Sean Beaufort
Ein Bastard wird gejagt In dieser langen Nacht, der ersten, in der die Seewölfe wieder ruhig segeln konn...
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Sean Beaufort
Ein Bastard wird gejagt In dieser langen Nacht, der ersten, in der die Seewölfe wieder ruhig segeln konnten, wachte Philip Hasard Killigrew fünfmal aus einem langen, tiefen Schlaf auf. Er spürte, wie siech sein Körper in den Bewegungen der Schebecke mitwiegte, hörte die eigentümliche Melodie aus lauter vertrauten Geräuschen und wußte instinktiv, daß alles wieder in bester Ordnung und jeder Mann an Bord wohlauf war. Das Summen, Pfeifen und Winseln des Windes im stehenden und laufenden Gut und in der Takelage schwoll an, wurde leiser, erstarb und steigerte sich wiederwie immer, wie stets, wie seit Anbeginn der Seefahrt. Die hölzernen Verbände des schnellen Seglers knarrten und ächzten, und jeder Laut war vertrauenerweckend und bestätigte, daß das Schiff vor achterlichem Wind gut lief und ebenso gut gesteuert wurde. Ab und zu knatterte leise ein Segel. Kleine und große Wellen schlugen an die Planken. Das Schiff hob und senkte sich, setzte mit dem scharfen, nach innen gekrümmten Bug ein und erzeugte klatschende, zischende Laute...
Die Hauptpersonen des Romans: Mateo Alvaro Lerma - der Kommandant der spanischen Kriegsgaleone „Regina Charlotta" ist ein zäher Knochen, der nicht so leicht aufgibt. Lopez Velasco - als Stückmeister auf der „Regina Charlotta" sagt er seinem Kommandanten, warum die englischen Bastarde besser schießen. AI Conroy - der Stückmeister der Arwenacks riskiert Rohrkrepierer, als er die Pulverladungen für die Culverinen bis zur Grenze der Belastbarkeit erhöht. Old Donegal O'Flynn - wird wieder mal zur Nervensäge der Arwenacks, weil er partout nach einer Insel sucht, die in den Sternen liegt. Philip Hasard Killigrew - der Seewolf hat wieder einmal mehrere Nüsse auf einmal zu knacken und muß trotzdem heiter bleiben.
1. Nach Sonnenaufgang wachte Hasard auf. Aus der Richtung der Kombüse roch es wohltuend und auffordernd nach starkem Tee, in den der Kutscher den einen oder anderen Becher Rum oder Tresterschnaps geschüttet hatte. Mit Honig gesüßt. Und schön heiß. Der Seewolf merkte, daß der lange Schlaf die Müdigkeit und die feinen, ziehenden Schmerzen aus den Muskeln und Knochen vertrieben hatte. Was er brauchte, wäre ein langes, heißes Bad gewesen, ein Stück Seife und eine harte Bürste. Wieder dachte er an London, an England - bis dorthin hatte das alles noch zu warten. Er lag noch eine Weile still da und lauschte auf die Vielzahl der Zeichen, die darauf hindeuteten, daß die gesamte Crew auf ihre einfache und rauhe Art die frühen Morgenstunden genoß. Hasard schwang seine nackten Füße auf die Planken und griff nach seinen Stiefeln. An Deck war es frischer, kälter und weitaus lebendiger als in der Kammer unter dem Achterdeck.
„Guten Morgen", sagte er, rieb seine Augen und griff nach dem Spektiv. „Alles in Ordnung?" „Alles ist in Ordnung. Nichts ist so, wie ich es mir wünsche", sagte Ben Brighton. Beide Männer schauten sich schweigend und verständnisvoll in die Augen. „Ich verstehe dich völlig, Ben", brummte Hasard und sog seine Lungen voller frischer Luft. Die riesige Kugel der Sonne, gelblichrot über dem fernen Streifen der lusitanischen oder portugiesischen Küste, überschüttete die See mit ihren Strahlen. Noch vermochten sie nicht, die Spuren des nächtlichen Regens und des Taus aus den Lateinersegeln zu vertreiben. Der Kutscher drückte Hasard einen riesigen Becher in die Hände. „Tee, Sir", sagte er und verzog seine Miene. „Bei aller Freude über die Proviantorgie aus dem Fischerdorf - bis zum Nordkap wird es nicht reichen, Sir." „Ich werde diesem nicht unwichtigen Problem, Mister Kutscher, die gebührende Aufmerksamkeit schenken", bemerkte Hasard in bester Laune, aber noch immer im frühen
5 Dunst der schläfrigen Gedanken. „Wie viele Tage halten wir es noch aus?" „Hier, an Bord der Schebecke", erwiderte der Kutscher, „mehr als vier, fünf Tage. Wasser reicht, vermutlich, bis an die Küste unserer heimatlichen Insel." „Wir werden tun, was wir können", sagte der Seewolf. „Dein Tee ist wieder einmal eine reife Gabe des mildtätigen Himmels." Trotz des Lobes wich der nachdenkliche Ausdruck nicht aus dem Gesicht des schmal gebauten Mannes. Immerhin zwinkerte er überrascht. „Danke, Sir", sagte er und gab den zweiten dampfenden Becher dem Ersten Offizier. „Ich mache dann in meiner Kombüse weiter." Hasard nickte und richtete sein Spektiv auf die Galeone. Sie war einwandfrei das Problemschiff dieses winzigen Verbandes. Wie das trächtige Mutterschaf vom bissigen, hellwachen Hund des Schäfers, so wurde auch die Galeone von der Schebecke umkreist, bis sie endlich in London waren. Dort mochte sie, sinnlos oder nicht, von ihm aus getrost mitten im Hafen sinken. Arwenack, der Schimpanse, schien sich an diesem strahlenden Morgen ebenfalls wohl zu fühlen. Er sprang und hüpfte entlang des Decks, zwischen Bug und Deck hin und her. Offenbar vermißte er seinen schwarzhäutigen Freund, den Gambiamann Batuti. Ruhig betrachtete Hasard die Galeone und sagte sich, daß der Affe den Schwarzhäutigen wohl eher sehen würde, als man sich dachte. „Verdammt!" sagte er schließlich. „Ich habe es eigentlich schon früher erwartet. Don Juan hat Schwierigkeiten." „Spanier?"
„Nein. Das große Segel. Schau selbst! Es ist, wenn ich richtig gesehen habe, vor zwei Atemzügen gerissen. Gleich werden sie signalisieren." So war es auch. Don Juan oder Batuti blinkten mit ihrem venezianischen Spiegel herüber. Hasard verstand sofort, aber auch ohne das Signal wußte er, welche Probleme es gab. „Segel zerfetzt", las er. Ben Brighton setzte das Spektiv ab und sagte: „Jetzt wird's wieder spannend. Ich weiß, daß sie nur ein paar verrottete Fetzen Segelleinwand drüben haben. Das Großsegel hat zwei Risse, von der Großrah bis zu den Schoten." „Ich hab's auch gesehen." Hasard drehte sich halb herum. Seine Augen suchten den Segelmacher an Deck. Er sah ihn vorn auf dem Vorschiff. „He! Will!" Hasard winkte ihn heran. Will Thorne verstand und ging nach achtern. Hasard unterrichtete ihn von den Beobachtungen und dem bestätigenden Signal. Dann erkundigte er sich: „Wir alle wissen, daß auf der ,Fidelidad' kein Zeug mehr im Laderaum ist. Ein paar Fetzen, die wahrscheinlich nichts mehr taugen. Schaffst du es, das Großsegel so gut wie irgend möglich zu retten? Es sollte bis London reichen. Wenn nicht, haben wir Pech gehabt." Natürlich wußte Will Thorne über seine Vorräte und Möglichkeiten sehr genau Bescheid. Er antwortete schnell und mit der Sicherheit des Fachmannes. „Nadel und Garn, Sir, überhaupt keine Frage. Genügend vorrätig. Die Herren Vorbesitzer dieses feines Seglers waren sorglos oder schon sehr
6 lange auf See. Ich habe unten eine Rolle mit etwa dreißig Quadratfuß Leinwand, abgesehen von ein paar Flicken, doppelt handgroß oder so. Die Rolle ist zwei Fuß breit." „Kannst du etwas damit ausrichten?" „Ich denke schon. Aber das Segel drüben", er deutete zu der Galeone, die jetzt Kurs auf die Schebecke nahm, „ist mürbe und uralt. Wahrscheinlich halten meine Flicken länger als der Rest." „Dieses Risiko müssen wir eingehen", sagte Hasard. „Packe deinen Kram zusammen. Wir gehen längsseits, und du reparierst ihnen das Segel. Die See ist voller Gefahren, also mußt du damit rechnen, daß wir plötzlich ohne dich abhauen." „Ich nehme eine Kruke Wein mit, dann halte ich es auch auf der ,Fidelidad' aus", sagte Thorn mit breitem Grinsen und enterte ab.
Fast immer segelten beide Schiffe nebeneinander, zumindest aber in Sichtweite. Die Galeone war langsamer, überdies war der Rumpf stark bewachsen, und dazu kam der Zustand der Segel. Die kleine Besatzung genügte völlig, um die „Fidelidad" auf Kurs zu halten. Jetzt hatten sowohl Piet Straaten auf der Galeone als auch Gary Andrews auf der Schebecke den Kurs geändert. Die Schiffe, noch immer auf nördlichem Kurs, näherten sich langsam. „Eigentlich ist es ganz gut, daß der Wind nicht allzu kräftig ist", meinte Ben Brighton. „Wahrscheinlich würden sonst die Segel nur noch in Fetzen hängen." „Und die Spanier in den Beibooten und auf ihren Wracks hätten auch
keine Überlebenschancen", stimmte Hasard zu. „Wenn sie ihren Schock überwunden haben, die armen Dons, werden sie wohl vor Wut kochen." Bedächtig schüttelte der Erste Offizier den Kopf. Seine dunkelblonden Haare flogen im Wind. „Dieses Kapitel, schätze ich, ist auch noch nicht abgeschlossen. Wenn die Kapitäne ein Schiff unter die Füße kriegen, werden sie uns wieder verfolgen. Du kennst sie!" „Ich kenne sie", brummte Hasard. „Wenn sie den Namen ,Seewolf' hören, fletschen sie die Zähne und knurren. Wie Plymmie. Wenn sie können, beißen sie auch." Will Thorne hatte seine wenigen Segeltuch-Vorräte mitsamt dem Werkzeug in einen Seesack gestopft und verschnürte ihn. Drüben auf der Galeone enterte ein Mann in die Steuerbord-Großwanten und laschte ein dünnes Tau an. Mehrmals mußte die Schebecke in den Wind gedreht werden, damit die Galeone nicht zu sehr zurückfiel. Nach einer knappen Stunde segelten beide Schiffe nebeneinander her, wurden Handbreit um Handbreit näher zueinander zugesteuert, und während die beiden Crews sich die letzten Neuigkeiten zuriefen, schleuderten Will Thorne und der Profos den Seesack, an einer Leine gesichert, zur Galeone hinüber. „Beeilt euch!" rief Hasard Don Juan zu. „Sonst hängen wir noch tagelang hier an der gefährlichen Küste herum." „So schnell wie möglich!" rief Don Juan zurück. „Wie du siehst, ist schon alles vorbereitet." „Ich sehe. Wir bleiben in der Nähe." „Denkt ihr auch an die Wut unserer Freunde?" fragte Don Juan. „Diese Don Philipps können uns überhaupt nicht beeindrucken",
7 brummte Edwin Carberry. „Wenn sie sich eine neue Abfuhr holen wollen, bitte sehr." Hasard grinste. Er sah die Gefahr ein wenig anders. Das Tau, in das zwei Schlingen geknotet worden waren, pendelte herüber zur Schebecke. Der Segelmacher hob einen Fuß in die untere Schlinge, hielt sich mit beiden Händen an der oberen fest und stieß sich, als die Schebecke tiefer lag und die Galeone sich nach Backbord neigte, geschickt vom Schanzkleid ab. Er schwang hinüber und wurde von Paddy Rogers und Jack Finnegan aufgefangen. „Gute Verrichtung!" rief Jung Philip hinüber. „Bis bald!" Schwerfällig stampfte die „Fidelidad" davon, während die Schebecke nach Steuerbord abdrehte und wieder schneller wurde. Noch immer war die Küste Portugals nicht aus dem Sichtbereich verschwunden. Es war durchaus denkbar, daß ein Teil der Seegefechte von Land aus beobachtet worden war. Genügend Wachtürme standen auf den Klippen, und auch an klaren Tagen sahen die Seewölfe den Rauch von Signalfeuern. „Wahrscheinlich reißt das nächste Segel, wenn Thorne mit dem Großsegel fertig ist", unkte Ferris Tukker. Die Crew der Galeone hatte das Segel gestrichen und von der Rah geholt. Als Will Thorne auf die Planken sprang, lag die zerschlissene Leinwand bereits ausgebreitet an Deck. Er packte seinen Seesack und stieß einen schauerlichen Fluch aus. „Wenn jemand achtern hustet, reißt der Rest in Fransen", sagte er, schüttelte fassungslos den Kopf und ging an die Arbeit.
2. Auf die Schultern von de la Torre gestützt, wankte Capitán Jorge Recalde über den nassen Sand. Die knarzenden Stiefel, die voller Salzwasser waren, hinterließen tiefe, verwischte Eindrücke. Einige Steinwürfe weit entfernt lag das fast unkenntliche Wrack einer ihrer Karavellen schräg im Sand. Die Abendsonne brannte auf die Schultern der Spanier, die sich an Land und in Sicherheit schleppten. „Noch ein Zeichen für unsere Niederlage", murmelte der Kapitän der vernichteten „San Leon". Über die Dünen eilten kleine Gruppen von Portugiesen, von denen das Boot beobachtet worden war. „Es wird auch wieder Siege geben, Capitán", versuchte ihn der Erste Offizier zu trösten. „Wir alle hatten Glück." „Das nennst du Glück?" Die Männer der wrackgeschlagenen Fahrzeuge taumelten über den Strand. Wie es schien, hatten die Mannschaften aller vier Karavellen dieses Desaster überlebt. Sie waren hungrig und naß, todmüde und durstig. Wind und Strömung hatten die Arbeit der erschöpften Ruderer unterstützt, und die Feuer der Leuchttürme waren sichere Zeichen gewesen. „Hallo!" riefen die Fischer und Bauern. „Wir haben euch gesehen!" De la Torre rief keuchend: „Wo sind wir? Welcher Ort ist das? Ich meine, es ist Porto!" „Nicht ganz. Dort drüben liegt Porto. Die Männer - sie sind schon dorthin unterwegs." Vier Karavellen hatten die Galeone und die Schebecke verfolgt, drei von ihnen allein für diesen Zweck von
8 Porto aus eingesetzt. Alle vier waren von den britischen Kanonieren so gut wie vernichtet worden. Die Wut der Spanier war größer als die Enttäuschung. Daran, daß sie überlebt hatten und eigentlich glücklich sein sollten, dachte kaum einer. „Welche Männer?" „Die anderen, die sich gerettet haben. Die Kapitäne warten beim Bürgermeister." „Bringt ihr uns zu ihnen?" „Die Wagen warten hinter dem Dünenkamm." Die Männer hatten die zerschlagene „Hermosito" unter Segel und mit Riemenhilfe auf den Sand gesetzt. Einer nach dem anderen kletterte von Bord und folgte dem fremden Kapitän, der jetzt von den hilfreichen Bauern in Empfang genommen wurde. Zwei Ochsengespanne waren losgeschickt worden. Die Karren waren halb voll Stroh, ein Stapel Decken und einige Krüge Wein lagen bereit. Die Portugiesen halfen, wo sie konnten und hoben sogar die Verwundeten und Erschöpften ins Stroh hinauf. Der erste Wagen war voll, die Seeleute kümmerten sich um ihre Kameraden. Drei Männer fielen augenblicklich in tiefen Schlaf. Jorge Recalde lehnte sich schwer an die Wand des zweiten Karrens. „Don Manolo dos Barancar - er wird wohl mit uns fahren." „Ich vermute es. Ein tüchtiger Mann. Ohne ihn wären wir alle ertrunken." „Ich weiß." Sie konnten noch nicht klar denken. Die Erschöpfung war zu groß. Die lange Zeit auf der kalten See, ständig vom Wasser durchnäßt, vom Regenwasser und von den Wellen, hatte mehr als nur äußerliche Spuren
hinterlassen. Gierig stürzte Recalde den starken, heißen Würzwein herunter, der ihm von einem kahlköpfigen alten Bauern entgegengehalten worden war. „Gracias", murmelte er. „Die anderen Kapitäne?" „Die Señores Coillar und Leora warten auf euch. Sie sitzen am Kamin und trocknen ihre Kleider. Sie haben auch alles verloren." „Nur den Stolz nicht", sagte de la Torre scharf. Er blickte dem ersten Ochsengespann nach, das sich über den gekrümmten Sandweg in die Richtung des Dorfes entfernte. Wieder schleppten die Seeleute ein paar Verletzte herbei und betteten sie auf das Stroh. „Wir werden beraten, was zu tun ist", murmelte Recalde schläfrig. Der Erste Offizier hob abwehrend die Hände und entgegnete: „Zuerst werden wir essen, dann uns das Salz von der Haut waschen und danach schlafen." „Meinetwegen." Nach und nach wurden alle Gestrandeten auf schwerfälligen Fahrzeugen ins Dorf gebracht. Die Bauern, die natürlich das Wrack ausplündern würden, bemühten sich nach Kräften. Klar, daß sie vom Strandgut profitieren würden. Dabei fürchteten sie die spanischen Soldaten. Sie konnten beruhigt sein, man würde ihnen kaum auf die Finger sehen. Manolo dos Barancar setzte sich neben Recalde und ließ sich eine Decke um die Schultern legen. De la Torre gab ihm einen gefüllten Becher. Der Geruch des gesüßten und gewürzten Weines vermochte nicht, den muffigen Salzgestank zu vertreiben, der aus dem Leder und dem Stoff auf-
9 stieg. Jeder der Überlebenden fror und zitterte vor Kälte. Nach einer Viertelstunde, in der er zwei Becher leertrank, sagte dos Barancar wütend: „Wir müssen bald entscheiden, was wir tun sollen." Vor Erschöpfung hatte Recalde Tränen in den Augen. Er gähnte und schüttelte sich. „Was können wir tun?" „Die Engländer müssen gestellt werden. Wenn es in Porto bewaffnete Einheiten gibt, werden wir die Verfolgung aufnehmen. Wenn nicht, reiten wir nach Vigo. Oder man soll Boten schicken. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, für die Engländer winkt sozusagen ihr Hafen. Denkt daran, was wir jetzt von den Schätzen wissen, die in den Laderäumen der ,Fidelidad' gestapelt sind! Spaniens Gold! Unser Silber. Und vieles andere. Uns gehört es." Barancar schwieg erschöpft und warf in heller Wut seinen leeren Becher ins Stroh. „Die halbe spanisch-portugiesische Wachflotte gegen zwei Schiffe! In Wirklichkeit nur gegen eins, denn die Galeone hat sich so gut wie kaum gewehrt. Nur ein paar Schüsse." „Aber alles Treffer", brummte Recalde düster. Das Dorf, eine Ansammlung von drei Dutzend Häusern, war nicht weit entfernt. Die Seeleute, die auf den Wagen keinen Platz mehr gefunden hatten, trotteten hinterher. Während für die Offiziere und die Kapitäne im Haus und in der Scheune des Bürgermeisters große Zuber voller heißem Wasser bereitgestellt wurden, verteilten sich die Seeleute auf ihre provisorischen Lager auf den Tennen. Die Dorfbewohner verteilten Essen und heißen Tee, Wein und, soweit sie
das entbehren konnten, auch trockenes Zeug. Durch einen Zufall waren alle Überlebenden der vier Karavellen an jenem langen Strandabschnitt angetrieben worden, der zu dem namenlosen portugiesischen Dorf gehörte. Während Jorge Recalde und Manolo dos Barancar bis zum Hals im warmen Wasser hockten und die Müdigkeit noch stärker zu spüren begannen, trat der Bürgermeister in den zugigen Raum der tief gelegenen Tenne. Neben ihm ging Ruiz Coillar, der Kommandant der bedauernswerten „Los Monteros". „Bevor ihr fragt, Señores, hier die Auskunft. Ein reitender Bote ist nach Porto unterwegs. Man soll uns Kutschen und schnelle Pferde schicken." Aus rotunterlaufenen Augen warf Recalde seinem Kameraden einen langen Blick zu. „Recht getan, Capitán. Und was weiter?" „Wir verlangten, daß jedes wehrhafte Schiff augenblicklich aus Porto ausläuft und die Verfolgung aufnimmt - vorausgesetzt, im Hafen liegen unsere Schiffe." Dos Barancar rieb sich Seifenschaum aus dem linken Auge und fragte schläfrig: „Falls keine Schiffe in Porto sind? Als ihr ausgelaufen seid, war der Hafen leer, wie ich erfuhr." „Dann haben sie Order, ein paar schnelle Boote nach Vigo zu schicken und um Hilfe zu bitten. Es geht das Gerücht, daß der Seewolf sein Unwesen mit uns trieb." „Ich habe Männer an Bord der beiden Schiffe gesehen, auf die seine Beschreibung zutrifft", bestätigte Recalde. „Wann erwarten wir die Boten zurück?" Alle Hildalgos, schwarzhaarig und
10 braunhäutig, meist mittelgroß und sehnig, waren von den Erlebnissen gezeichnet. Zu ihrer tiefen Mattigkeit gesellten sich Schlafmangel und das Gefühl ohnmächtigen Hasses. Aber alles würde vergessen sein, wenn sie nach ein paar Tagen wieder die Planken eines Schiffes unter ihren Sohlen spüren würden. Madrid und König Philipp waren weit. Hier blieben sie auf sich gestellt und brauchten nur die Unterstützung eines Provinzgouverneurs oder eines Stadtkommandanten. Angesichts der Wahrscheinlichkeit, daß die lang vermißte „Fidelidad" wieder zurückerobert werden konnte, bestand absolut keinen Zweifel, daß überall jede Form der Unterstützung gewährt werden würde. „Ich denke, heute nacht", entgegnete Coillar. „Und in Vigo wird man handeln, ohne auf uns zu warten." „Bedauerlich, aber richtig und nicht zu ändern", murmelte Recalde und gähnte. Der Bürgermeister räusperte sich, trat ein paar Schritte vor und zupfte verlegen an seinem Bart. „In der Zeit, bis man euch abholt, Señores, genießt ihr die Gastfreundschaft meines Dorfes. Wir sind nicht reich, aber wir helfen, wo wir können. Die Señores Offiziere und Kapitäne können über einen Saal in meinem Haus verfügen. Dort ist der Kamin angefacht, und wir haben Strohlager ausgebreitet. Besseres haben wir nicht." „Gracias", brummte Recalde und nickte. „Wir sind so müde, daß wir auch am Strand schlafen würden. Morgen sehen wir weiter." „Euer nasses, salziges Zeug sammeln wir ein. Die Frauen werden es waschen und vielleicht bis morgen trocken haben", versprach der Bür-
germeister. „Ich denke, es ist alles geschehen, was in dieser Notlage möglich war." Coillar schlug dem kleineren Mann, der nicht anders aussah als seine Bauern und Winzer, freundschaftlich und herablassend auf die Schulter. „Ich kann's bestätigen", sagte er. „Unsere portugiesischen Freunde geben alles, was sie haben." „Spanien wird es ihnen vergelten", sagte dos Barancar trocken. „Zweifellos." Seit es keinen portugiesischen König mehr gab, sondern Spanien unter seinem bedächtigen Philipp auch über diese Küste regierte, gab es zwei unterschiedliche Gruppen der neuen Untertanen der Krone: die begeisterten und jene, die Spanien zwar haßten, aber seine Macht fürchteten. In diesem Dorf schien es nur Spanien-Getreue zu geben. Immerhin verhielten sie sich so, als wären die Kapitäne ebenfalls Portugiesen, denn mindestens zwei Drittel der Mannschaften stammten aus Portugal. Recalde kletterte aus dem Wasserzuber, trocknete sich ab und schlüpfte in trockene Hemden und Hosen, die einem Bauern gehört haben mochten. Sie waren hoffentlich ohne Flöhe und Läuse im Versteck der groben Nähte. Er taumelte auf den Bürgermeister zu. Capitán Coillar fing ihn auf, als Recalde stolperte. „Du brauchst ein paar Happen zwischen die Zähne, mein Freund", meinte er und zog ihn mit sich. „Und eine Mütze voller Schlaf." „Das wird es wohl sein", murmelte Jorge Recalde und ließ sich von de la Torre und Coillar mitschleppen. Eine Viertelstunde später hatte er noch immer den Geschmack von stark ge-
11 würzter Suppe und heißem Braten auf der Zunge. Aber er schlief abgrundtief und vergaß alles. Den meisten seiner Männer ging es nicht anders.
