In deiner Nähe werde ich schwach
Laurien Berenson
Tiffany 356 4 - 2/90
Gescannt von suzi_kay
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In deiner Nähe werde ich schwach
Laurien Berenson
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1. KAPITEL
„Es interessiert mich nicht, was Sie sagen! Ich denke nicht daran, auf einem Schwein zu reiten!" Leslie Vanderholden warf dem Mann, der ihren Werbeetat verwaltete, einen empörten, zornigen Blick zu. „Das ist mein letztes Wort!" „Aber, Leslie, denken Sie doch wenigstens einen Moment darüber nach." Ed Whartons Stimme klang weich und einschmeichelnd. „Das könnte genau der Gag sein, den Sie brauchen. So was erregt die Aufmerksamkeit der Leute und lockt Ihnen scharenweise Kunden ins Haus." Leslies verächtliches Schnauben hörte sich nicht sehr damenhaft an. „Seien Sie nicht albern, Ed. Heutzutage wollen die Leute einen reellen Gegenwert für ihr Geld haben und nicht jemand, der auf dem Rücken eines Schweins Faxen macht." „Davon bin ich nicht so überzeugt, Leslie. Für Loonie Louie aus Norristown hat sich die Idee mit dem Schwein hervorragend ausgezahlt." „Loonie Louie hat ja auch nur Schrottautos anzubieten, und die Hälfte davon verkauft er auch noch weit unter Preis", erklärte Leslie. „Ich nicht!" Ed zuckte mit den Schultern. „Dem Käufer ist es gleich, wo er sich seinen Gebrauchtwagen herholt. Es sei denn, Sie lassen sich etwas einfallen und lenken die Aufmerksamkeit auf Ihr Geschäft. So wie Louie das gemacht hat. Jetzt rennen ihm mehr Kunden die Bude ein, als er bewältigen kann." Ed schwieg, um seine Bemerkung richtig wirken zu lassen. „Kunden, Leslie, die Sie gut brauchen können." Leslie stand auf und kam um ihren Schreibtisch herum. Sie ging durch ihr kleines Büro und blieb vor der Panoramascheibe stehen, durch die sie den mit vielen wie neu glänzenden Gebrauchtwagen vollgestellten Parkplatz sehen konnte. In einem Punkt hatte Ed tatsächlich recht – Kunden brauchte sie wirklich. „Leslie Late-Model Lovelies" wies einen viel zu hohen Bestand auf. In den letzten Monaten war der Absatz ungewöhnlich schleppend gewesen. Leslie hatte den Rückgang in der im allgemeinen flauen Wirtschaftslage gesehen. Schließlich war ihr Laden nicht der einzige der Stadt, dessen Umsätze stockten. Es ließ sich nicht leugnen, dass dagegen etwas getan werden musste. Eventuell half doch eine peppigere Anzeigenkampagne, den Laden wieder in Schwung zu bringen. Leslie nickte vor sich hin und drehte sich zu Ed um, der abwartend auf einem Stuhl neben dem Schreibtisch saß. „Vielleicht sollten wir überlegen, ein paar Werbespots beim Lokalfernsehen einzusetzen", sagte sie langsam. „So ist es recht!" Ed sprang auf die Füße. „Sie werden es nicht bereuen, glauben Sie mir..." „Ed?" Der warnende Ton ihrer Stimme stoppte seinen Enthusiasmus. „Ich sagte, wir sollten uns vielleicht eine neue Anzeigenkampagne überlegen, aber ich sagte nichts darüber, dass ich auf einem Schwein reiten würde." „Klar, Leslie." Ed strahlte sie mit breitem Lächeln an. „Ganz, wie Sie wollen." Nachdem er gegangen war, trat Leslie wieder zum Schreibtisch und nahm ihr Geschäftsbuch aus einer der Seitenschubladen. Sie schlug es auf und blätterte es durch. Als sie auf die Eintragungen des letzten Halbjahres stieß, blätterte sie langsamer und hörte schließlich ganz auf. Es bestand kein Zweifel, ihr Soll überstieg bei weitem das Haben. Wenn das Geschäft nicht in Kürze besser würde, sähen „Leslie Lovelies" sich bald in ernsten Schwierigkeiten. Die melodischen Klänge einer tiefen, sonoren Hupe hallten durch die Sommerluft und drangen durch Leslies offene Bürotür. Kam da ein Kunde? Hoffnungsvoll schaute sie auf, gerade rechtzeitig, um noch einen in Silber und Kastanienbraun lackierten Rolls-Royce am Eingang zu ihrem Grundstück vorbeigleiten und auf das Gelände nebenan einbiegen zu sehen. Das hätte Leslie sich denken können. Mit einem knappen Stirnrunzeln blickte sie zu Donahue Motors hinüber, diesem gestylten Laden, der direkt an ihr Grundstück grenzte
und auf Luxuslimousinen spezialisiert war – auf BMW, Mercedes und Rolls- Royce. Allem Anschein nach gingen die Geschäfte ausgezeichnet, obwohl das Unternehmen erst vor kurzem eröffnet hatte. Dort herrschte den ganzen Tag über reger Betrieb. In dem Leslies Büro direkt gegenüberliegenden Verkaufsraum wechselten die hinter riesigen Scheiben ausgestellten Modelle mit schöner Regelmäßigkeit. Und wenn sie ganz bis zum Ende ihres eigenen Verkaufsgeländes ging, konnte Leslie in die offenen, peinlich sauber gehaltenen Werkstatthallen blicken, in denen eine Armee von Mechanikern, die auf Namen wie Fritz oder Günther hörten, in burgunderroten Overalls an den tadellos gepflegten Motoren makellos polierter Autos arbeiteten. Der Service war von Anfang bis Ende ausgesprochen beeindruckend. Falls Leslie selbst den Ehrgeiz gehabt hätte, ein derartiges Unternehmen auf die Beine zu stellen, dann hätte sie die Auswahl an Luxuslimousinen ihres Nachbarn reichlich niederschmetternd finden müssen. Glücklicherweise war sie jedoch nie auf diesen Gedanken verfallen. Nein, sie war mehr als zufrieden mit ihren Gebrauchtwagen. Alle waren verschiedene Modelle, und jeder besaß seine eigene Geschichte. Sie war glücklich mit ihrem mittelgroßen, frisch asphaltierten Verkaufsgelände, auf dem es nicht einmal eine Ausstellungshalle gab. Und die Leistungen ihres Mechanikers Clem Greeley überstiegen ihre höchsten Erwartungen, Er reparierte alles, was Räder hatte, aber in einen burgunderroten Overall hätte er sich niemals stecken lassen. Auch Donahue Motors hatte Probleme. Am Tag nach dem Kauf hatte Sam Donahue einen zwei Meter hohen Zaun mit einem elektrisch geladenen Draht um das Grundstück ziehen und überall Durchgangsverbot-Schilder aufstellen lassen, und nachts liefen zwei große Dobermänner frei auf dem Gelände herum. Offenbar sollte niemand diese rasanten Limousinen berühren außer den Leuten, die das Geld besaßen, sich einen solchen Wagen zu leisten. Wie ganz anders sah es da doch bei Leslie aus. Die Kunden konnten sich überall frei bewegen, ob es nun sechzehnjährige Burschen waren, die mit großen Augen voller Bewunderung herumwanderten, oder Leute, die kein Geld hatten und den großen Familienkombi gegen ein kleineres Auto tauschen mussten. Leslies Verkaufspolitik war es, jeden Besucher mit der gleichen Herzlichkeit und Höflichkeit zu empfangen und zu behandeln. Aber ihre diesbezüglichen Talente waren in der letzten Zeit leider nicht sehr häufig zum Einsatz gekommen. Bei diesem Gedanken verzog Leslie etwas gequält die Mundwinkel. Auch wenn sie nicht mit Donahues Hände weg-Politik übereinstimmte, an den Ergebnissen dieser Einstellung konnte sie ganz bestimmt nichts auszusetzen finden. In nur sechs Monaten hatte er schon erfolgreich... Leslie runzelte plötzlich die Stirn, als ihr schlagartig etwas auffiel. Sechs Monate... Wieso erinnerte sie das auf einmal an etwas? Sie schaute auf ihr Geschäftsbuch und fing an, die Seiten zurückzublättern, bis sie zum Januar kam, dem Monat, in dem Donahue Motors neben ihr eröffnet worden war. Die Umsätze waren schleppend gewesen, aber für diese Jahreszeit war das nichts Ungewöhnliches. In Ostpennsylvania konnten die Wintermonate kalt und stürmisch sein, und das letzte Jahr hatte da keine Ausnahme gemacht. Als es März wurde, hatte sich die schlimmste Kälte gelegt, aber die Zahl der Kunden war nicht gestiegen. Leslie erinnerte sich, dass sie sich erst im April zu sorgen begonnen hatte, als das erwartete Frühjahrsgeschäft ausblieb. Im Mai war von ihren Beständen so gut wie nichts abgeflossen, und auch jetzt im Juni schien keine Änderung zum Besseren in Sicht. Es bestand kein Zweifel, dass nach fünf Jahren zufriedenstellenden, ja enormen Erfolges ihre Probleme eindeutig mit der Geschäftseröffnung von Donahue Motors eingesetzt hatten. Leslie und Sam Donahue waren sich natürlich verschiedentlich begegnet, zum erstenmal, als er sein Geschäft eröffnete, und noch mehrere Male danach. Es war unvermeidlich, dass sie sich als Nachbarn über den Weg laufen mussten, aber ihre
Begegnungen waren immer nur flüchtiger Natur gewesen, bei denen sie beide nur Gelegenheit für einige höfliche Worte gefunden hatten. Was Leslie bislang von Sam Donahue gesehen hatte, beeindruckte sie. Er war zwar nicht über die Maßen groß, aber sehr gut gebaut, und hatte dichtes, glattes und tiefschwarzes Haar, graue Augen und besaß eine entwaffnend direkte Art. Leslie vermutete, dass Sam Donahue kein Mann war, dem viel im Leben entging. Schon beim ersten Treffen war sie zu der Überzeugung gelangt, dass er nicht zu der Sorte Männer gehörte, die allein aus ihrem guten Aussehen Kapital schlug. Er wirkte intelligent, und um seinen Mund lag ein leicht zynischer Zug, der Bände über seine Lebensansichten sprach. Alles in allem fand Leslie ihn interessant. Und als Sam nach ihrem ersten Kennenlernen keine Gelegenheit suchte, die Bekanntschaft zu vertiefen, empfand Leslie das als schade. Andererseits hatte sie mit ihren siebenundzwanzig Jahren jedoch längst gelernt, solche Dinge mit innerer Gelassenheit zu nehmen. Aus Erfahrung wusste sie, dass Gefühlsregungen nicht immer gleichermaßen geteilt wurden. Und wenn in ihrer Gegenwart Sams Puls nicht ebenfalls so schnell zu schlagen begann wie bei Leslie, dann war das wahrscheinlich Sams ganz persönliches Pech. Mit einem kleinen Seufzer schüttelte Leslie den Kopf. Im Moment ließ sich daran ohnehin nichts ändern. Viel vordringlicher war es, einen Weg zu finden, um den Auswirkungen von Donahue Motors auf ihre Umsätze Einhalt zu gebieten. Es musste etwas geben, um das zu erreichen. Es dauerte zehn lange Minuten, bis sie die Antwort auf ihr Problem fand, und als sie endlich auf die Lösung stieß, war sie so einfach, dass Leslie erstaunt war, nicht schon längst darauf gekommen zu sein. Die einzige Möglichkeit war offensichtlich, aus der Not eine Tugend zu machen. Da neben Donahues Rolls-Royces ihre Gebrauchtwagen schäbig aussahen, war es sicher besser, diesen Umstand voll auszunutzen, statt den Vergleich zu scheuen. Leslie griff über ihren vollgepackten Schreibtisch nach dem Telefon, hob den Hörer ab und wählte Eds Nummer. Ganz plötzlich war ihr die Eingebung gekommen, wie ihr neuer Werbeslogan zu lauten hatte, und sie würde nicht einmal auf dem Rücken eines Schweins herumreiten müssen! In seinem mit luxuriösem Teppichboden ausgelegten Büro saß Sam Dona hue, die Schultern unter dem elegant geschnittenen italienischen Anzug gespannt, reglos hinter dem großen Eichenschreibtisch. Die Seiten des vor ihm liegenden Terminkalenders waren leer, und das Telefon blieb stumm. Sekundenlang überlegte er, ob er aufstehen und einen kurzen Kontrollgang durch den Ausstellungsraum machen solle, doch dann verzichtete er darauf. Alles lief wunderbar, das wusste er. Warum auch nicht? Schließlich hatte er die letzten achtzehn Monate seines Lebens darauf verwandt, Donahue Motors zu einem Erfolg zu machen, und die Zahlen seiner Bilanz waren der beste Hinweis, dass seine harte Arbeit Früchte zu tragen begann. Sein Unternehmen war mittlerweile etabliert und Sam auf dem besten Weg, der größte Händler mit Importautos in Ostpennsylvania zu werden. Nachdem er in dieser Branche zehn Jahre lang für andere tätig gewesen war, wusste er auf den Punkt genau, worauf es ankam, sobald er sich selbständig machen würde. Seine erste Entscheidung war es, sich als Firmensitz die Kleinstadt Cloverdale auszusuchen. Sie lag nicht nur nahe bei Philadelphia, sondern bot ihm auch ein Gelände in günstiger Lage, das er zu einem verhältnismäßig vernünftigen Preis erstehen konnte. Nachdem er es gekauft hatte, war Sam daran gegangen, ein Wagenangebot und Serviceleistungen aufzubauen, von denen die meisten Besitzer ausländischer Autos nur träumen konnten. Aus Deutschland hatte er sich die besten Mechaniker geholt, die er bekommen konnte, und ein Team von Verkäufern eingestellt, die genau so leidenschaftlich hinter ihrer Arbeit standen wie er selbst.
Sam hatte sich ein Jahr Vorlauf eingeräumt, bis er kostendeckend arbeiten würde, doch dieses Ziel war erstaunlicherweise schon in den ersten drei Monaten erreicht worden. Eigentlich hätte er sich die Hände reiben sollen, wie gut die Dinge sich entwickelten. Statt dessen fragte er sich, warum er eine vage Unzufriedenheit verspürte, ein bohrendes Gefühl, dass ihm etwas fehlte. Jemand klopfte hastig an seine Bürotür, und im nächsten Augenblick stand Joe Sak, einer seiner Abteilungsleiter, im Raum. „Heh, Boß, ich glaube, das sollten Sie sich ansehen!" „Was?" Geistesabwesend blickte Sam auf. „Diesen Werbespot im Fernsehen." Eindringlich winkte Joe ihn zu sich herüber. „Kommen Sie, sonst verpassen Sie ihn noch!" Stirnrunzelnd fo lgte Sam dem Verkäufer durch den Korridor in den neben der Garage gelegenen Aufenthaltsraum. Der Fernseher an der Stirnwand war auf einen der Lokalsender eingestellt, und Sam kam noch rechtzeitig, um die letzten Sekunden eines Werbespots zu sehen. Eine hübsche Frau mit blonden Locken stand in der Mitte eines Parkplatzes, auf dem Autos aller Fabrikate und Hersteller parkten. Sam bemerkte mit Abscheu, dass bei vielen auf der Windschutzscheibe der Preis mit Fettstift angegeben war. Dann konzentrierte er sich darauf, was die Frau sagte. „Vergessen Sie nicht", verkündete sie mit breitem Lächeln, „diese teuren Autos sind nur für solche Leute erschwinglich, die ihr Geld zum Fenster hinauswerfen können." Sam kniff die Augen zusammen, als die Kamera einen Schwenk auf einen anderen Parkplatz machte, vollgestellt mit Mercedes, BMWs und... Sein Verkaufsgelände, wie Sam verblüfft feststellte. Er brummte etwas Unverständliches vor sich hin. In der nächsten Kameraeinstellung sah man wieder die Frau, diesmal in Großaufnahme. „Aber bei Leslie Late-Model Lovelies", sprach sie weiter, „bieten wir Qualitätsware zu einem günstigen Preis. Kommen Sie zu uns und überzeugen Sie sich selbst. Sie werden nicht enttäuscht sein." Wieder machte die Kamera einen Schwenk und zeigte einen Platz voller Gebrauchtwagen, während die Frau im Off sagte: „Nicht vergessen, wir sind Leslie Lovelies, der Rolls-Royce des Gebrauchtwagenmarktes, wo Sie kein Vermögen ausgeben müssen, um sich wie ein König am Steuer Ihres Autos fühlen zu können." „Verdammt no ch mal", murmelte Sam, als der Spot ausgeblendet wurde und ein hektisch aussehender Showmaster zu sehen war. „Ich dachte mir, das könnte Sie interessieren", sagte Joe. „Es ist das erste Mal, dass ich ihn gesehen habe, aber einige Kollegen erwähnten, dieser Spot würde schon die ganze Woche gesendet." Die ganze Woche? „Woher nimmt sie die Frechheit, eine solche Nummer abzuziehen?" fragte Sam mit mühsam beherrschter Stimme. „Unter anderem deutet sie an, unsere Autos seien nur für ein Königreich zu haben!" Joe räusperte sich leise. „Nehmen Sie es mir nicht übel, Mr. Donahue, wenn ich das sage, aber sie..." Ein Blick aus Sams Miene reichte, um Joe sich überlegen zu lassen, ob es weise sei, den Satz fortzusetzen. „Sie sind was?" „Sie sind jeden Penny wert, den der Kunde ausgibt. Ja, wirklich, das sind sie." Zu Joes Überraschung erhellte sich Sams Gesicht. „Ich dachte mir, dass Sie das sagen würden." Gänzlich unerwartet zwinkerte er ihm zu, wandte sich um und verließ den Raum. Joe sah seinem Boss nach und schüttelte den Kopf. Der Mann war immer für eine Überraschung gut. Aber eines war sicher, im Moment mochte Joe nicht in Leslie Vanderholdens Schuhen stecken! Leslie telefonierte, als Sam Donahue an der Tür zu ihrem Büro auftauchte.
„Ja, Ed", sagte sie in den Hörer, den sie mit der linken Schulter festgeklemmt hielt, und
bat Sam mit einer Geste, hereinzukommen. „Ich weiß, Ed, bis jetzt war die Reaktion großartig." Sam nahm die formlose Begrüßung mit einem leisen, verächtlichen Schnauben zur Kenntnis. Kein Wunder, dass diese Frau zu solchen hinterlistigen Methoden greifen musste, um sich Kunden zu verschaffen. Wenn das der Stil war, mit dem sie alle ihre Besucher empfing, überraschte Sam ihr mangelnder Erfolg überhaupt nicht. Mit energischen Schritten betrat er den kleinen Raum und überlegte, ob er sich setzen sollte. Der Unterschied zwischen seiner eindrucksvollen Gestalt und dem wacklig aussehenden Holzstuhl, der einzigen Sitzgelegenheit, die im ganzen Raum vorhanden war, erschien ihm zu riskant. Sam ließ den Gedanken fallen und blieb stehen. „Ja, Ed, ich weiß", sagte Leslie ungeduldig, während der Werbefritze den Erfolg ihrer neuesten Werbekampagne in höchsten Tönen zu preisen schien. Aus dem Augenwinkel warf Leslie dem Besucher einen vorsichtigen Blick zu. Obwohl sie es nicht darauf angelegt hatte, war ihr doch schon in dem Moment klar geworden, dass Sam Donahue sie aufsuchen würde, nachdem ihr der fertiggestellte Spot vorgeführt worden war. Und nun war er hier. Warum hatte sie trotzdem das Gefühl, überrumpelt zu sein? Leslie fand Sam anziehend. Das war zu ihrem Nachteil, und sie spürte, er war ein Mann, der die Schwäche eines anderen ausnutzen würde. Das Wichtigste war, von Anfang an gleiche Voraussetzungen zu schaffen. „Hören Sie, Ed", sagte Leslie, mit den Fingern schon halb auf der Unterbrechertaste, „ich habe jetzt keine Zeit mehr. Es ist ohnehin nicht der richtige Moment, um das zu diskutieren. Ich rufe Sie zurück, okay?" Ohne auf die Antwort zu warten, legte Leslie auf. Sie atmete tief durch und sah Sam mit einem strahlenden Lächeln an. „Mr. Donahue, wie nett, Sie wiederzusehen. Unsere nachbarschaftlichen Beziehungen sind wirklich nicht die besten. Wie lange ist es jetzt her, dass..." Ohne zu überlegen, erwiderte Sam ihr Lächeln. Sofort bereute er seine impulsive Reaktion. „Eine Weile", antwortete er ausweichend. Sie musste ja nicht wissen, dass sein Gedächtnis viel besser war, als er vorgab. „Eines Morgens fuhr ich bei Ihnen vorbei, als Sie in der Nähe des Eingangs versuchten, eine kleine alte Dame für eine rote Corvette zu interessieren." „Ach, ja." Leslie lehnte sich im Sessel zurück. „Mrs. Obermann. Sie hupten und winkten." „Ich war in Eile", sagte Sam. Zu seiner Überraschung klang die Antwort wie eine Verteidigung. Noch überraschender fand er allerdings den Drang, verlegen von einem Bein aufs andere treten zu wollen. Automatisch zwang er sich, still zu stehen. „Bestimmt waren Sie das", sagte Leslie. „Ich habe den Eindruck, das Geschäft mit Luxuslimousinen läuft hervorragend." „Das stimmt", erwiderte Sam knapp. Es wurde höchste Zeit, die Situation in die Hand zu nehmen. „Hat sie das Auto gekauft?" Leslie bemerkte die leichte Veränderung in seiner Haltung, den härteren Zug um seine Lippen, und wusste sofort, was die Stunde geschlagen hatte. Instinktiv stellte sie sich auf Abwehr ein. „Wer?" Sam runzelte die Stirn. Zum zweitenmal hatte er diese Frau unterschätzt. „Mrs. Obermann. Hat sie die rote Corvette gekauft?" „Leider nicht." Leslie seufzte, innerlich hellwach, Sie wussten beide, welchem Zweck dieser Besuch diente. Falls Mr. Donahue aber glaubte, er könne sie mit höflichem Geplauder einlullen, dann würde sie ihm nur zu gern diesen Gefallen tun. „Sie fand, der Wagen passe nicht zu ihrem Image." Bei der Erinnerung lachte Leslie leise vor sich hin. „Statt dessen hat sie sich für den schwarzen Trans Am entschieden." „Oh." Sam war sekundenlang verblüfft. Er hätte allerdings nicht mit Sicherheit sagen können, ob es an dieser Geschichte oder am angenehmen Klang von Leslies Lachen lag. Es
wurde eindeutig Zeit, zur Sache zu kommen. „Hören Sie", sagte er fest. „Ich fürchte, ich bin nicht hier, um Ihnen einen Höflichkeitsbesuch zu machen. Ich möchte mit Ihnen über die Werbespots reden, die Sie im Lokalsender ausstrahlen lassen." „Ja?" Leslie biss sich auf die Lippe und fand es richtiger, sich eines weiteren Kommentars zu enthalten. Sie hatte gewusst, das Donnerwetter würde früher oder später über ihr niedergehen, und nun war es soweit. „Sie haben diese Spots absichtlich so gefilmt." Mühsam brachte Leslie ein gefälliges Lächeln zustande. „Von selbst würden sie wohl kaum ins Fernsehen kommen." Sam hatte sich vorgenommen, sein Temperament unter Kontrolle zu halten, aber das war, bevor er erkennen musste, wie sehr ihre kühle Haltung ihn reizte. „So hab ich es nicht gemeint. Das wissen Sie genau!" Leslie hob eine ihrer schön geschwungenen Augenbrauen. „Oh?" „Zunächst einmal", fing Sam an, „verwenden Sie ohne meine Erlaubnis Aufnahmen von meinem Verkaufsgelände." „Sind Sie sicher, dass es Ihres ist?" „Aber natürlich..." Leslie war stolz darauf, dass der Blick, mit dem sie Sam von unten her anschaute, bedeutend gelassener war, als er eigentlich hätte sein müssen. „Haben Sie Ihre Ausstellungshalle oder irgendeines Ihrer Firmenschilder gesehen?" „Nein, aber..." „Wurde irgend jemand von Ihrem Personal namentlich im Abspann genannt?" „Nicht, dass ich wüsste, aber ..." Leslie lächelte kühl. „Wie können Sie dann so sicher sein, dass es sich um Ihr Verkaufsgelände handelt? Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber Sie besitzen nicht das einzige Geschäft mit Importautos in Pennsylvania." „Natürlich nicht", räumte Sam ein. „Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass ich mein eigenes Grundstück und mein eigenes Wagenangebot wiedererkannt habe." „Nein", antwortete Leslie langsam, „aber es ändert gehörig die Tatsache, was Sie beweisen können und was nicht." Einen Moment lang herrschte Stille, als Leslie schwieg, damit Sam die Bedeutung ihrer Worte erfasste. „Sonst noch etwas?" „Ja, es gibt noch etwas!" brüllte Sam. Allein der Ton hätte gereicht, um seine Angestellten schlagartig zur Aufmerksamkeit zu zwingen. Wieso schien er bei ihr nicht zu wirken? „In Ihren Spots deuten Sie unterschwellig an, nur reiche Leute könnten sich meine Autos leisten." „Ja, und?" Sam runzelte die Stirn. „Ja, und was?" „Das stimmt doch, oder nicht?" „Natürlich nicht", brummte er. „Jedermann kann bei Donahue Motors Kunde sein . .." „Sofern er willens ist, eine Hypothek auf sein Haus aufzunehmen, um die Anzahlung aufbringen zu können." „Jetzt reicht es aber." Sam war mit seiner Geduld fast am Ende. „Ich bin nicht hergekommen, um mit Ihnen über Finanzierungen zu diskutieren. Ich bin hier, weil Ihre neuen Werbespots meinem Geschäft abträglich sind, und ich will, dass Sie sie zurückziehen." „Ich fürchte, das ist unmöglich." Leslie bemühte sich um einen umgänglichen Ton. Diesen Mann hätte sie viel lieber zum Freund als zum Feind gehabt. Zu schade, dass es nicht sein sollte. „Diese Spots sind das Beste, was Leslies Lovelies in den letzten sechs Monaten passiert ist. Tut mir leid, wenn Sie sie nicht mögen, aber ich fürchte, ich kann es mir einfach nicht leisten, so mir nichts, dir nichts eine erfolgreiche Werbekampagne abzublasen, nur um
Ihnen einen persönlichen Gefallen zu tun." Sam räusperte sich. Das Geräusch hallte durch den Raum wie ein drohendes Grollen. „Sie sind nicht die einzige, die ihre Geschäftsinteressen zu wahren hat", sagte er. „Wenn Sie darauf bestehen, dass diese Spots weiter gesendet werden, dann fürchte ich, werde ich entsprechende Schritte unternehmen müssen." Leslie richtete sich auf. „Welche Schritte?" Sam zuckte mit den Schultern. „Sie wissen schon, im Krieg sind alle Mittel recht." Leslie stand abrupt auf. „Wollen Sie mir drohen?" Sein Lachen überraschte sie und löste ein Gefühl der Wärme in ihr aus. „Welche meiner Bemerkungen finden Sie bedrohlich?" entgegnete er. Leslie schaute ihn böse über den Schreibtisch an. „Sie verängstigen mich nicht im geringsten, Sam Donahue. Glauben Sie mir, mit Männern wie Ihnen bin ich schon früher fertig geworden." „Tatsächlich?" Sams Augenbraue zuckte in die Höhe. „Wenn das so ist, sehe ich dieser Erfahrung mit Freuden entgegen." Er wandte sich zum Gehen, blieb aber auf der Schwelle stehen. „Na, dann werden wir uns ja auf dem Schlachtfeld wiedersehen, Leslie." Nicht bereit, ihm das letzte Wort zu überlassen, feuerte Leslie ihm einen Abschiedsgruß hinterher. „Und vergessen Sie nicht, sich bis dahin meine Werbespots anzusehen!"
2. KAPITEL
Sam blickte nachdenklich in die heiße Mittagssonne. Seit zehn Minuten stand er in der glühenden Hitze, und wenn er etwas hasste, dann still zu stehen. Doch aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte er genau das und obendrein mit Vergnügen getan, während er Leslie Vanderholden bei einem Verkaufsgespräch zusah. Es war ihm vollkommen gleichgültig, wie viele dieser scheußlichen Gebrauchtwagen sie absetzte, und er hatte es auch nicht darauf abgesehen, neue Verkaufstechniken zu lernen, indem er sie beobachtete. Aber er hatte sie beobachtet, und noch dazu mit Wonne. Mit einer knappen Schulterbewegung schüttelte Sam sein Jackett ab und hängte es über das Geländer. Dann knöpfte er sich die Manschetten auf und rollte die Ärmel über den kräftigen, muskulösen Unterarmen hoch, die mit einem leichten schwarzen Flaum bedeckt waren. Sam wusste nicht, wie Leslie es fertig brachte, aber trotz der sengenden Sonne, die mit gleicher Kraft auf ihr Verkaufsgelände herabknallte, sah sie so kühl aus wie eine grazile Osterglocke, die von einer frischen Sommerbrise umfächelt wurde. Aufrecht und schlank stand sie neben einem grässlich aussehenden, orangefarbenen BMW 2002 und strahlte die Gelassenheit und Würde einer Königin aus. Langsam trat ein Lächeln auf Sams Lippen, als er sich fragte, was wohl nötig sein würde, um Leslie Vanderholden aus der Fassung zu bringen. Dann drehte sie sich um, und ihre Blicke trafen sich. Instinktiv streckte Sam sich unmerklich, und seine ohnehin schon angespannten Muskeln strafften sich noch mehr. Obwohl er nie an Fügungen des Schicksals geglaubt hatte, schien dieser lange Augenblick, in dem sie sich gegenseitig ansahen, auf einer unausweichlichen Vorbestimmung zu beruhen... Leslie brachte etwas in ihm zum Klingen, das wahrscheinlich schon viel zu lange in ihm geschlummert hatte. Seit Wochen hatte er sich nicht so lebensfroh, so tatendurstig gefühlt wie nach der kurzen Begegnung in ihrem Büro. Leslie hatte ihn ganz in ihren Bann geschlagen. Durch die Herausforderung, die sie darstellte, wurden gleichermaßen sein Intellekt und seine Sinne angesprochen und erregt. Wenn er ehrlich zu sich war, musste er zugeben, den kleinen Streit mit ihr genossen zu haben. Und nicht minder hatte er die Zeit genossen, die er seither darauf verwendete, sich die beste Möglichkeit auszudenken, es ihr heimzuzahlen. Ungewollt hatte Leslie die Entschlusskraft in seinem Leben wiedererweckt. Sam wandte sich abrupt um, als der Wagen eines Kunden durch das Tor auf sein Verkaufsgelände brauste. Noch ehe er einen Schritt machen konnte, hatte einer seiner Angestellten der Dame, die hinter dem Steuer saß, seine Dienste angeboten. Als Sam sich wieder umdrehte, war Leslie jedoch nicht mehr da. Er brauchte einen Moment, bis er sie wieder sah. Sie hatte sich auf den Fahrersitz des gebrauchten orangefarbenen BMWs gesetzt und versuchte, das klemmende Sonnenverdeck zu schließen. Aus einem Impuls heraus ging er auf sie zu. Schon einmal hatte sie seinen mangelnden Nachbarschaftsgeist beklagt. Jetzt war der beste Augenblick, um diese Unterlassungssünde wiedergutzumachen. Als er am Zaun ankam, der die beiden Grundstücke trennte, drückte Leslie soeben die kleine Kurbel in die dafür vorgesehene Vertiefung. Einen Moment lang schnappte der Griff wieder zurück, und Sam musste sich ein Lächeln verkneifen, während er zusah, wie Leslie ihre kleine Hand zur Faust ballte und die Kurbel mit einem kräftigen Hieb an Ort und Stelle beförderte. „Hallo", rief Sam ihr zu und lehnte sich gegen das Metallgitter. „Wie geht das Geschäft?" Überrascht durch den Klang seiner Stimme, schaute Leslie auf. „Es zieht an", antwortete sie zurückhaltend. Für sie war dieses Thema so brisant wie ein Minenfeld. „Und Ihres?" „Ich kann nicht klagen."
„Nein." Leslies Blick schweifte über die blankpolierten, gepflegten Karossen auf seinem Grundstück. „Das hätte ich mir auch nicht denken können." Sam folgte der Richtung ihres Blicks, und seine Miene verhärtete sich. „Der Erfolg ist mir nicht in den Schoß gefallen, Leslie, Ich habe für alles, was ich besitze, sehr hart arbeiten müssen." „Ich habe nie das Gegenteil behauptet." Sam fragte sich, wie sie es fertigbrachte, so sachlich zu klingen, und dabei trotzdem deutlich der Eindruck entstand, ihre wahren Gefühle seien das genaue Gegenteil dessen, was sie gesagt hatte. Sie provozierte ihn absichtlich, so wie sie es bei ihrem letzten Zusammentreffen getan hatte. Damals hatte er sich gehen lassen, doch diesmal war es nicht seine Absicht, denselben Fehler noch einmal zu machen. „Sie sind sehr schnell mit Ihrer Meinung zur Hand." Leslie zuckte mit den Schultern. „Ich habe fünf Geschwister. Wenn man in meiner Familie nicht schnell reagiert, wird man über den Haufen gerannt." „Fünf?" entfuhr es Sam unbeabsichtigt erstaunt. Er räusperte sich und fragte in normalerem Ton: „Sie sind fünf Kinder in der Familie?" „Nein, sechs, wenn Sie mich mitzählen." „Ich verstehe", sagte Sam. Das erklärte vielleicht manches. „Ich vermute, das ist der Grund, weshalb Sie diese Werbespots gemacht haben." „Wovon reden Sie?" „Nun, bei einer Familie dieser Größenordnung begreife ich, warum Sie den Drang haben, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken." Leslie verschlug es sekundenlang die Sprache. Schließlich konterte sie: „Vielen Dank, Dr. Sigmund Freud! Wenn Sie ein solches psychoanalytisches Talent besitzen, ist mir nicht ganz klar, warum Sie ausgerechnet Autos verkaufen." „Nicht doch", erwiderte Sam ruhig. „Sie müssen zugeben, dass es nicht sehr viele Frauen geben kann, die ihr eigenes Gebrauchtwagengeschäft besitzen, ganz zu schweigen davon, dass sie auch noch im Fernsehen auftreten." Von allen überheblichen, herablassenden Männern, die Leslie je kennengelernt hatte, war Sam Donahue bestimmt der schlimmste. „Ich muss Ihnen sagen, an einer Frau, die ihr eigenes Geschäft hat und dafür die Reklametrommel schlägt, ist absolut nichts auszusetzen..." „Nein", antwortete Sam gedehnt. „Nur Ihre Methoden lassen sehr zu wünschen übrig." „Methoden, die zumindest erfolgreich sind", gab Leslie gereizt zurück. Sie hatte nicht vor, ihm zu erklären, wie dringend sie auf diesen Erfolg angewiesen war. „Nur darauf kommt es an." „Wollen Sie damit sagen", fragte Sam, „der Zweck heilige die Mittel?" Leslie überlegte kurz. „Manchmal", erwiderte sie dann langsam und sah, dass Sam lächelte. „Vergessen Sie nur nie, was Sie da eben gesagt haben", antwortete Sam leise. „Keine Angst", sagte Leslie mutiger, als sie sich innerlich fühlte. „Das werde ich nicht." Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging fort. Sam blieb am Zaun stehen und genoss den Anblick, bis sie bei ihrem Büro angekommen und hineingegangen war. Ihr beschwingter Schritt ließ deutlich erkennen, dass sie glaubte, ihm einen Dämpfer aufgesetzt zu haben. Sam würde sie ruhig noch ein Weilchen in diesem Glauben lassen. Leslie würde noch früh genug merken, dass auch er ein paar Trumpfkarten ins Spiel zu bringen hatte. Das Bemerkenswerteste für Leslie war, dass sie für den Rest der Woche nichts mehr von Donahue Motors hörte. Sam schien wie vom Erdboden verschwunden. Aber das hatte nichts zu bedeuten. Er würde bestimmt wieder auftauchen und für neuen Ärger sorgen, und bis dahin blieb Leslie nichts anderes übrig, als zu warten. Als ihre Schwester Marete sie zum Dinner einlud, sagte Leslie freudig zu. Seit etlichen Wochen war sie nicht mehr bei ihrer älteren Schwester gewesen, und für die
Vanderholdens war das eine sehr lange Zeit. Obwohl das Alter der Geschwister von neunzehn bis sechsunddreißig Jahren reichte, war Leslies Familie in engem räumlichen und gefühlsmäßigen Kontakt geblieben, und jeder stand dem anderen freundschaftlich mit Rat und Tat zur Seite. Da Leslie das älteste noch ledige Kind war, hatten ihre Brüder und Schwestern sich darauf verschworen, sie unter die Haube zu bringen. Leslie betrachtete diese Bemühungen als unausweichliches Übel, das nichts im Vergleich zu den zahllosen Vorteilen war, die eine große Familie ihr bot. Als sie am Samstagabend bei Marete und deren Mann Bob eintraf, verschwendete ihre Schwester keine Zeit und kam gleich zur Sache. Sie drängte Leslie durchs Wohnzimmer, in dem Bob und die beiden Töchter beim Fernsehen saßen, in die Küche, wo die Vorbereitungen für das Essen in vollem Gang waren. „Also", fragte Marete beiläufig, „was macht dein Liebesleben?" „Nicht vorhanden." Leslie setzte sich an die Durchreiche, die Küche und Wohnzimmer trennte, nahm ein Messer zur Hand und begann, eine Gurke in Scheiben zu schneiden. „Und deins?" Marete grinste. „Die Ehe ist großartig. Du solltest es mal damit probieren." „Das mag ich an dir besonders gern, Marete. Von allen meinen Geschwistern besitzt du das meiste Feingefühl." „Und du von meinen den größten Dickkopf." „Dickkopf?" Leslie zog die Augenbrauen hoch. „Kann ich was dafür, dass ich nicht verheiratet bin? Ist es meine Schuld, wenn die Nachfrage nach geeigneten Männern größer ist als das Angebot? Was, bitte, sollte ich deiner Meinung nach denn tun? Ein Schild in mein Fenster hängen und draufschreiben: ,Noch zu haben. Fragen Sie bei mir nach?'" „Natürlich nicht." Marete holte eine Tüte mit Mohrrüben aus dem Gemüsefach des Kühlschranks und schob sie über die Theke. „Aber du könntest versuchen, etwas aufgeschlossener zu sein. Wie willst du den Richtigen kennenlernen, wenn du dich nie mit jemandem verabredest?" Leslie machte ein abweisendes Gesicht. „So einfach ist es auch wieder nicht, und das weißt du selbst. Als ich jünger war, hatte ich viele Verabredungen, und was ist dabei herausgekommen? Ich habe Dutzende von Männern kennengelernt, aber der Richtige war nie dabei." Die Spielshow im Fernsehen wurde für die Werbung unterbrochen, und Leslie warf einen Blick ins Wohnzimmer. Obwohl die meisten ihrer eigenen Spots am Tag gesendet wurden, hatte Ed Wharton sie in der letzten Zeit gedrängt, keine Kosten zu scheuen und sich darum bemühen, einen Platz zur besten Sendezeit am Abend zu bekommen. Leslie sah mit Interesse, dass die jetzt ausgestrahlte Werbung tatsächlich für einen Autohändler war, ein Unternehmen, das ihr plötzlich sehr bekannt vorkam ... „Halt!" rief Leslie, sprang auf und rannte um die Durchreiche. „Dreht das mal lauter!" Ihre braunen Augen wurden immer größer, als Sams lächelndes Gesicht auf dem Bildschirm erschien. Verdammt, er war wirklich fotogen. Sein markantes Gesicht mit dem energischen Kinn kam gut rüber, und erst sein Lächeln...! Leslie verspürte ein Kribbeln im Magen. Nun blickte Sam voll in die Kamera, und eine Sekunde lang, in der Leslie meinte, ihr Herz würde stehenbleiben, hatte sie den Eindruck, als sähe er sie direkt an. Als sie sich ihrer Umgebung wieder bewusst wurde, begriff sie irritiert, dass das genau der Effekt war, der damit erreicht werden sollte. Zweifellos war es jeder anderen Frau in Ostpennsylvania nicht anders ergangen. „Was ist denn los?" fragte Marete, die aus der Küche nachgekommen war. „Ist der Ansagerin das Kleid geplatzt?" „Schön war's gewesen", antwortete Bob bedauernd. „Aber leider ist es nur die Werbung." Marete beugte sich vor, um besser sehen zu können. „Toll, ein irrer Typ! Ich würde auch nicht nein sagen, was immer der zu verkaufen hat!"
