John Grey
Ich werde gejagt Ronco Band Nr. 100/01
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 st...
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John Grey
Ich werde gejagt Ronco Band Nr. 100/01
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – ein Waisenjunge, der als einziger in einem Treck einen Indianerüberfall überlebt und von Padres gefunden wird. Pater Ambrosius – sorgt für die Erziehung des elternlosen Jungen. John Wilkins – trailt mit seiner Familie in den Westen und versucht der Wildnis zu trotzen. Kate Wilkins – wird mit ihrem Sohn Clay und mit Ronco von Banditen geraubt und soll an die Indianer verkauft werden. Fairly – ein wüster Kerl, durch den Ronco die Gewalt kennenlernt.
Ich werde gejagt 13. August 1878 Ich werde gejagt. Im Grunde habe ich damit mein Leben bereits beschrieben. Aber ich bin kein Verbrecher, und dadurch wird die Sache problematisch. Überhaupt ist das der Grund, warum ich heute anfange, ein Tagebuch zu schreiben. Ich weiß nicht, wer diese Aufzeichnungen einmal lesen wird. Ich bilde mir nicht ein, daß sie so wichtig sind, daß sie unbedingt gelesen werden müßten. Aber wer sie auch immer liest: Er soll die Wahrheit über mich erfahren, über mich und die Männer, die mich jagen, die auch jetzt, während ich schreibe, bereits wieder auf meiner Spur reiten, um mich zu töten. Erst vor ein paar Tagen bin ich gerade noch einmal davongekommen. Ich habe von diesem Kampf noch eine Wunde am linken Arm. Es ist ein Streifschuß, nicht allzu schlimm. Ich habe Schlimmeres durchgestanden. Schmerzen sind zu ertragen. Es wird nicht meine letzte Wunde sein. Meine Lage ist ziemlich verfahren. Ich will aufschreiben, wie es dazu gekommen ist, obwohl das eine sehr lange Geschichte ist. Ich sitze in einem schmutzigen Hotelzimmer in Steeple Rock, New Mexico, Steeple Rock ist eine Stadt, die nur aus wenigen Hütten besteht und in der Männer wie ich nicht auffallen. Ich hoffe, hier einige Tage Ruhe zu haben. Ich habe ein Schulheft vor mir liegen, das ich von einem fahrenden Händler für fünf Cents gekauft habe. Es wird nicht ausreichen, um alles aufzunehmen, was mir durch den Kopf geht. Gleichzeitig aber habe ich das Gefühl, daß ich einen Fehler begehe. Vielleicht wird man später, wenn ich nicht mehr lebe, diese Aufzeichnungen lesen und darüber lächeln. Weil ich nie gelernt habe, zu formulieren, und weil ich nur eine Missionsschule besucht habe, in der man nicht mehr gelernt hat, als Lesen und Schreiben. Aber selbst das war schon viel für die Zeit, in die ich hineingeboren wurde, und das Land, in dem ich aufgewachsen bin. Vielleicht wird man mir auch nicht glauben, weil sich in fünfzig
oder hundert Jahren vieles ändert und man sich nicht vorstellen kann, wie das Leben zu meiner Zeit verlief. Aber eigentlich glaube ich das nicht. Denn dazu müßten sich die Menschen ändern, und ich habe wenig Vertrauen zu den Menschen, wie jeder verstehen wird, der meine Geschichte kennt. Ich will nicht, daß später einmal von mir gesagt wird, ich sei ein Verbrecher gewesen. Ich habe niemals etwas getan, dessen ich mich schämen müßte. Darum, und das allein ist der Grund, schreibe ich heute auf, wie es wirklich war in meinem Leben. Ich, Ronco …
1. Der Treck befand sich unweit der Wüste, die man Staked Plains nennt – oder auch Llanos Estacados –, als das linke Vorderrad des ersten Wagens brach. Der ganze Treck geriet ins Stocken, und eine alte Frau meinte, daß es ein böses Omen sei. Der Treckführer hielt von solch abergläubischem Gewäsch nicht viel. Er fluchte nur und sagte sonst gar nichts weiter. Einige Männer begannen, den Wagen zu reparieren. Die Arbeit dauerte länger und war schwieriger, als es zunächst ausgesehen hatte. Das Ersatzrad ließ sich nicht aufziehen. Der Zapfen der Achse hatte sich bei dem Unfall leicht verbogen. Die Männer standen um den Wagen herum, mit verschränkten Armen oder mit den Fäusten in den Hüften, und redeten eine Menge dummes Zeug. Denn sie verstanden von allen möglichen Dingen etwas, nur nichts von Planwagenachsen, was kein Wunder war, da die meisten erst vor kurzem ein solches Gefährt zum erstenmal bestiegen hatten. Ein Mann namens Gourdet kroch auf allen vieren wie ein Jagdhund um die Achse herum, während die anderen redeten. Er war erst vor ein paar Wochen mit seiner Familie, die aus seiner Frau und zwei zehn und zwölf Jahre alten Jungen bestand, im Zwischendeck eines Auswandererschiffes aus Frankreich gekommen. Gourdet sprach keine zwanzig Worte Englisch, was ihn aber nicht daran gehindert hatte, mit einem Planwagen durch halb Amerika zu reisen.
Als er schließlich aufstand, wischte er sich mit großer Geste die Hände an der einfachen Leinenhose ab und sagte: »Attention, Messieurs, attention!« Er hatte einen Kopf wie eine Runkelrübe. Sein Haar stand wirr wie ein Blätterstrunk von seinem Schädel ab, nur, daß es nicht grün war. Die Männer verstummten und schauten ihn abwartend an. »Wir müssen machen Wagen leer«, sagte Gourdet, schwerfällig nach Worten suchend, sehr energisch erst, dann leicht: »You understand me? Wir legen Achse auf Amboß und hauen gerade mit Hammer. Ich Amboß in Wagen. Alles andere Scheiße.« Er drehte sich würdevoll um und ging zu seinem Wagen in dem Bewußtsein, den anderen Idioten gezeigt zu haben, wie man Planwagen repariert. Die Männer schauten ihm nach und fragten sich, warum sie nicht selbst darauf gekommen waren. Dann begannen sie, den Wagen zu entladen. Es war ein Conestogaschoner mit verstärkten Bracken und Eisenbeschlägen. Auch als er entladen war, war er noch immer so schwer, daß fünf Männer nötig waren, um ihn anzuheben, als Gourdet seinen Amboß brachte und ihn so ins Gras stellte, daß das linke Ende der Vorderachse daraufgelegt werden konnte. Die Habseligkeiten der Familie Hancock aus dem ersten Wagen lagen im Gras herum. Es war überflüssiger Plunder, wie der Treckführer meinte, unnötiger Ballast, der den Wagen nur zusätzlich belastete und eigentlich gar nicht wieder aufgeladen werden sollte. Er meinte damit vor allem ein altes eisernes Bettgestell mit Messingbeschlägen und eine Kiste mit Büchern, die so schwer war, daß zwei Männer sie kaum tragen konnten. »Das Bett kommt mit«, sagte Mrs. Hancock sehr energisch. »Meine Mutter ist darin gestorben.« »Wenn Sie Pech haben, werden auch Sie drin sterben«, sagte der Treckführer und ließ es damit bewenden, während Mrs. Hancock vor Empörung nach Luft schnappte. Mr. Hancock sagte gar nichts. Er sagte überhaupt nur selten etwas, was vermutlich daran lag, daß seine Frau ihn nie zu Wort kommen ließ. Er war ein schmächtiger, blasser Bursche, der, Lehrer von Beruf, stets mit einem Gesicht herumlief, das jeden zu fragen schien:
Was soll ich hier bloß? Als die Achse endlich gerichtet war und das Ersatzrad aufgesetzt werden konnte, war es Mittag geworden. Die Sonne brannte gnadenlos auf das Land, das noch nie von einem Pflug berührt worden, war. Es war gutes Land. Das Gras wuchs kniehoch, und überall wucherte bunter Salbei und Mesquite. Die Frauen hatten ein Feuer angefacht und Essen gekocht. Die Kinder spielten zwischen den Wagen und rannten lachend über die Hügel links und rechts des Trails. Manche Frauen hatten auch Säuglinge bei sich, und eine war im achten Monat schwanger, wechselte aber noch immer jeden Tag ihren Mann auf dem Wagenbock beim Lenken des Vierergespanns ab und arbeitete wie ein Pferd. Sie stammte aus Irland, und in Irland, so wird gesagt, sind die Menschen besonders zäh. Das Land gefiel den Männern. Sie untersuchten den Boden, ließen schwarze, fettklebrige Erdkrumen durch ihre Finger gleiten und meinten, daß hier meterhohes Getreide wachsen müsse und Kartoffeln, dick wie Kinderköpfe. Aber keiner konnte sich entschließen, zu bleiben. Denn sie alle waren auf dem Weg nach Kalifornien, wo ein Mann namens Sutter im Frühjahr Gold gefunden hatte. Und Gold erschien ihnen besser und wichtiger als Kartoffeln, und wenn sie dick wie Kürbisse gewesen wären. Nach dem Essen gingen sie wieder daran, den Wagen der Hancocks zu reparieren. Die Kinder spielten noch immer auf den Hügeln und hinter den Büschen und veranstalteten einen Heidenlärm, während die Frauen langsam ungeduldig wurden. Damit war es plötzlich vorbei, als zwei Jungen den Hügel herunterstürmten und laut schrien, daß sich von Süden Reiter näherten. Die Männer hörten auf zu arbeiten. Die Frauen hörten auf zu reden. Und die Kinder spielten nicht mehr. Der Treckführer bestieg sein Pferd und ritt auf den Hügel. Hier hielt er kurz, spähte nach Süden und kehrte sofort wieder zurück. Als er zu reden begann, verstummten alle und hörten ihm zu. Und dann schlich sich Angst in die Züge der Menschen. Indianer!
Bevor Panik ausbrechen konnte, befahl der Treckführer den Frauen, sich mit den Kindern sofort in die Wagen zu begeben und sich dort flach auf den Boden zu legen. Dann sollte eine Wagenburg gebildet werden. Aber dazu kam es nicht. Denn niemand hatte daran gedacht, den Wagen der Hancocks, der noch immer nicht repariert war, aus dem Weg zu schaffen. Jetzt war es zu spät dazu, denn als die Frauen und Kinder gerade in die Wagen gestiegen waren, war der dumpfe Hufschlag von vielen unbeschlagenen Pferden bereits zu hören. Die Männer liefen zu ihren Wagen und kramten ihre Waffen hervor. Es handelte sich zumeist um umständlich zu handhabende Vorderladergewehre, die bisher nur dazu benutzt worden waren, den Speisezettel des Wagenzuges durch frisches Wild zu ergänzen. Manche hatten vor dem Aufbruch des Trecks, irgendwo östlich des Mississippi, damit geprahlt, daß sie Indianer, falls welche auftauchen sollten, wie die Hasen abschießen und in die Flucht schlagen würden. Davon sprach jetzt keiner mehr. Einige der Männer besaßen ein paar der neuen mehrschüssigen Revolver, die ein Mann namens Samuel Colt erfunden hatte und die wahre Wunderwaffen sein sollten. Sie konnten das nicht beurteilen, denn sie hatten noch nie damit geschossen. Manchem wurde nur klar, daß es zum Üben jetzt eigentlich zu spät war, aber das nutzte ihnen nichts mehr. Denn die Indianer waren bereits da, gerade, als die neuen Coltrevolver geladen waren. * Die Kinder begannen zu schreien, als die ersten Schüsse krachten. Bald weinten sie nur noch leise, und die Schreie der Verwundeten und Sterbenden übertönten sie. Die Indianer sprengten über die Hügel, ohne von der ersten Gewehrsalve aus den Planwagen ernsthaft gefährdet zu werden. Es waren Apachen. Untersetzte, sehr muskulöse Männer mit breitflächigen Gesichtern und schmalen Augen. Lange, fettige schwarze Haare fielen ihnen bis auf die Schultern oder wurden von breiten handgewebten Tüchern, die sie um die Stirn trugen, gehalten.
Ihre bronzefarbenen Oberkörper waren nackt und glänzten, denn sie waren zum Schutz gegen die stechende Sonne mit Büffelfett eingerieben. Sie trugen groblederne Leggins und Mokassins mit kniehohen Schäften und saßen in flachen, gepolsterten Woilachs auf den Rücken ihrer kleinen, gescheckten, langmähnigen Ponys, als wären sie angewachsen. Einige der Indianer besaßen Gewehre, die meisten waren mit Pfeilen und Bogen bewaffnet. Erst feuerten die Gewehrschützen. Dann ging ein Regen von Pfeilen auf den Treck nieder. Wie reitende Teufel preschten die Krieger auf die Planwagen zu, schrilles, kollerndes Geheul ausstoßend, das den Rufen der wilden Truthähne ähnelte. »Feuer!« schrie der Treckführer. »Immer auf die Körper halten. Das sind die größten Ziele!« Die Männer schossen. Mit grimmig verzerrten Gesichtern zielten sie auf die Angreifer. Sie drückten ab, und manche hatten ein merkwürdiges Gefühl dabei, denn die meisten schossen zum erstenmal in ihrem Leben auf Menschen. Es donnerte, krachte und stank fürchterlich. Als die erste Pulverwolke sich Verzogen hatte, schien es, als hätte die Salve keinerlei Wirkung gehabt. Doch es lagen einige Körper reglos im hohen Gras, und reiterlose Pferde stürmten in der Phalanx der Angreifer mit. Die Frauen luden mit fliegenden Fingern die Gewehre nach, deren Läufe bald heißgeschossen waren. Die Kinder preßten sich hart an die rauhen Bodendielen der Wagen und schrien vor Angst. Bald schossen die Männer immer schneller. Sie trafen auch häufiger. Pulverdampf staute sich stinkend unter den Wagenplanen und schwebte in grauen Dunstschwaden über den Leichen, die auf dem grünen Gras lagen. Auch drei Männer im Treck waren tot, ebenso eine Frau, als der erste Angriff der Apachen zurückgeschlagen war. Die Indianer zogen sich hinter die Hügel zurück. Bald stiegen dünne Rauchfahnen in den heißen Himmel. Im Treck waren mehrere Männer verletzt, unter ihnen Bill
Hancock, der Schullehrer aus Boston. Ein Pfeil hatte ihn in die Brust getroffen. Es war ein Pfeil mit Widerhaken, der durchgestoßen werden mußte. Ihm war nicht mehr zu helfen. Nach einer knappen Stunde begann er, Blut zu spucken. Wenig später war er tot. Er hatte Glück. Bei den anderen dauerte es länger, und ihnen wurde es nicht so leicht gemacht. Nach einer fast endlos langen Pause, in der nichts geschah und nur das monotone Hämmern von Trommeln zu hören war, zischten plötzlich Brandpfeile über die Hügel. Die Wagenplanen fingen sofort Feuer. Die ersten Brände wurden gelöscht. Dann aber griffen die Apachen an, und zum Löschen blieb keine Zeit mehr. Die hochschwangere Irin erlitt eine Fehlgeburt und verblutete, weil ihr niemand helfen konnte. Um sie herum starben auch die anderen. Ein Wagen nach dem anderen fing Feuer. Einige Verwundete verbrannten. Immer schwächer wurde der Widerstand. Der Treckführer starb, als er mit einem Kind im Arm einen brennenden Wagen verließ. Ein Pfeil durchbohrte seinen Hals. Gurgelnd stürzte er zu Boden und begrub das schreiende Kind unter sich. Das Feuer fraß sich wütend von Wagen zu Wagen. Die Flammen schlugen immer höher, prasselnd, knackend, fauchend. Eiserne Felgen und Achsenteile verbogen sich in der Hitze. Irgendwo explodierte ein Munitionsvorrat und zerriß einen Apachen, der von seinem Pferd auf den Wagenbock gesprungen war. Schreie von Frauen und Kindern übertönten das Feuer und das Krachen der Schüsse. Die Apachen fielen über den Treck her, zerschnitten die Geschirriemen der vor Angst fast verrückten, grell wiehernden Gespannpferde und stürzten sich auf die noch lebenden Männer, Frauen und Kinder. Auch die Frauen kämpften jetzt. Sie schlugen mit Knüppeln, leergeschossenen Gewehren und eisernen Feuerhaken auf die Angreifer ein. Sie warfen sich über ihre Kinder und wehrten sich wie wilde, waidwundgeschossene Tiere. Die Männer starben alle. Mit schweren Schädelbrechern gaben die
Apachen den Verletzten den Rest. Wer von den Frauen und Kindern noch lebte, würde gefangengenommen. Die Apachen trugen die gefesselten, in wahnsinniger Angst schrill kreischenden Frauen über die Hügel, während andere zwischen den Toten neben den brennenden Wagen umhergingen und ihnen die Skalps abrissen. Sie nahmen auch die Kinder mit. Die größeren, die sich wehrten, wurden auf der Stelle getötet. Einige Krieger sprangen auch in die brennenden Wagen und bargen noch lebende Säuglinge. Als die Sonne im Westen unterging, ritten die Apachen mit ihren Gefangenen davon. Die Trümmer des Trecks und mehr als zwei Dutzend skalpierte Leichen blieben zurück. Das Feuer, das die Wagen verzehrt hatte, sank in sich zusammen. Es gab nichts mehr in diesem Treck, was noch verwendbar gewesen wäre. Aber ein Wagen mitten im Zug war nicht verbrannt. Nur die Plane war dem Feuer zum Opfer gefallen, das Eisengestänge hatte sich verbogen, und die Seitenbracken waren rußgeschwärzt und leicht verkohlt. Der Wagen war mit Kupfervitriol gestrichen gewesen, weil sein Besitzer gedacht hatte, besonders klug zu sein. Er mußte sich sehr sicher in seinem feuerfesten Wagen gefühlt haben. Jetzt war er dennoch tot und lag irgendwo zwischen den Leichen im Gras, das rotgesprenkelt war von Blut. Sein Wagen war fast noch unversehrt. Drei erloschene Brandpfeile steckten in der nach Süden gewandten Seitenbracke. In dem Wagen lag ein Deckenbündel, blutbesudelt von oben bis unten, angesengt und rußgeschwärzt. Aus den Decken heraus schaute das Gesicht eines Kindes, eines sehr kleinen Kindes. Es rührte sich nicht und gab keinen Laut von sich, denn der beißende Rauch hatte es betäubt. Sein kleines Gesicht trug Spuren eingetrockneten Blutes, das aber nicht von ihm selbst zu stammen schien. Als es nach einiger Zeit aufwachte, war es Nacht, und es fing an zu schreien. Es hatte Hunger. Es begriff ja nicht, was passiert war.
Aber niemand kam, um es zu füttern und zu trösten. Es brüllte sich heiser und wurde dann still. Ein paar Tränen rollten aus seinen Augen und trockneten auf seinen Wangen. Es wimmerte nur noch leise, während ein kühler Nachtwind von den Hügeln heranfächelte und den scharfen Brandgeruch, den Gestank von Tod und Fäulnis forttrieb. Es weinte, bis es müde wurde und wieder einschlief … * Das Kind war ich. Und so begann alles. Genau so. Die verschiedensten Menschen haben mir später diese Geschichte immer wieder erzählt. Es waren Menschen, die keinen Grund hatten, mich anzulügen. Manchmal glaube ich, mich schwach an die Vorfälle zu erinnern. Es ist jetzt etwa dreißig Jahre her. Mir scheint, daß meine ersten Eindrücke von diesem Leben bis zu jenem Überfall zurückgehen. Aber ich kann mir das natürlich auch nur einbilden, weil ich die Geschichte so oft gehört und selbst so oft und lange darüber nachgedacht habe. Es war im 48er Jahr. Im Spätsommer. Die Goldfunde in Kalifornien hatten damals die ganze Welt verrückt werden lassen. Ich habe in meinem ganzen Leben nicht begriffen, warum die Menschen dem Gold nachlaufen, und ich habe Menschen gesehen, die die Sucht nach Gold verrückt gemacht hat. Die Indianer sind da anders. Ich habe nie einen Indianer kennengelernt, der verrückt nach Gold gewesen wäre, obwohl die meisten von ihnen zahllose Plätze kannten, an denen man das Gold nur vom Boden aufzuheben brauchte. Ich selbst glaube nicht, daß Gold das Wichtigste ist, was es gibt, obwohl es mir oft dreckig gegangen ist und ich manches Mal habe hungern müssen. Trotzdem habe ich nie einen Sinn darin gesehen, großen Reichtum zu erwerben. Damals aber brachen überall Menschen auf, packten ihre Sachen oder ließen auch alles, was sie besaßen, stehen und liegen, und zogen nach Kalifornien. Zahllose Trecks zogen durch die Weiten des
Westens, die zu jener Zeit noch so gut wie unerforscht waren. »Westlich vom Mississippi«, nannte man dieses Gebiet. Einen anderen Namen trug es noch nicht. Und das sagt im Grunde schon alles über das Land, das man sich wild, gefährlich und primitiv vorstellte. Ich will es einmal dahingestellt sein lassen, ob es wirklich so war oder ob das Land erst wild, gefährlich und primitiv wurde, als die weißen Siedler wie Ameisenschwärme den Mississippi überschritten und den unberührten Weiten des Westens die sogenannte Zivilisation brachten. Damals jedenfalls wagten sich die ersten Trecks aus dem Osten über den Mississippi. Die Gier nach dem Gold ließ die Menschen ihre Furcht vor dem unbekannten Land überwinden. Meine Eltern waren dabei. Und ich auch. Auch wenn ich zu jener Zeit noch ein kleiner Kerl war, ein Hemdenmatz, der nicht wußte, was geschah, weil er noch nicht sehr lange auf der Welt war. Vielleicht erst ein Jahr oder auch zwei Jahre. Aus dieser Zeit weiß ich nichts. Ich weiß nicht, wer meine Eltern sind, die wie hunderttausend andere Menschen vom Goldfieber gepackt wurden. Ich weiß nicht, woher sie kamen, was sie vorher getan haben und was sie für Menschen waren. Ich weiß gar nichts. Als Kind hat mich das immer gestört. Auch heute frage ich mich oft, ob nicht vieles in meinem Leben anders verlaufen wäre, wenn ich bei meinen Eltern aufgewachsen wäre. Ich bin mir als Kind immer ziemlich jämmerlich vorgekommen. Alle Kinder, die ich kannte, hatten Eltern. Nur ich nicht. Das war ein böses Gefühl. Ich glaube, keiner von denen, die wohlbehütet und in geordneten Verhältnissen aufwachsen, kann sich vorstellen, was in einem Kind vorgeht, das unter fremden Leuten aufwächst. Ich habe es früh verlernt, zu weinen oder zu klagen. Ich erinnere mich, daß ich als Vier- oder Fünfjähriger in dem Wald nahe der Mission, in der ich aufgewachsen bin, ein Eichhörnchen entdeckt hatte. Es gelang mir, es zu zähmen. Es war ein wirklich feines Eichhörnchen. Außer mir hatte es niemand geschafft, sich mit ihm anzufreunden.
Eines Tages kam ich in den Wald, als ein Bussard auf die Lichtung niederstieß, auf der ich immer auf das kleine Tier wartete. Er erwischte das Eichhörnchen bei der Futtersuche, packte es und schleppte es mit. Ich konnte ihm nicht helfen, aber ich habe heute noch das Pfeifen im Ohr, das das Eichhörnchen ausstieß, als es im Schnabel des Bussards starb. Ich glaube, weder vorher noch nachher habe ich jemals stärker meine Mutter vermißt. An diesem Tag habe ich das Weinen verlernt. Ich begriff so stark wie nie zuvor, daß ich keine Mutter hatte und allein fertig werden mußte. Manchmal habe ich meine Eltern, die ich nicht kenne, verflucht, weil sie mich in diesem Leben alleingelassen haben. Dabei hatten sie bestimmt nicht die Absicht, zu sterben, und, wenn ich es recht bedenke, sie hatten sicher vor, mir eine glänzende Zukunft zu schaffen. Warum hätten sie sonst in die Goldfelder Kaliforniens ziehen sollen? Was immer sie auch vorher getan haben mögen – eine lohnende Sache scheint es nicht gewesen zu sein. Sonst hätten sie sich kaum mit einem alten Studebakerschoner einem der vielen Trecks nach Kalifornien angeschlossen. Kalifornien – das war damals ein Zauberwort. Dort bestanden die Berge aus Gold, es fielen Nuggets vom Himmel, und die Straßen waren mit Dollars gepflastert. Meine Eltern wollten reich werden. Heute steht ein Kreuz dort, wo alles zu Ende war, noch ehe es richtig begonnen hatte, wo alle Träume begraben werden mußten. Es ist aus einer Wagendeichsel gefertigt, und ringsherum liegen noch ein paar morsche Wagentrümmer und Räder, deren verbogene eiserne Felgen durchgerostet sind. Das alles ist mit Büffelgras überwuchert. Dazwischen blüht Salbei. Ich glaube, daß sich in den vergangenen dreißig Jahren kaum etwas dort geändert hat. Ich bin schon lange nicht mehr dort gewesen, dort, wo für mich ein ganz neues Leben anfing, obwohl ich doch erst vor knapp zwei Jahren angefangen hatte, zu leben. Ich lag in einem Planwagen. Müde, hungrig und voller Angst. Ich hatte gute Aussichten, zu verhungern oder von den Aasvögeln gefressen zu werden, die, wie man mir später erzählte, bereits am
anderen Morgen nach dem Massaker über dem ausgebrannten Treck und den Leichen kreisten. Daß es nicht dazu kam, verdanke ich denen, die mir diese Geschichte, den Anfang meiner eigenen Geschichte, erzählt haben.
2. Mit dem Tag erschienen die Geier. Sie kreisten lange über den Trümmern des Trecks, während die Sonne am Horizont immer höher kletterte. Nach fast einer Stunde ließen die ersten der riesigen Aasvögel sich nieder, hüpften krächzend durch das taufeuchte Gras und fielen schließlich über die Leichen her. Die stechende Sonne weckte auch das Kind. Es fing an zu schreien und scheuchte damit die Geier auf, die sich nach einiger Zeit jedoch wieder auf den Leichen niederließen, als sie merkten, daß das Geschrei ihnen nicht gefährlich werden konnte. Bald wurde das Weinen auch leiser. Ein paar Geier hüpften auf den Wagen zu, in dem das Kind lag und von dem der strenge Brandgeruch sie bis jetzt abgehalten hatte. Da ertönten plötzlich Geräusche von Handkarren. Eine Ziege meckerte. Die Geier flatterten böse krächzend vom Boden auf. Von Osten näherten sich Männer. Sie trugen lange erdbraune Soutanen, die an den Hüften von einfachen Kordeln gehalten wurden. Sie trieben drei Ziegen mit sich und zogen mehrere Handkarren hinter sich her. Als sie die Trümmer des Trecks vor sich erblickten, blieben sie stehen. Einer schlug ein Kreuz. Dann ließen sie die Karren stehen und gingen zu den Leichen hinüber. Wind strich über die Hügel und ließ eine halbverbrannte Wagenplane flattern. Als die Padres zwischen den Leichen niederknieten, hörten sie das leise Weinen des Kindes … * So wurde ich gefunden. Dieser Tag war mein Geburtstag, mein neuer
Geburtstag. Es war der 21. August 1848. Ein schlechter Tag. Wenn ich heute daran zurückdenke, frage ich mich manchmal, warum ich damals nicht getötet wurde. Mir wäre viel erspart geblieben. Es waren Mönche vom Orden der Jünger Jesu, spanische Mönche, die mich fanden. Daran erinnere ich mich ziemlich genau. Ein Mann in langem braunem Gewand kletterte in den Wagen, in dem ich lag. Er war sehr dick und schnaufte und stöhnte bei jeder Bewegung. Außerdem schwitzte er. Er hob mich auf und senkte seinen Kopf tief zu mir herunter. Da er einen langen Bart hatte, der mich im Gesicht kitzelte, fing ich an zu brüllen. Der Padre hieß Bruder Ambrosius. Er erzählte mir später, ich hätte mit beiden Fäusten nach seinem Bart gepackt und ihn so sehr daran gezerrt, daß er mich fast fallengelassen hätte. * Der große Mönch mit dem imposanten Bauch und dem struppigen Bart stieg über das linke Vorderrad vom Wagen. Er hielt das brüllende, blutbesudelte Deckenbündel fest in seinen Armen. »Ein Kind«, sagte er. Er hatte eine dunkle, freundliche Stimme. »Und was für eins. Es hat mir fast meinen Bart ausgerissen. Das muß ein Junge sein.« Er wiegte das Kind lächelnd hin und her. Die anderen Mönche traten heran und blickten staunend in das kleine, runde Gesicht, über das einige Tränen kullerten. »Ein richtiges Kind.« Ein junger, schmächtiger Padre schüttelte grinsend den Kopf. »Natürlich ein richtiges Kind«, sagte der Mönch mit dem Bart. »Hast du schon mal ein falsches gesehen? Ich wette, daß es Hunger hat.« »Woher willst du das wissen?« fragte der schmächtige Padre. »Du hast doch noch nie ein Kind gehabt.« »Das sieht man«, sagte Bruder Ambrosius. So, wie er es sagte, konnte es keine Widerrede geben. Der junge Padre beugte sich vor und schaute dem Kind prüfend ins Gesicht.