Gegen zehn Uhr vormittags klarte es auf. Der Wind blies für die Engländer nicht besonders günstig, meinten die Bauern. Auf der See waren keine Fischerboote zu sehen. Der Bürgermeister hatte die Kapitäne und ihre Offiziere in seinem schmucklosen, aber warmen Arbeitszimmer zu einem reichhaltigen Essen geladen. „Bevor ich mich in heißer Milch mit Honig ertränke", sagte Elvecio Leora, „will ich hören, was der Bote zu berichten hat." Ein junger Bauer, dem man in Porto ein schnelles, aber gutmütiges Pferd gegen seinen abgehetzten Klepper eingetauscht hatte, verbeugte sich linkisch und zählte an den Fingern der linken Hand auf, woran er sich erinnerte. „Cristobal de Llores, der Gouverneur, läßt Sie grüßen und spricht Ihnen sein Bedauern aus. Es lag kein Schiff im Hafen. Aber er hat furchtbar getobt. Gegen die Engländer." „Das kann ich mir sehr gut vorstellen", brummte Jorge Recalde und wärmte seine Finger an dem Milchbecher. „Weiter! Hat er gesagt, was er tun kann? Was er angeordnet hat?" Der Bote packte den Zeigefinger, knetete an ihm herum und antwortete verwirrt. „Er hat noch gestern nacht vier Boote losgeschickt. Nach Vigo. Ich habe sie selbst aus dem Hafen segeln sehen." De La Torre erkundigte sich mit gespielter Strenge: „Warst du betrun-
ken? Hast du vier Jollen gesehen, und es waren nur zwei? Oder waren es wirklich vier?" „Vier! Männer mit Musketen waren darauf." „Auf Cristobal ist Verlaß", sagte Elvecio Leora beschwichtigend. „Er weiß genau, was wir brauchen." „Was passierte weiter?" wollte der Erste Offizier der „Maria d'Oro" wissen. Der junge Bauer faßte an seinen Mittelfinger und setzte seine mühsame Botschaft weiter fort. „Ich habe einige Kutschen überholt. Sie müssen gleich hier eintreffen. Die Herren Kapitäne und Offiziere sollen sofort nach Porto gebracht werden. Der Gouverneur läßt sagen, daß er bemüht sei, ein großes Schiff für Sie zu bekommen." „Hat er gesagt, ob in Vigo Kriegsschiffe zum Auslaufen bereit sind?" erkundigte sich Capitán Coillar. Sein Tatendrang schien wiedererwacht zu sein. Er sah ausgeschlafen aus und hatte sich sorgfältig rasiert. Vor dem Kamin, in dem riesige Scheite loderten, hingen Jacken und Hosen der Kapitäne und dampften noch immer Feuchtigkeit aus, die sich an den kleinen Glasscheiben der Fenster niederschlug und dort in dicken Tropfen abperlte. „Er sagt, daß es schwere Schiffe mit vielen Kanonen geben soll. In Vigo, hat er gesagt. Ja. Eure Seeleute sollen wir, wenn sie nicht gehen können, nach Porto fahren. Die anderen sollen gehen." Mittlerweile war er am Ringfinger angelangt und betrachtete den letzten Finger, als sähe er ihn hier und heute zum erstenmal. „Und dann sagte er: Auch wenn aus Vigo Galeonen auslaufen, die nicht von den vier Señores Capitánes be-
12 fehligt werden, so sind es doch Schiffe unter spanischer Flagge, bemannt mit stolzen und kriegerischen Spaniern und Portugiesen." Manolo dos Barcancar knurrte leise: „Treffsichere Geschütze sind noch wichtiger." Der Bote ließ seine Finger los, verbeugte sich wieder und war sichtlich froh, daß er sich alles gemerkt und auch wiedergegeben hatte. Der Bürgermeister scheuchte ihn mit aufgeregten Handbewegungen aus dem überheizten, feuchten Raum. Ein Schwall kalter, frischer Luft drang herein. Die Kapitäne holten tief Luft und wandten sich ihrem Essen zu. Es war einfach, aber reichhaltig. Sie merkten erst jetzt, wie hungrig sie wirklich waren. „Wie lange fahren wir nach Porto?" fragte Recalde. „Mit einer schnellen Kutsche werden es drei, vier Stunden sein", erklärte der Bürgermeister. Er schien froh zu sein, wenn sein Dorf wieder ihm und seinen Bauern allein gehörte. Die Mädchen und Frauen hatten die Verwundeten so gut versorgt und verbunden, wie sie konnten. Noch während die Kapitäne das einfache Essen vertilgten und nicht daran dachten, daß sie die letzten Vorräte der Bauern plünderten, hörte man das Knirschen der Räder, das Hufgetrappel und Peitschenknallen. Die Kutschen aus Porto waren eingetroffen und hielten auf der schlammigen Dorfstraße. Manolo dos Barancar stand auf. Er hatte neben dem Bürgermeister am oberen Ende der drei zusammengeschobenen Tische gesessen. Er hob den hölzernen Becher Milch, die mit Honig gesüßte und zur Ehre und Aufmunterung der seltenen Gäste mit
Traubenschnaps gemischt war, in die Höhe und vollführte eine weitschweifige Geste. „Wir danken dem Bürgermeister des Dorfes ohne Namen. Sie, Señor, haben uns allen sehr geholfen. Spanien wird es euch allen nicht vergessen, und wir, Kapitäne, Offiziere und Mannnschaften sind satt, trocken und haben unsere Empfindungen wieder unter Kontrolle. In ein paar Stunden seid ihr wieder allein. Wir haben nicht einmal ein paar Goldstücke übrigbehalten, um eurer Hilfe etwas Anerkennung zollen zu können. Etwas verlegen breitete er die Arme aus. Die weitschweifige Ansprache verriet, daß sich der Kapitän unbehaglich fühlte. Er nickte dem Bürgermeister und seinen Helfern zu und setzte sich wieder. Ruiz Coillar drehte sich herum und prüfte seine Jacke. „Das Zeug ist so gut wie trocken. Lassen wir die Kutscher nicht erst einschlafen!" rief er in aufgesetzter Fröhlichkeit. „Dann sollten wir jetzt aufbrechen, Señores", sagte Leora. „Gouverneur de Llores wartet nicht gern." Die Kapitäne vertauschten die geliehene Kleidung mit ihren Uniformen, die alles andere als prächtig waren. Während der letzten Tage waren sie noch fadenscheiniger und fransiger geworden. Traurig hingen Knöpfe und Schnallen an den Fäden. „Aber die Stiefel sind trocken!" „Und steinhart geworden." Ein Dutzend Männer zog sich um, half sich gegenseitig, und schließlich stapfte einer nach dem anderen aus der stickigen Stube hinaus in den sonnigen Mittag. Drei reichlich ramponierte Kutschen warteten. Die dreckbespritzten
13 Männer standen neben den Rädern und sprachen mit den Dorfbewohnern. Die Pferde, ebenso voller Schlammspritzer, fraßen Heu, das ihnen die Dorf kinder unter die Nüstern hielten. Jorge Recalde klatschte in die Hände und schrie: „In die Fahrzeuge, Freunde! Es geht nach Porto." Barancar ließ sich in die schäbigen Sitze fallen, schlug die Beine übereinander und winkte. Die Offiziere und die Kapitäne setzten sich, während die mürrischen Kutscher auf ihre Plätze kletterten und die Wagen wendeten. Die Pferde schlugen, als die schlammige Wege im Dorfbereich in einen breiteren, trockenen Pfad übergingen, einen holprigen Trab an. Auch mit den knallenden Peitschen schafften es die müden Pferde nicht, die vollbeladenen Kutschen schneller in die Richtung der Stadt und des Hafens Porto zu ziehen. Als ob er die Gedanken seiner Gefährten erraten hätte, sagte de la Torre nach einer Weile: „In Porto erfahren wir mehr. Über alles. Dort ist auch genug Platz und neue Ausrüstung für alle." „Ich will - die Hölle über die britischen Ketzer! - ein Schiff, damit ich sie in Grund und Trümmer schießen kann!" schrie Ruiz Coillar, aber mit seinem Geschrei erschreckte er nicht einmal die müde trabenden Gäule. 3. Dan O'Flynn betrachtete seine Karte, die an den Faltstellen teilweise zerrissen war, und deren Bezeichnungen, Linien und Angaben von unzähligen Salzwassertropfen ausgebleicht waren. In einem einfach fingerbrei-
ten Streifen rechts und links der Knickstellen waren Druck und Farben fast unkenntlich. Der Navigator zuckte mit den Schultern und warf, zum zehntenmal, einen langen, prüfenden Blick hinüber zur Küste, die im späten Licht des Tages lag und sich gegen ein riesiges, graues, blaues und schwarzes Gebirge aus aufbrodelnden Wolken abhob. „Eigentlich brauche ich die Karte nicht", meinte er im Selbstgespräch und blickte durch das Spektiv, das er sich von Hasard hatte geben lassen. „Ich kenne sie halb auswendig." Längst lag Porto nicht mehr querab. Trotzdem waren sie nicht viel weiter nach Norden gelangt. Der Aufenthalt von ein paar Stunden, in denen Will Thorne das Segel mehr schlecht als recht geflickt hatte, kostete wertvolle Zeit. Dazu kamen Winde aus ständig wechselnden Richtungen und eine Flaute über sechs Stunden in der Nacht. Sie waren nicht ganz auf der Höhe von Cabo de Finisterra. Und es sah nicht so aus, als würden sie in den nächsten Stunden weiter nach Norden Raum gewinnen. Vielleicht die Schebecke, die sehr viel höher am Wind lief als die Galeone. Aber das Silberschiff wurde auch mit sieben geflickten Segeln nicht schneller. „Sir", sagte Dan laut. „Ich habe über die letzten, aufregenden Seemeilen etwas nachgedacht." Hasard nickte und grinste auffordernd. „Zufällig habe ich Lust und Zeit, mir deine Gedanken anzuhören. Vermutlich denke ich ähnlich." „Also", sagte Dan O'Flynn und fuhr mit dem Zeigefinger die weniger undeutlichen Linien der Karte nach, „hier und hier verlaufen die Strö-
14 mungen. Das bedeutet, daß das eine oder andere Schiff oder Boot an die Küste getrieben worden ist. Außerdem gab's entsprechende Winde. Die Leute in der Nähe von Porto wissen also jetzt wirklich Bescheid." „So sehe ich das auch", stimmte der Seewolf zu. „Inzwischen hat es sich auch herumgesprochen, daß sie den Seewolf jagen. Daß sie ihr eigenes Silberschiff wiedererkannt haben, ist selbstverständlich." Dan O'Flynn nickte nur.. „Was werden unsere lieben Freunde, die Dons, daraufhin unternehmen?" erkundigte sich Hasard spöttisch. „Mit den vier Karavellen können sie nichts mehr anfangen." Der Kurs Nord lag an, aber beide Schiffe mußten kreuzen. Die Schebecke umkreiste zwar die „Fidelidad" nicht planmäßig, aber durch das Kreuzen und Wenden und die Versuche, die günstigsten Winde zu pakken, lief es auf das gleiche hinaus. Sie waren weit draußen auf der See, fern von der portugiesischen Küste. In den letzten Stunden hatten sie nur Handelsschiffe gesichtet, von denen nicht die geringste Gefährdung ausging. „Die Häfen der Küste müssen vor Schiffen nur so wimmeln", sagte Dan O'Flynn. „Der nächste Hafen ist Vigo, nicht wahr?" „Ja. Vor La Coruña und Santander." „Sollten in Porto keine bewaffneten Schiffe liegen, wird man Boten über Land und, höchstwahrscheinlich, auch über See schicken. Nach Vigo oder zu anderen Häfen." „Das, Sir, erscheint selbst mir logisch." Erneut legte sich die Schebecke schwer über und änderte den Kurs
um vier Strich. In drei Stunden, höchstens vier, war es wieder dunkel. Hasard und Dan O'Flynn schauten schweigend zu, wie Al Conroy mit seinen bevorzugten Helfern, den Zwillingen, mit gewohnter Sorgfalt seine Culverinen lud und diejenigen, die noch geladen waren, ebenso sorgfältig überprüfte. Wahrscheinlich würde der Stückmeister seine Ruhe erst dann wiederfinden, wenn die Crew in London von Bord ging. Hasard rief zu Al Conroy hinunter: „Ist alles bereit für ein letztes, vernichtendes Gefecht, Al, das von uns keiner mehr haben will?" Al Conroy winkte begeistert zurück und deutete zum Bug und zum Heck. „Unsere lieben kleinen Drehbäßchen müssen noch gefüllt werden!" rief er zurück. „Mit Spezialitäten für unsere spanischen Freunde. Allerdings dränge ich mich auch nicht danach, sie abzufeuern." „Keiner von uns will das." Unter Deck schlief oder döste gut die Hälfte der Seewölfecrew. Sie hatten einigermaßen gut gegessen, und der Kutscher war mit lästerlichen Reden geärgert worden. Die Männer waren müde, und die Nähe der ersehnten Heimatküste stimmte sie wehmütig. Selbstverständlich hatten die Seewölfe ihre Schebecke perfekt aufgeklart. Außer dem Rudergänger, dem Navigator und der Wache hatte niemand an Deck viel Arbeit. Man konnte also See und Wolken beobachten und versuchen, spanische Schiffe vor der Kulisse der Küste zu entdekken. Ben Brighton stieg aufs Achterdeck und nickte den Männern zu. „Zu welchen Überlegungen seid ihr gelangt? Der Profos meint, daß seine Lieblingsaffenärsche uns mit verdoppel-
15 ten Anstrengungen verfolgen wer- niger kräftig wehte als hier auf dem den." offenen Meer. „Sicher hat man Teile unserer Schweigend betrachteten die SeeKämpfe von Land aus beobachtet", wölfe die Uferlinie, denn nur von dort wiederholte Hasard. „Ich bin sicher, würden die Gefahren auftauchen, dedaß wir noch vor Cabo di Finisterre nen sie sich stellen mußten. etwas erleben." Die Spanier oder ihre neuen Unter„Nichts Leichtes", stimmte Dan tanen, die Portugiesen, rührten sich O'Flynn grimmig zu. „Ich hoffe nur, nicht. Nur die aufgezogenen Segel daß sie keine schweren Einheiten an von kleinen Fischerbooten waren auf dieser Küste stationiert haben. Wir den Wellen zu erkennen. müßten sonst weit nach Nordwest Matt Davies stieg aufs Grätingsflüchten." deck und zündete die Hecklaterne an. „Bisher sind wir mit allem fertig Er warf den abgebrannten Docht ins geworden", sagte Hasard mit Nach- Wasser und klappte sorgfältig die druck. „In ein paar Tagen sind wir in kleine Laterne wieder zu. England, das verspreche ich euch." „Wäre schön, Sir, wenn wir heute Ben Brighton zog ein zweifelndes eine ruhige Nacht hätten." Gesicht und ließ seinen Blick über die „Ich sehe keine Schwierigkeiten", Männer gleiten, die an Deck saßen erwiderte Hasard. „In einer halben und ihre Schultern gegen den Wind- Stunde gehen wir mit dem nächsten schutz des Schanzkleides lehnten. Schlag auf See hinaus. Wenn nur Böiger Wind füllte die Segel, das diese verdammte silberträchtige GaSchiff lief im Augenblick klaren leone etwas schneller wäre! Aber daNordkurs. mit schlagen wir uns ja schon eine „Jede Seemeile bringt ihre eigene ganze Weile herum und können's Überraschung", schwächte der Erste nicht ändern." Offizier die zuversichtliche Bemer„Der Weg nach England führt unkung ab. „Ich habe lernen müssen - abänderlich an der spanischen Küste das gilt für uns alle, nehme ich an -, vorbei." Ben Brighton zuckte mit den daß man nur einen tödlichen Fehler Schultern, grinste und fügte sich wie begehen kann." alle anderen an Bord in das Unver„Nämlich dann, wenn man den ver- meidliche. letzten Stolz der Dons vergißt", sagte Die folgende Nacht verlief ruhig. der Seewolf ernst. Die Lichter an Land glitten unglaub„Genau das meine ich." lich langsam nach achtern, der Wind Wachsam und ununterbrochen blieb weiterhin ungünstig und wurde der Horizont über alle Sekto- schwach. Er füllte, aus Südost weren der Windrose beobachtet. Auf hend, gerade die Segel, aber beide den Leuchttürmen wurden die ersten Schiffe liefen kaum Fahrt über Feuer angezündet. Grund. Noch brannten sie mit schwarzen Rauchfahnen, die vor den hochgetürmten Abendwolken in langen, schrägen Bahnen davondrifteten und Drei Stunden nach Sonnenaufgang deutlich erkennen ließen, daß der gab Dan O'Flynn auf. Wind im Bereich der Küste noch weEr legte den Stechzirkel weg, fal-
16 tete die Karte zusammen und schob sie in die Wasserdichte Mappe zurück. Er warf einen letzten Blick durch das Spektiv und wußte jetzt, daß er sich wirklich nicht geirrt hatte. Alle seine Beobachtungen waren richtig. „Wir haben etwas achterlicher als Steuerbord querab die Stadt Vigo. Hinter dem Felsvorsprung, dem langgezogenen. Er steht als ,Ria de Vigo' in meiner Karte verzeichnet." „Das heißt, daß wir trotz nächtelangem Segeln praktisch nicht von der Stelle gelangt sind", vergewisserte sich Ben Brighton, der in der letzten Stunde ebenfalls nichts anderes unternommen hatte, als die See und die Landlinie abzusuchen. „Die vier weißen Lateinersegel versuchen seit dem Morgengrauen ebenfalls, Vigo zu erreichen." „Sie haben den gleichen lausigen Wind", bestätigte Dan O'Flynn. „Am besten kommen wir voran, wir mit der Schebecke." „Richtig." Philip Hasard Killigrew streckte Seine Schultern aus dem Niedergang und rief: „Etwas Besonderes zu sehen, Gentlemen?" Sofort antwortete der Erste: „Wir vermuten, daß querab vier schnelle Jollen segeln, die von Porto nach Vigo unterwegs sind. Wollen wir herausfinden, ob die Dons ihre portugiesischen Freunde als Boten benutzen?" „Ich komme an Deck. Wartet." An Backbord stampfte die „Fidelidad" mit schwacher Fahrt durch die niedrigen Wellen. Die Sonne und hochtreibende Wolken verbargen sich in einer dünnen grauen Nebelschicht. Der Wind, der von Land her wehte, roch schwach nach dem Rauch der Kaminfeuer und nach frischem
Grün. Unter der hohen Menge von Feuchtigkeit in der wenig bewegten Luft litt die gute Laune der Crew beträchtlich. „Glücklicherweise haben die Dons, wenn sie uns verfolgen wollen, den gleichen schäbigen Südost", meinte Ben Brighton geringschätzig und sah zu, wie sich die kleinen Boote dicht unter Land nach Norden vorwärtskämpften. Der Seewolf schob mit gespreizten Fingern beider Hände sein Haar in den Nacken. Wie die Kleidung, so waren auch Haare und Bärte der Männer unangenehm feucht geworden. Es schien keinerlei Grund zur Eile zu geben. Schweigend musterte der Seewolf die vier Boote, deren auffallende Segel zufällig in gleich großem Abstand vor der graubraunen Kulisse der Strandfelsen vorbeizogen. „Schnappen wir uns eine Jolle? Fragen wir die Portos, was sie vorhaben?" rief Sam Roskill, der turnusmäßig am Ruder stand. „Wenn sie in die Mündungen unserer Kanonen und Musketen schielen, werden sie bestimmt gesprächig", schlug der Erste vor. „Wahrscheinlich sollen sie in Vigo Alarm schlagen." „Das heißt, sie sind aus Porto? Was mir zu beweisen scheint, daß dort die Überlebenden an Land gegangen sind. Natürlich tun sie alles, um wieder Schiffe zu bemannen." „Also, Sir?" fragte der Rudergänger. „Wir schnappen uns die Boten. Und zwar so früh wie möglich." „Du weißt, Sir, daß wir dicht vor Vigo sind?" „Ich weiß. Alles klar zum Anluven. Ziel ist das erste Boot." „Verstanden!" Die Rahen knarrten, Tauwerk lief
17 durch die Blöcke, die Segel killten kurz und knatterten leicht. Salziges Wasser sprühte über die Männer an Deck. Die Schebecke legte sich weit nach Backbord, richtete sich wieder zögernd auf und ging hart an den Wind. Ob von Bord der kleinen Jollen diese Kursänderung in etwa vier Seemeilen Entfernung bemerkt worden war, konnten die Seewölfe nicht erkennen. Hasard sprang hinunter auf die Kuhl und rief: „Wir schneiden einer Jolle den Weg ab und entern sie. Wir werden die Portos fürchterlich erschrecken. Ich will aber keine unnötige Gewalt! Na, ihr regelt das schon. Ed! Du übernimmst diese Arbeit? Sie müssen denken, daß die bösen Seewölfe ihrem Ruf gerecht werden." „Wird mir ein Vergnügen sein", antwortete der Profos dröhnend, „den Rübenschweinen, spanisch oder portugiesisch, einen höllischen Schrecken einzujagen. Los, Kerls, zu den Waffen!" Wieder einmal bewies die Schebecke die Vorteile ihrer Konstruktion. Das schlanke Schiff kämpfte sich auf die Küste zu. Trotz des ungünstigen Windes wuchs die Geschwindigkeit. Jetzt hatten die Insassen der Jollen das fremde Schiff bemerkt. Sie versuchten, ihre Schiffchen schneller werden zu lassen, indem sie den Kurs änderten und unter den Ruderbänken lange Riemen herauszurrten und in die Dollen einsetzten. Nach und nach hatten sich die Seewölfe bewaffnet. Schon jetzt wirkten sie wie eine Bande von Piraten, die wenig Erbarmen kannte. Einige kurze Kommandos hallten über das Deck. Die Segel wurden getrimmt, die Schebecke jagte jetzt im ablandi-
gen Wind auf die Klippen und auf die Kurslinie des ersten Bootes zu. Sie mußten damit rechnen, vom hochgelegenen Rand der Felsen beobachtet und, möglicherweise, auch beschossen zu werden. Vielleicht gelangte die Nachricht von ihrer Anwesenheit schon nach Vigo, wenn die Jollen noch unterwegs waren, Auch der Seewolf bewaffnete sich und bemühte sich, drohend auszusehen. Sam Roskill brachte die Schebecke zuerst auf einen Kurs, der fast parallel zu den Felsen führte, dann glich er ohne viel Aufwand die Bewegung denen der Jollen an. Die Crew der Schebecke stand an Steuerbord und schaute in die offenen Boote hinunter. Sechs oder sieben Mann hockten in jedem Boot. Einige ruderten wie wild, aber als die Schebecke mit schäumender Bugwelle heranrauschte, sahen sie ein, daß es sinnlos war, weiterzupullen. Auf allen vier Jollen flatterten die langen Wimpel mit dem spanischen Emblem und den Farben, die diese Küste beherrschten. In einem gewagten Manöver schwang die Schebecke ihr Heck herum und überholte an Backbord drei Jollen. Dann fing Hasard übertrieben laut zu fluchen und zu schreien an. „Männer! Seewölfe!" donnerte seine Stimme über Deck und bis hinüber zu den Jollen, die aussahen, als wären sie in den vergangenen Nächten von den Fischern benutzt worden. „Packt die Spione der Spanier! Wenn sie sich wehren, schießt sie zusammen. Stückmeister!" „Kanonen schießbereit und gerichtet. Volle Ladung?" Al Conroy, einen großen Dolch wieder zwischen den Zähnen, fuchtelte mit dem Luntenstab durch die Luft. „Klar bei Längsseitsgehen!"
