Anja Steinbach Generationenbeziehungen in Stieffamilien
Anja Steinbach
Generationenbeziehungen in Stieffamilien Der ...
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Anja Steinbach Generationenbeziehungen in Stieffamilien
Anja Steinbach
Generationenbeziehungen in Stieffamilien Der Einfluss leiblicher und sozialer Elternschaft auf die Ausgestaltung von Eltern-Kind-Beziehungen im Erwachsenenalter
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Habilitationsschrift Technische Universität Chemnitz, 2009
. . 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17659-8
Inhalt
Abbildungsverzeichnis ........................................................................................9 Tabellenverzeichnis ...........................................................................................11 Danksagung .......................................................................................................13 1
Einleitung .............................................................................................15
1.1
Stieffamilien und Stiefkinder ................................................................18
1.2
Aufbau der Arbeit .................................................................................20
2
Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen.............................23
2.1
Klassische Modelle der Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen ..........................................................................................23
2.1.1
Das Modell intergenerationaler Solidarität ...........................................24
2.1.2
Das Modell intergenerationaler Ambivalenz ........................................32
2.2
Generationenbeziehungen in der Lebensverlaufsperspektive ...............39
2.2.1
Austauschtheorie ...................................................................................47
2.2.2
Value of Children ..................................................................................56
2.2.3
Soziobiologie ........................................................................................61
2.2.4
Bindungstheorie ....................................................................................69
2.3
Zusammenfassung und Integration bestehender Erklärungsansätze zur Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen ..........................................................................................79
6
Inhalt
3
Stand der Forschung: Generationenbeziehungen in Trennungs- und Stieffamilien ............................................................87
3.1
Beziehungsentwicklung ........................................................................91
3.1.1
Familiale Rekomposition ......................................................................93
3.1.2
Erziehungsverhalten ............................................................................100
3.2
Wohnentfernung..................................................................................105
3.3
Kontakthäufigkeit................................................................................113
3.3.1
Kontakthäufigkeit im Kindes- und Jugendalter...................................114
3.3.2
Kontakthäufigkeit im Erwachsenenalter .............................................123
3.4
Beziehungsqualität ..............................................................................129
3.4.1
Beziehungsqualität im Kindes- und Jugendalter .................................131
3.4.2
Beziehungsqualität im Erwachsenenalter ............................................137
3.5
Die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen ...................................141
3.6
Der Austausch von Unterstützungsleistungen .....................................148
3.6.1
Unterstützung im Kindes- und Jugendalter .........................................150
3.6.2
Unterstützung im Erwachsenenalter....................................................152
3.7
Zusammenfassung der bislang vorliegenden Ergebnisse zu Generationenbeziehungen in Trennungs- und Stieffamilien ...............159
4
Methodische Grundlagen .................................................................167
4.1
Der ‚Generations and Gender Survey‘ 2005 .......................................167
4.2
Die Erfassung und Verteilung der Relationen von Eltern und erwachsenen Kindern im GGS ............................................................169
5
Die Beziehungen von leiblichen Eltern und Stiefeltern zu ihren erwachsenen Kindern ........................................................177
5.1
Deskriptive Ergebnisse........................................................................178
Inhalt
7
5.1.1
Wohnentfernung..................................................................................180
5.1.2
Kontakthäufigkeit................................................................................184
5.1.3
Beziehungszufriedenheit .....................................................................190
5.1.4
Die Zustimmung zu familialen Normen ..............................................194
5.1.5
Zusammenfassung der deskriptiven Ergebnisse..................................197
5.2
Multivariate Ergebnisse ......................................................................198
5.2.1
Die Verteilungen der unabhängigen Einflussvariablen .......................199
5.2.2
Determinanten der Kontakthäufigkeit .................................................207
5.2.3
Determinanten der Beziehungszufriedenheit ......................................216
5.2.4
Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen .........................................................224
5.3
Zusammenfassung der Ergebnisse zum Einfluss der Familienstruktur auf die Ausgestaltung von Generationenbeziehungen ...................................................................232
6
Familienstrukturelle Einflüsse auf die Beziehungen von Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern ...............................237
6.1
Deskriptive Ergebnisse........................................................................238
6.1.1
Stiefväter und Stiefmütter ...................................................................238
6.1.2
Stiefeltern in unterschiedlichen Partnerschaftsformen ........................241
6.1.3
Stiefeltern mit und ohne eigene leibliche Kinder ................................243
6.1.4
Zusammenfassung der deskriptiven Ergebnisse..................................244
6.2
Multivariate Ergebnisse ......................................................................245
6.2.1
Die Verteilungen der zusätzlichen unabhängigen Einflussvariablen .................................................................................245
6.2.2
Determinanten der Kontakthäufigkeit von Stiefeltern ........................248
6.2.3
Determinanten der Beziehungszufriedenheit von Stiefeltern ..............254
8
Inhalt
6.3
Zusammenfassung der Ergebnisse zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen in Stieffamilien mit erwachsenen Stiefkindern .........................................................................................259
7
Zusammenfassung und Ausblick .....................................................263
7.1
Zusammenfassung der theoretischen Überlegungen zur Erklärung der Ausgestaltung von Generationenbeziehungen .............265
7.2
Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen in verschiedenen Familienformen mit erwachsenen Kindern .........................................270
7.3
Schlussfolgerungen und Ausblick .......................................................275
Literaturverzeichnis ........................................................................................281
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Revised Model of Structural Relations between Parent-Child Solidarity Constructs in Older Families .........27
Abbildung 2:
Diagramm bzw. Modell der Generationenambivalenz: Zuordnung von Handlungsmaximen und Beziehungslogiken ...............................................................34
Abbildung 3:
Typen intergenerationaler Beziehungen auf der Ebene emotionaler Beziehungsqualität ...........................................38
Abbildung 4:
Anordnung der Ressourcenklassen nach Foa und Foa .........50
Abbildung 5:
Die Zielhierarchie sozialer Produktionsfunktionen .............57
Abbildung 6:
Der Verwandtschaftskoeffizient r bei verschiedenen Verwandtschaftskombinationen ...........................................63
Abbildung 7:
Strukturelle Parallelität von Bindungstypen des Kindes in der ‚Fremden Situation‘ und Bindungsrepräsentationen der Bezugsperson im ‚Adult Attachment Interview‘ ..............................................75
Abbildung 8:
Der Anteil von befragten Elternteilen in ihren Relationen zu volljährigen Kindern, die außerhalb des Haushaltes leben ................................................................172
Abbildung 9:
Der Anteil von befragten Müttern und Vätern in ihren Relationen zu volljährigen Kindern, die außerhalb des Haushaltes leben ................................................................174
Abbildung 10:
Anzahl der erwachsenen Kinder, zu denen die befragten Elternteile Angaben gemacht haben ..................179
Abbildung 11:
Wohnentfernung nach der Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind.....................................181
Abbildung 12:
Kontakthäufigkeit nach der Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind.....................................185
10
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 13:
Der Anteil von Eltern und Stiefeltern, die ihre erwachsenen Kinder und Stiefkinder nie, seltener als einmal im Jahr oder einmal im Jahr sehen .........................188
Abbildung 14:
Beziehungszufriedenheit nach der Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind.....................192
Abbildung 15:
Zustimmung zu familialen Normen nach der Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind ..............195
Abbildung 16:
Theoretisches Modell des Zusammenhangs der Dimensionen intergenerationaler Beziehungen .................226
Abbildung 17:
Der Zusammenhang zwischen Zustimmung zu familialen Normen, Wohnentfernung, Kontakthäufigkeit und Beziehungszufriedenheit (alle Eltern) ................................................................................229
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
Constructing a Typology of Intergenerational Relations Using Five Solidarity Variables ...........................29
Tabelle 2:
Mögliche Relationen der Zielpersonen sowie der Partner zu erwachsenen Kindern und die sich daraus ergebenden Bezeichnungen für die befragten Elternteile...........................................................................170
Tabelle 3:
Wohnentfernung nach der Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind.....................................183
Tabelle 4:
Kontakthäufigkeit nach der Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind.....................................186
Tabelle 5:
Beziehungszufriedenheit nach der Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind.....................193
Tabelle 6:
Zustimmung zu familialen Normen nach der Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind ..............196
Tabelle 7:
Verteilungen der in die multivariaten Analysen mit allen Elternteilen eingehenden unabhängigen Variablen ...........................................................................200
Tabelle 8:
Regressionsmodelle zur Erklärung der Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (-Koeffizienten) .................................................212
Tabelle 9:
Regressionsmodelle zur Erklärung der Beziehungszufriedenheit zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (-Koeffizienten) ............................221
Tabelle 10:
Unterschiede nach dem Geschlecht des Stiefelternteils hinsichtlich verschiedener Aspekte intergenerationaler Beziehungen (Mittelwerte) ................................................240
12
Tabellenverzeichnis
Tabelle 11:
Unterschiede nach der Partnerschaftsform des Stiefelternteils hinsichtlich verschiedener Aspekte intergenerationaler Beziehungen (Mittelwerte) .................242
Tabelle 12:
Unterschiede nach dem Vorhandensein von eigenen leiblichen Kindern des Stiefelternteils hinsichtlich verschiedener Aspekte intergenerationaler Beziehungen (Mittelwerte) ................................................243
Tabelle 13:
Verteilungen der unabhängigen Variablen in Stieffamilien ......................................................................247
Tabelle 14:
Regressionsmodelle zur Erklärung der Kontakthäufigkeit zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern (-Koeffizienten) .....................251
Tabelle 15:
Regressionsmodelle zur Erklärung der Beziehungszufriedenheit zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern (-Koeffizienten) .....................257
Danksagung
Diese Arbeit stellt eine leicht überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift dar, die ich im November 2009 an der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften an der TU Chemnitz eingereicht habe. Eine solche Arbeit – auch wenn sie nach den Regeln der wissenschaftlichen Kunst selbstverständlich allein verfasst wurde – entsteht natürlich immer in einem Forschungszusammenhang. Voranstellen möchte ich meiner Danksagung deshalb den Hinweis, dass die Idee zum Thema dieses Buches im Rahmen meiner Arbeit im Beziehungs- und Familienentwicklungspanel (pairfam) entstanden ist. Da allerdings aus diesem Projekt bislang keine Daten zur Beantwortung der hier gestellten Fragen zur Verfügung standen, habe ich für meine Analysen auf den ‚Generations and Gender Survey‘ (GGS) zurückgegriffen. Gern bedanke ich mich für die Unterstützung der Verantwortlichen im Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Persönlich danken möchte ich darüber hinaus Bernhard Nauck. Ohne ihn wäre ich nicht dort, wo ich heute bin. Er hat sich in den vielen Jahren immer Zeit genommen, mit mir ausführlich über meine Arbeit zu sprechen und nicht nur einmal geholfen, gedankliche Konfusionen aufzulösen. Er hat darüber hinaus – und das ist im Wissenschaftsbetrieb nicht selbstverständlich – stets Verständnis gehabt für meine Situation als berufstätige Mutter von zwei Kindern. Bernhard Nauck hat mich in all den Jahren gefordert und gefördert, was manchmal sehr anstrengend war, aber rückblickend das Beste, was mir passieren konnte. Darüber hinaus möchte ich Johannes Kopp und Johannes Huinink danken. Beide haben durch ihr Nachfragen und ihre Anregungen dazu beigetragen, die Arbeit zu dem zu machen, was sie jetzt ist. Mit Rat und Tat haben mir aber auch meine Kollegen und Kolleginnen am Institut für Soziologie der TU Chemnitz zu Seite gestanden. Sie hatten immer eine offene Tür und ein offenes Ohr, um mit mir sowohl theoretische als auch methodische Probleme zu diskutieren. Ich danke (in alphabetischer Reihenfolge) Oliver Arránz Becker, Helen Baykara-Krumme, Daniel Fuß, Daniela Klaus, Daniel Lois und Elke Schröder. Für die Durchsicht des Manuskriptes in Lektoratsmanier danke ich außerdem Sylvia Kretzschmar und Jana Suckow. Für verbleibende Mängel jeder Art bin ich selbstverständlich allein verantwortlich. Schließlich möchte ich an dieser Stelle Frank Kleemann Dank sagen – für alles.
1
Einleitung
Das Thema der Ausgestaltung und Entwicklung von familialen Generationenbeziehungen hat in den letzten Jahren – vor dem Hintergrund veränderter demografischer Bedingungen – national wie international sehr viel wissenschaftliche und auch öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Dabei wurden die Arrangements zwischen den Generationen in verschiedenen (auch groß angelegten) Studien untersucht und die dringendsten Fragen hinsichtlich des Zusammenhaltes der Familienmitglieder geklärt. Die gefundenen empirischen Ergebnisse zeigen, dass sich die Angehörigen verschiedener Generationen einer Familie in der Regel bei Bedarf gegenseitig unterstützen, dass sie zumeist in regelmäßigem Kontakt stehen und dass die Beziehungsqualität überwiegend auf einem hohen Niveau liegt. Trotz dieser ersten Klärung der Frage nach dem Generationenzusammenhalt unter veränderten demografischen Bedingungen in modernen Gesellschaften und dem Verwerfen der These eines Verfalls der Familie sind dennoch viele Fragen offen. Das betrifft beispielsweise Fragen der Genese dieses offensichtlich relativ stabilen und starken Zusammenhalts von Familienmitgliedern wie auch Veränderungen in intergenerationalen Arrangements, die nur durch die Betrachtung von Beziehungsverläufen im Längsschnitt geklärt werden können. Ein weiterer Bereich, in dem große Defizite hinsichtlich des Wissensstandes zu verzeichnen sind, betrifft die Diversifikation familialer Strukturen und deren Auswirkungen auf intergenerationale Arrangements. Unter die Diversifizierung familialer Strukturen fallen eine Reihe von Phänomenen, wie die Abnahme der Kinder- und damit der Geschwisterzahlen, die Zunahme von alternativen Lebensformen wie Nichteheliche Lebensgemeinschaften und Living-Apart-Together-Beziehungen, aber auch Lebens- und Familienformen, die sich aufgrund der Auflösung partnerschaftlicher Beziehungen ergeben. Hierzu zählen insbesondere Alleinerziehende und Stieffamilien. Die verschiedenen partnerschaftlichen Konstellationen können dabei sowohl in der Eltern- als auch in der Kindergeneration auftreten und sich in Abhängigkeit davon, in welcher Generation sie zu beobachten sind, unterschiedlich auf die jeweilige Beziehungsgestaltung auswirken. Es soll den folgenden Ausführungen deshalb voran gestellt werden, dass der Fokus dieser Untersuchung ausschließlich auf dem Einfluss der Partnerschaftssituation der Elterngeneration auf die Eltern-Kind-Beziehung liegt. Im Vordergrund steht dabei ganz konkret die Frage, ob sich leibliche und soziale Eltern in der Gestaltung ihrer Beziehungen zu
16
Einleitung
erwachsenen Kindern voneinander unterscheiden und wenn ja, worauf diese Unterschiede zurückgeführt werden können. Darüber hinaus sollen auch Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zwischen Stiefeltern in verschiedenen Typen von Stieffamilien identifiziert und erklärt werden. Die Betrachtung von Trennungs- und Stieffamilien im Vergleich zu Familien, in denen die elterliche Partnerschaft Bestand hat, ist aus verschiedenen Gründen von besonderer Bedeutung für die Wissensgenese über die Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern. Falls tatsächlich statistisch abgesicherte Unterschiede zwischen getrennten und nicht getrennten Eltern sowie zwischen leiblichen und sozialen Eltern zu beobachten sind, kann in zukünftigen Untersuchungen zu familialen Generationenbeziehungen nicht mehr darauf verzichtet werden, darauf hinzuweisen, welchen Status das jeweils betrachtete Elternteil gegenüber dem erwachsenen Kind inne hat, da die Interpretation der Ergebnisse sonst zu falschen Schlussfolgerungen führt: Einerseits kann eine ausschließliche Konzentration auf leibliche Elternteile dazu beitragen, dass die intergenerationale Solidarität zwischen Eltern und erwachsenen Kindern insgesamt überschätzt und damit der Bedarf und die Bedeutsamkeit an sozialstaatlichen Unterstützungsleistungen womöglich unterschätzt wird. Andererseits kann gerade der Zusammenhalt zwischen leiblichen Eltern und erwachsenen Kindern aus strukturell intakten Familien1 unterschätzt werden, wenn keine Kontrolle der partnerschaftlichen Situation und des Status der betrachteten Elternteile erfolgt. Da in den letzten Jahrzehnten Scheidungen und Trennungen stetig zugenommen haben bzw. inzwischen auf einem hohen Niveau stagnieren und damit eine nicht mehr zu vernachlässigende Anzahl von Familien von der Auflösung der elterlichen Partnerschaft wie auch dem Eingehen neuer Partnerschaften in der Elterngeneration betroffen sind, handelt es sich hier auch nicht um ein randständiges Phänomen. Wenn es Unterschiede in den Eltern-Kind-Beziehungen zwischen verschiedenen Familienformen beispielsweise in der Form gibt, dass ein Teil von getrennt lebenden Elternteilen (z.B. Väter) und/oder neu hinzukommenden sozialen Elternteilen (z.B. Stiefmütter) im Bedarfsfall nicht in ausreichendem Maße auf die Unterstützung der Kindergeneration zurückgreifen können, da sie weiter entfernt wohnen, seltener Kontakt haben oder auch die emotionale Nähe deutlich geringer ist, kann das für 1
Der Begriff ‚intakt‘ bezieht sich hier einzig und allein auf die Bezeichnung des Vorliegens einer bestimmten Familienstruktur, bei der die beiden leiblichen Eltern eines Kindes in einer Partnerschaft leben. Er beinhaltet keinerlei inhaltliche Wertungen über den Zustand der Familie oder den Umgang der Familienmitglieder miteinander. Es handelt sich also ausschließlich um die Festlegung und Verwendung eines Begriffes, der eine bestimmte familiale Konstellation beschreiben soll, mit dem Ziel, die Lesbarkeit sowohl des Textes als auch der Tabellen und Abbildungen zu erleichtern.
Einleitung
17
diese Menschen – vor allem im höheren Alter – gravierende Folgen für ihre Lebens- und Versorgungssituation haben. Eine Sensibilisierung für derartige Probleme scheint deshalb zum jetzigen Zeitpunkt angebracht. Vor allem soziale Elternschaft bzw. Stiefelternschaft wird bislang in der absoluten Mehrheit der Untersuchungen zu Generationenbeziehungen ausgeklammert bzw. es wird darauf verzichtet, darauf hinzuweisen, welchen Status das jeweilige Elternteil gegenüber dem erwachsenen Kind einnimmt. Für Deutschland existieren diesbezüglich keinerlei Befunde. Das Ziel dieser Arbeit ist es, diese Lücke zu schließen, indem der Fokus bewusst auf Generationenbeziehungen zwischen Stiefeltern und Stiefkindern gerichtet wird, wobei es unumgänglich ist, für eine Erklärung der Ausgestaltung solcher Beziehungen im Erwachsenenalter den Blick auf den Lebensverlauf der betroffenen Personen zu lenken. Das heißt, dass in Bezug auf die Ausgestaltung der Beziehung von Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern unbedingt die Erfahrungen im Kindes- und Jugendalter als erklärende Faktoren einbezogen werden müssen, was natürlich die Frage aufwirft, ob eine Lebensverlaufsperspektive nicht generell bei der Analyse von Generationenbeziehungen angebracht ist. Deshalb soll es in dieser Arbeit auch nicht nur um Stieffamilien gehen, sondern erst einmal grundsätzlich um die Erklärung der Ausgestaltung von Eltern-Kind-Beziehungen und dabei insbesondere um die Folgen von Trennung und Scheidung für diese Beziehungen. Auch wenn die Lebensverlaufsperspektive sowohl in den theoretischen Ausführungen als auch bei der Darstellung des Forschungsstandes eine zentrale Rolle spielt, muss an dieser Stelle einschränkend darauf hingewiesen werden, dass sie in den empirischen Analysen nicht adäquat umgesetzt werden kann. Der Grund dafür ist das Fehlen von geeigneten Daten. Im Moment liegt für die Bundesrepublik Deutschland kein Datensatz vor, der längsschnittlich angelegt ist, Instrumente zu familialen Generationenbeziehungen enthält und die Identifizierung von (zusammen oder getrennt lebenden) leiblichen und sozialen Elternteilen zulässt. Deshalb beschränken sich die vorliegenden Analysen auf einen querschnittlichen Datensatz, genauer den ‚Generations and Gender Survey‘ (GGS), der im Auftrag des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung im Jahr 2005 in Deutschland erhoben wurde und in dem die Beziehungen von leiblichen wie sozialen Eltern zu allen ihren Kindern und Stiefkindern (überwiegend) relational erfasst wurden. Allerdings geht die Untersuchung trotz dieser Einschränkung weit über alle bislang für den deutschen Kontext vorliegenden Arbeiten hinaus, da zum ersten Mal überhaupt eine Unterscheidung verschiedener leiblicher und sozialer Eltern-Kind-Relationen in den Analysen vorgenommen wird. Wichtig ist hierbei zu beachten, dass nicht nur leibliche und soziale Elternteile miteinander verglichen werden, sondern dass darüber hinaus leibliche Eltern auch danach differenziert werden, ob sie aktuell mit dem anderen leiblichen
18
Einleitung
Elternteil in einer Partnerschaft leben, alleinlebend sind oder ob die betrachteten leiblichen Elternteile eine neue Partnerschaft eingegangen sind. Bevor jedoch genauer auf die Gliederung und damit den Aufbau der Arbeit eingegangen wird, soll nun in einem ersten Schritt geklärt werden, was unter dem Begriff Stieffamilie eigentlich zu verstehen ist bzw. wer alles zu einer Stieffamilie zählt.
1.1
Stieffamilien und Stiefkinder
Da die Verwendung des Begriffs Stieffamilie nicht ganz unproblematisch ist, scheint es vor einer genaueren Definition angebracht, kurz die Bezeichnung dieser Familienform zu diskutieren. Neutraler wäre es vielleicht anstatt von Stieffamilien von Fortsetzungsfamilien zu sprechen (Schultheis/Böhmler 1998: 8), da der Begriff Stieffamilie eine gewisse negative Konnotation beinhaltet (Claxton-Oldfield 2008; Krähenbühl et al. 2007: 17). Nichtsdestotrotz soll im Folgenden an diesem Begriff festgehalten werden, da er nicht nur in der wissenschaftlichen Forschung weit verbreitet ist, sondern auch entsprechende Bezeichnungen für die einzelnen Familienmitglieder (Stieftochter, Stiefsohn, Stiefmutter, Stiefvater) bereit hält. Der inzwischen – zumindest in Deutschland – manchmal verwendete Begriff der ‚Patchworkfamilie‘ stellt meines Erachtens keine Alternative dar. Erstens wird unter Patchworkfamilie eine spezielle Form der Stieffamilie verstanden, wenn nämlich (mindestens) zwei verschiedene Typen von Kindern in einer Familie leben (Nave-Herz 2004: 33), z.B. Stiefkinder und eigene leibliche Kinder. Zweitens hält die Bezeichnung Patchworkfamilie ebenso wie die Bezeichnung Fortsetzungsfamilie keine eigenen Begriffe für die einzelnen Familienmitglieder bereit, woraufhin spätestens wenn es um die betroffenen Personen selbst geht, wieder auf die Begriffe Stiefkinder und Stiefeltern zurückgegriffen wird (vgl. zum Beispiel die Beiträge in Meulders-Klein/ Théry 1998). Mit dem Einführen anderer oder auch neuer Begriffe kann man sicher weniger gegen das negative Image der Stieffamilie tun als wenn man den Begriff, so wie er ist, verwendet und durch fundierte Forschung die Probleme, aber auch die positiven Erfahrungen und Möglichkeiten von Stieffamilien aufzeigt und dadurch vielleicht für die Besonderheiten und Belange dieser speziellen Familienform sensibilisiert.2
2
Eine ausführliche Diskussion über die Verwendung des Begriffs Stieffamilie findet sich unter anderem bei Friedl/Maier-Aichen (1991: 10ff.), Krähenbühl et al. (2007: 16ff.) und Martin/Le Bourdais (2008: 250).
Einleitung
19
Die Existenz von Stieffamilien, bei denen biologische und soziale Elternschaft teilweise auseinander fallen, ist bei Weitem kein neues Phänomen. Doch die Strukturen dieser Familienform haben sich deutlich verändert. Noch bis zu Beginn des letzten Jahrhunderts entstanden Stieffamilien vor allem auf Grund der geringen Lebenserwartung, insbesondere der hohen Müttersterblichkeit (Teubner 2002a: 24). Um das wirtschaftliche Überleben der Familie zu sichern, war das verwitwete Elternteil mehr oder weniger gezwungen (so schnell wie möglich) wieder zu heiraten (Hill/Kopp 2006: 40). Diese Familien bestanden oft aus dem leiblichen Vater und einer Stiefmutter. Heute dagegen entstehen Stieffamilien nur noch selten, weil ein Elternteil verstirbt (Schwarz 1995: 274), sondern weil die Eltern sich scheiden lassen oder trennen (Peuckert 2008: 213). Da die Kinder in den allermeisten Fällen bei der Mutter verbleiben, sind Stieffamilien nun öfter Stiefvater- als Stiefmutterfamilien. Hinzu kommt, dass auch das andere (externe) Elternteil eine neue Partnerschaft eingehen kann und ein Kind unter Umständen dann zwei leibliche und zwei Stiefelternteile hat, die in verschiedenen Haushalten leben. Die so entstehenden Kindschaftsverhältnisse sind weniger durch das Fehlen eines Elternteils, sondern vielmehr durch multiple Elternschaft bestimmt (Nauck 1993: 152). Unter den Begriff der Stieffamilie fällt eine Vielzahl äußerst heterogener Familienformen, die nur relativ schwer zu systematisieren sind. Um die Komplexität der familialen Strukturen abzubilden, bietet es sich deshalb an, auf bestimmte sozio-demografische Merkmale zurückzugreifen (Teubner 2002b: 52ff.). Es muss an dieser Stelle allerdings darauf hingewiesen werden, dass sich die folgenden Systematisierungen auf Familien mit minderjährigen Kindern beziehen. Nichtsdestotrotz sollen sie hier Erwähnung finden, da sich aus der Stieffamilienkonstellation in der Kindheit verschiedene Implikationen für die Eltern-Kind-Beziehungen im Erwachsenenalter ergeben. Des Weiteren lassen sich mit Ausnahme der Merkmale, die mit dem Leben in einem gemeinsamen Haushalt verbunden sind, alle weiteren Merkmale ohne Weiteres auch auf Eltern-Kind-Beziehungen in Stieffamilien mit erwachsenen Kindern beziehen. Ein erstes Kriterium bei der Typisierung von Stieffamilien stellt die Separation von Scheidungs- bzw. Trennungsfamilien in zwei Haushalte dar: Dabei wird zwischen der ‚Alltagsfamilie’, in der sich die Kinder die überwiegende Zeit aufhalten, und der ‚Wochenendfamilie’, in der die Kinder in regelmäßigen Abständen das Wochenende oder die Ferien verbringen, unterschieden. Darüber hinaus wird die Stieffamilie als ‚primäre Stieffamilie’ bezeichnet, wenn das Elternteil, bei dem das Kind überwiegend lebt, eine/n neue/n Partner/in hat und als ‚sekundäre Stieffamilie’, wenn das externe (oder auch: außerhalb lebende) Elternteil eine/n neue/n Partner/in hat. Weitere Typen von Stieffamilien ergeben sich außerdem durch folgende Unterscheidungskriterien: Das Geschlecht des
20
Einleitung
Stiefelternteils bestimmt, ob es sich um eine ‚Stiefmutterfamilie’ oder um eine ‚Stiefvaterfamilie’ handelt. Je nach Zusammensetzung der im Haushalt lebenden Kinder, das heißt, ob nur ein Partner Kinder in die neue Beziehung mitbringt oder beide, wird die Stieffamilie als ‚einfach’ oder ‚zusammengesetzt’ bezeichnet. ‚Komplexe’ Stieffamilien sind darüber hinaus dadurch gekennzeichnet, dass neben den Stiefkindern auch gemeinsame leibliche Kinder (bzw. auch Pflegeoder Adoptivkinder) mit im Haushalt leben, wobei diese sowohl aus einfachen als auch zusammengesetzten Stieffamilien hervorgehen können. Letztere werden häufig auch unter den Begriff ‚Patchworkfamilie’ gefasst. Die Partnerschaftsform der (Stief-)Eltern stellt ein weiteres strukturelles Kriterium dar und unterteilt Stieffamilien in ‚ehelich’, ‚nichtehelich’ und ‚Living-Apart-Together’ (LAT) (Bien/Hartl/Teubner 2002b: 11), wobei ehelich oder nichtehelich zusammenlebende (Stief-) Eltern als Stieffamilien im engeren Sinne und (Stief-) Eltern, die eine LAT-Beziehung führen als Stieffamilien im weiteren Sinne bezeichnet werden. Manchmal wird zusätzlich nach dem Grund des Auflösens der Ehe unterschieden, das heißt, ob es sich um eine ‚Scheidung’ oder um eine ‚Verwitwung’ handelt (Ganong/Coleman 1984: 390). Damit die Familie als Stieffamilie bezeichnet werden kann, muss also eigentlich nur eine Bedingung erfüllt sein: Mindestens eines der beiden leiblichen Elternteile muss eine neue Partnerschaft eingehen (Ganong/Coleman 2004: 2; Stewart 2007: 2), wobei es keine Rolle spielt, ob die Partner miteinander verheiratet sind oder nicht. Sie müssen auch nicht unbedingt mit dem Kind bzw. den Kindern in einem Haushalt leben, was auf einen weiteren wichtigen Aspekt verweist: Das Alter der Kinder bei Gründung der Stieffamilie spielt eigentlich keine Rolle, das heißt, auch erwachsene Kinder können in diesem Sinne noch ein Stiefelternteil bekommen. Als Stieffamilien werden deshalb im Folgenden Familien bezeichnet, wenn zu den beiden leiblichen Elternteilen mindestens ein sozialer Elternteil hinzutritt oder ein verstorbener Elternteil durch einen sozialen ersetzt wird (Bien/Hartl/Teubner 2002b: 10).
1.2
Aufbau der Arbeit
Die Arbeit ist in zwei größere Teile gegliedert: in einen theoretischen und einen empirischen Teil. Im theoretischen Teil wird in einem ersten Schritt ein Überblick über den Stand der theoretischen Diskussion zu intergenerationalen Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern gegeben (Kapitel 2). Dazu werden die beiden am weitesten verbreiteten theoretischen Modelle zur Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen (das Solidaritätskonzept und das
Einleitung
21
Ambivalenzkonzept) sowie der Versuch deren Integration im ‚SolidarityConflict-Model’ vorgestellt. Da diese Modelle über eine Beschreibung der Dimensionen, mit deren Hilfe Generationenbeziehungen im Erwachsenenalter abgebildet werden können, nicht hinaus gehen, wird nach deren Vorstellung und Diskussion der Blick auf die Lebensverlaufsforschung und deren Erklärungskraft hinsichtlich intergenerationaler Beziehungen gerichtet. Dazu werden zunächst klassische theoretische Annäherungen an das Thema, beispielsweise die Austauschtheorie oder die Übertragung von Reziprozitätsannahmen auf Generationenbeziehungen, dargestellt. Darüber hinaus werden aber auch in diesem Zusammenhang noch nicht oder kaum beachtete Theorien wie der ‚Value-ofChildren’-Ansatz, Argumente der Soziobiologie und die Bindungstheorie auf ihre Erklärungsleistung für die Ausgestaltung von familialen Generationenbeziehungen herangezogen. Im darauf folgenden Kapitel (Kapitel 3) erfolgt die Aufarbeitung des Forschungsstandes zu Generationenbeziehungen in Stieffamilien, wobei sich die Auswahl der Ergebnisse an den verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen orientiert, die auch im empirischen Teil der Arbeit im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Dabei ist die Darstellung vorliegender Befunde nicht auf die Beziehungen zwischen Stiefeltern und Stiefkindern im Erwachsenenalter beschränkt, sondern es werden mit Rückgriff auf die theoretische Klammer der Lebensverlaufsforschung Ergebnisse zu verschiedenen Lebensphasen vorgestellt. Darüber hinaus werden natürlich auch Unterschiede zwischen leiblichen und sozialen Eltern betrachtet, das heißt, ob es welche gibt und wenn ja, wie sie aussehen. Wobei die Befunde zur Beziehungsgestaltung zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern ebenso Trennungsfamilien einschließen, in denen die Eltern (noch) keine neuen Partnerschaften eingegangen sind, also keine Stiefeltern vorhanden sind. Letztendlich wird versucht im Kapitel zum Stand der Forschung einen Überblick über bisherige empirische Befunde zu Beziehungen zwischen leiblichen Eltern und ihren (sowohl minderjährigen als auch volljährigen) Kindern zu geben, wenn die Eltern ein Paar sind, wenn sie getrennt bzw. alleinlebend sind und wenn sie in neuen Partnerschaften leben sowie zu Beziehungen zwischen Stiefeltern und ihren Stiefkindern. Im empirischen Teil der Arbeit wird als Erstes ein Überblick über die Daten, mit deren Hilfe eine Beschreibung und Analyse von Generationenbeziehungen in Stieffamilien mit erwachsenen Kindern erfolgt, gegeben (Kapitel 4). Dazu wird der ‚Generations and Gender Survey’ (GGS) des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) von 2005 vorgestellt, sowie erläutert, wie (Stief-) Familienbeziehungen im GGS erfasst wurden und wie die Verteilungen der verschiedenen Relationen aussehen, wenn die Kinder volljährig sind. Da sich die empirischen Analysen in dieser Arbeit ausschließlich auf die Elternperspektive konzentrieren, erfolgt die Unterscheidung der Beziehungen anhand des von
22
Einleitung
ihnen angegebenen Status des jeweiligen Kindes. Nach der Vorstellung der Daten erfolgen in den nächsten beiden Kapiteln die Präsentationen der empirischen Ergebnisse zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten in der Ausgestaltung von Generationenbeziehungen zwischen Eltern und Kindern in diesen verschiedenen Beziehungsformen. Im ersten Schritt erfolgt eine deskriptive Darstellung anhand der verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen in verschiedenen Familienformen mit leiblichen und/oder sozialen Eltern (Kapitel 5), um dann im zweiten Schritt die gefundenen Unterschiede zu erklären, indem verschieden Größen, die vorher als theoretisch und empirisch bedeutsame Einflussfaktoren herausgearbeitet wurden, in multivariate Modelle eingeführt werden. Im darauf folgenden Kapitel (Kapitel 6) werden wiederum die Unterschiede und Gemeinsamkeiten innerhalb von verschiedenen Typen von Stieffamilien aufgezeigt und erklärt. Am Ende der Arbeit erfolgen noch eine Zusammenfassung der wichtigsten theoretischen und empirischen Ergebnisse dieser Arbeit sowie eine Diskussion mit Ausblick auf zukünftige Forschungsaufgaben (Kapitel 7).
2
Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
In diesem Kapitel werden zuerst die klassischen Modelle und ihre Dimensionen zur Beschreibung der Ausgestaltung von intergenerationalen Beziehungen – genauer Eltern-Kind-Beziehungen im Erwachsenenalter – vorgestellt und diskutiert, bevor dann die Lebensverlaufsforschung als allgemeiner Bezugsrahmen vorgeschlagen und die Anschlüsse für verschiedene Theorien mittlerer Reichweite aufgezeigt werden. Den folgenden Ausführungen vorwegzunehmen ist, dass allgemein ein Mangel an theoretischer Integration in Bezug auf die Fassung intergenerationaler Beziehungen in der soziologischen Forschung beklagt wird: „Clearly the most pressing task for researchers interested in adult child-parent relations is the formulation of theoretical models to organize existing findings and guide new research“ (Lye 1996: 99). Die Aufgabe dieses Kapitels soll es deshalb sein, nicht nur die bestehenden Modelle intergenerationaler Beziehungen und ihre Defizite darzustellen, sondern darauf aufbauend zu zeigen, dass es durchaus (bisher unbeachtete) Theorien gibt, die substanziell zur Erklärung der unterschiedlichen Ausgestaltung von familialen Generationenbeziehungen beitragen können. Nach einer ausführlichen Vorstellung dieser Theorien und der daraus zu folgernden Unterschiede in der Ausgestaltung von Eltern-KindBeziehungen zwischen Kern- und Stieffamilien, folgt ein kurzes Resümee mit einem Versuch der Integration der Annahmen dieser Ansätze zur Erklärung der Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen.
2.1
Klassische Modelle der Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen
Im Folgenden wird zunächst der Forschungsstand hinsichtlich der theoretischen Fassung von intergenerationalen Beziehungen im Rahmen der Forschung zu familialen Generationenbeziehungen im Erwachsenenalter dargestellt. Insbesondere zwei theoretische Modelle sind dabei von Bedeutung: die Theorie intergenerationaler Solidarität von Bengtson und Kollegen (siehe unter anderem Bengtson/Olander/Haddad 1976; Bengtson/Schrader 1982; Bengtson/Roberts 1991; Bengtson 2001) sowie die Theorie intergenerationaler Ambivalenz von Lüscher und Kollegen (siehe unter anderem Lüscher/Pillemer 1998; Lüscher
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
2002; Lüscher/Liegle 2003).3 Die Theorie der intergenerationalen Solidarität gehört zu den einflussreichsten Ansätzen der letzten Jahrzehnte bei der Untersuchung intergenerationaler Beziehungen. Innerhalb dieses theoretischen Konzeptes der Forschergruppe um Bengtson wurden verschiedene Dimensionen intergenerationaler Beziehungen identifiziert und zueinander in Beziehung gesetzt. Seit den 1970er Jahren wurde das Konzept von ihnen ständig weiter entwickelt (Giarrusso et al. 2005) und (teilweise in Abwandlung) von anderen Forschern übernommen (Bertram 2000; Katz et al. 2005; Rossi/Rossi 1990; Steinbach/Kopp 2008a; Szydlik 2000). Der Ansatz der intergenerationalen Ambivalenz ist in den 1990er Jahren aus der Kritik an der Theorie intergenerationaler Solidarität heraus entstanden (Lüscher/Pillemer 1998). Dabei wurde der Theorie intergenerationaler Solidarität unterstellt, dass sie intergenerationale Beziehungen als zu harmonisch fasst. Lüscher und andere versuchten dementsprechend in einem neuen Modell, die Konfliktseite zwischen den familialen Generationen stärker einzubeziehen.
2.1.1
Das Modell intergenerationaler Solidarität
Die Theorie intergenerationaler Solidarität wurde von Bengtson und Mitarbeitern in den 1970er Jahren entwickelt (Bengtson/Olander/Haddad 1976). Ausgangspunkt ihrer Überlegungen war die Erklärung von „intergenerational cohesion, integration, or solidarity in families“ (Roberts/Richards/Bengtson 1991: 12). Es ging also von Anfang an vornehmlich darum herauszufinden, was Familien bzw. die Mitglieder verschiedener Generationen eigentlich zusammenhält. Das Interesse am Zusammenhalt von Jung und Alt wuchs vor dem Hintergrund verschiedener Veränderungen in westlichen Industriegesellschaften, wie zum Beispiel der zunehmenden Alterung und der sinkenden Geburtenraten, aber auch der Bedarf an größerer beruflicher Flexibilität der Arbeitnehmer bei gleichzeitig steigender Bildungs- und Erwerbsbeteiligung der Frauen. Zur Entwicklung ihrer Differenzierung von Generationenbeziehungen in drei und später sechs Dimensionen familialer Solidarität greifen sie auf verschiedene Ansätze der klassischen soziologischen Theorie (z.B. Durkheim, Parsons), der Sozialpsychologie (z.B. Homans, Heider) und der Familiensoziologie (z.B. Nye, 3
Sowohl das Solidaritäts- als auch das Ambivalenzmodell werden in den Veröffentlichungen zu intergenerationalen Beziehungen fast ausnahmslos als Theorien bezeichnet. Auch wenn diese Ansätze den Anforderungen an eine sozialwissenschaftliche Theorie nicht gerecht werden (Chibucos/Leite 2005; Opp 2005; White/Klein 2008), wird im Folgenden in Anlehnung an die Literatur der Begriff Theorie ebenfalls verwendet.
Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
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Rushing) zurück (siehe für eine ausführliche theoretische Herleitung McChesney/Bengtson 1988; Roberts/Richards/Bengtson 1991). Der zentrale Beitrag dieser Theorien zum Modell intergenerationaler Solidarität liegt in ihrer Beschreibung relevanter Faktoren für den Zusammenhalt in sozialen Kleingruppen: Die Gruppenmitglieder besitzen danach erstens geteilte normative Vorstellungen, zwischen ihnen liegen zweitens funktionale Interdependenzen vor, und drittens besteht in sozialen Kleingruppen Konsens über die Regeln des Austausches. Ziel der theoretischen Arbeit von Bengtson und Mitarbeitern war es also, die Dimensionen intergenerationaler Kohäsion, die sie Solidarität nennen, zu identifizieren und die Beziehungen zwischen diesen Dimensionen zu spezifizieren. Zu Beginn der Entwicklung ihrer Theorie gingen sie – in Anlehnung an die oben genannten sozialpsychologischen Theorien der Gruppendynamik – davon aus, dass es drei Dimensionen sind, die sich eignen, Generationensolidarität abzubilden: ‚consensus’, ‚affection’ und ‚association’ (Bengtson/Olander/Haddad 1976: 246). Solidarität wurde entsprechend als Metakonstrukt konzeptualisiert, das die verschiedenen Aspekte intergenerationaler Bindungen zusammenfasst. Weiterhin wurde angenommen, dass: “any variable that contributes to an increase in any one of these aspects contributes correspondingly to intergenerational solidarity as a whole” (Bengtson/Olander/Haddad 1976: 257). Je höher der Wert jeder dieser Variablen also ist, desto größer ist auch die intergenerationale Solidarität insgesamt. Nachdem dieser linear additive Zusammenhang empirisch allerdings nicht nachgewiesen werden konnte (Atkinson/Kivett/Campbell 1986; Roberts/Bengtson 1990) erfolgte die Hinzunahme drei weiterer Dimensionen: ‚intergenerational family structure’, ‚functional solidarity or exchange’ und ‚normative solidarity’ (Bengtson/Roberts 1991), so dass insgesamt sechs Dimensionen intergenerationaler Solidarität unterschieden werden können: x Die strukturelle Solidarität entspricht der Opportunitätenstruktur für intergenerationale Solidarität. Sie wird über die Familienstruktur (Größe, Typ und geografische Verteilung der Familie) gemessen. Strukturelle Bedingungen der Generationenbeziehung sind also zum Beispiel die Zahl der Generationen, die Zahl und das Geschlecht der Kinder, die Art des Zusammenlebens in einer Familie oder ihre Wohnentfernung. x Die assoziative Solidarität entspricht der Kontaktdimension intergenerationaler Solidarität. Sie wird bestimmt durch die Art und das Ausmaß, in dem die Familienmitglieder miteinander interagieren.
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x
Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
Die affektive Solidarität entspricht der emotionalen Bewertung der intergenerationalen Verhältnisse durch die beteiligten Personen. Die emotionale Nähe bzw. Distanz der Familienmitglieder wird über die Zufriedenheit mit der Beziehung im Allgemeinen und mit dem Ausmaß an Gefühlen füreinander erfasst. x Die funktionale Solidarität entspricht der gegenseitigen Unterstützung in Familien. Die Unterstützung ist dabei auf verschiedenen Ebenen (finanziell, instrumentell, emotional, kognitiv) angesiedelt. Sie wird über das Ausmaß an Dienstleistungen und Hilfen, die zwischen den Generationen ausgetauscht werden, erfasst. x Die normative Solidarität entspricht dem Grad der Zustimmung zu Fragen der gegenseitigen intergenerationalen Hilfe, Verantwortlichkeit und Zusammengehörigkeit, also der Akzeptanz der intergenerationalen Solidarität als Norm. x Die konsensuelle Solidarität entspricht dem Grad der Übereinstimmung hinsichtlich allgemeiner Einstellungen und Werte zwischen Eltern und Kindern. Ähnlichkeit wird dabei als entscheidendes Merkmal der Gruppenkohäsion angesehen. Bengtson und Kollegen haben neben der theoretischen Entwicklung und Weiterentwicklung der Theorie intergenerationaler Solidarität auch viel Energie darauf verwendet, adäquate Instrumente zur Erfassung der Konstrukte zu entwickeln (Mangen/Bengtson/Landry 1988) und empirisch die vermutete Beziehung der Dimensionen untereinander zu testen. Eine erste Untersuchung des theoretisch von Bengtson, Olander und Haddad (1976) postulierten additiv linearen Zusammenhangs von ‚consensus’, ‚affection’ und ‚association’ in Bezug auf intergenerationale Solidarität von Atkinson, Kivett und Campbell (1986) zeigte zunächst, dass diese drei Dimensionen nicht Komponenten einer zugrunde liegenden Variable sind. Kurz darauf veröffentlichten Roberts und Bengtson (1990) einen Beitrag, in dem auch sie zu dem Ergebnis kamen, dass die Dimensionen nicht in der Art und Weise zusammenhängen, wie theoretisch vermutet. Allerdings fanden sie heraus, dass ‚consensus’, ‚association’ und ‚affection’ nicht völlig unabhängig voneinander sind, sondern dass ‚consensus’ zwar unabhängig von ‚association’ und ‚affection’ ist, letztere aber sehr wohl zusammenhängen. Die empirischen Tests zeigten also, dass die theoretischen Aussagen, die auf den Ergebnissen der Untersuchungen sozialer (Klein-)Gruppen basieren, nicht ohne weiteres auf intergenerationale Beziehungen übertragen werden können. Roberts und Bengtson (1990: S18f.; siehe auch Bengtson/Roberts 1991: 859) präsentierten deshalb ein überarbeitetes Modell der strukturellen Beziehung zwischen den Dimensionen intergenerationaler Solidarität. Die Konsens-
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
dimension wurde auf Grund ihrer empirischen Unabhängigkeit von den anderen Dimensionen ausgeschlossen (Abbildung 1). Abbildung 1:
Child’s Norms of Familialism
Opportunity Structure for Family Interaction
Parent’s Norms of Familialism
Revised Model of Structural Relations between ParentChild Solidarity Constructs in Older Families
Child’s Affection for Parents Child’s Resources to Parent
Child’s Perception of Exchange Reciprocity Parent – Child Association
Parent’s Resources to Child
Parent’s Perception of Exchange Reciprocity
Parent’s Affection for Child
Quelle: Bengtson/Roberts 1991: 859.
Das Modell trägt einerseits der Interdependenz und damit dem dyadischen Charakter von Kindern und Eltern Rechnung, indem beide Sichtweisen einbezogen werden. Andererseits spiegelt es eine kausale Struktur wider, in der die Ausgestaltung der Beziehung in einem Bereich Einfluss nimmt auf die Ausgestaltung in einem anderen Bereich. So wird beispielsweise angenommen, dass die Zustimmung zu familialen Normen als Prädiktor für das Ausmaß an affektueller und assoziativer Solidarität fungiert: „One would expect that parents and children with strong commitment to familial norms would be emotionally close and interact often“ (Bengtson/Roberts 1991: 860). Auch das Ausmaß der funktionalen Solidarität, die im Modell in Form des objektiven Ressourcenflusses und als subjektive Wahrnehmung der Reziprozität enthalten ist, bestimmt (so die Annahme) das Ausmaß an emotionaler Nähe und Kontakthäufigkeit positiv. Die Opportunitätsstruktur (wie die Wohnentfernung, der Gesundheitszustand oder der Umfang der Erwerbstätigkeit) ermöglicht bzw. unterbindet wiederum den Ressourcenfluss und den Kontakt der Familienmitglieder. Gleichzeitig beein-
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
flusst die emotionale Nähe aber auch direkt die Kontakthäufigkeit. Darüber hinaus werden zwischen dem Geben und dem Erhalten von Unterstützungsleistungen als auch der gegenseitigen Zuneigung von Eltern und Kindern Interaktionseffekte vermutet. Wie dem Modell in Abbildung 1 zu entnehmen ist, stellt die assoziative Solidarität die abhängige Variable dar. Bengtson und Roberts (1991: 861) begründen ihre Entscheidung, die Kontakthäufigkeit ins Zentrum des Erklärungsinteresses zu rücken, folgendermaßen: „Our assumtions (…) is, that levels of association will be the most idiosyncratic characteristic of family solidarity, owing to the opportunity structure as well as to the levels of normative integration and affection, which influence association“. Auch andere Untersuchungen konzentrieren sich bei ihren Analysen auf die Erklärung der Kontakthäufigkeit (Hank 2007; Kalmijn/Dykstra 2006; Kohli/Künemund/Lüdicke 2005; Lawton/Silverstein/ Bengtson 1994; Steinbach/Kopp 2008b; Tomassini et al. 2004). Doch schon Rossi und Rossi (1990: 268) entwerfen ein Modell, in dem der Austausch von Unterstützungsleistungen als abhängige Variable fungiert. Auch diese Tradition hat sich vielfältig in den Analysen zur Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen niedergeschlagen (Baykara-Krumme 2008a; Brandt/Szydlik 2008; De Jong Gierveld/Dykstra 2002; Haberkern/Szydlik 2008; Klaus 2009; Klein Ikkink/van Tilburg/Knipscheer 1999; Kohli/Künemund 2005; Silverstein/Parrott/ Bengtson 1995; Whitbeck/Hoyt/Huck 1994). Da intergenerationale Solidarität kein unidimensionales, sondern ein multidimensionales Konstrukt darstellt, ist eine Diskussion darum, wie die Dimensionen zusammenhängen und welches die eigentlich zu erklärende Variable ist, nicht unerheblich; vor allem wenn mehrere Dimensionen in ein Modell einbezogen werden. Natürlich wird diese Entscheidung oft vor dem Hintergrund eines bestimmten Forschungsinteresses getroffen, insbesondere wenn es um den Austausch von Unterstützungsleistungen geht. Eine theoretische Auseinandersetzung, unter welchen Umständen welche Dimension von Interesse ist und wie die Dimensionen wiederum untereinander zusammenhängen, ist zukünftig allerdings unabdingbar. Mit dem Ziel ein besseres Verständnis von der Komplexität intergenerationaler Beziehungen zu erlangen und eine Struktur innerhalb der verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Solidarität zu erkennen, versuchten Bengtson und Kollegen in einem nächsten Schritt verschiedene Beziehungstypen zu identifizieren, indem sie nach systematischen Kombinationen der verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Solidarität suchten. Mit Hilfe des Verfahrens der ‚latent class analysis’ (LCA) erhielten sie fünf Typen intergenerationaler
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
Beziehungen (Silverstein/Bengtson 1997: 442), die sie als ‚tight-knit’, ‚sociable’, ‚obligatory’, ‚intimate but distant’ und ‚detached’ bezeichneten (Tabelle 1).4 Tabelle 1:
Constructing a Typology of Intergenerational Relations Using Five Solidarity Variables Affect (Close)
Consensus (Agree)
Structure (Proximity)
Association (Contact)
Gives Help
Receives Help
Tight-knit
+
+
+
+
+
+
Sociable
+
+
+
+
-
-
Intimate but distant
+
+
-
-
-
-
Obligatory
-
-
+
+
(+)
(+)
Detached
-
-
-
-
-
-
Types of Relationships
+ hoch; - niedrig; (+) moderat Quelle: Bengtson 2001: 9.
Eng bzw. eng verbunden (‚tight-knit’) ist eine Beziehung dann, wenn erwachsene Kinder und ihre Eltern in allen aufgeführten Dimensionen intergenerationaler Solidarität hohe Werte aufweisen, das heißt, wenn sie auf oder über dem Mittelwert des jeweiligen Index liegen (Silverstein/Lawton/Bengtson 1994: 47). Enge Generationenbeziehungen zeichnen sich durch große emotionale Nähe, Übereinstimmung in Werten und Einstellungen, nahes Beieinanderwohnen, regelmäßige Kontakte und ein großes Ausmaß an gegenseitiger Hilfe aus. Das andere Extrem stellen demgegenüber Mitglieder verschiedener Generationen dar, die unverbunden (‚detached’) sind – die also niedrige Werte auf allen Di4
In einer früheren Veröffentlichung kamen Silverstein, Lawton und Bengtson (1994: 47ff.) auf insgesamt zehn Beziehungstypen unter Einbeziehung von drei Dimensionen intergenerationaler Solidarität. Diese Beziehungstypologie wurde in der Bundesrepublik Deutschland von Kohli und Kollegen (Szydlik 2000: 111ff. sowie Kohli et al. 2005: 202ff.) für Analysen mit dem Alterssurvey übernommen. Weitere Beziehungstypologien, die unter Einbezug verschiedener Dimensionen intergenerationaler Solidarität ermittelt wurden, finden sich bei Katz et al. (2005: 405), Lang (2004: 195), Nauck (2009: 265), van Gaalen/Dykstra (2006: 954) und Yi/Lin (2009: 316).
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mensionen aufweisen. Dazwischen befinden sich empiirisch drei „Mischtypen“ von Generationenbeziehungen (Silverstein/Bengtson 1997: 442). Die Typen kontaktfreudig (‚sociable’) und vertraut, aber distanziert (‚intimate but distant’) entsprechen der ‚modified extended family’, in welcher der Austausch von Ressourcen zwar gering ist, in der aber nichtsdestotrotz eine starke Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern besteht, die auf ein Potenzial für zukünftige Unterstützung, sollte diese benötigt werden, hinweist.5 In ‚intimate but distant’ Beziehungen könnte dies allerdings schwieriger sein als in ‚sociable’-Beziehungen. Interessanterweise konnte noch ein weiterer Beziehungstyp identifiziert werden, bei dem die Generationen strukturell verbunden sind und sich ein moderates Maß an funktionellem Austausch feststellen lässt, bei dem aber keine starken positiven Gefühle vorhanden sind. Diesen Typ bezeichnen Silverstein und Bengtson (1997) als verpflichtend (‚obligatory’), um dem Umstand Ausdruck zu verleihen, dass hier anscheinend nicht Ähnlichkeiten und Emotionen, sondern Gehorsam oder Pflichtgefühle auf Seiten der erwachsenen Kinder die Beziehung charakterisieren. Beachtet werden muss, dass bei den Dimensionen intergenerationaler Beziehungen, die in die Analyse eingeflossen sind, funktionale Solidarität aufgespalten wurde in „Hilfe geben“ und „Hilfe erhalten“, was dem bidirektionalen Fluss der Ressourcen gerecht werden soll. Die Dimension der normativen Solidarität wurde dagegen mit der Begründung ausgeschlossen, dass nur ein globales Instrument zum Einsatz kam, welches die Zustimmung zu familialen Nomen allgemein abfragt und nicht, ob die Befragten sich verpflichtet fühlen, die eigenen Eltern zu unterstützen (Silverstein/Bengtson 1997: 436f.). Dieses Argument ist vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Diskussion, dass Konsens unabhängig von den anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen ist, dass aber familiale Normen die Ausgestaltung konkreter Eltern-Kind-Beziehungen beeinflussen (siehe zum Beispiel Bengtson/Roberts 1991: 860), nicht verständlich. Kritische Stimmen äußern sich oft zum Solidaritätsbegriff, der dem Konzept intergenerationaler Solidarität zugrunde liegt. Es wird beanstandet, dass Solidarität als normativer Begriff im Sinne des Zusammenhaltes als Wert an sich nicht geeignet ist, Generationenbeziehungen in all ihren Facetten zu erfassen: „Indem generalisierend von einer Beschreibung von ‚Beziehungen’ ausgegangen wird, kommt es hier zu einer Vermengung von Sein und Sollen. Räumliche und soziale Nähe, Übereinstimmung, Ähnlichkeit des Denkens und Handelns werden alle als Ausdruck von ‚solidarity’ aufgefasst, ohne zu bedenken, dass dahinter unterschiedliche Kräfte der Beziehungsdynamik stehen und konk5
Das Potenzial für Unterstützungsleistungen in Familien wird mit Riley und Riley (1993: 169) auch als ‚Latent Kin Matrix’ bezeichnet.
Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
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rete Verhaltensweisen bzw. Erscheinungsformen auch das Ergebnis von Prozessen wechselseitiger Abstimmung, unter Umständen auch als Kompromisse von Interessen aufgefasst werden können und dass sie überdies von jeweils vorgegebenen Rahmenbedingungen beeinflusst sein können“ (Lüscher/Liegle 2003: 269). Intergenerationale Solidarität im Sinne eines Zusammenhaltes in verschiedenen Lebensbereichen wird als ‚normales‘ Beziehungsmuster mit der Konsequenz vorausgesetzt, dass negative Gefühle und/oder Verhaltensweisen als Mangel an Solidarität interpretiert werden, ohne dass andere Beziehungsmuster überhaupt ins Blickfeld geraten. Einwände gegen die dem Konzept zugrunde liegenden Annahmen der Linearität äußern auch Marshall, Matthews und Rosenthal (1993: 47), indem sie die zu einfache Operationalisierung der affektiven Solidarität kritisieren. Es werden nur die positiven Gefühle gemessen, was ihrer Meinung nach nicht geeignet ist, um die Spannweite der Gefühle unter den Familienmitgliedern vollständig zu erfassen.6 Rossi und Rossi (1990) verwenden zur Erfassung der affektiven Solidarität zwar eine 7-stufige Antwortskala, wobei am einen Ende der Skala die Beziehung angespannt und belastet (‚tense and strange’) und am anderen Ende der Skala nahe und intim (‚close and intimate’) ist. Aber auch hier besteht das Problem, dass es nicht möglich ist, das gleichzeitige Auftreten von positiven und negativen Gefühlen (Ambivalenz) zu erfassen (Mangen 1995: 161). Auch Grünendahl und Martin (2005: 246) setzen mit ihrer Kritik beim Solidaritätsbegriff an, wobei es ihnen allerdings um die Entstehung sowie die möglichen Veränderungen des Zusammenhalts von Generationen über die Zeit hinweg geht. Damit ist ein weiteres Defizit der Theorie intergenerationaler Solidarität benannt: Mit dieser Theorie ist es zwar möglich, Generationenbeziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern detailliert zu beschreiben, aber über die Entstehung oder die Veränderung der Ausprägungen in den einzelnen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen im Lebensverlauf kann nichts gesagt werden. In Bezug auf die Dimensionen intergenerationaler Solidarität wird weiterhin die Frage aufgeworfen, ob die sechs beschriebenen Dimensionen auch die Dimensionen intergenerationaler Beziehungen sind und wie sie genau zusammenhängen bzw. theoretisch in ein Gesamtmodell intergenerationaler Beziehungen eingebunden werden (Grünendahl/Martin 2005: 247). Die Dimensiona-
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Die affektive Solidarität wird in der ‚Longitudinal Study of Generations‘ (LSOG) von Bengtson und Kollegen in späteren Versionen – als Reaktion auf diese Kritik – nicht mehr nur mit der Frage gemessen, wie nah man sich den Angehörigen anderer Generationen fühlt, sondern zusätzlich auch, inwieweit Konflikte, Spannungen und Uneinigkeiten zwischen den Familienmitgliedern auftreten (siehe Fragebogen zum Survey 2000 unter http://www.icpsr.umich.edu/ cocoon/NACDA/STUDY/22100.xml).
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lisierung hat natürlich unbestreitbare Vorteile für die quantitative empirische Analyse, birgt aber gleichzeitig auch Probleme: „Durch die Dekomposition eines Meta-Konstruktes kann man einzelne Bereiche analysieren. Man trägt so einerseits der Vielschichtigkeit der Solidarität Rechnung, lässt sie andererseits aber in einzelne getrennte Bereiche zerfallen, in Schichten, die nichts mehr miteinander zu tun haben“ (Dallinger 2002: 218). Die Differenzierung von Dimensionen beantwortet eben noch nicht die Frage, welche sozialen Mechanismen in Generationenbeziehungen wirken und wie unterschiedliche Bedingungen zu faktischen Handlungen zusammengefügt werden. Lüscher und Liegle (2003: 269) argumentieren schließlich, dass die Erfassung von Generationensolidarität zwar dazu geeignet ist, die besonderen Merkmale von Generationenbeziehungen zu verstehen, dass es sich hierbei jedoch nicht um eine Theorie der Generationenbeziehungen handelt, sondern nur um die Beschreibung des Verhältnisses der Generationen zueinander. Die Frage, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen sozialen Beziehungen bestehen, bliebe unbeantwortet. Diese Frage, so Lüscher und Liegle (2003: 270), sei aber für eine systematische Theorie der Generationenbeziehungen entscheidend. Sie schlagen als Zugangsweise vor, sich andere zwischenmenschliche Beziehungen anzuschauen und nach allgemeinen Prinzipien zu suchen, nach denen auch Generationenbeziehungen ausgestaltet werden. Die Forschungsfrage, die sie entwerfen, lautet entsprechend: Was sind die Gemeinsamkeiten, und was sind die Unterschiede zwischen Generationenbeziehungen und anderen sozialen Beziehungen? Sie verweisen dabei auf das Konzept der Beziehungslogik zur Annäherung an die Frage, wie soziale Beziehungen im Allgemeinen und Generationenbeziehungen im Besonderen funktionieren. Dort knüpft auch das Modell intergenerationaler Ambivalenz an.
2.1.2
Das Modell intergenerationaler Ambivalenz
Der Anspruch der Theorie intergenerationaler Ambivalenz ist es, die Defizite des Ansatzes der intergenerationalen Solidarität zu überwinden, indem der Gleichzeitigkeit des Auftretens von positiven (Solidarität) und negativen (Konflikt) Aspekten in Generationenbeziehungen Rechnung getragen wird (Lüscher/ Pillemer 1998: 414). Auf der Grundlage verschiedener theoretischer Bezüge und der Begriffsgeschichte wird Ambivalenz folgendermaßen definiert: „Von Ambivalenz soll gesprochen werden, wenn gleichzeitige Gegensätze des Fühlens, Denkens, Wollens, Handelns und der Beziehungsgestaltung, die für die Konstitution individueller und kollektiver Identitäten relevant sind, zeitweise oder dauernd als unlösbar interpretiert werden. Diese Interpretation kann durch die
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Beteiligten oder durch Dritte (z.B. Therapeuten, Wissenschaftler) erfolgen“ (Lettke/Lüscher 2002: 441).7 Diese Definition beinhaltet verschiedene Aspekte, auf die im Folgenden etwas näher eingegangen werden soll, weil sie für das Verständnis dieses Ansatzes grundlegend sind. Einen zentralen Stellenwert in der Theorie intergenerationaler Ambivalenz nimmt der Sachverhalt ein, dass Gegensätze, welcher Art auch immer, von der Person gleichzeitig erfahren werden müssen. Der Verweis auf die Existenz solcher Gegensätze und die Forderung nach einem theoretischen wie empirischen Einbezug in der Erforschung intergenerationaler Beziehungen ist sicher ein großer Verdienst, welcher der Forschergruppe um Lüscher zugeschrieben werden kann. Darüber hinaus spezifizieren sie aber auch die Elemente von Generationenambivalenz (Lettke/Lüscher 2002: 442f.): In Abhängigkeit davon, wann und wo Ambivalenzen auftreten (z.B. generelle Gestaltung der Beziehung oder phasenspezifisch beim Auszug aus dem Elternhaus oder bei kritischen Lebensereignissen wie einer Scheidung), können sie von geringer oder auch von großer Dauer sein. Das Ausmaß und der zeitliche Horizont von Ambivalenzen sind also nicht a priori vorgegeben, das heißt, es wird nicht davon ausgegangen, dass Generationenbeziehungen grundsätzlich ambivalent sein müssen (vgl. Lettke/ Lüscher 2001: 520). Das Konzept der Ambivalenz wird vielmehr als Forschungskonstrukt und allgemeines Deutungsmuster von Generationenbeziehungen verstanden (Lüscher/Liegle 2003: 289). Eine weitere Unterscheidung betrifft den Grad des Bewusstseins von Ambivalenzen, wobei zwischen manifesten und latenten Ambivalenzen differenziert wird. Manifest sind Ambivalenzen dann, wenn sie den Subjekten bewusst sind. Als latent werden sie dagegen bezeichnet, wenn sie durch Dritte festgestellt werden oder wenn das Ausmaß an Ambivalenz, das durch Dritte festgestellt wird, das den Befragten bewusste Ausmaß übersteigt (Lettke/Lüscher 2002: 443). Eine weitere grundlegende Annahme für die Definition von Ambivalenzen ist, dass die erfahrenen Zwiespältigkeiten im Hinblick auf die Konstitution von Identität relevant sein müssen. Ein (kurzes) Hin- und Herschwanken beim Treffen von punktuellen Entscheidungen, wie bei der Bestellung in einem Restaurant, ist also nicht gemeint. Da „Familien in der Regel eine wichtige Lebenswelt für die Konstitution von personaler Identität sind“ (Lettke/Lüscher 2002: 443), hängen Ambivalenzen in Generationenbeziehungen demnach immer mit der Identität der Subjekte zusammen. Die Theorie intergenerationaler Ambivalenz beruht also auf der Annahme, dass Generationenbeziehungen in verschiedenen Bereichen kurz- oder langfristig durch Ambivalenzen gekennzeichnet sein können. Die Aufgabe der
7
Für eine ausführliche Herleitung des Ambivalenzkonzepts siehe Lüscher (2000 und 2004).