»Ich sehe nichts«, sagte er. »Das war bei dir auch nicht anders zu erwarten, Bruder Hieronymus«, sagte der andere mit unverhohlener Verachtung. »Und womit füttert man so ein Kind?« fragte ein dritter. »Ich glaube mit Milch«, sagte der bärtige Mönch. Er wurde nun doch etwas unsicher. »Ziegenmilch?« Der schmächtige Padre verzog das Gesicht. »Warum nicht Ziegenmilch? Ziegenmilch ist nahrhaft und gesund. Wir leben ja auch ganz gut davon.« »Wir sind auch keine Kinder«, sagte der junge Padre. »Da wäre ich nicht so sicher.« Bruder Ambrosius wiegte das Kind in seinen Armen. Es war mittlerweile still geworden und schaute aus großen, ungemein ausdrucksstarken, blauen Augen in das zerfurchte Gesicht des Bärtigen. Als der große Padre seine linke Hand hob und mit dem Zeigefinger winkte, begann das Kind plötzlich zu lächeln. Die Augen des Padre glänzten. Er begann, eine einfache Melodie zu summen. Er schien die Toten ringsum zu vergessen und setzte sich auf das linke Vorderrad des Wagens, aus dem er das Kind geborgen hatte. Der schmächtige Padre brachte wenig später Ziegenmilch. Nach einigen vergeblichen Versuchen, sie dem Kind einzuflößen, tauchte Bruder Ambrosius ein sauberes Läppchen in die Milch und schob es dem Kind in den Mund, das sofort begann, daran zu lutschen. »Es trinkt«, sagte der Padre. Sein Gesicht war rot vor Aufregung. »Ich habe es doch gewußt.« »Und weißt du auch, was mit dem Kind werden soll?« »Wir nehmen es mit.« Er sagte es, und die anderen akzeptierten es. Was hätten sie auch sonst tun sollen? Sie nahmen es mit, obwohl sie nicht recht wußten, was daraus werden sollte. Sie verstanden soviel von Kindern wie eine Kuh vom Sonntag, nämlich gar nichts. Weder von großen noch von kleinen. Aber außer ihnen gab es niemanden in diesem Land, der sich um das Kind kümmern konnte. Sie begruben die Toten. Sie schachteten eine lange, flache Grube aus und legten die Opfer des Massakers nebeneinander hinein. Sie versuchten, die Toten zu identifizieren. Aber das gelang ihnen nur
bei einigen, und selbst bei denen konnten sie nicht sicher sein, daß die ihnen zugeordneten Dinge auch wirklich zu Lebzeiten ihr Eigentum gewesen waren. Da war eine Kiste mit Büchern, die alle mit dem Namen Bill Hancock gezeichnet waren, Schullehrer aus Boston. Da war ein Bild des verstorbenen französischen Kaisers Napoleon, auf dessen Rückseite der Name Gourdet stand, das ein Toter in der Brusttasche stecken hatte. Und da war ein gravierter Paterson-Colt, auf dessen Griffrücken »TO FRANK ELLIOT, FAMOUS WAGONMASTER, St. Louis, 1845« zu lesen war. Ein lederhäutiger, von einem Schädelbrecher entstellter Mann hatte ihn bei sich getragen. Viel mehr gab es nicht. Deshalb wurden keine Namen in das Kreuz eingebrannt, das aus Wagendeichseln einfach und grob gefertigt worden war. Padre Ambrosius untersuchte das Kind, nachdem es sich sattgetrunken hatte und in seinen Armen eingeschlafen war. Seine erste Einschätzung, daß es ein Junge war, erwies sich als richtig. Er fand ein kleines, silbernes Medaillon, das an einer Kette um den Hals des Kindes hing. Es enthielt ein zierliches Frauenbild. Sonst nichts. Keinen Namen. Die Mönche gingen mit dem Medaillon an den toten Frauen vorbei. Sie vermuteten, daß die Abbildung die Mutter des Jungen zeigte. Aber sie fanden die Frau nicht unter den Toten. Das erschien ihnen hoffnungsvoll. Sie schlossen das Grab und rammten das Kreuz in den Boden. Als sie weiterzogen, war es Abend geworden. * Es war zwei Tage später, als die Padres an einem grauen Morgen den Pease River erreichten, der in zahlreichen Windungen durch ein langgestrecktes grünes Tal floß. Kurz nachdem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, begann es zu regnen. Obwohl die Gegend unter den sich immer mehr verdichtenden Regenschleiern trostlos aussah, beschlossen sie, hier zu bleiben und eine Mission zu errichten. Es war ein guter Platz.
Das Unwetter dauerte zwei Nächte und drei Tage. Als es aufklarte, war der Fluß über die Ufer getreten und hatte zwei Zelte der Mönche weggeschwemmt Eine Ziege, die sich während des Sturms losgerissen hatte, war von den reißenden Fluten verschlungen worden. Der Regen hatte sich dennoch als nützlich erwiesen. So wurde das Areal, auf dem die Mission entstehen sollte, in gebührender Entfernung vom Fluß abgesteckt, so daß die Fluten, wie zu erwarten war, es auch bei Hochwasser nicht erreichen konnten. Am Flußufer hatte ein Blitz eingeschlagen und einen riesigen Cottonwoodbaum entwurzelt, dessen Umfang selbst von zwei Männern mit ausgebreiteten Armen nur mit Mühe umspannt werden konnte. Der Blitz hatte die Wurzel gespalten, und das Holz war schwarz verkohlt, genauso wie der aufgewühlte Rasen rings um den Baum. Ein Stück unterhalb des Baumes hatte das Wasser den Ufergrund ausgehöhlt und große Teile der sandigen Böschung abgetragen. An dieser Stelle fing sich nach dem Zurückgehen des Hochwassers die Strömung und bildete einen brodelnden Strudel. Faustgroße Kiesel wurden aus dem Erdreich gespült und von den Wellen hochgeworfen wie morsche Aststücke. Alles, was in den Strudel geriet, wurde in die Tiefe gerissen und tauchte nie mehr auf. An dieser Stelle hatte das Wasser eine dunkle, fast schwarze Färbung. Daran änderte sich jahrelang nichts. Padre Hieronymus, der jüngste und schmächtigste der Mönche, wurde in den Tagen und Nächten während des Unwetters in den kalten, zugigen Zelten auf dem feuchten Boden krank. Er bekam Fieber und Schüttelfrost. Bruder Emanuel, der Leiter der geplanten Mission, las eine Messe für die Kranken, und es wurde bereits mit seinem Ableben gerechnet. Aber Padre Hieronymus rappelte sich noch einmal auf. Das Fieber sank. Doch er klagte weiter über Schmerzen in der Lunge und hüstelte ständig. Wider Erwarten gab sich der Husten jedoch nicht, verstärkte sich eher und artete in heftige, krampfartige Anfälle aus, nach denen Padre Hieronymus jedesmal Blut spuckte. Er trug sein Leiden schweigend und still und nahm es als gottgegeben hin.
Als das Hochwasser zurückgegangen war und die Sonne den Boden ausgetrocknet hatte, begaben sich die Padres zu dem entwurzelten Cottonwoodbaum. Sie entästeten den Stamm und sägten die Krone ab. Padre Frastus, ein Mann, der direkt von einem der biblischen Urväter abzustammen schien, baute aus der Baumkrone das erste Bett für das Kind aus dem massakrierten Treck. Es wurde ein Bett, das fast wie ein Schweinetrog aussah, aber sehr bequem war. Zumindest paßte das Kind gut hinein und schien sich darin wohl zu fühlen. Padre Ambrosius vertrat diese Ansicht, nachdem er jeden Quadratzoll des Bettes mißtrauisch untersucht und abgetastet hatte. Da er es gewesen war, der als erster das Kind zum Lächeln gebracht und mit seinem nahezu sensationellen Vorschlag, es mit Ziegenmilch zu versorgen, auch die Ernährungsprobleme teilweise gelöst hatte, galt er unter den Padres als eine Kapazität auf dem Gebiet der Kinderpflege. Alles, was dem Jungen zugute kommen sollte, wurde daher zunächst seiner strengen Begutachtung unterzogen. Er war sich seiner Rolle durchaus bewußt und nahm sie sehr ernst. Er sorgte auch dafür, daß die Reste der Baumkrone nicht zu Feuerholz zerhackt, sondern, zu einer Art Schaukelpferd umgearbeitet wurden. Zwar war es wahrscheinlich das seltsamste Schaukelpferd, das es jemals auf der Welt gegeben hat, aber es hatte alles, was ein Schaukelpferd eben haben muß. Das Kind ließ alle Ehrungen und Gunstbeweise gnädig und mit der Gelassenheit seines Alters über sich ergehen. Es erwies sich als robust und widerstandsfähig. Es gewöhnte sich rasch an die Gesichter der Mönche, die alle naselang nach ihm schauten, und schrie nicht mehr. Es schien zu begreifen, daß es eine Sonderstellung einnahm und verhielt sich dementsprechend. Da es schon alle Zähne hatte, aß es bald mit Vorliebe Maisschrotbrot, das mit süßer Milch getränkt worden war. Aus dem entästeten Baumstamm entstanden nach tagelanger harter Knochenarbeit die vier Eckpfosten des ersten Gebäudes der Mission: der Kapelle. Kurz nach dem Unwetter tauchten auf einem nahen Hügel ein paar
Indianer auf. Sie spähten herüber, beobachteten die Arbeit der Padres eine Weile und verschwanden so sang- und klanglos, wie sie erschienen waren. In den nächsten Wochen ließen sich keine weiteren Indianer mehr sehen. In dem Gerüst der Missionskapelle taufte Padre Emanuel etwa drei Wochen nach dem Eintreffen der Mönche den Jungen. Bis dahin hatten die Padres darauf gehofft, Näheres über das Kind zu erfahren. Vergeblich. So fanden sie sich damit ab, es behalten und aufziehen zu müssen. Ein letzter Hoffnungsfunken jedoch blieb, daß die Geschichte des Kindes sich doch noch einmal klären würde. So gaben sie ihm den Namen Ronco, weil sie es in der rauhen Wildnis gefunden hatten. Es sollte nicht der endgültige Name sein. Als ihm das Weihwasser auf die Stirn getupft wurde, fing Ronco an zu brüllen, und Padre Ambrosius hatte nach der Zeremonie lange damit zu tun, ihn zu beruhigen.
3. Das Leben ist mit einem Bild zu vergleichen, dessen Motiv zu Beginn nicht ganz feststeht, und das im Grunde nie fertig wird. Pinselstrich kommt zu Pinselstrich, Farbtupfer zu Farbtupfer, und nichts davon läßt sich wieder auslöschen. Am Anfang sind es nur wenige Farbkleckse, erst später schälen sich Konturen heraus. Ein solcher Farbklecks auf der damals fast völlig weißen Leinwand meines Lebens, war zum Beispiel die Krähe, die sich in der Mauernische des Turms der Missionskapelle ein Nest baute. Sie wurde Norah gerufen, und die Padres hatten ihr beigebracht, Melodien zu pfeifen. Sie versuchte es mit »Lobet den Herren« und einigen anderen Kirchenliedern. Sie war jedoch genauso diebisch und unverschämt wie musikalisch. Sie klaute, was sie in ihrem Schnabel wegschleppen konnte. An einem Tag im Herbst des Jahres 1850 hatte Padre Ambrosius mich in einen mit heißem Wasser gefüllten Holzzuber gesetzt, um mich zu waschen. Das silberne Medaillon, das ich sonst stets um den Hals trug, lag auf dem Sims des geöffneten Fensters. Während der Padre mich einseifte, landete Norah auf dem
Fensterbrett, flötete »Lobet den Herren« durch das Fenster, schnappte sich das Medaillon und flatterte davon. Padre Ambrosius bemerkte es im letzten Moment, ließ mich im Seifenschaum sitzen und rannte nach draußen, um Norah zu verfolgen, was bei seiner Leibesfülle nicht ganz einfach war. Norah drehte elegante Runden über dem Missionshof, das Medaillon im Schnabel. Schließlich landete sie in ihrem Nest. Während ich schrie, weil mir der Seifenschaum in die Augen lief, lehnte Padre Ambrosius eine Leiter an den Turm der Kapelle und kletterte hinauf zu Norahs Nest, wo er das Medaillon glücklich bergen konnte. Seit dieser Zeit sind mir Krähen unsympathisch. Im Jahre 51, etwa zweieinhalb Jahre, nachdem man mich aus den Trümmern des Trecks geborgen hatte, fiel zum erstenmal ein Schatten auf das bis dahin sorglose Leben in der Mission. Die Maisfelder trugen gut. Die wenigen Weinstöcke, die Padre Ambrosius am Südrand des Tales gepflanzt hatte, gediehen prächtig. Padre Angelo war im Gemüsegarten der Mission mit Unkrautjäten beschäftigt. Es war sehr heiß, und die Arbeit war ermüdend. So wurde ihm nicht bewußt, daß er eine Klapperschlange, die sich am Rand eines Beetes in die Sonne gelegt hatte, aufscheuchte. Er bemerkte es erst, als er das helle Rasseln hörte. Da aber war es zu spät. Er schrie wie am Spieß, als die Schlange ihn in die rechte Wade biß. Einige andere Mönche liefen sofort zu ihm. Einer sah die Schlange gerade noch davonkriechen. Es war eine Diamantrückenklapperschlange von beachtlicher Größe, die gefährlichste Schlangenart in unserer Gegend. Er griff nach der Harke, mit der Padre Angelo gearbeitet hatte, und stürzte hinter der Schlange her. Er schlug sie tot. Aber das konnte Padre Angelo auch nicht mehr helfen. Ich hielt mich gerade am Fluß auf, an der Stelle, wo das Unwetter damals den Baum entwurzelt und die Uferböschung ausgehöhlt hatte. Es war für mich jedesmal ein Erlebnis, in den wild tosenden Strudel hinunterzuschauen, auch wenn er nur klein war. Manchmal wagte ich mich kühn bis auf den Rand der brüchigen Grasnarbe über dem
Strudel, in dem das Wasser fast schwarz brodelte. So stellte ich mir die Hölle vor. Ich warf kleine Aststücke hinunter und schaute zu, wie der gierige, unersättliche schwarze Wirbel sie verschlang. Der Gedanke, selbst einmal hinunterzufallen, jagte mir jedesmal wohlige Schauer über den Rücken und gab meiner Phantasie immer wieder Nahrung. Der Schrei von Padre Angelo lockte mich in den Missionsgarten. Als ich ankam, lag er am Boden zwischen den Betten. Die anderen Mönche standen um ihn herum. Padre Emanuel kniete neben Padre Angelo und hatte ein Messer in der Rechten. Zwei andere Mönche hielten den Padre fest, während Padre Emanuel den Schlangenbiß kreuzförmig aufschnitt. Padre Angelo brüllte entsetzlich. Ich hatte nie vorher einen Menschen so schreien hören. Bruder Emanuel beugte sich tief über die Bißwunde und saugte sie aus. Er spuckte das Blut aus und saugte immer wieder. Doch es schien nicht viel zu nutzen. Ich schlich mich vorsichtig näher heran. Ich hatte Angst vor dem, was da geschah. Aber meine Neugier überwog. Ich sah, daß das Bein immer mehr anschwoll – wie ein Luftballon. Es sah schlimm aus. Die Haut war ganz rot und sah fast so aus wie rohes Fleisch. Nach einer Viertelstunde schrie Padre Angelo nicht mehr. Da wimmerte er nur noch, und sein Gesicht war so verzerrt, daß er kaum noch zu erkennen war. Schweiß rann über seine eingefallenen Wangen, und seine Augen schienen ins Leere zu starren. Hilflos standen die Mönche um ihn herum, und als er begann, sich in Krämpfen zu winden, wußten alle, daß es vorbei war mit Padre Angelo. Ich konnte es nicht wissen. Ich hatte noch nie einen Menschen sterben sehen. Aber ich ahnte es, obwohl ich noch nicht einmal fünf Jahre alt war. Lange konnte ich nicht zuschauen, denn Padre Ambrosius entdeckte mich, nahm mich an der Hand und sagte: »Komm mit, das ist nichts für dich.« Dann führte er mich in die Unterkünfte der Mission. Ich hätte ihm gern einige Fragen gestellt, aber ich wagte es nicht, denn ich hatte ihn noch nie so ernst gesehen. Ich mußte in der
kleinen Kammer bleiben, die Padre Ambrosius bewohnte, und hörte später nur, daß Padre Angelo gestorben war. Ich konnte mir darunter nicht viel vorstellen. Was der Tod ist, wußte ich nicht. Ich begriff nur, daß er etwas Endgültiges war. * Meinen ersten Indianer sah ich im Winter des Jahres 51. Es war kalt an jenem Tag. In der Woche zuvor war Schnee gefallen. Danach hatte es gefroren. Wenn man aus dem Haus ging, knirschte es bei jedem Schritt laut unter den Stiefelabsätzen. Der Indianer tauchte auf einem Hügel im Süden am Rand des Tales auf und beobachtete die Mission erst eine Weile, ehe er langsam auf seinem gescheckten Pony heranritt und am Tor hielt. Er war ein Mescalero. Er trug eine Felljacke. In seinem langen, schwarzen Haar hingen Eiskristalle. Er wirkte mager. Er sprach kein Wort Englisch, aber er hatte ein Bündel mit feinen Fuchsfellen mitgebracht, und aus dem, was er mit Händen und Füßen den staunenden Padres zu erklären versuchte, ging hervor, daß er die Felle gegen Lebensmittel tauschen wollte. Er erhielt reichlich. Ich lief neben ihm her, als er zu seinem Pony zurückging, und starrte ihm lange nach. Ich hatte noch nie einen Menschen mit so dunkler Haut gesehen. Er trug Waffen bei sich. Er gefiel mir, und ich war mir darüber im klaren, daß dieser Krieger genau das war, was ich einmal werden wollte. Als ich später erfuhr, daß er vermutlich zu den Indianern gehörte, die meine Eltern umgebracht oder verschleppt hatten, war ich nicht mehr so scharf darauf, ihm nachzueifern. Von diesem Tage an erschienen häufiger Indianer. Den ganzen Winter hindurch. Es war schon merkwürdig: Den Padres gegenüber benahmen sie sich niemals feindselig, während sie zur selben Zeit mit der Armee und den ersten Siedlern, die sich nach und nach in Texas festsetzten, in ständigem Streit lagen. Sie trieben den ganzen Winter über Tauschhandel mit uns. Sie hatten sichtlich Schwierigkeiten, ihre Frauen und Kinder zu ernähren. Als es Frühling wurde, blieben sie schließlich aus. Es gab wieder genügend
Wild in den Ebenen. Sie waren nicht mehr auf den Tauschhandel angewiesen. Einen engeren Kontakt hat es nie gegeben. Ich war ein bißchen traurig, als sich keiner der Krieger mehr blicken ließ. Aber ich vergaß sie bald. Denn es gab genug andere Dinge, die ein Kind von etwas mehr als fünf Jahren beschäftigen.
4. Es war Anfang April im Jahr 52, als die Wilkins kamen. John und Kate Wilkins stammten aus Illinois und hatten es dort bereits mit einer Farm versucht. Sie hatten Pech gehabt und wollten es in Texas noch einmal versuchen. Sie führten alles, was sie besaßen, auf einem alten Planwagen mit sich. Viel war es nicht, aber sie wollten es ja auch erst zu etwas bringen. Sie hatten zwei Kinder namens Lizzy und Clay. Lizzy war etwa fünfzehn Jahre alt, hatte blonde Zöpfe und war das schönste Mädchen, das ich bis zu diesem Zeitpunkt gesehen hatte. Ich beschloß, kaum daß sie auf dem Missionshof aus dem Wagen gestiegen war, sie einmal zu heiraten. Natürlich sagte ich ihr nichts davon. Und das war ein Glück. Später mußte ich nämlich mitansehen, wie sie mit größeren Jungen herumschmuste. Und von da an war es aus mit der Liebe. Clay war einen halben Kopf größer als ich, hatte Mausezähne und abstehende Ohren. Er interessierte mich noch mehr als Lizzy, da er der erste Junge in meinem Alter war, den ich sah. Er schien etwas schüchtern zu sein. Während seine Eltern mit Padre Emanuel in die Mission gegangen waren, stand er verloren am Wagen herum. Ich ging hin und blieb etwa fünf Schritte vor ihm stehen. Ich hatte die Hände in die Taschen meiner Hosen gesteckt, die mir Padre Ambrosius genäht hatte, und betrachtete den anderen neugierig. Sein Haar war strohblond und hing ihm tief in die Stirn. »Hallo«, sagte ich. »Wie heißt du?« Er beäugte mich wie ein Kaninchen einen Wolf, scharrte etwas verlegen mit der Spitze seines rechten Stiefels im Staub herum und sagte: »Clay, und du?«
»Ronco«, sagte ich. »Ronco?« Er schaute mich merkwürdig an. »Das ist doch kein Name.« »Klar ist das ein Name«, sagte ich. »Ich heiße ja so.« Er schüttelte nur den Kopf, und sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, mit dem ich jetzt noch nichts anzufangen wußte, den ich aber später noch häufiger bei ihm sehen sollte. Er war fast ein Jahr älter als ich, und bildete sich darauf eine Menge ein. Sein Gesichtsausdruck drückte so etwas wie Geringschätzung für den »Kleineren« aus. »Soll ich dir was zeigen? « fragte ich. Ich spürte, daß er mich nicht ganz für voll nahm und wollte das sofort ändern. Er nickte zögernd und folgte mir. Ich führte ihn zum Fluß und zeigte ihm den schwarzen Strudel. Er versuchte, ein unbeeindrucktes Gesicht zu zeigen, aber ganz gelang es ihm nicht. Als wir zusammen auf der lockeren Grasnarbe über dem Strudel standen und ich ihm zeigte, wie der Fluß Aststückchen verschlang, wurde er blaß und hatte es sehr eilig, den brüchigen Untergrund zu verlassen. »Das ist die Hölle«, sagte ich. »So ungefähr muß sie zumindest aussehen.« Er runzelte die Stirn. »Unsinn, Kleiner«, sagte er. Er nannte mich tatsächlich so. »Die Hölle ist ein tiefes Loch, da brennen fünfundzwanzigtausend Feuer. Der Oberteufel zählt jeden Tag nach, ob auch ja keins verlöscht ist. Um die Feuer herum sitzen achtundfünfzigtausend andere Teufel mit großen Bratspießen. Darauf werden die Sünder gesteckt und dann über den Feuern gebraten.« Ich schaute ihn zweifelnd an. Aber seine Angaben erschienen mir so präzise, daß ich ihm schließlich glaubte. Da er der erste Mensch war, der mir so genau Auskunft über die Hölle geben konnte, ignorierte ich den Ausdruck »Kleiner«. »Warst du schon einmal da?« fragte ich. Er musterte mich stumm, und ich kam mir unglaublich blöd vor. »Noch niemand war da«, sagte er. »Du bist vielleicht dumm, Kleiner. Die Leute, die da waren, sind nicht mehr zurückgekehrt.« Ich wagte nicht, zu fragen, woher er denn seine genauen
Informationen über die Hölle hätte. Aber er sank wieder, etwas in meiner Achtung. »Bist du immer hier?« fragte er. »Ja«, sagte ich. »Und deine Eltern?« »Ich habe keine Eltern«, sagte ich. Er blieb stehen und setzte wieder das überhebliche Gesicht auf, das ich jetzt schon kannte. »Erzähl keinen Unsinn, Kleiner«, sagte er. »Jeder hat Eltern.« »Ich nicht«, sagte ich, und jetzt war ich fast ein bißchen stolz, daß ich etwas Besonderes war. »Du lügst«, sagte er nach einigem Überlegen. Das war mir zuviel. »Ich lüge nicht«, sagte ich und schaute ihn kämpferisch an. »Schon gut«, sagte er. Ob er mir glaubte, wußte ich nicht. Er schien sich damit abgefunden zu haben, daß ich einen Tick hatte. Wir gingen zurück auf den Hof der Mission. Lizzy, seine Schwester, stand neben dem Wagen und kämmte ihr Haar. Clay sah es und verzog geringschätzig das Gesicht. »Mädchen«, sagte er. »Überall müssen sie sich kämmen.« »Werdet ihr hier siedeln?« fragte ich. Er zuckte mit den Schultern und tat sehr wichtig. »Wahrscheinlich«, erwiderte er. »Mein Vater sagt, daß das Land gut sei. Ich denke, wir werden hier eine Farm bauen und Getreide anpflanzen. Vielleicht züchten wir auch Vieh.« Er sagte es, als sei er das Familienoberhaupt. »Wenn ihr hierbleibt, können wir uns doch ab und zu sehen«, meinte ich. »Vielleicht«, sagte er. »Das kommt darauf an, wieviel Zeit ich habe. Auf so einer Farm gibt es viel Arbeit.« »Mußt du deinem Vater helfen?« »Klar. Was denkst du? Ohne mich würde er es gar nicht schaffen.« Er blinzelte in die Sonne und schaute an der Missionskapelle hoch. Da entdeckte er Norahs Nest in einer Mauernische. »He«, sagte er, »was ist das?« »Das ist Norah«, erwiderte ich, und obwohl ich die Krähe nicht
leiden konnte, war ich doch irgendwie stolz. »Sie kann Lieder pfeifen«, sagte ich. »Willst du mal hören?« Er tat so, als interessiere ihn das gar nicht. Doch er ging mit mir zum Turm. »Norah!« rief ich. Sie ignorierte mich. Ich forderte sie auf, zu pfeifen. Ich pfiff ihr sogar etwas vor. Ich rief, flehte, bettelte – aber das gottverdammte Mistvieh dachte gar nicht daran, auch nur einen Ton von sich zu geben. Mein Gesicht wurde immer länger, und Clay drehte sich schließlich um und schlenderte zum Wagen zurück. »Laß mal, Kleiner«, sagte er. »Vielleicht lernt sie es noch.« Ich war wütend. Sonst pfiff und flötete Norah stundenlang ohne Unterbrechung und trieb ihre Umgebung damit zur Verzweiflung. Jetzt aber plusterte sie sich nur auf, warf ab und zu einen verächtlichen Blick zu mir herunter, erhob sich schließlich, weil ihr wahrscheinlich mein Rufen auf die Nerven ging, und flatterte davon. In diesem Moment hatte ich plötzlich Appetit auf einen Krähenbraten, und hätte ich Norah zu fassen gekriegt, ich hätte ihr den Hals umgedreht. Von diesem Moment an wurden mir Krähen noch unsympathischer. Ich ging hinter Clay her und wollte versuchen, ihm zu erklären, daß es sich um eine Panne handelte, daß Norah den Schnabel nicht aufgemacht hatte. Aber da traten Padre Emanuel und die Wilkins' aus dem Haus, in dem sich ein Aufenthaltsraum für Gäste der Mission befand. Sie sprachen miteinander und schlenderten zum Wagen. John Wilkins war ein großer, vierschrötiger Mann mit offenem, kantigem Gesicht, das mir gut gefiel. Er schaute mich freundlich an und strich mir mit der Rechten über den Kopf. Seine Hand war groß und hornig. »Habt ihr euch schon angefreundet?« fragte er. Auch seine Stimme gefiel mir. »Ihr werdet euch bald öfter sehen. Wir bleiben hier. Wir werden unser Haus nicht weit von hier am Fluß bauen.« »Dann wird es sicher viel Arbeit geben, Pa«, sagte Clay mit einem triumphierenden Seitenblick auf mich. »Du kannst mit Ronco spielen, wann du willst«, sagte John Wilkins. »Noch brauch ich dich nicht und komme allein zurecht.« Er
lächelte Padre Emanuel zu, und nun war die Reihe an mir, zu grinsen. Clay aber kriegte einen roten Kopf und beeilte sich, wieder auf den Wagen zu klettern. Padre Emanuel sagte, daß die Mission jeden Siedler nach Kräften unterstütze, und daß auch die Wilkins' haben könnten, was sie brauchten. Die Wilkins' bedankten sich. Wenig später rollte der Wagen vom Hof der Mission und schwenkte nach Süden zum Fluß hin. Ich schaute ihm lange nach, und irgendwie war ich doch traurig, daß Clay nicht mehr da war. Ich merkte gar nicht, daß Padre Ambrosius von hinten an mich herantrat. Erst als er die Hand auf meine Schulter legte, schaute ich hoch. Er lächelte nur und sagte dann, ich solle zum Essen kommen. Padre Elfego, unser Koch, hatte Apfelkuchen gebacken, und für Apfelkuchen ließ ich damals noch alles andere stehen.