„Psst!" zischte Leslie, griff nach der Fernbedienung und stellte den Ton lauter. Der Werbespot war fast zu Ende, und was sie bis jetzt gesehen hatte, war alles andere als eine angenehme Überraschung für sie gewesen. Äußerst geschickt hatte Sam Tonfall und Stil ihres eigenen Spots kopiert. Unbewusst hielt Leslie den Atem an und wartete auf den Schluss. Und der war noch schlimmer, als sie befürchtet hatte. Der Kameraschwenk ging über ihr Verkaufsgelände. Die Autos waren im ungünstigen Abendlicht gefilmt worden, und nach den vorhergehenden Aufnahmen von Donahue Motors' gewienerten Neuwagen sahen im Vergleich dazu ihre Modelle ein bisschen schäbig aus. Vor ohnmächtigem Zorn ballte Leslie die Hände, als der Sprecher sagte: „Sie kommen mit allen möglichen fahrbaren Untersätzen von einem Ort zum anderen. Aber warum wollen Sie sich damit begnügen, nur auf vier Rädern zu rollen, wenn Sie statt dessen Ihr Fahrvergnügen zu einem wirklichen Erlebnis machen können? Kommen Sie zu Donahue Motors, wo das Beste gerade gut genug ist!" „War das nicht...?" fing Bob an. Er sah zu Leslie hin und runzelte leicht die Stirn. „Ganz eindeutig war es das!" erwiderte Leslie verärgert. „Was war was?" fragte Marete, die immer noch nicht begriff, worum es ging. „Mein Verkaufsgelände!" rief Leslie, wild gestikulierend. „Meine Autos! Mein ein und alles!" Marete schaute sie mit neuem Interesse an. „War er das auch?" „Wer war was?" fragte Leslie geistesabwesend, da sie in Gedanken noch immer bei dem Debakel war, das sie soeben miterlebt hatte. „Du weißt schon, wer." Marete machte eine Handbewegung zum Fernseher hin, wo sich jetzt ein Glücksrad drehte und die Studiogäste vor Begeisterung jubelten. „Groß, dunkel und gutaussehend." „Groß, dunkel und ärgerniserregend, wäre wohl richtiger ausgedrückt", murmelte Leslie gereizt. Sie musste sich zwingen, nicht noch weiter wütend auf das TV-Gerät zu starren, obwohl die Werbung längst vorüber war. Sie konnte einfach nicht glauben, dass Sam so unter der Gürtellinie zurückschlagen würde. Selbst wenn ihm das nicht gefiel, was Leslie über seine Autos gesagt hatte, war es noch nie ihre Absicht gewesen, deren Qualität in Abrede zu stellen. Sie hatte sich lediglich auf die horrenden Preise bezogen und es den Leuten überlassen, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. In seinem Werbespot war Sam jedoch ein ganzes Stück weiter gegangen. Nur ein Trottel hätte die Andeutung überhören können, dass Leslies Autos qualitativ schlechter waren, nur weil es sich um Gebrauchtwagen handelte. Und wer würde wohl – bei den Preisen, die man heute für Autos zu zahlen hatte, selbst Gebrauchtwagen – etwas kaufen wollen, von dessen Topqualität er nicht restlos überzeugt war? „Ärgerniserregend?" fragte Marete und grinste verschmitzt. „Erzähl mir alles über ihn." „Nein, das werde ich nicht", entgegnete Leslie rasch. „Dann sag mir wenigstens eins", fuhr Marete fort. „Ist dieser Mann wirklich dein neuer Nachbar?" „Hmmm ..." „Gut." Marete nickte und sagte, während sie zurück in die Küche ging: „Nach dem Dinner kannst du mir helfen, einen Kuchen zu backen. Du verstehst, als eine Art Begrüßungsgeschenk ..." „Marete, du begreifst nicht. Er hat seinen Laden schon seit fast sieben Monaten neben mir." „Na und?" Marete wischte den Einwand beiseite. „Besser spät als nie." Hilflos den Kopf schüttelnd, ging Leslie ihrer Schwester nach. Mit ihrer Erwartung, im Kreis der Familie einen ruhigen Abend zu verbringen, war es wohl aus und vorbei. So wie sie Marete kannte, würde ihre Schwester keine Ruhe geben, bis sie nicht alles über Sam in Erfahrung gebracht hatte.
Sam Donahue, dachte Leslie düster, das wirst du mir büßen!
3. KAPITEL
Getreu ihrem Vorsatz fuhr Leslie am nächsten Morgen um neun durch die Einfahrt von Donahue Motors, parkte ihren kleinen blauen Honda vor der Ausstellungshalle und blieb einen Moment sitzen, um ihre Gedanken zu ordnen. Sie war noch nie hier gewesen. Dafür hatte es auch nie einen Grund gegeben. Jetzt, aus der Nähe, sah alles noch viel beeindruckender aus, als Leslie es sich vorgestellt hatte. Im Licht des Morgens glänzte die flache, mit großen Glasflächen versehene Stahlhalle in einem weichen Grau. Das schicke, moderne Gebäude war der perfekte Rahmen für die darin ausgestellten kostspieligen Luxuskarossen. Direkt im Mittelfenster stand ein cremefarbener Rolls-Royce als Augenfänger, und gleich dahinter, etwas versetzt, ein auf Hochglanz gebrachter Mercedes Turbo. Rechts wurde das Trio von einer strahlend roten BMW-Limousine komplettiert. Leslie entdeckte nur einen Schreibtisch, aber es gab mehrere Gruppen aus bequemen Ledersesseln, die den Kunden größtmöglichen Komfort boten. Eine Ecke des Raumes wurde von einem großen Fernsehgerät beherrscht, und auf einem Tisch daneben befand sich ein Videorecorder mit einer beeindruckend großen Anzahl von Kassetten. Bei diesem Unternehmen spielten für die Verkaufsgespräche die Kosten offensichtlich keine Rolle. Leslies Kunden hingegen zogen es vor, sich lieber selbst hinter das Steuer zu klemmen und eine Probefahrt zu machen, als sich hinzusetzen und einen Film über das hochtechnisierte Innenleben eines Autos anzuschauen. Beim Aussteigen ließ Leslie den Blick über die Kolonnen nagelneuer Importautos schweifen, die in mehreren Reihen auf dem Grundstück geparkt waren. In allen Rückfenstern verkündeten Schilder die tausend Extras, die jedes dieser Modelle zu bieten hatte. „Alles Angabe", murmelte Leslie vor sich hin. Jetzt brach der Ärger durch, der seit dem vergangenen Abend an ihr genagt hatte. Als ob sie mit ihren armseligen Sprüchen Donahue Motors auch nur im geringsten hätte schaden können! Aber wenn Sam Krieg wollte, dann sollte er ihn haben. Leslie griff in ihr Auto und nahm ein großes, rundes Paket vom Beifahrersitz. Dann richtete sie sich auf, straffte die Schultern und ging entschlossen in die Halle. „Kann ich Ihnen behilflich sein?" Der Mann, der sie ansprach, war jung, braungebrannt und sehr zuvorkommend. Leslie sah ihn kühl von oben bis unten an. „Wo kann ich Sam Donahue finden?" „Ich glaube, er ist in seinem Büro." Der Verkäufer blickte zu einem Korridor, der im Hintergrund des Raumes zu sehen war. „Wenn Sie möchten, schaue ich nach, Miss . . .?" „Lassen Sie nur." Leslie war schon auf dem Weg. „Ich werde mich selbst anmelden." Die ersten vier Türen im Gang standen offen. Dahinter lagen Büros und ein Konferenzzimmer. Die letzte Tür am Ende war geschlossen. Leslie klopfte einmal laut an, öffnete die massive Holztür und trat ein. Sam Donahue saß hinter einem Schreibtisch an der gegenüberliegenden Seite des Zimmers. Er hielt den Kopf gesenkt und konzentrierte sich auf einige Unterlagen, die er vor sich ausgebreitet hatte. Das Jackett hatte er ausgezogen und über das Armpolster einer Sitzlandschaft geworfen, die sich über eine Wandlänge hinzog. Seine Krawatte war gelockert und der oberste Knopf seines Hemdes geöffnet. Er war sichtlich nicht auf Besuch vorbereitet. Als Leslie in sein Büro kam, blickte Sam kurz hoch und sah dann ein zweites Mal genauer hin. Bis dahin hatte er mit den Fingern leicht auf den Schreibtisch getrommelt, jetzt jedoch hielt er abrupt inne. Seine grauen Augen konnten die Überraschung nicht verbergen, die er, wie Leslie wusste, am liebsten vor ihr verheimlicht hätte. Der Eindruck, den sie früher von ihm gewonnen hatte, stimmte – Sam gehörte nicht zu den Männern, die leichten Herzens auf einen Vorteil, und sei er auch noch so klein, verzichteten. Er begann zu lächeln und wollte aufstehen, doch Leslie ging schnell auf ihn zu, um ihn von beidem
abzuhalten. „Hier", sagte sie und stellte ihr Paket mitten auf den Schreibtisch. „Das ist für Sie." Fragend sah Sam es an. „Was ist das?" „Ein Kuchen. Zur Begrüßung als Nachbar." Fast hätte Sam gelacht, wäre ihm nicht klar gewesen, welch großen Fehler er damit begehen würde. So räusperte er sich nur und sagte: „Danke." „Gern geschehen", erwiderte Leslie bissig. Obwohl sie es nicht hinzufügte, hing der Satz „Ich hoffe, Sie ersticken daran" unausgesprochen zwischen ihnen in der Luft. Sam betrachtete das Geschenk und fand, es war eine ganz neue Art, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Als er sie zuerst in der Tür auftauchen sah, hatte er angenommen, Leslie habe seine Werbung gesehen. Aber nun... Zu seiner Verstimmung merkte Sam, dass er zum erstenmal im Leben nicht wusste, was er denken solle. „Gestern abend war ich bei meiner Schwester." Leslie kreuzte die Arme vor der Brust und starrte betont verärgert auf den Kuchen. „Stellen Sie sich unsere Überraschung vor, als wir Sie im Fernsehen sahen. Meine Schwester warf nur einen Blick auf Ihr Bild und meinte, sie müsse unbedingt einen Kuchen für Sie backen. Wirklich, nachdem sie einmal in Ihr lächelndes Gesicht geschaut hatte, sprach sie den ganzen Abend über von nichts anderem!" „Ich fühle mich geschmeichelt." Sam gab es auf, die Zusammenhänge zu begreifen, und wartete ab, was das Ganze sollte. „Dazu besteht kein Grund. Immerhin kennt Marete Sie nicht und hat Sie lediglich gestern abend zum erstenmal in der Werbung gesehen." Ach ja, sein Werbefilm. Sam hatte geahnt, dass es darauf hinauslaufen würde. Unter normalen Umständen hätte er das Thema für gefährlich gehalten. Aber jetzt, bei dieser neuen Situation, erschien ihm der Gedanke an ein geschäftliches Gespräch beinahe unverfänglich. „Wie finden Sie den Spot?" fragte er und überlegte, ob Leslie ihm nur eine höfliche Antwort geben würde. Doch das tat sie nicht. „Natürlich habe ich ihn gehasst. Das war ein übler Trick, Sam." „Nicht übler, als ein paar andere, die ich in letzter Zeit gesehen habe." „Ganz bestimmt war es das!" „Wirklich? Wieso?" Leslie beugte sich vor und stützte die Hände auf die Schreibtischkante. „Sie deuten an, meine Autos seien nur zweitklassig." „Und Sie", entgegnete Sam ruhig, „deuten an, meine seien überteuert." Seine Gelassenheit erregte Leslies Zorn nur noch mehr. Sie richtete sich mit königlicher Würde auf. „Das musste ich nicht erst andeuten – es stimmt!" „Nun?" „Nun was?" „Was ich sagte, stimmt genauso. Wenn ich mich richtig erinnere, ist der Ausdruck zweitklassig nie über meine Lippen gekommen." Wieder einmal merkte Sam, dass es Leslie Vanderholen gelungen war, genau zu wissen, wie sie ihn zu nehmen hatte. Und wieder stellte er fest, wie sehr er es genoss. Und ihren Anblick auch. „Um ehrlich zu sein, begreife ich nicht ganz, worüber Sie sich so aufregen..." Leslie bekam große Augen. „Um damit anzufangen, dieser Werbefilm war eine Verletzung meiner Privatsphäre." Im stillen nickte Sam. Er fragte sich, ob Leslie eigentlich wusste, wie gut ihr kurzer, enger Rock ihre knackigen Kurven zur Geltung brachte. „Ganz zu schweigen von dem unfairen Geschäftsgebaren..." Oder die Art, wie dadurch die Länge ihrer hübschen, schlanken Beine betont wurde. Trug sie die flachen Schuhe der Bequemlichkeit wegen? Oder wollte sie dadurch kleiner wirken...
„Sam!" Er zwinkerte einmal und sah hoch. „Hören Sie mir überhaupt zu?" „Selbstverständlich." „Nun", fuhr Leslie gereizt fort, „da es offenbar beim erstenmal keinen großen Eindruck auf Sie gemacht hat, wiederhole ich noch mal, was ich soeben sagte. Wenn Sie nicht umgehend die Sendung dieses Films unterbinden, beabsichtige ich, mich mit meinem Anwalt wegen einer Klage in Verbindung zu setzen." Sam legte die Hände auf die Armlehnen seines Sessels und drückte sich langsam hoch. Er hatte Leslie lange genug gestattet, Herr der Situation zu sein, vielleicht zu lange, wenn er bedachte, welche Wendung das Gespräch nahm. „Das würde ich nicht", sagte er ruhig. „Ich erinnere mich nicht, Sie um Ihre Meinung gebeten zu haben." „Ganz recht. Ich warte auch nie, bis ich gefragt werde." Sam kam um den Schreibtisch und zog einen Sessel von einer Wand heran. „Hier", sagte er und stellte ihn neben den Schreibtisch. „Setzen Sie sich." Ohne nachzudenken folgte Leslie der Aufforderung. Dann sah sie verblüfft, dass Sam zur Tür ging. „Aber…" „Bin gleich wieder da." Und schon war die Tür hinter ihm zugefallen. Wie konnte Sam so einfach verschwinden? Für wen hielt er sich eigentlich, sie so mir nichts dir nichts sitzen zu lassen? Glaubte er wirklich, sie würde geduldig warten, bis er es für richtig hielt, wieder aufzutauchen? Anscheinend doch. Es war klar, das Gespräch war noch nicht beendet. Bis jetzt war ja noch gar nichts erreicht worden. Eigentlich war Leslie über die Unterbrechung nicht böse. Sams Büro war keineswegs klein, doch in Sams Gegenwart hatte sie sich beengt gefühlt. Es hatte sie Mühe gekostet, den sorgfältig geplanten scharfen Unterton in ihrer Stimme beizubehalten, und noch mehr Anstrengung, ihre Aufmerksamkeit aufs Geschäftliche zu konzentrieren. Aber sie war alt genug, um es besser zu wissen. Doch leider war Alter kein Schutz vor dem starken Gefühl des Hingezogenseins, das Leslie immer dann empfand, wenn Sam in der Nähe war. Sie konnte nichts dagegen tun, und das war das Problem. Wenn sie vor einer Sache Angst hatte, dann davor, jetzt ihre Beherrschung zu verlieren. Seufzend lehnte Leslie sich zurück und wunderte sich, wohin Sam gegangen sein mochte. Er war weggegangen, nachdem sie ihm mit der Klage gedroht hatte. Wenigstens damit war es ihr gelungen, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Zweifellos war er jetzt bemüht, selbst etwas zu finden, mit dem er sie angreifen konnte. Was immer es sein würde, sicherheitshalber sollte sie darauf vorbereitet sein. Sie schrak zusammen, als hinter ihr eine Bewegung zu hören war. Leslie drehte sich um und sah Sam, der die Tür mit einer Schulter aufdrückte, weil er die Hände voll hatte. Leslie hatte damit gerechnet, er würde mit Unterlagen oder einer Videocassette zurückkommen. Statt dessen trug er Servietten, ein Messer und zwei Kaffeetassen. „Darf er schwarz sein?" fragte er, während er sich vorsichtig wieder in seinen Sessel setzte. Leslie nickte automatisch. Ohne auf ihren ungläubigen Gesichtsausdruck zu achten, packte Sam das Paket aus. Ein Kuchen mit dickem Schokoladenguss kam zum Vorschein. Sam hielt die Hand mit dem Messer darüber. „Ein großes oder ein kleines?" Das konnte nur ein Witz sein. Erwartungsvoll schaute Sam hoch. „Nun?" „Ich möchte nichts." „Auf Diät?" fragte er mitfühlend, doch um seine Lippe spielte ein verführerisches kleines Lächeln. „Nein", erwiderte Leslie kurz angebunden. „Verärgert." „Das sehe ich."
Sam schnitt zwei dicke Stücke ab, legte jedes auf eine Serviette und schob eine Leslie zu. „Verdammt noch mal, Sam, Sie nehmen mich nicht ernst!" „Im Gegenteil. Ich nehme Ihre Haltung sehr ernst. Nur Ihre Drohungen können mir nicht imponieren, besonders nicht, da ich selbst vor zwei Wochen mit dem Gedanken an eine Klage gespielt und ihn verworfen habe. Natürlich können Sie, wenn Sie wollen, einen Prozess anstrengen, aber Sie haben nicht die geringste Chance auf Erfolg, und das wissen Sie so gut wie ich." Selbstverständlich hatte er recht. Leslie hatte Sams Werbung mit scharfen Augen angesehen, und so war sie nicht überrascht, dass er beim Filmen ihres Verkaufsgeländes genauso vorsichtig vorgegangen war wie sie bei ihm. Sie hatte ihm diese Bemerkung nur an den Kopf geworfen, weil sie wütend war. Und Sam, der Teufel solle ihn holen, hatte keine Sekunde gezögert, den Spieß umzudrehen. Sam wartete darauf, dass Leslie zu essen anfing. Als sie nach einem Moment den Kuchen immer noch ignorierte, zuckte er nur mit den Schultern, nahm ein Stück auf seine Gabel und führte sie zum Mund. Mitten in der Bewegung hielt er inne, als sei ihm plötzlich etwas eingefallen. Leslie bemerkte das kurze Zögern und lächelte. „Sie fragen sich, zu welcher Niederträchtigkeit ich wohl fähig bin, nicht wahr? „Der Gedanke ist mir gekommen." „Keine Angst, im Kuchen ist kein Gift. Das Schlimmste, was Ihnen passieren kann, ist ein Zuckerrausch und Karies." Sam glaubte ihr, obwohl er nicht recht wusste, warum. Nach den vorhergehenden Erfahrungen mit ihr hätte er angenommen, sie wollte ihm unbedingt Ärger machen. Langsam schob er die Gabel zwischen die Lippen und ließ den Bissen auf der Zunge zergehen. Der Kuchen war feucht und weich, und der Guss schmeckte süß und köstlich. „Wundervoll", sagte Sam und spießte das nächste Stückchen auf die Gabel. „Übermitteln Sie dem Chefkoch meine Komplimente." „Danke", antwortete Leslie. Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf ihr unberührtes Stück Kuchen, griff nach ihrer Handtasche und stand auf. „Sie haben ihn gebacken?" Sam schaute sie verblüfft an. Leslie presste die Lippen zusammen, sonst hätte sie gelächelt. „Sie sind eine Frau voller Überraschungen, Leslie." Leslie war bereits auf dem Weg zur Tür, doch kurz davor blieb sie stehen. „Dieses Kompliment ist so alt, dass es einen Bart hat." Sam zog die Brauen hoch. „Komisch, dass Sie glauben, ich hätte Ihnen ein Kompliment machen wollen." „Ich finde wirklich nichts Komisches an unserer Beziehung", erwiderte sie. Jetzt glitt ein Lächeln über Sams Gesicht, ein langsames, träges Lächeln, das sich ausbreitete und kleine Lachfältchen um die Augen sehen ließ. Unwillkürlich schloss Leslie die Finger fester um den Türgriff, als sie plötzlich und unerwartet Wärme in sich aufsteigen fühlte. Der Schlag ihres Herzens kam ihr auf einmal ungeheuer laut vor. Mit einem beinahe verzweifelten Ruck riss sie die Tür auf und ging durch den Korridor. Sie bewegte sich mit raschen Schritten, aber sie war nicht schnell genug, um den Worten zu entgehen, die Sam ihr nachrief. „Das", sagte er mit Genugtuung, „macht das Ganze ja so reizvoll." Leslie hatte einen unglaublich arbeitsreichen Vormittag hinter sich. Jetzt saß sie an ihrem Schreibtisch und wickelte das Sandwich aus, das sie sich zum Lunch mitgebracht hatte. Als das Telefon läutete, griff sie geistesabwesend danach, nahm ihren Ohrring ab und klemmte sich den Hörer ans Ohr. „Leslie? Hier ist Sam." Er hätte seinen Namen nicht nennen müssen. Leslie hatte das wunderbare, tiefe Timbre
seiner Stimme sofort erkannt. Sie setzte sich aufrechter in ihren Sessel. „Ja?" fragte sie vorsichtig. „Ich rufe wegen Ihres Besuches heute morgen an. Wir sind gar nicht dazu gekommen, irgend etwas zu klären..." „Das war wohl kaum meine Schuld!" unterbrach Leslie ihn. Eine Sekunde verstrich, und dann hörte sie Sam seufzen. Es klang irgendwie resigniert, fast so, als könne er nicht begreifen, weshalb sie es für richtig hielt, ständig die Kommunikation zwischen ihnen zu erschweren. Plötzlich wunderte Leslie sich selbst darüber. „Hören Sie, ich rufe nicht an, um jemandem die Schuld zu geben", sprach Sam langsam weiter. „Ich dachte mir nur, wenn wir es noch einmal versuchen, würde es vielleicht ein bisschen besser gehen." „Noch einmal versuchen?" wiederholte Leslie. Sie konnten miteinander reden, bis sie schwarz wurden, aber das hieß noch lange nicht, dass sie beid e je einer Meinung sein würden. „Ich möchte mich für den Kuchen revanchieren. Kommen Sie heute abend mit mir zum Dinner, Leslie, und dann können wir uns unterhalten, wirklich unterhalten. Keine Sticheleien, keinen Streit, nur zwei Nachbarn, die versuchen, auf freundliche Art ein Missverständnis zu bereinigen." Obwohl Leslie der Gedanke kam, sie müsse eigentlich ablehnen, zog sie das nicht in Betracht, nicht einmal einen Augenblick lang. Es gab noch zu viele Dinge, die zwischen ihnen beiden ungeklärt waren. Und wenn sie berücksichtigte, wieviel Zeit sie letzthin darauf verwendet hatte, über Sam nachzudenken, konnte es sein, dass das Geschäftliche dabei ganz zum Schluss kam. „Leslie?" „Entschuldigung, ich war in Gedanken." „Falls es heute abend nicht geht..." „Doch, heute abend passt es wunderbar. Ich würde sehr gern mit Ihnen essen gehen, Sam." „Gut." Sam schrieb sich ihre Adresse auf, und sie verabredeten einen Zeitpunkt. Als Leslie den Hörer auflegte, merkte sie, dass Sie bereits überlegte, was sie anziehen sollte. Aber dann hielt sie sich vor, dass es nur ein Dinner in aller Freundschaft sein würde. Sams Einladung war lediglich als nachbarschaftliche Geste zu verstehen, um ihnen die dringend notwendige Gelegenheit zu geben, sich in Ruhe hinzusetzen und ihre Probleme zu klären. Gewiss, hörte Leslie eine innere Stimme sagen, genau das dachten die Trojaner, als sie das riesige Holzpferd in ihre Stadt holten.
4. KAPITEL
Leslie hatte beabsichtigt, um fünf Uhr Schluss zu machen, damit ihr genügend Zeit blieb, nach Hause zu kommen und sich auf die Verabredung mit Sam vorzubereiten. Doch überraschenderweise hatte ein unerwarteter Ansturm von Kunden sie aufgehalten, und so war es sechs, bis der letzte Interessent zufriedengestellt worden war und sie das Büro abschließen konnte. Nachdem sie sich durch den starken Berufsverkehr gekämpft und ihr Auto in der Auffahrt neben ihrem kleinen viktorianischen Haus geparkt hatte, war sie völlig genervt und mehr als nur ein bisschen nervös. Das war bestimmt kein gutes Omen für den kommenden Abend. Sie lief die Stufen zur Vorderveranda hoch und wollte eben den Schlüssel ins Schloss stecken, als sie merkte, dass die Tür aufstand. Nach einem leichten Schubs mit den Fingerspitzen öffnete sie sich ganz. Der Lärm einer Komikserie, die sich jemand bei voller Lautstärke im Fernsehen ansah, drang ihr entgegen. „Hallo?" rief Leslie und blieb zögernd auf der Schwelle stehen. „O wie gut, dass du da bist!" Die Worte waren noch gar nicht richtig in ihr Bewusstsein vorgedrungen, als der Junge, der sie ihr zugerufen hatte, im Türrahmen auftauchte, ein großer, schlaksiger Bursche mit dichtem weizenblonden Haar. Er stürmte in den Korridor, war mit drei großen Schritten beim Eingang, hob Leslie hoch und wirbelte sie strahlend im Kreis herum. „Ken!" brachte Leslie endlich heraus, nachdem sie unsicher wieder auf den Füßen gelandet war. „Wieso bist du nicht in der Schule? Ist etwas nicht in Ordnung?" „Quatsch, alles ist bestens." „Warum bist..." „Du weißt doch, wie es ist, im College zu pennen. Manchmal muss man sich einfach für eine Nacht absetzen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich es mir hier gemütlich gemacht habe." „Natürlich nicht", antwortete Leslie schwach, während sie ihm ins Wohnzimmer folgte, den Raum durchquerte und den Lautstärkeregler an ihrem kleinen TV-Gerät leiser drehte. „Wie bist du hereingekommen?" „Problemlos. Mom und Dad haben ihren Zweitschlüssel immer auf dem Sims in der Garage aufgehoben. Das war die erste Stelle, wo ich nachsah." „Toll", murmelte Leslie. Sie war nicht unglücklich, ihren Bruder zu sehen. Familienbesuche, so unerwartet sie auch sein mochten, waren immer ein Vergnügen. Nur heute abend hatte sie leider etwas anderes im Sinn. „Ken", eröffnete sie ihrem neunzehnjährigen Bruder, „ich kann dir nicht Gesellschaft leisten, weil ich ausgehe. Ich habe eine Verabredung." „Eine Verabredung?" Ken sprang von der Couch hoch, auf die er sich hatte fallen lassen, und kam hinter Leslie die Treppe hoch. „Mit wem?" Leslie warf ihm über die Schulter einen vorwurfsvollen Blick zu. „Niemand, den du kennst." „Wie heißt er?" fragte Ken beharrlich. Sie waren in Leslies Schlafzimmer angekommen, und nun plumpste er auf ihr Bett. „Sam", antwortete Leslie geistesabwesend, während sie die Schranktür öffnete und prüfend ihre Garderobe betrachtete. „Klingt schrecklich." „Oh?" Leslie nahm ein marineblaues Leinenkleid heraus und warf es über eine Stuhllehne. „Wieso?" „Ich wette, mit so einem soliden, kreuzbraven Namen ist der Typ bestimmt vierzig und kahlköpfig." „Falsch. Er ist zweiunddreißig und sieht prima aus." „Warum, in aller Welt, willst du dann dieses Ding anziehen?" Überrascht wirbelte Leslie herum „Und was stimmt damit nicht?"
Ken hob den Zipfel des Leinenkleids an und ließ ihn verächtlich wieder fallen. „Wenn ein Mädchen zu einer Verabredung mit mir in so einem Ding käme, wüsste ich, dass ich in Schwierigkeiten bin." Leslie warf ihm einen Blick zu. „Ich habe die meisten deiner Freundinnen gesehen, Ken. Glaub mir, du bist in Schwierigkeiten." „Aber wenigstens rennen die nicht in Klamotten herum, auf denen 'Anfassen verboten' steht." „Dann ist das für mich genau richtig", sagte Leslie fest. „Das ist eine geschäftliche Verabredung." „Eine geschäftliche Verabredung?" spottete Ken. „Wenn ich alles glaube, aber das nicht! Warum gehst du dann überhaupt mit dem Typ aus und schickst ihm nicht einfach ein Memo?" Ja, warum eigentlich nicht? fragte Leslie, während sie sich bis auf die Unterwäsche auszog. Die naheliegende Antwort war natürlich, weil Sam sie eingeladen hatte. Aber der wirkliche Grund lag viel tiefer. Aber wenn Leslie sein Benehmen unverfroren und sein Geschäftsgebaren störend fand, war Sam doch der interessanteste Mann, den sie seit langem kennengelernt hatte. Vielleicht würden sie nie Freunde werden. Oder ihre Beziehung würde vielleicht ganz anderer Natur sein. Wie auch immer, Leslie wollte keineswegs die Gelegenheit verpassen, das herauszufinden. „Hier", sagte Ken. Als Leslie hochsah, hielt er eines ihrer Lieblingskleider in der Hand, ein Kleid aus schimmernder, mohnroter Seide. „Zieh das an." „Du bist genauso schlimm wie Marete", murmelte sie, nahm ihm das Kleid aus der Hand und warf es auf das marineblaue Leinenkleid. „Wenn du dich schon nützlich machen willst, dann geh nach unten und räum auf, bevor Sam hier ist. Ich will unter die Dus che." „Klar, lass dir Zeit. Wenn er da ist, werde ich ihn mit dem größten Vergnügen an deiner Stelle unterhalten." Kens Bemerkung hätte ihr eine Warnung sein müssen, wie Leslie zwanzig Minuten später merkte, während sie die Treppe hinunterlief. Sie kam eben aus der Dusche, als es an der Haustür klingelte, und ihr war keine andere Wahl geblieben, als Ken beim Wort zu nehmen und ihm für ein paar Minuten die Rolle des Gastgebers zu überlassen, während sie sich anzog und schminkte. Doch nun, beim Klang des Gelächters, das ihr aus dem Salon entgegenhallte, fragte Leslie sich, ob sie nicht einen Fehler begangen hatte. Die beiden Männer verstanden sich offenbar prächtig. Leider kannte Leslie die eigenartige Auffassung ihres Bruders von Humor zur Genüge, um das für ein gutes Zeichen zu halten. Auf der Schwelle zum Wohnzimmer blieb sie stehen. Sam und Ken saßen Seite an Seite auf der Couch. Ein großes Buch lag geöffnet vor ihnen auf dem Tisch. Leslie war nicht begeistert, als sie sah, dass die beiden sich ein Foto aus ihrem Jahrbuch der fünften Klasse anschauten, auf dem sie mit Zahnklammem und Zöpfen abgebildet war. Dann schaute sie wieder hoch, und Sams und ihr Blick trafen sich. In seinen Augen las sie Belustigung und noch etwas anderes – Vergnügen, wie ihr schien, und ihr Herz machte einen kleinen Sprung. Die Röte stieg ihr in die Wangen, und ihr ganzer Körper schien von einer warmen Welle überflutet zu werden. Plötzlich wünschte Leslie, sie hätte ihrem ersten Impuls nachgegeben und das marineblaue Leinenkleid angezogen. Das rote Seidenkleid war viel zu weich, zu schmiegsam, und die Farbe viel zu auffallend..." „Sie sehen zauberhaft aus", sagte Sam herzlich. Er stand auf, und das Jahrbuch blieb unbeachtet auf dem Tisch liegen. „Danke", brachte Leslie heraus. Sie machte einige Schritte auf ihn zu und zögerte dann. Ihm einen Kuss zu geben, war ganz und gar nicht angebracht, aber ihm die Hand zu schütteln, erschien ihr auch nicht richtig. Sie atmete tief durch und entschied sich für etwas Unverfänglicheres. „Kann ich Ihnen einen Drink anbieten?" „Hab' ich schon", warf Ken ein. „Er ist nicht durstig." Leslie warf ihrem Bruder einen
Seitenblick zu, mit dem sie ihm bedeutete, er solle verschwinden. Ken ignorierte ihn einfach. „Ich habe Sam eben ein paar alte Fotos gezeigt." „Das sehe ich." Leslie trat an den Tisch und klappte das Jahrbuch zu. „Ich bin sicher, er war ganz hin und weg." „Das Bild, wo du Feldhockey spielst, gefiel ihm am besten." Leslie schloss die Augen und unterdrückte ein Aufstöhnen. „Es zeigt eine ganz andere Seite von Ihnen, die ich bis jetzt noch nicht kennengelernt habe", meinte Sam, und seine Stimme hatte einen amüsierten Unterton. „Sie sehen so grimmig aus, wenn Sie einen großen Schläger in der Hand halten." „Und manchmal sogar dann", erwiderte Leslie mit einem zornigen Blick auf ihren Bruder, „wenn das nicht der Fall ist." „Ist das Kleid nicht toll?" plapperte Ken fröhlich weiter. „Ich habe es selbst ausgesucht." „Ja, wirklich", stimmte Sam ihm zu. Er ließ seinen Blick von oben nach unten über Leslie schweifen und wieder zurück. „Suchst du viele von Leslies Kleidern aus?" „Nein, das tut er nicht", entgegnete Leslie nachdrücklich. Es wurde Zeit, dass sie sich zusammenriss und dieses Gespräch unter Kontrolle bekam. „Können wir gehen?" „Natürlich." Zu Leslies Überraschung ergriff Sam ihre Hand, verschränkte seine Finger mit ihren und drückte sie sanft. Sie blickte hoch und schaute Sam direkt ins Gesicht, das ihr auf einmal irgendwie verändert erschien. Leslie spürte ein Kribbeln im Magen, weil ihr an diesem Abend alles irgendwie anders zu sein schien. Ganz Kavalier, brachte Ken die beiden zur Tür. „Nun", fragte er, „wo geht ihr eigentlich hin?" „Zu mir", antwortete Sam. Obwohl Ken die Frage gestellt hatte, richtete Sam die Antwort an Leslie. „Sie haben für mich gebacken, und da dachte ich, es sei nur recht und billig, wenn ich mich dafür revanchiere und für Sie koche." Sie lächelte ihn herzlich an. „Das klingt wundervoll." „Und ob! Gleich bei der ersten Verabredung", sagte Ken bewundernd. „Sie legen sich aber mächtig ins Zeug." Leslie sah ihren Bruder an, und wenn Blicke hätten töten können, dann wäre er jetzt tot umgefallen. Rasch versuchte er, den Schaden wiedergutzumachen. „Kommen Sie nicht auf falsche Gedanken", platzte er heraus. „Mit meiner Schwester ist das nicht so einfach!" „Glaub mir", antwortete Sam auflachend. „Einfach wäre das letzte Wort, auf das ich im Zusammenhang mit deiner Schwester verfallen würde. Im Gegenteil, bis jetzt hat sie sich als die schwierigste Frau herausgestellt, die ich je getroffen habe." „Vergessen Sie nicht, was Sie da eben gesagt haben", riet Leslie ihm. „Falls das nämlich ein Anzeichen dafür sein sollte, welchen Verlauf der Abend nehmen wird, sollten Sie sich besser daran erinnern." Als sie auf die Veranda kam, sah Leslie eine n silbergrauen BMW am Bordstein parken. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, ging sie darauf zu. Bis sie beim Wagen war, hatte Sam sie eingeholt. Er hielte ihr die Tür auf, und Leslie stieg ein. „Eins wollen wir mal klarstellen", sagte Sam, während er sich hinter das Steuer setzte. „Ich habe nicht vor, uns den Abend durch frühere Missverständnisse verderben zu lassen. Heute abend sollten wir uns wie gute Nachbarn verhalten. Wir werden uns unterhalten und miteinander auszukommen versuchen." Er ließ den Motor an und warf Leslie einen Blick von der Seite zu. „Selbst wenn es uns schwerfallen sollte", fügte er bedeutungsvoll hinzu. Leslie wusste nicht, ob sie lächeln sollte, aber dann konnte sie nicht anders. Das allein hätte ihr eine Warnung sein sollen. Unter den Umständen war es schon schlimm genug, dass sie sich körperlich zu Sam hingezogen fühlte. Sie konnte nur ahnen, wieviel gefährlicher die Situation werden würde, falls sie auch noch anfing, ihn gern zu haben.
