Tristan Nguyen Grenzen der Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken
WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT
Tristan Nguyen
Grenzen...
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Tristan Nguyen Grenzen der Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken
WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT
Tristan Nguyen
Grenzen der Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken Erweiterungsmöglichkeiten durch Rückversicherung, Katastrophenanleihen und Versicherungsderivate
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Volker Arnold
Deutscher Universitäts-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Habilitationsschrift FernUniversität Hagen, 2007
1. Auflage Juni 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frauke Schindler / Ingrid Walther Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0799-4
Geleitwort
Angesichts der in jüngster Zeit zunehmenden Anzahl von Katastrophenereignissen mit immer neuen Rekordschäden drängt sich die Frage auf, ob Katastrophenrisiken weiterhin von der privaten Versicherungswirtschaft versichert werden können und ob sich der Staat beim Versagen marktwirtschaftlicher Lösungen an der Versicherung von Katastrophenrisiken beteiligen soll. In der vorliegenden Abhandlung, die als Habilitationsschrift an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der FernUniversität in Hagen angenommen wurde, hat Tristan Nguyen verschiedene Konzepte dargestellt, wie die Versicherbarkeit von Risiken anhand von Versicherbarkeitskriterien überprüft werden kann. Dabei zeigt sich, dass die Grenzen der Versicherbarkeit von Risiken nicht immer klar umrissen sind. Je nach dem gewählten Ansatz kann man zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Versicherbarkeit kommen. Gerade die hier diskutierten Katastrophenrisiken, welche ein gewaltiges Schadenpotenzial mit sich bringen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit schwer einzuschätzen sind, stellen die private Versicherungswirtschaft an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Diese Risiken befinden sich zweifellos im Graubereich der Versicherbarkeit, und in manchen Fällen wird für diese Risiken kein Versicherungsschutz mehr angeboten. Vor dem Hintergrund der drohenden Unversicherbarkeit stellt sich die Frage, durch welche Maßnahmen die Grenzen der Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken erweitert werden können. Die Versicherungspraxis hat gezeigt, dass die private Versicherungswirtschaft selbst über effektive Instrumente zur Erweiterung der Grenzen der Versicherbarkeit verfügt, welche die zunächst als unversicherbar erscheinenden Risiken derart verändern, dass sie anschließend den Kriterien der Versicherbarkeit genügen. Tristan Nguyen befasst sich in seiner Arbeit ausführlich mit den privatwirtschaftlichen Möglichkeiten der Kapazitätserweiterung durch Risikoteilung und Risikotransfer, nämlich Rückversicherung, Katastrophenanleihen und Versicherungsderivaten.
VI
Geleitwort
Wenn sich ein Katastrophenrisiko mit einem gewaltigen und schwer schätzbaren Schadenpotential trotz aller Bemühungen um privatwirtschaftliche Lösungen nicht mehr versichern lässt, können die Grenzen der Versicherbarkeit dadurch erweitert werden, dass der Staat im Rahmen seiner ordnungspolitischen Aufgaben zusätzliche Versicherungskapazitäten zur Verfügung stellt bzw. Maßnahmen ergreift, welche die Verfügbarkeit von Versicherungsschutz verbessern. Tristan Nguyen analysiert in diesem Zusammenhang ausführlich die Auswirkungen staatlicher Risikoübernahme auf die Versicherungsnachfrage und zeigt auf, in welchen Fällen ein staatlicher Eingriff in die Versicherungsmärkte aus ökonomischer Sicht als wünschenswert erscheint. Tristan Nguyen befasst sich in seiner Habilitationsschrift auf wissenschaftlich fundierter Basis mit einem sehr aktuellen Thema aus der Versicherungspraxis. Dabei erweist er sich als ein ausgezeichneter Kenner der einschlägigen Fachliteratur und der Versicherungspraxis. Dank seiner breit gefächerten akademischen Ausbildung und seiner langjährigen Berufserfahrung in der Versicherungswirtschaft gelang es ihm, die Grenzen der Versicherbarkeit von Risiken sowie deren Erweiterung durch Risikotransfer aus volkswirtschaftlicher Sicht, aus betriebswirtschaftlicher Sicht und nicht zuletzt aus versicherungsmathematischer Sicht gleichermaßen zu durchleuchten. Verglichen mit der vorhandenen versicherungswissenschaftlichen Literatur lässt sich eindeutig und ohne Übertreibung feststellen, dass eine theoretisch so fundierte und interdisziplinär angelegte Abhandlung zum gewählten Thema bisher noch nicht vorgelegt wurde. Tristan Nguyen hat mit seiner Habilitationsschrift einen beachtlichen Beitrag zur Erweiterung des vorhandenen Fachwissens geleistet und neue Lösungsansätze für die Praxis geliefert. Ich wünsche der Schrift eine gute Aufnahme in Theorie und Praxis und die ihr gebührende Beachtung.
Hagen, März 2007
Univ.-Prof. Dr. Volker Arnold
Inhaltsverzeichnis
GELEITWORT............................................................................................................ V
INHALTSVERZEICHNIS ...................................................................................... VII ABBILDUNGSVERZEICHNIS .............................................................................. XV TABELLENVERZEICHNIS..................................................................................XIX ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ...........................................................................XXI
PROBLEMSTELLUNG............................................................................................... 1
KAPITEL 1: KATASTROPHEN UND VERSICHERUNGSNACHFRAGE ........ 5 1.1 EINLEITUNG ........................................................................................................... 5 1.1.1 Der Katastrophenbegriff ........................................................................................... 5 1.1.2 Entwicklung der Katastrophenereignisse.................................................................. 7
1.2 WOHFAHRTSSTEIGERNDE WIRKUNG DER VERSICHERUNG ................................. 13 1.2.1 Risikoscheue und Versicherung .............................................................................. 14 1.2.2 Risikobehaftete Vermögenssituation ....................................................................... 16 1.2.3 Der optimale Versicherungsschutz.......................................................................... 18 1.2.4 Herleitung der Versicherungsgeraden .................................................................... 20 1.2.5 Versicherungsoptimum als Nutzenoptimum ............................................................ 23 1.2.6 Versicherungsangebot und Gleichgewicht auf dem Versicherungsmarkt............... 29
1.3 MORAL HAZARD UND MARKTVERSAGEN............................................................ 33 1.3.1 Definition................................................................................................................. 33 1.3.2 Risikoerhöhendes Moral Hazard ............................................................................ 35 1.3.3 Mengenerhöhendes Moral Hazard.......................................................................... 38 1.3.4 Staatliche Regulierung bei Moral Hazard .............................................................. 46
1.4 ADVERSE SELEKTION UND MARKTVERSAGEN .................................................... 47 1.4.1 Definition................................................................................................................. 47 1.4.2 Versicherung bei Kenntnis der Risikotypen ............................................................ 49 1.4.3 Versicherung bei Unkenntnis der Risikotypen (vereinendes Gleichgewicht) ......... 50
VIII
Inhaltsverzeichnis 1.4.4 Versicherung bei Unkenntnis der Risikotypen (trennendes Gleichgewicht)........... 55 1.4.5 Staatliche Regulierung bei Adverser Selektion ....................................................... 57
1.5 STAATLICHE RISIKOÜBERNAHME UND VERSICHERUNGSNACHFRAGE ................ 58 1.5.1 Gründe für die staatliche Risikoübernahme............................................................ 58 1.5.2 Einfluss staatlicher Grundsicherung auf Versicherungsnachfrage ........................ 60 1.5.3 Auswirkungen staatlicher Grundsicherung bei Moral Hazard............................... 63 1.5.4 Auswirkungen staatlicher Grundsicherung bei Adverse Selection ......................... 64 1.5.4.1 Staatliche Grundsicherung und vereinendes Gleichgewicht ........................................ 65 1.5.4.2 Staatliche Grundsicherung und trennendes Gleichgewicht .......................................... 66
1.6 ZUSAMMENFASSUNG DES 1. KAPITELS ................................................................ 68
KAPITEL 2: RISIKEN UND VERSICHERBARKEIT ......................................... 73 2.1 DER RISIKOBEGRIFF............................................................................................. 73 2.1.1 Versicherungstechnische Risiken ............................................................................ 74 2.1.1.1 Zufallsrisiko ................................................................................................................. 76 2.1.1.2 Änderungsrisiko ........................................................................................................... 77 2.1.1.3 Irrtumsrisiko ................................................................................................................. 78 2.1.1.4 Risiko aufgrund asymmetrischer Informationsverteilung ............................................ 79
2.1.2 Risikomanagement im Versicherungsunternehmen ................................................ 80 2.1.2.1 Risikomeidung ............................................................................................................. 81 2.1.2.2 Risikotransfer ............................................................................................................... 82 2.1.2.3 Risikodiversifikation .................................................................................................... 83 2.1.2.4 Risikoausgleich ............................................................................................................ 84 2.1.2.5 Risikoreservebildung.................................................................................................... 84
2.2 VERSICHERBARKEIT VON RISIKEN....................................................................... 85 2.2.1 Grundsätzliche Überlegungen................................................................................. 85 2.2.2 Kriterien der Versicherbarkeit ................................................................................ 87 2.2.2.1 Risiko/Ungewissheit..................................................................................................... 88 2.2.2.2 Unabhängige Schadenereignisse .................................................................................. 89 2.2.2.3 Beherrschbarer Gesamtschaden ................................................................................... 90 2.2.2.4 Mittlere Schadenhöhe und Schadenhäufigkeit ............................................................. 91 2.2.2.5 Geringe Manipulierbarkeit ........................................................................................... 93 2.2.2.6 Bezahlbare Versicherungsprämie................................................................................. 95 2.2.2.7 Deckungsgrenzen und ausreichende Zeichnungskapazität........................................... 96 2.2.2.8 Gesellschaftliche Grenzen ............................................................................................ 97 2.2.2.9 Gesetzliche Grenzen..................................................................................................... 99
2.2.3 Theoretischer Zugang ........................................................................................... 100
2.3 VERSICHERBARKEIT VON KATASTROPHENRISIKEN ........................................... 106 2.3.1 Versicherungstechnische Beurteilung ................................................................... 106
Inhaltsverzeichnis
IX
2.3.1.1 Zufälligkeit von Katastrophenrisiken ......................................................................... 106 2.3.1.2 Schätzbarkeit von Katastrophenrisiken ...................................................................... 108 2.3.1.3 Unabhängigkeit von Katastrophenrisiken .................................................................. 109 2.3.1.4 Beherrschbarer Höchstschaden .................................................................................. 110
2.3.2 Wirtschaftliche Beurteilung................................................................................... 110 2.3.2.1 Angemessene Versicherungsprämien......................................................................... 111 2.3.2.2 Ausreichende Schwankungsrückstellung ................................................................... 112
2.3.3 Erweiterung der Grenzen der Versicherbarkeit.................................................... 113 2.3.3.1 Maschinenbruchversicherung..................................................................................... 114 2.3.3.2 Kernenergie ................................................................................................................ 114 2.3.3.3 Terrorismusversicherung............................................................................................ 116
2.3.4 Ökonomische Sinnhaftigkeit staatlicher Haftung bei Terrorismusrisiken ............ 117
2.4 WETTBEWERBSRECHTLICHE ÜBERPRÜFUNG STAATLICHER HAFTUNGSGARANTIEN ............................................................................................ 120 2.4.1 Europäische Wettbewerbsvorschriften.................................................................. 121 2.4.1.1 Grundsätzliches Verbot staatlicher Beihilfen ............................................................. 121 2.4.1.2 Ausnahmeregelungen nach Art. 87 Abs. 2 EGV........................................................ 122 2.4.1.3 Ausnahmeregelungen nach Art. 87 Abs. 3 EGV........................................................ 123
2.4.2 Staatliche Mithaftung als Beihilfe ......................................................................... 124 2.4.2.1 Staatsgarantie als Beihilfe .......................................................................................... 124 2.4.2.2 Steuerfreie Terrorrisikenrückstellung als Beihilfe ..................................................... 126
2.4.3 Zulässigkeit staatlicher Beihilfe im Ausnahmefall ................................................ 131 2.4.4 Ergebnis der wettbewerbsrechtlichen Überprüfung ............................................. 132
2.5 EMPIRISCHE STUDIE ZUR VERSICHERUNGSKAPAZITÄT VON KATASTROPHENRISIKEN .......................................................................................... 134 2.5.1 Problemstellung .................................................................................................... 134 2.5.2 Theoretischer Modellrahmen ................................................................................ 135 2.5.3 Schätzung der Kapazität der Versicherungsbranche ............................................ 139
2.6 ZUSAMMENFASSUNG DES 2. KAPITELS .............................................................. 143
KAPITEL 3: RISIKOTRANSFER DURCH RÜCKVERSICHERUNG............ 147 3.1 GRUNDLAGEN DER RÜCKVERSICHERUNG ......................................................... 147 3.1.1 Begriffsbildung ...................................................................................................... 147 3.1.2 Funktionen der Rückversicherung ........................................................................ 149 3.1.2.1 Sicherheit.................................................................................................................... 150 3.1.2.2 Gewinn und Wachstum .............................................................................................. 151 3.1.2.3 Service........................................................................................................................ 152
3.1.3 Formen der Rückversicherung .............................................................................. 153 3.1.3.1 Vertragsrechtliche Formen ......................................................................................... 153
X
Inhaltsverzeichnis 3.1.3.2 Instrumentarienklassen............................................................................................... 156
3.2 TRADITIONELLE ANSÄTZE DER RÜCKVERSICHERUNG ...................................... 157 3.2.1 Proportionale Rückversicherung .......................................................................... 158 3.2.1.1 Quoten-Rückversicherung.......................................................................................... 158 3.2.1.2 Summenexzedenten-Rückversicherung ..................................................................... 164 3.2.1.3 Quotenexzedenten-Rückversicherung........................................................................ 171
3.2.2 Nicht-proportionale Rückversicherung................................................................. 174 3.2.2.1 Schadenexzedenten-Rückversicherung ...................................................................... 176 3.2.2.2 Jahresüberschaden-Rückversicherung........................................................................ 185 3.2.2.3 Höchstschaden-Rückversicherung ............................................................................. 188
3.3 MODERNE ANSÄTZE DER RÜCKVERSICHERUNG ................................................ 190 3.3.1 Captives................................................................................................................. 191 3.3.1.1 Definition ................................................................................................................... 191 3.3.1.2 Varianten .................................................................................................................... 193 3.3.1.3 Nutzen für Unternehmen ............................................................................................ 194 3.3.1.4 Bedeutung................................................................................................................... 196
3.3.2 Finite Risk-Rückversicherung ............................................................................... 199 3.3.2.1 Merkmale ................................................................................................................... 199 3.3.2.2 Retrospektive Vertragsvarianten ................................................................................ 202 3.3.2.3 Prospektive Vertragsvarianten ................................................................................... 213
3.3.3 Integrierte Multiline/Multiyear- und Multi-Trigger-Produkte.............................. 224 3.3.3.1 Integrierte Multiline/Multiyear-Produkte................................................................... 224 3.3.3.2 Integrierte Multi-Trigger-Produkte ............................................................................ 229
3.3.4 Rückversicherung via CATEXTM ........................................................................... 231
3.4 ZUSAMMENFASSUNG DES 3. KAPITELS .............................................................. 233
KAPITEL 4: RISIKOTRANSFER DURCH KATASTROPHENANLEIHEN . 237 4.1 ENTSTEHUNGSGESCHICHTE IM ÜBERBLICK ....................................................... 237 4.1.1 Entwicklung der Katastrophenanleihen ................................................................ 238 4.1.2 Gestaltungsmerkmale der Katastrophenanleihen ................................................. 244 4.1.2.1 Rückzahlungsmodus................................................................................................... 244 4.1.2.2 Zinszahlungsmodus .................................................................................................... 247 4.1.2.3 Theoretische Bezugsgrößen ....................................................................................... 249
4.1.3 Rahmenbedingungen des Risikotransfers.............................................................. 252 4.1.3.1 Basisrisiko .................................................................................................................. 253 4.1.3.2 Moral Hazard.............................................................................................................. 254 4.1.3.2 Adverse Selection....................................................................................................... 256
4.1.4 Beurteilung der Triggermechanismen................................................................... 257 4.1.4.1 Indemnity Trigger....................................................................................................... 258 4.1.4.2 Branchenindextrigger ................................................................................................. 260
Inhaltsverzeichnis
XI
4.1.4.3 Modellschadentrigger................................................................................................. 262 4.1.4.4 Reine Parametrische Trigger ...................................................................................... 264 4.1.4.5 Parametrische Indizes................................................................................................. 265
4.2 EINSATZMÖGLICHKEITEN UND EMISSIONSWEGE VON KATASTROPHENANLEIHEN ...................................................................................... 267 4.2.1 Einsatzmöglichkeiten............................................................................................. 268 4.2.1.1 Erweiterung der Zeichnungskapazität ........................................................................ 268 4.2.1.2 Vermeidung des Kreditrisikos.................................................................................... 268 4.2.1.3 Positiver Einfluss auf die Soll-Solvabilität................................................................. 269 4.2.1.4 Attraktives Instrument im Risikomanagement ........................................................... 270
4.2.2 Mögliche Emissionswege ...................................................................................... 271 4.2.2.1 Direkt-Emission eines Cat Bonds............................................................................... 271 4.2.2.2 Emission von Cat Bonds über ein Special Purpose Vehicle ...................................... 275 4.2.2.3 Beispiel für eine indirekte Emission: USAA 1997..................................................... 279
4.3 BEWERTUNG VON CAT BONDS .......................................................................... 282 4.3.1 Grundlagen für eine Risikoquantifizierung........................................................... 282 4.3.2. Wahrscheinlichkeitsverteilungen ......................................................................... 288 4.3.2.1 Schadenzahlverteilungen............................................................................................ 289 4.3.2.2 Schadenhöheverteilungen........................................................................................... 291
4.3.3 Modellierung der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Bezugsgrößen ................... 295 4.3.3.1 Modellierung der Wahrscheinlichkeitsverteilung bei Bezugsgröße mit einer Schadensereignisbasis ............................................................................................................ 296 4.3.3.2 Modellierung der Wahrscheinlichkeitsverteilung bei Bezugsgröße mit einer Gesamtschadenbasis............................................................................................................... 298
4.3.4 Bewertung eines Cat Bonds am Beispiel der Winterthur-Anleihe ........................ 300 4.3.4.1 Modellierung der Eintrittswahrscheinlichkeit für ein Versicherungsereignis am Beispiel der Winterthur-Anleihe ............................................................................................ 301 4.3.4.2 Berechnung des theoretischen Wertes der Winterthur-Wandelanleihe ...................... 307 4.3.4.3 Ableitung eines Insurance-Spreads ............................................................................ 310
4.4 KATASTROPHENANLEIHE VERSUS RÜCKVERSICHERUNG .................................. 311 4.4.1 Basisrisiko versus Ausfallrisiko ............................................................................ 312 4.4.1.1 Ausfallrisiko in der traditionellen Rückversicherung................................................. 312 4.4.1.2 Alternativer Risikotransfer via Cat Bonds ................................................................. 314
4.4.2 Kosten des Risikotransfers .................................................................................... 315 4.4.2.1 Kosten der traditionellen Rückversicherung .............................................................. 315 4.4.2.2 Kosten des Risikotransfers durch Cat Bonds ............................................................. 316
4.5 ZUSAMMENFASSUNG DES 4. KAPITELS .............................................................. 320
XII
Inhaltsverzeichnis
KAPITEL 5: RISIKOTRANSFER DURCH VERSICHERUNGSDERIVATE ............................................................................ 325 5.1 GRUNDLAGEN DER VERSICHERUNGSDERIVATE ................................................ 325 5.1.1 Begriffsbildung ...................................................................................................... 325 5.1.2 Grundsätzliche Überlegungen............................................................................... 327
5.2 KONZEPTION VON VERSICHERUNGSDERIVATEN ............................................... 330 5.2.1 PCS-Optionen........................................................................................................ 330 5.2.1.1 Underlying.................................................................................................................. 330 5.2.1.2 Optionspositionen und zeitliches Profil...................................................................... 333 5.2.1.3 Handelsabwicklung .................................................................................................... 339
5.2.2 GCCI-Optionen ..................................................................................................... 340 5.2.2.1 Erstellung des Schadenindexes .................................................................................. 340 5.2.2.2 Zeitliches Profil .......................................................................................................... 343 5.2.2.3 Bewertung von GCCI-Optionen................................................................................. 346
5.3 BEWERTUNG VON PCS-OPTIONEN .................................................................... 346 5.3.1 PCS-Index als Basiswert ....................................................................................... 347 5.3.2 Traditionelle Modelle zur Bewertung von PCS-Optionen .................................... 350 5.3.2.1 Das Modell von Black & Scholes .............................................................................. 350 5.3.2.2 Das Sprung-Modell von Cox & Ross......................................................................... 352 5.3.2.3 Das Sprung-Diffusionsmodell von Merton ................................................................ 354 5.3.2.4 Kritische Würdigung der klassischen Methoden zur Optionsbewertung ................... 357
5.3.3 Versicherungsmathematisches Modell zur Preisermittlung von PCS-Optionen... 359 5.3.3.1 Grundsätzliche Überlegungen .................................................................................... 359 5.3.3.2 Modellierung des Indexprozesses .............................................................................. 360 5.3.3.3 Monte-Carlo-Simulation des PCS-Indexes ................................................................ 362 5.3.3.4 Kritische Beurteilung des versicherungsmathematischen Modells ............................ 366
5.4 RAHMENBEDINGUNGEN UND EINSATZMÖGLICHKEITEN VON VERSICHERUNGSDERIVATEN ................................................................................... 368 5.4.1 Aufsichtsrechtliche Behandlung ............................................................................ 368 5.4.2 Management der versicherungstechnischen Risiken mit Hilfe von PCS-Optionen................................................................................................................. 371 5.4.3 Grundlegende Absicherungswirkung von PCS-Call-Optionen............................. 372 5.4.4 Konstruktion einer Jahresüberschaden-Rückversicherung .................................. 378 5.4.5 Steuerung von Rückversicherungs-Layers ............................................................ 383 5.4.6 Weitere Anwendungsmöglichkeiten von PCS-Optionen ....................................... 389
5.5 BEURTEILUNG VON SICHERUNGSMAßNAHMEN MITTELS PCS-OPTIONEN ......... 390 5.5.1 Basisrisiko ............................................................................................................. 390 5.5.2 Moral Hazard und Adverse Selection bei Versicherungsderivaten ...................... 392 5.5.3 Spätschadenproblematik ....................................................................................... 393
Inhaltsverzeichnis
XIII
5.5.4 Steuerung des Jahresergebnisses .......................................................................... 395
5.6 ZUSAMMENFASSUNG DES 5. KAPITELS .............................................................. 399
SCHLUSSBEMERKUNGEN .................................................................................. 407
ANHANG: MATHEMATISCHE METHODEN ZUR RISIKOMODELLIERUNG .................................................................................... 415 A.1 MODELLIERUNG DER SCHADENZAHL ............................................................... 416 A.2 MODELLIERUNG DER SCHADENHÖHE ............................................................... 422 A.3 GESAMTSCHADENMODELLIERUNG ................................................................... 430
LITERATURVERZEICHNIS................................................................................. 433
Abbildungsverzeichnis ABBILDUNG 1.1: ANZAHL DER KATASTROPHENEREIGNISSE........................................................ 7 ABBILDUNG 1.2: ANZAHL DER TODESOPFER DURCH KATASTROPHE ........................................... 8 ABBILDUNG 1. 3: VERSICHERUNGSSCHÄDEN DURCH KATASTROPHEN ........................................ 9 ABBILDUNG 1.4: REGIONALE VERTEILUNG DER VERSICHERTEN SCHÄDEN 2005 ...................... 10 ABBILDUNG 1.5: DIE 40 TEUERSTEN VERSICHERUNGSSCHÄDEN ............................................... 11 ABBILDUNG 1.6: RISIKOSCHEUE UND SICHERHEITSÄQUIVALENT .............................................. 15 ABBILDUNG 1.7: ZUSTANDSBAUM OHNE VERSICHERUNG ......................................................... 16 ABBILDUNG 1.8: ZUSTANDSBAUM MIT VERSICHERUNG ............................................................ 17 ABBILDUNG 1.9: VERSICHERUNGSGERADE ............................................................................... 21 ABBILDUNG 1.10: STEIGUNG DER INDIFFERENZKURVEN ........................................................... 23 ABBILDUNG 1.11: VERSICHERUNGSOPTIMUM BEI FAIRER PRÄMIE ............................................ 24 ABBILDUNG 1.12: VERSICHERUNGSOPTIMUM BEI PROPORTIONALEM KOSTENZUSCHLAG ......... 25 ABBILDUNG 1.13: VERSICHERUNGSOPTIMUM BEI FIXEM KOSTENZUSCHLAG ............................ 27 ABBILDUNG 1.14: MAXIMALER FIXER KOSTENZUSCHLAG ........................................................ 28 ABBILDUNG 1.15: RISIKOSITUATION DES VERSICHERUNGSNEHMERS ....................................... 31 ABBILDUNG 1.16: VERSICHERUNGSGLEICHGEWICHT ................................................................ 32 ABBILDUNG 1.17: MARKTVERSAGEN BEI MORAL HAZARD ...................................................... 37 ABBILDUNG 1.18: OPTIMALE SCHADENVERHÜTUNG OHNE VERSICHERUNGSSCHUTZ ............... 40 ABBILDUNG 1.19: OPTIMALER UMFANG DER SCHADENVERHÜTUNG ........................................ 41 ABBILDUNG 1.20: OPTIMALE SCHADENVERHÜTUNG BEI EXISTENZ EINER VERSICHERUNG ...... 42 ABBILDUNG 1.21: SCHADENVERHÜTUNG BEI MORAL HAZARD ................................................ 43 ABBILDUNG 1.22: SCHADENVERHÜTUNG BEI VOLLEM VERSICHERUNGSSCHUTZ ...................... 44 ABBILDUNG 1.23: MARKTVERSAGEN AUFGRUND MORAL HAZARD .......................................... 45 ABBILDUNG 1.24: VERSICHERUNGSOPTIMUM BEI KENNTNIS DER RISIKOTYPEN ....................... 50 ABBILDUNG 1.25: VERSICHERUNGSLÖSUNG BEI UNKENNTNIS DER RISIKOTYPEN .................... 51 ABBILDUNG 1.26: RATIONIERUNG DES VERSICHERUNGSANGEBOTS ......................................... 53 ABBILDUNG 1.27: STABILITÄT DES VEREINENDEN GLEICHGEWICHTS ....................................... 54 ABBILDUNG 1.28: TRENNENDES GLEICHGEWICHT BEI UNKENNTNIS DER RISIKOTYPEN ........... 56 ABBILDUNG 1.29: STAATLICHE GRUNDSICHERUNG UND VERSICHERUNGSNACHFRAGE ............ 61 ABBILDUNG 1.30: KRITISCHE GRUNDSICHERUNG BEI UNTERSCHIEDLICHER RISIKONEIGUNG... 62 ABBILDUNG 1.31: EINFLUSS STAATLICHER RISIKOÜBERNAHME BEI MORAL HAZARD .............. 63 ABBILDUNG 1.32: VEREINENDES GLEICHGEWICHT UND STAATLICHE GRUNDSICHERUNG ........ 65 ABBILDUNG 1.33: TRENNENDES GLEICHGEWICHT UND STAATLICHE RISIKOÜBERNAHME ........ 67
XVI
Abbildungsverzeichnis
ABBILDUNG 2.1 : RISIKEN IN VERSICHERUNGSUNTERNEHMEN ................................................. 74 ABBILDUNG 2.2: ZERLEGUNG DES VERSICHERUNGSTECHNISCHEN RISIKOS .............................. 76 ABBILDUNG 2.3: KLASSIFIKATION RISIKOPOLITISCHER MAßNAHMEN....................................... 81 ABBILDUNG 2.4: KRITERIEN FÜR VERSICHERBARE RISIKEN ...................................................... 87 ABBILDUNG 2.5: MAXIMALE VERSICHERUNGSPRÄMIE ........................................................... 103 ABBILDUNG 2.6: RESTRISIKO BEIM VERSICHERER .................................................................. 105 ABBILDUNG 2.7: STAATLICHE RISIKOÜBERNAHME BEI TERRORISMUSRISIKEN ....................... 119 ABBILDUNG 2.8: TATSÄCHLICHE DECKUNGSKAPAZITÄT ........................................................ 137 ABBILDUNG 2.9: SIMULIERTE KAPAZITÄT DER VERSICHRUNGSBRANCHE ............................... 141 ABBILDUNG 2.10: ZAHLUNGSQUOTEN IN ABHÄNGIGKEIT VOM BRANCHENSCHADEN ............. 142 ABBILDUNG 2.11: ZAHLUNGSQUOTEN IN ABHÄNGIGKEIT VOM KATASTROPHENSCHADEN ..... 143
ABBILDUNG 3.1: BEGRIFFSPAARE IM VERSICHERUNGSKONTEXT ............................................ 148 ABBILDUNG 3.2: ANSÄTZE DES TRANSFERS VON VERSICHERUNGSRISIKEN ............................ 156 ABBILDUNG 3.3: KLASSISCHE RÜCKVERSICHERUNGSLÖSUNGEN ............................................ 157 ABBILDUNG 3.4: QUOTEN-RÜCKVERSICHERUNG .................................................................... 160 ABBILDUNG 3.5: SUMMENEXZEDENTEN-RÜCKVERSICHERUNG ............................................... 167 ABBILDUNG 3.6: BERECHNUNG DER HAFTUNGSVERHÄLTNISSE EINES SUMMENEXZEDENTEN 168 ABBILDUNG 3.7: HÖHERE SUMMENEXZEDENTEN.................................................................... 170 ABBILDUNG 3.8: QUOTENEXZEDENT MIT VORWEG-QUOTE .................................................... 172 ABBILDUNG 3.9: QUOTENEXZEDENT MIT VORWEG-EXZEDENT............................................... 173 ABBILDUNG 3.10: EINZELSCHADENEXZEDENTEN-RÜCKVERSICHERUNG................................. 178 ABBILDUNG 3.11: KUMULSCHADENEXZEDENTEN-RÜCKVERSICHERUNG ................................ 182 ABBILDUNG 3.12: ZEITRÄUME BEI DER N-STUNDEN-KLAUSEL ............................................... 184 ABBILDUNG 3.13: SCHADENSAUFTEILUNG BEI STOP LOSS ...................................................... 186 ABBILDUNG 3.14: HÖCHSTSCHADEN-RÜCKVERSICHERUNG.................................................... 189 ABBILDUNG 3.15: MODERNE UND ALTERNATIVE FORMEN DES RISIKOTRANSFERS ................. 191 ABBILDUNG 3.16: KONZEPT EINER RÜCKVERSICHERUNGS-CAPTIVE ...................................... 193 ABBILDUNG 3.17: BEHANDLUNG UND NUTZUNG VON CAPTIVES ............................................ 198 ABBILDUNG 3.18: FINITE RISK-STANDARDVERTRÄGE ............................................................ 201 ABBILDUNG 3.19: ZEITRISIKO BEIM LOSS PORTFOLIO TRANSFER ........................................... 205 ABBILDUNG 3.20: BILANZ UND GUV BEI ANWENDUNG EINES LPT (PREMIUM METHOD)....... 208 ABBILDUNG 3.21: BILANZ UND GUV BEI ANWENDUNG EINES LPT (LOSS METHOD).............. 209 ABBILDUNG 3.22: VERGLEICH VERSCHIEDENER KENNZAHLEN BEI LPT-ANWENDUNG .......... 210 ABBILDUNG 3.23: DECKUNGSANSÄTZE VON ADC UND LPT .................................................. 211 ABBILDUNG 3.24: ERGEBNISENTWICKLUNG VON ZEDENT UND ZESSIONÄR BEI EINEM FQS ... 218 ABBILDUNG 3.25: ERFOLGSRECHNUNG OHNE STOP LOSS TREATY ......................................... 221 ABBILDUNG 3.26: ERFAHRUNGSKONTO EINES STOP LOSS TREATY ......................................... 222 ABBILDUNG 3.27: ERFOLGSRECHNUNG MIT STOP LOSS TREATY ............................................ 223
XVII
Abbildungsverzeichnis
ABBILDUNG 3.28: KENNZAHLEN MIT UND OHNE SLT ............................................................. 223 ABBILDUNG 3.29: MULTILINE-STOP LOSS AUF SELBSTBEHALT .............................................. 225 ABBILDUNG 3.30: MULTILINE-STOP LOSS AUF VERTRAGSPORTFOLIO .................................... 227 ABBILDUNG 4.1: ENTWICKLUNG DER ANZAHL DER KATASTROPHENEREIGNISSE .................... 238 ABBILDUNG 4.2: VERSICHERTE KATASTROPHENSCHÄDEN IN MRD. USD............................... 239 ABBILDUNG 4.3: EMITTIERTE CAT BONDS SEIT 1997.............................................................. 241 ABBILDUNG 4.4: AUSSTEHENDE CAT BONDS ZUM 28.02.2006 ............................................... 242 ABBILDUNG 4.5: MIT CAT BONDS VERBRIEFTE RISIKEN 1994 - 2004 ..................................... 243 ABBILDUNG 4.6: INNERES UND ÄUßERES GITTER UM TOKIO ................................................... 250 ABBILDUNG 4.7: TRIGGER FÜR DEN CAT BOND DER PARAMETRIC RE LTD............................. 251 ABBILDUNG 4.8: DEFINIERTE BEZUGSGRÖßEN DER ILS-BONDS DER ZÜRICHER ÜBERSEEBANK AG ......................................................................................................... 251 ABBILDUNG 4.9 : BASISRISIKO UND TRANSPARENZGRAD VON TRIGGERN .............................. 267 ABBILDUNG 4.10: GRUNDSTRUKTUR DES INDIREKTEN VERBRIEFUNGSVORGANGS ................. 276 ABBILDUNG 4.11: CAT-BOND-TRANSAKTION MITTELS SPV AM BEISPIEL DER USAA ........... 281 ABBILDUNG 4.12: EREIGNISBAUM FÜR EINEN CAT BOND MIT LAUFZEIT UND RISK-PERIOD VON DREI JAHREN UND EINER TRIGGER-EVENT-WAHRSCHEINLICHKEIT VON P .............. 285 ABBILDUNG 4.13: DICHTEFUNKTION DER LOGNORMALVERTEILUNG ...................................... 292 ABBILDUNG 4.14: WAHRSCHEINLICHKEITSDICHTEFUNKTION DER GAMMAVERTEILUNG ........ 293 ABBILDUNG 4.15: VERTEILUNGSFUNKTION DER PARETOVERTEILUNG MIT X>1000 UND OP=1000........................................................................................................................ 294 ABBILDUNG 4.16: POISSON-EINTRITTSWAHRSCHEINLICHKEITEN FÜR POISSONPARAMETER
O 1,7 ........................................................................................................................... 303 ABBILDUNG 4.17: ZU ERWARTENDE ZINSZAHLUNG ZU DEN ZEITPUNKTEN t 1
BIS
t 3 .............. 309
ABBILDUNG 4.18: RENDITENVERGLEICH CAT BONDS UND CORPORATE BONDS ..................... 317
ABBILDUNG 5.1: HANDELSPERIODE EINES JUNI-KONTRAKTES ............................................... 335 ABBILDUNG 5.2: HANDELSSCHEMA VON PCS-OPTIONEN. ...................................................... 336 ABBILDUNG 5.3: GEWINN- UND VERLUSTPROFIL EINER PCS LONG-CALL-OPTION ................ 338 ABBILDUNG 5.4: GEWINN- UND VERLUSTPROFIL EINER PCS LONG-PUT-OPTION................... 339 ABBILDUNG 5.5: ZEITLICHES PROFIL DER GCC-INDEXPUBLIKATION FÜR DIE FIRST RISK PERIOD ......................................................................................................... 344 ABBILDUNG 5.6: AUSÜBUNGSSCHEMA DER OPTIONEN AUF DEN GCC-INDEX......................... 345 ABBILDUNG 5.7: DIE KOMPONENTEN DES PCS-INDEXPROZESSES IM ZEITABLAUF ................. 349 ABBILDUNG 5.8: GEWINN- UND VERLUSTPROFIL EINES CALL-OPTION-SPREADS ................... 376 ABBILDUNG 5.9: SYNTHETISCHE LONG-FUTURE-POSITION AUF DEN PCS-INDEX ................... 377
XVIII
Abbildungsverzeichnis
ABBILDUNG 5.10: ABSICHERUNG DURCH DEN KAUF EINER CALL-OPTION-SPREAD-POSITION ................................................................................... 383 ABBILDUNG 5.11: GEWINN- UND VERLUSTPROFIL EINES LONG BUTTERFLY-SPREADS ........... 386 ABBILDUNG 5.12: GEWINN- UND VERLUSTPROFIL EINES SHORT BUTTERFLY-SPREADS ......... 387 ABBILDUNG 5.13: RÜCKVERSICHERUNGS-LAYERS MIT LONG BUTTERFLY ............................. 388 ABBILDUNG 5.14: ZEITVERZÖGERTE ENTWICKLUNG DER BEKANNTEN SCHADENHÖHE IM VERGLEICH ZU DER TATSÄCHLICHEN SCHADENHÖHE..................................................... 394
ABBILDUNG A.1: SCHÄTZUNG DER SCHADENZAHL................................................................. 421 ABBILDUNG A.2: IDEALTYPISCHE SCHADENHÖHENVERTEILUNG MIT UNIMODALEN DICHTEN 423 ABBILDUNG A.3: DICHTE DER GAMMAVERTEILUNG FÜR VERSCHIEDNE PARAMETERKONSTELLATIONEN ..................................................................................... 425 ABBILDUNG A.4: DICHTE DER LOG-NORMALVERTEILUNG ..................................................... 427 ABBILDUNG A.5: DICHTE DER WEIBULL-VERTEILUNG ........................................................... 429
Tabellenverzeichnis TABELLE 4.1: GESTAFFELTE VERLUSTBETEILIGUNG ............................................................... 246 TABELLE 4.2: GESTAFFELTE BONUSVERZINSUNG ................................................................... 247 TABELLE 4.3: GESTAFFELTE BASISVERZINSUNG ..................................................................... 248 TABELLE 4.4: ALTERNATIVE AUSGESTALTUNGSMERKMALE VON CAT BONDS ....................... 252 TABELLE 4.5: VOR- UND NACHTEILE DES INDEMNITY TRIGGERS............................................ 260 TABELLE 4.6: VOR- UND NACHTEILE MARKTWEITER VERSICHERUNGSSCHÄDEN ALS TRIGGER .................................................................................................................. 262 TABELLE 4.7: VOR- UND NACHTEILE DES MODELLSCHADENTRIGGERS .................................. 263 TABELLE 4.8: VOR- UND NACHTEILE VON REINEN PARAMETRISCHEN TRIGGERN ................... 265 TABELLE 4.9: AUSGESTALTUNG DER BONDS DER RESIDENTAL REINSURANCE LIMITED ......... 280 TABELLE 4.10: ÜBERBLICK ÜBER ALLE HISTORISCHEN STURM- UND HAGELEREIGNISSE ........ 302
TABELLE 5.1: VERGLEICH ZWISCHEN CAT-BONDS, PCS-OPTIONEN UND RÜCKVERSICHERUNG ..................................................................................................... 404
Abkürzungsverzeichnis ADC ART BCOE BOTCC CAPM CAT CATEX CBOT FQS FR GCCI ISO LIBOR LPT MMP MTP NIRP OTC PCS PML RechVersV RMS SL SLT SPR SPV T&D VaR Cat XL XL
Adverse Development Covers Alternativer Risikotransfer Bermuda Commodities Exchange Board of Trade Clearing Corporation Capital Asset Pricing Modell Catastrophe Catastrophe Exchange Chicago Board of Trade Financial Quota Share Finite Risk Guy Carpenter Catastrophe Index Insurance Services Office London Interbank Offered Rate Loss Portfolio Transfer Multiline/Multiyear-Produkte Multi-Trigger-Produkte National Insurance Risk Profile over the counter Property Claim Services Probable Maximum Loss Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen Risk Management Solutions Stop Loss Spread Loss Treaty Special Purpose Reinsurer Special Purpose Vehicle Time and Distance Value at Risk Catastrophe Excess of Loss Excess of Loss
Problemstellung
Die Möglichkeit, einen effektiven Versicherungsschutz zu bekommen, ist ein wesentlicher Faktor, um Wohlfahrt und Wachstum in einer Volkswirtschaft zu gewährleisten.1 Jedoch stellt die zunehmende Anzahl von Katastrophenereignissen (Natur- und Mann-Made-Katastrophen) im letzten Jahrzehnt mit immer neuen Rekordschäden2 die private Versicherungswirtschaft an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Zudem entstehen immer neue Gefahrenquellen (Klimaveränderungen, Globalisierungstendenzen, Terrorgefahr usw.), die nicht vorhersehbare Risiken in sich verbergen und die ein enormes Schadenspotenzial für die Gesellschaft aufweisen. In diesem Zusammenhang stellt sich in zunehmendem Maße die Frage, x ob die Katastrophenrisiken weiterhin von der privaten Versicherungswirtschaft versichert werden können oder x ob der Staat in Wahrnehmung seiner ordnungspolitischen Aufgaben eine gewisse Risikoübernahme bei Katastrophenrisiken betreiben soll. Diese Fragen sind auch der Ausgangspunkt für die folgende Untersuchung, die in fünf Hauptkapitel unterteilt sind. Im ersten Kapitel wird zunächst der Begriff „Katastrophe“ erläutert. Es gibt bisher keine einheitliche Definition, was Katastrophe bedeutet. Katastrophen sind eher sozial konstruierte Ereignisse,3 bei denen gleichzeitig viele Menschen und Sachwerte betroffen sind und ein gemeinsamer Auslöser wahrgenommen wird. Um die Bedeutung des
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Vgl. Gollier, C. (2005), S. 13. Sinn ist der Ansicht, dass die Bereitschaft, mehr Risiken zu tragen, zu einem erhöhten Produktionsniveau führt. Ein effektiver Versicherungsschutz erhöht die Risikobereitschaft der Wirtschaftssubjekte und trägt somit zur Steigerung der Wohlfahrt bei. Vgl. Sinn, H.-W. (1986), S. 558 f. So mussten allein die Sachversicherer weltweit im Jahr 2005 Katastrophenschäden in Höhe von 83 Mrd. USD verkraften. Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 4. Lahnstein bezeichnet Katastrophe als ein „Beobachtungskonstrukt“. Vgl. Lahnstein, C. (2005), S. 34.
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Problemstellung
Versicherungsschutzes herauszuarbeiten, wird die wohlfahrtssteigernde Wirkung der Versicherung im Rahmen eines mikroökonomischen Modells aus Sicht eines repräsentativen Versicherungsnehmers untersucht. Zwei Phänomene „Moral Hazard“ und „Adverse Selection“, mit denen die Versicherungswirtschaft konfrontiert ist und die zu einem Zusammenbruch der Versicherungsmärkte führen können, werden modelltheoretisch analysiert. Die Analyse der Auswirkungen staatlicher Risikoübernahme auf die individuelle Versicherungsnachfrage stellt einen weiteren Untersuchungsschwerpunkt des Kapitels 1 dar. Kapitel 2 ist der Überprüfung der Versicherbarkeit von Risiken gewidmet. Zunächst werden die versicherungstechnischen Risiken aus Sicht eines Versicherungsunternehmens dargestellt und daraufhin Möglichkeiten zum Risikomanagement im Versicherungsunternehmen untersucht. Anschließend werden die Kriterien aufgestellt, die in der Literatur als notwendig für die Versicherbarkeit von Risiken erachtet sind. Anhand dieser Kriterien soll dann überprüft werden, inwiefern Katastrophenrisiken versicherbar sind bzw. welche Versicherbarkeitskriterien bei Katastrophenrisiken verletzt werden könnten. Eine Möglichkeit, die Grenzen der Versicherbarkeit von Risiken zu erweitern, liegt in der staatlichen Risikoübernahme. Ein Beispiel dafür ist die ExtremusAG, die seit 2002 unter staatlicher Beteiligung Versicherungsschutz gegen Terrorismusrisiken anbietet. Die staatliche Risikoübernahme zu nicht risikogerechter Prämie könnte jedoch dazu führen, bestimmte Branchen oder Unternehmen einseitig zu subventionieren und dadurch gegen das europäische Wettbewerbsrecht verstoßen. Eine wettbewerbsrechtliche Überprüfung der staatlichen Risikoübernahme am speziellen Fall der Extremus-AG soll Klarheit in dieser Frage schaffen. Am Schluss des Kapitels 2 soll eine empirische Studie zur Versicherungskapazität von Katastrophenrisiken zeigen, inwiefern die private Versicherungswirtschaft Katastrophenereignisse mit einem Mega-Schaden von 100 Mrd. USD und mehr verkraften kann. Kapitel 3 bis 5 konzentrieren sich auf die Möglichkeiten einer marktwirtschaftlichen Allokation von Risiken. Risikoteilung bzw. Risikotransfer kann dazu beitragen, die Grenzen der Versicherbarkeit wesentlich zu erweitern. Dabei kann entweder auf brancheninterne (Rückversicherung) bzw. auf branchenfremde Kapitalquellen (Katastrophenanleihen oder Versicherungsderivate) zurückgegriffen werden. Kapitel 3 stellt die Grundlagen (Funktionen und Formen) der Rückversicherung dar. Trotz aller Finanzinnovationen zum Risikotransfer ist und bleibt die Rückversicherung die wichtigste Säule im Transfer von Risiken und trägt erheblich dazu bei, die Risiken
Problemstellung
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und v. a. Katastrophenrisiken versicherbar zu machen. Im Kapitel 3 werden Funktionsweise und Techniken sowohl der traditionellen als auch der modernen Ansätze der Rückversicherung eingehend erläutert. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Rückversicherungswirtschaft auf neue Risikoquellen sehr schnell mit innovativen Produkten reagiert hat. Wie in den Kapiteln 1 und 2 wird Kapitel 3 mit einer Zusammenfassung der wichtigen Ergebnisse abgeschlossen. Gegenstand des Kapitels 4 sind die Katastrophenanleihen (englisch: Cat Bonds). Angesichts der sich häufenden Naturkatastrophen mit Rekordschäden und der damit einhergehenden Knappheit der Rückversicherungskapazitäten wurde seit Mitte der neunziger Jahre nach neuen Finanzquellen außerhalb der Versicherungsbranche gesucht. Katastrophenanleihen sind ein innovatives Instrument zum Risikotransfer und damit zur Erweiterung der Versicherbarkeitsgrenzen. Mit diesem Instrument können Katastrophenrisiken direkt auf die Kapitalmärkte transferiert werden. Wenn ein ex ante definiertes Katastrophenereignis eintritt, erhalten die risikotransferierenden Versicherungsunternehmen in der Regel die Zinsen und je nach Vereinbarung einen Teil des eingesetzten Kapitals, um die Versicherungsschäden zu finanzieren. Kapitel 4 befasst sich zunächst mit den Gestaltungsmerkmalen, Einsatzmöglichkeiten und Emissionswegen von Katastrophenanleihen. Anschließend wird die Bewertungsmethodik von Katastrophenanleihen anhand eines Beispiels verdeutlicht. Abschließend erfolgt ein Vergleich der Risikotransfermöglichkeiten via Katastrophenanleihen bzw. Rückversicherung. Ein weiteres innovatives Instrument, mit dem Versicherungsrisiken direkt auf die Kapitalmärkte transferiert werden können, stellen die Versicherungsderivate (bzw. Versicherungsoptionen) dar. Versicherungsderivate sind Optionen, deren Basisobjekte Katastrophen sind. Im Gegensatz zu Optionen auf Aktien oder Anleihen sind Geschäfte mit Versicherungsderivaten von fiktiver Natur, da die Basisobjekte „Katastrophen“ nicht am Markt gehandelt werden können. Kapitel 5 befasst sich zunächst mit der Konzeption von verschiedenen Versicherungsderivaten. Die Bewertungsmethodik von Versicherungsoptionen spielt eine besondere Rolle, da hier die traditionellen Methoden zur Optionsbewertung nur bedingt geeignet sind und eine allgemein anerkannte Bewertungsformel für den Markterfolg essentiell ist. Des Weiteren werden die Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsoptionen diskutiert und Probleme bei der Anwendung erläutert. Die vorliegende Untersuchung wird mit den Schlussbemerkungen abgeschlossen, in denen die wichtigen Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst werden und noch einmal
4
Problemstellung
die wichtige Rolle des Staates beim Risikotransfer im Grenzbereich der Versicherbarkeit hervorgehoben wird.
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
1.1 Einleitung 1.1.1 Der Katastrophenbegriff Das Wort „Katastrophe“ entstammt dem Griechischen und bedeutet sinngemäß Umkehr oder Wendung4 und damit eine Umkehrung der gewohnten Verhältnisse. In diesem Sinne bedeutet Katastrophe ein durch plötzliche Ereignisse auftretendes Missverhältnis zwischen den zur Grundbedarfsbefriedigung erforderlichen Gütern und Dienstleistungen sowie deren Nachfrage. Nach der Definition der UN-DHA (United Nation Department of Humanitarian Affairs) sind Katastrophen Unterbrechungen der Funktionsfähigkeit einer Gesellschaft, die Verlust an Menschenleben, Sachwerten und Umweltgütern verursachen, und die die Fähigkeiten der betroffenen Gesellschaft, aus eigener Kraft damit fertig zu werden, übersteigen.5 Die sozialwissenschaftliche Forschung sieht Katastrophen vor allem als Phänomene schnellen sozialen Wandels und untersucht unter diesem Aspekt Prävention sowie Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft. Was sind Katastrophen? Gibt es dafür eine einheitliche objektive Definition?6 Für einen Einzelnen ist eine Katastrophe, einen ge-
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Vgl. Duden-Bedeutungswörterbuch. Vgl. Hanke, S. (2002), S. 3. In den verschiedenen Katastrophenschutzgesetzen der deutschen Bundesländer hat sich bisher eine einheitliche Begriffsdefinition nicht durchsetzen können. Eine Projektarbeitsgruppe der „Ständigen Konferenz für Katastrophenvorsorge und Katastrophenschutz“ hat folgende Definition vorgeschlagen: „Eine Katastrophe ist ein außergewöhnlich schwerwiegendes und/oder umfangreiches, meist überraschend eintretendes Ereignis, das das Leben und die Gesundheit sehr vieler Menschen und/oder erhebliche Sachwerte und/oder die Lebensgrundlagen einer großen Bevölkerungsgruppe für einen längeren Zeitraum in so erheblichem Maße schädigt oder gefährdet, dass es mit den örtlichen oder regional verfügbaren Kräften und Mitteln alleine nicht zu bewältigen ist.“ Vgl. auch Hanke, S. (2002), S. 3 f.
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Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
liebten Angehörigen zu verlieren. Für manche bedeutet bereits schon der Verlust seines Arbeitsplatzes eine Katastrophe.7 Jeden Tag sterben jedoch Tausende, und Tausende verlieren ihren Arbeitsplatz, ohne dass wir dies als eine soziale Katastrophe empfinden. Der Grund liegt darin, dass die einzelnen Geschehnisse nicht als miteinander verbunden betrachtet werden. Wenn 200 Menschen bei einem Flugzeugunglück sterben, dann wird dies in den Medien als eine Katastrophe deklariert.8 Wenn jedoch die gleiche Anzahl von Menschen pro Woche bei verschiedenen Autounfällen ums Leben kommen, wird dies als gegebene Tatsache hingenommen und nicht als Katastrophe empfunden. 9 Offenbar werden räumlich konzentrierte Verluste an Menschen und Sachwerten intensiver wahrgenommen als räumlich gestreute Verluste.10 Nicht nur der kausale Zusammenhang, sondern auch die zeitliche Perspektive spielt eine Rolle, ob Ereignisse als Katastrophen wahrgenommen werden oder nicht. So werden die Todesfälle, die aufgrund der Ausbreitung des AIDS-Virus entstehen, nicht als Katastrophe betrachtet, wohl aber Todesfälle, die durch einen möglichen terroristischen Anschlag mit Milzbrand-Bakterien entstehen könnten. Der Grund liegt darin, dass einzelne Ereignisse eher dann als miteinander verbunden angesehen werden, wenn sie in einem engen zeitlichen Rahmen auftreten. Katastrophen sind folglich sozial konstruierte Ereignisse11. Ereignisse werden dann zu Katastrophen, x wenn viele Menschen gleichzeitig betroffen werden und x wenn ein gemeinsamer Auslöser wahrgenommen wird. Katastrophen als soziale Ereignisse treten zwar relativ selten auf. Jedoch haben sie sehr hohe Schäden zur Folge. In der versicherungswissenschaftlichen Literatur werden diese Eigenschaften durch die Modellierung über Schadenzahl und Schadenhöhe charakterisiert. Demnach haben Katastrophenrisiken eine geringe Schadenzahl (low frequency) und eine hohe Schadenhöhe (high severity), so dass sie auch als low frequency/high severity-Risiken bezeichnet werden. Katastrophenrisiken sind somit solche Ereignisse, die durch folgende Merkmale charakterisiert sind:
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Vgl. Zeckhauser, R. (1996), S. 114. Die Massenmedien spielen eine wichtige Rolle, welche Schadenereignisse als Katastrophe empfunden werden. Vgl. Lahnstein, C. (2005), S. 34. Katastrophen werden somit nicht über die Anzahl der Todesopfer bzw. die Todesursache definiert. Vgl. Zeckhauser, R. (1996), S. 114. Eine Diskussion über die unterschiedliche Wahrnehmung bezüglich Katastrophenrisiken findet man bei Fischhoff, B. et al. (1981). Vgl. Zeckhauser, R. (1996), S. 114 sowie Lahnstein, C. (2005), S. 5 f.
1.1 Einleitung
7
x unregelmäßiges Erscheinen, x unvorhersehbarer Eintritt sowie x außerordentlich hohe Schadenpotentiale.12
1.1.2 Entwicklung der Katastrophenereignisse Die Anzahl der Katastrophen erfährt seit Ende der sechziger Jahre eine rasante Entwicklung. Während bis zum Jahr 1970 im Durchschnitt etwa 100 Katastrophen pro Jahr eintraten, hat sich nach einer Studie der Schweizer Rückversicherungsgesellschaft zwischen 1970 und 2005 die Anzahl der Katastrophen auf ungefähr 400 pro Jahr vervierfacht13. Die Abbildung 1.1 zeigt den rasanten Anstieg der Anzahl der Katastrophen getrennt nach Naturkatastrophen und Man-made-Katastrophen.
Abbildung 1.1: Anzahl der Katastrophenereignisse; Quelle: Swiss Re (2006 a)
Als Naturkatastrophe gilt dabei ein durch Naturgewalten ausgelöstes Ereignis. In der Regel hat ein derartiges Ereignis viele Einzelschäden zur Folge, welche zahlreiche unterschiedliche Versicherungsverträge und Vertragsparteien betreffen. Das Schadenausmaß einer Katastrophe hängt jedoch nicht allein von der Stärke der Naturgewalten ab, sondern auch von menschlichen Faktoren wie der Bauweise oder der Effizienz des Katastrophenschutzes in der betroffenen Region. Naturkatastrophen werden vor allem
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Vgl. Dong, W., Shah, H. und Wong, F. (1996), S. 201. Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 4 sowie Hanke, S. (2002), S. 4.
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Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
durch Überschwemmung, Sturm, Erdbeben (inkl. Tsunami), Dürre und Buschbrand, Kälte und Frost, Hagel und ähnliche Naturereignisse verursacht.14 Als Man-made- oder technische Katastrophen werden Großereignisse bezeichnet, die im Zusammenhang mit menschlichen Aktivitäten stehen. Betroffen ist meist ein großes Objekt auf eng umgrenztem Raum, das von wenigen Versicherungsverträgen gedeckt ist. Kriege, Bürgerkriege und kriegsähnliche Ereignisse sind ausgeschlossen.15 Die Man-made-Katastrophen werden in folgende Kategorien unterteilt: Großbrände und Explosionen, Luft- und Raumfahrtkatastrophen, Schifffahrtkatastrophen, Bahnkatastrophen (inkl. Seilbahnen), Gruben- und Minenunglücke, Einsturzkatastrophen, diverse Großschäden (inkl. Terrorismus).16
Abbildung 1.2: Anzahl der Todesopfer durch Katastrophe; Quelle: Swiss Re (2006 a)
Dabei stellen die Terrorismusrisiken eine besondere Form von Katastrophenrisiken dar. Obgleich sie ebenfalls wie Natur- oder Man-made-Katastrophen zu hohen Schäden führen können, werden sie nicht wie bei Naturkatastrophen eher zufällig ausgelöst und resultieren ebenfalls nicht wie bei Man-made-Katastrophen eher aus technischem oder menschlichem Versagen her. Auslöser ist hier vorsätzliches menschliches Handeln. Anders als bei Natur- oder Man-made-Katastrophen kann deshalb die Eintrittswahr-
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Vgl. Berge, K. (2005), S. 1. Diese Ereignisse werden in der Versicherungswirtschaft als nicht versicherbar betrachtet, so dass sie bei den meisten Versicherungsverträgen ausdrücklich ausgeschlossen werden. Vgl. Swiss Re (2005 a), S. 36.
1.1 Einleitung
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scheinlichkeit solcher Schäden und damit die Gefahr aus Terrorrisiken (noch) nicht anhand empirischer Daten und Verfahren modelliert werden. Gleichzeitig mit höherer Anzahl der Katastrophenereignisse stiegen aufgrund zunehmender Bevölkerungsdichte und steigenden Vermögenswerten auch die personellen und materiellen Schäden pro Katastrophe an. Abbildung 1.2 zeigt die Entwicklung der Opferzahlen durch Katastrophenereignisse seit 1970 bis heute.17 Für Versicherungen erhöhten sich die Schadensummen nochmals dadurch, dass der Anteil der versicherten Werte an den gesamten Vermögenswerten zugenommen hat. Abbildung 1.3 zeigt den drastischen Anstieg der versicherten Katastrophenschäden.
Abbildung 1.3: Versicherungsschäden durch Katastrophen, Quelle: Swiss Re (2006 a)
Das Jahr 2004 war für die Versicherungswirtschaft angesichts seiner Sachschadenbelastung von 48 Mrd. USD – vor allem wegen der Hurrikans Charley, Frances, Ivan und Jeanne in den USA – ein rekordteures Jahr gewesen. Im Jahr 2005 wurde diese Rekordmarke jedoch bei weitem übertroffen. Die Sachversicherer verzeichneten weltweit Katastrophenschäden von 83 Mrd. USD, was eine neue Größenordnung darstellt.18
17 18
Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 4. Der Gesamtschaden aus Katastrophenereignissen betrug im Jahr 2005 sogar 230 Mrd. USD. Davon gingen mehr als 220 Mrd. USD auf Naturkatastrophen zurück. Als Gesamtschaden gelten alle Schäden (an Gebäuden, Infrastruktur, Fahrzeugen usw.), die dem Naturereignis direkt zurechenbar sind, unabhängig davon, ob diese versichert sind oder nicht. Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 37.
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Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Zum Anstieg trugen in erster Linie die Naturkatastrophen (bis auf das Ausnahmejahr 2001 mit den terroristischen Anschlägen auf das Word Trade Center in New York) bei. Während die Naturkatastrophenbelastung für die Versicherungswirtschaft in den 1970er Jahren bei knapp 3 Mrd. USD pro Jahr lag, stieg sie in der Periode 1987–2003 auf 16 Mrd. USD. In den Jahren 2004 und 2005 schnellte sie auf 45 bzw. 78 Mrd. USD hoch. Dieser Anstieg ist vor allem auf die Sturmschäden (namentlich die Hurrikans Katrina 19 , Ria und Wilma) in Nordamerika und Überschwemmungen in der Schweiz und Deutschland zurückzuführen20. Wie in den Vorjahren sind die versicherten Schäden auf die Industrienationen konzentriert, da hier eine höhere Wertekonzentration sowie eine höhere Versicherungsdichte vorliegt. Abbildung 1.4 zeigt die regionale Verteilung der versicherten Schäden im Jahr 2005.21 Auffallend ist die Tatsache, dass nur 13,6 % der Katastrophenereignisse in Nordamerika stattfanden, der zugehörige Schadenanteil jedoch 87,1 % betrug. Die hohen Versicherungsschäden, v. a. in Nordamerika, sowie die hohen Opferzahlen in Asien resultieren hauptsächlich aus der Exponiertheit der betroffenen Siedlungsgebiete bezüglich Erdbeben, Sturm oder Überschwemmung.22 Hier fehlt es v. a. an baulichen Vorkehrungen gegen die Naturgefahren.
Abbildung 1.4: Regionale Verteilung der versicherten Schäden 2005
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Allein der Hurrikan Katrina verursacht im Jahr 2005 Versicherungsschäden in Höhe von ca. 45 Mrd. USD. Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 6. Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 7. Hier fehlt es v. a. an baulichen Vorkehrungen gegen die Naturgefahren. Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 7.
1.1 Einleitung
11
Abbildung 1.5 zeigt die 40 teuersten Versicherungsschäden durch Katastrophenereignisse.23
Abbildung 1.5: Die 40 teuersten Versicherungsschäden; Quelle: Swiss Re (2006 a)24
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In Abbildung 1.4 sind nur die versicherten Schäden erfasst. Die volkswirtschaftlichen Schäden übertrafen die Versicherungsschäden in der Regel um ein Vielfaches. Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 35.
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Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Vieles deutet darauf hin, dass der Trend zu Milliardenschäden weiter anhalten wird.25 Setzt sich der Trend von Megaschadenereignissen fort, so ist in absehbarer Zeit damit zu rechnen, dass Versicherungsschäden in der Größenordnung von 100 Mrd. USD auftreten können.26 Für den Anstieg der Anzahl von Naturkatastrophen und der dadurch verursachten materiellen und personellen Versicherungsschäden sind folgende Gründe maßgeblich:27 x weltweites Bevölkerungswachstum mit zunehmenden Verstädterungstendenzen,28 x vermehrte Nutzung von hoch exponierten Lagen,29 x zunehmende Wertekonzentration bei hoher Versicherungsdichte,30 x klimatische Veränderungen aufgrund der Erderwärmung.31
Die gezeigten Statistiken legen die Schlussfolgerung nahe, dass die Katastrophenereignisse immer häufiger auftreten und die versicherten Schäden pro Schadenereignis immer größere Ausmaße annehmen. Deshalb werfen Katastrophenereignisse mit den milliardenschweren Versicherungsschäden in zunehmenden Maße die Frage auf, ob die Versicherungswirtschaft weiterhin in der Lage ist, potentielle Mega-Katastrophen aufzufangen und damit den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich gegen die Folgen dieser Ereignisse abzusichern. Diese Frage ist insofern interessant, da Versicherungsschutz als wichtiger Produktionsfaktor 32 und die Versicherungswirtschaft eine
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30 31
32
Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 6. Vgl. Berge, T. (2005), S. 21 f. Vgl. Berge, T. (2005), S. 18. Die Weltbevölkerung hat sich von 2,5 Mrd. im Jahr 1950 auf über 6,2 Mrd. im Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Auch der Anteil der Stadtbevölkerung ist von 30% im Jahr 1950 auf über 50% im Jahr 2000 angestiegen. Vgl. Munich Re (1999), S. 70 f. Ein Beispiel dafür ist die verstärkte Ansiedlung in den klimatisch angenehmen Regionen Florida und Kalifornien, obwohl diese Staaten besonders von Hurrikans bzw. Erdbebengefahr bedroht sind. Diese Gefährdung wird von den dort lebenden Menschen bewusst verdrängt oder billigend in Kauf genommen. Vgl. Munich Re (2001 a), S. 31 f. Vgl. Konrad, K. (1990), S. 1032 sowie O’Connor, P. M. (2005), S. 43. Durch die seit Beginn der Industrialisierung erfolgte Erderwärmung steigt der Meeresspiegel und damit auch die Gefahr von Hurrikans und Überschwemmungen, vgl. Munich Re (1999), S. 104 ff. Vgl. Sinn, H.-W. (1988), S. 15.
1.2 Wohfahrtssteigernde Wirkung der Versicherung
13
Schlüsselbranche33 in der Volkswirtschaft anzusehen ist. In einer gesamtwirtschaftlichen Input-Output-Analyse haben Thomann, Schulenburg. und Lohse herausgefunden, dass der Output-Multiplikator in der Versicherungsbranche mit 2,0316 erheblich höher ist als derjenige der übrigen Wirtschaftsbranchen mit 1,6355.34 Aufgrund dieser Bedeutung der Versicherungsbranche für die gesamte Volkswirtschaft soll zunächst in einem mikroökonomischen Modell überprüft werden, welche Wohlfahrtswirkungen für die einzelnen Individuen von der Versicherung ausgehen, um die Wichtigkeit des Versicherungsschutzes für die gesamte Volkswirtschaft herauszuarbeiten. Anschließend werden Phänomene wie Moral Hazard bzw. Adverse Selection, die zu einem Zusammenbruch der Versicherungsmärkte führen können, eingehend erläutert werden. Des Weiteren soll untersucht werden, welchen Einfluss eine staatliche Grundsicherung auf die Versicherungsnachfrage ausübt.
1.2 Wohfahrtssteigernde Wirkung der Versicherung Grundsätzlich sind mit Versicherungen wohlfahrtssteigernde Wirkungen verbunden: Da mit Versicherungsverträgen Risikolasten stärker zwischen den potentiell Betroffenen verteilt werden können, sind mehr Menschen zu „riskanten“ aber gleichwohl produktiven ökonomischen Aktivitäten bereit, als dies ohne Versicherungen der Fall wäre.35 Versicherungen ermöglichen somit eine produktivere Verwendung von Ressourcen, indem sie die Risiken abmildern können.36 Der Versicherungsschutz führt zwar nicht zu einer Reduktion der vorhandenen Risiken. Jedoch mit ihm steigt die Risikobereitschaft der Individuen. 37 Sinn (1986) vertritt die Meinung, dass die Bereitschaft, mehr Risiken zu tragen, zu einem erhöhten Produktionsniveau und damit zu einem höheren Sozialprodukt führt.38
33 34
35 36
37 38
Vgl. Thomann, C., Schulenburg, J.-M. und Lohse, U. (2005), S. 178. Der Output-Multiplikator von 2,0316 besagt, dass der Output der Volkswirtschaft um 2.031 € steigt, wenn die Versicherungsnachfrage um 1000 € zunimmt. Vgl. Thomann, C., Schulenburg, J.-M. und Lohse, U. (2005), S. 171. Vgl. Sinn, H.-W. (1986), S. 558 f. Zur Bedeutung des Risikos als Produktionsfaktor und zur wohlfahrtssteigernden Wirkung von Versicherungsschutz vgl. Sinn, H.-W. (1986, 1988). Vgl. Thomann, C., Schulenburg, J.-M. und Lohse, U. (2005), S. 158. Vgl. Sinn, H.-W. (1986), S. 558.
14
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
1.2.1 Risikoscheue und Versicherung Da die meisten Menschen als risikoscheu gelten, ermöglichen erst das Vorhandensein von Versicherungsschutz bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten. 39 Einschränkungen des Versicherungsschutzes können manche Investoren dazu veranlassen, geplante Investitionen aufgrund des höheren Risikos nicht mehr durchzuführen. 40 Das Fehlen vom Versicherungsschutz führt in der Regel zu einer Senkung der Investitionen und damit der Beschäftigung und des Wirtschaftswachstums.41 Wenn Versicherungen zur Effizienz in der Volkswirtschaft beitragen, dann kann nach den individuellen Gründen für die Versicherungsnachfrage gefragt werden. Warum ist es für Menschen vorteilhaft, Versicherungsverträge abzuschließen? Menschen besitzen Sicherheitsbedürfnisse, sie sind in der Regel risikoscheu. Für einen risikoaversen Akteur erscheint es vorteilhaft, einen Versicherungsvertrag nachzufragen, wenn mit diesem Vertrag ein großer Nutzenverlust bei Eintritt eines Schadens verhindert werden kann und die Vermeidung dieses potentiellen Nutzenverlustes höher bewertet wird als der tatsächliche Nutzenverlust, der durch die Prämienzahlungen an die Versicherung entsteht. In Abbildung 1.6 ist die Nutzenfunktion eines risikoscheuen Individuums wiedergegeben. Der Nutzen U(v) ist zwar eine stetig steigende Funktion des Vermögens. Jedoch gilt hier das Gesetz von abnehmendem Grenznutzen, d.h. der Nutzenzuwachs durch eine zusätzliche Vermögenseinheit nimmt mit höherem Vermögen stetig ab.42 Das anfängliche Vermögen v1 könnte durch ein Schadenereignis mit Verlust L auf v2 geschmälert werden. Das Schadenereignis könnte mit einer Wahrscheinlichkeit p eintreten. Ist das Individuum risikoneutral, so bewertet es eine risikobehaftete Situation allein nach dem Erwartungswert. In Abbildung 1.6 ist die Risikosituation für p = 0,5 eingezeichnet. Ein risikoneutrales Individuum wäre indifferent zwischen der risikobehafteten Situation (v1 oder v2 mit jeweils 50% Wahrscheinlichkeit) und dem sicheren Vermögen v3,43 d.h.
39 40
41 42 43
Vgl. Nell, M. (2001), S. 1. So wurden nach den terroristischen Anschlägen in New York manche Hochbauprojekte aufgrund infolge des fehlenden Versicherungsschutzes gestoppt. Vgl. Gollier, C. (2005), S. 14. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 226 f. Vgl. Endres, A. und R. Schwarze (1992 a), S. 61.
15
1.2 Wohfahrtssteigernde Wirkung der Versicherung
(1.1)
U(v3) = 0,5 U(v1) + 0,5 U(v2).
U(v) Nutzenfunktion U(v2) U(v3) U(v4)
U(v1)
L Z
0
v2
v4
v3
v1
v
Abbildung 1.6: Risikoscheue und Sicherheitsäquivalent
In Abbildung 1.6 gilt jedoch U(v3) > 0,5 U(v1) + 0,5 U(v2). Dies bedeutet, dass das betroffene Individuum nicht risikoneutral ist. Die unsichere Situation wird mit einem Risikoabschlag bewertet, so dass das Individuum das sichere Vermögen v3 der unsicheren Vermögenskombination {v1, v2} vorzieht, obwohl der Erwartungswert der beiden Vermögenssituationen gleich ist. Dieses Individuum ist jedoch indifferent zwischen der risikobehafteten Situation (v1 oder v2 mit jeweils 50% Wahrscheinlichkeit) und dem sicheren Vermögen v4. Das sichere Vermögen v4 wird als Sicherheitsäquivalent der unsicheren Vermögenssituation {v1, v2} bezeichnet.44 Ein risikoscheues Individuum ist somit bereit, einen Risikozuschlag in Höhe von Z = (v3 – v4) zu zahlen, um eine riskante Situation zu vermeiden und sie durch eine sichere Alternative zu ersetzen.45
44 45
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 233. Vgl. Endres, A. und R. Schwarze (1992 a), S.61.
16
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Das folgende einfache Modell soll dazu dienen, die nutzenerhöhende Wirkung von Versicherungsschutz zu verdeutlichen und die individuelle Versicherungsnachfrage näher zu analysieren.46
1.2.2 Risikobehaftete Vermögenssituation Betrachtet wird ein repräsentatives Individuum mit einem anfänglichen Vermögen in Höhe von va. Dieses Vermögen könnte im Laufe einer bestimmten Periode mit einer Wahrscheinlichkeit von p, z.B. durch ein Schadenereignis wie Stürme oder Erdbeben, beschädigt werden. Der dadurch entstehende Sachschaden betrage L (Loss). Der Schaden kann sich von Null bis va bewegen, es gilt 0 < L < va. Schließt das Individuum keine Versicherung gegen eventuelle Vermögensschäden durch Stürme oder Erdbeben ab, so ergeben sich für seine Vermögensposition am Ende der Periode folgende Möglichkeiten. va 1-p
va p va - L Abbildung 1.7: Zustandsbaum ohne Versicherung
Das Individuum könnte sich durch eine Versicherung vor Sturm- und Erdbebensschäden schützen. Der Versicherer zahle im Schadensfall je nach Versicherungssumme eine Versicherungsleistung in Höhe von I (Indemnity). (1.2)
I = Į L.
I kompensiert ganz oder nur teilweise den Schaden L. Į repräsentiert in Gleichung (1.2) den Deckungsgrad der Versicherung. Bei Į = 1 handelt es sich um einen Vollversicherungsvertrag und bei Į < 1 um einen proportionalen Selbstbeteiligungsvertrag. Um
46
Das hier vorgestellte Modelle basiert auf den theoretischen Arbeiten von Mossin (1968), Pauly (1974), Rothschild und Stiglitz (1974), Shavell (1986) und Kaplow (1991), vgl. auch Eisen und Zweifel (2003) sowie Schulenburg (2005).
17
1.2 Wohfahrtssteigernde Wirkung der Versicherung
diesen Versicherungsschutz zu bekommen, zahle das Individuum eine Versicherungsprämie in Höhe von (1.3)
P=ʌI
mit Erwartungswert
E(I) = p I, wobei ʌ den Prämiensatz bedeute. Um die eigenen Verwaltungskosten zu decken, erhebe das Versicherungsunternehmen einen proportionalen Zuschlag in Höhe von ȕ auf die Nettoprämie. Mit diesem Zuschlag sollen die Abschlusskosten, die Verwaltungskosten sowie die Schadenabwicklungskosten abgedeckt werden. Somit beträgt die Bruttoversicherungsprämie: (1.4)
P = (1 + ȕ) p I
bzw.
ʌ = (1 + ȕ) p. Nach Abschluss des Versicherungsvertrags ergeben sich für das Individuum am Ende der betrachteten Periode je nach dem, ob ein Schaden eingetreten ist oder nicht, folgende mögliche Vermögenspositionen.47
va – ʌ I 1-p
va p va – L – ʌ I + I Abbildung 1.8: Zustandsbaum mit Versicherung
47
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 263 f.
18
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
1.2.3 Der optimale Versicherungsschutz Es stellt sich nun die Frage, in welchem Umfang das Individuum Versicherungsschutz nachfragen soll. Das Individuum wählt den Umfang Į des Versicherungsschutzes derart, dass sein erwarteter Nutzen maximiert wird,48 d.h.:49 (1.5)
max. E(U(v)) = (1 – p) U(v1) + p U(v2)
mit
v1 = va – ʌ I = va – (1 + ȕ) p I v2 = va – L – ʌ I + I = va – L – (1 + ȕ) p I + I. Erläuterungen: v1:
Vermögenssituation am Ende der Periode, wenn kein Schaden eingetreten ist
v 2:
Vermögenssituation am Ende der Periode im Schadenfall
I:
vereinbarte Versicherungsleistung mit I = Į L
P:
Versicherungsprämie mit P = (1 + ȕ) p I
L:
Schadenhöhe
Į:
Deckungsgrad
p:
Schadenwahrscheinlichkeit
ȕ:
Kostenzuschlag
Das Individuum maximiert somit die folgende Erwartungsnutzenfunktion:50 (1.6) max. E(U(v)) = (1 – p) U(va – (1 + ȕ) p Į L) + p U(va – L – (1 + ȕ) p Į L + Į L)
48
49 50
Dieser in der versicherungswissenschaftlichen Literatur etablierte mikroökonomische Ansatz der Versicherungsnachfrage wird neuerdings von manchen Autoren mit der Begründung angezweifelt, dass die Versicherungsnachfrage nicht nur aus dem Nutzenmaximierungskalkül resultiert, sondern vielleicht weil es gesellschaftlich geboten ist, eine bestimmte Versicherung zu haben oder nicht zu haben, vgl. Dorfman, M. S. und Tippins, S. C. (2006), S. 66 ff. Diese Bedenken könnte man entschärfen, dass in Nutzenfunktion nicht nur monetäre Größen sondern auch das gesellschaftliche Ansehen einfließt. Dies würde die Nutzenfunktion in unserem Modell um eine dritte Variable erweitern. An den grundsätzlichen ceteris-paribus-Aussagen des Modells ändert diese Erweiterung aber nichts. Vgl. z.B. Rothschild, M. und J. Stiglitz (1974), S. 630 f. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 265.
19
1.2 Wohfahrtssteigernde Wirkung der Versicherung
Die notwendige Bedingung für ein Maximum erhält man durch Ableitung des erwarteten Nutzens gemäß (1.6) nach Į: – (1 – p) U´(v1) (1 + ȕ) p L + p U´(v2) (L – (1 + ȕ) p L) = 0 bzw. p U´(v2) (L – (1 + ȕ) p L) = (1 – p) U´(v1) (1 + ȕ) p L (1.7)
bzw.
U´(v 2 ) 1 p E pE = 1 p pE U´(v1 )
Aus der obigen Bedingung können wir die folgende Schlussfolgerung ziehen: x Ist der Kostenzuschlag ȕ = 0, dann ist
(1.8)
1 p E pE =1 1 p pE
, d.h.
U´(v 2 ) =1 U´(v1 )
bzw.
v2 = v1.
In diesem Fall ist die Vermögenssituation des Individuums am Ende der Periode unabhängig davon, ob während der Periode ein Schaden eingetreten ist oder nicht. Dies kann nur erreicht werden, wenn das Individuum einen Vollversicherungsvertrag abgeschlossen hat, d.h. Į = 1 bzw. I = L. Folgerung 1.1: Ist der Kostenzuschlag gleich Null, d.h. verlangt der Versicherer eine Prämie, die genau dem Erwartungswert der Schadenzahlung entspricht (faire Prämie), so ist es optimal für den Versicherten, den vollen Versicherungsschutz zu wählen.51
x Ist dagegen der Kostenzuschlag ȕ größer als Null, dann folgt aus (1.7) die Beziehung: 1 p E pE >1 1 p pE
51
,d.h.
Vgl. Smith, V. L. (1968), S. 70 sowie Kim, B. J. und Schlesinger, H. (2005), S. 62.
20
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
(1.9)
U´(v 2 ) >1 U´(v1 )
bzw.
v2 < v1.52
Folgerung 1.2: Ist der Kostenzuschlag größer Null, d.h. verlangt der Versicherer mehr als den Erwartungswert der Versicherungsleistung, so ist es optimal für den Versicherten, sich nicht voll zu versichern.53 Wie hoch der Deckungsgrad in diesem Fall ist, hängt von der individuellen Nutzenfunktion U, der Schadenwahrscheinlichkeit p sowie von der Höhe des proportionalen Zuschlags ȕ ab. Grundsätzlich kann gesagt werden: je größer der proportionale Kostenzuschlag ȕ ist, desto geringer ist der Deckungsgrad Į.
1.2.4 Herleitung der Versicherungsgeraden In der folgenden Graphik (Abbildung 1.9) sollen die durch Versicherung mit unterschiedlichem Deckungsgrad erreichbaren Vermögenspositionen am Ende der Periode graphisch hergeleitet werden. Je nach dem, ob das Individuum einen Versicherungsvertrag abgeschlossen hat, sind folgende Vermögenspositionen am Ende der Periode möglich.54 ¾ Schließt das Individuum keinen Versicherungsvertrag (Į = 0) ab, so befindet sich seine Vermögensposition am Ende der Periode im Punkt A. Entweder ist kein Schaden eingetreten, so hat das Individuum sein Anfangsvermögen v1 = va wieder, oder ist ein Schaden eingetreten, so dass sein Anfangsvermögen auf v2 = va – L sinkt. ¾ Wählt das Individuum dagegen die Vollversicherung (Į = 1), so beträgt seine Vermögenssituation am Ende der Periode v1 = v2 = va – P mit P = ʌ I, unabhängig davon, ob ein Schaden in der Periode eingetreten ist oder nicht. Dies wird im Punkt B verdeutlicht. Der Punkt B liegt auf der Winkelhalbierenden, die auch als Sicherheitslinie (bzw. Sicherheitsgerade) bezeichnet wird.
52
53 54
Letzte Beziehung in (1.9) folgt aus der annahmegemäß negativen Steigung der ersten Ableitung der Nutzenfunktion (konkaver Verlauf der Nutzenfunktion aufgrund der Risikoaversion!), vgl. Abbildung 1.6. Vgl. Smith, V. L. (1968), S. 70 f. sowie Schulenburg, J.-M. (2005), S. 273. Vgl. Rothschild, M. und J. Stiglitz (1976), S. 633.
21
1.2 Wohfahrtssteigernde Wirkung der Versicherung
v2
v1 = v2
va
L
B
va - L
A
P va - P
va
v1
Abbildung 1.9: Versicherungsgerade
Neben der Voll- und Nichtversicherung (Į = 1 bzw. Į = 0) sind auch andere Deckungsgrade von Į zwischen Null und Eins denkbar. Für den Fall der Proportionalität von Prämie und Deckungsgrad ergibt sich als geometrischer Ort aller möglichen Vermögenspositionen am Ende der Periode die Verbindungslinie AB. Die Gleichung für den geometrischen Ort aller durch Versicherung erreichbaren Vermögenspositionen kann wie folgt hergeleitet werden. Die Punkte A und B haben die Koordinaten A(va, va – L) bzw. B(va – P, va – P), wobei P = ʌ I = ʌ L, da im Punkt B Vollversicherung gewählt wird, so dass I = L gilt. Setzt man die Koordinaten von A und B in die allgemeine Geradengleichung v 2 = m v1 + t ein, so erhält man nach einigen Umformungen für die Steigung der Versicherungsgeraden55 (1.10)
55
m=–
1 S . S
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 270.
22
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Die Steigung der Versicherungsgeraden, auch Grenzrate der Transformation genannt, gibt an, in welchem Verhältnis das Vermögen im Schadensfall (v2) durch Abschluss eines Versicherungsvertrags bei gleichzeitiger Verminderung des Vermögens im Nichtschadensfall (v1) erhöht werden kann. Entspricht der Zuschlagsfaktor ʌ genau der Schadenwahrscheinlichkeit p (= faire Prämie), so folgt aus (1.10) für die Steigung der Versicherungsgeraden: (1.11)
m=–
1 p . p
Ob und in welchem Umfang Versicherung nachgefragt wird, hängt insbesondere von den Präferenzen des Individuums ab. Nach dem Erwartungsnutzentheorem wird sich ein Individuum unter Unsicherheit so entscheiden, dass sein Erwartungsnutzen maximiert wird, d.h. (1.12)
max. E(U(v)) = (1 – p) U(v1) + p U(v2)
Die Präferenzordnung eines Individuums lässt sich durch eine Schar von Indifferenzkurven darstellen. Indifferenzkurve ist der geometrische Ort aller v1-v2-Kombinationen gleichen Erwartungsnutzens. Durch totales Differenzieren der Erwartungsnutzenfunktion (1.12) erhält man: (1.13)
dE(U(v)) = (1 – p) U´(v1) dv1 + p U(v2) dv2.
Entlang der Indifferenzkurve ändert sich der Erwartungsnutzen nicht, so dass dE(U(v)) = 0. Damit folgt aus (1.13): (1 – p) U´(v1) dv1 + p U´(v2) dv2 = 0 (1.14)
bzw.
dv 2 1 p U´(v1 ) =– dv1 p U´(v 2 )
dv 2 wird auch als Grenzrate der Transformation 56 bezeichnet. Die Grenzrate der dv1
Transformation gibt an, wie hoch der Vermögensbetrag für ein Individuum sein muss, den es im Schadensfall als Kompensation für den Verzicht einer Vermögenseinheit für die Zahlung der Prämie bekommt. Graphisch entspricht die Grenzrate der Substitution
56
Vgl. Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 86 sowie Schulenburg, J.-M. (2005), S. 270.
23
1.2 Wohfahrtssteigernde Wirkung der Versicherung
der Steigung der Indifferenzkurve. Je weiter eine Indifferenzkurve vom Ursprung entfernt ist, desto höher ist das damit verbundene Nutzenniveau. Entlang der Sicherheitslinie mit v1 = v2 beträgt die Steigung der Indifferenzkurve laut (1.14)
dv 2 1 p =– (vgl. Abbildung 1.10). Aufgrund des konvexen Kurvenverlaufs dv1 p
der Indifferenzkurven ist die Steigung der Indifferenzkurve unterhalb der Winkelhalbierenden betragsmäßig kleiner als
1 p . Dieses Ergebnis ist wichtig für die Herleip
tung des Versicherungsoptimums.
v2
v1 = v2
tan ȕ <
1 p p
ȕ
tanĮ =
Į
1 p p
Į
v1 Abbildung 1.10: Steigung der Indifferenzkurven
1.2.5 Versicherungsoptimum als Nutzenoptimum Aus den Indifferenzkurven und den durch die Versicherungsgerade gegebenen Versicherungsmöglichkeiten lässt sich graphische das gesuchte Versicherungsoptimum herleiten. Das Individuum maximiert seinen Nutzen, indem es die Indifferenzkurve so weit nach außen verschiebt, dass noch ein gemeinsamer Punkt zwischen der Indifferenzkurve und der Versicherungsgeraden existiert.
24
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Das Versicherungsoptimum liegt somit im Tangentialpunkt zwischen der Indifferenzkurve und der Versicherungsgeraden. Im Tangentialpunkt müssen die beiden Steigungen übereinstimmen. Es gilt also die optimale Bedingung: (1.15)
–
1 p U´(v1 ) 1 S =– p U´(v 2 ) S
(Steigung der Indifferenzkurve = Steigung der Versicherungsgeraden)
Fall 1: Wird von dem Versicherer eine faire Prämie erhoben,57 d.h. p = ʌ, folgt aus der obigen optimalen Bedingung (1.15), dass U’(v1) = U’(v2) bzw. v1 = v2, d.h. das Vermögen ist unabhängig davon, ob ein Schadenereignis eingetreten ist oder nicht.
v2
v1 = v2
va
L
B
A
va - L
P va - P
va
v1
Abbildung 1.11: Versicherungsoptimum bei fairer Prämie
Dies trifft nur zu, wenn das Individuum den vollen Versicherungsschutz wählt. Dieser Sachverhalt wird in Abbildung 1.11 graphisch verdeutlicht.58 Im Punkt B auf der Sicherheitsgeraden tangieren sich die Indifferenzkurve und die Versicherungsgerade. 57
Eine faire Versicherungsprämie stellt sich dann ein, wenn auf dem Versicherungsmarkt freier Markteintritt und vollkommener Wettbewerb herrschen. Vgl. Rothschild, M. und J. Stiglitz (1976), S. 634.
25
1.2 Wohfahrtssteigernde Wirkung der Versicherung
Fall 2: Wird von dem Versicherer zu Deckung seiner Betriebs- und Vertriebskosten ein proportionaler Zuschlag ȕ erhoben, d.h. der Prämiensatz betrage ʌ = (1 + ȕ) p und ist damit größer als die Schadenwahrscheinlichkeit p, so gilt in diesem Fall ʌ>p 1–ʌ<1–p 1 S 1 p 1 p < < . S S p
(1.16)
Dies impliziert, dass die Steigung der Versicherungsgeraden (absolut) kleiner als die Steigung der Indifferenzkurven bei v1 = v2 ist. Dies folgt aus (1.10) und (1.14) zusammen mit (1.16) Damit die Bedingung für das Versicherungsoptimum gemäß (1.15) erfüllt wird, muss das Versicherungsoptimum in diesem Fall unterhalb der Sicherheitsgeraden liegen. Folglich ist der optimale Deckungsgrad kleiner als 1 (vgl. hierzu Abbildung 1.12).
v2
v1 = v2
a
v
L B va - L
proportionaler Kostenzuschlag
T A
va
v1
Abbildung 1.12: Versicherungsoptimum bei proportionalem Kostenzuschlag
58
Vgl. Rothschild, M. und J. Stiglitz (1976), S. 633.
26
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Das Individuum wünscht in diesem Fall keinen vollen Versicherungsschutz. Im Tangentialpunkt T in der Abbildung 1.11 sind die Steigungen der Versicherungsgeraden und der Indifferenzkurve gemäß (1.15) gleich, d.h. –
(1.17)
1 p U´(v1 ) 1 S =– p U´(v 2 ) S
bzw.
U´(v1 ) 1 S 1 p = / U´(v 2 ) S p
Mit (1.16) folgt aus (1.17) die Beziehung: (1.18)
U´(v1 ) < 1, d.h. U´(v 2 )
U’(v1) < U’(v2)
bzw.
v1 > v2
Wir halten fest: Übersteigt die Prämie den Erwartungsschaden, so ist es nicht nutzenoptimal, den vollen Versicherungsschutz nachzufragen.59 Die Erhebung eines proportionalen Zuschlages bewirkt in der obigen Abbildung 1.12 eine Drehung der Versicherungsgeraden nach unten.60 Im neuen Versicherungsoptimum T wird kein voller Versicherungsschutz nachgefragt. Punkt T liegt folglich auch nicht auf der Sicherheitsgeraden.
Fall 3: Um die Betriebskosten und den Sicherheitszuschlag zu finanzieren, könnte das Versicherungsunternehmen auch einen fixen Zuschlag Z zu der fairen Prämie erheben. Das heißt, in diesem Fall wird das Individuum den vollen Versicherungsschutz nachfragen. Die Erhebung des fixen Zuschlags bewirkt graphisch gesehen eine Parallelverschiebung der Versicherungsgeraden nach unten (vgl. Abbildung 1.13). Die Steigung der Versicherungsgeraden und die der Indifferenzkurven ändern sich nicht, so dass nach wie vor die volle Schutzdeckung nachgefragt wird.
59 60
Vgl. Smith, V. L. (1968), S. 70 f. sowie Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 92. Vgl. Jagob, J. G. (2004), S. 21.
27
1.2 Wohfahrtssteigernde Wirkung der Versicherung
v2
v1 = v2
va
L B fixer Zuschlag
va - L
A
va
v1
Abbildung 1.13: Versicherungsoptimum bei fixem Kostenzuschlag
Es kann auch der Fall eintreten, dass der fixe Zuschlag so hoch ausfällt, dass das Individuum ganz auf Versicherungsschutz verzichtet. Bei fixen Zuschlägen ist es für den Versicherungsnehmer entweder optimal, sich voll zu versichern oder sich gar nicht zu versichern.61 Der in Abbildung 1.14 gezeigte fixe Zuschlag ist der maximale Betrag, den die Versicherer verlangen können, ohne dass die Versicherungsnachfrage zusammenbricht.62 Bei einem noch höheren fixen Zuschlag würde sich das Individuum auf einer niedrigeren Indifferenzkurve wieder befinden, wenn es einen Versicherungsvertrag abschließt, so dass es vollständig auf Versicherungsschutz verzichtet.
61 62
Vgl. Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 95. Vgl. auch Mossin, J. (1968), S. 554 f.
28
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
v2
v1 = v2
va
L B maximaler
va - L
A fixer Zuschlag
va
v1
Abbildung 1.14: Maximaler fixer Kostenzuschlag
Somit kann festgehalten werden: Entweder ist der fixe Zuschlag so hoch, dass lieber kein Versicherungsschutz gekauft wird (Į = 0). Der Zuschlag wird von den Versicherungsnehmern als Einstiegsbarriere empfunden. Es handelt sich hier um eine Randlösung. Oder aber der fixe Zuschlag ist so gering, dass sich das Individuum entscheidet, Versicherungsschutz zu kaufen. In diesem Fall muss der Zuschlag in voller Höhe bezahlt werden, egal wie viel Versicherungsschutz gekauft wird. Der Zuschlag stellt aus der Sicht des Versicherungsnehmers sog. „Sunk Costs“ dar, die bei der Nutzenoptimierung keine Rolle spielen, da der Zuschlag für alle Deckungsgrade Į > 0 (innere Lösung) immer anfällt. In Praxis wird oft eine Kombination aus beiden Zuschlägen (proportional + fix) als Kostenaufschlag verlangt. Bei dieser Form des Kostenaufschlags kann aus den obigen Ausführungen das folgende Ergebnis hergeleitet werden: Wenn überhaupt Versicherungsschutz nachgefragt wird, ist es nicht nutzenoptimal, den vollen Versicherungsschutz zu kaufen.63
63
Vgl. Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 93.
1.2 Wohfahrtssteigernde Wirkung der Versicherung
29
1.2.6 Versicherungsangebot und Gleichgewicht auf dem Versicherungsmarkt In diesem Abschnitt betrachten wir das Versicherungsgeschäft aus Sicht des Versicherers. Es stellt sich die Frage, warum die Übernahme von Risiken für den Anbieter von Versicherungsverträgen vorteilhaft sein kann. Zu bedenken ist der Umstand, dass die Versicherer selbst auch risikoscheu eingestellt sind.64 Wenn Versicherer und Versicherten die gleiche Risikoscheue besitzen, dürfte es nicht zu einem Austausch von Risiken gegen Prämien kommen. In der Realität gibt es aber einen Versicherungsmarkt. Warum sind Versicherer dann bereit, Risiken gegen Zahlung einer Prämie aufzunehmen? Der Grund liegt darin, dass bei Abschluss vieler Versicherungsverträge mit gleichartigen Risiken die entsprechenden Risiken pro Periode in der Regel nur bei einer kleinen Anzahl der Versicherten tatsächlich eintreten werden und mit einer zunehmenden Anzahl von Verträgen sich der gesamte Schaden pro Versicherten immer zuverlässiger einschätzen lässt. Dadurch verringert sich das Risiko.65 Für ein einzelnes, risikoaverses Individuum ist es relativ unsicher, ob in einer Periode ein Schaden entsteht; aber wenn ein Schaden eintritt, ist dieser im Vergleich zu seinem Vermögen relativ hoch. Für ein Kollektiv mit gleichartigen Risiken kann der Schaden pro Periode hingegen mit einer relativ großen Sicherheit berechnet werden.66 Der Versicherer übernimmt von dem Versicherungsnachfrager ein geringeres Risiko, als dieser abgibt.67 Durch den Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit wird bereits ein großer Teil des Risikos durch den Risikotransfer vom Versicherten zum Versicherer vernichtet.68
64
65
66
67
68
In der Literatur wird häufig angenommen, dass die Versicherer risikoneutral sind., vgl. z.B. Rothschild, M. und Stiglitz, J. (1976), S. 631. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wieso dies sein sollte. Versicherer sind genauso risikoscheu wie die allgemeine Bevölkerung. Warum sie bereit sind, trotz der risikoscheuen Einstellung Risiken auf sich zu nehmen, werden wir im Folgenden mit versicherungsmathematischen Argumenten begründen. Schulenburg spricht in diesem Zusammenhang von einem „Risikopoolungseffekt“. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 276. Auf die Technik der mathematischen Risikomodellierung sowie der Grenzen bei Großschadenereignissen wird später im Anhang ausführlich eingegangen. In diesem Zusammenhang ist die wahre Produktion der Versicherungswirtschaft zu sehen, nämlich die Reduktion der Risiken durch Risikoverdichtung. Vgl. Freeman, P. K. und Scott, K. (2005), S. 193 f. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 277.
30
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Nach diesem Gesetz der großen Zahlen kann sich das Kollektiv der Versichertengemeinschaft relativ indifferent gegenüber dem pro Periode entstehenden Schaden einerseits und den pro Periode erhaltenen sicheren Prämieneinnahmen andererseits verhalten.69 Die Risiken können in einem Kollektiv folglich nach dem Erwartungswert eines Schadens (= Eintrittswahrscheinlichkeit mal Schadenpotenzial) kalkuliert werden. Eine Versichertengemeinschaft kann sich deshalb im Gegensatz zu einem Individuum risikoneutral verhalten.70 Die Darstellung der Angebotsseite des Versicherungsmarkts erfolgt im Prinzip analog zu der der Nachfrageseite. Versicherungsunternehmen haben eine finanzielle Eigenausstattung (Anfangsausstattung) und sind je nach ihrer Risikoneigung im unterschiedlichen Maße bereit, Risiken zu übernehmen. Die Bedeutung als Versicherer ergibt sich v. a. aus dem Risikoausgleich im Kollektiv, der beim Zusammenschluss mehrerer Einzelrisiken zu einer Verringerung des Gesamtrisikos führt. Da auch Versicherungsunternehmen risikoscheu sind, sind sie nur dann bereit, Risiken zu übernehmen, wenn ihnen eine Risikoprämie vom Markt angeboten wird, welche die Realisation eines Gewinns erwarten lässt. Es wird angenommen, dass die Ausgangssituation eines repräsentativen Versicherungsnehmers durch den Punkt A und das abgebildete Indifferenzkurvensystem in Abbildung 1.15 beschrieben wird. Für das Versicherungsunternehmen können wir eine ähnliche Graphik wie Abbildung 1.15 zeichnen. Es hat in der Ausgangssituation A ein bestimmtes Risikoprofil. Aus der Annahme, dass das Versicherungsunternehmen selbst auch risikoscheu ist, folgt, dass die Indifferenzkurven des Versicherungsanbieters auch einen konvexen Kurvenverlauf haben.71
69
70 71
Mit Hilfe des Gesetzes der Großen Zahlen gelingt es dem Versicherer, die Schadenentwicklung innerhalb eines engen Bereichs vorherzusagen. Vgl. Vaughan, E. J. und Vaughan, T. (2003), S. 34 f. Vgl. Endres, A. und R. Schwarze (1992 a), S. 62. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 278.
31
1.2 Wohfahrtssteigernde Wirkung der Versicherung
v2
A
v1 Abbildung 1.15: Risikosituation des Versicherungsnehmers
Dreht man nach der Methode von Edgeworth die Graphik des Versicherungsunternehmens um 180º und setzt sie auf die des Versicherungsnehmers auf, so entsteht die sog. Edgeworth-Box, deren Seitenlänge die Summe der Vermögen beider Marktteilnehmer in der Ausgangslage ist (vgl. Abbildung 1.16). 72 Optimal ist ein Versicherungsvertrag, der zu einem Pareto-Optimum führt, d.h. keine Partei kann sich verbessern, ohne dass die andere Seite Nutzenverluste erleiden muss. Dieser Tausch findet zu Marktpreisen (
1 S = Steigung der Versicherungsgeraden) statt. S
In dem schraffierten Bereich in der Abbildung 1.16 ist eine Pareto-Verbesserung gegenüber der Ausgangssituation A möglich. Welcher Punkt aus diesem Bereich realisiert wird, hängt von der Marktsituation und dem Verhandlungsgeschick der Marktteilnehmer ab. Die Steigung Versicherungsgerade gibt einen Hinweis das Niveau der Versicherungsprämien: je flacher die Versicherungsgerade ist, desto höher ist die damit verbundene Versicherungsprämie. Es ist anzunehmen, dass in den Hard-Market-
72
Die Breite der Edgeworth-Box entspricht dann der Summe der Vermögen beider Marktteilnehmer in der Ausgangslage abzüglich des möglichen Schadens.
32
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Phasen73 die Versicherungsgerade relativ flach verläuft. Abbildung 1.16 zeigt exemplarisch eine mögliche Versicherungsgerade. Im Punkt B tangieren sich die Indifferenzkurven des Versicherungsnehmers und des Versicherungsunternehmens. Eine Pareto-Verbesserung ist im Tangentialpunkt nicht mehr möglich.
v2
Versicherungsunternehmen
B
A Versicherungsgerade Versicherungsnehmer
v1 Abbildung 1.16: Versicherungsgleichgewicht
Diese Form der Darstellung zeigt, dass die Abgabe und die Übernahme von Risiken zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Auch für einen risikoaversen Entscheidungsträger kann es durchaus rational sein, zusätzliche Risiken freiwillig zu übernehmen, da der Markt die Übernahme des Risikos über die Prämie belohnt. Der Versicherer erhält für die Risikoübernahme eine Prämie, die höher ist als der erwartete Schaden. Das Versicherungsunternehmen erzielt einen Gewinn, wenn der Zuschlag i. H. v. ȕ·Į·p·L größer ist als die Kosten K. Der erwartete positive Gewinn E(G) = ȕ·Į·p·L – K rechtfertigt die Übernahme von zusätzlichem Risiko. Die Konkurrenz zwischen den Versicherern führt dazu, dass der Zuschlagsfaktor ȕ tendenziell so weit absinkt, dass von den Versicherungsunternehmen nur noch die auf
73
Die Hard-Market-Phasen treten meist nach einer Häufung von Großschadenereignissen auf, wenn die Versicherungskapazitäten knapp werden.
33
1.3 Moral Hazard und Marktversagen
dem Markt üblichen Gewinne für das eingesetzte Kapital erzielt werden können.74 Mit sinkendem Zuschlagsfaktor ȕ steigt die Versicherungsnachfrage, da höhere Deckungsgrade nachgefragt werden. Eine Intensivierung des Wettbewerbs führt somit zu einer Erhöhung des Versicherungsumfangs. Die Qualität des Versicherungsschutzes mag hingegen sinken, da die erwarteten Gewinne der Versicherungsanbieter schrumpfen und die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz einzelner Anbieter steigt.
1.3 Moral Hazard und Marktversagen 1.3.1 Definition In Bezug auf Versicherungsmärkte wird von Moral Hazard gesprochen, wenn das Individuum, weil es versichert ist, eigene Maßnahmen zur Reduzierung seines Risikos vernachlässigt. 75 Arrow (1970) bezeichnet Moral Hazard als die Tatsache, dass der Versicherungsvertrag selbst die Anreize und damit die Schadenwahrscheinlichkeit ändert, auf deren Basis der Versicherungsvertrag zustande kommt.76 Moral Hazard kann im Allgemeinen mit „Gefahr der Verhaltensänderung“ übersetzt werden und liegt vor, wenn jemand sein Verhalten ändert, weil er Versicherungsschutz genießt und hierdurch entweder seine Schadenwahrscheinlichkeiten (risikoerhöhendes Moral Hazard) oder die potentiellen Schäden (mengenerhöhendes Moral Hazard) steigen.77 Moral Hazard
74 75 76 77
risikoerhöhendes
mengenerhöhendes
Moral Hazard
Moral Hazard
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 280. Vgl. Strassl, W. (1988), S. 4. Vgl. Arrow, K. J. (1970), S. 142. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 282.
34
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Wesentlich für Moral Hazard ist die asymmetrische Informationsverteilung. Nach Abschluss des Versicherungsvertrags ändert der Versicherte sein Verhalten derart, dass seine Schadenwahrscheinlichkeit steigt (z. B. Unterlassung von Schadenverhütungsund –begrenzungs-maßnahmen). Der Versicherer kann diese Verhaltensänderung jedoch nicht beobachten. Moral Hazard kann im Extremfall dazu führen, dass Risiken unversicherbar sind. Der Tatsache, dass die Schadenwahrscheinlichkeit p bzw. die Schadenhöhe L nicht mehr exogen gegeben, sondern durch das Individuum beeinflussbar sind, wird im analytischen Rahmen durch die Einführung von Schadenverhütungsmaßnahmen e und Schadenverhütungsgütern g Rechnung getragen. x Schadenverhütungsmaßnahmen umfassen alle Aktivitäten, welche die Schadenwahrscheinlichkeit oder die Schadenhöhe reduzierten. x Schadenverhütungsgüter sind Güter, die eigens dafür bereitgestellt werden, die Schadenwahrscheinlichkeit oder die Schadenhöhe zu senken. Schadenverhütungsmaßnahmen e können sowohl die Schadenwahrscheinlichkeit p als auch die Schadenhöhe L beeinflussen. Im folgenden gehen wir davon aus, dass p und L von e abhängig sind, d.h. p = p(e) mit p´(e) < 0 und p´´(e) > 0
bzw.
L = L(e) mit L´(e) < 0 und L´´(e) > 0. Eine Verhaltensänderung des Versicherungsnehmers, die die Schadenwahrscheinlichkeit p(e) beeinflusst, wird als risikoerhöhendes Moral Hazard und eine Verhaltensänderung, die die Schadenhöhe L(e) beeinflusst, wird als mengenerhöhendes Moral Hazard bezeichnet. Die Schadenverhütungsmaßnahmen e lassen sich durch eine Erweiterung der Nutzenfunktion in Form von U(v, e) modellieren. Da die Schadenverhütungsmaßnahmen zu Kosten und damit zur Verminderung des Anfangsvermögens va führen, wird im Folgenden von der Nutzenfunktion (1.19)
U(v, e) = U(va) – c(e)
35
1.3 Moral Hazard und Marktversagen
ausgegangen, wobei c(e) die Kosten für die Durchführung der Schadenverhütungsmaßnahmen darstellt.78
1.3.2 Risikoerhöhendes Moral Hazard Beim Vorliegen vom Risiko erhöhendem Moral Hazard hängt die Schadenwahrscheinlichkeit vom Umfang der Schadenverhütungsmaßnahmen ab, d.h. p = p(e). Gehen wir von der obigen Nutzenfunktion aus, so maximiert das Individuum die folgende Erwartungsnutzenfunktion:79 (1.20)
max. E(U(v)) = (1 – p(e)) (U(va – Į ʌ L) – c(e)) + + p(e) (U(va – L –Į ʌ L + Į L) – c(e))
Das Individuum bestimmt den Umfang des Versicherungsschutzes Į derart, dass sein Erwartungsnutzen gemäß (1.20) optimal wird. Die notwendige Bedingung für ein Maximum lautet:
(1.21)
– (1 – p(e)) U´(v1) ʌ L + p(e) U´(v2) (L – ʌ L) = 0
bzw.
p(e) U´(v2) (L – ʌ L) = (1 – p(e)) U´(v1) ʌ L
bzw.
p(e) L U´(v2) (1 – ʌ) = (1 – p(e)) U´(v1) ʌ L
bzw.
U´(v 2 ) (1 p(e))S = . U´(v1 ) p(e)(1 S)
Unter der Annahme, dass der Versicherer risikoneutral ist und keine Verwaltungskosten hat sowie die Schadenwahrscheinlichkeit p(e) beobachtbar ist, wird der Versicherer den Prämiensatz ʌ gleich p(e) setzen. Damit folgt aus der optimalen Bedingung (1.21): (1.22)
U´(v 2 ) =1 U´(v1 )
bzw.
v1 = v2.
In diesem Fall ist also Vollversicherung nutzenoptimal.80 Auch wenn der Versicherungsnehmer durch Schadensverhütungsmaßnahmen einen Einfluss auf die Schadenwahrscheinlichkeit hat und damit einen externen Effekt auf den Versicherer ausübt, 78 79 80
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 285. Vgl. Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 298 sowie Pauly, M. V. (1974), S. 47. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 285.
36
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
kommt es nicht zu einer suboptimalen Allokation der Risiken im Marktgleichgewicht, wenn der Versicherer diesen Einfluss beobachten kann und die Versicherungsprämie entsprechend anpasst. Der externe Effekt wird durch die Festsetzung der Prämie ʌ = p(e) internalisiert. Das Problem des Moral Hazard entsteht erst, wenn der Umfang der Schadenverhütungsmaßnahmen und die damit verbundene Schadenwahrscheinlichkeit p(e) nicht beobachtbar sind und somit asymmetrische Informationsverteilung zwischen Versicherten und Versicherer vorliegt. Der Prämiensatz ʌ kann aufgrund der fehlenden Information seitens des Versicherers nicht mehr in Abhängigkeit vom Umfang der Schadenverhütungsmaßnahmen e festgelegt werden, obwohl er ex post davon abhängt. In diesem Fall tendieren die Versicherungsnehmer dazu, zu wenig Schadensverhütungsmaßnahmen durchzuführen, 81 da sie lediglich zusätzliche Kosten bringen. Die dadurch erreichte Schadenreduktion wird jedoch nicht in Form einer Prämiensenkung honoriert.82 Dies führt dazu, dass die Schadenwahrscheinlichkeit p(e) steigt, d.h. p(e) > ʌ. Aus der Beziehung (1.21)
(1.23)
U´(v 2 ) (1 p(e))S = U´(v1 ) p(e)(1 S)
folgt
U´(v 2 ) <1 U´(v1 )
bzw.
U´(v2) < U´(v1).
Dies kann bei Gültigkeit des Gesetzes von abnehmenden Grenzerträgen nur gelten, wenn v2 > v1.
81
82
Die Reduktion der Schadenverhütungsmaßnahmen ist dabei um größer, je höher der Deckungsgrad ist. Vgl. Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 300. Die Durchführung der Schadenverhütungsmaßnahmen erzeugt zwar positive externe Effekte für den Versicherer, da dieser weniger Schadenzahlungen zu leisten braucht. Die positiven externen Effekte werden jedoch nicht internalisiert, weil der Versicherer die Schadenverhütungsmaßnahmen nicht beobachten kann. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 286.
37
1.3 Moral Hazard und Marktversagen
In diesem Fall ist das Individuum überversichert (Į > 1). Dies wäre ein Verstoß gegen das Bereicherungsverbot83. Da Į nur Werte zwischen Null und Eins annehmen kann, wird sich das Individuum für Į = 1 entscheiden (Randlösung). Die Nichtbeobachtbarkeit von Schadenverhütungsmaßnahmen führt dazu, dass zu wenig Schadenverhütungsmaßnahmen durchgeführt werden und dafür zu viel Versicherungsschutz nachgefragt wird.84 Dies führt zu einer Fehlallokation der knappen Ressourcen, da Versicherung als Mittel des Risikomanagements in zu hohem Ausmaß und Schadenverhütungsaktivitäten in zu geringem Ausmaß eingesetzt werden.
v2
Versicherungsunternehmen
Moral Hazard
B
A
Versicherungsgerade
Versicherungsnehmer
v1
Abbildung 1.17: Marktversagen bei Moral Hazard
Wenn ʌ < p(e) ist, erleidet der Versicherer Verluste aus dem Versicherungsvertrag. Auf längere Sicht wird der Versicherer feststellen, dass die von ihm angenommenen
83
84
Das Bereicherungsverbot im versicherungswissenschaftlichen Kontext besagt, dass der Versicherte im Schadenfall nicht besser gestellt werden darf als im Nichtschadenfall. Dieses Verbot ist essentiell für die Versicherungswirtschaft, denn sonst würde der Versicherte einen enormen Anreiz haben, den Versicherungsfall selbst herbeisehnen bzw. herbeiführen. Vgl. Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 301.
38
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Schadenwahrscheinlichkeiten zu niedrig sind85 und dass er mit höheren Schadenwahrscheinlichkeiten kalkulieren und damit höhere Prämien verlangen muss.86 Dieser Prämienanpassungsprozess setzt sich weiter fort, bis die Schadenverhütungsmaßnahmen auf Null gesenkt sind. 87 In diesem Fall kann die geforderte Versicherungsprämie so hoch ausfallen, dass nicht mehr nach Versicherungsschutz nachgefragt wird. Es liegt dann ein Fall der Nicht-Versicherbarkeit vor. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem Marktversagen. Diese Situation wird in der Abbildung 1.17 dargestellt. Obwohl hier eine Pareto-Verbesserung gegenüber der Ausgangssituation A möglich (z.B. im Punkt B), wird die Versicherungsgerade aufgrund des Vorliegens von Moral Hazard soweit nach unten gedrückt, dass hier kein Versicherungsvertrag zustande kommt und der Versicherungsmarkt zusammenbricht.88 Moral Hazard Verhalten der Versicherten kann somit Marktversagen hervorrufen und im Prinzip versicherbare Risiken unversicherbar machen.
1.3.3 Mengenerhöhendes Moral Hazard Wenn mengenerhöhendes Moral Hazard vorliegt, gehen wir davon aus, dass die Höhe des Schadens L = L(e) von den Schadenverhütungsmaßnahmen abhängt. Beim Deckungsgrad Į zahlt der Versicherungsnehmer die Prämie P = Į ʌ L. Das Individuum maximiert den folgenden Erwartungsnutzen:89 (1.24)
max. E(U(v)) = (1 – p) (U(va – Į ʌ L) – c(e)) + + p (U(va – L(e) – Į ʌ L + Į L(e)) – c(e))
Die notwendige Bedingung für ein Maximum lautet: – (1 – p) U´(v1) ʌ L + p U´(v2) (L(e) – ʌ L) = 0 bzw.
85
86
87
88 89
Der Umstand, dass die tatsächlichen Schadenzahlung höher sind als die erwarteten Schadenzahlungen, wird als versicherungstechnisches Risiko bezeichnet. Zu den einzelnen Ausprägungen des versicherungstechnischen Risikos, vgl. Kapitel 2. In der Regel verlangt der Versicherer bei Existenz von Moral Hazard einen Risikozuschlag auf die faire Versicherungsprämie, d.h. er rechnet von Anfang an bereits mit höheren Schadenwahrscheinlichkeiten. Vgl. Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 303. Dies ist der Fall, wenn weiterhin voller Versicherungsschutz angeboten wird. Vgl. Pauly, M. V. (1974), S. 47. Vgl. auch Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 305 ff. Vgl. Pauly, M. V. (1974), S. 47 f. sowie Schulenburg, J.-M. (2005), S. 287 f.
39
1.3 Moral Hazard und Marktversagen
p U´(v2) (L(e) – ʌ L) = (1 – p) U´(v1) ʌ L (1.25)
bzw.
U´(v 2 ) (1 p) S L = . U´(v1 ) p ( L ( e) S L )
Wenn der Versicherer risikoneutral ist und keine Verwaltungskosten hat sowie die Schadenhöhe L(e) beobachtbar ist, wird der Versicherer die Prämie P = Į p L(e) verlangen, d.h. ʌ = p und L = L(e). Somit folgt aus der obigen Beziehung (1.25), dass (1.26)
U´(v 2 ) =1 U´(v1 )
bzw. v2 = v1.
Die Gleichung (1.26) besagt, dass es in diesem Fall für den Versicherungsnehmer optimal ist, den vollen Versicherungsschutz nachzufragen.90 Ist die Abhängigkeit der Schadenhöhe von den Schadenverhütungsmaßnahmen nicht beobachtbar, so werden die Versicherungsnehmer die Schadenverhütungsaktivitäten reduzieren mit der Folge, dass L(e) > L gilt. Dann folgt aus (1.25) U´(v 2 ) (1 p) S L = , dass U´(v1 ) p ( L ( e) S L ) U´(v 2 ) <1 U´(v1 )
bzw.
U´(v2) < U´(v1)
bzw.
v2 > v1. Bei Nichtbeobachtbarkeit der Schadensverhütungsmaßnahmen ist das Individuum also überversichert (Į > 1). Wegen des Bereicherungsverbots wird sich das Individuum für Į = 1 entscheiden (Randlösung) und den vollen Versicherungsschutz nachfragen. Wenn der Versicherungsnehmer voll versichert ist, d.h. den Schaden - gleichgültig in welcher Höhe - nicht trägt und wenn die Prämie wegen Nichtbeobachtbarkeit unabhängig vom Umfang der Schadenverhütungsmaßnahmen ist, so macht es für den Versicherungsnehmer keinen Sinn, Schadenverhütungsmaßnahmen zu betreiben.91 In diesem Fall werden die Schadenverhütungsmaßnahmen auf Null reduziert. Volkswirt-
90 91
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 287. Vgl. Pauly, M. V. (1974), S. 47.
40
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
schaftlich bedeutet die Unterlassung der Schadenverhütungsmaßnahmen eine Verschwendung von Ressourcen durch vermeidbare Schäden. Diese Lasten müssen alle Versicherungsnehmer durch höhere Prämien tragen. Das Vorliegen von Moral Hazard führt zu einem Marktgleichgewicht, das nicht pareto-optimal ist.
v2
v1 = v2
T´ A
L(0)
Transformationskurve
e
eA
T 0
v1
Abbildung 1.18: Optimale Schadenverhütung ohne Versicherungsschutz
Graphisch lässt sich das Marktgleichgewicht wie folgt darstellen (vgl. Abbildung 1.18).92 In der Ausgangslage T betreibt der Versicherungsnehmer keine Schadenverhütung. Wir nehmen an, dass er dadurch einen Totalverlust des Anfangsvermögens erleidet, d.h. L(0) = va. Mit sukzessiver Zunahme der Schadenverhütungsmaßnahmen wird die Schadenhöhe L(e) immer kleiner. Durch Variation von e erhält man die Transformationskurve TT´. Je höher das Niveau der Schadenverhütung ist, desto weiter wandert die Ausgangsverteilung auf der Transformationskurve in Richtung T´. Die Steigung der Transformationskurve TT´ gibt an, um wie viel Geldeinheiten der Schaden reduziert werden kann, wenn der Aufwand für die Schadenverhütung um eine Geldeinheit erhöht wird.
92
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 290.
41
1.3 Moral Hazard und Marktversagen
Falls keine Versicherung existiert, wird das Individuum die Schadenverhütungsmaßnahme im Umfang von eA betreiben (vgl. Abbildung 1.18), um das eigene Nutzenniveau zu optimieren.93 Das Nutzenoptimum befindet sich dort, wo sich die Indifferenzkurve und die Transformationskurve tangieren. In einer anderen graphischen Darstellung94 wird der Umfang der Schadenverhütungsmaßnahmen auf einer x-Achse aufgetragen. Der erwartete Schaden E(L) ist eine monoton fallende Funktion in Abhängigkeit von der Schadenverhütung e. Höhere Schadenverhütung verursachen jedoch steigende Kosten. Das Individuum versucht, durch eine optimale Festlegung des Schadenverhütungsumfangs eA die Summe aus Kosten K(e) und erwartetem Verlust E(L) zu minimieren (vgl. Abbildung 1.19). €
K + E(L) K(e)
A
E(L)
0
eA
e
Abbildung 1.19: Optimaler Umfang der Schadenverhütung
Existiert dagegen ein Versicherungsmarkt (graphisch ausgedrückt durch die Existenz einer Versicherungsgeraden in Abbildung 1.20), d.h. ist ein Versicherer bereit, einen Teil des Risikos gegen eine Versicherungsprämie zu übernehmen, wird der Versicherungsnehmer so viel Versicherungsschutz kaufen, dass sein Nutzen maximiert wird. Dies geschieht im Punkt B.
93 94
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 290. Vgl. Endres, A. und R. Schwarze (1992 a), S. 64.
42
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
In diesem Fall wird der Versicherungsnehmer den Umfang der Schadenverhütungsaktivitäten auf eC verringern (vgl. Abbildung 1.20).95 Im Punkt C entspricht die Steigung der Versicherungsgeraden der Steigung der Transformationskurve TT´. Rechts von C ist die Steigung der Transformationskurve größer als die Steigung der Versicherung. In diesem Bereich ist es effektiver, Risikomanagement durch Schadenverhütungsmaßnahmen als durch Versicherungsschutz zu betreiben.96 Für Schadenverhütungsaktivitäten größer als eC ist die Effektivität der Versicherung als Instrument des Risikomanagements höher als die Effektivität der Schadenverhütung, so dass es sich nicht lohnt, weiter in Schadenverhütungsmaßnahmen zu investieren. Der Punkt B stellt eine Pareto-Verbesserung gegenüber der Situation ohne Versicherung dar, denn in diesem Punkt erreicht der Versicherungsnehmer ein höheres Nutzenniveau. Bei einer fairen Prämie, d.h. ʌ = p bzw. ȕ = 0 liegt der Punkt B auf der Sicherheitslinie. Dies ist der Fall, wenn Vollversicherung nachgefragt wird.
v2
v1 = v2
B
T´
A
L(0) C
e
eA
eCT 0
v1
Abbildung 1.20: Optimale Schadenverhütung bei Existenz einer Versicherung
95 96
Vgl. Nguyen, T. (2006 c), S. 451. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 291.
43
1.3 Moral Hazard und Marktversagen
Wenn die Durchführung von Schadenverhütungsmaßnahmen von dem Versicherer nicht beobachtet werden kann, besteht für den Versicherten beim vollen Versicherungsschutz kein Anreiz, Maßnahmen zur Schadenverhütung zu ergreifen, da diese lediglich Kosten verursachen, die nicht durch entsprechende Prämiensenkungen ausgeglichen werden. Der Versicherte wird deshalb seine Schadenverhütung sukzessive reduzieren bzw. einstellen. Das Auftreten von Moral Hazard bei Nichtbeobachtbarkeit von Schadenverhütungsmaßnahmen führt schließlich dazu, dass der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Vollversicherungsvertrags die Schadenverhütungsmaßnahmen auf Null senkt.97 Dies wird in Abbildung 1.21 verdeutlicht.
v2
v1 = v2
B
T´
D L(0)
A C
eA
e
eCT 0
v1
Abbildung 1.21: Schadenverhütung bei Moral Hazard
Das neue Marktgleichgewicht liegt im Punkt D (vgl. Abbildung 1.21). Das Niveau der Schadenverhütung von Null ist aber aus volkswirtschaftlicher Sicht suboptimal (Punkt D liegt auf einer niedrigeren Indifferenzkurve als Punkt B). Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Schadenverhütungsmaßnahmen im Umfang zwischen 0 und eC zwar eine höhere Effektivität aufweisen als der Versicherungsschutz, diese Schadenverhü-
97
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 291.
44
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
tungsmaßnahmen werden jedoch nicht betrieben, da sie für den Versicherer nicht beobachtbar sind.98 Auch die Kostenanalyse führt zu dem gleichen Ergebnis (vgl. Abbildung 1.22). Bei vollem Versicherungsschutz muss der Versicherte eine feste Versicherungsprämie P zahlen.99 Das Kostenminimierungskalkül führt dazu, dass keine Schadenverhütungsmaßnahmen durchgeführt werden (Punkt B).100 Aufgrund der unterlassenen Schadenverhütungsmaßnahmen steigen die Schadenaufwendungen des Versicherers, so dass dieser sich gezwungen sieht, die Versicherungsprämien zu erhöhen.101 Abbildung 1.22 zeigt exemplarisch einen solchen Anstieg. Im neuen Optimum (Punkt C) muss der Versicherte höhere Kosten tragen als im Punkt A. Das Moral-Hazard-Verhalten der Versicherten führt zu höheren Kosten und somit zu einer Parato-Verschlechterung.102 €
Prämienanstieg
K+ P K+P
K(e)
C
A
B E(L) = P
0
eA
e
Abbildung 1.22: Schadenverhütung bei vollem Versicherungsschutz
98 99
100 101 102
Vgl. Nguyen, T. (2006 c), S. 451 f. Da die Schadenverhütungsmaßnahmen für den Versicherer nicht beobachtbar sind, verlangt dieser eine fixe Versicherungsprämie. Vgl. Endres, A. und R. Schwarze (1992 a), S. 68. Vgl. Endres, A. und R. Schwarze (1992 a), S. 69. Vgl. Gollier, C. (2005), S. 21. In einem spieltheoretischen Ansatz zeigen Endres und Schwarze, dass das Moral Hazard Verhalten ansteckend ist und dass im Endeffekt sich ein Allokationsergebnis mit zu geringen Schadenverhütungsmaßnahmen und zu hohen Prämien einstellt. Vgl. Endres, A. und R. Schwarze (1992 a), S. 69 ff.
45
1.3 Moral Hazard und Marktversagen
Die Unterlassung von Schadenverhütungsmaßnahmen durch die Versicherungsnehmer verursacht höhere Schäden. Langfristig müssen die Versicherer die Prämien bzw. den Prämiensatz ʌ erhöhen, um die höheren Kosten zu decken (vgl. Abbildung 1.23). Dies führt zu einer flacheren Versicherungsgeraden (Steigung der Versicherungsgeraden = –
1 S ). Die Erhöhung der Prämien kann so stark ausfallen, dass es sich für die S
Individuen nicht mehr lohnt, Versicherungsschutz nachzufragen. Die Risiken sind nicht versicherbar. Es liegt ein Fall von Marktversagen vor. Das Marktgleichgewicht liegt wieder im Punkt A. Durch die Drehung der Versicherungsgeraden wird nicht mehr nach Versicherungsschutz nachgefragt, da sich das Individuum in diesem Fall (Punkt E) schlechter stellen würde. Folglich verzichtet das Individuum vollständig auf Versicherungsschutz und betreibt eigene Schadenverhütungsmaßnahmen.
v2
v1 = v2
B
D
T´
L(0)
A E C
e
eA
eCT 0
Abbildung 1.23: Marktversagen aufgrund Moral Hazard
v1
46
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
1.3.4 Staatliche Regulierung bei Moral Hazard Wie in den vorangegangen Abschnitten gezeigt wurde, kann das Auftreten von Moral Hazard zu einer Fehlallokation sowie zu einem Marktversagen auf den Versicherungsmärkten führen. Es stellt sich die Frage, ob der Staat eingreifen sollte, um eine bessere Allokation zu erreichen bzw. um das Marktversagen zu beseitigen. Welche Maßnahmen kann der Staat ergreifen? Im Folgenden sollen mögliche Maßnahmen staatlicherseits diskutiert werden.103 ¾ Staat als Versicherer Eine staatliche Aufgabe ergibt sich immer dann, wenn ein Versicherungsmarkt für ein Risiko nicht zustande kommt. Der Staat sollte bei Moral-Hazard-Verhalten eingreifen, um eine Versorgung mit dem Gut Versicherung zu gewährleisten. Als monopolistischer Anbieter ist der Staat in der Lage, die Gesamtnachfrage eines Individuums nach Versicherungsschutz zu beobachten und gegebenenfalls zu rationieren. Dadurch kann der Staat dazu beitragen, dass das Moral-Hazard-Verhalten des Individuums begrenzt wird. Diese Maßnahme bedeutet jedoch einen starken Eingriff in den privaten Versicherungsmarkt: der Staat verdrängt nämlich vollkommen die private Konkurrenz. ¾ Besteuerung der Prämien Die sog. „Pigou-Steuer“ versucht, die Versicherungsnachfrage durch Besteuerung zu beschränken. Eine proportionale Besteuerung der Versicherungsprämie führt dazu, dass ein Anreiz zu einer geringeren Versicherungsnachfrage und damit zu vermehrter Schadenverhütung besteht als im Fall der Nichtbesteuerung.104 Dadurch kann das Problem des Moral-Hazard-Verhaltens gemildert werden. Allerdings darf der Steuersatz nicht so hoch sein, dass die Versicherungsdeckung für die Menschen zu teuer wird und diese völlig auf Versicherungsschutz verzichten. ¾ Fiskalische Begünstigung Durch die fiskalische Begünstigung von Schadenverhütungsmaßnahmen und Schadenverhütungsgütern (z. B. durch Gewährung von Subventionen) wird deren Einsatz gefördert. Die Kosten durch Schadenverhütungsaktivitäten werden relativ zum
103 104
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 294 ff. Die Besteuerung hat dabei den gleichen Effekt wie ein proportionaler Kostenzuschlag. In diesem Fall ist es für den Versicherten nicht optimal, den vollen Versicherungsschutz nachzufragen.