18 „Aye, aye, Sir!" Scherze und fingerten an den PistoZwei Leinenbündel wurden durch len herum. die Luft geschleudert, rollten sich „Sind Schiffe in Vigo am Kai? perfekt ab, und die Enden fielen ge- Große Schiffe?" schrie der Erste zu zielt in den Bug und ins Heck der den einfachen Männern hinunter, die Jolle. ihre dicken Jacken aus grobem Stoff Hasard brüllte zornig: „Ihr seid auf weit geöffnet und die Ärmel hochgekrempelt hatten. dem Weg nach Vigo, nicht wahr?" Ferris Tucker und Matt Davies Der Profos drängte sich an die richteten die Drehbassen im Bug und Männer heran, die vor ihm am Heck auf die Crew der Jolle. Zwei Be- Schanzkleid der Kuhl standen. waffnete befanden sich im Boot, aber „He!" schrie er. „Wird's bald, ihr sie wagten nicht, ihre Musketen anzu- Tintenfische? Heraus mit der Wahrrühren. Sie sahen sich etwa zwei Dut- heit! Ihr sollt also die spanischen zend von wild entschlossenen Män- Schiffe auf uns hetzen, wie?" nern gegenüber, die bereit waren, in Die Fischer und Soldaten hoben bedie Jolle hinunterzuentern. teuernd ihre Arme in die Höhe. Sie „Ja, Señor. Nach Vigo. Wir kom- waren tatsächlich zu Tode erschrokken. Die Übermacht war hoffnungsmen . . . " „... aus Porto, wohin sich die Über- los, und der Name Seewolf lähmte sie lebenden der vier Karavellen ge- nahezu. flüchtet haben. Sie sind von uns in „Wir wissen es nicht!" Fetzen geschossen worden. So wie ihr „Woher sollen wir wissen, wie viele auch, wenn ihr uns nicht die Wahr- Schiffe in Vigo liegen?" heit sagt!" „Wir sind jedes Jahr einmal in „Aus Porto, ja. Der Stadtkomman- Vigo. Nicht öfter!" schrien die Portudant schickt uns nach Vigo. Schlech- giesen wild durcheinander. Vermutter Wind, Señor." lich sprachen sie die Wahrheit. Die Tampen waren an der Jolle beDer Profos richtete den Lauf seiner festigt worden. Beide Bordwände Pistole nacheinander auf jeden in stießen gegeneinander. Die Sche- dem kleinen Boot und tobte fluchend: becke schleppte das kleine Boot so „Habt ihr in Porto Karavellen mit Geschnell mit sich, daß die drei Jollen schützen? Oder Galeeren? Andere rasch im Kielwasser des großen große Boote mit Kanonen?" Schiffes zurückblieben. „In Porto waren die Karavellen. „Was sollt ihr in Vigo?" Jetzt ist kein großes Schiff mehr im „Eine Botschaft überbringen. Spa- Hafen. Nur ein Handelsboot mit zwei nische Schiffe sollen auslaufen und Kanonen." zwei Engländer jagen. Seid ihr diese „Sollen wir ihnen glauben?" fragte Engländer?" Al Conroy, lehnte sich auf die Dreh„Das seht ihr selbst. Haben viele basse und blies auf das Luntenende. von den Männern auf den Karavellen „Wahrscheinlich lügen sie nicht. überlebt?" Wir werden ja sehen, welche Gegner „Sehr viele", wurde erwidert. „Das sich heraustrauen." sagte der Bote des Bürgermeisters." „Wartet noch!" rief der Seewolf. Die Arwenacks stießen sich gegenDie Schebecke hatte den unmittelseitig in die Rippen, grölten laute baren Uferbereich wieder verlassen
19 und schleppte die Jolle mit sich hinaus in Richtung auf die „Fidelidad", die unbeirrt ihren Kurs weiterverfolgte. Leise beriet sich Hasard mit dem Ersten. Es stimmte also, was sie vermutet hatten: wenn die Jollen Vigo erreichten, fing die Verfolgungsjagd von neuem an - vorausgesetzt, es waren starke Einheiten in diesem spanischen Hafen. Kamen sie nicht aus Vigo, dann würden schnelle Boten in anderen Häfen für entsprechende Befehle sorgen. „Werfen wir die Leinen los", sagte der Seewolf leise zu Ben Brighton. „Die Burschen wissen nicht viel mehr als wir." „Wenn wir sie festhalten, verzögern wir das Auslaufen der Karavellen oder Galeonen - was weiß ich, was dort auf uns lauert." „Bei diesem Wind?" brummte Hasard. „Sie werden uns so langsam hinterherschleichen, wie wir segeln." Er dachte nach und fügte hinzu: „Bis sie einlaufen, bis die Schiffe losmachen - wenn überhaupt welche im Hafen liegen -, das dauert ewig lange. Da sind wir schon am Horizont." „Trotzdem, Sir. Es geht um mehr. Um die ,Fidelidad'. Ich schlage vor, wir nehmen ihnen die Segel weg. Das bringt uns einen großen Vorsprung." Diesmal brauchte der Seewolf nicht lange zu überlegen. Er nickte. „Geht in Ordnung. Sammelt das Zeug ein, vielleicht können wir es für die Galeone gebrauchen." Ben Brighton legte die Hand an die Stirn, salutierte mit breitem Grinsen und tat zwei lange Schritte. Er sagte Edwin Carberry, was Hasard angeordnet oder besser, welchem Vorschlag er zugestimmt hatte. Einige Männer hörten zu. Ferris Tucker lachte laut und enterte in die
Jolle ab und kappte mit drei, vier wuchtigen Hieben das stehende Gut. Zuerst wollten sich die Seeleute auf ihn stürzen, aber er schwang nur einmal seine Zimmermannsaxt im Kreis, und das verscheuchte die Seeleute. „Wir wollen verhindern, daß ihr eure rasende Sturmfahrt fortsetzt!" Der Zimmermann lachte und kappte weiteres Tauwerk. Carberry und Will Thorne sprangen in die Jolle, holten das Segel herunter und schoben den kleinen Mast mitsamt der Sprietspiere und der Leinwand an Bord der Schebecke. „Zurück, schnell!" Die Seewölfe enterten wieder auf. Die Leinen wurden gelöst, und während die Schebecke nach Backbord steuerte, fiel die Jolle zurück. Da sich noch immer die Mündungen der Geschütze auf die Seeleute richteten, wagte keiner, hinter den Seewölfen herzudrohen. „Eigentlich tun sie mir leid, die armen Rübenschweine", sagte der Profos. „Ruinieren wir den anderen auch noch die Boote?" „Sollen wir großzügig sein?" fragte der Seewolf und sah zu, wie die Schebecke hart wendete und auf die drei übriggebliebenen Jollen zurauschte. „Bei einer Ladung, wie sie in der ,Fidelidad' steckt, verbietet sich Großzügigkeit", sagte Garberry. „Wir wollen ja nicht gleich alle portugiesischen Seeleute umbringen." „Auch gut. Aber es sollte schnell gehen." Die Portugiesen schienen genau zu wissen, was ihnen blühte. Gegen das schnelle, wendige Schiff, das mit Können und absoluter Sicherheit gesegelt wurde, hatten sie keine Chance. Die Kanonen, Drehbassen und Musketen der Seewölfe drohten
20 und ließen den Gedanken an Gegenwehr ebenso sinnlos erscheinen wie den an Flucht. Die Schebecke preschte auf die hintereinander segelnden Jollen zu und schien sie rammen zu wollen. Hasard rief: „Nur die Segel! Sonst keinerlei Späße, verstanden?" „Aye, Sir!" Mit drei Schritt Abstand zwischen Bordwand und Bordwand schnitt der scharfe Bug der Schebecke an der ersten Jolle vorbei. Mit der Backbordbug-Drehbasse jagte Al Conroy eine Ladung von gehacktem Blei in das Segel der Jolle, und aus den Dutzenden kleiner und großer Löcher wurde ein Netzwerk aus Rissen und Sprüngen. Das Segel wurde völlig zerfetzt, und nach wenigen Augenblicken verlor die Jolle an Fahrt. Diesmal schrien und tobten die Portugiesen, als sie sich vom Schreck der Detonation, der Stichflamme und der Rauchwolke in unmittelbarer Nähe ihrer Köpfe erholt hatten. Nur wenige Augenblicke später dröhnte das zweite kleine Buggeschütz auf und zerstörte mit seiner Ladung das Segel der Jolle. Der Rudergänger und die Crew an den Segeln arbeiteten auf Zuruf zusammen, als die Schebecke die letzte Jolle aufs Korn nahm und scheinbar auf Kollisionskurs ging. AlConroy zündete die Lunte an, wirbelte den Brandsatz über seiner Schulter und schleuderte ihn in das Segel der Jolle, gerade in dem Augenblick, als die großen Leinwandflächen der Schebecke den Wind auffingen und die Jolle abdeckten. Das feuchte Segel fing schnell Feuer, brannte aber nur zögernd. In der Mitte entstand ein Loch, dessen Ränder auseinanderstrebten und verkohlten. Die Portugiesen sprangen
hin und her, schöpften Seewasser in ledernen Ösfässern und versuchten, den schwelenden Brand zu löschen. „Klar zum Wenden!" rief Hasard. „Das Spektakel ist vorbei. Zurück zur Galeone." Mit dem ablandigen Wind, der ein wenig aufgefrischt hatte, ging die Schebecke wieder über Heck und legte sich über, als sie auf den neuen Kurs gebracht wurde und das gefährliche Gewässer der Küstennähe verließ. „Wenn wir weiterhin unser gewohntes Glück haben", bemerkte der Kutscher mit heruntergezogenen Lippen, „dann haben die Portos unsere segensreiche Tätigkeit von den Klippen aus beobachtet und melden es noch schneller an die Leute im Hafen." „Das Leben ist voller Gefahren", tröstete ihn Ben Brighton philosophisch. „Man wird sehen, was geschieht." Im Verlauf der nächsten Stunde passierte gar nichts. Der Nebel lichtete sich, hin und wieder erschienen zwischen den großen, regengrauen Wolken Löcher, in denen es blau schimmerte. Ab und zu brach die Sonne durch und verwandelte mit breiten Strahlen das Meer und einen Teil der Küste aus einem grauen Einerlei in die gewohnten Farben. Es sah nicht so aus, als würde es in absehbarer Zeit einen besseren Wind geben. Noch immer wehte er feucht und schwach aus dem südlichen, meist aber aus dem östlichen Quadranten. Schließlich hatten die Seewölfe die beiden Felsriegel, die vor Vigo weit ins Meer vorsprangen, an Steuerbord querab. Hasards Spektiv richtete sich auf die winzigen, undeutlichen Häu-
21 ser und Masten, die er hinter der Biegung des Landes zu sehen glaubte. Er meinte, zwei große Galeonen zu sehen. Aber es konnten auch drei oder vier sein. Hasard setzte das Spektiv ab und zuckte wieder einmal mit den Schultern. „Wir haben keine andere Wahl!" rief er. „Sehen wir zu, daß wir möglichst schnell das Land hinter uns lassen und weiter Nordkurs segeln." „Verstanden, Sir." Das Leben an Bord lief ruhig weiter. Stunde um Stunde verging ohne wichtige, neue Beobachtungen. Die portugiesische Küste war nur noch ein dünner Streifen am Horizont. Schwachwind und die weite Dünung des Atlantiks, ein paar Seevögel und an Backbord die „Fidelidad", die trotz des geflickten Segels nicht schneller wurde.
Nur undeutlich konnten sie das Kap Finisterre erkennen, dessen Spitze von den Strahlen der aufgehenden Sonne aus Nebel und Dunkelheit herausgeschält wurde. Arwenack, der Schimpanse, turnte träge in den Großmastwanten herum und schnatterte leise. Noch bevor der Seewolf gähnend an Deck erschien, hatte Ben Brighton seine Wache mit einer halb erwarteten, halb aufregenden Beobachtung beendet: die Arwenacks waren nicht mehr allein im Seegebiet vor der portugiesischen Küste. Zwei Galeonen segelten an Steuerbord auf sie zu. Der Erste wartete, bis Hasard neben ihm auf dem Achterdeck stand, gab ihm das Spektiv und murmelte: „Es waren offenbar nur zwei große Schiffe an der Mole in Vigo. Inzwi-
schen haben sie unsere Verfolgung aufgenommen." Hasard prüfte den Wind. Er war weniger feucht und hatte schätzungsweise ein oder zwei Stärken mehr. Aber noch immer wehte er aus Osten. „Zweifellos. Spanier, wenn ich richtig sehe", murmelte Hasard. „Und der Wind hilft ihnen." „Wir haben genug Zeit, um uns vorzubereiten." In zwei Seemeilen Abstand bewegten sich die Galeone und die Schebecke mühevoll auf Nordkurs. Der Wind half den Verfolgern, die sich in erwarteter Schnelligkeit näherten. Während der Kutscher in seiner Kombüse klapperte und es wieder nach Tee zu riechen begann, versammelten sich die Männer um ihren Kapitän. Philip Hasard Killigrew stemmte die Fäuste in die Seiten und schaute sich um. „Wir brauchen nicht erst darüber zu beraten, ob es einen Kampf geben wird oder nicht. Wir können sicher sein, daß die Dons vor Wut kochen. Dort sind ihre Schiffe - zwei Galeonen, vermutlich wild entschlossen, voller Kanonen und, vielleicht, auch mit jenen Kapitänen an Bord, die wir ins Wasser geschickt haben." Ben Brighton schlug dem Stückmeister kräftig auf die Schulter. „Es wird ein Ehrentag für Al Conroy werden." Für lautes Gelächter oder wortreiche Zustimmung war es noch zu früh. Die meisten Seewölfe gähnten oder dachten noch an ihre letzten Träume. Becher mit heißem Tee wurden herumgereicht. „Ich bin bereit", sagte Al Conroy. „Mit zwei Galeonen werden wir allemal fertig." „Da wäre ich nicht so sicher", ent-
22 gegnete Hasard. „Der Wind ist auf Seiten der Spanier." „In einer Stunde", versprach Carberry und lockerte seine Muskeln, „habe ich das Schiff so weit, daß wir wenig von ihren Geschützen zu befürchten haben." „Gut so", brummte der Seewolf. „Hütet euch vor falschen Vorstellungen'! Sie werden bis zum letzten Schuß kämpfen." „Schon begriffen, Sir." An Deck der Galeonen wurde fieberhaft gearbeitet. Seesoldaten mit glänzenden Helmen halfen der Besatzung. Die Geschützrohre waren meist schon ausgerannt worden. Im Wind flatterten die langen spanischen Flaggen. Vor den gerundeten Bughölzern schäumten hohe und breite Bugwellen. „Dort drüben segeln mindestens zweimal dreißig Geschütze", meinte der Stückmeister schließlich und gab das Spektiv an Ferris Tucker weiter. „Wir kommen nur dann lebend aus dem Scharmützel heraus, wenn wir früher schießen." Noch immer waren je zwei Culverinen im Bug und im Heck der Schebecke in den Lafetten aufgebaut, festgezurrt und mit geteertem Segeltuch verschnürt. Auch Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, betrachtete den heranstampfenden Gegner durchs Spektiv sehr lange und genau und versuchte, dessen Stärke und Ausrüstung abzuschätzen. Die dunklen Rümpfe der Galeonen schienen auszudrücken, daß die Spanier zum Letzten entschlossen waren. Sie strahlten, als schwarze Silhouetten vor der aufgehenden Sonnenscheibe, eindeutig große Gefahr aus. Die Sonnenstrahlen drangen durch die Segel und ließen die Lein-
wand in ungewöhnlich hellem Licht aufleuchten. Dan O'Flynn hob die Hand und mischte sich ins Gespräch. „Wenn auf den Schiffen gute Schützen sind, kämpfen sie uns nieder, Sir. Es genügt, wenn wir sie mit guten Weitschüssen treffen." Bei jedem zweiten Wort nickte Al Conroy langsam und schweigend. „Wir brauchen kein Seegefecht bis zur letzten Planke. Wenn die beiden Galeonen hilflos sind, stellen sie für uns keine Gefahr mehr dar. Habe ich recht?" „Natürlich. Wie immer", knurrte der Stückmeister zufrieden. Er dachte schon wieder an Ladungsstärke, Geschoßart und die Schwierigkeiten, bei höherem Seegang einigermaßen erfolgreich die Rohre ausrichten zu können. Der nächste Blick auf die kleinen Wellen und die großen Täler der Dünung ließ ihn wieder hoffen. Er war auch noch nicht richtig wach, und auch der heiße Tee half noch nicht zufriedenstellend. „Natürlich hast du recht", sagte der Seewolf. „Ich bin froh über jeden Schuß, den wir nicht brauchen - und über jeden Treffer, den die da drüben nicht anbringen." Ben Brighton warf einen langen und mißtrauischen Blick hinüber zu ihrem segelnden Sorgenkind. Don Juan de Alcazar hatte die feindlichen Schiffe ebenfalls längst gesehen und traf seine Vorbereitungen. „Sie haben den Umgang mit Culverinen und Karronnaden nicht verlernt, unsere Dons", warnte der Kutscher, der volle Becher brachte und leere einsammelte. „Feuer kannst du von uns haben, Al." „Schon dran gedacht." Ben Brighton, Dan O'Flynn und Hasard versuchten, die besten Manö-
23 ver für die ersten Schußwechsel zu finden. „Sie werden uns keine Kriegserklärung mit einer Jolle herüberschikken", sagte Hasard und schätzte die Möglichkeiten der Schebecke ab. „Wir helfen Al." Al Conroys Mannschaft, deren Mitglieder bis auf die Zwillinge häufig wechselten, verließ das Achterdeck und fing an, die Schutzhüllen von den Culverinen zu entfernen und sorgfältig unter Deck zu verstauen. Eine Pütz nach der anderen wurde an Bord gehievt und in der Nähe der Geschütze aufgestellt. Nasser Sand und Werkzeug wurden heraufgereicht. Al schleppte seine Kisten voller Pulversäckchen herauf. Die Zwillinge hantierten inzwischen mit Richthebeln, Keilen und Ladungen, als hätten sie seit Jahren nichts anderes getan. Für einen kurzen Augenblick fühlte der Seewolf den berechtigten Stolz des Vaters, aber der nächste Blick zu den Galeonen brachte ihn auf andere Gedanken. „Pete!" rief er. „Hier, bei der Arbeit!" schrie Pete Ballie vom Bug her. „Du übernimmst das Ruder. Ich erkläre dir, was wir vorhaben. Schließlich hast du seit Jahren gelernt, wie man Spanier ausmanövriert." „Aye, Sir." Musketen und Pistolen wurden ausgeteilt, mit größter Sorgfalt geladen und hinter dem Schanzkleid angebändselt. Al Conroy präparierte ein halbes Dutzend seiner Sprengsätze und legte sie griffbereit zurecht. Noch immer konnten die Seewölfe ungehindert nach Nord weitersegeln, aber die Galeonen steuerten ebenfalls jenen Punkt an, der in etwa zwei Seemeilen Entfernung lag und
den beide Gegner des bevorstehenden Kampfes in weniger als einer Stunde erreichen würden. Der Erste enterte den Niedergang ab, verschwand unter Deck und kehrte einige Zeit später wieder zurück. Er hatte sich ausgerüstet und bewaffnet. Zum Seewolf sagte er knapp: „Kombüsenfeuer unter Kontrolle. Der Kutscher hat seine Arbeit hinter sich." Zum Beweis schwenkte er sein Frühstück: zwei Scheiben Brot, dick mit Butter bestrichen, zwischen denen Käsescheiben und Bratenstücke hervorschauten. „Gut. Und denkt daran, daß wir die ,Fidelidad' zu schützen haben. Die Handvoll Seewölfe dort liegen zwar nicht auf der faulen Haut, aber sie sind überfordert, wenn's aufs Ganze geht." „Selbstverständlich, Sir." Für Philip Hasard Killigrew war durchaus vorstellbar, daß sich die Kapitäne und Mannschaften, die letzten spanischen Gegner der Seewölfe, an Bord der Galeonen befanden und nur darauf brannten, die Schebecke zu entern und die Galeone zurück in einen spanischen Hafen zu schleppen. Ob sie es aber tatsächlich geschafft hatten, aus der Umgebung von Porto innerhalb so kurzer Zeit bis nach Vigo zu gelangen, bezweifelte er. Für die nächsten Stunden war allerdings diese Überlegung unwichtiger als ein toter Fisch. Old Donegal, der mittlerweile den Affen eingefangen und unter Deck gebracht hatte, hielt sich am Schotttau fest und rief zu Hasard hinaus: „Soll ich die Enternetze spannen?" „Nein. Wir gehen auf keinen Fall so nahe heran. Und wenn die Spanier in
24 Enternähe gelangen, nutzen sie auch nichts mehr." „Alles klar." Zwischen der „Fidelidad" und der Schebecke wurden einige wenige Signale ausgetauscht. Für Don Juan und seine Mannen bedeutete es, daß sie weiterhin ihren Kurs beibehalten sollten. Falls die Spanier angriffen, mußte zurückgeschossen werden. Es war weitaus wichtiger, das Feuergefecht unbeschädigt zu überstehen. „Ich schätze, daß unser englischer Spanier erleichtert ist", wandte sich Ben Brighton an Hasard. „Und für uns wird es ernst, Sir!" „Ich sehe es!" Beide Galeonen segelten in einem Abstand von etwa fünf Kabellängen nebeneinander auf genauem Westkurs. Die Schebecke hielt Nordkurs. Von Bord aus waren beide Backbordseiten der Spanier von schräg vorn deutlich zu sehen. Die Spanier segelten gut, jeder mögliche Fetzen Zeug war gesetzt. Und - es gab mehr als fünfzehn schwere Geschütze auf jeder Seite. „Mister Conroy!" rief der Seewolf und legte Zuversicht in seine Stimme. ,,Bediene dich der Steuerbordgeschütze. Freuer frei." Die Entfernung war richtig geschätzt. Ununterbrochen hatte der Stückmeister die Culverinen an der Steuerbordseite ausgerichtet. Jetzt kam sein großer Augenblick. Mit der Lunte hastete er vom Bug zum Heck und senkte die weißen, nur leicht rauchenden Funkenflammen auf die Ladung in den Pulverlöchern der ausgerannten Geschütze. In kurzen Abständen dröhnten die vier Geschütze auf. Viermal zuckten lange Feuerlanzen aus den Rohröffnungen. Die Mündungen spien die vier verschiedenen Ge-
schosse aus, dann brachen die Wolken des Rauches aus verbranntem Pulver grau und ätzend hervor. Der Wind wälzte sie schwerfällig über die Planken, auf die Männer zu, in die Segel und unter den Lieken hindurch. Die bugnächste Culverine war mit Kettenkugeln geladen gewesen. Die Ladung, die sich Conroy zu setzen getraut hatte, war nahe an der Grenze der Belastbarkeit des bronzenen Rohres. Auch der Meister, unter dessen Aufsicht die langen, schlanken Rohre irgendwann und irgendwo gegossen worden waren, hatte sein Bestes gegeben. Die Rohre hielten den unverhältnismäßig hohen Druck der betäubenden Detonationen aus. Conroy hatte sich, Schuß um Schuß, an diese Grenze herangetastet oder besser: herangefeuert. Zwei eiserne Kugeln, durch eine drei Fuß lange Kette miteinander verbunden, lösten sich nacheinander, fast gleichzeitig, aus dem Rohr. Einige Dutzend Fuß später versuchte jede Kugel, ihren eigenen Weg zu fliegen, die Kette staffte sich, die Kugeln begannen umeinander zu wirbeln. Mit dem bloßen Auge war dieser Vorgang kaum zu verfolgen, aber die Wirkung gestaltete sich wie erwartet. Sie war furchtbar. Nach einem fast waagrechten Flug von etwa einer halben Seemeile eher einige Kabellängen weniger wurden am Bug der Galeone die Stangen und Taue zerrissen, als wäre ein Blitz eingeschlagen. Die Segel flogen in Fetzen, die Rahen barsten und überschütteten die Männer an Deck mit einem Hagel aus Splittern und Trümmern, versengtem Tauwerk und Metallbruckstücken. Fast gleichzeitig schlug auch das zweite Geschoß ein. Eine steinerne Kugel traf, mehr zu-
25 fällig als gezielt, denn über diese Entfernung gab es kaum eine Sicherheit, daß das Ziel auch getroffen wurde, den Hauptmast. Der Mast brach nicht, aber er wurde angeknickt und beschädigt. Durch die Galeone ging ein furchtbarer, dröhnender Schlag, der in den Spanten und Planken nachhallte wie in einer Trommel. Das dritte Geschoß jaulte entlang der Linie zwischen Bugspriet und achterlichen Aufbauten. Es traf weder Masten noch Aufbauten, aber eine Reihe Männer wurde umgemäht und auf die Planken geschmettert. Die schwere Kugel zerfetzte eine Handvoll Taue, streifte das Dach des Heckaufbaues und schlug eine Kabellänge weiter ins Wasser. Neben dem Kielbalken an der Backbordseite, zwei Handbreiten über der Wasserlinie, erschien in den Planken der Galeone ein Loch, so groß wie der Oberkörper eines Mannes. Holztrümmer und Teile von dünnen Metallplatten flogen, sich überschlagend, durch die Luft. Im Inneren des Schiffes richtete der Treffer gewaltige Verwüstungen an, die von den Seewölfen aber nicht beobachtet werden konnten. Noch bevor die Spanier richtig wußten, wie schwer ihre Galeone beschädigt war, drehte die Schebecke nach Westen ab. Ihr Heck deutete jetzt auf den Bug derjenigen spanischen Galeone, die den Seewölfen am nächsten segelte. Al Conroy brüllte durch den Lärm: „Zieht die Geschütze zurück! Reinigen, schnell! Ich lade selbst!" Pete Ballie stemmte sich gegen die lange, geschwungene und mit sparsamen Schnitzereien geschmückte Ruderpinne. Die Schebecke fiel nach
Backbord ab und gelangte in den Bereich achterlichen Windes. Auf der Galeone dröhnten die Drehbassen am Bug dreimal auf. Die Ladung, offenbar gehackten Blei und Metallstücke, verwandelte eine kleine Fläche zwischen den beiden Schiffen in schäumendes Seewasser und jäh aufspringende Fontänen. „Aus dem Weg, ihr Landratten!" schrie Al Conroy, als er von der Kuhl aufs Achterdeck und von dort aufs Grätingsdeck aufenterte, den glimmenden Faden der Lunte, um den Luntenstock in vielen Windungen gelegt, in der Hand. Während die Schebecke, für Al Conroy viel zu langsam, das Heck herumschwenkte, kauerte der Stückmeister wieder neben den wulstigen, verzierten Enden der Culverinen und zielte, indem er die Bewegungen des Schiffes ausnutzte. In Sekundenabständen brüllten die Culverinen auf. Der erste Schuß schlug dicht vor dem Backbordbug ins Wasser, prellte mit Gewalt gegen die Planken und erzeugte eine gewaltige Wasserfontäne, von der die Spanier im Bugbereich überschüttet und durchnäßt wurden. Das nächste Geschoß jagte hoch über dem Wasser dahin und kappte das oberste Viertel des Großmastes. Tauenden, Holz und die gedrechselten Stäbe des Großmarses verwandelten sich in Trümmer und Splitter und regneten aufs Deck hinunter. Während Conroy aufsprang, den Luntenstab in den feuchten Sand steckte und wieder auf die Kuhl hinuntersprang, hatten die Arwenacks an vier Stellen die Lafetten zurückgezerrt und waren mit Ausputzer und Bürste dabei, die Rohre von den Rückständen des verkohlten Pulvers zu reinigen.