Sie lehnte sich zurück und beobachtete Sam, wie er den Sportwagen in den fließenden Verkehr einreihte. Er fuhr mit der gleichen ruhigen Gelassenheit, mit der er alles andere im Griff hatte. Kein Zweifel, dieser Mann besaß eine Persönlichkeit, mit der man rechnen musste. „Ich mag Ihren Bruder", sagte er. Langsam hob sie den Blick zu seinem Gesicht. „Mit dieser Ansicht stehen Sie im Moment aber ganz allein da." Sam grinste. „Er wollte doch nur Ihr Bestes." Leslie zog eine Braue hoch. „War das der Grund, warum er mein hochheiliges Jahrbuch hervorgekramt hat?" „Eigentlich", räumte Sam ein, „hat er das erst später." „Und was war vorher?" „Vorher hat er mich über meine Erfolgsaussichten gelöchert, welche Absichten ich bei Ihnen hätte und meinen Gesundheitszustand." Leslie schluckte und setzte sich aufrecht hin. „Und was haben Sie ihm geantwortet?" „Dass er in allen drei Punkten ganz beruhigt sein kann." „Eines Tages werde ich ihn umbringen", sagte Leslie beiläufig, während Sam den Blinker betätigte und in die Einfahrt eines neuen Apartmentkomplexes einbog. „Wahrscheinlich hätte ich das schon vor Jahren tun sollen." „Sie sehen aber nicht wie jemand aus, der nachtragend ist." „Bin ich auch nicht", erwiderte Leslie seufzend. „Vermutlich ist das der Grund, warum Ken so lange überleben konnte. Wir Vanderholdens brausen unglaublich schnell auf, aber ebenso schnell legt sich unser Ärger auch wieder. Die Hälfte der Zeit fahren wir uns gegenseitig an die Gurgel, und die andere Hälfte tut es uns leid, dass wir uns nicht oft genug sehen." „Man sollte meinen, eine so große Familie wie Ihre hätte arge Schwierigkeiten, immer auf einen Nenner zu kommen, wenn Besuche geplant werden", sagte Sam, fuhr den BMW auf einen reservierten Parkplatz und hielt an. „Überhaupt nicht", erwiderte Leslie und machte ihre Tür auf. „Besuche sind uns wichtig, und deshalb bemühen wir uns, füreinander Zeit zu haben. Da wir außerdem alle hier in der Gegend wohnen, ist es kein solches Problem, wie Sie vielleicht denken." Während sie hinter Sam die Stufen hinaufging, fragte sie: „Und Sie – sehen Sie Ihre Familie sehr oft?" „So gut wie nie. Meine Mutter und mein Stiefvater sind vor fünf Jahren nach Arizona gezogen. Unser Kontakt beschränkt sich meistens aufs Telefon." Sam klang nicht so, als störe ihn dieser Zustand, über den Leslie ganz gewiss nicht erfreut gewesen wäre. Er öffnete die Tür und bat Leslie hinein. „Und Geschwister habe ich nicht..." „Keine?" Sam schüttelte den Kopf. „Nun, wahrscheinlich ist das die Erklärung dafür." Abwartend sah Leslie Sam an und fragte sich, ob er sich wohl seiner ähnlich lautenden Bemerkung entsinnen würde, als er gehört hatte, wie groß ihre Familie war. Zufrieden stellte sie fest, dass die Erinnerung in seinen Augen aufleuchtete. „Erklärung wofür?" fragte er vorsichtig. „Für Ihre Eigenart zu glauben, dass Sie alles besser wüssten. Offensichtlich hat man Sie als Kind nicht genug herumkommandiert." „Entweder liegt es daran", sagte Sam und zwinkerte boshaft, „oder ich weiß wahrscheinlich doch alles besser!" „Wer das glaubt!" Leslie lachte. Nicht zum erstenmal wünschte sie, Sam möge nicht so umwerfend attraktiv sein. Es wäre ihr leichter gefallen, ihren Zorn auf ihn zu bewahren, wenn er, wie Ken vermutet hatte, tatsächlich vierzig gewesen wäre und eine Glatze hätte. Aber Leslie wusste, dass sie die Wahrheit gesprochen hatte, als sie Sam erklärte, sie sei
nicht nachtragend. Ihre Einstellung war es, die passende Antwort zu geben, Dampf abzulassen und die Sache als erledigt zu betrachten. Bisher war sie damit immer gut gefahren, und es bestand kein Grund anzunehmen, dass es jetzt anders sein sollte. Sam schloss die Tür zu seiner Wohnung auf. „Eines muss ich Ihnen lassen." Leslie strahlte ihn an. „Falls die Düfte aus der Küche nicht trügen, dann können Sie wirklich kochen." „Ich esse gern. Das eine ergibt sich aus dem anderen", antwortete Sam bescheiden. Er wies auf das ein paar Stufen tiefer gelegene Wohnzimmer. „Gehen Sie hinein und machen Sie es sich bequem. Ich will nur schnell in die Küche und nachsehen, ob alles mit dem Essen in Ordnung ist." Sam ging in die eine und Leslie in die andere Richtung. Nach zwei Stufen stand sie auf einem weichen grauen Veloursteppich, dessen Farbe sie in Gedanken als rein zweckmäßig abtat. Die Wände waren cremefarben gehalten, im gleichen Ton wie die Ledercouch und der Zweisitzer, die sich an einem verchromten Tisch gegenüberstanden. Genau in der Mitte der Glasplatte stand eine kugelförmige Skulptur und sonst nichts. In einer Ecke befanden sich ein verloren wirkender einzelner Ledersessel und ein weiterer Glastisch. An der anderen Wand standen in einem Chromregal ein Fernseher und eine Stereoanlage. Lichtschienen verbreiteten gedämpfte Helligkeit. Das Ganze machte einen kargen, kalten und sehr technisierten Eindruck. Im ganzen Leben hatte Leslie noch nie einen so abscheulich unpersönlichen Raum gesehen. Kopfschüttelnd drehte sie sich um und fand es besser, in die Küche zu gehen. Wie immer die eingerichtet sein mochte, schlimmer als hier konnte es kaum sein. Sie hatte eben die Stufen erreicht, als Sam um die Ecke kam und die Treppe hinuntersprang. Da er Leslie zu spät bemerkte, stieß er durch den Schwung mit ihr zusammen. Instinktiv streckte er beide Hände aus und packte Leslies Schultern. Die gleiche Reaktion veranlasste sie, sich mit den Händen an seiner Taille festzuhalten. „Entschuldigung", sagte sie schnell. „Nein, es war meine Schuld." Sam merkte, dass er sie nur ungern loslassen würde, obwohl es nicht mehr länger nötig war. Der Druck ihrer Hände, die knapp über seinen Hüften lagen, war leicht und doch fest. In Gedanken tauchte ein Bild vor ihm auf... Leslie, die ihn voller Verlangen an sich zog... Doch so schnell, wie ihm dieses Wunschbild kam, war es auch schon vorbei, und nur ein angenehmes Wärmegefühl blieb zurück. „Ich stehe wieder fest auf den Beinen", sagte Leslie leise. Eigentlich hätte sie einen Schritt rückwärts machen sollen, aber irgendwie brachte sie das nicht fertig. „Sie können mich loslassen." „Sie mich auch", meinte Sam amüsiert. Langsam strich er mit den Daumen über ihre Schulter. „Wo wollten Sie hin?" „Ich... hm ..." Leslie holte Luft und runzelte die Stirn. Es war nicht ihre Art, zu vergessen, was sie sagen wollte. Aber es war auch etwas Ungewohntes für sie, dass jemand sie durch die Seide ihres Kleides streichelte und ihr ein Gefühl auf der Haut vermittelte, als müsse sie unter seiner Berührung dahinschmelzen. Sam lächelte. „Haben Sie mich vermisst?" „Ja…" fing Leslie an, besann sich dann aber eines besseren. „Nein..." Sie sah Sam in die Augen und entdeckte darin tiefes Verlangen. Enthüllten diese Augen sein Begehren, oder waren sie nur ein Spiegel ihres eigenen Verlangens? Dann glitt ihr Blick tiefer zu seinem Mund. Seine Lippen waren voll, fest und leicht geöffnet. Wie hypnotisiert merkte Leslie, dass sie nicht die Kraft besaß, ihren Blick abzuwenden. Sekunden verstrichen, und keiner vo n ihnen bewegte sich. Schließlich konnte Leslie die Spannung nicht länger ertragen. „Wollen Sie mich küssen oder nicht?" Sam sah sie einen Moment lang nachdenklich an. „Ich weiß es nicht", sagte er endlich. „Möchten Sie gern geküsst werden?"
Ja, Leslie sehnte sich danach, von ihm geküsst zu werden. Sie wollte, dass er sie an sich zog, sie gegen seine starke Brust drückte, sie in seinen Armen wiegte und küsste, bis sie alles um sich herum vergaß. „Nein", antwortete sie langsam. „Ich glaube nicht." Leslie löste sich aus seinem Griff und redete sich ein, nicht im mindesten wegen der Leichtigkeit, mit der Sam sie freigab, enttäuscht zu sein. Stirnrunzelnd ließ Sam sie einen Schritt zur Seite machen. „Sie glauben, nicht? Soll das ein Test sein?" Leslie schaute ihn überrascht an. „In welcher Hinsicht?" „Das müssen Sie mir sagen – Sie haben mir die Frage gestellt." „Ach, um Himmels willen!" entfuhr es Leslie. Sie wusste selbst nicht genau, was sie von Sam wollte. Und da sie sich ihrer eigenen Gefühle nicht sicher war, würde sie gar nicht erst versuchen, sie Sam zu erläutern. „Jetzt weiß ich, warum wir uns die ganze Zeit streiten." „Wirklich? Warum?" Sam sah, wie ihr die Röte in die Wangen stieg, ihre Brust sich erregt hob und senkte, und schob schnell die Hände in die Hosentaschen. Das war besser, denn sonst hätte er Leslie in die Arme genommen. „Weil Sie ein arroganter, eigensinniger Widerl..." „Vorsicht", warnte Sam sie. Zu seiner Erleichterung verspürte er jetzt mehr Belustigung als Begierde. „Ist das die Ausdrucksweise, die Sie in der Schule bei den Nonnen gelernt haben?" Leslie fluchte leise durch die Zähne. „Ich wusste, es würde ein Fehler sein, Ken auf Sie loszulassen." „Oh, das finde ich nicht. Mir hat der Streifzug durch Ihre Vergangenheit Spaß gemacht." Sein Lächeln wischte die letzten Reste von Leslies Verärgerung fort, bis sie nicht einmal mehr wusste, weshalb sie überhaupt so verstimmt gewesen war. „Ich mache Ihnen einen Vorschlag", sagte sie. „Sie vergessen, dass Sie dieses Jahrbuch je gesehen haben, und ich versuche, die Tatsache zu übersehen, dass Ihr Wohnzimmer..." Abrupt hielt sie inne, entsetzt über das, was ihr auf der Zunge gelegen hatte. „Was ist mit meinem Wohnzimmer?" Mit einem Blick vergewisserte sich Sam, dass der Raum nicht anders aussah als sonst auch. „Nichts", antwortete Leslie rasch. „Gehen wir essen." „Es gefällt Ihnen nicht", stellte Sam lakonisch fest. „Das habe ich nicht gesagt." „Das mussten sie auch nicht. Es stand Ihnen quer übers Gesicht geschrieben." „Es ist nicht so, dass es mir nicht gefällt. . ." „Was denn?" Leslie holte tief Luft und machte aus ihrem Herzen keine Mördergrube. „Ich hasse es." „Na also", sagte Sam, und seine Stimme klang gefährlich sachlich. „Das ist schon viel besser." „Sie begreifen mich nicht. Ich finde alles einfach so ... neu." „Ich verstehe", erwiderte Sam, obwohl er nichts begriff. „Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn ich mein Mobiliar bei der Heilsarmee erstanden hätte?" „Nein, natürlich nicht." Leslie schwieg und schaute sich noch einmal um. „Wenigstens glaube ich das nicht." „Wie beruhigend!" Leslie erkannte, dass sie sich Sam nicht verständlich machte. Plötzlich war es ihr ungeheuer wichtig, dass er begriff, worauf sie hinauswollte. „Der Raum hat keine Wärme, keine Ausstrahlung. Er sieht aus wie ein Hotelzimmer in einem Musterhaus, als würde hier überhaupt niemand wohnen." Bestürzt schaute Sam sich um. Ihm war nie aufgefallen, ob der Raum Wärme ausstrahlte oder nicht. Daran hatte er bislang keinen einzigen Gedanken verschwendet. Für
Sam war das Zimmer etwas rein Funktionelles, einfach ein Teil seiner Wohnung, die er brauchte. Sicher, ihm fehlte der hübsche, aber überflüssige Schnickschnack, den er bei Leslie gesehen hatte, doch in seinen Augen war das kaum ein Grund für diese scharfe Kritik. „Wo sind die Fotos?" fuhr Leslie fort und zeigte mit einer weit ausholenden Geste auf die leeren Abstellflächen. „Welche Fotos?" „Sie wissen schon, Fotos von Ihren Eltern, von Ihnen, aus der Collegezeit, oder Bilder, die Sie mit dem Hund der Familie zeigen oder als Baby auf dem Bärenfell." „Wir waren keine sehr anhängliche Familie. Außerdem habe ich ein Foto von meinen Eltern." Zu seiner eigenen Überraschung hatte Sam den Eindruck, er würde sich verteidigen. „Eins?" „Im Schlafzimmer." „Nun", räumte Leslie ein. „Das ist ja schon ein Anfang." Sam legte freundschaftlich den Arm um Leslies Schultern und drängte sie zur Küche. „Sehen Sie es mal von diesem Standpunkt: zumindest muss ich nicht in ständiger Furcht leben, die peinlichsten Augenblicke meines Lebens hervorgekramt und aller Öffentlichkeit vorgeführt zu sehen." Leslie lächelte. Damit hatte Sam nicht unrecht. „Ist das Essen jetzt fertig?" fragte sie, das Thema wechselnd. „Hmm. Hungrig?" „Ich komme um vor Hunger." „Gut." Sam führte sie zur Frühstücksecke am Ende der Küche, wo ein mit Kristallgläsern und modernem Porzellan hübsch gedeckter Holztisch stand. „Ich mag Leute, die meine Kochkünste zu würdigen wissen." Leslie war sicher, das Essen würde ihr schmecken. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, als sie die dampfenden Gerichte sah, die Sam auf den Tisch brachte. Sie hätte nicht erwartet, dass er sich in einer Küche so zu Hause fühlen würde. Der Mann, der in seinem Büro mit ihr gestritten, sie verärgert und wütend gemacht hatte, war ihr kaum wie ein häuslicher Typ vorgekommen. Offensichtlich war sie bei dieser Annahme einem Irrtum erlegen, denn Sam hatte hier, wie immer, alles fest im Griff, ohne auch nur eine Spur seiner männlichen Ausstrahlung einzubüßen, die sie wie ein Magnet anzog. „Essen Sie gern italienisch?" „Liebend gern." Leslie sog begierig den köstlichen Duft ein. „Kalbfleisch à la piccata?" „Und Fettucine Alfredo. Ich hoffe, es stimmt, dass Sie keine Diät machen?" Leslie beugte sich erstaunt vor, als ihr bei der Erwähnung des früheren Zusammentreffens ein neuer Gedanke kam. „Wo haben Sie nur die Zeit hergenommen, das alles vorzubereiten?" „Um die Wahrheit zu sagen, es gab nicht viel vorzubereiten." Sam füllte einen Teller mit den cremigen Nudeln und reichte ihn ihr über den Tisch. „Das wollte ich mir heute abend zum Essen machen, und deshalb hatte ich alle Zutaten. Ich musste nur die doppelte Menge nehmen." Mitten in der Bewegung zum Mund hielt Leslie mit ihrer Gabel inne. „Wollen Sie damit sagen, dass Sie jeden Abend in diesem Stil essen?" „Meistens." Sam zuckte mit den Schultern. „Ich sehe keinen Grund, beim Fernsehen einfach etwas aus der Tiefkühltruhe hinunterzuschlingen, nur weil ich allein esse." Leslie errötete verlegen und dachte daran, an wie vielen Abenden sie sich mit so etwas zufrieden gegeben hatte, wenn es sehr spät geworden war. „Sie werden einmal einen wundervollen Ehemann abgeben." „Vielleicht", sagte Sam leise. „Sie klingen nicht gerade so, als hätten Sie es mit einer Ehe sehr eilig."
„Möglich." Sam widmete sich wieder seinem Essen. „Vielleicht habe ich auch nur noch nicht die richtige Frau getroffen." Bis zum Ende des Essens und beim Aufräumen beschränkte Sam sich auf unverfängliche Themen, die nichts Persönliches an sich hatten. Leslie ging auf seinen Ton ein, und so kamen sie gut miteinander aus. Später, nachdem sie beide der Meinung waren, der Abend solle nicht zu lange dauern, und zu Leslie zurückfuhren, legten sie den Weg in freundschaftlichem Schweigen zurück. Als sie in die Einfahrt einbogen, sah Leslie, dass das Haus hell erleuchtet war. Sam nahm sie bei der Hand und ging mit ihr die Verandastufen hoch. Leise Rockmusik zeigte, dass Ken noch nicht schlafen gegangen war. „Ist Ihnen aufgefallen", wandte Leslie sich an Sam, „dass wir kein Wort übers Geschäft verloren haben?" Er legte ihr die Hand um das Kinn, und seine Finger ruhten warm und kräftig auf ihrer Haut. „Vielleicht war das ganz gut so." Leslie blickte fragend zu ihm hoch. „Wieso?" „Tu mir einen Gefallen", sagte Sam leise. Den ganzen Abend über hatte er Geduld gehabt, aber nun war es Zeit, den Dingen eine andere Wendung zu geben. „Stell einfach keine Fragen." Er senkte den Mund auf ihre Lippen, und Leslie schloss die Augen, während sie einen Schritt vorwärts machte und sich in Sams Arme schmiegte. Das Licht, die Musik, ihr Bruder – alles war vergessen, als sie sich der Süße von Sams Kuss hingab. Seine Lippen bedrängten sie weich, bis sie ihm ihren Mund warm und nachgiebig darbot. Sam drang prüfend, spielerisch mit der Zunge vor, zog sie jedoch zurück, als Leslie einladend den Kopf in den Nacken legte. Danach hatte sie sich schon zu Beginn des Abends gesehnt, als Sam sie in den Armen auffing. Und nun wusste sie, dass ihr Wunsch nicht falsch gewesen war, dass sie ein ebenso starkes wie unausweichliches Verlangen nach Sam verspürte. Ihr drehte sich der Kopf, und der erotische Reiz des Kusses benebelte ihr die Sinne. Mit einem leichten Aufstöhnen ließ sie sich von ihrer Erregung treiben, fühlte sich erhitzt und schwerelos in Sams Umarmung. Er zog sie näher und ganz eng an sich, bis ihre Körper sich voll aneinander schmiegten. Seine Hände glitten über Leslies Rücken, und mit den Fingerspitzen streichelte er sanft über die glatte Seide ihres Kleides. Leslie gab einen halberstickten Laut von sich, und Sam wusste, er wollte noch mehr. Er lief Gefahr, dass sein gesunder Menschenverstand ihn verließ. Im Moment war ihm das völlig gleichgültig. Kaum war ihm dieser Gedanke durch den Sinn geschossen, wurde ihm jedoch die Entscheidung aus der Hand genommen. Ein Geräusch im Korridor veranlasste Leslie, sich sofort aus seinen Armen zu lösen. Im nächsten Moment flog die Tür auf. „Oh, tut mir leid", sagte Ken. „Ich dachte, ich hätte einen Wagen gehört..." „Schon gut", unterbrach Leslie ihn, und Ken zog sich ins Haus zurück. Aber ihre romantische Stimmung hatte ein abruptes Ende gefunden. „Sam", fragte sie, „wirst du deinen Werbespot zurückziehen?" Sam sah sie an. „Nein. Und du?" Langsam schüttelte Leslie den Kopf. „Das freut mich zu hören", erwiderte Sam, während er die Stufen hinunterging. „Das freut dich?" rief Leslie ihm nach. Um Sams Lippen zeigte sich dieses unwiderstehliche, angedeutete Lächeln, das Leslie durch Mark und Bein ging. „Es wäre schade, wenn wir uns jetzt einigen würden, besonders da wir soeben herausgefunden haben, wie erfreulich die Verhandlungen sein können." Nur schade? dachte Leslie. Es wäre ein Verbrechen. Sie schüttelte den Kopf und ging ins Haus.
5. KAPITEL
In den folgenden vier Tagen nahm Leslie sich immer wieder fest vor, nicht an Sam Donahue zu denken, und trotzdem ging er ihr nicht aus dem Kopf. Mittlerweile hatte sie sich seinen Werbefilm – nur des Interesses halber, natürlich – zu allen Tageszeiten und auf allen Kanälen angesehen, und nie konnte sie den Blick von Sams Gesicht lassen. Nervös trommelte sie mit den Fingern auf ihren Schreibtisch und starrte das stumm bleibende Telefon an. Sam hatte doch gesagt, er fände die Verhandlungen mit ihr erfreulich. Warum meldete er sich dann nicht, damit sie weiterverhandeln konnten? Aber wenn er nichts von sich hören ließ, dann würde sie ihn eben anrufen müssen. „Donahue Motors", antwortete eine forsche Stimme nach dem ersten Klingeln. „Sam Donahue, bitte", sagte Leslie und nannte ihren Namen. In der Minute, die es dauerte, bis sie zu Sam durchgestellt wurde, beschloss Leslie, ihn zu einer Autoschau einzuladen, die am Wochenende in Willow Grove stattfand. Sie wollte sie ohnehin besuchen, und soweit Leslie wusste, hatte Sam das auch vor. Vielleicht war es an der Zeit, ihre Beziehung vom Geschäftlichen wegzubringen und zu versuchen, einen Tag auf neutralem Boden zu verleben und zu sehen, was sich daraus ergab. „Leslie?" klang ihr Sams Stimme entgegen. „Ich freue mich, dass du anrufst." Kaum hörte sie seine Stimme, war auch Leslie froh, dass sie angerufen hatte. Sie führten ein kurzes, aber zufriedenstellendes Gespräch. In weniger als zwei Minuten erfuhr Leslie, Sam habe die vergangenen drei Tage in Wilmington bei einem Symposium über Verkaufsstrategien verbracht, sei jedoch nie zu einer Autoschau gegangen und fände es schön, Leslie dorthin zu begleiten. „Ich werde einen Picknickkorb packen", schlug sie vor, „und wir können uns einen schönen Tag machen." „Wunderbar. Ich freue mich schon jetzt darauf." Ein Schritt weiter, dachte Sam, während er den Hörer auflegte. Mit ein bisschen Glück würde er jetzt genau herausfinden, wohin der Hase lief, ehe er sich bis über beide Ohren verliebte. „Erzähl mir was über diese Autoschau", bat Sam, nachdem Leslie ihn mit ihrem Honda abgeholt hatte und auf die Schnellstraße eingebogen war. „Ich vermute, es ist keine Ausstellung von Neuwagen?" „Ganz und gar nicht. Einige könnte man sogar für Museumsstücke halten, aber jedes für sich ist eine Besonderheit. Größtenteils sind sie im Besitz von Autonarren, die der Versuchung nicht widerstehen können, sie der Öffentlichkeit zu präsentieren, sich mit Gleichgesinnten zu unterhalten und einfach einen netten Tag zu verbringen." Beim Einlass kaufte Leslie zwei Eintrittskarten und lenkte den Honda dann auf den Parkplatz. Sam war nach der Erklärung, was ihn erwarten würde, eigenartig schweigsam geworden, und als sie nun ausstiegen, fragte Leslie sich, ob diese Einladung wirklich eine gute Idee gewesen sei. Obwohl sie sich eingeredet hatte, nur ihr Vergnügen an Sams Gegenwart habe sie dazu veranlasst, musste sie zugeben, dass auch noch ein anderes Motiv eine Rolle spielte. Es war Zeit, dass jemand Sams vorgefasste Meinungen ein bisschen erschütterte. Man musste ihm zeigen, dass nicht alles neu zu sein hatte, um Schönheit oder Wert zu besitzen. Und wenn ihr diese Aufgabe zufallen sollte, dann war es ihr recht. „Hier entlang." Leslie ging ihm zu einer größeren Fläche voran, wo bunte Fähnchen und Schilder die Reihen der ausgestellten Autos markierten. „Die Fabrikate stehen in alphabetischer Ordnung. Welche möchtest du gern sehen?" „Triff du die Auswahl", antwortete Sam. „Ich schließe mich dir an." Er ließ Leslie vorgehen und war zufrieden, ihr die Führung zu überlassen. Mit großen Augen wanderte sie von einem Ausstellungsstück zum anderen, blieb wiederholt stehen und bewunderte einen zweifarbig lackierten Wagen oder einen mit Breitreifen. Sam beobachtete sie und merkte, dass Leslie es ebenso selbstverständlich fand, sich
hinzuhocken und die schmalen Reifen eines Ford T-Modells zu begutachten, wie sie sich nicht zu schade sein würde, ihren Kopf unter die Haube eines 66er Camaro zu stecken. Sie unterhielt sich mit den Besitzern und stellte Hunderte von Fragen. Ob die Männer sich von ihrer geschmeidigen, femininen Figur verleiten ließen oder auf den eifrigen Charme ihrer Neugier reagierten, hätte Sam nicht mit Sicherheit sagen können. Das Ergebnis war das gleiche – in kürzester Zeit sahen die Aussteller in Leslie eine Gleichgesinnte, mit der sie frei und ungezwungen fachsimpeln konnten. Mit einem leichten Stich, der natürlich keine Eifersucht war, wie Sam sich einredete, beobachtete er, mit welcher Intelligenz und Liebenswürdigkeit Leslie diese Leute zu behandeln wusste. Gegen elf Uhr begann Leslie zu erkennen, welch großen Fehler sie gemacht hatte. Eine Stunde später hatte sie ihre Irritation überwunden und fing an, reizbar zu werden, denn Sam sprach kaum ein Wort, antwortete einsilbig, wenn sie das Wort an ihn richtete, und schien mehr und mehr die Sprache verloren zu haben. Er blickte gelangweilt in die Gegend, und hatte eine missbilligende Miene aufgesetzt. Mit einer gewissen resignierenden Enttäuschung schlug Leslie schließlich vor, zum Honda zurückzugehen, den Picknickkorb zu holen und, wie viele andere Leute auch, den Lunch im Freien einzunehmen. Im stillen schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel, der Tag möge nicht in einer völligen Katastrophe enden. Wenn Sam schon keinen Gefallen an der Ausstellung fand, würde er vielleicht wenigstens das Essen genießen. Unter einer hohen, schattigen Ulme fanden sie einen Platz, und Leslie breitete eine alte Armeedecke aus, die schon viele solcher Gelegenheiten miterlebt hatte. Dann setzten sie sich und packten den Korb aus. Leslie wartete, bis Sam den Wein eingeschenkt, sich von dem gebackenen Schinken und Käse genommen hatte und munter kaute. Dann forderte sie von ihm eine Erklärung. „Sag mir, was ich falsch mache." Sam sah überrascht auf. „Du? Nichts." Leslie krauste irritiert die Stirn. „Du langweilst dich hier zu Tode. Ich möchte wissen, warum." „Überhaupt nicht", fing Sam automatisch an und unterbrach sich dann. Es war erstaunlich, wie leicht Leslie erkannte, in welcher Stimmung er war. Erstaunlich und zugleich beunruhigend. Die meisten Frauen, die er gekannt hatte, waren viel zu sehr auf ihr eigenes Vergnügen konzentriert gewesen, als dass sie sich Gedanken gemacht hätten, wie er sich fühlte. „Ich würde nicht sagen, dass ich mich zu Tode langweile ..." Leslie nahm sich ein Stück französisches Brot und bestrich es mit Butter. „Und wie würdest du es nennen?" Sam suchte nach den passenden Worten, um ihr seinen Standpunkt zu erklären. „Wenn ich mich hier umsehe, dann komme ich mir wie ein Fisch auf dem Trockenen vor. Meine Interessen sind völlig anders gelagert." „Ich dachte, Autos interessieren dich." Leslie unternahm keinen Versuch, ihre Verärgerung zu verbergen. „Nur deshalb habe ich dich gefragt, ob du mitkommen wolltest. Aber das war natürlich, bevor mir klar wurde, dass du ein viel zu großer Snob bist, um dich einfach zu entspannen und die Dinge zu nehmen, wie sie sind." Sam meinte, die Kluft zwischen ihnen beiden sei noch nie so tief gewesen wie jetzt. Die kameradschaftliche Selbstverständlichkeit, mit der Leslie die Autobesitzer behandelt hatte, fand er zwar bewundernswert, aber er wusste nicht, wie er es ihr gleichtun sollte, selbst wenn er gewollt hätte. Doch deswegen war er noch lange kein Snob. „Gib es zu", sagte Leslie. „Der wahre Grund, warum du kein Interesse für diese Autos aufbringen kannst, ist, dass sie nicht frisch aus Europa vom Fließband gekommen sind, komplett mit Schutzbezügen über den Sitzen und riesigen Preisschildern." Sam begann, die Picknicksachen einzusammeln und sie wieder im Korb zu verstauen. „Wenn ich dadurch zum Snob werde, weil ich Wert auf bessere, neuere Dinge lege, dann kann ich es nicht ändern. Ich habe nie etwas Falsches darin gesehen, nur das Beste anzustreben und hart darum zu kämpfen, um es zu bekommen."
Schweigend räumten sie auf, und Leslie trug den Korb zum Wagen. „Möchtest du zurückfahren?" fragte sie, als sie wieder bei Sam war. „Jetzt sind wir einmal hier." Sam klang resigniert. „Da können wir uns ebensogut den Rest der Ausstellung ansehen." In der ersten Reihe, an der sie jetzt entlanggingen, standen Limousinen, die zum größten Teil aus den sechziger Jahren stammen mussten, wenn Sam sich nicht irrte. Als Leslie stehen blieb und sich angeregt mit dem Besitzer eines Ford Fairlane unterhielt, schlenderte Sam weiter. Am Ende der Reihe machte er automatisch kehrt und wollte in die nächste gehen, blieb jedoch abrupt stehen. Vor ihm stand, wenn schon nicht das schönste Auto, das er je gesehen hatte, dann doch ein Wagen, der dieser Vorstellung sehr nahe kam – ein 1960er Rolls-Royce Silver Shadow. Riesige Scheinwerfer und ein funkelnder Kühlergrill bildeten einen starken Kontrast zu der braungrauen Lackierung, und die berühmten Schwingen thronten stolz auf der Kühlerhaube. Einen Moment lang starrte Sam den Wagen wie gebannt an. Dann ging er, magisch davon angezogen, näher heran. „Ein schöner Wagen, nicht wahr?" Sam drehte sich zu dem Mann um, der neben ihn trat. „Das ist gewaltig untertrieben. Er ist ein Prachtstück. Ihrer?" Der Mann nickte. „Was dagegen, wenn ich mich mal reinsetze?" „Bitte, gern." Die Tür öffnete sich mit einer Leichtigkeit, die Bände über die Präzisionsarbeit dieses Fabrikats sprach. Sam beugte sich ins Innere und atmete den kräftigen, typischen Geruch der Lederpolsterung ein. Das mahagoniverkleidete Armaturenbrett glänzte mit der schimmernden Patina kostbaren, alten Holzes. Die fast dreißig Jahre alte Uhr, die natürlich aus der Zeit vor der Erfindung der Digitaluhren stammte, tickte nach wie vor. Die Funktionsanzeigen waren altertümlich, aber Sam in vieler Hinsicht wundervoll vertraut. Er richtete sich auf und begann lächelnd, Fragen zu stellen. So fand Leslie ihn zwanzig Minuten später. Kaum war sie um die Ecke der Reihe gekommen, sah sie den Wagen, der Sams Aufmerksamkeit erregt hatte. Ein Rolls-Royce, natürlich! Aber was für einer! Sie schlenderte näher und stellte sich neben Sam und den Besitzer, die derart in ein heftiges Fachgespräch vertieft waren, dass Leslie kaum ein Wort einwerfen konnte. Vielleicht war der Tag doch noch nicht ganz verloren. „Ich dachte schon, ich müsste dich anbinden und fortzerren", neckte sie Sam, als er sich eine Dreiviertelstunde später endlich zum Gehen anschickte. „Du hast doch verlangt, ich sollte mehr Anteilnahme zeigen." „Das ist richtig", stimmte Leslie ihm zu. „Ich bin froh, dass du endlich etwas gefunden hast, das dein Interesse auf sich zog." „Dieser Rolls war mehr als nur interessant, er war ein Kunstwerk." „Obwohl er alt war?" „Alter spielt dabei keine Rolle", fing Sam an und stockte. „Willst du mir einen Vortrag halten?" „Ich?" Leslie lächelte süß. „Natürlich nicht." „Komisch, ich hätte schwören können, du wolltest mir jetzt unter die Nase reiben: Das habe ich dir ja gleich gesagt!" „Ich bin nicht schadenfroh. Selbst dann nicht, wenn ich – wie so oft – recht habe." „Sei vorsichtig, was du sagst", warnte Sam sie in leisem, belustigtem Ton. „Sonst könnte ich gezwungen sein, dich daran zu erinnern, wie viele Fords und Chevys wir erst hinter uns bringen mussten, ehe wir einen Wagen fanden, der sehenswert war." Leslie reckte die Nase in die Luft. „Das hängt ganz davon ab, mit welchen Augen man die Sache betrachtet!" „Genau, und einige dieser Klapperkisten konnten nur in den Augen der Eigentümer sehenswert sein."
Um nicht zu lachen, räusperte Leslie sich hastig. Eigentlich wollte sie ja Sam ihren Standpunkt näherbringen, aber nun fing sie an, auch seinen zu verstehen. „Selbstverständlich hast du das Recht auf eine eigene Meinung. Was hältst du davon, wenn wir uns jetzt auf den Weg machen? Wir haben so gut wie alles gesehen." „So gut wie?" scherzte Sam, während sie zum Wagen gingen. „Ich glaube, wir haben trotz der enormen Ausstellungsfläche keinen einzigen Zentimeter ausgelassen." „Es macht sich bezahlt, gründlich zu sein. Stell dir vor, wenn wir nach dem Lunch gefahren wären, hättest du diesen Rolls nie gesehen." „Ich bin ganz sicher, das hätte ich überlebt." „Klar", erwiderte Leslie leichthin. „Aber was wäre mit mir gewesen? Ich fand es herrlich, dir zuzusehen, wie du dich in etwas Altes und Schönes verliebt hast. Vielleicht sind deine feinen Instinkte doch noch nicht ganz abgestorben." Sam streckte die Hand aus und wollte Leslie einen spielerischen Klaps versetzen, doch sie ahnte seine Absicht und wich ihm geschickt aus. Mit einem unverschämten Grinsen warf sie die Haare in den Nacken. „Deine Reflexe scheinen auch nicht mehr das zu sein, was sie einmal waren." „Soll das heißen, du findest mich alt?" „Natürlich nicht, nur langsam." „Ich werde dir zeigen, wie langsam ich bin!" drohte er, und Leslie rannte los. Sekunden später stürmte Sam hinter ihr her. Wie lange war es her, seit er mit einer Frau geflirtet, sich in der Gegenwart eines anderen Menschen zwanglos wohl gefühlt hatte? Aber er wollte nicht einfach irgend jemanden um sich haben. Ob Leslie Vanderholden es wusste oder nicht, sie war ein ganz besonderer Mensch, genau die Art Frau, die allein durch ihre Anwesenheit einen Unterschied im Leben ihrer Umgebung machte. Und auch in seinem Leben würde sie einen großen Unterschied machen. Es schien ihm, als habe es durch sie an Beschwingtheit, an Lebensfreude gewonnen, die für ihn ganz ungewohnt war. Diese plötzliche und klare Erkenntnis war so beunruhigend wie reizvoll. Er hatte Leslie eingeholt, wartete jedoch, bis sie beim Honda ankam. Dann sprang er lachend auf sie zu und hielt sie mit ausgestreckten Armen zwischen sich und dem Wagen fest. „Du hast verloren", erklärte sie ihm glatt. Mit lachenden Augen legte sie kokett den Kopf in den Nacken, sichtlich ihren Sieg genießend. Für Sam hatte sie nie schöner ausgesehen. „Oh, ich weiß nicht", sagte er leise. „Ich würde sagen, das hängt ganz davon ab, wie man die Sache betrachtet." Sams Lächeln war so warm, so voller Zärtlichkeit, dass Leslie, ohne darüber nachzudenken, einen Finger hob und den Schwung seiner Lippen nachzeichnete. Sie war völlig überrumpelt, als Sam plötzlich die Zunge herausstreckte. Überrascht schaute Leslie ihn an und hielt die Hand still. Mit einem Schritt war er bei ihr und zog sie in die Arme. Leslie drückte die Fingerspitzen gegen seine Brust und fragte sich unsicher, ob es besser sei, Sam fortzustoßen oder ihm seinen Willen zu lassen. Dann vergrub sie ihre Finger im Stoff seines Hemdes. Als Sam den Kopf neigte, stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um ihm näher zu sein. Beim fordernden Eindringen seiner Zunge in ihrem Mund verspürte sie eine Hitzewelle, die ihren ganzen Körper durchflutete. Die Glut der vom Himmel brennenden Sonne vermischte sich mit dem feurigen Verlangen, das heiß in ihr erwachte und unaufhaltsam von ihr Besitz ergriff, bis jeder ihrer Nerven vor Erregung zu vibrieren schien. Und der Kuss nahm kein Ende. Besessen von Sehnsucht und Begierde, die ihn mit ihrer Macht selbst erstaunten, hielt Sam Leslie an sic h gepresst. Er hatte das überwältigende Gefühl, nichts sei richtiger, als sie in seinen Armen zu halten, und sich ebenso hingebungsvoll an sie zu schmiegen wie sie an ihn. Seine Hand glitt über ihren Oberkörper und blieb unter einer Brust liegen. Mit einem leisen Stöhnen, das tief aus ihrer Kehle zu
kommen schien, lehnte Leslie sich enger an ihn. Ehe Sam jedoch noch weiter gehen konnte, registrierte er schwach ein anderes Geräusch – sich nähernde Schritte und Wortfetzen, die zunehmend lauter klangen. Langsam wurde er sich wieder seiner Umgebung bewusst, und er erkannte schockiert, wie schnell, wie intensiv er sich an Leslie verloren hatte. Erschüttert und errötend trat Sam einen Schritt zurück, um Abstand von Leslie zu gewinnen, und schaute sie unter halb gesenkten Lidern her an. Ihre Lippen waren rosig und leicht geschwollen, und der Ausdruck ihres Gesichtes benommen. Sam holte tief Luft und hielt sie an, bis er sicher war, wieder die Kontrolle über sich zu haben. „Entschuldige", sagte er rau. „Das war nicht meine Absicht." „Komisch." Leslie deutete ein Kopfschütteln an. „Ich hätte schwören können, dass du derjenige warst, der mich geküsst hat." „Das war auch meine Absicht. Ich hätte nur nicht gedacht, die Dinge könnten so schnell aus den Fugen geraten." Sams Augen waren dunkel und noch immer voll von Verlangen, und ein bedauerndes Lächeln stand auf seinen Lippen. Es gab Leslie einen Stich, als sie merkte, dass sie in diesem Augenblick nur den einen Wunsch hatte, Sam an sich zu ziehen und ihn wieder und wieder zu küssen, selbst wenn sie am helllichten Tag auf einem Parkplatz standen. Es gab nur einen Weg, mit dieser Regung fertig zu werden, und das war, so zu tun, als gäbe es sie nicht. „Du wirkst nicht wie ein Mann, der sich im allgemeinen bei einer Frau für einen Kuss entschuldigen würde", sagte sie leichthin und ging an ihm vorbei zur Fahrertür. „Du hast recht", erwiderte er, während sie ins Auto einstiegen. „Diese Angewohnheit habe ich nicht." „Dann fang jetzt nicht damit an." Leslie steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Als sie ihn umdrehen wollte, ergriff Sam ihre Hand und hielt sie fest. „Lass uns noch nicht zurückfahren", sagte er. „Bisher hast du mich unterhalten. Ich möchte mich bei dir revanchieren. Geh heute abend mit mir essen." „Ich kann nicht." „Vielleicht war ich nicht der beste Gesellschafter." Es überraschte Sam, dass er den Drang hatte, sich zu entschuldigen und den Tag nicht einfach so ausklingen zu lassen. „Aber heute abend wird es anders sein. Wir unternehmen etwas, das nichts mit Autos zu tun hat. Wir werden keinen Blick an sie verschwenden und auch nicht darüber reden ..." „Wirklich, nein", unterbrach Leslie ihn, „ich kann nicht. Ich habe schon etwas anderes vor." „Ich verstehe." An seinen ärgerlich hochgezogenen Schultern merkte Leslie, dass er überhaupt nichts verstand. Er argwöhnte, sie würde sich mit einem anderen Mann treffen, und nichts war weiter von der Wahrheit entfernt. „Ich gehe zu einem Familientreffen." „Marete?" fragte Sam, und als Leslie den Kopf schüttelte: „Ken?" „Zu Hai", erklärte Leslie ihm lächelnd, „meinem frischverheirateten Bruder. Er und seine Frau veranstalten heute abend für die ganze Familie ein Barbecue." Sie schwieg einen Moment und überlegte. „Warum kommst du nicht mit, da du doch ohnehin nichts vorhast? Bei Hai ist immer Platz für einen unvorhergesehenen Gast." „Das geht doch nicht", erwiderte Sam schnell. „Wieso nicht? Eben hast du selbst gesagt, du seist nicht beschäftigt." „Ja, aber..." „Angst?" „Natürlich nicht!" „Gut, dann ist es abgemacht." Leslie ließ den Motor an. Vor sich hinlächelnd, malte sie sich die kommenden Ereignisse aus. Der große Zampano würde sich unter das gemeine Volk mischen. Das versprach, ein interessanter Abend zu werden.