1.4 Adverse Selektion und Marktversagen
47
Preis von Versicherungsschutz gesenkt. Folglich werden vermehrt Schadenverhütungsmaßnahmen und Schadenverhütungsgüter eingesetzt. Bei dieser Maßnahme muss berücksichtigt werden, dass der Staat die entsprechenden Ausgaben finanzieren muss. Außerdem muss gewährleistet sein, dass keine Branche unberechtigterweise subventioniert wird. ¾ Mindeststandards Durch gesetzliche Vorgaben von Mindeststandards kann der Staat dafür sorgen, dass ein Mindestmaß an Schadenverhütungsmaßnahmen betrieben wird.105 Bei dieser Maßnahme besteht v. a. die Schwierigkeit, das richtige Mindestmaß an Sicherheitsvorkehrungen zu finden. Im Idealfall sollen die Mindeststandards so hoch sein, dass die Individuen von sich aus Schadenverhütungsmaßnahmen im Umfang eC (vgl. Abbildung 1.20) durchführen.
1.4 Adverse Selektion und Marktversagen 1.4.1 Definition Adverse Selektion kann mit „negativer Risikoselektion“ übersetzt werden und kennzeichnet die Situation, in der bei einer asymmetrischen Informationsverteilung zwar der Versicherungsnehmer über seine eigene Schadenwahrscheinlichkeit informiert ist, der Versicherer die Schadenwahrscheinlichkeit des Versicherungsnehmers jedoch nicht kennt.106 Im Gegensatz zu Moral Hazard findet die Adverse Selection bereits vor Abschluss eines Versicherungsvertrages statt.107 Die Unkenntnis der wahren Risikoklasse der Versicherungsnehmer führt dazu, dass der Versicherer gezwungen ist, eine von der Schadenklasse unabhängige Prämie zu verlangen. Dies bedeutet, dass die schlechten Risiken keine risikogerechten Prämien zahlen, während die guten Risiken eine zu hohe Prämie zu verkraften haben und die schlechten Risiken mitfinanzieren müssen.108 Dies hat zur Folge, dass gute Risiken nach und nach abwandern, da Versicherungsschutz für diese Individuen eventuell zu 105 106 107 108
Vgl. Gollier, C. (2005), S. 21. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 297. Vgl. Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 320. Vgl. Dorfman, M. S. (2004), S. 29.
48
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
teuer ist. Die verbleibenden schlechteren Risiken verursachen im Durchschnitt höhere Schäden, die den Versicherer dazu veranlassen, die Prämien zu erhöhen. Dieser Prozess der negativen Auslese kann dazu führen, dass die guten und besseren Risiken nach und nach auf Versicherungsschutz verzichten.109 Im Versicherungsbestand bleiben nur noch die schlechtesten Risiken, so dass der Versicherer abermals gezwungen ist, die Prämien nochmals zu erhöhen. Am Schluss kann der Versicherungsschutz so teuer sein, dass selbst die schlechtesten Risiken den Versicherungsbestand verlassen. Es kommt zu einem Zusammenbruch des Versicherungsmarktes (Marktversagen).110 Im Folgenden wird analog zum Modell von Pauly (1974) sowie Rothschild und Stiglitz (1976) vereinfachend unterstellt, dass es nur zwei mögliche Schadenwahrscheinlichkeit gibt: Individuen mit einer hohen Schadenwahrscheinlicht ph (schlechte Risiken) und Individuen mit einer niedrigen Schadenwahrscheinlichkeit pn (gute Risiken). 111 Es gilt ph > pn. Beide Individuentypen maximieren den eigenen Erwartungsnutzen (1.26)
max. E(U(v)) = (1 – pj) U(v1) + pj U(v2) mit j = {h, l}
Durch totales Differenzieren der Erwartungsnutzenfunktion erhält man: dE(U(v)) = (1 – pj) U´(v1) dv1 + pj U(v2) dv2 Entlang der Indifferenzkurve ändert sich der Erwartungsnutzen nicht, so dass dE(U(v)) = 0. Daraus folgt:
(1.27)
109 110
111
(1 – pj) U´(v1) dv1 + pj U´(v2) dv2 = 0
bzw.
1 p j U´(v1 ) dv 2 =– p j U´(v 2 ) dv1
mit j = {h, l}
Vgl. Gollier, C. (2005), S. 20. Auch bei Adverse Selection kann man eine ähnliche Graphik wie Abbildung 1.17 für das Marktversagen zeichnen. Vgl. Rothschild, M. und J. Stiglitz (1976), S. 634.
49
1.4 Adverse Selektion und Marktversagen
Daraus folgt, dass die Steigung der Indifferenzkurven der guten Risiken in jedem Punkt steiler ist als die der schlechten Risiken.112
1.4.2 Versicherung bei Kenntnis der Risikotypen Bei Kenntnis der Risikotypen kann der Versicherer erkennen, zu welcher Risikoklasse ein Individuum gehört. Der Versicherer ist imstande, je nach Risikoklasse des Versicherten eine risikoadäquate Prämie zu verlangen. Die beiden Risikotypen maximieren ihre Erwartungsnutzenfunktion durch Auswahl eines geeigneten Deckungsgrades Į (1.28)
max. E(U(v)) = (1 – pj) U(va – ʌj Į L) + pj U(va – L – ʌj Į L + Į L) mit j = {h, l}
Die notwendige Bedingung für ein Nutzenmaximum lautet: – (1 – pj) U´(v1j) ʌj L + pj U´(v2j) (L – ʌj L) = 0
bzw.
pj U´(v2j) (1 – ʌj) L = (1 – pj) U´(v1j) ʌj L
bzw.
j
(1.29)
(1 p j ) S j U´(v 2 ) = j j p (1 S j ) U´(v1 )
mit j = {h, l}
Unter der Annahme der fairen Prämie sowie der Kenntnis der Risikotypen würde der Versicherer den Prämiensatz ʌj gleich der jeweiligen Schadenwahrscheinlichkeit pj setzen. Somit folgt aus der obigen Gleichung (1.29): j
(1.30)
U´(v 2 ) =1 j U´(v1 )
bzw. U´(v2j) = U´(v1j), d.h.
v2j = v1j
mit j = {h, l}
Dieses Ergebnis bedeutet, dass alle Individuen, ob gute oder schlechte Risiken, voll versichert sind. Graphisch bedeutet dieses Ergebnis, dass für beide Risikotypen das Nutzenoptimum auf der Sicherheitslinie liegt (vgl. Abbildung 1.24).113
112 113
Vgl. Rothschild, M. und J. Stiglitz (1976), S. 635 sowie Schulenburg, J.-M. (2005), S. 300. Vgl. Rothschild, M. und J. Stiglitz (1976), S. 636.
50
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
gn
v2
v1 = v2
a
v
h
g
Indifferenzkurven guter Risiken
C
B
Indifferenzkurven schlechter Risiken
A
va
v1
Abbildung 1.24: Versicherungsoptimum bei Kenntnis der Risikotypen
Wir haben oben festgestellt, dass die Indifferenzkurven der guten Risiken in jedem Punkt steiler als die der schlechten Risiken sind. Auch die Steigung der Versicherungsgeraden (–
1 p j mit j = {h, l}) für die guten Risiken gn ist höher als die der pj
schlechten Risiken gh, da der Versicherer bei Kenntnis der Risikoklasse nur bereit ist, schlechte Risiken gegen höhere Prämien zu versichern. Im Punkt B haben wir das Versicherungsoptimum für die schlechten Risiken. Das Versicherungsoptimum der guten Risiken liegt im Punkt C. Aus der obigen Abbildung 1.24 ist ersichtlich, dass die Individuen der schlechten Risikoklasse bei gleicher Anfangsausstattung im Marktgleichgewicht ein niedrigeres Nutzenniveau erreichen als die Individuen der guten Risikoklasse.
1.4.3 Versicherung bei Unkenntnis der Risikotypen (vereinendes Gleichgewicht) Bei asymmetrischer Informationsverteilung kennt der Versicherungsnehmer seine Schadenwahrscheinlichkeit, während sie dem Versicherer verborgen bleibt. In diesem Fall kann der Versicherer die guten Risiken von den schlechten Risiken nicht trennen, so dass er seine Versicherungstarife nicht nach Risikoklassen differenzieren kann. Bie-
51
1.4 Adverse Selektion und Marktversagen
tet der Versicherer beide Tarife an (B für die schlechten Risiken und C für die guten Risiken), so kann er sich sicher sein, dass alle Individuen den Tarif C nachfragen, auch wenn sie zu der schlechten Risikoklasse gehören. Die Folge ist, dass der Versicherer Verluste erleiden wird.114 Die beiden Tarife B und C können somit nicht das Marktgleichgewicht darstellen.115 Aus der Unkenntnis des Versicherers bezüglich der Risikoklasse ergibt sich ein einheitlicher Tarif als gewichtetes Mittel als den beiden Tarifen B und C für beide Risikotypen. Bei diesem einheitlichen Prämiensatz werden sich die schlechten Risiken überversichern, weil der Prämiensatz unter ihrer Schadenwahrscheinlichkeit liegt, und die guten Risiken dagegen unterversichern, weil ihnen der Versicherungsschutz zu teuer ist. Der einheitliche Tarif ist für die guten Risiken keine faire Prämie mehr. Da der einheitliche Prämiensatz zwischen dem schlechten und dem guten Prämiensatz liegt, bewegt sich die Versicherungsgerade ge zwischen gh und gn.116
gn
ge
v2
v1 = v2
a
v
D
gh
B
C
E
A
va Abbildung 1.25: Versicherungslösung bei Unkenntnis der Risikotypen
114 115 116
Vgl. Dorfman, M. S. (2004), S. 29. Vgl. Rothschild, M. und J. Stiglitz (1976), S. 636. Vgl. Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 323.
v1
52
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Aus der obigen Abbildung 1.25 ist ersichtlich, dass die schlechten Risiken aufgrund der einheitlichen Versicherungsprämie besser gestellt werden als bei Kenntnis der Risikoklassen (höhere Indifferenzkurve im Punkt D). Bei den guten Risiken ist die Lage umgekehrt. Die guten Risiken müssen bei Unkenntnis der Risikoklassen zu viel für Versicherungsschutz zahlen, so dass sich die guten Risiken nur teilweise versichern. Im Punkt E erreichen die guten Risiken ein niedrigeres Nutzenniveau. Im Punkt D würden sich die schlechten Risiken überversichern, d.h. der Versicherte würde im Schadenfall eine Entschädigung erhalten, die höher ist als der erlittene Verlust, und sich damit bereichern. Dies wäre ein Verstoß gegen das Bereicherungsverbot in der Versicherungswirtschaft. 117 Folglich muss die Versicherungsnachfrage der schlechten Risiken rationiert werden,118 zum Beispiel x auf Vollversicherung (Punkt F) bzw. x auf den Umfang, den die guten Risiken von sich aus wählen (Punkt E). Bei Rationalisierung der Versicherungsnachfrage auf Vollversicherung erreichen die schlechten Risiken das Nutzenniveau im Punkt F. Das Versicherungsunternehmen kann die Versicherungsnachfrage auch auf den Umfang festsetzen, den die guten Risiken von sich aus wählen (Punkt E in Abbildung 1.26).119
117
118 119
Eine solche Bereicherungsmöglichkeit würde einen erheblichen Anreiz für die schlechten Risiken setzen, den Versicherungsfall herbeizuführen. Vgl. Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 324. Vgl. Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 322.
53
1.4 Adverse Selektion und Marktversagen
gn
ge
v2
v1 = v2
a
v
D
gh
C F
B
E
A
va
v1
Abbildung 1.26: Rationierung des Versicherungsangebots
Es stellt sich nun die Frage, ob der Punkt E (vereinendes Gleichgewicht bzw. pooled equilibrium) ein stabiles Gleichgewicht darstellt. Rothschild und Stiglitz (1976) argumentieren, dass es kein vereinendes Gleichgewicht auf dem Versicherungsmarkt geben kann, da ein solches Gleichgewicht stets von einem Mitwettbewerber angegriffen werden kann.120 Ein konkurrierendes Unternehmen könnte z. B. einen Vertrag G im schraffierten Bereich anbieten (vgl. Abbildung 1.27). Bei diesem Vertrag G bekommen die guten Risiken weniger Versicherungsschutz (G liegt weiter weg von der Sicherheitslinie als E) zu niedrigeren Prämien (steilere Versicherungsgerade). Im Punkt G stellen sich die guten Risiken besser, da hier eine höhere Indifferenzkurve erreicht wird. G wird folglich von den guten Risiken gegenüber E bevorzugt. Mit dem Vertrag G kann das konkurrierende Versicherungsunternehmen die guten Risiken an sich binden. 121 Die schlechten Risiken bleiben weiterhin im Punkt E, da sie hier ein höheres Nutzenniveau erreichen als im Punkt G.
120
121
Vgl. Rothschild, M. und J. Stiglitz (1976), S. 634 f sowie Kim, B. J. und Schlesinger, H. (2005), S. 68. Vgl. Jagob, J. G. (2004), S. 28 f.
54
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
gn
ge
v2
v1 = v2
a
v
gh
C
B
E G
A
va
v1
Abbildung 1.27: Stabilität des vereinenden Gleichgewichts
Es gelingt somit dem Konkurrenten, die guten Risiken zu sich zu ziehen und so im Erwartungswert sogar einen Gewinn zu erzielen,122 während die schlechten Risiken beim betrachteten VU verbleiben. Aus dessen Sicht passiert adverse Selektion. Damit verschiebt sich die Zusammensetzung des Versichertenbestands in Richtung schlechter Risiken, und Mischverträge entlang der Versicherungsgerade ge machen im Erwartungswert Verlust. Folgerung 1.4: Bei einperiodiger Betrachtung kann ein vereinendes Gleichgewicht stets von einem konkurrierenden Versicherungsunternehmen angegriffen werden und ist deshalb nicht stabil.123
Wilson (1977) erweitert das Modell von Rothschild und Stiglitz mit der mehrperiodigen Betrachtung des Versicherungsmarktes. Es stellt sich nun die Frage, was in den
122
123
Der Gewinn für den Versicherer resultiert aus der Tatsache, dass der Punkt G unterhalb der Versicherungsgerade gn liegt. Vgl. Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 325.
1.4 Adverse Selektion und Marktversagen
55
darauf folgenden Perioden passieren wird. Das angegriffene Versicherungsunternehmen macht Verluste, da die schlechten Risiken bei ihm versichert sind. Es hat zwei Handlungsalternativen: Entweder werden die Prämie neu und risikoadäquat berechnet oder das VU zieht den Vertrag E zurück. In beiden Fällen werden sich die schlechten Risiken mit dem Vertrag G versichern, um das eigene Nutzenniveau zu maximieren. Die Folge ist, dass das angreifende VU sowohl die guten als auch die schlechten Risiken versichert und damit Verluste macht, da die Prämien im Punkt G nicht ausreichend berechnet sind. Folgerung 1.5: Bei mehrperiodiger Betrachtung kann ein vereinendes Gleichgewicht ein stabiles Marktgleichgewicht darstellen.
1.4.4 Versicherung bei Unkenntnis der Risikotypen (trennendes Gleichgewicht) Das Versicherungsunternehmen kann versuchen, aus dem Umfang der Versicherungsnachfrage des Versicherungsnehmers Rückschlüsse auf seine Risikoklasse zu ziehen. Erfahrungsgemäß wollen sich die schlechten Risiken eher voll versichern. Das VU bietet mit der Vertragskombination (B, H) trennende Versicherungsverträge (separating contracts) an (vgl. Abbildung 1.28):124 x Bei Vollversicherung (Punkt B) wird nun die Prämie gemäß der Versicherungsgerade gh (höherer Tarifsatz) verlangt. x Bei teilweisem Versicherungsschutz (Punkt H) wird die Prämie gemäß der Versicherungsgerade gn (niedriger Tarifsatz) berechnet.125 Die beiden Verträge B (Vollversicherung und hohe Prämie) und H (teilweiser Versicherungsschutz und niedrige Prämie) liegen für die schlechten Risiken auf der gleichen Indifferenzkurve, so dass diese sich für die Vollversicherung (Vertrag B) entscheiden, sobald der Versicherungsschutz etwas geringer ist als im Punkt H (vgl. Abbildung 1.28). Bei einem Vertrag zwischen H und C in Abbildung 1.28 würde das
124 125
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 304. Vgl. Zweifel, P. und R. Eisen (2003), S. 327.
56
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Versicherungsunternehmen auch die schlechten Risiken zu sich ziehen, was einen negativen Erwartungsgewinn für das Versicherungsunternehmen bedeuten würde.126
v2
gn
v1 = v2
a
v
gh
C
B
H
A
va
v1
Abbildung 1.28: Trennendes Gleichgewicht bei Unkenntnis der Risikotypen
Bei allen Deckungsgraden zwischen H und C würden sich die guten Risiken besser stellen als mit dem Vertrag H. Jedoch darf das Versicherungsunternehmen keine höheren Deckungsgrade als im Punkt H anbieten, da diese dann von den schlechten Risiken abgeschlossen würden. Im Punkt H liegt somit der trennende Deckungsgrad. Der trennende Deckungsgrad bewirkt quasi eine Selbstselektion bei den Versicherten.127 Auch diese Marktlösung mit den trennenden Verträgen stellt kein Pareto-Optimum dar, denn bei Kenntnis der Risikoklassen würden sich die guten Risiken voll versichern und ein höheres Nutzenniveau im Punkt C erreichen. Das trennende Gleichgewicht (B, H) stellt somit nur eine Second-Best-Lösung dar.128
126 127
128
Vgl. Jagob, J. G. (2004), S. 35. Der trennende Deckungsgrad wird deshalb auch als „Self-Selection-Restriktion“ bezeichnet. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 304. Vgl. Nguyen, T. (2006 c), S. 446.
1.4 Adverse Selektion und Marktversagen
57
1.4.5 Staatliche Regulierung bei Adverser Selektion Offenbar führt Adverse Selektion im Marktgleichgewicht zu einer suboptimalen Allokation. Es stellt sich die Frage, ob die Allokation durch Staatseingriffe in den Markt derart verbessert werden kann, so dass eine Pareto-Verbesserung erreicht wird. Nachfolgend werden mögliche Maßnahmen der staatlichen Regulierung dargestellt.129 ¾ Der Staat als Monopolversicherer Der Staat kann als Monopolversicherer die Versicherungsnachfrage rationieren und damit den schlechten Risiken die Möglichkeit nehmen, zu viel Versicherungsschutz nachzufragen. ¾ Zusatzversicherungen ausschließen Adverse Selektion tritt v. a. auf, wenn der Versicherer aus dem Verhalten des Versicherungsnehmers nicht auf das Risiko schließen kann. Wenn Zusatz- und Zweitversicherungen ausgeschlossen werden, so kann der Versicherer immer feststellen, wie viel Versicherungsschutz der Versicherungsnehmer gekauft hat. Daraus kann er Rückschlüsse auf die Risikoklasse des Versicherungsnehmers ziehen. ¾ Besteuerung der Versicherungsprämie (Pigou-Lösung) Die Besteuerung verteuert den Versicherungsschutz und verhindert, dass zu viel Versicherungsschutz von den schlechten Risiken nachgefragt wird. Das Problem der Adverse Selektion wird dadurch gemildert. ¾ Offenlegung aller Informationen Die Versicherungsnehmer müssen den Versicherer über den Umfang des gesamten Versicherungsschutzes und über Besonderheiten ihrer Risikosituation informieren (z.B. Gesundheitsprüfung bei der Krankenversicherung oder Angabe über die jährliche Fahrleistung in der Kfz-Versicherung), ansonsten verlieren sie den Anspruch auf die Versicherungsleistung.
129
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 305 f.
58
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
¾ Subventionierung von Schadenverhütung Durch steuerliche Anreize können Schadenverhütungsmaßnahmen gefördert werden, wodurch sich gute und schlechte Risiken in ihrer Risikolage annähern. ¾ Bonus-Malus-Tarifierung Die v. a. in der Kfz-Versicherung eingesetzte Tarifierung aufgrund von Vergangenheitserfahrungen sieht für Versicherungsnehmer mit vielen Schäden in der Vergangenheit eine höhere Prämie vor. ¾ Versicherungspflicht Durch eine Versicherungspflicht werden alle Bürger gezwungen, sich an einer Versicherung zu beteiligen. Das Risiko wird gleichmäßig auf die Gesamtheit der Bevölkerung verteilt. Die adverse Selection wird damit unterbunden.130
1.5 Staatliche Risikoübernahme und Versicherungsnachfrage 1.5.1 Gründe für die staatliche Risikoübernahme In Zeiten sich häufender Naturkatastrophen oder terroristischer Anschläge wird der Ruf nach dem Staat immer lauter. Die Regierungen können in solchen extremen Situationen des Öfteren dem öffentlichen Druck nicht standhalten und gewähren staatliche Hilfen zur Beseitigung der entstandenen Schäden.131 Meist wird die staatliche Hilfe in Form einer Grundsicherung ohne nennenswerte Gegenleistung gewährt.132 Die staatliche Risikoübernahme wird in der Fachliteratur vor allem mit der volkswirtschaftlichen Funktion von Versicherungen begründet.133 Einschränkungen des Versicherungsschutzes können manche Investoren dazu veranlassen, geplante Investitionen
130 131
132 133
Vgl. Gollier, C. (2005), S. 21. So gestattet z.B. die US-Regierung im Rahmen des National Flood Insurance Program den Versicherern den überschießenden Betrag, wenn die Schadenzahlungen die Prämien plus Investmenterträge übersteigen. Charakteristisch für eine staatliche Risikoübernahme ist, dass die geforderten Prämien nicht aktuariell fair sondern stark subventioniert sind. Vgl. Dorfman, M. S. (2004), S. 23. Vgl. Kim, B. J. und Schlesinger, H. (2005), S. 61. Vgl. Nell, M. (2001), S. 1.
1.5 Staatliche Risikoübernahme und Versicherungsnachfrage
59
aufgrund des höheren Risikos nicht durchzuführen.134 Die Beeinträchtigung der Investitionstätigkeit hat wiederum Auswirkungen auf die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen. Um die Arbeitsmarktlage und den sozialen Frieden zu stabilisieren, aber auch um Wählerstimmen zu gewinnen, neigen Regierungen bei Naturkatastrophen oder Unglücken größeren Ausmaßes immer häufiger dazu, den Opfern staatliche Hilfen zu gewähren.135 Ein weiterer Grund für die staatliche Risikoübernahme liegt in der „self-fulfillingprophecy“-Theorie.136 Wenn die Bürger aus irgendeinem Grund glauben können, dass der Staat im Falle eines Katastrophenereignisses für ihre Schäden aufkommen würden, verzichten sie auf privaten Versicherungsschutz. Nach dem Katastrophenereignis zwingt der fehlende Versicherungsschutz den Staat oftmals dazu, einzugreifen und „unbürokratisch“ Soforthilfe zu leisten. Allerdings hat der staatliche Versicherungsschutz nicht uneingeschränkt positive Effekte.137 Bei einer privaten Versicherungslösung wird das Risiko genau analysiert und Versicherungsschutz nur gegen eine risikogerechte Prämie gewährt. Dadurch werden zu riskante und volkswirtschaftlich deshalb ineffiziente Aktivitäten herausgefiltert. Dagegen tritt bei der staatlichen Risikoübernahme an die Stelle risikogerechter Tarifierung die politische Entscheidung, bestimmte „wünschenswerte“ Aktivitäten zu ermöglichen. Dies birgt die Gefahr, dass die staatlich Versicherten z.B. weniger in Schadenverhütungsmaßnahmen investieren, da sich höhere Investitionen in Schadenverhütungsmaßnahmen nicht in der zu zahlenden Versicherungsprämie niederschlagen.138 Das Phänomen, dass ein Versicherter sich anders, meist riskanter, verhält als im Falle ohne Versicherungsschutz, wird in der Fachliteratur als „Moral-HazardVerhalten“ bezeichnet.
134
135
136 137 138
Banken könnten die Vergabe von Krediten von der Existenz des Versicherungsschutzes abhängig machen. Der Staat kann dabei als Versicherer, Rückversicherer oder Underwriter auftreten. Zu den verschiedenen Rollen des Staates im Management von Katastrophenrisiken, vgl. Freeman, P. K. und Scott, K. (2005), S. 198 ff. Vgl. Gollier, C. (2005), S. 25. Vgl. Nell, M. und Richter, A. (2005), S. 331 ff. In der Praxis finden sich zahlreiche Beispiele für das Moral-Hazard-Verhalten bei staatlicher Risikoübernahme, z.B. bei der Entscheidung, ob ein Gebäude in einem vom Hochwasser gefährdeten Gebiet gebaut werden soll, wird das Hochwasserrisiko meist nicht genügend berücksichtigt, da der Bauherr eventuell davon ausgehen kann, staatliche Hilfen im Schadenfall zu erhalten. Weitere Beispiele für ineffizient staatlich gestaltete Risikoübernahmen vgl. Nell, M. (2001), S. 3f.
60
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Darüber hinaus können bei staatlicher Risikoübernahme wohlfahrtsökonomisch zu riskante Produktionstechnologien gewählt werden, die unter Berücksichtigung ihres hohen Gefährdungsgrades nicht effizient sind.139 Diese aus wohlfahrts- und versicherungsökonomischer Sicht negative Auslese wird im Schrifttum als „Adverse Selection“ bezeichnet. Die oben erwähnten Phänomene Moral Hazard und Adverse Selection resultieren hauptsächlich aus der asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Versicherern und Versicherten. Diese Probleme treten auf dem Versicherungsmarkt selbst dann auf, wenn der Staat keine staatliche Beihilfe gewährt. Im Abschnitt wollen wir untersuchen, welchen Einfluss die staatliche Risikoübernahme in Form einer Grundsicherung auf die Versicherungsnachfrage ausübt und inwiefern der Staat dazu beitragen kann, die Probleme mit Moral Hazard und Adverse Selection zu lösen.
1.5.2 Einfluss staatlicher Grundsicherung auf Versicherungsnachfrage Wie im Abschnitt 1.2.5 dargestellt, ist es optimal für den Versicherungsnehmen, den vollen Versicherungsschutz nachzufragen, wenn das Versicherungsunternehmen eine faire Prämie verlangt. Behält dieses Resultat auch Gültigkeit, wenn eine staatliche Grundsicherung existiert? Dies soll im Folgenden überprüft werden. Wir nehmen an, dass der Staat im Katastrophenfall eine staatliche Unterstützung in Form einer Grundsicherung gewährt.140 Die staatliche Grundsicherung in Höhe von S wird jedoch nur gewährt, wenn der individuelle Vermögensstand nach eventuellen Versicherungsleistungen niedriger ist als die Grundsicherung. Um den Einfluss staatlicher Risikoübernahme isoliert zu betrachten, nehmen wir an, dass auf den privaten Versicherungsmärkten faire Prämien verlangt werden. Im Anfangsstadium (Punkt A) erreicht das Individuum das Nutzenniveau U1. Bei fairer Prämie würde sich das Individuum voll versichern (Punkt B) und erreicht das Nutzenniveau U2 (vgl. Abbildung 1.29). Je nach dem, wie hoch die staatliche Grundsicherung ausfällt, hat dies unterschiedliche Auswirkungen auf die Versicherungsnachfrage. Dieser Sachverhalt wird in Abbildung 1.29 verdeutlicht. Beträgt die Grundsicherung S0, so ist der Vermögensstand im Scha-
139 140
Vgl. hierzu Nell, M. (1990) und Mayer, D (1989). Anders als in der Arbeit von Pauly, M. V. (1974) wird in der vorliegenden Arbeit angenommen, dass die staatliche Grundsicherung ohne Gegenleistung gewährt wird.
61
1.5 Staatliche Risikoübernahme und Versicherungsnachfrage
denfall va – L - auch ohne Versicherungsleistung – größer als S0. In diesem Fall ist der entstandene Schaden nicht groß genug, so dass der Staat selbst keinen Handlungsbedarf sieht. Die Grundsicherung hat somit keinen Einfluss auf die individuelle Versicherungsnachfrage. Erreicht dagegen die staatliche Grundsicherung das hohe Niveau von S3, so ist es für das Individuum optimal, auf jeglichen Versicherungsschutz zu verzichten, da in diesem Fall die durch S3 verlaufende Indifferenzkurve weiter vom Ursprung entfernt liegt als die Indifferenzkurve U2. Die staatliche Risikoübernahme verdrängt somit vollständige die privatwirtschaftliche Versicherungslösung.141
v2
v 1 = v2
U2
va
U1
L
B S3 S2 S1
va - L
A
S0 Grundsicherung
Staatliche Hilfe
va
v1
Abbildung 1.29: Staatliche Grundsicherung und Versicherungsnachfrage
Bei der Grundsicherung in Höhe von S2 ist das Individuum gerade indifferent zwischen Vollversicherung und Nullversicherung. Wenn sich die staatliche Grundsicherung auf weniger als S2 beläuft, würden die Individuen auf die staatliche Hilfe verzichten und den vollen Versicherungsschutz abschließen.
141
Vgl. Gollier, C. (2005), S. 25.
62
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Die Grundsicherung S2 stellt somit die kritische Grenze dar, ab der die staatliche Risikoübernahme überhaupt einen Einfluss auf die individuelle Versicherungsnachfrage ausübt. Diese Grenze hängt jedoch von der individuellen Risikoeinstellung ab: je risikoscheuer (ausgedrückt in der höheren Konvexität der Indifferenzkurve) das Individuum ist, desto höher ist die kritische Grundsicherung (vgl. Abbildung 1.30).142
v2
v1 = v2
va
L
unterschiedliche Risikoneigung
B
va - L
A Grundsicherung
va
v1
Abbildung 1.30: Kritische Grundsicherung bei unterschiedlicher Risikoneigung
Die Wirkungsweise einer staatlichen Grundsicherung erfolgt analog wie die eines fixen Zuschlags. 143 Überschreitet die Grundsicherung eine bestimmte, individuell abhängige, kritische Marke, so wird vollständig auf privaten Versicherungsschutz verzichtet. Andernfalls wird der volle Versicherungsschutz nachgefragt.144 Somit wird die Vermutung bestätigt, dass die staatliche Risikoübernahme tendenziell die private Versicherungsnachfrage verdrängt. Jedoch nur, wenn das Ausmaß der staatlichen Risikoübernahme hinreichend groß ist, hat sie einen Einfluss auf die private Risikovorsorge.
142 143 144
Vgl. Kim, B. J. und Schlesinger, H. (2005), S. 65. Vgl. Kim, B. J. und Schlesinger, H. (2005), S. 64. Vgl. Nguyen, T. (2006 c), S. 437.
63
1.5 Staatliche Risikoübernahme und Versicherungsnachfrage
1.5.3 Auswirkungen staatlicher Grundsicherung bei Moral Hazard Im Abschnitt 1.3.3 haben wir herausgefunden, dass das Moral Hazard Verhalten bei Nichtbeobachtbarkeit der Schadenverhütungsmaßnahmen dazu führt, dass überhaupt keine Schadenverhütung betrieben wird (vgl. Abbildung 1.21). Wie verändert sich die Marktlösung (Punkt D), wenn der Staat eine Grundsicherung gewährt? Diese Frage kann anhand der Abbildung 1.31 erläutert werden. Der Einfluss der staatlichen Risikoübernahme auf die Versicherungsnachfrage hängt von der Höhe der staatlichen Beihilfe ab. Bei einer staatlichen Grundsicherung in geringer Höhe von S1, hat sie keinerlei Auswirkungen auf die individuelle Versicherungsnachfrage. Existiert eine Versicherungsmarkt, so wird sich das Individuum voll versichern und keine Schadenverhütungsmaßnahmen durchführen (Punkt D). Ist dagegen kein Versicherungsschutz vorhanden, wird das Individuum eigene Schadenverhütungsmaßnahmen durchführen (Punkt A).
v2
v 1 = v2
T´
B
D
S4 S3 S2 S1
A C
e
eA
eCT 0
staatliche Grundsicherung
v1
Abbildung 1.31: Einfluss staatlicher Risikoübernahme bei Moral Hazard
Beträgt die staatliche Grundsicherung S2, so ist es für den Versicherten nutzenoptimal, keine Schadenverhütungsmaßnahmen durchzuführen unabhängig davon, ob ein privater Versicherungsschutz vorhanden ist oder nicht. Hier wird die Gefahr deutlich, dass
64
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
staatliche Risikoübernahme oft zu volkswirtschaftlich unerwünschten Mitnahmeeffekten führt, da die Kosten der staatlichen Grundsicherung im individuellen Nutzenkalkül nicht mit berücksichtigt werden.145 Aus Abbildung 1.31 ist ersichtlich, dass ab einem bestimmten Niveau der staatlichen Grundsicherung die Schadenverhütungsmaßnahmen bereits zum Erliegen kommen, bevor der Versicherungsschutz dieses MoralHazard-Verhalten bei den Versicherten auslösen kann. Die staatliche Grundsicherung verstärkt somit das Moral-Hazard-Verhalten.146 Bei einer staatlichen Grundsicherung i. H. v. S3 ist es für den Versicherten vorteilhaft, vollständig auf Versicherungsschutz und Schadenverhütungsmaßnahmen zu verzichten und sich ausschließlich auf die staatliche Grundsicherung zu verlassen. Der Nutzenverlust durch Moral Hazard (Vergleich B und D) wird durch die staatliche Grundsicherung reduziert. Ist die staatliche Grundsicherung hinreichend groß (z.B. S4), so wird der individuelle Nutzenverlust durch Moral Hazard sogar überkompensiert. Auf der anderen Seite entstehen auf Seiten des Staates zusätzliche Kosten durch die Bereitstellung der Grundsicherung. Die Frage nach der „optimalen“ staatlichen Grundsicherung kann daher ohne Kenntnis einer gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsfunktion nicht beantwortet werden.
1.5.4 Auswirkungen staatlicher Grundsicherung bei Adverse Selection Wie im Kapitel 1.4 erläutert, führt die Adverse Selection aufgrund der asymmetrischen Risikoverteilung zu einer sub-optimalen Lösung. Im vereinenden Gleichgewicht (vgl. Abbildung 1.27) bieten die Versicherer einen gemischten Tarif für beide Risikogruppen an, wobei die guten Risiken eine viel zu hohe Prämie zahlen, so dass sie auf den vollen Versicherungsschutz verzichten. Dagegen werden im trennenden Gleichgewicht (vgl. Abbildung 1.28) zwei verschiedene Tarife angeboten: die schlechten Risiken können sich zum höheren Prämiensatz voll versichern, während Versicherungsschutz zum niedrigeren Tarif nur bis zu dem trennenden Deckungsgrad angeboten wird. In diesem Abschnitt werden die Auswirkungen einer staatlichen Grundsicherung auf das vereinende und das trennende Gleichgewicht untersucht.
145 146
Vgl. Nell, M. (2001), S. 3. Vgl. Nguyen, T. (2006 c), S. 452.
65
1.5 Staatliche Risikoübernahme und Versicherungsnachfrage
1.5.4.1 Staatliche Grundsicherung und vereinendes Gleichgewicht Wir nehmen nun an, dass der Staat bei einem vereinenden Gleichgewicht eine Grundsicherung gewährt. Der Einfluss staatlicher Risikoübernahme auf das vereinende Gleichgewicht kann anhand der Abbildung 1.32 erläutert werden.147 Ist die staatliche Grundsicherung relativ gering (z.B. S1), so hat dies keinerlei Auswirkungen auf die Marktlösung (Punkt E), da sich sowohl die schlechten als auch die guten Risiken im Punkt E besser stellen als im Punkt S1. Das Nutzenniveau beider Risikotypen bleibt von der staatlichen Grundsicherung unbeeinflusst.
v
gn
ge
v2
v1 = v2
a
gh
C
B
E
S4 S3 S2 S1
A
Staatliche Grundsicherung
va
v1
Abbildung 1.32: Vereinendes Gleichgewicht und staatliche Grundsicherung
Ist die staatliche Grundsicherung dagegen relativ hoch (z.B. S4), verzichten sowohl die guten als auch die schlechten Risiken auf Versicherungsschutz. Die Versicherungsnachfrage bricht zusammen. In diesem Fall werden sowohl die guten als auch die schlechten Risiken durch die staatliche Grundsicherung besser gestellt als die Marktlösung (Punkt E). Die staatliche Grundsicherung ersetzt dann die private Versicherung.
147
Vgl. Kim, B. J. und Schlesinger, H. (2005), S. 70.
66
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Beträgt die staatliche Grundsicherung S2, ist es für die guten Risiken nutzenoptimal, keinen Versicherungsschutz zu kaufen und sich auf die staatliche Grundsicherung zu verlassen, da sein Nutzenniveau dadurch erhöht wird. Das vereinende Marktgleichgewicht (Punkt E) kann durch den Wegfall der guten Risiken nicht beibehalten werden, da die Versicherungsunternehmen hier Verluste erleiden. Sie werden dann die Prämien entsprechend erhöhen. Das neue Marktgleichgewicht befindet sich im Punkt B. In diesem Fall ist es für die schlechten Risiken immer noch besser, den vollen Versicherungsschutz zu kaufen und auf die staatliche Grundsicherung zu verzichten. Der Versicherungsmarkt bricht daher nicht vollständig zusammen. Durch die staatliche Grundsicherung in Höhe von S2 werden die guten Risiken besser gestellt, während die schlechten Risiken im Vergleich zur Marktlösung (Punkt E) Nutzenverluste erleiden müssen. Bemerkenswert an der Grundsicherung S2 ist die Tatsache, dass der Versicherer an der Versicherungsnachfrage erkennen kann, wer zu den guten und wer zu den schlechten Risiken gehört.148 Bei einer staatlichen Grundsicherung i. H. v. S3 ist es für die guten Risiken besser, auf Versicherungsschutz zu verzichten und sich auf die staatliche Grundsicherung zu verlassen. Die schlechten Risiken haben im Punkt E zwar ein höheres Nutzenniveau als im Punkt S2. Da aber das Marktgleichgewicht E durch den Wegfall der guten Risiken nicht aufrechtzuerhalten ist und sich das Markgleichgewicht im Punkt B einstellt, ist es für die schlechten Risiken auch besser, auf Versicherungsschutz zu verzichten. Die Versicherungsnachfrage bricht vollständig zusammen. Im Vergleich zur Marktlösung (Punkt E) führt die staatliche Grundsicherung in Höhe von S3 zu einer Erhöhung des Nutzenniveau für die guten Risiken, während die schlechten Risiken durch die staatliche Risikonahme schlechter gestellt werden. 1.5.4.2 Staatliche Grundsicherung und trennendes Gleichgewicht Als Nächstes stellt sich die Frage, wie das trennende Gleichgewicht verändert wird, wenn der Staat eine Grundsicherung gewährt. Auch hier hängt der Einfluss staatlicher Risikoübernahme von dem Ausmaß der staatlichen Grundsicherung ab.149 Dies wird in der Abbildung 1.33 verdeutlicht. Ist die staatliche Grundsicherung relativ gering (z.B. S1), so hat sie keinen Einfluss auf die trennende Marktlösung (B und H). Die schlechten Risiken würden sich weiter zu
148 149
Vgl. Nguyen, T. (2006 c), S. 445. Vgl. Kim, B. J. und Schlesinger, H. (2005), S. 66 f.
67
1.5 Staatliche Risikoübernahme und Versicherungsnachfrage
höherem Prämiensatz versichern (Punkt B), während die guten Risiken bei teilweisem Versicherungsschutz einen geringeren Prämiensatz zahlen (Punkt H). Das Nutzenniveau der beiden Risikotypen bleibt von der staatlichen Risikoübernahme unberührt.150
v2 v
gn
v1 = v2
a
gh
C S4
B
H
S3 S2 S1 staatliche Grundsicherung
A
va
v1
Abbildung 1.33: Trennendes Gleichgewicht und staatliche Risikoübernahme
Steigt die staatliche Grundsicherung auf ein höheres Niveau (z.B. S2), ist es für die guten Risiken besser, auf den privaten Versicherungsschutz zu verzichten und sich auf die staatliche Grundsicherung zu verlassen, da sein Nutzenniveau dadurch erhöht wird. Die Versicherungsnachfrage der guten Risiken bricht in der Folge zusammen. Verträge im Punkt H verschwinden vom Markt. Dies hat jedoch keine Auswirkungen auf die Versicherungsnachfrage der schlechten Risiken. Diese fragen nach wie vor den vollen Versicherungsschutz bei höherem Prämiensatz (Punkt B) nach, da es für die schlechten Risiken immer noch besser ist, den vollen Versicherungsschutz zu kaufen und auf die staatliche Grundsicherung zu verzichten. Bemerkenswert ist, dass bei dieser Höhe der
150
Vgl. Nguyen, T. (2006 c), S. 447.
68
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
staatlichen Grundsicherung sowohl das trennende als auch das vereinende Marktgleichgewicht zu dem gleichen Ergebnis führt: Die schlechten Risiken versichern sich zu höherem Prämiensatz voll, während die guten Risiken keinen Versicherungsschutz kaufen. Bei einer staatlichen Grundsicherung i. H. v. S3 würden beide Risikotypen vollständig auf Versicherungsschutz verzichten, um ihr Nutzenniveau zu erhöhen. Bei dieser hohen staatlichen Grundsicherung bricht der Versicherungsmarkt vollständig zusammen. Die beiden Risikotypen werden durch die staatliche Grundsicherung besser gestellt als im Fall der trennenden Verträge. Zu beachten ist, dass bei S3 die guten Risiken immer noch schlechter gestellt werden als im Fall der Versicherungslösung ohne asymmetrische Informationsverteilung (Punkt C). Erreicht die staatliche Grundsicherung das Niveau von S4, so verschwinden auch die Nutzenverluste der guten Risiken, die durch die asymmetrische Informationsverteilung verursacht werden.
1.6 Zusammenfassung des 1. Kapitels Die Versicherungsschäden aus Großschadenereignissen (Natur- und Man-madeKatastrophen) haben im letzten Jahrzehnt immer neue Rekorde erreicht. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Auf der einen Seite steigen mit zunehmender Industrialisierung die Werte- und Menschenkonzentration in stark exponierten Ballungsgebieten. Auf der anderen Seite nimmt wegen der klimatischen Veränderungen die Gefahr von Naturgewalt zu. Das vorliegende statistische Datenmaterial scheint den Trend, dass die Katastrophenereignisse immer häufiger auftreten und die versicherten Schäden pro Schadenereignis immer größere Ausmaße annehmen, zu bestätigen. Angesichts dieser negativen Schadenentwicklung stellt sich die Frage, ob die private Versicherungswirtschaft auch zukünftig in der Lage sein wird, die enormen Schäden aus Katastrophenereignissen aufzufangen und weiterhin Versicherungsschutz gegen solche Ereignisse anzubieten. Im vorliegenden Kapitel wurde die Versicherungsnachfrage aus Sicht eines repräsentativen Versicherungsnehmers analysiert. Es hat sich gezeigt, dass der Versicherungsschutz eine nutzenerhöhende und somit wohlfahrtssteigernde Wirkung hat, sofern die Individuen risikoscheu sind. Wenn das Versicherungsunternehmen auch die gleiche Risikoaversion besitzt, lässt sich die Existenz von Versicherungsmärkten nur dadurch
1.6 Zusammenfassung des 1. Kapitels
69
erklären, dass das Risiko beim Übergang vom Versicherungsnehmer zum Versicherer kleiner wird. Eine unverzichtbare Voraussetzung für das Zustandekommen von Versicherungsverträgen und damit die Existenz von Versicherungsmärkten ist das Funktionieren des Gesetzes der großen Zahlen. Dieses Gesetz besagt im versicherungswirtschaftlichen Kontext, dass für ein genügend großes Kollektiv mit gleichartigen Risiken der Erwartungsschaden sich relativ genau berechnen lässt. Mit anderen Worten: Durch den Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit wird bereits ein großer Teil des Risikos beim Übergang vom Versicherten zum Versicherer vernichtet. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Versicherbarkeit von Risiken dann gefährdet ist, wenn das Gesetz der großen Zahlen nur eingeschränkt zur Geltung kommen kann. Auf dieses Ergebnis werden wir später bei der Versicherbarkeitsprüfung von Katastrophenrisiken zurückkommen. Die Analyse der individuellen Versicherungsnachfrage hat ergeben: x Wenn eine faire Prämie erhoben wird, dann ist es optimal für den Versicherten, den vollen Versicherungsschutz nachzufragen. x Erhebt das Versicherungsunternehmen einen proportionalen Kostenzuschlag, so ist es nicht optimal, sich voll zu versichern. Wenn Versicherungsschutz die individuelle und dadurch die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt steigert, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die Nichtexistenz vom Versicherungsschutz zu Nutzenverlusten führt und somit nicht pareto-optimal ist. Denn ohne Versicherungsschutz wird den Wirtschaftssubjekten ein Instrument entzogen, wie sie ihre Unsicherheit bezüglich zukünftiger Erfahrungen mindern können. Folglich wird eine produktivere Nutzung von Ressourcen verhindert. Im vorliegenden Kapitel wurden zwei bedeutende Phänomene in der Versicherungswirtschaft, nämlich Moral Hazard und Adverse Selection, im Rahmen eines theoretischen Modells analysiert. Unter Moral Hazard versteht man dabei die Gefahr, bei Existenz von Versicherungsschutz nachlässig zu handeln oder gar Schäden bewusst herbeizuführen. Verursacht wird das Problem des Moral-Hazard-Verhaltens durch den verminderten Anreiz auf Seiten des Versicherungsnehmers, mögliche Schäden zu vermeiden bzw. zu begrenzen, nachdem im Rahmen eines Versicherungsvertrages das entsprechende Risiko auf den Versicherer transferiert ist.
70
Kapitel 1: Katastrophen und Versicherungsnachfrage
Unter Adverse Selection wird der Sachverhalt verstanden, dass der potentielle Versicherungsnehmer und das Versicherungsunternehmen einen unterschiedlichen Informationsstand bezüglich der Schadensanfälligkeit besitzen, und der Versicherungsnehmer diese Informationsasymmetrie für sich ausnutzt. In einem Versicherungsvertrag ist der Versicherer oftmals nicht in der Lage, potentielle Versicherungsnehmer risikogerecht zu klassifizieren, so dass er einen inhomogenen Versicherungsbestand aus guten und schlechten Risiken bekommt. Aufgrund der Unkenntnis über die Risikotypen der Versicherungsnehmer ist das Versicherungsunternehmen gezwungen, einen einheitlichen Versicherungstarif für unterschiedliche Risikoklassen zu erheben. Das Ergebnis dieser Tarifierungspolitik ist eine systematische Verschlechterung des Versicherungsportfolios für den Versicherer, da der Anteil der schlechten Risiken am gesamten Portfolio steigt. Moral Hazard und Adverse Selection können im schlimmsten Fall die Prämien so hoch treiben, dass sie bezahlbar sind und somit die Risiken faktisch unversicherbar werden. Bei Katastrophenereignissen mit enormen volkswirtschaftlichen Schäden sieht sich der Staat aufgrund des öffentlichen Drucks und der Medien oftmals gezwungen, den betroffenen Bevölkerungsteilen eine gewisse staatliche Grundsicherung und damit Versicherungsschutz ohne eine nennenswerte Gegenleistung zu gewähren. Im vorliegenden Kapitel wurde ein Modellrahmen vorgestellt, in dem der Einfluss staatlicher Risikoübernahme in Form einer Grundsicherung auf die Versicherungsnachfrage beim Vorliegen von Moral Hazard und Adverse Selection untersucht werden kann. Bei allen Modellvarianten hat sich herausgestellt, dass eine staatliche Grundsicherung in geringer Höhe keinerlei Einfluss auf die individuelle Versicherungsnachfrage sowie die Marktlösungen ausübt. Ist die staatliche Grundsicherung dagegen hinreichend groß, so werden die Individuen vollständig auf den privaten Versicherungsschutz verzichten und sich nur noch auf den staatlichen Versicherungsschutz verlassen. Die private Versicherungsnachfrage und damit die privaten Versicherungsmärkte würden in diesem Fall zusammenbrechen. Staatliche Grundsicherung ersetzt in der Folge vollständig die private Versicherungslösung. Beim Vorliegen von Adverse Selection kann die staatliche Grundsicherung einer bestimmten Höhe dazu führen, dass die guten Risiken die Staatshilfe der marktwirtschaftlichen Versicherungslösung vorziehen, während sich die schlechten Risiken voll versichern. Die staatliche Grundsicherung kann somit dazu beitragen, das Problem der Adverse Selection zu beseitigen. Bemerkenswert ist dabei, dass bei dieser staatlichen Grundsicherung sowohl das trennende als auch das vereinende Marktgleichgewicht zu
1.6 Zusammenfassung des 1. Kapitels
71
dem gleichen Ergebnis führt: Die schlechten Risiken versichern sich zu dem risikogerechten Prämiensatz voll, während die guten Risiken keinen privaten Versicherungsschutz kaufen und sich auf die staatliche Grundsicherung verlassen. Bei Existenz von Moral Hazard haben wir im vorliegenden Kapitel herausgefunden, dass die staatliche Risikoübernahme ab einem bestimmten Niveau die Schadenverhütungsmaßnahmen durch die Versicherten bereits zum Erliegen zu bringen vermag, bevor der private Versicherungsschutz dieses Moral-Hazard-Verhalten auslösen kann. Die staatliche Grundsicherung verstärkt somit das Moral-Hazard-Verhalten und ist deshalb kein geeignetes Instrument zur Beseitigung der Probleme, die mit dieser Art von asymmetrischer Informationsverteilung zusammenhängen. Im nächsten Kapitel werden zunächst allgemein die Kriterien für die Versicherbarkeit von Risiken aufgestellt. Anhand dieser Kriterien wird anschließend untersucht, inwiefern Katastrophenereignisse unversicherbar sind bzw. welche Faktoren es sind, die eine Versicherung von Katastrophenrisiken so schwierig machen.
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
2.1 Der Risikobegriff Der Ursprung des Begriffs „Risiko“ ist nicht zweifelsfrei geklärt.151 Als Vorläufer gelten aus dem Italienischen die Begriffe „riscio“ oder „risco“, die etwa mit Wagnis, Gefahr oder Verantwortung übersetzt werden kann.152 Auch in dem modernen Sprachgebrauch gibt es für den Begriff „Risiko“ keine einheitliche Definition. Jede Wissenschaftsdisziplin hat ein eigenes Konzept, wie Risiko zu verstehen ist.153 In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird nicht mehr versucht, eine exakte Definition über den Begriff Risiko zu geben.154 Selbst innerhalb der versicherungswissenschaftlichen Literatur gibt es verschiedene Auffassungen über den Begriff Risiko.155 Das Risiko wird vielmehr mit seinen wesentlichen Eigenschaften umschrieben:156 Das Risiko aus einem Handeln oder Verhalten des Versicherungsunternehmens kommt in einer Wahrscheinlichkeitsverteilung der möglichen Ergebnisse zum Ausdruck. 157 Die Ergebnisse sind Maße für die Zielerfüllung oder Zielverfehlung.158
151 152 153 154 155 156 157
158
Vgl. Wagner, F. (2000), S. 7. Vgl. Duden-Herkunftswörterbuch. Vgl. Rejda, G. E. (2005), S. 3. Vgl. Wagner, F. (2000), S. 7. Vgl. Farny, D. (2006), S. 27. Vgl. Michaels, B. (1999), S. 237 f. sowie Dorfman, M. S. (2004), S. 7. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung der möglichen Ergebnisse gibt an, welche Ergebnismöglichkeiten bestehen und welche Wahrscheinlichkeiten ihnen zugeordnet sind. Eine Wahrscheinlichkeitsverteilung ist durch charakteristische Größen wie Erwartungswert und Varianz gekennzeichnet. Vgl. Wagner, F. (2000), S. 8 sowie Farny, D. (2006), S. 29. Wichtig ist zu betonen, dass beim Risiko das Ergebnis aus einer Handlung einer Wahrscheinlichkeitsverteilung unterliegt und somit Abweichungen vom Erwartungswert sowohl nach unten als auch nach oben annehmen kann. Das chinesische Wort für Risiko heißt „Wej-ji“, das sich aus den Schriftzeichen für Gefahr und Chance zusammensetzt. Somit ist das Risiko nicht nur als Gefahr, sondern auch als Chance zu verstehen.
74
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Der Grund für die beschriebenen Eigenschaften des Risikos liegt darin, dass der kausale und finale Zusammenhang zwischen Handlung und Ergebnis aufgrund äußerer Einflussfaktoren oder aufgrund unvollkommener Informationen nicht eindeutig ist.159 Wir werden in den weiteren Ausführungen den Begriff Risiko in dem Sinne verstehen, dass der Ausgang des wirtschaftlichen Handels zwar unsicher ist, jedoch einer bekannten Wahrscheinlichkeitsverteilung unterliegt.160
2.1.1 Versicherungstechnische Risiken Unternehmen im Bereich der Versicherungswirtschaft sind zahlreichen Risiken ausgesetzt. Das Gesamtrisiko im Versicherungsunternehmen umfasst die Gefahr der Verfehlung der gesetzten Unternehmensziele. Abbildung 2.1 zeigt eine häufig gewählte Unterteilung dieser Unsicherheiten in verschiedene Kategorien.161 Risiken im Versicherungsunternehmen
Unternehmerische Risiken
Versicherungstechnische Risiken
Kapitalanlagerisiken
Sonstige Risiken
Abbildung 2.1 : Risiken in Versicherungsunternehmen
Als unternehmerische Risiken werden die grundsätzlichen Gefahren bezeichnet, welche mit der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens einhergehen. Damit sind alle Fehlentscheidungen gemeint, die durch Veränderungen auf den Märkten und Änderungen der Gesellschafts-, der Rechts- und der Wirtschaftsordnung verursacht werden.162 Die unternehmerischen Risiken umfassen dabei alle Risiken aus den einzelnen betriebswirtschaftlichen Funktionen im Versicherungsunternehmen namentlich Beschaffungsrisiken, Leistungserstellungsrisiken, Absatzrisiken. 163 Je nachdem, ob Unternehmen darauf Einfluss nehmen können oder nicht, unterscheidet man zwischen internen und externen Risiken. Zu den externen Ursachen zählen u. a. die Veränderungen von
159 160 161 162 163
Vgl. Farny, D. (2006), S. 27. Vgl. Bamberg, G. und Coenenberg, A. G. ( 2004), S. 76. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 54 f. Vgl. Schradin, H. R. (1994), S. 35. Vgl. Farny, D. (2006), S. 533.
2.1 Der Risikobegriff
75
Marktbedingungen, wohingegen Managementfehler den internen Unsicherheiten zuzuordnen sind. Die Kapitalanlagenrisiken resultieren daraus, dass die eingenommenen Versicherungsprämien temporär angelegt werden müssen, um spätere Schadenzahlungen zu finanzieren. Die Gefahr des Wertverlustes von Wertpapieren und sonstiger Anleihen fasst das Kapitalanlagerisiko zusammen und spielt u. a. im „Asset Liability Management“ (ALM) eine wichtige Rolle. Die Gründe für den Wertverlust der Kapitalanlagen können in der Kurs-, Währungs- oder Zinsentwicklung auf den Kapitalmärkten liegen.164 Rechtsstreitigkeiten z.B. in der Auslegung von Versicherungsverträgen und Unsicherheiten, wie z.B. EDV-Systemrisiken, welche unter keine der anderen Kategorien fallen, werden unter den sonstigen Risiken subsumiert. Die versicherungstechnischen Risiken nehmen in dieser Aufteilung eine Sonderstellung ein.165 Diese Risiken betreffen ausschließlich Unternehmen der Versicherungsbranche, während die übrigen Gefahren auch in anderen Unternehmenszweigen auftreten können. Ursache dieser Risikoart sind die Leistungsversprechen, die Versicherungsunternehmen in ihren Verträgen abgeben. Diese hängen vom Eintreten unsicherer Ereignisse ab und verursachen daher Schwankungen im Bereich der finanziellen Entschädigungszahlungen. Dem Versicherer stehen zwar Möglichkeiten zur Verfügung, die Volatilität dieser Schadensverteilungen zu reduzieren, aber eine vollständige Elimination ist nicht möglich.166 Der Versicherer kann zwar durch eine Vielzahl von homogenen und unabhängigen Risiken in seinem Versicherungsbestand einen Ausgleich im Kollektiv und, durch eine entsprechende Gestaltung der Vertragslaufzeit, einen Ausgleich in der Zeit erzielen. Das verbleibende Restrisiko wird als versicherungstechnisches Risiko bezeichnet. Autoren der Fachliteratur definieren das versicherungstechnische Risiko unterschiedlich und nennen verschiedene Gründe, die zu diesem Phänomen der Versicherungswirtschaft führen. Häufig werden die Ursachen in Zufallsrisiko, Änderungsrisiko und Irrtumsrisiko unterteilt. Daneben spielen Erscheinungen wie „Moral Hazard“ und 164 165
166
Vgl. Schradin, H. R. (1994), S. 36. In der versicherungswissenschaftlichen Fachliteratur werden die versicherungstechnischen Risiken häufig gesondert hervorgehoben, während alle anderen Unternehmensrisiken als „nicht versicherungstechnische“ bzw. als „kaufmännische“ Risiken bezeichnet und als nebensächlich betrachtet werden. Vgl. Farny, D. (2006), S. 532. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 12.
76
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
„Adverse Selektion“ eine wichtige Rolle, deren Ursache in einer asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherungsgeber liegt. Abbildung 2.2 illustriert die Zerlegung des versicherungstechnischen Risikos in seine vier Teilkomponenten, welche im Folgenden erläutert werden.167
Versicherungstechnisches Risiko
Zufallsrisiko
Änderungsrisiko
Irrtumsrisiko
Risiko aufgrund asymmetrischer Informationsverteilung
Abbildung 2.2: Zerlegung des versicherungstechnischen Risikos
2.1.1.1 Zufallsrisiko Der Schadensverlauf von Risiken innerhalb des Bestandes von Versicherungsunternehmen unterliegt stochastischen Schwankungen. Diese zufälligen Abweichungen können in zwei Ausprägungen vorkommen: x Zum einen ist es möglich, dass die Anzahl der eingetretenen Versicherungsfälle in einer Periode entweder besonders hoch oder besonders niedrig ausfällt und x zum anderen kann die Höhe der einzelnen Schäden in den betrachteten Zeitabschnitten stark variieren. Dies bedeutet, dass hohe Überschäden eintreten können, obwohl die zugrunde gelegte Schadensverteilung der Realität entspricht und diese sich auch im Zeitablauf nicht geändert hat. Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten solcher Abweichungen ist abhängig von der Größe und Struktur des Versicherungsbestandes und wird als Zufallsrisiko bezeichnet.168 Als Messgröße dient die Streuung, respektive Varianz, des Gesamtschadens um den Erwartungswert. Das Zufallsrisiko kann in drei Teilmengen untergliedert werden.169
167 168 169
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 56. Vgl. Albrecht, P. und Schwake, E. (1988), S. 653. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 56 f.
2.1 Der Risikobegriff
77
x Kumulrisiko Das Kumulrisiko ist dadurch charakterisiert, dass durch das Eintreten eines einzelnen Ereignisses viele versicherungstechnische Einheiten gleichzeitig einen Schaden erleiden. Klassisches Beispiel hierfür ist der Münchener Hagelsturm vom 12. Juli 1984, bei dem ein versicherter Gesamtschaden von umgerechnet ca. 750 Mio. EUR entstand. x Ansteckungsrisiko Auch beim Ansteckungsrisiko werden Schäden bei mehreren Versicherungseinheiten durch ein und dasselbe Ereignis ausgelöst. Jedoch erfolgt dies nicht gleichzeitig, sondern zeitlich versetzt. Als Beispiele sind zu nennen: Gebäudebrände, die auf benachbarte Objekte übergreifen oder aber ansteckende Krankheiten, welche sich in der Bevölkerung ausbreiten. x Großschaden- oder Katastrophenrisiko Bei Großschaden- oder Katastrophenrisiken handelt es sich um Ereignisse, welche zwar selten eintreten, dafür aber sehr hohe Schäden bei vielen versicherten Objekten verursachen. In der Fachwelt werden sie deshalb auch als „Low Frequency/High Severity“- Risiken bezeichnet. Wann genau die Grenze überschritten ist, bei der man nicht mehr von „normalen“, sondern von großen Schäden spricht, hängt von der Zeichnungskapazität des jeweiligen Versicherungsunternehmens ab. Auslöser können sowohl Naturkatastrophen, wie Erdbeben oder Stürme, als auch Unglücksfälle, wie z.B. der Gau eines Atomreaktors, sein. 2.1.1.2 Änderungsrisiko Im vorangegangenen Unterabschnitt ist von einer gleich bleibenden Wahrscheinlichkeitsverteilung der versicherten Schäden ausgegangen. In Wirklichkeit können sich aber unvorhersehbare Ereignisse die angenommenen Größen während der Vertragslaufzeit verändern, ohne dass der Versicherer diese Veränderungen wahrgenommen und bei der Prämienkalkulation berücksichtigt hat.170 Des Weiteren unterliegen auch Risikofaktoren, welche für den Schadenseintritt verantwortlich sind, einem ständigen Wandel. So kann beispielsweise die globale Erwärmung Auswirkungen auf die Wiederkehrperiode bestimmter Naturphänomene und
170
Vgl. Hartmann, P. (1998), S. 101.
78
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
damit auf die zu erwartende Schadenshöhe der betroffenen Risiken haben.171 Die daraus resultierende Differenz aus realem Gesamtschaden und den Erwartungen des Versicherers wird Änderungsrisiko genannt. Die Gründe für die zeitlichen Veränderungen der risikobestimmenden Faktoren können x wirtschaftlicher Art (z.B. Inflation, höhere Wertekonzentration), x gesellschaftlicher Art (z.B. Anstieg der Kriminalität, Terrorgefahr), x technischer/technologischer Art (z.B. Nuklearenergie, neue Medikamente) oder x rechtlicher Art (z.B. Ausweitung des Haftungsrechts, Umkehr der Beweislast) sein. In der Praxis hat sich gezeigt, dass das Änderungsrisiko und das Zufallsrisiko oft schwer voneinander zu trennen sind.172 Die Folge ist, dass der Versicherer jahrelang die veränderten Risikofaktoren nicht erkennt und dadurch eine viel zu niedrige Versicherungsprämie verlangt.173 2.1.1.3 Irrtumsrisiko Versicherungsunternehmen haben ex ante keine Kenntnis über die realen Verteilungen der versicherten Schäden. Sie müssen diese mit Hilfe statistischer Verfahren aus empirischen Daten ermitteln. Werden dazu nicht alle relevanten Informationen berücksichtigt, welche verfügbar sind, oder treten Fehler bei den verwendeten Schätzverfahren auf, so handelt es sich um das sog. Irrtumsrisiko.174 Es stellt somit die Gefahr dar, dass sämtliche Berechnungen bzgl. der betrachteten Risiken auf falschen Modellen beruhen. Je nachdem ob der Blick in die Vergangenheit oder in die Zukunft gerichtet ist, existieren zwei Ausprägungen des Irrtumsrisikos.175
171 172 173
174
175
Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 58. Vgl. Helten, E. (1973), S. 159. Typisches Beispiel dafür ist das Risiko durch die gestiegene Lebenserwartung in der Lebensversicherung. Durch eine Aktualisierung der Sterbetaffeln von der DAV (Deutsche Aktuarvereinigung) im Jahr kam es bei vielen Lebensversicherern zu erheblichen Nachreservierungen. Das Irrtumsrisiko wird deshalb in der Literatur auch als Informationsrisiko bezeichnet. Vgl. Albrecht, P. und Lippe, S. (1988), S. 528 sowie Berliner, B. (1982), S. 74 ff. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 59.
2.1 Der Risikobegriff
79
x Im engeren Sinne wird darunter das Diagnoserisiko verstanden. Es beschreibt die Schwierigkeit, durch Analyse historischer Daten stochastische Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge zu erkennen. x Im weiteren Sinne umfasst der Begriff das Prognoserisiko. Dieses gibt die Unsicherheiten an, aus bekannten Größen die zukünftigen Entwicklungen des Schadensverlaufs zu schätzen. 2.1.1.4 Risiko aufgrund asymmetrischer Informationsverteilung Verfügen Vertragspartner im Bereich der Versicherungswirtschaft über einen unterschiedlichen Informationsstand, so treten die Phänomene „Moral Hazard“ und „Adverse Selektion“ auf.176 x Moral Hazard „Moral Hazard“ liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer aufgrund des bestehenden Schutzversprechens seine notwendige Sorgfaltspflicht vernachlässigt. Das bedeutet, er trifft ohne Versicherungsschutz mehr Maßnahmen zur Schadensverhütung und Schadensvermeidung als mit Versicherungsschutz. Im Extremfall ändert sich sein Verhalten so stark, dass er den Schadensfall bewusst herbeiführt, um die Versicherungsleistung zu vereinnahmen. Der Versicherungsgeber erleidet dadurch finanzielle Einbußen, die in den unerwartet hohen Schadenszahlungen begründet sind. Da der Versicherer keine Möglichkeit besitzt, die Verhaltensänderungen jedes einzelnen Klienten zu beobachten, versucht er durch eine entsprechende Vertragsgestaltung den Versicherungsbetrug einzudämmen. Eine Möglichkeit besteht z.B. darin, dass der Versicherungsnehmer für einen Teil seiner Schäden selber aufkommen muss, er sozusagen an den entstehenden Schadenszahlungen beteiligt wird. x Adverse Selektion Versicherungsunternehmen unterteilen ihren Bestand an Versicherungen in zwei Gruppen. Sie bezeichnen Einzelverträge als gute Risiken, falls deren zukünftige Schadensaufwendungen niedriger ausfallen als erwartet; wird hingegen der Erwartungswert überschritten, so handelt es sich um schlechte Risiken. Das Problem der „Adverse Selektion“ tritt dann auf, wenn der Versicherer diese Gefahrentypen als (versicherungstechnisch) gleichartig betrachtet, und deshalb für beide identische Prämien berechnet.
176
Die beiden Begriffe „Moral Hazard“ und „Adverse Selection“ wurden bereits im Kapitel 1 ausführlich erläutert, so dass hier lediglich eine kurze Zusammenfassung wiedergegeben wird.
80
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Die schlechten Risiken erhalten somit den Versicherungsschutz zu günstig, wohingegen die guten Risiken zu viel dafür aufbringen müssen. Aus dieser Fehlallokation von Ressourcen entstehen volkswirtschaftliche Wohlfahrtsverluste. Um diese zu verringern, werden gute Risiken die Konkurrenzsituation auf dem Markt ausnutzen und versuchen, einen billigeren Anbieter von Versicherungsschutz zu finden. Dadurch verschlechtert sich nach und nach das Verhältnis von guten zu schlechten Risiken im Bestand des ursprünglichen Versicherers und der Ausgleich im Kollektiv gerät ins Wanken. Infolgedessen muss das Versicherungsunternehmen entweder die Prämien erhöhen oder Verluste realisieren; beide Aktionen schaden jedoch seiner Wettbewerbsfähigkeit. In diesem Abschnitt wurde deutlich, dass sich Versicherungsunternehmen nicht dem versicherungstechnischen Risiko entziehen können. Deshalb haben sie nach Wegen gesucht, diese Gefahr so gut wie möglich zu reduzieren. Im kommenden Abschnitt 2.1.2 werden die möglichen Ansatzpunkte der Risikopolitik vorgestellt, wie mit Risiken umgegangen werden soll.
2.1.2 Risikomanagement im Versicherungsunternehmen Das Risikomanagement spielt innerhalb von (Rück-)Versicherungsunternehmen eine wichtige Rolle. Unter Risikomanagement wird die logische Entwicklung und Durchführung eines Plans verstanden, wie mit Risiken umgegangen werden soll.177 Dies erfordert eine klar definierte Grundvorstellung über den planmäßigen und systematischen Umgang mit Risiken.178 Als Basis dient hierfür die Identifikation von Risiken, mit denen ein Versicherer konfrontiert ist. Darauf aufbauend erfolgt eine Analyse und anschließende Bewertung dieser Gefahren. In einem letzten Schritt wird darüber entschieden, welche risikopolitischen Maßnahmen getroffen werden müssen.179 Bei der Risikoidentifikation geht es um die Frage nach den Arten der vorhandenen Risiken. Dabei sollen theoretisch alle bestehenden Risiken vollständig aufgedeckt werden, denn ein übersehenes Risiko kann im Extremfall die Existenz des gesamten Versicherungsunternehmens gefährden. Der Prozess der Risikobewertung gestaltet sich in der Regel schwieriger als die Risikoidentifikation. Hier geht es darum, für die aufgedeckten Risiken die zugehörigen
177 178 179
Vgl. Dorfman, M. S. (2004), S. 44. Vgl. Wagner, F. (2000), S. 23. Vgl. Wagner, F. (2000), S. 23 ff.
81
2.1 Der Risikobegriff
Wahrscheinlichkeitsverteilungen bezüglich Schadenpotenzial und Eintrittswahrscheinlichkeit zu finden, d.h. den festgestellten Risiken bestimmte numerische Werte zuzuordnen.180 Welches Messverfahren dabei anzuwenden ist, hängt von der Beschaffenheit der einzelnen Risiken ab.181 Der folgende Unterabschnitt vermittelt einen allgemeinen Überblick über diese möglichen risikopolitischen Maßnahmen. Im Anschluss daran werden verschiedene Ansatzpunkte diskutiert, mit denen das versicherungstechnische Risiko vermindert werden kann. Versicherungsunternehmen steht ein großes Repertoire an Möglichkeiten zur Verfügung, bestehende Risiken zu reduzieren. Die am weitesten verbreiteten Maßnahmen werden in Abbildung 2.3 veranschaulicht und im Folgenden kurz vorgestellt.182
Risikopolitische Maßnahmen
Risikomeidung
Risikotransfer
Risikodiversifikation
Risikoausgleich
Risikoreservebildung
Abbildung 2.3: Klassifikation risikopolitischer Maßnahmen
2.1.2.1 Risikomeidung Ein Versicherungsunternehmen ist allein nicht in der Lage, jedes Risiko zu eliminieren, denn trotz eines großen und gut diversifizierten Versicherungsbestandes besteht immer noch ein gewisses Risiko, dass die tatsächlichen Schadenszahlungen die Erwartungen übertreffen. Dennoch kann das Unternehmen bewusst versuchen, potentiellen Gefahrenquellen aus dem Weg zu gehen. Eine Möglichkeit besteht z.B. darin, nicht jede Art von Risiko zu übernehmen, sondern das Geschäft auf bestimmte Versicherungssparten, Regionen oder Kundengruppen zu beschränken (restriktive Zeichnungspolitik).183 Be-
180 181
182 183
Vgl. Wagner, F. (2000), S. 27. Dabei sind insbesondere folgende Risikomerkmale zu berücksichtigen: Messbarkeit, stochastische Abhängigkeit, Nichtlinearität, Pfadabhängigkeit. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 64 f. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 27 ff. Vgl. Wagner, F. (2000), S. 297.
82
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
reits übernommene Risiken können durch eine gezielte Kündigung aus dem Versicherungsbestand entfernt werden. Mit dem generellen Verzicht auf die Bereitstellung von bestimmtem Versicherungsschutz (z.B. gegen Terrorismusrisiken) werden die zugehörigen Risiken bewusst vermieden. Neben dieser generellen Ablehnung von bestimmten Gefahren hilft eine einzelfallbezogene Risikoauslese, Schäden enormer Höhe zu vermeiden und Kumulrisiken auszuschalten.184 Des Weiteren können vertragliche Haftungsausschlüsse (z.B. terroristische Risiken oder kriegerische Auseinandersetzungen) eine Begrenzung der Schadensaufwendungen sicherstellen.185 Die Risikovermeidung als risikopolitisches Instrument ist eher geeignet für Entscheidungsträger mit einer extremen Risikoaversion. Dieses Instrument ist zwar immer möglich, denn dank der Vertragsfreiheit ist ein Versicherer nicht verpflichtet, bestimmte Risiken zu übernehmen. Jedoch hat diese Maßnahme nicht immer wünschenswert. Es muss hierbei zwischen den einzugehenden Risiken und dem entgangenen Gewinn abgewogen werden.186 2.1.2.2 Risikotransfer In dieser Ausarbeitung wird das Hauptaugenmerk auf den Risikotransfer gelegt. Hierbei überträgt der Zedent Gefahren ganz oder teilweise auf andere Wirtschaftssubjekte.187 In der Regel wird das Risiko in eine Vielzahl kleinerer Risiken zerlegt und zwischen mehreren Risikoträgern verteilt. Das Risiko an sich wird dadurch nicht kleiner, jedoch wird es durch die Zerlegung für den einzelnen Risikoträger verkraftbar.188 Diese Art der Risikoteilung kann beim Versicherungsunternehmen grundsätzlich auf zwei Arten erfolgen:189 x Das Versicherungsunternehmen kann zu diesem Zweck einen Vertrag mit einem anderen Versicherer abschließen (Rückversicherung) oder den Kapitalmarkt als Risikoträger benutzen (Alternativer Risikotransfer).190
184 185 186 187 188 189
Vgl. Heilmann, W. R. und Karten, W. (1998), S. 662. Vgl. Gerathewohl, K. et al. (1976), S. 747 f. Vgl. Treischmann, J. S., Hoyt, R. E. und Sommer, D. W. (2005), S. 76. Vgl. Treischmann, J. S., Hoyt, R. E. und Sommer, D. W. (2005), S. 83. Vgl. Wagner, F. (2000), S. 321. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 29.
2.1 Der Risikobegriff
83
x Ebenso zählt der Transfer von Gefahren auf den Versicherungsnehmer zu dieser risikopolitischen Maßnahme. In den Vertragsbedingungen der Originalpolice wird dabei festgelegt, inwieweit der Versicherte selbst für eventuelle Schäden aufkommen muss.191 2.1.2.3 Risikodiversifikation Ein bekanntes Sprichwort aus dem Finanzwesen (genauer der Portfoliotheorie) lautet: „Don't put all your eggs in one basket!“. Damit ist gemeint, dass es sinnvoll ist, in unterschiedliche Anlagewerte zu investieren, weil sich dadurch die Volatilität und damit das Anlagerisiko des entsprechenden (Aktien-) Portfolios reduzieren lässt. Übertragen auf die Versicherungsbranche bedeutet dies, dass ein Versicherungsunternehmen möglichst viele unabhängige Risiken in seinem Bestand halten sollte. Diese Streuung, respektive Diversifikation, von Ungewissheiten lässt sich z.B. durch das Anbieten verschiedener Versicherungsprodukte erreichen.192 Die Risikodiversifikation wirkt besonders effektiv, wenn die Risiken negativ miteinander korrelieren. Bei einem Korrelationskoeffizienten von – 1 würden sich beide Risiken sogar neutralisieren. Die Risikodiversifikation kann unter Umständen bedeuten, dass eine bestimmte Risikoposition gegenüber einer anderen selbst dann bevorzugt wird, wenn sie für sich allein ein größeres Risiko darstellt jedoch günstigere Korrelationsbeziehungen zu den übrigen Bestandsrisiken aufweist.193 Eine weitere Möglichkeit ist die Bereitstellung von Versicherungslösungen für verschiedene Sparten und Regionen. Die Risikodiversifikation kann hierbei sowohl durch eine entsprechende Zeichnungspolitik im Erstversicherungsgeschäft, als auch durch das Anbieten von Rückversicherungsschutz erlangt werden.194 Genauso kann ein bunt gemischter Kundenstamm zur Risikostreuung beitragen.195
190
191
192 193 194
195
Dadurch werden die ungewissen Schadenszahlungen durch fixe Kosten ersetzt und somit das versicherungstechnische Risiko verringert. Die Art des Risikotransfers auf den Versicherungsnehmer trägt zusätzlich dazu bei, das moralische Risiko (Moral Hazard) zu minimieren. Vgl. Wagner, F. (2000), S. 323. Vgl. Kiln, R. (1991), S. 20 f. Vgl. Wagner, F. (2000), S. 324. Risikodiversifikation kann auch durch den Austausch von Risiken an einer eigens dafür eingerichteten Spezialbörse, der „Catastrophe Risk Exchange“ (CATEX) erreicht werden. Vgl. dazu Kapitel 3. Vgl. Wagner, F. (2000), S. 330.
84
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Einige professionelle Rückversicherer versuchen mit dem Kauf oder der Gründung eines Erstversicherungsunternehmens Risiken zu streuen. Obwohl dieses Vorgehen wahrscheinlich primär anderen Motiven zuzuordnen ist, kann damit trotzdem ein Ausgleichseffekt erzielt werden. Dies beruht auf der Tatsache, dass sich das Erst- und Rückversicherungsgeschäft zumindest in einigen Teilbereichen gegenläufig entwickelt. 2.1.2.4 Risikoausgleich Der Risikoausgleich, im Kollektiv und in der Zeit, spielt in der Versicherungswirtschaft eine herausragende Rolle und wurde bereits im Zusammenhang mit der Definition des versicherungstechnischen Risikos angesprochen. Als Grundannahme fungiert dabei das „Gesetz der großen Zahlen“. Dieses besagt, dass erfahrungsgemäß die Zufallsschwankungen umso geringer ausfallen, je größer die Anzahl bzw. je länger der Betrachtungszeitraum der versicherungstechnischen Einheiten ist. Als Folge wächst der Risikobeitrag nicht linear, sondern lediglich degressiv mit der Vergrößerung des Versicherungsbestandes. Daher sollten Versicherungsunternehmen versuchen, möglichst große und homogene Kollektive zu bilden und lang andauernde Vertragsbeziehungen einzugehen.196 Diese Nutzung des Risikoausgleichs verbessert zudem die Schätzung von versicherungstechnischen Kennzahlen und führt daher zu einer Reduktion des Diagnose- und Prognoserisikos. Bei Katastrophenrisiken gilt die Besonderheit, dass das Schadensausmaß hier besonders hoch ist, so dass ein Risikoausgleich im Kollektiv in der Regel nicht ausreicht. Vielmehr müssen diese Risiken über die Zeit ausgeglichen werden. Problematisch ist dabei die Frage, ob das Versicherungsunternehmen die finanziellen Folgen eines Katastrophenereignisses überlebt, um den Risikoausgleich in der Zeit zu ermöglichen. Eng verknüpft mit dieser Frage ist die Entscheidung über die Risikoreservebildung. 2.1.2.5 Risikoreservebildung Eine weitere risikopolitische Maßnahme ist die Risikoreservebildung. Hierbei werden liquide Mittel innerhalb des Unternehmens angesammelt, die dazu verwendet werden, um unvorhergesehene Schwankungen in den Schadensverläufen auszugleichen. Dieses Sicherheitskapital besteht hauptsächlich aus dem Eigenkapital, dem sog. „QuasiEigenkapital“ und den „stillen Reserven“.
196
Vgl. Albrecht, P. (1992), S. 504.
2.2 Versicherbarkeit von Risiken
85
Aufgrund des Vorsichtsprinzips in der deutschen Rechnungslegung sind Versicherungsunternehmen angehalten, in der Regel eine höhere Rückstellung für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle (Schadenrückstellung) zu bilden, als dies nach versicherungsmathematischen Grundsätzen erforderlich wäre.197 Durch die Risikoreservebildung wird das Kapital im Versicherungsunternehmen zurückgehalten und nicht für etwaige Abflüsse aus dem Unternehmen (Steuern, Dividenden usw.) verwendet. Die Risikoreservebildung erhöht die Haftungsmasse des Versicherungsunternehmen und damit die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen die Schäden aus z.B. einem Katastrophenereignis finanzieren kann und weiter existiert. Das Fortbestehen des Versicherungsunternehmens ist zwingend erforderlich für den Risikoausgleich in der Zeit.
2.2 Versicherbarkeit von Risiken 2.2.1 Grundsätzliche Überlegungen Nicht jedes Risiko ist jederzeit versicherbar. Gerade bei Katastrophenrisiken sind die Ausmaße der dabei entstehenden Schäden so gewaltig, dass die Kapazitäten der gesamten Versicherungsbranche an ihre Grenzen stoßen. In diesem Zusammenhang interessiert die Frage, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein Risiko als versicherbar gilt. Anders ausgedrückt: was haben die versicherbaren Risiken gemeinsam? Zunächst sei erwähnt, dass es keine objektiven Grenzen für die Versicherbarkeit geben kann, da das Versicherungsgeschäft auf einem subjektiven Entscheidungsproblem zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer beruht.198 Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die Versicherbarkeit von Risiken zu untersuchen, nämlich den empirisch-induktiven und den theoretisch-deduktiven Ansatz.199 Bei dem empirisch-induktiven Ansatz gilt ein Risiko als versicherbar, wenn es auf
197
198
199
Über die Möglichkeit zur Bildung verschiedener versicherungstechnischer Rückstellungen, vgl. Rockel, W. et al. (2005), S. 149 ff. Vgl. Berge, K. (2006), S. 22. Ähnlich argumentiert Berliner, dass die Frage nach der Versicherbarkeit von Risiken nicht allgemein beantwortet werden kann, da sie von zahlreichen subjektiven Aspekten abhängt. Vgl. Berliner, B. (1982), S. 11. Vgl. Endres, A. und Schwarze, R. (1992 b), S. 85 sowie Benzin, A. (2005), S. 713.
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Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
dem Versicherungsmarkt tatsächlich versichert werden kann.200 Man versucht dann, aus den angebotenen Versicherungslösungen Rückschlüsse auf die Eigenschaften zu ziehen, die ein Risiko als versicherbar erscheinen lassen. Hingegen macht der theoretisch-deduktive Ansatz die Versicherbarkeit von Risiken nicht von einem tatsächlich vorhandenen Versicherungsangebot abhängig,201 denn es hat sich gezeigt, dass es für neuartige Risiken (Terrorismusrisiken, zunehmende Naturkatastrophen, Atomhaftpflicht oder Umweltrisiken) zunächst keinen Versicherungsschutz auf dem Markt gibt. Für diese Risiken werden aber im Laufe der Zeit Versicherungslösungen gefunden. Andererseits gibt es Risiken, für die ehemals Versicherungslösungen angeboten wurden und jetzt nicht mehr versichert werden können (z.B. Asbest-Versicherung). Es ist offensichtlich, dass beide Ansätze (empirisch-induktiv und theoretisch-deduktiv) nicht immer zu den gleichen Ergebnissen führen.202 Versicherer sind sich nicht immer einig, welche Risiken versichert werden können. Nicht immer ist offensichtlich, welche Risiken versicherbar sind und welche nicht. Die Grenzen zwischen Versicherbarkeit und Nicht-Versicherbarkeit sind in vielen Fällen fließend. Ein Risiko, das dem einen Versicherer unversicherbar erscheint, kann von einem anderen gezeichnet werden, weil er vielleicht über mehr freie Zeichnungskapazität verfügt, weil sein Versicherungsbestand anders zusammengesetzt ist oder weil er – zu Recht oder Unrecht – glaubt, das Risiko besser beurteilen zu können.203 Ein weiterer Faktor, der die Bereitschaft eines Versicherers zur Zeichnung von Risiken beeinflusst, ist seine „Risikoneigung“. Sie ergibt sich daraus, wie er die Qualität des Risikos beurteilt und inwiefern dieses die Diversifizierung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten in seinem Portefeuille unterstützt.204 Auch Unterschiede zwischen nationalen Rechts-, Politik- und Sozialsystemen und den Risikolandschaften können dazu führen, dass ein Risiko in einem Land versicherbar ist, in einem anderen dagegen nicht.
200 201
202
203 204
Vgl. Berliner, B. (1982), S. 11 ff. Das Vorliegen eines konkreten Versicherungsvertrags kann also nicht die Grenzen der abstrakten Versicherbarkeit definieren. Diesbezüglich stellt Lucius fest, dass die Grenzen der Versicherbarkeit jeweils durch die verwendete Konzeption vorbestimmt sind. Vgl. Lucius, R. R. (1979), S. 203. Vgl. Farny, D. (2006), S. 37. So argumentieren Endres und Schwarze, dass die Versicherbarkeit von zahlreichen betriebsspezifischen und subjektiven Faktoren abhängt. Vgl. Endres, A. und Schwarze, R. (1992 b), S. 85.
87
2.2 Versicherbarkeit von Risiken
2.2.2 Kriterien der Versicherbarkeit Der empirische Ansatz zur Versicherbarkeit stuft die Risiken als versicherbar ein, wenn es dafür auf dem Markt tatsächliche Versicherungslösungen gibt. Anschließend wird untersucht, welche gemeinsamen Merkmale die als versicherbar geltenden Risiken gemeinsam haben.205 In diesem Sinne hat Berliner (1982) einen Kriterienkatalog zur Versicherbarkeit von Risiken aufgestellt (vgl. Abbildung 2.4).206
Kategorie
Kriterium
Eigenschaft
Versicherungsmathematisch
Risiko/Ungewissheit
Messbar
Schadenereignisse
Unabhängig
(3)
Höchstschaden
Beherrschbar
(4)
Durchschnittschaden
Moderat
(5)
Schadenhäufigkeit
Hoch
(6)
Moral Hazard, Adverse Selec- Nicht ausgeprägt
(1) (2)
(7)
Versicherungsprämie
Angemessen
(8)
Deckungsgrenzen
Akzeptabel
(9)
Branchenkapazität
Ausreichend
Moralische Werteordnung
Versicherungs-
Rechtssystem
Zulässig
(10) (11)
Marktbedingt
Gesellschaftlich
Abbildung 2.4: Kriterien für versicherbare Risiken207
Diese Kriterien können in drei Kategorien unterteilt werden.208 Die erste Kategorie ist eher von versicherungsmathematischer Natur und umfasst insgesamt sechs Kriterien (vgl. Abbildung 2.4).209 Die zweite Kategorie beinhaltet die marktbedingten Kriterien.
205
206 207 208 209
Bei der Auslegung der existierenden Versicherungsverträge muss jedoch die räumliche und zeitliche Bedingtheit berücksichtigt werden. Diese Bedingtheit resultiert aus dem Einfluss sowohl der Umweltbedingungen zurzeit des Abschlusses der Versicherungspolice als auch der subjektiven Entscheidung des Risikoträgers, die Police zu zeichnen. Vgl. Eszler, E.(1992), S. 26. Vgl. Berliner, B (1982) sowie D. Laster und C. Schmidt (2005), S. 7. Vgl. Laster, D. und Schmidt, C. (2005), S. 7. Vgl. Laster; D. und C. Schmidt (2005), S. 7. Ähnliche Kriterien für die Versicherbarkeit von Risiken findet man auch bei Farny, D. (2006), S. 38 ff, Rejda, G. E. (2005), S. 22 ff. sowie Hartmann, P. (1998), S. 105.
88
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Schließlich werden in der gesellschaftlichen Kategorie Kriterien bezüglich der Ordnungspolitik und des Rechtssystems behandelt. Diese Kriterien grenzen Risiken ab, die idealtypisch als versicherbar gelten. Im Folgenden sollen diese idealtypischen Versicherbarkeitskriterien näher erläutert werden. 2.2.2.1 Risiko/Ungewissheit Damit ein Risiko versicherbar ist, muss es messbar sein, das heißt, seine Eintrittswahrscheinlichkeit muss bekannt sein. Für Arrow (1951) ist die Schätzbarkeit ein unbedingtes Kriterium für die Versicherbarkeit. 210 Das Versicherungsunternehmen muss den Erwartungswert sowie die versicherungsmathematischen Risikomaße (Standardabweichung, Schiefe) der Schadenszahlungen aus dem übernommenen Risiko kennen, um eine risikogerechte Prämie berechnen zu können. Sonst wäre dies reine Spekulation.211 Es stellt sich nun die Frage, wie die Versicherungswirtschaft reagieren soll, wenn für bisher unbekannte Risiken Versicherungsschutz gesucht wird.212 Hier befinden wir uns in einem Graubereich zwischen Versicherbarkeit und Unversicherbarkeit. In der Praxis werden vereinzelt auch Risiken versichert, zu denen kein statistisches Material existiert. Diese Risiken ohne Erfahrungswerte werden in der Praxis häufig nach „judgement rate“ versichert. 213 Diese Form der Risikoübertragung nach „judgement rate“ wird in der Literatur oft kritisiert, dass sie keine Versicherung, sondern eine Art Glückspiel darstellt.214 Darüber hinaus muss des versicherte Ereignis bei Vertragsabschluss ungewiss bzw. zufällig sein.215 Ist ein Schadenereignis sicher, 216 so ist das Risiko zwar theoretisch versicherbar. Jedoch stellt sich die Frage, ob ein Versicherungsvertrag in diesem Fall zustande kommen könnte. Das Versicherungsunternehmen würde in diesem Fall den sicher erwarteten Schaden plus etwaige eigene Verwaltungskosten als Versicherungs-
210
211
212
213
214 215 216
„Insurance is applicable only when the risks can be reduced to a statistical basis, otherwise it is the function of speculation to assume the risk“. Vgl. Arrow, K. J. (1951), S. 24. Die Versicherungsprämie wird üblicherweise als Summe aus dem erwarteten Schaden (= Nettorisikoprämie) und dem Risikozuschlag plus Verwaltungskosten berechnet. Ein Beispiel für Risiken mit unbekannter Eintrittswahrscheinlichkeit ist eine neue Technologie oder ein neues Medikament, dessen Auswirkungen auf Jahre hinaus unklar bleiben werden. “Judgment rating means that each exposure is individually evaluated, and the rate is determined largely by underwriter’s judgment. “ Vgl. Rejda, G. E. (2005), S. 609. Vg. Hartmann, P. (1998), S. 107. Vgl. Karten, W. (1972), S. 287. Ein solcher Fall könnte vorliegen, wenn die Flut bereits im Anmarsch ist und der Hausbesitzer im ufernahen Bereich noch schnell eine Gebäudeversicherung abschließen möchte.
2.2 Versicherbarkeit von Risiken
89
prämie verlangen. Kein vom Risiko gefährdetes Individuum wäre in diesem Fall bereit, neben dem sicher zu erwartenden Schaden noch die zusätzlichen Verwaltungskosten des Versicherers zu übernehmen. Das Kriterium Ungewissheit/Zufälligkeit verlangt auch, dass der Versicherer alle Schadenfälle ausschließen muss, die vom Versicherten selbst herbeigeführt werden.217 Wenn dies nicht der Fall wäre, könnte der Versicherer das moralische Risiko nicht mehr eindämmen mit der Folge, dass die Prämien in bezahlbare Höhen ansteigen können. In diesem Kontext ist gut zu erkennen, dass zwischen manchen in der Abbildung 2.4 aufgeführten Kriterien Interdependenzen bestehen (hier: Ungewissheit des Schadenereignisses, geringes moralisches Risiko und angemessene Versicherungsprämie). 2.2.2.2 Unabhängige Schadenereignisse Das Kriterium der unabhängigen Schadenereignisse verlangt, dass die Risiken in einem Portefeuille nicht zu eng miteinander korreliert sein dürfen. Dies bedeutet, dass ein Schadenereignis kein weiteres auslöst. Die Anhäufung von Schadenereignissen aufgrund der stochastischen Abhängigkeit von Schadenverteilungen wird als Kumulrisiko bezeichnet.218 Betrachtet man nun den Zufallsgrad nur als Komplementär zur Abhängigkeit anderer Zufallsereignisse, so kann man das Gesetz der großen Zahlen zur Analyse heranziehen. Es besagt, dass Schätzungen umso zuverlässiger ausfallen, je umfangreicher das statistische Schadenmaterial ist. Die relativen Schadenschwankungen219 werden bei einem Portfolio mit 100 Schäden kleiner ausfallen, als in einem Portfolio mit gleichen Risiken in einem 10mal kleineren Portfolio mit nur 10 Schäden. Die absoluten Schadenschwankungen nehmen zwar mit wachsendem Portfolio zu, jedoch weniger stark als der zu erwartende Gesamtschaden. Die relative Schadenschwankung nimmt ab. Es wird ein besserer Ausgleich im Kollektiv geschaffen. Der Ausgleich im Kollektiv wird jedoch kleiner, je größer der Korrelationskoeffizient ist. Beträgt der Korrelationseffizient im Extremfall 1, so erfolgt kein Risikoausgleich im Kollektiv, d.h. das Risiko wird durch die Bündelung im Versicherungsbestand nicht
217 218 219
Vgl. Treischmann, J. S., Hoyt, R. E. und Sommer, D. W. (2005), S. 98. Vgl. Herbrich, M. (1992), S. 2 ff. Die relativen Schadensschwankungen werden in der Versicherungsmathematik üblicherweise mit dem Variationskoeffizient VarK gemessen, wobei gilt: VarK = Standardabweichung/Erwartungswert.
90
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
kleiner. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob ein solches Risiko versicherbar ist. Wenn Versicherer und Versicherungsunternehmen die gleiche Risikoneigung bzw. Risikoscheue haben, kann ein Versicherungsvertrag im Fall der absoluten Korrelation nicht zustande kommen. Wichtig ist für den Versicherer die Frage, wie ein zu übernehmendes Risiko (Neurisiko) mit seinem bestehenden Versicherungsbestand bezüglich der Schadenverteilung korreliert. Negativ korrelierte Risiken vermindern das Risiko des gesamten Bestands und verbessern somit den Risikoausgleich im Kollektiv.220 Probleme bereiten positiv korrelierte Neurisiken, da sie die Kumulgefahr erhöhen.221 Je größer der Korrelationskoeffizient zwischen dem Neurisiko und dem bestehenden Versicherungsportefeuille, desto kleiner ist der Risikoausgleich durch den Neuzugang.222 2.2.2.3 Beherrschbarer Gesamtschaden Das dritte Kriterium der Versicherbarkeit besagt, dass das Gesamtschadenpotenzial eines einzelnen Ereignisses für den Versicherer beherrschbar bleiben muss. Die höchstmögliche Schadenssumme (= Versicherungsleistung) darf einen bestimmten, unternehmensspezifischen Betrag nicht übersteigen. 223 Da der tatsächliche Schaden gerade bei Katastrophenereignissen theoretisch ins Unendliche steigen kann, wird in der Praxis die Versicherungsleistung vertragsmäßig auf einen bestimmten endlichen Betrag begrenzt. Bei der Betrachtung des größtmöglichen Schadens gibt es eine objektive und subjektive Aufteilung. Bei der objektiv bezogenen Betrachtung ist nur der größtmögliche Schaden, der an einem Objekt auftreten kann, von Bedeutung. Dieser wird MPL (Maximum Probable Loss) genannt.224 Die subjektive Betrachtungsweise ist von Interesse, wenn ein Risiko durch mehrere Risikoträger gedeckt wird. Als subjektiver Schaden
220 221 222 223
224
Vgl. Berliner, B. (1982), S. 49. Vgl. Hartmann, P. (1998), S.116. Vgl. Berliner, B. (1982), S. 48. Vgl. Berge, K. (2006), S. 25. Zu berücksichtigen ist der Umstand, dass die Größe eines versicherbaren Risikos keine statische Größe darstellt, da sich die Zeichnungskapazitäten eines Versicherungsunternehmens durch Gewinne/Verluste oder Kapitalerhöhungen ändern können. Vgl. Hartmann, P. (1998), S.115. Der MPL ist der eines Risikos geschätzter wahrscheinlich höchster Schaden, mit dem bei einem einzelnen Ereignis, unter Berücksichtigung der Risikogegebenheiten bei vorsichtiger Betrachtungsweise, gerechnet werden muss. Orientiert wird sich an wahrscheinlichen Ereignissen, die selten vorkommen, zu denen aber bereits Schadenserfahrungen vorliegen. Vgl. Munich Re (2001), S. 11.
2.2 Versicherbarkeit von Risiken
91
wird der dem Risikoträger zugeteilte Teil des möglichen Schadens des Gesamtrisikos bezeichnet. Die Summe aller subjektiv bezogenen Schäden ist gleich dem objektiven oder risikobezogenen größtmöglichen Schaden.225 Solche Aufteilungen des Gesamtschadens sind vor allem sinnvoll, wenn ein Risiko zu groß für einen einzelnen Risikoträger ist und es somit als unversicherbar gilt. Teilt man das Risiko jedoch auf, sind die so entstandenen Einzelrisiken wieder versicherbar.226 Dabei wird dieses eine Risiko als zwei oder mehrere Risiken angesehen. Für einen Versicherer wäre der gesamte Schaden nicht versicherbar, da dieser seine Kapazitätsgrenzen eventuell übersteigt. Jedoch kann durch Risikoteilung dasselbe Risiko mit anteiligem Schaden für denselben Versicherer im Versicherbarkeitsbereich liegen.227 2.2.2.4 Mittlere Schadenhöhe und Schadenhäufigkeit Mittlere Schadenhöhe und Schadenfrequenz sind eng miteinander verknüpft, so dass man diese zwei Versicherbarkeitskriterien zusammen betrachten kann. Prinzipiell kann gesagt werden, dass ein Risiko umso versicherbarer ist, je kleiner der mittlere Schaden bei Schadeneintritt und je größer die Schadenfrequenz. Dies folgt aus dem Gesetz der großen Zahlen, welches durch die größere Schadenhäufigkeit bessere Gültigkeit besitzt. 228 Ereignisse mit hoher Schadenhäufigkeit und geringem Schadenausmaß, wie zum Beispiel Autounfälle, eignen sich ideal für eine Versicherung, Ereignisse wie Atomunfälle mit geringer Häufigkeit und hohem Schadenausmaß dagegen nicht. Ein Grundsatz (Ergodenhypothese) der kinetischen Gastheorie besagt: „Das Mittel über die Zeit ist ungefähr so groß wie das Mittel über die Menge. Je größer Zeitspanne und Mittel, desto näher kommen sich die Mittel.“ Dieser Grundsatz kann auf die Versicherungsmathematik übertragen werden: „Der Ausgleich über die Menge (Anzahl gleichartiger Risiken) ist gleich dem Ausgleich über die Zeit.“229
225
Vgl. Berliner, B. (1982), S. 52. Auf die Möglichkeiten der Risikoteilung via Rückversicherung werden wir im Kapitel 3 ausführlich eingehen. 227 Vgl. Berge, K. (2005), S. 25 sowie Schmitz, K. (1998), S. 66. 228 Vgl. Hartmann, P. (1998), S. 91. 229 Vgl. Berliner, B. (1982), S. 54 f. Ausgleich von 1000 Risiken über 1 Jahr = Ausgleich von 100 Risiken über 10 Jahre = = Ausgleich von 10 Risiken über 100 Jahre = Ausgleich von 1 Risiken über 1000 Jahre. 226
92
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Optimal für Versicherer ist es, wenn sie ein Portfolio besitzen, das sowohl den Ausgleich über die Zeit (= Risikoausgleich in der Zeit), als auch über die Anzahl der gleichartigen Risiken (= Risikoausgleich im Kollektiv) ermöglicht.230 So kann es vorkommen, dass ein Risiko, welches über eine Periode von 3 Monaten wegen der nicht vorhandenen Prämienkompensation im Falle eines Schadens untragbar, über eine Periode von 3 Jahre jedoch versicherbar ist. Den Ausgleich nur über die Anzahl der Risiken zu suchen, ist gefährlich, da diese Risiken kurzfristig durch die äußeren Bedingungen (Terror, Naturgewalten, Jahreszeit abhängige Witterung etc.) gleichzeitig zum Tragen kommen können.231 Können diese Risiken für einen längeren Zeitraum, z.B. über mehrere Schwankungsperioden der Grundwahrscheinlichkeiten, gedeckt werden, so kann wieder ein guter Ausgleich in der Zeit gefunden werden. Nach der Ergodenhypothese kann also ein Katastrophenrisiko, das durch hohe Versicherungssummen und kleine Schadenfrequenz (high severity/low frequency) gekennzeichnet ist, nur in der Zeit gesucht werden. Dies bedeutet, dass Terrorschäden, Jahrhundertflut und ähnliche seltene Schadenereignisse von Versicherern nur gedeckt werden können, wenn ihnen die nötige Zeit gegeben wird, langfristig Reserven über die Prämieneinnahmen aufzubauen. Die Rückversicherung ist in diesem Fall mit zu beachten. Ist es einem Versicherer möglich den mittleren Schaden oder die Schadenfrequenz für ihn zu reduzieren, so kommen Deckungskapazitäten frei, die er zur Deckung neuer Risiken nutzen kann. Die Rückversicherer erweitern also für den Erstversicherer die Anzahl und Auswahl potentieller, subjektiv versicherbarer Risiken. 232 Mit der Freisetzung zusätzlicher Deckungskapazitäten wird die Schadenfrequenz durch Hinzukommen neuer Risiken direkt gesenkt und die Schadenfrequenz im Portfolio indirekt erhöht. Wie oben schon besprochen tragen Risiken, die mit den im Versicherungsbestand vorhandenen Risiken nur schwach positiv bzw. negativ korrelieren und deren Schadenfrequenz hoch ist, mehr zum Ausgleich des Portfolios bei als solche, die diese Eigenschaften nicht haben. Die so frei gewordene Deckungskapazität sollte für derartige Risiken verwendet werden.
230 231 232
Vgl. Treischmann, J. S., Hoyt, R. E. und Sommer, D. W. (2005), S. 97. Vgl. Berliner, B. (1982), S. 56. Zur Funktionsweise der Rückversicherung im Risikotransfer, vgl. Kapitel 3.
2.2 Versicherbarkeit von Risiken
93
2.2.2.5 Geringe Manipulierbarkeit Ein letztes versicherungsmathematisches Kriterium für die Versicherbarkeit von Risiken betrifft die asymmetrische Informationsverteilung, also die Möglichkeit, dass der Versicherte bessere Informationen über sein Risiko besitzt als der Versicherer. Typische Beispiele für diese Asymmetrie sind moralisches Risiko (Moral Hazard) und Negativselektion (Adverse Selection).233 Ein moralisches Risiko besteht, wenn sich das Verhalten des Versicherten wegen des Bestehens einer Versicherung verändert, zum Beispiel wenn er mit einem Leihwagen rücksichtslos fährt, nur weil er vollkaskoversichert ist. Eine Negativselektion liegt vor, wenn sich Menschen mit hohem Risiko im Gegensatz zu jenen mit geringem Risiko besonders häufig versichern. Moralisches Risiko und Negativselektion können zu versicherungstechnischen Verlusten und zur Unversicherbarkeit von Risiken führen.234 Die Möglichkeit, dass der Versicherte mit Existenz des Versicherungsschutzes durch Veränderung seines Verhaltens die Schadeneintrittswahrscheinlichkeit ändern kann, wird in der Fachliteratur als Manipulierbarkeit des Risikos bezeichnet. Um eine Aussage über die Manipulierbarkeit des Risikos treffen zu können, werden Versicherungsverträge in drei Kategorien eingeteilt.235 x Risikokategorie bestehend aus Naturrisiken, bei denen der Eintritt eines Schadenereignisses und dessen Höhe vom Menschen unabhängig sind (z. B. Elementarversicherung gegen Sturm, Hagel, Tsunami). x Risikokategorie bestehend aus vom Menschen abhängigen Risiken, bei denen aber kein Mensch am Eintritt eines Schadens Interesse haben kann (z. B. Autohaftpflicht, Feuerversicherung). x Risikokategorie bestehend aus vom Menschen abhängigen Risiken, bei denen es Menschen gibt, die am Eintritt eines Schadens Interesse haben könnten (z. B. Risikolebensversicherung, Invaliditätsversicherung). Risiken der ersten Kategorie sind nicht manipulierbar, egal welches Interesse ein Versicherungsnehmer vertritt, da diese Ereignisse nicht vom Menschen beeinflusst werden können. Risiken der zweiten Kategorie sind prinzipiell manipulierbar, da sie vom
233 234 235
Vgl. Treischmann, J. S., Hoyt, R. E. und Sommer, D. W. (2005), S. 98. Vgl. die Ausführungen im Kapitel 1. Vgl. Berliner, B. (1982), S. 96 f. und Hartmann, P. (1998), S. 124.
94
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Menschen beeinflussbar sind. Die Manipulierbarkeit wird allerdings bei der Deckung keine Rolle spielen, weil davon ausgegangen wird, dass niemand Interesse an einem Schadeneintritt hat. Bei Risiken der dritten Kategorie handelt es sich um solche die beeinflussbar sind und bei denen ein Interesse des Schadeneintritts bestehen kann. Gehört ein Risiko zur ersten oder zweiten Kategorie, so kann Manipulierbarkeit immer ausgeschlossen werden. Bei Risiken der dritten Kategorie hingegen niemals. Ein Risiko gehört immer genau zu einer Risikokategorie, da sie einander ausschließende Mengen sind, die zusammen ein vollständiges Risikosystem bilden. Diese Unterteilung ist für eine Analyse zwar hilfreich, jedoch ist nicht immer eindeutig festzustellen, in welche Kategorie ein Risiko gehört. Hier kommt wieder die Subjektivität des Betrachters zu Tage. So kann z.B. schon nach der Entstehung eines Wirbelsturms über dem Ozean mit einer Evakuierung der betroffenen Gebiete der Schaden gemindert werden. Oder mit Versuchen, eine Tsunamiwelle zu sprengen, versprechen sich Wissenschaftler eine Begrenzung des Schadens. Eine Manipulation des Menschen ist also auch bei Naturkatastrophen nicht auszuschließen. Bei manipulierbaren Risiken kann zwischen zwei Interessenslagen unterschieden werden: x der Versicherungsnehmer hat Interesse an einem Schadeneintritt, x eine Drittperson hat Interesse an einem Schadeneintritt. In beiden Fällen ist höchste Vorsicht geboten. Im zweiten Fall sollte jedoch eine Deckung gewährleistet werden, da den Versicherungssuchenden keine Schuld trifft. Hat der Versicherungsnehmer ein Interesse an einem Schadeneintritt, so nimmt im Allgemeinen der Versicherbarkeitsgrad eines Risikos stärker ab, als dies bei einem solchen Interesse von Drittpersonen der Fall ist.236 Mit zunehmendem Manipulierbarkeitsgrad wird die statistische Erfassung und die Anwendung von Prognoseverfahren unsicherer, da diese Risiken keinen zuverlässigen Gesetzmäßigkeiten gehorchen.237 Auch ist es gefährlich, Erfahrungen aus der Vergangenheit heranzuziehen, da sich die Interessenslage der Menschen von Generation zu Generation ändert. Manipulierbare Risiken liegen daher oft im bedingt unversicherbaren Bereich. Bei zunehmendem Interesse gewisser Personen, einen Versicherungsfall
236 237
Vgl. Berliner, B. (1982), S. 100. Vgl. Hartmann, P. (1998), S. 125.
2.2 Versicherbarkeit von Risiken
95
zu verursachen, nimmt der Versicherbarkeitsgrad bei manipulierbaren Risiken rapide ab. Sehr häufig ist das Kriterium der Manipulierbarkeit die Ursache dafür, dass ein Risiko nur schwer für versicherbar oder unversicherbar eingestuft werden kann. 2.2.2.6 Bezahlbare Versicherungsprämie Die nächsten drei Kriterien der Versicherbarkeit in der Abbildung 2.4 betreffen den Zustand des Versicherungsmarktes. Die Prämiensätze müssen für die Versicherungskunden bezahlbar sein, zugleich aber ausreichend, damit die Versicherer eine Eigenkapitalrendite erzielen können, die den übernommenen Risiken gerecht wird.238 Die Bruttoprämie, also die von Versicherungsnehmer wirklich zu zahlende Versicherungsprämie, setzt sich zusammen aus einer Nettoprämie, welche für die unmittelbare Deckung des Risikos genutzt wird und einem Unkostenzuschlag, welcher für Eigenkapitalkosten, Provisionen, administrative Unkosten, Schadenbehandlungen und sonstige Unkosten aller Art genutzt wird.239 Dabei ist die Nettoprämie, auch Risikoprämie genannt, von besonderem Interesse. Die reine Risikoprämie für ein Jahr ist der Teil der Versicherungsprämie, der für den zu erwartenden Schaden aufkommt, also gleich dem erwarteten Jahresschaden. Dieser kann mit dem versicherungsmathematischen Äquivalenzprinzip berechnet werden: erwartete reine Risikoprämie pro Jahr = erwarteter Schaden pro Jahr = = erwartete Anzahl Schäden pro Jahr · mittlere Schadenhöhe bei Eintritt Darüber hinaus ist bei der Prämienberechnung zu berücksichtigen, dass es Risiken gibt, die zwar die gleiche mittlere Schadenhöhe haben, aber unterschiedlich riskant sind.240 Um dies auszugleichen, wird ein sog. Risiko- oder Schwankungszuschlag verlangt. Risikotheoretisch gilt, dass für einen Risikoträger mit einem Portfolio von Risiken, denen kein Schwankungszuschlag berechnet wurde, früher oder später der Ruin eintritt.241 Somit sollte jedes Risiko ohne Zuschlag im Unversicherbarkeitsbereich liegen, durch einen geringen Zuschlag es allerdings möglich sein, dieses in den Versicherbarkeisbereich zu überführen.
238 239 240 241
Vgl. Berge, K. (2006), S. 26. Vgl. Farny, D. (2006), S. 60. Vgl. Minty, D. (1997), S. 37. Vgl. Heilmann, W. R. (1987), S. 186.
96
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Beispiel: ¾ Versicherungsvertrag A: Schaden alle 100 Jahre in Höhe von 10.000.000 reine Risikoprämie = (1/100) · 10.000.000 = 100.000 ¾ Versicherungsvertrag B: 100 Schäden pro Jahr in Höhe von 1.000 je Ereignis reine Risikoprämie = 100 · 1.000 = 100.000 Darüber hinaus besitzt das Versicherungsunternehmen freie Reserven in Höhe von 5.000.000, die jährlich um 50.000 wachsen. Bei solch einer Zusammensetzung würde ein 10.000.000 Schaden in den nächsten 100 Jahren, wie er durch Versicherungsvertrag A beschrieben wird, mit großer Wahrscheinlichkeit den Ruin für das Versicherungsunternehmen bedeuten. Der maximal erwartete Verlust (Versicherungsprämie - tatsächlicher Schaden), verursacht durch Versicherungsvertrag B, liegt bei 20.000 im Jahr. Selbst bei jährlichem Eintritt dessen über 100 Jahre hinweg, würde der Totalverlust lediglich 2.000.000 (40% der ursprünglich freien Reserve) betragen. Die Ruinwahrscheinlichkeit ist somit verschwindend klein. Beim Risiko A ist somit ein wesentlich höherer Zuschlag erforderlich als beim Risiko B. Ein hoher Risikozuschlag kann jedoch dazu führen, dass die Versicherungsprämie insgesamt zu hoch ausfällt und der Versicherungsnehmer freiwillig auf Versicherungsschutz verzichtet. 2.2.2.7 Deckungsgrenzen und ausreichende Zeichnungskapazität Die Versicherbarkeit setzt ferner voraus, dass die Versicherer in der Lage sind, akzeptable Deckungsgrenzen wie Zeichnungsklauseln und Einschränkungen festzulegen. Darüber hinaus muss die Kapazität der Branche ausreichen, um das betreffende Risiko zu decken.242 Durch die Festlegung der Deckungsgrenzen verfolgt der Versicherer grundsätzlich zwei Ziele:243
242
243
Im Kapitel 2.4 werden wir eine empirische Studie zu der Frage über die maximale Schadenhöhe aus Naturkatastrophen, die die Versicherungswirtschaft noch verkraften kann. Vgl. Berliner, B. (1982), S. 130.
2.2 Versicherbarkeit von Risiken
97
x Zum einen gewährleisten Deckungsgrenzen (Entschädigungshöchstgrenze, Selbstbehalte, Selbstbeteiligung) einen gewissen Schutz vor Versicherungsmissbrauch bzw. dem moralischen Risiko. x Zum anderen werden die Risiken durch die unternehmensspezifischen Deckungsgrenzen so geändert, dass sie in den Versicherbarkeitsbereich des Versicherungsunternehmens hineinfallen. Mit diesen Zielen wird deutlich, dass das Kriterium „Deckungsgrenzen“ im unmittelbaren Zusammenhang mit den anderen Versicherbarkeitskriterien „größtmöglicher Schaden“, „geringes moralisches Risiko“ und „angemessene Versicherungsprämie“ steht. Erst mit der Festlegung einer bestimmten Deckungsgrenze werden die letzteren Kriterien erfüllt. Beispielsweise wird erst mit der Vereinbarung von Selbstbehalten oder Selbstbeteiligung in entsprechender Höhe die Versicherungsprämie so niedrig sein, dass sie für den Versicherungsnehmer in Frage kommt. Die Manipulierbarkeit eines Risikos (Moral Hazard) wird durch eine im Versicherungsvertrag vereinbarte Selbstbeteiligung so reduziert, dass das Risiko für das Versicherungsunternehmen kalkulierbar und damit versicherbar wird. 2.2.2.8 Gesellschaftliche Grenzen Die letzten beiden Kriterien der Versicherbarkeit betreffen gesellschaftliche Faktoren. Damit ein Risiko versicherbar ist, muss dessen Deckung mit den gesellschaftlichen Werten übereinstimmen oder darf diese zumindest nicht untergraben.244 Teil der Versicherungswürdigkeit ist die Moral der Versicherung.245 So ist es z.B. unmoralisch eine Versicherung gegen Führerscheinentzug anzubieten. Auch ethische Grundsätze und theologische Aspekte der Versicherung müssen beachtet werde.246 In diesem Sinne sprach sich Kasten (1991) für die Einrichtung spezieller Ethik-Kommissionen bei Versicherungsunternehmen aus.247 Neben der Versicherungswürdigkeit ist noch das Versicherungsbedürfnis zu prüfen. Die Deckung von Bagatellschäden ist aus zwei Gründen zu vermeiden:248
244 245 246 247 248
Manche Autoren sprechen in diesem Zusammenhang der Versicherungswürdigkeit von Risiken. Vgl. Stahel, W. R. (1997), S. 477 ff. Vgl. Berliner, B. (1982), S. 103 f. Vgl. Kasten, H.-H. (1991), S. 192 f. Vgl. Berliner, B. (1982), S. 105 f.
98
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
x Die administrativen Kosten zur Schadenregulierung stehen in keinem Verhältnis zur eigentlichen Risikoprämie. Die Versicherungsprämie wäre dadurch sehr hoch und dies für eine Deckung, die der Versicherungsnehmer eigentlich gar nicht braucht. x Die so zustande kommende hohe Prämie kann zur Unehrlichkeit des Versicherungsnehmers führen, der sich einen Teil seines Geldes durch die Meldung nicht eingetretener Schäden zurückholen will. Werden gemeldete Bagatellschäden mit der üblichen Sorgfalt bearbeitet, so führt dies zu hohen Kosten, die auf alle Versicherungsnehmer abgewälzt werden müssen. Werden Bagatellschäden dagegen nicht gewissenhaft bearbeitet und blindlings kompensiert, so spricht sich die Großzügigkeit des Unternehmens herum, was wiederum ein Anreiz zur Unehrlichkeit ist. Für welche Vorgehensweise man letztlich entscheidet, sie ist immer falsch. Die beste Lösung, sich hier den Bagatellschäden zu entledigen, ist die Einführung eines Selbstbehalts. Dieser sollte eine Höhe haben, die von jedem Versicherungsnehmer aufgebracht werden kann. Zu berücksichtigen ist der Umstand, dass durch die Versicherung versicherungswürdiger Risiken diese versicherungsunwürdig werden können. Weiß eine Drittperson (Mechaniker, etc.) z. B., dass die versicherte Person den Schaden von einem Risikoträger zurück erstattet bekommt, so werden häufig zu hohe Rechnungen ausgestellt. Der Geschädigte sieht keinen Anlass, sich zu wehren, da er den Betrag von seiner Versicherung zurück erhält. Der Versicherungsnehmer treibt so ungewollt die Schadensumme in die Höhe, aber auch die Versicherungsprämie, was dem Versicherungsprinzip des Bereicherungsverbots widerspricht.249 Betrachtet man die Versicherungswürdigkeit im Kollektiv, so ist zu beachten, dass die Versicherungsidee vorsieht, den Ausgleich bei homogenen und gleichartigen Risiken zu suchen. Zum Beispiel sollte in der Krankenversicherung eine gesunde Gruppe nie für eine kranke Gruppe aufkommen, die ihr keinen zusätzlichen Nutzen oder Schutz bietet. Jede Gruppe muss selbstfinanzierend sein.250 Nicht nur würde das Versiche-
249
250
Das Bereicherungsverbot besagt, dass eine Versicherung nur dafür da ist, für den entstandenen Schaden aufzukommen und nicht, dass sich Versicherungsnehmer oder wie im obigen Beispiel Drittpersonen dadurch bereichern können. In Deutschland ist das Bereichungsverbot durch § 55 Versicherungsvertragsgesetz gesetzlich festgelegt. In der privaten Versicherungswirtschaft spielt das versicherungsmathematische Äquivalenzprinzip eine zentrale Rolle. Dagegen steht der Solidaritätsprinzip bei den Sozialsicherungssystemen im Vordergrund. Vgl. Lampert, H. und Althammer, J. (2004), S. 237.
2.2 Versicherbarkeit von Risiken
99
rungsunternehmen sich unfair verhalten, es würde auch antiselektiv gegen sich selber vorgehen, da die kranke Gruppe so zu niedrig bemessen wäre. Die guten Risiken (gesunde Gruppe) werden nach und nach den Versicherungsbestand verlassen. Es verbleiben nur noch schlechte Risiken im Bestand mit der Folge, dass das Versicherungsunternehmen Verluste erleidet und schlimmstenfalls zahlungsunfähig wird. 2.2.2.9 Gesetzliche Grenzen Das Kriterium der gesetzlichen Schranken kann nur zwei Werte annehmen, 0 (gesetzestreu) und 1 (gesetzeswidrig). Alle bisher betrachteten Versicherbarkeitskriterien hängen von der mehr oder weniger subjektiven Betrachtungsweise des Risikoträgers ab. Dieses letzte Kriterium wird dagegen nur vom Gesetzgeber festgelegt. Folglich kann dieses Kriterium vom Versicherungsunternehmen nicht beeinflusst oder durch Erhöhung der Prämie in den Versicherbarkeitsbereich gebracht werden. Die Beurteilung, ob das Kriterium erfüllt wird, ist somit grundsätzlich objektiv und von keiner subjektiven Betrachtung abhängig. 251 Die einzige Einschränkung ist für Grenzfälle zu machen, bei denen die Interpretation des Gesetzes nicht eindeutig ist. Liegt ein gerichtlicher Beschluss vor, so sind diese Unklarheiten beseitigt und die objektive Beurteilung der Versicherbarkeit wieder hergestellt. Differenzen in der Versicherbarkeit können auch auftreten, wenn ein Risikoträger legale Umgehungsmöglichkeiten erkennt, ein Risiko doch zu versichern, ein anderer aber nicht.252 Für einen Risikoträger wäre das Risiko subjektiv versicherbar, für den anderen nicht. Grund hierfür ist der Mangel an Informationen des betroffenen Versicherungsunternehmens. Dieser Informationsmangel kann dazu führen, dass ein Risikoträger im schlimmsten Fall gesetzeswidrige Risiken versichert. Um diesem Problem zu begegnen, muss dem Risikoträger ein gut informierter Rechtsberater zur Seite stehen, der solche Fehler nicht aufkommen lässt. Somit ist sichergestellt, dass sich keine graue Zone bildet und nur Werte 0 und 1 angenommen werden können. Die gesetzlichen Schranken können in drei Arten unterschieden werden. Die Schranken der ersten Art stammen aus dem Versicherungsvertragsgesetz, während die der anderen beiden Arten dem Aufsichtsrecht entspringen.
251 252
Vgl. Berliner, B. (1982), S. 119. Vgl. Berliner, B. (1982), S. 120.
100
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
x Wird nachgewiesen, dass der Schaden vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verursacht wurde, so ist der Risikoträger per Gesetz nicht dazu verpflichtet, Schadenzahlungen zu leisten. x Manche Risikoarten sind vom Gesetzgeber für die private Versicherungswirtschaft als unversicherbar erklärt worden, wie z.B. Versicherungspflicht bei Sozialversicherung. x Um das finanzielle Überleben von Risikoträgern zu sichern, sind Solvabilitätsvorschriften und Richtlinien zur Anlagepolitik gesetzlich vorgeschrieben. Erklärt ein Risikoträger sich mit diesen gesetzlichen Regelungen nicht einverstanden, wird ihm die Lizenz entzogen oder erst gar keine erteilt. Somit sind alle Risiken für ihn unversicherbar. Äquivalent zum Versicherungsverbot mancher Risiken kann der Staat auch Gesetze verabschieden, die eine Mindestdeckung (z.B. Kfz-Haftpflicht oder Berufshaftpflicht) vorschreiben. Schreibt der Gesetzgeber dies vor, so muss er auch garantieren, dass dieser Schutz zu fairen Preisen verfügbar ist. Er schreibt daher nicht nur die minimale Deckung vor, sondern nimmt auch Einfluss in die Prämiengestaltung.253 Hier ist zu beachten, dass das Niveau fair für Versicherungsunternehmen und Versicherungsnehmer ist. Bei unfairen Preisen für den Risikoträger könnte sonst der Fall eintreten, dass er nicht mehr wirtschaftlich arbeiten kann und sein Geschäft einstellen muss. Dadurch wird das Risiko unversicherbar.
2.2.3 Theoretischer Zugang Der im vorangegangenen Abschnitt vorgestellten Kriterienkatalog über idealtypische Eigenschaften, die ein Risiko versicherbar machen, wird in der Fachliteratur vielfach kritisiert. In der Tat kann dieser Kriterienkatalog nicht einmal den kleinsten gemeinsamen Nenner aller versicherbaren Risiken darstellen, denn es gibt zahlreiche Risiken, welche die Kriterien aus Abbildung 2.4 nicht annähernd erfüllen, trotzdem werden sie versichert.254
253 254
Vgl. Berliner, B. (1982), S. 127. Man denke z.B. an die Versicherungsprodukte in Verbindung mit Raumfahrtprogrammen, olympischen Spielen oder der Fußballweltmeisterschaft. Diese Risiken verletzen gleichzeitig mehrere Risiken (Messbarkeit, beherrschbarer größtmöglicher Schaden, hohe Schadenhäufigkeit), und trotzdem gibt es Versicherungslösungen für diese Risiken. Vgl. auch Schmit, J. T. (1986), S. 321 f.
2.2 Versicherbarkeit von Risiken
101
Beim theoretischen Zugang wird die Versicherbarkeit aus dem entscheidungstheoretischen Ansatz abgeleitet.255 Sowohl der Versicherte als auch das Versicherungsunternehmen stehen vor der Entscheidung, das Risiko abzugeben bzw. zu übernehmen. Ein Versicherungsvertrag wird nur dann abgeschlossen, wenn beide Parteien durch den Vertrag ein höheres Nutzenniveau erreichen können.256 Beim Versicherungsnehmer ist neben der Schadenhöhe und der Schadenwahrscheinlichkeit seine Risikoneigung entscheidend, ob eine Versicherungsnahme in Frage kommt.257 Der Versicherungsvertrag wird nur von ihm nachgefragt, wenn die Versicherungsprämie niedriger ist als das Sicherheitsäquivalent der vom Versicherungsnehmer geschätzten Schadenerteilung. Härlen (1972) argumentiert, dass z. B. die mangelnde Schätzbarkeit infolge fehlenden statistischen Materials kein Ausschlusskriterium für die Versicherbarkeit eines Risikos sein kann, da die Frage der Versicherbarkeit letztendlich eine Frage des Preises ist.258 Das folgende vereinfachende Beispiel zeigt exemplarisch, wie die Versicherbarkeit eines Risikos von dem ausgehandelten Preis abhängt.259 Das Versicherungsunternehmen hat die folgende Gewinnfunktion zu maximieren: G(D) = ʌ D – p D – ȕ D,
(2.1) wobei gilt: D:
verkaufte Deckungssumme;
ʌ:
Prämiensatz;
p:
Schadenwahrscheinlichkeit;
ȕ:
Risiko- und Verwaltungskostenzuschlag.
