nun schon fest gewordenen Brauch zum >protectour and defensour of this our rqyalme< 144• Richard III. achtete bekanntlich den Willen des Toten nicht und machte sich zum König (ob er amTodeder Söhne Edwards schuldig war, ist noch heute eine Streitfrage); er verlor 148; in der Schlacht bei Bosworth sein Leben. Eine Folge dieser Ereignisse war, daß der Protector-Titel Gewicht bekam und der Defensor-Titel hinter ihm zunächst in den Schatten trat145 • Die historische EntwickI40 s. 221. I4I s. oben S. I87. 142 Ebd. S. 226f. 143 Y ear Books of Edward IV, ed. by Nellie Neilson, London I93 I, (The Publications of the Seiden Society for I93o: vol. 47) S. XI-XV. 144 RosKELL a. a. 0. S. 227. I45 Nicht zu behandeln ist hier die Rolle des Titels: >Defensor of the Faith< (defensor ftdei), der Heinrich VIII. I)2I vom Papste verliehen und von seinen Nachfolgern trotz der Trennung von Rom beibehalten wurde,
nachdem ihn das Parlament I)44 für vererblich erklärt hatte. In Böhmen wurden von 15 3 I an von den Ständen >Defensoren< gewählt, denen die weltliche Vertretung der Utraquistischen Kirche oblag. I; 34 beanspruchte Perdirrand I. dieses Recht; 1575 wurde es wieder den Ständen zurückgegeben. Nach dem Abfall vom Kaiser (1619) wurden 30 Defensores jidei eingesetzt; vgl.H. V. PRERADOVICH ln: Deutscher Adel I555-174o, hg. von H. RössLER, Darmstadt I965 S. zo4f.
>Protector< in England und den USA
lung hatte also einen ganz anderen Gang genommen , als die Lords das 1422 iin Sinne gehabt hatten. Im Hause Tudor wurde das Problem der Vormunds chaft erst I 547 dringlich, als auf Heinrich VIII. sein erst zehn Jahre alter Sohn Edward VI. folgte. Der Vater hatte testamentarisch festgelegt, daß die Regierung durch einen Regentscha ftsrat geführt werden sollte, dessen I 6 Mitglieder er namentlich bestellt hatte. Aber gleich nach dessen Zusammen tritt setzte es der Graf von Hartford als Oheim des jungen Königs durch, daß ihm der Vorsitz mit dem Titel >Proteetor of all the realmes and dominians of the Kinges Mrgestie ... and . . . the Governour of bis moste rqyal personaliry< nebst der Vormundsc haft über Eduard übertragen wurde146 • Hartford, der sich den Titel eines Herzogs von Somerset zuschanzte , stieß auf die Gegnersch aft seines Bruders Lord Seymour, der für sich die Vormunds chaft anstrebte. Dieser wurde vom Regentscha ftsrat zum Tode verurteilt und 1549 hingerichtet. Aber der Proteetor konnte nicht verhindern , daß sich gegen ihn eine Koalition bildete, an der sich nicht nur der Adel, sondern auch der- wegen der Minderung seiner Macht erboste - Regentscha ftsrat beteiligte. Er wurde gefangenge setzt und konnte sein Leben nur durch den Verzicht auf die Protector-W ürde erkaufen. Als er versuchte, noch einmal an die Macht zu gelangen, zog er den kürzeren: I 5 52 folgte er dem Bruder auf das Schafott. Sein erfolgreich er Rivale, der Herzog von Northumberland, sah davon ab, sich dem diskreditie rten Protector-T itel zuzuwende n; da aber sein Versuch, Jane Grey auf den Thron zu setzen, scheiterte, wurde auch er hingerichtet. Da die beiden Königinne n, die diesem Halbbrude r folgten, beim Regierungs antritt bereits volljährig waren und auch Karl I. bereits 25 Jahre alt war, als er seinen Vater beerbte, wurde das Proteetor-P roblem fast hundert Jahre nicht aktuell. In nicht vorauszuse hender Weise hat der alte Titel dann in Englands Geschichte doch noch einmal eine Rolle gespielt: Am I6. Dez. 1653 wurde Oliver Cromwell auf Grund eines Beschlusses seiner Anhänger in Westminst erhall feierlich als >LordProtector of the Commonwealth of England, Scotland, and Ireland and the dominians thereto belonging< installiert147 - das geschah in bewußter Anknüpfun g an die Tatsache, daß früher in Zeiten, in denen der König nicht imstande war, zu regieren, ein Proteetor eingesetzt worden war. Dieses Amt erbte 1658 nach dem Tode des Vaters sein schwacher Sohn, aber er vermochte es nur ein Jahr lang festzuhalten. Nach der royalistischen Restauratio n war der Protector-T itel so diskreditie rt, daß er von da an in der englischen Geschichte nie mehr eine Rolle gespielt hat. Noch klafft eine Lücke zwischen dem Ende des englischen Protector-Titels und der nordamerikanischen Verfassung von 1787, die in den Eid des neuen Präsidenten die 146 RosKELL a. a. 0. S. 228 f.
147 Ebd. S. zz9f.
BI. Das Versprechen Pippins u. Karls d. Gr. für d. Röm. Kirche
alte Formel >fo protect and to defend< aufnahm. Kennern der anglo-amerikanischen Rechts- und Verfassungsgeschichte wird es nicht schwerfallen, sie auszufüllen. Zunächst müßte das Augenmerk gerichtet werden auf die Eide, die in der Kolonialzeit von den Vertretern Englands zu leisten waren14B. 148 In den »Documents of American History,
ed. by H. Sr. CoMMAGER, New York 1934 (hier nach der Ausg. von 1949) begegnen die Ausdrücke protection, protected, proteefing
•.• öfters (Z. B. S. 49, 103, 107, 108; S. IIS Gott als protector); aber ich fand keinen Be.. leg für >protect and defend<.
2
Karl der Große (768-8 r4) A. Karl der Große als König ( 76 8-8 oo) im Lichte der Staatssymbolik* Karl der Große ist der erste Laie des Mittelalters, der einen Biographen gefunden hat. Die von EINHARD verfaßte Vita Karoli Magni ist als Neubeginn zu verstehen; denn es handelt sich bei ihr nicht um eine säkularisierte Form jener Heiligenviten, für die aus den voraufgehend en Jahrhunderte n unzählige Beispiele vorliegen. Sie ist vielmehr durch Inhalt und Darstellungs art den zeitgenössischen Annalen verwandt und erhält ihre - auf eine Persönlichkeit ausgerichtete - Form durch das Vorbild der Kaiserviten Suetons. Wenn WmuKIND seiner Sachsengeschichte ein ähnlich gezeichnetes Bild Ottos I. eingefügt hat, dann erklärt sich das dadurch, daß er die Karlsvita kannte; diese und WmuKIND zugleich haben dann wieder anderen Autoren als Vorbild gedient. EINHARD hat also Schule gemacht, aber er ist bis zur Vita Heinrici IV. nicht übertroffen worden. Er führt uns an einen Laien heran, wie das im frühen Mittelalter höchstens noch in Assers Vita des Angelsachsenkönigs Alfred (t 899) der Fall ist, schafft also für das wissenschaftliche Verständnis einmalig günstige Voraussetzungen. Sie werden dadurch noch verbessert, daß in Karls Zeit die Annalistik formal und inhaltlich eine Höhe erreicht, von der sie kurz vorher noch weit entfernt gewesen war - wenn sie in der Folgezeit gehalten wird, dann gleichfalls deshalb, weil die in der Zeit Karls aufgezeichneten Annalen das Vorbild für die nachrückend en Generationen abgaben. Außerdem stehen für die Zeit des Frankenkaisers Hunderte von Kapitularien, Briefen und Gedichten zur Verfügung, so daß wir uns - verglichen mit der Zeit nur fünfzig Jahre vorher - einem geradezu überwältigen den Reichtum an Zeugnissen gegenüber sehen. Trotz dieser Fülle ist unser Verlangen nach Einsicht in die Gründe des Geschehens noch nicht befriedigt. EINHARn und die Verfasser der Hofannalen, nicht Karl selbst führten die Feder, und sie haben nicht alles niedergeschrieben, was sie wußten, da sie
* Zuerst
in: Karolingische und ottonische Kunst. Werden-Wesen -Wirkung (Forsch. zur Kunstgeschicht e u. christl. Archäologie
I
3 Schramm, Aufsätze I
III) Wiesbaden 1957, S. 16-42 (die Seiten p.-42 sind eingearbeitet in den übernächsten Abschnitt; s. unten S. z64ff.).
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B2:
A.
Kar! d. Gr. als König (768-Soo)
Rücksichten zu nehmen hatten. Von allen Urkunden, Briefen, Gesetzen usw., über denen Karls Name steht, gilt gleichfalls, daß zwischen ihnen und uns das Medium dessen steht, der den Text abfaßte, daß wir also keine letzte Gewißheit besitzen, wie weit die von Karl Beauftragten wirklich ganz genau wiedergaben, was er dachte und wollte. Dieser Zweifel verstärkt sich angesichts des teils biblischen, teils antikisierenden Faltenwurfs, den die Zeitgenossen entsprechend der Stilmode ihrer Zeit dem Sprachgewand ihrer Texte gegeben haben. Wie Karl der Große von seinen Zeitgenossen gesehen wurde, was er im einzelnen anordnete- darüber geben also alle diese Zeugnisse gerraue Auskunft. Aber- das ist die uns angehende Frage- was dachte er selbst? Was wollte er? Wohin zielte er? An welchen Anschauungen hielt er zeitlebens fest? Welche paßte er den Zeitumständen an? Welche machte er sich im Laufe der Jahre neu zu eigen? Es gibt einen Bereich, der uns diese Fragen zu beantworten vermag: den der Staats.rymbolik 1 • Wir müssen- um hier zunächst nur das Wichtigste zu nennen- seine Siegel, Bullen und Bilder, die von ihm benutzten Herrschaftszeichen und Titel, die Rechtsakte, durch die Neuerungen in Kraft gesetzt wurden, die ihm und die von ihm geleisteten Eide ansehen und sie daraufhin befragen, was sie aussagen sollten. Denn wenn Karl auch hier und da durch andere auf neue Gedanken gebracht oder sich auf den Rat eines Dritten verlassen haben mag, so steht er doch überall persönlich hinter allem, was zur Staatssymbolik gehört - mag er es selbst erdacht oder sich zu eigen gemacht haben. Wir vergegenwärtigen uns zunächst das Leben Karls bis zu dem Augenblick, von dem an er sich mit dem Kaisergedanken auseinandersetzen mußte, im Lichte der >Staatssymbolik< 1 • Wir fragen, was sie - über die Annalen, Urkunden und Briefe, selbst noch über ErNHARDS Vita hinaus - von seinen Gedanken und Absichten erkennen läßt.
a) Der Regierungsantritt(768)- >Deigratia<-Übernahmedes Gesamtreiches (77I) Man muß sich vor Augen halten, daß Karl in seiner Jugend noch den letzten der langgelockten Merowinger erlebt hat, daß er bereits neun Jahre war, als sein Vater die fränkische Königswürde erlangte. I
Über diesen Begriffvgl. P. E. ScHRAMM, Die Anerkennung Karls d. Gr. als Kaiser, in Histor. Zeitschr. 172, 1951 S. 449-515, bes. 511ff. (gesondert: München 1952, S. 67ff.; im folgenden wieder abgedruckt). Da in diesem Aufsatz die wichtigste Lit. angefügt ist, gebe ich hier nur die notwendigsten Nachweise. Ich verwerte hier die dort erzielten
Ergebnisse. Auch habe ich die Gelegenheit benutzt, einzubauen, was ich an anderen Stellen festgestellt zu haben glaube. Man entschuldige deshalb, daß mein Name so oft in den Anmerkungen erscheint. Zum Begriff der Staatssymbolik vgl. jetzt auch den ersten Abschnitt dieses Bandes.
Der Regierungsantritt (S. r6-r8)
Von dem Augenblick an, in dem Pippin in Soissons >gewählt< und gesalbt war (Ende 751) 2 , ging sein Bestreben dahin, seinem Geschlecht die Herrschaft auf Dauer zu sichern. Er ließ sich deshalb von dem 754 ins Frankenreich geflüchteten Papst noch einmal salben, und erwirkte dessen Verbot an die Franken, jemals irgendeinen aus einem anderen Geschlecht zum König zu wählen. Er sorgte auch dafür, daß diese sakramentale, die magische Kraft der langen Haare ersetzende Stärkung gleichzeitig auch seinen beiden Söhnen, Karl und dessen Bruder Karlmann, zuteil wurde - wodurch sie (wenn auch zunächst nur nominell) Anteil an der Herrschaft des Vaters erhielten. Durch ihren Spruch zugunsten seines Königsamtes war für Pippin die Römische Kirche zu einem entscheidenden Faktor geworden, dessen Wohlwollen er nicht nur sich, sondern auch seinen beiden Söhnen dauernd zu sichern bemüht war. Er legte sie deshalb auf die von ihm eingeschlagene Politik fest: er gab das Freundschaftsversprechen3, das Stephan II. erhielt, zugleich in ihrem Namen ab und machte sie auch zu Mitausstellern der sogenannten >Schenkung<, die dem Papst die von ihm in Italien beanspruchten Gebiete zusicherte. Der Papst tat seinerseits dafür außer der Salbung noch ein übriges: er machte Pippin zum Patricius und sprach diese Würde auch gleich den Söhnen zu 4 • Karl war also, als sein Vater im September 768 starb, bereits gesalbt, bereits beteiligt an der Herrschaft, bereits Patricius, aber auch bereits doppelt gegenüber der Römischen Kirche gebunden. Pippin wurde in St. Denis cum magno honore beigesetzt. Wenn wir Angaben Sugers von St. Denis, Verse des Iren Dungal und den neuerdings durch Grabungen in 2 Erst die Reichsannalen sagen, Bonifaz habe die Salbung durchgeführt. Da er sich in diesen Jahren von der Politik zurückhielt, ist die Richtigkeit dieser Angabe zweifelhaft; vgl. TH. ScHIEFFER, Winfried-Bonifatius u. die christliche Grundlegung Europas, Freiburgi. B. 1954 S. 259. Vgl. dazu H. BüTTNER, Aus den Anfängen des abendl. Staatsgedankens. Die Königserhebung Pippins, im Histor. Jahrbuch 7I, I952 S. 77-90. Die Thronfolge von 751 bis in das IO. Jahrhundert unter verfassungsgeschichtlichem Winkel stellte dar W. ScHLESINGER, Karolingische Königswahlen, in: Zur Gesch. u. Problematik der Demokratie: Festgabe für H. HERZFELD, Berlin I958, S. 207-64 (jetzt: Beiträge zur deutschen Verfassungsgesch. des Ma.s I, Göttingen I963, S. 88-138) und DERS., Die Anfänge der deutschen Königs-
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wahl, in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 66, Germ. Abt., I948, S. 381-440 (jetzt: ebd., S. I 39-92 und: Die Entstehung des deutschen Reiches, hg. von H. KÄMPF, Darmstadt 1956, S. 313-85); zur älteren Lit. vgl. S. 89, Anm. I, V gl. meinen Aufsatz: Das Versprechen Pippins und Karls d. Gr. für die Römische Kirche, in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 58, Kanon. Abt. 27, 1938, S. I8o-227. (jetzt oben S. I49ff.). 4 Vg!. unten S. 2qf. die Aufsätze von FR. L. GANSHOF, J. DliliR und W. ÜHNSORGE über diesen Titel; s. jetzt P. CLASSEN, Karld. Gr., das Papsttum u. Byzanz, in: Kar! d. Gr., Lebenswerk u. Nachleben I, Düsseldorf 1965, S. 552 (mit Nachweisen; s. DERS. schon in: Gnomon 32, I96o, S. 484f.). - Vgl. ferner WoLFRAM (Korrekturnachtrag zu S. 50) S. 206-44.
B2: A. Kar! d. Gr. als König (768-8oo)
der Klosterkirche festgestellten Baubefund miteinander verknüpfen•, ergibt sich, daß der tote König entsprechend seiner Anordnung vor dem Westeingang der Klosterkirche so begraben wurde, daß jeder, der sie aufsuchte, über seinen Leichnam hinwegschritt: eine Selbstdemütigung im Tode, wie sie sinnfälliger nicht gedacht werden kann. Ja, sie war dadurch noch verstärkt, daß der König mit dem Gesicht zur Erde begraben wurde 6 • Die Söhne haben den Willen des Vaters verwirklicht; aber Karl hat es sich in seinem Alter bezeichnenderweise angelegen sein lassen, der Grabstätte seines Vaters doch noch die für einen König angemessene Würde zu geben. Er ließ vor dem Westeingang über dem Toten eine Vorhalle aufführen, die erst im 12. Jahrhundert einem Umbau zum Opfer gefallen ist. In ihr wurden Bilder Pippins und Karls angebracht; die Beischrift, die der als Mönch im Kloster lebende Dungal verfaßte, hat sich erhalten -sie bezeichnete Karl bereits als Kaiser, wodurch die Vorhalle in die Jahre 8o1-14 datiert ist 7 • Hier greift man den Gegensatz, der zwischen seiner und seines Vaters Religiosität bestand: Pippin hatte sich beim Scheiden aus dieser Welt seiner guten Taten nicht sicher gefühlt; Karl, Sproß einer jüngeren Generation, die in kirchlich bereits gefestigte Zustände hineingewachsen war, konnte darauf vertrauen, daß er auf Erden so viel Gutes bewirkt hatte, wie es in der Kraft eines Christen lag, und erwartete Genaueres in den Nachträgen zu meiner Ausgabe der Kaiserbildnisse (Bd. V dieser Sammlung). 6 Berichtet in der »Chronique de Saint-Denis« (Dom Bouquet, Historiens de la Gaule V, S. 224); vgl. dazu E. SALIN, La civilisation merovingienne II, Paris 1952, S. 22off. Der Sinn solcher Begräbnisart erhellt aus folgender Nachricht: nach Hariulfi Chron. Centulenseii cap. 7 (Migne, Patr.lat. 174Sp. 1253 f.) wollte Angilbert, Karls Schwiegersohn, in seinem Kloster Centula so begraben sein: ut a nemine basilica ingredipossit, qui nonsanctam corporis eius tumbam calcaret.
Dadurch erledigt sich eine andere Deutung, die E. BALDWIN SMITH, Architectural Symbolism of Imperial Rome and the Middle Ages, Princeton (N. J.) 1956, S. 78 mit Anm. 12 vorbrachte. Er wollte in Pippins Begräbnis im Westen nicht ein Bekenntnis seiner Sündhaftigkeit, sondern die Beisetzung an einem Platz »at the triumphal Gateway to the Celestiat Jerusalem« sehen. Er beruft sich dafür auf andere Beisetzungen von Für-
sten im Westen der Kirchen. Über die Baulichkeiten ebd. S. 89ff. (mit Hinweis auf weitere Speziallit.). Der Brauch, die Toten mit dem Gesicht nach unten zu begraben, ist auch sonst belegt: einer Pressenachricht vom r. IV. 1965 entnehme ich, daß bei Ausgrabungen in der um IIoo erbauten Stiftskirche in Hechelten (8 km nördlich von Emmerich) die Skelette des Grafen Wichmann, der hier im xo. Jahrh. eine Burg besessen hatte, und seiner Familie gefunden wurden: seine Frau war auf dem Bauche liegend begraben worden. 7 Man halte daneben, daß Kar! für das Grab des Papstes Hadrian I. (t 795) eine Marmortafel mit einer - in seinem Namen von Alcuin gedichteten - Inschrift in Goldbuchstaben anfertigen ließ; vgl. H. FrcHTENAU, Kar! der Große und das Kaisertum, in den Mitteil. des Inst. für Österr. Geschichtsforschung 6r, 1953, S. 300 und P. E. S.-FLORENTINE MüTHERICH, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser, München 1962, S. II8 (hier Lit.) mit Abb. 12.
Die Reichsteilung (768) (S. r6-r9)
deshalb gefaßt die Gnade Gottes. Für sich ordnete er daher auch keine solche Selbstdemütigung an; ja er traf überhaupt keine Bestimmung über seine Grabstätte. Aber es war sicher in seinem Sinne, wenn seine Getreuen ihn im Aachener Münster begruben und diese Stätte durch sein Bild sowie durch eine Namen und Verdienst festhaltende Inschrift auszeichneten, wie es seit dem frühen Christentum bei Arcosolgräbern üblich war. Nach Pippins Tod trat die Reichsteilung in Kraft, die der Vater- dem germanischfränkischen Herkommen entsprechend8 - vorgesehen und durch die Salbung beider Söhne auch schon angebahnt hatte. Mit ihrer Einweisung in die Herrschaft wurde anderthalb Monate gezögert- zweifellos, um möglichst vielen Männern von Ansehen die Möglichkeit zu geben, an diesem Rechtsakt teilzunehmen. Der Karl betreffende wurde in Soissons, der andere in Noyon vollzogen. Bezeichnenderweise fanden beide am gleichen Tage (9. Nov. 768) statt: keiner der Brüder sollte also einen Vorsprung haben. Die Angaben der ältesten Annalen sind farblos. Beim Continuator Fredegarii9 heißt es: Pariter unodie a proceribus eorum (scil. Francorum) et consecratione sacerdotum sublimati sunt in regno; die Lorscher Annalen vermerken kurz: elevati sunt in regnum1o. Es handelt sich also nur um Zuruf der Laien und den Segen der Geistlichkeit11• Der von dem Continuator schon auf Pippin bezogene Ausdruck consecratio wurde auch für die Weihe eines Bischofs benutzt12 • Entsprechende Gebetsformeln für die Weihe des Königs standen bereits zur Verfügung13 ; denn zu den seit altersher für Herrscher und Reich gesprochenen Gebeten14 waren seit der Mitte des 8. Jahr8 H.-W. KLEWITZ, Germanisches Erbe im fränkischen und deutschen Königtum, in: Die Welt als Gesch. VII, I94I, S. 204ff. 9 CoNT. FRED. ad a. 768 (Mon. Germ., Script. rer. Merov. II, S. I93). 10 Ann. Lauriss. ad a. 768 (Annales regni Franc., ed. FR. KuRZE, I895, Neudruck I95o, S. 28; Script. in us. Schal.). - P. CLASSEN (s. oben Anm. 4) S. 584 nimmt an, daß Karl754, 768 und auch 77I gesalbt wurde, was mir unwahrscheinlich dünkt. I I In den Ann. q. d. Einhardi heißt es: insignia regni susceperunt, in den Ann. s. Amandi und den Ann. Petaviani: Ad reges uncti sunt (vgl. BöHMER-MÜHLBACHER, Reg. Imp. I, 2. Aufl., Innsbruck I9o8, Nr. 115d = I3od). Diese Akte sah man also sehr bald als erforderlich an und setzte deshalb voraus, daß sie auch im Jahre 768 stattgefunden haben müßten. I2 FrcHTENAu a. a. 0., S. 324, Anm. 46.
I 3 Durch die falsche Datierung der entscheidenden Handschrift verleitet, habe ich in: Die Ordines der ma.lichen Kaiserkrönung, im Archiv für Urkundenforschung. XI, I93o, S. 358ff., eine Benedictio ad ordinandum regem vermutungsweise mit dem Jahr 768 in Verbindung gebracht, habe das aber bereits in der Zeitschr. für Rechtsgesch., Kanon. Abt. 24, I935. S. I84f., Anm. I, richtiggestellt. Den Zugang zu den Formeln des 8. Jahrhunderts eröffnen meine Aufsätze: Die Krönung bei den Westfranken und Angelsachsen, ebd. 54, Kanon. Abt. 23, 1934, S. I17-242 (in Bd. II wiedergedruckt), sowie OrdinesStudien II-III, im Archiv für Urkundenforsch. I4, 1937, S. 3-55 und 15, 1938, S. 305-91. 14 G. TELLENBACH, Römischer und christlicher Reichsgedanke in der Liturgie des frühen Mittelalters, in den Sitzungsberichten der Heidelb. Akad., Phil.-hist. Kl. 1934/5, Nr. r.
B2: A. Kar! d. Gr. als König (768-Soo)
hunderts noch weitere, umfangreichere und durch Hinweise auf die Gestalten des Alten Testaments gekennzeichnete Formeln gekommen - die eine oder andere mag für die Feiern in Soissons oder Noyon aufgesetzt sein. Beweisen läßt sich das nicht; aber zusammengefaßt, legen sie Zeugnis dafür ab, wie die neue Dynastie sich um den Segen des Himmels bemühte und die Kirche sie dabei unterstützte: König und Klerus waren wechselseitig aufeinander angewiesen, und das Gedeihen des einen war der V orteil des anderen. Auf die Königsauffassung der zweiten Generation fällt ein Licht durch den fortan einen festen Bestandteil des Titels bildenden Zusatz: Dei gratia 15 • Diese Formel hatte eine lange Vorgeschichte, war auch schon vor 768 dem angelsächsischen Königstitel beigesetzt worden. Damit ist jedoch der Entschluß, sie fortan ständig zu verwenden, nur motiviert, aber nicht geklärt. Ihre Bedeutung läßt sich auch nicht dadurch verkleinern, daß die Leiter der >Kanzlei< für ihn verantwortlich gemacht werden. Angenommen werden konnte die Formel nur deshalb, weil die Brüder ihr Einverständnis gegeben hatten und ihr weiterhin Wert beimaßen16 • War Karl der Treibende? Das ist wahrscheinlich; auch ist gewiß, daß es ihm zeitlebens ernst blieb mit der Auffassung, die sich in jener Formel ausdrückt. Deutlich kommt das in den neunziger Jahren zum Ausdruck am Anfang der Libri Carolini, also an hervorgehobener Stelle und in einer zweifellos von Karl ausdrücklich gebilligten Fassung 17 • Hier heißt es, man sage von den Königen, daß sie herrschten; das sei jedoch ein mißbräuchlicher und die Sache nicht treffender Ausdruck: »Denn I 5 K. ScHMITZ, Ursprung und Gesch. der Devotionsformeln, Stuttgart I9I3 (Kirchenrecht!. Abh. 8 I) ; dazu FR. KERN, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht, Lpz. I 9 I 5, S. 304ff.; über England vgl. F. L1EBERMANN, Gesetze der Angelsachsen II, Halle I9o6, S. 479· Daß es nicht gerade das angelsächsische Vorbild gewesen sein muß, das die Franken bestimmte, zeigte W. LEVISON, England and the CoPtinent in the 8th Century, Oxford I946 (Ford Lectures I943), S. II9ff. I6 Die Urkunden beider Brüder setzen im Januar 769 ein; die Karls weisen gleich Dei gratia auf, die Kar!manns erst von März an (Mon. Germ., DD. Karo!. I). I7 Über die Verfasserfrage L. WALLACH, Charlemagne and Alcuin: Diplomatie Studies in Carolingian Epistolography, in Traditio IX, I953, S. 127-54, der mit Hilfe des Stilvergleichs Karls Brief an Elipand über den Adoptianismus (794) sowie die Frankfurter
Synodalbeschlüsse desselben Jahres Alcuin zuweist und auf Grund von Entsprechungen zwischen diesen Texten und den Libri Carolini deren Schlußredaktion auf diesen zurückführt. W. LEV1SON (t)- H. LöwE haben in: WATTENBACH-LEV1SON, Deutschlands Geschichtsquellen im Ma.: Vorzeit u. Karolinger, 2. Heft, Weimar 1953, S. 201, an der herkömmlichen Anschauung festgehalten, daß Theodulf der Hauptverfasser war. Durch neue Feststellungen ist diese Annahme inzwischen ausgebaut worden; vgl. ANN FREEMAN, Th. of 0. and the Libri Carolini, in Speculum 32, I957 S. 663-705 (dagegen L. WALLACH, The Unknown Author of the L. C., in: Didascaliae. Studies in Honor of A.A.ALBAREDA, I96I S.471-515. SeineAufsätze faßte er zusammen: Alcuin and Charlemagne, 1959; Cornell Studies in Class. Philology 32).
>Dei Gratia<- Kar! Herrscher im Gesamtreich (771) (S. 19-21)
herrschen, unsterblich und wahrhaftig sein ist nur seiner (Christi) Natur eigen; allen aber, die dies erreichen, ist das allein durch das Geschenk dessen zugeteilt, der in Wirklichkeit regiert, allein unsterblich und wahrhaftig ist« 18 • Als Unterpfand der ihn nicht verlassenden Gnade des Himmels trug Karl an einer Kette um den Hals ein goldenes Brustreliquiar, dessen Heilturn unter einer durchsichtigen Kapsel aus Bergkristall geborgen war da es sich um eine frühkarolingische Arbeit handelt, die bis in die Zeit Napoleons I. im Domschatz von Aachen verwahrt wurde, liegt in diesem Falle kein Anlaß vor, der Tradition zu mißtrauen und den sogenannten >Talisman Karls des Großen< dem Frankenkönig abzusprechen ( Abb. 4)1 9 • Die 768 vorgenommene Teilung erledigte sich, als Karlmann im Dezember 771 starb. Karl schob die Ansprüche der Karlmann'schen Kinder beiseite und übernahm die Herrschaft im Gesamtreich. Über die Rechtsform, in der das geschah, geben die Annalen wiederum nur unzulängliche Auskunft. Auch in diesem Falle ist - was vermerkt zu werden verdient- weder die Aushändigung eines Herrschaftszeichens noch das Platznehmen auf einem Thron vermerkt 20 • Nach ErNHARn wurde Karl consensu omnium Franeorum zum König des Gesamtreiches eingesetzt. Nur mit solchem consensus, der auch bei schon vorher üblich gewesenen Bekräftigung der >Wahl< eines Königs (d. h. der corroboratio seines Erbrechts), ließ sich die offenkundige Tatsache überdecken, daß Karlmanns Rechte auf dessen Sohn Pippin übergegangen waren. Die Witwe gab den Kampf noch nicht verloren und suchte mit Hilfe ihres Vaters, des Langobardenkönigs Desiderius, an dessen Hof sie mit Sohn und Tochter geflohen war, die Krönung Pippins durch den Papst zu erreichen. Doch das Haupt der Kirche versagte sich diesem Wunsche und fügte dadurch zu den Streitfragen, die Rom und die Langobarden auseinandertrieben, noch eine neue. Auf diese Weise ergab sich sowohl für den Papst als auch für Karl r8 Liber Carol. I cap. I (ed. H. BASTGEN, 1924, S. 10; Mon. Germ., Concilia II Suppl.): Dicimur enim et nos regnare, sed abusive, non proprie, nam regnare, immortalem et veracem esse illi est naturale; ceteris vero, qui haec consecuntur, illius largitione est adtributum, qui vere regnat, solus inmortalis et verax est.
19 P. E. SCHRAMM, Herrschaftszeichen u. Staatssymbolik I, Stuttgart 19 54 (Schriften der Mon. Germ. Hist. XIII), S. 309ff. mit Abb. 32a-c, DERs.-FL. MüTHER1CH a. a. 0., S. 120 mit Abb. 17 und: Kar! d. Gr., Ausstellungskatalog, Aachen 1965, Nr. 557 mit Abb. 109. 20 Eine Ausnahme macht nur das in den Forschungen zur Deutschen Geschichte XIII, 1873 S. 6z8 abgedruckte Fragment ( = Mon. Germ., SS. XIII, S. 28): et unxerunt super se
Karo/um gloriosissimum regem, et obtinuit feliciter monarchiam totius regni Francorum. (Diesen Satz bringen auch die Ann. Mettenses; vgl.
BöHMER-MÜHLBACHER Nr. 142a). Dann müßte Kar! zweimal - oder wenn die (s. in Anm. 11) zitierten Annalen recht hätten, sogar dreinlal- gesalbt worden sein. Bei seinem Vater war es dazu gekommen, weil der Papst selbst die Salbung wiederholte. Bei seinem Sohne Ludwig sollte es wiederum dazu kommen, weil er als Kaiser noch einmal gesalbt wurde. Solche Sonderbedingungen bestanden aber im Jahre 771 nicht; daher muß 771 (ebenso wie 774; s. unten) gegolten haben, daß eine sakramentale Weilie nicht wiederholbar sei.
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Bz: A. Kar! d. Gr. als König (768-8oo)
die Notwendigke it, zusammenzu gehen- von den Folgen wird noch zu sprechen sein. Wegen seines Neffen brauchte Karl keine Besorgnis mehr zu hegen; man hört nichts mehr von ihm - vermutlich ist er jung gestorben. Daß Karl seine Söhne sobald wie möglich salben ließ, ist nach den Erfahrungen , die er bisher gemacht hatte, verständlich.
b) König der Langobarden - Unterkönige - Untertaneneid Auch Karl der Große hatte eine Tochter des Königs Desiderius geheiratet; aber er hatte sie 771 dem Vater zurückgeschickt und die Alemannin Hildegard geehelicht. Darin drückte sich der Bruch mit seiner anfangs den Langobarden freundlichen Politik aus. Im Jahre 774 kam es zur Auseinandersetzung mit den Waffen, und diese entschieden zugunsten der Franken. Von Desiderius weiß man nicht einmal, wo der Tod seine Verbannung beendete, und aus seiner Sippe gab es niemanden mehr, der den Kampf noch einmal hätte aufnehmen können. Karl war also in der Lage, zu entscheiden, wie es ihm gut dünkte. Die Art, wie er vorging, ist aufschlußreichn. Wir hören, daß der Frankenköni g cum hymnis et laudibus in das eroberte Pavia einzog, daß er den Schatz des Besiegten an sich nahm; aber nichts verlautet davon, daß er sich erneut salben ließ: er muß also die ihm zuteil gewordene sakramentale Weihe auf sein Königsamt bezogen und sie als unabhängig von dem beherrschten Raume angesehen haben 22• Auch hört man nichts davon, daß Karl sich mit irgendeinem Herrschaftszeichen investieren ließ - insofern entsprach sein Vorgehen dem 768 und 771 befolgten. Damit hatte die Lanze der Langobarden könige, die oben mit einem Vogel verziert war, ihre Rolle ausgespielt2 3 • Aber es war doch nicht so, daß der Frankenköni g sich einfach auf den Standpunkt des Siegers stellte, der seinen Besitz durch Beute vermehrt hatte. Karl schuf vielmehr ein Novum, das in dem fortan geführten Titel zum Ausdruck kam: Dei gratia rex Franeorum et Langobardorum. Mehr als ein Volk hatten schon andere Germanenfür sten im Titel angeführt, und 21 Die Zeugnisse aufgezählt und kritisch gesondert bei BöHMER-MüHLBACHER Nr. 163 b. 22 Anders Kar! der Kahle, der sich 869 als König von Lothringen noch einmal salben und krönen ließ; vgl. P. E. S., Der König von Frankreich I, Weimar 1939 (Neudruck Darmstadt I 960), S. z6 ff. 23 P. E. S., Herrschaftszeichen, a. a. 0. I, S. 2.41f.; IT, edb. 1955, S. 497ff. Die »Eiserne
Krone« stammt erst aus dem 9· Jahrhundert; vgl. ebd. rr, s. 45D-79 (R. ELZE). Auf den von Kar! im Langobardenreich geprägten Münzen ist seinem Namen nur der Titel REX FR{ancorum) beigesetzt; das gilt selbst für die Münzstätte Pavia. Über die einzige Ausnahme s. unten S. 2.2.9 (dort auch Lit.).
König der Langobarden (774)- Unterkönige (S. 21-23)
201
auf der britischen Insel lautete der Titel der siegreichen Königssippe, nachdem sie die übrigen Teilreiche beseitigt hatte: rex Anglorum et Saxonum. Aber in allen diesen Fällen handelte es sich um Völkerschaften, die unter einem Herrschergeschlecht zusammengewachsen waren oder im Begriffe standen, es zu tun. Karls neuer Titel bezeichnet dagegen die erste >Personalunion< des Mittelalters und eröffnet somit ein neues Kapitel in der Geschichte des Staatsrechts, das bis in die Neuzeit von unzähligen- gelungenen und mißlungenen- Völkervereinigungen zu berichten hat 2' . Denn wenn auch Karls Gesetze für das ganze Reich einschließlich Italiens galten, wenn auch die fränkische Grafschaftsverfassung auf das Langobardenreich übertragen wurde, wenn Karl auch durch die Verpflanzung fränkischer Adliger dafür sorgte, daß die Ausführung seines Willens in Italien gesichert war, so blieb doch das Langobardenreich-wir benutzen nochmals einen modernen Ausdruck- als >Rechtspersönlichkeit< erhalten. Daß dies die Absicht des Siegers war, machte Karl im Jahre 7 8 1 der Welt deutlich : er setzte seinen erst achtjährigen Sohn Pippin zum Unterkönig von Italien ein. Und zwar ging er so vor, daß er ihn zugleich mit dem nächstfolgenden Sohn, dem erst dreijährigen Ludwig, in Rom vom Papst ad regem salben ließ 25 • Damit hatten sie Anspruch erworben, eine Krone zu tragen, und daher klingt die Nachricht wahrscheinlich, daß der Papst sie ihnen am Schluß der Weihehandlung aufsetzte 26 • Wenn man diesen Akt auch noch nicht als konstitutiv für die Herrschaft oder - mittelalterlich ausgedrückt - als Verleihung der Gewere ( investitura) ansehen darf, so beginnt mit ihm doch die eigentliche Geschichte der mittelalterlichen >Krönung< durch den Papst. Die Einrichtung von Unterkönigtümern hatten bereits die Merowinger erprobt 27 , und daß Karls Reich einmal geteilt werden mußte, da Gott ihm mehrere Söhne geschenkt hatte, stand für ihn und seine Zeitgenossen gleichfalls fest, da dies ja der
24 H. TR1EPEL, Die Hegemonie. Ein Buch von führenden Staaten, Stuttgart, 2. Aufl., 1943, S. 49off. (vgl. jetzt in Bd. IV ein Abschnitt über Personal- und Matrimonialunionen. 2~ Ann. Lauriss. ad a. 781 (Mon. Germ., SS. I, S. 16o). 26 So berichten die Ann. q. d. Einhardi (ed. KuRZE a. a. 0. S. 57): quibus et coronam imposuit; vgl. auch die Vita Hludowici cap. 4 (Mon. Germ., SS. II, S. 6o8). S. dazu BöHMER-MüHLBACHER Nr. 23 ~ b. Die Ann. Mosellani (Mon. Germ., SS. XVI, S. 497) haben die beiden Akte (Einsetzung als Unterkönige und Salbung) in eins zusammengezogen: {papa) unxit { Pippinum) in regem super ltaliam
et fratrem eius Ludowigum super Aquitaniam. 27 Über das Unterkönigtum vgl. G. ErTEN, Das U. im Reiche der Merowinger und Karolinger, Beideiberg 1907 (Heidelb. Abh. 18); H. ZATSCHEK, Die Reichsteilungen unter Kaiser Ludwig dem Frommen, in den Mitteil. des Inst. für österr. Geschichtsforsch. 49, 193~. S. 185ff.; E. EwiG, Die fränkischen Teilungen und Teilreiche (511-613) = Akad. der Wiss. u. d. Lit., Abh. der Geistes- u. Sozialwiss. Kl. 1952, Nr. 96, Mainz 1952 und DERS., Die fränkischen Teilreiche im 7· Jh. (613-714), in der Trierer Zeitschr. 22, 1954, S. 85-144 (bes. S. 1o7ff.).
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B2: A. Karl d. Gr. als König (768-8oo)
herkömmlichen Rechtsauffassung entsprach. Das Neue war also nur, daß ein italienisches Unterkönigtum in die >Personalunion< eingebaut wurde, sie aber- wie der von Karl beibehaltene Titel ausweist - nicht aufhob. Zu den Merowingern hatte Karl nach der Eroberung des Langobardenreiches eine Beziehung hergestellt, indem er vorübergehend den von ihnen geführten Titel vir i Iuster seinem Königstitel zusetzen ließ 27a. Eine feste Brücke zu ihnen bestand seit dem Jahre 778: als ihm Zwillinge geboren wurden, hatte er sie auf die Namen Ludwig (Chlodwig) und Lotbar (Chlothar) taufen lassen. Das ist sehr auffällig; denn nachdem der erste (nicht-vollbürtige) Sohn- wie herkömmlich- den Namen des Vaters (Pippin), der nächste den des Großvaters (Karl) und der dritte den Namen des Bruders (Karlmann, 781 umgeändert bei der Salbung in: Pippin) erhalten hatte, wären nach der Tradition der Name des mütterlichen Großvaters oder eines Stammvaters- also etwa Arnulf- in Betracht gekommen 28 • Statt dessen wurden auf dem Wege der Namengebung die- jetzt ungefährlich gewordenen- Merowinger in die Ahnschaft des neuen Königsgeschlechts hineingeholt. Bei seinem ältesten vollbürtigen Sohn, der für die Nachfolge im Frankenreich vorgesehen war, hielt der Vater die Salbung noch nicht für vordringlich: er trug seit 788 den Königstitel, erhielt 789 einen Teil von Neustrien, wurde aber erst 8oo gesalbt. Dagegen erhielt der erst dreijährige Ludwig Aquitanien 2 sa. In diesem Reich bestand seit der Beseitigung des einheimischen Herzogs (769) ein Schwebezustand, der auch durch die Übertragung der Verwaltung an Männer fränkischer Herkunft kein Ende gefunden hatte. Im Gegensatz zu dem in Italien befolgten Vorgehen wurde Ludwigs Amtsantritt durch einen sinnfälligen Rechtsakt bekräftigt: Ludwig wurde auf ein Pferd gesetzt und ritt, in Landestracht eingekleidet, in sein Reich ein. Er wurde also durch seine Gewänder zu einem Aquitanier gemacht, so wie der Sachse Otto I. tunica stricta tnore Franeorum zu seiner Krönung auf fränkischem Boden erschien und sich dadurch zum Franken machte 29 • Auch der >Einritt< ist im Rechtsbrauch erhalten geblieben, wenn er auch in den Schatten der >Thronsetzung< geraten ist. Die Neuordnung in Aquitanien gab dem König der Franken und Langobarden nicht den Anstoß, seinen Titel abermals zu erweitern. Auch die Beseitigung des 27a SIGURT GRAF PFEIL: Die Titel der fränkischen Könige und Kaiser bis 9II, Diss. Göttingen I958 (Masch.-Schrift), daraus ein Auszug in Bd. II. 28 H.-W. KLEWITZ, Namengebung und Sippenbewußtsein, im Archiv für Urkundenforschung XVIII, I944, S. 23-37. Schon vor 78I begegnet Karls Name mit dem Zusatz »magnus«, aber er dient zunächst wohl nur der
Unterscheidung von dem ältesten vollbürtigen Sohne, dem inzwischen neun Jahre alt gewordenen Karl (t Sn). 28a Zum geschichtlichen Hintergrund vgl. PHILIPPE WoLFF, L'Aquitaine et ses marges, in: Karl d. Gr. Lebenswerk u. Nachleben I, Düsseldorf I965, S. 273 f. 29 Widukind Il cap. I (ed. P. HIRSCH-H. F. LoHMANN, 6 /1935, S. 65; Script. in us. schal.)
Unterkönige-Untertanen eid (S. 23-25)
bayerischen Herzogshauses (787) 30 und die Unterwerfung der Sachsen haben in seinem Titel keinen Ausdruck gefunden. Die volle Konsequenz aus der 774 angebahnten Entwicklung haben nur die in den neunziger Jahren abgeschlossenen >Libri Carolini< 31 gezogen: sie bezeichnen sich als opus ... Caroli nutu Dei regis Francorum, Gallias Germaniam Italiamque sive harum jinitimas provintias Domino opitulante regentis. Auffallend ist, daß hier Völker- und Ländernamen aneinandergerückt sinddarauf wird zurückzukommen sein. Den Zusammenhalt dieses aus so verschiedenen Bestandteilen zusammengefügten Reiches hat Karl dadurch zu stärken getrachtet, daß er sich 789 von allen Untertanen einen Eid schwören ließ 32. Den Anstoß gaben eine 786 aufgedeckte Verschwörung und die 787 durchgeführte Unterwerfung der Beneventaner, die nun fest an ihren neuen Herrn zu ketten waren. Ungewiß ist, ob man sich noch darauf besann, daß bereits in merowingischer Zeit Eide nicht nur der Königsgefolgschaft abverlangt worden waren, sondern möglichst vielen Untertanen. Der Theorie nach sollten jetzt alle Karl den Eid leisten; aber nach der Empörung des Bastards Pippin (792) ergab sich, daß selbst Grafen nicht vereidigt worden waren. Das gab den Anlaß, den Eid nochmals einzufordern. Der Inhalt war sowohl negativ als auch positiv gewendet: 1) die Untertanen verpflichteten sich, dem König gegenüber sich zeitlebens sine fraude et malo ingenio zu verhalten; z) sie mußten versprechen, ihm und seinen Söhnentreu zu sein und zu bleiben. Man hat aus dem für das Lehnswesen bezeichnenden Ausdruck jidelis schließen wollen, daß Karl seineUntertanen auf sich als senior verpflichtet habe; das würde letzthin darauf hinauslaufen, daß das Reichsvolk den Charakter eines riesigen Lehnsverbandes bekommen hätte. Was Karl tatsächlich im Sinne hatte, zeigt die erweiterte Form dieses Eides, die 8oz beschworen werden mußte und an ihrem Ort geprüft werden wird. Für seine Franken tat Karl noch etwas Besonderes. Er ließ - vermutlich durch Erkanbald, der seiner Kanzlei vorstand - 798 die in der Zeit seines Vaters neugegliederte Lex Salica in abermals überarbeiteter Fassung herausgeben. Dadurch bannte er die Gefahr, daß dieser aus Chlodwigs Zeiten stammende, also schon sehr alte Text unverständlich wurde und Unsicherheit in bezug auf das angestammte Recht entstand3 3, 30 Über den >Ahnenstab<, den Tassilo Karl aushändigen mußte, vgl. ScHRAMM, Herrschaftszeichen a. a. 0. I, S. 209, 286; über den Grabhügel, über dem seine Verurteilung vollzogen wurde, vgl. ebd. Bd. II, S. 688, 3I BASTGEN, a. a. 0., S. 500, - Vgl. auch den Brief Alcuins an Karl aus dem J. 796 mit der Adresse: Carlo regi Germaniae, Gal/iae atque ltaliae (Mon. Germ., Epp. IV, S. I 57 Nr. I I c).
32 F. L. GANsHOF, Charlemagne et Je serment, in den Melanges d'hist. du moyen äge, dedies a Ia memoire de L. Halphen, Paris I95J, S. 2 59-70, der die vorausgehende Lit. verzeichnet. 33 Fassung E; zur Datierung vgl. K. A. EcKHARDT, Lex Salica. IOO Titel-Text, Weimar I953 (Germanenrechte, Neue Folge, Abt.: Westgerm. Rechte), S. 55 ff.
B2: A. Kar! d. Gr. als König (768-Soo)
cJ Patricius Romanorum und Proteetor s. Romanae ecclesiae Wir kehren noch einmal zu dem im Jahre 774 erweiterten Königstitel zurück. Denn er wurde nicht nur im Hinblick auf das Langobarden reich umgeändert, sondern brachte auch noch zum Ausdruck, daß Karl im gleichen Jahre seinem Verhältnis zur Römischen Kirche eine neue Rechtsform gab. Noch während der Belagerung Pavias macht sich Karl zu einem Besuche Roms auf. Obwohl die Kurie über seine ihr wohlgeneigte Einstellung im Bilde war, ließ sie sich von ihm vor Betreten der Stadt die eidliche Zusage geben, daß er wirklich nichts Übles im Schilde führe. Wer will ihr das verdenken, da sie so schlechte Erfahrungen mit den Langobarden gemacht hattel Dadurch war jedoch ein Präzedenzfall geschaffen, der für die folgenden Jahrhunderte maßgebend blieb. Daß Karl es wirklich gut mit der Kirche des Hlg. Petrus meinte, brachte er sofort zum Ausdruck, als er vom Papst an dessen Grab geleitet worden war. Hier banden sie sich nicht nur durch wechselseitige Eide, sondern Karl tat noch ein übriges: er hinterlegte den von ihm geleisteten, schriftlich aufgezeichnet, auf der Confessio s. Petri. Es läßt sich erschließen, daß Karl 774 nichts anderes tat, als daß er den Freundschaftseid erneuerte, den sein Vater 754 mündlich- auf Grund einer feststehenden Rechtsforme l- in seinem und seiner Söhne Namen geleistet hatte. Der Unterschied bestand nur darin, daß Pippin sich als defensor et adiutor der Römischen Kirche bezeichnet hatte, Karl sich dagegen protector et defensor nannte. Die Steigerung von adiutor zu protector sei hier nicht erläutert, ebenso, daß Karl sein ganzes weiteres Leben lang der Kirche nicht nur geholfen, sondern sie wirklich >protegiert< hat. Jedoch muß man im Auge behalten, daß das Wort protector bisher vornehmlich in der geistlichen Sphäre verwandt worden war: fortissimus protector patriae et consolator omnium ecclesiarum heißt es in einer Gebetsformel, die in Karls Zeit aufgezeichnet und wohl auch verfaßt wurde: gemeint ist hier GottvaterM. In seinen Titel hat Karl nicht das Wort protector aufgenommen, sondern jene Bezeichnung, die ihm bereits zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder im Jahre 754 zugesprochen worden war: patricius Romanorum. Bisher war sie nicht viel mehr als ein Ehrenname in der Korresponde nz zwischen der Kurie und dem fränkischen Hofe gewesen, auf den des öfteren angespielt worden war; jetzt wurde sie zu einem festen, an den Doppelkönig stitel angehängten dritten Titelm mit einem ganz konkreten Inhalt, nämlich protectio et defensio s. Romanae ecclesiae. 34 Sakramentar von Angouleme Nr. 1857; vgl. ScHRAMM, Versprechen Pippins und Karls d. Gr. (vorstehend abgedruckt). 34a Der Pattidus-Titel fehlt in den nächsten Monaten. Erst vom Sommer 776 an wird er
wieder ständig benutzt; s. GRAF PFEIL a. a. 0. F. L. GANSHOF, Titre »Patricius« a. a. 0. (oben Anm. 4), S. z63, Anm. 2. und WoLFRAM (s. S. 195 Anm. 4) S. 225 ff.
Patricius und Proteetor (S. 2 5-2.6)
Karl hat während seines ersten Aufenthalts in Rom noch ein übriges getan und die von seinem Vater 754 ausgefertigte Schenkung erneuert. Der Text seiner Urkunde, die verloren gegangen ist, läßt sich bekanntlich mit Hilfe der Angaben im Liber pontificalis und der Neuausfertigung Ludwigs des Frommen rekonstruieren. Wir können daher erschließen, daß er von den Zusagen seines Vaters nicht abwich. Aber es steht andererseits fest, daß Karl in der Folgezeit dort zu Gericht saß oder andere auf sein Königsamt begründete Maßnahmen ergriff, wo laut seiner Bestätigung diese Rechte dem Papste gebührten. Hat er sich nicht an sie gehalten? Hat er ihren Inhalt eingeschränkt? In diese Unklarheit hat die Numismatik Licht gebracht. Es gibt nämlich Münzen mit Karls vollem Titel: rex Franeorum et Langobardorum atque patricius Romanorum, die in den Jahren 79oj8oo geschlagen worden sind, und diese konnten nunmehr- mit großer Wahrscheinlichkeit - in Ravenna lokalisiert werden 35 , Mit Karls Namen wurde also in einer Stadt gemünzt, die unter den dem Papste zugesicherten an erster Stelle stand. Aus den Briefen der Kurie ersehen wir, daß sie es peinlich empfand, trotz der gegebenen Versprechen nicht Herr in Ravenna zu sein, und auf den Denaren, die die Päpste nach der Beendigung der kaiserlichen Münzprägung (775) in Rom herstellen ließen36, ist so etwas wie eine Antwort auf den von Karl in Ravenna herbeigeführten Zustand zu lesen: Hadrian I. ließ seinen Namen und dann sogar sein Bild auf die Denare setzen, Leo III. begnügte sich mit dem Bilde des Hlg. Petrus auf derVorder-und seinem Namen auf der Rückseite; aber auf die Tatsache, daß es dnen Patricius Romanorum gab, weist auch auf seinen Prägungen nicht das kleinste Zeichen hin. Das hieß unmißverständlich: in Rom ist Herr allein der Papst36a. Damit ist die durch Karls V erhalten aufgeworfene Frage jedoch nicht erledigt. Aus seinem ganzen Leben ergibt sich, daß für ihn Recht Recht blieb und sich durch Gewalt nicht beugen ließ. Er kann sich also nicht auf den Standpunkt der Macht gestellt und dem Papst bedeutet haben, daß er nicht gesonnen sei, seine promissio buchstabengetreu zu erfüllen. Wie sich in Karls Augen die Rechtslage darstellte, läßt die 35 Dazu vgl. jetzt H. H. VöLCKERS, Karoling. Münzfunde der Frühzeit, Göttingen 1965 (Abhandl. der Akad. der Wiss. in G., Phil.Hist. Kl., III. Folge Nr. 61) s. nf., 144f., 185 f. mit Tafel Q. Das Monogramm besteht aus den Buchstaben R, A, V, A und zwei kleinen, nicht identifizierbaren Buchstaben, die auf den bekannten Prägungen varüeren. Diese gehören den Jahren 79o-8oo an; daß sie in Italien geschlagen wurden, ist gewiß. Völckers stellt die Auflösung: RA V ( ennJA in Frage und denkt an ein Christus-Monogramm.
Über den 751 noch benutzten, dann verfallenden und seiner Ausschmückung beraubten Palast in Ravenna und den wohl schon vorher zugrunde gegangenen Palast in Rom vgl. P. VERZONE in: Kunsthistor. Studien. Festschrift FR. GERKE, BadenBaden 1962. S. 77-9· 36 ScHRAMM, Herrschaftszeichen S. 2.94ff. mit Abb. 31 e-f; auch unten: »Anerkennung Karls« S. 2.25 ff. (S.456ff.).Dazu jetzt CLASSEN (Anm. 4) S. 558. 36a Ebd. S. 292ff. mit Abb. 31 g-k.
zo6
Bz: A. Karl d. Gr. als König (768-8oo)
Einrichtung der Unterkönigreiche ahnen: die Söhne waren innerhalb von deren Grenzen gesalbte Herrscher mit eigenen Beamten, eigenen Einnahmen, eigener Rechtsprechung usw., aber sie hatten es hinzunehmen, daß der Vater für das ganze Reich Gesetze erließ, einzelne Rechtsfälle vor sein Hofgericht zog, durch Missi nach dem Rechten sehen ließ usw. Ähnlich wird sich für Karlauch das Ineinandergreifen seiner und des Papstes Kompetenzen in Ravenna und dem ehemaligen Exarchat dargestellt haben. Karl war also patricius Romanorum = protector et defensor s. Romanae ecclesiae und >Oberköttig< in den dem Papst von Pippin geschenkten und von ihm bestätigten Gebieten; der Papst war in diesen auf eine quasi->unterkiinigliche< Stellung herabgedrückt und im übrigen durch den Frankenkönig >protegiert<. So war Karls Stellung zur Römischen Kirche. Wie stand er zur fränkischen?
d) Pfalz und Münster in Aachen- S Ieinthron und Davidsname Auf diese Frage sind in den Urkunden und Briefen, den Kapitularien und Konzilbeschlüssen vielfältige Antworten zu finden. Die bündigste gibt das Münster in Aachen mit Karls Steinthron auf der Empore. Ausgrabungen haben dort, wo der Dom steht, Spuren einer frühchristlichen, an römische Badeanlagen anschließenden Kirche nachgewiesen, die wohl in der Zeit Pippins wieder aufgebaut wurde37 • Der benachbarte Königshof ist erst 765 bezeugt.
37 H. CHRIST in seinem Vortrag: Neue Untersuchungen zur Aachener Kaiserpfalz, gehalten auf dem VI. Internationalen Kongreß für Frühmittelalterforschung (Aachen I 95 4) und: Karl d. Gr., Ausstellungskatalog, Aachen I965, S. 395-400 (mit der neuesten Lit.) sowie Abb. 119-zr. Grundlegend ist fortan: >Karl d. Gr. Lebenswerk und Nachleben<. Siehe hier I, Düsseldorf I965, S. 322-48: W. KAEMMERER, Die Aachener Pfalz Karls d. Gr. in Anlage und Überlieferung, und III: Karoling. Kunst, hg. von W. BRAUNFELS u. H. ScHNITZLER, ebd. 1965; s. bes. E. LEHMANN, Die Architektur zur Zeit Karls d. Gr. (S. 303 ff. über das Aachener Münster); A. MANN, Großbauten vorkarolingischer Zeit u. aus d. Epoche von Karl d. Gr. bis zu Lothar I. (S. 324ff. über die Pfalz); G. BANDMANN, Die Vorbilder der Aachener Pfalzkapelle (S. 424-62); F. KREUSCH, Kirche, Atrium u.
Portikus der Aachener Pfalz (S. 463-5 33); L. HuGOT, Die Pfalz Karls d. Gr. in Aachen (S. 534-72); S. ferner L. FALKENSTEIN, Der Lateran der Karol. Pfalz zu Aachen, Köln I 966 (Kölner Histor. Abhandl. 32). - Nicht gesehen habe ich R. E. SuLLIVAN, Aix-laChapelle in the Age of Charlemagne, Oklahoma 1963. Dazu S. 283 f. über den Adler als Wahrzeichen in der Zeit Karls d. Gr. B. THORDEMAN (Stockholm), Die karol. Palastanlage zu Aachen, in: Acta Archaeologica 35, Kopenhagen I964, S. qi-I87 behandelt vor allem die (verschwundenen) basikalen Gebäude rechts und links vom Münster (als >Lateran<, d. h. geistlicher Versammlungsraum, sowie als weltlicher Raum angesprochen), ferner die ursprüngliche Form der >au!a regia< (jetzt Rathaus). Er folgert, »daß die I<:aiserkrönung zu einem
Die Pfalz in Aachen (S. 27-28)
207
Durch Grabungen geklärt ist jetzt, daß die arx, wie es in den Quellen heißt, durch eine Wehrmauer mit Türmen umgeben war. Wo die zum Wohnen bestimmten Baulichkeiten lagen, ist noch nicht ermittelt; vom eigentlichen Palast sind im heutigen Rathaus bekanntlich noch die Grundmauern erhalten. Er bildete zusammen mit dem Münster, das Karl an die Stelle der pippinischen Kirche setzte, ein festes architektonisches Gefüge. Karl verbrachte gleich das erste Weihnachtsfest nach dem Tode seines Vaters in Aachen; aber erst vom Ende der achtziger Jahre an kann es als seine >Residenz< angesprochen werden, in der er verweilte, wenn die Umstände es nur irgend erlaubten. Damals wird der Bau des Münsters auch bereits gut vorangekommen sein; denn bereits 786 hatte der Papst Karl zugestanden, daß er aus Ravenna Marmor, Mosaiken und sonstige Verkleidungen von Wänden und Fußböden zur inneren Ausschmükkung seines Baues abtransportieren lassen durfte. Die Pfalz erhielt dadurch eine ungewöhnliche Zier, daß Karl im Jahre 8or noch ein Reiterdenkmal Theoderichs des Großen aus Ravenna nach Aachen schaffen ließ. An diesem Faktum ist viel herumgedeutelt worden 38 • Lust an der Statue als technischer Leistung und als Kunstwerk mag - wie bei der gleichfalls nach Aachen überführten bronzenen Bärin, einem hellenistischen, durch Naturnähe frappierenden Guß - mitgesprochen haben, reicht aber in diesem Fall als Erklärung nicht aus. So wird man, wie bei der Auswahl der Namen für die jüngeren Söhne, wiederum an eine >Ansippung< 39 denken müssen: nachdem Karl die Merowinger durch ihre wieder aufgenommenen Namen in die Ahnschaft seiner Nachkommen eingegliedert hatte, tat er das jetzt kraft des Bildes mit dem großen Ostgoten, in dem er seinen V orbereiter erkannt haben mochte. Unsicher ist, ob der die Schwingen hebende, nach Westen blickende Bronzeadler auf dem First der Pfalz, den der König Lothar von Frankreich bei seinem Überfall (978) umdrehen ließ 40 , bereits zur ursprünglichen Ausstattung gehörte oder dort erst
neuen Bauplan führen mußte ... , daß die große Aula, der Porticus und der Torbau wie auch das Westwerk der Kapella Palatina erst nach dem Jahre 8oo hinzugefügt worden sind« (S. I 86). Falls sich diese These durchsetzt, ergibt sich ein neues Argument für die in Text gezeichnete Linie. 38 Vgl. H. LöwE, Von Theoderich d. Gr. zu Kar! d. Gr., im Deutschen Archiv IX, 1952, S. 392 ff. (dort die voraufgehende Lit; erweitert: Von Theod. d. Gr. zu Karl d. Großen. Darmstadt 1956; Libelli 29) und HARTMUT HoFFMANN, Die Aachener Theo-
derichstatue, in: Das I. Jahrtausend, Textband, hg. von V. H. ELBERN, Düsseldorf/ 1962, S. 318-35. Über den Standort HuGOT a. a. 0. S. 572. 39 über diesen Begriff vgl. K. HAucK, Geblütsheiligkeit, in: Liber Floridus. Festschrift Paul Lehmann, St. Ottilien 1950, S. 187-240. 40 Richerlllcap. 70 (ed.G.WA1TZ 1877 S. 1II; Script. in us. schol.): Aeream, aquilam, quae in vertice palatii a Karolo Magno acsi vo!ans ftxa erat, in vulturnum converterunt; vgl. auch Thietmar III cap. 8: Haec (aquila) stat in orientali parte domus, morisque juit omnium hunc
2.08
B2: A. Kar! d. Gr. als König (768-8oo)
in der nachfolgenden Zeit seinen Platz fand. Vielleicht handelte es sich auch bei ihm um ein nach Aachen verschlepptes Spolium; doch beweisen die Türen und Gitterdes Münsters sowie der fälschlich nach dem König Dagobert benannte Thron 4 1, daß den karolingischen Meistern der Guß eines solchen Vogels sehr wohl möglich gewesen ist 42 • Auf dem Giebel des Palastes darf ein Adler wohl als herrscherliebes Zeichen43 angesprochen werden und nicht einfach als Zierfigur wie etwa die Adler auf der Stephanus-Bursa im Aachener Domschatz 44 und auf dem Gürtel, den die Königin Hemma, die Gemahlin Ludwigs des Deutschen, der Regensburger Kirche schenkte. Denn dank der antiken Wort- und Bildtradition muß auch für die karolingische Zeit der Adler mit dem Herrscher verknüpft gewesen sein. Von der inneren Ausstattung der Pfalz ist möglicherweise noch ein Kunstwerk erhalten. Denn jener sogenannte Dagobert-Stuhl im Pariser Cabinet des Medailles ( Abb.2), der mit dem Merowingerkön ig Dagobert (t 639) gar nichts zu tun hat, ist kein spätantikes Gußwerk, wie man bisher meinte, sondern ein frühkarolingisches 45 • Da Lotbar I. auf einem ebenso geformten Thron in einer Handschrift abgebildet ist ( Abb. 3), die im Raume Aachen-Lüttich entstand46 , liegt der Schluß nahe, daß der Künstler den sogenannten Dagobert-Thro n zu Gesicht bekommen hatte. Stimmt diese Annahme, dann hat der Thron damals in Aachen gestanden. Der Bronzestuhl war ursprünglich zum Zusammenklapp en eingerichtet, konnte. also auf Reisen mitgeführt werden. Aber wenn er technisch auch als >Faltstuhl< locum possidentiu1n ad sua eam vertere regna (hg. von R. HoLTZMANN, 1935; Mon. Germ., SS. N. S. IX, S. w6). 41 S. unten mit Anm. 45· 42 Ich sehe hier von dem malum aureum auf der Kuppel des Münsters ab (Einhard cap. 32; ed. G. WA1TZ, 1911 in den Script.rer. Germ. in us. schol., inzw. neugedruckt, S. 37), den H. FrcHTENAU, Byzanz und die Pfalz in Aachen, in den Mitteil. des Inst. f. österr. Geschichtsforsch. 59, 1951, S. 8, als Weltkugel und damit als »Symbol der universalen Weltherrschaft« angesprochen hat, da mich diese Gleichsetzung nicht überzeugt hat. Ich halte ihn für eine Bauzier und nicht mehr (Sphaira-Globus-R eichsapfel, Stuttgart 1958, S. 34). 43 Über den Adler in der antiken Kunst und seine religiöse und politische Bedeutung vgl. FR. ErCHLER, Der Adler-Cameo in Wien, im Jahrbuch der Kunsthist. Sammlungen in
Wien, N. F. 1, 1926, S. 1-9; über den Adler in der christlichen Tradition vgl. TH. SCHNEIDER im Reallex. für Antike und Christentum I, 1941, S. 91-4. 44 H. FrLLITZ, Die Insignien und Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches, WienMünchen 1954, Abb. 70 sowie: Kar! d. Gr., Ausstellungskatalo g Aachen 1965, S. 373f. (im Empirestil ersetzt unter Berücksichtigung des beschädigten Originals), vgl. FrLL1TZ S. 66f. (Köpfe ursprünglich nicht nach links, sondern nach rechts gewendet). Einen kleinen Adler von unbekannter Bestimmung in Bronze aus karolingischer Zeit besitzt das Rheinische Landesmuseum in Bonn. 45 Zum folgenden ScHRAMM, Herrschaftszeichen I, a. a. 0., S. 326ff. mit Abb. 36-7 und P. E. S. - FLORENTINE MüTHER1CH, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser, München 1963, S. 137 mit Abb. 57· 46 Ebd. Abb. 35.
>Dagobert<-Thron - Das Münster (S. 28-29)
(fa!distorium) anzusprechen ist, so ordnet ihn seine kunstvoll verzierte Form doch in die Gattung der sellae ein, auf denen bereits die römischen Kaiser und ihre hohen Beamten gesessen, die sich aber auch die Germanenkönige angeeignet hatten. Karls sella stellte also nichts Neues dar; von ihren Vorgängern unterschied sie sich höchstens durch die Güte des Bronzegusses und die Qualität der Ornamentik. Das unmittelbar neben der Pfalz gelegene Münster ist zwar erst im Jahre 805 geweiht worden, als Papst Leo III. Aachen besuchte. Aber Anzeichen deuten darauf hin, daß der Bau bereits in den neunziger Jahren im wesentlichen fertiggestellt war. Man muß wissen, daß das Münster- wenn der ganze Raum und auch die Emporen mit Menschen, dicht gedrängt, gefüllt sind- 7ooo Gläubige zu fassen vermag 47 , daß Karl also einen Bau errichten ließ, der für seine Zeit geradezu unwahrscheinliche, nördlich der Alpen noch nirgends erreichte Dimensionen besaß; denn erst dann bekommt man das richtige Maß für die Gesinnung des Bauherrn. Man muß aber auch einmal die unvergleichliche Akustik dieses Architekturwunders mit dem Ohre aufgenommen haben und in den heutigen Eindruck die Wirkung einbeziehen, die einmal von den nördlich der Alpen ebenfalls ihresgleichen suchenden Mosaiken ausging, um zu ahnen, welchen Eindruck auf die Zeitgenossen der zu Ehren des Salvators und der Hlg. Maria aufgeführte Bau gemacht haben muß- ihnen zur Ehre und zugleich zum Ruhme dessen, der den Auftrag gegeben und die Dimensionen gebilligt oder sogar gefordert hatte. Wir brauchen uns nicht auf die Frage einzulassen, ob der voraufgehende Zentralbau den Gedanken eingab, wieder einen Zentralbau - wenn auch in vervielfachtem Maßstab - zu errichten, ob in Frankreich bereits Vorstufen nachzuweisen sind, ob S. Vitale in Ravenna maßgebend war und ob auch noch mit Bauten in Konstantinopel als Vorbildern zu rechnen istm. Denn wie die Antwort auch gegeben wird, erklären kann sie nicht die >Königslaube< auf der Empore gegenüber dem Hauptaltar. Gab es Vergleichbares im byzantinischen Bereich, dann wohl nur in der Form, daß ein Thron an diese Stelle gerückt, aber auch wieder weggenommen werden konnte47b. Die >Königslaube< mit festem Thron ist also eine nicht ableitbare Schöpfung des Baumeisters Odo, der in diesem Falle erst recht als Vollstrecker des Willens seines Königs anzusehen ist. So wollte Karl der Große thronen, so wollte er - um die auf Otto I. gemünzten Worte WmuKINDS zu benutzen - von allen gesehen werden und alle sehen. Von der Höhe herab konnte er den Gottesdienst genau verfolgen, konnte er seine Seele zu Gott erheben, aber auch kontrollieren, ob der Klerus alles nach Recht 47 Nach Mitteilung des hochw. Ehrendomherrn Mons. STEPHANY. V gl. zum Bau jetzt W. ScHÖNE, Die künstlerische und liturgische Gestalt der Pfalzkapelle Karls d. Gr. in Aachen, in der Zeitschr. für Kunstwiss. XV,
14 Schramm, Aufsätze I
1961, s. 97-148. 47a Vgl. jetzt die genaue Analyse von G. BANDMANN a. a. 0. 47b Ebd. S. 45 I f. u. KREUSCH a. a. 0., S. 502 f.
ZIO
B2: A. Karl d. Gr. als König (768-8oo)
und Fug vollzog und die Menge mit schicklichem Ernst am Gottesdienst teilnahm. Im Münster thronte Karl als protector et defensorder Kirche. Aber soweit die Auswirkung dieses Anspruches auch gehen mochte, er führte nicht zu einer Verwischung zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt. Das zeigt auch noch ein anderer Bau: die aller Wahrscheinlichkeit nach schon in Karls Königszeit errichtete Lorscher Königshalle, deren Lage innerhalb der Klostermauer durch Ausgrabungen jetzt gesichert ist und die also zu Unrecht ihren Namen >Torhalle< trägt48 , steht im Klostergelände für sich. Daß Karl nicht beanspruchte, Anteil am Priestertum zu haben, wie das in der Zeit Ottos des Großen geschehen ist, lassen auch die auf ihn zurückgehenden Zeugnisse erkennen49 • Am deutlichsten spricht in Aachen Karls schlichter Steinthron ( Abb. I); genauer: er tut es erst wieder, nachdem der verdiente Domarchitekt J. BucHKREMER die ursprüngliche Form wiederhergestellt hat ( 19 38) 60 • Zum Thron führen sechs Stufen hin-
48 Ausgegraben von F. BEHN. Die Lit. stellte F1CHTENAU, Karl d. Gr. a. a. 0., S. 305, Anm. 51, zusammen; vgl. jetzt Karl d. Gr., Ausstellungskatalog Aachen 1965, S. 427f. (mit der neuesten Lit.). 49 Wenn Theodulf von Orleans Karl gelegentlich als neuen Melchisedek, als rex et sacerdos zugleich, gefeiert hat, dann fand er vermutlich nicht Karls Zustimmung, obwohllebende Herrscher schon vorher mit dem Priesterkönig des Alten Testaments in Beziehung gebracht worden waren. In den Libri Carolini findet sich trotz ihrer Ausführlichkeit jedenfalls nichts, was in diese Richtung wiese. 50 ScHRAMM, Herrschaftszeichen a. a. 0. I, S. 336ff. mit Abb. 44 und Denkmale a. a. 0., S. II4 mit Abb. I. S. jetzt auch H. APPUHN, Zum Thron Karls d. Gr., in den Aachener Kunstblättern 24{25, 1962{3 S. 127-35. In der Erstfassung hatte ich auch die runde Rückwand auf den Salomonsthron bezogen; doch beweisen neuerdings aufgefundene Zeichnungen, daß sie früher oben gerade und an den Ecken schräg abgeschnitten war. Bisher sind wir nur durch Pressemeldungen (Aug. 1965) informiert über das Ergebnis von Ausgrabungen an der Nordseite des Paderborner Doms. Aufgedeckt wurde ein
Thronsockel (3,50 m lang, 1,50 m breit) auf einem schildförmigen Hügel in der Mitte eines freien Platzes. Erhalten sind vier Stufen; eine fünfte zeichnet sich ab. Aus Löchern in der Querfläche wird auf einen Baldachin geschlossen. Dieser Thron gehört zu den Resten einer Pfalz (9 X 30m), die 1964{5 entdeckt wurde; er wird zusammengebracht mit der Begegnung Karls und Leos III., die 799 in Paderborn stattfand. Die Ausgrabung wird verdankt W1LHELM WINKELMANN, wissenschaftlichem Referenten am Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte in Münster. Bis zum Erscheinen eines Fundberichts sind die Außenstehenden gezwungen, sich zurückzuhalten, da - wie ich häre - auch Einwände gegen die bisher bekanntgegebenen Thesen vorgebracht werden. Bisher liegt nur vor: W. WrNKELMANN, Der Schauplatz (vorläufiger Fundbericht mit 2 Abb. u. 2 Plänen) in: KaroJus Magnus et Leo Papa, mit Beiträgen von H. BEUMAN:-< usw. Paderborn 1966 (Studien u. Quellen zu Westfäl. Gesch. VIII) S. 101-7 und G. RoEDER, Die Pfalz u. die früheren Kirchen in Paderborn nach den schriftl. Quellen, in: Westfäl. Forsch. 19, 1966 S. 137-60.
Der Steinthron im Münster (S. 29-31)
211
auf. Diese Eigenart hatte laut der Bibel bereits den Thron Salomons ausgezeichnet, und es kann kein Zweifel sein, daß sich dadurch die Sechszahl der Aachener Stufen erklärt. Aber Salomons Thron war mit Gold und Elfenbein verziert gewesen, während Karls Sitz aus schlichten Marmorplatten zusammengesetzt ist. Von den erzenen Löwen, die Salomons Thron geschirmt hatten, ist in Aachen erst recht nichts zu sehen. Dafür hat der Steinsitz Eigenarten, die Erklärung verlangen: die Sitzplatte war nicht aus Stein, sondern aus Holz; die Rückwand reicht nicht bis zum Boden, so daß der Hohlraum unter dem Sitz von hinten zugänglich war, und die Pfosten, die die Grundplatte des Thrones tragen und ein Durchkriechen unter ihm möglich machen, sind am oberen Ende mehrere Zentimeter weit abgewetzt. Die einleuchtende Erklärung für die drei zunächst rätselhaften Eigenschaften des Thrones hat uns bereits ]. BucHKREMER gegeben: im Hohlraum muß eine Reliquie eingefügt gewesen sein, die den Thronenden schirmte und die Gläubigen anlockte, sich ihr zu nähern, indem sie sich unter dem Throne hindurchzwängten. Die Anbringung von Reliquien in Herrschaftszeichen, der die Verzierung der Helme und Waffen erst mit heidnischen Heilszeichen, dann mit dem Kreuz entspricht, läßt sich weit zurück verfolgen5°•; der Gedanke, den Thron auf diese Weise zu schirmen, läßt sich dagegen vor Karl nicht nachweisen. Als Stuhl mit Rück- und Seitenlehnen und einem Kastensitz entsprach Karls Thron dem so!ium der römischen und byzantinischen Kaiser. Aber für die Herrschersitze wurde sonst Gold, Bronze, Elfenbein genommen, und der germanische >Hochsitz< war aus Holz. Steinerne Sessel waren dagegen in der Kirche üblich. Der Schluß, durch die Benutzung von Marmor habe Karls Steinsitz der geistlichen cathedra angenähert werden sollen, wäre jedoch verfehlt. Denn der Bischofsstuhl hatte seinen Platz hinter und dann neben dem Altar. So gilt auch für Karls Thron dasselbe wie für die Königslaube. Karl verwischte die Grenzen zwischen den beiden Gewalten nicht; er ließ sich vielmehr in der für ihn vorgesehenen Laube einen Sitz errichten, der weder se!la oder so!ium nach römischer Art noch Bischofscathedra war: einen ganz schlichten Sitz, der an den Salomonsthron gemahnte, aber dessen glänzende Pracht durch die von einer Reliquie ausstrahlende Wirkung ersetzte. Von Karls Steinthron mit den sechs Stufen fällt ein Licht auf den dem König von 787 an so oft beigelegten Ehrennamen >David< und auf die zahlreichen Anführungen alttestamentarischer Könige in den Gebetsformeln sowie in der Literatur dieser Jahrzehnte. Karl als gleichfalls Gesalbter, als Dei gratia, der überzeugt war, wie David und seine Nachfolger mit einem besonderen Auftrag Gottes bedacht zu sein, hatte in der Tat ein Recht, in ihnen nicht nur Vorbilder, sondern Vorläufer zu sehen. Insofern handelt es sich hier abermals um einen Fall der >Ansippung<, erleichtert durch die zeitgenössische Allegorese, für die die Herstellung typologischer Beziehungen 5oa Herrschaftszeichen I. S. 309 ff.
212
Bz:
A.
Kar! d. Gr. als König (768-8oo)
zwischen Gestalten aus der Zeit vor und nach Christus eine Selbstverständlichkeit warsob. Als Werkzeug Gottes durfte sich Karl ansehen, da Gott ihm ja nicht nur die Herrschaft über das Frankenreich, sondern auch noch über Italien, über Aquitanien, über Bayern, über Sachsen geschenkt hatte. Karl war daher nicht mehr ein König wie andere, die gleichfalls diesen Titel trugen, sondern ein Großkönig, ein summus rex, neben dem sich die übrigen wie Zaunkönige neben dem Adler ausnahmen.
e) Rex imperatoris similis An die Doppelfrage, wie Karl zur römischen und wie zur fränkischen Kirche stand, schließt sich die weitere an, wie er seine Stellung im V er gleich mit der des Kaisers in Konstantinopel verstanden haben wollte. Auch hier lassen sich aus dem Bereich der Staatssymbolik Zeugnisse heranziehen, die eine Antwort ermöglichen. Zunächst ist festzustellen, daß in Karls Königszeit wieder mit der Prägung von Goldmünzen bzw. -medaillen begonnen wurde. Das geschah - vermutlich ohne seine ausdrückliche Genehmigung - in Duurstede am Niederrhein. Es ist nicht zu übersehen, daß das gegen ein Vorrecht verstieß, das seit langem ausschließlich vom byzantinischen Kaiser ausgeübt wurde5°c. Noch deutlicher ist das bei der Bleibulle aus Karls Königszeit ( Abb. J ), die leider nur in einem- noch dazu fast zerstörten- Exemplar erhalten ist, aber in ihren Einzelheiten nachkontrolliert werden kann, da Otto III. sie zum Vorbild für seine Bulle erkor 51 • Denn die Franken hatten sich bisher wie die übrigen germanischen Fürsten mit Wachssiegeln begnügt, während die Basileis Gold- und Bleibullen an ihre Urkunden hängten. Die Rückseite dieser Bulle ziert das Karlsmonogram m, das auch auf den Münzen sich findet und gleichfalls den Byzantinern nachgeahmt war. Das gilt jedoch nicht für den Kopf auf der Vorderseite; denn dieser schaut nicht geradeaus, wie das bei den Byzantinern üblich war, sondern zur Seite: das Vorbild für ihn muß eine ältere
5ob Vgl. dazu die Anlage zu diesen Abschnitt: Zu Kar! d. Gr. und David (S. 214). 5oc ScHRAMM, Herrschaftszeichen a. a. 0. I, S. 288-90 mit Abb. 31a-b. - Vgl. dazu jetzt Dombaumeister H. KREUSCH, Vom Karlsthron zum Reichsitz, in der Aachener Volkszeitung, 28. Jan. 1967, der auf Grund neuer Feststellungen sichert, daß der Thron karolingisch ist und von Anfang an die Stelle ein-
nahm, an der er noch heute steht. (Ebd. 20. Mai 1967 ein Gegenartikel von Leo HuGoT, der einzelne Feststellungen in Z weife! zieht und für das ro. Jahrhundert eintritt). 51 SCHRAMM, Anerkennung a. a. 0., S. 476f. (anschließend wieder abgedruckt). 51 a V gl. PH. GRIERSON, in: Kar! d. Gr. Lebenswerk Bd. I, Düsseldorf 1965 S. 5 r6ff.
Rex imperatoris similis (S. 31-32)
Münze abgegeben haben. Von der Kroneö 2 ist mit Sicherheit nur der mit Steinen verzierte Reif mit einigen den oberen Rand überragenden Ornamenten zu erkennen. Unklar bleibt, ob die Krone geschlossen war wie die des byzantinischen Kaisers und der germanische Goldhelm, mit dem geschmückt Karl im Jahre 799 den Papst in Faderborn begrüßte- wir vermuten eine >Bügelkrone< mit einer Stoffkappe53. Wie Karls Krone nun auch ausgesehen haben mag - jedenfalls zierte er sein Haupt in weithin sichtbarer und stärker als bisher in die Augen fallender Weise: auch dies sinnfälliger Ausdruck für das Bestreben, nicht hinter demBasileus zurückzustehen53a. Wir wollen die weiteren, weniger gewichtigen Fakten nicht aufzählen, die Karls Wille, ein rex imperatoris similis zu sein, dokumentieren, und uns gleich dem wichtigsten zuwenden: Bei einem der Besuche, die Karl dem Papste Hadrian I. in Rom abstattete - in Betracht kommen die Jahre 774, 781, vor allem 787 -,legte er nicht nur einen Kaisermantel an, sondern er trug auch >römische< Stiefel, die als das besondere Vorrecht des Basileus angesehen wurden64 • Er war bei diesem Anlaß dem Kaiser nicht nur ähnlich, sondern geradezu >wie ein Kaiser< anzusehen. Man denke daran, wie 78 I Ludwig als König von Aquitanien >eingekleidet< worden war. Das Erstaunlichste ist, daß der Frankenkönig diese Tracht- wie ErNHARn zu berichten weiß - auf Drängen des Papstes hin anlegte. Wie stand Karl zum Papst? Diesem Thema sei ein eigener Abschnitt gewidmet, da diese Frage es erforderlich macht, noch einmal auf die voraufgehende Zeit zurückzugreifen. 52 Vgl. im folgenden: Herrschaftszeichen a.a.O. Il, s. 389ff. 53 Einhard (cap. 23, S. 28) läßt uns hier im Stich, da er nur vermerkt, daß Karls Krone aus Gold und Edelsteinen bestanden habe. Daß er sie mit diadema bezeichnet, erlaubt keinen Rückschluß, da diadema und corona in dieser Zeit durcheinander gebraucht wurden. Auch Karls Mosaikbilder versagen, da wir von ihnen nur noch schlechte Skizzen besitzen, die in dieser Einzelheit voneinander abweichen. S. in Bd. II den Abschnitt: »Die Bügelkrone, ein karolingisches Herrschaftszeichen«. Alle V ersuche, eine bestimmte Münze oder Gemme namhaft zu machen, die dem Stempelschneider der Bulle als Vorbild gedient hat, scheitern einerseits an deren schlechtem Erhaltungszustand, andererseits an der Tatsache, daß die römischen Kaiser jahrhunderte-
lang im Rechtsprofil mit noch angedeuteter Schulter - natürlich durchweg mit dem Kranz - abgebildet worden sind. 53a Die Anrede »Flavius Anicius Carlus«, die Alkuin dreimal gebraucht, erklärt DrETER ScHALLER so: die Benutzung von »Flavius« ergab sich, da die Langobardenkönige sich diesen Namen bis 774 zugelegt hatten; bei dem Ehrennamen »Anicius« ist zu beachten, daß Boetius zu dieser Familie gehört hatte und wie Kar! Patricius gewesen war. ScHALLER stellt fest, daß diese Anrede nicht mit der Kaiserkrönung zusammenzubringen sei, sondern daß die Titel rex Langobardorum und Patricius Romanorum, die Kar! seit 774 führte, als Grundlage genügen, vgl. : Die karoling. Figurengedichte des Cod. Bern. 212, in: Medium Aevum Vivum. Festschrift für W. BuLST, Heldeiberg 1960, s. nf. 54 Genaueres im folgenden Abschnitt.
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Bz: A. Kar! d. Gr. als König (768-Soo)
Anlage: Zu Kar! dem Großen und David (s. S. 2n). Hier ist folgendes Buch zu verzeichnen* : STEGBR, HuGo: David Rex et Propheta. KönigDavid als vorbildliche Verkörperung des Herrschers und Dichters im Ma., nach Bilddarstellungen des 8.-12. Jahrhunderts (Erlanger Beiträge zur Sprachund Kunstwiss. Bd. VI). Nürnberg (HA..."ls CARL) 1961. XII + 328 S. mit 69 Abb. auf 36 Tafeln.
Sowohl die Historiker als auch die Kunsthistoriker haben Nutzen von dem umfangreichen und mit drei Dutzend Tafeln ausgestatteten Bande, in dem HuGo STEGER die Gestalt des >David Rex et Propheta< von der karolingischen bis zur staufiseben Zeit verfolgt. Es handelt sich um eine ungemein genaue, manchem Benutzer wohl bereits zu sehr in die Einzelheiten gehende ikonographische Untersuchung der in großer Zahl erhaltenen David-Darstellungen, die - alten Bildtypen folgend - den König einerseits als König und Präfiguration Christi, andererseits als den königlichen Psalmensänger mit der Leier inmitten von Musikanten wiedergeben. Nützlich sind die Beobachtungen, die die Formen der Kronen und der Musikinstrumente betreffen; auch für den Waffentanz fällt etwas ab. Ferner bietet der Band Beiträge zur Frage der Inspiration und der Geschichte der Herrscherdarstellung. Für den Historiker sind im besonderen wichtig die Belege für die V erknüpfung des karolingischen Herrschertums mit dem König-David-Ideal, die bereits unter Pippin einsetzt und durch das 9· Jh. festgehalten, aber auch in den folgenden Jahrhunderten gelegentlich wieder aufgegriffen wird (S. 126ff.). Da der Band straff gegliedert und die Einzelfeststellungen jeweils am Schluß eines jeden Abschnittes zusammengefaßt sind, findet sich der Leser leicht zurecht. Dankenswert sind die beigefügten Tafeln, auf denen die wichtigsten Typen der David-Darstellung vereinigt sind. Der Band erhärtet also die Tatsache, daß die Ikonographie eine wichtige Hilfswissenschaft für die Geschichte der mittelalterlichen Herrscherauffassung bildet.