6. KAPITEL
„Nun, wie kommst du mit meiner zahlreichen Familie klar?" fragte Leslie, als Sam und sie sich an dem langen Büffet trafen und sich von den liebevoll angerichteten Speisen nahmen. „Prächtig, glaube ich. Wenn allerdings noch jemand bei mir auf den Busch klopfen und mich nach meinen Absichten bei dir befragen sollte, kann ich für die Konsequenzen nicht mehr garantieren!" „Man hat dich doch nicht etwa ausgehorcht?" Leslie klang nicht sehr überzeugend. „Oder etwa doch?" „Am laufenden Meter und von allen Seiten." Sam häufte sich eine großzügige Menge Nudelsalat auf seinen Teller. „Und ich hatte gehofft, die Mitglieder meiner Familie würden ein bisschen mehr Takt an den Tag legen, besonders da ich in der Küche gut zehn Minuten darauf verwendet habe, jedem die schlimmste Vergeltung anzudrohen, der seine Klappe nicht halten könne." Sam warf ihr einen Blick zu, angenehm überrascht, dass Leslie so um sein Wohl besorgt war. „Vielen Dank für deine Unterstützung, aber wenn es dich interessiert, Frank und Hai haben diese Lektion offenbar verpasst. Betty und Marete haben sie vie lleicht mitbekommen, doch sie richten sich nicht danach." „Keine Sorge, ich werde das abstellen", antwortete Leslie. Zusammen suchten sie sich zwei freie Plätze und widmeten sich ihrem Essen. Niemand aus Leslies Familie hatte Sams Gegenwart als störend empfunden, im Gegenteil, jeder war freundlich, aufgeschlossen und herzlich gewesen, wenn auch gelegentlich ein wenig neugierig. Trotz der vielen Leute, die ihn immer wieder in ein Gespräch verwickelten, merkte Sam, dass er nur Augen für Leslie hatte. Langsam, unweigerlich zog sie ihn in ihren Bann. Wenn sie fähig war, ihm dieses Gefühl der Bezauberung schon bei einem lärmenden Familientreffen zu vermitteln, wie wäre es dann erst, wenn sie Gelegenheit hatten, allein zu sein... Anders als ihre Geschwister mit ihrer unverhohlenen Neugier, beachtete Leslie Sam nur verstohlen und unauffällig, aber aus ihren Augen sprach offenkundige, unverfälschte Anerkennung. Sie hatte ihn in eine für ihn möglicherweise unangenehme Situation gebracht, doch er hielt sich mit Bravour. Mehr als jeder andere wusste Leslie, wie einschüchternd ihre Familie sein konnte. Obwohl sie sich bemühte, ihn so gut wie möglich aus der Schusslinie zu halten, erwiesen sich am Ende ihre Anstrengungen als völlig unnötig, weil Sam sich, wie immer, gewand t, höflich und sehr selbstsicher gab. Wenn sie ihn so anschaute, dann verspürte sie keinen sehnlicheren Wunsch als den, irgendwo mit ihm allein und nicht hier inmitten dieser fröhlichen, ausgelassenen Menge zu sein. Sie strich ihm mit den Fingerspitzen über den Arm. „Was hältst du davon, wenn wir gehen?" Sams Antwort bestand aus diesem leisen, sinnlichen Lachen, das Leslies Puls schneller schlagen ließ. Zehn Minuten später hatten sie sich verabschiedet und waren auf dem Weg zurück. Als sie vor Sams Apartment ankamen, machte er sich gar nicht erst die Mühe, Leslie zu fragen, ob sie hineinkommen wolle. Er ging um den Wagen, hielt die Tür auf und nahm sie bei der Hand. Dann ging er ihr voran nach oben. „Möchtest du etwas zu trinken?" fragte er, sobald sie in der Wohnung waren. „Vielleicht einen Kaffee." „Gern." Während der Kaffee durchlief, holte Sam ein Tablett mit den Tassen, stellte es auf den Tisch und vergaß es prompt. Nachdem er den ganzen Tag unter Leuten gewesen war, hatte er Leslie jetzt endlich für sich, und nur das war im Moment von Bedeutung. Leslie nahm den Kaffeelöffel und rührte heftig in ihrer Tasse herum. Sie hatte sich darauf gefreut, mit Sam allein zu sein. Jetzt, da es der Fall war und sie wirklich nebeneinander auf der Couch saßen, war alle Zuversicht geschwunden, und nur ein
trockener Mund und klamme Hände waren zurückgeblieben. Plötzlich erschien es ihr sicherer, sich in ein Gespräch zu stürzen, als in Gedanken mit den anderen Möglichkeiten zu spielen, die ihr einfielen. „Also", sagte Leslie fröhlich, „jetzt hast du meine ganze Familie kennengelernt. Wie findest du sie?" „Ich finde, ich möchte nicht über sie reden." „So schlimm?" „Nein", antwortete Sam leise. „Im Augenblick finde ich sie nur unwichtig." „Oh." Leslie hob ihre Tasse an die Lippen. Der Kaffee war heiß und verbrannte ihre Zunge. Klirrend stellte sie die Tasse auf den Unterteller. Um Sams Mundwinkel zuckte es, als er die Hand ausstreckte, Leslie die Tasse abnahm und auf den Tisch stellte. Die flüchtige Berührung seiner Finger auf ihren reichte, um Leslies Puls schneller schlagen zu lassen. Unversehens war ihre Nervosität verflogen und machte stärkeren Regungen Platz. Mit weit geöffneten Augen blickte sie auf. „Und was passiert jetzt?" Sam rückte näher an sie heran, bis ihre Schenkel sich berührten. Er hob eine Hand zu Leslies Gesicht und streichelte sanft den weiteren Schwung ihrer Wange, ehe er die Finger in ihrem Haar vergrub. „Die Antwort auf diese Frage kennst du doch." Leslie kannte sie, aber sie wollte sie trotzdem aus seinem Mund hören. „Sag es mir." „Als nächstes", murmelte Sam, „werde ich dich küssen." Langsam berührte er ihren Mund. Seine Lippen waren warm und weich und schmeckten leicht nach Schokolade. Ihr Druck war fest und das Gefühl elektrisierend. Von einer Sekunde zur anderen beschleunigte sich Leslies Herzschlag. Sie öffnete ihre Lippen, und besitzergreifend schob sich Sams Zunge, qualvoll langsam aufreizend, in ihren Mund. Das hatte Leslie gewollt, o ja, und wie sie das gewollt hatte. Sams Hand glitt streichelnd durch ihre Locken hinunter über ihren glatten Nacken. Mit den Fingerspitzen liebkoste er leicht und federnd ihren Halsansatz. Leslie reagierte auf den sanften Druck und ließ sich in die weichen Kissen zurücksinken. Dann streckte sie die Arme aus und zog Sam neben sich. Mit einem leisen Stöhnen verlagerte er sein Gewicht und legte sich auf sie. Sie fühlte sich wundervoll unter ihm an, als sei ihr Körper nur dazu geschaffen, sich dem seinen anzupassen. Sam hatte Leslies früheres Zögern bemerkt und wusste, dass sie damals Zweifel hegte. Doch nun, so beieinander, bewegte sie ihre Hüften im gleichen Rhythmus wie er. Als er seine Hand auf ihre Brust legte, entrang sich ihrer Kehle ein kleiner, wohliger Seufzer, ehe sie seine Finger mit ihrer Hand bedeckte und sie fester an sich drückte. Leslie wirkte, als sei sie verwundert über die leidenschaftliche Tiefe ihrer Reaktionen, ... und auch ein ganz kleines bisschen verunsichert. Heiser durchatmend, rückte Sam von ihr ab. Er sah, dass Leslie langsam die Augen aufschlug und ihn mit verträumtem, verschwommenem Blick anschaute. Sie streckte die Hände nach ihm aus, zögerte jedoch und ließ ihre Hand auf seinen Arm sinken. „Was ist denn?" „Das ist nicht richtig." „Ich begreife dich nicht." Mühsam richtete Leslie sich in den weichen Kissen auf, die sie nicht loslassen zu wollen schienen. „Ich dachte, du... Ich dachte, wir..." Sie schwieg, und sprudelte dann hervor: „...wir wollten uns." Sam stöhnte leise. „Ich will dich, Leslie. Ich will dich so sehr, dass es mir weh tut. Aber, was ich nicht will, ist, dich zu verführen. Ich will, dass wir beide es im richtigen Augenblick und mit echten Gefühlen tun." Es gelang Leslie, sich aufzusetzen. Mit gerunzelter Stirn dachte sie über Sams Worte nach. Sie konnte ihm nicht widersprechen, weil das, was er gesagt hätte, stimmte. Mit betonter Würde konzentrierte sie sich darauf, ihre Kleidung in Ordnung zu bringen. „Ich habe noch nie jemanden wie dich kennengelernt", sagte sie schließlich.
Sam zog eine Augenbraue hoch. „Ist das positiv oder negativ gemeint?" „Das ist das Problem. Ich kenne dich nicht so gut, um das sagen zu können." „Das lässt sich ändern." „Ja", stimmte Leslie zu, und um ihre Lippen lag ein angedeutetes Lächeln. „Das wäre möglich." Sam zog die weichen Konturen ihrer lächelnden Lippen nach. „Wie du mich in Versuchung bringst...", murmelte er. „Tatsächlich?" Ihre Augenlider flatterten, und unerwarteterweise musste Sam über den herausfordernd verführerischen Ausdruck grinsen, den Leslie im Gesicht hatte. Der letzte Rest der Verlegenheit, die zwischen ihnen gehangen hatte, verflog. „Du stellst meine Geduld auf die Probe", meinte Sam und stand auf. „Gut." Auch Leslie erhob sich. „Gut?" „Ein bisschen Aufruhr schadet deiner Seele nichts. Er erschüttert dich und bringt dich dazu, mit beiden Beinen auf der Erde zu bleiben." „Natürlich", erwiderte Sam höflich. „Jeder sollte so etwas erleben." „Ach, komm", neckte Leslie ihn und knuffte ihn in die Rippen. „Du hast es sogar ganz gern." Da mussten sie beide lachen, und wenige Minuten später brachte Sam Leslie zu ihrem Wagen. Als er jedoch in seiner Einfahrt stand und ihren im Dunkeln verschwindenden Schlusslichtem nachschaute, grübelte er noch immer über Leslies Bemerkung nach. Das Schlimme daran war, dass Sam der leise Verdacht kam, sie habe recht damit. „Sie hat sich schon wieder was einfallen lassen!" Mit einem Exemplar der Nachmittagszeitung in der Hand, stürmte Sam in den Ausstellungsraum. Joe Saks, Donahue Motors' Abteilungsleiter, blickte vom Schreibtisch und den Zahlen auf, die er soeben überprüfte. „Wer, sie?" „Leslie Vanderholden, wer denn sonst?" „Was hat sie sich einfallen lassen?" Sams Augen funkelten eisig. „Ein neues, verrücktes Werbekonzept! Sehen Sie sich das an!" Die Zeitung flog durch die Luft, landete auf Joes Schreibtisch und brachte seine säuberlich geordneten Rechnungen durcheinander. Ohne darauf zu achten, warf Joe pflichtschuldigst einen Blick auf die Überschrift. „'Philadelphias Zoo nimmt Tigerbaby auf.' Was hat das mit. . ." „Doch nicht das", sagte Sam verärgert. „Hier!" Er wies auf eine auffällige Anzeige, die ein Viertel der Seite einnahm. Joe überflog sie rasch und schaute hoch. „Das ist eine Anzeige für einen Frühlingsrummel. Na und?" „Lesen Sie weiter." „Kommen Sie allein, kommen Sie zu zweit", las Joe laut vor. „Es gibt Clowns, Spiele, Ritter und tolle Unterhaltung. Spaß für die ganze Familie..." Er runzelte fragend die Stirn. „Ich sehe immer noch nicht..." „Lesen Sie mal die Adresse", unterbrach Sam ihn mit kaum verhehlter Ungeduld. Er beugte sich vor und las die skandalöse letzte Zeile selbst vor. „Ort der Veranstaltung: 689 Front Street, dem Sitz von Leslies Late-Model Lovelies." Sam verdrehte die Augen zur Decke. „Sie hat tatsächlich vor, diesen Irrsinn gleich nebenan zu veranstalten." „So sieht es aus." Joe blickte wieder auf die Anzeige. „Das kann sie nicht ernst meinen", sagte Sam nach einem Moment. Aber selbst in seinen Ohren klang das nicht überzeugend. „Die Dame hat ihr Gebrauchtwagengeschäft, um davon zu leben, Sam. Eine große, ins
Auge springende Werbung wie diese ist wahrscheinlich genau ihr Fall." „Aber sie muss doch begreifen, dass etwas dieser Größenordnung die gesamte Nachbarschaft ins Chaos stürzt." Joe sah hoch und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ist ihr das egal." „Das werden wir ja sehen!" Sam drehte sich auf dem Absatz um und ging zur Tür. „Falls wir Sie brauchen sollten..." rief Joe ihm nach. „Kommen Sie nach nebenan!" Gereizt verließ Sam die Halle und eilte mit großen Schritten zur Straße. Wenn das noch länger so weiterging, würde er ein Loch in diesen verdammten Zaun schneiden lassen müssen! Leslie war in der kleinen Werkstatt hinter ihrem Büro, als sie zum erstenmal den Eindruck bekam, dass etwas nicht stimmte. Sie hatte mit Clem Greeley, ihrem Mechaniker, gesprochen, doch als Sam wie ein wildgewordener Stier durch die Tür stürmte, erstarb das Gespräch auf der Stelle. „Sam", sagte Leslie. „Welch freudige Überraschung!" „Nein, das ist es nicht." Er packte sie beim Arm und zerrte sie zur Bürotür. „Ich will mit dir reden. Jetzt." „Moment mal", sagte Clem. Ihm gefiel der Ausdruck gar nicht, den Sam im Gesicht hatte, und auch nicht die besitzergreifende Art, wie er die Chefin am Arm festhielt. „Schon gut", beruhigte Leslie ihn rasch. „Sam und ich sind Freunde." „Auf mich wirkt er nicht sehr freundlich." Im stillen war Leslie seiner Meinung, aber Clem zuliebe tat sie so, als sei alles in bester Ordnung. „Clem, das ist Sam Donahue, der Besitzer des Geschäftes neben uns. Sam, das ist Clem Greeley, mein Mechaniker." Widerstrebend schüttelten die beiden Männer sich die Hand. „Wenn du nichts dagegen hast", sagte Sam mit gezwungener Höflichkeit, „es gibt ein paar Dinge, die du und ich besprechen müssen." „Natürlich." Leslie wandte sich wieder an Clem. „Wir waren ja sowieso schon klar, nicht wahr?" Der ältere Mann nickte. Mit zusammengekniffenen Augen sah er Sam und Leslie nach, als sie zur Tür gingen. „Falls Sie irgendwelche Unterstützung brauchen, Leslie, rufen Sie nur. Ich komme sofort." „Danke, Clem." Leslie warf einen Blick zurück und schenkte dem Mechaniker ein Lächeln, aus dem ehrliche Zuneigung sprach. „Ich bin sicher, alles ist in Ordnung." Dann fiel hinter den beiden die Tür zwischen der Werkstatt und dem Büro zu, und Leslie drehte sich zornig zu Sam um. „Was hat das zu bedeuten? Ich hätte nie gedacht, dass du ein so rüdes Benehmen an den Tag legen könntest." Sofort ließ Sam ihren Arm los und merkte entsetzt, dass rote Abdrücke seiner Finger auf Leslies Handgelenk zurückblieben. Er war immer stolz auf seine Selbstbeherrschung gewesen und auf die Fähigkeit, seine Gefühle im Zaum zu halten, ganz gleich, wie provozierend die Situation sein mochte. Doch wenn es um Leslie ging, schien Zurückhaltung eine Sache der Vergangenheit zu sein. Diese Erkenntnis verwirrte und beunruhigte ihn zugleich. Leslie hockte sich auf die Kante ihres Schreibtisches und widerstand dem Drang, sich den Arm zu reiben. „Und weswegen wolltest du mich sprechen?" „Wegen der belanglosen Angelegenheit eines Frühlingsfestes", antwortete Sam langsam und betont. „Ja?" „Einer Anzeige in der heutigen Zeitung entnehme ich, dass du so etwas vorhast." „Ganz recht. Ist damit etwas nicht in Ordnung?" „Etwas?" wiederholte Sam ungläubig. „Alles ist damit nicht in Ordnung!" Um Zeit zu gewinnen, atmete Leslie absichtlich tief durch und versagte es sich, hinter ihren Schreibtisch zu springen. Seit dem Tag, an dem sie von Sam zum erstenmal wegen
ihres Werbefilms angesprochen worden war, hatte sie ihn nicht so wütend gesehen. Damals war sie darauf vorbereitet gewesen. Doch diesmal war ihr im Traum nicht eingefallen, ihre Pläne, den Jahrmarkt bei sich zu veranstalten, könnten eine solche Reaktion bei Sam auslösen. Sie stützte sich mit den Händen auf die Schreibtischplatte, sah ihn ausdruckslos an und fragte nur: „Warum?" „Zum ersten, weil etwas von diesem Ausmaß den ganzen Block in eine Zirkusarena verwandeln wird." „Nicht in einen Zirkus", korrigierte Leslie ihn geduldig. „In einen Jahrmarkt." War sie absichtlich stur, oder konnte es sein, dass sie ihn nicht begriffen hatte? „Ob Zirkus oder Jahrmarkt, wo ist da der Unterschied? Die ganze Idee lässt an Stil zu wünschen übrig, von welcher Seite man sie auch betrachtet. Dadurch wird ein völlig falsches Image geschaffen..." „Für dich vielleicht." Leslie erlaubte sich die Andeutung eines Lächelns. Jetzt begann sie zu verstehen, wo das Problem lag. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie Sam zustimmte. „Meine Kunden finden so was prima." Sam stieß einen halblauten Ruf aus. „Du hast dir diese Sache bestimmt nicht gut genug durchdacht", sagte er mit Nachdruck. „Denk an das Chaos, die Lärmbelästigung und den Schmutz. Und wie willst du das Parkplatzproblem lösen?" Leslie strich sich eine Locke aus der Stirn und überlegte einen Moment. „Die Leute werden eben auf der Straße parken müssen, denke ich. Das ist nicht ideal, aber unter den Umständen immer noch die beste Lösung. Sicher, im vergangenen Jahr war dein Grundstück ja noch frei, und jeder hat dort geparkt, aber jetzt..." „Letztes Jahr? Soll das heißen, du hast das schon einmal gemacht?" „Sicher, schon viermal. Bis jetzt war es immer ein Riesenerfolg." – „Bestimmt", brummte Sam irritiert und begriff langsam, dass kein noch so logisches oder beredtes Argument die Situation zu ändern vermochte. Während er sich zum Gehen wandte, konnte er es sich nicht versagen, noch eine bissige Schlussbemerkung zu machen. „Ich vermute, für ein bisschen kostenlose Publizität machen manche Leute einfach alles." Leslie erstarrte. „Was hast du gesagt?" „Das hast du doch gehört." Sam blieb in der Tür stehen und sah zurück. „Tu mir einen Gefallen – falls du in deine nächste Zirkusnummer fauchende Tiger oder wildgewordene Elefanten einzubauen gedenkst, lass es mich bitte ein paar Tage vorher wissen, okay?" „Zirkusnummer?" wiederholte Leslie fassungslos. „Hältst du es etwa dafür? Glaubst du, es sei nur ein Gag, um mehr Kunden anzulocken?" „Ist es das nicht?" Zornig, wie sie war, musste Leslie sich trotzdem eingestehen, dass Sams große, durchtrainierte Gestalt, die sich mächtig im Gegenlicht des Türrahmens abzeichnete, unglaubliche Faszination auf sie ausübte. Sie hob den Blick und sah ihm ins Gesicht. „Ich muss dir sagen, dieser Rummel ist alles andere als ein Publicitygag. Die Reinerlöse gehen an eine sehr wohltätige Einrichtung." „Wie? Etwa an den Leslie-Vanderholden-Fonds zur Wiederherstellung von Gebrauchtwagen?" „Nein", erwiderte Leslie mit zusammengebissenen Zähnen. „An Cloverdales gemeinnützigen Verein für bessere Lebenschancen." „Klingt perfekt", sagte Sam arrogant. „Haben die irgend etwas damit zu tun, alten Autos zu voller Leistungskraft zu verhelfen?" „Autos nicht, Sam, Kindern." Mit Genugtuung sah Leslie, dass Sam schlagartig den selbstgefälligen Ausdruck verlor, den er aufgesetzt hatte. Abrupt straffte er sich. „Welche Kinder?" „Oh", erwiderte Leslie bewusst gedehnt, „sozial schlecht gestellte Kinder aus Philadelphias Innenstadt. Mit dem Programm wird versucht, sie im Sommer aus der Stadt zu bekommen – sie in den Vororten bei Familien mit Kindern unterzubringen oder ihren
Aufenthalt in Ferienlagern zu tragen." Sam schluckte. „Das ist der Anlass für dieses Frühjahrsspektakel?" Leslie nickte. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?" Sie starrte ihn böse an. „Hast du mir dazu überhaupt Gelegenheit gegeben?" Sam erwiderte ihren Blick mit dem gleichen verärgerten Ausdruck. „Hast du je eine Andeutung fallen lassen, damit ich dich fragen konnte?" „Okay, vielleicht hätte ich etwas sagen sollen, aber ich nahm an, du wüsstest Bescheid. Schließlich ist dieser Rummel seit Jahren das Frühlingsereignis." „Ich bin erst letzten Winter hier eingezogen", erinnerte Sam sie. „Außerdem bin ich sicher, in der Anzeige wurde auf den Verein hingewiesen." Das konnte gut stimmen. Aber kaum waren Sam Leslies Namen und ihre Anschrift in die Augen gesprungen, hatte er auf nichts anderes mehr geachtet. „Nun, meinst du nicht, du solltest diese Unverschämtheiten zurücknehmen, die du mir an den Kopf geworfen hast?" Darüber musste Sam nicht erst nachdenken. „Nicht im mindesten. Die Tatsache bleibt bestehen, dass du meiner Ansicht nach nicht über den Platz verfügst, um etwas in dieser Größenordnung unterzubringen." „In der Vergangenheit hat es funktioniert." „Damals gab es Donahue Motors auch noch nicht. Aber jetzt." „Zu dumm, dass du diesen Zaun aufgestellt hast...", überlegte Leslie laut. „Leslie", sagte Sam warnend, „komm ja nicht auf den Gedanken!" „All right", erwiderte sie verstimmt, „ich werde deinen kostbaren Zaun nicht anrühren." Langsam verärgerte sie seine Haltung. Mit einer betonten Geste zog sie eine Schreibtischschublade auf und nahm eine Akte heraus. „Wenn du nichts dagegen hast", fuhr sie in spitzem Ton fort, „ich würde mich jetzt gern wieder an meine Arbeit machen." „Lass dich nicht aufhalten." Sam wedelte wegwerfend die Hand. Offensichtlich störte es Leslie ganz und gar nicht, dass sie ihm den Tag verdorben hatte. Eher würde er sich die Zunge abbeißen, als ihr das zu sagen. „Ich möchte dich nicht von etwas Wichtigem abhalten." Damit drehte er sich um und ließ sie allein. Leslie hatte die Wahrheit gesprochen, als sie sagte, sie habe alles unter Kontrolle, aber das hieß nicht, dass es nicht eine Fülle von Details gab, um die sie sich noch kümmern musste. Am nächsten Morgen nutzte sie eine Zeit, in der nicht viel los war, bat Clem, aufs Geschäft zu achten, und fuhr zur Zentrale des Vereins. Sie fand einen Parkplatz vor dem Gebäude und ging eben die kurze Treppe zum Eingang hoch, als vor ihr die Tür aufgemacht wurde und Sam herauskam. Völlig perplex platzte Leslie mit dem ersten Gedanken heraus, der ihr durch den Kopf geschossen war. „Was machst du denn hier?" „Ich gehe, wie du siehst", erwiderte Sam lächelnd. Es war nett, dass zur Abwechslung einmal Leslie aus dem inneren Gleichgewicht geworfen wurde. Er hielt ihr die Tür auf, aber Leslie blieb zögernd auf der Stufe stehet. „Willst du hinein?" „In einer Minute." Sie nahm ihm die Tür aus der Hand und ließ sie zufallen. Dann drehte sie sich um und sah Sam argwöhnisch an. „Hast du mit den Leuten vom Verein gesprochen?" „Ja, habe ich. Das ist eine sehr freundliche Truppe. Man hat mir alles über das Programm erzählt, das mir wirklich sehr gemeinnützig erscheint." „Warum versuchst du dann noch immer, dem Frühjahrsmarkt Schwierigkeiten in den Weg zu legen?" „Ich?" „Ja, du! Derselbe Mann, der gestern in mein Büro gestürmt kam und mit seiner lauten Stimme fast die Mauern zum Einsturz gebracht hätte."
„Ich gestehe, ich bin vielleicht ein bisschen zu grob geworden..." „Ein bisschen?" fragte Leslie höhnisch. Sam ignorierte die Unterbrechung. „Aber das war, bevor ich alle Fakten kannte. Jetzt jedoch liegen die Dinge anders." „Willst du damit sagen, die Veranstaltung sei eine gute Idee?" Sam warf ihr einen schrägen Blick zu. „Natürlich nicht. So, wie das organisiert wird, wäre ich nicht überrascht, wenn du den ganzen Block in ein Trümmerfeld verwandelst." „Dann warst du nicht hier, um dich zu beschweren?" „Nein, eigentlich bin ich hergekommen, um meine Unterstützung anzubieten." Leslie hatte Mühe, ihre Überraschung zu verbergen. „Du willst dein Grundstück als Parkplatz zur Verfügung stellen?" fragte sie hoffnungsvoll, doch Sam schüttelt e den Kopf. „Wenn du mich früher in Kenntnis gesetzt hättest, wäre das möglich gewesen, aber zur Zeit habe ich einen zu hohen Bestand und zu wenig Platz", antwortete er mit sorgfältig verborgener Erleichterung. „Was hast du dann eigentlich hier gewollt?" „Donahue Motors hat dem Verein ein Auto geschenkt." „Ein Auto?" wiederholte Leslie tonlos. „Das verlost werden kann." „Eins von deinen Autos?" Sam sah sie so nachsichtig an, wie man ein begriffsstutziges Kind anschaut. „Wessen denn sonst?" „Du verschenkst einen Mercedes?" „Einen BMW. Leider ist es ein bisschen spät, um die Tombola noch großartig publik zu machen, aber die Leute, mit denen ich mich unterhalten habe, meinen, sie würden trotzdem eine Menge Lose verkaufen." „Das glaube ich auch." Leslie pfiff le ise durch die Zähne. „Das war eine sehr großzügige Geste." „Für einen guten Zweck. Außerdem, wenn dieser Rummel gleich neben meiner Tür stattfindet, kann Donahue Motors nicht gut zurückstehen." „Ich verstehe, was du meinst", sagte Leslie trocken. „Es wäre deinem Image abträglich, hätte es so ausgesehen, als ob du dich nicht beteiligen wolltest. „Richtig." Sam hatte nicht die Absicht, in die Falle zu stolpern, die Leslie ihm absichtlich stellte. „Nichtsdestoweniger haben wir uns gefreut, behilflich sein zu können." „Alles für ein bisschen kostenlose Publicity?" Leslie grinste, als sie Sams Worte vom Vortag wiederholte. „Wenn es um einen Fünfundzwanzigtausend-Dollar-Wagen geht, würde ich das nicht gerade kostenlos nennen." „Natürlich nicht. Der Himmel bewahre mich davor, deine Motive in Frage zu stellen." Sam schaute Leslie aufmerksam ins Gesicht. „Du scheinst entschlossen, mich heute auf die Palme bringen zu wollen. Warum?" Leslie blickte ihm in die Augen und sah die Besorgnis und Unsicherheit, die darin stand. Sam war immer ehrlich zu ihr gewesen und verdiente es, dass auch sie ihn so behandelte. „Vielleicht machst du mich nervös", brachte sie leise heraus. „Dich, nervös?" Fast hätte Sam aufgelacht, wäre ihm nicht Leslies Miene aufgefallen. Sie meinte es ernst! „Ich hätte nicht gedacht, dass eine Frau, die mit fünf Geschwistern aufgewachsen ist, durch irgend etwas aus der Ruhe gebracht werden könnte." Leslie lächelte spontan und sehr weiblich. „Falls du auch nur eine Sekunde lang glauben solltest, ich sähe in dir einen Bruder, dann hast du mich wohl vollkommen missverstanden." Sam verschluckte sich fast, als er Luft holte. „Nein", antwortete er langsam. „Nein, das habe ich nicht geglaubt." „Gut." Leslie trommelte leicht mit den Fingerspitzen auf seinen Arm.
„Vielleicht", sagte sie versonnen, „mache ja auch ich dich ein ganz kleines bisschen nervös." ' Das war eine Frage und eine Feststellung zugleich. Sam hatte nicht die Absicht, ihr zu gestehen, wie nahe sie mit ihrer Vermutung der Wahrheit gekommen war. Er wechselte lieber das Thema. „Wenn das der Fall ist, dann sollten wir uns vielleicht gemeinsam über unsere Befürchtungen aussprechen. Was machst du Samstag?" „Ich arbeite." „Und danach?" Leslie hob übertrieben die Augenbrauen. „Schlag mir etwas vor." „Du bist noch keine Verabredung mit irgendeinem aus dem Vanderholden-Clan eingegangen?" „Nicht, dass ich wüsste." „Das klingt beruhigend." „Sam", sagte Leslie tadelnd, „du weißt doch, wie meine Familie ist." „Ja, ja. Und genau das verschreckt mich." Er griff nach der Klinke und hielt Leslie die Tür auf. „Ich hole dich abends ab. Ich kenne ein hübsches Lokal, wohin wir zum Essen fahren werden. Und danach..." Er lächelte geheimnisvoll, als Leslie mit einem fragenden Blick an ihm vorbei ins Haus ging.
7. KAPITEL
Das von Sam ausgewählte chinesische Restaurant war klein und sah von außen ganz unscheinbar aus. Es lag in der Hauptstraße der Nachbarstadt, und der schmale Eingang neben dem dazugehörigen Schaufenster befand sich eingezwängt zwischen zwei Geschäften. Es war gut besucht, doch Sam hatte einen Tisch reservieren lassen. Wenige Augenblicke, nachdem sie sich gesetzt hatten, erschien auch schon Mr. Kwan, der Besitzer, und servierte ihnen zur Begrüßung einen Drink. „Mr. Sam besonderer Gast", verkündete er der erstaunten Leslie. Er gab ihnen auch nicht die Speisekarten, die er unter den Arm geklemmt hielt. „Ich weiß, was wollen essen. Ich suche aus. Keine Angst, Sie werden mögen." „Da bin ich aber gespannt", sagte Leslie neugierig. „Ich bin überzeugt, alles wird wunderbar schmecken." Nachdem Mr. Kwan in der Küche verschwunden war, nahm Leslie ihre Handtasche und zog ein kleines, weißes Couvert heraus. „Ich habe etwas für dich, Sam." „Was ist es?" „Mach es auf und sieh selbst nach." Sam öffnete den Umschlag und entnahm ihm zwei Fotos, die am Abend von Hals Barbecue aufgenommen worden waren. Auf dem ersten hatte er sich mit Leslie in Positur gestellt und den Arm um ihre Taille gelegt. Leslie blickte überrascht und fröhlich zu ihm hoch und lachte. Das zweite Bild jedoch war ganz anders. Es war ein Schnappschuss, der irgendwann am Abend gemacht worden war. Nur sie beide waren zu sehen, Seite an Seite. Leslie hatte den Kopf auf Sams Schulter gelegt, und er strich ihr mit einer Hand über das Haar. Das Foto hatte eine weiche, fast träumerische Stimmung eingefangen, und Leslie und er wirkten entspannt und vollkommen zufrieden. Sorgfältig legte Sam die beiden Abzüge auf den Tisch. „Wundervoll", sagte er verhalten, weil er sich durch das schlichte Geschenk unerwartet berührt fühlte. „Welches möchtest du?" „Beide." Gedankenverloren strich er über die Oberfläche des zweiten Fotos. Leslie fragte sich, ob er sich bewusst sei, dass er dabei lächelte. „Hat jemand von euch die Negative?" Leslie nickte. „Ja, Janice sagte, sie würde sie gern für dich vergrößern lassen, wenn du möchtest." „Prima." Sam zeigte auf das erste Bild. „Das da ist genau richtig für meinen Schreibtisch im Büro. So besitze ich wenigstens einen Beweis dafür, dass ich hin und wieder die Oberhand hatte, wenn ich mich wieder einmal mit dir angelegt habe." Leslie fiel in sein Lachen ein. „Und das andere?" „Das kommt in mein Schlafzimmer. Gleich neben mein Bett." Nach diesen Worten hatte Leslie das Empfinden, von eine Welle der Wärme, die sie wohlig und berauschend einhüllte, emporgehoben und irgendwohin fortgetragen zu werden, wo alles wundervoll war und nichts Böses geschehen würde. Diese euphorische Stimmung hielt während des ganzen, ausgezeichneten Essens an. Später konnte Leslie sich an kein Wort mehr erinnern, das sie gesagt hatte. Sie wusste nur, der Abend war herrlich gewesen. Sam streckte die Hand über den Tisch aus und legte sie auf ihre. Seine Finger waren warm, als er Leslie zärtlich drückte. „Ich glaube, ich bin glücklich, dich gefunden zu haben." Vor Freude lächelte Leslie ihn strahlend an. Ihr war klar, dass sie immer tiefer in Sams unwiderstehlichen Bann versank, aber sie war sich auch bewusst, dass sie ihm keinen Augenblick Widerstand entgegenbringen würde, selbst wenn sie es vermocht hätte.
Obwohl nur ihre Hände sich berührten, meinte Leslie, jeder Zentimeter ihrer Haut würde vor Hitze verbrennen. Ihre Nerven vibrierten, und ihr Gesicht glühte. Sie fühlte sich schwerelos und unglaublich glücklich. Ihre Blicke trafen sich, und plötzlich schlug die Stimmung um, als sei die Luft elektrisch geladen. Sams Augen waren dunkel vor Sehnsucht, und Leslie hatte das Empfinden, als spüre sie die Kraft seines Verlangens beinahe körperlich. „Für gewöhnlich, Leslie", sagte Sam leise und mit belegter Stimme, „bin ich nicht sehr geduldig. Aber mir kommt es vor, als hätte ich seit Ewigkeiten auf dich gewartet..." Leslie hielt den Atem an. Sie wollte etwas sagen, unterließ es dann aber, weil die Vielzahl der Regungen, die sie plötzlich erfüllten, sie irgendwie lähmte. Nur eine trat klar und deutlich in ihr Bewusstsein – sie wollte Sam mehr, als sie je etwas anderes im Leben gewollt hatte. „Sam?" In ihren Augen stand ein vielversprechender Glanz. „Hmmm?" „Bring mich nach Hause." Als Sam einige Minuten später losfuhr, lehnte Leslie sich in das Polster zurück und gab sich ganz dem herrlichen Gefühl der Vorfreude hin, das sie nicht mehr verlassen wollte. Schweigend legten sie den Weg zu ihrem Haus zurück. Nachdem Sam den Motor abgestellt hatte, blieb er noch sitzen, schob den Arm hinter Leslies Nacken und vergrub seine Finger in ihrem Haar. Leslie lächelte ihn an, und langsam legte Sam die andere Hand unter ihr Kinn, hielt ihren Kopf fest und neigte sich zu ihr hin. Sacht berührte er einmal ihren Mund, ohne sie zu küssen, und dann ein zweites Mal. Leslie senkte die Lider, als der Rausch des Augenblicks sie überkam. Als Sam sich von ihr lösen wollte, hob sie die Hände und hielt ihn am Oberhemd fest. Sein intensiver, männlicher Geruch drohte ihr die Sinne zu rauben. Die samtweichen Zärtlichkeiten seiner Zunge, die mit ihren Lippen spielte, ließen sie vor Erregung erschauern. Ihr Mund öffnete sich, und einen endlos scheinenden Moment war nichts anderes von Bedeutung als die Leidenschaft dieses Kusses und das Vergnügen, das sie miteinander teilten. Sams Zunge fand ihre und begann mit ihren Verführungskünsten. Leslie wusste, wie er schmeckte, und sie genoss es, ebenso wie die köstlichen Reize, die ihren Körper, ihren Sinn aufwühlten. Willig ergab sie sich in Sams Umarmung und nestelte mit vor Erregung fahrigen Fingern an den Knöpfen seines Hemdes. Als sie es endlich geöffnet hatte, schob sie die flachen Hände unter das warme Material und legte sie auf Sams harte Brust. Er atmete hastig ein, und seine Muskulatur straffte sich, während er mit der Zunge tief in Leslies Mund eindrang. Seine Hände zerrauften ihr Haar und legten sich dann auf ihre Schultern. Leslie schien von allem nichts zu merken. Ungeduldig wollte Sam sie auf seinen Schoß ziehen, aber die Handbremse war ihm im Weg. „Verdammt!" fluchte er laut. „Das ist verrückt!" Seinen Geschmack noch immer warm auf den Lippen, schlug Leslie langsam die Augen auf. Der Mond schien auf Sams Gesicht. Er hatte die Augen zusammengekniffen, und seine Miene war verstimmt. Vielleicht war es eine verrückte Situation, aber dieser süße Irrsinn ließ jeden vernünftigen Gedanken zweitrangig werden. „Sam..." Wieder einmal wartete er nicht ab, was sie zu sagen hatte. Er riss die Tür auf und sprang vehement aus dem Wagen. Leslie warf einen Blick auf seine verärgert hochgezogenen Schultern und seufzte. Als er ihre Beifahrertür öffnete und die Hand ausstreckte, um Leslie beim Aussteigen zu helfen, hatte sie sich innerlich resignierend bereits darauf eingestellt, dass Sam sie zur Haustür bringen würde. Erst als Leslie davor stehen blieb, den Schlüssel in der Hand hielt und ihn ins Schloss stecken wollte, schaute sie Sam wieder an und bemerkte den ungläubigen Ausdruck in seinem Gesicht.