Aus der obigen Gewinnmaximierungsaufgabe erhält man die notwendige Bedingung: (2.2)
255 256
257 258 259
G’(D) = ʌ – p – ȕ = 0,
Vgl. Endres, A. und Schwarze, R. (1992 b), S. 85 f. Vgl. Karten, W. (1972), S. 280. Zu den Vertretern der entscheidungstheoretisch motivierten Versicherbarkeit zählen v. a. Karten, W., Mugler, J. und Eszler, E. Vgl. Eszler, E. (1992), S. 42 f. und Greene, M. R. (1977), S. 52 f. Vgl. Härlen, H. (1972), S. 273. Vgl. Endres, A. und Schwarze, R. (1992 b), S. 86.
102
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
d.h.: solange der Prämiensatz noch größer ist als die Summe aus der Schadenwahrscheinlichkeit und dem Kostenzuschlag, wird das Versicherungsunternehmen versuchen, mehr Versicherungsdeckung zu verkaufen, um den eigenen Gewinn zu erhöhen. Die Frage, ob Versicherungsschutz angeboten wird, hängt somit entscheidend von der Höhe der Prämie ab. Die Grenzen der Versicherbarkeit können daher nicht nur durch versicherungsmathematische Kriterien festgelegt werden, sondern das Ergebnis von ökonomischen Faktoren. Solange ein genügend hoher Prämiensatz erzielt werden kann, d.h. ʌ > p + ȕ, werden Risiken versichert.260 Die geringe bzw. fehlende Schätzbarkeit kann durch einen entsprechenden Sicherheitszuschlag ȕ kompensiert werden. Ob ein Versicherungsvertrag bei der so errechneten Prämie zustande kommt, hängt nicht mehr von der Messbarkeit des Risikos ab. Folglich kann die Tatsache, dass ein Versicherungsvertrag nicht zustande kommt, keine Aussagen bezüglich der abstrakten Versicherbarkeit eines Risikos machen. Abstrakt kann ein Risiko versicherbar sein. Lediglich der hohe Versicherungspreis verhindert das Zustandekommen eines solchen Versicherungsvertrages.261 Letztlich ist die Höhe der verlangten Versicherungsprämie entscheidend, ob ein Versicherungsvertrag zustande kommt.262 Im Folgenden wollen wir anhand einiger graphischer Darstellungen überlegen, wie hoch die Versicherungsprämie sein darf, damit ein Versicherungsvertrag noch zustande kommt. Zunächst ist jedoch festzuhalten, dass die Versicherungsprämie größer als der erwartete Schaden sein muss, denn der Versicherer hat neben den Schadenszahlungen auch noch seine Verwaltungskosten zu finanzieren.263 Der erwartete Schaden aus einem Risiko stellt somit die Untergrenze für die Versicherungsprämie dar. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, warum der Versicherungsnehmer bereit sein soll, mehr als den erwarteten Schaden aus einem Risiko zu zahlen. Die Antwort auf diese Frage lautet: der Versicherungsnehmer muss risikoavers sein, damit er bereit
260 261
262 263
Vgl. Endres, A. und Schwarze, R. (1992 b), S. 87. So argumentiert Mugler: “Es ist müßig darüber nachzudenken, ab welchem Informationsgrad über die Schadenbelastung ein Risiko als versicherbar gelten soll. Die Entscheidung über den ausreichenden Informationsgrad ist letztendlich immer subjektiv vom Entscheidungsträger zu fällen.“ Vgl. Mugler, J. (1980), S. 77. Vgl. Farny, D. (2006), S. 80. Abgesehen von den Verwaltungskosten des Versicherers hat die mathematische Risikotheorie gezeigt, dass die Ruinwahrscheinlichkeit des Versicherers gegen Eins tendiert, wenn er lediglich den erwarteten Schaden als Prämie verlangt. Damit das Versicherungsunternehmen dauerhaft existieren kann, muss die Versicherungsprämie neben dem erwarteten Schaden noch einen positiven Risikozuschlag beinhalten. Vgl. Heilmann, W. R. (1987), S. 186.
103
2.2 Versicherbarkeit von Risiken
ist, mehr als den Erwartungswert der Schadenverteilung zu zahlen.264 Dies wird durch die folgende Abbildung 2.5 verdeutlicht. Ein Individuum besitzt ein anfängliches Vermögen v1, das durch ein Schadenereignis mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit p den Schaden L erleiden und auf das Niveau v2 sinken kann (vgl. Abbildung 2.5). 265 Die risikoaverse Einstellung des Individuums wird durch den konkaven Verlauf der Nutzenfunktion festgelegt. Je risikoscheuer das Individuum ist, desto stärker ist die Krümmung der Nutzenfunktion.266
U(v) Nutzenfunktion U(v2) U(v3) U(v4) E(L) Pmax
U(v1)
L ZVN
0
v2
v4
v3
v1
v
Abbildung 2.5: Maximale Versicherungsprämie
Der erwartete Schaden beträgt E(L) = p·L. Im vorliegenden Fall wäre das Individuum bereit, die maximale Versicherungsprämie Pmax zu zahlen. Bei dieser Versicherungsprämie verbleibt dem Individuum noch ein sicheres Vermögen v4 = v1 - Pmax, welches ein Nutzenniveau in Höhe von U(v4) bringt. Dieses Nutzenniveau entspricht gerade dem erwarteten Nutzen aus der unsicheren Vermögenssituation ohne Versicherung,
264
265 266
In diesem Sinne hat Stiglitz, J. E. geschrieben: „If there is risk, but individuals are not risk averse, so there is no insurance, there is no incentive problem. Vgl. Stiglitz, J. E. (1983), S. 6. In Abbildung 2.5 ist der Fall der Schadenwahrscheinlichkeit p = 0,5 eingezeichnet. Bei Risikoneutralität ist die Nutzenfunktion eine Gerade, und bei Risikofreude hat die Nutzenfunktion einen konvexen Verlauf.
104
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
d.h. U(v4) = p·U(v2) + (1 – p) U(v1). Verlangt das Versicherungsunternehmen eine höhere Prämie als Pmax, so kommt kein Versicherungsvertrag zustande. Abstrakt wäre das Risiko in diesem Fall versicherbar, lediglich der Versicherungspreis ist zu hoch, so dass der Versicherungsnehmer freiwillig auf den Versicherungsschutz verzichtet. Die Strecke ZVN in Abbildung 2.5 gibt somit den maximalen Risikozuschlag an, den der Versicherungsnehmer zusätzlich zu dem erwarteten Schaden E(L) zu zahlen bereit ist, um das Risiko loszuwerden. Mit diesem Risikozuschlag muss der Versicherer den eigenen Risikozuschlag267 ZVU und die eigenen Verwaltungskosten K finanzieren, d.h. (2.3)
ZVU + K = ZVN.
Angenommen, der Versicherer habe die gleiche Risikoscheue wie der Versicherungsnehmer, so würde er auch den Risikozuschlag ZVN verlangen, um das Risiko zu übernehmen. Außerdem muss er noch die eigenen Verwaltungskosten K finanzieren, so dass er eine höhere Versicherungsprämie verlangen muss als ZVN + E(L). Auf der anderen Seite ist der Versicherungsnehmer aber nur bereit, maximal den Betrag ZVN + E(L) zu zahlen. Ein Versicherungsvertrag käme in diesem Fall nicht zustande. Wie ist aber das Phänomen zu erklären, dass in der Realität Versicherungsverträge abgeschlossen werden? Sind die Versicherungsunternehmen weniger risikoscheu als die Versicherungsnehmer oder gibt es andere Gründe dafür? Die Antwort auf diese Frage liegt im Gesetz der großen Zahlen, das die Existenz der Institution Versicherung rechtfertigt. Durch die Bündelung der einzelnen Risiken zu einem Versicherungsbestand werden die Risiken kleiner, so dass der Versicherer auch einen geringeren Risikozuschlag verlangen muss, um die Risiken zu übernehmen. Je besser der Risikoausgleich im Kollektiv funktioniert268, desto kleiner ist der geforderte Risikozuschlag des Versicherungsunternehmens. In der Regel gilt: ZVN > ZVU. Im Extremfall ist der Versicherungsbestand so ausgeglichen,269 dass die Schadenzahlungen als konstant angenommen werden kann. In diesem Fall ist ZVU = 0, d.h. der gesamte Risikozuschlag ZVN kann für die Verwaltungskosten verwendet werden.
267
268
269
Durch die Übernahme des Risikos wird die Vermögenssituation des Versicherers unsicher, so dass er dafür einen Risikozuschlag verlangt. Der Risikoausgleich im Kollektiv funktioniert dann besonders gut, wenn die im Abschnitt 2.2.2 geforderten versicherungsmathematischen Kriterien (Messbarkeit, Unabhängigkeit, Schadenhäufigkeit, Schadenhöhe) erfüllt sind. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer perfekten Diversifikation der Risiken.
105
2.2 Versicherbarkeit von Risiken
In der Regel wird der Extremfall nicht erreicht, da trotz des Risikoausgleichs ein gewisses Schwankungsrisiko im Schadenverlauf des Versicherungsbestands verbleibt. Dies wird in der folgenden Abbildung 2.6 verdeutlicht.
U(v) Nutzenfunktion U(v2) U(v3) U(v4) ZVU U(v1)
ZVN
0
v2
v4
v3
v1
v
Abbildung 2.6: Restrisiko beim Versicherer
Je schlechter der Risikoausgleich im Kollektiv erfolgt, desto gekrümmter ist die gestrichelt eingezeichnete Kurve und desto höher ist der vom Versicherungsunternehmen geforderte Risikozuschlag ZVU. Mit höherem Risikozuschlag ZVU steigt aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Risiko unversicherbar wird, da die dann geforderte Prämie dem Versicherungsnehmer zu hoch erscheint. Wenden wir diese Erkenntnisse auf die Großschadenereignisse wie Natur- und Manmade-Katastrophen an, so wissen wir, dass bei Großschadenereignissen der Risikoausgleich im Kollektiv aufgrund der geringen Häufigkeit und der enormen Schadenhöhe besonders schlecht funktioniert. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass diese Risiken unversichert bleiben. Andererseits verbessert sich der Risikoausgleich durch die zunehmende Anzahl von Naturkatastrophenereignissen, da diese langsam ihren Seltenheitswert verlieren und verlässlichere statistische Daten vorliegen. Die größere
106
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Häufigkeit der Katastrophenereignisse würde wegen des besseren Risikoausgleichs im Kollektiv die Grenzen der Versicherbarkeit dieser Risiken eher erweitern als einengen.
2.3 Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken Welche Eigenschaften müssen Katastrophenrisiken aufweisen, damit sie versicherbar sind? Um die Frage beantworten zu können, wird in diesem Abschnitt überprüft, ob die Katastrophenrisiken die Kriterien der Versicherbarkeit erfüllen, die wir im Abschnitt 2.2.2 diskutiert haben.270
2.3.1 Versicherungstechnische Beurteilung Zunächst werden die versicherungstechnischen Risiken, nämlich x Zufälligkeit, x Schätzbarkeit, x Unabhängigkeit und x Höchstschaden, überprüft. 2.3.1.1 Zufälligkeit von Katastrophenrisiken Das Kriterium Zufälligkeit erfordert, dass der Zeitpunkt und/oder das Ausmaß des Schadenereignisses unsicher sein müssen. Beim Vertragsabschluss dürfen folglich das Schadenereignis, der Eintrittszeitpunkt und die Schadenhöhe weder dem Versicherer noch dem Versicherten bekannt und beeinflussbar sein.271 Bei Naturkatastrophen scheint dieses Kriterium auf den ersten Blick uneingeschränkt erfüllt zu sein, denn die Eintrittswahrscheinlichkeit sowie Stärke von Naturereignissen wie Stürme und Erdbeben können weder vom Versicherten noch Versicherer beeinflusst werden. Auch die Nicht-Vorhersehbarkeit kann als gegeben betrachtet werden,
270
271
Geprüft werden sollen nur jene Versicherbarkeitskriterien, die bei Großschadenereignissen (Natur- und Man-made-Katastrophen) als besonders kritisch gelten. Vgl. Karten, W. (2000), S. 129.
2.3 Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken
107
da es den Versicherern bisher trotz intensiver Forschungsbemühungen nicht gelungen ist, Naturgefahren wie Hurrikans, Überschwemmungen oder Erdbeben exakt vorherzusagen.272 Jedoch sind die Naturgefahren (Sturm, Überschwemmung, Erdbeben, Vulkanausbruch) in der Regel lediglich auf bestimmte, besonders exponierte Regionen beschränkt. Dies führt zu einer regional beschränkten Zufälligkeit der Naturkatastrophenrisiken. Da die potentiell betroffenen Regionen häufig nur einen kleinen Anteil der gesamten Erdoberfläche ausmachen, kann dies zu einer Adverse Selection273 führen mit der Folge, dass die Versichertengemeinschaft zu klein wird, um den erforderlichen Risikoausgleich im Kollektiv zu erreichen und damit bezahlbare Versicherungsprämien anzubieten.274 In diesem Fall ist das Katastrophenrisiko zwar abstrakt versicherbar, praktisch jedoch nicht, da die zu hohen Versicherungsprämien die Versicherungsnachfrage zum Erliegen bringen. Ein Ausweg aus dieser schwierigen Situation wäre eine Versicherungspflicht für alle Menschen. Diese zwangsweise Einbeziehung von nicht bzw. weniger gefährdeten Haushalte würde den Versicherungsbestand entsprechend vergrößern, um bezahlbare Prämien für alle zu ermöglichen.275 Jedoch bedeutet dies nichts anderes als eine Einkommensumverteilung zwischen den Bevölkerungsgruppen. Dies kann aus politischer Sicht geboten sein, jedoch verbirgt sich hinter dieser Politik die Gefahr, dass die exponierten Regionen zu stark wirtschaftlich genutzt werden, als dies ökonomisch sinnvoll wäre.276
272
273
274 275 276
Die Prognose für solche Naturbedrohungen kann im günstigsten Fall einige Tage vor Eintritt zuverlässig abgegeben werden. Vgl. Swiss Re (2003 b), S. 15. Dies bedeutet, dass die von Naturkatastrophen weniger oder nicht gefährdeten Individuen (gute Risiken) vollständig auf Versicherungsschutz verzichten. Im Bestand verbleiben nur noch die stark gefährdeten Haushalte. Vgl. Swiss Re (1998 a), S. 29. Vgl. Berge, T. (2005), S. 24. In Frankreich werden Elementarrisiken wie Erdbeben und Überschwemmungen wie folgt gedeckt. Auf die Prämie jedes in Frankreich abgeschlossenen Sachversicherungsvertrages wird zwangsweise ein Zuschlag von momentan 9% erhoben. Dafür sind im Gegenzug Schäden aus Naturkatastrophen gedeckt. Durch dieses System wird zwar erreicht, dass jedes Individuum Deckung gegen Naturkatastrophen hat. Jedoch werden dadurch die falschen Anreize gesetzt, indem auf eine risikogerechte Tarifierung verzichtet wird. So wird bei der Prämie für das Überschwemmungsrisiko nicht danach differenziert, ob das zu versichernde Gebäude überhaupt an einem Gewässer liegt und wie stark es hochwassergefährdet ist. Folglich findet bei Entscheidungen, in welchen Gebieten Gebäude errichtet werden, das Hochwasserrisiko keine oder nur unzureichende Berücksichtigung. Dies führt dazu, dass die Bebauung in stark hochwassergefährdeten Gebieten intensi-
108
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Die Terrorismusrisiken unterscheiden insofern von den Naturkatastrophen, dass sie nicht zufällig, sondern von den Terroristen akribisch geplant sind, um den größtmöglichen Schaden an Menschen und Sachwerten zu verursachen. Dies könnte das Kriterium der Zufälligkeit verletzen. Jedoch muss berücksichtigt werden, dass der zufällige Eintritt des Schadenereignisses aus Sicht des Versicherungsnehmers und des Versicherungsunternehmens zu prüfen ist. Dann gilt das Kriterium der Zufälligkeit bei Terrorismusrisiken als erfüllt.277 2.3.1.2 Schätzbarkeit von Katastrophenrisiken Um eine für das Risiko angemessene Prämie berechnen zu können, muss die Wahrscheinlichkeit des Eintritts und das Ausmaß des Schadens für den Versicherer quantifizierbar sein.278 Durch die Abweichungen von Schadenhäufigkeit und Schadenausmaß von Katastrophenereignissen kommt es zu erheblichen Schwankungen der Jahresergebnisse. Eine akkurate Schätzung der möglichen Verluste ist bei Natur- und Manmade-Katastrophen äußerst schwierig, da die Einflussfaktoren vielfältig sind und sich nur mit großer Unsicherheit abschätzen lassen.279 Die fehlende Messbarkeit, die geringe Schadenhäufigkeit und das hohe Schadenausmaß von Katastrophenrisiken machen einen entsprechend hohen Risikozuschlag bei der Prämienberechnung erforderlich. Die Prämien können in diesem Fall so hoch ausfallen, dass sie für eine Mehrheit der Versichertengemeinschaft unbezahlbar werden. Die Abschätzung des Schadenpotenzials von Naturkatastrophen erfordert ein solides Verständnis der einzelnen Naturgefahr, ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und des zu erwartenden wirtschaftlichen Schadens. Dies ist eine multidisziplinäre Aufgabe, für welche Sachverstand in Bereichen wie Geologie, Maschinenbau und Ökonomie benötigt wird.280 Ein stetig wachsender Bestand an Daten über Katastrophenereignisse sowie exponentiell sinkende Kosten für Rechenleistung verstärkten den Trend zur Entwicklung von Katastrophenmodellen.281 Auch in Zukunft ist zu erwarten, dass sich die
277 278 279 280
281
ver ist, als es ökonomisch sinnvoll wäre, da die Kosten des Hochwasserrisikos bei den Gebäudeeigentümern nicht internalisiert werden. Vgl. Michel-Kerjan, E. (2001). Vgl. Benzin, A. (2005), S. 723. Vgl. Berge, T. (2005), S. 23. Vgl. Klein, R. W. (1998), S. 15. Trotz enormer Forschungsanstrengungen ist es bisher nicht gelungen, Modelle zur verlässlichen Prognose bei Naturgefahren zu entwickeln. Vgl. Berge, T. (2005), S. 23. Die historischen Daten sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, da sie die zukünftigen Veränderungen der Schadeneintrittswahrscheinlichkeit nicht berücksichtigen können. Zudem entstehen immer neue Risikoquellen, für die keine statistischen Daten existieren. Vgl. Gollier, C. (2005), S. 23.
2.3 Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken
109
Schätzmethoden weiter verbessern werden. Dadurch kann der vom Versicherungsunternehmen geforderte Risikozuschlag weiter gesenkt werden, mit der Folge, dass der Versicherbarkeitsbereich für Katastrophenrisiken erweitert wird. Zweifellos stellt in den Man-made-Katastrophen die terroristische Gefahr ein Risiko dar, das schwer schätzbar ist.282 Zwar gab es vor dem 11. September 2001 bereits eine Reihe von terroristischen Anschlägen mittleren und größeren Ausmaßes, so dass genügend statistisches Material bzgl. der Schadenverteilung vorliegt. Jedoch haben die Anschläge am 11. September 2001 gezeigt, dass die terroristische Gefahr bei weitem unterschätzt wurde.283 Das Terrorismusrisiko gehört somit zu einem Graubereich der Versicherbarkeit. Zukünftig muss die Versicherungswirtschaft ihre Kalkulationsmodelle überdenken und neue Verfahren entwickeln, um das Terrorismusrisiko besser abzuschätzen.284 Auch hier sind gesellschaftliche, kulturelle und politische Gründe für Terrorrisiken zu erforschen.285 2.3.1.3 Unabhängigkeit von Katastrophenrisiken Das Kriterium der Unabhängigkeit (Unkorreliertheit) verlangt, dass keine Interdependenzen zwischen den versicherten Risiken in dem Sinne bestehen, dass durch ein Schadenereignis der Versicherungsfall bei einer ganzen Reihe von versicherten Risiken entweder gleichzeitig (Kumulrisiko) oder nacheinander (Ansteckungsrisiko) ausgelöst wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Unabhängigkeit kein absolutes Muss für die Versicherbarkeit von Risiken bedeutet, denn die Risiken sind in der Regel miteinander korreliert. Nur das Ausmaß der Korreliertheit (gemessen an dem Korrelationskoeffizient) darf nicht zu hoch ausfallen. Die Unabhängigkeit bei Naturkatastrophenrisiken ist stark eingeschränkt, denn bei einer Naturgefahr sind in der Regel viele auf einem begrenzten Risikogebiet liegende Risikoobjekte betroffen. 286 Auch bei terroristischen Risiken dürfte dieses Kriterium
282 283 284
285
286
Vgl. Brauner, C. und Galey, G. (2003), S. 23. Vgl. Benzin, A. (2005), S. 726. Z.B. durch ein von Swiss Re entwickeltes Verfahren kann erkannt werden, welche Personen, Gruppen oder Institutionen besonders stark vom Terrorismusrisiko bedroht sind. Hierfür werden die verschiedenen Einflüsse zu drei Hauptfaktoren (Absichten der Terroristen, Potential der Terroristen und Verletzlichkeit der attackierten Gesellschaft) zusammengefasst. Vgl. Brauner, C. und Galey, G. (2003), S. 8. Benzin geht davon aus, dass die Schätzbarkeit von Terrorismusrisiken in Zukunft als gegeben zu betrachten ist. Vgl. Benzin, A. (2005), S. 726. Vgl. Berge, T. (2005), S. 25.
110
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
nicht erfüllt sein, denn es ist gerade die Absicht der Terroristen, durch ihre Anschläge den höchstmöglichen Schaden zu verursachen und damit möglichst viele Risiken zu betreffen.287 2.3.1.4 Beherrschbarer Höchstschaden Der Höchstschaden aus einem Schadenereignis, d.h. die höchstmögliche Versicherungsleistung aus einem versicherten Risiko, darf bestimmte, unternehmensspezifische Grenzen nicht überschreiten, damit das Risiko als versicherbar gilt.288 Diese Grenzen hängen davon ab, wie hoch das Risikokapital der einzelnen Versicherungsunternehmen ist. Der Höchstschaden lässt sich am äußeren Rand der Schadenverteilung bestimmen und stellt somit den „worst case“ dar. Bei Naturkatastrophen und Terroranschlägen könnte der Höchstschaden bis ins Unendliche anwachsen, so dass in der Versicherungswirtschaft in der Regel Haftungsobergrenzen vereinbart werden, um das Schadenpotenzial für den Versicherer berechenbar zu machen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Natur- und Man-madeKatastrophen häufig ein beachtliches Kumulrisiko beinhalten, so dass die Gesamtsumme der verursachten Schäden bei einem Versicherer seine Kapazitätsgrenzen vielfach überschreiten kann. Dieses Kumulrisiko kann durch die Diversifikation der gezeichneten Risiken über verschiedene Regionen und eine effektive Kumulkontrolle gemindert werden.289 Ein größerer Versicherungsbestand mit vielen Risiken und eine Risikoteilung mit Hilfe der Rückversicherung können dazu beitragen, die Schadensschwankungen zu begrenzen und den Höchstschaden beherrschbar zu machen.290
2.3.2 Wirtschaftliche Beurteilung Aus der Überprüfung der versicherungstechnischen Kriterien der Versicherbarkeit hat sich gezeigt, dass eine vollständige Deckung der Katastrophenrisiken durch die private Versicherungswirtschaft allein kaum möglich ist. Zu groß ist das Kumulrisiko bei diesen Risiken, so dass der Höchstschaden für die private Versicherungswirtschaft als
287 288 289 290
Vgl. Benzin, A. (2005), S. 727. Vgl. Karten, W. (2000), S. 134. Vgl. Berge, T. (2005), S. 25. Vgl. Swiss Re (2003 b), S. 11.
2.3 Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken
111
nicht beherrschbar erscheint. Vielfach werden deshalb Deckungsgrenzen vereinbart, die weit unter dem erforderlichen – eventuell gesetzlich vorgeschriebenen – Niveau liegen. Die wirtschaftliche Versicherbarkeit erfordert u. a., dass die Versicherungsunternehmen in der Lage sind, eine angemessene Versicherungsprämie zu erheben und genügend finanzielle Reserven aufzubauen, um den Risikoausgleich in der Zeit zu erreichen.291 2.3.2.1 Angemessene Versicherungsprämien Eine große Anzahl von Menschen, die einer bestimmten Gefahr ausgesetzt ist, muss eine Gefahrengemeinschaft bilden, in der das Risiko verteilt und diversifiziert wird und der Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit funktioniert. Unter dieser Bedingung kommt ein privates Angebot an Versicherungen dann zustande, wenn die Versicherer in der Lage sind, eine für das Risiko angemessene Prämie erheben zu können.292 Die angemessene Prämie setzt sich aus dem erwarteten Schaden, den Verwaltungskosten und dem Risikozuschlag zusammen. Der Risikozuschlag ist deshalb erforderlich, da die tatsächlichen Schadenzahlungen um den Erwartungswert schwanken können und die Versicherer dafür Eigenkapital bereitstellen müssen.293 Bei Katastrophenrisiken (low frequency/high severity) sind die Schwankungen um den Erwartungswert extrem hoch, so dass der Risikozuschlag entsprechend hoch ausfallen muss. Auf der anderen Seite treten diese Ereignisse so selten auf, so dass der Erwartungsschaden (= Nettorisikoprämie) relativ klein ist. Dies bedeutet, dass der Risikozuschlag einen ziemlich hohen Anteil an der gesamten Versicherungsprämie ausmacht, was dazu führen kann, dass diese für den Versicherungsnehmer als unangemessen hoch erscheint. In diesem Fall würde der Versicherungsnehmer auf Versicherungsschutz verzichten und der Versicherer kann dann seine Prämienvorstellungen nicht durchsetzen.294
291 292 293 294
Vgl. Berliner, B. (1982), S. 57. Vgl. Treischmann, J. S., Hoyt, R. E. und Sommer, D. W. (2005), S. 97. Der Risikozuschlag entspricht somit der Verzinsung für das bereitgestellte Eigenkapital. Vgl. Berge, T. (2005), S. 27.
112
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
2.3.2.2 Ausreichende Schwankungsrückstellung Wenn der Risikoausgleich im Kollektiv aufgrund des kleinen Versicherungsbestandes bzw. des hohen Kumul- und Ansteckungsrisikos nicht bzw. nur beschränkt möglich ist, muss der Risikoausgleich in der Zeit gesucht werden.295 Dies bedeutet, dass in guten Jahren (= niedrige Schadenquoten) der Versicherer gesetzlich in die Lage versetzt werden muss, ausreichend (steuerfreie) Rückstellungen für die schlechten Jahre zu bilden. In Deutschland sind als Instrument für den Risikoausgleich in der Zeit die „Schwankungsrückstellungen“ vorgesehen. Bei Katastrophenrisiken handelt es sich um eine besondere Art von Risiken im Sinne des § 341 h HGB, bei denen der Ausgleich von Prämien und Versicherungsleistungen wegen des sehr hohen Schadenrisikos nach versicherungsmathematischen Grundsätzen nur über die Zeit erfolgen kann. Aufgrund des aus versicherungsmathematischer Sicht notwendigen Risikoausgleichs über mehrere Geschäftsjahre erscheint eine Rückstellung zur Glättung der Schwankungen im Laufe der Zeit296 gerechtfertigt. Jedoch dürfen die Versicherungsunternehmen die Schwankungsrückstellung nicht in beliebiger Höhe oder nach vernünftigem kaufmännischem Ermessen bilden. Vielmehr schreibt § 29 der Verordnung über die Rechnungslegung der Versicherungsunternehmen (RechVersV) genau vor, wie die Schwankungsrückstellungen zu berechnen sind. Dabei wird ein Beobachtungszeitraum von 15 bzw. 30 Jahren (je nach Versicherungszweig) zugrunde gelegt. Durch den Vergleich der Schadenquote des betroffenen Jahres mit der durchschnittlichen Schadenquote im Beobachtungszeitraum wird ein Unterschaden bzw. Überschaden festgestellt. Bei einem Unterschaden sind Mittel in bestimmter Höhe der Schwankungsrückstellung zuzuführen, und umgekehrt dürfen bei einem Überschaden Mittel aus der Schwankungsrückstellung entnommen werden. Dadurch wird eine Ergebnisglättung über die Zeit erzielt und die Besteuerung zufälliger Gewinne vermieden.297 Es wird oft bemängelt, dass der Beobachtungszeitraum von 15 bzw. 30 Jahren zu kurz ist. Katastrophenereignisse wie eine Jahrhundertflut passieren durchschnittlich nur
295 296 297
Vgl. Gollier, C. (2005), S. 26. Dies erklärt den Namen “Schwankungsrückstellung”. Vgl. Jahn, A. (2001), S. 314 f.
2.3 Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken
113
einmal in Hundert Jahren. Darüber hinaus werden bei der Schwankungsrückstellung lediglich die Vergangenheitsdaten berücksichtigt, d.h. ein Änderungsrisiko der Schadenpotentiale wird dadurch außer Acht gelassen. 298 Es ist deshalb fraglich, ob die Schwankungsrückstellungen die notwendige Höhe haben, um Katastrophenereignisse mit Schäden in immer neuen Rekordhöhen abzufedern. Zu berücksichtigen ist auch der Umstand, dass die Schwankungsrückstellungen sukzessive aufgebaut werden müssen. Dies bedeutet, dass kaum finanzielle Reserven vorhanden sind, wenn ein Katastrophenereignis am Anfang der Aufbauphase eintritt.299 Wegen seiner beschränkten Finanzkraft und Kreditwürdigkeit kann dies schlimmstenfalls zum Konkurs des Versicherungsunternehmens führen und damit den Risikoausgleich in der Zeit unterbinden. Aufgrund dieser Schwierigkeit vertritt Gollier die Ansicht, dass der Staat besser in der Lage ist, den Risikoausgleich in der Zeit zu organisieren.300 Die Finanzkraft und die Kreditwürdigkeit des Staates sind ungleich höher als bei einem privaten Versicherungsunternehmen. Der Staat soll deshalb als Rückversicherer für den letzten Layer301 auftreten, um die Funktionsfähigkeit der Versicherungswirtschaft und den Risikoausgleich in der Zeit sicherzustellen.
2.3.3 Erweiterung der Grenzen der Versicherbarkeit Die Versicherbarkeit von Risiken ist nicht statisch. Sie kann sich mit der Zeit verändern. In diesem Abschnitt soll anhand von drei Beispielen gezeigt werden, wie sich die Grenzen der Versicherbarkeit erweitern lassen. Wenn neue Risiken aufkommen, reagieren die Versicherer in der Regel mit neuen Produktideen und Möglichkeiten der Risikoteilung. Wie die Entwicklung der letzten zwei Jahrhunderte zeigt, führt die Entstehung neuer Risiken immer dazu, dass sich die Versicherer an die neuen Gegebenheiten anpassen und neue Versicherungslösungen konzipieren, um Versicherungsschutz für die neuen Risiken zu bieten.
298 299 300 301
Vgl. Jahn, A. (2001), S. 317. Vgl. Gollier, C. (2005), S. 26 f. Vgl. Gollier, C. (2005), S. 27. Als Layer werden die Haftungsstrecken der unterschiedlichen Risikoträger bezeichnet, z.B. der Erstversicherer haftet für Schäden bis zu einer Mio. € (1. Layer), für Schäden zwischen 1 Mio. und 5 Mio. € (2. Layer) muss der Rückversicherer aufkommen. Näheres zu den Haftungsstrecken (Layers), vgl. Kapitel 3.
114
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Eine Möglichkeit hierzu ist die Einführung neuer Deckungsarten, die hier am Beispiel der Maschinenbruchversicherung aufgezeigt wird. Eine weitere ist die Zusammenarbeit mit dem Staat. Kooperationen zwischen privater Versicherungswirtschaft und öffentlicher Hand erweitern die Grenzen der Versicherbarkeit, zum Beispiel in den Bereichen Kernenergie und Terrorismusrisiken. 2.3.3.1 Maschinenbruchversicherung Die Entwicklung der Maschinenbruchversicherung veranschaulicht, wie Versicherer versuchen, neue Gefahren zu decken. Im frühen 19. Jahrhundert wurde durch die Erfindung der Dampfmaschine die Industrielle Revolution eingeleitet. Es war eine Epoche, in der neue Gefahren im Zusammenhang mit der für die damalige Zeit neuen Technologie aufkamen und neue Versicherungsdeckungen nötig wurden. Da historische Daten bezüglich des Schadenpotentials der Dampfmaschinen fehlten, waren diese Risiken schwer kalkulierbar und galten zunächst als nicht versicherbar. Im Jahr 1858 wurde in Großbritannien die Steam Boiler Assurance Company gegründet, die erste Versicherungsgesellschaft für technische Versicherungen. Weitere Gesellschaften dieser Art folgten bald. Um die neuartigen Risiken beherrschbar zu machen, deckten diese Versicherungsgesellschaften zunächst ausschließlich Kessel, doch dann weiteten sie ihre Tätigkeit schrittweise auf Druckbehälter aus und versicherten Anlagen, die Energie erzeugen oder nutzen, wie Dampfkessel, Turbinen, Generatoren und Motoren. 302 Die Maschinenbruchversicherung hat wesentlich dazu beigetragen, dass neue Technologien von der Gesellschaft akzeptiert wurden. So hätten leistungsstarke Wärme- und Wasserkraftwerke ohne ausreichenden Versicherungsschutz niemals gebaut werden können.303 2.3.3.2 Kernenergie Falls eine neue Technologie wie die Kernenergie ein so gewaltiges Schadenpotential mit sich bringt, so dass die private Versicherungswirtschaft an ihre Grenzen stößt, können staatliche Eingriffe in den Versicherungsmarkt notwendig werden, um der neuen Technologie zum Durchbruch zu verhelfen. Das Beispiel der Kernenergieversi-
302 303
Vgl. Swiss Re Technical Publishing (2000), S. 5. Vgl. Swiss Re Technical Publishing (2000), S. 5.
2.3 Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken
115
cherung zeigt, wie auch der Staat zuweilen Katastrophendeckungen bereitstellt, wenn die privaten Versicherer sie nicht anbieten können.304 Eine Änderung des US-Atomenergiegesetzes (Atomic Energy Act) im Jahr 1954 ermöglichte privatwirtschaftliche Produktionsstätten für spaltbares Material. Unternehmen, die Kernreaktoren bauen oder betreiben wollten, suchten nach Versicherungen mit einer Deckungssumme zwischen 50 und 100 Mio. USD. Da eine Deckungssumme von 10 Mio. USD für damalige Verhältnisse bereits als extrem hoch galt und die endgültige weltweite Höchstsumme für ein beliebiges Haftpflichtrisiko auf 20 Mio. USD geschätzt wurde, waren neue Versicherungslösungen erforderlich, um diese neuen Risiken zu versichern.305 Die Kernenergierisiken stellten die Versicherer vor verschiedene Probleme: unzureichende Zeichnungskapazität, geringe Schadenhäufigkeit, katastrophales Schadenpotential, nicht zu unterschätzendes Moral-Hazard-Verhalten auf Seiten der Kernreaktorenbetreiber. Diese Schwierigkeiten ließen die Kernenergierisiken im Urteil der privaten Versicherungswirtschaft als nicht versicherbar erscheinen. Deshalb gab es dafür zunächst keinen entsprechenden Versicherungsschutz. Die US-Atomenergiekommission (Atomic Energy Commission) berief in der Folgezeit führende Vertreter der Versicherungswirtschaft in eine Studiengruppe, die einige Nuklearanlagen besuchte und sich über den aktuellen Stand der Kerntechnik informieren ließ. Die Gruppe kam zu dem Schluss, dass die einzige Lösung in der Schaffung von Risikopools lag. Die Aktiengesellschaften gründeten für Haftpflichtdeckungen die Nuclear Energy Liability Insurance Association und für Sachdeckungen die Nuclear Energy Property Insurance Association. Die Versicherungsgenossenschaften bildeten einen kombinierten Rückversicherungspool, der beide Deckungen anbot. Diese Risikopools konnten für jedes beliebige Einzelrisiko eine kombinierte Deckung in Höhe von rund 65 Mio. USD bereitstellen, doch dies reichte nicht aus. Führende Unternehmen wie Westinghouse und General Electric teilten dem Kongress mit, dass sie ohne Schutz vor hohen Haftpflichtansprüchen keine Reaktoren entwickeln könnten. Der Kongress verabschiedete daher im Jahr 1957 den Price-Anderson Act, der die Haftung für eine zugelassene Nuklearanlage auf die maximal verfügbare Deckungssumme einer privaten Haftpflichtversicherung begrenzte. Über diese Summe hinaus sollte der
304 305
Vgl. Best’s Review (2000). Vgl. Butler, R. H. (1959), S. 23 ff.
116
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Staat mit bis zu 500 Mio. USD haften. Durch die staatliche Risikoübernahme wurde es möglich, Kernenergierisiken mit einer ausreichenden Deckung zu versichern.306 2.3.3.3 Terrorismusversicherung Die deutsche Industrie fand sich bald nach den Anschlägen in Amerika ohne Schutz vor terroristischen Anschlägen wieder, da Rückversicherer und Erstversicherer das Terrorismusrisiko als nicht mehr tragbar ansahen.307 Die Zeichnungskapazitäten der Versicherungsunternehmen wurden in dieser Zeit zusätzlich durch eine anhaltende Baisse-Phase an den weltweiten Börsen geschwächt.308 Vor dem Hintergrund des Versicherungsnotstands setzte sich die deutsche Versicherungsindustrie mit der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland zusammen, mit dem Ziel einen Spezialversicherer zu gründen, der die Terrorrisiken wieder versichern sollte. Am 26. April 2002 sagte die Bundesregierung der Versicherungswirtschaft eine staatlichen Deckung von 10 Mrd. Euro zu, jedoch nur unter der Bedingung, dass die deutsche Versicherungswirtschaft die ersten 3 Mrd. Euro Schaden in einem Versicherungsfall decken würde und die Versicherung von Terrorismusrisiken im privaten Bereich, bei kleineren und mittleren gewerbetreibenden Kunden, weiterhin von Erstversicherern versichert würde. Des Weiteren müsste für die größeren Betriebe eine strikte Trennung zwischen Sach- bzw. Feuerversicherung und der Terrorismusversicherung geschaffen werden.309 Nachdem es gelungen war, die benötigten 3 Mrd. Euro Deckung auf dem privaten Versicherungsmarkt zu gewinnen, wurde am 3. September 2002 in Köln die Extremus Versicherungsaktiengesellschaft gegründet, welche die Zeichnung von großgewerblichen Risiken, aber auch solcher der Kommunen, religiöser Einrichtungen und Immobilien übernehmen sollte. Die Zulassung als Versicherungs-AG erfolgte am 22. Oktober 2002, wodurch der Betrieb am 1. November 2002 aufgenommen wurde.310
306
307 308 309
310
Auch in Deutschland funktioniert die Haftpflichtversicherung der Kernkraftwerksbetreiber nach einem ähnlichen Konzept. Bis 2,5 Mrd. EUR gewährt der Atompool aus Versicherern Versicherungsschutz. Über diese Summe hinaus haftet der Bund mit bis zu 2,5 Mrd. EUR. Vgl. Nell, M. (2001), S. 4 f. Vgl. Gas, B. (2005), S. 483 f. Vgl. O’Connor, P. M. (2005), S. 42. Ziel dieser strikten Trennung zwischen Terrorismusversicherung und Sach- bzw. Feuerversicherung ist der Versuch, eine Quersubventionierung zwischen den Versicherungssparten zu unterbinden. Vgl. Extremus AG (2005), S. 7.
2.3 Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken
117
Bei der Extremus AG handelt es sich um einen Spezialversicherer, der ausschließlich Terrorismusrisiken ab einer Versicherungssumme von 25 Mio. Euro versichert und eine Gesamtdeckung von 13 Mrd. vorweisen kann. Die Aufteilung dieser Deckung war bis zum 31.03.2004 in drei Layer unterteilt. Der erste Layer mit einer Haftungshöhe von 1,5 Mrd. Euro wurde von deutschen Erst- und Rückversicherern zur Verfügung gestellt. Der zweite Layer, welcher ebenfalls ein Deckungsvermögen von 1,5 Mrd. Euro aufweist, wurde durch internationale Erst- und Rückversicherer gedeckt. Der dritte und letzte Layer wurde vom Staat in Höhe von 10 Mrd. Euro gesichert, jedoch vorerst nur bis Ende 2005.311 Versichert sind Schäden durch Feuer, Explosion, Aufprall von Flugkörpern, Anprall von Fahrzeugen und sonstige böswillige Beschädigungen als Folge eines terroristischen Anschlags in Deutschland. Nicht gedeckt sind dagegen die Folgen von Kriegen und kriegsartigen Ereignissen, aber auch von Attacken mit nuklearer Strahlung, biologischen oder chemischen Substanzen.312 Auch hier ermöglicht erst die staatliche Beteiligung eine Versicherungslösung für Terrorismusrisiken.313 Jedoch ist die staatliche Risikoübernahme nicht immer mit positiven Effekten verbunden. Eine staatliche Risikoübernahme kann sinnvoll sein, wenn das private Versicherungsangebot unzureichend ist, da nicht genügend Zeichnungskapazitäten vorhanden sind. Staatliche Eingriffe dürfen jedoch nicht dazu dienen, bestimmte Wirtschaftszweige mit nicht risikogerechten Prämien zu subventionieren und den Wettbewerb zu verzerren.314 Aus diesem Grund werden im nächsten Abschnitt die jüngsten staatlichen Haftungsgarantien bei Terrorismusrisiken einer ökonomischen und einer wettbewerbsrechtlichen Überprüfung unterzogen.
2.3.4 Ökonomische Sinnhaftigkeit staatlicher Haftung bei Terrorismusrisiken Kurz nach den Anschlägen am 11. September 2001 haben die Versicherungsgesellschaften alle bestehenden Haftpflichtversicherungsverträge mit den Fluggesellschaften
311 312 313
314
Die Staatsgarantie ist in der Zwischenzeit um zwei Jahre bis Ende 2007 verlängert worden. Vgl. Extremus AG (2005), S. 7 Ähnliche privat-staatliche Versicherungslösungen gegen Terrorismusrisiken wurden nach dem 11. September 2001 in Frankreich, Großbritannien und den USA etabliert. Vgl. O’Connor, P. M. (2005), S. 48. Vgl. Nell, M. (2001), S. 5.
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Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
gekündigt. Auf den privaten Versicherungsmärkten war lediglich Versicherungsschutz mit Deckungssummen vorhanden, die weit unterhalb der geforderten Mindestdeckungen lagen und zudem noch zu extrem hohen Prämien angeboten wurden. Die Verhandlungen zwischen Fluggesellschaften auf der einen Seite und den Versicherungsunternehmen auf der anderen Seite hatten nicht zu einem befriedigenden Ergebnis geführt, da die Versicherungsunternehmen nach den terroristischen Anschlägen sich gezwungen sahen, das Haftungsrisiko im Luftverkehr völlig neu zu bewerten. Ihnen stand kurz nach den Anschlägen jedoch nicht genügend Zeit zur Verfügung, um neue Bewertungsmodelle zu entwickeln. Zudem wurde das Haftungsrisiko im Luftverkehr in der politischen und gesellschaftlichen Schocksituation kurz nach den Anschlägen als sehr hoch eingestuft. Aufgrund dieser kurzfristigen Unsicherheiten hat die Bundesrepublik Deutschland den Fluggesellschaften eine vorübergehende Haftungsgarantie gewährt. Eine solche übergangsweise Gewährung staatlicher Haftungszusagen könnte grundsätzlich sinnvoll sein, um den Luftverkehr aufrechtzuerhalten und die Nachteile der sonst drohenden Stilllegung der Flugzeuge abzuwenden. In der so gewährten „Atempause“ würden die Verhandlungspartner die notwendige Zeit gewinnen, um die neue Risikosituation zu überdenken und geeignete Lösungsalternativen zu erarbeiten. Damit es jedoch nicht zu einer Subventionierung einer Branche und den damit verbundenen Allokationsineffizienzen kommt, muss die staatliche Haftung zeitlich begrenzt sein und die Kosten des Terrorismusrisikos im Luftverkehr internalisiert werden.315 Dieser Sachverhalt kann anhand der Abbildung 2.7 erläutert werden. Betrachten wir einen idealtypischen Versicherungsmarkt, wie in Abbildung 2.7 dargestellt. Ausgangspunkt ist die Risikolage im Punkt A. Durch den Versicherungsschutz, ausgedrückt in Form der Versicherungsgeraden g1, ist eine Pareto-Verbesserung gegenüber A möglich. Aufgrund des gestiegenen Terrorismusrisikos dreht sich die Versicherungsgerade nach unten g2. Auch hier ist eine Pareto-Verbesserung durch Versicherungslösungen möglich. Die flachere Versicherungsgerade g2 impliziert einen höheren Prämiensatz, um dem gestiegenen Risiko Rechnung zu tragen. Hier besteht absolut kein Anlass für einen staatlichen Eingriff in die Versicherungsmärkte.
315
Vgl. Nell, M. (2001), S. 6.
119
2.3 Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken
v2 g2
Versicherungsunternehmen
g1
Anstieg des Terrorrisikos
Versicherungsgeraden
g3 A
Versicherungsnehmer
v1
Abbildung 2.7: Staatliche Risikoübernahme bei Terrorismusrisiken
Es kann aber eine Situation vorkommen, dass z.B. kurz nach einem terroristischen Anschlag mit nicht vorhergesehenen Schadenausmaßen die Wahrnehmung des Risikos so intensiv geworden ist, dass der Versicherer die Eintrittswahrscheinlichkeit und damit die Risikolage überschätzt und folglich eine zu hohe Risikoprämie (ausgedrückt durch den sehr flachen Verlauf der Versicherungsgeraden g3) verlangt. 316 In diesem Fall bricht der Versicherungsmarkt zusammen, da es aufgrund der hohen Kosten für den Versicherungsnehmer nicht optimal ist, Versicherungsschutz nachzufragen. Als Marktlösung wäre die Ausgangslage A. Diese Marktlösung im Punkt A ist aber nicht pareto-optimal, da bei Zugrundelegung der wahren Risikowahrscheinlichkeit (ausgedrückt durch die Versicherungsgerade g2) eine Pareto-Verbesserung gegenüber A möglich wäre. Um diese Ineffizienz der Marktlösung zu beseitigen, ist ein staatlicher Eingriff erforderlich, damit der Versicherungsmarkt nicht völlig zusammenbricht. Nach und nach haben die Versicherer Zeit gewonnen, um die neue Risikolage zu überdenken und zu einer realistischeren Einschätzung der Gefahrensituation zu kommen. Dies wird sich in der Prämienkalkulation niederschlagen, und die Versicherer werden von sich aus Versicherungslösungen entlang der Versicherungsgeraden g2 anbieten. Der Staat muss
316
Wichtig zu betonen ist die Tatsache, dass die verlangte Versicherungsprämie, ausgedrückt durch die Versicherungsgerade g3, nicht risikogerecht ist.
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Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
sich dann aus dem Versicherungsmarkt zurückziehen, um keine bestimmte Branche ungerechtfertigt zu subventionieren. Bleibt das Risiko jedoch trotz zeitintensiver Überprüfung und Abklingen der Schockwirkung weiterhin hoch (ausgedrückt durch die Versicherungsgerade g3), so ist es nicht sinnvoll, eine staatliche Versicherung zu subventionierten Preisen zu gewähren. Die staatlichen Garantien sollen keinesfalls dafür eingesetzt werden, um Versicherungsnachfrage dort zu generieren, wo sie bei einer risikogerechten Prämie nicht bestehen würde.317 Darüber hinaus können bei staatlicher Risikoübernahme wohlfahrtsökonomisch zu riskante Produktionstechnologien gewählt werden, die unter Berücksichtigung ihres hohen Gefährdungsgrades nicht effizient sind.318
2.4 Wettbewerbsrechtliche Überprüfung staatlicher Haftungsgarantien Wie oben diskutiert, kann eine staatliche Haftungsgarantie zu ökonomischen Ineffizienzen bei der Ressourcenallokation führen, wenn sie nicht risikogerecht vergütet wird. Eine weitere Gefahr, die von der staatlichen Risikoübernahme ausgeht, liegt in der wettbewerbsverzerrenden Subventionierung von bestimmten Aktivitäten oder Wirtschaftszweigen. So wird z.B. bei den staatlich gewährten Hermes-Bürgschafen das Ausfallrisiko von Exporteuren in Ländern mit besonders hohem Kreditrisiko nicht mit einer risikogerechten Prämie versichert, sondern zu einem politisch für wünschenswert gehaltenen Preis. Dadurch sollen die Exporte in diese Länder gefördert werden. Eine solche Subventionierung könnte einen Verstoß gegen das europäische Wettbewerbsrecht darstellen. Die staatliche Risikoübernahme bei Terrorismusrisiken könnte den Wettbewerb auf dem europäischen Markt für terroristische Versicherungen behindern und eine verbotene staatliche Beihilfe im Sinne des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) begründen. Als Folge der Ereignisse des 11. September 2001 ist in Deutschland die Extremus Versicherungsaktiengesellschaft 319 entstanden, die Versicherungsschutz gegen Terrorismusrisiken anbietet und an deren Haftung der deutsche Staat beteiligt ist. Fraglich ist, ob eine solche Staatsbeteiligung an der Extremus AG eine unzulässige Beihilfe im
317 318 319
Vgl. Nell, M. (2001), S. 7. Vgl. hierzu Nell, M. (1990) und Mayer, D (1989). Im Folgenden kurz Extremus AG.
2.4 Wettbewerbsrechtliche Überprüfung staatlicher Haftungsgarantien
121
Sinne des Art. 87 EGV darstellt und damit gegen das europäische Wettbewerbsrecht verstößt. Um diese Frage zu beantworten, erfolgt im ersten Schritt die Beschreibung der europäischen Wettbewerbsvorschriften und des Gemeinsamen Marktes, dessen Errichtung nach Art. 2 EGV eine der Hauptaufgaben der Europäischen Gemeinschaft ist. Anschließend wird überprüft, inwiefern die staatliche Mithaftung bei der Extremus AG eine unzulässige staatliche Beihilfe für die Extremus AG darstellt und somit gegen die beihilferechtlichen Bestimmungen des europäischen Wettbewerbsrechts verstoßen könnte.320
2.4.1 Europäische Wettbewerbsvorschriften Die Beihilfevorschriften der Art. 87 bis 89 EGV regeln die Wettbewerbsverzerrungen, die durch die Gewährung von staatlichen Beihilfen entstehen können. Ziel dieser Beihilferegelungen ist es, die Chancegleichheit zwischen den Unternehmen vor Wettbewerbsstörungen durch eine unkontrollierte Subventionspolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten zu gewährleisten.321 Zur Errichtung unverfälschten Wettbewerbs innerhalb eines Gemeinsamen Marktes ist es notwendig, staatliche Subventionstätigkeiten zu unterbinden oder zumindest einheitlichen Regeln zu unterstellen. 2.4.1.1 Grundsätzliches Verbot staatlicher Beihilfen Der EGV wählt gemäß Art. 87 Abs. 1 EGV als methodischen Ansatz das grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen gleich welcher Art, die durch Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen. Es genügt also die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung. Eine solche ist z.B. bereits durch die Entlastung von bestimmten Produktionszweigen oder Unternehmen von Zahlungs- und auch Verhaltenspflichten gegeben. Art. 87 Abs. 1 EGV will vor einer Verfälschung des Wettbewerbs durch staatliche Beihilfen schützen. Der Begriff „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art“ ist daher weit und zweckorientiert zu verstehen. 322 Entscheidend ist die Wirkung einer Maßnahme, unabhängig von ihrer Bezeichnung und
320 321 322
Zu den folgenden Ausführungen vgl. Nguyen, T. (2006 b). Vgl. Koenig, C. und Haratsch, A. (2003), Rn. 843. Vgl. Koenig, C. und Haratsch, A. (2003), Rn. 847 und Wolf, F. (2005), S. 163.
122
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
von ihrem Ziel. Beihilfen sind somit alle Begünstigungen, soweit sie nicht durch eine marktgerechte Gegenleistung des Begünstigten kompensiert werden.323 Es werden daher nicht nur direkte finanzielle Zuwendungen erfasst, sondern alle Entlastungen von Kosten, die ein Unternehmen bei unverfälschtem wirtschaftlichem Ablauf zu tragen hätte. Auch die fehlende Inanspruchnahme von bestimmten Unternehmen durch den Staat oder deren spezifische Aussparung von einer gesetzlichen Regelung könnte eine Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV darstellen. Erforderlich ist jedoch, dass die Beihilfe staatlich ist oder zumindest aus staatlichen Mitteln gewährt wird. Das bedeutet, dass nicht notwendig staatliche Institutionen die Vergünstigung vergeben müssen. Es reicht aus, dass der Staat hinter einer solchen Vergabe steht und die Beihilfe aus staatlichen Mitteln finanziert wird. Das in Art. 87 Abs. 1 EGV postulierte generelle Verbot staatlicher Beihilfen wird jedoch durch zahlreiche Ausnahmeregelungen in den Absätzen 2 und 3 aufgeweicht.324 2.4.1.2 Ausnahmeregelungen nach Art. 87 Abs. 2 EGV In diesem Absatz werden bestimmte staatliche Beihilfen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt und zwar ohne eine Wertungsmöglichkeit. Es handelt sich hierbei um drei abschließend aufgezählte Arten von Beihilfen: a)
Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher, wenn sie ohne Diskriminierung nach der Herkunft der Waren gewährt werden;
b)
Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind;
c)
Beihilfen für die Wirtschaft bestimmter, durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie zum Ausgleich der durch die Teilung verursachten wirtschaftlichen Nachteile erforderlich sind.
Wie bereits erwähnt sind nach dem Wortlaut des Art. 87 Abs. 2 EGV die Ausnahmeregelungen ohne eine Wertungsmöglichkeit anzuwenden. Für die staatliche Terrorversicherung kommt vor allem Art 87 Abs. 2 Buchst b EGV in Betracht. Danach sind die Beihilfen zur Beseitigung von Schäden durch Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Ereignisse ausnahmsweise zulässig. Unter den außergewöhnlichen Ereignissen
323 324
Vgl. Wolf, F. (2005), S. 163. Vgl. Oppermann, T. (2005), Rn. 1108.
2.4 Wettbewerbsrechtliche Überprüfung staatlicher Haftungsgarantien
123
werden neben kriegerischen Handlungen und schweren innerstaatlichen Unruhen auch Terroranschläge subsumiert.325 2.4.1.3 Ausnahmeregelungen nach Art. 87 Abs. 3 EGV Art. 87 Abs. 3 EGV legt Konstellationen fest, für die Beihilfen als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden können. Dazu gehören namentlich: a) Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht; b) Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamen europäischen Interesse oder zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats; c) Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft; d) Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes, soweit sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Maß beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft; e) sonstige Arten von Beihilfen, die der Rat durch eine Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission bestimmt. Art. 87 Abs. 3 EGV ist auslegungsfähig und birgt ein erhebliches Konfliktpotenzial in sich, da die Ausnahmen des Absatz 3, anders als diejenigen des Absatz 2, eine Ermessensentscheidung der Kommission sind. Bei der Prüfung, ob staatliche Risikoübernahme mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar ist, hat die Kommission bisher von dem Ermessensspielraum nach Art. 87 Abs. 3 EGV nicht Gebrauch gemacht326, da in diesem Fall Art. 87 Abs. 2 Buchst b EGV einschlägig ist. Die Kommission ist gemäß Art. 88 EGV alleine für die Überwachung der staatlichen Beihilfen zuständig. Nur eine unabhängige Behörde ist in der Lage, die durch staatliche Beihilfen der Mitgliedstaaten verursachten Beeinträchtigungen der Funktionsweise
325 326
Vgl. Koenig, C., Kühling, J. und Ritter, N. (2005), S. 95. Vgl Wolf, F. (2005), S. 18.
124
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
des Gemeinsamen Marktes einzuschätzen. Sie prüft auch die von den Mitgliedstaaten geplanten neuen Beihilfen, die ihr zuvor gemeldet werden müssen. Die Kommission untersucht aber auch diejenigen Beihilfen, die von den Mitgliedstaaten unrechtmäßig durchgeführt wurden, ohne sie zuvor der Kommission gemeldet oder ihre Entscheidung abgewartet zu haben. Oft erfährt die Kommission von derartigen Beihilfen durch die von konkurrierenden Unternehmen eingelegten Beschwerden. Im Falle der Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht kann die Kommission gemäß Art. 88 Abs. 2 EGV diese Beihilfen untersagen, und dem zuwiderhandelnden Mitgliedstaat wird auferlegt, die Beihilfe zurückzufordern.
2.4.2 Staatliche Mithaftung als Beihilfe In diesem Abschnitt wollen wir uns mit der Frage befassen, wie die staatliche Mithaftung bei der Extremus AG eine Beihilfe i. S. d. Art. 87 bis 89 EGV darstellen könnte. Eine solche Beihilfeneigenschaft kann sowohl in der staatlichen Haftungsgarantie selbst sowie in der Möglichkeit der Bildung von steuerfreien Rückstellungen gesehen werden.327 Des Weiteren wird untersucht, ob eine eventuelle staatliche Beihilfe in diesem Fall ausnahmsweise gemäß Art. 87 Abs. 2 Buchst. b zulässig sein könnte. 2.4.2.1 Staatsgarantie als Beihilfe Die der Extremus AG gewährte Staatsgarantie könnte eine staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV darstellen. Der Begriff der Beihilfe ist hier weit auszulegen. Als Beihilfe kommt jede Form der Vergünstigung in Frage, für die keine marktgerechte Vergütung bezahlt wird.328 Vor allem kommt es bei der Frage, ob eine Beihilfe vorliegt, nicht darauf an, dass finanzielle Mittel tatsächlich der Extremus AG zugeflossen sind. Vielmehr ist der Beihilfecharakter der staatlichen Haftungsgarantie bereits zu bejahen, wenn die Risikoübernahme durch den Staat nicht mit marktgerechten Preisen vergütet wird. Somit konzentriert sich unsere Untersuchung auf die Frage, ob ein marktwirtschaftlich handelnder Investor die Haftungsgarantie in Höhe von 10 bzw. 8 Mrd. Euro zu den ausgehandelten Konditionen gegeben hätte. Die Kontrollfrage dieses „private investor’s test“ lautet also, ob sich eine private Rückversicherungsgesellschaft bzw. ein
327 328
Vgl. Wolf, F. (2005), S. 163. Vgl. Koenig, C. und Haratsch, A. (2003), Rn. 847.
2.4 Wettbewerbsrechtliche Überprüfung staatlicher Haftungsgarantien
125
Konsortium von Erst- und Rückversicherern finden lässt, die Haftung gegen Terrorismusrisiken in Höhe von 10 bzw. 8 Mrd. Euro gegen die für den Staat ausgehandelten Versicherungsprämien zu übernehmen. Der Staat hat gemäß der Bedingungen mit der Extremus AG für die Jahre 2002/03 Anspruch auf 9 % der Prämien. Dieser Prämienanspruch steigt auf 10,8 % für das Jahr 2004 und 12 % für das Jahr 2005. Es wurde ursprünglich in der Planungsphase erwartet, dass die Extremus AG im Jahr 2003 Prämieneinnahmen in Höhe von 550 Mio. Euro erzielt, was einen staatlichen Anteil von 49,5 Mio. Euro bedeuten würde. Diese erwarteten Prämieneinnahmen für den Staat entsprechen nach Expertenmeinung jedoch bei weitem nicht den übernommenen Haftungsrisiken. Dieses Missverhältnis zwischen Risikoübernahme und Prämieneinnahmen wird zudem noch durch den tatsächlichen Verkauf der Prämienentwicklung bei der Extremus AG verstärkt. Des Weiteren ist zu untersuchen, ob sich überhaupt ein privater Investor finden lässt, der bereit ist, auch zu wesentlichen höheren Prämien eine solche hohe Haftungssumme zu übernehmen. Unabhängig davon, ob diese Frage bejaht werden kann oder nicht, ist die staatliche Haftungsübernahme allein aufgrund der zu niedrigen und nicht risikogerechten Prämie als Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV zu werten. Damit diese Beihilfe als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten gilt, müssen gemäß Art. 87 Abs. 1 EGV noch weitere Voraussetzungen gelten. Die Beihilfe muss nämlich x aus staatlichen Mitteln stammen und x bestimmte Unternehmen begünstigen, x wodurch der Wettbewerb verfälscht wird bzw. verfälscht werden kann. Die staatliche Herkunft der als Beihilfe zu geltenden staatlichen Haftungszusage steht außer Zweifel, da diese Haftungsgarantie direkt vom Finanzministerium zugesagt wurde. Im Schadenfall müsste der Staat seinen Haftungsanteil mit Mitteln aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanzieren. Weiter kommt diese Beihilfe einem bestimmten Unternehmen, nämlich der Extremus AG, zugute, so dass diese Voraussetzung als erfüllt angesehen werden muss. Letztlich ist zu prüfen, ob der Wettbewerb durch die gegebene Staatsgarantie verfälscht wird oder nicht. Diese Frage ist nicht schon deshalb zu verneinen, wenn in Deutschland kein Mitbewerber auf Markt von Terrorversicherungen existiert. Durch
126
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
die Gründung der Extremus AG musste beispielsweise der in Luxemburg ansässigen Spezialversicherer „Special Risk Insurance and Reinsurance S.A. Luxemburg“ (SRIR), der auch in Deutschland Terrorversicherungen anbot, den Geschäftsbetrieb mangels Nachfragen einstellen. Für das Scheitern des SRIR sind die staatlich abgesicherten Versicherungsangebote der Extremus AG maßgeblich verantwortlich.329 Da die SRIR in Luxemburg ansässig war und ihre Versicherungsleistungen grenzüberschreitend in ganz Europa, also auch in Deutschland, anbot, legt ihr geschäftliches Scheitern den Schluss nahe, dass die staatlich gewährte Haftungsgarantie im Falle der Extremus AG den zwischenstaatlichen Handel behindert und damit den Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt tatsächlich und nicht nur potentiell verfälscht hat. Insgesamt ist festzuhalten, dass die im Falle der Extremus AG gewährte Staatsgarantie eine nicht zulässige staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV darstellt. Diese Beihilfe ist deshalb mit dem Gemeinsamen Markt nicht vereinbar und somit grundsätzlich verboten.330 2.4.2.2 Steuerfreie Terrorrisikenrückstellung als Beihilfe Nach der Änderung der Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen (RechVersV) sind gemäß des neu eingefügten § 30 Abs. 2a RechVersV331 die Versicherungsunternehmen verpflichtet, für die selbst abgeschlossene und in Rückdeckung übernommene Versicherung von Terrorrisiken mit hohem Schadenrisiko eine Terrorrisikenrückstellung als eine der Schwankungsrückstellung ähnliche Rückstellung nach § 341h Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs (HGB) zu bilden. Der Terrorrisikenrückstellung sind gemäß § 30 Abs. 2a Nr. 2 RechVersV jährlich 90 % des Saldos aus verdienten Beiträgen und Aufwendungen für erfolgsabhängige Beitragsrückerstattung, vermindert um die Aufwendungen für Versicherungsfälle und die Aufwendungen für erfolgsunabhängige Beitragsrückerstattung, zuzuführen. Die Bildung der Terrorrisikenrückstellung erfolgt ertragswirksam und führt zu einer Senkung des Jahresüberschusses und des zu versteuernden Einkommens der betroffenen Versicherungsunternehmen und damit zu einer geringeren Steuerlast.
329 330 331
Vgl. Wolf, F (2005), S. 167. Über die Ausnahmeregelungen werden wir später diskutieren, vgl. Abschnitt 2.4.3. § 30 Abs. 2a RechVersV ist erstmals auf den Jahresabschluss und den Konzernabschluss für das am 22. Oktober 2002 laufende Geschäftsjahr anzuwenden, vgl. § 64 Abs. 8 RechVers.
2.4 Wettbewerbsrechtliche Überprüfung staatlicher Haftungsgarantien
127
Es stellt sich im diesem Zusammenhang die Frage, ob die steuernmindernde Pflicht zur Rückstellungsbildung für Terrorrisiken eine Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. EGV darstellt und damit verboten ist. Der Begriff der Beihilfe wird im EGV nicht definiert. Art. 87 Abs. 1 EGV besagt nur, dass wettbewerbsverfälschende „Beihilfen gleich welcher Art“ mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind. Diese Formulierung „gleich welcher Art“ legt den Schluss nahe, dass der Beihilfebegriff in einem weiten Sinne zu verstehen ist.332 Die Steuerersparnisse, die durch die Bildung von Terrorrisikenrückstellungen entstehen, könnten eine verbotene Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV darstellen, da die betroffenen Versicherungsunternehmen dadurch eine staatliche Vergünstigung in Form von Steuerersparnissen erfahren. Zunächst ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Steuerersparnisse nicht einen endgültigen Steuerverzicht des Staates bedeuten. Vielmehr müssen die Rückstellungen zu einem späteren Zeitpunkt erfolgswirksam aufgelöst werden, wenn der Versicherungsvertrag ausläuft bzw. wenn in einem bestimmten Versicherungsjahr die Schadenaufwendungen die Prämien übersteigen.333 Zum Zeitpunkt der Auflösung erhöht sich das zu versteuernde Einkommen um den entsprechenden Betrag. Somit stellt die steuerfreie Terrorrisikenrückstellung keinen endgültigen Steuerverzicht dar, sondern lediglich eine Steuerstundung. Dennoch werden die betroffenen Versicherungsunternehmen durch die Möglichkeit der Steuerstundung begünstigt, da ihnen Zinsvorteile entstehen. Es würde dem Regelungszweck des europäischen Wettbewerbsrechts widersprechen, eine Beihilfe nur in Fällen endgültigen Steuerverzichts anzuerkennen. Die Gefahr einer Wettbewerbsverfälschung kann nämlich bereits entstehen, wenn ein bestimmtes Unternehmen dank der Steuerstundung in den Genuss von Zinsvorteilen kommt und dadurch begünstigt wird.334 Die Steuerstundung in Form von steuerfreien Terrorrisikenrückstellung kann somit eine Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV darstellen. Darüber hinaus muss die Beihilfe gemäß Art. 87 Abs. 1 EGV aus staatlichen Mitteln stammen und bestimmte Unternehmen derart begünstigen, dass der Wettbewerb da-
332 333
334
Vgl. Koenig, C. und Haratsch, A. (2003), Rn. 847. In diesem Fall müssen Teile der Schwankungsrückstellung aufgelöst werden, vgl. § 30 Abs. 2a Nr. 3 RechVersV. Vgl. Wolf, F. (2005), S. 174.
128
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
durch verfälscht wird bzw. verfälscht werden kann, damit sie als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten gilt. Die Begünstigung in Form der Steuerstundung bedeutet zugleich einen Verzicht des Staates auf Steuereinnahmen und stammt deshalb zweifelsfrei aus staatlichen Mitteln. Zu berücksichtigen ist die Tatsache, dass die steuerfreien Rückstellungen nicht in voller Höhe als Beihilfe anzusehen sind, sondern lediglich die Zinserträgen, die im Zusammenhang mit den Mitteln aus der Terrorrisikenrückstellung erwirtschaftet werden. Weiter ist die Frage zu prüfen, ob der innergemeinschaftliche Wettbewerb aufgrund der durch die veränderte Verordnung zur Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen geschaffenen Möglichkeit der steuerfreien Rückstellungsbildung verfälscht wird bzw. verfälscht werden kann. Diese Frage ist wie schon bei der Staatsgarantie nicht schon deshalb zu verneinen, wenn die Extremus AG in Deutschland der alleinige Anbieter auf Markt von Terrorversicherungen ist bzw. dass andere Anbieter von Terrorversicherungen auch in den Genuss von steuerfreien Terrorrisikenrückstellungen kommen würden. Bereits die Gefahr einer Wettbewerbsverfälschung genügt, um die Beihilfe als verboten gelten zu lassen. Es ist insbesondere zu beachten, dass nur in Deutschland ansässige Versicherungsunternehmen in den Genuss der steuerfreien Terrorrisikorückstellung im Sinne des § 30 Abs. 2a RechVersV kommen. Damit besteht die Gefahr, dass andere im europäischen Ausland ansässige Mitbewerber benachteiligt werden. Die Frage, ob solche Mitbewerber im europäischen Ausland tatsächlich existieren, ist irrelevant. Allein die Möglichkeit, dass potentielle Mitbewerber benachteiligt werden können, genügt, um innergemeinschaftliche Wettbewerbsverzerrungen hervorzurufen. Die Nicht-Existenz von europäischen Mitbewerbern auf dem deutschen Versicherungsmarkt für Terrorrisiken könnte gerade das Ergebnis einer solchen Wettbewerbsverzerrung sein. Außerdem könnte die Gefahr der Wettbewerbsverzerrung darin bestehen, dass die im Terrorversicherungsgeschäft tätigen deutschen Unternehmen die durch die steuerfreie Terrorrisikenrückstellung gewonnenen Mittel dazu verwenden, andere Versicherungszweige zu subventionieren. Die Quersubventionierung anderer Versicherungszweige (z.B. Haftpflicht- oder Industrieversicherung) kann zu einer Wettbewerbsverzerrung führen, wenn das betroffene Versicherungsunternehmen bei diesen Versicherungszweigen mit anderen europäischen Wettbewerbern konkurriert. Dass im Fall der Extremus AG zurzeit keine Quersubventionierung vorliegt, da sie ausschließlich Ter-
2.4 Wettbewerbsrechtliche Überprüfung staatlicher Haftungsgarantien
129
rorversicherungen anbietet, ist unerheblich. Allein die abstrakte Gefahr einer solchen Quersubventionierung und damit der Wettbewerbsverfälschung ist ausreichend, damit die Beihilfe gemäß Art. 87 Abs. 1 EVG als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten gilt. Es ist z.B. nicht auszuschließen, dass die Extremus AG zukünftig ihre Geschäftstätigkeit auf andere Versicherungszweige ausweitet oder dass ein anderer Versicherer in den Markt eintritt, der neben Terrorrisiken auch andere Risiken versichert. Die Möglichkeit der steuerfreien Rückstellungsbildung kann somit den innergemeinschaftlichen Handel behindern und den europäischen Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt verfälschen. Es bleibt noch zu prüfen, ob die Beihilfe in Form von steuerfreien Rückstellungen nur bestimmten Unternehmen zugute kommt. Diese Frage ist auf dem ersten Blick zu bejahen, da nur einer begrenzten Anzahl von Unternehmen, nämlich Versicherungsunternehmen (Erst- oder Rückversicherer), die Terrorversicherung anbieten, gestattet ist, eine Terrorrisikorückstellung im Sinne des § 30 Abs. 2a RechVersV zu bilden. 335 Allerdings ist bei steuerlichen Beihilfen die erforderliche Bestimmtheit für die Anwendung von Art. 87 Abs. 1 EVG nach Meinung der europäischen Kommission nur gegeben, wenn sie einen offensichtlichen Bruch mit dem allgemeinen nationalen Steuersystem darstellen. 336 Sonst könnten die Schwankungsrückstellungen und ähnliche Rückstellungen im Sinne des § 30 RechVersV auch eine unzulässige Beihilfe nach Art. 87 Abs. 1 EGV sein. In Deutschland wird die Pflicht bzw. das Wahlrecht zur Bildung von Rückstellungen in § 249 HGB geregelt. Gemäß § 249 Abs. 1 HGB sind alle Kaufleute verpflichtet, für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden. Darüber hinaus verlangt § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB, dass die Bewertung der im Jahresabschluss ausgewiesenen Vermögensgegenstände und Schulden nach dem sog. Vorsichtsprinzip erfolgen soll. Mit Abschluss des Versicherungsvertrags haftet der Versicherer für die vertraglich vereinbarten Schäden. Die genaue Höhe der Haftung ist ungewiss, so dass der Versicherer eine Rückstellung für diese ungewissen Verbindlichkeiten bilden muss. Bei der Schätzung der ungewissen Verbindlichkeit ist
335
336
§ 30 Abs. 2a RechVersV schreibt vor, dass für die selbst abgeschlossene oder in Rückdeckung übernommene Versicherung von Terrorrisiken mit hohem Schadenrisiko eine Terrorrisikenrückstellung zu bilden ist. Vgl. Koenig, C., Kühling, J. und Ritter, N. (2005), S. 81 f.
130
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
das Vorsichtsprinzip anzuwenden, d.h. der Versicherer soll die Rückstellung so hoch ansetzen, dass die anfallende Verbindlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rückstellung abgedeckt werden kann. Die Bildung einer Rückstellung mit steuermindernder Wirkung erfolgt im Rahmen allgemeiner, für alle Kaufleute geltender Bestimmungen und stellt somit keinen Systembruch in der Besteuerung dar. Allerdings ist zu beachten, dass nach dem Wortlaut des § 249 Abs. 1 HGB nur Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden sind. Dies bedeutet, dass die wirtschaftliche Verursachung der ungewissen Verbindlichkeit vor dem Bilanzstichtag erfolgen muss. Dies ist beispielsweise bei den Rückstellungen für noch nicht abgewickelte Schadenfälle (Schadenrückstellungen) der Fall: die Schadenereignisse haben bereits stattgefunden, lediglich die Schadenmeldung bzw. die Schadenabwicklung ist noch nicht erfolgt. Bei der in der Diskussion stehenden Terrorrisikenrückstellung sieht es anders aus. Seit Existenz der Extremus AG gibt es keine Schadenfälle337, so dass auch keine Verbindlichkeiten aus schwebenden Geschäften entstehen können. Die Versicherungsverträge mit der Extremus AG haben eine Laufzeit von einem Jahr, so dass am Anfang des Jahres neue Verträge abzuschließen sind. Folglich kann die am Jahresende zu bildende Terrorrisikenrückstellung nur ungewisse Verbindlichkeiten aus zukünftig abzuschließenden Verträgen betreffen und wird durch § 249 Abs. 1 i. V. m. § 252 Abs.1 Nr.4 HGB gedeckt. In dieser Hinsicht könnte die Pflicht zur Bildung der Terrorrisikenrückstellung einen Systembruch in der Besteuerung darstellen.338 Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass bei Terrorismusrisiken eine besondere Art von Risiken im Sinne des § 341 h Abs. 2 HGB vorliegt, bei denen der Ausgleich von Prämien und Versicherungsleistungen wegen des sehr hohen Schadenrisikos nach versicherungsmathematischen Grundsätzen nur über die Zeit erfolgen kann. Bei dieser be-
337 338
Vgl. Extremus (2005), S. 8. Für die Schwankungsrückstellung und Großrisikenrückstellung im Sinne des § 30 RechVersV ist die Situation ähnlich gelagert. Für die ungewissen Verbindlichkeiten aus schwebenden Geschäften wird die Schadenrückstellung gebildet, bei deren Berechnung ein Sicherheitszuschlag von bis zu 15 % auf die durchschnittlichen Schadenaufwendungen erlaubt ist (vgl. BMF-Schreiben vom 05.05.2000 - IV C 6 - S 2775 - 9/00). Die Bildung der Schwankungsrückstellung zur Glättung der Ergebnisse über die Jahre hat keinen wirtschaftlichen Hintergrund und ist nach den internationalen Rechnungsstandards IFRS (International Financial Report Standards) auch nicht zulässig. Es ist deshalb zu erwarten, dass die deutschen Finanzbehörden in den nächsten Jahren dieses Thema aufgreifen und durchsetzen wollen, dass die Zuführung zur Schwankungsrückstellung in der für die Steuerberechnung maßgeblichen Steuerbilanz nicht bzw. nicht voll anrechenbar ist. In Österreich z.B. kann die Zuführung zur Schwankungsrückstellung nur zur Hälfte steuermindernd angerechnet werden.
2.4 Wettbewerbsrechtliche Überprüfung staatlicher Haftungsgarantien
131
sonderen Art von Risiken ist ein gewöhnlicher Risikoausgleich im Kollektiv innerhalb eines Geschäftsjahres nicht möglich. Vielmehr muss der Risikoausgleich über die Zeit erfolgen. Aufgrund des aus versicherungsmathematischer Sicht notwendigen Risikoausgleichs über mehrere Geschäftsjahre erscheint eine Rückstellung zur Glättung der Ergebnisse über die Zeit gerechtfertigt und stellt somit keinen offensichtlichen Bruch im allgemeinen Steuersystem dar. Schließlich könnte die Höhe der zu bildenden Terrorrisikenrückstellung einen Ausnahmecharakter haben, wenn sie außergewöhnlich hoch erscheint. Der Höchstbetrag der Terrorrisikenrückstellung entspricht bei in Rückdeckung abgesicherten Terrorrisiken der Haftungshöchstsumme. Im selbst abgeschlossenen Geschäft beträgt der Höchstbetrag das 15-fache der verdienten Beträge des Geschäftsjahres (vgl. § 30 Abs. 2a Nr. 1 RechVersV). Diese Höchstbeträge gelten nach herrschender Meinung wegen der sehr hohen Schadenspotenziale und zeitlichen Schwankungen als nicht außergewöhnlich hoch. Somit stellt die Steuerbeihilfe in Form einer steuerfreien Rückstellung keinen Bruch in der nationale Steuergesetzgebung dar und ist deshalb keine verbotene Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EVG.
2.4.3 Zulässigkeit staatlicher Beihilfe im Ausnahmefall Wir haben in den vorherigen Darstellungen gesehen, dass die der Extremus AG gegebene Staatsgarantie eine verbotene staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV darstellt. Diese staatliche Beihilfe könnte jedoch im Ausnahmefall zulässig sein. Einschlägig für die Terrorversicherung ist Art. 87 Abs. 2 Buchst. b EGV. Danach sind Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, ausnahmsweise gestattet. Fraglich ist, ob Terroranschläge als außergewöhnliche Ereignisse im Sinne des Art. 87 Abs. 2 Buchst. b EGV gelten können. Nach dem Wortlaut des Gesetzes müssen diese außergewöhnlichen Ereignisse das gleiche Ausmaß an Schäden für die Bevölkerung wie Naturkatastrophen verursachen. Es ist insbesondere im konkreten Fall der Extremus AG zu prüfen, ob durch die Terrorversicherung Schäden ab einem bestimmten, den Naturkatastrophen gleichgestellten Ausmaß versichert werden. Die von der Extremus AG angebotene „Terrorismus-Police“ bietet Versicherungsschutz für Sach- und Betriebsunterbrechungsschäden infolge eines terroristischen Anschlags mit einer Versicherungssumme pro Police von mehr als 25 Mio. Euro an. Die versicherten Objekte müssen nach den Geschäftsbedingungen der Extremus AG aus-
132
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
schließlich in Deutschland gelegen sein. Die sehr hohe Mindestversicherungssumme von 25 Mio. pro Police erreicht nach herrschender Meinung das Ausmaß von Schäden, die gewöhnlich durch Naturkatastrophen verursacht werden. Die Terroranschläge stellen somit nach herrschender Meinung außergewöhnliche Ereignisse im Sinne des Art. 87 Abs. 2 Buchst. b dar. Darüber hinaus sorgt die territoriale Begrenzung auf Deutschland dafür, dass die Extremus AG nicht mit Hilfe deutscher staatlicher Beihilfe auf dem europäischen Versicherungsmarkt einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil erringt. Weiter ist nach dem Wortlaut des Art. 87 Abs. 2 Buchst. b EGV die Voraussetzung zu prüfen, dass die Beihilfe zur Beseitigung von Schäden gewährt werden muss. Es muss somit ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gewährung von Beihilfe und der Beseitigung von Schäden bestehen.339 Ein solcher Zusammenhang ist z.B. zu sehen, wenn staatliche Beihilfen dafür gewährt werden, um Hochwasseropfern zu helfen. Gegen einen solchen unmittelbaren Zusammenhang könnte das Argument aufgeführt werden, dass die Beihilfe in Form von Staatsgarantie der Extremus AG bereits gewährt ist, bevor ein terroristischer Anschlag stattgefunden hat. Dieses zeitliche Auseinanderklaffen von Schadenereignis und Beihilfegewährung könnte die Unmittelbarkeit verneinen. Die europäische Kommission legt jedoch den Begriff der Unmittelbarkeit im Sinne des Art. 87 Abs. 2 Buchst. b EGV weit aus. Ihr genügt, dass die staatlich gewährte Beihilfe dazu bestimmt ist, die durch einen terroristischen Anschlag verursachten Schäden zur beseitigen. Ein sachlicher unmittelbarer Zusammenhang ist somit ausreichend, dagegen ist ein zeitlicher Zusammenhang nicht erforderlich, um die Unmittelbarkeit der Beihilfe zu bejahen. Somit erfüllt die staatlich gewährte Beihilfe in Form von Staatsgarantie die Ausnahmevoraussetzungen des Art. 87 Abs. 2 Buchst. b EGV, so dass sie ausnahmsweise mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar und zulässig ist.
2.4.4 Ergebnis der wettbewerbsrechtlichen Überprüfung Der besondere Charakter des Terrorismusrisikos wirft die Frage auf, ob solche Risiken überhaupt versicherbar sind. Die Anschläge vom 11. September haben ein bislang in der Versicherungswirtschaft nicht kalkuliertes Ausmaß an Schäden verursacht. Alle
339
Vgl. Rawlinson, F. (1999), Art. 87 EGV, Rn. 24.
2.4 Wettbewerbsrechtliche Überprüfung staatlicher Haftungsgarantien
133
bisherigen aktuariellen Modelle zur Schadenberechnung stoßen an ihre Grenzen. Die Versicherungsmärkte würden einen weiteren Anschlag dieses Ausmaßes nicht verkraften können, so dass sie dann zusammenbrechen würden. Aufgrund der nahezu unmöglichen Einschätzung der Schadeneintrittswahrscheinlichkeit und des nicht fassbaren Kumulrisikos ist in naher Zukunft eine reine privatwirtschaftliche Lösung der Terrorismusrisikodeckung nicht zu erwarten.340 Angesichts der besonderen Bedeutung des Versicherungsschutzes als Produktionsfaktors in der Volkwirtschaft ist ein staatliches Eingreifen erforderlich und wünschenswert. Es handelt sich hier nicht um die Frage „ob“, sondern „wie“ der staatliche Eingriff in die Versicherungsmärkte erfolgen sollte341, damit möglichst wenig Marktverzerrungen auftreten. Es empfehlen sich hierbei marktwirtschaftliche Lösungen mit staatlicher Garantiezusage, da eine staatliche Zwangsversicherung gegen Terrorismusrisiken unweigerlich Probleme wie Moral-Hazard-Verhalten durch die Versicherung hervorruft. Darüber hinaus verfügen die privaten Versicherungsunternehmen gegenüber dem Staat über erhebliche Erfahrungsvorteile, was die Prämieberechnung und Schadenabwicklung betrifft.342 Eine staatliche Risikoübernahme darf jedoch nur in Fällen in Betracht gezogen werden, wenn privaten Versicherern eine Deckung nicht oder nicht zu vertretbaren Preisen möglich ist.343 Dazu gehören z.B. die Versicherung von Großanlagen und Großprojekten sowie Anlagen, von denen ein hohes potentielles Risiko für weite Bevölkerungsteile ausgehen kann. Deshalb soll die staatliche Risiko-(Mit)übernahme nur ab einer bestimmten hohen Versicherungssumme erfolgen. Bei der Extremus AG liegt diese Grenze von 25 Mio. Euro, die in Fachkreisen als hinreichend hoch erachtet wird. Unter staatlicher Beteiligung ist es gelungen, über die Extremus AG eine Versicherungslücke für Terrorismusrisiken zu schließen. Diese privatwirtschaftliche Lösung mit staatlicher Garantie gewährt den betroffenen Unternehmen den erforderlichen Versicherungsschutz und löst somit positive Effekte für die gesamte Volkswirtschaft aus. Darüber hinaus ist durch die Beschränkung der Staatsrolle bei der Extremus AG gewährleistet, dass ordnungspolitische und wettbewerbsrechtliche Verzerrungen auf ein erträgliches Maß begrenzt werden. Die wettbewerbsrechtliche Überprüfung der
340 341 342 343
Vgl. Gas, B. (2005), S. 494. Vgl. Ruprecht, W. und Wolgast, M. (2003), S. 12 f. Vgl. Ruprecht, W. und Wolgast, M. (2003), S. 13. Vgl. Nell, M. (2001), S. 6 f.
134
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Extremus AG hat ergeben, dass die der Extremus AG gegebene Staatsgarantie zwar eine verbotene staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV darstellt, jedoch gemäß Art. 87 Abs. 2 Buchst. b EGV ausnahmsweise zulässig ist. Die Pflicht zur steuerfreien Rückstellungsbildung bei Terrorrisiken ist dagegen keine staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV, da hier kein Bruch mit dem allgemeinen deutschen Steuersystem vorliegt.
2.5 Empirische Studie zur Versicherungskapazität von Katastrophenrisiken 2.5.1 Problemstellung Katastrophenereignisse führten in den letzten Jahren immer wieder zu höheren Versicherungsleistungen in Milliardenhöhe. Galt der vom Hurrikan Andrew anfangs der neunziger Jahre verursachte Versicherungsschaden in Höhe von über 22 Mrd. USD lange Zeit als der „worst case“, so wurde diese Rekordmarke im Jahr 2005 von Hurrikan Katrina mit geschätzten Versicherungsschäden i. H. v. 45 Mrd. USD um mehr als 100% überschritten.344 Catastophe-Modelling-Firmen wie die Firma Risk Management Solutions rechnen in ihren Modellsimulationen sogar mit Versicherungsschäden von bis zu 100 Mrd. USD aus einem einzigen Schadenereignis wie einem Hurrikan in Florida oder einem Erdbeben in Kalifornien. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob die Versicherungswirtschaft ein Schadensereignis mit Versicherungsleistungen i. H. v. 100 Mrd. USD und mehr verkraften kann.345 Zurzeit haben die US-amerikanischen Sach- und Unfallversicherer zusammen ein Eigenkapital in Höhe von 350 Mrd. USD.346 Dieses Kapital steht zur Verfügung, um die Versicherungsleistungen zu finanzieren, wenn die tatsächlichen Schäden höher sind als die Prämieneinnahmen. Auf den ersten Blick scheint die Versicherungswirtschaft also genügend Kapazitäten zu haben, um einen Megaschaden in der Größenordnung um die 100 Mrd. USD zu finanzieren. Jedoch sind in der Praxis nicht alle Versi-
344 345
346
Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 35. Auch wenn die bisherigen milliardenschweren Schadenzahlungen von der Versicherungswirtschaft bezahlt werden konnten, mussten einige Versicherungsunternehmen jedoch Konkurs anmelden. Vgl. Cummins, J. D., Doherty, N. und Lo, A. (2002), S. 558.
2.5 Empirische Studie zur Versicherungskapazität von Katastrophenrisiken
135
cherer gleichermaßen von einem Katastrophenereignis betroffen. Die bedeutet, dass vor allem die regional operierenden Versicherungsunternehmen stärker gefährdet werden, wenn eine Mega-Katastrophe in ihrer Region eintritt. Schlimmstenfalls reichen ihre Deckungskapazitäten nicht aus, so dass Versicherungsansprüche unbefriedigt bleiben.347 In diesem Abschnitt soll die Versicherungskapazität bei Mega-Katastrophen in einem Simulationsmodell von Cummins, Doherty, und Lo (2002) überprüft werden.
2.5.2 Theoretischer Modellrahmen Betrachten wir eine Versicherungswirtschaft mit n Versicherungsunternehmen. Der Gesamtschaden für die Versicherungswirtschaft wird mit L (Loss) bezeichnet. Das Versicherungsunternehmen i (i = 1,..., n) trägt den Anteil Li an dem gesamten Schaden L. Am Anfang einer Versicherungsperiode besitzt das Unternehmen i Eigenkapital in Höhe von Qi. Für die Übernahme des Risikos erhält das Versicherungsunternehmen Prämien in Höhe von Pi. Um die Darstellung zu vereinfachen, wird angenommen, dass das Versicherungsunternehmen eine mathematische faire Prämie verlangt, d.h. die Prämie wird so hoch angesetzt wie der erwartete Schaden (2.1)
Pi = E(Li).
Mit gegebenen Annahmen beträgt das Eigenkapital des Versicherungsunternehmens i am Ende der Periode (Endkapital): (2.2)
Ti = max {Pi + Qi - Li; 0} = max {E(Li) + Qi - Li; 0}.
Wenn die tatsächliche Versicherungsleistung Li kleiner ist als der erwartete Schaden E(Li), macht das Versicherungsunternehmen einen Gewinn in Höhe von E(Li) - Li. Sein Eigenkapital erhöht sich um den entsprechenden Betrag. Treten unerwartet Großschadenereignisse ein, so dass Li > E(Li), so erleidet das Versicherungsunternehmen Verluste. Diese Verluste können jedoch nur bis zur Höhe des vorhandenen Eigenkapitals aufgefangen werden. Die Versicherten können auf der anderen Seite nur Versicherungsleistungen in der Höhe von (2.3)
347
Lpi = min {E(Li) + Qi , Li}
Technisch könnte dieses Problem gelöst werden, indem der Staat als Rückversicherer auftritt und die Risiken unter allen solventen Versicherern aufteilt. Vgl. Cummins, J. D., Doherty, N. und Lo, A. (2002), S. 558 f.
136
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
erwarten. Übersteigt der Schaden das vorhandene Eigenkapital plus Versicherungsprämie nicht, so bekommt der Versicherte den gesamten Schaden ersetzt. Ist dagegen der Schaden unerwartet sehr groß und übersteigt das Vermögen des Versicherungsunternehmens, so werden nur Teile aus der Versicherungsleistung befriedigt, da Versicherungsunternehmen i in diesem Fall in Konkurs geht. Die Fähigkeit des Versicherers, unerwartete Schäden zu bezahlen, hängt somit entscheidend von der Eigenkapitalausstattung ab. Für die gesamte Versicherungsbranche erhalten wir durch Aufsummieren die entsprechenden Formeln für das Endkapital sowie die Versicherungsleistung348 n
(2.4)
n
¦ Ti = ¦ max {E(Li) + Qi – Li; 0} =
i
1
i
1
n
= max {E(L) +
¦ Qi – L; 0},
i
n
(2.5)
n
¦
i
1
1
Lpi =
n
¦ min {E(Li) + Qi , Li} = min {E(L) + ¦ Qi , L},
i
1
i
1
wobei n die Anzahl der vorhandenen Versicherungsunternehmen darstellt. Die Kapazität der Versicherungswirtschaft, Katastrophenrisiken zu tragen, hängt somit von zwei Faktoren ab: x Zum einen gibt die Summe des Eigenkapitals plus Prämienaufkommen die Obergrenze der Versicherungsleistung an. x Zum anderen hängt die Kapazität davon ab, wie gut die Katastrophenrisiken zwischen den Versicherern aufgeteilt sind. Trägt jeder Versicherer entsprechend seines Eigenkapitals einen proportionalen Anteil an Katastrophenrisiken, so ist die Kapazität der Deckung von Katastrophenrisiken am größten.349 Im Jahr 2002 hatten die US-amerikanischen Sach- und Unfallversicherer zusammen Eigenkapital in Höhe von 350 Mrd. USD. Bei geschätzten Prämieneinnahmen der Branche in Höhe von 200 Mrd. USD ergibt sich eine maximale Deckungskapazität in Höhe von 550 Mrd. USD. Mit perfekter Diversifikation der Risiken unter allen Sach- und Unfallversichern würde bis zur Ausschöpfung dieser Kapazitätsgrenze 348 349
Vgl. Cummins, J. D., Doherty, N. und Lo, A. (2002), S. 562. Vgl. Borch, K. (1962), S. 424 ff.
137
2.5 Empirische Studie zur Versicherungskapazität von Katastrophenrisiken
kein Versicherungsunternehmen in Konkurs gehen. Wenn die Kapazitätsgrenze der Branche ausgeschöpft ist, müssen alle Versicherungsunternehmen gleichzeitig wegen Zahlungsunfähigkeit Konkurs anmelden.
Kapazität
A
E(L) +
maximale Kapazität
n
¦ Qi
i
1
B
tatsächliche Kapazität
n
0
E(L) +
¦ Qi
i
L
1
Abbildung 2.8: Tatsächliche Deckungskapazität
Dieser ideale Zustand der perfekten Risikodiversifikation wird jedoch in der Realität nicht erreicht, da einige Versicherer stärker in Katastrophenversicherung involviert sind, während sich andere ganz aus dem Markt für Katastrophenversicherung zurückgezogen haben. Dieser Zusammenhang wird in der Abbildung 2.8 dargestellt.350 Bei einer gegebenen Dichtefunktion f(Li) für Schadenverteilung berechnet sich das erwartete Endkapital des Versicherungsunternehmens i wie folgt:351 E ( Li ) Qi
(2.6)
E(Ti) =
³
[E(Li) + Qi – Li] f(Li) dLi.
0
350 351
Vgl. Cummins, J. D., Doherty, N. und Lo, A. (2002), S. 566. (2.6) folgt aus (2.2), wobei der unternehmensspezifische Schaden Li der Dichtefunktion f(Li) unterliegt. Es ist zu beachten, dass das Integral von 0 bis E(Li) + Qi läuft. Bei höheren Schäden Li > E(Li) + Qi wird das Versicherungsunternehmen insolvent, so dass das Endkapital definitionsgemäß gleich Null gesetzt wird.
138
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Da in der Praxis keine perfekte Diversifikation herrscht, benötigen wir noch die bedingte Dichtefunktion f(Li/L). Die bedingte Dichtefunktion f(Li/L) gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass das Unternehmen i bei gegebenem Branchenschaden L den unternehmensindividuellen Schaden Li erleidet. Somit erhalten wir für das erwartete Endkapital des Unternehmens i unter der Bedingung, dass die Versicherungsbranche einen Gesamtschaden L erleidet, den Ausdruck: E ( Li ) Qi
(2.7)
³
E(Ti/L) =
[E(Li) + Qi – Li] f(Li/L) dLi.
0
Durch Aufsummieren über alle Unternehmen der Versicherungsbranche erhält man das Endkapital der Branche. n
(2.8)
E ( Li ) Qi
n
¦ E(Ti) = ¦ ³
i
1
i
1
[E(Li) + Qi – Li] f(Li/L) dLi.
0
Bezüglich der Schadenverteilung des Gesamtschadens nehmen wir an, dass der Gesamtschaden normalverteilt ist mit den Parameter L und ıL. Mit einem normalverteilten Gesamtschaden L für die Versicherungsbranche folgt aus (2.7):352 E ( Li ) Qi
(2.9)
E(Ti/L) =
³
[E(Li) + Qi – Li] f(Li/L) dLi =
0
ª E(L i ) Q i P Li / L º »+ V Li / L ¬ ¼
= (E(Li) + Qi - Li/L) N « ıLi/L
1 1 exp[- (E(Li) + Qi - Li/L)/ıLi/L)2] , 2 2S
wobei
mit
Li/L = i +
Ui V i (L – L) VL
i = E(Li);
L = E(L);
und
ıLi/L = V i (1 Ui2 )
ȡi = cov(Li,L)
Aus diesem erwarteten Endkapital ergibt sich für die Kapazität des Versicherungsunternehmens i, um den Schaden L mitzutragen: (2.10)
352
Ki = E(Li) + Qi – E(Ti/L),
Vgl. Cummins, J. D., Doherty, N. und Lo, A. (2002), S. 567.
2.5 Empirische Studie zur Versicherungskapazität von Katastrophenrisiken
139
d.h.: die Kapazität entspricht dem Anfangskapital zuzüglich den laufenden Prämien abzüglich der erwarteten Schadenszahlungen, wenn ein Großschaden L für die Versicherungsbranche entstanden ist. Die gesamte Branche hat somit eine gesamte Kapazität in Höhe von n
(2.11)
n
¦ Ki = ¦ [E(Li) + Qi – E(Ti/L)] =
i
1
i
1
n
n
¦ Qi – ¦ E(Ti/L),
= E(L) +
i
1
i
1
um Großschadenereignisse zu versichern. Mit Hilfe von (2.11) in Verbindung mit (2.9) kann man die Kapazität der gesamten Versicherungsbranche zur Finanzierung von Katastrophenrisiken abschätzen.
2.5.3 Schätzung der Kapazität der Versicherungsbranche Cummins, Doherty und Lo (2002) haben in einem Portefeuille alle auf dem USamerikanischen Markt tätigen Versicherungsunternehmen im Zeitraum zwischen 1983 und 1997 (insgesamt 15 Jahre; Beobachtungszeitraum T = 15) analysiert und die notwendigen Parameter gemäß (2.9) wie folgt geschätzt:353 (2.12)
(2.13)
i = E(Li) =
L = E(L) =
T
1 T
¦ Lit
1 T
¦ Lt
t 1
T
t 1
(2.14)
ıi2 =
1 T ¦ (Lit – i)2 T 1 t 1
(2.15)
ı2 =
1 T ¦ (Lt – L)2 T 1 t 1 T
1 T 1
(2.16)
353
ȡi = cov(Li,L) =
¦ (L
it
P i )(L t P)
t 1
Vi V
Vgl. Cummins, J. D., Doherty, N. und Lo, A. (2002), S. 571 f.
140
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Die durch die Gleichungen (2.12) bis (2.16) ermittelten Parameter („raw“ Parameter) werden bei verschiedenen Verlustniveaus L in (2.11) eingesetzt, um die Versicherungskapazität bei verschiedenen Katastrophenszenarien zu testen. Im nächsten Schritt werden die „raw“ Parameter um den systematischen Preisanstieg der Schadenentwicklung korrigiert, um die sog. „detrended“ Parameter zu bekommen. Dieser Schritt ist deswegen sinnvoll, da die Schadenentwicklung aufgrund der im zeitlichen Ablauf erfolgten Preisentwicklung sowie des technologischen Fortschritts einem steigenden Trend unterliegt. Um Verzerrungen in der Schadenentwicklung zu vermeiden, sollen mit den „detrended“ Parametern nur die zufälligen Schadenabweichungen vom langfristigen Trend berücksichtigt werden.354 Des Weiteren wird die Gruppenzugehörigkeit der Versicherungsunternehmen untersucht. Wenn ein Versicherungsunternehmen insolvent wird, ist es möglich, dass dieses Unternehmen aufgrund der Gruppenzugehörigkeit finanzielle Mittel von anderen Konzernunternehmen erhält. Deswegen wird die Versicherungskapazität zunächst für den Fall berechnet, dass die Versicherungsunternehmen für sich allein betrachtet werden (Company-Ansatz). Danach wird die Gruppenzugehörigkeit derart berücksichtigt, dass im Konkursfall eines Gruppenmitglieds alle anderen Gruppenmitglieder ihr eigenes Eigenkapital zur Verfügung stellen. Es wird in diesem Fall unterstellt, dass die Versicherungsgruppe wie ein einziges Unternehmen haftet (Group-Ansatz). Die beiden Ansätze „Company-Ansatz“ und „Group-Ansatz“ markieren somit die Unter- bzw. Obergrenze der Haftungskapazität der Versicherungsbranche. Die Ergebnisse dieser empirischen Studie werden in der folgenden Abbildung 2.9 dargestellt.355 Auf der x-Achse wird der gesamte Branchenschaden aus Katastrophen- und Nichtkatastrophenereignissen aufgetragen.356 Die Kurven in Abbildung 2.9 geben an, wie viel von den entstandenen Schäden die Versicherungsbranche bei Zugrundelegung der entsprechenden Annahmen zu bezahlen imstande ist.
354 355 356
Vgl. Cummins, J. D., Doherty, N. und Lo, A. (2002), S. 571. Vgl. Cummins, J. D., Doherty, N. und Lo, A. (2002), S. 575. Dabei soll sich der gesamte Branchenschaden zwischen 200 und 500 Mrd. USD bewegen, da der durchschnittliche jährliche Gesamtschaden der US-amerikanischen Schaden- und Unfallversicherer 200 Mrd. USD und das aggregierte Eigenkapital der Branche 300 Mrd. USD beträgt. Das bedeutet, dass die US-amerikanischen Schaden- und Unfallversicherer im Idealfall einen maximalen Gesamtschaden i. H. v. 500 Mrd. USD verkraften können.
2.5 Empirische Studie zur Versicherungskapazität von Katastrophenrisiken
141
Abbildung 2.9: Simulierte Kapazität der Versichrungsbranche
Aus Abbildung 2.9 ist zu entnehmen, dass x die Zahlungskapazität der Versicherungsbranche beim Group-Ansatz höher ist als beim Company-Ansatz und x die Zahlungskapazität der Versicherungsbranche bei Zugrundelegung der detrended Parameter niedriger ist als unter Annahme der raw Parameter. Diese Ergebnisse sind auch logisch erklärbar. Beim Group-Ansatz werden Ausgleichszahlungen zwischen den Mitgliedsunternehmen einer Versicherungsgruppe unterstellt, so dass hier quasi eine größere Risikostreuung erreicht wird. Bei den detrended Parametern wird die Zahlungskapazität inflationsbereinigt berechnet und gibt deshalb ein realistischeres Bild der Zahlungsfähigkeit der Versicherungswirtschaft wieder.
142
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Abbildung 2.10: Zahlungsquoten in Abhängigkeit vom Branchenschaden
Durch Division der Fläche unterhalb der Kurven durch die Fläche unterhalb der Winkelhalbierenden erhält man die entsprechenden Zahlungsquoten (vgl. Abbildung 2.10). Die Zahlungsquote gibt an, welchen Prozentsatz der versicherten Schäden die Versicherungswirtschaft zu zahlen imstande ist. Die Zahlungsquote ist somit ein Maß für die Effizienz des Versicherungsschutzes. Im nächsten Schritt werden die Zahlungsquoten in Abhängigkeit eines Katastrophenschadens (vgl. Abbildung 2.11). Bei Zugrundelegung der detrended Parameter würde die Versicherungsbranche bei einem Katastrophenschaden i. H. v. 100 Mrd. USD 96,4 % der Schäden (Group-Ansatz) bzw. 92,8 % (Company-Ansatz) bezahlen können. Bei einem Katastrophenschaden i. H. v. 200 Mrd. USD sinkt die Zahlungsquote auf 84,0 % bzw. 78,6 %.357
357
Vgl. Cummins, J. D., Doherty, N. und Lo, A. (2002), S. 577.
2.6 Zusammenfassung des 2. Kapitels
143
Abbildung 2.11: Zahlungsquoten in Abhängigkeit vom Katastrophenschaden
Aus diesen Simulationsrechnungen kann man erkennen, dass die US-amerikanische Schaden- und Unfallversicherungswirtschaft relativ gut in der Lage ist, Katastrophenschäden in der Größenordnung um 100 Mrd. USD zu bewerkstelligen. Die Zahlungsquote sinkt jedoch bei Katastrophenereignissen mit Schäden ab 150 Mrd. USD rapide ab.
2.6 Zusammenfassung des 2. Kapitels In diesem Kapitel haben wir die versicherungstechnischen Risiken aus Sicht eines Versicherungsunternehmens kennen gelernt. Es sind v. a. das Zufallsrisiko, das Änderungsrisiko, das Irrtumsrisiko und das Risiko aufgrund asymmetrischer Informationsverteilung zu nennen. Das Zufallsrisiko resultiert daraus, dass die Schadenrealisationen aufgrund einer Wahrscheinlichkeitsverteilung zufällig vom Mittelwert abweichen. Bei Katastrophenrisiken können die Abweichungen vom Erwartungswert aufgrund des Zufallsrisikos von so großem Ausmaß sein, dass die Existenz des Versicherungsunternehmens gefährdet ist. Das Änderungsrisiko ist darauf zurückzuführen, dass sich die geschätzten Parameterwerte für Schadenzahl und Schadenhöhe im Laufe der Zeit verändern können. Die
144
Kapitel 2: Risiken und Versicherbarkeit
Entwicklung der versicherten Schäden aus Katastrophenereignissen legt den Schluss nahe, dass diese Parameterwerte im letzten Jahrzehnt gestiegen sind. Manchmal ist es schwierig, aus den Beobachtungen über den Schadenverlauf Aussagen über das Zufalls- oder Änderungsrisiko zu machen. Auch das Irrtumsrisiko könnte bei der Versicherung von Katastrophenrisiken eine wichtige Rolle spielen. Da die Katastrophenereignisse von Natur aus selten eintreten, ist das einschlägige statistische Datenmaterial entsprechend klein, so dass sich die Schätzung der Parameterwerte der Schadenverteilungen schwieriger gestaltet. Je geringer das zur Verfügung stehende statistische Datenmaterial ist, desto weniger zuverlässig lassen sich die Parameterwerte der zugehörigen Wahrscheinlichkeitsverteilungen schätzen und desto höher ist das Irrtumsrisiko. Des Weiteren wurden in diesem Kapitel verschiedene Konzepte zur Versicherbarkeit von Risiken dargestellt. Es hat sich gezeigt, dass die Grenzen der Versicherbarkeit nicht immer klar umrissen sind. Je nach dem gewählten Ansatz kann man zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Versicherbarkeit von Risiken kommen. Gerade die Katastrophenrisiken (Natur- und Man-made-Katastrophen), die ein gewaltiges Schadenpotenzial mit sich bringen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit schwer einzuschätzen sind, stellen die private Versicherungswirtschaft vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Diese Risiken befinden sich zweifellos im Graubereich der Versicherbarkeit und werden in manchen Fällen von der privaten Versicherungswirtschaft nicht mehr gedeckt. Zu den wichtigen Versicherbarkeitskriterien, die bei Katastrophenrisiken nicht erfüllt bzw. nur eingeschränkt erfüllt, zählen die Schätzbarkeit, die Unabhängigkeit und beherrschbarer Höchstschaden. Eine Möglichkeit, die Grenzen der Versicherbarkeit von Risiken zu erweitern, liegt in der staatlichen Risikoübernahme. Angesichts der besonderen Bedeutung des Versicherungsschutzes als Produktionsfaktors in der Volkwirtschaft ist eine staatliche Mithaftung erforderlich und wünschenswert, um die Versicherung von Katastrophenrisiken zu ermöglichen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie der staatliche Eingriff in die Versicherungsmärkte erfolgen sollte, damit möglichst wenig Marktverzerrungen auftreten. Festzuhalten ist der Ergebnis, dass eine staatliche Risikoübernahme nur in Fällen in Betracht gezogen werden darf, wenn durch private Versicherungslösungen eine Deckung nicht oder nicht zu vertretbaren Preisen möglich ist. Ein Beispiel für die staatliche Mithaftung ist die Extremus-AG, die seit 2002 unter staatlicher Beteiligung Versicherungsschutz gegen Terrorismusrisiken anbietet. Die
2.6 Zusammenfassung des 2. Kapitels
145
staatliche Risikoübernahme zu nicht risikogerechter Prämie kann jedoch dazu führen, bestimmte Branchen oder Unternehmen einseitig zu subventionieren und dadurch gegen das europäische Wettbewerbsrecht verstoßen. Eine wettbewerbsrechtliche Überprüfung der staatlichen Risikoübernahme am speziellen Fall der Extremus-AG hat gezeigt, dass die der Extremus AG gegebene Staatsgarantie zwar eine verbotene staatliche Beihilfe darstellt. Diese ist jedoch aufgrund des außergewöhnlichen Charakters der Schadenereignisse ausnahmsweise zulässig. Am Ende des Kapitels 2 hat eine empirische Studie zur Versicherungskapazität von Katastrophenrisiken gezeigt, dass die US-amerikanische Schaden- und Unfallversicherungswirtschaft Katastrophenereignisse mit einem Mega-Schaden in der Größenordnung 100 Mrd. USD verkraften könnte. Jedoch würden Katastrophenereignisse mit versicherten Schäden ab 150 Mrd. USD zu zahlreichen Konkursen bei den betroffenen Versicherungsunternehmen führen. Bevor staatliche Maßnahmen zur Risikoübernahme zum Zuge kommen, müssen zunächst die Grenzen der Versicherbarkeit in der privaten Versicherungswirtschaft festgestellt werden. Die Praxis hat gezeigt, dass die Versicherungsunternehmen in der Regel vielfältige Möglichkeiten besitzen, um die eigenen Zeichnungskapazitäten zu erhöhen und damit mehr Risiken versichern zu können. Wir werden uns in den nächsten drei Kapiteln ausführlich mit den privatwirtschaftlichen Möglichkeiten der Kapazitätserweiterung durch Risikoteilung und Risikotransfer, nämlich Rückversicherung, Katastrophenanleihen und Versicherungsderivaten, befassen.
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
3.1 Grundlagen der Rückversicherung 3.1.1 Begriffsbildung Eine Möglichkeit zur Erweiterung der Zeichnungskapazität sind Rückversicherungen. Im deutschen Handelsgesetzbuch wird die Rückversicherung als „die Versicherung der von dem Versicherer übernommenen Gefahr“ definiert.358 In der versicherungswissenschaftlichen Literatur wird die Rückversicherung als eine Form der Risikoteilung zwischen Versicherungsunternehmen bezeichnet, die ein Erstversicherungsverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Erstversicherungsunternehmen voraussetzt.359 Rückversicherer (Zessionäre) fungieren dabei als „Versicherer der Versicherer“,360 d.h. sie haben aufgrund ihrer in der Regel weltweiten Aktivitäten und ihres hohen Kapitalbestandes größere Möglichkeiten, Risiken zu diversifizieren als dies bei einem regional tätigen Versicherer mit einem relativ beschränkten Kapitalbestand der Fall ist.361 Dies ist gerade bei der Versicherung von Großschadenereignissen wie Natur- oder Man-made-Katastrophen von absoluter Notwendigkeit. Der Anbieter dieser Rückversicherung wird als Zessionär, der Nachfrager als Zedent bezeichnet.362 Dabei müssen Zessionäre nicht notwendigerweise auf diese Form der Versicherung spezialisiert sein. Neben den sog. professionellen Rückversicherern treten auch Versicherungsunternehmen als Anbieter von Rückversicherungsschutz auf,
358
359
360 361 362
Vgl. § 779 Abs. 1 HGB, weitere Definitionen von Rückversicherung findet man in Pfeiffer, C. (1999), S. 12 f sowie Knoke, U. (1997), S. 2. Vgl. Gerathewohl, K. et al. (1976), S.1; Schmidt, J. (1980), S. 1 ff.; Schulenburg, J.-M. (1981), S. 7 und Pfeifer, C. (1999), S. 11 ff. Vgl. Liebwein, P. (1998), S. 49. Vgl. Geratewohl, K. et al. (1976), S.52 ff. sowie Pfeifer, C. (1999), S. 811 ff. Vgl. Pfeifer, C. (1999), S. 12-13.
148
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
deren Kerngeschäft in der Erstversicherung liegt; diese werden gemischte Versicherer genannt. Rückversicherer können sich ihrerseits bei einem anderen Rückversicherer rückversichern (Retrozession). Die beiden an der Retrozession beteiligten Rückversicherer werden Retrozedent bzw. Retrozessionär genannt. Durch die Retrozession können Risiken weiter diversifiziert werden. Abbildung 3.1 ordnet die Begriffspaare in den Versicherungskontext ein. Versicherungs- Versicherungs- Erstververtrag nehmer sicherer
Zession
Rückversicherer 1
Retrozession
Rückversicherer 2
Ebene 1
Zedent
Zessionär Retrozedent
Ebene 2
Retrozessionär
Abbildung 3.1: Begriffspaare im Versicherungskontext
Bis zur Gründung der Kölnischen Rückversicherungs-Gesellschaft als erster professioneller Rückversicherer im Jahr 1846 wurde die Rückversicherung ausschließlich von gemischten Versicherern angeboten. Für den Erstversicherer hatte das den Nachteil, dass der Zessionär Einblicke in dessen Versicherungsbestand nehmen und für sein eigenes Direktgeschäft nutzen konnte. In der Literatur ist der Begriff der "`Rückversicherung"' nicht eindeutig definiert.363 Vielmehr erfahren die mathematischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Elemente der Versicherung je nach Autor eine unterschiedliche Gewichtung.364 Im Gegensatz zum Erstversicherungsgeschäft herrscht in der Rückversicherung vollständige Vertragsfreiheit. Dem Fehlen staatlicher Regulierung und Beaufsichtigung liegen zwei Annahmen zugrunde:365 x zum einen wird den Vertragspartnern ein ausreichender Sachverstand unterstellt, da beide der Versicherungsbranche angehören; x zum anderen würden nationale Beschränkungen der globalen Ausrichtung des Rückversicherungsgeschäfts widersprechen.
363
364 365
Eine Übersicht über mögliche Definitionen von Rückversicherung aus verschiedenen Blickwinkeln findet man bei Liebwein, P. (1998), S. 47 f. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 31-36. Vgl. auch Schulenburg, J.-M. (2005), S. 166.
3.1 Grundlagen der Rückversicherung
149
Infolgedessen orientieren sich die rechtlichen Grundlagen an den Vertragsvorschriften des Privatrechts und an individuellen Vertragsvereinbarungen, welche u. a. von den Gewohnheiten der Branche abhängen. Zu beachten ist allerdings, dass der Abschluss eines Rückversicherungsvertrages ausschließlich eine Rechtsbeziehung zwischen Erstund Rückversicherer nach sich zieht. Das Schutzversprechen, welches der Erstversicherer dem Versicherungsnehmer in der Originalpolice zusichert, bleibt hierbei unberücksichtigt; d.h. es entstehen dem Zessionär keinerlei Verpflichtungen gegenüber dem ursprünglichen Versicherungsnehmer. Der Zessionär ist somit allein gegenüber dem Zedenten verpflichtet.366
3.1.2 Funktionen der Rückversicherung Die Hauptfunktion der Rückversicherung besteht in der Reduktion und Teilung des versicherungstechnischen Risikos. 367 Das versicherungstechnische Risiko beschreibt die Gefahr, dass der tatsächliche Gesamtschaden den erwarteten Schaden übersteigen kann.368 Inwiefern die Rückversicherung dieser Hauptfunktion gerecht wird, hängt von der konkreten Ausgestaltung des Rückversicherungsvertrags ab. Diese Frage wird in diesem Kapitel ausführlich diskutiert.369 Daneben kann der Erstversicherer von zahlreichen weiteren Vorteilen profitieren, welche mit dem Abschluss einer Zession zusammenhängen.370 Zu nennen sind dabei v. a. die Service-Funktionen des Rückversicherers (Hilfestellung bei der Prämienkalkulation, der Schadenabwicklung, aber auch beim Vertrieb). Der folgende Abschnitt gibt einen groben Überblick über die Funktionen, die mit dem Rückversicherungsvertrag verbunden sind.
366
367 368 369
370
Vgl. Prölss, E. R., Martin, A. und Knappmann, U. (2004), S. 1315 sowie Liebwein, P. (1998), S. 51. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 42. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 55. Mit den Grenzen der Risikotragung auf den Rückversicherungsmärkten sowie den Möglichkeiten des alternativen Risikotranfers auf die Finanzmärkte befassen wir uns in den Kapiteln 4 und 5. Bei Helten, E. (1984), S. 53-68, findet man einen guten Überblick über die Vorteile der Rückversicherung aus Sicht des Erstversicherers.
150
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
3.1.2.1 Sicherheit Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Kumulrisiken371 und Katastrophenrisiken372 ist schwer abzuschätzen. Zudem sind Schäden, welche durch diese Ereignisse verursacht werden, in der Regel so hoch, dass sie den Fortbestand der betroffenen Versicherungsunternehmen gefährden können. Entschließt sich ein Erstversicherer dennoch, den Schutz derartiger Risiken anzubieten, kann er sich mit Hilfe der entsprechenden Rückversicherung gegen extreme Schadensverläufe absichern.373 Die Reduktion des versicherungstechnischen Risikos ist nach herrschender Meinung die Hauptfunktion der Rückversicherung.374 Die Weitergabe von Risiken versetzt den Erstversicherer zudem in die Lage, unsichere Schadenszahlungen (teilweise) durch fixe Kosten zu ersetzen. Damit lassen sich zukünftige Zahlungsströme besser prognostizieren und starke Schwankungen im Geschäftsverlauf vermeiden. Handelt es sich bei dem Versicherungsunternehmen um eine Aktiengesellschaft, kann ein stabiles Periodenergebnis die Zahlung von konstanten Dividenden erleichtern. Dadurch werden die Interessen der Shareholder befriedigt, die eine stabile Verzinsung ihres eingesetzten Kapitals erwarten. Weiterhin ermöglichen stabile Gewinne einen stetigen Aufbau der Risikoreserven, wodurch die Kapazität des Versicherers erhöht wird. Die Rückversicherung hat somit positive Auswirkungen auf die Risikolage des entsprechenden Zedenten. In den meisten Ländern existieren Vorschriften, welche gewährleisten sollen, dass Versicherungsunternehmen ihren Verpflichtungen aus der Geschäftstätigkeit dauerhaft nachkommen können.375 Dazu wird eine gewisse Mindestausstattung an Eigenmitteln
371
372
373
374
375
Das Kumulrisiko wird in der versicherungswissenschaftlichen Literatur dadurch charakterisiert, dass durch das Eintreten eines einzelnen Ereignisses viele versicherungstechnische Einheiten gleichzeitig einen Schaden erleiden. Bei Großschaden- oder Katastrophenrisiken handelt es sich um Ereignisse, welche zwar selten eintreten, dafür aber sehr hohe Schäden bei vielen versicherten Objekten verursachen. In der Fachliteratur werden sie deshalb auch als „Low Frequency/High Severity“- Risiken bezeichnet. Wann genau die Grenze überschritten ist, bei der man nicht mehr von „normalen“ sondern von großen Schäden spricht, hängt von der Zeichnungskapazität des jeweiligen Versicherungsunternehmens ab. Auslöser können sowohl Naturkatastrophen, wie Erdbeben oder Stürme, als auch Unglücksfälle, wie z.B. der GAU eines Atomreaktors sein. Neben dem Schutz vor Kumul- und Katastrophenrisiken ist die allgemeine Stabilisierung des Geschäftsverlaufs beim Erstversicherer eine wichtige Zielsetzung der Rückversicherungsnahme. Vgl. Liebwein, P. (1998), S. 51. Vgl. Farny, D. (1963), S. 737; Gerathewohl, K. et al. (1976), S. 22 ff.; Schmidt, J. (1980), S. 17 ff.; Strauß, J. (1988), S-7-10; Arnoldussen, L (1991), S. 36 ff und Albrecht, P. (1992), S. 23. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 41.
3.1 Grundlagen der Rückversicherung
151
verlangt, welche von der Risikolage des betreffenden Erstversicherers abhängt. Durch den Transfer von Risiken auf andere Versicherer verbessert sich die Risikosituation innerhalb des zedierenden Unternehmens, wodurch sich gleichzeitig die vorgeschriebene Menge an Eigenkapital bzw. Eigenmitteln verringert.376 In Deutschland regeln die sog. Solvabilitätsvorschriften die Kapitalanforderungen in der Versicherungswirtschaft.377 Dazu werden Indikatoren zur Beurteilung der Risikolage der Unternehmen herangezogen, welche hauptsächlich aus der externen Rechnungslegung stammen. Im Rahmen von Solvency II sollen diese Regelungen weiterentwickelt werden, um der zunehmenden Internationalisierung von Märkten und der Vereinheitlichung von Rechnungslegungsstandards gerecht zu werden. 3.1.2.2 Gewinn und Wachstum Neben der Beeinflussung von Sicherheitszielen kann die Rückversicherung auch Auswirkungen auf Gewinn- und Wachstumsgrößen haben. Werden Risiken an einen Rückversicherer weitergegeben, so wird dieser abhängig von der Art des Vertrages an deren Aufwendungen und Erträgen beteiligt. Dadurch reduzieren sich die betreffenden Erfolgspositionen des Zedenten, und seine Gewinn- und Verlustrechnung wird entsprechend belastet bzw. entlastet. Gerade bei Katastrophenrisiken, deren Risikopotential schwer kalkulierbar ist, kann der Erstversicherer schnell an die Grenzen seiner Zeichnungskapazität stoßen. Mit Hilfe der Risikoteilung über die Rückversicherung kann der Erstversicherer größere und exponierte Risiken zeichnen, die seine eigene Kapitalkraft sonst übersteigen würden.378 Ein Versicherungsunternehmen, welches seine Geschäftstätigkeit auf neue Märkte ausdehnen möchte, kann die Rückversicherung als Finanzierungsmöglichkeit nutzen. Neugründungen oder Akquisitionen sind mit einem wesentlichen finanziellen Aufwand für den Erstversicherer verbunden. Neben dem fachlichen Know-how stellen Rückversicherungsunternehmen sog. Super- und Aufbauprovisionen zur Verfügung, damit der Zedent den anfänglich hohen Kapitalbedarf besser decken kann. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „Financial Reinsurance“.
376 377 378
Vgl. Gerathewohl, K. (1979), S. 1 f. und Arnoldussen, L. (1991), S. 38. Vgl. § 53 c Abs. 1 VAG. Vgl. Liebwein, P. (1998), S. 54.
152
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
3.1.2.3 Service Die „Global Players“ der Rückversicherungsbranche379 verfügen im Großen und Ganzen über die gleiche Palette an Versicherungslösungen. Daher wird der Wettbewerb zunehmend im Bereich der Service-Leistungen entschieden.380 Zur Prämienberechnung benötigt das Versicherungsunternehmen Informationen über den Schadensverlauf der Vergangenheit. Ein Rückversicherer kann oftmals diese Informationen bereitstellen und zudem Hilfestellung bei der Beitragskalkulation leisten. Durch die internationale Ausrichtung des Rückversicherungsgeschäfts erlangt der Zessionär nützliche Erfahrungen und Kenntnisse. Diese kann er dem Erstversicherungsunternehmen in Form von fachlicher Beratung oder technischer Unterstützung zukommen lassen. Darunter fallen beispielsweise:381 x die Bewertung und Prüfung von Sonderrisiken, x die Übernahme versicherungsmathematischer Aufgaben, x die Beratung und Unterstützung in der Portefeuillegestaltung, x die Beratung beim Einsatz von EDV-Anlagen oder Risikomanagement-Tools x die Vermittlung von Informationen und Kontakten zu Versicherungsmärkten, x die Abwicklung des Zahlungsverkehrs oder x die Ausbildung von Mitarbeitern des Erstversicherers. Eine empirische Studie unter den 130 größten Schaden- und Unfallversicherungsunternehmen zeigt die fünf wichtigsten Gründe für Rückversicherung aus Sicht des Zedenten:382 x Verminderung des versicherungstechnischen Risikos x Übernahme periodischer Überschäden x Erhöhung der Zeichnungskapazität x Erreichung eines positiven versicherungstechnischen Ergebnisses
379 380
381 382
Es sind u. a. Munich Re, Swiss Re, Berkshire Hathaway, Lloyd’s. Genaueres zu den „nicht-monetären“ Funktionen der Rückversicherung, vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 16 f. Vgl. Pfeiffer, C. (1999), S. 19 sowie Grossmann, M. (1982), S. 28 f. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 49 f.