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
Familienmitglieder besteht nun darin, mit diesen Ambivalenzen umzugehen bzw. sie auszubalancieren. Lüscher und Kollegen haben deshalb ein heuristisches Modell entwickelt, mit dessen Hilfe verschiedene Strategien des Umgangs mit Ambivalenzen analytisch unterschieden werden können (Abbildung 2). Abbildung 2:
Diagramm bzw. Modell der Generationenambivalenz: Zuordnung von Handlungsmaximen und Beziehungslogiken Konvergenz
Mikrosozialer Bereich Solidarität
Emanzipation Makrosozialer Bereich
übereinstimmend bewahren Reproduktion Innovation uneinig ausharren
einvernehmlich entwickeln unversöhnlich lossagen
Kaptivation
Atomisierung
Divergenz
Quelle: Lüscher/Liegle 2003: 291.
Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
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Das Modell wurde im Rahmen einer qualitativen Studie über Generationenbeziehungen unter Erwachsenen nach einer Scheidung in drei Schritten zunehmender Abstraktion auf Grundlage von Interviewmaterial entwickelt (Lüscher/ Pajung-Bilger 1998: 141ff., siehe zusammenfassend Pajung-Bilger/Lüscher 1999). In einem ersten Schritt wurden situationelle Deutungsmuster identifiziert, diese dann in einem zweiten Schritt zu situationsübergreifenden Handlungsmaximen zusammengefasst, um sie schließlich in einem dritten und letzten Schritt als Ausdruck allgemeiner Beziehungslogiken zu interpretieren: (1) Das empirische Material legte dabei nahe, zwei Dimensionen der Beziehungsgestaltung zu unterscheiden: Auf der Ebene der Familie ist das entsprechend die ‚institutionale’ Dimension und auf der Ebene der subjektiven Beziehungen die ‚personale’ Dimension (siehe auch Lüscher 2002: 588). Für jede der beiden Dimensionen lassen sich im Hinblick auf Generationenbeziehungen nun zwei entgegengesetzte Pole benennen. Auf der institutionalen Dimension sind das die Pole ‚Verharren’ und ‚Verändern’, die im Weiteren mit ‚Reproduktion’ und ‚Innovation’ bezeichnet werden. Auf der personalen Dimension findet sich die Gegenüberstellung von ‚Nähe’ und ‚Ferne’, welche die Termini ‚Konvergenz’ und ‚Divergenz’ abdecken sollen. Diese Polarisierungen, so die Argumentation, sind in sozialen Beziehungen – auch in Generationenbeziehungen – konkret erfahrbar (Lettke/Lüscher 2001: 523). (2) Aus der Art und Weise, wie Eltern und erwachsene Kinder die strukturalen und personalen Bedeutungsinhalte ihrer Beziehung hinsichtlich einer konkret erfahrenen Ambivalenz miteinander verknüpfen, ergeben sich nun vier unterschiedliche Handlungsmaxime.8 Maxime stellen Handlungsorientierungen dar, die sich zwischen den Polen ‚Reproduktion’ und ‚Innovation’ der institutionalen Dimension sowie den Polen ‚Konvergenz’ und ‚Divergenz’ der personalen Dimension aufspannen. Es erfolgt eine Unterscheidung von vier Maximen, die sie als ‚übereinstimmend bewahren’, ‚einvernehmlich entwickeln’, ‚uneinig ausharren’ und ‚unversöhnlich lossagen’ bezeichnen (Lüscher/Pajung-Bilger 1998: 145ff.; siehe auch Pajung-Bilger/Lüscher 1999: 88ff.): Generationenbeziehungen, deren Gestaltungsgrundlage mit der Maxime ‚übereinstimmend bewahren’ überschrieben werden kann, pflegen einen selbstverständlichen Umgang miteinander. Eltern und Kinder sind sich auf Grund familialer Traditionen nahe, tragen gegenseitig Verantwortung und unterstützen einander. Generationenbeziehungen, die unter die Bezeichnung ‚einvernehmlich entwickeln’ fallen, interpretieren die institutionellen Vorgaben von Familie weitgehend frei und 8
Von den Handlungsmaximen sind die so genannten Deutungsmuster zu unterscheiden. Sie werden als aufgaben- bzw. themenbezogene Interpretationen bzw. Gestaltungsmöglichkeiten der Generationenbeziehungen verstanden (Lüscher/Pajung-Bilger 1998: 142).
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unvoreingenommen. Das heißt, die Mitglieder der Familie reagieren flexibel und angemessen auf Veränderungen, die sich im Zuge des Lebensverlaufs ergeben und die Anpassungen an wechselnde familiäre oder individuelle Bedürfnisse erfordern. Eltern und Kinder, deren Beziehung unter die Maxime ‚uneinig ausharren’ fällt, konzentrieren sich überwiegend auf getrennte Lebenswelten und Lebensziele, wobei eine gewisse Beharrlichkeit besteht, den Kontakt zu halten. Die Generationen gehen emotional auf Distanz, erfüllen aber gegenseitig ihre Pflichten. Bei der Handlungsmaxime ‚unversöhnlich lossagen’ werden schließlich institutionelle Familienbindungen (fast) vollständig aufgegeben. Die Lebenskontexte von Eltern und Kindern sind getrennt, ihre Beziehung wird emotional und lebenspraktisch als bedeutungslos erlebt. (3) Jede dieser Handlungsmaximen wird nun als Ausdruck einer übergreifenden Ordnung, die mit Beziehungslogik bezeichnet wird, verstanden (Lüscher/Pajung-Bilger 1998: 154ff.). Unter Beziehungslogiken werden dabei „kulturell vorgegebene Optionen der Interpretation von Beziehungen“ gesehen (Lüscher/Pajung-Bilger 1998: 154). Mit Rückgriff auf das Konzept der Beziehungslogiken können nun wiederum vier allgemeine Beziehungstypen als zusammenfassende oder idealtypische Charakterisierungen von Generationenbeziehungen, der dabei auftretenden Ambivalenzen sowie der Strategien im Umgang damit unterschieden werden: ‚Solidarität’, ‚Emanzipation’, ‚Kaptivation’ und ‚Atomisierung’ (Lüscher/Pajung-Bilger 1998: 156ff.; Lettke/Lüscher 2001: 446). Unter ‚Solidarität’, die der Handlungsmaxime ‚übereinstimmend bewahren’ zugeordnet ist, werden verlässliche Unterstützungsbeziehungen verstanden. Ambivalenzen werden hier vor dem Hintergrund von Empathie und der starken Betonung von Gemeinsamkeiten zurückgedrängt. Die Maxime ‚einvernehmlich entwickeln’ wird als Ausdruck einer Beziehungslogik der ‚Emanzipation’ gesehen. „Bei ‚Emanzipation‘ überwiegen Sachverhalte, die für eine gemeinsame emotionale Verbundenheit (‚Konvergenz‘) sprechen, und solche, bei denen eine Offenheit für institutionelle Veränderungen (‚Innovation‘) im Vordergrund stehen“ (Lettke/Lüscher 2002: 446). Ambivalenzen werden in diesen Familien offen besprochen. Die Beziehungslogik der Handlungsmaxime ‚uneinig ausharren’ wird mit ‚Kaptivation’ bezeichnet. Die Angehörigen einer Generation, meist die Eltern, machen Ansprüche mit Rückgriff auf moralische Verpflichtungen oder Normen gegenüber Angehörigen der anderen Generation geltend und binden sie dadurch an sich, ohne dass dies dem Gefühl der persönlichen Nähe entspricht. Ambivalenzen werden hier manifest erfahren, aber nicht wie beim vorhergehenden Typ reflektiert und besprochen. Der vierte und letzte Typ der Handlungsorientierung, welcher der Maxime ‚unversöhnlich lossagen’ zugeordnet ist, wird mit ‚Atomisierung’ bezeichnet. Mit Atomisierung ist gemeint, dass der familiale Zusammenhalt verloren gegangen ist. Die Mitglieder einzelner
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Generationen haben sich, bildlich gesprochen, voneinander losgesagt. Ambivalenzen werden hier vermieden bzw. negiert. Innerhalb dieses Modells wird der prozessuale Charakter des Umgangs mit Ambivalenzen in Generationenbeziehungen besonders hervorgehoben, indem die Vorläufigkeit unterschiedlicher Strategien betont wird (Lettke/Lüscher 2002: 445). Trotz der Vorläufigkeit und des möglichen Wechsels zwischen den Strategien gibt das Modell eine Typologie der Interpretationen und der damit zusammenhängenden Handlungsweisen an die Hand (Lüscher/Pajung-Bilger 1998: 152), nach denen im empirischen Material gesucht werden kann. Es geht bei der Modellbildung also vorrangig um den Versuch einer idealtypischen Beschreibung von allgemeinen Beziehungstypen (Lüscher/Pajung-Bilger 1998: 154). Nach Dallinger (2002: 220) ist an diesem Ansatz vor allem zu kritisieren, dass methodologisch unklar bleibt, in welchem Verhältnis die empirischen Beobachtungen (zumeist aus offenen Leitfadeninterviews) und die Ambivalenztheorie stehen. Einerseits wird eine induktive Vorgehensweise, das heißt, eine von der Materialanalyse ausgehende Theorieentwicklung, proklamiert. Andererseits wird Ambivalenz vorher schon aus diversen theoretischen Bezügen abgeleitet. So werden Generationenbeziehungen mit der Ambivalenztheorie in erster Linie hinsichtlich sozialpsychologischer Aspekte beschrieben (siehe Lüscher 2004: 27ff.). Zentrale Begriffe, wie etwa die Strategien der Gestaltung von Generationenbeziehungen, werden nicht weiter ausgeführt. Es wäre weiterhin wichtig, den Zusammenhang von Theorie und empirischen Daten genauer zu klären. Eine Stärke des Ansatzes ist sicherlich der Fokus auf die so genannten Handlungslogiken (oder Beziehungslogiken), an denen sich die Ausgestaltung der intergenerationalen Beziehungen orientiert. Die Ambivalenztheorie geht damit eindeutig über die einfache Messung der Hilfeströme zwischen Angehörigen verschiedener Generationen hinaus. Kritisch anzumerken ist hier aber, dass die Ambivalenztheorie wiederum nur in der Lage ist, bestimmte (affektive) Aspekte intergenerationaler Beziehungen besser theoretisch einzuordnen, wenn auch nicht zu erklären. Außerdem wurde bei der Ausformulierung der Ambivalenztheorie nicht darauf eingegangen, ob es ausreicht, wenn eine der beteiligten Personen Ambivalenz erfährt bzw. was die Konsequenz wäre, wenn eine Person Ambivalenz empfindet und die anderen nicht. Auch Bengtson und Kollegen (Bengtson et al. 2002) gestehen ein, dass verschiedene divergente empirische Befunde zu Generationenbeziehungen (zum Beispiel das Auftreten von Spannungen und Konflikten, bei gleichzeitigem Überwiegen naher Beziehungen) durch die neue theoretische Sichtweise klarer werden. Sie haben deshalb versucht, das Konzept der Ambivalenz durch Aufnahme einer siebten Dimension ‚Konflikt’ in ihr Modell zu integrieren (Giarrusso et al. 2005: 414). Die von nun an verwendete Bezeichnung der Theorie inter-
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generationaler Solidarität lautet ‚Solidarity-Conflict-Model’. Ambivalenz in Generationenbeziehungen kann nun innerhalb des ‚Solidarity-Conflict-Models’ auf der Ebene der emotionalen Beziehungsqualität rekonstruiert werden, indem das Ausmaß an Affekt und das Ausmaß an Konflikt zueinander in Beziehung gesetzt werden, so dass sich vier Typen von Beziehungen ergeben: (1) Affekt hoch und Konflikt hoch (‚ambivalent‘), (2) Affekt hoch und Konflikt niedrig (‚amicable‘), (3) Affekt niedrig und Konflikt hoch (‚disharmonious‘) sowie (4) Affekt niedrig und Konflikt niedrig (‚civil‘) (Abbildung 3). Abbildung 3:
Typen intergenerationaler Beziehungen auf der Ebene emotionaler Beziehungsqualität Affekt
hoch
hoch
niedrig
ambivalent
disharmonious
amicable
civil
Konflikt niedrig
Die Einordnung von Ambivalenz in ein solches Vierfelder-Schema (Giarrusso et al. 2005: 417; Steinbach 2008b: 120) wie auch sonstige Operationalisierungen dieses Konzeptes in empirischen Arbeiten (Katz et al. 2005: 402; Lang 2004: 189; Pillemer/Suitor 2002: 606, Willson/Shuey/Elder 2003: 1061) zeigen, dass Ambivalenz in den meisten Untersuchungen als eine Erweiterung der affektuellen Dimension des Solidaritäts-Ansatzes von Bengtson angesehen wird. Dass Ambivalenz ein erklärendes Konzept sein soll, mit dessen Hilfe die Organisation von Generationenbeziehungen generell gefasst werden könne (Lüscher/Pajung-Bilger 1998; Lüscher/Pillemer 1998; siehe auch Connidis/McMullin 2002a und 2002b), ist anhand der vorliegenden Ausführungen nicht nachvollziehbar. Dieses Defizit betrifft allerdings beide Konzepte: Weder das Solidaritäts- noch das Ambivalenzkonzept gehen über eine Dimensionierung und Typisierung von Generationenbeziehungen hinaus. Vorhersagen über die Unterschiede oder Gemeinsamkeiten von biologisch oder sozial miteinander verbundenen Generationen hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Beziehungen lassen sich weder mit der Theorie intergenerationaler Solidarität noch mit der Theorie intergenerationaler Ambivalenz treffen.
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Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Analyseeinheiten: Sowohl in der Ambivalenztheorie als auch in der Theorie intergenerationaler Solidarität bzw. dem ‚Solidarity-Conflict-Model’ werden ausschließlich Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern betrachtet.9 Die Erfahrungsgeschichte der Familie, insbesondere die Eltern-Kind-Beziehung in der frühen Kindheit und der Adoleszenz, bleibt innerhalb dieser theoretischen Konzeptionen unberücksichtigt. Dabei ist die Historie der Familienmitglieder, zum Beispiel der Zeitpunkt und die Erfahrung eines kritischen Lebensereignisses wie Scheidung bzw. Trennung der Eltern, von großer Bedeutung für die Erklärung der Ausgestaltung von Generationenbeziehungen im Erwachsenenalter (Bengtson/Allen 1993: 479). Des Weiteren fehlt der prospektive Blick darauf, wie sich die Ausgestaltung der Generationenbeziehungen im Erwachsenenalter entwickelt. Dieses Defizit sprechen Lüscher und Pajung-Bilger (1998: 159) selbst an, wenn sie angeben, nichts über die Konsequenzen der einzelnen Formen des Umgangs mit Ambivalenz sagen zu können. Konsequenterweise muss also gesagt werden, dass es unabdingbar ist, Generationenbeziehungen in einer Lebensverlaufsperspektive zu betrachten (White 2005: 115ff.; Chibucos/Leite 2005: 11ff.).
2.2
Generationenbeziehungen in der Lebensverlaufsperspektive
In der Lebensverlaufsforschung hat das Alter und seine mannigfaltigen Verbindungen mit der Zeit eine zentrale Bedeutung für das Verständnis veränderbarer Kontexte im Leben von Menschen: „Spätere Ergebnisse, aber auch Zielsetzungen und Erwartungen, sind zu verstehen und zu erklären aus Bedingungen, Entscheidungen, Ressourcen und Erfahrungen der vorausgegangenen Lebensgeschichte“ (Mayer 1990: 11). Um die Defizite bisheriger theoretischer Modelle intergenerationaler Beziehungen zu überwinden, sollte die Beziehung von Eltern und Kindern deshalb in ihrer Interdependenz und – vor allem auch – in ihrem Verlauf betrachtet werden (Huinink/Feldhaus 2008: 32). Die Beziehung, die mit der Geburt des Kindes beginnt, entwickelt sich nämlich entsprechend der jeweiligen strukturellen Rahmenbedingungen und familialen Ereignissen und kann deshalb nicht losgelöst von früheren Erfahrungen betrachtet werden. Das gilt natürlich auch für Stiefbeziehungen, die zwar nicht mit der Geburt des Kindes beginnen, aber damit nur umso stärker abhängig sind vom Zeitpunkt ihrer Ini9
Das Modell intergenerationaler Solidarität hieß bei Bengtson anfangs sogar „a formal model of family solidarity in old age“ (Roberts/Bengtson 1990: S13). Auch bei Lüscher und Kollegen findet sich der Hinweis auf die Fokussierung von intergenerationalen Beziehungen zwischen Erwachsenen (Lettke/Lüscher 2001: 519; Lüscher/Pajung-Bilger 1998: 141).
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tiierung und den Erfahrungen, die von den Beteiligten schon vorher gemacht wurden. Die Lebensverlaufsforschung stellt nun einen begrifflichen Kanon und einige Prämissen zur Verfügung, mit deren Hilfe die Dynamik der Lebensverlaufsperspektive auf konkrete Forschungsfragen – wie der Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen – übertragen werden kann. Im Folgenden sollen die Begriffe und Prämissen kurz vorgestellt werden, da in den späteren Ausführungen immer wieder darauf zurückgegriffen wird. Eine grundlegende Annahme der Lebensverlaufsforschung ist, dass individuelle Entwicklung und damit auch die Entwicklung von Beziehungen in der Familie10 lebenslang erfolgen. Die Entwicklung endet nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt im Erwachsenenalter, sondern reicht von der Geburt bis zum Tod einer Person. Daraus folgt, dass spezifische Perioden im Leben, sprich Kindheit, Jugend- und Erwachsenenalter, nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können. Andererseits wird aber auch nicht davon ausgegangen, dass Erfahrungen in der frühen Kindheit unausweichlich zu bestimmten Ergebnissen im Erwachsenenalter führen. Im Zentrum der allgemeinen Lebensverlaufsforschung wie auch ihrer Anwendung im Bereich der Familiensoziologie stehen so genannte Verläufe (trajectories):11 „A trajectory is long in scope, charting the course of an individual’s experiences in specific life spheres over time. The individual life course is composed of multiple, interdependent trajectories (for example, work, family, and educational trajectories)” (Settersten 2003: 24, Hervorhebungen im Original). Verläufe sind also eigentlich nichts anderes als langfristige Muster von Stabilität und Veränderung in einzelnen Lebensbereichen. Sie werden als Sequenzen erfasst, zwischen denen ein Wechsel von Zuständen – zum Beispiel in Familienpositionen – erfolgt, die wiederum mit unterschiedlichen (familialen) Rollen 10
Auf die Familienentwicklungstheorien bzw. die Familienzyklusmodelle, die sozusagen die Wurzeln der Lebensverlaufsforschung in der Familiensoziologie darstellen, soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Für eine ausführliche Darstellung ihrer theoretischen Traditionen, die sowohl in der Entwicklungspsychologie als auch in der Soziologie liegen, und ihrer Probleme siehe White und Klein (2008: 121ff.), Bengtson und Allen (1993: 472ff.) sowie Elder, Kirkpatrick Johnson und Crosnoe (2004: 7ff.). Für eine Diskussion der Integration dieser Konzepte in die familiensoziologische Lebensverlaufsforschung siehe Aldous (1990, 1996) oder Rodgers und White (1993).
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Manchmal wird synonym auch der Begriff ‚career‘ verwendet (Settersten 2003: 24), obwohl er eigentlich nicht mit dem Begriff des Verlaufs gleichgesetzt werden sollte. Im Gegensatz zu Karrieren wird von Verläufen nicht erwartet, dass sie sich in eine bestimmte Richtung bewegen oder bestimmte Stufen nacheinander beschritten werden (George 2003: 162). Außerdem ist die Untersuchung von Karrieren meist auf einen Lebensbereich beschränkt, während Verläufe unproblematisch verschiedene Lebensbereiche integrieren können (Elder/Kirkpatrick Johnson/Crosnoe 2004: 7).
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verbunden sind. Es ist möglich und üblich die Betrachtung auf einen Lebensbereich (zum Beispiel familiale Verläufe) zu beschränken (Huinink 1995; Macmillan/Copher 2005) oder aber zwei (oder mehr) Lebensbereiche (zum Beispiel familiale und berufliche Verläufe) miteinander zu verbinden (Reichert 2007). Während Verläufe eine langfristige Sicht auf die Geschehnisse im Lebensverlauf beinhalten, umfassen Übergänge eine kurzfristigere Sicht. Übergänge (transitions) sind zentrale Lebensereignisse, die zu einer signifikanten Veränderung der sozialen Position und der Lebensorganisation eines Akteurs führen. Solche Übergänge werden als prozesshafte bzw. graduelle Veränderungen im Lebensverlauf gesehen, wobei Ereignisse (events) eine abrupte Veränderung anzeigen (Settersten 2003: 25). Eine solche Unterscheidung von Übergängen und Ereignissen muss allerdings theoretisch analytisch bleiben, denn die empirische Messung eines Statuswechsels als Prozess im Gegensatz zu einem Statuswechsel als punktuelles Phänomen ist kaum möglich. Letztendlich ist es der Zustandswechsel – zum Beispiel eine Eheschließung oder Scheidung – der empirisch erfasst wird, wobei unbestritten ist, dass der Entscheidung, diesen Schritt zu gehen, ein Prozess des Abwägens und der Entscheidungsfindung vorausgeht. Da Übergänge zu Veränderungen im Status und damit auch der Identität des Akteurs führen, eröffnen sich gleichzeitig Opportunitäten für Verhaltensänderungen. Übergänge haben damit oft weitreichende Folgen für den weiteren Lebensverlauf, vor allem wenn sie relativ früh im Leben stattfinden: „Transitions early in life (…) have lifelong implications for trajectories, by shaping later events, experiences, and transitions“ (Elder/Kirkpatrick Johnson/Crosnoe 2004: 8). Übergänge sind aus der Lebensverlaufsperspektive also Erfahrungen mit Konsequenzen für das gesamte Leben. Von Ereignissen und Übergängen werden noch so genannte Wendepunkte (turning points) unterschieden. Wendepunkte sind Übergänge, an denen Verläufe signifikant in eine bestimmte Richtung treiben – egal ob nur subjektiv wahrgenommen oder objektiv beobachtbar (Elder/Kirkpatrick Johnson/Crosnoe 2004: 8). Wendepunkte können aber auch Diskontinuitäten im Lebensverlauf bezeichnen (Settersten 2003: 25); sie können geplant sein oder auch nicht. Normalerweise werden Wendepunkte als solche bezeichnet, wenn der Übergang lebensbereichsübergreifende Veränderungen nach sich zieht. Gemeinhin wird für Phasen im Lebensverlauf, in denen Statusübergänge in mehreren Lebensbereichen zu einer umfassenden Neustrukturierung der Lebensumstände führen, auch der Begriff Statuspassage verwendet.
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Sowohl die Scheidung bzw. Trennung der Eltern12 als auch das Eingehen einer neuen Partnerschaft eines leiblichen Elternteils – und damit die Gründung einer Stieffamilie – stellen einen solchen Wendepunkt im Leben der Familienmitglieder dar. Beide Ereignisse gehen für die Eltern wie für die Kinder mit erheblichen Veränderungen in verschiedenen Lebensbereichen einher: Zum Beispiel kann nicht nur die Beziehung zum von nun an außerhalb des Haushaltes lebenden Elternteil, sondern auch die Beziehung zu Verwandten und Freunden leiden oder abbrechen; zumindest aber erfährt sie eine Neudefinition, wenn ein Paar sich trennt. Sehr oft ist eine Trennung (Verkleinerung des Haushaltes) wie auch eine neue Partnerschaft und ein Zusammenziehen (Vergrößerung des Haushaltes) mit einem Wechsel des Wohnumfeldes verbunden. Durch den Auszug eines Partners ist in den meisten Fällen auch der andere gezwungen, die Wohnung oder das Haus zu verlassen. Das bedeutet für die Kinder möglicherweise einen Wechsel der Betreuungseinrichtung oder der Schule. Weiterhin kann eine Trennung zu erheblichen Veränderungen der beruflichen Partizipation führen. Eine Frau, die sich in der intakten Partnerschaft auf die Versorgung der Familie konzentriert hat, muss vielleicht (wieder) arbeiten gehen oder sie muss ihre Arbeitszeit erhöhen, um mehr Geld zu verdienen. Das Ereignis der Trennung, aber auch des Einzugs eines neuen Partners sind daher mit Übergängen verbunden, die umfangreiche Anpassungsprozesse erfordern können, da sie sehr viele Veränderungen für die Betroffenen mit sich bringen. Verläufe können weiterhin auf der Basis von fünf zentralen Merkmalen beschrieben werden: dem Zeitpunkt (timing), der Reihenfolge (sequencing), dem Abstand (spacing), der Dichte (density) und der Dauer (duration) von Übergängen und Sequenzen (Settersten 2003: 25). Der Zeitpunkt (timing) betrifft das Alter, in dem der Übergang stattfindet (Hagestad 2003: 135). Je nachdem, in welchem Alter ein Ereignis erlebt wird, hat das unterschiedliche Folgen für den Akteur. Wenn beispielsweise eine Scheidung der Eltern im Kleinkindalter erfolgt, wirkt sich das auf weitere Lebenserfahrungen natürlich in ganz anderer Weise aus, als wenn die Scheidung erfolgt, wenn das Kind erwachsen ist und vielleicht selbst schon eine Familie gegründet hat. Die Reihenfolge (sequencing) betrifft den sequenziellen Ablauf, in dem die Ereignisse stattfinden und die Erfahrungen gemacht werden: „The rationale for measuring trajectories in terms 12
In den folgenden Beispielen zur Erläuterung und Übertragung der Annahmen der Lebensverlaufsforschung auf die Situation von Stiefeltern und Stiefkindern wird davon ausgegangen, dass sich die leiblichen Eltern vor dem Eingehen einer neuen Partnerschaft (und damit der Gründung einer Stieffamilie) getrennt haben. Natürlich ist es auch möglich, dass eine Stieffamilie entsteht, nachdem einer der beiden leiblichen Elternteile verstorben ist. Da dies aber viel seltener vorkommt als eine elterliche Scheidung oder Trennung, wird darauf verzichtet, auf die Folgen eines solchen Ereignisses gesondert einzugehen.
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of sequencing is the expectation that different sequences will have both different precursors and different consequences” (George 2003: 163). Die Reihenfolge der Ereignisse in Bezug auf Stieffamilien kann ganz unterschiedlich sein: Der neue Partner kann bei der Trennung schon existieren oder ist sogar Grund für die Auflösung der alten Partnerschaft. Genauso gut kann aber auf die Trennung der Eltern auch eine Zeit des Alleinlebens und Alleinerziehens folgen, bevor eine neue Partnerschaft eingegangen wird. Der Abstand (spacing) umfasst die Zeitspanne, die zwischen zwei oder mehr Ereignissen liegt. Der neuen Partnerschaft und damit der Stieffamilie kann eine mehr oder weniger lange Zeit des Alleinlebens vorausgehen. Die Dichte (density) beschreibt die Anhäufung von Übergängen, die in einer bestimmten Zeit, beispielsweise in einem bestimmten Alter oder einer bestimmten Altersspanne durchlaufen werden. Dichte Verläufe sind solche, bei denen mehrere Übergänge zeitnah stattfinden. Bei weniger dichten Verläufen fallen die Übergänge weiter auseinander. Eine Trennung der Eltern und ein sofortiges Zusammenziehen eines Elternteils mit einem neuen Partner wäre demnach ein dichter Verlauf, während der Umzug in eine eigene Wohnung mit längerer Zeit des Alleinlebens, bevor eine neue Partnerschaft eingegangen wird, ein weniger dichter Verlauf wäre. Verläufe können weiterhin beschrieben werden auf der Basis der Dauer (duration), die in einem spezifischen Status verbracht wird. Die Dauer ist also nichts anderes als die Zeit zwischen zwei Übergängen, zum Beispiel der Trennung und dem Eingehen einer neuen Partnerschaft. Sowohl die Art der Übergänge selbst als auch die Dauer in einem bestimmten Status haben Implikationen für die Entwicklung der Akteure: „Life transitions may place people in new environments that alter behavior, whereas the forces of habituation and obligation cumulate when people occupy the same residence, job, marital relationship over many years“ (Elder/Kirkpatrick Johnson 2003: 55). Ein langes Verbleiben in einem Status, und damit die kontinuierliche Eingebundenheit in eine spezifische soziale Umwelt, erhöht die Wahrscheinlichkeit von Verhaltenskontinuität über den Lebensverlauf einer Person. Zusammenfassend lässt sich zu Verläufen und ihren Merkmalen sagen: „The timing, sequencing, spacing, density, and duration of earlier experiences may have important ‚domino‘ effects that shape the nature of later experiences. Attention to these parameters illustrates the fact that a single event, transition, or turning point cannot be understood in isolation from others that surround it” (Settersten 2003: 25, Hervorhebungen im Original). Das Interesse der Lebensverlaufsforschung an Verläufen liegt also insbesondere darin, frühere und spätere Erfahrungen miteinander zu verbinden. Die Lebensverlaufsforschung konzentriert sich jedoch nicht ausschließlich auf die Beschreibung und Erklärung von individuellen Lebensverläufen in Abhängigkeit von früheren Erfahrungen.
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Sie versucht darüber hinaus, individuelle Lebensverläufe mit historischen Gegebenheiten bzw. gesellschaftlichen Veränderungen in Verbindung zu bringen und damit für die Einbettung des Einzelnen in soziale Kontexte zu kontrollieren. Fünf allgemeine Prinzipien bieten die Grundlage für ein solches Vorhaben (Elder/Kirkpatrick Johnson/Crosnoe 2004: 10ff.): (1) The Principle of Life-Span Development. Das erste Prinzip beinhaltet die Prämisse, dass die menschliche Entwicklung und das Altern lebenslange Prozesse sind, so dass es notwendig ist, eine sehr lange Perspektive einzunehmen, um Entwicklungsprozesse zu verstehen. Verhalten kann demnach nicht vollständig erklärt werden, wenn die Analysen auf einen spezifischen Status im Leben beschränkt bleiben. Aus dieser Perspektive ist die Kindheit relevant für das Verständnis von Anpassungen in späteren Lebensabschnitten: „Indeed, patterns of late-life adaption and aging are generally linked to the formative years of life course development“ (Elder/Kirkpatrick Johnson/Crosnoe 2004: 11). Diese Prämisse reflektiert die Verschiebung von altersspezifischen Studien (auch zu Generationenbeziehungen) hin zu Forschung, die ausgedehnt ist über lange Segmente des Lebens: „Research that follows children into adulthood can link childhood influences to adult outcomes through events, relationships, and experiences“ (Elder/Kirkpatrick Johnson 2003: 58). Es geht also darum, die genauen Mechanismen zu identifizieren, die die Muster von Kontinuität und Veränderung im Lebensverlauf der Individuen beeinflussen. In Bezug auf Stieffamilien heißt das nichts anderes, als dass es nicht ausreichend ist, die Beziehung des Stiefelternteils und des Stiefkindes zu einem bestimmten Punkt im Erwachsenenalter des Kindes zu betrachten, sondern dass für die Erklärung der Beziehungsgestaltung die gesamte Beziehungsgeschichte in den Blick genommen werden muss. (2) The Principle of Agency. Das zweite Prinzip beinhaltet die Prämisse, dass Individuen ihren eigenen Lebenslauf konstruieren, indem sie innerhalb von Opportunitäten und Restriktionen individueller und gesellschaftlicher Umstände handeln. Weder Kinder noch Jugendliche oder Erwachsene agieren passiv unter sozialen Einflüssen und strukturellen Gegebenheiten, sondern treffen Entscheidungen basierend auf den Alternativen, die sie wahrnehmen: “an emerging emphasis in developmental science is to conceptualize the life course as actively created by individuals and groups, but within the confines of the social worlds in which they exist; these are models of agency within structure” (Settersten 2003: 30; Hervorhebungen im Original). Die Lebensentwürfe und Entscheidungen von Individuen innerhalb der spezifischen Begrenzungen ihrer Welt haben wiederum wichtige Konsequenzen für zukünftige Verläufe: “Transitions across the life course involve individual initiatives, situational constraints and opportunities, influence from others, and the dispositions and prior experiences that
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individuals bring to new situations” (Elder/Kirkpatrick Johnson 2003: 60). Die Entscheidung eines Elternteils nach einer Trennung mit einem neuen Partner zusammenzuziehen strukturiert die Lebensumwelt der vorhandenen Kinder. Dennoch können diese – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – entscheiden, wie sie selbst mit dieser neuen Person umgehen wollen, und auch das Stiefelternteil wird in einer bestimmten Art und Weise auf die Kinder (egal ob minderjährige oder erwachsene) der Partnerin bzw. des Partners reagieren. (3) The Principle of Time and Place. Das dritte Prinzip beinhaltet die Prämisse, dass die Lebensverläufe von Individuen eingebettet und auch beeinflusst sind von gesellschaftlichen Bedingungen zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten regionalen Kontext. Diese Annahme zielt auf mindestens zwei Mechanismen: (1) Das gleiche Ereignis kann sich auf Angehörige verschiedener Geburtskohorten unterschiedlich auswirken. (2) Das gleiche (historische) Ereignis kann sich in Form und Inhalt zwischen verschiedenen Regionen oder Nationen unterscheiden. Eine Reihe von Mechanismen verbindet soziale Veränderungen mit dem Leben der Menschen: Wenn Menschen neue Situationen erleben, treffen sie auf neue Verhaltensanforderungen, die mit Kontrollverlust einhergehen können. Daraufhin werden von ihnen Anstrengungen unternommen, um die Kontrolle wieder zu erlangen. Die Art und Weise, wie stark das Leben der Akteure von Veränderungen beeinflusst wird, hängt aber teilweise auch damit zusammen, was sie in die neue Situation mitbringen. Je mehr Ressourcen ihnen zur Verfügung stehen, desto günstiger: „the transition itself tends to accentuate such qualities in adaptations to the new environment“ (Elder/Kirkpatrick Johnson 2003: 64). Ob Trennungen und Scheidungen eine Ausnahme darstellen oder ob sie von einem relativ großen Anteil der Bevölkerung erlebt werden, hat einen enormen Einfluss darauf, wie die Einzelnen damit umgehen. Andererseits werden mit Zunahme solcher Phänomene auch die rechtlichen Regelungen verändert bzw. angepasst, so dass das Ereignis Trennung oder auch die Gründung einer Stieffamilie ganz unterschiedliche Auswirkungen haben kann, je nachdem unter welchen Bedingungen sie vollzogen wird. Für (Nach-)Scheidungsfamilien gilt entsprechend: “Thus, custody and access enter as structural variables into these dyadic and triadic relationships and, in part, structure how anomic these relationships become in post-divorce relationship stages” (Rodgers/White 1993: 248). (4) The Principle of Timing. Das vierte Prinzip beinhaltet die Prämisse, dass das gleiche Ereignis Individuen ganz unterschiedlich beeinflussen kann, je nachdem, wann es im Lebenslauf passiert. Die Annahme, die als Erklärung dafür herangezogen wird, ist, dass sich die Wirkung eines Ereignisses in unterschiedlichen Entwicklungsstufen ändern kann. Menschen verschiedenen Alters bringen unterschiedliche Erfahrungen und Ressourcen mit, um Situationen bzw.
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Erfahrungen zu verarbeiten. In der Konsequenz passen sie sich in verschiedener Weise den neuen Bedingungen an. Anpassungen dieser Art strukturieren wiederum den Lebenslauf durch einen selektiven Prozess der Entscheidungsfindung (Elder/Kirkpatrick Johnson 2003: 64). In Bezug auf Scheidung ist die Information über das Alter des betroffenen Kindes deshalb unentbehrlich. „So, for example, the ages of the children may assist in understanding their individual feelings about the separation, reconciliation, and divorce transitions, since something will be known of their cognitive, emotional, and social developmental characteristics“ (Rodgers/White 1993: 249). (5) The Principle of Linked Lives. Das fünfte und wichtigste Prinzip – nicht nur hinsichtlich der Untersuchung von Generationenbeziehungen (Elder 1994: 6) – beinhaltet die Prämisse, dass Individuen während ihres gesamten Lebens in soziale Beziehungen mit anderen Menschen eingebettet sind. Soziale Beziehungen fungieren dabei als „developmental context“ in der Kindheit und Jugend (Hartup/Laursen 1991) und auch als „convoy“ der signifikanten Andereren über den gesamten Lebensverlauf (Antonucci/Aikyama 1995; Kahn/Antonucci 1980). Sie wirken in diesem Zusammenhang sowohl sozial regulierend als auch unterstützend. Da Individuen eng verbunden sind mit anderen Menschen, ist auch die individuelle Entwicklung gebunden an und geprägt von diesen Beziehungen (Settersten 2003: 27). Man kann sogar noch einen Schritt weiter gehen: „Because lives are lived interdependently, transitions in one person’s life often entail transitions for other people as well“ (Elder/Kirkpatrick Johnson/Crosnoe 2004: 13). Was im Leben einer Person passiert, hat Auswirkungen auf das Leben anderer Personen, insbesondere natürlich innerhalb einer Familie. Diese Art von Übergängen werden auch ‚counterpoint-transitions‘ oder kurz ‚countertransitions‘ (Hagestad 2003: 147) genannt. Das sind Veränderungen, die nicht durch eigene Entscheidungen und eigenes Tun hervorgerufen werden, sondern durch das Handeln von Menschen, mit denen der Akteur sozial verbunden ist. Veränderungen der Zusammensetzung der Familie scheinen an dieser Stelle besonders relevant. In Bezug auf Generationenbeziehungen in Scheidungsfamilien heißt das: “A good many divorces occur in marriages where there are others sets of relationships so that the event of the divorce represents a change of stage not only for the marital relationship but potentially for the mother-son, motherdaughter, father-son, father-daughter, and sibling relationships” (Rodgers/White 1993: 248; siehe auch Shapiro/Cooney 2007: 192). Und in Bezug auf Stieffamilien: Eine neue Beziehung des Elternteils beeinflusst das Leben aller miteinander interagierenden Familienmitglieder. Neue Partnerschaften führen zwangsläufig zu Wendepunkten, die wiederum Änderungen im Verhalten aller Beteiligten hervorrufen.
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Da das Konzept des Lebensverlaufsansatzes eher ein Forschungsprogramm definiert, als dass man von einer Theorie des Lebenslaufs sprechen könnte (Huinink 1995: 152, siehe auch Aldous 1990: 571), ist es mit den beschriebenen Annahmen noch nicht möglich, die Ausgestaltung von Eltern-Kind-Beziehungen zu erklären. Aus den Prämissen allein – so sinnvoll sie auch für die Rahmung einer Erklärung sind – wird noch nicht deutlich, warum es eigentlich wichtig ist, die Beziehungsgeschichte der Generationen zu untersuchen und wie genau die verschiedenen Personen miteinander verbunden sind und warum. Innerhalb eines allgemeinen konzeptuellen Rahmens der Lebensverlaufsperspektive können jedoch andere Theorien (mittlerer Reichweite), die konkrete Aussagen über die Ausgestaltung von Generationenbeziehungen erlauben, herangezogen werden, um mit ihrer Hilfe Vorhersagen darüber zu formulieren, wie die jeweiligen Ereignisse und Erfahrungen in verschiedenen Lebensphasen ganz konkret die Eltern-Kind-Beziehung im Erwachsenenalter beeinflussen. Theoretische Konzepte, die diesen Erklärungsanspruch erfüllen bzw. mit denen auch Vorhersagen darüber getroffen werden können, wie sich die Beziehungen zwischen biologisch und sozial miteinander verbundenen Generationen unterscheiden und warum, sind die Austauschtheorie, der Value-of-Children-Ansatz, die Soziobiologie und die Bindungstheorie.
2.2.1
Austauschtheorie
Im Gegensatz zur Vorstellung der Existenz einer normativen Generationensolidarität – die ausschließlich an der Konditionierung sozialen Handelns durch vorgegebene Normen ansetzt (Walter 1993: 342) – wird innerhalb dieses Ansatzes angenommen, dass intergenerationale Beziehungen als soziale Tauschprozesse aufzufassen sind. Die Vertreter der Austauschtheorie (Blau 1964; Homans 1961) gehen davon aus, dass in allen zwischenmenschlichen Beziehungen Ressourcen getauscht werden, um die persönliche Wohlfahrt der Beteiligten zu erhöhen. Getauscht werden – auch in Familien – Güter, Dienste und emotionale Unterstützung. Die Tauschprozesse basieren dabei auf individuellen KostenNutzen-Abwägungen der beteiligten Akteure, das heißt, ein Individuum wählt diejenige Handlung unter einer Vielzahl an möglichen Alternativen, die mit größter Wahrscheinlichkeit den größten Nutzen verspricht. Die Interdependenz von Personen ergibt sich also aus dem Bedürfnis heraus, Ressourcen auszutauschen, die für das Wohl der jeweiligen Individuen wesentlich sind. In der Theorietradition der Sozialanthropologie (Mauss 1990 [1923/24]) kann der Gabentausch – zum Beispiel in Form von Geschenken, die sich die Familienmitglieder
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gegenseitig zu bestimmten Anlässen machen – auch in seiner Funktion, soziale Beziehungen zu bekräftigen, gesehen werden. Im Kreislauf von Geben, Nehmen und Erwidern reproduzieren und stabilisieren sich familiale Beziehungen entsprechend. Generationenbeziehungen folgen – wie andere soziale Beziehungen auch – der Logik des sozialen Tausches, denn das Geben und Nehmen von emotionaler, finanzieller oder instrumenteller Hilfe erfolgt nicht gleichzeitig, sondern zeitversetzt. Die Besonderheit von Generationenbeziehungen (im Vergleich zu anderen sozialen Beziehungen wie Freundschaften) besteht nun darin, dass die zeitliche Spanne zwischen Geben und Nehmen Jahre oder gar Jahrzehnte betragen kann, bis sich ein gewisses Maß an (intergenerationaler) Reziprozität einstellt. Dies ist möglich, weil in Familien eine starke Bindung13 der einzelnen Familienmitglieder aneinander besteht, die eine längere Diskontierung als in anderen sozialen Beziehungen ermöglicht. Reziprozität muss deshalb speziell in Familien unter einer langfristigen Zeitperspektive gesehen werden (Hollstein 2005: 195). Bei jeder Art von sozialem Tausch, so auch bei Generationenbeziehungen, ist allerdings nicht sicher, ob überhaupt Rückzahlungen für gegebene Leistungen zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Eltern (und auch Kinder) können sterben; Beziehungen können abgebrochen werden. Sozialer Tausch beruht auf unspezifischen, diffusen Verpflichtungen der Akteure, das heißt, es gibt keine festen Vereinbarungen über Form, Umfang und Zeitpunkt der Rückzahlung (Marbach 1994: 165ff.). Da zwischen Geben und Nehmen lange Intervalle liegen können, braucht sozialer Tausch das gegenseitige Vertrauen14 der Tauschpartner. Soziale Tauschbeziehungen wachsen deshalb in der Regel nur langsam, denn getätigte Investitionen müssen erst auf ihren Nutzen geprüft werden. Auch hier liegt eine Besonderheit von biologisch miteinander verbundenen Generationen, bei denen eine emotionale Eltern-Kind-Bindung in den ersten Lebensjahren aufgebaut wird und die deshalb in der Regel zur Etablierung stabiler Austauschbeziehungen führt (Merz/Schuengel/Schulze 2007). Bei sozial miteinander verbundenen Generationen ist zu vermuten, dass sie den Eltern-Kind-Beziehungen, die auf Abstammung beruhen, stärker ähneln, je jünger die Kinder bei der Gründung der Stieffamilie waren, je mehr Zeit also zur Verfügung stand, um Vertrauen 13
Detaillierte Ausführungen zur Entwicklung einer Bindungsbeziehung zwischen Eltern und Kindern finden sich im Abschnitt 2.2.4 zur Bindungstheorie.
14
Zur Rolle von Vertrauen und der Wechselseitigkeit von Verhaltenserwartungen bei der Kooperationswilligkeit in sozialen (Austausch-)Beziehungen siehe Coleman (1991: 115ff.). Für einen aktuellen Überblick über die theoretische Diskussion zu Vertrauen, empirische Analysen zum Aufbau von Vertrauen und zum Vertrauen als soziologischen Grundbegriff siehe Endreß (2002) sowie die Beiträge in Hartmann und Offe (2001).
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aufzubauen und je größer damit sicher auch die wahrgenommene Langfristigkeit der Beziehung ist. Je eher die Austauschbeziehung zwischen Stiefelternteil und Stiefkind initiiert wurde, desto stabiler sollte die Austauschbeziehung im Erwachsenenalter sein. Die Objekte des sozialen Tausches sind vielgestaltig. In Familien reichen sie von gelegentlichem Einkaufen und Putzen, über Kinderbetreuung und finanzielle Unterstützung bis hin zu lebenslanger Pflege. Foa und Foa (1980) haben ein allgemeines Modell über die Beziehungen von Ressourcenklassen entwickelt, welches auch auf den Tausch in Familien angewendet werden kann. Unter Ressourcen verstehen sie „anything transacted in an interpersonal situation“ (Foa/Foa 1980: 78). Sie gehen davon aus, dass sich innerhalb von Eltern-KindBeziehungen eine bestimmte Differenzierungsdynamik von Tauschgegenständen entwickelt: Aus der ganzheitlichen Versorgung des Säuglings heraus entstehen sechs verschiedene Arten von tauschbaren Ressourcen: Liebe (‚love’), Wertschätzung bzw. Status (‚status’), Informationen (‚information’), Geld (‚money’), Güter (‚goods’) und Dienstleistungen (‚services’). Foa und Foa (1980: 79; Hervorhebungen im Original) definieren diese sechs Ressourcen folgendermaßen: „Love is defined as an expression of affectionate regard, warmth, or comfort; status is an expression of evaluative judgment which conveys high or low prestige, regard, or esteem; information includes advice, opinions, instruction, or enlightenment, but excludes those behaviors which could be classed as love or status; money is any coin, currency, or token which has some standard unit of exchange value; goods are tangible products, objects, or materials; and services involve activities on the body or belongings of a person which often constitute labor for another”. Aus der anfänglich undifferenzierten Geborgenheit aus Wärme, Nahrung und Pflege lernt das Kind als erstes zwischen Liebe und Dienstleistung zu unterscheiden. In einem zweiten Schritt werden dann Liebe von Wertschätzung (bzw. Status) sowie Dienstleistungen von Gütern differenziert. Schließlich erfolgt die Trennung von Wertschätzung und Information sowie von Gütern und Geld. Auch hier zeigt sich wieder die (anfängliche) Asymmetrie in der Eltern-Kind-Beziehung: Da Kinder erst die verschiedenen Ressourcen unterscheiden lernen müssen, können sie nicht von Anfang an als gleichberechtigte Partner in diesem Tausch gesehen werden. Foa und Foa (1980: 80) ordnen nun die Ressourcen in einem Circumplex um die Achsen ‚Konkretheit’ und ‚Partikularismus’ an (Abbildung 4). Auf der ersten Achse ‚Konkretheit’ werden die beiden Ressourcen Dienstleistungen und Güter als konkret eingestuft, da sie den Austausch greifbarer, offener Aktivitäten oder Produkte beinhalten. Die Ressourcen Status und Information werden dagegen als symbolisch klassifiziert, da sie weniger gegenständlich und damit auch weniger greifbar sind. Bei Liebe und Geld sind sowohl konkrete als auch
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symbolische Formen des Austausches möglich, weshalb sie zwischen den beiden Extremen dieser Achse liegen. Die Ressourcen Liebe und Geld bilden allerdings Gegensätze auf der zweiten Achse ‚Partikularismus’. Liebe, wie auch Wertschätzung (Status) und persönliche Dienste sind oft personengebunden, also partikularistisch. Während Geld, aber auch Güter und Informationen eher universalistisch sind, also unabhängig von bestimmten Personen getauscht werden können. Abbildung 4:
Anordnung der Ressourcenklassen nach Foa und Foa Liebe
partiku-
Partikularismus
laristisch Status
Dienstleistungen
Informationen
Güter Geld
universalistisch symbolisch
konkret Konkretheit
Quelle: Foa/Foa 1980: 80
Wenn soziale Tauschbeziehungen eingegangen werden, weil sie den Akteuren zur Befriedigung ihrer grundlegenden Bedürfnisse nach physischem und psychischem Wohlbefinden dienen, ist davon auszugehen, dass sie (in der Regel) aufgelöst werden, falls sie diese Funktion nicht mehr erfüllen. Austauschbeziehungen zwischen Eltern und Kindern, die biologisch miteinander verbunden sind, unterscheiden sich von anderen sozialen Beziehungen deshalb in zweierlei Hinsicht: (1) Verwandtschaftsbeziehungen gründen – das gilt mindestens für die Kinder – nicht auf Freiwilligkeit (Alt 1994: 199). Eltern und Kinder sind aneinander gebunden, das heißt, sie müssen in Notsituationen füreinander einstehen. Das ist – zumindest in Deutschland – gesetzlich so geregelt. Austauschbeziehungen in Familien haben immer eine gemeinsame Geschichte und blicken in der Regel auch in eine gemeinsame Zukunft. Daher ist es um einiges schwieri-
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ger (bzw. kostenintensiver) eine Eltern-Kind-Beziehung für immer zu verlassen als eine Freundschaftsbeziehung aufzulösen (Nye 1979: 10). (2) Das ElternKind-Verhältnis ist eine Beziehung zwischen Ungleichen. Mindestens während der ersten Jahre ist die Beziehung asymmetrisch, das heißt, die Eltern haben mehr Verpflichtungen, aber auch mehr Macht, und die Kinder sind vollständig von ihnen abhängig (Berger/Fend 2005: 9; Hollstein/Bria 1998: 13). Die beschriebenen Besonderheiten familialer Austauschbeziehungen gelten natürlich nur eingeschränkt für Stiefeltern und Stiefkinder. Die Etablierung dieser Beziehung ist nicht an die Geburt eines Kindes gebunden, sondern daran, dass ein leibliches Elternteil eine neue Partnerschaft eingeht. Das Stiefelternteil hat sich in diesem Sinne auch weniger für die Gründung einer Familie als für einen Partner bzw. eine Partnerin mit familialer Vergangenheit entschieden. Das Kind kann zu Beginn dieser Partnerschaft natürlich jedes Alter haben – also auch schon erwachsen sein. Für Stiefbeziehungen gelten deshalb eher die Merkmale anderer sozialer Austauschbeziehungen, wobei eine einfache Übertragung nicht ohne weiteres möglich ist. Stiefeltern-Stiefkind-Beziehungen liegen sozusagen zwischen anderen sozialen Beziehungen, wie Freundschaften, und Eltern-Kind-Beziehungen. Der wichtigste Einflussfaktor ist dabei das Alter des Kindes zu Beginn der Beziehung. Oder mit dem Vokabular der Lebensverlaufsforschung gesprochen: das ‚timing‘. Je jünger das Kind ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Austauschbeziehungen zwischen sozialen Eltern und Kindern den Beziehungen zwischen leiblichen Eltern und Kindern ähneln. Außerdem ist auch von Bedeutung, ob das Kind mit dem Stiefelternteil zusammengelebt hat oder nicht. Das hängt einerseits wiederum vom Alter des Kindes ab, andererseits aber auch davon, ob das Stiefelternteil der Partner bzw. die Partnerin des externen Elternteils ist oder des Elternteils, bei dem das Kind überwiegend lebt. Hinzu kommt die perzipierte Langfristigkeit der Beziehung. Diese ist sicher nicht im gleichen Maße gegeben wie bei biologischen ElternKind-Beziehungen. Ein Kontaktabbruch wiederum ist dennoch schwerer zu vollziehen als bei Freundschaften, da dies unter Umständen auch einen Abbruch des Kontakts zum leiblichen Elternteil bedeuten kann. Die Freiwilligkeit der Aufrechterhaltung der Austauschbeziehung ist damit auf jeden Fall geringer als bei anderen sozialen Beziehungen. Hier wird die Interdependenz bzw. das Prinzip der ‚linked lifes‘ der Familienmitglieder deutlich. Die Frage nach der Funktionsweise des Tauschverkehrs zwischen Familienmitgliedern ist weiterhin vor allem die Frage danach, ob der Tausch von Gütern und Leistungen auch in Familien dem ‚Prinzip der Gegenseitigkeit’ (Reziprozität) unterliegt. Gouldner (1960) geht in seinem klassischen Aufsatz ‚The Norm of Reciprocity’ davon aus, dass sich soziale Tauschprozesse an einer universellen Norm der Reziprozität orientieren, wonach der Ressourcenaus-
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
tausch immer unter der Annahme erfolgt, dass sich letztendlich Geben und Nehmen ausgleichen werden.15 Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen auch Eltern-Kind-Beziehungen (als soziale Tauschprozesse) durch die Verpflichtung zur Reziprozität strukturiert werden (Hollstein/Bria 1998: 7; Hollstein 2005: 187). Dafür ist es wichtig, zwei Formen von Reziprozität zu unterscheiden: die balancierte Reziprozität und die generalisierte Reziprozität (Hollstein/Bria 1998: 11; siehe auch die Systematik bei Esser 2000: 353ff.). Balancierte Reziprozität ist gegeben, wenn sich (1) die getauschten Güter und Dienstleistungen direkt gegeneinander verrechnen lassen, das heißt, äquivalent sind.16 (2) Wenn Geben und Nehmen zeitlich nah beieinander liegen, das heißt, der Tauschakt in einer überschaubaren Zeitspanne stattfindet. Und (3) wenn sich die Tauschbeziehungen analytisch in Dyaden auflösen lassen, das heißt, immer zwei Partner am Tausch beteiligt sind. Balancierte Reziprozität kommt zum Beispiel in sozialen Austauschbeziehungen zu Freunden oder Kollegen vor. Generalisierte Reziprozität erlaubt im Gegensatz dazu eine zeitliche Streckung der Transaktionen und eine zahlenmäßige Erweiterung der Tauschpartner. Sie kann also (mindestens) zwei Formen annehmen: (1) die ‚Generalisierung über eine (soziale) Gruppe’ und (2) die ‚Generalisierung über einen längeren Zeitraum’ (Stegbauer 2002: 79). Die ‚Generalisierung über eine (soziale) Gruppe‘ meint nichts anderes als die Erweiterung der Tauschdyade um weitere Tauschpartner. Ein Kind kann beispielsweise gleichzeitig mit beiden Elternteilen in Austausch treten, wenn es beiden gemeinsam ein Geschenk – zum Beispiel zu Weihnachten – macht. Mit der ‚Generalisierung über eine soziale Gruppe‘ kann aber auch ein Austausch über mehrere Generationen hinweg gemeint sein. Die ‚Generalisierung über einen längeren Zeitraum’ bedeutet im Gegensatz dazu, dass (Gegen-)Leistungen so spät erbracht werden, dass sie sich nicht mehr direkt einer vorherigen Leistung zuordnen lassen. Wie aus den bisherigen Ausführungen ersichtlich wird, kann die Reziprozität in Eltern-Kind-Beziehungen als generalisierte Reziprozität aufgefasst werden, da mehr als zwei Tauschpartner beteiligt sind und eine starke Ausdehnung
15
Reziprozität formt und stabilisiert soziale Beziehungen als Tauschbeziehungen, indem derjenige, der eine Gabe akzeptiert und annimmt, zu einer Gegengabe gezwungen wird: Der Empfänger ist so lange an den Geber gebunden, bis er seine Schuld beglichen hat (Gouldner 1960: 174).
16
Äquivalenz bedeutet allerdings nicht, dass die Rückzahlung durch identische Objekte erfolgt, denn das käme dem Prinzip einer Verweigerung gleich. Tauschobjekte können entweder gleicher Art (homomorphe Reziprozität) oder auch ganz unterschiedlicher Art (heteromorphe Reziprozität) sein (Gouldner 1960: 172).
Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
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des Zeitraums zwischen Gabe und Gegengabe besteht.17 Insbesondere die zeitliche Perspektive des Austausches spielt bei Generationenbeziehungen eine entscheidende Rolle, denn sie hat sowohl Folgen für die Form als auch für den Inhalt der Reziprozität: „Bei generalisierter Reziprozität steht die Beziehung im Zentrum der Aufmerksamkeit der Akteure, nicht so sehr das, was faktisch ausgetauscht wird. Ein Ende dieser (Austausch-)Beziehung wird nicht antizipiert, und der Moment der erwarteten Rückgabe ist so weit verzögert, daß eine Wegorientierung von der Äquivalenz (Equity) der balancierten Reziprozität festzustellen ist hin zu einer stärkeren Orientierung an situativen Bedürfnissen und Ressourcen“ (Hollstein/Bria 1998: 12). Für die Frage der Äquivalenz spielt im generalisierten Austausch der symbolische Wert der getauschten Ressourcen eine größere Rolle: Zum einen werden die situativen Umstände des Tauschs stärker berücksichtigt, vor allem die persönliche Ressourcenlage. Zum anderen werden immaterielle Güter wie Dienstleistungen, Wertschätzung und Gefühle stärker gewichtet. Eine Bilanzierung findet natürlich trotzdem noch statt, aber eben über einen sehr langen Zeitraum hinweg (Berg/Piner/Frank 1993: 175). Nach Rossi und Rossi (1990: 6) sind Aussagen über die Reziprozität bei familialen Tauschprozessen sogar erst am Ende des Lebens möglich. Hollstein und Bria (1998: 16) sprechen in diesem Zusammenhang auch von ‚lebensgeschichtlich generalisierter Reziprozität’. Untersuchungen mit Querschnittsdaten, die nur eine Momentaufnahme der Austauschbeziehung darstellen, sind deshalb nicht geeignet, den reziproken Austausch in Familien zu erfassen, insbesondere da sich die Gaben – wie schon erwähnt – an den jeweiligen Bedürfnissen und Ressourcen orientieren, die manchmal über einen langen Zeitraum asymmetrisch verteilt sind, was zu einer unbestimmten Aufschiebung der Gegenleistung führt. Man könnte sogar noch einen Schritt weiter gehen und argumentieren, dass Generationenbeziehungen hauptsächlich der Versicherung für eventuell eintretende Notfälle dienen (Silverstein et al. 2002: S3). Es liegt in der Natur der Sache, dass Versicherungen nicht in jedem Fall mit Rückzahlungen vergolten werden. Bei Generationenbeziehungen kann das allerdings auch andere Gründe haben, als dass der Versicherungsfall nicht eintritt. Erstens ist es möglich, dass die Beziehung aufgelöst wird – sei es durch den Tod oder den bewussten Kontaktabbruch einer der beiden Parteien. Zweitens kann es der Gegenseite im Be-
17
Eine Besonderheit von familialen Generationenbeziehungen besteht darüber hinaus in der extremen Diffusität der Tauschmedien, die zum Einsatz kommen: In Familien ist der Austausch nicht auf bestimmte Ressourcen beschränkt, sondern es wird – im Gegenteil – alles, was möglich ist, getauscht. Man könnte im Sinne einer generalisierten Reziprozität auch von einer ‚Generalisierung über (verschiedenste) Tauschmedien’ sprechen.
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
darfsfall auch an Ressourcen wie zum Beispiel an Zeit oder Geld für eine Unterstützung fehlen. Das Nichtvorhandensein von Ressourcen liegt allerdings nicht nur an der Möglichkeit diese zu akkumulieren, sondern auch an den verschiedenen Konkurrenten um diese Ressourcen. Das können bei den Eltern zum Beispiel die jeweiligen Partner, die eigenen Eltern und Schwiegereltern, aber auch weitere Kinder sein. Bei Stiefeltern-Stiefkind-Beziehungen stehen die Stiefkinder wohl vor allem in Konkurrenz mit eigenen leiblichen Kindern des Stiefelternteils, wenn solche vorhanden sind. Auch auf Seiten der erwachsenen Kinder können Partner, leibliche und soziale Eltern, Schwiegereltern und eigene Kinder unter Umständen nicht in gleichem Maße an einer Unterstützung partizipieren, auch wenn sie diese gerade benötigen. Hier spielen sowohl die Knappheit von Ressourcen als auch die Interdependenz der Familienmitglieder eine Rolle. Auch Nye (1979: 10f.) behauptet, dass Eltern in modernen Industriegesellschaften mehr Aufwand für ihre Kinder betreiben, als sie je von ihnen zurückbekommen können: „parents’ responsibilities remain, but the material rewards provided by children to their parents have largely disappeared“. Auf die Frage, warum Eltern trotzdem bereit sind, die hohen Kosten für die Kinderpflege auf sich zu nehmen, wenn sie keine bzw. nur wenig Gegenleistung von ihren Kindern erwarten können, findet er – außer in der sozialen Norm, sich um seine Kinder zu kümmern, die auch rechtlich abgesichert ist – folgende Antwort: Die Idee des generalisierten Tausches im Sinne eines ungeschriebenen Generationenvertrags bezieht sich auch auf alle weiteren Generationen. Das heißt, Eltern geben ihren Kindern, was sie selbst von den eigenen Eltern erhalten haben.18 Allgemein könnte das Prinzip etwa folgendermaßen lauten: „Man hilft einem Hilfsbedürftigen, damit man selbst im Notfall Hilfe von anderen erwarten kann oder weil man schon zuvor in den Genuß fremder Hilfe gelangt ist“ (Marbach 1994: 168; siehe auch Friedman/Hechter/Kreager 2008). Im nächsten Schritt argumentiert Nye (1979: 11): „Since one’s action brought these babies into world, he/she has the special responsibility for providing care and socialization for them”. Wie es allerdings zu der Entscheidung kommt, ein ‚Baby in die Welt zu setzen’, lässt er in seinen Ausführungen offen. Dies scheint aber m. E. gerade die entscheidende Frage zu sein: Warum stiften Frauen und Männer in modernen, industrialisierten Ländern Generationenbeziehungen, wenn der Austausch dauerhaft asymmetrisch bleibt? Nye (1979: 11) 18
Siehe auch Stegbauer (2002: 84f.), der von einer generationenübergreifenden Verkettung von Leistungen spricht oder Hagestad (2003: 148), die die indirekten Beziehungen zwischen den Generationen betont: „One generation may help a second, in order that the second can help a third“.
Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
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selbst schreibt dann allerdings, dass es auch in der Kindheitsphase einen Ausgleich für die elterlichen Leistungen geben kann: „Where among human beings can a parent get as much positive response–affection and respect–as from a young child? Stimulation, new experiences, and satisfaction of the physical needs of the child result in direct and predictable positive response from the child”. Auch kleine Kinder können ihre Eltern also durchaus, zum Beispiel mit affektiver Zuwendung und Respekt für die Fürsorge, die sie ihnen entgegenbringen, belohnen. Der Wert von Kindern für ihre Eltern liegt also nicht nur in langfristigen Auszahlungen, wie späterer finanzieller Unterstützung oder Pflege im Alter, die durch sozialstaatliche Sicherungssysteme immer mehr an Bedeutung verloren haben, sondern auch in kurzfristigen Belohnungen wie Liebe oder Wertschätzung, die schon im Kindesalter gezeigt werden können. Das einzigartige Erlebnis, Kinder aufwachsen zu sehen und die besondere Art der Liebe, die sich (normalerweise) zwischen Eltern und Kindern entwickelt, sind durch keine andere soziale Beziehung zu ersetzen und erhalten so ihren besonderen Wert, der sich auch auf die generative Entscheidung (potenzieller) Eltern niederschlägt (Huinink 1995: 196; Klein/Eckhard 2005: 161f.; Nauck 2001: 415). Intergenerationale Beziehungen und generatives Verhalten hängen also eng miteinander zusammen. Intergenerationale Beziehungen als soziale Tauschprozesse werden nämlich nur eingegangen, wenn sich die (potenziellen) Eltern auch einen Nutzen davon versprechen. Der Nutzen von Kindern für ihre Eltern zeigt sich dabei sowohl in einer kurzfristigen Perspektive, als auch – da Generationenbeziehungen auf Dauer angelegte soziale Beziehungen darstellen – in einer Reihe von Nutzenaspekten, die ausschließlich in einer langfristigen Perspektive Sinn ergeben.19 Für die Untersuchung von Fertilitätsentscheidungen – vor dem Hintergrund der Stiftung von Generationenbeziehungen – ist eine Lebensverlaufsperspektive deshalb unbedingt erforderlich. Denn auf Grund intergenerationaler Transmissionsprozesse von Erziehungs- und Beziehungsverhalten (Schneewind 2001: 33) ist auch davon auszugehen, dass die erlebten Generationenbeziehungen mit den eigenen Eltern den Handlungsrahmen bestimmen, in dem generative Entscheidungen getroffen werden. Es ist also nötig einen Erklärungsansatz einzubeziehen, der Faktoren integriert, die positiv oder negativ auf die Fertilitätsentscheidung wirken. Diesen Anspruch erfüllt der ‚Value-ofChildren’-Ansatz (VOC), der ursprünglich dazu diente, die Fertilitätsentscheidungen von (potenziellen) Eltern in verschiedenen Gesellschaften zu erklären. 19
Das besondere Interesse am Nutzen intergenerationaler Austauschbeziehungen im Alter wird durch eine Vielzahl von Beiträgen zu Hilfeleistungen der erwachsenen Kinder, wenn ihre Eltern pflegebedürftig werden, belegt (siehe unter anderem Haberkern/Szydlik 2008; Hollstein/Bria 1998; Künemund 2002; Schütze/Wagner 1995; Silverstein et al. 2002).
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
Für Stiefbeziehungen muss hier wiederum einschränkend gesagt werden, dass die Entscheidung für die Kinder direkt an die Entscheidung für einen bestimmten Partner bzw. eine bestimmte Partnerin geknüpft ist. Die folgenden Ausführungen gelten entsprechend vorrangig für biologisch miteinander verbundene Generationen, also leibliche Eltern. Allerdings können ähnliche Mechanismen unterstellt werden, was die Ausgestaltung der Beziehung, also den Umgang mit den Kindern betrifft, wenn die Stiefelternteile sehr früh in die Familie gekommen sind und mit den Kindern zusammengelebt haben.
2.2.2
Value of Children
Im Rahmen der international angelegten ‚Value-of-Children‘-Studie (VOC), die Mitte der 1970er Jahre durchgeführt wurde (Arnold et al. 1975; Hoffmann/ Hoffmann 1973), stand die Untersuchung von Kosten, Barrieren und Anreizen im Vordergrund, die sich auf das generative Verhalten von (potenziellen) Eltern in verschiedenen Ländern auswirken. Der ‚Wert von Kindern’ wurde dabei als zentrale Moderatorvariable auf der Individualebene konzeptualisiert (Nauck 2001: 410), die in Abhängigkeit von den (gesellschaftlichen) Kontextbedingungen variiert. Die späteren empirischen Analysen von Kagitcibasi und Esmer (1980) ergaben, dass dem Wert von Kindern eine dreidimensionale Struktur unterliegt: Demnach existiert (1) ein ökonomisch-utilitaristischer VOC, (2) ein psychologisch-affektiver VOC und (3) ein sozial-normativer VOC. Bei einer Reihe von nachfolgenden Untersuchungen wurde eine außerordentlich große interkulturelle Variabilität dieser Wertedimensionen festgestellt (Kagitcibasi 1982; Nauck 1997): Je stärker die Modernisierung eines Landes vorangeschritten ist, desto eher sinken ökonomisch-utilitaristische Werte, während psychologisch-affektive Werte eher steigen. Sozial-normative Werte scheinen dagegen nur eine untergeordnete Rolle für die Erklärung interkultureller Unterschiede im generativen Verhalten zu spielen. Dieser ursprüngliche Ansatz weist allerdings zwei wesentliche Unzulänglichkeiten auf (Nauck/Kohlmann 1999: 64): Einerseits wurden die Werte von Kindern induktiv gewonnen und sind damit nicht theoretisch begründet; andererseits fehlen jegliche systematische Verknüpfungen zwischen der Ausgestaltung der VOCs und entsprechenden Handlungsrahmenbedingungen (Mehrebenenbezug). Mit der Integration der Theorie sozialer Produktionsfunktionen (Lindenberg 1984, 1990) lassen sich beide Probleme lösen. In der Weiterentwicklung des ‚Value-of-Children’-Ansatzes werden Kinder deshalb als so genannte Zwischengüter in der Theorie sozialer Produktionsfunk-
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
tionen aufgefasst (Nauck 2001: 413f.; Klaus/Suckow 2005: 90). „The theory asserts that people produce their own well-being by trying to optimize achievement of universal goals, within the set of resources and constraints they face“ (Ormel et al. 1999: 66). Das grundlegende Ziel aller menschlichen Handlungen stellt demnach die Erreichung von subjektivem Wohlbefinden dar, was durch die Befriedigung der beiden grundlegenden Bedürfnisse nach ‚physischem’ und ‚psychischem’ Wohlbefinden erreicht wird (Lindenberg 1984). Eine Befriedigung dieser beiden grundlegenden Bedürfnisse ist wiederum über verschiedene Produktionsfaktoren möglich, die zwischen den Bedingungen der Situation und dem Nutzen vermitteln. "Die dem Organismus externen Produktionsfaktoren, die jeweils geeignet sind, für physisches Wohlbefinden und soziale Wertschätzung zu sorgen, seien allgemein als Zwischengüter bezeichnet" (Esser 1999: 98, Hervorhebungen im Original). Die Produktionsfaktoren bzw. Zwischengüter sind dabei allerdings nicht universell verfügbar, sondern sie sind nur kontextspezifisch existent und relevant. In Anlehnung an einer Übersicht von Ormel et al. (1999: 67) ist die Hierarchie sozialer Produktionsfunktionen in Abbildung 5 zusammenfassend dargestellt. Abbildung 5:
Die Zielhierarchie sozialer Produktionsfunktionen
Hierarchie menschlicher Ziele
Bedürfnisse
Subjektives Wohlbefinden
Oberstes Ziel
Universelle Ziele
Instrumentelle Ziele
Physisches Wohlbefinden
Stimulation
Komfort
Psychisches Wohlbefinden
Status
Verhaltensbestätigung
Affekt
Quelle: Eigene Darstellung nach Ormel et al. 1999: 67.
Der ‚Value-of-Children’-Ansatz ermöglicht nun auszuformulieren, in welcher Weise und unter welchen Voraussetzungen Kinder als Zwischengüter in die sozialen Produktionsfunktionen ihrer (potenziellen) Eltern eingehen (Nauck 2001: 413), um deren Streben nach physischem und psychischem Wohlbefinden
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
zu optimieren. Fertilitätsentscheidungen werden demnach immer im Rahmen individueller Nutzenmaximierung getroffen.20 „Diese Nutzenmaximierung der Akteure geschieht stets vor dem Hintergrund spezifisch wahrgenommener Randbedingungen: Die jeweilige Handlungssituation und sozial-kulturelle ‚frames’ determinieren, welche Handlungsalternativen dem Akteur zur Erreichung seiner Ziele zur Verfügung stehen und inwiefern Elternschaft eine effiziente Strategie hierbei ist, d.h. eigene Kinder wichtige Zwischengüter darstellen, für die es sich lohnt, sie zu bekommen, sie aufzuziehen und zu pflegen, in sie in jeder erdenklichen Hinsicht zu investieren“ (Nauck 2001: 413f.). Kinder stellen also je nach Ausprägung der Ressourcen- und Opportunitätenstrukturen der Akteure unterschiedlich zweckmäßige Zwischengüter dar, um sowohl kurz- als auch langfristig in familialen Generationenbeziehungen das Grundbedürfnis nach physischem und psychischem Wohlbefinden zu befriedigen (vgl. auch die allgemeinen Ausführungen von Huinink und Schröder (2008: 292ff.) zur individuellen Wohlfahrtsproduktion im Lebensverlauf). Physisches Wohlbefinden kann allgemein durch die Erlangung von Gütern und Leistungen erreicht werden, die für eine befriedigende biologische Reproduktion notwendig sind. Ormel et al. (1999: 67f.) unterteilen hier nach Stimulation einerseits und Komfort andererseits (siehe auch Lindenberg 1996: 135). Unter Stimulation sind alle Tätigkeiten zu verstehen, die der körperlichen und geistigen Anregung dienen: „Stimulation refers to activities that produce arousal, including mental and sensory stimulation, physical effort, and (competitive) sports“ (Ormel et al. 1999: 67). Idealerweise sollte ein Mensch weder zu viel noch zu wenig Anregung erleben, das heißt, der Zusammenhang zwischen Stimulation und Wohlbefinden folgt dem Verlauf einer umgekehrten U-Kurve. Durch die Geburt von Kindern eröffnen sich kurzfristig vielfältige Möglichkeiten an Aktivitäten, die vorher nicht möglich waren.21 Außer den täglichen An-
20
Zu beachten ist natürlich, dass Fertilitätsentscheidungen immer von zwei miteinander verbundenen Individuen getroffen werden (siehe zur Kritik der Vernachlässigung dieses Sachverhaltes im VOC-Ansatz Diefenbach 2005). Wenn beide Partner individuell versuchen, ihren Nutzen zu maximieren, ist mindestens eine Abstimmung ihrer sozialen Produktionsfunktionen notwendig. Eine differenzierte Beschreibung dieses Abstimmungsprozesses kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Für einen allgemeinen Überblick zu Interaktion und Kommunikation in Partnerschaften siehe Arránz Becker und Rüssmann (2004). Bezogen auf die Entscheidung zur Elternschaft findet sich eine kurze Beschreibung des Aushandlungsprozesses bei Burkart (1994: 255ff.).
21
Natürlich fallen durch die Geburt eines Kindes auch andere Aktivitäten weg. Wenn aber dieser Wert des Kindes im Vordergrund steht, ist davon auszugehen, dass die Stimulation durch bisherige Aktivitäten nicht (mehr) ausreichend ist oder die Stimulation durch die Kinder höher bewertet wird (vgl. Lois 2009: 168ff.).
Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
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forderungen zu Hause, bieten sich verschiedene Unternehmungen mit Kindern. Aber auch langfristig wird das instrumentelle Ziel Stimulation durch Kinder erfüllt, da Generationenbeziehungen über den Lebenslauf hinweg durch gegenseitigen (sozialen) Austausch geprägt sind. Unter Komfort ist ein zufriedenstellendes Ausmaß an physischem Wohlbefinden zu verstehen: „Comfort is a somatic and psychological state based on absence of thirst, hunger, pain, fatigue, fear, extreme unpredictability, and the like“ (Ormel et al. 1999: 68). Kinder können als Zwischengüter in sozialen Produktionsfunktionen beispielsweise kurzfristig einen Beitrag zur Haushaltsproduktion leisten, indem Transferzahlungen vom Staat als Aufbesserung der Haushaltskasse dienen. Andererseits bieten Generationenbeziehungen langfristig die Möglichkeit emotionale, materielle und instrumentelle Unterstützung zu erhalten (Klaus/Suckow 2005: 94f.). Psychisches Wohlbefinden basiert auf Eigenschaften, Ressourcen oder Leistungen, die andere Menschen dazu bringen, ihre Wertschätzung auszudrücken. Das heißt, Menschen streben nach Leistungen und Eigenschaften, die für andere interessant und anerkennenswert sind. Das kann durch Status, Verhaltensbestätigung oder Affekt geschehen (Lindenberg 1984: 169). Status bezieht sich auf die sozialen Positionen, die man im gesellschaftlichen Gefüge einnimmt: „Status refers to relative ranking to other people, based mainly on control over scare resources“ (Ormel et al. 1999: 68). Eine Erhöhung des Status durch Kinder wäre denkbar, wenn die Geburt die Position der Eltern im Statusgefüge der Umgebung verbessert, weil man mit Kindern über eine besonders wichtige Ressource verfügt, die Kinderlosen nicht zur Verfügung steht. Durch die Geburt eines Kindes wird man sozusagen in den ‚Kreis der Eltern’ aufgenommen. Unter Verhaltensbestätigung wird die positive Sanktionierung von Handlungen durch relevante Andere verstanden: „Behavioral confirmation is the feeling one has ‚done right’ in the eyes of relevant others, even when direct reinforcement does not occur“ (Ormel et al. 1999: 68). Verhaltensbestätigung lässt sich durch Kinder in verschiedener Weise realisieren: Kurzfristig kann den Eltern Verhaltensbestätigung durch Freunde oder Familienmitglieder entgegengebracht werden, weil die Geburt eines Kindes zur Intensivierung der Kontakte führt. Langfristig kann Verhaltensbestätigung durch die Kinder selbst erzeugt werden, wenn sie sich so verhalten, wie die Eltern sich das wünschen. Mit Affekt wird die Zuneigung zwischen Menschen, aber auch die emotionale Unterstützung zwischen ihnen erfasst: „Affection includes love, friendship, and emotional support; it is provided in caring relationships (intimate, family, friendship)” (Ormel et al. 1999: 68). Affekt kann in einmaliger Weise als emotionale Zuneigung zwischen Eltern und Kindern entstehen. Die bedingungslose Liebe, die Kinder ihren Eltern entgegenbringen, dient in diesem Fall als Wert, mit dem psychisches Wohlbefinden – auch langfristig – erreicht werden kann.
60
Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
Das generative Verhalten wird aber nicht nur vom (erwarteten) Nutzen der Kinder für ihre Eltern bestimmt, sondern auch von den (wahrgenommenen) Kosten, die durch die Geburt von Kindern entstehen: Diese können entweder direkte Kosten für das Aufziehen von Kindern (wie z.B. monetäre Belastungen oder Schlafentzug) sein, oder aber Kosten für den entgangenen Nutzen alternativer Handlungen (wie z.B. Zeit, die man im Kino anstatt vorm Kinderbett verbringen könnte). Die Auswirkungen auf die Effizienz des Zwischengutes Kind sollten bei den antizipierten Kosten besonders deutlich zum Ausdruck kommen. Denn auch wenn von den Befragten ein bestimmter Nutzen im Aufziehen von Kindern gesehen wird, kann es sein, dass die Kosten gegen die Umsetzung eines bestehenden Kinderwunsches sprechen. Die Hypothese lautet deshalb: Wenn Alternativen zur Befriedigung der Grundbedürfnisse (physisches und psychisches Wohlbefinden) bestehen – wie zum Beispiel eine Berufstätigkeit, die genügend Stimulation und soziale Wertschätzung abgibt – kann es sein, dass Kinder als kostspieliger und damit als weniger effizient in sozialen Produktionsfunktionen wahrgenommen werden. Die ‚Value-of-Children’ (VOC) entsprechen also den Erwartungen über Nutzen und Kosten von Generationenbeziehungen als soziale Tauschbeziehungen. Es ist allerdings hervorzuheben, „daß dieses Modell (VOC, d. V.) ausschließlich für die Untersuchung von Fertilitätsverhalten konzipiert wurde, während die Generationenbeziehungen und die Eltern-Kind-Beziehungen in einem umfassenderem Sinne nicht berücksichtigt sind“ (Nauck/Kohlmann 1999: 61). Die Werte von Kindern sind für Stiefeltern zwar nicht hinsichtlich ihrer Fertilitätsentscheidung bezüglich ihrer Stiefkinder relevant, da diese zum Zeitpunkt der Partnerschaftsgründung schon geboren sind. Dennoch können sie den Umgang mit den Kindern entscheidend beeinflussen, vor allem falls die Kinder noch sehr jung sind, wenn die Beziehung beginnt. Die Sozialisationspraktiken von sozialen Eltern können sich deshalb genau wie die von leiblichen Eltern unterscheiden, je nachdem was von den Kindern erwartet wird. Eine bestimmte Art der Erziehung kann zumindest die Sicherheit erhöhen, dass (erwachsene) Kinder den Komfort- oder Affekterwartungen ihrer Eltern und auch ihrer Stiefeltern nachkommen. Mit anderen Worten: Die ‚Value-of-Children‘ von leiblichen wie auch von sozialen Eltern leiten das Verhalten gegenüber diesen Kindern und können später entsprechend die Bereitwilligkeit zur Unterstützung ihrer Eltern und Stiefeltern fördern oder hemmen, die emotionale Qualität der Beziehung positiv oder negativ beeinflussen, sowie die Kontakthäufigkeit erhöhen oder reduzieren. Die Einflussnahme von Eltern auf die Ausgestaltung der Beziehung beginnt also früh und verweist deutlich auf die Pfadabhängigkeit intergenerationaler Beziehungen. Für Stiefeltern heißt das vor allem: Je eher die Beziehung beginnt und je eher sie sich stabilisiert, desto größer sollte die Reali-
Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
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sierungswahrscheinlichkeit von Erwartungen sein, wenn die Stiefkinder erwachsen sind. Für leibliche Eltern nach einer Trennung (vor allem für externe Elternteile) heißt das im Umkehrschluss: Nur wenn der Kontakt zum Kind aufrechterhalten wird und damit Werte in Form von Erziehungszielen umgesetzt werden können, besteht die Chance ihrer Realisierung im Erwachsenenalter.
2.2.3
Soziobiologie
Für die Erklärung der Ausgestaltung von familialen Generationenbeziehungen kann noch ein weiteres Argument eingeführt werden, welches in der Soziologie gemeinhin vernachlässigt wird (Nielsen 1994: 268), aber durchaus geeignet scheint, zur Beantwortung der hier interessierenden Frage substanziell beizutragen: die biologische Determiniertheit des Verhaltens. Mit Rückgriff auf die grundlegenden Annahmen der Soziobiologie22, welche die biologischen Mechanismen untersucht, die sowohl tierisches als auch menschliches Sozialverhalten bestimmen (Wilson 1975: 595), ist es möglich, Aussagen darüber zu machen, was Eltern und Kinder zusammenhält. Darüber hinaus können auch Vorhersagen darüber getroffen werden, inwieweit sich die Beziehungen von leiblichen und sozialen Eltern zu ihren (Stief-)Kindern voneinander unterscheiden sollten und warum. In der Soziobiologie wird davon ausgegangen, dass das Sozialverhalten eine wesentliche Rolle für die Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungsbemühungen der Organismen spielt, wobei dieses wiederum der formenden und optimierenden Kraft evolutionsbiologischer Vorgänge unterliegt. Das Argument ist, dass nicht nur die organische Ausstattung der Lebewesen durch Selektionsdruck im Verlaufe der Stammesgeschichte im Sinne ökologischer Anpassung geformt worden ist, sondern auch deren Verhalten. Unterschiedliche Verhaltensweisen haben dabei einen durchaus unterschiedlichen Anpassungswert, das heißt sie tragen in unterschiedlichem Ausmaß zur Selbsterhaltung und zum Fortpflanzungserfolg eines Individuums bei. In der Soziobiologie stellt die Weitergabe der eigenen Gene die entscheidende Prämisse für das Verhalten der Einzelnen
22
Obwohl es inzwischen eine ganze Reihe von unterschiedlichen Bezeichnungen für biologische Ansätze gibt, soll hier ausschließlich der Begriff ‚Soziobiologie‘ verwendet werden. Da die grundlegenden Aussagen aller biologischen Ansätze nahezu identisch sind (Barkow 2006: 5), scheint die Verwendung des Begriffs ‚Soziobiologie‘ angebracht. Außerdem ist dieser in der Soziologie gemeinhin geläufiger als zum Beispiel der Begriff ‚evolutionäre Psychologie‘.
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
dar.23 Das Individuum – besser gesagt sein Organismus – ist in diesem Sinne nichts anderes als ein Instrument des nach Replikation und Weiterexistenz strebenden egoistischen Gens (Dawkins 1976).24 Die menschliche Kultur ist aus dieser Perspektive das Ergebnis einer positiven Selektion von aufgrund genetischer Anlagen besser angepasster Verhaltensweisen, die sich mit größerer Wahrscheinlichkeit verbreiten. Als letztendlich entscheidendes Maß für die Angepasstheit von Lebewesen an ihre Umwelt kann demnach die relative Häufigkeit der eigenen Gene im Genbestand der nachfolgenden Generation betrachtet werden. Das Vermögen eines Lebewesens, für den Fortbestand seiner Gene zu sorgen, wird nach Darwin Eignung (‚fitness‘) genannt. Die physische Weitergabe der Gene an die Nachkommen hängt jedoch stark vom Verhalten der Individuen ab. Um sich vermehren zu können, muss ein Lebewesen mit seinem Verhalten zunächst für das eigene Überleben sorgen. Erste dann kann es sich um eigenen Nachwuchs bemühen (direkte Eignung) oder aber Verwandten beim Aufziehen ihres Nachwuchses helfen (indirekte Eignung25). Aus direkter und indirekter Eignung ergibt sich dann die so genannte Gesamteignung (‚inclusive fitness‘) (Hamilton 1964a, b). Die Gesamteignung eines Gens kann also anhand zweier Komponenten bestimmt werden: (1) an der Eignung in einem Individuum selbst und (2) an der Verbreitung über Verwandte. Daraus folgt, dass sich 23
Die klassische Ethologie, die sich mit dem Verhalten in natürlichen Lebensräumen (vor allem von Tieren, aber auch von Menschen) beschäftigt, war im Gegensatz dazu von der Vorstellung der Arterhaltung oder Gruppennützlichkeit geprägt: Man versuchte Verhaltensweisen, die keinen Vorteil für das Individuum erkennen ließen, als Mittel des übergeordneten Ziels der Arterhaltung zu interpretieren (siehe für einen Überblick über die Annahmen der Humanethologie Eibl-Eibesfeldt 1997 [1984]).
24
Wobei erwähnt werden muss, dass durchaus immer noch keine Einigkeit darüber besteht, ob Selektion wirklich nur auf dem Genlevel stattfindet oder ob Selektion nicht eher ein Mehrebenenprozess ist, der Individuen als auch Gruppen einschließt (Kopp 1991; Wilson 1997).
25
Als Beispiel für das Praktizieren indirekter Eignung kann die Evolution dauerhaft steriler Arbeiterinnen bei den Hautflüglern, zu denen u.a. Bienen und Ameisen gehören, dienen: Durch die Fortpflanzung über die diploide Insektenkönigin und ein haploides Männchen, sind die Arbeiterinnen untereinander im Durchschnitt enger verwandt (r = 0.75), als sie es mit ihren eigenen Kindern wären (r = 0,5). „Folglich verhalten sich die sterilen Arbeiterinnen durchaus im ‚Vermehrungsinteresse‘ ihrer ‚egoistischen Gene‘, wenn sie zwar selbst auf eine eigene Fortpflanzung verzichten, statt dessen aber ‚altruistisch‘ ihrer Mutter, der Königin, bei der Aufzucht weiterer Nachkommen (Geschwister) helfen“ (Voland 2000: 7; siehe für dieses Argument auch Heinze 2007: 211f.). Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass die Arbeiterinnen geschlechtstypisches Investment zugunsten weiblicher Nachkommen zeigen, da sie mit haploiden Brüdern nur 25% des Erbgutes teilen. Ähnliche Beispiele finden sich auch beim Menschen, wenn der Verzicht bestimmter Personen auf eigene Kinder zur Voraussetzung für die langfristig erfolgreiche Fortpflanzung der Geschwister wird und sie so zur Steigerung der Gesamtfitness beitragen (Vogel/Voland 1988: 119ff.).
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ein Verhalten in der Selektion bewährt, das die Verbreitung und Eignung der Gene nicht nur individuell, sondern auch über Verwandte maximiert. Dies wird in der Soziobiologie als Prinzip der Verwandtenselektion (‚kin-selection‘) bezeichnet (Hamilton 1963: 4). Die Wahrscheinlichkeit, die gleichen Gene zu besitzen, wird im Verwandtschaftskoeffizient r ausgedrückt. Er beträgt zwischen Eltern und ihren Kindern 0,5 und nimmt aufgrund zweigeschlechtlicher Fortpflanzung mit jeder Generation um die Hälfte ab: Zwischen Großeltern und Enkeln ist r = 0,25 oder ¼, zwischen Urgroßeltern und Urenkeln ist r = 0,125 oder , zwischen Vollgeschwistern beträgt der Wert von r = 0,5 und zwischen Halbgeschwistern r = 0,25, etc. (Abbildung 6). Abbildung 6:
Der Verwandtschaftskoeffizient r bei verschiedenen Verwandtschaftskombinationen
Quelle: Vogel/Voland 1988: 126.
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
Die Kreise um das ‚Ich‘ (in der Mitte der Abbildung 6) stellen jeweils verschiedene Verwandtschaftsstufen dar, wobei jede Kreislinie dem Faktor ½ entspricht. Die gestrichelten Linien sind Verbindungen der miteinander nächstverwandten Individuen. Je näher zwei Individuen miteinander verwandt sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Träger gleicher Gene sind. Da altruistisches Verhalten26 gegenüber Verwandten die Verbreitung der eigenen Gene steigert, ist es umso lohnender, solch ein Verhalten zu zeigen, je höher der Verwandtschaftsgrad ist. Eine bestimmte Menge an Aufwand, der zum Beispiel für Nichten oder Neffen betrieben wird, trägt also statistisch ein Viertel so viel zur eigenen Eignung bei, wie der gleiche Aufwand für eigene Kinder. Altruistische Tendenzen im Verhalten bei Menschen (genauso wie bei Tieren) folgen also einem Gradienten: Je näher verwandt, desto bereitwilliger der altruistische Einsatz, denn mit abnehmendem Verwandtschaftsgrad sinkt die Wahrscheinlichkeit gemeinsame Gene zu teilen. Oder wie Hamilton (1964a: 16) es ausdrückt: „We expect to find that no one is prepared to sacrifice his life for any single person but that everyone will sacrifice it when he can thereby save more than two brothers, or four half-brothers, or eight first cousins“. Dieses evolutionäre Bindemittel, welches zur sozialen Kohäsion unter den Menschen führt, wird auch als Nepotismus (Verwandtenbevorzugung) bezeichnet. Aus Sicht der Soziobiologen erklärt sich so, warum überall auf der Welt soziale Strukturen um die Verwandtschaft herum organisiert sind (Troost/Filsinger 1993; Voland/Paul 1998). Die Bedeutung von Verwandtschaft im Beziehungsgeflecht, insbesondere beim Austausch von Unterstützungsleistungen, also die enge Verbindung von biologischen und sozialen Beziehungen wurde in verschiedenen ethnologischen Studien nachgewiesen (z.B. McCullough/Barton 1991; für einen Überblick Voland 2000: 116ff.). Aber auch in modernen Gesellschaften mit ihren vorrangig nicht auf Verwandtschaft basierenden Sozialbeziehungen (am Arbeitsplatz und in der Freizeit), können sich die Menschen – insbesondere in persönlichen Krisensituationen – auf die Familiensolidarität mit ziemlicher Sicherheit verlassen (Neyer/Lang 2003; Marbach 1998). Neyer und Lang (2004) konnten beispielsweise anhand zweier längsschnittlich angelegter Studien zeigen, dass sich Nepotismus bei der alltäglichen Beziehungsgestaltung in einer generellen Präferenz für genetisch verwandte Personen im Lebensverlauf niederschlägt, wobei die Beziehungsgestaltung situativ variierenden Anforderungsstrukturen unterliegt. Zusammenfassend halten sie fest: „Insgesamt unterstreichen die Befunde die überragende Bedeutung der genetischen Verwandtschaft für die Gestaltung sozialer Beziehungen und unterstützen die An26
Mit altruistischen Verhaltensweisen sind hier Unterstützungsleistungen gemeint, die ohne erkennbare Gegenleistung erbracht werden.
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nahme, dass nepotistische Adaptationen stabile, aber keineswegs unflexible Mechanismen der Beziehungsregulation sind“ (Neyer/Lang 2004: 124).27 Augenscheinlich altruistisches Verhalten ist also evolutionär gesehen umso adaptiver, je größer der Wert des Verwandtschaftskoeffizienten r ist. Kinderliebe und elterliches Engagement ist in dieser Argumentation eine evolutionär erfolgreiche und genetisch eigennützige Strategie. Trivers (1972: 139) definiert Elterninvestment als „any investment by the parent in an individual offspring that increases the offspring’s chance of surviving (and hence reproductive success) at the cost of the parent’s ability to invest in other offspring“. Elterninvestment kann verschiedene Kosten wie zum Beispiel Zeit, Energie und Lebensrisiken verursachen. Eine Strategie, die nicht auf unbeschränkte Reproduktion zielt, sondern die Investitionskosten optimiert, indem sie zum größten Nettoeignungsertrag führt, wird entsprechend belohnt. Das heißt, es ist in diesem Sinne durchaus rational eher in die Qualität als in die Quantität von Kindern zu investieren. Mit Zunahme der individuellen Lebensdauer und damit auch der Dauer von Generationenbeziehungen ist es sicher eine erfolgreiche Strategie, eher auf gute und enge Beziehungen zu weniger Nachkommen zu bauen, die später relativ erfolgreich agieren und damit gut angepasst sind, als auf möglichst viele Nachkommen zu setzen (siehe auch zum Zusammenhang von Lebensdauer und Nachkommenzahl Voland 2000: 241). Dies ist natürlich durchaus abhängig von den kulturellen Gegebenheiten (siehe zum Beispiel die Ergebnisse der Value-ofChildren-Forschung in Trommsdorff/Nauck 2005). In Bezug auf Elterninvestment haben Soziobiologen noch einige Hypothesen hinsichtlich geschlechtsspezifischer Unterschiede im Reproduktionsaufwand aufgestellt, die für eine Erklärung der Ausgestaltung von intergenerationalen Beziehungen durchaus interessant erscheinen. Erklärungswürdig scheint der Fakt, dass das elterliche Investment von Frauen im Allgemeinen stärker ausgeprägt ist als das von Männern (van den Berghe/Barash 1977: 813ff.; siehe auch Lamb et al. 1987). Einerseits wird hier das Argument herangezogen, dass die Gesamtzahl befruchtbarer Eier, die einer Frau im Leben zur Verfügung stehen, durchaus überschaubar bleiben und somit ungleich wertvoller sind als das 27
Nepotismus ist aber nicht die einzige soziale Bindekraft, die die Evolution hervorgebracht hat. Eine weitere Motivation Hilfe zu leisten, auch für Nicht-Verwandte, ist der so genannte reziproke Altruismus (Trivers 1971). Hier wird davon ausgegangen, dass eine Person bereit ist, sich für jemanden einzusetzen, wenn klar ist, dass dieser andere dasselbe tun oder sich in anderer Form erkenntlich zeigen würde (für einen Überblick zum reziproken Altruismus und einigen ethologischen Studien siehe Voland 2000: 106ff.). Da diese Annahmen zum reziproken Altruismus mit den allgemeinen Annahmen zum reziproken Austausch in sozialen Beziehungen mehr oder weniger identisch sind (siehe Abschnitt 2.2.1 zur Austauschtheorie), soll an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen werden.
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
Sperma des Mannes, das in der Quantität weit darüber liegt. Und es sind auch die Frauen, welche die Kosten von Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit zu tragen haben, was dazu führt (ob der bereits getätigten Investitionen), sich im Anschluss daran auch weiter um den Nachwuchs zu kümmern. Eine optimale Kalkulation sollte allerdings nicht darauf beruhen, dass nur deshalb investiert wird, um bereits getätigte Investitionen nicht zu verlieren. Im Gegenteil: Sie sollte abschätzen, ob zusätzliche Investitionen in den bereits existierenden Nachwuchs zu einer höheren Netto-Lebensfitness führen als gleich hohe Investitionen in einen neuen reproduktiven Vorgang. Die entscheidende Frage lautet entsprechend (sowohl für Mütter als auch für Väter): „Lohnt sich Elternfürsorge, indem sie die Überlebenschancen und damit letztlich die Reproduktionschancen der Kinder mehr erhöht, als sie an Einbuße weiterer Reproduktion kostet?“ (Voland 2000: 246). Die Antwort fällt für Frauen und Männer – je nach Sozialstruktur, Ressourcensituation, Geschlechtsproportionen etc. – oft unterschiedlich aus. Für Frauen lohnt sich aus dieser Perspektive Elterninvestment oft mehr als für Männer. Es lassen sich in der Soziobiologie aber noch weitere Argumente finden, von denen vor allem zwei beachtenswert erscheinen: (1) Die Vaterschaftswahrscheinlichkeitshypothese, die besagt, dass Männer zurückhaltender bei der Fürsorge ihrer Kinder sind, da sie – anders als Frauen – nie sicher sein können, dass die Kinder tatsächlich auch von ihnen stammen.28 Und (2) die Assoziationshypothese, die besagt, dass Frauen in der besseren Lage sind, etwas für ihre Nachkommen zu tun, einfach deshalb, weil sie die Kinder austragen und sofort da sind, wenn sie geboren werden, was eine enge Bindung zwischen ihnen befördert. Wenn in der Soziobiologie die Erklärung des elterlichen Engagements auf Fitnessmaximierung und Weitergabe der Erbanlagen basiert sowie ein gewisses Maß an Nepotismus unterstellt werden kann, ist zu erwarten, dass Stiefeltern ihre Stiefkinder nicht in gleichem Maße fördern wie Eltern ihre eigenen leibli-
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Verschiedene Untersuchungen in Dänemark, Südengland und Nordhessen haben zum Beispiel gezeigt, dass etwa 10% der Kinder, die als gemeinsame Kinder der Ehepartner aufwachsen, außerehelich gezeugt wurden und nicht die genetischen Abkömmlinge des Ehemanns sind (Peuckert 2008: 212). Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang natürlich stellt, ist, ob Väter, die denken, dass die Kinder ihre eigenen leiblichen sind, obwohl es nicht der Fall ist (so genannte Kuckuckskinder), sich den Kindern gegenüber anders verhalten als Väter, die mit ihren Kindern tatsächlich biologisch verbunden sind. Bislang existieren solche Studien auf Grund fehlenden Datenmaterials nicht. Allerdings gibt es einige empirische Untersuchungen, die zeigen, dass Investitionen von Großeltern in Enkelkinder stärker über die mütterliche Linie erfolgen, was wiederum auf ihre größere Abstammungsgewissheit im Vergleich zu den Großeltern väterlicherseits zurückgeführt wird (Michalski/Shackelford 2005; Pollet/Nettle/Nelissen 2006).
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chen Abkömmlinge (Walter/Künzler 2002: 100). Anders als bei Adoptionen29 steht bei Stiefverhältnissen nicht der Wunsch nach einem Kind, sondern der Wunsch nach einem Partner bzw. einer Partnerin im Vordergrund (Voland 2000: 286). Kinder aus früheren Beziehungen müssen deshalb zumindest damit rechnen, vom Stiefelternteil lediglich in Kauf genommen zu werden, wenn die Beschäftigung mit ihnen auch oft direkt mit einem ‚mating effort‘ verbunden werden kann (Daly/Wilson 2001: 38). Da Familien auf persönliche Reproduktion angelegt sind, in denen sich die evolutionär entstandenen Interessen der Beteiligten treffen, bündeln sich in Stiefkindern – im Vergleich zu gemeinsamen Kindern – tiefe, reproduktionsstrategisch begründete Konflikte. Sich gegenüber allen Kindern gleich zu verhalten, widerspräche diesen Annahmen zufolge sozusagen dem genzentrierten Prinzip der natürlichen Selektion. Das Resultat wäre eine mehr oder weniger vorhandene Konfliktbereitschaft in Stieffamilien. Beim Vorhandensein von Stiefkindern käme es demnach fast automatisch zu einer Asymmetrie elterlicher Investitionen: „For the nonparent, a stepchild is a genetically worthless competitor for a share of their joint offspring“ (van den Berghe 1988: 41). Vor allem dann, wenn eigene leibliche Kinder existieren, sollten die Investitionen in Stiefkinder geringer ausfallen und auch vermehrt familiale Konflikte zu beobachten sein (siehe auch Emlen 1997: 573ff.). Verschiedene empirische Beobachtungen sowohl in traditionellen als auch in modernen Gesellschaften bestätigen diese Annahmen und verweisen auf eine unterschiedliche Behandlung von Stiefkindern und leiblichen Kindern: Danach sind Stiefkinder einer überdurchschnittlichen Gefahr ausgesetzt, von ihren Stiefeltern vernachlässigt, misshandelt und sogar umgebracht zu werden (Daly/Wilson 1994: 129f.; Daly/Wilson 1998: 26ff.; siehe für neuesten Ergebnisse aus den USA: McRee 2008 und Kanada: Harris et al. 2007). Die Analysen zeigen, dass das Risiko der Misshandlung durch Stiefeltern auch unter Kontrolle anderer Variablen, wie dem sozioökonomischen Status, bestehen bleibt. Das 29
Wenn Adoptionen als willentliche Entscheidung zum Investment in fremde Kinder gesehen werden, widerspricht dies jeder evolutionären Theorie des Sozialverhaltens (Silk 1990: 426). Bei genauerer Betrachtung beschränkt sich das erklärungsbedürftige Phänomen aber eigentlich auf westliche Industriegesellschaften. Adoptionssysteme traditioneller Gesellschaften stehen mit der Wirkungsweise der Verwandtenselektion gut in Einklang, da genetische Verwandtschaft die Hauptschiene darstellt, auf der Kinder weitergegeben werden (Verwandtenadoption). Für anonyme Fremdadoptionen in westlichen Industriegesellschaften findet Voland (2000: 285) nur die folgende Erklärung: Das menschliche Brutpflegesystem motiviert offensichtlich dermaßen druckvoll zu elterlichem Fürsorgeverhalten, dass es auch in Situationen seinen Ausdruck sucht, in denen es nicht evolutionär entstanden sein kann. Da Adoptiveltern in der überwiegenden Mehrzahl aber kinderlos sind, gehen sie zumindest keine biologischen Kosten ein. Mit der Annahme eines fremden Kindes geht bei sterilen Personen keine Einbuße von persönlichem Reproduktionspotenzial einher.
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
Ergebnis ist weiterhin unabhängig von familialen Bedingungen, unter denen die Kinder leben. Nachweislich haben weder die Abwesenheit eines biologischen Elternteils, noch die soziale Elternschaft an sich einen Einfluss auf die Misshandlungsrate: Kinder in Ein-Eltern-Familien und adoptierte Kinder haben nicht annähernd die Wahrscheinlichkeit misshandelt zu werden wie Kinder, die mit einem biologischen und einem Stiefelternteil leben. Darüber hinaus stellten Daly und Wilson (1993, 1996) fest, dass auch Gewalt sowie die allgemeine Konflikthäufigkeit zwischen den Partnern in Stieffamilien deutlich über denen in Kernfamilien liegen. Van den Berghe (1988: 42) schlussfolgert aus diesen Ergebnissen, die auch schon in früheren Untersuchungen berichtet wurden: „The most parsimonious and viable hypothesis to interpret these findings is that the extreme asymmetry of parental investment in the child explains both the conflict between spouses and the aggression against the child”. Dafür sprechen auch die Ergebnisse von Hamilton, Cheng und Powell (2007), nach denen sowohl in Kernfamilien als auch in Adoptivfamilien (ohne leibliche Kinder) mehr in die Kinder investiert wird als in allen anderen Familienformen (siehe auch Anderson/Kaplan/Lancaster 1999, sowie Anderson et al. 1999). Stiefkinder haben danach eine geringere Wahrscheinlichkeit höhere Bildungseinrichtungen zu besuchen als leibliche Kinder, erhalten weniger finanzielle Zuwendungen und die Stiefväter verbringen weniger Zeit mit ihnen. In Bezug auf die empirischen Ergebnisse der Soziobiologen zu Misshandlungen von Stiefkindern ist allerdings zu sagen, dass Kindstötungen natürlich der extremste Ausdruck von Aggressionen sind, den man sich vorstellen kann und dass sie beim Menschen nur äußerst selten vorkommen. Das ist auch aus den Statistiken von Daly und Wilson (2001: 291) zu entnehmen, deren Berechnungen auf 129 Kindstötungen von unter 5-Jährigen in Kanada zwischen 1974 und 1990 basieren. Die Argumentation, dass sich Männer durch die Tötung des fremden Nachwuchses einen reproduktiven Vorteil bei der Mutter verschaffen, ist mit der Gefängnisstrafe, die man normalerweise bei einem solchen Kapitalverbrechen in jeder menschlichen Gesellschaft erhält, wohl hinfällig. Dennoch deuten diese empirischen Befunde zumindest auf eine unterschiedliche Behandlung von eigenen leiblichen und Stiefkindern hin und unterstützen soziobiologische Annahmen, die bisher in keiner Untersuchung und in keinem Land widerlegt werden konnten (Daly/Wilson 2001). Da menschliches Verhalten allerdings nicht ausschließlich durch Gene, sondern auch durch kulturelles Lernen bestimmt ist (Vogel/Voland 1988: 128ff.), werden für die Erklärung der Ausgestaltung von Generationenbeziehungen neben der Soziobiologie auch sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze benötigt. Denn die Soziobiologie macht vielleicht Angaben darüber, warum Stiefkinder von ihren Stiefeltern schlechter behandelt werden als eigene leibliche Kinder, aber warum es auch viele Stiefel-
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tern gibt, die ihre Stiefkinder mindestens genauso gut behandeln wie ihre eigenen Kinder, lässt dieser Ansatz offen. Da sich Kultur aber andererseits nicht beliebig jenseits organismischer Vorgänge entwickelt (hat), scheint es ein fruchtbarer Ansatz zu sein, soziobiologische und soziologische Theorien in ihrem Erklärungswert miteinander zu verknüpfen.30 Wie auch verschiedene andere Autoren den Schluss ziehen, dass man Erkenntnisoptionen ohne Not preisgibt, wenn man soziobiologische Erklärungen ausschließlich in Konkurrenz zu soziologischen Ansätzen sieht (Freese/Li/Wade 2003: 234; Marbach 1998: 122; Mayntz 2008: 136; Seltzer et al. 2005: 913f.).
2.2.4
Bindungstheorie
Der letzte Ansatz, der im Rahmen einer Erklärung von Ausgestaltungsmodi intergenerationaler Beziehungen herangezogen werden soll, ist die Bindungstheorie (Bowlby 1982 [1969]). Mit Hilfe der Bindungstheorie scheint es möglich alle bisher vorgestellten Überlegungen zu integrieren, da sie einerseits auf soziobiologischen Annahmen beruht und andererseits austauschtheoretische Argumente enthält, mit denen zugleich erklärt werden kann, unter welchen Umständen leibliche Eltern und soziale Eltern ihre kurzfristigen genauso wie ihre langfristigen Erwartungen an Kinder mit Hilfe bestimmter Sozialisationspraktiken umsetzen können. Geeignet scheint die Bindungstheorie darüber hinaus wegen ihrer lebensspannenübergreifenden Perspektive, denn: „Attachment theory systematically links social events and personal experiences in dyads over time and that can be the key to the explanation of kin relations during different phases of the life course” (Merz/Schuengel/Schulze 2007: 184). Da die Bindungstheorie psychologische (genauer: psychoanalytische) Wurzeln hat und sich die Untersuchungen zum Bindungsverhalten lange Zeit fast ausschließlich auf das Säuglings- und Kleinkindalter konzentrierten, hat sie bisher kaum Aufmerksamkeit in der Forschung zu Generationenbeziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern erfahren. Ausnahmen bilden hier einige psychologische Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen ‚Attachment‘ und ‚Caregiving‘ (siehe Carpenter 2001; Cicirelli 1983, 1991, 1993, 1995; George/Solomon 1999; Schwarz/Trommsdorff 2005). Das Konzept der Bindung scheint bei näherer Betrachtung allerdings äußerst fruchtbar zur Erklärung der Ausgestaltung von Eltern-Kind-Beziehungen zu sein und das nicht nur in Bezug auf die gegen30
Siehe für eine allgemeine Diskussion der Integration von soziobiologischen Annahmen in die Familienforschung die verschiedenen Beiträge in Filsinger (1988), als auch für einen Überblick Hill und Kopp (2006: 86ff.).
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seitige Unterstützung, sondern auch hinsichtlich der emotionalen Nähe und der Kontaktpflege zwischen erwachsenen Kindern und Eltern in jeder Phase ihrer Beziehung.31 Die Ausformulierung der Attachment Theorie geht auf John Bowlby zurück (1982 [1969]), der die besondere (Ver-)Bindung zwischen Eltern (vor allem der Mutter) und ihrem Kind auf Basis von Ethologie, Biologie und Psychoanalyse in einem evolutionären Rahmen konzeptualisierte. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war, dass das Bindungsbedürfnis des Menschen genauso primär, stammesgeschichtlich vorprogrammiert und grundlegend ist wie sein Bedürfnis nach Nahrung, Erkundung, Sexualität und Pflege des Nachwuchses. Das haben inzwischen auch etliche Untersuchungen in verschiedenen Ländern belegt (Grossmann/ Grossmann 2004: 82). Es wird davon ausgegangen, dass jedem dieser Grundbedürfnisse eigene Verhaltenssysteme zugeordnet werden können, die bei Mangel aktiviert werden, bei Befriedigung aber ruhen. Zusammen mit dem komplementären System elterlicher Fürsorge (Bretherton/Biringen/Ridgeway 1991; siehe auch Trivers 1971) sichert das Bindungssystem das Überleben des schwachen, unwissenden und wehrlosen Nachwuchses. Die wesentliche Beschaffenheit von Bindungsbeziehungen hängt demnach zusammen mit der Suche des Kindes nach Sicherheit, Schutz, Beruhigung, Komfort und Unterstützung und deren Gewährung durch eine (spezifische) Bindungsperson (George/Solomon 1999). Obwohl Bindung biologisch determiniert ist, besteht sie noch nicht bei der Geburt, sondern entwickelt sich erst im Laufe des ersten Lebensjahres des Kindes. Sie entsteht aus den Verhaltensweisen eines Säuglings, die Nähe und Kontakt zu einem Erwachsenen herstellen und erhalten (Ainsworth/Bell/Stayton 1974: 100). Diese Verhaltensweisen werden Bindungsverhaltensweisen genannt.32
31
Siehe für erste Überlegungen einer Verknüpfung der Theorie intergenerationaler Solidarität und der Attachment Theorie Schulze (2005) bzw. Merz, Schuengel und Schulze (2007) sowie Steinbach und Kopp (2008a).
32
Die Bindungsentwicklung wird außer von den Bindungsverhaltensweisen des Kindes auch durch hormonelle und neuronale Mechanismen beeinflusst, welche vor allem die mütterliche Fürsorge unmittelbar nach der Geburt aktivieren, weshalb diese Phase auch als ‚sensible Phase der Mutterschaft‘ bezeichnet wird (Ahnert 2004: 64ff.). Fabes und Filsinger (1988) können zum Beispiel in ihrer Untersuchung zeigen, dass der Prozess der Mutter-Kind-Bindung durch den Geruch des Kindes (‚odor communication‘) unterstützt wird. Andererseits scheint aber auch das Kind sensibel auf den Geruch seiner Mutter zu reagieren (Polan/Hofer 1999). Diese biologischen Ursachen tragen zusätzlich dazu bei, dass ein Kind sein Bindungsverhalten bevorzugt an die eigene Mutter richtet und die Mutter motiviert ist, die notwendige Fürsorge zu leisten, die das (eigene) Kind zum Überleben und für eine gute Entwicklung benötigt. Es ist zu
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Der Säugling ist also ‚präadaptiert‘, genetisch vorbereitet, für eine soziale Umwelt, mit der er kommunizieren kann und die daraufhin seine Bedürfnisse befriedigt. Eine Person wird durch ihr fürsorgliches Verhalten zur Bindungsperson, woraufhin der Säugling Präferenzen für diese bestimmte Person entwickelt und sein Bindungsverhalten bevorzugt an diese Person richtet (in den meisten Fällen ist dies die Mutter). Die wichtigsten Bindungsverhaltensweisen, die kleine Kinder zeigen, sind Weinen, Rufen, Anklammern, Nachfolgen sowie Protest beim Verlassenwerden.33 Mit diesem Bindungsverhalten nutzen sie die Bindungsperson als Sicherheitsbasis bei Bedrohung. Zwischen einer bestehenden Bindung zu einer Person und offen gezeigtem Bindungsverhalten muss allerdings deutlich unterschieden werden, denn Bindungsverhalten wird normalerweise nur unter Belastung gezeigt. Es wird umso deutlicher und häufiger beobachtet, je mehr das Kind die Nähe seiner Bindungsperson braucht, z.B. weil es krank, erschöpft oder traurig ist. Die Abwesenheit von Bindungsverhalten darf deshalb unter positiven und sicheren Umständen nicht als Abwesenheit von Bindung gedeutet werden. Eine Bindung besteht kontinuierlich über Raum und Zeit hinweg (Grossmann/Grossmann 2004: 70). Bindungsbeziehungen sind zum einen komplementär (Schutzsuche vs. Fürsorge) und zum anderen auch asymmetrisch. Es wird davon ausgegangen, dass sie durch eine kompetente Person dominiert werden, die Sicherheit bietet. Diese Schutz gewährende Funktion hat wiederum wichtige Folgen für das Explorationsverhalten. Aus evolutionsbiologischer Perspektive sichert die Existenz des Bindungsmotivs die Überlebenschancen des Kindes, da es erst dann eine neue – und potenziell gefährliche – Umgebung erkundet, wenn es sich auf den Schutz einer kompetenteren Person verlassen kann. Die Verfügbarkeit dieser Person als Sicherheitsbasis hat deshalb auch langfristige Konsequenzen für die Qualität der Bindungsbeziehung. Empirische Untersuchungen ergaben, dass die Einwicklung einer Bindung typischerweise vier Phasen durchläuft (Marvin/Britner 1999: 50ff.):
vermuten, dass dies in ähnlicher Weise auch für die Vater-Kind-Beziehung gilt. Empirische Untersuchungen stehen hier allerdings noch aus. 33
Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass die Bindungsverhaltensweisen ihre Aufgabe, die Nähe zu Bindungspersonen herzustellen, über die Kindheit hinaus ein Leben lang behalten, „auch wenn diese Verhaltensweisen von älteren Kindern und Erwachsenen eher in symbolischer und kulturell akzeptierter Form gezeigt werden, z.B. durch Seufzen und Klagen statt Weinen, telefonisches oder schriftliches Rufen, das Anführen sachlich logischer Gründe für einen Besuch bei den Eltern, das Finden von Argumenten, daß eine Trennung unklug wäre, statt nur direkt gegen das Verlassenwerden zu protestieren oder sich physisch anzuklammern“ (Grossmann/Grossmann 2004: 70).
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Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
(1) Die erste Phase (innerhalb der ersten zwei Lebensmonate) wird als Phase der unspezifischen sozialen Reaktionen bezeichnet. Die beobachtbaren sozialen Reaktionsweisen des Säuglings zeichnen sich in dieser Phase vor allem durch Reflexe aus und sind noch nicht unbedingt spezifisch auf eine Person gerichtet. (2) Die zweite Phase (bis zum sechsten Lebensmonat) wird als zielorientierte Phase bezeichnet. Jetzt reagiert der Säugling um einiges besser und schneller auf die primäre Bindungsperson (im Vergleich zu anderen Personen, mit denen er in Kontakt kommt). (3) Die dritte Phase (innerhalb des zweiten Lebenshalbjahres) ist vor allem gekennzeichnet durch weitere Entwicklungsfortschritte des Kindes, wie selbstständiges Fortbewegen, gezieltes Greifen und eine stetig wachsende geistige Vorstellung von anderen Menschen. Diese Entwicklungsfortschritte erweitern das Repertoire seines Sozialverhaltens immens. Hinzu kommt eine zunehmende Vokalisierung, womit das Kind zusätzlich befähigt wird, die Verhaltensweisen seiner Bindungsperson(en) auf sein eigenes Verhalten vorherzusagen. Die Folge ist, dass es sein Bindungsverhalten nicht mehr nur auf eine Person (Ziel) hin orientiert, sondern sein Ziel dabei auch der Bindungsperson anpassen, es korrigieren (‚goal-corrected‘) kann.34 (4) Die vierte Phase (nach dem ersten Lebensjahr) wird als Phase der zielkorrigierten Partnerschaft bezeichnet. Sie beginnt, wenn ein Kind sprechen kann und versteht, was die Bindungsperson beabsichtigt. Auf diese Weise wird es dem Kind auch möglich mit der Bindungsperson zu verhandeln. Im Vorschulalter entdecken Kinder, dass auch andere Menschen denken, fühlen und einen Willen haben und dass dementsprechend ein Abstimmungsbedarf besteht. Da das Repertoire spezifischen Bindungsverhaltens vor allem bei einer Trennung von der Bindungsperson aktiviert wird, als Reaktion auf die Abwesenheit der Schutz und Sicherheit gebenden Person, wird Bindungsverhalten erfasst, indem es experimentell im Kontext einer Trennungssituation hervorge-
34
Hat ein Kind zu einer bestimmten Bezugsperson eine Bindung aufgebaut, was etwa ab dem vierten bis sechsten Lebensmonat der Fall ist, so wird es bei einer Trennung von seiner Bindungsperson leiden. Kommt es zu einer längeren Trennung oder sogar zum vollständigen Verlust, zeigen Kinder – und auch die meisten Erwachsenen – eine typische Sequenz aus erstens ‚Betäubt sein‘, zweitens ‚Protest und Sehnsucht‘ sowie drittens ‚Verzweiflung und Desorganisation‘. Die vierte Phase führt im Kindesalter zur Entfremdung und Ablösung von der Bindungsperson, was im Erwachsenenalter einer Reorganisation entspricht (Bowlby 1973, 1980). Unvermittelte Trennungen, besonders längere, und der Verlust einer Bindungsperson führt auch schon bei Säuglingen zu körperlichen Reaktionen, was die biologische Determiniertheit von Bindung noch einmal verdeutlicht.
Zur Erklärung intergenerationaler Beziehungen
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rufen wird. Die Methode der Erfassung nennt sich ‚Fremde Situation‘35 und wurde von Mary Ainsworth und Kollegen entwickelt (Ainsworth et al. 1978; für eine kurze Zusammenfassung siehe auch Ainsworth 1985a: 775f.). Aus der Reaktion auf die Trennung von der Bindungsperson – entweder durch ‚Nähe suchen‘ (Nähe suchendes, Kontakt aufrechterhaltendes Verhalten), ‚Vermeiden‘ (von einem prospektiven Sozialpartner weggerichtet), ‚Ambivalenz‘ (Gleichzeitigkeit zwischen Nähesuchverhalten und Vermeidenstendenzen) oder ‚Desorganisation‘ (Bindungsstörungen) – wird dann auf das bestehende Bindungsmuster geschlossen. Zur Bestimmung von Bindungsbeziehungen auf Grund beobachtbarer Interaktionsprozesse zwischen Mutter und Kind wurde von Ainsworth (Ainsworth et al. 1978) das so genannte A-B-C-Klassifikationssystem vorgeschlagen. Bindungen sind demnach (A) unsicher-vermeidend, (B) sicher oder (C) unsicher-ambivalent. Diese Klassifikation von Bindungsstilen wurde später von Main und Solomon (1986, 1990) noch um (D) desorganisierte Bindungen erweitert. Dieses Bindungsmuster ist dadurch gekennzeichnet, dass klare Verhaltensstrategien, wie sie bei den drei Hauptklassifikationen vorkommen, entweder nicht vorhanden oder kurzfristig zusammengebrochen sind. In verschiedenen Studien wurde inzwischen weltweit untersucht, wie häufig diese vier Bindungsstile bei Kleinkindern vorkommen: In Deutschland wurden dabei circa 28% der Kinder als ‚vermeidend‘, 45% als ‚sicher‘, 7% als ‚ambivalent‘ und 20% als ‚desorganisiert‘ eingestuft (Gloger-Tippelt/Vetter/Rauh 2000: 93). Die Bindungsstile, die in den Untersuchungen identifiziert werden konnten, waren jeweils eng gebunden an den Umgang der Erziehungsperson mit dem Kind. Die Bindungsbedürfnisse von Kindern sind zwar umweltstabil in dem Sinne, dass sich ein Kind an jede Person bindet, die sich um seine grundlegendsten Bedürfnisse kümmert. Die Bindung bzw. Bindungsqualität aber ist umweltlabil, da verschiedene Entwicklungen (in ihren natürlichen Grenzen) möglich sind. Das heißt zum Beispiel, dass eine sichere Bindung nicht zu erwarten ist, wenn die Bindungsperson ‚falsche‘ bzw. unangebrachte Reaktionen zeigt (Grossmann 2004: 28). Die Entwicklung einer Bindung ist also genetisch vor-
35
Die ‚Fremde Situation‘ zur Erfassung der Bindungsqualität eines Kleinkindes stellt allerdings nur eine Momentaufnahme von Bindung dar, bei der beobachtet wird, ob ein Kind, wenn die Bindungsperson den Raum verlässt, Trennungsschmerz zeigt und ob es ihn nach der ‚Wiedervereinigung‘ durch physische Nähe zu seiner Bindungsperson überwinden kann. Um Aussagen über die Entwicklung von Bindungen machen zu können, ist es unabdingbar Messungen zu späteren Zeitpunkten einzubeziehen, wobei die ‚Fremde Situation‘ mit zunehmendem Alter der Kinder immer weniger geeignet ist. Für ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene wurde die Methode deshalb teilweise modifiziert bzw. es wurden auch neue Messverfahren entwickelt (Crowell/Fraley/Shaver 1999; George/West 2001). Einen Überblick über die Ergebnisse verschiedener Langzeitstudien geben Grossmann und Grossmann (2004: 80ff.).
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programmiert; aber in ihrer Ausprägung ist sie abhängig von der Qualität des Umgangs der Bindungsperson(en) mit den Bindungsbedürfnissen des Kindes von Geburt an bis zum Erreichen psychologischer Reife im Erwachsenenalter. Wichtig für eine sichere Bindung ist vor allem, dass die Person das Kind unterstützt, indem sie seine Bindungsbedürfnisse erkennt und angemessen darauf reagiert. Als zentral hat sich dabei die Feinfühligkeit im Umgang mit dem Kind herausgestellt, die allerdings eine hohe geistige Flexibilität und Kompromissbereitschaft der Bindungsperson sowie eine hohe Kooperationsbereitschaft verlangt. Mütterliche Feinfühligkeit im ersten Lebensjahr sagte in einer großen Zahl von Untersuchungen die Bindungssicherheit des Kindes im zweiten Lebensjahr voraus (Grossmann 2004: 33). Die Stärke der Zusammenhänge variierte zwar je nach Untersuchungsanlage, aber vor allem Wertschätzung zeigte sich klar in sicheren, durch mütterliche Feinfühligkeit geprägten Bindungsbeziehungen. Die Bindungstheorie hat sich zunächst lange Zeit auf die Untersuchung des Verhaltens (sehr) kleiner Kinder bei der Trennung von ihrer primären Bindungsperson (vor allem der Mutter) konzentriert, obwohl schon Bowlby (1979: 129) konstatierte, dass „attachment behavior is held to characterize human beings from the cradle to the grave“. Inzwischen allerdings hat sie ihren Forschungsgegenstand auf die ganze Lebensspanne ausgeweitet (siehe für einen Überblick die Beiträge in Cassidy und Shaver 1999). Grundlegend dafür waren vor allem die Arbeiten von Mary Main und ihrer Forschergruppe (George/Kaplan/Main 2001 [1985]), die eine Methode zur Erfassung von Bindungsqualitäten jenseits des Säuglingsalters entwickelt haben: das ‚Adult Attachment Interview‘ (AAI).36 Mit Hilfe von Interviews mit Erwachsenen konnte bestätigt werden, dass die Bindungen eines Menschen ein grundlegendes Organisationsprinzip seiner emotionalen, sozialen und kognitiven Entwicklung sind. Mit Bindungssicherheit ist vor allem psychische Sicherheit verbunden, also beispielsweise eine realistische Selbstkenntnis, das heißt eine genaue Kenntnis der eigenen Fähigkeiten und Grenzen wie auch eine gute Kenntnis der Absichten, Gefühle und Bereitschaften von signifikanten Anderen. Für die Selbsterhaltung kann es fundamental sein, zu erkennen, wann die eigenen Fähigkeiten erschöpft 36
Da das AAI ähnlich wie die ‚Fremde Situation‘ ein qualitatives Verfahren zur Messung von Bindungsstilen ist (zur Durchführung und Auswertung des Verfahrens siehe in Englisch: Hesse 1999 und in Deutsch: Gloger-Tippelt 2001), ergeben sich hieraus fundamentale Schwierigkeiten der Einbeziehung der Bindungstheorie in die Erforschung intergenerationaler Beziehungen mit Hilfe von Surveydaten, was möglicherweise eine weitere Erklärung ihrer Nichtbeachtung in diesem Forschungsbereich ist. Es liegen inzwischen allerdings schon einige Versuche vor, Bindung in größeren quantitativen Untersuchungen mit Hilfe von standardisierten Instrumenten zu messen (Englisch: Collins/Read 1990; Deutsch: Schmidt et al. 2004).
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sind und dann vertraute Andere um Hilfe zu bitten. Psychische Sicherheit zeigt sich deshalb unter anderem in einer zugewandten und offenen Kommunikation mit den Bindungspersonen über Gefühle und darüber, was sie bedeuten. So werden negative Gefühle funktionell in die Aufrechterhaltung einer guten Beziehung integriert (Grossmann/Grossmann 2004: 603). Die Attachment Theorie kann damit sowohl positive als auch negative Gefühle und Prozesse in familialen Generationenbeziehungen einbeziehen. Die Untersuchung von Erwachsenen ergab weiterhin, dass frühkindliche Erfahrungen mit jeder einzelnen Bindungsperson erst zu Erwartungen und später zu differenzierten inneren Arbeitsmodellen (‚internal working models‘) werden (Bretherton 2001; zuerst Bowlby 1973), die wiederum in relativ stabilen mentalen Repräsentationen verankert sind (Abbildung 7). Abbildung 7:
Strukturelle Parallelität von Bindungstypen des Kindes in der ‚Fremden Situation‘ und Bindungsrepräsentationen der Bezugsperson im ‚Adult Attachment Interview‘
Bindungsverhalten Kleinkind
Bindungsrepräsentation Bezugsperson
Sicher Unsicher-vermeidend Unsicher-ambivalent Desorientiert/desorganisiert
Autonom, sicher Unsicher-distanzierend Unsicher-präokkupiert Unverarbeiteter Bindungsstatus
Quelle: Gloger-Tippelt 2001: 104.