Einen Moment lang geschah gar nichts, und Leslie machte auch keine Anstalten, die Tür aufzuschließen. Schließlich nahm Sam ihr das Schlüsselbund aus den gefühllosen Fingern und öffnete selbst. Die Tür ging nach innen auf, und ein Lichtstrahl fiel durch den Spalt. Leslie regte sich noch immer nicht. Sie blickte ins Haus und sah dann zu Sam zurück. „W illst du etwa mitkommen?" „Natürlich, was hast du denn..." Der Satz blieb unvollendet, als er die Verwirrung sah, die sich auf ihrem Gesicht spiegelte. Mit festem Griff nahm er Leslie bei den Oberarmen und drehte sie sacht zu sich herum. „Das heißt, nur dann, wenn du es möchtest." Leslies Lächeln wirkte im Dämmerlicht zittrig. „Ich möchte." „Bist du sicher?" Ihre Augen waren dunkel vor Leidenschaft, als sie den Blick zu ihm hob. „Sehr." Mit einem erstickten Aufstöhnen hob Sam Leslie auf die Arme und war mit zwei Schritten im Entree. Er hielt nur kurz an, um die Tür mit dem Fuß hinter sich zuzuschubsen, und ging dann auf die Treppe zu. Leslie verbarg ihr Gesicht an seiner muskulösen Brust und atmete tief den aufreizenden Moschusduft seines Colognes ein. Sie war sicher, Sam müsse ihr Verlangen spüren, so wie sie Sams an seinen energisch gestrafften Armmuskeln spüren und an seinem stoßweisen Atem hören konnte. Mit der Hand, die ihre Hüfte hielt, streichelte er sie. Die Zärtlichkeit war sanft und erotisierend zugleich, und Leslie erbebte unter der leichten Berührung. Die erste Tür rechts führte in Leslies Schlafzimmer. Der gedämpfte Schein des durch die Spitzengardinen fallenden Mondlichts erhellte schwach den Weg. Sam trat ans Bett und blieb direkt daneben stehen. Den Arm fest um Leslies Schultern gelegt, ließ er vorsichtig ihre Beine los. Leslie drehte sich leicht und glitt dann langsam und sinnlich an ihm herunter. Sam stöhnte leise und tief auf. Ein solches Gefühl hatte er noch nie empfunden. Sein Verlangen war so groß, dass er meinte, den Verstand zu verlieren. Seit er Leslie im Wagen geküsst hatte, war die Erregung immer stärker geworden und hatte voll und ganz von ihm Besitz ergriffen. Noch nie hatte er eine Frau so leidenschaftlich an sich gerissen und auf die Arme genommen. Irgendwie mochte er auch jetzt nicht glauben, dass er dazu fähig war. Eine Art Zwang hatte ihn dazu verleitet, Leslie an sich zu pressen, um zu spüren, wie sich ihre Brüste an ihm rieben ... Er hatte es einfach tun müssen, denn sonst hätte er es für immer bedauert, es nicht getan zu haben. Auf Zehenspitzen vor ihm stehend, hob Leslie die Hände und zog Sam das offene Hemd aus der Hose. Mit den Wangen, den Lippen, mit ihrem heißen Atem liebkoste sie seine Brust. Das Gefühl seiner Haut, der kraftvollen Muskeln und des weichgelockten schwarzen Brusthaars, das ihre empfindliche Haut streifte, faszinierte sie. Ihre Finger fanden die kleinen Brustwarzen und streichelten sie, bis sie hart wurden. Sam durchfuhr es heiß. Ungeduldig zog er Leslie noch näher zu sich heran. Er neigte den Kopf und tupfte zahllose kleine Küsse auf ihren Nacken. Sie keuchte, und das raue Geräusch ließ Wonneschauer über seine Haut rieseln. Er nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände und hob es an. Erwartungsvoll öffnete sie die Lippen. Seine Zunge drang, wieder und wieder, tief in ihren Mund vor. In Leslies Kopf begann sich alles zu drehen, als jeder klare Gedanke sie verließ und nur noch pures lustvolles Vergnügen sie erfüllte. Tief im Innern machte sich ein Ziehen bemerkbar, ein fiebriges, pulsierendes Verlangen, das ihr das Blut in den Ohren dröhnen ließ. Sie presste sich an Sam, drängte sich zwischen seine Beine und spürte wie erregt er war. Gemeinsam begannen sie, sich um uralten Rhythmus zu bewegen, ihre Körper perfekt im Gleichklang. „Leslie?" fragte Sam leise. „Ja?" hauchte sie. „Ja, oh, ja!" Sie ließen sich gerade so lange los, um sich ihre Sachen auszuziehen. Eifrig zerrte Leslie Sam das Hemd von den Schultern, ungeduldig kämpften ihre Finger mit seinem
Gürtel, und dann streifte sie ihm die Hose herunter. Nur ein tiefsitzender blauer Tanga verbarg noch den männlichsten Teil seines Körpers. Während sie danach griff und ihm auch diese letzte Hülle abstreifte, lachte Sam leise und hielt dann ihre Hand fest. „Jetzt bin ich an der Reihe!" sagte er. Er nahm den Saum ihres Tops, hob es hoch und zog es ihr über die Schultern. Vom Mondlicht gebadet, wirkte Leslies Körper wie Alabaster. Duftige Spitze umschloss ihre kleinen hohen Brüste. Langsam und ehrfürchtig öffnete Sam den Verschluss und entfernte den Büstenhalter. „Ich wusste, du würdest so aussehen", sagte er und bedeckte ihre Brüste mit den Händen. „Perfekt." Unwillkürlich schüttelte Leslie den Kopf. Als sie jedoch etwas sagen wollte, legte Sam ihr einen Finger auf die Lippen. „Perfekt", wiederholte er leise. Da lächelte sie schweigend, und das Wort hing wie ein Talisman in der Luft, während sie sich rasch auszog. Seite an Seite legten sie sich auf das Bett und erkundeten neugierig und erregt mit suchenden Händen den Körper des anderen. Leslies Finger glitten über Sams Brust und tiefer zu der straffen Muskulatur seines Bauches. Ihr Atem kam in kurzen heißen Stößen, und sie neigte sich über Sam, um ihn mit den Lippen und der Zunge zu streicheln. Als sie noch weiter nach unten vordringen wollte, hielt Sam sie fest und zog sie wieder an seine Seite. Wild fordernd küsste er sie, und Leslies Keuchen und ihre kleinen lustvollen Schreie, die Sams federleichtes Streicheln in ihr auslösten, wurden von seinem Mund erstickt. Welle auf Welle ungeahnter Wonnen überliefen sie, und die Erregung wurde schier unerträglich. „Ich sehne mich so nach dir", flüsterte Leslie. „Ich muss dich in mir fühlen." „Sag es mir. Sag mir, was du möchtest." „Dich. Dich, voll und ganz", antwortete Leslie schlicht, und Sam hielt den Atem an. Leslie griff hinter sich, öffnete eine Nachttischschublade und entnahm ihr ein schmales Päckchen. Er beobachtete sie mit halbgeschlossenen Augen und wusste, dass er am Rand seiner Selbstkontrolle stand. Noch nie hatte er eine Frau gehabt, die ihn so erregte wie Leslie, und keine hatte er mehr gewollt. Ungestüm drückte er sie aufs Bett zurück und legte sich auf sie. Leslie öffnete die Schenkel und führte Sam mit den Händen. Unglaubliche Lust durchströmte sie, als er in sie eindrang. Als er anhalten wollte, um ihr Zeit zu geben, sich an ihn zu gewöhnen, hob sie sich an und trieb ihn so tiefer in ihre süße, feuchte Wärme. Vor erotischem Wohlbehagen wie benommen, zog Leslie Sam noch weiter zu sich herunter. Sie hatte nicht gewusst, dass sie so empfinden können, sich so voll und gleichzeitig so erfüllt fühlen würde, als ob Zeit und Ort nicht mehr von Bewandtnis wären, als ob nichts von Bedeutung sei als die Ekstase, die in ihr wuchs und sie mitriss. „Sam .. .!" Er hörte sie seinen Namen wispern, und es klang halb wie eine Beschwörung und halb wie eine Bitte. Ihr Becken hob und senkte sich, um seinen Rhythmus aufzufangen oder ihn zu verhalten. Sie bewegte sich, hielt an und trieb ihn fast zum Wahnsinn. Sie warf den Kopf von einer Seite zur anderen, und Sam vergrub die Finger in ihrem Haar, um ihren Mund mit Küssen zu verschließen. Erschreckt von Sams Kraft und vom Ungestüm ihrer eigenen Reaktionen versuchte Leslie zu sprechen, brachte aber nur ein wohliges Keuchen zustande, als die Flut der Reize über ihr zusammenschlug. Die unaufhörlich wachsenden, weichen Wellen seiner hitzigen Erregung zogen Sam mit sich, bis er sich nicht mehr länger zurückhalten konnte. Blendende Blitze zuckten ihm vor den Augen, und mit einem heiseren Schrei gab er sich seiner eigenen Befriedigung hin. Eine ganze Weile verstrich, in der sie beide nichts sagten, und als einziges Geräusch war ihr keuchender Atem in dem dämmrigen Raum zu hören. Zärtlich blickte Sam zu Leslie herunter. Sacht strich er ihr die zerzausten Locken aus der feuchten Stirn. Leslie
hatte zwar die Augen geschlossen, aber ihr Gesicht war von grenzenloser Zufriedenheit erfüllt. Lächelnd hauchte Sam einen Kuss auf ihre Lippen. „Du siehst sehr mit dir zufrieden aus." „Nicht nur das", murmelte Leslie und öffnete ein Auge. „Ich bin sehr mit dir zufrieden." Sam verlagerte leicht das Gewicht und stützte sich auf die Ellbogen. „Unter diesen Umständen betrachte ich das als Kompliment." „Unter diesen Umständen kannst du das als Ritterschlag betrachten." „Als Ritterschlag?" „Ich hatte das Gefühl, beim Florettfechten zu sein." Leslie blickte ihn unschuldig an. „Du nicht?" „Und wer blieb Sieger?" Leslie räkelte sich wohlig. „Es blieb beim Unentschieden." Sie zwinkerte ihm zu. „Aber beim nächstenmal wirst du deine Klinge wieder so gekonnt wetzen müssen." „Beim nächstenmal?" Sie hob ihre Hüften und drängte sich an ihn. „Hmmm..." „Oh." Sam lächelte lüstern. „Du bist aber streitsüchtig." „Nicht streitsüchtig. Kampfesmutig." Und diesmal führten sie beide eine sehr scharfe Klinge. Am folgenden Sonntag ging der Jahrmarkt reibungslos über die Bühne. In der davorliegenden Woche hatte Sam sich bewusst im Hintergrund gehalten. Er wusste, Leslie hatte viel zu tun, und er war nicht gewillt, sich zu sehr einzumischen, um sein Interesse nicht als Aufdringlichkeit erscheinen zu lassen. Trotzdem telefonierten sie oft miteinander, und Sam registrierte mit wachsendem Stolz, wie Leslie die verschiedenen Organisationsprobleme der Veranstaltung in den Griff bekam. Bis zum Sonntag war keine einzige nennenswerte Katastrophe passiert. Und die kleineren Krisen hatte Leslie bewältigt, wie sie kamen, und jede mit der gleichen ruhigen Tatkraft gelöst, die ihre gesamte Lebenseinstellung prägten. Eine in der letzten Minute gestartete Werbekampagne hatte im ganzen Staat die Aufmerksamkeit auf die Tombola gelenkt, und die Nachfrage nach Losen war überwältigend. Da sich alles um ihn drehte, stand der BMW sonntags augenfällig in der Mitte des Mittelganges platziert. Auf Sams Vorschlag hin wurde er von den Besuchern durch eine dicke blaue Samtkordel getrennt, um die sich die Neugierigen bewundernd drängten. Die Losverkäufer hatten alle Hände voll zu tun. Bis abends um acht, als – nach einem schmetternden Fanfarentusch – das Gewinnlos gezogen wurde, waren Ta usende von Dollars eingenommen worden, und die Spannung hatte den Siedepunkt erreicht. Ein lauter Schrei ertönte aus der Gegend, wo der Gewinner stand, und ein Volksschullehrer aus Cloverdale kam umgehend auf das Podium geklettert, um aus Sams Hand die Wagenschlüssel in Empfang zu nehmen. Sofort scharten sich die Reporter der Ortszeitung um die beiden. Nachdem sie ihre Bilder vom glücklichen Gewinner, dem die Tränen in den Augen standen, geschossen hatten, wandten sie sich an Sam, der sich mit Leslie am Rand des Podiums aufhielt. „Mr. Donahue? Könnten Sie uns ein paar Fragen beantworten?" „Sicher", sagte Sam mit einem breiten Lächeln. Als Leslie sich in die Menge zurückziehen wollte, nahm er ihre Hand und hielt sie fest. „Stimmt es, dass alle Erlöse aus der Tombola an den Verein für bessere Lebenschancen gehen?" „Ja, das stimmt." „Das muss ein ganz schöner Batzen sein." „Die endgültigen Zahlen liegen uns noch nicht vor..." Sam zog Leslie nach vorn ins Licht. „Die Summe ist natürlich nur ein Teil des Gesamtbetrages, der durch die gesamte Veranstaltung hereingekommen ist. Das hier ist Leslie Vanderholden, die dafür großzügig
ihre Zeit geopfert und die Örtlichkeit bereitgestellt hat, damit das Ereignis überhaupt stattfinden konnte." „Da wir gerade von Großzügigkeit sprechen..." Nun wurden sie beide mit Fragen überschüttet, von denen Sam einen Teil beantwortete und Leslie die anderen. Die ganze Zeit war sie sich bewusst, dass Sam sehr häufig die Aufmerksamkeit von sich ablenkte und auf andere Leute hinwies, die seiner Meinung nach ein Lob verdienten, oder dass er den gemeinnützigen Zweck des Vereins herausstellte. Weit davon entfernt, die Tombola für die eigene Imagepflege zu benutzen, schien Sam damit zufrieden, seinen Teil bei der ganzen Sache herunterzuspielen. : „Weißt du", sagte Leslie, nachdem die Reporter sie endlich in Ruhe gelassen hatten, „du bist wirklich ein sehr netter Mann." Sams Augen funkelten belustigt. „Hast du je daran gezweifelt?" „Einmal, ... oder zweimal..." Sam knuffte sie in die Rippen, und Le slie sprang lachend zur Seite. „Nein, jetzt dreimal!" Als sie ihm lachend und unaussprechlich hübsch aussehend entfliehen wollte, hielt er sie fest und zog sie in die Arme. Ein Blick genügte, um ihm klarzumachen, wie ungeeignet die Örtlichkeit war. „Zum Te ufel", brummte er leise, „wozu du mich alles verleiten kannst!" Leslie entging das Verlangen in seinen Augen nicht. „Wag es ja nicht", warnte sie ihn, halb auffordernd, halb belustigt. „Sonst schockierst du alle Leute in der Stadt." „Ich habe nicht vor, dich hier auf dem hellerleuchteten Podium zu küssen." Er legte ihr den Arm um die Schultern, zog sie an seine Seite und ging mit ihr auf die Stufen zu. „Ich habe eine viel bessere Idee." „Wohin willst du?" fragte Leslie atemlos. „Hast du je auf einem Riesenr ad geknutscht?" Sie schüttelte den Kopf. „Nun, dann wird es aber höchste Eisenbahn." Leslie versuchte, einen möglichst würdevollen Eindruck zu machen, während Sam dem Mann am Kassenhäuschen verstohlen einen Geldschein zuschob und nach oben zeigte. Sie war sicher, jeder in der wartenden Schlange müsse die Bedeutung dieser Geste erkannt haben. Aber sie war viel zu erfreut, als dass es ihr etwas ausgemacht hätte. Dann stiegen sie in die Gondel und wurden zum sternenübersäten Himmel emporgetragen. Zwei Umdrehungen später blieb das Rad stehen, als ihre Gondel sich genau oben in der Mitte befand. Grinsend holte der Mechaniker ein paar Schraubenschlüssel hervor und fummelte am Betriebsmechanismus herum. „Du bist eine Nervensäge", sagte Leslie lachend. „Ich weiß." Sam breitete die Arme aus, und sie warf sich voller Begeisterung hinein.
8. KAPITEL
Als Leslie am nächsten Morgen in ihr Büro kam, rief sie als erstes Sam an. „Hallo?" brummte er und klang reichlich geistesabwesend. „Ich bin es." Sofort änderte sich sein Ton. „Ich habe gerade an dich gedacht." „Das klingt vielversprechend." „Ist es auch. Ich habe mir vorgestellt, was wohl passiert wäre, wenn das Riesenrad noch ein paar Minuten länger stillgestanden hätte." „Sam!" Leslie versuchte, einen schockierten Ton anzuschlagen, aber er fiel eher amüsiert aus. „Ich hatte keine Ahnung, dass du solche exhibitionistischen Tendenzen hast." „Ich auch nicht." Nun klang er wieder brummig. Sie zwang sich, nicht zu lachen, und wechselte das Thema. „Der Grund meines Anrufes ist, dass ich dir einen Vorschlag zu machen habe." „Schieß los." „Ich möchte lieber persönlich mit dir sprechen. Hast du zehn Minuten Zeit?" „Klar. Bin gleich bei dir." Wie versprochen, stand Sam kurz darauf auf Leslies Schwelle. Auf dem Weg dahin hatte er die Geschwindigkeit bewundert, mit der ihr Verkaufsgelände wieder in normalen Zustand gebracht wurde. Fast alle Fahrgeschäfte und Buden hatte man bereits abgebaut und wegtransportiert, und die Leute einer Reinigungsfirma waren emsig damit beschäftigt, die letzten Überreste des Abends aufzuräumen. „Setz dich bitte", bat Leslie ihn. Sam entschied sich für den stabiler aussehenden von zwei Stühlen, lehnte sich behutsam zurück und fragte argwöhnisch: „Welche Überraschung hast du jetzt wieder für mich?" „Nichts Besonderes." „Halten Sie sich fest, meine Damen und Herren, es geht in die nächste Runde..." „Ach, zum Kuckuck", erwiderte Leslie irritiert, „es handelt sich nur um einen Umzug, eine Parade zum vierten Juli." Sam dachte einen Moment darüber nach und fragte dann, wieder sehr vorsichtig: „Werden dann vielleicht Elefanten oder Kamele mitgeführt oder andere wilde Tiere?" „Kein einziges." Er entspannte sich etwas, und der wacklige Holzstuhl quietschte bedrohlich. „Ich glaube, der Gedanke ist die Überlegung wert..." „Für dich gibt es da nichts zu überlegen", unterbrach Leslie ihn. „Die Parade wird von mir finanziell unterstützt. Donahue Motors muss sich nicht daran beteiligen." Sam blickte hoch. „Ich dachte, du hättest mir einen Vorschlag zu machen." „Habe ich auch." Leslie stand auf und kam um ihren Schreibtisch. „Aber der hat nichts damit zu tun." „Wenn du so nervös hin- und herzurennen anfängst, denke ich immer, ich bekomme gleich Ärger mit dir." Leslie warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. „Ich renne nicht herum!" „Noch nicht", erwiderte Sam ruhig. Leslie sah ihn vernichtend an. „Willst du nun meinen Vorschlag hören oder nicht?" Sam faltete die Hände im Schoß und lächelte wohlwollend. „Ich bin ganz Ohr." „Ich habe mir gedacht, du und ich sollten überlegen, ob wir nicht in ein gemeinsames Geschäft einsteigen." Wie erwartet, zog Sam nach dieser Eröffnung die Augenbrauen hoch. Schnell sprach Leslie weiter. „Ich weiß, wie sehr dir dieser Rolls-Royce gefallen hat, den wir bei der Autoschau gesehen haben, und da kam mir der Gedanke, dass so ein Wagen genau die Art von Objekt ist, das zwischen deinem und meinem Angebot liegt. Er ist alt, aber gleichzeitig auch sehr schön. Als du dir diesen Wagen anschautest, war für dich nicht ausschließlich von
Bedeutung, was er einmal war, sondern wie er heute dastand, eine elegante, wertvolle Maschine." „Richtig." Obwohl Sam annahm, er wisse, worauf Leslie hinauswolle, fand er es besser, wenn sie ihm ihre Absichten erklärte. „Ich weiß nicht, ob es dir bekannt ist oder nicht, aber an solche n Autos sind eine Menge Leute interessiert, und es ist eine ganz lukrative Angelegenheit, diese Wagen wiederherzustellen." „Leslie, wenn ich mit Gebrauchtwagen handeln wollte..." „Nicht irgendwelche Gebrauchtwagen!" unterbrach sie ihn, ehe er seine Einwände vorbringen konnte. „Nein, klassische Modelle, einmalige Prototypen, Luxuslimousinen, die nicht mehr in gutem Zustand sind, aber wieder zu früherem Glanz erweckt werden können. Autos, deren Wert sich über die Jahre nicht vermindert hat. Ein Modell dieser Art, in Topzustand, ist wie eine Entdeckung und wird immer einen Höchstpreis erzielen." Einen Moment lang saß Sam in nachdenklichem Schweigen da. Er hatte nie einen Gedanken an den Gebrauchtwagenmarkt verschwendet, da ihn dieser Bereich früher nicht im mindesten interessierte. Aber jetzt, wenn er an den prachtvollen Rolls-Royce zurückdachte, erkannte er, dass ihn ein solches Auto in Versuchung bringen könnte. „Wie kommst du darauf, dass wir damit Erfolg haben?" Leslie wirbelte herum und gestikulierte aufgeregt. „Deine Mechaniker sind die Experten, wenn es um luxuriöse Importautos geht. Meine bringen jeden Wagen auf Vordermann, ganz gleich, wie alt er ist, und machen ihn fahrtüchtig. Du hast Zugang zu den Ersatzteilen und den Speziallacken, die wir benötigen, und ich kenne den so gut wie besten Karosseriebauer der ganzen Branche. Was sollte da schief gehen?" Sam musste über Leslies Enthusiasmus lächeln. Er erlebte hier die geborene Geschäftsfrau in Aktion, und er genoss jeden Augenblick seiner Beobachtungen. „Offensichtlich hast du den großen Rahmen bereits durchdacht, aber wie steht es um die Einzelheiten?" „Zum Beispiel?" „Zum einen die Buchführung, zum anderen die Entscheidungsgewalt. Ich denke, wir sollten von vornherein den Entschluss fassen, ob wir beide uns mit dem Ankauf und Verkauf befassen, oder ob einer gewillt ist, dem Urteil des anderen zu vertrauen." „Nichts einfacher als das", erwiderte Leslie. „Ich bin sicher, jede von dir getroffene geschäftliche Entscheidung wird mir recht sein. Außerdem, wäre jeder von uns beiden in der Lage, unabhängig zu handeln, dann verringern sich die Chancen, das zu bekommen, was wir wirklich wollen." „Einverstanden." „Und was die Buchführung angeht, bin ich ziemlich flexibel. Wie möchtest du das gehandhabt sehen?" Sam warf einen geringschätzigen Blick auf Leslies veraltete Aktenschränke. „Bei mir." „In Ordnung," Leslie lächelte, als sie die Richtung seines Blicks bemerkte. „Mir kann das nur recht sein." „Da ist noch etwas..." Schweigend wartete Leslie, dass er weitersprach. Sie war überzeugt, an alles gedacht zu haben. „Schon einmal war es beinahe soweit, dass geschäftliche Differenzen uns auseinandergebracht hätten. Hast du die Möglichkeit bedacht, dass es wieder geschehen könnte?" „Habe ich, aber ich habe mich auch daran erinnert, wieviel Spaß es uns gemacht hat, diese Differenzen zu bereinigen." Sie schwieg und zog etwas boshaft die Augenbrauen hoch. „Alles in allem bin ich zu dem Entschluss gekommen, es sei das Risiko wert." Sam bemühte sich, streng auszusehen, aber Sekunden später grinste er genauso breit wie Leslie. Zweifellos hatte ihre Idee viel für sich, das zu überlegen sich lohnte. Sein Instinkt, auf den er sich verlassen konnte, sagte ihm, es wäre den Versuch wert.
„Also", sagte er, „wo bekommen wir solche Autos her?" „Heißt das, du bist einverstanden?" Sam nickte. „Aber...", stotterte Leslie überrascht, „...ich habe ja noch nicht einmal meine besten Argumente ins Feld geführt!" „Dann heb sie dir auf. Man kann nie wissen, wann man auf ein gutes Argument zurückgreifen muss." Ehe Sam anderen Sinnes werden konnte, nahm Leslie rasch ein Blatt Papier zur Hand und skizzierte eine Anzeige. „Clem hält immer die Augen offen nach einem guten Schnäppchen. Ich wäre also nicht erstaunt, wenn er bereits das eine oder andere Auto im Visier hätte", sagte sie, während sie Sam den Zettel reichte. „Aber was hältst du davon, wenn wir in der Zwischenzeit diesen Text im Inquirer aufgeben?" „'Klassische Automodelle zur Aufarbeitung gesucht'", las Sam laut vor, „'Alle Typen, alle Jahrgänge. Toppreise garantiert.' Damit müssten wir wirklich Aufmerksamkeit erregen, besonders mit den Toppreisen. Und da wir gerade davon reden...", er unterbrach sich und blickte hoch, „...wer von uns bringt eigentlich das Startkapital für dieses kleine Wagnis ein?" „Wir beide natürlich. Wir machen halbe-halbe bei Kosten und Profiten." Leslie warf Sam einen eingebildeten Blick zu. „Für die Genialität meines Einfalls beanspruche ich selbstverständlich kein Honorar." „Du hältst ihn für genial? Bin ich froh, dass du es mir gesagt hast. Ich hätte das womöglich sonst gar nicht gemerkt." Leslie reckte die Nase in die Luft, während Sam die Anzeige zusammenfaltete und in seine Tasche steckte. „Wenn du willst, gebe ich das durch, wenn ich in meinem Büro bin. Dann erscheint es bestimmt schon zum Wochenende." Vorsichtig erhob er sich von dem wackligen Stuhl. „Du bist wirklich entschlossen, dich an dieser Sache zu beteiligen, ja?" „Natürlich. Ich sagte doch, ich halte es für eine gute Idee." „Ich weiß, aber..." „Aber was?" Leslie zuckte die Achseln. „Eigentlich hatte ich damit gerechnet, du würdest mir erklären, dass du erst darüber nachzudenken und eventuell Informationen zu beschaffen hättest oder vielleicht sogar eine Marktstudie einholen müsstest. Sicher, ich habe gehofft, dass du am Ende zustimmst, aber so schnell... Nun, ich bin ganz einfach überrascht, das ist alles." Wenn er sich die Wahrheit eingestand, war selbst Sam über sich erstaunt. Er bedachte Leslie mit einem vorwurfsvollen Blick. „Das ist alles deine Schuld." „Daran zweifle ich nicht eine Minute", erwiderte sie. Als Sam jedoch nicht gewillt schien, sich näher zu erklären, fragte sie: „Was ist meine Schuld?" Sam stützte die Hände auf Leslies Schreibtisch, beugte sich vor und sah sie von oben strafend an. „Ehe ich dich kennenlernte, war ich ein ruhiger, vernünftiger Mensch. Ich sah erst hin, bevor ich einen Schritt machte, und sagte nie etwas Unüberlegtes ..." „...und hast dir jedesmal nach dem Essen die Zähne geputzt?" „Mir ist es ernst!" brummte er. „Dir ist klar, dass es für meine Veränderung nur eine Erklärung gibt – etwas von deinem impulsiven Wesen färbt auf mich ab." Leslie zwang sich, nicht zu lachen. „Für dich muss das schlimmer als die Krätze sein." Irritiert schüttelte Sam den Kopf. „Es hätte genau anders herum sein sollen. Das würde wenigstens einen Sinn ergeben." „Es hat auch anders herum funktioniert", erklärte Leslie ihm ernsthaft, aber sie lächelte ein wenig. „Seit ich dich kenne, bin ich viel konservativer geworden. Ehe du dich versiehst, werde ich mir eine Schleifenbluse anziehen und für die Republikaner stimmen." Statt einer Antwort schnaubte Sam unüberhörbar durch die Nase. Offensichtlich war er von Leslies angeblicher Veränderung nicht sehr überzeugt. „Ich muss jetzt wieder zurück.
Wenn ich bei dir bin, scheine ich irgendwie alles andere zu vergessen, sogar Donahue Motors." „Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment betrachten soll", antwortete Leslie kokett. „Aber ich werde darüber nachdenken." „Judas." Sie kam hinter ihrem Schreibtisch vor, und Sam zog sie in die Arme. Er küsste sie kurz, aber heftig, und als er sie wieder losließ, stand Leslie etwas unsicher auf den Beinen. „Sehen wir uns zum Dinner?" brachte sie benommen heraus. „Ich fürchte, ich muss dir einen Korb geben." Aus seiner Stimme sprach ehrliches Bedauern. Trotzdem war Leslie zutiefst enttäuscht. „Ein guter Freund, der nicht hier lebt, kommt heute abend zu Besuch und bleibt nur die eine Nacht. Ich habe ihm versprochen, mir den Abend für ihn freizuhalten." „Nun, was nicht geht, das geht nicht", meinte Leslie achselzuckend. „Dann werde ich mir eben mit meinen Geschäftsbüchern ein paar nette Stunden machen. In der letzten Zeit waren die Umsätze sehr zufriedenstellend." „Ich wünsche dir, dass es so bleibt", erwiderte Sam, küsste sie noch einmal und ging in sein Büro zurück. „Das ist er!" sagte Leslie mit Genugtuung. Sam und sie standen neben einem zwanzig Jahre alten Mercedes Benz 280 SL. Er war einige Tage vorher gekauft und soeben von einem Abschleppwagen auf ihr Grundstück gebracht worden. „Für den Anfang ist er genau richtig!" „Ich bin froh, dass du das denkst." Sam beugte sich vor, um in das Innere des Sportwagens zu sehen, und bereute es augenblicklich. Das Armaturenbrett war schäbig und zerkratzt, und auf den Schalensitzen lagen speckige, zerrissene Schaffelle. „Auf mich wirkt dieser Wagen eher so, als sei er völlig am Ende." „Ich gebe zu, es muss ein bisschen daran gearbeitet werden." „Ein bisschen?" „Okay, vielleicht eine Menge." Leslie streichelte das Dach der kleinen Limousine, als wolle sie den Wagen wegen seines desolaten Zustandes trösten. „Aber deswegen haben wir uns doch in diesem Unternehmen zusammengetan." „Ich weiß", erwiderte Sam. Er hatte ihre Begeisterung für dieses Unterfangen noch immer gut in Erinnerung. „Wir geben alten Autos ihren früheren Glanz zurück." Leslie warf ihm einen Blick zu. „Wenn er bereits in perfektem Zustand wäre, hätten wir keine sehr große Profitmarge, findest du nicht?" „Wieviel Profit willst du aus einem Zweitausend-Dollar-Mercedes schlagen?" „Verlass dich auf mich. Hat er erst mal wieder seinen ursprünglichen Zustand, ist er leicht seine zwanzigtausend wert." Sam musste über Leslies großspurigen Ton lächeln. Ihr Enthusiasmus, ihr Optimismus und die Begeisterung, die in ihren hellbraunen Augen leuchtete, imponierten ihm. Das war eine Mischung, die ihm immer wieder an ihr gefiel. Es war schwieriger als erwartet gewesen, sich zeitlich so aufeinander abzustimmen, dass sie öfter zusammensein konnten. In den letzten zehn Tagen war es jedoch zu ihrer Gepflogenheit geworden, in der Woche gemeinsam zu lunchen, eine Praxis, die sich bemerkenswert gut bewährte. Aus früheren Erfahrungen hatte Sam gelernt, dass er nicht lange brauchte, bis er sich beengt oder gelangweilt fühlte, wenn er oft mit einer einzigen Frau zusammen war. Zuerst hatte er sich auch gefragt, ob diese häufige Nähe zu Leslie dazu beitragen würde, ihr Verhältnis zu strapazieren und es einem baldigen Ende zuzutreiben. Aber wenn die Zeit, die er mit ihr verbrachte, ihn eines gelehrt hatte, dann, dass nichts voraussehbar war. Tag für Tag überraschte und entzückte sie ihn aufs neue, bis er zu der Erkenntnis gelangte, dass von allen seinen Befürchtungen die am allerwenigsten zutraf, er könne sich gelangweilt sehen. Einmal, als Leslie nicht zur Verfügung stand, stellte er verblüfft fest,
dass er sich bereits an diese gemeinsame Routine gewöhnt hatte, und der tägliche Lunch mit ihr eine ihm sehr willkommene Unterbrechung seiner oft sehr langen Arbeitstage war. Leslie begann, ihm in so vielen Dingen etwas zu bedeuten, wie er es noch vor wenigen Monaten nie für möglich gehalten hätte. Früher hatte er sich stets dagegen gesträubt, von jemandem abhängig zu sein, und war überzeugt gewesen, es auch jetzt nicht zuzulassen. Aber nun konnte er sich nicht mehr vorstellen, auf Leslies Gegenwart zu verzichten, und selbst dann, wenn sie voneinander getrennt wären, verfolgte ihn ihr Bild. Langsam aber sicher brachte sie seine innere Abwehr zum Erliegen. Und zum erstenmal wusste Sam, der sich stets für einen entschlossenen Mann gehalten hatte, nicht, wie er sich verhalten solle. Einerseits wäre er am liebsten vor ihr davongelaufen, andererseits war die Versuchung für ihn viel zu groß, auf sie zuzugehen und ihr zur Seite zu stehen. Neben ihm hielt sich Leslie jetzt die Hand über die Augen und blickte fragend zu Sam hoch. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass er gelegentlich in Schweigen versank und respektierte seinen Wunsch, Dinge im stillen zu überdenken, statt unverblümt mit seiner Meinung herauszuplatzen, wie sie es so oft tat. Jetzt allerdings machte Sam einen eher beunruhigten denn nachdenklichen Eindruck. „Denkst du über dein investiertes Kapital nach?" fragte sie leise. „Nein, überhaupt nicht." Sam schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu verscheuchen. „Bestimmt wird der Wagen sein Geld einbringen. Lass Clem mit der Arbeit am Motor anfangen, und ich schicke einige meiner Männer herüber, die sich mal das Getriebe ansehen werden." „In Ordnung." Leslie fuhr mit dem Zeigefinger an der verbogenen Antenne des Sportwagens entlang. „Ich werde nicht da sein, aber ich sage Clem, dass sie kommen." Überrascht drehte Sam sich um, erinnerte sich jedoch sogleich. „Ach, ja. Du gehst zu dieser Hochzeit, über die jeder beim Barbecue geredet hat. Wie lange bist du weg?" Leslie fand seine Frage interessant. Eigentlich hätte sie der besitzergreifende Ton stören sollen, aber sie merkte, dass er ihr gefiel. „Bis nächsten Montag." „So lange?" „Hmm." Leslies Hand zuckte zurück, als die altersschwache Antenne, die sie geradezubiegen versuchte, plötzlich brach. Dann bemerkte sie Sams Grinsen und lächelte selbst. „Keine Angst, ich setze sie auf die Liste. Und was die Hochzeit angeht, weißt du, dass es noch nicht zu spät ist, deine Meinung zu ändern und mitzukommen?" Sam überlegte einen Moment, schüttelte dann aber den Kopf. „Irgendwie scheint es mir besser, wenn ich lerne, mit den Vanderholdens zunächst in kleinen Dosierungen klarzukommen und mich nicht in eine Menge von Verwandten stürze, die bei einer solchen Hochzeit unweigerlich anwesend sein dürften. Außerdem kann ich es mir im Augenblick kaum erlauben, volle vier Tage nicht hier zu sein. Und wie handhabst du das? Du machst doch nicht zu, oder doch?" „Soll das ein Witz sein?" „Nein. Ich hätte es mir auch nicht vorstellen können." Sam freute sich, dass er Leslie richtig eingeschätzt hatte. „Wenn du willst, kann ich dir einen meiner Verkäufer herüberschicken, der sich in deiner Abwesenheit ums Geschäft kümmert." „Einer von deinen Verkäufern soll hier bei Leslies Late-Model Lovelies arbeiten?" Leslie zog eine Augenbraue hoch. „Wer immer das ist, er wäre bestimmt sauer." „Das würde ich ihm nicht raten!" Noch vor einem Monat hätte Sam nie in Betracht gezogen, Leslie einen solchen Vorschlag zu machen, und es wäre ihm erst recht nicht in den Sinn gekommen, sich auf ihre Seite zu stellen. Mit einem gewissen Wohlbehagen erkannte er, dass in seinen Augen Leslies Unternehmen mittlerweile eine Daseinsberechtigung besaß, die er ihm früher nicht zugebilligt hatte. Das zeigte nur zur deutlich, wie in der Zwischenzeit ihr persönliches Verhältnis sich verändert hatte. „Danke für das Angebot, aber es ist wirklich nicht notwendig. Ich kenne einen Mann, übrigens ein Collegelehrer, der sich was nebenher verdient und für mich einspringt, wenn
ich nicht da bin. Er sammelt Material für ein Buch und behauptet, einige meiner Kunden seien absolut faszinierend. Er wäre sicherlich geknickt, wenn ich ihn nicht holen würde." „Na gut. Schön, dass das geregelt ist." Sam runzelte über seine Worte die Stirn. Sie drückten längst nicht das aus, was er eigentlich hatte sagen wollen. „Ich hoffe, du amüsierst dich gut", fügte er deshalb hinzu, aber auch diesmal entsprach es nicht ganz dem, was ihm auf dem Herzen lag. „Danke, das werde ich sicher." „Grüß deine Familie von mir." Leslie unterdrückte ein Lächeln. Sie hatte noch nie miterlebt, dass Sam verlegen war. Es war, wie sie fand, eine interessante Erfahrung. „Auch das werde ich." Sie wartete eine Sekunde, ehe sie fragte: „Sonst noch was?" „Ja, da ist noch was." Leslie bog den Kopf in den Nacken und sah Sam mit lachenden Augen an. Er nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände. „Ich werde dich vermissen", sagte er leise. Leslie hob die Hände und legte sie auf seine. Obwohl seine Gründe stichhaltig waren, bedauerte sie doch, dass Sam seinen Sinn nicht geändert und beschlossen hatte, mit ihr zur Hochzeit zu kommen. „Auch ich werde dich vermissen." „Das möchte ich dir raten", brummte Sam, überrascht von der Heftigkeit seiner Reaktion. „Darauf kannst du wetten." Diesen leisen Worten folgte ein noch leiserer Seufzer.