3.1 Grundlagen der Rückversicherung
153
x Teilung eines zu erwartenden Verlustes Diese Studie bestätigte die Auffassung der Rückversicherungsbranche, dass Erstversicherer hauptsächlich wegen der Verminderung des versicherungstechnischen Risikos eine Zession abschließen.383
3.1.3 Formen der Rückversicherung Eine Differenzierung der Rückversicherung kann nach unterschiedlichen Kriterien erfolgen. In diesem Abschnitt wird zunächst auf die vertragsrechtlichen Formen eingegangen und anschließend eine Klassifizierung anhand der Rückversicherungsinstrumente vorgenommen. Weitere Unterscheidungsmöglichkeiten wie Zweck, Wirkung und Preis der Zession, werden nicht in die Betrachtung einbezogen. 3.1.3.1 Vertragsrechtliche Formen Bei der vertragsrechtlichen Unterteilung wird das Hauptaugenmerk auf die Zessionspflicht bzw. -freiheit des Versicherungsunternehmens und die Annahmepflicht bzw. – freiheit des entsprechenden Rückversicherers gelegt.384 So können fakultative (freiwillige) und obligatorische (verpflichtende) Rückversicherungsverträge unterschieden werden, sowie Kombinationen aus beiden Formen.385 a) Obligatorische Rückversicherung Die sog. obligatorische Rückversicherung erfasst alle Risiken, die der Erstversicherer (Zedent) auch nach Abschluss des Rückversicherungsvertrages übernimmt. Damit ist das Ausmaß des Risikotransfers auf den Rückversicherer vor Abschluss des Rückversicherungsvertrags unbestimmt, da die Höhe des Risikotransfers wiederum von der Zeichnungspolitik des Erstversicherers vor und während der Laufzeit des Rückversicherungsvertrages abhängt. Bei der obligatorischen Rückversicherung (Vertragsrückversicherung für ganze Bestände) handelt es sich um Verträge, die nicht selten für eine Vielzahl versicherungstechnischer Einheiten abgeschlossen werden. Der Erstversicherer darf dabei keine Vorauswahl treffen, sondern muss alle vertragsrelevanten Risiken in Rückdeckung
383 384 385
Vgl. Grossmann, M. (1982), S. 73, Helten, E. (1994), S. 2 sowie Liebwein, P. (2000), S. 50. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 51. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 19.
154
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
geben. Der Zessionär ist auf der anderen Seite dazu gezwungen, alle zedierten Einheiten zu akzeptieren. Es besteht somit eine Zessionspflicht beim Erstversicherer und eine Annahmepflicht beim Rückversicherer. Bei dieser Vertragsart ist der anfallende Bearbeitungsaufwand äußerst gering, so dass die Abwicklungskosten relativ niedrig ausfallen.386 Jedoch kommt dem Vertrauensverhältnis zwischen Zedent und Zessionär eine besondere Bedeutung zu, da der Erstversicherer in der Regel die Schadensregulierung vornimmt, dem Rückversicherer aber die Möglichkeit fehlt, diese zu überprüfen.387 b) Fakultative Rückversicherung Bei der sog. fakultativen Rückversicherung kann ein Rückversicherer vor Abschluss des Rückversicherungsvertrages (Zession) die einzelnen zur Übernahme anstehenden Risiken prüfen, d.h. ein Rückversicherer kann über die Annahme oder Ablehnung jedes einzelnen Risikos selbst entscheiden. Fakultative Rückversicherungsverträge (Vertragsrückversicherung für Einzelrisiken) beziehen sich lediglich auf Teile eines Versicherungsbestandes. Hierbei können beide Vertragspartner von Fall zu Fall darüber entscheiden, welches Risiko sie zeichnen bzw. annehmen wollen und welches nicht.388 Es besteht somit eine Zessionsfreiheit beim Erstversicherer und eine Annahmefreiheit beim Rückversicherer. Diese Versicherungslösung tritt häufig bei „außergewöhnlichen“ Risiken auf389, die der Rückversicherer ohne vorherige Prüfung nicht in seinen Bestand aufnehmen kann oder will. Im Standardgeschäft hingegen spielt die fakultative Rückversicherungsart eine unbedeutende Rolle, weil die Bearbeitung dieser Verträge sehr arbeits- und zeitintensiv ist und eine Ungewissheit bis zur Annahmeerklärung des Rückversicherers besteht. Der große Vorteil der fakultativen Rückversicherung liegt in der flexiblen Vertragsgestaltung. So können sämtliche Konditionen, wie Laufzeit oder Rückversicherungsentgelte, unabhängig von der Originalpolice vereinbart werden. Weil dies einen größeren Bearbeitungsaufwand verursacht, ist der Preis für diese Vertragsart in der Regel
386 387 388
389
Vgl. Altenburger, O. A. (1997), S. 162 und Schradin, H. R. (1998), S. 19. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 169. Zu den Motiven für den Einsatz von fakultativen Rückversicherungsverträgen aus Zedentensicht, vgl. Gerathewohl et al. (1979), S. 1 ff.; Grossmann (1982), S. 77 ff.; Carter, R. L. (1983), S. 172 ff. und Pfeiffer, C. (1999), S. 24 ff. Es sind z.B. Verträge mit sehr hohen Versicherungssummen, die beispielsweise gegen Terrorismus- bzw. Naturkatastrophenrisiken abgeschlossen werden.
3.1 Grundlagen der Rückversicherung
155
höher als bei obligatorischen Versicherungen. Größere Schwankungsanfälligkeiten und Inhomogenitäten der fakultativen Risiken erschweren zudem den kollektiven Ausgleich und erfordern deshalb einen höheren Prämienzuschlag. Neben diesen „reinen“ Vertragsvarianten existieren zusätzlich zwei „Mischformen“. Bei der fakultativ-obligatorischen Rückversicherung (Open Cover) steht es dem Erstversicherer frei, ein bestimmtes Risiko in Rückdeckung zu geben, während der Rückversicherer dazu verpflichtet ist, dieses zu akzeptieren. Die obligatorisch-fakultative Rückversicherung ist dadurch charakterisiert, dass der Erstversicherer einer Zessionspflicht unterliegt, und der Rückversicherer vollständige Freiheit bei der Annahme der gezeichneten Risiken besitzt. Beide Formen finden allerdings in der Praxis wenig Anwendung, da sie jeweils einen Vertragspartner benachteiligen.390 c) Moral Hazard und Adverse Selection Wie bei allen Versicherungsverträgen ergeben sich auch bei einem Vertrag zwischen Erst- und Rückversicherer Moral-Hazard-Probleme. Ein ex-post Moral-HazardProblem besteht darin, dass der Erstversicherer die Möglichkeit hat, die Prüfung und Abwicklung von Versicherungsschäden (Abwicklungspolitik) zu beeinflussen.391 Zusätzlich entsteht bei einer obligatorischen Rückversicherung ein ex ante MoralHazard-Problem, da der Erstversicherer durch die Auswahl der Risiken (Zeichnungspolitik) Einfluss auf die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens für den Rückversicherer nehmen kann.392 Probleme von Adverse Selection können insofern auftreten, wenn der Rückversicherer gegenüber dem Erstversicherer auf die exakte Offenlegung der Zeichnungs- und Abwicklungsbedingungen für Erstversicherungsverträge verzichtet und somit eine asymmetrische Informationslage zwischen den Marktpartnern entsteht. Ein Angebot von einem Rückversicherer, welches in diesem Fall auf die durchschnittliche Eintrittswahrscheinlichkeit eines Katastrophenereignisses basiert, wird dann eher von solchen Erstversicherern angenommen, die überdurchschnittliche Risiken unter Vertrag genommen haben, nicht aber von solchen Erstversicherern, die in der Vergangenheit eine vorsich-
390 391
392
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 56 f. Die Schadensabwicklung wird in der Praxis in der Regel vom Erstversicherer durchgeführt, da Letzterer aufgrund seiner Nähe zum Versicherungsnehmer auch über die notwendigen Informationen verfügt. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 32. In der Praxis wird das ex ante Moral-Hazard-Problem dadurch gemindert, dass der Erstversicherer eine bestimmte Selbstbehaltquote nicht unterschreiten darf.
156
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
tige Zeichnungs- und Abwicklungspolitik ausgeübt haben. Regelmäßig wiederkehrende Geschäftsbeziehungen zwischen Erst- und Rückversicherern können jedoch helfen, diese Adverse-Selection-Probleme zu vermindern.393 3.1.3.2 Instrumentarienklassen Rückversicherungsunternehmen haben in den letzten Jahren ihre traditionellen Versicherungslösungen weiterentwickelt und ihr Repertoire mit modernen und alternativen Formen der Rückversicherung erweitert. In Abbildung 3.2 werden die verschiedenen Ansätze des Transfers von Versicherungsrisiken diesen drei Kategorien zugeordnet.394
Ansätze des Transfers von Versicherungsrisiken
Traditionelle Ansätze
Moderne Ansätze
Klassische Rückversicherung
Moderne Methoden der Rückversicherung -
Captive Finite Risk-Rückversicherung Multiline/Multiyear-Produkte Multi-Trigger-Produkte Rückversicherung via CATEXTM
Kapitalmarktorientierter Alternativer Risikotransfer - Insurance-Linked Securities - Versicherungsderivate - Contingent Capital
Abbildung 3.2: Ansätze des Transfers von Versicherungsrisiken
Dabei fallen unter die traditionellen Ansätze die klassischen Rückversicherungslösungen, welche aus proportionalen und nicht-proportionalen Verträgen bestehen. Die traditionellen Ansätze der Rückversicherung werden im anschließenden Kapitel 3.2 ausführlich erläutert. Alle neuartigeren Instrumente, welche im Laufe der Zeit entstanden sind, werden unter „moderne Ansätze“ zusammengefasst und in Kapitel 3.3 eingehend behandelt. Beson-
393
394
In diesem Zusammenhang wird deutlich, warum die Rückversicherungsunternehmen langfristige Geschäftsbeziehungen zu den Erstversicherer unterhalten. Zum einen hilft dies, der Adverse Selection entgegenzuwirken. Zum anderen gewährleistet die langfristige Kundenbindung den Risikoausgleich in der Zeit. Vgl. auch Schradin, H. R. (1998), S. 326.
157
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
deres Augenmerk wird dabei auf die Finite-Risk-Rückversicherung gelegt, welche eine Reihe von Vertragsvarianten zur Verfügung stellt. Die kapitalmarktorientierten Instrumente der Risikoteilung sind Gegenstand der Untersuchung in den Kapiteln 4 und 5.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung Die Wurzeln der traditionellen Rückversicherung reichen bis in das 14. Jahrhundert zurück. So wurde bereits im Jahr 1370 der erste aktenkundige Rückversicherungsvertrag auf einen Warentransport von Genua nach Brügge abgeschlossen. 395 Im Jahre 1846 wurde die erste reine Rückversicherungsgesellschaft, die Kölnische Rückversicherungsgesellschaft, gegründet.396 Die in der Folgezeit entstandenen Grundtypen von Zessionsvereinbarungen werden unter dem Begriff „Klassische Rückversicherung“ subsumiert. Dabei kann eine Unterteilung in proportionale und nichtproportionale Verträge vorgenommen werden. Abbildung 3.3 präsentiert eine mögliche Zuordnung der verschiedenen Rückversicherungen, welche in diesem Kapitel erläutert werden.
Klassische Rückversicherung
Proportionale Rückversicherung Quote
Summenexzedent
Quotenexzedent
Nicht-proportionale Rückversicherung Schadenexzedent
Jahresüberschaden
Höchstschaden
Abbildung 3.3: Klassische Rückversicherungslösungen
395 396
Vgl. Grossmann, M. (1982), S. 9 und Pfeiffer, C. (1999), S 15. Bis zu diesem Datum wurden Rückversicherung nur von Versicherungsgesellschaften angeboten, die auch Erstversicherungsgeschäft betrieben. Dies hat den Nachteil, dass der Erstversicherer beim Abschluss von Rückversicherungsverträgen den eigenen Versicherungsbestand gegenüber einem Mitkonkurrenten offenbaren muss.
158
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
3.2.1 Proportionale Rückversicherung Das Grundprinzip der proportionalen Rückversicherung besteht in der festen Aufteilung des Originalgeschäfts zwischen Zedent und Zessionär. Dies bedeutet, dass Prämien, Haftung, Schäden und Kosten der Originalpolice zwischen Rückversicherer und Erstversicherer proportional aufgeteilt werden.397 Der Rückversicherungsschutz kann sich hierbei auf Einzelrisiken (fakultative Rückversicherung), aber auch auf Teile gesamter Versicherungsportfolios (obligatorische Rückversicherung) beziehen. Die Haftungsansprüche gegen den Zessionär werden durch die Höhe der OriginalVersicherungssumme bzw. des PML (Possible oder Probable Maximum Loss) bestimmt, weshalb die proportionale Rückversicherung auch gelegentlich als SummenRückversicherung bezeichnet wird.398 Durch den Abschluss eines derartigen Vertrages werden sowohl die Beiträge als auch die Schäden der zedierten Risiken in einem bestimmten Verhältnis zwischen Erst- und Rückversicherer aufgeteilt; diese Proportion wird Haftungsverhältnis genannt. In Abhängigkeit von der vertraglichen Ausgestaltung unterscheidet man zwischen Quoten-, Summenexzedenten- und Quotenexzedenten-Rückversicherung.399 3.2.1.1 Quoten-Rückversicherung a) Definition Wird die Rückversicherung in Form eines „obligatorischen Quotenvertrages“ (kurz: Quote) abgeschlossen, so muss der Erstversicherer grundsätzlich alle unter diesen Vertrag fallenden Risiken zu einem festen und einheitlichen Prozentsatz in Rückdeckung geben. Beabsichtigt ein Erstversicherungsunternehmen beispielsweise 20% seiner Kraftfahrtkaskoversicherungen zu zedieren, vereinbart es mit dem Zessionär eine Selbstbehaltquote q von 80% (bezogen auf die Original-Versicherungssumme bzw. den PML). In diesem Verhältnis (80 zu 20) werden dann die Prämieneinnahmen zwischen Erst- und Rückversicherer aufgeteilt.400 Gleichzeitig errechnen sich damit die Aufwendungen S, welche den Vertragspartnern durch das Eintreten eines Schadens
397 398 399 400
Vgl. Schmidt, J. (1980), S. 56-60; Strauß, J. (1988), S. 11-16 und Farny, D. (1995), S. 487 ff. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 62. Vgl. Labes, H. W. (1988), S. 704-707 und Farny, D. (1995), S. 487 ff. Vgl. Gerathewohl et al. (1976), S. 100-107; Schmidt, J (1980), S. 61 sowie Pfeiffer, C. (1999), S. 53 ff.
159
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
entstehen. Sei mit Si der Schaden einer versicherungstechnischen Einheit i bezeichnet, so ergibt sich: (3.1)
SiZedent = q · Si,
SiZessionär = (1-q) · Si
mit
0 q 1.
b) Einbringungslimit Hierbei ist zu beachten, dass die generell fixe Selbstbehaltquote bei einzelnen versicherungstechnischen Einheiten nach oben abweichen kann. Der Grund dafür besteht darin, dass Rückversicherer häufig ihre maximale Haftung durch Vorgabe einer absoluten Summe - das sog. Einbringungslimit - begrenzen.401 Falls die zu transferierende Versicherungssumme größer als die Haftungsgrenze des Zessionärs ist, muss der Erstversicherer für den Differenzbetrag alleine aufkommen. Dadurch erhöht sich sein Haftungsanteil für dieses Risiko und die Selbstbehaltquote steigt an. Sei mit Vi die Versicherungssumme eines Risikos i und mit V* die maximale Versicherungssumme bezeichnet, welche der Zessionär innerhalb des Quotenvertrages akzeptiert, so kann die individuelle Selbstbehaltquote qi folgendermaßen berechnet werden: 1 qi
(3.2) qi
1
min{(1 q ) Vi ; (1 q ) V*} Vi min{(1 q ) Vi ; (1 q ) V*} . Vi
Beispiele In Abbildung 3.4 ist die Wirkungsweise einer Quoten-Rückversicherung dargestellt. Das Diagramm zeigt ein Beispiel-Portfolio eines Erstversicherers, welches aus 20 versicherungstechnischen Einheiten besteht. Die angenommene Selbstbehaltquote des Zedenten beträgt 40%, wodurch sich die dargestellte Haftungsaufteilung ergibt. Dabei gilt die Quotierung gleichermaßen für Beiträge, Kosten und Schäden der einzelnen Risiken.
401
Durch das Einbringungslimit (auch Zessionslimit genannt) soll das Risiko für den Rückversicherer v. a. bei der Übertragung von Katastrophenrisiken begrenzt werden. Vgl. Bender, K. (2002), S. 20.
160
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Abbildung 3.4: Quoten-Rückversicherung
Hierbei muss der Rückversicherer beachten, dass die Selbstbehaltquote nicht unter einen bestimmten Wert (5-10%) fällt. Ansonsten könnte der Erstversicherer das Interesse am Verlauf des gezeichneten Geschäfts verlieren, da er finanziell von dem Geschäft wenig tangiert wird.402 Zwei einfache Zahlenbeispiele sollen die Wirkungsweise der Quoten-Rückversicherung veranschaulichen: x Im ersten Beispiel besteht das Portfolio des Zedenten aus drei Risiken. Die Versicherungssummen betragen für R1 1.000 GE, für R2 750 GE und für R3 600 GE. Die Selbstbehaltquote wird auf 75% festgelegt und das Einbringungslimit liegt oberhalb von 1.000 GE. Dann ist der Rückversicherer an allen drei Risiken mit einer Quote von 25% beteiligt. Tritt beim Risiko R1 beispielsweise ein Schaden in Höhe von 100 GE auf, so muss der Zessionär einen Anteil von 25 GE leisten. x Das zweite Beispiel ist etwas komplizierter. Man betrachte wieder die drei Risiken mit Versicherungssummen 1.000 GE für R1, 750 GE für R2 und 600 GE für R3. Die Selbstbehaltquote ist gleich geblieben und beträgt 75%, jedoch wird das Einbringungslimit auf 800 GE gesenkt. Da die Versicherungssumme von R1 die Haftungsgrenze des Rückversicherers übersteigt, muss die Quote für dieses Risi-
402
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 63. Falls die Selbstbehaltquote unter 10 % fällt, wächst für den Rückversicherer die Gefahr des Moral-Hazard-Verhaltens vonseiten des Erstversicherers.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
161
ko angepasst werden. Mit Formel (3.2) ergibt sich die individuelle Selbstbehaltquote q1 für das Risiko 1: q1 1 1
min{(1 q ) V1 ; (1 q ) V*} min{25% 1.000;25% 800} 1 V1 1.000 min{250;200} 1 20% 80%. 1.000
Der Erstversicherer muss somit für 80% der Schäden aus Risiko 1 selbst aufkommen; d.h. seine Selbstbehaltquote hat sich um 5% erhöht. Auf die anderen beiden Risiken hat das Einbringungslimit keine Auswirkungen, so dass die Selbstbehaltquote, analog zum vorherigen Beispiel, 75% beträgt. c) Wirkung Durch den Einsatz einer Quoten-Rückversicherung ändert sich der relative Gesamtschadensverlauf eines Portfolios nicht.403 Der Erstversicherer muss weiterhin für alle anfallenden Schäden aufkommen, jedoch nicht mehr im vollen Umfang, sondern lediglich mit einem prozentualen Anteil. Damit reduziert sich sowohl seine absolute Haftungssumme als auch der benötigte Bedarf an Kapital. In Extremsituationen kann das Schadensausmaß bestimmter Risiken, trotz der Beteiligung eines Rückversicherers, die Kapazität des Zedenten übersteigen. Die Quote bietet somit einen bedingten, aber keinen hinreichenden Schutz gegen Großschäden. Deshalb ist diese Vertragsart nicht dazu geeignet, einen heterogenen Versicherungsbestand im Bezug auf die Versicherungssumme oder den PML zu homogenisieren.
d) Anwendung Aufgrund der einfachen und kostengünstigen Verwaltung stellt die Quote dennoch häufig eine ideale Versicherungslösung dar. Sie bietet sich v. a. bei Risiken mit relativ ausgeglichenen Versicherungssummen und geringen zufälligen Schwankungen an. Sie wird hauptsächlich in der Allgemeinen Haftpflicht und in der Kraftfahrthaftpflicht verwendet, weil in diesen Sparten in der Regel einheitliche Deckungssummen vereinbart sind.404 Der Vertragsabschluss dient hierbei vorwiegend der Einflussnahme auf
403 404
Vgl. Mack, T. (1997), S. 328. Vgl. Pfeiffer, C. (1999), S. 46.
162
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
das Änderungsrisiko405. Führen beispielsweise externe Effekte zu einer unvorhergesehenen Schadenshäufung406, so kann die Quoten-Rückversicherung dem Zedenten zu einem zeitlichen Polster für entsprechende Gegenmaßnahmen verhelfen. Dieser muss den Anstieg des Schadenserwartungswertes nämlich nicht alleine tragen, vielmehr verteilt sich die „Last“ das Änderungsrisikos auf zwei oder ggf. mehrere Versicherungsunternehmen. Auch bei zufälligen Kumulschäden, welche insbesondere bei Hagel- und Sturmversicherungen auftreten können, bietet diese Versicherungsvariante einen wirksamen Schutz.407 Derartige Ereignisse führen meist zu hohen Belastungen im Klein- und Mittelschadensbereich, sind aber für die Aktivierung einer nicht-proportionalen Rückversicherung zu gering.408 Vielfach wird die Rückdeckung in Quotenform auch zur Aufbaufinanzierung bei Gründung eines neuen Versicherungszweiges verwendet. Dabei kann der Erstversicherer von den Erfahrungen und dem sachverständigen Rat des Rückversicherers profitieren.409 Zusätzlich wird durch den Transfer von Risiken das Beitragsvolumen, und somit der erforderliche (Eigen-) Kapitalbedarf, beim Zedenten gesenkt. Schließlich können die negativen Auswirkungen von zufälligen Schwankungen des Schadensverlaufs reduziert werden. Diese treten in der Anlaufphase vermehrt auf, weil die Zahl der abgeschlossenen Verträge noch nicht groß genug ist, um für einen adäquaten Ausgleich im Kollektiv zu sorgen.410 Daneben kann die Quoten-Rückversicherung hilfreich bei der Zeichnung neuer Versicherungsarten sein. Der Zedent ist damit imstande, sein eigenes Risiko zu verringern; gleichzeitig ist es für den Rückversicherer eine gute Möglichkeit, sein Portfolio zu diversifizieren. Weitverbreitete Einsatzgebiete sind die Deckung von Atomrisiken und Luftfahrtversicherungen411 sowie die Retrozession.
405
406 407 408 409 410 411
Unter Änderungsrisiko wird in der versicherungswissenschaftlichen Literatur das Risiko verstanden, dass sich Risikofaktoren, welche für den Schadenseintritt verantwortlich sind, im Laufe der Zeit ändern. So kann beispielsweise die globale Erwärmung Auswirkungen auf die Wiederkehrperiode bestimmter Naturphänomene und damit auf die zu erwartende Schadenshöhe der betroffenen Risiken haben. Zum Beispiel ein erhöhtes Flutrisiko in manchen Regionen aufgrund von Klimaveränderungen. Vgl. Strauß, J. (1988), S. 12. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 65. Vgl. Großmann, M. (1980), S. 93. Vgl. Pfeiffer, C. (1999), S. 47. Insbesondere wird die Quotenrückversicherung in der Kaskorückversicherung von Flugzeugen eingesetzt.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
163
Eine besondere Rolle spielt die Quote im Zusammenhang mit der Lebensversicherung.412 Hier kann sie nicht nur dafür eingesetzt werden, Schwankungen des Schadensverlaufs auszugleichen, sondern auch, um die Abschlusskosten des Erstversicherers zu verringern. Diese können bis zu vier Prozent (vgl. § 65 VAG) der Summe aller zukünftigen Beiträge ausmachen, weshalb sie in der Regel die Prämieneinnahmen der ersten Periode übersteigen. Durch den Rückversicherungsschutz, und der damit zusammenhängenden Teilung von Aufwendungen und Erträgen, ist es möglich, dieses anfängliche Defizit beim Zedenten zu vermindern. Generell findet dieser Rückversicherungstyp auch bei schwer kalkulierbaren Risiken Verwendung. Hierbei ist eine möglichst exakte Risikoeinschätzung das gemeinsame Ziel des Zedenten und des Zessionärs. Somit kann der Erstversicherer neben einer Teilung von Spitzenschäden auch auf die Unterstützung bei der Prämientarifierung vonseiten des Rückversicherers hoffen. Beide Vertragspartner tragen dann im Verhältnis der Quote das Irrtumsrisiko413. e) Sonstige Aspekte Durch die festgelegte Aufteilung des Originalgeschäfts zwischen Erst- und Rückversicherer ist die Bearbeitung der Quoten-Rückversicherung unkompliziert und kostensparend. Zudem ermöglicht die Wahl eines einzelnen Selbstbehalts für bestimmte versicherungstechnischen Einheiten eine günstige Verwaltung ganzer Risikoportfolios. Diese fixe Quote hat jedoch für den Zedenten den Nachteil, dass er Abgaben für Risiken leisten muss, die er auch alleine hätte tragen können. In Ausnahmefällen wird daher eine variable Quote vereinbart, die je nach Risikoklasse den Selbstbehalt des Erstversicherers erhöht oder reduziert. Dadurch ist eine teilweise Homogenisierung des Versicherungsbestandes möglich. Das Haftungslimit des Zessionärs bleibt dabei unverändert.414
412 413
414
Vgl. Pfeiffer, C. (1999), S. 47. Versicherungsunternehmen haben ex ante keine Kenntnis über die realen Verteilungen der versicherten Schäden. Sie müssen diese Mit Hilfe statistischer Verfahren aus empirischen Daten ermitteln. Werden dazu nicht alle relevanten Informationen berücksichtigt, welche verfügbar sind, oder treten Fehler bei den verwendeten Schätzverfahren auf, so handelt es sich um das sog. Irrtumsrisiko. Es stellt somit die Gefahr dar, dass sämtliche Berechnungen bzgl. der betrachteten Risiken auf falschen Modellen beruhen. Vgl. auch Anhang: Mathematische Modellierung des versicherungstechnischen Risikos. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 66.
164
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Auf Seiten des Rückversicherers werden vereinzelt sog. Limittabellen vereinbart. Diese ordnen bestimmten Risikoklassen die jeweilige maximale Haftung des Zessionärs zu, wobei die Quotenabgabe des Erstversicherers stets gleich bleibt. Obwohl diese Vertragsform eine rationelle Rückversicherungslösung darstellt, ist sie nicht so verbreitet wie der Summenexzedent, welcher im folgenden Abschnitt behandelt wird. 3.2.1.2 Summenexzedenten-Rückversicherung a) Definition Der Summenexzedenten-Vertrag ist die älteste und wichtigste Form der proportionalen Rückversicherung. Hierbei legt der Erstversicherer seinen Selbstbehalt, das sog. Maximum, in Form eines absoluten Geldbetrages (z.B. 1 Mio. €) fest.415 Alle Risiken, deren Versicherungssumme, respektive PML (Probable Maximum Loss), unter diese Grenze fallen, trägt der Zedent alleine. Die übrigen versicherungstechnischen Einheiten werden proportional zwischen Zedent und Zessionär aufgeteilt.416 Formel (3.3) berechnet mit Hilfe der „risikoindividuellen“ Quote qi die Schadensbelastungen für die jeweiligen Versicherungspartner. Sei mit V0 der Selbstbehalt des Erstversicherers, mit Vi die Versicherungssumme sowie mit Si der eingetretene Schaden einer versicherungstechnischen Einheit i bezeichnet, erhält man für die Verteilung der Aufwendungen: (3.3)
SiZedent = qi · Si ,
SiZessionär = (1-qi) · Si
mit qi = min {
V0 ;1} . Vi
Der Rückversicherer ist somit nur noch an Risiken beteiligt, deren Versicherungssumme größer ist als V0.417 Der Erstversicherer behält das in der Regel gut und stabil verlaufende Geschäft im Klein- und Mittelschadensbereich in seinem Selbstbehalt, wodurch die Anzahl der rückzuversichernden Verträge sinkt. Die SummenexzedentenRückversicherung findet hauptsächlich in Branchen Anwendung, deren Versicherungssummen bzw. PML stark voneinander abweichen. Häufige Einsatzgebiete sind daher die Feuer-, Unfall-, Einbruchdiebstahl- und Lebensversicherung.418
415 416 417
418
Vgl. Wagner, F. (2000), S. 351. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 24. Vgl. Pfeiffer, C. (1999), S. 42 f. Für Versicherungssummen kleiner als V0 trägt der Erstversicherer das gesamte Risiko. Vgl. Pfeiffer, C. (1999), S. 43.
165
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
Beispiel Zur Veranschaulichung der prinzipiellen Wirkungsweise dieser Vertragsart, wird ein Beispiel aus dem Bereich der Unfallversicherung betrachtet: Im Portfolio des Erstversicherers befinden sich 1.000 Unfallversicherungen, welche den Todesfall gegen eine Prämienzahlung in Höhe von 1‰ der Versicherungssumme abdecken. Der Beitragskalkulation liegt dabei die Annahme zugrunde, dass alljährlich einer der 1.000 Versicherungsnehmer durch einen Unfall ums Leben kommt. Haben die 1.000 Personen alle eine Versicherungssumme von 20.000 EUR vereinbart, so stehen dem Versicherungsunternehmen Beitragseinnahmen von insgesamt 20.000 EUR zur Verfügung. Diese reichen gerade aus, um den zu erwartenden Schadensbedarf (ein Todesfall pro Jahr) zu decken.419 Die Situation ändert sich bei Gewährung von unterschiedlich hohen Versicherungssummen. Sind beispielsweise 800 Personen mit 20.000 EUR, 100 mit 40.000 EUR und 100 mit 80.000 EUR versichert, so betragen die vereinnahmten Prämien:
800 x 20 EUR
=
16.000 EUR
+ 100 x 40 EUR
=
4.000 EUR
+ 100 x 80 EUR
=
8.000 EUR
Ȉ
28.000 EUR
Wenn der Todesfall bei einer der höher versicherten Personen eintritt, reichen die 28.000 EUR nicht aus, die vereinbarte Versicherungsleistung in Höhe von 40.000 EUR bzw. 80.000 EUR zu bezahlen. Durch den Abschluss einer SummenexzedentenRückversicherung mit 20.000 EUR Selbstbehalt, ist der Erstversicherer trotzdem in der Lage, diesen Versicherungsschutz anzubieten. Hierbei werden die Risiken von 40.000 EUR mit 50% und diejenigen von 80.000 EUR mit 75% in Rückdeckung gegeben. Damit beträgt die maximale Haftung des Zedenten bei allen Verträgen einheitlich 20.000 EUR. Der Zessionär erhält dafür 2.000 EUR (50% x 4.000 EUR) und 6.000 EUR (75% x 8.000 EUR) der Prämieneinnahmen. Mit den verbleibenden 20.000 EUR
419
Von Änderungs- und Zufallsrisiko soll hier abgesehen werden.
166
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
steht dem Erstversicherer ein hinreichender Betrag zur Verfügung, um die Schäden zu decken, welche voraussichtlich in seinen Selbstbehalt fallen. Dieses einfache Beispiel verdeutlicht, dass sich diese Versicherungsvariante sehr gut dafür eignet, den Bestand des Erstversicherers zu homogenisieren.420 Daneben werden jedoch die Probleme des Rückversicherers erkennbar. Dieser ist wesentlich stärker den zufälligen Schwankungen seines Schadensverlaufs ausgesetzt. Dies liegt zum einen daran, dass die Anzahl der rückgedeckten Risiken abnimmt, da nur Verträge ab einer bestimmten Versicherungssumme rückversichert werden. Des Weiteren verschlechtert sich das Verhältnis von Beitragseinnahmen zu Haftung beim Rückversicherer. Während der Erstversicherer Prämien in Höhe von 20.000 EUR erhält und dafür Verpflichtungen bis maximal 20.000 EUR (pro Risiko) übernimmt, ist das Verhältnis beim Zessionär mit 8.000 EUR zu 60.000 EUR sehr viel unausgeglichener. Deshalb versucht der Rückversicherer möglichst viele ähnliche Summen-exzedenten-Verträge zu zeichnen, um dadurch einen besseren Ausgleich im Kollektiv zu erzielen. Des Weiteren kann er seinerseits Retrozessionen abschließen, um sein eigenes Haftungsverhältnis zu verbessern. b) Exzedent Im Allgemeinen hat der Rückversicherer die Möglichkeit, seine eigene Haftung zu beschränken. Dazu wird ein Höchstlimit für seine Beteiligung an Risiken vereinbart, welches auch als Exzedent bezeichnet wird. Diese Haftungsstrecke ermöglicht dem Zessionär die Einschätzung seiner übernommenen Verpflichtungen und wird üblicherweise mit dem Vielfachen des Maximums (beispielsweise 20 Maxima) ausgedrückt. Bezieht man den Exzedenten, als m · V0 ( m N ), in die Berechnung der Schäden mit ein, so ergibt sich für den Erstversicherer:421
(3.4)
420 421
Si
Zedent
q i Si , mit q i
° ° ° ® ° ° Vi ° ¯
1 V0 Vi m V0 Vi
für
Vi d V0
für V0 Vi d (m 1) V0 für
Vi ! (m 1) V0
Vgl. Pfeiffer, C. (1999), S. 44. Vgl. Gerathewohl et al. (1976), S. 71 ff. und Schmidt, J. (1980), S. 61 ff.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
167
In analoger Weise erfolgt die Berechnung für den Rückversicherer.422 Abbildung 3.5 veranschaulicht die Auswirkungen eines Exzedenten anhand eines Portfolios, welches aus 20 versicherungstechnischen Einheiten besteht. Hierbei ist die Haftung des Rückversicherers auf zwei Maxima begrenzt. Der Erstversicherer kann also Risiken bis zum Dreifachen seines Selbstbehaltes zeichnen, ohne dass sich sein eigenes Haftungsvolumen (in diesem Fall 4.000 GE) vergrößert. In Abhängigkeit von der Höhe der Versicherungssumme, respektive des PML, ändert sich jedoch das jeweilige Haftungsverhältnis. Im Extremfall kann die Aufteilungsquote für alle Risiken verschieden sein. Wie beim Quoten-Vertrag sollte der Zessionär darauf achten, dass das Verhältnis von Selbstbehalt und Rückversicherungsabgabe vernünftig gewählt wird. Ansonsten kann der Zedent vom Risikoträger in die Rolle des Maklers schlüpfen und unter Umständen das Interesse am Geschäftsverlauf verlieren.423
Abbildung 3.5: Summenexzedenten-Rückversicherung
Beispiel Das folgende Beispiel soll das Zusammenspiel von Maximum und Selbstbehalt beim Summenexzedenten-Vertrag verdeutlichen. Dazu werden drei versicherungstechnische Einheiten betrachtet; die Versicherungssummen betragen für R1 100.000 GE, für R2 40.000 GE und für R3 15.000 GE. Der Selbstbehalt des Erstversicherers wird mit
422 423
Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 24 f. Vgl. Pfeiffer, C. (1999), S. 46.
168
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
20.000 GE bestimmt und die Haftungsstrecke des Rückversicherers ist auf drei Maxima beschränkt. Es tritt bei allen Risiken ein Schaden in Höhe von 1.000 GE ein. Für die Regulierung der einzelnen Schäden ergibt sich folgende Haftungsaufteilung:
R1 Haftungsanteil Zedent Haftungsanteil Zessionär Verhältnis der Haftungsaufteilung (Zessionär : Zedent) Schadensanteil Zessionär R2 Haftungsanteil Zedent Haftungsanteil Zessionär Verhältnis der Haftungsaufteilung (Zessionär : Zedent) Schadensanteil Zessionär R3 Haftungsanteil Zedent Haftungsanteil Zessionär Verhältnis der Haftungsaufteilung (Zessionär : Zedent) Schadensanteil Zessionär
20.000 GE + 20.000 GE 3 x 20.000 GE 6:4 0,6 · 1.000 = 600 GE 20.000 GE 20.000 GE 2:2 0,5 · 1.000 = 500 GE 15.000 GE 0 GE 0:1 0 GE
Abbildung 3.6: Berechnung der Haftungsverhältnisse eines Summenexzedenten
Hier liegt die Versicherungssumme von Risiko R3 unterhalb des vereinbarten Selbstbehalts. Deshalb leistet der Erstversicherer den Schadensausgleich gegenüber dem Versicherungsnehmer selbständig, ohne Beteiligung des Zessionärs. Beim Risiko R1 übersteigt die Versicherungssumme das mittelbare Zeichnungslimit, welches aus Maximum zzgl. Rückversicherungshaftung besteht. Aus diesem Grund muss der Zedent, zusätzlich zu seinem Selbstbehalt, für den übersteigenden Teil in Höhe von 20.000 GE aufkommen, wodurch sich sein Schadensanteil erhöht. c) Wirkung Die Summenexzedenten-Rückversicherung ist besonders dazu geeignet, auf einfache Weise einen Ausgleich im Portfolio des Zedenten herzustellen.424 Mit dieser Art der Rückversicherung werden Risiken mit höchst unterschiedlichen Versicherungssummen homogenisiert. Als proportionale Rückversicherung ist sie zudem leicht zu hand-
424
Vgl. Wagner, F. (2000), S. 352.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
169
haben. Deshalb ist sie, gemessen an den Rückversicherungsbeiträgen, eine der am weitesten verbreiteten Zessionstechniken.425 Neben der deutlichen Homogenisierung des Versicherungsbestandes vermag der Erstversicherer mit dieser Vertragsart seine Zeichnungskapazität zu erhöhen. So können auch versicherungstechnische Einheiten in sein Portfolio aufgenommen werden, die ohne Rückversicherungsschutz zu groß wären. Durch die Festsetzung einer absoluten Summe als Selbstbehalt besteht nämlich die Möglichkeit, „unpassende“ 426 Risiken (teilweise) auf den Rückversicherer zu übertragen. Des Weiteren wird der Erstversicherer von eventuellen Haftungsspitzen entlastet, welche beispielsweise durch den zufälligen Eintritt von Kumulschäden auftreten können. Bei einer relativ hohen Anzahl von Totalschäden sind sowohl Zedent, als auch Zessionär einer hohen Schadenslast ausgesetzt. Obwohl eine mehrmalige Leistung des Selbstbehalts nicht verhindert werden kann, wird trotzdem durch den Schadensanteil des Rückversicherers eine gewisse Entlastung des Zedenten erreicht. Im gleichen Maße bietet diese Versicherungsvariante einen effektiven Schutz gegen das zufällige Eintreten von hohen Einzelschäden.427 Das Ziel des Zedenten besteht darin, die Abgabequoten seiner unsicheren Großrisiken zu maximieren und gleichzeitig sein „Basisgeschäft“ im Selbstbehalt zu belassen. Dadurch werden, im Vergleich zur Quote, unnötige Rückversicherungsabgaben vermieden. Generell vermindert der Erstversicherer mit dem Abschluss eines Summenexzedenten die Streuung der Versicherungssummen, wodurch sich der Verlauf des kollektiven Gesamtschadens positiv beeinflussen lässt. Der große Nachteil ist jedoch der erhöhte Verwaltungsaufwand.428 Dadurch, dass für jede versicherungstechnische Einheit das Haftungsaufteilungsverhältnis einzeln berechnet werden muss, ist die Abwicklung der Zahlungsvorgänge zeit- und kostenintensiver als z.B. bei der Quoten-Rückversicherung. Darüber hinaus ist der Rückversicherer nur noch an den Spitzenrisiken beteiligt, so dass sein versicherungstechnische Risi-
425 426 427
428
Vgl. Leibwein, P. (2000), S. 67. Vgl. Gerathewohl, K. et al. (1976), S. 74. Solche Schäden setzen eine hohe Versicherungssumme voraus, die wiederum zu einer entsprechend hohen Rückversicherungsquote und damit zu einer signifikanten Schadenbeteiligung durch den Rückversicherer führt. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 72.
170
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
ko steigt. Für dieses erhöhte Risiko wird der Rückversicherer einen entsprechend hohen Risikozuschlag verlangen.429 d) Sonstige Aspekte Für den Erstversicherer kann es sinnvoll sein, innerhalb seines Risikoportfolios verschiedene Selbstbehalte festzulegen. So können anhand einer sog. Maximaltabelle die Selbstbehalte - beispielsweise nach Risikoklassen - differenziert werden. Dabei wird die Haftungsgrenze des Zedenten bei vermeintlich „schlechten“ Risiken relativ gering ausfallen et vice versa, was bei richtiger Einschätzung zu einer Verbesserung des versicherungstechnischen Ergebnisses führt. Es besteht allerdings die Gefahr, dass durch das bewusste Aussortieren der „guten“ Risiken, der Rückversicherer nicht mehr in der Lage ist, einen angemessenen Risikoausgleich im Kollektiv zu erzielen.
Abbildung 3.7: Höhere Summenexzedenten
Der Zedent kann zudem mehrere Summenexzedenten-Rückversicherungen für bestimmte versicherungstechnische Einheiten abschließen. Diese Verträge werden hintereinander geschaltet, so dass ein „höherer“ Exzedent dann einsetzt, sobald das Haftungslimit des Vorgängers überschritten ist.430 Dabei bestehen zwischen der technischen Konstruktion der einzelnen Rückversicherungsverträge keinerlei Unterschiede. Abbildung 3.7 verdeutlicht die Haftungsverteilungen bei zwei übereinander liegenden Exzedenten.
429
430
Die reine Form des Summenexzedenten wird zur Absicherung von Katastrophenrisiken kaum eingesetzt. Dafür müsste die Anzahl der vom Rückversicherer übernommenen Maxima ziemlich groß sein mit der Folge, dass die Selbstbehaltsquote oft unter die gewünschte Marke von 10 % fällt. Vgl. auch Bender, K. (2002), S. 19. Vgl. Gerathewohl, K. et al. (1976), S. 80 f. sowie Schradin, H. R. (1998), S. 24 f.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
171
In diesem Fall kann der Erstversicherer seine Zeichnungskapazität bis zum Elffachen seines Selbstbehaltes ausdehnen. Für höher liegende Exzedenten wird das Anbieten dieser Versicherungslösung jedoch sukzessive erschwert. Der Zessionär hat das Problem, dass tendenziell weniger Risiken geteilt werden, je höher die Haftungsstrecke liegt. Des Weiteren ist er hauptsächlich Spitzenrisiken ausgesetzt, welche neben der extremen Schwankungsanfälligkeit hohe Schäden verursachen können.431 Daher muss das Erstversicherungsunternehmen bei außerordentlich hohen Gefahren oft auf fakultative Verträge zurückgreifen. 3.2.1.3 Quotenexzedenten-Rückversicherung In der Praxis werden Quote und Summenexzedent häufig miteinander kombiniert. So können Risiken aus einer bestimmten Sparte in Form einer sog. QuotenexzedentenRückversicherung gezeichnet werden. Dabei sollen die Finanzierungsfunktion der Quote sowie die Kapazitäts- und Homogenisierungsfunktion des Summenexzedenten eine optimale Anpassung der Rückversicherung an die Bedürfnisse des Zedenten ermöglichen.432 Grundsätzlich wird damit das Ziel verfolgt, die Nachteile, welche bei der Verwendung nur eines Vertragstyps auftreten, zu vermeiden, und gleichzeitig die Vorteile beider Formen miteinander zu verbinden.433 Der Quotenexzedent wird meist bei kleinen und jungen Versicherungsunternehmen verwendet, welche einen großen Produktionszuwachs besitzen. 434 Ferner tritt diese Vertragsform häufig bei Versicherern auf, die ihre Tätigkeit auf neue Geschäftszweige oder in neue Länder ausdehnen möchten. Dabei ist dessen Laufzeit in der Regel auf die Übergangsphase beschränkt. Dies bedeutet, wenn das Portfolio des Erstversicherers größer und ausgeglichener geworden ist, wird der Quotenexzedent üblicherweise durch eine Summenexzedenten-Rückversicherung ersetzt. Je nachdem, welche der beiden Zessionen zuerst eingesetzt wird, unterscheidet man zwischen dem Quotenexzedenten mit Vorweg-Quote und dem Quotenexzedenten mit Vorweg-Exzedent. Im Folgenden werden diese beiden Varianten anhand von Bruttound Nettogrößen erläutert. Dabei werden mit „Netto“ diejenigen Werte bezeichnet,
431 432 433 434
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 73. Vgl. Pfeiffer, C. (1999), S. 48 f. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 73. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 26.
172
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
welche - nach Abzug der Rückversicherung - tatsächlich im Selbstbehalt des Zedenten verbleiben. Alle übrigen Größen besitzen den Zusatz „Brutto“. a) Quotenexzedent mit Vorweg-Quote Der Quotenexzedent mit Vorweg-Quote wird meist bei Engagements verwendet, die keine sehr hohen Versicherungssummen aufweisen, aber trotzdem eine besondere Bedeutung für den Zedenten besitzen. Hierbei wird zunächst die absolute Haftung des Erstversicherers durch eine Quotenabgabe reduziert. Der resultierende BruttoSelbstbehalt wird anschließend mit Hilfe eines Exzedenten-Vertrages homogenisiert.435 In Abbildung 3.8 werden diese zwei Schritte anhand eines Beispiel-Portfolios verdeutlicht.
Abbildung 3.8: Quotenexzedent mit Vorweg-Quote
Im linken Diagramm werden zunächst die Risiken des Erstversicherungs-Portfolios mit einer Quote von 50% rückversichert. Anschließend wird ein Summenexzedent mit einem Maximum von 2.500 GE auf den verbleibenden Bestand angewendet (siehe rechtes Diagramm). Dadurch ergibt sich die Höhe des Netto-Selbstbehalts, welcher letztendlich vom Erstversicherer getragen werden muss. Bei dieser Versicherungsvariante liegt der Schwerpunkt auf der Quote und damit auf der Finanzierungskomponente.436 Zusätzlich entlastet der Summenexzedent von einzelnen stark abweichenden Versicherungssummen. Diese Vertragsform dient deshalb oftmals zur Aufbaufinanzierung bei jungen Gesellschaften. Aber auch Vorschriften 435 436
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 74. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 27.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
173
lokaler Aufsichtsbehörden können die Wahl auf diese Rückversicherungslösung fallen lassen. In devisenschwachen Ländern wird den ansässigen Erstversicherern häufig vorgeschrieben, einen bestimmten Prozentsatz des gezeichneten Geschäfts an nationale Versicherungsunternehmen abzugeben. Durch diese „Zwangsquotenregelung“ soll der Devisenabfluss ins Ausland eingeschränkt werden. Da der verbleibende Bestand an Risiken nach eigenem Ermessen in Rückdeckung gegeben werden darf, stellt der Quotenexzedent mit Vorweg-Quote ein ideales Instrument zur praktischen Umsetzung der gesetzlichen Regelungen dar. b) Quotenexzedent mit Vorweg-Exzedent Beim Quotenexzedent mit Vorweg-Exzedent werden zunächst der Brutto-Selbstbehalt des Erstversicherers und die Haftungsstrecke des Rückversicherers vereinbart. Dies führt zu einer Reduktion der Höchsthaftungen und damit zu einer Homogenisierung der Risiken im Portfolio des Zedenten. Mit der anschließenden Quote wird das absolute Haftungsausmaß nach den Vorstellungen des Erstversicherers reduziert. Die Diagramme in Abbildung 3.9 veranschaulichen die Auswirkungen beider Rückversicherungsmaßnahmen.
Abbildung 3.9: Quotenexzedent mit Vorweg-Exzedent
Hierbei übernimmt der Zessionär zunächst die Spitzenhaftungen aus dem Erstversicherungs-Portfolio durch einen Summenexzedenten mit Maximum von 3.000 GE (vgl. linkes Diagramm). Zum Ausgleich wird er anschließend durch eine 50%Quotenabgabe zur Hälfte am stabileren Basisgeschäft des Zedenten beteiligt (siehe rechtes Diagramm). Da die Netto-Quote den eventuell schlechten Verlauf des BruttoExzedenten stützt, wird sie auch „Stützquote“ genannt.
174
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Der Zedent kann bei dieser Vertragsform den Brutto-Selbstbehalt, wegen der späteren Entlastung durch die Quote, relativ hoch ansetzen. Somit muss der Rückversicherer unter Umständen nur wenige Risiken regulieren, was im Allgemeinen mit einem geringeren Verwaltungsaufwand verbunden ist. Falls sich die Größe oder Struktur des Portfolios ändern sollte, kann der Erstversicherer, durch Variation der Selbstbehaltsquote, seine eigene Haftungsbeteiligung auf einfache Weise steuern. Dabei bleiben die Vereinbarungen des Summenexzedenten unangetastet.437 c) Wirkung Durch den Einsatz der Quotenexzedenten-Rückversicherung profitieren sowohl Zedent als auch Zessionär von den Vorteilen, welche die einzelnen Vertragsbestandteile besitzen. Dabei kann mit der Vorweg-Quote die gleiche Wirkung auf das versicherungstechnische Risiko ausgeübt werden wie mit dem Vorweg-Exzedent. Die Reihenfolge, in welcher die beiden proportionalen Versicherungen eingesetzt werden, ist somit irrelevant. Durch eine unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Komponenten kann eine Anpassung an die individuellen Bedürfnisse der Erstversicherer vorgenommen werden. 438 Daneben existieren aber auch Nachteile. So ist mit einem erhöhten Verwaltungsaufwand bei dieser Versicherungslösung zu rechnen, weil die Haftungsaufteilungen für die zedierten Risiken zum Teil einzeln berechnet werden müssen. Zum anderen kann der Risikotransfer zum Rückversicherer aus Sicht des Erstversicherers zu umfangreich ausfallen, was negative Auswirkungen auf sein versicherungstechnisches Ergebnis nach sich ziehen kann.439
3.2.2 Nicht-proportionale Rückversicherung Die Nicht-proportionale Rückversicherung wird hauptsächlich von professionellen Rückversicherern angeboten. 440 Bei der nicht-proportionalen Rückversicherung werden Risiko und vereinnahmte Prämien nicht in einem vorher bestimmten Verhältnis aufgeteilt. Vielmehr ergibt sich die Leistungspflicht des Zessionärs ausschließlich
437 438 439 440
Vgl. Pfeiffer, C. (1999), S. 49. Vgl. Grossmann, M. (1982), S. 107. Vgl. Grossmann, M. (1982), S. 108. Vgl. Pfeifer (1999), S. 61 und Schradin, H. R. (1998), S. 42.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
175
durch die Höhe des tatsächlich eingetretenen Schadens.441 Dies bedeutet, vereinbarte Versicherungssummen bzw. PML werden im Unterschied zu den proportionalen Verträgen nicht zur Festlegung der Haftungsverhältnisse verwendet. Bei der nichtproportionalen Rückversicherung vereinbaren Zedent und Zessionär die sog. Priorität. 442 Schäden bis zu der vereinbarten Priorität trägt der Erstversicherer alleine. Übersteigt der zu regulierende Schaden die Priorität, so übernimmt der Rückversicherer den übersteigenden Teil.443 Das Entgelt, welches an den Rückversicherer zu zahlen ist, wird theoretisch berechnet und ist unabhängig vom Beitrag der Originalpolice.444 Üblicherweise liegt der Preis unterhalb einer vergleichbaren proportionalen Versicherung, weil der Zessionär erst ab einer gewissen Höhe an den Schäden beteiligt ist.445 Der zweite Unterschied zur proportionalen Rückversicherung besteht in der Möglichkeit, die Haftung des Rückversicherers relativ stark einzuschränken. Da ausschließlich die eingetretenen Schäden eine Rolle spielen, kann seine Leistungspflicht beispielsweise durch die Vorgabe einer maximalen (Jahres-) Haftung, dem sog. „Aggregate Limit”, reduziert werden.446 Die Vertragspartner können des Weiteren zwischen zwei Arten der Schadensteilung wählen. Bei der ersten Variante verpflichtet sich das Rückversicherungsunternehmen für eine bestimmte Anzahl der höchsten Schäden aufzukommen, welche dem Zedenten innerhalb eines festgelegten Zeitraums entstehen. Die zweite Ausprägung sieht vor, dass der Zessionär diejenigen Schäden trägt, welche den Selbstbehalt des Erstversicherers (die sog. Priorität) übersteigen. Im Laufe der Zeit haben sich drei Formen der nicht-proportionalen Rückversicherung herausgebildet:447 ¾ Schadenexzedenten-Rückversicherung, ¾ Jahresüberschaden-Rückversicherung und
441 442
443
444
445 446 447
Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 42. Die Priorität wird in der Regel als eine absolute Geldsumme vereinbart. Vgl. Kiln, R. (1991), S. 160. Lediglich bei Stopp-Loss-Verträgen wird die Priorität in Abhängigkeit vom Geschäftsvolumen des Erstversicherers berechnet. Vgl. Grossmann, M. (1982), S. 118 f. und Pfeiffer, C. (1999), S. 55 sowie Mack, T. (1997), S. 319. Anders als in der proportionalen Rückversicherung, wo die originalen Prämien in einem festen Verhältnis zwischen Erstversicherer und Rückversicherer aufgeteilt werden, muss bei nichtproportionalen Rückversicherungsverträgen das Rückversicherungsentgelt separat nach versicherungsmathematischen Prinzipien berechnet werden. Vgl. Kiln, R. (1991), S. 2 sowie Grossmann, M. (1982), S. 133. Vgl. Liebwein, P. (2000), 154. Vgl. Gerathewohl et al. (1976), S. 97 ff. und Pfeiffer, C. (1999), S. 65 ff.
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Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
¾ Höchstschaden-Rückversicherung. Dabei ist zu beachten, dass diesen Verträgen gewöhnlich proportionale Absicherungen vorausgehen. 448 Im Folgenden wird daher davon ausgegangen, dass sich die nichtproportionale Rückversicherung stets auf den Selbstbehalt bzw. Schaden des Erstversicherers bezieht, welcher tatsächlich in seinem Portfolio verbleibt.449 3.2.2.1 Schadenexzedenten-Rückversicherung Die Schadenexzedenten-Rückversicherung ist eine Versicherungsform, welche erst dann zum Einsatz kommt, wenn der rückversicherte Schaden eine vorher festgelegte Höhe (Priorität) überschreitet.450 Der Rückversicherer ist somit nicht mehr an jedem Schaden beteiligt, sondern lediglich an den sog. „Überschäden“. Deshalb werden diese Verträge in der Fachliteratur hauptsächlich mit dem englischen Begriff „Excess of Loss“ (kurz: XL) bezeichnet. Zur Begrenzung des Schadenexzedenten gibt der Zessionär in der Regel eine absolute Höchstgrenze an, welche „Exposure“ oder „Layer“ genannt wird. In der Praxis existieren folgende Schreibweisen zur Festlegung dieser Haftstrecken: Rückversicherungsdeckung (z.B. 3 Mio. EUR)
nach ½ ° Priorität des Erstversicherers ° ®in excess of ¾ (z.B.1 Mio. EUR) °¿ °¯ xs
Hierbei reguliert der Erstversicherer selbst alle Schäden, welche innerhalb seiner absoluten Priorität liegen. Der übersteigende Teil wird bis zum Maximalbetrag des Exposures vom Zessionär getragen. Überschreitet der betrachtete Schaden auch diese Grenze, muss der Zedent wieder für den überschießenden Teil aufkommen, falls er keine weiteren Rückversicherungsverträge mit höheren Layern abgeschlossen hat.451 In Abhängigkeit von der Definition des Schadensbegriffes kann eine grobe Unterteilung der Schadenexzedenten-Rückversicherung vorgenommen werden. Bezieht sich die vereinbarte Priorität auf einen bestimmten Vertrag des Erstversicherers, so handelt es sich bei der Rückversicherungspolice um einen Einzelschadenexzedenten. Dient der
448 449 450 451
Vgl. Kiln, R. (1991), S. 5 sowie Grossmann, M. (1982), S. 128. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 151. Vgl. Wagner, F. (2000), S. 354. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 43.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
177
Vertrag dem Schutz gegen Schadenshäufungen im Portfolio des Zedenten, wird die Versicherungsform als Kumulschadenexzedent bezeichnet.452 a) Einzelschadenexzedenten-Rückversicherung Die Einzelschadenexzedenten-Rückversicherung wird hauptsächlich dazu verwendet, den Selbstbehalt des Erstversicherer gegen einzelne Großschäden abzusichern. Dabei haftet der Rückversicherer bis zu seinem Limit für jeden Schaden, welcher die vereinbarte Priorität übersteigt. Der Einzelschadenexzedent kommt pro einzelnen Schaden zum Einsatz.453 Sei mit p die Priorität des Zedenten und mit L der Layer des Zessionärs bezeichnet, dann ergibt sich für die Aufteilung eines Einzelschadens Si (unter der Voraussetzung: p 0 und Si > p):454 (3.5)
SiZedent = max{p ; (Si - L)}, SiZessionär = min{L ; (Si - p)}.
Diese Versicherungsart wird vorrangig in fakultativer Form abgeschlossen. Dabei ist sie häufig in Versicherungszweigen anzutreffen, in denen Großschäden selten auftreten und überwiegend kleine und mittlere Schäden zu regulieren sind.455 Als Beispiele sind die Allgemeine Haftpflichtversicherung sowie die Feuer- und Personenversicherungen zu nennen. Priorität Oftmals findet der Einzelschadenexzedent erst nach einer vorherigen proportionalen Absicherung Anwendung. In diesem Fall wird die Summe aus Priorität und Layer, der sog. Plafond, im Maximalfall gleich dem proportionalen Selbstbehalt des Erstversicherers gewählt, weil die Schäden, welche oberhalb dieser Grenze liegen, bereits durch den proportionalen Vertrag abgedeckt sind. Dabei liegt die Priorität grundsätzlich unterhalb des höchsten proportionalen Selbstbehalts, da bereits ein einzelner (Groß-) Schaden ausreichen soll, um den Rückversicherungsschutz in Anspruch nehmen zu können. 456 Der Einzelschadenexzedent könnte
452
453 454 455 456
Einen Überblick über die nicht-proportionalen Rückversicherungsformen findet man bei Arnoldussen, L. (1991), S. 55 ff. sowie Pfeiffer, C. (1999), S. 62 ff. Vgl. Gerathewohl, K. et al. (1976), S. 209. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 43. Vgl. Pfeiffer, C. (1999), S. 56. Vgl. Grossmann, M. (1982), S. 120.
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Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
theoretisch bei jedem Schaden zum Zuge kommen, welcher unter diesen Vertrag fällt und müsste somit reichlich „arbeiten“. Deshalb heißt diese Rückversicherung im Englischen Working Cover oder Working Excess of Loss (kurz: Working XL oder WXL).457 Abbildung 3.10 veranschaulicht die generelle Wirkungsweise einer Einzelschadenexzedenten-Rückversicherung.458
Abbildung 3.10: Einzelschadenexzedenten-Rückversicherung
Hierbei werden beispielhaft die (sieben) Schäden eines rückgedeckten Risikos betrachtet, welche sich innerhalb einer Periode ereignet haben. Der Rückversicherer ist lediglich an den Schäden beteiligt, welche in seinen Layer fallen.459 Die restlichen Verpflichtungen muss der Erstversicherer alleine tragen, da keine weiteren Rückversicherungsverträge mit höheren Layern vorhanden sind. Um das primär verfolgte Ziel dieser Versicherung – die Absicherung von Großschäden - nicht zu verfehlen, sollte die Priorität so hoch gewählt werden, dass sie nicht von der Masse der klein- und mittelgroßen Schäden überschritten wird. Zudem könnte ein zu geringer Selbstbehalt das Interesse am rückgedeckten Geschäft oder an der Schadensregulierung beim Erstversicherer schwinden lassen.460
457 458
459 460
Vgl. Grossmann, M. (1982), S. 119. Im Vergleich zur proportionalen Rückversicherung wird bei der nicht-proportionalen Rückversicherung auf der y-Achse die Schadensumme (und nicht die Versicherungssumme) aufgetragen. Vgl. auch. Grossmann, M. (1982), S. 120. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 153 f.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
179
Haftung Die Höhe der Haftungsstrecke des Rückversicherers bzw. der Priorität des Erstversicherers hängt von der jeweiligen Risikoeinstellung und Finanzkraft der Vertragspartner ab; gleichwohl spielt der Preis für den Versicherungsschutz eine herausragende Rolle. Grundsätzlich wird der PML (possible maximum loss) bzw. der höchste vorhersehbare Schaden (worst case) zur Bestimmung des Ausmaßes der Rückversicherungsdeckung herangezogen. Der Abschluss eines Einzelschadenexzedenten verpflichtet den Zessionär seinen maximalen Haftungsbetrag für jeden Schaden und für jedes Risiko bereitzustellen. Dies kann zu einer beinahe unbegrenzten finanziellen Belastung beim Rückversicherer führen, wenn bei einer versicherungstechnischen Einheit sehr viele große Schäden im Zeitablauf eintreten. Um dem vorzubeugen, hat der Zessionär die Möglichkeit, seine Haftung für einen festgelegten Zeitraum, in der Regel ein Jahr (oder die Laufzeit des Vertrages), zu begrenzen. Eine derartige Vereinbarung könnte folgendermaßen aussehen: 200.000 EUR xs 50.000 EUR, maximal 1.000.000 EUR Hierbei kann die vorgegebene Haftungsstrecke von 200.000 EUR bis zu fünfmal ausgeschöpft werden. Die Wiederauffüllungen des Layers, welche im Englischen mit „Reinstatement“ bezeichnet werden, sind üblicherweise mit zusätzlichen Prämienzahlungen an den Zessionär verbunden. Der Rückversicherer sieht sich einem weiteren Risiko ausgesetzt. Ein und dasselbe Schadensereignis kann unter Umständen mehrere Großschäden im Portfolio des Zedenten verursachen. Fallen diese versicherungstechnischen Risiken unter den Einzelschadenexzedenten, kann der Zessionär mit der Bereitstellung zahlreicher Haftungsstrecken konfrontiert sein. Extreme Kumulbelastungen werden häufig durch die Vereinbarung eines zusätzlichen Limits pro Schadensereignis verhindert.461 Wirkung Durch den Einsatz eines Einzelschadenexzedenten werden Großschadensbelastungen im rückgedeckten Portfolio reduziert und zugleich Schadenszahlungen im Selbstbehalt
461
Vgl. Gerathewohl, K. et al. (1976), S. 209 und Kiln, R. (1991), S. 206.
180
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
des Zedenten homogenisiert.462 Diese Art der nicht-proportionalen Rückversicherung bietet somit einen adäquaten Schutz gegen das zufällige Eintreten von Großschäden.463 Dagegen können die negativen finanziellen Auswirkungen von Kumulschäden nur teilweise kompensiert werden. Die Rückdeckung kommt erst dann zum Tragen, wenn die einzelnen Schäden jeweils die festgelegte Priorität übersteigen. Zudem muss der Erstversicherer bei vielen Einzelschäden entsprechend oft (maximale) Zahlungen innerhalb seiner Eigenleistung erbringen. Die Verwaltung des Einzelschadenexzedenten ist im Vergleich zu den proportionalen Programmen relativ einfach durchzuführen, da nur die tatsächlich eingetretenen Schäden berücksichtigt werden. Jedoch weisen die Zahlungsverpflichtungen bei Erst- und Rückversicherern einen unterschiedlichen Verlauf auf und sind nicht an das Prinzip der Schicksalsteilung gebunden. So wird der Zedent in Jahren mit vielen Klein- und Mittelschäden sehr viel stärker belastet als der Zessionär. Genau andersherum verhält es sich, wenn viele Großschäden im zugrunde gelegten Versicherungsbestand zu verzeichnen sind.464 Die Vertragsausgestaltung erfordert auf beiden Seiten ein hohes versicherungstechnisches Know-how, da eine proportionale Aufteilung der Prämien aufgrund des ungleichen Verlaufs der Verluste in der Regel nicht in Frage kommt. b) Kumulschadenexzedenten-Rückversicherung Die Kumulschadenexzedenten-Rückversicherung bietet Schutz, falls mehrere Einzelschäden durch ein Ereignis hervorgerufen werden.465 Hierbei übernimmt der Rückversicherer diejenigen Schäden (bis zu seiner maximalen Haftungsstrecke), welche nach Summation der einzelnen Schadenszahlungen oberhalb der Priorität liegen. 466 Der Kumulschadenexzedent ist gewöhnlich eine sinnvolle Ergänzung zur Quoten- und Summenexzedenten-Rückversicherung, da er den Zedenten vor zufälligen Schadenshäufungen schützt. Deshalb findet diese Versicherungsform besonders in der Sturm-,
462
463 464 465 466
Da das Versicherungsunternehmen nur Schadenszahlungen bis zur Priorität tragen muss, geht die Streuung der Schadenszahlungen sowohl absolut als auch relativ zurück. Vgl. Wagner, F. (2000), S. 355. Vgl. Gerathewohl, K. et al. (1976), S. 86. Vgl. Schulenburg (2005), S. 173. Vgl. Gerathewohl et al. (1976), S. 124 ff. und Pfeiffer, C. (1999), S. 63 f. Die Priorität soll dabei so hoch angesetzt sein, dass sie von einem Einzelschaden nicht überschritten wird. Vgl. Bender, K. (2002), 22 f.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
181
Feuer- und Transportversicherung, sowie in der Kraftfahrzeug-Kaskoversicherung Anwendung.467 Die „klassische“ Kumulschaden-Rückversicherung ist ausschließlich zur Absicherung von einzelnen Versicherungszweigen, wie z.B. der Sachversicherung, vorgesehen. Jedoch kann diese generelle Einschränkung unterlaufen werden, indem der Definition des Schadensereignis-Begriffes die Schadensursachen zugrunde gelegt werden. Das Schutzversprechen lässt sich hierdurch nicht mehr auf eine Branche begrenzen. Analog zum Einzelschadenexzedenten kann der Zessionär seine Haftungshöhe L limitieren und der Erstversicherer seine Priorität p festlegen. Sei mit Sj* der j-te Kumulschaden bezeichnet, welcher sich aus mehreren (mindestens zwei) Einzelschäden verschiedener Risiken zusammensetzt, dann ergibt sich folgende Schadensaufteilung: (3.6)
Sj*Zedent = max{(Sj* - L) ; min{Sj* ; p}}, Sj*Zessionär = min{(Sj* -p) ; L}.
Priorität Bei der Kumulschadenexzedenten-Rückversicherung liegt die Priorität grundsätzlich oberhalb des höchsten proportionalen Selbstbehalts.468 Wie groß dabei die Differenz zwischen beiden Werten ist, hängt entscheidend von der angenommenen Eintrittswahrscheinlichkeit des betreffenden Risikos ab. Zudem sollte die Eigenleistung des Erstversicherers so hoch gewählt werden, dass zu deren Überschreitung mindestens zwei signifikante Schäden (bei unterschiedlichen Risiken) notwendig sind. Die Priorität fällt dadurch in der Regel sehr hoch aus und wird häufig nur im Katastrophenfall überschritten. Aus diesem Grund wird der Kumulschadenexzedent im Englischen auch als „Catastrophe Excess of Loss“ (Cat XL) bezeichnet.469 Eine Steigerung dieser Rückversicherungsform ist der sog. „Sleep Easy Cover“, bei dem die Priorität nur überschritten wird, wenn sehr große Katastrophenereignisse auftreten.470 Die Namensgebung rührt daher, dass auf der einen Seite der Zedent „ruhig schlafen“ kann, weil er gegen den Ernstfall abgesichert ist, und auf der anderen Seite der Zessionär nur äußerst selten dazu gezwungen ist, Ausgleichszahlungen zu leisten.
467 468
469 470
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 67. Der Kumulschadenexzedent soll gerade das Kumulrisiko absichern, d.h. erst wenn mindestens zwei versicherungstechnische Einheiten in signifikanter Höhe durch ein Kumulschadenereignis betroffen werden, soll die Priorität überschritten werden. Vgl. Pfeiffer, C. (1999), S. 69. Vgl. Bender, K. (2002), S. 26 f. Vgl. Kiln, R. (1991), S. 196.
182
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Anhand von vier Szenarien (A-D) veranschaulicht die folgende Abbildung 3.11 die Schadensverteilung des Cat XL bei Kumulierung unterschiedlicher Schadenshöhen. Im Fall A ist der Kumulschadenexzedent von einem Risiko betroffen, welcher deutlich die Priorität des Erstversicherers übersteigt. Da der Rückversicherungsschutz erst ab einer Anzahl von zwei bzw. einer höher festgelegten Anzahl von Einzelschäden eintritt, muss der Zedent den Schaden selbst tragen. Die Szenarien B-D fallen unter die Regulationspflicht des Rückversicherers, so dass sich sein jeweiliger Schadensanteil in Höhe der schraffierten Fläche ergibt.471
Abbildung 3.11: Kumulschadenexzedenten-Rückversicherung
Haftung Das Haftungslimit wird im Zusammenhang mit der festzulegenden Priorität bestimmt. Hierbei ist allerdings die Deckung des Rückversicherers grundsätzlich auf die sog. unbekannten Kumule beschränkt. Darunter fallen Ereignisse, welche nicht vorhersehbar sind und zufällig eintreten, wie z.B. Naturkatastrophen, Flugzeugabstürze oder politische Gefahren. Die dadurch entstandenen Schäden werden lediglich durch das zufällige Schadensereignis miteinander verbunden und weisen sonst keinerlei (stochastische) Abhängigkeiten auf.472 Daneben sind die Risiken bei bekannten Kumulen nicht unabhängig. Diese kommen beispielsweise bei Bergsteigerexpeditionen vor, bei denen von vornherein ein erhöhtes und gehäuftes Risikopotenzial im Bereich der Personenversicherungen zu verzeichnen
471 472
Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Rückversicherer nur bis zur Höhe des Plafond haftet. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 160.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
183
ist. Will der Zedent derartige Ereignisse in den Versicherungsschutz des Kumulschadenexzedenten integrieren, muss er dies explizit mit dem Zessionär vereinbaren, was regelmäßig mit einem Zusatzentgelt verbunden ist. Die Haftstrecke des Kumulschadenexzedenten bezieht sich nicht auf Einzelschäden, sondern auf Schadenssummen, welche durch einzelne Schadensereignisse entstanden sind.473 Auch bei dieser Rückversicherungsvariante besteht die Möglichkeit, die Deckungsverpflichtung des Zessionärs pro Jahr bzw. auf die Laufzeit des Vertrages zu begrenzen. Schadensereignis Eine präzise Definition des Schadensereignis-Begriffes ist bei der KumulschadenRückversicherung von zentraler Bedeutung.474 Nicht jeder Schaden tritt im Falle eines „Events“475 zu einem exakt bestimmbaren Zeitpunkt ein, wie z.B. bei Explosionen oder Flugzeugabstürzen. Insbesondere bei Naturgefahren können sich die Schadensauswirkungen, welche eine gemeinsame Ursache haben, über einen längeren Zeitraum erstrecken. Die Anzahl der Ereignisse ist für den Rückversicherer von immenser Bedeutung, weil sich daraus ergibt, wie viele Haftungsstrecken er bereitstellen muss. So kam es beispielsweise im Zusammenhang mit dem Terroranschlag auf das World Trade Center von New York am 11. September 2001 diesbezüglich zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Es musste geklärt werden, ob es sich bei dem Einsturz der beiden Türme um ein oder zwei Schadensereignisse gehandelt hat. Das Bezirksgericht von Manhattan Süd entschied, dass der Kollaps durch ein Schadensereignis ausgelöst wurde und teilte damit die Auffassung der beteiligten (Rück-) Versicherungsunternehmen. Die damit festgelegte (einfache) maximale Haftungsstrecke von 3,55 Milliarden USD lässt die weitreichenden finanziellen Folgen dieses Urteils erkennen. Um derartige Streitigkeiten zu vermeiden, wird bei Cat XL-Rückversicherungsverträgen daher im Allgemeinen ein räumlicher und zeitlicher Rahmen festgelegt, mit dem bestimmt werden kann, wann es sich um einen oder mehrere Kumulschäden handelt.476 Häufig kommt dabei die sog. n-Stunden-Klausel (n N) zur Anwendung, wel-
473 474 475
476
Vgl. Wagner, F. (2000), S. 357. Vgl. Grossmann, M. (1982), S. 122 und Kiln, R. (1991), S. 162 f. In den Versicherungsverträgen wird häufig zwischen „per event“ (pro Schadenereignis) und „per risk“ (pro Einzelschaden, wobei die Unterscheidung häufig Gegenstand von Gerichtsprozessen ist. Vgl. Gerathewohl, K. et al. (1976), S. 127 f.
184
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
che alle Schäden innerhalb einer vereinbarten Zeitspanne als ein Schadensereignis betrachtet.477 Hierbei beginnen die n Stunden, je nach Vereinbarung, bei Eintritt des ersten Schadens oder zu einem späteren Zeitpunkt, welcher vom Zedenten gewählt wird. Eine Zusammenfassung geläufiger Zeiträume für die häufigsten Naturkatastrophen findet sich in Abbildung 3.12:478
Ereignis
Zeitfenster
Sturmschäden eines Hurrikans
48 Stunden
Erdbebenschäden
72 Stunden
Flutschäden
168 Stunden
Abbildung 3.12: Zeiträume bei der n-Stunden-Klausel
Beispiel Zum Abschluss der Schadenexzedenten-Rückversicherung soll ein Zahlenbeispiel das Zusammenwirken beider Vertragsarten verdeutlichen. Gegeben seien hierzu zwei Rückversicherungsverträge der folgenden Art: x 6 Mio. EUR xs 3 Mio. EUR (Working XL) x 8 Mio. EUR xs 4 Mio. EUR (Cat XL) Durch einen Hurrikan treten im Bestand des Erstversicherers vier Sturmschäden auf: Risiko A
2 Mio. EUR
Risiko B
3 Mio. EUR
Risiko C
4 Mio. EUR
Risiko D
7 Mio. EUR Ȉ
477
478
16 Mio. EUR
Dauert das Schadenereignis länger als die vereinbarten n Stunden, so ist es als mehrere Schadenereignisse aufzufassen mit der Folge, dass die Haftungsstrecke des Rückversicherers mehrfach in Anspruch genommen werden kann. Vgl. Kiln, R. (1991), S. 180. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 162.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
185
Der Einzelschadenexzedent hat eine Priorität von 3 Mio. EUR, so dass ausschließlich Risiko C und D in den Layer des Rückversicherers fallen. Der Zessionär übernimmt im Rahmen des Working XL 1 Mio. EUR von Risiko C und 4 Mio. EUR von Risiko D. Die Haftungsstrecke, welche jeweils 6 Mio. EUR beträgt, wird in beiden Fällen nicht überschritten. Alle vier Schäden können demselben Ereignis zugeordnet werden und müssen folglich vom Kumulschadenexzedenten berücksichtigt werden. Hierbei übernimmt der Zessionär die gesamten angefallenen Schäden abzüglich der Priorität und der Deckung aus der Einzelschadenexzedenten-Rückversicherung (bis zur Höhe seiner Maximalhaftung). Der Erstversicherer erhält somit folgende Entschädigungszahlung durch den Cat XL: 16 Mio. EUR – 4 Mio. EUR – 5 Mio. EUR = 7 Mio. EUR Dieser Betrag ist geringer als der vereinbarte Layer von 8 Mio. EUR, so dass die gesamten Ausgleichszahlungen des Rückversicherers 12 Mio. EUR betragen. Der Zedent muss für den verbleibenden Rest in Höhe von 4 Mio. EUR aufkommen. 3.2.2.2 Jahresüberschaden-Rückversicherung Mit der äußerst selten anzutreffenden Jahresüberschaden-Rückversicherung, welche auch als Stop Loss (SL) bezeichnet wird, versucht der Erstversicherer eine übermäßig hohe Jahresgesamtschadenslast in einem Versicherungszweig oder Teilbestand auszugleichen. Hierzu deckt der Rückversicherer alle Schäden, welche innerhalb eines bestimmten Zeitraums eingetreten sind und kumuliert die vorgegebene Priorität überschreiten.479 Die Periode kann prinzipiell beliebig gewählt werden, jedoch beträgt sie in der Regel zwölf Monate, so dass sie mit dem Geschäftsjahr des Zedenten zusammenfallen kann. Ihr Einsatz ist in Bereichen mit stark schwankenden Schadenquoten sinnvoll, insbesondere bei Elementarschaden-Versicherungen; d.h. der Absicherung von Naturgefahren, welche meist mit Kumulrisiken einhergehen, wie z.B. Hagel, Sturm oder Erdbeben. Dem Stop Loss gehen häufig andere nicht-proportionale oder proportionale Zessionen voraus, so dass lediglich diejenigen Schäden Berücksichtigung finden, welche nach Abzug aller Rückversicherungsleistungen tatsächlich im Selbstbehalt des Erstversicherers verbleiben. Dabei spielt es keine Rolle, in welcher Höhe oder wodurch die betref-
479
Vgl. Gerathewohl et al. (1976), S. 97 ff.
186
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
fenden Einzelschäden entstanden sind.480 Auch bei dieser Vertragsart hat der Zessionär die Möglichkeit, seine eigene Haftung durch Vorgabe eines Maximalbetrages einzuschränken. Sei mit S der aufgetretene Gesamtschaden des betrachteten Zeitraums, mit p der zugehörige Selbstbehalt des Erstversicherers sowie mit L der entsprechende Layer des Rückversicherers bezeichnet. So wird die Schadenssumme folgendermaßen zwischen den Vertragspartnern aufgeteilt: (3.7)
SZedent = max{(S -L) ; min{S ; p}},
SZessionär = min{(S -p) ; L}.
Priorität und Haftung Die Priorität sowie die Maximalhaftung des Rückversicherers können entweder mit einem festen Betrag oder als Prozentsatz des rückgedeckten Geschäftsvolumens angegeben werden.481 Bei Letzterem wird unterstellt, dass das Schadenspotenzial und damit der Rückversicherungsbedarf mit der Anzahl der abgeschlossenen Verträge zunimmt. Üblicherweise werden daher Selbstbehalt und Layer im Verhältnis zum zugehörigen Beitragsvolumen ausgedrückt. Dieses ergibt sich aus den verdienten Bruttoprämieneinnahmen, d.h. den erhaltenen Prämien im Geschäftsjahr abzüglich der Prämienüberträge am Ende des Jahres und zuzüglich dem Übertrag am Ende des Vorjahres.
Jahr
Gesamtschaden
Schadensaufteilung Zedent
Zessionär
1
105 Mio. EUR
100 Mio. EUR
5 Mio. EUR
2
90 Mio. EUR
90 Mio. EUR
-
155 Mio. EUR (100+5) Mio. EUR
50 Mio. EUR
3
Abbildung 3.13: Schadensaufteilung bei Stop Loss
480
481
Die Jahresüberschaden-Rückversicherung ist völlig losgelöst von einem bestimmten Schadenereignis. Sie hat somit eher eine bilanztechnische als eine versicherungstechnische Bedeutung. Vgl. Grossmann, M. (1982), S. 124. Vgl. Kiln, R. (1991), S. 311 f.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
187
In Abbildung 3.13 wird anhand verschiedener Szenarien die Schadensaufteilung einer 50% xs 100% Jahresüberschaden-Rückversicherung mit Bruttoprämieneinnahmen von 100 Mio. EUR verdeutlicht. Im dritten Jahr übersteigt der Gesamtschaden die Priorität des Zedenten um 55 Mio. EUR. Da die Haftstrecke des Zessionärs auf 50 Mio. EUR beschränkt ist482, muss der Erstversicherer zusätzlich für den überschießenden Teil (5 Mio. EUR) aufkommen. Seine Schadensbelastung beträgt somit in diesem Jahr insgesamt 105 Mio. EUR. Bei der Wahl der Priorität ist zu beachten, dass dem Zedenten bei einem ungünstigen Geschäftsverlauf kein sicherer Gewinn entsteht. 483 Das bedeutet, der Rückversicherungsschutz sollte erst dann greifen, wenn der Erstversicherer einen versicherungstechnischen Verlust erleidet.484 Dies ist der Fall, wenn die Summe aus Schäden und Verwaltungskosten größer ist als die vereinnahmten Prämien. Die Höhe der Priorität setzt somit an der Verlustgrenze des Zedenten an, welche durch Einbeziehung von Rückversicherungskosten weiter verschlechtert werden kann. Verschlingen beispielsweise Verwaltungskosten 30% und die Kosten des Rückversicherungsschutzes 10% der Prämieneinnahmen, so muss die Priorität mit mindestens 60% veranschlagt werden, um einen sicheren Gewinn auszuschließen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich die Kosten bei Verträgen, welche über einen längeren Zeitraum abgeschlossen werden, verändern können, was zu einer Verschiebung des „Break Even Points“ führt. Deshalb werden solche Rückversicherungen üblicherweise variabel gestaltet und zudem einer jährlichen Überprüfung unterzogen. Wirkung Der Stop Loss bietet dem Erstversicherer einen umfassenden Schutz gegen sämtliche Risiken eines Versicherungsgeschäfts. Er wirkt sowohl gegen die Kumulierung von kleineren und mittleren Schäden, als auch gegen das Eintreten von Groß- und Katastrophenrisiken.485 Des Weiteren bietet er die Möglichkeit, gestiegene Versicherungsschäden aufgrund veränderter Schadensverteilungen auszugleichen. Der Zedent ist somit in der Lage, seine Schadenquote, welche aus dem Verhältnis Versicherungs-
482 483 484 485
50% · 100 Mio. € = 50 Mio. €. Vgl. Grossmann, M. (1982), S. 124 sowie Gerathewohl, K. et al. (1976), S. 370. Andernfalls besteht das Risiko des Moral-Hazard-Verhaltens vonseiten des Erstversicherers. Vgl. Gerathewohl, K. et al. (1976), S. 114.
188
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
schäden zu Prämieneinnahmen gebildet wird, zu stabilisieren und damit sein Bilanzergebnis signifikant zu glätten.486 Obwohl diese Rückversicherungsvariante für das Erstversicherungsunternehmen die wirksamste Ausgestaltung zur Steuerung des Jahresergebnisses ist, findet sie in der Realität so gut wie keine Anwendung. Der Grund hierfür liegt in den nicht unerheblichen Risiken für den Rückversicherer. Dieser gewährt auf der einen Seite einen beinahe unbeschränkten Schutz, hat aber auf der anderen Seite keinerlei Einflussmöglichkeiten auf die Zeichnungspolitik und Schadensregulierungspraxis des Erstversicherers. Genauer gesagt, ist er dazu gezwungen die Vertragsauswahl und Risikoselektion des Zedenten hinzunehmen und selbst eine zu großzügige und wenig gewissenhafte Schadensprüfung oder Schadensregulierung zu decken. Er ist sozusagen dem moralischen Risiko des Erstversicherers vollkommen ausgeliefert. Des Weiteren hat er sowohl trendmäßige Veränderungen, z.B. der Schadenshöhenverteilung, als auch außergewöhnlich hohe Jahresschäden zu tragen. Um dennoch einen derartigen Vertrag anbieten zu können, werden die Nachteile des Zessionärs durch vorgeschaltete proportionale Rückversicherungen oder durch Vereinbarung von Überschaden-Selbstbeteiligungen des Erstversicherers reduziert.487 3.2.2.3 Höchstschaden-Rückversicherung Die Höchstschaden-Rückversicherung hat in der Praxis keine größere Bedeutung erlangt. Bei dieser Vertragsform übernimmt der Rückversicherer die (n N) höchsten Einzelschäden eines bestimmten Bestandes von Versicherungspolicen, welche innerhalb einer Periode (in der Regel eines Jahres) eingetreten sind.488 Dabei werden die n höchsten Schadenfälle in voller Höhe ohne Abzug von Prioritäten vom Rückversicherer übernommen.489 Übliche Werte für die Anzahl der zu 100 % rückgedeckten Risiken sind n {3, 5, 7} . Des Weiteren wird meist auf die Vorgabe einer Mindesthöhe bei den Schäden verzichtet, so dass in schadensarmen Jahren auch relativ kleine Schäden unter die Deckung des Vertrages fallen können. Diese Rückversicherungsart kann als Spezialfall des Einzelschadenexzedenten aufgefasst werden, wenn man eine Priorität von Null und eine
486 487 488 489
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 172. Vgl. Grossmann, M. (1982), S. 124. Vgl. Wagner, F. (2000), S. 358 f. Vgl. Grossmann, M. (1982), S. 125 f.
3.2 Traditionelle Ansätze der Rückversicherung
189
unbegrenzte Haftung des Zessionärs zugrunde legt. Ebenso ist es möglich, den Working XL mittels der Anzahl k (> n) der eingetretenen Schäden auszudrücken. Hierbei wird die Priorität als Summe der (k – n) Einzelschäden, welche im Selbstbehalt des Zedenten verbleiben, ausgedrückt und der Layer als Schadensleistung der n Überschäden festgelegt. Jedoch besteht bei beiden Formulierungen die Problematik, dass erst am Ende des Vertragsjahres feststeht, welche n Einzelschäden tatsächlich übernommen werden. Beispiel Als Beispiel für diese Versicherungsvariante sei die Vereinbarung getroffen worden, dass der Zessionär die zwei höchsten Schäden trägt, welche beim Erstversicherer innerhalb eines Jahres anfallen. Im linken Diagramm von Abbildung 3.14 sind die Schäden zusammengefasst, welche in der Periode aufgetreten sind. Das rechte Bild zeigt die verbleibenden Schäden im Portfolio des Zedenten nach Abwicklung des Vertrages. Wirkung Mit der Höchstschaden-Rückversicherung kann das zufällige Eintreten von Großschäden abgesichert werden.490 Obwohl bei der Festlegung der Anzahl n die Schadenserfahrungen Berücksichtigung finden, kommt es häufig zu zufälligen Abweichungen von den Erwartungen. Diese können zwar durch eine Erhöhung von n (teilweise) kompensiert werden, jedoch geht damit üblicherweise eine Verteuerung des Versicherungsschutzes einher. Somit entstehen dem Erstversicherer sowohl bei zu vielen, als auch bei zu wenigen Schäden enormen Ausmaßes „unnötige“ Kosten.
Abbildung 3.14: Höchstschaden-Rückversicherung
490
Vgl. Wagner, F. (2000), S. 358.
190
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Auf Seiten des Rückversicherers tritt ein interessanter Aspekt auf, falls die Abwicklung der eingetretenen Schäden längere Zeit in Anspruch nimmt. So muss dieser die Veränderungen in der Schadensverteilung, welche beispielsweise aufgrund von Inflation oder veränderter Rechtsprechung entstehen können, bei seinen rückgedeckten Schäden vollständig alleine tragen.491 Folglich sind beide Versicherungsunternehmen bei Abschluss dieses Vertrages mit Nachteilen konfrontiert. Diese können häufig auch nicht durch die sehr einfache Konstruktion und Handhabung ausgeglichen werden.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung In den letzten Jahrzehnten hat sich die Risikolandschaft für Unternehmen weltweit enorm geändert. So sind diese neben einer stetig steigenden Anzahl von Risiken auch mit völlig neuartigen Gefahren konfrontiert. Als Beispiel hierfür sind u. a. Schäden durch Hurrikans, Terrorismus oder die Volatilität von Finanzmärkten zu nennen.492 Durch diese Veränderungen wurde ein intelligentes Risikomanagement innerhalb von Firmen unverzichtbar und traditionelle Rückversicherungslösungen sind an ihre Grenzen gestoßen. Um der neuen Risikosituation gerecht zu werden und die individuellen Kundenbedürfnisse besser befriedigen zu können, sind moderne und alternative Formen des Risikotransfers entwickelt worden. In den USA entstand hierfür der Begriff „Alternativer Risikotransfer“ (ART), welcher zunächst die Erleichterung von Selbstversicherungsmechanismen, wie z.B. durch Captives, umfasste und unter dem im Laufe der Zeit alle nicht-traditionellen Methoden der Rückversicherung subsumiert wurden. Die Bedeutung von ART unterliegt daher einem ständigen Wandel, weshalb der Terminus an sich in der Literatur häufig mehr als Modewort und weniger als exakt definierter Oberbegriff für bestimmte Rückversicherungstechniken gebraucht wird.493 Aus diesem Grund nimmt Abbildung 3.15 die für diese Ausarbeitung geltende Abgrenzung zwischen modernen und alternativen Formen des Risikotransfers vor.494
491 492
493 494
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 178. Sowohl die Anzahl als auch das Ausmaß von Großschadenereignissen sind in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 4. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 3. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 326.
191
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
Moderne Ansätze des Transfers von Versicherungsrisiken
Moderne Formen des Risikotransfers -
Captive Finite Risk-Rückversicherung Multiline/Multiyear-Produkte Multi-Trigger-Produkte Rückversicherung via CATEXTM
Alternative Formen des Risikotransfers - Insurance-Linked Securities - Versicherungsderivate - Contingent Capital
Abbildung 3.15: Moderne und alternative Formen des Risikotransfers
Unter den alternativen Rückversicherungsformen werden diejenigen Lösungen verstanden, welche den Kapitalmarkt zur Gewinnung von sekundären Risikoträgern heranziehen. Hierunter fällt neben sämtlichen Versicherungsderivaten und den sog. „Insurance-Linked Securities“ (ILS) auch die an ein Versicherungsereignis geknüpfte Kapitalaufnahme (Contingent Capital). Im Rahmen dieses Kapitels werden zunächst die modernen Formen des Risikotransfers behandelt, bei denen die jeweiligen Vertragspartner der Versicherungsbranche angehören. Die alternativen Formen des Risikotransfer Insurance-Linked Securities sowie Versicherungsderivate werden in den Kapiteln 4 bzw. 5 ausführlich behandelt.
3.3.1 Captives 3.3.1.1 Definition Bei einer Captive Insurance Company (kurz: Captive) handelt es sich um ein Versicherungsunternehmen, welches einem einzelnen oder einer Gruppe von nicht in der Versicherungswirtschaft tätigen Unternehmen gehört. Captives besitzen die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft und übernehmen hauptsächlich die versicherungstechnischen Risiken ihrer Eigentümer.495 Oftmals sind sie durch sog. Beherrschungsverträ-
495
Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 20.
192
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
ge vollständig vom Mutterkonzern abhängig, weshalb der Name Captive (englisch: gefangen) für diese Gesellschaften entstanden ist. Risikopolitisch stellt die Gründung eine Selbstversicherung bzw. eine interne Form der kollektiven (finanziellen) Risikoreservebildung dar.496 Captives sind ursprünglich entstanden, da die Unternehmensgruppen den klassischen Risikotransfer über die traditionelle Industrieversicherung für zu teuer und damit zu ineffizient hielten.497 Mit Captives bleiben die Verwaltungskosten für die Risikoübertragung in den betroffenen Unternehmen erhalten.498 Man unterscheidet grundsätzlich zwischen Erst- und Rückversicherungs-Captives. Erstgenannte decken direkt die Risiken des Versicherungsnehmers - z.B. eines großen Industrieunternehmens - und erfüllen somit dieselbe Funktion wie ein gewöhnlicher Erstversicherer. Bei einer Rückversicherungs-Captive werden zunächst die Risiken der Konzernfamilie durch einen zugelassenen lokalen Erstversicherer übernommen und anschließend gegen eine entsprechende Prämienzahlung vollständig an eine spezielle Rückversicherungs-Captive zediert. Den Vorgang, dass ein Versicherungsunternehmen nur im Außenverhältnis ein Risiko trägt und im Innenverhältnis dieses an einen Rückversicherer weitergibt, nennt man Fronting; den Zedenten bezeichnet man deshalb auch als Fronter. In Abbildung 3.16 wird das Konzept einer Rückversicherungs-Captive veranschaulicht:499 Hierbei fungiert die Captive-Gesellschaft als Zessionär, der die Risiken entweder alleine tragen oder an den Rückversicherungsmarkt transferieren kann. Häufig werden Stop Loss Versicherungen dazu eingesetzt, das gezeichnete Risiko einer Captive zu reduzieren. Das Captive-Management ist u. a. für Administration, Verwaltung, Reporting und Beschaffung der Rückversicherungsdeckung zuständig. Üblicherweise obliegt ihm auch die Geschäftsführung, obwohl sie vom Captive selbst oder von der Muttergesellschaft übernommen werden könnte.
496 497 498
499
Vgl. Swiss Re (1999), S. 14 sowie Liebwein, P. (2000), S. 37. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 21. Gewöhnlich beträgt die Kostenquote ca. 30 %, d.h. von 100 EUR eingenommenen Prämien werden 30 EUR für den Versicherungsbetrieb ausgegeben. Vgl. auch Wöhrmann, P. (2003), S. 27.
193
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung Versicherungsvertrag
Versicherter
Versicherer Zessionsvertrag
Dividendenzahlungen
Management -
Captive honorare
Captive Management
Retrozessionsvertrag
Prämien Rückversicherer
Schäden
Abbildung 3.16: Konzept einer Rückversicherungs-Captive
Captives werden überwiegend als Rückversicherung eingesetzt, um von einer geringeren Regulierungsdichte und einer global weitgehend verwirklichten Dienstleistungsfreiheit zu profitieren. Erstversicherungsunternehmen benötigen in der Regel in jedem Tätigkeitsland eine nationale Versicherungslizenz und werden lokal beaufsichtigt. Zessionäre (Rückversicherer) können hingegen grenzüberschreitend tätig werden und unterliegen dabei ausschließlich der Aufsicht ihres Sitzlandes. Zudem wurden in der Vergangenheit häufig Offshore-Standorte, wie z.B. Bermudas, Cayman Islands oder Guernsey, als Gründungsdomizile ausgewählt, um die in vielen Staaten geltenden strengen Eigenkapitalanforderungen und Aufsichtsverfahren zu umgehen. 3.3.1.2 Varianten In der Literatur treten eine Reihe verschiedener Captive-Begriffe auf, welche im Folgenden kurz zusammengefasst werden: x Pure Captive bzw. Single-Parent Captive: Es werden ausschließlich die Risiken des Mutterkonzerns durch die Captive gedeckt. x Mutual Captive oder Gruppen Captive: Es sind mehrere Konzerne an einer Captive beteiligt. x Industry Captive bzw. Association Captive: Mehrere Unternehmen oder Konzerne einer Branche gründen die Captive. Diese Form tritt häufig in Verbindung mit Haftpflichtrisiken, wie z.B. der Ärztehaftpflicht, auf.
194
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
x Broad Captive, Profit Center Captive oder diversifizierte Captive: Diese Captives versichern auch Risiken „fremder“ Unternehmen. In jüngster Zeit erfreuen sich die sog. Rent-a-Captives bzw. Protected-Cell Captives größerer Beliebtheit. Durch Mieten einer Captive kann die betreffende Gesellschaft von den Funktionen einer Captive profitieren ohne den aufwendigen Gründungsvorgang durchführen zu müssen. Hierzu wird dem Unternehmen von einem Rückversicherer gegen eine Verwaltungsgebühr ein Konto zur Verfügung gestellt, über das Prämien, Schäden und Anlageerträge abgewickelt werden können. Der primäre Vorteil gegenüber einer eigenständigen Captive besteht darin, dass das Unternehmen kein Kapital zur Verfügung stellen muss, was diese Alternative besonders für mittelgroße Gesellschaften attraktiv macht.500 Eine spezielle Art von Captive ist das sog. „Special Purpose Vehicle”. Dieses Konstrukt ist im Zusammenhang mit dem alternativen Risikotransfer entstanden und dient vor allem dem Transfer von Versicherungsrisiken auf die Kapitalmärkte. Der Großteil der weltweit ca. 4.600 Captives entfällt jedoch auf Single-Parent Captives; d.h. sie sind im Besitz von einem einzelnen Unternehmen bzw. Konzern. 3.3.1.3 Nutzen für Unternehmen Die Verwendung einer Captive hat für ein Unternehmen zahlreiche Vorteile: Captives gelten offiziell als Versicherungsgesellschaften und haben deshalb Zugang zum globalen Rückversicherungsmarkt. Da große Industrierisiken zumeist die Kapazität von Erstversicherungsunternehmen übersteigen, müssen sie vielfach in Rückdeckung gegeben werden. Ein direkter Zugang zum entsprechenden Markt ermöglicht dem Unternehmen den Kostenanteil der gewöhnlich anfallenden Rückversicherungsprämien durch geringere Aufwendungen der eigenen Captive zu substituieren und finanzielle Mittel einzusparen. Zudem ist der Rückversicherungsmarkt bei der Strukturierung von Risikotransferprogrammen unter Umständen flexibler, wobei Veränderungen in der Höhe des Selbstbehalts oftmals besser honoriert werden. Die globale Ausrichtung des Rückversicherungsmarktes wirkt sich häufig positiv auf die Risikostreuung in den Portfolios der Zessionäre aus, wodurch deren Zeichnungskapazitäten ausgedehnt und gleichzeitig die Kapitalkosten für den reinen Risikotransfer verringert
500
Vgl. Swiss Re (1999), S. 15.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
195
werden.501 Darüber hinaus erhöht die nicht so strenge Regulierung der Rückversicherungsbranche in vielen Fällen die Flexibilität des Produktangebots und senkt zugleich die aufsichtsrechtlichen Kosten.502 Bei der Tarifierung von Frequenzrisiken spielen neben dem Barwert der erwarteten Schäden auch die eingerechneten Kosten eine entscheidende Rolle. Diese können bis zu 40% der veranschlagten Prämien betragen und müssen bei Vertragsabschluss vollständig vom Unternehmen aufgebracht werden. Entschließt sich die Gesellschaft zur Nutzung einer Captive, verbleiben diese Aufwendungen weitestgehend innerhalb des Konzerns und können für andere Zwecke eingesetzt werden. Zudem sind Captives in der Lage die Deckung von guten Risiken billiger anzubieten als entsprechende externe Versicherungslösungen, wenn das Unternehmen ein überdurchschnittlich gutes Risikoprofil aufweist und der Markt dies nicht angemessen honoriert.503 Die beschriebenen Vorteile wirken sich im Allgemeinen positiv auf die Effizienzgewinne im versicherungstechnischen Bereich aus und lassen die Gesellschaft zudem am eigenen (guten) Schadensverlauf partizipieren. Im Rahmen von Versicherungsverträgen müssen Prämienzahlungen üblicherweise im Voraus, respektive zu Beginn der Periode, entrichtet werden. Für den Versicherungsnehmer ergibt sich hierdurch ein negativer erwarteter Mittelfluss, da die eingetretenen Schäden erst zu einem späteren Zeitpunkt beglichen werden. Bei Nutzung einer Captive verbleiben diese Zahlungsströme innerhalb des Konzerns, was vorteilhaft ist, wenn deren Kosten geringer ausfallen als die einer externen Finanzierung. Außerdem können die einbehaltenen Mittel auch zur Investition in Kapitalanlagen verwendet werden. Die hieraus resultierende Erträge sind in bestimmten Offshore-Domizilen für Captives steuerfrei und wirken sich, wie ausgeschüttete Dividendenzahlungen, positiv auf den Unternehmens-Cashflow aus. Besonders deutlich tritt dieser Effekt bei den sog. „Long-Tail“-Geschäften auf, wie z.B. dem amerikanischen Haftpflichtgeschäft.504 Zu Beginn des Captive-Booms Ende der 60er Jahre ließen vor allem steuerliche Aspekte die Wahl auf diese moderne Versicherungsform fallen. Durch Gründung einer Captive in sog. „Steueroasen“ konnten Unternehmen, anders als bei der „rei-
501 502 503 504
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 38. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 22. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 21. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 21.
196
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
nen“ Selbstversicherung, von steuerlichen Erleichterungen profitieren.505 So waren die steuerliche Abzugsfähigkeit von Prämienzahlungen und die günstige steuerliche Behandlung von versicherungstechnischen Rückstellungen wichtige Vorzüge dieser Standorte.506 Aufgrund strengerer Vorschriften sind steuerliche Motive heutzutage nur noch von zweitrangiger Bedeutung. So besteht in den USA für die Muttergesellschaft nur dann Aussicht auf steuerliche Abzugsfähigkeit von Prämienzahlungen, wenn die Captive einen substanziellen Anteil am Fremdgeschäft zeichnet. Nach bisherigen Gerichtsurteilen ist dafür ein Bestand von mindestens 30% des Geschäftsvolumens erforderlich.507 In den meisten europäischen Ländern wird für die Inanspruchnahme steuerlicher Vergünstigungen der Nachweis eines substantiellen Risikotransfers verlangt. Zudem dürfen die bezahlten Prämien nicht beliebig gewählt werden, sondern müssen versicherungstechnisch begründet sein. Ein weiterer großer Nachteil besteht darin, dass in einigen Staaten Europas die Captive-Gewinne im Sitzland der Muttergesellschaft der Besteuerung unterliegen. Einen Überblick über weitere Aspekte im Zusammenhang mit der Behandlung und Nutzung von Captives in ausgewählten Ländern findet sich in Abbildung 3.17:508 3.3.1.4 Bedeutung Captives stellten für viele Unternehmen die erste Alternative zu traditionellen Versicherungslösungen dar. Zugleich waren sie ein sinnvolles Vehikel, den gestiegenen Anforderungen an ein gesamtheitliches (holistisches) Risikomanagement gerecht zu werden. Obwohl sie ursprünglich zur Deckung von Risiken im Sach- und Haftpflichtbereich vorgesehen waren, kam im Laufe der Zeit die Übernahme unter anderem von Reputations-, Garantie- sowie Jahr-2000-Risiken hinzu. Mittlerweile werden Captives als zentrales Sammelbecken für verschiedenste Risiken der ganzen Welt verwendet und als Ausgangspunkt für alternative und moderne Rückversicherungslösungen betrachtet.509 Im Jahr 2001 existierten ungefähr 4.560 Captives, welche Bruttoprämieneinnahmen von 25 Mrd. USD verbuchten, was damals 10% des globalen Industrieversicherungs-
505 506 507 508 509
Vgl. Mayer-Kahlen, W. (1988), S. 95. Vgl. Kiln, R. (1991), S. 377. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 22. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 23. Vgl. Swiss Re (1999), S. 16.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
197
geschäfts entsprach. Daneben wurden von Captives weltweit Risiken in Höhe von 8 Mrd. USD an den Rückversicherungsmarkt zediert und 138 Mrd. USD in Kapitalanlagen investiert. Beliebtester Captive-Standort war und ist bis heute das OffshoreDomizil Bermudas, welches im Jahr 2001 mit 1.336 Captives und einem Prämienvolumen von 12 Mrd. USD unangefochten an der Spitze steht.510 Diese Versicherungsvariante wird noch immer hauptsächlich von amerikanischen Unternehmen eingesetzt. So stammen 59% der Eigentümer aus den USA, hingegen nur etwa 25% aus Europa. Dennoch dürfte sich dieses Risikomanagementinstrument zukünftig auch in Ländern außerhalb der Vereinigten Staaten behaupten, ermöglicht es Konzernen, neben den finanziellen Vorteilen, auch von „natürlichen“ Ausgleichs- und Diversifikationseffekten verschiedener Risiken zu profitieren.511 Viele der eben geschilderten Vorzüge von Captives können heutzutage auch über andere Rückversicherungsansätze erzielt werden. Hierzu zählen vor allem die Finite Risk- und die Multiline/Multiyear-Lösungen, welche in den folgenden Abschnitten 3.3.2 und 3.3.3 näher beschrieben werden.
510 511
Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 24. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 25.
Abbildung 3.17: Behandlung und Nutzung von Captives
198 Kapitel 3: R
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
199
3.3.2 Finite Risk-Rückversicherung 3.3.2.1 Merkmale a) Definition Unter dem Begriff Finite Risk (FR) werden verschiedene Versicherungslösungen subsumiert, deren Schwerpunkt nicht mehr auf dem klassischen Risikotransfer, sondern auf der Risikofinanzierung liegt. Diese Vertragsformen greifen auf traditionelle Instrumente der Rückversicherung zurück, wobei hauptsächlich nicht-proportionale Ansätze zum Einsatz kommen.512 Während bei den in Kapitel 3.2 vorgestellten Lösungen der Risikoausgleich in erster Linie über das Kollektiv erreicht wurde, basieren FRVersicherungen auf dem individuellen Risikoausgleich in der Zeit.513 In der Literatur existiert keine eindeutige Definition von Finite Risk, dennoch können vier wichtige Merkmale dieser modernen Rückversicherungsform ausgemacht werden: x Die Dauer von Finite-Risk-Verträgen beträgt mehrere Jahre, wodurch ein Diversifikationseffekt über die Zeit erreicht werden kann. Üblicherweise werden dabei Zeiträume zwischen fünf und sieben Jahren festgelegt.514 x Die Gesamthöhe des Risikotransfers während der Vertragslaufzeit ist begrenzt (finite). Der (Rück-) Versicherer übernimmt jedoch meistens sowohl das Underwriting Risiko515 als auch das Timing Risiko516. Neben diesen Gefahren werden auch versicherungsfremde Risiken, wie Zins-, Währungs- oder Aktienkursrisiken, abgedeckt. Diese verursachen eine Veränderung der Marktkonditionen, so dass es unter Umständen nicht möglich ist, die erwarteten Anlagerenditen zu erzielen.
512 513
514
515
516
Vgl. Swiss Re (1997 a), S. 11. So werden Finite-Risk-Verträge in der Regel zwischen fünf und sieben Jahren abgeschlossen, um einen Risikoausgleich in der Zeit zu ermöglichen. Die Mehrperiodigkeit der Finite-Risk-Verträge erhöht zwar die Planungssicherheit für die Beteiligten und ermöglichen einen Risikoausgleich in der Zeit. Jedoch führt dies zu einem Anstieg des Änderungsrisikos. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 73. Hierbei wird als Underwriting Risiko das versicherungstechnische Risiko bezeichnet, d.h. die Gefahr, dass Schadenszahlungen höher ausfallen als erwartet und folglich die Prämien zu niedrig kalkuliert sind. Von Timing Risiko spricht man, wenn Schäden schneller als angenommen abgewickelt werden. Dadurch erhöht sich der Mittelabfluss aus dem Versicherungsunternehmen, so dass die Kapitalerträge nicht die geplante Höhe erreichen können.
200
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
x Die erwarteten Kapitalerträge sind bei der Kalkulation der Prämie(n) ein expliziter Bestandteil. 517 Hierdurch wird der Zeitwert des Geldes berücksichtigt, was insbesondere in Sparten mit langwierigen Schadensabwicklungsdauern, wie z.B. der Haftpflichtbranche, die Kosteneffizienz der Policen erhöhen kann. x Darüber hinaus wird mit dem Zedenten eine Ergebnisteilung vereinbart, welche als Gegenleistung für die nur begrenzte Übernahme des versicherungstechnischen Risikos angesehen werden kann. So werden die Prämien, welche nicht zur Regulierung der Schäden benötigt wurden, am Ende der Vertragslaufzeit größtenteils dem Versicherten zurückerstattet. Auf gleiche Weise werden die Gewinne, welche der (Rück-) Versicherer über eine mehrjährige Dauer der Police erwirtschaftet hat, teilweise zwischen den Vertragspartnern aufgeteilt.
Während früher Versicherungsverträge häufig in Form eines „Gentlemen's Agreement“ abgeschlossen wurden und langfristige Geschäftsbeziehungen vorlagen, so dass ein Risikoausgleich in der Zeit möglich war, erfordern die veränderten Wirtschaftsund Wettbewerbsverhältnisse in heutiger Zeit mit hoher Fluktuation eine schriftliche und juristisch eindeutige Fixierung der Vertragsbedingungen sowie der Vertragslaufzeit. Die wichtigsten Standardtypen von Finite Risk-Verträgen werden im folgenden Abschnitt vorgestellt.518 b) Standardvertragstypen Generell muss für alle Standardvertragstypen die Finanzierungsart festgelegt werden. So unterscheidet man zwischen vor- und nachfinanzierten Finite-Risk-Verträgen. Bei der erstgenannten Form zahlt der Kunde eine jährliche oder einmalige Prämie auf ein sog. Erfahrungskonto ein; damit werden die vertraglich vereinbarten Anlagerenditen erwirtschaftet und die Schadenszahlungen bzw. Rückzahlungen an den Versicherten vorgenommen. Werden die Schäden, welche der Rückversicherer erleidet, im Nachhinein über einen festgelegten Zeitraum vom Kunden bezahlt, handelt es sich um eine nachfinanzierte Versicherung. Von der gewählten Finanzierungsart hängt es ab, welcher Vertragspartner das Kreditrisiko zu tragen hat. So übernimmt der Kunde bei einem vorfinanzierten Vertrag das Risiko, dass der Rückversicherer seinen Vertragsver-
517 518
Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 27. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 27.
201
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
pflichtungen nicht nachkommt et vice versa. Der wirtschaftliche Nutzen dieser Versicherungstypen wird daher auch von der Bonität der Vertragspartner beeinflusst.519 Grundsätzlich können Finite-Risk-Vereinbarungen in retrospektive und prospektive Vertragstechniken unterteilt werden.520 Bei der ersten Kategorie übernimmt der Rückversicherer bereits eingetretene Schäden aus bestehenden Verträgen des Zedenten, deren Regulierung noch aussteht. Der Rückversicherer wird bei diesen Verträgen mit Sicherheit beansprucht. Ein versicherungstechnischer Risikotransfer findet entweder überhaupt nicht statt (Time & Distance) oder nur eingeschränkt (Loss Portfolio Transfer), soweit hinreichende Unsicherheit in Bezug auf die Zahlungszeitpunkte oder Zahlungshöhe besteht.521 Retrospektive Vertragsformen sind daher von Natur aus nicht zur Deckung von Großschadensereignissen konzipiert und zudem in der Praxis nur noch selten anzutreffen. Handelt es sich um prospektive Verträge, werden - analog zu traditionellen Rückversicherungsformen - Deckungen für noch nicht eingetretene und in der Zukunft zu erwartende Schäden gewährt. Prospektive Finite-Risk-Lösungen dienen primär der Glättung des versicherungstechnischen Ergebnisses und nicht dem Schutz gegen hohe Schäden. Generell sind FR-Verträge daher nicht dazu geeignet, die Zeichnungskapazität für große Naturschadensereignisse, wie z.B. Hurrikans, zu erweitern. In Abbildung 3.18 werden die einzelnen Finite-Risk-Standardverträge diesen beiden Techniken zugeordnet:
Finite Risk Prospektive Vertragsvarianten
Retrospektive Vertragsvarianten -
Time and Distance Loss Portfolio Transfer Adverse Development Cover
-
Financial Quota Share Spread Loss Treaty
Abbildung 3.18: Finite Risk-Standardverträge
519 520 521
Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 27. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 70 ff. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 72.
202
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Im Folgenden werden die in Abbildung 3.18 gezeigten Finite-Risk-Vertragsformen detailliert erläutert. 3.3.2.2 Retrospektive Vertragsvarianten a) Time and Distance Time and Distance-Verträge waren ursprünglich die Standardvariante der Finite-RiskRückversicherung. Aufgrund des äußerst begrenzten Risikotransfers werden sie heutzutage in vielen Fällen jedoch nicht mehr als Versicherungsvertrag anerkannt.522 Das Kernelement dieser retrospektiven Vereinbarung ist der Transfer von Rückstellungen, welche der Erstversicherer für noch nicht abgewickelte Schäden bilden muss. Diese sog. „Schadenrückstellungen“ ersetzt der Rückversicherer durch Bereitstellung finanzieller Mittel, wobei er an ein zu Vertragsbeginn vereinbartes Auszahlungsmuster gebunden ist.523 Die einzelnen Zahlungen basieren auf der geschätzten Schadensreserveabwicklung des Zedenten und sind in Bezug auf Zahlungszeitpunkt und -höhe exakt festgelegt. Zudem sind sie unabhängig von der tatsächlichen Entwicklung der Schäden, so dass sowohl Timing Risiko als auch Underwriting Risiko beim Erstversicherer verbleiben.524 Der Preis für einen Time and Distance-Vertrag ergibt sich im Wesentlichen durch einfache Diskontierung der vereinbarten Zahlungen des Zessionärs unter Berücksichtigung eventueller Gewinn- und Kostenzuschläge. Dabei orientiert sich der zugrunde gelegte Diskontsatz an den erwarteten Kapitalerträgen oder am marktüblichen Zinssatz.525 Die Prämien hängen somit hauptsächlich vom Barwert der erwarteten Schäden ab, welcher den Zeitwert des Geldes explizit berücksichtigt. Wirkung Der Erstversicherer kann den Time and Distance-Vertrag für Finanzierungszwecke einsetzen und gleichzeitig von positiven Auswirkungen auf seine Bilanz profitieren. So verringern sich bei Vertragsschluss seine Schadenrückstellungen um den vom Zessionär übernommenen Anteil. Die Bilanz wird hierdurch verkürzt und es kommt zu
522 523
524 525
Vgl. Barile, A (1991), S. 121 ff. und Broesche, D. (1996), S. 1205. Der Rückversicherer übernimmt dabei nicht das Risiko, dass die tatsächlichen Schadenszahlungen höher sind als die erwarteten. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 28. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 325 sowie Swiss Re (2003 c), S. 28. Bei Time & Distance-Verträgen handelt es hauptsächlich um die Übertragung des Zinsänderungsrisikos vom Erstversicherer auf den Rückversicherer. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 72.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
203
einer kurzfristigen Erhöhung des Eigenkapitals, falls die zu zahlenden Prämien geringer ausfallen als die ursprünglichen Schadenrückstellungen. Daneben führen die Zahlungen des Rückversicherers zu einer Erhöhung des Cashflows. All diese Effekte ermöglichen eine (positive) Beeinflussung von Bilanzkennzahlen und entfalten somit auch abschlusspolitische Wirkungen. Die einzige Unsicherheit, welche der Zessionär zu tragen hat, ist das Kapitalanlagerisiko.526 Durch Investition in Zerobonds kann dieses jedoch weitestgehend ausgeschaltet werden. Deshalb sehen amerikanische Behörden eine Time & DistanceVereinbarung nicht als Versicherungsvertrag sondern als Finanzvertrag an.527 In Großbritannien entfallen fast vollständig die bilanzpolitischen Vorteile für den Erstversicherer, weil der Ausweis der Prämienzahlungen nicht mehr erfolgswirksam in der versicherungstechnischen Rechnung vorgenommen werden kann, sondern im Rahmen des „Deposit-Accounting“' auf der Aktivseite der Bilanz erfolgen muss. Dadurch können die beabsichtigten bilanziellen Effekte nicht mehr erzielt werden, weshalb diese Lösung - in ihrer Reinform - hauptsächlich von historischem Interesse ist. b) Loss Portfolio Transfer Der Loss Portfolio Transfer (LPT) kann als Weiterentwicklung der Time and Distance-Verträge angesehen werden. Zur Anpassung an veränderte rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen wurde bei LPTs eine verstärkte Integration des versicherungstechnischen Risikotransfers vorgenommen. Der Rückversicherer deckt neben den künftigen Zahlungsverpflichtungen aus dem abgeschlossenen Geschäft des Zedenten auch meist dessen Verpflichtungen für Schäden, welche bereits eingetreten und gemeldet sind. Dazu werden die jeweiligen Schadenrückstellungen an den Zessionär transferiert, wodurch der Erstversicherer in der Lage ist, eventuell langwierige und kostenintensive Abwicklungen noch nicht regulierter Schäden abzugeben.528 Das Risiko bezüglich der Zahlungszeitpunkte und Zahlungshöhe geht auf den Rückversicherer über.529
526 527
528 529
Vgl. Huth, J., Dietz, J. und Angermayer, B. (1998), S. 427 f. Nach US-GAAP (Generally Accepted Accounting Principles) werden Verträge nur als „insurance contracts“ akzeptiert, wenn ein wesentlicher Teil des versicherungstechnischen Risikos übertragen wird. Monti, G. R. und Barile, A. (1994), S. 99. LPT-Verträge betreffen meistens Haftpflichtrisiken, bei denen sehr lange Regulierungszeiträume gelten und die Höhe der Entschädigungszahlungen oft unbekannt ist. Vgl. Schönberg, R. (1985), S. 325.
204
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Der Erstversicherer bleibt dennoch im Außenverhältnis gegenüber dem Versicherungsnehmer haftbar.530 Lediglich im Innenverhältnis, d.h. zwischen Zedent und Zessionär, kommt es zu einer Verschiebung der Leistungsverpflichtungen. Aus diesem Grund spielt die Bonität des Rückversicherers für den Zedenten eine wichtige Rolle. Der Loss Portfolio Transfer ist vergleichbar mit dem Schadenportfolioeintritt der klassischen Rückversicherung und stellt keine eigenständige oder neu entwickelte Vertragsform dar. Es bestehen jedoch Unterschiede bei der Ermittlung der jeweiligen Entgelte.531 Prämie Die Versicherungsprämie bei einem LPT ergibt sich hauptsächlich aus dem Barwert der zedierten Rückstellungen zuzüglich eines Kosten-, Gewinn- und Risikozuschlages.532 Sei T die Laufzeit des Vertrages, Džk die prognostizierten Schadenszahlungen zu den Zeitpunkten t k T für k = 1,...,n mit t1 < t2 <...< tn und sei Z > 0 der insgesamt erhobene Zuschlag. Ferner sei mit ik der konstante Zins bezeichnet, welcher in der Zeit tk auf Kapitalerträge erzielt werden kann (bei flacher Zinskurve), dann errechnet sich die Prämie ʌLPT eines Loss Portfolio Transfers folgendermaßen: n
(3.8)
S LPT
1
¦ (1 i k 1
k
)tk
Sˆk Z.
Die Festlegung deterministischer Zeitpunkte für das Eintreten von Schadenszahlungen stellt eine grobe Vereinfachung der Realität dar. In der Praxis werden daher häufig Zeitpunkt und Höhe der Verpflichtungen mit Hilfe stochastischer Größen modelliert, was dazu führt, dass zur Berechnung der Schadensauszahlungen mathematisch kompliziertere Hilfsmittel, wie z.B. stochastische Prozesse (Sˆ( t ) : t T) , notwendig werden.533 Zeitrisiko Im Mittelpunkt der LPT-Verträge steht das Zeitrisiko, welches der Rückversicherer zusammen mit den Schadenrückstellungen übernimmt. Dieses tritt auf, wenn einzelne
530 531 532 533
Vgl. Kiln, R. (1991), S. 385. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 327. Vgl. Swiss Re (1999), S. 20. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 328.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
205
Schäden schneller abgewickelt werden als erwartet und der Zessionär aufgrund des beschleunigten Mittelabflusses nicht in der Lage ist, seine geplanten Kapitalerträge zu erwirtschaften. Infolgedessen müssen die eingerechneten Zinssätze reduziert werden, was zu einer Erhöhung der Schadensbarwerte führt. In Abbildung 3.19 wird dieser Effekt anhand eines vereinfachten Beispiels deutlich. Durch die vorzeitige Abwicklung des Schadens von t3 erhöhen sich die finanziellen Mittel, welche zur Deckung des LPT-Vertrages notwendig sind. Falls in die Prämienkalkulation ausschließlich der Schadensbarwert einbezogen wird, fehlen dem Zessionär 18,76 GE (ca. 3% des zu erwartenden Schadensbarwertes) zur Regulierung der übernommenen Verpflichtungen. Derartige negative Differenzen können jedoch durch entsprechend hohe Risikozuschläge kompensiert werden. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass die zu erbringenden Leistungen insgesamt höher ausfallen als erwartet. Deshalb wird meist eine Höchstschadensgrenze vereinbart, welche die Haftung des Rückversicherers nach oben limitiert.
Abbildung 3.19: Zeitrisiko beim Loss Portfolio Transfer
Zur versicherungstechnischen Umsetzung eines Loss Portfolio Transfers wird üblicherweise auf traditionelle Rückversicherungstechniken zurückgegriffen. Zum Einsatz kommen beispielsweise Schadenexzedenten- oder Quotenverträge mit entsprechend längeren Laufzeiten.534
534
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 330.
206
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Wirkung Der Fokus von LPT-Vereinbarungen liegt auf dem Zeitrisiko, weshalb diese Verträge besonders in Sparten mit langem Schadennachlauf ihre Wirkung entfalten können.535 Die wichtigsten Vorteile dieser FR-Lösung werden im Folgenden geschildert: Ein Loss Portfolio Transfer beschleunigt generell die Abwicklung von selbst versicherten und noch ausstehenden Schäden. Dadurch kann sich der Erstversicherer schneller aus bestimmten Versicherungszweigen zurückziehen.536 Hierdurch lässt sich unter Umständen sowohl die Auflösung einer Captive als auch der Ausstieg aus einer aufgegebenen Geschäftssparte schneller bewältigen, und der Erstversicherer kann seine Aktivitäten anderweitig konzentrieren. LPTs verbessern zudem die Kapitalbasis einer Captive, da die transferierten Verpflichtungen üblicherweise die geleisteten Prämienzahlungen übersteigen. Damit lässt sich die Zeichnungskapazität der Captive erhöhen, ohne dass die Muttergesellschaft ihre Eigenmittel aufstocken muss.537 Durch den Umstand, dass der Erwerber kein Schadensabwicklungsrisiko zu tragen hat, werden außerdem Fusionen oder Akquisitionen von Unternehmen erleichtert. Weil es für externe Interessenten zumeist schwierig ist, sämtliche eingegangenen Verpflichtungen einer Gesellschaft korrekt zu beurteilen, kann durch den Transfer von „unsicheren“ Schadenrückstellungen an einen (Rück-)Versicherer die Planungssicherheit potentieller Investoren erhöht werden. Dies stellt eines der noch verbliebenen Einsatzfelder für LPTs im US-amerikanischen Markt dar.538 Besonders in sog. „Hard-MarketPhasen, d.h. in Zeiten, in denen Märkte durch Kapazitätsengpässe gekennzeichnet sind, kann ein LPT zur Freisetzung von Risikokapital eingesetzt werden. Häufig sind finanzielle Mittel durch unrentables Altgeschäft gebunden, und stehen somit nicht für Investitionszwecke in lukratives Neugeschäft zur Verfügung.539 Zudem können vermeintlich teure und langwierige Schadensabwicklungen mit Hilfe eines Loss Portfolio Transfers abgegeben werden. Gemäß § 253 Abs. 1 HGB ist eine Diskontierung der Schadenreserven nicht gestattet.540 Daher verbessert sich das versi-
535 536 537 538 539 540
Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 72 ff. Vgl. Monti, G. R. und Barile, A. (1994), S. 99. Vgl. Swiss Re (1999), S. 20. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 330. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 28. Dies resultiert aus dem im HGB herrschenden Vorsichtsprinzip der Bilanzierung. Verbindlichkeiten müssen zu ihrem Rückzahlungsbetrag angesetzt werden. Eine Abdiskontierung ist nach HGB nicht zulässig.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
207
cherungstechnische Ergebnis, wenn die zum Schadenportfolio gehörigen Verpflichtungen vollständig an den Rückversicherer transferiert werden, der Preis dafür sich aber am zugehörigen Barwert orientiert. Dieser „Barwerteffekt“ bewirkt in der Regel eine Bilanzverkürzung, Eigenkapitalerhöhung und Umwandlung zukünftiger Kapitalerträge in sofortigen versicherungstechnischen Ertrag und wirkt sich somit positiv auf den Jahresabschluss und im Speziellen auf die Bilanzstruktur aus. Beispiel Im folgenden Beispiel werden die jahresabschlusspolitischen Wirkungen anhand einer stark vereinfachten Bilanz und Erfolgsrechnung aufgezeigt. Hierbei wird unterstellt, dass die zugrunde liegenden handelsrechtlichen Rahmenbedingungen die Finite RiskVereinbarung als Rückversicherung anerkennen. Davon hängt es ab, in welchem Umfang jahresabschlusspolitische, aufsichtsrechtliche und steuerliche Vorteile erzielt werden können.541 Ein Erstversicherer hat im aktuellen Geschäftsjahr für die Sparte Feuerversicherung Schadenrückstellungen in Höhe von 1.200 Mio. GE zu bilden. Ein Loss Portfolio Transfer für 400 Mio. GE ermöglicht ihm, die Hälfte dieser Verpflichtungen an einen Rückversicherer zu zedieren; hierdurch entfällt beim Zedenten die Notwendigkeit zur Bildung entsprechender Rückstellungen in Höhe von 600 Mio. GE. Hinsichtlich der bilanziellen Behandlung eines LPT-Vertrages existieren im Wesentlichen zwei Varianten: x Bei der „Premium Method“ wird das Rückversicherungsentgelt für den LPTVertrag von den verdienten Beiträge (Prämien) des Zedenten abgezogen, wodurch sich diese reduzieren.542 x Dagegen berücksichtigt die „Loss Method“ den LPT-Preis dadurch, dass dieser mit den zedierten Schadenreserven des Erstversicherers saldiert wird. Im Folgenden werden die Auswirkungen des LPTs auf die Bilanz und GuV des Erstversicherers anhand beider Varianten vorgestellt. Jedoch kommt die Loss Method wegen der bestehenden Ähnlichkeit zum Schadenreservenaustritt in der Praxis bevorzugt zur Anwendung.543 In den betreffenden Abbildungen sind zur Verdeutlichung diejeni-
541 542 543
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 330 f. Vgl. Monti, G. R. und Barile, A. (1994), S. 105. Vgl. Thiemermann, M. (1993), S. 256 f.
208
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
gen Positionen fett gedruckt, welche sich durch die bilanzielle Berücksichtigung des LPT direkt verändern.