5. Die Mission war im Laufe der Jahre gewachsen. Als die Padres damals hergekommen waren, hatten sie bescheiden angefangen. Sie hatten eine kleine Kapelle gebaut, zunächst ohne Turm, und ein Haus, in dem sie selbst wohnten. Das Anlegen von Feldern war anfangs wichtiger gewesen. Nach und nach aber waren immer mehr Gebäude entstanden: Vorratsräume, Silos, Magazine, Ställe. Die Kapelle hatte einen richtigen Turm erhalten und war mehrfach erweitert worden. Zu der kleinen Ziegenherde hatten sich einige Kühe, Schweine und Hühner gesellt. Das alles begann sich auszuzahlen, als die vielen Siedler ins Land strömten. Die Mission war der einzige Ort, wo Saatgut gekauft werden konnte. Da es auch eine kleine Schmiede- und Stellmacherwerkstatt gab, erwarben manche Farmer auch ihre Werkzeuge hier oder ließen Ackergeräte bei uns reparieren. Nachdem die ersten Neusiedler etwas heimisch im Land am Pease River geworden waren, tauchten an jedem Sonntagmorgen die flachen Farmwagen auf, auf denen die Familien in ihrer besten Kleidung saßen. Sie kamen zum Gottesdienst. Mit der Zeit wurden es immer mehr, die sich in der kleinen
Missionskapelle drängten. Einige Taufen hatten hier bereits stattgefunden, und die Kinder zweier Einwandererfamilien aus Schweden hatten in der Kapelle geheiratet. Bei Krankheit oder Tod wurden die Padres gerufen, die stets bereit waren, Hilfe zu leisten. Zwei Tage, nachdem die Wilkins' in der Mission gewesen waren, sah ich Clay wieder. Ich hielt mich am Fluß auf und war einige hundert Yards südlich am Ufer entlang gegangen, mit der schwachen Hoffnung, ihn zu treffen. Ich traf ihn. Er saß am Flußufer, hatte die Stiefel ausgezogen und ließ seine nackten Füße ins Wasser baumeln, das um diese frühe Jahreszeit noch recht kühl war. Er bemerkte mich erst, als ich hinter ihm stand und er mein verschwommenes Spiegelbild in den Fluten sehen konnte. Er drehte sich um und erhob sich. »Na, Kleiner«, sagte er. »Ich heiße Ronco«, sagte ich, finster entschlossen, mich nicht mehr Kleiner nennen zu lassen. »Ich bin last so alt wie du und auch fast so groß.« »Fast«, sagte er und grinste. »Kommst du mit?« Ich nickte. Ich ging neben ihm her, während er erzählte, was sein Vater für Pläne hatte, wo er überall Felder anlegen und was er alles anpflanzen wollte. »Wenn wir uns etwas Mühe geben, können wir in zwei Jahren die größte Farm in der Gegend haben, hat Pa gesagt«, erklärte Clay. »Pa hat gesagt, so gutes Land wie hier habe es in Illinois nicht gegeben.« »Wo ist Illinois?« fragte ich. »Im Norden«, erwiderte Clay. »Das ist ungefähr so weit wie von hier bis zum Mond.« Wir erreichten die Stelle, wo die Wilkins' gedachten, die größte Farm der Gegend aufzubauen. Ich war enttäuscht. Ich hatte mir das alles ein bißchen großartiger vorgestellt, bei den gewaltigen Zukunftsplänen. Das Haus sollte auf einem Hügel oberhalb des Flusses entstehen, wo es vor Hochwasser geschützt lag. Der Hügel war dicht bewachsen mit allem möglichen Gestrüpp, das zudem noch ineinander verfilzt
war, da es wahrscheinlich seit Jahrhunderten ungehindert hatte wuchern können. Mesquite, Yucca, Salbei, Sage und Kreosot wuchsen hier wild durcheinander, dazwischen ragten die kurzen, gedrungenen Stämme einiger Palo Verdes auf. John Wilkins hatte eine breite Schneise in diesen Dschungel geschlagen und auf der Hügelkuppe eine große Fläche gerodet. Hier sollte das Haus entstehen, und es standen auch schon die Eckpfosten. John Wilkins stand mit bloßem Oberkörper an einem Sägebock und schnitt einen Palo-Verde-Stamm zurecht. Ich hatte noch nie vorher einen Mann mit so kräftigen Muskeln gesehen. Bei jeder Bewegung traten sie unter der Haut hervor. Er schwitzte mächtig, arbeitete jedoch, ohne aufzusehen. Kate Wilkins und Lizzy sammelten die gerodeten Büsche ein und räumten die Schneise frei, außerdem hatten sie damit angefangen, einen schmalen Graben vom Hügel zum Fluß auszuschachten. Als wir ankamen, begrüßten sie mich alle, und Kate Wilkins meinte, ich sollte doch zum Essen bleiben. In diesem Moment sagte Clay: »Pa, Ronco hat erzählt, er habe keine Eltern. Ich wette, das stimmt nicht.« Das Gesicht von John Wilkins verdunkelte sich etwas. »Warum soll es nicht stimmen«, sagte er. »Es stimmt. Du mußt nicht immer alles besser wissen wollen. Jetzt geh zum Fluß und wasch dir die Hände.« Clay kriegte einen roten Kopf und ging, und ich setzte mich neben Lizzy. John Wilkins fragte mich nach einem Wald in der Nähe, und ich sagte ihm, daß es keine drei Meilen von hier im Süden einen Wald gäbe, aus dem sich auch die anderen Farmer das Bauholz für ihre Häuser geholt hätten. Da war er sehr zufrieden. Clay kehrte vom Fluß zurück und setzte sich. Seit diesem Tag sagte er nie mehr etwas darüber, daß ich keine Eltern hatte. Kate Wilkins schnitt breite Kanten von einem Brot ab. Dazu gab es kaltes Fleisch und Kaffee. Es war das erstemal, daß ich Kaffee trank. Ich war erst mißtrauisch, als ich die schwarze Brühe sah, die genauso aussah wie der Strudel hinter der Mission. Aber Lizzy tat viel braunen Zucker hinein, und danach schmeckte es sehr ordentlich. Nach dem Essen meinte John Wilkins, daß wir ruhig
wieder zum Spielen gehen könnten. Wir gingen zum Fluß hinunter und schlenderten in Richtung Mission. Für diese Jahreszeit war es ein heißer Tag. Es versprach auch, einen heißen Sommer zu geben. Clay sagte, daß sein Vater schon im Herbst die erste Ernte eingebracht haben wollte. Ich zeigte ihm die Maisfelder der Mission. Die riesigen Stauden beeindruckten ihn doch. Am Südrand des Flußtales, in dem die Mission stand, arbeitete Padre Ambrosius an den Weinstöcken. Im vergangenen Jahr hatte er zum erstenmal die Trauben gelesen und gekeltert. Der Wein sollte recht gut sein. Er wurde als Meßwein verwendet, und ab und zu, an besonderen Feiertagen, tranken die Padres etwas davon. Bald würde mehr Wein zur Verfügung stehen. Einiges von der Ernte des Vorjahres hatte Padre Ambrosius auch gebrannt und mit einigen Kräutern versetzt. Er hielt es als Medizin unter Verschluß. Das höllische Gebräu sollte alle möglichen Krankheiten kurieren. Ich erzählte Clay davon. »Unsinn«, sagte er. »Wie kann man aus Wein Medizin herstellen?« »Padre Ambrosius kann es«, sagte ich, felsenfest von den Fähigkeiten des Padre überzeugt. »Das will ich sehen«, sagte Clay. Jetzt saß ich in einer argen Klemme. Die Flaschen mit der Wundermedizin standen im Arzneischrank der Mission, an den nur einige der Padres gehen durften. Aber wie sollte ich Clay beweisen, daß es stimmte, was ich sagte? Nachdem ich schon mit Norah so jämmerlich hereingefallen war, mußte er mich für einen hemmungslosen Aufschneider halten. »Komm mit«, sagte ich. »Aber wir müssen vorsichtig sein, daß wir nicht erwischt werden.« Er nickte und eilte hinter mir her. Die Kammer mit dem Medizinschrank befand sich unmittelbar hinter dem Aufenthaltsraum für Gäste der Mission. Es gab eine Hintertür in dem Gebäude. Als wir festgestellt hatten, daß die Luft rein und keiner der Padres in der Nähe war, schlüpften wir ins Haus. Hier verließ uns fast unser Mut. Wir standen im hinteren Gang des
Baus und hörten von vorn aus dem Aufenthaltsraum Stimmen. Wir schlichen bis zur Tür des Behandlungszimmers. Auch sie war nicht verschlossen. Die Kammer war leer. Alles war leichter, als ich es mir vorgestellt hatte. Wir traten ein, und es dauerte auch nicht lange, bis ich den Schrank gefunden hatte, in dem die bauchigen Flaschen mit der bräunlich schimmernden Flüssigkeit standen. »Da ist es«, sagte ich. »Woher soll ich wissen, daß das Zeug aus Wein ist?« fragte Clay. »Es sieht nicht so aus. Ich will es probieren.« »Ich werde nichts davon trinken«, sagte ich. »Erstens mag ich keine Medizin, und zweitens wird es auffallen, wenn etwas fehlt.« »Medizin ist gesund«, sagte Clay. »Sonst wär's ja keine Medizin. Du bist ein Feigling, Kleiner.« Ich widersprach nicht, dachte aber auch nicht daran, etwas von dem braunen Gesöff zu schlucken. Clay aber wollte beweisen, daß er eben doch schon älter und erfahrener sei als ich. Er nahm eine der Flaschen und zog den Korken heraus. Er setzte sie an und trank einen großen Schluck. Ich beobachtete ihn scharf dabei. »Na?« fragte ich neugierig. Er zeigte nicht gerade das Gesicht eines glücklichen Menschen. Im Gegenteil. Er wurde abwechselnd rot und blaß und schnappte ächzend nach Luft. Tränen rannen ihm aus den Augen, und nur unter meinen kritischen Blicken schien er sich darauf zu besinnen, daß er, was Männlichkeit betraf, weit über mir zu stehen hatte. »Gut«, sagte er gequetscht. »Sehr gut.« Er setzte die Flasche noch einmal an. Da flötete jemand laut und deutlich durch den Raum »Lobet den Herren.« Es lief mir kalt den Rücken herunter. Clay erschrak so sehr, daß er die Flasche fallen ließ und herumfuhr. Es klirrte, als die Flasche am Boden zerbrach. Vor dem Schrank, zu Clays Füßen, bildete sich eine stinkende Pfütze. Auf dem Sims des geöffneten Fensters aber saß Norah, die Krähe, pfiff vor sich hin und krächzte plötzlich. Es hörte sich wie ein hämisches Lachen an. »Ich hab dir doch gesagt, daß Norah Lieder pfeifen kann«, sagte
ich. Etwas Besseres fiel mir im Moment nicht ein. Aber Clay stand anscheinend nicht der Sinn danach, von musikalischen Krähen unterhalten zu werden. Er taumelte etwas, und seine Augen schimmerten glasig. Ich kriegte es mit der Angst und packte ihn am Arm. Wir verließen die Kammer und eilten durch die Hintertür hinaus auf den Missionshof. Als wir das Haus umrundet hatten, lehnte Clay sich an die Mauer. »Dieses Teufelszeug«, keuchte er. Er würgte. Er war ganz grün im Gesicht. »Medizin, he?« Er versuchte zu lachen. Es gelang ihm nicht. In diesem Moment marschierte Padre Ambrosius um die Ecke. Mir rutschte fast das Herz in die Hose, denn ich war überzeugt, er würde uns sofort ansehen, was wir angestellt hatten. Er aber summte vor sich hin und war entweder zu blind oder einfach zu gut, um unsere Schlechtigkeit zu sehen. Als er Clay erblickte, blieb er erschrocken stehen. »Ist dir nicht gut, Junge?« fragte er besorgt. Er legte Clay die Hand auf die Stirn, und was er fühlte, schien ihn zu beunruhigen. »Komm mit«, sagte er energisch. »Du siehst aus, als hättest du dir den Magen verdorben.« »Es geht schon wieder«, preßte Clay hervor. Er ließ fast die Zunge dabei aus dem Mund hängen, und ich war sicher, daß jetzt alles auffliegen würde, denn Clay hatte eine Fahne, die zum Himmel stank. Aber Padre Ambrosius sah nichts und roch nichts und akzeptierte keine Widerreden. Er schleppte Clay wieder mit ins Haus. Ich hinterher. Ich schwitzte innerlich Blut und Wasser und sah schon die schlimmsten Strafen auf mich zukommen, wenn der Padre die zerschlagene Flasche entdeckte. Am liebsten wäre ich weggelaufen, aber ich wollte Clay in seiner Not nicht allein lassen. Als wir den Raum betraten, in dem die Padres sonst kranke und verletzte Farmer behandelten, wollte ich gerade alles gestehen. Da sahen wir Norah. Sie hüpfte neben der zerbrochenen Flasche über den Boden. Sie torkelte fast und stieß völlig verrückte Pfiffe und grelle Schreie aus. Sie versuchte einige Male, hochzufliegen. Aber es gelang ihr nicht. Sie hatte von der Medizin getrunken, die auf dem Boden eine
Pfütze gebildet hatte. Padre Ambrosius warf einen Blick auf den offenen Schrank, bückte sich, hob Norah auf und warf sie aus dem Fenster. Sie war in diesem Moment wohl die betrunkenste Krähe der Welt. Der Padre murmelte etwas davon, daß jemand vergessen hätte, den Schrank zu verschließen, und mir fiel ein Stern vom Herzen. Ich dachte gar nicht daran, die Sache richtigzustellen. Sollte Padre Arnbrosius ruhig weiterdenken, daß Norah die Bescherung verursacht hatte. Das war meine Rache an Norah. Clay versicherte indessen wortreich, daß er völlig gesund sei, obwohl sein Aussehen ihn Lügen strafte. Padre Ambrosius ließ sich auch gar nicht davon beeindrucken. Er setzte Clay auf einen Stuhl neben dem großen Schrank und holte eine neue Flasche der Wundermedizin heraus. Clay würgte noch heftiger, als er die Flasche sah. Aber er rührte sich nicht vom Fleck. Und er wagte auch nichts mehr zu erwidern, als Padre Ambrosius sagte: »Diese Medizin hilft gegen Übelkeit und Schmerzen. Dir geht's gleich wieder besser, Söhnchen. Mach den Mund auf.« Clay öffnete den Mund, und Padre Ambrosius trichterte ihm gnadenlos drei volle Eßlöffel ein. Clay schluckte mit wahrer Todesverachtung. Als wir wenig später das Missionsgelände verlassen hatten und am Fluß waren, stürzte er wie ein Verrückter davon, rannte bis zu dem schwarzen Strudel, warf sich auf den Bauch und kotzte wie ein Reiher. Ich hätte gern gelacht, aber das wagte ich nicht. Denn ich fühlte mich mitschuldig. Mein Vertrauen in die medizinischen Fähigkeiten des Padre Ambrosius hatte jedenfalls einen Knacks gekriegt. Das Schicksal war gnädig. Der schwarze Strudel ließ die letzten Reste von meiner und Clays Schandtat restlos verschwinden. Nur bei Norah dauerte es noch bis zum nächsten Tag, bevor sie wieder nüchtern wurde.
6.
Als die Anzahl der Siedler wuchs, die sich im Gebiet am Pease River niederließen, nahmen auch die Indianerüberfälle zu, von denen wir in der Mission früher nur vereinzelt gehört hatten. Jetzt sahen wir manchmal kleinere Kriegerbanden vorüberziehen. Sie griffen die Farmen nur selten an, da die Siedler sich zu verteidigen wußten. Dafür machten sie die Straßen und Überlandwege unsicher, und das mit Erfolg. Ich begriff damals nicht, wieso die Apachen die Siedler haßten. Es gab keinen Farmer, der zugab, daß die Indianer im Recht waren und sich nur dagegen wehrten, daß ihnen ihr Land geraubt wurde. Ich sah jetzt häufiger Männer, die Waffen trugen, was früher selten gewesen war. Einmal erschien ein Mann in der Mission, um zu rasten. Er trug einen Revolver. Das war neu. Die Farmer der Gegend besaßen nur Gewehre, umständlich zu ladende Vorderlader. Einige hatten auch Pistolen mit Steinschloßzündung. Zwei Siedler, Farnham und Vaugham, besaßen Sharps-Hinterlader und wurden dafür oft bestaunt. Bei uns gab es keine Waffen zu kaufen, und kein Farmer hatte Geld genug, neue Waffen zu erwerben. Pflüge und andere Ackergeräte waren wichtiger. Der Fremde aber trug einen Colt, eine langläufige, klotzige Waffe, mit der man sechsmal hintereinander schießen konnte, ohne nachzuladen. Es handelte sich um einen Dragoon-Colt, Kaliber 44. Er steckte in einer hochgeschnallten, metallverstärkten Halfter mit dem Griff nach vorn. Der Mann sah anders aus als die Siedler, die ich bisher kennengelernt hatte. Er hatte nichts von deren Beständigkeit. Er war hager und hatte keine Schwielen auf den Handflächen. Dafür trug er einen Zopf aus Menschenhaaren am Gürtel, von dem handtellergroße Hautfetzen baumelten, an denen noch eingetrocknetes Blut zu sehen war. Jack Farnham, ein Farmer, der nördlich von der Mission an einer Flußkrümmung sein Haus hatte, war zum Einkaufen in der Mission, als der Mann auftauchte. Er hatte ihn schon einmal gesehen und sagte, daß es ein Skalpjäger sei, der Indianer töte, um für ihre Skalps von der Regierung Geld zu kassieren. Der Mann selbst sagte gar nichts. Er aß, bezahlte und ritt wieder davon.