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Zuerst gedruckt in: Gesch. in Wiss. u. Unterricht XV, 1964 S. z6z; dazu ausführlicher mein in Bd. lV wieder abgedruckter Aufsatz: Das Alte und das Neue Testament in der Staatslehre u. Staatssymbolik des MA.s, 1963 (im Abschnitt d über David); ferner E. EwrG, Zum christlichen Königsgedanken im Frühma., in: V mträge u. Forsch., hg. von TH.
MAYBR III, Lindau-Konstanz 1956 passim. Vgl. jetzt auch W. MoHR, Christlich-alttestamentarisches Gedankengut in der Entwicklung des karolingischen Kaisertums, in: Miscellanea Mediaevalia IV; Judentum im MA., hg. von P. WrLBERT, Berlin 1966 S. 382-409·
B. Die Anerkennung Karls des Großen als Kaiser (bis 8oo) Ein Kapitel aus der Geschichte der mittelalterlichen »Staatssymbolik«* Sollte es möglich sein, dem umstrittenen Akt am Weihnachtstage des Jahres 8oo noch eine neue Seite abzugewinnen, wenn nicht ein neu entdecktes Zeugnis herangezogen werden kann? Das vermag ich leider nicht in Aussicht zu stellen. Ich werde vielmehr so vorgehen, daß ich bei den Angaben über ein viel älteres Ereignis einsetze, die erlauben, die Vorrechte, die der Kaiser noch während des 8. Jahrhunderts in Rom genaß, festzulegen; dann frage ich, ob und wann sie auf Karl den Großen übergegangen sind. Ich führe den Leser also auf den Weg der >Staatssymbolik<. An einem Beispiel soll gezeigt werden, was ihre Geschichte auszusagen hat, wenn die Wortzeugnisse keine eindeutige Antwort geben. Die Dornenhecke, die durch mannigfache Thesen vor der Kaiserfrage aufgerichtet und mittlerweile so dicht geworden ist, daß die Tatsachen selbst nur noch schwer zu erkennen sind, soll also umgangen werden. Es wird sich zeigen, daß die Wirklichkeit einfacher aussah, als moderne Gelehrsamkeit sie dargestellt hat. Auch wollen wir uns nicht durch das, was dieser und jener Zeitgenosse Karls gedacht und erhofft hat, ablenken lassen; nur das, was geschah und was Papst und König wollten, wird uns beschäftigen.
Zur Literatur Ich berücksichtigte - soweit es mir möglich war- beim Erstabdruck alle einschlägige Literatur. Inzwischen ist viel hinzugekommen, was ich gleichfalls auszunutzen versucht habe, ohne natürlich alles berücksichtigen zu können. Um den Text zu entlasten, stelle ich hier die wichtigsten Veröffentlichungen in chronologischer Anordnung zusammen (ein alphabetischer Schlüssel folgt).
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Zuerst gedruckt in der Histor. Zeitschrift 172., 1951 S. 449-515 (auch gesondert-mit eigener Paginierung - vom Verlag R. Oldenbourg als Heft herausgegeben; München 1952., 72. Seiten); hier aufgeteilt in die Abschnitte B und C. Der Text ist teils verkürzt, teils erweitert, und in den Anmerkungen wurde Stellung zu der inzwischen erschienenen Literatur genommen. Der im Jahre 1951 veröffentlichte Aufsatz beruhte auf Untersuchungen, die ich für mein Buch: »Kaiser, Rom und Renovatio« (192.9)
angestellt hatte, damals aber zurückstellen mußte. Was ich im Laufe der Jahre zu den mit Karl d. Gr. verknüpften Problemen veröffentlichte, rückt jetzt dieser Band zusammen. Wegen Christianum statt Romanum in den Sakramentaren korrespondierteichmit E. RosENSTOCK-HUESSY, der 1930 meine Hinweise verwerten konnte (s. unten), und wegen des Kaisertitels mit Ernst STEIN, der meine Feststellungen berichtigte und ergänzte (s. den nächsten Abschnitt).
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B2: B. Die Anerkennung Kar! d. Gr. als Kaiser
Die Wortzeugnisse brachte geschlossen H. DANNENBAUER, Die Quellen zur Gesch. der Kaiserkrönung Karls d. Gr., Berlin I93I (H. Lietzrnanns Kleine Texte I6I); vgl. jetzt: Die Kaiserkrönung Karls d. Gr., eingeleitet und zusammengestellt von K. REINDEL, Klecken über Harnburg I966 (Histor. Texte: Ma. 4; So S.) Vgl. im übrigen die Jahrbücher von S. ABEL-B. SIMSON (I883-8) und die Regesten des Kaiserreiches 75 I-9I8 von J. FR. BöHMER- E. MüHLBACHER (I9o8) (jetzt neue Auf!. mit Ergänzungen von C. BRüHL). Grundlegend bleibt trotz Einwänden gegen die Grundauffassung K. HELDMANN, Das Kaiserturn Karls d. Großen. Theorien und Wirklichkeit, Weimar I928 (Quellen u. Studien z. Verfassungsgesch. d. Deutschen Reiches VI, I); vgl. dazu die Kontroverse desselben mit E. RosENSTOCK in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 49, Germ. Abt., I929, S. 50~24, und 50, I930, S. 625-67. Elisabeth PFEIL, Die fränkische und deutsche Romidee des frühen Ma.s, München I 929 (Forsch. zur rna.en u. neueren Gesch. III), S. 97ff. E. EICHMANN, Die Kaiserproklamation vorn 25. Dez. 8oo, in: Theologie u. Glaube 24, I932, S. I5-26. L. LEVILLAIN, Le couronnernent imperial de Charlernagne, in der Revue d'hist. de l'Eglise de France XVIII, I932, S. 5 ff. A. KLEINCLAusz, Charlernagne, Paris I934, S. 287ff. c. BARBAGALLO, n colpo di Stato del Natale 8oo, in der Nuova Rivista Storica XVII, I933, s. 84-95 (ohne wissensch. Bedeutung). E. CASPAR, Das Papstturn unter fränk. Herrschaft, in der Zeitschr. für Kirchengesch. 54, I935, S. I32-263, bes. S. 23off. K. JÄNTERE, Die römische Weltreichsidee u. die Entstehung der weit!. Macht des Papstes, Turku (Abo) I936, S. 33Iff. H. LöWE, Die karoling. Reichsgründung u. der Südosten, Stuttgart I937 (Forsch. zur Kirchen- u. Geistesgesch. XIII), S. I3off. J. HALLER, Das Papsttum. Idee u. Wirklichkeit, li, I, Stattgart I937, S. I7ff., dazu die Anrn. in II, 2, I939, S. 45off. (Neue Aufl. I962, danach Ro-Ro-Ro-Druck I965, S. I8ff., 373f.). M. LINTZEL, Das abendl. Kaisertum im 9· und IO. Jahrhundert, in: Die Welt als Gesch. IV, I938, S. 429-47 (jetzt: Ausgewählte Schriften li, Berlin I96I, S. I22-46). E. AMANN, L'epoque carolingienne, Paris I937 (Hist. de l'Eglise, ed. A. Fliehe et V. Martin VI) s. I07 ff. Ettore RoTA, La consacrazione imperiale di Carlo Magno. L'orientazione anti-romana della rnonarchia carolingia, in den Studi di storia e diritto in onore di ENRICO BEsTA IV, Mailand I939, s. I85-209· G. OsTROGORSKY, Gesch. des byzant. Staates, München I940 (Handbuch der Altertumswiss., Abt. IZ: I, 2; 3· Aufl. I963), S. u6ff. F. Lot, c. PFISTER, F. L. GANSHOF, Les destinees de !'Empire en Occident de 395-888, Paris 2. ed. 1940/I, Kap. I8. A. BRACKMANN, Die Erneuerung der Kaiserwürde im J. 8oo (vorher in den Geschieht!. Studien für A. HAucK, Lpz. I9I6) und: Die Anfänge der Slavenrnission u. die Renovario irnperii des J. 8oo (vorher in den Sitzungsberichten der Preuß. Akad., I93J, Nr. 9), in dessen Gesammelten Aufsätzen, Weimar I94I, S. 4I-55, 56-75. E. EICHMANN, Die Kaiserkrönung im Abendland I, Würzburg I942, S. 23-34. FR. DöLGER, Europas Gestaltung im Spiegel der fränkisch-byzant. Auseinandersetzung des 9· Jahrhunderts, in: Der Vertrag von Verdun 843, hg. von TH. MAYER, Lpz. I943, S. 203-73 (bes. S. 2I3ff.), wiederabgedruckt in dessen Band: Byzanz und die europäische Staatenwelt, Ettal I953, S. 282-369 (bes. S. 295 ff. mit Stellungnahme zu meinem Aufsatz in nachgetragenen Anmerkungen).
Zur Literatur A. SOLM1, Il Senato Romano 757-r143, in den Miscellanea della R. Deputazione Romana di Storia patria, No. 15, Rom 1944, S. 273ff. J. CALMETTE, Charlemagne. La vie et son ceuvre, Paris 1945, S. 131ff. (deutsch von THESA DIEzRösiNG: Kar! d. Gr., Innsbruck-Wien 1948). W. ÜHNSORGE, Das Zweikaiserproblem im früheren Ma., Hildesheim 1947, S. 21 ff. (vgl. G. BARRACLOUGH in der Eng!. Histor. Review 64, 1949, S. 96ff. u. GANSHOF, s. unten, auch- mir zustimmend- G. ÜsTROGORSKY in der Byzant. Zeitschr. 46, 1953, S. 153f.) L. HALPHEN, Charlemagne et l'empire carolingien, Paris 1947 (Bibi. de synthese hist., L'evolution de l'humanite 33), S. 12off. FR. L. GANSHOF, The Imperial Coronation of Charlemagne. Theories and F?cts, Glasgow 1949 (16. Lecture of the David Murray Found9tion in the Univ. of GI., 23. XI. 1948) mit nützlicher Gliederung der bestehenden Meinungsunterschiede; Ders., Charlemagne, in Speculum XXIV, 1949, S. po--8; Ders., Anzeige von W. ÜHNSORGE (s. o.), in Le Moyen Age 1949, S. 164-73; Ders., La fin du regne de Charlemagne, une decomposition, in der Zeitschr. f. schweizerische Gesch. 28, 1948, S. 433-52; Ders., Het falen van Kare! de Grote, in Verslag van de Alg. V ergadering der Leden van het Hist. Gen., gehouden te Utrecht 15. 5· 1948, S. 26-46; Ders., Note surles origines byzantines du titre >Patr. Rom.<, im Annuaire de l'Inst. de philol. et d'hist. orientales et slaves X (Melanges H. Gregoire II), Brüssel 1950, S. 261-82. S. auch Ders., L'eglise et le pouvoir royal dans la monarchie franque sous Pepin III et Charlemagne, in: Le Chiese nei regni dell' Buropa Occidentale e i loro rapporti con Roma sino all' 8oo, I, Spoleto 1960 (Settimane di Studio del Centro ltaliano di studi sull' alto medievo VII). A. Kleinclausz, Alcuin, Paris 1948. H. LöwE, Eine Kölner Notiz zum Kaisertum Karls d. Gr., in den Rhein. Vierteljahrsblättern XIV, I 949, S. 7-34 zog aus einer Kölner Handschrift eine Notiz zum Jahre 79 8 ans Licht, in der es u. a. heißt: quando missi uenerunt de Grecia, ut traderent ei (sei/. Karolo) imperium. Diesem Satz käme größte Bedeutung zu, doch fügt er sich nicht in den Ablauf der Ereignisse ein und muß deshalb auf ein Mißverständnis zurückgeführt werden; dazu unten S. 290 Anm. 78. H. FrcHTENAU, Das karoling. Imperium. Soziale und geistige Problematik eines Großreiches, Zürich 1949, Kap. II: Der Sinn des Kaisertums.- S. auch S. 266 Anm. ro: 1953 und S. 347ff. H. KÄMPF, Reich und Mission zur Zeit Karls d. Gr., in: Gesch. in Wiss. u. Unterricht I, 1950,
s. 409-17. W. ÜHNSORGE, Orthodoxus imperator. Vom religiösen Motiv für das Kaisertum Karls d. Gr., im Jahrbuch der Gesellsch. f. Niedersächs. Kirchengesch. 48, 1950, S. 17-28; Ders., Renovatio regni Francorum, in der Festschrift des Haus-, Hof- und Staatsarchivs zu Wien II, ebd. 1952, S. 303-13; kurz auch Ders., Das Mitkaisertum in der abendländ. Gesch. des früheren Ma.s, in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 67, Germ. Abt., 1950, S. 301-35 (beide Aufsätze wiederholt ins. gesammelten Aufsätzen: Abendland u. Byzanz, Darmstadt 1958). H. LöWE, Von Theoderich d. Gr. zu Kar! d. Gr. Das Werden des Abendlands im Gesch.bild des frühen Ma.s, im Deutschen Archiv IX, 1952, S. 353-410 (mit einigen Zusätzen und Berichtigungen neugedruckt: Darmstadt 1956; Wiss. Buchgemeinschaft, Libelli Bd. 29; 72 S.); Ders., Von den Grenzen des Kaisergedankens in der Karolingerzeit, im Deutschen Archiv XIV, 1958, S. 345-74. H. FrcHTENAu, Il concetto imperiale di Carlo Magno, in: I problemi della civilta carolingia, Spoleto 1954 (Settimane di Studio del Centro ital. di studi sull' alto medioevo I: 1953), S. 249-306. J. DEER, Die Vorrechte des Kaisers in Rom (772-8oo), in den Schweizer Beiträgen zur Allg. Gesch. XV, 1957, S. r-63; dazu H. LöwE in der Hist. Zeitschr. 185, 1958, S. 677f. W. SCHLESINGER, Kaisertum u. Reichsteilung. Zur Divisio regnorum von 8o6, in: Forschungen zu Staat u. Verfassung. Festgabe für Fritz HARTUNG, Berlin 1957 (jetzt: Beiträge zur deutschen Ver-
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B2: B. Die Anerkennung Kar! d. Gr. als Kaiser
fassungsgesch. I, Göttingen 1963, S. 193-232) behandelt in Abschnitt II Karls Stellung zum Kaisertum 799 und 8o6 und greift auch sonst über das engere Thema hinaus. W. GoEZ, Translatio Imperii, Tübingen 1958 stellt fest, daß dieser Terminus in Bezug auf 8oo von den Zeitgenossen nicht gebraucht worden ist (in diesem Sinne könne auch nicht die Angabe der >Ann. Laureshamenses< gedeutet werden: tune cessabat aparte Graecorum nomen imperator's etc.). Das erste Zeugnis stammt aus der Zeit um 850, S. 73· H. DANNENBAUER, Grundlagen der ma.lichen Welt, Stuttgart 1958, (S. 44-93: ein bisher nicht gedruckter Aufsatz: Das Röm. Reich u. der Westen ... bis zum Tode Karls d. Gr.), dazu kritisch P. CLASSEN in: Gnomon, I96o, S. 484f. W. 0HNSORGE, Der Patricius-Titel Karls d. Gr., in der Byzant. Zeitschr. 53, 1960, S. 300-2I; Dcrs., Das Kaisertum der Eirene u. die Kaiserkrönung Kads d. Gr., in: Saeculum I4, 1963, S. 22I-47 (beide Aufsätze jetzt in: Konstantinopel u. d. Okzident, Darmstadt I966, S. I-28 u. S. 49-92). ]. FLECKENSTEIN, Kar! d. Gr., Göttingen I962 (Persönlichkeit u. Gesch. 28), bes. S. 54-66. F. L. GANSHOF, Kar! d. Gr. in seiner Aachener Pfalz während der Jahre 802 und 803, in der Schriftenreihe des Rhein. Heimatbundes Heft 8, Neuß I96I, S. 3-8; DERS., Le programme de gouvernementimperial de Chademagne, in: Renovatio Imperii. Atti de Ia Giornata Internaz. di Studioper il Millenarie (Ravenna, 4./5. Nov. I961), Florenz 1963, S. 93-96. H. BEUMANN, Die Kaiserfrage bei den Paderborner Verhandlungen von 779, in: Das erste Jahrtausend, hg. von V. H. ELBERN, Textband I, Düsseldorf I962, S. 295-3 q. Der Verf. engt die bereits von C. ERDMANN eingegrenzte Entstehungszeit des Epos noch weiter ein (bald nach der Ankunft Leos) und stellt zur Tendenz fest: »Der Dichter plädiert vor Kar! zugunsten des Papstes« (S. 299), und zwar als Sprachrohr Alcuins und Arns von Salzburg. Er liest aus dem Zeugnis heraus, daß Karls und Alcuins Auffassungen in diesen Monaten auseinanderliefen. Zum Inhalt dieses Aufsatzes s. ferner S. 249, Anm. I02. G. BoRsT, Kaisertum und Namentheorie im Jahre 8oo, in der Festschrift P. E. ScHRAMM, I, Wiesbaden 1964, S. 36-57. R. FoLz, Le couronnement imperial de Chademagne, Paris I964 (bei S. q8-97). Diese rühmenswerte, da flüssig lesbare und auf der Höhe der Forschung stehende Zusammenfassung unseres Wissens ist gekennzeichnet durch die Zurückhaltung gegenüber allen vagen Thesen (S. 146: >Il faut etre tres prudent<). Der Verf. geht auf meine Thesen ein, bewahrt aber seine Selbständigkeit. Ich habe keinen Anlaß, gegen ihn zu polemisieren, und zitiere ihn daher nur dort, wo seine Formulierung mir treffender zu sein scheint als die anderer Autoren. PETER CLASSEN, Kar! d. Gr., das Papsttum und Byzanz, in: Kar! d. Gr. Lebenswerk u. Nachleben I, Düsseldorf I965, S. 537-608. Für den Beitrag gilt gerrau das gleiche, was eben zuR. FoLZ vermerkt wurde. (Die sonst noch einschlägigen Beiträge des vierbändigen, nunmehr grundlegenden Werkes werden an den passenden Stellen vermerkt.) J. DEER, Zum Patricius-Romanor um-Titel Karls d. Gr., im Archivum Historiae Pontificale III, I965, s. 34-86. ' W. HEIL, Der konstantinische Patriziat, Basel-Stuttgart I 966 (Basler Studien zur Rechtswiss. 78; ursprünglich: Diss. Basel 1954), S. I45-62 (über Pippin und Kar! d. Gr.). W. 0IL"!SORGE, Konstantinopel und der Okzident, Darmstadt I966, faßt I3 Aufsätze zusammen, von denen eine Reihe erst in Bd. II zu berücksichtigen sind, andere in diesem Band an geeigneter Stelle vermerkt werden. Unbeachtet lasse ich den Aufsatz: Der griechische Papstpapyrus aus Erfurt, (S. 29-48), in dem der Verf. diesen mit viel Scharfsinn und noch größerer Kombinationsfreud igkeit auf Papst Leo III. zurückzuführen versucht: ein Autor mit gleich kühner Phantasie könnte sicher] ich zu ganz anderen Hypothesen gelangen. Mit solchen überkühnen Konstruktionen ist der Forschung nicht gedient: sie verwirren und halten auf.
Zur Literatur
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Geplant ist ein Wiederabdruck der wichtigsten Aufsätze zur >Frage 8oo< in einem Band der Sammlung >Wege der Forschung< (Darmstadt). Die Literatur würdigte FR1EDR1CH ScHNEIDER, Die Darstellung und Beurteilung der Kaiserkrönung oder der Anerkennung Karls d. Gr. als Kaiser am 2 5. Dez. 8oo bei den neueren Geschichtsschreibern, in der Wiss. Zeitschr. der Friedrich-Schiller-Univ. Jena 1952/3, S. 39-45. Keinen Anklang oder sogar Widerspruch erfahren haben die Studien von W. MoHR, die ich hier deshalb summarisch verzeichne: Studien zur Charakteristik des Karo!. Königtums im 8. Jahrh., Saarlouis 195 5 (96 S.) behandelten die politische Einstellung Hadrians I. und forderten zum Beweis seiner These Umstellungen im Text des >Liber pontificalis< (dagegen H. LöWE, Zur Vita Hadriani, im Deutschen Archiv XII, 1956, S. 493-8); Ders., Die kirchl. Einheitspartei u. d. Durchführung der Reichsordnung von 817, in der Zeitschr. f. Kirchengesch. 4, Folge X (72), 1961, S. r-45. Über das Jahr 799 s.: Archivum latinitatis medii aevi 90, 1960, S. 39-98, über die karoling. Reichsidee, Münster 1962 (Aevum christianum. Salzburger Beiträge zur Relig.- u. Geistesgesch., 243 Seiten (vgl. H. GRUNDMANN im Deutschen Archiv XIX, 1963, S. 524f., H. v. F1CHTENAU in den Mitteil. des Österr. Inst.s für Gesch.forsch. 72, 1964, S. r6, K. F. MoRRISON, in: Speculum 38, 1963, S. 648ff., R. FOLZ in der Revue historique 231, 1964, S. 202ff. und H. SPROEMBERG in der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte I 8, I 966, S. 370-76); ferner zur Reichsteilung (8o6) im Arch. latin.-medii aevi 29, 1959, S. 91-109, zu 813 und 8r6 in: Die Welt als Gesch. 20, 196o, S. r68-86 (vgl. Deutsches Archiv 17, 1961, S. 583; K. SPRIGADE in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. Sr, German. Abt. 1964, S. 305-17 betr. 8o6.- Zu W. MoHR nahm ich- ablehnend- Stellung in: Gesch. in Wiss. u. Unterricht VII, 1957,
s.
127. A. RECK, Das >Staatskirchentum< Karls d. Gr. in der deutschsprachigen Forschung seit r87o, Diss. Freiburg i. B. r 948, Innsbruck 195 2 kann hier gleichfalls unberücksichtigt bleiben, da der Verf. nicht auf die Quellen zurückgeht und das (von ihm bestrittene) >Staatskirchtum< ein moderner Begriff ist, der an die Verhältnisse des 9· Jahrhunderts nicht heranfuhrt. Zu warnen ist vor zwei - >modern< im schlechten Sinne des Wortes aufgemachten- Karlsbiographien: R. WAHL, Kar! d. Gr. Der Vater Europas. Eine Historie, Frkf.-Hbg. 1954 (246 Seiten; Fischer Bücherei; zuerst 1934) und R. WINSTON, Charlemagne- from the Hammer to the Cross; deutsch: Kar! d. Gr., Stuttgart 1956 (442 Seiten); ablehnend derVerf. in: Gesch. in Wiss. u. Unterricht V, 1954, S. 696 und VII, 1957, S. 127. Der Leser möge es in Kauf nehmen, daß dieseAngaben so breit ausgefallen sind: Ich fühlte mich verpflichtet, alles nachzutragen, was m. E. der Sache irgendwie förderlich ist, andererseits vor den Thesen zu warnen, die falsch oder überspitzt sind und den Blick auf das wirkliche Geschehen versperren. Vielfach kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich die Erörterung im Kreise dreht, wobei immer dieselben Belege vorgebracht werden und ein Autor die voraufgehenden gegeneinander ausspielt. Alphabetischer Verfasserschlüssel (ohne die im folgenden noch angeführten Autoren; Wiederabdmcke in Klammern):
A. AMANN: 1939.- A. BRACKMANN: 1941.- H. BEUMANN: 1952, 1958, 1962.- A. BoRsT: 1964.- C. BARBAGALLO: 1933·- J. CALMETTE: 1945 (1948).- E. CASPAR: 1935·- P. CLASSEN: 1951. 1960, 1965. - H. DANNENBAUER: 1931, 1958.- J. DEER: 1957, 1965.- FR. DöLGER: 1943 (1953).- E. ErcHMAI'.'N: 1932, 1942. - H. V. FICHTENAU: 1949 (1953), 1953· - J. FLECKENSTEIN; 1962. - R. FoLZ: 1964.- FR. L. GANSHOF: 1948, 1949 (viermal), 1950, 1961, 1963 (zweimal), 1963.- W. GoEZ: 1958.J. HALLER: 1937 (1965).- L. HALPHEN: 1947·- w. HEIL: 1966.- K. HELDMANN: 1928.- K. JÄNTERE: 1936.- H. KÄMPF: 1950.- A. KLEINCLAUSZ: 1934. 1948.- L. LEV1LLAIN: 1932.- M. LINTZEL:
B2: B. Die Anerkennung Kar! d. Gr. als Kaiser
220
1938 (I96I).- H. LöWE: I937, I949, I952 (I956), I958 (zweirnal).-F. LoTete.: I940/41.- W.MOHR: I956ff. (am Schluß).- W. ÜHNSORGE: I947, I950, I952 (I958), I96o, I963 (I966), I966.- G. ÜSTROGORSKY: I940 (I963).- ELis. PFEIL: 1928.- A. REcK: I952 (am Schluß).- E. RosENSTOCK: I929.E. RoTA: I939·- W. ScHLESINGER: I958.- FR. ScHNEIDER (I952) (am Schluß).- R. SoLMI: I944·R. WAHL: I934 (I954) (am Schluß).- R. WINSTON: I956 (am Schluß).
a) Die Vorrechte des Kaisers in Rom (bis zum Jahre 8oo) Als der Papst Constantinus (708-15) den Kaiser Philippikos Barclanes (Ende 7IIPfingsten 713) 1 für häretisch erklärte, schloß sich das Römische Volk seinem Vorgehen an. Der Liber pontificalis 2 , dem Paulus Diaconus hier wörtlich gefolgt ist 3 , vermerkt, auf welche Weise die Römer zum Ausdruck brachten, daß sie Philippikos nicht als Kaiser anerkannten: cum statuisset populus Romanus, ne quaquam heretici imperatoris nomen auf chartas auf figuram solidi susciperent, unde nec eius effigies in ecclesia introducta est, nec suum nomen ad missarum sollemnia proferebatur. Die Römer gehen also in vierfaeher Weise vor : sie sie sie sie
datieren nicht mehr nach Kaimjahren, prägen in der römischen Münzstätte keine Kaisermünzen mehr, bringen in den römischen Kirchen keine Kaiserbilder mehr an, erwähnen den Kaiser nicht mehr im Gottesdienst.
Dieser Konflikt erledigte sich beim nächsten Thronwechsel, und den weiteren Kaisern sind - wie hätte es anders sein können? - diese vier Vorrechte wieder eingeräumt worden. Wie lange sind sie ihnen aber gewährt geblieben? Und von wann an werden sie auf den Frankenkönig übertragen? Vor oder nach seiner Erhebung zum Kaiser? Die Untersuchung dieser Doppelfrage ist dadurch erleichtert, daß das so lange umstrittene Rechtsverhältnis, das zwischen dem Papsttum und den Frankenkönigen bestand, jetzt als geklärt angesehen werden kann: keine Kommendation des Papstes in den Schutz Pippins, kein bilaterales Bündnis, sondern im Januar 754 als erstes ein
I Daß dieser Kaiser, der I Jahr und 7 Monate regierte, Pfingsten 7I 3 und nicht 7I4 gestürzt wurde, zeigte G. ÜSTROGORSKY in der Byzant. Zeitschr. 3I, I93I, S. 383, Anm. I, wo er seine frühere Stellungnahme zugunsten des Jahres 7I4 berichtigte (Byzant.Neugriech. Jahrbücher VII, I930, S. 33ff.). Zustimmend FR. DöLGER, Das Kaiserjahr der Byzantiner, in Sitzungsberichten der Bayer. Akad. der Wiss., Phii.-Hist. KI. I949, Heft 1, S. 44ff. Über den Kaiser und seine Behandlung des
VI. Konzils s. J. D. MANSI, Concil. Co!!. XII S. I89ff.; vgl. dazu L. M. HARTMANN, Gesch. Italiens im Ma. II, 2, Gotha I902 (Gesch. der europ. Staaten), S. 82ff. 2 Ed. DucHESNE I, S. 392 = ed. MoMMSEN (Mon. Germ.), S. 226; kurz gestreift von HELDMANN a. a. 0. S. I88, Anm. 3 und 274,
Anm.I. 3 VI c. 34 (Mon. Germ., Script. in us. schol., I878, s. 226f.).
Die Vorrechte des Kaisers in Rom (S. 452-453)
221
nach dem Schema des Freundschaftseides gestalteter, demHlg. Petrus, demPapstund seinen Nachfolgern vom König in seinem und seiner Söhne Namen mündlich geleisteter Eid für Verteidigung und Hilfe, und dann kurz danach in schriftlicher Form die Schenkungsurkunde, die die lange Reihe der karolingischen Pacta einleitete'. Darauf beim ersten, überraschend unternommenen Besuch König Karls in Rom (774) 6 als erstes in der Confessio S. Petri eine Erneuerung des Eides, diesmal jedoch in schriftlicher Form und in einer Fassung, in der die Wendung: me protectorem ac defensorem esse an die Stelle von adiutor und defensor trat, am 6. April dann eine Neuausfertigung der Schenkung, die gleichfalls in der Confessio niedergelegt wurde6 • Von diesem Besuche an führte Karl, der nunmehrige König der Franken und Langobarden, in seinen Urkunden bis Soo den Patricius-Titel, der ihm ja schon vorher zugekommen, aber erst jetzt eine politische Realität geworden war 7 • Was das Papsttum darüber hinaus erstrebte, welcher Ehrgeiz die kurialen Kreise bewegte, das läßt die Konstantirrische Schenkung erkennen, die zwar neuerdings wieder in den Anfang des 9· Jahrhunderts datiert worden ist 8 , aber wohl nach wie vor in die fünfzigerJahredes 8. Jahrhunderts gesetzt werden muß. Diese berühmte Urkunde ist nicht mit den Augen einer späteren Zeit zu lesen,
4 Über die Langobarden und Rom 752/3 s. 0. BERTOLINI in den Miscellanea G. MERCATI V, Citta del Vaticano I946 (Studie Testi 126), S. 160-205; über die Streitigkeiten in Rom 77I /2. Ders. in der Rivista di storia della Chiesa in Italia I, 1947, S. 227-62, 349-78; s. vor allem dessen Beitrag zur >Storia di Roma<. Karls Eile sehe ich anders begründet als W. HARTKE, Römische Kinderkaiser, Berlin 195 I S. 3I2f. Anm. I, nämlich durch die Lage vor Pavia und nicht kultisch. 6 SCHRAMM, Versprechen (vorstehend neu gedruckt). Literatur über das >Pactum< anzuführen, erübrigt sich. - Meine ursprüngliche These, daß der Königsordo in einer Mailänder Handschrift, an deren falsche Datierung ich mich hielt, auf Karls Krönung im J. 768 zu beziehen sei (Archiv für Urkundenforschung XI, I930, S. 358ff.), habe ich nach Erlangung gerrauerer Angaben widerrufen (Zeitschr. f. Rechtsgesch. 55, Kanonist. Abt. 24, I935, S. I85, Anm.). 7 Die Lit. über Karls Patriziat oben S. 204: F. L. GANSHOF (I950), W. ÜHNSORGE (1960
= I966), J. DriR (I965), W. HEIL (I966); vgl. dazu den voraufgehenden Abschnitt. 8 Diese These hat W. ÜHNSORGE bereits in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 68, Germ. Abt., I95 I, S. 78-Io9 vorgebracht. Jetzt hat er sie auf Grund eingehender Textanalyse, über A. GAUDENZIS Argumente (I9I9) hinausführend, genauer begründet: Das Constitutum Constantini u. s. Entstehung, in: Konstantinopel u. Byzanz, Darmstadt Ig66, S. 93-162 (S. 93f. Anm. 5 die voraufgehende Lit., darunter die kenntnisreichen Aufsätze, in denen W. GERICKE verschiedene Textschichten zu sondern versuchte, und die Ablehnung dieser These durch H. FuHRMANN). Eine neue Grundlage schuf jetzt H. FuHRMANN, Konst. Schenkung u. abendländisches Kaisertum, im Deutschen Archiv 22, 1966 S. 63-178, der das Verhältnis der verschiedenen Fassungen zueinander klarstellt und dadurch W. ÜHNSORGES Thesen erschüttert. H. FuHRMANN hat für die Mon. Germ. Hist. eine neue Ausgabe des Textes mit allen Varianten vorbereitet.
222
B2:
B.
Die Anerkennun g Kar! d. Gr. als Kaiser
sondern - wie uns das bereits L. M. Hartmann gelehrt hat 9 - mit denen der Zeitgenossen: für diese stand im Vordergru nd des Interesses die Angleichun g des päpstlichen Hofes an den kaiserlichen oder, um einen in der Fälschung benutzten Ausdruck zu benutzen, die imitatio imperii, die von nun an als roter Faden die weitere Geschichte des Papsttums durchzieht10 • Denn einen größeren Raum als die territorialen Verleihung en nimmt in der Fälschung die Aufzählun g aller jener Vorrechte ein, die bisher den Kaiser auszeichne ten und die nun auch dem Papst und seinem Hofe zustehen sollen. Eine greifbare Folge ist, daß das Patriarchium Lateranense vom Anfang des 9· Jahrhunde rts an als Palatium Lateranense bezeichnet wird11 • Doch haben auch jene Bestimmun gen, die den Herrschaft sbereich des Papstes betrafen, schon sehr bald ihre Dienste tun müssen: als Hadrian I. im Jahre 778 Karl an seine Verspreche n erinnerte, hielt er ihm das Vorbild Konstantin s vor Augen, der die Kirche erhöht und ihr die potestas in his Hesperiae partibus geschenkt habe- eine Wendung, die ohne die Fälschung völlig unverständ lich bleibt12 • Inzwischen war bereits das alte Recht der Kaiser, daß ein neugewähl ter Papst von ihnen bestätigt werden mußte, beseitigt worden. Gregor III. (73 1-41) ist der letzte, von dem wir wissen, daß er darum einkam. Paul I. (757-67) ging dazu über, daß er dem Frankenkö nig seine Wahl mitteilte. Er knüpfte dabei an die Formulare an, die der >Liber diurnus< für solche Fälle bereit hielt; aber es war nicht wie bisher die Bitte um Bestätigun g, die er aussprach, sondern die Mitteilung an einen ihm eng verbundenen Fürsten. Das tritt deutlich in dem gleichfalls erhaltenen Schreiben seines Nachfolger s, des Papstes Constantin II., heraus, der von einem debitum honoris spricht. Von Leo III. ist bekannt, daß er Karl das Wahldekre t mit einem entspreche nden Anschreiben übersandte . Das lief auf die Aufforderu ng hinaus, sich von der Rechtmäßi gkeitdes Wahlvorga nges zu überzeugen . In seine Zeit, vielleicht bereits in die Hadrians I. gehört das Formular im >Liber diurnus< mit der Überschrif t: Decretum pontificis, ein Protokoll über die Wahl mit Zeugenunt erschriften13 • Daß durch die Salbung, die 78 I der Papst den Söhnen Karls erteilte, sich eine compaternitas zwischen Hadrian und Karl ergab, bedeutete staatsrechtl ich nichts, 9 A. a. 0. S. zzoff. 10 Ich gehe darauf nicht näher ein, da ich auf einen Aufsatz: >Sacerdotium und Regnum im Austausch ihrer Vorrechte< verweisen kann (Studi Gregoriani II, Rom 1947, S. 403-57, bes. S. 412ff., 421; wieder abgedruckt in Bd. IV). II K. JoRDAN, Die Entstehung der röm. Kurie, in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 59, Kanonist. Abt. 28, 1939, S. 96-131 und R. ELZE, Das >Sacrum Palatium Lateranense< im 10. und I I . Jahrhundert, in den Studi Gregoriani IV,
Rom 1952, S. 27-54. 12 Cod. Carol. Nr. Go (Mon. Germ., Epp. ill, S. 587; J.-L. Nr. 2423); dazu G. LAEHR, Die Konst. Schenkung in der abendländ. Lit. des Ma.s, Berlin 1926 (Histor. Studien 166), s. 8ff. 13 F. GUTMANN, Die Wahlanzeige n der Päpste bis zum Ende der avignonesisc hen Zeit, Marburg 1931 (Marburger Studien zur älteren Gesch. li, 3), S. 13 ff.; dazu: Liber diurnus, ed. TH. E. v. SICKEL, Wien 1889, Nr. 58-63 und 82, sowie J.-L. Nr. 2336 und 2374.
Die Kaiser-Vorrechte- Datierung (S. 454-455)
223
stellte aber doch nicht nur zwischen den beiden, sondern auch zwischen ihren Ämtern eine so enge Beziehung her, wie sie bisher noch nicht bestanden hatte, sicherte Karl vor allem die ständige Fürbitte des Papstes bei Gott14 • Sie hob die geistige Sohnschaft nicht auf, die sich durch die geistliche Stellung Hadrians ergab; daher nannte sich Karl 791 in einem Brief an ihn: compater idemque in Christo ftlius 15 • Das ist die feste Grundlage, von der aus wir nun der Reihe nach prüfen, was sich über die Geschichte jener vier kaiserlichen Vorrechte feststellen läßt, die von den Römern dem Kaiser Philippikos vorenthalten wurden.
I.
Die Datierung nach dem Kaiser*
Hier betreten wir einen Pfad, den A. Menzer bereits ausreichend gesichert hat16 • Noch im 8. Jahrhundert hieß es in den päpstlichen Urkunden gemäß dem von Justinian im Jahre 537 erlassenen und in Rom wohl seit 550 befolgten Gesetze: imperante domino piissitno augusto N. a Deo coronato magno imperatore 17 • Die letzte Datierung dieser Art auf Schriftstücken aus der päpstlichen Kanzlei ist im April 772 zu finden. Gleichzeitig verschwindet die Anführung des Konsulats.
I4 LöWE, Reichsgründung (I937) S. 77· 15 So im: Königsbrief Karls d. Gr. an Papst Hadrian über Abt-Bischof .Waldo von Reichenau-Pavia. Palimpsest-Urkunde aus Cod. lat. Monac. 6333, hg. v. P. EMMANUEL MoNDING, Lpz. I92o (Texte und Arbeiten, hg. durch die Erzabtei Beuron I, 6), S. 3·- Über Karls Nachfolger als filii des Papstes s. unten Band II. * In den Unterabschnitten 1-6 gehe ich auf die Einwände ein, die gegen die Erstfassung J. DEER erhoben hat: Die Vorrechte des Kaisers in Rom (772-8oo), in den Schweizer Beiträgen zur Allg. Gesch. XV, I957, S. 5-63 (Einwände gegen ihn machte wieder H. LöwE in seiner Anzeige, Histor. Zeitschr. 185, 1958, S. 677f.). Ich berichtige hier und da meine Ausführungen und verteidige sie, wo mir das geboten scheint, indem ich auf alle Gegenargumente eingehe, damit meine Ausgangsthese gegen alle weiteren Zweifel abgesichert ist. Inwieweit mich eine andere Sehweise und - durch sie bedingt- eine andere Forschungsmethode von diesem so kenntnisreichen und
verdienten Autor trennt, führe ich in dem Anhang hinter dem übernächsten Abschnitt aus. I6 Die Jahresmerkmale in den Datierungen der Papsturkunden bis zum Ausgang des I I. Jahrhunderts, in der Römischen Quartalschrift 40, 1932, S. 27-103; über die Prokonsulatsjahre DöLGER (Anm. I) S. 34f. Vgl. auch HELDMANN a. a. 0. S. 86, Anm. 5, und S. I65 f., Anm. 2, sowie H. BRESSLAU, Handbuch der Urkundenlehre II, 2, 2. AufL, hg. von H.-W. KLEWITZ, Lpz. I93I, S. 4I9f. (jetzt anast. neugedruckt). I7 Das dem griechischen Deocrr:enr6c; entsprechende, im 8. Jahrhundert in die Datierungszeile eindringende a Deo coronatus gehört nicht zur offiziellen byzantinischen Titulatur dieser und der voraufgehenden Zeit; über diese K. BRANDI, Ausgewählte Aufsätze, Oldenburg-Berlin I938, S. II2ff. (vorher im Arch. für Urkundenforsch. I, 1908); über: a Deo coronatus W. ÜHNSORGE in den Mitteil. des Österr. Inst. f. Gesch.forsch. 46, 1932, S. 348.
2.2.4
B2: B. Die Anerkennung Karl d. Gr. als Kaiser
Eine besondere Lage ergab sich im Jahre 769: in Rom trat eine - auch von fränkischen und langobardischen Bischöfen besuchte - Synode im Lateran zusammen, um Stephan III. gegen einen Gegenpapst zu bestätigen und die Bilderfeindlichkeit des Kaisers zu verdammen. Deshalb wurde in der Datierungszeile sein Name weggelassen und dafür gesetzt: regnante domino Jesu Christo 18 • Aus den nächsten Jahren, in denen Karl Rom 774 zum ersten und Ostern 781 zum zweiten Male aufsuchte, fehlen leider Belege. Dann heißt es am I. Dezember 781 im Anschluß an die 769 benutzte Formel: regnante Domino et salvatore nostro jesu Christo, qui vivit et regnat cum Deo patre omnipotente et spiritu sancto per immortalia secula, anno pontiftcatus ( domini) nostri ( Hadriani) in sacratissima ( sede) beati apostoli Petri sub die, Deo propitio, decimo, indictione quinta. Außerdem ist noch eine Datierung vom 1. November 782. bewahrt, die es ermöglicht, die in beiden Fassungen dieser Zeile eingetretenen Fehler zu verbessern19 • Der seit 772 amtierende Papst Hadrian I. hat also in einem nicht mehr feststellbaren Augenblick20 , liturgische Formeln benutzend, an die Stelle des Kaisers Jesus Christus selbst gesetzt und- wie ein Landesherr - seine Pontifikatsjahre hinzugefügt. (Entsprechend ließ Karl ja von 774 an in seinen italienischen Urkunden seine Jahre seit der Zerstörung des Langobardenreiches zählen: anno x, a quo coepit ltaliam bzw. a quo capta est ltalia). In der kurialen Datierung wurden also aus Karls Römischem Patriziat keine Konsequenzen gezogen; der Papst brachte vielmehr seine Unabhängigkeit sowohl vom Kaiser als auch vom Frankenherrscher zum Ausdruck. Das Muster seines Vorgängers hatLeoiii., der zu Weihnachten 795 den StuhlPetri bestieg, weiter abgewandelt; doch sehen wir- da zunächst Belege dazu fehlen- erst 798 in die weitere Entwicklung hinein. Nun heißt es nach der Pontifikatszahl in unverkennbarer Anlehnung an Karls Urkunden: atque domni Caroli excellentissimi regis Franeorum et Langobardorum et patricii Romanorum, a quo coepit ltaliam anno XXV. Dieser Papst räumte also Karl eines der vier Vorrechte ein, das die Römer dem Kaiser Philippikos verweigert hatten 21 • 18 Mon. Germ., Concilia II S. 79, dazu CLASSEN, Kar! d. Gr., Das Papsttum a. a. 0. S. 545 mit Anm. 25 (da DiillR diesen Beleg übersehen hat, muß seine Darlegung korrigiert werden; vgl. ferner CLASSEN a. a. 0. S. 554, Anm. 62). 19 Mein Text hier verbessert nach DEER a. a. 0. S. 8-15 : I. Die Datierung nach dem Kaiser. 20 Nach DEER a. a. 0. S. 10 >spätestens seit 774<, da 774-96 in Tuszien nach dem Papst datiert wird, >was ohne das Vorbild der päpstlichen Kanzleipraxis kaum denkbar wäre<. - CLASSEN a. a. 0. S. 554f.: leider nicht datierbar,
>jedenfalls in den auf 774 folgenden Jahren<. 21 DriR a. a. 0. S. 12 will das nicht wahrhaben. Daß Kar! an zweiter Stelle genannt wurde (entsprechend auf dem Lateranmosaik - s. unten - links kniend), war nicht nur für die Römer, sondern auch für die Franken - s. unten über die >Laudes< - selbstverständlich. (Über die alleinige Nennung Karls nach Weihn. 8oo s. den folgenden Abschnitt). Gewichtig, weil bisher ungewohnt, war dagegen, daß Kar! an dieser Stelle genannt wurde (vgl. unten über sein Verlangen, daß sein Name auf die Münzen von Benevent
Datierung- Münzprägung (S. 456-457)
225
Nach der Kaiserkrönung verzichtet die päpstliche Kanzlei auf die Pontifikatsjahre und zählt nur die Kaiserjahre; außerdem erwähnt sie wieder den- ja schon längst zur Fiktion gewordenen- Konsulat. Sie verzichtet also von Karls Erhebung zum Kaiser an auf den Anteil, den sich die Päpste inzwischen gesichert hatten, und räumt fortan dem Franken das kaiserliche Datierungsvorrecht im vollen Umfang ein, wie es in der Zeit der byzantinischen Kaiser üblich gewesen war.
2.
Das Prägen der Kaisermünzen
Das Prägen ist im Mittelalter von einer doppelten Tendenz beherrscht: einmallegen die Herrscher den größten Wert darauf, daß dort, wo sie anerkannt sind, ihr Name oder Bild auf den Münzen erscheint; andererseits halten sich die Münzstätten, auch wenn sie einer neuen politischen Lage Rechnung tragen, an die vorausgehenden Prägungen - schon um den neuen die Vertrauenswürdigkeit im Umlauf zu sichern. Aus Prokop ist bekannt, mit welchem Unwillen die Byzantiner zur Kenntnis nahmen, daß die Franken nicht mehr das Kaiserbild auf ihre Münzen setzten. Aber der Kopf des Merowingerkönigs, der an dessen Stelle rückte, und ebenso Umschrift und Reversbild hielten sich aus dem angegebenen Grunde zunächst doch an den hergebrachten Typ. So war die Lage auch noch im 8. Jahrhundert: als Karl der Große sich 788 den Herzog von Benevent botmäßig gemacht hatte, forderte er, daß sein Name sowohl in die Datierungszeile eingefügt als auch auf die vom Herzog geprägten
gesetzt wurde, um seine Oberherrschaft sichtbar zu machen). Nichts besagt in diesem Zusammenhang, daß vor langen Jahrzehnten der Exarch-Patricius in seinem Amtsbezirk (nicht in Rom!) hinter dem Kaiser angeführt worden war. Es fragt sich, ob das der Kanzlei des Papstes noch bekannt war; wenn das doch der Fall gewesen sein sollte, dann führte sie Karl nicht wegen des >Protokolls< an, sandem weil der Papst jetzt stärker auf den Schutz des Frankenherrschers gegenüber dem Basileus angewiesen war, als das je nach Justinian I. der Fall gewesen war. DEER legt ferner Gewicht darauf, daß die Kurie 78 5 in den Schreiben an Konstantin VI. und Irene- dem >Liber diurnus< folgend - noch die für den Kaiser herkömmliche >Superscriptio< anwandte, sie aber für Karl nicht benutzte, sondern sich in seinem Fall an die einst für den Exarchen üblichen For-
1S
Schramm, Aufsätze I
mein hielt und erst ab 801 auf ihn die Kaiserformulare des >Liber diurnus< bezog. Es versteht sich von selbst, daß die Kanzlei - wie das alle Kanzleien tun - sich an irgendein Modell hielt, und sie besaß ja den Vorteil, daß ihr der (an sich durch die Zeit überholte) >Liber diurnus< Auskunft über das Herkommen gab - das war eine Sache der >Routine< und nicht mehr. Wäre die päpstliche Kanzlei wirklich so protokoll-besessen gewesen, wie DEER sich das vorstellt, dann hätte sie niemals auf den Gedanken verfallen können, Karl in der Datierungszeile anzuführen; denn dafür bot der >Liber diurnus< keinen Anhalt. Hier wirkten sich eben die politischen Fakten aus, denen die Kanzlei trotz >Protokoll< Rechnung trug - tragen mußte (genau so wie der Herzog von Benevent).
zz6
B2: B. Die Anerkennung Kar! d. Gr. als Kaiser
Münzen gesetzt werde - in der Tat haben wir beneventanische Prägungen solcher Art ( Abb. 6 d-f)22. Wenn wir uns nun den in Rom selbst geprägten Münzen zuwenden, bewegen wir uns dank der Vorarbeit der Numismatiker wiederum auf bereits gesichertem Boden23 • 22 Erchempert, Rist. Langob. c. 4 (M. G., Script. rer. Langob. S. 236): (Carolus) cum sacramento huius modi vinxit, ut Langobardorum mentum tonderi Jaceret, cartas vero nummosque sui nominis characteribus superscribi semper iuberet; vgl. dazu M. CAGIATr, La zecca di Benevento, in der Rivista italiana di numismatica 29, r9r6 und R. GAETTENS, Münzen Karls d. Gr. sowie der Päpste Hadrian II. und Leo III., im Jahrbuch für Numismatik II, I950/I S. I9f. Abbildungen bei P. E. S., Herrschaftszeichen I Abb. pc; PH. GRIERSON, The Coronation of Charlemagne and the Coirrage of Pope Leo III, in der Revue Beige de philol. et d'hist. 30, I952 PI. IV Nr. 40, I; DERS., Money and Coinage under Charlemagne, in: Kar! d. Gr., Lebenswerk und Nachleben I, Düsseldorf I965 PI. IV, 40-42 (dazu S. 507); Ausstellungskatalog Aachen I965 S. I63 f. (3 Expl.: Nr. 288-90) mit Abb. 3 r. Zum geschichtlichen Hintergrund vgl. H. BELTING, Studien zum beneventanischen Hof im 8. Jahrh., in: Dumbarton Oaks Papers XVI, I962, S. I4I-93 und 0. BERTOLINI, Carlomagno e Benevento, in: Kar! d. Gr. Lebenswerk u. Nachleben I, Düsseldorf I 96 5, S. 6o9-7r. Das Bild des mit einer Krone gezierten Herzogs Ariehis in dem Altarraum der Kirche von Capua ließ Kar! zerstören, vgl. Chron. Salern. cap. I I (Mon. Germ., Script. XI S. 478f. und ed. WESTENBERGH in den Studia latina Stockholminensia III, Stockholm I956, S. 17); dazu H. BELTING a. a. 0. s. I54· 23 Vgl. jetzt P. E. S. a. a. 0., Abb. pi-k mit S. 29I ff.: Münzen des Papstes Leo III. u. Karls d. Gr. vor 8oo (soweit es sich um neue Ergebnisse handelt, jetzt in den Text eingefügt); GRIERSON, Money a. a. 0. PI. IV,
43; H. H. VöLCKERS, Karo!. Münzfunde der Frühzeit (751-8oo), Göttingen 1965 (Abhand!. der Akad. der Wiss. in Göttingen, Phil.-Hist. Kl., 3· Folge Nr. 6r) S. ro9, r86 mit Tafel Q: XLII 45-6. Eine Abb. jetzt auch bei Ch. PrsCHON, Les papes, ZürichParis I966. Ich wiederhole auch noch die ältere Literatur: W. WROTH, Catalogue of the Imperial Byzantine Coins I-II, London I9o8 (vgl. bes. I, S. CII); C. SERAFrNr, Le monete e le bolle plumbee pontificie del Medagliere Vaticano I (6r5-1572), Rom I9IO (Collezioni arch., artist. e numism. dei Palazzi Apost. III) und vor allem das Corpus nummorum Italicorum XV: Roma, Parte r, Rom I934; vgl. auch noch A. ENGELet R. SERRURE, Traite de numismatique du moyen äge I, Paris I89I, S. 284ff.; A. v. SALLET, Münzen und Medaillen, Berlin r898 (Handb. der Kgl. Museen zu Berlin), S. rr6f. (hier Abb. des zweitgenannten Denars nach dem Berliner Exemplar; hier ist nur HADR erkennbar); J. v. PFLUGK-HARTTUNG, Über Münzen und Siegel der älteren Päpste, in Quellen u. Forsch. aus ital. Archiven und Bibi. V, Rom I902, S. r-r8; J. MENADIER, Die Schausammlung des Münzkabinetts im KaiserFriedrich-Museum. Eine Münzgesch. der europ. Staaten, Berlin I9I9 (Führer durch die staatl. Museen zu Berlin), S. I 22 (vorher in: Amtliche Berichte aus den Kgl. Kunstsammlungen 32, Berlin I9II, S. 266f. mit Abt. r4a); U. MoNNERET DE VrLLARD, La monetazione dell'Italia barbarica, in der Rivista italiana di numismatica anno 33 = Sec. ser. III, 1920, S. 2o8-I3, 223-30, 34 = Sec. ser. IV, I92I, S. 209ff.; G. LADNER, Die Papstbildnisse auf den Münzen des 8. u. 9· Jahrhunderts, in der Numism. Zeitschr. N. F. 28, 1935, S. 48ff.; Ders., Die Papst-
Das Prägen der Kaisermünzen (S. 457-458)
Die kaiserliche Münzstätte in Rom ist von Justin I. bis Herakleios ohne große Bedeutung: sie prägt nur kleine Münzen in Bronze. Von Konstans bis Konstantin V. (t 775) gibt sie dagegen auch Stücke in anderen Metallen aus, sogar Goldmünzen. Danach sind keine weiteren Prägungen der römischen Münzstätte nachweisbar sicherlich kein Zufall, denn gleichzeitig fällt ja auch der Kaisername in der Datierung weg. Unter Hadrian I. ist dem Kaiser also auch noch ein weiteres Vorrecht entzogen worden33 • Päpstliche Münzprägung ist bereits in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts nachweisbar; aber die Stücke, um die es sich hier handelt, sind noch so bescheiden und primitiv, daß man gemutmaßt hat, sie seien nicht für den allgemeinen Umlauf, sondern nur für Wohlfahrtszwecke geprägt worden 25 • Auch das wird-genauso wie die Datierungszeile - unter Hadrian I. anders. Es sind zwei, in verschiedenen Typen geprägte Sorten von Silberdenaren (18 mm) nachweisbar, die den Namen dieses Papstes aufweisen: auf der einen trägt die Vorderseite - durch ein langschaftiges Kreuz getrennt und auf drei Linien verteilt - die Worte: HA-DRiffAN-VSffPA-PA, während auf der Rückseite zwischen zwei Querwulsten die Inschrift: S(an)CTI PET-RI untergebracht ist ( Abb. 6 g). Die andere Sorte hält sich vielleicht an das beneventanische, jedenfalls letzthin an das byzantinische Vorbild, entspricht aber im Gewichte bereits der - gleich anzuführenden Münze seines Nachfolgers, ist also als die jüngere der beiden Prägungen anzusehen ( Abb. 6 h). Sie zeigt auf der Vorderseite Hadrians Bild- Tonsur und Pallium sind deutlich zu erkennen - mit der Umschrift: >D(ominus) N(oster) ADRIANVS P(a)P(a)< 26 • Der Papst nimmt also den Platz ein, der bisher dem Kaiserbild zukam. bildnissedes Altertums und des Ma.s, I: Bis zum Ende des Investiturstreits, Citta del Vaticano 1941 (Mon. di antiquita cristiana II, v. 4), S. 1rrf. mit T. XXVa. Die erste Grundlage schufen D. PROM1S, Monete dei Romani Pontifici avanti il mille, Turin 1858, und J. CHARVET, Origines du pouvoir temporal des papes precisees par la numismatique, Melle 1865 = Neudruck von F. LE BLANC, Diss. hist. sur quelques monnoyes de Charlemagne . . . frappees dans Rome, Paris 1689 (42), mit neuer Einleitung. 24 V gl. die Abb. im Corpus num. Ital. a. a. 0.; hier S. 48 mit Tafel III, 10, die Münzen des Philippikos Bardanes, die trotz dem Widerspruch der Römer von ihm in Rom geprägt wurden. S. auch C. SERAF1N1, Le monete e le balle plumbee pontificie del Medagliere Vaticano
IV, Mailand 1928, S. rr. Dazu jetzt DEER a. a. 0. S. 15-18 und CLASSEN a. a. 0. S. 554, der auf Benevent als Vorbild hinweist. 25 Corpus a. a. 0. S. 58ff. mit Tafel III, 25-30. 26 DN nicht bei LADNER a. a. 0. S. 111 vermerkt, aber bei anderen Typen: vgl. Corpus numm. Ital. S. 62-4 mit Tafel IV, 1-3. Das der kaiserlichen Titulatur entlehnte DN findet sich auch auf dem Lateranmosaik (s. unten) neben Kar! und neben Leo (hier außerdem noch - wie etwa früher auf Papstbildern, s. LADNER a. a. 0. -sanctissimus), ferner vor beider Namen auf den Münzen nach Soo (s. unten). Über DN in der Datierungszeile s. MENZER a. a. 0. S. 45f., auf den Königsmünzen Karls und den Herzogsmünzen von Benevent s. F. }ECHLIN in den Mitteil. der Bayer. Numism. Gesellsch. 25, 1906, S. 40ff.
B2:
B.
Die Anerkennung Kar! d. Gr. als Kaiser
Die Rückseite weist - gleichfalls in Anlehnung an Kaisermünzen - ein Kruckenkreuz auf Stufen zwischen den Buchstaben R(O)M(A) auf. Dieses und die Umschrift VICTORIA DN N CONOB (d. h. domininostri Constantilwpolis obryzum 21, d.h. feines Gold) sind von den älteren Prägungen übernommen, wie das ja oft auf Münzen vorkommt - Ausdruck jener zweiten, beharrenden Tendenz in der Münzgeschichte, von der wir ausgingen. Unklar bleibt nur die Auflösung der Buchstaben I und B rechts und links vom Papstkopf, denen formal auf anderen Münzen des 8. Jahrhunderts Buchstaben entsprechen, die man als Emissionszeichen deutet. Man hat sie aufgelöst: lrene Basilissa••. Das stößt sachlich auf Bedenken; vielleicht handelt es sich um das Zahlzeichen 12. Beachtlich ist der Vorschlag von PH. GRIERSON,jesus Basileuszu lesen••. Aber wie dem auch sei, soviel ist klar, daß Hadrian, der in der Datierung an die Stelle des Kaisernamens Jesus Christus setzte, das zweite Vorrecht des Kaisers sich selbst zuwandte.
Zu beachten ist, daß diese päpstlichen Denare die fränkische Münzreform voraussetzen, die zur Prägung von Silberdenaren geführt hatte. An ihnen läßt sich also ablesen, wie die Abhängigkeit vom Norden zunimmt 30 • Die bisher klaffende Lücke, nämlich die Jahre nach der Wahl Leos III. (Ende 796) und Weihnachten 8oo, konnte neuerdings geschlossen werden. Denn es hat sich ergeben, daß Denare, die bisher Leo VIII. (96 3-6 5) zugesprochen waren, bereits von Leo III. stammen und zwar aus Karls Königszeit, da wir Leos Prägungen aus den Kaiserjahren kennen 3 1. Die Prägung des neuen Papstes ist in bezeichnender Weise abgeändert: an die Stelle, die Hadrians Kopf eingenommen hatte, ließ Leo den des Hlg. Petrus setzen (Beischrift: SCS PETRVS), und auf der Reverszeile steht (ähnlich verteilt wie die Petrus-Zeile auf der Reversseite): D(omini) N(ostri) LEONI PAPAE- diese Formel entspricht der auf der jüngeren Hadriansmünze; nur ist sie in den Genitiv gesetzt (Abb. 6 i).
Hadrian hat also zunächst seinen Namen, dann seinen Kopf an die Stelle des Kaiserkopfes setzen lassen; Leo ist wieder einen Schritt zurückgewichen : er hat sich mit dem Petruskopf und seinem Namen auf der Reversseite begnügt. Nachdem sich die Lücke geschlossen hat, ist geklärt, daß die Päpste bis zur Erhebung Karls zum Kaiser das erloschene Münzrecht in Rom festhielten und der Frankenkönig an diesem in keiner Weise beteiligt wurde. Im folgenden Abschnitt wird zu zeigen sein, wie Kar! nach 8oo voll und ganz in das Münzrecht einrückte, das einmal der byzantinische Kaiser in Rom ausgeübt hatte ( Abb. 6 k-1).
27 Danach ebenso die langobardischen Münzen. 28 So löst LADNER a. a. 0. auf statt: dominorum nostrorum. Die Annahme, dies sei auf Kar! und Hadrian zu beziehen, entbehrt jedoch weiteren Anhaltes. Auf den beneventanischen Münzen steht neben dem Kreuz G-R (imoaldus); vgl. hier auch CALMETTE a. a. 0.
s. !28.
29 The Coronation of Charlemagne and the Coinage of Pope Leo III, in der Revue Beige de philol. et d'hist. 30, 1952, S. 833, Anm. I. 30 LADNER a. a. 0. 31 PH. GRIERSON, Coinage a. a. 0. S. 82 5-33; danach bereits: Herrschaftszeichen a. a. 0. S. 292f. und nun hier eingefügt. Sonstige Abbildungen s. oben Anm. 22.
Das Prägen der Kaisermünzen (S, 4 59-460)
Wie stand es mit dem Patrimonium St. Petri? Von Karl steht fest, daß für ihn Münzen mit der Umschrift: (Avers) + CARLUS REX FR(ancorum)- (Revers) ET LANG(obardorum) AC PAT(ricius) ROM (anorum) geprägt wurden, die auf der Vorder- und auf der Rückseite Monogramme aufweisen (Abb. 6 a-c)3 2 • Steckt darin ein Chrismon, 33 der Name Ravennas? 34 Keine Deutung hat bisher allgemein überzeugen können. Die Annahme, daß Karl als König in Rom geprägt habe, ist preisgegeben. Der Titel macht gewiß, daß es sich um italienische Prägungen handelt, und wegen des Patricius-Titels ist ein Zusammenhang mit dem Patrimoniums. Petri anzunehmen 35 •
+
Die Annahme, daß diese Münzen, die längere Zeit umliefen und bis nach Friesland gelangten, in Ravenna geprägt wurden, ist immer noch die wahrscheinlichste. Doch weisen die erhaltenen Stücke Varianten auf, so daß möglicherweise mit mehr als einer Münzstätte gerechnet werden muß. Gewiß ist, daß die Münzen erst in der sogenannten II. Periode, also den Jahren 79o-8oo, geschlagen worden sind, also nicht unmittelbar - wie man früher wollte - mit der Einnahme des Langobardenreiches (774) und der Annahme des vollen Königstitels in Verbindung gebracht werden können.
Diese Prägungen gehören in die Auseinandersetzunge n über das Exarchat, dessen Besitz dem Papst im Jahre 774 bestätigt worden war, in dem Karl jedoch- wie aus den Beschwerden in den Briefen der Päpste zu entnehmen ist - Herrschaftsrechte ausübte: darunter (wie diese Münzen beweisen) sogar das wichtigste: das ius monetae 36 • 32 ENGEL-SERRUREa. a. 0. I, S. 2I3. EineAbb. in J. v. PFLUGK-HARTTUNGS Weltgesch., Bd. Mittelalter, Berlin I909, S. 86, Nr. 3· Vgl. jetzt: H. VöLCKERS a. a. 0. S. 56-8 (danach im Monogramm ein Christogramm), ferner S. I09, II2f. usw.; PH. GRIERSON, Money and Coinage a. a. 0. S. 5I7 mit PI. IX no. I8 (>Italian origin ... fairly certainprecise mint and purpese remain a mystery<; das Monogramm, früher von ihm auf Ravenna bezogen, ohne >satisfactory explanation<). 33 Über A und Q auf Münzen vgl. F. FRIEDfu'!SBURG, Münzkunde u. Geldgesch., MünchenBerlin I9I6 (Handbuch der ma.lichen u. neuen Gesch.) S. 59f. (hier II, S. 23 über Hadrians Denare); über A und Q in Benevent s. ENGEL-SERRURE a. a. 0. I, S. 288. 34 ENGEL-SERRURE a. a. 0. wollten das schon aus dem Patricius-Titel allein folgern. MENADIER a. a. 0. S. II5 f.las AIIAD; ebenso das Corp. numm. Ital. S. 64 mit T. IV, 4; SALLET a. a. 0. S. I I4f. äußert sich zurückhaltend. Das Corpus führt diese Münze unter den in Rom geprägten auf.
35 DEJ'lR a. a. 0. S. nf. erwähnt diesen Verstoß gegen das >Protokoll<, schiebt ihn jedoch - wie auch sonst die politischen Fakten - beiseite. Da ich (wie von ihm zitiert) feststellte, daß Kar! vor 8oo in Rom kein Münzrecht ausgeübt hat und DEER zu den von mir angeführten Fakten keine neuen beizubringen hatte, baut er eine Scheinfront zwischen uns auf. 36 Früher galt als in Rom geprägt ein Denar mit KA(rolus) R(e)X F(rancorum) auf der Vorderseite und einem Kreuz auf der Rückseite, in dessen Winkel die Buchstaben R, 0, A (oder: V) und M so hineingeschoben sind, daß nicht erkennbar ist, welcher der erste sein soll. Außer ENGEL-SERRURE a. a. 0. I, S. 213, hat auch M. PRou, Les monnaies fran.;aises, Paris I 896 (Catal. des monnaies fran.;aises de Ia Bibi. Nat.), S. I3Z, Nr. 941 mit Abb. T. XXI, 94I: ROtviA gelesen, obwohl die Buchstaben nicht nach der Reihe folgen. MONNERET DE VrLLARD a. a. 0. IV, S. 207/f. hat gezeigt, daß es sich um einen nördlich der Alpen verbreiteten Münztyp
B2:
B.
Die Anerkennung Kar! d. Gr. als Kaiser
J. Kaiserbilder in den Kirchen Als der Ostgotenkönig Theodahad versucht hatte, sich durch die Anlehnung an den Kaiser zu halten, da hatte er ihm außer einer jährlichen Tributzahlung angeboten, den Kaisernamen bei den Akklamationen zuerst nennen zu lassen und seine Bildsäule rechts neben seiner eigenen aufzustellen37 • Als die Römer in der Zeit des Papstes Agatho (678-81) sich gegen die byzantinischen Patriarchen ereifert hatten, da hatten sie deren Namen auf den Dyptichen ausgelöscht und ihre Bilder an den Kirchen und auf den Märkten, wo sie sie nur finden konnten, vernichtet 38 • Das Bild des wie ein König mit einer Krone geschmückten Herzogs Ariehis von Benevent (t 787) in dem Altarraum der Kirche von Capua ließ Karl der Große zerstören, und seinen Sohn zwang er dazu, daß der Karlsname auf dessenMünzen gesetzt wurde 39 • Die Existenz und ebenso die Nichtexistenz eines Bildes sprachen in dieser Zeit eine unmißverständliche Sprache. Das galt in besonderem Maße für das Kaiserbild. Nach altem Brauch übersandte jeder neue Herrscher nach Rom sein Bildnis, das nach der ihm in Stellvertretung des Kaisers gebührenden Ehrung in der Kirche S. Cesario (auf dem Palatin 40) verwahrt wurde. Dieses Recht verweigerten - wie wir sahen - die Römer dem Kaiser Philippikos; daß es dem Kaiser Leo III. wieder zugestanden wurde, geht aus einem Briefe des Papstes Gregor II. hervor 41 • Wie lange dieses Vorrecht den Nachfolgern gewährt wurde, bleibt im Dunkeln; es wird die Mitte des 8. Jahrhunderts nicht lange überstanden haben. handelt, der auch nach Lucca und Parma vordringt und - im Sinne des Uhrzeigers >VORM(ATIA)< zu lesen ist. GAETTENS a. a. 0. S. I2-I4 schließt sich dieser Lesung an, will sie jedoch nicht auf Worms beziehen, sondern auf eine unbekannte Prägstätte zwischen Marseille und Narbonne, da sie den dort geprägten Münzen näher stehe. VöLCKERS a. a. 0. S. 78f., I62f. weist auf Verwandtschaft mit einer Münze von Poitiers hin. 37 L. M. HARTMANN, Gesch. Italiens im Ma. I, Gotha 2. Auf!. I923, S. 248, nach Prokop, Bell. Goth. I, 6; dazu die Briefe bei Cassiodor, Variae X, 2ff. (M. G., Auct. ant. XII, S. 309ff.). - Für die Kaiser selbst vgl. H. KRUSE, Studien zur offiziellen Geltung des Kaiserbildes im römischen Reich, Paderborn I934 (Studien z. Gesch. u. Kultur des Altertums XIX,· 3); s. ferner Hm.oMANN a. a. 0.
38
39 40
4I
S. 274, Anm. I; aufschlußreich bes. Gregor der Große, Registrum XIII, I (a. 603), s. Mon. Germ., Epp. II, S. 365. Lib. pontificalis, ed. DucHESNE I, S. 354: Deinde abstollerunt de 4Jpticis ecclesiarum nomina patriarcharum vel de picturis ecclesiae ftguras auf in foribus, ubiubi esse poterant, auftrentes, id est Cyri, Sergii ( etc. J, per quos error iste orthodoxe ftdei usque nunc pullulavit. Entsprechend gingen Konstantinopel und Rom im Jahre 7I2 vor (s. oben). S. oben Anm. 22. Über diese Kirche, die ich in der Erstfassung falsch identifiziert habe, jetzt DEER a. a. 0. s. 24f. J.-L. Nr. 2180 (MrGNE, Patr. lat. 89, Sp. p8), dazu HELDMANN a. a. 0. S. 274, Anm. I, und zur Frage, ob dies Schreiben interpoliert ist, OsTROGORSKY a. a. 0. S. XX, 99, 109 sowie DE:ER a. a. 0. S. 26, Anm. 81.
Kaiserbilder in den Kirchen (S. 46o-462)
Daneben gab es an den Mauern der römischen Kirchen und Klöster noch mancherlei Bildnisse von Päpsten und frommen Stiftern, die sich auf diese Weise ein Andenken bei den Gläubigen sicherten42 • In Ravenna haben sich bis heute Bilder byzantinischer Kaiser erhalten. Für sie machen wir uns die Bestimmung ihrer Funktion, die JosEF DEER gegeben hat, zu eigen: »Auch diese Bilder haben bestimmt einen politischen Sinn und verbreiten auch in ihrer Art eine monarchische Propaganda, ohne jedoch im staatsrechtlichen Sinne des Wortes als Herrscherbilder, die Huldigung und Adoration verlangen, zu gelten«43 • In dieser Weise ist Karl der Große zweimal vor seiner Erhebung zum Kaiser an den Kirchenwänden Roms dargestellt worden. Diese Mosaikbilder sind seit langem untergegangen, aber wir kennen sie noch durch mehr oder minder genaue Skizzen von Antiquaren des 16. und 17. Jahrhunderts 44 • Das eine, 1595 zerstört, befand sich in St. Susanna; da keine Beischrift überliefert ist, wissen wir nicht sicher, ob es bereits der Königszeit entstammt: der >Liber pontificalis< reiht diesen Bau Leos III. beim Jahre 799 ein. Daß Karls Bild in die Apsis selbst, die bisher in Rom als geistlicher Bereich respektiert worden war, aufgenommen wurde, ist- wie G. Ladner bemerkt hat- außergewöhnlich ( Abb. IO ). Bei dem anderen, dem berühmten Bild, das einstmals das Tric!inium des Laterans zierte und heute noch in einer Rekonstruktion des 18. Jahrhunderts an der Piazza S. Giovanni zu sehen ist, steht die Königszeit fest ( Abb. 8-9) 46 • Denn links war zu lesen: S(an)c(ti)ssimus D(ominus) n(oster) Leo p(a)pa, rechts: t D(ominus) n(oster) Carulus rex- dabei ist zu beachten, daß das uns bereits begegnete DN ein Teil der traditionellen kaiserlichen Titulatur ist 46 • Darunter stand: Beate Petre, donas vitam 42 Im folgenden trage ich den Einwänden Rechnung, die DEER a. a. 0. S. 23-42: >4. Kaiserbilder in Kirchen< vorgebracht hat. 43 Ebd. S. 28. 44 ScHRAMM, a. a. 0. (Abb. 5a: Leo in St. Susanna nach de Winghe, dann auch bei W. ScHAMON1, Das wahre Gesicht der Heiligen, Lpz. 1938, S. 30f.); im wesentlichen zustimmend und für das Triklinium-Bild noch eine ältere Skizze beibringend, G. LADNER, Papstbildnisse a. a. 0. S. 112ff. mit T. Xlll a-b und Fig. 94-104 sowie S. 126ff. mit Fig. 106-8 (St. Susanna). Einwände machte A. HELDMANN in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 50, Germ. Abt. 1930, S. 636f. - S. dazu jetzt CLASSEN (s. S. 218) S. 575· Ferner: CAEC1LIE DAv1s-MEYER, Die Mosaiken Leos lll., in der Zeitschr. f. Kunst-
gesch. 29, 1966 und G. MATTH1AE, Mosaici medioevali delle chiese di Roma, Rom 1967, s. 225 ff. Die Verfasserin, die bereits ebd. 28, 1965. S. r89f. die Mosaiken von St. Susanna behandelt hat, setzt (S. II5, 128f.) diese erst nach 8oo an, weil sie eine Ähnlichkeit der Kronendarstellung mit der Karlsbulle zu erkennen glaubt (ein nicht stichhaltiges Argument) und datiert im Gegensatz zu CH. HUELSEN, der das Mosaik ein Triclinium erst um 799 ansetzte, dieses mit beachtlichen Gründen bereits in die Jahre 796-8 (S. 214f.). 45 Im >Liber Pontificalis< ist dieser Bau gleichfalls bei 799 vermerkt. 46 DEE:R a. a. 0. S. 41 macht geltend, daß auch dem Exarchen das >D.N.< von der Kirche eingeräumt wurde.
B2:
B.
Die Anerkennung Karl d. Gr. als Kaiser
Leoni p(a)p(ae), et bictoriam Carulo regi donas - daß es sich hier um eine verkürzte
Laudesformel, d. h. um die Aneignung eines kaiserlichen Vorrechts handelt, wird erst im folgenden Unterabschnitt zu erörtern sein (b = v damals in Rom auch sonst). Daß dem Papst die rechte Seite vorbehalten wurde, versteht sich von selbst. Das war im byzantinischen Kulturbereich zwar früher anders gehandhabt worden; aber er lag entfernt von Rom, erst recht vom Frankenreich und galt nicht mehr als verbindlich47 •
Neu war, daß ein gekrönter Laie, in der knieenden Haltung dem Papst ähnlich wie sein Spiegelbild, auf Geheiß Leos III. an einer allen sichtbaren Stelle im Lateran angebracht wurde; das war eine Bildersprache, die in unmißverständlicher Weise erkennen ließ, welche Stellung vom Oberhaupt der Kirche dem Frankenkönig einzuräumen war. Hier wäre es nun von großer Wichtigkeit, zu wissen, ob Hadrian I. auch in diesem Falle derjenige war, der die alte Bindung zerriß. Bilder sind aus seiner Zeit nicht erhalten, aber Verse, die einstmals an der wichtigsten Stelle Roms Hadrians und Karls Namen zusammen anführten: dieser Papst ließ nämlich über dem Grab des heiligen Petrus eine Weihekrone aufhängen, deren Inschrift überliefert 47 Auch in der Zeit nach 8oo blieb es selbstverständlich, daß dem Papst der Vorrang vor dem Kaiser gebührte: vgl. die >Laudes< (s. unten S. 235) und dieAdressender an sie gerichteten Briefe (s. Bd. II: Titel der Karolinger). Leider sind die Bilder Ludwigs d. Fr. in Reims und Lothars I. auf dem Antependium in St. Peter, auf denen sie mit den Päpsten ihrer Zeit dargestellt waren, untergegangen; aber wir brauchen nicht zu zweifeln, daß auch in diesen Fällen, in denen es sich um Kaiser handelte, sie sich mit dem linken Platz begnügten; vgl. die Nachträge zu den Herrscherbildern in Band V. Dort auch über das Fresko im Oratorium auf dem Monte Celio, das den Papst Formosus links, einen bärtigen Laien (wohl Arnulf) rechts darstellt; es stellt eine seltsame Ausnahme dar, kann also nicht (so DEER a. a. 0. S. 42) als Beleg dafür angeführt werden, daß nach 8oo wieder das byzantinische Bildprotokoll gegolten habe. Nützlich sind die von DE:ER a. a. 0. S. 39f. zusammengestellten Belege über den Konstantinskult; doch führt er eine Scheidung durch zwischen Bildern des Kaisers mit staatsrechtlicher Bedeutung und solchen, bei denen es nur um seinen der Kirche gewähr-
ten Schutz ging. Das ist formal natürlich richtig; beide Arten gingen aber in der Wirklichkeit- zurnal im 8. Jahrhundert und jenseits der byzantinischen Grenzen - ineinander über. Das zeigt besonders deutlich der von DE:ER vorher zitierte Brief (Cod. Carol. Nr. 6o) des Papstes an Kar! aus dem Jahre 778, in dem er ihm wünscht, a!Iegentes möchten ihn als novus christianissimus Constantinus imperator begrüßen: hier stellte der Papst die beiden Wohltäter und Schützer der Kirche zusammen, glitt also (wenn man DEERS Betrachtungsweise akzeptiert) in das >Staatsrechtliche< aus: er hoffte ja, daß Kar! >international< das >staatsrechtlich< so bedeutsame Vorrecht der Kaiser-Laudes zufallen möge! Hier wäre es von Wichtigkeit zu wissen, wie auf dem Mosaik des Triclinium die rechte- schon in der Mitte des I6. Jahrhunderts zerstörte - Gegenseite ausgestaltet war, ob hier also Silvester und Konstantin d. Gr. ihren Platz gefunden hatten, wie ein Stich von I 62 5 und die Rekonstruktion des Mosaiks am Lateranplatz es behaupten. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, aber es bleiben Zweifel; vgl. ScHRAMM, Bildnisse Karls d. Gr. a. a. 0. S. I 5 f.
Kaiserbilder in den Kirchen (S. 462-463)
233
ist. In ihr ist die Rede von Christus aus dem Stamm der Könige und Priester, der dafür sorge, daß dieser Welt beide Gewalten gezeigt werden. Die Schafe des Glaubens habe er Petrus übergeben, der sie an seiner Statt Hadrian anvertraut habe. Den >Patriziat< in der treuen Stadt- daß hier imperium, vexillum, principatum oder noch ein anderes \1Vort stand, ist möglich- habe er dagegen Dienern, die ihm wohlgefielen, übergeben; diese Würde habe Kar! übernommen, der vorzüglichste König, wobei die Rechte des Petrus ihm Ruhm spendete. Für dessen Leben und Triumph - abermals ein Anklang an die Laudesformel- habe Hadrian die Krone gestiftet'".
Die Zweigewaltenlehre, die das Lateranmosaik so sinnfällig dargestellt hat, ist auf Hadrians Weihekrone über dem Grabe St. Petri in Worten nicht minder deutlich zum Ausdruck gebracht. Ja, die schon früher vorgebrachte Vermutung49 , eine dem Lateranmosaik ähnliche Darstellung habe den Sinn der Verse auch denen klargelegt, die nicht zu lesen verstanden, hat etwas Bestrickendes. So mag es bereits Hadrian I. und nicht erst Leo III. gewesen sein, der Karl in römischen Kirchen abbilden ließ 50 • 48 DE Rossr, Inscript. christianae urbis Romae II, I, Rom r888 = Liber pont. ed. DucHESNE I, S. 516, N. 31 =Mon. Germ., Poet. lat. I (E. DüMMLER), S. 106, Nr. r 3 = H. GRrSAR, Analeeta Romana I, Rom r899, S. 85 = FEDOR ScHNEIDER, Die Epitaphien der Päpste usw., Rom 1933 (Texte zur Kulturgesch. des Ma.s II), S. 24, Nr. 29 (hier wiederholt): Caelorum dominus, qui cum patre condidit orbem, disponit terras virgine natus homo, utque sacerdotum regumque est stirpe creatus, providus huic mundo curat utrumque geri. tradit oves fidei Petro pastore regendas, quas vice Hadriano crederet i/Je sua. quin et Romanum largitur in Urbe fideli pontificatum") famuli( s), qui placuere sibi. quod Carolus ( merito) praecel!entissimus (hic )rex suscipiet dextra glorificante Petri. ro pro cuius vita triumphisque haec munera regno obtulit antistes congrua rite sibi. a) so Hs.; DüMMLER (Poetae) emend.: imperium; PAGI und GREGOROVIDS, Gesch. d. Stadt Rom 3Il, S. 38 5f.: vexillum; Rossr und DuCHESNE: patriciatum und (v. 9): quem. Vielleicht: principatum, vgl. das Gebet: Deus, cuius regnum etc., in dem es heißt: Romanorum regnum tibi subditum prolege principatum. V gl. dazu E. RosENSTOCK, Die Furt der Franken und das Schisma, in E. RosENSTOCK - J. WrTTIG, Das Alter der Kirche, Berlin 1928,
S. 551 und HELDMANN a. a. 0. S. 445· 49 A. a. 0. S. 30. 50 Ebd. S. 29. J. DE.ER geht in seinem Eifer, den Unterschied zwischen den laureata, den übersandten >offiziellen< Bildnissen, und den Bildzeugnissen der Frömmigkeit so groß zu machen wie nur möglich, so weit, daß er die vollständige staatsrechtliche Bedeutungslosigkeit von Kaiserbildern in den Kirchen behauptet (S. 30). In den voraufgehenden Jahrhunderten hätten die Päpste keinen Anlaß gehabt, irgendwelche Herrscher abbilden zu lassen, da alle Rom feindlich gewesen seien. Aber DEER hätte dann stutzen müssen angesichts der Tatsache, daß vielleicht bereits Hadrian I., sicherlich Lee III. den Frankenkönig im Bilde vor die Augen der Römer rückte- wohlvermerkt freiwillig; denn es liegt nicht das geringste Anzeichen dafür vor, daß Karl das - wie im Falle der Münzen von Benevent - verlangt hatte. Im >protokollarischen< oder >staatsrechtlichen< Sinne (einem dieser Zeit wesensfremden Begriff) knüpften jene Bildnisse an die abgerissene Tradition der laureata selbstverständlich nicht an; aber sie traten an deren Stelle, bedeuteten sogar noch mehr, weil sie nicht nur einmal gezeigt und dann in einer Palatinkirche abgestellt wurden, sondern den Gläubigen Tag für Tag vor Augen blieben.
B2:
B.
Die Anerkennung Karl d. Gr. als Kaiser
Karl trat also nicht im strikten Sinne ein bisher kaiserliches Vorrecht an; aber die Päpste räumten ihm im Bildbereich etwas ein, was sogar noch über das hinausging, was sie einst den byzantinischen Kaisern zu erweisen schuldig gewesen waren, und die Betrachter werden sich in der Mehrzahl keine Gedanken darüber gemacht haben, ob der Franke als Protector, als Patricius, als schützender Rex dargestellt war; sie werden sich vielmehr schlicht und einfach gesagt haben: einstmals halfen uns Konstantin und seine Nachfolger, jetzt tut es der Frankenkönig Karl.
4· Prozession, Akklamation, Kirchengebet, Laudes Für diesen Bereich können wir abermals Vorarbeiten heranziehen, die uns den Weg bereits gebahnt haben. Mit den Kaisergebeten haben sich verschiedene Forscher befaßt, und für die Laudes haben wir das grundlegende Buch von ERNST H. KANTORowrcz51. Seit alters sprach zu den Sinnen die >Staatssymbolik< am deutlichsten, wenn der Kaiser oder sein Stellvertreter in eine Stadt einzog 52 • Denn da vereinigte sich der Prunk der Waffen und Gewänder mit der Vielzahl der Fahnen und Zeichen, mit Lichterglanz, mit Weihrauchduft und mit dem Gedröhn rhythmisch wiederholtet Zurufe, die dem feierlich Eingeholten viele Jahre, Leben und Sieg, sowie den Segen der Heiligen wünschten und Ehrennamen für ihn aneinanderreihte n. Die Byzantiner hatten aus diesen Akklamationen geradezu eine Kunst gemacht. In Rom war davon zum mindesten ein starker Abglanz zu erleben; doch fehlen Zeugnisse über den genauen Wortlaut, der am Tiber üblich war. Mit Rufen dieser Art werden in Rom die Bilder begrüßt worden sein, die ein neuer Kaiser von sich übersandte. Solche Akklamationen empfing auch der Papst53 ; und von Laudes ist auch bei dem Empfang des Exarchen und solcher Würdenträger, die ihm gleichstanden, die Rede. Kein Wunder,
5r Laudes regiae. A Study in Liturgical Acclamations and Mediaeval Ruler Worship, Berkeley-Los Angeles 1946 (Univ. of California Publ. in Hist. 33; 2. Aufl. 1958); s. auch noch HELDMANN a. a. 0. S. 258ff. Vgl. ferner L. BrEHL, Das liturg. Gebet für Kaiser u. Reich. Ein Beitrag z. Gesch. des Verhältnisses von Kirche u. Staat, Faderborn 1937 (Görres-Gesellsch., Sektion für Rechtsu. Staatswiss. 75); auch G. TELLENBACH, Röm. u. christl. Reichsgedanke in der Liturgie des früheren Ma.s, Beideiberg 1934 (Sitzungsber. der Heidelberger Akad., Phil.Hist. Kl. 1934/5, Nr. r). Die Texte edierte B. 0PFERMANN, Die
liturgischen Herrscherakklamat ionen im Sacrum Imperium des Ma.s, Weimar 1953 (226 S.); dazu R. ELZE, Die Herrscherlaudes im Ma., in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 71, Kanon. Abt. 40, S. 201-24. 52 Die Literatur über die antiken und spätantiken Akklamationen bei KANTOROWICZ a. a. 0. S. 65, A. z und 68, A. 13. 53 Z. B. Liber pontificalis ed. L. DucHESNE I, S. 368 zum Jahre 686: in eius !aude omnes simul adc!amaverunt; vgl. ferner S. 354, 371, 440, 47of. (hier auch der Wortlaut: Phi!ippum papam sanctus Petrus e!egit). Dort auch: Iaudes et victorias piissimorum imperatorum. Vgl. dengeistig verwandten - Gruß Konstantins am
daß die kaiserliche processio daher auch zu den Vorrechten gehört, die die Konstantinis che Fälschung den Päpsten zuzuwenden sich bemüht.