Abbildung 3.20: Bilanz und GuV bei Anwendung eines LPT (Premium Method)
Abbildung 3.20 zeigt die Veränderung ausgewählter Bilanz- und GuV-Positionen bei Zeichnung eines LPT-Vertrages nach der Premium Method. Ein Blick auf die Gewinnund Verlustrechnung des Zedenten lässt erkennen, dass sich die verdienten Beiträge um das zu leistende Rückversicherungsentgelt von 400 Mio. GE verringert haben. Gleichzeitig nehmen die zu bildenden Schadenrückstellungen in Höhe der transferierten Verpflichtungen um 600 Mio. GE ab. Außerdem wird die Annahme getroffen, dass sich die Kapitalerträge aufgrund des abgeschlossenen LPTs um 20 Mio. GE reduzieren. Dies ist dadurch gerechtfertigt, dass sowohl die verdienten Beiträge als auch die Rückstellungen schrumpfen. Folglich steht durch den Abschluss des LPT-Vertrages weniger Kapital zum Investieren zur Verfügung. Deshalb ist auch ein niedrigeres Kapitalanlageergebnis zu erwarten. Diese Mindereinnahmen schlagen sich einerseits in den Zahlungsmitteln und andererseits im Eigenkapital nieder. Letztgenanntes verändert
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
209
sich in Höhe des Gesamtergebnisses um +180 Mio. GE, während sich auf der Aktivseite die Zahlungsmittel um 420 Mio.544 reduzieren.
Abbildung 3.21: Bilanz und GuV bei Anwendung eines LPT (Loss Method)
Die Bilanzierung nach der Loss Method verursacht ausschließlich Abweichungen in Positionen der Gewinn- und Verlustrechnung, d.h. sämtliche Werte in der Bilanz des Erstversicherers stimmen exakt mit denen der Premium Method überein. Abbildung 3.21 zeigt den Jahresabschluss nach Anwendung der Premium Method. Hierbei ist in der GuV des Zedenten lediglich die Position „Veränderung der Schadenrückstellungen“ durch den Einsatz eines LPT betroffen. Es werden von den ursprünglich zu bildenden Schadenrückstellungen (1.200 Mio. GE) die transferierten Verpflichtungen (600 Mio. GE) abgezogen und das vereinbarte Rückversicherungsentgelt (400 Mio. GE) hinzuaddiert. Damit ergibt sich ein Wert von 1.000 Mio. GE für die Erhöhung der Schadenrückstellungen, wobei sich das versicherungstechnische Ergebnis im Vergleich zur Premium Method nicht verändert.
544
420 Mio. = 400 Mio. (Rückversicherungsentgelt) + 20 Mio. (verminderte Kapitalerträge).
210
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Anhand eines vereinfachten Beispiels wurden die prinzipiellen Veränderungen in Bilanz- und GuV-Positionen vorgestellt, welche durch den Einsatz eines LPTs entstehen. Welchen Einfluss dabei die geänderten Werte auf verschiedene Kennzahlen ausüben, zeigt die folgende Abbildung 3.22:
Kennzahl
ohne LPT
mit LPT
mit LPT
(Premium Method) (Loss Method) Bilanzsumme
4.000
3.580
3.580
600
780
780
Schadenquote545
70,00%
50,00%
60,00%
Kostenquote
35,00%
43,75%
35,00%
-5,00%
+6,25%
5,00%
Eigenkapital
versicheru ngstechnisches Ergebnis verdiente Beiträge
Abbildung 3.22: Vergleich verschiedener Kennzahlen bei LPT-Anwendung
c) Adverse Development Cover Der Adverse Development Cover (ADC) ist ein weiteres Instrument, dem Zedenten Schutz vor Schäden aus bereits abgeschlossenen Verträgen zu gewähren. Hierbei findet jedoch kein Transfer der betreffenden Schadenportfolios statt, vielmehr werden diejenigen Schäden übernommen, welche die gebildeten Schadenrückstellungen des Erstversicherers übersteigen.546 Das Spektrum an Deckungsmöglichkeiten umfasst in der Regel bereits eingetretene, aber noch nicht gemeldete Schäden (IBNR547) sowie unterreservierte Schäden (IBNER548). Im Großen und Ganzen schützt der ADC also vor einer unzureichenden Bildung von Schadenreserven. Die versicherungstechnische Implementierung kann mittels eines
545
Schadenquote = bezahlte Schäden ' Schadenrückstellung
546
Vgl. Kiln, R. (1991), S. 385. IBNR: Incurred But Not yet Reported. IBNER: Incurred and reported But Not Enough Reserved.
verdiente Beiträge 547 548
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
211
Stop Loss-Vertrages oder einer Schadenexzedenten-Rückversicherung erfolgen. 549 Abbildung 3.23 veranschaulicht die unterschiedlichen Deckungsansätze von Loss Portfolio Transfer und Adverse Development Cover:
Abbildung 3.23: Deckungsansätze von ADC und LPT
Der Einsatz dieser Finite-Risk-Lösung ist besonders dann sinnvoll, wenn IBNR- oder IBNER-Reserven handels-, aufsichts- oder steuerrechtlich nicht anerkannt werden.550 Fällt die bilanzrechtlich zulässige Höhe der Schadenrückstellungen nach Meinung des (Rück-) Versicherers zu niedrig aus, kann diese „Bewertungsdifferenz“ mit Hilfe eines Adverse Development Covers abgemildert werden. Die zu entrichtende ADC-Prämie berücksichtigt die erwarteten Kapitalerträge und basiert auf dem Barwert derjenigen Schäden, welche voraussichtlich über der bereits gebildeten Rückstellung liegen. Das bedeutet, auch bei dieser retrospektiven Variante wird der Zeitwert des Geldes zur Gestaltung kosteneffizienter Versicherungslösungen genutzt. Wirkung ADC-Vereinbarungen entfalten ihre Hauptwirkung im Bereich der Unternehmensübernahmen und -fusionen. Da der Erstversicherer neben dem Zeitrisiko auch das Re-
549 550
Vgl. Swiss Re (1997 a), S. 16. Vor allem die Steuerbehörden achten bei der Betriebsprüfung aufmerksam darauf, dass Schadenreserven nicht zu hoch ausfallen, da eine höhere Schadenrückstellung den Gewinn und damit die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung schmälert.
212
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
servierungsrisiko für noch nicht abgewickelte Schäden (zumindest teilweise) an den Zessionär weitergeben kann, wird der Kauf oder die Verschmelzung von Versicherungsunternehmen in noch stärkerem Maße erleichtert als bei LPTs. Der Zedent kann hierdurch die Erfolgswirksamkeit seiner (noch unbekannten) „Altlasten“ besser abschätzen und ist gleichzeitig unabhängiger von der Entwicklung seiner gedeckten Rückstellungen. Dadurch ist ein potentieller Käufer eher in der Lage, den Übernahmekandidaten ohne aktuariellen „Due-Diligence-Prozess“551 zu beurteilen.552 Des Weiteren können Adverse Development Covers den Börsenwert des Zedenten positiv beeinflussen. Aktionäre und Rating-Agenturen erhalten durch Abschluss eines derartigen Vertrages einen Anhaltspunkt über die vermeintliche Höhe von unbekannten und bereits eingetretenen Schäden, welchen sich der Erstversicherer ausgesetzt sieht, und gewinnen somit ein höheres Maß an Klarheit über die tatsächliche Risikolage des Unternehmens. Zusätzlich werden die negativen finanziellen Auswirkungen von „Altlasten“ durch die Deckung der Finite Risk-Rückversicherung reduziert, wodurch sich die Volatilität des versicherungstechnischen Ergebnisses vermindert. Ceteris paribus dürfte hierdurch der Aktienkurs steigen, womit die Wahrscheinlichkeit („feindlicher“) Übernahmeversuche sinkt.553 Es ist grundsätzlich möglich, das Delkredererisiko des Erstversicherers in einen Adverse Development Cover zu integrieren. Hierbei tritt die Deckungsverpflichtung des Finite Risk-Anbieters ein, wenn ein anderer Rückversicherer nicht in der Lage ist, die geschuldeten Schadensleistungen dem Zedenten zu entrichten. Es ist jedoch offensichtlich, dass solche Risiken für den Zessionär schwer kalkulierbar sind und die Prüfung der bestehenden Rückversicherungsbeziehungen wahrscheinlich beträchtliche Kosten verursacht. Ein weiteres Motiv für den Abschluss eines ADC kommt bei Knappheit traditioneller Rückversicherungskapazitäten zum Vorschein. Falls im Rahmen von FRVereinbarungen bereits Teile des Nachreservierungsrisikos gedeckt sind, wird die Platzierung von traditionellen Schadenexzedenten-Verträgen erleichtert. Außerdem
551
552 553
Due Diligence Prozess ist ein Verfahren, mit dem der Investor Hintergrundinformationen über die zu akquirierende Firma gewinnen möchte. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 28 f. Vgl. Swiss Re (1997 a), S. 17.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
213
erhöht der lediglich begrenzte Risikotransfer bei ADCs die Bereitschaft des Rückversicherers, eine entsprechende Deckung zu akzeptablen Preisen anzubieten.554 Beispiel Ein Zessionär bietet einen Adverse Development Cover an, welcher Nachreservierungsrisiken bzgl. IBNR-Schäden und Delkredererisiko des Erstversicherers deckt. Steuerliche Rahmenbedingungen gestatten eine für den Zedenten nur unzureichende Bildung von Rückstellungen in Höhe von 25 Mio. GE. Die Annahmen des Erstversicherers sehen jedoch folgende zukünftige Verpflichtungen vor: x noch ausstehende Schadenszahlungen vergangener Jahre (20 Mio. GE), x IBNR-Schäden (10 Mio. GE) und x Ausfall von Forderungen gegenüber anderen Rückversicherern (5 Mio. GE). Der erwartete Gesamtbedarf des Erstversicherers beträgt folglich 35 Mio. GE. Zur Deckung der unterreservierten Schäden von 10 Mio. GE erwirbt der Zedent einen ADC der Form 10 Mio. GE xs 25 Mio. GE. Das Rückversicherungsentgelt kann dabei mit 2 Mio. GE zuzüglich eines Aufschlages für das Delkredererisiko veranschlagt werden, da der in den Haftungsbereich des Finite-Risk-Anbieters fallende Schaden (ohne Ausfall des Rückversicherers) voraussichtlich 5 Mio. GE555 bei relativ langem Abwicklungszeitraum beträgt. Vorteile entstehen dem Erstversicherer dadurch, dass er die gesamte ADC-Prämie steuerlich geltend machen sowie die gewünschten 35 Mio. GE als Mittel für die Abwicklung der Zeichnungsjahre generieren kann. 3.3.2.3 Prospektive Vertragsvarianten Die folgenden Finite Risk-Lösungen beziehen sich hauptsächlich auf die Deckung des laufenden oder zukünftigen Geschäfts eines Erstversicherers und werden daher unter prospektive Vertragsvarianten subsumiert. a) Financial Quota Share Der Financial Quota Share (FQS) zählt zu den ältesten Vertragsformen im Bereich der Finite Risk-Rückversicherung.556 Es handelt sich dabei um einen klassischen Quoten-
554 555 556
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 334. 5 Mio. = 30 Mio. (Schäden) – 25 Mio. (Priorität). Zur grundsätzlichen Bedeutung von FQS-Verträgen als Aufbaufinanzierung, vgl. Arnoldussen, L. (1991), S. 161 ff. und Barile, A. (1995), S. 8.
214
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
vertrag, welcher mit Zusatzvereinbarungen ausgestattet ist, um die überwiegend finanz- und erfolgswirtschaftlichen Zielsetzungen des Erstversicherers zu erfüllen. 557 Diese zusätzlich getroffenen Abmachungen enthalten neben einer expliziten Beschränkung des übernommenen versicherungstechnischen Risikos auch meist vertraglich fixierte längere Laufzeiten, weshalb eine Einordnung in den Finite Risk-Bereich gerechtfertigt ist. Im Rahmen von FQS-Vereinbarungen existieren verschiedene Möglichkeiten zur Begrenzung des versicherungstechnischen Risikotransfers. Die sog. „Staffelprovision“ koppelt die zu entrichtende Provision des Rückversicherers an die Schadenquote des vertraglich festgelegten Versicherungsbestandes. Dabei verringern sich die Provisionszahlungen an den Zedenten, falls die Schadenaufwendungen in Relation zu den verdienten Beiträgen ansteigen. Im Gegensatz dazu erhöht der Zessionär bei einer „inversen Staffelprovision“ seine Leistungen, wenn der Erstversicherer aufgrund einer angewachsenen Schadenquote diese am dringendsten benötigt. Diese „antizyklische Quote“ ist jedoch untrennbar mit der Moral-Hazard-Problematik verbunden.558 Eine extreme Variante der Staffelprovision ist die sog. „Gesamtquote“, welche sich additiv aus Schadenquote und Rückversicherungsprovision zusammensetzt.559 In diesem Fall ergibt sich die Provisionshöhe des Rückversicherers aus der Differenz von stets gleicher Gesamtquote und aktueller Schadenquote. Indem der Zessionär ein Niveau der Gesamtquote unterhalb von 100% festlegt, kann er eine feste Gewinnmarge in den Vertrag einrechnen. Ein weiteres Mittel, das Underwriting Risiko einzuschränken, ist die Verwendung eines (verzinsten) „Differenzkontos“.560 Dieses weist den Unterschied des tatsächlichen Ergebnisses im Bezug zu einem Referenzergebnis des Rückversicherers aus. Auf diese Weise können entsprechende Ausgleichszahlungen vereinbart werden, die beim Auftreten von negativen oder positiven Saldi getätigt werden müssen. Wenn als Referenzergebnis das versicherungstechnische Nullergebnis gewählt wird, entspricht das Differenzkonto dem sog. „Erfahrungskonto“ anderer prospektiver Finite Risk-Verträge. Es können jedoch auch weitere Bezugsgrößen, wie z.B. Gewinn- oder Kostenmargen des Zessionärs, herangezogen werden.
557 558 559 560
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 335. Vgl. Swiss Re (1997 a), S. 19. Vgl. Kalusche, A. und Schmidt, M. (1993), S. 581. Vgl. Arnoldussen, L. (1991), S. 165.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
215
Im Folgenden werden die gebräuchlichsten Anwendungsbereiche von Financial Quota Share-Rückversicherungen vorgestellt. x Aufbauhilfe In den USA sowie in Deutschland haben FQS-Verträge große Bedeutung erlangt, die zur Finanzierung von Abschlusskosten eingesetzt werden. Aufgrund der lokalen Bilanzierungsvorschriften müssen Versicherungsunternehmen beider Länder sämtliche Aufwendungen, die mit der Akquisition neuer Policen zusammenhängen, direkt erfolgswirksam verbuchen. Ferner besteht nach deutschem Recht ein Aktivierungsverbot für Abschlusskosten von Versicherungsverträgen gemäß § 248 Abs. 3 HGB. Vor allem bei jungen und stark expandierenden Erstversicherern führen diese Regelungen zu beträchtlichen Verzerrungen in der Bilanz und Erfolgsrechnung. So vermindert sich das Eigenkapital dadurch, dass zu Vertragsbeginn ein hoher Aufwand ausgewiesen werden muss, dem jedoch erst in den Folgejahren ein entsprechender Ertrag durch die vereinnahmten Prämien gegenübersteht. Insbesondere in den Sparten der Lebens- und Unfallversicherung kommt es demzufolge zu starken Einschränkungen der Zeichnungskapazität, weil hier die Aufwendungen zu Vertragsbeginn relativ hoch ausfallen.561 Im Rahmen der FQS-Vereinbarung wird nun ein Teil der nicht verdienten Prämien des Erstversicherers an den Finite Risk-Rückversicherer zediert. Im Gegenzug erhält der Zedent eine Provision, mit der die temporäre Eigenkapitalminderung korrigiert werden kann. Im Grunde leistet der Rückversicherer somit eine Aufbauhilfe für das Neugeschäft, indem er einen Vorschuss auf die zukünftig zu verdienenden Prämien des Erstversicherers gewährt. Dabei werden die Rückversicherungskonditionen so vereinbart, dass bei planmäßigem Verlauf der Originalversicherung die vorfinanzierten Beträge mit Zinsen an den Zessionär zurückfließen. x Surplus Relief-Vertrag Eine weitere Ausprägung des Financial Quota Shares sind die sog. „Surplus Relief“Verträge. Diese Vereinbarungen dienen primär der Erfüllung aufsichtsrechtlicher Solvabilitätsanforderungen,562 zu deren Bestimmung weltweit sehr unterschiedliche Verfahren eingesetzt werden. Anhand der einfachsten Variante, der sog. „x %-Regel“, lässt sich deutlich erkennen, dass eine Quoten-Rückversicherung mit entsprechenden
561 562
Vgl. Gerathewohl, K. (1979), S. 514. Vgl. Kiln, R. (1991), S. 44 f.
216
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Zusatzvereinbarungen als Ersatz für fehlende Eigenmittel dienen kann. Die Vorschrift lautet: (3.9)
Eigenmittel Beitragseinnahmen für eigene Rechnung
t x %.
Durch den Abschluss eines Surplus Relief-Vertrages verringern sich die Prämieneinnahmen des Erstversicherers um den in Rückdeckung gegebenen Anteil; der verbleibende Rest im Bestand des Zedenten wird als Beitragseinnahmen für eigene Rechnung (f.e.R.) bezeichnet. Da sich diese Einnahmen mit dem Surplus Relief-Vertrag reduzieren, müssen insgesamt weniger Eigenmittel aufgebracht werden, um einen vorgegebenen Schwellenwert von x % (häufig 20 %) zu erreichen. x Kredit- und Anlagevariante Im Bereich der FQS-Rückversicherungen treten auch sog. Kredit- und Anlagevarianten auf. Erstgenannte Ausprägung ist dadurch gekennzeichnet, dass die festgelegte Selbstbehaltsquote des Zedenten sehr gering ausfällt und somit der Rückversicherer den Großteil der Haftung übernehmen muss. Zusätzlich wird vereinbart, dass Zahlungsvorgänge vom Rück- an den Erstversicherer beschleunigt durchgeführt werden, um dem Zedenten möglichst viele Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Dies kann beispielsweise dadurch bewerkstelligt werden, dass die Rückversicherungsbeiträge und -provisionen vierteljährlich gezahlt werden, während die Schadensleistungen des Zessionärs unmittelbar erfolgen.563 Dagegen versuchen die Zusatzvereinbarungen der Anlagevariante die Zahlungsströme vom Rück- zum Erstversicherer zu verlangsamen und den gegenläufigen Leistungsfluss zu erhöhen.564 Die gewünschten Cashflows können dabei durch ein Depot beim Rückversicherer erreicht werden, in das zu Vertragsbeginn die Beiträge eingestellt werden. Die Abrechnungen für Provisionen und Schadenszahlungen des Rückversicherers erfolgen dann üblicherweise in jährlichen Abständen. Wirkung Aus diesen Anwendungsbeispielen wird deutlich, dass die Financial Quota ShareRückversicherung zur Umsetzung verschiedener finanz- und erfolgswirtschaftlicher Zielsetzungen benutzt werden kann, jedoch keinen Schutz gegen Großschadensereig-
563 564
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 336. Vgl. Arnoldussen, L. (1991), S. 162.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
217
nisse bietet. Die wichtigsten Vorteile aus Sicht des Erstversicherers sind zusammengefasst: x Glättung des versicherungstechnischen Ergebnisses, x Erhöhung und Verstetigung der Zeichnungskapazität und x Erfüllung aufsichtsrechtlicher Solvabilitätsvorschriften.
Beispiel Das folgende Beispiel ist dem Bereich der Aufbauhilfe zuzuordnen, welche in der Literatur häufig als einzige Ausprägung von FQS-Verträgen erwähnt wird. Hierbei werden mittels einer Quoten-Rückversicherung unverdiente Beiträge des Erstversicherers an den Rückversicherer zediert. Als Gegenleistung beteiligt sich der Zessionär anteilig am entstandenen Schaden. Die konkrete Ausgestaltung des FQS beinhaltet eine 50%Quote mit einer Laufzeit von vier Jahren, d.h. der Zedent überträgt jeweils zu Beginn der Periode die Hälfte seiner Prämieneinnahmen auf den Zessionär, welcher entsprechend 50% der eingetretenen Schäden übernimmt. Gleichzeitig wird in den Zusatzbedingungen festgelegt, dass die Rückversicherungsprovision mindestens so hoch sein muss, dass das versicherungstechnische Ergebnis des Erstversicherers nicht negativ ausfällt. Des Weiteren wird vereinbart, dass am Laufzeitende, respektive nach vier Jahren, das FQS-Ergebnis zwischen beiden Vertragspartnern im Verhältnis eins zu eins aufgeteilt wird. Abbildung 3.24 zeigt die Ergebnisentwicklung beider Vertragspartner anhand eines unterstellten Schaden- und Kostenverlaufs. Die erhöhten Verwaltungskosten in den ersten beiden Jahren und die gestiegenen Beitragseinnahmen in den Folgejahren sind ein Indiz dafür, dass der Erstversicherer zunächst eine Expansionsstrategie verfolgt hat. Das damit verbundene negative Ergebnis im Jahr 01 und 02 wird durch die Rückversicherungsprovision auf ein versicherungstechnisches Ergebnis (f.e.R.) von Null ausgeglichen. In den letzten beiden Jahren erzielt der Zedent ein positives Ergebnis, so dass der Zessionär keine weiteren Provisionen leisten muss. Insgesamt werden die zunächst negativen FQS-Ergebnisse zu Vertragsbeginn durch die guten Resultate der Jahre 03 und 04 überkompensiert. Der sich
218
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
ergebende Schlusssaldo beim Rückversicherer von +850 GE wird gemäß der vertraglich fixierten Regelung gleichmäßig untereinander aufgeteilt.565
Position
Jahr 01
Jahr 02
Jahr 03
Jahr 04
1.000
1.500
2.000
2.000
-500
-750
-1.000
-1.000
Verwaltungskosten
-700
-700
-500
-500
Schäden
-700
-800
-500
-800
350
400
250
400
-550
-450
250
100
550
450
+/- 0
+/-0
Versicherungstechnisches Ergebnis f.e.R.
+/- 0
+/- 0
250
100
FQS-Ergebnis beim Rückversicherer
-400
-100
750
600
Gezeichnete Beiträge davon an Rückversicherer (50%-Quote)
davon vom Rückversicherer Ergebnis vor Rückversicherungsprovision Rückversicherungsprovision
Abbildung 3.24: Ergebnisentwicklung von Zedent und Zessionär bei einem FQS
Hierbei ist zu beachten, dass der Rückversicherer auch ohne explizit festgelegte Gewinnmarge auf Erträge aus dem Zeitwert des Geldes spekulieren kann, weil die Beiträge jeweils zu Beginn der Periode übertragen werden, jedoch die Schadenszahlungen erst im Nachhinein erfolgen. b) Spread Loss Treaty Ein weiterer Standardvertrag der prospektiven Finite Risk-Rückversicherung ist der Spread Loss Treaty (SLT). Seine Entstehung resultiert aus dem Umstand, dass Erstversicherer zwar in der Lage sind, ihre Gesamtschäden künftiger Perioden relativ sicher abzuschätzen, aber dennoch große Schwierigkeiten haben, die Verteilung der Aufwendungen für die einzelnen Jahre zu bestimmen. Somit sind die Versicherungsunternehmen neben dem Underwriting Risiko auch einem signifikanten Timing Risiko ausge-
565
Der Zessionär muss in diesem Fall dem Erstversicherer 425 GE zurückerstatten.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
219
setzt.566 Der Spread Loss Treaty dient hauptsächlich der periodischen Ergebnisglättung beim Zedenten.567 Das Hauptziel von SLTs ist es daher, Schwankungen im (versicherungstechnischen) Ergebnisverlauf des Zedenten durch einen Ausgleich in der Zeit zu glätten und damit das Timing Risiko zu reduzieren.568 Notwendige Bedingung hierfür ist eine langfristige Laufzeit der Verträge. Deren Ausgestaltung basiert meist auf einer Schadenexzedenten-Rückversicherung, wobei sich der Preis analog zu retrospektiven Finite-RiskLösungen an den zu erwartenden diskontierten Schadensleistungen (zuzüglich eines Gewinn- und Kostenzuschlages) des Zessionärs orientiert. Die Prämien werden im Voraus festgelegt und in der Regel jährlich - nach Abzug eventueller Gewinn- und Kostenmargen - auf ein sog. „Erfahrungskonto“ beim Rückversicherer eingezahlt.569 Generell werden sämtliche Ein- und Auszahlungen der Vertragspartner über dieses Konto abgewickelt, wodurch eine transparente Regulierung des Kontraktes ermöglicht wird.570 Des Weiteren kann auf diese Weise der Zeitwert des Geldes in Form von Soll- und Habenzinsen in den Vertrag integriert werden. Die Bezeichnung Erfahrungskonto ist darauf zurückzuführen, dass der ausgewiesene Kontostand die Schadenserfahrung des Zedenten widerspiegelt. Dabei gleicht der Erstversicherer einen negativen Saldo durch höhere Prämienzahlungen bzw. vereinbarte Zusatzentgelte über die Zeit aus; im Falle eines positiven Ergebnisses wird die Summe nach vertraglich vereinbarten Konditionen zwischen Erst- und Rückversicherer aufgeteilt. Der Spread Loss Treaty weist somit zwei charakteristische Merkmale auf: x Zum einen werden die Prämien über die gesamte Vertragslaufzeit auf einem verzinslichen Konto beim Rückversicherer angespart.571 x Zum anderen werden die anfallenden Schäden über einen mehrjährigen Zeitraum verteilt; daher auch der englische Begriff „Spread Loss“.
566 567 568 569 570 571
Vgl. Swiss Re (1997 a), S. 20. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 80. Vgl. Thiemermann, M. (1993), S. 263. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S 80 f. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 340. Ein derartiger Aufbau von finanziellen Mitteln beim Rückversicherer ohne versicherungstechnischen Risikotransfer wird in der Fachliteratur auch als „Funded Cover“ bezeichnet. Vgl. Thiemermann, M. (1993), S. 263 und Liebwein, P. (2000), S. 341.
220
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Wirkung Der Erstversicherer kann durch den Abschluss eines SLT-Vertrages von zahlreichen Vorteilen profitieren. Neben der bereits angesprochenen Ergebnisglättung durch einen vertragsindividuellen Ausgleich in der Zeit bewirkt diese Form der Rückversicherung auch einen Transfer des Zahlungszeitpunktrisikos auf den Zessionär. Hierdurch muss der Rückversicherer Schäden, welche die angesparten Mittel des Erfahrungskontos übersteigen, vorfinanzieren und somit dem Erstversicherer einen „Kredit“ zur Verfügung stellen.572 Der Spread Loss Treaty darf jedoch nicht als Sparkonto mit Kreditlinie aufgefasst werden, weil der Finite Risk-Rückversicherer verschiedene Risiken übernehmen muss, was bei einem reinen Sparkonto nicht der Fall ist. So trägt er beispielsweise das Risiko, dass zum Ende der Vertragslaufzeit der Saldo des Erfahrungskontos negativ ausfällt, ohne dass ein vollständiger Ausgleich mit dem Zedenten vereinbart ist. Ein weiterer positiver Effekt ist in der Verstetigung der Zeichnungskapazität zu sehen. SLTs begünstigen aufgrund ihrer ergebnisglättenden Wirkung eine kontinuierliche Underwriting-Politik, wodurch sich die Planungssicherheit bei zukünftigen geschäftspolitischen Strategien erhöht. Die Kontinuität der Zeichnungspolitik kann zudem die Rückversicherungskosten stabilisieren und von bestehenden Marktzyklen abkoppeln. Dadurch ist der Zedent in der Lage, seine Management-Ressourcen auf die Verbesserung der versicherungstechnischen Ergebnisse zu konzentrieren.573 Im Großen und Ganzen wirken SLTs ähnlich wie betragsmäßig unbegrenzte Schwankungsrückstellungen 574 , welche das Timing Risiko weitgehend ausschalten. Da in Deutschland relativ starre aufsichtsrechtliche Berechnungsvorschriften für Schwankungsrückstellungen beachtet werden müssen, kann der SLT als flexibles Instrument für den Ausgleich in der Zeit eingesetzt werden.
572
573 574
Der Rückversicherer trägt somit die Gefahr frühzeitiger Entschädigungszahlungen und damit verbunden das Risiko, nur in geringerem Umfang als erwartet Vermögensanlageerträge zu erzielen. Vgl. Barile, A. (1991), S. 21 ff. und Broesche, D. (1996), S. 1205. Vgl. Swiss Re (1997 a), S. 22. Für die Glättung über die Zeit müssen die Versicherungsunternehmen in guten (= schadenarmen Jahren) eine Schwankungsrückstellung bilden (§ 241 h Abs. 1 HGB i.V.m. § 29 RechVersV). In schadenreichen Jahren müssen die zuvor gebildeten Rückstellungen aufgelöst werden. Die Bildung bzw. die Auflösung der Schwankungsrückstellung unterliegen jedoch strengen gesetzlichen Vorschriften und entsprechen meist nicht den risikopolitischen Vorstellungen der betroffenen Versicherungsunternehmen.
221
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
Beispiel Das nachfolgende Beispiel verdeutlicht die bilanziellen Auswirkungen eines Spread Loss Treaty beim Erstversicherer und zeigt den entsprechenden Verlauf des Erfahrungskontos beim Rückversicherer.575 Der Zedent vereinbart mit dem Rückversicherer einen SLT in der Form 30 Mio. GE xs 10 Mio. GE bezogen auf den Jahresgesamtschaden mit einer Laufzeit von fünf Jahren und einem Gesamthaftungslimit von 100 Mio. GE. Die veranschlagte Prämie beträgt jährlich 10 Mio. GE und ist vorschüssig auf das Erfahrungskonto einzuzahlen, wobei die Schadensleistungen des Zessionärs jeweils zum Ende des Jahres erfolgen. Weist das Erfahrungskonto einen negativen Saldo auf, so leistet der Erstversicherer ein Zusatzentgelt in Höhe von 5 Mio. GE, solange bis der Fehlbetrag getilgt ist; das Erfahrungskonto wird mit 10 % p. a. verzinst (Haben- und Sollzins). Kosten- und Gewinnmargen des Rückversicherers werden der Einfachheit halber vernachlässigt. Bei einem positiven Schlusssaldo erhält der Zedent 50% als Gewinnbeteiligung; bei einem negativen Ergebnis hat der Erstversicherer 50% der Überschadenselbstbeteiligung zu tragen. Die folgenden GuV-Positionen skizzieren das versicherungstechnische Ergebnis des Zedenten ohne Abschluss eines SLT-Vertrages (in Mio. GE):
Position
Jahr 01 Jahr 02 Jahr 03 Jahr 04 Jahr 05
Verdiente Beiträge
+30
+30
+30
+30
+30
Schäden
-30
-40
-10
-10
-20
Akquisitions- und Betriebskosten
-10
-10
-10
-10
-10
Versicherungstechnisches Ergebnis
-10
-20
+10
+10
+/- 0
Abbildung 3.25: Erfolgsrechnung ohne Stop Loss Treaty
In Abbildung 3.26 wird der Verlauf des Erfahrungskontos dargelegt, welcher sich bei Abschluss der oben beschriebenen SLT-Vereinbarung ergibt (in Mio. GE).
575
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 348.
222
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Position
Jahr 01
Jahr 02
Jahr 03
Jahr 04
Jahr 05
Prämie
+10
+10
+10
+10
+10
+5,0
+5,0
+5,0
Zusatzentgelt Habenzins
+1,0
+0,6
Sollzins
+0,6
+1,6
-0,8
Exzess-Schäden
-20
-30
+/- 0
+/- 0
-10
Saldo
-9,0
-14,4
+14,2
+15,6
+1,6
Kontostand
-9,0
-23,4
-9,2
+6,4
+8,0
Abbildung 3.26: Erfahrungskonto eines Stop Loss Treaty
Hierbei ist zu beachten, dass weder die Gesamtschadenshaftung noch die jährliche Haftungssumme während der Vertragslaufzeit überschritten wird. Die Grundlage für die Berechnung der Zinsen ist die Summe der zu Beginn des Jahres eingezahlten Prämien (einschließlich Zusatzentgelt) und dem Kontostand des Vorjahres. In der Praxis werden meist unterschiedliche Zinssätze für Soll- und Habenzins vereinbart; in diesem Beispiel betragen jedoch beide einheitlich 10% pro Jahr. Am Ende des Jahres 05 weist der Stand des Erfahrungskontos eine Summe von +8,0 Mio. GE aus, von denen der Erstversicherer gemäß Vereinbarung die Hälfte als Gewinnanteil erhält. Die vereinfachte Erfolgsrechnung des Zedenten mit einem Spread Loss Treaty sieht daher wie in Abbildung 3.27 aus (in Mio. GE). An diesem Beispiel lässt sich erkennen, dass der Spread Loss Treaty glättend auf das versicherungstechnische Ergebnis des Zedenten einwirkt. Da weder Gewinn- noch Kostenmargen eingerechnet wurden, ist dieser Effekt hauptsächlich auf die Integration von Soll- und Habenzinsen zurückzuführen. Um den Einfluss dieser Rückversicherung in der Praxis feststellen zu können, müssten daher auch entsprechende Zinszahlungen in der Erfolgsrechnung ohne SLTVertrag berücksichtigt werden.
223
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
Position
Jahr 01
Jahr 02
Jahr 03
Jahr 04
Jahr 05
+30
+30
+30
+30
+30
-10
-15
-15
-15
-10
Schäden
-30
-40
-10
-10
-20
Exzess-Schäden
+20
+30
+/- 0
+/- 0
+10
Akquisitions- und Betriebskosten
-10
-10
-10
-10
-10
+/- 0
-5
-5
-5
+/- 0
Verdiente Beiträge davon an Rückversicherer
Versicherungstechnisches Ergebnis
Abbildung 3.27: Erfolgsrechnung mit Stop Loss Treaty
Die Auswirkungen des SLT auf das versicherungstechnische Ergebnis X lassen sich anhand verschiedener statistischer Kennzahlen verdeutlichen.576 Ins Auge sticht dabei vor allem die signifikante Abnahme der Varianz, welche häufig zur Bestimmung der Schwankungsanfälligkeit verwendet wird (vgl. Abbildung 3.28).
Kennzahl
ohne SLT
mit SLT
170,0
7,5
Standardabweichung (ı)
13,0
2,7
Variationskoeffizient (Vko)
-6,5
-0,9
Varianz (Var)
Abbildung 3.28: Kennzahlen mit und ohne SLT
576
Der Berechnung liegen folgende Formeln zugrunde: T 1 T 1 (¦ X 2t T ( ¦ X t ) 2 ) Var (X) T t1 T 1 t 1
V( X ) Vko(X)
Var(X) V(X) E(X)
224
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
3.3.3 Integrierte Multiline/Multiyear- und Multi-Trigger-Produkte Seit Mitte der 1990er Jahre setzen Versicherungsunternehmen die Zession immer häufiger gezielt als strategisches Instrument für Risiko- und Kapitalmanagement ein. Hierdurch sind die Ansprüche an die Funktionalitäten von Rückversicherungsprogrammen stark gestiegen, und es wurden neue Methoden notwendig, um die veränderten Kundenbedürfnisse befriedigen zu können.577 So kam es zur Entwicklung von integrierten Multiline/Multiyear- und Multi-Trigger-Produkten, bei denen der Zusammenschluss verschiedener Risikoklassen – meist über mehrere Jahre hinweg – im Vordergrund steht.578 Diese Lösungen können Deckungen für traditionelle als auch nichttraditionelle Risiken des Zedenten unter einem Versicherungsvertrag vereinigen, wobei hauptsächlich eine Kombination aus Versicherungs- und Finanzrisiken anzutreffen ist. Die bisher vorgestellten traditionellen und modernen Rückversicherungsverträge waren lediglich in der Lage, Einfluss auf das versicherungstechnische Ergebnis zu nehmen. Mit den integrierten Produkten kann der Erstversicherer den Versicherungsschutz auch auf andere Unternehmensbereiche ausdehnen und den Vertrag somit zum Schutz vor negativen Entwicklungen seines (gesamten) operativen Ergebnisses einsetzen.579 3.3.3.1 Integrierte Multiline/Multiyear-Produkte Die integrierten Multiline/Multiyear-Produkte (MMP) stellen eine effiziente und effektive Alternative zu den klassischen Monoline-Rückversicherungsprogrammen dar. Hierbei werden Deckungen für mehrere Sparten unter einem nicht-proportionalen (Rück-) Versicherungsvertrag zusammengefasst. Bereits im Jahr 1920 wurden vergleichbare Verträge in Form von kombinierten Reiseversicherungen, bestehend aus Reisegepäck-, Unfall- und Haftpflichtversicherung, angeboten. Heutzutage werden im Rahmen von MMPs neben traditionellen Versicherungsrisiken, wie Feuer- und Haftpflichtrisiken, auch Finanzrisiken, insbesondere Wechselkurs- oder Marktpreisrisiken, in dem Versicherungsprodukt integriert. Dabei werden die einzelnen Deckungen nicht einfach aggregiert, vielmehr findet eine pauschale Festlegung der zur Verfügung stehenden Deckungskapazität und Rückversicherungsprämie für alle eingeschlossenen Sparten statt. Aus diesem Grund ist selbst eine theoretische Auf-
577 578 579
Vgl. Swiss Re (2000), S. 7. Vgl. Harrington, S. E. und Niehaus, G. R. (1999), S. 259 f. Vgl. Swiss Re (1998), S. 7.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
225
teilung bzw. Zuordnung der Kapazität und Prämie auf die einzelnen Sparten nicht möglich. MMPs können in Abhängigkeit von der zugrunde gelegten (nicht-proportionalen) Vertragsart in verschiedenen Ausprägungen vorkommen. Da solche Rückversicherungsverträge in der Praxis jedoch (noch) keine weite Verbreitung gefunden haben, beschränkt sich diese Ausarbeitung auf die Vorstellung des sog. Multiline-Stop Loss. Es werden zwei Varianten dieses Versicherungsproduktes unterschieden, welche im Folgenden genauer vorgestellt werden. a) Multiline-Stop Loss auf Selbstbehalt Diese spezielle Form der Jahresüberschaden-Rückversicherung besteht aus einem Vorweg-Rückversicherungsprogramm und der eigentlichen Stop Loss-Deckung. Dabei bezieht sich der spartenübergreifende Schutz des Stop Loss auf den Teil des Geschäfts, welcher nach Abzug der vorgeschalteten Rückversicherungsverträge im Selbstbehalt des Zedenten verbleibt.580
Abbildung 3.29: Multiline-Stop Loss auf Selbstbehalt
580
Vgl. Swiss Re (2000), S. 8.
226
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Die prinzipielle Wirkungsweise dieser Variante auf den Bestand eines Erstversicherers veranschaulicht Abbildung 3.29.581 Hierbei werden die Schäden der einzelnen Sparten, welche im Selbstbehalt des Zedenten verbleiben, aggregiert im Multiline-Stop Loss berücksichtigt. Die Festlegung der Priorität des MMPs erfordert immenses versicherungstechnisches Know-how und eine enge Zusammenarbeit der Vertragspartner. Um eine unerlaubte Gewinngarantie für den Erstversicherer weitestgehend auszuschließen, kann zusätzlich eine Selbstbeteiligung an der Stop Loss-Deckung vereinbart werden. Die Multiline-Lösung ist nicht dazu gedacht, Lücken der vorgeschalteten Rückversicherungen aufzufangen; vielmehr soll die maximale Nettoschadenquote des Zedenten nach oben begrenzt werden. Die Vorweg-Zessionen dienen hierbei dem Zweck, die Haftungen aus den gedeckten Sparten auf einem (für den Stop Loss) angemessenen Niveau zu halten und gleichzeitig die Schwankungen der Schadenslasten in den einzelnen Bereichen zu verringern. Das Diversifikationspotenzial des Erstversicherers wird dadurch optimal ausgenutzt und das zum Zessionär transferierte Risiko wird, im Vergleich zu einem traditionellen Programm, üblicherweise reduziert. Damit ist es möglich, eine Steigerung des Gewinnpotenzials und allgemein eine schlanke und übersichtliche Struktur beim Erstversicherer zu erreichen.582 b) Multiline-Stop Loss auf Vertragsportfolio Der Multiline-Stop Loss auf Vertragsportfolio weist keine großen Unterschiede zu der eben beschriebenen MMP-Variante auf. Allerdings werden hier nicht die Selbstbehalte, respektive Prioritäten, des Erstversicherers gedeckt, sondern die Teile des Versicherungsportfolios, welche an eine Captive oder an eine gruppeninterne Rückversicherungsabteilung zediert werden. Bei der Ausgestaltung des Vertrages spielt somit das „interne“ Rückversicherungsprogramm eine wichtige Rolle. In Abbildung 3.30 ist eine mögliche Konstruktion dieser Vertragsart dargestellt, welche die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu einem Stop Loss auf Selbstbehalt erkennen lässt.
581 582
In Anlehnung an Swiss Re (2000), S. 8 f. Vgl. Swiss Re (2000), S. 11.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
227
Abbildung 3.30: Multiline-Stop Loss auf Vertragsportfolio
In diesem Zusammenhang gilt es jedoch zu beachten, dass die Risiken, welche unter den Stop Loss fallen, aufgrund der vorgeschalteten internen Rückdeckung, vom Basisgeschäft abgespalten werden und somit ihre Volatilität - mit Ausnahme von Quotenverträgen - ansteigt. Deshalb ist die Festlegung angemessener Prioritäten bei den Vorweg-Deckungen außerordentlich wichtig, um den MMP-Vertrag vor großen Schwankungen zu schützen.
c) Vor- und Nachteile von MMPs In diesem Abschnitt werden die generellen Vor- und Nachteile zusammengefasst, welche mit dem Abschluss einer MMP-Rückversicherung einhergehen. ¾ Der Anbieter von Multiline/Multiyear-Produkten kann sich unternehmensimmanente Diversifikationseffekte zwischen den verschiedenen Risiken zunutze machen. So sind mehrere (meist gravierende) Schäden notwendig, um in Summe die Höhe der spartenübergreifenden Priorität übersteigen zu können. Da die Wahrscheinlichkeit hierfür geringer ausfällt als bei vergleichbaren Ein-
228
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
zelverträgen, sinkt die zu erwartende Leistungspflicht des Zessionärs.583 Dieser sog. „Cross-Selling“-Effekt schützt den Rückversicherer jedoch nicht vor einer ineffektiven Zeichnungspolitik des Zedenten, weil sich in diesem Fall überdurchschnittliche Schäden auf das gesamte Portfolio und somit auf sämtliche Sparten auswirken können. ¾ Die Vereinigung unkorrelierter Risiken zu einem versicherten Portfolio bietet für den Erstversicherer die Möglichkeit eines effizienten Risikotransfers und hilft zugleich die Gefahr einer Überversicherung zu vermeiden. Dadurch sinken die administrativen Kosten bei beiden Vertragspartnern und unnötige Prämienzahlungen auf Seiten des Zedenten werden vermieden. ¾ Im Allgemeinen besitzen MMPs für die gesamte (mehrjährige) Laufzeit fixe Entgeltvereinbarungen. Hierdurch sinkt die Abhängigkeit von Versicherungsmarktzyklen während dieses Zeitraums und die Schätzungen von zukünftigen Prämienaufwendungen werden erleichtert; zudem reduzieren sich die Verwaltungskosten, weil keine jährliche Neubewertung - wie bei einjährigen traditionellen Verträgen - notwendig ist. ¾ Als großer Nachteil dieser Vereinbarung ist die ausschließliche Abhängigkeit von einem Rückversicherungsunternehmen zu sehen. 584 Durch die Konzentration auf einen Zessionär steigt das allgemeine Kreditrisiko beim Versicherten stark an, weil sich eine Gefährdung der Bonität des Rückversicherers auf sämtliche Sparten auswirkt, welche mit der Deckung des MMPs in Verbindung stehen. Dies ist gleichzeitig ein Hauptgrund dafür, warum sich derartige Produkte bisher nicht durchsetzen konnten. Weitere Ursachen sind die hohen analytischen Fähigkeiten, welche zur integrierten Bewertung von verschiedenen Risiken erforderlich sind, und die betriebliche Organisationsstruktur, die einer integrierten Steuerung verschiedener Risiken häufig im Wege steht.
583 584
Damit sinken auch die Kosten für den Rückversicherungsschutz, vgl. Swiss Re (1998), S. 21. Vgl. Swiss Re (1999), 25.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
229
3.3.3.2 Integrierte Multi-Trigger-Produkte a) Definition Bei integrierten Multi-Trigger-Produkten (MTPs) handelt es sich um Rückversicherungsvereinbarungen, deren Deckung erst dann einsetzt, wenn Schäden einer Periode in mehreren Unternehmensbereichen des Zedenten zur Über- oder Unterschreitung vorher festgelegter Schwellenwerte führen.585 Die Schadenszahlungen des Zessionärs erfolgen nämlich nur dann, wenn neben mindestens einem Versicherungsschaden (First Trigger) gleichzeitig mindestens ein Nicht-Versicherungsereignis (Second Trigger) eintritt.586 Der Phantasie bei der Verknüpfung verschiedener Trigger sind keine Grenzen gesetzt; so können beispielsweise bestimmte Verluste im Kapitalanlagegeschäft oder in anderen Unternehmensfeldern des Erstversicherers als Auslöser des nicht-versicherungstechnischen Schadensfalles fungieren.587 Im Unterschied zum MMP findet somit keine Betrachtung des aggregierten Ergebnisses der einzelnen Sparten statt; vielmehr müssen sämtliche unter den Versicherungsschutz fallenden Bereiche - getrennt voneinander - vereinbarte Verlusthöhen erreichen. Zur Bestimmung, wann ein Versicherungsfall vorliegt, werden häufig Messgrößen oder Indizes herangezogen, die außerhalb des Einflussbereichs des Versicherten liegen, um Moral-Hazard-Probleme zu vermeiden. Jedoch ist eine enge Korrelation zwischen Trigger-Variablen und den finanziellen Interessen des Zedenten notwendig, um eine effektive Deckung im Rahmen des MTPs zu ermöglichen.588 Anlass für die Entstehung der Multi-Trigger-Produkte war das Northridge-Erdbeben 1994 in den USA, bei dem ein versicherter Schaden in Höhe von ungefähr 10 Mrd. USD entstand. Kurz darauf - noch im selben Quartal - brach der US-Bondmarkt ein und verursachte bei den US-Schadenversicherern einen (unrealisierten) Kapitalverlust von schätzungsweise 20 Mrd. USD.589 Beide Ereignisse haben zu dramatischen Verlusten bei Versicherungsunternehmen geführt und die Frage aufgeworfen, wie man sich wirkungsvoll gegen solche Horrorszenarien mit enormen Kumulschäden schützen kann. Als eine mögliche Lösung gelten MTPs, deren Funktionsweise im folgenden Beispiel verdeutlicht wird.
585 586 587 588 589
Der Begriff „Trigger“ ist die Kurzform von „triggering event“ (auslösendes Ereignis). Vgl. Swiss Re (1998), S. 21. Vgl. Swiss Re (1999), S. 25 f. Vgl. Swiss Re (2003 a), S. 32. Vgl. Swiss Re (1999), S. 26.
230
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
b) Beispiel Das vorliegende Multi-Trigger-Produkt zwischen Erst- und Rückversicherer betrachtet die Verluste eines Geschäftsjahres im Versicherungs- und Finanzbereich des Zedenten. Zur Ergebnisfeststellung werden folgende Kenngrößen verwendet:
Insurance Loss Ratio
Netto - Aufwendungen für Versicherungsleistungen verdiente Netto - Versicherungsprämien
Financial Loss Ratio
Abschreibungen des Kapitalanlageportfolios verdiente Netto - Versicherungsprämien
,
.
Jedoch können auch andere vertragliche Regelungen zur Ermittlung der Unternehmensergebnisse getroffen werden, welche z.B. auch Verwaltungskosten ins Kalkül ziehen. Der verwendete Zusatz „Netto-„ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass nur die Größen berücksichtigt werden, die nach Abzug eventueller Rückversicherungsabgaben tatsächlich im Selbstbehalt des Zedenten verbleiben. Angenommen, die verdienten Netto-Versicherungsprämien betragen 10 Mio. EUR und der Schwellenwert des Insurance Loss Ratio wird auf 65% festgelegt, dann müssen die Netto-Aufwendungen für Versicherungsfälle 6,5 Mio. EUR erreichen, damit der First Trigger überschritten wird. Als zweites Kriterium wird das Investmentportfolio des Erstversicherers betrachtet, dessen Wert zu Geschäftsjahresbeginn mit 20 Mio. EUR in der Bilanz steht. Der Second Trigger wird ausgelöst, falls dieses Portfolio innerhalb eines Jahres mindestens 30% seines ursprünglichen Wertes (in diesem Fall 6 Mio. EUR) verliert. Treten beide Ereignisse innerhalb eines Geschäftsjahres ein, so muss der Rückversicherer Ausgleichszahlungen in Höhe der Abweichung zu den festgelegten Referenzwerten leisten; andernfalls bietet das MTP keinen Versicherungsschutz. c) Wirkung und Bedeutung
Multi-Trigger-Produkte könnten dem Zedenten einen adäquaten Schutz vor Katastrophenszenarien gewähren, wie z.B. verheerende Hurrikan-Schäden gepaart mit starken Kursverlusten an Aktien- und Anleihemärkten.590 In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Aktienmärkte sehr volatil auf Katastrophenereignisse (Natur- oder Man-
590
Vgl. Swiss Re (1999), S. 26.
3.3 Moderne Ansätze der Rückversicherung
231
made) reagiert haben. Dies birgt eine doppelte Gefahr für die Versicherungsunternehmen. Auf der Versicherungsseite müssen sie hohe Versicherungsschäden bewerkstelligen, und auf der Finanzanlagenseite brechen die Kapitalerträge ein. Dies führt wiederum zu erheblichen Schwankungen im Jahresergebnis der betroffenen Versicherungsunternehmen. Multi-Trigger-Produkte könnten da Abhilfe schaffen. Darüber hinaus sind MTPs mit beträchtlichen Preisvorteilen für den Erstversicherer verbunden. Dadurch, dass zwei oder mehrere Großschadensfälle gleichzeitig eintreten müssen, um die Leistungspflicht des Zessionärs auszulösen, reduzieren sich die zu erwartenden Aufwendungen für den Rückversicherer, und der Versicherungsschutz kann billiger angeboten werden. Angenommen, die Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Trigger des oben angeführten Beispiels betragen jeweils 10%, so ergibt sich die sog. „Rate on Line“ des MTPs als Produkt beider Wahrscheinlichkeiten und kann mit lediglich 1% angegeben werden,591 falls man von Transaktionskosten, Gewinnmargen, etc. absieht. Allerdings sollten nur Versicherungsunternehmen mit einer ausreichenden Kapitalbasis diese Kostenvorteile ausnutzen und eine ausschließliche Absicherung mit einem MTP vornehmen, um im Falle einzeln auftretender (Nicht-) Versicherungsschäden Zahlungsschwierigkeiten zu vermeiden. Multi-Trigger-Produkte haben bezüglich ihrer praktischen Umsetzung mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie MMPs. So haben hohe Transaktionskosten, traditionelle Organisationsstrukturen im internen Risikomanagement von Erstversicherern sowie steuerliche und bilanzielle Unsicherheiten einen Durchbruch dieser Rückversicherung bislang verhindert.
3.3.4 Rückversicherung via CATEXTM Die Catastrophe Risk Exchange (CATEXTM) ist ein virtueller Handelsplatz für Katastrophenrisiken, welcher am 1. Oktober 1996 in New York gegründet wurde.592 Zugelassene Börsenteilnehmer sind neben Erst- und Rückversicherungsunternehmen auch Captives und Versicherungsmakler. 593 Diese können mit Hilfe des Online-
591 592
593
Es wird dabei unterstellt, dass die beiden Ereignisse stochastisch unabhängig sind. Formal handelt es sich bei der CATEXTM um einen vom New York Insurance Department lizenzierten Vermittler von Rückversicherungsdeckungen, der durch den New York Superintendent of Insurance beaufsichtigt wird. Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 425.
232
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
Computersystems sowohl klassische Rückversicherungsdeckungen erwerben als auch verschiedene Versicherungsrisiken untereinander austauschen.594 Dabei werden ausschließlich die potentiellen Schadenszahlungen gehandelt, so dass die originären Versicherungspolicen im Bestand des jeweiligen Versicherers verbleiben. Der Vertragsgegenstand für diese Transaktionen wird zwischen den Kontraktpartnern individuell ausgehandelt und unterscheidet sich beispielsweise hinsichtlich: x der versicherten Elementargefahr (Sturm, Erdbeben, Hagel etc.), x der relevanten Region (Florida, Kalifornien, Golfküste etc.), x der Lage des Layers oder x des Haftungsvolumens. Versicherungsunternehmen können die Handelsplattform also dazu nutzen, sich gezielt von bestimmten Risiken zu „entledigen“, respektive diese gegen andere Deckungen einzutauschen, um bestimmte Homogenisierungs- bzw. Diversifizierungseffekte im eigenen Portfolio zu erzielen.595 Ein Versicherer, der z.B. in Kalifornien in der Erdbeben-Versicherung übermäßig stark involviert ist, kann diese Unausgewogenheit seines Versicherungsportefeuilles dadurch mindern, indem er via CATEXTM einen Teil seiner Erdbebenrisiken in Kalifornien durch die Übernahme von Hurrikan-Risiken in der Golfküste austauscht. CATEXTM ist deshalb besonders nützlich für regional operierende Spezialversicherer, die keine Möglichkeiten besitzen, ihre primären Versicherungsgeschäfte überregional bzw. über mehrere Versicherungssparten zu streuen. Die CATEXTM selbst übernimmt bei diesen Geschäften keinerlei Risiko, sondern stellt lediglich die Vermittlungsfunktion bereit. Die Funktion der CATEXTM besteht darin, ein elektronisches Forum zur vereinfachten und kostengünstigen Anbahnung und Durchführung von Risikoswaps und Rückversicherungslösungen. Dazu werden jeweils zur Eröffnung des Handelstages „Benchmark-Wechselkurse“ für die notierten Deckungen vom CATEX-System festgelegt, welche auf historischen Schadenserfahrungen und zuletzt realisierten Kursen basieren.
594 595
Tauschgegenstand sind dabei „versicherte“ Katastrophenrisiken. Vgl. Wagner, F. (1997), S. 516. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 342 f.
3.4 Zusammenfassung des 3. Kapitels
233
Durch das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage ergibt sich anschließend der in Echtzeit angepasste Marktpreis für die versicherungstechnischen Risiken. Den Marktteilnehmern wird somit eine effiziente Risikodiversifikation ermöglicht, wobei sie gleichzeitig von der Informationsbereitstellung für bestimmte Versicherungspreise profitieren können. Die zentrale Funktion von CATEXTM ist die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage bei geringen Transaktionskosten.596 Die Einordnung der Rückversicherung via CATEXTM unter die modernen (und nicht unter die alternativen) Ansätze des Risikotransfers ist damit zu begründen, dass durch die Beschränkung der Handelspartner auf die Versicherungsbranche kein Risikotransfer auf den Kapitalmarkt stattfindet und somit keine zusätzlichen Kapazitäten via CATEXTM geschaffen werden können. Mit CATEXTM werden keine neuen Risikoträger für den Versicherungsmarkt erschlossen, sondern lediglich eine Verbesserung der Risikoallokation angestrebt, die einen besseren Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit ermöglicht.
3.4 Zusammenfassung des 3. Kapitels Der enorme Anstieg von Naturkatastrophen vor allem zu Beginn der 90er Jahre war der wesentliche Grund dafür, dass viele Erst- und Rückversicherungsunternehmen in finanzielle Schwierigkeiten gerieten und sich aus dem (Rück)-Versicherungsgeschäft zurückzogen. 597 Dies führt zu Kapazitätsknappheiten auf den weltweiten Versicherungsmärkten. Gerade in der jüngsten Vergangenheit traten Hurrikan-Ereignisse in ungewöhnlich großer Anzahl und Intensität auf und verursachten Rekordschäden innerhalb der Versicherungsbranche. 598 Da sich dieser Trend laut wissenschaftlicher Studien vermutlich in den nächsten Jahren fortsetzen wird, stellt sich die Frage, inwieweit die traditionellen und modernen Instrumente des Risikotransfers in der Rückversicherung in der Lage sind, mit diesen Veränderungen umzugehen. Im vorliegenden Kapitel wurde deutlich, dass die proportionalen Rückversicherungsformen keinen adäquaten Schutz gegen Großschadensereignisse bieten können. Ob-
596 597 598
Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 345. Standard & Poor’s schätzt die Zahl der Geschäftsaufgaben im letzten Jahrzehnt auf 116. Hurrikan Katrina (August 2005) verursachte schätzungsweise 45 Mrd. USD Versicherungsschäden.
234
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
gleich sowohl Summen- als auch Quotenexzedent in der Lage sind, einzelne hohe Schäden zu kompensieren, fällt die Entlastung bei Naturkatastrophen in der Regel zu gering aus, um den Zedenten vor (existenzbedrohenden) Verlusten zu bewahren. Die meisten nicht-proportionalen Rückversicherungen hingegen sind ein effektives Mittel, außergewöhnliche Schadensbelastungen abzufedern. So können mit Hilfe eines Einzelschadenexzedenten extreme Schäden bei einzelnen versicherungstechnischen Einheiten gedeckt werden, während der Cat XL - insbesondere bei Abschluss mehrerer Layer - sehr wirkungsvoll zum Schutz gegen große Kumulschäden eingesetzt werden kann. Der Stop Loss stellt für den Erstversicherer die günstigste Alternative dar, sich gegen Katastrophenschäden zu schützen. Jedoch werden derartige Verträge wegen des hohen Risikos auf Seiten des Zessionärs kaum angeboten. Auch die HöchstschadenRückversicherung führt auf dem Versicherungsmarkt ein Schattendasein, weil sie häufig mit beträchtlichen finanziellen Nachteilen für den Zedenten verbunden ist. Im Bereich der modernen Rückversicherungsvarianten nimmt die Zession via Captive eine Sonderstellung ein. Obwohl sie nicht direkt zur Deckung von Naturgefahren geeignet ist, kann sie als kostensparender Ausgangspunkt für weitere Rückversicherungsmaßnahmen eingesetzt werden. Finite-Risk-Lösungen betonen die Finanzierungskomponente im Rahmen des Risikotransfers und versuchen - über den Ausgleich in der Zeit - eine Stabilisierung des „normalen“ Geschäftsverlaufs zu erreichen. Aus diesem Grund dienen sie hauptsächlich der Reduktion von Risiken aus „Long-Tail“Geschäften oder der Ergebnisglättung von kleineren bis mittleren Schwankungen im Schadensverlauf und sind für den Schutz gegen extreme Schadenereignisse ungeeignet. Multiline/Multiyear-Produkte verbessern den Risikotransfer durch Diversifikation der Risiken über die Zeit und innerhalb der einzelnen Sparten des zedierenden Unternehmens. Da Erdbeben oder vergleichbare Katastrophen üblicherweise große Zahlungsverpflichtungen in mehreren Sparten des Erstversicherers nach sich ziehen, können MMPs nur bedingt zur Absicherung von Großschadensereignissen herangezogen werden. Zudem erhöht die ausschließliche Abhängigkeit von einem Rückversicherer das Risiko, dass der Zessionär im Falle hoher Schäden zahlungsunfähig wird und keine Entschädigungszahlungen mehr leisten kann (Kreditrisiko). Multi-Trigger-Produkte bieten dem Zedenten zwar einen guten Schutz gegen das Eintreten von Horrorszenarien. Allerdings existiert die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass nicht alle für die Vertragsdeckung notwendigen Schadensgrenzen erreicht werden und der Erstversicherer deshalb hohe finanzielle Verluste alleine kompensieren muss (Basisrisiko). Ferner bestehen für beide Formen große praktische Umsetzungsproble-
3.4 Zusammenfassung des 3. Kapitels
235
me, weil die spezifische Vertragsgestaltung immenses versicherungstechnisches Know-how erfordert und meist interne Unternehmensstrukturen überwinden muss. Die Handelsplattform CATEXTM gibt den Unternehmen der Versicherungsbranche die Möglichkeit, auf einfache Weise bestimmte Katastrophenrisiken zu atomisieren und (weltweit) zu transferieren; zusätzlich versorgt sie die Marktteilnehmer mit Preisinformationen für aktuelle Rückversicherungsdeckungen. Die Börse ist somit ein exzellentes Instrument, die Zeichnung von Risiken, welche mit extremen Naturgefahren in Verbindung stehen, überhaupt erst zu ermöglichen. Gleichzeitig können die Transferpartner einen Ausgleich in ihren Versicherungsbeständen erzielen und somit (in gewissem Maße) die allgemeine Zeichnungskapazität von Großschadensereignissen erhöhen. Bei allen vorgestellten traditionellen und modernen Transferansätzen besteht jedoch die Gefahr, dass die bereitgestellten Mittel nicht zur Regulierung der versicherten Schäden ausreichen. Gerade bei Eintreten von Ereignissen mit einem Schadensausmaß von hunderten Milliarden USD, den sog. „Cataclysms“, kann die Kapazitätsgrenze des gesamten Rückversicherungsmarktes schnell erreicht sein. Aus diesem Grund sind mit „Insurance-Linked Securities“ (ILS) neue Transferansätze entwickelt worden, die auf Risikoträger außerhalb der Versicherungsbranche zurückgreifen. Insurance-Linked Securities und Versicherungsderivate benutzen den Kapitalmarkt zur Verbriefung (Securitization) von Katastrophenrisiken. Da allein der US-amerikanische Kapitalmarkt ein Volumen von ungefähr 19 Billionen USD mit einer täglichen Schwankungsbreite von 70 Basispunkten (= 133 Mrd. USD) besitzt, sind solche Märkte die idealen Risikoträger, um Großschadensereignisse ohne dauerhafte Auswirkungen zu absorbieren. Investoren können mit diesen Anleihen und Optionen aufgrund der weitestgehenden Unkorreliertheit zu anderen Wertpapieren einen Ausgleichseffekt in ihren Portfolios erzielen. Allerdings ist es für sie schwierig, die damit verbundenen Risiken abzuschätzen; neben fehlenden Informationen über Wahrscheinlichkeit und Höhe der verbrieften Risiken, besitzen sie meist auch keine Informationen über die Zeichnungspolitik des Emittenten. Trotzdem hat die Nachfrage nach ILS in den letzten Jahren zugenommen und die Anzahl der engagierten Investoren ist enorm angestiegen. Insurance-Linked-Securities umfassen im Wesentlichen die Katastrophenanleihen und die Versicherungsderivate, welche Untersuchungsgegenstand der nächsten zwei Kapitel darstellen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die traditionellen und modernen Ansätze des Risikotransfers in der Rückversicherung aufgrund veränderter Rahmenbedingun-
236
Kapitel 3: Risikotransfer durch Rückversicherung
gen mit nie da gewesenen Schadenspotentialen an ihre Grenzen gestoßen sind. Durch den Einsatz von alternativen Risikoträgern außerhalb der Versicherungsbranche versuchen die Versicherungsunternehmen, diese Kapazitätslücken schrittweise zu schließen und die Kapitalmärkte für den Transfer von Versicherungsrisiken zu erschließen.
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick Cat Bond ist die Kurzform von Catastrophe Bond und bedeutet zu Deutsch Katastrophenanleihe.599 Genauso wie die traditionellen Anleihen (Unternehmensanleihen oder Staatsanleihen) basieren auch Cat Bonds auf Vereinbarungen über Laufzeit, Zinszahlungen und Rückzahlungsform bzw. Rückzahlungshöhe. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass bei Cat Bonds mindestens eine dieser Ausprägungen an eine versicherungstechnische Größe gekoppelt ist, und es sich dadurch um eine bedingte Form der Kapitalanlage handelt.600
Cat Bonds sind eine innovative Möglichkeit zur Erhöhung der Versicherungskapazität.601 Mit diesem Instrument können die Versicherer Katastrophenrisiken durch Emission einer Anleihe auf die Kapitalmärkte übertragen.602 Wenn das ex ante definierte Katastrophenereignis eintritt, bekommen die Versicherer in der Regel die Zinsen und je nach Vereinbarung einen Teil des eingesetzten Kapitals, um ihre Haftungsverpflichtungen aus dem Versicherungsgeschäft zu finanzieren.603 So kann einerseits eine Katastrophenanleihe so ausgestaltet sein, dass im Falle einer Katastrophe der Nominalbetrag dieser Anleihe zurückgezahlt wird, die Verzinsung auf diese Anleihe aber entfällt
599 600
601
602 603
Vgl. Richter, A. (2004), S. 99. Aus diesem Grund sind Cat Bonds in der Literatur auch als „Insurance backed Securities“ oder „ Act of God Bonds“ bekannt. Cat Bonds werden in der Fachliteratur auch unter dem Oberbegriff Insurance-Linked-Securities (ILS) subsumiert. Bei den meisten ILS-Emissionen handelt es sich bisher entweder um Katastrophenanleihen (Cat Bonds) oder um Life Bonds. Cat Bonds sind ein Mechanismus, mit dem Versicherer (oder Rückversicherer) Katastrophenrisiken durch Emission einer Obligation auf die Kapitalmärkte übertragen. Bei Life Bonds werden meist die Prämienzahlungen traditioneller Lebensversicherungspolicen verbrieft. In der vorliegenden Arbeit wird hauptsächlich auf Cat Bonds eingegangen, da sie in der bisherigen Entwicklung des Marktes die bisher erfolgreichste Form von ILS darstellen. Vgl. Swiss Re (2003 a). Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 347. Vgl. Wagner, F. (1997), S. 517 f.
238
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
bzw. vermindert wird (Coupon-at-risk-bonds). Andererseits kann eine Katastrophenanleihe auch so konstruiert werden, dass im Falle einer Katastrophe die Rückzahlung des Nominalbetrags vermindert oder zeitlich verzögert wird oder gar ganz entfällt (principal-at-risk-bonds). In beiden Fällen erhalten die Kapitalgeber im Gegenzug dazu Verzinsungen, die erheblich über der Verzinsung einer risikofreien Kapitalanlage z.B. LIBOR604 - liegen.
4.1.1 Entwicklung der Katastrophenanleihen Der Markt für Katastrophenanleihen geht auf die Hard-Market-Phase zurück,605 die sich Anfang der neunziger Jahre nach einer Häufung von Großschadenereignissen (Naturkatastrophen und Man-made-Katastrophen) ergab (vgl. Abbildung 4.1). 606 So hat sich die Zahl der Großschadenereignisse in den letzten 35 Jahren nahezu vervierfacht.
Abbildung 4.1: Entwicklung der Anzahl der Katastrophenereignisse
Gleichzeitig stiegen die durch Katastrophenereignisse ausgelösten Versicherungsschäden rasant an (vgl. Abbildung 4.2).607 Diese Entwicklung scheint sich in den letzten zwei Jahren nochmals beschleunigt zu haben. Schon im Jahr 2004 musste die weltwei-
604
605 606 607
LIBOR = London Interbank Offered Rate (Zinssatz für Tagesgeld im Interbanken-Handel) am Finanzplatz London. Vgl. Berge, T. (2005), S 53 f sowie Swiss Re (1997 b), S. 2 ff. Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 4. Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 6.
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick
239
te Versicherungswirtschaft mit einer Schadenbelastung aus Katastrophenschäden in Höhe von ca. 48 Mrd. USD eine negative Rekordmarke verkraften. Dies wurde im Jahr 2005 mit weltweiten Katastrophenschäden von 83 Mrd. USD bei weitem übertroffen.608
Abbildung 4.2: Versicherte Katastrophenschäden in Mrd. USD.
Für den starken Anstieg der Katastrophenschäden sind folgende Ursachen anzuführen:609 x starkes, weltweites Bevölkerungswachstum, x höhere Wertekonzentration durch verstärkte Verstädterung, x vermehrte Nutzung hoch exponierter Regionen, x Klimatische Veränderungen durch menschliches Handeln. Aufgrund dieser sich häufenden Versicherungsschäden aus Katastrophenereignissen in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden weltweit Rückversicherungskapazitäten für Katastrophenereignisse knapp610, so dass nach neuen Möglichkeiten der Ka-
608 609 610
Vgl. Swiss Re (2006 a), S. 5. Vgl. Berge, K. (2005), S. 18 sowie O’Connor, P. M. (2005), S. 43. Mit der Knappheit der Rückversicherungskapazitäten stiegen die Prämien für Rückversicherungslösungen rasant an. Zudem erhöhte sich das Kreditrisiko, so dass andere sichere Finanzquellen außerhalb der Versicherungsbranche gesucht werden mussten. Vgl. Swiss Re (2004), S. 14.
240
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
pazitätserweiterung gesucht wurde.611 Im Dezember 1996 wurde durch die St. Paul Re der erste Cat Bond auf den Markt gebracht. Dieser Cat Bond wurde durch eine Zweckgesellschaft namens Georgetown emittiert und hatte ein Volumen von insgesamt 68,5 Millionen USD.612 Die Katastrophenanleihe diente zur Absicherung gegen verschiedene Schadenereignisse und hatte eine Laufzeit von 10 Jahren. Als Auslöser dieser Katastrophenanleihe fungierte die unternehmensindividuelle Schadenhöhe.613 Der Markt für Katastrophenanleihen erlebt seitdem eine rasante Entwicklung, wie dies in Abbildung 4.3 verdeutlicht wird.614 So wurden im Jahr 2000 beispielsweise bereits acht Cat Bond-Emissionen mit einem Gesamtvolumen von ca. 1,1 Mrd. USD verzeichnet. Im Jahr 2005 wurden Katastrophenanleihen in einer Rekordhöhe von über 2,1 Mrd. USD emittiert.615 Ein Vergleich der Abbildungen 4.2 und 4.3 zeigt, dass die Emission von Cat Bonds nach einem schadenreichen Jahr stark ansteigt.616 Nach dem Rekordjahr 2005 mit nie da gewesener Schadenbelastung aus Katastrophenereignissen in Höhe von 83 Mrd. USD ist für das Jahr 2006 ein sprunghafter Anstieg von Cat Bond-Emissionen zu rechnen. Bereits in den ersten Monaten des Jahres 2006 wurden Cat Bonds in Höhe von mehr als 700 Mio. USD ausgegeben. Dieser rasante Anstieg von Katastrophenanleihen nach schadenreichen Jahren ist auch logisch erklärbar, da die Rückversicherungskapazitäten nach großen Schadenereignissen erfahrungsgemäß knapp werden, so dass dann verstärkt nach Möglichkeiten des alternativen Risikotransfers wie Cat Bonds nachgefragt wird.
611 612 613 614 615
616
Vgl. Swiss Re (2003 b), S. 38. Vgl. Sansevero, M. (1997), S. 15. Vgl. Swiss Re (2003 a), S. 31. Vgl. Swiss Re (2006 b), S. 2. Neu im Jahr 2005 ist, dass nicht nur Katastrophenrisiken wie Erdbeben oder Sturm, sondern auch andere Versicherungsrisiken wie Auto, Unfall, Kredit verbrieft wurden. Diese Entwicklung zeigt, dass das Anlageinstrument Cat Bonds mittlerweile von einer größeren Anzahl von Kapitalmarktteilnehmern genutzt wird. Vgl. Swiss Re (2006 b), S. 2. Die Angaben für das Jahr 2006 in Abbildung 4.3 beziehen sich nur auf die ersten beiden Monate Januar und Februar.
Abbildung 4.3: Emittierte Cat Bonds seit 1997 (2006 nur Januar und Februar)
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick 241
242
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Abbildung 4.4: Ausstehende Cat Bonds zum 28.02.2006
Betrachtet man alle Katastrophenanleihen, die sich zum Stichtag 28. Februar 2006 auf dem Markt befanden, so haben diese ein Gesamtvolumen von mehr als 5,8 Milliarden USD (vgl. Abbildung 4.4).617 Zudem wird hieraus deutlich, dass die Katastrophenanleihen derzeit vor allem zur Absicherung gegen Stürme in Europa und den USA, sowie zur Absicherung gegen Erdbeben in Japan, Kalifornien oder den gesamten Vereinigten Staaten von Amerika eingesetzt werden. Darüber hinaus werden Katastrophenanleihen zunehmend auch zur Absicherung gegen extreme Sterblichkeit und andere Versicherungsrisiken wie Auto, Unfall und Kredit eingesetzt.618 Die Gründe für das Wachstum und die Entwicklung des Marktes für Katastrophenanleihen sind laut Schweizerischer Rückversicherungs-Gesellschaft insbesondere folgende:619 ¾ der Anstieg von Rückversicherungsprämien in den vergangenen Jahren, ¾ die Zunahme von Hedgefonds, die sich auf diesen Bereich spezialisieren, ¾ zunehmendes Kreditausfallrisiko und damit zunehmende Nachfrage nach voll besichertem Schutz,
617 618
619
Vgl. Swiss Re (2006 b), S. 2. Es wird momentan überlegt, ob Katastrophenanleihen auch zur Absicherung gegen Terrorismusrisiken eingesetzt werden können. Vgl. Woo, G. (2005), S. 94 ff. Vgl. Swiss Re (2004), S. 14.
243
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick
¾ der sich aus dem Wertverlust der Anlageportfolios der Versicherer ergebende Kapitalbedarf, ¾ der Zwang zur Kreditrisiko-Diversifikation bei festverzinslichen Portfolios.
Die häufigsten Risiken, die verbrieft wurden, beziehen sich mit ca. 62% auf die USA. Darunter dominieren vor allem Erdbebenrisiken in Kalifornien und Hurrikanrisiken an der Ostküste.620 Allerdings wurden in den letzten Jahren jedoch auch Risiken außerhalb der USA verbrieft, beispielsweise 2003 erstmals Erdbebenrisiken in Taiwan. Es konnte außerdem eine Zunahme der Verbriefung von Einzelrisiken sowie eine Abnahme der auf mehrere Naturgefahren bezogenen Katastrophenanleihen (multi peril cat bonds) festgestellt werden.621
9% 29% 18%
1% 1%
3%
8%
1% 3% 10%
14%
Sturm USA 29% (2.518 Mio. USD) Sturm Japan 1% (80 Mio. USD) Sturm Europa 8% (686 Mio. USD) Mehrgefahren Welt 14% (1.225 Mio. USD) Mehrgefahren USA 10% (890 Mio. USD) Mehrgefahren Japan 3% (278 Mio. USD) Mehrgefahren Europa 1% (129 Mio. USD) Erdbeben zentrale USA 3% (226 Mio. USD) Erdbeben Taiwan 1%
Abbildung 4.5: Mit Cat Bonds verbriefte Risiken 1994 - 2004
Abbildung 4.5 zeigt, welche Risiken im Zeitraum 1994 - 2004 verbrieft wurden.622 Eingesetzt werden Cat Bonds primär durch Erst- und Rückversicherungsunternehmen als Ergänzung oder als Substitut zur traditionellen Rückversicherung bzw. Retrozession. Unter allen Katastrophenanleihen, die bisher von Unternehmen begeben wurden, gibt es lediglich drei, die nicht zur Versicherungsbranche gehören:623
620 621 622 623
Vgl. Berge, T. (2005), S. 54. Vgl. Swiss Re (2004), S. 15. Eigene Darstellung in Anlehnung an Swiss Re (2004), S. 15. Vgl. Berge, T. (2005), S. 55.
244
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
¾ 1999 von ORIENTAL LAND, dem Betreiber des Disneyland in Tokio. ¾ 2002 von VIVENDI, dem damaligen Eigentümer der Universal Studios in Hollywood. ¾ 2003 von ÉLÉCTRICITÉ DE FRANCE (EDF).
Die restlichen Cat Bonds wurden ausnahmslos von größeren Erst- und Rückvesicherungs-unternehmen emittiert. Hierbei muss die Schweizerische Rückversicherungs-Gesellschaft (Swiss Re) deutlich hervorgehoben werden, die für den größten Teil der Emissionen verantwortlich zeichnete.
4.1.2 Gestaltungsmerkmale der Katastrophenanleihen Wie auch bei den traditionellen Bonds werden bei Cat Bonds Zinszahlungen, Laufzeit, Rückzahlungsform und -höhe vertraglich geregelt. Die Rückzahlung des Nominalvolumens oder die Zahlung des Couponzinses hängen bei Cat Bonds jedoch von einer versicherungstechnischen Bezugsgröße ab, die sehr unterschiedlich ausgestaltet sein kann. Wenn z.B. ein bestimmtes Katastrophenereignis eintritt, kann das vom Investor und den Emittenten überlassene Kapital zum Teil oder ganz an den Versicherer fallen. 624 Der folgende Abschnitt stellt die unterschiedlichen Rückzahlungsmodi eines Cat Bonds vor. 4.1.2.1 Rückzahlungsmodus
Durch den Kauf von Katastrophenanleihen überlassen die Investoren den Emittenten der Cat Bonds für eine bestimmte, vertraglich vereinbarte Zeit Kapital. Folglich muss im Rahmen des Vertrags geregelt werden, wie und unter welchen Bedingungen das investierte Kapital am Ende der Laufzeit zurückgezahlt werden soll. Es wird dabei in bedingte und unbedingte Rückzahlung unterschieden:625 ¾ Ist der Rückzahlungsanspruch unbedingt, so handelt es sich bei der vorliegenden Katastrophenanleihe um einen sog. „Principal-protected-Bond“. Das heißt unabhängig davon, ob das ex ante definierte Katastrophenereignis eintritt oder
624
625
Eine grundlegende und leicht verständliche Darstellung der Gestaltungsformen hinsichtlich Rückzahlungsmodus und Zinszahlungsmodus findet sich bei Wagner, F. (1997), S. 524-531 sowie König, M. (1997), S. 1043 f. Vgl. Munich Re (2001), S. 8.
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick
245
nicht, erhält der Investor am Ende der Laufzeit sein investiertes Kapital vollständig zurück. ¾ Im Gegensatz dazu können bei einer bedingten Rückzahlung („Principal at Risk“) die Investoren das Kapital bzw. Teile ihres Kapitals verlieren: Nur falls während der Laufzeit ein bestimmtes, zuvor vertraglich vereinbartes Versicherungsereignis 626 nicht eingetreten ist, erfolgt eine vollständige Rückzahlung des Nominalvolumens.
Bei einer bedingten Rückzahlung muss vertraglich geregelt werden, ob sich das Ereignis während der gesamten Laufzeit des Bonds ereignen darf oder nur in einer begrenzten Zeit innerhalb der Laufzeit, der sog. Risk Period. So weist z.B. der Earthquake Risk Bond, der von der staatlichen California Earthquake Authority emittiert wurde, zwar eine vertragliche Laufzeit von 10 Jahren auf. Die Schadenperiode (Risk Period) beschränkt sich jedoch auf die ersten vier Jahre nach Emission der Anleihe.627 Falls das Versicherungsereignis (d.h. die vereinbarte Katastrophe) während der Risk Period mehrfach eintritt, kann im Extremfall der Zahlungsanspruch der Investoren auf 0% sinken. Die Rückzahlung des von den Investoren überlassenen Kapitals könnte beispielsweise folgenderweise gestaffelt definiert werden (vgl. Tabelle 4.1). Die Höhe der Rückzahlungsquote kann aber auch von der Intensität des Versicherungsereignisses abhängen. Unabhängig von den Katastrophenschäden, die aus einem Sturm resultierten, kann ein Auslöser628 definiert werden, der nur von der Intensität des Versicherungsereignisses abhängen soll. Es wird zum Beispiel vereinbart, dass es nur zu einer kompletten Rückzahlung an den Investor kommt, falls die Stürme eine bestimmte Windgeschwindigkeit oder die Erdbeben einen bestimmten Wert auf der Richterskala629 nicht erreicht haben.
626
627
628
629
Das vereinbarte Versicherungsereignis wird in der Literatur auch als Trigger-Event bzw. Trigger bezeichnet. Der Anleger haftet somit mit seinem investierten Kapital nur während der ersten vier Jahre. Ereignet sich nach der Risk Period ein Erdbeben, so ist das investierte Kapital des Anlegers nicht gefährdet. In der Literatur wird der Auslöser in Anlehnung an die englische Bezeichnung auch als „Trigger“ bezeichnet. Die Richterskala ist eine logarithmische Skala, bei welcher eine Einheit die zehnfache Zunahme der wirkenden Kraft bedeutet. Vgl. Skipper, H. D. (1998), S. 420.
246
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Anzahl der Katastrophen
Rückzahlungsbetrag
Verlust
0xd1
100%
0%
1xd2
75%
25%
2xd3
50%
50%
3xd4
25%
75%
4x
0%
100%
Tabelle 4.1: Gestaffelte Verlustbeteiligung
Diese Variante wählte Swiss Re im Jahre 1997 bei einer Cat Bond-Emission zur Absicherung gegen Erdbebenschäden. Die Katastrophenanleihen wurden hierbei in drei Tranchen A, B und C eingeteilt. In Klasse A werden je nach Erdbebenstärke Verluste von 0% bis 60% des Nominalbetrags realisiert, in Klasse B reicht das mögliche Verlustspektrum von 0% bis 100%. In der risikoreichsten Tranche C wird bereits ein 100%-Verlust des eingesetzten Kapitals, wenn bei den anderen beiden Klassen A und B noch eine anteilige Rückzahlung erfolgt.630 Eine weitere Variante der bedingten Rückzahlung besteht darin, den Zeitpunkt der Rückzahlung an ein ex ante festgelegtes Versicherungsereignis zu koppeln, um damit die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals zu verzögern.631 Tritt innerhalb der vereinbarten Laufzeit ein vertraglich festgelegtes Katastrophenereignis in der jeweiligen Region ein, so erhält der Anleger bei dieser Variante der bedingten Rückzahlung sein investiertes Kapital erst zu einem späteren Zeitpunkt zurück.632 Der neue Zeitpunkt der Rückzahlung des investierten Kapitals kann wiederum von der Intensität des Versicherungsereignisses abhängen. Die bei dieser der bedingten Rückzahlung zugrunde liegende Idee ist, dass sich der Emittent der Katastrophenanleihe im
630
631
632
Diese Trancheneinteilung sollten die verschiedenen Risikoneigungen bzw. Erwartungsbildungen der Anleger berücksichtigen. Ist ein Anleger risikobereit, wird er die Anleihen der Tranche C kaufen, welche aufgrund des höheren Risikos auch eine höhere Verzinsung versprechen. Vgl. Froot, K. A. (1999), S. 20. Durch die verzögerte Rückzahlung gewinnt das emittierende Versicherungsunternehmen einen Zinseffekt. Je später die Rückzahlung erfolgt, desto höher ist der Finanzierungseffekt des Cat Bonds. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 349.
247
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick
Schadenfall einen zusätzlichen Zinseffekt aus der Anlage des Nominalbetrags zu nutzen machen kann.633 Darüber hinaus gewinnt der Emittent durch den Zahlungsaufschub genügend Zeit, um in den Jahren nach dem Katastrophenereignis höhere Prämien durchzusetzen und Kapital für die Rückzahlung zu sammeln.634 4.1.2.2 Zinszahlungsmodus
Neben dem Rückzahlungsanspruch der Investoren kann auch deren Zinszahlungsanspruch (Couponzahlung) von einem ex ante definierten Schadenereignis (Trigger) abhängen. Solange ein bestimmtes Versicherungsereignis nicht eintritt, erhält der Investor auf sein überlassenes Kapital einen bestimmten höheren Zinssatz als den risikolosen Zins. Dieser bedingte Zinsanspruch wird oft in der englischsprachigen Literatur als „Coupon at Risk“ bezeichnet.635 Falls zum Beispiel in der Risk Period ein bestimmter Trigger nicht überschritten wird, erhält der Investor einen bestimmten Basiszins zuzüglich einer Bonusverzinsung. Die Bonusverzinsung entfällt, sobald in einer bestimmten Zeitperiode ein zuvor definiertes Ereignis eingetreten ist.
Stärke eines Erdbebens nach Richter-Skala
Zinssatz für die Restlaufzeit
d 7,0
3% + 3%
7,1
3% + 2%
7,2
3% + 1%
t 7,3
3%
Tabelle 4.2: Gestaffelte Bonusverzinsung
Eine weitere Variante besteht darin, eine abgestufte Zinszahlung in Abhängigkeit von der Härte des Versicherungsereignisses zu gewährleisten. Ein Cat Bond könnte z.B. in
633 634 635
Vgl. Froot, K. A. (1999), S. 20. Diese Art der bedingten Rückzahlung bewirkt einen gewissen Risikoausgleich in der Zeit. Die Zinszahlung kann auch unbedingt erfolgen, d.h. der Investor erhält unabhängig von einem Versicherungsereignis die vertraglich festgelegten Couponzahlungen in voller Höhe über die gesamte vertraglich vereinbarte Laufzeit. Da für Cat Bonds die Koppelung an ein Versicherungsereignis das charakteristische Merkmal darstellt, hat die Variante der unbedingten Zinszahlung nur dann Sinn, wenn die Rückzahlung selbst bedingt ist.
248
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Abhängigkeit von der Stärke eines Erdbebens eine abgestufte Bonusverzinsung wie folgt beinhalten (vgl. Tabelle 4.2). Eine solche Staffelung des Zinssatzes ist jedoch nicht nur auf den Bonuszins beschränkt. Es ist auch denkbar, den Basiszins abzustufen, was bedeutet, dass der Investor eine ausschließlich variable Verzinsung erhalten würde, die im Extremfall auf 0% fallen könnte.636
Anzahl der Katastrophen
ausschließlich variable Verzinsung
0xd1
7,0%
1xd2
5,0%
2xd3
3,0%
3xd4
1,0%
4x
0,0%
Tabelle 4.3: Gestaffelte Basisverzinsung
Die Zinszahlung muss jedoch nicht abgestuft erfolgen: Falls eine vereinbarte Bedingung erfüllt ist, kann es auch zu einem direkten Ausfall der Zinszahlung kommen. Bei dieser Gestaltungsvariante erfolgt keine Abstufung des Zinszahlungsanspruchs. Der Investor verliert beim Erreichen des Triggers den kompletten Zinsanspruch für die Restlaufzeit. 637 Wenn z.B. das ex ante definierte Ereignis schon im ersten Jahr der Risk-Period eintritt, würde der Investor keinerlei Rendite für die gesamte Laufzeit des Bonds erhalten. Um diesem Risiko der Anleger entgegenzuwirken, kann auch vereinbart werden, dass der Zinsausfall nur auf einen bestimmten Zeitraum (z.B. drei Jahre nach dem Versicherungsereignis) beschränkt ist. Falls in diesem Zeitraum kein weiteres Trigger-Ereignis stattfindet, kann die Couponzahlung wieder aufgenommen werden.
636 637
Vgl. König, M. (1997), S. 1042. Diese Form der bedingten Zinszahlung wurde beispielsweise bei dem oben erwähnten Earthquake Risk Bond realisiert. Es wurde vereinbart, dass ein Erdbeben innerhalb der vereinbarten Region in der Risk Period (in den ersten vier Jahren) den kompletten Ausfall der Couponzahlung in der verbleibenden Laufzeit auslösen würde.
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick
249
Wie bereits erläutert, sind der Rückzahlungsanspruch und der Zinszahlungsanspruch stets an ein bestimmtes, ex ante definiertes Versicherungsereignis (Trigger) gekoppelt. Erst durch diese Koppelung beinhalten Cat Bonds ein Versicherungsrisiko und unterscheiden sich somit von den „normalen“ Anleihen. Zahlreiche Varianten sind bei der Festlegung der Bezugsgröße denkbar. Auf diese geht der folgende Abschnitt nun ein. 4.1.2.3 Theoretische Bezugsgrößen
Traditionelle Anleihen weisen im Gegensatz zu Cat Bonds nur Zinsrisiken, Wechselkursrisiken und andere finanzwirtschaftliche Risiken auf. Im Gegensatz dazu sind die Zahlungsströme von Cat Bonds zusätzlich an eine theoretische Bezugsgröße (= ex ante vereinbartes Versicherungsereignis) geknüpft. Das Auslöseereignis wird in der Literatur auch mit dem englischen Begriff „Trigger“ bezeichnet. Die Bezugsgröße für den Trigger kann in der Praxis unterschiedlich vereinbart werden.638 Grundsätzlich kann einerseits das Versicherungsereignis selbst Gegenstand der Betrachtung sein 639 oder andererseits die aus dem definierten Ereignis resultierenden Versicherungsschäden als Bedingung formuliert werden. Dieser Trigger stellt den Auslöser für eine reduzierte von einem Rückzahlung und/oder eine reduzierte Zinszahlung dar und legt somit den Schwellenwert fest, ab dem nur noch eine reduzierte Zahlung auf den Bond erfolgt. Bei einem physischen Trigger wird der Versicherungsfall ausgelöst, wenn z.B. bestimmte Elementarereignisse wie Sturm, Erdbeben ab einer gewissen Stärke eintreten. In den Vertragsbedingungen wird der Trigger in der Regel geographisch abgegrenzt, d.h. das vereinbarte Elementarereignis bezieht sich nur auf eine bestimmte Region. Zum Beispiel umfasste die Emission der Parametric Re Ltd. das Risiko eines Erdbebens in Tokio und seiner Umgebung mit genau abgegrenzten geographischen Koordinaten. Eine Region um Tokio mit einem bestimmten Radius wurde als inneres Gitter, eine weitere Region als äußeres Gitter definiert, wie die folgende Abbildung 4.6 zeigt.640
638 639 640
Vgl. Araya, R. (2005), S. 173 ff. Hier spricht man von einem physischen Trigger (engl.: physical Trigger). Vgl. Swiss Re (2003 a), S. 10.
250
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Abbildung 4.6: Inneres und äußeres Gitter um Tokio
In den Vertragsbedingungen wird dann festgelegt, dass die Reduktion der Rückzahlung und Verzinsung davon abhängt, ob ein Erdbeben ab einer gewissen Stärke in einem inneren oder einem äußeren Gitter um Tokio während der Risk Period eingetreten ist (vgl. Abbildung 4.7). Bei einem Erdbeben mit der Stärke 7,2 auf der Richterskala im inneren Gitter werden die Zahlungsansprüche (Tilgung und Verzinsung) aus dem Cat Bond um 40 % gekürzt.641 Geschieht ein Erdbeben der gleichen Stärke im äußeren Gitter, so behalten die Investoren ihren vollen Anspruch auf Tilgung und Verzinsung.
641
Vgl. Swiss Re (2003 a), S. 10.
251
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick
Abbildung 4.7: Trigger für den Cat Bond der Parametric Re Ltd.642
Neben dem Versicherungsereignis an sich können auch die durch das Ereignis verursachten marktweiten oder unternehmensindividuellen Versicherungsschäden als Bezugsgröße herangezogen werden. Versicherungsschäden können die Schadensumme, d.h. die aufaddierten Einzelschäden sein. Eine solche Bezugsgröße wählte die Züricher Überseebank AG bei ihrer geplanten Emission von Cat Bonds. Die Auszahlungen sollten an die Anzahl von Naturkatastrophen gekoppelt werden. Eine Naturkatastrophe wurde vertraglich als jedes Elementarereignis definiert, das zu folgenden weltweiten Schäden führt:
Versicherungsschäden t
6,3 Mrd. USD bei Naturkatastrophen in den USA
3 Mrd. USD bei Naturkatastrophen in Westeuropa und Japan
1,25 Mrd. USD bei Naturkatastrophen in der Karibik
1 Mrd. USD bei Naturkatastrophen in Australien und Neuseeland
Abbildung 4.8: Definierte Bezugsgrößen der ILS-Bonds der Züricher Überseebank AG
642
Vgl. Canabarro, E. et al. (2000), S. 10.
252
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Weiterhin kann aber auch die Schadenanzahl als Bezugsgröße herangezogen werden. Das heißt, als Trigger fungiert die Anzahl der Versicherungspolicen, die durch das Versicherungsereignis betroffen sind. Diese Art von Trigger wählte beispielsweise die Winterthur Schweizerische Versicherungsgesellschaft bei ihrer Cat-Bond-Transaktion im Jahr 1997. Es handelte sich dabei um die Versicherung von Motorfahrzeugen. Falls kein Sturm oder Hagel in einer bestimmten Risk Period (1. November bis 31. Oktober des Folgejahres) eine Beschädigung von mehr als 6000 bei der „Winterthur“ kaskoversicherten Motorfahrzeugen hervorrufen würde, erfolgte eine Couponzahlung.643 Daneben könnte auch eine marktweit verursachte Schadenanzahl als Bezugsgröße definiert werden. In der folgenden Darstellung sollen die nun besprochenen möglichen Ausgestaltungsmerkmale von Cat Bonds zusammengefasst werden.
Bezugsgröße
Zahlungsstruktur
Versicherungsereignis „physischer Trigger“
Häufigkeit
Ausprägung
Versicherungsschäden marktweit/unternehmensindividuell Schadensumme
Schadenanzahl
Principal at Risk und/oder Coupon at Risk Tabelle 4.4: Alternative Ausgestaltungsmerkmale von Cat Bonds
4.1.3 Rahmenbedingungen des Risikotransfers Der Emittent von Cat Bonds versucht, seine zu leistenden Versicherungsschäden durch Mittel aus dem Bond auszugleichen, d.h. Versicherungsschäden, die einen gewissen Betrag überschreiten, sollen durch die Emission von Cat Bonds gedeckt und bezahlt werden können. Somit ist es Ziel einer Cat Bond-Emission, Verluste in einer Position durch Gewinne in der anderen auszugleichen, was in der finanzwirtschaftlichen Literatur auch als „Hedging“ bezeichnet wird.
643
Vgl. Hess, K. und Jaggi, M. (1997), S. 3.
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick
253
Um die oben beschriebenen Auslösemechanismen (Trigger) hinsichtlich ihrer Eignung für das Hedging beurteilen zu können, müssen zunächst die Rahmenbedingungen für den Risikotransfer erläutert werden. In diesem Zusammenhang werden in der versicherungswissenschaftlichen Literatur die Problemfelder „Basisrisiko, „Moral Hazard“ und „Adverse Selection“ angeführt. 644 Diese Begriffe werden im Kontext der Katastrophenanleihen erläutert. 4.1.3.1 Basisrisiko
Unter Basisrisiko bei Cat Bonds versteht man die Gefahr, dass der Emittent durch die Reduzierung seiner Verpflichtungen aus dem Cat Bond nicht ausreichend Mittel gewinnt, um seine Versicherungsschäden abzudecken.645 Das Problem des Basisrisikos ergibt sich in der Regel aus der Tatsache, dass bei der Verbriefung von Versicherungsrisiken oftmals die bedingten Kompensationszahlungen nicht vollständig mit dem abzusichernden Risiko korreliert sind. Gründe dafür sind beispielsweise, dass der vereinbarte Trigger häufig auf einem technischen Parameter oder auf einem Index basiert, der die Gesamtschadenentwicklung der Versicherungsunternehmen einer bestimmten Region repräsentiert und dadurch das Ausmaß einer Naturkatastrophe beschreiben soll.646 Das Basisrisiko wird vor allem dann entstehen, wenn sich der für den Cat Bond gewählte Trigger nicht auf das individuelle Versicherungsportfolio des Zedenten bezieht, wenn also der Trigger des Bonds unabhängig von der individuellen Schadenentwicklung des Zedenten ausgelöst wird. 647 Besonders bei physischen Triggern oder bei marktweiten Versicherungsschäden als Bezugsgröße besteht die Gefahr eines Basisrisikos.648 Das Ausmaß des Basisrisikos hängt somit von dem Zusammenhang zwischen den unternehmensindividuellen Schäden und den branchenweiten Schäden ab.649 Betrachtet man zur Veranschaulichung z.B. ein Erdbeben als das abzusichernde Versicherungsereignis, so muss dabei nicht zwangsläufig eine positive Korrelation zwischen der Stärke des Erdbebens und dem daraus resultierenden Versicherungsschaden beste-
644
645 646 647 648 649
Vgl. Canabarro, E. et al. (2000), S. 9, Froot, K. A. (1999), S. 28, Richter, A. (2004), S. 105 f. sowie Nell, M. und Richter, A. (2004), S. 185. Vgl. Richter, A. (2004), S. 105. Vgl. Richter, A. (2004), S. 102. Vgl. Harrington, S. E. und Niehaus, G. R. (1999), S. 304. Vgl. Croson, D. C. und Kunreuther, H. C. (1999), S. 9. Vgl. Doherty, N. A. (2000), S. 514 f.
254
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
hen. So können Erdbeben innerhalb einer bestimmten Region unterschiedlich gelagerte Epizentren aufweisen, was bei gleicher Intensität des Erdbebens zu unterschiedlichen Schadenhöhen führen kann. Besonders schwerwiegend ist der Fall, wenn der Emittent trotz einer geringen Erdbebenstärke hohe Schäden abdecken muss, weil das Epizentrum des Erdbebens in einer Region liegt, in der sich der Versicherer besonders stark engagiert hat oder in der sich eine sehr hohe Wertekonzentration angesiedelt haben. Basiert der physische Trigger eines Cat Bonds z.B. auf der Intensität des Erdbebens, so kann es im Extremfall dazu führen, dass das emittierende Unternehmen zwar einen erheblichen Schaden zu begleichen hat, aber auf der anderen Seite keine Entschädigung au dem Cat Bond erhält, weil die Stärke des Erdbebens nicht ausreicht, um die vertraglich festgelegte Grenze zu erreichen. Diese Gefahr des Auseinanderfalles von Schadenhöhe und Kompensationszahlung wird als Basisrisiko von Cat Bonds bezeichnet.650 In einer Studie untersuchten Cummins, Lalonde und Phillips mit Hilfe von simulierten Schäden aus Hurrikans in Florida die Eignung branchenbasierter Trigger.651 Es hat sich herausgestellt, dass bei großen Erstversicherern und Rückversicherern das Basisrisiko relativ gering ist. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die großen Erstversicherer und die Rückversicherer dank ihrer entsprechend großen Versicherungsportfolios eine höhere Diversifikation ihrer Risiken erreichen und damit den Branchenindex besser abbilden können.652 Bei kleinen Versicherern ist das Basisrisiko branchenbasierter Trigger erheblich größer, da ihre relativ kleinen Versicherungsbestände keinen repräsentativen Charakter für die gesamte Branche aufweisen. Wesentlich für die Reduktion des Basisrisikos ist somit der Diversifikationsgrad der Versicherungsbestände. Je diversifizierter ein Versicherungsportfolio ist, desto kleiner ist das zugehörige Basisrisiko.653 4.1.3.2 Moral Hazard
Unter „Moral Hazard“, zu Deutsch „Moralisches Wagnis“, versteht man die Gefahr, im Bewusstsein von Versicherungsschutz nachlässig zu handeln oder Schäden bewusst
650 651 652
653
Vgl. Richter, A. (2004), S. 105. Vgl. Cummins, J. D., Lalonde, D. und Phillips, R. D. (2002) und (2004). Vgl. Cummins, J. D., Lalonde, D. und Phillips, R. D. (2002), S. 38 f. und Cummins, J. D., Lalonde, D. und Phillips, R. D. (2004), S. 93 f. Vgl. Berge, T. (2005), S. 91.
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick
255
herbeizuführen. Verursacht wird das Problem des Moral Hazard durch den verminderten Anreiz auf Seiten des Versicherungsnehmers, mögliche Schäden zu vermeiden bzw. zu begrenzen, nachdem im Rahmen eines Versicherungsvertrages das entsprechende Risiko auf den Versicherer transferiert wurde.654 Betrachtet man einen typischen Versicherungsvertrag, so werden die bedingten Zahlungsverpflichtungen des Versicherungsunternehmens direkt an die zufallsbedingte Höhe eines Schadens gekoppelt. Die versicherten Risiken können in der Praxis oftmals von dem Versicherungsnehmer selbst beeinflusst werden. Jedoch kann das Verhalten des Versicherungsnehmers nach Abschluss des Versicherungsvertrags nicht vom Versicherungsunternehmen beobachtet werden. Zur Veranschaulichung wird ein Kraftfahrzeug-Vollkaskoversicherungsvertrag betrachtet. Hier besteht die Gefahr für den Versicherer, dass der Versicherungsnehmer einen verminderten Anreiz hat, Schäden zu vermeiden, nachdem das entsprechende Risiko auf den Versicherer übertragen wurde. Dem Versicherungsunternehmen ist es oftmals nicht möglich, dem Versicherungsnehmer nachzuweisen, dass dieser nachlässig gehandelt oder gar den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat. Bei Rückversicherungsverträgen besteht für den Rückversicherer eine analoge Gefahr. Betrachtet man beispielsweise die im Kontext von Katastrophenrisiken wichtigen Versicherungskontrakte zwischen einem Erst- und einem Rückversicherungsunternehmen, so ist der Erstversicherer in der Regel sowohl für die Selektion und das Monitoring seiner Versicherungsnehmer, als auch für die Regulierung der Schäden verantwortlich. Da eine vollständige Überwachung dieser Aufgaben durch das Rückversicherungsunternehmen rechtlich nicht möglich bzw. zu kostenintensiv wäre, kommt es bei einem solchen Versicherungsvertrag zu einer asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Erst- und Rückversicherer. Dies hat zur Folge, dass mit wachsendem Rückversicherungsschutz (d.h. mit höherer Rückversicherungsquote) die Sorgfalt des Erstversicherers bei der Ausübung der genannten Tätigkeiten abnimmt. Somit kommt es bei dem Erstversicherungsunternehmen zu versicherungsinduzierten Verhaltensänderungen655, die schließlich dazu führen, dass höhere Kosten für den Rückversicherer entstehen und die Rückversicherungsprämien entsprechend hoch angepasst werden müssen.656
654 655 656
Vgl. Canabarro, E. et al. (2000), S. 9. Vgl. Richter, A. (2004), S. 104. Vgl. Berge, T. (2005), S. 92.
256
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Im Kontext von Katastrophenanleihen kann das Problem des Moral-Hazard-Verhaltens darin bestehen, dass der Emittent bewusst versucht, die Bezugsgröße derart zu manipulieren, dass der Trigger für das ex ante vereinbarte Versicherungsereignis erreicht wird, und dadurch keine vollständige Rückzahlung des investierten Kapitals an die Anleger erfolgen muss.657 Die Möglichkeit der Manipulation seitens des Emittenten hängt entscheidend davon ab, welche Bezugsgröße für den Trigger vertraglich vereinbart wurde.658 Ist als Trigger beispielsweise der Branchenindex vereinbart, so hängt das Ausmaß des moralischen Risikos davon ab, welchen Einfluss der einzelne Versicherer auf den Branchenschaden ausüben kann. Das moralische Risiko kann ausgeschlossen werden, wenn das emittierende Versicherungsunternehmen keinerlei Einfluss auf den Trigger (z.B. Erdbebensstärke) ausüben kann.659 4.1.3.2 Adverse Selection
Unter dem Begriff „Adverse Selection“ wird in der versicherungswissenschaftlichen Literatur der Sachverhalt verstanden, dass der potentielle Versicherungsnehmer und das Versicherungsunternehmen einen unterschiedlichen Informationsstand besitzen, und der Versicherungsnehmer diese Informationsasymmetrie für sich ausnutzt. Im Gegensatz zur Moral Hazard-Situation haben Versicherungsnehmer und Versicherer bereits vor Vertragsabschluss unterschiedliche Informationsstände.660 In einem Versicherungsvertrag haben die Versicherungsnehmer oft bessere Informationen bezüglich ihrer Schadenneigung als die Versicherer. Der Versicherer ist oftmals nicht in der Lage, potentielle Versicherungsnehmer risikogerecht zu klassifizieren, so dass er einen inhomogenen Versicherungsbestand aus guten und schlechten Risiken bekommt. Aufgrund der Unkenntnis über die Risikotypen der Versicherungsnehmer ist das Versicherungsunternehmen gezwungen, einen einheitlichen Versicherungstarif für unterschiedliche Risikoklassen zu erheben. Diese Tarifierungspolitik kann zu Adverse Selection führen. Denn schlechte Risiken, d.h. diejenigen Versicherungsnehmer mit höherem Schadenerwartungswert, werden die Informationsasymmetrie ausnutzen und verstärkt Versicherungsschutz nachfragen. Auf der anderen Seite werden die guten Risiken weniger Versicherungsschutz nachfragen, da die einheitliche Versicherungs-
657
658 659 660
Bei der Schätzung der Schadenshöhe hat das Versicherungsunternehmen vielfach Spielräume, um diese für sich ausnutzen zu können, vgl. Wagner, F. (1997), S. 524. Vgl. hierzu Abschnitt 4.1.2.3 „Theoretische Bezugsgrößen“. Vgl. Berge, T. (2005), S. 93. Vgl. Froot, K. A. (1999), S. 36.
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick
257
prämie für ihre Risikoklasse zu teuer ist. Das Ergebnis ist eine systematische Verschlechterung des Versicherungsportfolios für den Versicherer, da der Anteil der schlechten Risiken am gesamten Portfolio steigt.661 Im Rahmen von Cat Bonds ist zu erwarten, dass das Versicherungsunternehmen grundsätzlich über einen besseren Informationsstand hinsichtlich des eigenen Versicherungsportfolios verfügt als die potentiellen Investoren an den Kapitalmärkten. Das emittierende Versicherungsunternehmen wird folglich dazu neigen, seinen besseren Informationsstand auszunutzen und nur diejenigen Teile seines Portfolios in den Cat Bond einzubringen, die ein überdurchschnittliches Risiko aufweisen.662 Für einen potentiellen Investor, dem in der Regel höchstens Informationen bezüglich der historischen Entwicklung des Gesamtportefeuilles bekannt sind, ist diese Adverse Selection meist nicht erkennbar, so dass er Gefahr läuft, die in den Cat Bonds verbrieften Risiken zu unterschätzen.663 Dadurch wird der Investor für das übernommene Risiko möglicherweise nicht adäquat vergütet. Folglich besteht die Gefahr für die Emittenten, dass sich Investoren aus diesem Segment zurückziehen und langfristig keine ausreichende Nachfrage nach Cat Bonds erzielt werden kann.
4.1.4 Beurteilung der Triggermechanismen Wie bereits oben diskutiert, gibt es bei der Vertragsgestaltung von Cat Bonds diverse Möglichkeiten, wie die Zinszahlung und die Rückzahlung des investierten Kapitals geregelt werden können. Die dabei ex ante festgelegten Bedingungen basieren stets auf einer vertraglich fixierten Bezugsgröße. Im Folgenden sollen anhand der drei vorgestellten Kriterien, Basisrisiko, Moral Hazard und Adverse Selection, die verschiedenen Ausgestaltungsvarianten analysiert und hinsichtlich ihrer Eignung als Trigger beurteilt werden. Swiss Re veröffentlichte im Jahr 2004 die bei den emittierten Katastrophenanleihen verwendeten fünf wichtigsten Trigger Events664:
661 662 663
664
Im Extremfall versichern sich die guten Risiken gar nicht. Vgl. Schulenburg, J.-M. (2005), S. 305. Vgl. Anderson, R. R. (1998), S. 11 sowie Berge, K. (2005), S. 37. Um diese Art Informationsasymmetrie zu kompensieren, müssen die Investoren am Kapitalmarkt einen höheren Risikozuschlag verlangen als die klassische Rückversicherung. Dies führt dazu, dass die Absicherung durch Cat Bonds im Vergleich zur Rückversicherung relativ teuer ist. Vgl. Swiss Re (2004), S. 16 sowie Canabarro, E. et al. (2000), S. 3.
258
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
¾ Transaktionen auf Entschädigungsbasis (Indemnity Trigger) beziehen sich auf den Versicherungsbestand des Zedenten und gleichen konventionellen Risikolösungen. Der Versicherungsfall wird ausgelöst, wenn der unternehmensindividuelle Schaden eine bestimmte Schadenhöhe überschreitet. ¾ Bei Branchenindextriggern (Industry Index Trigger) erhält der Zedent einen bestimmten Prozentsatz der Branchenschäden, 665 die eine festgelegte untere Schranke übersteigen bis hin zu der vereinbarten Obergrenze. Bei einem Branchenindextrigger trägt der Zedent das Basisrisiko, wenn seine tatsächlichen Schäden von jenen der gesamten Branche abweichen. ¾ Bei Modellschadentriggern (Modelled Loss Trigger) werden Modelle Dritter zur Schadenschätzung verwendet. Die physikalischen Eigenschaften der Katastrophe werden in ein Modell eingegeben, das die erwarteten Schäden des Zedenten-Portefeuilles berechnet. Die Auszahlung basiert nicht auf den tatsächlichen, sondern auf den vom Modell berechneten Schäden.666 ¾ Bei rein parametrischen oder physikalischen Triggern (Pure Parametric Trigger) hängt die Entschädigung des Zedenten – bis zu der vereinbarten Obergrenze – nur vom Ort und von der Schwere des Naturereignisses ab. Bei solchen Triggern ist die Risikobeurteilung für die Investoren vollkommen transparent. ¾ Parametrische Indizes (Parametric Indices) korrigieren den rein parametrischen Trigger, indem sie den Raster verfeinern, jedes Planquadrat entsprechend der lokalen Ereignisexponierung des Zedenten unterschiedlich gewichten und eine Formel verwenden, die das Portefeuille des Zedenten widerspiegelt.
4.1.4.1 Indemnity Trigger
Bei Indemnity Triggern (Entschädigungstrigger) werden die unternehmensindividuellen Versicherungsschäden als Bezugsgröße herangezogen. Somit besteht ein direkter Zusammenhang zwischen den auftretenden Versicherungsschäden und der Zahlungsstruktur des Cat Bonds. Überschreitet der unternehmensindividuelle Schaden bei Eintritt des Versicherungsereignisses den ex ante determinierten Schwellenwert, so erhält
665 666
Ein solcher Index ist z.B. der Property Claim Service-Index. Näheres hierzu in Kapitel 5. Mehr dazu vgl. Risk Management Solutions unter http://www.rms.com
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick
259
das emittierende Versicherungsunternehmen die vertraglich festgelegten Kompensationszahlungen aus den Katastrophenanleihen und ist somit in der Lage, die Ansprüche der Versicherten zu begleichen. Derartige Transaktionen beziehen sich somit unmittelbar auf den Versicherungsbestand des risikotransferierenden Unternehmens und gleichen damit der traditionellen Rückversicherung. Der entscheidende Vorteil für das emittierende Unternehmen bei dieser Trigger-Form ist, dass es kein Basisrisiko eingeht.667 Dies bedeutet, es besteht hierbei keine Gefahr der Abweichung zwischen dem tatsächlich aus dem Versicherungsereignis entstandenen Schaden und der aus den Cat Bonds resultierenden Entschädigungszahlung.668 Dieser Vorteil für den Emittenten der Cat Bonds stellt sich jedoch aus Sicht der Investoren als problematisch dar. Es besteht bei dieser Trigger-Form die Gefahr, dass das Versicherungsunternehmen bewusst höhere Versicherungsschäden angibt, um den Trigger auszulösen und somit die Ansprüche der Investoren zu kürzen.669 Diese können die Manipulationsmöglichkeiten seitens des Emittenten als Externe in der Regel nicht kontrollieren und sind somit der Gefahr von Adverse Selection und Moral Hazard ausgesetzt.670 Damit das Versicherungsunternehmen bei dieser Trigger-Form trotz des erhöhten Risikos von Moral Hazard und Adverse Selection seine Cat Bonds an den Kapitalmärkten platzieren kann, muss es den Investoren einen höheren Risikozuschlag anbieten.671 Eine weitere Möglichkeit, den Problemen des Moral Hazard und Adverse Selection entgegenzuwirken, ist die Einschaltung einer objektiven dritten Partei, z.B. einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, welche die Aufwendungen für Versicherungsleistungen
667
668 669
670
671
Dieser Triggertyp war wegen des fehlenden Basisrisikos ziemlich beliebt in den ersten Emissionen, verlor jedoch im Laufe der Zeit seine Attraktivität. Vgl. Araya, R. (2005), S. 175. Vgl. Berge, K. (2005), S. 36. Die Manipulationsmöglichkeiten des emittierenden Versicherungsunternehmens erstrecken sich dabei sowohl auf die unmittelbaren Zahlungen für Versicherungsfälle als auch auf die Bewertung der Schadenrückstellungen für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle. Da nach dem deutschen Recht das Vorsichtsprinzip bei der Bilanzierung gilt, kann eine Überbewertung der noch nicht abgewickelten Versicherungsfälle in einem gewissen Rahmen ziemlich problemlos erfolgen. Die Gefahr von Moral Hazard und Adverse Selection besteht auch in der traditionellen Rückversicherung. Jedoch unterhalten Erst- und Rückversicherer in den meisten Fällen längerfristige Geschäftsbeziehungen, die dem Risiko von Moral Hazard und Adverse Selection entgegenwirken. Eine solche Langfristigkeit mit der Möglichkeit der Vertrauensbildung fehlt jedoch bei den Cat Bond-Emissionen. Vgl. Swiss Re (2003 a), S. 8.
260
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
überprüft. Dies führt jedoch zu zusätzlichen Kosten, die das emittierende Unternehmen tragen muss.
Unternehmensindividuelle Versicherungsschäden als Bezugsgröße Vorteile Investoren
Emittenten
Nachteile
x Im Vergleich zu anderen Triggern höhere Zinszahlungen
x Gefahr von Adverse Selection und Moral Hazard
x Basisrisiko ausgeschlossen
x Schwere Platzierung der Bonds
x Manipulationsmöglichkeiten seitens der Emittenten
x Eventuell harte Kontrolle durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und zusätzliche Kosten Tabelle 4.5: Vor- und Nachteile des Indemnity Triggers
4.1.4.2 Branchenindextrigger
Beim sog. „Branchenindextrigger“ wird im Unterschied zum Entschädigungstrigger als Auslösebedingung nicht ein unternehmensindividueller Versicherungsschaden formuliert, sondern der durch ein vertraglich vereinbartes Versicherungsereignis in der jeweiligen Region hervorgerufene, marktweite Gesamtschaden. Kommt es dann in der Region zu einem ex ante festgelegten Versicherungsereignis, so erhält das emittierende Unternehmen einen bestimmten Prozentsatz der Branchenschäden, die einen im Voraus determinierten Schwellenwert übersteigen bis hin zu einer vereinbarten Obergrenze.672 Damit diese Bezugsgröße eingesetzt werden kann, muss sie von einer Institution gemessen werden. Erforderlich dafür wäre jedoch, dass x Versicherer ihre Verpflichtungen, die auf ein ex ante definiertes Versicherungsereignis zurückzuführen sind, identifizieren, x diese Verpflichtungen aus ihren Versicherungspolicen berichten und
672
Vgl. Swiss Re (2004), S. 16.
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick
261
x die Daten zeitnah gesammelt werden. Eine solche Institution ist die in den USA tätige Organisation „Property Claim Services“. Sie veröffentlicht mit Katastrophen in den USA verbundene Versicherungsschäden, indem sie einen Versicherungsschadensindex anbietet. 673 Da sie auf Schadenschätzungen einer repräsentativen Anzahl von Versicherern und nicht auf die Originaldaten (d.h. die tatsächlich geleisteten Auszahlungen der Versicherer) zurückgreift, ist es ihr möglich, ein zügiges Reporting nach einer Katastrophe bereitzustellen674. Grundsätzlich kann aber gesagt werden, dass aus Sicht der Investoren ein als marktweiter Versicherungsschaden formulierter Trigger vorteilhaft ist: x Um einen Cat Bond zu bewerten, kann der Investor die historischen Versicherungsschäden heranziehen, ohne die individuellen Portfolios der Emittenten zu analysieren.675 x Dieses aus den historischen Daten erlangte Wissen wird dem Investor bei allen anderen zukünftigen Investitionen zur Verfügung stehen. x Die Einflussmöglichkeiten des Emittenten auf den Branchenindex sind gegenüber dem Indemnity Trigger jedoch eingeschränkt, da seine Schadensmeldungen nur anteilig in den Branchenindex einfließen. Somit sind sie als Trigger für die Investoren hinsichtlich Adverse Selection und Moral Hazard vorteilhafter als der Indemnity Trigger. Auf der Seite des Emittenten kann durch die Vereinbarung des Branchenindextriggers ein Basisrisiko entstehen. Dies resultiert daraus, dass die Branchenschäden nicht vollkommen mit den unternehmensindividuellen Schäden korrelieren. 676 Insbesondere kann der Fall eintreten, dass die Branchenschäden insgesamt relativ niedrig sind und somit im Extremfall die ex ante festgelegte Untergrenze zur Auslösung der Entschädigung nicht erreicht wird, das risikotransferierende Unternehmen jedoch einen überdurchschnittlich hohen Schaden zu begleichen hat.677 Zusammenfassend sollen in der
673 674
675 676 677
Vgl. Araya, R. (2005), S. 174. Mehr Informationen zu Property Claim Services (PCS) finden sich im Internet unter deren Veröffentlichungen www.iso.com/products/2800/prod2801.html sowie im Kapitel 5. Vgl. Froot, K. A. (1997), S. 18. Vgl. Berge, K. (2005), S. 36. Dieser Triggertyp ist deshalb für Emittenten geeignet, die ein repräsentatives Portfolio haben wie der gesamte Markt. Dies ist vor allem bei Rückversicherern der Fall. Vgl. Araya, R. (2005), S. 174.
262
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Tabelle 4.6 die Vor- und Nachteile für die Emittenten und die Investoren bei der Wahl des Branchenindextriggers festgehalten werden.
Branchenindextrigger Vorteile Investoren
x Eigenständige Beurteilung der Bonds möglich durch Analyse von historischen Versicherungsschäden x Aufgebautes Wissen aus historischen Daten stehen bei jeder zukünftigen Investition zur Verfügung x Minderung des Risikos von Adverse Selection und Moral Hazard
Emittenten
x Bonds transparent und attraktiv für Investoren und somit leichtere Platzierung
Nachteile x Keine unmittelbare Überprüfung von veröffentlichten marktweiten Versicherungsschäden möglich x Eine fortlaufende Messung und Veröffentlichung von Versicherungsschäden ist noch nicht sehr verbreitet. x Gefahr vor Basisrisiko
x Möglichkeit, marktweite Versicherungsschäden zu manipulieren (Bsp. PCS-Index) Tabelle 4.6: Vor- und Nachteile marktweiter Versicherungsschäden als Trigger
4.1.4.3 Modellschadentrigger
Bei dem sog. Modellschadentrigger basieren die Schadenschätzungen auf Simulationen und Modellrechnungen von dritter Seite. Dabei dienen die verschiedenen physikalischen Eigenschaften bzw. Parameter des jeweiligen Katastrophenereignisses als Basisdaten für das Modell, aus dem die erwarteten Schäden berechnet werden. Kommt es dann in der jeweiligen Region zu einem ex ante festgelegten Versicherungsereignis, so basiert die bedingte Zinszahlung bzw. die bedingte Rückzahlung nicht auf den aus dem Versicherungsereignis tatsächlich resultierenden Schäden, sondern auf den aus dem Modell berechneten Schäden.678 Da die Kompensationszahlungen für das emittierende Unternehmen hierbei auf einem Modell basieren, muss der Emittent bei dieser Ausgestaltungsform des Triggers mit
678
Vgl. Swiss Re (2003 a), S. 11.
263
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick
einem gewissen Basisrisiko rechnen. Dabei liegt das Basisrisiko bei dieser TriggerForm darin begründet, dass die Ergebnisse der Modellrechnung nicht in jedem Fall mit dem unternehmensindividuell entstandenen Schaden übereinstimmen müssen.
Modellschadentrigger Vorteile Investoren
x Keine Einflussmöglichkeiten des Emittenten auf den Trigger x Ausschluss des Risikos von Adverse Selection und Moral Hazard
Emittenten
x Bonds attraktiv für Investoren und somit leichte Platzierung
Nachteile x Schwierigkeit, die Modellberechnungen bzw. Simulationen zu verstehen x Problem der Intransparenz
x Hohes Basisrisiko
x Schnelle Abrechnung, dadurch schneller Zufluss von Kompensationszahlungen Tabelle 4.7: Vor- und Nachteile des Modellschadentriggers
Unter der Voraussetzung, dass das zugrunde liegende Modell vollständig ex ante spezifiziert ist, sind bei dieser Trigger-Form nahezu keine Manipulationsmöglichkeiten auf der Seite des emittierenden Versicherungsunternehmens vorhanden.679 Damit haben die Investoren kein Risiko bezüglich Moral Hazard und Adverse Risiko. Für die Investoren entsteht bei dem Modellschadentrigger jedoch ein Problem der Intransparenz.680 Diese Intransparenz resultiert daraus, dass Modellrechnungen bzw. Simulationen höchst komplex sein können, so dass es für einen versicherungsfremden potentiellen Anleger oftmals schwierig ist, das in dem Cat Bond verbriefte Risiko richtig einzuordnen. Ein entscheidender Vorteil des Modellschadentriggers ist, dass die für die bedingte Zinszahlung bzw. die bedingte Rückzahlung relevanten Daten innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung stehen, 681 da bei dieser Trigger-Form keine Bestandsaufnahmen der
679 680 681
Vgl. Nell, M. und Richter, A. (2005), S. 327. Vgl. Swiss Re (2004), S. 16. Vgl. Berge, K. (2005), S. 37.
264
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
einzelnen Versicherungsunternehmen notwendig sind, so dass die Schadensmeldungen nicht abgewartet werden müssen.682 4.1.4.4 Reine Parametrische Trigger
Eine vorgestellte alternative Bezugsgröße ist der physische bzw. reine parametrische Trigger (englisch: Pure Parametric Trigger genannt). Hier ist die Anzahl oder Ausprägung des Versicherungsereignisses (z.B. Sturm oder Erdbeben) an sich Gegenstand der Betrachtung. Wie oft und wie stark (gemessen an Windgeschwindigkeit) ein Sturm in der Risk-Period eingetreten ist, wird durch offizielle Stellen dokumentiert, so dass eine Manipulation seitens des Emittenten nahezu unmöglich ist.683 Das Problem des Moral-Hazard-Verhaltens wird hier ausgeschlossen, denn eine Voraussetzung für das Moralische Wagnis ist, dass die erwarteten Verluste vom Verhalten eines Vertragspartners abhängen. Für die Beurteilung eines Cat Bonds sind bei einem reinen parametrischen Trigger die historischen Daten für die entsprechenden Naturereignisse entscheidend. Daher liegt die Bezugsgröße außerhalb der Einflussmöglichkeiten des Zedenten, so dass die Gefahr von Moral Hazard und Adverse Selection vollständig eliminiert werden kann.684 Darüber hinaus bietet der parametrische Trigger den Investoren absolute Transparenz, da die hierbei zugrunde liegenden Bezugsgrößen von offiziellen und unabhängigen Stellen dokumentiert werden und für die Investoren einfach nachzuvollziehen sind.685 Ein weiterer Vorteil von parametrischen Triggern liegt in der schnellen Abwicklung, da die Daten über Anzahl und Stärken von Naturkatastrophen innerhalb kürzester Zeit nach dem Ereignis zur Verfügung stehen.686 Auf Seiten der Emittenten muss bei dieser Trigger-Form jedoch mit einem erheblichen Basisrisiko gerechnet werden.687 Eine hohe Anzahl von Erdbeben oder Stürmen muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass die zu leistenden Versicherungsschäden hoch sind.
682
683 684 685 686 687
Bei Triggern, die auf tatsächliche Schäden abstellen, besteht zudem ein Abwicklungsrisiko, da das genaue Ausmaß der tatsächlich zu leistenden Versicherungsschäden erst Jahre nach dem Versicherungsereignis feststeht. Beim Modellschadentrigger wird das Abwicklungsrisiko ausgeschlossen. Vgl. Albrecht, P. und Schradin, H. R. (1998), S. 592 f. Vgl. Wagner, F. (1997), S. 531. Vgl. Nell, M. und Richter, A. (2005), S. 327. Vgl. Swiss Re (2003 a), S. 10. Vgl. Nell, M. und Richter, A. (2005), S. 327. Vgl. Swiss Re (2003 a), S. 10.
265
4.1 Entstehungsgeschichte im Überblick
Auf der anderen Seite verursachte allein Sturm Katrina im Jahr 2005 Versicherungsschäden geschätzt in Höhe von 45 Mrd. USD688. Das Basisrisiko für das emittierende Versicherungsunternehmen resultiert daraus, dass sich nicht zwangsläufig eine hohe positive Korrelation zwischen dem parametrischen Trigger und den von ihm zu leistenden Versicherungsschäden ergeben. Nur für den Fall, dass der Versicherer einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Anzahl bzw. Ausprägung eines Versicherungsereignisses und den einhergehenden Versicherungsschäden herstellen kann, eignet sich diese Bezugsgröße. Tabelle 4.8 zeigt, welche Vor- und Nachteile sich für die Investoren und Emittenten bei der Wahl eines parametrischen Triggers als Bezugsgröße ergeben.