Später traf ich Clay am Fluß und erzählte ihm davon. »Das war Adam McGinty«, sagte Clay. Er wußte immer über alles Bescheid. Mit Clay befreundet zu sein, war so gut, wie das Abonnement einer Zeitung zu besitzen. »Pa hat ihn gesehen und von ihm gehört. Er hat gesagt, daß er ein Killer sei«, fuhr er fort. »Ein gottverdammter Killer, der uns nur Ärger bereitet. Er macht die Rothäute noch wilder, als sie es schon sind.« »Er ist weitergeritten«, sagte ich. »Er sah nicht so aus, als würde er in der Gegend bleiben. Wollen wir zum hohlen Baum gehen?« Der hohle Baum war unser Geheimversteck. Wir hatten ihn vor einem Monat entdeckt. Er stand fast eine Meile westlich vom Fluß und niemand durfte wissen, daß wir uns soweit von der Mission und der Wilkins-Farm entfernten. Es handelte sich um einen uralten Cottonwoodbaum. Er hatte einen breiten Spalt an der Seite, durch den man ins hohle Innere kriechen konnte. Durch die schmale Röhre innen, die immer modrig und nach Fäulnis roch, kletterten wir bis in das weitausgreifende Geäst hinauf. Dort saßen wir, vom dichten Blattwerk geschützt, und konnten die ganze Ebene bis zu den Bergen im Norden überblicken. Hierhin zogen wir uns zurück, wenn wir Probleme zu besprechen hatten oder einfach auch nur träumen wollten. Hier fand uns niemand, auch nicht die anderen Kinder. Im Laufe der Zeit waren nämlich weitere Familien mit Kindern in unserem Alter in die Gegend am Pease River getreckt. Meistens wichen wir denen aus. Wir hatten mit uns allein genug. Clay nickte etwas lustlos, als ich vorschlug, den Baum aufzusuchen. Er wirkte den ganzen Tag schon irgendwie niedergeschlagen. Wir liefen über die schmale Brücke, die den Fluß zwischen der Mission und der Wilkins-Farm überspannte, spuckten ins Wasser, weil wir überzeugt waren, daß es Glück brachte, und beeilten uns, einen flachen Hügel zu überqueren, der uns vor Blicken vom Ostufer des Creeks schützte. Als wir ein Stück gegangen waren, sagte Clay plötzlich: »Lizzy hat jetzt einen Kerl.« Ich ließ mir nicht anmerken, wie sehr ich erschrak. Ich fühlte
einen glühenden Stich in der Brust. Ich warf Clay einen Seitenblick zu und sah, daß er die Stirn in Falten gezogen hatte. Er blickte starr vor sich hin, während er neben mir herlief. »Bob Danton«, sagte er. »Ein Scheißkerl.« Ich hatte Clay noch nie so wütend gesehen, aber ich konnte ihn verstehen. »Ein Scheißkerl«, fügte ich bekräftigend hinzu, in der Hoffnung, daß es ihm half. Ich erinnerte mich an Bob Danton, den ich ein paarmal Sonntags beim Gottesdienst gesehen hatte. Es war ein knapp zwanzigjähriger Farmersohn mit einem Gesicht wie ein Büffel. Ich konnte mir kaum vorstellen, daß Lizzy, meine Lizzy, die ich heiraten wollte, auf diesen Kerl hereingefallen sein sollte. Vielleicht war es doch ein Fehler von mir gewesen, daß ich ihr nicht gesagt hatte, wie ich mir meine Zukunft – mit ihr – vorstellte. »Dieser Mistkerl«, sagte ich noch einmal. »Was weißt du schon, Ronco«, sagte Clay. »Gar nichts weißt du. Ich habe gesehen, wie sie sich mit ihm getroffen hat. Und dann haben sie sich geküßt, und er hat sie an ihre Brüste gefaßt.« Ich blieb stehen. Ich glaube, ich wurde blaß. »Das glaube ich nicht«, sagte ich. Ich konnte es mir wirklich nicht vorstellen. »Ich hab's gesehen«, sagte Clay. Er stampfte mit dem Fuß auf den Boden, und schien seine Wut auf mich zu übertragen, weil ich seine Worte anzweifelte. »Du weißt ja gar nicht, was Brüste sind, Kleiner.« »Weiß ich doch«, sagte ich, und ich fühlte, daß nun auch in mir Zorn aufstieg. »Sag nicht immer Kleiner zu mir. Ich glaub dir kein Wort. Lizzy würde sich so etwas nicht gefallen lassen.« »Du bist ein Idiot, Kleiner«, sagte Clay. »Alle Weiber lassen sich das gefallen. Sie haben es gern. Lizzy ist da keine Ausnahme. Ich hab gesehen, wie dieser Hund an meiner Schwester herumgefummelt hat. Sag noch einmal, daß es nicht stimmt, dann schlage ich dir den Kopf ab.« Ich schaute ihn stumm an und kämpfte mit den Tränen, während ich mir Lizzy und den büffelgesichtigen Bob Danton zusammen vorstellte. »Du lügst«, sagte ich dann, obwohl ich längst überzeugt war, daß Clay die Wahrheit sagte. Ich wollte nur nicht immer
derjenige sein, der nachgibt. Da schlug er zu und traf mich mit der Rechten voll an die Stirn. Ich fiel auf den Rücken und richtete mich langsam wieder auf. Es war das erstemal, daß ich mich prügelte, noch dazu mit dem Jungen, der mein Freund war. Aber es war gar nicht so sehr das Verlangen, ihn zu verprügeln, sondern mein Zorn über die treulose Lizzy, der jetzt nach einem Ventil suchte. Und schlagen ließ ich mich schon gar nicht. Als Clay mich ansprang, griff ich in sein Haar und riß ihn zu Boden. Er war etwas größer als ich. Aber daran dachte ich in diesem Moment nicht. Er schrie und schlug mir beide Fäuste ins Gesicht. Ich warf mich auf ihn und prügelte auf ihn ein, ohne zu merken, daß einige Tränen aus meinen Augen rannen. Clay wehrte sich nicht sehr lange. Bald blutete er aus der Nase, und als er schrie, ich möge aufhören, stand ich auf und wischte mir die Tränen von den Wangen. Clay zog ein Taschentuch aus der Hose und tupfte sich schweigend das Blut ab. Er sagte gar nichts, und ich sagte auch kein Wort. Aber wir setzten uns beide fast gleichzeitig in Bewegung und gingen weiter. Als wir den hohlen Baum erreichten, sagte Clay: »Mädchen sind blöd.« Ich nickte. »Es ist idiotisch, sich wegen ihnen zu streiten«, sagte er. Ich nickte wieder. Ich war froh, daß es vorbei war. Wir kletterten auf den Baum und setzten uns auf zwei breite Äste. »Ma und Pa wissen ohnehin davon«, sagte Clay. »Wovon?« fragte ich. »Von Lizzy und Bob. Die beiden werden bestimmt heiraten.« »Sollen sie«, sagte ich, und ich meinte es wirklich so. Ich war schon fast über die Enttäuschung hinweg. »Ich werde nie heiraten«, sagte Clay. Er brach einen dürren Zweig ab und spielte gedankenverloren damit. Ich holte aus einer Nische zwischen den Ästen den eingetrockneten Hasenfuß, den wir vor zwei Wochen gefunden hatten. Ich hatte ihn Lizzy bringen wollen, doch
das war ja jetzt nicht mehr nötig. »Andy Vaugham hat ein kleines Holzboot«, sagte ich. »Meinst du, er wird es gegen die Pfote tauschen.« »Wir behalten die Pfote«, sagte Clay. »Mein Vater schnitzt uns auch ein Boot, ein viel schöneres als das, was Andy hat.« Ich betrachtete die Hasenpfote eingehend. Am liebsten hätte ich sie einfach weggeworfen. Sie erinnerte mich zu sehr an meine erste Liebe. Ich war noch ganz in Gedanken versunken, da sagte Clay: »Da, sieh mal!« Ich hob den Kopf. Clay lag flach auf einem Ast und spähte nach Norden. Ich beugte mich vor und sah nun auch die beiden Wagen, die von Westen auf den Fluß zurollten. Es waren Frachtwagen, hochbeladen. Zwei Männer mit Gewehren ritten neben den Gefährten her. »Das sind die Millers«, sagte Clay. »Die waren in Mulberry und haben einen großen Pflug gekauft, den größten, den es hier gibt.« »Nap Miller war vorher in der Mission«, sagte ich. »Er wollte wissen, wie man am sichersten und schnellsten nach Mulberry gelangt.« »Pa hat gesagt, daß die Millers bald auf dem Zahnfleisch laufen werden, wenn sie den Pflug kaufen«, sagte Clay. »Er kostet dreimal soviel wie ein gutes Reitpferd, hat Pa gesagt, und er meint, daß die Millers bestimmt Kredit bei einer Bank aufnehmen müssen.« »Was ist das?« fragte ich. »Kredit?« »Geld«, sagte er. »Sie leihen sich Geld.« Ich nickte und schaute wieder auf die Wagen. Aber ich war nicht sehr interessiert. Unbewußt glitten meine Gedanken immer wieder zu Lizzy. Da sah ich plötzlich Reiter aus dem Mischwald, der sich etwa eine Meile westlich des Flusses befand, preschen. Es waren Indianer. Mein Hals war plötzlich wie zugeschnürt, und ich hatte einen eigenartigen Druck im Magen. Clay sah die Indianer auch. Er drehte sich zu mir um. Ich sah, daß er Angst hatte. »Bleib ruhig«, sagte ich. »Wir müssen ganz ruhig bleiben.« Die Detonationen von Schüssen hallten zu uns herüber. Wir beobachteten, wie die beiden Wagen schneller fuhren. Die Reiter
daneben schossen mit ihren Gewehren auf die herangaloppierenden Apachen. Die Krieger holten trotzdem auf. Plötzlich riß einer der Kutscher beide Arme hoch und sackte auf dem Bock zur Seite. Der Wagen rollte noch ein Stück weiter, dann blieb er stehen. Sekunden später hatten die Indianer den zweiten Wagen und die beiden Reiter daneben eingeholt. Einer der Männer sprang aus dem Sattel und rannte um sein Leben. Ich hatte noch nie einen Menschen so schnell laufen sehen. Ich glaube, er schrie auch. Ein untersetzter Apache ritt hinter ihm her und schwang einen Schädelbrecher. Er wirbelte ihn hoch über den Kopf, und als er neben dem flüchtenden Mann war, schlug er zu. Ich glaubte in diesem Moment, das häßliche Krachen, als die Hirnschale zerplatzte, deutlich zu hören, obwohl sich der Kampf gut zweihundertfünfzig Yards entfernt von uns abspielte. Als ich einen Seitenblick auf Clay warf, sah ich, daß er leise weinte und blaß war wie ein frisch gewaschenes Bettlaken. Seine Unterlippe zitterte. Er hatte die Hände in die borkige Rinde des breiten Astes gekrallt, auf dem wir saßen. Mir schlug das Herz bis zum Hals, und in meinem Kopf dröhnte es. Wir sahen, daß Flammen aufzuckten. Dann ritten die Apachen auseinander. Die Leichen der Wagenlenker und der Begleiter lagen im Gras. Die Wagen brannten. Die Apachen nahmen die Pferde und die Waffen mit. Sie kümmerten sich nicht um ihre Opfer, sondern ritten wieder dem Wald zu, aus dem sie hervorgebrochen waren. Wenig später waren sie darin verschwunden, und alles war vorbei wie ein böser Spuk. Aber es war kein Spuk. Es war Wirklichkeit. Wir sahen die Toten im Gras. Die Flammen loderten immer höher. Schwarze Rauchwolken wurden vom Wind auf uns zugetrieben. Ich legte meine Rechte auf Clays Schulter. »Komm«, sagte ich, und ich erkannte meine Stimme kaum wieder. »Wir müssen den anderen Bescheid sagen.« Clay schüttelte den Kopf. »Und – und wenn die Rothäute …« »Wir müssen es versuchen«, sagte ich. »Vielleicht lebt noch einer von den Millers.« Ich ließ mich durch die hohle Baumröhre nach unten gleiten. Clay
folgte mir. Wir blieben einen Moment im Schatten des Baumes stehen, dann rannten wir los. Wir schauten uns nicht um, wir hörten nur unseren eigenen Herzschlag. Wir hatten das Gefühl, Hunderte von Meilen zu laufen. Wie wir es schafften, den Fluß zu erreichen, weiß ich heute nicht mehr. Wir überquerten die Brücke und liefen zur Wilkins-Farm. Der Hügel oberhalb des Pease-River war inzwischen gerodet worden. Es gab kein Gestrüpp mehr. Statt dessen stand ein großes, solides Holzhaus dort, und daneben zwei Ställe. Eine Scheune befand sich im Bau. Mr. Wilkins stand auf einer Leiter und brachte gerade die ersten Dachbalken an, als wir auf den Hof stürzten. Wir redeten beide wild durcheinander und zeigten nach Westen. Als John Wilkins begriffen hatte, was geschehen war, ließ er uns stehen, holte sein Pferd aus dem Stall und jagte wenig später davon. Er rief uns noch zu, wir sollten im Haus warten, bis er zurückkäme, und dann rief er noch, Lizzy sei nicht da. Kate Wilkins trat aus dem Haus und fragte, was geschehen sei. Wir erklärten es ihr. Sie wurde blaß und holte ein Gewehr. Aber da hatten wir den Hof schon verlassen. Denn jeder, der sich jetzt im offenen Land befand, war in Gefahr. Und Lizzy war nicht zu Hause. Clay wußte, wo er sie zu suchen hatte, und so hatte ich denn doch noch das zweifelhafte Vergnügen, Zeuge zu werden, wie Lizzy Wilkins und Bob Danton zusammen in den Büschen lagen, etwa dreihundert Yards vom elterlichen Haus entfernt. Es schien ihr sehr viel Spaß zu bereiten. Ich wußte natürlich nicht, was das zu bedeuten hatte. Ich sah die beiden nur von hinten und zerbrach mir den Kopf über die heftigen Verrenkungen und das wilde Geschnaufe und Geächze, das sie von sich gaben. Merkwürdigerweise berührte es mich nicht mehr, was Lizzy da mit Bob Danton trieb. Ich hatte das Gefühl, langsam erwachsen zu werden und über den Dingen zu stehen. Trotzdem konnte ich es mir nicht verkneifen, zu dem Pferd von Bob Danton zu gehen und die Sattelgurte zu lockern, während Clay mit lautem Gebrüll »Apachen sind in der Nähe!« auf die beiden losraste. Bob und Lizzy wirkten äußerst verschämt und gleichzeitig
erschrocken und aufgeregt. Ich hörte es klatschen und sah Clay wenig später mit einer knallroten Wange davonlaufen. Dann rannte Bob Danton nach einem flüchtigen Abschied von Lizzy zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel. Aber da die Sattelgurte locker waren, rutschte er mitsamt dem Sattel auf der anderen Seite des Pferderückens wieder herunter und fiel kopfüber ins Gras. Der Anblick war so komisch, daß wir fast die furchtbare Szene des Apachenüberfalls vergaßen. Fluchend und schimpfend rappelte sich Bob Danton wieder auf. Wir aber hatten es eilig, zu verschwinden, sonst hätte es sicher Prügel gesetzt. * Zwei Stunden später wurde Nap Miller gebracht. Ich war in die Mission zurückgekehrt. Die Farmer hielten vor dem Tor und trugen Nap herein. Er war ein Mann Mitte der Dreißig, groß und breitschultrig. Jetzt sah sein Kopf aus wie ein blutiger Fleischklumpen. Er wurde sofort in den Aufenthaltsraum der Mission getragen, und Padre Ambrosius und einige andere Mönche kümmerten sich um ihn. Er war der einzige, der noch lebte, und das war im Grunde ein Wunder. Am selben Tag noch ritt ein Mann nach Camp Concho am Cat Fish Creek, um die dort lagernden Armee-Einheiten zu alarmieren. Als die Soldaten nach fünf Tagen eintrafen, hatte Nap Miller das Schlimmste überstanden. Als ich einmal zu ihm ins Zimmer lugte, war er wach, sah mich und versuchte, mit leiser Stimme mit mir zu scherzen. Zwei Kompanien Kavallerie erschienen, angeführt von einem Colonel, der den Padres einige Fragen stellte, einen Tag vor der Mission lagerte und Kuriere zu den Farmern schickte. Dann brach die Truppe wieder auf. Wir hörten später, daß es kaum fünfzig Meilen entfernt zu einem heftigen Gefecht gekommen sein soll, bei dem die rebellierenden Apachen vernichtend geschlagen worden seien.
7.
Es wurde Sommer. Ein sehr heißer Sommer. Dazu trocken. Der Wasserstand des Flusses sank. Aber die Siedler, die sich am Fluß niedergelassen und Bewässerungsgräben gezogen hatten, brauchten nicht um ihre Felder zu fürchten. Es sah nach einer guten Ernte aus. Die Träume der Farmer, die sich eine gute Zukunft im Land am Pease River erhofft hatten, schienen in Erfüllung zu gehen. Ich war in dieser Zeit oft auf der Wilkins-Farm und half ab und zu auch auf den Feldern mit. Häufig aß ich auch da, und der Apfelkuchen von Kate Wilkins schmeckte mir noch besser als der von Padre Elfego. Aber das sagte ich ihm natürlich nicht. Clay und ich erlebten in diesen Monaten, was man in diesem Alter eben erleben kann. Lizzy, die es uns immer noch übelnahm, daß wir sie und Bob Danton nach dem Apachenüberfall so furios gestört hatten, hatte noch viel unter uns zu leiden. Mal legte ihr Clay einen nassen Schwamm unter das Bettlaken, mal fingen wir Frösche und steckten sie ihr ins Bett. Als es Juli wurde und die Ernte immer näher rückte, war abzusehen, daß John Wilkins, der mit Schulden begonnen hatte, seine Farm aufzubauen, reelle Chancen hatte, ein wohlhabender Mann zu werden. Irgendwann in diesen Tagen geschah es, daß Padre Ambrosius nach dem Essen zu mir kam. »Padre Emanuel möchte dich sehen«, sagte er. Ich überlegte, ob ich etwas angestellt hätte, aber mein Gewissen war so rein wie ein weißes Tischtuch. Padre Emanuel wartete in seinem Arbeitszimmer. Er saß hinter dem spartanischen Schreibtisch und lächelte freundlich, als ich mit Bruder Ambrosius eintrat. Das Lächeln war beruhigend für mich. Ich setzte mich Padre Emanuel gegenüber. Padre Ambrosius blieb stehen. »Clay Wilkins ist dein Freund, nicht wahr?« fragte Padre Emanuel. Ich nickte, obwohl ich nicht wußte, was die Frage sollte. »Mein bester Freund.« Ich wandte den Kopf und schaute zu Bruder Ambrosius hoch. »Neben dir«, sagte ich, und er lächelte. Zumindest
nahm ich das an. Man wußte das bei ihm nie genau, da sein dichter Bart viele Züge seines Gesichts verdeckte, aber in seinen Augen funkelte es etwas, und deshalb glaube ich heute noch, daß er lächelte. »Wir alle haben dich gern«, sagte Padre Emanuel. Mir wurde feierlich zumute. Ich ahnte, daß er etwas Entscheidendes mit mir besprechen wollte. »Was würdest du dazu sagen, wenn du für immer zu Clay und seinen Eltern könntest?« fragte Padre Emanuel. Ich verstand ihn nicht, und ich sagte es ihm. »Mr. und Mrs. Wilkins würden dann seine Eltern sein«, sagte er. »Und Clay dein Bruder.« »Aber wir sind doch gar nicht verwandt«, sagte ich. »Und Mr. und Mrs. Wilkins sind nicht meine Eltern.« »Sie könnten es aber werden«, sagte Padre Emanuel. »Dann hättest du wieder eine Familie und gute Leute, die dich großziehen.« Ich schwieg. Das waren ja herrliche Aussichten, die mir da eröffnet wurden. »Es gefällt mir hier«, sagte ich. »Das wissen wir.« Padre Emanuel erhob sich und umrundete seinen Schreibtisch. Er blieb vor mir stehen. »Wir freuen uns darüber. Aber wir glauben, daß eine richtige Familie besser für dich ist.« Ich überlegte mir, was er meinte. »Ich möchte die Wilkins heute fragen, ob Sie dich adoptieren wollen«, sagte Padre Emanuel. »Hast du etwas dagegen?« Ich überlegte wieder. Dann schaute ich den Padre an. »Nein«, erwiderte ich. Padre Emanuel schien auf diese Antwort gewartet zu haben. Er strich mir über den Kopf, und dann nahm Padre Ambrosius mich an der Hand und ging mit mir wieder hinaus. »Darf ich noch zu dir kommen, wenn ich nicht mehr hier wohne?« fragte ich ihn »Sooft du willst«, sagte er. Seine Stimme klang etwas seltsam. Er wich meinen Blicken aus. Ich dachte eine Weile nach, während ich mit ihm zu den Weinstöcken hinausschlenderte. Dann sagte ich: »Jetzt soll doch bald die Glocke für die Kapelle kommen.«
Er nickte. »Du darfst beim Aufhängen mithelfen«, sagte er. »Und du darfst sie als erster läuten. Das steht felsenfest.« Ich war beruhigt. Jetzt hatte ich wirklich nichts mehr dagegen, zu den Wilkins' zu ziehen. * Am Nachmittag traf ich Clay und berichtete ihm die Neuigkeiten. Er war begeistert und sagte mir, daß das Bett seiner Schwester ohnehin bald frei werden würde. Bob Danton sei dagewesen und habe um Lizzys Hand angehalten. John Wilkins sei einverstanden gewesen. Nach der Ernte, im Herbst, sollte die Hochzeit sein. Wir beschlossen, die Sache vorerst geheimzuhalten. Die anderen Jungen in der Gegend würden die Augen aufreißen, wenn wir plötzlich Brüder waren. Wir liefen zur Brücke, zogen uns bis auf die Unterwäsche aus und sprangen vom Geländer ins Wasser. Es war herrlich. Wir schwammen vielleicht eine Stunde, dann sahen wir Padre Emanuel mit einem Eselskarren von der Mission zur Wilkins-Farm fahren. Wir kleideten uns sofort an, und Clay hatte es sehr eilig, nach Hause zu gelangen. Er wollte versuchen, etwas von dem Gespräch, das der Padre mit seinen Eltern führen wollte, zu erlauschen. Ich blieb zurück, obwohl auch mich das brennend interessiert hätte. Aber ich wollte die Zeit noch nutzen, die mir in der Mission blieb. Ich suchte die kleine Kammer auf, die ich seit drei Jahren allein bewohnte. Sie lag neben der Kammer von Padre Ambrosius. Hier sortierte ich meine Schätze, mein Eigentum. Da waren ein ganzer Stapel einfache, aber praktisch genähte Kleidungsstücke, zwei Paar Schuhe und ein Paar Stiefel. Es war eine Sammlung merkwürdig geformter und gemusterter Steine, Kiesel zumeist, die ich aus dem seichten Ufergrund ausgegraben hatte. Ein beschnitzter Stock gehörte dazu, den Padre Frastus mir zu einem Geburtstag geschenkt hatte, und ein kleines Taschenmesser. Und eine Bibel, in Leder gebunden. Ich fühlte mich reich, jedenfalls würde ich nicht als armer
Schlucker bei den Wilkins einziehen. Ich schaute mich in dem kleinen Raum um, und so etwas wie Wehmut überfiel mich. Hier hatte ich drei Jahre lang gewohnt, das war mein Reich. Damit war es nun vorbei. Ich ging den restlichen Tag nicht mehr hinaus, fragte auch nicht bei Padre Emanuel nach, was die Wilkins zu seinem Vorschlag gesagt hatten. Ich blieb in meiner Kammer. Daher sah ich auch nicht, daß der Himmel sich seltsam bewölkte und eine merkwürdige Farbe annahm. Als die Sonne unterging, strich ein kühler Wind über die Ebenen. Die Wellen des Pease River schlugen heftiger als sonst an die sandigen Ufer. Ich aber schlief in dieser Nacht besonders fest. Ich glaube, der Skalpjäger Adam McGinty erschien mir im Traum und sagte: »Du wirst nie Eltern haben und auch keinen Bruder.« »Doch«, sagte ich. »Ich werde. Geh weg!« Aber Adam McGinty ging nicht weg. Er zog seinen großen Colt, lachte so häßlich, wie ich noch nie einen Menschen habe lachen hören, und schoß wild um sich. Und auf einmal war John Wilkins da und stürzte getroffen zu Boden. Ich schrie, und McGinty schoß auch auf mich. Ich spürte aber seltsamerweise nichts. Schweißgebadet wachte ich auf.
8. Am nächsten Morgen hatte der Himmel die Farbe von abgestandener Seifenlauge, und der Wind heulte um die Ecken der Mission. Es schien ein trostloser Tag zu werden. Als ich nach dem Frühstück mit Padre Tenebro in die Ställe gehen wollte, um die frischen Hühnereier einzusammeln, während er die Tiere fütterte, rollte ein Wagen auf die Mission zu. Auf dem Bock saß ein Mann, den wir nicht kannten. Er stammte nicht aus dieser Gegend. Als er auf dem Hof hielt, sahen wir einen massigen Gegenstand auf der Ladefläche stehen, der von einer Plane verdeckt wurde. Da wußten wir, daß der Mann die langerwartete Glocke für die Kapelle gebracht hatte.
Es war eine große und schöne Glocke. Die Padres versammelten sich auf dem Hof, um sie zu bestaunen, und Padre Emanuel sprach ein Gebet. Die Glocke war teuer gewesen. Anfangs hatte die Mission sich eine solche Glocke nicht leisten können. Jetzt war sie da, und alle freuten sich. Sie trug in breiten Lettern die Inschrift: WO GOTT IST, DA IST LICHT. Der Mann, der sie gebracht hatte, erging sich in langatmigen Schilderungen über die Machart und den Klang. Kein Mensch hörte ihm zu. Er schien es nach einiger Zeit zu merken und verstummte. Es war ein schönes Stück Arbeit, die Glocke vom Wagen zu wuchten. Sie wog mehrere Zentner und ließ sich schlecht transportieren. Mit Ach und Krach wurde es schließlich geschafft. Sechs Padres schleppten die Glocke in den Turm der Kapelle und setzten sie genau unter dem Glockenstuhl ab. Dann kletterte Padre Frastus hinauf. Oben im vorbereiteten Glockenstuhl befand sich eine Seilwinde. Padre Frastus ließ das Tau, an dessen Ende ein mächtiger Haken hing, hinunter. Der Haken wurde in die Öse am oberen Ende der Glocke geklinkt. Dann stiegen noch zwei Mönche in den Turm hinauf und halfen Padre Frastus, die Glocke hochzuwinden. Während dieser Zeit mußte der Turm geräumt werden, und draußen wagte niemand, auch nur daran zu denken, was wohl geschähe, wenn die Glocke herunterkrachte. Sie fiel nicht, und Padre Emanuel sprach gleich noch ein Dankgebet, als Padre Frastus seinen kantigen Schädel aus dem Turmfenster reckte und die freudige Nachricht in den Hof hinunterrief, daß die Glocke an ihrem Platz hinge. Wir liefen alle in den Turm und schauten hinauf. Und da hing sie tatsächlich. An massiven, eisernen Haken, die in einen mehr als schenkelstarken Querbalken eingelassen waren, der auf einer Achse ruhte. Die Winde wurde gerade abgebaut, und Padre Frastus befestigte das Zugseil an der Glocke und warf es hinunter. Ich starrte das Seil an, und es gab in diesem Moment nichts Sehnlicheres für mich, als daran zu ziehen. Padre Ambrosius mußte es gesehen haben. Er stand plötzlich
neben mir und sagte: »Komm, Ronco.« Er schob mich zu dem Seilende. Mein Herz klopfte. Ich griff danach und zog. Aber es war schwerer, als ich gedacht hatte. Erst, als ich mit beiden Fäusten anpackte und mich mit meinem ganzen Gewicht daran hängte, spürte ich, daß die Glocke zu schwanken begann. Sekunden später ertönte der erste Glockenschlag. Es dröhnte, daß ich das Seil vor Schreck losließ und mir die Ohren zuhielt. Um mich herum lachten alle. Da packte ich wieder nach dem Seil und zog, immer kräftiger. Die Glocke schwang hin und her, das Geläut muß bis in die Hauptstadt von Texas gehört worden sein. Der Mann, der uns die Glocke gebracht hatte, hielt sich nicht lange auf. Obwohl er zum Essen eingeladen wurde, stieg er schon nach einer knappen halben Stunde wieder auf seinen Wagen und fuhr davon. Ich hörte, daß Padre Elfego sagte, es sei gut, daß die Glocke jetzt noch gekommen sei. So könne man in diesem Jahr ein richtiges Erntedankfest feiern. Ohne Glocke wäre das ja nichts gewesen, nur eine halbe Sache sozusagen. Davon verstand ich nichts. Ich entdeckte nur, daß Norah durch das Geläut verängstigt worden und davongeflogen war. Wir sahen sie nie wieder. * Gegen Mittag nahm der Wind zu. Ich war zum Fluß gelaufen, um zu sehen, ob Clay da war. Ich wollte wissen, was er von dem Gespräch zwischen Padre Emanuel und seinen Eltern gehört hatte. Aber Clay erschien nicht. Ich lief bis fast zur Wilkins-Farm, sah aber nur John Wilkins, der damit beschäftigt war, das noch nicht fertiggestellte Scheunendach mit einer Plane abzudecken. Ich ging nicht hin, sondern lief zurück. Der Fluß brodelte und schäumte. Ich hatte ihn noch nie so wild gesehen wie an diesem Tag. Das Wasser schien auch angestiegen zu sein. Als ich an der Brücke vorbeilief, schwappten einige Wellen über die ausgetretenen Planken, und die Flut gurgelte um die Stützpfeiler, als ob ein wütender Wassergeist aus der Tiefe hervordrängte. Ich glaubte tatsächlich, ein wildes Gesicht in den Wellen zu erkennen, und nahm die Beine in die Hand.
Der Wind schwoll immer mehr an. Er wehte von Norden, und ich mußte mich ganz schön anstrengen, um vorwärtszugelangen. Ich hatte das Gefühl, ein Riese greife mit tausend Fäusten nach mir. Als ich den schwarzen Strudel hinter der Mission erreichte, sah ich, daß das Wasser ein weiteres Stück vom Ufer weggerissen hatte. Der Strudel war nun noch größer und wirkte drohend wie ein schwarzes Todesauge. Blasen perlten auf der Oberfläche. Ich lief daran vorbei und lief zur Mission. Am Himmel sah ich schwarze Wolken, die sich von Norden heranschoben und immer dichter zusammenzuballen schienen. Ich hörte es in der Ferne donnern. Eine seltsame Spannung lag in der Luft, und es wurde ziemlich kalt. Ich erreichte die Mission, lief an der Kapelle vorbei und eilte zum Gästehaus, in dem sich auch die Mönche meistens aufhielten, wenn sie von der Arbeit kamen. Ich hörte in den Ställen die Kühe angstvoll brüllen. Der Sturm trug Staubbahnen über den Hof und peitschte sie an die Hauswände. Als ich die Tür hinter mir zuschlug, hatte ich einen trockenen Hals und schmeckte Sand im Mund. Padre Ambrosius stand in der Tür zum Aufenthaltsraum und sagte: »Wo bist du gewesen? Wir haben dich gesucht!« »Am Fluß«, sagte ich. »Das Wasser schwappt schon über die Brücke. Und dann hat es gedonnert.« »Komm 'rein, Söhnchen«, sagte der Padre. »Es wird ein schweres Wetter geben. Da jagt man keinen Hund raus.« Ich trat in den Aufenthaltsraum und sagte: »Es bläst einem fast die Seele aus dem Leib.« Die anderen lachten. Fast alle Padres saßen im Raum. Einige hatten sich um den Kamin geschart. Padre Emanuel blätterte in einer Bibel. Frank Stoddard war ebenfalls da. Er besaß eine Farm, fünf Meilen südlich von der Mission. Er sog an einer selbstgeschnitzten Maiskolbenpfeife und erzählte von einem Hurrikan, den er in Kansas erlebt hatte, und von einer Heuschreckenplage. Dann sah er mich an und sagte: »In deinem Alter, Junge, da hat Pecos Bill einen ausgewachsenen Tornado mit dem Lasso
eingefangen.« Ich quälte mir ein Grinsen ab und dachte im stillen bei mir, daß ich Kindern niemals einen solchen Blödsinn erzählen würde, wenn ich erst erwachsen war. Padre Tenebro meinte, daß es so schlimm sicher nicht kommen werde. Aber Frank Stoddard nuckelte an seiner Pfeife und sagte: »Abwarten und Tee trinken. Ich hab schon Pferde kotzen sehen.« Der Sturm heulte im selben Moment draußen auf, als wenn er Stoddards Worte unterstützen wolle. Eine Ladung Sand prasselte an die Fenster. Einige Padre gingen hinaus, um die Fensterläden zu schließen. Als sie wieder hereinkamen, berichteten sie, daß der Himmel im Norden ganz grün sei. In diesem Augenblick ließ ein Donnerschlag die Erde und auch das Gebäude, in dem wir uns befanden, erzittern. Und dann brach die Hölle los. Wir hatten den Eindruck, der Himmel stürze ein. Ein Donnerschlag folgte dem anderen. Der Sturm brüllte wie eine Horde wilder Büffel und rannte gegen die Gebäude an, als wolle er sie im ersten Anlauf von der Bildfläche putzen. Das Feuer im Kamin wurde kleiner, da der Wind auf den Schlot drückte. Die Gespräche im Raum verstummten, und ich bemerkte Unsicherheit in den Augen der anderen. Das trug nicht dazu bei, meine leise keimende Furcht erlöschen zu lassen. Wenn sich schon Erwachsene fürchteten, dann hatte ich auch das Recht dazu. »Gut, daß ich hiergeblieben bin«, sagte Frank Stoddard plötzlich. »Ich wäre jetzt übel dran, wenn ich zurückgefahren wäre. Hoffentlich sind Martha und die Kinder so vernünftig, alles zu versammeln.« Das Donnergrollen wurde noch lauter. Auf einmal gab es einen Knall, daß wir alle zusammenfuhren. Dabei hatte der Sturm nur einen Fensterladen aus der Halterung gerissen. Durch das kleine Viereck, das nun frei wurde, konnten wir den Himmel sehen, der sich graugrün verfärbt hatte und aus dem die Blitze wie glühende Lichtfinger zuckten. Der Himmel hatte sich in einen brüllenden, tosenden Schlund verwandelt, der alles verschlingen zu wollen schien. Das Gewitter schien sich über dem Fluß festzusetzen. Das schmetternde Krachen, das nach jedem Blitz erfolgte, ließ die
Gebäude der Mission in ihren Grundfesten erbeben. Keiner sagte mehr ein Wort. Alle lauschten nach draußen. Frank Stoddard hatte seine Pfeife ausgehen lassen und war blaß geworden. Wahrscheinlich dachte er an seine Familie. Ich dachte an Clay und fragte mich, was er jetzt wohl täte. Ich hätte mich am liebsten in mein Bett verkrochen, aber ich wollte nicht zeigen, daß ich Angst hatte. Es dauerte stundenlang. Und als das Gewitter abzuflauen schien, schwoll der Wind noch einmal an, und dann brach ein Inferno über uns herein. Ein riesenhafter Wirbel tauchte aus der Ebene auf. Padre Frastus stand am Fenster und sah ihn als erster. Er drehte sich um, mit einem Gesichtsausdruck, den ich vorher nie bei ihm gesehen hatte. Alle drängten zum Fenster. Ich auch. Und da sahen wir es: Eine Windhose jagte heran, an ihrem Fuß kaum zehn Yards breit. Sie reichte bis in den Himmel und öffnete sich nach oben wie ein Trichter mit einem Durchmesser von bestimmt einhundert Yards. Der Tornado wälzte sich in rasender Geschwindigkeit über das Land und riß alles mit, was in seinen Bereich geriet. Er fraß eine breite Schneise der Vernichtung in die Ebene. Und dann erreichte er die Mission. Die Luft war plötzlich voller Dreck, obwohl alle Türen und Fenster des Raumes geschlossen waren. Dachschindeln hoben sich jäh und flogen wie Eierschalen in der Luft herum. Drei oder vier Fensterscheiben platzten, als faustgroße Steine dagegengewirbelt wurden. Auch die, an der wir standen, zersplitterte. Wir sahen noch, daß ein leichter Geräteschuppen hoch in die Luft gewirbelt und in seine Einzelteile zerlegt wurde. Dann lagen wir schon flach am Boden. Padre Ambrosius packte mich und riß mich mit sich. Er legte sich schützend über mich, und ich hatte das Gefühl, erdrückt zu werden, was bei dem Leibesumfang und Gewicht des Padre durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hätte. Scheffelweise flog der feine Sand durch das zerborstene Fenster herein. Das ohrenbetäubende Heulen und Brüllen des Wetters raubte uns fast die Besinnung. Wir hörten es über uns knistern und krachen, in den Wänden knackte es, als würde im nächsten Moment das ganze
Haus in sich zusammenstürzen. Genauso schnell jedoch, wie er erschienen war, war der Spuk wieder vorbei. Als wir uns erhoben, setzte der Regen ein. Wir wunderten uns zuerst, daß wir naß wurden, bis wir das riesige Loch im Dach bemerkten, das der Sturm hinterlassen hatte. Das Gebäude war zur Hälfte abgedeckt, und als wir hinausliefen, sahen wir, daß ein Vorratsschuppen völlig eingestürzt und die Stalldächer ebenfalls fast ganz weggerissen worden waren. Nur die Kapelle war unversehrt. Wir standen nur wenige Augenblicke im Regen, dann waren wir alle bis auf die Haut naß. Wir flohen in die Kapelle, wo wir einigermaßen geschützt waren, während draußen Sturzbäche auf die Erde niedergingen. * Es regnete zwei Tage hintereinander. Danach trieb ein heftiger Windstoß die graue Wolkendecke weg, und die Sonne schien wieder, als hätte es\nie ein Unwetter gegeben. Doch während der Himmel im herrlichsten Blau schillerte, konnten wir die Schäden besichtigen, die das Wetter hinterlassen hatte. Der Fluß war über die Ufer getreten. Das Wasser stand auf dem Hof der Mission, einige Keller waren überschwemmt. Das ganze Land rechts und links des Flusses war ein einziger See, der kaum mit bloßem Auge zu überblicken war. Auf dem trüben Wasser trieben die Leichen von Kühen und Schafen, die nicht mehr rechtzeitig vor dem Wetter von den Weiden geholt worden waren. Hausrat und Möbelstücke waren zu sehen, und ein ganzer Farmerwagen. Die Arbeit von Wochen und Monaten war vernichtet. Die Felder am Fluß waren ausnahmslos von der Überschwemmung heimgesucht worden. Noch stand das Wasser zu hoch und verdeckte die angerichteten Schäden. Aber es bedurfte keiner großen Phantasie, sich auszumalen, wie die Felder nach dem Zurückfluten des Wassers aussehen würden. Der Tornado war über die Maisfelder hinweggefegt, daß es aussah wie nach einer Schlacht. Die hohen, schwere Früchte tragenden
»Maissoldaten«, wie wir sie genannt hatten, weil sie so stolz und aufrecht in Reih und Glied gestanden hatten, lagen geknickt am Boden, gerade noch gut genug, um in einem raschen Feuer verbrannt zu werden. Die Kartoffeläcker waren nur noch riesige Schlammpfützen, ebenso die Rübenäcker. Die Brücke, die zwischen der Wilkins-Farm und der Mission den Fluß überspannt hatte, war weggerissen worden, genauso wie einige Farmhäuser, die zu dicht am Ufer gestanden hatten und nicht stabil genug gebaut gewesen waren. Am zweiten Tag flutete das Wasser nach und nach zurück. Von der gesamten Herbsternte war nur noch ein verschwindend geringer Teil zu retten. Die Farmer, die ihre Felder ausschließlich in Flußnähe angelegt hatten, waren völlig ruiniert. Schon eine knappe Woche nach dem Unwetter, als der Pease River fast wieder seinen normalen Stand erreicht hatte, verließen einige Siedler das Land, in das sie mit so großen Hoffnungen gekommen waren. Die Wilkins blieben, obwohl es sie mit am schwersten getroffen hatte. Zwar waren die Farmgebäude bis auf die noch nicht fertige Scheune unversehrt geblieben, aber die Ernte war vernichtet. Das war ein Schlag, den manch anderer nicht verdaut hätte. John Wilkins aber besichtigte zwei Tage nach dem Sturm seinen Besitz, schrieb alles auf, rechnete, was er verloren hatte und was er noch besaß, und beschloß dann, noch einmal von vorn anzufangen.