9. KAPITEL
Ziemlich erleichtert lenkte Leslie am späten Montagabend ihr Auto in die Einfahrt zu ihrem Haus. Die Hochzeitsfeier war ein voller Erfolg gewesen, und allen Anzeichen nach würde die Ehe ihres Cousins es auch sein. Die Frischvermählten waren auf dem Weg auf die Bermudas, sie selbst hatte Ken in sein College nach Villanova gebracht und sehnte sich nun wieder nach der Routine ihres normalen Lebens. Nach einer geruhsamen Nacht traf Leslie am nächsten Morgen erfrischt und tatendurstig in ihrem Büro ein. Sie hatte sich eben an ihren Schreibtisch gesetzt, als sie einen Wagen auf ihr Grundstück fahren hörte. Sie warf ihre Handtasche in eine Schublade und sah erwartungsvoll hoch. Einen Moment später ging die Tür auf, und ein schlanker junger Mann kam herein. Er trug eine Schildpattbrille mit dicken Gläsern und hatte wild in die Gegend stehende, sandfarbene Haare. Gleich hinter der Schwelle blieb er stehen und sah sich um. Leslie hatte ein Gespür dafür, Menschen richtig einzuschätzen, ein Talent, das mit den Jahren durch ihre Tätigkeit noch größer geworden war. Wenn der erste Eindruck nicht trog, dann wäre dieser Mann, der höchstens Anfang Zwanzig war, bestimmt lieber irgendwo anders gewesen als hier. Rasch versuchte sie, ihm das Gefühl der Unsicherheit zu nehmen. „Ich bin Leslie Vanderholden." Sie lächelte ihn herzlich an, während sie aufstand und ihm die Hand hinhielt. „Wie kann ich Ihnen behilflich sein?" „Hmmm, ... ich habe Ihre Anzeige gelesen." Einen Augenblick lang starrte er verständnislos auf ihre Hand, wischte sich dann seine rechte am Hosenbein ab und schüttelte Leslie kurz die Hand. „Ich bin Dewey Phillips." „Nett, Sie kennenzulernen, Dewey." Leslie wies auf einen Stuhl. „Möchten Sie sich setzen?" „Ja, bitte." Die Beine des Stuhls kratzten über den Boden, als Dewey ihn vor den Schreibtisch zog. Dann setzte er sich Leslie gegenüber hin und wartete. „Im Moment habe ich mehrere Anzeigen laufen. Welche haben Sie gelesen?" Dewey schob sich die Brille höher auf die Nase und blinzelte Leslie ho ffnungsvoll an. „Die, wo es hieß, Sie kaufen alte Wagen. Und wo was von den Toppreisen drin stand." Leslie stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und legte die Fingerspitzen zusammen. „Ja", erwiderte sie langsam, „ich bin an alten Autos interessiert. Allerdings nicht an irgendwelchen, sondern an gewissen klassischen Modellen." „Oh, meins ist das!" Unversehens leuchtete Deweys Gesicht vor Begeisterung, und diese Veränderung kam äußerst überraschend. „Ein 1956er Thunderbird, mit einer V8 Maschine, 202 PS, Sommerdach und Winterverdeck..." „Donnerwetter!" Leslie hob eine Hand, um seinen Redefluss zu stoppen. „Das klingt ja wundervoll, genau das, was ich suche. Wann kann ich den Wagen mal sehen?" „Sofort. Er steht draußen." „Heißt das, er läuft noch?" „Na klar läuft der noch", sagte Dewey voll Stolz. „War ja wohl nur ein halbes Auto, wenn er das nicht täte." Kaum war Leslie nach draußen gegangen, sah sie auch schon, dass Deweys Auto ganz der Beschreibung entsprach. Der cremefarbene Thunderbird, ein niedriger, schnittiger Wagen mit runden Fenstern und einem über der hinteren Stoßstange montierten Reserverad, war der Traum eines jeden Autonarren. Leslie gab einen langen Seufzer von sich, dann drehte sie sich verblüfft um. „Den wollen Sie wirklich verkaufen?" „Klar", erwiderte Dewey mit Nachdruck. „Sonst wäre ich doch wohl nicht hier, oder?" Leslie merkte, dass hier etwas nicht stimmte, als sie die widersprüchlichen Regungen in Deweys wechselndem Mienenspiel bedachte. Als er über den Wagen gesprochen hatte, war sein Gesicht voller Begeisterung gewesen, doch wenn es um den Verkauf ging, fehlte
ihm alle Lebhaftigkeit Hinter dieser Geschichte steckte etwas, das sie noch nicht wusste, und Leslie war entschlossen, das herauszufinden. „Wenn Sie nichts dagegen haben", sagte sie, „soll mein Mechaniker sich den Wagen mal ansehen, während wir uns in meinem Büro unterhalten." „Okay", stimmte Dewey zu. Clem wurde aus der Werkstatt gerufen, Dewey übergab ihm die Wagenschlüssel und warf dann einen letzten, langen Blick auf den Thunderbird, bevor er Leslie nachging. „Nun dann", sagte Leslie und nahm einen Vordruck zur Hand, um sich Notizen zu machen. „Wo haben Sie den Wagen her?" „Von meinem Vater." Geistesabwesend fingerte Dewey am Hosenbündchen herum. „Ein Geschenk?" „Ein Erbstück, eigentlich. Mein Vater ist tot." Plötzlich schoss Dewey ein Gedanke durch den Kopf, und er sah hoch. „Keine Angst, er gehört mir." Leslie nickte und machte an der entsprechenden Stelle des Vordrucks ein Kreuz. „Wann hat Ihr Vater den Wagen gekauft?" „1956, direkt vom Händler. Er musste drei Jahre sparen, bis er das Geld hatte, aber er meinte immer, das sei es wert gewesen." Leslie zog die Augenbrauen zusammen. „Der Wagen ist seit mehr als dreißig Jahren in Ihrer Familie?" „Ja." Dewey senkte den Kopf. „Er ist älter als ich." „Und trotzdem wollen Sie ihn verkaufen?" „Na klar. Deshalb bin ich hier." „Sie sehen nicht sehr glücklich über diesen Entschluss aus." Er zuckte hilflos die Schultern. „Mir bleibt keine andere Wahl. Meine Mutter ist krank. Ich brauch' das Geld." Leslie machte sich eine weitere Notiz. Clem steckte den Kopf durch die Tür und signalisierte ihr stumm mit erhobenem Daumen, der Wagen sei in Ordnung. Sie nickte und wandte sich wieder an Dewey. Plötzlich sah er sehr viel jünger aus, als er war. Leslie merkte, dass es ihr lieber gewesen wäre, der Thunderbird bliebe in seinem Besitz, sosehr sie auch an dem Wagen interessiert war. „Ist das die einzige Möglichkeit, wie Sie an Geld kommen können?" fragte sie ruhig. Von der Frage überrascht, sah Dewey hoch. „Glauben Sie mir, wenn es eine andere Möglichkeit gäbe..." Er schüttelte resigniert den Kopf. „Das Problem ist, dass ich freiberuflich tätig bin, müssen Sie wissen. Ich entwickle Computer-Software. Damit komme ich ganz gut über die Runden. Gerade habe ich ein neues Paket entwickelt...", sein Gesicht glühte wieder vor Begeisterung, „...und wenn das in den Verkauf kommt, geht es ab wie eine Rakete. Momentan verhandeln wir über die Rechte." „Vielleicht würden Ihnen die Leute, mit denen Sie zu tun haben, einen Vorschuss bewilligen?" schlug Leslie taktvoll vor. Irgendwie erinnerte sie dieser junge Mann vor ihr an Ken und auch an Hai. Plötzlich erschien es ihr viel wichtiger, ihm aus seiner Verlegenheit zu helfen, statt einen guten Fang zu machen. „Nicht, bevor die Verträge unterschrieben sind, und das kann noch Wochen dauern. So lange kann Mom nicht warten." „Ich verstehe." „Aber ich dachte mir…", Dewey sah sie hoffnungsvoll an, „. . . dass ich vielleicht wiederkommen könnte, sobald die Software im Verkauf is t. Ich meine, es gibt doch keinen Grund, warum ich den Wagen nicht wieder zurückkaufen könnte, oder?" „Nein", antwortete Leslie langsam, „vorausgesetzt, er ist immer noch da." Sie fand es unnötig zu erwähnen, dass ein so herrlicher Wagen wie Deweys Thunderbird wohl kaum lange unverkauft bleiben würde. „Also, dann ist doch alles in Butter. Vielleicht kriege ich den Wagen ja wieder." Dewey zuliebe zwang Leslie sich zu einem Lächeln. „Vielleicht. Gut, kommen wir zum Geschäft."
Da sie spürte, dass er nicht zu handeln gewohnt war, nannte Leslie ihm einen fairen Preis, und Minuten später gehörte der Wagen ihr. Sie schrieb einen Scheck aus und sah Dewey nach, der sich erst von seinem Thunderbird verabschiedete, ehe er um die Ecke zu einer Bushaltestelle ging. Als sie in ihr Büro zurückkehren wollte, stand Clem hinter ihr. „Der Wagen muss ein bisschen auf Vordermann gebracht werden", sagte er. „Aber viel ist nicht zu tun. Wenn Sie ihn schnell verkaufen wollen, kann ich ..." „Nein, das ist nicht nötig." Leslie schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Ich habe so das Gefühl, dass er eine Weile hier stehen wird." „Aber doch nicht dieses Prachtstück. Er ist in Nullkommanichts verkauft." „Vielleicht", antwortete Leslie nachdenklich. „Vielleicht auch nicht." Am späten Vormittag telefonierte Leslie mit Donahue Motors, um zu fragen, ob Sam zum Lunch frei sei. Nach vier Tagen Abwesenheit konnte sie es kaum erwarten, ihn wiederzusehen. Zu ihrer Überraschung wurde sie jedoch mit Joe Saks statt mit Sam verbunden. „Sam bat mich, Sie zu informieren, sobald Sie anriefen", sagte er. „Ist etwas nicht in Ordnung?" „Sam hat sich irgendeinen Bazillus eingefangen und ist krank. Er rief gestern an und sagte, er würde ein paar Tage nicht kommen." Leslie runzelte die Stirn und war sofort besorgt. „Es ist doch nichts Ernstes, oder?" „Nein, wahrscheinlich nur die Grippe. Er bat mich, Ihnen mitzuteilen, dass er Sie anrufen würde, sobald er wieder auf den Beinen sei." „Wenn er wieder auf den Beinen ist? Und wer kümmert sich jetzt um ihn?" „Lassen Sie sich das von jemandem sagen, der ihn gut kennt – Sam ist ein richtiger Brummbär, wenn er krank ist. Er will von niemandem gepflegt werden." „So, das werden wir ja sehen", murmelte Leslie. Sie hatte kaum aufgelegt, als sie auch schon Pläne machte. Nach der Arbeit ging sie einkaufen, kochte und packte einen Korb mit Lebensmitteln zusammen. Um sieben Uhr war sie für den Krankenbesuch fertig. In Sams Apartmenthaus klingelte sie an seiner Tür, und als niemand antwortete, klopfte sie laut an und rief: „Sam? Ich bin es, Leslie." Etliche Minuten verstrichen, bis Leslie hörte, dass die Verriegelung zurückgeschoben wurde. Die Tür wurde einen Spalt aufgemacht und Sams Gesicht erschien. Er sah bleich aus, hatte Ringe unter den Augen und war nicht besonders erfreut, Leslie zu sehen. „Ich bin krank", verkündete er ihr. „Hast du nicht mit Joe gesprochen?" „Sicher, deswegen bin ich ja hier." Leslie stemmte eine Hand gegen die Tür und drückte. Sie bewegte sich nicht. „Willst du mich nicht hereinlassen?" „Nein." Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre sein Ton unnachgiebig gewesen, doch jetzt klang er nur verärgert. „Wie willst du wieder gesund werden, wenn sich niemand um dich kümmert?" „So wie immer", antwortete Sam langsam, als koste ihn das Sprechen Mühe. „Ich bleibe im Bett und schwitze mich gründlich aus." „Unsinn. Ich habe dir Saft gebracht und meine ganz spezielle selbstgemachte Suppe. Zumindest könntest du mich die Lebensmittel in die Küche bringen lassen." Er schüttelte den Kopf. „Mir ist nicht nach Essen zumute." „Dann werde ich nur..." „Leslie!" Sam warf ihr einen unheilvollen Blick zu. „Ich hasse es, Leute um mich zu haben, wenn ich krank bin." „Prima. Ich auch. Betrachte mich nicht als Gesellschafterin. Stell dir vor, ich sei die Krankenschwester." „Ich brauche keine Krankenschwester..." Diesmal kam der Schubs, den sie der Tür versetzte, für Sam ganz unerwartet. Sie ging ein paar Zentimeter weiter auf, doch das reichte, damit Leslie hineinschlüpfen konnte.
„Hat dir schon jemals jemand gesagt, dass du eine herrschsüchtige Frau bist?" wollte Sam wissen. „Mehrere Leute. Ich bemühe mich, es mir nicht zu Kopf steigen zu lassen." Nachdem Sam nun in voller Größe vor ihr stand, sah Leslie überrascht, dass er nur Pyjamahosen trug, die ihm gefährlich tief auf den schmalen Hüften hingen. Als er sich umdrehte und den Korridor hinunterging, starrte sie ihm nach und bewunderte seine Figur. Sam nieste laut und brachte Leslie abrupt in die Wirklichkeit zurück. „Dir ist doch klar, dass ich dich anstecken könnte", brummte er. „Das Risiko nehme ich auf mich." „Das wirst du müssen." Sam blieb in der Tür zu seinem Schlafzimmer stehen. „Soweit es mich betrifft, musst du dich allein amüsieren. Ich bin nicht in der Verfassung, zu deiner Unterhaltung beizutragen." „Und wer hat dich darum gebeten?" murme lte Leslie. Auf dem Weg zur Küche warf sie einen Blick in das offene Schlafzimmer und sah, dass Sam wieder ins Bett kletterte. Kein Wunder, dass Joe ihn einen Brummbär genannt hat, dachte sie, während sie den Korb auf der Durchreiche auspackte. Eisbär wäre der passendere Ausdruck gewesen. Sie goß etwas Suppe in eine Schüssel und stellte sie zum Aufwärmen in den Mikrowellenherd. Dann holte sie ein Glas und füllte es bis zum Rand mit Saft. Trotz Sams Protesten weigerte Leslie sich zu glauben, ein bisschen liebevoller Fürsorge würde nicht dazu beitragen, dass er sich besser fühlte. Ihr hatte das immer geholfen. Unter der Theke fand sie ein Tablett und stellte die warme Suppe, den Saft und Cracker darauf. Leslie war jedoch noch keine zwei Schritte in Sams Zimmer, als er ein Auge öffnete und kategorisch sagte: „Ich bin nicht hungrig." „Das glaubst du." Leslie stellte das Tablett auf den Nachttisch und nahm ein paar Kissen, um sie Sam in den Rücken zu stopfen. „Setz dich auf." „Muss ich das?" „Ja." „Niemand hat dic h gebeten, Florence Nightingale zu spielen", brummte Sam, während er sich mühsam aufrichtete. „Niemand hat dich gebeten, dich wie ein Fünfjähriger aufzuführen, aber das scheint dich nicht davon abzuhalten." Leslie stellte Sam das Tablett auf den Schoß. „Iß jetzt!" „Dein Ton als Krankenschwester lässt zu wünschen übrig!" „Deiner auch", erwiderte Leslie honigsüß. „Koste die Suppe." Zweifelnd blickte Sam auf die Schüssel. „Ich mag keine Suppe." „Gut." Sie drückte ihm einen Löffel in die Hand. „Dann tu wenigstens so." „Du glaubst doch nicht wirklich an dieses Ammenmärchen, mit Hühnersuppe könne man alle Krankheiten heilen, oder?" Leslie glaubte daran, aber das stand hier nicht zur Debatte. „Bis jetzt habe ich noch keinen Patienten verloren." „Ich begreife, warum. Bei dir macht das Kranksein so wenig Spaß, dass die Leute wahrscheinlich alles tun würden, um postwendend gesund zu werden." Leslie unterdrückte eine scharfe Antwort, als Sam den Löffel in die Suppe tauchte und zu essen begann. Er konnte sie solange kränken wie er wollte, Hauptsache war, dass er etwas in den Magen bekam. Wie schwach Sam wirklich war, merkte sie daran, dass er fast eine Viertelstunde benötigte, um die Suppenschüssel zu leeren und ein halbes Glas Saft zu trinken. Nachdem Leslie das Tablett fortgenommen und die Kissen aufgeschüttelt hatte, ließ er sich matt zurückfallen. „Schlaf ein bisschen", sagte sie. „Ich komme später wieder nachsehen." „Hmmm", stimmte Sam ihr mit geschlossenen Augen zu. „Leslie?" Sie blieb vor der Tür stehen. „Danke." Dieses eine Wort war für Leslie Lohn genug. Sie ging abwaschen, setzte sich dann ins Wohnzimmer und blätterte ein paar Magazine durch. Es war nicht Sams Fehler, dass er
nicht daran gewöhnt war, von jemandem umsorgt zu werden, und ebensowenig war es ihr Fehler, dass sie nicht anders konnte, als Menschen zu helfen. Als sie eine Stunde später behutsam um die Tür lugte, schlief er ruhig. Eine weitere Stunde danach hatte er jedoch die Bettdecke abgeschüttelt, das Kissen war heruntergefallen, und Sam warf sich unr uhig von einer Seite zur anderen. Leslie ging zu ihm und legte ihm die Hand auf die Stirn. Sam hatte hohes Fieber. Sie eilte ins Bad und öffnete das Medizinschränkchen. Auf dem untersten Regal fand sie ein Päckchen Aspirin. Sie entnahm ihm zwei Tabletten und füllte ein Glas mit Wasser. Als sie wieder ins Schlafzimmer kam, war Sam halb wach und stöhnte leise. „Hier, nimm die Tabletten", sagte sie, schob den Arm unter seine Schultern und half ihm zu sitzender Stellung auf. „Was ist das?" „Aspirin, aus deinem eigenen Medizinschrank." Sie stützte ihm den Rücken, während Sam die Tabletten in den Mund steckte und sie rasch mit einem großen Schluck Wasser hinunterspülte. Dann ließ sie ihn wieder sacht auf das Bett zurücksinken. „Entschuldige, dass ich kein besserer Gastgeber bin", murmelte Sam undeutlich. Wäre er in besserer Verfassung gewesen, hätte Leslie gelächelt. „Keine Sorge, Du musst dich nicht entschuldigen." „Ich fühle mich hundsmiserabel." „Ich weiß", sagte Leslie weich und besänftigend. „Bleib einfach so liegen und warte auf die Wirkung des Medikaments. Inzwischen werde ich dir eine kalte Kompresse für die Stirn machen." Aus einem Schrank neben dem Wasserbecken nahm Leslie einen Waschlappen und feuchtete ihn mit kaltem Wasser an. Als sie aus dem hellen Bad in das finstere Schlafzimmer trat, war Sam nur als schattenhafte Gestalt in der Mitte des Bettes zu erkennen. Dann gewöhnten sich Leslies Augen an die Dunkelheit, und sie nahm ihn deutlicher wahr. Er lag mit geschlossenen Augen da, und sein dunkelbraunes Haar stand in scharfem Kontrast zu den blassblauen Bezügen. Einen Arm hatte er über den Kopf gelegt, der andere ruhte auf seiner Brust. Die Finger hielt er um die Kante der Bettdecke. Eine Welle der Zärtlichkeit erfasste Leslie, und sie lächelte weich. Wenn er schlief, wirkte Sam längst nicht so hart und energisch, wie er sich sonst manchmal gab. Im Halbschlaf sah er verwundbar und unglaublich erschöpft aus. Er brauchte sie, ob er wollte oder nicht. Dieser kräftige, starke, unabhängige Mann brauchte tatsächlich Leslies Hilfe. Der Gedanke befriedigte sie, aber war auch ein bisschen demütigend. Mit zarten Fingern legte sie ihm den kalten Lappen auf die Stirn. Sam seufzte leise auf, öffnete aber nicht die Augen. Leslie setzte sich auf die Bettkante und sah zu, wie langsam die Hitzeröte aus seinen Wangen schwand und sein stoßweiser Atem wieder regelmäßiger ging. Sams Haar war feucht, und Leslie strich ihm die Strähnen aus der Stirn. „Rede mit mir", murmelte Sam. Leslie unterdrückte ein Lächeln. „Möchtest du eine Gute-Nacht-Geschichte hören?" „Kaum." Er machte ein Auge auf. „Erzähl mir, was du heute gemacht hast." Obwohl er nicht in dem Zustand zu sein schien, ihr große Aufmerksamkeit schenken zu können, kam Leslie gern seiner Bitte nach. Auf der Bettkante hockend, berichtete sie ihm von Dewey Phillips und dem hinreißenden Thunderbird, der jetzt hinten auf ihrem Verkaufsgelände stand. „Das einzige ist", sagte sie schließlich, „dass wir den Wagen nicht verkaufen können. Ich wollte sagen, natürlich können wir ihn verkaufen, aber nicht im Moment. Wenn du gesehen hättest, wie Dewey an seinem Auto hängt... Wir müssen ihm einfach genügend Zeit lassen, wieder finanziell auf die Beine zu kommen." „Die Idee ist nicht schlecht", murmelte Sam schläfrig. „Ich bin froh, dass du mir zustimmst." Es dauerte nur ein paar Minuten, bis Sam fest und tief schlief. Leslie beugte sich vor
und hauchte ihm einen leichten Kuss auf die Wange. Seine Bartstoppeln kitzelten sie, und sie lachte leise, während sie auf ihn hinunterschaute. So also fühlt man sich, wenn man liebt, dachte sie. Man sieht einen Mann an und weiß, dass man den Rest seines Lebens mit ihm verbringen will. Sam regte sich und drehte sich auf die andere Seite. „Du Undankbarer", wisperte Leslie gutmütig, stand auf und verließ auf Zehenspitzen den Raum. Leise schloss sie hinter sich die Tür. Auf dem Weg ins Büro fuhr Leslie am nächsten Morgen zu Sam, um zu wissen, wie es ihm ging. Als er ihr diesmal die Tür öffnete, stand er schon viel sicherer auf den Beinen. Obwohl er gleich wieder ins Bett ging, war nicht zu übersehen, dass er sich viel besser fühlte. „Wie ich sehe, hast du nicht noch mehr Suppe mitgebracht", sagte er zufrieden, als Leslie ihm ins Schlafzimmer folgte. „Es ist noch genügend von gestern abend da", erklärte sie ihm, während sie die Vorhänge wegzog, um Licht hereinzulassen. „Das kann ich mir denken." Leslie zog die Augenbrauen hoch. „Willst du vielleicht die Wirksamkeit meiner Wunderkur anzweifeln?" „Eine Grippe hört von allein auf. Meine habe ich so gut wie hinter mir." „Ich verstehe." Leslie griff hinter seinem Rücken nach den Kissen, um sie bequemer zu ordnen. ,,Lass das, ja?" Sam hielt ihre Hand fest. Überrascht blickte Leslie zu ihm hinunter. „Was soll ich lassen?" „Das. Alles. Dieses Getue, das Kochen. Kannst du mich nicht einfach in Frieden krank sein lassen?" Leslie sagte eine ganze Weile gar nichts. Sie dachte an ihre Liebe zu Sam, die noch am Abend zuvor so hell und strahlend gewesen war. Dann verscheuchte sie den Gedanken, verschloss ihn tief in ihrem Innern, wo Sam nichts von seiner Existenz erfahren würde. „Nein", sagte sie schließlich. „Das kann ich nicht." Aus seiner halbsitzenden Stellung starrte Sam zu ihr hoch. „Ich kann auf mich selbst aufpassen." „Natürlich kannst du das. Deshalb hast du ja auch einen so munteren Eindruck gemacht, als ich gestern abend herkam." „Hör auf, wie eine Betschwester zu reden. Musst du nicht zur Arbeit oder so was?" „Bin schon auf dem Weg." Sam starrte bedeutungsvoll zur Tür. „Dann lass dich nicht aufhalten." „Schon gut, schon gut", gab Leslie sich mit einer Geste geschlagen. „Ich gehe ja schon." Nun hatte Sam erreicht, was er wollte, aber er begriff nicht, warum er sich plötzlich so miserabel fühlte. „Es bringt dich schlechterdings um, nicht wahr?" Überrascht blickte Sam hoch. Leslie stand draußen vor seiner Schlafzimmertür. „Was?" „Von jemandem abhängig zu sein, auch nur ein ganz kleines bisschen." Wäre er in besserer Verfassung gewesen, dann hätte er ihr eine passende Antwort gegeben. So aber dachte er noch immer darüber nach, als er die Tür zu seinem Apartment zufallen hörte.
10. KAPITEL
Den ganzen Morgen beglückwünschte Leslie sich zu ihrem Entschluss, nach der Arbeit nicht in Sams Apartment zurückzufahren – und den ganzen Nachmittag hindurch kam sie sich wie ein Narr vor, weil sie genau wusste, dass sie trotzdem hinfahren würde. Als sie ihr Büro abschloss und zum Auto ging, hielt Leslie sich vor Augen, dass eine wirklich emanzipierte Frau Sam Donahue erklärt hätte, er solle sich zum Teufel scheren. Aber andererseits fragte sie eine leise innere Stimme, welche wirklich emanzipierte Frau wohl das Rezept für die wundertätige Hühnersuppe auswendig gekannt hätte. Das Problem war, dass sie dazu geboren war, sich um andere zu kümmern. Und jetzt würde sie auf der Stelle dafür sorge n, dass Sam wieder zu Kräften kam, und wenn es ihn umbringen sollte. Diesmal musste Leslie nicht erst klingeln. Die Tür zu Sams Apartment stand einen Spalt auf. Sie rief seinen Namen und trat ein. „Bin gleich da." Er kam, angezogen mit einem verwaschenen Polohemd und hautengen Jeans, aus der Küche am Ende des Korridors. Sein Haar war feucht, und er hatte sich frisch rasiert. Sein Schritt war beschwingt, und in seinen Augen leuchtete, wenn Leslie sich nicht irrte, ein teuflischer, verführerischer Glanz. Eigentlich hätte diese Verwandlung ihr ein paar verblüffte Worte entlocken müssen, aber Leslie stand sekundenlang nur sprachlos da und starrte ihn an. Dann war Sam bei ihr, nahm ihr die Handtasche ab und legte sie auf den Tisch. Er zog Leslie in die Arme und gab ihr einen Begrüßungskuss. Als er sie endlich losließ, war sie nicht nur sprachlos, sondern rang auch um Atem. „Du bist auf", brachte sie nach einem Moment heraus. „Das mag ich so an dir, Leslie." Sam nahm sie grinsend bei der Hand und führte sie zur Küche. „Du bist so schnell von Begriff." „Aber gestern abend...", hörte sie sich stottern und fragte sich verwundert, ob ihre Verwirrung auf Sams überraschender Genesung oder dem sie unversehens überfallenden Verlangen beruhte, das sich beim Anblick seines zerknitterten und unleugbar erotischen Aussehens regte. „Gestern abend sahst du so aus, als würdest du gleich deinen letzten Seufzer tun." Sam fasste sie um die Taille, hob sie hoch und setzte sie auf einen der neben der Durchreiche stehenden Hocker. „Es war eine Zwei- Tage-Grippe, mehr nicht." Immer noch staunend, sah Leslie ihm zu, wie er den Kühlschrank öffnete, sich bückte und eine große Schüssel mit knackigem Salat herausnahm. Durch die Bewegung spannte sich der weiche Jeansstoff straff über seinem festen Hinterteil. Überraschend verspürte Leslie ein Ziehen im Magen. „Wenn du tatsächlich über den Berg bist...", entfuhr es ihr, „dann brauchst du mich hier vermutlich nicht mehr." Sam richtete sich auf, wandte ihr langsam das Gesicht zu und sah sie mit dunklem, verhangenem Blick an. „Das würde ich nicht sagen." „Heute morgen..." Er zog die Brauen zusammen, und seine Augen bekamen einen reumütigen Ausdruck. „Heute morgen habe ich mich wie ein Scheusal benommen." Mit dem Fuß stieß er hinter sich die Kühlschranktür zu. „Ja. Das hast du." „Aber jetzt verzeihst du mir das hoffentlich." Leslie ließ sich Zeit mit der Antwort. Sam wollte offensichtlich, dass sie bei ihm blieb, und nichts war ihr lieber als das, wie sie plötzlich freudig erkannte. „Vergeben und vergessen", sagte sie, schaute zum Herd und wechselte bewusst das Thema. „Hast du gekocht?" Sam tauchte einen Kochlöffel in einen auf der hinteren Flamme stehenden großen Topf, hielt ihn dann Leslie an die Lippen, damit sie die Soße kosten konnte. „Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn es schon wieder Nudeln gibt. Mehr hatte ich nicht im Gefrierfach."
„Gegen Nudeln habe ich nie etwas einzuwenden." Leslie schnüffelte. „Knoblauchbrot?" „Nur, wenn du es auch isst." „Mit Vergnügen. Spielt es denn eine Rolle?" „Ganz entschieden." Er streckte die Hand über die Theke und strich Leslie sanft mit den Fingerspitzen über den nackten Arm. Sie bekam eine Gänsehaut, und bald verspürte sie den Reiz dieser Berührung am ganzen Körper. „Sonst würde ich im Traum nicht daran denken, dich zu küssen." „Hast du vor...", fragte Leslie kaum hörbar und bebend. Sie räusperte sich und versuchte es noch einmal. „Hast du vor, mich zu küssen?" „Das war meine Absicht, Leslie", brummte Sam leise, Irgendwie gelang es ihnen, das Essen auf die Teller zu bekommen und die Teller auf den Tisch zu stellen. Der Salat wurde aufgetragen und blieb unbeachtet in den Schüsselchen liegen. Auch das Knoblauchbrot lag vergessen im Ofen, bis es zu einer schwarzen Masse verkohlt war. Sam und Leslie war es gleich. Sie hatten nur Augen für sich selbst. Mit großer Behutsamkeit wickelte Sam ein paar Spaghetti um die Gabel und führte sie an Leslies Lippen. Mit der Zungenspitze nahm Leslie sie in den Mund und lächelte, während sie zu kauen begann. „Wundervoll", sagte sie selig. „Ja", stimmte Sam ihr zu. Träge glitt sein Blick über ihre milchweiße Kehle und die glatte Haut, die der V-Ausschnitt ihres Tops freigab. Es gab keinen Zweifel, was Sam im Sinn hatte. Leslie seufzte leise und genoss die Aufmerksamkeit, die Sam ihr schenkte. Noch nie hatte sie sich so umsorgt gefühlt, war sie sich so begehrenswert erschienen. Dieses herrliche Gefühl stieg ihr zu Kopf und verursachte ein tiefes Verlangen, das ständig wuchs und sie erfüllte, bis ihr der Kopf vor Vorfreude schwirrte. Leslie steckte sich die nächste Gabel voll Spaghetti in den Mund und kaute langsam. „Köstlich." „Hmmm." Sam hob ihre Hand an und küsste eine Fingerspitze nach der anderen. „Das ist genauso köstlich." Betont langsam legte Leslie die Gabel neben ihren Teller und griff nach dem Weinglas. Der Pinot Noir war vollmundig, und sein fruchtiger Geschmack hing ihr auf den Lippen. Mit der Zungenspitze fuhr sie sich über den Mund und wischte die letzten Tröpfchen fort. Als sie aufblickte, sah sie, dass Sam sie beobachtete. Seine Lippen waren halb geöffnet, und er atmete tief und unregelmäßig. „Du isst ja nicht", bemerkte Leslie verwundert. „Plötzlich bin ich nicht mehr hungrig." Sie war es eigentlich auch nicht. Wie konnte sie hungrig sein, wenn der erotischste Mann der Welt zwei Schritte entfernt vor ihr saß und sie anschaute, als sei sie die begehrenswerteste Frau, die er je gesehen hatte. Leslie atmete tief durch, und der Atem schien ihr in der Kehle zu stocken. Ihre Brüste schwollen, und die Spitzen drängten gegen den sie verhüllenden Stoff. Leslie drehte die Hand in seiner um und kitzelte leicht die empfindsame Haut seines Handgelenks. „Bist du sicher, dass du wirklich wieder ganz bei Kräften bist?" Statt einer Antwort lachte Sam leise, rau und ausgesprochen selbstbewusst. „Probier es doch aus." Seine Worte, sein Lachen und sein faszinierender Blick entflammten Leslies Sinne nur noch mehr. Sie meinte von einem Zauberbann umgeben zu sein, den Sam über sie geworfen hatte. Langsam, unaufhörlich und fordernd stieg die Hitze in ihr auf. Ihre Glieder fühlten sich matt und schwerelos an, doch gleichzeitig dröhnte ihr der eigene Herzschlag in den Ohren. Und bis jetzt berührten Sam und sie sich doch kaum. „Sam?" murmelte sie versonnen. Ohne Leslie loszulassen, stand Sam auf, zog sie neben sich und nahm sie in die Arme. Leslies Hände glitten an seiner Brust hoch, ehe sie die Arme um seinen Hals schlang und
Sam sie küsste. Sie öffnete bereitwillig und eifrig die Lippen. Ihr Körper verlangte nach ihm. Sam vergrub die Finger in ihrem Haar und hielt ihren Kopf fest, während seine Zunge ihren Mund erkundete. Leslie schmeckte nach Wein, ihr Mund war weich, und sie ging willig und begierig auf das Spiel seiner Zunge ein. Verlangen hüllte sie wie ein goldener Nebel ein, und die Welt um sie versank. Nur sie beide schien es noch zu geben und die elektrisierende Spannung, die zwischen ihnen bestand. Ein Gefühl dieser Art hatte Sam noch nie empfunden, wenn er mit Leslie zusammengewesen war. Nie hatte er diesen Drang verspürt, der alles andere unwesentlich machte und ihn nur mit dem übermächtigen Wunsch erfüllte, sich von dieser schier unerträglichen Spannung zu befreien. Mit festem Griff drückte er Leslie näher an sich und schob einen Schenkel zwischen ihre Beine. Sinnlich und leise stöhnend rieb sie sich an ihm. Sie presste ihre Brüste gegen seinen Oberkörper, und Sam spürte die harten Spitzen, die nach seinen Zärtlichkeiten verlangten. Leslie hatte gewusst, sie würden die Kontrolle über sich verlieren, sobald Sam und sie sich berührten. Aber dies war mehr, als sie erwartet hatte. Die Sehnsucht, die sie vorhin empfunden hatte, war nichts im Vergleich zu der rastlosen, feurigen Leidenschaft, die sie jetzt verzehrte. Sie wollte Sam, wollte ihn ganz, wollte ihn auf sich liegen haben, ihn in sich fühlen. Nachdem er diese köstlichen Reize in ihr ausgelöst hatte, würde sie nicht zufrieden sein, bis er sie mit dem warmen Strom seiner heißen Glut erfüllte. „Hier entlang", murmelte Sam so nah an ihrem Ohr, dass Leslie seinen warmen Atem auf ihrem nackten Nacken spürte. Fragend öffnete sie die Augen, und Sam lächelte. „Sonst finden wir uns in ein oder zwei Minuten auf dem Küchenfußboden wieder." Sie benötigten nur einen Moment, um ins Schlafzimmer zu kommen, wo Sam die Bettwäsche gewechselt und die Vorhänge halb zugezogen hatte. Licht und Schatten wechselten sich im Raum ab, und die Schatten wurden durch das letzte Glühen der untergehenden Sonne noch verstärkt. Leslie blieb stehen. Sam stand still neben dem Bett und streckte die Hand aus. „Komm zu mir, Leslie." Das war die Aufforderung, auf die sie gewartet hatte. Leslie flog in seine Arme und bot ihm ihr Gesicht, wie eine Blume, die sich der Sonne entgegenreckt. Hastig knöpfte sie sein Hemd auf, zog es ihm von den Schultern und ließ es zu Boden fallen. „Du hast einen wunderschönen Körper", murmelte sie, während sie ihm spielerisch in die schmale Schulter biss. „Gestern abend, als du mir aufgemacht hast...", stöhnte sie leise. „Wärst du nicht so krank gewesen, hätte ich nicht an mich halten können." Sam lachte rau. „Hätte ich mich nicht so scheußlich gefühlt, wäre ich dir zuvorgekommen. Du hast keine Ahnung, wie oft ich auf die Uhr gesehen habe, als du letztes Wochenende nicht da warst, und wie oft ich zum Telefon griff. Du weißt ja nicht, wie versucht ich war, ins Auto zu springen, nach Scarsdale zu fahren und dich zurückzuholen!" Leslie grinste boshaft. Sie streichelte seinen Bauch und spürte, wie Sam die Muskeln straffte. „Du hättest sämtliche Hochzeitsgäste schockiert." „Vielleicht." Sam schob eine Hand unter den Saum von Leslies Top, hob es hoch und zog es ihr über den Kopf. Begehrlich glitt sein Blick über sie und verweilte auf ihren festen, vor Verlangen geschwollenen Brüsten, die aus den kleinen Spitzenkörbchen des BHs herausdrängten. „Aber hätte ich dich schockiert?" „Niemals!" Leslie schüttelte heftig den Kopf, und die goldenen Locken flogen ihr verführerisch um das Gesicht. „Ich wäre begeistert gewesen." Unversehens wurde ihr klar, dass diese Antwort tatsächlich der Wahrheit entsprach. Sosehr Leslie auch an ihrer Familie hing, Sam war ihr wichtiger. Und selbst die starken Familienbande waren nichts im Vergleich zu den tiefen Gefühlen, die sie für Sam empfand. Ihre Finger glitten tiefer. Das Bündchen seiner Jeans saß fest um die Hütten, und noch
tiefer lag der Stoff wie eine zweite Haut um seine muskulösen Schenkel. Leslie ließ ihre Hand einen Moment zwischen seinen Beinen liegen und begann dann, ihn zu massieren. Aufstöhnend drängte Sam sich an sie, bis ihre Finger ihn umschlossen. „Leslie!" keuchte er. „Weißt du, was du da mit mir machst?" „Hmmm", murmelte sie statt einer Antwort, und es klang sehr anerkennend. Es gab ein leises Geräusch, als Sam den Reißverschluss ihres Rocks aufzog. Sam schob die Daumen unter das Bündchen, und Rock und Slip fielen gleichzeitig zu Boden. Leslie streifte die Schuhe ab und stand vor ihm, nackt bis auf den Büstenhalter. „Du verschlägst mir den Atem." Sam hob die Hände, machte den BH auf und streifte ihn ab. Leslies Brüste waren fest, weich und weiß und hatten rosigbraune Spitzen. Sam legte die Hände darunter, senkte den Kopf, und sein weiches Haar streifte Leslies Kehle. Begierig strich Sam mit der Zunge über eine der geschwollenen Spitzen. Heftig aufkeuchend, warf Leslie den Kopf in den Nacken, als Sam die harte Knospe in den Mund nahm und zu saugen begann. Tausend Reize durchzuckten Leslie wie feurige Blitze. Sie schlang die Arme um Sams Kopf, streichelte ihn, vergrub die Hände in seinem Haar und presste ihn weiter und heftiger an sich. Verlangen überkam sie wie ein Rausch, bis sie meinte, es nicht mehr länger ertragen zu können. Mit einer Bewegung griff sie nach dem Reißverschluss seiner Jeans und zog ihn, ungeschickt vor Eile, hastig auf. Dann streifte sie Sam die Jeans von den Hüften. „Langsam", murmelte er, und sein warmer Atem fächelte ihre Haut. „Wir haben endlos viel Zeit." Doch Leslie konnte es nicht mehr erwarten. Plötzlich wusste sie nicht mehr, wie sie dazu fähig sein sollte. Sie hatte sich noch nie so gefühlt, so unvollkommen, als fehle ihr etwas Lebenswichtiges, das nur Sam und die Vereinigung mit ihm ihr geben konnte. „Ich brauche dich", wisperte sie hitzig, und Sam stöhnte, als er das nackte Verlangen in ihren Augen sah. Sie warfen die letzten Kleidungsstücke ab. Sam hob Leslie auf die Arme, trug sie zum Bett und legte sie sacht darauf. Eigentlich hatte er sich Zeit lassen wollen, um ihnen beiden Gelegenheit zu geben, sich innerlich darauf einzustellen, damit sich alles wie von selbst entwickelte. Doch jetzt raste sein Puls wie wild, und er fühlte sich von einer überwältigenden Lust getrieben, die Leslies in nichts nachstand. Den Blick fest auf sie gerichtet, legte er sich auf sie und drang ungestüm in sie ein. Ein kurzes, scharfes Stöhnen entrang sich Leslies Kehle. Dann glitten ihre Hände über Sams Rücken, und mit den Fingern packte sie die gespannten Muskeln seines Gesäßes, während sie sich unter ihm zu bewegen begann. Ein unglaubliches Wonnegefühl durchströmte ihn, das ihm durch seine Stärke den Atem zu verschlagen schien. Leidenschaft war nichts Ungewohntes für Sam, aber er hätte nie gedacht, dass er diese verbrennende Glut je am ganzen Körper würde spüren können. Er kannte das Gefühl der Befriedigung, aber nicht diesen überwältigenden, herrlichen Rausch völliger Hingabe und Erfüllung. Ein Wirbelstrom ungeahnter Reize erfasste ihn und riss ihn mit sich fort. Der wilde Schlag seines Herzens war wie ein primitiver, ritueller Rhythmus, der Leslie noch mehr stimulierte. Sie bewegten sich schnell und fordernd. Leslie schloss die Augen, klammerte sich an Sam und ließ sich von ihm mitreißen. Ihr Leben lang hatte sie auf diesen Augenblick, auf diesen Mann gewartet. Halb benommen gestand sie sich ein, dass dies die Liebe war, während sie fühlte, wie ihr Körper sich um Sam schloss, und Welle auf Welle der Ekstase sie durchflutete. Und dann trieb Sam sie hemmungslos und leidenschaftlich zum Gipfel, zur erlösenden Erfüllung. Leslie schlang völlig erschöpft die Arme um ihn und hielt ihn ganz fest. Diese Umarmung drückte alles das aus, was sie sich je gewünscht hatte. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie wieder in die Wirklichkeit zurückgefunden hatten.