Reine Parametrische Trigger Vorteile Investoren
Nachteile
x Bonds attraktiv, da die Probleme Adverse Selection und Moral Hazard nicht relevant sind. x Manipulationsmöglichkeiten von Seiten der Emittenten können ausgeschlossen werden. x hohe Transparenz
Emittenten
x hohe Nachfrage seitens der Investoren und somit leichte Platzierung der Bonds
x Gefahr von Basisrisiko durch Kopplung an eine objektive Größe
x schnelle Abwicklung, zügige Kompensationszahlungen
x Absicherung nur möglich bei hoher positiver Korrelation zwischen Versicherungsschäden und Anzahl/Ausprägung des Versicherungsereignisses
Tabelle 4.8: Vor- und Nachteile von reinen parametrischen Triggern
4.1.4.5 Parametrische Indizes
Die parametrischen Indizes sind eine Weiterentwicklung der rein parametrischen Trigger und stellen den am häufigsten verwendeten Trigger-Mechanismus dar.689 Dabei
688
Vgl. Towers Perrin Tillinghast (2005), S. 2.
266
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
werden die rein parametrischen Trigger zunächst dadurch korrigiert, dass die vertraglich festgelegte Region in einzelne Planquadrate aufgeteilt wird, welche anschließend entsprechend den unternehmensindividuellen Gefahren des Katastrophenereignisses gewichtet werden. Mit Hilfe dieser gewichteten Planquadrate und einer Formel, die das Portefeuille des jeweiligen Unternehmens widerspiegelt, wird daraufhin ein entsprechender Index generiert. Mit den parametrischen Indizes wird der Versuch unternommen, eine Bezugsgröße zu etablieren, die einerseits das Risiko von Moral Hazard und Adverse Selection für die Investoren ausschließt und andererseits das Basisrisiko für die Emittenten minimiert. Wie bei jeder indexgebundenen Deckung hat auch bei dieser Trigger-Form das emittierende Versicherungsunternehmen ein gewisses Basisrisiko zu tragen.690 Das Basisrisiko resultiert hierbei ebenfalls aus der Tatsache, dass der aus dem Versicherungsereignis tatsächlich entstandene unternehmensindividuelle Schaden nicht zwangsläufig mit dem indexierten Schaden übereinstimmen muss. Bei der Ausgestaltung des parametrischen Indizes ist das Basisrisiko im Vergleich zu den reinen parametrischen Triggern erheblich geringer, da hierbei eine unternehmensindividuelle Gewichtung innerhalb der einzelnen Planquadrate erfolgt.691 Wird der parametrische Index bereits zu Vertragsbeginn vollständig festgelegt, so bestehen bei Eintritt des Versicherungsereignisses auf der Seite des Versicherungsunternehmens nahezu keine Manipulationsmöglichkeiten mehr. Insofern ist diese TriggerForm für den Anleger ebenfalls attraktiv, auch wenn sie nicht den gleichen Transparenzgrad aufweist wie der reine parametrische Trigger. Letztendlich kann festgehalten werden, dass es keine optimale Bezugsgröße gibt, welche die drei Risiken Moral Hazard, Adverse Selection und Basisrisiko gleichermaßen ausschließen könnte. Eine für den Emittenten vorteilhafte, das Basisrisiko ausschaltende Bezugsgröße wie der Indemnity Index ist für die Investoren gleichzeitig mit den erheblichen Gefahren der Adverse Selection und Moral Hazard verbunden. Branchenindextrigger und parametrische Trigger mindern zwar das Risiko von Moral Hazard und Adverse Selection für die Investoren, bergen aber ein gefährliches Basisrisiko für
689
690 691
Nach einer Studie von Swiss Re wurden bei ca. 60 % der bisher emittierten Cat Bonds parametrische Indizes als Trigger vereinbart. Vgl. Swiss Re (2004), S. 16. Vgl. Nell, M. und Richter, A. (2000), S. 3. Vgl. Swiss Re (2003 a), S. 11.
4.2 Einsatzmöglichkeiten und Emissionswege von Katastrophenanleihen
267
die Emittenten.692 In diesem Zusammenhang scheinen die parametrischen Trigger eine vernünftige Kompromisslösung zu sein.693 Hier werden das Risiko von Moral Hazard und Adverse Selection für die Investoren weitgehend ausgeschaltet. Auf der anderen Seite wird durch die unternehmensindividuelle Indexgewichtung das Basisrisiko für die Emittenten minimiert. Dies ist auch der Grund, weshalb sich diese Trigger-Form bei den bisherigen emittierten Cat Bonds durchgesetzt hat. Abbildung 4.9 zeigt den Zusammenhang zwischen dem Transparenzgrad für die Investoren und dem Basisrisiko für die Emittenten.694 Parametrische Indizes bieten eine relative hohe Transparenz bei gleichzeitig minimiertem Basisrisiko. Dies ist auch der Grund, warum diese Art von Triggern bei den meisten Cat Bonds bevorzugt wurde.
Abbildung 4.9 : Basisrisiko und Transparenzgrad von Triggern
4.2 Einsatzmöglichkeiten und Emissionswege von Katastrophenanleihen Im folgenden Abschnitt soll diskutiert werden, wie Katastrophenanleihen in der Praxis eingesetzt werden können und welche Emissionswege existieren. Dabei konzentriert
692
693 694
Eine ausführliche Analyse des Trade-Offs zwischen Basisrisiko und Moral-Hazard bei ILSInstrumenten findet man bei Doherty, N. A. und Richter, A. (2002). Vgl. Berge, K. (2005), S. 37. Vgl. Swiss Re (2003 a), S. 8.
268
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
sich das Hauptaugenmerk auf die gesellschaftsrechtlichen Anforderungen, die bei den unterschiedlichen Emissionswegen zu beachten sind.
4.2.1 Einsatzmöglichkeiten In diesem Unterkapitel werden zunächst die zentralen Gründe für den Einsatz von Cat Bonds vorgestellt. In diesem Kontext werden sowohl die einzelnen Aspekte für eine Emission von Katastrophenanleihen durch ein Versicherungsunternehmen diskutiert als auch der Einsatz von Cat Bonds außerhalb der Versicherungsbranche. 4.2.1.1 Erweiterung der Zeichnungskapazität
Cat Bonds werden in erster Linie durch Erst- und Rückversicherungsunternehmen zur Ergänzung oder als Substitut zur klassischen Rückversicherung resp. Retrozession eingesetzt. Hierbei eignen sich Cat Bonds insbesondere zur Absicherung gegen Naturkatastrophenrisiken bzw. Großschadenereignisse.695 Diese Tatsache liegt beispielsweise darin begründet, dass einerseits die hieraus resultierenden Schäden oft extreme Ausmaße annehmen und andererseits der Transfer von Versicherungsrisiken auf den Kapitalmarkt eine enorme zusätzliche Kapazität darstellt. Mit Cat Bonds wird eine Möglichkeit geschaffen, neue Investoren für den Versicherungsmarkt zu gewinnen. Erfahrungsgemäß werden Rückversicherungskapazitäten nach Jahren extremer Häufung von Großschadenereignissen knapp. Durch den Einsatz von Cat Bonds werden einerseits eventuell auftretende Kapazitätsengpässe auf den Rückversicherungsmärkten reduziert bzw. vermieden, und andererseits werden die Grenzen der Versicherbarkeit signifikant erweitert.696 Die Emission von Cat Bonds durch ein Erst- oder Rückversicherungsunternehmen führt folglich zu einem erweiterten Anwendungsbereich von Risikomanagementlösungen. 4.2.1.2 Vermeidung des Kreditrisikos
Unter dem sog. Kreditrisiko bzw. Ausfallrisiko versteht man das Risiko, dass das (Versicherungs-)Unternehmen, welches das jeweilige Versicherungsrisiko absichert, aufgrund mangelnder Zahlungsfähigkeit seinen vertraglich vereinbarten Verpflichtungen im Schadenfall nicht mehr nachkommen kann, und der Versicherungsschutz somit ausfällt. Dieses Risiko wird durch den Einsatz von Cat Bonds vermieden, da hier das
695 696
Vgl. Munich Re (2001), S. 12. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 14-15.
4.2 Einsatzmöglichkeiten und Emissionswege von Katastrophenanleihen
269
im Katastrophenfall benötigte Kapital ex ante bereitgestellt wird697 und somit bei Eintritt des Versicherungsereignisses in jedem Fall zur Kompensation der entstandenen Schäden zur Verfügung steht.698 Insbesondere im Management von Katastrophenrisiken ist dieser Aspekt von großer Bedeutung, da diese Großschadenereignisse Ausmaße an Versicherungsleistungen verursachen können, die manche Versicherer bzw. Rückversicherer zum Konkurs führen. Das Kreditrisiko ist somit bei Katastrophenereignissen ein reelles und nicht nur ein theoretisches Risiko.699 Betrachtet man beispielsweise die Zunahme der Insolvenzen in der Versicherungswirtschaft Anfang der 1990er Jahre und die Bonitätsherabstufungen durch die Rating-Agenturen in den vergangenen Jahren, so wird deutlich wie sehr Katastrophenrisiken die Kapitalkraft der Versicherungsunternehmen schwächen können.700 4.2.1.3 Positiver Einfluss auf die Soll-Solvabilität
Ein weiterer interessanter Aspekt bzgl. der Emission von Cat Bonds durch Versicherungsunternehmen ist, dass sich Cat Bonds positiv auf die Soll-Solvabilität701 auswirken. Zunächst sind Cat Bonds risikobezogen und fallen somit nicht direkt in die Definition von Eigenmitteln. Gemäß § 53c VAG sind Verträge, die zu einem dauerhaften Kapitalzufluss führen, zu den Eigenmitteln zu zählen. Entscheidend bei dieser Betrachtung ist, dass Cat Bonds bereits zu Beginn der Laufzeit zu einem Kapitalzufluss führen. Aufgrund dessen entsprechen sie nicht der klassischen Konzeption von Rückversicherungsverträgen.
697 698 699 700
701
Vgl. hierzu die Ausführungen im nächsten Abschnitt 4.2.2. Vgl. Richter A. (2001), S. 3. Vgl. Nell, M. und Richter, A. (2005), S. 330. In der Folge der Anschläge des 11. September 2001 und der daraus resultierenden RatingHerabstufungen mussten selbst kapitalstarke Versicherungskonzerne wie Allianz und Münchner Rück ordentliche Kapitalerhöhungen durchführen, um die geschmälerte Eigenkapitalbasis wieder aufzustocken. Um die fortlaufende Fähigkeit, sämtlichen Verpflichtungen aus Versicherungsverträgen nachkommen zu können, zu garantieren, sind die Versicherer gemäß § 53 c Abs. 1 VAG verpflichtet, Eigenmittel mindestens in Höhe einer definierten Solvabilitätsspanne vorzuhalten. Eine detaillierte Darstellung der Solvabilitätsvorschriften für Versicherungsunternehmen findet man z.B. bei Farny, D. (2006), S. 777 ff.
270
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Bezogen auf den § 53c VAG, der die Unternehmenssicherheit garantieren soll,702 ist dieser vorzeitige Kapitalzufluss positiv zu bewerten. Durch den vorzeitigen Mittelzufluss beim Einsatz von Cat Bonds kann nämlich insbesondere das Insolvenzrisiko bei Rückversicherungsverträgen ausgeschlossen werden. Der Versicherer kann somit durch die Emission von Cat Bonds ex ante sicherstellen, dass er die gewünschte Absicherung des jeweiligen Versicherungsrisikos auch erhält. Dies hat wiederum zur Folge, dass zur Abdeckung eines bestimmten Versicherungsrisikos hierbei weniger Eigenmittel erforderlich sind. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sich der Umfang der erforderlichen Eigenmittel nach § 53c VAG um maximal 50% reduzieren kann. 703 Somit kann festgehalten werden, dass ein Versicherungsunternehmen durch die Emission von Cat Bonds eine Verringerung der Soll-Solvabilitätsspanne erreichen kann. 4.2.1.4 Attraktives Instrument im Risikomanagement
Neben den Erst- und Rückversicherungsunternehmen als klassische Emittenten treten auch Unternehmen außerhalb der Versicherungsbranche als Emittenten von Cat Bonds auf. Außerhalb der Versicherungsbranche ist diese Form des Risikotransfers zwar nicht sehr verbreitet, dennoch können Katastrophenanleihen für Unternehmen aus anderen Branchen ebenfalls ein attraktives Instrument im Risikomanagement darstellen. So brachte im Jahre 1997 das Disneyland Tokio beispielsweise eine Katastrophenanleihe zur Absicherung gegen Erdbebenrisiken auf den Markt.704 Einer der Hauptgründe dafür, weshalb es bisher kaum Cat Bond-Emissionen außerhalb des Versicherungssektors gibt, ist sicherlich der Umstand, dass diese Form des Risikotransfers großes Know-how im Risikomanagement und der Risikobewertung voraussetzt.705 Da Unternehmen aus anderen Branchen mit derartigen Transaktionen allerdings meist nur wenig vertraut sind, ist diese Form des Risikotransfers in den meisten
702
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704 705
Das Ziel der Solvabilitätsvorschriften ist die Verfügbarkeit über Kapitalmittel, wodurch die Deckung von Versicherungsleistungen ermöglicht und die Existenz des Versicherers erhalten werden sollen. Vgl. Farny, D. (2006), S. 779. Bei der Ermittlung der Solvabilitätsspanne wird eine Selbstbehaltquote von mindestens 50 % angenommen, auch wenn das Versicherungsunternehmen mehr als 50 % der übernommenen Risiken weitergegeben hat. Vgl. hierzu auch König, M. (1997), S. 1046. Vgl. Nell, M. und Richter, A., (2004 b), S. 6. Zur Schätzung von Naturgefahren sind in der Regel mannigfaltige Kenntnisse erforderlich. U. a. sind ingenieurwissenschaftliche Kenntnisse für Gebäude, meteorologische für die klimatische Veränderung, seismologische für Erd- und Seebeben sowie mathematisch-statistische Verfahren zur Schadensmodellierung notwendig. Über diese Kenntnisse verfügen jedoch nur wenige spezialisierte Firmen. Zudem sind die vorhandenen Modelle unvollkommen und müssen ständig weiter entwickelt werden. Vgl. Berge, T. (2005), S. 85.
4.2 Einsatzmöglichkeiten und Emissionswege von Katastrophenanleihen
271
Fällen nur mit einem enormen Aufwand realisierbar. Folglich bringt der Risikotransfer über die Emission von Cat Bonds für Unternehmen außerhalb der Versicherungsbranche in der Regel noch mehr Kosten mit sich, als er ohnehin schon für Versicherungsunternehmen verursacht.706
4.2.2 Mögliche Emissionswege Die Emission von Cat Bonds kann zunächst direkt durch einen Erst- bzw. einen Rückversicherer erfolgen („Direkt-Emission“). Alternativ können Cat Bonds aber auch durch eine Zweckgesellschaft, dem sog. „Special Purpose Vehicle“ emittiert werden.707 Diese beiden möglichen Emissionswege sowie ihre Vor- und Nachteile sollen in den folgenden beiden Abschnitten erörtert werden. 4.2.2.1 Direkt-Emission eines Cat Bonds
Bei der sog. „Direkt-Emission“ eines Cat Bonds tritt der Erst- bzw. Rückversicherer selbst als Emittent der Cat Bonds auf. Damit ein Versicherungsunternehmen derartige Anleihen ausgeben darf, müssen jedoch einige Voraussetzungen vor dem Hintergrund der verschiedenen Rechtsformen beachtet werden. Nach § 7 Abs. 1 VAG ist das Betreiben des Erstversicherungsgeschäftes nur in der Rechtsform der Aktiengesellschaft (AG), des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (VVaG) sowie der öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder Anstalt erlaubt.708 Bei reinen Rückversicherungsgesellschaften gilt diese Vorschrift nicht. D.h. reine Rückversicherungsgesellschaften können im Prinzip in jeder Rechtsform auftreten, also auch als Personengesellschaft oder Genossenschaft. Da Rückversicherungen jedoch überwiegend als Aktiengesellschaft auftreten, wird im Folgenden der Fokus auf Versicherungsunternehmen in der Rechtsform der AG gelegt. Ein entscheidender Aspekt für die Emission von Cat Bonds ist die Frage, welcher wertpapierrechtlichen Gattung sie zuzuordnen sind. Will eine Aktiengesellschaft beispielsweise als Emittent von Genussscheinen709, Gewinnschuldverschreibungen710 o-
706
707 708 709
Für die Risikoeinschätzung sind die Investoren außerhalb der Versicherungsbranche auf die Dienste von spezialisierten Modellierungsagenturen angewiesen, welche gesondert vergütet werden müssen. Vgl. Kamberger, T. und Nguyen, T. (2006), S. 448 f. Vgl. Farny, D. (2006), S. 180. Bei Genussscheinen handelt es sich um eine Kategorie von Wertpapieren, die in der Regel zwar bestimmte Vermögensrechte, aber keine Mitgliedschaftsrechte verbriefen. Vgl. Wöhe, G. (2000), S.717.
272
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
der Wandelschuldverschreibungen711 auftreten, so müssen nach § 221 AktG bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Hierzu gehören insbesondere ein Beschluss der Hauptversammlung mit einer drei Viertel Mehrheit und die Einräumung von Bezugsrechten an die Aktionäre des Unternehmens. Bei der Emission von reinen Gläubigerpapieren müssen die Aktionäre hingegen nicht miteinbezogen werden. Hier genügt bereits ein Beschluss des Vorstandes. Aus diesem Grund ist hierbei zunächst insbesondere zu prüfen, ob es sich bei Cat Bonds um reine Schuldverschreibungen oder um Gewinnschuldverschreibungen handelt, oder ob es sich dabei um Genussscheine handelt, welche eine Stellung zwischen Aktien und Anleihen einnehmen. Um die wertpapierrechtliche Gattung von Cat Bonds zu erörtern, ist es sinnvoll Cat Bonds mit bedingter Zinszahlung und Cat Bonds mit bedingter Rückzahlung zunächst getrennt zu untersuchen.712
a) Cat Bonds mit bedingter Zinszahlung Betrachtet man zunächst nur Cat Bonds mit einer katastrophenabhängigen Verzinsung, welche in der Literatur unter Coupon-at-Risk-Bonds geführt werden, so entsprechen diese nach König der Legaldefinition von Inhaberschuldverschreibungen.713 Die sog. Legaldefinition von Inhaberschuldverschreibungen findet sich in § 793 Abs. 1 BGB und lautet: „Hat jemand eine Urkunde ausgestellt, in der er dem Inhaber der Urkunde eine Leistung verspricht (Schuldverschreibung auf den Inhaber), so kann der Inhaber von ihm die Leistung nach Maßgabe des Versprechens verlangen, es sei denn, dass er zur Verfügung über die Leistung nicht berechtigt ist.“ Diese Einordnung der Couponat-Risk-Bonds liegt darin begründet, dass auch sie eine Verpflichtung des Emittenten darstellen. Die Verpflichtung besteht bei dieser Gestaltungsform von Cat Bonds darin, dass ex ante festgelegte Zinszahlungen an den Inhaber der Urkunde zu erbringen sind. Die Tatsache, dass die Leistungen in Abhängigkeit von einem vertraglich festgehalte-
710
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712 713
Die Gewinnschuldverschreibungen stellen eine Sonderform der Schuldverschreibungen dar. Das Aktiengesetz bezeichnet sie als Schuldverschreibungen, „bei denen die Rechte der Gläubiger mit Gewinnanteilen von Aktionären in Verbindung gebracht werden“ (§ 221 Abs. 1 AktG). Vgl. Wöhe, G. (2000), S.715. Wandelschuldverschreibungen enthalten das Recht, nach einer bestimmten Sperrfrist in Aktien umgetauscht zu werden. Damit bietet man gegenüber den normalen Obligationen einen gewissen Anreiz durch die Möglichkeit, das Gläubigerverhältnis in ein Beteiligungsverhältnis umzuwandeln. Vgl. Wöhe, G. (2000), S. 713. Vgl. Kamberger, T. und Nguyen, T. (2006), S. 448. Vgl. König, M. (1997), S. 1042 ff.
4.2 Einsatzmöglichkeiten und Emissionswege von Katastrophenanleihen
273
nen Versicherungsereignis erfolgen, ändert dabei nichts an der grundsätzlichen Leistungsverpflichtung. Auch wenn Coupon-at-Risk-Bonds den Anforderungen des § 793 Abs. 1 BGB genügen, so stellt sich dennoch die Frage, ob es sich dabei lediglich um gewöhnliche Schuldverschreibungen oder um Gewinnschuldverschreibungen handelt. Die Definition für Gewinnschuldverschreibungen findet sich dabei in § 221 Abs. 1 AktG; demnach handelt es sich um eine Gewinnschuldverschreibung, wenn „die Rechte der Gläubiger mit Gewinnanteilen von Aktionären in Verbindung gebracht werden“. Ausgehend von dieser Definition kommt König dabei zunächst zu dem Ergebnis, dass bei einer Anleihe mit einer katastrophenabhängigen Verzinsung regelmäßig eine Anknüpfung an den Gewinn im Sinne des § 221 Abs. 1 AktG gegeben ist. Auf diesem Resultat basierend kann dann letztendlich die Schlussfolgerung gezogen werden, dass es sich bei Coupon-at-Risk-Bonds mit einer katastrophenabhängigen Verzinsung regelmäßig um Gewinnschuldverschreibungen bzw. obligationsähnliche Genussrechte handelt.714 Insgesamt ist somit festzuhalten, dass für Cat Bonds mit katastrophenabhängiger Verzinsung, welche von einem Versicherungsunternehmen in der Form der Aktiengesellschaft emittiert werden sollen, die Voraussetzungen des § 221 AktG zu erfüllen sind. Dies hat zur Folge, dass eine Emission von Coupon-at-Risk-Bonds durch einen Versicherer in der Form der Aktiengesellschaft nur mit einem Beschluss der Hauptversammlung mit mindestens drei Viertel Mehrheit realisierbar ist. Darüber hinaus müssen den Aktionären der Gesellschaft Bezugsrechte gewährt werden.715 Bei einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ist die direkte Emission von Coupon-at-Risk-Bonds mit katastrophenabhängiger Zinszahlung gemäß § 36 VAG ebenfalls nur mit einer drei Viertel Mehrheit der obersten Vertretung möglich. Eine Gewährung von Bezugsrechten für die Mitglieder ist hierbei jedoch gesetzlich nicht erforderlich.716
714 715 716
Vgl. König, M. (1997), S. 1043. Vgl. Kamberger, T. und Nguyen, T. (2006), S. 448. Im Gegensatz zur Aktiengesellschaft gibt es beim Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit keine Aktionäre, die durch den Kauf von Eigenkapitalanteilen Mitgliedschaftsrechte erwarben. Die Mitgliedschaft entsteht gemäß § 20 VAG erst durch ein bestehendes Versicherungsverhältnis. Eine detaillierte Darstellung des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit findet man bei Farny, D. (2006), S. 195 ff.
274
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
b) Cat Bonds mit bedingter Rückzahlung Bei Cat Bonds mit einer bedingten Rückzahlung, die in der versicherungswissenschaftlichen Literatur meist unter Principal-at-Risk-Bonds geführt werden, kann bei Eintritt des ex ante spezifizierten Versicherungsereignisses der Anspruch auf Rückzahlung des Nominalbetrages ganz oder teilweise entfallen. Diese Gestaltungsform von Cat Bonds erinnert zunächst an das Genussrecht. Allerdings unterliegen die Genussrechte aufgrund der mangelnden begrifflichen und inhaltlichen gesetzlichen Definition einem großen Gestaltungsspielraum, so dass sie je nach Ausgestaltung mehr Eigenkapital- oder Fremdkapitalcharakter besitzen können.
Aufgrund der Tatsache, dass bei den Genussrechten das Recht auf Rückzahlung an den Gewinn resp. Verlust gekoppelt sein kann, findet jedoch eine sinngemäße Anwendung des § 221 Abs. 1 AktG auf die Emission von Genussrechten durch Aktiengesellschaften statt. Die Verknüpfung des Rechtes auf Rückzahlung mit dem Gewinn resp. Verlust des Unternehmens liegt hierbei darin begründet, dass der Gläubigeranspruch auf Rückzahlung in den meisten Fällen über den gewählten Trigger des Cat Bonds von dem Gewinn des Unternehmens abhängt. Als Konsequenz aus dieser Abhängigkeit müssen für eine Emission von Cat Bonds mit bedingtem Rückzahlungsanspruch durch ein Versicherungsunternehmen in der Form der Aktiengesellschaft die Voraussetzungen des § 221 Abs. 1 AktG erfüllt sein. Dies impliziert, dass eine Emission von Principal-at-Risk-Bonds durch ein Versicherungsunternehmen in der Form der Aktiengesellschaft nur mit einem Beschluss der Hauptversammlung mit mindestens drei Viertel Mehrheit möglich ist. Bei den Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit regelt auch bei dieser Gestaltungsform von Cat Bonds § 36 VAG, dass Genussrechte nur mit einem Beschluss der obersten Vertretung und einer Zustimmung mit drei Viertel Mehrheit emittiert werden dürfen.717 Ein weiterer bei der Direkt-Emission von Cat Bonds zu beachtender Aspekt ist, dass Versicherungsunternehmen nach § 7 Abs. 2 VAG „neben Versicherungsgeschäften nur solche Geschäfte betreiben dürfen, die hiermit in unmittelbarem Zusammenhang stehen“. Für reine Rückversicherungsunternehmen, die nicht die Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit haben, gilt diese Vorschrift jedoch nicht. Die Frage, ob derartige Anleihen für Versicherungsunternehmen, die auch das Erstversicherungsgeschäft betreiben, als versicherungsfremde Geschäfte einzuordnen sind, wurde allerdings bisher noch nicht abschließend geklärt. Aus diesem Grunde könnte es vor-
717
Vgl. Kamberger, T. und Nguyen, T. (2006), S. 448.
4.2 Einsatzmöglichkeiten und Emissionswege von Katastrophenanleihen
275
teilhaft sein, bei der Emission von Cat Bonds den indirekten Emissionsweg über eine Zweckgesellschaft zu wählen. 4.2.2.2 Emission von Cat Bonds über ein Special Purpose Vehicle
Neben der Direkt-Emission von Cat Bonds durch das transferierende Unternehmen existiert, wie bereits erwähnt, die Möglichkeit ein Special Purpose Vehicle (SPV) als Zweckgesellschaft zwischen zu schalten.718 Dabei ist das sog. Special Purpose Vehicle ein Unternehmen, das in der Regel allein für die Abwicklung des Risikotransfers resp. der damit verbundenen Transaktionen von dem transferierenden Unternehmen gegründet wird.719 Die Grundidee der indirekten Verbriefung versicherungstechnischer Risiken besteht in der Ausweitung der Kapazität eines (Rück-)Versicherungsunternehmens, indem ein besonderes Zweckunternehmen, das Special Purpose Vehicle, ein Rückversicherungsversprechen abgibt und dieses über die Kapitalmärkte finanziert. Dieser indirekte Emissionsweg ist bei nahezu allen Cat-Bond-Transaktionen gewählt worden. Der Vorteil der indirekten Emission liegt darin, dass der Rückversicherungsvertrag zwischen dem Versicherungsunternehmen und dem Special Purpose Vehicle aufsichts-, handelsund steuerrechtlich geregelt ist.720 Bei der Emission von Cat Bonds via Special Purpose Vehicle schließt einerseits das transferierende Unternehmen mit dem SPV einen Rückversicherungsvertrag über das abzusichernde Versicherungsrisiko ab. Auf der anderen Seite emittiert nun das SPV Cat Bonds, für die die Investoren eine Kapitaleinlage leisten. Dieses eingesetzte Kapital der Investoren wird nun von der Zweckgesellschaft in risikolose Anlagen wie z.B. Staatsanleihen investiert, für die das SPV entsprechende Couponzahlungen erhält. Gleichzeitig erhält das SPV für den zu leistenden Rückversicherungsschutz von dem transferierenden Unternehmen eine Rückversicherungsprämie. Die einzelnen Phasen des Verbriefungsvorgangs sind in der folgenden Abbildung 4.10 dargestellt.721
718 719 720
721
Vgl. u. a. Canabarro, E. et al. (2000), S. 2 sowie Swiss Re (2003 a), S. 6. Vgl. Nell, M. und Richter, A., (2004 b), S. 5. Darüber hinaus kann die Zwischenschaltung einer SPV das Vertrauen der Investoren erhöhen. Vgl. Wagner, F. (1997), S. 522 ff. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 348, Swiss Re (2003 a), S. 6 sowie. Kamberger, T. und Nguyen, T. (2006), S. 449.
276
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Abbildung 4.10: Grundstruktur des indirekten Verbriefungsvorgangs
x Phase 1: Die Verbriefung versicherungstechnischer Risiken setzt, wie auch bei einer traditionellen Rückversicherung, die Existenz eines oder mehrerer Erstversicherungsgeschäfte voraus.722 Dies können z.B. Versicherungsverträge sein, mit denen sich ein beliebiges Unternehmen gegen Erdbeben- oder Sturmschäden (bzw. ein anderes Katastrophenrisiko) schützen möchte. Für diesen Schutz entrichtet es an das Versicherungsunternehmen eine Prämie und enthält dafür Versicherungsschutz. x Phase 2: Das Versicherungsunternehmen tritt nun aus seinem Portefeuille versicherungstechnische Risiken an das Special Purpose Vehicle ab und bezahlt
722
Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 347.
4.2 Einsatzmöglichkeiten und Emissionswege von Katastrophenanleihen
277
dafür eine entsprechende Rückversicherungsprämie. Das SPV gewährt dem Versicherungsunternehmen Rückversicherungsschutz. Die Qualität des Schutzversprechens hängt nur von der Kapitalausstattung des SPV und damit von der weiteren Gestaltung der Verbriefung und Refinanzierung ab. Der Grund dafür liegt darin, dass das SPV im Gegensatz zum traditionellen Rückversicherungsunternehmen ein einziges transferiertes Risiko übernimmt723 und somit keine Ausgleichseffekte im Kollektiv und in der Zeit hat.724 x Phase 3: Die eigentliche Verbriefung erfolgt erst in der Phase 3. Das SPV platziert den Cat Bond am Finanzmarkt und erhält dafür von den Investoren Kapital, mit welchem er das Rückversicherungsschutzversprechen sicherstellen kann. x Phase 4: Das SPV investiert nun die erhaltenen Anleihegegenwerte und die vom Zedenten erhaltenen Prämien in Finanzmarktpapiere mit hoher Bonität und kurzer Laufzeit (sichere Anlagen), um somit auf einen ex ante definierten Versicherungsfall jederzeit gewappnet zu sein. Nur so kann eine schnelle Liquidierbarkeit bei geringem Kursrisiko erreicht werden. x Phase 5: Das Investitionsvolumen aus Phase 4 reduziert sich um den Betrag, den das SPV für die Organisation und die technische Abwicklung der Platzierung der Bonds an Investmentbanken und Versicherungsbroker entrichtet.725 Ereignet sich während der Risk Period keine Katastrophe, so kann das SPV mit Hilfe der Coupon- und Rückzahlungen aus den sicheren Anlagen und der erhaltenen Rückversicherungsprämie die Zins- und Tilgungsansprüche der Cat Bond-Investoren finanzieren. Kommt es hingegen innerhalb der Laufzeit in der vereinbarten Region zu dem ex ante festgelegten Katastrophenereignis, so leistet das SPV einerseits die vertraglich geregelten Entschädigungszahlungen an das risikotransferierende Unternehmen. Auf der anderen Seite erhält der Investor je nach Gestaltungsform des Cat Bonds nur noch redu-
723 724
725
Vgl. Berge, T. (2005), S. 41. Aufgrund der fehlenden Ausgleichseffekte im Kollektiv und in der Zeit wird der Risikotransfer via. Cat Bonds in der Regel teurer sein als die klassische Rückversicherung. Die größten Rückversicherungsgesellschaften haben speziell für die Organisation und Abwicklung der Alternativen Risikofinanzierung neue Finanzdienstleistungsunternehmen gegründet, wie z.B. die Gründung der Swiss Re New Markets sowie der Allianz Risk Transfer, jeweils mit Sitz in Zürich (Schweiz), sowie des Joint-Venture-Unternehmens Axa Paribas Alternative Risk Finance.
278
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
zierte Couponzahlungen bzw. für die restliche Laufzeit keine Zinszahlungen mehr, oder der Investor erhält am Ende der Laufzeit sein investiertes Kapital nicht mehr vollständig zurück. Dieser Weg der indirekten Emission wurde in den vergangenen Jahren bei nahezu allen Cat Bond-Transaktionen gewählt. Ein wesentlicher Vorteil der indirekten Emission von Cat Bonds über ein Special Purpose Vehicle ist, dass zwischen dem risikotransferierenden Unternehmen und dem SPV ein Rückversicherungsvertrag abgeschlossen wird und somit die aufsichts-, handels- und steuerrechtliche Behandlung geregelt ist. Dies bedeutet, dass bei diesem Weg der Emission von Cat Bonds das transferierende Unternehmen insbesondere nicht den Anforderungen unterliegt, die an eine Emission von Cat Bonds gestellt werden. Ein Nachteil dieser Form der Emission ist, dass zunächst ein solches Special Purpose Vehicle als Tochtergesellschaft gegründet werden muss, was zu zusätzlichen Kosten führt. Es stellt sich nun die Frage, welche gesetzlichen Anforderungen für die Gründung eines SPV zu erfüllen sind. Nach § 119 AktG ist bei der Gründung von Tochtergesellschaften sowie deren Ausstattung mit dem notwendigen Kapital grundsätzlich kein Hauptversammlungsbeschluss erforderlich. Bei Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft fällt somit die Gründung von Tochtergesellschaften in die Geschäftstätigkeit des Vorstandes. Eine Genehmigungspflicht durch die Hauptversammlung ist bei der Gründung von Tochtergesellschaften allerdings laut Bundesgerichtshof erforderlich, wenn ein wertvoller Betriebszweig im Kern der Unternehmenstätigkeit ausgegliedert wird und dadurch die Unternehmensstruktur wesentlich geändert wird. Da ein SPV jedoch lediglich für den Zweck des Rückversicherungsschutzes gegründet wird und dabei auch keine wesentlichen Vermögensgegenstände übertragen werden, sind die Voraussetzungen für diese Ausnahmeregelung nicht erfüllt. Somit kann insgesamt festgehalten werden, dass die Gründung eines SPV gesellschaftsrechtlich unkompliziert durchführbar ist.726 Aufgrund der Tatsache, dass ein SPV mit dem transferierenden Unternehmen einen Rückversicherungsvertrag abschließt, der durch die Emission von Cat Bonds gedeckt wird, werden SPVs in der Literatur auch unter „Special Purpose Reinsurer“ geführt.
726
Vgl. Kamberger, T. und Nguyen, T. (2006), S. 449.
4.2 Einsatzmöglichkeiten und Emissionswege von Katastrophenanleihen
279
4.2.2.3 Beispiel für eine indirekte Emission: USAA 1997
Die „United Services Automobile Association“ (USAA) plante im Jahr 1997 eine Emission von Cat Bonds mittels eines solchen Special Purpose Vehicles. Diese wird im Folgenden genauer dargestellt, um die Zahlungsströme und Funktionsweise einer indirekten Verbriefung zu verdeutlichen. Die United Services Automobile Association (USAA) gründete für die Platzierung und Abwicklung ihrer Cat Bonds ein SPV, die sog. Residental Reinsurance Limited.727 Diese verpflichtete sich, 80% der Versicherungsschäden aus einem Hurrikan der Stärke 3, 4 oder 5, bis zu einer Höhe von 1.500 Mio. USD zu decken, falls die Versicherungsschäden die 1.000 Mio. USD des sog. „Ultimate Net Loss“728 von USAA überschreiten. Die Rückversicherungskapazität betrug somit 400 Mio. USD (80% von 500 Mio. USD). Es handelte sich um eine Schadenexzedenten-Rückversicherung, die sich auf ein einziges Ereignis beschränkte: Löste ein Hurrikan die Rückversicherungsverpflichtung aus, wurde die Haftung nicht wieder „aufgefüllt“, d.h. Schäden aus weiteren Hurrikans wurden nicht mehr gedeckt. Die Laufzeit der Rückversicherungspolice betrug ein Jahr und zwar von Juni 1997 bis Juni 1998. Für den Versicherungsschutz entrichtete USAA an die Residental Reinsurance Limited eine Rückversicherungsprämie von 24 Mio. USD.729 Diese begab nun Cat Bonds, um den Rückversicherungsschutz finanzieren zu können. Die Bonds wurden in zwei Klassen aufgeteilt. Die Vertragsbedingungen der emittierten Cat Bonds sind in der folgenden Tabelle wiedergegeben.
727 728
729
Vgl. Froot, K. A. (1999), S. 3f. Im Rückversicherungsvertrag sind zur Ermittlung des Ultimate Net Loss folgende sechs Schritte definiert worden: x
Schritt 1: Alle Schadenzahlungen der bestehenden und erneuerten Versicherungspolicen
x
Schritt 2: Alle Schadenzahlungen der neu abgeschlossenen Policen
x
Schritt 3: 9% des Betrages aus Schritt 1
x
Schritt 4: Summe von Betrag aus Schritt 1 mit Minimum{Betrag aus Schritt 2, Betrag aus Schritt 3}
x
Schritt 5: Multiplikation des Betrages aus Schritt 4 mit 1,02 für die Versicherungspolicen für Freizeitboote und Binnenschifffahrt
x
Schritt 5: Multipliziere Schritt 5 mit 1,02 für Schadenzahlungsanpassungen = Ultimate Net Loss
Vgl. Froot, K. A. und Seaholes, M. S. (1997), S.18. Vgl. Froot, K. A. und Seaholes, M. S. (1997), S.18.
280
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Klasse A-1
Emissionsvolumen
164 Mio. USD, davon 87 Mio. USD ungeschützt (bedingte Rückzahlung), die restlichen 77 Mio. USD geschützt (unbedingte Rückzahlung an Investoren)
Klasse A-2 313 Mio. USD in der Gesamtheit ungeschützt (Rückzahlung nur bei NichtEintreten eines Versicherungsereignisses)
Risk-Period
Juni 1997 bis Juni 1998
Extended Claims Period (Ermittlung der Schäden)
Juni 1998 bis Dezember 1998
Leistungszahlungen an Investoren
LIBOR auf das Nominalvolumen plus 273 Basispunkte
LIBOR auf das Nominalvolu730 men plus 575 Basispunkte
Tabelle 4.9: Ausgestaltung der Bonds der Residental Reinsurance Limited
Die Summe der ungeschützten Rückzahlung (87 + 313 = 400) entspricht dem maximalen Schaden aus Rückversicherungsvertrag in Höhe von 400 Mio. USD. Das SPV legte nun das Investitionsvolumen in höchstgeratete kurzfristige Wertpapiere an und konnte nun aus diesen sowie aus der Rückversicherungsprovision die Zinszahlungen an die Investoren bestreiten.731 Sollte ein Hurrikan der Stärke 3, 4 oder 5 zu einem Ultimate Net Loss von mehr als 1 Mrd. USD führen, so wäre der Trigger erreicht und die Investoren der Bonds der Klasse A-2 würden in Abhängigkeit der Höhe der Versicherungsschäden ihren Investitionsbetrag von 313 Mio. USD verlieren. Die Investoren der Klasse A-1 erhielten zwar ihren Investitionsbetrag in Höhe von 164 Mio. USD mit einer Verzögerung von 10 Jahren im Dezember 2008 zurückbezahlt, würden aber bis zum Ende der Laufzeit auf diesen Betrag den Zinsanspruch verlieren. Das SPV investierte die geschützten 77 Mio. USD der Klasse A-1 in einer ZerobondAnleihe mit einer Laufzeit von 10 Jahren, so dass bei Fälligkeit im Dezember 2008 ein Betrag von 164 Mio. zur Verfügung steht.732 Mit dieser Konstruktion steht dem SPV im Falle eines Versicherungsereignisses ein maximaler Betrag von 400 Mio. (313 + 87)
730
731 732
Die Bonds der Klasse A-2 bargen aufgrund des möglichen vollständigen Verlustes des Investitionsvolumens ein potentiell größeres Risiko, so dass das SPV diese Bonds mit einer höheren Basispunktzahl verzinsen musste. Vgl. Froot, K. A. (1999), S.20. Vgl. Froot, K. A. und Seaholes, M. S. (1997), S.17.
4.2 Einsatzmöglichkeiten und Emissionswege von Katastrophenanleihen
281
USD zur Verfügung, so dass es im Stande ist, den Versicherungsschutz für die USAA zu gewähren.
Abbildung 4.11: Cat-Bond-Transaktion mittels SPV am Beispiel der USAA733
Die Ausgestaltungsmerkmale der Transaktion werden in der Abbildung 4.11 zusammengefasst. Das vorgestellte Beispiel der USAA verdeutlicht den Vorteil für das risikotransferierende Unternehmen bei einer indirekten Emission mittels SPV. Im Gegensatz zur Direktemission schließt hier das Unternehmen mit dem SPV einen Rückversicherungsvertrag ab und unterliegt somit nicht den gesellschaftsrechtlichen Anforde-
733
Vgl. Froot, K. A. (1999), S. 21, eigene Darstellung.
282
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
rungen, die an eine direkte Emission von Cat Bonds gestellt werden. Erforderlich jedoch ist die Gründung eines SPV als Tochtergesellschaft.
4.3 Bewertung von Cat Bonds Bei den meisten bisher durchgeführten Cat Bonds-Transaktionen wurde die Bepreisungstechnik nicht offen gelegt. Es konnten kaum Rückschlüsse auf die Bepreisungsmechanismen gezogen werden. Die Entwicklung objektiv nachvollziehbarer Bewertungsansätze ist jedoch von entscheidender Bedeutung für eine nachhaltige Etablierung dieses Finanzinstruments an den Kapitalmärkten.734 In diesem Kapitel sollen nun Möglichkeiten dargestellt werden, mit denen Cat Bonds zu fairen Preisen bewertet werden. Dabei wird zunächst auf die dafür benötigten Grundlagen der Versicherungsmathematik eingegangen. Anschließend sollen die mathematischen Bewertungsmethoden am Beispiel der WinCat-Anleihe der WinterthurVersicherung beispielhaft verdeutlicht werden.
4.3.1 Grundlagen für eine Risikoquantifizierung Wie bereits in den vorherigen Kapiteln beschrieben, liegt das bei Cat Bonds für die Investoren innewohnende Risiko darin begründet, dass ein bestimmtes Versicherungsereignis eintritt bzw. dass ein bestimmter definierter Trigger erreicht oder überschritten wird (versicherungstechnisches Risiko). Falls ein zuvor definierter Versicherungsschaden und/oder ein hinsichtlich Ausprägung oder Häufigkeit definiertes Versicherungsereignis (z.B. Erdbeben ab einer bestimmten Stärke) entsteht, kann die Zinszahlung und/oder die Rückzahlung aus dem Cat Bond teilweise oder vollständig ausfallen. Da die zukünftigen Zahlungen unsicher sind, wird ein Investor bei Cat Bonds gegenüber einer risikolosen Anleihe, die hinsichtlich Laufzeit, Nennwert und Zinszahlung gleich ausgestattet ist, einen Kursabschlag verlangen.735 Um eine Katastrophenanleihe zu bewerten, müssen deshalb zunächst Wahrscheinlichkeitsaussagen über das TriggerEvent gefunden werden, so dass der Erwartungswert des Cashflows aus dem Cat Bond
734 735
Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 366. Der Kursabschlag entspricht dabei der Risikoprämie für das übernommene Ausfallrisiko.
283
4.3 Bewertung von Cat Bonds
bestimmt werden kann. Vereinfachend soll zunächst eine Katastrophenanleihe mit einer einjährigen Laufzeit betrachtet werden. Es gelten folgende Bezeichnungen: x Nominalvolumen:
NV
x Coupon:
C
x Verlustanteil bei Trigger:
v
x Eintrittswahrscheinlichkeit des Triggers: p x Zeitpunkt:
t
x Kurswert des Bonds zum Zeitpunkt t:
KWt
Kommt es nun innerhalb des Jahres zu dem ex ante definierten Trigger-Event, so bekommt der Investor (1 v) ( NV C) ausgezahlt. Tritt ein solches Ereignis nicht ein, so fließen NV und C vollständig an den Investor zurück. Die Eintrittswahrscheinlichkeit des Trigger-Events sei bekannt (p). Die Zahlungsstruktur des Bonds zum Zeitpunkt t 1 stellt sich nun folgendermaßen dar: (1-p)
NV C
KW 0
p t0
(1 v) ( NV C) t1
D.h. mit einer Wahrscheinlichkeit von p bekommt der Investor zum Zeitpunkt t 1 eine Rückzahlung in Höhe von (1 v) ( NV C) , und mit der Wahrscheinlichkeit von (1-p) erhält er die vollständige Zahlung von NV C . Der Erwartungswert E der Rückzahlung des Cat Bonds ergibt sich folgendermaßen als: (4.1)
E
(1 p) ( NV C) p (1 v) ( NV C) .
Zu untersuchen ist die Frage, welchen Preis KW0 ein potentieller Investor im Zeitpunkt t 0 für diesen erwarteten Payoff aus dem Bond zahlen würde. Aus der Versicherungsmathematik ist bekannt, dass sich der heutige Wert einer sicheren Zahlung zu
284
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
einem zukünftigen Zeitpunkt durch Diskontierung mit dem laufzeitäquivalenten risikolosen Zinssatz resp. der risikolosen Zinsstruktur ermitteln lässt736. Bei den Zahlungen des Cat Bonds handelt es sich zwar im Zeitpunkt t 1 um bedingte Zahlungsanspruche, jedoch ist der Erwartungswert des Payoffs bei Kenntnis der Wahrscheinlichkeit p bekannt.737 Nach dem Prinzip der „risikoneutralen Bewertung“, bei dem in einer „risikoneutralen Welt“ zwei Wertpapiere, die den gleichen erwarteten Zahlungsstrom auch den gleichen Preis resp. Kurswert im Zeitpunkt t 0 haben müssen, ergibt sich für den Kurwert KW0 folgender Zusammenhang: (4.2)
KW0
1 E 1 r
1 >1 p NV C p 1 v NV C @ . 1 r
Dabei entspricht r dem risikolosen Zinssatz für eine Periode. In einer risikoneutralen Welt wäre dies nun der Preis, den ein Investor für den Cat Bond bezahlen würde. Risikoaverse Investoren dagegen wollen für das von ihnen eingegangene Risiko kompensiert werden, so dass der hier ermittelte Kurswert als Obergrenze zu verstehen ist. In der Regel wird der Investor einen höheren Zins verlangen als den risikolosen Zins r. Eine allgemeine Kurswertgleichung lässt sich herleiten, wenn man einen Cat Bond mit einer mehrjährigen Laufzeit und Risk-Period betrachtet. Dabei sollen Laufzeit und Risk-Period sowie Verlustanteil des Nominalvolumens und der Couponzahlung verschieden sein. Seien nun folgende Abkürzungen vereinbart:
736
737
p:
die periodisch konstante Eintrittswahrscheinlichkeit für ein Trigger-Event
T:
Laufzeit des Cat Bonds
T`:
Risk-Period des Bonds
NV:
Nominalvolumen
C:
periodische Couponzahlung
v NV :
Verlustanteil des Nominalvolumens im Falle eines Trigger-Events
Die Darstellung zur Kurswertbestimmung von festverzinslichen Wertpapieren bei Rolfes, B. (1999), S. 48 ff, verdeutlicht die Vorgehensweise bei der Diskontierung zukünftiger Zahlungen. Im Gegensatz zu traditionellen Unternehmensanleihen steht die bedingte Zahlungsstruktur eines Cat Bonds bereits bei der Emission fest. Vgl. Geman, H. (1999), S. 138.
285
4.3 Bewertung von Cat Bonds vC :
Verlustanteil der Couponzahlung im Falle eines Trigger-Events
ZBAFn :
Zerobondabzinsfaktoren für die Laufzeit von n Jahren738
Bei einer Laufzeit von 3 Jahren lassen sich die Zahlungsstruktur sowie die Erwartungswerte der zukünftigen Cashflows nun folgendermaßen darstellen.
Abbildung 4.12: Ereignisbaum für einen Cat Bond mit Laufzeit und Risk-Period von drei Jahren und einer Trigger-Event-Wahrscheinlichkeit von p
Für die Zeitpunkte t T ergibt sich nun allgemein folgende erwartete Cashflows E( t T ) : E( t 1 )
1 p C p 1 v C C 1 p v C C .
E( t 2 )
1 p 2 C p 1 v C C 1 p p 1 v C C
E ( t 3 ) [1 1 1 p v C ] C . 3
…
738
[1 1 1 p v C ] C .
Zur Ermittlung von Zerobondabzinsfaktoren, vgl. Rolfes, B. (1999), S. 50 ff.
2
286
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
E ( t T 1 ) [1 1 1 p
T 1
v
C
] C .
E ( t T ) [1 1 1 p v C ] C [1 1 1 p v NV ] NV . T
T
Auch hier lässt sich nun der Kurswert des Bonds im Zeitpunkt 0 ermitteln, indem die Erwartungswerte der Payoffs mit den auf Basis der risikolosen Zinsstruktur ermittelten Zerobondabzinsfaktoren ZBAFn auf den Zeitpunkt 0 abdiskontiert werden. Es ergibt sich also für den Kurswert KW0 : T
(4.3) KW0
¦ >1 1 1 p v n
C
@ C ZBAF
n
>1 1 1 p v @ NV ZBAF . T
NV
T
n 1
Dies ist nun der Preis, den ein potentieller Investor für einen Cat Bond mit Laufzeit und Risk-Period von T Jahren und der Eintrittswahrscheinlichkeit eines TriggerEvents von p zahlen würde. Unterscheiden sich jedoch Risk-Period T` und Laufzeit des Bonds T,739 so ist zu beachten, dass ein Trigger-Event im Intervall [T` + 1, T] zu keinem zusätzlichen Couponausfall/ Verlust des Nominalvolumens führen darf. Es ergibt sich daher folgender Kurswert des Bonds. T`
(4.4)
KW 0
¦ >1 1 1 p v n
n 1
>
1 1 1 p
T`
T
@ C ZBAF ¦ >1 1 1 p v @ C ZBAF v @ NV ZBAF C
T`
C
n
n
n T ` 1
NV
T
Diese allgemeine Kurswertgleichung kann für sämtliche Ausgestaltungsformen der Cat Bonds bzgl. Rückzahlung und Verzinsung herangezogen werden. Betrachtet man beispielsweise einen Bond, bei dem bei Eintreten des Trigger-Events nicht sämtliche, sondern nur die darauf folgende Couponzahlung ausfällt, so ist in jeder Periode die Zinszahlung unabhängig von den vorangegangenen Perioden. Es reicht daher aus, nur die einfachen Eintrittswahrscheinlichkeiten p bzw. (1-p) zu betrachten. Sei weiterhin das Nominalvolumen geschützt und die Risk-Period entspreche der Laufzeit, so vereinfacht sich die allgemeine Formel (4.4) zu: T
(4.5)
KW0
¦ 1 p v C ZBAF C
n
NV ZBAFT .740
n 1
739 740
Es wird angenommen, dass die Risk Period kürzer ist als die Laufzeit des Bonds (T` < T). Eine ähnliche Ausgestaltung des Cat Bonds verwendete die Winterthur-Versicherung bei ihrer Ausgabe der WinCat-Bonds. Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 4.3.4.
4.3 Bewertung von Cat Bonds
287
Der Preis für einen Cat Bond gemäß (4.5) wird entscheidend von der Eintrittswahrscheinlichkeit des Trigger-Events p determiniert. Die Generierung dieser Wahrscheinlichkeiten kann grundsätzlich auf zwei verschieden Wegen erfolgen:741 a) Simulation von zukünftigen Versicherungsereignissen. b) Analyse der historischen Daten über Versicherungsereignisse.
Zu a) Simulation von zukünftigen Versicherungsereignissen
Bei der ersten Methode werden die Schäden aus möglichen Naturkatastrophen simuliert. Risk Management Solutions (RMS) und Applied Insurance Research (AIR) sind zwei renommierte Catastrophe-Modelling-Firmen, die Simulationsmodelle entwickeln, um Wahrscheinlichkeitsaussagen hinsichtlich Auswirkungen, Häufigkeit und Stärke von Naturereignissen treffen zu können. Damit die in die Modelle eingehenden Parameter bestimmt werden können, bedarf es oft fundiertes Fachwissen in den Bereichen der Geologie und der Ingenieurwissenschaft. Beispielsweise ist die Wahrscheinlichkeit eines Hurrikans in tropischen Gewässern von bestimmten Faktoren wie der Wassertemperatur und der Windstärke abhängig. Je nach der Bewegungsrichtung eines solchen Hurrikans trifft er auf eine stark (oder schwach) besiedelte Küstenregion und verursacht dadurch einen höheren (niedrigeren) Schaden. Neben dieser Expertise der Geologen, die das Entstehen und Verhalten des Hurrikans abbilden, müssen die Ingenieure in Abhängigkeit der Hurrikanstärke die Beschädigung von Gebäuden und technischen Einrichtungen simulieren. Da für eine genauere Untersuchung dieser Modelle Fachwissen anderer Wissenschaftsdisziplinen benötigt wird, beschränkt sich die folgende Bewertung von Cat Bonds auf historische Daten. Zu b) Analyse der historischen Daten über Versicherungsereignisse
Auf Basis von historischen Aufzeichnungen über Versicherungsschäden wie z.B. Erdbeben- und Sturmereignisse wird hier die Eintrittswahrscheinlichkeit p eines definierten Versicherungsereignisses geschätzt. Das Prinzip ähnelt einem Würfelspiel: Betrachtet man einen ungezinkten Würfel. Eine gewürfelte Sechs entspreche einem Naturkatastrophenereignis. Es ist nicht möglich vorherzusagen, wann die nächste
741
Vgl. Tomas, M. J. (1999), S. 134.
288
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Sechs fällt. Man kann sich jedoch sicher sein, dass bei 600 Würfen die Anzahl geworfener Sechser mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in einem engen Bereich um die 100 betragen wird.742 Dabei können hin und wieder mehrere Sechser hintereinander gewürfelt werden, dann aber wieder über längere Zeit ausbleiben. Analog kann das Auftreten eines Versicherungsereignisses äußerst unregelmäßig sein. Jedoch kann die durchschnittliche Anzahl von Ereignissen über eine lange Zeitperiode (d.h. viele Würfe) immer verlässlicher vorhergesagt werden.743 Die Vorhersage der Gefährdung durch Naturkatastrophen gestaltet sich jedoch wesentlich schwieriger. Der Hauptgrund dafür liegt in der historisch zu kurzen Ereignisstatistik, die daher mit großen Unsicherheiten behaftet ist. Weiterhin können sich im Zeitablauf die Variablen, welche die Häufigkeit und die Höhe der Versicherungsschäden determinieren, verändert haben. Beispielsweise kann ein Bevölkerungswachstum in einer Region oder die Inflation zu einer Zunahme des Versicherungsschadens führen. Auch der Klimawandel könnte die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, dass ein Katastrophenereignis stattfindet. Die historischen Daten müssen daher zunächst an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden, bevor sie verwendet werden können, um das Risiko für ein Trigger-Event zu bestimmen. Im folgenden Abschnitt sollen historische Daten verwendet werden, um exemplarisch einen Cat Bond zu bewerten. Dafür benötigt man zunächst Kenntnisse über Schadenzahlverteilungen und Schadensummenverteilungen, um zu Wahrscheinlichkeitsaussagen über ein Eintreten eines Versicherungsereignisses zu gelangen.744
4.3.2. Wahrscheinlichkeitsverteilungen Die Versicherungsmathematik beschäftigt sich mit der Bewertung von Schadenprozessen. Gegenstand der Versicherungsmathematik ist es, geeignete Verteilungsmodelle für die Schadenanzahl und Schadenhöhe für die Versicherungskollektive zu bestimmen. Grundlagen der Schadenzahlverteilungen und Schadensummenverteilungen werden im folgenden Abschnitt vorgestellt. Sie werden benötigt, um später anhand eines konkreten Beispiels der Winterthur-Anleihe den WinCat-Bond bewerten zu können.
742
743 744
Das „Gesetz der Großen Zahlen“ besagt, dass die relative Häufigkeit bei hinreichend großer Zahl von Experimenten gegen die wahre Wahrscheinlichkeit tendiert. Vgl. Swiss Re (2003 c), S. 16. Anhang A enthält eine ausführliche Darstellung der mathematischen Schadenmodellierung.
289
4.3 Bewertung von Cat Bonds
4.3.2.1 Schadenzahlverteilungen
Schadenzahlverteilungen modellieren die Anzahl von Schadenfällen in einer bestimmten Periode. Ziel ist es, stochastische Prozesse zu modellieren, welche die Schadenanzahl im Ablauf der Zeit generieren sollen. Ein Zählprozess besitzt folgende Eigenschaften745. x N( t ) t 0 x N( t ) 1 x t 1 t 2 N( t 1 ) N( t 2 ) Der Zählprozess N {N( t ); t t 0} spiegelt nun die Anzahl der eingetretenen Ereignisse bis zum Zeitpunkt t wider746. Der Betrag N(t 2 ) N(t1 ) gibt daher die Anzahl der Ereignisse an, die im Zeitintervall [ t 1 , t 2 ] aufgetreten sind. In der Versicherungsmathematik spielt der Poisson-Prozess eine wichtige Rolle747. Er ist ein Zählprozess, der zusätzlich folgende drei Bedingungen erfüllt: x Ereignisse, die in zwei verschiedenen Zeitintervallen auftreten, sind unabhängig von einander. x Die Anzahl der Ereignisse in einem Zeitintervall [ t1 , t 2 ] sind nur von der Länge des Zeitintervalls abhängig, nicht jedoch von der Anzahl der Ereignisse, die bis zum Zeitpunkt t1 aufgetreten sind. x Die Wahrscheinlichkeit, dass zu einem Zeitpunkt mehrere Ereignisse eintreten und dass in einem endlichen Zeitintervall eine unendliche Anzahl von Ereignissen auftreten, sind beide Null. Die Wahrscheinlichkeit, dass genau n Ereignisse in einem Zeitintervall der Länge dt eintreten, ist nach der Poissonverteilung748: (4.6)
745 746 747 748
P( n , dt )
p n Odt e Odt
Odt n . n!
Vgl. zu den Eigenschaften Panjer, H. H. und Willmot, G. E. (1992), S. 63. Vgl. Panjer, H. H. und Willmot, G. E. (1992), S. 63. Vgl. Panjer, H. H. und Willmot, G. E. (1992), S. 67. Zu einer Herleitung vgl. Panjer, H. H. und Willmot, G. E. (1992), S.67 ff.
290
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Odt gibt die erwartete Ereignisanzahl während der Zeitperiode dt an. O wird als Inten-
sität des Poisson-Prozesses bezeichnet und ist weder von der Zeit noch von der Anzahl der eingetretenen Ereignisse abhängig. Die bekannte Poissonverteilung ergibt sich nun, wenn man dt 1 setzt: (4.7)
P( N n ) e O
On , n!
mit n = 0, 1, 2,… und
O = erwartete Anzahl von Ereignissen.
Der Erwartungswert und die Varianz der Poissonverteilung entsprechen dem Parameter O . In sehr vielen Versicherungsmodellen findet gerade die Poissonverteilung sehr häufig Verwendung zur Modellierung von Schadenhäufigkeiten.749 Eine Bedingung der Poissonverteilung ist, dass zu einem Zeitpunkt nicht mehrere Ereignisse eintreten können.750 Oft jedoch ist für die Modellierung der Schadenzahl in einem gesamten Versicherungsportfolio eine Zulassung von Kumulereignissen relevant. Beispielsweise können durch einen einzigen Verkehrsunfall oder einen Sturm gleichzeitig mehrere Schadenereignisse eintreten. Gerade bei Katastrophenereignissen muss davon ausgegangen werden, dass mehrere Versicherungsereignisse gleichzeitig ausgelöst werden. Diesem Umstand kann mit einem sog. Klumpen-Poisson-Prozess Rechnung getragen werden, bei welchem die Anzahl der Schadenereignisse durch eine Poissonverteilung und die Anzahl der Schäden pro Ereignis durch eine diskrete Klumpenverteilung abgebildet wird.751 Nimmt man an, dass die diskrete Klumpenverteilung eine logarithmische Verteilungsfunktion hat, so ist die Anzahl der Schäden pro Intervall negativ binomialverteilt:752 (4.8)
P( N
n)
D n 1 ! p n 1 p n , n!D 1 !
mit n = 0, 1, 2… sowie Erwartungswert E( N) D 1 p / p und Varianz Var( N) E( N) / p .
749
750 751 752
Vgl. Panjer, H. H. und Willmot, G. E. (1992), S. 85. Sie bezeichnen die Poissonverteilung als eine der wichtigsten statischen Verteilungen in der Modellierung von Versicherungsmodellen. Vgl. Mack, T. (1997), S. 76. Vgl. Helten, E. (1973), S. 78 ff. Vgl. Flemming, K. (1988), S. 100.
4.3 Bewertung von Cat Bonds
291
Bei der negativen Binomialverteilung handelt es sich um eine zusammengesetzte Poissonverteilung. Im Gegensatz zur Poissonverteilung besitzt die negative Binomialverteilung eine Varianz, die den Erwartungswert übersteigt. Sie findet häufig dann Verwendung, wenn die Poissonverteilung die Schwankung um den Erwartungswert unzureichend quantifiziert. Die Intensität O wurde bisher als eine feste Größe angenommen. Um jedoch die Schwankung im Zeitablauf widerzuspiegeln, kann die Intensität auch als eine Zufallsvariable definiert werden, welche die Verteilungsfunktion U (O) habe. Häufig wird diese Verteilung U (O) durch eine Gamma-Verteilung dargestellt.753 Hieraus resultiert wieder eine Schadenzahlverteilung in der Form der negativen Binomialverteilung.754 4.3.2.2 Schadenhöheverteilungen
Die vorgestellten Schadenanzahlverteilungen sind diskrete Verteilungen und können in einem Intervall nur endlich viele Realisationen annehmen. Um jedoch die Schadenhöhen abbilden zu wollen, sollen die Verteilungen innerhalb eines Intervalls beliebige und unendlich viele Werte annehmen können. Deswegen spielen stetige Verteilungen bei der Modellierung der Schadensumme eine große Rolle. Die bekannteste stetige Verteilung ist die Normalverteilung. Aufgrund ihrer symmetrischen Form der Gaußschen Glockenkurve beschreibt sie aber die Großschäden nicht adäquat.755 Die Wahrscheinlichkeit für einen Großschaden strebt bei der Normalverteilung zu schnell gegen Null. Deswegen werden für die Beschreibung von Schäden in der Versicherungsmathematik in erster Linie sog. schiefe Verteilungen verwendet, wie z.B. die Lognormalverteilung, die Gammaverteilung oder die Paretoverteilung. Die Lognormalverteilung wird in der Unfall-, Kranken, Feuer- und Haftpflichtversicherung erfolgreich eingesetzt.756 Sie besitzt einen realistischeren Verlauf als die Normalverteilung, da bei ihr sehr große Schäden zwar eine geringe, jedoch eine positive und höhere Wahrscheinlichkeit als bei der Normalverteilung aufweisen (vgl. Abbil-
753 754
755 756
Vgl. Mack, T. (1997), S. 80. Vgl. Panjer, H. H. und Willmot, G. E. (1992), S. 206. Bei Modellen mit Wahrscheinlichkeitsansteckung (d.h., dass das Eintreten eines Ereignisses das Eintreten eines anderen beeinflusst) kann unter der Annahme einer linearen Abhängigkeit der Schadenfälle bewiesen werden, dass die Schadenzahlverteilung einer negativen Binomialverteilung folgt. Vgl. Burnecki, K., Misiorek, A. und Weron, R. (2005), S. 292. Vgl. Helten, E. (1987), S. 37.
292
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
dung 4.13). Für kleine ı ähnelt sie der Normalverteilung. Die Lognormalverteilung hat die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion:757
(4.9)
f (x)
1 2S V x
mit Erwartungswert E e
P
1 2 V 2
e
§ ln x P 2 ¨ ¨ 2V 2 ©
· ¸ ¸ ¹
,
und Varianz Var e 2PV e V 1 . 2
2
Abbildung 4.13: Dichtefunktion der Lognormalverteilung
Auch die Gammaverteilung findet häufig Anwendung in der Schadenversicherungsmathematik. Ihr Vorteil gegenüber der Lognormalverteilung ist, dass Rechenoperatio-
757
Vgl. Burnecki, K., Misiorek, A. und Weron, R. (2005), S. 292.
293
4.3 Bewertung von Cat Bonds
nen mit dieser Verteilung viel einfacher durchzuführen sind. Die Gammaverteilung hat die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion:758
f (x)
(4.10)
e
§ D· ¨¨ x ¸¸ P¹ ©
x
D 1
D D P
* (D )
,
mit Erwartungswert E P und Varianz Var
P2 , wobei *(t ) für t > 0 die GammaD
f
funktion *( t )
³x
t 1
e x dx bezeichnet.
0
Abbildung 4.14: Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion der Gammaverteilung
Die dritte Verteilung, die in der Schadenmodellierung häufig zur Anwendung gelangt, ist die Paretoverteilung. Sie besitzt eine sehr schiefe Dichtefunktion, welche hohen Schadenrealisationen im Vergleich zur Lognormalverteilung und Gammaverteilung höhere Eintrittswahrscheinlichkeiten zuordnet. Im Gegensatz zu den beiden bereits vorgestellten Verteilungen beschreibt die Paretoverteilung nur die Schadenverteilung
758
Vgl. Mack, T. (1997), S. 43 ff sowie Burnecki, K., Misiorek, A. und Weron, R. (2005), S. 300 f.
294
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
ab einem sog. Observation Point (OP). Sie modelliert daher nicht die gesamte Wertverteilung, sondern vielmehr nur die beobachteten Extremwerte, welche den OP überschreiten. Die Paretoverteilung besitzt die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion: (4.11)
f (x)
D OPD x D1 .
Dabei wird D als der Paretoparameter bezeichnet, welcher die Häufigkeit von Großschäden im Verhältnis zu den Kleinschäden bestimmt. Bei großschadenorientierten Portfolios, wie z.B. Katastrophengefahren, liegt D nahe dem Wert 1, bei stabilen und nicht schwankungsintensiven Schadenverteilungen erfahrungsgemäß zwischen 1,8 und 2,5. Wenn nun aus historischen Daten der Paretoparameter geschätzt werden soll, so ergibt sich der Schätzwert D für D bei n beobachteten Schäden oberhalb des Observation Point nach der Formel: (4.12)
D
n n
¦ ln( x i ) n ln(OP )
i 1
n n
x
.
¦ ln( OPi )
i 1
Abbildung 4.15: Verteilungsfunktion der Paretoverteilung mit x>1000 und OP=1000.
295
4.3 Bewertung von Cat Bonds
Die Paretoverteilung hat die Verteilungsfunktion: F( x ) 1 OP x , welche angibt, mit D
welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmter Schaden x nicht überschritten wird. Der Erwartungswert der Paretoverteilung berechnet sich als:
E (X )
D °°OP D 1 ® ° f ¯°
und die Varianz als Var OP 2
für D 1 für D ! 1
D für D ! 2 (für D 2 ist die Varianz der D 1 D 2 2
Paretoverteilung unendlich).759 Die Handhabung der Paretoverteilung ist sehr einfach, da sie nur einen einzigen Parameter hat. Ihr Nachteil besteht darin, dass sie dadurch nicht sehr flexibel in ihrer Anpassung an empirisch erhobene Daten ist. Die Verteilungsfunktion besitzt keinen Wendepunkt. Dies bedeutet: Mit zunehmender Schadenhöhe nimmt die Paretowahrscheinlichkeit kontinuierlich ab. Daher können Versicherungsportfolios, bei denen mittlere Schäden eine höhere Eintrittswahrscheinlichkeit haben als Klein- und Großschäden, mit der Paretoverteilung nicht angemessen modelliert werden. Jedoch findet die Paretoverteilung bei der Prämienkalkulation der SchadenexzedentenRückversicherung mit hohen Schadenprioritäten häufig Anwendung760, z.B. bei der Abschätzung der Häufigkeit von Katastrophen wie Stürmen oder Erdbeben. Daher kann die Paretoverteilung auch bei der Modellierung eines Cat Bonds eingesetzt werden.
4.3.3 Modellierung der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Bezugsgrößen Wie bereits angeführt, kann die Bezugsgröße bei einem Cat Bond unterschiedlich definiert werden. Um eine Wahrscheinlichkeitsverteilung dieser Bezugsgrößen modellieren zu wollen, werden die Cat Bonds zunächst in zwei Klassen unterteilt: x Der Rückzahlungsmodus eines Cat Bonds kann an das Auftreten eines oder mehrerer Ereignisse gekoppelt sein, wie z.B. ein Sturm oder ein Erdbeben. Wenn das vorher vereinbarte Versicherungsereignis einen bestimmen definier-
759 760
Vgl. Johnson, N. L. und Kotz, S. (1970), S. 234. Vgl. Helten, E. (1973), S. 109.
296
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
ten Versicherungsschaden erreicht oder übersteigt, oder falls eine bestimmte Anzahl von ex ante definierten Versicherungsereignissen auftritt, erfolgt eine reduzierte Zahlung aus dem Cat Bond. Um die Wahrscheinlichkeit einer reduzierten Rückzahlung für diesen Bond zu bestimmen, muss analysiert werden, wie hoch die Eintrittswahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis ist. x Die Zahlungsstruktur des Bonds kann aber auch an eine absolute Schadenhöhe einer Periode, wie z.B. an einen Versicherungsindex, gekoppelt sein. Um hier die Wahrscheinlichkeit für eine reduzierte Zinszahlung zu bestimmen, muss der Gesamtschaden S einer Periode geschätzt werden. Er setzt sich als Gesamtsumme von Einzelschäden X i zusammen. Für die Modellierung der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Bezugsgrößen müssen daher die aggregierten Gesamtschäden betrachtet werden, zum anderen jedoch kann auch eine zusammengesetzte Verteilung aus Schadenanzahl und Schadenhöhe bestimmt werden.
4.3.3.1 Modellierung der Wahrscheinlichkeitsverteilung bei Bezugsgröße mit einer Schadensereignisbasis
Die Bezugsgröße eines Cat Bonds mit einer Schadensereignisbasis kann z.B. ein einziger Sturm sein. Es muss bestimmt werden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines solchen Sturmes in einer bestimmten Periode ist. Hier können wir uns der bereits vorgestellten Schadenzahlverteilungen bedienen. Dabei wird die Poissonverteilung als eine der wichtigsten Schadenzahlverteilungen der Versicherungsmathematik auch hier eine wichtige Rolle spielen.761 Sie ist durch ihren Parameter O charakterisiert, welcher die erwartete Anzahl der betrachteten Ereignisse angibt. In der Regel ist die Rückzahlung jedoch nicht nur an das Auftreten eines solchen Ereignisses gebunden. Das Versicherungsereignis muss in einer bestimmten Periode Schäden ab einer bestimmten Höhe verursachen, damit der Trigger tr ausgelöst wird und es zu der vereinbarten reduzierten Rückzahlung kommt. Um die Intensität O der Poissonverteilung zu quantifizieren, dürfen daher nur diejenigen historischen Versicherungsereignisse betrachtet werden, die zu einem Schaden von mindestens tr geführt haben.
761
Vgl. Burnecki, K., Kukla, G. und Taylor, D. (2005), S. 98.
4.3 Bewertung von Cat Bonds
297
Cat Bonds verbriefen in der Regel Risiken auf Ereignisse, die sich selten ereignen, dann aber in ihren Auswirkungen sehr extrem sind, sog. low frequency – high severity Risiken. Da solche Ereignisse historisch nun sehr selten vorkamen, ist es problematisch, den Parameter O nur über die Betrachtung der Ereignisse ab einem vereinbarten Mindestschaden zu bestimmen. Ein Verfahren, das in der Praxis häufig zur Anwendung kommt, ist die sog. Frequenzextrapolation. Dieses Verfahren wird vor allem in der Schadenexzedenten-Rückversicherung eingesetzt, denn auch ein Rückversicherer muss bei seinen Prämienkalkulationen zu Wahrscheinlichkeitsverteilungen über Schäden gelangen, die sehr selten oder sogar noch nie aufgetreten sind. Bei der Frequenzextrapolation werden aus historischen Daten zunächst alle Versicherungsereignisse (z.B. Sturm oder Erdbeben) berücksichtigt und zwar unabhängig davon, welchen Schaden sie verursacht haben. Anschließend werden die beobachteten Schäden über eine Wahrscheinlichkeitsverteilung modelliert, um zu einer Aussage über die Verteilungsfunktion für einen Schaden mit einer Schadensumme von mindestens tr zu kommen. Den gesuchten Parameter O erhalten wir aus dem Produkt der ermittelten Wahrscheinlichkeit für einen Schaden oberhalb von tr und der erwarteten Anzahl von Stürmen. Mit dem geschätzten Parameterwert O können wir nun mittels der Poissonverteilung Wahrscheinlichkeitsangaben für ein Auftreten des Versicherungsereignisses mit Schäden oberhalb eines Triggers tr machen. Wird nun anhand der beobachteten historischen Schäden nach der obigen Vorgehensweise eine theoretische Verteilungsfunktion ermittelt, trifft diese auch Wahrscheinlichkeitsaussagen über Schäden, die historisch noch gar nicht beobachtet wurden. Bei Verteilungen, die das gesamte Spektrum möglicher Schäden abbilden, besteht in der Praxis häufig die Gefahr, dass sie häufig die Eintrittwahrscheinlichkeiten für extreme Schäden unterschätzen.762 Diese Verteilungen sind zwar ziemlich genau in den Bereichen, in denen die meisten Beobachtungen gemacht wurden, nicht jedoch in den „Tails“ einer Verteilung. Es empfiehlt sich deshalb bei Cat Bonds, die ja gerade low frequency – high severity Risiken verbriefen, nicht mehr die gesamte Werteverteilung, sondern vielmehr nur die Extremwerte zu modellieren. Eine besondere Bedeutung hat gerade deswegen in der Rückversicherung die Paretoverteilung erlangt. Wie bereits im Abschnitt 4.3.2.2 dargestellt, beschreibt die Paretoverteilung grundsätzlich nur Schadenverteilungen ab ei-
762
Vgl. Diebold, F. X. et al. (1998), S. 1.
298
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
nem Observation Point OP. Benutzt man diese bei der Modellierung der Schadensummenverteilung, so werden nicht mehr sämtliche Versicherungsereignisse berücksichtigt, sondern nur noch diejenigen oberhalb des sog. Observation Point. Zusammengefasst besteht die Vorgehensweise zur Ermittlung einer Wahrscheinlichkeit für ein Versicherungsereignis (z.B. Erdbeben oder Sturm), das zu einem Schaden von mindestens tr führt, aus sechs Schritten: 1. Stelle alle Erdbebenschäden mit den jeweiligen Schadenhöhen und Schadensummen zusammen. 2. Lege einen Observation Point fest, so dass OP < tr ist und genügend Beobachtungen vorhanden sind. 3. Bestimme den Erwartungswert für die Häufigkeit der Erdbebenereignisse pro Jahr. 4. Ermittle die Wahrscheinlichkeit für Schäden oberhalb des Triggers mittels der Paretoverteilung. 5. Bestimme die Intensität O der Poissonverteilung für Erdbebenschäden oberhalb von tr mittels Multiplikation der Werte aus Schritt 3) und 4). 6. Bestimme die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Erdbebens mit Schäden oberhalb des Triggers tr durch die Poissonverteilung mit der in Schritt 5) bestimmten Intensität O . Anhand eines Beispiels des Cat Bonds der Winterthur-Versicherung wird diese Vorgehensweise im Abschnitt 4.3.4 verdeutlicht.
4.3.3.2 Modellierung der Wahrscheinlichkeitsverteilung bei Bezugsgröße mit einer Gesamtschadenbasis
Ist die Rückzahlung eines Bonds an die Gesamtschäden einer Periode gekoppelt, so muss die Wahrscheinlichkeit bestimmt werden, dass ein bestimmter Schaden in einer Periode überschritten wird. Eine mögliche Lösung wäre, theoretische Schadensummenverteilungen an die historisch beobachteten Gesamtschäden anzupassen. In der Risikotheorie gilt für die Gesamtschadenvariable folgender Zusammenhang: N
(4.13)
S
X1 X 2 ... X N
¦X i 0
i
,
299
4.3 Bewertung von Cat Bonds
wobei gelten soll: S = 0, falls N = 0. Dabei sei N eine Zufallsvariable, welche die Anzahl der Schäden angibt, und Xi eine Zufallsvariable, welche die Schadenhöhe des iten Schadenereignisses angibt. Es wird angenommen, dass die Folge der Schäden ^ X1 , X 2 , X 3 ,...` aus unabhängigen und identisch verteilten Zufallsgrößen besteht und des Weiteren Schadenanzahl und Schadensumme unabhängig voneinander sind, so ergibt sich folgende Wahrscheinlichkeitsverteilung G für einen Gesamtschaden d x :763 f
(4.14)
G(x)
P(S d x )
¦p
n
F n ( x ) .
n 0
p n sei hierbei die Wahrscheinlichkeit für n Schadenereignisse, und F bezeichne die
Verteilungsfunktion der Schadensumme. F n ( x ) bezeichne die Wahrscheinlichkeit dafür, dass bei n Schadenereignissen der Gesamtschaden x nicht überschritten wird.764 Die Gesamtschadenverteilung gibt somit jede Kombination von Schadensummen und Schadenanzahl an, bei denen der Gesamtschaden x nicht überschritten wird. Ein bestimmter Gesamtschaden kann sich aus einer hohen Schadenanzahl mit jeweils kleiner Schadensumme ergeben, aber auch andererseits aus einer kleinen Schadenanzahl mit jeweils hoher Schadensumme. F n wird auch als n-fache Faltung der Verteilungsfunktion bezeichnet. Mittels des Faltungsoperators lässt sich die Verteilung der Summe von unabhängigen Zufallsvariablen bestimmen. Die Faltung F G von zwei Verteilungen F, G ist definiert durch: f
(4.15)
F G(x ) :
³ F(x u )dG(u ) .
f
Seien X, Y zwei unabhängige Zufallsvariablen mit Verteilungen F, G. Dann gilt für die Verteilung FX Y der Summe X+Y: (4.16)
FX Y ( x )
F G(x) .
Besitzen die Zufallsvariablen X, Y die Dichten f, g. Dann ist die Dichte von X+Y gegeben durch
763 764
Vgl. auch die Ausführungen zur Risikomodellierung im Anhang. Vgl. Helten, E. (1973), S. 117.
300
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen f
(4.17)
f g( x )
³ f (x u) g(u)du ,
mit x IR .
f
Die n-fache Faltung F n von F (einer nichtnegativen Zufallsvariable) ist rekursiv durch
F 0 ( x ) 1 , ( x t0) F n ( x ) F n 1 F( x ) definiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei n Schadenereignissen die Summe X1 X 2 ... X n den Betrag x nicht überschreitet, ergibt sich demnach zu: (4.18)
P>X1 X 2 ... X n d x @
f
³F
( n 1)
( x y) dF( y)
F n ( x ) .
f
Nachdem nun die Grundlagen der Schadenzahlverteilungen und Schadensummenverteilungen vorgestellt wurden, sowie uns nun bekannt ist, wie die Wahrscheinlichkeiten für das Erreichen eines Triggers berechnet werden können, werden im Folgenden anhand eines Beispiels die Eintrittswahrscheinlichkeit für ein Trigger-Event sowie der Wert eines Cat Bonds der Winterthur-Versicherung mit dem Ziel berechnet, eine faire Bepreisung des Bonds zu finden.
4.3.4 Bewertung eines Cat Bonds am Beispiel der Winterthur-Anleihe Die Winterthur-Versicherung hat im Jahre 1997 eine traditionelle Wandelanleihe mit Laufzeit von 3 Jahren emittiert. Sie verbrieft das Recht auf den Bezug von fünf Namensaktien am Ende der Laufzeit. Die Anleihe wird mit einem Jahreszins in Höhe von 2,25% ausgestattet, und zwar nur, falls in der vorangegangenen Risk-Period vom 1. November bis zum 31. Oktober kein Hagel- oder Sturmereignis eingetreten ist, das bei mehr als 6000 bei der Winterthur versicherten Motorfahrzeugen zu Schäden führt. Hier handelt es sich um drei Beobachtungsperioden, daher betrachten wir drei einjährige Risk-Periods. Lassen wir das Wandlungsrecht außen vor, handelt es sich hier daher um einen Cat Bond mit der Laufzeit von 3 Jahren und einer bedingten Couponzahlung, jedoch unbedingter Kapitalrückzahlung. Um entscheiden zu können, ob die jährliche Zinszahlung von 2,25% eine gerechte Vergütung für einen potentiellen Couponausfall für die Investoren ist, muss die Ausfallwahrscheinlichkeit für die Couponzahlung bestimmt werden.
4.3 Bewertung von Cat Bonds
301
Die Zinssätze für laufzeitgleiche Wandelanleihen der Winterthur ohne Katastrophenrisiko würden bei etwa 1,49% liegen.765 Der Zinsaufschlag in Höhe von 2,25% – 1,49% = 0,76% (= 76 Basispunkte) entspricht der marktmäßigen Vergütung für die Übernahme des Katastrophenrisikos.766 Die Winterthur-Versicherung hat ihre Bewertungsmethoden veröffentlicht und dabei auf versicherungsmathematische Methoden zurückgegriffen. Mittels der Poissonverteilung hat sie die Schadenhäufigkeit und mittels der Paretoverteilung die Schadensumme der Hagel- und Sturmschäden approximiert, wie im Folgenden vorgestellt wird. 4.3.4.1 Modellierung der Eintrittswahrscheinlichkeit für ein Versicherungsereignis am Beispiel der Winterthur-Anleihe
Im diesem Abschnitt sollen nun historische Daten verwendet werden, um den Cat Bond zu bewerten. Im Jahr 1996 waren 773.600 kaskoversicherte Kraftfahrzeuge im Bestand der Winterthur-Versicherung. In der vorangegangenen Risk-Period vom 1. November 1995 bis zum 31. Oktober 1996 kam es zu einem einzigen Hagelereignis (am 20. Juni 1996), welches bei 1.262 kaskoversicherten Kraftfahrzeugen zu Schäden führte.767 Im Jahre 1990 dagegen waren nur 686.400 Fahrzeuge im Bestand. Will man nun die Schäden von 1990 mit jenen aus dem Jahre 1996 vergleichen, muss man den Indexstand für 1990 hochrechnen und die Anzahl der Schäden im Jahre 1990 adjustieren, indem man die Schadenanzahl mit dem Bestandindex (773.600/686.400 = 1,127) multipliziert. Im Zeitraum 1987 bis 1996 wurden insgesamt 17 Schadenereignisse mit mehr als 1000 beschädigten Fahrzeugen beobachtet. Demnach ist die erwartete Schadenanzahl pro Jahr 1,7.
765 766 767
Vgl. CSFB. (1997), S. 3. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 373. Vgl. Tabelle 4.10.
302
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Jahr
versicherte Fahrzeuge
Datum
Ereignis
Anzahl Schäden
Bestandsindex angepasste Schäden
1996
773.600
1995
725.023
20. Juni
Hagel
1.262
1,000
1,262
26. Jan.
Sturm
1.167
1,067
1.245
02. Juli
Hagel
1.290
1994
712.339
02. Juni
Hagel
4.802
24. Juni
Hagel
940
1.021
1.376 1,086
5.215
18. Juli
Hagel
992
1.077
06. Aug.
Hagel
2.460
2.672
10. Aug
Hagel
2.820
3.063
1993
703.913
05. Juli
Hagel
6.589
1,099
1992
704,554
21. Juli
Hagel
8.798
1,098
31. Juli
Hagel
1.085
1.191
20. Aug.
Hagel
1.253
1.376
21. Aug.
Hagel
1.733
Hagel
1.333
1991
700.725
23. Juni 06. Juli
Hagel
1.114
1990
686.424
27. Feb.
Sturm
1.646
30. Juni
Hagel
1.395
9.660
1.903 1,104
1.472 1.230
1,127
1.855 1.572
1989
666.322
1,161
1988
642.607
1,204
619.872
1,248
1987
7,241
Tabelle 4.10: Überblick über alle historischen Sturm- und Hagelereignisse768
Wie bereits in Abschnitt 4.3.2.1 erwähnt, findet die Poissonverteilung in sehr vielen Versicherungsmodellen Verwendung zur Modellierung von Schadenhäufigkeiten. Der Erwartungswert und die Varianz der Poissonverteilung entsprechen dem Parameter O. Wir können daher aus den historischen Daten für O einen Wert von 1,7 annehmen.769 Die Wahrscheinlichkeit, dass genau n Versicherungsereignisse in einem Jahr (in der Risk-Period) eintreten, ist daher nach der Poissonverteilung
P( N
768 769
n)
e 1, 7
1,7 n . n!
Vgl. Hess, K. und Jaggi, M. (1997), S. 6. Vgl. auch Schradin, H. R. (1998), S. 374.
303
4.3 Bewertung von Cat Bonds
Die folgende Abbildung 4.16 zeigt die Poisson-Wahrscheinlichkeiten für n = 1,..., 9 Ereignisse bei einem Parameterwert O = 1,7.
Abbildung 4.16: Poisson-Eintrittswahrscheinlichkeiten für Poissonparameter O
1,7
Wir haben unseren Observation Point auf 1.000 beschädigte Automobile gelegt. Im nächsten Schritt werden nur noch die Schäden oberhalb des Triggers berücksichtigt, d.h. Sturm- und Hagelereignisse, die an einem Tag Schäden bei mehr als 6000 bei der Winterthur versicherten Kraftfahrzeugen hervorgerufen haben. Betrachten wir den Überblick über die historischen Ereignisse im Zeitraum 1987 bis 1996 (vgl. Tabelle 4.10), so kamen lediglich nur zwei solche Ereignisse in diesen zehn Jahren vor. Der Erwartungswert für ein Trigger-Event ist demnach 0,2. Die Aussagekraft dieses Erwartungswertes ist jedoch gering, er stützt sich lediglich auf zwei historische Beobachtungen. Um einen aussagekräftigeren Erwartungswert zu erhalten, hat die Winterthur für die Quantifizierung der Schadensumme oberhalb des Observation Points die Paretoverteilung herangezogen.770 Es muss nun der Parameterwert O für die Paretoverteilung bestimmt werden. Wie in Kapitel 4.3.2.2 bereits diskutiert wurde, ergibt sich der Schätzwert D für den Paretoparameter D bei n beobachteten Schäden oberhalb des Observation Point nach der Formel:771
770 771
Vgl. CSFB (1997), S. 13 f. Vgl. Mack, T. (1997), S. 362.
304
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
(4.19)
D
n
n
n
n
¦ ln( x i ) n ln(OP)
,
x
¦ ln( OPi )
i 1
i 1
mit n=17 Schadenereignissen, x i beschädigten Fahrzeugen und einem OP von 1000. Es gilt daher für den Schätzer D ^ : (4.20)
D^
17 17
¦ ln( i 1
xi 1000
17 )
1,456881
17
xi ln( 1000 ) i 1
Damit der Schätzer D ^ erwartungstreu wird, muss er mit dem Faktor
n 1 multiplin
ziert werden.772 Wir erhalten daher folgenden erwartungstreuen Schätzer für den Parameter D der Paretoverteilung: (4.21)
D^
1,456881
16 1,371182 . 17
Für die Standardabweichung V ^ von D ^ , die den Schätzfehler angibt, gilt: (4.22)
V^
D^ (n 2)
1,37118 0,354038 . 15
Die Verteilungsfunktion F( x ) 1 OP x der Paretoverteilung gibt für OP = 1000 und D
x = 6000 an, wie hoch die bedingte Wahrscheinlichkeit dafür ist, dass bei einem Sturm bzw. Hagel, der mindestens 1000 Kraftfahrzeuge beschädigt, nicht mehr als 6000 Fahrzeuge betroffen sind. Das Komplementärereignis gibt uns daher gerade die Eintrittswahrscheinlichkeit für ein Trigger-Event an. Die Wahrscheinlichkeit, dass unter der Bedingung von 1000 beschädigten Fahrzeugen auch mehr als 6000 betroffen sind, berechnet sich folglich nach: 1, 3712
(4.23)
1 F(6000) 1 (1 (
1000 1,3712 § 1 · ) ) ¨ ¸ 6000 ©6¹
0,085704 .
Es ist bereits bekannt, dass bei insgesamt 17 Schadenereignissen mit mehr als 1000 beschädigten Fahrzeugen die erwartete Schadenanzahl pro Jahr O1000 1,7 ist. Daher
772
Vgl. Panjer, H. H. und Willmot, G. E. (1992), S. 295 ff sowie Mack, T. (1997), S. 362.
305
4.3 Bewertung von Cat Bonds
bestimmt sich nun die Intensität O 6000 der Poissonverteilung für Fahrzeugsschäden oberhalb von tr mittels Multiplikation dieser beiden Werte. Es gilt: 773 (4.24)
O 6000
O1000 [1 F(6000)] 1,7 0,085704 0,145697 .
Wir konnten folglich mittels der Paretoverteilung den Parameter O6000 ermitteln, der nun als Parameter für die Poissonverteilung dienen wird. Mittels dieser können wir nun die Wahrscheinlichkeit für Sturm- und Hagelereignisse bestimmen, die zu mehr als 6000 bei der Winterthur beschädigten Motorfahrzeugen führt. Die Wahrscheinlichkeit für ein oder mehrere Schadenereignisse, d.h. die Wahrscheinlichkeit für n t 1 berechnet sich nun wie folgt: (4.25) f O
6000
n t 1
1 f O6000 (n
§ O0 · 0) 1 ¨¨ e O6000 ¸¸ 1 e 0,146 0! ¹ ©
1 0,864158 0,135243 .
Mit der Wahrscheinlichkeit von 13,52 % ereignet sich folglich in der vorangegangenen Risk-Period mindestens ein Hagel oder Sturmereignis mit mehr als 6000 beschädigten Kraftfahrzeugen. 774 Des Weiteren können wir festhalten, dass im Durchschnitt alle 1 0 ,135243
| 7,4 Jahre es zu so einem Trigger-Event kommen wird und der WinCat-
Coupon ausfällt. 775 Vergleichen wir die Couponausfall-Wahrscheinlichkeit mit den historisch beobachteten Hagel- und Sturmereignissen (innerhalb von 10 Jahren kam es zu 2 Trigger Events, wonach durchschnittlich 0,2 Versicherungsereignisse pro Jahr zu erwarten sind) scheint unsere mittels mathematischem Modell berechnete Wahrscheinlichkeit zu gering. Es wurden andererseits nur zwei historische Beobachtungen gemacht, die sicherlich nicht als statistisch signifikant eingestuft werden können.776 Der geringe Stichprobenumfang lässt jedoch auch an der Exaktheit der mittels statistischen Modells aus Poisson- und Paretoverteilung bestimmten Wahrscheinlichkeit zweifeln. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion „Couponausfall“ lässt sich schreiben als:
(4.26)
773 774 775 776
PCat
f O 6000 (n t 1) 1 e
O 6000
Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 375. Vgl. Hess, K. und Jaggi, M. (1997), S. 14. Vgl. CSFB (1997), S. 14. Vgl. CSFB (1997), S. 14 f.
1 e
[ O1000 (1 F ( 6000))]
1 e
§1· O1000 ¨ ¸ ©6¹
D
.
306
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Die Exaktheit der von uns ermittelten Wahrscheinlichkeit für ein Trigger-Event hängt folglich von der Exaktheit der Parameters O1000 der Poissonverteilung und Į der Paretoverteilung ab. Ein Fehler in diesen Größen würde sich in den weiteren Berechnungen fortpflanzen und das Endergebnis verfälschen.777 Hängt eine gesuchte Größe G von mehreren untereinander unabhängigen Variablen a, b, c, ... ab, so lässt sich der Standardfehler von G nach dem Fehlerfortpflanzungsgesetz von Gauß778 wie folgt berechnen: 2
(4.27)
V(G )
2
2
§ wG · § wG · § wG · 2 2 2 ¸ V (c) ... . ¸ V (b) ¨ ¸ V (a ) ¨ ¨ a b w w © wc ¹ ¹ © ¹ ©
Nehmen wir an, der Erwartungswert O1000 1,7 und der Paretoparameter D 1,3712 seien unkorreliert, so erhalten wir: 2
(4.28)
V(PCat )
2
§ wPCat · § wP · ¸¸ V 2 O^1000 ¨ Cat ¸ V 2 (D ^ ) . ¨¨ © wD ¹ © wO1000 ¹
Es gilt: §1·
D
wPCat wO1000
O1000 ¨ ¸ §1· ©6¹ (1) (1) ¨ ¸ e ©6¹ 0,085704 0,864420 | 0,074084
D
1, 3712
1, 3712
§1· ¨ ¸ ©6¹
e
§1· 1, 7¨ ¸ ©6¹
.
und 1, 3712
D
§1·
D 1, 7¨ ¸ O1000 1g wPCat 1 1 1 §1· O1000 ln( ) ¨ ¸ e 1,7 ln( ) ( )1,3712 e © 6 ¹ wD 6 6 6 ©6¹ 1,7 ( 1,791759) 0,085704 0,864420 | 0,225659
Weiterhin gilt für den Schätzfehler von D ^ : V 2 (D ^ )
(D ^ ) 2 n2
(1,3712) 2 15
0,354038 2 | 0,125343 ,
bzw. für den Schätzfehler von O^1000 mit n = 10 Jahren:
777 778
Vgl. Hess, K. und Jaggi, M. (1997), S. 15. Zum Fehlerfortpflanzungsgesetz von Gauß vgl. Epelt, B. und Hartung, J. (1992), S. 77 f.
.
307
4.3 Bewertung von Cat Bonds
V 2 O^1000
O^1000 n
1,7 10
0,17 .
Folglich erhalten wir nach dem Fehlerfortpflanzungsgesetz von Gauß folgenden Standardfehler der Zufallsvariablen „Couponausfall“: 2
V(PCat )
(4.29)
2
§ wPCat · § wP · ¨¨ ¸¸ V 2 O^1000 ¨ Cat ¸ V 2 (D ^ ) w O © wD ¹ © 1000 ¹
0,074084 2 0,17 0,225659 2 0,125343 . 0.007316
0,085532 | 8,55320%
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ein Standardfehler von 8,55320% im Vergleich zur Eintrittswahrscheinlichkeit für ein Trigger-Event von 13,52423% gemäß des statistischen Modells aus Poisson- und Paretoverteilung relativ hoch erscheint. Jedoch ist die nach dem Standardabweichungsprinzip vorsichtigere Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit von 13,52423% 8,55320% 22,07743% nur geringfügig höher als die empirisch beobachtete Ausfallhäufigkeit von 20%, die in dem Intervall [PCat , PCat VPCat ] liegt. Der hohe Standardfehler von 8,55320% ist somit berechtigt.779 Des Weiteren soll erwähnt werden, dass der Finanzmarkt bei der Beurteilung der Ausfallwahrscheinlichkeit zunächst die historischen Daten heranziehen würde, und somit von einer Couponausfallwahrscheinlichkeit von mindestens 20% ausgehen würde. Bemerkenswert ist, dass in diesem konkreten Fall die Winterthur eine vorsichtige Couponausfallwahrscheinlichkeit von 25% festgesetzt hat. 780 Da nun die Eintrittswahrscheinlichkeit für ein Trigger-Event bekannt ist, kann der theoretische Wert der Wandelanleihe berechnet werden. 4.3.4.2 Berechnung des theoretischen Wertes der Winterthur-Wandelanleihe
Der theoretische Wert der Wandelanleihe wird durch drei verschiedene Komponenten bestimmt:781 x den Barwert des Nominalvolumens NV, x den Barwert der zu erwartenden Couponzahlungen C, sowie
779 780 781
Vgl. auch Schradin, H. R. (1998), S. 376. Vgl. CSFB (1997), S. 15. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 377.
308
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
x den Barwert des eingeräumten Wandelrechts. Um einen heutigen Barwert zu bestimmen, müssen die zukünftigen (sicheren oder unsicheren) Zahlungen auf den heutigen Zeitpunkt abdiskontiert werden. Dabei kann auf Zerobond-Abzinsfaktoren von risikolosen Bundesanleihen zurückgegriffen werden, die folgende Höhen hatten:782
Laufzeit des Bonds
Zerobond-Abzinsfaktor ZBAFn
1 Jahr
0,9816
2 Jahre
0,9550
3 Jahre
0,9267
Das Nominalvolumen wird am Ende der Laufzeit (nach drei Jahren) sicher zurückbezahlt. Daher hängt dessen Kurswert nicht von der Eintrittswahrscheinlichkeit für ein Trigger-Event ab und berechnet sich folglich als (4.30)
KW0
NV
ZBAF3 NV 0,9267 NV .
Im Gegensatz zu dem Nominalvolumen sind die Couponzahlungen unsicher und hängen von einer entscheidenden Determinante ab: der Eintrittswahrscheinlichkeit für ein Trigger-Event. Ereignet sich ein Hagel- oder Sturmereignis mit mehr als 6.000 bei der Winterthur versicherten beschädigten Kraftfahrzeugen, so fällt lediglich nur die nächste Couponzahlung aus. Die Ausfallwahrscheinlichkeit für einen Coupon beträgt daher 0,25 in jeder der drei einperiodigen Risk-Periods. Die Zahlungsstruktur sowie die zu erwartende Couponzahlung lassen sich wie in Abbildung 4.17 darstellen. Es gilt daher allgemein für den Barwert der WinCatCouponzahlungen: (4.31)
KW0
C
T
¦ (1 p) C ZBAF . n
n 1
782
Dabei wurde ein Aufschlag von 35 Basispunkten berücksichtigt, um dem Ausfallrisiko der Winterthur-Versicherung Rechnung zu tragen. Vgl. Hess, K. und Jaggi, M. (1997), S. 3.
309
4.3 Bewertung von Cat Bonds
Abbildung 4.17: Zu erwartende Zinszahlung zu den Zeitpunkten t 1 bis t 3 783
Die Winterthur hat bei der Emission des Bonds eine Couponzahlung in Höhe von 2,25% festgelegt, so dass sich der Barwert der Zinszahlungen berechnen lässt als (4.32)
KW0
C
3
¦ (1 0,25) 0,0225 ZBAF
n
n 1
0,75 0,0225 ZBAF1 ZBAF2 ZBAF3
.
0,75 0,0225 0,9816 0,955 0,9267 0,75 0,0225 2,8633 0,04832
Der Barwert der Coupon-Zahlungen beträgt somit im Zeitpunkt t = 0 nur 4,832%. Der Grund für diesen niedrigen Kurs bzw. Preis liegt in der von der Winterthur festgelegten relativ hohen Trigger-Eintrittswahrscheinlichkeit. Die Winterthur hat eine CouponAusfallwahrscheinlichkeit von 25% festgelegt. Sie ist viel höher als die gemäß des statistischen Modells aus Poisson- und Paretoverteilung geschätzte Ausfallwahrscheinlichkeit einer Zinszahlung von 13,52%. Eine höhere Ausfallwahrscheinlichkeit für einen Coupon bewirkt einen niedrigeren Erwartungswert einer zukünftigen Zinszahlung und damit einen niedrigeren Kurswert. Die dritte und letzte Komponente, welche den theoretischen Preis der WinterthurAnleihe bestimmt, ist der Barwert des eingeräumten Wandelrechts. Der Inhaber der Anleihe beinhaltet am Ende der Laufzeit das Recht auf Umtausch des Nominalbetrags
783
Vgl. Haugen, R. A. (1993), S. 407 f.
310
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
in Aktien des Unternehmens zu einem schon bereits bei der Emission festgelegten Umtauschverhältnis. Dieses Recht kann als Call-Option auf die Winterthur-Aktien bewertet werden.784 Der Barwert des Wandelrechts KW0 Wandel beträgt 3,38% des Nominalvolumens der Anleihe.785 Für den theoretischen Gesamtwert der Anleihe KW0 gilt folglich: (4.33)
KW0
KW0
NV
C
KW0 KW0
Wandel
92,67% 4,832% 3,38% 100,882% .
4.3.4.3 Ableitung eines Insurance-Spreads
Der theoretische Gesamtwert der Winterthur-Anleihe wurde bestimmt, indem u. a. eine Zinszahlung in Höhe von 2,25% festgelegt wurde. Soll nun die Anleihe zu 100% emittiert werden, kann auf einen angemessenen Zinssatz und damit ein angemessener Insurance-Spread ermittelt werden. Es gilt: (4.34) KW0
KW0
NV
C
KW0 KW0
Wandel
3
ZBAF3 NV ¦ 0,75 C ZBAFn KW0
Wandel
.
n 1
Löst man die Gleichung nach der Couponzahlung C auf, erhalten wir als angemessenen Zins: (4.35) C
KW0 ZBAF3 NV KW0 3
0,75 ¦ ZBAFn
Wandel
100% 92,67% 3,38% 0,75 2,863
3,95% 1,83937% . 2,14747
n 1
Will die Winterthur-Versicherung die Anleihe zu 100% emittieren, so würde ein angemessener Couponsatz von 1,83937 % resultieren.786 Die tatsächliche Couponzahlung betrug jedoch 2,25 % und somit erheblich höher als die faire Verzinsung in Höhe von 1,84 %. Diese höhere Verzinsung resultiert offensichtlich aus der fehlenden Erfahrung der Investoren bezüglich des neuen Anlageinstruments Cat Bonds. Das emittierende Unternehmen (hier: Winterthur) musste eine Art „Neuheitszuschlag“ („novelty premium“) zahlen, damit die Katastrophenanleihe von den Kapitalmärkten aufgenommen werden konnte.787
784 785 786 787
Vgl. Schierenbeck, H. und Hölscher, R. (1998), S. 594 u. 661. Vgl. CSFB (1997), S. 17. Vgl. CSFB (1997), S. 19. Swiss Re spricht in diesem Zusammenhang von einem Agentenproblem: Wenn die Investoren (Fondsmanager) Katastrophen in ihr Portfolio aufnehmen und damit eine gute Verzinsung erreichen, werden die Erfolge nicht so sehr beachtet. Wenn dagegen ein Katastrophenereignis eintritt
4.4 Katastrophenanleihe versus Rückversicherung
311
Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, sieht man sich bei der Bepreisung von Cat Bonds mit zwei wesentlichen Problemen konfrontiert. Zum einen ist die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Trigger-Events zu bestimmen, was sicherlich das größere Problem darstellt. Zum anderen ist es ungewiss, welche Risikoeinstellung seitens der Investoren anzunehmen ist. Der Wert eines Bonds hängt entscheidend von der Trigger-Event-Wahrscheinlichkeit ab. Es muss somit ein Risiko quantifiziert werden, für welches in der Regel nur ein geringer historischer Datensatz vorliegt. Wie bereits im Abschnitt 4.3.2.2. angeführt, kann hierfür die Paretoverteilung zum Einsatz gelangen, die auch in der Extreme Value Theory Anwendung findet. Welcher Datenumfang für eine angemessene Schätzung erforderlich ist, kann jedoch aus der Theorie nicht abgeleitet werden. 788 In dem vorangegangenem Beispiel musste bei der Quantifizierung des Standardfehlers die Annahme der Unabhängigkeit der Parameter unterstellt werden. Außerdem ist es fraglich, inwiefern die geschätzte Trigger-Eintritts-wahrscheinlichkeit durch den Standardfehler angepasst werden könnte.
4.4 Katastrophenanleihe versus Rückversicherung Nachdem wir in den vorangegangen Kapiteln die Einsatzmöglichkeiten, Emissionswege und Bewertungsmethodik von Katastrophenanleihen ausführlich diskutiert haben, stellt sich nun die Frage, ob der Alternative Risikotransfer via Katastrophenanleihen die traditionelle Rückversicherung im Management von Katastrophenrisiken vollständig ersetzen könnte, respektive ob durch den Einsatz von Cat Bonds allein eine optimale Lösung im Management von Katastrophenrisiken erzielt werden kann. Hierzu wird im Folgenden zunächst sowohl bei der traditionellen Rückversicherung als auch bei den Katastrophenanleihen analysiert, ob bei der jeweiligen Form des Risikotransfers ein Basisrisiko oder ein Ausfallrisiko besteht. Anschließend werden die
788
und der Investor Teile seines Kapitaleinsatzes verliert, wird er von den Anlegern in einem negativen Licht bewertet und muss eventuell Einkommenseinbußen hinnehmen. Folglich müssen Katastrophenanleihen immer eine höhere Verzinsung anbieten als vergleichbar geratete Unternehmensanleihen. Vgl. Swiss Re (2003 a), S. 18. Vgl. Diebold, F.X. et al. (1998), S. 3. Verwendet man für die Anpassung einer Paretoverteilung einen größeren Stichprobenumfang, so bewegt man sich stärker zum Mittelpunkt der tatsächlichen Verteilung und wird damit nicht mehr nur den äußeren Tail der Verteilung modellieren.
312
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Kosten dieser beiden Formen des Risikotransfers näher untersucht. Nach der Gegenüberstellung von Basisrisiko und Ausfallrisiko und der Analyse der jeweils entstehenden Kosten wird am Ende des Kapitels eine Antwort auf die eingangs erwähnte Fragestellung gegeben.
4.4.1 Basisrisiko versus Ausfallrisiko In den vorangegangenen Abschnitten wurde bereits das Problem des Basisrisikos bei der Verwendung von Katastrophenanleihen diskutiert. In diesem Anschnitt soll nun das Problem des Basisrisikos der Gefahr des Ausfallrisikos gegenübergestellt werden. Bei der Gegenüberstellung dieser beiden Risiken wird zunächst auf die traditionelle Rückversicherung und anschließend auf den Alternativen Risikotransfer via Cat Bonds eingegangen. Der Begriff „Basisrisiko“ beschreibt das Risiko für das risikotransferierende Unternehmen, dass der tatsächlich entstandene Versicherungsschaden nicht mit den aus dem Versicherungsschutz resultierenden Entschädigungszahlungen übereinstimmt. 789 Dieses Risiko stellt für das transferierende Unternehmen insbesondere dann eine echte Gefahr dar, wenn der tatsächlich entstandene Schaden die vertraglich vereinbarten Kompensationszahlungen übersteigt. Unter dem „Ausfallrisiko“ versteht man das Risiko, dass das Rückversicherungsunternehmen, welches das jeweilige Versicherungsrisiko absichert, aufgrund mangelnder Zahlungsfähigkeit seinen vertraglich vereinbarten Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, und der Versicherungsschutz somit ausfällt. 790 Das Ausfallrisiko ist beim Transfer von Katastrophenrisiken besonders hoch, da bei solchen low frequency/high severity – Risiken die Solvenz von Versicherungsunternehmen im Schadensfall gefährdet ist. 4.4.1.1 Ausfallrisiko in der traditionellen Rückversicherung
Die Folgen von Großschadenereignissen (Naturkatastrophen oder Man-madeKatastrophen) bringen für Erstversicherer und vor allem für Rückversicherungsunter-
789
790
Im Kontext von Cat Bonds entsteht das Basisrisiko dadurch, dass die unternehmensindividuelle Schadenentwicklung von der des vereinbarten Triggers abweicht. Das Basisrisiko kann aber auch auf Missverständnisse über die Formulierungen im Vertragswerk zurückzuführen sein, vgl. D. A. Kerr (2006), S. 37 ff. Vgl. Berge, T. (2005), S. 90.
4.4 Katastrophenanleihe versus Rückversicherung
313
nehmen, die diese Gefahren absichern, ein erhöhtes Konkursrisiko mit sich.791 Dieses erhöhte Konkursrisiko der betroffenen Versicherungsunternehmen bedeutet im gleichen Maße das Ausfallrisiko für die Versicherungsnehmer.792 Dass das Konkursrisiko in der Versicherungswirtschaft nicht geringfügig ist, wird einerseits durch die Zunahme der Insolvenzen in der Versicherungsbranche Anfang der neunziger Jahr und andererseits durch die vielen Bonitätsherabstufungen durch die Rating-Agenturen in den vergangenen Jahren deutlich.793 Die Ursache für das Konkursrisiko der Versicherungsunternehmen und damit auch für das Ausfallrisiko für die Versicherungsnehmer liegt hierbei darin begründet, dass die Katastrophenereignisse in der Regel zu Kumulschäden führen, d.h. eine Vielzahl von Versicherungsnehmern gleichzeitig treffen.794 Wenn die entstandenen Versicherungsleistungen höher als die vorhandenen Finanzreserven sind, muss das Versicherungsunternehmen Konkurs anmelden. Eine echte Bedrohung des Erstversicherungssektors durch Konkurse der Rückversicherungsunternehmen ist allerdings eher unwahrscheinlich, da Erstversicherungsunternehmen in der Regel ihre zu transferierenden Risiken auf mehrere international operierende Rückversicherungsunternehmen verteilen. Darüber hinaus ist die Insolvenzwahrscheinlichkeit im Rückversicherungssektor relativ gering. Seit 1980 mussten weltweit lediglich 24 Rückversicherungsunternehmen Konkurs anmelden. Dennoch bringen Naturkatastrophen mit Schäden in immer neuen Rekordhöhen ein erhöhtes Konkursrisiko auch für ein Rückversicherungsunternehmen mit sich, so dass die Gefahr des Ausfallrisikos für den Versicherungsnehmer (Erstversicherer) nicht außer Acht gelassen werden darf. Da bei der traditionellen Rückversicherung jeder Vertrag individuell auf den Versicherungsnehmer abgestimmt wird und die Versicherungszahlungen hierbei nicht von exogenen Bezugsgrößen abhängig sind, besteht bei klassischen Rückversicherungsverträgen für das risikotransferierende Unternehmen in der Regel kein Basisrisiko.795 Folglich bringt die traditionelle Rückversicherung insbesondere bei der Absicherung gegen Katastrophenrisiken zwar ein gewisses Ausfallrisiko mit sich, dafür geht das transfe-
791 792
793 794 795
Vgl. Nell, M. und A. Richter (2004 b), S. 10. Da die Rückversicherer vornehmlich Großschadenereignisse versichern, sind sie stärker vom Ausfallrisiko betroffen als die Erstversicherer. Vgl. Doherty, N. A. (1997), S. 86. Vgl. Swiss Re (2003 a), S.15. Vgl. Richter, A. (2004), S. 106 f. Vgl. Berge, T. (2005), S. 90.
314
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
rierende Unternehmen beim klassischen Rückversicherungsvertrag in der Regel kein Basisrisiko ein.796 4.4.1.2 Alternativer Risikotransfer via Cat Bonds
Aufgrund der Tatsache, dass beim Risikotransfer via Cat Bonds das im Katastrophenfall benötigte Kapital ex ante bereitgestellt wird,797 besteht bei dieser Art des Risikotransfers im Prinzip kein Ausfallrisiko.798 Folglich ermöglicht die Emission von Cat Bonds praktisch ein Hedging ohne Ausfallrisiko.799 Da das Kapital der Investoren von der Zweckgesellschaft bzw. bei einer DirektEmission von dem transferierenden Unternehmen selbst angelegt wird, existiert theoretisch ein Ausfallrisiko. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Investitionen der Zweckgesellschaft bzw. des transferierenden Unternehmens ebenfalls Verluste einbringen könnten.800 Dieses Ausfallrisiko ist jedoch äußerst gering, denn das Kapital der Investoren wird in der Regel in sicheren Anlagen wie beispielsweise Staatsanleihen investiert. Somit kann festgehalten werden, dass das Ausfallrisiko durch Einsatz von Katastrophenanleihen zumindest auf ein vernachlässigbares Minimum reduziert werden kann. Wie bereits diskutiert, besteht beim Risikotransfer über Katastrophenanleihen jedoch in den meisten Fällen ein Basisrisiko.801 Wie groß das Basisrisiko ist, hängt entscheidend von der spezifischen Ausgestaltung des Trigger-Mechanismus ab. Wird als Bezugsgröße beispielsweise die individuelle Schadenhöhe des risikotransferierenden Unternehmens formuliert, so besteht kein Basisrisiko.802 Bei der Verwendung von parametrischen Bezugsgrößen, Modellschadentrigern oder indexgebundenen Auslösern existiert jedoch ein zum Teil erhebliches Basisrisiko, da es bei diesen Gestaltungsvari-
796
797 798
799 800 801 802
Ein Basisrisiko könnte dann entstehen, wenn im Rückversicherungsvertrag vereinbart wird, dass die Entschädigungsleistung sich an den Branchenschäden orientiert. Dies ist jedoch in den meisten Rückversicherungsverträgen nicht der Fall. Des Weiteren könnte bei der Rückversicherung ein Basisrisiko bestehen, wenn zwischen Rückversicherer und Erstversicherer Uneinigkeit über einzelne Vertragsklauseln herrscht. Vgl. Kerr, D. A. (2006), S. 39. Vgl. hierzu die Ausführungen zu den Emissionswegen von Cat Bonds im Abschnitt 4.2.2. Ein Ausfallrisiko könnte bei den Cat Bonds bestehen, wenn die Rückflüsse aus den sicheren Anlagen gefährdet sind. Dies soll dadurch verhindert werden, indem die zugeflossenen Mittel nur in „sicheren“ Staatsanleihen investiert werden. Vgl. Richter, A. (2004), S. 107. Vgl. Nell, M. und A. Richter (2004 b), S. 10. Vgl. bspw. Canabarro, E. (2000), S. 2. Vgl. Swiss Re (2004 a), S. 16.
4.4 Katastrophenanleihe versus Rückversicherung
315
anten im Schadenfall schnell zu einer Abweichung zwischen den fälligen Kompensationszahlungen und den tatsächlich entstandenen Schäden kommen kann. Dabei haben parametrische Bezugsgrößen das höchste Basisrisiko, da in diesem Fall nur eine relativ grobe Zuordnung der Intensität der Naturereignisse zu den Zahlungen an den Risikoträger erfolgt.803 Damit kann insgesamt festgehalten werden, dass der Einsatz von Cat Bond zwar einerseits das Ausfallrisiko auf ein Minimum reduzieren kann, andererseits das risikotransferierende Unternehmen aber hierdurch je nach Ausgestaltung des TriggerMechanismus ein zum Teil erhebliches Basisrisiko eingeht.
4.4.2 Kosten des Risikotransfers Ein weiterer wichtiger Aspekt beim Risikotransfer von Versicherungsrisiken sind die hierdurch entstehenden Kosten. Im Folgenden werden hierzu sowohl echte Transaktionskosten als auch zusätzlich anfallende Kosten betrachtet. Zunächst werden die Kosten der traditionellen Rückversicherung erläutert. Anschließende werden die Kosten des Alternativen Risikotransfers via Cat Bonds analysiert. 4.4.2.1 Kosten der traditionellen Rückversicherung
Bei der traditionellen Rückversicherung entstehen bereits beim Vertragsabschluss bzw. bei der Ausgestaltung des Vertrages erhebliche Kosten. Da bei den klassischen Rückversicherungsverträgen normalerweise unternehmensindividuelle Schäden als Basis für die Entschädigungszahlungen dienen, müssen bei dieser Form des Risikotransfers zunächst eine ganze Reihe von Analysen und Untersuchungen durchgeführt werden, damit das Risiko dementsprechend bewertet werden kann. Diese Risikoanalysen verursachen sowohl für das risikotransferierende Unternehmen als auch für die Rückversicherungsgesellschaft Verwaltungskosten im beträchtlichen Umfang. Um spätere Probleme wie beispielsweise Moral Hazard oder Adverse Selection wenigstens teilweise eindämmen zu können, bedarf es zudem eines systematischen Monitorings, was wiederum ebenfalls erhebliche Kosten mit sich bringen könnte.804
803 804
Vgl. Berge, T. (2005), S. 92. Vgl. Richter, A (2001), S. 7 f.
316
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
Kommt es dann zum Schadenfall, so muss bei der traditionellen Rückversicherung meist ein erheblicher Aufwand zur Schadenregulierung betrieben werden, wodurch erneut nicht zu vernachlässigende Kosten entstehen.805 Darüber hinaus ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass bei der traditionellen Rückversicherung aufgrund der Schadenregulierung meist ein nicht unerheblicher Zeitraum benötigt wird, bis die Versicherungszahlungen erfolgen können. Dadurch können dem risikotransferierenden Unternehmen Zinsnachteile entstehen. 4.4.2.2 Kosten des Risikotransfers durch Cat Bonds
Durch die Verwendung von Cat Bonds können zunächst je nach Ausgestaltung des Trigger-Mechanismus verschiedene Transaktionskosten signifikant gesenkt werden. So können z.B. die Kosten der Schadenregulierung und des Monitorings insbesondere durch die Bindung des Auslösers an einen exogenen Index oder durch die Verwendung einer parametrischen Bezugsgröße reduziert bzw. vermieden werden.806 Die Kostenreduzierung ergibt sich dabei aus der Tatsache, dass bei der Verwendung einer exogenen Bezugsgröße als Auslöser die Kompensationszahlungen im Schadenfall in Abhängigkeit von der Intensität des Versicherungsereignisses erfolgen und somit kein zusätzlicher Aufwand zur unternehmensindividuellen Schadenregulierung entsteht. Hinzu kommt noch, dass beispielsweise bei der Verwendung einer parametrischen Bezugsgröße kein Monitoring benötigt wird, da in diesem Fall das risikotransferierende Unternehmen keine Manipulationsmöglichkeit besitzt. Eine weitere Möglichkeit zur Kostenreduzierung könnte sich daraus ergeben, dass die Absatzkosten je nach Gestaltungsform der Katastrophenanleihe und Emissionsweg eventuell geringer ausfallen, wenn der Risikotransfer direkt über die Kapitalmärkte erfolgt.807 In der versicherungswissenschaftlichen Literatur wird zudem oft argumentiert, dass bei der Verbriefung von Katastrophenrisiken aufgrund der Unkorreliertheit mit dem Marktrisiko der erwartete Profit für die Investoren nur geringe Risikoprämien enthalten müsse und dieses Instrument daher vergleichsweise günstig sei.808 Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang der folgende Aspekt zu berücksichtigen. Durch den Erwerb von Aktien eines Versicherungsunternehmens beteiligt sich ein In-
805 806 807 808
Vgl. Nell, M. und Richter, A. (2005), S. 329. Vgl. Richter, A. (2004), S. 105. Vgl. Nell, M. und Richter, A. (2005), S. 329. Vgl. Richter, A. (2004), S. 106 sowie Mahler, J. (2006), S. 1834.
4.4 Katastrophenanleihe versus Rückversicherung
317
vestor an der gesamten Risikosituation des Unternehmens, d.h. er partizipiert insbesondere an allen versicherten Risiken des Unternehmens sowie am Kapitalanlageergebnis. Bei dem Erwerb von Katastrophenanleihen kann der Investor hingegen ganz gezielt nur bestimmte Risiken in sein Portefeuille aufnehmen und somit das Risiko auf ex ante spezifizierte Versicherungsereignisse beschränken.809 Betrachtet man allerdings die erwarteten Renditen der bisher am Markt realisierten Transaktionen, so liegen diese dennoch signifikant oberhalb des Zinsniveaus für vergleichbare Unternehmensanleihen (vgl. Abbildung 4.18). Diese Tatsache lässt sich dadurch erklären, dass die Emittenten außergewöhnlich hohe Renditen bieten mussten, um diese neue Form des Risikotransfers für potentielle Investoren interessant zu machen.810 Es ist jedoch zu erwarten, dass bei einer zunehmenden Standardisierung und einem wachsenden Marktanteil die Preise für diese Produkte deutlich abnehmen werden.811
Abbildung 4.18: Renditenvergleich Cat Bonds und Corporate Bonds812
Ein weiterer Grund für die bisherigen hohen Renditen bei den Katastrophenanleihen liegt darin begründet, dass hier nur ein bestimmtes Versicherungsereignis über eine relativ kurze Dauer (meist ein bis drei Jahren) versichert wird. Der für das Versicherungsgeschäft lebenswichtige Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit kann auf809 810
811 812
Vgl. Nell, M. und Richter, A. (2005), S. 329. Dies bedeutet auf der Seite der Emittenten, dass der Risikotransfer via. Cat Bond relativ teurer ist im Vergleich zur traditionellen Rückversicherung. Die erklärt auch die Tatsache, dass Katastrophenanleihen bisher einen verschwindend kleinen Anteil am gesamten Markt für Katastrophenversicherung repräsentieren. Vgl. Woo, G. (2005), S. 92. Vgl. Mahler, J. (2006), S. 1834. Vgl. Swiss Re (2003 a), S. 17.
318
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
grund der Konstruktion der Cat Bonds nur eingeschränkt funktionieren.813 Für das höhere Risiko müssen die Investoren mit entsprechend höheren Renditen entschädigt werden. Dagegen funktioniert der Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit bei den klassischen Rückversicherungslösungen besser, da der Rückversicherer in der Regel mehrere Arten von Risiken zeichnet und in der Regel langfristige Geschäftsbeziehungen zu den Erstversicherern unterhält.814 Aus diesem Grund muss die versicherungsmathematisch faire Risikoprämie bei der klassischen Rückversicherung geringer ausfallen als bei Cat Bonds.815 Beim Risikotransfer via Cat Bonds können darüber hinaus im Rahmen der Emission bereits erhebliche Kosten anfallen, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Die meisten bisher emittierten Katastrophenanleihen wurden über eine Zweckgesellschaft an die Kapitalmärkte gebracht. Die Zweckgesellschaft für die Abwicklung dieser Transaktionen wird hierbei extra von dem risikotransferierenden Unternehmen gegründet, wodurch Gründungs- und Betriebskosten anfallen.816 Bevor die Zweckgesellschaft die Katastrophenanleihen emittiert, werden die betroffenen Versicherungsrisiken in der Regel von einer externen Rating-Agentur begutachtet und bewertet, damit potentielle Investoren die zu übernehmenden Versicherungsrisiken besser einschätzen können. Dieser Rating-Prozess verursacht bei der Zweckgesellschaft zusätzliche Kosten. Weiter ist zu berücksichtigen, dass in den meisten Fällen die Zweckgesellschaft die Katastrophenanleihen nicht direkt an die Investoren emittiert, sondern über eingeschaltete Investmentbanken, die für ihre Vermittlungsleistung Gebühren in erheblicher Höhe verlangen.817 Somit kann insgesamt festgehalten werden, dass durch den Einsatz von Cat Bonds zunächst verschiedene Transaktionskosten signifikant reduziert bzw. vermieden werden können. Jedoch entstehen beim Alternativen Risikotransfer via Cat Bonds teilweise erhebliche zusätzliche Kosten. Da die relativ hohen Couponzahlungen an die Investo-
813 814 815 816
817
Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 381 f. Vgl. Berge, T. (2005), S. 96. Vgl. Froot, K. A. (2001), S. 553 und Major, J. A. und Kreps, R. E. (2002), S. 212 f. Zu den einzelnen Posten der Gründungs- und Betriebskosten der Zweckgesellschaft, vgl. Berge, T. (2005), S. 97. In einer Studie im Jahr veranschlagt die International Association of Insurance Supervisors bei einem Emissionsvolumen von 100 Mio. USD typische Emissionskosten in Höhe von 1,1 Mio. USD sowie jährliche Betriebskosten in Höhe von 100.000 USD. Vgl. IAIS (2003), S. 28 f.
4.4 Katastrophenanleihe versus Rückversicherung
319
ren und insbesondere die gesamten Emissionskosten auch dann anfallen, wenn das vertraglich vereinbarte Versicherungsereignis nicht eintritt, ist der Risikotransfer über die Katastrophenanleihen im Allgemeinen teuerer als der Risikotransfer über die traditionelle Rückversicherung. Aus diesem Grund werden Katastrophenanleihen lediglich in den Zeiten sich häufender Katastrophenereignisse mit hohen Versicherungsschäden, wo Rückversicherungskapazitäten knapp und neue Finanzquellen gesucht werden.818 Aus der Gegenüberstellung Basisrisiko versus Ausfallrisiko geht hervor, dass sowohl die traditionelle Rückversicherung als auch der Risikotransfer über Katastrophenanleihen zum Teil erhebliche Risiken mit sich bringen. Dies hat zur Folge, dass das Risikomanagement des transferierenden Unternehmens insbesondere bei der Ausgestaltung der Katastrophenanleihen zwischen dem Basisrisiko und dem Ausfallrisiko der traditionellen Rückversicherung abwägen muss. Zu berücksichtigen ist der Umstand, dass das Ausfallrisiko der traditionellen Rückversicherung gerade bei Großschadenereignissen erheblich sein kann. Obwohl der Einsatz von Katastrophenanleihen mit teilweise erheblichen Kosten verbunden ist, eignet sich diese Form des Risikotransfers insbesondere im Management von Katastrophenrisiken. Das im Katastrophenfall benötigte Kapital wird hier ex ante bereitgestellt, so dass ein Ausfallrisiko ausgeschlossen werden kann. Mit zunehmender Marktdurchdringung ist zu erwarten, dass der Risikozuschlag für Katastrophenanleihen geringer wird, so dass der Risikotransfer via Cat Bonds an Attraktivität gewinnen wird. Zudem wird dieses Instrument des Risikotransfers in Zeiten gehäufter Großschadenereignisse, in denen das Angebot an Rückversicherung knapp wird, immer stärker nachgefragt.