Ganz anderen Ursprungs sind die eigentliche n >Laudes<, von denen uns zahlreiche Formulare - das älteste aus den Jahren 782/7- überkomm en sind. Sie weisen einzelne Elemente aus der Welt der Akklamati onen auf, bilden aber in ihrer Grundstru ktur einen Nebenzwei g am vielästigen Stamm der Litaneien, in denen Christus, Maria und die Heiligen um Schutz angefleht werden. Nach anglo-irische m Vorbild schwellen im Frankenreich ihre Namen zu langen Reihen an. Man erdarf wohl mit ERNST K.ANTOROWICZ annehmen, daß die Laudes erst in der Zeit Pippins die Form halten haben, die für uns in den ältesten Formularen greifbar ist: sie entspricht durch: tu il!um (bzw.: lo) adiuva den Litaneien, durch die Formel: vita et victoria den Akklamation en, mit denen sie auch das gemeinsam hat, daß der Formel: Christus vincit jeweils ein Ehrenname Christi (Rex regum, Rex noster, Spes nostra etc.) vorausgeht, nur daß dies in den Akklamation en beim Kaiser der Fall ist. Verwandt damit ist die Umschrift um den von Kar! seit 772 geführten Siegelstempel; Chr( ist Je, profege Carolum 54 regem Francorum, deren Form sich im Griechischen bis in das 6. Jahrhundert zurückverfol gen läßt •
Diese Laudes, die vom Klerus vorgetrage n werden, sollen dem Geschlecht der bisherigen Hausmeier , das das magische Heil der Merowing er zerstört hatte, das himmlische Heil sichern; aber sie gehören doch auch in die >Staatssymbolik<: wo sie 54 erschallen, ist klargestellt, wer der Herr ist und wer nicht •. Das gleiche gilt auch von den Gebeten: sie steigen auf zum Himmel und erweisen zugleich dort, wo sie gesprochen werden, wer die von Gott gesetzte Obrigkeit hier auf Erden inne hat. Ihren Höhepunk t erreichte diese Entwicklu ng im Frankenrei ch auf dem Konzil von Frankfurt (794): eine Aufzeichnu ng über dieses ehrt an seinem Schluß Karl mit dem Wunsche: ... Sitdominus et pater! (Maleach. 1,6) Sit rex et sacerdos! (Gen. 14, r8 etc.) Sit 55 omnium christianorum moderantissimus gubernator! (Prov. u, 14) •
Schluß der Fälschung auf seinen Namen: Divinitas vos conservet per multos annos, sanctissimi et beatissimi patres, der formal der Subscriptio der byzantinisch en Kaiserurkun de entspricht; vgl. ferner Kar! an Hadrian im Jahre 791 (E. MUNDING, Königsbrief Karls d. Gr. an Papst Hadrian, Lpz. 1920; Texte der Erzabtei Beuron I, 6): er wünscht ihm in longevis temporibus regi atque fulciri (Parallelstellen ebd. S. 13ff.). 54 ScHRAMM, Kaiser in Bildern!, S. r67,Abb. za. 54a DEER a. a. 0. S. 57 warnt hier allzu bedenklich vor solcher Gleichsetzun g machtpolitischer Tatsachen mit >staatssymbolischen; Herr sein bedeute noch nicbt Kaiser oder
auch nur quasi imperator sein. Solche gelehrten Unterscheidu ngen moderner Wissenschaft waren sicherlich den Franken und wohl aucb der Mehrheit in Rom fremd. DEE.R setzt hier eine Starrheit des >Protokolls< voraus, die- wie im Anhang hinter dem übernächsten Abschnitt genauer begründet wird - gar nicht bestanden haben kann. Die >machtpolitischen Tatsachen< waren stärker und führten zu einer abgewandelt en >Staatssymbolik<. 55 M. G., Concilia II, S. 142; dazu KANTOROwrcz a. a. 0, S. 70, aber auch K. HELDMANN in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 50, Germ. Abt., 1930, S. 6p.
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Die Anerkennu ng Kar! d. Gr. als Kaiser
Wie es in Rom mit den Kirchengebeten seit alters gehandha bt wurde, läßt das Gregorianische Sakramen tar erkennen , von dem auf Karls Bitte Papst Hadrian eine Fassung übersandte. Es entsprich t einem bereits zurücklie genden Zustand 56 und ist daher dadurch gekennzeichnet, daß es noch eine ganze Reihe von Gebeten und Fürbitten für Kaiser und Reich enthält. Dabei ist - wie hätte es anders sein können? - der Zusatz: Romanorum bzw. Romanum konseque nt beibehalten. Die >staatssymbolische< Bedeutun g dieser Gebete kommt in der Anzeige zum Ausdruck , die ein neuer Papst über seine Wahl dem Exarchen zu machen hatte: nach dem im >Li her diurnus< erhaltenen Formular versicherte er, für das Leben, die Unverletzlichkeit der Kaiser bitten zu wollen, damit Gott ihnen vielfachen Sieg verleihe und die christiana respublica über alle Völker triumphie ren lasse 57 • Aus den zahlreichen Papstbriefen, die der >Codex Carolinus< enthält, klingt dann wie ein wiederkehrendes Motiv heraus, daß die Päpste nunmehr für die Frankenkönige beten; es verstärkt sich seit Karls erstem Besuch in Rom (774) und gipfelt 78 5 in der Versicher ung Hadrians , daß er Gott für Karls Sieg über die Sachsen Dankgebete abgestatt et habe 58 • In dem einzigen Briefe, der von Karl aus diesen Jahren erhalten ist, dem an Hadrian im Jahre 791, steht dann auch die Bitte um Gebet pro incolomitate nostra atque stabi!itate regni59 • Damit ist zwar noch nicht bewiesen, daß gleichzeitig die Gebete für den Kaiser aufgehör t hätten - geschah es noch, waren sie zu leerem Schall geworden : eine Zeremonie, die ohne innere Anteilnah me vollzogen wurde. Dagegen wissen wir, daß Hadrian I. für Karl noch mehr getan hat. Im >Ürdo Romanus I< 60 ist bei den An56 Zum Datum vgl. C. VoGEL, Introducdo n aux sources de l'hist. du culte ehreden au m. ä., Spoleto I966 (Bibi. degli Studi medievali I) S. 68ff.: Stammfass ung in der Zeit Gregors I., der erhaltene Text vom Ende des 7· Jahrh., dieser für Kar! hergerichte t und ergänzt. 57 Liber diurnus ed. TH. E. v. SICKEL, Wien I 889, Nr. 6o (S. 54); preces effundere pro vita atque inco!omitate perfettisque victoriis . . . et i!!. magnis victoribus imperatoribus, ut rega!ibus eorum virtutibus misericors Deus mu!tip!ices concedat victorias et de subiectione(m) om11ium gmtium christia11am rempub!icam faciat triumphare, de qu(aJe restituta p!enius Romani imperii prisca ditio11e !etitiam cordes impertiat. V gl. auch in
Nr. 58 das Angebot, für den Kaiser zu beten. 58 Lib. Carol. (Mon. Germ., Epist. III), z. B. Nr. 50 (S. no) ZU 774, Nr. 76 (S. 6o7) zu 786. Vgl. dazu ]. A. Ju~GMANN, Flectere pro
Carolo rege, in den Melanges en l'honneur de Mons. MICHEL ANDRIEU, Straßburg I956 (Revue des sciences religieuses; Vol. hors serie) S. 2I9-28, der die liturgischen Detailfragen klärt. 59 MuNDINGa. a. 0. S. 3, dazu Parallelen S. I3f. 6o Gedruckt bei J. MABILLON, Iter Italicum II, Paris I687/9und I724, s. n: temporeHadriani institutum est, ut jlecteretur pro Caro!o rege; ante vero 11011 fuit consuetudo (vgl. jetzt M.
ANDRIEU, Les Ordines Romain du haut moyen äge III S. 26of.: XXII Nr. I3); s. ferner MABILLON S. I9 (jetzt: ANDRIEU S. 288: XXIV Nr. 3 und S. 392: Var. I zu XXVIII, 4; dazu R. ELZE im Deutschen Archiv X S. 223). Dazu DEER a. a. 0. S. 5I f., daß Kar! auf diese Weise nur den zweiten Platz hinter dem Kaiser erhielt. Denn der Ordo beläßt es bei den traditionell en Gebeten für ihn, bietet aber natürlich nicht die
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gaben über die Pontifikalmesse in der Fastenzeit vermerkt, daß für den Samstag zur Zeit Hadrians bestimmt worden sei, für den König Karl das Knie zu beugen, was vorher nicht üblich gewesen sei60a; und zu dem vom Papst am Mittwoch in der Karwoche gesprochenen Gebet: Deus, a quo et Judas etc. heißt es, er bete die Oration für den König der Franken und dann die übrigen der Reihe nach; bei der letzten für die Juden beuge man die Knie nicht. Das bezieht sich auf die Gebete: Oremus et pro christianissimo imperatore nostro i/1., ut Deus omnipotens subditas illi faciat omnes barbaras nationes ad nostram perpetuatJJ pacem ... Oremus! 61 Omnip. sempit. Deus, qui regnis omnibus aeterna potestate dominaris, respice propitius ad Romanum benignus imperium, ut gentes, quae in sua feritate conftdunt, dexterae tuae potentia comprimantur. Per ... &2, Sie stehen - wodurch die zweite Angabe erst voll verständlich wird - zwischen Bittformeln für die Kirche, den Papst und die anderen geistlichen Grade sowie für die Katechumenen, die in Not Befindlichen, schließlich für die Juden und Heiden. Karl der Große ist also an dieser Stelle der Liturgie an die Stelle des Kaisers getreten oder doch zum mindesten neben ihn. Denn - so müssen wir erneut fragen hatte daneben noch ein Gebet für die Herrscher in Konstantinopel Platz? Man hat die Frage verneint und daraus geschlossen, daß Hadrian diesem Recht, d. h. dem vierten der zur Zeit des Philippikos sichtbar werdenden Kaiserrechte, ein Ende gemacht habe. Aber da Mons. Michel Andrieu an Hand der Ordines zeigen konnte, daß für Karl und Kaiser nebeneinander gebetet wurde 63, sehen wir uns noch in der Geschichte der Akklamationen und Laudes um. Als Karl am Karsonnabend 774 zum ersten Male seinen Einzug in Rom hielt, wurde er bekanntlich empfangen, >wie es Sitte bei dem Empfang des Exarchen oder Patricius ist<, also auch- wie der >Liber pontificalis< ausdrücklich vermerkt- mit dem Gesang der Akklamationen 64 • Damit ist Karl in das Vorrecht der processio des kaiserGewähr, daß sie bis 8oo stets und ständig gesprochen wurden. Jedenfalls standen sich eine absterbende Tradition und ein neuer, der nunmehrigen Machtlage Rechnung tragender Brauch gegenüber. 6oa Vgl. dazu JuNGMANN a. a. 0. 61 Dieser Wunsch klingt bereits seit 756 in den päpstlichen Briefen an die Frankenkönige immer wieder an; die Belegstellen sind aufgezählt in Mon. Germ., Epp. III, S. 498, Anm. I und MuNDING a. a. 0. S. 39· 6z Vgl. H. A. WILSON, The Gelasian Sacramentary, Oxford 1894, S. 76; TELLENBACH a, a. 0. S. 52f. Nr. I-z;dazuBIEHLa.a.O. S. 85f. 63 A. a. 0. S. 32·
64 I, S. 497: laudesque illi omnes canentes cum adclamationum earundem laudium vocibus ... , sicut mos est ad exarcbum aut patricium suscipiendum; vgl. dazu KANroROWICZ a. a. 0. S. 75 und W. HARTKE, Römische Kinderkaiser, Berlin 1951, S. 312f., Anm. I. Wenn DEER (a. a. 0. S. 44), Karls Einzug mit dem des Exarchen vergleichend, betont, dieser habe auf dem Palatin, Kar! bei St. Peter gewohnt, so übersieht er das historische Faktum, daß die Kurie zunächst nicht wußte, worauf der Besuch des Königs hinauslaufen werde. Daher kam es auch nicht zu dem nach DEERS >Protokoll< fälligen Besuch des Papstes auf dem Palatin; auch verstieß Kar! ge-
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Die Anerkennung Karl d. Gr. als Kaiser
liehen Stellvertreters eingerückt, der das Recht hatte, am ersten Meilenstein von den Römern eingeholt zu werden - nicht jedoch von dem Papste, der nur dem Kaiser selbst entgegenkam, und zwar bis zum sechsten Meilenstein. Vom Ostermontag hat der Liber zu berichten, daß der Papst in der Messe Gott dem Allmächtigen und Karl, dem König der Franken und Patricius der Römer, die Laudes habe erweisen lassen 65 • Die sich dem Leser aufdrängende Frage, warum dies erst am Montag und nicht schon am Sonntag geschehen sei, hat L. BrEHL mit der Vermutung beantwortet, die Ostermesse habe die Franken darauf gestoßen, daß in Rom die in den Gottesdienst eingebauten Laudes noch unbekannt waren, und auf ihr Drängen hin seien sie dann am nächsten Tage nachgeholt worden66 • Jedoch ist zu beachten, daß am Ostersonntag die Messe in Sta. Maria Maggiore, am Montag in St. Peter gehalten wurde. Die beiden Laudes-Formulare, die aus der Folgezeit vorliegen, stammen aus den Jahren 782/87 und 796j8oo. Sie sind in französischen Handschriften erhalten und können daher ohne weiteres nur für den fränkischen Brauch in Anspruch genommen werden67 • Wie das für die Franken selbstverständlich war, im Gegensatz jedoch zum byzantinischen Brauch, nennen beide Formeln den Papst an der Spitze - dort Hadrian, hier Leo - und setzen dem den Urkunden entsprechenden Karlsnamen und -titel noch: a Deo coronato, magno et paciftco bzw. excellentissimo a Deo coronato atque magno et paciftco bei. 67 a Das sind Floskeln, die nicht aus dem Brauch der Franken, sondern dem der Römer stammen und sich ja in den Datierungen der Papsturkunden als eigene Fortbildungen der offiziellen Titulatur bis an den Anfang der Zeit Hadrians gehalten hatten68 • Auch kann man sich die Durchsetzung dieses Brauches im Reiche Karls ·des Großen - war er doch be- . strebt, die fränkische Liturgie der römischen anzupassen - schwer ohne die Sanktion des Papstes
gen den Exarchenbrauch, indem er die letzte Meile zu Fuß zurücklegte und jede Stufe von St. Peter (wo ihn der Papst erwartete) kniend küßte. Hier ist handgreiflich, wie sowohl der Papst als auch der König - wohl z. T. improvisierend - der einmaligen Situation entsprachen. Nach DEJ"R wurde Karl (im Gegensatz zum Exarchen) wie ein vornehmer Ausländer empfangen (mit dem Titel patricius Romanorum !), der >innerhalb der Stadt über keinerlei Rechte verfügt und sich dort wie ein fürstlicher Pilger zu gebärden hat< (S. 44). Dieser >Pilger< wurde allerdings gleich anschließend als protector et defensor der Kirche angenommen und stellte die erhoffte Bestätigung der Schenkung Pippins aus: die Rechtsgrundlage für das Patrimonium S. Petri! 65 Ordo S. 498: missarum solemnia caelebrans, Deo omnipotenti et praefato Carulo exc. regi Fr. et patricio Rom. Iaudes reddere fecit.
66 A. a. 0. S. 106f. - Auf die Osterstationen wies mich R. ELZE hin. 67 Beide oft gedruckt: a) (Montpellier) u. a. in: Einhardi vita Karoli (Script. in us. schal., 19rr; Neudruck: 1947, S. 46f.); b) (Paris) im Lib. pontificalis ed. DuCHESNE II, S. 37f.; beide bei DANNENBAUER, Quellen a. a. 0. S. 55 ff., ÜPFERMANN a. a. Ü. S. IOI ff.; vgJ. dazu KANTOROWICZ a. a. 0. S. r4ff., 21, 33 usw. 67a Nach DEER a. a. 0. S. 50: »für den fränkischen Brauch durchaus verständlich, mit dem Wesen einer Kaiserakklamation aber völlig unvereinbar.« 68 Vgl. S. 455f. (jetzt oben S. 223f.).- DEER a. a. 0. S. 47 meint, mir sei entgangen, daß diese hinzugesetzten Ehrenwörter - >rein formal betrachtet< - eindeutig kaiserlich seien. Ganz DEERS Meinung bin ich, daß ihre Entlehnung >ohne die Ahnung ihrer protokollarischen Bedeutung< erfolgt ist.
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vorstellen, und wenn wir hier vorwegnehmen, daß die am Weihnachtstage des Jahres 8oo in Rom benutzte Laudes-Formel nichts anderes ist als die Königsformel, in der nur der Kaisertitel umgeändert ist, dann wird man zwangsläufig zu der Annahme geführt, daß nicht nur die herkömmlichen Akklamationen, sondern auch die fränkischen Laudes, wie sie jene beiden Formulare bewahrt haben, in Rom erschallt sind. Anklänge an sie finden sich ja - worauf wir bereits hingewiesen haben - in Hadrians Inschrift auf der Weihekrone in Sankt Peter, die er stiftete für Karls vitaund triumphi, sowienoch deutlicher - auf Leos Mosaik im Triklinium; Beate Petre, donas vitam Leoni papae, et bictoriam Caruli regi donas. Der Wortlaut der Laudes ist auch aus Versen herauszuhören, die Alcuin dem Könige sandte, als er im Jahre 8oo abermals nach Italien zog: ut vivat, regnet multis feliciter annis ad laudem populi David in orbe pius69.
Schließlich ist hier noch anzuführen, daß Karl, als er sich Rom 8oo 70 näherte, nicht nur mit der patrizischen processio geehrt und von den Einheimischen mit Laudes begrüßt wurde, sondern daß der Papst ihm bis zum I z. Meilenstein vor der Stadt entgegenkam- weiter als sein Vorgänger gegangen war, der gegen Ende des 7· Jahrhunderts als letzter einen Kaiser in Rom eingeholt hatte. Faßt man alle diese Beobachtungen zusammen, dann fehlt ein eindeutiger Nachweis, daß dem Basileus die hier behandelten Vorrechte strikt abgesprochen worden sind, und bei der Beharrlichkeit der Liturgie mag in Rom noch weiter wie bisher für Kaiser und Reich gebetet worden sein. Aber demgegenüber steht die Tatsache, daß in bezug auf die Prozessionen, die Akklamationen, die Laudes und die Gebete das Vorrecht des Kaisers zugunsten des Frankenkönigs dermaßen ausgehöhlt war, daß - falls es doch noch irgendwo respektiert wurde- dies praktisch wesenlos blieb. Im Anschluß an die den Kaiser Philippikos betreffende Wendung können wir in bezug auf Karl feststellen: Nomen eius ad missarum sollemnia pr~ferebatur.
f· Das >Vexillum Romanae urbiS<
Aus der Zeit Leos III. ist noch ein weiteres Faktum bekannt, das zwar aus dem Rahmen der bisher ins Auge gefaßten vier Vorrechte herausfällt, aber doch mit ihnen 69 Mon. Germ., Poet.lat. I, S. z 57, Nr. 4 5 v. I I f. 70 DE.ER a. a. 0., S. 5r bemerkt zu dieser Entwicklung: Wer in Rom an zweiter Stelle genannt worden sei, »war in der einstigen Kaiser- und nunmehrigen Apostelstadt sicher kein >Herr<, sondern nur eine Amts- oder Respektsperson zweiten Ranges«. Diese Auffassung haben die Päpste zweifellos nicht geteilt - hier erheben sich abermals die in Anm. 47, 50, 64 vorgebrachten Einwände. Vgl. dazu auch E. EwiG, Zum christl. Königsgedanken im Frühma., in; Vorträge
u. Forsch., hg. von TH. MAYER, III, LindauKonstanz 1956, bes. S. pf. Wie es bei den Besuchen in der Zwischenzeit gehandhabt wurde, bleibt im Dunkeln. Die carmina laudum für Papst Leo III. und Kar! bei ihrer Begegnung in Faderborn (799) erwähnt das Epos »Karolus Magnus et Leo papa« (Mon. Germ.; Poet. lat. I, S. 366ff.; jetzt hg. von FR. BRUNHÖLZL in: Studien u. Quellen z. Westfäl. Gesch. VIII, 1966 S. 5598).
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Die Anerkennung Kar! d. Gr. als Kaiser
zusammen gewürdigt und nach seinem Sinne befragt werden muß. Als nämlich dieser Papst die Herrschaft angetreten hatte, schickte er Karl nicht nur im Anschluß an das Herkommen sein Wahldekret, sondern er übersandte ihm gleichzeitig Schlüssel vom Grabe des Apostels Petrus und das Banner (vexillum) der Stadt Rom71 • Hatten diese Gaben eine >staatssymbolische< Bedeutung oder nicht? Die Aushändigung der Schlüssel einer Stadt als Zeichen für ihre Übergabe hat eine lange Geschichte; dieser Akt war auch im Italien des 8. Jahrhunderts wohlbekannt'". Damit haben jedoch die Claves der Confessio St. Petri nichts zu tun: hier handelt es sich um Heiltümer in der Form des Apostelattributs, die auf das Petrusgrab gelegt worden waren, um heilkräftig gemacht zu werden; womöglich machten sie Partikel der Petrusketten, die in sie eingeschmolzen waren, noch wirksamer. Solche Claves hatte bereits Gregor der Große nach nah und fern versandt, und in seinen Begleitschreiben hatte er unterstrichen, daß die Beschenkten sich von seinen Gaben Schutz gegen Krankheit versprechen dürften13• Solche Schlüssel hatte auch schon Kar! Matteil vom Papst empfangen, sogar goldene 74 : ein Geschenk von besonderem Wert, eine Auszeichnung, die mit der politischen Berechnung erteilt war, daß er »die Liebe der Könige der Langobarden nicht der Liebe des Apostelfürsten« vorziehen sollte75, die aber doch nichts anderes als die goldene Rose darstellte, die der Papst vom II. Jahrhundert an Fürsten, die sich um die Kirche verdient gemacht hatten, verlieh76 • Dieübersendung der Schlüssel an Kar! den Großen war also Ausdruck der Hochachtung, der Erwartung weiteren Beistandes- aber nicht mehr77. 71 Ann. regni Franc. ad a. 796: claves etiam conftssionis s. Petri et vexillum Romanae urbis eitlem direxit (Mon. Germ., Script. I, S. 98, vgl. auch S. 183 = ed. FR. KuRZE, Script. in us. schol., 1895, Neudruck: 1950, S. 98, 99). Das Antwortschreiben Karls nimmt auf die Geschenke keinen Bezug (Codex Carol. Nr. 10; Mon. Germ., Epp. IV, S. 136ff. = Jaffe IV, S. 354ff.). 72 Die Schlüssel Roms hatte Narses im Jahre 552 an Justinian gesandt, und die Schlüssel der 756 dem Papste übergebenen Städte wurden auf der Confessio St. Petri niedergelegt (Lib. pont., ed. DuscHESNE, I S. 454). Goldene Schlüssel sandte in der Zeit Heinrichs II. der Herzog Pandulf IV. von Capua dem Kaiser Basileios II. als Zeichen seiner Unterwerfung (Leo v. Ostia, Chron. Casin. II cap. 38; Mon. Germ., SS. VII S. 653). 73 Z. B. Registrum VII, 8; VIII, 35; IX, 52, 122; XII, 7 (Mon. Germ., Epp. I-II); dort: »Kranken aufgelegt, pflegen sie durch Wunder zu glänzen«, und ähnlich. Vgl. dazu E. CASPAR, Gesch. des Papsttums II, Tübingen 1933, S. 397, Anm. I und H. FICHTENAU, Zum Reliquienwesen im früheren Ma., in den
Mitt. des Inst. f. österr. Geschichtsforsch. 6o. 1952, S. 85 mit weiteren Belegen. 74 Mon. Germ., Epp. III, S. 478f. (Jaffe-Löwenfeld, Nr. 2252); Vita Gregorii III. c. 14 (Lib. pont. S. 42o); Fredegar Cont. c. 22 (Mon. Germ., SS. rer. Merov. II, S. 179) und andere Chronisten. 75 A. HAUCK, Deutsche Kirchengesch. I, Lpz. 3·-4· Aufl. 1904 (Neudruck 1922, jetzt Nachdruck), S. 521 sieht in ihnen eine Gabe, die »den Beschenkten gleichsam verpflichtete, sich als Hüter des Grabes zu beweisen«, sagt damit aber wohl schon zu viel. 76 H.-W. KLEWITZ, Die Krönung des Papstes, in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 61, Kan. Abt. 30, 1941, s. 123 ff. 77 V gl. W. LEVISON in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 49, Kanonist. Abt. 18, 1929, S. 585 f. gegen M. BuCHNER, der aus Schlüsseln St. Petri in St. Denis, die als Geschenk des Papstes Stephan galten, auf die Übertragung von Rechten schließen wollte. - Über die Schlüssel des Heiligen Grabes und der Stadt Jerusalem cum vexillo, die Kar! im Jahre 8oo empfing, s. unten Anm. II9ff. Im Chronicon Moissiacense ist von einem vexillum crucis die
Das >Vexillum Romanae urbis< (S. 468-470)
Anders bestellt war es mit dem vexillum Romanae urbis. Wir brauchen hier nur CARL ERDMANN zu folgen. Er hat deutlich gemacht, daß sich im 8. Jahrhundert bei der Verwendung der Fahne eine römische und eine germanische Auffassung gegenüberstanden: in Rom gab es eine Vielzahl von Fahnen, während der germanische Fürst immer nur eine »führte, sei es, daß er sie selbst in der Hand hielt, sei es, daß er sie einem Fahnenträger anvertraute« 78 - daß es in seinem Heer daneben noch viele andere Fahnen und Wimpel gab, versteht sich von selbst7 8a. Die römischen Fahnen wurden benutzt beim Empfange des Kaisers, aber auch der Großen, die wie Exarch und Patricius an seiner Statt Ehrungen beanspruchen durften 79 • Daß dies als ein kaiserliches Vorrecht aufgefaßt wurde, zeigt die KonstantWsehe Schenkung; denn zu den kaiserlichen Rechten, die sie dem Papste zusprach, gehörten auch die kaiserlichen Lanzen, Signa und Fahnen. Mit diesen Fahnen war daher auch Karl der Große gleich bei seinem ersten Besuche in Rom (774) begrüßt worden. Ausdrücklich heißt es dazu im >Liber pontificalis<: »wie es Sitte ist, den Exarchen oder Patricius zu empfangen«. Als dann Leo III. mit Karl im Heerlager zu Faderborn zusammentraf (799), ließ ihn Karl in ganz entsprechender Weise mit Fahnen und anderen Ehren aufnehmen. Mit dem von Leo übersandten vexillum hatte es jedoch eine andere Bewandtnis: so wie Karl den fränkischen Brauch dem römischen anpaßte, glich Leo - ähnlich wie schon Hadrian bei dem Gewicht seiner Denare- die römische Auffassung der fränkischen an. Bisher war in Rom von den Fahnen ja immer nur in der Mehrzahl die Rede gewesen, jetzt - wie bei den Germanen - nur von einer einzigen, und dies einmalige vexillumist es, das wir auf dem Mosaik im Triklinium des Laterans (zw. 796-Soo) wiederfinden: St. Peter reicht es dem knienden Karl, während er mit der anderen Hand Leo das Pallium gibt 80 • Hier hat das Vexillum also- wie bei den Germanenden Rang eines Investiturzeichens gewonnen: Petrus bekleidet durch die Fahnenlanze Karl mit jener Herrschaft, in deren Besitz auf der Gegenseite des Mosaiks aller Wahrscheinlichkeit nach Kaiser Konstantirr dargestellt war. Daher hat schon Erdmann geschlossen: »Diese berühmte Fahnensendung sollte ohne Frage auf Karls Herrschaft über Rom hinweisen«sl. Rede; daß damit kein Kreuzbanner, sondern ein Kreuz gemeint ist, zeigt ERDMANN, (s. Anm. 7S) S. 34f. Vgl. dazu jetzt DEER a. a. 0., S. 22. 7S Kaiser!. u. päpstl. Fahnen im hohen Ma., in Quellen u. Forsch. aus ital. Archiven u. Bibi. 25, 1934, S. I I ff. Ich trage nach, daß 7SS byzantinische Gesandte in Neapel cum signis et imaginibus bzw. mit banda et signaempfangen wurden; vgl. Codex Carol. Nr. S2-3 (Mon. Germ., Epp. IU, S. 616, 61S).
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Schramm, Aufsätze I
7S a Herrschaftszeichen II, S. 643 ff.: Beiträge zur Gesch. der Fahnen und ihre Verwandten. 79 ZumfolgendenDE.ERa.a.O.,S. 18ff., 18-23, 37f. So Nach LADNER a. a. 0. ursprünglich blau, mit roten Rosen besprenkelt, jetzt anders. Vgl. dazu oben S. 232f. S1 Vgl. hier auch P. KEHR, Rom u. Venedig bis ins XII. Jahrhundert, in Quellen u. Forsch. aus ital. Arch. u. Bibi. 19, 1927, S. So über
Bz:
B.
Die Anerkennung Karl d. Gr. als Kaiser
Die Frage, ob diese römisch-lokal oder abendländisch-universal gedacht war, hat Erdmann mit Recht offen gelassen. Man kann geltend machen, daß die Beischrift Kar! nicht als Patricius, sondern als König kennzeichnet; aber Gewißheit besteht nicht und hat vermutlich von vornherein nie bestanden, weil in der ungeklärten Lage vor der Erhebung Karls zum Kaiser jene beiden Auffassungen noch ineinander übergingen- man nehme das Gegenbeispiel: ein Byzantiner, der in diesen Jahren den Anspruch seines Kaisers auf die Herrschaft über Rom vertrat, würde wohl gestutzt haben, wenn man ihn gefragt hätte, ob er ihn römisch-lokal oder universal verstanden haben wollte. Ansprüche lassen sich erst eingrenzen, wenn sie in Greifnähe gerückt sind; man darf deshalb nicht Klarheit voraussetzen, wo noch keine bestanden haben kann82 •
6. Die Kaisertracht Nachdem wir unseren Blick durch die Prüfung von fünf kaiserlichen Vorrechten geschärft haben, wenden wir uns einer des öfteren zitierten Angabe der >Vita Caroli< zu, deren volle Bedeutung bisher noch nicht erkannt worden ist. In dem Kapitel23, in dem Einhard die Fest- und Alltagskleidung seines Herrschers beschreibt83 , vermerkt er, daß Karl nie fremdländische angelegt habe mit Ausnahme den Empfang des Dogen durch den Patriarchen von Grado, »der ihm die Fahnen des H. Hermagoras, des Titulars von Grado, übergab und ihn so zum Vorkämpfer der Ansprüche des Patriarchen erklärte«. V gl. allgemein P. E. ScHRAMM, Herrschaftszeichen passim. Sz Nach JosEF DEER sind zu scheiden: die Fahnen und signa der bürgerlichen Korporationen ( collegia) sowie der Miliz und die Fahnen und signa der kaiserlichen Prozession. Jene wurden nach ihm auch bei der Einholung weltlicher und kirchlicher Würdenträger benutzt; diese führte der Kaiser als Würdezeichen mit sich (darunter eine mit Goldtuch als »eine spezifische, nur ihm gebührende und ihn repräsentierende Fahne«). In dem 796 übersandten vexillum sieht DEliR daher nur eine durch praktische Gründe bedingte symbolische Reduktion jener 774 Kar! entgegengetragenen Collegien- und Milizfahnen (entsprechend der einen Fahne auf den Darstellungen der Roma); daher handelt es sich für DEliR nur um eine Ehrenbezeugung, »einen Gruß an Stelle des Empfangs mit vielen Fahnen«; demnach soll »die ganze Fahnensendung . . . für das Problem der kaiserlichen Vorrechte in Rom gänzlich bedeu-
tungslos« sein. Seltsam, daß die Reichsannalen das Faktum trotzdem für wert hielten, festgehalten zu werden I Ich bleibe deshalb bei meiner Auffassung. 83 C. 23 (ed. G. WAITZ, Script. in us. schol., ed. sexta, Neudruck1947, S. zS =ed. L. HALPHEN, Paris 3· ed. 1947, Les classiques de l'hist. de France au m. ä., S. 70): Peregrina vero indumenta, quamvis pulcherrima, respuebat nec umquam eis indui patiebatur, excepto quod Romae semel Hadriano pontiftce petente et iterum Leone successore eius supplicante longa tuni&a et clamide amictus, calceis quoque Romano more formatis induebatur. Daraus machte der Poeta Saxo V v. 341 ff. (Mon. Germ., Poet.lat. IV, S. 63) die Verse: Usus vestitu patrio semper peregrinum Respuerat, quamvis puleher et ipse foret. Bis tantum Rome, summis rogantibus ipsum Presulibus, longa usus erat tunica; Tune etiam clamidis speciose sumpsit amictum Moreque Romano tegmina facta pedum. Diese und andere Zeugnisse über die karolingische Herrschertracht stellte ich zusammen in der Einleitung zu P. E. S. - FLORENTINE MüTHERICH, Denkmale der deutschen Könige u. Kaiser, München 1962, S. 9off., dazu S. 44ff.
Die Kaisertracht (S. 4 7o--4 72)
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von zwei Malen: in Rom habe er sich nämlich einmal auf Bitten des Papstes Hadrian und dann noch einmal auf Wunsch Leos III. mit besonderen Stiefeln und einer Tunika bekleidet - deren Länge war für die Abendländer anstößig, weil nur bei Frauen das Kleid so weit herabreichte. Und statt des kurzen Überwurfs, des sagum, der den Franken vertraut war 8 4, legte Karleine faltenreiche, auf der rechten Schulter zusammengenestelte Chlamys darüberss. Hat diese Handlungsweise >staatssymbolisch< etwas zu besagen 86 ? Als ein Fürst von Neapel im 8. Jahrhundert auf die byzantinische Seite übertrat, schickte ihm der Kaiser als Ehrengeschenk eine Schere, um sich in Haar- und Barttracht zum Byzantiner zu machen >staatssymbolisches< Zeichen, daß er das politische Lager wechsele; und Karl verlangte- wie eine bereits angeführte Stelle zeigt87 -, daß der Herzog von Benevent sich das Kinn rasiere, damit er als sein Gefolgsmann kenntlich war. In der Art seiner Stoffe wird sich jener Dux von Neapel den Byzantinern nicht erst anzunähern gebraucht haben; denn ihre Gewebe waren ja noch im I o. und I I. Jahrhundert im ganzen Westen ein begehrtes Luxusgut-das bezeugen nicht nur Liudprands Angaben über seine Einkäufe in Konstantinopel, sondern auch die Grabfunde in Bamberg und Aachen und mancher Kirchenschatz. Vielleicht hat der Dux sich aber auch im Schnitt seiner Gewänder dem Osten angepaßt, um auf diese Weise ein Byzantiner zu werden. Denn für das Mittelalter gilt der Satz: Zeige mir deine Kleider, und ich will dir sagen, wes Volkes und Standes du bist!
Gehört auch Karls Entgegenkommen in die Reihe dieser Handlungen? Wir wissen nicht, was die Tracht der Stadtrömer mit der ihrer Nachbarn verband und was sie von ihnen trennte 88 ; jedenfalls trugen sie keine sie bezeichnende tunica.
84 Einhard c. 23 (S. 28) über Karls gewöhnliche Tracht: Sago veneto amietus (dazu die Glossen: id est sanno und id est purpureo vel conehiliato).- Über Kar! den Kahlen, der 876 den byzantinischen Kaiserornat anlegte, was die Annales Puldenses als Verachtung der fränkischen Königssitte brandmarkten, vgl. ScHRAMM, Kg. von Frankreich I, S. 43, II, S. 28 (diese Seiten wiederholt in Bd. II). 85 Vermerkt sei hier, daß Paulus Diaconus in einem um 790 verfaßten Gedicht (Mon. Germ., Poet. lat. I, S. 69: Nr. XXXIV v. 24) Karl anredet als: togate arbiter mundi. 86 Vgl. hierzu DEER a. a. 0., S. 54-61. 87 S.o. S. 457, Anm. I (jetzt oben Anm. 22). 88 Eine römische Art gab es in der Bart- und Haartracht sowie in der geistlichen Gewandung. V gl. Vita Hadriani c. 32 (Lib. pontif. ed. L. DuCHESNE I, S. 495 f.) über die Spoletaner, die sich dem Papst unterwerfen: deprecati sunt, ut eos in servitio Petri ... suseiperet et more Romanorum tonsorari faeeret . .. Tune post
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praestitutum saeramentum omnes more Romanorum tonsorati mnt. Entsprechend verfuhren die Langobarden; vgl. den Zusatz zur Vita Gregorii III. c. I4 (S. 420): Veniensque ( Liutprandus rex) Romam . . . depraedataque Campania multos nobi!es de Romanis more Langobardorum Iotondit atque vestivit. Über die Haartracht der jungen Römer vgl. den neugefundenen grammatischen Traktat Gottschalks des Sachsen (Cod. Bern 83 fol. 73 v): zunächst D. C. LAMBOT in der Rev. Benedictine 44, I932, S. II2, dazu: Oeuvres theol. et gramm:lt. de Godescalc d'Orbais, ed. D. C. LAMBOT, Löwen I945 (Spicilegium sacr. Lovan. 20), S. I I I : Nobiles Romanorum pueri et etiam adu!eseentu!i tune temporis erant et sunt etiam hodie comatuli, retro vide!icet ab auribus promissam plus minus dimidii mensura pedis habmies comam. Für die geistliche Gewandung more Romano, die in den großen Bereich von Liturgie, Musik usw. »nach römischem Brauch« ge-
B2: B. Die Anerkennung Karl d. Gr. als Kaiser
Kann man sich vorstellen, daß Karl - um dem Selbstbewußtsein der Römer zu schmeicheln - sich wie einer von ihnen gekleidet habe? Das war der Fall, als Ludwig der Fromme in noch kindlichem Alter, wie ein Gascogner angezogen, in dem ihm zugewiesenen Teilreich erschien und sich dergestalt hoch zu Roß als >richtiger< König von Aquitanien vorstellte89 • In diesem Zusammenhang ist auch daran zu erinnern, daß der Sachse Otto I. sich zu seiner Salbung und Krönung (936), durch die er in die Nachfolge des Franken Kar! des Großen eingereiht wurde, bekleidet mit der tunica stricta more Franeorum einfand (Widukind II cap. I). In beiden Fällen handelte es sich darum, daß durch eine andere Tracht eine andere Volkszugehörigkeit >angezogen< wurde. Daß Kar!- wenn auch nur vorübergehend -ein Stadtrömer werden wollte, wird jedoch niemand annehmen wollen.
Um hinter den Sinn jener >Verkleidungen< in Rom zu kommen, lenken wir unser Augenmerk auf die calcei Romano more formati. Vielfach bezeugt ist, welche Rolle die roten Stiefel des Basileus vom ausgehenden Altertum an bis zum Ende des byzantinischen Reiches gespielt haben 90 ; daher legte sich ja auch der König von Sizilien diese perlenbestickte Zier zu, die aus seinem Schatz in den der Staufer gelangte und auf diese Weise bekanndich bis heute im Wiener Schatz erhalten geblieben ist. Daneben gab es die schwarzen ca/cei (campagi), die von hohen Beamten, darunter sicherlich auch
hört, bedarf es kaum der Belege. Ich greife heraus: Kapitular Karls d. Gr. von 789, von dem nur die Titel erhalten sind, darunter § 24: De calciamentis secundum Romanum usum (Mon. Germ., Capit. I, S. 64, Nr. 23). Schon J. BRAuN, Die Iiturg. Gewandung, Freiburg i. Br. I907, S. 390 hat dargelegt, daß es sich hier um geistliche Fußkleidung handeln muß. Alkuin bedankt sich 799 oder Jan. 8oo für cappam Romano more consutam (Mon. Germ., Epp. IV, Nr. I84). Johann VIII. erwähnt 873 in einem Schreiben an angelsächsische Bischöfe tunicas secundum Romanum morem (ebd. VII, S. 244). Auf der westfränkischen Synode von 876 erscheinen die päpstlichen Legaten more Romano gekleidet (Ann. Bertiniani ad. a. 876; ed. G. WArrz, Script. in us. schol. I883, S. I3J). 89 Ludwigs Vita, verfaßt von dem sog. Astronomen c. 4 (Mon. Germ., SS. II, S. 6o9); BöHMER-MÜHLBACHER, Nr. 5I 5 s. Vgl. auch Fredegars Nachr cht (Script. rer. MEROW. IV, S. 68), daß Dagoberts Gesandter von Samo erst vorgelassen wurde, nachdem er slawische Tracht angelegt hatte. 90 W. SICKEL in der Hist. Zeitschr. 82, I899, S. 35, Anm. 4; ErcHMANN, Kaiserkrönung
a. a. 0. II, S. I 30 f. Der rote Kaiserstiefel stammte aus dem römischen Brauch und war erst mit der Zeit zum alleinigen Vorrecht des Kaisers geworden. Über die mit Gold und Edelsteinen besetzten campagia des Kaisers vgl. A. ALFÖLDI, Insignien und Tracht des römischen Kaisers, in den Mitteil. des Deutschen Archäol. Instituts, Röm. Abt. 5o, I 9 35, S. 65 f. Als Vorrecht eines Patricius erscheint der >römische Stiefel< noch in einem Schreiben Athanarichs aus dem Jahre 526 (Cassiodor, Variae VIII, 9; Mon. Germ., Auct. ant. XII, S. 237f.): velavif fortes humeroschlamydum vestis, pinxit suras eius ca/ceus iste Romanus. Über das IO. Jahrhundert vgl. Liudprand von Cremona, Antapod. III, c. 35 (ed. J. BECKER, Script. in us. schol. 3· Aufl. I9I5, S. 90), über die römische Vorstellung um Io3o die >Graphia aurae urbis Romae< c. 5 (P. E. SCHRAMM, Kaiser, Rom u. Renovatio Il, Lpz. I929, S. 96): Calcei imperatoris sint de auro frigido et margaritis et lapidibus preciosis, de quibus inibi sint facte aquile et leones et dracones (künftig in Bd. lii).- Die beiden Mosaiken in Rom (s. S. 461, jetzt oben S. 23 I f.) zeigen Kar! deutlich in fränkischer Tracht.
Die Kaisertracht (S. 473-474)
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dem Patricius-Exarchen, und von hohen Geistlichen (vermutlich auf Grund kaiserlicher Verleihung) getragen wurden, die von gleicher Sandalenform waren, aber des bei den Kaisem üblichen Schmucks entbehrten. Auf sie würde die Kennzeichnung romano more gleichfalls passen.
Außer schwarzen Stiefeln standen Männern hohen Ranges chlamys und tunica zu. Daher vertreten F. DöLGER91 und J. DEER 92 die Auffassung, daß es sich bei der von Karlauf Drängen der Päpste angelegten Tracht um die des Patricius gehandelt habe. Hier ergeben sich gleich mehrere Einwände: Da Karl sicherlich nicht auf sein Recht, eine Krone zu tragen, verzichtete, hätten die Römer alsowelch Verstoß gegen das >Protokoll!<- einen gekrönten Patricius zu Gesicht bekommen. An Festtagen pflegte der Frankenherrscher sich ferner laut Einhard den Blicken mit calciamentis gemmatis darzubieten. In Rom sollte er sich mit schwarzen Schuhen begnügt haben? Nun wissen wir - die Belege dafür stellen wir anschließend zusammen-, daß es Karls Anliegen war, >staatssymbolisch< nicht hinter dem Basileus zurückzustehen: da sollte er sich mit einer Tracht begnügt haben, die ihm einen Platz eine oder mehrere Srufen unter dem byzantinischen Kaiser anwies, womöglich sogar zu der Auslegung verlocken konnte, er sei ihm untertan? 93
Es bleibt also nur der Schluß: Karl legte sich auf Drängen der Päpste zweimal nach kaiserlicher Art die Chlamys, die lange Tunika und die roten Stiefel an I Vielleicht trug er dazu auch schon jene Krone mit Doppelbügel über einer Seidenkappe, die zwar erst für seine Enkel zu belegen ist, aber wahrscheinlich bereits auf ihn zurückgeht: jene - gleich genauer zu würdigende - >geschlossene< Krone, deren Sinn war, den abendländischen Herrscher nicht hinter dem Basileus mit seinem Kamelaukion zurücktreten zu lassen. Der Sinn dieser in Rom vollzogenen Umkleidungen war, öffentlich kundzutun, daß die Kirche jetzt einen protector et defensor hatte, der sie - wie einst Konstantin schützte, und - das ist die Reversseite - zu zeigen, daß man in Rom vom byzantinischen Kaiser, der sich um sie seit langem nicht mehr gekümmert, ja sie ausgeplündert hatte, nichts, gar nichts mehr wissen wollte. Zweimallegte Karl den Kaiserornat an. Wann geschah das? Einmal noch zu Lebzeiten Hadrians I., in dessen Regierungszeit Karl dreimal nach Rom kam. Der erste Besuch, bei dem der Papst zunächst noch nicht frei von Argwohn war (774) scheidet 91 DöLGER,EuropasGestalt ung, 1943 (s.S.z16) S. 212 A. 14. In dem Neudruck seines Aufsatzes: Byzanz und die europ. Staatenwelt, Ettal 1953, S. 294, Anm. 19 und in der Byzant. Zeitschr. 45, 1952, S. 465 hat FR. DöLGER an seiner Auffassung festgehalten und sie durch neue Argumentationen zu stützen gesucht. Auf seinen Einspruch ist FR. DöLGER ferner zurückgekommen in Anzeigen in der Byzant. Zeitschr. 47, 1954, S. 225 und 50, 1957. s. 487f.
92 A. a. 0., S. 54-61. 93 Die These der verehrten Kollegen steht auch insofern auf schwachen Füßen, als ihre Belege entweder die Zeit vor Karl oder das weit entfernte Byzanz betreffen, aber nicht erkennen lassen, wie weit die Römer in den letzten Jahrzehnten des 8. Jahrhunderts noch über die Einzelheiten der Exarchentracht orientiert waren und wie genau sie das >Protokoll< des Kaiserhofes kannten.
Bz:
B,
Die Anerkennung Karl d. Gr. als Kaiser
aus; von den beiden anderen (781 und 787) wird man den dritten Besuch als den wahrscheinlicheren ansehen müssen, weil die Ablösung vom Osten inzwischen noch weiter vorangeschritten war. Und zur Zeit Leos III.? Hier kommt nur der Besuch vom 24. Nov. 8oo bis 25. April 8or in Betracht, und innerhalb dieser Wochen nur ein hoher kirchlicher Feiertag, also Weihnachten (25. Dez.) und Ostern (4. April). Wir lassen die Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten zunächst offen.
b) Papst und König in ihrer Stellung zum Kaisertum (bis 8oo) Wir haben nun die Folgerungen aus den Beobachtungen zu ziehen, die sich auf dem Gebiete der >Staatssymbolik< ergaben. Wir wenden uns zunächst den Päpsten zu. Hadrian I., der Karl veranlaßte, das mündlich gegebene Versprechen des Vaters in schriftlicher Form zu wiederholen und auch dessen Factum zu bekräftigen, der mit Karl den Bund der compaternitas einging und dabei darauf bedacht blieb, daß die ansteigende potestas des Frankenkönigs seine auctoritas sacrata nicht erdrückte, Hadrian, der die Beziehungen Roms zum Frankenreich sowohl rechtlich als auch menschlich in eine feste Form brachte, er ist auch der Papst, der dafür sorgte, daß die bisher dem Kaiser eingeräumten Vorrechte verkümmerten - man möchte sagen: wie Schnee vor einer neu aufsteigenden Sonne dahinschmolzen. Denn das ist das Entscheidende: wohl sorgte der Papst dafür, daß sein Bild und Name auf den Münzen statt denen des Kaisers ihren Platz fanden, daß in der Datierungszeile dessen Name getilgt und dafür an dieser Stelle Christus angeführt wurde; aber mit der anderen Hand zog er in das staatsrechtliche >Vakuum<, das durch die Nichtberücksichtigung des Kaisers entstand, den Frankenherrscher hinein. Das zeigte sich in der verschiedensten Weise, am sinnfälligsten in seiner Bitte, daß Karl die >Römische< Tracht anlegen möge. Diese Tendenz verschärft sich in der Zeit Leos III. Es mag sein, daß diesen Papst dabei der Gedanke, es sei ehrenvoller, von einem Kaiser als von einem König abhängig zu sein, bestimmt hat, daß er noch stärker als sein Vorgänger auf weltlichen Schutz angewiesen war, daß er sich nicht getraute, die von diesem noch aufrechterhaltene Schwebelage weiter zu meistern. Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Aber wenn das >Weshalb?< auch nicht sicher zu ergründen ist, das, worauf der Papst zielte, liegt zu Tage; denn die von uns gemusterten Fakten laufen alle auf ein und dasselbe hinaus. Mit Ausnahme der Münzprägung, bei der konkreter Anlaß vorlag, sie dem Frankenkönig vorzuenthalten, war Karl bereits in den Jahren vor 8oo- nach Abwandlungen, die sich aus der neuen Lage ergaben- in den Genuß jener Vorrechte gekommen, die die Römer einst dem Philippikos Barclanes abgesprochen hatten; ja, außer der Kaisertracht empfing er auch noch das vexillum urbis Romae.
Die Päpste und das Kaisertum (S. 474-476)
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Die Sprache der >Staatssymbolik< ist so eindeutig, daß wir feststellen können: die sich bereits unter Hadrian abzeichnende Absicht, Karl an die Stelle des Kaisers zu rücken, tritt unter Leo noch deutlicher heraus. Die Stellung, die der Frankenkönig einnahm, als er Ende 8oo nach Rom kam, war bereits die eines quasi imperator, der wenn ihm auch der Titel des Kaisers noch fehlte- doch dessen wesentliche Vorrechte bereits inne hatte. Wenn sich der allerletzte noch fehlende Schritt, die Annahme des Titels, bis Ende 8oo hinauszögerte, lag das nicht an den Päpsten, auch nicht an den Römern und erst recht nicht an den Byzantinern, auf deren Ansprüche Rücksicht zu nehmen man am Tiber mittlerweile verlernt hatte 9 '. Gelegen haben kann das nur an Kar! dem Großen. Die >Römische< Tracht legte er ja nur zweimal an - und das geschah auch nur auf Drängen der Päpste. Es fällt auch auf, daß in dem Schreiben, das auf die Übersendung der Schlüssel und des Banners hin nach Rom abging, von diesen Gaben nicht die Rede ist; doch mag der Dank mündlicher Übermittlung vorbehalten geblieben sein96 • Bei der Zuweisung der anderen Vorrechte ist nirgends zu erkennen, daß Karl die Schritte der Päpste ermuntert oder gefördert hätte - er ließ sie sich gefallen, mehr nicht. Es drängt sich der Schluß auf: er wollte nicht Kaiser werden. Wohin ging Karls Bestreben? Auf diese Frage ist eine doppelte Antwort zu geben. Zunächst: der König wollte an äußeren Ehren nicht hinter dem Kaiser zurückstehen, sich durch dessen Glanz nicht in den Schatten drücken lassen, und seine Getreuen wollten es womöglich noch weniger. Ein Byzantiner hätte im Anschluß an laan6aroAo~ sagen können, Karl habe laoßaatAev~ sein wollen, also: imperatoris similis. Für diese aemulatio imperatoris96 gibt es allerhand deutliche Anzeichen. Das Monogramm, das auf den Königsurkunden seinen Platz erhielt, war dem byzantinischen Brauch nachgeahmt 97 , und mit diesem hängt wohl auch zusammen, wenn in Karls Umgebung gelegentlich der Beginn des Jahres vom 1. September an gezählt und das Wort sacer in bezug auf den Hof verwandt wurde98 • Das handgreifliebste und zugleich 94 Man wird sich hüten müssen, von einem >Kaiserplan< der Päpste zu sprechen. Einen Plan zu schmieden, hat erst Sinn, wenn Aussicht - mag sie auch noch so vage sein - für die Verwirklichung gegeben ist. Das war, wie wir gleich auszuführen haben, lange Zeit nicht der Fall. Der Ausdruck >Plan< würde angesichts einer gleitenden und sich schließlich überstürzenden Entwicklung zu leicht die Vorstellung erwecken, daß sie seit langem vorbedacht und überlegen gelenkt worden sei.
95 Mon. Germ., Epp. IV, S. 136. 96 Diesen treffenden Ausdruck verwandte FR. DöLGER 1957 in einem Vortrag auf der Insel Reichenau. 97 V. GARDTHAUSEN,Das alteMonogramm,Lpz. 1924 (Wiesbaden 1966), S. 120, 158, 169f. 98 H. BREsSLAU im Archiv f. Urkundenforschung I, 1907, S. 360 A. I und 3; VI, 1918, S. 23 und Neues Archiv 31, 1906, S. 516f. Zu sacer vgl. FICHTENAU (s. S. 218), S. 13f. und unten Bd. ll. Über das Monogramm im Denken Karls's. unten S. 323f.
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Die Anerkennung Karl d. Gr. als Kaiser
eindeutigste Symptom dieses Bestrebens ist Karls Königsbulle, die in dem an Wachssiegel gewöhnten Westen ein Novum darstellte ( Abb. J ). Nicht nur die Form, sondern auch das Brustbild des gekrönten Herrschers inmitten einer kreisrunden Umschrift läßt erkennen, daß Karls Urkunden ein kaisergleiches Aussehen erhalten sollten. Er griff also das Abbildvorrecht des Basileus von einerneuen Ecke aus an 99 • Beachtlich ist die Legende der Bulle: (Avers):jesu nate Dei Carlum defende potenter; (Revers): Gloria sit Christo regi et victoria Car!o. Der zweite Vers ist nämlich als poetische Umsetzung der >Laudes< zu verstehen, die ja gleichfalls eine Annäherung - wenn auch in fränkischer Abwandlung - an den Kaiserbrauch darstellten. Bezeichnend ist, daß nicht eine zeitgenössische byzantinische Bulle nachgeahmt wurde, sondern eine Kaisermünze oder -medaille etwa aus dem 3·/4· Jahrhundert. Eine so einschneidende Neuerung kann nicht ohne Karls Billigung vorgenommen worden sein. Leider ist die Krone nicht deutlich zu erkennen; wahrscheinlich ist bereits die dem byzantinischen Kamelaukion nahekommende Bügelkrone über einer Kronhaube dargestellt, die an die Stelle der Reifenkrone trat. Eindeutig bezeugt ist sie erst für die Enkel Karls, aber sie wurde vermutlich bereits von ihm eingeführt (vgl. die Abb. in Bd. II). Vielleicht ist hier auch noch das Aachener Münster einzureihen, das einmal den toten Karl aufnehmen sollte. Keiner der abendländischen Zentralbauten, auch S. Vitale in Ravenna nicht, entspricht der bereits während der neunziger Jahre im wesentlichen fertiggestellten Madenkirche genau; deshalb sind die Entsprechungen zwischen ihr und der Apostelkirche in Konstantinopel, in der Konstantirr der Große seine Ruhe gefunden hatte, geltend gemacht worden, und GEORG DEHio100 hat daher diesen Zusammenhang auch in dem Sinn ausgelegt, daß der Franke dem Byzantiner es habe gleichtun wollen. Diese Auffassung hat neuerdings H. FICHTENAU zu erhärten gesucht; nur sieht er in dem durch Beschreibung bekannten Hauptsaal im Palast zu Konstantinopel, dem Chrysotriklinos, das für Aachen maßgebende Vor-
99 ScHRAMM, Bildnisse Karls d. Gr. S. 21-25
(wiederholt in Bd. II) und: Kaiser in Bildern I, S. 24f. mit T. 2. 100 Gesch. der deutschen Kunst I, Berlin-Lpz. 1921, S. 37· Daß St. Vitale, das Kar! erst 8o1 kennenlernte, nicht das Urbild abgab, betont PH. ScHWE1NFURTH, Die byzant. Form, Berlin 1943, S. 40; er sieht im Aachener Münster einen aus dem Osten übertragenen, bei den Franken schon vorhandenen und fortentwickelten Bautyp. Zurückhaltend E.
LEHMANN, Der frühe deutsche Kirchenbau, Berlin 1938 (Forschungen zur deutschen Kunstgesch. 27; nach dem Kriege neu hg. vom Deutschen Verein für Kunstwiss.), S. 13, w6f. (hier weitere Lit.); vgl. ferner R. KRAUTHE1MER, The Carolingian Revival of Early Christian Architecture, in Art Bulletin 24, 1942, S. 34f. - Die neueste Lit. ist unten S. 325, Anm. 53 angeführt (vgl. auch schon oben S. 209).
Karl d. Gr. und das Kaisertum (S. 476-478)
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bild101 • Ein schlüssiger Beweis läßt sich allerdings auch für diese These nicht erbringen. So oder so: das Aachener Münster war ein Bau, wie ihn in dieser Zeit nur noch der Basileus zu errichten imstande gewesen wäre. Schließlich sind hier auch noch dieVerseüber den Besuch, den Leo III. dem König 799 in Faderborn abstattete, anzuführen; denn sie stammen bereits aus diesen Tagen102 • Hier ist nämlich Aachen als die >zweite<, die >kommende< Roma gepriesen. Secunda Roma, Nova Roma- das war nach landläufiger Vorstellung bislang Konstantinopel; jetzt wurde diese Rolle Karls Hauptstadt zugedacht. Dem entspricht es, daß in der Folgezeit das Aachener Secretarium als >Lateran< bezeichnet wird102a: Aachen also auch 101 Byzanz und die Pfalz zu Aachen, in den Mitteil. des Österr. Insts. f. Geschichtsforsch. 59, 1951, S. 1-54; vgl. dazu die skeptischen Bemerkungen von F. D(ÖLGER) in der Byzant. Zeitschr. 45, 1952, S. 245 f.Noch weiter greift L.-J. RINGSBOM, Graltempel und Paradies. Beziehungen zwischen Iran und Buropa im Mittelalter, Stockholm 1951, S. r62f., der die Linie von Aachen zurück über St. Vitale und St. Lorenzo in Mailand zum sakralen Palast verlängern will. 102 KaroJus M. et Leo papa (M. G., Poet. lat, I, S. 366-79), früher Angilbert zugeschrieben; vgl. dazu die Analyse von ERDMANN, Forsch. (s. Anm. 105), der ich hier folge. Daß der Verfasser der Erzbischof Richulf von Mainz war, legte dar K. ScHOPPE, Das Paderborner Epos vom Jahre 799, in: >Die Warte<, Heimatzeitschrift im südöstl. Westfalen, 1959, S. 3-8 (vgl. auch Ders. ebd. 1958, Nr. 2-4 und ro); vgl. dazu S. 225 Anm. 117. Zu dem noch im Sommer 799 fertiggestellten Versepos vgl. jetzt BEUMANN, Kaiserfrage (s. S. 218, 1962 S. 299). Aus den dort analysierten Briefen Alkuins aus diesen Monaten tritt heraus, wie dieser um das Kaisertum »herumredet«, ohne es je konkret auf Karl zu beziehen: er wird gewußt haben, daß das Kar! mißfallen würde. Nicht zustimmen kann ich der Folgerung (S. 308): »Weit offener also, als es Alkuin in seinen Briefen auszusprechen für tunlieh hielt, ist demnach in Paderborn selbst die Kaiserfrage erörtert worden«. Über Beumanns Schlüsse aus den im Kreise sich
gruppierenden Gefolgen, die m. E. in die Irre leiten, s. unten S. 324Anm. 51. BEUMANN (S. po) folgert, »daß sowohl Alkuin als auch Kar! selbst . . . die Kaiserfrage ernsthaft in Betracht gezogen habe« und zwar »im Zusammenhang mit Karls Gerichts-Urteil über Rom« (doch setzt er sich von K. HELDMANNS These ab: Überraschung durch Leo, um einen Gerichtsherrn zu gewinnen), ferner (S. 313), daß schon in Paderborn »der weitere Modus procedendi in allen wesentlichen Zügen festgelegt worden ist«. Bei allem Respekt vor der scharfsinnigen Auslegung der vorhandenen Wortzeugnisse ist mir nicht wohl bei ihr: sie führt m. E. zu einer Überinterpretation von Briefen, die zum Teil sich bewußt mit Anspielungen begnügen, und von Versen, die zwar aus der Umgebung Karls stammen, aber keine sicheren Rückschlüsse auf ihn selbst gewährleisten. Ich begnüge mich deshalb im Text mit Feststellungen, die sich stärker zurückhalten, vgl. auch die vorsichtige Analyse von R. FaLZ (s. oben S. 218) S. 153ff. H. BEuMANN hat seine Auffassung weiter ausgeführt in seinem Beitrag (>Die Kaiserfrage bei den Paderborner Verhandlungen vor 799<) zu: Das Erste Jahrtausend I, hg. von V. H. ELBERN. Düsseldorf 1962 S. 296-317. Vgl. dazu Nachtrag zu Anm. 50 aufS. 210. 10za Zum Aachener >Lateran< vgl. oben Seite 206 Anm. 37· - Mit meinen Feststellungen deckten sich die Ausführungen von P. CLASSEN (s. S. 218) S. 575·
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B.
Die Anerkennung Karl d. Gr. als Kaiser
Abglanz des geistlichen Roms, womöglich - das wäre die letzte Konsequenz gewesen- Nebensitz des Papstes, der ja im Jahre 8o4 tatsächlich einige Zeit in Aachen residierte. In dieser Dichtung ehrt der unbekannte, aber zweifellos dem Hofkreis angehörende Dichter Karl als rex pater Europae 103 , als Haupt des Erdkreises, alshöchsten der Könige, der sie alle durch Gerechtigkeit, Macht und Gaben übertrifft. Er benutzt für Karls Herrschaftsbere ich den Ausdruck imperium; selbst das Wort augustus findet sich mehrfach. Es fehlt jedoch das Wort imperator- was nicht nur dadurch begründet sein wird, daß es nicht in das Versmaß paßte. Summus regum, das klingt ähnlich wie der Titel, den sich die Herzöge von Benevent gebildet hatten, um sich von den übrigen Herzögen abzuheben: er lautete summus dux gentis Langobardorum 104 • Ein sumtnus rex, das war Karl in den Augen der Seinen, das wollte er sein, so hochgestellt, daß er nicht zum Kaiser hinaufzuschauen brauchte; deshalb konnte er sich auch gefallen lassen, in die Rolle eines quasi imperator hineinzuwachsen . Nicht weniger und - nicht mehr wollte Karl sein. Also bis zum Vorjahre der Annahme des Kaisertitels: imperatoris similis, aber nicht selbst: imperator. Denn vom Kaisertum dachte Karl vor Soo schlecht. Daß in den Briefen und Schriften, die während der neunziger Jahre in Karls Umgebung entstanden, scharfe Bemerkungen gegen die Imperatoren, die alten und die· zeitgenössischen, gefallen sind, daß die leidige Frage des Bilderstreits und die Rolle, die in ihr der Basileus mit Hilfe des in Konstantinopel tagenden Konzils übernommen hatte, das ihre dazu beitrugen, Karl gegen den Osten einzunehmen, ist so bekannt, daß die Belege hier nicht noch einmal ausgebreitet zu werden brauchen105 • Nur das sei vermerkt, daß Karl im Bilderstreit als der Anwalt des Westens gegenüber dem Osten auftrat, daß in den Libri Carolini dem Basileus nun nur noch der Titel rex eingeräumt I03 Über Francia = Buropa s. RosENSTOCK (vgl. Anm. IIo), S. 513-6, sowie JüRG&"< FISCHER, Oriens-Occidens-E uropa. Begriff u. Gedanke >Europa< in der Spätantike u. im frühen Ma., (Veröffentl. des Inst. für Europ. Gesch.,Mainz,XV) , Wiesbaden r 95 7. 104 H. LöWE, Arbeo von Freising, in den Rhein. Vierteljahrsblättern XV/XVI, I950/I, S. 93f. über diesen von Arbeo in der Form: summus princeps nach Bayern verpflanzten Titel; dazu: Herrschaftszeichen I, S. 287. 105 Aus den tironischen Noten zu der um 790 geschriebenen Handschrift der Libri Carolini hat W. voN DEN STEINEN, Karl d. Gr.
und die L. C., im Neuen Archiv 49, 1931, S. 207-80 (bes. S. 257), eine Bestätigung von Karls >Abneigung gegen das Kaisertum< als eine Form, die allzu stark an heidnischem Wesen hänge, herauslesen können: »Sie zeugen für ein Selbstgefühl nicht nur gegen die Byzantiner, sondern auch gegen den Romgedanken.« Die entscheidenden Stellen auch bei A. HAuCK, Deutsche Kirchengesch. II, Lpz. 5· Aufl. I935 (jetzt Neudruck), S. Io8ff., und zusammenfassend CARL ERDMANN, Forschungen zur polit. Ideenwelt des Frühmittelalters, hg. von FR. BAETHGEN, Ber!in I 95 I.
Kaiservorstellungen am Ende des 8. Jahrhunderts (S. 478-480)
ist und der Titel, den Karl sich dort selbst gibt: Herrscher über >Gallien, Germanien, Italien und die benachbarten Provinzen< den Gedanken erkennen läßt, er sei an die Stelle der alten Kaiser des Westens getreten106 • Damit ist natürlich in keiner Weise gesagt, er habe deren Rechtsnachfolge beansprucht und sei mit dem Gedanken umgegangen, daraus die Folgerungen zu ziehen - es zeigt nur, daß für Karl und seine Zeitgenossen die Aufspaltung der Christenheit in eine östliche und eine westliche Hälfte ein gottgegebenes Faktum darstellte. Nun ist viel von einer >romfreien<, >nichtrömischen Kaiseridee<, die über das Königtum hinauslangte und womöglich sogar universal eingestellt war, die Rede gewesen, und es ist die Frage aufgeworfen worden, ob Karl etwa in deren Sinn sein Augenmerk auf die Kaiserwürde gerichtet habe. Was es damit auf sich hat, klärte CARL ERDMANN (t) in einer Studie, die die Untersuchungen E. E. STENGELS fortsetzte und durch ein gütiges Geschick vor dem Untergang bewahrt geblieben ist107• Unter diesem Gesichtspunkt rücken sehr verschiedenartige Herrscher zusammen. Zu ihnen gehören zunächst britannische >Kaiser<, die außerhalb des orbis terrarum ihre Herrschaft aufrichteten, ferner germanische Großkönige, die sich andere Könige botmäßig gemacht hatten, so z. B. der angelsächsische Bretwa!da, der bereitsamEnde des 8. Jahrhundertsimperator genannt wird; hier vermag C. ERDMANN zu zeigen, daß diese Sinnverschiebung durch die Wandlung des andere Regna einschließenden oder sich angliedernden Imperium Romanum vorbereitet war. In diesen Bereich gehören schließlich auch die Kaisertitel, die seit dem ro. Jahrhundert die angelsächsischen und spanischen Herrscher führten. Davon sondert C. ERDMANN die Vorstellung, die in dem merowingischen >Amtettraktat< (mit der Überschrift: gradus Romanorttm) ihren Niederschlag gefunden hat: »Kaiser ist, wessen ,Reich hervorragt im ganzen Erdkreis, und unter ihnen gibt es die Könige anderer Reiche, die nicht Kaiser, sondern Könige heißen«1°8 • So denken konnte man zwar nur, wenn man von dem Bilde ausging, das das Römische Reich darbot; aber in dem neuen Bilde, das sich ergeben hatte, war die Bindung an Rom hinter dem Gedanken der Suprematie schlechthin verschwunden. Insofern hätte dieser 106 ERDMANNS Hinweis fasse ich noch etwas vorsichtiger. Über diesen Titel s. auch unten S. 270. 107 Forschungen a. a. 0., Nr. I. Vgl. vorher E. E. STENGEL, Kaisertitel u. Souveränitätsidee, Weimar 1939 (Sonderdruck aus dem Deutschen Archiv III, I; wieder abgedruckt in: Abband!. u. Untersuchungen zur Gesch. des Kaisergedankens im Ma., Köln-Graz 1965, Seite 239ff.), dessen These von einem >germanischen Kaisertitel< (S. 23) Erdmann wieder eingeschränkt hat. Stenge! legt Nachdruck auf das Mitschwingen der anderen Bedeutung von imperator: Feldherr. An ihn schlossen sich an R. ScHOLZ in der Zeitschr. f. deutsche Geisteswiss. III, 1940, S. II6-19 und J. 0. PLAsSMANN in: Germanien XV, 1942, S. 393-403. Gegen C. ERD-
MANN hat sich R. DRÖGEREIT, Kaiseridee und Kaisertitel bei den Angelsachsen, in der Zeitschr. f. Rechtsgesch., Germ. Abt., 1952, S. 24-73 gewandt, der deren Existenz überhaupt in Frage stellt (dagegen E. E. STENGEL, Imperator u. Imperium bei den Angelsachsen, im Deutschen Archiv XVI, 1960, S. 72 = Abband!. a. a. 0., S. 287-342). 108 Abgedruckt von M. CoNRAD in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 29, Germ. Abt., 1908, S. 246-6o; ebd. 49, 1929, S. 167ff. (>Studien zu frühmaLen Aufzeichnungen über Staat und Verfassung 1<), habe ich eine zweite Überlieferung nachgewiesen und den Traktat in die Nachfolge Isidors von Sevilla eingereiht (wieder abgedruckt mit Nachträgen oben S. 122ff.).
B2: B. Die Anerkennun g Kar! d. Gr. als Kaiser Kaiserbegriff gut auf den Frankenköni g als den Herrn nicht nur der Franken, sondern auch über andere Völker gepaßt.
Dieser >Kaiser<-Begriff wurde jedoch nicht herangezog en: weder Kads Vorgänger noch er selbst sind vor 8oo jemals imperatores genannt worden109 • Kad hätte ja auch solchen Kaiserflitters nicht bedurft; denn- damit kommen wir auf die zweite Tendenz, die ihn und seine Umgebung beherrsch te- seine Hoftheologen richteten die Königsidee so stark auf die alttestamen tliche aus, daß die Umwandlung von rex in imperator diese Beziehung nur gestört hätte. Für sie war ihr König der >Stellvertreter< und >Erwählte Gottes<, der neue David, der protector ecclesiae, und auf diese und andere Weise vertieften sie die herkömmli che Königsidee so in den religiösen Bereich hinein, daß ihrem Herrscher durch weltliche Ehre nichts Wesentliches mehr zuwachsen konnte 11o. Wenn von der >romfreien Kaiseridee< kein Weg zu Kads Kaisertum führte, bedeutete dann nicht wenigstens die >Reichsidee< einen Wegweiser, der ihn auf den Weg zur Annahme des Kaisertitels wies? Es ist vielfach der Nachdruck darauf gelegt worden, daß Alcuin das Wortimperiu m in den neunzigerJahren des öfteren gebraucht111 ; man hat das mit der Vorstellung des Bretwalda = imperator, die ihm aus seiner angelsächsischen Heimat vertraut gewesen sein soll, zusammenge bracht und daher gemeint, hier sei die eine Wurzel des karolingischen Kaisertums zu suchen. Das ist jedoch eine Konstruktion, die durch den Umstand begünstigt wird, daß wir aus diesen Jahren von Alcuin mehr Briefe haben als von allen Zeitgenossen. Daß von seinem Reichsbegriff der Weg gleichsam zwangsläufig zur Annahme des Kaisertitels führen mußte, ist ein Schluß, der den Dingen Gewalt antut. Daß 109 In den Libri Carol. II, c. 28 (Mon. Germ., Concil. II Suppl. S. 89, Z. 35)- eine Stelle, auf die E. PFEIL, Romidee des frühen Ma.s, München 1929, S. 105 aufmerksam machteist imperatornur in der Bedeutung >Feldherr< benützt. Zu der Stellung der >Libri< gegen den Kaiser vgl. H. v. FrCHTENAU, Kar! d. Gr. u. das Kaisertum, in den Mitteil. d. Inst. f. österr. Gesch.forsch. 6r, 195 3, S. 276ff. IIo Außer HAUCK a. a. 0. s. auch H. v. ScauBERT, Gesch. der christl. Kirche im Frühma., Tübingen 1922, S. 359ff.; E. RosENSTOCK, Die Furt der Franken und das Schisma, in E. RosENSTOCK-]. WrTTIG, Das Alter der Kirche, Berlin I928, S. 486ff. und F1CHTENAU a. a. 0., S. 25ff. über Kar! als David und Salomon. - Dazu s. den voraufgehenden Abschnitt (S. 214). I 1 I Über ihn vgJ. PFEIL a. a. 0., S. 98 ff.; LöwE, Reichsgründ ung a. a. 0., S. I3off.;
STENGEL a. a. 0. und W. LEV1SON, England and the Continent in the 8th Century, Oxford I946 (Ford Lectures 1943), S. IZiff.; s. ferner H. KÄMPF, Reich u. Mission zur Zeit Karls d. Gr., in Gesch. u. Wiss. u. Unterricht I, 1950. Stark einschränken d ERDMANN a. a. 0.; vgl. hier auch die sorgfältig abwägenden Ausführunge n von R. FoLZ (s. oben S. 218), S. I43 f. Über das Verhältnis von Kar! und Alcuin vgl. E. SH. DucKETT, Alcuin, Friend of Charlemagne, N ew Y ork I 9 51 ; L. WALLACH, Alcuin and Charlemagne, Ithaca 1959, ferner das auf Alcuins Briefen beruhende Buch von W. EDELSTEIN, eruditio und sapientia. Weltbild u. Erziehung in der .Karolingerzeit, Freiburg i. B. I965, S. I66ff. S. ferner H. HüRTE, A. u. der Episcopat im Reiche Karls d. Gr., im Histor. Jahrbuch 82, I963, s. 22-49·
Die Verwendung des Begriffs >imperium< (S. 480-482) auch für Alcuin Karls Königrum fest in sich selbst ruhte und keiner Erhöhung bedurfte, zeigt ein oft zitierter Brief aus dem Jahre 799, in dem Alcuin die »drei Personen, die bisher die höchste Stellung eingenommen«, miteinander verglich: das durch die Thronwirren seiner Aufgabe entzogene Kaiserrum in Konstantinopel, das durch die Gegner Leos lahmgelegte Papstrum und Karls durch Christus bestallte regalis dignitas, die ihnen beiden durch Macht, Freiheit und Ansehen überlegen sei: Ecce in te solo Iota salus ecclesiarum Christi inclinata recumbit112• Was aber besagt vor 8oo das Wort imperium? Infolge des Festhaltens am Herkommen hatte es noch in einer ganzen Reihe von Gebeten seinen Platz behauptet - auch bei den Franken, für die das Römische Reich bereits der Vergangenheit angehörte oder doch hinter dem Horizont verschwunden war 113• Was verstanden sie unterimperiumund was unter >Reich< ( rfchi), seiner Entsprechung in der Nationalsprache? Dieses Wort, das ja auch in der schlichten Bedeurung von >Befehl< und >Herrschaft< in Umlauf war, ähnelte in karolingischer Zeit bereits einem immer feiner geschliffenen und daher aus vielen Facetten funkelnden Edelstein: einmal gleicht es, bezogen auf einen germanischen Stamm, recht und schlecht dem Worte regnum; dann wieder gibt es, abgetönt zu imperium christianum und gleich behandelt wie regnum christianum, einer mit Rom gar nicht mehr verknüpften Herrschaft durch den Hinweis auf ihre Leisrung für die Kirche eine höhere Weihe; ferner ist die Gegenüberstellung von himmlischem regnum und irdischem imperium der Zeit vertraut, oder es klingt bei imperium die Vorstellung nicht nur der Rechtgläubigkeit, sondern auch - wie das Gebet für den Sieg des Reiches über die barbarischen Nationen erkennen läßt114 - der Missionsgedanke mit. So verbinden sich in der Reichsidee die alte Vorstellung von der Ausbreirung der Herrschaft und die Hoffnung auf Erhöhung, Stärkung und Ausweitung der Kirche. Die Begriffe imperium christianum und ecclesia christiana fließen ineinander über. Wenige Monate vor der Annahme des Kaisertitels konnte Alcuin daher von der dilatatio imperii christiani sprechen115 • Wie stark durch diese Spiritualisierung des Reichsbegriffs sein ursprünglicher Inhalt ins Schwanken geraten war, zeigen ja noch jetzt die liturgischen Handschriften: die einen haben Romanum beibehalten, die anderen haben es weggelassen oder Romanum sive Franeorum gekoppelt oder durch christianum, Franeorum oder sonstwie >verbessert<; zum Teil sind die Korrekturen noch heute erkennbar. So ließen sich die veralteten Gebete- ohne ihnen viel Gewalt anzutun- beziehen auf das imperium des Rex Franeorum et Langobardorum, ein Reich, das in keiner geistigen Beziehung mehr zum Römischen Reich stand, und ein Reich, das keines imperator als Lenker bedurfte. Auch von dieser >romfreien Reichsidee< führte kein zwangsläufiger Weg zur Annahme des Kaisertitels.
So war es um die Positionen bestellt, die das Papsttum und das fränkische Großkönigtum zu Beginn des neuen Jahrhunderts bezogen hatten; sie standen in Berüh-
II2 Mon. Germ., Epp. IV, S. 288 (Nr. 174). I I 3 V gl. außer den Genannten vor allem TELLENBACH a. a. Ü., S. I9ff. sowie H. HIRSCH, Der ma.e Kaisergedanke in den liturgischen Gebeten, in den Mitteil. des Österr. Inst. f. Gesch.forsch. 44, I930, S. I-20. I I4 Mon. Germ., Epp. III, S. 498, Anm. I die hierauf Bezug nehmenden Stellen in den päpstlichen Briefen des Codex Carolinus, vgl. ferner BRACKMANN, Slawenmission
(s. S. 2I6). II5 Mon. Germ., Epp. IV, S. 336 (Nr. 222); dazu CALMETTE (s. S. 2I7), S. II8, daß es sich um einen typischen Ausdruck handelt. CLASSEN (s. S. 2I8) S. 572 stellt fest: »von Alkuins Sprachgebrauch führt kein gerader Weg zum Kaiserrum Karls d. Gr.« Auch den weiteren, Alcuins Bedeutung eingrenzenden Sätzen ist zuzustimmen. Vgl. dazu auch die aufS. 327 Anm. 55 vermerkte Lit.
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B.
Die Anerkennun g Kar! d. Gr. als Kaiser
rung, sogar Austausch. Das aber darf nicht darüber hinwegtäus chen, daß sie anders ausgerichte t waren: Die Päpste hatten Karl bereits zum quasi imperator werden lassen, indem sie bisher kaiserliche Vorrechte oder neue auf ihn übertrugen . Wie dem >i< der Punkt, so fehlte dem quasi imperator nur noch der Titel. Es macht die geschichtliche Bedeutung des Papstes Leo III. aus, daß er Karl den Großen dazu brachte, diesen Titel, den >Namen<: imperator, anzunehme n116 • Der Ehrgeiz des Frankenkö nigs zielte auf anderes: er, der summus rex, wollte imperatoris similis sein, nicht hinter dem Basileus zurücksteh en, aber er schaute nicht auf die Kaiser, sondern zurück auf die Könige des Alten Testament s; er wollte nicht nur ein Volksköni g im alten Sinne sein, sondern betrachtete sich als der Beauftragte Gottes, der ihmhier auf der Erde die Sorgefür das imperium christianum übertragen hatte. Eine >fränkische Kaiseridee<, die zur Annahme des Kaisertitels gedrängt hätte, ist wie man sie auch auslegen mag- ein Phantom moderner Wissenschaft. Nur das ist greifbar, daß der Unterschie d zwischen Kaisertum und Königtum von mehr als einer Seite aus verwischt und dadurch der Abstand des Königs vom Kaiser verringert wurde. Papst und Frankenk önig- so können wir, die Entwicklu ng bis zum Jahre 8oo n6 GANSHOF, Coronation (S. 217), S. 2.2 weist, die Auffassung von Kleinclausz zuspitzend, die führende Rolle einigen fränkischen Geistlichen aus Karls Umgebung zu, vor allem Arn von Salzburg und Alcuin, da er Kar! bereits im Juni zur Annahme des Kaisertitels gewonnen sein läßt (S. 20). Dieser Kreis mag nach den Ereignissen seinen Einfluß in dieser Richtung gehend gemacht und dann für die Wiederanknü pfung an die Vergangenhe it gesorgt haben: doch entschied Karls Wille - wie stat k dieser gerade in der nächsten Umgebung des Herrschers respektiert wurde, zeigen deren Briefe auf jeder Seite. V gl. auch ERmrANN, Forsch. a. a. 0., es habe sich »kein Kaisergedan ke Alcuins vor 8oo und kein Zusammenh ang zwischen seiner christlichen Reichsidee und dem Kaisertum Karls d. Gr. nachweisen lassen«. Für die Tatsache, daß drei fränkische Zeugnisse von nomen imperatoris bzw. von nominare sprechen und dieser Ausdruck auch noch in den folgenden Jahrzehnten begegnet, hat eine neue Perspektive geöff-
net A. BORST, Kaisertum und Namentheorie im Jahre 8oo, in: Festschrift P. E. ScHRAMM, I, Wiesbaden 1964, S. 36-p. An Hand einer verblüffend großen Zahl von Belegen klärt er, daß an Karls Hof zwei Anschauung en sich widersprache n, die eine vor 8oo, die andere nachher im Übergewicht : »Name als leerer Titel, Name als mächtige Wichtigkeit« (S. 44). Sie schließen sich durch die Überzeugung zusammen, für imperator gelte, daß Macht (potentia) und Wort (nomen) in der Tat übereinstimm en müssen (S. 47), was sich mit der germanische n Auffassung des Namens vertrug: »Der Mensch nimmt den Namen an wie eine Herausforde rung durch Vorzeit und Umwelt« (S. 48). A. BORST kommt zu dem Schluß, daß Kar! das nomen imperatoris angenommen habe »nicht nur, um daraus politische Vorteile zu ziehen, sondern grundsätzlich , um die Willkür der lügnerischen und ohnmächtigen menschlichen Namen zu überwinden und um durch seine Taten die Ordnung der Schöpfung herzustellen« (S. 49).
Die Anerkennung Karls als Kaiser (S. 482-484)
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zusammenfassend, nunmehr feststellen -, sie waren getrennte Bahnen gegangen, aber diese waren doch nicht auseinandergelaufen: denn mochte im Grundsätzlichen eine Kluft bestehen zwischen dem quasi imperator, der eigentlich imperator sein müßte, und dem summus rex imperatoris similis: das hatten im Bereich der Tatsachen beide Standpunkte gemein, daß Karls Stellung erhöht werden sollte. Diese Entsprechung gibt die Erklärung ab für das, was sich im Jahre 8oo ereignete.
c) Die Anerkennung Karls als Kaiser Über das denkwürdige Schauspiel, das Rom am Weihnachtstage des Jahres 8oo der Welt geboten hat, brauchen wir nicht viele Worte zu verlieren; denn die geschichtlichen Zeugnissen 7, die es betreffen, sind so gründlich hin und her gewendet worden, daß von ihnen kein neuer Aufschluß mehr zu erwarten ist. Wir vermerken nur, daß der methodische Grundsatz, der Unterschied zwischen zeitgenössischen und späteren, zwischen >offiziösen< und femerstehenden, zwischen fränkischen und päpstlichen Zeugnissen müsse genau beachtet werden, hier nicht ausreicht. Bei Vorgängen wie denen am Weihnachtstage des Jahres 8oo, die nicht in den Bahnen des Herkommens verliefen und Überraschung auslösten, ist eine und dieselbe Szene zweifellos schon von den Zuschauern verschieden aufgenommen oder ausgelegt worden, und durch die Beurteilung, die sie dann im Laufe der folgenden Jahre unter dem Eindruck der weiteren Entwicklung erfuhr, mag sich das Bild dann noch weiter verschoben haben. Zu der Aufgabe des Historikers, die Widersprüche zwischen den Zeugnissen aufzudecken, kommt gleich die weitere, deren Entstehen verständlich zu machen. Denn auch das Mißverstehen kann aufschlußreich sein; eine Nachricht als >falsch< abzutun, das muß das letzte Hilfsmittel der Kritik bleiben. So eingestellt, fragen wir, was die >staatssymbolischen< Einzelakte, aus denen sich der Vorgang in Sankt Peter zusammensetzte, auszusagen haben und wie diese sich in die geschichtliche Entwicklung einordnen.
Im Nov. 8oo ritt der König zu Pferde in Rom ein: jetzt war er nicht mehr jener Karl, der 774 das Mißtrauen der Römer hatte entwaffnen müssen und damals in seinem Herzen tief bewegt war, weil er zum erstenmal die Apostelstadt betrat - die letzte Meile zu Fuß zurücklegend und kniend jede Stufe von St. Peter küssend. Auf dem Ritt begrüßten ihn jetzt die Scholae der Fremden und die Korporationen der Bürger mit Laudes, wie das laut dem- für die Vorbereitung der Einzelheiten sicherII7 Vgl. FrCHTENAU, Kar! d. Gr. und das Kaisertum, in den Mitteil. des Inst. f. österr. Gesch.forsch. 6r, 195 3, S. 315 ff., der als Verfasser des wichtigsten Textes, der >Anaales Laureshamenses<, den Abt Richbod von Lorsch (zugleich Bischof von Trier) wahrscheinlich macht und die (bereits 801 oder Anfang 8o2) zugefügten Mitteilungen über die Ereignisse in Rom zurückführt auf den auch sonst als Richbods Gewährsmann anzunehmenden, damals mit Kar! aus Rom
heimkehrenden Erzbischof Richulf von Mainz (S. 315f.); zustimmend und diese These ausbauend K. ScHOPPE in zwei Aufsätzen in: >Die Warte<, Heimatzeitschrift im südöstl. Westfalen r 9 57, Heft r 2 und 1958, Heft 4; zustimmend auch P. CLASSEN (s. oben S. 218), S. 577, Anm. 197. Bedenken brachte vor H. HoFFMANN, Untersuchungen zur karoling. Annalistik, Bann 195 8 S. 76ff., bes. S. 87 ff. - S. dazu S. 249 Anm. 102.