Diese mentalen Repräsentationen, die bindungsbezogenes Verhalten im Erwachsenenalter leiten und regulieren sowie Gedanken und Gefühle vorhersagen, basieren also auf der Beziehungsgeschichte mit wichtigen Bindungspersonen (Bretherton/Munholland 1999). Die Vorstellung einer vorherbestimmten (determinierten) Kontinuität zwischen der Bindung im Kleinkindalter und im Jugendalter muss vor dem Hintergrund bisheriger empirischer Ergebnisse allerdings relativiert werden. Es gibt zwar empirisch beobachtbare Zusammenhänge, aber keine einfache Kontinuität (Grossmann/Grossmann 2004: 521; siehe auch Benoit/Parker 1994 sowie Zimmermann et al. 1995). Allerdings zeigen die Ergebnisse, dass mentale Repräsentationen von Bindung im Erwachsenenalter tatsächlich handlungsleitend in verschiedenen Beziehungskontexten wie in der
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Beziehung zu den Eltern oder zum Partner bzw. zur Partnerin sind (Collins/Read 1990). Da die meisten Informationen über Bindung und Bindungsentwicklung zur Mutter-Kind-Bindung vorliegen und sich die Mehrzahl der Untersuchungen bislang auf diese Beziehung konzentriert (sicher auch, weil die meisten Säuglinge – nicht nur in Deutschland – von der Mutter versorgt werden), soll an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass auch Beziehungen mit nichtmütterlichen Bindungspersonen – bspw. dem Vater – signifikant zum Beziehungsaufbau beitragen (Ahnert 2004: 73).37 Natürliche, also primäre Bindungspersonen für ein Kind können neben den leiblichen Eltern aber beispielsweise auch Pflege-, Adoptiv- und Stiefeltern werden, denn „biological kinship is not a necessary requirement for developing attachment” (Merz/Schuengel/Schulze 2007: 179). Solche Personen, die mit der Betreuung des Kindes außerhalb der Familie beauftragt sind – bspw. Großeltern oder Erzieherinnen – werden als sekundäre Bindungspersonen bezeichnet (Grossmann/Grossmann 2004: 248). Ein Kleinkind scheint sich dabei ‚automatisch‘ an die betreuende Person, die sich regelmäßig um es kümmert und auf es eingeht, zu binden. Auch hier wird wiederum die Bedeutung des Zeitpunktes bei der Gründung der Stieffamilie deutlich: Je jünger das Kind bei Gründung der Stieffamilie ist und je stärker die Präsenz des Stiefelternteils in der alltäglichen Kommunikation, desto besser sind die Chancen auf die Entwicklung einer sicheren und damit auch stabilen Bindungsbeziehung zwischen Stiefelternteil und Stiefkind. Studien zur Bedeutung des väterlichen Investments38 für die kindliche Entwicklung (Kindler/Grossmann 2004) konzentrieren sich vor allem auf verschie-
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Das Konzept der Monotropie (Bowlby 1958), nach dem Kinder in den ersten Lebensjahren nur eine tiefer gehende und für die weitere Entwicklung bedeutsame Bindung (zumeist mit der Mutter) eingehen können, wurde von Bowlby (1982 [1969]) bereits frühzeitig aufgegeben. Wenn man bedenkt, wie lange das Aufziehen von Kindern dauert und sonstige Produktionsund Reproduktionsleistungen von Männern und Frauen in Rechnung stellt, kann ein exklusives Betreuungsmodell eigentlich gar keines sein, das die menschliche Evolution langfristig aufrecht erhält. Als gesichert gilt inzwischen, dass ein Mensch an mehr als eine andere Person gebunden sein kann, allerdings auch nicht an sehr viele. Außerdem gibt es eine eindeutige Hierarchie der Bindungspersonen (Grossmann/Grossmann 2004: 68).
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Die Entwicklung männlicher Bereitschaft zur Investition in Nachkommen scheint das Ergebnis eines Anpassungsprozesses im Verlauf der letzten 10.000 Jahre menschlicher Evolution zu sein (Geary 2005). Das Ausmaß der Investition hatte offensichtlich eine große Bedeutung für den Reproduktionserfolg eines Mannes: „So lässt sich beispielsweise anhand ethnologischer Daten zeigen, dass die Präsenz eines biologischen Vaters in der Familie im Vergleich zu einem Aufwachsen ohne Vater oder mit einem Stiefvater in verschiedenen vorindustriellen Gesellschaften (einschließlich der älteren Jäger- und Sammlergesellschaften) mit einer deutlich geringeren Sterblichkeit während der Kindheit einhergeht“ (Kindler/Grossmann 2004: 241).
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dene Aspekte der gemeinsam verbrachten Zeit, auf das ‚Involvement‘ bzw. Engagement von Vätern. Neuere deutsche Studien belegen dabei einen immer noch deutlichen Abstand zwischen väterlichem und umfangreicherem mütterlichen Engagement (Fthenakis/Minsel 2002; Walter/Künzler 2002). Allerdings wird davon ausgegangen, dass sich die Bindung eines Kindes zum Vater nicht allein aus der Quantität, sondern vor allem aus der Qualität seiner Unterstützung der kindlichen Exploration parallel zur Mutter-Kind-Bindung entwickelt. Väter beschäftigen sich anders mit Kindern als Mütter. Die Bindungstheorie postuliert dabei, dass sich die Eltern optimalerweise in ihren Rollen und Aufgaben hinsichtlich der Entwicklung des Kindes ergänzen. Am günstigsten scheint ein komplementäres Modell der Funktionen der Eltern für die Entwicklung des Kindes zwischen hilfreicher und schützender Nähe sowie Unterstützung des Explorationstriebes zu sein. Ein weiterer Vorteil von Kindern in vollständigen Familien ist, dass sie zwei Chancen haben, eine gute und sichere Bindungsrepräsentation aufzubauen, da nachgewiesenermaßen Mutter und Vater die Unzulänglichkeiten des jeweils anderen Elternteils kompensieren können (Grossmann/Grossmann 2004: 244). Es ist also anzunehmen, dass sich nicht nur leibliche und soziale Eltern hinsichtlich ihrer Bindungsbeziehung und somit auch ihrer Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen im Erwachsenenalter voneinander unterscheiden, sondern auch strukturell intakte Familien und Alleinerziehende (bzw. Alleinlebende). Das verweist auf einen weiteren wichtigen Aspekt: den Einfluss kritischer Lebensereignisse auf die Bindungsentwicklung. Kritisch für die emotionale und soziale Entwicklung des Kindes sind Ereignisse wie die Trennung von einer Bindungsperson, mit der eine Gefährdung der Versorgungssicherheit einhergehen kann und andere Ereignisse, die die Vorhersagbarkeit der täglich gewohnten Abläufe zunichte machen (z.B. Scheidung oder Trennung der Eltern). Kritische Lebensereignisse verändern die unmittelbare Umwelt, was zu Verunsicherungen führen kann und eine Neuanpassung erfordert (Grossmann/Grossmann 2004: 94). Je nach den kognitiven Fähigkeiten der Kinder in verschiedenen Altersgruppen haben kritische Lebensereignisse andere Folgen: Das vorsprachliche Kind (0-3 Jahre) versteht am wenigsten, was die Ereignisse bedeuten und was sie bewirken. Es hat deshalb auch die wenigsten Möglichkeiten, die Veränderungen zu verarbeiten. Das Vorschulkind (4-7 Jahre) hat schon bessere Vorstellungen von zeitlichen Dimensionen und hat möglicherweise schon weitere verlässliche Beziehungen; es kann die Veränderungen zumindest verstehen. In der mittleren bis späten Kindheit einschließlich des Jugendalters (8-16 Jahre) nehmen die kognitiven Fähigkeiten stetig zu und damit auch die Möglichkeiten, mit den Veränderungen umzugehen, auch wenn die Gefühle, die mit den kritischen Lebensereignissen einhergehen, besonders mit der Scheidung der Eltern, nicht
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weniger negativ werden und ganz wesentlich das innere Bild und den Wert von Bindungen beeinträchtigen. Die Verlustängste können aber bei älteren Kindern durch offene Kommunikation zumindest abgeschwächt werden (Kobak 1999: 33): „Open communication can greatly reduce the extent to which disruptive events are perceived as threatening the availability of an attachment figure“. Es ist nach den Ergebnissen verschiedener Studien zufolge wohl auch nicht (nur) die Scheidung bzw. Trennung der Eltern, die Desorganisation hervorruft, sondern es ist eher das emotionale Klima zwischen den Eltern – auch schon vor der Trennung: Bei wahrgenommener Unzufriedenheit in der Ehe wurden gehäuft unsichere Kind-Mutter-Bindungen beobachtet wie auch schlechtere Kind-VaterBeziehungen (Grossmann/Grossmann 2004: 245; siehe auch Amato/Booth 1996 sowie Booth/Amato 1994, die für US-amerikanische Familien zeigen, dass die Beziehungen zwischen Kindern und Vätern unter einer geringen Ehequalität tendenziell stärker leiden als die Beziehungen zwischen Kindern und Müttern). Eine gute und liebevolle Partnerschaft der Eltern befördert dagegen sowohl die Kooperationsbereitschaft als auch das Wohlbefinden des Kindes. Attachment ist also nicht unveränderlich, sondern sehr sensitiv bezüglich der Veränderungen in der häuslichen Umgebung und den Interaktionen mit den Eltern (Cicirelli 1991: 27).39 Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Untersuchung intergenerationaler Beziehungen mit Hilfe der Attachment Theorie auch auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen Erwachsenen vertieft werden kann. Mit der Formel ‚Autonomie in Verbundenheit‘, also der Balance zwischen individueller Autonomie und sozialer Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, ist die Prämisse der Attachment Theorie gemeint, dass wahre Autonomie auf dem Gefühl sicherer Bindung beruht. Optimalerweise regulieren Personen ihre gegenseitige (soziale) Distanz frei und flexibel, wobei die Erwartung, auf jemanden zurückgreifen zu können, wenn es nötig erscheint, von zentraler Bedeutung ist: „People who have a positive model of self view themselves worthy of love and support and are more likely to have a positive model of others and desire intimacy and closeness with others over the life span. They manage to maintain a balance between being autonomous and having satisfying relationships with others, depending on them or having the others depend on themselves” (Merz/Schuengel/Schulze 2007: 179). Suboptimal dagegen scheint es (aus bin-
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Obwohl die Bindungsentwicklung vom Umgang der Bezugsperson mit dem Kind abhängig ist, wird durch sie doch nur ein Teil der beobachtbaren Varianz aufgeklärt. Es gibt inzwischen Hinweise, dass auch das Temperament des Kindes einen Einfluss hat (Spangler 1995). Das Betreuungsverhalten der Eltern interagiert wohl auf komplexe Weise mit den früh festzustellenden Eigenschaften des Kindes (Zentner 2004: 196).
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dungstheoretischer Sicht) zu sein, wenn Nähe und Distanz in einem unüberbrückbaren Widerspruch zueinander stehen, also ambivalent sind (Maio et al. 2004). Zusammenfassend kann man sagen: Die Bindungstheorie scheint das Potenzial zu haben, neues Licht auf die Wirklichkeit und Dynamik intergenerationaler Beziehungen zu werfen, da sie Prozesse erklären kann, die sich innerhalb signifikanter Nah- und Dauerbeziehungen im Laufe der gesamten Lebensspanne vollziehen.
2.3
Zusammenfassung und Integration bestehender Erklärungsansätze zur Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen
Die Beschäftigung mit der Frage, was die Ausgestaltung von familialen Generationenbeziehungen im Erwachsenenalter bestimmt und ob sich die Beziehungen zwischen leiblichen und sozialen Eltern mit ihren erwachsenen Kindern unterscheiden und wenn ja, in welcher Weise sie das tun bzw. welche Unterschiede theoretisch erwartet werden können, führt schnell zu der Erkenntnis, dass es bislang keine allgemeine Theorie der familialen Generationenbeziehungen gibt, die zur Erklärung der Ausgestaltung substanziell beitragen kann – jedenfalls nicht, wenn man bestimmte Ansprüche an eine (Familien-)Theorie stellt (Chibucos/Leite 2005: 1ff.; White/Klein 2008: 1ff.). Das liegt unter anderem auch an den Besonderheiten des Erklärungsgegenstandes, mit denen Familientheorien konfrontiert sind, denn Familien unterscheiden sich von anderen sozialen Gruppen (bei denen die Erklärung des Zusammenhalts und der Ausgestaltung mit Hilfe soziologischer und/oder sozialpsychologischer Theorien offensichtlich weniger schwierig ist) in verschiedener Hinsicht (White/Klein 2008: 17ff.): (1) Familien bestehen normalerweise deutlich länger als andere soziale Gruppen. Natürlich können auch Freundschaftsbeziehungen eine sehr lange Zeitspanne überdauern, wenn auch kaum von Geburt an. Familien verlangen praktisch eine lebenslange Mitgliedschaft, selbst wenn neue Mitglieder hinzukommen und andere fortgehen oder sterben. Die Zugehörigkeit zu einer Familie ist mehr oder weniger unfreiwillig, das heißt man kann sich seine Eltern nicht aussuchen (genauso wenig wie seine Kinder). Andere Gruppen sind in dieser Beziehung mit einem größeren Grad an Freiwilligkeit ausgestattet, vor allem zu Beginn, also bei der Initiierung des Kontaktes, der dann zu einer längerfristigen Beziehung werden kann oder auch nicht. Beziehungen zu Familienmitgliedern wie Stiefeltern, die zu einer bestehenden familialen Gemeinschaft hinzukommen, liegen dabei in ihrem Freiwilligkeitsgrad zwischen durch Abstammung verbundenen Familienmitgliedern und Freunden.
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(2) Familien sind generationenübergreifend. Zu einer Familie gehören definitionsgemäß Eltern und Kinder, das heißt es gibt mindestens eine junge und eine alte Generation. Wenn die Eltern lange genug leben und die Kinder selbst wieder Kinder bekommen, entsteht noch eine weitere Generation und somit auch Beziehungen zwischen Großeltern und Enkelkindern etc. Daraus ergibt sich ein relativ großer Altersunterschied zwischen den Mitgliedern einer Familie, den man sonst in kaum einer anderen sozialen Gruppe erfahren kann. Da die Kinder eine relativ lange von der Pflege der älteren Generation abhängig sind, um überleben und sich entwickeln zu können, ist über diese Zeit eine deutliche Asymmetrie gegeben, die sich allerdings in späteren Lebensphasen auch umkehren kann, wenn die ‚alten‘ Eltern auf die Hilfe der jüngeren Generation angewiesen sind. Dieses Kriterium der generationenübergreifenden Beziehungen kann – wenn die neue Partnerschaft des Elternteils nicht altershomogam ist – bei Stiefeltern-Stiefkind-Beziehungen teilweise aufgehoben werden. Wenn die Stiefeltern kaum älter sind als die Stiefkinder selbst, gleicht die Beziehungsgestaltung möglicherweise weniger einer Eltern-Kind-Beziehung als einer Freundschaftsbeziehung. (3) In Familien existieren sowohl biologische als auch affinale Verbindungen zwischen ihren Mitgliedern. Familienbeziehungen sind meist geprägt von beiden Einflussgrößen. (1) Die Persönlichkeit der Kinder, die in einer Familie aufwachsen, basiert zwar einerseits auf Abstammung (Weitergabe der Gene), wird aber andererseits auch durch die familiale Sozialisation geprägt. (2) Der Umgang der Eltern mit ihren Kindern ist dabei wiederum durch verschiedene Rechte und Pflichten gerahmt, die sowohl in Gesetzen festgelegt als auch informell durch Normen abgesichert sind. Gesetzliche Verankerungen, die hinsichtlich der affinalen Verbindungen in der Familie eine Rolle spielen sind vor allem Heirat und Adoption. Hier ist der so genannte Aspekt der Wahlverwandtschaft angesprochen, der entsprechend auch für die Stiefeltern-StiefkindBeziehung gilt. (4) Auf Grund der biologischen und affinalen Aspekte sind Familien wiederum in einen größeren verwandtschaftlichen Rahmen eingebettet. Eine Familie schließt jeden ein, der qua Abstammung, Heirat oder Adoption mit ihr verbunden ist. Durch ihre Verwandtschaft teilen die Mitglieder einer Familie normalerweise auch eine ganz spezifische Geschichte sowie für sie typische Traditionen. Soziale Gruppen am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis sind tendenziell zeitlich und räumlich begrenzter. Dieser letzte Aspekt bedeutet für Stiefeltern, dass sie sich in eine bestehende familiale Gruppe einfügen müssen, wobei sie selbst auch zur Veränderung der Gruppe beitragen können, indem sie ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Traditionen einbringen. Langfristig sollte es von beiden Seiten zu einem Anpassungsprozess kommen.
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Eine Theorie der familialen Generationenbeziehungen muss all diesen Besonderheiten von Familien als sozialen Gruppen Rechnung tragen: der Langfristigkeit ihrer Beziehungen, der unterschiedlichen Generationenangehörigkeit ihrer Mitglieder (vor allem ihrer Asymmetrie) sowie den biologischen und affinalen Verflechtungen, die sie in einen größeren verwandtschaftlichen Beziehungszusammenhang stellen. Bisher beschränken sich so genannte Theorien – besser Modelle – intergenerationaler Beziehungen allerdings fast ausschließlich auf die Zusammenstellung von Aspekten oder auch Dimensionen, durch welche die Ausgestaltung der Beziehungen (zu einem bestimmten Zeitpunkt) erfasst und in ihren Unterschiedlichkeit beschrieben werden können, fast immer ohne jeden Bezug auf die Beziehungsgeschichte der beteiligten Akteure oder ihre verwandtschaftliche Abstammung. Des Weiteren wird auch modelliert, wie die verschiedenen Dimensionen untereinander zusammen hängen, es werden Beziehungstypologien entwickelt oder Modelle entworfen, die Bedürfnisse, Opportunitäten und Kontextmerkmale einbeziehen. Die nationalen wie internationalen Diskurse der letzten Jahre waren in dieser Hinsicht zwar überaus fruchtbar wie auch die empirischen Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen sehr ergiebig; und beides hat auf seine Art und Weise dazu beigetragen, dass das Wissen über die Beschaffenheit von Generationenbeziehungen zwischen Erwachsenen deutlich zugenommen hat. Allerdings herrscht bisher keine Einigkeit darüber, was eigentlich die beeinflussenden Größen der Ausgestaltung von Generationenbeziehungen sind – dazu werden je nach Datenlage ad hoc Annahmen getroffen –, genauso wenig wie fest steht, was eigentlich die zu erklärende Variable ist. Dies hängt zwar sicherlich vom Erkenntnisinteresse ab, sollte aber jeweils entsprechend begründet werden. Die wesentliche Frage blieb deshalb bisher unbeantwortet: Was bestimmt eigentlich die Ausgestaltung von Generationenbeziehungen, das heißt, warum sind einige Eltern-Kind-Beziehungen ausgesprochen eng und zufriedenstellende Austauschbeziehungen, andere wiederum nicht? Und aus einer längsschnittlichen Perspektive interessiert außerdem: „Why families stay together and how these sources of cohesion change over time“ (Aldous 1990: 579). Die vorgestellten theoretischen Ansätze liefern einige Anhaltspunkte zur Beantwortung dieser Fragen. Der Rückgriff auf den konzeptuellen Rahmen der Lebensverlaufsforschung hat dabei deutlich gezeigt, dass für die Erklärung der Ausgestaltung von Generationenbeziehungen im Erwachsenenalter der Einbezug von Erfahrungen aus der Kindheit unabdingbar ist. Darauf wird in der Literatur zwar punktuell immer wieder hingewiesen (z.B. Rossi/Rossi 1990: 266; Silverstein et al. 2002: S3; Zarit/Eggebeen 2002: 135), aber Erklärungen, wie genau der Zusammenhang zwischen den Erfahrungen aus der Kindheit und den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern im Erwachsenenalter zu verstehen und zu erklären ist, blie-
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ben bisher aus. Ein fruchtbarer Ansatz scheint dabei zu sein, vor der Geburt des Kindes anzusetzen und die Entscheidung der Eltern für ein Kind und die damit verbundenen Erwartungen zu betrachten. Mit dem ‚Value-of-Children’-Ansatz (Nauck 2001) kann gezeigt werden, dass mit Kindern bestimmte Werte verbunden sind, die durch ihre Geburt realisiert werden sollen. Um diese Werte von Kindern realisieren zu können, müssen darauf abgestimmte Verhaltensstrategien ausgewählt und umgesetzt werden. Aus den ‚Value-of-Children’ lassen sich deshalb auch konkrete Vorhersagen zu kindbezogenen Verhaltensweisen treffen, das heißt, Nutzenerwartungen an Kinder und Erziehungsstile hängen eng zusammen (Mayer et al. 2005: 58f.). Mit der Theorie sozialer Produktionsfunktionen kann nun angenommen werden, dass Eltern Generationenbeziehungen schaffen, um sowohl kurz- als auch langfristig ihr Bedürfnis nach physischem und psychischem Wohlbefinden zu befriedigen, indem sie mit ihren Kindern in einen Ressourcenaustausch treten. Welche Ressourcen dabei in welcher Weise getauscht werden (können), darüber macht die Ressourcentheorie (Foa/Foa 1980) spezifische Annahmen. Mit der Geburt eines Kindes beginnt dann eine Eltern-Kind-Beziehung, wobei der Bindung zwischen den Familienmitgliedern eine extrem wichtige Rolle zukommt. In der Geschichte der Menschheit war es für ein Kind entscheidend, ob die Eltern dazu bereit waren, sich um ihr Kind zu kümmern und ihre Ressourcen für sein erfolgreiches Aufziehen zu investieren.40 Die Bindungstheorie fragt darüber hinaus auch nach der Qualität der Investitionen, die ein Kind erhält – z.B. elterliche Feinfühligkeit gegenüber der kindlichen Kommunikation, die Wertschätzung des Kindes durch die Eltern und die Wertschätzung von Bindungen als Quelle sozialer Unterstützung allgemein. Bereits im Alter von 10 Jahren sind enge Zusammenhänge zwischen der Fürsorge der Eltern und der Qualität der Bindung erkennbar; sozusagen als Lohn der frühen psychologischen Investitionen der Eltern (Grossmann/Grossmann 2004: 407). Die Erwartungen der Eltern, die sie versuchen in ihrem Erziehungsverhalten umzusetzen, manifestieren sich also normalerweise schon früh im Verhalten des Kindes. Die Ausgestaltung der intergenerationalen Beziehung zwischen Erwachsenen hat somit einen langen Vorlauf.
40
Es soll an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass es evolutionär gesehen, nicht um das Überleben des Kindes an sich geht, sondern um das Überleben seiner Gene: „Genetic replication is the goal of (all) life, and natural selection. That is, simple survival is not selected for. Only if survival fosters the reproduction of the surviving individual’s genes (via his or her own survival and/or that of kin, including descendants), rather than those of the species, does natural selection operate on a behavior or behavioral system–perhaps like attachment–that fosters survival” (Belsky 1999: 141, Hervorhebung im Original).
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Die Besonderheit der Eltern-Kind-Beziehung ergibt sich demnach aus ihrer gegenseitigen Bindung, deren Merkmale man folgendermaßen zusammenfassen kann (Ainsworth 1985b: 799f.): (1) Da eine Bindung ein enges, gefühlsmäßiges Band zwischen zwei Personen darstellt, sind Bindungspersonen niemals beliebig austauschbar. Vor allem primäre Bindungspersonen sind eigentlich durch Niemanden zu ersetzen, da der Bindungspartner als einzigartiges Individuum gesehen wird. Eine Trennung von ihm führt deshalb unweigerlich zu Kummer und ruft – wenn sie endgültig ist – große Trauer hervor. (2) Kennzeichen einer Bindungsbeziehung sind weiterhin der Wunsch, Nähe zum Bindungspartner aufrechtzuerhalten bzw. ein Bedürfnis, in seiner Nähe zu sein. Obwohl bei älteren Kindern und Erwachsenen diese Nähe bei Trennung in gewissem Ausmaß auch über Zeit und Raum aufrechterhalten werden kann, besteht dennoch (zumindest gelegentlich) der Wunsch, durch ein Wiedersehen Nähe und Interaktion herzustellen, was normalerweise mit einem Gefühl des Glücks und der Befriedigung einher geht. (3) Bindung ist außerdem gekennzeichnet durch das Erleben von Ermutigung und Sicherheit in der Beziehung. Im Erwachsenenalter wird es je nach den Bedürfnissen der Beziehungspartner entweder erhalten oder auch gegeben. Eine qualitativ gute, also sichere Bindungsbeziehung beruht in diesem Sinne also immer auf Gegenseitigkeit. Eine wichtige Konsequenz der Entwicklung und Aufrechterhaltung affektiver Bindungen von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter ist einerseits die Entstehung eines gewissen Verpflichtungsgefühls, die Bindungsperson zu unterstützen; andererseits aber auch die Bereitschaft dies zu tun. Diese Unterstützung wird (vor allem bei Vorliegen einer positiven Beziehungsgeschichte41) gewährleistet, wenn sie benötigt wird. Das ist ein wichtiger Aspekt bei der Betrachtung von familialen Generationenbeziehungen im Erwachsenenalter: Auch wenn man zu einem bestimmten Zeitpunkt der Hilfe vielleicht gar nicht bedarf, kann man sich sicher sein, dass sie jederzeit aktiviert werden kann. Um dieses Phänomen zu beschreiben, bezeichnen Riley und Riley (1993) die Familie auch als ‚Matrix of latent kin relationships‘; was nichts anderes meint als dass die Familienmitglieder sich gegenseitig als Versicherung für Notfälle dienen, auf die man jederzeit zuverlässig zurückgreifen kann. Um zu erfahren, dass die Unterstützung benötigt wird und auch um sich zu überwinden, Hilfe zu erbitten, ist allerdings ein regelmäßiger und auch vertraulicher Kontakt der Beziehungspartner erforderlich, der wiederum die emotionale Basis der Beziehung festigt. Diese sich selbst verstärkenden Prozesse, die auch in anderen sozialen Austauschbeziehungen zu finden sind, werden bei Familien zusätzlich normativ abgesichert, indem 41
Wie die Mitglieder von Familien ihre gegenseitigen Verpflichtungen verhandeln, hängt stark von der Familiengeschichte ab (Finch/Mason 1993).
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z.B. rituell bestimmte Feste im Familienkreis gefeiert werden und dadurch immerhin ein Mindestmaß an Involviertheit gefördert wird. Aus dieser Perspektive scheint die Dauer der Beziehung ein zentrales Merkmal zu sein, denn es wird davon ausgegangen (Lebensverlaufsforschung, Austauschtheorie), dass sich Beziehungen – auch familiale – mit der Zeit verstärken (Attias-Donfut 2000). Das Ziel des Bindungssystems bei älteren Kindern und Erwachsenen ist demnach nichts anderes als die Herstellung der Verfügbarkeit einer Bindungsperson zum Austausch von Unterstützungsleistungen (Ainsworth 1990: 474), welches sich im Vertrauen äußert, dass a) die Kommunikationskanäle zur Bindungsperson offen sind, b) körperliche Zugänglichkeit zur Bindungsperson besteht und dass c) die Bindungsfigur reagiert, wenn sie um Hilfe gebeten wird. AttiasDonfut (2000: 222) fasst das Verhältnis von Bindung und Austausch folgendermaßen zusammen: „Die Unterstützungspraktiken zwischen Familien sind … sehr unterschiedlich, sie sind um so stärker ausgeprägt, je besser die Qualität der Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern ist und je größer die Ressourcen sind, die zur Umverteilung zur Verfügung stehen – zwei Bedingungen, die sich tendenziell kumulieren“. Da familiale Verbindungen also ihre Einzigartigkeit vor dem Hintergrund gemeinsamer Erfahrungen erhalten und das Wesen einer Beziehung zwischen zwei Mitgliedern einer Familie aus der Geschichte ihrer Interaktionen erwächst, kann damit auch die Frage beantwortet werden, ob eine Bindung zu Stiefeltern in der gleichen Weise möglich ist wie zu leiblichen Eltern. Die Antwort ist eindeutig ‚ja‘! Aber natürlich nicht unter allen Umständen, sondern nur, wenn bestimmte Bedingungen beim Beziehungsaufbau erfüllt sind. Eine der wichtigsten Bedingungen ist der Zeitpunkt des Beginns der Beziehung, da der Geschichte der Beziehung – wie eben ausgeführt – eine ganz besondere Bedeutung zukommt: Je eher die Beziehung beginnt, also je eher das Stiefelternteil in die Familie kommt, und je stärker sich das Stiefelternteil an der Fürsorge um das Kind beteiligt (was vor allem der Fall sein wird, wenn es mit dem Kind und dessen leiblichen Elternteil in einem gemeinsamen Haushalt lebt), desto wahrscheinlicher ist auch der Aufbau einer Bindungsbeziehung.42 Das heißt nicht, dass die Entwicklung einer Bindung nur im Kleinkindalter möglich ist, aber eine solche Beziehung hat deutlich bessere Chancen, zu einer primären Bindungsbe-
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Die Bedeutung des Beginns der Beziehung – vor allem des Alter des Kindes – ist nicht nur nach den Annahmen der Bindungstheorie von enormer Bedeutung für die Ausgestaltung der Eltern-Kind-Beziehung im Erwachsenenalter. Auch die Vertreter der Austauschtheorie und des ‚Value-of-Children‘-Ansatzes gehen davon aus, dass die Beteiligten später eine befriedigendere und verlässlichere Austauschbeziehung führen, je jünger das Kind bei der Etablierung der Beziehung war.
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ziehung zu werden. Die Qualität der Bindung hängt allerdings nicht nur vom Zeitpunkt des Zusammentreffens und der Stärke der Involviertheit in die Belange der Fürsorge um das Kind ab, sondern basiert auch auf den Fähigkeiten des Stiefelternteils (genauso wie bei leiblichen Eltern), feinfühlig auf die Bedürfnisse des Kindes zu reagieren sowie seinen Explorationsdrang zu unterstützen, was beispielsweise wiederum eng mit dem Bildungsabschluss und der Schichtzugehörigkeit verknüpft zu sein scheint (Grossmann/Grossmann 2004: 244). Weiterhin ist eine entscheidende Einflussgröße, wie das Verhältnis des zweiten leiblichen Elternteils zum Kind ist; vor allem erst einmal, ob es überhaupt verfügbar ist. Wurde die Partnerschaft der Eltern durch den Tod eines Elternteils gelöst oder zieht sich das zweite Elternteil nach der Trennung vollkommen aus der Fürsorge um das Kind zurück, sollte es für das Stiefelternteil einfacher sein, eine intensive Beziehung mit dem Kind aufzubauen. Die Existenz einer Bindung zum Stiefelternteil erkennt man daran, dass sie den oben beschriebenen Merkmalen entspricht: Wenn also das Stiefelternteil als einzigartig geschätzte Person empfunden wird, die nicht austauschbar ist, die Beziehungspartner Nähe zueinander suchen, dem Anderen Fürsorge und Schutz gewähren und eine Trennung oder drohende Trennung Ängstlichkeit erzeugt und der Verlust Trauer hervorruft, ist der Aufbau einer solchen Beziehung gelungen. Um die eingangs gestellten Fragen nach der Erklärung verschiedener Ausgestaltungsmodi in Generationenbeziehungen und der Langlebigkeit familialer Beziehungen zu beantworten, muss man also am Beginn der Beziehungen ansetzen: Es ist davon auszugehen, dass der Wunsch nach einem Kind mit der Vorstellung verbunden ist, mit dem Kind in eine soziale Austauschbeziehung zu treten. Die Erwartungen an den kurzfristigen und langfristigen Nutzen dieser Austauschbeziehung manifestieren sich in den Werten von Kindern und werden in entsprechenden Erziehungsstilen umgesetzt. Dies gilt gleichermaßen für leibliche und soziale Eltern. Bei biologischer Abstammung setzt allerdings nach der Geburt das biologisch determinierte Bindungsverhalten ein. Durch die Reaktionen der Eltern auf das Kind wird ein bestimmter Bindungsstil entwickelt, der sich später in mentalen Repräsentationen niederschlägt. Diese mentalen Repräsentationen bestimmen dann den Umgang mit anderen Menschen im Erwachsenenalter, mit der Folge, dass sich psychisch gesunde, sicher gebundene Menschen einerseits gut in ihre Interaktionspartner hineinversetzen können, aber andererseits auch kein Problem damit haben, gegenüber den Interaktionspartnern eigene Bedürfnisse zu formulieren. Sie führen emotional nahe und zufriedenstellende Beziehungen und sind bereit sowohl Unterstützung zu geben als auch zu empfangen. Wenn eine sichere Bindung zu den primären Bezugspersonen – also den leiblichen Eltern – bis zur Trennung aufgebaut werden konnte, sollte sich dies wiederum positiv auf die Beziehungsentwicklung bei Hinzu-
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kommen eines Stiefelternteils (natürlich auch in Abhängigkeit davon, wie sich dieses Stiefelternteil selbst verhält) auswirken.
3
Stand der Forschung: Generationenbeziehungen in Trennungs- und Stieffamilien
In der deutschen Forschungslandschaft finden sich bisher nur einige wenige thematisch einschlägige empirische Studien und wissenschaftliche Publikationen zum Thema Stieffamilien. Das schöne Wortspiel im Titel des Aufsatzes von Schultheis und Böhmler (1998) „Fortsetzungsfamilien – ein Stiefkind der deutschsprachigen Familienforschung“ bringt die Situation der Forschung zu Stieffamilien in der Bundesrepublik eigentlich auf den Punkt: Abgesehen von einigen psychologischen Untersuchungen (Butz/Boehnke 2002; Döring 2002; Walper/Gerhard 2002) und – teilweise auch aus dem therapeutischen Kontext hervorgegangenen – qualitativen Studien (Friedl/Maier-Aichen 1991; Krähenbühl et al. 2007; Napp-Peters 1995; Ritzenfeldt 1998) mit ausgesprochen kleinen Fallzahlen, existiert nur eine größere und relativ umfassende Auswertung mit dem Titel „Stieffamilien in Deutschland“ (Bien/Hartl/Teubner 2002a). Diese wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Auftrag gegeben und basiert vornehmlich auf Analysen der dritten Welle des DJI-Familiensurvey von 2000 sowie Informationen der amtlichen Statistik (zur Hochrechnung) als auch auf einer qualitativen Zusatzuntersuchung. Allen deutschen Untersuchungen ist allerdings zumindest eines gemeinsam: Sie konzentrieren sich ausschließlich auf Stieffamilien mit minderjährigen Kindern. Für Deutschland liegen entsprechend keinerlei Ergebnisse zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen zwischen erwachsenen Stiefkindern und ihren Stiefeltern vor. Im Gegensatz zu Deutschland kann man in den USA inzwischen schon auf eine längere Forschungstradition zum Thema Stieffamilie zurückblicken, die im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch als ‚stepfamily‘, ‚remarried family‘, ‚reconstituted family‘ oder ‚blended family‘ bezeichnet wird. Einige Überblicksartikel der vergangenen Jahrzehnte verdeutlichen die Menge an Forschungsarbeit, die dort inzwischen geleistet wurde (siehe für die 1970er und 1980er Jahre: Coleman/Ganong 1990; Ganong/Coleman 1984; IhingerTallmann 1988; für die 1990er Jahre: Coleman/Ganong/Fine 2000; Cherlin/Furstenberg 1994 und für neueste Ergebnisse: Portrie/Hill 2005). Obwohl auch hier die Forschung zu Stieffamilien mit minderjährigen Kindern bei weitem überwiegt, existieren schon einige Befunde zu den Beziehungen zwischen
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Stand der Forschung
erwachsenen Stiefkindern und ihren Stiefeltern bzw. ihren geschiedenen oder verwitweten leiblichen Eltern. Zunehmend wird auch in groß angelegten Untersuchungen für den Familienstand und die Beziehungsstruktur kontrolliert, so dass man einige Aussagen zur Beziehungsgestaltung treffen kann (siehe zum Beispiel Aquilino 1994a und 1994b; Furstenberg/Hoffman/Shrestha 1995; Lin 2008; Marks 1995; Pezzin/Pollak/Steinberg Schone 2008; Shapiro 2003; White 1992, 1994a und 1994b). Ähnlich wie für die Bundesrepublik Deutschland gibt es aber auch für die USA kaum statistische Quellen, die Aussagen über den Anteil von Stieffamilien und der darin lebenden Stiefkinder erlauben (Stewart 2007: 15ff.; Teachman/Tedrow 2008: 3ff.).43 Berechnungen, die auf den Daten des ‚Survey of Income and Program Participation‘ (SIPP) aus dem Jahr 2001 basieren, zeigen, dass etwa 7% der minderjährigen Kinder in den USA mit einem leiblichen und einem sozialen Elternteil in einem Haushalt leben (Kreider/Fields 2005: 8). Unter Verwendung des US-Census von 2000 kommt Kreider (2003: 3) sogar nur auf einen Anteil von 5% minderjähriger Stiefkinder. Auf Grund verschiedener Defizite bei der Erfassung von Stieffamilienkonstellationen in USamerikanischen Surveys (Teachman/Tedrow 2008: 4), wird allerdings davon ausgegangen, dass diese Werte weit unter der tatsächlichen Zahl von Stiefkindern liegen (Kreider 2003: 21).44 In Deutschland wird der Anteil von minderjährigen Stiefkindern anhand der amtlichen Statistik auf ca. 11,5% geschätzt (Schwarz 1999: 247). Die Auswertungen des DJI-Familiensurvey liegen mit 6% Stiefkindern (Teubner 2002a: 29) zwar deutlich darunter, neuere Ergebnisse, die auf dem ‚Generations and Gender Survey‘ (GGS) basieren, bestätigen mit etwa 11% an Stiefkindern unter 18 Jahren jedoch die Schätzungen (Steinbach 2008a:
43
Probleme bei der Identifizierung von Stieffamilienverhältnissen mit Daten der amtlichen Statistik beklagen auch Forscher aus anderen Ländern (siehe zum Beispiel für Kanada: Church 1996: 82, für Japan: Nozawa 2008: 97, für Großbritannien: Allan/Hawker/Crow 2001: 830, für Frankreich: Leridon 1998: 89 und für Österreich: Wilk 2002a: 246).
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In beiden Surveys wird beispielsweise jeweils nur die Beziehungskonstellation der Zielperson zu den anderen Haushaltsmitgliedern erfasst. Es ist somit davon auszugehen, dass der Anteil von Stiefkindern deutlich höher liegt, da Konstellationen, in denen der oder die Befragte das leibliche Elternteil ist und die Partnerin bzw. der Partner das Stiefelternteil, nicht als Stieffamilienkonstellation gezählt werden (Teachman/Tedrow 2008: 7f.). Darüber hinaus ist die Wahrnehmung eines Stiefverhältnisses im US-amerikanischen Kontext vornehmlich an eine eheliche Partnerschaft gebunden, so dass unverheiratet zusammen lebende Personen, leibliche Kinder des Partners oder der Partnerin häufig nicht als Stiefkinder klassifizieren. Die Interpretation der Kategorien wurde den Probanden selbst überlassen (Kreider 2003: 19).
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170).45 Diese Ergebnisse stellen natürlich nur eine Momentaufnahme dar. Die Lebensbedingungen, unter denen Kinder und Jugendliche aufwachsen, sind jedoch nicht statisch, sondern überaus dynamisch: Schätzungen gehen davon aus, dass etwa ein Drittel der Kinder bis zu ihrer Volljährigkeit mindestens einmal mit einem Stiefelternteil zusammen gelebt hat (Bumpass/Raley/Sweet 1995: 425). Die Ergebnisse zum Anteil von erwachsenen Stiefkindern beschränken sich in den USA auf Kinder, die (immer noch oder schon wieder) im Haushalt ihrer (Stief-)Eltern wohnen. Sie machen 5,8% aller volljährigen Kinder aus (Kreider 2003: 4). Über den Anteil erwachsener Stiefkinder mit eigenem Haushalt liegen weder für die USA noch für Deutschland irgendwelche Zahlen oder Schätzungen vor. Das Problem der unzureichenden Datenlage liegt vor allem an der schwierigen Erfassung dieser Familienform, da Stieffamilien generell außerordentlich komplexe und bei minderjährigen Kindern oft auch haushaltsübergreifende Beziehungsstrukturen aufweisen (Stewart 2007: 15ff.; Teachman/Tedrow 2008: 9ff.; Steinbach 2008a: 173f.; Teubner 2002a: 24), so dass in quantitativen Untersuchungen mit großen Stichproben fast immer darauf verzichtet wird. Spezialuntersuchungen müssen dann mit eher kleinen Stichproben auskommen, was allerdings die Verallgemeinerung ihrer Ergebnisse erschwert. Darüber hinaus werden auf Grund der hohen Komplexität von Fortsetzungsfamilien oft nur bestimmten Facetten der Familie betrachtet – bestimmte Familienformen (z.B. verheiratete Stieffamilien), bestimmte Familienmitglieder (z.B. Stiefvater) und bestimmte Lebensphasen (z.B. Stieffamilien mit minderjährigen Kinder) – und nicht das familiale System in seiner Gesamtheit und seiner Entwicklung untersucht. Als Folge sind die vorliegenden empirischen Ergebnisse nur sehr schwer miteinander vergleichbar und erfordern jeweils relativ detaillierte Angaben zu den Merkmalen der betrachteten Stieffamilien, ohne die eine Einordnung der Resultate unmöglich ist. Darüber hinaus muss die Darstellung der Forschungsergebnisse zu Generationenbeziehungen in Stieffamilien einigen Besonderheiten dieser Familienform Rechnung tragen, die im Folgenden kurz beschrieben werden: 45
Da sich die Schätzungen in Deutschland auf den Anteil minderjähriger Stiefkinder beschränken, wurden hier ausschließlich diese Zahlen präsentiert. Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass der Anteil von Stieffamilienhaushalten über dem Anteil von Stiefkindern liegt, da in neuen Partnerschaften häufig noch gemeinsame leibliche Kinder geboren werden. Berechnungen mit dem US-Census ergeben einen Anteil von etwa 10% Stieffamilienhaushalten (wobei auch hier von einer deutlich höheren Zahl ausgegangen werden muss) (Teachman/Tedrow 2008: 9). Für Deutschland sehen die entsprechenden Zahlen folgendermaßen aus: Im Familiensurvey beträgt der Anteil an primären Stieffamilien 7% (Teubner 2002a: 40) und im ‚Generations and Gender Survey‘ beträgt er 14% (Steinbach 2008a: 165).
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(1) Den theoretischen Ausführungen im zweiten Kapital folgend, ist es nicht ausreichend, sich in der Darstellung auf die Generationenbeziehungen zwischen Erwachsenen zu beschränken. Aus lebenslauftheoretischer Perspektive ist es von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis der Ausgestaltung von intergenerationalen Beziehungen im Erwachsenenalter, auch die Beziehungsgestaltung in der Kindheit einzubeziehen. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass es kaum lebensphasenübergreifende Ergebnisse gibt. Deshalb soll beim derzeitigen Stand der Forschung angesetzt und zumindest die Ergebnisse zu verschiedenen Lebensphasen (Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter) zusammengetragen werden, die dann möglicherweise helfen, einige Schlüsse für lebenslauftheoretische Argumente zu ziehen und diesbezüglich einige Zusammenhänge offen zu legen. Zusätzlich zur Darstellung der Befunde aus bestimmten Lebensphasen werden wo immer möglich Beispiele aus der Forschung präsentiert, bei denen versucht wurde eine Brücke zwischen den verschiedenen Disziplinen, die sich mit Stieffamilien beschäftigen (soziologische und psychologische Kindheits- und Jugendforschung, Familiensoziologie und Gerontologie), und Lebensphasen zu schlagen. (2) Die Darstellung kann sich natürlich nicht auf Generationenbeziehungen in Stieffamilien beschränken. Die Besonderheiten von Stieffamilien treten ja häufig erst in einem Vergleich mit anderen Familienformen zu Tage. Wo es sich anbietet, werden die Ergebnisse zu Stieffamilien also mit denen zu Kernfamilien und Einelternfamilien kontrastiert. Das verweist auf einen weiteren Punkt, der bei Stieffamilien zu beachten ist: Da die Auflösung der Elternbeziehung eine notwendige Bedingung für die Entstehung einer Stieffamilie darstellt – sei es, dass ein Elternteil verstirbt oder weil die Eltern sich trennen, also zumindest der Verlust alltäglicher Interaktionen zu verzeichnen ist, können die Beziehungen in Stieffamilien gar nicht unabhängig von diesem kritischen Lebensereignis betrachtet werden. Die Folgen der Auflösung der Partnerschaft der Eltern hängen direkt mit der Ausgestaltung der Beziehungen in Stieffamilien zusammen, unter anderem auch deshalb, weil das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein des zweiten leiblichen Elternteils eine wichtige strukturelle Bedingung für den Beziehungsaufbau zwischen Stiefkind und Stiefelternteil darstellt. Da beide Aspekte nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können, ist es unabdingbar auch einige Ergebnisse zu den Scheidungsfolgen für Eltern-Kind-Beziehungen aufzunehmen. (3) Für die Erforschung von familialen Generationenbeziehungen ist es von ganz besonderer Bedeutung zu berücksichtigen, auf wen die Untersuchung fokussiert, also wer die betrachtete Ankerperson ist. Dabei gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten der Perspektive: erstens von oben (generationenabwärts) und zweitens von unten (generationenaufwärts). Die meisten Untersuchungen inter-
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generationaler Beziehungen schauen generationenabwärts (Hagestad 2003: 143), aber es gibt inzwischen durchaus auch genug Gegenbeispiele. Es wird im Folgenden bei der Darstellung der Ergebnisse deshalb immer ausdrücklich erwähnt, um welche Perspektive es sich handelt. Das ist vor allem auch deshalb von Bedeutung, da sich je nachdem wer gefragt wird (Eltern oder Kinder), inhaltlich ganz unterschiedliche Ergebnisse ergeben können (Aquilino 1999; Giarrusso/Feng/Bengtson 2004; Kopp/Steinbach 2009; Shapiro 2004; Sobolewski/King 2005: 1203f.). Um das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren nicht überzustrapazieren, erfolgt die Darstellung der vorliegenden Forschungsbefunde anhand der verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen, die im theoretischen Teil als die zentralen Merkmale von Eltern-Kind-Beziehungen herausgearbeitet wurden (Wohnentfernung, Kontakthäufigkeit, Beziehungsqualität, Wahrnehmung familialer Verpflichtungen und Austausch von Unterstützungsleistungen)46 und an denen sich auch die Ergebnispräsentation im empirischen Teil orientiert. Zu Beginn soll jedoch noch auf die Beziehungsentwicklung in Stieffamilien eingegangen werden, da diesem Prozess vor dem Hintergrund der möglichen Ausgestaltung der Beziehungen eine besonders wichtige Bedeutung zukommt.
3.1
Beziehungsentwicklung
Obwohl die meisten Untersuchungen zu Stieffamilien Querschnittsuntersuchungen sind und die Familien somit zu einem bestimmten Zeitpunkt in den Blick genommen werden, stellen Stieffamilien natürlich keine statische Form familialer Organisation dar. Sie befinden sich – wie andere Familien auch – nicht dauerhaft in einem bestimmten Zustand, sondern die beteiligten Individuen durchlaufen eine komplexe Kette familienbiographischer Passagen. Dieser Pro-
46
Der größte Teil von Untersuchungen zu Stieffamilien beschäftigte sich bislang mit den spezifischen Auswirkungen dieser Familienform auf die Entwicklung der in ihr aufwachsenden Kinder. Diese Untersuchungen, die sich vornehmlich auf Schulleistungen, Schulabschlüsse, psychologische Anpassung und Verhaltensprobleme konzentrierten, kommen zu dem Schluss, dass Kinder aus Stieffamilien generell einem größeren Risiko für ihre Entwicklung ausgesetzt sind als Kinder, die in Kernfamilien aufwachsen (Amato 2001; Amato/Cheadle 2008; Butz/Boehnke 2002; Coleman/Ganong/Fine 2000; Hartl 2002; White/Gilbreth 2001), wenn sich auch langfristig kaum Unterschiede zeigen und damit den meisten Kindern in Stieffamilien eine Anpassung gelingt. Da sich diese Arbeit auf die Beziehungsgestaltung von (Stief)Eltern und (Stief-)Kindern beschränkt, wird auf eine ausführliche Darstellung dieser Ergebnisse verzichtet.
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Stand der Forschung
zess wird auch als Zyklus der ‚familialen Rekomposition‘ bezeichnet (siehe unter anderem Hurstel/Carré 1998: 209). Bei der Betrachtung solcher Rekompositionsprozesse wird der Blick bislang vornehmlich auf Stieffamilien gerichtet, die entstehen, wenn die Kinder noch minderjährig sind, wobei natürlich auch familiale Rekompositionsprozesse stattfinden, wenn die Eltern neue Partnerschaften eingehen und die Kinder bereits erwachsen sind. Dazu liegen allerdings keinerlei Untersuchungsergebnisse vor. Da für Stiefeltern (und Stiefkinder) kaum Anhaltspunkte existieren, wie sie ihre Rollen in der Stieffamilie angemessen auszufüllen haben, kann das zu Rollenambiguitäten führen, bietet gleichzeitig aber auch viel Raum für die Ausgestaltung der Beziehungen. Je nachdem, wie Stiefeltern ihre Rolle ausüben und sich in das Familiensystem einpassen, aber auch wie sich die Beziehung (vor allem der Kinder) zum externen Elternteil gestaltet, lassen sich verschiedene Typen von Stieffamilien unterscheiden. Der Konstitutionsprozess und die familiale Dynamik von Stieffamilien ist aber nicht nur durch das Ausmaß der Integration des sozialen Elternteils in das familiale System bedingt, sondern die Entwicklung der Beziehung wird darüber hinaus ganz wesentlich durch die Rechte und Pflichten, die Stiefeltern besitzen bzw. nicht besitzen, geprägt. Dieses Nichtvorhandensein von Rechten und Pflichten gegenüber Stiefkindern kann sich beispielsweise auf das Erziehungsverhalten von Stiefeltern in Stieffamilien auswirken, indem sie sich aus der Erziehungsarbeit heraushalten. Das kann wiederum dem Aufbau einer (sicheren) Bindung zwischen Stiefelternteil und Stiefkind entgegenwirken, denn Erziehung und Beziehung lassen sich eigentlich kaum voneinander trennen. Nehmen das (interne) leibliche Elternteil und das Stiefelternteil nicht gleichermaßen an der Beziehung zum Kind teil, kommt es leicht zu Interaktionsstörungen, Eifersucht oder Misstrauen – nicht nur zwischen Stiefelternteil und Stiefkind, sondern auch zwischen den (Ehe-)Partnern. Das Erziehungsverhalten von Stiefeltern in Stieffamilien trägt also grundlegend zur Beziehungsgestaltung aller Beteiligten bei. In diesem ersten Abschnitt zum Stand der Forschung soll es also vorrangig darum gehen, zu zeigen, wie Stieffamilien im alltäglichen Umgang funktionieren, was beim Zusammenwachsen von Stieffamilien eine Rolle spielt und was das Verhalten von leiblichen Eltern, Kindern und Stiefeltern beeinflusst, um dann vor diesem Hintergrund in den weiteren Abschnitten die Ergebnisse zur konkreten Ausgestaltung von Generationenbeziehungen in Trennungs- und Stieffamilien zu präsentieren.
Stand der Forschung
3.1.1
93
Familiale Rekomposition
Jeder Stieffamilie geht entweder der Tod eines Elternteils oder die Trennung der Eltern und damit die Auflösung der Familie als einschneidendes und kritisches Lebensereignis für die Familienmitglieder voraus. In der Folge kommt es zu Veränderungen in der Zusammensetzung und der Struktur des familialen Systems, an die sich die betroffenen Personen anpassen müssen. Natürlich sind auch Familien, bei denen sich die Eltern nicht trennen, immer wieder mit verschiedenen Übergängen konfrontiert (z.B. mit der Geburt oder dem Auszug eines Kindes) und in verschiedenen Familienphasen herausgefordert, ihre familiale Organisation den Veränderungen anzupassen. Diese Herausforderungen neuer Lebenssituationen werden aber als ‚natürliche‘ Krisen – im Gegensatz zu ‚außerplanmäßigen‘ Krisen, wie einer Trennung der Eltern oder einer Wiederverheiratung – bezeichnet und heben sich damit qualitativ von letzteren ab. Krähenbühl et al. (2007: 65ff) unterscheiden drei typische Phasen der Bildung einer Stieffamilie, die jeweils mit spezifischen Anforderungen an die betroffenen Familienmitglieder verbunden sind: (1) die Phase des Abschieds von der bisherigen Partnerschaft und der bisherigen Familienform, (2) die Phase der getrennt lebenden Familie und (3) die Phase der neuen Partnerschaft und der Stieffamilie.47 Auf die ersten beiden Phasen soll im Folgenden nur insoweit eingegangen werden, als sie für die letzte Phase – der Gründung einer Stieffamilie – relevant erscheinen. (1) Die Phase des Abschieds von der bisherigen Partnerschaft und der bisherigen Familienform. Das konstitutive Lebensereignis der Abschiedsphase ist der Entschluss eines Partners oder auch beider Partner, die Beziehung aufzulösen. In der Folge verlässt einer der beiden Partner den gemeinsamen Haushalt bzw. der gemeinsame Haushalt wird aufgelöst. Damit verändern sich sowohl die familialen Strukturen als auch die familiale Atmosphäre wesentlich: Beispielweise können externe Elternteile auf Grund der räumlichen Trennung, Erziehungsaufgaben nicht mehr in der gleichen Weise wahrnehmen wie vorher. Bisherige Beziehungsstrukturen, Verhaltensabläufe und Familienregeln werden in Frage gestellt. Die Ex-Partner müssen entscheiden, wer aus der gemeinsamen Wohnung auszieht; sie müssen die elterliche Sorge und den elterlichen Umgang regeln, sowie die Aufteilung des Besitzes und der Finanzen veranlassen. Der emotionale Loslösungsprozess dauert dabei in der Regel deutlich länger als das 47
Die folgenden Erläuterungen zur familialen Rekomposition beziehen sich ausschließlich auf Trennungsfamilien, da den meisten Stieffamilien die Trennung bzw. Scheidung der Eltern vorausgeht. Ähnliche Prozesse lassen sich aber im Prinzip auch für Familien, die durch den Tod eines Partners bzw. eines Elternteils aufgelöst werden, beobachten.
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juristische Verfahren. Die Verarbeitung des Ereignisses und seiner Folgen braucht für alle Beteiligten Zeit. Bedeutsam für die Einschätzung der Folgen einer elterlichen Trennung scheint weiterhin zu sein, dass in den meisten Fällen schon vor der Trennung ein angespanntes Familienklima herrscht, das heißt die Kinder erleben oft schon vor der Scheidung ihrer Eltern belastende Interaktionen. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass konflikthafte Paarbeziehungen der Eltern, die aufrechterhalten und nicht beendet werden, ähnliche – wenn nicht sogar stärkere – Effekte auf das Problemverhalten von Kindern und die ElternKind-Beziehung haben können (Amato/Booth 1996; Amato/Cheadle 2008; Erel/Burman 1995; Morrison/Coiro 1999; Sobolewski/Amato 2007; Walper/Gerhard 2002). (2) Die Phase der getrennt lebenden Familie. Da die Mehrheit getrennter Eltern zumindest einige Zeit lang – oft sogar dauerhaft – in einer Phase des Alleinlebens verbleibt (Krähenbühl et al. 2007: 71; Kreider 2005: 9f.; Le Gall/Martin 1998: 139), kann die Konstituierung einer Teilfamilie oder Einelternfamilie auf der einen Seite (meist die Mutter und die Kinder) und die Konstituierung eines Einpersonenhaushalts auf der anderen Seite (meist der Vater) als charakteristisches Lebensereignis dieser Phase angesehen werden. Für alle Familienmitglieder ist dies eine wichtige Zeit der Konsolidierung und Neuorientierung, da sie weitreichende Veränderungen mit sich bringt. Beispielsweise ist eine Trennung oft mit Distanzierungen gegenüber früheren Freunden, häufig auch gegenüber den Verwandten des ehemaligen Partners – vor allem des Vaters – verbunden (Wilk 2002a: 252). Die Mutter kehrt möglicherweise ins Erwerbsleben zurück bzw. muss ihren Erwerbsumfang erhöhen. Ein Wohnortwechsel und damit oft auch ein Schulwechsel können notwendig werden. All diese Veränderungen führen teilweise zum Verlust des bisherigen sozialen Umfeldes und haben Rückwirkungen auf die Familienmitglieder. Diese sind herausgefordert, die familialen Rollen und Aufgaben neu zu verteilen, vor allem müssen die Besuchsregelungen ausgehandelt (und auch eingehalten) werden. Im täglichen Leben bleibt in beiden Teilfamilien der Platz des jeweils anderen Elternteils unbesetzt, was in manchen Familien dazu führt, dass die Kinder diesen Platz ausfüllen. Allerdings können sie dann häufig nicht für ihre eigenen Bedürfnisse sorgen, was wiederum die Bindungsbeziehung zu den Eltern belastet. (3) Die Phase der neuen Partnerschaft und der Stieffamilie.48 Das konstitutive Lebensereignis dieser dritten und letzten Phase stellt das Eingehen einer neuen Partnerschaft durch die Mutter oder den Vater dar. Vor allem, wenn die neue Partnerschaft auf Dauer angelegt ist und zu einer gemeinsamen Haushalts48
Siehe für eine stärkere Differenzierung der verschiedenen Phasen nach Gründung einer Stieffamilie zum Beispiel Hurstel und Carré (1998: 211).
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führung führt, kann dies weitreichende Veränderungen für die Struktur des Familiensystems zu Folge haben: Die Bildung einer Stieffamilie bedeutet, dass eine neue Person in die bereits bestehende – wenn auch getrennte – Familie eingebunden werden muss, was wiederum eine Neuorientierung aller Familienmitglieder erfordert. Aber nicht nur das Stiefelternteil muss eingebunden werden, sondern auch das externe leibliche Elternteil. Ihm sollte zugestanden werden, weiterhin Bezugsperson für sein Kind bzw. seine Kinder zu bleiben. Das getrennt lebende Elternteil muss sich wiederum darauf einstellen, dass im Haushalt des Kindes nun ein weiterer Erwachsener lebt, der eine Beziehung zum Kind entwickelt und Erziehungsaufgaben wahrnimmt. Falls das externe leibliche Elternteil eine neue Partnerschaft eingeht, gelten die Anforderungen an eine Neuorientierung der Familienmitglieder in ähnlicher Weise. Längsschnittliche Analysen familienbiographischer Passagen in Trennungsfamilien zeigen, dass das Zusammenwachsen von Stieffamilien einen mehrjährigen Prozess darstellt, der etwa zwei bis fünf Jahre in Anspruch nimmt (Cherlin/Furstenberg 1994: 370; Hetherington 1993: 40). Die Anpassung an die neuen Familienstrukturen nach der Gründung einer Stieffamilie dauert deshalb so lange, weil die Entwicklung einer Stiefeltern-Stiefkind-Beziehung in verschiedener Hinsicht schwierig ist: Erstens wirkt sich die Geschichte der ‚alten‘ Familie auf die Beziehung der neuen Partner als auch auf die Beziehung zu den Kindern aus. Während die Partner in der ersten Familie Schritt für Schritt eine gemeinsame familiale Welt aufbauen, trifft in der Stieffamilie eine Person auf eine bereits bestehende komplexe Teilfamilie. Der neue Partner bzw. die neue Partnerin besetzt nicht etwa nur einen frei gewordenen Platz, sondern schließt sich einer entzweiten Familie, mit bestehenden Beziehungsstrukturen, an. Besonders in der Gründungsphase der Partnerschaft birgt dies teilweise große Belastungen. Zweitens werden die erforderlichen Anpassungsprozesse zusätzlich dadurch erschwert, dass für Stieffamilien und ihre Mitglieder keine klaren Rollendefinitionen zur Verfügung stehen (Fine 1995). Insbesondere beim Stiefelternteil kann das zu größeren Unsicherheiten führen, da es neben den beiden leiblichen Elternteilen eine eigene, neue (Eltern-)Rolle entwerfen muss (Fine/Coleman/Ganong 1998, Fine/Ganong/Coleman 1997; Wilk 2002b). Cherlin (1978) hat für Stieffamilien auf Grund der unklaren Richtlinien zur Einschätzung der Angemessenheit ihres Verhaltens, den Begriff der ‚unvollständigen Institution‘ eingeführt. Er argumentiert, dass diesen Familien ein Bündel von Leitlinien und Normen, auf das sie sich im täglichen Leben beziehen können, fehlt. Dies ist in vielerlei Hinsicht festzustellen, hauptsächlich jedoch, so Cherlin (1978: 643), in der Sprache und im Rechtssystem. Bezüglich der Sprache wird unter anderem das Problem der Mitglieder von Stieffamilien erwähnt, dass sie nicht wissen bzw. sich einigen müssen, wie sie sich gegenseitig nennen
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(Hurstel/Carré 1998: 209; Leridon 1998: 84ff.; Marsiglio 2004: 31; Schultheis/ Böhmler 1998: 15). Ein Kind kann den neuen Partner der Mutter zum Beispiel beim Vornamen nennen, aber auch Vater oder Stiefvater sagen. Die Probleme bei der Anrede spiegeln die Schwierigkeiten bei der Verortung des Stiefelternteils wider. Bezüglich des Rechtssystems wird beklagt, dass sich Stieffamilien in einem weitgehend gesetzlosen Raum bewegen, insbesondere wenn das leibliche Elternteil und das Stiefelternteil nicht verheiratet sind. Außer bei einer Adoption, der allerdings das jeweils andere leibliche Elternteil zustimmen muss, besitzen Stiefeltern fast keine Rechte und Pflichten gegenüber ihren Stiefkindern und umgekehrt (Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen Stieffamilien 2008; Krähenbühl et al. 2007: 199ff.; Mason et al. 2002: 516f.). Da es keine festen Anforderungen an Stiefeltern gibt, können sie sich in ihrem Verhalten gegenüber den Kindern entweder an die herkömmliche(n) Elternrolle(n) anlehnen oder für sich eine neue eigene Rolle finden, wie etwa die eines elterlichen Freundes (Church 1999; Erera-Weatherly 1996; Théry/Dhavernas 1998). Eine Reihe von Untersuchungen hat gezeigt, dass sich sowohl Klarheit als auch Übereinstimmung über die Inhalte der Rolle des Stiefelternteils in der Familie positiv auf die Anpassung der Mitglieder in Stieffamilien auswirken (Fine/Coleman/Ganong 1998; Fine/Ganong/Coleman 1997). Zum Beispiel konnte die Beziehungsqualität zwischen Stiefvätern und Stiefkindern am besten durch das Ausmaß der Einigkeit zwischen Stiefvater und Mutter vorhergesagt werden, wie die Jugendlichen erzogen werden sollten (Skopin/Newman/ McKenry 1993). Die Ausübung der Rolle als Stiefmutter scheint allerdings mit zusätzlichen Problemen konfrontiert zu sein (Brown 1987; Church 1999; Doodson/Morley 2006; Erera-Weatherly 1996; Théry/Dhavernas 1998; Vinick/Lanspery 2000). Da es aufgrund der generellen Unterschiede in den Geschlechterrollen Frauen eher zugeschrieben wird, eine enge emotionale Beziehung zu (ihren) Kindern aufzubauen, wohingegen Männer eher angehalten werden, Autorität gegenüber Kindern auszuüben, ist es für Stiefmütter offensichtlich besonders schwierig, ihren Platz im familialen Gefüge zu finden. Wenn zwischen dem Kind und beiden leiblichen Elternteilen regelmäßiger Kontakt besteht, müssen sich jedoch Mütter wie Väter mit der Doppelbesetzung (mindestens) einer Elternrolle auseinandersetzen. Das kann nicht nur zu Loyalitätskonflikten zwischen beiden leiblichen Eltern, sondern zusätzlich zwischen den beiden Personen, die dem Kind in der gleichen Rolle als Vater oder Mutter gegenüberstehen, führen. Die Gründung einer Stieffamilie ist aber nicht nur für die Stiefeltern, sondern oftmals auch für die betroffenen Kinder mit großen Unsicherheiten verbunden (Coleman/Ganong 1997: 117ff.; Napp-Peters 1995: 38ff.). Einerseits, kann es für die Kinder zu Rivalitätskonflikten kommen, wenn das leibliche
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Elternteil eine neue Partnerschaft eingeht und die Kinder den Verlust der (vielleicht während der Zeit des Alleinlebens) besonders engen Beziehung zur Mutter oder zum Vater befürchten. Andererseits kann es für die Kinder aber auch zu Loyalitätskonflikten kommen, wenn sie Angst haben, eine gute Beziehung zum Stiefelternteil könnte die Beziehung zum außerhalb lebenden Elternteil gefährden. Zusammenfassend kann mit Hetherington und Jodl (1994: 58) an dieser Stelle festgehalten werden: „The delineation of the stepparent role is not a unilateral process controlled by the stepparent, but involves negotiation among all family members, including the children, biological parent, noncustodial parent, and even grandparents”. Die familiale Rekomposition erfordert deshalb hohe psychosoziale Kompetenzen aller Familienmitglieder (Wilk 2002a: 283). Die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen zeigen deshalb auch, dass (Stief-)Eltern und (Stief-)Kinder sich dann besonders wohl fühlen und die wenigsten Probleme und Auffälligkeiten zeigen, wenn es ihnen gelingt, ein gemeinsames Familienbild zu entwickeln, das die Besonderheiten der Stieffamilie akzeptiert, anstatt sie zu verleugnen, um die gewöhnliche, ‚normale‘ Familie zu simulieren (Gross 1987: 214; Hartl/Teubner 2002: 234ff.; Napp-Peters 1995: 30ff.; Wilk 2002a: 259). Dazu gehört, dass die Beziehung zum anderen leiblichen Elternteil aufrecht erhalten wird, was sich als eine der wichtigsten Grundlagen für einen positiv verlaufenden Anpassungsprozess herausgestellt hat (Krähenbühl et al. 2007: 75; Smith 2004: 34; Théry 1998: 35). Andererseits muss aber auch das Stiefelternteil als integrierter Bestandteil des familialen Systems akzeptiert werden, damit das Leben in einer Stieffamilie nicht dauerhaft durch Konflikte belastet ist und unter Umständen sogar zur Auflösung der Stieffamilie führt (Hartl/Teubner 2002: 230ff.; Wilk 2002a: 269ff.). Interessant sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse einiger Untersuchungen, die zeigen, dass die familialen Grenzen von den Familienmitgliedern teilweise ganz unterschiedlich wahrgenommen werden. Die Uneinigkeit darüber, wer zur Familie gehört und wer nicht, wird in der Literatur auch als ‚boundary ambiguity‘ bezeichnet (Stewart 2005a: 1003). Mit ‚boundary ambiguity‘ gehen wiederum oft Unsicherheiten und Uneinigkeiten über die Rollen und Aufgaben der Familienmitglieder einher (Ganong/Coleman 1994: 8), was nicht überrascht, wenn von einer unterschiedlichen Anzahl der Familie zugehöriger Personen ausgegangen wird. Während Eltern und Stiefeltern die Grenzen der Familie eher um den Stieffamilienhaushalt ziehen, schließen Kinder oft auch das außerhalb lebende Elternteil ein (Roe et al. 2006: 532; Ritzenfeldt 1998: 96; RöhrSendlmeier/Greubel 2004: 60). Weiterhin hat sich für die Beziehungsentwicklung zwischen Stiefelternteil und Stiefkind herausgestellt, dass es nicht nur von Bedeutung ist, ob das Stiefkind das Stiefelternteil als Familienmitglied, sondern
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auch, ob es Stiefmutter oder Stiefvater als elterliche Bezugsperson wahrnimmt (Schmeeckle et al. 2006). Um die Logiken, die mit den verschiedenen familienbiographischen Passagen nach einer elterlichen Trennung einhergehen zu erkennen, haben Le Gall und Martin (1998: 137ff.) in Frankreich zwei schriftliche Umfragen im Abstand von drei Jahren (1987 und 1990) bei einer Kohorte von sorgeberechtigten getrennt lebenden oder geschiedenen Elternteilen durchgeführt. Dabei konnten sie zeigen, dass einige grundlegende Variablen wie Geschlecht, Alter und soziale Zugehörigkeit eine entscheidende Rolle bei der Erklärung unterschiedlicher Rekompositionsverläufe spielen. Der Einfluss ist dabei nicht notwendigerweise in den Faktoren selbst zu suchen, sondern in der Rolle, die sie im Hinblick auf die Rekomposition spielen: Zum Beispiel unterscheidet sich die Wahrscheinlichkeit nach der Trennung in eine wirtschaftlich unsichere Lage zu geraten, mit der Elternrolle zu brechen und einen neuen Partner zu finden je nach Geschlecht, Alter und Bildungsstand. Des Weiteren haben Le Gall und Martin (1998: 141ff.) in einer qualitativen Studie von 20 Stieffamilien, bei der sie 1989 und 1991 insgesamt 50 Interviews mit Eltern, Stiefeltern und Kindern führten, den Blick auf die Regulierung familialer Rekompositionsprozesse gerichtet. Dabei konnten sie drei Hauptfaktoren ausmachen, welche die Logiken des Prozesses der Neuzusammensetzung der Trennungs- und Stieffamilie prägen und die untereinander aufs engste verknüpft waren: das soziale Milieu, die gesellschaftliche Repräsentation von Familie und die Art der Gestaltung der NachScheidungsbeziehungen. Die Analyse des Interviewmaterials ergab zwei NachScheidungs-Logiken, die sie mit Substitution und Kontinuität bezeichneten (siehe für diese Unterscheidung auch Théry 1988: 92ff.). Diese zwei Logiken sind natürlich idealtypisch gedacht und stellen sozusagen zwei Pole eines Kontinuums von Verhaltensweisen in Trennungs- und Stieffamilien dar.49 (1) Substitution. Weisen die Partner ein niedriges Bildungsniveau auf, dominieren konfliktreiche Scheidungen. Die Beziehung zwischen den Eltern ist vor wie nach der Scheidung durch Konfrontation und Streit geprägt und stumpft mit der Zeit immer weiter ab. Häufig führt das zum vollständigen Verschwinden der Beziehung zwischen den beiden Elternteilen und damit auch zwischen dem Kind und dem nichtsorgeberechtigten Elternteil. Beim nichtsorgeberechtigten Elternteil lässt sich daher oft die Nicht-Inanspruchnahme des Besuchsrechts
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Die Analysen anderer Untersuchungen haben zwar eine größere Differenzierung der Typen von Trennungs- und Stieffamilien ergeben, aber auch diese folgen im Grunde genommen dieser Typisierung in vergangenheits- vs. gegenwartsorientiert bzw. einschließend vs. ausschließend (Berger 1995: 39ff.; Gross 1987: 209ff.; Hartl/Teubner 2002: 230ff.; Napp-Peters 1995: 27; Wilk 2002a: 269ff.).