9. Es verging eine Woche, bis ich wieder allein an den Fluß durfte und das Wasser keine Gefahr mehr darstellte. Das Land sah aus, als habe jemand die Klinge einer stumpfen Sense darüber hinweggezogen. Hier und da lagen noch verwesende Viehleichen, die zum Fraß der Krähen wurden. Ich ging bis fast zur Wilkins-Farm. Da traf ich Clay. Das heißt, ich fand ihn, ich stolperte über ihn. Er lag unterhalb des Hügels, auf dem die Farm stand, im Schatten eines Busches, starrte ins Leere und weinte leise. Als er mich sah, sprang er auf und versuchte, sich rasch
die Tränen wegzuwischen. Sein Gesicht rötete sich etwas. Ich erkannte seine Stimme kaum, als er sagte: »Da bist du ja wieder.« »In der Mission sind sie dabei, das Wasser aus den Kellern zu schöpfen«, sagte ich. Er setzte sich wieder, und ich setzte mich neben ihn. »Unsere Scheune ist kaputt«, sagte er. »Mit der Ernte ist es dieses Jahr auch nichts.« Ich warf einen Blick zum Hügel hoch. Ich konnte die Trümmer sehen. Einige Fenster des Wohnhauses waren mit Decken verhängt oder mit Brettern vernagelt. Ich nahm an, daß der Sturm die Scheiben zerstört hatte. »Ein Geräteschuppen bei uns ist hin«, sagte ich. »Aber die Kapelle steht. Auch der Glockenturm. Vor dem Wetter haben wir noch die Glocke bekommen.« Er schien gar nicht zu hören, was ich sagte. Er hatte einen Grashalm abgerissen und kaute gedankenverloren darauf. »Es ist alles aus«, sagte er plötzlich. Ich schaute ihn von der Seite an und sagte nichts. »Wir sind arm«, sagte er, und es hörte sich an, als hätte er sein Todesurteil schon in der Tasche. Auf einmal rannen auch wieder ein paar Tränen aus seinen Augen. »Pa hat es gesagt. Ich hab's selbst gehört.« Er drehte sich zu mir um und schaute mir direkt in die Augen. »Daß du zu uns kommst, daraus wird jetzt nichts.« Jetzt begriff ich erst, was er gemeint hatte. Ich war etwas erschrocken, doch ich wunderte mich gleichzeitig ein wenig, daß es mich nicht mehr berührte. »Als Padre Emanuel da war«, fuhr er fort, »da war fast schon alles klar. Pa sagte, daß er dich gern auf der Farm haben wollte, weil wir uns gut verstünden, und weil ein Kind in eine richtige Familie gehöre und so weiter. Ich habe das nicht alles verstanden. Ma war auch dafür, und sie wollten sich alles nur noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Gestern hat Pa gemeint, er müsse Padre Emanuel sagen, daß es nicht geht. Wir müssen selbst sehen, wie wir durchkommen, hat er gesagt. Wir können nicht noch jemanden durchfüttern.« Ich hörte aufmerksam zu. Dann nickte ich. Ich verstand das, was
Clay sagte, mir war nur nicht ganz klar, ob er traurig war, daß ich nicht sein Bruder wurde, oder ob er es lediglich bedauerte, daß seine Eltern nun nicht mehr in der Lage waren, mich zu ernähren. »Dann bleibe ich eben in der Mission«, sagte ich. »Ich glaube nicht, daß es schlimm ist, arm zu sein.« Clay schaute mich wieder an. »Im Ernst?« »Warum soll es schlimm sein?« fragte ich. »Was ist das überhaupt, arm? Wir haben doch, was wir brauchen.« Er schien eine Weile zu überlegen. Er warf den Grashalm weg und sagte dann: »Pa hat gesagt, daß wir hierbleiben und es noch einmal versuchen.« »In einem Jahr sieht es anders aus«, sagte ich. »Dann habt ihr die reichste Farm in der Gegend.« »Das hat Pa auch gesagt.« Clay schwieg wieder eine Weile, ehe er sagte: »Lizzy wird erst mal nicht heiraten. Die Dantons haben auch Schwierigkeiten.« Er richtete sich auf. »Bleibst du zum Essen?« Ich lehnte ab, denn ich wollte nicht den endgültigen Ruin der Familie Wilkins herbeiführen. Wir schlenderten ein Stück in nördlicher Richtung am Fluß entlang, und Clay erzählte mir, was im einzelnen alles auf der Farm zerstört worden war. Wir besichtigten die Reste der Brücke, an der wir oft gebadet hatten. Es schauten einige abgesplitterte Pfeiler aus dem Wasser, einsam ragte ein Querbalken, der früher die Planken der Brücke gehalten hatte, ins Leere. »Es soll eine neue Brücke gebaut werden, noch bevor es Winter wird«, erklärte ich. »Padre Ambrosius hat es gesagt.« Wir schlenderten weiter bis zu dem schwarzen Strudel. Er war geblieben, er war sogar etwas größer und damit drohender geworden. »Es ist trotzdem schade, daß du nicht zu uns kommen kannst«, sagte Clay nach einiger Zeit. »Ich hätte gern einen Bruder gehabt.« Ich versicherte ihm, daß ich genauso darüber dächte. Wir gingen nebeneinander her zur Mission. Hier waren sechs oder sieben Padres damit beschäftigt, das Wasser aus den Kellern zu schöpfen. Andere reparierten die Sturmschäden an den Dächern der Gebäude. Padre Elfego hatte gerade die Kühe gemolken und trug einen mit Milch gefüllten Holzeimer über den Missionshof. Er winkte uns zu, und wir
folgten ihm in die Küche, wo jeder einen Becher mit frischer Milch erhielt, die noch warm und rahmig war und dicke Fettklümpchen enthielt. Auch in der Küche hatte das Wasser kniehoch gestanden. Inzwischen war es abgelaufen, aber es hatte Spuren hinterlassen. Die Wände und der Fußboden waren noch feucht. Padre Ambrosius trat in die Küche, während wir noch tranken. Er strich uns über den Kopf, wechselte einige Worte mit Padre Elfego und sagte dann zu Clay: »Das Wetter hat euch schwer erwischt, wie?« Clay nickte. »Richte deinem Vater aus, daß er herkommen soll, wenn er etwas braucht«, sagte Padre Ambrosius. »Vielleicht können wir euch helfen.« »Ich werd's ausrichten«, sagte Clay.
10. Die Zeit verstrich wie im Fluge. Es wurde Herbst und dann Winter. Ein harter Winter. Der Fluß fror teilweise zu, und der Bodenfrost zerstörte Teile der Wintersaat. Nach einem Schneesturm fanden die Farmer etwa fünfzig erfrorene Kühe auf den Weiden. Ich erinnere mich, daß damals noch einmal drei oder vier Familien ihre Sachen packten und weiterzogen. Wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört. Wir Kinder störten uns nicht am Wetter. Wir nutzten die Gelegenheit, auf dem zugefrorenen Pease River zu spielen. Erst als Jerry Ricks im Eis einbrach und fast ertrank, ließ unsere Begeisterung nach. Es war ein kalter Tag, die Luft war wie Glas. Wir hatten uns an der Flußkrümmung am großen Stein getroffen. Clay war auch dabei. Und noch ein paar andere Jungen aus der Gegend. Jerry Ricks brachte einen Schlitten mit, den sein Vater ihm aus Holzresten gebaut hatte. Wir rasten stundenlang über das Eis, ohne müde zu werden, bis plötzlich das Seil riß, mit dem wir den Schlitten zogen. Der Schlitten
hatte jedoch so viel Schwung, daß er weit hinaus auf die Flußmitte rutschte, wo das Eis nicht ganz so dick war wie in Ufernähe. Lester Farnham, ein zehnjähriger Farmersohn, der größte von uns allen, den wir, wenn wir zusammen waren, stillschweigend als Anführer akzeptierten – wir wurden die »Bande vom Fluß« genannt –, warf sich geistesgegenwärtig rücklings vom Schlitten. Jerry Ricks aber, der vor ihm auf dem Schlitten saß, hielt sich krampfhaft fest und schrie vor Angst. Als das Eis brach, schrie er noch immer. Wir standen hilflos am Ufer und sahen, wie Jerry zwischen splitterndem, knackendem Eis versank. Wasser spritzte, und Jerry fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. Er ging unter, tauchte wieder auf, prustete und klammerte sich brüllend an der glatten Kante des Eisloches fest. Lester, unser Anführer, machte eine denkbar schlechte Figur. Er war kreidebleich und hüpfte aufgeregt am Ufer lang. Am liebsten wäre er wohl einfach abgehauen. Ich erinnere mich, daß ich mich flach auf das Eis warf und zu dem Loch robbte. Nach einigen Sekunden schlossen Clay und ein paar andere Jungen sich an. Clay griff nach meinen Beinen, und die anderen Jungen faßten nach Clays Beinen. So bildeten wir eine Kette. Wir rutschten immer weiter auf die Eisfläche hinaus. Als ich in Jerrys Nähe kam, hörte ich das Eis unter mir knacken. Ich schwitzte trotz der Kälte. Aber wir krochen weiter. Jerry brüllte immer noch. Er rutschte einige Male ab und ging immer wieder unter. Lange konnte er sich nicht mehr halten. Uns war klar, daß er erledigt war, wenn die Strömung ihn unter die Eisfläche drückte. Es gelang uns im letzten Moment, ihn herauszuziehen. Er war steif vor Kälte und konnte kaum atmen, was wahrscheinlich an der Angst lag, die er ausgestanden hatte. Der Schlitten war futsch. Aber Jerry lebte noch. Wir brachten ihn nach Hause. Ein Stück vor der RicksFarm jedoch blieben wir lieber zurück. Wir fühlten uns irgendwie schuldig und wollten Jerrys Vater nicht begegnen. Lester Farnham hatte sich schon während der Rettungsaktion verdrückt. Für uns war er erledigt. Wir gingen von diesem Tag an nicht mehr auf das Eis und trauten uns auch eine Weile nicht mehr an den Fluß heran.
* Der Winter war rasch vorbei. Der Fluß schwoll noch einmal an, als die Schmelzwasser von den Bergen ihn füllten. Aber diesmal waren die Überschwemmungen nicht sonderlich schlimm. Sofort, nachdem der letzte Schnee geschmolzen war und die Sonne stärker wurde, begannen die Farmer am Fluß wieder mit der Feldarbeit. Vor allem die Wilkins' strengten sich an. John Wilkins und seine Frau waren von Sonnenaufgang bis nach Sonnenuntergang an der Arbeit. Sie arbeiteten mehr als alle anderen Farmer der Gegend. Manchmal schliefen sie während des Gottesdienstes am Sonntag ermüdet ein. Aber die Mühe zahlte sich aus. Bald hatten sie ihre Felder besser in Schuß als jeder andere Siedler am Pease River. Sie hatten bei der Bank in Mulberry einen Kredit aufgenommen. Clay sagte, daß sie verteufelt hohe Zinsen zahlen müßten. Damals wußte ich nicht so recht, was das ist. Aber ich sah, daß die Wilkins' sich mächtig nach der Decke strecken mußten, um über die Runden zu kommen. Und ich nahm an, daß das mit den »Zinsen« zusammenhing. Die Padres halfen ihnen ebenfalls. Sie halfen fast allen Siedlern der Gegend. In der Mission lagerten große Vorräte an Saatgut aus der Zeit, als die Mission aufgebaut worden war und die Padres die einzigen Menschen außer den Indianern im Land am Fluß gewesen waren. Die im vorigen Herbst verschobene Hochzeit von Lizzy Wilkins und Bob Danton wurde nachgeholt. Sie heirateten eine Woche vor Ostern im Jahre 1853. Im Jahre des Herrn, wie Padre Ambrosius zu sagen pflegte. Es sollte ein großes Fest werden. Die beiden Familien beschlossen, daß es am Fluß unter freiem Himmel stattfinden sollte, gleich nach der Trauung, die Padre Emanuel in der Missionskapelle vornehmen sollte. Es hatten schon vorher einige Paare geheiratet. Ein großes Fest hatte es nicht gegeben. Aber wahrscheinlich war es das schlimme
Vorjahr, das noch allen auf der Seele lastete. Sie wollten sich mit dem Fest selbst beweisen, daß sie über den Berg waren und neuen Mut gefaßt hatten. Alle waren eingeladen, alle, die eine Farm am Fluß hatten. Manche mußten einen Weg von zehn Meilen zurücklegen, um an der Feier teilnehmen zu können. Die Trauung fand am Nachmittag statt. Die Kapelle war gerammelt voll. Padre Emanuel hielt eine sehr schöne Predigt. Lizzy schluchzte etwas, und Bob Danton schnitt ein noch dümmeres Gesicht als sonst. Auch Kate Wilkins rannen einige Tränen über die Wangen. Nach der Zeremonie fuhren alle zur Wilkins-Farm. Dort waren in der Scheune lange Tische aufgestellt worden. Es waren Bretter, die auf Holzböcke gelegt worden waren. Hier wurde gegessen. Es ging bis zum Abend. Dann begaben sich alle hinunter zum Fluß. Hier war inzwischen ein riesiges Feuer angefacht und ein großer Bratspieß mit einem frisch geschlachteten Hammel darüber angebracht worden. Ein Faß mit Bier und Selbstgebrannter Whisky standen bereit. Clay nannte ihn Schlangenpisse. Ich hatte Gelegenheit, einmal einen kleinen Schluck davon zu kosten und konnte ihm nur recht geben. Aber es gab nichts Besseres hier. Die Longleys waren erschienen, eine Familie, die sich vermehrte wie eine Meerschweinchenkolonie. Jeder Longley sorgte für weitere Nachkommenschaft, und die Frauen standen ihnen nicht nach. Jeder der Longley-Söhne hatte mit sechzehn oder siebzehn Jahren schon geheiratet und gleich wieder für Nachwuchs gesorgt. Die Sippe unterhielt eine Farm, die so groß war wie das Gebiet von zwei mittelgroßen Countys zusammen. Familienboß war Big Halsey Longley, der mit seinen vierzig Jahren schon wie ein Patriarch wirkte und bereits drei Frauen verschlissen haben sollte, wie gesagt wurde. Die Longleys waren die einzigen, die Musikinstrumente besaßen und auch damit umgehen konnten. Es handelte sich um zerkratzte Gitarren und verstimmte Fideln. Einer spielte eine Ziehharmonika. Schon bald, nachdem die übrige Hochzeitsgesellschaft eingetroffen war, begann die Musik und damit auch der Tanz.
Mehr schlecht als recht hopsten die etwas ungelenken Paare über den Rasen, traten sich gegenseitig auf die Füße und scherten sich den Teufel um den Takt der Lieder. Zwischendurch wurde getrunken und gegessen und viel geredet. Als es dunkelte, wurden noch einige kleine Feuer angefacht und Fackeln angezündet, die man in den Boden steckte. Ich kam erst zur Feier, als sie schon im vollen Gang war. Ich hatte mich heimlich aus der Mission weggeschlichen, weil ich nicht sicher war, ob es den Padres recht war, daß ich mich um diese Zeit noch draußen herumtrieb. Als ich sicher sein konnte, daß niemand mehr in meiner Kammer nachschauen würde, kletterte ich aus dem Fenster und rannte zum Festplatz. Die Musik klang mir schon von weitem entgegen. Als ich die Feuer erreichte und außer Atem stehenblieb, war mir doch etwas beklommen zumute. Schließlich war ich nicht eingeladen. Aber auf einmal stand Clay neben mir. Er trug ein weißes Hemd, das ich vorher noch nie bei ihm gesehen hatte, und hatte am Kragen eine schwarze Samtschleife. Zum erstenmal hing ihm sein Haar nicht in die Stirn, sondern war glatt zurückgekämmt und stank nach Pomade. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Aber das fiel Clay gar nicht auf. Seine Wangen waren gerötet, seine Augen glänzten. »Da bist du ja«, sagte er. »Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.« »Ich bin nicht eingeladen«, sagte ich. »Unsinn«, sagte Clay. »Jeder ist eingeladen. Sogar der Präsident der Vereinigten Staaten. Aber der ist nicht hier.« Er nahm mich am Arm und zerrte mich mit, zwischen den Tanzenden und Trinkenden hindurch. Ich sah irgendwo am Rand des Platzes das Brautpaar stehen, Hände schütteln und Geschenke in Empfang nehmen, die alle auf einen kleinen Einspänner gelegt wurden. Dann stand ich auch schon neben dem riesigen Bierfaß, auf das im Moment keiner achtete. Clay füllte mir einfach ein großes Glas und zerrte mich damit in den Schatten. »Trink«, sagte er. Ich trank. Es war das erste Bier meines Lebens. Nach dem ersten
Schluck hätte ich kotzen können. Danach aber schmeckte es jedesmal besser. »Na?« fragte Clay. »Gut«, sagte ich. »Dauert es noch lange?« »Bis zum Morgen bestimmt«, sagte er. »Und du darfst so lange aufbleiben?« »Klar.« Er grinste wieder. »Es kümmert sich hier doch keiner um mich.« Wir gingen zurück zu dem Faß, und ich stellte das Bierglas weg. Clay und ich waren nicht die einzigen Kinder auf der Feier. Ich sah irgendwo immer wieder die Jüngsten des Longley-Clans herumsausen. Ich konnte keinen von den Longleys auseinanderhalten. Sie sahen sich alle ähnlich. Alle hatten sie einen gedrungenen, kurzen Körperbau, dicke Wulstnacken und runde Kürbisgesichter. Ich konnte die Longleys nicht sonderlich leiden. Sie traten immer in Massen auf, allein war man gegen die Sippe verraten und verkauft. Die Kapelle spielte jetzt einen Tusch. Alles klatschte. Wir schauten uns um und sahen, daß die »Tanzfläche« geräumt wurde. Lizzy und Bob Danton versuchten, nach einer holprigen Walzermelodie einen ebenso holprigen Walzer hinzulegen. Nichtsdestotrotz klatschten alle wie verrückt, und dann stürzte sich alles, was Hosen trug, auf Lizzy, um sie zum Tanz aufzufordern. Nachdem sich die Situation wieder beruhigt hatte und alle eingesehen zu haben schienen, daß immer nur einer mit der Braut tanzen konnte, standen die anderen Männer meist am Bierfaß herum, ließen sich Stücke vom gebratenen Hammel geben oder kippten Whisky in sich hinein. Wir standen dazwischen, nagten ebenfalls an einem großen Stück Hammelfleisch und hörten den Gesprächen der Männer zu, die alle ihre besten Anzüge trugen. Es waren eigentlich nicht die Gespräche, die man bei einer fröhlichen Feier zu führen pflegt. Aber die Männer sahen sich so selten im Jahr, daß sie jede Gelegenheit nutzten, über das zu reden, was sie bedrückte und sie alle anging. Ich verstand nicht viel von diesen Dingen. Um was sollte sich ein Siebenjähriger auch alles kümmern? Aber ich hörte, daß es um
Banditen ging, daß die Gegend unsicherer würde und nach den Indianern nun weiße Strolche erschienen, die fast noch schlimmer seien als die Rothäute. Jack Farnham sagte: »Solange das Land wüst und leer ist, lassen diese Halunken sich nicht sehen. Sie warten, bis anständige Menschen mit ihrer Hände Arbeit etwas geschaffen haben, bis etwas aufgebaut ist, und dann tauchen sie auf und reißen es sich unter den Nagel. Sie nehmen uns nicht nur unser Eigentum, sie betrügen uns auch noch um Monate und Jahre harter Arbeit.« Die andern nickten zustimmend. Frank Stoddard war auch anwesend, er war eigentlich immer anwesend, wenn irgendwo etwas los war. Das Gerücht ging herum, daß seine Frau miserabel kochte und Stoddard daher jede Gelegenheit nutzte, sich woanders durchzufuttern. Er meinte: »Wir brauchen einfach ein Gesetz hier und jemanden, der es vertritt. Solange es kein Gesetz gibt, brauchen wir uns nicht zu wundern, daß solches lichtscheues Gesindel über uns herfällt.« »Wie soll denn ein Mann hier für Ordnung sorgen?« fragte Jeff Latham. »Wir wohnen alle weit auseinander. Es gibt kaum Verbindungen untereinander. Wenn einer tatsächlich überfallen wird, kräht kein Hahn nach ihm. Wir brauchen niemanden, der das Gesetz vertritt, wir müssen es selbst vertreten, alle zusammen.« »Die Texas-Ranger …«, warf einer ein. Aber was er sonst noch sagte, ging im aufbrandenden Stimmengewirr unter. »Die Ranger haben genug zu tun«, sagte Cyril Ricks. »Die kümmern sich nicht um ein paar Farmer, die am Arsch der Welt sitzen. Und warum sollen sie auch? Bis jetzt ist ja noch nicht viel passiert. Ein paar Kühe sind geklaut worden. Deshalb schickt uns kein Mensch eine Kompanie Texas-Ranger.« »Wir müssen uns selbst helfen«, erklärte John Wilkins. »Jeff hat ganz recht. Woanders werden auch Bürgerwehren gegründet. Wir müssen den Anfängen wehren. Wenn erst scharenweise Verbrecher hier einfallen, weil es noch keinen Sheriff und keinen Marshal gibt, und uns terrorisieren, ist es zu spät.« Clay und ich verließen den Kreis der Männer und gingen zum Fluß hinunter.