818
Darüber hinaus eignen sich Katastrophenanleihen weniger für den Risikotransfer von äußerst unwahrscheinlichen Risiken, da diesem Fall der Anteil der Emissionskosten an der gesamten Versicherungsprämie unverhältnismäßig hoch ausfallen wird. Vgl. Berge, T. (2005), S. 99.
320
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
4.5 Zusammenfassung des 4. Kapitels Gegenüber den Instrumenten der Selbstfinanzierung und Rückversicherung hat der Risikotransfer via Katastrophenanleihen den entscheidenden Vorteil, dass der Erstversicherer kein Kreditrisiko tragen muss. Während ein Rückversicherungsvertrag zum Beispiel lediglich ein Versprechen ist, den Versicherer im Fall eines Katastropheneintritts mit zusätzlichem Kapital zu versorgen, ist das Kapital, das in eine Katastrophenanleihe investiert wurde, völlig frei von anderen Forderungen und kann lediglich dazu verwendet werden, dem Versicherer im Falle einer Katastrophe neues Kapital zuzuführen.819 Genau dieser Umstand führt jedoch dazu, dass im Gegenzug einer Emission von Katastrophenanleihen ein mehr oder weniger hoher Kapitalbetrag völlig liquide angelegt werden muss – und zwar vollkommen unabhängig davon, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Katastrophe eintritt. Für Principal-at-Risk-Bonds gilt dies noch mehr als für Coupon-at-Risk-Bonds, da in der letztgenannten Form von Katastrophenanleihen nur der Kapitalzuwachs zur Kompensation von Katastrophenschäden verwendet werden kann. Die Notwendigkeit einer liquiden Kapitalanlage führt zu entsprechend hohen Opportunitätskosten in Form von Renditeverzichten gegenüber weniger liquiden Anlagen und führt letztlich dazu, dass Katastrophenanleihen relativ teure Instrumente des Risikotransfers sind. In der Praxis werden Katastrophenanleihen meist nicht von Versicherungsunternehmen selbst, sondern von deren selbständigen Ausgründungen – so genannten „Special Purpose Reinsurer“ (SPR) oder „Special Purpose Vehicle“ (SPV) – vorgenommen. Das von Investoren eingezahlte Nominalkapital aus der Emission von Cat Bonds wird dabei in risikolose Staatsanleihen investiert. Die Einkünfte aus diesen Anlagen werden zusammen mit der vereinnahmten Rückversicherungsprämie an die Investoren ausbezahlt, sofern das ex ante definierte Katastrophenereignis während der Risk Period nicht eintritt. Die SPR/SPV sind meist als Offshore-Gesellschaften unter steuerbegünstigten Bedingungen tätig.820 Damit können die Opportunitätskosten der hohen Liquidität des Kapi-
819 820
Vgl. Richter, A. (2004), S. 10. Vgl. Nell, M. und Richter, A. (2005), S. 326.
4.5 Zusammenfassung des 4. Kapitels
321
tals zunächst etwas verringert werden. Hinzu kommen jedoch – im Gegensatz zu Rückversicherungsverträgen – noch fixe Transaktionskosten in Form von Kosten für die Emission von Cat Bonds, Kosten für die Errichtung und Unterhaltung des SPR/SPV, Kosten für das Rating der emittierten Wertpapiere usw. hinzu. Je größer das Transaktionsvolumen und je länger die Laufzeit der Anleihen, desto attraktiver wird folglich die Verbriefung von Katastrophenrisiken in Anleihen. Die Bezugsgröße (bzw. der Trigger), die aus der Sicht der Investoren in Katastrophenanleihen einen Verlust auslöst, kann grundsätzlich unternehmensspezifisch oder marktorientiert definiert werden. Ein unternehmensspezifischer Trigger könnte sich zum Beispiel nach der Höhe der Forderungen der Geschädigten gegenüber der Versicherung bemessen. Ein branchenorientierter Trigger würde sich hingegen zum Beispiel auf die Gesamtsumme der Schäden durch ein Katastrophenereignis, der Gesamtsumme der versicherten Schäden oder Ähnliches beziehen. Alternativ wäre auch ein technischer Parameter, der das Ausmaß einer Katastrophe beschreibt, als Trigger denkbar (sog. parametrischer Trigger). So könnte man beispielsweise bei einem Erdbeben als Katastrophenereignis die Ausprägungen auf der Richter-Skala als Richtgröße dafür verwenden, wie hoch die Auszahlungen des SPR/SPV zu bemessen sind. Aus Sicht eines Versicherungsunternehmens wären sicherlich unternehmensspezifische Bezugsgrößen vorteilhafter, da dadurch eher eine vollständige Absicherung von Katastrophenrisiken erreichbar wäre. Das Basisrisiko kann in diesem Fall ausgeschlossen werden. Allerdings hätten die Investoren bei der Wahl von unternehmensspezifischen Bezugsgrößen mit Moral-Hazard- und Adverse Selection-Problemen zu kämpfen: Erstens kann die Ausprägung unternehmensspezifischer Bezugsgrößen von den Versicherungsunternehmen selbst beeinflusst werden und zweitens könnten bei der Konstruktion von Katastrophenanleihen etwaige Informationsvorsprünge des Versicherers gegenüber möglichen Investoren in Katastrophenanleihen ausgenutzt werden. Aufgrund der dadurch notwendigen Kosten der Vertragsüberwachung entstehen bei Cat Bonds mit unternehmensspezifischen Bezugsgrößen zusätzliche Kosten. Anders sieht es hingegen bei branchenorientierten Bezugsgrößen oder parametrischen Parametern aus. Ein Versicherungsunternehmen hat hier keine oder nur eine geringe Möglichkeit, die Bezugsgröße für die Auszahlungen des SPR/SPV zu beeinflussen. Das Basisrisiko der Versicherer wird dabei unmittelbar davon bestimmt, wie die Bezugsgröße, die bei Eintritt einer Katastrophe eine Zahlung an den Versicherer auslösen
322
Kapitel 4: Risikotransfer durch Katastrophenanleihen
soll, mit der Höhe ihrer eigenen Auszahlungsverpflichtungen korreliert. Die Übertragung eines Risikos ist deshalb umso weniger möglich, je mehr sich die Struktur eines unternehmensspezifischen Risikoportfolios von der Struktur des Risikos entfernt, wie es durch eine marktorientierte Bezugsgröße oder einen parametrischen Parameter festgelegt wird. Die Vermeidung von Problemen aus Moral Hazard- und AdverseSelection-Verhalten steht damit in einem umgekehrten Verhältnis zum Basisrisiko eines Versicherers. Und je höher das verbleibende Basisrisiko für den Versicherer ist, desto größer wird die Notwendigkeit, mögliche Schäden zu vermeiden bzw. zu begrenzen. Das Basisrisiko des Versicherers im Zusammenhang mit Katastrophenbonds, die branchenorientierte Bezugsgrößen oder parametrische Parameter als Trigger verwenden, kann jedoch ohne Inkaufnahme von Moral-Hazard-Problemen reduziert werden, wenn parametrische Indizes als Trigger vereinbart werden. Aus Investorensicht besteht ein Vorteil von Katastrophenbonds mit einer branchenorientierten Bezugsgröße oder einem parametrischen Parameter darin, dass sie gegenüber Katastrophenbonds mit unternehmensspezifischen Bezugsgrößen Standardisierungsvorteile bieten. Bei Bonds mit unternehmensspezifischen Bezugsgrößen müssen Investoren die Risiken dieser Bonds jeweils getrennt nach den unterschiedlichen Bezugsgrößen analysieren. Bei Cat Bonds mit marktorientierten Bezugsgrößen oder technischen Parametern müssen sie hingegen nur das Risiko verstehen, welches mit einem aggregierten Index verbunden ist. Marktorientierte Bezugsgrößen von Katastrophenbonds schaffen also hier den Vorteil, dass die Transaktionskosten des Risikotransfers geringer bleiben. Gegen eine hohe Nachfrage nach Katastrophenanleihen könnte sprechen, dass es derzeit im Gegensatz zu entsprechenden Produkten im Finanzbereich noch keine eindeutige Bewertungsformel gibt. Die vorhandenen kapitalmarktheoretischen Bewertungsmodelle setzen meist eine Normalverteilung der Auszahlungswahrscheinlichkeiten von Finanzprodukten voraus. Die Anwendung eines solchen Modells scheidet jedoch im Falle von low frequency/high severity-Risiken aus.821 Folglich sind Investitionen in Cat Bonds mit einem höheren Maß an Ungewissheit verbunden als Investitionen in konventionelle Produkte aus dem Finanzbereich. Unter der Annahme, dass PortfolioManager selbst risikoavers sind, werden Cat Bond-Risiken aufgrund ihrer höheren
821
Vgl. Berge, T. (2005), S. 164 f.
4.5 Zusammenfassung des 4. Kapitels
323
Ungewissheit deshalb nur dann übernommen, wenn mit ihnen im Vergleich zu konventionellen Produkten eine ungleich höhere Verzinsung in Aussicht gestellt wird. Mit diesem „Sicherheitszuschlag“ kann ein Ausgleich zu den besser einschätzbaren Risiken auf die Produkte aus dem Finanzbereich geschaffen werden. Darüber hinaus entstehen bei Cat Bonds erhebliche Nebenkosten in Form von Emissionskosten und laufende Betriebskosten, so dass sie im Vergleich zu den klassischen Rückversicherungslösungen relativ teuer erscheinen. Da das SPV in der Regel nur ein bestimmtes Versicherungsereignis für eine relativ kurze Zeit versichert, fehlt bei dieser Konstruktion der notwendige Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit, so dass die Risikoprämie bei Katastrophenanleihen höher ausfallen muss als bei den klassischen Rückversicherungslösungen. Daher werden die Katastrophenanleihen die klassische Rückversicherung nur in den seltensten Fällen ersetzen können. Vielmehr stellen sie eine notwendige Kapazitätserweiterung822 in Zeiten sich häufender Großschadenereignisse mit nicht vorhersehbaren enormen Versicherungsschäden dar, welche die weltweiten Rückversicherungskapazitäten zu übersteigen drohen.
822
Vgl. Nell, M. und Richter, A. (2005), S. 331.
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
5.1 Grundlagen der Versicherungsderivate 5.1.1 Begriffsbildung Allgemein stellen Optionsgeschäfte Verträge dar, die das Recht verbriefen, bestimmte Mengen von vertretbaren Sachen oder synthetischen Werten (Basisobjekte) zu einem vereinbarten Preis (Basispreis, Ausübungspreis) zu erwerben oder zu verkaufen.823 Für dieses Recht zahlt der Käufer eine Optionsprämie. Kaufoptionen beinhalten das Recht, ein Basisobjekt zu einem bestimmten Preis zu kaufen. Sie werden Calls genannt. Verkaufsoptionen beinhalten das Recht, ein Basisobjekt zu einem bestimmten Preis zu verkaufen. Sie heißen Puts. Optionen können dabei entweder zu jedem beliebigen Zeitpunkt während der Vertragslaufzeit ausgeübt werden (amerikanische Optionen) oder nur am Ende einer Laufzeit (europäische Optionen).824 Versicherungsoptionen sind Optionen, deren Basisobjekte Katastrophen sind. 825 Im Gegensatz zu Optionen auf Aktien und Anleihen sind Geschäfte mit diesen Basisobjekten aber lediglich fiktiv: Erdbeben, Überschwemmungen, Flugzeugabstürze oder andere Katastrophen können nicht wie Aktien oder Anleihen physikalisch über den Markt gehandelt werden. Dies macht eine Sonderbewertung von Versicherungsderivaten notwendig, da herkömmliche Bewertungsmethoden wie die Black-Scholes-Formel hier nur bedingt geeignet sind.826
823 824
825 826
Vgl. Hull, C. (2003), S. 6. Der Name „amerikanische“ bzw. „europäische“ Optionen bezieht sich nicht auf den Börsenplatz, wo diese Optionen gehandelt werden. Vgl. Hull, C. (2003), S. 6. Vgl. Hull, C. (2003), S. 682 f. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 385.
326
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Glattstellungen827 von Katastrophenoptionen sind folglich nicht durch Erfüllung des Basisgeschäftes, sondern nur durch entsprechende Gegengeschäfte möglich. 828 Eine Abrechnung am Ende der Laufzeit einer Option kann folglich nur als Barausgleich (cash settlement) stattfinden.829 Ein Call auf ein Katastrophenereignis berechtigt den Käufer dieser Option, einen Betrag zu verlangen, der dem Verlust durch den Eintritt eines Katastrophenereignisses oder einem Anteil dessen - entspricht.830 Somit können Katastrophenschäden durch eine bedingte Zahlung von Fremdkapital an den Käufer von Optionen vollständig oder anteilig finanziert werden. Der Verkäufer dieser Option trägt daher das Risiko einer Katastrophe. Damit entspricht diese Konstruktion des Risikotransfers einer Finanzierung von Katastrophenschäden durch Cat Bonds, bei denen die Rückzahlung des Nominalbetrags bei Eintritt einer Katastrophe entfällt. Anders als bei solchen principal-atrisk Cat Bonds wird ein Investor für die Übernahme des Risikos jedoch nicht über eine überdurchschnittliche Verzinsung auf das eingesetzte Kapital entschädigt, sondern über den Erlös, den dieser beim Verkauf dieser Option erzielt. Letztlich spiegelt der Erlös aus dem Verkauf der Option dann das Risiko des Investors über die (Rest-) Laufzeit der Option wider.831 Ebenfalls lassen sich mit Call-Optionen Rückversicherungsverträge nachbilden.832 Der Verkäufer einer solchen Option setzt sich dabei in die Rolle eines Rückversicherers, der bei Eintritt einer Katastrophe den Erstversicherer, den Käufer dieser Option, zu kompensieren hat. Neben großen Fondsgesellschaften, die Möglichkeiten zur Diversifikation ihrer Portfoliorisiken suchen, 833 können Verkäufer von Call-Optionen beispielsweise Baugesellschaften sein, für die mit dem Eintritt eines Katastrophenereig-
827
828 829
830 831 832
833
Glattstellen einer Position (Schließung einer Position, closing out a position): Eine offene Position wird dadurch geschlossen (glattgestellt), dass man ein kongruentes Gegengeschäft eingeht. Vgl. Strube, M. (2001), S. 27. Bei einem Barausgleich findet mit der Optionsausübung kein Erwerb beziehungsweise Verkauf des Basisobjekts statt. Stattdessen wird einfach der Differenzbetrag zwischen dem fixierten Preis ( = Basispreis) und dem aktuellen Marktwert ermittelt. Vgl. Strube, M. (2001), S. 27. Vgl. White, R. R. (2001), S. 324. Zu den verschiedenen Hedging-Strategien mit Versicherungsoptionen, vgl. O’Brien, T. (1997), S. 153 ff. Die Risiken aus Versicherungsderivaten sind in der Regel nicht mit anderen Risiken im Portfolio korreliert. Dies ermöglicht eine Diversifikation im Portfolio. Vgl. White, R. R. (2001), S. 324.
5.1 Grundlagen der Versicherungsderivate
327
nisses neue Aufträge verbunden sind und ein Ausbleiben von Katastrophen eher ein Nachteil bedeutet. 834 Darüber hinaus können Versicherer Call-Optionen anbieten, wenn deren Deckungskapazität nicht ausgeschöpft ist.835 Eine andere Möglichkeit zur Finanzierung von Katastrophenschäden sind Puts. Bei diesem Instrument wird bei Eintritt eines Katastrophenereignisses die Möglichkeit genutzt, Eigenkapitalanteile zu einem vorher festgelegten Basispreis zu verkaufen. Die Übernahme des Risikos, dass der vor einem möglichen Katastrophenereignis festgelegte Basispreis den Wert der Eigenkapitalanteile nach Eintritt dieses Ereignisses übersteigt, wird durch den Erlös aus dem Verkauf der Put-Option vergütet.
5.1.2 Grundsätzliche Überlegungen Genauso wie bei Katastrophenanleihen und Rückversicherungsverträgen stellt sich auch bei Optionen auf Katastrophenereignisse die Frage nach der jeweiligen Bezugsgröße (Trigger), d.h. danach, wie der Eintritt einer Katastrophe definiert wird. Wenn Bezugsgrößen, die einen Put oder einen Call auslösen, unternehmensspezifisch gewählt werden – zum Beispiel nach der Höhe der Forderungen der Geschädigten gegenüber einem Versicherungsunternehmen – dann könnte dies ähnlich wie bei Cat Bonds ein Moral-Hazard-Verhalten bewirken, weil die Versicherungsunternehmen selbst als Inhaber von Puts und Calls Einfluss auf die Höhe dieser Forderungen nehmen könnten. Wird umgekehrt eine unternehmensunabhängige Bezugsgröße gewählt, so verbleibt für das risikotransferierende Unternehmen ein Basisrisiko, sofern die unternehmensspezifische Struktur des Risikos von der Struktur des Risikos abweicht, welches durch die Bezugsgröße der Optionen festgelegt ist. Darüber hinaus beinhalten Optionen auf Katastrophenereignisse - im Gegensatz zu Katastrophenanleihen - genauso wie die traditionelle Rückversicherungskontrakte ein Kreditrisiko (bzw. Ausfallrisiko): Es kann nämlich vorkommen, dass gerade zu dem Zeitpunkt, an dem Kapital zur Scha-
834
835
Eine neue und ziemlich erfolgreiche Art von Versicherungsderivaten stellen die Wetterderivate dar, mit denen der Optionsinhaber sich vor für sein Geschäft ungünstigen Wettereinflüssen schützen kann (z.B. Energieversorger vor zu warmen Wintern oder Betreiber von Ski-Ressorts vor zu wenig Schnee usw.). Vgl. Brockett, P. L., Wang, M. und Yang, C. (2005), S. 128 f. Weitere Anwendungsbeispiele, vgl. Strube, M. (2001) sowie Wagner, F. (1997).
328
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
densabwicklung benötigt wird, der Kapitalgeber insolvent wird.836 Bei börsengehandelten Versicherungsderivaten ist dieses Kreditrisiko jedoch aus zwei Gründen weitaus geringer. x Zum einen kann die erforderliche Deckungskapazität zur Finanzierung von Katastrophenschäden in sehr kleine Teile gestückelt werden, und die daraus entstehende Vielzahl von Optionen kann mit entsprechend vielen Marktpartnern gehandelt werden. Dadurch lässt sich das Kreditrisiko der Versicherungsoptionen diversifizieren und atomisieren. x Zum anderen steht die Börsenorganisation als ein Intermediär zwischen den Marktpartnern, welche für die sichere Ausführung der Optionsgeschäfte bürgen kann. Als Voraussetzung für einen Börsenhandel bedarf es jedoch einer Standardisierung dieser Geschäfte.837 Damit wird es den potentiellen Nachfragern dieser Optionen ermöglicht, ihre Informationskosten über das Risiko dieser Optionen zu senken. Beides zusammen - verringertes Kreditrisiko und geringe Informationskosten – machen börsengehandelte Optionen für einen Handel erst attraktiv und können damit zu einem starken Zustrom von Deckungskapazitäten führen.838 An den einschlägigen Börsenplätzen werden zum Beispiel nur solche Katastrophenoptionen gehandelt, deren Bezugsgrößen sich an einem bestimmten aggregierten Maßstab orientieren. So sind alle Katastrophenoptionen, die an der Chicago Board of Trade (CBOT) gehandelt werden, an bestimmte normierte Schadenindizes gebunden,
welche – regional differenziert – versicherte Katastrophenschäden in den USA erfassen.839 Diese Schadenindizes werden von der Firma Property Claims Service840 (PCS)
836 837 838
839 840
Zu dem Themenkomplex Basisrisiko und Ausfallrisiko vgl. die Ausführungen im Abschnitt 4.4.1. Vgl. CBOT (1995), S. 1. Manche Autoren sind der Meinung, dass der bisher ausbleibende Erfolg der Versicherungsderivate darauf zurückzuführen ist, dass diese nicht genug standardisiert sind. Vgl. White, R. R. (2001), S. 325. Vgl. Durrer, A. (1996), S. 9 ff. PCS ist eine Tochtergesellschaft der American Insurance Service Group, Inc., die als eine Organisation ohne Gewinnerzielungsabsicht der Versicherungswirtschaft statistische Daten zur Verfügung stellt. Seit 1949 schätzt PCS die durch Katastrophenereignisse verursachten Schäden. Jedes als Katastrophe definierte Ereignis erhält zur einfachen Identifikation eine Seriennummer. Vgl. CBOT (1995), S. 11. sowie Canter, M. S. et al. (1996), S. 91 f.
5.1 Grundlagen der Versicherungsderivate
329
erstellt. Daraus leitet sich der Name der an dieser Börse gehandelten Optionen ab: PCS-Optionen.
An einer anderen Börse, der Bermuda Commodities Exchange, werden Optionen gehandelt, deren ebenfalls regional differenzierte Bezugsgrößen sich an dem Guy Carpenter Catastrophe Index (GCCI) orientieren. Entsprechend werden dort GCCIOptionen gehandelt.
Mit der Standardisierung der Optionsgeschäfte sind verschiedene Folgen verbunden. Zunächst orientiert sich die Bezugsgröße an einem aggregierten Index, ist also nicht unternehmensspezifisch ausgelegt. Dies mag einerseits ein Moral-Hazard-Verhalten des risikotransferierenden Versicherungsunternehmens minimieren, andererseits bleibt dadurch ein Basisrisiko bestehen. Dieses Basisrisiko wird umso größer sein, je stärker das Risikoportfolio eines Versicherers von jenem Risikoportfolio abweicht, welches der jeweilige Index zu seiner Berechnung zugrunde legt. Differenzierungen in den Schadenindizes (z.B. nach Regionen oder bestimmten Naturgefahren) können daher das Basisrisiko des Optionskäufers vermindern. Allerdings steigen mit differenzierteren Schadenindizes wieder die Informationskosten der Investoren an, da sie erst lernen müssen, die unterschiedlichen Definitionsgrundlagen der Optionsgeschäfte zu verstehen. Eine Standardisierung der Optionsgeschäfte hat folglich ambivalente Wirkungen auf die Fähigkeiten, Katastrophenrisiken zu diversifizieren und damit Deckungskapazitäten für Katastrophenrisiken zu schaffen. Grundsätzlich könnten solche Optionsgeschäfte umso mehr auf eine Standardisierung verzichten, je kostengünstiger es für Investoren ist, sich Informationen über das zugrunde liegende Optionsgeschäft zu beschaffen. Damit käme der Informationsbereitstellung über die Risiken von Katastrophenereignissen eine entscheidende Rolle für die Versicherungsfähigkeit von Katastrophenereignissen zu. Im vorliegenden Kapitel werden zunächst die unterschiedlichen Konzepte der PCSOptionen der CBOT und der GCCI-Optionen der BCOE dargestellt. Wesentliche Gestaltungsmerkmale, wie Art der Optionen, Laufzeit und Abrechnungsverfahren, sowie die unterschiedliche Berechnung der als Underlying dienenden Schadenindizes werden beschrieben. Im Anschluss daran erfolgt eine Untersuchung der Möglichkeiten zur Bewertung von Versicherungsderivaten am Beispiel der PCS-Optionen. Nach der Prüfung, inwiefern traditionelle Optionsbewertungsmodelle auf die PCS-Optionen über-
330
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
tragen werden können, wird der Ansatz eines auf der Monte-Carlo-Simulation basierenden versicherungsmathematischen Bewertungsmodells vorgestellt und beurteilt. Ein wichtiger Punkt für die Interessenten an Versicherungsoptionen sind die Anwendungsmöglichkeiten. Deshalb wird der Frage nachgegangen, wie die Optionen aufsichtsrechtlich behandelt werden, um anschließend die Steuerung des versicherungstechnischen Risikos mit Versicherungsoptionen am Beispiel der PCS-Optionen zu untersuchen. Zahlreiche Möglichkeiten des Einsatzes der Optionen zu Absicherungszwecken werden vorgestellt und beurteilt. Abschließend wird die Marktentwicklung der Optionen auf Katastrophenschadenindizes betrachtet, um die Gründe für den bisherigen mäßigen Erfolg dieser Instrumente zu analysieren.
5.2 Konzeption von Versicherungsderivaten 5.2.1 PCS-Optionen Am 29. September 1995 begann die Chicago Board of Trade (CBOT) den Handel mit PCS-Optionen. 841 Es handelt sich dabei um standardisierte Optionskontrakte, 842 die Erst- und Rückversicherern als eine Alternative zur Rückversicherung angeboten werden, um das Management von Katastrophenrisiken zu ermöglichen. Im Gegensatz zur zwischen den Vertragspartnern individuell ausgehandelten Rückversicherung sind die PCS-Optionen an der CBOT also standardisiert. 5.2.1.1 Underlying
Das Underlying (der Basiswert) der PCS-Optionen ist nicht ein Finanztitel (z.B. eine Aktie), sondern ein Versicherungsschadenindex. Er beschreibt die Entwicklung von Groß- bzw. Katastrophenschäden in den Vereinigten Staaten, Puerto Rico und den Jungferninseln und wird von der Property Claim Services (PCS) täglich ermittelt. PCS ist seit 1997 eine international anerkannte Einheit der Insurance Services Office Inc.
841 842
Vgl. Strube, M. (2001), S. 27. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 386 f.
5.2 Konzeption von Versicherungsderivaten
331
(ISO), einer großen amerikanischen Gesellschaft, deren Produkte zu den führenden Informationsquellen für Risiken gehören843. Aus einem nationalen Netzwerk von Versicherungsschadenabteilungen und regulierern, Notfallleitern, Versicherungsvertretern, Meteorologen, sowie Feuerwehrund Polizeibeamten generiert PCS die notwendigen Informationen zur Erstellung des Schadenindexes. Des Weiteren steht PCS in Kontakt mit Industrievertretern. Mit Hilfe dieser Daten wird täglich der Versicherungsschaden geschätzt und daraus ein entsprechender Schadenindex berechnet.844 Der Index wird erstellt, wenn PCS feststellt, dass auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten, Puerto Rico und den Jungferninseln eine Katastrophe eingetreten ist. Als Katastrophe betrachtet PCS nur Ereignisse, die zu einem Versicherungsschaden von mindestens 5 Mio. USD führen und dabei mehrere Halter von Versicherungspolicen und Versicherer betreffen.845 Es werden nur direkt versicherte Schäden betrachtet, d.h. nicht versicherte Schäden werden also im Index nicht berücksichtigt.846 Jeder Katastrophe ordnet PCS eine Seriennummer zu, die es der Versicherungsbranche erlaubt, geschätzte Schäden und notwendige Rückstellungen in Bezug auf ein spezielles Ereignis nachzuverfolgen.847 Die einzelnen Katastrophenindizes werden zu insgesamt neun verschiedenen regionalen Indizes für die PCS-Optionen zusammengefasst.848 Der nationale PCS-Index berücksichtigt Katastrophen in allen 50 US-Bundesstaaten sowie Washington D.C. Des Weiteren gibt es je einen Index für die Regionen Eastern, Northeastern, Southeastern, Midwestern und Western sowie drei weitere staatenspezifische Indizes für Florida, Texas und Kalifornien. Um die Indizes zu erstellen, werden Marktteilnehmer in den entsprechenden Regionen befragt, die gemessen an den vereinnahmten Versicherungsprämien gemeinsam min-
843
844 845 846 847 848
PCS ist ein Produkt der American Insurance Services Group (AISG), die am 02.10.1997 von ISO übernommen wurde. Vgl. http://www.iso.com/press_releases/1997/10_02_97.html, AISG ist eine Nonprofit-Organisation, die der Versicherungsbranche seit 1949 statistische Daten aus Katastrophenschäden bereitstellt. Vgl. http://www.iso.com/products/2800/prod2801.html sowie Canter, M. S. et al. (1996), S. 91 f. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 388. Vgl. CBOT (1995), S. 11. Vgl. White, R. R. (2001), S. 324. Vgl. O’Brien, T. (1997), S. 154.
332
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
destens 70% Marktanteil besitzen.849 Sie berichten über Anzahl und Höhe ihrer bereits gemeldeten Versicherungsschäden und geben Schätzungen über die zu erwartenden Verpflichtungen ab. PCS führt dann unter Berücksichtigung der Marktanteile eine Hochrechung auf die gesamten entstandenen Versicherungsschäden durch.850 Da die Meldung und die Schadenabwicklung einen langwierigen Prozess durchlaufen, basieren die Berechnungen von PCS zum Teil auf Schätzungen über die zu erwartenden Schadenzahlungen. Darüber hinaus stützt sich PCS auch auf das so genannte National Insurance Risk Profile (NIRP), eine von PCS entwickelte Datenbank, die Informationen über die versicherten Gebäude und Fahrzeuge in den über 3.100 Bezirken der USA beinhaltet. Bei Eintritt einer Katastrophe untersucht PCS vor Ort stichprobenartig, welcher Anteil der Gebäude beschädigt ist. Dieser Anteil wird dann mit Hilfe der NIRP-Datenbank auf die von der Katastrophe betroffene Region hochgerechnet. Die gewonnenen Informationen können dann mit den Umfrageergebnissen bei den Versicherern verglichen und entsprechend korrigiert werden. Stellt PCS einen Versicherungsschaden von mehr als 250 Mio. USD fest, so werden die Befragungen der Versicherungsunternehmen und die darauf aufbauenden Schadenschätzungen innerhalb von 60 Tagen wiederholt. Dies gilt auch für typische Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Hurrikans, auch wenn die ersten Untersuchungen einen Versicherungsschaden von weniger als 250 Mio. USD ergeben haben. Erneute Untersuchungen werden dann alle 60 Tage durchgeführt, bis PCS zur Überzeugung gelangt, dass alle wesentlichen Versicherungsschäden erfasst worden sind.851 Die PCS-Indizes für die verschiedenen Regionen werden erstellt, indem die ermittelten Katastrophenschäden durch den Betrag 100 Mio. USD dividiert und auf eine Dezimalstelle gerundet werden.852 Wenn also die geschätzten Versicherungsschäden aus einem Hurrikan in Florida beispielsweise 5,238 Mrd. USD betragen, so würde der FloridaPCS-Index 52,38 (gerundet 52,4) betragen. Im Handel auf PCS-Indizes an der CBOT entspricht jeder Index-Punkt einem Wert von 200 USD.
849 850 851 852
Vgl. CBOT (1995), S. 11. Vgl. Froot, K. A. (1999), S. 33. Vgl. CBOT (1995), S. 12. Dies bedeutet, dass jeder Punkt im PCS-Index einem Versicherungsschaden in Höhe von 100 Mio. USD entspricht. Vgl. O’Brien, T. (1997), S. 154.
5.2 Konzeption von Versicherungsderivaten
333
Bei der Darstellung des Vorgehens von PCS wird bereits deutlich, welche Probleme mit einem Index verbunden sind, der nicht auf Grundlage von gehandelten Werten ermittelt wird. Eine objektive Analyse der Daten ist im Gegensatz zu einem Index (beispielsweise einem Aktienindex), der von jedem Interessenten in seiner Wertermittlung jederzeit überprüft werden kann, nicht möglich.853 Darüber hinaus kommt bei Versicherungsderivaten das Problem der Manipulationsmöglichkeit auf Seiten der Versicherungsunternehmen. Denn der PCS-Index kann mit überhöhten Schätzungen der Versicherungsschäden durch die befragten Versicherungsunternehmen beeinflusst werden. Dies trifft vor allem auf große Versicherer zu, die – bedingt durch ihren meist größeren Marktanteil – den PCS-Index maßgeblich beeinflussen können. 5.2.1.2 Optionspositionen und zeitliches Profil
An der CBOT werden sowohl Call-, als auch Put-Optionen auf die neun verschiedenen PCS-Indizes gehandelt. Es sind Optionen europäischen Typs und sie können daher nur zum Laufzeitende ausgeübt werden. Da das Underlying (der zugrunde liegende Schadenindex) abstrakt und nicht am Markt handelbar ist, müssen die Optionen zum Zeitpunkt der Fälligkeit in Geld ausgeglichen werden, vorausgesetzt sie weisen einen positiven Wert auf.854 Die an der CBOT gehandelten Kontrakte werden in zwei Arten unterschieden. Zum einen sind dies die Small-Cap-Kontrakte, die Schadenwerte von 0 bis 20 Mrd. USD betreffen und zum anderen die Large-Cap-Kontrakte, die Schäden von 20 bis 50 Mrd. USD abdecken.855 Umgerechnet in Indexpunkten entspricht dies 0 bis 200 Indexpunkten bei Small-Cap-Kontrakten und 200 bis 500 Indexpunkten bei LargeCap-Kontrakten. Durch diese Einteilung werden die durch die Optionen abgedeckten Versicherungsschäden in der Höhe begrenzt. Dies ist auch notwendig, um das Risiko für potentielle Investoren kalkulierbar zu machen.856 Hierin liegt auch der wesentliche Unterschied zwischen den Versicherungsoptionen und den „klassischen Optionen“, wie z. B. den Aktienoptionen, die in ihrer Wertentwicklung nicht von vornherein begrenzt sind. Die Versicherungsderivate entsprechen mit ihrem Gewinn-Verlust-Profil
853 854 855
856
Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 385. Vgl. Skipper, H. D. (1998), S. 144. Katastrophenschäden von mehr als 50 Mrd. USD wurden bislang nicht durch Versicherungsoptionen abgedeckt. Dies ist auch nicht erforderlich, da das bisher schadenschwerste Versicherungsereignis, der Hurrikan Katrina im Jahr 2005, Versicherungsschäden von „nur“ 45 Mrd. USD verursacht hat. Vgl. Canter, M. S. et al. (1996), S. 93.
334
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
dem gleichzeitigen Kauf und Verkauf von Put- bzw. Call-Optionen mit unterschiedlichen Basispreisen, also einem so genannten Bull-Spread.857 Um eine Standardisierung der Versicherungsoptionen zu erreichen werden die Basispreise als Vielfaches von fünf Indexpunkten festgelegt.858 Angeboten werden SmallCap-Optionen als Calls mit Basispreisen von 0 bis 195 Indexpunkten und als Puts mit Basispreisen von 5 bis 200 Indexpunkten. 859 Small-Cap-Optionen erfassen somit Schäden von 0 bis 20 Milliarden USD.860 Daneben können Large-Cap-Optionen als Calls mit Basispreisen von 200 bis 495 Indexpunkten und als Puts mit Basispreisen von 205 bis 500 Indexpunkten gehandelt werden.861 Die Optionen auf die verschiedenen Schadenindizes sind auf bestimmte Zeitspannen definiert. Diese werden in Schadenperiode und Berichtsperiode unterteilt. Bei fast allen Indizes entspricht die Schadenperiode einem Schadenquartal, also ein Zeitraum von drei Monaten. Zu vier Stichtagen im Jahr, also März, Juni, September und Dezember, werden Optionen auf den National-PCS-Index, auf den Florida-, Texas-, Midwestern-, Southeastern-, Northeastern- sowie den Eastern-PCS-Index angeboten. Die National-, Western- und California-PCS-Optionen besitzen eine Schadenperiode von einem ganzen Jahr. Somit ist der National-Kontrakt der einzige, der sowohl jährlich als auch im Quartal angeboten wird. Ein Juni-Texas-Kontrakt z.B. berücksichtigt die Versicherungsschäden, die Katastrophen in Texas im Zeitraum vom 1. April bis zum 30. Juni verursachen. Katastrophenschäden, die in der betrachteten Schadenperiode entstehen, jedoch in die nächste hineinreichen, werden mit ihren gesamten verursachten Versicherungsschäden der Periode zugerechnet, in der sie entstanden sind. Tritt bspw. ein Hurrikan auf, der am 29. Juni beginnt und bis zum 2. Juli Schäden in Texas verursacht, so werden die gesamten aufgetretenen Versicherungsschäden dem Juni-Kontrakt auf den Texas-PCS-Index zugeordnet.862
857 858 859 860
861 862
Vgl. Hull, J. C. (2003), S. 187 ff. Vgl. Schradin, H. R. (1996), S. 1523. Vgl. CBOT (1995), S. 77. Ein Basispunkt entspricht 100 Mio. USD Schadensumme, so dass ein Schadenindex von 200 Basispunkten Schäden in Höhe von (200 x 100 Mio.) 20 Mrd. USD umfasst. Vgl. CBOT (1995), S. 4. Vgl. CBOT (1995), S. 4.
335
5.2 Konzeption von Versicherungsderivaten
A
M
J
J
A
S
O
N
D
J
F
M
A
M
J
Schadenperiode
Berichtsperiode sechs Monate oder zwölf Monate
Abbildung 5.1: Handelsperiode eines Juni-Kontraktes863
Die möglichst genaue Berechnung der Versicherungsschäden eines Zeitraumes nimmt viel Zeit in Anspruch. Deshalb schließt sich an die Schadenperiode eine Berichtsperiode an, die eine angemessene Berechnung der PCS-Indizes für die vorangegangene Schadenperiode sicherstellt. Man kann hierbei zwischen einer Berichtsperiode von sechs oder zwölf Monaten wählen.864 Der zum Ende dieser Berichtsperiode berechnete PCS-Index wird dann für die Schlussabrechnung der Kontrakte zugrunde gelegt. Anschließend veröffentlichte, eventuell abweichende PCS-Schätzungen werden in der Abrechnung nicht mehr berücksichtigt. 865 Die zeitliche Abwicklung von Versicherungsderivaten wird in Abbildung 5.1 graphisch dargestellt. Insgesamt betragen die Lauf- bzw. Handelszeiten also bei den Kontrakten mit einer Schadenperiode von einem Quartal neun bzw. fünfzehn Monate und bei den Kontrakten mit Schadenperiode von einem Jahr achtzehn bzw. vierundzwanzig Monate. Betrachtet man alle möglichen genannten räumlichen und zeitlichen Abgrenzungen der PCS-Kontrakte, so gibt es 62 verschiedene standardisierte Kontrakte.866
863 864 865 866
Vgl. Schradin, H. R. (1997), S. 891. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 389. Vgl. CBOT (1995), S. 4. 7 (Gebiete) 4 (Schadenperioden) 2 (Berichtsperioden) + 3 (Gebiete) 1 (Schadenperiode) 2 (Berichtsperioden) = 62.
336
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Kontrakt Monat
Berichtsperiode Schadenperiode
sechs Monate
zwölf Monate
Abrechnungszeitpunkt* sechsmonatige zwölfmonatige Berichtsperiode Berichtsperiode
März
Januar bis März
1. April bis 30. 1. April bis 31. Sept. März
30. Sept.
31. März
Juni
April bis Juni
1. Juli bis 31. 1. Juli bis 30. Dez. Juni
31. Dez.
30. Juni
Juli bis Septem- 1. Okt. bis 31. 1. Okt. bis 30. September ber März Sept.
31. März
30. Sept.
Oktober bis De- 1. Jan. bis 30. 1. Jan. bis 31. Dezember zember Juni Dez.
30. Juni
31. Dez.
Januar bis De- 1. Jan. bis 30. 1. Jan. bis 31. zember Juni Dez.
30. Juni
31. Dez.
Jahr
* oder der letzte Handelstag, falls der angegebene Tag kein Handelstag ist
Abbildung 5.2: Handelsschema von PCS-Optionen.867
Ein Beispiel soll an dieser Stelle den Ablauf des Handels einer PCS-Option näher erläutern. Man betrachte eine Juni Small-Cap-Call-Option auf den Texas-PCS-Index mit einem Basispreis von 80 Indexpunkten. Die Schadenperiode reicht also vom 1. April bis zum 30. Juni und der Abrechnungszeitpunkt ist bei Annahme einer sechsmonatigen Berichtsperiode der 31. Dezember des gleichen Jahres. Ein starker Hurrikan sei im Süden der Vereinigten Staaten aufgetreten und habe in der Schadenperiode erhebliche Schäden in Texas verursacht. PCS schätzt die aufgetretenen Versicherungsschäden am 30. Juni auf 12 Mrd. USD. Dies entspricht einem Indexstand von 120 Punkten (12 Mrd./100 Mio.) zum Ende der Schadenperiode. Der innere Wert (Indexstand abzgl. Basispreis) der Call-Option beträgt also zu diesem Zeitpunkt 40 Indexpunkte. In der anschließenden Berichtsperiode vom 1. Juli bis zum 31. Dezember überprüft PCS die Höhe der tatsächlich entstandenen Versicherungsschäden und berichtet schließlich zum Abrechnungszeitpunkt am 31. Dezember einen Indexstand von 126,3 Punkten. Dieser Wert wird für die Schlussabrechnung verwendet, d.h. der Wert der Call-Option beträgt 46,3 (= 126,3 – 80) Indexpunkte. Jeder Indexpunkt entspricht 200 USD, also weist die Option einen Wert von 9.260 USD auf. Der Vertragspartner (Ver-
867
Vgl. CBOT (1995), S. 5.
5.2 Konzeption von Versicherungsderivaten
337
käufer der Option) hat damit diesen Betrag in bar an den Inhaber der Option zu leisten.868 Aufgrund des Small-Cap von 200 Indexpunkten, ergibt sich der Betrag von 120 Punkten bzw. 24.000 USD als maximaler Wert einer Call-Option mit Basiswert von 80, auch wenn der Indexwert über 200 Punkten liegen sollte. Der Wert einer Call-Option c zum Abrechnungszeitpunkt T ergibt sich also allgemein zu c(T)
(5.1)
¬ª min ^max 0; L(T) k ; J k`¼º 200 USD
mit L:
Indexstand L,
k:
Basispreis und
J:
Cap (200 bei Small-Caps und 500 bei Large-Caps).
Mit Berücksichtigung des Preises, den der Käufer der Call-Option an den Verkäufer für das erworbene Recht bezahlen muss, ergibt sich ein Gewinn- und Verlustprofil wie in Abbildung 5.3 dargestellt. Dabei wird von einem Basispreis in Höhe von 50 und einem Small Cap von J 200 Indexpunkten ausgegangen. Aus Abbildung 5.3 ist ersichtlich, dass der Verlust einer Long-Call-Option durch den gezahlten Optionspreis begrenzt ist. Solange der Schadenindex kleiner ist als der Basispreis, ist der Call wertlos. Mit steigendem Schadenindex verbessert sich die Gewinnsituation des Käufers. Somit ist verständlich, dass ein Versicherer nur CallOptionen kauft, wenn er große Schadenereignisse erwartet. Im Gegensatz zu einem Long-Call auf Aktien ist der Gewinn einer PCS Long-Call-Option jedoch nach oben durch den jeweiligen Cap (200 oder 500) begrenzt. Der Gewinn einer Long-CallOption kann somit maximal den Wert Cap – Basispreis – Optionspreis annehmen.
868
Wäre der Schadenindex unter dem Basispreis von 80 Punkten geblieben (bei Schäden von weniger als 8 Mrd. USD), so ist der Call wertlos und es kommt nicht zu einem Barausgleich.
338
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Gewinn (in Indexpunkten)
140
Maximaler Gewinn (Cap – Basispreis – Optionsprämie = 200 – 50 – 10)
Basispreis 0 Optionsprämie -10
50
60
200
PCS-Index
Verlust
Abbildung 5.3: Gewinn- und Verlustprofil einer PCS Long-Call-Option869
Das Gewinn- und Verlustprofil einer Long-Position in einer PCS-Put-Option sieht hingegen wie in Abbildung 5.4 aus. Dabei wird von einem Basispreis von 50 und einer Optionsprämie von 8 Indexpunkten ausgegangen. Die Put-Option weist einen positiven Wert auf, solange der PCS-Index unterhalb des Basispreises liegt. Der maximale Gewinn entspricht dem Basispreis abzüglich der gezahlten Optionsprämie. Der maximale Verlust, der bei einem über dem Basispreis liegenden PCS-Indexstand eintritt, entspricht genau der gezahlten Optionsprämie.
869
Vgl. auch Schradin, H. R. (1998), S. 418 sowie Strube, M. (2001), S. 37.
339
5.2 Konzeption von Versicherungsderivaten
Gewinn (in Indexpunkten)
42
Maximaler Gewinn (Basispreis – Optionsprämie = 50 – 8 = 42)
Basispreis 0 42
50
Optionsprämie
PCS-Index
-8
Verlust
Abbildung 5.4: Gewinn- und Verlustprofil einer PCS Long-Put-Option
5.2.1.3 Handelsabwicklung
Der Handel der PCS-Optionen an der CBOT läuft über eine Clearingstelle, die als Vertragspartner mit den Käufern und Verkäufern fungiert.870 Sie soll das Erfüllungsrisiko zwischen den Kontraktpartnern vermeiden und heißt „Board of Trade Clearing Corporation“ (BOTCC). Nur Mitglieder der BOTCC können am unmittelbaren Geschäftsabschluss teilnehmen. Käufer und Verkäufer von Optionskontrakten müssen ihre Geschäfte über ein Mitglied der Clearingstelle abschließen.871 Typischerweise platzieren sie ihre Orders durch einen Broker, und dieser bringt die Order in den Handel der CBOT. Der Auftrag wird durch ein BOTCC-Mitglied aufgenommen und entsprechend ausgeführt, wenn ein Kontraktpartner gefunden wurde. Die BOTCC führt dabei Käufer und Verkäufer zusammen, deren Kontraktbedingungen und Preisvorstellungen übereinstimmen. Sollte für eine Order kein Kontraktpartner gefunden werden, wird dies während des Handelstages online angezeigt, damit die Clearing-Mitglieder die Aufträge ihrer Kunden anpassen können.872 Bleibt die Order den ganzen Handelstag ohne Kontraktpartner, so wird sie am darauf folgenden Han-
870 871 872
Zur Funktion und Konzeption einer Clearingstelle, vgl. Hull, J. C. (2003), S. 26. Vgl. CBOT (1995), S. 61. Vgl. CBOT (1995), S. 61 f.
340
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
delstag von der Clearingstelle überprüft und dann gelöscht. Alle durchgeführten Orders werden von der BOTCC schriftlich bestätigt. Zweimal täglich erfolgen die Feststellung der Gewinne und Verluste in den Kontrakten und die Berechnung der Nettopositionen der Clearing-Mitglieder. Um das Erfüllungsrisiko zu minimieren, müssen die Clearing-Mitglieder für alle Kontrakte entsprechende Sicherheiten in Form von Bargeld, U.S. Treasury Bonds, bestimmten Obligationen von Staatsunternehmen oder Garantien von bestimmten Banken hinterlegen. Die notwendigen Sicherheiten werden zweimal täglich überprüft. Dieses so genannte Margin-System soll gewährleisten, dass die Clearing-Mitglieder ihren Verpflichtungen nachkommen können.873 Falls ein Clearing-Mitglied seine Verpflichtungen nicht erfüllen kann, wird seine Position geschlossen. Gibt es keinen weiteren Kontraktpartner, tritt die BOTCC selbst als Vertragspartner ein und gewährleistet die Erfüllung der Verpflichtungen. Sie verfügt für diesen Zweck über 140 Mio. USD an Kapital und 300 Mio. USD an zugesagten Kreditlinien.874
5.2.2 GCCI-Optionen Im November 1997 begann der Handel der Versicherungsoptionen auf den Guy Carpenter Catastrophe Index (GCCI) an der Bermuda Commodities Exchange (BCOE). Damit wurde ein zweiter Typ von Versicherungsderivaten ins Leben gerufen. Der GCCI-Schadenindex wird von IndexCo, einer Tochter der Guy Carpenter & Company Inc., erstellt.875 5.2.2.1 Erstellung des Schadenindexes
Erfasst werden nur Schäden aus der Gebäudeversicherung von privaten Haushalten, die durch atmosphärische Gefahren, also Sturm, Hagel und Frost hervorgerufen werden.876 Schäden, die von anderen Gefahren ausgelöst werden, sowie Schäden an Geschäfts- und Industriegebäuden finden bei der Berechnung des Schadenindexes keine Berücksichtigung. Der GCCI ist im Gegensatz zum PCS-Index kein absoluter Schadenbetrag, sondern stellt einen Schadensatz dar. Dieser wird als Verhältnis vom Gesamtschaden zu der aggregierten Versicherungssumme („Loss-to-Value-Ratio“) be-
873 874 875 876
Näheres zur Funktionsweise eines Margin-Systems, vgl. Hull, J. C. (2003), S. 24 f. Vgl. CBOT (1995), S. 63. Vgl. IndexCo (1997), S. 3. Vgl. IndexCo (1999), S. 5.
5.2 Konzeption von Versicherungsderivaten
341
rechnet.877 Die betrachteten Schäden sind außerdem nur tatsächlich gemeldete und abgerechnete Schäden und keine Schätzungen.878 Wesentliche Grundlage für die Kalkulation des GCCI sind kleinste geographische Einheiten, die so genannten Reporting Units (Meldeeinheiten).879 Meist reichen sie bis zu den Postleitzahlenbereichen (ZIP-Codes) hinab.880 Eine Reporting Unit muss aus mindestens 1.000 Privathaushalten bestehen und mindestens vier involvierte Versicherungsunternehmen (so genannte „Participating Companies“) besitzen, die ihre Schadenentwicklung an IndexCo berichten.881 Eine Participating Company muss mindestens 10 Haushalte versichern sowie eine aggregierte Versicherungssumme in der Gebäudeversicherung von mindestens 700.000 USD pro Reporting Unit aufweisen. Insgesamt werden aus 10.423 Reporting Units Informationen zur Erstellung des Indexes gewonnen. 882 Aus den Daten dieser kleinsten Einheiten werden durch Aggregation Indizes für größere Gebiete, Bundesstaaten und die gesamten Vereinigten Staaten ermittelt. Pro Participating Company j in der Reporting Unit i wird eine individuelle Loss-toValue-Ratio folgendermaßen berechnet: LVij
Sij VSij
mit i:
Laufindex für die Reporting Units
j:
Laufindex für die Participating Companies
Sij:
gemeldete und bezahlte Schäden der j-ten Participating Company in der i-ten Reporting Unit
VSij: aggregierte Versicherungssumme der j-ten Participating Company in der i-ten Reporting Unit
877 878
879 880 881 882
Vgl. Cao, X. und Thomas, B. (1999), S. 4. Aus diesem Grund werden die GCCI-Indizes nur quartalsweise zu festgelegten Zeitpunkten (und nicht täglich wie bei den PCS-Optionen) veröffentlicht, vgl. IndexCo (1999), S. 12. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 395. Vgl. IndexCo (1999), S. 6. Vgl. IndexCo (1999), S. 6 f. Vgl. IndexCo (1999), S. 7.
342
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
LVij: Schadensatz (Loss-to-Value-Ratio) für die j-te Participating Company in der i-ten Reporting Unit Der GCC-Index einer Reporting Unit ( LVi ) wird durch das arithmetische Mittel der Loss-to-Value-Ratios aller in dieser Meldeeinheit berichtenden Versicherungsunternehmen ermittelt. Eine Gewichtung über Marktanteile oder Versicherungssummen erfolgt somit nicht. Dieses Verfahren soll Differenzen in den Schadenentwicklungen der Versicherer verringern, welche durch teilweise große Unterschiede in den Kundenstrukturen und Regulierungspraktiken der Unternehmen zustande kommen. Die Schadensätze der Participating Companies gehen also zu gleichen Teilen in den Schadensatz der betrachteten Reporting Unit ein. Dadurch werden auch mögliche starke Beeinflussungen der Entwicklung des Index von Versicherern mit hohem Marktanteil ausgeschlossen und somit auch das Manipulationsrisiko verringert.883 Der GCC-Index ( LVi ) einer Reporting Unit berechnet sich also wie folgt: LVi
(5.2)
ni:
1 ni
ni
¦ LV
ij
mit
j 1
Anzahl der Participating Companies in der Reporting Unit i.
Diese Indizes der Reporting Units dienen als Grundlage zur Berechnung von Indizes für größere Gebiete bzw. Regionen. Bei der Indexkalkulation findet nun eine Gewichtung statt.884 Der Gewichtsfaktor entspricht dem Quotienten aus dem Gesamtwert aller versicherten Gebäude einer Reporting Unit und dem Gesamtwert aller versicherten Gebäude der Region. Der Wert der versicherten Gebäude wird mit „Housing Value“ (HV) bezeichnet. Zur Bestimmung dieser Werte greift IndexCo auf Daten von Claritas zurück.885 Die Ermittlung der „Housing Values“ erfolgt durch Umfragen unter Hausbesitzern. Der Housing Value einer Region (HVk) wird als Summe der Housing Values der zugehörigen Reporting Units berechnet. Der GCC-Index einer Region k ergibt sich somit zu: m
(5.3)
GCCI k
LVk 10.000 10.000 ¦ i 1
HVi LVi HVk
wobei
883 884 885
Vgl. Strube, M. (2001), S. 48. Vgl. IndexCo (1999), S. 11. Informationen über Claritas erhält man unter www.claritas.com.
5.2 Konzeption von Versicherungsderivaten
343
HVi : Housing Value in der i-ten Reporting Unit HVk : Housing Value in der k-ten Region.
Die Multiplikation der Loss-to-Value-Ratio mit 10.000 dient der Normierung des Indexes, um leichter handhabbare Werte zu erhalten. Je nach Zusammenfassen der Reporting Units, können Indizes für beliebige, unterschiedlich große Regionen erstellt werden. Fasst man alle 10.423 Einheiten zusammen, erhält man den GCC-Index der gesamten Vereinigten Staaten.886 5.2.2.2 Zeitliches Profil
Genau wie bei den PCS-Optionen ist auch bei den GCCI-Optionen die Laufzeit in Perioden unterteilt, und es sind unterschiedliche Zeitspannen wählbar.887 Jedoch wird zu der von den PCS-Optionen bekannten Schaden- und Berichtsperiode bei den GCCIOptionen zusätzlich eine Publikationsperiode angefügt. Aufgrund der Tatsache, dass in den GCC-Index nur tatsächlich geleistete Versicherungsschäden eingehen, wird der Index nur vierteljährlich zu festen Zeitpunkten, am 31. Januar, 30. April, 31. Juli und 31. Oktober, veröffentlicht.888 Die so genannte Risk Period, also die Schadenperiode, umfasst eine Zeitspanne von 6 Monaten und reicht entweder vom 1. Januar bis zum 30. Juni (First Risk Period) oder vom 1. Juli bis zum 31. Dezember (Second Risk Period). Vier Monate vor Beginn der Risk Period, also im vorausgehenden September bzw. März, werden die aggregierten Versicherungssummen in der Gebäudeversicherung der Participating Companies erfasst und zu Beginn der Schadenperiode bekannt gegeben. Am ersten Publikationszeitpunkt nach Ende einer Risk Period – also am 31. Juli oder am 31. Januar – wird der Indexstand der ersten drei Monate der Risk Period im so genannten „Partial Period Report“ veröffentlicht. Zu den darauf folgenden Publikationszeitpunkten werden jeweils mit quartalsmäßigem Abstand der „Full Period Report“ über die gesamte Risk Period, sowie vier weitere Updates bekannt gegeben. Jede Schadenperiode besitzt somit insgesamt sechs Publikationstermine im zeitlichen Abstand von drei Monaten. Die Berichtsperiode verlängert sich bei jedem der vier Upda-
886 887 888
Vgl. auch Schradin, H. R. (1998), S. 398. Vgl. Strube, M. (2001), S. 45 f. Vgl. IndexCo (1999), S. 12.
344
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
tes um drei Monate und umfasst am Ende den Zeitraum von einem Jahr. Abbildung 5.5 soll die zeitliche Struktur der Indexveröffentlichungen verdeutlichen.889
S
O N D
J
F M A M
J
J
A
S
O N D
J
F M A M
J
J
A
S
O
First Risk Period Ermittlung der Versicherungssummen
Partial Period Full Period
31.07. GCCI-Report Partial Period
31.10. GCCI-Report 31.01. Full Period GCCI-Report First Update 30.04. GCCI-Report Second Update 31.07. GCCI-Report Third Update 31.10. GCCI-Report Fourth Update
Schadenperiode
Berichtsperiode
Publikationsperiode
Abbildung 5.5: Zeitliches Profil der GCC-Indexpublikation für die First Risk Period
Bei den an der BCOE gehandelten GCCI-Optionen handelt es sich um binäre europäische Optionen. Sie können also nur zum Laufzeitende ausgeübt werden und nur zwei Werte annehmen. Liegt der Indexwert über dem Basispreis („in the money“), so beträgt der Wert der Option 5.000 USD, unabhängig von der Höhe der Differenz. Entspricht jedoch der Indexwert dem Basispreis oder liegt darunter, so ist der Wert der Option gleich Null.890 Als Optionstyp werden nur Call-Optionen angeboten. Der Verkäufer einer Call-Option muss bei Abschluss des Kontraktes als Sicherheit 5.000 USD in bar, in Staatsschuldverschreibungen oder in Akkreditiven bei dem Clearing House der BCOE hinterlegen.891 Der Käufer ist entsprechend verpflichtet, die Optionsprämie in bar zu hinterlegen. Die Abrechnung eines Kontraktes kann zu jedem der ersten fünf Publikationszeitpunkte erfolgen. Das vierte Update wird nicht berücksichtigt, d.h. die endgültige Abrech-
889 890 891
Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 400 sowie Strube, M. (2001), S. 47. Vgl. Froot, K. A. et al. (1998), S. 7. Vgl. Strube, M. (2001), S. 50.
345
5.2 Konzeption von Versicherungsderivaten
nung erfolgt spätestens zum dritten Update. Beträgt der normierte GCC-Index an einem dieser Termine 110 oder mehr Prozent des vereinbarten Basispreises, so wird die Option automatisch ausgeübt und der Käufer bekommt 5.000 USD ausbezahlt.892 Partial Period Report
Full Period Report
First Update
t pr
t fr
t1
t 110%
Second Update
Third Update
t2
t3
T
Fourth Update
t4
5000
t 110%
5000
110% t 110% 110%
5000 110% t 25%
25%
0
t 110% 5000 110%
! 100%
5000
t 25% 50%
0
d 100%
0
Abbildung 5.6: Ausübungsschema der Optionen auf den GCC-Index893
Liegt der Indexwert unter 110% des vereinbarten Ausübungspreises wird je nach Zeitpunkt unterschiedlich verfahren. Beim „Partial Period Report“ und beim „Full Period Report“ läuft die Option weiter. Unterschreitet der normierte Index beim ersten Update 25% oder beim zweiten Update 50% des vereinbarten Basispreises, wird die Option mit dem Wert Null abgerechnet. Dem Verkäufer wird dann die Optionsprämie gutgeschrieben, und er erhält die hinterlegten 5.000 USD zurück. Mit Veröffentlichung des dritten Updates werden alle bis dahin noch offenen Optionen ausgeübt. Liegt der Indexstand über dem Basispreis, werden dem Käufer 5.000 USD gutgeschrieben. Ist dies nicht der Fall, erhält er nichts und verliert seine gezahlte Optionsprämie. Die Laufzeit eines Kontraktes an der BCOE kann somit zwischen sieben und 19 Monaten variieren. Im kürzesten Fall besteht sie aus einer Schadenperiode von nur drei Monaten und einer Publikationsperiode von vier Monaten, im längsten Fall hingegen setzt sich die Laufzeit aus einer sechsmonatigen Schadenperiode, einer neunmonatigen Berichtsperiode sowie einer viermonatigen Publikationsperiode zusammen.
892
893
Wenn der GCC-Index größer ist als 110% des Basispreises, so ist davon auszugehen, dass dieser Indexwert nicht mehr aufgrund etwaiger Korrekturen unter den Basispreis fallen könnte. In diesem Fall ist es nicht sinnvoll, mit der Ausübung weiter zu warten. Vgl. Strube, M. (2001), S. 50. Vgl. Strube, M. (2001), S. 50.
346
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
5.2.2.3 Bewertung von GCCI-Optionen
Im Gegensatz zum PCS-Index berücksichtigt der GCC-Index keine Schadenschätzungen, sondern bereits abgerechnete Schäden für in der Schadenperiode eingetretene Schäden. GCCI-Optionen sind außerdem binäre Optionen, so dass sich der Wert einer Option zum Zeitpunkt t durch den abgezinsten Erwartungswert der Option bestimmen lässt. Dieser Wert entspricht dem mit 5.000 USD multiplizierten Wert der Wahrscheinlichkeit, dass der Index den vereinbarten Basispreis übersteigt.894 Für den Wert einer binären GCCI-Option zum Zeitpunkt T gilt: (5.4) wobei
°5.000 BT ® °¯0
für X T ! k für X T d k
X(T): Indexstand zum Laufzeitende T, k: Basispreis.
Für den Erwartungswert gilt demnach: (5.5)
E ª¬ B T º¼
5.000 P X T ! k .
Für den Index ist somit eine geeignete Dichtefunktion zu finden. Diese lässt sich aus den statistischen Daten approximativ bestimmen.
5.3 Bewertung von PCS-Optionen Wir widmen uns nun der Bewertung von PCS-Optionen. Wichtiges Kriterium eines erfolgreichen Handels von Derivaten an der Börse ist die risikogerechte Preisbestimmung. Käufer und Verkäufer müssen sich auf einen Preis einigen, damit überhaupt ein Kontraktabschluss zustande kommen kann. Ein Grund für die bisherige schleppende Entwicklung von Versicherungsderivaten liegt in der fehlenden Objektivität der Preisbestimmung.895
894 895
Vgl. Chriss, N.A. (1997), S. 198. Ein Grund für den Erfolg der Aktienoptionen liegt in der gleichzeitigen Entwicklung der BlackScholes-Formel zur Optionsbewertung. Ein solcher Durchbruch bei den Versicherungsoptionen ist bisher ausgeblieben. Eine ähnliche Bewertungsformel für Versicherungsoptionen kann aufgrund der Nicht-Duplizierbarkeit der Vermögenssituationen nicht hergeleitet werden. Vgl. Berge,
5.3 Bewertung von PCS-Optionen
347
Bei den Finanzoptionen haben sich verschiedene Bewertungsmodelle durchgesetzt, mit Hilfe derer jeder interessierte Marktteilnehmer den Wert einer Option und somit einen angemessenen Preis bestimmen kann.896 Fraglich ist, ob sich diese Modelle auch zur Bewertung von Versicherungsoptionen eignen. Die Entwicklung von allgemeinen Modellen in diesem Bereich ist noch nicht sehr fortgeschritten.897 Am Beispiel der PCS-Optionen sollen im Folgenden die Möglichkeiten und Grenzen der Bewertung von Versicherungsoptionen dargestellt werden.
5.3.1 PCS-Index als Basiswert Die Annahme über das Verhalten des Basiswerts (Underlying) bildet die Grundlage eines jeden Optionspreismodells. Da die Wertentwicklung des Underlyings im Zeitablauf unsicher ist, kann diese durch eine Variable beschrieben werden, die einem stochastischen Prozess folgt.898 Zu beachten ist, dass sich die Entwicklung des Schadenindexes im Laufe der Zeit grundlegend von der Kursentwicklung der Aktien unterscheidet. Der Schadenindex ist am Anfang der Schadenperiode Null und kann während der Schadenperiode sehr hohe Werte annehmen. Dies führt zu einem Sprungprozess mit sehr schiefer Verteilung.899 Es ist somit nicht anzunehmen, dass der Schadenindex einem stetigen Pfad folgt wie im Black-Scholes-Modell.900 Der Wert einer Option setzt sich im Allgemeinen aus dem inneren Wert und dem Zeitwert zusammen. Der innere Wert ist der Wert, der sich bei sofortiger Ausübung der Option ergibt, also die Differenz von Indexwert und Basispreis.901 Der Zeitwert quantifiziert die Chance, dass sich das Basisobjekt während der Restlaufzeit in eine für den Optionsinhaber günstige Richtung verändern kann.902 Am Schlussabrechnungstag
896
897 898
899 900
901 902
K. (2005), S. 2, Jaffee, D. M. und Russell, T.(1997), S. 219 sowie Schradin, H. R. (1998), S. 385 f. Vgl. Hull, J. C. (2003), Wilmott, P. et al. (1996, 2000), Günter, M und Jüngel, A. (2003) sowie Nguyen, T. (2002, 2006 a). Vgl. O’Brien, T. (1997), S. 159 f. sowie Brockett, P. L., Wang, M. und Yang, C. (2005), S. 134 ff. Für Aktienkurse wird in der Finanzierungsliteratur oft das Konzept der Brownschen Bewegung verwendet, vgl. Osborne, M. (1959), S. 145 ff. Vgl. Berge, K. (2005), S. 164. Vgl. Chang, D. W., Chang, J. S. D. und Yu, M.-T. (1996), S. 601. Die Diffusionsannahme über die kontinuierlichen Veränderungen des Underlyings vernachlässigen das sprunghafte Verhalten von Naturkatastrophen, so dass signifikante Bewertungsfehler auftreten können. Vgl. Berge, K. (2005), S. 165. Vgl. Hull, J. C. (2003), S. 154. Vgl. Hull, J. C. (2003), S. 154.
348
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
besteht der Wert einer Option nur noch aus dem inneren Wert. Zum Laufzeitende T lässt sich der Optionswert somit einfach berechnen. Das Ziel einer allgemeinen Bewertungstheorie ist jedoch die Bewertung zu einem beliebigen Zeitpunkt in der Restlaufzeit. Die Optionen der Chicago Board Of Trade sind europäischen Typs. Am Ende der Laufzeit findet ein Barausgleich statt, falls eine Option „in the money“ ist, d.h. wenn der PCS-Indexwert den vereinbarten Basispreis übersteigt. Ein Indexpunkt entspricht dabei 200 USD. Die Wertentwicklung einer PCS-Option steht damit in unmittelbarem Zusammenhang mit der seines Underlyings. Zur Bewertung ist es also notwendig, den stochastischen Prozess des PCS-Indexes für die Optionsrestlaufzeit abzubilden.903 Der Verlauf des PCS-Indexes bei einer Large-Cap-Option kann als Realisation eines stochastischen Prozesses L(t) : t > 0, T @ mit Werten im Intervall [0; 500] Indexpunkten aufgefasst werden, der zu Beginn einer Schadenperiode bei Null beginnt und bis zum Ende T der Berichtsperiode definiert ist. Am Ende der Berichtsperiode wird der realisierte Indexwert zur Abrechnung der Versicherungsoption herangezogen.904 Bei der Modellierung des stochastischen Prozesses ist zu beachten, dass dieser aufgrund der Berechnungssystematik des PCS-Indexes aus zwei Komponenten besteht.905 Zum einen gehen in den Index die zufällig auftretenden Schäden als kumulierte Schadenrealisationen ein, und zum anderen fließen auch die von PCS in der Schaden- und Berichtsperiode durchgeführten kumulierten Korrekturen der Schadenhöhe mit ein. Folglich ist zwischen zwei stochastischen Prozessen zu unterscheiden: x Der stochastische Prozess „Schadenprozess“ S(t) erfasst kumuliert sämtliche während der Schadenperiode aufgetretenen Katastrophenschäden in Bezug auf Anzahl und Höhe.906 Er tritt ausschließlich in der Schadenperiode auf und weist während dieser Periode eine nicht fallende Wertentwicklung auf S(t) : t > 0, T @ . x Der stochastische Prozess „Korrekturprozess“ A(t) durchläuft die Schaden- und Berichtsperiode. Er stellt die Korrekturen der durch den Schadenprozess be-
903 904 905 906
Vgl. German, H. und Yor, M. (1999), S. 49. Vgl. CBOT (1995), S. 18. Vgl. German, H. und Yor, M. (1999), S. 51. Aufgrund der Berechnungssystematik des PCS-Indexes fließen in den „Schadenprozess“ auch Schätzungen über die mögliche Schadenhöhe ein.
5.3 Bewertung von PCS-Optionen
349
stimmten kumulierten Schäden dar und berücksichtigt Anpassungen nach oben und unten: A(t) : t > 0, T @.
Abbildung 5.7: Die Komponenten des PCS-Indexprozesses im Zeitablauf
350
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Der stochastische Prozess, der den PCS-Indexverlauf beschreibt, ergibt sich somit zur Summe aus Schadenprozess und Korrekturprozess: (5.6)
L(t) S(t) A(t) für alle t > 0, T @.
Graphisch lässt der stochastische Prozess über den PCS-Indexverlauf schemenhaft wie in Abbildung 5.7 darstellen:907
5.3.2 Traditionelle Modelle zur Bewertung von PCS-Optionen Im Folgenden sollen drei klassische Optionspreismodelle aus der Kapitalmarkttheorie vorgestellt und dabei untersucht werden, inwieweit diese sich für die Bewertung von PCS-Optionen eignen. Grundsätzlich gilt bei den Versicherungsderivaten die Besonderheit, dass der zugrunde liegende Basiswert (= Schadenindex) nicht am Markt beobachtbar ist, so dass eine Anwendung der bekannten Bewertungsmethoden nur bedingt geeignet ist.908 5.3.2.1 Das Modell von Black & Scholes
Black und Scholes treffen in ihrem Optionspreismodell die Annahme, dass das Underlying einem zeitkontinuierlichen stochastischen Prozess folgt. Des Weiteren gehen sie davon aus, dass das Underlying U durch eine geometrische Brownsche Bewegung909 bestimmt wird mit: (5.7)
dU U
Pdt Vdz,
wobei Pdie erwartete Rendite des Underlyings darstellt, Vdie Standardabweichung der Renditeentwicklung und z die generierten Zufallszahlen einer standardisierten Normalverteilung sind und damit den Brownschen Prozess darstellen. Die Zufallszahl z spiegelt die Unsicherheit der „Natur“ wider. Es folgt daraus, dass das Underlying
907
Vgl. Flasse, O., Hartung, T. und Liebwein, P. (1999), S. 242.
908
Vgl. Albrecht, P., König, A. und Schradin, H. R. (1994), S. 652 sowie Schradin, H. R. (1998), S. 426. Der Physiker Robert Brown machte die Beobachtung, dass kleine Teilchen in einer Flüssigkeit unter dem Einfluss von rasch aufeinander folgenden zufälligen Zusammenstößen mit Nachbarpartikeln sehr unregelmäßige Bewegungen ausführen. Aus dieser Beobachtung entstand das Modell der Brownschen Bewegung. Zur empirischen Relevanz des Konzepts der Brownschen Bewegung für die Aktienkursbewgung, vgl. Osborne, M (1959), S. 145-173.
909
351
5.3 Bewertung von PCS-Optionen
lognormalverteilt und die Veränderung des Underlyings, d.h. die Rendite des Underlyings, normalverteilt ist.910 Black und Scholes finden eine geschlossene Bewertungsformel für europäische Putund Call-Optionen. Für einen europäischen Call ergibt sich der Preis nach folgender Gleichung:911 c
(5.8)
d1
d2
U ) d1 k e rt ) d 2 2 §U· § V · ln ¨ ¸ ¨ r ¸ t 2 ¹ ©k¹ © V t
mit
und
2 §U· § V · ln ¨ ¸ ¨ r ¸ t 2 ¹ ©k¹ © V t
mit U:
Kurs des Underlyings,
k:
Basispreis,
r:
risikoloser Zinssatz pro Jahr,
V:
Volatilität des Aktienkurses pro Jahr,
t:
Restlaufzeit des Calls,
) : Wert der Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung.
Bewertung:
Die Annahme über den stochastischen Prozess im Modell von Black & Scholes ist mit den Eigenschaften des PCS-Indexes nicht vereinbar. Der nicht fallende und sprunghafte Schadenprozess S(t) kann nicht durch die geometrische Brownsche Bewegung dargestellt werden, da diese nur kleine, stetige positive und negative Kursänderungen impliziert. 912 Allenfalls auf den Korrekturprozess A(t) trifft die Annahme einer Brownschen Bewegung zu, deshalb erscheint eine ausschließliche Anwendung des
910 911 912
Vgl. Merton, R. C. (1976), S. 126 sowie Cox, J. C. und Rubinstein, M. (1983), S. 8. Vgl. Black, T. und Scholes, M. (1973), S. 644. Vgl. Hull, J. C. (2003), S. 218 f.
352
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
klassischen Optionspreismodells von Black & Scholes für die Bewertung von PCSOptionen nicht geeignet.913 Darüber hinaus wird im Black-Scholes-Modell von Arbitrage-Freiheit ausgegangen.914 Diese Annahme ist dann nur gerechtfertigt, wenn es Investoren (Arbitrageurs) gibt, die speziell nach solchen risikolosen Gewinnmöglichkeiten suchen und ausnutzen, so dass die Arbitrage-Möglichkeiten nicht lange aufrecht erhalten bleiben können.915 Bei Versicherungsoptionen ist die Durchführung von Arbitrage-Transaktionen nicht möglich, da der Basiswert (der PCS-Schadenindex) nicht an einem primären Markt gehandelt werden kann.916 Insgesamt ist festzuhalten, dass das klassische Bewertungsmodell von Black & Scholes für die Preisbestimmung von Versicherungsoptionen nicht geeignet ist. 5.3.2.2 Das Sprung-Modell von Cox & Ross
Die Brownsche Bewegung wird auch als Diffusionsprozess bezeichnet und ist nur eine von zwei generellen Klassen zeitkontinuierlicher stochastischer Prozesse.917 Der zweite stochastische Prozess ist der so genannte Jump-Prozess. Dieser Prozess lässt im Gegensatz zu dem Diffusionsprozess auch extreme Wertveränderungen des Underlyings zu, unabhängig davon wie klein das betrachtete Zeitintervall ist.918 Die Kursveränderungen eines Underlyings U können unter der Annahme eines einfachen JumpProzesses durch die folgende Gleichung beschrieben werden: dU U
(5.9)
°Pdt J 1 dN ® °¯Pdt 0
mit Wahrscheinlichkeit Odt mit Wahrscheinlichkeit 1 Odt
Dabei gilt: Perwartete Kursänderung des Underlyings N: Poisson-Prozess mit der Intensität O.
913
914
915 916 917 918
Vgl. Flasse, O., Hartung, T. und Liebwein, P. (1999), S. 244 sowie. Chang, D. W., Chang, J. S. D. und Yu, M.-T. (1996), S. 601. Arbitrage bedeutet, dass auf dem Markt die Möglichkeit besteht, durch Ausnutzen räumlicher und zeitlicher Preisdifferenzen für gleiche Positionen einen sofortigen, risikolosen Gewinn zu erzielen. Vgl. Hull, J. C. (2003), S. 13 f. Vgl. Albrecht, P., König, A. und Schradin, H. R. (1994), S. 650. Vgl. Cox, J. C. und Ross, S.A. (1976), S. 147. Vgl. Merton, R.C. (1976), S. 127.
353
5.3 Bewertung von PCS-Optionen
Der Parameter O steht für die Ankunftsrate von relativen Kurssprüngen in Höhe der zufälligen Komponente J. Durch die Gleichung (5.9) wird die prozentuale Veränderung des Kurses des Underlyings im Zeitraum von t bis t+dt beschrieben. Diese prozentuale Veränderung besteht aus dem Driftterm Pdt sowie dem Term dN, der mit Wahrscheinlichkeit Odt zu einem prozentualen „Jump“ des Underlyings von (J-1) und mit Wahrscheinlichkeit (1-Odt) zu keiner Veränderung des Underlyings führt. 919 Grundlegende Annahme hierbei ist, dass der Kurs des Underlyings einer Binomialverteilung folgt. Im Jump-Modell von Cox und Ross wird die Kursbewegung des Underlyings als so genannter „Pure jump process“ beschrieben.920 Die Aufwärtsentwicklung wird durch u > 1 dargestellt, die mit Wahrscheinlichkeit Odt eintritt und eine Abwärtsentwicklung des Underlyings wird durch e [dt mit der Wahrscheinlichkeit (1-Odt) dargestellt. Die Veränderung des Underlyings im Zeitraum dt ergibt sich somit zu:
Odt
Uu
U 1-Odt
Ue
[dt
Cox und Ross leiten für den Fall der deterministischen Auf- und Abwärtsentwicklung eine geschlossene Optionsbewertungsformel für eine europäische Kaufoption her:921 (5.10)
c
y
§ y· U < x, y k e rt < ¨ x, ¸ © u¹
ln r [ u t und x als kleinste nichtnegative ganze Zahl
< x, y
u 1 f
¦ i x
919 920 921
mit §k· ln ¨ ¸ [ t U . ! © ¹ ln u
e y yi stellt die komplementäre Poisson-Verteilungsfunktion dar. i!
Vgl. Cox, J. C. und Ross, S. A. (1976), S. 147. Vgl. Cox, J. C. und Rubinstein, M. (1983), S. 19. Vgl. Cox, J. C. und Rubinstein, M. (1985), S. 365 f.
354
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Bewertung:
Übertragt man dieses Modell auf die Bewertung von PCS-Optionen, so kann die Aufwärtsbewegung u, die mit einer (geringen) Wahrscheinlichkeit Odt eintritt, als Schadenprozess und die Abwärtsbewegung als Korrekturprozess interpretiert werden. Durch die Abbildung der beiden Bewegungen als deterministische Größen sind Richtung und Höhe des Sprungs und der Korrekturentwicklung festgelegt. Damit ist bei der Anwendung des Modells auf die Bewertung von PCS-Optionen die Darstellung einer stochastischen Entwicklung der Schadenhöhe nicht möglich, da diese im Modell als konstant in Höhe von u festgelegt ist.922 Die Höhe der Korrekturentwicklung wird durch den konstanten Parameter [ ҏbestimmt. Das bedeutet, dass die Korrekturentwicklung im betrachteten Modell immer gleichgerichtet ist. Für[ erfolgt im Zeitablauf keine Korrektur, für [!werden die Schäden immer nach unten korrigiert und für [ergeben sich Korrekturen nach oben. Dies widerspricht jedoch den Korrekturen in der Praxis, die den Schadenindex sowohl nach oben, als auch unten korrigieren können. Insgesamt kann festgehalten werden, dass sich das Jump-Modell grundsätzlich für die Bewertung von PCS-Optionen eignet, wenn die eingehenden Parameter u und [ als Zufallsvariablen definiert werden können. 923 Die Annahme seltener aber extremer Kurssprünge bei sonst relativ stabilem Niveau des Underlyings könnte mit dem Verlauf des Schadenindexes verglichen werden. Allerdings stellt hierbei die Herleitung einer geschlossenen Optionspreisformel ein Problem dar und die Implikation stets gleichgerichteter Bewegungen des Korrekturprozesses ist eher als unrealistisch anzusehen. 5.3.2.3 Das Sprung-Diffusionsmodell von Merton
Das dritte Modell, das für die Bewertung von PCS-Optionen in Betracht gezogen werden kann, ist das Sprung-Diffusionsmodell von Merton, welches eine Kombination des Black & Scholes Bewertungsmodells und des Jump-Modells von Cox & Ross darstellt.924 Merton entwickelte sein Modell genauso wie Black & Scholes und Cox & Ross für die Bewertung von europäischen Aktienoptionen. Er trifft die Annahme, dass
922 923 924
Vgl. Flasse, O., Hartung, T. und Liebwein, P. (1999), S. 246. Vgl. Flasse, O., Hartung, T. und Liebwein, P. (1999), S. 246 f. Vgl. Terstege, U. (1995), S. 60.
5.3 Bewertung von PCS-Optionen
355
die totale Veränderung eines betrachteten Underlyings durch zwei Prozesse bestimmt wird.925 Der erste Prozess beschreibt die normalen Schwankungen des Preises, die durch Ungleichgewichte in dem Angebot und in der Nachfrage nach dem Underlying, durch Veränderungen der Zinsstruktur, durch Veränderung der Wirtschaftsentwicklung etc. hervorgerufen werden. Dieser Prozess führt in einem kleinen Zeitintervall nur zu marginalen Veränderungen und wird als standardisierte geometrische Brownsche Bewegung definiert.926 Der zweite Prozess spiegelt die abnormalen Bewegungen des Underlyings wider, die zu extremen Wertveränderungen („Jumps“) auch in einem sehr kurzen Zeitintervall führen können und damit nicht mehr mit den Annahmen der Brownschen Bewegung vereinbar sind. Dieser Prozess wird über einen Jump Prozess modelliert.927 Merton erklärt dieses Verhalten mit dem Auftreten neuer Informationen, die ausschließlich die Entwicklung des Underlyings betreffen und formuliert die Annahme, dass das Auftreten dieser Informationen durch eine Poissonverteilung bestimmt wird. 928 Tritt das „Poissonereignis“ auf, so wird der Einfluss dieser neuen Information auf das Underlying durch eine Zufallsvariable Y bestimmt, die die prozentuale Veränderung angibt.929 Die durchschnittliche Anzahl solcher Ereignisse pro Zeiteinheit wird durch den Parameter O zum Ausdruck gebracht. Der stochastische Prozess des Underlyings, der durch die beiden genannten Prozesse bestimmt wird, lässt sich durch folgende Gleichung beschreiben:930 (5.11)
dU U
P K O dt V U dz dN
Der Parameter P stellt die erwartete Wachstumsrate des Underlyings und K die erwartete prozentuale Sprunghöhe des Underlyings dar: K E J 1 . Der Ausdruck
P K O beschreibt damit die erwartete Wachstumsrate des Underlyings gemäß der
925 926 927 928 929 930
Vgl. Merton, R. C. (1976), S. 127. Vgl. Merton, R. C. (1976), S. 128. Vgl. Merton, R. C. (1976), S. 127. Vgl. Merton, R. C. (1976), S. 127. Vgl. Merton, R. C. (1976), S. 128. Hull, J. C. (2003), S. 222 ff. sowie Merton, R. C. (1976), S. 128 f.
356
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
geometrischen Brownschen Bewegung.931 Vist die Standardabweichung der Wachstumsrate unter der Bedingung, dass keine Sprünge auftreten.932 N stellt den PoissonProzess der Underlyingsprünge mit der erwarteten Sprunganzahl pro Zeiteinheit bzw. Intensität O dar. Merton leitet nun für diesen angenommenen stochastischen Prozess des Underlyings eine Bewertungsformel für eine europäische Kaufoption her:933 n
eOt Ot E n c n U J n eOKt , k, t, V2 , r ¦ n! n 0 f
c
(5.12)
mit O:
erwartete Sprunganzahl pro Zeiteinheit,
t:
Restlaufzeit der Option in Jahren,
cn(.): Call-Wert nach der Black-Scholes-Formel mit den Variablen: Kurs des Underlyings U J n eOKt , Ausübungspreis k, Restlaufzeit t, Standardabweichung V, risikoloser Zinssatz r, En(.): Erwartungswert der Zufallsvariablen Z, Jj:
Zufallsvariable der relativen Veränderungen des Underlyings bei auftretenden Sprüngen („Jumps“),
Xn:
Zufallsvariable mit X n
n
J
j
, d.h. Xn hat dieselbe Verteilung wie das
j 1
Produkt von n unabhängigen, aber identisch verteilten Zufallsvariablen J.934 Die Formel ist in dieser Form analytisch nicht lösbar, d.h. es müssen Näherungs- bzw. Simulationsverfahren eingesetzt werden. Eine Vereinfachung der Formel wird jedoch durch die Annahme der Zufallsvariable J als lognormalverteilt bewirkt.935
931
932
933
934
Die Wachstumsrate P einer betrachteten Zeitreihe wird durch die Jumps in ihrer Höhe beeinflusst. Über den Term K O wird dieser Effekt eliminiert. D.h. zur Ermittlung der bedingten Standardabweichung Vaus einer Zeitreihe, müssen die Jumps eliminiert werden, um die Eigenschaften der „normalen“ Underlying-Bewegung zu bestimmen. Zu einer ausführlichen Herleitung und Erläuterung der Optionspreisformel, vgl. Merton, R. C. (1976), S. 129 ff. Vgl. Merton, R. C. (1976), S. 134.
357
5.3 Bewertung von PCS-Optionen f
(5.13)
c
¦
Ot 1 K
n 0
n
eO1 K t
n!
cn U, k, t, V n , rn
mit rn
r OK
n ln 1 K t
und
Vn
VM 2 GM 2
n , t
wobei K als Mittelwert der prozentualen Sprunghöhe, sowie VM 2 als Varianz des stetigen bzw. GM 2 als Varianz des nichtstetigen Kursprozesses definiert sind. cn ist der Wert einer Option, der von der Anzahl von n Poisson-Sprüngen während der Restlaufzeit abhängt.936 Bewertung:
Die Annahmen über die Kursentwicklung des Underlyings im Sprung-Diffusionsmodell von Merton erscheinen für die Abbildung der Kursbewegung des PCS-Indexes geeignet. Die kontinuierliche durch eine Brownsche Bewegung beschriebene Entwicklung des Underlyings kann den Korrekturprozess A(t) abbilden. Hierbei ist im Gegensatz zu dem Sprungmodell von Cox & Ross sowohl eine positive als auch eine negative Wertveränderung möglich. Dies würde die möglichen Korrekturen des PCS-Index, die nach oben und nach unten gerichtet sein können, widerspiegeln. Der Schadenprozess S(t) ließe sich im Modell von Merton durch die diskreten Sprünge mit stochastischer Anzahl und Höhe modellieren.937 5.3.2.4 Kritische Würdigung der klassischen Methoden zur Optionsbewertung
Es sind jedoch zwei wesentliche Kritikpunkte zu nennen, die eine Anwendbarkeit der verschiedenen klassischen Optionspreisformeln in Frage stellen. Im Rahmen der vorgestellten klassischen Optionsbewertungsmodelle wird die Entwicklung des Underlyings grundsätzlich über Verteilungsannahmen hinsichtlich der relativen Wertentwicklung modelliert. Es stellt sich dabei die Frage, ob die Abbildung des Schadenprozesses S(t) und des Korrekturprozesses A(t) über Annahmen der relativen Wertentwicklung überhaupt
935
936 937
Auf eine Darstellung der mathematischen Herleitung soll hier verzichtet werden. Vgl. Merton, R. C. (1976), S. 135. Vgl. Merton, R. C. (1976), S. 135. Vgl. Flasse, O., Hartung, T. und Liebwein, P. (1999), S. 248.
358
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
sinnvoll und darstellbar ist.938 Denn der PCS-Index besitzt die Besonderheit, dass er im Gegensatz zu dem bei den Optionsbewertungsmodellen betrachteten Underlying Aktie - zu Beginn der Schadenperiode den Indexwert Null aufweist. Ohne zusätzliche Annahmen ist somit eine Entwicklung des Indexes vom Laufzeitbeginn t 0 aus betrachtet auf Basis von relativen Wertentwicklungen nicht möglich.939 Damit eignen sich die angesprochenen Optionsbewertungsmodelle nur für die Wertentwicklung der PCSOptionen während der Laufzeit, wenn der Indexstand einen Wert von größer als Null aufweist. Der zweite Kritikpunkt ist die Tatsache, dass Grundlage der vorgestellten klassischen Optionsbewertungsmodelle die Annahme ist, dass es sich bei dem betrachteten Underlying um ein gehandeltes Asset handelt. Black & Scholes leiten ihre Bewertungsgleichung für eine europäische Call-Option über die Konstruktion eines aus dem gehandelten Underlying und einer Short-Optionsposition bestehenden risikolosen Hedgeportfolios her.940 Ein solches risikoloses Portfolio muss sich, resultierend aus der vorausgesetzten Bedingung der Arbitragefreiheit, zu der Rendite einer risikolosen Geldanlage verzinsen.941 Der Wert der Option kann dann aus dem bekannten Preis des Portfolios und der Arbitragefreiheit abgeleitet werden. Auf Basis dieses Hedgeprinzips werden auch das Sprungmodell von Cox & Ross und das Sprung-Diffusionsmodell von Merton hergeleitet.942 Für den PCS-Index als Underlying kann die Annahme eines gehandelten Assets jedoch nicht getroffen werden, und damit ist auch die Konstruktion eines Hedgeportfolios nicht möglich. Diese beiden Kritikpunkte, die sich bei der Übertragung und Modifikation von Optionsbewertungsmodellen für die Anwendung auf PCS-Optionen ergeben, sollen Anlass dazu geben, im Folgenden der Frage nach der Bewertung der PCS-Optionen zu Beginn der Schadenperiode (Laufzeitbeginn) nachzugehen.
938 939
940 941 942
Vgl. Flasse, O., Hartung, T., Liebwein, P. (1999), S. 248. Z.B. wäre es möglich, den Indexstand zum Zeitpunkt t0 als Durchschnitt der historischen Indexwerte, die sich aufgrund des ersten Jumps ergeben, zu definieren und auf dieser Basis eine relative Wertentwicklung zu modellieren. Vgl. Black, F. und Scholes, M. (1973), S. 641. Vgl. Black, F. und Scholes, M. (1973), S. 642. Merton (1976) gelingt die Herleitung auf Basis eines Hedgeportfolios jedoch nur unter der Annahme, dass die Jumps unsystematisches Risiko darstellen und damit weiterhin die Vorgabe aufrechterhalten werden kann, dass sich das Hedgeportfolio zur risikolosen Rendite verzinst. Vgl. Merton, R.C. (1976), S. 132 f.
359
5.3 Bewertung von PCS-Optionen
5.3.3 Versicherungsmathematisches Modell zur Preisermittlung von PCSOptionen In diesem Abschnitt wird ein versicherungsmathematisches Modell vorgestellt, das den Schadenindexprozess L(t) abzubilden versucht und auf diese Weise den fairen Wert einer PCS-Option ermittelt. 5.3.3.1 Grundsätzliche Überlegungen
Im risikoneutralen Raum entspricht der heutige Wert eines Finanztitels dem mit dem risikolosen Zins diskontierten erwarteten zukünftigen Wert. Der Wert einer PCSOption berechnet sich zum Zeitpunkt der Fälligkeit T durch die Differenz aus dem dann aktuellen Indexwert L(T) und dem vereinbarten Basispreis k. Für eine PCS-CallOption ergibt sich der Wert zum Zeitpunkt T damit folgendermaßen: (5.14)
c T
max L T k;0 .
Berücksichtigt man auch den Cap Jҏ einer Option, der für Small-Cap-Optionen bei 200 und für Large-Cap-Optionen bei 500 Indexpunkten liegt, ergibt sich c(T) zu:943 (5.15)
cT
min ª¬ max L T k;0 ; J k º¼ .
Jeder Indexpunkt entspricht einem Betrag von 200 USD. Bei positivem Wert der Option zum Fälligkeitszeitpunkt T berechnet sich der Ausgleichsbetrag durch Multiplikation des ermittelten Wertes mit 200 USD. Zur Bestimmung des heutigen Wertes einer Option ist damit die Kenntnis des zukünftigen Erwartungswertes der PCS-Option erforderlich. Findet man nun die Verteilung von L(T) heraus, so kann daraus die Verteilung V der möglichen Payoffs der Option zum Zeitpunkt T abgeleitet werden.944 Der Erwartungswert dieser Verteilung V stellt dann den Wert der Option im Zeitpunkt T dar. Der Wert der Option im Zeitpunkt t 0 (5.16)
943
944 945
c 0 e rT E ª¬ V T º¼
945
0 c(0) ergibt sich zu:
e rT c T
e rT min ª¬ max L T k; 0 ; J k º¼
Zur Bestimmung des Ausgleichsbetrages ist der nach (5.15) ermittelte Wert mit 200 zu multiplizieren, vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 417. Vgl. Chriss, N. A. (1997), S. 307. Vgl. Terstege, U. (1995), S. 42 f.
360
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
5.3.3.2 Modellierung des Indexprozesses
Der Gesamtschaden einer Periode kann durch die Zusammensetzung der beiden Zufallsvariablen Schadenanzahl N und Schadenhöhe der Einzelschäden X n ausgedrückt werden.946 Dadurch ergibt sich für den Gesamtschaden N
S
(5.17)
¦X
n
n 1
Die Schadenanzahl N wird in der Versicherungsmathematik häufig durch die Poissonverteilung beschrieben. Die Schadenhöhe X n pro Schadenfall lässt sich durch verschiedene Verteilungen beschreiben, wie die Normal-, Lognormal- oder Gammaverteilung.947 Für einen stochastischen Prozess ergibt sich dann der folgende Gesamtschaden: S t
(5.18)
N t
¦X
n
n 1
Der Schadenzuwachs in dt kann folgendermaßen ausgedrückt werden: dS X dN
X ® ¯0
mit Wahrscheinlichkeit Odt mit Wahrscheinlichkeit 1 Odt
wobei N:
Poisson-Prozess der Schadenanzahl,
X:
Stochastische Sprunghöhe,
O:
Erwartete Schadenanzahl bzw. Intensität des Poisson-Prozesses.
Besondere Kennzeichen eines Poisson-Prozesses sind u. a. die Unabhängigkeit der Ereignisse und dass zu einem Zeitpunkt nur ein Ereignis eintreten kann.948 Zuwächse in einem Intervall [t, t+dt] sind also in diesem Intervall unabhängig und haben den Er-
946 947
948
Zur mathematischen Schadenmodellierung, vgl. Anhang A. Eine detaillierte Darstellungen der gängigen Wahrscheinlichheitsverteilungen von Schadenzahl und Schadenhöhe findet man im Anhang A. Vgl. Tapiero, C. S. (1998), S. 59 sowie Mack, T. (1997), 76.
5.3 Bewertung von PCS-Optionen
361
wartungswert Odt. Die Wahrscheinlichkeit, dass kein Ereignis in dem Intervall eintritt, beträgt 1-Odt, dass genau ein Ereignis eintritt, beträgt Odt.949 Die Unabhängigkeit der einzelnen Ereignisse gilt auch für die Schadenhöhe X, das bedeutet, die Schadenhöhe des (n+1)-ten Ereignisses ist unabhängig von der Schadenhöhe des n-ten Ereignisses. Gleichzeitig sind die Schadenhöhen X der verschiedenen Ereignisse aber identisch verteilt. Hier ist der wesentliche Unterschied zum SprungDiffusionsmodell von Merton zu erkennen. Dort wird die relative erwartete Sprunghöhe verwendet, während hier die Sprunghöhe selbst als ein stochastischer Prozess mit absoluten Sprunghöhen definiert wird. Der Korrekturprozess kann mit Hilfe einer geometrischen Brownschen Bewegung abgebildet werden. In der Literatur zu diesem Thema hat sich diese Art der Modellierung durchgesetzt.950 Die Korrektur des Indexstandes L in Höhe von dA kann damit folgendermaßen ausgedrückt werden:951 dA = PҏL dt + VҏL dz
(5.19) mit P:
relativer Erwartungswert,
V
relative Standardabweichung,
z:
Brownscher Prozess.
Für den Fall, dass noch kein Schaden eingetreten ist (d.h. L = 0), gibt es auch noch keine Korrekturen und es gilt somit dA = 0.952 Insgesamt kann nun der aus dem Schadenprozess und dem Korrekturprozess bestehende stochastische Prozess des PCSIndex wie folgt dargestellt werden:
949
Exakter lässt sich der Poisson-Prozess wie folgt beschreiben: P(„Kein Ereignis tritt im Intervall (t, t+h) ein“) = 1 - Oh + O(h), P(„Ein Ereignis tritt in dem Intervall (t, t+h) ein“) = Oh + O(h), P(„Mehr als ein Ereignis tritt in dem Intervall (t, t+h) ein“) = O(h), O(h) stellt die so genannte asymptotische Ordnung dar, es gilt: O(h) = <(h), falls lim ª¬ < h / h º¼ 0 . h o0
950 951 952
Vgl. Merton, R.C. 1976), S. 128. Durch O(h) wird sichergestellt, dass zu einem Zeitpunkt nur ein Ereignis eintreten kann. Vgl. z.B. Cummins, J.D. und Geman, H. (1999), S. 33. Vgl. Flasse, O., Hartung, T., Liebwein, P. (1999), S. 249. Vgl. Flasse, O., Hartung, T. und Liebwein, P. (1999), S. 249.
362
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
(5.20)
dL dS dA
0 ° ®X dN P L dt V L dz °P L dt V L dz ¯
bis zum ersten Schadeneintritt ab dem ersten Schadeneintritt während der Berichtsperiode
5.3.3.3 Monte-Carlo-Simulation des PCS-Indexes
Die eben vorgestellte Art und Weise der Modellierung des Indexes lässt eine analytische Bewertung und damit das Erstellen einer geschlossenen Bewertungsformel für die PCS-Optionen nicht zu.953 Aus diesem Grunde erfolgt der Einsatz der Monte-CarloSimulation, womit sich die Bewertungsproblematik auf die Bestimmung adäquater Verteilungsmodelle und Verteilungsparameter reduziert.954 Die Monte-Carlo-Simulation ist ein Verfahren, welches mit Hilfe von ComputerSimulationen das Verhalten von Preisen bzw. Werten durch Generierung von zufälligen Wertentwicklungen approximieren kann.955 Durch diese Simulation ist es möglich, eine gesamte Verteilungsfunktion für einen Preis oder den betrachteten Fall von Indexwerten zu erstellen.956 Ausgangspunkt der Simulation ist die Auswahl eines stochastischen Modells, das das Verhalten der Wertentwicklung widerspiegelt. 957 Das Konzept der Monte-CarloSimulation kann anhand einer Zufallsvariable, die einer Brownschen Bewegung folgt, verdeutlicht werden: (5.21)
dU = P U dt + VU dz,
wobei dz eine normalverteilte Zufallsvariable mit einem Mittelwert von Null und einer Varianz dt ist.958 Diese Variable steht für die zufälligen Wertveränderungen von U. Ihre Varianz Var nimmt mit kürzerer werdenden Zeitintervallen dt ab, so dass Var(dz) = dt entspricht. dt stellt einen infinitesimalen Zeitschritt dar, der jedoch im Folgenden durch einen diskreten Zeitschritt 't approximiert wird. t sei als aktueller Zeitpunkt bzw. Ausgangszeitpunkt definiert. Um nun die Verteilung von U zum Zeit-
953
954 955 956 957 958
Eine geschlossene Formel für die Bewertung von Versicherungsoptionen lässt sich nur unter sehr restriktiven Annahmen bezüglich des Schadenindexverlaufs ableiten, vgl. Cummins, J. D. und Geman, H. (1995), S. 53 sowie Geman, H. und Yor, M. (1999), S. 50 ff. Vgl. Flasse, O., Hartung, T. und Liebwein, P. (1999), S. 250. Vgl. Dowd, K. (1998), S. 108 sowie Jorion, P. (1997), S. 231. Vgl. Briys, E. et al. (1998), S. 61 sowie Dowd, K. (1998), S. 110. Vgl. Hull, J. C. (1997), S. 361 f. sowie Jorion, P. (1997), S. 232. Vgl. Jorion, P. (1997), S. 232.
363
5.3 Bewertung von PCS-Optionen
punkt T abzubilden, muss zunächst das Zeitintervall W
> T t @ in n Zeitabschnitte auf-
geteilt werden, so dass 't W / n gilt. Für 'U zu einem Zeitpunkt t erhält man durch Integration von dU approximativ: (5.22)
'U t
U t 1 P 't V H 't
wobei Heine standardnormalverteilte Zufallsvariable ist.959 Zur Darstellung der Entwicklung von U im Zeitablauf wird eine Sequenz von Hi : H1 , H2 , … erstellt, so dass sich
U t 1
U t U t P 't V H1 't ,
U t 2
U t 1 U t 1 P 't V H 2 't usw. ergibt.
In W/n Schritten kann aus dieser Sequenz der Wert UT zum Zeitpunkt T ermittelt werden.960 Damit hat man eine mögliche Entwicklung von U im Zeitintervall W mit Endwert UT simuliert. Wiederholt man dieses Verfahren, erhält man weitere Werte für UT. Nach zahlreichen Simulationen kann daraus eine Verteilung für UT bestimmt werden.961 Grundlage von Monte-Carlo-Simulationen ist also die zufällige Auswahl einer Variable H, die der gewünschten Wahrscheinlichkeitsfunktion folgt. 962 Die standardisierte Normalverteilung bildete dabei die Basis bei der Zufallsauswahl für die vorgestellte Brownsche Bewegung. Die Erzeugung dieser Zufallszahlen geschieht in der Regel in zwei Schritten. Zunächst werden mit Hilfe eines Zufallsgenerators Zufallszahlen x im Intervall [0,1] erzeugt.963 Im zweiten Schritt werden die Zufallszahlen x in die Ausprägungen einer gewünschten Verteilungsfunktion F(y) transferiert. Dies geschieht über ihre inverse Verteilungsfunktion. Allgemein nimmt eine Wahrscheinlichkeitsverteilungsfunktion definitionsgemäß Werte zwischen 0 und 1 an.
959 960 961 962 963
D.h. mit Mittelwert 0 und Varianz 1, vgl. Jorion, P. (1997), S. 233. Vgl. Hull, J.C. (2003), S. 359 f. sowie Dowd, K. (1998), S. 110. Vgl. Jorion, P. (1997), S. 232. Vgl. Jorion, P. (1997), S. 236. Eigentlich spricht man hier von Pseudo-Zufallszahlen, da die Algorithmen zur Bestimmung der Zufallszahlen deterministisch sind. Vgl. hierzu Dowd, K. (1998), S. 112; Hull, J.C. (1997), S. 363 f.
364
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Über die Beziehung F y x bzw. F1 x y können die entsprechenden Zufallsausprägungen gewonnen werden.964 Somit ist die Monte-Carlo-Simulation nicht an die Annahme einer normalverteilten Zufallsvariable gebunden. Die Qualität einer Monte-Carlo-Simulation hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ausschlaggebend ist zum einen der verwendete Zufallszahlen-Generator und zum anderen ist auf eine realistische Modellierung des stochastischen Prozesses zu achten. Zusätzlich ist auch die Anzahl der durchgeführten Simulationen für die Güte der Monte-Carlo-Simulation verantwortlich.965 Bei der Modellierung des PCS-Prozesses L(t) muss in der Schadenperiode sowohl der Schadenprozess S(t) also auch der Korrekturprozess A(t) über eine Monte-CarloSimulation simuliert werden. In der Berichtsperiode ist dann nur noch der Korrekturprozess zu berücksichtigen. Über die Monte-Carlo-Simulation kann abgebildet werden, ob es während der Schadenperiode in einem Zeitintervall dt zu einem Katastrophenereignis kommt oder nicht. Beim Poisson-Prozess ist die Ankunftszeit, d.h. die Zeitdauer bis ein Poissonereignis eintritt, exponentialverteilt.966 Sei W die Zeit für das erste Poissonereignis. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zeit W kleiner ist als eine betrachtete Zeit t, berechnet sich somit folgendermaßen: (5.23)
P W d t 1 e Ot
Durch Monte-Carlo-Simulation kann analog zu oben vorgestellter Vorgehensweise für jedes betrachtete Zeitintervall 't eine Ankunftszeit az simuliert werden. Es muss eine Zufallszahl im Intervall [0,1] (für die Wahrscheinlichkeit) generiert werden und über den Zusammenhang P W d t 1 e Ot t
ln 1 P W d t O
kann für eine gegebene
Wahrscheinlichkeit P ermittelt werden, für welches t die Ankunftszeit W kleiner als t ist und somit ein Poissonereignis eintritt. Ist az d 't , so kommt es zu einem Sprung, dessen Höhe nun selbst simuliert werden muss.
964
965 966
Voraussetzung hierfür ist die Existenz der Inversen der Verteilungsfunktion, vgl. Jorion, P. (1997), S. 236. Vgl. hierzu Dowd, K. (1998), S. 112 ff. Vgl. Panjer, H. H. und Willmot, G. E. (1992), S. 67.
5.3 Bewertung von PCS-Optionen
365
Die Schadenhöhe sei annahmegemäß lognormalverteilt. Der natürliche Logarithmus einer lognormalverteilten Zufallsvariable mit dem Parameter P und dem sog. Formparameter V ist normalverteilt. Deshalb kann die Verteilungsfunktion durch die Standardnormalverteilung in folgender Form dargestellt werden: (5.24)
§ ln x P · Fx ) ¨ ¸, V © ¹
)(.) entspricht der Standardnormalverteilung.967ҏ Mit Hilfe dieser Beziehung können durch die Anwendung der Monte-CarloSimulation auf eben vorgestellte Art und Weise Zufallswerte für die lognormalverteilte Schadenhöhe gewonnen werden. Die Abbildung der gesamten Entwicklung des Schadenprozesses ist also möglich. Der Korrekturprozess A(t) folge annahmegemäß einer Brownschen Bewegung968: dA = P L dt + V L dz Bei Kenntnis von Pundҏ V können dann über die Zufallszahlengeneration mögliche Wertentwicklungen für den Korrekturprozess simuliert werden. Die Monte-CarloSimulation kann eine Stichprobe für die Ausprägungen des PCS-Indexes L(t) zum Zeitpunkt T simulieren. Daraus kann die Verteilung der Optionswerte V approximiert werden und es besteht damit schließlich die Möglichkeit, den Optionswert c(0) zum Zeitpunkt Null zu ermitteln. Diese Bewertungsmethodik setzt eine adäquate Auswahl der Verteilungsmodelle und Verteilungsparameter voraus. Im vorliegenden Fall wurden die Annahmen über die stochastischen Prozesse, die den Schadenindex L(t) abbilden sollen, bereits getroffen. Die entsprechenden Parameter müssen festgelegt werden. Für den Schadenzahlprozess gilt die Annahme eines homogenen Poissonprozesses. Es ist also die Intensität O, die die erwartete Schadenanzahl pro Periode darstellt, zu bestimmen. Die Einzelschäden können als identisch lognormalverteilt angenommen werden, so dass auch hier dementsprechend die Parameter dieser Verteilung festzulegen sind. Für den Korrekturprozess müssen der relative Erwartungswert bzw. die Wachstumsrate P und die Standardabweichung V bestimmt werden.
967 968
Vgl. Mack, T. ( 1997), S. 52 ff. Vgl. Gleichung (5.19).
366
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Insgesamt sind im Rahmen einer Monte-Carlo-Simulation der PCS-Indexwerte L(t) folgende Parameter zu bestimmen:969 Allgemeine Parameter: x Laufzeit der Option T, x Basispreis k, Cap J x Risikofreier Zinssatz r, x Stichprobenanzahl s Korrekturparameter: x Wachstumsrate P, x Standardabweichung V Schadenparameter: x Schadenzahlprozess als homogener Poisson-Prozess: Intensität O x Schadenhöhenverteilung als Lognormalverteilung: Formparameter V, Parameter P Die Güte des gesamten Modells hängt stark von der Auswahl der Parameter ab. Die Modellparameter können beispielsweise auf der Grundlage der historischen Zeitreihe der Indexwerte abgeleitet werden. Es ist aber auch möglich, Schätzungen über die zukünftige erwartete Schadenanzahl und Schadensumme zu nutzen, welche z.B. auf Basis von geologischen Simulationen erstellt werden. 5.3.3.4 Kritische Beurteilung des versicherungsmathematischen Modells
Entscheidend für die Qualität der Ergebnisse des versicherungsmathematischen Modells sind die Annahmen über die stochastischen Prozesse, die den PCS-Schadenindex beschreiben sollen und die Auswahl der Parameter. Werden die Parameter auf Grundlage von historischen Beobachtungen bestimmt, stellt sich die Frage, ob die beobachteten Schadenhäufigkeiten und Schadensummen auch für die Zukunft gelten. Implizit wird mit einer solchen Vorgehensweise eine zeitliche Stabilität der Häufigkeit und der
969
Vgl. Flasse, O., Hartung, T. und Liebwein, P. (1999), S. 251 ff.
5.3 Bewertung von PCS-Optionen
367
Höhe von Katastrophenschäden unterstellt.970 Das Problem hierbei ist der Mangel an ausreichenden langfristigen historischen Schadenstatistiken aufgrund des seltenen Auftretens. Katastrophenereignisse werden deshalb auch als low-frequency/highseverity-Risiken bezeichnet. Eine alternative Gewinnung der Parameter könnte auf Basis der Ursachen für das Zustandekommen der Katastrophen erfolgen. Dabei müssten die Zusammenhänge von Naturkräften stochastisch abgebildet werden, um die zukünftige Häufigkeit und Schwere von Katastrophen zu simulieren. Unabhängig von der Art der Ermittlung der Parameter ist zu überprüfen, inwieweit ein solches Modell zur Generierung von angemessenen PCS-Optionspreisen geeignet ist. Dabei sollte ein Vergleich mit sich tatsächlich am Markt der CBOT bildenden Optionspreisen erfolgen. Für die Akzeptanz von Versicherungsoptionen ist es entscheidend, dass die Bepreisung dieser Instrumente für die Marktteilnehmer logisch nachvollziehbar ist.971 Dies gilt vor allem für Marktteilnehmer außerhalb der Versicherungsbranche, die mit den Preismechanismen von Versicherungs- und Rückversicherungsverträgen nicht vertraut sind. Ein entscheidender Faktor für den durchschlagenden Erfolg von Aktienoptionen war die Entwicklung der Black & Scholes-Optionspreisformel. 972 Sie eröffnet den Marktteilnehmern die Möglichkeit, die am Markt zu beobachtenden Preise von Optionen mit relativ geringem Aufwand zu überprüfen. Solche analytische Verfahren besitzen durch die Nachvollziehbarkeit ihrer Herleitung häufig eine höhere Akzeptanz als andere Verfahren. Eine solche geschlossene analytische Lösung ist bei dem beschriebenen Verfahren, über die Simulation von Schadenprozessen einen Preis für die PCS-Optionen zu bestimmen, nicht möglich. Das Underlying PCS-Schadenindex unterscheidet sich zu stark vom Underlying Aktienkurs, so dass eine Übertragung von bereits etablierten klassischen Optionsbewertungsmodellen nicht gerechtfertigt ist. Somit existiert für Optionen mit einem Schadenindex als Underlying keine entsprechende geschlossene Optionspreisformel. Diese Tatsache ist sicherlich mit ein entscheidender Faktor dafür, dass PCS-Optionen an der Chicago Board of Trade bisher keinen durchschlagenden Erfolg erzielen konnten.
970 971 972
Vgl. Flasse, O., Hartung, T. und Liebwein, P. (1999), S. 257. Vgl. Jaffee, D. M. und Russell, T. (1997), S. 217 sowie O’Brien, T. (1997), S. 159. Vgl. Brockett, P. L., Wang, M. und Yang, C. (2005), S. 135.
368
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Belegt wird diese These durch Daten der CBOT, wonach Mitte Oktober 1996 noch über 6.500 Kontrakte offen waren, d.h. Käufer und Verkäufer konnten sich nicht auf einen Preis einigen. Die Käufer waren im Schnitt bereit, einen Preis zu zahlen, der durchschnittlich 16 % unter dem für die gleiche traditionelle Deckung über Rückversicherung lag. Auf der anderen Seite lagen die Preisvorstellungen der Verkäufer 134 % darüber. Das Fehlen einer für alle Marktteilnehmer nachvollziehbaren Bewertungsformel ist somit die entscheidende Ursache dafür, dass sich die Versicherungsderivate bisher am Markt nicht haben durchsetzen können.973
5.4 Rahmenbedingungen und Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsderivaten In diesem Kapitel sollen die rechtlichen Probleme, die mit dem Einsatz von Versicherungsoptionen entstehen, erörtert werden. Anschließend sollen die Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsderivaten diskutiert werden. Es soll untersucht werden, inwiefern PCS-Optionen zur Steuerung des versicherungstechnischen Risikos beitragen können.
5.4.1 Aufsichtsrechtliche Behandlung In Deutschland gibt es bisher keine explizite Regelung für die Behandlung von Versicherungsderivaten.974 Börsengehandelte Optionen auf Schadenindizes existieren bisher nicht, so dass kein akuter Handlungsbedarf besteht. Angesichts der sich häufenden Großschadenereignisse somit der damit verbundenen Knappheit der Zeichnungskapazitäten auf den Versicherungsmärkten besteht jedoch die Möglichkeit, dass sich diese Art des alternativen Risikotransfers in Deutschland bzw. Europa durchsetzt. In diesem Fall bestünde Regelungsbedarf in diesem Bereich.975 Im Folgenden wird nun diskutiert, wie Versicherungsderivate aus heutiger Sicht behandelt werden könnten.
973
974 975
Auch in diesem Zusammenhang wird die bahnbrechende Bedeutung der Black-Scholes-Formel für die Finanzderivate deutlich. Für PCS-Optionen fehlt bislang ein solcher Durchbruch in der Optionspreisbestimmung. Vgl. Strube, M. (2001), S. 71. Vgl. Albrecht, P. und Schradin, H. R. (1998), S. 594.
5.4 Rahmenbedingungen und Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsderivaten
369
Die für Versicherer relevanten gesetzlichen Grundlagen sind im Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (VAG) zu finden. Gemäß § 7 Abs. 2 VAG dürfen Versicherungsunternehmen neben Versicherungsgeschäften nur solche Geschäfte betreiben, die hiermit in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Bei Termingeschäften und Geschäften mit Optionen und ähnlichen Finanzinstrumenten ist ein solcher unmittelbarer Zusammenhang anzunehmen, wenn sie der Absicherung gegen Kurs- oder Zinsänderungsrisiken bei vorhandenen Vermögenswerten oder dem späteren Erwerb von Wertpapieren dienen sollen.976 Des Weiteren ist der Handel mit Optionen gemäß § 7 Abs. 2 VAG zulässig, wenn aus vorhandenen Wertpapieren ein zusätzlicher Ertrag erzielt werden soll, ohne dass bei Erfüllung von Lieferverpflichtungen eine Unterdeckung des gebundenen Vermögens eintreten kann.977 Man findet hierzu in der Literatur unterschiedliche Interpretationen der gesetzlichen Grundlagen. Fraglich ist, ob die Optionen als Versicherungsgeschäft betrachtet werden können. Es muss also die Frage geklärt werden, ob die Optionen als Mittel der synthetischen Rückversicherung anerkannt werden können. Dafür spricht, dass tatsächlich Versicherungsrisiken transferiert werden. Jedoch kommt es nur zu einer Absicherung, wenn zwischen der Entwicklung des Schadenindexes und der Entwicklung der Schäden des Versicherungskollektivs ein eindeutiger und stabiler Zusammenhang besteht.978 Ist dies der Fall, können gezahlte Optionsprämien als Rückversicherungsaufwand und vereinnahmte Optionsprämien als Beiträge aus dem Rückversicherungsgeschäft eingestuft werden. Die Erträge aus einer Long-Call-Position wären dann in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) unter dem Posten „Anteil der Rückversicherer an den Zahlungen für Versicherungsfälle“ auszuweisen.979 In diesem Falle würde man also die Zahlungsströme der Optionen in der Bilanz und GuV wie bei der traditionellen Rückversicherung behandeln. Gegen die Anerkennung als synthetische Rückversicherung spricht allerdings das Auseinanderfallen von Rechnungsperioden aufgrund der speziellen Laufzeitgestaltung der Optionen. Der Abrechnungszeitpunkt und der Absicherungszeitraum liegen häufig in unterschiedlichen rechnungstechnischen Perioden. So kann es vorkommen, dass ein Versicherer im abgelaufenen Jahr bereits Aufwand für Versicherungsfälle hat, er je-
976 977 978 979
Vgl. Knauth, K. W. und Werner, M. (1993), S. 18 ff. Vgl. Strube, M. (2001), S. 72. Vgl. Treuberg, H. und Angermayer, B. (1995), S. 650. Zur Behandlung von Rückversicherungsprämien und –leistungen im Jahresabschluss, vgl. Rockel, W. et al. (2005), S. 28.
370
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
doch erst im folgenden Jahr zum Abrechnungszeitraum der Optionen einen Ertrag aus der Optionsposition ausweisen kann. Eine liquiditätsmäßige Absicherung (regelmäßige Abrechnung) der periodischen Schäden wie dies bei der klassischen Rückversicherung üblich ist, kann mit den Optionen nicht in jedem Falle erreicht werden. Zwar ist es möglich, mit den Versicherungsoptionen unter bestimmten Voraussetzungen eine Hedgeposition aufzubauen, die inhaltlich eine Absicherung wie ein Rückversicherungsvertrag erzielen kann. Eine Stabilisierung von Versicherungsaufwendungen, wie sie im Jahresabschluss abgebildet werden, kann unter den gegebenen Bilanzierungsvorschriften im Gegensatz zu der klassischen Rückversicherung jedoch nicht erzielt werden. Es liegt deshalb die Vermutung nahe, dass Versicherungsoptionen nicht wie ein klassischer Rückversicherungsvertrag behandelt werden können. Damit könnten sie jedoch von aufsichtsrechtlicher Seite nicht als ein Versicherungsgeschäft im Sinne einer synthetischen passiven Rückversicherung verstanden werden. Fraglich ist nun allerdings, ob die Optionen überhaupt noch als ein Versicherungsgeschäft interpretiert werden können. Betrachtet man also die Optionen nicht als Versicherungsgeschäft, sondern als Termingeschäft und damit als Kapitalanlage, so sind nach § 7 Abs. 2 VAG Finanzderivate nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Versicherungsoptionen können jedoch weder, wie in der Vorschrift gefordert, einen Vermögensgegenstand absichern, noch eignen sie sich dazu, Währungsschwankungen zu kompensieren, so dass sie als Absicherungsgeschäft im Sinne des § 7 Abs. 2 VAG nicht zugelassen sind. Dies führt zu dem nahe liegenden Schluss, dass nach aktuellem Stand des Aufsichtsrechts Versicherungsoptionen für Versicherer versicherungsfremdes Geschäft darstellen und somit nicht zulässig sind. In der Literatur ist aber auch die Ansicht zu finden, dass bei einer ausreichend hohen Korrelation zwischen der Entwicklung der Zahlungen aus dem Wertpapier und der gesellschaftsspezifischen Schadenentwicklung eine Absicherungsfähigkeit der Instrumente gegen Risiken auf der Passivseite zu bejahen ist.980 Eine Einordnung als versicherungsfremdes Geschäft nach § 7 (2) VAG wäre demzufolge aus wirtschaftlicher
980
Vgl. Strube, M. (2001), S. 73.
5.4 Rahmenbedingungen und Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsderivaten
371
und statistischer Sicht nicht gerechtfertigt, jedenfalls nicht für solche Geschäfte, die nachweislich das Risiko aus eingegangenen Versicherungsverträgen mindern.981
5.4.2 Management der versicherungstechnischen Risiken mit Hilfe von PCS-Optionen In diesem Abschnitt wollen wir der Frage nachgehen, inwiefern die PCS-Optionen geeignet sind, versicherungstechnische Risiken zu steuern. Die an der Chicago Board of Trade gehandelten Optionen auf den PCS-Index können Erst- und Rückversicherern eine alternative Möglichkeit zur Steuerung ihres Versicherungsportfolios bieten. Jedoch lassen sich die standardisierten Versicherungsderivate im Unterschied zur traditionellen Rückversicherung nicht individuell an das jeweilige Versicherungsportfolio anpassen.982 Will ein Versicherer die Schadenentwicklung eines bestimmten Versicherungskollektivs durch den Einsatz von PCS-Optionen begrenzen, so ist seine Zielsetzung, am Terminmarkt eine Hedgeposition aufzubauen, die die Schadenentwicklung des betrachteten Versicherungsbestandes kompensieren soll.983 Es stellt sich also zunächst die Frage, welche Risiken grundsätzlich durch den Einsatz von PCS-Optionen gesteuert werden können. Maßgeblich hierfür ist die Zusammensetzung des betrachteten Underlyings. Die Property Claim Services erstellt die neun unterschiedlichen regionalen PCSIndizes. Sie beinhalten die nach regionalen Gesichtspunkten aggregierten Katastrophenschäden. Dabei werden sämtliche Versicherungsereignisse, die insgesamt zu einem Schaden von mindestens 25 Mio. USD führen, als Katastrophenschaden betrachtet. In den Index gehen damit sämtliche Ereignisse ein, also Stürme, Erdbeben, Hagel, Feuer etc., die diese Schadengrenze überschreiten. Es werden Schäden sowohl in der Sach- als auch in der Personenversicherung erfasst. Eine nach Risiken differenzierte Schadenerfassung, wie z.B. ausschließlich Stürme, findet dabei nicht statt. Das Underlying der PCS-Optionen, also der PCS-Index, spiegelt die durch Katastrophenrisiken verursachte Schadenentwicklung der gesamten Versicherungsbranche in einer bestimmten Region wider.
981
982 983
In Illinois, New York und Kalifornien sind PCS-Optionen als Instrumente der Rückversicherung anerkannt. Vgl. Strube, M. (2001), S. 73. Vgl. Skipper, H. D. (1998), S. 143. Vgl. Doherty, N. (1997), S. 5 f.
372
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Ein Versicherer hat nun die Möglichkeit, seinen Versicherungsbestand in der betrachteten Region unter bestimmten Voraussetzungen gegen die in den Index eingehenden Katastrophenschäden zu schützen. Dies gelingt ihm durch den Aufbau einer Hedgeposition am PCS-Optionsmarkt und ist vergleichbar mit dem Abschluss einer (nichtproportionalen) Katastrophenschadenexzedenten-Rückversicherung. 984 Diese Art von Rückversicherung garantiert dem Zedenten (Rückversicherungsnehmer) die Deckung von Versicherungsschäden aus einem bestimmten Versicherungsbestand (z.B. private Gebäudeversicherung), die durch ein genau definiertes Versicherungsereignis, z.B. Hagel, ausgelöst werden und die vereinbarte Priorität übersteigen. Zusätzlich wird eine Haftungsstrecke als Maximalhaftung pro Ereignis festgelegt und eine jährliche Maximalhaftung für den Fall des mehrfachen Auftretens des Versicherungsereignisses vereinbart. Auf diese Weise kann die Rückversicherung auf die individuellen Wünsche des Versicherers zugeschnitten werden. Mit Hilfe von PCS-Optionen ist eine derart individuelle Absicherung gegen einzelne Risiken (z.B. nur Sturmrisiken) oder von bestimmten Versicherungskollektiven (z.B. Gebäudeversicherung) aufgrund der speziellen Charakteristik des Underlyings nicht möglich. Im PCS-Schadenindex werden die Versicherungsschäden sämtlicher Branchen, die durch verschiedene Versicherungsereignisse ausgelöst werden, aggregiert betrachtet. Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, inwieweit eine Absicherung von Versicherungsportfolios durch PCS-Optionen möglich ist.985
5.4.3 Grundlegende Absicherungswirkung von PCS-Call-Optionen PCS-Call-Optionen können zur Absicherung von Versicherungsportfolios eingesetzt werden. Der Wert einer Small-Cap PCS-Call-Option mit Indexstand L, Abrechnungszeitpunkt T und Basispreis k berechnet sich nach Gleichung (5.1):986 c T
min ¬ª max L T k;0 ; 200 k ¼º 200 USD.
Unter Berücksichtigung der zum Kaufzeitpunkt t entrichteten Optionsprämie c(t) ergibt sich dann die Vermögensposition GV des Käufers einer PCS-Call-Option zu:
984 985
986
Vgl. dazu die detaillierte Beschreibung der Rückversicherungsformen im Kapitel 3. Es ist anzumerken, dass die spezifische Bedeutung der Versicherungsderivate nicht nur in ihrer Fähigkeit als Substitut für klassische Rückversicherungslösungen liegt. Vielmehr werden durch Versicherungsderivate andere Kapitalquellen außerhalb der Versicherungsbranche erschlossen. Vgl. Himick, M. (1995), S. 49 sowie Himick, M. (1996), S. 19 f. Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 417 f.
5.4 Rahmenbedingungen und Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsderivaten
(5.25)
GV T
373
min ¬ª max L T k;0 ; 200 k ¼º 200 USD c t
Entsprechend ergibt sich folgendes Gewinn- und Verlustprofil:987
(5.26)
GV T
für L d k c t °° ® L T k 200 USD c t für k L d 200 ° °¯ 200 k 200 USD c t für L ! 200
Der maximale Verlust entspricht damit genau der Höhe der gezahlten Optionsprämie zum Zeitpunkt t. Der maximale Gewinn für den betrachteten Small-Cap beträgt
200 k 200 USD abzüglich der Optionsprämie c(t). Der Inhaber der PCS-CallOption profitiert somit von Versicherungsschäden aus Katastrophenereignissen, die eingehend in den PCS-Index zu einem über den Basispreis k hinausgehenden Indexwert führen. Diese Position erscheint also grundsätzlich geeignet, Schäden im eigenen Versicherungsbestand auszugleichen. Durch Einnahme einer Long-Call-Position besteht die Möglichkeit, Versicherungsschäden durch die Gewinne in der Optionsposition auszugleichen. Anhand eines Beispiels soll erläutert werden, wie diese Absicherung aussehen könnte. Man betrachte einen Versicherer, dessen Geschäft sich auf die sog. Southeastern Region der USA beschränke. Der Versicherer sei bereit, Katastrophenschäden in seinem Portfolio bis zu einer Höhe von 10 Mio. USD selbst zu tragen. Für die darüber hinausgehenden Schäden suche der Versicherer Deckung. Er möchte eine aggregierte Deckung sämtlicher Schäden, die in seinem Versicherungsbestand durch Katastrophen verursacht werden, für einen Zeitraum von drei Monaten absichern. In der Southeastern Region habe der betrachtete Versicherer einen Marktanteil von 0,5% (gemessen an den vereinnahmten Versicherungsprämien). Der Versicherer zeichne gemessen am Gesamtmarkt ein repräsentatives Versicherungsgeschäft. Deshalb hat die Katastrophen-Schadenentwicklung im Portfolio des Versicherers in der Vergangenheit genau der Schadenentwicklung des Southeastern PCS-Indexes entsprochen. Entsprechend seines Marktanteils von 0,5% hat er auch einen Schadenanteil (sa) von 0,5% der Katastrophenschäden des Gesamtmarktes in seinem Portfolio getragen.