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sowie die Unterlassung bzw. die Unregelmäßigkeit von Zahlungen der Unterhaltsleistungen beobachten. Das sorgeberechtigte Elternteil versucht in Folge dessen, so schnell wie möglich eine neue Partnerschaft einzugehen; um sich wirtschaftlich abzusichern, aber auch um die familiale Normalität wieder herzustellen. Die Nach-Scheidungs-Logik dieser Familien entspricht einer Substitution, die einem bestimmten Muster folgt: Die Partner gehen relativ früh eine Ehe ein, in der mehrere Kinder (kurz hintereinander) geboren werden. Die Ehe ist durch Schwierigkeiten und Konflikte geprägt, eine Reflexion und Aushandlung findet nicht statt. Es folgt die Trennung. Nach der Trennung verschwindet der Vater schrittweise aus dem Leben seiner Kinder, in dem er sowieso nie eine große Rolle gespielt hat. Die unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten leidende Frau, versucht mit einem anderen Partner einen Neuanfang. Die neue (Stief-) Familie strukturiert sich nach dem traditionellen Modell einer Erstehe. (2) Kontinuität. Sind die Partner dagegen mit gehobenem kulturellem Kapital ausgestattet, erfolgen die Trennungen weniger radikal. Die (Ehe-)Partner versuchen zusammen und, soweit es geht, in gutem Einvernehmen die Bedingungen ihrer Trennung zu regeln. Das nicht-sorgeberechtigte Elternteil kommt seiner elterlichen Verantwortung in der Regel nach und achten darauf, dass die Beziehung zum Kind auch nach der Trennung bestehen bleibt, unabhängig davon, ob das sorgeberechtigte Elternteil eine neue Paarbeziehung eingeht oder nicht. Die Familienkomposition wird klar nach dem Kontinuitätsmodell und in einem Klima guten Auskommens organisiert. Es scheint, dass die familiale Komplexität in Trennungs- und Stieffamilien bei ausreichender Flexibilität ein geringeres Problem darstellt. Die Kommunikation und der Dialog zwischen den (Ex-)Partnern spielen dabei eine entscheidende Rolle (Braithwaite et al. 2001: 243). Anstelle eines Bruchs zeigen sich hier eher langsame und ausgehandelte Neuorientierungen der beteiligten Akteure an die geänderten Situationen und Beziehungen. Auch bei der Untersuchung von Théry und Dhavernas (1998: 186) zeigten sich diese Unterschiede im Umgang mit der Besonderheit der Situation von Trennungs- und Stieffamilien je nach sozio-strukturellem Hintergrund. Natürlich gibt es kein Modell, nach dem sich alle Stieffamilien von einem Anfangs- zu einem Endpunkt entwickeln. Der Prozess familialer Rekomposition kann verschiedene Entwicklungsverläufe nehmen. Braithwaite et al. (2001: 229ff.) konnten mit Hilfe qualitativer Interviews der Mitglieder von 53 Stieffamilien insgesamt fünf Entwicklungstypen identifizieren (siehe auch Baxter/Braithwaite/Nicholson 1999: 303f.), die sie als ‚accelerated‘, ‚prolonged‘, ‚declining‘, ‚stagnating‘ und ‚high-amplitude turbulent‘ bezeichnen. Die ersten beiden Typen, denen etwas mehr als die Hälfte der untersuchten Familien angehören, spiegeln eine eher positive Anpassung der Stieffamilienmitglieder wider.
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Die anderen drei Typen – vor allem aber der letzte Typ – weisen dagegen eher negative und zerstörerische Züge auf. Braithwaite et al. (2001: 243) konnten zeigen, dass der Erfolg einer positiven Anpassung, der sich unter anderem in einem geringeren Ausmaß an Konflikten, einem guten Familienklima und einer stabilen Paarbeziehung von Eltern- und Stiefelternteil ausdrückt, davon abhängt, ob die Familienmitglieder dieser Entwicklung genug Zeit und damit die Möglichkeit gegenseitiger Anpassung geben. Die Fähigkeit der Mitglieder von Stieffamilien, ihre Probleme offen anzusprechen und zu diskutieren, führt dabei zu einem hohen Ausmaß an Solidarität innerhalb der Stieffamilie und wirkt sich positiv auf die Beziehungsentwicklung aus (siehe auch Golish 2003; sowie Schrodt 2006). Wichtig ist außerdem, dass der Umgang mit den familialen Veränderungen und die jeweiligen Anpassungsmöglichkeiten vom Alter der beteiligten Personen – vor allem der Entwicklungsphase der Kinder – abhängen (Hetherington/Jodl 1994: 56). Zum Beispiel sind die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern im Jugendalter vor allem durch Abgrenzung und dem Streben nach Autonomie der Jugendlichen geprägt. Wenn in dieser Phase ein neues, soziales Elternteil hinzukommt, kann das für die Familie besonders schwierig werden. Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass Jugendliche größere Probleme mit der Anpassung und Orientierung in Stieffamilien haben als jüngere Kinder (Bray/Berger 1993; Hetherington 1993). Die familiale Rekomposition bzw. die Entwicklung der Beziehungen der Familienmitglieder in Stieffamilien ist weitestgehend durch den Umgang der beteiligten Personen, den sie miteinander pflegen, beeinflusst. Insbesondere das Erziehungsverhalten der Eltern und Stiefeltern gegenüber den (minderjährigen) Kindern wirkt sich auf die Anpassung der Familienmitglieder aus und bestimmt, wie sich die Eltern-Kind-Beziehungen langfristig entwickeln. Zum Beispiel ergeben sich aus der Qualität der Fürsorge, die (leibliche und soziale) Eltern ihren Kindern zukommen lassen, Unterschiede in der Beziehungsqualität, aber vor allem auch Unterschiede in der kindlichen Bindung an die elterlichen Bezugspersonen.
3.1.2
Erziehungsverhalten
Eine der größten Herausforderungen für Stiefeltern ist die Entwicklung einer zufriedenstellenden Beziehung zu ihren Stiefkindern. Die Beziehungsentwicklung hängt dabei von vielfältigen Einflussfaktoren, wie zum Beispiel dem Trennungsverlauf, der Beziehung des Kindes zum anderen (zumeist externen) Elternteil sowie der Persönlichkeit von Stiefelternteil und Stiefkind ab. Darüber
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hinaus ist zu beachten, dass eine familiale Rekomposition – egal ob sie auf einer Wiederverheiratung oder einem nichtehelichen Zusammenleben basiert – keinerlei juristische Folgen für die Stiefelternteil-Stiefkind-Beziehung hat (Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen Stieffamilien 2008; BourgaultCoudevylle/Delecourt 1998: 297; Schultheis/Böhmler 1998: 10). Dieses Fehlen eines rechtlichen Bandes ist mit verschiedenen Konsequenzen verbunden: Das Stiefelternteil hat gegenüber dem Kind weder Autorität noch Verantwortung. Demzufolge ist es auch nicht verpflichtet, sich an der Erziehung des Kindes zu beteiligen, selbst wenn beide in einem gemeinsamen Haushalt wohnen. De facto spielt das Stiefelternteil unter diesen Umständen allerdings meist eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei der Erziehung des Kindes. Auf der anderen Seite verfügt das externe Elternteil zwar häufig über die Pflicht und auch das Recht, sich an der Erziehung des Kindes zu beteiligen und Entscheidungen für das Kind zu treffen, aber es kann durch die Trennung der Haushalte schwierig sein, diese Rechte auch auszuüben. Oft sind über Rechte und Pflichten hinaus, die Umgangsregeln entscheidend, ob diese überhaupt wahrgenommen werden können. Es kommt also vorwiegend auf die Kommunikation und die Einigung der betroffenen Erwachsenen an, wer sich in welchem Umfang an der Betreuung und Erziehung des Kindes beteiligt. Schließlich können Stiefväter durch Einbezug des außerhalb lebenden leiblichen Vaters, den Weg für eine zufriedenstellende und stabile Beziehung des Kindes zum externen Vater bereiten (Marsiglio/Hinojosa 2007) und umgekehrt (Beckh/Walper 2002: 225). Ähnliches ist auch in Bezug auf Stiefmütter anzunehmen. Eine Untersuchung, in der explizit die Beteiligung am Erziehungsverhalten des außerhalb lebenden leiblichen Vaters nach einer Trennung der Eltern betrachtet wurde (Seltzer 1991), kommt zu dem Ergebnis, dass externe Väter, die regelmäßigen Kontakt zu ihren Kindern haben, auch eher Unterhalt zahlen und mehr Einfluss auf Erziehungsfragen haben. Insgesamt deuten die Ergebnisse allerdings darauf hin, dass außerhalb lebende Väter nur wenig Einfluss auf Erziehungsfragen haben (Seltzer 1991: 87; siehe auch Sobolewski/King 2005: 1202 sowie Stewart 2003: 231): Mehr als ein Drittel der Eltern hat im letzten Jahr überhaupt nicht über das Kind gesprochen und nur etwas mehr als ein Fünftel diskutierte über Erziehungsfragen mindestens einmal die Woche. Es scheint, dass Eltern nach einer Trennung ihre Rollen eher separat ausfüllen, anstatt bei der Sorge um das Kind miteinander zu kooperieren. Aber selbst bei den Elternpaaren, die gemeinsam über die Belange des Kindes diskutieren, ist weniger als die Hälfte der Väter an Entscheidungen über die Erziehung der Kinder beteiligt. Nur 17% von ihnen haben Einfluss auf wichtige Entscheidungen (wie zum Beispiel über Bildung, Gesundheit und Religion). Je länger die Eltern getrennt sind, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass die Eltern über die Erziehung der Kin-
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der diskutieren (Seltzer 1991: 92). Das liegt auch daran, dass mit zunehmender Trennungsdauer die Wahrscheinlichkeit zunimmt, das Mutter oder Vater wieder neu gebunden sind, was wiederum einen negativen Einfluss auf die Involviertheit der Väter in die Erziehung der Kinder hat (Seltzer 1991: 93). Vor allem wenn außerhalb lebende Väter eine neue Familie gründen, und damit nicht mehr nur Verpflichtungen für Kinder aus der früheren Beziehung, sondern auch gegenüber Kindern in der neuen Beziehung haben, reduzieren sie ihre Beteiligung am Erziehungsverhalten. Die Väter sind dann (noch) weniger involviert, da sie ihre finanziellen und vor allem ihre zeitlichen Ressourcen zwischen den Kindern aufteilen müssen (Manning/Stewart/Smock 2003: 659; siehe auch Hofferth/Anderson 2003: 229). Die Geburt eines neuen Kindes beeinflusst aber nicht nur das Verhältnis des externen Elternteils zu seinen leiblichen Kindern aus einer früheren Partnerschaft, sondern führt auch in Stieffamilien zur erheblichen Reorganisation des Familienlebens und der elterlichen Verantwortung. Eine Untersuchung von komplexen Stieffamilien (MacDonald/DeMaris 1996), in denen sowohl Stiefkinder eines Partners als auch leibliche Kinder beider Partner leben, ergab, dass zusätzliche Kinder der neuen Partnerschaft die Wahrnehmung von Schwierigkeiten bei der Erziehung von Stiefkindern (im Vergleich zu den eigenen biologischen) nicht beeinflussen. Stiefväter berichten dabei etwas weniger Probleme als Stiefmütter (MacDonald/DeMaris 1996: 17). Eigene biologische Kinder reduzieren allerdings die Zufriedenheit mit der Beziehung zu den Stiefkindern – zumindest dann, wenn das gemeinsame Kind das erste eigene Kind des Stiefelternteils ist (MacDonald/DeMaris 1996: 21). Das zeigt sich sowohl für Stiefmütter als auch für Stiefväter. Der Übergang zur Elternschaft scheint bei diesen Stiefeltern eine besondere Konkurrenzsituation zwischen leiblichen und sozialen Kindern auszulösen. Insgesamt zeigen die Ergebnisse der meisten Studien, dass Stiefeltern – vor allem Stiefväter – weniger in die Aktivitäten und die Erziehung ihrer Stiefkinder involviert sind als leibliche Eltern (Fine/Kurdek 1994: 107; Fisher et al. 2003: 49; Hetherington/Jodl 1994: 64; Hofferth/Anderson 2003: 226; Stewart 2005b: 465),50 dass sich aber die Erweiterung der Stieffamilie 50
Eine Ausnahme stellt die Untersuchung von Berger et al. (2008a: 632) dar, in deren Sample sich soziale Väter durch ein größeres Engagement auszeichnen als leibliche Väter. Obwohl ein beträchtliches Maß dieser Differenzen durch Unterschiede in den Hintergrundvariablen der Individuen und der Familien erklärt werden kann, bleiben diese auch nach Kontrolle von unabhängigen Einflussfaktoren bestehen. Ein Grund für dieses Ergebnis könnte die Einschränkung der Analysen auf Stieffamilien mit Stiefkindern im Alter von 5 Jahren sein. Da sich die Eltern relativ schnell nach der Geburt des Kindes getrennt haben und auch relativ schnell eine neue Partnerschaft eingegangen sein müssen, stellt diese Gruppe eine spezifische Auswahl an Stieffamilien dar, die durch die Anlage der Datenerhebung begründet ist.
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durch die Geburt eines Halbgeschwisters nicht zusätzlich belastend auswirkt, sondern durchaus positive Effekte auf den Familienzusammenhalt haben kann (Hofferth/Anderson 2003: 228; Stewart 2005b: 468). Neben soziobiologischen Argumenten, die das geringere Engagement bzw. Investment von sozialen Vätern darauf zurückführen, die eigenen Gene an die nächste Generation weitergeben zu wollen (Anderson/Kaplan/Lancaster 1999; Anderson et al. 1999; Berger et al. 2008a: 626), und soziologischen Erklärungen, die fehlende Rollenzuschreibungen verantwortlich machen (Berger et al. 2008a: 627; Fine/Kurdek 1994: 107; Fine/Voydanoff/Donnelly 1993: 229f.), gibt es inzwischen auch schon einige Hinweise darauf, dass Stieffamilien einer gewissen Selektivität unterworfen sind (Hofferth/Anderson 2003: 229). Zum Beispiel sind die Kinder in Stieffamilien durchschnittlich älter als Kinder in intakten Familien. Mit dem Alter der Kinder nimmt aber die Erziehungsarbeit von Eltern generell ab. Der Einfluss des Alters zeigt sich darüber hinaus auch darin, dass das Engagement von Stiefeltern umso größer ist, je jünger die Kinder sind und je länger die Stiefeltern mit ihnen zusammen gelebt haben. Außerdem haben Stiefväter häufiger Kinder aus früheren Beziehungen und sind damit stärker in haushaltsübergreifende Strukturen eingebunden, die wiederum eine Ressourcenverteilung erforderlich machen. Den familialen Strukturen kommt damit ein nicht unerheblicher Einfluss auf das Erziehungsverhalten von Stiefeltern zu. Fine und Kurdek (1994) zielten in ihrer Untersuchung von 215 Stiefelternpaaren, deren (Stief-)Kinder zwischen 5 und 15 Jahre alt waren und im gleichen Haushalt lebten, auf die Unterschiede zwischen Eltern und Stiefeltern hinsichtlich der Wahrnehmung von Ansprüchen an (stief-)elterliches Erziehungsverhalten und die Übereinstimmung der jeweiligen Ansprüche mit dem tatsächlichen Verhalten, ab. Sie haben dabei zwei Bereiche von Erziehung betrachtet, die als wichtige Determinanten der Entwicklung von Kindern gelten: Kontrolle und Zuneigung (Fine/Kurdek 1994: 96; siehe auch Fine/Voydanoff/Donnelly 1993: 222). Unter Kontrolle wird dabei das Aufzeigen und Durchsetzen von Grenzen, sowie die Überwachung der Aktivitäten des Kindes verstanden (Fisher et al. 2003). Zuneigung drückt sich dagegen in der Unterstützung der Kinder, in gemeinsam verbrachter Zeit sowie in einer zugewandten Kommunikation mit ihnen aus (Ganong et al. 1999). Die Ergebnisse der Analysen zeigen, dass sich Eltern und Stiefeltern in der Wahrnehmung unterscheiden, wie oft sie selbst und wie oft typische Eltern bestimmte Erziehungsverhaltensweisen zeigen sollten: Leibliche Eltern geben – im Vergleich zu Stiefeltern – häufiger an, dass sie Kontrolle und auch Zuneigung zeigen (siehe auch Fisher et al. 2003: 49), dass typische Eltern mehr in die Erziehung eingebunden sind als typische Stiefeltern und dass sie sich stärker zur Erziehung der Kinder verpflichtet fühlen (Fi-
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ne/Kurdek 1994: 107). Die Unterschiede waren im Bereich der Zuneigung stärker ausgeprägt als im Bereich der Kontrolle, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass die Bereitstellung von Zuneigung für Stiefeltern schwieriger zu gewährleisten ist als das Ausüben von Kontrolle. Eltern und Stiefeltern, die sich selbst als in dem Maße in die Erziehung der Kinder eingebunden wahrnehmen, wie sie denken, dass sie es sein sollten und auch wie sie denken, dass typische Eltern es tun, waren zufriedener mit ihren Erziehungserfahrungen als andere Eltern (Fine/Kurdek 1994: 108). Bezüglich des Engagements von Stiefeltern, die Zuneigung ihrer Stiefkinder zu erlangen, haben Ganong et al. (1999) 17 primäre Stieffamilien untersucht, in denen mindestens ein Stiefkind zwischen 10 und 19 Jahre alt war. Aus dem Interviewmaterial konnten sie verschiedene ‚affinity-seeking strategies‘ identifizieren, wobei sie ‚affinity-seeking strategies‘ definieren als: „active processes that are intentionally performed by people in efforts to get others to like them and to feel positive toward them“ (Ganong et al. 1999: 301). Während ein Teil der Stiefeltern nach dem Zusammenzug mit dem leiblichen Elternteil ihre Anstrengungen, die Zuneigung des Stiefkindes zu erlangen, deutlich reduzierten, versuchten andere kontinuierlich Zuneigung aufzubauen und zu erhalten. Diejenigen Stiefeltern, die sich kontinuierlich um ihre Stiefkinder bemühten, hatten eine engere Beziehung zu ihnen als diejenigen, die im weiteren Fortschreiten der Beziehung eher disziplinierend auftraten (Ganong et al. 1999: 319f.). Disziplinierungsmaßnahmen scheinen damit der Gewinnung und Aufrechterhaltung von Zuneigung entgegenzuwirken. Dies ist ein interessantes Ergebnis vor dem Hintergrund, dass Stiefeltern weniger Probleme damit haben, Kontrolle auszuüben als Zuneigung zu zeigen. Ganong et al. (1999: 320) empfehlen daher, dass sich Stiefeltern ihren Stiefkindern vordergründig emotional zuwenden und die Ausübung von Kontrolle so lange es geht aufschieben sollten. Die Entwicklung der Zuneigung kann aber natürlich nicht losgelöst von den Verhaltensweisen anderer Familienmitglieder (leibliche Elternteile und weitere Kinder) gesehen werden. Außerdem zeigt sich, dass ältere Kinder gegenüber den Versuchen von Stiefeltern, sich ihnen zu nähern, oft weniger offen sind als jüngere. Als wichtige Schlussfolgerung fassen Ganong et al. (1999: 323) deshalb zusammen: Stiefeltern sollten sich ihren Stiefkindern in der gleichen Weise nähern, wie sie dies gegenüber einer Person tun würden, mit der sie eine freundschaftliche Beziehung etablieren wollen. Es steht inzwischen jedoch fest, dass es kein Erfolgsrezept bzw. kein Erfolgsmodell gibt, auf das Stieffamilien hinarbeiten sollten. Je nach der Familienkonstellation und den Ressourcen der Familie existieren viele verschiedene Möglichkeiten des Umgangs miteinander und der Beziehungsentwicklung. Das einzige, was in jeder Hinsicht für eine positive Entwicklung und eine zufrie-
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denstellende Ausgestaltung der Beziehungen hilfreich zu sein scheint, ist eine offene Kommunikation der beteiligten Akteure. Kommunikation spielt natürlich in allen Familien eine wichtige Rolle – eine besondere Bedeutung kommt ihr jedoch in Stieffamilien zu, da in Stieffamilien alles ausgehandelt werden muss, damit jeder seinen Platz findet. Da einer Stiefelternschaft die biologische Basis der Elternschaft fehlt, fehlt ihr damit auch die biologisch-soziale Doppelnatur, welche speziell die Elternrolle ausmacht. Des Weiteren fehlen rechtliche wie normative Leitlinien, was die Rollenfindung zusätzlich erschwert. Aber sowohl die Definition der Rolle – als Erwartungen an die Beziehung und die zu zeigenden Verhaltensweisen – als auch die rechtliche Stellung haben einen entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung der Eltern-Kind-Beziehung. Im Folgenden sollen nun die Ergebnisse zur Ausgestaltung der Beziehungen zwischen getrennten Eltern und ihren Kindern sowie zwischen Stiefeltern und ihren Stiefkindern dargestellt werden. Für die Interpretation der empirischen Ergebnisse ist es wichtig zu beachten, dass Querschnittuntersuchungen zu jedem Zeitpunkt des Familienbildungsprozesses ansetzen können. Wenn nicht mindestens für die Dauer des Zusammenlebens kontrolliert wird, ist es sehr schwierig, Stieffamilien miteinander zu vergleichen bzw. diese ‚verschiedenen‘ Stieffamilien pauschal mit Kernfamilien ins Verhältnis zu setzen.
3.2
Wohnentfernung
Die Trennung der Eltern, wenn die Kinder minderjährig sind, bedeutet für einen der beiden Partner fast immer auch eine räumliche Trennung von den gemeinsamen Kindern, das heißt ein Elternteil wohnt nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt mit den Kindern. In den meisten Fällen ist das der Vater. Die räumliche Trennung zwischen externem Elternteil und Kind(ern) bedeutet gleichzeitig, dass eine gewisse Distanz überwunden bzw. ein gewisser Aufwand betrieben werden muss, um die Beziehung aufrecht zu erhalten und damit die Rolle als Vater (oder Mutter) weiter auszufüllen. Von den betroffenen außerhalb lebenden Elternteilen ist also ein verstärktes Maß an Aktivität gefordert – je weiter das Elternteil entfernt wohnt, desto mehr muss das Elternteil tun, um den Kontakt und damit die Beziehung zum Kind nicht zu verlieren. Ergebnisse hinsichtlich der Wohnentfernung externer Elternteile zu ihren minderjährigen leiblichen Kindern nach einer Trennung – vor allem zu ihrer Entwicklung über die Zeit – liegen bislang mehr oder weniger nicht vor. Eine einzige Untersuchung, die mit den Daten der ersten Welle des US-amerikanischen ‚National Survey of Families and Households‘ (NSFH) von 1987/88 den Umgang des außerhalb
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lebenden Vaters mit seinen leiblichen Kindern nach einer Trennung untersucht und dabei auch die Wohnentfernung in den Blick nimmt, zeigt, dass die Wohnentfernung zwischen dem außerhalb lebenden Vater und seinen Kindern umso größer ist, je länger die Trennung der Eltern zurück liegt (Seltzer 1991: 90). Genauer wurden hier Familien, deren Trennung weniger als zwei Jahre zurück liegt, mit Familien verglichen, deren Trennung mindestens 11 Jahre her ist. Da die Analysen auf Querschnittsdaten beruhen, muss dieses Ergebnis allerdings mit Vorsicht interpretiert werden. Eigentlich wäre es besser in einem längsschnittlichen Design zu untersuchen, wie sich die Wohndistanzen externer Elternteile und ihrer Kinder über die Zeit hinweg verändern und – wenn sie sich denn verändern – warum sie dies tun. Falls sie sich tatsächlich vergrößern, kann das natürlich einerseits daran liegen, dass der außerhalb lebende Vater weiter vom Kind weg zieht – vielleicht weil er nach einer Trennung verstärkt berufliche Interessen verfolgt und es nun keine familialen Bindungen mehr gibt, die ihn davon abhalten. Andererseits kann zum Beispiel auch die Mutter, bei der das Kind überwiegend lebt, weg ziehen, um dem Vater den Kontakt zu seinem Kind zu erschweren. Außer einer Betrachtung der Entwicklung der Wohnentfernung zwischen externem Elternteil und Kind, böte sich auch ein Vergleich von außerhalb lebenden Vätern und Müttern an. Dies ist allerdings mit gewissen Schwierigkeiten verbunden, da es kaum Väter gibt, die nach einer Trennung mit den Kindern zusammen leben bzw. die Umstände, unter denen das Sorge- und das Aufenthaltsrecht einem Vater übertragen wird, sich fundamental unterscheiden von der Entscheidung diese der Mutter zu übertragen. Väter bekommen die alltägliche Sorge um das Kind eigentlich nur übertragen, wenn die Mutter unfähig ist, diese Aufgabe zu übernehmen. Die folgende Darstellung beschränkt sich – auf Grund der mangelhaften Datenlage und der deshalb nicht vorhandenen Ergebnisse zum Kindesalter – auf die Wohnentfernung zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern. Dazu ist zu beachten, dass man einerseits nach dem Geschlechts des jeweiligen Elternteils unterscheiden kann, andererseits aber auch danach, ob das entsprechende Elternteil nach der Trennung mit dem Kind überwiegend zusammen gelebt hat oder nicht. Außerdem ist in Bezug auf den Familienstand der Eltern zu beachten, dass es nicht nur getrennte und geschiedene Eltern gibt, sondern auch verwitwete und wiederverheiratete. Im Folgenden werden die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen vorgestellt, in denen mindestens immer für einen Teil der eben genannten Kriterien kontrolliert wurde. Generell zeichnen die verschiedenen Studien zur Ausgestaltung von Eltern-Kind-Beziehungen zwischen Erwachsenen in Trennungs- und Stieffamilien ein relativ eindeutiges Bild hinsichtlich der räumlichen Entfernung zwischen erwachsenen Kindern, ihren Eltern und Stiefeltern: Eltern, die geschiedenen sind, haben eine größere geographische
Stand der Forschung
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Distanz zu ihren erwachsenen Kindern und sie leben weniger oft mit ihnen in einem Haushalt zusammen als Eltern, die (immer noch) miteinander verheiratet sind (Albertini/Saraceno 2008; Aquilino 1994a, b; Bulcroft/Bulcroft 1991; Cooney/Uhlenberg 1990; Kalmijn 2008; Shapiro 2003). Eine neue Partnerschaft eines der leiblichen Elternteile, also die Gründung einer Stieffamilie, ändert an diesem Bild nicht viel. Die Ergebnisse zu den einzelnen Elternteilen stellen sich allerdings etwas differenzierter dar. Analysen mit der ersten Welle des NSFH ergaben, dass geschiedene Väter, bei denen die Trennung erfolgte, als die Kinder noch minderjährig waren, in größerer Distanz zu ihren erwachsenen Kindern leben als geschiedene Mütter. Dies zeigt sich sowohl, wenn man die Angaben der Väter heranzieht (Bulcroft/Bulcroft 1991: 234f.) als auch die der (zum Zeitpunkt der Befragung zwischen 19 und 34 Jahre alten) jungen Erwachsenen (Aquilino 1994a: 305). Analysen mit den SHARE-Daten, die auf den Antworten von Befragten aus 10 europäischen Ländern51 mit mindestens einem Kind, das älter als 18 Jahre alt ist, basieren, bestätigen dieses Ergebnis: Geschiedene Väter leben weiter von ihren erwachsenen Kindern entfernt als geschiedene Mütter (Kalmijn 2008: 180). Betrachtet man weiterhin die Rate der Koresidenz zeigt sich auch hier, dass erwachsene Kinder wahrscheinlicher mit einer geschiedenen Mutter zusammen leben als mit einem geschiedenen Vater. Der Effekt ist allerdings relativ klein, denn man kann feststellen, dass sich eine Scheidung auch negativ für die Mütter auswirkt: Erwachsene Kinder leben weniger wahrscheinlich mit einer geschiedenen Mutter (12%) als mit einer immer noch verheirateten Mutter (20%) zusammen in einem Haushalt (Kalmijn 2008: 180). Vergleicht man nun geschiedene Väter nicht mehr nur mit ebenfalls geschiedenen Müttern, sondern mit nicht geschiedenen Vätern – die immer noch mit der leiblichen Mutter ihrer Kinder in einer Partnerschaft leben – zeigt sich, dass verheiratete Väter eine zweimal höhere Wahrscheinlichkeit haben mit einem erwachsenen Kind zusammenzuleben als geschiedene Väter (Kalmijn 2008: 178). Weiterhin wohnen geschiedene Väter, die nicht mit ihren Kindern in einem gemeinsamen Haushalt wohnen, von ihren erwachsenen Kindern weiter entfernt als verheiratete (und auch als verwitwete) Väter (Bulcroft/Bulcroft 1991: 235f.; siehe auch Kalmijn 2008: 179f.). Dieser Effekt verschwindet bei den Analysen mit dem NSFH allerdings, wenn für andere (unabhängige) Variablen wie zum Beispiel Alter, Bildung und Gesundheitszustand des Elternteils kontrolliert wird. Hier stellt sich dann vor allem das Bildungsniveau als stärkster 51
Bei den in die Analyse eingeschlossenen Ländern handelt es sich um Schweden, Dänemark, die Niederlande, Deutschland, Österreich, die Schweiz, Frankreich, Griechenland, Italien, Spanien (Kalmijn 2008: 173).
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Stand der Forschung
und auch als einzig signifikanter Einflussfaktor heraus (Bulcroft/Bulcroft 1991: 233, Tabelle 2): Je gebildeter die Eltern sind, desto weiter wohnen sie von ihren Kindern entfernt. Dieses Ergebnis zeigt sich auch mit den SHARE Daten, wobei der Scheidungseffekt hier auch nach Kontrolle anderer sowohl eltern- als auch kindspezifischer Variablen wie zum Beispiel Bildung bestehen bleibt (Kalmijn 2008: 180f.). Da sowohl für das Bildungsniveau der Eltern als auch das der Kindern kontrolliert wurde, kann man sehen, dass der Effekt der Bildung für die Kinder stärker ist, was auf eine bildungsbezogene Mobilität der Kinder hinweist. Dieser Effekt existiert jedoch unabhängig davon, ob sich die Eltern scheiden lassen oder nicht. Im Folgenden soll es nun um einen Einflussfaktor auf die Wohnentfernung gehen, der in der empirischen Forschung als relevant für Trennungsfamilien ausgemacht wurde: der Zeitpunkt der Trennung bzw. Scheidung. Je eher die Ehe geschieden wurde – also je jünger die Kinder bei der Trennung der Eltern waren – desto weiter wohnen die Väter von den Kindern entfernt, wenn sie erwachsen sind (Bulcroft/Bulcroft 1991: 237). Aus Sicht der Kinder ergibt sich ein vergleichbares Ergebnis: Je später die Trennung stattfand – also je älter die Kinder bei der Trennung der Eltern waren – desto geringer ist die Wohnentfernung zum Vater, wenn er der außerhalb lebende Elternteil war (Aquilino 1994a: 307). Für nach der Trennung außerhalb lebende Mütter wird dagegen kein signifikanter Einfluss der Trennungsdauer berichtet. Damit ist ein weitere Aspekt angesprochen: Dem Aufenthalt des Kindes kommt nach der Trennung eine wichtige Bedeutung zu. Die Wohnentfernung zu (alleinstehenden) Müttern, die mit ihren minderjährigen Kinder ohne Vater in einem Haushalt gelebt haben – egal ob von Geburt an oder erst nach einer Trennung der Eltern – unterscheidet sich nicht von der Wohnentfernung zu Müttern aus intakten Familien (Aquilino 1994a: 303). Mütter, die das Sorgerecht hatten und die mit ihren Kindern in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben – und die nicht wieder heiraten – scheinen demnach eine gleichermaßen enge Beziehung zu ihren Kindern bis ins Erwachsenenalter hinein zu haben wie nicht geschiedene Mütter. Wenn die Kinder nach einer Scheidung allerdings bei ihrem Vater aufgewachsen sind, ist die Wohnentfernung zur Mutter mehr als doppelt so groß als die von Kindern, die bei ihrer Mutter aufgewachsen sind (Aquilino 1994a: 303). Ebenso wie bei alleinerziehenden Müttern zeigen sich bei alleinerziehenden Vätern keine Unterschiede hinsichtlich der Wohnentfernung zu Vätern aus intakten Familien. Ein großer Unterschied besteht jedoch wiederum zu Vätern, die nach der Scheidung externes Elternteil waren: Sie leben weiter von ihren erwachsenen Kindern entfernt als nicht geschiedene Väter (Aquilino 1994a: 305). Das Geschlecht des Kindes spielt dagegen keine Rolle. Das interne Elternteil (bei dem die Kinder aufge-
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wachsen sind) – egal ob Mutter oder Vater – wohnt also später, wenn die Kinder erwachsen sind, nicht weiter von ihnen entfernt als Eltern, die sich nicht trennen. Das externe Elternteil scheint dagegen einen dauerhaften strukturellen Nachteil davon zu tragen. Die Frage, die sich nach Betrachtung dieser Ergebnisse stellt, ist, ob sich eine späte Scheidung bzw. Trennung der Eltern, also wenn die Kinder bereits volljährig sind, ebenso nachteilig für ein bestimmtes Elternteil auswirkt oder nicht. Es kann unter diesen Umständen, also wenn die Kinder bei beiden Eltern aufwachsen sind und es somit nach der Trennung keine Auswirkungen des Sorge- oder Aufenthaltsrechts auf die Beziehung geben kann, eigentlich angenommen werden, dass es kein speziell benachteiligtes Elternteil gibt. Die empirischen Ergebnisse weisen allerdings auch hier auf einen deutlichen Geschlechterunterschied hin: Eine späte Scheidung der Eltern wirkt sich vor allem negativ auf die Wohnentfernung zum Vater aus (Aquilino 1994b: 913f.). Die jungen Erwachsenen aus Scheidungsfamilien geben im Vergleich zu Kindern aus intakten Familien eine signifikant größere Wohnentfernung zum Vater, nicht aber zur Mutter an. Eine späte Verwitwung hat dagegen keinen Einfluss auf die Wohnentfernung: Es bestehen keine signifikanten Unterschiede zwischen verwitweten Elternteilen – egal ob Mutter oder Vater – und Elternteilen aus intakten Familien (Aquilino 1994b: 914, Tabelle 2 und 3). Auch Shapiro (2003) hat den Einfluss einer späten Scheidung auf die Wohnentfernung zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern untersucht. Er verwendet für seine Analysen die erste und die zweite Welle des NSFH und ist damit der erste und bislang einzige, der für diese Fragestellung auf Paneldaten zurückgreift. Seine Ergebnisse zeigen, dass stabil verheiratete Eltern (vor allem Mütter) im Vergleich zu geschiedenen Eltern enger an ihren außerhalb des Haushaltes lebenden Kindern wohnen (Shapiro 2003: 274). Die durchschnittliche Wohnentfernung von geschiedenen Vätern ist im Vergleich zu verheirateten Vätern und geschiedenen Müttern sowohl zum am nächsten als auch zum am weitesten entfernt lebenden Kind größer. Die Wohnentfernung geschiedener Mütter ist dagegen den verheiraten Müttern ähnlicher als die der geschiedenen Väter. Besonders interessant sind natürlich nun die Veränderungen der Wohnentfernung, die Shapiro (2003: 277) zwischen den beiden Wellen ausmachen konnte: Das wichtigste Ergebnis hierzu ist, dass eine Scheidung die Erreichbarkeit eines Kindes negativ beeinflusst. Geschiedene Väter berichten sowohl den größten Abfall beim Zusammenleben mit ihren Kindern als auch den größten Anstieg der durchschnittlichen Entfernung zum am nächsten lebenden Kind. Geschiedene Mütter berichten dagegen eine durchschnittlich geringere Abnahme der Wohnentfernung zu ihrem am nächsten lebenden Kind. Wenn in den Modellen allerdings für verschiedene unabhängige Variablen (Alter, Bildung,
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Gesundheitszustand etc.) kontrolliert wird, hat eine Scheidung keinen signifikanten Einfluss mehr auf die Wohnentfernung zu den erwachsenen Kindern (Shapiro 2003: 278). Da schon Bulcroft und Bulcroft (1991: 235) dieses Ergebnis des Wegfalls eines Zusammenhangs von Scheidung und Wohnentfernung nach Einbezug von Kontrollvariablen mit der ersten Welle des NSFH berichtet haben, wohingegen Kalmijn (2008: 180) mit den SHARE-Daten zeigen kann, dass Scheidung unabhängig von verschiedenen Kontrollvariablen einen Einfluss auf die Wohnentfernung hat, muss berechtigterweise gefragt werden, ob dieses Ergebnis vielleicht auf die Daten des NSFH zurückzuführen ist. Es sollte zumindest nicht als zusätzlicher Beweis gesehen werden, dass Scheidung keinen unabhängigen Effekt bei Kontrolle anderer Variablen hat. Möglich ist natürlich auch, dass es hier einfach Unterschiede zwischen den USA und Europa gibt. Des Weiteren zeigen die Analysen von Shapiro (2003: 278) einen deutlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern hinsichtlich des Effektes einer (späten) Scheidung auf die Koresidenz von Eltern und erwachsenen Kindern: Geschiedene Väter leben weniger wahrscheinlich mit einem Kind zusammen als verheiratete Väter (siehe auch Cooney/Uhlenberg 1990: 682) – und das auch unter Kontrolle der unabhängigen Variablen. Bei Müttern gibt es allerdings keinen signifikanten Effekt. Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass eine Scheidung nicht mit einem substanziellen Anstieg der Wohnentfernung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern verbunden ist, es aber einen deutlich negativen Zusammenhang für Väter und die Wahrscheinlichkeit des Zusammenlebens mit ihren Kindern gibt (Shapiro 2003: 281). Auch Kalmijn (2008: 180) findet in seinen Analysen, dass Scheidung sich vor allem in einer geringeren Wahrscheinlichkeit von geschiedenen Eltern niederschlägt, mit ihren erwachsenen Kindern zusammenzuleben (siehe für Italien auch Albertini/Saraceno 2008: 201f.). Wenn er Koresidenz aus den Modellen heraus nimmt, findet sich zwar immer noch ein negativer Zusammenhang zwischen Scheidung und Wohnentfernung, aber er ist deutlich geringer (Kalmijn 2008: 181). Ein wichtiger Grund, warum geschiedene Väter von ihren Kindern weiter entfernt leben als stabil verheiratete Väter, liegt demnach daran, dass sie weniger oft mit ihren erwachsenen Kindern zusammen leben (Kalmijn 2008: 182). Das ist wohl vor allem auch dem Fakt geschuldet, dass zumindest ein Elternteil nach der Trennung nicht mehr mit den Kindern zusammen lebt, weil es aus dem gemeinsamen Haushalt, in dem die erwachsenen Kinder möglicherweise (noch) leben, auszieht. Einen Hinweis darauf gibt ein Ergebnis, das mit dem italienischen ‚Survey on Family and Social Subjects‘ (FSS) ermittelt wurde, nach dem verwitwete Eltern zu einem ebenso großen Anteil wie Eltern mit stabiler Partnerschaft in einem gemeinsamen Haushalt mit ihren erwachsenen Kindern leben (Albertini/Saraceno 2008: 202). Aber möglicherweise verlassen die erwachsenen Kinder
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das Elternhaus geschiedener Eltern auch eher und ziehen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit wieder mit der Mutter zusammen als mit dem Vater. Leider müssen das vorerst Spekulationen bleiben, weil zur Beantwortung dieser Frage noch keine empirischen Ergebnisse vorliegen. Der Fokus der Untersuchung von Kalmijn (2008) geht über die bislang berichteten Ergebnisse deutlich hinaus, indem er die Auswirkungen von Scheidung52 auf die Wohnentfernung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern in zehn verschiedenen europäischen Ländern vergleicht: Er postuliert, dass die Effekte einer Scheidung auf die Wohnentfernung umso geringer ausfallen, je äquivalenter die Geschlechterrollen eines Landes sind. Sein Vergleich beruht auf einer Zweiteilung in Länder, die eher traditionelle oder eher egalitäre Geschlechterrollen aufweisen (Kalmijn 2008: 171f.).53 Die Ergebnisse zeigen, dass in allen untersuchten Ländern geschiedene Väter weiter von ihren erwachsenen Kindern entfernt leben als verheiratete Väter und auch als geschiedene Mütter; dies gilt verstärkt in Ländern mit traditioneller Arbeitsteilung (Kalmijn 2008: 185ff.). In Gesellschaften mit einer egalitäreren Arbeitsteilung ist der Effekt zwar nicht verschwunden, aber er ist deutlich schwächer. Die Frage ist nun (wenn man an die oben beschriebenen Ergebnisse zur Koresidenz denkt), ob dies nicht vielleicht darauf zurückzuführen ist, dass insbesondere in traditionellen Ländern Eltern eher mit ihren erwachsenen Kindern zusammen leben als Eltern in Ländern mit egalitäreren Rollenvorstellungen. Die Modelle ohne Koresidenz zeigen, dass der Interaktionseffekt zwischen Scheidung und Geschlechterrollen sinkt, wenn man geschiedene und nichtgeschiedene Väter vergleicht. Er verschwindet sogar ganz bei einem Vergleich von geschiedenen Vätern und geschiedenen Müttern. Das heißt, dass die beobachteten Länderunterschiede tatsächlich zum Teil auf ihr Ausmaß an Koresidenz zurückzuführen sind. Eine Scheidung erhöht aber die Wohnentfernung zur Mutter in gleichem Maße in allen Ländern – unabhängig von den Geschlechterrollen, während eine Scheidung die Wohnentfernung vom Vater in traditionellen Gesellschaften stärker erhöht als in egalitären Gesellschaften. Die Darstellung der bislang existierenden Ergebnisse zur Wohnentfernung hat gezeigt, dass sich die Analysen einerseits auf Eltern und erwachsene Kinder beschränken und andererseits fast ausschließlich Ergebnisse zum Einfluss einer Trennung bzw. Scheidung – teilweise auch noch einer Verwitwung – der Eltern 52
Verwitwete Eltern wurden in die Analysen nicht einbezogen (Kalmijn 2008: 175).
53
Wobei Kalmijn (2008: 172) feststellt, dass die Auswirkungen einer Scheidung in Ländern mit eher traditionellen Geschlechterrollenvorstellungen auch deshalb stärker sein können, weil Scheidungen in diesen Ländern nicht so häufig vorkommen wie in Ländern mit eher egalitären Rollenzuschreibungen.
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vorliegen. Die Auswirkungen einer Wiederheirat der leiblichen Eltern bzw. das Eingehen einer neuen Partnerschaft und damit die Gründung einer Stieffamilie wurden dagegen stark vernachlässigt. Die Ergebnisse einer italienischen Untersuchung mit dem FSS von 2003 geben einen ersten groben Hinweis: Vergleicht man die Angaben der Eltern hinsichtlich der Wohnentfernung zu ihren erwachsenen Kindern zeigt sich, dass wiederverheiratete Eltern erstens weniger wahrscheinlich mit ihren Kindern zusammen leben und dass sie zweitens weiter von ihnen entfernt wohnen als Eltern, die stabil miteinander verheiratet sind (Albertini/Saraceno 2008: 201f.). Außerdem ist eine leichte Tendenz einer geringeren Koresidenzrate zu erkennen, als auch eine größere Wohnentfernung im Vergleich zu geschiedenen Eltern, die keine neue Partnerschaft eingegangen sind. Die einzigen detaillierten Ergebnisse zur Wohnentfernung in Stieffamilien stammen von Aquilino (1994a: 304), der mit den Daten der ersten Welle des NSFH zeigt, dass es keinen signifikanten Unterschied in der Wohnentfernung von erwachsenen Kindern im Alter zwischen 19 und 34 Jahren zu ihren leiblichen Müttern gibt, wenn sie entweder aus einer intakten Familie stammen oder mit ihrer Mutter und einem Stiefvater aufgewachsen sind (Aquilino 1994a: 304, Tabelle 2). Sind sie dagegen bei ihrem Vater und einer Stiefmutter aufgewachsen, ist die Wohnentfernung zu ihrer leiblichen Mutter signifikant größer als bei Kindern aus intakten Familien. In Bezug auf die Wohnentfernung zur Mutter macht es also keinen Unterschied, ob die Kinder in einer intakten Familie oder in einer Stieffamilie mit Stiefvater aufgewachsen sind; die Hauptsache ist, dass sie mit der Mutter zusammen gelebt haben. Auch Mütter, die mit ihren Kindern allein gelebt haben, unterscheiden sich bezüglich ihrer Wohnentfernung nicht von verheirateten Müttern. Die Bedeutung des Zusammenlebens nach Auflösung der Elternbeziehung wird auch bei der Wohnentfernung zum Vater deutlich (Aquilino 1994a: 304, Tabelle 3): Leben die Kinder nach einer Trennung bei ihrer Mutter, so ist die Wohnentfernung im Erwachsenenalter zum Vater signifikant größer – unabhängig davon, ob die Mutter eine neue Partnerschaft eingeht oder nicht. Wachsen sie dagegen beim Vater und einer Stiefmutter auf, gibt es nur einen Anstieg der Wohnentfernung zum Vater. Geht der Vater keine neue Partnerschaft ein, gibt es keinen Unterschied zu Vätern aus intakten Familien. Des Weiteren hat nach Aquilino (1994a: 307) die Anzahl der Übergänge in verschiedene familiale Lebensformen im Kindesalter keinen Einfluss auf die Wohnentfernung im Erwachsenenalter – weder zum Vater noch zur Mutter. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich eine Trennung der Eltern – nicht aber eine Verwitwung – vor allem negativ auf die Wohnentfernung zwischen Vätern und Kindern auswirkt. Das lässt sich beobachten, wenn die Kinder minderjährig sind und setzt sich bis ins Erwachsenenalter hinein fort. Querschnittsanalysen, bei denen für den Zeitpunkt der Trennung kontrolliert
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wurde, als auch eine Längsschnittanalyse zeigen, dass die Wohnentfernung mit der Zeit, die seit der Trennung vergangen ist, ansteigt. Als wichtigster Einflussfaktor für die Wohnentfernung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern hat sich die Aufenthaltsregelung nach der Trennung herausgestellt. Wenn die Kinder nämlich nach einer Trennung beim Vater leben, ist die Wohnentfernung zu diesem nicht deutlich kleiner als zu Vätern aus intakten Familien, die zur Mutter aber wohl. Das Elternteil, bei dem das Kind nach einer Trennung überwiegend lebt, hat also unabhängig davon, ob es sich um eine Mutter oder einen Vater handelt, einen langfristigen strukturellen Vorteil. Dennoch sind diese Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren, da Kinder nach einer Trennung in den seltensten Fällen bei ihrem Vater bleiben. Dies geschieht bis auf Ausnahmen nur, wenn die Mutter unfähig ist, sich um ihre Kinder zu kümmern. Väter und Mütter, bei denen die Kinder nach einer Trennung leben, sind damit nicht direkt miteinander vergleichbar. Auch die Auswirkungen von Sorge- und Umgangsrecht können nicht unabhängig vom Geschlecht des außerhalb lebenden Elternteils betrachtet werden. Ein Ergebnis weist nämlich darauf hin, dass sich der Einfluss keineswegs auf das Aufwachsen in einem gemeinsamen Haushalt beschränken lässt: Auch eine späte Scheidung wirkt sich negativ auf die Wohnentfernung zum Vater aus. Obwohl das Kind bei beiden leiblichen Eltern aufgewachsen ist, leidet nach einer Trennung vor allem die Beziehung zum Vater. Da sich Väter, die das Sorgerecht für ihre Kinder übertragen bekommen, ähnlich um diese kümmern wie Mütter, kann zumindest vermutet werden, dass es wohl nicht ausschließlich der Effekt des Teilens eines gemeinsamen Haushaltes von Eltern und Kindern ist, der ihre Beziehung stärkt, sondern eher das Ausmaß, in dem die Eltern in die Betreuung und Erziehung der Kinder involviert sind.
3.3
Kontakthäufigkeit
Die Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und Kindern stellt eine der wichtigsten Dimensionen intergenerationaler Beziehungen dar. Vielfältige – vor allem instrumentelle – Unterstützungsleistungen sind durch einen persönlichen Kontakt überhaupt erst möglich. Aber auch für die affektuelle Beziehungsgestaltung stellt der Kontakt eine wichtige Bedingung dar. Ganz im Sinne der Lebensverlaufsforschung kann angenommen werden, dass die Kontakthäufigkeit nach einer Trennung oder Scheidung der Eltern im Kindesalter Einfluss auf das Ausmaß des Kontaktes im Erwachsenenalter hat. Zuerst werden deshalb die Ergebnisse zur Auswirkung einer Trennung auf die Kontakthäufigkeit zum außerhalb lebenden Elternteil im Kindes- und Jugendalter präsentiert, um dann die Ergeb-
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nisse zur Kontakthäufigkeit zu allen Eltern- und Stiefelternteilen im Erwachsenenalter davor zu kontrastieren. Genauso wie bei der Wohnentfernung können auch die Ergebnisse zur Kontakthäufigkeit entlang verschiedener Kriterien differenziert werden: Einerseits muss zwischen dem Kontakt mit der Mutter und dem Vater unterschieden werden. Andererseits ist es wichtig zu unterscheiden, bei wem das Kind nach der Trennung überwiegend gelebt hat, wenn sie im Kindesalter stattfand. Darüber hinaus können die Eltern nach einer Trennung entweder eine neue Partnerschaft eingehen oder auch nicht. Der Grund der Auflösung der elterlichen Partnerschaft – also ob es sich um eine Trennung oder Verwitwung handelt – ist auch nicht unerheblich, da auf diese Weise gezeigt werden kann, ob der reale Verlust eines Elternteils einen Effekt auf die Kontakthäufigkeit hat. Darüber hinaus kann bei der Kontakthäufigkeit zwischen persönlichem Kontakt, bei dem sich die Interaktionspartner begegnen, und medial vermitteltem Kontakt, bei dem sich die beteiligten Personen schreiben (Briefe, E-Mail) oder miteinander telefonieren, unterschieden werden. Sich zu sehen hat natürlich eine andere Qualität als miteinander zu telefonieren. Dennoch kann man sich sowohl über Telefonate als auch über Briefe oder E-Mails austauschen, trösten oder Ratschläge erteilen und damit weite Entfernungen überbrücken. Diese Kontaktform ist deshalb keinesfalls zu vernachlässigen. Da nicht immer beide Kontaktarten erfasst, sie nicht getrennt voneinander erfasst oder nicht getrennt ausgewertet werden, wird im Folgenden immer erwähnt, um welche Form des Kontaktes es sich handelt.
3.3.1
Kontakthäufigkeit im Kindes- und Jugendalter
Die Untersuchung von Kontakthäufigkeit betrifft im Kindes- und Jugendalter erst einmal nur das Elternteil und ggf. Stiefelternteil (also den Partner bzw. die Partnerin dieses Elternteils), mit dem das Kind nicht überwiegend zusammenlebt. Das interne Elternteil und ggf. das dazugehörige Stiefelternteil sehen ein minderjähriges Kind sowieso fast jeden Tag, wenn es mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt zusammen lebt. Im Folgenden sind deshalb vorrangig Ergebnisse relevant, die die Kontakthäufigkeit zum externen Elternteil betreffen. Da sich das Ausmaß der Kontakthäufigkeit zum außerhalb lebenden Elternteil in der Kindheit mit gewisser Wahrscheinlichkeit auf die Kontakthäufigkeit im Erwachsenenalter auswirkt, ist es nicht unerheblich diese Ergebnisse zu berichten, auch wenn bislang Längsschnittdaten fehlen, mit denen eine Entwicklung über einen längeren Zeitraum empirisch nachweisbar wäre. Qualitative Studien (Napp-Peters 1995; Smyth/Caruana/Ferro 2004), Studien mit sehr klei-
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nen Fallzahlen (Beckh/Walper 2002; White/Gilbreth 2001) als auch groß angelegte repräsentative quantitative Studien (für Deutschland: Hartl 2002; Österreich: Tazi-Preve et al. 2007, Wilk 2002a; für die USA: Manning/Smock 1999; Seltzer 1991; Seltzer/Bianchi 1988; Webster/Herzog 1995) kommen zu dem Ergebnis, dass Kinder unter 18 Jahren nach einer Trennung bzw. Scheidung der leiblichen Eltern zumeist einen sehr limitierten Kontakt zu ihrem außerhalb lebenden Vater haben. Zu einer außerhalb lebenden Mutter haben Kinder dagegen oft einen sehr regelmäßigen Kontakt und er ist auch viel seltener komplett abgebrochen. Die Ergebnisse sind jedoch – wie bei der Wohnentfernung auch – viel differenzierter, wenn man danach unterscheidet, ob das Kind überwiegend beim Vater oder bei der Mutter lebt, ob die Eltern neue Partnerschaften eingegangen sind und anderes mehr. Für Deutschland hat Hartl (2002) mit der dritten Welle des Familiensurvey aus dem Jahr 2000 die Kontakthäufigkeit von externen Elternteilen mit ihren Kindern untersucht. Dazu vergleicht sie den persönlichen als auch den telefonischen bzw. brieflichen Kontakt mit 409 (primären) Stiefkindern und 586 Kindern Alleinerziehender, die zum Befragungszeitpunkt jünger als 18 Jahre alt sind (Hartl 2002: 178). Ihre Darstellung bezieht sich auf die Angaben der internen Elternteile.54 Die Ergebnisse zum persönlichen Kontakt zeigen, dass ein relativ kleiner Anteil der außerhalb lebenden Elternteile ihre Kinder täglich oder mehrmals die Woche sieht, immerhin ein Drittel sieht das Kind mehrmals im Monat und etwa ein Viertel mehrmals im Jahr oder seltener (Hartl 2002: 179; siehe für ähnliche Ergebnisse Anfang der 1990er Jahre in den USA: Man-
54
Interessant ist eine Analyse von Hartl (2002: 180 und 182), bei der sie die Angaben zur Kontakthäufigkeit von internen und externen Elternteilen miteinander vergleicht. Das Ergebnis ist wenig überraschend und zeigt, dass es hinsichtlich der Untersuchung der Ausgestaltung von Beziehungen nicht unerheblich ist, darüber zu reflektieren, wer die jeweiligen Angaben macht: Externe Eltern, besser gesagt externe Väter, geben einen viel häufigeren Kontakt mit ihren Kindern an als interne Elternteile, also Mütter (siehe auch den Hinweis von Manning/Smock 1999: 98). Gleichzeitig geben sie auch viel seltener einen Kontaktabbruch an. Die Interpretation ist allerdings nicht ganz so leicht, wie sie vielleicht scheint, da hier nicht die Angaben interner und externer Elternteile eines gemeinsamen Kindes miteinander verglichen wurden, sondern Zielpersonen, die entweder der einen oder der anderen Gruppe angehören (was in der Darstellung übrigens nicht erwähnt oder gar problematisiert wird und sich deshalb einzig und allen aus dem Wissen um das Design des Familiensurveys ergibt). Es ist zwar nicht unplausibel anzunehmen, dass externe Väter eine höhere Kontaktfrequenz und eine geringere Abbruchquote angeben als interne Mütter, aber genauso gut ist es auch möglich, dass Väter, die keinen Kontakt (mehr) zu ihren bei der Mutter lebenden Kindern haben, diese im Interview überhaupt nicht erst erwähnen. Das kann nun aber dazu führen, dass wir über die Mütter Angaben zu (fast) allen Vätern bekommen, während die Väter eine positive Auswahl von engagierten Vätern darstellen. Das ist auch einer der Gründe, warum in den meisten Studien auf die Angaben der Mütter zurückgegriffen wird (siehe zum Beispiel Seltzer 1991: 83).