26 Pete Bailie hütete sich, in den wirkungsvollen Bereich der Geschütze an Backbord und Steuerbord zu geraten. Die Schebecke wurde abermals in eine andere Richtung gezwungen. Einige Minuten lang hallten die Kommandos für die Fockgasten über Deck und über das Wasser. Dann war die Schebecke hoch an den Wind gebracht und bewegte sich zunächst auf den freien Raum zwischen den beiden Galeonen zu, drehte weiter und zielte mit der Galion auf die Steuerbordseite derjenigen Galeone, die unter dem Beschuß schwer gelitten hatte. „Zum Bug, Mann!" schrie jemand. Der Stückmeister schlug Jung Philip kurz auf die Schulter, packte einen anderen Luntenstab und hastete über die halbe Länge des Decks zu seinen am Bug ausgerichteten und schußfertigen Geschützen. „Weiter herum, Pete!" brüllte er aus Leibeskräften nach achtern. „Viel geht nicht mehr!" brüllte Pete, ebenso laut zurück. Segel knatterten und killten. Die Gaffelruten knarrten protestierend. Das laufende Gut raste durch die kreischenden Blöcke. Langsam schwang die Schebecke herum, und Al Conroy schimpfte, weil sein Ziel auszuwandern drohte. Er visierte am Lauf entlang, fluchte ingrimmig und wartete voller Ungeduld, bis sich jenseits der winzigen Markierungen im Lauf die Steuerbordseite der Galeone abzeichnete. „Lieber einen Schuß zuviel als einen Treffer zuwenig", sagte er und fügte einen ausgesuchten Cornwallfluch hinzu. Dann senkte er die Luntenflamme auf das Zündloch. Der Donner des Geschützes ließ ihn halb taub werden. Er hustete und
schnappte im graugelben Rauch der Pulverdämpfe nach Luft. Die Brooktaue knirschten und ächzten, als die Lafette auf ihren kleinen Rädern zurückgewuchtet wurde. Zwei Atemzüge lang versuchte nicht nur Al Conroy, der schwarzhaarige Engländer, den Erfolg des Schusses zu erkennen. Dann wirbelte der Pulverdampf zur Seite, und Conroy erkannte, daß in der Bordwand der Galeone ein zweites, beruhigend großes Loch klaffte. Im Wasser trieben die Trümmer der herausgefetzten Planken. Aber - die Galeone war bedrohlich nahe geraten. Auf beiden Seiten wurden erste Musketenschüsse abgegeben. Al Conroy kniete neben dem zweiten Geschütz und zielte. Er fluchte unentwegt. Vor seinen Augen tanzten die Einzelheiten seines Zieles. Die langsamen Bewegungen beider Schiffe aber ließen ein vernünftiges Zielen kaum zu. Etwas fiel ihm auf, als er die Luntenflamme drei Fingerbreiten oberhalb des trockenen Pulvers im Zündlich anhielt: Aus den schweren Geschützen beider Galeonen war noch nicht ein einziger Schuß abgegeben worden. Sie hätten ohnehin nur die Wellen getroffen! Dann löste er das zweite Heckgeschütz aus. Eigenhändig hatte er hier zwei hohle, pulvergefüllte Geschosse geladen, die mit einer Zackenkette verbunden waren. „Das war's!" rief er, noch immer halbtaub, hustend und mit tränenden Augen. Hitze und Flammen schlugen nach seinem Gesicht, dem Haar und den Augen. Die Kettenkugeln wirbelten knapp über dem Bugspriet der Galeone hinweg, schlugen die Fockmastwanten
27 an Backbord in Fetzen und verbreiteten Flammen und Rauch. Metallsplitter heulten nach allen Richtungen durch die Luft. Der Wind fing sich in den schlagenden Segeln und riß Rahen und Mast nach Steuerbord. Tauwerk brach knallend. Die Fock und das Vormarssegel fingen, noch während sie den Mast umrissen, an mehreren Stellen Feuer. Der Rudergänger auf dem spanischen Schiff handelte schnell. Ebenso schnell und überlegt handelten auch die Stückmeister oder Kanoniere. Langsam schwang die Galeone herum und ging halbwegs in den Wind. Die Backbordbreitseite wandte sich der Schebecke zu. „Vorsicht! In Deckung!" gellte Hasards Stimme unüberhörbar laut und scharf über Deck. Vom Bug zum Heck feuerten die schweren Achtzehnpfünder der Spanier. Pete Ballie bewegte das Ruder und versuchte, dem Gegner die kleinste Silhouette zu bieten. Aus den Geschützen brachen Stichflammen und Pulverrauchwolken, während auf dem Vorschiff der Brand bekämpft wurde. Männer schrien und fluchten, man hörte es über das Wasser, bis die donnernden Explosionen alles übertönten. Die Geschosse jagten auf die Schebecke zu. Rechts und links schlugen die Kugeln ins Wasser und wirbelten riesige Fontänen auf. An zwei Stellen flogen Trümmer des Schanzkleides wild durcheinander, als die steinernen Kugeln einschlugen, abprallten und unschädlich neben der Schebecke in die See klatschten. Andere Geschosse fegten heulend durch das stehende und laufende Gut. Das Ende der achteren Gaffelrute wurde getroffen, schlug wild hin und her und
ächzte schauerlich, aber es brach nicht. Die meisten Geschosse des Spaniers hatten ihre Kraft verloren, die" Entfernung war zu groß oder die Ladung der Culverinen schlecht berechnet. Auf der Galeone flatterte das Großmarssegel und zerrte an der Rah und den Schoten. Die Schebecke segelte durch die aufspringenden Fontänen hindurch. Wasser prasselte auf das Deck und auf die Rücken der Seewölfe, die sich um die Geschütze drängten. „Beinahe", murmelte der Seewolf und versuchte herauszufinden, wie groß die Schäden waren. „Seid ihr alle in Ordnung?" Offenbar war niemand getroffen worden. Die Steuerbordgeschütze wurden zurückgezerrt, die Läufe ausgekratzt und ausgeputzt, und Al Conroy ließ es sich nicht nehmen, die Läufe wieder selbst zu laden. Hasard wandte sich an Ben Brighton und Pete Ballie. „Vier Strich nach Steuerbord!" „Aye, Sir." Die Schebecke war mit dem achterlichen Wind schneller geworden. Jetzt änderte sie in einem engen Bogen wieder die Fahrtrichtung. Die Galeonen waren zuerst näher herangerückt, dann wieder zurückgeblieben, und alle drei Schiffe hatten sich der „Fidelidad" genähert. Jetzt arbeitete sich die Schebecke wieder im alten Nordkurs über den Kamm der langen Dünungswoge. Hasard kontrollierte die Manöver der an Backbord segelnden Galeone und richtete dann das Spektiv auf das Schiff, dessen Segel brannten. Die Galeone war weit zurückgefallen und lief fast keine Fahrt mehr. Die Mannschaften versuchten zweierlei gleichzeitig. Einige ließen
28 Ösfässer zu Wasser, hievten sie hoch kleides aus. Zusammen mit den Zwilund versuchten, die Flammen zu lö- lingen versorgte Al Conroy die beischen. Andere schnitten und hackten den Heckgeschütze und lud sie mit am Tauwerk und den zersplitterten Brandsätzen. Ferris Tucker samHolzteilen, die vor dem Großmast melte die Trümmer des Schanzkleiund hinter dem Bugspriet eine schau- des von den Planken und warf sie erliche Wuhling bildeten. Mast und Sam Roskill zu, der sie unter Deck Rahen sackten brennend immer tie- verstaute. fer, und mit Wassergüssen versuch„Es wird wieder verdammt eng, ten die Seeleute, das schmorende Sir", sagte Pete Ballie und zeigte kurz Großsegel zu löschen und die Lein- zur zweiten Galeone, die unter Vollwand so naß zu spritzen, daß sich der zeug heranrauschte und bedrohlich Brand nicht fortsetzte. schnell näher rückte. „Wir fahren das gleiche Manöver „Unter der Wasserlinie gibt's kein Loch", stellte Ben sachlich fest. „Sie wie zuvor. Fertig, Al?" Werden einen Notmast setzen, neues „Nicht ganz, Sir. Die Rohre muß ich Zeug riggen und die Verfolgung wie- noch ausrichten." der aufnehmen." Der Kapitän der Galeone war ver„Wie lange brauchen sie? Einen sessen darauf, die Schebecke zu jagen Tag oder länger?" und unter Feuer zu nehmen. Die Dons Der Erste schnitt ein bedenkliches hatten begriffen, daß der Seewolf Gesicht und wich den Zwillingen aus, versuchte, ihre Schiffe mit gutgezieldie eine Kiste aufs Grätingsdeck her- ten Weitschüssen kampfunfähig zu aufschleppten und zwischen den Cul- schießen. verinen abstellten. Bisher war es den Spaniern noch „Ich rechne damit, daß sie gut aus- nicht gelungen, das verheerende gerüstet sind. Du weißt selbst, was Feuer ihrer Breitseiten einzusetzen. eine entschlossene Crew zustande Die Schebecke ließ sie nicht näher bringt. Weniger als einen Tag." heran. Die „Fidelidad" lief ihnen „Das reicht mir auch schon." nicht davon, und sie wollten sie auch Hasard vergaß die Hälfte der Ver- nicht unter Beschuß nehmen, denn in folger sofort. Später würden sie sich diesem Fall würden sie ihre eigenen damit vielleicht auseinandersetzen Kostbarkeiten versenken. Es blieb ihmüssen. Dreißig Geschütze weniger nen nichts anderes übrig, als die in den nächsten Stunden! Schebecke weiter zu verfolgen. „Hetzt nicht so! Ihr sollt gründlich Die Dons hatten jeden Quadratfuß und sauber arbeiten", schrie der Segel gesetzt, den Masten und Rahen Stückmeister und drohte mit der vertrugen. An Deck qualmten die Faust. Lunten der Kanoniere. Die Stück„Schon gut. Wir haben's schon ver- pforten, weit offen und gähnend standen." schwarz, zeigten die ausgerannten In großer Eile, aber mit ebenso gro- Rohre der Geschütze. Hinter den ßer Sorgfalt wurden die Culverinen Drehbassen am Schanzkleid standen gereinigt und geladen. Zuerst zerrten Soldaten mit silbern polierten Heldie Seewölfe an den Tauen der men. Steuerbordgeschütze und rannten sie Nach einigen Minuten entschied durch die Aussparungen des Schanz- sich der Seewolf.
29 „Sie werden uns bald eingeholt haben. Dann gehen sie auf Nordkurs. Ihr wißt, was das bedeutet?" „Breitseite an Breitseite", brummte der Erste. „Verteufelt unangenehm, wenn wir nicht richtig steuern." „Warte nur. Pete ist etwas Überzeugendes eingefallen." „Klar zum Feuern!" hörte man Al Conroys Stimme. „Was hast du vor, Sir?" Er schwenkte seinen Richthebel und beobachtete seinen Gegner. Fast unmerklich langsam drehte auch die Galeone auf Nordkurs ein. In einer Viertelstunde würden die Schiffe Seite an Seite nebeneinander segeln, in weniger als einer halben Seemeile Abstand. Diesen Schachzug hatten sich die Spanier so ausgedacht. Hasard war entschlossen, einen dicken Strich durch die Rechnung des Kapitäns zu ziehen. Die zweite Galeone, mittlerweile winzig klein, brannte nicht mehr. Die Rauchwolke war abgerissen, löste sich auf und trieb nach Westen davon. Hasard sprang hinunter zum Großmast und sprach leise mit Al Conroy und den Zwillingen. „Alle Geschütze sind bereit, Sir. Ich habe stärkere Ladungen in den Läufen. Wir brauchen also auch diesmal nicht nahe heranzugehen", schloß der Stückmeister. „Ich verstehe, was du vorhast. Ein feiner Plan." „Wenn er aufgeht, schon. Wenn nicht, sind wir übel dran." Edwin Carberry stapfte langsam vom Bug bis zum Heck. Sein Blick heftete sich auf jede einzelne Planke. Nichts entging dem Profos, aber er konnte sich auf seine Männer verlassen. Das Deck der Schebecke war peinlich sauber aufgeklart worden.
Der entscheidende Augenblick nahte. Die Spanier fieberten ihm ebenso entgegen wie die Seewölfe. 4. Roger Brighton wußte nicht, ob er lieber hier auf dem Achterkastell der „Fidelidad" oder zwischen den Mannen auf der schnellen Schebecke sein wollte. Die Blicke aus seinen blauen Augen zuckten hierhin und dorthin. Er versuchte zu erraten, was Hasard jetzt vorhatte, wie er diesen zweiten Teil der Auseinandersetzung führen oder überstehen wollte. „Was hältst du davon?" fragte Batuti und stieß ihn mit dem Ellbogen an. „Nichts. Ich hoffe, das sind die letzten Schiffe der Dons, die uns belästigen." Der Gambiamann lachte kehlig, ließ seine Zähne blitzen und klapperte mit den langen Pfeilen in seinem Köcher. In einem Flechtkorb hinter dem Schanzkleid steckten die Pfeile mit den dicken Enden, ölgetränkt und voller sorgfältig gemischtem Pulver, die gefürchteten Feuerpfeile der beiden bogenschießenden Seewölfe. In einem Ösf aß, dreiviertel mit feuchtem Sand gefüllt, verbreitete ein kleines Häufchen Glut schwache Wärme und stechenden Geruch. „Das ist eine fromme Hoffnung, mein Freund." Batuti lachte noch lauter. „Aber sie werden sich hüten, auf ihren Silberschatz zu feuern." „Wenn sie zu nahe kommen, feuern wir auf sie", versprach der jüngere Bruder Ben Brightons. „Das haben selbst die Dons begriffen!"
30 Heute stand Jan Ranse am Ruder der „Fidelidad" und hatte an seinem Kolderstock bisher nichts anderes zu tun gehabt, als das Schiff möglichst genau auf Nordkurs zu halten. Und die kleine Crew hatte in den letzten Stunden die Galeone, so gut es ging, in Verteidigungsbereitschaft versetzt. Alle Geschütze waren geladen, die Drehbassen feuerbereit, die Musketen und Pistolen ebenfalls. Big Old Shane zupfte an der Sehne seines Langbogens. „Die Schebecke ist schon fast zu nahe dran!" stöhnte Don Juan. „Hasard weiß schon, was er tut." „Bist du sicher - jetzt, dicht neben der Galeone?" „Ich bin sicher." Hin und wieder warf auch Bob Grey wachsame Blicke in alle Richtungen. Aber jetzt konzentrierte er sich wie jeder andere auf das Bild im Osten, wo Verfolger und Verfolgter scheinbar einträchtig nebeneinander segelten. Das Schiff der Seewölfe hob sich auf den Kamm der Dünungswelle, glitt wieder hinunter, und plötzlich änderte sich die Szene total. Die Schebecke versuchte eine halbe Wende nach Steuerbord - direkt gegen den Wind, Die feindliche Galeone blieb auf ihrem Kurs. Langsam schwang die Schebecke herum. Zuerst zeigte die Galion auf den Spanier, auf dessen Backbordseite. Zweimal brüllten die Culverinen der Seewölfe auf. Die Buggeschütze waren von Al Conroy gezündet worden. Die Mannen auf der „Fidelidad" hielten den Atem an, und der Rudergänger beugte sich weit aus seinem Verschlag hervor. „Wenn ich es nicht selbst sehen würde", murmelte Don Juan fas-
sungslos, „das glaubt diesem Hasard niemand," Die Drehung der Schebecke hatte das Schiff aus dem Bereich der Breitseite herausgebracht. Die beiden Culverinen waren leergefeuert, die Zerstörungen an Bord des Spaniers konnten die Seewölfe von hier aus nicht erkennen. Sie sahen die langen Feuerlanzen aus den Rohrenden, ahnten die dahinrasenden Geschosse, dann erst schlug der Geschützdonner scharf an ihre Ohren. Jetzt schob sich die Schebecke hinter dem ausladenden, reich geschmückten Heck der Galeone vorbei. Die vier Backbordgeschütze der Seewölfe wurden in Abständen von fünf Sekunden gezündet. Der Bug der Schebecke deutete nach Ost, und bis hierher konnte das Killen und Schlagen der Lateinersegel bemerkt werden. Die Kugeln schlugen ausnahmslos in den Heckbereich der spanischen Galeone ein. Große Löcher erschienen auf der Galerie und im Besanmast. Das Ruder wurde herumgeschlagen und in lange Trümmer zerlegt. Immer wieder wirbelten Holzteile durch die Luft, und eine breite Flammenwand lief von der Wasserlinie aufwärts bis weit über die Galerie hinaus. Das Besansegel fing Feuer. Die Schebecke drehte weiter nach Steuerbord, Der Wind fing sich in den Segeln und beschleunigte die Drehung, die fast auf der Stelle stattfand. Der Stückmeister lief zum Heck, und Don Juan erkannte deutlich, daß es tatsächlich Al Conroy war. Während er die Heckgeschütze abfeuerte, beendete auch die Galeone ihr langsames Manöver, Ihre Backbordbreitseite wurde abgefeuert
31 Fünfzehnmal zuckten aus den Geschützpforten die blendendroten Feuersäulen, dann verdunkelte der Pulverrauch die lange, geschwungene Front der Galeone. Die Schebeeke, die sich voll im Ostwind nach Steuerbord überlegte und Fahrt aufnahm, segelte plötzlich durch ein Feld weißer Fontänen, von denen nicht wenige höher waren als das Ende der Gaffelruten. Die Seewölfe starrten mit aufgerissenen Augen auf diesen Ausbruch der spanischen Feuerkraft. Der Donner der fünfzehnten Explosion verhallte. „He, Juan - sind sie getroffen worden?" Piet Straaten, der seine Augen mit den flachen Händen beschattet hatte, brüllte von der Kuhl herauf. Schweigend blickte der große Spanier durch das Spektiv. „Ich sehe nichts", sagte er. „Also, keine schweren Einschläge, Freunde." Natürlich hatte keiner die Einschläge oder die Fontänen zählen können. Aber es mußten mehr als zehn gewesen sein. Vielleicht ein Dutzend. Also waren überhaupt nur drei Geschosse in gefährlicher Nähe der Arwenacks eingeschlagen oder durch Takelage oder Segel gerast. Kein Anzeichen für Feuer, kein Rauch von Bord der Schebecke! „Er hat es wieder einmal geschafft!" brüllte Batuti und tanzte auf den Planken herum. „Die Galeone kommt nicht mehr" vom Fleck!" „Was tun sie dort drüben?" wollte der Rudergänger wissen. „Warte noch. Gleich sage ich's dir." Die Schebecke beendete ihre Vollkreisdrehung noch nicht. Zuerst nutzte Philip Hasard Killigrew den Ostwind aus und ließ das Schiff nach West segeln, anschließend, als die Ge-
schwindigkeit zugenommen hatte, ging er wieder auf Nordkurs. Die Schebecke stampfte wie ein wildes Pferd eine Weile durch die Wel-. len, dann lag sie ruhig und zog an Steuerbord der schwer getroffenen Galeone vorbei. Den Spaniern war es mittlerweile gelungen, die Brände zu löschen, denn auch sie waren vorbereitet. Die Spanier blieben mit ihrem schwer angeschlagenen Schiff zurück. Nachdenklich kratzte sich Jack Finnegan im Genick. „Wenn sie ihren Kahn repariert haben, verfolgen sie uns weiter. Oder was sagst du, Paddy?" „Na klar", sagte Paddy Rogers und nickte dazu. Die kleine Crew der „Fidelidad" konnte sicher sein, daß nach einiger Zeit die Schebecke auf Rufweite heransegeln würde. Dann konnte man die letzten Neuigkeiten austauschen. „Juan?" Der Spanier strich über sein Kinn und führte eine galante Geste aus. „Ja, Roger", sagte er, „was gibt's?" Roger Brighton grinste breit. „Wozu haben wir dieses Schiff eigentlich in eine schwimmende Festung verwandelt?" „Für alle Fälle, meine ich." „Weiterhin Nordkurs?" sehrie der Rudergänger von achtern. „Keine Änderung", ordnete Don Juan an. „Bis auf weiteres. Jetzt könnte vielleicht jemand zu Mac Pellew schleichen und nach Futter für uns fragen." „Wird erledigt", sagte Nils Larsen und winkte. Er sauste den Niedergang hinunter und verschwand. Die Sonne, die hoch über dem Meer stand, versteckte sich hinter Wolken. Der Wind wehte noch immer aus Ost.