»Ich wußte nicht, daß Vieh gestohlen wird«, sagte ich. »Erst seit ungefähr vierzehn Tagen«, meinte Clay. »Nördlich von hier auf der Bender-Farm. Deshalb sind die Benders auch nicht hier. Bei denen treiben sich Banditen 'rum. Bender hat Angst, daß sie ihm die Farm ausplündern und niederbrennen, wenn er nicht da ist. Es ist schon eine Schande. Pa hat gesagt, man müßte die Kerle alle sofort aufhängen. Mit Viehdiebstahl geht es los, und am Schluß schneiden sie uns die Kehle durch. Wir haben das in Illinois erlebt.« »In der Mission hat niemand was davon erzählt«, sagte ich. »Wir sind ja auch noch nicht betroffen«, sagte Clay. Er drückte sich in letzter Zeit etwas geziert aus. Ich glaube, es lag daran, daß seine Mutter begonnen hatte, ihm Lesen beizubringen. »Aber bald werden die Halunken auch hier auftauchen«, fuhr er fort. Hinter uns am Feuer redeten die Männer noch immer. Abwechselnd verschwand einer und tanzte mit Lizzy. Die Farmersfrauen standen genau wie die Männer zusammen. Sie hatten sich an einem privisorischen Tisch versammelt, auf dem gewaltige Kuchenmengen aufgebaut waren. Sie redeten über Küchenrezepte und über die Kinder und über tausend andere Dinge, über die Frauen eben reden, wenn sie zusammen sind. Wir hatten unser Fleisch verzehrt und schlenderten zurück. Da setzte die Musik aus. Wir blieben neben einem Mesquitebusch stehen und warteten ab, was nun geschehen würde, denn Peter Longley, der älteste Sohn des Longley-Clans, trat vor. Er hielt seine Fidel in der Hand und rief mit lauter Stimme: »Ladys and Gentlemen: Damenwahl!« Die Männer hörten auf zu reden. Peter Longley aber rief auf zur Quadrille. Es bildeten sich blitzschnell Pärchen, die sich in Reih und Glied aufstellten, an der Spitze das Hochzeitspaar. Dann setzte, auch schon rhythmische Musik ein! Peter Longley schrie im Takt mit ohrenbetäubender Stimme: »Faßt euch an der Hand, geht gerade aus, dreht euch im Kreis, das ist so Brauch …« Er ließ noch etliche von diesen Versen vom Stapel. Die Paare hüpften lachend und schwitzend nach seinen Anweisungen im Feuerschein über den Rasen.
»Achtung, Leute!« schrie Peter Longley. »Im Krieg lernte ich einen Feldscher kennen. Wenn der einem Mann ein Bein amputierte, sagte er: ›Auf einem Bein kann man nicht stehen.‹ Und dann schnitt er ihm gleich noch das zweite ab. Und tanzt nach vorn und tanzt zurück, von Ferne winkt euch schon das Glück …« Er setzte seine Geige an die Schulter und fidelte ein wildes Solo. Ich aber verschluckte mich fast vor Lachen über seine letzten Sätze. Ich schüttelte mich, und Clay ging es nicht anders. Er gab mir einen freundschaftlichen Stoß. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel rücklings in den Mesquitebusch, was Clay eine erneute Lachsalve entlockte. Ich lachte ebenfalls. Aber nur so lange, bis ich plötzlich einen scharfen Stich am linken Oberschenkel spürte und ein wilder, lähmender Schmerz mich durchzuckte. Ich schrie auf, und ich schrie lauter, als die Longley-Brüder jemals spielen konnten. Ich wälze mich im Gras herum. Mir stiegen die Tränen in die Augen, und ich hörte gar nicht, daß auch Clay wie ein Wahnsinniger zu brüllen begann: »Ein Skorpion! Ein Skorpion …« Damit war das Fest vorbei. Ich spürte Betäubungsschleier in mir aufsteigen und merkte nur noch, wie mich kräftige Hände packten und aufhoben. Ein Mann rannte mit einem Knüppel herum und schlug wie ein Wilder auf das Gebüsch und das Gras ringsherum ein. Ob es ihm gelang, den Skorpion zu erwischen, habe ich nie erfahren. Es hat mich auch nicht interessiert. Es konnte doch nichts mehr an der Tatsache ändern, daß ich mich auf so ein kleines, heimtückisches Vieh gesetzt hatte und von ihm gebissen worden war. Wobei ich allerdings Verständnis für den Skorpion aufbringen möchte. Ich hätte wahrscheinlich auch gebissen, wenn sich jemand auf mich gesetzt hätte. Ich verspürte einen rasenden Schmerz, als mir jemand die Hosen herunterriß und mit einem Messer ein Stück Fleisch einfach an der Stelle herausschnitt, wo ein kleines, dunkelrotes Loch im Oberschenkel zu erkennen war. Blut strömte in dickem Strahl heraus, und ich wurde bewußtlos. In diesen Sekunden zuckte es mir durch den Kopf, daß ich sterben müßte. Ich glaube, ich habe zu heulen begonnen, bevor ich das Bewußtsein verlor.
* Als ich erwachte, hatte ich etwas Fieber und glaubte, im Himmel zu sein. Aber der dicke Kerl mit dem imposanten, struppigen Vollbart, den ich für Petrus hielt, war Padre Ambrosius. Und die weißen Wolken waren die weißgetünchten Wände meiner kleinen Kammer in der Mission. Erst viel später spürte ich den Schmerz, der noch immer in meinem Körper fraß. Ich konnte mich nicht rühren und fühlte mich furchtbar schwach. Padre Ambrosius sah, daß ich die Augen geöffnet hatte, legte seine Rechte auf meine Stirn und sagte: »Ruhig, Söhnchen, ganz ruhig. Das kriegen wir mit Gottes Hilfe alles wieder hin. Du wirst schon sehen, bald denkst du nicht mehr daran, wirst schon sehen …« Ich hörte seine dunkle, sonore Stimme und fühlte mich sofort sicher und geborgen. Ich wollte etwas sagen, aber ich kriegte den Mund nicht auf. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Also schwieg ich. Das Blut pochte heftig in meinen Adern, bald hatte ich mich an den ziehenden, zuweilen anschwellenden, beißenden Schmerz im linken Bein gewöhnt. Ich ließ es schweigend geschehen, daß Padre Ambrosius mich etwas aufrichtete und mir einen scheußlich schmeckenden und noch scheußlicher riechenden giftgrünen Tee einflößte, der nach Sarsaparillo schmeckte. Mir fiel in diesem Moment Clay ein, als er damals Padre Ambrosius' Wundermedizin geschluckt hatte. Aber ich hatte nicht die Kraft, etwas zu sagen oder zu tun, und es hätte wahrscheinlich auch gar nichts genutzt. Ich schluckte den Tee und sank dann wieder in die Kissen zurück. »Wie spät ist es?« hörte ich mich mit einer Stimme sagen, die aus dem Jenseits zu kommen schien. »Drei Tage nach Ostern, Söhnchen«, sagte Padre Ambrosius, »und auf alle Fälle noch immer zu früh für dich.« Ich verstand nicht, was er meinte. Der verdammte heiße Tee brachte mein Blut in Wallung und durchströmte mich mit einer Wärme, die einschläfernd wirkte. Ich wollte nicht einschlafen. Aber ich war zu schwach, um mich dagegen zu wehren. So schloß ich wieder die Augen. Ich wußte damals ja noch nicht, wie gut mir der
Schlaf tat, wie kräftigend er war und daß ich dem Totengräber gerade noch einmal von der Schippe gehüpft war. Es hatte nicht viel gefehlt, dann wäre ich an dem Biß des Skorpions gestorben. Wahrscheinlich hat meine feste Leinenhose den Stich etwas gedämpft und so nur wenig Gift in die Wunde eindringen lassen. Vielleicht war ich auch besonders zäh. Das mag der Teufel wissen. Damals war für mich nur die Tatsache wichtig, noch zu leben. * Als ich das nächstemal aufwachte, war das Fieber gesunken. Ich erkannte Padre Emanuel sofort, der neben meinem Bett stand. Padre Ambrosius saß auch noch da, und er sah aus, als hätte er sich nicht eine Minute lang von mir weggerührt. Er schien schmaler geworden zu sein und hatte tiefe, dunkle Ringe unter den Augen. »Er ist aufgewacht«, sagte Padre Emanuel. Padre Ambrosius beugte sich sofort vor, schaute mir ins Gesicht und strich mir über die Stirn. »Na, Söhnchen«, sagte er. »Wie geht's?« Ich schaute ihn eine Weile an und versuchte, mich zu erinnern, was geschehen war. Dann sagte ich schwach: »Ich werde nie mehr ein Bier trinken.« Die Padres tauschten Blicke aus und fingen an zu lachen. Ich konnte das nicht verstehen. Mir brummte der Schädel, in meinem Gehirn flog alles durcheinander. »Du hast ein Bier getrunken?« fragte Padre Emanuel. Er lächelte. »Ja«, sagte ich. »Ich werde es nie mehr wieder tun. Mir ist furchtbar schlecht.« »Du hast dich auf einen Skorpion gesetzt, Söhnchen«, sagte Padre Ambrosius. »Hast du das vergessen?« »Ein Skorpion?« Ich überlegte krampfhaft. Immer noch wirbelte mir alles im Kopf herum. Dann fiel es mir wieder ein. »Der Mesquitebusch«, sagte ich. »Peter Longley ließ eine Quadrille tanzen, und dann …« »Dann hast du dich in den Busch gesetzt und direkt auf einen Skorpion«, sagte Padre Ambrosius. »Wir haben erst gedacht, du wachst nicht mehr auf, Söhnchen. Jetzt hast du das Schlimmste
überstanden.« »Was – was ist mit Clay«, sagte ich. »Der hat sich vor Schreck in die Hosen gemacht«, sagte Padre Ambrosius. »Es waren seine besten Hosen.« Ich stellte mir vor, wie Clay sich in die Hosen machte, und mußte grinsen. Padre Emanuel strich mir über den Kopf, sagte noch ein paar Worte zu Padre Ambrosius und ging dann hinaus. »Trink Tee, Söhnchen«, sagte Padre Ambrosius. Er hatte einen kleinen Petroleumkocher neben sich stehen, auf dem ein Teekessel stand. Jetzt erinnerte ich mich doch an mein erstes Erwachen und an den scheußlichen Tee. »Das tut gut«, sagte Padre Ambrosius und schenkte einen Becher voll. Ich wollte nicht trinken. Doch ich schluckte schließlich, bis der Becher leer war. Ein paar Minuten später trat Padre Elfego ein. Er hielt ein Tablett in den Händen, auf dem ein Teller mit dampfender Hühnerbrühe stand. »Ich habe mehr Eier hineingeschlagen, als wir alle in einer Woche essen«, sagte er und strahlte, als hätte er die Eier selbst gelegt. Padre Ambrosius nahm das Tablett, während Padre Elfego mir half, mich ein wenig im Bett aufzurichten. Da merkte ich doch, daß ich sehr schwach war. Padre Ambrosius fütterte mich. »In deinem Alter sollte man noch kein Bier trinken«, sagte er. »Vielleicht bist du deswegen in den Busch gefallen.« »Ich werd's nicht mehr tun«, sagte ich. »Schon gut«, sagte er. »Hauptsache, du bist wieder gesund. Als sie dich brachten, dachten alle, du seist schon tot. Es ist ein Wunder, daß wir dich durchgekriegt haben.« Ich aß alles auf und sank danach wieder müde zurück. Padre Ambrosius lächelte und erzählte mir, wie aufgeregt alle gewesen seien. Alle hätten sich um mich gesorgt, und Clay sei fast jeden Tag vorbeigekommen, um nach mir zu fragen. Ich schloß die Augen und lauschte den Worten von Padre Ambrosius, und ehe ich mich versah, war ich eingeschlafen.
* Eine Woche später durfte ich wieder aufstehen. Von da an ging es wieder aufwärts. Ich hatte, während ich krank war, einige Pfunde abgenommen. Jetzt hatte jeder in der Mission den Ehrgeiz, mich mit Essen vollzustopfen. Clay tauchte ab und zu auf und schien sich zu freuen, daß es mir besserging. In diesen Tagen erhielten wir in der Mission die ersten Nachrichten von größeren Viehdiebstählen. Und dann erschien eines Tages Jeff Latham staubig und erschöpft auf einem abgetriebenen Pferd. Er sah aus wie sein eigenes Gespenst. Er lief zu Padre Emanuel hinein, der wenig später mit ihm wieder auf den Hof trat und nach Padre Tenebro rief. Er beauftragte ihn, sofort mit Jeff Latham zur Latham-Farm zu reiten, die etwa sechs Meilen nördlich von der Mission lag. Da erfuhren wir es alle: Lathams ältester Sohn Geoff war überfallen worden, als er mit einem vollbeladenen Wagen von Mulberry gekommen war. Banditen hatten ihn niedergeschossen und am Wegrand liegenlassen. Sam Bender hatte ihn gefunden und nach Hause geschafft. Jetzt lag er im Sterben. Padre Tenebro packte alles ein, was er brauchte, um einen Schwerverletzten zu behandeln oder ihm notfalls Sterbehilfe zu geben. Dann ritt er mit Latham davon. Es war der erste Tag, an dem ich die Mission wieder allein verließ. Ich lief zu den Wilkins' und traf Clay auf dem Hof der Farm. Er half seinem Vater beim Ausmisten der Ställe. Ich erzählte, was geschehen war. John Wilkins hörte aufmerksam zu, dann sattelte er sein Pferd und ritt weg, um den anderen Farmern Bescheid zu sagen. Ich half Clay bei der Arbeit. Kate Wilkins trat aus dem Haus und kam herüber, als sie mich sah. Sie fragte, wie es mir gehe und sagte dann, daß sie Apfelkuchen gebacken habe. Da ließen wir die Arbeit liegen und gingen mit ihr ins Haus. Nach einer Stunde kehrte John Wilkins zurück. Er hatte ein ernstes Gesicht.
Wir gingen hinaus, nachdem wir gegessen hatten. Als wir hinter der Scheune standen und hinunter auf die neue Brücke schauten, die John Wilkins im Herbst des vorigen Jahres gebaut hatte, sagte Clay: »Es wird einen Riesenkrach geben.« Ich verstand ihn nicht. Aber Clay führt fort: »Sie wollen eine Bürgerwehr bilden.« »Die Farmer?« »Ja.« Clay strich sich die Haartolle aus der Stirn. »Pa wird mitmachen. Sie werden versuchen, die Kerle aufzustöbern, die hier das Vieh klauen und an den Straßen lauern. Und dann wird aufgeräumt.« Wie er das sagte, lief mir ein Schauer über den Rücken. »Wie soll das funktionieren«, fragte ich. »Die Farmen liegen doch so weit auseinander.« »Du hast keine Ahnung, Ronco«, sagte er zu mir. »Du hast ja überhaupt keine Ahnung.« Er versuchte, in diesem Moment wieder groß und erwachsen zu wirken. »Wenn etwas passiert, werden sie sich Zeichen geben. Rauchzeichen. Pa hat gesagt, daß die Kerle, die die Gegend verunsichern, mit Indianern handeln. Das sind die Schlimmsten.« Ich wußte nicht, was er meinte, hatte aber auch keine Lust, mir wieder vorhalten zu lassen, daß ich keine Ahnung hätte. »Sie machen die Rothäute wild«, sagte Clay. »Sie liefern ihnen Brandy, Waffen und Munition. Und dann fallen die Apachen über uns her. Diese Indianerhändler sind gemeine Schweine.« »Geoff Latham wird vielleicht sterben«, sagte ich. »Killer«, sagte Clay. »Hundsgemeine Killer. Aber die Bürgerwehr wird schon aufräumen.« Er schaute mich von der Seite ah. »Pa hat sich in Mulberry einen Revolver gekauft.« Ich starrte Clay ungläubig an. »Einen richtigen Revolver?« »Er ist der erste, der so ein Ding hier hat«, sagte Clay. »Frank Stoddard und ein paar andere wollen sich jetzt auch so einen kaufen. Er hat sich auch eine Sharps mitgebracht, mit Fallblockverschluß. Man schiebt die Papierpatronen hinein. Man braucht nicht mehr von vorn Pulver und Blei 'reinzustopfen.« »Was ist das für ein Revolver?« fragte ich.
»Ein Colt«, erwiderte er. »Sechsschüssig. Ein Mordsding. Und schwer ist er, sag ich dir. Bestimmt zwei Pfund. Navy Modell, Kaliber 36.« »Kann dein Pa damit schießen?« fragte ich. »Am letzten Sonntag hat er eine Stunde lang hinter der Scheune geübt«, sagte Clay. »Am Schluß hat er mit jedem Schuß getroffen.« Er senkte seine Stimme. »Willst du ihn mal sehen?« »Den Revolver?« »Klar, was denn sonst.« Ich nickte. »Komm«, sagte er. Wir gingen ums Haus. Clay öffnete die Hintertür. Ich schlüpfte hinter ihm hinein. Aus der Küche hörten wir Stimmen. John und Kate Wilkins unterhielten sich. John Wilkins sagte gerade: »Wir dürfen nicht warten, bis die Verhältnisse wieder so sind wie in Illinois. Diesmal werden wir uns von Anfang an gegen das verdammte Packzeug wehren.« Clay zog mich weiter. Er stieß eine Tür auf. Wir traten in das Schlafzimmer der Wilkins'. Clay lief auf die andere Seite des Bettes und zog die Schublade des Nachttisches auf. Da lag der Revolver vor uns. Groß und irgendwie drohend. Er glänzte dunkel, ein wenig bläulich. Der Griff war aus dem Holz eines Walnußbaumes und poliert. Ich schaute ihn andächtig an. Clay griff in die Schublade und hob die Waffe heraus. Er hielt sie mir hin. Ich faßte den Revolver und konnte ihn kaum halten, so schwer war er. Ich vermied krampfhaft, mit dem Zeigefinger an den Abzug zu geraten. »Toll, was?« Clay grinste. »Damit kannst du einen Büffel umblasen, hat Pa gesagt.« Ich glaubte ihm aufs Wort. Ich hatte es eilig, den Revolver wieder loszuwerden. »Wozu ist das da?« fragte ich und zeigte auf die Schiene unter dem Lauf. »Der Kugelsetzer«, sagte Clay. Er klappte die Schiene herunter, und ich sah, daß es eigentlich ein Hebel war, der einen Stahlstift in
die Kammern der Trommel drückte. »Kugel und Pulver werden damit in die Kammern gepreßt. Dann setzt du die Zündhütchen auf die Pistole und kannst schießen.« Clay warf einen Blick zur Tür und schob den Colt dann in seinen Hosengurt. Bevor ich etwas sagen konnte, lief er aus dem Zimmer. »Bist du verrückt?« Ich rannte hinterher. »Was hast du vor?« Wir verließen das Haus. Hinter der Scheune blieben wir stehen. »Was meinst du, wie das kracht und stinkt«, sagte Clay. Er zog den Revolver und spannte den Hahn. Es knackte dreimal leise. Ich trat ein paar Schritte zurück. »Hör auf«, sagte ich. »Angst, Ronco?« fragte Clay. Er lachte. Er hob den Revolver und zielte auf die Scheunenwand. »Laß den Blödsinn«, sagte ich. Ich hatte wirklich Angst. Da drückte er ab. Es krachte, daß ich dachte, mein Trommelfell müsse platzen. Eine stinkende Rauchwolke hüllte Clay für Sekunden ein. In der Scheunenwand befand sich auf einmal ein Loch, in das ein kräftiger Mann zwei Finger hätte stecken können. Der Navy Colt lag am Boden, und Clay war blaß wie eine Kalkwand. Er zitterte ein bißchen und hielt mit der Linken sein rechtes Handgelenk umklammert. »Was ist?« fragte ich. »Der Rückschlag«, sagte Clay. »Himmel, ist das ein Rückschlag.« Ich hörte Schritte und drehte mich um. Da stürmte John Wilkins um die Ecke der Scheune. Ich hielt mich nicht länger auf. Es gab nichts mehr hier, was im Moment so wichtig gewesen wäre, daß ich hätte bleiben müssen. Ich rannte den Hügel hinunter zum Fluß, lief vorbei an der Brücke und hastete in Richtung Mission. Hinter mir hörte ich John Wilkins schimpfen und Clay schreien. Als ich einmal zurückschaute, sah ich, daß John Wilkins Clay über das Knie gelegt hatte und ihn nach Strich und Faden versohlte. Ich rannte, bis ich die Mission sehen konnte. Dann ging ich langsam weiter. Der Schreck saß mir tief in den Gliedern. Ich schwor mir, so bald keine Waffe anzufassen und John Wilkins in der nächsten Zeit aus dem Wege zu gehen.