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Die Anerkennung Karl d. Gr. als Kaiser
lieh genau zu Rate gezogenen- >Liber pontificalis< einst üblich gewesen war, wenn ein Kaiser Rom besuchte. Im Jahre 774 hatte der Papst den König vor St. Peter erwartet; diesmal kam er ihm entgegen - nicht bis zum 6. Meilenstein wie bei dem letzten Besuch eines Kaisers, sondern doppelt so weit, begleitet von den Romanae urbis vexi!la. Wir überspringen - da nicht zum Thema gehörend - die unmittelbar anschließenden Vorgänge (also auch den- an sich so bedeutsamen - Reinigungseid, den Leo III. ablegte118) und vermerken nur noch, daß die Hochstimmung dieser Tage durch ein unerwartetes Ereignis gesteigert wurde119 • Ein Priester Zacharias, den Karl im Vorjahr in das Heilige Land entsandt hatte, traf am 23. Den8 Den Reinigungseid, den Papst Leo III. am 23. Dez. 8oo in der Peterskirche in Gegenwart Karls, des Klerus und sowohl römischer als auch fränkischer Laien ablegte (Mon. Germ., Concil III I, S. 226f.), haben zwei Schüler von TH. E. MoMMSEN neu untersucht: H. ADELSON und R. BAKER, The Oath of Purgation of Pope Leo III in 8oo, in Traditio VIII, New York 1952, S. 35-80. Danach war dieser Eid weder durch das römische noch durch das germanische Recht bedingt, sondern allein durch das Vorbild des Papstes Pelagius I. (5 56-6r), der bereits einen solchen Eid geleistet hatte, ut suspicio removeatur. Davon berichtet der >Liber pontificalis<, dessen Benutzung durch Karl den Großen (bei anderer Gelegenheit) nachweisbar ist (S. 65 f., Anm. 127). Die genannte Wendung klingt in Leos Eid am Ende an: propter suspiciones tol!endas. Nach dem >Liber pontificalis< a. a. 0. TI S. 7 erklärte Leo, daß er befolge praedecessorum meorum pontiftcum vestigia; auch das kann nur auf Pelagius zielen, dessen >Vita< dem Verfasser der >Vita Leonis< an dieser Stelle wohl als Vorbild gedient hat (S. 66f.). Andere Vorgänge aus der Papstgeschichte scheiden bei genauerem Zusehen als Präzedenzfälle aus. Eingeordnet in die Geschichte der Eide, ist der von Leo geleistete als ein außergerichtlicher Reinigungseid zu bezeichnen. Die Vorgeschichte des Satzes, daß über den Papst nicht zu Gericht gesessen werden dürfe, hat W. ULLMANN, Cardinal Humbert and the Ecclesia Romana, in den Studi
Gregoriani IV, Rom 1952, S. rn-27, behandelt. Die Frage der Überlieferung wurde überprüft von L. WALLACH, The Genuine and the Forged Oath of Pope Leo III, in Traditio XI, 1955, S. 32f. und in: The Roman Synod of Dec. 8oo and the Alleged Trial of Leo III., in: The Harvard Theological Review 49, 1956, S. 123-142. Er zeigte auf Grund wörtlicher Entsprechungen zu anderen Texten, daß der in der Vita Leonis III. des >Liber pontificalis< überlieferte Eid als echt anzusehen ist, die längere Fassung dagegen bereits die pseudo-isidorischen Dekretalen voraussetzt. Die hier vertretene Abwertung der >Annales Laureshamenses< hat der V erf. inzwischen wieder eingeschränkt; vgl. H. FrcHTENAU in den Mitteil. des österr. Inst. f. Gesch.forsch. 64, 1956, S. 380 und 65, 1957, S. 2r7f. (ebd. 6r, 1953, S.287-327 DERS. über diese Annalen). Vgl. dazu H. LöWE in: W ATTENBACH-LEvrsoN, Deutschlands Geschichtsquellen im Ma.: Vorzeit u. Karolinger, IV. Heft, Weimar r963, S. 457, der den Eid auch für echt ansieht, ebenso P. CLASSEN (s. oben S. 2r8), S. 578 mit Anm. 200. Zur kirchengeschichtlichen Einordnung des Eides s. H. ZIMMERMANN, Papstabsetzungen des Mittelalters, in den Mitteil. des österr. Inst. f. Gesch.forsch. 69, r96r, S. 28ff. (S. 34 über die Eidformel) mit S. 79f. (Zusammenfassung). II9 Zeugnis für das Folgende sind die Ann. regni Franc. ad a. 8oo (ed. FR. KuRZE, r895, inzw. neu gedruckt, S. n2; Script. in us. schol.).
Die Vorgänge in Rom (Weihnachten 8oo) (S. 484-485)
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zember in Begleitung von zwei Mönchen aus Jerusalem ein, die ihm im Auftrage des Patriarchen benedictionis causa die Schlüssel des Heiligen Grabes und des Kalvarienberges sowie die Schlüssel >der Stadt und des Berges<; also sowohl des geistlichen als auch des weltlichen Jerusalem, zusammen mit einer Fahne ( vexillum) überbrachten. Genau die gleichen Gaben waren Kar! ja kurz vorher von Leo III. übersandt worden 120 ; der Gedanke liegt daher nahe, daß jener Zacharias dem Patriarchen den Gedanken eingegeben hatte, in solcher Symbolsprache (als Dank für seine benedictio) Karls Schutz zu fordern- daß dies der Sinn der Gesandtschaft war, berichten uns zusätzlich zu den Annales regni Franeorum die von Northumberland, die Kar! auch eine allgemein gefaßte Zusage in dieser Richtung in den Mund legen121 • Dieser Vorgang blieb ohne konkrete Folgen. Aber er ergab für jene, die Kar! erhöht sehen wo11ten, noch ein zusätzliches Argument- >si besoin en etait<, wie RoBERT FoLz dazu treffend bemerkt122• Kar! selbst, der neue David, muß durch diese Botschaft aus Davids Stadt tief beeindruckt worden sein; denn sie führte ihm ja vor Augen, daß das byzantinische Reich, das dem Heiligen Lande so viel näher lag als das der Franken, nicht fähig war, die Christen zu schützen, daß er also das einzige Werkzeug war, auf das Gott sich auf dieser Erde verlassen konnte.
Nunmehr können wir uns der sogenannten >Krönung< zuwenden; diese steht ja so im Zentrum des Augenmerks, daß wir gewöhnt sind, über die sie begleitende Akte hinwegzusehen und schlechthin von Karls >Kaiserkrönung< zu sprechen. Es kann kein Zweifel sein, daß Karl- dem Brauche seiner Zeit folgend 123 - im Schmucke seiner Krone und seines Stabes die Peterskirche betrat, in der ja nicht nur das Weihnachtsfest, sondern auch die Salbung seines Sohnes gefeiert werden sollte. Aber wir müssen annehmen, daß er während des Gottesdienstes die Krone, den Stab und wohl auch Mantel und Schwert ablegte. Für eine spätere Zeit ist solcher Brauch bezeugt, der sich aus dem Gedanken ergab, daß angesichts des wahren Königs der Könige und seiner Heiligen der irdische Herrscher auf seine Herrschaftszeichen verzichte - bei Mitra und Tiara führte er zu entsprechender Regelung. Daß der zum Gebet sich flach hinlegende und die Hände zusammenschließende König auch aus äußeren Gründen seine Herrschaftszeichen während der Messe abzulegen gezwungen war, sei nur am Rand vermerkt1 24, Nach dem Abschluß der Oration126 wurde Karl wieder mit ihnen bekleidet. Daß 12.0 12.1
S. oben S. 240. Mon. Germ., Script. XIII, S. 1 56: danach erklärte Kar!, non so/um se para/um esse ad
devincend!Js inimicos in lerra, verum etiam in mari, .ri neces.rilas compulisset (über den Wert dieser Ann. Northumb. s. unten S. 259 mit Anm. r 33). 122 Le couronnement imperial de Charlemagne, Gallimard 1964, S. 169. 12; EINHARD c. z; (S. z8): In fe.rtivitatibus . .. diademale quoque ex auro et gemmis ornalus incedebat. V gl. auch THEGAN c. 6 (Mon. Germ., Script. II, S. 591) anläßlich der Krönung
17 Schramm, Aufsätze I
Ludwigs des Frommen (Sr;) über Kar!: ornavit se cu/tu regio el coronam capiti .ruo impo.ruil; incedebal clare decoratus el ornatus, sicut ei decueral. 124 Vgl. E. ErCHMANN, Die Kaiserkrönung im Abendland I, Würzburg 1941, S. 26, daß die erste Oration liegend gebetet wurde und auch der Papst dies tat. 125 Ann. regni Franc. ad a. 8or (ed. FR. KuRZE, 1895, S. nz; Script. in us. schol.): cum rex . • • ab oratione surgeret, Leo papa coronam capiti eius imposuit.
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Die Anerkennung Karl d. Gr. als Kaiser
es Leo selbst war, der dies tat, hat nichts Unwahrscheinliches an sich; denn schon im 8. Jahrhundert bildete sich der Brauch der >Festkrönungen< heraus126 • Anzunehmen ist auch, daß der Papst dazu eine Weiheformel sprach127 • Verlief dieser Akt am Weihnachtstage des Jahres Soo so, dann konnte man ihn >staatssymbolisch< allerdings verschieden auslegen: für die einen handelte es sich um die Wiederholung einer am Königshof schon gebräuchlichen Handlung, die deshalb nicht erwähnenswert war; anderen dünkte es eine Investitur als Kaiser, bei der die Königskrone die Rolle einer Kaiserkrone zu übernehmen hatte. Was wir aus den äußeren Gegebenheiten erschließen können, spiegelt sich in den Wortzeugnissen wider. Die Übergabe des sceptrum erwähnen nur die Annalen von Northumberlan d; hat sie- wie man annehmen darf- stattgefunden, dann fanden die anderen Zeugen diesen Akt so unwesentlich, daß sie ihn nicht vermerkten. Die Krönung ist außerdem noch in den beiden wichtigsten Texten vermerkt, nämlich in den >Reichsannalen< und im >Liber pontificalis<- jedoch ohne eine Wendung, die sie unmittelbar zum Kaisertum in Beziehung setzt12s. Sehr beachtlich ist nun, daß in den >Annales Laureshamenses< die Erwähnung der Krönung fortgefallen ist129 • Am fränkischen Hofe hat man sie also als nichtkonstitutiv für die neue Würde angesehen, d. h. nur als >Festkrönung< des bisherigen Königs 130 • Man darf annehmen, daß die Auslassung zugleich Widerspruch gegen eine entgegengesetzte Auslegung der Krönung bedeutete. 126 H.-W. KLEWITZ, Die Festkrönungen der deutschen Könige, in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 59, Kanonist. Abt. 28, I939, S. 48-96 und ausführlicher jetzt C. BRÜHL, Fränkischer Krönungsbrauch und das Problem der >Festkrönungen<, in der Histor. Zeitschr. 194, 1962, S. 265-326. Wenn HALLER a. a. 0. II, I davon spricht, Leo habe Karl das >Kaiserdiadem< aufs Haupt gesetzt, liest er, im Banne der weiteren Entwicklung stehend, etwas aus den Zeugnissen heraus, was sie nicht enthalten. EICHMANN a. a. 0. I, S. 28, spricht sogar von »einer dem reichen Kronenschatz von Sankt Peter entnommenen Krone«; daß dieser Weihekronen, die zum Aufhängen bestinlmt waren, enthielt, ist gewiß - aber Herrscherkronen? Belege aus so früher Zeit, daß solche einem römischen Altar gestiftet wurden, kenne ich nur zwei, die die Könige Chlodwig und Luitprand betreffen (Herrschaftszeichen: Gestiftet usw., in den Nachrichten der Akad. der Wiss. in Göttin-
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gen, I. Phil.-Hist.-Kl. 1957 Nr. 5 S. I63; später in Bd. VI). Eine Krone war auf jeden Fall zur Hand, nämlich Karls Königskrone. So FoLZ (s. oben S. 218), S. I72. Meine Auffassung begegnet sich mit der von Kß.NTOROW1CZ, Laudes a. a. 0., S. 93, Anm. 92, der Zeugnisse für Festkrönungen in Byzanz zusammenträgt. Ann. s. oben; Lib. pont.: Pontifex manibus suis propriis C arulum corona pretiosissima coronavit. Nomen imperatoris cum consecratione domni Leonis papae suscepit. Genau anderer Auffassung war CASPAR a. a. 0., S. 2 58: »Der Hauptakt war die päpstliche Krönung«. Diesen aus den Zeugnissen gezogenen Schluß stützt er (S. 262) mit der Formel: a Deo coronatus; da diese jedoch in der Datierungszeit und in den Laudes vor 8oo üblich war, besagt sie in diesem Sinne gar nichts.
Der Vorgang am Weihnachtstag (8oo) (S. 485-487)
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Man sollte also nicht von Karls >Kaiserkrönung< sprechen. Soweit es sich um eine Krönung handelte, konnte sie so oder so ausgelegt werden. Allerdings: wenn der fränkische Hof nicht wünschte, daß Karl als der vom Papst zum Kaiser Gekrönte auf die Nachwelt kam, so war dies Bestreben umsonst. Denn von dem Augenblick an, in dem sich Ludwig der Fromme noch einmal vom Papst die Kaiserkrone aufsetzen ließ, erschien rückschauend auch Karls Krönung als der entscheidende Akt.
Die Forschung ist sich einig darüber, daß die Krönung nicht mit einer Salbung verbunden war; diese wurde nur dem Sohne Karls zuteil, der durch sie als König sakramental >festgemacht< wurde. Schon aus diesem Grunde konnte die einer solchen corroboratio entbehrende >Krönung< Karls in den Augen der Franken keine rechte Krönung sein; denn seit den Tagen Pippins gehörten zur Einweisung in die Herrschaft sowohl das Aufsetzen der Krone als auch die Salbung. Die nächste Frage, die durch die Ereignisse am Weihnachtstage aufgeworfen wird, lautet: Welche Gewandung trug Karl in Sankt Peter? Es ergab sich bereits, daß Karl Leone ... supplicante am Weihnachtstage des Jahres Soo oder am nachfolgenden Osterfest die kaiserliche Tracht anlegte; jetzt ist der Augenblick gekommen, wo wir uns für die eine oder die andere Möglichkeit entscheiden müssen. Auf den ersten Blick scheint die Entscheidung einfach; denn Theophanes berichtet, Leo habe Karl das kaiserliche Gewand übergeworfen131 • Da aber dieser Byzantiner im Satze vorher behauptet, daß der Papst Karl >vom Kopf bis zu den Füßen< gesalbt habe, ist auch die folgende Angabe von dem Verdikt der Unglaubwürdigkeit mitbetroffen. Ähnlich steht es mit den Northumbrischen Annalen, die zu vermelden wissen, Leo habe Karl mit dem Purpur bekleidet132 ; denn auch sie stehen nicht hoch im Ansehen. Durch H. LöwEs Nachweis, daß das Kloster, in dem diese Annalen aufgezeichnet wurden, nicht nur durch Alcuin in Verbindung mit dem Festland stand, sondern auch über das St.-Amand-Kloster in Elnon133 , haben sie jedoch wieder etwas von dem Ansehen zurückgewonnen, das ihnen einst R. P AULI zubilligen wollte134 • Purpurgewand in diesem Geschichtswerk, kaiserliche Kleider bei Theophanes und dazu jene bei Einhard verborgene Angabe über den von Karl getragenen Kaiserornat, für die sonst nur noch das Osterfest in Betracht kommt: es ist jetzt klar, daß Einhards Worte auf den z 5. Dezember zu beziehen sind.
131 Theophanes, Chronogr., Bonner Ausgabe, 1839, 41, S. 733 = ed. C. de Boor. 1883/6, S. 472: ual neet{JaJ.wv {JaatÄtu-fjv eafHjra ual l17:Brf!01; (danach auch DANNENBAUER a.a.O.) 132 Ann. Nordhumbr. ad a. 8oo (M. G., Script. XIII, S. I 56): a domino Leone papa purpura . ..
induitur, cui corona aurea capiti imponitur et regale sceptrum in manibus datur. 133 Kölner Notiz (s. S. 217), S. 25f. 134 Forschungen zur deutschen Gesch. XII, 1872, S. 164, wo als Grundlage für die Angaben ad a. 8oo der Bericht eines Augenzeugen angenommen wird.
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Bz:
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Die Anerkennung Kar! d. Gr. als Kaiser
Das war wiederum eine Handlung, die man >staatssymbolisch< verschieden deuten konnte: für die einen handelte es sich um die Wiederholung einer Szene, die sie bereits zu Zeiten Hadrians I. erlebt hatten und die deshalb in den historischen Aufzeichnungen nicht vermerkt zu werden brauchte; die anderen freuten sich, daß ihr rex imperatoris similis nun noch prächtiger anzuschauen war; die Dritten sahen in dem Anlegen von Tunika, Chlamys und roten Schuhen eine >Bekleidung<, eine Investitur mit dem Kaisertum. Die Sprache der >Staatssymbolik< ist ja nicht nur für uns, sondern war gelegentlich bereits für die Zeitgenossen mehrdeutig. Nunmehr hebt sich aus der Reihe der Akte, die am Weihnachtstage aufeinanderfolgten, die Akklamation als der entscheidende herausl35. Er ist ja auch der einzige, den sowohl die >Annales regni Francorum< als auch die >Vita Leonis< für so wichtig angesehen haben, daß sie die Formel des Zurufs, eingebettet in erläuternde Angaben, im Wortlaut bringen136 • Dieser bietet keine Überraschung: er entspricht demRuf für den König in dem Laudes-Formular aus den Jahren 796/Soo, nur daß statt des Königsund Patriciustitels der des Kaisers eingesetzt ist. Die Überlieferung weicht bekanntlich nur darin auseinander, daß ein Teil Romanorum hinzufügt - ein Umstand, der einstweilen noch zurückgestellt sei. Zu beachten ist, daß sowohl die >Annales regni Francorum< als auch die >Vita Leonis< die Laudes den Römern in den Mund legen, daß die >Annales Laureshamenses< dagegen von der Bitte der Priester und des universus christianus populus sprechen das ist bereits eine sehr bezeichnende Umdeutung des tatsächlichen Vorgangs: er ist damit seines römischen Charakters entkleidet137. Kann man diesen Akt als >Wahl< bezeichnen? In späterer Zeit haben sich ja die Bewohner Roms der Vorstellung hingegeben, es sei ihr Recht, den Kaiser zu >wählen< -ein Anspruch, der in der >Wahl< Karls des Großen durch ihre Vorfahren einengewissen Rückhalt fand 138 • Aber in den maßgeblichen zeitgenössischen Zeugnissen fällt dieser Ausdruck noch nicht139 • Wie aber soll man dann diese Szene bezeichnen, für die sich der Ausdruck >Krönung< bereits als nicht treffend erwiesen hat?
135 Vgl. ErcHMANN a. a. 0. I, S. 26, daß die Laudes ihren Platz zwischen der ersten Oration und der Epistel hatten. 136 Ann.: et a cuncto Rot:tanorum populo acclamatum est; Lib. pont: T unc universi fideles Roma-
ni . .. exclamaverunt >Karolo etc.<. Ante sacram confessionem . . . ter dictum est, et ab omnibus constitutus est imperator Romanorum. r 37 Die Zeugnisse bei HELDMANN a. a. 0., S. 259f., Anm. 2. 138 Vgl. auch Ann. Moiss. (M. G., Script. I,
S. 305): cum consilio omnium episcoporum sive sacerdotum seu senatu Franeorum necnon et Romanorum, dann adiuncto etiam Romano popufo acclamante. 139 Vgl. die von E. DuPRE THESEIDER, L'idea imperiale di Roma nella tradizione nel medioevo, Mailand 1950, vereinigten Zeugnisse. 140 Von einer electio popufi Romani spricht die Vita Willehadic. 5 (M. G., Script.II, S. 38f.).
Nicht >Wahl<, sondern >Anerkennung< (S. 487-488)
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Wenn man in den Zurufen am Weihnachtstage den entscheidenden Akt sieht, dann muß man von der >Anerkennung Karls als Kaiser< sprechen; denn Anerkennung war- soweit man die irdischen Verhältnisse ins Auge faßt- das Wesen sowohl der Akklamationen als auch der Laudes: eine Anerkennung besonderer Art insofern, als der bisherige König, Patricius und >Quasi-Kaiser< als wirklicher Kaiser anerkannt wurde140 • Insofern könnte man, um die >staatsrechtliche< Folge dieser >staatssymbolischen< Szene zu unterstreichen, im Anschluß an den vom Liber pontificalis gebrauchten Ausdruck: constitutus est auch von einer >Konstituierung Karls als Kaiser< sprechen; doch geht bei dieser Formulierung wieder verloren, daß die Szene der Zurufe aus der Tradition herauswuchs. Deshalb sprechen wir fortan schlechthin von der >Anerkennung Karls als Kaiser 141 <. Darin sind sich die Zeugnisse aus beiden Lagern einig, daß das, was vor sich ging, >auf Gottes und des heiligen Petrus Eingebung<, >mit Gottes Hilfe< geschah. Das war kein Schnörkel und keine Phrase: Wie hätte es zur Einmütigkeit kommen können, wenn nicht Gott die Sinne gelenkt hätte? Für die Zeitgenossen bedeutete die >staatsrechtliche< Seite der Anerkennung Karls nur die Außenseite. Gern wüßte man über den Verlauf dieses Aktes noch Genaueres. Wenn man die beiden Hauptzeugnisse beim Wort nimmt, kann man folgern, daß auf die Akklamationen der Anwesenden noch Laudes im engeren Sinne gefolgt seien, die der vor der Confessio S. Petri aufgestellte Klerus Kar! darbrachte. Aber E. KANToRowrcz hat bereits davor gewarnt, diese Stellen zu pressen und die Möglichkeit ins Auge zu fassen, daß beide Handlungen ineinander über- und in einem allgemeinen Stimm,getöse untergingen r••.
Bei der Adoratio, die Leo dem nunmehrigen Kaiser more a11tiquorum principum darbrachte, ist es müßig zu fragen, ob er- wie Leo IV. vor Christus auf dem zeitgenössischen Fresko in St. Clemente - nur die Knie beugte oder sich in der Form der Proskynese zu Boden warf; denn beides wäre in dieser Zeit denkbar143 • Der Sinn dieser
141 Ich treffe mich hier mit EICHMANN a. a. 0. I, S. z3ff., der sein Kapitel >Die Kaiserausrufung vom 25. Dez. 8oo< betitelt und abschließend feststellt: »Kein Gebet, keine Salbung haben den stürmischen Vorgang .. begleitet; den Charakter eines liturgischen Aktes hatte er nicht.« Nur glaube ich, daß die von Eichmann herausgearbeitete Ahnlichkeit mit der Kaisererhebung in Konstantinopel sich durch die Umstände ergab und nicht durch bewußte Nachahmung erklärt zu werden braucht. W. VON DEN STEINEN hat in seiner Rezension meines Aufsatzes vorgeschlagen, von >Ausrufung< statt von >Anerkennung< zu
sprechen (Schweiz. Zeitschr. f. Gesch. II, 1959, S. 457f.). Doch tritt nach m. A. in diesem Wort der >staatsrechtliche< Gehalt der Handlung nicht scharf genug heraus. 142 A. a. 0., S. 84. 143 HELDMANN a. a. 0., S. 289 ff. Die in meinem Aufsatz: Das Herrscherbild in der Kunst des frühen Ma.s, in den Vorträgen der Bibi. Warburg 1922, 3, 1. Teil, Lpz. 1924, S. 220 (Zur Gesch. der Proskynese), zusammengestellten Belege habe ich seither vermehrt, kann sie hier aber nicht ausbreiten. Für Byzanz vgl. W. SrcKEL in der Byzant. Zeitsehr. VII, 1898, S. 556f.
B2:
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Die Anerkennung Kar! d. Gr. als Kaiser
Handlung ist so oder so deutlich: der Papst erwies dem neuen Kaiser die Ehre, die seine Vorgänger den früheren Kaisern erwiesen hatten. Damit war nun auch das letzte und eindruckvollste Vorrecht des Basileus auf den Frankenherrscher übergegangen. Bezeichnenderweise vermerkt ihn der >Liber pontificalis< nicht; auch wurde er nie wiederholt. Leo III. konnte das noch tun, ohne damit seiner Stellung etwas zu vergeben oder die Zweigewaltenlehre einzuschränken; aber seine Nachfolger hüteten sich, daraus eine Tradition werden zu lassen 144• Wie leicht hätte sich das >staatssymbolisch< gegen sie ausspielen lassen, zumal das Kniebeugen bei der Belehnung eine Rolle spielte! 145 Man denke daran, wie umgekehrt im 12. Jahrhundert die Frage der kaiserlichen Gestik beim Empfang durch den Papst Anlaß zum Streit zwischen Friedrich Barbarossa und dem Papst gab - eben deshalb, weil in das den Streit auslösende, vom Papst veranlaßte Bild Lotbars III. eine Lehnsnahme hineingesehen worden war.
So die Antwort, die sich aus der Befragung der >staatssymbolischen< Einzelheiten ergibt. Wer sich nunmehr noch einmal die schriftlichen, so oft überscharfer Kritik unterworfenen Zeugnisse aus dem fränkischen und aus dem päpstlichen Lager ansieht, d. h. sie nicht als Primärzeugnisse wertet, sondern als Spiegelungen eines schwer zu übersehenden und verschieden auslegbaren Vorganges, wird gewahr werden, daß die Hauptzeugen ihrer schwierigen Aufgabe überraschend gut gerecht geworden sind. Unter diesem Gesichtswinkel treten auch die Widersprüche, die man zwischen ihnen aufgedeckt hat, zurück: die Zeugnisse decken sich zwar nicht, aber sie ergänzen sich wie Spiegel, die denselben Gegenstand von rechts und von links einfangen. Rücken wir das, was am Weihnachtstage des Jahres Soo geschah, jetzt in die Reihe der vorbereitenden Akte, von denen wir ausgingen, dann ergibt sich, daß der Papst und die Römer nur noch den fehlenden Namen einsetzten: sie erkannten den >Quasi-Kaiser< als tatsächlichen Kaiser an. Sehr treffend hat das Notker Balbulus trotz seinem zeitlichen Abstande - gekennzeichnet: Karl, der bereits der Sache nach ( re ipsa) Lenker und Kaiser sehr vieler Nationen gewesen sei, habe den >Namen< des Caesars und Augustus erlangt146 • In der Tat: nicht mehr und nicht weniger geschah an jenem Tage, als daß dieresendlich das ihr gebührendenomenerhielt-wenigstens nach römischer Auffassung. 144 EICHMANN a. a. 0. I, S. 27, 31, der es für möglich hält, aus dem Schweigen des >Liber pontificalis< den Schluß zu ziehen, Leo habe in den Augen seines Biographen >des Guten zu viel getan<. 145 Über die Geschenke, die Karl an diesem Tage machte, vgl. FrcHTENAU a. a. 0., S. 8o. Doch ist der Schluß, daß der von ibm zunächst geschenkte Tisch ein Zeichen für die Verlegenheit, »in die er durch den uner-
warteten Vorgang geriet«, gewesen sei, über kühn. 146 Gesta Karoli I, c. 26 (M. G., SS. II, S. 74 = ed.H.F.HAEFELE, 1959, S. 35; Mon. Germ., Script. N. S. XII); nur die Angabe: apo.rtolica auctoritate ist durch die inzwischen eingetretene Entwicklung gefärbt. Vgl. dazu W. voN DEN STEINEN, N. der Dichter u. s. geistige Welt, Darstellungsband, Bern 1948, s. 71 ff.
Rekonstruktion des Vorgangs (Weihn. 8oo) (S. 489)
Wenn wir jetzt versuchen, die Tatsachen, die gesichert werden konnten, zusammenzuziehen, dann ergibt sich über das, was sich am 2 5. Dezember des Jahres 8oo in der Peterskirche zu Rom abgespielt hat und die Geschichte des Abendlandes für lange Jahrhunderte festlegte, folgender historischer Bericht: Über die übliche Weihnachtsfeier sollte sich dieser Tag erheben, da Karl ihn für die Salbung seines ältesten Sohnes vorgesehen hatte, der seinen und des Urgroßvaters Namen trug. Da diesem das eigentliche Frankenreich zukam und Kar! ja noch rüstig war, hatte bisher kein Anlaß vorgelegen, ihn in die Herrschaft einzuführen. Aber es mag doch als mißlich empfunden worden sein, daß auf diese Weise der älteste Sohn hinter seinen bereits 781 gesalbten Brüdern zurückstand. Karl begab sich in die Peterskirche, zum zweiten Mal und wiederum auf Drängen des Papstes mit einem Kaisermantel, einer langen Tunika und den roten Stiefeln bekleidet. Anzunehmen ist, daß er wie an Fest- und Feiertagen üblich, eine Krone auf dem Haupte trug, diese aber in der Kirche ablegte - was Brauch war und schon deshalb erforderlich wurde, weil Karl sich im Gebet auf die Erde werfen mußte. Ferner ist anzunehmen, daß diese Krone ihren Platz auf dem Altar fand. Nach dem Gebet setzte der Papst Kar! die Krone wieder auf das Haupt. Einer Chronik zufolge bändigte er ihm Purpurmantel und Szepter aus, die Karl - wenn diese alleinstehende, aber innere Wahrscheinlichkeit besitzende Nachricht stimmt - gleichfalls vor dem Gebet abgelegt haben wird. Wie auch immer es nun im einzelnen gewesen sein mag, es handelt sich ebensowenig wie 78 I bei der >Krönung< der Söhne um einen Rechtsakt, bei dem Karl durch den Papst mit irgend etwas >belieben< oder mit der Herrschaft >bekleidet< worden wäre. Die Messehandlung lief wie herkömmlich ab; dann wurden vom Klerus die Laudes für Leo ID. und Kar! intoniert, wie sich das in Rom eingebürgert hatte. Nur wurde dabei Kar! nicht mit dem Königstitel, sondern mit dem Kaisertitel akklamiert. Darüber, ob dieser >Kaiser< oder >König der Römer< gelautet habe, scheinen die Meinungen bereits gleich danach auseinander gegangen zu sein; vermutlich war beides richtig, denn in die Stimmen des Klerus werden sich die der Versammelten gemischt haben, von denen der eine so und der andere anders gerufen haben mag 147 • Damit hatte Kar! das ilim noch fehlende nomen erhalten; damit war er vom Papst, von den Römern, von den mit Franken untermischten Gästen als Kaiser >anerkannt<. Damit war er - ohne es gewollt zu haben - zum Kaiser geworden. Seine Anerkennung des neuen Imperator machte der Papst noch vor aller Augen sinnfällig, indem er vor Kar! niedersank, d. h. ihm die adoratio darbrachte 148• Für die Nachwelt hat sich das Aufsetzen der Krone in den Vordergrund geschoben, weil von Weilie und Krönung Ludwigs d. Fr. an, die 816 der Papst vollzog, das Aufsetzen der Krone tatsächlich zu einer Verleihung des Kaisertums wurde. Im Jahre 8oo wares-wir unterscheiden das noch einmal - nicht mehr als ein sich aus der Situation ergebender Zwischenakt, der stattgefunden hätte, auch wenn die Ausrufung Karls zum Kaiser nicht erfolgt wäre. Es ist deshalb verfehlt, von einer im Jahre 8oo erfolgten >Kaiserkrönung< zu sprechen; was tatsächlich geschah, war die >Anerkennung Karls als Kaiser<, herbeigeführt durch die Laudes und bekräftigt durch die Adoratio des Papstes.
147 Zu beachten ist, daß >Romanorum< von der fränkischen Seite berichtet wird, dagegen im >Liber pontificalis< fehlt. 148 Die Zeugnisse erwähnen nicht, daß auch dem Papst Laudes dargebracht wurden, wie das vorher fränkischer Brauch gewesen
war und nach 8oo sowohl für die Päpste als auch für die Kaiser selbstverständlich ist; das Schweigen der Zeugen darf also nicht dahin ausgelegt werden, daß dies unterblieb. (Das tut D:EER a. a. 0., S. 50, um die Bewahrung des alten Protokolls zu zeigen).
C. Karl der Große als Kaiser (8oo-8r4) im Lichte der Staatssyrnbolik~a) Leos lll. und Karls Einstellung zum >nomen imperatoris<. Karls Grundatiffassung Auf sich kann in unserem Zusammenhang die Frage beruhen, wie weit für den Papst die Notwendigkeit bestanden hatte, einen weltlichen Richter zu gewinnen, der befugt war, über seine Gegner zu Gericht zu sitzen; auch die weitere Frage brauchen wir nicht anzuschneiden, ob Leo etwa durch diese Rechtsfrage angestoßen worden war, eine bereits herangereifte Entwicklung zu ihrem Endpunkt, der >Anerkennung< Karls als Kaiser, zu führen 1 • Aber zu vermerken ist, daß gleich nach der Weihnachtsfeier Leos Gegnern der Prozeß gemacht wurde: sie wurden des >Majestätsverbrechens< für schuldig befunden, also nach Kaiserrecht abgeurteilt 2 • Und nicht nur das: in einem für Italien bestimmten Kapitulare, das Karl der Große im Jahre 8o1 erließ (»gegeben im ersten Jahre von Karls Konsulat«), wird das Verlassen des Heeres (heresliz) unter ausdrücklicher Berufung auf die Iex Romana gleichfalls als Majestätsverbrechen gebrandmarkt. In der Sache geht das auf die scharfe Ahndung dieses Verbrechens zurück, die im Anschluß an die Absetzung des Herzogs Tassilo von Bayern (787) proklamiert worden war, aber damals wurde noch nicht der Terminus >Majestätsverbrechen< benutzt 3 • Jetzt paßte er sowohl in das Konzept des Papstes als auch in das des neuen Kaisers.
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Zugrunde liegen die S. 49I-5I5 des auf Seite 2 I 5 genannten Aufsatzes. In sie hineingearbeitet sind einige Seiten des Seite I93 angeführten Aufsatzes, die sich teilweise mit den hier wieder abgedruckten überschneiden. Der Text ist so stark abgeändert und erweitert, daß ich davon absehen muß, auch hier die Seitenzahlen der Stammfassungen anzugeben. Auf die Beziehungen Karls zu Harun-alRaschid sei nicht eingegangen, da sie im Leben des Kaisers nur eine Episode darstellten und wir über diese nicht ausreichend orientiert sind; vgl. zuletzt G. MuscA, Carlo Magno ed Harun al Raschid, Bari I 964 (Univ. degli Studi, Ist. di storia medievale e moderna, Saggi I ; 154 S.). Zu Jerusalem s. oben S. 256f. I Dazu HALLER (s. S. 2I6) II, I S. I9: »In dieser Verlegenheit verfiel man in der Umgebung
des Papstes auf den Gedanken, Kar! selbst zum Kaiser zu erheben.« Dagegen ÜSTRO· GORSKY (s. S. 2I6) S. I27, Anm. 2. - Über Leos >Reinigungseid< s. oben S. 256. - S. dazu jetzt CLASSEN (s. oben S. 2I8) S. 573f. 2 Ann. regni Franc. ad a. 8oi (Script. a. a. 0. S. I I4): secundum legem Romanam ut maiestatis rei capitis dampnati sunt. Darauf machte E. RosENSTOCK, Unser VolksnameDeutsch und die Aufhebung des Herzogtums Bayern, in den Mitteil. der Schlesischen Gesellsch. f. Volkskunde 29, I928, S. I-66, bes. S. 38ff., aufmerksam. Daß der Begriff reus maiestatis gelegentlich schon früher in der germanischen Rechtswelt auftaucht, sei am Rande vermerkt; vgl. M. LEMOSSE, La lesemajeste dans Ia monarchie franque, in der Revue du m. ä. latin II, I946, S. 5-24. - Über die Folgezeit s. Bd. II: Titel der Karolinger.
Papst Leo III. und das >nomen imperatoris<
Gerichtsherr war in diesem V erfahren Karl. Leo begnügte sich damit, durch seine Bitte eine Milderung der gefällten Todesurteile zu erwirken und auf diese Weise die Stadtrömer für sich einzunehmen. Wie Leo III. das neue Kaisertum verstand, lassen seine an das Jahr 8oo anschließenden Maßnahmen erkennen. Wir erinnern hier an die Einführung einer Datierung, die nur noch - wie einstmals - nach Kaiserjahren zählte4 , und fügen nun noch hinzu, daß Leos Briefe an Karl sich fortan nach dem Formular richteten, das der >Liber diurnus< als Muster für die superscriptio ad principem bereit hielt: Leo schrieb also an Karl nach dem Muster, wie seine Vorgänger ihre Schreiben an den Basileus abgefaßt hatten•. Am stärksten mußte den Zeitgenossen in die Augen fallen, daß der Papst jetzt auch im Bereich der Münzprägung, in dem er ja Karl bisher keine Konzessionen gemacht hatte, ihm die Rechte einräumte, die einst dem Kaiser zugekommen waren: durch ihre Hände liefen jetzt Denare, die auf der einen Seite den Karlsnamen mit dem Kaisertitel und auf der anderen Leos III. Monogramm und S(an)C(tu)S PETRVS aufweisen 6 : sie können - wie die entsprechenden mit Karls und Grimoalds Namen in Benevent- nur in Rom geprägt sein. ( Abb. 6i)7. Hinzu kommt noch ein heute verschollener Denar, den wir nur durch einen Stich in dem numismatischen Werk von F. LEBLANG (1703) kennen. Er zeigte auf der (beschädigten) Vorderseite einen Herrscher mit niedriger Krone, einem Schwert in der Rechten, einem Kreuz oder einem Stab in der Linken, mit der Umschrift: CAROL(VS) ... (in der Lücke wäre Platz für: IMPR). Die Reversseite wies die Umschrift auf: SCS. PETRVS. Sie umgibt ein Monogramm, aus dem LEBLANG ROMA herauslas; vermutlich hat er auch den Stecher in diesem Sinne angeleitet; denn auf dem Stich ist diese Lesart wiedergegeben. Aber vermutlich hat er falsch gedeutet: L(E) 0 P ( A) P ( A) ist wahrscheinlicher ( Abb. 6)s.
4 S. oben S. 223 f .. 5 E. CASPAR (s. S. 216) S. 257. 6 Corpus numm. Ital. S. 65 mit T. IV, 5; Herrschaftszeichen I Abb. 3I 1. 7 I. MENADIER (voriger Abschnitt Anmerkung 23) S. II6 und noch deutlicher S. 123 (so auch schon im Jahre I9II) meint, der Denar sei zur Feier der Kaiserkrönung von 8oo geschlagen worden. Diese Vermutung schießt über das Beweisbare hinaus und hat manches gegen sich. Vgl. jetzt GAETTENS (s. Anm. 46) S. 16-2.1 mit Stellungnahme zu den Auffassungen anderer Forscher und PH. GRIERSON, Money and Coirrage under Charlemagne, in: Kar! d. Gr. Lebenswerk und
Leistung I, Düsseldorf 1965, S. 518 mit PI. IV, 43· 8 Traite historique des Monnoyes de France, Paris 1703 pl. Ioo Nr. 3; danach GRIERSON a. a. 0. S. p8 Anm. 35 mit PI. IV Nr. 45· Das Schwert in der Hand des Herrschers ist in dieser Zeit sehr selten; man könnte es mit Karls Funktion, der protector et defensor der Römischen Kirche zu sein, zusammenbringen, aber die Einzelheiten des Stiches wecken Mißtrauen, so daß man sich hüten muß, Folgerungen zu ziehen. Würde das versc)10llene Original wieder auftauchen, wäre ein wichtiges Bildzeugnis für die Staatssymbolik dieser Jahre gewonnen.
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B2: c. Kar! d. Gr. als Kaiser (Soo-814)
Wir dürfen annehmen, daß der Papst zunächst mit dem von ihm herbeigeführten Wandel zufrieden war. Galt das auch für Kar/ den Großen? Hat der Frankenherrsche r womöglich zunächst gezaudert, aus dem >staatsymbolischen< Akt des Weihnachtsfestes die gebotenen >staatsrechtlichen< Konsequenzen zu ziehen? Man hat aus der Tatsache, daß eine Urkunde Karls für Arezzo aus dem März 801 mit dem Königstitel, noch dazu in der irregulären Form: rex Franeorum et Romanorum adque Langobardorum, vorliegt, schließen wollen, er habe sich zunächst weiter König genannt. Doch hat PAUL KEHR als der beste Sachkenner das Urteil gefällt, daß diese Urkunde nur in einer späteren, wenn auch noch dem 9· Jahrhundert angehörenden Abschrift vorliege, die den Titel verunklärt haben könnte. Wem diese Erklärung nicht ausreicht, muß mit der Möglichkeit rechnen, daß die Urkunde bereits vor Weihnachten aufgesetzt, aber erst im März vollzogen sein kann. Da bis zum Mai jede weitere Urkunde fehlt, bleibt die Auswerrung dieses aus der Reihe fallenden Dokuments in diesem oder jenem Sinne ein Spiel mit Vermutungen•.
Aber selbst wenn Karl zunächst noch den alten Titel weitergeführt haben sollte, fällt das nicht in die Waagschale gegenüber der Tatsache, daß er sich anschließendbelegt zuerst am 29. Mai 8o1 - Kaiser nannte und nennen ließ. Bis zu seinem Tode ist es bei diesem Zustand geblieben. Andererseits ist an dem Sachverhalt nicht zu rütteln, daß Karl zwar die Kaisergewänder angelegt, seine Krone vom Papste zurückempfange n, aber die Akklamation als Kaiser nicht gewünscht hatte. Nie hätte man an Einhards Worten zweifeln sollen, daß Karl selbst erklärt habe, er würde St. Peter trotz dem hohen Feiertage nicht betreten haben, wenn er die Absicht des Papstes hätte voraussehen können10 • 9 D. Kar! d. Gr. Nr. 196 (BöHMER-MüHLBACHER 2. Auf!. Nr. 371), dazu M. KösSLER, Karls d. Gr. erste Urkunde aus der Kaiserzeit, Graz 1931 (Veröffentl. des Hist. Seminars der Univ. Graz VIII); dazu P. KEHR im Neuen Archiv 49, 1932, S. 702f. W. HOLTZMANN in der Hist. Zeitschr. 145, 1932, S. 630, äußerte sich vorsichtig; GANSHOF, Fin du regne a. a. 0. S. 433, Anm. 1, trat wieder KössLER bei. Die Murbacher Formel, die KössLER als Stütze für die von ihm angenommene Zwischenstufe in der Entwicklung der Titulatur heranziehen wollte, besagt gar nichts: sie ist offenbar verderbt (u. a. patricius weggefallen). Zu diesem Schluß kommt auch CASPAR a. a. 0. S, 262. An die Richtigkeit des Titels im D. 196 glaubt HALLER a. a. 0. II, 2, S. 451, der auch die gubernans-Formel (s. Anm. 13) auf seine Weise erklärt; vgl. hierzu auch CASPAR a. a. 0. S. 26of. Gegen den Zwischentitel
spricht vor allem, daß er jener Stringenz entbehrt, die sonst alles auszeichnet, was Karls Stellung vor der Öffentlichkeit festlegt: ein rex Romanorum wäre ein Wechselbalg gewesen.- Vgl. auch Anm. 14. xo c. 28 (S. p): Quod prima in tantum adversatus est, ut adjirmaret se eo die, quamvis praecipua festivitas esset, ecdesiam non intraturum, si pontijicis consilium praescire potuisset; s. dazu die sorgfältige Analyse bei P. CLASSEN (s. oben S. 218) S. 589ff. Vgl. auch Annales Maximiniani (Mon. Germ., Script. XIII, S. 23): nesciente domno Carolo. Verwandte Zeugnisse bespricht H. v. FxcHTENAU, Kar! d. Gr. u. das Kaisertum, in den Mitteil. des Inst. f. österr. Geschichtsforsch. 61, 195 3, S. 285 ff.R. FoLz (s. oben S. 218) S. 176 spricht mit Recht von >temoignage irrecusable<. CASPAR a. a. 0. S. 259 wollte aus dem >Lib. pont.< herauslesen, daß Kar! doch nicht
Kar! und sein >nomen imperatoris<
Was hatte das Mißfallen des >Kaisers wider Willen< erregt? Man hat immer wieder darauf hingewiesen, daß die führende Rolle, die der Papst übernommen hatte, nicht zu der Auffassung paßte, die Karl (trotz grundsätzlicher Anerkennung der Zweigewaltenlehre) von seiner Aufgabe und der des Papstes hatte, und zweifellos ist dies ein Grund zum Anstoß gewesen. Ebensowenig kann die Rolle, die den Römern zugefallen war, ihm, dem selbstbewußten Franken, gelegen haben. Wichtiger war zweifellos, daß- wie wir zu zeigen suchten- für Karl nur eine kaisergleiche Stellung, aber nicht die des Kaisers selbst, erstrebenswert war. Aber uns will dünken, daß wir in diesen Motiven noch nicht das letzthin Entscheidende aufgespürt haben. Was durchzieht das an Wechseln so reiche Leben Karls von dessen Beginn bis zum Ende wie ein roter Faden? In allen Phasen seiner Regierung verharrte er bei dem Bestreben, das Recht zu wahren, Gerechtigkeit zu üben, dort, wo das Recht noch nicht aufgezeichnet war, für einen authentischen Text zu sorgen und - dies Ziel erreichte er nicht - ein Gesetzbuch für alle Franken zu schaffen. Ein Wahrer des Rechts, einer der größten, die das Mittelalter erlebt hat, das war Karl, aber kein Neuerer. Wie hätte er sich da unterfangen können, die ja nun einmal existierende, also von Gott zugelassene Ordnung zu erschüttern, indem er vor die Welt trat und erklärte: von jetzt an bin ich der Kaiser I Der entscheidende Anstoß, den der >Kaiser wider Willen< an seiner Würde nahm, , ergab sich also aus seinem Rechts bewußtsein, nicht aus der Politik und nicht aus der Staatstheorie. Man kann das ja noch aus der Art herauslesen, wie die >Annales Laureshamenses < den Sachverhalt darstellen: sie verkürzen die Angaben über den Verlauf der Handlung und fügen dafür die Argumente ein, die die Annahme des Kaisertitels doch als rechtmäßig erscheinen lassen: Verwaisung des Kaisertums, Besitz Roms und der einst das Westreich bildenden Gebiete- mehr oder minder bestechende Motivierungen, aber für ein waches Rechtsbewußtsein doch nur Beschwichtigungsgründe. Für Karl konnte daher die >Anerkennung als Kaiser< durch den Papst, die Römer und seine fränkische Begleitung nicht das letzte Wort sein. Wir schieben nochmals alle Thesen beiseite, die Karl die Absicht unterstellen, er habe von sich aus seine Proklamation zum Kaiser betrieben und sei nur unwillig gewesen, daß der Papst ihm mit einer eigenmächtigen Aktion zuvorgekommen sei. Das heißt, das Gras auch da wachsen hören, wo es gar nicht aufgekeimt ist. ganz unvorbereitet war. Doch darf man das Zeugnis nicht pressen, und das Entscheidende bleibt allemal bestehen: der Papst ging eigenmächtig vor. Angesichts des aufgewandten Scharfsinns, mit dem das eindeutige Zeugnis eines Kar! nahestehenden, wenn auch erst geraume
Zeit nach dem Ereignis schreibenden Autors weginterpretiert worden ist, weil es den betreffenden Autoren das Bild, das sie sich zurechtgemacht hatten, störte, empfehlen sich die vorgebrachten Argumentationen für Seminarübungen, die sich mit der historischen Methode befassen.
z68
Bz: c. Kar! d. Gr. als Kaiser (8oo-8 14)
b) Karls Kaisertitel: sein Sinn und seine Varianten Wir haben die Frage offengelassen, ob Karl am Weihnachtstage des Jahres 8oo zum imperator oder zum imperator Romanorum ausgerufen wurde, und müssen jetzt suchen, eine Antwort zu finden. Die Zeugnisse, die Gewicht haben, verteilen sich bekanntlich so, daß es Gefühlssache ist, für welche man sich entscheidet11• Im byzantinischen Kaisertitel fehlte Romanorum meist noch, und auch der abendländischen Datierungszeile war der Zusatz unbekannt, die liturgischen Handschriften dagegen schwanken im Wortbrauch; von dieser Seite aus ist also keine Gewißheit zu erlangen. Der von Kar! angenommene Titel und seine Kaiserbulle bezeichnen das Reich nachträglich als das >Römische<; aber das erlaubt keinen sicheren Rückschluß auf jenen Weihnachtstag. Das Faktum, an ~as wir uns halten müssen, ist, daß sich offensichtlich bereits die Zeitgenossen nicht einig waren.
Man wird annehmen müssen, daß schon nach dem - mehr oder minder stürmisch verlaufeneu - Vorgang die Meinung darüber geteilt blieb, was nun eigentlich geschehen war. Ja, es mag sein, daß die einen dem >Kaiser< und die anderen dem >Kaiser der Römer< zugejubelt hatten, so daß alle Zeugnisse recht haben. Und das wäre ja auch nicht weiter erstaunlich: die Versammelten wollten einen >Kaiser< und werden sich über den >staatsrechtlichen< Charakter dieser Würde noch keine Gedanken gemacht haben. Karl konnte dieser Frage jedoch nicht ausweichen, und der von ihm geführte Kaisertitel läßt erkennen, daß er über ihn sehr sorgfältige Überlegunge n angestellt hat. Sie führten zu einer überraschenden, für Karl bezeichnenden Formel: Karl nannte sich nämlich nicht >Kaiser< oder >Kaiser der Römer<, ahmte auch nicht den byzantinischen Titel seiner Zeit nach, der Xeun:(jl r(jl ffe(jl nunoc; ßaatÄevc; ual avrouearwe und ähnlich lautete, sondern hielt sich an die Titelform der Laudes, die ja ihrerseits wieder mit der italienischen Datierungsfo rm zusammenhing12 • So wurde
ev
DöLGER (s. S. 216) S. 215 (1953 S. 298) entscheidet sich für die vollere Form. 12 Daß Karls Kaisertitel nicht dem byzantinischen entspricht, sondern der Fassung der Datierungszeile sowie der Laudes, stellte bereits K. BRANDI im Archiv f. Urkundenforschung I, 1908, S. p, Anm. r, fest (jetzt: Ausgewählte Aufsätze, Oldenburg-Ber lin 1938, S. rrr, Anm. 30). Im Capitulare vom Frühjahr 8or (Mon. Germ., Capit. I, S. 204) heißt es : divino nutu coronatus und regens imperium. CLASSEN (vgl. die nächste Anm.) macht darauf aufmerksam, daß die in Byzanz fehlende Devotionsform el beim Königstitel belassen ist und misericordia statt gratia n
gelegentlich auch sonst begegnet, und zwar sowohl bei Laien als auch bei Geistlichen. Semper augustus, das der seit Konstantin dem Großen üblichen Formel: aei sebastos entsprach, ausnahmsweise in dem Lorscher Kalendar zu IV non. Apr.; vgl. dazu FrcHTENAU, Kar! der Große (s. S. 266) S. 323 (mit Literatur zur Geschichte dieser Formel). Über >Serenissimus< im Titel Karls vgl. H.H.HoFMANN, Serenissimus. Ein fürstliches Prädikat in 15 Jahrh.en, im Histor. Jahrb. 8o, r96r s. 242. V gl. auch den Reinigungseid Leos III. (8oo): clementissimus et Serenissimus domnus rex Carolus (Mon. Germ., Concil. II, r S. 226).
I Karls Kaisertitel
aus: piissimus augustus a Deo eoronatus, magnus et pacifieus rex sowie aus dem herkömmlichen Königstitel: rex Franeorum et Langobardorum ae patrieius Romanorum folgender, mit Mitteln der Kunstprosa wohlklingend gemachter und fortan festgehaltener Titel:
Serenissimus augustus a Deo eoronatus magnus paeifieus imperator, Romanum imperium gubernans qui et per miserieordiam Dei rex Franeorum et Langobardorum. Die ersten beiden Glieder bestehen aus zwei, die übrigen aus drei Hauptwörtern, und damit das vorletzte nicht aus dieser Klangform herausfällt, ist Dei gratia durch per miserieordiam Dei ersetzt. Im Gesamt war der Titel viellänger und sonorer als der der >basileis kai autokratores< in Konstantinopel. Aber er war nicht leere Rhetorik; vielmehr war jedes Wort überlegt. Einer Erklärung bedarf die Formel: Romanum gubernans imperium, da sie das eigentlich Neue im Urkundentitel darstellt. Man hat im Hinblick auf den Titel der Urkunde für Arezzo angenommen, der neue Titel sei das Ergebnis eines mehrmonatlichen Erwägens und lasse erkennen, daß Kar! nur mit halbem Herzen nach ,:ler neuen Würde gegriffen oder auf diese Weise einem byzantinischen Einspruch vorgebeugt habe. Nun hat PETER CLASSEN nachgewiesen, daß es sich bei der gubernan.r-Formel gar nicht- wie wir bisher annahmen- um eine Neubildung handelte, sondern um eine Wendung, die so und ähnlich dem >Corpus iuris< wohl vertraut war und in italienischen Schwurformeln usw. bis in das 8. Jahrhundert wieder und wieder begegnet; vor allem bietet hier dank günstiger Überlieferung Ravenna Belege18• Um auf die Formel: imperium Romanum gubernan.r zu verfallen, bedurfte es also nur eines Blickes auf eine ältere Urkunde".
Die durch diesen Titel aufgeworfene Frage ist demnach so zu formulieren: Weshalb wandelte Karl seinen Titel Patrieius Romanorum nicht in Imperator Romanorum um, wie es laut der fränkischen Überlieferung bei den Laudes des Weihnachtstages Auf den Kaisertitel ist auch BoNENFANT (Anm. 25) S. 64f. eingegangen; doch kann ich seinen Ausführungen kein neues Argument entnehmen. I 3 Romanum gubernans imperium, im Deutschen Archiv IX, I95I, S. 103-2I. - Schon beim Konzil von Frankfurt (794) wurde Karl akklamiert als omnium Chri.rtianorum moderanti.rsimus gubernator (Mon. Germ., Concilia II, S. I42); vgl. dazu die Septuaginta und Karls Brief an Hadrian von 79I (MUN-
DING-s. S. 223 Anm. 15- S. 3, Z. 5):pro ..• apostolicae sedis gubernatione. I4 Dagegen, daß MüHLBACHER (Mon. Germ., DD Karo!., in der Vorbemerkung zum D. K. d. Gr. I96) dessen irregulären Königstitel damit erklärte, der neue sei noch nicht festgelegt gewesen, habe ich mich bereits (Renovatio I, S. I 3) gewandt, muß hier aber meine weiteren Schlüsse auf Grund der neuen Forschungen korrigieren. - V gl. auch Anm. 9·
Bz: c. Kar! d. Gr. als Kaiser (8oo-8r4)
geheißen hatte? Hierauf gab HELMUT BEUMANN die einleuchtende Antwort15 : »Der Titel imperator Romanorum hätte unweigerlich in den Augen der Franken und Langobarden die Römer, d. h. die damaligen Bewohner der Ewigen Stadt, zum herrschenden Reichsvolk gemacht.« Daß der Kaisertitel mehr sein sollte als ein gesteigerter Patricius-Tite l, das zeigen ja die aus der ehemaligen Kaisertitulatu r entlehnten Ehrennamen auf den Münzen und der Bulle: DN und PFPP (s. unten), ebenso das a Deo coronatus magnus paciftcus. Karl wollte Kaiser des Reiches (des ROMAN. IMP., wie es auf der Bulle heißt, nicht nur der ROMA) sein. Die alte gubernans-Formel brachte das vorzüglich zum Ausdruck. Andererseits wollte Karl nichts fahren lassen, wollte bleiben, was er bisher gewesen war: König der Franken und der Langobarden . Deshalb durfte der alte Doppeltitel in dem neuen nicht fehlen. In der umfangreichen Titulatur, die sich auf diese Weise ergab, steht also kein Wort zuviel; ein jedes trifft die Sache, ein jedes ist gewichtig. Auch hier ist wieder zu vermerken, daß bereits in den neunziger Jahren sich eine Vorstufe abzeichnet: in der Überschrift der Libri Carolini werden diese bezeichnet als opus ... Caroli nutu Dei regis Francorum, Ga/lias Germaniam Italiamque sive harum ftnitimas provintias Domino opitulante regentis, d. h. Volkskönig der Franken und Beherrscher der benachbarten >Provinzen< 16 • Wenn man fragt, in welchem Umfange Kar! das imperium-ein Wort, das Karls Kanzlei bisherfremd gewesen war, das aber in den Gebeten oft fiel- beansprucht habe, dann gibt man modernen Vorstellungen Raum. Das Mittelalter war beherrscht von dem Ideal der Einherrschaft, die den ganzen orbisterrarum umfaßte; aber es fand sich damit ab, daß die Wirklichkeit ihr nicht mehr entsprach. Die Hoffnung blieb, daß sie es eines Tages wieder tun würde, daß Osten und Westen sich zusammen-' schlossen und daher noch die >barbarischen Nationen< sich dem Reiche angliederten. Bei jenem Begriff des imperium christianum, für das Kar! sich ja bereits in den neunziger Jahren verantwortlich gefühlt hatte, kann man daher nicht die Frage aufwerfen, wo dessen Grenzen gedacht waren. Denn das eben
r 5 Das imperiale Königtum im r o. Jahrhundert, in: Die Welt als Gesch. X, 1950, S. II7-30, bes. S. r 21 ff., auch (verspätet ausgegeben): Romkaiser und fränkisches Reichsvolk, in der E. E. STENGEL-Festschrift, Weimar 1952 s. rn-so, bes. s. I78f. Vgl. dazu auch P. CLASSEN (s. oben S. 2I8) S. 587. x6 Hierauf wies bereits CASPAR (s. S. 216) S. z6zf. hin; vgl. dazu Mon. Germ., Concilia II, Suppl. S. r. Diese Titelfassung klingt an in dem Zusatz: ... rex [et rector regni] Fr. ac Lang. ceterarumque provinciarum,partibus nostris aspicientium [ ecclesiarum Dei defensor humilisque adiutor] des Bischofs Ghaerbald von Lüttich in seiner um 8o6 redigierten Kapitulariensammlung (hg. von W. E. EcKHARDT, Göttingen I 9 55 ; Germanenrecht e N. FolgeDeutschrechtl. Archiv Heft 3; S. 6r f.). Zu-
grunde liegt der Titel Karls in der Praefatio zu der hier eingereihten >Admonitio generalis< (Entsprechunge n in eckiger Klammer); er ist jedoch mit dem offiziellen Kaisertitel gekoppelt und weist darüber hinaus noch eigene Bestandteile auf. Die Annahme (EcKHARnT a. a. 0. S. 62), daß die Abweichung vom offiziellen Kaisertitel auf eine unbekannte frühere Kanzleifassung zurückgehe, hängt in der Luft. Über das sonstige Vorkommen des in der karolingischen Zeit schimmernden Begriffs provincia vgl. W. METZ, Bemerkungen über Provinz und Gau in der karoling. Verfassungs- u. Geistesgesch., in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 73, German. Abt., 1956 S. 361 bis 372.
I
Karls Kaisertitel war und blieb das Wesen des Reichsbegriffs, daß er zwar einer konkreten Basis mit Macht und Ansehen bedurfte, daß aber seine ideellen Grenzen sich im Ungewissen verloren. Wie weit daraus Ansprüche auf der Landkarte abgeleitet wurden, blieb sowohl in der Antike als auch im Mittelalter eine Frage, die sich jeweils nach der politischen Lage richtete. Das galt auch für das Reich, dessen gubernator Kar! der Große geworden war. Diesem Begriff, der mit regnum christianum zusammenfloß, stand als Gegenbegriff die >Heidenwelt< gegenüber. Diese für die religio christiana zu gewinnen und durch Unterwerfung in das imperium christianum hineinzuziehen, war die große Aufgabe. Wenige Monate vor der Anerkennung Karls als Kaiser hatte daher Alcuin von der dilatatio imperii christiani sprechen können.
Nicht zu übersehen ist, daß in Karls Titel zwei grundverschiedene >Staats<-Auffassungen aufeinanderstoßen. Den fränkisch-langobardischen Doppeltitel bestimmt noch die herkömmliche Auffassung des Volkes als eines Personalverbandes, an dessen Spitze der König steht. Das imperium, mochte man es römisch oder christlich fassen, war nicht das Gegenteil des Personalverbandes: ein Flächenstaat; es war vielmehr ein überpersonaler, in die Zukunft weisender Zusammenschluß, in den beliebig viele Völker eintreten konnten. Es war kein V erband, sondern eine Institution mit einem Auftrag Gottes, des Weltenlenkers. Insofern tritt in Karls Titel die Doppelgesichtigkeit heraus, die ihm selbst eigen war: Bewahren und Fortbilden auf christlich-römischer Bahn. Zu beachten ist, daß augustus zusammen mit anderen >Lobwörtern< vor imperator steht. So lautete ja auch der zu Weihnachten 8oo benutzte Laudes-Text; in Byzanz war es dagegen bis 629 üblich gewesen, augustus aufimperatorfolgen zu lassen 17, und an diesen Brauch hielt sich auch die >Konstantinische Schenkung<. So oder so, man sah in augustus ein schmückendes Adjektiv im Sinne Isidors von Sevilla, in dessen viel benutzten Lexikon zu lesen war, daß augustus mit dem Verbum augeo zusammenhinge. Für die Zeitgenossen ergab sich durch den Gebrauch von augustus imperatorjedoch eine Unsicherheit. Es hatte ja einen Kaiser Augustus gegeben, noch dazu am Anfang der römischen Kaiserreihe. Wollte der neue ungewohnte Titel etwa zum Kaiser Augustus eine Beziehung herstellen? In den Briefen, die von Leo III. aus der Zeit nach der >Anerkennung< vorliegen (I I aus den Jahren 8o4- I 3), redet der Papst den Kaiser- spätantike Floskeln mit dem biblischen amator verkoppelnd- nur mit >augustus< an: Domino piissimo et serenissimo, victori ac triumphatori ftlio, amatori Dei et Domini nostri ]esu Christo Karolo augusto. In der Annalistik und in den Kapitularien hat der Imperator-Titel die Vorhand, in den
I 7 V gl. zum Folgenden die ungedruckte Dissertation von SIGuRD GRAF PFEIL. Die Titel der Fränkischen Könige und Kaiser bis 9II, Göttingen 1958 (445 S.), aus der ich im II. Band einen (die Zeit nach 814 behandeln-
den) Auszug bringe. S. vor allem Ders., Der Augustus-Titel der Karolinger, in: Die Welt als Geschichte 1959, S. 194-2.10. S. dazu auch R. FoLZ (s. oben S. 2.18) S. 183f.
B:a: c. Karl d. Gr. als Kaiser (8oo-814)
Konzilakten dagegen Augustus. Aber es wäre gewagt, daraus auf verschiedene Auffassungen im weltlichen und im geistlichen Bereich zu schließen. Daß in der Volkssprache längst >Kaiser< = Caesar üblich war, machte die Frage noch komplizierter, für Fernerstehende noch schwerer zu durchschauen. Erst nach und nach hat sich bei allen der Imperator-Titel als der eigentliche durchgesetzt, wurde Augustus als zugesetztes Lobwort verstanden und >Kaiser< als adäquate Übersetzung von Imperator anerkannt1 s. Sehr auffällig ist, daß Karls Kanzlei, die sich sonst einer konstanten Anwendung des Titels befleißigte, diesen bei einem wichtigen Anlaß abwandelte19 : Die Reichsteilung von 8o6 liegt in zwei Fassungen vor, die sich durch Karls Titel unterscheiden: die eine, wohl für die Großen und Missi bestimmt, weist den normalen Titel auf; in der anderen heißt es ähnlich wie in der >Konstantinischen Fälschung< 2 o:
Imperator Caesar Karolus, rex Franeorum invictissimus et Romani rector imperii, pius,felix, victor ac triumphator semper augustus ...
Imperator Caesar Flavius Constantinus ... ftdelis; mansuetus, maximus, beneftcus, Alemannicus, Gothicus etc., pius,felix, victor ac triumphator, semper augustus ...
Der hier neue, sonst aber vielfach benutzte Ehrennamen rector stammt aus der Liturgie, und den Cäsar-Titel konnte sich Karl im Hinblick auf das deutsche Wort >Kaiser< gefallen lassen. Daß el Langobardorum weggelassen ist, mag ein Ausdruck dafür sein, daß der Gedanke der >Personalunion< mittlerweile zurückgetreten war21 ; aber vielleicht ist diese Kürzung nur stilistisch bedingt (die Glieder des Titels sind 9, 9, II, II und 5 Silben lang). Diese Fassung war vermutlich zur Übersendung nach Rom bestimmt; aber daraus ergibt sich kein wirklich durchschlagender Grund für das Abweichen vom Brauch. Auch andere Überlegungen
18 S. unten in Bd. ll. 19 Mon. Germ., Capitularia I S. 126 Anm. a. Zu den dort vermerkten Handschriften mit dem abweichenden Titel (Gothanus II Nr. 189 und Vat. 3922, x6.fi7· Jahrh.) kommt noch der Cod. Darmstadt (Hess. Landes- u. Hochschulbibl.) 231, der von Frau Dr. SABINB KRüGER, Die Darmstädter Hs. des Dietrich von Nieheim, im Deutschen Archiv XII, 1956, S. 200-20 (bes. S. 214) beschrieben worden ist. Er enthält auf f. 1IIv-II3 das Teslamentum Karoli, d. h. die Divisio, und zwar - wie mir die Verf. mitteilte - mit genau dem gleichen Titel, wie sie die beiden anderen Zeugen bieten. Damit sind jetzt drei Zeugen für diese Fassung gesichert, so daß an ihrer Authenti-
zität nicht mehr gezweifelt werden kann. Die Fassung mit dem normalen Titel ist bezeugt durch eine Handschrift und einen alten Druck (Pithou). Dieses Faktum wird ausgewertet von W. SCHLBSINGER, Kaisertum und Reichsteilung, in der Festschrift für FR. HARTUNG, Berlin 1957, S. 21 (jetzt Beiträge zur Deutschen Verfassungs-Gesch. I, Göttingen 1963, S. 193ff.). 20 C. M1RBT, Quellen zur Gesch. des Papsttums, 1924, S. 107 (s. künftig die von H. FuHRMANN für die Mon. Germ. Hist. vorbereitete Edition). 21 SCHLBS1NGER a. a. Ü, S. 21 legt das als Anspielung auf den Sieg der Franken über andere Völker aus.
Karls Kaisertitel führen zu keinem überzeugenden Ergebnis - wir müssen uns damit begnügen, das Faktum zu registrieren. Durch den W. SCHLESINGER verdankten Nachweis, wie sich der ungewöhnliche Titel erklärt, ist jetzt erhärtet, daß der kaiserliche Hof im Jahre 8o6 die >Konstantinische Fälschung< kannte. Einhellig ist die Forschung jetzt der Ansicht, daß sie an der Römischen Kurie entstanden ist. Aber wann geschah das? W. ÜHNSORGE ist neuerdings mit eigener Begründung wieder für die schon früher vertretene Meinung eingetreten, das so folgenschwere Dokument sei erst 803/4 von Leo III., der ja auch 804 noch einmal mit Kar! zusammentraf, und einem unbekannten Helfer verfaßt worden; also nicht ein halbes Jahrhundert früher, wie meist angenommen worden ist; aber H. FuHRMANN hat diese These erschüttert. 22
Ob sich diese Streitfrage eines Tages einwandfrei wird entscheiden lassen, ist in unserem Zusammenhang nicht von Bedeutung. Aber an das Faktum, daß der Hof die >Donatio Constantini< gelesen hatte (ohne natürlich durchschauen zu können, daß es sich um eine Fälschung handelte), hängt sich die Frage: Erkannte Karl die Ansprüche an, die hier zugunsten des Papstes und der Kirche erhoben wurden? Wir sind in der glücklichen Lage, daß verschiedene >Indizien< erkennen lassen, welche Auffassung von seinem neuen Amt der große Franke hegte.
c) Neue Datierung und Invokation - Kaiserbulle - Legimus - Kaiserdenare - Adler Mochte Karl voll Unwillens die Peterskirche verlassen haben, er hatte seine >Anerkennung als Kaiser< hingenommen und rückte davon nachher auch nicht wieder ab. Ja, er näherte sich der Auffassung Leos III., daß der Anschluß an das ehemalige Kaisertum wiederhergestellt sei. Nur ein Beleg ist dafür erhalten, daß die kaiserliche Kanzlei wie die päpstliche die alte Rechnung nach Konsulatsjahren des Kaisers wieder aufgriff; er stammt aus dem Jahre 8or 23 • Im gleichen Jahre begann sie mit der Datierung nach Indiktionsjahren, die außer den Byzantinern auch schon den Langobarden vertraut gewesen war, und diesen Brauch hielt die Kanzlei fest24• Daß diese Neuerung wiederum als ein Ausdruck des Bestrebens zu werten ist, nicht hinter dem Basileus zurückzustehen, zeigt die in der gleichen Zeit durchgeführte Ersetzung des bisher die Urkunden einleitenden Chrismon durch die Invocation: In nomine Patris et Filii et Spiritus sancti, die wörtlich genau aus der griechischen Formel übersetzt war; unter Ludwig dem Frommen wurde sie, sichtlich unter theologischer Einwirkung, umgeändert in: In nomine domini Dei et salvatoris Jesu Christi 25 •
22 Konstantinopel und der Okzident, Darmstadt 1966, S. 93-162: Das Constitutum Constantini u. s. Entstehung; vgl. dazu Anm. 8 in dem vorausgehenden Abschnitt. 23 Vgl. oben S. 225. Über die Datierung nach Konsulatsjahren in den dem neuen Bischof ausgehändigten Bestätigungsschreiben (9. Jahrh.) vgl. M. ANDRIEu, Le sacre episcopal d'apres Hincmar de Reims, in der Revue
18 Schramm, Aufsätze I
d'hist. ecclesiastique 48, 195 3, S. 7of. 24 BRESSLAU-KLEW1TZ, Urkundenlehre II, 2 S. 4o8,Anm. 5 u. S.409; K.HELDMANN, Kaisertum Karls d. Gr., Weimar 1928, S. 346, Anm. 3 und Anm. 4· V gl. dazu Mon. Germ., Capitularia I, S. 204. 25 Hierzu sowie zur Indiktion vgl. P. BaNENFANT, L'influence byzantine sur !es diplömes des Carolingiens, im Annuaire de l'inst. de
2.74
Bz: c. Kar! d. Gr. als Kaiser (8oo-814)
Staatssymbolisch gewichtiger ist Karls zweite Bulle, die erforderlich wurde, weil die erste den Königstitel aufwies. Ikonographisch besteht auffallenderweise zwischen ihnen gar keine Beziehung; daß der Durchmesser der neuen Bulle geringer ist, bedarf gleichfalls der Erklärung (statt 4 nur 2.,4 Zentimeter) ( Abb. IIa}2 6 • Die bekrönte Büste Karls ist diesmal nach vorn gekehrt. Die Rückseite zeigt ein Tor, durch die Unterschrift ROMA als Sinnbild Roms gekennzeichnet; die Umschrift lautet: RENOVATIO ROMAN(i)IMP (erii). Karl faßt Schild und Lanze mit der Linken; was die Rechte tut, läßt das Münzrund nicht erkennen - das ist auffallend. Lanze und Schild haben ja ganz verschiedene Funktionen. Der Krieger nimmt deshalb die Lanze zu Stoß oder Abwehr in die Rechte und deckt den Leib mit dem von der Linken gehaltenen Schild. Das ist daher auch das Normale auf den antiken Kaisermünzen; ist der Schild jedoch weggelassen, umfaßt die Rechte die - senkrecht gehaltene oder (seit Konstantirr d. Gr.) geschulterte - Lanze. Der >zweihändige< Typ hat daher auch das Siegelbild von Ludwig dem Kind bis in die Königsjahre Ottos I. bestimmt.
Gibt es eine antike Vorlage, die diese Besonderheit mit Karls Kaiserbulle teilt? Ja, und zwar eine, die m. W. in dieser Hinsicht ganz vereinzelt dasteht, nämlich ein Silbermedaillon (Multiplum), von dem jetzt drei Exemplare in München (dies das beste), in Leningrad und in Wien (dies das schlechteste) bekannt sind ( Abb. IIa-c) 27 .
philol. et d'hist. orientales et slaves XI (Melanges Henri Gregoire Ill), Brüssel 1951, s. 67ff. z6' ScHRAMM, Kaiser u. Könige in Bildern I, Lpz. 1928 T. 7 mit S. z6ff. Ich mache zugunsten meiner Zuschreibung geltend, daß sie auf Grund der Überlieferungsgeschichte und der Nachahmung durch die folgenden Bullen genau so gesichert ist wie die einer beschädigten Urkunde, die durch Nachurkunden kontrolliert werden kann. - Im Hinblick auf die Gebete ist die Auflösung der Abkürzung in: Romani wahrscheinlicher als: Romanorum.- In Bd. ll Wiederabdruck der meiner Edition vorausgeschickten Ausführungen. Über den Bildniswert s. Bd. Il. Kurz berührte Bulle und Münzen CALMETTE (s. S. 217) S. 307. F1CHTENAU (s. S. 217) S. 37, Anm. 190 nimmt als Vorlage eine Münze aus der 2. Hälfte des 5· Jahrh.s an; ich habe keine finden können, die eine so genaue Datierung rechtfertigen würde.
27 Das Wiener Exemplar ist seit langem bekannt. Aber erst seit Entdeckung der beiden anderen, die die Einzelheiten erkennen lassen, war es möglich, das Dargestellte auszuschöpfen. Bahnbrechend war dabei ANDREAS ALFÖLDI. An Hand des Leningrader Exemplars behandelt er das Kreuzszepter Konstantins d. Gr., in den Schweizer Münzblättern IV, 1954, S. 81-86 mit Abb. 3· -Das 1954 von der Staat!. Münzsammlung in München erworbene Exemplar legte zu Grunde K. KRAFT, Das Silbermedaillon Constantins d. Gr. mit dem Christus-Monogram m auf dem Helm, im Jahrbuch für Numismatik u. Geldgesch. V-VI, 1954/55, S. 151-78 mit T. XIXIl (hier Abb. 1-2, 5 und 7: Abbildungen aller drei Exemplare).- Vgl. dazu MARIA R. ALFÖLDI, Die Constantinische Goldprägung, Mainz 1963, S. 146-p: >Zur Frage des Kreuzszepters< (mit Abb. des Münchener Exemplars).
Karls Kaiserbulle Gesichert ist, daß es sich um eine Prägung aus dem Jahre 3I5 28 handelt, angefertigt drei Jahre nach Konstantins Sieg an der Milvischen Brücke und dadurch auffallend, daß am Kaiserhelm ein Christusmonogramm angebracht ist. Das Medaillon hat deshalb als Bilddokument für den Satz: in hoc signo vinces Beachtung gefunden. Für die drei Exemplare sind verschiedene Stempel benutzt worden: »ein Zeichen, daß der Ausstoß dieses Medaillons nicht zu gering eingeschätzt werden darf.« 29 Auf der Reversseite ist der Kaiser stehend auf einem Podium dargestellt. Eine Victoria bekränzt ihn, die beiden flankierenden Soldaten halten Vexilla, um das Podium sind Reiter mit Rundschilden und Lanzen gruppiert, die ihre Pferde am Zügel führen. Konstantin hält mit der Linken ein Tropaeum; die Rechte ist zur Redegeste erhoben: er ist also dargestellt als Feldherr bei der >Allocutio< des Heeres. Man muß diese Rückseite mit heranziehen, um die Vorderseite zu verstehen: Konstantin hält mit der Rechten sein Pferd, von dem nur der Kopf zu sehen ist, am Zügel und hat daher Schild und Lanze30 mit der Linken gefaßt. Er ist also in dem Augenblick abgebildet, in dem er abgestiegen ist, um nun vom Podium aus seine Reiter anzufeuern.
Die besondere Situation, in der Konstantin dargestellt ist, erklärt plausibel, weshalb er Angriffs- und Schutzwaffe gegen die Regel mit einer Hand hält. Wenn Karl der Große auf seiner Kaiserbulle das gleiche tut, dann - dieser Schluß ist jetzt unausweichlich- deshalb, weil für sie dieses Konstantinsmedaillon zu Rate gezogen wurde. So muß man sagen; denn die Vorlage ist frei kopiert. Zu einem mittelalterlichen Herrscherbild hätte der Pferdekopf nicht gepaßt; er ist deshalb weggelassen, wodurch der Stempelschneider Platz gewann. Er drehte deshalb den halb nach rechts zum Pferd gerichteten Kopf Konstantins halb nach links. Auch trägt Karl die - ihm gemäße - Krone und nicht Konstantins Helm mit Federbusch und Christusmonogramm. Hinzugesetzt ist der zum abendländischen Herrscher, aber nicht zu Konstantins Militärkostüm passende, auf der Schulter durch eine Fibel zusammengehaltene Mantel. Das bartlose Antlitz Konstantins ist ersetzt durch einen Kopf mit dem fränkischen Schnauzbart. Auch die Umschriften sind frei ausgestaltet:
Avers: Revers:
a) b) a) b)
IMP. CONSTAN-TINVS P.F. AVG. DN. KAR.-IMP. P.F.PP. AVG. SA-LVS RE!- PVBLI- CAE RENOVATIO ROMAN. IMP. (unter dem Stadttor:) ROMAn.
28 Noch einmal nachgeprüft von KRAFT a. a. 0. 29 30
18*
S. Ip.ff. Ebd. s. I F· ANnREAS ALFÖLDI sah in ihr ein Kreuzszepter. Frau MARIE ALFÖLDI (seine Schülerin, aber nicht mit ihm verwandt) vertritt die Auffassung, daß es sich um das untere Lanzenende handelt: Konstantin hat sie beim Absteigen mit der Spitze nach unten gekehrt.
3I DN und P. F. PP. sind der alten, zeitlich seit dem 7· Jahrhundert nur noch verkürzt fortgeführten Kaisertitulatur entnommen. Über diese vgl. K. BRANDr, Ausgewählte Aufsätze, Oldenburg-Berlin I938, S. II3ff. (Zur Diplomatik der byzant. Kaiserurkunde, vorher im Archiv für Urkundenforsch. I, 1908). Über die Frage, ob etwa aufzulösen ist: >p(ater) p(atriae)<, vgl. CLASSEN (s. S. 2I8) s. 594 Anm. 300,
B2: c. Kar! d. Gr. als Kaiser (8oo-8r4) Der Kar! hier beigelegte Titel steht zwischen dem von ihm geführten und dem Konstantins. Dessen Reversinschrift hätte auch für Kar! gepaßt; daß er an ihre Stelle eine andere setzen ließ, läßt darauf schließen, daß er diese für treffender hielt.
Es bieten sich also überall einfache und plausible Erklärungen für das an, was hinzugefügt ist. Außerdem wird unsere Zurückführu ng der Karlsbulle auf Konstantins Silbermedaillon durch die Tatsache gestützt, daß - wie gleich darzulegen sein wird - auch für sein Münzbild eine Konstantinsm ünze als Vorlage benutzt wurde. Vor allem ist nun erklärt, weshalb der Durchmesser der Kaiserbulle von rund 4 auf 2,4 Zentimeter verkleinert wurde: der des Konstantin-M edaillonsbet rägt gleichfalls 2,4 Zentimeter 32, Damit ist nun die Bulle >entziffert<: Kar/ wollte die Erneuerung des Rb'mischen Reichesnicht des heidnischen, sondern des von Konstantin zum Christentum bekehrten32a. Die >Renovatio<-Formel mag sich unter dem Eindruck des Geschehens den Zeitgenossen aufgedrängt haben, aber sie hatte bereits Voraussetzunge n in der Bibel sowie in der theologischen Literatur und stand literarisch in einer Tradition, die bis in die Spätantike hinaufreicht: denn schon in ihr war von der Erneuerung, der Wiedergeburt, der Reformatio des Römischen Reiches die Rede gewesen88 • Dieser Gedanke war seither aus immer wieder neuen Lagen heraus in immer neuen Abwandlungen vorgebracht worden, und selbst die Kurie hatte sich noch im 8. Jahrhundert desselben bedient- heißt es doch in der Wahlanzeige des neugewählten Papstes, er wolle für den Triumph der christlichen Respublica beten, de qu(aJe restituta plenius Romani imperii prisca ditione letitiam cordis impertiat34, Dieser Gedanke muß auch dem fränkischen Hofe bekannt gewesen sein; noch größere Bedeutung mag für ihn gewonnen haben, daß es im Buche Sirach hieß, Samuel habe das Reich erneuert und Fürsten gesalbt: renovavit imperium 85 • So steht die auf den ersten Blick rein römisch anmutende Formel nicht im Widerspruch zu jener Gedankenwelt, welche die fränkischen Theologen in den neunziger Jahren bewegt hatte.
32 Durch diesen Nachweis erledigt sich W. ÜHNSORGES - durch kein Argument abgestützte - Annahme, aus Karls Bulle könne man auf >die damalige byzantinische Rotulusbulle< zurückschließe n (Konstantinope l und der Okzident, Darmstadt 1966, S. 285). 32a S. dazu E. EwiG im Histor. Jahrb. 75, !956 S. I ff. 33 ScHRAMM, Kaiser, Rom und Renovatio I, S. 38 ff.; vgl. dazu außer A. ALFÖLDI auch FR. HEER, Die >Renaissance<-Ideologie im frühen Ma., in den Mitt. d. Inst. f. Österr. Gesch.-forsch. 57, I949, S. 23-8I, bes. 4off. und JosT TRIER, Zur Vorgesch. des Renaissance-Begriffes, im Archiv f. Kulturgesch. 33, I950, S. 45-64. Siehe auch J. GAGE, Le Templum Urbis et !es origines de l'idee de Renovatio, in den Melanges F. CuMONT,
Brüssel I936 (Annuaire de l'Inst. d~ philol. et d'hist. orientales et slaves IV) S. IJI-87. CLASSEN a. a. 0. S. 594 mit Anm. 3ooa bringt Belege aus dem theologischen Bereich. Zusammenfasse nd jetzt S. B. LADNER, in seinem Artikel: »Erneuerung«, in Reallex. f. Antike u. Christentum VI, I965 Sp. 240-75. 34 Vgl. F. GuTMANN, I93I (s. oben S. 222, Anm. 13). Ich finde in den liturgischen Gebeten keine entsprechende Wendung; nur in einer Missa pro rege im Sakramentar von Angouleme (Ende 8. Jahrhundert) heißt es: quatenus ecclesia tua restauretur (L. BIEHL, Das liturgische Gebet für Kaiser u. Reich, Faderborn I937, S. I64). 35 Eccli. 46, I6; auf diese Stelle machte ErcHMANN a. a. 0. S. rr3, Anm. I5, aufmerksam.
Die >Renovatio<-Formel - >Legimus<
Von wann an hat sich Karl der Große dieser Bulle bedient? Hier führt ein Blick auf seine Urkunden weiter. Aus dem Juni 8o3 stammt eine nur in einem Register überlieferte Urkunde Karls für Farfa, in der die Korroborationsformel folgende Fassung angenommen hat: iuxta consuetudinem imperialem subscribere et de anulo nostro iussimus sigillari36 • Das Register weiß weder etwas von einer Signum- noch von einer Rekognitionszeile; auch wäre in diesem Falle eine Wendung zu erwarten wie: manu nostra subter ftrmavimus et sigilli nostri impressione signari iussimus. Wie mag diese von Kar! nicht selbst vollzogene, dem >Kaiserbrauch< entsprechende Unterschrift ausgesehen haben? Die Antwort fand W. 0HNSORGE37 in der Nachzeichnung einer LEGIMUS-Unterschrift Ludwigs des Frommen, die in der französischen Fachliteratur bereits erwähnt, aber in ihrer Bedeutung noch nicht erkannt worden war ( Abb. 12}"8.
Wir wissen nunmehr, daß nicht erst Karl der Kahle, sondern bereits sein Vater den byzantinischen Kaisern den Brauch absah, Urkunden von besonderer Bedeutung durch ein vom Kanzleileiter in großen Buchstaben kalligraphisch aufgemaltes >LEGIMUS< abzuschließen. Ja, da die Korroborationsformel dem angeführten Sachverhalt entspricht, dürfen wir mit W. ÜHNSORGE schließen, daß die Neuerung, die ja auf ein: imperator imperatoris similis hinauslief, bereits auf Karl den Großen zurückgeht. Darf man noch einen weiteren Schluß an diesen anhängen? In einer Urkunde Karls für Salzburg aus dem Jahre 81489 , die auf eine verlorene Vorurkunde vom Oktober 803 zurückgeht 40 , heißt es: more nosiro eam ( auctoritatis iussionem) subscribere et de bulla nostra iussimus sigillare. Man darf annehmen, daß dieser Satz so bereits in der Vorurkunde stand. Formal gleicht er dem aus dem Juni dieses Jahres angeführten. Sachlich ergibt sich ein wichtiger Unterschied: die Urkunde für Farfa war noch mit dem herkömmlichen Wachssiegel bekräftigt, die für Salzburg mit einer bulla.
Gesichert ist, daß die Kaiserbulle 807 benutzt wurde; aller Wahrscheinlichkeit nach existierte sie also bereits im Oktober 8o3. Darf man ihre Verwendung und die Einführung des >LEGIMUS< noch weiter hinaufrücken? Es liegt kein Anlaß dazu vor. Man wird vielmehr mit W. ÜHNSORGE den Finger darauf zu legen haben, daß die Verhandlungen, die Karl im August 803 mit byzantinischen Gesandten führte•!, 36 D. Kar. 199. 37 >Legimus<. Die von Byzanz übernommene Vollzugsform der Metallsiegeldiplome Karls des Großen, in der Stengei-Festschrift, Weimar 1952, S. 2.1-33 (wiederabgedruckt in: Abendland und Byzanz, Darmstadt 1958 S. 50-63). Gleichzeitig mit 0HNSORGE hat BaNENFANT a. a. 0. S. 7of. diesen Sachverhalt aufgedeckt; vgl. auch J. DE FoNTR.EAULX, La chancellerie carolingienne d'apres des publications recentes, im Journal des Savants 1944, S. 132.. Daß auch Lothar I. hier einzureihen ist,
zeigte jetzt W. 0HNSORGE, Ein Deperditum Kaiser Lothars I. mit Legimus-Ausfertigung von 842, in dessen Sammelband: Konstantinopel und der Okzident, Darmstadt 1966, s. 163-70. ~8 G. TESSIER in der Bibi. de l'ecole des chartes 97, 1936, S. 2.45f.; vgl. auch Ders., Recueil des actes de Charles le Chauve I, Paris 1943, s.440. 39 D. Kar. zn. 40 BöHMER-MÜHLBACHER z. Auf!. Nr. 404a. 41 Ebd. Nr. 398b; dazu DöLGER a. a. 0. S. 2.35 und 0HNSORGE, Legimus a. a. 0. S. 2.5.