32 Eine Stunde nachdem Al Conroy jedes Geschütz mit seiner gewohnten Sorgfalt geputzt und neu geladen hatte, segelten die Schebecke und die „Fidelidad" eine halbe Kabellänge voneinander entfernt nebeneinander her. Die Seewölfe winkten begeistert von Bord zu Bord. „Ihr seid ja noch völlig unbeschädigt!" rief Batuti. „Habt ihr ein Rezept, wie man nicht getroffen wird?" „Einfach ducken und wegsehen!" rief der Seewolf. „Im Ernst: die Schäden sind unbedeutend!" „Was hältst du von den Spaniern, Sir?" fragte Roger. „Daß sie in aller Eile ihre Kähne zusammennageln und uns weiter verfolgen werden." „Wir sind noch nicht über Kap Finisterre hinaus!" rief Don Juan. „Und wir wären schon längst in London, wenn ihr nicht so miserable Segler wärt, mit eurer löchrigen Galeone!" rief Carberry hinüber. Auf der Schebecke hatte es wenige Schäden gegeben. Einige Taue waren gebrochen und inzwischen ersetzt oder neu gepleißt worden. An Deck wurden einzelne Planken abgezogen und mit Sand und Bimsstein von den Brandspuren befreit. Die Löcher und ausgerissenen Dreiecke in zwei Segeln waren von Will Thome so gut wie möglich geflickt worden. Ferris Tucker hockte auf einem Tritt des Niederganges, hatte neben sich die offene Kiste mit Werkzeug und schnitzte an einem neuen Stück für das Schanzkleid. Hasard rief: „Es ist nicht unbedingt so, daß wir die besseren Seeleute sind! Aber wir haben uns mit Als Weitschüssen außerhalb der Geschoßreichweite gehalten! Gegen eine volle Breitseite aus nächster Nähe haben wir keine Chancen!"
„Das haben wir gesehen!" schrie Don Juan. Das Land war fast außer Sicht. Die beiden Galeonen zeichneten sich nur als dunkle Punkte am Horizont ab. Vor der Küstenlinie gab es ein paar kleine dreieckige Segel, und die wenigen Schiffe, die nördlich und westlich der Seewölfe segelten, wirkten ungefährlich und waren in jedem Fall viel zu weit entfernt, als daß man sich deshalb zu sorgen brauchte. „Fünf Stunden, dann ist es dunkel. Wir kriegen einen wolkenarmen Nachthimmel", sagte Ben Brighton. „Heute nacht keine Positionslichter, Sir?" „Es wird besser sein. Dann haben es die Dons nicht so leicht." Sie hofften auf besseren Wind, der ihnen zumindest so lange nutzen würde, bis die Galeonen ihre Segel, Masten und Ruder wieder in Ordnung gebracht und die Löcher in den Rümpfen ausgebessert hatten. „Wie steht es mit Proviant und Wasser?" erkundigte sich der Seewolf bei Don Juan. Der Spanier nickte. „Noch genügend vorhanden. Unsere winzige Crew verbraucht nicht viel." „Höre ich gern." Old Donegal Daniel O'Flynn hatte sich von Hasard das Spektiv erbeten, stand am Bug und suchte abwechselnd mit dem linken und rechten Auge den nördlichen Horizont ab. „Wann gelangen wir zur Insel?" fragte er schließlich seinen Nachbarn. Matt Davies schüttelte verwirrt den Kopf. „Welche Insel? Schottland? Irland? Unsere englische Insel? Oder meinst du etwa Grönland?" „Nein. Die Insel, die querab von Frankreich liegt. Kleines Eiland, lau-
Auch einen solchen Brief wie den folgenden erhalten wir und veröffentlichen ihn, obwohl uns die „Freundschaft" aufgekündigt wird. Er stammt von Herrn H H , Straße , 5330 Königswinter . Herr H schreibt: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin Leser Ihrer Romanserie ,,Seewölfe" seit dem ersten Heft 1974. Seit mehreren Jahren bin ich auch Abonnent. Leider ist Ihre Romanserie in den letzten Jahren immer schlechter und langweiliger geworden. Allem Anschein nach fällt es Ihren Autoren immer schwerer, eine vernünftige Story zu schreiben. Die einzelnen Episoden sind einfach zu lang und langatmig. Es hat bald 20 Folgen gedauert, bis die weitgereisten und welterfahrenen Seewölfe nun schon zum zweiten Mal ihr Schiff im Oberlauf eines Flusses verloren haben, obwohl gerade sie es wissen müßten: Man erreicht niemals die offene See, indem man einen Fluß hinauffährt. Ich habe mich daher entschlossen, mein Abonnement Ihrer Romanserie ,,Seewölfe" zum nächstmöglichen Termin abzubestellen. Mit freundlichen Grüßen - H H Das ist betrüblich, daß wir einen Leser verlieren - aber wohl nicht zu ändern. Doch möchten wir einen Punkt der Kritik des Herrn H herausgreifen und auf ihn eingehen, zumal er in diesem Fall genau fixiert ist. Denn zur Kritik mit der allgemeinen Aussage, die Romane seien in den letzten Jahren „immer schlechter und langweiliger geworden", können wir uns nicht äußern. Auf ein Pauschal-Urteil gibt es keine Pauschal-Antwort - es sei denn jene, daß dem Urteil des einzelnen das Urteil der Masse der SW-Leser gegenübersteht, und das ist positiv! Doch nun zu dem erwähnten Punkt in der Kritik. An Herrn H ist die Frage zu richten, ob er wirklich davon überzeugt und sich sicher ist, ob die Menschen zur Zeit der Seewölfe
wußten, was wir heute wissen? Das heißt, ob sie wußten, daß sie niemals die See erreichen würden, wenn sie einen Fluß „hinauffahren"? Im Fall der Nil-Besegelung „hätte" die Fahrt flußaufwärts klappen können, wenn der Kanalbau der Pharaonen zu Ende geführt worden wäre. Wenn man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von der Nordsee in die Ostsee gelangen wollte (ohne Skagen zu umrunden!), dann wählte man auch den Weg flußaufwärts - nämlich auf der Eider und dem Eiderkanal! Schließlich seien an dieser Stelle auch La Salle (1643-1687) und Henry Hudson (1550-1611) erwähnt - immerhin gestandene Entdecker und Seefahrer -, die so „dumm" waren, flußaufwärts zu fahren, um neue Ufer zu finden. Die Suche nach der Nordwest-Passage (in der damaligen Zeit) war immer ein gegenan oder flußaufwärts! Dieses Argument von Herrn H , als Kritik vorgebracht, akzeptieren wir nicht, und zwar einfach deswegen nicht, weil die Gestalt der Erde, ihrer Landmassen, Meere, Flüsse und Seen für die Menschen der damaligen Zeit noch im dunkeln lagen. Übrigens wollte der Seewolf bei der Fahrt den Tigris aufwärts nicht „die offene See" erreichen, sondern vermutete eine Verbindung zum Mittelmeer, und das liegt ja bekanntlich binnen (drinnen) und nicht buten (draußen). Das war's also, was wir, die Redaktion zu diesem Punkt der Kritik des Herrn H zu sagen haben. Ob er's liest, obwohl er die „Seewölfe" abbestellt hat, wissen wir nicht. Schade! Wir sind es uns selbst schuldig, wenn wir nicht unglaubwürdig erscheinen wollen. Und letztlich ist festzustellen: Warum sollen die Seewölfe nicht ein zweites Mal ihr Schiff auf eine ähnliche Weise wie schon einmal verlieren? Was ist daran verwerflich? Mit herzlichen Grüßen Ihre SEEWÖLFE-Redaktion und die SEEWÖLFE-Autoren
Auch dieses Schiffchen, das wir auf den beiden vorigen Seiten zeigen, wurde von dem fleißigen Marinemaler Antoine Roux (1765-1835) in Aquarell gemalt, und zwar im Jahre 1799. Wenn wir unseren Lesern in der letzten SEEMANNSKISTE eine von Roux gemalte Fregatte vorstellten, so ist es dieses Mal „eine Nummer" kleiner. Es handelt sich um eine Korvette, die achtern an der Besangaffel die dänische Flagge gesetzt hat. Beim ersten Blick könnte man meinen, der Korvette seien im Gefecht die Stengen am Vormast und Großmast abgeschossen worden, tatsächlich aber sind sie gestrichen. Denn die Korvette liegt bei unruhiger See vor Anker, und da handelte der Kommandant durchaus richtig, wenn er die Stengen bei der Beanspruchung des gesamten Riggs streichen ließ. Warum alle Mann an Steuerbord stehen, ist leider nicht ersichtlich, aber möglicherweise hat man ein Beiboot ausgesetzt, worauf die beiden Taljen zwischen Großmast und Vormast deuten. Immerhin - an Steuerbord muß was los sein, denn auch die Mannen auf Vormars und Großmars wenden dem Betrachter den Rücken zu. An Backbord zählen wir 13 ausgefahrene Kanonen, insgesamt wären das dann 26 Stück, und diese Armierung ist für eine Korvette ziemlich beachtlich, denn üblich waren 20 und weniger. Der Backbord-Buganker ist noch längsseits festgezurrt. Man kann gut seine gewaltige Größe erkennen. Von der Höhe des Großmastes bis nach achtern sind über dem Schanzkleid Enternetze gespannt, die für einen Gegner das Entern erschweren sollen. Die Korvette, als kleinerer Kriegsschiffstyp unter der Fregatte stehend, kam im 18. Jahrhundert auf, war als Vollschiff (drei Masten mit Rahsegeln) getakelt und führte eine Lage Geschütze - höchstens 20 - auf dem Oberdeck. Sie wurde im Vorpostendienst und zur Aufklärung eingesetzt, diente aber auch als Kaperfahrer und zum Begleitschutz. Bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts baute man dann auch sogenannte gedeckte Korvetten, die wie die Fregatten eine Lage Geschütze unter Deck und mehrere Geschütze auf dem Oberdeck hatten.
37 ter freundliche Leute, guter Ankergrund." Matts Kopfschütteln verstärkte sich. Er starrte ungläubig in das verwitterte Gesicht des Mannes mit dem rechten Holzbein. „Old Donegal", erwiderte er schließlich beschwichtigend, „laß dir sagen, daß zwischen hier, querab von Cabo de Finisterre und unserem England, also Bishops Rock, keine einzige Insel liegt. Weder auf den Karten noch in Wirklichkeit. Außer dicht an der Küste der Franzosen." „Ich pfeif auf deine Karten", sagte der Alte halsstarrig. „Irgendwo voraus liegt die Königsinsel. King's Island, wenn du das besser verstehst." Er hob das Spektiv und schwenkte es aufgeregt durch die Luft. „Ich weiß, was King's Island heißt", sagte Matt Davies und hieb mit dem Eisen der Hakenprothe ins Holz des Bugschanzkleides. „Suchst du die Insel etwa mit dem - Ding da?" „Klar! Was denkst du?" „Ich denke, daß dich die Spanier so erschreckt haben, Granddad, daß du hier oben nicht mehr ganz klar bist." Mit dem Zeigefinger der linken Hand tippte er Old Donegal an die Stirn. Wütend schlug Old Donegal nach Davies' Hand. „Ich weiß es genau. King's Island. Er hat gesagt, wenn wir hier vorbeisegeln, sollen wir ihn besuchen. Das größte Haus am Ende des Hafendammes." Daß Old Donegal sich hin und wieder in schwer vorstellbare Träume verlor, daß er viel las, aber einiges verkehrt auslegte, daß er die unwahrscheinlichsten Dinge glaubte und mitunter mit der Wirklichkeit echte Schwierigkeiten hatte - das war an Bord nichts Ungewöhnliches. Aber
die stur vorgebrachte Behauptung, daß „hier irgendwo" eine gastfreundliche Insel läge und Old Donegal darüber hinaus auch noch persönlich darauf eingeladen wäre, ließ Matt Davies unsicher werden. „Wer hat dich eingeladen? Etwa der Klabautermann?" fragte er und ertappte sich dabei, wie er selbst über das bewegte Wasser starrte und nach einem Stück Land suchte. „Einer in einer Schenke. In England. Entweder in Plymouth oder London. Weiß ich nicht mehr. Ein großer Kerl mit einem schwarzen Bart und vielen Ringen an den Fingern." „Wo sonst! Etwa durch die Nase?" brummte Matt. „Du mußt auch den Schwarzbart geträumt haben. Du kannst alle fragen - keine Insel." „Keine Insel?" fragte der Alte mit einem breiten, listigen Grinsen. „Gar keine Insel", bestätigte Matt Davies. „Da wären die Spanier, Franzosen und Engländer aber froh, wenn es da noch eine Insel geben würde." „Wahrscheinlich würden sie sich darüber prügeln." „Auch gut möglich." Matt lehnte sich ans Schanzkleid, packte ein Tau und schaute ungläubig zu, wie Old Donegal die Linie zwischen Wasser und Himmel absuchte, natürlich ohne etwas zu finden. Einige Zeit dachte Matt darüber nach, was er von diesem plötzlich ausgebrochenen Unsinn halten sollte, dann zuckte er mit den Schultern und bewegte sich über die schrägen Planken zur Kuhl und von dort zum Achterdeck, wobei er seinen Haken mit äußerster Geschicklichkeit um das Tauwerk klinkte. Er hielt Ed Carberry auf, der vermutlich auf dem Weg zur Kombüse war.
38 „Die nächste Katastrophe!" sagte er. Der Profos schrak zusammen. „Wie?" „Old Donegal sieht wieder mal Gespenster. Diesmal sucht er nach unsichtbaren Inseln." Matt Davies deutete mit dem Daumen über die Schulter. Old Donegal stand noch immer vorn und versuchte sein Eiland zu finden. Der Profos stierte schweigend in die braunen Augen Matts, blickte zu Old Donegal, darauf zu Hasard, schüttelte dann den Kopf und winkte ab, „Laß ihn. Er kann starren und suchen, meinetwegen die ganze Nacht lang. Eine Insel, die es nicht gibt, kann er nicht finden." Der Profos vollführte mit der Faust mehrere kreisende Bewegungen vor seiner Stirn und lachte, als er die Antwort von Matt Davies vernahm: „Wenn es an Bord einen gibt, der etwas findet, was es nicht gibt, dann nur Old Donegal." „Da bin ich aber gespannt." „Ich auch." Die Crew interessierte sich viel mehr für ein ausgiebiges und warmes Abendessen. Plymmie sprang an Deck herum, kläffte und schnupperte an den Culverinen herum. In der Kombüse versuchte der Kutscher, aus den schwindenden Vorräten etwas zu brutzeln, mit dem man nicht nach ihm werfen würde. Blacky löste Pete Ballie am Ruder ab, der Kapitän setzte sich mit lang ausgestreckten Beinen auf die Kante des Grätingsdecks und blickte am Segel vorbei in den Himmel. Es gab nur wenige Wolken. Ein erster Stern funkelte, und der Mond schob sich, schwach und bleich, hinter den Wolkenbänken in die Höhe. „Wenn's so bleibt", murmelte Ha-
sard im Selbstgespräch, „dann brauchen wir heute keine Laternen," Fünf Atemzüge später sagte er: „Die Dons finden uns auch ohne Hecklaterne." Die nächsten Stunden würden sie ruhig weitersegeln, sich ihrem Ziel nähern, hoffentlich gut schlafen und leider längst nicht die Strecke zurücklegen, die er sich versprach: der verdammte Wind frischte nicht auf. Dann dachte er an die Segel der „Fidelidad" und sagte sich, daß ein solider Wind aus dem südlichen Quadranten die Schwierigkeiten des Silberschiffes nur vergrößern würde. Und seine eigenen auch. 5. Capitán Mateo Alvaro Lerma entschloß sich endgültig, nicht mehr mit seinem Schicksal zu hadern und zu vergessen, daß die Engländer seinen Stolz mit Füßen getreten hatten. „Lorenzana!" rief er. Sein Erster Offizier kam bis zum windgeschützten Winkel des Achterdecks und stolperte beinahe über die Stiefel Lermas. „Ihr Wunsch, Capitán?" „Schläft dieser kastilische Stückmeister schon? Oder läßt ihn sein schlechtes Gewissen nicht schlafen?" „Ich lasse ihn suchen. Vorhin sah ich ihn noch auf dem Vorschiff." Die „Regina Charlotta" bildete auf dem nächtlichen Meer eine schwimmende Insel von Licht und Helligkeit. Überall brannten Öllampen in eisernen Käfigen. Fast jeder Mann der Mannschaft, auch die Soldaten, waren auf den Beinen und arbeiteten, so schnell sie konnten. Es wurde auf dem Deck und tief unter den Planken gearbeitet.
39 Die Jolle war abgefiert worden. Der Sehiffszimmermann mit seinen Gehilfen stand darin und versuchte, die letzten Planken zu befestigen und richtig zu kalfatern. Scharf hoben sich die hellen, gehobelten Bretter gegen das dunkle Holz des gerundeten Rumpfes ab. Unter den Händen der Männer quoll das Holz an den Stellen auf, wo es vom Seewasser überspült wurde. Von den Rüsten hingen an langen Leinen Laternen bis fast zur Wasseroberfläche hinunter. Die größten Schäden hatte die „Regina'' im Heckbereich erhalten. Das Ruderblatt war so gut wie fertig. Eine Notrah wurde an einem Ende angeschlagen, und Tauenden wanden sich um das Holz. Neue Nägel funkelten in den zurechtgeschmiedeten Metallbeschlägen. Es war die leichteste Arbeit gewesen, die verbrannten Segel und die Taue, die nicht mehr zu gebrauchen waren, abzuschlagen und ins Wasser zu werfen. Nur wenige Fetzen konnten noch als Flicken gebraucht werden. Das prächtige Großsegel, auf dem die spanischen Hoheitszeichen farbig und unübersehbar leuchteten, hatte nicht gelitten. Aber die Besatzungsmitglieder zogen und spannten neues Tauwerk, spleißten Augen ein und zurrten das stehende Gut mit Hebelstöcken fest, Vom Bugspriet bis zur Kuhl und fast im gesamten Bereich des schlanken Heckkastells wurde gehämmert, gebohrt, es stank nach kochendem Leim, nach schwarzem Pech und nach der Holzkohle des Schmiedes. Langsam schwenkte das lange, zungenförmige Ruder, aus mehreren Brettern und sieben großen, eingepichten Teilen zusammengesetzt, vom Deck in einem weiten Bogen außenbords,
Breite Metallstreifen und neue Holzteile, Verbindungen aus alten, geradegehobelten Planken, hielten die Konstruktion zusammen. Nach dem Beschuß war das größte, wichtigste Stück mit den wuchtigen Beschlägen geborgen worden, nachdem der Kapitän Befehle geschrien hatte, das Beiboot überhastet zu Wasser gelassen und eine halbe Meile weit bis zu den herausgerissenen Trümmern gepullt worden war. „Hier ist der Stückmeister, Capitán", sagte der Erste Offizier und schob einen schmalgesichtigen Mann mit glühenden schwarzen Augen und einem wuchernden Backenbart ins Licht. „Lopez Velasco, Capitán." Der Spanier verbeugte sich und richtete den Blick auf den Kapitän. „Dir ist vielleicht nicht entgangen", sagte Lerma mit unüberhörbarem Spott, „daß die ketzerischen Engländer wohl zu segeln und noch besser zu schießen verstehen. Um's genau zu sagen: besser zu treffen!" Der Mann, dem letztendlich sämtliche Drehbassen und Geschütze unterstanden, blieb vorsichtig. Er entgegnete bedächtig: „So scheint es, Senor Capitán," „Ich zähle die Löcher, die neuen Segel und so fort, und ich sage: so ist es. Auch die Engländer - Gott verdamme ihre Ketzerei! - benutzen Rohre, Pulver und Geschosse." „So ist es", sagte Velasco. „Es gibt dennoch einen Unterschied." „Ich höre!" Lopez Velasco holte tief Luft. Seit die Kugeln der Schebecke an Bord diese Verwüstungen angerichtet, einige Männer getötet oder verwundet hatten, dachte er über dieses Problem nach. Er war sicher, daß er recht hatte mit seiner Meinung. „Die Geschütze der Engländer sind
40 mindestens eineinhalbmal so stark geladen worden wie unsere. Mindestens. Vielleicht verwenden sie die doppelte Menge an Pulver. Was bedeutet das? Nun, ihre Geschosse beschreiben längere Strecken in geradem Flug, lassen sich also leichter ins Ziel bringen. Der Stückmeister der Schebecke hat getan, was ich schon lange tun wollte, was mir aber stets verboten wurde." Lerma hatte eine solch lange und sichere Ausrede nicht erwartet. Er verlor etwas von seiner Arroganz. „Was wurde dir verboten?" Wieder verbeugte sich der Stückmeister und deutete auf die beiden Culverinen in der unmittelbaren Nähe der Männer. „Ich wollte von Schuß zu Schuß die Ladung steigern. Ich wollte herausfinden, was der Engländer schon weiß: wie weit kann ich die Ladung steigern, bis es das Geschütz zerreißt?" „Wer hat es dir verboten?" fragte Lerma. „Ich war es nicht." „Sie waren es nicht, Capitán", antwortete der Stückmeister. „Aber ich bin erst seit drei Tagen auf der ,Regina', und das Gefecht gestern war mein erster Schußwechsel." Der Erste Offizier, dessen Blick immer wieder über die arbeitenden Gruppen glitt, erklärte halblaut: „Was er sagt, Capitán, scheint Hand und Fuß zu haben." Lerma dachte schweigend nach und fragte schließlich: „Wir verfolgen den Engländer. Früher oder später erreichen wir ihn wieder, was passiert, wenn ein Geschütz zerrissen wird?" „Die Explosion tötet Männer und zerstört Schiffsteile. Die Metallfetzen fliegen in alle Richtungen. Ist das Deck zu dünn, auch durch das Deck. Nicht, wenn die Culverine auf einer
schweren Lafette steht. Sie wird vielleicht halb zertrümmert, aber das Deck wird nicht durchschlagen." „Aha. Hast du schon mit stärkeren Ladungen geschossen?" „Dreimal, viermal. Mit Festungsgeschützen." „Und?" „Zwei Geschützen ging es schlecht. Sie waren nur noch Trümmer aus Bronze, die man neu gießen mußte. Zwei andere überstanden sieben Versuche." „Sieben Versuche, mit ständig größerer Ladung?" Der Stückmeister stimmte zu und grinste. Ihm fehlten mehr als sechs Zähne. „Gewiß. Und mit Kugeln aus gut bearbeitetem Stein, jede gleich groß und schwer." „Berichte! Was hast du mit diesen Geschützen angestellt. Mit grobem, mittelfeinem oder gesiebtem Pulver?" „Mit feinem Pulver, in Säckchen aus feinem Leinen. Die Rohre schossen weiter oder, meinetwegen, die Geschosse flogen weiter. Die Flugbahn wurde immer flacher. Zuletzt sagten die Beobachter, war sie gerade wie ein gespanntes dünnes Tau." „Wir haben verloren, weil wir nicht nahe genug herangehen konnten", sagte Lerma. „Überlegen wir zusammen, wie wir das ändern können." „Capitán!" sagte der Stückmeister und war über seine eigenen Vorstellungen am meisten erschrocken. „Wenn wir alle dreißig Culverinen stärker laden, und nur ein paar gehen in Fetzen, gibt es ein Gemetzel. Dann brauchen nur wir zu feuern .. " „... und die Engländer können ihr Pulver sparen. Welche Art Pulver ist bei uns an Bord?" fragte der Erste Offizier. „Mittelfeines. Ungesiebt."