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ning/Smock 1999: 98). Weiterhin besteht ein signifikanter Unterschied in der Kontakthäufigkeit von externen Elternteilen zu Kindern, die in Stieffamilien leben und Kindern, die mit alleinerziehenden Elternteilen leben: Bei häufigen Besuchen, die entweder täglich oder auch mehrmals in der Woche stattfinden, dominieren die Kontakte zu Kindern Alleinerziehender. Externe Elternteile haben zu Kindern, die in einer primären Stieffamilie leben, also seltener persönlichen Kontakt. Seltzer (1991), die unter Rückgriff auf die erste Welle des NSFH (1987/88) die Rolle des Vaters nach einer elterlichen Trennung im Hinblick auf Kontakthäufigkeit, finanzielle Transfers und Erziehung untersucht, kommt auch zu dem Ergebnis, dass die meisten Kinder wenig Kontakt zu ihrem außerhalb lebenden Vater haben (Seltzer 1991: 85): 30% der Kinder haben (nach Angaben der Mütter) ihren Vater im letzten Jahr nicht gesehen, 60% sahen ihren Vater während des letzten Jahres einige Male oder weniger. Nur etwa ein Viertel der Kinder sahen ihren Vater mindestens wöchentlich. Bei einem Vergleich der verschiedenen Kontaktformen kann Seltzer (1991: 85) zeigen, dass die meisten Kinder eher persönlichen Kontakt mit ihrem externen Vater haben anstatt Kontakt über Briefe und Telefonate, was wohl am Alter der Kinder liegt. Darüber hinaus wird aber auch ersichtlich, dass Väter Kontakte über Briefe und Telefonate nicht als Ersatz einsetzen, wenn sie die Kinder zum Beispiel nicht besuchen können, weil sie zu weit weg wohnen. Nur 10% der Väter, die ihre Kinder das letzte Jahr nicht ein einziges Mal einmal gesehen haben, nutzten stattdessen Briefe und Telefonate. Aber immerhin 77% der Väter, die ihr Kind mindestens ein- bis dreimal im Monat besucht haben, hatten auch regelmäßigen Kontakt per Brief und/oder Telefon. Persönlicher Kontakt und andere Formen des Kontaktes scheinen also demselben Muster zu folgen: Väter und Kinder, die einen engen Kontakt durch Besuche pflegen, kommunizieren auch auf anderen Wegen miteinander (Seltzer 1991: 85). Wie sehen nun die Ergebnisse zum medial vermittelten Kontakt für Deutschland aus? Auch im Familiensurvey wurde neben dem persönlichen Kontakt der telefonische bzw. briefliche Kontakt des externen Elternteils mit seinen Kindern erfragt (Hartl 2002: 181f.). Ebenso wie beim persönlichen Kontakt zeigt sich, dass ein täglicher telefonischer (oder brieflicher) Kontakt ausgesprochen selten ist. Aber immerhin jedes sechste Kind aus einer Trennungsfamilie hat (nach den Angaben seiner Mutter) mit seinem externen Elternteil mehrmals in der Woche in einer solchen Form Kontakt; jedes vierte bis fünfte Kind mehrmals im Monat und wiederum jedes vierte Kind mehrmals im Jahr oder seltener. Ein Drittel der Kinder hat aber auch telefonisch überhaupt keinen Kontakt zum außerhalb lebenden Elternteil. Dem Kontaktabbruch wird in der Literatur zur Beziehung von außerhalb lebenden Eltern und minderjährigen Kindern sehr viel Aufmerksamkeit ge-
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schenkt, da viele externe Elternteile – vor allem Väter – nach einer Trennung den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern verlieren (Hartl 2002: 179; Manning/Smock 1999: 99; Napp-Peters 1995: 25; Seltzer/Bianchi 1988: 670; Smith 2004: 32; White/Gilbreth 2001: 160; Wilk 2002a: 261). In Abhängigkeit vom methodischen Design der Studie und der Auswahl der Untersuchungsgruppe variiert der Anteil von Vätern, die nach einer Trennung keinen oder fast gar keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben zwischen 30% und 50%.55 Im Familiensurvey wurde bei Angabe eines Kontaktabbruchs zusätzlich der wichtigste Grund dafür erfragt. Dabei konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen Kindern aus Stieffamilien und Kindern Alleinerziehender festgestellt werden: Etwa ein Drittel der internen Elternteile gibt an, dass der Kontaktabbruch vom externen Elternteil ausgeht. Jeweils etwa ein Fünftel gibt an, dass der seltene Kontakt von ihnen selbst ausgeht, vom Kind ausgeht oder durch die Wohnentfernung bedingt ist. Beim Rest (5% Stiefkinder, 9% Alleinerziehende) entspricht die minimale bis nicht existente Kontakthäufigkeit den Regelungen des Umgangsrechts (Hartl 2002: 185). Zur Frage des Grundes für einen Kontaktabbruch lagen kaum Angaben von externen Elternteilen vor, da diese nur sehr selten angegeben haben, dass kein Kontakt besteht. Tendenziell nennt aber die Mehrheit der externen Elternteile (58%) den internen Elternteil als wichtigsten Grund für den Kontaktabbruch. Als einer der wichtigsten negativen Einflussfaktoren auf das Ausmaß des Kontaktes zwischen externem Elternteil und Kind wurde in den verschiedenen Untersuchungen die Trennungsdauer (Hartl 2002: 185; Seltzer 1991: 90; Seltzer/Bianchi 1988: 673; Tazi-Preve et al. 2007: 174f.) bzw. die Dauer des Bestehens der Stieffamilie (Beckh/Walper 2002: 223) identifiziert. Auch mit dem Familiensurvey liegen Ergebnisse zum Rückgang des Kontaktes mit zunehmender Trennungsdauer vor, wobei die Kontakthäufigkeit bei Stiefkindern mit der Trennungsdauer deutlich stärker zurück geht als bei Kindern Alleinerziehender (Hartl 2002: 185ff.; siehe auch Napp-Peters 1995: 27): Bei einer Trennungsdauer von bis zu fünf Jahren sehen drei Viertel der Stiefkinder ihr externes Elternteil noch mehrmals im Jahr. Wenn sechs bis zehn Jahre vergangen sind, sehen nicht einmal mehr die Hälfte der Kinder dieses Elternteil mehrmals im Jahr. Und bei Kindern, deren Eltern mehr als zehn Jahre getrennt sind, treffen gerade einmal noch 30% der Stiefkinder ihr externes Elternteil mehrmals im Jahr. Mit zunehmender Trennungsdauer sinkt aber nicht nur die Kontakthäufig55
Bei Auswertungen des österreichischen Zensus konnte zwar nur eine Abbruchsquote von 10% ermittelt werden, aber da eine große Gruppe von Vätern (40%) keine Angaben zum Ausmaß des Kontaktes mit ihren Kindern gemacht haben (Tazi-Preve et al. 2007: 185), ist anzunehmen, dass der tatsächliche Anteil von Kontaktabbrüchen um einiges höher liegt.
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keit, sondern es steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt kein Kontakt mehr zwischen externem Elternteil und Kind besteht (Hartl 2002: 186; siehe auch Tazi-Preve et al. 2007: 175): Liegt die Trennung der Eltern weniger als fünf Jahre zurück, haben nur 22% der Stiefkinder keinen Kontakt zum externen Elternteil, nach sechs bis zehn Jahren sind es schon 44% und bei mehr als zehn Jahren beträgt ihr Anteil immerhin 56%. Auch bei Alleinerziehenden erhöht sich die Abbruchsrate mit zunehmender Trennungsdauer, der Zusammenhang ist aber – wie beim Rückgang der Kontakthäufigkeit – nicht ganz so stark. Da die Ergebnisse auf Querschnittsanalysen basieren, bei denen das Trennungsdatum als Kontrollvariable eingeführt wurde, kann mit Hilfe dieser Studien nichts über die Entwicklung der Kontakthäufigkeit über die Zeit gesagt werden. In einer der wenigen längsschnittlichen Analysen mit dem NSFH wird von Manning und Smock (1999) die Entwicklung der Kontakthäufigkeit in Bezug auf den persönlichen Kontakt von externen Vätern mit ihren Kindern zwischen den ersten beiden Erhebungswellen (1987/88 und 1992/94) untersucht. Von Welle 1 zu Welle 2 geben nach Manning und Smock (1999: 98) etwa ein Drittel (36%) der externen Väter keine Veränderungen in der Kontakthäufigkeit an. Auch sie finden, dass die meisten Väter (41%) eine Reduzierung des persönlichen Kontaktes berichten, aber immerhin ein Viertel (23%) berichtet sogar einen Anstieg des Kontaktes. Wenn auch einschränkend darauf hingewiesen werden muss, dass diejenigen außerhalb lebenden Väter, die zum zweiten Messzeitpunkt mehr Kontakt angeben als zum ersten, ihre Kontakthäufigkeit nur minimal angehoben haben. Es handelt sich hierbei um Väter, die ihre Kinder im Jahr vor der Datenerhebung zu Welle 1 gar nicht gesehen haben und im Jahr vor Welle 2 einige Male. Etwa die Hälfte (49%) der Väter sah ihre Kinder zu beiden Erhebungszeitpunkten gar nicht oder reduzierte den Kontakt (Manning/Smock 1999: 99). Auch Seltzer (1991: 90) findet, allerdings unter Rückgriff auf die erste Welle des NSFH und auf den Angaben der internen Mütter beruhend, dass das Engagement der Väter mit der Zeit nach der Trennung abnimmt. Väter und Kinder besuchen sich nicht nur seltener, sondern tauschen sich auch weniger über Telefonate und Briefe aus. Das hängt, so Seltzer (1991: 90), ebenfalls damit zusammen, dass die geographische Entfernung zum externen Elternteil mit zunehmender Trennungsdauer größer wird. Obwohl die Kontakthäufigkeit natürlich eng mit der räumlichen Entfernung zwischen den Wohnorten der beiden leiblichen Eltern abhängt, ist die räumliche Nähe zwischen externem Elternteil und Kind weder eine notwendige Bedingung noch eine Garantie für die Aufrechterhaltung des Kontaktes zwischen ihnen. Die Wohnnähe erleichtert den regelmäßigen – vor allem persönlichen – Kontakt zwar entscheidend, sie ist aber keineswegs eine zwingende Voraussetzung für väterliches Engagement. Dennoch zeigen die empirischen Er-
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gebnisse, dass die zeitlich-räumliche Distanz zum Kind einer der wichtigsten Einflussfaktoren für den Kontakt darstellt (Tazi-Preve et al. 2007: 186; siehe auch Manning/Smock 1999: 105f.). Bei größerer Wohndistanz nimmt einerseits die Kontakthäufigkeit ab; andererseits nimmt der vollständige Abbruch des Kontaktes zu. Der größere zeitliche Aufwand scheint dabei den wesentlichen Hemmfaktor für einen regelmäßigen persönlichen Kontakt darzustellen. Aber nicht nur der persönliche, sondern auch der telefonische und briefliche Kontakt zwischen externem Elternteil und Kind nimmt mit zunehmender Wohndistanz ab. Der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang kann mit Querschnittsdaten allerdings nicht geklärt werden. Ein weiterer Einflussfaktor der Kontakthäufigkeit ist das Geschlecht des externen Elternteils. Befunde aus den USA (Seltzer/Bianchi 1988: 670) als auch aus Deutschland (Hartl 2002: 187) zeigen, dass externe Mütter tendenziell etwas häufiger Kontakt mit ihren leiblichen Kindern haben als externe Väter und auch, dass Kontaktabbrüche seltener vorkommen. Als problematisch erweist sich dabei immer wieder, dass die Fallzahlen für externe Mütter sehr klein sind, so dass bei der Interpretation der Ergebnisse entsprechend Vorsicht geboten ist. Die Ergebnisse zum Einfluss des Geschlechtes des Kindes sind im Gegensatz zum Geschlecht des Elternteils eher uneinheitlich. Während Manning und Smock (1999: 105f.) sowie Seltzer (1991: 93f.) mit dem NSFH für die USA fanden, dass geschiedene Väter tendenziell einen besseren, intensiveren und regelmäßigeren Kontakt zu ihren getrennt lebenden Söhnen als zu ihren Töchtern pflegen, zeigen die Ergebnisse des Familiensurveys für Deutschland (Hartl 2002: 188) keinen Einfluss des Geschlechtes des Kindes. Demnach sehen Stiefsöhne ihren externen Vater genauso oft bzw. genauso selten wie Stieftöchter (siehe auch Smith 2004: 32). Seltzer und Bianchi (1988: 673) fanden ebenfalls keinen Einfluss des Geschlechtes des Kindes und auch keinen Interaktionseffekt mit dem Geschlecht des externen Elternteils. Ähnlich uneinheitlich sehen auch die Befunde zum Alter des Kindes aus. Einige Untersuchungen fanden, dass die Kontakthäufigkeit mit dem Alter des Kindes zunimmt (Beckh/Walper 2002: 223; Seltzer 1991: 93f.), andere wiederum dass sie abnimmt (Seltzer/Bianchi 1988: 673; Tazi-Preve et al. 2007: 173) und wieder andere, dass es keinen Einfluss des Alters des Kindes auf den (persönlichen) Kontakt mit dem externen Vater gibt (Manning/Smock 1999: 105; Smith 2004: 32). Analysen mit dem österreichischen Mikrozensus von 2001 (Tazi-Preve et al. 2007: 185) zeigen, dass zwar die Häufigkeit des Kontaktabbruchs mit der Dauer seit der Trennung zu- und mit dem Alter des Kindes abnimmt. Wenn aber beide Variablen gleichzeitig in die Analyse einfließen, verliert das Kindesalter seinen Einfluss. Das heißt, dass auch durch langjähriges Zusammenleben scheinbar gefestigte Vater-Kind-Beziehungen dem Risiko eines erhöhten Kon-
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taktabbruchs nach längerer Trennungsphase unterliegen (siehe auch Manning/Smock 1999: 105). Mit der Zeit, die nach einer Trennung vergeht, verändert sich auch das Lebensumfeld des Vaters. Wenn er eine neue Partnerschaft eingeht, kann sich das in vielerlei Hinsicht auf die Vater-Kind-Beziehung auswirken. So zeigt sich zum Beispiel – wiederum mit dem österreichischen Mikrozensus – ein sprunghafter Anstieg von Kontaktabbrüchen, wenn externe Väter statt in einem Einpersonenhaushalt, in einem Zweipersonenhaushalten leben (Tazi-Preve et al. 2007: 185). Auf ähnliche Ergebnisse zur Partnerschaftsform des externen Elternteils kommt auch Hartl (2002: 190): Externe Elternteile ohne Partner(in) haben am häufigsten Kontakt zu ihren Kindern, leben sie in einer Nichtehelichen Lebensgemeinschaft nimmt der Kontakt etwas ab und bei einer Eheschließung ist die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt noch Kontakt besteht am geringsten (siehe auch Seltzer 1991: 93). Manning und Smock (1999) gehen bei ihren Analysen mit den ersten beiden Wellen des NSFH noch einen Schritt weiter: Sie zeigen, dass außerhalb lebende Väter, die eine neue Partnerschaft eingehen, ihre Kinder nicht notwenderweise seltener sehen als Väter, die keine neue Partnerschaft eingehen. Abgesehen von Vätern, die vor dem Eingehen einer neuen Partnerschaft ihre Kinder sehr häufig gesehen haben (mehr als einmal wöchentlich), reduzieren externe Väter die Kontakthäufigkeit zu ihren Kindern nicht. Die Kontakthäufigkeit von Vätern, die ihre Kinder sowieso wenig sehen, wird von einer neuen Partnerschaft nicht signifikant beeinflusst (Manning/Smock 1999: 104). Allerdings sehen Väter, die zu beiden Messzeitpunkten in einer Partnerschaft leben, ihre Kinder weniger als Väter, die zu beiden Zeitpunkten keine Partnerin haben. Die Ergebnisse zeigen weiterhin: Es ist nicht die neue Partnerschaft selbst, sondern die Geburt von Kindern, die die Kontakthäufigkeit beeinflusst. Je mehr Kinder im neuen Haushalt des Vaters geboren werden, desto weniger sehen die Väter ihre Kinder aus der vorherigen Beziehung (Manning/Smock 1999: 104). Die Anzahl von Stiefkindern hat dagegen keinen signifikanten Effekt auf die Besuchsfrequenz des Vaters bei seinen außerhalb lebenden Kindern. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass das Ausmaß der Verantwortung – gemessen an der Zahl neu geborener Kinder – und nicht einfach das Vorhandensein von Kindern im Haushalt entscheidend ist. Eine doppelte Belastung durch (leibliche) Vaterschaften in zwei Haushalten ist für die Väter offensichtlich nur schwer zu managen (Manning/Smock 1999: 107; siehe auch Hartl 2002: 189). Neben der Partnerschaftsform des externen Elternteils, kann auch die Partnerschaftsform des internen Elternteils, also zum Beispiel das Eingehen einer Partnerschaft und damit die Gründung einer (primären) Stieffamilie, Einfluss auf die Kontakthäufigkeit mit dem externen Elternteil haben. Die Analysen des Familiensurveys zeigen, dass sich die Gründung einer Stieffamilie negativ auf
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den persönlichen Kontakt zwischen Kind und externem Elternteil auswirkt (Hartl 2002: 179), wogegen beim telefonischen bzw. brieflichen Kontakt keine Unterschiede nach der Familienform ausgemacht werden können (Hartl 2002: 181f.). Das heißt Stiefkinder sehen ihr externes Elternteil zwar seltener, haben aber genauso oft telefonischen und brieflichen Kontakt mit diesem wie Kinder Alleinerziehender. Auch King (2009: 960) findet unter Rückgriff auf die zwei Wellen der ‚Add Health‘-Studie (1995 und 1996) keinen Einfluss des Einzugs eines Stiefvaters auf die Entwicklung des Kontaktes zwischen Jugendlichen und ihren externen Vätern, wobei nicht zwischen unterschiedlichen Kontaktformen unterschieden wurde. Weiterhin berichtet Hartl (2002: 189), dass sich mit der Eheschließung des internen Elternteils die Kontakthäufigkeit zum externen Elternteil reduziert. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Ergebnissen von Seltzer (1991: 93) sowie Seltzer und Bianchi (1988: 672), wohingegen Manning und Smock (1999: 105f.) keinen Einfluss des Partnerschaftsstatus der Mutter auf den persönlichen Kontakt mit dem externen Vater finden können. Für Deutschland scheint weiterhin berichtenswert, dass es signifikante OstWest-Unterschiede hinsichtlich des Kontaktes zum außerhalb lebenden Elternteil gibt (Hartl 2002: 191): Kinder in den neuen Bundesländern haben demnach seltener Kontakt zum außerhalb lebenden Elternteil als Kinder in Westdeutschland. Ein weiteres wichtiges und immer wieder berichtetes Ergebnis der Trennungsforschung ist der Einfluss des Bildungsniveaus der Eltern auf die Kontakthäufigkeit zum externen Elternteil (Amendt 2006: 20; Hartl 2002: 191; Seltzer 1991: 93f.; Smyth/Caruana/Ferro: 24; Tazi-Preve et al. 2007: 126): Einerseits haben Kinder von Müttern mit hoher Schulbildung mit größerer Wahrscheinlichkeit überhaupt Kontakt zu ihrem leiblichen Vater im Vergleich zu Kindern von Müttern mit geringer Schulbildung. Andererseits sehen Kinder ihren Vater auch viel häufiger je höher die allgemeine Schulbildung der Mutter ist. Aber nicht nur das Bildungsniveau der Mutter, sondern auch das Bildungsniveau des leiblichen Vaters ist für die Kontaktfrequenz von Bedeutung. Die Ergebnisse weisen in die gleiche Richtung: Je höher die Bildung des außerhalb lebenden Vaters, desto seltener ist der Kontakt abgebrochen und desto höher ist die Kontaktfrequenz derer, die Kontakt haben. Erklärungen dieses Zusammenhangs verweisen einerseits darauf, dass mit steigendem Bildungsniveau das Bewusstsein und das Selbstverständnis für die Bedeutung der Beteiligung beider leiblichen Elternteile an der Erziehung von Kindern zunimmt und auch die Bereitschaft einer egalitäreren Geschlechterrollenaufteilung. Andererseits geht mit höherer Bildung auch meist ein höheres Einkommen einher. Eine abgesicherte Erwerbstätigkeit und ein höheres Einkommen erleichtern es dem Vater zumindest, die Kosten der Besuchskontakte und die Finanzierung besonderer Aktivitä-
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ten mit den Kindern zu übernehmen. Neuere Untersuchungen (Amendt 2006: 20; Tazi-Preve et al. 2007: 186) zeigen, dass der soziale Status ausgesprochen wichtig für Umgangsregelungen und Kontakthäufigkeiten von außerhalb lebenden Vätern ist: Väter mit geringer Bildung, geringer beruflicher Stellung und geringem Einkommen haben nach einer Scheidung besonders selten Kontakt zu ihren leiblichen Kindern und brechen den Kontakt auch besonders häufig ganz ab. Wie man sieht, hat eine Vielzahl von Faktoren Einfluss auf die Kontakthäufigkeit des externen Elternteils mit seinem Kind. Diese unterschiedlichen Einflussfaktoren können natürlich nicht isoliert voneinander betrachten werden, sondern sind als komplexes Netz wechselseitiger Verschränkung zu sehen. Dabei gibt es aber nicht nur auf der Ebene der familialen Akteure sondern auch auf der Ebene der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verschiedene Aspekte, die für das Ausmaß des Kontaktes bestimmend sind. Zu letzteren zählen vor allem konkrete gesetzliche Bestimmungen, in denen natürlich gesellschaftliche Normalitätsvorstellungen und Werthaltungen ihren Ausdruck finden (TaziPreve et al. 2007: 123; Berger et al. 2008b: 282). Die Handlungsmöglichkeiten der Akteure sind teilweise entscheidend von der Ausgestaltung des Rechtssystems abhängig. Gerade die sorgerechtlichen und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen haben einen enormen Einfluss auf die Form und die Qualität der Beziehungen. Die Kontakthäufigkeit ist zum Beispiel eng an das Besuchsrecht des externen Elternteils gebunden, wenn die Eltern keine persönliche Lösung auf der Paarebene finden. Die Ergebnisse zur Kontakthäufigkeit von außerhalb lebenden Elternteilen mit ihren minderjährigen Kindern zeigen, dass die Kosten einer Trennung – vor allem für Väter – in verringerten Interaktionen mit ihren Kindern liegen. Wenn die Ergebnisse im Kindes- und Jugendalter darauf hinweisen, dass der Kontakt für die Mehrheit der externen Väter zu ihren Kindern stark eingeschränkt ist bzw. in vielen Fällen sogar ganz abbricht, stellt sich natürlich die Frage, ob sich das im Erwachsenenalter fortsetzt und sich ähnliche Ergebnisse auch bei erwachsenen Kindern und geschiedenen bzw. getrennten Vätern finden lassen. Möglicherweise kommen getrennte Väter und Kinder ja zu einem späteren Zeitpunkt wieder zusammen. Es ist natürlich wahrscheinlicher, dass die Situation, wie sie in der Kindheit angelegt wurde, im Erwachsenenalter bestehen bleibt. Für die Analyse der Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, bieten sich deutlich mehr Möglichkeiten den Einfluss einer Trennung bzw. Scheidung der Eltern zu ermitteln, da die Kontakthäufigkeit verschiedener Eltern- und Stiefelternteile mit ihren (Stief-)Kindern, sowie darüber hinaus auch getrennte und nicht getrennte Elternpaare, miteinander vergleichen werden können.
Stand der Forschung
3.3.2
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Kontakthäufigkeit im Erwachsenenalter
Die empirischen Ergebnisse zur Kontakthäufigkeit zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern bestätigen das Bild, das sich bereits bei minderjährigen Kindern ergeben hat: Getrennte bzw. geschiedene Väter sehen ihre leiblichen Kinder weniger und haben weniger Kontakt mit ihnen über Telefon oder Briefe als Väter, die (immer noch) mit ihren Partnerinnen zusammen leben (Bulcroft/Bulcroft 1991: 235; Cooney 1994: 50; Cooney/Uhlenberg 1990: 682; de Graaf/Fokkema 2007: 270; Kalmijn 2008: 180; Lawton/Silverstein/Bengtson 1994: 66; Nakonezny/Rodgers/Nussbaum 2003: 1162; Shapiro 2003: 281; Tomassini et al. 2004: 58). Der Effekt von Scheidung und Trennung auf die Kontakthäufigkeit betrifft im Erwachsenenalter jedoch nicht nur die Väter, sondern (wenn auch in geringerem Maße) ebenso die Mütter (de Graaf/Fokkema 2007: 270; Kalmijn/Dykstra 2006: 80; Lawton/Silverstein/Bengtson 1994: 66; Nakonezny/Rodgers/Nussbaum 2003: 1162). Verschiedene Studien zeigen, dass erwachsene Kinder, deren Eltern geschieden sind, weniger Kontakt mit ihren Eltern haben als erwachsene Kinder, die in strukturell intakten Familien aufgewachsen sind bzw. dass geschiedene Eltern weniger Kontakt zu ihren leiblichen Kindern haben (Albertini/Saraceno 2008: 203; Daatland 2007: 816; Kalmijn 2007: 1093; Kalmijn 2008: 188; Kalmijn/Dykstra 2006: 79f.; Lye et al. 1995: 267; Shapiro 2003: 274; Umberson 1992: 670; van der Pas 2006: 64; van der Pas/van Tilburg/Knipscheer 2007: 257; Webster/Herzog 1995: S29; White 1994a: 940). Dieses Ergebnis bestätigt sich für den persönlichen Kontakt auch unter Kontrolle des Umstandes, dass diese Kinder möglicherweise zwei Haushalte zu besuchen haben und ihre zeitlichen Ressourcen teilen müssen (Lye et al. 1995: 267); sowie ebenfalls unter Kontrolle der Erinnerung von Familienproblemen (Webster/Herzog 1995: S31). Kalmijn (2008: 181) zeigte bei einem Vergleich von zehn europäischen Ländern, dass die Reduzierung des VaterKind-Kontaktes nach einer Scheidung in Gesellschaften mit traditionelleren Geschlechterrollenvorstellungen größer ist als in Gesellschaften mit egalitäreren Geschlechterrollenvorstellungen. Dieser Effekt konnte ebenso unter Kontrolle der jeweiligen Anteile von Koresidenz in den entsprechenden Ländern nachgewiesen werden. Wenn man den Effekt einer Trennung der Eltern auf das Ausmaß der Kontakthäufigkeit zu ihren erwachsenen Kindern betrachtet, ist der gänzliche Abbruch des Kontaktes natürlich ein besonders interessantes Phänomen. Die Ergebnisse verschiedener Studien zeigen auch hier deutliche Unterschiede zwischen strukturell intakten Familien und Trennungsfamilien. Bei Eltern, die nicht getrennt sind, kommen Kontaktabbrüche so gut wie überhaupt nicht vor (1%), wohingegen Kontaktabbrüche bei geschiedenen Vätern als auch bei geschiede-
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Stand der Forschung
nen Müttern zu einem nicht zu vernachlässigendem Anteil berichtet werden: Bei den Vätern liegen die Anteile je nach Untersuchung zwischen 10% und 25% und bei den Müttern zwischen 5% und 20% (Kalmijn 2008: 180; Kalmijn/Dykstra 2006: 80; de Graaf/Fokkema 2007: 271). Da die Ergebnisse deutlich unter dem Anteil von Kontaktabbrüchen im Kindesalter liegen, stellt sich die Frage, ob in späteren Lebensphasen der Kontakt zwischen getrennten (externen) Eltern und Kindern wieder aufgenommen wird, möglicherweise übernehmen dann auch die erwachsenen Kinder eine aktive Rolle. Der unterschiedliche Anteil kann aber auch einfach daran liegen, dass die Ergebnisse der drei eben zitierten Untersuchungen alle aus den Niederlanden stammen. Vergleichbare Ergebnisse aus Deutschland liegen leider (noch) nicht vor. Die einzige Studie, die auf US-amerikanischen Daten beruht (NSFH), berichtet einen deutlich höheren Anteil an Vätern (30%), die nach einer Trennung keinen Kontakt mehr zu ihren erwachsenen Kindern haben. Immerhin einer von zehn geschiedenen Vätern hat überhaupt keinen Kontakt zu irgendeinem Kind (Cooney/Uhlenberg 1990: 682). Dies ist umso erstaunlicher als der Fokus dieser Untersuchung auf Familien lag, bei denen die Scheidung der Eltern erst erfolgte als die Kinder bereits volljährig waren und es somit keine Effekte früherer Sorge- und Umgangsregelungen auf die Kontaktrate geben kann. Die Ergebnisse zum Einfluss einer Verwitwung auf die Kontakthäufigkeit sind nicht ganz eindeutig: Analysen mit der ersten Welle des NSFH ergaben, dass erwachsene Kinder, die den Tod eines Elternteils erlebt haben, sich hinsichtlich der Besuchshäufigkeit nicht von Kindern aus intakten Familien unterscheiden, allerdings scheint die Kontaktrate über Briefe und Telefonate deutlich reduziert (Lye et al. 1995: 267; siehe auch Bulcroft/Bulcroft 1991: 239). Mit den Daten der ‚Netherlands Kinship Panel Study‘ (NKPS) findet sich dagegen kein Effekt von Verwitwung auf das Ausmaß des Kontaktes zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, egal ob man persönlichen Kontakt oder Kontakt über Briefe und Telefonate heran zieht (Kalmijn 2007: 1094; Kalmijn/Dykstra 2006: 80). Der Anteil des Kontaktes mit erwachsenen Kindern unterscheidet sich demnach nicht zwischen Eltern, die in erster Ehe verheiratet sind und alleinlebenden Eltern, deren Partner verstorben ist. Wenn verwitwete Elternteile allerdings eine neue Partnerschaft eingehen, sehen sie ihre Kinder seltener als Eltern, die allein leben (Albertini/Saraceno 2008: 204; Kalmijn 2007: 1095; Kalmijn/Dykstra 2006: 80; van der Pas 2006: 64). Das Eingehen einer neuen Partnerschaft – und damit die Gründung einer Stieffamilie – ist (in einigen Untersuchungen) auch für geschiedene oder getrennte Elternteile mit einem zusätzlichen negativen Effekt hinsichtlich der Kontakthäufigkeit verbunden (Albertini/Saraceno 2008: 204; Aquilino 1994a: 306; de Graaf/Fokkema 2007: 273; Kalmijn 2007: 1095; Lye et al. 1995: 268).
Stand der Forschung
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Der Effekt zeigt sich vor allem bei einer Wiederheirat von Vätern, aber ebenso bei Müttern, wenn auch in geringerem Maße. Die Wiederheirat wirkt sich zwar negativ auf die Kontaktfrequenz zu dem Elternteil aus, das geheiratet hat, vor allem aber auf den Kontakt zum anderen leiblichen Elternteil. White (1994a: 944) zeigt darüber hinaus, dass die Wiederheirat der vormals sorgeberechtigten Mutter zu signifikant mehr Kontakt mit dem Stiefvater im Vergleich zum leiblichen Vater führt (siehe auch Steinbach/Kopp 2008a: 420; und für verwitwete Elternteile Lye et al. 1995: 271). Das größere Ausmaß des Kontaktes kann natürlich einfach darauf beruhen, dass die Kinder den Stiefvater sehen, wenn sie die Mutter besuchen. Da allerdings auch die Beziehungsqualität zum Stiefvater signifikant positiver gesehen wird als die zum leiblichen Vater (White 1994a: 944), kann man davon ausgehen, dass Stiefväter einen signifikant zusätzlichen Beitrag zur Familiensolidarität leisten bzw. dass Kontakthäufigkeit und Beziehungsqualität eng zusammen hängen. Eine Studie, welche die Kontakthäufigkeit in Stieffamilien mit erwachsenen Stiefkindern direkt in den Blick nimmt, stammt aus den Niederlanden und zeigt, dass die durchschnittliche Kontakthäufigkeit mit Stiefkindern im Vergleich zu leiblichen Kindern geringer ist (van der Pas 2006: 33; sie auch Ward/Spitze/Deane 2009: 167). Der Kontakt zu den erwachsenen Stiefkindern wurde von Stiefeltern sowohl als weniger regelmäßig und auch als weniger wichtig wahrgenommen. Darüber hinaus ist das Ausmaß des Kontaktes zu leiblichen Kindern aus komplexen Stieffamilien – also Familien in denen sowohl leibliche als auch Stiefkinder leben – geringer als das Ausmaß des Kontaktes zu leiblichen Kindern aus intakten Familien (van der Pas 2006: 33; Ward/Spitze/Deane 2009: 167). Die Kontaktfrequenz zu Stiefkindern ist nach dieser Untersuchung nicht davon abhängig, wann die Stieffamilie gegründet wurde und auch nicht davon, ob Halbgeschwister in der Familie leben (van der Pas 2006: 36; siehe auch de Graaf/Fokkema 2007: 273). Allerdings beschreiben Stiefeltern in einfachen Stieffamilien den Kontakt zu ihren Stiefkindern als regelmäßiger und als wichtiger im Vergleich zu Stiefeltern in komplexen Stieffamilien (van der Pas 2006: 37), was auf ein gewisses Konkurrenzverhältnis von leiblichen und sozialen Kindern hinweist. Mit Rückgriff auf lebensverlaufstheoretische Argumente, wie zum Beispiel dem ‚principle of life-span development‘, dem ‚principle of timing‘ und dem ‚principle of linked lives‘, ist es plausibel anzunehmen, dass verschiedene trennungs- oder scheidungsrelevanten Einflussfaktoren auf das Ausmaß der Kontakthäufigkeit im Erwachsenenalter wirken. Dazu gehört als erstes natürlich die Trennungsdauer, da sich mit zunehmender Trennungsdauer das Zeitfenster vergrößert, indem der Kontakt zum Kind über die Haushaltsgrenze hinaus aufrecht erhalten werden muss. Außerdem steigt zum Beispiel die Wahrscheinlich-
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Stand der Forschung
keit, dass die leiblichen Eltern neue Partnerschaften eingegangen sind. Es ist hier entsprechend von einem vermittelten Effekt auszugehen. Die Ergebnisse, die allerdings ausnahmslos auf Querschnittsanalysen beruhen und daher mit Vorsicht zu interpretieren sind, zeigen, dass die Kontakthäufigkeit im Erwachsenenalter zum ehemals externen Elternteil (überwiegend Väter) umso geringer ist, je länger die Trennung der Eltern zurück liegt und je jünger die Kinder bei Trennung der Eltern waren (Aquilino 1994a: 307; Albertini/Saraceno 2008: 204; Bulcroft/ Bulcroft 1991: 237; Kalmijn 2007: 1095; Lye et al. 1995: 271). Je länger die Kinder also mit einem Elternteil zusammen gelebt haben, desto besser für die spätere Beziehung. In Bezug auf die Kontakthäufigkeit zum Elternteil, mit dem das Kind überwiegend zusammen gelebt hat, sind die Effekte im Erwachsenenalter deshalb nicht so gravierend. Andererseits zeigen Studien, die den Einfluss einer Trennung der Eltern untersuchen, wenn die Kinder bereits erwachsen und deshalb mit beiden Elternteilen aufgewachsen sind, dass die Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und Kindern (vor allem von Vätern) deutlich unter der von Eltern und Kindern aus intakten Familien liegt (Cooney 1994: 50f.; Cooney/Uhlenberg 1990: 682; Kalmijn 2007: 1094; Shapiro 2003: 277). Wenn die Trennung bzw. Scheidung der Eltern erfolgte als die Kinder minderjährig waren, kommt dem Sorge- und Umgangsrecht des jeweiligen Elternteils eine besondere Bedeutung für die Aufrechterhaltung des Kontaktes auch in späteren Lebensphasen zu. Dabei zeigt sich, dass eine Trennung sowohl für das sorgeberechtigte als auch für das nichtsorgeberechtigte Elternteil negative Folgen für die Kontakthäufigkeit im Erwachsenenalter hat (White 1994a: 940). Die Reduzierung des Kontaktes ist aber signifikant größer für das Elternteil, welches das Sorgerecht nicht hatte (Lye et al. 1995: 268). Wenn das Elternteil wieder heiratet, welches das Sorgerecht hatte, schwächt das die Beziehung zum außerhalb lebenden Elternteil weiter und manifestiert sich langfristig in geringeren Kontaktraten (Lye et al. 1995: 269). Die Beziehung zu internen Elternteilen verbessert sich dagegen, wenn diese eine neue Partnerschaft eingehen – sie haben später mehr Kontakt mit ihren erwachsenen Kindern als geschiedene sorgenberechtigte Elternteile, die nicht wieder heiraten. Nach Aquilino (1994a: 303) ist der negative Effekt des Sorgerechts für das externe Elternteil vor allem durch die Wohnentfernung vermittelt, da die Wohnentfernung den stärksten Prädiktor für das Ausmaß des Kontaktes zwischen erwachsenen Kindern und Eltern darstellt: Er findet keinen Unterschied in der Kontakthäufigkeit zwischen Vater und erwachsenem Kind, wenn er Väter aus intakten Familien und Väter aus Trennungsfamilien vergleicht, in denen das Kind beim Vater aufgewachsen ist. Ein großer Unterschied besteht jedoch zu Vätern, die nach der Scheidung externes Elternteil waren (Aquilino 1994a: 305).
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Da sich sorgeberechtigte Väter ähnlich wie sorgeberechtigte Mütter sehr intensiv um ihre Kinder kümmern, ist es allerdings fraglich, ob der Effekt einzig und allein auf die Wohnentfernung zum externen Elternteil während der Kindheit zurückgeführt werden kann. Hier spielt die Art der Zuwendung sicher eine nicht zu unterschätzende Rolle, wie im Abschnitt zur emotionalen Nähe zwischen Eltern und Kindern noch zu sehen sein wird. Dass der Wohnentfernung jedoch eine wichtige Bedeutung zukommt, ist auch anderen Untersuchungen zu entnehmen (Cooney/Uhlenberg 1990: 685; Kalmijn 2008: 180f.). Darüber hinaus zeigt sich wieder der Einfluss von Bildung: Je höher das Bildungsniveau des Vaters, desto weniger wahrscheinlich ist der Kontakt zum erwachsenen Kind abgebrochen (Cooney/Uhlenberg 1990: 685). Die Wohnentfernung und die Bildung stellen also – ähnlich wie beim Ausmaß des Kontaktes mit minderjährigen Kindern – die bedeutsamsten Prädiktoren für die Kontakthäufigkeit im Erwachsenenalter dar (Cooney/Uhlenberg 1990: 686; Kalmijn 2007: 1097). Wichtig ist jedoch, dass auch unter Kontrolle der Wohnentfernung der negative Einfluss der Scheidung auf die Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und erwachsenen Kindern bestehen bleibt (Kalmijn 2008: 180f.). Verschiedene Untersuchungen zeigen weiterhin, dass die Scheidung der Eltern vor allem einen negativen Einfluss auf die Kontakthäufigkeit zu Söhnen im Vergleich zu Töchtern hat (Cooney 1994: 50; de Graaf/Fokkema 2007: 270; White 1994a: 940). Dem Geschlecht des Kindes kommt entsprechend eine eigene Bedeutung zu. Die einzige Untersuchung, welche die Veränderungen der Kontakthäufigkeit zwischen zwei Messzeitpunkten einbezieht, stammt von Shapiro (2003). Er untersucht unter Rückgriff auf die ersten beiden Wellen des NSFH den Einfluss elterlicher Scheidung auf das Ausmaß der Kontakthäufigkeit, wenn die Kinder bereits erwachsen sind. Auch für erwachsene Kinder bringt eine Trennung der Eltern entscheidende Veränderungen der Alltagsorganisation mit sich, die sich auf die Kontaktfrequenz zu beiden Elternteilen auswirken können: Zum Beispiel müssen sie ihre zeitlichen Ressourcen zwischen zwei Haushalten aufteilen und auch familiale Rituale existieren von einem Tag auf den anderen nicht mehr in gewohnter Weise (Pett/Lang/Gander 1992). Die Ergebnisse zeigen, dass stabil verheiratete Eltern – insbesondere Mütter – im Vergleich zu geschiedenen Eltern den häufigsten Kontakt mit ihren außerhalb des Haushaltes lebenden erwachsenen Kindern haben (Shapiro 2003: 274). Geschiedene Väter haben am wenigsten wahrscheinlich wöchentlichen Kontakt und am wahrscheinlichsten jährlich oder nie Kontakt mit ihren erwachsenen Kindern. Die Kontakthäufigkeit geschiedener Mütter ist der von verheirateten Müttern ähnlicher als der von geschiedenen Vätern. Die zum zweiten Messzeitpunkt geschiedenen Mütter hatten – ähnlich den verheirateten Müttern – zu etwa 21% wöchentlich Besuch von ihren Kindern. Obwohl sie aber eine zweimal so hohe Rate an Koresidenz
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aufweisen (siehe aber Cooney 1994: 50), haben sie auch am wahrscheinlichsten zu mindestens einem Kind nur sehr selten Kontakt (Shapiro 2003: 276). Das wichtigste Ergebnis der Untersuchung ist wohl aber der Nachweis, dass es sich hierbei nicht um einen Selektionseffekt handelt. Es ist also nicht so, dass sich eher solche Paare scheiden lassen, die schon vor der Trennung weniger Kontakt mit ihren erwachsenen Kindern hatten, sondern es konnten eindeutig Veränderungen in den Kontakthäufigkeiten zwischen den beiden Wellen ausgemacht werden (Shapiro 2003: 277f.): Väter, die geschieden wurden, berichten dabei die größte Reduzierung an Kontakt mit ihren außerhalb lebenden Kindern. Im Gegensatz zu den Vätern gibt es bei den geschiedenen Müttern sowohl einen Anstieg an häufigem Kontakt als auch einen Anstieg an seltenem Kontakt mit ihren erwachsenen Kindern. Eine späte elterliche Scheidung führt somit zu signifikanten Veränderungen in der Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und erwachsenen Kindern – auch unter Kontrolle verschiedener unabhängiger Variablen wie Alter, Bildung und Gesundheitszustand. Weniger klar ist allerdings, warum eine Scheidung die Eltern-Kind-Beziehung beeinflusst, so dass Shapiro (2003: 283) darauf hinweist, dass zukünftige Forschung sich auf die Erklärung der Veränderungen dieser Beziehungen konzentrieren sollte. In der Untersuchung von De Graaf und Fokkema (2007) wurden die Kontakte von geschiedenen und nicht-geschiedenen Eltern mit ihren erwachsenen Kindern in den Niederlanden untersucht, wobei der Einfluss von Investitionen in der Kindheit auf die Kontakthäufigkeit im Erwachsenenalter im Zentrum der Analysen stand. Sie unterscheiden fünf Investitionsfaktoren (de Graaf/Fokkema 2007: 264): (1) das Ausmaß der Involviertheit in Erziehungsfragen während der Ehe; (2) das Arrangement der Sorge- und Aufenthaltsregelung nach der Trennung; (3) das Vorhandensein von Vor- und Nachscheidungskonflikten; (4) die Zahlungen von Unterhalt sowie (5) das Eingehen einer neuen Partnerschaft bzw. die Gründung einer Stieffamilie. In Bezug auf den ersten Punkt zeigen die Ergebnisse, dass es einen deutlichen Unterschied zwischen geschiedenen Vätern und Müttern gibt (de Graaf/Fokkema 2007: 273): Während die Involviertheit in das elterliche Erziehungsverhalten keinen Einfluss auf die Kontakthäufigkeit zwischen Vätern und erwachsenen Kindern hat, zeigt sich ein signifikanter Effekt für die Mütter. Väter werden für fehlendes elterliches Engagement also nicht bestraft, Mütter schon. Für die Väter zeigt sich dagegen ein indirekter Einfluss: Das Interesse an Erziehungsfragen wirkt sich auf die Sorgerechtsregelung aus, die wiederum starken Einfluss auf die Kontakthäufigkeit im Erwachsenalter hat. Für beide – Mütter wie Väter – wird die Hälfte des Ausmaßes der Kontakthäufigkeit über die Sorgerechtsregelung erklärt. Auch die elterlichen Konflikte vor und nach der Scheidung haben einen Einfluss auf das Ausmaß der Kontakthäufigkeit, wobei der Effekt nicht sehr stark ist. Die Zahlung von Un-
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terhalt hat dagegen keinen direkten Effekt auf die Kontakthäufigkeit von geschiedenen Vätern und Müttern mit ihren erwachsenen Kindern. Wie bereits oben beschrieben, hat die Wiederheirat eines Elternteils einen negativen Effekt auf die Kontakthäufigkeit – insbesondere für geschiedene Mütter. Neue Kinder nach der Wiederheirat haben allerdings keinen großen zusätzlichen negativen Effekt. Zusammenfassend zeigt sich, dass die Investitionsfaktoren etwa 60% der Varianz der Kontakthäufigkeit von geschiedenen Vätern und Müttern mit ihren erwachsenen Kindern erklären. Tazi-Preve et al. (2007: 118) werfen in ihrem Buch zum Kontaktabbruch der Vater-Kind-Beziehung nach Scheidung und Trennung die wichtige Frage nach den Auswirkungen eines regelmäßigen Vater-Kind-Kontakts auf das Wohlergehen des Kindes – vor allem im Kindesalter – auf (das Gleiche würde natürlich auch für Mütter gelten, wenn sie das außerhalb lebende Elternteil sind). Dabei betonen sie die große Bedeutung der Qualität der Beziehung für das Kind wie auch für das externe Elternteil, da es inzwischen schon einige Hinweise darauf gibt, dass die emotionale Nähe der Vater-Kind-Beziehung stärkere Auswirkungen auf das Wohlergehen des Kindes hat als die Häufigkeit der Kontakte (Amato/Gilbreth 1999: 564). Zumindest aber, das sollte auch in den theoretischen Ausführungen deutlich geworden sein, besteht zwischen diesen beiden Dimensionen intergenerationaler Beziehungen ein enger Zusammenhang, denn effektives väterliches Erziehungsverhalten als auch eine enge emotionale Beziehung sind eigentlich nur möglich, wenn ausreichend und regelmäßig Kontakt zwischen den beteiligten Personen besteht (Pryor 2008: 363; Smith 2004: 34). Das Ausmaß von Kontakthäufigkeit und emotionaler Nähe sind vor allem in Scheidungsfamilien eng miteinander verbunden (Cooney 1994: 52; Lawton/Silverstein/Bengtson 1994: 66; Sobolewski/Amato 2007: 1119). Das liegt daran, dass die Eltern-Kind-Beziehung in intakten Familien als ein Beziehungssystem funktioniert, in dem eine hohe Interdependenz der familialen Beziehungen besteht (Kalmijn/Dykstra 2006: 80), während in Trennungsfamilien die Beziehungen eher getrennt voneinander existieren (Beckh/Walper 2002: 227; Cooney 1994: 52), weshalb sich die Kontakthäufigkeiten zwischen Mutter und Kind sowie zwischen Vater und Kind deshalb häufig deutlich voneinander unterscheiden.
3.4
Beziehungsqualität
Während die beiden in den vorigen Abschnitten vorgestellten Dimensionen intergenerationaler Beziehungen – die Wohnentfernung und die Kontakthäufig-
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Stand der Forschung
keit – inhaltlich relativ eindeutig messbar sind, stellt sich das bei der Beziehungsqualität etwas anders dar. Hinsichtlich der Beziehungsqualität liegen nicht nur vielfältige Bezeichnungen wie z.B. Beziehungsqualität, emotionale Nähe, Enge der Beziehung oder Intimität vor, sondern auch verschiedenste Varianten der Operationalisierung wie z.B. direkte Erfassungen durch eine Frage nach der Enge der Beziehung oder indirekte Messung durch Skalenbildung mit Hilfe multipler Instrumente. Im Folgenden werden die Begriffe Beziehungsqualität und emotionale Nähe synonym verwendet, wobei in der Darstellung der Ergebnisse auch auf (fehlende) Konflikte und Spannungen eingegangen wird. Zum gleichzeitigen Auftreten von Konflikten und Intimität, das als Ambivalenz bezeichnet wird, und eigentlich auch hierunter fällt, liegen keine Ergebnisse in Bezug auf Trennungs- und Stieffamilien vor. Auf die einzelnen Operationalisierungen des Konstrukts der Beziehungsqualität soll und kann aus Gründen der Übersichtlichkeit (genauso wenig wie bei den vorigen Abschnitten) nicht eingegangen werden. An dieser Stelle geht es vorrangig um die Darstellung von empirischen Ergebnissen zur Beziehungsqualität, genauer um die Frage, ob es beobachtbare Unterschiede zwischen intakten Familien, Trennungsfamilien und Stieffamilien gibt und wenn ja, wie diese aussehen. Generell zeichnen die Untersuchungen folgendes Bild: Nach einer Trennung bzw. Scheidung der Eltern leidet die Beziehungsqualität zwischen leiblichem Vater und Kind, vor allem wenn der Vater das externe Elternteil ist. Die Beziehungsqualität zur leiblichen Mutter scheint dagegen durch weitgehende Stabilität gekennzeichnet zu sein. Stiefväter erreichen nicht das Ausmaß der Beziehungsqualität von Vätern aus intakten Familien, können aber durchaus ähnlich gute Beziehungen und sogar bessere Beziehungen mit ihren Stiefkindern haben als außerhalb lebende leibliche Väter. Für Stiefmütter gilt das in gleicher Weise. Ähnlich wie bei der Wohnentfernung und der Kontakthäufigkeit kann natürlich auch bei dieser Dimension intergenerationaler Beziehungen danach unterschieden werden, wer die Angaben macht – Elternteil oder Kind, ob der Auflösung der Partnerschaft eine Trennung bzw. Scheidung oder eine Verwitwung vorausgegangen ist, ob die Eltern eine neue Partnerschaft eingegangen sind oder nicht, ob es sich bei dem jeweiligen leiblichen Elternteil um den internen oder den externen Elternteil handelt und ob es um die Mutter oder den Vater geht. Nicht zu allen genannten Kriterien liegen Ergebnisse vor. Wenn sie vorliegen, wird ausdrücklich darauf hingewiesen. Im Unterschied zu den Dimensionen Wohnentfernung und Kontakthäufigkeit ist die Messung der Beziehungsqualität zu allen Elternteilen – im Haushalt und außerhalb des Haushaltes – sowohl im Kindes- und Jugendalter als auch im Erwachsenenalter möglich.
Stand der Forschung
3.4.1
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Beziehungsqualität im Kindes- und Jugendalter
Drei US-amerikanische Untersuchungen zum Einfluss einer Trennung oder Scheidung der Eltern auf die Beziehungsqualität zu ihren Kindern sind längsschnittlich angelegt und betrachten die Entwicklung der emotionalen Nähe von Mutter, Vater und Kind in einem Vorher-Nachher-Design (Amato/Booth 1996; Scott et al. 2007; Shapiro/Lambert 1999). Die Ergebnisse von Scott et al. (2007: 1198) basieren auf der ersten (1994/1995) und dritten (2001/02) Welle der ‚National Longitudinal Study of Adolescent Health‘ (Add Health) und schließen die Angaben von 483 Jugendlichen der 7. bis 12. Klasse zu ihren getrennt lebenden Müttern und Vätern ein. Die Perspektive dieser Untersuchung ist generationenaufwärts gerichtet. Die Untersuchung von Shapiro und Lambert (1999: 400) stützt sich auf die erste (1987/88) und zweite (1992/94) Welle des ‚National Survey of Families and Households‘ (NSFH) und schließt die Angaben von 844 Vätern ein. Die Perspektive ist entsprechend generationenabwärts gerichtet. Auch Amato und Booth (1996: 258) greifen für ihre Analysen mit der einen Zeitraum von 12 Jahren (1980-1992) umfassenden Paneluntersuchung zur ehelichen Instabilität im Lebensverlauf auf die Angaben der Elterngeneration zurück, wobei sie sowohl Mütter als auch Väter in ihre Betrachtungen einbeziehen. Die Ergebnisse zur Beziehungsqualität zum ersten Messzeitpunkt, als die Partnerschaft der Eltern noch bestand, zeigen, dass Mütter und Kinder enger verbunden sind als Väter und Kinder (Scott et al. 2007: 1201). Eine Trennung oder Scheidung verschlechtert die Situation der Väter zusätzlich. Zwar distanzieren sich (entwicklungsbedingt) auch Jugendliche aus intakten Familien von ihren Vätern, der Rückzug von Jugendlichen in der Gruppe mit geschiedenen Eltern ist allerdings deutlich stärker (Scott et al. 2007: 1202). Mit ihrer Mutter hat die Mehrheit der Jugendlichen dagegen eine stabil enge Beziehung – unabhängig davon, ob sich die Eltern trennen oder nicht (siehe auch Lansford et al. 2001: 847). Bei einigen erfährt die emotionale Nähe zur Mutter sogar eine Steigerung. Eine Scheidung führt demnach zu keinen signifikanten Unterschieden in den Veränderungen der Beziehungsenge der Jugendlichen zu ihrer Mutter. Der Grund dafür könnte sein, dass die Mehrheit der Kinder nach einer Trennung der Eltern im Haushalt der Mutter verbleibt. Differenziertere Analysen von Shapiro und Lambert (1999: 403), die nach dem Aufenthaltsstatus der Kinder unterscheiden, geben einen Hinweis darauf: Geschiedene außerhalb lebende Väter berichten eine signifikant schlechtere Beziehungsqualität als Väter, die mit ihren Kindern zusammen leben – unabhängig davon, ob letztere stabil verheiratet oder geschieden sind. Geschiedene Väter, die mit ihren Kindern zusammen leben, geben wiederum eine höhere Beziehungsqualität an als stabil verheiratete Väter.
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Die Beziehungsqualität wird also nicht per se durch den Partnerschaftsstatus des Vaters oder das Zusammenleben mit dem Kind bestimmt, sondern hängt stark vom Engagement des Vaters und seine Involviertheit in die Erziehungsaufgaben ab (siehe auch MacDonald/DeMaris 2002: 132; Sobolewski/King 2005: 1205). Als Einflussvariablen auf das Ausmaß der Beziehungsqualität zwischen Vater und Kind konnten das Bildungsniveau des Vaters, das Alter des Kindes und die emotionale Nähe zur Mutter ausgemacht werden, die Trennungsdauer spielte dagegen keine Rolle (Scott et al. 2007: 1205; Shapiro/Lambert 1999: 403). Darüber hinaus wurde der Einfluss der Beziehungsqualität zum ersten Messzeitpunkt auf die Beziehungsqualität zum zweiten Messzeitpunkt untersucht: Während Amato und Booth (1996: 363) einen signifikanten negativen Zusammenhang zwischen der Partnerschaftqualität der Eltern (zum ersten Messzeitpunkt 1980), den Problemen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern (zum ersten Messzeitpunkt 1980) sowie der späteren Zuneigung zwischen Eltern und Kindern (zum zweiten Messzeitpunkt 1988) feststellen (für Väter sind die Zusammenhänge etwas stärker als für Mütter), finden Shapiro und Lambert (1999: 403) keine Unterschiede in der Beziehungsqualität zwischen Vätern und Kindern zum ersten Messzeitpunkt unter Berücksichtigung der Information, ob die Eltern sich später getrennt haben oder nicht. Sie schlussfolgern daraus, dass sich die Unterschiede zwischen getrennten und nichtgetrennten Vätern nicht auf eine schon vorher bestehende schlechtere Beziehungsqualität zurückführen lassen, sondern dass es einen ganz klaren Scheidungseffekt auf die Reduzierung der Beziehungsqualität zwischen außerhalb lebendem Vater und Kind gibt. Da auch Amato und Booth (1996: 363) einen zusätzlichen und unabhängigen Scheidungseffekt für die Väter (nicht aber für die Mütter) ausmachen konnten, widerspricht das Ergebnis, dass sich Probleme in der ElternKind-Beziehung auf die spätere emotionale Nähe zum Vater auswirken dieser Feststellung nicht unbedingt. Die Auswirkungen der Probleme im Kindesalter auf die Beziehungsqualität im jungen Erwachsenenalter stehen nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit einer Scheidung, sondern sind ein Ausdruck dafür, dass sich Schwierigkeiten in der Partnerschaft der Eltern – unabhängig von einer Trennung – negativ auf die Eltern-Kind-Beziehungen auswirken. Eine Scheidung verschärft die Situation allerdings, zumindest für die Väter. Wenn die Eltern nach einer Trennung oder Scheidung eine neue Partnerschaft eingehen und eine Stieffamilie gründen, stellt sich natürlich die Frage, inwieweit das externe leibliche und das soziale Elternteil um die Gunst des Kindes konkurrieren bzw. ob das Fehlen einer (guten) Beziehung zum leiblichen Elternteil durch eine (gute) Beziehung zum Stiefelternteil kompensiert wird (oder auch umgekehrt). Die Analysen von Beckh und Walper (2002: 216), die auf einer Zusatzuntersuchung zur dritten Welle des Familiensurvey (mit Anga-
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ben von 58 Kinder und Jugendlichen aus 43 Stieffamilien) beruhen, zeigen, dass die Beziehungen der Kinder zur leiblichen Mutter hochsignifikant enger und intensiver sind als die zum Stiefvater und die zum leiblichen Vater (siehe auch White/Gilbreth 2001: 160 sowie Sturgess/ Dunn/Davies 2001: 525). Die Angaben zur Mutter und zum Stiefvater korrelieren dabei deutlich positiv: Das heißt, es besteht weder ein Konkurrenz- noch ein Kompensationsverhältnis, sondern eine positive Beziehung zur Mutter geht auch mit einer positiven Beziehung zum Stiefvater einher (siehe auch King 2009: 962). Wird der Blick zusätzlich auf die Beziehung zum leiblichen Vater gelenkt, zeigt sich, dass Stiefväter nicht hinter den leiblichen Vätern zurückstehen (Beckh/Walper 2002: 219f.); sie haben aber auch keine stärker hervorgehobene Position. Da korrelative Zusammenhänge nur zwischen Mutter und Stiefvater existieren, werden die Beziehungen zum leiblichen Vater und zur leiblichen Mutter offensichtlich jeweils unabhängig voneinander gelebt. Auch das Verhältnis von Vater und Stiefvater scheint eigenständig gestaltet zu werden (siehe auch White/Gilbreth 2001: 164). Es besteht also auch hier weder ein Konkurrenz- noch ein Kompensationsverhältnis, sondern alles spricht dafür, dass sich die verschiedenen Beziehungen akkumulieren. Dass Stiefväter an Bedeutung verlieren, wenn die Präsenz des leiblichen Vaters größer ist, bestätigt sich anhand dieser Ergebnisse jedenfalls nicht (Beckh/Walper 2002: 226; siehe auch King 2006: 922; King 2009: 961 sowie Bzostek 2008: 957). Ein weiteres Ergebnis dieser deutschen Untersuchung ist aber auch, dass mit Stiefvätern häufiger gestritten wird als mit leiblichen Vätern (Beckh/Walper 2002: 220; siehe auch Röhr-Sendlmeier/Greubel 2004: 63). Da die Kinder das in ähnlicher Weise in Bezug auf die Mutter angeben, kann vermutet werden, dass eher das tägliche Zusammenleben zu Konflikten führt als die Familienstruktur. Eine Grundbedingung für Konflikte ist nun einmal, dass die Personen miteinander zu tun haben. Je öfter sie miteinander interagieren und je stärker sie in das Leben des Anderen involviert sind, desto größer ist natürlich auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Auseinandersetzungen kommt. Auch die Ergebnisse anderer Untersuchungen zeigen, dass Familienmitglieder öfter streiten, wenn sie in einem Haushalt zusammen leben (Umberson 1992: 670; Steinbach/Kopp 2008a: 419). Andererseits gibt es jedoch auch verschiedene Hinweise darauf, dass in Stieffamilien bzw. unter Stiefeltern und Stiefkindern tatsächlich häufiger gestritten wird, wenn man sie mit anderen Familienformen vergleicht (DeLongis/Preece 2002: 125; Lansford et al. 2001: 845). Danach berichten Kinder in Stieffamilien mehr Konflikte und beurteilen die Familiensituation häufiger als konfliktgeladen als in Kernfamilien. Darüber hinaus geben sie ein geringeres Ausmaß an familialer Zusammengehörigkeit und an familialem Zusammenhalt an (Wilk 2002a: 251).
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Betrachtet man nun aus Perspektive der Eltern die Beziehungsqualität von leiblichen und sozialen Elternteilen mit ihren (Stief-)Kindern ergibt sich folgendes Bild (DeLongis/Preece 2002: 125): Leibliche Mütter und leibliche Väter fühlen sich mit ihren Kindern enger verbunden als Stiefmütter und Stiefväter mit ihren Stiefkindern. Da diese kanadische Untersuchung von 154 wiederverheirateten Paaren mit mindestens einem Kind aus einer früheren Partnerschaft zwischen 2 und 20 Jahren auf zwei Messzeitpunkte (mit einem Zeitintervall von 20 Monaten) zurückgreift, ist es möglich, die Entwicklung von emotionaler Nähe und von Spannungen zu beobachten. Hinsichtlich der Wahrnehmung von Spannungen geben (Stief-)Väter keinen Unterschied zwischen leiblichen und sozialen Kindern zum ersten Messzeitpunkt an, aber es zeigt sich eine leichte Tendenz der Abnahme von Spannungen mit den eigenen leiblichen Kindern zum zweiten Messzeitpunkt. (Stief-)Mütter berichten dagegen zu beiden Messzeitpunkten signifikant weniger Spannungen mit eigenen leiblichen Kindern als mit Stiefkindern. Die Untersuchung der Entwicklung von emotionaler Nähe und Konflikten in Stieffamilien ergibt, dass sich Stiefväter von ihren Stiefkindern emotional zurückziehen, wenn die leiblichen Mütter Konfrontation (Mütter interagieren mit ihren Kindern in aggressiver und konfrontativer Art und Weise) als Bewältigungsstrategie für familialen Stress einsetzen. Dieser Rückzug führt nicht nur zu einer Abnahme der emotionalen Nähe zu ihren Stiefkindern, sondern auch zu einem Anstieg an Konflikten mit ihnen (DeLongis/Preece 2002: 129f.). Betrachtet man nun die Bewältigungsstrategien der getrennten leiblichen Väter, zeigt sich ein generelles Muster des Rückzugs. Der Rückzug von Vätern verringert allerdings die emotionale Nähe zwischen Stiefmüttern und Stiefkindern und erhöht die Spannungen zwischen leiblichen (außerhalb lebenden) Müttern und ihren Kindern (DeLongis/Preece 2002: 132). Zusammenfassend stellen DeLongis und Preece (2002: 135) fest: „This study suggests that an ability to avoid aggressive and hostile ways of handling conflict, a willingness to remain engaged and open, and a commitment to the promotion of a cooperative environment, are essential parental qualities for the creation of a well-functioning stepfamily unit”. Auch für den US-amerikanischen Kontext liegen zwei Untersuchungen vor, welche die Beziehungsqualität von leiblichen und sozialen Eltern gleichzeitig in den Blick nehmen. King (2006, 2007) hat mit der ersten Welle (1995) der ‚Add Health‘-Studie die Enge der Beziehungen zu verschiedenen Elternteilen in Stieffamilien untersucht. In ihrem ersten Beitrag (King 2006) analysiert sie die Angaben von 1.149 Jugendlichen, die mit ihrer leiblichen Mutter und einem Stiefvater zusammen leben und einen außerhalb lebenden leiblichen Vater haben. In ihrem zweiten Beitrag wendet sich King (2007) dann den 294 Jugendlichen zu, die mit einem leiblichen Vater und einer Stiefmutter in einem Haushalt
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leben und eine externe leibliche Mutter besitzen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Jugendlichen am engsten mit ihrem internen leiblichen Elternteil verbunden fühlen, danach folgt das interne Stiefelternteil und dann erst das externe leibliche Elternteil (King 2006: 919; King 2007: 1185). Diese Ergebnisse unterstützen die Aufenthaltsthese, die besagt, dass sich die Kinder den Elternteilen am engsten verbunden fühlen, mit denen sie überwiegend zusammen leben. Bei Kontrolle der Kontakthäufigkeit mit dem externen Elternteil bleiben die Unterschiede zwischen Stiefvätern und leiblichen Vätern zwar bestehen, aber die Unterschiede in der Enge der Beziehungen zwischen Stiefmüttern und Müttern gleichen sich soweit an, dass sie ihre Signifikanz verlieren. Das scheint wiederum ein Zeichen für die Unterstützung der Akkumulationshypothese zu sein: So lange zumindest ein gewisses Ausmaß an Kontakt besteht, können externe Mütter eine gute Beziehung zu ihrem Kind aufrecht erhalten und das auch neben einer guten Stiefmutter-Stiefkind-Beziehung. Externen Vätern gelingt das offensichtlich weniger gut, obwohl sich auch bei ihnen die Beziehungsqualität mit der Kontakthäufigkeit erhöht (Smith 2004: 33; Sobolewski/King 2005: 1203). Jugendliche mit zwei Müttern haben jedenfalls mit höherer Wahrscheinlichkeit eine enge Beziehung zu beiden Müttern (38%) als Jugendliche mit zwei Vätern (25%) (King 2006: 919; King 2007: 1186). Alle Untersuchungen zur Beziehungsqualität, die mehrere Beziehungen gleichzeitig betrachten, kommen zu dem Ergebnis, dass die Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder eng miteinander verbunden sind (King 2006: 921; King 2007: 1187; MacDonald/DeMaris 2002: 128; Smith 2004: 34; Wilk 2002a: 282): So haben Kinder in Stiefvaterfamilien, die eine enge Beziehung zu beiden Vätern pflegen beispielweise auch eine engere Beziehung zu ihrer Mutter. Darüber hinaus geben die Mütter in solchen Familien wiederum eine größere Zufriedenheit mit ihrer Partnerschaft an. Umgekehrt führen Probleme und Spannungen zwischen zwei Mitgliedern der Familie oft auch zur Verschlechterung der Beziehungen anderer Familienmitglieder. Bezüglich der Prädiktoren für die Beziehungsqualität zwischen minderjährigen Kindern und Eltern in Stieffamilien zeigen die Ergebnisse, dass eine Wiederverheiratung der leiblichen Mutter mit dem Stiefvater nur begrenzt Einfluss auf die Beziehung zum Stiefvater und keinen Einfluss auf die Qualität der Beziehung zum leiblichen Vater hat (Beckh/Walper 2002: 228). Nicht-eheliche Stiefväter sind für Stiefkinder also mindestens ebenso bedeutsam, wie Stiefväter, die mit der Mutter verheiratet sind. Unterstrichen wird dies durch Befunde zur Bedeutung des Erziehungsverhaltens der leiblichen und sozialen Eltern: Bei Einbezug verschiedener Prädiktoren für die Qualität der Beziehung sind es vor allem die Zuwendung zu und die mit den Kindern, die wichtig zu sein scheinen. Die Dauer der Trennung bzw. Dauer seit Gründung der Stieffamilie haben sich
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in Stiefvaterfamilien als positiv für die emotionale Nähe zwischen Stiefvater und Stiefkind herausgestellt (King 2006: 921), in Stiefmutterfamilien dagegen als negativ für die Enge zur externen Mutter (King 2007: 1186). Keinen Einfluss hat in Stiefvater- wie in Stiefmutterfamilien das Bildungsniveau des (Stief)Vaters (King 2007: 1186; MacDonald/DeMaris 2002: 128). Das Geschlecht des Kindes spielt in verschiedenen Konstellationen unterschiedliche Rollen: In Stiefvaterfamilien haben Jungen eher einen enge Beziehung zu beiden Vätern oder zum externen Vater (King 2006: 922). Mädchen haben dagegen eher ausschließlich eine enge Beziehung zu ihrem Stiefvater oder aber zu keinem der beiden Väter. In Stiefmutterfamilien berichten Jungen und Mädchen ein ähnliches Ausmaß an Enge zu ihrer externen Mutter (King 2007: 1186). Der Stiefmutter fühlen sich Jungen weniger eng verbunden als Mädchen, wohingegen die Jungen dem (internen) Vater emotional näher sind (King 2007: 1187). Bei den Kindervariablen spielt darüber hinaus das Alter der Kinder für die Beziehungsqualität in Stiefvaterfamilien eine Rolle: Hier zeigt sich einerseits, dass jüngere Kinder eher eine enge Beziehungen zu beiden Vätern als zu nur einem oder keinem haben (King 2006: 922), aber andererseits zeigt sich auch, dass die Beziehungsqualität zwischen Stiefkind und Stiefvater umso schlechter ist, je älter die Kinder bei der Gründung einer Stieffamilie sind (Braithwaite et al. 2001: 243; MacDonald/DeMaris 2002: 128). Betrachtet man die familiale Einheit auf der Haushaltsebene kann man zusammenfassend sagen, dass sich – unabhängig vom Familientyp – leibliche Eltern ihren minderjährigen Kindern näher fühlen als soziale Eltern und umgekehrt. Die Ergebnisse verschiedener Studien zur Beziehungsqualität in primären Stieffamilien legen nahe, dass es vor allem die fehlende biologische Verbundenheit ist, die den Aufbau einer positiven Stiefeltern-Kind-Beziehung erschwert (Henderson/Taylor 1999: 97; Sturgess/Dunn/Davies 2001: 528). Drei längsschnittliche Studien zu Scheidung und Wiederheirat zeigen zum Beispiel, dass unabhängig davon, wie lange eine Stieffamilie schon besteht, die Kinder eine größere emotionale Nähe gegenüber ihren leiblichen internen Elternteilen empfinden als gegenüber ihren Stiefelternteilen (Hetherington/Jodl 1994: 64). Erweitert man den Blick jedoch über die Haushaltsgrenzen hinaus und bezieht den externen leiblichen Elternteil in die Analysen mit ein, zeigt sich schnell, dass die Beziehungsqualität der Kinder zu ihrem Stiefelternteil durchaus mit der zu ihrem externen Elternteil mithalten kann (King 2006, 2007). Gerade Kinder mit einer guten Beziehung zum Stiefelternteil haben oft auch eine gute Beziehung zum außerhalb lebenden Elternteil und umgekehrt.