B2: c. Kar! d. Gr. als Kaiser (8oo-814)
kein Ergebnis hatten und eine jahrelang andauernde Spannung zwischen den beiden Kaisern folgte. Mit dem >LEGIMUS< kehrte Karl heraus, daß er nicht hinter dem Kaiser des Ostens zurückstand, und mit der Bulle, deren Bilder und Umschriften wir soeben würdigten, machte er kund, daß er und nicht der Basileus der Nachfolger der Römischen Kaiser sei: ein Stadttor mit der Beischrift: ROMA und dazu die Legende: RENOVATIO ROMAN. IMP.- das war eindeutig. Eine Resonanz der Renovario-Umschrift finden wir in Versen des zu Karls Dichterkreis gehörenden Modoin (später Bischof von Autun). Er hat in den Jahren zwischen 804 und 814 seinen Kaiser in einer Ekloge gefeiert, in der er Aachen Nova Roma nennt; hier habe Karl das Zeitalter wieder in die alten Sitten zurückverwandelt; das goldene Rom sei dem Erdkreis aufs neue zurückgeboren:
Rursus in antiquos mutataque secula rnores. Aurea Roma iterum renovata renascitur orbi42 • Man darf diese Verse nicht nur als Anspielung auf die Bulle auffassen, sondern zugleich als Zeugnis für die Tatsache, wie bei ihrer Auslegung der anfängliche Bezug auf die Roma vetus sich zugunsten Aachens lockerte 43 • Diese Neuerungen bekam nur ein begrenzter Kreis zu Gesicht, und von diesem verstanden wohl nur wenige ihre Bedeutung. Anders war es mit den neuen Münzen, die Karl prägen ließ: sie liefen im ganzen Reich um und konnten von jedermann bestaunt werden44 • Wir kennen mehrere Prägungen neuer Denare, doch sind sie alle nur Varianten eines und desselben Grundtypus 45. Auf Grund sorgfältiger Nachprüfung aller be42 Vers 26-7 (Mon. Germ., Poet. lat. I S. 385). 43 Zu weit geht hier, was BEUMANN, Kaiserfrage (S. 218) S. 314ff. aus diesen Versen herausliest, bes. der Schlußgedanke, daß die Bullen-Umschrift in Modeins Sinn gedeutet werden muß. 44 ÜHNSORGE, Zweikaiserproblem (s. S. 217) S. 23 hält es für »nicht zufällig, daß Kar! daneben seinen Siegelstempel aus der Königszeit (s. S. 476) beibehielt«. Bei der beharrenden Tendenz, die Siegeln und Münzen eigen ist, bleibt ein Rückschluß solcher Art gewagt: der Vorteil, daß Karls Siegelbild im ganzen Reich bekannt war, sprach dafür, den Stempel beizubehalten. - Über die bis 805 weitergeprägten Münzen mit dem Königstitel s. Anm. 45· 45 ScHRAMM, Deutsche Kaiser in Bildern ihrer Zeit, T. 6 mit S. 29ff.; weitere Lit. S. 168.
Vgl. dazu jetzt H. H. VöLCKERS, Karoling. Münzfunde der Frühzeit (75 1-8oo), Göttingen1965 (Abhandl. derAkad. derWiss. ebd., Phil.-Hist. Kl. III, 61), Index s. v. Christiana Religio (S. 210). S. auch schon Ders., Die Christiana Religio-Gepräge: ein Beitrag zur Karolingerforschung, in den Hamburger Beiträgen zur Numismatik II, 1952{4 S., 9-54); PH. GR1ERSON, Money and Coinage under Charlemagne, in: Kar! d. Gr. Lebenswerk und Nachleben I, Düsseldorf 1965, S. 501-36 (mit 4 Tafeln), bes. S. p2ff. und: Kar! d. Gr., Ausstellungskatalog Aachen ebd. 1965, S. 149ff., 161 ff. mit Abb. 30. S. auch H. C. F ALLON, Imperial Symbolism on two Carolingian Coins, in: Museum Notes 8, New York 1958, S. II9-27, der auf die Benutzung von religio christiana in den >Libri Carolini< und bei Einhard hinweist.
Die Denare mit Bild
2.79
kannten Fakten werden sie jetzt mit einer um 805 von Karl durchgeführten Münzreform zusammengebracht. Sie stammen zwar aus verschiedenen Münzstätten, sind aber Zeugnisse eines einheitlichen Willens. Als Denkmäler der Kleinkunst stehen sie weit über dem, was die Münzprägung im Westen bisher hervorgebracht hatte, und ikonographisch gehören sie - Jahrhunderte zurückspringend - wie auch Karls Bullen in die Nachfolge spätrömischer Kaisermünzen (Abb. I .3 b). Karlist im Profil dargestellt mit Lorbeerkranz (am Hinterhaupt mit einer Schleife zusammengebunden) und dem auf der Schulter durch eine Fibel zusammengehaltenen paludamentum. Diese Eigenarten legen bloß, daß als Vorbild eine Münze des 4· Jahrhunderts benutzt sein muß. Es läßt sich sogar eine nachweisen, die in allen EinzelÜber die Titel auf den Münzen s. Band II: Titel der Karolinger. GRIERSON a. a. 0. S. 522ff. unterscheidet 4 Gruppen. Die vierte, die auch den langobardischen Königstitel vermerkt und in der Qualität zurücksteht, muß in Italien geprägt sein. Die drei übrigen werden jetzt dem Rheinland oder Austrasien zugewiesen. Die beiden ersten sind eng verwandt. Die erste darf wohl mit Aachen in Verbindung gebracht werden. Bei der zweiten weisen die Buchstaben F, C, Mund V unter dem Kopf auf die Münzstätten hin; vermutlich deuten sie hin auf: Franconofurte, Conßuentia (Koblenz), Mogontia und Vormacia, also auf vier Städte, in denen es königliche Pfalzen gab. Jedenfalls ist für Gruppe 1-3 Italien als Ursprungsland ausgeschieden. Da auf den Münzen der dritten Gruppe die Münzorte angegeben sind, bestehen bei ihnen keine Zweifel: Trier, Rouen, Lyon, Arles, Quentowic, Duursteede. Da nur 2o-3o Exemplare bekannt sind, stößt die numismatische Auswertung auf Schwierigkeiten. Schlossen die Prägungen an die Annahme des Kaisertitels an oder erst an die 812 zum Abschluß gebrachten Verhandlungen? GRrnRsoN, der S. 524-7 alle bisher erörterten Möglichkeiten abwägt und einschlägige Bestimmungen der Kapitulare heranzieht, kommt zu dem Ergebnis, daß die Münzen der Königszeit bis 805 weiter geprägt wurden. In diesem Jahre wurde das Münzrecht auf das kaiserliche palatium eingeschränkt. Da dieses jedoch den Gesamt-
bedarf nicht zu decken vermochte, erhielt noch eine begrenzte Anzahl weiterer Münzstätten das Recht zum Prägen des neuen Münztyps. Qualität und Ahnlichkeit der Stempel legen die Annahme nahe, daß sie an zwei oder drei Stellen geschnitten wurden (zustinrmend der Katalog a. a. 0. S. 152). Im Gegensatz zu der Vorlage, die einen bartlosen Kopf geboten haben muß, ist Kar! mit hängendem Schnauzbart dargestellt; dieses Bildnis ist in Bd. II unter die sonst noch bekannten eingereiht. Vorausgegangen waren Prägungen mit Köpfen von schlechter Qualität, aber in Gold: ein Eingriff in ein früher dem Kaiser vorbehaltenes Recht, das bisher wohl nur deshalb noch nicht angegriffen worden war, weil es an Gold fehlte. Bekannt sind zwei Exemplare, die laut Umschriftbeidein Duursteede, einem damals für den Handel mit dem Norden wichtigen Handelsplatz, mit verschiedenen Stempeln geprägt worden sind. Das Londoner Exemplar (Abb. la) kennzeichnet den Dargestellten eindeutig; denn es setzt den - vom Münzmeister entstellten Königstitel Karls d. Gr. hinzu. Die Umschrift auf dem Berliner Stück (Abb. lb) ist so verballhornt, daß nichts aus ihr herauszulesen ist. Es handelt sich wohl nicht um Prägungen für den Umlauf, sondern um Münzschmuck; vgl. P. E. S., Herrschaftszeichen I S. 288--90 mit Nachtrag III S. 1094. Kar! selbst wird damit nichts zu tun gehabt haben.
280
Bz: c. Karl d. Gr. als Kaiser (8oo-814)
heiten den Karlsmünzen so genau entspricht, daß sich sagen läßt: diese war es, die den Karlsmünzen als Vorbild gedient hat, und diese stellt Konstantin den Großen dar ( Abb. r;a) 46 •
46 R. GAETTENS, Münzen Karls d. Gr. sowie der Päpste Hadrian I. und Leo III., im Jahrbuch für Numismatik und Geldgesch. II, 1950/51, S. 47-67; dazu meine Nachträge zu den Herrscherbildern in Bd. V. Herr Kollege KoNRAD KRAFT (Staat!. Münzsammlung in München), den ich als Sachkundigen befragte, wies mich brieflich darauf hin, daß die Folgerung, es müsse gerade diese Münze als Vorbild für die Karlsmünze gedient haben, nicht schlüssig sei. Das Büstenbild komme bereits im z. Jahrhundert auf, weise allerdings eine vorerst meist stärker nach vorn gedrehte Schulter auf. Dagegen sei ein fester Terminus ante quem durch die Einführung des Diadems (324/5) und die endgültige Verdrängung des Lorbeerkranzes (337) gegeben. Nach K. KRAFT deuten die großen, nicht gegenständig angeordneten Lorbeerblätter auf ein Vorbild des z./3. Jahrhunderts, die steifen Nackenbänder dagegen auf die Konstantirrische Zeit. Die Legende der Karlsmünze gebe keinen Anhalt für einen frühen oder späten Ansatz des Vorbildes. Der Überblick ermöglicht jetzt: The Roman Imperial Coinage, ed. H. MATTINGLY etc. VII: P. M. BRuNN, Constantine and Licinius, A. D. 313-337, London 1966. Nachdem nun auch für Karls Kaiserbulle die Benutzung einer Prägung Konstantins nachgewiesen ist (s. oben S. 274ff.), wird man folgern dürfen, daß für die Münze in der Tat das von GAETTENS angeführte Vorbild oder eine ähnliche Konstantirrmünze benutzt worden ist (so auch GRIERSON a. a. 0. S. 519 Anm. 87). Das paßt auch zu dem wohlüberlegten Vorgehen Karls in allen Fragen der >Staatssymbolik<: es ist unwahrscheinlich, daß er sich x-beliebige Vorbilder zu eigen machte. Wahrscheiniich kann hier noch ein weiteres
Zeugnis eingereiht werden: A. PROST, Caractere. . . de quatre pieces liturgiques composees a Metz ... , in den Memoires de la soc. nat. des Antiquaires de France, 37, 1876, S. zo9f. hat einen Metzer Hymnus ediert, in dem es heißt: Exulta poltts, laetare telltts, Constantintts novus effu!sit in mttndum, Caroltts praeclartts, progenie sancta, Qttem Deus elegit regere gentes. H. E. KANTOROW1CZ, Laudes regiae, Ber keley 1946, S. 73f. hat diese Verse auf Kar! den Kahlen bezogen. 0. G. OEXLE, Die Karolinger und die Stadt des heiligen Arnulf, in: Frühmittelalterliche Studien, I, Berlin 1967, S. 309f. weist auf textliche Entsprechungen in der Zeit Karls des Großen hin. Nach ihm ist der in derselben Handschrift überlieferte Hymnus de adventtt praesulis nichts als eine Verkürzung des Kaiserhymnus mit wörtlichen Anklängen, angefertigt für den Einzug des Bischofs Drogo im Jahre 823. Mit Carolus muß also Kar! der Große gemeint sein, der 805 Metz einen Besuch abstattete. Vielleicht wurde er bei diesem Anlaß als ))neuer Konstantin« gefeiert, jedenfalls zwischen 8oo und 814; vgl. dazu S. 308 über die - seit Ludwig d. Fr. seltener werdenden Erwähnungen Konstantins im 8./9· Jahrhundert. Zu der Rolle Konstantins des Großen in dieser Zeit vgl. E. EwiG, Das Bild Constantins in den ersten Jahrhunderten des abendländischen Ma.s, im Histor. Jahrbuch 75, 1956, S. 1-46 und W. KAEG1, Vom Nachleben Constantins, in der Schweizerischen Zeitschr. für Gesch. VIII, 1958, S. z89ff. (H. WoLFRAM, C. als Vorbild für den Herrscher des hochmittelalt. Reiches, in den Mitteil. des Inst. f. österr. Gesch.forsch. 68, r96o, S. 226-43, setzt erst im ro. Jahrh. ein).
Die Denare mit Bild
28!
Daß Kar! zu Konstantirr in Parallele gesetzt wurde, war nichts Neues. Bereits 778 hatte Hadrian I. im Hinblick auf Kar! geschrieben: Ecce novus christianissimus Dei Constantinus imperator his temporibus surrexit47 • Aber im fränkischen Lager war das noch nicht geschehen. Dagegen kann man im Hinblick auf das Ostreich geradezu von einem Konstantinskult sprechen: Konstantirr hieß nicht nur der 797 geblendete und der Kaiserwürde beraubte Sohn der Kaiserin Irene, sondern >neuer Konstantin< war der Ehrenname jedes Kaisers. Es ist daher verständlich, daß der fränkische Hof, der zeitweise auf den von Konstantinopel Rücksicht nehmen mußte und dann wieder seine Abscheu zu erkennen gab, sich bisher nicht auf Konstantirr berufen hatte.
Wenn sich nun Karl zum zweiten Mal >staatssymbolisch< zu Konstantin bekannte, indem er sich dessen Bild auslieh, setzte er sich nicht nur über die Empfindlichkeit der Byzantiner hinweg, sondern er legte damit vor aller Welt ein Bekenntnis ab, wie er das ihm aufgedrängte Kaisertum verstanden haben wollte: Erneuerung der Zeit jenes Kaisers, der dem Christentum zum Siege verholfen hatte. Auch die von Säulen getragene Fassade eines Tempels auf der Rückseite48 gehört ikonographisch in diese Tradition, aber die prägnante Umschrift gibt ihr eine neue Bedeutung: RELIGIO CHRISTIANA 49 • Der Heidentempel ist zur Kirche der Christen geworden, die zu stützen und zu vergrößern der neue Kaiser hier als seine wesentliche Aufgabe proklamiert - ganz im Sinne von Alcuins dilatatio imperii christiani60 • Mit den Denaren und Bullen Karls setzt das - bei den germanischen Stämmen bisher nur hie und da spürbar gewordene und immer nur unbeholfen erfüllte- V erlangen der mittelalterlichen Könige ein, im Bilde dargestellt zu werden. Bereits von Karls Enkeln gibt es Buchbilder, dietrotzihrer Kleinheit bereits imposant wirken, da auf ihnen die Kaiser in ganzer Figur auf dem Thron und geschmückt mit ihren Herrschaftszeichen inmitten ihrer Trabanten dargestellt sind - Lehrmeisterin war auch hier die Antike. Auffallend ist, daß die Karlsköpfe auf der Bulle und auf den Denaren ikonographischnichts miteinander zu tun haben. Auf die Qualität hin besehen, ist das Konstantin nachgeahmte Münzbild das weitaus bessere, und auch nach der Aussagekraft wird man den Denaren den Vorrang zuerkennen müssen. Vielleicht darf man darin
47 Codex Carolinus ep. 6o (Mon. Germ., Epist. III S. 587). 48 Daß die Fassade von St. Peter oder Aachen (dazu s. GRIERSON a. a. 0. S. 519) gemeint sein könnte, halte ich für völlig unwahrscheinlich. Außer dem Tempel erscheinen nämlich auf der Reversseite auch: Stadttor, Schiff, Prägeinstrumente. 49 Unter Ludwig dem Frommen wurde diese Rückseite umgestaltet: sie zeigt ein von
einem Kranz umgebenes Kreuz mit der Umschrift: MUNUS DIVINUM, was so zu lesen ist: Gott gab dem Kaiser als sein Geschenk den Kranz, d. h. die Krone. Dadurch waren Vorder- und Rückseite in eine noch festere Gedankenverbindung gebracht als auf den Denaren des Vaters; vgl. Herrschaftszeichen a. a. 0. I, S. 303 ff.; zu munus s. Band II. 50 S. oben S. 2.53.
Bz: c. Kar! d. Gr. als Kaiser (8oo-814)
eine weitere Stütze für die Datierung sehen: 803 die Bulle, ab etwa 8oj die Denare (dazu: 8o6 oder früher: Kenntnis der Konstantinischen Fälschung). Die Sprache dieser Bilddokumente können wir nunmehr so interpretieren: Karl, nach seiner Anerkennung als Kaiser in seinen Titeln an die römische Kaisertradition anknüpfend und für seine Bilder aus ihr Vorlagen aufgreifend (insofern der Wunschvorstellung des Papstes Leo III. entsprechend), will die >Erneuerung des Römischen Reiches<. Sein Vorbild bei dieser Wirksamkeit ist Konstantinder Große, der erste christliche Kaiser. Als dessen Nachfolger sieht Karl seine Aufgabe darin, die Kirche zu schützen und zu fördern sowie die >christliche Religion< zu verbreiten. Zu beachten ist, daß die Bulle noch auf Rom hinweist; auf den Münzen hat das Stadttor mit ROMA der Inschrift Religio Christiana Platz gemacht. Der Gedanke drängt sich auf, daß das >Constitutum Constantini< die Überlegungen verstärkte, es sei sinnvoller, statt des römischen den christlichen Inhalt des Kaisergedankens zu betonen. Schließlich ist noch dies zu beachten: Daß Karl sich auf Konstantin bezog, muß zusammengesehen werden mit der Benutzung des Davidnamens für Karl51 , mit der - gleichfalls schon zur Sprache gekommenen- Überführung des Theoderich-Denkmals nach Aachen und der Aneignung merowingischer Namen für die Söhne5 2. So schlossen sich schließlich kraft gewaltsamer, aber für Karl sinnvoller >Ansippung< 53 zusammen: David und die alttestamentlichen Könige, Konstantin der Große, Theoderich, Chlodwig, Chlotar; Karl Martell und Pippin. In der Ingelheimer Pfalz, die noch zu Karls Lebenszeit begonnen wurde (beendet vor 82.6), wurde Karl dargestellt als Sieger über die Sachsen im Rahmen von anderen Bekehrungssiegen54. Daher reihten sich dort Konstantin, Theoderich, Karl Martell und Pippin zu einer Reihe aneinander, die mit Kaisern anhob und auf einen Kaiser zuführte, herausgehoben aus der Zahl der übrigen zahllosen Herrscher, die es sonst noch gegeben hatte, weil nur diese Fünf vor Gott bestanden als christianum gubernantes imperium. Wer diese Bilder zu lesen verstand, gewahrte, daß alle diese Sieger zusammenhingen, weil Gott ihnen die Kraft gegeben, sie gewürdigt hatte, ihm als Werkzeug bei der Durchführung seines Heilsplanes zu dienen. Wäre der Bildzyklus vollzählig gewesen, dann hätten auch noch die Könige Judas als typologische Entsprechung in der alttestamentlichen Phase der Heilsgeschichte hinzugehört.
51 52 53 54
S. oben S. ziif.. S. oben S. 202, 207 sowie S. 307. Zu diesem Begriffs. oben S. 21 If.. ScHRAMM, Kaiser in Bildern, S. 36f., und Bildnisse Karls d. Gr., S. 58. In einem Brief an Kar!, der aus den Jahren 809/12 stammt,
stellt ihn der Erzbischof Odilbert von Mailand in eine Reihe mit: Constantinus, Theodosius maior, Martianus und Justinianus; da Kar! sie noch übertreffe, ahme er David sanctum nach (Mon. Germ., Capit. I S. 247 z. 35 ff.).
Konstantin und David - Adler
Aus den Karlsmünzen, die auf der Rückseite ein Schiff zeigen, hebt sich ein Denar55 heraus, der in Quentowik geprägt wurde, dem damals florierenden Handdsplatz im Rheindelta, der in der Folgezeit völlig zu Grunde gegangen ist ( Abb. I 4a). Die Mastspitze wird nämlich nicht- wie zuerst- von einem Kreuz überhöht ( Abb. I 4 b), sondern von einer Figur, die einem liegenden >S< ähnelt und nur als Vogel interpretiert werden kann: dieser faßt mit seinen Krallen die Mastspitze und balanciert den waagerecht gehaltenen Leib durch V arstrecken des Kopfes und Rückwärtsspreizen der Schwanzfedern - so wird man die Einzelheiten, die bei dem geringen Durchmesser des Denar ja nur winzig sind, wohl ausdeuten dürfen. H. HoRSTMANN, der in einem vorausgehenden Aufsatz das Kreuz auf der Mastspitze als Zeichen des Königsfriedens gedeutet hat56 , schließt, daß es sich bei dem Vogel um etwas Entsprechendes handeln müsse, also um ein Zeichen, das nicht ein Kauffahrteischiff, sondern ein zum Kampfe bestimmtes charakterisiere. Nun ist ja bekannt, daß Karl im Jahre 810 zur Abwehr der Normannen bei Boulogne eine Flotte ausrüsten ließ und sich 8 I I persönlich einfand, um sie zu inspizieren: »Die Annahme erscheint nicht unberechtigt, daß die nahegelegene Münzstätte Quentowik aus diesem Anlaß eine Münze mit einem kaiserlichen Kriegsschiff prägte«57 • Parallelen aus späterer Zeit führen nicht weiter58 • Aber bekannt ist ja der Adler, der Karls Aachener Pfalz bekrönte, und stilisierte Adler schmückten einst die Rückseite der Stephansburse im Reichshort ( Abb. I J). Bei der großen, vielfach bezeugten Bedeutung, die im Römischen Reich dem Adlerzeichen zugekommen war, konnte es ja nicht ausbleiben, daß nach der >Renovatio imperü Romanorum<, die Karl der Große vollzog, der Adler mit Kaiser und Reich verbunden wurde 59 : 55 Es ist bisher nur ein Exemplar bekannt, das Prof. PHIL1P GR1ERSON in Oxford gehört; abgebildet im Katalog a. a. 0. 1965, S. 40, Nr. 19 und in: Kar! d. Gr. Lebenswerk a. a. 0. I, 1965, S. po mit PI. III, p. 56 Die Rechtszeichen der europ. Schiffe im Ma., in: 1000 Jahre Bremer Kaufmann, Bremen 1965 (Bremisches Jahrbuch 50) S. 75 ff. (ausgewertet unten in Bd. VI). 57 Der Adler Karls d. Gr., in: Archivum Heraldicum No. 2-3, 1966, S. 18-21, mit 6Abb. 58 Der Hinweis auf das Adlerszepter Ottos III. in seinem Evangeliar (Abb. 6) ist nicht durchschlagend, weil dieses durch die Augustus-Gemme im Lotbarkreuz angeregt wurde (s. Bd. V), und der Teppich von Bayeux (Abb. 5) ist noch später entstanden. 59 Da ich in P. E. S.-FLORENT1NE MüTHER1CH, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser,
München 1962, S. 59f. >das Adlermotiv< behandelt habe, kann ich mich hier mit Hinweisen begnügen (vgl. S. 474 Registers. v. >Adler<); dort S. 5z der eben angeführte Satz. Ich nenne die Artikel >Adler< (T. ScHNEIDER, H. KATTENBACH) im Reallex. für Antike und Christentum I Sp. 91 ff. und im Reallex. zur Deutschen Kunstgesch. I Sp. IZzff. sowie J. E. KoRN, Adler u. Doppeladler. Ein Zeichen im Wandel der Gesch., in: Der Herold, neue Folge V, 1964, S. IIzff. (bisher 4 Fortsetzungen; zu Grunde liegt eine von mir angeregte Göttinger Diss.). Nachzutragen sind zwei symmetrische Adler in Seitenansicht mit rückwärts gerichteten Köpfen (mit farbigem Email ausgelegt) auf dem sog. »Pippins-Reliquiar« (um 1000 angefertigt aus zum Teil karolingischen Teilen);
Bz: c. Karl d. Gr. als Kaiser (8oo-814)
noch nicht in der Form einer >Wappenfigur<, nicht einmal in der Form eines nur dem Kaiser vorbehaltene n Zeichens, aber doch als ein >Kaiserwahrzeichen<. Wie man sich in Wirklichkeit die Topfigur vorzustellen hat, ist eine müßige Frage, da Anhalte fehlen. Man könnte an eine Vollplastik denken, aber auch an einen Vogel in Form jener Metallwimpe l mit phantastische n Tierdarstellu ngen, die die Wikinger benutzten- unsere Belege reichen allerdings nur bis um rooo zurück 60 •
d) Kaiser Kar! und seine Untertanen: Neue Vereidigung- Kapitularien ttnd Gesetze An unsere Feststellunge n hängt sich die Frage, welche Folgerungen sich aus Karls Kaiserwürde für das Verhältnis seiner Untertanen zu ihm ergaben. Wir gewahrten bereits, daß Karl gleich im Jahre 8or sich die Iex Romana zunutze machte, um ein ihm besonders verächtliches Verbrechen als crimen laesae maiestatis bestrafen zu können, also auch außerhalb Roms greifbaren V orteil aus seiner neuen Würde zog. Auf diesem Wege hat Karl im folgenden Jahre noch einen weiteren Schritt getan: durch seine Missi ließ er 802 im ganzen Reich einen neuen Untertanenei d einholen61 • Warum, wo er doch schon seit langem Herrscher war und sich bereits früher hatte Treue geloben lassen? »Bei der engen Verwandtsch aft, die Anerkennung , Huldigung und Wahl im frühen Mittelalter miteinander verbinden«, so hat MARTIN LINTZEL 62 diese Frage beantwortet, »könnte man diesen Akt fast als eine Nachwahl Karls zum Kaiser durch das fränkische Volk ansehen.« Die Auslegung führt an den Sachverhalt heran, schöpft ihn jedoch nicht aus 63 • s. : Les tresors des eglises de France, Paris 1965, S. 296ff.: Nr. 537 (mit Farbtafel). 6o Herrschaftszeic hen II, Stuttgart I 9 55, S. 65 5ff. 61 Mon. Germ., Capitularia I, Nr. 34, S. 101; dazu FR. L. GANSHOF, Charlemagne et le serment, in den Melanges d'hist. du m. a., dedit~s a la memoire de L. HALPHEN, Paris 1951, S. 259-70. Nach FR. L. GANSHOF, Benefice and Vassalage in the Age of Charlemagne, in: The Cambridge Bist. Journal VI, 1939, S. 170-2 handelte es sich um einen >seiner neuen Anwendung augepaßten Vasalleneid<. S. auch R. FoLZ (s. oben S. 218) S. 186f. Für das allgemeine THEODOR MAYER, Staatsauffassung in der karolingischen Zeit, in der Histor. Zeitschr. 173, 1952, S. 467-84, bes. S. 478f. (nicht übernommen in dessen: Mittelalterliche Studien, Lindau-Konsta nz
1959). 62 Die Kaiserkrönung und das röm. Kaisertum Karls d. Gr. in: Die Welt als Gesch.IV, 1938, S. 429 (jetzt: Ausgewählte Schriften II, Berlin 1961, S. 126). Vgl. dazu H. MrrTEIS, Lehnrecht u. Staatsgewalt, Weimar 1933, S. 5off., der die beiden Fassungen des Eides analysiert und mit der von 786/792 vergleicht (das in den Mon. Germ., Capit. I S. 101 f. angeführte Datum hat inzwischen F. L. GANsHOF eingeengt auf 25. 12. 792 bis 7· 4· 793; vgl.: Notes sur deux capitulaires non dates de Charlemagne, in den Miscellanea L. VAN DER ESSEN, Brüssel 1947, S. 128). 63 Über die Verschriftlichu ng der Verwaltung, die nach Karls Regierungsantr itt einsetzte und im Laufe seiner Herrschaft ständig zunahm, vgl. F. L. GANSHOF, Charlemagne et l'usage de 1' ecrit en matiere administrative,
Der neue Untertaneneid
Bedeutsam ist, daß in dem Begleittext vom nomen cesaris die Rede ist: hier erscheint an Stelle vonimperatordas Wort, das ihm im Deutschen den Rang abgelaufen hat 64 • Zu beachten ist, daß es heißt: repromitto. Es sollten also nicht nur die schwören, die es noch nicht getan hatten, sondern auch jene, die dieser Pflicht bereits in Karls Königszeit entsprochen hatten. Karls Forderung ist zunächst überraschend; denn wie kann ein Treueid wiederholt werden? Karls Forderung hatte einen doppelten Grund: Zunächst ist festzustellen, daß die Untertanen durch den Eid, den sie dem nunmehrigen Kaiser ablegten, ihren consensus, ihr >Vollwort< ( collaudatio) oder - um neben den Fachworten der Gerichtssprache auch das der Urkunden zu gebrauchen- ihre >Bekräftigung< (corroboratio) zur Annahme des neuen >Namens< gaben. Aber nicht nur, weil der Empfänger des Eides jetzt anders >hieß<, sondern auch deshalb, weil der In-
in: Le MoyenAge 57, 1951, S. r ff. undDERS., Charlemagne et !es institutions de Ia monarchie franque, in: Kar! d. Gr. Lebenswerk u. Nachleben I, Düsseldorf r965, S. 391-93, mit der abschließenden Feststellung, daß diese Wirksamkeit Karls bedeutet: >un grand fait dans l'histoire des institutions <. V gl. auch J. FLECKENSTEIN, Kar! d. Gr. u. sein Hof, ebd. S. 39f. (im Anschluß an GANSHOF). Ferner ist hier zu vermerken FR. L. GANSHOF, Kar! d. Gr. ins. Aachener Pfalz während der Jahre 8o2 und 8o3, in der Schriftenreihe des Rhein. Heimatbundes, Heft 8: Vorträge Aachen 1959, S. r-8; der Verf. arbeitet hier die Rolle heraus, die in dieser Zeit >das Religiöse und Moralische< für Kar! hatte - was bis in die Kapitularien hinein spürbar ist. Zu der gesetzgeberischen Tätigkeit, die Kar! damals anpackte, bemerkt G. (S. 6): »Wahrscheinlich war Kar! d. Gr. in Rom oder unter dem Eindruck seiner römischen Erfahrungen zu der Überzeugung gekommen, daß er als Kaiser wie die römischen Kaiser, deren Nachfolger er war, auch als Gesetzgeber in das Privatrecht seiner Völker - und ganz besonders seines Volkes der Franken - einzugreifen befugt war.« Seine Feststellungen hat F. L. GANsHOF erweitert in dem Aufsatz: Le programme de gouvernement imperial de Charlemagne,
in: >Renovatio imperii<. Atti della Giornata Internaz. di Studio per il Millenario, Ravenna 4-5. Nov. r96r, Faenza r963 S. 63 bis 96. Er analysiert hier scharfsinnig das >Capitulare missorum< von 8oz (Mon. Germ., Capit. I Nr. 34) sowie den Eid (S. 72f.); vgl. bes. S. 74ff. über Karls Auffassung seiner religiösen Pflichten, S. 78 über sein Bemühen, die Struktur der Kirche durch Vermehrung der erzbischöflichen Kompetenz zu festigen, S. 8zf. über Karls Willen, die Willkür in der Rechtsprechung einzuengen und sie an das geschriebene Recht zu binden, S. 83 ff. über die Zunahme der Eingriffe Karls und des Hofgerichts in die Rechtsentscheidungen, vor allem S. 94: »Sans doute, Charlemagne, devenu empereur, avait-il acquis une conscience de ses pouvoirs de legislateur.« Es ergibt sich, daß das >Capitulare<, das in einzelnen Formulierungen wohl auf Kar! selbst zurückgeht (S. 67), mit der >Renovatio Rom. imp.< nur mittelbar zu tun hat, wohl aber mit einer >renovatio spirituelle, religieuse< als Folge des >retablissement de l'empire en occident< (S. 96). Vgl. dazu unten S. 336ff., wo ich für diesen Vorgang die Bezeichnung >correctio< vorschlage. S. auch R. FoLZ (s. oben S. zr8) S. r86ff. 64 Vgl. auch Karls Titel in Mon. Germ., Concil. II, S. 2 54·
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Bz: c. Kar! d. Gr. als Kaiser (Soo-814)
halt des Eides abgewandelt worden war, mußten die, die schon geschworen hatten, ihren Eid noch einmal wiederholen. Bisher hatte es sich nur um die (negative) Absage an Verschwörungen und böse Absichten sowie um die (positive) Zusage der Treue gehandelt. Die neue Fassung war sowohl formal als auch materiell gründlich umgestaltet. Der Wortlaut ist dadurch länger, aber auch juristisch schärfer gefaßt worden; bezeichnend ist, daß jetzt eine christliche Bekräftigungsformel hinzugesetzt wurde. Der springende Punkt ist die Präzisierung des Begriffs >Treue<66 • Der Untertan hat dem Kaiser treu zu sein, sicut per drictum debet esse homo domino suo. Er hat sich also zum Kaiser so zu verhalten, >als wenn< er der homo eines senior sei. Damit ist die volle Konsequenz aus der Entleihung des dem Lehnswesen entstammenden Wortes ftdelis gezogen, das eine wechselseitige, sowohl rechtliche als auch moralische Bindung zwischen Lehnsmann und Herr bezeichnete, also viel konkreter und daher auch für den schlichten Mann besser verständlich war als die vage Verpflichtung des Untertanen zum Gehorsam. Wenn man allerdings folgern wollte, daß nun der Untertanenverband in einen Lehnsverband mit dem Kaiser als oberstem senior aller fidelesumgeändert worden sei, wäre das Wesentliche verkannt. Der karolingische >Staat< wurde auf Grund dieses Eides nur- um einen theologischen Ausdruck dieser Zeit zu benutzen - per analogiam ein Lehnsverband. Da es überall curiae mit Herrn und Lehnsleuten gab und sie daher jedem vor Augen standen mitallden Verpflichtungen, die sich aus solchen Bindungen ergaben, konnten sie als Modell hingestellt werden für das, was für die Untertanen nicht sichtbar war, was wir mit >Staat< bezeichnen und worauf in der Eidesformel »behelfsweise« mit der Wendung: ad suam (sei!. imperatoris) partem et ad honorem regni sui hingezielt wird. Daß neben dem Herrscher der abstrakte honor regni genannt wird, bedeutete allerdings bereits einen unverkennbaren Fortschritt auf dem Weg zum Staatsbegriff. Daß diese Auslegung nicht überspitzt ist, zeigt die Instruktion, die den mit dem Einholen des Eides beauftragten Missi mitgegeben wurde66 • In ihr ist klar ausgesprochen, die noch von vielen gehegte Auffassung sei falsch, daß es genüge, (positiv) dem Kaiser die Treue zu halten und (negativ) sich weder mit seinen Feinden noch mit solchen, die ihm die Treue gebrochen hatten, einzulassen- mit anderen Worten: es genüge nicht, den 789 verlangten Wortlaut buchstäblich zu erfüllen. Vielmehr gehöre· zur Treue auch noch, sich zum Dienste Gottes bereit zu halten und nichts gegen die Kirche, die Witwen, Waisen und Fremden zu unternehmen. Kar! ging so weit, daß er den Dieb als inftde!is gegenüber dem Kaiser und den Franken bezeichnete: wer ihn aufnahm, wurde in seinen Augen daher folgerichtig selbst zum inftdelis. Das nimmt sich wie eine gewaltsame, weit über die Verpflichtung eines Lehnsmannes hinaus-
65 Über die Wurzeln des karolingischen TreueBegriffs im Christlichen, nicht im Germanischen vgl. FRANT1SEK GRAUS, ~ermanische Treue, in: Historica I: Les seiences historiques en Tchecoslovaquie I, Prag 1959; dazu zustinrrnend K. BosL in: Bohemia II, München 1961, S. 6o1 ff. und kritisch W. ScHLESINGER, Sippe, Gefolgschaft u. Treue, in: Alteuropa u. die moderne Gesellschaft, Festschrift für 0. BRUNNER, Göttingen 1963, S. 41-59 Qetzt: Beiträge zur Deutschen Verfassungsgeschichte des Ma., I, Göttingen
1963, S. 316-334). Für die Folgezeit vgl. H. HELB1G, Fideles Dei et regis. Zur Bedeutungsentwicklung von Treue und Glaube im hohen Ma., im Archiv f. Kulturgesch. 33, 1951, S. 275-306 und C. E. ÜDEGAARD, Vassi and fideles in the Carolingian Empire, Cambridge (Mass.) 1945, S. 90ff. (vorher: Carolingian Oaths of Fidelity, in: Speculum XVI, 1941). 66 V gl. die Instruktion mit dem Wortlaut des geforderten Eides in Mon. Germ., Capitularia I, Nr. 33, S. 91-3.
Der neue Untertaneneid gehende Dehnung des Begriffs >Treue< aus. Aber der imperator-senior war ja zugleich der protector et defensor s. Romanae ecc!esiae. In der Instruktion taucht diese Formel wieder auf, die 774 bei der Erneuerung des Eides von Ponthion (754) in die Formel Pippins eingesetzt, aber in der Zwischenzeit zurückgetreten war. Da der imperator-protector - so ist der Gedankengang - Schützer der Kirchen, Witwen, Waisen und Fremden ist, muß der fidelis ihn nicht nur als Kaiser, sondern auch als protector unterstützen. Als Schlußfolgerung ergibt sich - wie jene Instruktion ausführt -, daß nach geleistetem Eid sich keiner der Ausführung der von Kar! gegebenen Befehle widersetzen, seine Entscheidungen behindern, seine Rechtsprechung umbiegen dürfe; vielmehr müsse jeder im Dienste des Kaisers alle seine Kräfte darauf verwenden, den Triumph der aequitas zu sichern.
Worauf diese Forderungen hinausliefen, hat Lours HALPHEN so ausgezeichnet formuliert, daß wir uns seiner Worte bedienen: Karls Anliegen war, »an Stelle der Pflichten gegenüber dem Fürsten als Person die Verpflichtung auf die Sache, der er dient, zu setzen, d. h. atif die höheren Interessen der Gemeinschaft oder- um unsere Sprache zu sprechenauf die Interessen des Staates« 67 • Dieser Weg vomimperiumzur respublica ist nicht so überraschend, wie es zunächst scheinen mag; die Vorstellungen von den über die bloße Treue hinausreichenden Pflichten der Untertanen waren ja bereits in dem Begriff des imperium christianum, der den fränkischen Hof in den neunzig er Jahren beherrscht hatte, angelegt wie die Blätter einer Blume in ihrer Knospe. Die Gedanken jenes und des nachfolgenden Jahrzehnts bilden zwei Etappen in dem Bestreben, den bisherigen Personenverband, d. h. den populus Francorum, zu entpersönlichen und hinter ihm eine von Geburt und Tod, Sieg und Niederlage unabhängige, über gestern, heute und morgen hinausgreifende, die Toten, die Lebenden und die Kommenden zusammenschließende Größe zu fassen, eine gottgewollte >lnstitution<68 • Im Jahre 8oz setzte Karl außerdem mit einer Straffung von Verwaltung und Recht in seinem Reiche ein69 • Zu nennen ist hier das Capitulare missorum speciale, das in einer
67 L. HALPHEN, L'idee d'Etat sous !es Carolingiens, in der Revue historique 185, 1939, S. 1-14 und weiterführend THEODOR MAYER, Staatsauffassung in der Karolingerzeit, in der Histor. Zeitschr. 173, 1952, S. 467-84, bes. 478f. Vgl. auch F. L. CaosARA, >Respublica< e >domus publicae< nel IX. secolo, in: Butterworths South African Land Review 1956, S. 81-4 und F. GANSHOF in: History 42,1957, S.175 A. 13; s. auch H. S1EBENKÄS, Eriugena, Arch. f. Kulturgesch. 40, 1958, S. 95· 68 Vgl. TH. MAYER a. a. 0., der S. 468 Anm. seinen Aufsatz als Fortsetzung meines hier
wieder abgedruckten Aufsatzes bezeichnet, da er von einer anderen Seite zu dem gleichen Ergebnis gekommen sei. 69 Ausgehend von einem Gedicht mit mehr als 8oo Versen (gedruckt in Mon. Germ., Poet. lat. I), in dem Theodulf von Orleans 798 seine Erfahrungen schildert, die er 798 auf einer Reise als Missus in bezug auf die Bestechlichkeit der Richter machte, hat A. ScHM1TT-WEIGAND in einer Münsterischen Diss. geprüft, wie es vom 5. bis zum 10. Jahrh. tatsächlich mit dem fränkischen Gerichtswesen bestellt war: >Rechtspflegedelikte in der Fränkischen Zeit< (Münsteri-
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Reihe eng verwandter, jedoch nicht wörtlich übereinstimmender Fassungen den Beteiligten zuging 70 • Eine erneute Prüfung hat ergeben, daß als Missi Erzbischöfe, Bischöfe und Abte, aber auch Grafen genommen wurden (und zwar gewöhnlich aus dem benachbarten Raum) und daß ihre Kontrollbereiche wabenförmig aneinander stießen: eine ebenso einleuchtende wie praktische Regelung. Sie lief auf ähnliches hinaus wie die einstige Einteilung des römischen Reiches in Provinzen - man kann auch sagen: wie die eines neuzeitlichen Staates in> Verwaltungsbezirke<. Wohl in dem gleichen Jahr, in dem Karl die Neuvereidigung vollziehen ließ, oder in dem folgenden (8o3) ist auch die 798 neu redigierte Lex Salica abermals neugefaßt worden 71 - greifbarer Ausdruck dafür, wie sehr Karl darangelegen war, die Rechtsgrundlage fester und fester zu machen. Aus dem Jahre 8o3 datieren mehrere Capitularia legibus addenda, die inhaltlich etwas Neues bedeuten72 • Denn die bisherigen Kapitularien hatten sich auf die Verwaltung und Entsprechendes bezogen, aber die Ieges nicht angerührt, die nach Alter und gefestigter Tradition höchstens eine bessere Redaktion vertrugen, sonst aber unabänderlich waren. Mit dieser Vorstellung brachen die neuen Kapitularien: sie wollten die V alksrechte ergänzen, also nachholen, was die Gesetzgeber einst versäumt hatten. Darin drückt sich ein gesteigertes Bewußtsein für die Verantwortung aus, die Karl gegenüber den Ieges empfand. Mochte er sich auch hierbei auf den consensus73 der mit ihm zu Rat Sitzenden berufen können, so näherte er sich doch den römischen Kaiserl?an, die durch die von ihnen erlassenen Gesetze die gültige Iex ergänzt und berichtigt
sehe Beiträge zur Rechts- u. Staatswiss., Heft 7). Berlin ('W. de Gruyter u. Co.) 1962. (I62. S.). Es ergibt sich, daß auch nach Karls Bemühungen um eine Besserung noch viele Mißstände zu verzeichnen sind, vornehmlich verursacht durch den Eigennutz der Grafen und ihrer Amtswalter, auf die die Herrscher nun einmal angewiesen und die sie nicht laufend zu überwachen imstande waren. Der Hauptteil des Buches befaßt sich mit der Frage, wie das Gerichtsverfahren aufgebaut war, wo es Mängel aufwies und was geschah, um sie beheben. 70 Mon. Germ., Capit. I Nr. 34; vgl. dazu jetzt W. A. EcKHARDT, Die Capitularia missarum specialia von 802., im Deutschen Archiv XII, 1956, S. 498-p6, der die bisherige Auslegung in entscheidenden Punkten abzuändern vermag. Ein Teil der Fassungen spricht nicht vorn
Bann domni imperatoris Karoli, sondern im Anklang an seinen Titel von: De banno domno (sie!) imperatoris et regis. Vgl. Abs. XVIII; vgl. a. a. 0. S. 503. 71 K. A. EcKHARDT, Lex Salica: roo Titel-Text, Weimar 195 3 (Germanenrechte N. F., Abt.: Westgerm. Rechte), S. 7of. 72. Zum fgden vgl. F. L. GANSHOF, Wat waren de Capitularia, Brüssel I 9 55 (Verhandelingen van de Kgl. Vlaamse Acadernie . . . van Belgie, Kl. der Letteren, Verhandling Nr. 2.2.) S 86f., Deutsche Ausgabe: Darmstadt 196r. Es handelt sich vornehmlich um Nr. 39, 41 und 68 der Mon. Germ.-Ausgabe (vgl. GANSHOF a. a. 0., S. ro8f.) (vgl. dazu das klare Referat von RuTH SCHMIDT-WIEGAND in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 74, Gerrnan. Abt., 1957, S. 2.78-82., die die Frage aufwirft, ob Kar! an eine fränkische Tradition anknüpfen konnte). 73 Ebd. S. 2.7ff.
Gesetzgebung - Reichsteilung
hatten74 • Einhard, der diese Maßnahmen Karls - leider nur kurz - verzeichnet, führt sie mit den Worten ein: Post susceptum imperiale nomen75 ; das wird nicht nur chronologisch, sondern auch kausal zu verstehen sein: weil Karl jetzt den Kaisernamen trug, sprach er sich nunmehr eine gesteigerte Funktion in der Pflege und Ausgestaltung des Rechtes zu - auf diesem Wege ist später Ludwig der Fromme fortgeschritten. Den Weg vom Personalverband zur gottgewollten >Institution< hat Karl allerdings nur ein Stück weit beschritten: er hat ihn nicht zu Ende verfolgt, konnte ihn nicht zu Ende verfolgen, da auch er ein Mensch seiner Zeit war und deshalb an deren Rechtsanschauungen gebunden blieb. Das zeigte sich im Jahre 8o6, als Karl den Augenblick für gekommen erachtete, den ordo rerum über seinen Tod hinaus zu sichern. Genauso wie sein Vater, König Pippin, bei der Salbung, dem Eid von Ponthion und der Schenkung seine Söhne gleich einbezogen hatte, so war auch Karl vorgegangen: die 789 und die Soz geforderten Eide waren sowohl ihm als auch seinen Söhnen geleistet worden. Jetzt wurde geregelt, welche Teile des Reiches sie einmal erhalten sollten. Viele Bestimmungen tragen Sorge, daß Streit zwischen den Erben verhindert oder ihr Zusammenwirken gesichert wird. Ausdrücklich werden sie alle drei auf die cura et defensio ecclesiae s. Petri verpflichtet (da es sich um drei handelte, schien wohl der Ausdruck protectio in diesem Falle unangemessen). Aber keiner wurde dem anderen übergeordnet; eines Tages mußten sie also gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die Einheit des a Deo conservatum et servandum imperium l!el regnum nostrum (Prolog, entsprechend in cap. zo: a Deo conservatum regnum atque imperium istud) wird von Karl selbst aufgelöst. Man hat sich früher darüber gewundert, daß Kar! in dieser Teilung seine Kaiserwürde gar nicht erwähnt und deren Vererbung also völlig im Dunkeln bleibt. Wenn wir uns darauf besinnen, daß es sich bei dem Kaisertitel um ein nomen handelt, ist gar kein Grund zum Staunen gegeben: ein Kaisername ließ sich weder - wie in Byzanz - auf einen Haupt- und zwei Nebenkaiser verteilen, noch als accidens zu einem Drittel des Besitzes wiederum an einen der Söhne vererben. Sein Schicksal mußte einem eigenen Rechtsvorgang vorbehalten bleiben, für den Kar! im Jahre 8o6 den Augenblick offensichtlich noch nicht für gekommen ansah.
Sechsundvierzig Jahre hatte Karl daran gearbeitet, die von seinem Vater vollzogene Teilung zu überwinden, neue Gebiete dem Erbe anzuschließen und das so entstandene Riesenreich durch rechtliche, kirchliche und ethische Klammern zusammenzufügen. Und nun war er es selbst, der seine Lebensarbeit wieder zerschlug und den Papst durch Unterschrift verpflichtete, darüber zu wachen, daß alles so ausgeführt wurde, wie er es anordnete I Hier zeigt sich die Grenze, die Karl gezogen war: als er die Herrschaft angetreten hatte, war für ihn das herkömmliche Teilungsprinzip eine Selbstverständlichkeit gewesen, und was Recht gewesen war, konnte der Kaiser 74 Von F. L. GANSHOF wirkungsvoll herausgearbeitet in den S. 284f. Anm. 63 und S. 288
19 Schramm, Aufsätze I
n
Anm. 72, zitierten Aufsätzen. Cap. 29 (a. a. 0. S. 33).
Bz: c. Kar! d. Gr. als Kaiser (8oo-8 14)
nicht beiseite schieben- er am wenigsten, dessen ganzes Sinnen und Trachten darauf abgestellt gewesen war, das Recht rein und unverfälscht zu erhalten und dort, wo es noch vage war, eine feste Rechtsform zu finden. Hätte ihn der Gedanke der respublica bereits wirklich beherrscht, so hätte er diesen Gedanken zurückweisen müssen 76 • Wenn es nicht zu der vorgesehenen Reichsteilung kam, dann geschah das nur deshalb, weil zwei Söhne vor dem Vater starben; bei seinem Tod lebte nur noch Ludwig der Fromme. Erst das ro. Jahrhundert hat nach vielen bösen Erfahrungen den germanischen Grundsatz, daß allen Sprossen des Königs Anteil an sein~m Erbe gebühre, überwunden. Denn mochte das Christentum auch die heidnische Vorstellung eines der Herrschersippe anhaftenden Königsheils geschwächt haben- völlig beseitigt war sie selbst im 10. Jahrhundert noch nicht; ja im Untergrund lebte sie ja sogar noch länger fort 77 •
e) Der abendländische und der l?Jzantinische Kaisertitel Mit dem Papste, mit den Römern, mit seinen auf den Caesar vereidigten Untertanen kam Karl über seine neue Würde ins reine. Noch zu klären war seine Beziehung zu den Byzantinern78 • Sie konnten ihm nicht gefährlich werden, und einen Einspruch 76 Über das Ineinander von germanischen und römisch-christlichen Gedanken bei Alcuin vgl. Loewe, Reichsgründung (s. S. zr6), S. 105 ff. 77 V gl. H. MrTTErs, Die Krise des deutschen Königswahlrechts, München 1950 (Sitzungsberichte der Bayer. Akad. der Wiss., Phil.hist. Kl. 1950, Nr. 8; Neudruck: Darmstadt 1965), S. 22ff.: Anerkennung der Samtgewere aller Hausangehörigen. 78 Vgl. zum folgenden ständig G. ÜSTROGORSKY, Gesch. des byzant. Staates, München 1940 (3. Aufl. 1963; Handbuch der Altertumswiss., Abt. 12, Teil I, Bd. 2), S. rz6ff.; FR. DöLGER, Europas Gestaltung, in: Der Vertrag von Verdun, hg. von TH. MAYER, Lpz. 1943, S. 217ff. (jetzt: Byzanz u. d. europ. Staatenwelt, Ettal 1953, S. 3ooff.); W. ÜHNSORGE, Das Zweikaiserproblem, Bildesheim 1947, S. 25 ff.; Ders., Orthodoxus imperator, im Jahrb. der Gesellsch. f. Niedersächs. Kirchengesch. 48, 1950, S. 24ff. (Jetzt: Abendland und Byzanz, Darmstadt 1958). Vgl. dazu oben S. 2r6ff., wo die neuere Lit. nachgetragen ist.
Ich gehe hier nicht auf die von Löwe, Kölner Notiz (s. S. 217) aus einer komputistischen Handschrift ans Licht gezogene und mit großem Scharfsinn beleuchtete Notiz zum Jahre 798 ein: ipse est annus, quando ... missi venerunt de Grecia, ut traderent ei imperium. Denn ÜHNSORGE, Orthodoxus imp. a. a. 0., S. 2 r ff. hat inzwischen versucht, sie wieder zu entkräften, indem er sie als eine sich auf die Jahre 802[5 beziehende und nur an eine falsche Stelle geglittene Glosse bezeichnete. Er ist dabei nicht auf die dazugehörige Angabe über die sächsischen Geiseln eingegangen; erst wenn diese als gleichfalls nicht zu 798 gehörig erwiesen werden kann, wäre der Notiz ein entscheidender Stoß versetzt. Bisher ist Ohnsorge nur zuzugeben, daß es in der Tat Schwierigkeiten macht, die Notiz mit der Lage des Jahres 798 - soweit sie uns bekannt ist - in Einklang zu bringen (dies betont auch F. DöLGER, Byzanz und die europ. Staatenwelt, Ettal 1953, S. 301, Anm. 22a). Vgl. auch P. CLASSEN (S. 218), S. 566f. und W. ÜHNSORGE, Konstantinopel u. d. Okzident, Darmstadt 1966, S. 75·
Der abendländische und der byzantinische Kaisertitel
aus Konstantinopel hätte Karl beiseite schieben können; trotzdem mußte ihm an einer Anerkennung seines neuen Titels durch den anderen Kaiser liegen - eben deshalb, weil er der Wahrer des Rechtes war und er die bisher geltende Ordnung erschüttert hatte. Das Motiv kann man noch aus Einhards Worten heraushören, die besagen, Karl sei den Byzantinern als einer, der ihnen das imperiumhabe entreißen wollen, sehr verdächtig gewesen79, Daß Karl sich fortan Kaiser des >Römischen Reiches< nannte, stellte einen Affront für die Byzantiner dar, wie er schwerer kaum zu denken war, weil er die Achse ihres Selbstbewußtseins traf. Doch erlaubte ihnen die Lage nicht, Karl entgegenzutreten. Vielmehr verlegte sich die Kaiserin Eirene auf das V erhandeln. Bekanntlich weiß Theophanes zu berichten, Kar! habe durch seine Gegengesandtschaft im Jahre So2 über seine Verehelichung mit Eirene verhandeln lassen; erst der Sturz der Kaiserin habe dies Projekt zunichte gemacht80 • Wenn KARL BRANDr dies Projekt einen >ganz abenteuerlichen Plan< genannt hat, wird ihm niemand widersprechen wollen - sollte jemand ein Zeugnis entdecken, man habe Maria Theresia mit dem Negus Negesti von Abessinien verheiraten wollen, um die Einheit ihrer beiden christlichen Kaiserreiche herbeizuführen, könnte unser Erstaunen nicht größer sein. Doch läßt sich ein Zeitgenosse wie Theophanes nicht einfach beiseite schieben: es muß an seinen Angaben zum mindesten >etwas dran< sein. Wieviel allerdings, das bleibt dem subjektiven Ermessen überlassen: wer in diesem Zeugnis nur >Hoftratsch< sieht oder einen in den Verhandlungen einmal erörterten Ausweg, ist ebensowenig zu widerlegen wie der, der an die Ernsthaftigkeit des Projektes glaubt und das Schweigen der westlichen Chronistik damit erklärt, die Erwähnung des gescheiterten Planes sei ihr peinlich gewesen81 • Das eine läßt sich jedoch mit Bestimmtheit sagen, daß Kar! nach seiner ganzen Art sich nicht auf Abenteuer eingelassen haben würde und über die unsichere Stellung der Kaiserin zweifellos im Bilde gewesen ist. Sollte es sich wirklich um ein >amtliches< Projekt handeln, kann es sich für ihn nur um die Sanktionierung seines Titels durch die Ehe mit der Kaiserin und nicht um den Auftakt zur Er-
79 C. r6 (S. 2o):proptersusceptumaseimperatoris nomen et ob hoc eis quasi qui imperium eis eripere vellet, valde suspectum. So ÜTTO TREITINGER (in Rußland verschollen), Die oströmische Kaiser- und Reichsidee, Jena 1938 (jetzt Neudruck Darmstadt); Ders., Vom oströmischen Staats- und Reichsgedanken, in der Leipziger Vierteljahrsschrift für Südosteuropa IV, 1940, S. r-25; ferner FR. DöLGER, Die Kaiserurkunde der Byzantiner als Ausdruck ihrer polit. Anschauungen, in der Histor. Zeitschr. 159, 1939, S. 229-49 (wiederholt in dem Anm. 78 angeführten Band: S. 9-33). Sr DöLGER, EuropasGestaltunga. a. 0., S. 217f. und ÜHNSORGE, Zweikaiserproblem, S. 26, bezweifeln die Angaben des Theophanes nicht; ÜSTROGORSKY a. a. 0., S. !28, Anm. 2,
ist skeptisch und wendet sich in der Byzant. Zeitschr. 46, 1953, S. 155, gegen Ohnsorges Thesen. Im Neudruck seines Aufsatzes wendet sich FR. DöLGER gegen meine Skepsis. Einer umfassenden Erörterung hat diese Frage jetzt W. ÜHNSORGE unterzogen: Das Kaisertum der Eirene u. die Kaiserkrönung Karls d. Gr., in: Saeculum XIV, 1963, S. 221-47 (jetzt: Konstantinopel u. der Okzident, Darmstadt 1966, S. 49-92), bes. S. 23off. (= S. 64ff.), wonach das Projekt »durchaus im Zuge der fränkisch-byzantinischen Heiratspolitik des S. Jahrh.s« gelegen habe. Damit sind meine Ausführungen nicht entkräftet: hier hätte es sich um eine >Matrimonialunion< gehandelt, falls ein solcher Plan bestanden hat. - Ablehnend jetzt CLASSEN (s. S. 218) S. 596ff.
Bz: c. Kar! d. Gr. als Kaiser (8oo-8 14) richtung seiner Herrschaft über den Osten gehandelt haben. Selbst eine kurze Reise nach Konstantinopel und zurück ist schwer vorstellbar. Denn Karl war zwar Kaiser, aber nach wie vor auch: per misericordiam Deirex Franeorum et Langobardorum, dessen Lieblingssitz Aachen - nicht einmal Rom blieb. Daß wir an diesem Punkt keine Gewißheit erlangen können, stellt die empfindlichste Lücke in unserer Kenntnis der Kaiserfrage dar.
Wir brauchen den weiteren Verlauf der Verhandlungen mit Byzanz nicht im einzelnen zu verfolgen, da FR. DöLGER und W. 0HNSORGE das bereits getan haben. Nach Eirenes Sturz, der wieder einen Mann auf den byzantinischen Thron brachte, drehte sich alles um die Tatsache, daß es zwar noch eine einzige christliche Kirche, aber wieder ein West- und ein Ostreich nebeneinander gab, die unvereinbar waren. Das mochte die stören, die die Welt nach den im Verstand geborenen Normen regiert zu sehen wünschten; aber wer sich in der Vergangenheit auskannte, dem war bewußt, daß es auch früher lange Zeit so gewesen war. Den neuen Kaiser des Westens wird diese Unvollkommenheit seines Reiches nicht bedrückt haben. In den Libri Carolini hatte er sich rex Francorum, Gallias, Germaniam Italiamque . .• regenstitulieren lassen, warer-wie wir sahen82 - als Anwalt des Westens gegenüber dem Osten aufgetreten, und in den >Annales Laureshamenses< wurde sein Kaisertitel mit dem Besitz von Rom, Italien, Gallien und Germanien begründet - so geht eine einheitliche Linie durch seine ganze Regierungszeit. Diese Einstellung erleichterte für Karl die Verhandlungen mit den Basileis. Er wollte von ihnen nur Anerkennung seines Titels, nicht mehr, und war von vornherein bereit, den Rivalen ihren Titel zuzugestehen. Karl verstand die Kunst des Wartens, und die Byzantiner machte der wirre Wechsel innerer und äußerer Rückschläge mürbe. Den ersten Erfolg trug der Kaiser im Jahre Sro davon: es kam zu einem Vorvertrag, der den Weg für eine umfassende Regelung aller zwischen Ost und West strittigen Fragen ebnete. Diese wurden nach erneutem Gesandtenwechsel 8 r 2 - wiederum in Aachen - erreicht. Karl gab Venedig und die anderen Küstenstädte an der Adria, die in den letzten Jahren ein Kampfobjekt gebildet hatten, preis und wurde dafür von dem byzantinischen Gesandten als Kaiser akklamiert. Außerdem wurde abermals eine V ersippung der beiden Dynastien ins Auge gefaßt. Das sind die Tatsachen, die durch die zeitgenössischen Berichte bekannt sinds 3 ,
Sz S. oben S. 270. 83 Aufgezählt bei BöHMER-MÜHLBACHER und in den Jahrbüchern. Über die formale Behandlung dieses Vertrages, dessen Ratifikation sich infolge der Todesfälle im Westen sowie im Osten bis 815 hinzog, vgl. W. HEINEMEYER, Studien zur Diplomatik ma.er Ver-
träge im Archiv für Urkundenforsch. XIV, 1936, S. 405 ff. -Daß es sich nicht, wie J. B. BuRY wollte, um die Aufnahme Karls in die Kollegialität des Basileus handelte, zeigt OsTROGORSKY a. a. 0., S. 137, Anm. I. Vgl. dazu jetzt CLASSEN a. a. 0., S. 6ozf.
Die Einigung (812)
Den springenden Punkt dieses von Karl durch greifbaren Verzicht (durch ein Zurückstecken der Grenzpfähle) ermöglichten Kompromisses hat erst die Prüfung der >staatssymbolischen< Auswirkung klargestellt84 : von diesem Vertrage an wird der Zusatz Rhomaiön, der bisher nur gelegentlich und ohne festes Prinzip begegnet, ein fester Bestandteil des byzantinischen Kaisertitels; andererseits muß mit diesem Vertrag zusammenhängen, daß Ludwig der Fromme sich vom Anfang seiner selbständigen Regierung an nur Imperator Augustus nannte, also die gubernans-Formel wegfallen ließ und auf seine Bulle statt Renovatio Roman. imp. nur Renovatio regni Franeorum setztess. 84 Meinem Hinweis auf das Fehlen von >Römisch< im Westen nach 8Iz und die Abwandlung der Renovatio-Formel (Renovatio I, S. I4) ist E. STEIN, Zum ma.lichen Titel >Kaiser der Römer<, in Forschungen u. Fortschritte Vl, I930, S. I8z f., nachgegangen. Er hat festgestellt, daß der 8Iz regierende Basileus der erste ist, der auf seine Münzen Rhomaiön setzen läßt. ('1 gl. aber auch schon HELDMANN a. a. 0., S. 393 f., Anm. 4). Seither hat sich ergeben, daß der Zusatz Rhomaiön vor 8 I z öfters zu belegen ist, als anfangs bekannt war; doch bleibt es dabei, daß er erst von 8u an >amtlich< wurde; vgl. ÜSTROGORSKY a. a. 0., S. 137f., bes. Anm. z und jetzt vor allem CLASSEN (S. zr8), der ein »langsames Vorschreiten des Römernamens im Kaisertitel« feststellt, aber doch an 8rz als Einschnittsjahr festhält. Auf die Frage des Kar! zugestandenen Titels ist E. STEIN in den Melanges Bidez = Annuaire de l'Inst. de philol. et d'hist. orientale II, 1933/4, S. 869-912, eingegangen; er ist jedoch auf den Widerspruch von FR. DöLGER gestoßen (Byzant. Zeitschr. 36, 1936, S. 123-145); vgl. bes. S. I 32ff., ferner ebd. n. I937, s. 579 und 40, I940, s. 519· Die Angabe in den Ann. q. d. Einhardi (Script. 1. c. S. I 36): greca lingua . . . imperatorem eum et basileum appellan/es hatte STEIN so gedeutet, daß Kar! als Autokrater und Basileus anerkannt worden sei. DöLGER bezeichnet et basileum als eine Glosse zu dem im Lateinischen mehrdeutigen imperator, die klarstellen soll, daß Kar! auch im byzantinischen Sinne voll und ganz als Kaiser aner-
kannt worden sei; hätten die Annalen wiedergeben wollen, was STEIN voraussetze, hätte es - in umgekehrter Reihenfolge - heißen müssen: basileum et autocratorem. Das ist einleuchtend, aber nicht voll und ganz beweiskräftig. Hat DöLGER recht, dann haben die Byzantiner Karls Kaisertitel gleich in doppelter Weise eingeengt. Nicht vor Augen habe ich gehabt, was V. LAURENT an Hand der Münzen während des letzten Krieges in der Cronica numismatica si archeologica, Bukarest, S. I I 7-I 8, ausführte. Gegen dessen Ausführungen: Notules de titulature byzantine; im Echo d' Orient 38, I939, S. 355-70, hat sich FR. DöLGER in der Byzant. Zeitschr. 40, I940, S. 598f. gewandt, und in neuen Darlegungen, die er seinem Aufsatz bei dem Wiederabdruck in: Byzanz und die europ. Staatenwelt, Ettal 1953, S. z98f., hinzusetzte, hat er gegenüber CLASSEN betont, daß der offizielle und der nicht-offizielle Brauch streng zu scheiden seien und in jenem der Zusatz 'Pwp,alwverst nach dem Aachener Vertrag üblich wird. Vgl. ebd. S. 305 Anm. 33 (neugefaßt), daß die Anerkennung als Aufokrator unmöglich war. Vgl. auch FR. DöLGER, Die Entwicklung der byzant. Kaisertitulatur u. die Datierung von Kaiserdarstellungen in der byzant. Kleinkunst, in den Studies presented to David Moore Robinson II, 1953, S. 985-I005 (jetzt: Byzant. Diplomatik, Ettal I956, S. I3ü-5I). 85 ScHRAMM, Kaiser in Bildern, S. 42 mit T. I 3 a-b, dazu Ders., Bildnisse Karls d. Gr.,
S. Gof.
Bz: c. Karl d. Gr. als Kaiser (8oo-814)
Das heißt: Karl verzichtete darauf, daß das abendländische Imperium weiter als ein >Römisches< bezeichnet wurde, und der Basileus hob sein Imperium fortan als das der >Römer< von dem ab, zu dessen Anerkennung er sich auf Grund seiner politischen Notlage hatte bereit erklären müssen. Er konnte das, weil Karls Imperium in seinen Augen überhaupt kein rechtes Imperium war; für ihn, den >römischen<, d. h. wahren Kaiser, bing es traditionslos in der Luft. Karls Kaisertitel war für die Byzantiner wie FR. DöLGER es treffend formuliert hat - nur ein überhöhter KönigstiteL Hatten die Byzantiner also Karl den Großen geprellt? Mitnichten I Auch er konnte mit dieser Lösung einverstanden sein, weil er ja von Anfang an keine allzufeste Bindung seines Reiches an Rom gewollt hatte. Dem alten Grundgedanken folgend, daß die Könige eine Familie bildeten, redete er den Basileus fortan als frater an, was ihn jetzt wirklich: imperator imperatoris similis - als auf gleicher Stufe stehend kennzeichnete86, und in einem seiner an den Basileus gerichteten Briefe sprach er vom orimta!e et occidentale imperium, was die Gleichrangigkeit seines Reiches nicht minder deutlich zum Ausdruck brachte87 . Zugleich wurde dadurch die Tatsache, daß es wieder Ostund Westreich nebeneinander gab, in aller Form herausgestellt. Das bedeutete für die Byzantiner, aber nicht für Karl, eine Einschränkung des Reichsbegriffs; denn in Konstantinopel hing man ja nach wie vor an der Vorstellung fest, daß alles, was einmal zum imperium Romanum gehört hatte, von Rechts wegen noch einen Teil von ihm bilde. Ein diplomatisches Meisterstück stellt die Adresse eines Briefes dar, den Karl 8 r 3 an den Basileus richtete. Sie lautet: Karalus . .. imperator et augustus idemque rex Franeorum et Langobardorum dilecto et honorabi!ifratri Michaeli glorioso imperatori et augusto 88 •
86 FR. DöLGER, Die >Familie der Könige< im Ma., im Hist. Jahrbuch 6o, 1940, S. 405 (wiederabgedruckt in: Byzanz und die europäische Staatenwelt, Ettal, 1953, S. 45); vgl. dazu Einhard cap. 28 (S. 33): in epistolis fratres eos appellando und Mon. Germ., Epist. IV, s. 546ff., 55 5f. 87 Ich verweise hierfür noch einmal auf JüRGEN FISCHER, Oriens - Occidens - Europa. Begriff und Gedanke >Europa< in der Spätantike und im frühen Ma. (1951); Veröffentl. des Instituts für Europ. Gesch. Mainz, Abt. Univ. gesch. XV, Wiesbaden 1957, der feststellt, daß in Karls Zeit die Bezeichnungen Griens und Occidens im fränkischen Bereich nichts mit der Vorstellung des orbis Romanus zu tun haben.
88 Mon. Germ., Epp. IV., S. 546. Die >römische< Auffassung des westlichen Kaisertums vertrat 8u der Ire Dungal: er schrieb Karl, dem omnium antecedentium Romanorum principum cunctis nobilibus honestisque regalium virtutum donis et exercitiis studiosissimo no)- principes entspricht dem litur(ebd. gischen Sprachgebrauch für imperatores.
s.
Über die Frage, ob die Byzantiner in dem 814 geschlossenen Vertrage den Bulgaren zugestanden haDeov den Titel 6 ben, s. W. BESEVLIEV in der Byzant. Zeitschr. 41, 1941, S. 289ff., bes. S. 297. Daß Karls Titel in seinem 8I I aufgesetzten Testament die gubernans-Formel fehlt, besagt nichts, da er gar nicht die geltende Form erhalten hat; es ist zu beachten, daß es sich
eu
aexwv
Karls Titel (812/4) Einerseits ist hier die Gleichstellung dadurch zum Ausdruck gebracht, daß Michaelalsfrater angeredet wird und genau den Titel erhält, den Kar! sichselbst zulegt; andererseits ist bei Karl die >Römische Frage< dadurch umgangen, daß Karl in seinem Titel gubernans imperium Romanum wegläßt, andererseits demBasileus einen entsprechenden Zusatz vorenthält. Außerdem muß Michael verstimmt haben, daß Karl den eigenen Namen vorausstellte und ihm die Devotionsformel divina largiente gratia zusetzte, dem Basileus dagegen nur ein gloriosus konzedierte - den >Gegenkaiser< gleichfalls als Auserwählten Gottes anzuerkennen, das Zugeständnis brachte Karl offensichtlich nicht über die Lippen.
Für sich selbst scheint sich Karl ausbedungen zu haben, daß es bis zu seinem Tode, der ja nicht mehr lange auf sich warten lassen konnte, beim alten blieb. Denn in den Urkunden ließ er sich weiter den bisherigen Titel beilegen- allerdings reißt deren Reihe bereits im Mai 813 ab. Es ist zu vermerken, daß in Konzilsakten dieses Jahres von ihm nur als von dem imperator die Rede ist, und in den liturgischen Handschriften greift jetzt- soviel man bisher sehen kann- die Form christianum statt Romanum imperium weiter um sichB9.
nicht um ein Testament im strengen Sinne, sondern um ein durch Zeugen bekräftigtes Protokoll über Karls letztwillige, nur seine Fahrhabe betreffende Verfügungen handelt, um - wie Einhard in seinen einführenden Worten (c. 33, S. 37) sagt - ein breviarium (vgl. dazu HELDMANN a. a. 0., S. 39rf.). 89 In seiner Ausgabe desAlcuinschen Sakramentars (Liturgiegeschichtl. Quellen III, Münster 1921, S. 44) hat H. LIETZMANN christianum in den Text gesetzt; da mich das stutzig machte, ließ er die betreffende Stelle in der entscheidenden Handschrift (Autun) noch einmal nachsehen; es ergab sich, daß Alcuinwie es die Stammfassung des Sakramentars verlangte - noch Romanum gesetzt haben muß, daß aber in die Abschriften gleich christianum eindrang (so nach meiner brieflichen Mitteilung E. RosENSTOCK in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. 49, Germ. Abt., 1929, S. 500; gegen meine dort geäußerte Vermutung, ein Konzilsbeschluß könne die Einführung von cbristianum bewirkt haben, K. HELDMANN ebd. 50, 1930, S. 648). Die Frage, wann und wie sich dieser ja bereits vor 8oo angebahnte Wechsel vollzog, bedürfte systematischer Untersuchung, zu der TELLENBACH a. a. 0. bereits wertvolle Vorarbeit leistete. ÜHNSORGE, Zweikaiserproblem a. a. 0.,
S. 29f., behauptet nicht nur, Karl habe 813 auf die gubernans-Formel verzichtet, sondern er habe auch einen neuen Bullenstempel prägen lassen, »den wir mit Sicherheit erschließen können, wenn er uns auch in keinem Exemplar mehr erhalten ist«, - von einem solchen >Beweis< kann natürlich nicht die Rede sein (die These wiederholt in: Konstantinopel u. d. Okzident, Darmstadt 1966, S. 82). Er bringt auch die Formel Renovatio regni Francorum, die von mir ganz mißverstanden sei, mit Karl zusammen: sie trage den Stempel seines Geistes und sei als Ausdruck der »Verbesserung, Aufwärtsbewegung des Römischen Reiches« zu deuten. Das will mir nicht in den Sinn; ich sehe in dieser Formel nach wie vor eine Verlegenheitslösung: Ludwig ließ alles >Römische< einschließlich Tor und der Legende Roma fahren, wollte sonst aber- wie das ja die allgemeine Tendenz bei Bullen, Siegeln und Münzen ist - soviel wie möglich von der eingebürgerten Form bewahren. - Inzwischen hat W. ÜHNSORGE seine Argumentation im einzelnen dargelegt: >Renovatio regni Francorum<, in der Festschrift des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, Wien 1952, S. 303-13 Qetzt: Abendland und Byzanz, Darmstadt 1958, S. 111-29). Sie hat mich nicht überzeugt (ÜHNSORGES These hat sich BEUMANN, Romkaiser a. a. 0., S. 172f.
B2: c. Kar! d. Gr. als Kaiser (8oo-8I4)
Daß Ludwig der Fromme den langen, aber so überlegt gegliederten Kaisertitel seines Vaters preisgab und sich statt dessen nur noch imperator augustus nannte, wird erst später zur Sprache kommen. Dort ist auch zu erwägen, wa& es bedeutet, daß der Sohn der Umschrift der Bulle: Renovatio lmp. Roman. die Fassung gab: Renovatio regni Franc(orum) 90 • Hier sei nur unsere These vorweggenommen, daß Ludwig diese einschneidenden Neuerungen bereits mit seinem Vater abgesprochen hatte. Ob das bereits 812 den Byzantinern in Aussicht gestellt worden war, läßt sich weder so noch so entscheiden.
j) Die Erhebung des einzigenSohneszum Mitkaiser ( 3I}) Nach Abschluß des Aachener Vertrages lag dem Kaiser nur noch eine Aufgabe von Gewicht ob: die Überleitung seiner Herrschaft auf den einzigen noch lebenden Sohn. Daß der Kaiser sein Ende herannahen fühlte, zeigt, daß er bereits im Frühjahr 8 I I sein sogenanntes >Testament< aufgesetzt hatte. In Wirklichkeit handelt es sich um eine protokollartige, durch die Anführung von Zeugen bekräftigte Aufzeichnung- ein breviarium, wie Einhard sagt- über die Verteilung der kaiserlichen Fahrhabe. Aus diesem umfangreichen Text ist hier nur zu vermerken, daß der in der camera des Kaisers verwahrte ornatus regius mitverteilt werden sollte, daß es also noch nichtwie später - Herrschaftszeichen gab, die unbedingt an den Erben fallen mußten, weil dieser ihrer als Ausweis ( corroboratio) für seine Rechtmäßigkeit bedurfte. Dagegen blieb die cape/Ja mit ihrem ererbten und von Kar! vermehrten Bestand unverteilt: es gab also einen Reichsreliquienhort, bevor es einen vererbliehen Reichshort gab91• Von einer Vererbung der Herrschaft - wie in späterer Zeit - konnte in einem Testament nicht die Rede sein, da sie neben dem Willen des Vaters die Zustimmung der weltlichen und kirchlichen Großen als Sprecher des Volkes voraussetzte.
Vorbesprechungen führte Karl im Frühjahr 813, und im September trat dann in Aachen ein Reichstag zusammen, zu dem sich auch Ludwig einfand 92 • Daß die Versammelten Karls Vorschlag, seinen einzigen Sohn zum Kaiser zu erheben, zustimmten, versteht sich von selbst. Es wäre aber verfehlt, deshalb von einem Scheinakt zu eigen gemacht, als wenn es sich um bewiesene Tatsachen handele). BEUMANN, Imperiales Königtum a. a. 0., S. I25, hat in der Regnum-Formel einen Genetivus subiectivus erkennen und sie daher deuten wollen: »Erneuerung des Reiches durch die Franken«; dagegen bereits W. HoLTZMANN im Deutschen Archiv VIII, I95I, S. 612f. J. SEMMLER, Die monastische Gesetzgebung Ludwigs d. Fr., im Deutschen Archiv XVI, I96o, S. 385f., bringt diese mit der >Renovatio regni Franc.< zusammen: unilas sowohl im politischen als auch im geistlichen
Bereich. 90 S. unten Band II. 91 EINHARD: Vita Karoli Magni cap. 23 (ed. G. W AITZ, S. 37-4I; wiederholt neugedruckt; Mon. Germ., Script. rer. germ.), danach P. E. ScHRAMM - FLORENTINE MüTHERICH, Denkmale der deutschen Könige u. Kaiser, München I96z, S. 90-2; ausgewertet ebd. S. 22f. 92 Vgl. wieder die Nachweise in den Jahrbüchern und bei BöHMER-MÜHLBACHER, Nr. 479 b; dazu CLASSEN (s. S. 218) S. 6o6f.
Erhebung Ludwigs d. Fr. zum Mitkaiser (8I3)
2.97
zu sprechen93 • Was geschah, unterschied sich nicht von der >Wahl< eines Mitkönigs, die praktisch zwar nur die Anerkennung einer vorher feststehenden Tatsache, aber doch keine Formalie war, sondern ein Rechtsakt, der ein aus objektivem Recht aufgegebenes, verpflichtendes Faktum94 in Kraft setzte. Bei dieser >Kaiserwahl< nahm kein Römer teil- die Sprache der Staatssymbolik kann sehr eindeutig und zugleich sehr vernehmlich sein 95 • Am Montag darauf erfolgte die abschließende Handlung im Münster. Jedoch war es trotz des kirchlichen Rahmens eine weltliche Handlung: Karl hielt seinem Sohne die Pflichten vor, die sein hohes Amt ihm auferlegte, und fragte ihn, ob er sie befolgen wolle 96 - Ludwigs Zusage nimmt die Stelle ein, die später der Krönungseid ausfüllt. Darauf erfolgte die Krönung; nach den Annalen setzte der Vater dem Sohne die Krone auf, nach Thegan tat Ludwig das selbst - da dies das Ungewöhnlichere, also schwerer Auszudenkende ist, möchte man dieser Version den Vorzug geben. Wie dem auch gewesen sein mag, kein Geistlicher legte die Hand an die Krone vor allem: der Papst blieb ganz ausgeschieden. Da heißt es noch einmal: die >Staatssymbolik< kann sehr eindeutig und zugleich sehr vernehmlich sein. Auf den Zuruf des Volkes: Vivatimperator Ludovicus!, der dem >Vollwort< (collaudatio) im Gerichtsverfahren entsprach, folgte die Litanei, d. h. die lange Anrufung von Heiligen, wie sie das fränkische Laudes-Formular vorsah. Daran schloß sich die Messe, die der Kirche gab, was ihr gebührte. Daß auch die Erhebung zum Mitkaiser als von Gott eingegeben gedeutet wurde, versteht sich von selbst. Daß der Papst an seiner Ausschaltung Anstoß nahm, zeigt sich an seinem V erhalten in den folgenden Jahren: bei der ersten sich bietenden Gelegenheit brachte er Ludwig dazu, daß er sich von ihm salben und eine Krone aufsetzen ließ. Damit hatte er wieder den Platz eingenommen, den er 8oo innegehabt und den Kar! ihm dann vorenthalten hatte.
Von einer Salbung ist im Jahre 813 nicht die Rede. Ludwig brauchte sie ja genau so wenig wie sein Vater bei der Anerkennung als Kaiser, da auch er bereits gesalbt war. Daraus ist zu entnehmen, wie von Karl das Verhältnis der Kaiserwürde zur 93 Im Jahre 8oo wurde der quasi-imperator als imperator >anerkannt<, 8 I 3 Ludwig, der bisher nur Teilherrscher war, zum Teilhaber der Gesamtherrschaft, >gewählt<, zum consors imperialis nominis (Ann. Lauriss.), consors totius regni (Einh.). Über die Geschichte dieses aus der Antike stammenden, im frühen Mittelalter vornehmlich für die Königin benutzten Ausdrucks vgl. THILO VoGELSANG, Die Frau als Herrseherin (Göttinger Bausteine 7), Göttingen I 9 54· 94 Ich benutze hier eine Formulierung aus: Der König von Frankreich I, S. 72, wo dieser
Gedanke genauer ausgeführt ist. 95 Daß auf den bei Thegan angeführten Worten Karls, vielleicht auch noch auf der Weisung für die Missi (8oz) der >Königsspiegel< im Couronnement Louis (12.. Jahrhundert) beruht, führt E. R. CuRTIUS in den Roman. Forsch. 6z, I95o, S. 342.ff. aus. 96 Chron. Moissiacense (Mon. Germ., Script. I, S. 3IO, auch II, S. 2.59): {Carolus) per coronam auream tradidit ei imperium; hier liegt die germanische Auffassung zugrunde: Karl investierte Ludwig mit der Herrschaft durch die Übergabe des Herrscherzeichens.
Bz: c. Kar! d. Gr. als Kaiser (8oo-8r4)
Königswürde angesehen wurde: diese bedeutete einen Stand ( ordo ), in dem man einer sakramentalen Bestätigung und Befestigung bedurfte; jene war ein nomen, der zum Königstitel hinzukam. Indem der Papst Ludwig zum Kaiser salbte, machte er auch aus der Kaiserwürde einen ordo, der einer eigenen sakramentalen Befestigung bedurfte - und mit dieser Auffassung hat er sich durchgesetzt. Daß es fortan auch im Westen zwei Kaiser zur gleichen Zeit gab, entsprach dem Brauch des Ostens. Aber es hätte seiner nicht bedurft, um Karl zu diesem Schritte zu bewegen. Denn was er tat, war ja nur die sinngemäße Übertragung des für das Mitkönigtum üblichen Brauches 97 auf die Kaiserwürde. So hat Karl der Große am Ende seines Lebens das anfangs >römische< Kaisertum nicht nur >christlich<, sondern auch noch fränkisch gemacht. Er gleicht einem Wanderer, der aufwärtsstrebend um einen Berg herumgeschritten ist und wieder die Seite des ersten Anstiegs erreicht, dabei aber an Höhe gewonnen hat, so daß er auf den Beginn des Weges herabsieht. Auf diesem Wege hatte Karl für einen Augenblick dem Papste die Führung überlassen müssen. Aber nach der geglückten Überraschung nahm er sehr bald wieder das Heft in die Hand und gab der neuen Würde den Sinn, der ihm angemessen dünkte. Als ihn der Kompromiß mit den Byzantinern nicht nur zu greifbarem, sondern auch zu einem ideellen Zugeständnis zwang, da verstand er es abermals, die Lage, in die der Gegenspieler ihn gebracht hatte, in das Positive zu kehren. Und die Lage, in die ihn der Papst im Jahre 8oo versetzt hatte, wandte er- der jetzt das Kaisertum, das christlich ausgelegte, im Sinne Konstantins des Großen ausgerichtete Kaisertum bejahte - in ihr Gegenteil, als er seinen Erben zum Mitkaiser erhob: dieser krönte sich fern von Rom, ohne den Papst. Nun wußte die Welt, wer über die Kaiserwürde zu bestimmen hatte und wem die collaudatio des neuen Kaisers zustand. So diktierte dem ihm aufgenötigten nomen imperatoris Karl der Große einen Sinn zu, der ihm gemäß war und es ihm ermöglichte, auf dem Pfade weiter empor zu steigen, auf den ihn das Schicksal verwiesen hatte. Seine Kaiserjahre bedeuten keinen Bruch mit der voraufgehenden Zeit, sondern deren Erfüllung in einem weiteren Rahmen mit neuen Möglichkeiten. Darin liegt die Größe des ersten Frankenkaisers, daß er die Tradition, die ihn emporgetragen hatte, festhielt, aber es verstand, sie anzureichern mit dem, was sich ihm anbot, selbst mit dem, was ihm aufgenötigt wurde. Im Januar 813 fing Karl, bis zuletzt um die Regierungsgeschäfte bemüht und in Studien vertieft, zu kränkeln an. Am z8. Januar trat der Tod an sein Lager. Er empfing die letzte Kommunion und schlug das Kreuz, sang leise den Psalm: »In Deine Hände, Herr, empfehle ich meinen Geist« und hauchte dann seine Seele aus. So fand der König-Kaiser nach fünfundvierzigjährige r Herrschaft ein seliges Ende ohne 97 H. MrTTEIS, Die Krise des deutschen Königswahlrechts, in den Sitzungsberichten der Bayer. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl. 1950,
Nr. 8, Kap. III: Geblütsrecht und Wahl im Frankenreich.