41 Das Hämmern an der Bordwand hörte endlich auf. Über einen Teil der Planken hatten die Männer eine dünne Eisenplatte genagelt, die ein paar Wochen lang halten würde. Die Großmarsrah wurde vorgeheißt, das Segel rauschte nach unten aus, und die Taue ließen die Scheiben in den Blöcken kreischen und wimmern. Durch das Geräusch plätschernder Wellen, knirschender Riemen und des Polterns der Jolle gegen den Schiffsrumpf schrie der Zimmermann: „Zieht uns zum Heck! Oder holt das Boot auf! Ich bin fertig mit dem Loch der englischen Kanonen!" Lerma stand auf, spähte über das Schanzkleid hinunter und rief: „Zimmermann!" „Senor Capitán?" „Sieh nach, wie es mit dem Ruder geht. Belegt das Boot gut, denn wir haben Segel gesetzt und laufen schwache Fahrt." „Verstanden, Capitán. Segelt nicht zu schnell." Solange nicht das Ruder eingehängt, justiert und mit dem Gestänge verbunden war, das der Rudergänger bediente, würde sich die „Regina Charlotta" nur langsam durch die Wellen bewegen. Das kleine Boot rumpelte an den Planken entlang bis unter die Galerie am Heck. Donnernd schlugen die schweren Teile des Ruders gegen das Heck. Langsam senkte sich der Baum, und der untere Teil des Ruders tauchte tief ein. „Du wirst versuchen, stärkere Ladungen zu verwenden. Einige Kanonen sind doppelt stark zu laden. Weil wir damit rechnen, daß sie in Stücke gehen, müssen wir etwas dagegen tun. Was schlägst du vor, Lopez?" Der Stückmeister zeigte auf die acht Culverinen, die auf niedrigen, langen Lafetten auf den Planken des
Achterdecks standen, vor dem Besanmast und hinter dem Großmast. „Nur die hier stehen nicht unter Deck." „Das sehe ich. Was können wir sonst tun?" „Natürlich das Deck räumen. Viel Wasser und nasser Sand. Längere Lunten in den Zündlöchern, damit ich nicht zerrissen werde, wenn ich zünde." „Haben wir Sand im Ballast?" fragte der Kapitän. „Nicht sehr viel. Vielleicht fünfzehn Faß, ich habe nachgesehen. Sie sind trocken." „Säcke?" „Leere Säcke gibt es in der Proviantlast." Der Erste bewies, daß er jeden Winkel des Schiffes genau kannte. Die drei Männer sprachen genau ab, was zu tun war, um die Gefahr für Mannschaft und Schiff so gering wie möglich zu halten. Während die letzten Reparaturen von den müden Spaniern und Portugiesen durchgeführt wurden, teilten die Schiffsjungen Essen, Wein und Tee aus. Hammerschläge, Schreie, Flüche und Kommandos ertönten vom Heck." Das Wasser plätscherte und rauschte. Dann ging ein schwerer Ruck durch das Schiff. „Ruder ist eingehängt!" schrie heiser ein Spanier. „Wir brauchen mehr Licht!" Die Anstrengungen aller Männer, das Schiff wieder flott zu kriegen, waren auch ohne Befehle und viel Geschrei sehr groß. Vernichteten die Engländer die „Regina Charlotta", starben sie alle elend. Wurden die Fremden besiegt, war die Beute groß - für jeden an Bord. Überdies war die Arbeit fast vorbei. Der Kapitän nahm einen Schluck
42 Wein aus dem großen Zinnbecher und sagte zu seinem Ersten: „Morgen mittag oder abend, vielleicht erst am darauffolgenden Tag am Morgen wir werden die Engländer finden. Ihre Galeone, oder besser, unsere Galeone ist bemitleidenswert langsam. Bis dahin sorgt ihr dafür, daß alles, was wir besprochen haben, genau ausgeführt wird. Diesmal werden wir es sein, die zuerst schießen und besser treffen als beim letztenmal." „Ich sorge dafür", versicherte der Erste. „Und du, Stückmeister?" „Ich werde die Culverinen so laden, wie wir das vereinbart haben", murmelte der Stückmeister und verbeugte sich wieder. Er war froh, daß er den Mut gehabt hatte, dem spanischen Kapitän zu widersprechen. Andererseits fürchtete er sich vor dem ersten Schuß, weil er ahnte, daß die Wirklichkeit wohl anders war als alles, was er und der Kapitän sich ausgerechnet hatten.
Es war noch immer schwarze Nacht, als die „Regina Charlotta" Fahrt aufnahm, dem Ruder gehorchte und der Navigator sich nach Norden orientierte. Das Beiboot befand sich, kieloben, an Bord, und nur die Wache war an Deck. Die Verbindung zur „Veracruz" war abgerissen. Kapitän Lerma lag in seiner Koje und träumte schlecht, denn er träumte von Verfolgung und einem siegreichen Seegefecht. Er erkannte nicht, wer dieses Gefecht gewinnen oder wer verwundet, tot, brennend und sinkend auf der Strecke bleiben würde. Der Stückmeister dachte bis zum
Zeitpunkt, in dem ihn die Müdigkeit überwältigte, an sein gefährliches Vorhaben. Die Engländer! Der Seewolf! Die Schatzgaleone! Der bevorstehende Kampf war unausweichlich. Die Wache dachte an nichts anderes. Die Feiwache träumte wahrscheinlich davon, während sich die Galeone auf Nordkurs durch das Wasser schob, durch die kleinen Schaumkronen der Wellen, auf denen weiß das Mondlicht spielte. Der Rudergänger hielt die „Regina" auf sicherem Kurs, die Offiziere spähten durch ihre Spektive und suchten die Laternen der zwei englischen Schiffe. Stundenlang arbeitete sich die Galeone durch stärkere Wellen, segelte vor schwachem und später besserem Wind, und sämtliche Reparaturen, das zeigte sich während der Nachtstunden, waren fachgerecht und dauerhaft ausgeführt worden. Langsam drehte sich Kapitän Mateo Alvaro Lerma herum, öffnete die Augen und schaute nachdenklich und abwesend die Stringer und Bohlen an, die über seinem Kopf das Zwischendeck stützten. „Gefährliches Spiel, Lerma", brummte er, streckte sich aus, entspannte seine Muskeln und spürte einen harten Klumpen im Magen. Er wollte sein Schiff unzerstört nach Hause bringen, zusammen mit der Silbergaleone. Der Stückmeister hatte durchaus recht. Was sie, die Spanier, heute riskierten, das kannten die Engländer schon lange und wandten es geschickt an. Jedes Geschütz, aus Bronze gegossen, hatte seine bestimmten Eigenschaften. Das eine war belastbarer, das andere nicht.
43 Von den besonders präparierten Rohren würde es heute zweifellos einige zerfetzen - wenn die „Regina" nicht sehr viel Glück hatte. Im Geist ging er die einzelnen, notwendigen Manöver durch, suchte nach Schwachstellen, rief sich Namen und Gesichter der wichtigen Männer ins Gedächtnis und hoffte, daß alles bald vorbei sein würde. „Nur eine einzige, gezielte Breitseite, und dieser verdammte Engländer ist erledigt!" fauchte er und schwang seine Beine auf den schwankenden Boden der Kapitänskammer. „Läufer!" schrie er. Der Posten Läufer klopfte an die Tür, steckte seinen Kopf durch den Spalt und fragte: „Das Frühstück, Señor Capitán?" „Ja. Bringe es. Nicht zu reichlich." Lerma zog sich an, wusch Gesicht und Hände und ging hinaus auf die Galerie. Das Ruder war in Ordnung, deutlich sah er die Ausbesserungsarbeiten. Das Kielwasser der „Regina Charlotta" ließ erkennen, daß sie gute Fahrt liefen. Noch lange nicht schnell genug, aber sie segelten seit der Nacht unter vollem Zeug. Das Land war unter der riesigen, roten Sonnenscheibe als schmaler Streifen zu erkennen. Wolken und Wellen zeigten ihm, daß sich der Wind bis Mittag nicht wesentlich ändern würde. „Gut so." Während Capitán Lerma sein karges Frühstück herunterschlang und sich auf den Tag vorbereitete, nahm er halb unbewußt die Geräusche wahr. Sie zeigten ihm, daß die Geschützmannschaften ohne große Hast ein Rohr um das andere ausputzten und reinigten, luden und auf der Lafette
in einem bestimmten Winkel belegten und ausrichteten. Auch die Drehbassen kreischten in ihren Gabelungen. Dumpf schlugen die schweren Kugeln der Achtzehnpfünder auf die Planken. Mateo Lerma setzte seinen Hut auf, bückte sich unter dem wuchtigen Balken der Decksstütze und enterte den Niedergang auf. „Im Namen des Herrn und seiner Majestät, König Philipps von Spanien und Portugal!" rief er. „Ein neuer Tag für uns alle! Möge er siegreich zu Ende gehen!" Offiziere und Mannschaften riefen Antworten und hämmerten mit allem, was sie gerade in den Händen hatten, gegen Deck, Schanzkleid und Masten. Lerma blickte zum Ausguck oberhalb der Großmarsrah hinauf. „Ausguck?" „Nordnordost, Señor!" „Sind es die Engländer?" „Kein Zweifel, Capitán!" Die Sonne stand jetzt drei Fingerbreiten über der Kimm. Ihr rotes Licht färbte die kleinen Schaumkronen der Wellen und legte eine merkwürdige, drohende Stimmung über Himmel und See, die nichts Gutes für den Tag versprach. Auch die großen, weißen Wolken, die in großer Höhe von West nach Ost segelten und sich unaufhörlich verformten, zusammenwuchsen und wieder auseinanderrissen, hatten rote Ränder. „Entfernung?" „Geradewegs an der Kimm!" „Wir haben sie also wiedergefunden", brummte Lerma und besah sich die Maßnahmen, die von den Offizieren und dem Stückmeister angeordnet und ausgeführt worden waren. Sandgefüllte Säcke, die mit Seewasser übergossen und getränkt waren,
44 schützten den Rudergänger. Sie waren an beiden Seiten der Geschütze geschichtet. Die Rohre waren so weit wie möglich ausgerannt. In den Zündlöchern steckten fingerlange weiße Lunten. Sandsäcke, aus denen das Wasser tropfte und sickerte, befanden sich auch an einigen anderen Teilen dieses Achterdecks. Nachdenklich betrachtete Kapitän Lerma die acht Culverinen. „Ich hätte es nicht besser hinkriegen können", sagte er, als er bemerkte, daß die Rohre so gut wie waagerecht ausgerichtet waren. Die halbkreisförmigen Stückpforten würden wohl heute abend ausgebrochen oder zumindest von Löchern und Rissen übersät sein. Zweihundert Männer richteten immer wieder ihre Blicke zum Kapitän, und als sie erkannten, daß er nicht unzufrieden war, wußten sie, daß die nächsten Stunden der Verfolgung ruhig bleiben würden. Feuerbereite Musketen waren am Schanzkleid festgezurrt. Armbrüste und Körbe voller Bolzen befanden sich an den Punkten, an denen sie gebraucht werden würden. Überall standen lederne Gefäße in unterschiedlichen Größen, mit nassem Sand gefüllt. Die Segel - selbst die Blinde war gesetzt - standen gut. Die „Regina" konnte unter diesen Umständen nicht mehr schneller segeln. „Navigator!" rief Lerma. „Wann haben wir die Engländer eingeholt?" „Nicht vor Mittag. Ich rechne, zwei Stunden nach höchstem Sonnenstand ist es soweit." „Verstanden. Die Männer, die nicht mehr an Deck gebraucht werden, sollen sich ausruhen. Es wird hart heute nachmittag. Einen großen Be-
cher Wein für jeden. Und dann Ruhe!" „Sehr wohl, Capitán." Im Zustand der völligen Bereitschaft, in jedem Winkel so gut aufgeklart, wie es unter diesen Umständen möglich war, voller schußbereiter Waffen und entschlossener Männer, schob sich die „Regina Charlotta" hinter den englischen Schiffen durch den Atlantik. Von Stunde zu Stunde wuchs die Größe der Verfolgten, und gleichzeitig damit wuchs die Gefahr. 6. Dan O'Flynn zeigte seinem Vater die Karte. „Ich weiß, welche Insel du meinst. Hat dich damals ein Franzose eingeladen?" Old Donegal schüttelte den Kopf und stampfte mit dem Holzbein auf. „Quatsch! Kein Franzose! Das war ein Engländer, ohne Zweifel. Ich kann doch den einen vom anderen unterscheiden", rief das alte Rauhbein wütend. „Jetzt willst du mir die Insel auch noch ausreden, wie?" Dan winkte ab und versuchte eine Erklärung. „Vor der Küste Frankreichs, ein paar Seemeilen nur, liegt eine Insel, die ungefähr so heißt wie deine. Ile de Ré heißt sie. Hier." Er fuchtelte mit der ausgefransten Karte vor der Nase seines Vaters herum und zeigte einen hilflosen Gesichtsausdruck. „King's Island", beharrte Old Donegal. „Königsinsel. Aber es ist keine Insel. Es gibt keine. Wenigstens nicht zwischen Cabo de Finisterre und Cornwall." „Und was würdest du sagen, du
46 Kartenleser, wenn ich sie heute gesehen hätte, he?" Diesmal schaute Dan O'Flynn völlig entgeistert. „Wann. Heute nacht?" „Genau. Drei deutliche Lichter. Eins war sehr hoch, das kann nur ein Leuchtturm gewesen sein." „Der Mond und zwei niedrig stehende Sterne", schlug Dan vor. „Oder hat sich deine Insel etwa in Luft und Gischt aufgelöst? Wo ist sie denn jetzt, Dad?" Er zeigte in einem Halbkreis auf die leere See hinaus bis querab. Sie war, wie zu erwarten, bis auf die behäbige „Fidelidad", völlig leer. Ein paar Vögel flatterten in der Höhe nach Osten, dem fernen Land zu. Von einer Insel oder auch nur einer Klippe war nichts zu sehen. „Ich werde sie finden. Und dann machen wir uns ein paar schöne Tage, wie?" „Ich weiß wirklich nicht, wie du auf diesen blödsinnigen Einfall kommst", beklagte sich Dan O'Flynn. „Alle lachen schon wieder über dich und deine verrückten Einfälle. Fast jeder von uns kennt diese Gewässer halb auswendig. Niemand weiß etwas von einer Insel." Der Vater nickte mit einer Miene, als wisse er es nicht nur besser, sondern würde seinen Sohn über den Unterschied zwischen Kartenwissen und Wirklichkeit belehren. „Heute nacht, erinnerst du dich, war gutes Mondlicht. Meine Augen sind alt, aber nicht schlecht. Ich habe die Insel deutlich gesehen, den Turm und irgendwelche Feuer am Hafen. Die Schebecke ist gerade darauf zugesegelt. Ganz deutlich war es, wirklich." „Warum hast du niemanden geweckt?"
„Brauchte ich nicht. Jeff Bowie war da. Hat sie auch gesehen." „Ausgerechnet Jeff!" stöhnte Dan O'Flynn. „Heute nacht hast du sie gesehen, jetzt ist sie weg, und wann kommt sie wieder? Wahrscheinlich schwimmt sie tagsüber vor uns her, bis sie an Cornwall anstößt, nicht wahr?" Bedächtig nickte Old Donegal. „Wenn ich sie das nächstemal sehe, hole ich dich. Deine scharfen Augen und das Spektiv von Hasard - dann wird sich zeigen, wer recht hat. Du weißt selbst, wie das ist mit der See." „Ja. Man sieht die verrücktesten Dinge", bestätigte Dan und faltete vorsichtig seine Seekarte wieder zusammen. Es half nichts, wenn der Alte etwas glaubte, dann gelang es ihm eher, die gesamte Crew vom größten Unsinn zu überzeugen, als daß er sich diesen Unfug ausreden ließ. Königsinsel! Dan drehte sich um und verließ das Bugdeck der Schebecke. Er verstaute die Karte und stellte sich zu Hasard. „Sie holen auf", sagte er knapp. „Mit guter Geschwindigkeit. Und sie werden weniger unvorsichtig sein. Immerhin — nur eine Galeone." „Mit dreißig Geschützen", warnte Dan O'Flynn. „Und mehr als zweihundert Spaniern, die nichts anderes im Sinn haben, als uns auf Grund zu schicken." „Und weil auch spanische Kapitäne gute Seeleute sind", fuhr der Seewolf nachdenklich fort, „wird dieser Kommandant erkannt haben, warum wir mit so wenig gezielten Schüssen solche großen Zerstörungen anrichten konnten. Er hat sicherlich mit seinem Geschützmeister gesprochen. Ich jedenfalls rechne damit, daß sie ihre Culverinen stärker laden. Dazu
47 gehört weder Hellseherei noch besondere Klugheit." „Al Conroy hat viel Gelegenheit gehabt, unsere Kanonen auszureizen", sagte Dan O'Flynn. „Ich schätze, daß mit derartigen Versuchen die Spanier weniger sicher sind." „Nur ein entscheidender Treffer", sagte der Kapitän, „zufällig oder gezielt - und wir sind ein Wrack." „Es liegt bei dir, die Spanier in sicherer Entfernung zu halten." „Das sehe ich nicht anders." Die Freiwache schlief, die Schebecke war aufgeklart. Von Bord der Galeone war „Alles in Ordnung" signalisiert worden. Al Conroy hatte mit seiner kleinen Crew wieder jedes einzelne Geschütz durchgesehen und nachgeladen, und weil er wußte, daß ein entscheidendes Gefecht bevorstand, riskierte er innerhalb seiner Möglichkeiten noch ein paar Fingerbreiten mehr. In die Rohre waren unterschiedliche Geschosse geladen. Die ganze Nacht hatte sich Al auszurechnen versucht, was er verbessern könnte. „Ohne das Silber wären wir schon längst unbehelligt in England", sagte Dan halblaut und grinste. „Ohne Silberschiff wären wir in England, aber nicht von der Königin und dem Hof hochgeachtet und bewundert." Der Seewolf grinste noch breiter als Dan. „Noch sind wir nicht dort." Die Schebecke segelte im Augenblick wieder auf die „Fidelidad" zu, würde sie in weniger als einer halben Stunde umrundet haben und dann wieder auf Gegenkurs gehen. Daß auch auf der Galeone sämtliche Geschütze geladen und feuerbereit waren, beruhigte den Seewolf und seine Crew. Das spanische Schiff glitt näher, in gleichbleibender Geschwin-
digkeit und mit raumem Wind. Die Schebecke legte sich über, ging durch den Wind und rauschte in guter Fahrt vor dem Bug der „Fidelidad" vorbei wieder nach Osten. „Vier Stunden!" rief Edwin Carberry von der Kuhl her. „Oder früher?" „Ziemlich genau. Macht euch langsam bereit", gab der Seewolf zurück. „Und denkt daran, daß sie es heute wissen wollen." „Al Conroy wird's ihnen sagen, denke ich." Ferris Tucker, der seine Zimmermannsaxt in den Gürtel geschoben hatte und ständig über den langen Stiel stolperte, rief dröhnend: „Wenn's zu schlimm wird, können wir uns ja hinter der Insel von Old Donegal verstecken!" Er lachte dröhnend und polterte den Niedergang hinunter, aus dem er, zwei steinerne Kugeln unter den Armen, wieder auftauchte.