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3.4.2
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Beziehungsqualität im Erwachsenenalter
Die Ergebnisse zur Beziehungsqualität zwischen erwachsenen Kindern und ihren getrennten bzw. geschiedenen Eltern bestätigen die Ergebnisse, die sich schon im Kindesalter herauskristallisiert haben: Die Beziehungsqualität zwischen erwachsenen Kindern und ihren leiblichen Eltern ist in Trennungsfamilien deutlich schlechter als in strukturell intakten Familien (Daatland 2007: 816; Lye et al. 1995: 267; Nakonezny/Rodgers/Nussbaum 2003: 1162; Umberson 1992: 670; Webster/Herzog 1995: S28; Wethington/Kamp Dush 2007: 144; White 1994a: 940). Dies gilt für (ehemals) externe ebenso wie für (ehemals) interne Elternteile, aber insbesondere für das Elternteil, das nach der Trennung nicht überwiegend mit dem Kind zusammen gelebt hat. Da das in den meisten Fällen der Vater ist, leidet die emotionale Nähe zwischen erwachsenen Kindern und Vätern in besonderem Maße unter einer elterlichen Trennung (Aquilino 1994a: 305; Cooney 1994: 51; Lawton/Silverstein/Bengtson 1994: 62; Lye et al. 1995: 269; Webster/Herzog 1995: S28). Die Ergebnisse zum Einfluss einer ‚späten‘ Scheidung der Eltern auf die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung, also einer Trennung, wenn die Kinder bereits volljährig und somit bei beiden leiblichen Eltern aufgewachsen sind, zeigen, dass auch hier die emotionale Nähe zwischen Kindern und Vätern besonders stark leidet (Aquilino 1994b: 913; Cooney 1994: 51). Im Gegensatz zu Trennung und Scheidung spielt die Verwitwung eines Elternteils eine deutlich geringere bis gar keine Rolle für das Ausmaß der Beziehungsqualität zwischen erwachsenen Kindern und dem überlebenden Elternteil (Lye et al. 1995: 267). Wenn überhaupt ist auch hier ein negativer Einfluss auf die Beziehungsqualität zum Vater zu beobachten (Aquilino 1994b: 914). Der Tod der Mutter führt demnach zu einer Zunahme der Entfremdung der jungen Erwachsenen von ihren Vätern. Das Zusammenleben von Eltern und Kindern in einem Haushalt, so lange die Kinder minderjährig sind, scheint per se kein Garant für eine langfristig zufriedenstellende, gute emotionale Beziehung zu sein. Dies zeigen auch die Ergebnisse verschiedener US-amerikanischer Untersuchungen, die sich mit der Frage des Einflusses der Partnerschaftsqualität der Eltern auf die Eltern-Kind-Beziehung beschäftigt haben (Booth/Amato 1994; Cooney 1994; Webster/Herzog 1995). Booth und Amato (1994: 24) greifen für ihre Analysen auf eine Panelstudie mit dem Titel ‚Marital Instability Over the Life Course‘ zurück, die zu vier Messzeitpunkten zwischen 1980 und 1992 die Beziehungen zwischen Elternpaaren und jeweils einem (Ziel-)Kind erfasst. Die in die Analysen einbezogenen Angaben zur ehelichen Qualität stammen aus dem Jahr 1980 und wurden von den Eltern gegeben. Die Angaben zur emotionalen Nähe stammen dagegen aus dem Jahr 1992 von den (dann) volljährigen
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Kindern. Das Hauptergebnis von Booth und Amato (1994: 26f.) lässt sich folgendermaßen zusammen fassen: Die Qualität der elterlichen Ehe (wenn die Kinder minderjährig sind) hat einen positiven Einfluss auf das Ausmaß der emotionalen Nähe zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern. Je höher also die wahrgenommene Ehequalität der Eltern (1980), desto besser auch die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung (1992). Je geringer dagegen die Ehequalität, desto schlechter auch die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung (siehe auch Cooney 1994: 51). Eine elterliche Scheidung hat nun einen zusätzlichen negativen Effekt auf die emotionale Nähe zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern, der aber nur für die Väter signifikant ist (Webster/Herzog 1995: S30f.). Das heißt, eine geringe Ehequalität führt zu einer geringeren emotionalen Nähe zwischen Eltern und Kindern, unabhängig davon, ob sich die Eltern scheiden lassen oder nicht. Die Scheidung vermittelt zwar ein gewisses Ausmaß der Varianz, aber nicht den gesamten Zusammenhang zwischen der Ehequalität der Eltern und der emotionalen Beziehungsenge zwischen ihnen und ihren erwachsenen Kindern. Als Grund geben Booth und Amato (1994: 29) Unterschiede im elterlichen Erziehungsverhalten von Paaren mit besserer oder schlechterer Beziehungsqualität an. Vor allem das Ausmaß der Unterstützung von Eltern während der Jugendzeit vermittelt einen großen Teil des Effektes der elterlichen Konflikte und der Scheidung auf die emotionale Nähe von Eltern und Kindern im jungen Erwachsenenalter. Die Frage ist nun, ob sich das Eingehen einer neuen Partnerschaft (zumeist gemessen als Wiederverheiratung) auf die Beziehungsqualität zwischen Eltern und Kindern auswirkt. Die Ergebnisse aus dem US-amerikanischen Kontext, die auf Auswertungen des ‚National Survey of Families and Households‘ (NSFH) beruhen, zeigen, dass sich eine neue Partnerschaft der Mutter nicht zusätzlich belastend auf die emotionale Beziehung zu ihrem erwachsenen Kind auswirkt (Aquilino 1994a: 306). Sowohl junge Erwachsene (19 bis 34 Jahre) von alleinstehenden als auch von wieder verheirateten Müttern, bei denen sie überwiegend aufgewachsen sind, berichten nur eine etwas geringere Beziehungsqualität im Vergleich zu jungen Erwachsenen aus strukturell intakten Familien. Darüber hinaus konnte Aquilino (1994a: 306) auch keinen Einfluss einer Wiederverheiratung der Mutter auf die Beziehungsqualität des erwachsenen Kindes zum (während der Kindheit außerhalb lebenden) Vater feststellen. Die Beziehungen zu leiblichen Müttern und leiblichen Vätern werden durch eine Wiederheirat der sorgeberechtigten Mutter also nicht beeinflusst (White 1994a: 944).56 Auch 56
Lye et al. (1995: 269) kommen (ebenfalls unter Rückgriff auf die erste Welle des NSFH) zu anderen Ergebnissen: Sie finden anhand ihrer Analysen Anhaltpunkte dafür, dass eine Wiederheirat für (vormals) interne Elternteile einen positiven Effekt auf die Eltern-Kind-Beziehung
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wenn die Kinder beim Vater aufwachsen und dieser eine neue Partnerschaft eingeht, hat dies keinen negativen Einfluss auf die Beziehungsqualität zwischen ihm und seinen Kindern. Es zeigt sich dann aber ein signifikant negativer Effekt für die Beziehungsqualität des erwachsenen Kindes zur (während der Kindheit außerhalb lebenden) Mutter (Aquilino 1994a: 306; White 1994a: 944). Die Präsenz einer Stiefmutter, mit der die Kinder zusammen gelebt haben, hat in diesem Fall offensichtlich einen starken negativen Einfluss auf die spätere emotionale Beziehung zwischen erwachsenen Kindern und ihrer leiblichen Mutter. Findet die Scheidung der Eltern allerdings erst statt, wenn die Kinder bereits volljährig sind, leidet vor allem die Beziehungsqualität von Söhnen und Eltern unter einer Wiederheirat (Cooney/Hutchinson/ Leather 1995: 159). Geht die Mutter eine neue Ehe ein, verschlechtert sich sowohl die Beziehung zur leiblichen Mutter als auch zum leiblichen Vater. Heiratet dagegen der Vater erneut, verringert sich die Beziehungsqualität zu ihm während die Beziehung zur Mutter sogar gestärkt wird. Die einzige Untersuchung, die Stiefeltern direkt in den Blick nimmt, zeigt anhand der Daten der ersten Welle des NSFH, dass die Beziehungsqualität zu Stiefkindern generell geringer ausfällt als zu leiblichen Kindern und dass Stiefmütter wiederum eine geringere emotionale Nähe zu ihren Stiefkindern empfinden als Stiefväter (Ward/Spitze/Deane 2009: 168). In Bezug auf die Beziehungsqualität zwischen erwachsenen Kindern und ihren getrennten Eltern konnten in den Untersuchungen verschiedene Einflussfaktoren ausgemacht werden: Dem Geschlecht des Elternteils kommt nach allen Untersuchungen eine besondere Bedeutung zu. Die Beziehungsqualität von erwachsenen Kindern mit Müttern ist demnach deutlich besser als die mit Vätern (Lye et al. 1995: 269). Das scheint wohl aber vor allem daran zu liegen, dass nach einer Trennung die Kinder überwiegend bei der Mutter verbleiben und dass die Beziehungsqualität zum internen Elternteil generell besser ist, was sich über die Dauer der Beziehung bis ins Erwachsenenalter hinein stabilisiert. hat. Genauer, dass die Beziehungsqualität zwischen erwachsenen Kindern und ihren (ehemals) sorgeberechtigten Eltern (in der absoluten Mehrheit Mütter) höher ist, wenn diese wieder heiraten als wenn diese nicht wieder heiraten. Darüber hinaus scheint sich eine Wiederheirat negativ auf die Beziehungsqualität zum (früher) außerhalb lebenden Elternteil auszuwirken. Ein Grund für die unterschiedlichen Ergebnisse könnte sein, dass Aquilino (1994a: 300) seine Analysen auf Personen im Alter von 19 bis 34 Jahre beschränkt, während Lye et al. (1995: 264) Personen jedes Alters einbeziehen. Da aber White (1994a: 938) auch keine Altersbeschränkung vornimmt, ist dies unwahrscheinlich. Die Untersuchung von Lye et al. (1995: 264f.) unterscheidet sich allerdings in drei weiteren Punkten in der Untersuchungsanlage von den beiden anderen: Erstens beziehen sie nur ‚whites‘ in ihre Analyse ein, zweitens treffen sie eine zufällige Auswahl der Elternteile (um eine Unabhängigkeit der Beobachtungen zu garantieren) und drittens setzen sie keine Gewichtung ein. Es ist zwar zu vermuten, muss an dieser Stelle allerdings Spekulation bleiben, dass die verschiedenen Vorgehensweisen der Autoren, Grund für die unterschiedlichen Ergebnisse mit ein und demselben Datensatz sind.
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Zum Geschlecht des Kindes liegen wieder unterschiedliche Ergebnisse vor: Während Lye et al. (1995: 269) keinen Unterschied zwischen Söhnen und Töchtern in der Beziehungsqualität zwischen erwachsenen Kindern und Eltern feststellen konnten, zeigen andere Untersuchungen, dass gegengeschlechtliche Eltern-Kind-Dyaden, insbesondere aber die Vater-Tochter-Dyade, durch eine Verringerung der Beziehungsqualität in Folge einer Scheidung oder auch Verwitwung betroffen sind (Aquilino 1994b: 915; Booth/Amato 1994: 28; Cooney 1994: 51). Das Alter der Kinder bei der Scheidung wirkt sich vor allem positiv auf die spätere Beziehungsqualität zu dem Elternteil aus, bei dem das Kind, so lange es minderjährig war, nicht überwiegend gelebt hat (Aquilino 1994a: 307; Booth/Amato 1994: 30). Je älter die Kinder bei einer Trennung der Eltern sind, desto besser ist die Beziehungsqualität im Erwachsenenalter mit dem (ehemals) externen Elternteil bzw. je jünger sie sind, desto schlechter ist diese (Lye et al. 1995: 271). Je länger die Kinder mit diesem Elternteil zusammen gelebt haben, desto größer also die emotionale Nähe in der späteren Beziehung. Keinen Einfluss hat die Dauer des Zusammenlebens dagegen auf die emotionale Nähe zum (ehemals) internen Elternteil (Lye et al. 1995: 270). Der enge Zusammenhang der Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder zeigt sich (wie bei den Ergebnissen zum Kindes- und Jugendalter) auch im Erwachsenenalter (Booth/Amato 1994: 28): Wenn die Eltern eine harmonische Ehe führen, ist es für die Kinder offensichtlich einfacher, zu beiden eine emotional enge Beziehung zu pflegen. Wenn die Eltern dagegen Probleme in ihrer Ehe haben, tendieren die erwachsenen Kinder dazu, einem der beiden Elternteile emotional besonders nah zu sein. Die Beziehungsqualität zum jeweils anderen Elternteil kann darunter schwer leiden. Stehen sich die Eltern also nicht nur räumlich sondern auch emotional sehr nah, hängen die Eltern-Kind-Beziehungen zusammen. Das heißt, die Mutter-Kind- und die Vater-Kind-Beziehung sind sich sehr ähnlich. Wenn die Eltern Konflikte haben und/oder sich scheiden lassen, ist dieser Zusammenhang deutlich schlechter oder gar nicht vorhanden. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Untersuchungen zur Beziehungsqualität im Erwachsenenalter inzwischen ein relativ differenziertes Bild zum Einfluss von Trennung bzw. Scheidung und Wiederheirat auf die emotionale Nähe zwischen erwachsenen Kindern und ihren leiblichen Eltern zeichnen. Ergebnisse in Bezug auf soziale Eltern, also Stiefmütter und Stiefväter, fehlen hingegen mehr oder weniger völlig. Inwieweit Stiefeltern also bei erwachsenen Stiefkindern den Platz einer wichtigen Bezugsperson neben den leiblichen Eltern einnehmen, ob die Beziehungen zwischen den beiden gleichgeschlechtlichen Elternteilen durch Konkurrenz- oder Kompensationsverhältnisse geprägt sind oder ob (wie im Kindesalter) eher Akkumulationseffekte zu beobachten sind, kann mit dem derzeitigen Stand der Forschung nicht gesagt werden. Wäh-
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rend zur Wohnentfernung und zur Kontakthäufigkeit zwischen erwachsenen Kindern und Stiefeltern schon relativ umfangreiche Ergebnisse vorliegen, weiß man über die Beziehungsqualität von Erwachsenen in diesen Familienkonstellationen (ähnlich übrigens wie bei strukturell intakten Familien) eigentlich nichts. Das ist bedauerlich, denn der nächste Abschnitt zur Zustimmung zu familialen Normen und Werten in verschiedenen Familienformen wird zeigen, dass vor allem die emotionale Nähe zwischen Stiefeltern und Stiefkindern das Ausmaß der Wahrnehmung gegenseitiger intergenerationaler Verpflichtungen bedingt, da hier oft ein verwandtschaftlicher Bezugsrahmen fehlt.
3.5
Die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen
Ebenso wie zur intergenerationalen Dimension der Wohnentfernung liegen auch zur Wahrnehmung gegenseitiger familialer Verpflichtungen keine Ergebnisse zum Kindesalter vor. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen hinsichtlich tatsächlich geleisteter gegenseitiger Unterstützung nur im Erwachsenenalter eine Rolle spielt. Zum anderen liegt es aber auch an den fehlenden Daten, wobei es im Prinzip natürlich genauso möglich wäre, Stiefeltern nach ihren Erwartungen an erwachsene Stiefkinder zu fragen, wenn diese noch minderjährig sind und umgekehrt. Weiterhin können sich leibliche und soziale Eltern auch darin unterscheiden, inwiefern sie bereit sind, schon minderjährige (Stief-)Kinder finanziell oder emotional zu unterstützen. Wie aus diesen Ausführungen bereits deutlich geworden ist, muss bei der Darstellung der Ergebnisse zur Wahrnehmung familialer Verpflichtungen ebenfalls danach unterschieden werden, wer die jeweiligen Angaben macht, also ob die Perspektive generationenabwärts oder generationenaufwärts gerichtet ist. Ebenso kann es eine Rolle spielen, ob die Auflösung der Partnerschaft der Eltern auf Grund einer Trennung bzw. Scheidung erfolgte oder weil ein Elternteil verstorben ist. Wenn ein leibliches Elternteil nach einer Trennung eine neue Partnerschaft eingeht, stehen leibliches und soziales Elternteil des gleichen Geschlechts möglicherweise in Konkurrenz um die Unterstützung des Kindes. Das erwachsene Kind könnte sich dann entweder dem leiblichen oder dem Stiefelternteil verpflichtet fühlen. Zusätzlich kann es – wie bei den anderen Dimensionen der Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen auch – bei der Wahrnehmung familialer Verpflichtungen darauf ankommen, bei wem das Kind aufgewachsen ist und ob es sich um die Mutter oder den Vater handelt. Insofern Ergebnisse unter Berücksichtigung dieser verschiedenen Kriterien vorliegen, wird im Folgenden ausdrücklich darauf hingewiesen. Will man die Ergebnisse
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kurz zusammen fassen, dann könnte man sagen, dass die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen gegenüber leiblichen Eltern und Kindern deutlich über der von Stiefeltern und Stiefkindern liegt. Beginnt man bei der Betrachtung des Einflusses der Familienstruktur auf die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen gegenüber Eltern und erwachsenen Kindern bei der elterlichen Trennung bzw. Scheidung zeigt sich, dass eine Scheidung keinen signifikanten Einfluss auf die Überzeugungen der erwachsenen Kinder hat, in welchem Ausmaß Eltern ihre Kinder unterstützen sollten (Aquilino 1994b: 918). Sie hat auch keinen Einfluss auf die Einstellung der erwachsenen Kinder zur Frage, ob sie ihre Eltern bei sich wohnen lassen sollten. Aber erwachsene Kinder geschiedener Eltern fühlen sich signifikant seltener verpflichtet, ihre Eltern finanziell zu unterstützen, als erwachsene Kinder aus strukturell intakten Familien. Gegenüber einem verwitweten Elternteil ist die Wahrnehmung zur Pflicht der finanziellen Unterstützung von Eltern dagegen sogar größer. Obwohl die Befragten in einer Untersuchung von Coleman et al. (2005: 10) der Aussage zustimmten, dass ein erwachsenes Kind nach einer elterlichen Trennung das (vormals) außerhalb lebende Elternteil unterstützen sollte, ist die Zustimmung größer, wenn zwischen dem Kind und dem Elternteil ein regelmäßiger Kontakt besteht und wenn das Elternteil die Mutter ist. Das Geschlecht des Kindes hat dagegen keinen Einfluss. Die Angaben der Kinder aus Scheidungsfamilien spiegeln sich auch in den Angaben der geschiedenen Väter wider, die in Notfällen von ihren erwachsenen Kindern deutlich seltener Unterstützung erwarten als Väter aus strukturell intakten Familien (Cooney/Uhlenberg 1990: 682; siehe auch Daatland 2007: 816). Dass Väter nach einer elterlichen Trennung öfter das außerhalb lebende Elternteil sind, und dass sie relativ wenig Kontakt zu ihren Kindern aus einer früheren Beziehung haben, ist aus den (bereits beschriebenen) Befunden zur Wohnentfernung und zur Kontakthäufigkeit bekannt. Hier wird nun deutlich, dass darunter nicht nur die emotionale Nähe leidet, sondern auch die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen, die erwachsene Kinder aus Trennungsfamilien gegenüber ihren Vätern haben. Erweitert man die Perspektive auf neue Partner der Eltern, stellt sich die Frage, inwieweit sich die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen gegenüber leiblichen und sozialen Eltern bzw. gegenüber leiblichen und sozialen Kindern unterscheidet. Mit dieser Frage haben sich im US-amerikanischen Kontext vor allem Lawrence Ganong und Marilyn Coleman ausführlich beschäftigt, die seit mehr als 20 Jahren zum Thema Stieffamilie forschen (Clawson/Ganong 2002; Coleman et al. 2005; Ganong/Coleman 1999, 2006; Ganong et al. 1998). Sie haben dabei sowohl qualitative (Clawson/Ganong 2002) als auch quantitative (Ganong/Coleman 2006) Verfahren verwendet. Zur Erfassung der unterschiedlichen Wahrnehmungen familialer Verpflichtungen gegenüber Stiefeltern und
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Stiefkindern im Vergleich zu leiblichen Eltern und leiblichen Kindern setzten sie jeweils Vignetten ein, mit deren Hilfe sie verschiedene Szenarien an Bedürftigkeiten von (Stief-)Eltern und (Stief-)Kindern entwarfen. Die Befragten wurden dann gebeten, anzugeben, in welchem Ausmaß sie zustimmen, dass eine bestimmte Person (z.B. eine Stieftochter) einer anderen Person (z.B. einem Stiefvater) mit einer bestimmten Handlung (z.B. Einkaufen oder Pflege nach einem Unfall) helfen sollte. In einem letzten Schritt mussten die Probanden dann jeweils noch (offen) begründen, warum sie der Meinung sind, dass ein (Stief-)Kind oder ein (Stief-)Elternteil eine Verpflichtung zur Unterstützung besitzt oder eben nicht. Die Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammen fassen: Die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen gegenüber leiblichen Eltern ist deutlich größer als gegenüber sozialen Eltern (Coleman et al. 2005: 18). Von erwachsenen Kindern wird in einem stärken Ausmaß erwartet, dass sie ihre leiblichen Mütter und Väter unterstützen als Stiefmütter und Stiefväter. Das gilt für eher kleinere Hilfen wie Einkäufe, Reparaturen oder Fahrdienste (Ganong/Coleman 2006: S84; Ganong et al. 1998: 600) als auch für größere Hilfen in Form gesundheitlicher Pflege (Ganong/Coleman 2006: S86; Ganong et al. 1998: 604). Trotzdem lassen sich Unterschiede je nach Unterstützungsart ausmachen (Clawson/Ganong 2002: 67): Am ehesten wird von Stiefkindern die Erbringung emotionaler Unterstützung gegenüber ihren Stiefeltern (Besuche, Familienaktivitäten, etc.) erwartet. Die Pflicht zur instrumentellen Unterstützung (Einkaufen, Reparaturen, etc.) erfährt etwas weniger Zustimmung. Finanzielle Unterstützung sowie gesundheitliche Pflege, die größere Anstrengungen erfordert und relativ zeitintensiv ist, wird von Stiefkindern dagegen nicht erwartet. Die Antwort auf die Frage, wie sich Stiefkinder verhalten sollten, wenn sie zwischen der Unterstützung eines leiblichen und eines sozialen Elternteils entscheiden müssen, beantworten die Befragten folgendermaßen (Coleman et al. 2005: 14): Die Mehrheit denkt, dass ein erwachsenes Kind beide Elternteile unterstützen sollten, also z.B. sowohl den Vater als auch den Stiefvater. Die Kontakthäufigkeit und das Geschlecht des Kindes spielt keine Rolle für diese Einschätzung. Das Geschlecht des Elternteils schon: Während es bei zwei Vätern keinen Unterschied macht, finden die Befragten bei zwei Müttern, dass eher der leiblichen Mutter geholfen werden sollte. Hier zeigt sich wieder die besonders schwierige Stellung, die Stiefmütter im familialen Gefüge einnehmen. In ihren verschiedenen Untersuchungen versuchten Ganong, Coleman und Kollegen, sowohl die Kontextvariablen als auch die Gründe zu ermitteln, welche die Wahrnehmungen familialer Verpflichtungen in Stieffamilien mit erwachsenen Stiefkindern beeinflussen.
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Ein erstes Ergebnis ist, dass sowohl die Wohnentfernung als auch die Kontakthäufigkeit einen Einfluss auf die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen haben. Je näher Stiefeltern und Stiefkinder beieinander wohnen und je öfter sie Kontakt haben, desto größer ist auch die Wahrnehmung gegenseitiger familialer Verpflichtungen (Coleman et al. 2005: 18; Clawson/Ganong 2002: 58ff.). Andere konkurrierende Verpflichtungen der erwachsenen Stiefkinder, zum Beispiel gegenüber dem Partner oder der Partnerin und den eigenen Kindern, aber auch eine Berufstätigkeit, schränken die Möglichkeiten der Stiefkinder ein, ihre Stiefeltern zu unterstützen. Die den erwachsenen Stiefkindern zur Verfügung stehenden Ressourcen beeinflussen einerseits, was ihnen möglich ist, andererseits aber auch, was sie bereit sind zu tun, also inwieweit sie familiale Verpflichtungen gegenüber ihren Stiefeltern wahrnehmen (Ganong et al. 1998: 605). Die Stiefeltern selbst sehen diese konkurrierenden Verpflichtungen auch und sind – ähnlich wie die Stiefkinder – der Meinung, dass die erwachsenen Stiefkinder unter solchen Umständen weniger zu intergenerationalen Hilfeleistungen verpflichtet sind (Clawson/Ganong 2002: 59; Ganong et al. 1998: 605). Wenn Stiefeltern eigene leibliche oder adoptierte Kinder haben, dann erwarten sowohl die erwachsenen Stiefkinder als auch die Stiefeltern, dass diese vorrangig intergenerationale Unterstützungsleistungen gewähren sollten (Clawson/Ganong 2002: 60; Ganong/Coleman 2006: S86). Eine beträchtliche Zahl an Befragten verweist auf Normen familialer Verpflichtungen, wenn sie erwachsenen Stiefkindern eine Verantwortung zur Unterstützung ihrer Stiefeltern zuschreiben. Je stärker die Stiefbeziehung als Familienbeziehung wahrgenommen wird, desto stärker wird auch hier auf Normen allgemeiner familialer Verpflichtungen zurückgegriffen (Clawson/Ganong 2002: 61; Ganong/Coleman 2006: S84; Ganong et al. 1998: 604). Die Wahrnehmung der Stiefbeziehung als Familienbeziehung ist dabei nicht kategorial als ein ‚ja‘ oder ein ‚nein‘ zu verstehen, sondern folgt einem Gradienten, der Stiefeltern als ‚mehr oder weniger‘ vollständige Familienmitglieder ausweist. Stiefeltern werden zum Beispiel eher als Familienmitglieder wahrgenommen, wenn sie beim Aufziehen des nun erwachsenen Stiefkindes geholfen haben und wenn sich Stiefgroßeltern und Stiefenkelkinder nahe stehen (Clawson/Ganong 2002: 61). Sie werden des Weiteren auch eher als Familienmitglieder angesehen, wenn die neue Ehe des leiblichen Elternteils von den Stiefkindern positiv gesehen wird (Clawson/Ganong 2002: 62) und wenn die Beziehung schon lange besteht (Ganong/Coleman 2006: S86). Weiterhin bezieht sich der Rückgriff auf familiale Normen für eine Begründung, Stiefeltern zu unterstützen, auch auf das leibliche Elternteil: Da eine Verpflichtung wahrgenommen wird, leibliche Eltern zu unterstützen, und das Stiefelternteil mit einem leiblichen Elternteil verheiratet ist, unterstützt man deshalb auch das Stiefelternteil. Die Verpflichtung gegenü-
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ber dem Stiefelternteil gründet also auf der Liebe und dem Respekt gegenüber dem leiblichen Elternteil (Ganong et al. 1998: 604). Wenn das leibliche Elternteil verstirbt, sehen die Befragten allerdings keine familiale Verpflichtungen mehr, ein Stiefelternteil zu unterstützen (Ganong/Coleman 2006: S86). In Bezug auf Stiefeltern wurde des Weiteren oft auf allgemeine moralische Vorstellungen zurückgegriffen, die besagen, dass man ältere Personen und somit auch Stiefeltern eben unterstützt, wenn sie hilfebedürftig sind (Ganong/Coleman 2006: S85; Ganong et al. 1998: 604). Immerhin etwa die Hälfte der erwachsenen Stiefkinder nennt allgemeine moralische Vorstellungen als Grund für Verpflichtungsgefühle gegenüber ihren Stiefeltern (Clawson/Ganong 2002: 60). Obwohl Reziprozität als Grund für die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen in Bezug auf leibliche Eltern öfter genannt wurde als in Bezug auf Stiefeltern (Ganong/Coleman 2006: S85; Ganong et al. 1998: 604), so scheint die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen gegenüber Stiefeltern davon abzuhängen, ob die erwachsenen Stiefkinder denken, dass sie den Stiefeltern etwas zurück zahlen müssen, zum Beispiel weil diese bei ihrer Erziehung geholfen haben oder weil das Stiefelternteil signifikant dazu beigetragen hat, das Leben und das Wohlbefinden des Stiefkindes und das des leiblichen Elternteils zu verbessern (Clawson/Ganong 2002: 63). Für Stiefeltern-Stiefkind-Beziehungen hat sich die emotionale Nähe als einer der wichtigsten Einflussfaktoren für die Einschätzung familialer Verpflichtungen herausgestellt (Clawson/Ganong 2002: 63; Ganong/Coleman 2006: S85; Ganong et al. 1998: 604). Die Beziehungsqualität ist zwar auch für die Wahrnehmungen von Verpflichtungen zwischen leiblichen Eltern und Kindern bedeutend, aber sie dient in viel geringerem Maße für die Zuschreibung von Verantwortung gegenüber leiblichen Eltern als gegenüber Stiefeltern. Clawson und Ganong (2002: 63) halten dazu fest: „Step-relationships are voluntary, so quality of relationship is extremely important in whether a connection exists or not”. Entsprechend ist die Qualität der Beziehung auch verantwortlich dafür, ob familiale Verpflichtungen gegenüber Stiefeltern wahrgenommen werden oder eben nicht. Auch Rossi und Rossi (1990: 163) verwenden für die Erfassung der Wahrnehmung familialer Verpflichtungen Vignetten, die jeweils unterschiedliche Situationen beschreiben, in denen verschiedene Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn Unterstützung benötigen (soziale und emotionale Unterstützung, finanzielle Unterstützung, Geschenke und Besuche). Die Befragten sollten jeweils angeben, inwieweit sie sich selbst verpflichtet fühlen, diesen (fiktiven) Personen zu helfen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass unterschiedliche Verwandtschaftsgrade unterschiedliche Stärken der Wahrnehmung familialer Verpflichtungen hervorrufen. Rossi und Rossi (1990: 173) bilden daraus eine
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Rangfolge der Verpflichtungen gegenüber verschiedenen Familienmitgliedern (siehe auch Ganong et al. 1998: 605): (1) Eltern und eigene Kinder; (2) Geschwister, Großeltern, Enkelkinder, Schwiegereltern und Schwiegerkinder; (3) Stiefeltern und Stiefkinder, Freunde sowie (4) Cousins, Cousinen und Nachbarn. Am Ende der Hierarchie stehen (5) Ex-Partner und Ex-Partnerinnen. Es werden aber gegenüber weiter entfernten Verwandten sowie gegenüber Freunden und Nachbarn nicht nur weniger Verpflichtungen wahrgenommen, auch die Einigkeit darüber, in welchem Umfang verschiedene Unterstützungen geleistet werden sollen, nimmt immer weiter ab (Rossi/Rossi 1990: 174). Das heißt, mit zunehmender Rangfolge herrscht immer weiniger Klarheit darüber, welches Ausmaß von Verpflichtungen mit den jeweiligen Beziehungen verbunden ist: In Bezug auf leibliche Eltern und leibliche Kinder existieren deutliche und auch relativ einheitliche Verpflichtungswahrnehmungen. Unabhängig von den kontextuellen Umständen und der Art der Verpflichtung, sind diese gegenüber leiblichen Eltern und Kindern sehr hoch. Es besteht kaum Varianz zwischen den Angaben der Befragten. Je weiter man sich jedoch im Verwandtschaftsgrad von leiblichen Eltern und Kindern entfernt, desto stärker hängt die Zustimmung zur Verpflichtung von der jeweiligen Situation ab. Das gilt auch für nahe stehende, nichtverwandte Personen. Aber auch der Typ der jeweiligen Beziehung bestimmt das generelle Ausmaß der Wahrnehmung von Verpflichtungen, da die Streuung der Antworten zwischen den verschiedenen Beziehungen größer ist als die Streuung innerhalb der Beziehungen. In Bezug auf Eltern und Kinder kann man folgende Hierarchie ausmachen: Zuerst kommen leibliche Eltern und Kinder, dann kommen Schwiegereltern und Schwiegerkinder und zum Schluss Stiefeltern und Stiefkinder. Rossi und Rossi (1990: 176) schlussfolgern daraus: „This suggests that affinal kin acquired through remarriage evoke less obligation than affinal kin acquired through first marriages“. Aber es darf auch nicht übersehen werden, dass die Angehörigen affinaler Verwandtschaft, die durch Wiederheirat gewonnen werden, trotz allem relativ nahe zum Zentrum des Kreises mit leiblichen Eltern und Kindern stehen (Rossi/Rossi 1990: 178). Die Zustimmung zur finanziellen Unterstützung von Stiefeltern liegt zum Beispiel über der von Nichten und Neffen sowie von Tanten und Onkeln. Und obwohl die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen gegenüber Stiefkindern geringer ist als gegenüber eigenen leiblichen Kindern, ist die Zustimmung zur finanziellen Unterstützung ähnlich wie bei Geschwistern, Großeltern oder Enkelkindern. Es scheint, dass die familialen Positionen als ‚Eltern‘ und ‚Kinder‘ in der Familienstruktur im Vergleich zu anderen affinalen Beziehungen mehr Gewicht haben. Da die Unterstützung von Stiefeltern und Stiefkindern in hohem Maße optional ist und stark von der Qualität der Beziehung abhängt (Ganong et al. 1998: 605), ist zu vermuten, dass Stiefeltern als auch Stiefkinder in der Hierarchie aufstei-
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gen können, wenn zum Beispiel die Beziehungsqualität besonders gut ist oder wenn sich die Stiefeltern an der Erziehung des Stiefkindes beteiligt haben. Zwei Untersuchungen mit dem NSFH nehmen konkret die Wahrnehmung der Verpflichtung von (Stief-)Eltern in den Blick, ihre jugendlichen bzw. erwachsenen Kinder finanziell zu unterstützen (Aquilino 2005; Marks 1995). Marks (1995: 14) kommt mit den Daten der ersten Welle des NSFH zu dem Ergebnis, dass getrennte bzw. geschiedene als auch wiederverheiratete Mütter und Väter signifikant seltener einer finanziellen Verpflichtung von Eltern gegenüber ihren Kindern zustimmen. Verwitwete Eltern geben zwar auch ein geringeres Maß an finanzieller Verpflichtung an, aber die Unterschiede zwischen verwitweten Elternteilen und Eltern aus strukturell intakten Familien sind nicht signifikant. Aquilino (2005: 149) verwendet für seine Analysen die erste und die zweite Welle des NSFH (zwischen denen 6 Jahre liegen) und kann auf diese Weise Veränderungen der Einstellungen der Eltern zur finanziellen Unterstützung von Kindern im Übergang zum jungen Erwachsenalter untersuchen. Die jugendlichen Kinder sind zum ersten Messzeitpunkt zwischen 12 und 18 Jahren und leben mit ihren (Stief-)Eltern in einem gemeinsamen Haushalt. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die wahrgenommenen Verpflichtungen der Eltern gegenüber einer finanziellen Unterstützung ihrer Kinder, wenn sie von Jugendlichen zu jungen Erwachsenen werden, zwischen den beiden Messzeitpunkten kaum verändern (Aquilino 2005: 154). Allerdings fühlten sich Alleinerziehende zum ersten Messzeitpunkt weniger zur finanziellen Unterstützung ihrer Kinder verpflichtet als Eltern in strukturell intakten Familien, und zwar unabhängig von ihrer ökonomischen Situation (Aquilino 2005: 157). Auch Eltern in Stieffamilien berichten eine geringere Wahrnehmung finanzieller Verpflichtungen als Eltern in strukturell intakten Familien. Der Unterschied ist allerdings relativ klein. Der Einfluss der Familienstruktur (Stieffamilie vs. intakte Familie) auf die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen wird zum großen Teil durch die Unterschiede in der Beziehungsqualität zwischen dem Kind und seinen (Stief)Eltern erklärt. Nach Einführung dieser Variable in das Modell ist der Effekt nicht mehr signifikant. Obwohl die beobachteten Veränderungen der Wahrnehmungen finanzieller Verpflichtungen gegenüber einem erwachsenen Kind zwischen den beiden Wellen in allen Familien relativ klein sind, zeigt sich aber, dass die Veränderungen in strukturell intakten Familien positiv und in Stieffamilien negativ ausfallen (Aquilino 2005: 157). Die Unterschiede zwischen strukturell intakten Familien und Stieffamilien vergrößern sich also, wenn die Kinder von Jugendlichen zu jungen Erwachsenen werden. Innerhalb von Stieffamilien werden darüber hinaus deutliche Unterschiede zwischen Familien mit und ohne gemeinsamen Kindern sichtbar (Aquilino 2005: 159): Lebt in der Stieffamilie ein gemeinsames leibliches Kind, zeigt sich eine geringe positive
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Veränderung hinsichtlich der Wahrnehmung finanzieller Verpflichtungen gegenüber erwachsenen Kindern über die Zeit. Wenn allerdings kein gemeinsames Kind existiert, ist die Veränderung negativ. Beide Gruppen von Stieffamilien – mit und ohne gemeinsame Kinder – entwickeln sich also mit der Zeit auseinander. Gemeinsame Kinder des leiblichen Elternteils und des Stiefelternteils scheinen die Einstellungen zum finanziellen Transfer gegenüber erwachsenen Kindern zu verbessern, während in Stieffamilien in denen keine weiteren Kinder geboren werden, die Wahrnehmungen von Verpflichtungen eher abnehmen. Der letzte Punkt, dem Aquilino (2005: 160) in seinem Beitrag nachgeht, ist der Zusammenhang von Einstellung und Verhalten, also inwieweit die Wahrnehmungen zur Verpflichtung einer finanziellen Unterstützung der Kinder mit einem tatsächlich geleisteten Transfer einhergehen. Es zeigt sich, dass die Zustimmung zur finanziellen Verpflichtung (Welle 2) ein signifikanter Prädiktor für die tatsächlichen finanziellen Leistungen der Eltern an ihre erwachsenen Kinder ist. Das heißt, Eltern mit einer positiveren Einstellung zum finanziellen Transfer, erbringen tatsächlich mehr finanzielle Leistungen für erwachsene Kinder, die außerhalb des Haushaltes leben. Die Zustimmung zum ersten Messzeitpunkt hat dagegen keinen Effekt auf die Zahlungen zum zweiten Messzeitpunkt. Darüber hinaus stellte Aquilino (2005: 161) fest, dass die Familienstruktur den Umfang der Zahlungen signifikant beeinflusst: Eltern aus strukturell intakten Familien leisten mit größerer Wahrscheinlichkeit einen finanziellen Transfer (57%) als Eltern in Stieffamilien (47,3%) oder alleinstehende Eltern (40,5%). Als mögliche Erklärung führt Aquilino (2005: 164) an, dass die erwachsene Kinder in Stieffamilien die geringere Verpflichtung zum finanziellen Transfer ihrer (Stief-)Eltern wahrnehmen und in ihren Entscheidungen im Lebensverlauf dieser Wahrnehmung folgen, noch bevor die (Stief-)Eltern überhaupt in die Situation kommen, finanzielle Transfers leisten zu müssen. In der Folge müssen sie es dann auch nicht. Wie sich bei dieser Analyse zeigt, basiert das Interesse an der Wahrnehmung von familialen Verpflichtungen auf der Annahme, dass die Zustimmung zu familialen Normen das tatsächlich geleistete Ausmaß an Unterstützungsleistungen bedingt. Insofern hängen die normative und die funktionale Dimension intergenerationaler Beziehungen auf engste zusammen, auch wenn sie hier getrennt voneinander betrachtet werden.
3.6
Der Austausch von Unterstützungsleistungen
Der Transfer von Unterstützungsleistungen steht oft im Mittelpunkt der Betrachtungen zur Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen zwischen Eltern und
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erwachsenen Kindern. Gemeinhin wird zwischen emotionaler, instrumenteller und materieller (einschließlich finanzieller) Hilfe unterschieden, wobei keine Einigkeit darüber besteht, auf welche Weise die verschiedenen Arten von Transferleistungen gemessen werden sollten. In den meisten Untersuchungen wird einfach zwischen Eltern und Kindern unterschieden, die sich gegenseitig unterstützen und denen, die das nicht tun. Manchmal basieren die Ergebnisse auf nur einem globalen Transfer-Item. Die Untersuchungen unterscheiden sich ferner nach der Anzahl der einbezogenen Arten von Unterstützungsleistungen, in ihrer Messung der Häufigkeit des Austausches und in der Erfassung der Zeit, die für die Unterstützung benötigt wird. Diese unterschiedlichsten Varianten an Operationalisierungen erschweren einen Vergleich der verschiedenen Forschungsergebnisse beträchtlich. Unabhängig von der methodischen Umsetzung, gibt es allerdings eine inhaltliche Frage, die im Allgemeinen besonders interessiert: Unterstützen sich die Familienmitglieder regelmäßig – oder zumindest in Krisensituationen – gegenseitig und dienen sich somit als wichtige Ressource, um den Alltag besser oder überhaupt bewältigen zu können? Im Besonderen soll es im Folgenden darum gehen, zu zeigen, inwieweit sich eine elterliche Trennung bzw. Scheidung auf den Transfer zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern auswirkt. Wenn die Eltern neue Partnerschaften eingehen, interessiert darüber hinaus, in welchem Ausmaß Stiefeltern von ihren Stiefkindern Unterstützung erwarten können und umgekehrt. Von einem Austausch an Unterstützung ist natürlich erst zu sprechen, wenn die Kinder so alt und so selbstständig sind, dass sie gleichberechtigte Partner im sozialen Austausch mit ihren Eltern und Stiefeltern sein können. Im Kindes- und Jugendalter muss die Analyse dagegen auf die Investitionen der (Stief-)Eltern in ihre minderjährigen Kinder beschränkt bleiben. Da sich diese Investitionen möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt auszahlen, sollen sie bei der folgenden Darstellung allerdings nicht vernachlässigt werden. Wie bei allen anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen, spielt auch bei der Betrachtung der Untersuchungen zum Austausch von Unterstützungsleistungen die jeweils erfasste Perspektive eine wichtige Rolle. Da sich die Ergebnisse deutlich unterscheiden können, je nachdem von wem die Angaben stammen (von den Eltern oder von den Kindern), soll im Folgenden jeweils ausdrücklich darauf hingewiesen werden. Gerade bei der Betrachtung des Transfers von Unterstützung ist eine Unterscheidung zwischen getrennten bzw. geschiedenen und verwitweten Eltern nicht zu unterschätzen, da sich damit ganz unterschiedliche Bedürfnisstrukturen verbinden. Dafür ist auch entscheidend, ob die leiblichen Elternteile eine neue Partnerschaft eingehen oder ob sie alleinstehend sind. Da eine stabile soziale Austauschbeziehung im Erwachsenenalter auf einer Geschichte des Gebens und Nehmens basiert, ist es von entscheidender
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Bedeutung, bei wem das Kind nach der Trennung gelebt hat – bei der Mutter oder beim Vater. Das Geschlecht des jeweiligen Elternteils korrespondiert nämlich oft mit dem Umstand, ob es internes oder externes Elternteil war. Tendenziell zeigen die verschiedenen empirischen Untersuchungen, dass sich eine elterliche Trennung bzw. Scheidung vor allem negativ auf den Austausch von Unterstützungsleistungen zwischen Vätern und erwachsenen Kindern auswirkt. Das liegt unter anderem daran, dass Väter nach einer Trennung bzw. Scheidung in den meisten Fällen das externe Elternteil sind und oft auch keinen Unterhalt zahlen, insbesondere wenn sie eine neue Familie gründen. Außerdem besteht zwischen Vater und Kind häufig nur wenig bis gar kein Kontakt, was dem Aufbau einer langfristigen Austauschbeziehung entgegen wirkt. Im Alter haben sie dann von diesen Kindern aus einer früheren Beziehung, die nicht bei ihnen aufgewachsen sind, offensichtlich nicht viel zu erwarten. Ergebnisse zum Austausch von Unterstützungsleistungen zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern liegen nicht vor. Nur eine Untersuchung zur Unterstützung pflegebedürftiger Eltern und Stiefeltern durch ihre erwachsenen Kinder und Stiefkinder zeigt, dass Stiefeltern in viel geringerem Umfang von ihren Stiefkindern unterstützt werden wie Eltern von ihren leiblichen Kindern.
3.6.1
Unterstützung im Kindes- und Jugendalter
Wenn es um die Unterstützungsleistungen in Trennungs- oder Stieffamilien im Kindes- und Jugendalter geht, stehen die Transfers des außerhalb lebenden Elternteils an das in einem anderen Haushalt lebende, minderjährige Kind im Vordergrund der Betrachtungen. Da sie relativ gut messbar sind, konzentrieren sich die Untersuchungen meist auf finanzielle Transfers, also die Zahlungen von Unterhalt. Während keine Untersuchungsergebnisse für den deutschen Kontext vorliegen, existieren immerhin zwei Studien, die unter Rückgriff auf die Daten des ‚National Survey of Families and Households‘ (NSFH), die Situation für den US-amerikanischen Kontext ausleuchten und zumindest einige Hinweise auf das Ausmaß der Unterstützung von minderjährigen Kindern nach einer elterlichen Trennung geben (Manning/Smock 2000; Seltzer 1991). Seltzer (1991: 82f.), die für ihre Analysen auf die erste Welle des NSFH zurückgreift (1987/88), untersucht die Rolle des leiblichen Vaters nach der Trennung der Eltern in Bezug auf Kontakthäufigkeit, finanzielle Transfers und Beteiligung an der Erziehung. Dazu verwendet sie die Angaben von 1.350 Müttern, die mit ihren minderjährigen Kindern zusammen leben. Die Ergebnisse zum finanziellen Transfer zeigen, dass sich die geringe soziale Involviertheit der Väter –
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gemessen in Form von Kontakthäufigkeit – auch in einer schwachen ökonomischen Unterstützung ihrer Kinder nach der Trennung widerspiegelt (Seltzer 1991: 85). Etwas weniger als die Hälfte der außerhalb lebenden Väter haben ihre Kinder im letzten Jahr finanziell unterstützt. Betont werden muss an dieser Stelle allerdings, dass die Daten des NSFH sonstige Zahlungen wie Versicherungen oder ähnliches nicht einschließen. Die Dauer der Trennung machte keinen signifikanten Unterschied für die Höhe der Zahlungen (Seltzer 1991: 90). Das Hauptergebnis dieser Untersuchung lässt sich folgendermaßen zusammen fassen: Externe Väter, die in regelmäßigem Kontakt zu ihren Kindern stehen, zahlen auch eher Unterhalt und haben mehr Einfluss auf Erziehungsfragen. Seltzer (1991: 94) schreibt dazu: „Fathers who do one of the activities (paying support, visiting, and discussing the children, die Verfasserin) are likely do all of them as part of fulfilling a general set of parental responsibilities or as a way to demonstrate commitment to their children“. Während sich Seltzer (1991: 82) bei ihren Analysen auf die Angaben der internen Mütter stützt, beziehen Manning und Smock (2000: 114) ausschließlich die Angaben von außerhalb lebenden Vätern ein (n = 133), da sie sich insbesondere für den Einfluss ihrer (neuen) Familienstruktur auf die finanziellen Transfers an minderjährige Kinder aus einer früheren Beziehung interessieren. Sie verwenden die erste und die zweite Welle des NSFH. Die Ergebnisse zeigen, dass etwa 40% der externen Väter in der zweiten Welle mit anderen Kindern in einem Haushalt zusammen leben: etwa 30% leben mit gemeinsamen leiblichen Kindern von einer neuen Partnerin und etwa 15% mit Stiefkindern (Manning/Smock 2000: 116f.). Ein substantieller Anteil der Väter ist demnach ökonomisch für zwei Haushalte zuständig. Etwa drei Viertel der Väter gibt an, Unterhalt in Welle 1 und 2 gezahlt zu haben. Im Vergleich zu den oben berichteten Angaben der internen Mütter (Seltzer 1991: 85) besteht hier offensichtlich eine gewisse Diskrepanz. Wahrscheinlich stellen externe Väter, die an einer solchen Untersuchung teilnehmen, eine positive Auswahl dar. Insgesamt stiegen die Zahlungen der Väter zwischen Welle eins und Welle zwei zwar an, aber etwa ein Viertel (27%) zahlte zum zweiten Messzeitpunkt mindestens 50 Dollar weniger. Etwas mehr als ein Drittel der Väter (38%) zahlte dagegen mindestens 50 Dollar mehr. Die multivariaten Ergebnisse zeigen, dass neue Kinder im Haushalt, wenn sie unabhängig von ihrem Status in die Analysen einbezogen werden, nicht zu einer Verminderung der Unterhaltszahlungen an leibliche Kinder außerhalb des Haushaltes führen (Manning/Smock 2000: 118). Wenn aber die Kinder im neuen Haushalt gemeinsame leibliche Kinder mit der neuen Partnerin sind, reduziert sich die finanzielle Unterstützung deutlich. Das heißt, das Vorhandensein von Stiefkindern (also Kinder der neuen Partnerin) hat keinen Einfluss auf die finanziellen Transfers, welche die externen Väter an ihre leiblichen
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Stand der Forschung
Kinder aus einer früheren Beziehung leisten, neue leibliche Kinder aber schon. Weiterhin konnten Manning und Smock (2000: 118) zeigen, dass externe Väter, die weiter von ihren Kindern weg wohnen, weniger zahlen. Wie bei Seltzer (1991: 94) zeigt sich also auch hier, dass die Dimensionen intergenerationaler Beziehungen aufs engste miteinander zusammen hängen.
3.6.2
Unterstützung im Erwachsenenalter
Während die Untersuchungen zum Transfer von Unterstützungsleistungen von Eltern an ihre minderjährigen Kinder noch sehr rar sind, liegen zum Transfer zwischen Eltern und Kinder, wenn die Kinder den Erwachsenenstatus erreicht haben, bereits relativ umfangreiche und detaillierte Ergebnisse vor. Dabei zeigen die verschiedenen Untersuchungen, dass sich eine elterliche Scheidung negativ auf den Ressourcenfluss zwischen den Generationen auswirkt. Geschiedene Eltern als auch erwachsene Kinder geschiedener Eltern berichten gleichermaßen, dass sie in einem geringeren Ausmaß emotionale, instrumentelle und finanzielle Unterstützung erhalten und geben als Eltern und Kinder aus strukturell intakten Familien (Amato/Rezac/Booth 1995: 370; Daatland 2007: 816; Dykstra 1998: 88; Furstenberg/Hoffman/Shrestha 1995: 324f.; Kalmijn 2007: 1093; Lin 2008: 120; Marks 1995: 15ff.; Umberson 1992: 670; White 1992: 249; White 1994a: 940). Obwohl eine elterliche Scheidung für beide Elternteile zu einer Verringerung des Austausches mit ihren erwachsenen Kindern führt, gilt dies in einem viel stärkeren Ausmaß für Väter als für Mütter. Leibliche Väter laufen offensichtlich auch hinsichtlich des Austausches von Unterstützungsleistungen viel eher Gefahr als Mütter, sich mit ihren Kindern auseinanderzuleben und sich von ihnen zu entfremden. Das Geschlecht des Kindes spielt dagegen kaum eine Rolle. Tendenziell kann man allerdings sagen, dass der Austausch von Hilfeleistungen mit Töchtern eher an Mütter gebunden ist und der Austausch von Hilfeleistungen mit Söhnen eher an Väter (Aquilino 1994b: 916). Nicht überraschend ist, dass das Ausmaß des finanziellen Transfers von leiblichen Eltern zu erwachsenen Kindern stark vom jeweiligen Einkommen – sowohl der Eltern als auch der Kinder – abhängt (Furstenberg/Hoffman/Shrestha 1995: 326f.; Pezzin/Pollak/Steinberg Schone 2008: 16; White 1992: 247). Ein interessantes und eher unerwartetes Ergebnis ist allerdings, dass geschiedene Väter, die regelmäßig Unterhalt zahlten als das Kind minderjährig war, nicht in einem größeren Umfang in den intergenerationalen Austausch mit ihrem erwachsenen Kind eingebunden sind wie Väter, die keinen Unterhalt gezahlt ha-
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ben (Furstenberg/Hoffman/Shrestha 1995: 329f.). Dieses Ergebnis sollte jedoch mit Vorsicht interpretiert werden, da das Sample, was diesen zusätzlichen Analysen zu Grunde liegt, viel kleiner ist als für alle anderen Analysen. Das liegt daran, dass dafür nur Trennungsfamilien einbezogen wurden, bei denen die entsprechenden Angaben vorlagen. Ein weiteres wichtiges und interessantes Ergebnis der Untersuchung von Furstenberg, Hoffman und Shrestha (1995: 328) hebt auf den Zeitpunkt der Scheidung ab und zeigt, dass Väter und Mütter, deren Scheidung erfolgte, als die Kinder bereits volljährig waren, ein ähnliches Ausmaß an Transfer mit ihren erwachsenen Kindern aufweisen wie Eltern aus strukturell intakten Familien (siehe auch Davey/Eggebeen/Salva 2007: 233ff.). Eine elterliche Scheidung in der Kindheit, also wenn die Kinder noch minderjährig sind, erhöht demnach den Transfer mit Müttern und verringert drastisch den Transfer mit Vätern. Je später eine Scheidung erfolgt, desto mehr nähert sich der Austausch von geschiedenen Eltern dem von nicht geschiedenen Eltern und erwachsenen Kindern an. Auch Aquilino (1994b: 915), der den Einfluss einer späten Scheidung der Eltern auf den Austausch von Unterstützungsleistungen mit ihren erwachsenen Kindern untersucht hat, findet keine großen Unterschiede hinsichtlich der emotionalen, der instrumentellen und der finanziellen Unterstützung, die erwachsene Kinder ihren geschiedenen leiblichen Eltern geben (siehe aber Kalmijn 2007: 1095). Allerdings stellt er fest, dass eine späte Scheidung der Eltern einen signifikanten Einfluss auf die emotionale, die instrumentelle und auch die finanzielle Hilfe hat, welche erwachsene Kinder von ihren Eltern erhalten, wobei der Effekt deutlich stärker für Söhne ausfällt als für Töchter (Aquilino 1994b: 916f). Eine der wenigen längsschnittlichen Studien (1980-1992) zum Einfluss einer elterlichen Scheidung auf die Eltern-Kind-Beziehungen im Erwachsenenalter zeigt anhand eines US-amerikanischen Samples, dass erwachsene Kinder, deren Eltern sich haben scheiden lassen, ihre Eltern weniger wahrscheinlich um (verschiedene Arten von) Unterstützung bitten und vor allem weniger mit ihren leiblichen Vätern austauschen als Kinder aus strukturell intakten Familien (Amato/Rezac/Booth 1995: 370). Der Zusammenhang zwischen einer elterlichen Scheidung und dem geringeren Ausmaß an Unterstützung durch die Eltern kann interessanterweise nicht durch die Ehequalität der Eltern vor der Scheidung erklärt werden, sondern ist einem eigenständigen Scheidungs-Effekt zuzuschreiben. Kontrolliert man jedoch für die aktuelle Beziehungsqualität zwischen dem erwachsenen Kind und dem jeweiligen Elternteil sowie für die Wohnentfernung zwischen ihnen, reduziert sich der Unterschied der erhaltenen Unterstützung zwischen Kindern mit geschiedenen Eltern und denen aus strukturell intakten Familien beträchtlich (siehe auch White 1992: 244 sowie Davey/Eggebeen/Salva 2007: 235). Betrachtet man das Ausmaß, in dem erwachse-
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ne Kinder ihren leiblichen Eltern Unterstützung zukommen lassen, zeigt sich folgendes Bild: Mütter erhalten von ihren Kindern – geschieden oder nicht – ein ähnliches Maß an Hilfeleistungen. Geschiedene Väter erhalten dagegen sehr viel weniger Unterstützung von ihren erwachsenen Kindern. Unter Kontrolle der Beziehungsqualität zwischen dem jeweiligem Elternteil und dem erwachsenen Kind sowie der Wohnentfernung verringert sich der Unterschied zwischen geschiedenen und nichtgeschiedenen Vätern zwar etwas (Amato/Rezac/Booth 1995: 370), aber er bleibt nichtsdestotrotz signifikant. Eine Scheidung hat demnach einen viel größeren Einfluss auf den Austausch von Unterstützungsleistungen zwischen Vater und Kind. Aus Sicht der erwachsenen Kinder ist es allerdings so, dass die erwachsenen Kinder geschiedener Eltern hinsichtlich ihres alltäglichen Austausches von Unterstützung nicht unbedingt benachteiligt sein müssen. Da diese Kinder die Möglichkeit haben, von zwei Haushalten unterstützt zu werden, kann dies das geringere Ausmaß des Austausches mit einem Haushalt möglicherweise kompensieren (Amato/Rezac/Booth 1995: 372). Die empirischen Ergebnisse bestätigen die Vermutung: „It appears, therefore, that although children exchange less assistance with their mothers‘ and fathers‘ households following divorce, the overall level of assistance exchanged with both is similar to that exchanged between children and continuously married parents” (Amato/Rezac/Booth 1995: 372). Die Ergebnisse hinsichtlich des Einflusses einer Verwitwung auf den Austausch familialer Unterstützungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern zeigen, dass verwitwete Eltern tendenziell mehr Unterstützung durch ihre erwachsenen Kinder erfahren als verheiratete Eltern (Kalmijn 2007: 1094). Das kann möglicherweise daran liegen, dass die Kinder den Wegfall der Unterstützung, welche die Eltern zuvor von ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin erfahren haben, kompensieren. Das Geschlecht des verwitweten Elternteils spielt für den Umfang der Unterstützung, den die erwachsenen Kinder leisten, allerdings eine entscheidende Rolle: Es zeigt sich, dass es vor allem Witwen sind, die von ihren erwachsenen Kindern unterstützt werden. Die Effekte für Witwer sind dagegen um einiges schwächer (Aquilino 1994b: 912; Kalmijn 2007: 1094; Lin 2008: 121; Furstenberg/Hoffman/Shrestha 1995: 324). Verwitwete Väter erhalten in etwa so viel Unterstützung wie verheiratete Väter, wohingegen verwitwete Mütter deutlich mehr Unterstützung durch ihre erwachsenen Kinder erfahren als verheiratete Mütter. Kontrolliert man zusätzlich für das Geschlecht des Kindes, zeigt sich, dass es vor allem die Vater-Tochter-Beziehung ist, die durch den Tod der Mutter geschwächt wird (Aquilino 1994b: 916). Dies ist auch beobachtbar, wenn man den Transfer von Unterstützungsleistungen, den erwachsene Kinder nach dem Tod eines Elternteils vom überlebenden Elternteil erfahren, betrachtet: Mit Ausnahme des finanziellen Transfers, der durch den Tod des Vaters –
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nicht aber durch den Tod der Mutter – sowohl zu Söhnen als auch zu Töchtern reduziert wird (Aquilino 1994b: 917), ist der Ressourcenfluss nach dem Tod der Mutter vor allem von Vätern zu Töchtern deutlich eingeschränkt. Da sich aber zusätzlich beobachten lässt, dass nach dem Tod des Vaters vor allem Söhne ein reduziertes Maß an Unterstützung erhalten, lässt sich schlussfolgern, dass das Erhalten von Unterstützung bei Töchtern vor allem an die Mutter gebunden ist, bei Söhnen dagegen an den Vater. Heiratet eine Witwe oder ein Witwer erneut, zeigt sich auch hier, dass der Interaktionseffekt von Geschlecht und Unterstützung nur für Väter signifikant negativ bleibt (Kalmijn 2007: 1096). Das heißt, auch unter Einbezug der Tatsache, dass Väter öfter wieder heiraten als Mütter, beeinflusst die Verwitwung das Ausmaß der Unterstützung, die Väter von ihren erwachsenen Kindern erhalten, negativ. Die Ergebnisse zum Einfluss einer Wiederheirat geschiedener Eltern auf den Austausch von Unterstützungsleistungen mit ihren erwachsenen Kindern beziehen sich entweder auf Vergleiche wiederverheirateter Eltern mit getrennten Eltern, die keine neue Partnerschaft eingegangen sind, oder mit Eltern, die in erster Ehe zusammen leben. Es liegen demnach keine Ergebnisse zum Austausch von Unterstützungsleistungen zwischen Stiefkindern und Stiefeltern vor.57 Dies ist wohl nicht auf mangelndes Interesse zurückzuführen, sondern eher auf die Struktur der zugrunde liegenden Datensätze: In den existierenden, groß angelegten Untersuchungen werden Transferleistungen zwischen Eltern und Kindern nämlich entweder nicht personenspezifisch erfasst (Amato/Rezac/Booth 1995: 367; Aquilino 1994a: 300; Aquilino 1994b: 911; Furstenberg/Hoffman/Shrestha 1995: 322; White 1992: 238; White 1994a: 938) oder es wird überhaupt nur nach einem Transfer zwischen leiblichen Eltern und Kindern gefragt (Davey/Eggebeen/Salva 2007: 230; Kalmijn 2007: 1087; Knijn/Liefbroer 2006: 91f.). Das macht es zwar möglich hinsichtlich des Austausches von Unterstützungsleistungen nach der Partnerschaftskarriere der Eltern (und auch der Kinder) zu differenzieren, was über die meisten vorliegenden empirischen Analysen zu diesem Thema weit hinausgeht, schließt aber einen Vergleich von leiblichen Eltern und Kindern mit sozialen Eltern und Kindern aus.