11. Am Abend kehrte Padre Tenebro von der Latham-Farm zurück. Geoff Latham war gestorben. Er hatte vorher noch einmal das Bewußtsein erlangt und erzählt, daß es zehn Männer gewesen wären, die ihn überfallen hätten. Der Anführer war Fred Kincaid gerufen worden. Die Waren, die auf dem gestohlenen Wagen gewesen waren, wollten die Banditen einer umherstreunenden Indianerbande verkaufen. Jeff Latham hatte seinen Sohn hinter dem Haus begraben und war dann losgeritten, um die anderen Farmer zu informieren. Die nächsten Tage verliefen recht ruhig. Ich spürte nichts mehr von dem Skorpionstich und schwamm auch bereits wieder im Fluß, wenn das Wetter gut war, und das war es meistens. Es ging mir von Tag zu Tag besser. Clay traf ich nicht. Es verging eine Woche, dann wurde ich nachts plötzlich wach. Ich hörte Stimmen auf dem Hof, und als ich mich aufrichtete, sah ich Lichter. Ich kletterte aus dem Bett und lief zum Fenster. Ein paar Mönche standen neben der Kapelle. Ein Reiter war angekommen. Ich öffnete das Fenster einen Spalt, doch ich konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde. Statt dessen sah ich in weiter Ferne Feuer. Roter Flammenschein glühte irgendwo in der Finsternis ein Loch in die schwarze Decke der Nacht. Es war ein sehr großes Feuer. Mein Herz schlug heftig. Ich begriff, daß etwas Schreckliches vorgefallen sein mußte. Ich konnte nicht ins Bett gehen. Ich blieb am Fenster. Der Reiter am Tor zog sein Pferd nach einiger Zeit herum und galoppierte in die Nacht hinaus. Einer der Padres huschte über den Hof. Es war Padre Hieronymus. Er hüstelte etwas und bewegte sich in dem für ihn charakteristischen schlurfenden Gang. Ich rief ihn an. Er blieb erst stehen und trat wenig später zu meinem Fenster. »Du schläfst nicht?« Er schaute mich aus seinen hohlen Augen staunend an. »Wer soll da schlafen?« sagte ich. »Ich habe euch gehört. Was ist das für ein Feuer?« »Geh ins Bett, Ronco«, sagte er. »Das ist nichts für dich. Banditen
haben Farnhams Farm angegriffen.« »Und jetzt?« fragte ich aufgeregt. »Was wird jetzt?« »Nichts«, sagte Padre Hieronymus. »Leg dich hin und schlaf wieder. Morgen früh erfährst du noch genug.« Er wartete, bis ich das Fenster geschlossen hatte. Dann ging er weiter. Aber ich ging nicht ins Bett. Ich hätte es dort nicht ausgehalten. Ich war auch kein bißchen müde. Ich wartete am Fenster und sah, daß im Gästehaus der Mission Licht angezündet wurde. Dann hantierten einige Padres geschäftig darin. Padre Ambrosius gab die Kommandos. Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat. Jedenfalls graute schon der Morgen, als ein Wagen auf den Hof der Mission rollte, der von mehreren Reitern begleitet wurde. John Wilkins war dabei sowie Frank Stoddard und Jeff Latham. Auch Sam Bender und einige von den Longleys. Alle sahen übernächtigt aus und erschöpft. Auf dem Wagen lagen Jack Farnham und der feige Lester, der mal unser Anführer gewesen war. Jetzt war er nicht mehr feige, sondern tot. Jack Farnham war verletzt. Seine Frau saß neben ihm und weinte immerzu. Berril, sein ältester Sohn, saß auf dem Wagenbock und lenkte das Gespann. Er trug einen blutigen Kopfverband. Die Padres liefen auf den Hof und trugen Jack Farnham ins Haus. Padre Tenebro trug die Leiche Lesters hinterher. Am Schluß ging Berril, der seine Mutter stützte, die immer wieder laute, klagende Schreie ausstieß. Die Farmer stiegen von den Pferden und wurden von Padre Elfego in die Küche geführt, wo heißer Kaffee auf sie wartete. Mehr konnte ich nicht sehen, und jetzt spürte ich doch die Müdigkeit, die ich bis jetzt nur verdrängt hatte. Widerstrebend stieg ich ins Bett. * Ich wachte ein paar Stunden später auf und fühlte mich müde und zerschlagen. Ich steckte den Kopf in den Holzeimer mit Wasser, der stets in meiner Kammer stand. Danach fühlte ich mich besser und ging hinaus auf den Hof. Der Wagen der Farnhams stand noch hier. Berril Farnham trat
gerade aus dem Haus, als ich die Blutflecke auf der Ladefläche musterte. Er rauchte eine Zigarette. Ich lief auf ihn zu und fragte nach Lester. Da erst erfuhr ich, daß er tot war. Ich sah Berril weinen. Er war über zwanzig Jahre alt und stark wie ein Longhornbulle. Aber aus seinen Augen rannen Tränen. »Sie haben uns eine Stunde vor Mitternacht überfallen«, sagte er. »Wir haben schon geschlafen. Sie haben einfach durch die Fenster geschossen. Lester lag im Bett, als die Kugel ihn getroffen hat, Kleiner. Er war sofort tot. Dann drangen sie ins Haus ein und plünderten uns aus.« Er sog an einer Zigarette, und ich hatte das Gefühl, daß er gar nicht wußte, wem er das alles erzählte. Er wollte einfach sprechen. Sonst hätte er sich gewiß nicht so ausführlich mit einem siebenjährigen Jungen befaßt. »Da waren noch fünfhundert Dollar von einem Kredit, den wir für Werkzeug und Ackergerät aufgenommen hatten. Sie nahmen das Geld und alles, was sie finden konnten, was Wert hatte. Sie zogen Mom den Ehering vom Finger, und als Dad sie daran hindern wollte, schossen sie ihn nieder und nahmen auch seinen Ring. Dann schlugen sie mich zusammen und zündeten das Haus an, bevor sie gingen. Fast wären wir alle verbrannt.« Ich schluckte. Mir war ganz übel. Ich sagte nichts mehr. Berril Farnham schlenderte über den Hof und blieb neben dem Grab von Padre Angelo stehen. Er starrte ins Leere. Ich ging zur Küche, um zu frühstücken. Padre Ambrosius saß an dem wuchtigen Küchentisch und stopfte kaltes Fleisch in sich hinein. Er hatte Kaffee neben sich stehen, der dunkler war, als seine Soutane. »Guten Morgen, Söhnchen«, sagte er. »Guten Morgen«, sagte ich und setzte mich. »Wie geht es Mr. Farnham?« »Er ist über den Berg« erwiderte Padre Ambrosius. »Ich wette, du bist nicht ausgeschlafen.« »Ich konnte nicht schlafen«, sagte ich. »Es war so laut.« »Verstehe schon, Söhnchen«, sagte er. »Berril Farnham ist draußen«, sagte ich. »Es geht ihm wohl nicht gut.«
»Er wird es nicht leicht haben.« Padre Ambrosius nickte, während Padre Elfego Milch für mich aufkochte, Brote mit Butter bestrich und zwei Eier in die Pfanne schlug. »Die Farmer sind unterwegs, um die Männer zu suchen, die das getan haben.« Padre Ambrosius wurde ernst. »Es ist eine schlimme und ernste Sache. Wir können nicht verstehen, daß es Menschen gibt, die zu so etwas fähig sind.« Er trank seinen Becher leer, erhob sich und ging hinaus. An der Tür blieb er stehen und sagte; »Wenn du zu Clay gehen solltest: Bleibt am Fluß und in der Nähe.« Ich nickte, und ich wußte, warum er das sagte. * Nach zwei Tagen kehrten die Männer zurück. Sie sahen verdreckt aus, müde und erschöpft. Einer war leicht verletzt. Sie hatten zwei Banditen gefangen, hagere, hartäugige Typen, die sich mit Gleichmut in das Schicksal, das ihnen drohte, gefügt zu haben schienen. In den Gesichtern der Farmer stand kein Triumph. Sie hielten nur an der Mission, um zu fragen, wie es den Farnhams ging. Berril Farnham, der auf dem Hof war, mußte fast mit Gewalt daran gehindert werden, die Gefangenen aus den Sätteln zu reißen und mit bloßen Händen umzubringen. Frank Stoddard sagte: »Laß es gut sein, Junge. Wir sind keine Killer. Die beiden kriegen, was ihnen zusteht.« Dann ritten sie weiter. Ich verließ die Mission und folgte ihnen. Die Posse ritt südwärts, und bald wußte ich, was ihr Ziel war. Sie ritten zum Hill's Point. Das war der höchste Hügel in unserem Gebiet. Von seiner Spitze aus konnte man das ganze Land am Fluß überblicken. Wir nannten ihn »unseren Berg«. Plötzlich war auch Jerry Ricks da, dessen Vater sich ebenfalls im Aufgebot befand. Er stürmte außer Atem heran. Während wir nebeneinander herliefen, stellte er viele Fragen nach den Farnhams. Jack Kingsley tauchte auf, und schließlich gesellte sich noch Clay dazu. Wir konnten dem Aufgebot nicht so rasch folgen, da wir ja zu Fuß
waren, und dann war es auch eine ziemliche Strecke bis zum Hill's Point. Wir waren ziemlich fertig, als wir endlich angelangt waren. Wir schlichen den Hügel hinauf, der mit dichtem Buschwerk bewachsen war. Wir waren vorsichtig, denn wir waren sicher, daß man uns nach Hause schicken würde, wenn man uns entdeckte. Wir sahen wenig später die Pferde des Aufgebots und hörten die Stimmen der Männer. Sie sprachen sehr laut. Wir schlichen uns näher heran. Hinter einem hohen Doughwoodbusch verhielten wir. Von hier aus hatten wir einen guten Überblick über die Hügelkuppe. Dort wuchsen drei riesige Cottonwoods mit weitausgreifendem Geäst dicht nebeneinander. Im Schatten der Bäume hatten sich die Farmer niedergelassen. In der Mitte des Kreises standen die beiden Gefangenen. Frank Stoddard führte den Vorsitz. Einer der Banditen sagte in diesem Moment: »Ihr könnt uns gar nichts beweisen. Wir haben mit der ganzen Sache nichts zu tun. Was ihr hier treibt, ist nichts als ein faules Theater. Ich wollt uns hängen, und es ist euch scheißegal, ob wir schuldig sind oder nicht. Ihr braucht zwei Sündenböcke, das ist es.« Seine Stimme klang etwas schrill. Er hatte Angst. Frank Stoddard sagte: »Wir verfahren nach Recht und Gesetz. Wir hätten euch auf der Stelle abknallen können. Aber ihr habt hier eure Chance.« »Und was für eine Chance?« schrie der Bandit. »Sie werden die beiden aufhängen«, sagte Clay neben mir. Keiner von uns antwortete ihm. Vorn auf dem Richtplatz schrie jetzt Sam Bender in seinem etwas holprigen Englisch: »Glaubst du, daß du uns zum Narren halten kannst? Ihr hattet doch das Gewehr von Jack Farnham noch bei euch, als wir euch erwischten.« »Wir hatten es gefunden«, erklärte der Bandit. »Ihr könnt uns doch nicht wegen dieses alten Schießprügels aufhängen.« »Ihr glaubt wohl, wir sind blöd, wie?« sagte Peter Longley. »Ihr habt keine Zeugen«, entgegnete der Bandit. »Brauchen wir auch nicht. Wir haben das Gewehr«, sagte Frank
Stoddard. »Und die Taschenuhr von Jack Farnham. Das reicht völlig. Ihr habt eine Chance, wenn ihr sagt, wo eure Kumpane stecken. Wer ist Fred Kincaid?« »Wir haben keine Kumpane«, sagte der Bandit. »Wir kennen auch keinen Fred Kincaid. Wir sind friedliche Reisende.« »Indianerhändler seid ihr«, sagte John Wilkins, »Strauchdiebe und Mörder.« Die Banditen schwiegen. Frank Stoddard richtete sich auf und blickte sich im Kreis um. »Wer ist für schuldig?« fragte er. Es erhoben sich alle Hände. »Ihr Dreckskerle!« brüllte einer der Banditen. Frank Stoddard hob die rechte Hand und sprach: »Die Versammlung der Farmer vom Pease River hat euch für schuldig befunden, an dem heimtückischen Überfall auf die Farnham-Farm beteiligt gewesen zu sein. Es ist anzunehmen, daß ihr auch hinter anderen Verbrechen steckt, die in den letzten Wochen hier begangen worden sind. Wir nehmen das nicht hin. Wir werden für die Sicherheit unserer Frauen und Kinder und unseres Besitzes, den wir schwer erarbeitet haben, sorgen. Ich verurteile euch dazu, am Halse aufgehenkt zu werden, bis der Tod eintritt. Eure Leichen sollen zum Fraß für die Krähen hängenbleiben und zur Abschreckung für alle, die glauben, daß sie in diesem Land gegen Recht und Gesetz verstoßen können. Das Urteil wird sofort vollstreckt.« Der Bandit, der vorhin gesprochen hatte, warf sich nach vorn und versuchte, Stoddard mit dem Kopf zu rammen. Aber Stoddard wich aus und schlug mit der Rechten zu. Der Bandit stürzte gurgelnd zu Boden und blutete aus der Nase. Die Farmer sprangen auf und hielten die beiden Kerle fest. Peter Longley holte zwei Lassos. Er warf sie über einen schenkelstarken, kahlen Ast an einem Cottonwoodbaum. Die Schlingen fielen geöffnet herunter. Zwei Pferde wurden gebracht. Die Farmer hoben die wild um sich tretenden und brüllenden Banditen in die Sättel. Peter Longley legte ihnen die Schlingen um. Danach schwiegen die Männer. Wir konnten sehen, daß einer weinte. Frank Stoddard gab Longley ein Zeichen, und der trieb die Pferde an. Die Banditen, deren Namen niemand kannte, stürzten aus den
Sätteln. Die Seile strafften sich. Die Schlingen schlossen sich mit heftigem Ruck. Die Körper zuckten noch ein paar Minuten. Dann hingen sie still. Frank Stoddard sprach ein Gebet. Schweigend gingen die Farmer zu ihren Pferden und stiegen in die Sättel. Wir sahen sie davonreiten. * Wir standen lange Zeit wie gelähmt in unserem Versteck und schauten auf die beiden Fremden, die reglos an den Bäumen hingen. Es war für uns alle das erstemal, daß wir einer Hinrichtung beigewohnt hatten. Beklommenheit erfüllte uns. Wir konnten unsere Blicke nicht von den Gehenkten wenden. Ihre Gesichter waren im Tode verzerrt, ihre Augen weit aufgerissen. Schließlich setzten wir uns in Bewegung und liefen auf den Richtplatz hinaus. Wir näherten uns vorsichtig den Bäumen. Unterhalb der Toten, die häßliche Schatten warfen, blieben wir stehen. Keiner von uns sagte ein Wort. Plötzlich hörten wir Aasvögel krächzen und mit den Flügeln schlagen. Krähen ließen sich in den Zweigen der Bäume nieder. Da drehten wir uns um und rannten gehetzt davon, als säße uns der Teufel im Nacken. Ich lief zur Mission zurück, suchte mein Zimmer auf und legte mich aufs Bett. Ich versuchte, an etwas anderes zu denken als an die beiden Gehenkten. Aber immer wieder erschien mir ihr Bild. Ich konnte es nicht verdrängen. Ich stand schließlich auf und ging nach nebenan zu Padre Ambrosius. Er saß an seinem Schreibpult und arbeitete. Ich wußte, daß er ein Tagebuch führte, kein persönliches Tagebuch. Er schrieb die Geschichte des Pease-River-Landes auf. Als ich eintrat, nahm er die randlose Brille ab, die er zu dieser Arbeit trug, legte den Federkiel weg und schaute mir abwartend entgegen. Ich erzählte ihm alles. Er hörte schweigend zu. Auch als ich verstummt war, sagte er für eine lange Zeit nichts. Als er dann schließlich sprach, riet er mir nicht, die Szene zu vergessen. Er ließ auch keine frommen Sprüche vom Stapel. Er versuchte, mir zu
erklären, warum die Farmer so gehandelt hatten. Und dann sagte er: »Es ist so schwer, Recht zu tun.«
12. Vierzehn Tage nach der Hinrichtung trafen sich die Farmer in Wilkins Scheune. Es war ein Sonntag. Zuvor waren alle zum Gottesdienst in der Kapelle der Mission gewesen. Danach hatten sie ihre Wagen zur Wilkins-Farm gelenkt. Die beiden Gehenkten waren längst ein Fraß der Krähen geworden, aber die Viehdiebstähle gingen weiter. Die Straßen ins Farmgebiet waren so unsicher wie zuvor. Bei dem Treffen kam nicht viel heraus. John Wilkins wurde zum Hauptmann der Bürgerwehr gewählt, Frank Stoddard und Peter Longley wurden seine Stellvertreter. Das war alles. Wie den Banditen zu Leibe gerückt werden konnte, wurde nicht geklärt. Aber davon verstand auch niemand etwas. Drei Tage später erwischten die Longleys auf ihrer Weide einen Viehdieb. Er hatte ein halbes Dutzend Jungkälber in ein kleines Flußtal getrieben und war dabei, die Brandzeichen mit einer Drahtschlinge zu fälschen, als sie ihn schnappten. Sie nahmen den Kerl mit auf ihre Farm, schnallten ihn auf einen Bock und peitschten ihn aus, bis er kaum noch Haut auf dem Rücken hatte. Dann luden sie ihn auf einen Einspänner und schafften ihn zum Hill's Point. Inzwischen waren die anderen Farmer benachrichtig worden. John Wilkins ließ den Viehdieb aufhängen. Ihm wurde ein Schild auf die nackte Brust geheftet, auf dem Stand: Warnung! So geht es allen, die das Gesetz mißachten. Es gibt Gerechtigkeit in diesem Land. Sie unterschrieben mit: »Die Farmer vom Pease River.« Und dann setzten alle ihre Namen darunter. John Wilkins an der Spitze. Sie ließen die Leiche hängen und ritten zurück auf ihre Farmen. Danach schien Ruhe einzukehren. Eine ganze Woche passierte nichts. Argwöhnisch lauerte jeder auf den nächsten Überfall. Nach
vierzehn Tagen jedoch war noch immer nichts geschehen. Und als auch nach drei Wochen alles ruhig blieb, ließ die Wachsamkeit nach. Die Farmer konzentrierten sich wieder auf ihre Arbeit, und sie dachten an die Erntezeit, die sie für alle Verluste des Vorjahres entschädigen sollte. Ich hielt mich in dieser Zeit viel auf der Wilkins-Farm auf. Ich hatte Spaß an der Farmarbeit. Manchmal schuftete ich wie ein Pferd in den Ställen und auf den Feldern mit, daß Clay mich häufig bremsen mußte, weil er befürchtete, eines schönen Tages würde sein Vater mich als Vorbild hinstellen. Ich verstand mich mit John Wilkins prächtig, und ich dachte daran, daß im vergangenen Jahr um diese Zeit Padre Emanuel versucht hatte, mich für immer bei den Wilkins unterzubringen. Vielleicht klappte es in diesem Jahr nach der Ernte. Ich wußte, daß John Wilkins und seine Frau jetzt nicht mehr abgeneigt waren, und daß auch Padre Emanuel wieder mit dem Gedanken spielte. Ich hätte nichts dagegen gehabt, weniger jedenfalls als im Vorjahr. Das Leben auf einer Farm schien mir die erstrebenswerteste Sache auf der Welt zu sein, und dann hätte ich gern Menschen gehabt, zu denen ich hätte Vater und Mutter sagen können. John und Kate Wilkins erschienen mir als die richtigen. Es war Mitte Juni, als ich wieder zur Wilkins-Farm pilgerte. Ich hatte mir in der Woche zuvor den rechten Fuß verstaucht und das Bett hüten müssen, während draußen die Sonne vom Himmel brannte. Es waren qualvolle Tage gewesen. Ich hatte zwar noch Schmerzen im Fußgelenk, als ich an diesem Morgen aufbrach, aber ich war wild entschlossen, keine Minute länger im Bett zu verbringen, zumal die Schwellung zurückgegangen war. Unterwegs hielt ich an der neu errichteten schmalen Brücke zwischen der Mission und der Wilkins-Farm an, zog mich aus und sprang in den Fluß. In der Luft hingen einige Nebelfetzen, Tau lag noch auf dem Gras. Die Sonne aber spiegelte sich im Fluß, und das Wasser war genau richtig. Es war eine Wohltat. Ich schwamm ein Stück flußabwärts, kehrte dann wieder um, tauchte, planschte, und fühlte mich sauwohl. Als ich aus dem Wasser stieg, sah ich am anderen Flußufer einen
Reiter, den ich nie zuvor in der Gegend gesehen hatte. Er ritt einen starkknochigen Wallach. Ich schaute ihm nach, wie er im gemächlichen Trab über die Ebene ritt und in einer Bodenfalte untertauchte. Ich vergaß ihn bald wieder. Es tauchten in den letzten Wochen häufig fremde Reiter auf. Das war gar kein Wunder. Das Land hatte sich bevölkert. Es wurde sogar schon von einer Postkutschenlinie und einer Frachtagentur gesprochen, die an einem zentralen Punkt im Farmland errichtet werden sollte. Als ich mich angekleidet hatte, dachte ich nicht mehr an den Mann. Ich setzte meinen Weg fort und erreichte kaum zwanzig Minuten später die Wilkins-Farm. Ich kam gerade noch zurecht, um mit zu frühstücken. Ich hatte zwar schon in der Mission gegessen, doch wenn ich bei den Wilkins war, schaffte ich die gleiche Portion spielend noch einmal. Es gab Spiegeleier mit Speck, und das war damals eines meiner Leibgerichte. »Wie geht's deinem Fuß?« fragte John Wilkins. Er schaute mir lächelnd zu, während ich den letzten Rest des Eies aß und mit einem Brotstück das Fett vom Teller wischte. »Alles wieder in Ordnung, Sir«, sagte ich. »Ich heiße John«, sagte John Wilkins und hielt mir seine rechte Hand hin. »Wir sind doch Freunde, denke ich, oder?« Mein Herz klopfte auf einmal heftig. Ich blickte ihn an und wurde puterrot. »Sicher – John«, sagte ich. Dann gab ich ihm meine Hand. Sie verschwand in der seinen. Clay grinste nur, und ich wußte vor Aufregung nicht, wohin ich sehen sollte. »Dann an die Arbeit«, sagte John Wilkins und richtete sich auf. Ich erhob mich rasch und eilte neben Clay her zum Geräteschuppen. John Wilkins drückte uns Sensen in die Hand. Er nahm sich selbst eine, und auch Kate Wilkins rüstete sich mit einer aus. Dann marschierten wir den Hügel hinunter zu einer der Weiden der Wilkins-Farm, um das erste Heu zu mähen. Ich hielt nicht zum erstenmal eine Sense in den Händen. Ich konnte damit umgehen. Die Sonne stieg rasch am Horizont höher, und es wurde sehr heiß, wie es für diese Jahreszeit üblich war. Ich trug einen breiten
Strohhut, eine Art Sombrero, den Padre Frastus mir geflochten hatte. Dennoch war die stechende Sonne kaum zu ertragen. John Wilkins zog nach einiger Zeit sein Hemd aus. Aber das ließ ich lieber. Ich hatte es ihm einmal nachgemacht und mir dabei einen bösen Sonnenbrand geholt. Kate Wilkins sang ab und zu während der Arbeit, und wir schafften ein gutes Stück. Als es auf Mittag zuging, hatten wir fast die halbe Weide gemäht, und Clay begann bereits, hinter uns mit einem großen Holzrechen das Gras zu einem kleinen Haufen zusammenzuharken. Da klang plötzlich Hufschlag auf. Wir schauten von der Arbeit auf, und ich sah die fremden Reiter als erster, da ich am Nordrand der Weide arbeitete und so die Brücke sehen konnte, die John Wilkins unterhalb der Farm über den Fluß gebaut hatte. Die Männer ritten über die Brücke. Es waren acht oder neun. Genau konnte ich sie nicht zählen. Den einen erkannte ich sofort wieder. Es war derselbe Mann, den ich am Fluß hatte vorüberreiten sehen, als ich nach dem Schwimmen an Land gegangen war. Ich ließ meine Sense fallen und rannte quer über die Weide zu John und Kate Wilkins. Ich wußte nicht wieso, aber ich spürte, daß Gefahr drohte. John Wilkins ließ seine Sense sinken und schaute mir entgegen. Er wirkte sehr ruhig. Doch ich sah ihm an, daß er ahnte, daß es Ärger geben würde. »Reiter!« rief ich ihm entgegen. »Reiter kommen!« Er nickte und sagte: »Bleib ganz ruhig.« Dann rief er nach Clay. Kate Wilkins näherte sich ebenfalls langsam. Sie nahm das Kopftuch ab, das sie zum Schutz gegen die Sonne getragen hatte, und stellte sich neben ihren Mann, dem der Schweiß in schmalen Bächen über den muskulösen Oberkörper rann. Die Reiter hatten jetzt den Hügel umrundet, auf dem das Haus stand, und ritten auf die Weide. Es waren hagere Männer mit bösen Gesichtern. Ich entdeckte einige Mexikaner in der Gruppe. Die Männer hatten langläufige Revolver in den Halftern stecken, die sie hoch an der Hüfte trugen. Ihre Kleidung war abgetragen und schäbig. Alles in allem sahen sie nicht sehr vertrauenerweckend aus.
Sie hielten wenige Yards vor uns an und bildeten einen Halbkreis. Ich warf einen raschen Blick zu Clay hinüber und sah, daß er blaß war und an der Unterlippe nagte. Auch ich hatte Angst, aber ich war merkwürdigerweise sehr ruhig. »Hallo«, sagte einer der Reiter. Er schien der Anführer zu sein. Er entblößte ein gelbes, lückenhaftes Gebiß. Seine Nase war gebrochen und stand schief in seinem Gesicht. John Wilkins sagte nichts. Er musterte die Reiter nur prüfend. Er stützte sich fest auf den Stiel seiner Sense. »Wilkins?« fragte der Reiter. John Wilkins nickte nur. Der Reiter schaute sich um. »Schöne Weiden«, sagte er. »Und schöne Felder.« Er deutete auf die Maisfelder im Süden, die direkt neben dem Weidegebiet lagen. »Verschwindet«, sagte John Wilkins in diesem Moment. Er sagte es ganz leise. Aber ich hörte den Unterton in seiner Stimme. Eine Drohung schwang darin mit, und das, obwohl John Wilkins ganz allein gegen acht Männer war. In diesem Moment bewunderte ich ihn. Ich habe selten einen mutigeren Mann gesehen als ihn. »Hey«, sagte der Reiter. »Das ist doch nicht dein Ernst. Behandelt man so seine Gäste?« »'runter von meinem Land«, sagte John Wilkins, ohne irgendeine Erregung in der Stimme. »Ich bin Fred Kincaid«, sagte der Reiter. In seinen Augen glitzerte es kalt. »Ich bin hier, um mit dir zu reden, Wilkins.« »Ich will nicht mit Mördern reden, Kincaid«, sagte John Wilkins. »Sachte, sachte«, sagte Kincaid. »Wer eine so nette Frau und zwei so stramme Söhne hat, sollte höflicher sein.« Er hielt mich für Clays Bruder. Das machte mich fast stolz, obwohl ich in diesen Minuten weiß Gott anderes im Sinn hatte. »Ich weiß, daß ihr Ratten seid, Kincaid«, sagte John Wilkins. »Ich habe noch nie Angst vor Ratten gehabt.« »Du bist doch der Häuptling dieser Bürgerwehr, nicht wahr?« fragte Kincaid. »Du hast deinen Namen auf dieses Plakat gesetzt, das ihr Darlton um den Hals gehängt habt, nachdem ihr ihn aufgeknüpft hattet.«
»Der Mann hat seinen Namen nicht gesagt«, entgegnete John Wilkins. »Er war ein Viehdieb, das genügte.« »Ihr hattet vorher schon mal zwei von meinen Leuten aufgeknüpft«, sagte Kincaid. »Ich schätze so etwas nicht.« »Kann ich mir denken«, sagte John Wilkins. »Wir schätzen es nicht, ausgeraubt und ermordet zu werden.« Kincaid nickte, und er lächelte häßlich mit seinem häßlichen Gebiß. »Damit ist wohl alles klar, Wilkins, wie?« John Wilkins schwieg. Kincaid lächelte immer noch, als er sagte: »Dann gebt es ihm, Boys. Die verfluchten Schollenbrecher sollen merken, daß wir in diesem Land das Kommando übernehmen.« Die Kerle rechts und links von Kincaid sprangen aus den Sätteln. Ich weiß noch heute, daß ich wie gelähmt dastand und nicht einmal schreien konnte, obwohl ich es wollte. Ich sah, daß John Wilkins die Sense hochriß. Er bewegte sich blitzschnell, und bevor ich begriff, was passierte, lag einer der Banditen am Boden und hatte das Sensenblatt in der Brust stecken. Blut spritzte wie aus einem Schlauch, und ich hörte, daß Clay schrie. Dann hatten die Kerle John Wilkins erreicht und schlugen auf ihn ein. Er wehrte sich, und sie hatten es nicht einfach mit ihm. Aber es waren zu viele. Sie schlugen ihn in den Leib und ins Gesicht. Sie rissen ihn zu Boden und traten mit ihren hochhackigen, schweren Reitstiefeln nach ihm. Sie traten ihn mitten ins Gesicht und immer wieder an den Kopf. Er blutete aus vielen Wunden und wehrte sich dennoch. Ich hatte noch nie so etwas Furchtbares gesehen, und ich glaube, ich weinte, ohne es zu bemerken. Kate Wilkins wollte ihrem Mann helfen und wurde niedergeschlagen. Clay, der sich über seinen Vater werfen wollte, erhielt eine solche Ohrfeige, daß er betäubt zu Boden stürzte. Ich selbst tat nichts. Ich konnte nicht. Und als ich mich dann bewegte, packte mich ein Bandit und riß mir die Arme nach hinten, daß ich aufbrüllte. Da rührte sich John Wilkins nicht mehr. Er war über und über mit Blut bedeckt und erinnerte kaum noch an ein menschliches Wesen.
Fred Kincaid stieg nun ebenfalls ab. Er hielt eine kurze Reitpeitsche in der Rechten, die er ein paarmal klatschend gegen die Schäfte seiner Stiefel schnappen ließ. »Die Frau und die Kinder nehmen wir mit«, sagte er. »Die Rothäute suchen so was. Das bringt Möpse.« Er lachte. »Zündet die Felder an.« Er ging auf Kate Wilkins zu, blieb vor ihr stehen und musterte sie gierig. »Ganz nett«, sagte er. Er griff mit der Linken nach ihren Brüsten. Sie zuckte zurück und zitterte am ganzen Körper. Dann schlug sie nach dem Banditen. Der aber wich aus und ließ seine Reitpeitsche hochzucken. Kate Wilkins wurde am Hals getroffen und sackte heulend zurück. Ein anderer Bandit fing sie auf und riß ihr die Arme nach hinten. Er schlang einen Lederriemen um ihre Handgelenke und schleppte sie zu einem Pferd. Auch Clay und ich wurden zu den Pferden getragen. Wir wehrten uns. Clay brüllte und trat wild um sich. Ich versuchte, mich loszureißen. Es hatte keinen Sinn. Wir wurden in die Sättel gehoben und an den Sattelhörnern festgebunden. Zur selben Zeit zuckten Flammen am Rande des Maisfeldes im Süden auf. Das Feuer breitete sich blitzschnell aus. Wir sahen kaum etwas davon, denn unsere Augen waren voller Tränen. Wenn wir uns wehrten, schlugen uns die Männer, sie nahmen keine Rücksicht darauf, daß wir Kinder waren. Hinter mir und Clay stieg ein Bandit auf, auch hinter Kate Wilkins. Fred Kincaid ritt dicht an John Wilkins heran, der sich jetzt stöhnend über den Boden wälzte. Kincaid zog seinen Colt und schoß zweimal. John Wilkins Kopf verwandelte sich in einen Brei aus Blut, Fleisch und zersplitterten Knochen. Ich dachte, daß Kate Wilkins in diesem Moment verrückt werden würde. Sie begann zu schreien und zu kreischen, daß sich einem der Magen umdrehte. Der Bandit, der sie vor sich im Sattel hatte, schlug ihr schließlich mit dem Revolvergriff auf den Kopf, so daß sie bewußtlos wurde. Dann ritten wir los. Die Banditen jagten in raschem Trab über die Weide, überquerten die Brücke und ritten nach Westen davon. Auf die Berge zu. Ich weiß nicht, was ich in diesem Moment gedacht
habe, ob ich überhaupt etwas gedacht habe. Dazu ist es zu lange her. Ich nehme an, daß ich Angst hatte, wahnsinnige Angst.