Als die spanische Galeone auf doppelte Schußentfernung heran war, rissen die Wolken auf. Hartes Sonnenlicht blendete über die Wellen. Schwarz und scharf zeichneten sich die Schatten ab, und plötzlich wirkte die Wasserfläche wieder, als gäbe es nichts anderes als Farbe, Wellen und Schönheit. Die Schebecke war auf Nordkurs, die Spanier näherten sich aus Südost. Der Kapitän eröffnete das Gefecht - was keiner der Seewölfe vermutet oder gar erwartet hatte - mit einer würdigen Geste, die seine Entschlossenheit zeigte. Ein Geschütz im Bug dröhnte auf, spie Feuer und Rauch, und querab an
48 Steuerbord stieg eine weiße Wassersäule in die Luft. Ben Brighton lachte. „Sie wollen uns zeigen, daß sie keine weiten Schüsse anbringen können!" Die Mannschaft war bereit und hatte sich bewaffnet. Wieder stand Pete Ballie, einst Francis Drakes Gefechtsrudergänger, an der Pinne. Der Seewolf schüttelte den Kopf und sah, daß die Crews beider Schiffe entschlossen waren, zu siegen und zu überleben. Ihre Erregung war geradezu spürbar. Tausend verschiedene Kleinigkeiten deuteten darauf hin und ließen keinen anderen Schluß zu. „Hüte dich vor den Breitseiten!" schrie der Profos von der Kuhl zum Achterdeck. „Ich bin ja hier!" rief der Stückmeister zurück. Er hielt sich am Tauwerk fest und ließ seine Augen zwischen dem Bug des Spaniers und den weitestmöglich ausgerannten Rohren der zwei Culverinen hin und her gehen, die noch immer am äußersten Punkt des Grätingdecks festgezurrt waren. Der Rat Edwin Carberrys war gut und zutreffend, aber der Seewolf hatte nicht vor, sich in gefährliche Position gegenüber den Mündungen der feindlichen Geschütze zu begeben. „Er holt auf!" Al Conroy blies die Flamme seiner Lunte an, kauerte sich zwischen den Culverinen auf den Sandsack und wartete geduldig. Der Bug des Spaniers wuchs hinter dem Heck der Schebecke und würde in ein paar Dutzend Atemzügen in die Heckwelle einschwenken. Bewaffnete Männer hoben ihre Oberkörper über das Schanzkleid, und aus ihren runden Helmen ließ die
Sonne funkelnde Lichtreflexe zukken. Musketenläufe richteten sich auf die Schebecke, aber noch war die Entfernung zu groß. Al Conroy spürte in den Fußsohlen und mit dem Rest des Körpers, wie sein Schiff langsam herumdrehte. Von links wanderte der dunkle, massige Körper der Galeone zuerst vor das linke, dann vor das rechte Rohr. Als das Ziel fest anlag, brüllte Conroy über die Schulter: „Kurs genau halten. Ich hab's!" Die Schebecke wurde langsamer, und Schritt um Schritt holte die Galeone auf. Die Spanier feuerten mit allem, was sie hatten: Musketen krachten, die Drehbassen dröhnten auf, und ein Geschütz wurde gezündet. Obwohl Al Conroys Finger vor Aufregung zitterten, wartete er, bis der richtige Augenblick gekommen war - seiner Berechnung nach. Er drückte die funkensprühende Lunte auf das Zündloch und warf sich nach links. Die Ladung dieser Culverine war so stark wie nie zuvor. Sie detonierte und jagte die gekerbte Steinkugel fast waagrecht, leicht nach unten, aus dem Rohr. Das Rohrende riß in einen Kreis fingergroßer Schnitte und Sprünge auf, als die Lafette zurückschleuderte und fast gleichzeitig zwei Haltetaue auf faserten und zerrissen. Pete Ballie sprang zur Seite, als das seltsame, rauchende und brennende Gefährt an ihm vorbeirumpelte und gegen die geschnitzte Verstrebung prallte. Noch während ihn der Lärm halb betäubte und die Explosionen Planken und Rumpf, Tauwerk und Masten erschütterten, löste der Stückmeister das zweite Heckgeschütz aus und hoffte, daß er es nicht wieder laden mußte. Wieder dröhnte schmet-
49 ternd, so stark und laut wie nie zuvor, die Explosion auf und trieb das Geschoß aus dem Lauf. Im Lärm gingen das Geschrei, das Geräusch vieler Schüsse aus verschiedenen Waffen und jeder andere Lärm unter. Als sich die Seewölfe, denen die Musketenkugeln um die Ohren summten, wieder über das Schanzkleid wagten, sahen sie die Zerstörungen in der Bugbordwand der Galeone. Der erste Schuß hatte unterhalb des eingehängten und festgezurrten Ankers genau in der schäumenden Bugwelle ein Loch in die dicken Planken geschmettert. Gurgelnd und schäumend wurde Wasser ins Schiff gedrückt. Der zweite Treffer - aus dem Rohr stiegen noch immer schwarzer Rauch und kleine Flammen auf - hatte Galionsfigur, Galionsdeck und die Lagerungen des Bugspriets weggefetzt. Dahinter gab es eine Wuhling aus Teilen des Schotts, Tauwerks, Fetzen von Tuch und den Körpern der Seesoldaten. Philip Hasard Killigrew warf durch Pulverrauch und Gischt einen langen Blick auf die Verwüstungen und rief: „Gut gemacht, Al! Und jetzt nach Steuerbord!" „Aye, Sir! Schon unterwegs!" Die Schebecke ging härter an den Wind und rauschte nach Backbord, noch immer in scheinbarer Flucht vor der spanischen Galeone. Während Al Conroy zur Kuhl hinunterturnte und krampfhaft seinen rauchenden Luntenstab festhielt, duckten sich die Seewölfe wieder hinter die Deckungen. Vermutlich war jetzt bei den Spaniern der Teufel los, und die Seeleute versuchten, das riesige Leck von innen abzudichten. In diesem Moment
wurde das Bugspriet in die Höhe gerissen, weil der Windstoß in die Blinde fuhr und die angerissenen Taue zerfetzte. Ben Brighton ließ den Griff seiner Pistole nicht los, als er mit dem Seewolf sprach. „Bisher sind wir die Besseren, Sir. Vielleicht war das der entscheidende Treffer." „Die Spanier werden kämpfen, bis ihnen die See am Masttopp steht." „Und das ist ein tiefes Wasser", sagte der Erste. „Jetzt wird es sich entscheiden, denke ich." Langsam und wohlüberlegt gab der Seewolf seine Kommandos. Die Crew führte die einzelnen Schritte der Richtungsänderung in scheinbarer Ruhe und Gelassenheit durch. Die Schebecke schwenkte nach Steuerbord zurück, hob und senkte sich wie wild und beruhigte sich wieder. Vor dem Bug der Galeone ging sie auf Ostkurs und bot den Spaniern die Steuerbordseite. Al Conroys Angst, seine Geschütze würde es zerreißen und ihn dazu, war vorbei. Er wußte, wie stark die Ladungen der vier Culverinen waren. Er zündete eine, wartete auf den Einschlag, feuerte das zweite und dritte Geschütz ab, wartete wieder und löste die letzte Kanone aus. Als der Wind den grauen und schwarzen Pulverrauch vertrieben hatte, als die Trümmer an Bord der Galeone nicht mehr herumgeschleudert wurden, hob der Seewolf wieder das Spektiv ans Auge. Die Schebecke ging auf den alten Kurs zurück. Drei Schüsse hatten getroffen. An drei Stellen fehlten breite Stücke des Schanzkleides. Ein Teil der Großwanten war zerrissen. Aber die Ma-
50 sten standen noch unversehrt, und die Galeone lief weiterhin gute Fahrt. Verwundete wälzten sich an Deck. Eine Drehbasse, die schräg in der Halterung hing, löste sich und klatschte ins Wasser. Ausnahmslos waren die Geschosse von schräg vorn eingeschlagen. Eine Kugel hatte den Raum zwischen Masten und Segel durchquert, ohne Schaden anzurichten. „Das gleiche noch einmal. Diesmal auf der Backbordseite." „Verstanden, Sir." Die Zwillinge, Ferris Tucker und Matt Davies hasteten mit den Gerätschaften zum Grätingsdeck. Die Schebecke führte das gleiche Manöver durch, das sie eben in einigermaßen günstige Schußposition gebracht hatte, nur auf der Leeseite. Wieder verringerte sich die Geschwindigkeit, und abermals holte die Galeone um eine oder zwei Kabellängen auf. „Du lernst es schon noch, Al", sagte der Kutscher und schlug dem Stückmeister auf die Schulter. „Brauchst du Hilfe?" Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Backbordseite herumgeschwungen war. Der Kapitän der spanischen Galeone erkannte, was Hasard plante und rief seine Befehle. Auch die Galeone gehorchte dem Ruder und schwenkte nach Steuerbord. Kurz darauf hatten beide Schiffe ihre Bewegungen beendet und boten einander, in schwacher Fahrt, die Breitseite. Al Conroy sah, als er seinen Kopf über das Schanzkleid hob, in die kleinen, schwarzen Mündungen von mehr als einem Dutzend Culverinen. Er duckte sich, visierte kurz mit den Bewegungen des Schiffskörpers und zündete die Geschütze so schnell
wie möglich, indem er von einer Lafette zur anderen sprang. Als die letzte der vier Lafetten zurückrumpelte, eröffneten die Spanier das Feuer. Sie hatten den besten Augenblick richtig genutzt. Auch Pete Ballie riß die Pinne herum, stemmte sich gegen den Wasserdruck, der auf dem Ruder lag und merkte am wilden Ruck, daß wieder Wind ansetzte und die Bewegung schneller werden ließ, mit der die Schebecke herumschwang. Al Conroy versuchte die Detonationen zu zählen. Es waren vierzehn oder sechzehn. Ein höllisches Bombardement brach los. Drei oder vier Geschosse schlugen dicht vor der Bordwand der Schebecke ins Wasser. Die riesigen Fontänen überschütteten nicht nur Al Conroy, sondern viele andere Männer mit Wasser. An zwei Stellen trafen Teile eines berstenden Geschosses, glühend heiß durch die Luft heulend, ins Schanzkleid oder in andere Teile aus Holz. Die Planken dröhnten unter einem Hagel einzelner Trümmer auf. Wieder heulte ein Geschoß durch die Luft und stanzte ein Loch durch das feuchte Segel. Planken, Holzsplitter und zerfaserte Tauenden wirbelten durch die Luft, und ein undefinierbarer Brocken traf Al Conroy an der Schulter. Er hörte drei furchtbare Explosionen, aber sie schienen weit entfernt zu sein. Als Lärm und Geschrei aufgehört hatten, riskierte der Stückmeister, sich hochzustemmen und zum Spanier hinüberzusehen. Er begriff nur langsam, was passiert war. Er ignorierte die Zurufe, Flüche
51 und Kommandos, die hinter ihm über das Deck tönten. „Diese verrückten Spanier!" entfuhr es ihm. Auf dem Achterdeck waren mindestens zwei Achtzehnpfünder explodiert. Schanzkleid und Stückpforten waren verschwunden. Es klafften riesige Löcher. Die Zerstörung ging bis hinunter zum nächsttieferen Deck. Blutende Männer taumelten über Deck, aus aufgerissenen Säcken rieselte nasser Sand. In einigen Segeln klafften Löcher, und im hinteren Teil des Achterdecks züngelten Flammen aus den Holzteilen. Die Schebecke glitt aus der Reichweite der spanischen Geschütze. Für einige Zeit hatte niemand an die „Fidelidad" gedacht. Aber die Kursänderungen hatten beide Schiffe an das dahinstampfende Silberschiff gebracht. Die Seewölfe rannten über die Planken und klarten auf. Al Conroy atmete tief ein und aus, nahm noch einmal mit einem langen Blick die Verwüstungen auf dem spanischen Schiff in sich auf und überlegte, was er tun sollte - es mußte Sinn haben und schnell gehen. Hasards Stimme übertönte alles, als er schrie: „Sie erreichen uns nicht mehr mit den Geschützen! Es ist vorbei - vorläufig." „Aye, aye, Sir!" Unter Deck kläffte Plymmie wie rasend und unüberhörbar laut. In ihr Gebell mischten sich die gekrächzten Flüche des Papageis. Ben Brighton schob das Spektiv in den Gürtel und sagte erschüttert: „Die sprengen sich selbst in die Luft, Sir." „Wahrscheinlich haben sie die Qualität ihrer Geschütze überschätzt. Be-
wußt, um mit Als Weitschüssen mithalten zu können." Philip und Hasard junior hatten beide Culverinen im Heck geputzt, die Lafette zurückgewuchtet und neue Taue angeschlagen. Die Beschädigungen am Ende des Laufes sahen schlimm aus, aber die Culverine vertrug noch einige Ladungen. Hasard schüttelte verwirrt den Kopf, als er sah, daß die Spanier viel zu nahe an die Galeone herangesegelt waren. „Ben!" Der Erste wirbelte herum und blickte dorthin, wohin Hasard zeigte. Er nickte kurz und versuchte zu schätzen, in welcher Weise sich die Lage binnen der nächsten Minuten ändern würde. „Wir müssen dazwischen", sagte er und winkte Pete Ballie zu. Inzwischen hatten mindestens ein Dutzend Seewölfe begriffen, daß ihre Schatzgaleone in unmittelbarer Gefahr war. „Al!" rief Hasard. „Alle Rohre neu laden! Schrot und Blei in die Culverinen. Zuerst die B u g . . . nein, die Heckgeschütze! Wir müssen dazwischengehen." „Verstanden! Los, ihr Lahmärsche!" schrie der Stückmeister. „Ins Heck mit den Kisten und der Munition." Don Juan und Roger Brighton warteten nicht auf die Entscheidungen, die man an Bord der beiden anderen Schiffe treffen würde - oder auch nicht. Kommandos hallten über die Decks. Als die größte Nähe zum spanischen Schiff erreicht wurde, lösten die Männer nacheinander sämtliche Culverinen der Steuerbordseite aus. Das Feuer war unregelmäßig und
52 ohne Taktfolge, aber die Geschütze hämmerten ihre vernichtenden Ladungen in die Backbordseite der spanischen Galeone, fegten an drei Stellen das Deck leer, zerfetzten Segel und schlugen an Stellen ein, die bisher vom Beschuß verschont geblieben waren, Batuti legte einen Pfeil nach dem anderen auf die Sehne seines Langbogenss, wählte eine hochliegende bogenförmige Schußbahn und versuchte, mit den Brandpfeilen in die Segel zu treffen, die noch immer prall gebläht waren und für Fahrt sorgten. An Deck stiegen die Wolken aus weißem, mit Ruß durchsetztem Dampf auf. Die Mannschaft des Spaniers war auch auf das schnelle Löschen vorbereitet gewesen. Aber den Hagel der Culverinen, die an Backbord das Schiff verwüsteten, hatten sie nicht erwartet. „Weg von hier!" rief Big Old Shane und tauchte aus einem Luk auf. „Wenn sie zurückschießen..." Die „Fidelidad" änderte ihre Richtung und verholte sich nach Backbord. Die Spanier schossen immer noch und zündeten ihre Drehbassen. Immer wieder peitschten einzelne Musketenschüsse über das Wasser. Die Kugeln bohrten sich mit trockenem Krachen in Holzteile oder erzeugten daumengroße Löcher im Tuch der Segel. „Wenn das nur etwas schneller ginge!" stöhnte Piet Straaten, der am Ruder stand. Behäbig schwankte und stampfte die „Fidelidad" nach Nordnordwest. Batuti stellte den Bogen auf die Planken und hakte die Sehne aus, überlegte es sich wieder und schaufelte statt dessen Sand über die Glut. Er spannte den Bogen und hakte die
Sehne in die tiefe Kerbe des Schenkels. „Wenn sie jetzt noch weitermachen, dann sind sie entweder verrückt, oder ich muß sie bewundern", brummte der Gambiamann mit seiner dunklen Stimme. „Ich glaube, sie sind verrückt, diese Hispanos." Er nahm Roger Brighton das Spektiv aus den Händen und spähte hinüber zur spanischen Galeone. Das Bombardement hatte einige Segel so zerstört, daß das Schiff weitaus weniger Fahrt lief. Die Schebecke und die „Fidelidad" befanden sich in Sicherheit. Sie waren außerhalb der Reichweite der schweren, langrohrigen Achtzehnpfünder der Spanier. Daß drüben etwa zweihundert, gut ausgebildete Männer längst damit angefangen hatten, die Schäden auszubessern, sah Batuti auf den ersten Blick. Er sah aber auch, daß es Opfer gegeben hatte. Tauwerk wurde rücksichtslos gekappt, der Schaft des Bugspriets wieder eingeholt, die vorstehenden Splitter abgesägt. Mit rasender Geschwindigkeit wurden die zerschlissenen Segel abgeschlagen und neue an Deck geschafft. Je weiter sich die Engländer von dem leckgeschossenen, fast bewegungsunfähigen Schiff entfernten, desto mehr Männer schienen an Deck herumzuwimmeln. Nach einer Weile sagte Roger Brighton: „Irgendwie ahne ich, daß wir sie noch nicht zum letztenmal gesehen haben." „Es ehrt mich zwar", sagte Don Juan de Alcazar zweifelnd, „aber ich glaube, ihr überschätzt die Spanier ein wenig." „Und wenn sie rudern müßten - solange das halbe Wrack dort noch schwimmen kann, geben sie nicht auf", erklärte Old Shane.
54 „Das sage ich auch", äußerte sich Nils Larsen. „Das ist ein Teufelskreis. Wenn wir sie versenken, haben wir Ruhe. Segeln wir davon, geben wir ihnen Zeit, ihr Schiff wieder aufzupolieren. Eben haben sie die Trümmer eines Geschützes über Bord gekippt." „Was bedeutet, daß wir sie morgen oder übermorgen wieder auf dem Pelz haben." „Kann durchaus sein." Die „Fidelidad" und die Schebecke glitten aufeinander zu und segelten in Rufweite nebeneinander her. Der Seewolf und Don Juan tauschten ihre Ansichten aus und beratschlagten, was sie in den nächsten Stunden tun würden. Die Zeit bis zur Dunkelheit wollten sie nach Nord weitersegeln, so lange der Wind günstig blieb. Auch in dieser Nacht würden sie beide darauf verzichten, Lichter zu setzen. „Und morgen, Sir, werden wir über den Proviant sprechen müssen!" rief Mac Pellew zu Hasard hinüber. „Habt ihr noch etwas zum Essen?" „Viel ist es nicht, und es wird eintönig", erwiderte Mac. „Aber bis morgen abend reicht's noch." „Ben kümmert sich darum." Es gab wenige offene Fragen. Eine halbe Stunde später schnitt die Schebecke wieder schneller durch die Wellen und ließ die Galeone an Backbord langsam zurück. Der Spanier folgte nicht mehr nach und wurde zu einem kleinen Punkt am Horizont, der schließlich hinter den Wellen zu verschwinden schien. Aber bei Einbruch der Nacht zeigte sich, daß die Spanier wieder im Licht zahlreicher Laternen arbeiteten: deutlich sahen die Seewölfe weit hinter dem Heck ihrer Schiffe die auffallende, flackernde Helligkeit. Old Donegal lieh sich von Ben
Brighton, kurz bevor es dunkel wurde, das Spektiv. Ben gab es ihm und drohte: „Hüte es mehr als deinen Holzfuß, Granddaddy. Ich gebe es nur ungern aus der Hand." Old Donegal nickte gelassen. „Ich verliere es ganz sicher nicht. Ich brauch's, Ben. Ich muß doch dem jungen Volk zeigen, daß ich recht habe." „Sage bloß, du willst in der Nacht wieder deine Insel suchen!" „Es gibt keine bessere Zeit. Dunkelheit, Mondlicht, ruhiges Meer, vielleicht Flaute. Dann trifft es sich gut, wenn wir einen gemütlichen Hafen finden, den die Spanier nicht kennen." Ben Brighton grinste verzweifelt, schüttelte sich und dachte ernsthaft daran, wie schön es in London sein müßte. Ein paar Tage lang würde er Ruhe haben vor solchen Spinnereien und Verrücktheiten. Er starrte in die Sonne, die sich auf die westliche Kimm senkte. Die Wolken, die im Nordwest aufzogen, versprachen eine ruhige Nacht. Wahrscheinlich war sie viel zu ruhig.
Die spanische Galeone hatte eine Länge von mindestens hundertfünfundzwanzig Ellen über alles. Gegen dieses große, rund dreißig Ellen breite Schiff gab es nur dann eine Möglichkeit, mit dem Leben und einem seetüchtigen Schiff davonzukommen, wenn die Regeln und Gesetzmäßigkeiten des Kampfes verändert wurden. Die „Fidelidad", von weniger als einer Zehnercrew gesteuert und gesegelt, war alles andere als ein Gigant. Die Schatzgaleone war kürzer, ge-
55 drungener und weniger hoch. Die Seeleute würden letzten Endes zuSeewölfe wußten, daß auf diesen gro- sätzliche wertvolle Stunden kosten. ßen spanischen Schiffen, die mögli- Kapitän Lerma und seine Offiziere cherweise zu den Einheiten der „Feli- gaben sich an diesem Abend leutselig cissima Armada" gehört hatten und, und hatten ganz bewußt das verknöwie dieses Schiff, auf dem Großsegel cherte militärische Zeremoniell den den gewebten Wappenadler von Car- praktischen Gründen untergeordnet. Je länger die Reparaturen dauerlos dem Fünften und Philipp dem Zweiten trugen, an die zweihundert ten, desto mehr nahm die Geschwinoder mehr ausgebildeter Seeleute digkeit der „Regina Charlotta" zu. Als die Beiboote wieder an Deck gefuhren. Die Galeone, die wohl gegenwärtig hievt waren, ließ Capitán Lerma auzum Küstenschutz eingesetzt war, genblicklich die Segel trimmen und hatte aus diesem Grund weniger Pro- ging auf Kurs. viant an Bord und keine schwere LaEr hatte keine Sorge, die beiden dung wie die „Fidelidad". Sie konnte Engländer aus den Augen zu verliedaher mehr an Ausrüstung laden. ren. Das langsame Schiff segelte nach Aus diesem Grund schafften es die England, nach Norden, und es beSeeleute, die Zerstörungen schnell zu stimmte die Geschwindigkeit der beseitigen. Sie fanden sogar Zeit, die Verfolgung. Toten in Segeltuch einzunähen und An Steuerbord querab lag Cabo de dem Meer zu übergeben. An allen Finisterre. Stellen, an denen sich die Einschläge, Dahinter öffnete sich, nach Osten die Brände, die zerstörten Teile, zurückspringend, das riesige SeegeRisse und Löcher zeigten, arbeiteten biet der Biscaya, der Golf der gekleine Gruppen. fürchteten Wetterverhältnisse. Werg und Tauwerk stopften sie in die unregelmäßig zersplitterten Plankenrisse und nagelten dünne Bleche aus Blei darüber, als das Werg sich Die Großmastrah lag der Länge voll Wasser gesogen hatte. Unabläs- nach an Deck, während Will Thorne, sig fauchten und gurgelten die Lenz- dem Jeff Bowie und Smoky halfen, pumpen und spien das eingedrun- einen neuen, großen Flicken ins Segel gene Seewasser außenbords. nähte. Mittlerweile sahen alle Segel Die Segelmacher flickten die letz- scheckig und keineswegs mehr prächten Löcher, Tauwerk wurde ge- tig aus. An vielen Stellen zogen sich spleißt, und an den Rahen schlugen die Nähte entlang der Lieken. Old Dodie Spanier die letzten Segel an, die negal saß vorn auf den Planken und noch in den Laderäumen gewesen wa- spleißte ein großes Auge in einen unren. Wieder wurden die bronzenen terarmdicken Tampen. von Zeit zu Reste einer Culverine über Bord ge- Zeit stand er auf und spähte durch kippt und versanken im schwarzgrü- das Spektiv. nen Wasser. An Bord der Schebecke verteilte In den Kombüsen schufteten Blacky die angezündeten Lampen schwitzend die Köche. Jeder durfte und stellte sie dort auf oder bändselte vom verdünnten Wein trinken, soviel sie ans Tauwerk, wo die Seewölfe bei er wollte - hungrige und mißgelaunte den Ausbesserungsarbeiten nicht
56 mehr genügend Tageslicht hatten. Al Conroy versorgte in aller Seelenruhe seine Geschütze. Die Seewölfe waren müde geworden. Die Anspannung infolge der riskanten Manöver und des Gefechts war vorbei, vermutlich stand eine ruhige Freiwache bevor. „Wenn ich der Kapitän der Spanier wäre, Dad, würde ich versuchen, dich zu überraschen", sagte Jung Hasard und träufelte einen Tropfen Öl auf den Hahn seiner Pistole. „Und wie würdest du das anstellen?" erkundigte sich der Seewolf ruhig. Er wartete darauf, daß endlich das größte Lateinersegel geflickt sein würde. „Ich würde die Dunkelheit ausnutzen. Keine Lichter setzen", erklärte jetzt Philip. „Und? Denkst du an ein Gefecht bei Nacht?" fragte Vater Hasard. Sie saßen nebeneinander auf der Vorderkante des Grätingsdecks und hatten von hier aus den besten Überblick. „Daran denke ich. Du würdest es nicht erwarten, nicht wahr?" fragte Jung Hasard hoffnungsvoll. „Ich würde es tatsächlich nicht für möglich halten, daß der Kapitän einer spanischen Galeone in diesem Gewässer riskiert, bei Dunkelheit zu kämpfen." „Siehst du, was ich damit meine? Wahrscheinlich haben wir gutes Mondlicht." Was sich durch die Wolken angekündigt hatte, schien bald einzutreffen. Der Wind ließ nach, und die Wellenhöhe nahm ab. Es war fast gespenstisch still. Leise schob sich die Schebecke durchs Wasser, das vertraute Heulen und Summen des Windes in der Takelage hatte völlig aufgehört. Jedes Wort und jedes Geräusch hallten weit über das ruhige Wasser.