Erhebung Ludwigs d. Fr. zum Mitkaiser (8r3)
Kampf und Zweifel. Nach einem alten, vom Orient in den mittelalterlichen Okzident weitergewanderten Wort stirbt jeder Mensch seinen Tod, d. h. den ihm angemessenen Tod: daran mag man zweifeln, aber auf Karl den Großen läßt sich das Dictum mit Fug und Recht anwenden. Alles hatte der Tote für sein christlich-fränkisches imperium occidentale wohl geordnet. Aber die Entwicklung ging über seinen Willen hinweg. Die Theologen, beherrscht von den Vorstellungen der Einheit der Christenheit und dem universalen Gedanken, wollten, daß mit dem Gedanken des imperium christianum Ernst gemacht werde. Der Papst wollte an der Verleihung der Kaiserwürde beteiligt sein und fand in der These, die Kaiserwürde bedürfe der Salbung, ein Mittel, um sich wieder einzuschalten. Die Söhne, gestützt auf den alten Gedanken der Samtherrschaft, wollten ihr Recht, und Ludwig der Fromme, dessen Bulle die Renovatio regni Franeorum proklamierte, wollte das Beste- aber er verlor, da sein Wille der schwächste war, das Steuer aus der Hand, das sein Vater so meisterhaft gehandhabt hatte. Er verwirtschaftete nicht nur dessen Macht, sondern auch dessen geistiges Erbe. Die Bilanz seiner Regierung ergab: destructio et imperii et regni Francorum 98 • Es gibt in der Geschichte des Mittelalters keine Zeitspanne, die für die nachfolgenden Jahrhunderte so bestimmend geworden ist wie die von uns im Geiste durchmessene. Denn Karl beendete ein Zeitalter und eröffnete ein neues. Die Streitfragen, um die es seit der Völkerwanderung gegangen war, versanken und an ihre Stelle traten neue. , Karl hatte für alle eine Lösung zu finden verstanden. Aber das von ihm geschaffene Reich hatte keinen Bestand, und zu den von Karl beiseite gefegten, nach seinem Tode sich abermals auswirkenden Schwierigkeiten kamen noch neue. Rückschauend besann sich die Nachwelt auf den ersten Kaiser, verklärte sein Bild zu dem eines Heiligen, Weisen, immer Gerechten und sehnte sich nach einem, der da kommen sollte, um die renovatio imperii Caroli Magni zu Wege zu bringen. ALFRED RETHEL hat auf seinem Aachener Bilde dargestellt, wie Leo III. von hinten an den im Gebet knienden König herantritt, um ihm die Krone auf das Haupt zu drücken, und dieser sich mit erstaunt fragendem Blicke zum Papst zurückwendet sinnfälliger Ausdruck für die Auffassung, daß das abendländische Kaisertum, das ein Jahrtausend lang bestehen sollte, einer geglückten Überrumpelung seine Entstehung verdankte, also Werk eines Augenblicks war 99 • Nichts ist falscher als dieses: 98 Dagegen halte man die Auffassung, die Papst Sergius II. (844-47) in einem Brief über das von Kar! Geleistete zum Ausdruck brachte: Romanorum Francorumque concorporavit imperium (Migne, Patr.lat. ro6, Sp. 913 = Mon. Germ., Epp. Ill, S. 583, Z. q). 99 So K. HAMPE, Italien u. Deutschland im
Wandel der Zeiten, in der Histor. Zeitschr. I 34 1926, S. 201. Auch K. HELDMANNS umfangreiche Darstellung (S. 216) läuft ja darauf hinaus, daß es sich um ein >spontan geschaffenes Verlegenheitsmittel< Leos III. gehandelt habe, um sich aus einer prekären Lage zu befreien.
Bz: c. Karl d. Gr. als Kaiser (Soo--814)
die >Kaiserfrage< war bereits in den achtziger Jahren gestellt, und sie kam erst 813 zum Abschluß. Sie ist nicht das Ergebnis weniger :Minuten oder Stunden oder Tage, sondern sie ist binnen eines Vierteljahr hunderts herangereif t. Der Weihnacht stag des Jahres 8oo bedeutet in diesem Vorgang nur eine Etappe, wenn auch die sichtbarste. Sie bewirkte nicht völlig Neues und führte noch nicht zum Abschluß.
Anlage Stellungna hme zu J. DE:ER: Die Vorrechte des Kaisers in Rom (Schweizer Beiträge zur allg. Gesch. XV, 1957, S. 1-63). JosEF DEER hat sich durch Bücher und Aufsätze als ein Forscher mit großer Sachkenntnis und vielen Ideen ausgewiesen. Alles, was er vorbringt, muß deshalb mit Aufmerksa mkeit zur Kenntnis genommen werden. Ich habe daher bei der Überarbeitung der voraufgehe nden Abschnitte laufend auf den angeführte n Aufsatz verwiesen und sie dort korrigiert, wo ich mich der Sachkunde des hochgesch ätzten Kollegen zu beugen hatte. An anderen Stellen habe ich seine Argumenta tionen vermerkt und meine Gegenargu mente angeführt, um die nunmehrig e Fassung meines Textes zu rechtfertige n. Aber es ist noch ein abschließendes Wort erforderlic h, um den bestehende n Gegensatz klarzustellen, da dieser im Grundsätzl ichen sowie im Methodischen begründet ist. Zwei Grundbegr iffe, um die sich J OSEF DEERS Argumenta tionen drehen, sind >Staatsrecht< und >Protokoll<. Gegen den Begriff >Staatsrecht< wende ich ein, daß er dem 8. Jahrhunde rt fremd war. Es kannte nur ein Recht, das alle vom Herrscher bis zum Hörigen umschloß, und erkannte daher auch ein >Völkerrecht< nicht als einen- die >internationalen Beziehungen< betreffenden - Sonderbere ich an. Dieses >All-Recht< wurde zum Teil durch geschriebenes, zum Teil durch Gewohnhe itsrecht reguliert und erkannte >Präzedenzfälle< als rechtsform end an. Das heißt: es beugte sich dem Druck der geschichtlichen Realität. Was also 750 >Staatsrecht< gewesen war, brauchte es 775 nicht zu sein, erst recht nicht mehr im Jahre 8oo. ]. DEERS Begriff >Protokoll< ist durch seine genaue Kenntnis von Byzanz geprägt. Hier hat er in der Tat seine Existenzbe rechtigung . Man braucht ja nur auf das im 10. Jahrhunde rt auf Grund wohlverwa hrter älterer Protokolle vom Kaiser Konstantin VII. Porphyrog ennetos zusammeng estellte >Zeremonienbuch< als das markantest e Beispiel von verwandte n Texten zu verweisen, um außer Frage zu stellen, daß die Vorrechte des Basileus, die Rangleiter der Beamten, die ihnen verliehenen Ehrentitel und die einem jeden zustehende n Trachten bis ins einzelne genau festgelegt waren. Im Laufe der Zeit hat sich unter dem Druck der Tatsachen vieles gewandelt; aber
Stellungnahme zu
J. Deer
das >Protokoll< folgte doch nur zögernd und war bemüht, immer von neuem das gefährdete Herkommen wieder herzustellen. Im Osten hat es also seine Berechtigung, aus Zeugnissen des 7· und des 9· Jahrhunderts, die gleiches aussagen, zu schließen, daß es auch im 8. Jahrhundert so gewesen sei - wobei die Möglichkeit, daß inzwischen die Tradition unterbrochen wurde, natürlich nie auszuschließen ist. Was für Byzanz gilt, darf man jedoch nicht- wie J. DE.ER das tut- ohne weiteres auf das Ausland übertragen, das sich nach Abschluß der Völkerwanderung in einem unfertigen, gärenden Zustand befand. Es ist deshalb unstatthaft, aus Angaben, die das 7· Jahrhundert angehen, auf die der folgenden Zeit zu schließen oder auf Grund von Zeugnissen, die das 9· Jahrhundert betreffen, zu folgern, es werde so wohl auch schon im 8. Jahrhundert gewesen sein. Konnte es im Abendland überhaupt ein festes >Protokoll< geben? Pippin brach die magische Kraft des letzten Merowingers, indem er ihn seiner langen Haare beraubte, und ließ sich nach dem Vorbild des Alten Testaments salben. Karl d. Gr. wollte wie die voraufgehenden Abschnitte zeigten - nicht hinter dem Basileus zurückstehen und richtete sich nach seiner Anerkennung als Kaiser auf das Vorbild aus, das ihm Konstantin der Große bot. Sein Enkel Karl der Kahle kleidete sich - wie ein weiterer Abschnitt zeigen wird - so wie ein byzantinischer Kaiser. Ottos III. Ziel war die Erneuerung des Römischen Reiches, wie es einst bestanden hatte - so ließe sich noch fortfahren. Bei solchen Gegebenheiten konnte es kein die Nachkommen verpflichtendes >Protokoll< geben. Es gab Ansätze dazu, aber auch Zäsuren - man muß die geschichtliche Lage, die Individualität der Beteiligten kennen, um ermessen zu können, wie weit das Herkommen respektiert wurde, wie weit Neues zum Durchbruch kam. Von der Beachtung eines Protokolls kann am ehesten noch in Rom die Rede sein. Denn die Kirche, in der Spätantike geformt und bis in das 7· Jahrhundert auf Byzanz ausgerichtet, hatte noch einen Sinn für das Bewahren von Zeremonien und saubere Scheidung von Vorrechten, dazu einen Beamtenstab, der Wissen und Erfahrung tradierte; auch besaß sie die im >Liber diurnus< vereinigten Brief- und Urkundenformulare und den die Geschehnisse festhaltenden >Liber pontificalis<, in denen man nachschlagen konnte, um festzustellen: das war einstmals Brauch. Aber es ist bezeichnend, daß erst am Ende des 8. Jahrhunderts das Bedürfnis erwachte, schriftlich festzulegen, was im Laufe des Kirchenjahres in Rom zu geschehen hatte (Ordo Romanus I). Wieviel wußte man damals noch von dem, was einst das >Protokoll< verlangt hatte? Wie weit war im einzelnen bekannt, was der Exarch-Patricius in Ravenna bei Besuchen in Rom zu beanspruchen hatte und was nicht? Wie weit war man im Bilde über das, was am Hof von Konstantinopel inzwischen abgeändert worden war? Sicherlich war die Kirche besser darüber informiert als irgend jemand sonst im Abendland, aber sicherlich nicht lückenlos. Stellt man also fest, in Byzanz und in seinem Ausstrahlungsgebiet sei das und das im 8. Jahrhundert rechtens gewesen, so ist fraglich, ob das in Rom genau bekannt war, und wenn das der
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D.
Kar! d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
Fall war, ist weiter zu fragen, ob das vom Papst als verbindlich anerkannt wurde. Denn die Kirche konnte es sich in diesem bewegten Jahrhundert ja gar nicht leisten, bei allem, was sie tat und hinnahm, immer nach dem Osten zu schielen. Sie hatte den geschichtlichen Tatsachen Rechnung zu tragen: erst der Bedrohung durch die Langobarden, dann dem Übergewicht des fränkischen Großkönigs. Das heißt: ihr >Protokoll< wurde nicht durch ihr - wir wiederholen: fragwürdiges - Wissen über die Einzelheiten des byzantinischen Brauchs bestimmt, sondern durch die Notwendigkeit, sich mit einem Herrscher zu arrangieren, der gegenüber der Kirche zwar guten Willens war, aber mit Energie seine eigenen Ziele verfolgte. Der Papst kam ihm entgegen, versuchte andererseits hier und da Widerstand zu leisten, aber trug letztlich - geschickt und beharrlich operierend - doch den Realitäten der Geschichte Rechnung, die sich nicht ganz in seinem Sinne gestalteten, ihm aber auch nicht ungünstig waren. Wenn J. DEER meint, man müsse sich hüten, machtpolitische Tatsachen mit >staatssymbolischen< gleichzusetzen (S. 51), verlangt er also von den damals Lebenden mehr, als billig ist. Er unterscheidet zwischen >Herr über Rom< und >Kaiser bzw. quasi imperator<; aber hätte er diese Finessen den Zeitgenossen Karls in Rom und im Frankenreich dargelegt, hätte er hier zweifellos nur wenige gefunden, die angesichts der sichtbaren Tatsachen auf solche Distinktion eingegangen wären.
D. Karl der Große: Denkart und Grundauffassungen Die von ihm bewirkte >Correctio< (nicht >Renaissance<)* Der erste Frankenkaiser mußte schon im Mittelalter für nationale Aspirationen herhalten und hat auch noch in der neueren Zeit ein Streitobjekt zwischen den Franzosen und den Deutschen gebildet. Nach der im Jahre 1961 vollzogenen Wendung in der großen Politik besinnen wir uns auf das Faktum, daß es einmal hundertfünfzig Jahre lang weder französische noch deutsche Geschichte gab, sondern nur fränkische,
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Eine gekürzte Fassung wurde gedruckt in: Reden und Gedenkworte des Ordens Pour le Meritefür WissenschaftenundKünste V, I 962, S. I 2 I-55 (spanische Übersetzung imAnuario de estudios medievales I, Barcelona I964,
S. 3-28; Car!omagno: su pensamiento y sus principios ideologicos). Die vollständige hier folgende (jetzt noch überarbeitete und ergänzte) Fassung brachte die Histor. Zeitschr. I98, Heft 2, April I964, S. 306-45.
daß also Karl der Große weder den Franzosen noch den Deutschen, sondern beiden gemeinsam gehört. Vieles ist gerade in den letzten Jahren geleistet worden, um die Zeit des ersten abendländischen Kaisers zu erhellen; aber es fehlt eine historische Darstellung, die das Erarbeitete zusammenfaßt und zugleich den heute zu stellenden historiographischen Ansprüchen gerecht wird. Aber wir dürfen sie erwarten, da FRAN<(OIS L. GANSHOF, der bereits zahlreiche Vorarbeiten veröffentlicht hat, sie vorbereitet1 • Meine Aufgabe sei genau eingegrenzt. Es soll versucht werden, aus Karls Denkart und aus seinen Grundauffassungen das herauszuheben, was für ihn persönlich bezeichnend ist - für ihn als einen zwar zeitgebundenen, aber doch einmaligen Menschen mit besonders gearteter Persönlichkeit. Das tritt bei kaum einem Menschen unmittelbar heraus und bei einem Herrscher erst recht nicht. Wir lassen daher zunächst Karl auf uns als König wirken, betrachten ihn darauf mit den Augen der Männer an seinem Hof, besonders der Geistlichen, und tasten uns dann an das heran, was ihn als Menschen mit individueller Denkart charakterisiert. Abschließend blicken wir auf das, was Karl im Bereich der Kultur erstrebte und erreichte.
a) Kar! als König Wir beginnen mit Äußerlichkeiten, die jedoch keine Äußerlichkeiten sind; denn wie ein Mensch sich der Öffentlichkeit stellt, ob er sie beherrscht, ob er sich für sie unter innerem Zwang zurechtmacht oder ihr ausweicht, vermittelt ja bereits einen Einblick in sein Inneres. Karl war neun Jahre alt gewesen, als sein Vater Pippin den letzten Merowinger ins Kloster geschickt und sich selbst zum König gemacht hatte. Mit zwölf Jahren hatte Karl- zusammen mit Vater und Bruder- von der Hand des Papstes die Salbung empfangen. Mit sechsundzwanzig Jahren hatte er -zusammen mit dem Bruder - die Nachfolge angetreten, und da dieser bereits im Jahre 771 starb, war er, nunmehr neunundzwanzig Jahre alt, fortan Alleinherrscher im Frankenreich. Nie erhob sich irgend jemand, um ihm die Krone streitig zu machen; denn niemand war da, der I
Fran~ois
L. GANSHOF, mit dem ich seit einem Menschenalter verbunden bin, nahm als auswärtiges Mitglied des Ordens an der Sitzung teil. Daß er, von dem wir eine Zusammenfassung seiner vielen Vorarbeiten zu einer Darstellung der Zeit Karls d. Gr. erhoffen, meinen Grundgedanken zustimmte, war für mich der beste Lohn. Eine wertvolle Ergänzung zu den folgenden Seiten bildet sein Aufsatz: The Impact of
Charlemagne in the Institutions of the Frankish Realm, in: Speculum 40, 1965, S. 47-62 (vgl. dort bes. über Karls Sinn für Dauer und Sicherheit, seinen Kampf gegen Unzulänglichkeit im Gerichtsverfahren, den Ausbau eines ständig wirkenden Schöffenturns und die Erhöhung der Rechtssicherheit). V gl. dazu unten S. 317ff. (S. poff.) und S. 335 (S. 339) über Karls Grundbegriffe: Wahrheit, Richtigkeit und Ordnung.
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D.
Karl d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
auch nur einen einigermaßen plausiblen Rechtsgrund hätte vorbringen können. Das heißt: Karl war es von seiner Jugend an selbstverständlich, daß er der Herrscher war, und allen seinen Untertanen war das ebenso selbstverständlich. Das gab ihm für sein ganzes Leben eine innere Sicherheit und Selbstverständlichkeit, wie sie selbst bei Herrschern selten ist. Karliebte sich nicht in die Königsrolle hinein, er war vielmehr der König und konnte gar nichts anderes sein. Dazu gehörte ein ausgesprochenes Gefühl für das, was dem Königsamte ziemte. König Pippin hatte sich vor der Schwelle des Klosters St. Denis begraben lassen, wo jeder Bettler über ihn hinwegschritt, jeder Regen auf ihn herabrann; der Sohn bog diesen extremen Ausdruck des Gefühls der Sündhaftigkeit ab, indem er über dem Grab eine Vorhalle aufführen ließ, die durch sein und Pippins Bild sowie Verse verziert wurde: Wer fortan das Kloster betrat, wurde daran erinnert, daß er über den Leib eines gesalbten Königs hinwegschritt2 • Pippin hatte, als zum erstenmal ein Papst einen fränkischen König aufsuchte, zu Fuße gehend, dessen Pferd am Zaume geführt; als Karl im Jahre 799 den Papst Leo III. in Faderborn zu begrüßen hatte, empfing er ihn hoch zu Roß, inmitten seiner im Kreise aufgestellten Franken3 : ein König, der wußte, daß er ein König war und ein König blieb, auch wenn das Haupt der Kirche sich ihm nahte. Andererseits mußte der Herzog Ariehis von Benevent zur Bekräftigung Karl seine Krone ausliefern', wurde der Herzog Tassilo von Bayern, der sich gegen den Frankenherrscher empört hatte, aber sich gleichfalls unterwarf, gezwungen, dem Sieger öffentlich den Kniekuß zu leisten5, nicht so sehr aus Rachegefühl, das die Demütigung des Gegners heischte, sondern weil die gestörte Rechtsordnung wieder sichtbar eingerenkt werden mußte. Je länger Karl regierte, um so mehr Gesandtschaften aus fremden Ländern fanden sich an seinem Hofe ein; Karl empfing sie mit Krone, goldener Fibel und Prunkschwert, sein Ornat reich mit Edelsteinen besetzt. Am Alltag ganz nach fränkischer Sit2 P. E. ScHRAMM, Kar! d. Gr. im Lichte der Staatssymbolik, in: Karoling. und otton. Kunst, Wiesbaden 1957 (Forschungen zur Kunstgesch. u. christl. Archäologie III), S. 18 (s. jetzt oben S. 193). 3 V gl. zum Sachlichen H. BEuMANN, Die Kaiserfrage bei den Paderbomer Verhandlungen von 799, in: Das erste Jahrtausend, Textband I, Düsseldorf 1962, S. 296-317 (S. 303 über Pippin); über meine abweichende Auslegung des Vorganges s. unten S. 330 Anm. 2 (jetzt S. 324 Anm. 51). 4 So berichtet Leo von Monte Cassino I cap. 12 (Mon. Germ., Script. VII, S. 589); die anderen Zeugnisse sagen allerdings nichts davon. Versus Hibernici exulis (Mon. Germ., Poet.
lat. I, S. 399); vgl. dazu A. GAUERT, Das Zepter Herzog Tassilos III., im Deutschen Archiv 18, 1962, S. 221. Über Tassilos Absetzung s. auch P. STOLLENMAYER, 0. S. B., Das Grab Herzog Tassilos III. von Bayern, o. 0. u. J. (Krems 1961), S. 5 f. Vgl. im übrigen hier und im folgenden S. ABEL, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter Kar! d. Gr., 2. Aufl. von B. v. SJMSON, Leipzig r883. War es auch nicht eine Krone, so darf man diesen Akt doch als eine >Devestitur< ansehen, durch die der Herzog Tassilo sinnfallig machte, daß er die von ihm bisher beanspruchte Herrschaft niederlegte.
Kar! als König (S. 307-309)
te gekleidet, entfaltete er also bei besonderem Anlaß einen Luxus, in dem kein abendländischer Herrscher ihn übertraf. Als Karl den Papst in Faderborn zu begrüßen hatte, schmückte sein Haupt ein Goldhelm. Trug er bei solchen Anlässen bereits die an die Stelle des schlichten Reifens tretende, dem Prunkhelm verwandte Bügelkrone mit einer darunter getragenen seidenen Kappe, deren tieferer Sinn war, daß der Herr des Okzident nicht hinter dem byzantinischen Kaiser zurückstehen wollte? Es spricht manches dafür, daß es bereits Karl war, der diese Neuerung herbeiführte6 • Es wäre jedoch ein völliger Fehlschluß, wollte man folgern, Karls Herz hätte nach Art der Barockfürsten an solchem Prunk gehangen. Nein, er wandte nur das Erforderliche auf, weil sein Ansehen und das seines Reiches - in seinen Augen war das dasselbe - solche Prunkentfaltung erforderte. Die Kehrseite bildet, daß Karl es übel vermerkte, wenn jemand sich etwas zulegte, was seinem Stand und Amt nicht zukam. Alcuin, der seinen Herrn ja genau kannte, warnte deshalb den Erzbischof von Canterbury, der auf der Rückreise von Rom Karl besuchen wollte, er solle Sorge tragen, daß seine Begleiter nicht mit Gold oder Seidengewändern vor dem König erschienen, sondern so, wie es die Sitte der Knechte Gottes sei: mit bescheidener Gewandung 7 • Dazu paßt die Anekdote, daßKarleinen Bischof, der ihn während eines Kriegszuges vertrat und es gewagt hatte, den Königsstab als Bischofsstab zu benutzen, wegen solcher Verderbnis durch unangemessenen Ehrgeiz öffentlich bloßstellte8 • Jedem, was ihm von Amts wegen gebührte: nicht mehr, aber auch nicht weniger; alles mußte seine Ordnung haben. Für Karl war es daher von seinem Regierungsantritt an selbstverständlich und wurde es von Jahr zu Jahr mehr, daß ihm- wo immer er erschien- Respekt und Gehorsam erwiesen, sein Lob dankbar hingenommen, sein Tadel schwer empfunden wurde. Wie sehr sich Karls Autorität bis an die Grenzen seines Reiches auswirkte, läßt der Bericht des nach Benevent entsandten Abtes Maginarius von St. Denis erkennen, der bei den Verhandlungen mit dem Herzog zu keinem Erfolg gekommen war und nun seinem Herrn lang und breit auseinandersetzte, daß das nicht an ihm gelegen habe, daß von ihm vielmehr das Menschenmögliche versucht worden sei man sieht den Schreiber, durch eine Riesenentfernung getrennt von seinem Herrn, geradezu zittern vor peinlichen Rückfragen und schlechter Zensur 9 •
6 P. E. ScHRAMM, Die Bügelkrone, ein karolingisches Herrschaftszeichen, in der Festschrift für K. G. HuGELMANN, hg. von W. WEGENBR, II, Aalen 1959, S. 561-578 (s. jetzt in Band II). Als Bildnis kommt jetzt noch das neuerdings in Ellwangen bei Renovierungsarbeiten entdeckte Kästchen aus der 1. Hälfte des 9· Jahrhunderts hinzu; vgl. meinen in Band II wieder abgedruckten
2.0
Schl-amm, Aufsätze I
Aufsatz über das Kästchen in der Festschrift für H. Aubin (1965). 7 Mon. Germ., Epist. IV (aevi Karol. Il), S. 375: Alcuini epist. Nr. 230 (a. 801). 8 Notkeri Balbuli Gesta Karoli Magni imp. I cap. 17 (ed. H. F. HAEFELE, 1959, S. 2d.; Mon. Germ., Script. rer. Germ., N. S. XTI). 9 Mon. Germ., Epist. III (aevi Carol. I), S. 655-657: Appendix Nr. 2 (a. 788).
Bz: D. Kar! d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
Solche ausgeglichene Selbstsicherheit erlaubte es Karl andererseits, im Kreise seiner Vertrauten ein freundlicher und gütiger Herr zu sein10 • Sandte ihm Paulus Diaconus ein Geschenk mit einem Gedicht von heiterer, spielerischer Art, dann erhielt er unter Karls Namen einen Dank von gleicher Art. Die Philologen haben nachgewiesen, daß für die Gegenverse gelegentlich ältere Dichter ausgeplündert wurden11 • Man wird sich die Abfassung so vorzustellen haben, daß Karl entweder einen aus seiner Umgebung mit der Abfassung eines Dankgedichtes beauftragte oder daß die Verse des Paulus an der Tafel verlesen, erläutert und belacht wurden, woraus sich dann zwanglos ein Dankgedicht ergab, in dem der eine diesen, der andere jenen Vers - frei erfunden oder auf das Schulwissen gestützt - beisteuerte. Karl, als das Oberhaupt der Tafel, wird dieses Spiel des Geistes mit Schmunzeln verfolgt haben; denn er war so weit im Lateinischen geschult, daß er zu folgen vermochte 12 • Daß Karl den Männern seiner Umgebung gelegentlich geradezu einen Schabernack spielte, wenn er sie auf irgendeiner menschlichen Schwäche ertappt hatte, bekundet eine Anekdote, die im Kern wahr sein wird13 : einem eitlen Bischof, der >überaus begierig nach unnützen Dingen<- wir würden heute sagen: nach Kuriositäten- war, verkaufte auf Karls Geheiß ein Kaufmann eine gewöhnliche Maus, mit verschiedenen Spezereien bereitet und in ein Seidentuch eingeschlagen, als ein kostbares, noch nie gesehenes Tier für ein volles Maß Silber; dieses Geld lieferte er dann beim König ab, der nun den Bischof öffentlich beschämte. Das war Entspannung nach arbeitsreichem Tag. Das Allerbezeichnendste an Karl ist aber, daß er immerfort tätig war und alles, was er tat, intensiv durchführte. Schon beim Ankleiden entschied er Gerichtsfälle, die der Pfalzgraf allein nicht zu erledigen wagte, und im Alter, als er nachts nur noch stundenweise schlief, benutzte er das Wachsein, um zu lesen oder in die unter dem Kopfkissen liegende Wachsschreibtafel mit dem Griffel Eintragungen zu machen14 • Als Gegengewicht gegen die vielen Besprechungen, Audienzen und was das Amt sonst von ihm verlangte, brauchte Karl intensive körperliche Betätigung, also Jagd,
10 Über den am Hofe Karls gepflegten >Freundschaftskult< vgJ. ]. FLECKENSTEIN, Kar! d. Gr. u. sein Hof, in: Kar! d. Gr. Lebenswerk u. Nachleben I, Düsseldorf 1965, S. 43, 49 und W. KAEMMERER, Die Aachener Pfalz Karls d. Gr., ebd. S. 333, der auf die nordischen Hallenabende und auf die bei diesen üblichen Kose- und Necknamen hinweist (Anm. 79)· I I KARL NEFF, Die Gedichte des Paulus Diaconus, Kritische und erklärende Ausgabe, München 1908 (Quellen u. Untersuchungen
zur lat. Philol. des Ma.s III, 4). Er nimmt an, daß Kar! sich auch im Dichten versuchte (S. I 36). 12. Dazu W. VON DEN STEINEN in: Kar! d. Gr., II: Das geistige Leben, Düsseldorf I965, S. 83 f. (nach Theodulfs Angaben). I3 Notker Balbulus I cap. 16 (a. a. 0., S. 19ff.). 14 Hier und an anderen Stellen, die ich nicht genauer nachweise, beziehe ich mich auf Einhards >Vita Karoli Magni<. 6. Ed. (hg. von 0. HoLDER-EGGER; Mon. Germ., Script. in us. schol. 1911, mehrfach neu gedruckt).
Reiten und Schwimmen15 • Er huldigte also- so würden wir heute sagen- dem Sport und war auch bei diesem mit der ihm eigenen Intensität beteiligt. Er beschämte gelegentlich- auch dieser Anekdote wird man trauen dürfen- seine zu einer Jagd kostbar gekleidet angetretenen Begleiter, indem er sie so durch dick und dünn führte, daß sie mit zerrissenen Gewändern nach Hause zurückkehrte n16 • Diese Vitalität zeichnete sich auch in Karls Familienleben ab. Bekannt sind fünf Konkubinen und neun nicht vollbürtige Kinder. Karl war nicht mehr - wie er geplant hatte- dazu gekommen, deren Erbteil sicherzustellen; es fehlt daher eine vollständige Liste- sie wäre vermutlich noch länger. Die Kirche sah solches Treiben mit Mißbilligung an, und auch Karl wird sich bewußt gewesen sein, daß es nicht gottgefällig war; aber er brachte es nicht über sich, es abzustellen, und wird Gott gebeten haben, seine Verstöße gegen das sechste Gebot gegen seine - ja unbestreitbar großen -Verdienste aufzurechnen. Wenn wir uns die Namen genauer ansehen, die Karl seinen Söhnen gab, tritt eine andere Seite seines Wesens heraus 17 • Der älteste Sohn, nicht vollbürtig, hieß - der Sitte folgend - nach dem Großvater Pippin. Als Karl zwei Söhne aus kirchlich anerkannter Ehe geboren wurden, erhielt der ältere den Namen des Urgroßvaters : Karl, der jüngere abermals den Namen Pippin, da sich bei dem ersten Pippin nun auch noch der Makel eines Buckels herausgebildet hatte. Bei den danach folgenden Zwillingssöh nen müßte man den Namen des Stammvaters erwarten: Arnulf - um so mehr, als dieser als Heiliger verehrt wurde. Sie erhielten jedoch die Namen Ludwig und Lothar. Höchst seltsam! Denn Ludwig = Chlodwig und Lotbar = Chlotar waren die beiden Leitnamen des merowingischen Geschlechts, das der Vater vom Thron gestoßen hatte. Diese rechtlich nur fadenscheinig verkleidete Gewalttat lag noch nicht einmal ein Menschenalt er zurück, aber das neue Königsgesch lecht fühlte sich bereits so sicher und unangefochten in seiner Stellung, daß es sich jetzt das Ansehen des älteren zu Nutzen machen konnte- wir sprechen in solchen Fällen jetzt von >Ansippung<, d. h. von künstlicher Verlängerung der Verwandtsch aft18 • In diesen Zusammenha ng gehört auch, daß Karl im Jahre 801 aus Ravenna das bronzene Reiterstandb ild des Königs Theoderich, der als >Dietrich von Bern< in die Sage eingegangen war, nach Aachen schaffen und vor seiner Pfalz wieder aufstellen ließ19 • Weiche technische Schwierigkei ten muß das 15 Notker Balbulus II cap. 9 (a. a. 0., S. 64): Harun al-Raschid hat gehört, daß Kar! »assiduitate venandi et infatigabili studio corpus et animam exercendi cuncta, quae sub caelo sunt, consuetudinem habet edomandi«. 16 Ebd. II cap. 17 (a. a. 0., S. 86f.). 17 Es muß hier noch einmal wiederholt werden, was bereits oben S. zoz ausgeführt wurde.
20*
18 K. HAUCK, Geblütsheiligke it, in: Liber floridus, Festschrift für Paul LEHMANN, St. Ottilien 1950, S. 19zf. 19 HARTMUT HoFFMANN, Die Aachener Theoderichstatue, in: Das erste Jahrtausend, Textband I, Düsseldorf 1962, S. 318-335 (dort weitere Lit.).
]08
B2:
D.
Karl d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
gemacht haben! Warum wurden sie nicht gescheut? Wir dürfen sagen: weil Karl seinem Geschlecht nicht nur den König Chlodwig, den Begründer des Frankenreiches, mit seinem Sohn Chlotar ansippen wollte, sondern auch noch den Begründer des Ostgotenreiches2o. Karl empfand in dieser Hinsicht wie alle Herrscher nach ihm: ihr Denken kreiste um die Ehre des Geschlechts, und so ansehnlich es auch sein mochte, sie waren darauf bedacht, es mit noch hellerem Glanz zu umgeben. Man braucht nur an den Kaiser Maximilian I. zu denken, der auf der von Dürer entworfenen >Ehrenpforte< die Habsburger auf den Frankenkönig Chlodwig zurückleiten ließ und sich in Innsbruck eine Grablege schuf mit den ehernen Standbildern seiner Vorfahren, den wahren und den angesippten wie dem König Artus. Ja, in dieser Hinsicht bedeutet nicht einmal der Beginn der Neuzeit einen Einschnitt.
b) Kar/ als Christ2oa Bisher war nur von Karl als König die Rede; aber da er immer König war, selbst auf der Jagd oder beim entspannenden Gedankenspiel im Kreise der Vertrauten, ist damit auch schon etwas über den Menschen Karl gesagt. Aber selbst ein Mann von so angeborener, selbstverständlicher Sicherheit im Herrschen war natürlich nicht nur König. Wir tasten uns an sein Inneres heran und fragen: War Karl der Große ein guter Christ? Stand er als solcher in seiner Zeit oder hob er sich über sie hinaus? Wir haben einen ungefähren Überblick über die Reliquien, die zu besitzen Karls
2.0
Daß unter den nicht-vollbürtigen Söhnen ein als Mönch gestorbener >Dietrich< war, kann hiermit zusammenhängen, braucht es aber nicht. Über >Flavius Anicius Carlus< s. oben S. 213 Anm. 5P· Die >Ansippung< Davids, die sich bereits in der Zeit Pippins vorbereitet und für Kar! von etwa 794 an eine Rolle spielt, bleibe hier unberücksichtigt, da sie über den diesem Vortrag gesteckten Rahmen hinaus- und in den politischen Raum hinüberführen würde (vgl. dazu PAuL LEHMANN, Erforschung des Mittelalters I, Stuttgart 1959, Neudruck von 1941, S. 157; H. v. FrCHTENAU, Byzanz und die Pfalzkapelle zu Aachen, in den Mitteil. des Österr. Inst. für Gesch.forschung 59, 1951, S. 28-31; J. FLECKENSTEIN, Die Bi!-
dungsreform Karls d. Gr., Bigge-Ruhr 1953, s. nf. und HuGO STEGER, David Rex et Propheta. Nürnberg 1961 = Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwiss. VI, S. 126ff.).- S. dazu oben S. 214 die Anlage: Zu Kar! d. Gr. und David. 2oa >Karls d. Gr. Frömmigkeit< behandelt A. W AAS in der Histor. Zeitschr. 203, 1966 S. 265-79 (ohne Bezug auf meinen in dieser Zeitschrift erschienenen Aufsatz, auch nicht auf meinen oben S. 149ff. wiederabgedruckten Aufsatz über Pippins und Karls >Promissio< für die Römische Kirche). Er arbeitet hier heraus, wie »die vorgefundenen Ideen von Treue, von Gefolgschaft, Königschutz und Entlohnung für Treue zur Grundlage einer neuen christlichen, von der Frau gefärbten Ideenwelt gemacht« wurden (S. 270).
Kar! als Christ (S. 3II-3I3)
Enkel, der Kaiser Lotbar I., sich rühmen konnte. Es sind viele, und bei der Mehrzahl ist anzunehmen, daß sie bereits dem Großvater gehört hatten21 • Außerdem liegen noch zwei handgreifliche Beweise vor für Karls Zutrauen zu dem durch Reliquien gewährleisteten Schutz: Karls Steinthron in Aachen ist so eingerichtet, daß von der nicht völlig geschlossenen Rückwand aus eine größere Reliquie - vermutlich die erhaltene Stephansburse- unter den Sitz geschoben werden konnte 22 , und in sein Grab wurde dem Kaiser ein Reliquiar mitgegeben, das neuerdings wieder der Forschung zugänglich gemacht worden ist 23 - bei Lebzeiten wird es Karl auf der Brust getragen haben( Abb. 4). Das heißt: Karl war-insofern anders als der Hlg. Bonifaz- reliquiengläubig wie noch die folgenden Jahrhunderte: die beiden großen Reliquiensammler des späten Mittelalters, Kaiser Karl IV. und der Kardinal-Erzbischof Albrecht von Mainz (t 1545) aus dem Hause Hohenzollern, sind in dieser Beziehung noch Geistesverwandte des Frankenherrschers. In diesem Zusammenhang sind auch die zahlreichen Geschenke anzuführen, die Karl den Kirchen darbrachte : dem Papste spendete er für Sankt Peter einen Kronleuchter, ein Kreuz, Balken für die Erneuerung des Daches und bei anderem Anlaß zwei Pferde. Das Kloster St. Denis erhielt ein Kreuz in Mannesgröße und der Abt Benedikt von Aniane ein Stück vom Kreuze Christi, ein Reliquiar mit Reliquien der Apostel, Gürtel und Schwerter, einen Stab, Kelche und andere liturgische Geräte24. Das sind einige herausgegriffene Belege; in Wirklichkeit tat Karl natürlich noch viel mehr, als schriftlich bezeugt ist, war er doch unermüdlich damit befaßt, sich das · Wohlwollen der Heiligen zu sichern. Das lag jedoch allen mittelalterlichen Herrschern am Herzen; die einen taten mehr, die anderen weniger, jeweils nach ihren Möglichkeiten, Karl besonders viel, da er sehr reich war. Ein Sohn seiner Zeit war Karl schließlich auch in der Art, wie er dafür sorgte, daß für ihn zu seinen Lebzeiten und nach seinem Hinscheiden gebetet wurde. In die Gebetsbruderschaften der Klöster, bei denen sich altchristliche Vorstellungen mit dem germanischen Genossenschaftsgedanken verbanden, konnten schon im 8. Jahrhundert Laien aufgenommen werden, die sich verdient gemacht hatten oder durch Stiftungen die Aufnahme bewirkten 26 • Für keinen der Zeitgenossen wird so oft und so
2.1 P. E. ScHRAMM-FLORENTINE MüTHERICH, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser, 8oo-I2.5o, München I963, S. 2.5 f. 2.2. Ebd. Nr. I (genauer und mit weiterer Lit. Ders., Herrschaftszeichen und Staatssymbolik I, Stuttgart I954, S. 337f.). 2.3 Ebd. Nr. I7 (ferner: Kar! d. Gr., Ausstellungskatalog Aachen I965, Nr. 557 mit Abb. 109)· 2.4 Ebd. S. 84.
2.5 A. EBNER, Die klösterlichen Gebetsverbrüderungen, Regensburg I89o; Die Kultur der Abtei Reichenau, I. Halbband, München 1925, S. 29I ff., S. 4I8f. (hierüberMemorien); vgl. dazu die >Libri confratemitatum< in der Reihe der Mon. Germ. Weitere Lit. bei H. E. FEINE, Kirchliche Rechtsgesch. I, Weimar I954, S. 315, Anm. 7 (s. auch S. I 36); neuere Literatur ebda. 4· Aufl. I964, S. 357 Anm. 9·
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Kar! d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
regelmäßig und in einem so weit gespannten Bereich gebetet worden sein wie für Karl- in diesem Bestreben war er dem Hlg. Bonifaz verwandt. Lassen sich in Karls Frömmigkeit aber nicht doch individuelle Züge entdecken? Als Karl im Jahre 791 an der Enns sich zum Angriff gegen die Awaren bereitstellte, erhielt er die Nachricht, sein aus Italien gegen diese vorstoßender Sohn, der zweite Pippin, habe im Kampf gegen sie bereits Erfolge erzielt. Darauf ordnete der König dreitägige Fasten an und schrieb seiner in Regensburg zurückgelassenen Gemahlin, sie möge dort das gleiche veranlassen. Zu diesem Zwecke teilte er ihr mit, wie er im einzelnen vorgegangen sei: eine Ausnahme war in seinem Lager bei den Kranken gemacht worden; wollte ein Gesunder die Fasten umgehen, hatte er - falls er der Oberschicht angehörte - einen Solidus zu bezahlen gehabt, sonst weniger; verzichtete einer auf Fleisch, aber nicht auf Wein, hatte er sich durch einen Denar freikaufen dürfen. Außerdem teilte Karl noch mit, was die Geistlichen über den herkömmlichen Messedienst hinaus taten, um die Gnade des Himmels zu erwirken - ja, man kann sagen: zu erzwingen 26 • Also Fasten und Gebet so viel wie nur möglich, Ausnahmen nur insoweit, als sie unbedingt erforderlich waren, alle Einzelheiten nach dem natürlichen Menschenverstand geregelt, erst an der Enns, dann auch in Regensburg durchgeführt: darauf Angriff gegen die Awaren, weitere Erfolge und 796 ein ganz großer Sieg, so daß die Awarengefahr ein für allemal beschworen war. Warum? Karls Antwort hätte gelautet: weil Gott, durch strenges Fasten und viel inbrünstiges Gebet gewonnen, den Sieg gewährt hatte. Wenn der Gottesdienst sowohl intensiv als auch richtig absolviert werde und es sich um eine gerechte Sache handele, finde Gott sich früher oder später immer bereit, die Gebete der Menschen zu erhören. Wer hier von primitiver oder alttestamentlicher Gottesvorstellung sprechen zu können glaubt, bedenke, daß sie bis in unsere Zeit lebendig geblieben ist. Karls Frömmigkeit war also zeitgebunden; sie ging jedoch nicht so weit, daß der König Gott alles anheimstellte. Als er seinen Sohn Pippin gegen den Herzog Grimoald von Benevent entsenden wollte, der sich den Franken nicht fügte, riet ihm Alcuin dringend ab: Gott habe bereits den Vater und den Bruder dieses unfrommen Menschen hinweggerafft; wenn Gott es beschlossen habe, werde auch Grimoald III. zugrunde gehen; keiner der Getreuen Karls brauche also der Todesgefahr ausgesetzt zu werden 27 • Diese Erwägung war mit einschlägigen Bibelsprüchen abgestützt, beginnend mit dem Wort: »Mein ist die Rache, spricht der Herr«. Auf Karl machte das gar keinen Eindruck. Der Sohn zog los, kam aber nicht zum Ziel; auch neue Feldzüge (8o1) zeitigten keinen Erfolg. Aber Karl verlor trotz vieler anderer Geschäfte Benevent nicht aus den Augen: Im Jahre 812 konnte er den Herzog GrimoaldiV. dazu zwingen, sich zu unterwerfen und einen großen Tribut zu versprechen. 26 Mon. Germ., Epist. IV (aevi Karo!. II), S. 528: Epist. var. Nr. zo.
27 Ebd. S. 352: Alcuini epist. Nr. zii (a. Soof 8o1).
Kar] als Christ (S. 314-3 16)
Hätte Alcuin damals noch gelebt, würde ihm Karl wohl gesagt haben: ich vertraue auf Gott und gerade deshalb lege ich die Hände nicht in den Schoß, sondern handle, ich, der König >von Gottes Gnaden< und nunmehr der >von Gott gekrönte< Kaiser. Ich bin sein Werkzeug hier auf Erden, sein vornehmstes Werkzeug, und da ich ihn intensiv und in richtiger Weise verehre, liegt auf meinem Tun letzthin immer Gottes Segen.
c) Die Bedeutung von Zahl und Winkel für Karls Denkart Die Würdigung Karls als König und als Christ hat uns zwei Schlüsselbegriffe an die Hand gegeben, mit denen wir jetzt versuchen können, einen Zugang zu Karl als einem einmaligen, besonderen Individuum zu gewinnen. Zunächst: alles muß seine Ordnung haben- wir bleiben bei dem deutschen Wort; denn das lateinische Wort >Ordo< würde sofort eine Beziehung zu dem >Ordo-Gedanken< der hochmittelalterlichen Philosophie herstellen, die eine falsche Perspektive ergäbe. Bei Karls Begriff >Ordnung< handelt es sich um jene ganz natürliche Ordnung, die auf einem Bauernhof, in einer königlichen Pfalz, im ganzen Reich, unter den Völkern und zwischen Kirche und Staat herrschen muß und die immer wieder ins richtige Gleichgewicht zu bringen die Hauptaufgabe des Herrschers ist. Daraus ergibt sich der zweite Schlüsselbegriff: die Ordnung kann nur aufrechterhalten werden, wenn alles richtig bemessen und richtig in Einklang gebracht ist. Der Oberbegriff zu >Ordnung< und >Richtigkeit< ist- wie erst später zu zeigen sein wird- >Wahrheit<. Alle drei haben das gemeinsam, daß sie überzeitlich sind und im moralischen Bereich verankert bleiben. Wir prüfen, um zu sehen, wie tief diese Grundprinzipien in Karls Denkart verwurzelt waren, zunächst sein Verhältnis zu Zahl und Winkel. Wir reihen dazu erst einmal eine Reihe von Einzelfeststellungen aneinander. Bei den lateinischen Monatsnamen nahm Karl Anstoß daran, daß sie zum Teil mit der heidnischen Götterwelt zusammenhingen. Soweit es sich nur um >Zählmonate< (Sept. bis Dez.: 7, 8, 9, 10) handelte, gaben sie Anlaß zum Unwillen durch die seit der Antike üblichen und daher von karolingischen Kopisten wiederholten Personifikationen der Monate 28 - das läßt die Polemik der >Libri Carolini< erkennen 29 • Karl 28 Vgl. über sie A. RIEGL, Die mittelalterliche Kalenderillustration, in den Mitteil. des Inst. für österr. Gesch.forsch. X, 1889, S. 1-74; P. E. ScHRAMM, Über Illustrationen zur maLen Kulturgesch., in der Histor. Zeitschr. 137, 1928, S. 433f.; J. C. WEBSTER, The Labors of the Months in Antique and Mediaeval Art, Evanston 1938 (Princeton Monographs
in Art XXI = North Western Univ. Studies in the Humanities No. 4), dazu MEYER ScHAPIRO in Speculum XVI, 1941, S. I3II 37; ilENR1 STERN, Poesies et representations carol. et byzantines des mois, in der Revue Archeologique 45, 1955, S. 141-186 (mit 20 Abb.; ebd. S. 140 Anm. I voraufgehende Aufsätze über die früheren Jahrhunderte).
B2:
D.
Kar! d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
zerschnitt nüchternen Sinnes die mythologischen Beziehungen und schuf neue Namen, bei denen drei Prinzipien ineinander geflochten wurden: Das vorwaltende, in Einzelansätzen bereits vorbereitete ergab sich aus den landwirtschaftlichen TätigLat. Name
I. 1I.
m.
-
Januarius
(-)
Februarius
-
Martius Aprilis
-
Junius -------- r-- Julius Augustus -
--
Maius
September October Nowmber December
-
Figur I : Schema der abgeänderten lateinischen Monatsnamen
keiten, durch die sich die Monate unterschieden. Dadurch bildete sich für Mai bis Oktober die Reihe: Weide- und Brach- d. h. Umpflügemonat, dann Heu-, Ernte-, Holzfäll- und W einlesemonat. Als zweites Prinzip wurde die Einteilung des Jahresumlaufs in Jahreszeiten benutzt, also Januar = Wintermonat, März = Lenz- und November= Herbstmonat (einen Monat nach dem Sommer zu benennen, erübrigte sich, da ja für die Mittelmonate genauer zutreffende Namen gefunden waren). Zwei Monate erhielten ihren Namen nach Kirchenfesten, also Dezember = Heiligmonat und April = Ostermonat (ein Name, der nicht genau paßte, da das Osterfest ja bereits in die letzte Märzdekade fallen kann und da dieser Name eigentlich einen >Pfingstmonat< erforderlich gemacht hätte - ein Anzeichen dafür, daß dieses dritte Prinzip nur als Aushilfe herangezogen wurde). Übrig bleibt noch der Februar, der den hier zuerst nachweisbaren, aber wohl nicht neu geprägten Namen >Hornung< erhielt, der auf die Tatsache zielte, daß dieser Monat kürzer ist als die übrigen30 •
29 Vgl. ill. Buch cap. 23 (Mon. Germ., Concilia II, Supplementum, I924), S. I5off., bes. S. I 51, Z. I6ff.: »Nonne ... mensibus singulis pro qualitate temporum, quid unusquisque deferat, quibusdam nudas, quibusdam seminudas, quibusdam etiam indutas
diversis vestibus figuras dant ... « Zu den Personifikationen s. auch unten S. 338 f. (jetzt: s. 335·) 30 Nach >TRÜBNERS Deutschem Wörterbuch<, hrsg. von A. GöTZE II!, Berlin I943 (Wörterbücher der Deutschen Akademie) S. 48of.
Zahl und Winkel in Karls Denkart (S. 316-318)
Es drängt sich dem Betrachter für solches Vorgehen das Wort >rational< auf; aber es sei vermieden. Man hat zwar die (mit dem 18. Jahrhundert gekoppelte und dadurch zu einem Eigennamen gewordene) Bezeichnung >Rationalismus< auch auf eine Seite der karolingischen Denkweise bezogen, aber bereits da ergeben sich schiefe Gedankenverbindungen, und in bezug auf Karl würden dadurch erst recht falsche Assoziationen geweckt. Denn bei ihm handelt es sich um die Auswirkung jenes schon gewürdigten, nüchternen, vom natürlichen Menschenverstand geleiteten V erhaltens, das im begrenzten Raum den Bauern und im weitgespannten den mit klarem Blick begabten Herrscher kennzeichnefl1 - wir sind mit ihm bereits vertraut, da es auch den Hlg. Bonifaz gekennzeichnet hatte. Die Zwölfzahllag seit alters auch der Einteilung von Tag und Nacht zugrunde. Hier brauchte nichts reformiert zu werden, da die Stunden nicht benannt, sondern gezählt wurden. Aber man war auf Behelfe wie Stundenglas und Sonnenuhr angewiesen, um sagen zu können: jetzt beginnt die dritte oder endet die sechste Stunde. Man kann daher ermessen, was es für Karl bedeutete, daß ihm der Kalif Harun alRaschid eine Wasseruhr zum Geschenk machte, an der zwölf Stunden lang die Zeit abzulesen war 32 • Denn sie verschaffte ihm die Möglichkeit, selbst im Dunkel der Nacht und bei Regen und Nebel exakt festzustellen, an welchem Zeitpunkt der Zwölfteilung er sich befand. Ebenso wie Karl in der Zeit klare Ordnung und Exaktheit durchsetzte, tat er das . auch im Raum. Den Anstoß gab gleichfalls, daß bei den überkommenen zwölf Windnamen die Beziehungen zur antiken Mythologie zu zerschneiden waren. Aber noch wichtiger als die Ausmerzung von Zephyr, Boreas und wie die Windgötter sonst noch hießen, war die Festlegung der Richtungen. Jedes Viertel der Windrose wurde in wird das bei Einhard zuerst belegte, in der Volkssprache bis heute vorkommende, auch in der Bedeutung von Winterkälte begegnende Wort Hornung »als Ableitung zu horn = >Ecke, Winkel< im Sinne von >Bastard<, d. h. hier des den anderen Monaten gegenüber an Tagen zu kurz gekommenen, gedeutet ... In der Kennzeichnung der Kürze des Monats zeigt sich die römische Beeinflussung.« Andere Erklärungen, die das Wörterbuch aufzählt, erwecken den Eindruck, daß sie erst später erfunden wurden, um ein nicht mehr verstandenes Wort zu deuten.- Diebefragten Philologen bestätigen mir, daß bisher keine bessere Deutung des Namens gefunden wurde (vgl. jetzt auch W. BETZ in: Karl d. Gr. II, Düsseldorf 1965, S. 304, der an-
schließend auch auf die Windrose eingeht). 31 Aus der angeführten Lit. über die Monatsbilder ergibt sich, daß nach Karl d. Gr. die Personifikationen den Darstellungen der für die Monate bezeichnenden Tätigkeiten den Platz räumen. In der Literatur blieb es dagegen bei den lateinischen Namen; vgl. z. B. das Gedicht Wandalberts von Prüm: >De mensium XII nominibus<, in dem jedoch die die Monate kennzeichnenden Tätigkeiten im Sinne Karls- die Hauptrolle spielen (Mon. Germ., Poetae II, S. 604-616; vgl. auch die anschließenden Gedichte). 32 Ann. regni Franeorum ad a. 807 (Mon. Germ., Script. in us. schol. 1895 = 1950, s. I23f.).
314
· Bz:
D.
Kar! d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
drei Drittel geteilt, was selbst im Vergleich mit der uns geläufigen Einteilung in je zwei Achtel (Nordost, Südost usw.) eine exaktere Festlegung ermöglichte. Bei der Namengebung für die zwölf Richtungen war jetzt allein das gedankliche Grundschema maßgebend: N
Q
Figur z: Die Gliederung der Windrose (in
12
Ostwind, Ostsüdwind, Südostwind, Südwind, Südwestwind, Westsüd wind, Westwind usw.
Sektoren geteilt).
Daß die Grundeinteilungen für Zeit und Raum sich durch die zugrunde liegende Zwölfzahl entsprachen, hat zweifellos Karl und seine Berater besonders befriedigt. Denn- das ist eine Formulierung Isidors von Sevilla, die für das ganze Mittelalter richtungweisend blieb- die Zahlen waren vor den Dingen; deren >gute Ordnung< hing also davon ab, ob die ihnen zugrunde gelegten Zahlen >richtig< gewählt waren. Wer umsichtig plante, hatte also dafür Sorge zu tragen, daß seine Maßnahmen sich dem Gefüge der >guten< Zahlen einpaßten. Welche Zahl aber war >besser< als zwölf? Sie war in sich gut durch den Bezug auf die zwölf Stämme Israels, auf die zwölf Apostel usw., außerdem war sie noch zusammengesetzt aus den Zahlen drei und vier, für die ähnliches galt 33 •
33 Die Rolle der Zahl in der gelehrten Literatur des 9· Jahrhunderts behandelt J. RATHOFER, Der Heliand. Theolog. Sinn als tektonische Form, Köln und Graz 1962 (Niederdeutsche Studien 9), S. 295 ff. (Ich bin auf dieses Buch erst durch eine skeptische Besprechung auf-
merksamgeworden; andererseits ist der Verf. auch wohl erst nach Abschluß seiner Forschungen auf meine vorausgehenden gestoßen. Kar! d. Gr. stellt bei seiner Fragestellung kein Problem dar).
Zahl und Winkel in Karls Denkart (S. 318-320)
315
An diese Einsicht hielt sich Karl, als er im Jahre 8u Bestimmungen über seinen Nachlaß traf. Seine Söhne, die Unterkönige, hatte er schon ausgestattet; aber es waren noch ein riesiger, aus Kostbarkeiten aller Art zusammengesetzter Hort und ein aus gemünztem und ungemünztem Edelmetall bestehender Schatz vorhanden. Recht und Tradition gaben Anhalte, wie die Erben, die Armen und die Kirche zu bedenken waren; aber die zahlenmäßige Einteilung, die Karl anordnete, ging auf ihn selbst zurück: er legte ihr die Zahlen drei und vier zugrunde 34 • Alles, was Karl hinterließ, sollte zunächst in drei gleiche Teile A, B und C zerlegt werden. Der Teil C, der erst nach Karls Tod zur Verteilung gelangen sollte, wurde wieder in vier Teile: I, II, III und IV zerlegt, von denen jeder also ein Zwölftel des Gesamtnachlasses umfaßte: II fiel zusätzlich an die leiblichen Erben, III an die Armen, IV an das Hofgesinde. I sollte dagegen den Teilen A und B zugeschlagen werden, die für die Kirchen bestimmt waren. Diese erhielten also zunächst acht Zwölftel und schließlich noch ein weiteres Zwölftel, zusammen also drei Viertel des Gesamtnachlasses. Der Zufall wollte, daß es 2 I Erzbistümer gab: wiederum eine gute Zahl, da sie sich aus drei und sieben zusammensetzte. Die 2 I Metropoliten durften jeweils ein Drittel ihres Anteils, also 1 / 63 von 3 / 4 , für sich behalten; die beiden anderen Drittel - also 2 / 63 - hatten sie unter ihre Suffraganbischöfe zu verteilen. Handelte A
Figur 3: Die von Karl vorgesehene Verteilung seines Nachlasses
34 Rechtsgeschichtlich hat diese Aufzeichnung interpretiert ALPRED ScHULTZE, Das Testament Karls d. Gr., in: Aus Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Gedächtnisschrift für G. v. Below, Stuttgart 1928. -Die fälschlich als
>Testament< bezeichnete, richtig als protokollartige >Notitia< einzuordnende Aufzeichnung ist überliefert von Einhard cap. 33 (a. a. 0., S. 37-41; danach mit Kommentar bei ScHRAMM-MÜTHER1CH a. a. 0., S. 90-92).
p6
B2:
D.
Kar! d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
es sich um fünf, entfielen einschließlich des Teiles I auf einen: 3 i 5 ; waren es sechs: rh; berechnete man den Anteil auf die vollen vier Viertel des Nachlasses, ergäbe sich ein noch komplizierterer Bruch. Das Karls Verfügungen zugrunde liegende Schema entspricht der von ihm verbesserten Windrose; nur ist es noch sehr verfeinert, und Karls nüchterne, vom natürlichen Menschenverstand geleitete Denkart tritt hier noch deutlicher heraus als bei ihr und der Kalenderreform. In diesen Zusammenhang gehören auch Karls drei silberne Tische und ein vierter, der aus Gold gefertigt war: nicht weil sie in den letzten Anordnungen aufgeführt werden (was erkennen läßt, welchen Wert der Kaiser auf sie legte), sondern wegen der Darstellungen auf ihren Platten85 • Leider ist es nur von den silbernen Tischen überliefert, was auf ihnen wiedergegeben war. Bei zwei von ihnen handelte es sich um Rom und Konstantinopel, das neue Rom, also um die beiden Zentren der christlichen Welt: da aus dem 9· Jahrhundert keine Bildzeugnisse vorliegen, vermögen wir nicht zu sagen, ob es sich bei diesen Stadtplänen noch um eine planmäßige Wiedergabe handelte, wie die Antike sie gekannt hatte, oder nur um schematische Darstellungen des Grundrisses, eingepreßt in Kreis, Achteck oder eine andere Figur, wie das im Mittelalter üblich wurde36 •
35 Die Zeugnisse zusammengestellt in Anhang c zu P. E. SCHRAMM- FLORENTINE MüTHERICH, Die Denkmale der deutschen Könige und Kaiser, 8oo--r250, München 196z, S. 91 f. 36 Die Römer hatten es zu einer landkartenmäßigen Wiedergabe ihrer Stadt gebracht. Über die steinernen Fragmente (jetzt nach Nachsuche ro89 Bruchstücke) eines Planes im Verhältnis von wohl I : 240 aus den Jahren 205-208 n. Chr. vgl.: S. P. Q. R. La Pianta marmorea di Roma antica. Forma Urbis Romae. A cura di G. Carrettoni etc., Textund Tafelbd., Rom 1960, dazu A. v. GERKAN in den Göttingisehen Gelehrten Anzeigen, 2.14. }ahrg., 1962, S. 134-143• Über den vom hohen zum späten Mittelalter feststellbaren Wandel der Wiedergabe Roms als Personifikation oder als Mauerring mit dem Apostel Petrus zu einemBild in Aufsicht (so auf der Kaiserbulle Ludwigs des Bayern vom J. 132.8) vgl. meine Anzeige von W. ERBEN, Rombilder auf kaiserl. und päpstl. Siegeln des Ma.s, Graz 1931 in der Histor. Zeitschr. 147,1932 S. 157ff. (jetztBd.V). Über
hochmittelalterliche Pläne Roms vg!. P. E. ScHRAMM, Kaiser, Rom und Renovatio II, Lpz. 1929, s. I09f., dazu s. nff. (wiederholt in Bd. III). - In der Mitte steht ein >Plan< Roms, der dem Mauerring die Gestalt eines Löwen gibt. Auffallend ist, daß Kar! den Tisch mit der Roma dem Bischofspalast in Ravenna vermachte und nicht - wie angemessen - der Peterskirche in Rom; diese erhielt den Tisch mit Konstantinopel. Wir durchschauen nicht, was Kar! zu dieser Verfügung veranlaßte. War es etwa die Überlegung, die Römer dürften nicht zu selbstbewußt werden? Das ist denkbar, aber auch andere Motive müssen in Rechnung gestellt werden. - Unerörtert bleibe hier die Frage, was die beiden Tische für die Geschichte der Kaiseridee besagen. Daß Karls Verfügung entsprechend verfahren wurde, bezeugt der von Agne!lus verfaßte Liber pontificalis von Ravenna (Cap. 170; Mon. Germ., Script. rer.Langob. S. 388): . .. misit Lodovicus imp .. . mensam argenteam unam absque /igno, habentem intra se anaglifte to-
Zahl und Winkel in Karls Denkart (S. 320-322)
317
Der dritte, schönste und gewichtigste Silbertisch wies eine Erd- und Himmelskarte auf. Wir können sie uns vorstellen; denn als Buchillustrationen sind solche Karten erhalten. Für das Bild des Erdkreises war der wichtigste Lehrmeister Isidor von Sevilla, der einen Kreis mit Jerusalem als Zentrum halbiert und die untere Hälfte noch einmal zu Vierteln aufgeteilt hatte: oben Asien, links unten Europa, rechts unten Afrika, die drei Erdteile umflossen vom kreisförmigen Weltmeer und unter einander getrennt durch Don, Mittelmeer und Nil, die recht gewaltsam in eineT-Form gebracht waren. Aber gerade das, was uns zum Kopfschütteln veranlaßt, muß Karl dem Großen gefallen haben: eine klare Ordnung, aus ihr die Zahlen drei und vier hervorschimmernd, die drei Erdteile ausgerichtet auf die Heilige Stadt und das Ganze rund umschlossen; also auch hier alles wohl geordnet, gerichtet und gezählt37 • 0
N
w Figur 4: Die von den karolingischen Gelehrten übernommene Weltkarte Isidors von Sevilla (t 636)
tam Romam, una cum tetragonis argenteis pedibus. Damit ist nicht vereinbar der Zusatz zu Einhards Text im Chron. Moiss. ad a. 813 (Mon. Germ. Script. I, S. 3r o Note*) : Danach wurde der runde Tisch mit dem Bild der Roma in das Kloster Aniane überführt. Da laut Thegan Ludwig dem Papst den ihm zugewiesenen Tisch aushändigen ließ, kommt eine Verwechslung mit dem Ravenna-Tisch wohl nicht in Frage. Handelte es sich etwa um den vierten, aus Gold gefertigten Tisch?
37 Vgl. P. E. ScHRAMM, Sphaira-Globus-Reichsapfel, Stuttgart 1957, S. 51 f. Nachzutragen ist V. H. ELBERN, Ein fränkisches Reliquiarfragment in Oviedo usw., in den Spanischen Mitteilungen II, Heidelberg 1961, S. 199: die Weltkarte von St. Gallen (ebd. Anm. 35 weitere Lit.). In Rechnung zu stellen ist, daß möglicherweise Karls Tisch nicht dieser Grundform entsprach, sondern einer Sonderform, die sich Theodulf von Orleans zu eigen ge-
p8
B2:
D.
Kar! d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
Den Himmelskarten, für die in der karolingischen Zeit der spätrömische Autor Arat maßgebend war, lag gleichfalls der Kreis zugrunde, in ihn eingefügt der Reif mit den Tierkreiszeichen, Sinnbilder der Fixsterne und der Planeten auf ihren Kreisbahnen3s, dem Kundigen eine Gewähr, daß auch im Kosmos von Gott alles wohl gemacht hatte. Eine Kopie seiner Erdkarte wurde entdeckt von A. VmmR, La mappemonde de Theodulfe et Ia mappemonde de Ripoll (IXe-xie siede), im Bulletin de Geographie historique, Annee 19II, Paris 1911, S. 285313. Es handelt sich um eine Sammelhandschrift, die im 11. Jahrhundert dem katalanischen Kloster Ripoll gehörte und im I 2. Jahrhundert im Marseiller Kloster St. Victor lag (Cod. Vat. Reg. I23). Auf f. I43v-I44' bringt sie eine »Mappa mundi iuxta quorundam descriptiones«, d. h. eine Zeichnung mit erläuterndem Text (noch nicht bei A. RrEsE, Geographi latini minores, Heilbronn 1878 vermerkt). Die linke Hälfte des Kreises füllen Europa, Asien und Afrika in einer mit lsidor verwandten Darstellungsart; die rechte gibtnoch entsprechend der antiken Vorstellung, daß die Erde eine Kugel sei (vgl. dazu SCHRAMM a. a. 0., S. I I ff.) - deren andere Hälfte wieder. Da deren Aussehen nur auf Hypothesen beruhte, sind hier Kartuschen eingezeichnet mit Zitaten aus Macrobius über die fünf circuli ( australis, hiemalis usw.) und mit Hinweisen auf Theodulf (s. unten). In der Mitte ist die Terra als Frauengestalt mit Schlange und Füllhorn eingezeichnet. Den Rand, aus dem Flammen emporzüngeln, füllen die zwölf Windgötter, personifiziert als nackte Gestalten mit Blashörnern. Daß es sich um Theodulf von Orleans, der ja westgotischer Herkunft war, handelt, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Karte eine Reihe von Versen wiedergibt, die in vollständiger Fassung unter seinen Gedichten überliefert sind (vgl. Mon. Germ., Poet. lat. I, S. 547f., Nr. XLVII: Alia pictura, in qua erat imagoterraein modum orbis comprehensa).
Da in dieser von einer depicta ftgura die Rede ist, hat man an ein Wandfresko gedacht; doch bleibt zu erwägen, ob etwa auch Theo-
dulf einen solchen >Himmelstisch< wie Kar! besessen hat. Soll man folgern, daß Theodulf den König bei der Herstellung seines Tisches beriet, dieser also der in Ripoll angefertigten Kopie der Erdkarte Theodulfs entsprach? Der Schluß wäre voreilig; denn dem Frankenherrscher standen auch andere Vorbilder zur Verfügung: vgl. eine vom Papst Zacharias (74I-752) am Porticus bei der Kapelle Saneta Sanetarum angebrachte Erdkarte (Liber pontificalis, ed. L. DucHESSE I, S. 432): ubi et orbis terrarum descriptionem depinxit atque diversis versicu!is ornavit), ferner eine mundi species im Kloster St. Riquier (wo Karls Schwiegersohn Angilbert Abt war), über die der Mönch Micon (z. Hälfte des 9· Jahrhunderts) einen Vierzeiler verfaßte (Mon. Germ., Poet. lat. lll, S. 297, Nr. XIII). Ein geographisches Gedicht Theodulfs, das seine Länderkenntnisse aufzeigt: ebd. I, S. 46off., (Nr. VII). Verweise auf weitere Karten (Isidor, Beatus von Liebana usw.) bei VmrER a. a. 0. Auf A. VmrER stützen sich ANN FREEMAN, Theodulf of 0. and the Libri Carolini, in: Speculum 32, 1957, S. 663-705, bes. S. 7orf. und DrETER ScHALLER, Untersuchungen zu den Gedichten Theodulfs von 0., im Deutschen Archiv I8, 1962, S. 82-84. In Karls Hofbibliothek befand sich eine memoratio orbis; vgl. B. BrsCHOFF, Die H. Karls d. Gr. in: Kar! d. Gr., II: Das geistige Leben, Düsseldorf 1965, S. 43· 38 F. N. EsTEY, Char!emagne's Silver Celestial Table, in: Speculum I8, I943, S. Il2-II7 (mit 7 Abb.) hat versucht, Karls >Himmelsbild< zu rekonstruieren: drei konzentrische Kreise, im äußersten die Personifikationen der sieben Planeten, im mittleren die Figuren des Zodiacus, im innersten thronend die Personifikation des Jahres ( Annus), mit
Astrologie und Wunderzeichen (S. 322-325)
ordnet, gerichtet und gezählt war- von Gott; denn die antike Astrologie, die in der karolingischen Zeit noch dem einen oder anderen Gelehrten bekannt war, berührte Karl den Großen nicht. Er saß zwischen seinen Tischen nicht wie Wallenstein, dem Seni das Horoskop erläutert, sondern als der Beherrscher des von ihm in gutem Gefüge gehaltenen Frankenreiches, der aus den Darstellungen auf den Tischplatten ergänzt durch die Stundenzahlen seiner Wasseruhr - die Gewißheit entnahm, daß Gottvater gleichfalls alles wohl gefügt hatte, nicht nur im Erdkreis, sondern auch unter der riesigen Himmelskuppel, wie einst so jetzt und weiter bis zum jüngsten Tag. Natürlich glaubte Karl an Vorzeichen; denn die Vorstellung, daß der Herr des Himmels den Menschen auf solche Weise Warnungen erteilte, um die rechte Ordnung aufrecht zu erhalten, paßte ja völlig zu seiner Gottesvorstellung. Einhard gibt zwar an, Karl habe solche Vorzeichen entweder geleugnet oder verachtet, als wenn sie mit seinem Schicksal nichts zu tun hätten. Aber es waren in den letzten Jahren so viele, daß sie sich nicht übersehen ließen. Da erfolgten Sonnenfinsternisse, in der Sonne erschien ein dunkler Fleck, der sieben Tage sichtbar blieb, eine feurige Kugel raste über den Himmel. Auch auf Erden ereignete sich Bedenkliches: der Gang, der in Aachen die Pfalz mit dem Münster verband, brach zusammen; die von Karl bei Mainz in Sonne und Mond in den erhobenen Händen. Der Vf. stützt sich dabei auf spätere Darstellungen, von denen wohl angenommen werden darf, daß ihre Grundform der karolingischen Zeit bekannt war. Die Möglichkeit, daß diese auch mit einer anderen - durch ein Fresko in Qusayr Amra und eine Miniatur im Cod. Vatic. Graec. ro87 vertretenen- Darstellungsatt vertraut war, schiebt E. beiseite, da ihm die analoge, zeitlich dicht an Kar! heranführende Miniatur im Cod. Monac. lat. 2ro, einer Salzburger Arat-Kopie von 8r8, entgangen ist; vgl. P. E. ScHRAMM, SphairaGlobus-Reichsapfel, Stuttgart 1957, S. 56f. mit Abb. 43· Hier sind in einen Kreis- nicht konzentrisch und sich überschneidend - ein kleinerer Kreis sowie das Kreisband des Zodiacus eingezeichnet, angefüllt mit den traditionellen >Sternbildern<. Personifikationen begegnen hier nicht. (Ein Himmelsbild im Rahmen einer pictura der sieben artes liberales, im Zusammenhang mit der astronomia, beschreibt Theodulf von Orleans: Gedicht XLVI; Mon. Germ., Poet.lat. I, S. 546).
Da Parallelen fehlen, bleibt nur zu vermuten, wie sowohl die >orbis totius descriptio< als auch >astrorum consideratio et varius planetarum discursus< auf einer Tischplatte untergebracht wurden. Auf diesen Tisch wird Thegans Angabe (Mon. Germ., Script. II, S. 592) zu beziehen sein: mensam unam argenteam, quae triformis est, in modum quasi tres clippei in tmum coniuncti. Danach hatte er also
eine kleeblattartige Form, die es erlaubte, die kreisförmigen Erd- und Himmelskarten nebeneinander unterzubringen; im dritten Blatt darf man vielleicht einen dritten Kreis mit Erläuterungen nach Art der Karte Theodu!fs annehmen. Hinzuweisen ist hier auch auf den Codex Madrid Bibi. Nac. 3307, ein komputistischastronomisches Lehrbuch aus der I. Hälfte des 9· Jahrhunderts, dessen Vorlage aus dem >Scriptorium des Krönungsevangeliars< (s. dazu unten S. 330 Anm. 6r) hervorging; vgl. W. KöHLER, Die Karoling. Miniaturen. III, 2. Teil; Die Metzer Hss., Berlin r96o, S. n. Anm. r, roo, rr9ff.
Bz:
D.
Kar! d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
· zehnjähriger Arbeit geschaffene und für viele Generationen errichtete Holzbrücke über den Rhein brannte ab, und ihn ganz persönlich traf ein Mißgeschick, das ihm während des Krieges gegen die Dänen (8 10) zustieß : als er und seine Begleitung die Feuerkugel bestaunten, stürzte er mit dem scheuenden Pferd so unglücklich, daß die den Mantel zusammenhaltende Fibel zerbrach und dieser selbst sich löste. Das Schlimmste war, daß auch der Schwertgurt riß und dem Kaiser die in der Hand gehaltene Lanze so entglitt, daß sie zwanzig oder mehr Fuß von ihm zu liegen kam39 : Karl war also entkleidet und entwaffnet, so wie es bei seinem Begräbnis einmal der Fall sein mußte. Zu denken gab vor allem, daß der apfelförmige Zierat, der Karls Münster zierte, herabfiel und in einer Inschrift, die das Innere verzierte, hinter seinem Namen das Wort >princeps< erlosch. Auf solche Vorzeichen hatte das Altertum geachtet, und das Mittelalter tat das nicht minder; ja solcher >Aberglaube< erhielt sich noch länger. Daher war auch Karls Umgebung von ihm beherrscht, und wenn er ihr auch nicht zu erkennen gab, ob er diese Vorgänge als Vorzeichen auffaßte oder nicht, er muß sich zum mindesten Gedanken gemacht haben, ob Gott ihn habe warnen wollen, ihn, den er mit einer ganz besonderen Aufgabe betraut hatte. Denn zum mindesten muß auch ihm die Möglichkeit selbstverständlich gewesen sein, daß Gott buchstäblich Himmel und Erde in Bewegung setzte, um dem Frankenkaiser rechtzeitig anzudeuten, daß er sich jetzt auf ein gottgefälliges Ende vorbereiten müsse, damit ihn der Tod nicht überraschte. Aber war es im Himmel wirklich so wohl geordnet? Sprachen nicht die Sonnenund Mondfinsternisse dagegen? In primitiven Zeiten hatten solche Verdunkelungen mythischen Schauder ausgelöst. Von Angst war Karl völlig frei; aber er wollte doch wissen, wie sich die scheinbare Störung der Himmelsordnung erklären lasse, und seine Gelehrten konnten ihm dank Ciceros >Somnium Scipionis<, den Schriften des Macrobius und anderer antiker Autoren auch befriedigende Antwort erteilen, da diese Phänomene ja schon der Antike zu schaffen gemacht hatten. In einer Antwort, die Alcuin im Jahre 799 erteilte, erläuterte er seinem Herrn noch einmal den Zodiacus und gab an, wie nach >Ordnung, Platz und Zahl< die Tierkreiszeichen angeordnet seien40 • Zwei neue Sonnenfinsternisse traten ein, als der gelehrte Angelsachse bereits im Grab lag: Karl wandte sich deshalb an den nicht minder sachkundigen Iren Dungal und fragte ihn, ob es gerechtfertigt sei, daß- wie ihm berichtet- ein byzantinischer Bischof behauptet habe, Sonnenfinsternisse seien vorauszuberechnen? In seiner Antwort legte der Mönch dar, das sei in der Tat auf Tausende von Jahren
39 Einhard cap. 32 (S. 36f.). 40 Mon. Germ., Epist. IV (aevi Carol. II), S. 283: Alcuini epist. Nr. 171 (a. 799). Alkuin (t 8o4) hatte außerdem in seinem Dialog, den er Karls Sohn Pippin widmete, die Frage
nach der Natur des Nichts so beantwortet: nomine est et re non est; vgl. A. BoRST, Kaisertum u. Namentheorie im J. Soo, in: Festschrift P. E. ScHRAMM I, Wiesbaden 1964 S. 41 (dort S. 44 über Dungal).
Sonnenfinsternisse- Das Wesen des >Nichts< (S. F-5-327)
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voraus möglich; denn es handele sich - er führte das genau aus - bei solchen Finsternissen um den »natürlichen Effekt des Zusammentreffens der Elemente«41 • Nein, die Verdunklungen waren kein Grund, an der Ordnung des Himmels zu zweifeln, gaben dem Wissenden vielmehr Anlaß, die Allmacht des ordnenden Gottvaters noch mehr zu bewundern, als das die Unerfahrenen taten. Wie bohrend und konsequent Karl zu fragen verstand, zeigt der Brief des Diakons Fridugis, eines Alcuin-Schülers, dem der Kaiser die Frage zu beantworten aufgegeben hatte, ob das Nichts und die Finsternis wirklich nicht seien oder ob ihnen doch irgendeine Form des Seins zukomme. Der Befragte entschied sich in längerer Auslegung für die zweite Auffassung42 , was darauf hinauslief, daß das Dunkel etwas war, was man nicht messen und nicht geometrisch begreifen konnte. Karl war nicht überzeugt: er übersandte die Antwort des Fridugis an den gelehrten Dungal und forderte ihn auf, seinerseits Stellung zu nehmen; die Frage muß ihn also sehr beschäftigt haben43 • Das ist bei seiner Denkart begreiflich: gab es etwas Unüberschaubares, Unmeßbares, dann war das beunruhigend: dann saß Gottvater nicht so fest und so übersichtlich in das Ganze eingeordnet, wie der Kaiser in seinem Reich thronte. Karls Interesse für die Astronomie sowie für ihre unentbehrliche Schwester, die Mathematik, ist so gut bezeugt, daß es nicht einfach Schmeichelei war, wenn Alcuin den König einmal den scharfsinnigen Befraget der Natur und hingebenden Erforscher des Grundes jeglicher Ursache nannte44 • In den Zusammenhang von Zahl und Winkel gehören - das mag zunächst überraschen- noch sieben Gedichte, die dem König in den achtziger Jahren überreicht wurden: zwei von Alcuin, vier von dessen Schüler Josephus und das abschließende von dem Westgoten Theodulf von Orleans 45 • Es handelt sich um >carmina figurata< nach dem Vorbild des spätantiken Dichters Porfirius, der dem Mittelalter auch sonst 41 Epist. S. 57off.: Dungali epist. Nr. I (a. Sn) (S. 570: maturalern concursionis eiementarum effectum<; S. 575, Z. 31ff. über die Voraussage). Über Dungal s. jetzt W. VON DEN STEINEN, Kar! u. die Dichter, in: Kar! d. Gr., lll: Das geistige Leben, Düsseldorf, 1965, s. 85f. 42 Epist. S. 553-55 5: Epist. var. Nr. 36. 43 Ebd. S. 552: Nr. 35· 44 Ebd. S. 233: Alcuini epist. Nr. 145 (Ende März 798): sagacissime naturalium rerum inquisitor et rationis cuiuscumque causae devotissime investigator. 45 D. ScHALLER, Die karolingischen Figurengedichte des Cod. Bem. 212, in: Medium Aevum Vivum, Festschrift für Walther Bulst,
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Schramm, Aufsätze I
Heidelberg 1960, S. 19-47. Die sieben Gedichte sind gedruckt in Mon. Germ., Poetae lat. I x88x) S. 152-159 (Josephus), S. 224 bis 227 (Alcuin) und S. 48o-482 (Theodulf); überliefert sind sie im Cod. Bem. 212 (9./10. Jahrhundert) f. 123-126. Die ähnlich gebauten Gedichte des Hrabanus Maurus sind bekannt. Solche für den im Jahre 888 erhobenen westfränkischen Gegenkönig Odo veröffentlichte N. FICKERMANN in den Beiträgen zur Gesch. der deutschen Sprache und Lit. 83 1961 S. 49ff. Über die Gedichte dieser Art, die der Hlg. Bonifaz verfaßte, s. oben S. 99 f. (tnit Abb.).
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Kar! d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
noch als Lehrer in dieser uns abstrus und gequält vorkommenden Dichtart gedient hat46 • Zu Grunde liegt nämlich den sieben Gedichten, die ebenso viele Zeilen wie Buchstaben in jeder Zeile haben, ein >tractus<, d. h. eine geometrische Grundfigur, in diesen Fällen ein Quadrat mit Diagonalen und einem zweiten kleineren, auf die Spitze gestellten Quadrat, das in das größere eingeschrieben ist. Die Aufgabe des Dichters war es, entlang den Senk- und Waagerechten, womöglich auch noch entlang den Diagonalen, Verse (versus intexti) in der Länge von (meist durch rote Tinte hervorgehobenen) 35 bzw. 37 Buchstaben einzutragen und dann die übrigen Reihen (insgesamt gleichfalls 35 bzw. 37) mit weiteren Versen auszufüllen, deren Wörter so auszuwählen waren, daß in sie die bereits eingetragenen Buchstaben paßten47 • Daß
Figur 5: >Carmen figuratum< mit> Tractus< (d. i. geometrischer Grundfigur), nach dem Vorbild des Porfirius, für Kar! den Großen gedichtet (3 5 bzw. 37 Zeilen mit je 35 bzw. 37 Buchstaben (rund 36 = 6 X 6); entlang den Außen- sowie den eingezogenen Linien eigene Verse, die an den Schnittstellen die Querverse auf bestimmte Buchstaben festlegten: vollständigste Form). 46 ELSA KLUGE, Studien zu Publius Optatianus Porfyrius, in: Münchener Museum IV, 1924. 47 Die Grundfigur (Quadrat mit Diagonalen und eingeschriebenem, auf der Spitze stehenden Quadrat) liegt auch dem Schmuck der Herfotder >Burse Widukinds< (seit r888 in Berlin, jetzt Kunstgewerbemuseum im Schloß Charlottenburg) zugrunde, die - falls die Legende nicht stimmt- auf alle Fälle Ende des 8. Jahrhunderts angefertigt wurde; vgl. Ausstellung in Villa Hügel, Essen: Werden-
des Abendland an Rhein und Ruhr, 18. 5. bis 15. 9· 1956, Katalog S. 189 mit Abb. 35· Doch zeigt die Hervorhebung der Schnittpunkte durch aufgesetzte Edelsteine, daß dieses Muster hier als Vervierfachung des der germanischen Kunst vertrauten Motivs zu verstehen ist, dem eine Anordnung von Steinen nach Art der Fünf auf dem Dominostein vertraut war (wiederholt in meinen Bänden: >Herrschaftszeichen und Staatssymbolik< behandelt).
Carmina figurata- Monogramm (S. 327-329)
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die Dichter den Zwang, den sie sich selbst auferlegten, gelegentlich wieder minderten, indem sie von den Versen längs der Mittelachse oder entlang den Diagonalen absahen, überrascht nicht - der Leser kennt Gedichte dieser Art bereits, da auch der Hlg. Bonifaz solche angefertigt hat. Man muß beachten, daß die Längs- und Querseiten um die Zahl36 (3 X 12 = 6 X 6) pendelten, die nicht erreichbar war, weil nur bei einer ungeraden Zahl der Mittelvers ( Mesostichon) genau in die Mitte rückte. Daß bei solchem Formzwang nur gedrechselte, schwer verständliche Verse möglich waren, versteht sich von selbst. Trotzdem gefiel diese - bei den Franken erst wieder durch Alcuin belebte - Dichtart dem Könige offensichtlich; denn Theodulf hat sein Gedicht wohl erst angefertigt, nachdem Karl ihn dazu ermuntert hatte. Wir können auch mutmaßen, weshalb das der Fall war: Gedichte nach diesem Schema waren ja im wörtlichsten Sinne >überschaubar< gemacht und erfreuten den Empfänger, der zunächst Betrachter und dann erst Leser war - eine Aufnahme nach dem Ohr kam wegen der gezwungenen Ausdrucksweise ja gar nicht in Frage; und zwar erfreuten sie durch die Einsicht in die feste, dem Erdkreis und der Windrose verwandte Ordnung, die alle Verse zusammenhielt. In diesem Zusammenhang ist schließlich auch noch Karls Monogramm anzuführen48. Der Gedanke, den Namen zu verschlüsseln, indem die ihn bildenden Buchstaben , an eine Grundfigur angehängt wurden, stammt von den Byzantinern: so sind bereits die Kaiser des 5. Jahrhunderts verfahren. Nach ihrem Vorbild hat sich auch Theoderich der Ostgote des Monogramms auf Münzen, auf einer Gemme und an seinen Bauten bedient. Bei den Merowingern wurde das Monogramm benutzt, wenn es sich um Könige handelte, die noch Kinder waren; aber dieser Brauch riß wieder ab. Erneuert hat ihn erst Karl der Große 49 : seit Beginn seiner Königsjahre ist auf seinen Urkunden ein Monogramm nachweisbar, und es ziert daher auch die Rückseite einer Bulle, die bereits für seine Königszeit in Anspruch genommen werden darf 50 •
48 Grundlegend ist noch immer V. GARDTHAUSEN, Das alte Monogramm, Lpz. 1924 (hier S. 158 mit Tafel 5, Nr. 366: Kar! d. Gr.); weitere Lit. verzeichnet W. BERGES in seinem das Monogramm Theoderichs des Großen behandelnden Beitrag zu P. E. ScHRAMM, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik I, Stuttgart 1954 (Schriften der Mon. Germ. Hist. 13, I) S. 222 bis 226 (bes. S. 222, Anm. 1). 49 Mon. Germ., Diplom. Karo!. I, S. 79; dazu
J.
LECHNER, Das Monogramm in den Urkunden Karls d. Gr., im Neuen Archiv 30, 1905, s. 702-707. 50 P. E. ScHRAMM, Die zeitgenössischen Bildnisse Karls des Großen, Lpz. und Berlin 192.8 (Beiträge zur Kulturgesch. des Ma.s und der Renaissance, Bd. 29) S. 21-2 5 (in Bd. II wiederholt), danach kurz und mit Abb. Ders., Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit, Lpz. und Berlin 1928, S. 168 und Abb. 3·
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D.
Karl d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
Während Theoderichs Monogramm dem der Stadt Ravenna entsprochen hatte und daher in seiner Grundform durch den Buchstaben N bestimmt gewesen war, liegt Karls Monogramm ebenso wie seiner Windrose das Kreuz zugrunde. An dessen Enden sind die vier Konsonanten des Namens (der sich zufällig aus sieben Buchstaben zusammensetzte: K-A-R-0-L-V-S) angehängt, wodurch sich eine Ähnlichkeit mit dem germanischen, in der Metallkunst so oft begegnenden >Wirbel< ergibt. In der Mitte sind die drei Vokale so ineinandergeschoben, daß nur ein Kundiger sie zu entziffern vermag - wir können im Hinblick auf die Vorliebe der Germanen (im allgemeinen und dieser Zeit im besonderen) für das Rätsel auch sagen: sie sind >verrätselt<. Daß auf der Bulle der auf diese Weise verschlüsselte Name sich gleichsam von selbst in einen Kreis einfügte, wird die getroffene Lösung für Karl noch ansprechender gemacht haben: notnen undorbiswaren in Relation gebrachtOI.