Zärtlich strich Leslie über Sams schweißgebadeten Rücken. Mit gleicher Zärtlichkeit vergrub Sam die Finger in ihrem Haar. Als er sich von Leslie löste und neben sie sank, kuschelte sie sich in seine Armbeuge. Sie sah zu Sam hoch, ihre Blicke trafen sich, und sie lächelten beide. „Ich liebe dich, Sam", wisperte Leslie träumerisch. Dann, als die Wirkung des hektischen Wochenendes und der folgenden arbeitsreichen Tage ihren Tribut forderten, schmiegte sie ihr Gesicht an Sams Schulter, schloss die Augen und schlief ein. Als Leslie aufwachte, war es vollkommen dunkel im Zimmer. Sie fühlte Sams Nähe, und als sie sich umdrehte, sah sie ihn, gestützt auf einen Ellbogen, neben sich liegen und mit einem Ausdruck völliger Verwirrung auf sie herunterschauen. „Habe ich lange geschlafen?" fragte Leslie. „Eine halbe Stunde." Mit einem Finger zeichnete Sam die Linie ihres Brustbeins nach. „Es hat mir Spaß gemacht, dich beim Schlafen zu beobachten." Leslie grinste boshaft. „Es hat dir Spaß gemacht, mich völlig zu erledigen." „Das auch." Sie wunderte sich, dass er nicht lächelte und sich in dem wohligen Gefühl des Augenblicks erholte, der nach ihrem hingebungsvollen Liebesspiel kam. Doch seine Miene war angestrengt, fast ernst, als ginge ihm etwas Wichtiges durch den Sinn. Langsam schwand Leslies Lächeln. Sam bemerkte die Veränderung, hob die Hand und streichelte beruhigend Leslies Schulter. Ohne zu überlegen, zuckte Leslie zurück. Sie wollte nicht von ihm beruhigt werden, jetzt nicht, solange sie nicht wusste, was los war. „Hast du das gemeint, was du sagtest?" fragte Sam ruhig. Leslie starrte ihn verständnislos an. „Wann?" „Vorhin." Diesmal zog Sam sie fest an sich und duldete keinen Widerstand. „Du sagtest, du liebst mich." „Ich liebe dich." Wieder hatte Sam diesen verwirrten Ausdruck im Gesicht. Aber da war noch etwas, eine Gefühlsaufwallung, die so echt, so stark war, dass Leslie einen Moment lang einen Kloß im Hals verspürte. „So, wie du das sagst, klingt es sehr einfach." „Ist es das nicht?" Seine erste Antwort bestand in einem Achselzucken, seine zweite in einem nachsichtigen Lachen, als Leslie ihn mit der Zungenspitze am Ohrläppchen kitzelte. „Du machst es mir sehr schwer, klar denken zu können." „Gut." Sie nahm sein Ohrläppchen zwischen die Lippen und sog daran. „Ich war stets der Meinung, klares Denkvermögen sei eine überbewertete Tugend." Sam nahm sie bei den Schultern und drückte sie sanft von sich fort. „Und was hältst du davon, wenn wir reden?" „Im Moment könnte ich mir etwas Besseres vorstellen." „In einer Minute." „Plötzlich bist du sehr herrisch." „Betrachte es als männliches Privileg." „Ich wusste nicht, dass Männer irgendwelche Privilegien haben." „Leslie...", sagte Sam warnend. „Ich versuche, ernst zu sein." „Okay." Sie schüttelte ihr Kissen auf und lehnte es gegen die Wand. Als Leslie sich aufsetzte, rutschte ihr die Bettdecke auf die Hüften. Mit sich zufrieden, sah sie an sich herunter und ließ die Decke liegen, wo sie war. „Dann streng dich an." Sam fand, dass sie ihn absichtlich aus dem Konzept bringen wollte, als er auf ihre festen, runden und unglaublich aufreizenden Brüste schaute, die er direkt vor der Nase hatte. Unwillkürlich befeuchtete er sich die trockenen Lippen. Wie sollte er sich da konzentrieren...
„Du spielst mit mir", murmelte er und setzte sich neben ihr auf. „Nein, tue ich nicht", erwiderte sie unbekümmert. „Denn dann würde ich nicht bis zum Äußersten gehen. Aber ich bin..." „Ich weiß", unterbrach Sam sie hastig. „Glaub mir, das weiß ich sehr gut." Flehend verdrehte er die Augen zur Zimmerdecke. „Leslie, wir müssen miteinander reden." „Ich bin ganz Ohr." „Du und ich, wir sind sehr verschieden", fing Sam an. „Dem Himmel sei Dank dafür." Mit einem drohenden Blick brachte Sam sie zum Schweigen. „Du kommst aus einer großen Familie. Du bist gewohnt, dauernd Leute um dich zu haben. Ich jedoch bin mein Leben lang ein ziemlicher Einzelgänger gewesen. Wenn mir jemand zu nahe kommt..." „Ja?" Sam räusperte sich rau. „In der Vergangenheit ha tte ich nicht die Zeit, und vielleicht auch nicht den Wunsch, nähere Bindungen einzugehen. Ich habe sie immer als Luxus und nicht als Notwendigkeit betrachtet." Leslie sah zu ihm hoch. „Und jetzt?" „Und jetzt", fuhr Sam leise fort, „glaube ich, mich in dich zu verlieben." Leslie durchströmte es warm vor innerer Bewegung, und das war ein herrliches, unglaublich schönes Gefühl. Und trotzdem störte sie etwas. „Du scheinst darüber nicht sehr glücklich zu sein." „Um die Wahrheit zu sagen, ich bin nicht sicher, was ich empfinde." Das war eine ehrliche und entwaffnend direkte Antwort. „Ich denke, das hängt davon ab, wie es mit uns beiden weitergeht." Leslie lächelte. „Müssen wir das heute abend entscheiden?" „Nicht unbedingt", erwiderte Sam. „Aber, wie gesagt, du und ich sind sehr verschiedene Menschen, die vielleicht vollkommen unterschiedliche Erwartungen haben." „Ich erwarte nichts von dir, Sam." „Nein?" „Alles, was ich gerne will", sagte Leslie, „ist, dass wir beide zusammen sind." „Wann? Jeden Tag?" „Nein..." „Jeden zweiten Tag?" „Sam!" rief sie beinahe verzweifelt. „Was ist denn mit dir los?" „Begreifst du nicht?" fragte er sie. „Für dich bedeutet Liebe, sich zu binden." „Und was ist falsch daran?" „Eigentlich nichts." Leslie lehnte den Kopf an Sams Schulter und ließ die Finger durch sein Brusthaar gleiten. „Und was bedeutet die Liebe für dich?" „Genau das ist das Problem. Ich habe noch nie jemanden geliebt, und so weiß ich es nicht. Ich weiß nur, dass ich mich plötzlich in die Ecke getrieben fühle." Mitten in der Bewegung hielt Leslie die Hand still. „Mit anderen Worten, du willst mich und deine Unabhängigkeit, beides gleichzeitig." „Ich erinnere mich nicht, es mit diesen Worten ausgedrückt zu haben." „Dann drück es mit deinen Worten aus", bat Leslie ihn. „Ich höre." Sams warme, kräftige Finger schlossen sich um ihre Hand. „Ich möchte, dass wir es etwas langsamer angehen, einen Schritt nach dem anderen machen, statt uns Hals über Kopf in eine Sache zu stürzen, die wir beide womöglich hinterher bedauern." Im stillen schwor Leslie sich, nicht eine Minute davon zu bedauern, was zwischen Sam und ihr auch geschehen mochte. Wie immer die Sache ausgehen sollte, sie würde sich mit Freuden an jeden Augenblick der Zeit erinnern, die sie miteinander verbracht hatten. Aber sie wusste, das wollte Sam nicht hören. Nein, er wollte die Versicherung, dass sie nicht vorhatte, Gästelisten anzulegen und die Blumen für die Kirche zu bestellen. Absichtlich ließ sie ihre Hand tiefer rutschen und legte die Finger unter seinem Nabel in das dichte
schwarze, gelockte Schamhaar. Sie schnurrte behaglich. „Wenn du gewillt bist, es langsam anzugehen, bin ich es auch." Sam blieb die Luft weg, als ihre Finger sich plötzlich um sein Geschlecht schlossen. Abrupt war es um seine nach innen gekehrte Stimmung geschehen, und entschieden elementarere Wünsche tauchten auf. „Ich bin willens", brummte er, „es auf jede Art anzugehen, die dir gefällt." Er nahm Leslie fest in die Arme und drückte sie an sich. Fordernd fanden seine Lippen ihren Mund. Als seine Zunge ihr Spiel begann, hörte Leslie zu denken auf und gab sich ganz dem köstlichen Gefühl hin. Mehr brauchte sie im Augenblick nicht. Erst viel später, als Sam in dem dunklen, stillen Zimmer neben ihr eingeschlafen war, fielen ihr die unbeantwortet gebliebenen Fragen wieder ein. Leslie hatte immer gedacht, Liebe sei alles. Aber jetzt erkannte sie, dass das vielleicht doch nicht ausreichte.
11. KAPITEL
Die Sommer in Cloverdale waren Leslie stets sehr lang und heiß vorgekommen, doch jetzt schien die Zeit nur so zu verfliegen. Der Juli war im Nu vorbei. Obwohl das Geschäft, bedingt durch die Jahreszeit, nachgelassen hatte, war immer noch viel zu tun. Am Ende des Monats hatten Sam und sie gemeinsam drei weitere Wagen gekauft und auch den ersten, einen Stutz Bearcat, mit einem netten Profit an einen begeisterten Sammler verkauft. Sie hatten beschlossen, den Anlass zu feiern, und waren nach Philadelphia gefahren. Dort gingen sie ins Theater und speisten um Mitternacht in einem Cafe im Zentrum der Stadt, bevor sie zu Leslie zurückfuhren, um dort den Abend ausklingen zu lassen. Sam war kaum im Haus, als er auch schon in die Küche eilte. Leslie folgte ihm langsam. Sie mochte den Anblick, den Sam in ihrem Haus bot. Ihr gefiel die Art, wie er sich durch das kleine viktorianische Gebäude bewegte, ganz so, als sei es sein eigenes. Sie hatte das Gefühl, als müsse es so sein, als gehöre Sam hierher, als sei seine Anwesenheit ein unverzichtbarer Teil dessen, was dieses Haus zu ihrem Heim machte. Sam gegenüber hätte sie das natürlich nie eingestanden. Das war zweifellos das letzte, was er hören wollte. Trotz seiner Einwände und Proteste war es ihm mehr als einmal gelungen, sie zu überraschen. Auch wenn Leslie sich ihres Dranges voll bewusst war, zu einer Klärung der Situation zu kommen, hatte sie sich doch enorm bemüht, sich zurückzuhalten. Und so war es Sam, der darauf bestanden hatte, dass sie sich oft trafen, der ständig unter dem einen oder anderen Vorwand, sich sehen zu müssen, bei ihr anrief. Statt die Freiheit auszukosten, die sie ihm so großmütig einräumte, ignorierte er sie völlig. Und Leslie hätte darüber nicht glücklicher sein können. Selbst wenn sie noch Zweifel an ihrer gemeinsamen Zukunft hegte, so dachte Leslie doch viel zu praktisch, als dass sie sich davon die Freude darüber hätte trüben lassen, was Sam und sie mittlerweile verband. Entweder würde Sam einmal das gleiche Gefühl wie sie haben, dass nämlich ihre Beziehung für ihn genauso lebenswichtig war wie die Luft, die er atmete, oder es würde nie der Fall sein. So oder so, Leslie blieb nichts anderes übrig, als ihm die Zeit zu lassen, die er brauchte, um selbst zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Nachdem sie nach Sam die Küche betreten hatte, sah sie verwundert, dass er den Kühlschrank öffnete und etwas aus dem untersten Fach herausholte. „Korrigier mich, wenn ich mich irre", sagte sie. „Aber warst du nicht derjenige, der noch vor kurzem meinte, er könne sein Stück Käsekuchen nicht aufessen, weil er viel zu satt sei?" Sam drehte sich um, und der Schalk stand ihm in den grauen Augen. „Ich sagte nicht, ich sei zu satt, nur, dass ich dir etwas davon abgeben wollte. Habe ich je erwähnt, wieviel Spaß es mir macht, dir beim Essen zuzusehen?" „Hmmm." Leslie lächelte. „Du kannst es mir ruhig noch einmal sagen." „Ich weiß etwas viel Besseres. Zeig es mir noch mal." Er hielt eine eisgekühlte Flasche Perrier Jouet hoch. „Champagner?" „Einer der besten." Leslie warf einen Blick auf den Kühlschrank. Soweit sie wusste, hatte es darin nie einen geheimen Vorrat an teurem Champagner gegeben. „Wo kommt der her?" „Ich habe ihn vorhin hineingelegt, als du oben warst und dich umgezogen hast." Er drehte den Draht des Verschlusses auf und entfernte ihn. „Was für eine tolle Idee." Während Leslie zwei Champagnerflöten aus dem Schrank holte und sie mit einem Geschirrtuch blank rieb, legte Sam die Daumen unter den Korken und drückte ihn vorsichtig aus der Flasche. Leslie überließ es Sam, die Gläser zu füllen, huschte ins Familienzimmer und kam Augenblicke später mit einer hübsch eingewickelten Schachtel zurück. „Ich habe auch etwas für dich." Überrascht sah Sam das Geschenk an. „Das war nicht nötig."
„Was ist eine Feier ohne Geschenke?" „Keine Ahnung", erwiderte er scherzhaft. „Was ist denn eine Feier ohne Geschenke?" „Langweilig." Leslie nahm das Glas entgegen, das er ihr hinhielt, und führte es an die Lippen. Die Kohlensäure kitzelte sie an der Nase und am Mund. Dann nippte sie am Glas und ließ den Schluck langsam durch die Kehle gleiten. Der Champagner war trocken und kalt, und sie seufzte wohlig auf. Sam freute sich. „Ich bin froh, dass er dir schmeckt." Leslie hakte sich bei Sam ein und zog ihn ins Familienzimmer. Seite an Seite setzten sie sich auf die Couch. „Ich glaube, du verdirbst mich", gab sie zu, hob jedoch rasch die Hand, als Sam protestieren wollte. „Aber hör nicht damit auf. Ich genieße es." „Ich höre auch nicht auf." Sam legte den Arm auf die Rückenlehne, und seine Finger strichen leicht über Leslies Nacken. „Ich will dich nur darauf aufmerksam machen, dass auch du mich verdirbst." „Ich?" Leslie sah überrascht hoch. „Wie?" „In jeder Hinsicht", antwortete Sam ruhig. Zu seiner Verwirrung sah er, dass sie nicht überzeugt zu sein schien. War es möglich, dass sie nicht merkte, wie sehr sie sein Leben veränderte? War sie sich wirklich nicht bewusst, in welchem Maß ihre fröhliche, unbekümmerte Einstellung seine eigene Lebensauffassung unbeschwerter werden ließ? Sie machte ihn nachdenklich, sie brachte ihn zum Lachen, und erst durch Leslie erlebte er seine eigene Gefühlswelt – und für alles war er ihr dankbar. „Willst du dein Geschenk nicht aufmachen?" fragte Leslie ungeduldig. Sam nahm die verschnürte Schachtel vom Tisch und grinste mit jungenhaftem Vergnügen. Er entfernte das Bändchen und legte es sorgfältig beiseite. Leslie sah ihm amüsiert zu, wie er mit gleicher Behutsamkeit den Tesafilm von der Verpackung entfernte. „Ich hätte es einfach aufgerissen", meinte sie. „Hat dir noch nie jemand gesagt, dass Vorfreude die halbe Freude ist?" „Nein", erwiderte Leslie fest. „Es aufzureißen ist die ha lbe Freude." Ohne sich von ihr drängen zu lassen, entfaltete Sam das Papier und zog es fort. Darunter kam eine kleine rechteckige Schachtel zum Vorschein, auf der eine Kamera abgebildet war. Einen Moment schaute er darauf, dann hob er langsam den Deckel an. „Ich sagte dir doch, du hättest nicht genügend Fotos im Haus. Jetzt kannst du sie selbst knipsen. Ich habe dir sogar einen Film eingelegt, damit du gleich damit anfangen kannst." „Vielen Dank", sagte Sam leise und starrte die auf seinen Schoß liegende Schachtel an. Er hatte nie daran gedacht, sich eine Kamera zu kaufen, aber etwas anderes hätte ihm jetzt keine größere Freude machen können. Es gab ihm einen Stich, als er merkte, dass Leslie ihn in bestimmter Hinsicht besser zu kennen schien als er sich selbst. Dann verdrängte er den Gedanken und lehnte sich zurück, sah durch den Sucher und stellte das Objektiv ein. „Lächle." Leslie kam der Aufforderung nach. Der Blitz flammte auf und blendete sie beide für einen Moment. „Ich sehe schon, ich werde ein bisschen üben müssen", sagte Sam bedauernd. „Sehr viel sogar", neckte Leslie ihn. „Vielleicht morgen..." „Morgen? Warum nicht jetzt?" „Aber..." „Bleib so sitzen." „Sam..." „Diesmal wird es was, du wirst sehen." Er stand auf und trat einige Schritte zurück. Während er durch den Sucher schaute, sah er, dass Leslie sich den Kragen ihrer Bluse aufknöpfte, sie langsam und betont öffnete und so einen verführerisch tiefen Blick auf ihr Dekollete freigab. Sam hob den Blick und zwang sich, Leslie nicht lüstern anzustarren. „Was machst du?" Leslie ließ sich in die Kissen zurücksinken. „Ich versuche nur, dem Bild ein bisschen
mehr Pfiff zu geben." „Wenn du noch pfiffiger werden solltest", brummte Sam, „beschlägt mir die Linse." „Keine Angst." Langsam fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die roten Lippen, um sie anzufeuchten. „Ich werde sie dir mit dem größten Vergnügen putzen." „War das eine Einladung?" „Rate mal." Behutsam legte Sam die Kamera auf den Tisch zurück. „Ich glaube, ich verschiebe das auf später", sagte er. Leslie kicherte. „An deiner Stelle wäre ich nicht so sicher", meinte sie und zog ihn in die Arme, „dass du später noch dazu kommst." Zwei Tage später saß Leslie morgens im Büro und summte bei der Arbeit fröhlich vor sich hin. In der Post, die sie eben durchgesehen hatte, waren nur die üblichen Reklamesendungen gewesen, darunter ein Angebot über neue Computer-Software für mittelständische Unternehmen. Sie wollte es in den Papierkorb werfen, aber plötzlich fiel ihr Dewey Phillips wieder ein, und sie hielt inne. Hatte er Erfolg gehabt, sein eigenes Software-Paket auf den Markt zu bringen? Und, was noch wichtiger war, hatte das Geld aus dem Verkauf des Thunderbird geholfen, die Genesung seiner Mutter zu beschleunigen? Sie wusste, die ganze letzte Woche war Clem in der hinteren Halle mit dem T-Bird beschäftigt gewesen, aber den fertiggestellten Wagen hatte Leslie noch nicht begutachtet. Froh, eine Entschuldigung für die Unterbrechung ihrer Arbeit gefunden zu haben, schlenderte Leslie in die Werkstatt. Clem war da und machte sich am Unterboden eines Jeeps zu scharfen, der auf der Hebebühne stand. Beim Klang von Leslies Stimme drehte Clem sich um und wischte sich die ölverschmierten Hände an der Vorderseite seines Overalls ab. „Das Getriebe ist im Eimer", sagte er mit düsterer Miene. „Können Sie es reparieren?" „Alles kann repariert werden, aber das wird nicht billig." Leslie zuckte mit den Schultern. Sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, sich nicht gegen das Unvermeidliche aufzulehnen. „Sind Sie mit der Arbeit an dem T-Bird fertig, der letzte Woche hier stand?" „Klar." Clem schob sein Kaugummi von einem Mundwinkel zum anderen. „Und wo ist er?" „Drüben bei Donahue Motors. Helmut bessert die Lackierung aus." Leslie nickte nachdenklich. „Läuft der Wagen wieder normal?" „Der lief schon normal, als er hereinkam", sagte Clem zufrieden, „aber jetzt schnurrt er nur so." Leslie beschloss, nach drüben zu gehen und sich den Thunderbird anzuschauen. Im Moment war kein Kunde bei ihr, und sie fand es schön, eine Ausrede zu haben, um bei Sam vorbeizugehen und Hallo zu sagen. Während sie das lange Stück die Straße hinunterging und um die Ecke auf Sams Grundstück einbog, glitt ihr Blick über die Reihen der ordentlich geparkten Autos. Auf einer Seite entdeckte sie einen Jaguar und eine n Porsche, die sie gemeinsam gekauft hatten, und die beide wieder hergerichtet wurden. Der T-Bird jedoch war nirgendwo zu sehen. Leslie betrat die Ausstellungshalle von Donahue Motors, winkte Joe zu und begab sich direkt in Sams Büro. Er telefonierte, als sie eintrat, lächelte jedoch und bedeutete ihr, sich zu setzen. Rasch beendete er sein Gespräch. „Ich bin wegen des Thunderbirds hier", sagte Leslie, als er ihr seine Aufmerksamkeit schenkte. „Was ist damit?" „Clem sagte mir, er sei wegen einiger Lackarbeiten bei dir, und ich wollte einfach nur sehen, was aus ihm geworden ist." „Eine Schönheit", antwortete Sam. „Dieser Wagen war ein echtes Schmuckstück." „War?"
Sam nickte und sah sehr zufrieden aus. „Ich habe dir nichts gesagt, weil ich dich überraschen wollte. Vergangenes Wochenende war zweimal ein Pärchen hier. Am Sonntag machten die beiden eine Probefahrt. Heute morgen kamen sie wieder und kauften ihn." „Sie haben ... was?" „Den Wagen heute morgen gekauft", wiederholte Sam. Er wusste nicht, was er von Leslies unerwarteter Reaktion zu halten hatte. „Ist etwas nicht in Ordnung?" „Nichts ist in Ordnung!" rief Leslie entsetzt. „Wie konntest du diesen Wagen verkaufen!" „Ich dachte, das sei der Sinn der Sache." „Ja, sicher ... aber doch nicht dieser Wagen!" Aus Sams Verwirrung wurde Irritation. „Wieso nicht?" „Ich habe dir erzählt, als du damals ..." Leslie starrte in Sams bestürztes Gesicht. Er hatte sichtlich keine Ahnung, wovon sie redete. „Das Auto gehörte einem Mann namens Dewey Phillips. Weißt du nicht mehr?" Sam versuchte, sich zu erinnern. „Nein, müsste ich das wissen?" „An dem Abend, als du mit der Grippe im Bett lagst und ich mit der Suppe zu dir kam, da habe ich dir alles über ihn erzählt, dass der Wagen schon seit Jahren in der Familie war, dass seine Mutter jetzt krank sei..." Matt verlor sich Leslies Stimme. „Kommt dir denn überhaupt nichts davon bekannt vor?" Langsam schüttelte Sam den Kopf. „Das einzige, was ich von dem Abend noch weiß, ist, dass ich von einer Frau gepflegt wurde, die Hände wie eine Kurtisane hatte und den Kommandoton eines Ausbildungsoffiziers. Sonst habe ich nur sehr nebelhafte Erinnerungen." „Vielleicht habe ich nicht den besten Zeitpunkt für meine Geschichte gewählt." „Vielleicht?" „All right", seufzte Leslie. „Nach dem, was jetzt passiert ist, kann ich genauso gut 'bestimmt' sagen." „Im Augenblick ist keiner von uns irgendwie gehandicapt", sagte Sam freundlich, weil er immer noch nicht begriff, was Leslie so aufregte. „Warum erklärst du mir diese Geschichte nicht einfach noch mal?" Langsam und in allen Einzelheiten berichtete Leslie ihm erneut, was damals geschehen war. „Jetzt begreifst du, warum ich nicht vorhatte, diesen Wagen zu verkaufen", sagte sie schließlich. Gedankenverloren und stirnrunzelnd zeichnete Sam mit der Fingerspitze Muster auf seinen Schreibtisch. „Um die Wahrheit zu sagen", gestand er dann, „ich begreife es nicht. Wenn du das Auto in der Absicht erstanden hast, es nicht zu verkaufen, dann hast du dem Mann in Wirklichkeit einen zinslosen Kredit gegeben. Das ist Sache der Bank, nicht unsere. Was du vorhattest, war vielleicht selbstlos, aber nicht realistisch." „Sicher war es das." Leslie richtete sich in ihrem Sessel auf. „Der Sinn des ganzen Unternehmens ist, Profite zu erzielen. Und den hätten wir auch bei diesem Wagen gehabt." „Wie?" „Wenn wir die Kosten für die Arbeitszeit auf den Preis geschlagen hätten, so wie wir das immer tun." Sie starrte Sam entrüstet hat. „Ich hatte nicht vor, den Wagen einfach wieder zum selben Preis zurückzugeben. Und ewig hätte ich ihn auch nicht hierbehalten. Aber ich sehe keinen Schaden darin, wenn er noch ein Weilchen dageblieben wäre, bis Dewey die Chance hatte, finanziell wieder auf festen Beinen zu stehen." „Du siehst vielleicht keinen Schaden, aber ich. Unser Markt ist sehr spezialisiert. Käufer für Autos dieser Preiskategorie schneien einem nicht jeden Tag durch die Tür. Wir müssten verrückt sein, sie allein aufgrund irgendwelcher sentimentaler Rücksichtnahme zurückzuweisen." Leslie riss die Augen auf. „Sentimentale Rücksichtnahme?" „Ach, Leslie. Du willst mir doch nicht allen Ernstes weismachen, dieser Entschluss sei eine vernünftige geschäftliche Entscheidung gewesen."
„Vielleicht nicht, aber eine vernünftige menschliche Entscheidung." „Möglich." Sam zuckte achtlos die Schultern. „Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Der Wagen ist verkauft. Selbst wenn ich den Verkauf rückgängig machen wollte – was ich nicht will – wäre es zu spät." Leslie schob ihren Sessel vom Schreibtisch zurück, fort von Sam. Je länger sie sich mit ihm unterhalten hatte, desto stärker war das Gefühl geworden, Abstand von ihm gewinnen zu müssen, als sei die körperliche Distanz ein Spiegel der inneren Kluft, die plötzlich zwischen ihnen zu klaffen schien. Noch nie waren ihre Differenzen so deutlich zu Tage getreten oder hatten gar so unüberwindbar ausgesehen. Der jetzt entstandene Konflikt war mehr als nur ein geschäftlicher Disput. Er war eine unerwünschte Erinnerung an all die Dinge, die Leslie mit Macht zu verdrängen versucht hatte, wenn sie und Sam zusammen waren. Es war, als reflektierten sich darin ihre grundlegend verschiedenen, unvereinbaren Lebensauffassungen. Für Leslie würde es nie in Frage kommen, geschäftlichen Dingen Vorrang vor menschlichen Problemen zu geben, während für Sam eine solche Entscheidung offenbar völlig außer Zweifel stand. Sie schluckte schwer, während sie Sam anschaute und die Verständnislosigkeit in seinen Augen sah. Nicht nur, dass er eine andere Ansicht über den Verkauf des Thunderbird hatte, er schien sogar nicht zu begreifen, warum sie so aufgebracht war. Diese plötzliche Erkenntnis traf sie wie ein Schlag und erschütterte sie bis ins Innerste. Es war eine Sache, sich selbst dazu zu überreden – wie sie es in den letzten sechs Wochen getan hatte – sie könne im Moment ohne das Versprechen leben, das zu geben Sam offensichtlich so widerstrebte. Doch es war etwas ganz anderes, sehen zu müssen, mit welcher Skepsis, ja Geringschätzung, er die inneren Werte behandelte, die ihr so viel bedeuteten. Indem Leslie sich einredete, ihre Beziehung mit Sam in der jetzigen Form sei genug, hatte sie einen wichtigen Teil ihres Wesens verleugnet, einen Charakterzug, der für sie so unerlässlich war wie die Luft, die sie atmete. In Sams Leben gab es keinen Platz für solche Dinge wie Familie und Zusammenhalt und ewig dauernde Liebe, doch ein Leben ohne diese Vorstellungen war für Leslie nicht möglich. Sie musste unbedingt dieses Büro verlassen. Sie brauchte Zeit, um allein zu sein und nachdenken zu können. Mit einem Ruck stand sie auf. „Es tut mir leid", sagte sei steif, „dass wir anscheinend keine Übereinstimmung erzielen können." Sam runzelte die Stirn. Er wusste, Leslie war verärgert. Wäre ihm das nicht bereits an ihrem Ton aufgefallen, dann hätte er es bestimmt deutlich an der Art gemerkt, wie sie unnachgiebig die Schultern straffte. Na schön, er hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber das war gewiss nicht absichtlich geschehen. Sie hatten dieselbe Situation von zwei verschiedenen Standpunkten aus betrachtet. Er hatte nicht die mindeste Ahnung, wieso Leslie so sicher war, nur der ihre sei der richtige. Aber es war klar, dass sie sich aussprechen mussten. „Essen wir heute abend zusammen?" fragte er, als Leslie bei der Tür war. Langsam drehte Leslie sich um und sah Sam hinter seinem Schreibtisch an. Ihr Blick glitt über sein zerwühltes Haar und die schönen grauen Augen bis hinunter zum verführerischen Schwung seiner Lippen. Er besaß den sinnlichsten Mund, den sie je gesehen hatte. Sam war der einzige Mann, den sie je geliebt hatte. Vielleicht blieb er der einzige Mann, den sie je geliebt hatte. Vielleicht blieb er der einzige Mann, den sie je lieben würde. Ihn zu verlassen würde der schwerste Schritt sein, den sie je getan hatte. „Tut mir leid", sagte sie. „Ich bin beschäftigt." Und mit Frösteln erregender Endgültigkeit fiel die Tür hinter ihr zu.
12. KAPITEL
Am Dienstagabend arbeitete Leslie sehr lange. Am Mittwoch zog sie einfach den Telefonstecker aus der Wand. Als Sam am Donnerstag anrief, gab sie vor, zuwenig geschlafen zu haben, was unter den Umständen ohnehin keine Lüge war, und ließ ihn wieder abblitzen. Früher oder später würde er schon begreifen, worum es ging. Und Leslie hoffte, es möge bald sein, denn sie war mit ihrer Willenskraft bald am Ende. Während sie am Freitag durch ihr leeres Haus geisterte, überlegte sie, was schlimmer sei, der Schmerz über den Verlust dessen, was sie mit Sam geteilt hatte, oder die Trauer darüber, keine gemeinsame Zukunft zu haben. Jetzt begriff sie, dass all ihre Hoffnungen und Träume auf einer Täuschung beruhten. Sie hatte Sam nicht so gesehen, wie er war, sondern wie sie ihn sehen wollte. Leslie hatte sich noch nie selbst belogen, aber um Sam in ihrem Leben zu halten, hatte sie eine Ausnahme gemacht. Nie hatte sie einen Entschluss mehr bereut als diesen. Sie war mehr als einmal von Sam gewarnt worden, aber sie hatte sich geweigert, auf ihn zu hören. Er hatte ihr gesagt, er sei ein Einzelgänger, sie jedoch hatte sich eingeredet, er sei zwangsläufig und nicht aus freier Entscheidung in diese Rolle gedrängt worden. Sam hatte ihr erklärt, er wolle sich nicht binden, doch Leslie war, tief in ihrem Innern und obgleich sie seine Worte nach außen hin akzeptierte, davon überzeugt gewesen, sie könne seinen Sinn ändern. Leslie begriff, sie war die ganze Zeit so tief in ihren romantischen Ansichten über Liebe und glückliches Zusammenleben verstrickt gewesen, dass sie sich geweigert hatte, die Wirklichkeit zu sehen, bis sie ihr schmerzhaft ins Auge sprang. Die schlichte Wahrheit war, dass Sam keinerlei Familienbande wollte, und Leslie konnte nicht ohne sie leben. Als das auf dem Tisch neben ihr stehende Telefon läutete, schrak Leslie zusammen. Fast vierundzwanzig Stunden lang hatte sie nichts mehr von Sam gehört. Obwohl es ihr vor seinen Anrufen graute, sagte ihr doch eine hartnäckige innere Stimme, es bestünde immer noch Hoffnung, solange Sam es nicht aufgab, mit ihr in Verbindung zu bleiben. Sie nahm den Hörer ab, aber am anderen Ende der Leitung war nicht Sam, sondern ihre Schwester Isabel. „Ich weiß, es kommt ein bisschen plötzlich", sagte Isabel atemlos, „aber Bill hat einen Kunden, der sich entschloss, übers Wochenende in der Stadt zu bleiben. Seine Frau und er haben uns heute abend eingeladen, und wir können nicht gut absagen. Und nun finde ich niemanden, der auf die Zwillinge aufpassen kann. Leslie, würdest du...?" Leslie lächelte, als sie an die temperamentvollen, zweijährigen Söhne ihrer Schwester dachte. Evan und Quinn waren wilde Plagegeister, im Moment genau das, was Leslie brauchte, um sich von ihren Proble men ablenken zu lassen. „Sicher", sagte sie. „Ich passe gern auf sie auf." „Aber es kann sehr spät werden..." „Kein Problem. Bring ihre Pyjamas und ein paar Sachen zum Wechseln mit, und eine von diesen Kleiderstangen, die ich am Bett im Gästezimmer einhaken kann." „Bist du sicher?" Isabel klang eher hoffnungsvoll als zweifelnd. „Ganz sicher. Geht aus und macht euch einen schönen Abend. Holt die Kinder morgen früh bei mir ab." Eine Stunde später saßen Evan und Quinn auf der Couch im Familienzimmer. Evan nuckelte glücklich an einer Flasche, und Quinn, der erklärt hatte, kein Baby mehr zu sein wie sein Bruder, trank Saft aus einer Tasse. „Bleibt schön da sitzen, ja?" Leslie warf den beiden einen argwöhnischen Blick zu. „Ich gehe nur in die Küche und wärme ein paar Spaghetti zum Dinner auf." „Mag keine 'ghettis", protestierte Quinn laut. „Was magst du denn?" „Weintrauben."
Leslie krauste die Stirn. „Weintrauben?" Evan und sein Bruder nickten gleichzeitig. „Und Cornflakes." Leslie sah zwischen den Jungen hin und her. Sie hatte weder Weintrauben noch Cornflakes im Haus. „Wie wäre es mit Hot dogs?" versuchte sie ihr Glück. „Yeah!" rief Quinn, und sein Bruder quietschte begeistert: „Hot dogs!" Leslie nahm eben die Würstchen aus dem heißen Wasser, als die Türklingel ging. Die Würstchenzange in der einen Hand, den Topflappen in der anderen, hielt sie inne und überlegte, was sie tun solle, als ein lauter Knall, gefolgt von einem schrillen Aufschrei, ihr die Entscheidung abnahm. Sie ließ beides fallen und rannte aus der Küche. Während sie durch den Korridor eilte, nahm sie vage wahr, dass die Eingangstür aufflog und Sam mit bestürzter Miene auf sie zugelaufen kam. Sie hatte jedoch keine Zeit, sich lange darüber zu wundern, denn im nächsten Moment stand sie bereits im Familienzimmer. Vor Erleichterung aufatmend stellte sie fest, dass alles längst nicht so schlimm aussah, wie ihre lebhafte Fantasie es sich ausgemalt hatte. Quinn saß laut weinend auf der Erde neben dem umgestürzten Kaffeetisch, während Evan, den das Geplärr seines Bruders kalt zu lassen schien, ganz in sein Comic-Heft versunken war. Rasch kniete Leslie sich hin und nahm das schluchzende Kind in die Arme. „Hast du dir was getan?" Wortlos schüttelte Quinn den Kopf. „Ist der Tisch umgefallen und hat dich erschreckt?" Diesmal nickte der Junge, und seine Tränen versiegten langsam. „Leslie?" Sie blickte auf und sah Sam in der Tür stehen. Das Herz, dieses verräterische Ding, klopfte ihr bis zum Hals. Ohne die Anwesenheit der Kinder wäre sie bestimmt der Versuchung erlegen, sich Sam in die Arme zu werfen. So aber winkte sie ihm nur zittrig zu. Sam schaute sie voll ehrlicher Besorgnis an und ließ den Blick dann durchs Zimmer schweifen. „Ist alles in Ordnung?" „Ich denke schon." Leslie stand auf und setzte Quinn neben seinem Bruder auf die Couch. „Blut ist nirgends zu sehen." „Blut?" „Bei diesen beiden weiß man nie, was in der nächsten Sekunde passiert." Sam nickte langsam. „Und wer sind sie?' „Evan und Quinn Gilbert. Sie gehören meiner Schwester Isabel und ihrem Mann Bill. Und heute abend gehören sie mir." Leslie fiel selbst auf, dass sie vor sich hinplapperte, aber sie konnte nichts dagegen tun. Wenn sie aufhörte, über die Zwillinge zu reden, würde sie an andere Dinge denken müssen. Zum Beispiel daran, warum Sam überhaupt da war. Er schob die Hände tief in die Hosentaschen, lehnte sich gegen den Türrahmen und betrachtete die Szene, die sich vor seinen Augen abspielte. Die Jungen fingen sich zu streiten an, und Leslie ging dazwischen, um sie zu beschwichtigen. Bis zu diesem Moment war Sam sich nicht sicher gewesen, warum er gekommen war. Doch jetzt, als er mit einem weichen Lächeln beobachtete, wie diese junge blonde Frau, deren braune Augen vor Freude lachten, mit den beiden winzigen Rangen fertig wurde, wusste er, wie einfach die Antwort war. Er war gekommen, weil er gar keine andere Wahl hatte. Man musste kein Genie sein, um zu merken, dass Leslie ihm in der letzten Woche meistens aus dem Weg gegangen war. Verärgert durch die Auseinandersetzung über den Thunderbird, hatte sie ihn links liegen gelassen, damit er wieder die Zeit und Bewegungsfreiheit besaß, die früher so wichtig für ihn waren. Das Problem war, dass ihm die Zeit ohne Leslie endlos vorkam, und er mit seiner Bewegungsfreiheit nicht viel anzufangen wusste. Dabei war er komischerweise gewohnt, einen Großteil seiner Zeit allein zu verbringen. Sam hatte immer die Ansicht vertreten, so gefiele ihm das Leben besser. Aber in der vergangenen Woche war er nicht nur zum erstenmal allein gewesen, sondern auch einsam.