13. Wir ritten ohne Pause bis zum Abend. Wir ritten bis in die Nacht. Erst als es dunkel war, wurde gerastet. Clay und ich wurden liegend mit den Füßen an einen Baum gebunden. Kate Wilkins wurde hinter ein Gebüsch geschleppt. Von dort hörten wir sie schreien. Es waren spitze, schrille, hysterische Schreie. Wir hörten die Banditen lachen. Sie gingen abwechselnd hinter das Gebüsch. Wir hörten ihr Stöhnen und Keuchen, und einer sprach davon, daß Kate Wilkins viel zu schöne Brüste für einen Indianerwigwam habe. Clay weinte um seine Mutter. Ich konnte nicht mehr weinen. Ich wußte nicht, wieso. Aber in mir war etwas zerbrochen. Mir wurde bewußt, daß mich die schlimmen Ereignisse irgendwie verändert hatten. Das verwirrte mich, aber mir war klar, daß ich nach allem, was ich gesehen hatte, nicht mehr derselbe sein konnte. Ich starrte in die Dunkelheit und versuchte, nicht auf das Geschrei von Kate Wilkins und auf das gemeine Lachen und die obszönen Unterhaltungen der Banditen zu hören, die neu für mich waren. Aber es ging nicht. Die Männer mißbrauchten die Frau bis nach Mitternacht. Einige verschwanden zwei- oder dreimal hinter dem Gebüsch. Später brachten sie Kate Wilkins und fesselten sie auch noch an den Baum neben uns. Ich erkannte sie kaum wieder. Ihr Gesicht war eingefallen, ihre Augen lagen in tiefen Höhlen. Ihr Kleid war zerrissen, und ich sah ihre vollen, festen Brüste, die ein Unterrock nur noch spärlich bedeckte. An ihren Beinen entdeckte ich lange, rote Kratzer. Ich weiß nicht, wann ich in dieser Nacht einschlief. Irgendwann jedenfalls geschah es. Ich weiß nur, daß Clay lange vor mir einschlief und Kate Wilkins noch immer vor sich hinstöhnte und leise wimmerte, als ich die Augen schloß. *
Am nächsten Tag verloren wir unsere Orientierung, zumal wir durch ein Gebiet ritten, das uns völlig unbekannt war. Wir wußten nicht einmal, wie die Berge hießen, denen wir uns näherten. Wir ritten bereits durch die Ausläufer des Berglands und kamen jetzt langsamer voran. Wir erhielten kaum etwas zu essen und nur wenig Wasser. Die Hitze gab uns, die wir das lange Reiten nicht gewöhnt waren, den Rest. Am dritten Tag erreichten wir durch einen Seitencanyon ein kleines Tal, in dem drei Holzhütten standen. Hier warteten noch zwei Kerle, die die anderen mit großem Hallo empfingen und gierige Blicke auf Kate Wilkins warfen. Damals wußte ich noch nicht, was Comancheros sind. Die Männer Fred Kincaids waren welche. Sie handelten mit kriegerischen Indianern. Sie verkauften ihnen alles, was sie brauchten, um gegen die weißen Eindringlinge kämpfen zu können. Wir, sahen Whiskyfässer und wurden wenig später Zeuge, wie das Zeug – es war billigster Fusel – mit Methylalkohol und Wasser gepanscht und gestreckt wurde. Es stapelten sich außerdem einige Kisten mit Sharps-Gewehren und mit Papierpatronen. Wir wurden gefesselt ans Feuer gesetzt und erhielten einen Fraß, den wir am Pease River nicht mal den Schweinen gegeben hätten. Doch wir vergingen fast vor Hunger und schlangen alles in uns hinein. Währenddessen mußten wir mit anhören, wie den beiden Männern, die das Camp behütet hatten, in allen Einzelheiten erzählt wurde, was mit dem »gottverdammten Bürgerwehrhauptmann« geschehen war, und daß es eine Lehre für die anderen Schollenbrecher sein werde. Dann berichteten die Kerle von den Nächten mit Kate Wilkins, und schließlich stellte Fred Kincaid Spekulationen darüber an, wieviel Gold jeder einzelne von uns wohl einbringen werde. So ging das stundenlang, bis einem der Halunken die glorreiche Idee kam, uns einzusperren, so daß wir wenigstens nicht mehr mit anhören mußten, was über uns gesprochen wurde. Ich bin sicher, daß Kate Wilkins das alles kaum wahrgenommen hat. Sie war apathisch, abwesend und irgendwie schwermütig. Ich
kann mich nicht richtig ausdrücken. Damals war ich zu klein, um alles richtig zu erfassen, und heute ist der Abstand zu damals zu groß, um den Gemütszustand von Kate Wilkins noch genau beschreiben zu können. Wir wurden in eine der Hütten geschleift, die am Rande des kleinen Tals standen. Es war ein stinkendes, fensterloses Loch, das anscheinend sonst als Magazingebäude diente, in das man uns sperrte. Es gab keine Pritschen hier, keine Stühle, nicht mal Stroh am Boden. Wir wurden hineingeworfen, dann schloß sich die Tür, und wir waren uns selbst überlassen. * Die folgenden Stunden und Tage waren die Hölle. Aber was heißt schon Stunden und Tage. Wir wurden ja in ständiger Dunkelheit gehalten, so daß wir bald nicht mehr wußten, ob gerade Tag oder ob Nacht war. Wir verloren unser Zeitgefühl. Das war anscheinend auch von den Banditen beabsichtigt. Denn sie brachten uns nur einmal am Tag Essen, und jedesmal, wenn sie kamen, war es bereits dunkel. Clay und mich ließen sie in Ruhe. Nicht aber Kate Wilkins, die sie jede Nacht herausholten und es mit ihr trieben wie die Wilden. Trotzdem schien sie sich wieder zu fangen und nicht mehr in Lethargie zu versinken. Sie wehrte sich noch immer, obwohl sie wußte, daß es völlig sinnlos war. Körperlich war sie in noch viel schlechterer Verfassung als wir. Kinder sind oft widerstandsfähiger. Kate Wilkins magerte jedoch erschreckend rasch ab, und wenn sie neben uns schlief, träumte sie laut von ihrem Mann. Clay, der genau wie ich Zeuge von allem wurde, weinte viel und rief manchmal nach seinem Vater. Ich dachte an die Mission, an Padre Emanuel, Padre Ambrosius, Padre Elfego, Padre Hieronymus und die anderen. Ich dachte an das schöne Land am Pease River, an meine Kammer in der Mission, an die Kapelle, an die Glocke im Turm und an die Weinstöcke. Ich fragte mich oft, ob ich das jemals alles wiedersehen würde. Am schlimmsten aber waren nicht das dunkle Gefängnis, das schlechte Essen und die brutale Behandlung der Banditen, am
schlimmsten war das Warten, das Warten auf den Tag, an dem wir an die Apachen verkauft werden sollten. Wir hatten keine Ahnung, wie Kincaid sich die Sache im einzelnen gedacht hatte. Keiner der Banditen sprach mit uns darüber. Wenn Kate Wilkins fragte, lachten sie nur und meinten, wenn es soweit sei, würde sie sich noch einmal zu ihnen zurücksehnen. So blieb uns die Ungewißheit, und sie lastete auf uns wie ein tonnenschweres Gewicht. Clay, der manchmal versuchte, seiner Mutter zu helfen, wurde viel geschlagen. Er litt sehr darunter, daß er nichts für seine Mutter tun konnte. Manchmal träumte ich davon, daß ein Aufgebot erscheinen und uns heraushauen würde. Einmal erzählte ich Clay von meinen Träumen. Aber er heulte nur noch heftiger, und Kate Wilkins stöhnte, als würde sie geschlagen. Da hielt ich meinen Mund und behielt meine Träume für mich. Sie taugten ohnehin nicht viel. Irgendwann, als wir das Gefühl hatten, uns bereits eine Ewigkeit in der kalten, finsteren Hütte und in Gefangenschaft der Comancheros zu befinden, hörten wir Hufschlag, der sich rasch entfernte. Danach wurde es still, und es geschah lange nichts. Wir dachten darüber nach, was das wohl zu bedeuten habe. Stunden später wurde plötzlich die Tür aufgerissen. Es war heller Tag. Das Licht flutete in die Hütte. Wir mußten die Augen schließen und kriegten im ersten Moment Kopfschmerzen. Der Bandit, der uns immer das Essen gebracht hatte und Fairly genannt wurde, stand im Türrahmen. Er war groß und athletisch gebaut. Er hatte breite Schultern und muskulöse Arme. Sein Gesicht war hager und hohlwangig. Strähnig hing ihm sein braunes Haar um den Schädel. Er war nie rasiert und hatte aufgeworfene, wulstige Lippen. »Hallo«, sagte er. »Wie lange habt ihr schon keine Sonne mehr gesehen?« Wir antworteten nicht, und Fairly trat in die Hütte. Er bückte sich nach Clay und mir, packte uns an den Hosenbeinen und schleifte uns einfach hinaus. Er kümmerte sich nicht darum, daß wir mit den Köpfen auf die Türschwelle schlugen. Er schleppte uns bis zu dem
Kochfeuer zwischen den Hütten. Hier ließ er uns liegen und holte Kate Wilkins, die er heraustrug. Grinsend versuchte er, sie zu küssen. Sie konnte sich ihm aber, obwohl sie gefesselt war, immer wieder entziehen. Er ließ sie neben dem Feuer einfach fallen. Sie schrie auf, als sie am Boden aufprallte. Dann aber krümmte sie sich zusammen wie ein geschlagenes Tier. Clay und ich hatten uns umgeschaut und festgestellt, daß wir mit Fairly allein waren. Es war jedenfalls kein anderer Bandit zu sehen, und die Pferde waren auch nicht da. Ich glaube, uns fiel beiden sofort ein, was für ein Schicksal Kincaid uns angedroht hatte, und wir ahnten, ich für meinen Teil jedenfalls ahnte es, daß der Zeitpunkt gekommen war. Fairly bemerkte unsere Blicke. Er hockte sich auf die andere Seite des Feuers, rührte in dem rußigen Kessel herum, der an einem Dreibein über den Flammen hing, und grinste uns widerlich an. »Wir sind allein, ihr Süßen. Ganz allein. Außer mir ist kein Mensch hier.« Er lachte. Fairly war nicht ganz richtig im Kopf. Zumindest vermuteten wir das. Er hatte manchmal ein merkwürdiges Flackern in den Augen. »Ich kann mit euch tun, was ich will«, sagte er. »Hier kräht kein Hahn nach euch.« Er stand auf und zog sein Messer. Kate Wilkins wimmerte schrill. Clay versuchte, vom Feuer wegzurutschen. Fairly folgte ihm grinsend, gab ihm einen Tritt in die Rippen, so daß er auf den Bauch rollte, und bückte sich. Er zerschnitt die Fesseln Clays und sagte: »Du hast viel zuviel Angst, Kleiner. Die Rothäute werden dir das austreiben.« Er trat zu mir, zerschnitt auch meine Fesseln und dann die von Kate Wilkins. Er zog sich wieder auf die andere Seite des Feuers zurück und beobachtete uns lauernd. »Ihr kriegt jetzt euer Essen«, sagte er. »Danach werdet ihr wieder gefesselt.« Er schaute Kate Wilkins an. »Du bist mein Nachtisch, Baby. Bis jetzt hatten dich immer alle. Heute sind wir ganz allein, und niemand außer mir wird sich mit dir befassen. Ich will heute den schönsten Tag meines Lebens verbringen.« Er lachte meckernd und füllte drei Blechteller mit einem undefinierbaren Etwas, das nach einem Brei aussah und eine grünlichbraune Farbe hatte. Er schob uns
die Teller hin und gab uns Blechlöffel. Wir aßen. Es schmeckte nach Bohnen und Fleisch, war angebrannt und dazu geeignet, kerngesunde Menschen magenkrank werden zu lassen. Kate Wilkins kriegte keinen Bissen hinunter. Sie hatte sicher Hunger. Aber die Aussicht, sich nach dem Essen mit Fairly beschäftigen zu müssen, war nicht gerade appetitanregend. Fairly schob vollbeladene Löffel von dem scheußlichen Fraß in sich hinein. Er schien nichts Besseres gewöhnt zu sein und füllte sich seinen Teller sogar ein zweites Mal auf. Er ließ seine Blicke von einem zum anderen wandern und sagte plötzlich: »Bei den Rothäuten wird es euch gefallen. Die reißen euch bei lebendigem Leib die Eingeweide aus dem Körper, wenn ihr nicht pariert. Die schneiden euch Löcher in die Haut und ziehen Lederriemen hindurch. Daran werdet ihr aufgehängt. Und für weiße Frauen haben sie eine Menge übrig.« Er blickte Kate Wilkins an. »Wenn nicht gerade der Häuptling oder ein führender Krieger eine weiße Squaw haben will, dürfen alle Krieger ihren Spaß an ihr haben. Du kannst dich freuen, Frau, so viele Männer hättest du sonst nie in deinem Leben ausprobieren können.« Er aß seinen Teller leer und warf ihn in eine Tonne, die mit Regenwasser gefüllt war. Dann richtete er sich auf. Seine Augen flackerten lüstern. Er wischte sich die fettigen Finger an der Hose ab und ging grinsend auf Kate Wilkins zu. Sie blieb am Boden hocken und schaute angstvoll zu ihm auf. »Na, komm«, sagte er. »Zieh mir die Hose aus. Du wirst dich wundern.« Sie rührte sich nicht. Er hob den rechten Fuß und trat ihr den Blechnapf aus den Händen. Sie schrie. Er bückte sich und zerrte sie hoch. Sie wehrte sich heftig. Es war unglaublich, wieviel Kraft sie noch hatte. Sie wand sich wie ein Aal, und dabei schrie sie, während Tränen über ihre Wangen rannen. Fairly war stärker als sie. Er lachte nur und preßte sie fest an sich. Mit der Linken umschlang er ihre Schultern und hielt sie fest, mit der Rechten strich er über ihre Brüste. Clay ließ seinen Teller fallen und sprang auf. »Lassen Sie meine
Ma los!« schrie er. »Lassen Sie sie los, Sie Verbrecher!« Er rannte wie von Sinnen auf Fairly los, und ich erhob mich ebenfalls, da ich der Meinung war, ich müßte Clay helfen. Seine Stimme überschlug sich, er schrie Fairly an und stürzte sich mit geballten Fäusten auf ihn, obwohl er mehrere Köpfe kleiner war als der Bandit. Ich half ihm, und wir brachten es immerhin fertig, daß Fairly Kate Wilkins loslassen mußte. Dann aber hatten wir keine Chance mehr. Fairly schlug rücksichtslos auf uns ein. Ich erhielt einen Schlag voll auf den Mund und schmeckte Blut auf der Zunge, als ich rücklings in den Staub fiel. Clay stürzte fast ins Feuer. Er blutete aus der Nase. Fairly fluchte. »Ihr verdammten Kröten«, sagte er. »Wartet nur, ihr Kroppzeug.« Er packte mich am rechten Arm und Clay am Linken. Er zerrte uns hoch und schleppte uns zur Hütte. Wir wehrten uns heftig, doch er lachte nur zornig. Aber kurz bevor wir die Hütte erreichten, bemerkte er aus den Augenwinkeln, daß Kate Wilkins sich erhoben hatte und davonrannte. Sie lief, obwohl sie schwach war, so schnell sie konnte. Ihr Ziel war das ungesattelte Pferd Fairlys, das vor einer der Hütten stand. Fairly ließ uns sofort los, drehte sich um und jagte hinter der Frau her. Wir hatten Schmerzen von den Schlägen. Doch wir folgten ihm sofort. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber wir waren zu diesem Zeitpunkt keine Kinder mehr. Wir waren kleine, mißhandelte Tiere, die um ihr Leben kämpften. Kate Wilkins stolperte plötzlich und stürzte. Fairly stieß einen triumphierenden Schrei aus. Clay und ich rannten noch schneller, obwohl unsere Füße so schwer waren wie Blei. Am Feuer blieb ich stehen. Clay lief weiter. Ich sah, daß es keinen Sinn hatte, weiterzulaufen. Denn Fairly hatte Kate Wilkins in diesem Moment erreicht und hob sie hoch. Als Clay heranstürmte, empfing Fairly ihn mit einem Fußtritt. Ich dachte, Clay sei tot, als er hinfiel und sich lange nicht rührte. Doch als Fairly an ihm vorbeiging, wälzte er sich stöhnend herum. Ich sah aber noch etwas anderes. Ich sah Fairlys Gewehr.
Es lag neben dem Feuer, da, wo Fairly gesessen hatte. Es war ein kurzläufiger Sattelkarabiner mit wuchtigem Kolben und Messingbeschlägen, eine Sharps, Modell 1848. Davon hatte ich natürlich keine Ahnung. Ich wußte nur, es war ein Gewehr, und damit konnte man schießen. Ich umrundete das Feuer und hob das Gewehr auf. Es war schwerer, als ich gedacht hatte. Ich konnte es kaum halten, und mir schlug das Herz bis zum Hals vor Aufregung. Mit der Rechten spannte ich den Hahn. Ich richtete das Gewehr auf Fairly, der mit Kate Wilkins auf das Feuer zuging. Er sah mich und die Waffe. Er blieb stehen. Ich las Verblüffung in seinem Gesicht. Er schien zu überlegen, was er tun sollte. Mit so einer Situation hatte er nicht gerechnet. Er gab Kate Wilkins plötzlich einen Stoß, daß sie der Länge nach hinschlug. Langsam tappte er auf mich zu. »Was fällt dir ein«, sagte er. Seine Stimme klang etwas belegt. »Verdammter Lümmel. Leg das Gewehr hin. Ich schlag dich grün und blau, wenn du nicht sofort tust, was ich sage!« Ich richtete meine Blicke starr auf ihn. Mein Hals wurde trocken, und ich hatte auf einmal keine Kraft mehr. Mein Zeigefinger krümmte sich um den Abzug der Waffe. Doch ich schaffte es nicht, durchzuziehen. Ich hatte Angst. Eine Heidenangst. Ich begann zu zittern, und vor meinen Augen verschwammen die Bilder. Ich war sieben Jahre alt. Ich hielt ein Gewehr in den Händen und zielte auf einen Mann, der schon viele Menschen getötet hatte. Ich war ein Kind, wie sollte ich da handeln wie ein Mann? Mir stiegen Tränen in die Augen. Ich stand da wie mein eigenes Denkmal und konnte kein Glied rühren. »Laß fallen!« hörte ich Fairly sagen. »Verdammte Rotznase, ich knall dich ab. Nimm das Gewehr weg.« Ich schluckte. Ich sah, daß Fairly zum Colt griff, dessen Kolben sich aus der Gürtelhalfter krümmte. Ich fühlte instinktiv die Gefahr. Sie griff wie mit einer eisigen Faust nach mir. Ich atmete tief durch und sah, daß Fairly seinen Revolver zog. In diesem Moment taumelte Kate Wilkins hoch und lief hinter Fairly her. Sie rief ihm etwas zu, was ich nicht verstand. Ich hörte in
diesem Moment ohnehin nichts mehr, und sah auch nichts mehr, außer Fairly, der den Kopf zur Seite wandte und den Revolver nicht hochnahm, von Kate Wilkins aus dem Konzept gebracht. In diesem Moment erschoß ich ihn. Ich riß mit aller Gewalt den Abzug durch. Der Rückschlag zerschmetterte fast meine Hüfte. Ich ließ die Waffe fallen und sah Fairly taumeln. Der schwere Anprall der Kugel riß ihn herum. Kate Wilkins war im selben Moment neben ihm, um ihm den Revolver aus der Faust zu schlagen. Da löste sich ein Schuß, als Fairly reflexartig im Todeskampf die Rechte Faust ballte. Kate Wilkins schrie. Sie stürzte hart auf den Rücken, während Fairly mit einem Loch in der Brust zusammenbrach und tot war, noch ehe er den Boden berührte. * Ich hatte einen Menschen erschossen, ich, ein siebenjähriges Kind. Es dauerte eine Weile, bis mir das voll bewußt wurde. Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, das ich empfand. Aber es war schrecklich. Ich frage mich heute manchmal noch, wenn ich an diesen Moment zurückdenke, wie ich es geschafft habe, nicht die Nerven zu verlieren. Es gibt nichts Schlimmeres, als einen Menschen zu töten, selbst wenn man sich verteidigt. Ich weiß das, denn ich habe oft getötet. Ich hasse das Töten, und ich hasse dieses Leben, das mich dazu zwingt, es immer wieder zu tun. Ich glaube, ich bin damals gar nicht richtig zur Besinnung gekommen. Ich hatte keine Zeit, lange darüber nachzudenken, was ich getan hatte. Denn unweit von Fairly lag Kate Wilkins und blutete aus einer Hüftwunde. Ihr Gesicht war vor Schmerzen verzerrt, obwohl sie keinen Laut von sich gab. Und da war Clay, der sich weinend auf seine Mutter warf und ihr Gesicht mit Küssen bedeckte. Ich stand mit hängenden Schultern da und wollte sterben. Weder Clay noch ich begriffen, daß wir die Tür zur Freiheit aufgestoßen hatten. Niemand war da, der uns daran hindern konnte. Damals wäre es wohl schlimm ausgegangen für Clay und mich,
wäre nicht Mrs. Wilkins gewesen. Sie schrie Clay an, er solle sie loslassen und aufhören, zu heulen. Ich glaube sogar, sie schlug ihn rechts und links ins Gesicht, um ihn zur Besinnung zu bringen. Sie riß die Reste ihres Kleides in lange Fetzen und befahl uns, ihr einen Verband anzulegen, so fest es nur ging. Sie stand unsägliche Qualen dabei aus und schien mehrere Male fast das Bewußtsein zu verlieren. Doch sie riß sich zusammen und kämpfte gegen sich selbst, gegen ihren eigenen geschwächten und gepeinigten Körper. Sie brachte alle Kraft auf, die sie noch hatte, alle Energie. Es war ihre Furcht, daß die anderen Banditen zurückkehren können und alles umsonst gewesen wäre. Sie wuchs über sich selbst hinaus. Sie trieb Clay und mich zu Fairlys Pferd. Wir schafften es, dem Tier den Sattel aufzulegen. Wir besorgten auch eine gefüllte Feldflasche aus einer der Hütten. Dann halfen wir Kate Wilkins in den Sattel. Ihr Verband war naß vom Blut, als sie endlich auf dem Pferd saß. Clay und ich stiegen hinter ihr auf, nachdem wir sie, wie sie es verlangt hatte, im Sattel festgebunden hatten. Dann ritten wir los. Ich hielt die Zügel und lenkte das Tier. Wenig später, nachdem wir den Canyon, der in das Tal führte, verlassen hatten, verlor Kate Wilkins das Bewußtsein. * Wie wir es schafften, das Land am Pease River wieder zu erreichen, ist mir bis heute nicht klar. Wir hatten mehr Glück als Verstand. Ich weiß nur noch, daß wir am ersten Tag vor Angst schwitzten, Kincaid könne mit seinen Leuten ins Camp zurückkehren, den Ausbruch entdecken und uns verfolgen. Zwei Tage später sahen wir die Mission vor uns. Wir heulten vor Freude. Als wir auf den Missionshof ritten, stürzten die Padres aus den Gebüschen und starrten uns an, als wären wir geradewegs vom Himmel herabgestiegen. Clay und ich rutschten übermüdet vom Pferderücken und konnten uns kaum auf den Beinen halten. Mrs. Wilkins war noch immer ohne Bewußtsein, und ich dachte damals, daß sie tot sei.
Padre Ambrosius hob mich hoch, und Padre Frastus kümmerte sich um Clay. Andere hoben Kate Wilkins aus dem Sattel und trugen sie ins Gästehaus. Ich erinnere mich, daß man uns sofort Fleischbrühe einflößte und dann ins Bett steckte. Während wir schliefen, operierte Padre Ambrosius Kate Wilkins die 36er Coltkugel aus der rechten Hüfte. Dann schickte man nach Lizzy, die auf der Danton-Farm wohnte. Niemand gab Kate Wilkins noch eine Chance.
14. Als wir erwachten, waren Lizzy und Bob Danton, ihr Mann, da. Und einige Farmer, allen voran Frank Stoddard, der als Nachfolger von John Wilkins zum Bürgerwehrhauptmann ernannt worden war, nachdem man die entsetzlich zugerichtete Leiche von Wilkins auf der Wiese hinter seinem Haus gefunden hatte. Die Bürgerwehr hatte nach uns gesucht, hatte aber die Spuren nach zwei Tagen verloren. Kein Mensch hatte mehr geglaubt, daß wir noch am Leben wären. Wir wurden damals mit Fragen bestürmt. Ich schwieg mich aus. Aber Clay war ein Schwatzmaul. Sowie er sich wieder besser fühlte, kam seine altkluge Art wieder zur Geltung. Er erzählte den staunenden Farmern in allen Einzelheiten, was sich im Camp der Comancheros zugetragen hatte. Ich habe später gehört, daß die Padres alle Mühe hatten, die Farmer davon abzubringen, mich wie einen Helden zu feiern. Dabei hatte ich mir vor Schiß bald in die Hosen gemacht. Ich berichtete Frank Stoddard, was ich mir vom Weg in das Versteck gemerkt hatte. Es schien ihm zu nutzen, denn eine knappe Stunde später brach die Bürgerwehr auf. Alle ritten mit. Kein Mann schloß sich aus. * Ein paar Tage später, als Clay und ich schon wieder auf den Beinen waren, erwachte auch Kate Wilkins aus der Bewußtlosigkeit. Sie
hatte es geschafft. Sie würde nicht sterben. Clay und Lizzy wichen von diesem Tag an nicht mehr von ihrem Bett. Es verging eine Woche, dann kehrte die Bürgerwehr zurück. Peter Longley und Web Kingsley waren tot. Jeff Latham und einige andere trugen durchblutete Verbände. Aber es gab keine Comancheros mehr. Es hatte einen heftigen Kampf gegeben. Das Aufgebot hatte Fred Kincaids Bande vollständig vernichtet. Sie hatten für ihr Land gekämpft. Viele hatten das erstemal in ihrem Leben gekämpft. Die meisten waren früher immer wieder weggelaufen, vor dem Wetter, vor Männern, die keine Siedler in ihrem Schatten duldeten, vor Indianern und Banditen. Im Land am Pease River hatten sie endlich Wurzeln geschlagen. Von hier wollten sie sich nicht mehr vertreiben lassen. Sie hatten die Leiche von John Wilkins auf einem der flachen Hügel am Fluß begraben. Nach ihrer Rückkehr nun zimmerten sie ein Kreuz von zehn Fuß Höhe. Sie brannten John Wilkins' Namen ein und setzten es auf den Grabhügel, so daß es weit zu sehen war. Kate Wilkins konnte fast zwei Monate später das Bett verlassen. Sie war noch schwach, aber sie lebte. Doch da war noch etwas: Ihr rechtes Bein war gelähmt. Die Kugel Fairlys hatte einen Hauptnerv zerstört. Sie mußte sich auf eine Krücke stützen, um laufen zu können. Zusammen mit Clay ging sie zurück in das Haus am Fluß, in dem sie mit ihrem Mann glücklich gewesen war. Lizzy und Bob Danton waren jetzt dort eingezogen, um sich um Kate Wilkins und Clay zu kümmern, und um die Farm weiter zu bewirtschaften. Als Kate Wilkins die Mission verließ, war sie einundvierzig Jahre alt. Doch sie war eine alte Frau. Die Kate Wilkins von einst gab es nicht mehr. Sie war hager geworden. Scharfe, harte Linien prägten ihr Gesicht. Ihr Haar war grau, ihre Augen müde und stumpf. Ich selbst verkroch mich damals in der Mission. Es dauerte Wochen, bis ich mich wieder hervorwagte. Ich träumte jede Nacht von dem Augenblick, als ich den Abzug der Sharps durchzog und Fairly tödlich getroffen zu Boden stürzte. Manchmal wachte ich nachts schweißgebadet auf und schrie. Ich traute mich nicht unter Menschen. Ich sah in mir einen Mörder. Ich dachte, daß alle mich
anstarrten und mit Fingern auf mich zeigten. Es dauerte lange, bis ich die Erlebnisse verarbeitet hatte. Ohne die Padres hätte ich es nicht geschafft. Sie lenkten mich behutsam wieder auf den richtigen Weg und halfen mir über all das Schlimme, das hinter mir lag, hinweg. Meine Lethargie wich. Ich fand zu mir selbst zurück. Doch das unbeschwerte Kind, das ich vorher gewesen war, gab es nicht mehr. Ich sah vieles mit anderen Augen. Das unterschied mich von meinen Altersgenossen. Ich hatte weittragende Erfahrungen gesammelt. Aber niemand sah in mir ein Monstrum, wie ich befürchtet hatte. Das gab mir wieder Mut. Ich lernte, daß das Leben weitergeht, gleichgültig, was geschieht. Auch wenn ich nichts vergessen konnte, gab es bald andere, neue Probleme im Land am Pease River. Der Winter kam. Der Schnee bedeckte die Spuren von Leid und Tod und löschte sie aus … * Ich habe die ganze Nacht geschrieben. Ich habe die Zeit dabei vergessen. Inzwischen ist die Sonne wieder aufgegangen. Es ist Vormittag, der 14. August 1878. Ich würde noch weiterschreiben. Hunderte von Erinnerungen sind in mir wachgeworden. Ich glaube fast, daß ich Bücher füllen könnte, wenn ich wollte, auch wenn ich mich frage, ob das alles, was ich zu erzählen habe, interessant genug ist. Aber ich bin beim Schreiben unterbrochen worden. Ich habe Reiter auf der Straße gehört. Gerade war ich am Fenster. Da habe ich sie gesehen. Männer sind gekommen, die ich kenne, Männer aus Fort Bliss, die mich suchen. Der Teufel mag wissen, wie sie meine Spur gefunden haben. Aber mit so etwas muß ich immer rechnen. Ich bin allein. Ich werde kämpfen müssen. Zur Hölle mit diesem Leben. Ich werde meine Sachen jetzt einpacken und versuchen, das Hotel zu verlassen. Ich werde mich wieder einmal durchschlagen müssen …
ENDE
Vorschau Ronco behielt den Colt in der Faust. Er richtete sich auf und schwang sich in den Sattel. Tief auf den Pferdehals geduckt, sprengte er an dem Mann vorbei, den er eben hatte erschießen müssen. Von der Straße hallte ihm lautes Geschrei entgegen. Er sah uniformierte Männer, hörte das Krachen von Schüssen und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Er hing an Wildcats linker Flanke, als er durch die Straße galoppierte. Aber bis zum Stadtrand war es weit. Hundert Yards oder mehr. Ein verdammt harter Weg für einen Mann, der aus allen Rohren beschossen wird … Die Jagd auf Ronco, den Geächteten, geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 101 dieser großen deutschen WesternSerie:
Duell in Patos