Figur 6: Karls Monogramm (hier nach seiner Königsbulle, d. h. vom Kreis umschlossen).
Und Karls Hofkapelle: das Aachener Münster? Für seine Zeit bedeutete dieser- 805 geweihte, aber wohl bereits einige Jahre vor5I Ich verwerte hier einen Hinweis des Kollegen GEORG SCHNATH in der Diskussion im Anschluß an eine Wiederholung meines Berliner Vortrags im Rahmen des >Mittelalterlichen Abends<, einberufen von HERMANN HEIMPEL in das von ihm geleitete MaxPlanck-Institut für Geschichte in Göttingen. Nicht zu eigen machen kann ich mir die Vermutung H. BEuMANNS, daß Kar!, der beim Empfang des Papstes Leo III. in Paderborn (799) das Heer >orbis ad instar< antreten ließ und selbst in die Mitte des Kreises trat, sich auf diese Weise staatssymbolisch als >caput orbis< präsentiert habe (Die Kaiserfrage bei den Paderborner Verhandlungen von 799,
in: Das erste Jahrtausend, Textband I, Düsseldorf 1962, S. 304). Den Vf. hat bereits K. HAUCK auf die Stammesversammlung der Sachsen hingewiesen, die >disposito grandi orbi< begann (ebd. S. 308, Anm. 90). Für jede Versammlung und jeden festlichen Akt war eben der Kreis die nächstliegende Form der Aufstellung, da - um an Widukinds bekannte Worte überOttos I. Krönung anzuknüpfen - sie allen zu sehen erlaubte und alle zu sehen möglich machte. - Die Möglichkeit, daß der Dichter mit dem Doppelsinn des Wortes >orbis< (Kreis und Erdkreis) gespielt hat, sei nicht ausgeschlossen; aber hier kommt es nur auf Kar! selbst an.
Monogramm- Das Aachener Münster (S. 329-331)
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her fertiggestellte-B au durch seine gewaltigen Dimensionen ein Wunderwerk; durch seine Grundform (außen ein Sechzehneck, innen ein Achteck, in geistreicher Weiseauf die doppelteEckenz ahl überführt) bereitetes dem das Ganzesowie die Einzelheiten abtastenden Auge auch noch heute immer wieder neuen Genuß 52 •
Figur 7a: Grundriß des Aachener Münsters (nach L. HuGOT, Die Pfalz Karls d. Gr. inAachen, in: Kar! d. Gr., III, Düsseldorf 1965 S. 558).
Diese Pfalzkapelle war das Werk des Baumeisters Odo und seiner Gehilfen, kann also in den Einzelheiten nicht als Zeugnis für Karls Art des Denkens in Anspruch genommen werden. Aber der König wird sich mit ihnen - lernend und anregend zu52 Vgl. jetzt L. HucoT, Die Pfalz Karls d. Gr. in Aachen, in: Kar! d. Gr. Lebenswerk und Nachleben, III: Karoling. Kunst, hg. von W. BRAUNFELS und H. SCHNITZLER, DüsseJdorf 1965, S. 542f., 556ff. (s.auch F. KREUSCH, a. a. 0., S. 527f. über die Länge des römi-
sehen sowie des karolingischen Fußes). Vgl. dazu auch F. KREUSCH, Das Maß des Engels. in: Festschrift WrLLY WEYER, hg. von ]. HosTER u. R. MA..-m, Köh1 1963, S. 6r-8z, - Über den Aachener »Lateran« vgl. oben S. zo6 Anm. 37·
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D.
Kar! d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
gleich- oft über die Anlage des ganzen Pfalzbezirks und des Münsters im besonderen unterhalten und dabei zweifellos mit Wohlgefallen zur Kenntnis genommen haben, daß auch die Baumeister- alte Praktik fortentwickelnd -ihrem Werk jene Zahlen zugrunde legten, denen seine Hochschätzung galt.
Figur 7b: Aufriß des Aachener Münsters (nachL.HuGOT, DiePfalz Karls d. Gr.inAachen, in: Kar! d. Gr.,III, Düsseldorf 1965 S. 562).
Nachdem geklärt werden konnte, welche Fußgröße in Aachen benutzt wurde, hat sich ergeben, welche Zahlenrelationen in den Aachener Bauten verborgen sind (genau nachmeßbar im Münster, mehr oder minder deutlich inden-ja nur noch teilweise feststellbaren - Fundamenten der Gesamtanlage); dem Grundriß liegen im großen und kleinen die Zahlen 7 und 12. sowie 2.4 (z. X u), 84 (7 X u) und 144 (12. X u) zugrunde (12. karolingische Fuß = I <Modul<). Aus einer Vielzahl von Feststellungen seien diese herausgegriffen: Die kirchlichen Bauten haben die Form eines lateinischen Kreuzes mit einem Längsbalken, der 32.4 Fuß lang und 84 Fuß breit ist. Die Querbalken laden 84 Fuß
Das Aachener Münster (S. 331)
lang über den Längsbalken auf beiden Seiten hinaus. Dem Münster selbst liegt ein Planschema von 84 X 84 Fuß zugrunde; die Länge beträgt 12 Modul, die innere Abwicklung gleicht 12 Modul (d. h. 144 Fuß). Der halbe Durchmesser des inneren Oktogons ist gleich dem Vierteldurchmesser des äußeren Sechzehnecks. Die Länge der nach Osten aus der Grundform herausspringenden Apsis beträgt 24 Fuß. Entsprechend sind im Grundriß auch die anderen Teile des Baues konstruiert. In gleicher Weise ist der Aufriß des Münsters gegliedert. Bis zur Dachkante ist der Bau eingeschlossen in ein Quadrat von 84 X 84 Fuß; das Hauptgesims hat eine Höhe von 48 Fuß. Das ursprüngliche Dach wird 108 Fuß(9 Modul) hoch gereicht haben, woraus sich ein Dachwinkel von 45 Grad erschließen läßt. Der Westbau hat eine Breite von . 36 (3 X 12) Fuß, die Nische von 24 Fuß; 48 (4 X 12) Fuß hoch verläuft das Gesimsund so fort. Die Pfalzkapelle nimmt keinen sichtbaren Bezug auf die Form des Orbis53 • Doch war sie ein Abbild der >Welt<: oben das Mosaik mit Christus über dem Ostchor, umgeben von den vierundzwanzig Altesten der Apokalypse, diese gruppiert - so wird angenommen - um die Taube des Heiligen Geistes, auf der Empore der Steinthron des Herrschers, unten das kryptenförmige Untergeschoßs 4 • So betrachtet ist das Aachener Münster, erbaut auf Karls Geheiß und schließlich über alle Kirchen seines Reiches hinausgehoben, da es seine Gebeine verwahrte und seinen Nachfolgern nur dann die volle Würde zukam, wenn sie auf dem Steinthron des Erbauers Platz genommen hatten, nicht nur ein Monument seines großartigen Bauwillens, sondern auch steingewordenes Zeugnis seines Sinnes für die >richtigen< Zahlen, Maße und Winkel.
d) Die Rolle des >richtigen< Wortes und des >wahren< Bildes in Karls Denkart Was aber nützt alle Einsicht in die Natur der Dinge, alle gut gewinkelte, wohlgerichtete und gezählte Ordnung, wenn die Wörter, die die Dinge bezeichnen, nicht richtig gewählt oder nicht richtig verstanden wurden! Das war ja, als wenn jemand mit groben, ungeschulten oder mit zittrigen Fingern nach ihnen griff55 • 53 Über die Kreisform in der Kosmologie vgl. H. v. EINEM, Der Mainzer Kopf mit der Binde, Köln und Opladen 1955 (Arbeitsgemeinschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswiss., Heft 37), S. 21ff. 54 So W. ScHÖNE in seiner tief dringenden Analyse, Die künstlerische und liturgische Gestalt der Pfalzkapelle Karls d. Gr. in Aachen, in der Zeitschr. für Kunstwiss. XV, 1961, S. 97-148 (S. 143ff. die voraufgehende
Literatur). 55 Den Untersuchungen von L. WALLACH (jetzt zusammengefaßt und abgerundet in dem Buch: Alcuin and Charlernagne: Studies in Carolingian Hist. and Lit., Cornell Univ. Press, Ithaca und New York 1959; Cornell Studies in Classical Philol. vol. 32) liegt die Auffassung zugrunde, daß Alcuin seinen Herrscher weitgehend beeinflußt habe; vgl. P. KUNZ in: Speculum 35, 1960,
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D.
Kar! d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
Daraus ergab sich für Karl eine Doppelaufgabe: völlig gesicherte, von Fehlern befreite, >richtige< Texte zu beschaffen und die, die mit ihnen zu tun hatten, auf eine solche Bildungsebene zu heben, daß sie verstanden, was mit den Wörtern gemeint war56 • Zunächst einige Hinweise auf Karls Bemühen um fehlerfreie Texte: Am Hofe Karls war man der Tatsache inne geworden, daß der Bibeltext in den vorliegenden Handschriften Unterschiede aufwies. Karl griff die Aufgabe auf, universos veteris et novi testamenti libros, librariorum imperitia depravatos korrigieren zu lassen5 7 • Die Handschriften vergleichend und dann die beste Lesart auswählend, stellten Theodulf und Alcuin Normaltexte her, für deren Verbreitung im Reich gesorgt wurde•s. Der König nahm ferner daran Anstoß, daß in den von ihm beherrschten Ländern die Priester die Messe nicht einheitlich zelebrierten, da sich bei den verwendeten Gebetstexten mit der Zeit lokale Besonderheiten breit gemacht hatten. Karlließ sich vom Papst ein Sakramentar schicken, dem das Ansehen zukam, die >richtigen<, d. h. bereits aus der Zeit der Kirchenväter stammenden Gebetsformeln zu enthalten. Aus den im Frankenreich eingebürgerten wählte Alcuin dann noch die Formeln aus, die ihm angemessen dünkten, und die von ihm erweiterte Normalhandschrift, die Karl in seiner Pfalz verwahren ließ, wurde dann in Abschriften und Wiederabschriften verbreitet - wir können in diesen Vorgang noch hineinschauen, da auch der Bezug auf das Aachener Urexemplar mit abgeschrieben wurde59 • Die Emendierung der Homilien nahm Paulus Diaconus in Angriff. S. 494-7 (dort die weitere A.-Lit. der letzten Zeit), dazu H. v. FrcHTENAU in den Mitteil. des Österr. Irrst. für Geschichtsforsch. 67, 1959, s. 388f. Kritische Einwände erhob H. LöWE in seiner Rezension (Göttingische Gelehrte Anzeigen 214, 1962, S. 144-154), auf die auch wegen der weiteren, hier einschlägigen Literatur zu verweisen ist. Meine Auffassung ergibt sich aus dem Text: Alcuin vielseitiger, oft befragter Berater, aber letzthin Karl der Führende und Entscheidende. - V gl. dazu oben S. 252 mit Anm. I I r. 56 Vgl. jetzt: Karl d. Gr., Lebenswerk u. Nachleben. Bd. II,: Das geistige Leben, hg. von B. BrsCHOFF Düsseldorf 1965 (3o6 S. in Quart). Die Beiträge, die hier in Betracht kommen, sind im folgenden gesondert angeführt. 57 Mon. Germ., Capit. I, S. 8o.
58 FR. GANSHOF, La revision de la bible par Alcuin, in der Bibi. d'humanisme et renaissance IX, 1947, S. 7-zo; BoNIFAnus FrSCHER, Mönch von Beuron, Die AlkuinBibel, Freiburg i. Br. 1957 (Aus der Gesch. der lateinischen Bibel, Heft r; 20 S. in 2° mit Abb.) und DERS. ausführlich: Bibeltext u. Bibelreform unter Karl dem Gr., in: Karl d. Gr., II: Das geistige Leben, Düsseldorf r 96 5, S. 156-zr6 und C. VoGELS Beitrag, der seine bisherigen (im vorausgehenden angeführten) Forschungen zusammenfaßt, mit E. PArZELT, Die karol. Renaiss. - C. VoGEL, La reforme culturelle sous Pepirr le Bref et sous Charlemagne, Graz 1965, S. qr-242 (behandelt wird nur die >reforme liturgique<). 59 Diesen Sachverhalt hat die Edition von H. LIETZMANN: >Das Sacramentarium Gregorianum nach dem Aachener Urexemplar< geklärt (Liturgiegeschichtl. Quellen III,
Das >richtige Wort< in Karls Denkart (S. 331-333)
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Für den modernen Menschen liegt es nahe, hier von einer Magie des Wortes zu sprechen: nur wenn Gott das richtig gesprochene Gebet hört, öffnet sich sein Ohr. Aber solche Vorstellung ist in keiner Weise für Karl selbst bezeichnend. Denn Wortmagie liegt aller Liturgie zugrunde und ist daher nicht einmal typisch für das Mittelalter. Auffallend ist nur, einen wie großen Raum solche Fürsorge für das richtige Bibel- und Kultwort in Karls Tätigkeit einnahm. Er begnügte sich nicht mit Anregungen oder Anweisungen an die Geistlichen als die Sachkundigen, sondern überwachte die Durchführung persönlich: so wie er selbst >richtig< geehrt und bedient zu werden verlangte, so wie er keinen Verstoß gegen Etikette und Brauch duldete, so sollte auch Gott >richtig< geehrt und bedient werden. Dieselbe Sorge verwandte der König auf die Rechtstexte 6 o, die gleichfalls durch die >Ungeschicklichkeit der Abschreiben verderbt worden waren. Sein Vater hatte die Lex Salica neu redigieren und dabei neu gliedern lassen; aber der Nachteil war bestehen geblieben, daß der nunmehr ja bereits fast zwei Jahrhunderte alte Text in seinem schwerfälligen und grammatikalisch schlechten Latein schwer verständlich war. In Karls Auftrag wurde das Gesetz 798 sprachlich neugefaßt, so daß bei seiner Auslegung kaum noch Zweifel auftauchen konnten. Daß die Neufassung - nur wenig verändert- um 8ozjo3 noch einmal herausgegeben wurde, hängt offensichtlich mit den Bestrebungen zusammen, die den Kaiser in dieser Zeit beschäftigten: er stieß sich daran, daß die beiden Rechte der Franken, das salische und das ripuarische, Münster 1921). Weitere Lit. bei FLECKENSTEIN (s. Anm. 6I) S. 50 mit S. I I 3, Anm. 23; grundlegend fortan CYRILLE VoGEL, Introducdon aux sources de I'hist. du culte ehreden au m. ä., in den Studi Medievali, 3· Serie, III, 1, Spoleto I962, S. I-92 (S. 58ff. über das jetzt für die Zeit Pippins gesicherte >Sacramentarium des 8. Jahrhunderts<, S. 72 über das vom Papst Hadrian I. 785/6 an Kar! übersandte >Sacr. Hadrianum<, S. 78ff. über das von Alcuin mit Hilfe des >Sacramentars Pippins< 8oi-8o4 erweiterte >Sacr. Hadrianum<; jetzt Buchausgabe Spoleto I966) undDERS., La reforme liturgique SOUS Charlemagne, in: Kar! d. Gr., III a. a. 0., s. 2!7-32· In diesen Zusammenhang gehört auch, daß sich die karolingische Architektur nach den Vorbildern in Rom (S. Peter, Lateran, S. Paolo) richtete; vgl. R. KRAUTHEIMER, The Carolingian Revival of early Christian Architecture, in: The Art Bulletin 24, I942, S. I-38 und D. GROSSMANN, Kloster Fulda
und seine Bedeutung für den frühen Kirchenbau, in: Das erste Jahrtausend, Textband I, Düsseldorf 1962, S. 344-370, bes. S. 3 55 : wenn die Bauform >richtig< sein sollte, mußte man >more Romano< bauen (so in der Vita Eigils des Candidus; Mon. Germ. Script. XV, I, S. 231, Z. 3off.). Daß diese Bauten - wie der Vf. ebd. hervorhebt außerdem Zeugnisse für die >Renovatio Romanorum imperii< darstellen, gehört in einen anderen Zusammenhang. 6o WATTENBACH-LEvrsoN: Deutschlands Geschichtsquellen im Ma. Vorzeit und Karolinger. Beiheft: Die Rechtsquellen. Verf: R. BucHNER, Weimar I953; vgl. vor allem die Ausgabe der Lex Salica von K. A. EcKHARDT. Vgl. jetzt die Zusammenstellung der bekannten Fakten bei FR. L. GANSHOF, Charlemagne et l'administradon de Ia Justice dans Ia Monarchie franque, in: Kar! d. Gr. Lebenswerk u. Nachleben I, Düsseldorf I 96 5, S. 394-6.
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Karl d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
voneinander abwichen, und er plante deshalb, aus ihnen ein einheitliches Recht zu schmieden sowie die Lücken, auf die man gestoßen war, zu schließen; aber es kam nur noch dazu, daß einige Zusätze aufgezeichnet wurden. In anderen Fällen stellte Karl fest, daß das geltende Recht noch gar nicht schriftlich fixiert war; er veranlaßte daher, daß dies geschah - so z. B. in Churrätien. Als Karl zur Regierung gekommen war, hatte Unsicherheit bestanden, wie der Wortlaut der Bibel und der Gesetze war und welche Gebete man sprechen sollte; an seinem Lebensabend war Ordnung geschaffen, stand überall fest, wie der >richtige< Text lautete. Die Kennwörter für diese Sparte der Wirksamkeit Karls heißen: corrigere, emendare, meliorare, restituere, renovare, reformare, revocare. Über Karls Fürsorge für das Schul- und Bildungswesen braucht nichts gesagt zu werden, da das von ihm Geleistete allbekannt ist61 • Hier sei deshalb nur unterstrichen, daß es sich für Karl nicht um eine Frage der Nützlichkeit handelte - etwa in dem Sinne, daß Bildung Macht bedeute, daß sie das Ansehen eines Volkes mehre, daß sie das kirchliche Leben fördere. Wenn Karl sich so stark für das Lernen und Studieren einsetzte, ergab sich das- wie wir jetzt sagen dürfen- unmittelbar aus seiner Denkart: wer die Wörter nicht verstand und sie nicht richtig anwandte, wer sich die >negligentia dicendi< zu Schulden kommen ließ, bekam das, was sie bezeichneten, nicht in den Griff. Da die Wörter außerdem nicht isoliert begegnen, sondern in Sätzen mit Stilfiguren, Metaphern usw. auftreten, mußten außer der Grammatik noch Dialektik und Rhetorik studiert werden, um die Texte, besonders die Bibel mit ihrer kunstvollen, oft dunklen Sprache richtig zu verstehen: noch gefährlicher als Irrtümer bei den Wörtern seien solche bei den Bedeutungen, heißt es am Ende des 8. Jahrhunderts in Karls berühmtem Rundschreiben >de litteris colendis< 62 • Vorausge61 Ich verweise auf J. FLECKENSTEIN, Die Bildungsreform Karls d. Gr. als Verwirklichung der Norma rectitudinis, Bigge-Ruhr 1953 (12.5 S.); hier S. 49ff. Belege für die eben angeführten Verben (weitere Lit. anzuführen erübrigt sich wohl). Mit Karls Wirksamkeit hängt auch die Blüte der Miniaturmalerei zusammen, bei der zwei vom Hof bestimmte Richtungen zu unterscheiden sind. W. KoEHLER, ihr bester Kenner, konnte erklären, daß mit diesen Handschriften eine neue >Epoche in der Geschichte der Miniaturmalerei< beginne, und zwar nach seinen Feststellungen im letzten Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts. Über die >Hofschule< Karls d. Gr. (früher: >Adagruppe<) und die >Palastschule< (KoEHLER
jetzt: >Gruppe des Wiener Krönungsevangeliars<, da gleichfalls auf die Kapelle Karls zurückzuführen), vgl. jetzt W. KoEHLER, Karolingische Miniaturen li (Hofschule), Berlin 195 8 und lii (Palastschule), ebd. 1959; vgl. dazu den Überblick (nebst Lit. zur karolingischen Kunst allgemein) V. H. ELBERN, Die bildende Kunst der Karolingerzeit zwischen Rhein und Eibe, in: Das erste Jahrtausend, Textband I, Düsseldorf 196z, S. 4II-435 (bes. S. 4zof.) und: Karl d. Gr., Lebenswerk u. Nachleben, III: Die karoling. Kunst, hg. von W. BRAUNFELS und H. ScHN1TZLER, Düsseldorf 1965 (590 S. in Quart). 62. Mon. Germ.,Capit. I, S. 79: Nr. 29 (Zu benutzen ist der Abdruck der beiden erhaltenen Rezensionen im Urkundenbuch des Klo-
Reform der Bildung und der Schrift (S. 333-335)
stellt ist den königlichen Anordnungen der Satz, daß die, welche danach strebten, Gott durch rechte Lebensführung zu gefallen, die Pflicht nicht vernachlässigen dürften, ihm auch durch richtiges Sprechen zu gefallen63 • Hier lautet das Kennwort wieder : rectitudo&4. Kein Wunder, daß Karl daher auch an diesen >artes liberales< persönlich Interesse fand. Für ihn schrieb Alcuin, der bereits eine Grammatik verfaßt hatte, zwei Dialoge über Rhetorik und Dialektik, in denen der König der Fragende, Alcuin der Antwortgebende ist 6 •. Karl gewidmet war wohl seine Schrift über die Orthographie - sie entsprach ja gleichfalls Karls Denkstil: auch die Schreibweise mußte richtig sein66 • Organisch fügt sich in diesen weiten Rahmen die Reform der Schrift ein67 : nach einer erschreckenden Verwilderung, die ihre Lesbarkeit mehr und mehr erschwert hatte, setzte eine an den klaren Buchstaben des Altertums orientierte Verbesserung ein, die Schritt für Schritt zu jenen Formen führte, an die die Humanisten wieder anschlossen- es ist, als wenn kundige Gärtner verwilderte Obstbäume beschneiden und schließlich durch schöne Früchte belohnt werden68 • sters Fulda I, 2, bearb. von E. E. STENGEL, Marburg 1956, S. 246-54 (Nr. 168) mit S. 53 If., 539f.): Et bene novimus omnes, quia, quamvis periculosi sint errores verborum, multo periculoriores sunt errores sensuum (das Datum berichtigt bei FR. L. GANsHOF, Was waren die Kapitularien, Weimar 1961, S. 74, Anm. 173; S. 96, Anm. 249 und S. 164). Zu der von E. E. STENGEL und L. WALLACH erörterten Frage, ob Alcuin dieses Kapitular ganz verfaßt hat oder ob er nur beteiligt war, vgl. H. LöwE in den Göttingisehen Gelehrten Anzeigen 214, 1962, S. 15If. 63 . . . ut, qui Deo placere appetunt recte vivendo, ei etiam placere non negligant recte loquendo. 64 FLECKENSTEIN a. a. 0., S. 59, der S. IOO bereits im Sinne meiner Ausführungen feststellt: »Zum Wesen der sapientia gehörte aber ihre >Richtigkeit<: genauso, wie sie auch zum Wesen des Glaubens gehörte.« 65 Gedruckt von C. HALM, Rhetores latini minores, Lpz. 1863, S. 525-550; dadurch ist der Abdruck bei Migne, Patrol. lat. 101 ersetzt. Zu Alcuins Vorlagen: PAUL LEHMANN, Cassiodor-Studien VIII, in: Philologus 74, 1917, S. 361 ff. (jetzt: Erforschung des Ma.s II, anast. Neudruck Stuttgart 1959, S. 89ff.). Vgl. ferner W. S. HoWELL, The Rhetoric of Alcuin and Charlemagne, Princeton 1941
(Princ. Studies in Eng!. 23); R. McKEoN, Rhetoric in the Middle Ages, in: Speculum XVII, 1942, S. 13 ff.; J. W. H. ATKINS, Engl. Literary Criticism: The Medieval Phase, Cambridge 1943, S. pff. Nach WALLACH a. a. 0., Teil I handelt es sich bei der >Rhetorik< um eine >littera exhortatoria<, gerichtet zwischen 8o1 und 804 an den Kaiser, also um einen frühen >Fürstenspiegel<. Doch hat bereits LöWE a. a. 0., S. 145f. gewichtige Einwände sowohl gegen die literarische Einordnung sowie gegen die Datierung erhoben. Zu diesen Dialogen vgl. jetzt auch: Kar! d. Gr., II: Das geistige Leben, Düsseldorf 1965, S. 26f. (W. VON DEN STEINEN) und S. 32ff., 39f. (FR. BRUNHÖLZL). 66 De orthographia, ed. ALDO MARULI, Pisa 1952. 67 V gl. hierzu A. HESSEL, Zur Entstehung der karoling. Minuskel, im Archiv für Urkundenforschung VIII, 1927, S. 201 ff. und B. BrsCHOFF, Panorama der Handschriftenüberlieferung aus der Zeit Karls d. Gr., in: Kar! d. Gr., lli: Das geistige Leben, Düsseldorf 1965, S. 238-54. 68 In diesen Zusammenhang fügt sich auch ein, daß Kar! die germanischen Heldenlieder aufzeichnen ließ, >in denen die Taten und Kriege
332
B2: n. Kar! d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
Man hat - da Alcuin elegant zu schmeicheln verstand - Abstriche machen wollen, aber der Inhalt dieser Traktate paßt so voll und ganz zu dem, was dem König am Herzen lag, nach seiner Art ihm am Herzen liegen mußte, daß man sie zu nehmen hat, wie sie lauten. Eine unverfängliche Bestätigung bieten zwei Fragen, die von Angilbert an Karls Hof aufgeworfen worden waren und - da unentschieden geblieben - vom König Alcuin zur Entscheidung übermittelt wurden: Weichen Geschlechts ist das Wort >rubus< (Brombeerstaude)? Und welche orthographische Form ist besser: >despicere< oder >dispicere 69 • Ein handgreiflicher Beweis für Karls Interesse an der Grammatik liegt noch vor in der auf sein Geheiß hergestellten, jetzt in Brüssel verwahrten Abschrift des >Liber de diversis questiunculis<, in dem der zeitweise an seinem Hofe lebende Grammatiker Petrus von Pisa Antwort auf knifflige Fragen gab 7 o. Selbst daran dachte der Kaiser, daß er in der >lingua theodisca<, die sich ja bisher in einem vegetativen, durch keine Norm geregelten Zustand befunden hatte, Ordnung schaffen müsse 71 • Einhard (cap. 29) verdanken wir die Nachricht: inchoatJit et grammaticam patrii sertnonis: sie also gleichfalls sollte >richtig< gefügt, klar geordnet sein. Karl drängte auch darauf, daß den des Lateins Unkundigen die Glaubensfragen in ihrer Sprache verständlich und eindeutig dargelegt wurden: wie war das möglich, wenn diese nicht geregelt war? Alle liturgischen Formeln und Texte in altdeutscher Sprache, die aus der frühkarolingisch en Zeit vorliegen, können daher auf die einschlägigen Erlasse Karls zurückgeführt werden; es läßt sich sogar wahrscheinlich machen, daß der Kaiser auf die altsächsische Fassung des Taufgelöbnisses einwirkte. In ähnlicher Weise hängen auch die erhaltenen Bruchstücke von Rechtstexten in der Landessprache mit Karls Wirken zusammen; doch ist es bei Ansätzen zu Übersetzungen und der Einfügung einzelner· Wörter wie >herisliz< zwecks Erder alten Könige besungen wurden<. Er sah sie - wie hätte es anders sein können! - als >wabre< Zeugnisse aus der schriftlich nicht erhellten Vergangenheit an und ließ sie deshalb für die Erinnerung festhalten (Einbard, cap. 29, S. 33: scripsit memoriaeque mandavit). Aber auch dies sollte >richtig< geschehen: Inchoavit et grammaticam patrii sermonis (ebd.). 69 Mon. Germ., Epist. IV (aevi Karo!. II) S. 26of.: A!cuini epist. Nr. 162. 70 PAuL LEHMANN, Erforschung des Mittelalters III, Stuttgart 1960, S. 70. (Dieser Aufsatz über die >Büchersammlung und Bücherschenkungen Karls d. Gr.< zeigt, daß die Tradition meist nicht stimmt oder doch fragwürdig bleibt; immerhin läßt sich Karls
weit gespanntes Interesse erkennen; die antiken Autoren nahmen jedoch keinen beherrschenden Platz ein). Feste Anhalte gewann B. BrcHoFF (Die Hofbibliothek Karls d. Gr., in: Kar! d. Gr. III a. a. 0. S. 42-62) durch Sichtung der Wortzeugnisse, durch Schriftvergleich und Eintragungen in Handschriften sowie durch die Benutzung eines Bücherkatalogs in der Berliner Hs. Diez B. 66, der als ein Verzeichnis der in der Hofbibliothek vorhandenen römischen Autoren angesprochen werden darf. 71 Vgl. zu folgendem W. BETZ, Kar! d. Gr. u. die Lingua Theodisca, in: Kar! d. Gr. Il: Das geistige Leben, Düsseldorf 1965, S. 300-6.
Grammatik, >Deutsch<, Allegorese (S. 336-337)
333
läuterung in lateinischen Erlassen geblieben. Gehalten haben sich nur einzelne neu eingebürgerte Fachausdrücke wie >Urteil< und >Urkunde<. Zu bleibendem Dank sind wir noch heute Karl verpflichtet für die >Erfindung< des Wortes >deutsch<: die Rechtssprache brauchte einen Gegenbegriff zu >lingua latina< und >lingua romana>, der die altdeutsche Sprache benannte. So wurde - wie eine ansprechende -aris< gebildet: theod(a) -isk: theodiskHypothese besagt-analog zu vernünftig< gebildet wie alles, was von Karl und seiner Umgebung geformt wurde. Nein, es war nicht einfach Schmeichelei, wenn Theodulf von Orleans - Karls geistvolle Rede preisend - ausruft: »Keiner, der dich übertrifft, da deine eingreifende Klugheit I so hoch gilt und gewiß I nie ihre Grenze erfährt.«72 Auf dasselbe läuft hinaus, was das im Jahre 799 verfaßte Epos >Karolus Magnus et Leo papa< an ihm rühmt: »Ihm allein ward es, jeden Weg des Wissens zu Ende zu gehen, in die verborgenen Pfade einzudringen, alle Geheimnisse zu kennen, da Gott ihm das Ganze vom Ursprung her enthüllt hatte« (Vers 71-81 73). Auch die gelehrtesten, auch die am weitesten herumgekommenen Zeitgenossen mußten sich ja klein vorkommen vor einem solchen, die ganze Welt nicht nur umspannenden, sondern in seinen Gedanken auch ordnenden, immer neue Fragen aufwerfenden Geiste.
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Sehr bezeichnend ist, daß Karl gegenüber der aus der Patristik stammenden und von den karolingischen Gelehrten hochgeschätzten allegorischen Bibelerklärung Vorbehalte machte. Diese war beherrscht von dem Gedanken, daß jeder Bibelstelle ein tieferer Sinn- womöglich sogar mehrere - zugrunde liege, den die Kundigen ans Licht zu ziehen versuchen müßten; insbesondere wurde das Alte Testament darauf geprüft, wo und wie es bereits auf die im Neuen Testament berichtete Heilsgeschichte hindeute. Eine große Rolle bei der Herstellung solcher Verknüpfungen spielten die Zahlen- in diesem Zusammenhang von >Zahlenmystik< zu sprechen, ist ganz unangebracht, da es sich um ein uns zwar gar nicht mehr überzeugendes, aber in sich schlüssiges Verfahren handelt. Der Nachteil dieser Methode war, daß ihre Ergebnisse nie völlige Gewißheit besaßen, da die einen Ausleger dies und die anderen das aus der Bibel herauslasen. Auf Gewißheit, auf eine gegen DeuteL.1. gefeite >Richtigkeit< kam es Karl aber auch in diesem Bereich an. Bei seiner- schon angeführten- Rückfrage, ob Dungal die Ausführungen des Fridugis über das Nichts und die Finsterheit für richtig halte, trug Karl ihm ausHier nach der Übertragung von W. VON DEN STEINEN, ebd. S. 83. 73 Ebenso nach S. 92 (das Epos gedruckt in
72
Mon. Germ., Poet. lat. I S. 366-79; über eine Neuausgabe s. S. 239 Anm. 70).
334
Bz:
D.
Kar! d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
drücklieh auf, er solle sich nicht um eine allegorische Auslegung bemühen, sondern um eine nackte Ausdrucksweise und eine nackte Niederschrift, die eine nackte Tatsache festhalte; denn wenn man gemäß allegorischer Methode nach analogen Stellen frage, seien- wie ihm wohlbekannt- sofort mehr als genug zur Hand 74 • Daher hatte Alcuin, dem diese Methode sehr lag 75 , kein Glück, als er Karl umständlich darlegte, weshalb die Sonntage vor den Quadragesimae = d. h. den Vierzigtage-Fasten vor Ostern, nach den Zahlen 6o, 70, So usw. benannt würden, obwohl es sich in jedem Falle um weniger Tage handele; zur Erläuterung hing er einen Katalog der wichtigsten Zahlen an mit Hinweisen, wo sie überall im biblischen Bereich eine Rolle spielten. Karl, der für seine Antwort nicht lange Zeit brauchte, wischte das alles beiseite und argumentierte schlicht und einfach mit den festen Tatsachen, daß es sich um abrundende Bezeichnungen handele, daß an Sonntagen nicht gefastet werde und - wenn noch weitere fastenfreie Tage eingeschaltet würden - bei der Verlängerung der Fastenzeit praktisch doch nur vierzig Tage herauskämen usw. 76 • Damit fiel Alcuins auf unsicherem Pfosten stehendes Gedankengebäude in sich zusammen, und wo der sonst von Karl so hochgeschätzte Gelehrte komplizierte Geheimnisse gewittert hatte, herrschte wieder nüchterne Klarheit - Alcuin wiederholt einmal aus einem Briefe Karls den Satz: »Klug fragen, heißt lehren.« 77 Insofern war der König auch ein sehr guter Lehrer. Die Fragen, auf die Karl in der Bibel stieß und die er beantwortet haben wollte, waren ganz sachlich: Warum- z. B. -erwähnen Matthaeus und Marcus den Hymnus nach dem Abendmahl nur, warum bringen sie ihn nicht wörtlich? 78 Wer empfängt den Lohn, für den laut Paulus die Menschen gekauft werden? 79 Fragen also, die nach ihrer Denkart völlig den Fragen entsprechen, auf die Karl in der Natur stieß: Warum verdunkelte sich die Sonne? Was war die Natur des Nichts und der Finsternis? Karl stritt also die Berechtigung der allegorischen Methode nicht ab, konnte das auch gar nicht, da ja die Theologen sie bejahten. Aber er wollte sicher gehen - eben da erwies sich die Schwäche der Allegorese. Sie lief ja darauf hinaus, daß das Wort, um dessen >Richtigkeit< sich Karl so emsig bemühte, einen doppelten Boden hatte, den man mutmaßen, aber nicht mit völliger Sicherheit ausloten konnte. Die Sicherheit, die mit Mühe >oben< gewonnen war, schwand also mnten< wieder.
74 Mon. Germ., Epist. IV (aevi Karo!. ll) S. 55 z, Epist. var. Nr. 3 5: Nihil tamen allegorice aut figurale ibi attendas, sed nudum sermonem nudamque litteram rem nudam significantem, Non enim nos latet, quid allegorice maiores nostri in bis intellegere voluerunt, quoniam si alia exempla queres, quam plurima prompta sunt (es folgen neun Bibelstellen, in denen von >tenebrae< die Rede ist).
75 Über seine Bibelexegese und deren histori-
76 77 78 79
schen Ort vgl. \Y/. HEIL, Der Adoptianismus, Alkuin u. Spanien, in: Kar! d. Gr., IU: Das geistige Leben, Düsseldorf 1965, S. 143ff. Epist. S. zz4ff.: Alcuini epist. Nr. 144-145 (798). Ebd. S. 205: epist. Nr. 136 (Z. 19 mitAnm. r). Ebd. S. 471 ff.: epist. Nr. 308. Ebd. S. 466ff.: epist. Nr. 307.
Allegorese- Personifikationen (S. 337-339)
335
Auf derselben Ebene liegt, daß Karls Berater - sicherlich auch er selbst - Personifikationen mißbilligten: diese waren nicht nur anstößig wegen ihrer Beziehungen zur heidnischen Götterwelt, sondern auch deshalb, weil sie für etwas gesetzt wurden, was die Sinne unmittelbar wahrzunehmen imstande waren; sie entsprachen nicht der Wahrheit, sie verunklärten also. Diese Auffassung ist einem Kapitel der >Libri Carolini< zu entnehmen, das gegen die aus der Antike stammenden Personifikationen polemisiert80 • Der Kunst komme die Aufgabe zu, einerseits den Betrachtern die Erinnerung an das Geschehene >in veritate< vor Augen zu führen, andererseits die Sinne aus der Erdichtung so herauszuführen, daß sie die >veritas< von neuem pflegen könnten, oder umgekehrt ausgedrückt: die Kunst solle sichtbar machen, was ist, war oder sein kann, dürfe auch das, was nicht ist, war, was auch nicht sein kann, sichtbar machen, aber das Erdichtete dürfe der Bibel nicht widersprechen, wie das z. B. bei den Personifikationen des Abyssus und Tellus, dargestellt in menschlicher Gestalt, oder bei Sol und Luna, wiedergegeben als Gesichter mit Strahlen der Fall ist (es folgt ein langer, gelehrter und sich auf Isidor stützender Katalog von solchen anstößigen Personifikationen). Kurz - so läßt sich das lange Kapitel zusammenfassen - die Kunst sei nur so lange berechtigt, als sie >pro veritate< ausgeübt werde und das heißt in unserem Zusammenhang: wenn sie eindeutig sei, also die Wirklichkeit abschreibe, wie sie ist, und Erdichtetes nur soweit zulasse, als sich die Angaben der Bibel damit vereinbaren ließen. Hier haben wir den dritten Schlüsselbegriff, der Karls Denkart bestimmte: die }Wahrheit<. Er überhöht die Begriffe >Richtigkeit< und >Ordnung< und schließt sie zusammen: ob etwas richtig ist, ob es der rechten Ordnung entspricht, bestimmt sich letzten Endes dadurch, ob es mit der Wahrheit vereinbar ist. Diese aber ist überzeitlich: ist sie vorhanden, muß sie bewahrt, ist sie verschüttet, muß sie wiederhergestellt werden. Insofern schließen sich >richtig<, >in Ordnung< und >Wahrheit< zusammen. So Mon. Germ., Concilia, Supplementum (1924) S. 15off.: ill, cap. 23. Vgl. bes. S. 15of., Z. 38 ff.: Picturae interea ar.r cum hoc inoleverit, ut rerum in veritate ge.rtarum memoriam a.rpicientibu.r deferret et ex mendacio ad veritatem reco!endam mentes promoveret, versa vice interdum pro veritate ad mendacia cogitanda .ren.ru.r promovet et non so/um il!a, quae aut sunt aut juerunt aut fteri possunt, .red etiam ea, quae nec sunt nec fuerunt nec fteri po.rsunt, vi.ribu.r defert. Zu dem Kapitel II, 23 vgl. auch ANN FREEMAN, Theodulf of Orleans and the Libri Carolini, in: Speculum 32, 1957, S. 7oif. Instruktiv ist hier das Gedicht XLV Theo-
dulfs von Orleans (Mon. Germ., Poet. lat. I, S. 543 f.): De libris quos !egere so!ebam et qua!iter fabu!ae poetarum a phi!osophis mystice pertractentur. Hier heißt es in Vers 20: Plurima sub fa/so Iegmine vera latent. Vor allem geht der Dichter auf Cupido ein. Über die neue Art der Monatsdarstellungen (Menschen bei den für die einzelnen Monate bezeichnenden Tätigkeiten), die ohne Personifikationen auskam, eine karolingische Schöpfung, die nur in Einzelheiten auf ältere Typen zurückzugreifen brauchte, vgl. S. 3 II Anm.
28.
Bz: D. Karl d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
e) Die von Kar! bewirkte >Correctio< (nicht >Renaissance<) Ad recolendam veritatem: um die Wahrheit von neuem zu pflegen- in dieser Wendung ist zusammengefaßt, worum es ging bei der Wiederherstellung des authentischen Wortlauts der Bibel-, Liturgie- und Gesetzestexte, bei der Vertiefung des Wortverständnisses durch die Verbesserung des Unterrichts und beim Ausbau der >Artes liberales<, bei der Wiederherstellung der richtigen Orthographie und der Bereinigung der verwilderten Schriftformen, bei der Säuberung der Kunst von jenen >nichtwahren< Gestalten, die im Widerspruch zur Bibel standen: »um die Wahrheit von neuem zu pflegen«, die - so dürfen wir hinzusetzen -letztlich im Schoße Gottes ruht und um die sich zu bemühen daher eine religiöse Verpflichtung sowie eine moralische Aufgabe bedeutete. Man hat seit langem gespürt, daß diese scheinbar auseinanderlaufenden Bestrebungen im Grunde zusammengehören. Man hat sie deshalb unter der Bezeichnung >Karolingische Renaissance< zusammengefaßt und dadurch zu einem Vorstadium der >Renaissance< des späten Mittelalters und der beginnenden Neuzeit gemacht. Durch solche Namensdehnung ist jedoch der Vorgang, der sich in der karolingischen Zeit abspielte, in eine falsche Perspektive gerückt, und es ist viel geschrieben worden, um zu klären, wie weit der auf das 8./9· Jahrhundert übertragene >RenaissanceRenovatio< auszugliedern ist82 • Zur Erörterung stehen hier also die kulturellen Bestrebungen der karolingischen Zeit. Sollen wir für sie weiter den Namen >Renaissance< ausleihen, der ja seit JACOB BuRCKHARDT einen festen, Vgl. außer FLECKENSTEIN auch A. MoNTEVERDI, Il problema del Rinascimento carolino, in: I problemi della civilta carolingia, Spoleto 1954 (Settimane di studio del Centro Italiano di Studi sull' alto Medioeva I) sowie den Überblick, den auf dieser Tagung (1953) PAUL LEHMANN gab: }Das Problem der karol. Renaissance< (zuerst in: I problemi della civilta carolingia, ebd. 1954, S. 309-356, jetzt in: Erforschung des Mittelalters II, Stuttgart 1959, S. ro8-r38; vgl. bes. S. 138: Verzeichnis der wichtigsten Lit.). S. auch R. KöMSTEDT, Zur Anwendung des Stilbegriffes >Renaissance< auf frühma.liche Kunst, in: Aus Ma. u, Neuzeit, Festschrift G. KALLfu"', Bonn 1957, S. 317-25, Den Vorgang, wie die Autoren sich die klassischen Autoren aneigneten und als Vor-
bild benutzten, behandelt instruktiv H. LrEBESCHÜTZ, Theodulf of Orleans and the Carolingian Renaissance, in: FR1TZ SAXL 1890-1948. A Valurne of Memorial Essays ed. by D. ]. GORDON, London 195 I, s. n-92· S, jetzt auch W. VON DEN STEINEN a. a. Ü., S. r8f. ERNA PATZELT hat ihr 1923 erschienenes Buch >Die Karolingische Renaissance< anastatisch, d. h. unverändert wieder abgedruckt (Graz 1965); es liegt daher kein Anlaß vor, auf ihre Darlegungen, die der heutigen Problemlage nicht mehr entsprechen, einzugehen. 82. P. E. ScHRAMM, Kaiser, Rom und Renovatio. Lpz. und Berlin 1929 (2. Auf!.: anast. Neudruck mit Nachträgen; Darmstadt 1957).
>Correctio<, nicht >Renaissance< (S. 339-341)
337
auch zeitlich eingegrenzten Begriffsinhalt hat? Wir sagen: Nein! und führen dafür die beiden Begründungen an, die uns die wichtigsten dünken: Die Bezeichnung >Wiedergeburt< paßt auf die karolingische Zeit deshalb nicht, weil sich nicht etwas vollzog, was sich irgendwie mit dem biologischen Vorgang >Geburt< vergleichen ließe. In ihr handelt es sich vielmehr um die Auswirkung eines einzelnen überragenden Menschen, der ihn wollte und seinen Willen auf den verschiedensten Gebieten durchsetzte: nicht nur an seinem Hof und im Umkreis der ihm geistig Nahestehenden, sondern in dem Riesenraum seines Reiches. Mochte manches auch bereits >in der Luft gelegen< haben, möchte vieles auch zustande gekommen sein, selbst wenn Karl nicht eingegriffen hätte, auf ihn ist und bleibt zurückzuführen, daß Dichter, Theologen, Gelehrte, Schreiber, Maler, Architekten trotzder Unterschiede ihrer Interessen in gleicher Richtung antraten, daß Franken, Langobarden, Westgoten, Angelsachsen, Iren sich zu gemeinsamem Werk zusammenfanden: Karl war es, der bewirkte, daß - im langen Ablauf der Geschichte gesehen, fast schlagartig - ein neues Kapitel in der Kunst- und Geistesgeschichte begann. Um diesem Faktum Rechnung zu tragen, müssen wir nach einem anderen Wort als >Renaissance< =Wiedergeburt suchen, einem Wort, in dem diese actio zum Ausdruck kommt. Gegen solche Bezeichnung spricht ferner ein zweites, ebenso gewichtiges Argument. Karls kulturelle Bemühungen waren nicht auf die Antike als solche ausgerich'tet, wie das bei den Bestrebungen einer politischen >Renovatio imperü Romanorum< der Fall war. Sie griffen nur insoweit auf die Antike zurück, als sie >Wahres< und >Richtiges< anzubieten hatte; trat ihr heidnischer Charakter in allzu deutlichen Gegensatz zum Christentum, führte sie etwa- wie im Falle der Personifikationen- auf falsche Bahn, war sie abzulehnen. In anderen Fällen - so in der Theologie, in der Liturgie, in der Architektur- war das >Wahre< und >Richtige< nicht von der heidnischen Antike zurückzugewinnen, sondern erst vom Zeitalter der Kirchenväter. War das, was die angelsächsischen, irischen, westgotischen, langobardischen Berater zu vermitteln hatten, >richtiger< als das den Franken Vertraute, dann mußte dies dem Fremden Platz machen. Also : Karls kulturelles Bemühen war in keiner Weise historisch ausgerichtet, sondern sachlich: Wie immer und wo immer >Wahres< und >Richtiges<, das den Weg zu weisen ·vermochte, aufzuspüren war, wurde es genommen- wäre in Karls Zeit bereits der Zugang zum Wissen der Araber geöffnet gewesen, kein Zweifel, daß auch deren Wissensschätze ausgenutzt worden wären. Die Bezeichnung >Karolingische Renaissance< führt also auf doppelte Weise in die Irre. Wie aber soll man den zugrunde liegenden Vorgang benennen? In Fällen von dieser Art hält man sich am besten unmittelbar an die Zeitgenossen: Welche Wörter gebrauchten sie, um zu bezeichnen, was vor ihren Augen, womöglich mit ihrer Mitwirkung sich vollzog? Wir führen noch einmal die Verben an, die in diesem Zu-
22
Schramm, Aufsätze I
Bz: n. Karl d. Gr.: Denkart und Grundauffassungen
sammenhang benutzt worden sind83 : corrigere, emendare, meliorare, restituere, renovare, reformare, revocare. Die mit der Vorsilbe re- gebildeten Verben waren bereits seit der patristischen Zeit so oft benutzt worden, daß sie in ihrer Bedeutung schillerten; sie hatten auch meist einen kirchenhistorischen Klang angenommen, wiesen also zeitlich zurück 84 • Wollten wir von einer >Emendatio< sprechen, so wäre- da dieses Wort nicht >aktiv< genug ist- nicht im vollen Umfang eingefangen, daß es sich um die planmäßige Wiederherstellung des >Wahren< und >Richtigen< handelt. Das aber tut der Begriff >Correctio<85 • Wir schlagen deshalb vor, die schiefe Bezeichnung >karolingische Renaissance< ganz fallen zu lassen und - soweit es sich nicht um politisch ausgerichtete, bewußt an der Antike (einschließlich der christlichen Antike) orientierte Bestrebungen handelt, sondern um die von Karl dem Großen gesteuerten kulturellen Bemühungen zu sprechen von der >karolingischen Correctio<. Bei einer >von oben< bewirkten und gelenkten Bildungsreform ist es ja meist so gelaufen, daß die nächste Generation sich gegen sie wandte, also die Geschichte bald über sie hinwegschritt. Im Falle der >Correctio< Karls geschah es dagegen, daß sein Sohn, beraten von Benedikt von Aniane und anderen Geistlichen, sie fortsetzte, jedoch einengte. Es ist, als wenn die zweite Generation in der Weite des geistigen Raumes, der von Karl nach allen Seiten geöffnet worden war, der Schwindel erfaßte und sie zwang, nach einem festen Geländer zu greifen, das ihr Halt bot: das aber, konnte nur das christliche sein. >Christiana religio< hatte bereits auf der Reversseite von Karls Denaren gestanden; auf den Münzen Ludwigs, dem die Kirche zum Beinamen >der Fromme< verhalf, bekam diese Legende etwas Ausschließendes. Es war daher folgerichtig, daß der Sohn die vom Vater gesammelten germanisch-heidnischen Heldenlieder verbrennen ließ. Da aber Karl keine >Renaissance< eingeleitet hatte, sondern eine Correctio, die die Wahrheit anstrebte und das >Richtige<, sofern es entstellt war, wieder herstellte, setzte diese Generation das, was an Karls Werk das Wesentlichste gewesen war, fort, und die dritte Generation, die Karls des Kahlen, tat dies gleichfalls. Sie fühlte sich wieder sicherer und öffnete sich daher von neuem Anregungen, die sich ihr anboten. Nach 83 Vgl. oben S. 330. 84 Reiches Material zur Geschichte dieser und verwandter Begriffe bei GERHART B. LADNER, The Idea of Reform. Its Impact on Christian Thought and Action in the Age of the Fathers, Cambridge (Mass.) 1959 (533 S.); vgl. das ergiebige Register. Die Stellen, in denen in Alkuins Briefen corrigere begegnet, verzeichnet W. EDELSTEIN, eruditio und sapientia. Weltbild und
Erziehung in der Karolingerzeit. Freiburg i. Br. 1965. Es handelt sich um: S. 150 Z. 35; 155 Z. 3I und 33; S. I7I Z. 29; S. r8o Z. r; S. I8I Z. 5· 85 Natürlich berührten sich >Correctio< und >Renovatio<, und daher lassen sich Belege anführen, die für beide Bestrebungen zugleich Zeugnis ablegen; vgl. die Nachweise bei LEHMANN a. a. 0., S. urf. und FLEKKENSTEIN a, a, 0., S. 94ff.
>Correctio< - Karl als Gestalt der Geschichte (S. 341-343)
339
der geistigen Struktur der Zeit gingen sie vornehmlich von der Hinterlassenschaft der Antike aus: in der zweiten Hälfte des 9· Jahrhunderts ist ihre Bedeutung größer als je in der Zeit Karls des Großen, aber doch nicht so, daß für diese dritte Phase die Bezeichnung >Renaissance< gerechtfertigt wäre. Auf der in diesem Jahrhundert gelegten Grundlage haben dann die folgenden weiter~ebaut. Karls >Correctio< ist von den beiden folgenden Jahrhunderten zwar abgewandelt, aber fortgesetzt worden. Sie war keine Episode, sondern ging als einer der wichtigsten Vorgänge des ganzen Mittelalters in die Geschichte ein.
j) Kar! als Gestalt der Geschichte Es wäre verlockend, von den beiden Begriffen >Ordnung< und >Richtigkeit< aus, die sich als die Karls Denkart beherrschenden herausstellten, die politische und kirchliche Wirksamkeit des großen Franken zu durchleuchten, aber wir würden dann einen schon viel erörterten Bereich betretenss. Aber eines sei doch zu bedenken gegeben. Warum ist Karl nicht als Eroberer und Unterjocher in die Geschichte eingegangen? Denn betrachtet man, was er von 768 bis 814 bewirkte, als Ganzes, dann ist er einer der größten Umstürzer, den das Mittelalter erlebt hat. Er unterwarf oder machte sich gefügig die Sachsen, die Slaven an der Ost- und Südostgrenze, die Bayern, die Langobarden und Beneventaner, die Spanische Mark und Aquitanien. Aber in jedem dieser Länder ging Karl verschieden vor, wie es die Gegebenheiten ihm geboten scheinen ließen, hier Recht und Tradition schonend oder sogar neu belebend, dort Neuesan die Stelle des Alten setzend, wo das Bisherige nicht auslangte: Neues, aber nicht gewaltsam Umstürzendes, sondern dem Verstande Einleuchtendes. Im Bereiche der Politik hat Karl etwas von einem Architekten, der eine Aufgabe von bisher noch nicht geforderter Größe anpackt, alles benutzt, nichts überstürzt und schließlich einen Bau zusammenfügt, dessen Teile sich überzeugend zusammen-
86 In diesem Zusammenhang würden auch die von Kar! von etwa 780 an vorangetriebene Wiederherstellung der alten Metropolitanverbände - auch hier dürfen wir von einer >Correctio< sprechen - und ihr weiterer Ausbau zu würdigen sein. Bei seinem Tode war der Kaiser daher ja imstande, 2 I Erzbischöfe mitLegatenzu bedenken, vondenen wiederum je zwei Drittel an die ihnen unterstellten Bischöfe fielen (s. S. 31 5); d. h. es gab keinen Bischof, der nicht mehr einen Oberen hatte.
Die Kirche war jetzt gleichfalls so >überschaubar< gemacht, daß sich auch von ihr leicht eine >tabula< hätte entwerfen lassen; in diesem Falle wäre jedoch nicht der Kreis, sondern die Pyramide angemessen gewesen. Zu dem Datum dieses Vorgangs s. D. BuLLOUGH, The Dating of the Codex Carolinus Nos. 95-97, Wilchar, and the Beginning of the Archbishopric of Sens, im Deutschen Archiv 18, 1962, S. zz8.
Bz:
D.
Karl d. Gr.: Denkart und Grundauffassu ngen
schließen, weil den Architekten außer der Tradition auch ein konstruktive s Ingenium leitete. So ist Karls Riesenreich als solches zwar wieder zerbrochen, weil keiner seiner Nachkomme n mehr sein Riesenmaß erreichte; aber die von ihm geschaffene Ordnung bildete fortan die Grundlage für die politische Gliederung des Abendlandes. Das ist sicherlich kein Zufall; denn in Karls Schöpfung, die in so einmaliger Weise Tradition und Neuerung verband, war so viel >Richtiges<, daß selbst der Eigennutz der rivalisierenden Enkel und Urenkel das nicht wieder beseitigen konnte. Noch zu Lebzeiten Karls hat der von ihm wegen seiner astronomischen Kenntnisse um Auskunft gebetene irische Mönch Dungal einmal versucht, die nach allen Seiten ausstrahlende Wirkung des ersten abendländischen Kaisers in Worte zu fassen. Sie sind im Ton der herkömmlich en Panegyrik an Karl gerichtet, treffen aber doch das Richtige: in dieser Welt, die jetzt von den Franken beherrscht werde, sei- so heißt es in seinem Brief- Karlallen ein Lehrer durch seine guten Werke, Tugenden und geistigen Interessen, und er gebe ihnen ein in der Geschichte noch von niemand erreichtes Beispiel: den Beamten beim Verwalten, den Kriegern im Waffendienst, den Geistlichen beim Bewahren der christlichen Religion, den Philosophen und Gelehrten bei der Klärung der menschlichen und geistlichen Dinges 7 • In der Inschrift über Karls Grab, die kürzer gefaßt sein mußte, ist nur von Karls politischer Leistung die Rede: »Unter diesem Grabmallieg t der Körper Karls, des großen und rechtgläubigen Kaisers, der das Reich der Franken, Ehre bringend, vergrößerte und, vom Glück geleitet, siebenundvierzig Jahre lang herrschte.« Der lateinische Text, bestehend aus zwei Hälften mit fast gleicher Silbenzahl, die zweite Hälfte in zwei gleich gebaute Viertel geteilt, nicht metrisch, aber auch nicht Prosa, setzt sich aus Wortgliedern von 5-8 Silben zusammen und ist für das Ohr gefällig abgestimmt, also wohlgeordne t und -gezählt, deshalb des Toten würdig und angemessen. Die Inschrift (Titulus) lautet: Sub hoc conditorio situm est c6rpus Karoll magni atqueorthod oxi imperat6ris, qui regnum Franeorum nobiliter ampliavit
87 Mon. Germ., Epist. IV (aevi Carol. II) S. 577: Dungali epist. Nr. r (a. Sn). Über die Karl von den Zeitgenossen und der folgenden Generation gespendeten Lobsprüche vgl.
P AUL LEHMANN, Erforschung des Mittelalters I, 1941 (Neudruck Stuttgart 1959), s. l54ff.
Kar! als Gestalt der Geschichte (S. 343-345)
341
et per annos quadraginta septem feliciter re:xitBB. Vielen ist im Laufe der Jahrhunderte der Ehrenname >der Große< zugesprochen worden. Bei manchen müssen wir in Frage stellen, ob das einst berechtigt war, zum mindesten: ob das heute noch berechtigt ist. Niemals kann jedoch ein Zweifel auftauchen, daß die Zeitgenossen und die ihnen Nachfolgenden recht hatten, wenn sie sprachen von KAROLUS MAGNUSB 9 • 88 Überliefert bei Einhard cap. 3I (S. 3 5f.). Es folgt: noch die - sich jedem Wohlklang widersetzende - Angabe des Alters und des Todesdatums: Dece.r.rit septuagenarius anno Domini DCCCXIIII, indictione VII, V. Kai.Febr. Die erste Hälfte umfaßt I I Wörter mit 27 Silben, die zweite 12 Wörter mit 30 Silben. Bei Einhard heißt es vorher: Titulus ille hoc modo descriptus est: Sub etc. Nicht überliefert ist vor ihm ein Chrismon, das in dieser Zeit nicht nur an den Anfang jeder Urkunde, sondern auch an den von Grabinschriften gehört. Ist es etwa bei der Abfassung - dreisilbig aufgelöst (In Deo? In Christo?)- mitgezählt? Handelt es sich also um 30 + 30 = 6o Silben (d. h. 1/ 2 Großhundert)? Zur Lage des Karlsgrabes vgl. H. BEuMANN, Grab und Thron Karls d. Gr., in: Kar! d. Gr. Lebenswerk u. Nachleben IV, Düsseldorf 1967, S. 1-38; er folgert aus den Wort-
Zeugnissen, daß Kar! im Freien vor dem Westeingang begraben worden sei, vor dem schon damals ein das Atrium beherrschender Thron seinen Platz gehabt habe. Solange die von ihm vermutete Stelle nicht untersucht ist, läßt sich zu dieser These nichts Entscheidendes sagen. Dombaumeister F. KREuscH lehnt sie ab (vgl. Anm. 50a zu Abschnitt A). 89 Über >Magnus< als Beinamen Karls vgl. PAUL LEHMANN, Erforschung a. a. 0., I, S. 129ff. Über »Magnus = der Ältere« s. den Aufsatz mit diesem Titel von W. KIENAST in der Histor. Zeitschr. 205, I967 S. I-I4. Dieser Ehrenname ist hellenistischen Ursprungs; von den römischen Kaisern erhielten ihn nur Konstantin, Theodosius und Theoderich; vgl. PETER P. SPRANGER, Der Große. Untersuchungen zur Entstehung des histor. Beinamens in der Antike, in: SaeculumiX, I958, S. 22-58.
ANHÄNGE
I.
>KARL DER GROSSE ODER CHARLEMAGNE?<: STELLUNGNAHME DEUTSCHER
HISTORIKER IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS (BUCHBESPRECHUNG)
Karl der Große oder Charlemagne? Acht Antworten deutscher Geschichtsforscher. (KARL HAMPEHeidelberg: Die Persönlichkeit Karls I HANs NAUMANN-Bonn: Karls germanische Art I HERMANN AUBIN-Breslau: Die Herkunft der Karolinger I MARTIN LINTZEL-Kiel: Die Sachsenkriege I FRIEDRICH BAETHGEN-Königsberg: Front nach Osten I ALBERT BRACKMANN-Berlin: Das Kaisertum Karls des Großen I CARL ERDMANN-Berlin: Der Name Deutsch I WoLFGANG WINDELBAND-Berlin: Charlemagne.) BerlinE. S. Mittler & Sohn, 1935 (124 S.). Zuerst in der Deutschen Literaturzeitung 57, 1936 Sp. 1839-42.
Was das Buch will, kann man nicht besser kennzeichnen als das Vorwort selbst: »In dem jüngst entbrannten Streit um die Gestalt Karls des Großen nimmt die deutsche Geschichtswissenschaft einen einheitlichen Standpunkt ein. Wir :Mitarbeiter an diesem Buche fühlen uns verpflichtet, diesen Standpunkt in der Öffentlichkeit zu vertreten und die Auffassung darzulegen, zu der wir auf Grund eingehender Prüfung der Geschichtsquellen jener Zeit gekommen sind. Wir tun es um der Wahrheit willen, weil vieles, was über Karl den Großen behauptet wird, nachweisbaren Tatsachen der Geschichte widerspricht; nicht minder aber um Deutschlands willen, das sich durch Preisgabe dieser überragenden Persönlichkeit selbst schädigen würde.« Auch wer anderer Meinung ist, wird zugeben, daß das Buch kaum besser ausgefallen sein könnte. Nach einem ebenso geschlossenen wie lebendigen Bilde der (Sp. r84o) Persönlichkeit (HAMPE) eine Skizze seiner Bedeutung für die altdeutsche Literatur (NAUMANN), an die sich später ein Sonderbeitrag über die Entwicklung des Namens >Deutsch< (ERDMANN) anschließt, da auch sie durch Karls Wirken bestimmt war; dazwischen der schlüssige Beweis seiner rein germanischen Abstammung (AuBrn) und der nachdrückliche Hinweis, was Karl für den Aufbau der germanischen Ostgrenze von der Adria bis zur Ostsee bedeutet (BAETHGEN); schließlich auch Sonderbeiträge über die zwei am meisten umstrittenen Probleme im Leben Karls: einer über die Sachsenkriege (LrNTZEL) und einer über das Kaisertum und die römische Kirche (BRACKMANN). Sehr zum Nachdenken zwingt WINDELBANDS Abschluß: >Charlemagne in der französischen Ausdehnungspolitik<; denn er zeigt, wie diese immer den in das Französische umgedeuteten Karl gegen uns ausgespielt hat. Sollen wir ihr also Karl überlassen? Der ungenannte Redaktor 1 hat gute Arbeit in der Aufteilung der Aufsätze, der Auswahl der Mitarbeiter und in der Abstimmung der Teile auf das Ganze geleistet. Wo einmal dasselbe angeführt wird, geschieht es unter anderer Beleuchtung und I Es handelte sich um - was damals besser nicht ausgesprochen wurde, aber der >Zunft< be-
kannt war - CARL ERDMANN (1898-1945), dessen Andenken dieser Band gewidmet ist.
Karl d. Gr. oder Charlemagne?
343
wirkt deshalb um so nachdrücklicher. Darin liegt auch im ganzen die Kraft des Buches, daß acht sehr verschieden geartete Forscher von ganz verschiedenen Ecken ausgehen und doch alle zu dem - jeweils neubegründeten - Spruche kommen: Karl war groß, ist aus der germanischen Welt heraus zu verstehen und leistete Ungeheures für die Vorbereitung Deutschlands. Und da ein jeder der Beteiligten einen in der Wissenschaft anerkannten Namen einsetzt, ist das Urteil um so gewichtiger. Daß sie alle es außerdem verstanden haben, flüssig, faßbar und doch gediegen zu schreiben, muß hervorgehoben werden, da das Gegenteil - mit Recht oder Unrecht - vom deutschen Professor vorausgesetzt wird. Wenn die wissenschaftliche >Zunft< auch in Einzelfragen wie der der sächsischen Stände, der V argeschichte der Krönung u. a. noch streitet, so ist sie in der Grundauffassung - eben der des Buches - einig. Damit ist manches, was früher gesagt wurde, stillschweigend für überholt erklärt worden; und anderes was sich unterscheidet, ist als Sondermeinung gekennzeichnet. Vor allem ist einmal in großen Zügen umrissen, was als gesichertes Ergebnis der Forschung angesehen werden kann. Inzwischen sind schon wieder neue Schriften über Karl und Widukind erschienen. Aber das (Sp. 1841) öffentliche Interesse, das die Streitfrage so leidenschaftlich aufgegriffen hatte, ist mittlerweile nicht mehr so stark mit ihr beschäftigt. Da von der Wissenschaft gesagt wurde, was im Augenblick zu sagen ist, kann sie von sich aus jetzt nur fragen, was sie aus der Kontroverse gelernt hat, um danach die weitere Arbeit auszurichten. Mancherlei ließe sich zu diesem Thema sagen - es würde den Rahmen einer Anzeige sprengen. Ich beschränke mich daher auf einige Hinweise. Der Streit wäre vereinfacht gewesen, wenn der Prozeß, wie durch einzigartige Schicksale aus den germanischen Stämmen das deutsche Volk geworden ist, uns allen deutlicher vor Augen stünde. Wir sind immer in der Gefahr, ihn als eine Selbstverständlichkeit hinzunehmen und danach unsere Urteile einzurichten; der Kampf der Sachsen erfolgt jedoch in einer Zeit, als auch noch andere Möglichkeiten offen standen 2 • Wir haben deshalb die Aufgabe, immer wieder deutlich zu machen, wie das Karolingische Großreich zum >regnum Teutonicorum< mit seinen Stämmen geworden ist und wie selbst diese Einheit noch weiterhin in Frage gestellt worden ist. Wem dieser Vorgang klar vor Augen steht, wird auch wissen, wo er die Maße für seine Urteile herzunehmen hat. Dazu gehört, daß wir uns und andere schulen, hinter der Fülle der Ereignisse die durchgehenden Linien unserer Geschichte zu erkennen. Sie ist beherrscht durch den Kampf um die Frage, wer im Reiche führen soll. Ihn haben die Salier gegen die 2
V gl. jetzt R. WENsKus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gen/es, Köln-Graz 1961 (656 S.); dazu
meine dieses Buch rühmende Besprechung in: Gesch. in Wiss. u. Forschung XII, 1962 S. 599f.
344
Anhänge: Buchbesprechungen
Sachsen, die Staufer gegen die Welfen, schließlich die Habsburger gegen die Robenzollern geführt. Eingeleitet wird er durch das Ringen Karls mit Widukind. Wer sich mit ihm auseinandersetzt, muß die ganze deutsche Geschichte bis Königgrätz im Blicke haben. Neben den politischen Wertungen die geistigen. In dem Streit ist viel von >Romanisierung< die Rede gewesen. Was kann dies Wort bedeuten? Es ist unsere Aufgabe, deutlicher zu machen, was darunter verstanden werden kann und was nicht. Rom, die Stadt der Kaiser und Päpste, der antiken Autoren und der Kirchenväter, hat im Laufe der Jahrhunderte sehr viel anzubieten gehabt. Aber es konnte nie im Gesamt eine Wirkung ausüben- oft ist >Rom< durch >Rom< besiegt worden; man denke nur daran, wie Friedrich II. es verstanden hat, was geistig von >Rom< herkam, gegeneinander auszuspielen. Hier ist also zu zeigen, wie unendlich verwickelt und oft gegenläufig die geistige Auseinandersetzung, die durch das ganze Mittelalter hindurch über die Alpen hinweg geführt wurde, verlaufen ist (Sp. 1842). Dem Verständnis dieses Vorganges steht vor allem die übliche, unglückselige Metapher >Einfluß< im Wege, die aus der Arznei und der Chemie entnommen ist und ihre Herkunft aus dem mechanistischen Denken immer von neuem dartut. Geistige Beziehungen sind aber Auseinandersetzungen zwischen zwei Partnern, bei denen der Nehmende - ob gewollt oder nicht - umdeutet, ändert, seiner Art anpaßt. Für die Kunstgeschichte, die Literaturgeschichte sind das Selbstverständlichkeiten; aber diese Betrachtungsweise ist doch wohl noch zu sehr Besitz der Einzelwissenschaften3 • Wichtig ist das besonders für das Problem der >Christianisierung<, das in dem Karisstreit gleichfalls eine so große Rolle gespielt hat. Was heißt denn >Annahme des Christentums Das ist ein Prozeß, in dem die Taufe einen einzelnen Augenblick bedeutet; denn er umfaßt Jahrhunderte und ändert dabei das Christentum. Der neue Glaube ist eben nicht eine Substanz, die >einfließt< und nun da bleibt, sondern eine geistige Größe, die dem geistigen Ringen ausgesetzt bleibt - bis heute. Auch unter diesem Gesichtspunkt bedeutet der Kampf Karls mit den Sachsen nur eine Phase, die nicht aus sich selbst verstanden und gewertet werden kann. Der eine wird diese, der andere jene Folgerungen aus der Kontroverse ziehen, in die der angezeigte Sammelband eingreifen wollte. Viele Mühe ist auf sie verwandt worden - sie wird nicht vertan sein, wenn wir für unsere weitere Arbeit aus ihr gelernt haben.
Hit/er unterband in der Folgezeit die Polemik gegen den >Sachsenschlächter< Kar/ - man erzählte sich damals, daß ihn die Gedankengänge des angezeigten Buches dazu veranlaßt hätten. I!J42 wurde in Aachen der I 200. Geburtstag Karls des Großen offiziell gefeiert.
3 Vgl. dazu in diesem Bande den einleitenden Abschnitt und einen weiteren in Band IV.
Karl d. Gr. in Kult und Legende
II.
345
DAs NACHLEBEN KARLS DES GRossEN IN LEGENDE UND LrruRGIE (BUCHBESPRECHUNG)
RoBERT FoLz: Le souvenir et Ia legende de Charlemagne dans l'empire germanique medieval, Paris (Soc. d'edition Les Beiles Lettres) I950 (Pub!. de l'Universite de Dijon VII; 624 S. mit 1 Karte). - : Etudes sur Je culte liturgique de Charlemagne dans l'eglise de !'Empire, Paris (ebd.) I95I (Pub!. de Ia Faculte des Lettres de l'Universite de Strasbourg Fase. II5; I46 S. mit I Karte)*.
Seit der klassischen >Histoire poetique de Charlemagne< von GASTON PARIS (1865, 2. Aufl. 1906) hat die Karlslegende die Federn nicht ruhen lassen. Aus neuester Zeit
sei an den Überblick erinnert, mit dem 1934 (2. Aufl. 1939) A. KLEINCLAUSZ sein Buch über Karl den Großen abrundete (Kap. 2o-24). Im gleichen Jahr erschien PAuL LEHMANNS Münchner Sitzungsbericht über »das literarische Bild Karls des Großen, vornehmlich im lateinischen Schrifttum des Mittelalters«, im folgenden der von CARL ERDMANN redigierte Sammelband >Karl der Große oder Charlemagne<, der am Schluß auf die Wandlung des Karlsbildes einging; 1939 folgte eine Arbeit von R. KösTER über »Karl d. Gr. als politische Gestalt in der Dichtung des deutschen Mittelalters« (Hansische Forsch. II). Aus der Zeit nach dem Kriege ist noch nicht viel zu verzeichnen: in den Berichten der Leipziger Akademie eine Studie von Ph. A. BECKER über »die Heiligsprechung Karls des Großen und die damit zusammenhängenden Fälschungen« (1944/8 Nr. 3, 1947) und in den Berichten der Münchner Akademie eine über den Hauptverbreiter der Karlslegende wohl endgültige Klarheit schaffende Analyse aus der Feder von A. HÄMEL: »Überlieferung und Bedeutung des Liber sancti Jacobi und des Pseudo-Turpin« (1950 Heft z, 1950). Die Einschätzung, die Karls Gegner, der Sachse Widukind, im Laufe der Jahrhunderte bei den Historikern erfahren hat, überprüfte 1936 in der Histor. Zeitschrift E. RUNDNAGEL. Daß die Legenden und Sagen, die sich an ihn gehängt haben, zum größten Teil erst im Laufe der Neuzeit sich bildeten und verbreiteten und welche
* Zuerst in der Zeitsehr. f. Rechtsgesch. 69, German. Abt., I952 S. 539-42. In seiner Anzeige in der Histor. Zeitschr. I8o, I955 S. 312-q, die gleichfalls voll Lobes ist, zählt H. GRUNDMANN die bis dahin erschienenen Besprechungen auf (S. 312 Anm. I). V gl. jetzt den ergänzenden Aufsatz: Aspects du culte liturgique de Saint Charlemagne en France, in: Karl d. Gr., IV: Das Nachleben, Düsseldorf I967 S. 77-99. Der V erf. ist dann noch dem Andenken von zwei weiteren Herrschern nachgegangen: Vie postume et culte de Saint SIGISBERT
roi d'Austrasie, in der Festschrift für PERCY ERNST ScHRAMM I, Wiesbaden I964 S. 7-26 und La Legende liturgique de Saint SIGISMONT d'apres un manuscript d'Agaune, in: Speculum Historiale, Freiburg-München I965 S. Ip-66. Zu vermerken ist auch noch B. DE GAIFFIER, La legende de Charlemagne. Le peche de l'empereur et son pardon, in: Recueil de Travaux offert a M. CLOVIS BRUNEL; Paris 1955 s. 490-503·
Anhänge: Buchbesprechungen
Rolle dabei der Humanismus als Pate spielte, hat 195 I H. HARTWIG überzeugend nachgewiesen. So ließe sich noch manches aufzählen. Aber was uns bisher fehlte, war eine Zusammenfassung, und diese hat uns jetzt RoBERT FaLZ von der Universität Dijon in einem stattlichen Bande geschenkt, der durch einen dünneren über Karl in der deutschen Liturgie begleitet ist (vgl. die Anzeige von H. FrcHTENAU in den MIÖG 59, 195 I, S. 462f.). Der Nebenband, der vorweggenommen sei, bringt besonders viel Neues; denn der Verfasser hat die Mühe nicht gescheut, alle wichtigen Kirchen und Klöster daraufhin zu prüfen, ob sie einen Karlstag feierten oder des Kaisers sonstwie gedachten. Es ergibt sich, daß der Bereich der liturgischen Verehrung, bei der Bayern nicht beteiligt war, weder mit der Ausdehnung des karolingischen Reiches noch mit dem von der Karlslegende erreichten Raum zusammenfällt, ferner, daß Zeugnisse aus dem 12. Jh. noch selten sind. Den größeren Teil des Nebenbandes nimmt der Abdruck von Karlsoffizien, -lektionen, -sequenzen, -gebeten und -predigten ein. Er ist aus den Handschriften gearbeitet und stellt der Findigkeit sowie der Editionskunst des Verfassers das beste Zeugnis aus. Für sein Hauptwerk hat sich F. auf diese Weise eine Grundlage geschaffen, wie sie so solide und breit noch keiner seiner Vorgänger besessen hat. Denn auf diese Weise hat er sich so etwas wie ein chronologisch-territoriales Koordinatensystem besorgt, aus dem nicht nur die Verbreitung, sondern auch die Dichte des Karlskultes und sein Anschwellen im Laufe der Jahrhunderte heraustritt. Das von F. im Hauptband verarbeitete Material beeindruckt durch seinen Umfang den Leser womöglich noch mehr als das im Nebenband vereinigte. Denn es zieht schlechthin alles herbei, was sich mit Karl befaßt hat: die Ritter-Epen und populäre Erzählungen, die Chroniken und die Rechtsbücher, die politischen Traktate und die Chronistik, die auf Karl gefälschten Urkunden und seine Bilder, die Schicksale seines Grabes und die Verbreitung seines Namens als Vorname, und wenn der Verfasser hier- im Gegensatz zu dem liturgischen Teil- sich auch öfter auf bereits gesicherten Bahnen bewegen kann, so hat er doch viel Eigenes im einzelnen hinzugetan. Das Hauptverdienst bleibt, daß hier wirklich einmal das Fortleben Karls von den Höhen der politischen Spekulation bis in die Tiefen des Volksglaubens verfolgt ist. Durch eine umsichtige Gliederung ist bewirkt, daß jeweils deutlich wird, was die einzelnen Jahrhunderte auf den verschiedenen Gebieten beigetragen haben. So tritt auch heraus, welche Themen jeweils im Vordergrund standen und wie sich dadurch das Karlsbild verschob. Denn was hat die Nachwelt nicht alles in ihn hineingesehen! Karl der Schöpfer des Reiches und Quelle des Rechts, Karl der Begründer des kirchlichen Wahlrechts, Karl der Stammvater der großen Geschlechter - damit ist der Reichtum der Blickpunkte noch lange nicht umschrieben. >Il n'y a donc<, stellt der
Kar! d. Gr. in Kult und Legende
347
V erf. abschließend (S. 564) fest, »pas une legende carolingienne en Allemagne, mais un ensemble de legendes sur Charlemagne, d'origine extremerneut variee«. Daß dabei auch manches für die Translationstheorie und andere für das Mittelalter bezeichnende Doktrinen abfällt, versteht sich von selbst. Da F. sein Thema bis zum Ende des I 5. Jh.s verfolgt hat, ergab sich ein umfangreicher Band - aber in diesem Fall ist man zufrieden, daß er so stark ausgefallen ist. Denn an den Wandlungen des Karlsbildes tritt ja ein gut Teil der deutschen Geschichte ins Licht. Wie bezeichnend ist z. B. das so verschiedene V erhalten der einzelnen Herrscher zu Karl dem Großen! In bezug auf die politische Theorie ist man versucht, das mittelalterliche Dictum über die Bibelauslegung auf den ersten Kaiser zu beziehen und zu sagen, für die Nachwelt habe er eine wächserne Nase gehabt, die jeder so zu drehen verstand, wie es zu seiner Grundkonzeption paßte. Daher konnte sein Andenken nicht nur von Friedrich I., sondern auch von Innocenz III. und selbst von Karl von Anjou mit Beschlag belegt werden. Sehr zu rühmen ist die ausgebreitete Literaturkenntnis des Verfassers; ja, es überrascht geradezu, welche Fülle von versteckten deutschen Beiträgen zum Thema er aufgestöbert hat. Es bleibt daher nichts Wesentliches nachzutragen. Man legt die beiden Bände mit dem Wunsch aus der Hand, dem Verfasser möge seine Lehrtätigkeit noch Zeit zu weiteren Publikationen belassen- möglichst solchen, in denen er seine umfangreichen Kenntnisse in der deutschen Geschichte verwertet. Dankbar wären wir aber auch, wenn F. in einem weiteren Band darstellte, welche Wandlungen das Karlsbild in den anderen Ländern durchgemacht hat. Auf das französische, das durch das Rolandslied und die >Chansons de geste< bestimmt bleibt, daher einheitlicher ist, fällt bereits in diesem Bande manches Streiflicht, da es ebenso wie die italienisch-angiovinische Tradition auf Deutschland eingewirkt hat. Aber auch der Norden und der Osten lohnen eine Befragung.
III.
ÜBER BücHER zuR KAROLINGISCHEN ZEIT (BucHBESPRECHUNGEN)
Das Karolingische Imperium, Soziale und geistige Problematik eines Großreiches 1, Zürich (Fretz & Wasmuth) 1949. (336 Seiten)*
FICHTENAU, HEINRICH:
(Dazu gehört ein kenntnisreicher Aufsatz: Byzanz und die Pfalz in Aachert, in den Mitt. des Inst. für Österr. Geschichtsforschung 59, I951, S. I-54; doch scheint mir die Ableitung des Münsters von dem untergegangenen und nicht ausreichend bekannten Triklinion im byzantinischen Kaiserpalast zu gewagt 2 .)
I
Eine italienische (erweiterte) Übersetzung erschien I957: L'impero di Carlo Magno.
* Zuerst: Geschichte in Wiss. u. Unterricht III, I952 s. 364-5· 2 Vgl. oben S. 324ff.
Anhänge: Buchbesprechungen
Zunächst ist festzustellen, daß der Verf. den Leser zu fesseln versteht und sich in allen Kapiteln als kenntnisrei cher, eigene Gedanken vertretende r Forscher erweist. Zu rühmen ist die starke Verwendu ng zeitgenössischer Zeugnisse; zu weit geht mir allerdings gelegentlic h das Heranziehe n unseres modernen politischen >Jargons<. Der Reiz des Buches besteht darin, daß sowohl die geistigen, religiösen, sozialen Fragen der Zeit zur Sprache kommen, als auch die Individuali täten der entscheidenden Persönlich keiten deutlich gemacht werden, ohne daß ein unförmiges Werk entstanden wäre. Es faßt also im guten Sinn des Wortes- d. h. gestaltend - zusammen. F. hält sich nämlich nicht streng an den geschichtlichen Ablauf, sondern beleuchtet in eigenen Kapiteln die >Akademiker des Hofes<, >Adel und Beamtentum<, >die armen Leute<, >die geistlichen Reformen< und entlastet dadurch die übrigen, den Tatsachen gewidmete n Abschnitte . Das Anliegen des Verf. ist es, Licht und Schatten gleichmäßi g zu verteilen und dadurch der üblichen >Harmonisierung und Verklärung<, dem Mythos von der >Herrlichkeit des Kaiserreiches< entgegenzu wirken. Ich sehe nicht, wen der Verf. eigentlich als Opponente n im Auge hat. Denn daß das Kaiserreich zerfallen ist, steht ja fest und es fragt sich also nur, wann der Zerfall eingesetzt hat. F. weist da bereits auf die letzten Jahre Karls des Großen hin. Diese Auffassung hat ihre Berechtigu ng, aber birgt-gen auso wie das Buch über den >Aufgang Europas< von FRIEDRICH HEER, auf den sich der V erf. als Geistesver wandten beruft - die Gefahr in sich, daß unter dem Eindruck unseres eigenen Niedergang es nun alle Epochen unserer Vergangen heit auf Verfallssym ptome abgetastet werden, auch die, in welchen sie noch unter der Oberfläche liegen. Ich möchte meinen, daß im Fall Karls des Großen ein anderer Blickwinkel gewählt werden müßte: würde der Verf. seine Ausführun gen über die verschiede nsten Geschichts bereiche weiter vorangetri eben und noch deutlicher gemacht haben, welche Schwierigk eiten sich vor Karl in der sozialen Struktur, in der geistigen Situation, in dem Verhältnis von Klerus und Laien auftürmten , als er seinen Reichsbau unternahm , dann wäre nicht nur die Problemati k dieser gärenden und noch einer einheitlichen Ausrichtun g entbehrend en Zeit stärker herausgetre ten, sondern auch die Größe des Titanen, um den sich F.s Buch dreht. Gerade wenn man deutlich macht, daß die vom 19. Jahrhunde rt in die karolingisc he Epoche projizierte Vorstellun g vom Einheitsrei ch und die Gleichsetz ung der Kapitularie n mit der Wirklichke it heute abgetan sind, würde heraustrete n, was Karl trotz aller Unvollkommenhe iten seines >Staates< geleistet und geschaffen hat. Und dann würde es geradezu selbstverständlich, daß dem Kaiser im höheren Alter die Kräfte zu erlahmen anfingen und keiner seiner Nachkomm en imstande war, seinen Bau zu stützen oder den schon rissig gewordene n noch einmal neu zu fügen. Dann wäre auch nicht nur vom Verfall die Rede, sondern von jener Tragik, die allen großen Leistungen der Geschichte - auch der Karls - innewohnt : um so größer sie sind, um so kürzer ist ihre Dauer.
Zu H. Fichtenau: Das Karoling. Imperium und J. Fleckenstein: Hofkapelle
349
FLECKENSTEIN, JosEF: Die Hofkapelle der deutschen Könige. I. Teil: Grundlegung. Die karolingische Hofkapelle (Schriften der Menumenta Germaniae historica, Band r6, r). A. Hiersemann, Stuttgart 1959 (XXIV u. 23 r Seiten)*.
Die frühere Ansicht, daß die Kapelle und die Kanzlei des Königs zwei nebeneinander existierende >Behörden< gewesen seien, hat der uns durch den Krieg entrissene Hans-Walter Klewitz schlagend widerlegt. Der Kanzleidienst war, wie er nachwies, eine der Funktionen der Kapelle. Über deren Geschichte in der Karolingerzeit hatte K. Brandi 1909 in seinem Archiv für Urkundenforschung eine von ihm betreute, gediegene Dissertation von W. Lüders veröffentlicht. Die Kapelle der Sächsischen und Salischen Kaiser behandelte 1936 S. Görlitz, ein Schüler von L. Santifaller (Histor.Diplom. Forsch. I). Jetzt hat sich J. FLECKENSTEIN, ein Schüler von G. Tellenbach, daran gemacht, diesen Fragenkomplex noch einmal gründlich durchzuarbeiten. Bisher liegt der (H.-W. Klewitz gewidmete) r. Teil eines Werkes über >die Hofkapelle der deutschen Könige< vor, dem ein zweiter, die weitere Geschichte der Kapelle behandelnder Teil folgen soll (erschienen: 1966) 1 • Auch hier bewährt sich wieder die personengeschichtliche Methode der Freiburger Schule: von jedem Kapellan, der greifbar ist, wird festgestellt, was wir über seine ständische Herkunft, seine Bildungsgeschichte, seinen Aufstieg usw. wissen, und die Einzelergebnisse werden dann zu einem Gesamtbild zusammengesetzt. Auf diesem Weg ist der Verf. weit über seine Vorgänger hinausgekommen. Neu sind seine Ausführungen über die Hofgeistlichen der Merowinger, weil der durch W. Lüders geweckte Eindruck berichtigt wird, es handle sich bei der Kapelle um eine Neuschöpfung der Karolinger. Von ihrer Hauptreliquie, dem halben Mantel des Hlg. Martin ( capella) stammt zwar der Name >Kapellane<, aber es gab sie in re schon vorher. Die karolingischen Kapellane waren vasallirisch an den König gebunden und dadurch der bischöflichen Jurisdiktion entzogen. Jedoch hatten sie meist noch nicht - wie das seit der ottonischen Zeit üblich wurde - die Aussicht, Bischöfe zu werden; daß Sprossen vornehmer Familien in die Kapelle eintraten und in den Episkopat aufstiegen, ist allerdings auch schon in der karolingischen Zeit nachweisbar. Im Gesamt handelt es sich um »eine dem Zweck der Herrschaftsausübung dienende, höfisch-kirchliche Institution des Königstums«, um einen Personalverband, »der den engeren Verwaltungsstab des Königs bildete« (Seite I I o). Drei Elemente ganz verschiedener Art, die kirchliche Weihe, feudale Treuverpflichtung und Amtscharakter, hatten zusammentreten müssen, um eine solche- dem Gesamtbau der Kirche nicht eingegliederte- Institution zu ermöglichen (Seite 227). Sehr genau vermag der
* Zuerst: Geschichte in Wiss. u. Unterricht XTII, r96r S. 62.