„Bei diesem lausigen Wind wird es der Spanier schwer haben, zu uns aufzuschließen", antwortete der Seewolf nachdenklich. „Daß er es versuchen kann und will, halte ich durchaus für möglich. Die Frage ist: Denkt der Don, daß wir ihn in Ruhe lassen und ungehindert heimsegeln wollen?" Er legte eine Pause ein und fuhr dann fort: „Oder wartet er etwa darauf, daß wir angreifen?" Die Gruppe um Will Thorne löste sich auf. Die Lichter wurden zur Seite genommen. „Fertig! Setzt die Gaffelrute!" rief Will Thome. „Das sollte gut halten bis zur Themsemündung." „Oder bis zum nächsten Feuergefecht", knurrte der Seewolf. Die Seewölfe hängten sich ans Großfall und wuchteten die Gaffelrute am Mast hoch. Das mißtönende Kreischen in den Blöcken, das dieses Manöver sonst begleitete, unterblieb jetzt, denn Blacky hatte reichlich Fett eingestrichen. Die Gaffelrute schlug an, die Leinwand flatterte träge und spannte sich zögernd. Gegen den breiten hellen Streifen zwischen der westlichen Kimm und dem unteren Rand der Abendwolken hob sich die Silhouette der „Fidelidad" schwarz und scharf umrissen ab. Das Lateinersegel wurde belegt, aber die Schebecke gewann nicht mehr an Geschwindigkeit. Mehrere Lampen, von Blacky gelöscht, verringerten die blendenden Nebenlichter an Deck. „Das ist auch besser so", brummte Old Donegal zufrieden. „Dann kann ich die Insel erkennen und sie euch endlich zeigen, ihr Ignoranten." Ferris Tucker, der in Old Donegals Nähe arbeitete, verzichtete auf eine Antwort. Aber er sah aufmerksam zu,
57 wie Old Donegal zum Bug humpelte, sich schwer aufstützte und den Horizont absuchte. Außer der Galeone war nichts zu sehen. Nur Wellen und Lichtreflexe, das Gelbrot der untergehenden Sonne, zwei Möwen, die voraus träge im Wasser schaukelten und ab und zu die Ringe, die von Fischen erzeugt wurden, die sich übermütig aus dem Wasser schnellten. „Ich wette, daß er die Insel findet", sagte Ben Brighton. „Schon deshalb, um uns zu ärgern." „Wenn wir mehr Zeit hätten, könnten wir ein Floß bauen und aussetzen", schlug Dan O'Flynn vor. „Mit ein paar Lampen und einem Sandberg drauf. Ich möchte dann das Gesicht meines Väterchens sehen." „Wahrscheinlich haben wir andere Sorgen", brummte Hasard. „Meine tüchtigen Söhne meinen, daß der Don plant, uns nachts zu überfallen und zu versenken. Der Erste senkte den Kopf und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Ich habe schon daran gedacht", sagte er. „Dagegen gibt es drei Mittel." „Welche?" fragte Jung Hasard. „Erstens einen guten Ausguck, zweitens Al Conroys Geschütze und unsere Feuerbereitschaft, drittens für den Spanier keinen besseren Wind, als wir ihn haben." „Für die beiden ersten Mittel sorge ich, kein Problem", sagte Philip Hasard Killigrew und gab die entsprechenden Befehle. Dann wurde mehr als die Hälfte der Crew auf Freiwache geschickt, nachdem an Deck jeder Winkel aufgeklart war. Auch Hasard selbst wollte eine Mütze voll Schlaf nehmen. „Nach drei Stunden, Ben, weckst du mich", forderte er den Ersten auf,
nachdem er einen letzten Blick durchs Spektiv geworfen hatte. Noch immer lag der Spanier ruhig an der Kimm. Die Galeone wurde von mehr als zwei Dutzend Lampen beleuchtet, als feierten die Spanier ein Fest an Bord. 7. Knapp sieben Stunden vergingen in einer Ruhe, wie die Seewölfe sie in den letzten Tagen nicht gekannt hatten. Mac Pellew und der Kutscher versorgten die beiden Mannschaften mit einem zufriedenstellenden Essen, und der eine oder andere Becher Wein oder ein scharfer Schluck Obstbrand aus den letzten Vorräten erhöhte die gute Laune. Keiner ließ sich von dem vielstimmigen Schnarchkonzert stören. Dan O'Flynn unterhielt sich leise mit dem Rudergänger und beobachtete nach achtern. Er würde jede Kabellänge registrieren, die von der Galeone nach Norden zurückgelegt wurde. Er bemerkte, wie eine Laterne nach der anderen gelöscht wurde ein Zeichen, daß die Dons mit ihrer Arbeit, um die er sie nicht beneidete, langsam fertig wurden. Der Wind verhielt sich, als sei er der erklärte Feind der Seewölfe. Eine Bö sprang an und jagte die Schebecke über zwei Seemeilen vorwärts, dann breitete sich eine lastende, feuchte Flaute aus, und das Seewasser verwandelte sich an seiner Oberfläche in viele Inseln von glattem, gekräuseltem oder stark welligem Aussehen. Dan wünschte sich, er säße im Mars eines hohen Mastes und könnte diese Zeichen der See besser erkennen. Er wünschte sich auch mehr Mondlicht, und dieser Gedanke brachte ihn dazu,
58 am Bug nachzusehen, ob sein Vater die Insel schon wiedergefunden hatte oder noch danach suchte. Vorsichtig, um niemanden zu stören, ging er auf Zehenspitzen vom Heck zum Bug und stützte sich neben Old Donegal auf das Schanzkleid. „Na, Dad, wann legen wir im Hafen von King's Island an?" fragte er leise. „Quatsch nicht so dumm herum", brummte Old Donegal und nahm den Kieker vom Auge. „Du siehst doch selbst, daß wir noch nicht nahe genug heran sind. Oder wer ist Navigator? Ich?" „Die Arwenacks sind der Meinung", erwiderte Dan, „daß ich der Navigator bin und bleiben soll." „Kümmere dich lieber um die spanische Galeone", sagte sein Vater. „Und Hasard wird ganz schön fluchen, wenn er merkt, daß er verpennt hat." „Damit hast du recht", erklärte Dan und rüttelte Jung Hasard an der Schulter. Der Junge schlief, dick eingerollt in Decken und Mantel, im Schutz des Schanzkleides. Hasard war augenblicklich wach. „Ja? Geht es los?" fragte er. Sternenlicht, Mondlicht und ihr schwacher Widerschein Vom Wasser waren die einzige Helligkeit. Die Gesichter der Männer gerade noch zu erkennen. Hasard faltete die Decke zusammen und blickte über die See. „Dort drüben ist Wind", stellte er sachlich fest. „Dort, wo die .Fidelidad' segelt, auch. Und wir stecken fast in der Flaute. Seltsam." „Das kann sich bald ändern", meinte Dan O'Flynn. „Gehe hinunter, wecke deinen Vater und sage ihm, ehe er flucht, daß ich ihn länger habe schlafen lassen. Es ist, wie du siehst, absolut nichts los." „Dad braucht seinen Schlaf wie wir
alle. Sonst ist er nicht zu gebrauchen." Hasard nickte und tappte davon. Die gleichen schwachen Lichtverhältnisse und die vielen blitzenden Reflexe auf dem Wasser zeigten sich auch bei der spanischen Galeone, die in einem Streifen besseren Windes segelte und aufgeholt hatte. Die Dons fuhren ebenfalls keine Lichter in dieser mondhellen Nacht. „Sie geben tatsächlich nicht auf", wiederholte Dan, obwohl er nichts anderes gedacht hatte. Wenn die Spanier der Königin Lissy ein Schatzschiff gekapert hätten, sagte er sich, wäre auch längst ein schwerbewaffneter Schiffsverband unterwegs. Er wurde abgelenkt, als Jung Hasard mit dem Seewolf zusammen an Deck erschien. „Das war Schlaf genug für die nächsten Monate", sagte Hasard gutgelaunt. „Ich sehe, daß unsere Freunde tüchtige Segler und noch bessere Werftarbeiter auf hoher See sind." „Sie sind auch zahlreicher als wir", entgegnete Dan O'Flynn. „Und im Augenblick haben sie den Vorteil eines kräftigeren Windes." „So sieht es aus." Die Galeone segelte etwa drei Seemeilen voraus, weit und breit allein auf dem Meer und ebenfalls mit besserem Wind, als ihn die Schebecke hatte. Das Kielwasser zeichnete sich als breiter, ruhiger Streifen ab, den der schwache Wind und die unsichtbare Strömung in bizarren Linien über die Meeresoberfläche schoben. „Don Juan ist also ungefährdet", sagte der Seewolf und richtete seinen Blick auf Old Donegal, der unermüdlich nach seiner Phantasieinsel Ausschau hielt. „Und der Spanier rückt näher." Er schaute nach den Sternen und brummte: „In weniger als vier Stunden ist es wieder hell."
59 Dan, der seine Berechnungen angestellt hatte, gab seine Meinung zum besten. „Vorher haben sie uns erreicht, Sir. Ich habe zwei Stunden gerechnet, wenn sich die Verhältnisse nicht bald ändern." Philip Hasard Killigrew bewies, daß auch er nachgedacht und die Lage der Schebecke einer genauen Prüfung unterzogen hatte. „Vielleicht ist unser Wunsch auch heute der Vater irgendwelcher Gedanken. Ich erwarte - seht euch die Wolken an, von denen dort die Sterne verdunkelt werden -, daß uns die Biscaya Starkwind beschert. Erfahrungsgemäß frischt er vor Sonnenaufgang auf." „Dann wären wir beweglicher", sagte Dan und wiegte den Kopf. „Können wir sicher sein?" „Nein", lautete die zurückhaltende Antwort. „Keineswegs." „Dachte ich mir. Immerhin haben wir noch eine Handvoll Riemen. Für ein paar Seemeilen können wir unser Schiff pullen." „Auch daran habe ich schon gedacht." Nacheinander tauchten Al Conroy, Pete Ballie und der Profos an Deck auf. Carberry hielt Becher und einen kleinen Krug in seinen Pranken und teilte Wein aus. „Ganz fein, aber dünn", sagte er beschwichtigend. „Keiner wird davon besoffen. Was treiben die spanischen Affenärsche?" „Sie treiben uns leider immer noch", erwiderte Hasard. „Wenn wir in einer Stunde keinen besseren Wind haben, darfst du die Riemen austeilen und den Takt angeben." Carberry besah sich die Lage, schaute die Segel an und lauschte den leisen Geräuschen des Schiffes sowie
dem durchdringenden Schnarchen, das nur wenig geschwächt durch die Planken drang. „Wenn sich nichts ändert", sagte er abschließend, „werden wir wohl zu den Zahnstochern greifen müssen." „In einer halben Stunde wird zum Wecken gepfiffen", sagte der Seewolf. „Aye, aye, Sir." Noch während sie dastanden und überlegten, riß sie das aufgeregte Flüstern und Murmeln des Alten aus ihren Gedanken. Old Donegal rief unterdrückt: „Ihr glaubt mir ja nicht. Hier ist die Insel. King's Island voraus!" Die Männer starrten sich verwundert und ungläubig an und schwangen sich wie auf ein Kommando zum Vorschiff hinauf. Der Seewolf zog das Spektiv aus dem Gürtel und brummte etwas Unverständliches. Sekunden später drängten sie sich in einer engen Gruppe hinter dem Bugholz zusammen, und die Spektive gingen von Hand zu Hand. Jeder wollte hindurchsehen. Hasard konnte nicht glauben, was ihm die Linsen zeigten. „Es ist irgend etwas. Aber keine Wolke'', knurrte er. Hasard entdeckte über der Kimm ein langgestrecktes Gebilde, das in der Mitte und an Steuerbord zwei, deutliche Erhöhungen aufwies, unter deren Gipfeln kleine, scharfe Lichter zu erkennen waren. „Natürlich keine Wolke, Sir!" schimpfte Old Donegal. „Das ist King's Island. Dort sind wir eingeladen!" Die nächsten, noch sorgfältigeren Beobachtungen zeigten mehr Einzelheiten und die tatsächliche Größe die-. ses seltsamen Dinges, das sich deutlich von der Kimm abhob und dar-
60 über zu schweben schien. Die Berge oder Hügel, bewachsen oder aus Fels, ragten hoch über die ansteigenden und abfallenden Flächen der „Königsinsel". Jedesmal, wenn Hasard hinblickte, erwartete er, daß das Bild verschwunden sein würde oder zumindest die beiden Lichter nicht mehr existierten. Aber jedesmal sah er mehr Leuchtpunkte. Insgesamt zählte er sieben. Die fünf anderen befanden sich am unteren Rand des Eilandes, das wie die Galeone nur als dunklerer Schattenriß vor einem weniger pechschwarzen Hintergrund zu erkennen war. „Ich werde verrückt!" stieß Edwin Carberry hervor. „Oder haben wir alle einen Hieb aufs Auge gekriegt?" „Ihr seht ganz richtig", ereiferte sich Old Donegal. „Ich hab's euch doch immer wieder gesagt. Morgen mittag sind wir dort." Die Grenzen des dunklen Bildes waren nicht scharf, sondern verschoben sich und verschwammen, als gäbe es dort fast jenseits der Kimm dicken Nebel. Die Lichter flackerten hin und wieder, meist aber leuchteten sie stark und ruhig. Schließlich traf der Seewolf eine Entscheidung, die auch Old Donegal zufriedenstellte. „Jetzt wissen wir also, daß alle Karten und Erinnerungen sämtlicher Navigatoren und Kapitäne nichts taugen und schamlos lügen." „Sage ich doch schon lange", erklärte Old Donegal beinahe fröhlich. „Wir haben die Insel gesehen. Wir alle. Sie liegt genau im Norden. Im Tageslicht sehen wir sie, und wenn sie dann noch vorhanden ist, legen wir an und sorgen dafür, daß du die Einladung deines Schwarzbartes in jeder Hinsicht ausnutzen kannst. Ein-
verstanden? Das gilt auch für die armen Sklaven, die unter den Dons schuften." „Na klar. Morgen mittag. Oder spätestens abends." „Wir werden es miterleben und uns mit dir freuen, Granddad'" rief Jung Hasard heiter. „Na endlich." „Und jetzt gib sofort das Spektiv her. Wir brauchen es für wichtigere Sachen", sagte sein Sohn mit deutlicher Entschiedenheit und nahm ihm das lange Messingrohr aus den Fingern. Vorwurfsvoll blickte Old Donegal seinen Kameraden nach, die das Vorschiff verließen und zum Rest derjenigen Seewölfe stießen, die mittlerweile aufgewacht waren und auf der Kuhl standen. Sie sprachen darüber, wie wohl das Gefecht mit dem aufgerückten Spanier ablaufen würde. Merkwürdig: Ohne daß sie sich abgesprochen hatten, wußte jeder, daß es das entscheidende Feuergefecht sein würde.
Edwin Carberrys unüberhörbares Organ, obwohl gar nicht laut, scheuchte die Seewölfe an ihre Plätze. Die langen Riemen wurden bereitgelegt. Die Mannschaft bewaffnete sich, während der Kutscher wieder seinen unvermeidlichen „Culverinentee" kochte. Al Conroy untersuchte noch einmal seine Geschütze, sorgte für Pützen voller nassem Sand, stellte seine Luntenstäbe bereit und gelangte, je länger er an Deck tätig war, desto mehr zu der Auffassung, daß er die richtigen Ladungen und die entsprechende Pulvermenge angewendet hatte.
61 Unaufhaltsam wie das Schicksal segelte die spanische Galeone auf. Inzwischen unterschieden die Seewölfe an Deck schon die winzigen Funken der Lunten und das dunkelrote Glühen der Holzkohlenfeuer. Auf dem Achterdeck stand, wie die Verkörperung einer rächenden Sagengestalt, der Kapitän, in seinen Mantel gehüllt und den charakteristischen Eisenhut auf dem Kopf. Schwach schimmerten die Farben und Konturen des prächtigen Wappens auf dem Hauptsegel. „Dreifache vorstellbare Schußentfernung", sagte Hasard laut. „Und noch kein Wind. Es wird gefährlich, Freunde. Tödlich, schätze ich." Er rechnete nicht im entferntesten damit, daß der Spanier, dessen Namen er ebensowenig wie den des Schiffes kannte, ihn mit einem gezielten Schuß vor den Bug zur Revanche auffordern würde. Für die Spanier ging es um Stolz, Schätze und Prestige. Und für die Crew der Seewölfe ging es, abgesehen von Kleinigkeiten wie dem gefüllten Laderaum der Galeone, ums Leben. Hasard entschied sich. „Riemen ausbringen. Pete: mit dem Heck zum Spanier, dann zuerst Backbordseite und darauf Steuerbord. Alles klar?" Pete Ballie rief leise: „Alles klar!" Die kräftigsten Männer packten abwechselnd die langen Riemen, schoben sie durch die dollenähnlichen Offnungen des Schanzkleides und senkten die Blätter ins Wasser. Die Riemen wurden nachgeschleppt. Al Conroy schlich geduckt ins Heck und legte das Richtholz neben die Lafetten der Culverinen. Die Zwillinge krochen heran und zogen eine Kiste hinter sich her. „Alles klar, Al?"
„Klar. Was habt ihr in der Kiste? Pulver?" „Deine Brandsätze. Vielleicht brauchen wir sie." „Hoffentlich nicht. Geht weg, in Deckung. Es kann sein, daß es die Rohre endgültig zerlegt. Ich weiß zwar nicht, ob Bronze morsch werden kann, aber es würde mich nicht wundern." „Ist schon gut, Al." Der Wind, der die Galeone vor sich her wuchtete, war nicht stark genug, um sie richtig und nach den Regeln der Segelkunst steuern zu können. Er genügte, um sie auf Nordkurs zu halten, und auf dieses Vorgehen, notgedrungen, hatte sich der Don eingerichtet. Die Galeone glitt fast lautlos näher und schob sich an Steuerbord der Schebecke heran. Auch der Spanier erkannte die sichtbaren Grenzen zwischen Flaute und Schwächstwind, und er wußte auch, daß sich binnen weniger Augenblicke vieles ändern konnte. Wenn der Wind wieder ansprang und auffrischte, war die Schebecke dieser verdammten Engländer schlagartig im Vorteil. Die Seewölfe hörten zwar, daß ein lautes Kommando gegeben wurde, verstanden aber nur den Sinn, nicht die Worte. Hasard drehte den Kopf und sagte zu AIlConroy: „Du gibst die Kommandos und schießt, klar?" „Verstanden, Sir!" sagte Al und scheuchte die Zwillinge hinunter auf die Kuhl.
Der Stückmeister ging kein Risiko ein. Er hatte die herausgerissenen Planken und Holzteile gesehen, die von den detonierten Rohren der Spa-
62 nier stammten. Seine Culverinen wa- zwischen beiden Schiffen verwanren riskant, aber im sicheren Bereich delte sich in eine heulende Masse aus geladen. Er hatte schließlich lange ge- Flammen, Rauch, glühenden Metallnug Zeit gehabt, sich jeden einzelnen stücken und Geschoßteilen, die meist ins Wasser, zum Teil aber auch gegen Schritt zu überlegen. das Heck der Schebecke prasselten, „Pete?" rief er nach hinten. knatterten und dröhnten. „Ja? Ich höre!" Die Segel des Spaniers standen in „Ich brauche eine Minute. Bitte hellen Flammen. Rauch und Feuer nach Backbord steuern!" „Klar. Bin schon bei der Ausfüh- der Blinde und des Focksegels verhüllten den Blick zum Großsegel. rung." „Vielleicht geben sie jetzt auf", Al Conroy spürte den Ruck, mit dem Ballie das Ruder legte. Leise murmelte der Seewolf und sah, ohne rutschten die langen Schäfte der Rie- daß er etwas sagen mußte, wie die men hin und her. Dumpf schlugen die Riemen eingesetzt und nach zwei Ruderblätter gegen den Rumpf. Atemzügen der Wuhling im Takt Durch die Aussparungen erkannte schlugen. Die Schebecke steuerte in der Stückmeister wenige Einzelhei- einen Halbkreis und fuhr auf die Gaten an Bord der Galeone, und genau leone zu. Al Conroy zündete die vier Culveriin diesem Moment fiel ihm auf, daß die Spanier sich so verhielten, als ob nen. Er ließ sich Zeit und arbeitete sie in der Schebecke ein Schiff voller sehr genau. Das erste Langrohr zündete. Die Schlafender sähen. Mit Ungeduld wartete AI Conroy, Lafette bäumte sich auf und schlug bis er nicht nur das Ziel einwandfrei zurück. Ein Sprenggeschoß traf die vor sich hatte, sondern die Entfer- Galeone genau auf der Wasserlinie. Viermal feuerten die Spanier zunung den besten Erfolg versprach. Kurz hintereinander zündete er bei- rück. Wie erahnt, zerriß die übergroße de Culverinen und verließ in größter Ladung ein Geschütz und tötete mehEile das Grätingsdeck. Die Finsternis wurde für einen win- rere Spanier. Zwei Kugeln schlugen zigen Augenblick von der zweifachen mehrere Handbreiten neben den Feuerzunge aufgerissen. Krachender Planken der Schebecke ins Wasser. Donner hallte über das Wasser, in Das vierte Geschoß kreischte wimden Krach mischte sich das kurze mernd entlang des Decks, riß drei Yards der frisch reparierten, geHeulen der Geschosse. und - angestrichenen Sie schlugen irgendwo im Vorder- schnitzten schiff der Galeone ein, wurden aus- Schanzkleidholzteile in handgroße einandergesprengt und explodierten Trümmer und Wirbelte sie davon. Zwei Sprengladungen Al Conroys in einem wilden Regen von aufflammendem Pulver und aufzischendem wirbelten Funken, Flammen und helSchwefel. Augenblicklich stand alles len Rauch über das Deck des Spaleicht Brennbare im Bereich der Ex- niers und setzten Großsegel und Großmarssegel in Flammen. Welche plosionen in hellen Flammen. Die Drehbassen im Bugbereich des Zerstörungen sein letzter Schuß anSpaniers donnerten in winzigen Ab- richtete, war nicht zu sehen: Rauch ständen hintereinander auf. Die Luft verhüllte die Szene, und nur die
63 Schreie und das nachhallende Krachen bewiesen, daß das Geschoß nicht an der Galeone vorbeigeflogen war. Inzwischen bildete der Spanier ein leuchtendes Fanal, das Al Conroys Zielübungen erleichterte. Die Seewölfe pullten, als würden sie von einem kräftigen Sadisten gepeitscht. Das Schiff änderte seine Richtung, wurde kurz angehalten, und Al Conroy feuerte die Culverinen im Bug ab, ehe der Stückmeister zu den Steuerbordgeschützen hastete und, nachdem er seine Lunte neu angefacht hatte, vier Culverinen zündete. Noch während der erstickende Rauch des verbrannten Pulvers über das Deck wehte, spürten die Seewölfe, daß ein frischer und starker Windstoß die Schebecke erreichte und die Segel prall füllte. Schmerzensschreie gellten auf. Eine Glocke wurde wie rasend angeschlagen. Stimmen und Pfeifen schrillten und gellten. Sämtliche Leinwand des Spaniers brannte lichterloh. Die Flammen rissen den Wasserstreifen zwischen beiden Schiffen
aus der Dunkelheit und ließen erkennen, daß Sich vielfarbiger Rauch spiralig in die Höhe drehte. Mit einem harten Ruck legte sich die Galeone nach Backbord über. Die Schebecke beendete die Wendung, richtete den Bugspriet nach Norden und legte über, als der zweite, noch kräftigere Windstoß die drei Lateinersegel füllte. Die Riemen wurden eingezogen. Die Spanier schossen aus allen Rohren hinter den Engländern her, aber mit jedem Atemzug wuchs die Entfernung. Alle Geschosse landeten im Wasser, jedenfalls richtete keines Zerstörungen an. „Alle Segel brennen. Die Jagd ist zu Ende", sagte der Seewolf. „Das war's dann wohl." „Bis zum nächsten Jäger", sagte Ben Brighton ruhig. „Aber diese Galeone wird uns nicht mehr verfolgen." Während die Schebecke aufgeklart wurde und nach Norden segelte, blieb die hellauf lodernde Galeone zurück. Diese Gefahr existierte nicht mehr, es würde andere geben. Als die Sonne im Osten über die
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Kimm stieg, hielt ein halbes Dutzend Seewölfe Ausguck nach Old Donegals „Königsinsel", und keiner wunderte sich, daß die Insel verschwunden war.
Old Donegal fluchte, aber im Lauf der Morgenstunden beruhigte er sich wieder, denn er wußte, daß er spätestens in der nächsten Nacht King's Island wiederentdecken würde...
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 604
Gerissene Füchse von Burt Frederick Das war wieder mal ein Plan, wie ihn nur ein Philip Hasard Killigrew aushecken konnte - nämlich mit der „Fidelidad" in den Hafen von La Coruna einzulaufen, um der abgetakelten Silber-Galeone zu neuem Segeltuch zu verhelfen und den Proviant für seine Arwenacks zu ergänzen, umsonst, versteht sich. Und wie das? Ganz einfach: Die Schebecke unter dem Kommando von Ben Brighton verwandelt sich samt Crew in ein algerisches Piratenschiff und verfolgt die „Fidelidad" mit krachenden Kanonen bis zum Hafen, den die Galeone gerade noch „mit Ach und Weh" erreicht. Und die Arwenacks auf der „Fidelidad" mimen mit ihrem „Capitán" spanische Seeleute, die sich mit letzter Kraft in den Hafen retten. Na also - Frechheit siegt...