987
Korrekterweise müssten zum Zeitpunkt T auch die unterschiedlichen Zahlungszeitpunkte der Cashflows berücksichtigt werden. So wird die Optionsprämie c(t) bereits beim Abschluss des Optionskontraktes entrichtet, so dass sie auf den Zeitpunkt T aufgezinst werden müsste. Aus Vereinfachungsgründen soll dieser Zinseffekt vernachlässigt und damit einer statischen Betrachtungsweise gefolgt werden.
374
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Der Versicherer möge sich daher entschließen, Call-Optionen auf den Southeastern PCS-Index zu erwerben. Zunächst muss dazu die gewünschte Priorität von 10 Mio. USD in einen entsprechenden Marktschaden bzw. Indexstand umgerechnet werden. Der gesuchte Basispreis k für die Call-Option bestimmt sich also folgendermaßen:988 (5.27)
k
Priorität sa 100 Mio. USD
10 Mio. USD 0,5% 100 Mio. USD
20 Indexpunkte .
Die Priorität von 10 Mio. USD wird erreicht bei einem Marktschaden in der Southeastern Region von 2.000 Mio. USD (= 2 Mrd. USD), was – ausgedrückt in Indexpunkten (ein Indexpunkt entspricht 100 Mio. USD) – einem Stand von 20 entspricht. Der Versicherer muss nun den gewünschten Absicherungszeitraum wählen. Aufgrund von möglichen Hurrikans im Sommer schließt er einen September-Kontrakt ab, dessen Risk Period Katastrophenschäden im Zeitraum von Juli bis September berücksichtigt.989 Er entscheidet sich für eine Berichtsperiode von zwölf Monaten, so dass der Abrechnungszeitpunkt am 30. September des folgenden Jahres liegt. Die Anzahl der zu erwerbenden Kontrakte hängt von dem Absicherungsvolumen ab, das der Versicherer anstrebt. Er hat hier keine explizite Haftungsstrecke angegeben, d.h. die Obergrenze entspricht dem Small-Cap von 200 Indexpunkten, was einem Marktschaden in der Southeastern Region in Höhe von 20.000 Mio. USD (= 20 Mrd. USD) entspricht. Der Basispreis k = 20 Indexpunkte liegt damit im Bereich der SmallCap Kontrakte. Die erforderliche Kontraktanzahl bzw. Hedge-Ratio h ergibt sich nun als Verhältnis von Priorität zu dem Wertäquivalent des Basispreises. Da angenommen wurde, dass die Schadenentwicklung des Portfolios des Versicherers und die des betrachteten Gesamtmarktes identisch sind, wird über die Ratio gemäß Gleichung (5.28) bestimmt, wie viele Kontrakte benötigt werden, um die Schadenentwicklung des Versicherungsportfolios ausgleichen zu können.990 (5.28)
988 989 990
h
Priorität Basispreis 200
10 Mio. 20 200
10 Mio. 4.000
2.500 Kontrakte.
Vgl. Canter, M. S., Cole, J. B. und Sandor, R. L. (1996), S. 92. Vgl. Abschnitt 5.2.1.2. Vgl. Schradin, H. R. und Möller, M. (1996), S. 27.
5.4 Rahmenbedingungen und Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsderivaten
375
Steigt der Indexwert bis zum Schlussabrechnungszeitpunkt über den Basispreis von 20 hinaus an, z.B. auf einen Indexstand von 25, so gleicht der Gewinn aus der Optionsposition unter den gegebenen Annahmen die Schadenentwicklung im Versicherungsportfolio aus. Ein Indexstand von 25 Punkten entspricht einem KatastrophenVersicherungsschaden im Gesamtmarkt in Höhe von 2,5 Mrd. USD. Wie vorher angenommen würde der Versicherer 0,5% der Schäden in seinem Portfolio tragen, so dass er eine Schadenbelastung in Höhe von 12,5 Mio. USD aus den Katastrophen erfahren würde. Aus der Hedgeposition von 2.500 Kontrakten ergäbe sich eine Zahlung von:991 (5.29)
ct
25 20 200 USD 2.500 Kontrakte
2,5 Mio. USD.
Dadurch könnte der Versicherer seine Überschäden in Höhe von 2,5 Mio. USD durch den Ertrag aus der Hedgeposition abdecken. Im Falle eines Anstiegs des Southeastern Index über einen Stand von 200 Punkten ist jedoch eine vollständige Abdeckung der Überschadenbelastung des Versicherers aus seiner konstruierten Hedgeposition nicht möglich. Der Kontrakt ist durch den Small-Cap nach oben begrenzt und deshalb müsste der Versicherer Katastrophenschäden in seinem Portfolio, die über 100 Mio. USD hinausgehen, selber tragen. 992 Analog zu einem Rückversicherungsvertrag zahlt der Versicherer eine „Rückversicherungsprämie“ in Höhe der Call-Optionsprämie für die 2.500 Kontrakte.993 Eine weitere Absicherungsmöglichkeit, die mit Hilfe von PCS-Optionen konstruierbar ist, ist die Begrenzung des Absicherungsvolumens über der Priorität. Durch den gleichzeitigen Kauf und Verkauf von Call-Optionen kann ein Versicherer individuell auf seine Bedürfnisse abgestimmte Haftungsstrecken oder Layers erzeugen. Diese so genannten Call-Option-Spreads ähneln daher hinsichtlich ihrer Struktur den SmallCap- und Large-Cap-Optionen, können jedoch unterschiedliche Caps berücksichtigen.994 Der Käufer eines Call-Option-Spreads kauft eine Call-Option mit einem Basispreis und einem bestimmten Fälligkeitszeitpunkt und verkauft gleichzeitig eine Call-Option
991 992
In der Abrechnung von Optionspositionen entspricht ein Indexpunkt einem Betrag von 200 USD. Diese Sicherungsgrenze errechnet sich aus: 2.500 Kontrakten 200 Indexpunkte 200 USD 100 Mio. USD.
993 994
Die Differenz zwischen der Sicherungshöchstgrenze 100 Mio. USD und der Priorität von 10 Mio. USD entspricht dem Rückversicherungslayer. Zu den Möglichkeiten der Preisbestimmung von PCS-Optionen siehe Kapitel 5.3. Small und Large Cap-Optionen entsprechen letztlich auch einer kombinierten Optionsstrategie, da sie die Wertentwicklung im Voraus durch den Cap begrenzen.
376
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
mit derselben Fälligkeit aber einem höheren Basispreis. Call-Option-Spreads wurden an der Chicago Board of Trade auch als standardisierte Produkte angeboten. Es konnten dabei alle möglichen Intervalle abgebildet werden, die ein Vielfaches von fünf Indexpunkten darstellen. Die Platzierung einer solchen standardisierten Kombination hat den Vorteil, dass kein Ausführungsrisiko besteht, d.h. es ist ausgeschlossen, dass eventuell nur ein Teil der Order platziert werden kann. Das Gewinn- und Verlustprofil einer solchen Strategie zeigt Abbildung 5.8.
Gewinn
Long-Call mit Basispreis k
Maximaler Gewinn
Call-Option-Spread-Position
ck c k k k 200 USD
c k t 0
c k t
PCS-Index k
k
Short-Call mit Basispreis k
VerAbbildung 5.8: Gewinn- und Verlustprofil eines Call-Option-Spreads
Man betrachte nun wieder den Versicherer, der die Priorität von 10 Mio. USD beibehalten möchte. Er sucht aber nur Absicherung in Höhe einer Haftungsstrecke von 5 Mio. USD. Der untere Basispreis k beträgt also wiederum 20 Indexpunkte, während der sich Basispreis k* der Short-Call-Position wie folgt berechnet: (5.30) k
Priorität Haftungsstrecke Schadenanteil sa 100 Mio. USD
15 Mio. USD 0,5% 100 Mio. USD
30 Indexpunkte.
Die Hedge-Ratio h für den Call-Option-Spread berechnet sich aus dem Verhältnis von Haftungsstrecke und maximaler Auszahlung aus dem 20/30 Call-Spread:995
995
Vgl. CBOT (1995), S. 34 sowie Schradin, H. R. (1998), S. 424.
5.4 Rahmenbedingungen und Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsderivaten
(5.31)
h
5 Mio. USD
30 20 200 USD
5 Mio. USD 2.000 USD
377
2.500 USD.
Ein Versicherer kann mit Hilfe eines Call-Option-Spreads gezielt Haftungsabschnitte konstruieren.996 Durch die Einnahme der Optionsprämie aus der Short-Position reduzieren sich gleichzeitig seine Absicherungskosten. Durch die Kombination von Call- und Put-Optionen ist der Aufbau einer synthetischen Future-Position möglich. Future-Positionen auf den PCS-Index wurden an der Chicago Board of Trade nicht gehandelt.997
Gewinn Long-Call mit Basispreis k
Short-Put mit Basispreis k
0 k
PCS-Index
Verlust Abbildung 5.9: Synthetische Long-Future-Position auf den PCS-Index
Im Unterschied zu Optionen haben sie ein symmetrisches Chancen- und Risikoprofil, d.h. aus der Hedgeposition kann nicht nur von steigenden Indexständen profitiert werden. Befindet sich der Index am Abrechnungstag unterhalb der Priorität bzw. des Basispreises k, ist die Long-Future-Position im negativen Bereich. Das bedeutet, dass der Halter genau die Differenz aus Priorität und Schadenaufkommen auszahlen muss. Da er die Schäden unterhalb der Priorität sowieso tragen muss, bezahlt er immer gleich
996
997
Dabei können sämtliche Absicherungsintervall abgebildet werden, die ein Vielfaches von fünf Indexpunkten darstellen. Future-Positionen wurden bis 1995 an der Chicago Board of Trade auf den ISO-Index gehandelt, wegen mangelnder Nachfrage jedoch durch die PCS-Optionen ersetzt.
378
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
viel. Mit dieser Vorgehensweise kann der Versicherer seine Schadenbelastung unabhängig von der Marktentwicklung fixieren. Futures werden zwar nicht gehandelt, können aber aus den verfügbaren Optionspositionen synthetisch konstruiert werden.998 Als Beispiel sei wieder der Versicherer genannt, der nun eine Fixierung der Katastrophenschäden seines Bestandes auf einen Wert von 10 Mio. USD anstrebt. Durch den Kauf einer Call-Option mit dem Basispreis k = 20 und dem gleichzeitigen Verkauf einer Put-Option mit demselben Basispreis k = 20 kann er eine Long-Future-Position konstruieren. Die Entwicklung des Futures ist genau entgegengesetzt zu seiner eigenen Schadenentwicklung (vgl. Abbildung 5.9). Vorteil einer synthetischen Future-Position sind die geringeren Absicherungskosten, die sich um die vereinnahmte Put-Prämie reduzieren.999
5.4.4 Konstruktion einer Jahresüberschaden-Rückversicherung Durch den Einsatz von PCS-Call-Optionen könnte auch der Gesamtschaden eines Bestandes gehedgt werden, falls zwischen der Gesamtschadenentwicklung eines Versicherungsportfolios und dem PCS-Schadenverlauf ein signifikanter Zusammenhang besteht. Die Wirkung von Hedge-Positionen ist in diesem Falle nicht mit einer Katastrophenschadenexzedenten-Rückversicherung, sondern vielmehr mit einer Jahresüberschaden-Rückversicherung zu vergleichen. Für Rückversicherer, die sich repräsentativ durch entsprechende Rückversicherungsverträge in dem Katastrophenrisiko, das in den PCS-Index eingeht, engagieren, wird ein solcher Zusammenhang zwischen der Schadenentwicklung des PCS-Indexes und der individuellen Schadenentwicklung des Rückversicherers vermutlich gegeben sein. Sie würden dann gerade das Geschäft zeichnen, welches im Index berücksichtigt wird. Fraglich ist, ob ein solcher Zusammenhang auch für Erstversicherer angenommen werden kann. Annahmegemäß soll ein Versicherer repräsentatives Geschäft in einer Region zeichnen. In diesem Fall wird er auch die im PCS-Index enthaltenen Katastrophenschäden in seinem Portfolio gemäß seinem Marktanteil tragen. Es lässt sich jedoch nicht im Voraus feststellen, welcher Zusammenhang zwischen seiner individuellen Gesamtschadenentwicklung und der PCS-Indexentwicklung bestehen wird. Dies liegt daran, dass sich der Gesamtschaden seines Portfolios aus den
998 999
Vgl. Steiner, M. und Bruns, C. (2002), S. 528 f. Vgl. Steiner, M. und Bruns, C. (2002), S. 528 f.
5.4 Rahmenbedingungen und Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsderivaten
379
Katastrophenschäden und den regulären Versicherungsschäden (ohne Katastrophen) zusammensetzt. Dabei ist die Entwicklung Letzterer vermutlich unabhängig von der Entwicklung der Katastrophenschäden des gesamten Marktes und somit ist auch kein linearer Zusammenhang zwischen dem PCS-Schadenindex und dem Gesamtschaden im Portfolio des Versicherers herzustellen. Zur Erläuterung, inwieweit PCS-Call-Optionen zur Konstruktion einer Jahresüberschaden-Rückversicherung eingesetzt werden können, sei deshalb nun ein Rückversicherer betrachtet, der in der Southeastern Region repräsentatives Katastrophengeschäft zeichnet. Sein Schadenanteil an den Katastrophenschäden betrug in der Vergangenheit immer sa. Der Rückversicherer möchte seinen Schaden im Versicherungsportfolio bis zu einer Priorität PR tragen. Den über die Priorität PR hinausgehenden Schaden möchte er in Höhe eines Layers l für den Zeitraum > 0, Tc@ hedgen. Er plant zum Zeitpunkt 0 PCS-Call-Optionen für die Southeastern Region zu erwerben, die eine Risk Period von
>0, Tc@ sowie eine Berichtsperiode von >Tc, T @ und damit insgesamt eine Laufzeit von >0, T @ haben. Schlussabrechungszeitpunkt der Option ist T. Zunächst ist zu bestimmen, welcher Basispreis den Optionen zugrunde gelegt werden muss und welche Kontraktanzahl zu erwerben ist, um eine entsprechende Absicherung zu erzielen. Allgemein berechnet sich der Basispreis k in Indexpunkten wieder nach Gleichung (5.27): k
PR sa 100 Mio. USD
Die erforderliche Kontraktanzahl h bestimmt sich nach Gleichung (5.28) aus dem Verhältnis von Selbstbehalt und dem Dollaräquivalent des Basispreises (gewichtet mit 200): h
PR k 200
Betrachtet man die Ergebnissituation des Rückversicherers für sein Portfolio in der Southeastern Region während der Laufzeit > 0, T @ , so stellt es sich theoretisch zum Schlussabrechnungszeitpunkt T und vor Erwerb der Call-Option dar als: (5.32)
TB T S > 0, Tc@ r S > 0, Tc@ S > 0, Tc, T @
wobei TB T :
versicherungstechnisches Bruttoergebnis,
380
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
ʌ:
Versicherungsprämie,
r:
risikoloser Zinssatz,
S:
Entschädigungsleistungen.
Annahmegemäß vereinnahmt der Rückversicherer die Prämien
für die Risikoüber-
nahme im Zeitraum > 0, Tc@ zum Zeitpunkt 0. Die Entschädigungsleistungen S des Rückversicherers für die in der Periode > 0, Tc@ entstandenen Versicherungsschäden sollen vereinfachend erst zum Zeitpunkt T geleistet werden müssen.1000 Bei der Darstellung des versicherungstechnischen Ergebnisses kann man wiederum die Annahme treffen, dass im Versicherungsgeschäft der in jedem Fall zu erzielende risikolose Zins auf die Prämieneinnahmen intern verrechnet wird. Im Folgenden soll dieser Zinseffekt aus Vereinfachungsgründen in der Darstellung nicht berücksichtigt werden. Der Rückversicherer möge nun Small-Cap-Call-Optionen mit dem Basispreis k erwerben, die eine Begrenzung des Schadens auf die Priorität PR ermöglichen. Hierfür bezahlt er im Zeitpunkt 0 eine Prämie pro Kontrakt von c(0). Damit ergibt sich für das technische Nettoergebnis nach Absicherung zum Analysezeitpunkt T folgende Struktur:1001 (5.33) TN T S > 0, Tc@ S > 0, Tc, T @ h c 0 min ¬ª max 0, L T k , 200 k ¼º 200 h. Für die im Zeitpunkt 0 erworbenen Kontrakte entrichtet der Käufer eine Prämie von c(0).1002 In Abhängigkeit verschiedener Indexstände L ergibt sich dann folgendes technisches Nettoergebnis: S ° > 0, Tc@ S > 0,Tc, T @ h c 0 °¯S > 0, Tc@ S > 0,Tc, T @ h c 0 L T k 200 h
(5.34) TN T ®
für L d k für k L d 200
Mit h PR 200 k ergibt sich das technische Nettoergebnis zu:
1000
1001 1002
Diese Annahme ist allerdings aufgrund der langen Berichtsperioden als unrealistisch zu betrachten. Entwickeln sich jedoch Index und Schadenleistungen des Versicherers analog, so werden sich Schadenleistung und Wertentwicklung der eingegangenen Optionsposition unter den notwendigen Voraussetzungen (hoher funktionaler Zusammenhang der Schadenentwicklung) ausgleichen. Vgl. hierzu Schradin, H. R. und Möller, M. (1996), S. 28. Um die verschiedenen Zahlungszeitpunkte zu berücksichtigen, könnte die Optionsprämie c(0) auf den Zeitpunkt T aufgezinst werden.
5.4 Rahmenbedingungen und Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsderivaten S > 0, Tc@ S > 0,Tc, T @ h c 0 ° PR °S > 0, Tc@ S > 0,Tc, T @ h c 0 L T k k ¯
(5.35) TN T ®
381
für L d k für k L d 200
Unter der Annahme, dass zwischen Schadenverlauf S und der Indexentwicklung L eine synchrone Entwicklung besteht, gleichen die Rückflüsse aus der Optionsposition die Schadenentwicklung S oberhalb der Priorität aus. Mit (5.36)
S > 0, Tc, T @
PR L k
ergibt sich also für die technische Nettoposition: (5.37)
TN T
°S > 0, Tc@ S > 0,Tc, T @ h c 0 ® °¯S > 0, Tc@ PR h c 0
für L d k für k L d 200
Da Small-Cap-Kontrakte nur die Indexentwicklung bis zu einem Indexstand von 200 Punkten widerspiegeln, ist die Betrachtung um Indexstände oberhalb des Caps zu erweitern. Diese Schäden fallen wiederum in die Risikotragung des Rückversicherers:1003
(5.38)
TN T
°S > 0, Tc@ S> 0,Tc, T @ h c 0 ° ®S > 0, Tc@ PR h c 0 ° °S > 0, Tc@ PR PR L T 200 h c 0 °¯ k
für L d k für k L d 200 für L ! 200
Bei einem Schadenindex von bis zu 200 erfährt der Rückversicherer eine maximale Schadenbelastung in Höhe der Priorität PR. Der Preis für die Absicherung entspricht dabei der zum Abschlusszeitpunkt 0 zu entrichtenden Optionsprämie c(0). Bei einem Indexstand oberhalb von 200 Punkten trägt er den hiermit korrespondierenden überschießenden Schaden in seinem Portfolio selbst. Bezogen auf den Indexstand ergibt sich der entsprechende Überschaden aus der Differenz zwischen Indexstand L und dem Cap von 200. Bezogen auf das Portfolio des Rückversicherers entspricht ein Indexpunkt einem Schaden von PR k . Durch Multiplikation von PR/k mit (L-200) erhält man den Überschaden über dem Cap, den der Rückversicherer tragen muss.
1003
Vgl. Schradin, H. R. und Möller, M. (1996), S. 29.
382
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Wie bereits oben vorgestellt, hat die Chicago Board of Trade standardisierte CallOption-Spreads angeboten. Somit konnte im Rahmen der Sicherungsstrategien für ein Versicherungsportfolio auch diese Standard-Strategie eingesetzt werden. Sie unterscheidet sich formal nicht von der eben dargestellten Long-Call-Strategie. Mit den Call-Option-Spreads ist es jedoch möglich, die obere Deckungsgrenze abweichend von dem Cap auf einen niedrigeren Basispreis festzulegen.1004 Call-Option-Spreads ermöglichen somit eine flexiblere Berücksichtigung der zu erzielenden Absicherung. Sei wiederum k der untere Basispreis, der durch die Priorität PR bestimmt wird. Der obere Basispreis k* ergibt sich aus der Priorität und der gewünschten Deckung (Layer l) nach Gleichung (5.30): k
PR l sa 100 Mio.
Die erforderliche Kontraktzahl h bestimmt sich dann nach der Gleichung (5.31): h
k
l k 200
Unter der Annahme eines synchronen Verlaufs des PCS-Indexes L und des Schadenverlaufs des betrachteten Versicherungsportfolios, kann der Schadenverlauf S in Abhängigkeit des Indexes L dargestellt werden: (5.39)
S > 0,Tc, T @
l L. k k
Für das technische Nettoergebnis ergibt sich dann bei einer Absicherung mittels CallOption-Spreads: (5.40) TN T S > 0, Tc@ S > 0, Tc, T @ min ¬ª max 0, L T k , k k ¼º 200 h h 'c 0 h 'c 0 stellt dabei die vom Rückversicherer zu entrichtende Netto-Optionsprämie dar,
die sich aus dem bezahlten Preis für den Kauf von Call-Optionen und dem erhaltenen Preis für den gleichzeitigen Verkauf von h Call-Optionen mit höherem Basispreis ergibt. In Abhängigkeit des PCS-Indexstandes L ergibt sich wiederum für die technische Nettoposition:
1004
Für die Verkäufer der Calls (Short-Position) sind diese Caps bzw. Spreads wichtig, da sie eine unbegrenzte Haftung ausschließen, die bei der Betrachtung von Katastrophenschäden sehr hohe Summen annehmen kann.
383
5.4 Rahmenbedingungen und Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsderivaten
(5.41)
TN T
S > 0, Tc@ S > 0,Tc, T @ h 'c 0 °° ®S > 0, Tc@ PR h 'c 0 ° °¯S > 0, Tc@ S> 0,Tc, T @ l h 'c 0
für L d k k für k L d k für L ! k
Abbildung 5.10 zeigt eine beispielhafte Darstellung des technischen Nettoergebnisses nach Absicherung durch den Kauf einer Call-Option-Spread-Position1005
TN(T S > 0,T c@ S > 0, T c@ h 'c 0 Call-Option-Spread-Position
S > 0, T c@ PR h 'c 0
0 h 'c 0
k
k*
L(T TN(T) Schadenverlauf S[0,T’,T]
Abbildung 5.10: Absicherung durch den Kauf einer Call-Option-Spread-Position
5.4.5 Steuerung von Rückversicherungs-Layers Es soll nun untersucht werden, wie Call-Option-Spreads zum Einsatz kommen können, um auch Rückversicherungs-Layer zu steuern. Betrachtet sei wiederum ein Rückversicherer, der gemessen am Schadenindex L ein repräsentatives Rückversicherungsportfolio aufweist, d.h. das betrachtete Rückversicherungsportfolio besteht ausschließlich aus Katastrophenrückversicherungsverträgen. Für seinen gesamten Rückversicherungsbestand in der betrachteten Region hat der Rückversicherer eine Priorität von PR 1 vereinbart.
1005
Vgl. Schradin, H. R. (1998), S. 423.
384
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Seine Haftungsstrecke, die sich aus seinen insgesamt abgeschlossenen Rückversicherungsverträgen ergibt, betrage PR 2 PR1 , d.h. seine Obergrenze der Haftung gegenüber seinen Versicherungsnehmern beläuft sich auf PR 2 . Aus der Vergangenheit weiß der Rückversicherer, dass er im Rahmen seiner Haftungsstrecke einen Anteil von sa an den Katastrophenschäden des Schadenindexes L getragen hat. Aufgrund der vollständigen Korrelation seines Schadenverlaufs mit der Indexentwicklung will der Rückversicherer das in Rückdeckung genommene Layer durch den Kauf eines Call-OptionSpreads absichern. Wählt er die Basispreise k und k* so, dass sie mit der Priorität PR 1 und der oberen Haftungsgrenze PR 2 übereinstimmen, so kann er aus dem Call-OptionSpread vollständige „Rück-Rückdeckung“ für sein Portfolio erzielen. Der Rückversicherer habe eine Priorität PR1 100 Mio. USD und eine Haftungsstrecke von 300 Mio. USD so dass PR 2
400 Mio. USD beträgt, sa sei 5%. Die Basispreise k
und k* bestimmen sich wieder nach Gleichung (5.27) bzw. (5.30): k
100 Mio. USD 5% 100 Mio. USD
20;
k
400 Mio. USD 5% 100 Mio. USD
80.
Die erforderlicher Kontraktzahl h ergibt sich aus Gleichung (5.31) zu: h
PR 2 PR1
k 200
k
300 Mio. 60 200
25.000.
Durch den Erwerb von 25.000 20/80-Call-Option-Spreads, d.h. dem Kauf von 25.000 Calls mit Basispreis 20 und dem Verkauf von 25.000 Calls mit Basispreis 80, kann der Rückversicherer unter der Bedingung einer vollständig synchronen Entwicklung seines Schadenverlaufs zu der Indexentwicklung eine vollständige Absicherung erzielen. Innerhalb seiner eigenen Haftungsstrecke von 300 Mio. USD über der Priorität 100 Mio. USD wird er durch die Gewinne aus der Optionsposition seine Schadenzahlungen vollständig ausgleichen können. Steigt der Index z.B. auf einen Wert von 60 Indexpunkten, entspricht dies unter den getroffenen Annahmen einer Schadenleistung des Rückversicherers in Höhe von 200 Mio. USD (5% 60 100 Mio. 100 Mio.). Aus der eingegangenen Optionsposition resultiert ein Zufluss in Höhe von (5.42)
cT
25.000 60 20 200 USD
200 Mio. USD.
Steigt der Index über einen Wert von 80 Indexpunkten, so hat der Rückversicherer seine Maximalhaftung in Höhe von 300 Mio. USD geleistet. Eine darüber hinausge-
5.4 Rahmenbedingungen und Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsderivaten
385
hende Deckung kommt im Rahmen seiner Rückversicherungsverträge annahmegemäß nicht zum Tragen. Das technische Nettoergebnis zum Zeitpunkt T ergibt sich dann gerade aus der Differenz von vereinnahmter Rückversicherungsprämie und gezahlter Optionsprämie für die Call-Option-Spreads: (5.43)
TN T
S > 0, Tc@ h 'c 0 .
Die Höhe des technischen Nettoergebnisses des Rückversicherers hängt von der Höhe der vereinnahmten Prämie sowie der im Zeitpunkt 0 entrichteten Optionsprämie ab.1006 Die Rückversicherer können PCS-Optionen auch dazu verwenden, um Rückversicherungs-Layer zu swappen und damit an ihre Risikopräferenzen anzupassen. Hierfür sind die sog. Butterfly-Spreads geeignet. Butterfly-Spreads werden entweder nur aus CallOptionen oder nur aus Put-Optionen konstruiert.1007 Ein Long-Butterfly setzt sich zusammen aus dem Kauf eines Calls zum Basispreis k1, dem gleichzeitigen Verkauf von zwei Calls zum Basispreis k2 und dem gleichzeitigen Kauf eines Calls mit Basispreis k3, wobei k1 k 2 k 3 gilt. 1008 Die Basispreise sind derart zu wählen, dass die wertmäßigen Abstände gleichmäßig groß sind, so dass k 2 k1
1009
k 3 k 2 gilt.
Des Weiteren müssen sämtliche Optionen die gleiche Fällig-
keit aufweisen. Bei einem Indexstand zum Fälligkeitszeitpunkt in Höhe des mittleren Basispreises k2 erzielt man den maximalen Gewinn des Long Butterflys. In diesem Fall liefert die mit dem Basispreis k1 erworbene Call-Option einen Ertrag, während die Call-Option mit Basispreis k3 wertlos verfällt. Ebenso werden die beiden Call-Optionen, die mit Basispreis k2 verkauft wurden, nicht ausgeübt, so dass hieraus keine Verpflichtung entsteht. Der maximale Verlust aus einem Long Butterfly ergibt sich bei einem Indexstand zum Fälligkeitszeitpunkt, der unterhalb des Basispreises k1 oder oberhalb des Basispreises k3 liegt.1010 Im Falle eines Indexstandes unterhalb von k1 verfallen sämtliche Optionspositionen, so dass ein Verlust in Höhe der Nettoerwerbskosten entsteht. Oberhalb von
1006 1007 1008 1009 1010
Vgl. hierzu Schradin, H. R. (1998), S. 425. Vgl. Hull, J.C. (1997), S. 183 ff sowie Steiner, M. und Bruns, C. (2002), S. 533. Vgl. Chriss, N.A. (1997), S. 272. Vgl. Steiner, M. und Bruns, C. (2002), S. 533. Vgl. Steiner, M. und Bruns, C. (2002), S. 533.
386
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
k3 gleichen die Gewinne aus den Long-Call-Positionen die Verluste aus der ShortCall-Position bis auf einen Verlust in Höhe der Nettoerwerbskosten aus, vgl. hierzu Abbildung 5.11.1011
Gewinn
Long-Call mit Basispreis k1
Long-Call mit Basispreis k3
k1
k2
k3
L(T) Long Butterfly-Spread
Verlust
Zwei Short-Calls mit Basispreis k 2
Abbildung 5.11: Gewinn- und Verlustprofil eines Long Butterfly-Spreads
Der Long Butterfly besteht letztendlich aus zwei Call-Option-Spreads. Die Long-CallOption mit dem Basispreis k1 mit der Short-Call-Option mit dem Basispreis k2 entspricht dem Erwerb eines Call-Option-Spreads. Der Verkauf einer Call-Option mit einem Basispreis k2 und der Kauf einer Call-Option mit einem entsprechend höheren Basispreis k3 stellt den Verkauf eines Call-Option-Spreads dar.1012 Genau entgegengesetzt zu einem Long Butterfly ist ein Short Butterfly konstruiert, vgl. Abbildung 5.12. Hierbei werden Calls mit Basispreis k1 und k3 verkauft und zwei Calls mit Basispreis k2 erworben. Ein Short Butterfly entspricht somit dem Verkauf eines k1/k 2 - Call-Option-Spreads und dem gleichzeitigen Kauf eines k 2 /k 3 - CallOption-Spreads.1013
1011 1012 1013
Vgl. Steiner, M. und Bruns, C. (2002), S. 534. Vgl. Cox, J. C. und Rubinstein, M. (1985), S. 15 f. Vgl. Steiner, M. und Bruns, C. (2002), S. 534 f.
387
5.4 Rahmenbedingungen und Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsderivaten
Gewinn
Zwei Long-Calls mit Basispreis k 2
Short Butterfly-Spread k1
L(T)
k3
k2
Short-Call mit Basispreis k3 Verlust
Short-Call mit Basispreis k1
Abbildung 5.12: Gewinn- und Verlustprofil eines Short Butterfly-Spreads
Die Vermögensposition des Käufers eines Long Butterfly-Spreads stellt sich in Abhängigkeit der Indexstände L zum Abrechnungszeitpunkt T folgendermaßen dar:1014
(5.44)
GV T
'c 0 ° ° L k1 200 'c 0 ® ° 2k 2 k1 L 200 'c 0 ° 2k k k 200 'c 0 ¯ 2 1 3
für L d k1 für k1 L d k 2 für k 2 L d k 3 für L ! k 3
Dabei steht 'c 0 für die im Abschlusszeitpunkt 0 zu entrichtende Netto-Optionsprämie für die eingegangenen Optionspositionen.1015 Unter der oben genannten Voraussetzung k 2 k1 k 3 k 2 ist 2k 2 k1 k 3 0, d.h. für den Fall L ! k 3 beträgt die Vermögensposition des Käufers GV T 'c 0 , genauso wie für L d k1. Ein Rückversicherer kann nun Butterfly-Spreads nutzen, um einen RückversicherungsLayer gegen einen anderen zu tauschen bzw. zu „swappen“. Hierfür muss natürlich wieder die Voraussetzung gelten, dass er am Schadenindex gemessen repräsentatives
1014 1015
Vgl. Schradin, H. R. und Möller, M. (1996), S. 23. Hierbei handelt es sich um eine statische Betrachtung, da die Optionsprämie aus Vereinfachungsgründen nicht auf den Zeitpunkt T aufgezinst wurde.
388
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Geschäft zeichnet und somit ein eindeutiger Zusammenhang zwischen seiner Schadenentwicklung und der Entwicklung des Indexes besteht. Zur Veranschaulichung sei ein Beispiel genannt. Man betrachte wieder einen Rückversicherer, der ein Rückversicherungs-Layer mit Priorität PR1 100 Mio. USD und einer Haftungsstrecke von 300 Mio. USD in seinem Portfolio hält, so dass PR 2 400 Mio. USD beträgt. Weiterhin habe der Rückversicherer einen Anteil an den Schäden des Indexes von sa = 5%. Mit diesen Zahlen korrespondieren Basispreise von 20 und 80 Punkten. 1016 Der Rückversicherer strebe nun einen RückversicherungsLayer mit einer höheren Priorität an. Aufgrund seiner individuellen Risikostruktur möchte er einen Rückversicherungs-Layer mit einer Priorität von 400 Mio. USD und einer Haftungsstrecke von weiterhin 300 Mio. USD abschließen.1017 Dies entspricht umgerechnet einer Priorität von 80 und einer Haftungsstrecke von 60 Indexpunkten und korrespondiert also mit Basispreisen von 80 und 140 Indexpunkten.1018 TN(T)
S[0,T´] S[0,T´] – 'c(0)
S[0,T´,T] S[0,T´] - 'c(0) - 300 Mio. USD
-'c(0)
TN(T) 20
80
L(T)
140
Long Butterfly-Spread
Abbildung 5.13: Rückversicherungs-Layers mit Long Butterfly
Durch den Kauf eines 20/80/140-Butterfly-Spreads hat er die Möglichkeit unter den getroffenen Annahmen einen Swap von einem niedrigeren zu einem höheren Rückver-
1016 1017 1018
Zur Ermittlung der Basispreise nach Gleichung (27) bzw. (30) siehe oben. Die Haftungsobergrenze beträgt also 400 Mio. USD + 300 Mio. USD = 700 Mio. USD. Die Umrechnung erfolgt analog zur Ermittlung der Basispreise in Abschnitt 4.2.2.
5.4 Rahmenbedingungen und Einsatzmöglichkeiten von Versicherungsderivaten
389
sicherungs-Layer zu realisieren. Mit dem Erwerb von 25.000 20/80-Call-OptionSpreads1019 kann das Rückversicherungs-Layer mit der Haftungsstrecke 300 Mio. USD und einer Priorität von 100 Mio. USD vollständig gehedgt werden. Durch den gleichzeitigen Verkauf von 25.000 80/140-Call-Option-Spreads 1020 wird ein synthetisches Rückversicherungs-Layer mit einer Priorität von 400 Mio. USD und einer Haftungsstrecke von 300 Mio. USD konstruiert. Abbildung 5.13 zeigt die technische Nettoposition eines Rückversicherungs-Layers mit Long Butterfly zum Fälligkeitszeitpunkt der Optionspositionen T.
5.4.6 Weitere Anwendungsmöglichkeiten von PCS-Optionen Ein Versicherer bzw. Rückversicherer kann PCS-Optionen auch dazu nutzen, sein Portfolio geografisch zu diversifizieren. Grund für dieses Vorhaben könnte das Fehlen von Vertriebsmechanismen in bestimmten Regionen sein. In diesen Regionen kann ein Versicherer bzw. Rückversicherer durch den Verkauf von PCS-Call-Optionen versicherungstechnisches Risiko übernehmen, ohne dort direkt Versicherungsgeschäft zeichnen zu müssen. Auf diese Art und Weise kann er sich auch in Regionen engagieren, in denen er bisher noch kein oder nur wenig Versicherungsgeschäft gezeichnet hat.1021 Man betrachte beispielsweise einen Rückversicherer, der in der Southeastern und Eastern Region stark engagiert ist. Er möchte sein Portfolio durch Rückversicherungskontrakte in der Northeastern Region diversifizieren, in der er mangels Vertriebsverbindungen noch keine Verträge gezeichnet hat. Über die CBOT hat er nun die Möglichkeit, Northeastern Call-Optionen mit den gewünschten Haftungsstrecken zu verkaufen. Er übernimmt dadurch Katastrophenrisiken in dieser Region und erhält dafür wie bei einem Rückversicherungskontrakt eine Prämie in Höhe der Optionsprämie. Durch den Verkauf der Optionen kann der besagte Rückversicherer eine stärkere Diversifikation seines Versicherungsportfolios erreichen und damit einen besseren Ausgleich im Kollektiv.
1019
1020
1021
Dies entspricht einem Kauf von 25.000 Calls mit Basispreis 20 und gleichzeitigem Verkauf von 25.000 Calls mit Basispreis 80. Dies entspricht einem Verkauf von 25.000 Calls mit Basispreis 80 und gleichzeitigem Kauf von 25.000 Calls mit Basispreis 140. In dieser Hinsicht funktionieren Versicherungsderivate ähnlich wie Reinsurance-Swaps (vgl. Abschnitt 3.3.4). Im Gegensatz zu den Reinsurance-Swaps sind Versicherungsderivate jedoch standardisiert.
390
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Ist ein Versicherer hingegen in einer Region zu stark engagiert, besteht die Gefahr, dass ihn hohe Katastrophenschäden in dieser Region empfindlich treffen. Um dieses Risiko zu verkleinern, kann er Call-Optionen an der CBOT kaufen und dadurch Teile seines getragenen Katastrophenrisikos hedgen.
5.5 Beurteilung von Sicherungsmaßnahmen mittels PCS-Optionen 5.5.1 Basisrisiko Durch den Erwerb von PCS-Call-Optionen können Versicherer bzw. Rückversicherer unter bestimmten Voraussetzungen eine Gegenposition aufbauen und mit dieser gewisse Schadenentwicklungen ihres Versicherungskollektivs kompensieren. Auf diese Art und Weise können sie somit Teile ihres versicherungstechnischen Risikos hedgen. Die spezielle Gestaltung des Underlyings dieser Optionskontrakte führt jedoch zu einem Basisrisiko für viele potentielle Interessenten. Unter Basisrisiko versteht man das Risiko, dass die abgeschlossene Rückversicherung bzw. die gewünschte Absicherung mit Optionskontrakten nicht ausreicht, um den tatsächlich aufgetretenen Schaden zu decken.1022 Im Zusammenhang mit Optionen auf Schadenindizes geht es damit um das Risiko, dass die Schadenentwicklung des betrachteten Versicherungsportfolios von der Entwicklung des Underlyings der Optionen abweicht.1023 Um eine ausreichende Absicherungswirkung zu erreichen, ist ein linearer Zusammenhang zwischen der individuellen Schadenentwicklung und der Indexentwicklung erforderlich.1024 Voraussetzung für die Erfüllung dieser Bedingung ist ein repräsentatives Engagement des Versicherers in dem betrachteten Markt. Das Angebot der Chicago Board of Trade von Optionen auf insgesamt neun verschiedene regionale Indizes ermöglicht den Ver-
1022
1023
1024
Vgl. Major, J. A. (1999), S. 394 sowie Nell, M. und Richter, A. (2005), S. 329. In diesem Kontext sei auf die Ausführungen bezüglich des Basisrisiko bei Cat Bonds im Kapitel 4 hingewiesen, vgl. Abschnitt 4.3.1. Das Basisrisiko tritt immer dann auf, wenn das Basisobjekt der zu hedgenden Position und das Basisobjekt des Hedge-Instruments nicht identisch bzw. nicht deterministisch funktional verbunden sind. Vgl. Doherty, N. A. (1997), S.11 sowie Berge, K. (2005), S. 90. Der statistische Zusammenhang zwischen zwei Größen kann über die Regressionsanalyse abgebildet werden. Die Güte des Zusammenhangs lässt sich über die Korrelation bzw. das Bestimmtheitsmaß abbilden.
5.5 Beurteilung von Sicherungsmaßnahmen mittels PCS-Optionen
391
sicherern, Optionskontrakte je nach ihrer individuellen regionalen Konzentration einzusetzen. Oft wird ein linearer Zusammenhang zwischen der Schadenentwicklung des gesamten Versicherungsportfolios und der Indexentwicklung gefordert. Auf Erstversicherer trifft dies jedoch in der Regel nicht zu, denn sie übernehmen in erster Linie reguläre Risiken (also nicht nur Katastrophenrisiken). Zeichnen sie also ein repräsentatives Geschäft, so können sie durch den Einsatz von PCS-Optionen nur ihre zusätzlich übernommenen Katastrophenschäden hedgen, nicht aber ihr gesamtes Versicherungsportfolio. Ein solcher Zusammenhang lässt sich somit allenfalls für reine Rückversicherungsunternehmen feststellen, die sich ausschließlich in der Katastrophen-Rückversicherung engagieren.1025 Bei Versicherern, die keinen markttypischen Versicherungsbestand haben, ist der angesprochene Zusammenhang sicherlich nicht gegeben, so dass diese Unternehmen auch keine bzw. nur eine partielle Hedgeposition mit PCS-Optionen aufbauen können.1026 Ein weiteres Problem, das im Zusammenhang mit dem Basisrisiko erwähnt werden soll, ist die häufig implizit unterstellte Zeitstabilitätsannahme. Tatsächlich sagt jedoch ein in der Vergangenheit beobachteter linearer Zusammenhang zwischen der Schadenentwicklung eines Versicherungskollektivs und dem Schadenindex nichts darüber aus, ob diese Entwicklung auch während der betrachteten Absicherungsperiode festzustellen sein wird. Im Laufe der Zeit kann sich zum einen die Struktur des individuellen Versicherungskollektivs ändern. Dies steht jedoch unter Einfluss des Versicherers und kann unter Umständen durch eine Anpassung der Hedgeposition aufgefangen werden. Zum anderen ist aber auch eine Veränderung des Gesamtmarktes hinsichtlich Versicherungsdichte und -struktur möglich. Das Zeichnungsverhalten des Versicherers und seiner Konkurrenten bestimmt letztendlich den Markt und damit auch inwieweit sein eigenes Portfolio als repräsentativ gewertet werden kann und die gewünschte Hedgewirkung möglich ist. Die sinnvolle Anwendung von PCS-Optionen ist insgesamt nur unter sehr einschränkenden Annahmen möglich. Nicht jedes Versicherungsunternehmen kann diese Instrumente sinnvoll einsetzen.1027 Für Erstversicherer kann ein Einsatz zum Hedging ihrer Katastrophenschäden geeignet sein. Die Entwicklung der Gesamtschadenvertei-
1025 1026
1027
Vgl. Shimpi, P. A.. (1997), S. 21. Eine empirische Studie zum Basisrisiko von Versicherungsoptionen wurde von Cummins, Lalonde und Phillips durchgeführt. Dabei zeigt sich, dass die Hedge-Wirkung von PCS-Optionen eher bei größeren Versicherungsunternehmen gegeben ist. Vgl. Cummins, J. D. et al. (2004). Vgl. O’Brien, T. (1997), S. 161.
392
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
lung des Versicherers wird jedoch hauptsächlich von der Entwicklung seiner regulären Schäden beeinflusst und steht deshalb nicht in linearem Zusammenhang mit der Entwicklung des Underlyings der Optionen. Ein Einsatz zum Hedging des Gesamtschadens ist für Erstversicherer somit nicht sinnvoll. In diesem Falle würde sich der Einsatz einer Kombination, z.B. von traditioneller Rückversicherung und PCS-Optionen, anbieten. Das bedeutet, dass die traditionellen Rückversicherungslösungen die Risiken aus dem regulären Geschäft decken sollen, während PCS-Optionen für den Schadenausgleich von Katastrophenrisiken sorgen. Reinen Rückversicherern bieten PCS-Optionen die Möglichkeit, ihre Gesamtschadenverteilung zu hedgen, sofern sie sich auf das Zeichnen von Katastrophenrisiken spezialisiert haben.
5.5.2 Moral Hazard und Adverse Selection bei Versicherungsderivaten Moral Hazard und Adverse Selection treten in der Regel bei allen Versicherungsverträgen auf, wenn asymmetrische Informationsverteilung zwischen Versicherern und Versicherten herrscht. In der Rückversicherung können Moral Hazard und Adverse Selection in der Form auftreten, dass der Erstversicherer keine Schadenverhütungsmaßnahmen bzw. Schadenminderungsmaßnahmen durchführt, da er durch die Rückversicherung nur einen Teil der Schäden trägt. Moral Hazard bzw. Adverse Selection vonseiten des Erstversicherers können z. B. darin bestehen, dass der Erstversicherer keine genaue Risikoüberprüfung bzw. Risikoselektion durchführt oder eine großzügige Schadenregulierung betreibt, da er aufgrund des Rückversicherungsschutzes nur einen Teil des Versicherungsleistungen selbst tragen muss. In der Praxis werden diese Probleme dadurch gelöst bzw. gemindert, dass zwischen dem Erst- und Rückversicherer eine langjährige Geschäftsbeziehung besteht, in der eine Erfahrungstarifierung angewandt wird, d.h. die Rückversicherungstarife werden an die tatsächliche Schadenentwicklung im Laufe der Zeit angepasst.1028 Rückversicherer können darüber hinaus Einblick in die Schadenabrechnungen der Erstversicherer gewinnen, um die Schadenregulierung zu überwachen. Diese Überwachungsmöglichkeit fehlt jedoch den Kapitalanlegern, die in Versicherungsderivaten investieren. Wie oben erläutert, existiert bei Versicherungsderivaten ein Basisrisiko, welches das Problem von Moral Hazard und Adverse Selection vonseiten des Erstversicherers
1028
Vgl. Doherty, N. A. (1997), S. 14.
5.5 Beurteilung von Sicherungsmaßnahmen mittels PCS-Optionen
393
mindern könnte.1029 Bei den Versicherungsderivaten werden die Manipulationen der Schäden durch großzügige Schadenanerkennung bzw. Unterlassung von Schadenverhütungsmaßnahmen dadurch in Grenzen gehalten, dass die Schadenfeststellung durch einen unabhängigen Dritten, nämlich PCS bzw. IndexCo vorgenommen wird. Vor allem fallen die Manipulationen einzelner Erstversicherer nicht so sehr ins Gewicht, wenn der Schadenindex eine Vielzahl von Versicherungsunternehmen umfasst.1030 Das Basisrisiko von Versicherungsderivaten wirkt somit den Problemen im Zusammenhang mit der asymmetrischen Informationsverteilung entgegen.
5.5.3 Spätschadenproblematik Die PCS-Indizes als Underlying der Optionen lassen sich im Gegensatz zu finanzwirtschaftlichen Indexkonzepten, wie z.B. Aktienindizes, nicht aus beobachtbaren Daten bestimmen. Die Quantifizierung der durch Katastrophen ausgelösten Schäden erfolgt durch Befragungen von Versicherungsunternehmen. Diese wiederum schätzen ihre voraussichtlichen Entschädigungsleistungen im Anschluss an eine Katastrophe auf Basis von Daten aus ihrem Versicherungsportfolio. Da die Regulierung von Versicherungsfällen meist einen gewissen Zeitraum in Anspruch nimmt, können in die Berechnungen des Gesamtschadenaufkommens zunächst nur Schätzungen einfließen.1031 Diese Eigenschaft der PCS-Indizes kann sich als problematisch erweisen. Diese Schätzungen ermöglichen eine schnelle Veröffentlichung des entsprechenden regionalen Indexwerts bereits kurz nach Auftreten einer Katastrophe. Die rasche Publikation verhindert, dass Versicherungsunternehmen oder andere involvierte Organisationen oder Personen ihr Wissen über Versicherungsschäden als Insider nutzen, um am Markt für Versicherungsderivate zu spekulieren. Da es sich jedoch nur um Schätzungen handelt, werden diese Angaben dann fortlaufend in Abhängigkeit der tatsächlichen Versicherungsleistungen korrigiert. Aus diesem Grund wird die Laufzeit der Optionen in eine Schaden- und eine Berichtsperiode aufgeteilt. Die Berichtsperiode wird dazu genutzt, neuere Erkenntnisse hinsichtlich der Schadenhöhe im Index zu berücksichti-
1029 1030 1031
Vgl. Doherty, N. A. (1997), S. 19. Vgl. Becker, H. A. und Bracht, A. (1999), S. 107 sowie Doherty, N. A. (1997), S. 17. Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 5.2.1.1.
394
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
gen.1032 Sie dient also dazu, die Indexstände zu adjustieren. Bei PCS-Optionen ist sie allerdings auf maximal ein Jahr begrenzt. Nach Ablauf der Berichtsperiode können weitere Informationen über die tatsächliche Schadenhöhe nicht mehr berücksichtigt werden. Daraus kann für die Hedger im Gegensatz zur klassischen Rückversicherung ein Spätschadenproblem resultieren. Bei gewöhnlichen Rückversicherungsverträgen werden in der Regel die endgültigen Schadenleistungen des Versicherers ohne zeitliche Begrenzung für die Leistungspflicht des Rückversicherers herangezogen. Das bedeutet, dass der Rückversicherer auch noch für Spätschäden zur Leistung verpflichtet werden kann.
Schadenhöhe endgültige Schadenhöhe
tatsächlicher Schaden
bekannter, gezahlter und reservierter Schaden bekannter, gezahlter Schaden
Schadenperiode
Berichtsperiode
Zeit
Abbildung 5.14: Zeitverzögerte Entwicklung der bekannten Schadenhöhe im Vergleich zu der tatsächlichen Schadenhöhe
Wenn nun nach der Schlussabrechnung der Optionskontrakte neue Informationen über die tatsächliche Schadenhöhe auftreten und der Schadenindex nach oben korrigiert werden müsste, dann kann dies im Optionskontrakt nicht mehr berücksichtigt werden. In diesem Fall wird der Versicherer nachträglich einen unvollständigen Hedge erzielen,
1032
Die Notwendigkeit für eine Berichtsperiode mag das Northridge-Erdbeben 1994 verdeutlichen. Denn ersten Schätzungen zufolge verursachte das Erdbeben Versicherungsschäden in Höhe von 2,5 Mrd. USD, in den folgenden Monaten wurden diese Schätzungen jedoch angepasst und letztendlich ein Gesamtschaden von 12,5 Mrd. USD ermittelt. Vgl. Canter, M. S. et al. (1996), S. 103.
5.5 Beurteilung von Sicherungsmaßnahmen mittels PCS-Optionen
395
wenn er aufgrund der Korrektur des Gesamtmarktschadens auch selbst seine zu erbringenden Schadenleistungen nach oben korrigieren muss. Diese Spätschadenproblematik tritt bei der traditionellen Rückversicherung nicht auf, da der Rückversicherer in der Regel auch noch für Spätschäden zur Leistung verpflichtet ist.1033 Abbildung 5.14 soll das zeitliche Auseinanderfallen von tatsächlicher (aber unbekannter) Schadenhöhe und der bekannten bzw. geschätzten Schadenhöhe skizzieren.1034 Die erkennbare Differenz kann grundsätzlich darauf zurückzuführen sein, dass Schäden zwar gemeldet sind, aber ihre Höhe noch unklar ist und die geschätzte und reservierte Schadenleistung zu niedrig angesetzt wurde. Eine weitere Ursache kann aber auch sein, dass einige Schäden noch gar nicht gemeldet wurden. Es bleibt festzuhalten, dass trotz der relativ langen Berichtsperiode von PCS-Optionen eine Spätschadenproblematik nicht ausgeschlossen werden kann. Dies ist vor allem zu erwarten, wenn Rechtsstreitigkeiten über den tatsächlich entstandenen Schaden entstanden sind.1035
5.5.4 Steuerung des Jahresergebnisses Die Problematik eines möglichen Basisrisikos sowie die Spätschadenproblematik sind letztendlich Folgen der für einen börslichen Handel notwendigen Standardisierung von Derivatekontrakten. Zur zeitlichen Standardisierung der PCS-Kontrakte werden Schadenperioden, Berichtsperioden und Schlussabrechnungszeitpunkte definiert. Normalerweise haben die PCS-Indizes bzw. die entsprechenden Optionskontrakte dreimonatige Schadenperioden. Optionen auf den California- und Western-Index haben jährliche Schadenperioden, während National-Index-Optionen sowohl quartals- als auch jahresbezogene Schadenperioden haben. Die Berichtsperioden können wahlweise sechs oder zwölf Monate betragen. Die Ausübung der Optionen ist erst zum Schlussabrechnungszeitpunkt am Ende der Berichtsperiode möglich, da es sich um Optionen europäischen Typs handelt. Eine Glattstellung während der Laufzeit ist deshalb nur
1033 1034 1035
Vgl. Liebwein, P. (2000), S. 213 f. Vgl. Mack, T. (1997), S. 266 sowie Liebwein, P. (2000), S. 416. Ein klassisches Beispiel für die Spätschadenproblematik ist der Anschlag auf das World Trade Center. Der Pächter des WTC und die Versicherer sind sich nicht darüber einig, ob es sich bei diesen Anschlägen um einen Schadenereignis oder um zwei Schadenereignisse handelt, und führen seit Jahren ein verbitterten Rechtsstreit, dessen Ende und Ausgang selbst heute (also 5 Jahre danach) noch nicht absehbar ist. Die Frage, ob es sich um einen Schadenereignis oder um zwei Schadenereignisse handelt, ist deswegen wichtig, da pro Schadenereignis eine maximale Versicherungsleistung von 3,55 Mrd. USD vereinbart wurde.
396
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
durch den Aufbau einer Gegenposition möglich. Dies kann wirtschaftlich als Verkauf der Optionsposition interpretiert werden.1036 Aufgrund der zeitlichen Standardisierung der PCS-Optionen kann es zu einem Auseinanderfallen von Rechnungsperiode des Versicherers und Laufzeit der Option kommen. Dies könnte sich auf Versicherer, die durch den Aufbau einer Hedgeposition die Schadenbelastung in ihrem Versicherungsportfolio beschränken und damit eine Stabilisierung ihres Jahresergebnisses erreichen wollen, nachteilig auswirken. Man betrachte einen Versicherer, der für das erste Quartal Absicherung gegen Katastrophenschäden sucht und einen entsprechenden März Call-Options-Kontrakt erwirbt. Wählt er als Berichtsperiode eine Laufzeit von zwölf Monaten, so wird der Schlussabrechnungszeitpunkt in das folgende Jahr fallen. Seine externe Berichterstattung wird er aber in der Regel zum Ende des betrachteten Jahres machen. Treten nun in dem betrachteten ersten Quartal Katastrophenschäden auf, so wird der Versicherer hierfür Versicherungsleistungen erbringen und Rückstellungen für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle vornehmen, die sein Jahresergebnis reduzieren. Dieser Schadenentwicklung kann er ökonomisch die Wertentwicklung seiner erworbenen Optionsposition entgegenstellen.1037 Grundsätzlich gilt für Versicherer bzw. Rückversicherer in Deutschland das Prinzip der Einzelbewertung von Vermögensgegenständen und Schulden. Für Gegenstände des Umlaufvermögens gilt dabei das strenge Niederstwertprinzip nach § 253 Abs. 3 HGB. Das bedeutet für die erworbene Optionsposition, dass die gezahlte Optionsprämie aktiviert werden muss.1038 Sie wird bei Finanzoptionen, z.B. unter Kapitalanlagen, ausgewiesen. 1039 Am Bilanzstichtag müssen Abschreibungen vorgenommen werden, sofern der feststellbare Börsenkurs oder Marktpreis unterhalb der Anschaffungskosten liegt. Zuschreibungen auf einen höheren Wert als die Anschaffungskosten sind gemäß § 253 Abs. 3 HGB nicht zulässig.
1036 1037
1038
1039
Vgl. Treuberg, H. und Angermayer, B. (1995), S. 589. Der Wert einer solchen Optionsposition wird mit den aufgetretenen Schäden steigen, so dass er eine positive Wertentwicklung seiner Hedgeposition erzielt. Es sei hier nur der wirtschaftliche Zusammenhang berücksichtigt, da die grundsätzliche Zulässigkeit solcher Optionsgeschäfte bisher in Deutschland noch ungeklärt ist. Im Gegensatz zu Banken und Industrieunternehmen, bei denen der Ausweis als „sonstige Vermögensgegenstände“ erfolgt. Bei Versicherungsunternehmen kann jedoch ein Zusammenhang zwischen Optionsrechten und vorhandenen oder zu erwerbenden Wertpapieren angenommen werden. Vgl. Treuberg, H. und Angermayer, B. (1995), S. 587.
5.5 Beurteilung von Sicherungsmaßnahmen mittels PCS-Optionen
397
Der Marktwert der erworbenen Option wird mindestens ihrem inneren Wert, d.h. der Differenz aus Schadenindex und Basispreis, entsprechen. Im Idealfall würde dieser innere Wert genau die negative Schadenentwicklung des Portfolios ausgleichen. Dieser wirtschaftliche Zusammenhang kann jedoch in der externen Rechnungslegung bei einer strengen Einzelbewertung nicht dargestellt werden. Der Versicherer müsste also bei Gültigkeit des Einzelbewertungsgrundsatzes in der betrachteten Rechnungsperiode die gezahlten Versicherungsleistungen sowie die Rückstellungen für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle als Aufwand ausweisen. Einen Ertrag würde er erst in der darauf folgenden Periode zum Schlussabrechnungszeitpunkt der Option verbuchen können. Eine Glättung des periodischen Jahresergebnisses könnte der Versicherer erzielen, wenn er die Option zum 31.12. des betrachteten Jahres glattstellen würde. Dies wäre inhaltlich mit einem Verkauf der Option und damit der Realisierung des inneren Wertes der Option gleichzusetzen.1040 Dadurch würde sich allerdings die Spätschadenproblematik noch erhöhen, da nun eine mögliche positive Entwicklung des Optionswertes aufgrund einer positiven Adjustierung des Indexstandes nicht mehr realisierbar wäre. Letztendlich wäre die Hedgewirkung nur darstellbar, wenn eine ähnliche Vorgehensweise wie bei der Bildung von Bewertungseinheiten von Finanzanlagen zulässig wäre. Dies würde eine Zusammenfassung der Schadenentwicklung des betrachteten Portfolios und der Optionsposition zu einer Einheit bedeuten. Unter bestimmten Voraussetzungen ist die Bildung von Bewertungseinheiten für derivative Absicherungsgeschäfte von Finanzanlagen zulässig.1041 Eine Voraussetzung, die erfüllt sein muss, ist der Ausgleich fiktiver Verluste durch unrealisierte Gewinne in der betrachteten Einheit. Bei so genannten Micro-Hedges, die die Verknüpfung von Grund- und Sicherungsgeschäft vorsehen, kann dann eine Festbilanzierung vorgenommen werden, wenn von einem vollständigen Ausgleich ausgegangen werden kann.1042 Die Gewinn- und Verlustrechnung wird nur dann berührt, wenn ursprünglich angenommenen Wertausgleiche nicht erzielt werden konnten. Alternativ können beide Geschäfte mit ihren Markt-
1040
1041 1042
Das Glattstellen einer Position wird durch den Abschluss eines Gegengeschäfts erzielt. Das bedeutet, eine Long-Call-Position mit einem bestimmten Basispreis und einer bestimmten Fälligkeit kann durch eine Short-Position mit gleicher Fälligkeit und gleichem Basispreis glattgestellt werden. Vgl. Treuberg, H. und Angermayer, B. (1995), S. 589. Vgl. Treuberg, H. und Angermayer, B. (1995), S. 571 ff. Vgl. Treuberg, H. und Angermayer, B. (1995), S. 578.
398
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
werten bilanziert werden, wobei hierbei ein Konflikt mit dem Anschaffungswertprinzip besteht.1043 Auch die Bildung von Portfolio-Hedges soll dargestellt werden. Hierbei werden mehrere Finanzinstrumente zu einer kompensatorischen Bewertungseinheit zusammengefasst. Voraussetzung hierfür ist u. a. die Möglichkeit einer objektiven Marktwertermittlung der Finanzinstrumente, so dass eine Mark-to-Market-Bewertung des Portfolios möglich ist. Der Einsatz von Versicherungsderivaten zur Absicherung bestehender Versicherungsportfolios ist jedoch mit den Sicherungsstrategien von Finanzanlagen nicht zu vergleichen. Denn im Unterschied hierzu resultieren aus Versicherungsfällen in einer Periode neben der Rückstellung für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle in aller Regel auch Schadenleistungen des Versicherers und damit Aufwand. In diesem Fall handelt es sich somit um realisierte Verluste, wohingegen die Optionsposition vor dem Schlussabrechungszeitpunkt einen unrealisierten Gewinn darstellen kann. Hierbei ist damit eine Aufrechnung von unrealisierten Gewinnen und Verlusten wie bei Finanzanlagen nicht möglich.1044 Eine ausgleichende Wirkung kann in einem Jahresabschluss nur dann dargestellt werden, wenn eine Mark-to-Market-Bewertung zulässig wäre.1045 Denn auf diese Weise könnte eine erfolgswirksame Zuschreibung der Option die erfolgswirksam realisierten Verluste in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgleichen. Nur unter diesen restriktiven Bedingungen könnte ein Versicherer durch den Einsatz von Versicherungsoptionen auch eine Stabilisierung seines Jahresergebnisses erzielen. Ob ein solcher Bewertungsansatz überhaupt zulässig ist, ist allerdings fraglich. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Mark-to-Market-Bewertung, z.B. im Rahmen von Portfolio-Hedges, für die Handelsaktivitäten von Kreditinstituten als zulässig angesehen werden. Für Versicherungsunternehmen, die eine aktive Risikosteuerung ihres Kapitalanlageportfolios betreiben, können Portfolio-Hedges von Bedeutung sein. Aus diesem Grund müssen Versicherungsunternehmen grundsätzlich die gleichen Bedingungen wie Kreditinstitute erfüllen. Bisher ist jedoch noch nicht geregelt, ob eine Ü-
1043 1044
1045
Vgl. Treuberg, H. und Angermayer, B. (1995), S. 579. Von fiktiven oder unrealisierten Verlusten kann man sprechen, da der Kursverlust eines Wertpapiers erst durch den Verkauf realisiert wird. Besteht ein Sicherungsgeschäft, würde ein Ausgleich dieses Verlustes erzielt werden und eine Bewertungseinheit wäre zulässig. Zur Mark-to-Market-Bewertung bei Finanzgeschäften, vgl. die Ausführungen in Treuberg, H. und Angermayer, B. (1995), S. 579 f.
5.6 Zusammenfassung des 5. Kapitels
399
bertragung eines Portfolio-Hedges auch auf andere Bereiche als den Kapitalanlagebereich, also auch auf das originäre Versicherungsgeschäft möglich ist.
5.6 Zusammenfassung des 5. Kapitels Der am 29. September 1995 an der CBOT begonnene Handel mit PCS-Optionen verlief ziemlich schleppend. In den ersten beiden Jahren stieg die Anzahl der jährlich gehandelten Kontrakte an und obwohl der Marktanteil noch äußerst gering war, entwickelte sich ein relativ lebhafter Handel.1046 Zu diesem Zeitpunkt konnte durchaus davon ausgegangen werden, dass sich die Versicherungsoptionen im Laufe der Zeit in kleinen Schritten zu einem ernstzunehmenden Kapitalmarktprodukt im Bereich des Alternativen Risikotransfers entwickeln könnten. 1047 Unter Annahme eines Anstiegs des noch recht geringen Interesses und der Entwicklung eines liquiden Handels wurde den Optionen ein wachsendes Potenzial prognostiziert. Ein leicht steigendes Interesse konnte auch verzeichnet werden, jedoch schon im dritten Jahr stagnierte der Handel deutlich. Dies lag mit daran, dass von Beginn an die Anzahl der offenen Kontrakte, bei denen sich Käufer und Verkäufer nicht auf einen Preis einigen konnten, stetig anstieg. Im Laufe der Zeit waren deutlich mehr Kontrakte offen als erfolgreich abgeschlossen. Insgesamt war das Handelsvolumen sehr gering, und so belief sich die Gesamtkapazität der PCS-Optionen auf ihrem Höhepunkt auf nur 89 Mio. USD.1048 Der Handel der Optionen an der CBOT nahm immer weiter ab, bis er schließlich Ende 1999 praktisch zum Stillstand kam und kurz darauf eingestellt wurde. Der parallele Versuch der Bermuda Commodities Exchange (BCOE) im November 1997, börsengehandelte Versicherungsoptionen auf den GCC-Index zu etablieren, war ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt. Mangels Aktivität wurde die Geschäftstätigkeit schon im Jahr 1999 ausgesetzt.1049 Es stellt sich somit die Frage nach den Gründen für die bisherige Erfolglosigkeit der Versicherungsderivate, die im Folgenden beschrieben werden sollen.
1046 1047 1048 1049
Vgl. Swiss Re (2001), S. 22. Vgl. White, R. R. (2001), S. 325. Vgl. Swiss Re (2001), S. 21. Vgl. Swiss Re (2001), S. 23.
400
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
x Timing Zunächst war das Timing der Einführung der Optionen im Nachhinein betrachtet unglücklich. Anfang der 90-er Jahre führten das Auftreten des Hurrikans Andrew 1992 und des Northridge-Erdbebens 1994 in den Vereinigten Staaten zu RekordKatastrophenschäden. Dadurch stieß der Rückversicherungsmarkt an seine Kapazitätsgrenze und die Preise für Rückversicherung stiegen gewaltig an. Diese Entwicklung begünstigte zunächst die Einführung der Versicherungsderivate auf dem Kapitalmarkt als Alternative zur teuren Rückversicherung. Jedoch kam es in der Folge zwischen 1996 und 1998 zu einem deutlichen Preisrückgang auf dem traditionellen Rückversicherungsmarkt. So stellten die Versicherungsderivate gerade zu ihrer Einführung an der CBOT preislich keine Konkurrenz zur Rückversicherung dar, was einen Rückgang der Nachfrage zur Folge hatte. x Standardisierung Aufgrund der Tatsache, dass das Rückversicherungsgeschäft bis heute vor allem auf Vertrauen und oft auf persönlichen Kontakten basiert, können börsengehandelte Versicherungsoptionen traditionelle Rückversicherungsverträge kaum ersetzten, sondern eher ergänzen. Während auf der einen Seite die Optionen standardisiert sind und durch ihre Konzeption die Möglichkeit bieten, kurzfristig Versicherungsschutz zu erwerben, werden auf der anderen Seite die Rückversicherungsverträge individuell auf den Zedenten zugeschnitten und langfristig ausgehandelt. Nach Einstellung des Handels an der Börse werden Versicherungsderivate heute nur noch over-the-counter (OTC), d.h. privat zwischen zwei Unternehmen, gehandelt. In welchem Umfang dies schon zu Zeiten des Handels an der CBOT geschah und heute noch geschieht ist jedoch nicht zu sagen, da die meisten OTC-Verträge nicht publik werden. Aufgrund ihrer Konzeption stellen börsengehandelte Versicherungsderivate also allgemein für viele Marktteilnehmer keine Alternative, sondern höchstens eine Ergänzung zur Rückversicherung dar. Dadurch wird natürlich der Interessentenkreis für Versicherungsoptionen eingeschränkt. x Basisrisiko Um Versicherungsoptionen an einer Börse sinnvoll handeln zu können, müssen die Kontrakte stark standardisiert werden. Daraus resultiert jedoch ein Basisrisiko, das
5.6 Zusammenfassung des 5. Kapitels
401
zunächst schwierig einzuschätzen zu sein scheint.1050 Versicherungsoptionen auf einen Schadenindex sind nur dann zur Absicherung von Risiken geeignet, wenn die Zahlungen aus den Optionen die Schäden im eigenen Versicherungsportfolio vollständig oder zumindest weitgehend decken. Dies verlangt einen Zusammenhang zwischen Schadenindex und Schäden des Hedgers. Viele Versicherer befürchten, dass zwischen der Schadenindexentwicklung der Optionen und ihrer individuellen Schadenentwicklung kein linearer Zusammenhang besteht. In diesem Fall wäre eine Absicherungswirkung im Voraus nicht quantifizierbar und damit die Optionen zum Hedging ungeeignet. Ein sinnvoller Einsatz von Versicherungsoptionen zur Absicherung von Katastrophenrisiken setzt also eine Überprüfung des jeweiligen Basisrisikos eines Versicherers voraus. Einige Versicherer könnten jedoch nicht dazu bereit sein, die daraus resultierenden Kosten aufzuwenden. Den Ergebnissen der Studie von Cummins, Lalonde und Phillips1051 über das Basisrisiko beim Handel mit PCS-Optionen in Florida zufolge ist das Basisrisiko allerdings nur bei kleineren Versicherern hoch, während bei den größten Versicherern ein Einsatz von PCS-Optionen zum Hedging von Großschäden geeignet erscheint. x Unerfahrenheit Ein weiterer Grund für den Misserfolg der börsengehandelten Versicherungsoptionen ist sicherlich die Exotik dieses Kapitalmarktproduktes und die Unerfahrenheit bzw. Unsicherheit der Versicherungsunternehmen im Umgang damit. Dies wird deutlich in einer Umfrage zum Einsatz von CAT-Optionen, in der nur 5% der befragten Führungskräfte von Versicherungsgesellschaften angaben, Versicherungsoptionen zu nutzen.1052 Als wichtigste Hindernisse für die Nutzung von Versicherungsderivaten wurden die fehlende Marktliquidität, der Mangel an qualifiziertem Personal, die Notwendigkeit zur Fortbildung des Managements und der Widerstand seitens der Entscheidungsträger genannt. Als zwei wichtige Faktoren, die nach Ansicht der Befragten das Interesse an Katastrophen-Optionen erhöhen würden, wurden „Weitere Informationen über die Besonderheiten von Katastrophen-Versicherungsoptionen“ (36,9%) und „Mehr Schulung bezüglich des Hedgings von Katastrophen-Versicherungsoptionen“ (33,5%) genannt.
1050 1051 1052
Vgl. David, M. (2005), S. 166 Vgl. Cummins, J. D. et al. (2004), S. 80 ff. Vgl. Swiss Re (2001), S. 23.
402
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
Der wichtigste Faktor ist jedoch die Festlegung von klaren rechtlichen Bestimmungen für die Nutzung von Katastrophen-Versicherungsoptionen (43,2%). 1053 Wie in Abschnitt 5.4.1 in dieser Arbeit erläutert, ist die aufsichtsrechtliche Behandlung der Versicherungsderivate nicht ausreichend geklärt. Dies führt zu der Ungewissheit, inwiefern für einen Versicherer ein Engagement in Versicherungsderivaten überhaupt rechtlich zugelassen ist oder nicht und ist somit auch ein wesentlicher Grund für das Ausbleiben des Erfolges der Versicherungsderivate. x Bewertungsproblematik Schließlich ist auch das Bewertungsproblem als Grund zu nennen. Denn bisher gibt es keine geeignete geschlossene Optionsbewertungsformel für die Versicherungsoptionen auf Schadenindizes.1054 Es fehlt somit an einer von allen Marktteilnehmern nachvollziehbaren und akzeptierten Bewertungsformel, wie es sie beispielsweise bei der Bepreisung von Aktienoptionen die Black-Scholes-Formel darstellt.1055 Dadurch gestaltet sich eine faire Bewertung der Versicherungsoptionen auf einen Schadenindex und damit auch die Preisfindung zwischen Verkäufer und Käufer der Kontrakte als äußerst schwierig. Dies ist sicherlich ein Grund für die oben angesprochene große Anzahl offener Kontrakte zur Zeit des Handels an der CBOT und somit auch für den allgemeinen Misserfolg der Versicherungsderivate. x Risikoausgleich in der Zeit Ein weiterer Nachteil von Versicherungsderivaten liegt darin, dass zwischen den Beteiligten in der Regel keine langfristigen Geschäftsbeziehungen bestehen. Die Versicherungsoption wird nur für eine bestimmte Laufzeit abgeschlossen. Es ist unwahrscheinlich, dass zwischen dem Käufer und dem Verkäufer einer Versicherungsoption weitere Kontrakte abgeschlossen werden. Aus dieser einperiodigen Betrachtung ergibt sich für Versicherungsderivate gegenüber der traditionellen Rückversicherung der Nachteil, dass ein Risikoausgleich in der Zeit nicht stattfinden kann.1056 Dies führt dazu, dass für den Risikotransfer via. Versicherungsoption ein höherer Risikozuschlag
1053 1054 1055 1056
Vgl. Swiss Re (2001), S. 23. Detailliertere Ausführungen zur Bewertung von Versicherungsoptionen siehe Kapitel 5.3. Vgl. David, M. (2005), S. 169 Rückversicherer pflegen in der Regel langfristige Geschäftsbeziehungen mit ihren Kunden im Erstversicherungssektor. Der Risikoausgleich in der Zeit wird bei der Berechung der Rückversicherungsprämie berücksichtigt.
5.6 Zusammenfassung des 5. Kapitels
403
verlangt wird, so dass Versicherungsoptionen im Vergleich zu klassischen Rückversicherungslösungen relativ teuer erscheinen Während der Markt für börsengehandelte Versicherungsderivate zur Zeit nicht mehr existiert, wächst jedoch der Gesamtmarkt im Bereich des Alternativen Risikotransfers ständig an. Die Nachfrage nach alternativen Produkten zur klassischen Rückversicherung nimmt zu. Vor allem zur Absicherung von Katastrophenrisiken, die in den letzten Jahren an die Grenze der Versicherbarkeit gestoßen sind, greifen immer mehr Versicherer nach Kapitalmarktprodukten. Aus dieser Betrachtungsweise ist die zukünftige Entwicklung der Versicherungsderivate durchaus positiv zu bewerten. Erfolg können sie aber nur haben, wenn sie sich gegen Konkurrenzprodukte behaupten. Hierbei stehen sie vor allem im Wettbewerb mit den Katastrophenanleihen, den so genannten CAT-Bonds, die sich mittlerweile im Markt etabliert haben.1057 Versicherungsoptionen auf Schadenindizes konkurrieren also mit den CAT-Bonds und mit den traditionellen Rückversicherungsverträgen. Zur Untersuchung der Vor- und Nachteile der einzelnen Produkte ist in Tabelle 5.1 ein zusammenfassender Vergleich der drei Rückversicherungsinstrumente dargestellt. 1058 Als Versicherungsoptionen werden die an der CBOT gehandelten PCS-Optionen betrachtet. Die Ergebnisse der Studie von Cummins et al. (2004) zeigen, dass die Zukunftsaussichten von börsengehandelten Versicherungsderivaten auch nach zwei gescheiterten Etablierungsversuchen nicht negativ ausfallen müssen. Das Basisrisiko wurde offensichtlich höher eingeschätzt als es in Wirklichkeit ist und kann außerdem durch marktrepräsentatives Zeichnen der Versicherungsrisiken von den Versicherern selbst beeinflusst werden. Ein gewisses Interesse an Versicherungsderivaten besteht, was die Zahlen der erfolgreich abgeschlossenen und auch offen gebliebenen Kontrakte zur Zeit des Handels an der CBOT bestätigen. Eine Umfrage unter Führungskräften von Versicherungsunternehmen macht deutlich, dass die wichtigsten Punkte zur Vorbereitung einer möglichen Wiederaufnahme des Handels von Versicherungsoptionen die Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Nutzung der Versicherungsoptionen, die Bereitstellung eines breiteren Informationsangebotes über die Besonderheiten der Versicherungsoptionen und eine bessere Schulung des Personals bezüglich des Hedgings von Versicherungsoptionen sind.1059
1057 1058 1059
Vgl. hierzu Kapitel 4. Vgl. Swiss Re (2001), S. 18. Vgl. Swiss Re (2001), S. 23.
404
Kapitel 5: Risikotransfer durch Versicherungsderivate
CAT-Bonds
PCS-Optionen
KatastrophenRückversicherung
Entschädigung/ Finanzierung
Entschädigung des Käufers gegen Verluste, je nach Basisrisiko.
Entschädigung des Käufers gegen Verluste, je nach Basisrisiko.
Entschädigung des Rückversicherten gegen Verluste.
Basisrisiko
Bei Transaktionen mit Index-Auslöser vorhanden.
Für einige Käufer signi- Minimal fikant.
Moral Hazard
Bei Index-Auslösern minimal, sonst hoch.
Minimal
Hoch
Kreditrisiko
Minimal. Kapital wird in sicheren Wertpapieren unter Treuhänderverwahrung angelegt.
Minimal. Verbindlichkeiten durch die Börse garantiert.
Abhängig von der Solvenz des Rückversicherers.
Bei Einführung niedrig. Mit eventuell erneuter Einführung und positiver Marktentwicklung Verbesserung erwartet.
Beschränkt auf Retrozessionsmarkt.
Standardisiert
Kundenspezifisch
Nein
Verfügbarkeit von Marktbedingungen abhängig.
Niedrig
n/a
Liquidität für Risiko- Derzeit niedrig. Mit zunehmender Marktentträger wicklung Verbesserung erwartet.
Standardisierung
Kundenspezifisch
Preisfestsetzung über Möglich mehrere Jahre
Transaktionskosten im Verhältnis zur RV
Hoch; mit zunehmender Erfahrung der Unternehmen niedrigere Kosten erwartet.
Tabelle 5.1: Vergleich zwischen CAT-Bonds, PCS-Optionen und Rückversicherung
Obwohl sich börsengehandelte Versicherungsderivate für kleinere Versicherungsunternehmen kaum eignen und sie die traditionelle Rückversicherung sicherlich nicht ersetzen werden, so können sie sie doch ergänzen, und es besteht durchaus die Mög-
5.6 Zusammenfassung des 5. Kapitels
405
lichkeit, dass langfristig eine Wiederaufnahme des Handels gelingt.1060 Dafür spricht eine generell zunehmende Nachfrage nach Versicherungsschutz und nach Ausbau der Kapazität des Versicherungsmarktes, was u. a. aus den Rekord-Katastrophenschäden der letzten Jahre resultiert. Die Vermeidung des Moral Hazard durch die Bindung an einen marktweiten Index, vergleichsweise geringe Transaktionskosten, ein minimales Kreditrisiko und die Möglichkeit der kurzfristigen Generierung von Versicherungsschutz sind Vorteile, die Versicherungsderivate als Alternative zu traditioneller Rückversicherung und CAT-Bonds zu einem attraktiven Kapitalmarktprodukt des Alternativen Risikotransfers machen können.
1060
Die ähnlich strukturierten Wetterderivate verzeichnen seit der Einführung im Jahr 1997 ein rapides Wachstum und scheinen sich am Kapitalmarkt etablieren zu können. Vgl. Brockett, P. L., Wang, M. und Yang, C. (2005), S. 130 f.
Schlussbemerkungen
Ausgang der vorliegenden Abhandlung war die Frage, ob die Katastrophenrisiken angesichts der zunehmenden Anzahl von Katastrophenereignissen mit immer neuen Rekordschäden weiterhin von der privaten Versicherungswirtschaft versichert werden können und ob sich der Staat beim Versagen marktwirtschaftlicher Lösungen (= Nichtversicherbarkeit) an der Versicherung von Katastrophenrisiken beteiligen soll. In der vorliegenden Arbeit wurden verschiedene Konzepte dargestellt, wie die Versicherbarkeit von Risiken anhand von Versicherbarkeitskriterien definiert werden soll. Es hat sich gezeigt, dass die Grenzen der Versicherbarkeit von Risiken nicht immer klar umrissen sind. Je nach dem gewählten Ansatz kann man zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Versicherbarkeit von Risiken kommen. Gerade die hier diskutierten Katastrophenrisiken (Natur- und Man-made-Katastrophen), die ein gewaltiges Schadenpotenzial mit sich bringen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit schwer einzuschätzen sind, stellen die private Versicherungswirtschaft vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Diese Risiken befinden sich zweifellos im Graubereich der Versicherbarkeit und werden in manchen Fällen von der privaten Versicherungswirtschaft nicht mehr gedeckt. Es stellt sich in diesem Kontext die Frage, durch welche Maßnahmen die Grenzen der Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken erweitert werden können. Die Praxis hat gezeigt, dass die private Versicherungswirtschaft selbst über Instrumente zur Erweiterung der Grenzen der Versicherbarkeit verfügt, welche die zunächst als unversicherbar erscheinenden Risiken derart verändern, dass sie anschließend den Kriterien der Versicherbarkeit genügen. Hierzu zählen v. a. die folgenden Möglichkeiten.
x Anpassung der Versicherungsbedingungen Selbstbehalte und Eigenbeteiligungen auf Seiten des Versicherungsnehmers reduzieren das moralische Risiko und bieten den Anreiz, potentielle Schäden zu vermeiden bzw.
408
Schlussbemerkungen
zu begrenzen. Ein Selbstbehalt ist der Betrag, den der Versicherte selbst zahlen muss, bevor der Versicherer eine Schadenersatzzahlung aufgrund des versicherten Risikos leistet. Bei einer Eigenbeteiligungs- oder Mitversicherungsbestimmung hat der Versicherer lediglich einen bestimmten Anteil am Gesamtversicherungsschaden zu zahlen, während der Rest vom Versicherten getragen wird. Mit Hilfe von Selbstbehalten und Eigenbeteiligungen können die Interessen von Versichertem und Versicherern besser in Einklang gebracht werden. Dadurch wird der Anreiz für den Versicherten vermindert, sein Verhalten nach Abschluss der Versicherung zuungunsten des Versicherers zu ändern. Darüber hinaus macht eine vertraglich festgelegte Vereinbarung über die Deckungsgrenzen aus nicht quantifizierbaren Ausgangsrisiken bekannte Höchstschäden, die sich besser durch mathematische Modelle abschätzen lassen.1061 Außerdem kann ein vorsichtiges Underwriting1062 die Negativselektion reduzieren und stellt sicher, dass für jedes Risiko eine adäquate Prämie berechnet wird. Mit Hilfe regelmäßiger Preisanpassungen kann ein Versicherer auf die jeweilige Schadenserfahrung und das Änderungsrisiko schnell reagieren.
x Kapazitätserweiterung durch Rückversicherung Rückversicherung verschafft den Erstversicherungsunternehmen zusätzliche Kapazität. Durch die Stabilisierung der versicherungstechnischen Ergebnisse, die Reduzierung des Durchschnitts- und Höchstschadens und die Freisetzung von Eigenkapital ermöglicht eine Rückversicherung die Deckung von Großrisiken, welche die Kapazitäten des einzelnen Erstversicherers übersteigen. Wenn ein Erstversicherer Risiken an einen Rückversicherer abgibt, kann er ohne zusätzliches Eigenkapital weitere Risiken übernehmen. So spielt die Rückversicherung über die Risikoteilung eine wichtige Rolle für die Versicherbarkeit von Katastrophenrisiken, die durch eine hohe Ungewissheit des Schadeneintritts und ein erhebliches Schadenpotenzial gekennzeichnet sind.1063 Darüber hinaus versichern Rückversicherer in der Regel Risiken von Erstversicherern aus den verschiedenen Teilen der Welt. Aufgrund dieser geografischen Diversifizierung ihrer Risikoportefeuilles sind die Rückversicherer für die Übernahme von Großri-
1061 1062
1063
Vgl. Benzin, A. (2005), S. 734. Vorsichtiges Underwriting bedeutet, dass aktiv eine Risikoselektion vorgenommen und nicht jedes Risiko versichert wird. Vgl. Pohlhausen, R. (2001), S. 1933.
Schlussbemerkungen
409
siken besser gerüstet als ein Erstversicherer. Rückversicherung trägt mit der weltweiten Risikopoolung dazu bei, dass der für die Versicherungswirtschaft lebensnotwendige Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit besser funktioniert.
x Übertragung von Katastrophenrisiken auf Kapitalmärkte Die Verbriefung von Risiken ist eine weitere wichtige Möglichkeit, die Zeichungskapazitäten der privaten Versicherungswirtschaft zu erweitern, da mit der Verbriefung auf versicherungsexterne Kapitalquellen zurückgegriffen wird.1064 Dadurch erhöht sich die Verfügbarkeit von Deckungen für schwer zu versichernde Risiken. Bei der Verbriefung werden die Versicherungsrisiken in Katastrophenanleihen bzw. Versicherungsderivate umgewandelt, die anschließend an Investoren auf den internationalen Kapitalmärkten abgegeben werden. Wie die Rückversicherung stellt auch die Verbriefung für die Erstversicherer eine zusätzliche Kapazitätsquelle dar. Das wichtigste Argument für die Verbriefung von Versicherungsrisiken ist das gewaltige Volumen des Marktes für festverzinsliche Wertpapiere, insbesondere in den Bereichen Strukturierte Finanzierung, Asset-Backed Securities und Hypothekaranleihen (Mortgage-backed Securities), die in den letzten Jahren sogar ein höheres Emissionsvolumen zu verzeichnen hatten als klassische Unternehmensanleihen. Darüber hinaus sind nach herrschender Meinung Versicherungsrisiken mit den üblichen Risiken der Kapitalanlagen in der Regel nicht bzw. nur schwach korreliert, so dass sich hierdurch Diversifikationsmöglichkeiten ergeben könnten. Allerdings haben sich die Instrumente der Verbriefung bisher am Markt kaum durchsetzen können.1065 Sie werden meiner Meinung nach wohl auch in der Zukunft ein Nischendasein führen. Der Hauptgrund für den bisher bescheidenen Erfolg der Verbriefung liegt meines Erachtens nicht in den relativen hohen Transaktionskosten oder im geringen Bekanntheitsgrad oder in der fehlenden Bewertungsmethodik, wie dies in der Literatur vielfach behauptet wird. Die wesentliche Ursache für die ausbleibende Marktdurchdringung von Cat Bonds und Versicherungsderivaten ist meiner Ansicht nach eher von versicherungsmathematischer Natur und beruht auf der beschränkten Gültigkeit des Gesetz der großen Zahlen.
1064 1065
Vgl. Araya, R. (2005), S. 172. Vgl. Woo, G. (2005), S. 92.
410
Schlussbemerkungen
Bei der Verbriefung wird lediglich ein Risiko (z.B. Sturm, Erdbeben oder Terrorismus) für eine relativ kurze Zeit (meist ein Jahr) übertragen, so dass ein Ausgleich im Kollektiv und in der Zeit kaum möglich ist. Gerade der Ausgleich im Kollektiv und in der Zeit ist aber eine zwingende Voraussetzung dafür, dass Versicherungsverträge zustande kommen und Versicherungsmärkte entstehen. Da der Risikoausgleich bei der Verbriefung kaum funktioniert, d.h. das Risiko wird durch den Risikotransfer kaum kleiner, müssen die Investoren einen entsprechend hohen Risikoaufschlag verlangen, der insgesamt dazu führt, dass die Risikoverbriefung teurer als die klassischen Rückversicherungslösungen ist und damit unattraktiv wird. Aufgrund dieser Kostennachteile werden die Instrumente des Risikotransfers durch Verbriefung die Rückversicherung auch in Zukunft höchstens ergänzen, aber nicht ersetzen können.
x Staatliche Versicherungslösungen Wenn sich ein Katastrophenrisiko mit einem gewaltigen und schwer schätzbaren Schadenpotential nicht mehr über den privaten Versicherungsmarkt versichern lässt, können die Grenzen der Versicherbarkeit dadurch erweitert werden, dass der Staat im Rahmen seiner ordnungspolitischen Aufgaben Versicherungskapazitäten bereitstellt bzw. Maßnahmen ergreift, welche die Verfügbarkeit von Versicherungsschutz verbessern. In diesem Sinne haben viele Länder staatliche Programme ins Leben gerufen, um die Verfügbarkeit von Versicherung von Katastrophenrisiken sicherzustellen, die der Privatsektor nicht vollständig deckt, darunter Katastrophen- und Terrorismusrisiken.1066 Der Staat kann dabei als Versicherer oder als Rückversicherer auftreten und Versicherungsschutz direkt an den Versicherungsnehmer gewähren. Staatliche Eingriffe können aber auch durch Festlegung von Rahmenbedingungen, wie z.B. Festlegung von Haftungsobergrenzen oder Versicherungspflicht, erfolgen. Dadurch werden die Katastrophenrisiken in ihrer Struktur derart verändert, dass sie von der privaten Versicherungswirtschaft gedeckt werden können.1067 Dank seiner hoheitlichen Möglichkeit, Steuern zu erheben, kann der Staat als Versicherer der letzten Instanz besser mit Extremschäden umgehen. Die Verteilung des Risikos auf die gesamte Gesellschaft würde die Risikogemeinschaft stark erweitern und
1066 1067
Vgl. Freeman, P. K. und Scott, K. (2005), S. 200 ff. In dieser Funktion betätigt sich der Staat al „Underwriter“, der die Versicherungsbedingungen festlegt. Vgl. Freeman, P. K. und Scott, K. (2005), S. 199.
Schlussbemerkungen
411
damit den Risikoausgleich im Kollektiv verbessern. Dadurch werden bezahlbare Versicherungsprämien ermöglicht. Wirtschaftlich lässt sich eine solche staatliche Maßnahme damit rechtfertigen, dass die Schaffung angemessener und effektiver Versicherungsprogramme dem Allgemeinwohl dient.1068 Allerdings dürfen die staatliche Haftungsgarantien nicht dazu führen, bestimmte Branchen einseitig zu subventionieren und Versicherungsnachfrage dort zu generieren, wo sie bei einer risikogerechten Prämie nicht bestehen würde.1069 Dies würde zu Fehlallokationen von Risiken führen. Zum Schluss sollen zwei Argumente deutlich hervorgehoben werden, wieso der staatliche Eingriff bei der Versicherung von Katastrophenrisiken aus meiner Sicht erforderlich und wünschenswert ist.
x Fehlende Schätzbarkeit von Katastrophenrisiken Ein wichtiges Kriterium für die Versicherbarkeit von Risiken ist die Schätzbarkeit. Um eine für das Risiko angemessene Prämie berechnen zu können, muss die Wahrscheinlichkeit des Eintritts und das Ausmaß des Schadens für den Versicherer quantifizierbar sein. Gerade bei low-frequency/high-severity-Risiken unterliegen die Abweichungen von Schadenhäufigkeit und Schadenausmaß von Katastrophenereignissen im Laufe der Zeit extremen Schwankungen. Eine akkurate Schätzung der möglichen Verluste ist bei Natur- bzw. Man-made-Katastrophen äußerst schwierig, da die Einflussfaktoren von vielfältiger Natur und teilweise auch unbekannt sind, so dass eine Schätzung des Verlustpotentials nur mit großer Unsicherheit erfolgen kann. Diese fehlende Schätzbarkeit von Katastrophenrisiken – bedingt durch die geringe Schadenhäufigkeit und das hohe Schadenpotential – führt dazu, dass die Versicherungsunternehmen einen entsprechend hohen Risikozuschlag bei der Prämienberechnung verlangen müssen. Die Prämien können in diesem Fall so hoch ausfallen, dass sie für eine Mehrheit der Versichertengemeinschaft unbezahlbar werden. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Luftfahrtshaftpflichtversicherung. Kurz nach den Anschlägen am 11. September 2001 konnte die neue Bedrohung im Luftverkehr von der Versicherungswirtschaft kaum eingeschätzt werden mit der Folge, dass die Versicherungsunternehmen kurzfristig die bestehenden Haftpflicht-Verträge kündigten und bei geringeren Deckungssummen das Zehnfache an Versicherungsprämien verlangten.
1068 1069
Vgl. Nell, M. (2001), S. 5 f. Vgl. Benzin, A. (2005 a), S. 125 ff.
412
Schlussbemerkungen
Aufgrund dieser kurzfristigen Unsicherheiten bezüglich des neuen Schadenpotentials hat die Bundesrepublik Deutschland den Fluggesellschaften eine vorübergehende Haftungsgarantie gewährt. Eine solche übergangsweise Gewährung staatlicher Haftungszusagen ist grundsätzlich sinnvoll, um den Luftverkehr aufrechtzuerhalten und die Nachteile des sonst drohenden Kollapses der Luftfahrtsindustrie für die Volkswirtschaft abzuwenden. In der so gewährten „Atempause“ können die Verhandlungspartner die notwendige Zeit gewinnen, um die neue Risikosituation zu überdenken und geeignete Lösungsalternativen zu erarbeiten, die angemessene und bezahlbare Prämien ermöglichen. Damit es jedoch nicht zu einer einseitigen Subventionierung einer bestimmten Branche und den damit verbundenen Allokationsineffizienzen kommt, muss die staatliche Haftung zeitlich begrenzt sein. Mit der zeitlichen Begrenzung des staatlichen Engagements soll sichergestellt werden, dass die Kosten des Terrorismusrisikos im Luftverkehr internalisiert werden. Die staatliche Haftungsübernahme darf nicht dazu verleiten, dass die Wirtschaftssubjekte zu riskante Handlungen vornehmen, nur weil Versicherungsschutz existiert.1070
x Beschränktes Haftungskapital Ein weiteres Argument für den staatlichen Eingriff in die Versicherungsmärkte liegt in der Tatsache, dass das Haftungskapital und die Kreditwürdigkeit der privaten Versicherungsunternehmen in der Regel beschränkt sind.1071 Katastrophenereignisse passieren zwar selten (vielleicht einmal in zehn oder hundert Jahren), aber wenn sie eintreten, sind enorme Schäden von der Versicherungswirtschaft zu begleichen. In einem solchen Fall reicht das gesamte jährliche Prämienaufkommen aus den betroffenen Versicherungssparten vielfach nicht aus, um die Versicherungsleistungen zu decken. Dies bedeutet, dass der Risikoausgleich im Kollektiv bei Katastrophenrisiken in der Regel nur bedingt funktionieren kann. Eine Lösung für den fehlenden Risikoausgleich im Kollektiv stellt der Risikoausgleich in der Zeit dar. Hierin liegt jedoch das Problem des beschränkten Haftungskapitals der privaten Versicherungsbranche. Wenn ein Katastrophenereignis mit einem enormen Schadenausmaß stattgefunden hat, kann dies zum Konkurs der betroffenen Versiche-
1070 1071
Vgl. Nell, M. (2001), S. 7. Vgl. Gollier, C. (2005), S. 28.
Schlussbemerkungen
413
rungsunternehmen führen, wenn diese nicht genügend Eigenkapital aufweisen bzw. nicht zusätzliches Kapital durch Fremdfinanzierung und Kapitalerhöhung beschaffen können. Durch den Konkurs der betroffenen Versicherungsunternehmen wird der Risikoausgleich in der Zeit unterbunden. Hier setzt sich der staatliche Handlungsbedarf an: Der Staat könnte aufgrund seiner Steuerhoheit und der damit verbundenen nahezu unbeschränkten Kreditwürdigkeit als Rückversicherer für die letzte Haftungsstrecke fungieren. Ein Beispiel hierfür ist die Extremus-AG, die Versicherungsdeckungen gegen Terrorismusrisiken anbietet. Bei dieser Art privat-staatlicher Versicherungslösung übernehmen die Erstversicherer die erste Haftungsstrecke. Für die darauf aufbauende zweite Haftungsstrecke sind die nationalen und internationalen Rückversicherer verantwortlich. Der Staat kommt als Rückversicherer letzter Instanz erst zum Zuge, wenn der verursachte Versicherungsschaden so hoch ausfällt, dass die beiden ersten Haftungsstrecken überschritten werden. Mit dieser privat-staatlichen Lösung soll das Konkursrisiko der Versicherungsunternehmen gemindert und gleichzeitig der Risikoausgleich in der Zeit verbessert werden. Auch hier muss sichergestellt werden, dass die staatliche Mithaftung als Rückversicherer für die letzte Haftungsstrecke risikoadäquat vergütet wird. Andernfalls würde es zu ungerechtfertigten Subventionen und einer ineffizienten Risikoallokation führen.
Anhang: Mathematische Methoden zur Risikomodellierung
Der Erfolg eines jeden Versicherungsunternehmens hängt maßgeblich von der Kenntnis des Schadenverlaufs ab. Daraus ergeben sich das Sicherheitsniveau und der Kapitalbedarf der Gesellschaft, sowie der Bedarf an Rückversicherung.1072 Die Modellierung der Schadenverteilung stellt somit das Grundgerüst jeder Versicherung dar. In diesem Abschnitt soll die Gesamtschadenverteilung mit Hilfe des Kollektiven Modells dargestellt werden.1073 Die kollektive Risikotheorie (Cramér H., Lundberg F.) löst sich von der isolierten Betrachtung jedes einzelnen Risikos und ersetzt sie durch Modelle, mit denen die Struktur des Versicherungsbestandes als Ganzes beschrieben wird. Die getrennte Betrachtung der Verteilung der Anzahl der auftretenden Versicherungsfälle – Schadenzahlverteilung – und der Verteilung der für die einzelnen Versicherungsfälle zu erbringende Leistung – Schadenhöhenverteilung – sind dabei die grundlegenden Ansatzpunkte des kollektiven Modells. 1074 Dadurch wird also bewusst auf die Information verzichtet, welcher Vertrag den Schaden verursacht hat, da sich in der Praxis gezeigt hat, dass auf diese Weise der Gesamtschaden weitaus besser prognostiziert werden kann.1075 Die Erklärung dafür liegt darin, dass nun die Beschränkung auf homogene Portfolios vermieden wird und deshalb auf eine größere Datenbasis zurückgegriffen werden kann.
1072 1073
1074 1075
Vgl. Mack, T (1997), S.75 In der Schadenversicherungsmathematik wird grundsätzlich zwischen dem Individuellen Modell und dem Kollektiven Modell unterschieden. Das individuelle Modell versucht, den Gesamtschaden von Einzelrisiken zu modellieren und dann durch Faltung zu einem Modell für den Gesamtschaden von Risikogruppen zu kommen. Das Kollektive Modell modelliert den Gesamtschaden einer Risikogruppe ausgehend von einem Modell für die Schadenzahl und einem Modell für die Schadenhöhe pro Schadenfall, wobei nicht auf die Einzelrisikoebene zurückgegriffen werden muss. Vgl. Drude, G. (1988), S.19. Vgl. Mack, T (1997), S.76.
416
Anhang: Mathematische Methoden zur Risikomodellierung
A.1 Modellierung der Schadenzahl Im Folgenden werden die Verteilungen vorgestellt, die zur mathematischen Modellierung der Schadenzahl eines Versicherungsbestandes geeignet sind.
x Binomialverteilung Betrachtet man die Schadenzahl N als die Summe Laplace-verteilter Zufallsvariablen, die nur die Werte 0 und 1 annehmen können, so ist N gemäß einer Binomialverteilung verteilt. Definition:
Eine Zufallsvariable N heißt binomialverteilt zu den Parametern p 0, 1 und n, falls gilt: (A.1)
PN
0, ° k ®§ n · k nk °¨¨ k ¸¸p 1 p , ¯© ¹
für k t n 1 für k
0,, n
Als Notation für die Binomialverteilung verwenden wir b(n, p) mit n т und p 0, 1 . Dabei entspricht der Parameter n der Größe des Portfolios (= Anzahl der Risiken im Versicherungsbestand). k bezeichnet somit die Anzahl der Schadenereignisse bei n versicherten Risiken.1076 Die Binomialverteilung eignet sich zur Modellierung der Schadenzahlverteilung für kleine, homogene Bestände. Für große Bestände ist sie dagegen ungeeignet, da die Varianz in diesen Fällen sehr klein ausfällt. Außerdem ist diese Verteilung nicht sehr anpassungsfähig, da nur ein Parameter, nämlich p, als Anpassungsparameter zur Verfügung steht. Die Binomialverteilung kann für kleine Werte von p sehr gut durch die sog. Poissonverteilung approximiert werden. Denn gerade kleine Werte von p, also Schäden, die nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit auftreten, kommen in der Versicherungsbranche, insbesondere bei Katastrophenrisiken, häufig vor.1077
1076
1077
Erinnert sei an folgende Eigenschaften der Binomialverteilung: E(N) = n·p und Var(N) = n·p (1 – p). Insbesondere ist die Wahrscheinlichkeit für Großschadenereignisse relativ gering, so dass in diesem Fall die Poissonverteilung zur Modellierung der Schadenzahl als geeigneter erscheint.
417
A.1 Modellierung der Schadenzahl
x Poissonverteilung Wir betrachten nun die Poissonverteilung zur Modellierung der Schadenzahlverteilung. Es ist die am häufigsten verwendete Verteilung der Schadenzahl im Kollektiven Modell.1078 Unter den drei recht allgemeinen Voraussetzungen ist N poissonverteilt1079: (1) Die Schadenzahlen in zwei disjunkten Teilintervallen des betrachteten Zeitraums sind voneinander unabhängig. (2) Es treten keine zwei oder mehr Schäden zum exakt gleichen Zeitpunkt ein. (3) Die Schäden treten nicht bevorzugt an bestimmten Zeitpunkten ein. (Stetigkeit der Intensitätsfunktion) Definition:
Eine Zufallsvariable N heißt poissonverteilt zum Parameter Ȝ > 0 (Intensität), falls gilt: (A.2)
P N
k
On O e k!
für k т
Die ersten beiden Momente (Erwartungswert und Varianz) der Poissonverteilung lauten (A.3)
EN Var N O .
Die drei oben genannten Voraussetzungen können in der Praxis größtenteils als erfüllt angesehen werden.1080 Bei kleinen Portefeuilles scheint Vorraussetzung (1) zunächst nicht erfüllt zu sein, da bei vielen Sparten die Schadenwahrscheinlichkeit für einige Zeit sinkt, wenn kurz zuvor ein Schaden eingetreten ist. Dies kann verschiedene Gründe haben wie zum Beispiel, dass nach Eintritt eines Schadens kurzzeitig die Schadenverhütungsmaßnahmen so lange erhöht werden, bis der Versicherungsnehmer nach einigen Perioden ohne Schadenereignisse wieder nachlässiger wird. Ein anderer Grund wäre, dass ein Auto, das sich gerade in Reparatur befindet, nicht in einen Unfall verwickelt werden kann. Dieses Problem wäre theoretisch leicht durch eine Volumenkorrektur zu beheben, indem man ein Risiko während der Zeit, in der kein Schaden eintreten kann, nicht zum Volumen zählt. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass die Auswirkungen dieses Problems bei einem hinreichend großen Portefeu1078 1079 1080
Vgl. Riedle, M. (2005), S. 18. Vgl. Mack, T. (1997), S. 76. Vgl. Mack, T. (1997), S.77.
418
Anhang: Mathematische Methoden zur Risikomodellierung
ille so gering sind, dass die Durchführung einer Volumenkorrektur vernachlässigt werden kann.1081
x Poissonmischung-Verteilung Die Praxis steht aber oft im Widerspruch zu obigem Poisson-Modell, gerade wenn man ein Portfolio über mehrere Perioden betrachtet. Es können dann oszillatorische Schwankungen beobachtet werden, die gegen die zeitliche Konstanz des Parameters Ȝ sprechen. Dieses Phänomen ist in den äußeren Bedingungen zu suchen. Jeder Versicherungszweig ist dabei eigenen Einflussfaktoren ausgesetzt.1082 Beispielsweise führen regenarme Sommer bzw. glatteisreiche Winter zu einem Anstieg der Feuerschäden bzw. zu mehr Unfällen in der Kfz-Haftpflichtversicherung, genauso wie regenreiche Sommer und Winter mit wenig Glatteis das Gegenteil bewirken. Solche oszillatorische Schwankungen um die mittlere Schadenzahl können mit der sog. Poissonmischung modelliert werden:1083 Definition:
Es sei F eine Verteilung auf ъ+. Dann wird durch (A.4)
P N
k :
f
k
W ³ k! e FdW für W
k т0
0
die Poissonmischung bezüglich des Mischungsmaßes F definiert. F wird auch als Strukturfunktion bezeichnet. Mittels Monte-Carlo-Simulation kann man zeigen, dass es sinnvoll ist, für die Struktur-Funktion die Gammaverteilung zu wählen.1084 Lemma:
Gegeben sei eine gemischte Poissonverteilung mit der Gammaverteilung als Strukturfunktion F. Dann ist die gemischte Poissonverteilung gerade die negative Binomialverteilung.
1081 1082 1083 1084
Vgl. Mack, T. (1997), S. 77. Vgl. Mack, T. (1997), S. 79. Vgl. Riedle, M. (2005), S. 21. Vgl. Sobol, I. M. (1991), S. 28.
419
A.1 Modellierung der Schadenzahl
Beweis:
Es sei f für x ъ+ die Dichte der Strukturfunktion
f x
c J cx J 1 e x . Dann gilt für * J
jedes k т: P N
k EPN
k | W
f W ³e
0
W k c J cW J 1 e W dW k! *J
f
cJ e Wc1 W k J 1dW k!*J ³0
c J *J k 1 c e W c1 W k J 1dW k!*J 1 c J k ³0 *J k Jk
f
* J k c J k!*J 1 c J k J
§ J k 1·§ c · § 1 · ¨¨ ¸¸¨ ¸ ¸ ¨ © k ¹© 1 c ¹ © 1 c ¹
k
Das entspricht gerade einer negativen Binomialverteilung mit Parametern p
c 1 c
und r = Ȗ, was in der folgenden Definition deutlich wird.
x Negative Binomialverteilung Definition:
Eine Zufallsvariable N heißt negativ-binomialverteilt zu den Parametern p 0, 1 und r > 0, falls (A.5)
PN
§ k r 1· r k ¸¸ p 1 p k ¨¨ k © ¹
für k т0.
Die negative Binomialverteilung dient ebenfalls wie die Poissonverteilung im Kollektiven Modell sehr häufig als Modellierung der Schadenzahl. Diese Verteilung hängt im Gegensatz zu den zuvor genannten von zwei Parametern ab und kann deshalb besser an gegebene Daten angepasst werden.
420
Anhang: Mathematische Methoden zur Risikomodellierung
Eine weitere Verteilung, die man oft im Versicherungswesen benutzt, ist die PoissonInverse-Gaußverteilung, die sich als Poissonmischung mit der inversen Gaußverteilung als Strukturfunktion ergibt.1085 Der folgende Satz ist nützlich, wenn die Schadenzahlverteilung einer Zufallsvariable N zu einem aus Teilbeständen zusammengesetzten Portfolio berechnet werden soll, und die Schadenzahlverteilungen der Teilbestände bekannt sind. Möchte man über den gesamten Zeitraum die Verteilung der Schadenzahlen ermitteln, kann so der betreffende Bestand simultan aus mehreren Teilbeständen zusammengesetzt sein oder die Verteilungsparameter können zeitlich variieren. Vorausgesetzt wird jeweils, dass die Teilbestände voneinander unabhängig sind.1086 Satz:
Es sei k т , k ! 1 , und N1,...,Nk seien Schadenzahl-Zufallsvariablen, die sämtlich unabhängig und identisch verteilt seien, und zwar entweder a) für jedes 1 i k ist Ni poissonverteilt mit dem Parameter Ȝi oder b) für jedes 1 i k ist Ni binomialverteilt mit den Parametern ni und p oder c) für jedes 1 i k ist Ni negativ binomialverteilt mit den Parametern ri und p. k
Dann gilt N
¦N
i
ist
i 1
k
a) poissonverteilt mit Parameter O
¦O
i
oder
i 1
k
b) binomialverteilt mit den Parametern p und n
¦n
i
oder
i 1
k
c) negativ binomialverteilt mit den Parametern p und r
¦r
i
.
i 1
Beweis:
a) Für jedes 1 i k sei Mi die momenterzeugende Funktion der Ni, M die momenterzeugende Funktion von N. Dann gilt
1085 1086
Vgl. Riedle, M. (2005), S. 22. Vgl. Wolfsdorf, K. (1988), S. 76.
421
A.1 Modellierung der Schadenzahl M t
k
k
M t expO e i
i 1
i
i 1
t
§ k · 1 exp¨ ¦ O i e t 1 ¸ . ©i1 ¹
Die Behauptung folgt aus der Eindeutigkeit der momenterzeugenden Funktion. Völlig analog können b) und c) gezeigt werden. Zum Ende dieses Abschnitts über die Schadenzahl soll noch ein Beispiel folgen, in dem ex post die Poissonverteilung und die negative Binomialverteilung an gegebene Daten angepasst werden.
x Beispiel für die Modellierung der Schadenzahl Im Folgenden sei ein Bestand eines Kfz-Haftpflicht-Versicherers gegeben. 1087 Da Varianz und Erwartungswert bei der Poissonverteilung gleich sind, kann Ȝ = E(N) = Var(N) mit dem Stichprobenmittel oder der Stichprobenvarianz geschätzt werden. Somit ergeben sich zwei relevante Werte für den Parameter der Poissonverteilung, die mit Ȝ1 und Ȝ2 bezeichnet werden sollen. Um die Parameter für die negative Binomialverteilung zu schätzen, ist hier die Momentenmethode der Maximum-LikelihoodMethode vorzuziehen. Auf die Schätzung der Parameter soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. Es ergibt sich folgende Abbildung:
Anzahl k Schäden
Poisson: Ȝ1
Poisson: Ȝ2
Neg.-Bin.
beobachtet
0
102.630
100.178
103.761
103.704
1
15.922
17.964
13.927
14.075
2
1.235
1.611
1.874
1.766
3
64
96
252
255
4
2
4
34
45
5
0
0
5
6
6
0
0
1
2
119.853
119.853
119.853
119.853
Gesamtbestand
Abbildung A.1: Schätzung der Schadenzahl
1087
Vgl. Wolfsdorf, K. (1988), S. 88 ff.
422
Anhang: Mathematische Methoden zur Risikomodellierung
Die Poissonverteilung gibt mit diesen Parametern die tatsächliche Verteilung nur ungenügend wieder. Zum einen werden die Risiken mit zwei und mehr Schäden unterschätzt, zum anderen wird auch die Anzahl der schadenfreien Risiken unterschätzt. Wie anzunehmen war, lässt sich die negative Binomialverteilung wegen ihrer zwei Parameter weitaus besser an die Daten anpassen als die Poissonverteilung. So kann in diesem Beispiel schon eine recht gute Anpassung mit der negativen Binomialverteilung erzielt werden.
A.2 Modellierung der Schadenhöhe Unter der Bedingung, dass sich die äußeren Einflüsse, wie z.B. Inflation, nur unwesentlich ändern, sind die Zufallsvariablen Schadenhöhe pro Schadenfall identisch und unabhängig verteilt. Während die Annahme der Unabhängigkeit ziemlich unproblematisch ist, erscheint jedoch die identische Verteilung wegen den unterschiedlichen Schadenhöhen unrealistisch. Da es im Kollektiven Modell keine Rolle spielt, welches Risiko welche Schadenhöhe bewirkt, sondern es nur um die Gesamtheit der Schäden für ein bestimmtes Portefeuille in einem bestimmten Zeitraum geht, kann man sich hier problemlos auf den Standpunkt stellen, dass alle eintretenden Schäden Stichproben einer einzigen Verteilung sind. Diese Verteilung stellt dann eine Mischverteilung aus den einzelnen verschiedenen Schadenhöhenverteilungen dar.
x Relevante Verteilungen Obwohl diese gemischte Schadenhöhenverteilung von Sparte zu Sparte und von Portfolio zu Portfolio verschieden ist, hat sich dennoch gezeigt, dass die Schadenstruktur in allen Branchen große Ähnlichkeit besitzt. 1088 Typischerweise hat die empirische Schadenhöhenverteilung folgende Charakteristika: ¾ Sehr kleine Schäden treten relativ selten auf, was sich z.B. so erklären lässt, dass Versicherungsnehmer solche Schäden dem Versicherer gar nicht melden, oder dass bei fälligen Reparaturarbeiten minimale Fixkosten anfallen. ¾ Mittelgroße Schäden treten besonders oft auf.
1088
Vgl. Mack, T. (1997), S. 84 f.
A.2 Modellierung der Schadenhöhe
423
¾ Sehr große Schäden sind wiederum selten.
Oft steigt also die Schadenhöhenverteilung bis zu einem bestimmten Punkt an und fällt danach wieder ab. Möchte man eine solche Kurve durch eine Dichte modellieren, so sind daher unimodale Dichten, also Dichten mit nur einer lokalen Maximumsstelle, von besonderem Interesse, die zumeist zusätzlich als nur positiv angenommen werden.
Abbildung A.2: Idealtypische Schadenhöhenverteilung mit unimodalen Dichten
Bevor man allerdings nach geeigneten Dichten für die Schadenhöhe sucht, soll an dieser Stelle betont werden, dass es für viele Fragestellungen nicht zweckmäßig ist, einfach die empirische Verteilung zu benutzen.1089 Dagegen spricht nämlich, dass die empirische Verteilung den rechten Tail, also den Großschadenbereich, wegen des dort zu kleinen Stichprobenumfangs nicht zutreffend darstellt, sondern z.B. höhere Schäden als beobachtet gar nicht zulässt.1090 Liegen zudem die Daten der empirischen Verteilung in gruppierter Form vor, so kann nichts über die Verteilung innerhalb der Gruppe
1089 1090
Vgl. Burnecki, K., Misiorek, A. und Weron, R. (2005), S. 292. Aus diesem Grund ist die empirische Methode nur geeignet, wenn ein genügend großer Versicherungsbestand vorliegt. Dies ist bei Katastrophenereignissen oft nicht der Fall. Ein JahrhundertHochwasser passiert statistisch gesehen eben nur einmal in Hundert Jahren, so dass in solchen Fällen oft nicht genügend statistische Daten vorhanden sind.
424
Anhang: Mathematische Methoden zur Risikomodellierung
ausgesagt werden. Das bedeutet, dass man interpolieren müsste und somit gleich auf ein stetiges Verteilungsmodell zurückgreifen kann.1091 In der Praxis ist es wichtig, dass durch analytische Methoden, ein Verteilungsmodell für die Schadenhöhe zu bestimmen, mit dem besonders der Bereich der Katastrophenschäden gut angenähert wird.1092 Diese treten zwar selten auf, nehmen aber einen hohen Anteil am Gesamtschaden ein. Es stellt sich also stets das Problem, dass in diesem ökonomisch sehr wichtigen Teil die mit Abstand wenigsten Beobachtungen vorliegen.1093 Durchaus typisch für logarithmierte empirische Verteilungen ist, dass sie im Großschadenbereich, also rechts vom Mittelwert, einen annähernd linearen Verlauf mit Steigungen zwischen –1 und –3 besitzen. Ist also f(x) die Dichtefunktion zur Schadenhöhe x, so muss für große x gelten:1094 3
dln f x 1 . d ln x
Diesen Quotienten bezeichnet man als Gefälle g. Die folgenden Verteilungen eignen sich zur Modellierung der Schadenhöhe und werden demnach auch in der Praxis verwendet.1095
x Gammaverteilungen Die Dichte der Gammaverteilung ī(a, Ȝ) hat folgende Gestalt: (A.6)
1091 1092 1093 1094 1095
f x O a x a 1
e Ox , mit a ! 0, O ! 0 . *a
Vgl. Mack, T. (1997), S. 86 und Burnecki, K., Misiorek, A. und Weron, R. (2005), S. 289. Vgl. Burnecki, K., Misiorek, A. und Weron, R. (2005), S. 289 f. Vgl. Mack, T. (1997), S. 89. Vgl. Mack, T. (1997), S. 89. Vgl. Burnecki, K., Misiorek, A. und Weron, R. (2005), S. 292 ff.
A.2 Modellierung der Schadenhöhe
Abbildung A.3: Dichte der Gammaverteilung für verschiedne Parameterkonstellationen
Man erhält mit ihrer Loglikelihoodfunktion ln f x
a 1 ln x Ox const
das auf ln(x) bezogene Gefälle
425
426
Anhang: Mathematische Methoden zur Risikomodellierung
(A.7)
g x
d ln f x 1 a Ox , d ln x
das linear mit x und daher exponentiell mit ln(x) wächst. Deshalb ist die Gammaverteilung allenfalls für den Kleinschadenbereich geeignet.
x
Lognormalverteilung
Die Lognormalverteilung hat die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion:1096 (A.8)
f x
§ lnx P 2 exp¨¨ 2V 2 x 2SV © 1
2
· ¸ ¸ ¹
§ lnx · ¸ mit den Momenten © V ¹
sowie die Verteilungsfunktion Fx )¨ E X k expkP k 2 V 2 / 2
Daraus erhält man den Erwartungswert EX expP V 2 / 2
und die Varianz
VarX exp 2 P V 2 exp V 2 1 .
Aus der Loglikelihoodfunktion ln f x const ln x
ln x a 2 2b
lässt sich das Gefälle (A.9)
g x 1
ln x b2
ableiten, das linear mit ln(x) wächst und daher das gewünschte Ergebnis liefert. In der Praxis wird die Lognormalverteilung auch häufig zur Anpassung der Schadenhöhen von Einzelschäden genommen. Sie besitzt einen realistischeren Verlauf als die Normalverteilung, da bei ihr sehr große Schäden zwar eine geringe, jedoch eine positive
1096
Vgl. Burnecki, K., Misiorek, A. und Weron, R. (2005), S. 292 f.
A.2 Modellierung der Schadenhöhe
427
und höhere Wahrscheinlichkeit als bei der Normalverteilung aufweisen. Für kleine ı ähnelt sie der Normalverteilung.
Abbildung A.4: Dichte der Log-Normalverteilung
428
Anhang: Mathematische Methoden zur Risikomodellierung
x Weibull-Verteilung § § x ·D · Fx 1 exp¨ ¨ ¸ ¸ , ¨ ©b¹ ¸ © ¹
sowie die zugehörige Dichtefunktion: (A.10)
§ D ·§ x · f x ¨ ¸¨ ¸ © b ¹© b ¹
D 1
§ § x ·D · exp¨ ¨ ¸ ¸ ¨ ©b¹ ¸ © ¹
mit den Momenten
E Xk
k· § b k *¨1 ¸ D ¹ ©
Die Loglikelihoodfunktion ln f x const D 1 ln x x / b D liefert das Gefälle: g x 1 D D x / b . D
Man sieht hier, dass für die Anpassung an Großschäden Į < 1 sein muss, da sonst das Gefälle zu schnell wächst. Trotzdem neigt die Weibull-Verteilung dazu, Großschäden zu unterschätzen.1097 Manchmal wird die Dichtefunktion der Weibull-Verteilung auch in der Form: f(x) = c IJ x W1 exp(cx W ) angegeben.1098 Für 0 < IJ < 1 ist die Dichtefunktion der Weibull-Verteilung monoton fallend. Zur Abschätzung von Großschäden muss IJ kleiner als Eins sein, damit die Wahrscheinlichkeit für große Schadenhöhen nicht zu schnell gegen Null konvergiert (vgl. Abbildung A.5).
1097 1098
Vgl. Mack, T. (1997), S. 97. Vgl. Burnecki, K., Misiorek, A. und Weron, R. (2005), S. 298 f.
A.2 Modellierung der Schadenhöhe
Abbildung A.5: Dichte der Weibull-Verteilung
429
430
Anhang: Mathematische Methoden zur Risikomodellierung
A.3 Gesamtschadenmodellierung Beim Kollektiven Modell geht man von zwei grundlegenden Annahmen aus: x Schadenhöhe pro Schadenfall ist unabhängig und identisch verteilt, x Schadenhöhe ist unabhängig von der Schadenzahl. In manchen Fällen stellen diese Voraussetzungen jedoch eine deutliche Vereinfachung der Realität dar. Beispielsweise kann man im Winter bei Glatteis oft beobachten, dass bei einer relativ hohen Anzahl von Kfz-Unfällen gleichzeitig relativ niedrige Schäden auftreten. Dies könnte dazu führen, dass eine hohe Anzahl N von Schäden eine niedrige Höhe X von Schäden nach sich zieht. Das wäre dann eine Verletzung der obigen Annahme 2. In den meisten Fällen kann man aber das Kollektive Modell anwenden. Wie Mack behauptet, ist es „das grundlegende Modell der Risikotheorie und hat deren Entwicklung und Erfolg entscheidend mitgeprägt.“1099 Der Gesamtschaden wird mit den Zufallsvariablen N der Schadenzahl und Xi der zugehörigen Schadenhöhe dargestellt als N
(A.11)
S
¦X
i
.
i 1
Im nun folgenden Satz werden die beiden ersten Momente mit Hilfe der wahrscheinlichkeits- und momenterzeugenden Funktion hergeleitet. Satz:1100
Existiert die wahrscheinlichkeitserzeugende Funktion M N s für 0 d s d K mit Ș >1 und die momenterzeugende Funktion \ X t der Einzelschadenhöhen repräsentierenden Zufallsvariablen X für 0 d t d G mit G ! 0 , so gilt (A.12)
\ S t M N \ X t , t I ,
wobei I ein geeignetes, die Null enthaltendes Intervall bezeichnet mit der Eigenschaft, dass \ X I >0, K ist. Ist X diskret mit Werten in f, so gilt auch (A.13)
1099 1100
M S t M N M X t , t e t >0, 1@ .
Vgl. Mack, T. (1997), S. 107. Vgl. Pfeifer, D. (2004), S. 60 f.
431
A.3 Gesamtschadenmodellierung
Insbesondere existieren alle Momente des Gesamtschadens S, und es gilt (A.14)
E S E N E X
(A.15)
VarS EN VarX VarN EX . 2
Beweis:
Wähle IJ > 0 so klein, dass 0 d \ X W K . Das ist wegen lim \ X t 1 nach dem Satz t o0
von der majorisierten Konvergenz möglich. Mit der Wahl I f, W ist ein geeignetes Intervall I gefunden, da nach Voraussetzung über die Einzelschadenhöhen X > 0 gewählt werden kann. Für t I folgt nun aufgrund der gemachten Unabhängigkeitsvoraussetzungen: § § N ·· \ S t E¨¨ exp¨ t ¦ X k ¸ ¸¸ © k1 ¹¹ ©
P N
§ N E¨¨ e tX k ©k1
f
n
0 ¦ PN
f
f
P N
0 ¦ PN n 1
k 1
n \ X t
n
§ n n E¨¨ e tX k ©k1
f
PN 0 ¦ PN
n E e tX k
n 1
¦ P N
· ¸¸ ¹
· ¸¸ ¹
n \ X t
n
n 1
M N \ X t .
n 0
Bei diskretem X ergibt sich MS t \ S ln t M N \ X ln t M N M X t , t e t .
Für 0 d t d 1 ist ferner auch 0 d M X t Et X d 1 , so dass MS t auch für t >0, 1@ existiert. Man kann zeigen, dass die Momente existieren1101 und es gilt: ES \cS 0 McN \ X 0 \cX 0 McN 1 \cX 0 EN EX , VarS \ cSc 0 \cS 0
2
McNc \ X 0 \c0 McN \ X 0 \ cXc 0 ES 2
McNc 1 E X McN 1 \ cXc 0 E S 2
1101
Vgl. Pfeifer, D. (2004), S.56 f.
2
2
432
Anhang: Mathematische Methoden zur Risikomodellierung
ENN 1 EX EN E X 2 E N E X 2
EN EN EX 2
2
2
2
EN E X 2 E X
2
VarN EX EN VarX , 2
wie behauptet wurde. Mit Hilfe dieses Satzes kann man aus den bekannten Momenten der Verteilungen der Schadenzahl und Schadenhöhe auch die Momente der Gesamtschadenverteilung recht einfach bestimmen. Schwieriger ist es dagegen die Gesamtschadenverteilung selbst zu errechnen. Man bekommt zwar die Darstellung mit der Gesamtschadenverteilung (A.16)
G S PS d s
f
¦ P N n 0
n PS d s | N
n
f
¦ P N
n F*n s ,
n 0
wobei F(x) = P(X x) die Verteilungsfunktion von X ist und F*n ihre n-fache Faltung mit der Konvention F 0 x 0 für x 0 und F 0 x 1 für x t 0 . Ein explizites Ausrechnen dieser unendlichen Summe von Faltungspotenzen ist aber nur in sehr wenigen unrealistischen Fällen möglich.1102 Deshalb wird die Gesamtschadenverteilung normalerweise mit numerischen Verfahren approximiert.
1102
Vgl. Mack, T. (1997), S. 108.
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