I
Vgl.meineinBd.TIIwiede rholteBesprechung.
Anhänge: Buchbesprechungen
Verf. die der Reichsteilung entsprechende Aufspaltung der Kapelle und deren Abwandlung in den Teilreichen darzustellen. Der Kapelle Karls des Kahlen kam zugute, daß der König, bedrängt durch die weltlichen Großen, sich an die Geistlichkeit anlehnen mußte. Im Ostreich tritt heraus, daß der Herrscher - wo immer er auch weilte - von Kapellanen begleitet wurde, jedoch nicht von allen: die nicht benötigten blieben inzwischen wohl in einer der Pfalzen. Als Institution verlor die Kapelle ebenso an Bedeutung wie die Ostkarolinger selbst. Anschließend sei vermerkt, daß die >Wissenschaftliche Buchgemeinschaft< als schmuckes Bändchen den grundlegenden Aufsatz von H.-W. KLEWITZ wieder herausgebracht hat, in dem er 1939 die Bedeutung der Hofkapelle für das Königtum im 10. und 11. Jahrhundert und ihre Verknüpfung mit den Domkapiteln aufdeckte 2 • DANNENBAUER, HEINRICH: Grundlagen der mittelalterlichen Welt. Skizzen und Studien. hammer), Stuttgart 1958 (453 Seiten).*
r,:w. Kohl-
Der groß gedruckte Titel >Grundlagen der mittelalterlichen Welt< auf dem Umschlag eines ansehnlichen Bandes läßt aufhorchen; denn man erwartet eine zusammenfassende Darstellung. Aber beim Aufschlagen gewahrt man, daß es sich um die gesammelten Aufsätze des Tübinger Ordinarius für mittelalterliche Geschichte, H. DANNENBAUER, handelt. Wir unterstellen, daß der pompöse Titel auf einen Wunsch des Verlages zurückgeht, und heißen den Band auch so willkommen. Denn es handelt sich um einen bisher ungedruckten Vortrag, eine umfangreiche Untersuchung, von der bisher nur ein Umdruck vorlag, und elf Aufsätze, die in verschiedenen Zeitschriften und Sammelwerken verstreut sind. Sie reichen von der Frühzeit über die Völkerwanderung bis zum Jahrhundert der Karolinger und halten sich im wesentlichen an die Grenzen des fränkischen Reiches. Mit Recht sagt der V erf. von seinen Studien, daß sie unter sich einen Zusammenhang haben. Sie betreffen die rechtlichen, ständischen und wirtschaftlichen Zustände und haben das Verdienst, hergebrachte Meinungen unter die Lupe zu nehmen und falls nötig- zu revidieren. Das betrifft vor allem den 1941 erschienenen Aufsatz über >Adel, Burg und Herrschaft bei den Germanen<, in dem der Verf. der dem Ideal des 19. Jahrhunderts entsprechenden Auffassung ein Ende machte, die Germanen wären im wesentlichen gleichgestellt gewesen; die These des Verfassers, daß der Adel schon in frühester Zeit vorhanden gewesen sei, hat sich jetzt wohl allgemein durch-
2 KLEWITZ, HANs-WALTER: Königtum, Hofkapelle und Domkapitel im IO. und I I . Jahrhundert (zuerst im Archiv für UrkundenforschungXVI, I 939Seite I02-I 56). Wissensch.
Buchgesellschaft, Darmstadt I96o (62 Seiten). * Zuerst: Geschichte in Wiss. u. Unterricht XII, I96I s. 57f.
Zu H. Daunenbauer über das frühe Mittelalter
351
gesetzt1 • Mit Vergnügen liest man auch von neuem den Aufsatz, in dem der Verf. darlegt, welche Folgerungen für die weite Verbreitung des Königszinses aus der Tatsache gezogen werden können, daß nördlich einer bestimmten Linie die alte Bezeichnung >Roß< durch das Wort >paraveredus< (daraus: Pferd), einen >griechischkeltisch-lateinischen Wechselbalg< (Seite z58), ersetzt wurde. Hervorgehoben seien Ausführungen über die Herkunft des sozialen Gedankens aus dem Christentum; denn sie stehen in einem 1942 gehaltenen Vortrag und polemisieren in unverkennbarer Weise gegen die damals erwünschten Auffassungen. Sonst spielen bei D. das Geistige und Religiöse, die ja auch zu den >Grundlagen der mittelalterlichen Welt< gehören, eine nur geringe Rolle. Die Grenzen dieser Forschungsrichtung zeigen sich da, wo D. sich mit Fragen befaßt, die nicht im positivistischen Sinne zu bewältigen sind, so z. B. bei der Erörterung des Kaisertitels Karls d. Gr. (Seite 79ff.). Doch darf ich hier darauf nicht eingehen, da sich diese Ausführungen gegen mich richten und ich dieses Referat nicht mit Polemik belasten kann. DANNENBAUER, HEINRICH: Die Entstehung Europas. Von der Spätantike zum Mittelalter. II. Band: Die Anfänge der abendländischen Welt. Stuttgart (W. Kohlhammer) I962, (340 S.)*.
Der II. Band bietet im Gegensatz zu dem vorangehenden, der bereits veröffentlichte Aufsätze zu verschiedenen Themen vereinigte, ein Fragment gebliebenes Manuskript aus dem Nachlaß des am I7. März 1961 verstorbenen Tübinger Ordinarius. Dieser hatte nämlich bis zu seinem Tode an einer die Geschichte des frühen Mittelalters zusammenfassenden Darstellung gearbeitet, ist aber nur bis zum Tode Ludwigs des Frommen (t 84o) gelangt. Für den Druck der letzten Kapitel mußten Kolleghefte hinzugezogen werden, da das Manuskript noch nicht druckreif war; die >Nachweise und Erläuterungen< am Schluß reichen sogar nur bis knapp zur Hälfte des Bandes. G. Baaken fühlte sich trotzdem berechtigt, dieses Fragment zu veröffentlichen, und soweit es sich um Rechts- und Verfassungsgeschichte handelt, läßt sich dieser Entschluß rechtfertigen: auf diesem Gebiet kannte sich der Verstorbene nicht nur gut aus, sondern er vermochte auch die Wandlungen in ihm anschaulich und verständlich darzustellen. Die Grenze des Verständnisses, das der Verfasser aufzubringen vermochte, zeigt sich dort, wo es sich um geistige Wandlungen handelt. In bezugauf die Kultur des frühen Mittelalters stand er noch auf dem Boden des rationalistischen, fortschrittsgläubigen Neuhumanismus des 19. Jahrhunderts. An Gregors d. Gr. Kommentar zu Hiob findet er die >trockene, salz- und geistlose Phantasie< (S. 77) zu tadeln, und I Dagegen jetzt E. MüLLER-MERTENS, Karl d. Gr., Ludwig d. Fr. u. die Freien, Berlin (Akad.-Verlag) I963.
* Zuerst: Geschichte in Wiss. u. Unterricht XIII, I962 s. 595-6.
Anhänge: Buchbesprechungen
Isidors >Etymologiae< veranlassen ihn zu dem Ausruf: »Erschreckt fragt man sich, ob dieses wüste Sammelsurium wirklich alles ist, was von der tausendjährigen geistigen Welt noch übrig ist« (S. 8 3). Von den karolingischen Gelehrten erfährt der Leser, daß sie sich nicht nur um den Unterricht verdient machten: »sie hatten auch schriftstellerischen Ehrgeiz und haben eine sehr umfangreiche Literatur erzeugt, die eine ganze Reihe von Gebieten umfaßt« (S. 287). Wer allerdings in die dicken Bände, in denen diese Schriften vorliegen, hineinschaue, empfinde ein leichtes Schaudern: »Es riecht bedenklich nach Staub, sehr dickem Staub, und unverkennbar muffelt es nach Schulstube« (S. 29o). Zu der Autoritätsgläubigkeit dieser Zeit vermerkt der Verfasser in verblüffend naiver Weise: »Es herrscht eine kindliche Unselbständigkeit, eine Angst vor dem eigenen Denken. Und das entspricht ganz dem geistigen Zustand der Zeit. Man befindet sich eben noch im Kinder-, im Schüleralter; und da wagt man nicht, die Hand des Lehrers loszulassen. Durch diesen Zustand müssen alle Völker einmal hindurch, so gut wie die Einzelmenschen. Das ist naturnotwendig. Die Zeit des Reifens und Selbstdenkens kommt dann schon einmal« (S. 29 I). Bei allem Respekt, der einem Toten gebührt: die Bemerkung, daß ein Autor, der so urteilen konnte, seine Augen und Ohren gegen die einschlägigen Forschungen des letzten halben Jahrhunderts und ihre Problemstellungen verschlossen haben muß, läßt sich angesichts der sich neuerdings zum V ergleich auch aus Österreich, Belgien, Italien und England anbietenden Bücher nicht unterdrücken.
Die Slawen DvoRNIK, FRANTISBK, Les Slaves, Byzance et Rome en IX• siede (Travaux publies par l'Inst. d'etudes slaves IV.) Paris (Honore Champion) r9z6 (VI u. 360 S. 89).*
Der Verfasser, der dieses Buch noch in der Tschechoslowakei schreiben konnte, mußte dann seine Heimat verlassen. Es war mir eine Freude, ihm als hochgeachtetem Emigranten am Byzantinischen Institut in Dumbarton Oaks (USA) wieder zu begegnen1 •
. . . Es handelt sich (bei diesem Buch) um eine Pariser Doktorarbeit, die aus der Schule Charles Diehl's stammt. Sie bildet einen Band der >Travaux< des rührigen >Institut d'etudes slaves<, das nach dem Kriege in Paris gegründet wurde und neben dieser Serie noch Handbücher, Grammatiken usw. publiziert. Wenn es ein gutes Mittel gibt, das Interesse für die byzantinische Geschichte zu gewinnen, dann besteht es darin, ihre Verflechtung mit der Geschichte der Nachbarn
* I
Zuerst: Deutsche Literaturzeitung 19z8, Sp. 1 39-43· Ich wiederhole diese Besprechung, obwohl sie vor bald vier Jahrzehnten geschrieben wurde und die Forschung inzwischen weiter
geeilt ist (die wichtigsten Ergebnisse verdanken wir der Vorgeschichte); denn die Bemerkungen zur Methode sind dadurch nicht übetholt worden.
Zu Fr. Dvornik: Slaven, Byzanz, Rom
353
aufzuweisen, also vor allem die Bedeutung des byzantinischen Staates und seiner Kultur für den Westen und für die Slaven zu studieren. Dies Thema ist in den letzten Jahren von verschiedenen Seiten angepackt worden, und 1924 hat ein Franzose, BERNARD LEIB, versucht, für einen bestimmten Zeitraum das Problem gleich in seinem ganzen Umfang ZU behandeln. Sein Buch über >Rome, Kiev et Byzance a la fin du Xr siede<, das W. Holtzmann in der Histor. Zeitschr. 134, S. 98ff. zwar als nicht völlig befriedigend, aber doch als eine Arbeit von recht bedeutendem Wert charakterisierte, hat gezeigt, wie fruchtbar es ist, Byzanz im Zusammenhang mit seinen Nachbarwelten zu sehen. Zu diesem großen, von LEIB angeschnittenen Thema, wie im Mittelalter die römische und griechische Kirche zueinander stehen und wie in ihre Beziehungen die slawische Frage hineinspielt, hat D. nun gleichsam die Einleitung geschrieben, die mit viel größeren Schwierigkeiten zu kämpfen hat als das Werk des Franzosen. Denn es handelt sich um eine Epoche, die quellenärmer ist, die viele kritische Arbeit verlangt und in manchen Punkten überhaupt nur nebelhafte Umrisse erkennen läßt. Dieser in der Natur des Themas begründeten Schwierigkeiten ist D. durch zähe und geschickte Arbeit Herr geworden. Der ansehnliche Band mit der zwanzig Seiten langen Bibliographie, die weiterer Forschung ein bequemes Hilfsmittel bedeuten wird, ist durch die zusammenfassende Darstellung wie durch die selbständige Kritik in jedem Einzelpunkt gleich begrüßenswert. Zwei Eigens<:;haften sind es vor allem, die dem Buche nachgerühmt werden können: der Reichtum an Gesichtspunkten und die umfassende Materialkenntnis. Wenn nun auch mit dem Lob für die Gesamtleistung nicht gekargt werden kann, so muß die Zustimmung zu D.s Buch doch durch einige Einschränkungen präzisiert werden. Es ist festzustellen, daß gerade die beiden ebengenannten Vorzüge des Buches die Gefahr gewisser Nachteile mit sich bringen. Anstatt eine Kritik des Buches im einzelnen zu geben, die doch zu diesen allgemeinen Bedenken zurückkehren müßte, sei darum Darstellungs- und Arbeitsweise des Verf.s an sich besprochen. Der Reichtum an Gesichtspunkten bedeutet deshalb nicht überall einen Vorteil, weil er die Gefahr in sich birgt, daß dort noch Erkennbarkeit gesucht wird, wo die Dinge nun einmal wegen der Ungunst der Überlieferung im dunklen gelassen werden müssen. Was z. B. über die Politik des Boris (S. 254-6), und des Swatopluk (S. 263-5) gesagt wird, ist gefährlich; denn da wir von diesen Fürsten-trotz der reichen Hilfe der Archäologie - doch nur wenig wissen, können bei ihnen ja noch so und so viele andere Motive mitgesprochen haben. Der Gang der Politik läßt sich eben nur in den großen Zügen verfolgen - was ja für unsere Erkenntnis ausreicht -, und nur bei Ausnahmefällen wird es in dieser Periode möglich sein, die wahren Triebkräfte im Handeln eines dieser östlichen Herrscher mit Sicherheit zu erkennen. Mit
2.3 Schramm, Aufsätze I
354
Anhänge: Buchbesprechungen
welchem Scharfsinn der V erf. auch noch hoffnungsloses Dunkel aufzuhellen sucht, zeigen seine Argumentationen über die Motive des Kaisers Basileios I. (S. 3oof.), die ihn bei seiner - übrigens nur durch sehr angreifbare Zeugnisse belegten - Politik gegenüber den Slawenaposteln bestimmt haben sollen. Die vom V erf. aufgestellte These läßt sich nur durch Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten stützen. D. tut dann noch ein übriges, indem er eine zweite These für allenfalls denkbar erklärt, diese dann aber selbst wieder aus Mangel an Beweisen und historischer Wahrscheinlichkeit fallen läßt. In solchen Fällen wünscht der Leser von vornherein auf dem Boden der historischen Tatsachen belassen zu werden und nur angedeutet zu sehen, in welcher Richtung die Deutung des unklar Bleibenden zu suchen sein mag. Die Loslösung vom Stoff wünscht man dem V erf. vielmehr an anderen Stellen seines Arbeitsgebietes. Er hat seinem Buch auf S. I o6-3 3 einen stoffreichen Abschnitt über die literarische und religiöse >Renaissance< in Byzanz während des 9· Jahrh.s eingefügt, um klar zu machen, mit welcher Welt die Slawen in Berührung kamen. Gerade bei dieser Fragestellung aber mußte sich der Autor, der hier seltsamerweise die Entwicklung in der Kunst ganz zurücktreten läßt (vgl. nur S. I I4 ein Zitat aus Diehl's Handbuch), über den Rang einer Literaturgeschichte erheben. D. begnügt sich zu sehr damit, daß wieder viele Autoren schrieben und daß sie es auf verschiedenen Gebieten taten (vgl. die Kennzeichnung der Epitaphien des Theodor von Studion als >interessant<, die der Dichtetin Casia als begabt mit >veritable originalite<). Aber der Leser will wissen, welche konkreten Probleme diese Autoren bewegen, wel-' ehe neue geistige Welt sich im 9· Jahrh. formt und in welchem Gegensatz sie zu der voraufgehenden einerseits, der römischen andererseits steht. So gesehen, würde es kaum möglich sein, die >religiöse< und die >literarische< Renaissance so dicht aneinartderzurücken; auch wäre es kaum denkbar, den antiken und den orientalischen »Einfluß« so in einem Atem zu nennen, wie es in den zusammenfassenden Sätzen auf S. I 14 geschieht. Deshalb ist der V ersuch, hinter den politischen und kirchlichen Kämpfen die Gegensätze der geistigen Welten auftauchen zu lassen, schon bei der Erschließung des Stoffes steckengeblieben. Wenn als zweiterVorzugdes DvORNIKSCHEN Werkes die Materialbeherrschung gerühmt wurde, so muß auch hier angemerkt werden, wo zu diesem Punkte allgemeine Einwendungen gemacht werden können. Die Wirkung des Buches ist dadurch geschwächt, daß es ihm gelegentlich an Straffheit fehlt. Historischer Bericht und kritische Analyse des Quellenmaterials, die zur Polemik gegen andre Deutungen zwingt, gehen ineinander über. Das stört die Darstellung; aber es bekommt auch den kritischen Teilen nicht gut, da sich der Autor bemüht, auch sie in noch lesbarer Sprache vorzubringen. Abschnitte wie etwa die über die Bistumslisten, auf die der Verf. an drei verschiedenen Stellen eingehend zu sprechen kommt, wünschte man in einen Anhang verwiesen, der auf die Form keine Rücksicht nähme und die verschiedenen Verzeichnisse nebst Deutung der
Zu Fr. Dvornik: Slaven, Byzanz, Rom
355
Namen in Tabellen nebeneinanderrückte. In der von D. gewählten Form, die ihn z. B. aufS. 93 und 95 zum Abdruck desselben Textes zwingt, verschwimmen die Ergebnisse. Auch die Kritik des gefälschten Briefes an Swatopluk (S. 287-296) würdein einen Exkurs gerückt - knapper und schlüssiger erledigt werden können. Die gleichzeitig erschienene Behandlung derselben Frage durch G. Laehr im Neuen Archiv 47 (1927), S. 159f., die zu einem anderen Ergebnis kommt, überzeugt gerade durch die Nüchternheit der Textanalyse. Sie zeigt daneben eine methodische Überlegenheit, da sie sich bei dem Beweis streng an die Quellenkritik hält, während D. auch hier verschiedene Möglichkeiten für den historischen Vorgang errechnet, um sich dann für eine als die wahrscheinlichste zu erklären. Weiter ist eine präzisere Scheidung von Bewiesenem und Vermutetem zu fordern. Der bei so schwierigem Quellenmaterial immer gegebenen Gefahr, daß eine Hypothese im weiteren Verlauf der Arbeit sich in eine bewiesene Tatsache verwandelt, ist der Verf. nicht entgangen (vgl. z. B., was D. selbst aufS. 314 A. 2 an Thesen über die Herkunft des Clemens zusammenstellt, und wie bestimmt er sich dann auf S. 317 zu dieser Frage äußert; ferner wie die aufS. 305 in ihrer Fragwürdigkeit gekennzeichnete Angabe des Tabad auf der folgenden Seite als Tatsache behandelt ist). Man muß dem Autor dabei zugute halten, daß er seine Darstellung zum guten Teil auf den verschiedenen Legenden der beiden Apostel und ihrer Nachfolger aufbauen mußte, deren Zuverlässigkeit in den Einzelangaben wohl jeder Forscher verschieden beurteilen wird, die man jedenfalls nur dort ohne Zusatz eines Fragezeichens anführen kann, wo ihre Mitteilungen noch durch andere Quellen bestätigt werden. Der Verf. zitiert zwar in der Bibliographie- wenn auch mit völlig entstelltem VerfassernamenH. von Schuberts Vortrag über die Slawenapostel (Heidelb. Sitzungsber. 1916 Nr. 1), der sich gegen die Überschätzung des Quellenwertes der Legenden wandte, aber er ist durch diese Warnungen anscheinend nicht beeindruckt worden2 • Der reiche Inhalt des Buches reizte wohl dazu, sich noch weiter mit ihm auseinanderzusetzen, aber das brächte die Gefahr mit sich, daß dadurch das eingangs abgegebene Gesamturteil zu sehr eingeschränkt erscheinen möchte. Denn das muß hervorgehoben werden: D.s Buch ist schon durch seine Fragestellung so wichtig, daß es Hoffnung auf eine Fortsetzung erweckt. Wenn der durch so ausgedehnte Sprachkenntnisse begünstigte Verf. sich nicht gleich entschließt, ein Werk über >Die Slawen, Byzanz und Rom im Mittelalter< zu schreiben, so wünschte man sich doch nach diesem ersten Buch aus seiner Feder ein zweites, das die aufgedeckten Fäden bis in die Zeit verfolgt, in der sich eine klare, die Slawenwelt mittendurch spaltende Grenze zwischen der byzantinischen und der römischen Sphäre herausgebildet hat. Denn ge2 Für die beiden Slawenapostel haben wir jetzt die gediegene Darstellung von PRANZ GRIVEC, Konstantin und Method, Lehrer der
Slaven, Wiesbaden 1960 (271 S.), auf die ich in: Gesch. in Wiss. und Unterricht XII, 1961 S. 6o2 f. hingewiesen habe.
Anhänge: Buchbesprechungen
rade die Epoche der ungarischen Landnahme, der Zerstörung der beiden Bulgarenreiche, der Verknüpfung Rußlands mit Byzanz und der Ausbildung fester Staaten in Böhmen und Polen, die ein Ende findet, als Brun von Querfurt über das Rom zugefallene Ungarn bis in das schon vorher unwiderruflich für Konstantinopel gewonnene Rußland vordringt und andererseits die Byzantiner nach der Niederwerfung der Bulgaren bei den Ungarn eine vollendete Tatsache vorfinden, - gerade diese Epoche verspricht reichen Gewinn, wenn sie einmal von der slawischen Welt aus angesehen und geschildert wird 3 • 3 V gl. dazu jetzt die Bücher von 0.
HALECKI.
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen A. ABBILDUNGEN IM TEXT 1.
Zu: Der Heilige Bonifaz als Mensch:
Figurengedicht Winfrids (des HL Bonifaz)
IOO
2. Zu Karl d. Gr.: Denkart und Grundauffassun gen Fig. I
Schema der abgeänderten lateinischen Monatsnamen
Fig. 2
Die Gliederung der Windrose . . . . . . . . . .
Fig. 3
Die von Karl vorgesehene Verteilung seines Nachlasses .
Fig. 4
Die Weltkarte Isidors von Sevilla
Fig. 5
>Carmen figuratum< mit >Tractus<
Fig. 6
Karls Monogramm
3I2
322
. . . . . .
Fig. 7 a-b Grundriß und Aufriß des Aachener Münsters Fig. 1-6 übernommen aus dem Erstabdruck in der Historischen Zeitschrift 198, Heft 2, April 1964. Fig. 7 nach L. Hugot, Die Pfalz Karls d. Gr. in Aachen, in: Kar! der Große, Lebenswerk u. Nachleben, Bd. III, Düsseldorf: Schwarm 1965, S. 558 u. 562. B. ABBILDUNGEN AUF TAFELN
Abb. I
Königslaube im Dom von Aachen mit Karls Steinthron Nach P. E. Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik I, Stuttgart: Biersemann 1954, Abb. 44 (Foto: Wolffu. Tritschler); Frontalaufnahme bei P. E. Schramm - Florentine Mütherich, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser, München: Prestel 1962, Abb. I.
Abb.
2
Frühkarolingisches >Faldistorium< (>Dagobert-Thron<) . . . . .
362
Nach: Schramm, Herrschaftszeichen, a.a.O., I, Abb. 36; Detailaufnahmen ebd. Abb. na-b.
Abb. 3
Kaiser Lotbar I., Bild in seinem Psalter (London, British Museum)
363
Nach P. E. Schramm, Die Bildnisse der deutschen Kaiser und Könige I, Leipzig: B. G. Teubner 1929, Abb. 18a.
Abb. 4a-b Der >Talisman< Karls des Großen (Reims, Kathedrale) . . . . . Nach: Kar! der Große, Lebenswerk und Nachleben III, Düsseldorf: Schwarm 1965, S. 151 (Abb. 19).
364
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
Abb. 5
Karls Königsbulle . . . . . . . . . . . . . . a-b Das einzig erhaltene Exemplar (Paris, Cabinet des Medailles) c-d Moderne Zeichnung desselben e-g Stich bei Montfaucon (1729) h Bulle Kaiser Ottos III. i Karls Königssiegel (771-81;) Nach: Schramm, Bildnisse a.a.O., Abb. 2a und 7a-e
Abb. 6
Münzen, geprägt in Ravenna (?) und Rom a-c Denare Karls mit Königs- und Patriciustitel. Nach H. H. Völckers, Karolingische Münzfunde der Frühzeit, Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht 1965 (Abhandl. der Akad. der Wiss., Phil.-Hist. Kl., ;. Folge Nr. 61) Tafel Q d-f Münzen des Herzogs Grimoald III. von Benevent (mit Karls Namen bzw. Monogramm). Nach: Kar! d. Gr., Ausstellungskatalog, Aachen 1965, Tafel 31, Nr. 288-90 g-h Münzen des Papstes Hadrian I. (779-<)5). Nach: Schramm, Herrschaftszeichen a.a.O., I, Tafel 24 g Münzen des Papstes Leo III. aus Karls Königszeit (796-Soo) Ebd. Tafel 24i: 2 Exemplare aus verschiedenen Stempeln k Denar Leos, vorn mit Karls, hinten mit dem Monogramm des Papstes Nach: Kar! d. Gr. Lebenswerk a.a.O., I, Taf. IV, Nr. 44 Verschollener Denar (nach altem Stich) Ebd. Taf. IV, Nr. 45
Abb. 7
Prägungen in Gold aus der Königszeit, angefertigt in Duurstede (Münzen oder Zierstücke?). . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 a b
Abb. 8
Exemplar in London mit: CARLVS REX Exemplar in Berlin mit entstellter Umschrift Nach: Schramm, Herrschaftszeichen a.a.O., I, Abb. ;1a-b
Mosaik im Triclinium des Laterans mit Petrus zwischen Papst Leo III. und Karl (zw. 797-8oo). Kopie der rechten Seite (die älteste nachweisbare) des Onofrio Panvinio (t 1568) nach dem (durch Renovierung en jetzt abgewandelten) Original . . . . . . . . .
367
Nach: G. B. Ladner, Rittratti dei Papi, I, Citta del Vaticano, 1941 (Mon. di Antichita Cristiana II, serie 4), S. u;ff.
Abb. 9
Mosaik, einst im Triclinium des Laterans, jetzt am Platz neben dem Lateran, im 18. Jahrhundert erneuert. Heutiger Zustand der rechten Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
368
Nach: Propyläen-Weltgeschichte, Bd. V (Islam- Die Entstehung Europas), Berlin/Frankfu rt: Propyläen Verlag 1963, Abb. gegenüber S. 296
Abb.
10
Mosaik in St. Susanna (Rom). Untergegangen, hier nach altem Stich: Karl und Leo III. . . . . . . . . . . . . . . . Nach: Schramm, Bildnisse a.a.O., Abb. 5e
369
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
Abb.
11
359
Karls Kaiserbulle (wohl 8o3) . . . . . . . . a-c Silbermedaillon Konstantins d. Gr. (Münchener Exemplar) Nach: K. Kraft, Das Silbermedaillon Konstantins d. Gr. in: Jahrbuch für Numismatik V/VI, 1954/55 T. XI: Vergrößerungen Das einzig erhaltene Exemplar der Karlsbulle (Paris, Cabinet des Medailles) d Zeichnung bei Vebault (1877) e f-g Stiche bei Le Blanc (1689) und Mabillon (1704). Abb. d-g nach: Schramm, Bildnisse a.a.O., Abb. 7 a-d
Abb.
12
Legimus-Unterschrift (Nachzeichnung von 1668 nach einem Original Ludwigs des Frommen) . . . . . . . . . . . . . . . . .
371
Nach: Schramm, Herrschaftszeichen a.a.O., I, S. 298
Abb. 13
Denare mit Karls d. Gr. Bild, geprägt wohl ab 8o5 a b
Abb. 14
. . . . . .
372
Kupfermünze Konstantins d. Gr. (mehrfach abgebildet) Denar Karls d. Gr. (vgl. Karl d. Gr., Lebenswerk a.a.O., I, Taf. I-IV alle wichtigen Exemplare; hier das mit >F<, vgl. Taf. II, Nr. 29)
Denar Karls mit> Adler< als Toppzeichen, geprägt in Quentovic
372
Nach: ebd. Taf. III, Nr. 32
Abb. 15
Adler auf der (das Original wiedergebenden, Anf. 19. Jh. ersetzten) Rückseite der Stephansburse (Wien) . . . . . . . . . . . . Nach: Hermann Fillitz, Die Insignien und Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches, WiencMünchen: SchroH, 1954, T. 70
372
Abb. 1 (zu .5'. u of) : Königslaube im Dom von Aachen mit Karls Steinthron nach der Wiederherstel lun g des ursprling lichen Zustandes (193 8) mit 6 Stufen w ie der Salomonsthron; jedoch ohne die diese Aa nkierenden Löwen aus E rz; stattdessen beim Bau Reliquien eingefü g t in die Säu lenkapitelle und der T hro n (mit hö lzerner SitzAäche) hinten nur mit einem Brett verschlossen, so daß eine Reliquie unter den Sitz geschoben werden konnte .
~.-~
chr:unm, Au (sil tzc
1
Abb. 2 (zu 5. 208) : Frühkarolingisches Faldistorium (d. h. zusammenkl app bare >scll a<, die auf Reisen mitgeführt \\·erden konnte), fälsc hlich >D agobenthron< gena nnt, wohl von Kar! dem Kah len (oder 978 von König Lothar) von Aachen nach Sr. Den is gebracht (do rt im 1 2 . Jahrh. repariert) . .Jetzt : Paris, Cal inet des Medailles .
Ab/;. 3 (zu J. 208) : l<~iscr Lorh~r 1. , d~rgesrellr ~ uf e inem F~ld i srorium solche r Art, d. h . wohl auf dem >D agoberr-Thron < (Psa lter, gema lt um 845; l.on do n: Br irish Museum , Addit. i'vfss. 37 768 f. 4a).
A M. 4 a- /; (zu J. 199 11. 309f) : Der >Talisman < Karls d. Gr. (7,3 X 6,5 cm), d. h. Reliquiar, an einer Kette auf der Brust zu tragen. Karo lin g ische Treiba rbeit in Gold mir Fi lig ran, Edelsteinen und Perlen, in der M itte vorn und hinten bläuliche Saph ire, so daß die zw ischen ihnen geborgene Reliquie sichtbar ist (jetzt: Kreu zparrikcl, früher wohl : Haare der Ma ria) . Wohl zu Recht auf Kar! d . Gr. zurlickgcfiihrr, 1804 vom Aachcner D o mkapitel lapo leo n I. überlassen, 1919 von der \Xi irwc Napoleons Tf[. de r K athedrale vo n Reims geschenkt.
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Abb. J (zu S . 212j) : Karls Kö ni gsbulle (Blei, Durchmesser rund 4 cm), angeferrigt nach nicht-bestimmter rö mi scher Vo rlage .
a- b c- d c-g b
D as einzige erhaltene Exemp la r (durch Bleifraß beschädig t). (Paris, Cabine t des Mcd:tilles) . lVIo dcrne Zeichnung desselben. Stich bei Mo nr fa ucon ( 17 29) (damals wen iger beschäd ig t). g : D eta ilstich de r K ro ne ( 1729) . Bulle Kaiser O ttos H L (benutzt 998- rooo) , angefert ig t nach Ka rls Kö nigsbu lle. K arls Kö nigss iegcl, nach weisbar vo n 771 bis 8 13 (also auch noch in der I aiserzeit benu tu) : rö mische G emme mit karo ling ischer Umschrift .
••
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Nebensechend: Abb. 6 (zu S. 22J lf. ) : Münzen, gepräg t in Ravenna (?) und Rom. a-c Denare Karls, vorn mir seinem i\l[onog ramm, hinten mir einem wohl >Ravenna< aufzu lösenden ; dazu die Umschrift >Carlus rex Fr (anco rum) er Lang(obardorum) ac Parr (icius) Rom (ano rum)<. Drei Präg ungen . d-e Solidi des Herzogs Grimoa ld III. von Benevenr mir dessen Bild und Ka rls • la men. f Tremi ss is desselben mir dessen und Ka rls i\1[onogramm. g-h Münzen des Papsres Hadrian I. (779- 95), h mir se inem Bild . Münze des Papstes Leo Ili. aus Karls I ö nigszeit (796-Soo). Zwei Prägungen.
k
Dena r Leos, vo rn mit Karl s, hinten mi t seinem Monog ramm (nach Soo) . Verschollener Dena r (hier nach alrem Stich) mit gleicher Rückseite, vorn mit J
7a
7b
Abb. 7 (zu S . 279 A n111. 4J) : Präg ungen in Gold aus de r l<önigsze ir, angefertigt m Duurstedc (Mün zen oder Z ierstücke?). a
b
Exemplar in Londo n mir: CARLVS REx ; Exempl ar in Bcrlin mir cnrsrcllrer Umschrift.
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Abb. 8 ( z tt S. 2J r JJ.): Mosaik im Triclinium des Laterans m ir Per.rus zw ischen Papst Leoiii. und Kar! (zw. 797- Soo) . Kop ie der rechten eire (die älresrc nachweisbare) des Onofrio Panvinio (t 1 568) nach dem (durch Renovierungen jerzr a bgewandelten) Orig inal.
Abb. 9 (zu S. 2Jif.}: Mosaik, cinsr im Triclinium des Laterans, jerzr a m Plarz neben dem Lare ran, im 18. Jahrh. erneuen. H euriger Zustand der rechrcn Seire.
A bb. ro (zu J . 2 ]1} : Mosaik Lco 11!.
111
St.
usanna (Ro m), Unrcrgeg;mgcn, h ier nach altem Srich: Karlund
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371 . lebenstehend :
Abb. ll (zu S . 214/f. ) : K arls Kaise rbul le (" ·ohl 803). o-c Silbermedaillon Konstantin s d. Gr. von 315 (Durchmesser: 2,4cm; o- b: vergrößert). Vorn: der Kaiser absitzend mir der Rechten sein Pferd, mir der L inken Lanze und Sch ild haltend ; Rückseite: von einem Podest aus se ine Soldaren ansprechend. d D as einzige e rhaltene Exemp lar der Ka rl sbu lle (durch Bleifraß heure fast un kenntl ich : Durc'hmesscr g leichfall s 2,4 cm ; Paris, Cabinet des Mcdailles); das Pferd weggelassen, I-leim mir Federbusch und Schu ppenpanzer crserzt durch Krone und Mantel, das Gesicht nach frän kischer A rt bebartet ; auf der Rück se ite die Um chrift >Salu s rcspublica< ersetzt du rch: >Renovario Roman (i) Imp (eri i)<, die Red nerszene durch rad rror mit >Roma<. Zeich nung be i Vcbault ( 1877) nach noch besserem Zustand. f Stich bei Le Blanc (1689). Stich bei Mab illo n (1704) . g
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Abb. I 2 (zu S. 217 j. ) : Legim us-Unrerscb rifr in roter Tinte, dem byza ntin ischen Vorbild nachgeahmt. (Von Kar! d . Gr. wohl ab 803 benutzt; aber bekannt isr erst eine von Ludwig d . Frommen vollzogene, jedoch nur in einer Nachzeichnung von r668 vorl iegende).
13a
15 Abb. 13 (zu S. 278/): Denare mir Karls d. Gr. Bild, gepräg t \\·ohl ab 80 5. Kupfermünze Konsranrins d. Gr. (vergrößere) . b Denar Karls d. Gr., geprägt in Aachen, in demsehen und französischen Pfalzen sow ie in Handelsplärzen im Rheindel ta (wohl nach rempeln, an zenrraler Srclle angefertig t; vergrößere). a
Abb. 14 (zu S. 283) : Kar! d. Gr. und der Adler. a b
Denar Karls mir Vogel als Toppzeichen, geprägt in Quenrovic (Pik ardie) . Denar (Doresrad) wie auch sonsr, nur mit einem Kreuz an der Masrsp itze.
Abb. IJ (zu S. 283): Adler auf der (An f. 19. Jahrh. ersetzten, aber dem ursprüng lichen Zustand enrsprechenden) R ückseite der Srephansburse (\X/ien, Schatzkammer), angefe rrigr in Kar! d. Gr. Hof· schule.
Register Nicht berücksichtigt sind die Anmerkungen. Die im Text erwähnten Autoren sind aufgenommen (nicht jedoch die in den Literaturzusammenstellungen S. 46-58, 61-65, 216-220 angeführten Verfasser). Um das Nachschlagen zu erleichtern, sind Namen und Sachen zusammengefaßt. Aachen 25, 31, 46, 74, 77, 207f., 243,249, 278f., 282, 292, 296, 299, 307, 309; Domschatz 199, 208; Münster 197, 2o6f., 209f., 248f., 324, p6, 377; Pfalz 206, 2o8f., 283, 319, 347 Aaron 73 Abbild 21 Aberglaube 95, 107f., po Abzeichen 23 Adalhard von Corbie 121 adiutor 162, 173, 179, 185 Adler 34, 70, 207f., 273, 283; polnischer 34 Adoratio 26I, 263 adventus imperatoris 43 aedes (Kirchengebäude) I29 .Ägypter und Juden 129 Amter, fränkische uoff.; römische I21, I27, I29, I4of.; byzantinische uoff., 127, I33ff., I 39, 30I; mittelalterliche 12off.; päpstliche I 3off.; Hofbeamte 25, 3 I ; s. die einzelnen Titel und: Amtsbezeichnungen Aethelbert II., König von Kent 94 Aethelstan, König von Mercia 106 >Aethicus Ister< = Virgil von Salzburg 95 Afrika, geogr. Vorstellung von 3I7 Agatho, Papst 230 agens I23 Agis(agites) I23 Agobard, Erzbischof von Lyon I I 3 Ahnenstab 7I ; s. a.: Stab Akklamation 234, 237, 239, 26of. Akrostichon 98 f. Alamannen Io7, III Albinus, Kardinal I45 Alcuin 28, 82, 92, n3, I62, I66, I96, 239, 252ff., 259. 305, 309f., 320f., 323, 328, 33If., 334 Aldebert, von Bonifaz gebrandmarkter Scheinchrist II4
Aldhelm, Abt in Malmesbury, Bischof von Sherbome 94, I03f., IIO, I58 Alexander III., Papst I 86 Alferez (spanischer Fahnenträger) 48 Alföldi, Andreas 29, 38, 54f., 274, A. 27 (ebd.: Maria R. Alföldi) Alfred, König der Angelsachsen I93 Alkalde 48 Allegorese 2d., 99, n2f., 334 Alliteration 98 All-Recht 300 amator 27I amicitia 177 Amt s.: Amter Amtstrachten 56; -zeichen 22; s. a. : Amtetwesen >Anagogische Manifestation< eines politischen Faktums 25 Anastasius Bibliothecarius I 32 f. Andrieu, Michel 40, I8d., 237, 273 >Anerkennung als Kaiser< 44, 26I, 263f., 282, 297 Angelsachsen 53, 64, 7I, 88, 90, 95f., 98, Io2, 106f., II3, II7, II9, 123, 337; s.a.: England und die Königs- u. Ländernamen Angilbert, Abt von Centula 332 Angouleme, Sacramentar von I64, I66 Anonymus von York (>Normannischer A.<) 85 >Ansippung< 37, 53, 207, 2II, 307f.; s. a. Versippung Antike 27f., 128, 27I, 28I, 320, 335, 337ff.; Christliche 338 >Antiquitates<, Abteilung der Menumenta Germ. Hist. 26 >Apostolischer König von Ungarn< 38 Aquitanien 212, 244, 339 Araber 50, II7 Aragon 36, I83; Titel 51
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Register
Arcarius 136, 139 archisolium (imperii) 40, 55 Arcosolgrab 197 Arezzo 269 Arichis, Herzog von Benevent 230, 304 Armreif 39 Am, Erzbischof von Salzburg 254 Arnulf, Leitname der Karolinger 37 -,Kaiser 185 -, Herzog von Bayern 53 Arx 207 Asien, geogr. Vorstellung von 3I 7 Asser, Biograph König Alfreds 193 Astrologie 3I 9 auetorilas pontificum 42, 73; s. a.: Gewalten Augustus, Divus 79 - = Titel 50, 250, 272 Awaren 96, 310 Baaken, Gerhard 351 Babel, Turmbau von 65 Baesecke, Georg I 25 f. Bajuvaren s. Bayern Baldachin 43 Balearen, Königreich 36 Bamberg 75, 131, 243 Banner 33, 48, 240; s. a.: Fahne Barcelona, Grafschaft 36 Bart(tracht) 71 f. Basileus (byzant. Kaiser) 33, 49, 64, 73, 87, 138, 161, 213, 231, 239, 244, 248ff., 254, 262, 265, 268, 277f., 290, 292f., 294f., 300f., 305; s. a. : Eigennamen. - piyat; ßaatÄevt; 49; ßaatÄtu6t; 134 Bayern 105, 212, 339; Bajuvaren 107; Herzogshaus 203; s. a.: Arnulf, Tassilo Beamte s. Ämter, Byzanz und Einzeltitel Becker, Philipp August 345 Beda, angelsächs. Gelehrter 71, 92, 101 Bedford, Herzog von 189 Beinamen 53 ; s. a. : Namen Bekleidung s.: Gewand, Tracht Bela III., König von Ungarn 50 Belehnungen, Gesten bei 32 Belgien 352 Benedikt, von Nursia 86 - vonAniane 133,338
Benevent 87, 225, 230, 243, 250, 304, 310, 339; s. a.: Namen der Herzöge Berges, Wilhelm 78, 120 Bernheim, Ernst 26 Besitzzeichen 2 3 Beumann, Helmut 92, 270 Beyerle, Franz 126 Bibel 105, 328 ff., 334ff.; s.a.: Testament, Altes undNeues Bibliothekar, päpstlicher 132, 135 Biehl, Ludwig 238 Bild, das wahre, im Denken Karls d. Gr. 327ff. Bild(er) und Bildnisse 34, 43, 194, 196, 207, 209, 220, 225, 230ff., 24I, 282, 299, 327 -Model 24 -Säule 230 Bildungsreform Karls d. Gr. s.: Correctio Bischöfe, alemannische I I 3 ; bayerische II 3; fränkische II4, 124; langobardische 124 ,224 Bischoff, Bernhard 125 Bischofscathedra 2II; -eid 156, 159, 16d., 167, 2II; -salbung 72; -stab 305 Bleibullen s. Bullen Bloch, Mare 70 Bluhme, Friedrich 122 Böhmen 77 Boethius 86 Bonifaz(=Winfrid), 81, 90-II9, 158,164, 309f.,
32 3 Bonizo von Sutri I4of. Bosworth, Schlacht von (1483) 190 Boumann, Cornelius A. 40 Brandi, Kar! 29I Brauch, byzantinischer 238, 247, 302; fränkischer 238, 241; römischer 241 Bresslau, Harry I4I Bretwalda 2 52 Briefe (-Formulare, -Sammlungen) 93, 97, 109, IIO, III, I93, 27I, 30I, 340 Bronze s.: Adler, Stuhl Brot 18o Brustreliquiar I99; s. a.: Reliquien Buchkremer, Josef 210 Bügelkrone (Bügel) 39, 54, 75, 213, 245, 248, 305 Bündniseid (Schutz- u. Trutzeid) I 50, I75; s. a.: Eid Büttner, Heinrich 195
Register Bugga, Äbtissin I05, 108, IIO Bulgarien 49 Bullen (aus Gold und Blei) 33ff., 38, 48, I35, I94, 212, 248, 263, 270, 273-278, 28If., 293, 296, 299; s. a.: Siegel Burckhardt, Jacob 27f., 336 Burgund II7 Byzanz 56, 58, 6If., 76, 12of., I36, I38, 257, 271, 289, 292, 295 ff., 301, 353 f.; s. a.: Basileus und Eigennamen -,Beamte 12off., I27, I33ff., 139 -,Brauch 238, 247, 302
Caesar 50, 290; s. a.: Kaisertitel Cäsaropapismus 73 calcei s. : Stiefel Camera (Gebäudeteil) I29 Camerarius s. Kämmerer Canterbury, Erzbischöfe von 95, I07, 305 Capitularia s.: Kapitularien caput mundi 38 Carmen figuraturn 322 Caspar, Brich 90, I5off., r6I, 172, I74, 208,266, 270 'Cathedra der Bischöfe 2II Centarii 129 Centula, Kloster I96 Gen/uriones I 29 Ceolred, König von Mercia I02 Chartophylax I32 Chlamys 243, 245, 26o; s. a.: Mantel Chlodwig, König der Franken 37, 69, 162, 282, 308 Chlothar, Merowing. Königsname 37, 282, 307f. chrisma 72, 229; s. a.: Öl Christentum bei den Germanen 65 >christus Domini< 72 xevaoßovJ.J.a I35 Cicero 320 Classen, Peter 269 Clemens, gebrandmarkt vom Hl. Bonifaz II4 clementia 4 5 Codex Carolinus I62 Codestin I., Papst 8 I Cognizances 23 co!laudatio 297 f. Comes (Titel) 52; comites palatii I 29 communio I09
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compater 42 Confessio S. Petri (Rom) I69, 204 Conrat, Max I22, 127 consecratio 19 7 consensus 47, 288 Constantin 1., Papst 220 - II., Papst 165, 222 - Kaiser s.: Konstantin coram-Formel I68 Corbie s.: Adalhard Corippus, Geschichtsschreiber 81 >corona< 23, 40, So;= Staat 55; - super mitram 76 Coronamenta (Festkrönungen) 57, 258 Corpus Christi 167 >Correctio< Karls d. Gr. (bisher: >Renaissance<) 27f., 227, 302, 336, 338f. corroboratio 33 Cortes, spanische 18 3 Coulaines, Hoftag (843) 18 I Cromwell, Oliver I91 Curator 139 Curia 2 5, 3 I; = Papstpalast 77; = >Staat< 3 I Cusanus, Nicolaus 27 Dänemark 51 Dagobert-Stuhl 208 Dalmatica 77; s. a.: Tracht (des Kaisers) Danebrog, Dänemarks Fahne 34 Daniel, Bischof von Winchester 106, II 5 Dannenbauer, Heinrich 3 50 f. Datare, Beamte des Papstes 132 Dauphin, Titel des französ. Thronfolgers 70 David 2IIf., 214, 283 David, Marcel 41, r6o, I79, I821f. decani 129 decuriones I 29 decus imperii 38, 54 Deer, Josef 23I, 245, 300-302 defensor (defendere, defensio) 135, 150, r62f., 165, 174,179, 187, 189f., 210, 245
Dei gratia s.: gratia Dei Demutsformel s. Devotionsformel Denare, karoling. 273,278, 28rff., 338; s. a.: Münzen >Denkmale< 26 Desiderius, König~ der Langobarden 199f. Despotes (Titel) 50
Register Deuteros, byzantin. Beamter I 34 Devotionsformeln und -wörter (Demuts-) z4, pf.; s. a.: gratia Dei Diakon 39 Dialektik, eine der sieben Artes 33of. >Ding< zi, 3z Dionysius Exiguus, Rechtssammlung des I I4 Dölger, Franz So, z45, z9I, z94 Dörries, Hermann 79 Doge von Venedig 43 domicellus 5z dominium 30, 7S Dominus (Titel) z5, 31;- rei 1z3 domus = Kirchengebäude IZ9 Doppelbügel s.: Bügel(krone) Dungal, irischer Gelehrter zS, I95 f., z94, 32.0, 333, 34° Duursteede, Handelsplatz z12., z79 dux (Titel) 36, jZ, 6S Dvornik, Frantisek 3 5z Eadburg, .Äbtissin Io4f., IIO ecclesia 3I ; - Romana I I S Eckhardt, Kar! August 12.6 Edgar, König der Angelsachsen S4 Eduard IV., König von England I9o - VI., König von England I9I Egbert, Erzbischof von Trier S4 (s. a.: Ekbert) >Ehrenwörter< zj, 37, 54 Eichrnann, Eduard 40, Ij4, ISz Eid (s. a.: iuramentum, promissio) 7S, I 57, zo3, zSjf., zS9; -von Ponthion (754) I49. Iji, IjS, I7o, I73, I76, 2S7, zS9; Freundschafts173 f., 1Sz, I95, z2.1; Krönungs- 4I, 57, 179, I83f., z97; Mannschafts- qz; Mönchs- I 59; Reinigungs- I6S, 256, z6S; Schutz- q6ff.; Sicherheits- rSz; Treu- zS5; UntertanenI67, zoo, zS4; Vasallen- Ijl, I73, I75 >Einfluß< zof. Einhard I93f., I99, zi3, z4z, z45, z59, z66, zS9, Z9I, Z96, 3I9 Eirene, Kaiserin von Byzanz z9I f. Ekbert, Erzbischof von York II4f. (s. a.: Egbert) Ellwangen, Kloster 74 Elze, Reinhard II, 4I, I3I, I43, 154, ISz, IS7 Emblemata z3 emendatio 33S
England 4of., 47, 57, 69, 76f., SS, ISrf., I87, I9o, 35z; s. a.: Angelsachsen u. die Einzelnamen Episkopat s. Bischöfe Erdmann, Carl j, ISz, z4I, zp, 345 Brich, schwedischer Königsname 37 Erkanbald, Leiter der Kanzlei Karls d. Gr. zo3 Erzherzog (Titel) 5z I; -könig (Titel) 5 I Etendard 70; s. a.: Standarte Eugenius Vulgarius S3 >Europa< (Name u. geogr. Vorstellung) 65, 6S, 3I7 Eusebios von Caesarea So Evangelien s. Testament Exarch von Ravenna S7 Fahre, Paul I44 Fahne (s. a.: pendtfn, signum, vexi!!um) 33, 43, 4S, 7I, z4I; s. a.: Banner, Feldzeichen, Standard Fahnenträger ( A!jerez, signifer) 4S faldistorium zo9 ; s. a.: Dagobert-Thron >Familie der Könige< 43 Feist, Peter H. 6 5 ff. Feldzeichen 4S; s.a.: Fahne >Festkrönungen< (Coronamenta) 57, z58 Fibel als Würdezeichen 55, 304 Fichtenau, Heinrich v. 347f. fideles (ftde!itas) zS6 ftdes I 50 ft!ius spiritualis 4z Finanzverwaltung, päpstliche I 36 >Flächenstaat < 3 5, z 7 I Flandern, Gräfin Clementia von 53 Fleckenstein, Josef 349 Folz, Robert z57, 345 f. Forchheim, Synode von (S9o) I 8 5 >Fortschritt< zo Franken(reich) 6I, 7z, 88, 90, ro6f., II5ff., I38, Ij3, I77, I95, ZOO, zo3f., ZI2., zz5, 238, z43, z53, z57ff., z63, z7o, z76, z86f., 3oz, 304, 3IO, 3I9, 3z3, 32Sf., 337; s. a.: Einzelnamen der Könige Frankfurt, Konzil (794) I68, z35 Frankreich 36, 40, 47, 5I, 75 ff., ISI; König von F. heilt Kranke 69f. Freundschaftseid (-versprechen) I73f., I8z, 195, zZI; s. a.: Eid Fridugis, Diakon 3z1, 333 Friedrich I. Barbarossa, Kaiser I4z, I 86, z6z, 347
Register
- II., Kaiser 43, 5o, 55 f., 344 Fritze, Wolfgang 176-9 Fritzlar, Kloster 105 Fürst (Titel) 52 Fürstenspiegel 44, 58, 78, I 20 Fuhrmann, Horst I38, 273 Fulda n8 f., (Grab des Bonifaz 92) Fulrad, Abt von Saint-V aast 84 Gal!ia im Titel Karls d. Gr. 292; >Gallier< in den Briefen des Bonifaz 106 Gauert, Adolf 7I Gebärden s. Gesten Gebet für Herrscher 234, 236 Gedenkmünzen 43 Gelasius I., Papst 73, I 84; s. a.: Gewalten Geld, unter die Menge gestreut 57 Gellone, Sakramentar von I64 Gemmulus, römischer Diakon 109 Genealogien, angelsächsische Königs- 7I >Gerät< 21 Gerbert, Erzb. von Reims s.: Silvester II. Gerichtswesen, fränkisches 288 Germanica te!!us bei Bonifaz 96; Germania im Titel Karls d. Gr. 270 Gernentz, G. 38 Gesten (Gebärden) 32, 34, 47 Gewalten, weltliche und geistliche 34, 42, 58, 73f., I84, 233, 267; s. a.: auctoritas, potestas Gewand, kaiserliches s.: Tracht - priesterliches 22, 56 Gewere (investitura) 20I Gitter im Aachener Münster 2o8 Globus 47 Glöckchen (tintinnabu!a) 75 g!oria 54 Gloucester, Humphrey Herzog von I89 Götter, antike 335 Götzendienst I07 Goldbullen s. : Bullen Goldhelme s. : Helm, Krone Goldmünzen s.: Münzen Goldschmuck 97 Gottesurteil I 67 Gottfried von Viterbo I4o, I43 Gott!ob, Theodor I 83 Governor I 89; s. a.: gubernator
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Grammatik, eine der sieben Artes 94, 33off.; lateinische 98 >Graphia aureae urbis Romae< I39f., I43 gratia Dei 25, 37, 52, I94, I98, 2n, 269; s. a. Devotionsformeln Gratian, Jurist I So Gregor d. Gr. s.: Registrum Gregor II., Papst n4, 230 - III., Papst w6f., n3, n8, 222 - VII., Papst 86, w6, I33, I37, 240, 35I - von Tours I04 Grey, Jane (Thronprätendentin) I9I >Griechen< in den Briefen des Bonifaz 106 Grirnoald, Herzog von Benevent 3 IO Gripo, Sohn Kar! Martells I05 Große, der (Beiname) 53, 341 Großherzog (Titel) 52 Großkönige, Großreiche 2 5I, 2 53, 343 Grußform 48 gubernans imp. Rom. 293, 295 gubernator (Titel) 27I; s.: governor Günter, Heinrich 182 Gürtel 75 Gui, Bernard, Chronist I45 Gundlach, Wilhelm I 52 Haare, lange 72, 30I Habsburger 344 Hadrian I., Papst 82, 160, 165 ff., I73, I78, 196, 205, 2I3, 222, 224, 227, 232, 236, 243, 245ff., 260, 28I - II., Papst 83, 133, 185 Häme!, Adalbert 345 Hände, verschränkte s. a.: HandHaller, Johannes I5of., I71, 175, 266 Halphen, Louis 287 Halsring ( torques) 7 I Handelszeichen 23 Handkuß 48; -reichen 32; -schuh 21 ; verschränkte Hände 4 7 Harald, König der Angelsachsen 7I Hartmann, Ludo Moritz 222 Hartung, Fritz 78 Hartwig, Hermann 346 Harunal-Raschid, Kalif 3I3 Haskins, Charles Homer 27 Hauck, Albert 90 Hebräische Sprache 142; s. a.: Juden
Register Hedwig (Jadwiga), Erbin Polens 36 Heer, Friedrich 348 Heiden(tum) 95, IOI, Io6, II2, 237, 27I >Heil< des Königs 7of., 290 Heilszeichen, heidnische 2II Heinrich I., deutscher König I82, I88 - II., Kaiser 30, 39, 75, I3I, I86, I88 - ill., Kaiser 38, 85, I88 - IV., Kaiser 50, 7I, I42 - V., Kaiser 50, I88 - VI., König von England I89f. - VIII., König von England I9I Heldmann, Karl I 52 Heller, Dominicus 92 Hellmann, Manfred 40 Helm (Gold-) 2I3, 275, 305 Helmold, Geschichtsschreiber I42 Herakleios, Kaiser 227 herisliz (Verlassen des Heeres) 332 Herrschaftszeichen 22ff., 30, 38f., 47, 55, 77, I94, I99f., 2II, 257, 296; s. a.: Adler, Krone, Reichsapfel, Szepter, Thron usw. Herrscher s. : Kaiser, König; sakrales Herrscherturn 6I -bild (-darstellung) s.: Bild -eid s.: Eid -ornat s.: Tracht -sitz s.: Thron Hertford, Graf von (Herzog von Somerset) I9I Herzog, Titel 25, 3I, 52, 68 Himmelskarten 3I 8 ; -zelt 7 5 Hinkmar, Erzbischof von Reims I2I, I56f. Hirsch 7I Hirte, Bischof als I I 2 Hochsitz, germanischer 2 I I ; s. a.: Thron Höflichkeitsfloskeln 97 Hörner ( cornua) der Mitrll 75; Stier- 7I Hofgericht 206 Hohenzollern 344 Hohepriester 44, 75 Holtzmann, Walther 353 Holzspan 2I honor ( regni) 54 Horstmann, Hans 283 Hrabanus Maurus 92 Huguccio, Jurist I8o Humanismus 346 Humbert von Silva Candida, Kardinal I86
Humphrey, Herzog von Gloucester I89 Hunnen 63
ianua als Gebäudeteil I 29 >Idee< 20 Imitatio imperii 77; - .racerdotii 77 Imperator ( Attgttstu.r), Titel 50, 76, 25of., 269, 27rf., 285, 293, 296;- bei den Angelsachsen 51 ; imperatoris similis 2 54 Imperium 46, 78, 250, 253, 27I, 287, 29I, 294; - christianum 295, 299; - occidentale 299; Romanum 3I, 47, 294f.; s. a.: insignia Impresen 23 Inali<~nabilite (Unentfremdbarkeit des Kronbesitzes) 4I, 57, I84 Ingelheim, Pfalz 282 Innocenz III., Papst 347 insignia = imperium 40 Intitulatio s. : Titel Investitur mit den Herrschaftszeichen 26o; - streit 76, 90, 179; -Zeichen 24I Invokation I59, I73 invictissimus 54 Iren, Irland 98, 337 Irene s.: Eirene Isidor von Sevilla I24-30, I34, 27I, 314, 317, 352 Island 68
iuoßaatÄsvr; 24 7 Italien 76, I8r, 20I, 212, 3ro, 352; s. a.: Benevent, Langobarden, Rom, Spoleto usw. iuramentum 4I, I79ff.; s. a.: Eid Jadwiga (Hedwig), Erbin Polens 36 Jaen (Spanien) 36 Jagaila (Jagiello) von Litauen-Polen 36 Jagd, gepflegt von Kar! d. Gr. 306 J eanne d'Are s. Orleans Jerusalem 257, 3I7 Johann VIII., Papst I 53, I 57 Johannes Diaconus I33, I40, I45 - Teutonicus, Jurist I8o Josippon, jüdischer Geschichtsschreiber I42f. ]f!Yeuses entrees 43 Juden I29, I67, 237; hebräische Sprache I42; s. a.: Josippon ]udices (Pfalzrichter), römische I 30-44 Jurisdiktionsprimat II7
Register J usticiarius in England rS S Justin I., Kaiser 227 - II., Kaiser Sr Justinian I., Kaiser Sr, SS, 142 Justitia 22, 150, r6r, 167 Kämmerer 3I ; s. a. : camera Kaiser passim; britannischer - z. 51 ; byzantinischer - s.: Byzanz; christlicher - 29S f.; lateinischer - in Konstantinopel 63 -idee 76, z. 5z, z. 54, 291 ; -jahre 220; -mythos 76; -name 227, 230, z.S9; s. a.: Bild, Bulle, Caesar, Denare, Helm, Imperium, Krönung, Mantel, Münzen, Ordines, Recht, Titel, Tracht, Wahl, Wahrzeichen, Wappen usw. Kamelaukion (geschlossene Krone der byzantinischen Kaiser) 245 Kantorowicz, Ernst Hartwig 42, 55, 57, 234f., 261, 2So Kapitularien 2S7ff. Kardinalskolleg 77, Liste des- 144f. Karl Martell, Vater König Pippins 90, 178, 240, z.S2 Kar! der Große 27, 33, 34, 35, 37, 44, 50, 53, 72f., 76, 82, 87, 90, 92, 9Sf., 109, 113, 119, 12S, 141-350; Name 53, 265; Beiname Magnus 53, 341 ;. Karlsideal 74 Kar! Il., der Kahle, Westfränk. König, Kaiser 74, S3, 153-7, ISI, 185, 188,277, 301, 33S, 350 - III. (der Dicke), Kaiser 83, 185 Kar! VI., König von Frankreich 70, 75, 77 - X., König von Frankreich 69 Kar! I. von Anjou, König von Sizilien 37, 191, 347 Karlmann, Bruder Karls d. Gr. 72, 107, 170, 195. I99 Karosse 43 Kastilien 33, 36, rS3 Katechumenen I07, 237; -öl 69, 72 (s. a.: Öl) Kehr, Paul Fr. z.66 Kekaumenos, byzant. Autor rzo Kennzeichen z 3 Kette s. Petri I 99 Kirchenbeschreibung I 29; -recht s.: Recht; -staat (Patrimoniums. Petri) 8S f., 229 Kleider, kaiserliches.: Tracht Kleinclausz, Arthur zr6f., 345 Klewitz, Hans-Walter 5, 37, 349, 350
379
Kniefall 32 König 6S-7S; -amt zoo; apostolischer - 54; schwedischer- 36; -bulle s.: Bulle; -fahne s. Fahne; -forme! der Laudes 239; -frieden z.S3; gefolgschaft 203; -grab 71; ->heil< 7of., 290; -idee 252; -krönung s.: Krönung; -Iaube 209, 211; -lehre 7S; -mythos 71, 76; -name 33 ; -opfer 71 ; -ordines s. Ordines; -schutz 175; -sta~ s.: Stab; -versprechen 157, 160 Königstitel r66, 202, 204, 263, 266, 274, 279, 294, 29S; angelsächsischer- 19S; englischer51 ; kastilischer - 5 I ; s.a.: Kaiser, Titel Köster, Rudolf 345 Kommendation 15off., 175, 220 Konrad Il., Kaiser 25, 3of., 3S, 50, 75, r86 - III., König 50, 142 - IV., König 50 Konstans, Kaiser 227 Konstantin der Große, Kaiser z.S, 33, 53, 74, 76, 79f., S2, 137, 142,234,241, 24S, 275, 28off., 301 - V., Kaiser 227 - VII., Kaiser 120, 300 - Päpste s. : Constantin Konstantmische Schenkung 77, 137ff., 143,221, 235, 241, 271ff. Konstantinopel 133, 135, 13S, 212, 243, 269, 29rf., 294; Apostelkirche 24S; s. a.: Byzanz Konsulat 22 5 Kosmologie ror Kranz (stephanos) So; s. a.: Krone Kretschmer, Ernst 93 Kreuz 34, 167, 2S3; Krücken- 22S Kroatien 33 Krönung 40, 56, 77f., 153, I 57. rS6f., 201,257, 259f., 263, 297; englische- rS3; s. a.: Chrisma, Eid, Katechumenenöl, Ordines Krönungsmahl 31,40 Krone 40, 44, 55, 134, 213, 233, 24S, 257, 263, 266, 275, 297, 304; s. a.: Bügelkrone, corona, Kamelaukion; - der Gerechtigkeit So; des ewigen Lebens So; Weihe- 232f. Krückenkreuz 22S Kuhn, Hans 70 Kurie, römische 273; Kurialstil 97 Kuß 32 Kvaün:we s. Quaestor
Register Labarum 48 lacunaria (Gebäudeteil) I 29 Laehr, Gerhard I38 Lambert, Kaiser I 8 5 Langobarden(reich) 35, 7I, 86f., Io6, I74, I99f., 204, 224, 270, 273, 302, 337, 339; s. a.: Desiderius Lanze zoo, 24I, 274, po; -nträger (signifer) 48 Laudes 4I, 57, 77, 232, 234f., 23 7ff., 248, z6of., 263, z68, 27I; >-Romae< 38 Leblanc, Fran~ois 265 Lechfeld, Sieg auf dem (955) 74 >Legimus< (Unterschrift des Kaisers) 273, 277f. Lehmann, Paul 345 Leib, Bernard 353 Leo III., Papst I68, q8, 205, 209, 222, 224, 228, 230-33,239, 24I, 243, 246f., 249f., 254, 256ff., 26I-65, 27I,273, 299,304 - IV., Papst z6I - VII., Papst 228 -,Bischof von Vercelli 84 Leoparden 34, 70; s. a.: Löwen Levison, Wilhelm 9I Lex Salica 203, 288, 329 Libri Carolini 82, 25of. Lilie 70 Lintzel, Martin 284 Litauen 36; s. a.: J agaila Liudprand, Bischof von Cremona 75, 243 >Lobwörter< 25, 37 Löwe, Heinz 2 59 Löwen 34, 2 I I ; s. a. : Leoparden Logothet I 32, I 35f.; - Iudus globi< 27 Lüders, Wilhelm 349 Ludwig der Fromme, Kaiser 37, I85, 296ff., 308, 35I Lu!!, Erzbischof von Mainz 90, 92, 99 Maginarius, Abt von St. Denis 305 Mahl s.: Krönungsmahl
Macrobius 320 Mailand 87 Mainzer Ordo s. : Ordines >Majestät< ( majestas) 24, 54;-sverbrechen 264,284 Manfred, König von Sizilien 50 Mannschaftseid 172 Manteldes Herrschers 2I3, 243,257, 263; s. a.: Chlamys, Gewand,sagum, Tracht; Welten- 75; Purpur- 263 marchio, Titel 36 Maria, Jungfrau 70 Marmor 207 Marschall 3I Martens, Wilhelm I50 Martin von Troppau I45 Maße des Aachener Münsters 327 Matrimonalunion 36 Maximilian I., Kaiser 35, 308 Mecklenburg 37 Medaillons 274ff.; s. a.: Münzen Meersen, Vertrag von (851) I8I Menzer, Anne 223 Mercia, Könige von I02, Io6, I 17, I66 Merowinger 72, I77, 2od., 207, 235, 323, 349; s. a.: Einzelnamen und: Franken Metaphern 24f., 3I Metz I8I Michael III., byzant. Kaiser 49, 295 militia Christi II 2 Mirabilia urbis Romae I40, I43, 'I45 Missi Karls d. Gr. z88 Mitherrschaft im Himmel 79-8 5 Mitkaiser 296; -könig 297f. Mitra 42, 75, 275 Mitteis, Heinrich 29, I 5z, 175, 290 Model (Bildmodel) 24 modernus 65 Modul= Iz karol. Fuß p6f. Mönchseid I 59 Monate, von Kar! d. Gr. umberrannt 309 Monogramm 212, 323f. Monokrator I42 Moses 73 Münzen 33-5, 48, 205, 212, 220, 225, zz8, 246, z6j, 273f., 279, z82f., 338; langobardische228f., byzantinische- 205; päpstliche- zz7f.; -Reformen 228, 279; Gedenk- 43; s. a.: Denare, Medaillons
Register Mundschenk 3I munus divinum 2 5 Murcia (Spanien) 36 Mythologie, antike Il3; germanische - Io6 Mythos des Königtums 70, 78 Namen 37, 53; Kaiser- ( nomen) 227, 230, 264, 289; s. a.: Beinamen Navarra 36 Neapel 36;Duxvon 243 Neues Testament s. a.: Testament Neustrien 202 Nijmegen 74 Nikolaus I., Papst I32, 138, I 57, I85 Nil 3I7 Nithard, Geschichtsschreiber I 56, I 62 Nomenculator I 34f. nomen imperatoris s.: Namen Normandie, Normannen 5 I Northumberland, Herzog von 191 Notker Balbulus (>der Dichter<) 262 Noyon I97f. Nursling, englisches Kloster 97 Oberkönig 206 Odilo, Abt von Cluny 84 Odo, Baumeister des Aachener Münsters 209, 32 5 Öl, heiliges 69; s. a.: Chrisma, Katechumenenöl Ohnsorge, Wilhelm 273, 277, 292, 295 Opfermann, Bernhard 42
Orbis terrarum 32 7 Ordericus Vitalis I 88 Ordines für Krönungen 4I, 44, 56, 121, I53f., I66, I68, r8r, 187, 237, 298, 309;- der sieben Formeln 83; - von Stavelot 83; Deutscher (Mainzer) -46,83, r86; Kaiser- 153f., I57ff., 16r, 166f., I86, 19o;- Cencius II I82 ordo rerum 289 >Ordnung< als Prinzip Karls d. Gr. 309, 320, 3H. 339 Orient 66 Orleans I 88; Jungfrau von- 70; s. a.: Theodulf Ornats. Tracht; ornatus mirus 75 Ostgoten 72, 86, 207, 308 Otto I., Kaiser 25, 3I, 34, 39, 74f., 13I, I57, r86, I93, 202, 209, 244, 274 - II., Kaiser 76, r 3l
- III., Kaiser qf., 34, 76, 131, 139f., 143, 212, 30I Pactum s. : Schenkung Pippins Palastbeschreibung I 29; Papstpalast 77; s. a.: Pfalz paludamentum 279 Panegyrik 340 Pantheon in Rom 143 Panvinio, Onofrio 144 Papias, Lexikon des I 34 Papst passim; s. a.: Agatho, Alexander, Coelestin, Constantin, Gelasius, Gregor, Hadrian, Innocenz, Johann, Leo, Nikolaus, Paul, Sergius, Silvester, Stephan, Zacharias -bildnisse 49; -briefe I6off., 174, 179 -münzen 227f.; -ordo I 54; -palast 77 parens patriae 38 Paris, Gaston 34 5 parspro foto 23, II4 Pathosformeln 24 Patriarch von Konstantinopel 73 Patrimoniums. Petri 88f., 229 Patricius I27, 195, 204, 221, 234, 238, 245, 26o, 269 patronus r 85 Paul I., Papst I6j, r68, 17of., 222 Pauli, Reinhold 2 59 Paulus, Apostel So - Diaconus 28, I27f., I66, 220, 306, 328 Pavia 30, 87,155,200,204 Pembroke, William, Earl Marschall I88 Pend6n (Fahne) 48 Personalunion 35 f., 2orf., 272 Personalverband 35, 271, 287, 289, 349 Personifikationen 21f., Io2, 309, 335 Peter, Bischof von Verdun 168 Petrus, Heiliger I 51 f., I64, I68, 2o4f., 228, 232 (Ketten 240) - Darniani 8 5 - Diaconus von Monte Cassino r 42 - Mallins 145 - von Pisa 332 - de Vinea 44 Pfänder der Seelenfreundschaft I I I Pfalzgraf, karolingischer 306 Pfalzkapelle 32 5, 327 Pfalzrichter, römische I3o, I36, I38f., I43f.; s. a. : Palast
Register Pferd, Herrscher zu 43 ; s. a. : Reiterdenkmal Philipp II., König von Spanien 37 Philippikos Bardanes, Kaiser zzo, 223, 233 Pilgerzeichen z 3 Pippin, König 37, 72, n8, I49-54, I6of., I64f., I68, I7o-79, I8z, I95 ff., 204, zo6, ZI4, 235, z8z, 289, 30I, 307 Sohn Karls d. Gr. zoi - I. und II., Könige von Aquitanien 82 Pirmin, Heiliger 92, 95 Podesta (Italien) 43, 53 Polen 36, 77 Pommern 37, 52 Ponthion, Begegnung in (754) I 52, I7I, I74, I77 Porfyrius, spätantiker Dichter 99, 3ZI Portugal 72 poleslas 42, 74f., I84; s. a.: Gewalten Präsident der Vereinigten Staaten I88 Prautores I29 Prirnicerius I34, I4I Primus defensor I 35 f. princeps, Titel 36;- Saxoniae 52 Faderborn ZI3, 249, 304f. processio 234f., 237, 239 professio der Geistlichen I So promissiones der Herrscher 4I, 78, I53f., I56f., I59-62, I67, I7o, I7zf., I8o-8z, I85, I88, I9o, 205; s. a.: Eid Proskynese 32, 47, II7, 26I Proteetor I57, I62-67, I79, I84-91, 204, 210, 234, 245, 287;- ecc!esiae 42 Protekdikos I 35 >Protokoll< 3ooff. Protoscriniar I 32, I 3 5 :n:ean:oaa1J"I!~•1Jr; I 35 Provence II7 Prozession s.: processio Prunkhelm 305; -schwert 304 Purpurmantel 263 Quadriga 43 Quaester I 35 quasi-irnperator, Kar! d. Gr. als 254f., 302 >Quelle<, historische 20, 26, I 24 Quentowic, Handelsplatz 283 Rangzeichen 22 >Rationalismus< in karoling. Zeit II2, 3I3
Ravenna I85, 205, 209, 229, 23I, 30I, 307, 324 Recht II3, 267, 289, 29I, 299, 304, 330, 339; kanonisches- II3, n6; Kaiser- 264 Rechtsakte I94, I97, 202, 263, 297; -bewußtsein 267; -form Ip, 204; -geschichte I27; -institutionen I 5I; -persönlichkeit 2oi; -teform I95; -sprache I 55, I6I; -symbolik 21; -texte 329, 332; -Zeichen 217f. Reconquista in Spanien 36 rectitudo 33 I rector I84, I89, 272 Referendarius I 32, I 35 Regentschaftsrat, englischer I 9 I Registrum Gregorii Magni 89 Reich s.: imperium, Kaiser usw. Reichsapfel 38f., 47, 55 Reichsbegriff 294;-hort 296;-idee 252f.,29I; -tei!ung I 99, 220; -titel 5I Reifenkrone 248 ; s. a.: Krone Reims 69f.; s. a.: Hinkmar, Retnigius Reinigungseid I68, 256, 268; s. a.: Eid Reiterdenkmal 207; s. a.: Pferd, Herrscher zu Re!igio christiana auf Karls d. Gr. Denaren 28 I Reliquien 46, III, II4, 2II, 3o8f., 349; s. a.: Brustreliquiar Remigius von Reims 69 >Renaissance<, karolingische 27f., 336-39; byzantinische 354 >Renovatio< 27f., 33, 76, 274ff., 336 renovator 2 8 Rethel, A!fred, Maler 299 respublica 30f., 46, 54, 287,290;-christiana I29, 236, 276 Res sacra I8o Restauration in England I9I Reuter, Hermann I I 2 >rryescato!icos< 38,54 Rex p, 234, 250;-catho!icus 38, 54;-christianissimus 54;-jidelis.rimus 54;- Franciae 36; Franeorum el Langabartforum 35, 292; - Galliae 292;- Germaniae 292;- ltaliae 292; - iustu.r I20;- Romanorum so; s. a.: roi Rhetorik, eine der sieben Artes 330, 33I >Rhomaion< im byzant. Kaisertitel 293 Richard 111., König von England I90 -,HerzogvonYork I9o - von Cluny I45 Richardson, Henry Gerald I 8 3
Register Richter, römisches.: Pfalzrichter; -Iisten I 30-44 >Richtigkeit<, Grundbegriff Karls d. Gr. 309, 335, 337. 339 Rodenberg, Carl I 53 roi de Bourges 70; - de France 36, 70; - tr?is chretien 38; s. a.: rex Rolandslied 347 Rom und Römer passim; Roma aeterna 38;aurea 38;- Reich 253, 29I, 30I Romanisierung 344 >Romfreie< Kaiseridee 25I rote Stiefel (Schuhe) z6o, 263 rubus (Brombeerstaude) 332 Rufin, Jurist I8o Rundnagel, Erwin 345 >Ruodlieb<, Roman (II. Jahrh.) 32 Saccellarius I 36, I 37 sacer 51 Sachsen ro6f., 203, 212, 236, 282, 339, 343f. Sacramenta(le) s.: Sakramente sacratissimus 5I sagum (Mantel) 243 ; s. a.: Mantel S(aint) Denis 195 - Evroul, Kloster I88 - Marcoulf, Dorf in der Champagne 69f. Sakrales Herrscherturn 6 r Sakramente 72, 153, I7of.; sacramentale 72 Salbung der Herrscher 40, 56, 72, 78, 222, 259, 263, 289, 297, 299, 303 (s. a.: Krönung);- der Bischöfe 72 Salomon zii Salzburg 277; s. a.: Am, Virgil S(ancta) Susanna, Kirche in Rom 231 sanctus 55 S(an) Vitale, Kirche in Ravenna 209 Sarazenen s.: Araber satrapa 52 sceptrum s.: Stab Schandmal 21; -zeichen 23 Scharf, Joachim rzo Scharfrichter zz Schatz, königlicher 190 >Schauspiel<, Festvorgänge als politisches 25, 3Iff., 43 Schenkung Pippins an die Kirche 195, 205, 22I Scheren der Königshaare 72 Schieffer, Theodor 9of., II4
Schiff= >Staat< bzw. >Kirche< 24, 3of.; Schiffsreise = Missionierung I I 2; Mastzeichen von Schiffen 48, 28 3; -grab 71 Schild 274 Schlesinger, Walter 273 Schlosser, Hans 126 Schlüssel St. Petri I 34, 240, 257;- Jerusalems 257 Schottland 77 Schubert, Hans von 90 Schulwesen, karolingisches 330 Schutzbündnis I 5o; -eid I 75 ; -freundschaft J76ff. Schweden 36 Schwert 21, r8o, 257 Schwurs.: Eid; -freundschaft 176ff. Sechszahl 2II Secundicerius 134, 141 Seelenfreundschaft r r r sella 209; s. a.: Thron >Senat< = Kardinalskolleg 77 senior 25, 52 Sens, Erzbischof von 69 Serenissimus 52 Sergius ill., Papst 83 Seymour, Lord I9I Sicherheitseid 182 Sicke!, Wilhelm I50 Siebenzahl r 34 Siegel (Wachssiegel) 33, 34f., 48, 135, I94, 212, 248; s. a.: Bullen (Blei- u. Gold-) Sigismund, Kaiser 77 signa 241; s. a.: Fahnen Signete 23 Signifer (Lanzenträger) 48; s. a.: Lanze Silberschmuck 97 Silvester II., Papst (Gerbert) 3 r >Sinnbild< 23; >-Zeichen< 23 Sizilien 37 Skrofelkranke geheilt 69f. Slawen 96, 339, 352-56 Smaragdus von St. Mihiel 82, I84 Soissons 195, I97f. solium 2 I I ; - imperii 39; s.: Thron Somerset, Herzog s. a.: Hertford Souverän(ität) 184 Spätantike 6r, I82, ;or Spanien 47, 70, 77, II7; s. a.: Kastilien Spanische Mark 339
Register Spangenberg, Oberamtsrat r22ff. spes imperii 54 Sphaira 47 >Spiel< 27 splendor imperii 54 Spoleto, Herzog von I68 Spolien 208 >Staat< 24, 25, 3of., 40, 45, 55, 78, 120, I22, I30, 286, 288, 348; = Schiff 39; -handbücher 12 I; -recht I 76, 300; -theorie 267; -wappen 33 >Staatspräsentation< 21, 25, 30, 43, 58 >Staatssymbolik< 2I f., 24, 30, 32ff.,42-47, I93 f., 2I2, 2I5, 234f., 246f., 258, 260, 262, 264, 266, 274, 28of., 293, 297, 302 Stab (Szepter) 23, 55, 92, 257f., 263, 305;- des Alkalden 48; Ahnen- 7I Stabreim 98 Stadtpräfekt in Rom 86 Stämme, germanische 64 Stände 78 Standard (Standarte, etendard) 70f.; s. a.: Fahne Standeszeichen 22 status 3of.;- imperii 40 Staufer 344 Stavelot s.: Ordines Steger, Hugo 2I4 Steinthron s. : Thron Stephan II., Papst I I7, r6r, 164, qof., 175, 177, 195
- III., Papst I65, 170, 224 - V., Papst 83 ariq;avor; (Kranz) 8o; s. a.: Krone Steuermann, Herrscher als 25, 30, 39 Stiefel (calcei) >römische< (rote) 2I3, 244; schwarze- 244 Stierhörner 71 Stiftshütte 129 Stirn, Salbung an der 72 Stola 39 Strzygowski, Joseph 66 >Stuhl, heiliger< 23; Bronze- 208 (s. a.: Thron) Stutz, Ulrich 149 sublimis ( -issimus) 54 Summus Re:x: 254 Sutton Hoo 7of. >Symbol< zr; -sprache 257; s. a.: Rechts-, Staatssymbolik Szepter s.: Stab
tabernaculum (Kirchengebäude) 129 Tassilo, Herzog von Bayern 264, 304 Taufgelöbnis 332· Tempel auf Karls d. Gr. Denaren 281; templum (Kirchengebäude) 129 Temperamentlehre 93 Teppiche 43 Terminologie, wissenschaftliche 19 Testament, Altes 72, 75, 301, 333; Neues (Evangelien) 167, 333; s. a.: Bibel >Testament< Karls d. Gr. 296 Teufelsvorstellung rrr Thegan, Geschichtsschreibe r 297 Theodahad, König der Ostgoten 230 Theodemar, Abt von Monte Cassino r66 Theoderich d. Gr., König der Ostgoten 282, 324 Theodosius II., Kaiser 8 I Theodulf von Orleans 28, 3I7, 32I, 323, 328, 333 Theophanes, byzant. Geschichtsschreiber 2 59, 291 fJeorpvJ..auror; r64 Thietmar, Bischof von Merseburg r86 Thron (so!ium, thronus,sel!a) 39, 44, 55, 77,135, 142, 199, 2o8f., 2ll; Stein- 206, 309, 327; -bank 39; -sockel 210; thronus 23; s. a.: cathedra, Hochsitz Tiara 77, 257 tintinnabu!a (Glöckchen) 75 Titel (intitulatio) 35, 49f., 96, I94, 27I, 292, 295; s. a.: Einzeltitel - byzant. Kaiser- s. Basileus; päpstlicher - 55 ; abendländischer Kaiser-, bes. Karls d. Gr. 50, 230, 239-96, 351 Topos 24, 38, 79f., ro8 torques s.: Halsring Torthelm, Bischof von Leicester 81 Tracht (Gewandung, Ornat) der Herrscher 44, 56, 74f., 77. 134, 242f., 245f., 257, 259f., 263, 266, 304; >römische< - 246f.; priesterliche -22, 56; s. a.: Dalmatica, Gürtel, Mantel, Stiefel usw. Translationstheorie 347 Treitschke, Heinrich v. I9 Treue (ftdelitas) 286; Treueid 28 5; s. a.: Eid tribu!atio I I 8 triregnum 77
Register Triumphator 43 Trompeten 43 Troyes, Synode von (878) I53f., I 57 Truchseß 3I Trutzbündnis I50 Türen, in Aachen gegossen zo8 tufa (Königszeichen) 7I tunica s. Kaisergewand Turkvölker und Madjaren 63; s. a.: Ungarn tutela (Vormundschaft) I89 >Überreste< z6 Uhr (Wasseruhr) 3I9 Ungarn 33, 5of., 54, 63; s.a.:Turkvölker, Urum Untertaneneid I67, zoo, z84 Urkunde, neueingebürgertes Wort 333; - formulare 30I Urum, ungarischer Titel 50 Utrecht, Bistum II8 Valencia 36 Vasalleneid I5I, I73, I75; s. a.: Eid Venedig z9z; s. a.: Doge Vereinigte Staaten I 87 Verneigung 3z Versippung z9z; s. a.: Ansippung Verwaltung, Lehrbücher der 121 Vexillum urbis Romae z4o ff.; s. a. : Fahne Vicarius Christi 55 Vicedominus 52, 1z3 Virgil, Bischof von Salzburg 95, 101 Viterbo 53 Völkerrecht 300 Vogel s.: Adler Vogt der Kirche 4z Voigt, Kar! 90 >Volksgeist< 19 voluntas I 5o Vonderau, Joseph 92 Vormundschaft s.: tute Ia Vornamens.: Namen Vorzeichen 3I 9 f. Wachssiegel s.: Siegel Wagen, Herrscher im 43
Wahl I4z, 199, z6o, 297; -handfesten n;des Kaisers 297 Wahrheit im Denken Karls d. Gr. 309, 335ff. Wahrzeichen 23; -des Kaisers z84 Walahfried Strabo, Abt der Reichenau IZI, 1z7-30, I37 Wappen 33, 48, 70 Warburg, Aby z4, z9 Warenzeichen 23 Warwick, Graf von I90 Wasseruhr 3 I 9 Weihekrone z32f.; s. a.: Krone Welfen p, 344 Weltenbaum 7I; -mantel 75 (s. a.: Mantel) Wenden Io6 >Werden<, Begriff des 20 Westgoten 72, 88, 337 Wetzstein (angeblicher) von Sutton Hoo 7I Wezel, Schreiber eines Briefes an Friedrich I. I42 Wibald, Abt von Stablo I86 Widukind, Herzog der Sachsen 74, I93, zog, 343ff. Wiedergeburt s. Renaissance Wilhelm der Eroberer, König von England 77 Willibald, Missionar, Bischof vonEichstätt 8 I, 93 Willibrord, Apostel der Friesen 92, n8 Winchester 97 Winfrid s.: Bonifaz Winkel im Denken Karls d. Gr. 309, 3ZI, 3z7 Wipo, Biograph Konrads II. z5, 30, 46, I86 Wort, das richtige, im Denken Karls d. Gr. 32 7 ff. Wotan 7I >Würdezeichen< 22 Zacharias, Papst I05, Io8, II4, II7 -, Priester z 56 Zahl im Denken Karls d. Gr. 309, 32of., 3z7 Zahlenmystik 332 Zar, Titel 39, 50 >Zeichen< 2zf., zo8 Zeit im Denken Karls d. Gr. 3I4 >Zeugnis< (Wort- und Bild-) zo Zodiacus 75 Zweigewaltenlehre s.: Gewalten Zwentibold, König von Lothringen 8z