Er hatte Leslies fröhliche Gegenwart vermisst und sich auf eine Weise unvollständig gefühlt, die ganz ungewohnt für ihn war. Wenn er zurückdachte, dann erschien es ihm immer noch unfassbar, wie ihre Differenzen über den Thunderbird so ausufern konnten. In der Vergangenheit hatten sie zumindest versucht, Missstimmigkeiten aus dem Weg zu räumen. Diesmal jedoch hatte Leslie sich geweigert, ihm überhaupt eine Chance zu geben. Und in dieser Absicht war er zu ihr gefahren – damit sie endlich Gelegenheit fanden, sich über sie beide auszusprechen. „Ich wollte dich zum Dinner einladen." Sam warf einen bedauernden Blick auf die Zwillinge. „Aber ich vermute, das wird wohl nicht gehen?" Leslie grinste ihn frech an. Nachdem Sam jetzt da war, direkt in ihrem Haus, schien ihr das der einzige Ausweg. „Es haben sich schon viel unerbittlichere Leute als ich vergeblich bemüht, diese zwei hier in der Öffentlichkeit unter Kontrolle zu halten. Aber wenn du es wirklich möchtest..." „Wenn ich näher darüber nachdenke, ist es wohl besser, den Vorschlag fallen zu lassen. Was gibt es hier bei dir?" „Hot dogs." Sam verzog die Lippen. „Hat dir noch nie jemand gesagt, dass der Weg zum Herzen eines Mannes durch den Magen führt?" „Versuch mal, das einem Zweijährigen zu erklären." „Ich verstehe. Na schön, dann eben Hot dogs." „Merkwürdig", murmelte Leslie. „Ich entsinne mich nicht, dich eingeladen zu haben." Sam setzte sein hungrigstes und einschmeichelndstes Lächeln auf. Leslie brauchte einen Moment, bis sie sich gefasst hatte. Sie tat, als müsse sie es sich überlegen. Sie sah keinen Grund, Sam merken zu lassen, dass sie innerlich schon wieder weich wurde. Aber trotzdem gab es noch etwas, das sie vorher wissen wollte. „Warum bist du heute abend hergekommen, Sam?" Auf diese Frage hätte er ihr ein Dutze nd Antworten geben können. Doch in Wirklichkeit gab es nur eine. Er ergriff Leslies Hand und hielt sie mit seinen langen, kräftigen Fingern fest. „Ich bin hergekommen", sagte er schlicht, „weil ich dich liebe." Nachdenklich ging Leslie in die Küche und kümmerte sich um das Essen. Eine solche Antwort war wohl kaum dazu angetan, jemanden vor die Tür zu setzen. Aber Leslie war auch nicht gewillt, mit fliegenden Fahnen zu Sam zurückzukehren. Er hatte ihr schon früher gesagt, er liebe sie, doch so sehr dieses Bekenntnis Leslie auch erfreute, so deutlich wusste sie, dass sie beide unter Liebe etwas ganz anderes verstanden. Doch wenn das Schicksal ihr schon einen grauäugigen, stattlichen Mann als CoBabysitter schickte, warum sollte sie sich dagegen wehren? Die letzten fünf Tage hatte sie damit verbracht, sich quälende, bohrende Fragen zu stellen, aber ihr war keine einzige vernünftige Lösung eingefallen. Heute abend würde sie sich einfach zurücklehnen und die Dinge an sich herankommen lassen. Leslie stellte das Essen auf den Küchentisch. Die Zwillinge stürzten darüber her, und dank ihres Benehmens landete eine Menge davon auf dem Fußboden. „Woher nimmst du nur die Geduld?" fragte Sam bewundernd, als Leslie nach unten griff und zum x-ten Mal die Plastikflasche mit dem Ketchup aufhob. „Ich habe sie eben." Leslie stellte die Flasche auf den Tisch und stopfte Quinn die Serviette wieder fest unter das Kinn. „Ich halte mir vor Augen, dass es nur für ein paar Stunden ist und Isabel sich morgen um diese Zeit mit diesem Problem befassen muss." „Und was machst du, wenn du eigene Kinder haben solltest? Dann siehst du dich vierundzwanzig Stunden am Tag diesem Problem ausgesetzt." „Nur, wenn ich es als Problem betrachte. Aber, glaub mir, ich habe noch nie eine Mutter kennengelernt, für die es das war. Außerdem", fügte Leslie hinzu, während sie sich bewusst ausführlich damit beschäftigte, Evans Stuhl geradezurücken, „ich weiß, dass du mich für eine schrecklich impulsive Person hältst, aber in gewisser Hinsicht bin ich
ziemlich altmodisch. Wenn ich ein Kind habe, bin ich auch verheiratet, und dann teilen mein Mann und ich uns in die Elternpflichten." Das brachte Sam zum Schweigen. Zweifellos war das auch Leslies Absicht gewesen. Sie machte Pläne für die Zukunft, er jedoch war offensichtlich nicht darin eingeschlossen. Und wessen Schuld war es? Sam erkannte, dass er derjenige war, der sich zurückgehalten und darauf bestanden hatte, alles etwas langsamer anzugehen. Woher sollte Leslie wissen, wie ihre Beziehung sich entwickeln würde, wenn er selbst es nicht einmal mit Sicherheit wusste? Langsam biss er ein Stück von seinem Hot dog ab und kaute gedankenverloren darauf herum. Plötzlich hatte er ein Bild Leslies vor Augen, die ein Baby im Arm hielt, seine zarte Wange an ihre drückte und in mütterlichem Ton zu ihm sprach. Unversehens verspürte er einen scharfen Stich der Eifersucht, dass dieses Kind vielleicht nicht von ihm stammen könne. Sam hatte sich nie in der Vaterrolle gesehen. Aber er hatte ja auch stets bezweifelt, sich jemals ernsthaft zu verlieben. Doch Leslie Vanderholden liebte er, daran bestand kein Zweifel. Langsam aber sicher hatte sie sein Herz und seinen Sinn für eine Fülle von neuen Gefühlen und Möglichkeiten geöffnet. Von Tag zu Tag schien seine Freude über diese Beziehung größer zu werden. Von Mal zu Mal schienen auch die zarten Bande zwischen ihnen stärker zu werden. Früher hatte ihn der Gedanke an ein Versprechen, das ein Leben lang halten sollte, abgeschreckt, doch nun erschien es Sam unmöglich, ohne ein solches Verspreche n leben zu müssen. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, und Sam begriff, dass er dieses Versprechen, vor dem er sich immer gedrückt hatte, in seinem Herzen längst gegeben worden war. Das einzige, was er noch nicht getan hatte, war, es in Worte zu fassen. „Habe ich dir schon angekündigt, dass du dein Essen abarbeiten musst?“ Herausgerissen aus seinen Gedanken, blickte Sam auf und sah, dass Leslie ihn aufmerksam über den Küchentisch hinweg beobachtete. So vieles lag ihm auf der Zunge, was er ihr sagen wollte, wichtige Dinge, die schon viel zu lange unausgesprochen geblieben waren. Doch ein Blick in die beiden neugierigen Augenpaare rechts und links von ihm und Leslie genügte, um ihm zu zeigen, dass er noch ein bisschen länger würde warten müssen. „Allerdings", erwiderte Sam. „Schade." Leslie zuckte die Achseln, aber aus ihrem Blick sprach der Schalk. „Wie hast du dir das vorgestellt?" Sie hob erst Evan und dann Quinn von Stuhl herunter. Wie auf Kommando stürmten die beiden Kinder, fröhlich kreischend, aus der Küche. „Du hast die Wahl. Entweder du hilfst mir in der Küche...", Leslie lächelte, weil sie sicher zu wissen glaubte, welche Wahl Sam treffen würde, „...oder du gehst rüber und bringst diese beiden wilden Indianer dazu, in die Badewanne zu kle ttern." Sam war Küchenarbeit gewohnt. Mit den paar Tellern und Bestecken würde er schnell fertig sein. Deshalb war er selbst überrascht, als er sich sagen hörte: „Mittlerweile hast du bestimmt eine Pause nötig. Warum räumst nicht du hier auf, während ich die beiden nach oben bringe?" Es war gut, dass Leslie sich bereits hingesetzt hatte, sonst wäre sie sicher auf dem Fußboden gelandet. So blieb sie sitzen und starrte Sam völlig perplex nach, als er aus der Küche ging. Selbst danach stand sie noch nicht auf und wartete auf die Protestschreie, die unweigerlich kommen und sie zu Hilfe rufen würden. Nachdem fünf Minuten verstrichen waren und nichts geschah, wusste Leslie nicht, ob sie verstimmt oder erleichtert sein sollte. Sie steckte den Kopf in den Korridor und sah, dass sich niemand mehr im Familienzimmer aufhielt. Dann hörte sie aus dem oberen Stock das unmissverständliche Geräusch laufenden Wassers und entzücktes Gekicher. Sam wollte sie wohl an der Nase herumführen. Sie reckte den Hals und schaute zum Treppenpodest. „Sam? Ist alles in Ordnung?"
Seine Antwort klang gelassen. „Alles bestens." Kopfschüttelnd und leise vor sich hinmurmelnd, tat Leslie das einzige, was sie unter den Umständen tun konnte. Sie ging in die Küche zurück und wusch ab. Sam hätte nie gedacht, dass zwei Kinder, noch dazu so kleine, so viel Spaß in der Badewanne haben könnten. Da ihnen die gewohnten Spielsachen fehlten, hatten die Zwillinge alles zu Kriegsschiffen umfunktioniert, was sie fanden – von der Shampooflasche bis hin zu den Seifenschalen. Jetzt führten sie, nach einem Minimum an Wäsche und einem Maximum an Geplansch, eine heftige Wasserschlacht um die Oberherrschaft über die Badewanne. Sam kniete daneben und steckte die Hand durch Berge von Schaum ins Wasser, um die Seife herauszufischen. Das glitschige Stück glitt ihm aus den Fingern und rutschte zwischen Evans Beine. Seufzend gab Sam den Versuch auf. Die beiden würden vielleicht nicht ganz sauber werden, aber zumindest schienen sie sich müde zu toben. Wie recht er mit seiner Vermutung hatte, zeigte sich zehn Minuten später, als das Temperament der Zwillinge merklich nachließ. Sams Hemd war mittlerweile klatschnass, und Seifenschaumflocken thronten mitten auf seinem Kopf. Sam zog den Stöpsel aus der Wanne, um das Wasser abzulassen, hob dann die Kinder eins nach dem anderen heraus und wickelte sie in dicke Frotteetücher. Leslie erschien gerade noch rechtzeitig auf der Bildoberfläche, um Evan hochzuheben, während Sam Quinn auf die Arme nahm. Den Daumen im Mund, kuschelte er den Kopf an Sams Schulter. Mit einer herzlichen Gefühlsaufwallung drückte Sam ihn enger an sich und staunte über die Unbeschwertheit, mit der das Kind seine Regungen zeigte. Hatte er je seine Gefühle so offen zutage treten lassen? War er je, selbst in Quinns Alter, so grenzenlos vertrauensvoll gewesen? Vertrauen war die wichtigste Grundlage im Leben. Selbst nachdem er erkannt hatte, dass er sich in Leslie verliebte, war er immer noch misstrauisch geblieben – nicht etwa, weil er nicht wagte, sich selbst zu trauen. Solange Sam sich erinnern konnte, hatte er seinen Intellekt zum Maßstab aller Dinge genommen, und damit war er immer gut durchs Leben gekommen. Erst in der letzten Zeit hatte er zu begreifen begonnen, dass es Dinge gab, die sich rational nicht erklären ließen. Es gab keine logische Erklärung für liebevolle Fürsorge, keine simple Begründung für das Gefühl, was er an Leslies Seite empfand. Er hatte stets Angst davor gehabt, sich zu verlieben, weil er genau wusste, dass dies das einzige Wagnis war, bei dem zu ve rsagen er sich nicht erlauben konnte. Doch nun, nachdem Leslie in sein Leben getreten war, erschienen ihm die Möglichkeiten unbegrenzt. Sobald die Zwillinge endlich versorgt waren, würde er keine Sekunde länger zögern und Leslie sagen, was er für sie fühlte. Müde von der Planscherei, leisteten die Jungen keinen Widerstand, als Sam und Leslie ihnen die Schlafanzüge anzogen und sie ins Bett steckten. Noch während die beiden Erwachsenen auf Zehenspitzen in den Korridor traten und die Tür hinter sich schlossen, schlummerten die Kinder bereits ein. „Puuh!", sagte Sam. „Bin ganz deiner Meinung." Leslie schnippte belustigt gegen sein nasses Hemd. „Hattest du deinen Spaß im Badezimmer?" „Längst nicht so viel, wie ich jetzt noch haben werde." Spielte das Licht ihr einen Streich, oder waren Sams Augen plötzlich dunkler und rauchiger geworden? Leslie legte die Hand auf sein durchnässtes Hemd und spürte darunter die harten Muskeln von Sams Brust. Heißes, süßes Verlangen regte sich in Leslie. „Vielleicht sollten wir damit anfangen, dir diese nassen Sachen auszuziehen", sagte sie mit belegter Stimme. Sam neigte den Kopf und biss Leslie zärtlich ins Ohrläppchen. „Ich mag praktisch veranlagte Frauen." „Und ich habe die ganze Zeit gedacht, es sei mein Körper, dem du nicht widerstehen könntest."
„Den mag ich auch", murmelte Sam und hob dann lauschend den Kopf. „Und die Zwillinge?" „Keine Sorge." Leslie nahm Sams Hand und führte ihn zu ihrem Schlafzimmer. „Wenn die einmal im Bett sind, geben sie die ganze Nacht Ruhe." „Na prima." Leslie blickte noch und lächelte leicht. „Das dachte ich mir." In den vier Tagen, seit Sam und sie zum letztenmal zusammen waren, hatte sie nie aufgehört, ihn zu vermissen. Als sie jetzt neben dem Bett standen, schmiegte sie sich so natürlich in Sams Arme, als seien sie nie getrennt gewesen. Er legte ihr die Hände auf die Hüften und drückte sie näher an sich heran. Leslie stellte sich auf die Zehenspitzen, und Sam küsste sie hart und hungrig. Seine Zunge glitt zwischen ihre geöffneten Lippen, und Leslie saugte sie begierig tiefer in ihren Mund, um sie ganz mit ihrer Wärme zu umgeben. Einer von ihnen beiden stöhnte auf, und Leslie merkte, dass sie es war. Vergnügen berauschte ihre Sinne, und der Kopf drehte sich ihr vor Wonne. Als sie tief und bebend Luft ho lte, hoben sich ihre Brüste und streiften die harten Muskeln von Sams Brust. Durch den feuchten Stoff spürte Leslie die Haare, die ihre Haut reizten. Sofort richteten sich ihre Brustspitzen auf, und Sam legte die Hände darüber. „Oh, wie ich dich vermisst habe", sagte Leslie seufzend. Sie presste seine Hände fester an sich und hielt sie fest, als wolle sie ihn nie mehr loslassen. „Ich bin hier", murmelte Sam. „Ich bin hier, Leslie, so lange, wie du mich haben willst." Leslie senkte zitternd die Lider, während Sam wieder ihren Mund suchte. Zart kostete er die Süße ihrer Lippen. Langsam zeichnete er mit der Zungenspitze die Konturen nach. Dann hielt er Leslies Kopf mit einer Hand fest und stieß so ungestüm mit seiner Zunge vor, dass ein Strom der Wonne Leslies ganzen Körper ergriff. Sie lehnte sich zurück und stöhnte vor Verlangen. Ihr Körper bebte, eine wollüstige Sehnsucht erfüllte sie, die sie schwach und atemlos machte. Sie öffnete die Schenkel, und Sam schob ein Bein dazwischen. Er verlagerte leicht das Gewicht, und Leslie spürte seine straffen Sehnen an der Innenseite ihres Oberschenkels. Als er sich langsam vor und zurück zu bewegen begann, wallte tief in ihr pulsierende Lust auf. Ein leiser, klagender Laut entrang sich ihrer Kehle, und Sam erstickte ihn mit seinen Lippen. Er hatte noch nie eine Frau erlebt, deren Leidenschaft so schnell wuchs. Und Leslies Erregung steigerte die seine in ungeahntem Maße. Voller Ungeduld entledigten sie sich ihrer Kleidung und ließen sie unbeachtet zu Boden fallen. Nackt stolperten sie zum Bett. Sam senkte den Kopf und schmiegte ihn zwischen Leslies Brüste, und seine Zunge suchte und fand die aufgerichteten Spitzen und liebkoste sie zärtlich. Seine Hände glitten tiefer und tiefer über ihren Bauch, bis sie die weichen Locken zwischen ihren Schenkeln erreichten. Leslie keuchte heftig auf, als seine Finger eindrangen und sie streichelten, bis jeder ihrer Nerven aufs äußerste gespannt war, bis ihr vor unerträglicher Lust der Kopf zu platzen drohte. Dann bewegte sie sich, um die Führung zu übernehmen, und reizte Sam mit ihrem heißen Atem, kostete ihn mit ihrem hungrigen Mund, bis er vor Ungeduld unter ihr unruhig zu werden begann. Leslie drückte ihn in die Kissen und spreizte seine Beine. Sam packte die weichen Rundungen ihrer Hüften und führte sie zu sich heran. Leslie seufzte voll Wonne, als Sam ihn sie eindrang. Er gab ihrem Körper das gleiche köstliche Gefühl der physischen Erfüllung, wie seine Liebe ihre Seele erfüllt hatte. Drängend begann er sich zu bewegen und stieß härter und schneller in sie vor. Leslie bog den Kopf zurück, als die erste Welle der Leidenschaft sie mitriss. Sam rief ihren Namen, einmal, zweimal, während sie sich im gemeinsamen Höhepunkt fanden, der alles verdrängte, bis ihnen nichts anderes mehr bewusst war als ihre grenzenlose Befriedigung.
13. KAPITEL
Ein langer Augenblick verstrich, bis Leslie wieder zu Atem kam, und noch mehr Zeit verging, ehe sie die Energie fand, den Kopf zu heben und in Sams von Leidenschaft überschattete Augen zu schauen. „Das", sagte sie beinahe ehrfürchtig, „war unglaublich." Sam legte die Hände auf ihren Nacken und streichelte ihn sanft. „Das", sagte er voll Zufriedenheit, „war so, weil du mich liebst." Leslie lachte leise. „Du bist dir deiner ziemlich sicher, nicht wahr?" Sam konnte nichts dafür, dass er so mit sich zufrieden klang. Er war mit sich zufrieden. Zum erstenmal im Leben wusste er, worauf es ihm ankam. Nicht nur, dass er endlich präzis wusste, was er wollte, er hatte auch noch das unglaubliche Glück, Leslie in den Armen zu halten. Er liebte die wundervollste Frau der Welt, und sie liebte ihn. Sie würden ihr ganzes weiteres Leben miteinander verbringen, sich aneinander erfreuen und zumindest in teilweiser Harmonie zusammenleben. Nur eine Sache war noch nicht erwähnt worden. „Heirate mich", bat Sam sie. Nur wenige Dinge hätten Leslie aus der wohligen Lethargie zu reißen vermocht, in die sie langsam verfiel. Mit untrügerischem Gespür war Sam auf einen dieser Punkte gestoßen. „Wie bitte?" „Ich liebe dich, Leslie. Und ich will, dass du mich heiratest." Leslie rollte sich von Sams Brust und rutschte neben ihn aufs Bett. „Jetzt?" „Nein, eigentlich nicht", räumte Sam ein. „Wenigstens nicht in dieser Minute. Ich denke, wir sollten uns vorher etwas anziehen." Leslie schüttelte ungeduldig den Kopf, und ihre blonden Locken flogen hin und her. „Das meinte ich nicht. Was ich wissen wollte, war, warum du mich das gerade jetzt fragst." „Ist das der falsche Augenblick?" Leslie atmete tief durch und seufzte. Wie sollte sie ihm das nur erklären? Sie hatte gedacht, mehr als an allem anderen läge ihr daran, dass Sam diese Worte zu ihr sagte. Jetzt, da er sie ausgesprochen hatte, merkte sie, dass es ganz falsch war. Sie liebte Sam, und ihre Gefühle für ihn sprengten jedes Maß. Doch aus eben diesem Grund konnte sie nicht anders, als seine Motive in Frage zu stellen. „Du fühlst dich durch mich dazu gedrängt, nicht wahr?" fragte sie leise. Sam presste die Lippen aufeinander. Irgendwie entwickelte sich die Situation völlig anders als erwartet. „Natürlich nicht. Wie kommst du auf diesen Gedanken?" „Hast du mich in dieser Woche vermisst, Sam?" „Das weißt du doch." Er fasste sie beim Kinn und hob ihr Gesicht etwas an. „Ich liebe dich, Leslie, und ich liebe es, meine Zeit mit dir zu verbringen." „Siehst du? Genau das meine ich. Nur der Umstand, dass wir getrennt waren, lässt dich so denken. Wenn wir zusammen waren, sehntest du dich am stärksten nach deiner Freiheit." „Ich dachte, ich sehne mich nach Freiheit", korrigierte Sam sie. „Das ist ein großer Unterschied. Vor sechs Monaten, ja noch vor zwei Monaten, hätte ich dir recht gegeben. Jetzt weiß ich es besser. Ich habe eine Menge gelernt, seit ich dich kenne, zum Beispiel, dass Unabhängigkeit nichts zählt, wenn man sie nicht mit jemandem teilt." Er hielt inne und sah sie aus seinen grauen Augen aufmerksam an. „Und ich hätte gern, dass du dieser Jemand bist." Bedrückt wandte Leslie den Blick ab. „Ich kann es nicht sein." „Warum nicht?" „Weil ich dann mit dem Wissen leben müsste, dich gezwungen zu haben, dich mir zuliebe zu verändern. Auch ich habe viel über uns nachgedacht, und mir ist klar geworden, dass ich einen großen Fehler beging, in dir jemanden sehen zu wollen, der du nicht bist. Du bist ein wundervoller Mann, Sam, aber. .." „Sag nichts", brummte er. „Im Gegenteil, denk nicht einmal daran." „Ich versuche nur, dich davon abzuhalten, Hals über Kopf etwas Unüberlegtes zu tun."
„Mich?" Er warf ihr einen scharfen Blick zu. „Du weißt ganz genau, dass ich im ganzen Leben nichts Unüberlegtes getan habe." „Das ist ein noch größerer Grund, erst recht nicht jetzt damit anzufangen." Es kostete sie Mühe, ihre Stimme ruhig zu halten, aber mit einiger Anstrengung gelang es Leslie. Sie hatte keine andere Wahl. Sie hatte schreckliche Angst davor, dass Sam, wenn sie nun nachgab, wenn sie auch nur den kleinsten Spalt in der Wand zuließ, die sie zwischen sich und ihm aufzubauen begann, am Ende etwas tat, was er für den Rest seines Lebens bedauern würde. Sam setzte sich abrupt auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen das harte Kopfteil des Bettes. Die Geduld verließ ihn rasch. „Was bringt dich eigentlich auf den Gedanken", wollte er wissen, „dass mein Antrag übereilt und schlecht überlegt ist?" „Ist er das nicht?" Leslie drehte sich auf den Bauch, stützte sich auf die Ellbogen und legte das Kinn auf die Hände. „Als du heute abend herkamst, hattest du längst vor, mich um meine Hand zu bitten?" – „Nun, ganz so war es nicht." Leslies Schweigen war sehr beredt und sprach für sich selbst. „Ich wollte, dass wir uns aussprechen. Ich ho ffte, danach mit dir schlafen zu können..." „Und du hast nicht damit gerechnet", unterbrach Leslie ihn, „am nächsten Morgen hier wegzugehen und dich für ein Leben gebunden zu haben. Verdammt, Sam!" Frustriert schlug sie mit der geballten Hand auf die Matratze. „Ich kenne dich, und ich liebe dich, aber du hast nicht die Spur Spontaneität an dir." Sam hatte sich gegen ihr erstes Argument gewehrt, nun musste er dem zweiten widersprechen. „Und warum bin ich dann so spontan in unser gemeinsames Unternehmen eingestiegen?" „Das ist etwas anderes. Du bist Kaufmann genug, um dir kein lukratives Geschäft entgehen zu lassen." „Ich habe nichts mehr zu sagen." Leslie sah ihn verzweifelt an. „Unsere Beziehung ist kein Handelskontrakt, Sam. Und ich weigere mich entschieden, dich erst springen zu lassen, ehe du hingesehen hast." „Habe ich da kein Wörtchen mitzureden?" Sie schüttelte trotzig den Kopf. „Ich finde, du solltest deinen Antrag zurücknehmen..." „Er bleibt bestehen." „...bis du mehr Zeit hattest, darüber nachzudenken", beendete Leslie entschlossen ihren Satz. Sams Lachen klang etwas bitter. „Sollen wir unsere Uhren aufeinander abstimmen?" „Das ist nicht nötig." „Dem Himmel sei Dank." Vor sich hinbrummend, streckte Sam sich wieder auf dem Bett aus. Er versetzte dem Kissen mehrmals hintereinander einen Schlag mit der Faust, bevor er es sich unter den Kopf schob. Dann drehte er sich auf die andere Seite und schlief prompt ein. Leslie überlegte, dass sie wahrscheinlich nichts anderes verdient hatte. Die Dinge, die sie zu Sam gesagt hatte, waren nicht nett gewesen, aber es musste sein. Wenn er sie wirklich heiraten wollte, wenn er tatsächlich sein Leben mit ihr zu verbringen gedachte, dann hätte er nie zugelassen, dass sie ihm diesen Gedanken ausredete. Da es ihr gelungen war, besaß sie den Beweis, dass sie richtig gehandelt hatte. Aber sie hasste den Gedanken, recht behalten zu haben. Als Sam am nächsten Morgen aufwachte, fielen helle Sonnenstrahlen über das Bett. Mit einem Blick auf die Uhr sah er, dass es schon nach acht war. Doch das überraschte ihn nicht, da er den größten Teil der Nacht wachgelegen und keinen Schlaf gefunden hatte, auch wenn er diesen Eindruck erweckte. Obwohl die Seite, auf der Leslie gelegen hatte, noch warm war und ihr Kissen noch nach ihrem Haar duftete, befand sie sich nicht im Zimmer. Den Geräuschen nach zu
urteilen, die von unten heraufdrangen, fütterte sie die Zwillinge. Sam überlegte, ob er sich seine Hosen anziehen und in die Küche gehen solle, doch dann entschied er sich plötzlich anders. Am vergangenen Abend hatte sie ihn wirklich überrumpelt. Wenn er ihr heute morgen entgegen trat, wollte er hellwach, auf der Hut und voll angezogen sein. Er wollte das perfekte Bild des soliden, aufrechten Bürgers sein, für den er sich stets gehalten hatte. Wenn er dann seinen Antrag wiederholte, musste Leslie ihn einfach ernst nehmen. Fünfzehn Minuten später hatte Sam geduscht, sich rasiert und war bereit, es mit der ganzen Welt aufzunehmen. Während er die Treppe hinunterging, erkannte er, dass der Lautstärkepegel dramatisch gesunken war. Nur leises Gemurmel drang aus der Küche und ließ darauf schließen, dass sich dort Erwachsene unterhielten. Als er im Korridor stand und um die Ecke ging, sah er, dass seine Vermutung stimmte. „Guten Morgen", sagte Bill freund lich. Falls er überrascht war, Sam frisch gebadet und rasiert morgens in Leslies Küche schlendern zu sehen, ließ er es sich nicht anmerken. „Bin nur hergekommen, um die Zwillinge zu holen. Wie ich sehe, habt ihr beide es überlebt." „Wir hatten unseren Spaß", antwortete Sam ehrlich. Er trat an die Durchreiche und goss sich eine Tasse Kaffee ein. „Ihre Söhne sind ein Vergnügen." „Manchmal", räumte Bill grinsend ein und stand auf. „Ich muss los. Sobald ich die Burschen zu Hause abgeliefert habe, wollen Frank, Hai und ich zum Angeln gehen. Das Wetter ist perfekt. Mit ein bisschen Glück fangen wir uns für heute abend das Dinner." Er ging auf das Familienzimmer zu, blieb dann stehen und drehte sich um. „Hören Sie, warum kommen Sie nicht mit?" „Ich?" Sam sah überrascht hoch. „Ich bin nie angeln gegangen." „Sie wissen doch, wie es heißt – was du heute kannst besorgen..." Eigentlich hatte Leslie es gestern nacht nicht so formuliert, als er versuchte, sich anders zu verhalten. Nein, wenn er sich richtig erinnerte, dann hatte sie gesagt, wenn er früher nicht spontan reagiert hätte, dann bestünde kein Grund, jetzt damit anzufangen. Sie glaubte also nicht, er könne impulsiv sein? Nun, er würde ihr das Gegenteil beweisen. „Okay", erwiderte Sam, und langsam glitt ein breites Lächeln über sein Gesicht. „Ich denke, das könnte mir Spaß machen." Leslie verschluckte sich an ihrem Kaffee. „Du willst wirklich mit?" Als Sam Leslies verblüffte Miene sah, grinste er noch fröhlicher. „Warum denn nicht?" fragte er, während Bill die Zwillinge holen ging. „Du kennst mich. Spontaneität gehört zu mir wie mein Name." „Sam, du weißt nicht, worauf du dich einlässt. Meine Brüder sind passionierte Angler. Wenn sie auf den See fahren, sind sie stundenlang weg." „Klingt gut", entgegnete er munter. „Vielleicht fange ich was zum Dinner." „Vielleicht fällst du in den See und holst dir eine Lungenentzündung." „Tss, tss, tss. Erst gestern abend wolltest du mir meine Freiheit zurückgeben. Willst du mich jetzt wieder an die Kandare nehmen?" „Natürlich nicht, aber..." »Ja?" Aber leider hatte Leslie keine Antwort parat. „Es ist dein Leben", sagte sie. „Ich nehme an, du bist alt genug, um zu wissen, was du tust." „Da hast du recht", erwiderte Sam in jetzt ernstem Ton. „Denk mal darüber nach." Er beugte sich vor und hauchte einen schnellen Kuss auf ihre Lippen, ehe er nach Bill und den Zwillingen das Haus verließ. Leslie dachte darüber nach, was Sam gesagt hätte. Den ganzen Tag drehten sich ihre Gedanken bei der Arbeit um nichts anderes. Selbstverständlich war Sam alt genug, seine eigenen Entscheidungen zu fällen. Und sie hatte weder das Recht noch – unter diesen Umständen – den Wunsch, sie für ihn zu treffen. Wieder einmal hielt Leslie sich vor, dass sie versuchte, Sam zu verändern. Und wieder
einmal war es falsch. Wenn er wirklich davon überzeugt war, sie heiraten zu wollen, müsste sie dumm sein, wenn sie ihn abwies. Sobald er zurück wäre, würde sie ihm das sagen. Aus irgendeinem Grund hatte Leslie angenommen, Sam würde vorbeikommen, wenn er wieder da war. Zumindest rechnete sie damit, dass er sie anrufen würde. Aber um sechs, als sie gehen wollte, hatte sie immer noch nichts von ihm gehört. Leslie starrte das vor ihr auf dem Schreibtisch stehende Telefon minutenlang an, bevor sie es schließlich zu sich heranzog und wählte. Dem kurzen Gespräch mit Frank entnahm sie genau das, was sie nicht hatte hören wollen. Sam war seit Stunden zurück. Obwohl ihre Brüder den ganzen Tag auf dem See verbracht hatten, war Sam nur bis nach dem Lunch bei ihnen geblieben. Frank hatte ihn seit dem frühen Nachmittag nicht mehr gesehen und wusste auch nicht, wohin Sam gegangen war. Leslie knallte den Hörer auf die Gabel und zog unwirsch die Stirn in Falten. Es war eine Sache, einem Mann seine Freiheit zu lassen, aber etwas ganz anderes, wenn er sie auch tatsächlich nutzte. Auf der ganzen Fahrt nach Hause war sie bedrückt, und sie fühlte sich noch schlimmer, nachdem sie dort angekommen war. In jedem Winkel ihres kleinen Hauses meinte sie, Sams Gegenwart zu spüren. Das Familienzimmer rief Erinnerungen an ihr erstes Rendezvous zurück. In der Küche entsann sie sich der Mahlzeiten, die dort von ihnen beiden gekocht worden waren, und der fröhlichen, ausgelassenen Gespräche, die sie beim Essen geführt hatten. Und ihr Schlafzimmer... Die Bilder, die dieser Raum ihr ins Gedächtnis rief, reichten, um sie erröten zu lassen. Eine weitere Stunde schleppte sich dahin. Leslie überlegte, ob es möglich war, dass Sam ihren Rat beherzigt hatte, sich seinen Antrag noch einmal zu überdenken? Wenn ja, dann hatte sie eben den größten Fehler ihres Lebens begangen. Sie war diejenige, die ihn fortgeschickt hatte. Wie sollte sie je das Loch füllen, das er in ihrem Leben hinterließ, falls er nicht wiederkam? Beim tiefen, melodischen Klang einer Hupe sprang Leslie auf. Vielleicht war es nur Wunschdenken, aber sie musste nachsehen, von welchem Auto dieses herrliche Geräusch stammte. Schließlich hatte sie die Hupe von Sams Auto nie gehört. Vielleicht... Mit entschlossenen Schritten eilte sie ins Entree, riss die Tür auf und ... landete direkt in Sams Armen. „Wenn das keine angenehme Überraschung ist", sagte er grinsend. „Ich hoffte ja, du würdest dich freuen, mich wiederzusehen, aber mit solch einer Begrüßung habe ich nicht gerechnet." „Du bist da", sagte Leslie überflüssigerweise. Sie ließ ihre Hände über seine Arme hinauf zu den Schultern gleiten. Jetzt, da Sam hier war, fühlte sie einen unglaublichen Drang, ihn überall zu berühren und sich zu vergewissern, dass er wirklich vor ihr stand. „Komm herein." „In einer Minute." Seine Augen lachten sie an. Im nächsten Moment würde dieses schiefe Lächeln um seine Lippen spielen, und dann, ja dann würde sie ihn ins Haus zerren und... „Ich möchte dir etwas zeigen." „Was?" Leslie verbog den Hals, um an seiner Schulter vorbeizusehen, doch Sam hielt die Hand hoch, um ihr die Sicht zu nehmen. „Noch nicht. Erst muss ich dich etwas fragen." „Die Antwort ist ja", erwiderte Leslie ohne Zögern. „Es ist keine Frage, die mit ja oder nein beantwortet werden kann." „Oh." Leslie hatte Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen. „Okay, schieß los." „Was hältst du von unüblichen Hochzeitsgeschenken?" Sie warf ihm einen fragenden Blick zu. „Du meinst, statt eines Toasters eine Kuckucksuhr?" „Nicht ganz." „Sam Donahue", fauchte Leslie. „Wenn du mir nicht gleich und auf der Stelle sagst,
worum es geht, haue ich dich." „Ich glaube, das meinst du wirklich." „Worauf du dich verlassen kannst! Da ich mit mehreren Brüdern aufgewachsen bin, habe ich zumindest eines gelernt – wie man einen gemeinen rechten Haken schlägt!" „Dann vergiss es nicht", antwortete Sam leicht lachend. „Wenn du ihn immer noch anwenden willst, nachdem wir uns unterhalten haben, halte ich dir sogar das Kinn hin." Er führte Leslie zur Holzschaukel, die an einer Seite der Veranda stand. Sie bot genügend Platz für sie beide, um nebeneinander zu sitzen, auch wenn es etwas eng war. Aber weder Sam noch Leslie störte es, dass ihre Hüften und Schenkel sich berührten. Die Schaukel begann, sich sacht zu bewegen, schwang hin und her. „Ich hatte nicht sehr viele wichtige Beziehungen in meinem Leben", sagte Sam langsam. „Das war vielleicht mein eigener Fehler. Als Kind hielt man mich dazu an, besser als andere zu sein und mich nicht mit dem Erreichten zu begnügen. In meiner Jugend wurde ich ein As in der Entwicklung langfristiger Pläne und Zielsetzungen, die mich auf Jahre hin beschäftigen würden. Ich hatte solchen Erfolg mit der Gestaltung meines Lebens, dass ich restlos davon überzeugt war, die Genugtuung, die es mir brachte, sei völlig ausreichend." Er sah Leslie tief in die Augen. „Und dann habe ich dich kennengelernt. Du hast mein Leben gründlich umgekrempelt, und ich begann zu begreifen, dass nichts mehr wie früher sein würde. Während ich mir einredete, in einer so großen Familie wie deiner ersticken zu müssen, bemühten deine Verwandten sich sehr, mir zu zeigen, wieviel Liebe und Fürsorge ich in meinem Leben verpasst hatte." Leslie schluckte, als ihr plötzlich ein Gedanke kam. „Diese Angeltour... Meine Brüder haben doch nicht..." „Doch." „Oh." „Kein Grund, so düster zu klingen", tröstete Sam sie. „Es hat mir Spaß gemacht, deinen Brüdern zuzuhören, wie sie dein Loblied sangen und deine Tugenden priesen. Und dann war es dein Schwager Bill, der mir erst recht auf die Sprünge half." Leslie seufzte vernehmlich. „Und was hat der zum Besten gegeben?" „Er meinte", sagte Sam grinsend, „es würde nur einen oder zwei Monate dauern, bis man sich als Außenstehender an diese Familie gewöhnt hat. Danach sei es eigentlich ganz amüsant, so viele Vanderholdens um sich zu haben." „Jetzt verstehe ich, weshalb du heute nachmittag nach einer so glühenden Empfehlung nicht mit fliegenden Fahnen zurückgekommen bist." „Das hatte nichts damit zu tun. Zufällig musste ich etwas Geschäftliches erledigen." Leslie zog eine Augenbraue hoch. „Ich dachte, am Samstag würdest du nicht arbeiten." „Es war eine persönliche Angelegenheit." Leslie verengte den Blick, als ihr Sams frühere Frage einfiel. Ohne groß nachzudenken, platzte sie heraus: „Du hast mir ein Hochzeitsgeschenk gekauft!" Sie stieß einen Freudenschrei aus und lachte ausgelassen, als sie Sams Gesicht ansah, dass sie sich nicht geirrt hatte. „Verdammt", brummte er. „Schon wieder hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Eigentlich sollte das eine Überraschung sein." „Entschuldige", erwiderte Leslie. Nachdem sie jetzt wusste, dass alles in Ordnung war, hatte sie alle Zeit der Welt. „Okay, überrasch mich." Statt ihr zu antworten, stand Sam auf und hob Leslie von der Schaukel. Gemeinsam gingen sie die kurze Treppe vor dem Haus hinunter und dann auf die Einfahrt zu. Dort, im Schatten der Garage, stand Dewey Phillips Thunderbird. „Wie kommt der hierher?" fragte Leslie verblüfft. „Ich habe ihn zurückgebracht", erwiderte Sam stolz, hielt die Hand hoch und baumelte mit den Wagenschlüsseln. „Es kostete mich einige Mühe, aber heute nachmittag gelang es mir endlich, die Leute, die das Auto erstanden hatten, zu überreden, es mir wieder zu
verkaufen. Jetzt gehört es dir. Mach damit, was du willst." Leslie strich über die glänzende Kühlerhaube. „Würde es dic h sehr stören", fragte sie in leisem, zitterndem Ton, „wenn ich es wieder verkaufen will?" „Überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich glaube, ich wäre ein bisschen enttäuscht, wenn du etwas anderes gesagt hättest." Leslie musste über seine Antwort lächeln. Aber da war noch eine Frage, die sie Sam stellen musste. „Warum hast du das getan?" „Warum?" wiederholte Sam verständnislos. „Ich meine", sagte Leslie langsam, „hast du das gemacht, um mir einen Gefallen zu tun, oder hattest du einen anderen Grund?" Sam überlegte eine Weile, bevor er sprach. „Ich hatte mehrere Gründe", sagte er schließlich. „Ich muss zugeben, dass ich deinen Standpunkt in bezug auf den Kauf dieses Wagens noch immer nicht ganz begreife und auch nicht unbedingt deiner Meinung bin. Andererseits", fügte er hinzu und schloss sie in die Arme, „hast du nun ein Leben lang Zeit, ihn mir zu erklären. Wer weiß, wenn ich vielleicht bald selbst eine große Familie habe..." Leslie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn leicht auf den Mund. Ein so starkes Gefühl der Liebe stieg in ihr auf, dass sie kein Wort herausbrachte. Sie seufzte nur vor Glück, als Sam ihr einen Kuss gab. Sie küssten sich behutsam und warm, und dieser Kuss drückte die ganze Seligkeit der Empfindungen aus, die sie miteinander verbanden. Nach einem langen Augenblick löste Leslie sich widerstrebend. „Sam?" „Hmmm?" „Ist das Auto wirklich mein Hochzeitsgeschenk?" „So war es gedacht. Sag ja, sonst..." „...hebst du es für deine nächste Braut auf?" Sam verschluckte sich fast vor Lachen. Leslie würde ihm das Leben nicht leicht machen. Aber wenigstens würde es niemals langweilig sein. „Sonst müsste ich", antwortete er, „mir ein überzeugenderes Argument einfallen lassen." „Zum Beispiel, dass du mich liebst, mich hegen und pflegen und den Rest deines Lebens mit mir verbringen willst?" „Diese Argumente dürften für den Anfang wohl genügen." „Für den Anfang, für das Ende, und alles, was dazwischen liegt." „Siehst du?" sagte Sam und neigte den Kopf, um Leslie wieder zu küssen. „Ich sagte dir ja, eines Tages würden wir lernen, einer Meinung zu sein." -ENDE