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Eine Ausnahme stellt die Untersuchung von Pezzin, Pollak und Steinberg Schone (2008) mit den Daten des ‚Assets and Health Dynamics of the Elderly‘ (AHEAD) dar, die explizit das Ausmaß der Unterstützung von pflegebedürftigen Stiefeltern durch ihre Stiefkinder in den Blick nimmt. Die Begrenzung der Analyse auf pflegebedürftige (Stief-)Eltern macht einen Vergleich der Ergebnisse mit denen anderer Studien, die sich auf den allgemeinen, eher im Alltag anfallenden Transfer von Unterstützungsleistungen beziehen, allerdings sehr schwierig.
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Stand der Forschung
Betrachtet man den Transfer von erwachsenen Kindern zu ihren Eltern unter Rückgriff auf die US-amerikanischen Daten des NSFH, zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen erwachsenen Kindern, die in Einelternfamilien oder in strukturell intakten Familien aufgewachsen sind (White 1994a: 940). Junge Erwachsene (19-34 Jahre) von alleinlebenden als auch von wiederverheirateten Eltern geben im gleichen Maße an, ihren leiblichen Eltern in den letzten 30 Tagen instrumentelle und emotionale Unterstützung gegeben zu haben, wie junge Erwachsene aus strukturell intakten Familien (Aquilino 1994a: 308) und zwar unabhängig davon, bei welchem Elternteil sie aufgewachsen sind. Ebenso wenig hat die Familienstruktur einen Einfluss auf die finanzielle Unterstützung der Eltern durch ihre erwachsenen Kinder. Allerdings geben gerade einmal 5% der jungen Erwachsenen an, solche Zahlungen überhaupt geleistet zu haben (mehr als 200 Dollar in den letzten fünf Jahren) (Aquilino 1994a: 308; siehe auch Lin 2008: 120). Unter Berücksichtigung des Geschlechts zeigt sich zwar, dass erwachsene Kinder ihren wiederverheirateten Müttern weniger geben als verheirateten Müttern (Amato/Rezac/Booth 1995: 372), aber die Wiederheirat der Väter keinen Einfluss auf den Austausch zwischen leiblichen Vätern und ihren erwachsenen Kindern hat. Die Ergebnisse mit der ‚Netherlands Kinship Panel Study‘ (NKPS) stellen sich allerdings etwas anders dar: Bei einem Vergleich von alleinlebenden und wiederverheirateten Eltern (verwitwet oder geschieden) ist der beobachtbare Gesamteffekt für die Unterstützung, die erwachsene Kinder ihren wiederverheirateten Eltern geben, negativ (Kalmijn 2007: 1095). Das heißt, Eltern, die mit einem neuen Partner bzw. einer neuen Partnerin zusammen leben, erhalten weniger Unterstützung von ihren erwachsenen Kindern als Eltern, die allein leben (siehe auch van der Pas/von Tilburg/Knipscheer 2007: 267). Das könnte natürlich daran liegen, dass wiederverheiratete Eltern nicht im gleichen Umfang auf eine Unterstützung durch ihre Kinder angewiesen sind, da diese ja auch durch ihren neuen Partner bzw. ihre neue Partnerin unterstützt werden. Dennoch muss man einbeziehen, dass im Vergleich zu Eltern in erster Ehe wiederverheiratete Eltern einen doppelt negativen Effekt durch Scheidung und Wiederheirat erfahren und sich der geringere Ressourcenfluss damit kumuliert (Kalmijn 2007: 1096). Die Ergebnisse zeigen weiterhin, dass eine Wiederheirat signifikant stärker die Hilfe von erwachsenen Kindern für ihren leiblichen Vater verringert als für ihre leibliche Mutter. Einer der Gründe, warum die Auflösung der elterlichen Ehe Väter so viel stärker trifft als Mütter liegt demnach darin, dass Väter nach einer Scheidung öfter wieder heiraten als Mütter. Da der Interaktionseffekt von Geschlecht und Scheidung auch unter Einbezug von Wiederheirat signifikant bleibt, kann man allerdings schlussfolgern, dass es nicht allein die Wiederheirat ist, die leibliche Väter von ihren Kindern entfernt (Lin 2008: 121).
Stand der Forschung
157
Geht man noch einen Schritt weiter und begrenzt die Analysen nicht nur auf den Partnerschaftsstatus der Eltern zum Beobachtungszeitpunkt, sondern schließt Informationen zur gesamten Partnerschaftsgeschichte seit der elterlichen Trennung bzw. Scheidung ein, zeigt sich, dass auch vergangene Beziehungen, die zum Zeitpunkt der Befragung schon wieder beendet waren, einen negativen Einfluss auf den Ressourcenfluss von erwachsenen Kindern zu ihren Eltern haben (Kalmijn 2007: 1097). Der Effekt ist zwar etwas geringer als der Effekt einer bestehenden Partnerschaft, aber er ist nichtsdestotrotz signifikant. Mit anderen Worten: Die Schwächung der Eltern-Kind-Beziehung auf Grund einer neuen Partnerschaft lässt sich nicht rückgängig machen, wenn das Elternteil wieder allein ist. Werden in der neuen Partnerschaft weitere Kinder geboren, hat das einen positiven Effekt auf die Unterstützung der Mutter, während es sich auf die Unterstützung des Vaters wiederum negativ auswirkt. Das heißt, die Väter erhalten weniger Unterstützung von ihren Kindern aus einer früheren Beziehung, wenn sie weitere Kinder in einer neuen Partnerschaft bekommen (Kalmijn 2007: 1097). Die Schwächung der Vater-Kind-Beziehung zu älteren leiblichen Kindern bei der Geburt neuer leiblicher Kinder unterstützt die Annahme der Existenz einer seriellen Beteiligung an der Erziehung (‚serial parenting‘) (Manning/Smock 2000: 119; Seltzer/Bianchi 1988: 663). Andere Einflussvariablen, die den Ressourcenfluss von erwachsenen Kindern zu ihren Eltern negativ beeinflussen sind zum Beispiel die Geschwisterzahl, eigene minderjährige Kinder im Haushalt und eine Scheidung in der Kindergeneration (Kalmijn 2007: 1097f.). Positiv wirken sich dagegen sowohl das Bildungsniveau der Kinder als auch das der Eltern aus. Die einzige Untersuchung, die explizit den Transfer von Stiefkindern zu ihren Stiefeltern in den Blick nimmt (Pezzin/Pollak/Steinberg Schone 2008: 12ff.), ist zwar auf Hilfeleistungen begrenzt, wenn leibliche bzw. soziale Eltern pflegebedürftig werden, aber dies ist andererseits auch ein besonders harter Test der Frage, ob sich Stiefeltern auf die Unterstützung ihrer Stiefkinder im Bedarfsfall verlassen können. Die Ergebnisse zeigen klar, dass Stiefkinder ihre Stiefeltern signifikant weniger unterstützen als Kinder ihre leiblichen Eltern. Wechselt man die Perspektive und betrachtet den Transfer von Eltern zu ihren erwachsenen Kindern, stellen sich die Ergebnisse etwas uneinheitlicher dar. Je nach Untersuchungsanlage und einbezogenen Ressourcen zeigt sich, dass erwachsene Kinder von alleinstehenden als auch von wiederverheirateten Eltern im gleichen Umfang unterstützt werden wie erwachsene Kinder aus strukturell intakten Familien (Amato/Rezac/Booth 1995: 372; Aquilino 1994a: 308; Furstenberg/Hoffman/Shrestha 1995: 328), mehr (White 1994a: 944) oder auch weniger (Aquilino 1994a: 309; White 1992: 242) Hilfe erhalten. Vor allem die finanzielle Unterstützung durch die Mutter (egal ob alleinstehend oder wieder-
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Stand der Forschung
verheiratet) reduziert sich durch eine elterliche Scheidung deutlich, wobei interessant ist, dass im Falle einer Wiederheirat offensichtlich weder leibliche noch soziale Väter einen vergleichbaren Transfer leisten wie Väter aus strukturell intakten Familien (Aquilino 1994a: 309). In Bezug auf instrumentelle Hilfe zeigt sich dagegen, dass wiederverheiratete Eltern (insbesondere Mütter) ihren erwachsenen Kindern mehr geben als immer noch geschiedene Eltern, so dass die Gesamtunterstützung von wiederverheirateten Eltern zwischen die geschiedener Eltern und Eltern in erster Ehe fällt (White 1992: 242). Es scheint, dass eine Wiederverheiratung der Eltern vor allem ihre Möglichkeiten erhöht, zeitintensive instrumentelle Unterstützung zu leisten, weniger dagegen emotionale oder finanzielle Unterstützung. In Bezug auf das geringere Ausmaß an finanzieller Unterstützung zeigt sich, dass wiederverheiratete Eltern nicht nur ein geringeres Einkommen und weniger Vermögen besitzen, sondern ihre Ressourcen auch noch unter einer größeren Anzahl von Kindern aufteilen müssen. Zusätzlich zu diesen Unterschieden hinsichtlich ihrer finanziellen Ressourcen und familialen Verpflichtungen hat die sonstige Ausgestaltung der Eltern-KindBeziehung Einfluss auf den Transfer von leiblichen Eltern zu ihren erwachsenen Kindern (White 1992: 243): Obwohl die Erfassung von Transferleistungen im NSFH auf das Kind fokussiert, mit dem die Eltern die beste Beziehung haben, zeigen die Ergebnisse, dass geschiedene Eltern eine geringere Beziehungsqualität zu ihren erwachsenen Kindern angeben, weiter von ihnen entfernt leben und substantiell weniger Kontakt mit ihnen haben als Eltern aus strukturell intakten Familien. Dies gilt für Väter ebenso wie für Mütter. Und obwohl wiederverheiratete Eltern die Beziehungsqualität zu ihren Kindern so hoch einschätzen wie Eltern in erster Ehe, leben sie durchschnittlich weiter von ihnen entfernt und sehen ihre erwachsenen Kinder auch seltener als Eltern aus strukturell intakten Familien. Die Differenzen zwischen leiblichen Müttern und Vätern nehmen also zu, wenn die Ehe aufgelöst wird – egal ob dies durch eine Scheidung oder eine Verwitwung geschieht. Man könnte deshalb auch sagen, dass eine Ehe die Väter in gewisser Weise (be-)schützt (Kalmijn 2007: 1094). Da sich die Geschlechterunterschiede um einiges mehr durch eine Scheidung erhöhen, kann man sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass der Austausch intergenerationaler Unterstützung zwischen leiblichen Vätern und erwachsenen Kindern nicht nur durch eine Ehe mit der leiblichen Mutter geschützt wird, sondern dass er durch eine elterliche Scheidung einen zusätzlichen negativen Effekt erfährt. Mit anderen Worten: Durch eine Scheidung entfällt nicht nur der Schutz der Ehe, sondern es existiert ein eigenständiger Scheidungseffekt, der den intergenerationalen Austausch noch einmal deutlich reduziert.
Stand der Forschung
3.7
159
Zusammenfassung der bislang vorliegenden Ergebnisse zu Generationenbeziehungen in Trennungs- und Stieffamilien
Die ausgesprochen hohe Komplexität der Beziehungsstrukturen in Trennungs-, insbesondere aber in Stieffamilien, stellt eine große Herausforderung für ihre empirische Erfassung dar. In großen Surveys wird deshalb – bis auf wenige Ausnahmen – darauf verzichtet, die Beziehungen zwischen den verschiedenen Mitgliedern in solchen Familienkonstellationen umfassend zu erheben. Da das Design großer, repräsentativer Untersuchungen fast immer auf Personen fokussiert, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, werden haushaltübergreifende Familienstrukturen, die für Trennungsfamilien mit minderjährigen Kindern charakteristisch sind, kategorisch ausgeschlossen. Wie groß die Informationsverluste dabei sind, haben Spezialuntersuchungen zu Trennungs- und Stieffamilien gezeigt, welche die Beziehungen aller Familienmitglieder – der alten und der neuen Familie – erfassen und zeigen, dass die Beziehungen zwischen Kindern, leiblichen und sozialen Eltern über die Haushaltgrenzen hinweg, aufs engste miteinander verbunden sind. Die Erklärung der Ausgestaltung einer bestimmten Beziehung muss somit ohne Kenntnisse über die anderen Beziehungen immer unzulänglich bleiben. Das gilt in ähnlicher Weise ebenfalls für die Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern. Aus erhebungstechnischen (und natürlich oft auch aus finanziellen) Gründen beschränken sich die meisten Untersuchungen auf die Beziehungen zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern bzw. auf zwei elterliche Bezugspersonen. Dies führt dazu, dass man auf der Aggregatebene zwar die Angaben von Eltern und Stiefeltern bzw. von Kindern und Stiefkindern miteinander vergleichen kann, auf der Ebene der einzelnen Familie aber keine Aussagen darüber möglich sind, ob sich die Beziehungen eines Kindes zu seinen leiblichen Eltern und Stiefeltern tatsächlich voneinander unterscheiden und wenn ja, in welcher Weise sie das tun. Die Begrenzung der Erfassung von Beziehungen zu nur zwei Elternteilen bzw. zu einem leiblichen und einem sozialen Elternteil erlauben beispielsweise nicht, zu überprüfen, ob die gleichgeschlechtlichen leiblichen und sozialen Elternteile in einem Konkurrenz- oder Substitutionsverhältnis in Bezug auf Kontakthäufigkeit, emotionale Nähe oder dem Transfer von Unterstützungsleistungen zueinander stehen. Die Ergebnisse müssen im Gegenteil darauf beschränkt bleiben, Gruppen mit bestimmten Merkmalen miteinander zu vergleichen und dann darauf zu schließen, dass sich diese Ergebnisse auch auf einzelne Familien und die Beziehungen ihrer Familienmitglieder übertragen lassen. Spezialuntersuchungen zu Trennungs- und Stieffamilien haben den Vorteil, dass sie diese Defizite überwinden und ihr Sample so gestalten können, dass die Beziehungen aller Familienmitglieder erfasst werden. Leider ist dies allerdings auch dort nur
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Stand der Forschung
selten der Fall. Zusätzlich fokussieren die meisten Spezialuntersuchungen wegen der großen Variabilität von Stieffamilien auf einen bestimmten Familientyp. Das Problem dabei ist, dass die Studien auf Grund des spezifischen Erhebungsdesigns oft mit extrem kleinen Fallzahlen auskommen müssen, was die Verallgemeinerbarkeit ihrer Ergebnisse erschwert. Trotz dieser Probleme, liegen inzwischen schon einige Ergebnisse zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen in Trennungs- und Stieffamilien vor, die zumindest einen Hinweis darauf geben können, inwiefern sich leibliche und soziale Eltern im Umgang mit leiblichen und sozialen Kindern voneinander unterscheiden und teilweise auch, was die Gründe dafür sind. Die absolute Mehrheit der entsprechenden Untersuchungen stammt aus den USA, wohingegen für die Bundesrepublik Deutschland bislang keine Resultate zu Generationenbeziehungen in Trennungs- und Stieffamilien mit erwachsenen Stiefkindern vorliegen. Als erstes und wichtigstes Ergebnis kann festhalten werden, dass sich eine elterliche Trennung bzw. Scheidung mit großer Wahrscheinlichkeit negativ auf die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern auswirkt. Insbesondere VaterKind-Beziehungen scheinen einer gewissen Vulnerabilität zu unterliegen: Geschiedene Väter wohnen weiter von ihren erwachsenen Kindern entfernt, haben seltener mit ihnen Kontakt, sind mit ihnen emotional weniger eng verbunden und tauschen mit ihnen weniger Unterstützungsleistungen als Väter aus strukturell intakten Familien. Die Ergebnisse weisen zwar darauf hin, dass auch Mutter-Kind-Beziehungen unter einer elterlichen Trennung leiden, aber die Auswirkungen sind bei weitem nicht so stark wie die für Vater-Kind-Beziehungen. Solange die Eltern zusammen leben, scheint die Beziehung zum Vater durch die (meist positive und enge) Beziehung zur Mutter vermittelt und auch geschützt zu werden. Nach einer Trennung ist der Vater dann selbst gefordert, etwas für die Aufrechterhaltung bzw. Entwicklung der Beziehung mit seinem Kind oder seinen Kindern zu tun. Das wird unter anderem dadurch erschwert, dass die Kinder nach einer Trennung fast ausnahmslos bei der Mutter verbleiben, so dass die Mutter weiterhin einen regelmäßigen, vor allem alltäglichen Umgang mit den Kindern pflegt und in Erziehungsaufgaben eingebunden ist, während der Vater als externes Elternteil ein hohes Maß an Aktivität aufwenden muss, um in das Leben der Kinder involviert zu bleiben. Die große Bedeutung, die dem Zusammenleben mit den Kindern zukommt, zeigt sich auch daran, dass die Beziehungen zu Vätern, die nach einer Trennung internes Elternteil waren und sich intensiv um ihre Kinder gekümmert haben, nicht so stark leiden. Es ist also offensichtlich nicht unbedingt eine Frage des Geschlechts, sondern eher eine Frage der Eingebundenheit des jeweiligen Elternteils, was auch die folgenden Befunde unterstreichen:
Stand der Forschung
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(1) Auch eine späte elterliche Trennung, die stattfindet, wenn die Kinder bereits erwachsen sind, wirkt sich vor allem negativ auf die Vater-KindBeziehungen aus, obwohl es unter diesen Umständen keinen Einfluss des Aufenthalts- oder Sorgerechts geben kann. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass in den meisten Familien immer noch die Mütter hauptsächlich die Betreuung und Erziehung der Kinder übernehmen und aus diesem Grund wohl auch dauerhaft stärker mit ihren Kindern, auch wenn diese bereits erwachsen sind, verbunden bleiben. (2) Führen die Eltern eine Partnerschaft mit geringer Qualität, wirkt sich das negativ auf die spätere Eltern-Kind-Beziehung aus, unabhängig davon, ob die Eltern sich scheiden lassen oder nicht. Die Ursache dafür liegt weniger in einer konflikthaften Familienatmosphäre als in einer geringeren Ausprägung gemeinsamen elterlichen Erziehungsverhaltens. Sowohl bei Paaren mit schlechter Beziehungsqualität als auch in Trennungsfamilien bestehen die Defizite vor allem im fehlenden ‚Co-Parenting‘ und fehlenden ‚Monitoring‘. (3) Auf die Bedeutung der Eingebundenheit, weist auch der immer wieder gefundene Bildungseffekt hin. Je höher das Bildungsniveau der Eltern, desto weniger leidet die Beziehung – sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter – unter einer Trennung. Da es empirische Belege dafür gibt, dass sich gebildetere Männer in größerem Umfang an der Erziehung ihrer Kinder beteiligen, scheint es tatsächlich so zu sein, dass das Verhältnis von Vätern zu ihren Kindern nach einer Trennung umso besser ist, je mehr sie sich an der Familienarbeit beteiligt haben bzw. je stärker sie das nach einer Trennung tun. (4) Für Mütter, die nach einer Trennung externes Elternteil sind, ist dies teilweise schon belegt. Die wenigen Ergebnisse, die hierzu vorliegen, zeigen, dass nichtsorgeberechtigte, außerhalb lebende Mütter ein relativ gutes Verhältnis zu ihren Kindern haben. In den meisten Fällen achten sie während der Kindheit auf regelmäßigen Kontakt und auch die Beziehungsqualität ist oft gut. Alle diese Ergebnisse sprechen für eine Bestätigung der Annahmen der Austauschtheorie, als auch des ‚Value-of-Children‘-Ansatzes und der Bindungstheorie. Der Aufbau einer befriedigenden Eltern-Kind-Beziehung im Erwachsenenalter ist im großen Maße an Investitionen gebunden, die Eltern leisten, wenn die Kinder noch minderjährig sind. Je stärker sich die Eltern engagieren, desto besser ist das für die Eltern-Kind-Beziehung, wenn die Kinder erwachsen sind. Väter tun dies auch in funktionierenden Partnerschaften eher selten, was aber teilweise durch die Mütter kompensiert werden kann. Nach einer Trennung, wenn sie auf sich selbst gestellt sind, die Beziehung zu gestalten, engagieren sich Väter jedoch noch seltener, so dass die Beziehung zu ihren Kindern in der Regel stark darunter leidet.
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Stand der Forschung
Wie sehen die Ergebnisse nun aus, wenn die getrennten Eltern neue Partnerschaften eingehen und eine primäre bzw. eine sekundäre Stieffamilie bilden? Da die Kinder nach einer Trennung in den meisten Fällen bei der Mutter verbleiben, wird die überwiegende Anzahl primärer Stieffamilien von Müttern gegründet. Die Kinder leben dann mit ihrer leiblichen Mutter und einem Stiefvater zusammen. Sekundäre Stieffamilien sind dagegen fast immer Vater-StiefmutterFamilien. Geschlechter- und Haushaltseffekte müssen entsprechend getrennt werden. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Wiederheirat der internen Mutter kaum einen Einfluss auf die Angaben der erwachsenen Kinder zur Wohnentfernung, Kontakthäufigkeit und Qualität der Beziehung hat. Es macht also keinen Unterschied, ob die Mutter nach einer Trennung wieder heiratet oder nicht. Das Gleiche gilt für Väter, die nach einer Trennung mit den Kindern zusammengelebt haben. Eine Wiederheirat des internen Vaters hat kaum einen Einfluss auf die spätere Ausgestaltung der Vater-Kind-Beziehung. Allerdings hat eine Wiederheirat des internen Elternteils teilweise negative Effekte für die Beziehung zum außerhalb lebenden Elternteil, vor allem wenn dies die Mutter ist. Eine neue Partnerschaft des externen Elternteils schwächt die Eltern-Kind-Beziehung oft, was aber nicht unbedingt auf die Partnerschaft an sich, sondern eher auf die Geburt weitere leiblicher Kinder innerhalb dieser neuen Partnerschaft zurückzuführen ist. Generationenbeziehungen zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern stehen in jeder Dimension hinter den Beziehungen zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern zurück: Sie leben weiter voneinander entfernt, haben weniger Kontakt und eine geringere Beziehungsqualität, empfinden weniger Verpflichtung zur gegenseitigen Unterstützung und helfen sich weniger. Stiefbeziehungen sind allerdings in viel höherem Maße variabel und von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, die bedingen, ob sie stärker oder schwächer bzw. besser oder schlechter sind. Als wichtige Einflussgrößen der Beziehungsgestaltung zwischen Eltern und Kindern haben sich einerseits (1) die jeweils anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen und andererseits (2) die verschiedenen soziodemografischen Faktoren, die mit einer elterlichen Trennung verknüpft sind, herausgestellt. (1) Ergebnisse, die nicht nur Trennungs- und Stieffamilien betreffen, welche aber für diese besondere Relevanz besitzen, zeigen, dass die verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen aufs engste miteinander verknüpft sind. So beeinflusst beispielsweise die Wohnentfernung das Ausmaß der Kontakthäufigkeit: Je weiter das externe Elternteil nach einer Trennung von seinem minderjährigen Kind entfernt wohnt, desto seltener haben die beiden Kontakt. Die Eltern-Kind-Beziehung wird entsprechend schon in diesem Stadium deutlich geschwächt. Die Kontakthäufigkeit beeinflusst wiederum die
Stand der Forschung
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Beziehungsqualität und zwar in der Weise, dass mit der Kontakthäufigkeit auch die Beziehungsqualität steigt und umgekehrt. Da die vorliegenden empirischen Untersuchungen fast ausnahmslos auf Querschnittsdaten beruhen, ist die Kausalität allerdings mit Vorsicht zu interpretieren. Eine gute Erreichbarkeit und eine hohe Kontaktrate bieten aber nicht nur mehr Möglichkeiten, sich emotional näher zu kommen, sondern erhöhen gleichzeitig auch die Opportunitäten für einen gegenseitigen Austausch von Unterstützungsleistungen. Der hauptsächliche Grund, warum getrennte bzw. geschiedene Eltern und Stiefeltern, ihre erwachsenen (Stief-)Kinder weniger emotional und instrumentell unterstützen als Eltern aus strukturell intakten Familien, liegt in ihrer signifikant schlechteren Beziehungsqualität mit ihren Kindern. Die geringere finanzielle Unterstützung ist dagegen vor allem auf fehlende Ressourcen und konkurrierende familiale Verpflichtungen zurückzuführen. Die finanzielle Unterstützung ist demnach weniger vom Ausmaß der Beziehungsqualität abhängig. Es hat sich weiterhin gezeigt, dass Eltern und erwachsene Kinder, die nah beieinander wohnen und häufig miteinander interagieren, eine stärkere Verpflichtung zur gegenseitigen Unterstützung wahrnehmen. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen wie Wohnentfernung, Kontakthäufigkeit, Beziehungsqualität, Wahrnehmung familialer Verpflichtungen und Austausch von Unterstützungsleistungen alle eng miteinander zusammen hängen und jeweils vollständig erhoben werden müssen, um die konkrete Ausgestaltung in verschiedenen Familienformen umfassend erklären zu können. (2) Zu den wichtigsten Einflussgrößen der Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen in Trennungs- und Stieffamilien gehört die Trennungsdauer der Eltern zum Zeitpunkt der jeweiligen Erhebung bzw. das Alter des Kindes bei der Trennung. Je länger die Trennung der Eltern her ist bzw. je jünger das Kind bei einer Trennung der Eltern ist, desto stärker sind die empirisch beobachtbaren negativen Effekte. Es scheint, dass sich Eltern-Kind-Beziehungen umso stärker festigen, je mehr Zeit Eltern und Kinder in einem gemeinsamen Haushalt verbringen können. Wenn die elterliche Trennung bzw. Scheidung sehr zeitig im Leben der Kinder stattfindet, ist das für langfristige Eltern-Kind-Beziehungen schädlicher als wenn sie später stattfindet. Allerdings findet sich ein – nicht überraschender – gegenteiliger Effekt für die Beziehungen zwischen Stiefeltern und Stiefkindern: Das heißt, je eher sich Stiefelternteile einer entzweiten Familie anschließen, je jünger also die Kinder zu Beginn der Beziehung waren, desto enger ist sie tendenziell auch, wenn die Kinder erwachsen sind. Geht das leibliche Elternteil eine Beziehung mit einem neuen Partner bzw. einer neuen Partnerin ein, wenn die Kinder schon erwachsen sind, stehen die Chancen entsprechend schlechter, dass eine Beziehung aufgebaut wird, die durch häufigen re-
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gelmäßigen Kontakt, emotionale Nähe, gegenseitige Verpflichtungsgefühle und dem Austausch von Unterstützungsleistungen geprägt ist. Von entscheidender Bedeutung scheint weiterhin zu sein, ob das jeweils betrachtete Elternteil überwiegend mit dem Kind zusammengelebt hat, als es noch minderjährig war. Das gilt auch für Stiefelternteile, die entweder der neue Partner bzw. die neue Partnerin des internen oder aber des externen Elternteils sein können. Ein Zusammenleben mit dem Kind führt für das interne Elternteil und seinen Partner bzw. seine Partnerin zu einer signifikant besseren Beziehung, wenn das Kind den Erwachsenenstatus erreicht hat. Das gilt für leibliche wie für soziale Eltern sowie für Mütter wie für Väter. Das Geschlecht des Elternteils hat nur insofern einen Einfluss auf die verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen, als dass Mütter in den meisten Fällen überwiegend mit den Kindern zusammenleben und sich deshalb intensiver um sie kümmern. Interne Väter, die sich ihren Kindern in ähnlicher Weise zuwenden, erfahren später auch eine engere Beziehung mit ihren Kindern. In ähnlicher Weise gilt das für Stiefväter und Stiefmütter. Da die Kinder fast immer mit ihrer Mutter leben, tun sie das auch eher mit dem neuen Partner ihrer Mutter. Wenn Väter als externe Elternteile eine neue Partnerschaft eingehen, führt das dagegen dazu, dass die Stiefmutter nicht mit den Kindern zusammenlebt und sie es deshalb in der Regel schwerer als ein Stiefvater hat, eine enge Beziehung zum Stiefkind aufzubauen. Zum Einfluss des Geschlechts der Kinder sind die Ergebnisse so uneinheitlich, dass es schwierig ist, einen Trend zu berichten. Tendenziell werden jedoch gegengeschlechtliche Eltern-Kind-Dyaden durch eine Trennung stärker belastet als gleichgeschlechtliche Dyaden. Das Bildungsniveau der Eltern spielt bei der Ausgestaltung der familialen Beziehungen – mit und ohne neue Partner – eine besonders wichtige Rolle. Besitzen die Eltern ein hohes Bildungsniveau ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass die leiblichen Eltern, auch wenn sie sich trennen oder neue Partnerschaften eingehen, versuchen eine möglichst optimale Lösung für das Kind zu finden. Dazu gehört, dass sie die Besonderheiten ihrer Lebensform akzeptieren und sowohl das außerhalb lebende, leibliche Elternteil als auch das ggf. vorhandene Stiefelternteil einen Platz in der Familie findet. Außerdem hat sich gezeigt, dass Kinder, die zu ihren leiblichen Eltern ein gutes Verhältnis haben, auch ihren Stiefeltern näher stehen. Insgesamt hängen die Beziehungen in Trennungs- und Stieffamilien stark von der Kommunikation zwischen den Familienmitgliedern ab. Vor allem aber bestimmen die Bemühungen der Stiefeltern um einen positiven Austausch mit den Kindern maßgeblich das Gelingen dieser Beziehung. Ein zuwendungsvolles, an den Bedürfnissen der Kinder orientiertes und offenes Verhalten in der Eltern-Kind-Interaktion hat sich dabei als generell förderlich für die Entwicklung von gelungenen und den Beteiligten als befriedigend empfundenen Generationenbeziehungen herausgestellt.
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Die bislang vorliegenden empirischen Ergebnisse zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen in Trennungs- und Stieffamilien unterstützen voll und ganz die theoretischen Prämissen der Lebensverlaufsforschung, die besagen, dass die Erfahrungen in der Kindheit langfristige Konsequenzen für die Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren (Stief-)Eltern haben. Insbesondere die Zusammenhänge zwischen der Wohnentfernung, der Kontakthäufigkeit, der Beziehungsqualität, der Wahrnehmung familialer Verpflichtungen und dem Austausch von Unterstützungsleistungen verweisen auf die große Bedeutung von prospektiven Längsschnittdaten, die unabdingbar sind, um UrsacheWirkungs-Zusammenhänge aufzudecken, aber bislang fast völlig fehlen. Leider liegt auch der ‚Generations and Gender Survey‘ (GGS) im Moment nur in seiner ersten Welle vor, so dass sich die folgenden Analysen auf Querschnittbetrachtungen beschränken müssen. Nichtsdestotrotz können die Ergebnisse, die in den nächsten Abschnitten berichtet werden, dazu beitragen, einige Forschungslücken zu schließen, da es für die Bundesrepublik Deutschland bislang überhaupt noch keine Informationen zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen in Trennungs- und Stieffamilien existieren, wenn die Kinder bereits erwachsen sind. Dabei werden sowohl die Angaben von Eltern, die sich getrennt haben mit den Angaben von Eltern aus intakten Partnerschaften verglichen, als auch die Angaben von leiblichen und sozialen Eltern. Darüber hinaus werden bestimmte Merkmale innerhalb verschiedener Typen von Stieffamilien identifiziert, die einen Einfluss auf die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Stiefeltern und Stiefkindern haben
4
Methodische Grundlagen
Im Folgenden soll kurz der Datensatz vorgestellt werden, der den empirischen Analysen zur Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen von leiblichen und sozialen Eltern mit ihren erwachsenen Kindern zugrunde liegt. Es handelt sich um die erste Welle des in Deutschland durchgeführten ‚Generations and Gender Survey‘ (GGS), der aktuelle Daten sowohl zu familialen Strukturen als auch zu verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen enthält. Mit den Daten des GGS ist es möglich, die jeweilige Beziehungen, in denen Eltern zu ihren erwachsenen Kindern und den Kindern ihres Partners bzw. ihrer Partnerin stehen, exakt zu ermitteln (umgekehrt leider nicht), so dass erstmals für Deutschland die Verteilung verschiedener Familienstrukturen mit volljährigen Kindern dargestellt werden kann. Darauf aufbauend ist es dann auch möglich, die Ausgestaltung der Beziehungen mit erwachsenen Kindern differenziert nach den jeweiligen Relationen der befragten Elternteile zu den entsprechenden Kindern zu betrachten, sowie die Unterschiede innerhalb verschiedener Familienformen – im Rahmen der Möglichkeiten des GGS – zu erklären.
4.1
Der ‚Generations and Gender Survey‘ 2005
Die erste Welle der längsschnittlich angelegten Untersuchung ‚Generations and Gender Survey’ (GGS) wurde in Deutschland zwischen Ende Februar und Mitte Mai 2005 von TNS Infratest Sozialforschung im Auftrag des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) durchgeführt. Die Untersuchung ist institutionell eingebettet in das ‚Generations and Gender Programme’ (GGP) der ‚United Nations Economic Commission of Europe’ (UNECE).58 Im Mittelpunkt des GGP steht das Ziel, aktuelle Daten zu Familienbeziehungen in Industrieländern zu gewinnen. Dazu sollen in einem Abstand von jeweils drei Jahren mindestens drei Befragungswellen (mit Paneldesign) zu den Themen Generationenbezie-
58
Ausführliche Informationen zum ‚Generations and Gender Programme’ (GGP) finden sich auf Homepage der Population Activity Unit (PAU) der UNECE in Genf unter http://www.unece. org/pau/ggp/Welcome.html.
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Methodische Grundlagen
hungen und Geschlechterrollen in verschiedenen Ländern59 stattfinden, um Bedingungen auszumachen, welche die Umsetzung von Handlungsabsichten (zum Beispiel hinsichtlich des Fertilitätsverhaltens oder der Institutionalisierung bzw. Deinstitutionalisierung einer Partnerschaft) entweder befördern oder aber behindern. Der deutsche ‚Generations and Gender Survey’ im Rahmen des GGP enthält deshalb, neben der Möglichkeit die Komplexität sowohl haushaltsinterner als auch haushaltsübergreifender Familienstrukturen abzubilden, Fragen zu Fertilität, Partnerschaftsentwicklung und Generationenbeziehungen (Ruckdeschel et al. 2006: 7). Der GGS ist eine repräsentative Untersuchung, die eine Stichprobe von 10.017 deutschsprachigen Personen im Alter zwischen 18 und 79 Jahren, die in Privathaushalten in Deutschland leben, umfasst. Zur Befragung der Zielpersonen – es handelt sich hier um ein Single-Actor-Design – wurden ‚Computer Assisted Personal Interviews‘ (CAPI) durchgeführt. Obwohl sich der GGS prinzipiell eignet, Generationenbeziehungen zwischen Stiefeltern und Stiefkindern abzubilden, zeigen sich bei näherer Betrachtung einige Probleme, welche die Analysen zumindest einschränken. Da (1) die verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen ausschließlich für die leiblichen Eltern erhoben wurden, (2) die Zielpersonen bei getrennt lebenden Eltern, die Fragen zu Mutter und Vater – auf Grund eines Filterfehlers – nicht beantwortet haben und (3) die Antwortkategorien ‚Stiefmutter‘ bzw. ‚Stiefvater‘ bei den Fragen nach dem Austausch von Unterstützungsleistungen fehlen (und es deshalb durchaus vorkommt, dass zwei Mütter oder zwei Väter als Quelle von Hilfeleistungen genannt werden), ist es nicht möglich, die Generationenbeziehungen aufwärts – also von Stiefkindern zu Stiefeltern – zu untersuchen. Eine Analyse von Generationenbeziehungen in Stieffamilien mit erwachsenen Kindern muss sich mit den Daten des ‚Generations and Gender Survey‘ von 2005 deshalb auf die Angaben von Stiefeltern beschränken. Die Betrachtung der Ausgestaltung von familialen Generationenbeziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern erfolgt hier deshalb ausschließlich generationenabwärts von den (Stief-)Eltern zu den (Stief-)Kindern.
59
Weitere Länder, die sich neben der Bundesrepublik Deutschland bislang am GGP beteiligen, sind Australien, Belgien, Bulgarien, Estland, Frankreich, Georgien, Italien, Japan, Litauen, die Niederlande, Norwegen, Rumänien, Russland, die Tschechische Republik und Ungarn.
Methodische Grundlagen
4.2
169
Die Erfassung und Verteilung der Relationen von Eltern und erwachsenen Kindern im GGS
In der ersten Welle des ‚Generations and Gender Survey‘ von 2005 wurden alle Kinder – sowohl die der Zielperson als auch die des Partners bzw. der Partnerin der Zielperson – innerhalb und außerhalb des Haushaltes erfasst. Die Kinder, die innerhalb des Haushaltes der Zielperson leben, wurden mit Hilfe eines so genannten Haushaltsrasters als Haushaltsmitglieder identifiziert. Zu jeder im Haushalt lebenden Person mussten die Befragten dann den jeweiligen Verwandtschaftsgrad angeben. Hinsichtlich der Kinder standen folgende Antwortkategorien zu Auswahl: leibliches Kind von gegenwärtigem/r (Ehe-)Partner/in, leibliches Kind von früherem/r (Ehe-)Partner/in, Stiefkind, Adoptivkind, Enkel oder Urenkel (meine oder die meines Partner bzw. Ehepartners). Da detaillierte Informationen zu den Generationenbeziehungen zwischen Eltern und Kindern nur erfragt wurden, wenn sie nicht in einem gemeinsamen Haushalt wohnen, beschränkt sich die Datenanalyse allerdings auf Kinder, die außerhalb des Haushaltes der Zielperson leben. Darüber hinaus werden nur Beziehungen zu erwachsenen Kindern einbezogen, also zu Kindern die 18 Jahre oder älter sind.60 Die Kinder, die außerhalb des Haushaltes der Zielperson leben, wurden erstens als eigene Kinder der Zielperson erfasst, wobei einerseits der Status – leibliches Kind, Adoptivkind, Pflegekind – erfragt wurde, und andererseits, ob dieses Kind auch das leibliche Kind des gegenwärtigen (Ehe-)Partners bzw. der gegenwärtigen (Ehe-)Partnerin ist. Außerdem wurde die Zielperson zweitens darum gebeten, alle Kinder des Partners bzw. der Partnerin zu nennen, die nicht in ihrem Haushalt leben. Die getrennte Erfassung von leiblichen Kindern aus einer früheren Partnerschaft und Stiefkindern ist dabei die entscheidende Differenzierung, welche es überhaupt erst möglich macht, die Gesamtheit aller Stieffamilienkonstellationen zu bestimmen. Auf diese Weise werden nämlich sowohl Zielpersonen, die selbst Stiefelternteil sind, als auch Partner bzw. Partnerinnen der Befragten als Stiefelternteil identifiziert. Fragt man dagegen nur nach Stiefkindern, wie es gemeinhin üblich ist, bzw. fragt man nach der Angabe, dass es sich um ein eigenes leibliches Kind handelt nicht danach, ob es denn auch das leibliche Kind des gegenwärtigen Partners bzw. der gegenwärtigen Partnerin ist, bleibt die Hälfte der Stiefverhältnisse unberücksichtigt. 60
Insgesamt mussten entsprechend 17% der Relationen von Eltern mit erwachsenen Kindern von den Analysen ausgeschlossen werden, die entweder noch oder schon wieder in einem gemeinsamen Haushalt leben. Legt man die Annahme zugrunde, dass es sich bei zusammen lebenden Eltern und Kindern um eine positive Auswahl von Beziehungen handelt, bestärkt dies die Ergebnisse, die im Folgenden berichtet werden noch.
170
Methodische Grundlagen
Zur besseren Übersicht über die im ‚Generations and Gender Survey‘ erfassten Kindschaftsverhältnisse und die im Folgenden verwendeten Bezeichnungen für die verschiedenen Familienkonstellationen sind in Tabelle 2 die möglichen Relationen von leiblichen und sozialen Eltern zu ihren erwachsenen Kindern dargestellt, die sich aus der jeweiligen Beziehung der Zielperson sowie des Partner bzw. der Partnerin der Zielperson zu den Kindern ergeben. Vorwegzunehmen ist, dass eine befragte Person natürlich auch – sofern vorhanden – zu verschiedenen Kindern in unterschiedlichen Relationen stehen kann. Tabelle 2:
Mögliche Relationen der Zielpersonen sowie der Partner zu erwachsenen Kindern und die sich daraus ergebenden Bezeichnungen für die befragten Elternteile
Relation der Zielperson zum Kind
Relation des/r Partners/in der Zielperson zum Kind
Familientyp
Bezeichnung des befragten Elternteils
Leibliches Elternteil
Leibliches Elternteil
Intakte Familie
Leibliches Elternteil (intakte Familie)
Leibliches Elternteil
-
Alleinlebend
Leibliches Elternteil (kein/e Partner/in)
Leibliches Elternteil
Nicht leibliches Elternteil
Stieffamilie
Leibliches Elternteil (neue/r Partner/in)
Nicht leibliches Elternteil (auch Adoptiv- oder Pflegeelternteil)
Leibliches Elternteil
Stieffamilie
Stiefelternteil
Adoptiv- oder Pflegeelternteil
Nicht leibliches Elternteil
Adoptiv- oder Pflegefamilie
Adoptiv- oder Pflegeelternteil
Die Relationen, in denen Eltern zu erwachsenen Kindern (auf Grund der Vorgaben im GGS) stehen können, lassen sich grob in drei Gruppen einteilen: Erstens in leibliche Eltern, zweitens in nicht leibliche Eltern und drittens in Adoptivoder Pflegeeltern. Aus der Relation der Zielperson und deren Partner bzw. Partnerin zum Kind ergeben sich dann fünf mögliche Konstellationen familialer Strukturen für die empirischen Analysen: (1) Wenn sowohl die Zielperson als auch der Partner bzw. die Partnerin der Zielperson leibliche Elternteile des entsprechenden Kindes sind, handelt es sich um strukturell intakte Familien. Da
Methodische Grundlagen
171
nur die Zielperson Angaben zur Beziehungsgestaltung mit diesem Kind gemacht hat, wird sie (als befragtes Elternteil) im Folgenden als Leibliches Elternteil (intakte Familie) bezeichnet. (2) Wenn die befragte Zielperson leibliches Elternteil des genannten Kindes ist, derzeit aber keinen Partner bzw. keine Partnerin hat, also Alleinlebend ist (da die Kinder schon erwachsen sind, scheint der Begriff Alleinerziehend unangebracht), soll sie im Folgenden als Leibliches Elternteil (kein/e Partner/in) bezeichnet werden. (3) Wenn zwar die Zielperson leibliches Elternteil des Kindes ist, nicht aber der Partner bzw. die Partnerin, dann handelt es sich zwar strukturell um eine Stieffamilie. Da das befragte Elternteil aber nicht das soziale, sondern das biologische ist, wird es daher als Leibliches Elternteil (neue/r Partner/in) bezeichnet. (4) Wenn die Zielperson nicht das leibliche Elternteil des Kindes ist (darunter fallen natürlich auch Adoptiv- oder Pflegeeltern), aber der Partner bzw. die Partnerin diesen Status inne hat, handelt es sich ebenfalls um eine Stieffamilie. Da hier das soziale Elternteil Auskunft über seine Beziehung zum Kind gibt, wird dieses im Folgenden als Stiefelternteil bezeichnet. (5) Wenn die Zielperson angibt, Adoptiv- oder Pflegeelternteil zu sein und der Partner bzw. die Partnerin nicht leibliches Elternteil des entsprechenden Kindes ist, dann handelt es sich um eine (reine) Adoptiv- oder Pflegefamilie. Im Datensatz fehlen zwar entsprechende Informationen, ob auch der Partner bzw. die Partnerin der Zielperson zu diesem Kind in einem Adoptivoder Pflegeverhältnis steht, aber es wird an dieser Stelle davon ausgegangen, da sowohl Adoptiv- als auch Pflegekinder normalerweise nur an Paare vergeben werden. In dieser Konstellation wird das befragte Elternteil als Adoptiv- oder Pflegeelternteil bezeichnet. Abbildung 8 gibt nun einen Überblick über den Anteil der befragten Elternteile in ihren Relationen zu den erwachsenen Kindern, die außerhalb ihres Haushaltes leben. Dargestellt ist hier – in Anlehnung an die Übersicht in Tabelle 2 – die Beziehung, in der die jeweils befragten Elternteile zu den erwachsenen Kindern stehen. Dabei kann ein Elternteil natürlich auch Angaben zu mehr als einem Kind gemacht haben und in jeweils verschiedenen Relationen zu diesen Kindern stehen. Das ist auch bei vielen Eltern der Fall, was daran erkennbar ist, dass die 6.431 Eltern-Kind-Relationen auf den Angaben von 3.205 befragten Elternteilen basieren. Weiterhin ist zu bemerken, dass aus Familiensicht sowohl Familien, in denen der oder die Befragte das Stiefelternteil ist, als auch Familien, in denen der oder die Befragte das leibliche Elternteil ist, nicht aber der Partner bzw. die Partnerin, als Stieffamilien gezählt werden müssen. Das heißt, dass die Familienstruktur zwar vergleichbar ist, in die Untersuchung aber einmal die Angaben des leiblichen und einmal die Angaben des sozialen Elternteils eingehen. Das dies durchaus einen Unterschied macht, geht aus der Abbildung 8 deutlich hervor: Stiefkinder (6,4%) werden von ihren Stiefeltern viel seltener
172
Methodische Grundlagen
genannt als leibliche Kinder (12,5%), die in Stieffamilienkonstellationen leben. Da die Befragung repräsentativ ist und sowohl Mütter als auch Väter einschließt, müssten eigentlich genauso viele Personen angeben, leibliches Elternteil zu sein und mit einem neuen Partner bzw. einer neuen Partnerin zusammenzuleben, wie Personen angeben, dass sie nicht das leibliche Elternteil des entsprechenden Kindes sind, wohl aber ihr Partner bzw. ihre Partnerin. Es ist also davon auszugehen, dass die Daten der Stiefeltern zu einem gewissen Maße (positiv) verzerrt sind, wenn man annimmt, dass vor allem Stiefeltern Angaben zu ihren Stiefkindern machen, die mit diesen ein relativ gutes Verhältnis haben, während die anderen diese Kinder gar nicht erst nennen. Abbildung 8:
Der Anteil von befragten Elternteilen in ihren Relationen zu volljährigen Kindern, die außerhalb des Haushaltes leben
Leibliches Elternteil (intakte Familie)
6,4% 1,1%
Leibliches Elternteil (kein/e Partner/in)
12,5%
Leibliches Elternteil (neue/r Partner/in) Stiefelternteil
8,5%
Adoptiv- oder Pflegeelternteil
71,5%
Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen (n = 6.431).
Methodische Grundlagen
173
Aus der Abbildung 8 geht hervor, dass mehr als zwei Drittel (bzw. 71,5%) der 6.43161 Relationen mit volljährigen Kindern, die nicht mehr im Haushalt ihrer Eltern wohnen, leibliche Eltern sind, die mit dem anderen leiblichen Elternteil der Kinder in einer Partnerschaft leben (n=4.595). Diese Eltern haben ihre Kinder in einer intakten Familie groß gezogen, die immer noch Bestand hat. Etwa ein Fünftel der Zielpersonen gibt an, dass die Kinder zwar ihre eigenen leiblichen Kinder sind, jedoch nicht die des derzeitigen (Ehe-)Partners bzw. der derzeitigen (Ehe-)Partnerin. Da ca. 40% dieser Zielpersonen weder mit einem (Ehe-)Partner bzw. einer (Ehe-)Partnerin zusammen leben, noch eine ‚LivingApart-Together‘-Beziehung führen, ist es sinnvoll innerhalb dieser Gruppe noch einmal zwischen Personen mit und ohne Partner bzw. Partnerin zu unterscheiden. Die Zielpersonen ohne Partner bzw. Partnerin – also Alleinstehende – machen 8,5% (n=549) der Elternteile mit erwachsenen Kindern im GGS aus. Diejenigen mit neuem Partner bzw. neuer Partnerin umfassen dagegen 12,5% (n=807). Gerade einmal 6,4% (n=410) der befragten Zielpersonen mit erwachsenen Kindern außerhalb des Haushaltes geben an, Stiefelternteile zu sein. Darunter fallen alle Elternteile, die nicht die leiblichen Elternteile der erfassten Kinder sind, wohl aber der derzeitige (Ehe-)Partner bzw. die (Ehe-)Partnerin. Adoptiv- oder Pflegeeltern, bei denen weder die Zielperson noch der Partner oder die Partnerin leibliche Eltern der Kinder sind, fallen in die letzte Kategorie. Sie machen gerade einmal 1,1% (n=70) aller Eltern im GGS aus, die volljährige Kinder haben und nicht mit ihnen in einem gemeinsamen Haushaltes leben. Wenn nun die verschiedenen Eltern-Kind-Relationen nach dem Geschlecht des Elternteils unterschieden werden, erhält man den jeweiligen Anteil an Müttern und Vätern, die angeben, erwachsene Kinder der entsprechenden Kategorien zu haben (Abbildung 9).
61
Wegen fehlender Angaben beim Partnerschaftsstatus reduziert sich die hier einbezogene Gesamtzahl der Elternteile mit volljährigen Kindern, die nicht im Haushalt der Zielpersonen leben, von 6.439 auf 6.431.
174
Methodische Grundlagen
Abbildung 9:
Der Anteil von befragten Müttern und Vätern in ihren Relationen zu volljährigen Kindern, die außerhalb des Haushaltes leben
100 Mütter 90 80
Väter 71,2 71,8
70 Prozent
60 50 40 30 20
11,7 13,6
10,4
5,6 7,3
6,4
10
1,1 1,0 0 Leibliches Elternteil (intakte Familie)
Leibliches Elternteil (kein/e Partner/in)
Leibliches Elternteil (neue/r Partner/in)
Stiefelternteil
Adoptiv- oder Pflegeelternteil
Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen (n = 6.431).
In der Abbildung 9 ist deutlich zu erkennen, dass es keine großen Unterschiede zwischen Müttern und Vätern in ihren Relationen zu erwachsenen Kindern gibt. Jeweils etwa 70% der Mütter als auch der Väter geben an, dass das von ihnen genannte volljährige Kind, welches nicht in ihrem Haushalt lebt, ihr eigenes leibliches als auch das leibliche Kind ihres derzeitigen (Ehe-)Partners bzw. ihrer derzeitigen (Ehe-)Partnerin ist (n=2.457; n=2.138). Es handelt sich also bei der Mehrheit der genannten Kinder, um gemeinsame leibliche Kinder aus (strukturell) intakten Kernfamilien. Sowohl Mütter als auch Väter geben zwar zu etwa einem Fünftel an, dass die genannten Kinder ihre eigenen leiblichen Kinder sind, aber – sofern vorhanden – nicht die des derzeitigen (Ehe-)Partners bzw. der derzeitigen (Ehe-)Partnerin. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich hier allerdings einige berichtenswerte Unterschiede zwischen den Geschlech-
Methodische Grundlagen
175
tern: Während etwa gleich viele leibliche Mütter (11,7%; n=403) und leibliche Väter (13,6%; n=404) einen neuen Partner bzw. eine neue Partnerin haben; sind deutlich mehr Mütter (10,4%; n=359) als Väter (6,4%; n=190) alleinstehend. Stiefelternteil zu sein, geben wiederum weniger Mütter (5,6%; n=194) als Väter (7,3%; n=216) an. Dass Mütter zu einem größeren Anteil alleinstehend sind und dass mehr Väter den Status eines Stiefelternteils besitzen, kann zum einen natürlich daran liegen, dass Frauen mit Kindern, die ja (solange diese minderjährig sind), überwiegend bei ihnen aufwachsen, seltener einen neuen Partner finden als Väter eine neue Partnerin. Zum anderen ist das aber sicher auch auf die Datenstruktur zurückzuführen, da Frauen eine höhere Lebenserwartung haben und sich deshalb auch mehr (alte) Witwen im Sample befinden müssten als (alte) Witwer. Beim Anteil an Adoptiv- und Pflegeeltern unterscheiden sich Mütter und Väter wiederum kaum. Beide Geschlechter geben zu etwa 1% an (n=39; n=31), dass sie in dieser Relation zu ihren erwachsenen Kindern stehen, was teilweise als Beleg dafür gesehen werden kann, dass es eher Paare sind, die Kinder adoptieren oder pflegen. Wobei hier natürlich keine dyadischen Elterndaten in die Analyse eingegangen sind, so dass dies an dieser Stelle weiterhin Spekulation bleiben muss. Die Beziehungen von Adoptiv- und Pflegeeltern zu ihren erwachsenen Adoptiv- und Pflegekindern, wenn der Partner bzw. die Partnerin nicht leibliches Elternteil dieses Kindes ist, werden in den weiterführenden Analysen allerdings nicht weiter berücksichtigt. Das hat verschiedene Gründe: Erstens ist ihr Anteil mit etwa einem Prozent im ‚Generations and Gender Survey‘ sehr gering (siehe Abbildungen 8 und 9), so dass alle Analysen, die über eine reine Deskription hinausgehen, nur schwer zu interpretieren sind – vor allem, wenn man die Beziehungen der Eltern zu Adoptiv- und Pflegekindern mit denen zu anderen Kindern vergleichen möchte. Zweitens ist diese Gruppe ausgesprochen heterogen: Sie umfasst einerseits Adoptiveltern, die entweder Paare sein können, die trotz Kinderwunsch keine eigenen leiblichen Kinder bekommen und deshalb ein Kind adoptiert haben. Oder es handelt sich um andere Formen der rechtlichen Übertragung der Aufsicht an Verwandte und Nichtverwandte, weil die Eltern aus irgendeinem Grund ihre Pflichten nicht wahrnehmen können oder vielleicht sogar verstorben sind. Andererseits umfasst diese Gruppe Pflegeeltern, die temporär oder auch längerfristig ‚fremde‘ Kinder in ihre Familie aufnehmen, weil sich die leiblichen Eltern nicht in angemessener Weise um die Kinder gekümmert haben und die dafür finanziell entschädigt werden. Drittens liegt der Fokus der vorliegenden Untersuchung auf Generationenbeziehungen in Stieffamilien. Da (reine) Adoptiv- und Pflegefamilien teilweise ganz anderen Bedingungen ausgesetzt sind – auch wenn das Verhältnis zu den Kindern durch soziale Elternschaft geprägt ist – würden die Ausführungen und Erklärungen zu weit
176
Methodische Grundlagen
führen. Ein Vergleich der Angaben zur Ausgestaltung von Eltern-KindBeziehungen von Stiefeltern und leiblichen Eltern, die entweder in einer langfristig intakten Partnerschaft, ohne Partner oder in einer neuen Partnerschaft leben, erreicht bereits eine ausgesprochen hohe Komplexität, der an dieser Stelle ausreichend Platz eingeräumt werden soll.
5
Die Beziehungen von leiblichen Eltern und Stiefeltern zu ihren erwachsenen Kindern
Im Folgenden sollen nun die verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen, die im Rahmen des ‚Generations and Gender Survey‘ erhoben wurden, in ihren empirischen Ausprägungen dargestellt werden. Bezüglich der Ausgestaltung familialer Generationenbeziehungen wurden im GGS folgende Aspekte zu jedem genannten Kind erfasst, das nicht im Haushalt der Zielperson lebt: die Wohnentfernung, die Kontakthäufigkeit sowie die Zufriedenheit mit der Beziehung. Außerdem wurde bei allen Befragten das Ausmaß der Zustimmung zu familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung von Eltern und erwachsenen Kindern erhoben. Darüber hinaus sollten die Zielpersonen angeben, ob sie in den letzten 12 Monaten von Personen ihres persönlichen Umfeldes verschiedene Unterstützungsleistungen erhalten haben, und ob sie umgekehrt Anderen solche Unterstützungen haben zukommen lassen; wobei hier auch Kinder und Stiefkinder – getrennt nach ihrem Geschlecht – genannt werden konnten. Wenn es allerdings mehrere Kinder oder Stiefkinder des gleichen Geschlechts in der Familie gibt, ist es leider nicht möglich, eine Nennung einem bestimmten Kind zuzuordnen. Des Weiteren beschränken sich die Angaben nicht auf volljährige Kinder und auch nicht auf Personen, die außerhalb des Haushaltes leben. Deshalb kann nicht gewährleistet werden, dass die genannten Kinder und Stiefkinder auch tatsächlich der hier interessierenden Gruppe angehören. Aus diesem Grund werden im Folgenden keine Resultate zum Austausch von Unterstützungsleistungen berichtet, sondern ausschließlich Ergebnisse zur Wohnentfernung, zur Kontakthäufigkeit, zur Beziehungszufriedenheit sowie zur Zustimmung zu familialen Normen. In einem ersten Schritt werden die Beziehungen von leiblichen Eltern und ihren erwachsenen Kindern rein deskriptiv mit denen von Stiefeltern und ihren erwachsenen Stiefkindern verglichen. Die Beziehungen von leiblichen Eltern und ihren Kindern können dabei noch einmal unterteilt werden in jene, bei denen der gegenwärtige (Ehe-)Partner bzw. die gegenwärtige (Ehe-)Partnerin ebenfalls das leibliche Elternteil des Kindes ist und jene, die entweder einen neuen (Ehe-)Partner bzw. eine neue (Ehe-)Partnerin haben oder aber Alleinste-
178
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
hend sind (siehe für eine Übersicht auch Tabelle 2).62 Falls sich Unterschiede in der Ausgestaltung der Eltern-Kind-Beziehungen nach den Relationen, in denen die befragten Elternteile zu den jeweiligen Kindern stehen, zeigen, sollen diese in einem zweiten Schritt unter Rückgriff auf multivariate Analyseverfahren erklärt werden. Darüber hinaus werden in einem dritten Schritt die kausalen Zusammenhänge der einzelnen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen in einem Strukturgleichungsmodell dargestellt. Abschließend werden die Ergebnisse der empirischen Analysen auf Grundlage des GGS zu Generationenbeziehungen von leiblichen Eltern und Stiefeltern zu ihren erwachsenen Kindern und Stiefkindern noch einmal kurz zusammengefasst.
5.1
Deskriptive Ergebnisse
In diesem Abschnitt stehen nun die empirischen Ausprägungen der einzelnen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, die nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben, im Mittelpunkt der Betrachtungen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf einem Vergleich der Ausgestaltung der Beziehungen von leiblichen Eltern und ihren Kindern mit der Ausgestaltung der Beziehungen von Stiefeltern und ihren Stiefkindern. Zur Darstellung des Ausmaßes der Wohnentfernung, der Kontakthäufigkeit, der Beziehungszufriedenheit sowie der Zustimmung zu familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung wird auf Boxplots zurückgegriffen. Um zu überprüfen, ob die Unterschiede zwischen den einzelnen Elterngruppen zufällig oder systematisch auftreten, werden dann die (gegebenenfalls vorhandenen) Mittelwertunterschiede auf Signifikanz getestet. Die Grundgesamtheit für alle nachfolgenden Analysen zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen stellen 6.11563 Eltern-Kind-Relationen dar, die 62
Wenn die Befragten einen (Ehe-)Partner bzw. eine (Ehe-)Partnerin haben, der bzw. die nicht leibliches Elternteil des entsprechenden Kindes des Befragten ist, dann sind die neuen (Ehe)Partner der Definition nach Stiefeltern dieses Kindes. Da allerdings nur Informationen über die Beziehungen zwischen der Zielperson und ihren (Stief-)Kindern vorliegen, können hier nur Aussagen darüber gemacht werden, inwieweit die Beziehung zwischen Eltern und Kindern beeinflusst wird, wenn die leiblichen Eltern sich trennen und eine neue Beziehung eingehen.
63
Die Reduktion der Fallzahl von 6.431 (siehe oben) auf 6.115 Eltern-Kind-Relationen ergibt sich aus dem Ausschluss von Adoptiv- und Pflegeelternteilen aus (reinen) Adoptiv- und Pflegefamilien sowie aus dem Fehlen von Angaben in verschiedenen unabhängigen Einflussvariablen. Diese spielen zwar erst an späterer Stelle eine Rolle (siehe unten), aber die Grundgesamtheit, auf denen die deskriptiven und multivariaten Analysen beruhen, sollte möglichst identisch sein, um die jeweiligen Ergebnisse besser miteinander vergleichen zu können.
179
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
auf den Angaben von 3.091 befragten Elternteilen basieren, deren Kinder 18 Jahre oder älter sind und die außerhalb des Haushaltes der Zielpersonen leben. Dass die Zahl der analysierbaren Eltern-Kind-Relationen bzw. Eltern-KindDyaden etwa doppelt so hoch ist, wie die Zahl der befragten Eltern, liegt daran, dass manche Elternteile Angaben zu mehr als einem Kind gemacht haben (siehe Abbildung 10). Abbildung 10:
Anzahl der erwachsenen Kinder, zu denen die befragten Elternteile Angaben gemacht haben
45 41,9 40 36,5 35
Prozent
30 25 20 14,1
15 10
4,4
5
1,8
0,8
0,3
0,2
6
7
8
0 1
2
3
4
5
Kinderzahl Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen (n = 3.091).
Die durch diese Art der Datengenerierung bzw. Datenaufbereitung eventuell entstehenden Designeffekte (Schnell/Kreuter 2000: 99ff.) wurden durch die Verwendung von Schätzmodellen, mit deren Hilfe die Standardfehler korrigiert
180
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
werden, berichtigt64 (Rogers 1993; Williams 2000). Das gilt für alle im Folgenden berichteten Ergebnisse multivariater Analyseverfahren, wie Regressionsverfahren und Strukturgleichungsmodelle. Wie der Abbildung 10 zu entnehmen ist, haben etwas mehr als ein Drittel der befragten Elternteile (36,5%) Angaben zu einem erwachsenen Kind bzw. Stiefkind gemacht, das nicht mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Die meisten Eltern (41,9%) berichten dagegen über Beziehungen zu zwei erwachsenen Kindern. Natürlich befinden sich im Datensatz auch Elternteile, die mehr als zwei erwachsene Kinder außerhalb des Haushaltes haben. Zwei Väter machten sogar Angaben zu zehn bzw. elf Kindern. Diese jeweils ein Elternteil umfassenden Fälle sind in der Abbildung 10 allerdings nicht aufgeführt, da ihr Anteil bei 6.115 Eltern-Kind-Relationen bei Null Prozent liegt. Die Mehrheit der befragten Elternteile hat also ein, zwei oder drei erwachsene Kinder bzw. Stiefkinder außerhalb des Haushaltes, über deren Beziehungsgestaltung im Folgenden berichtet wird.
5.1.1
Wohnentfernung
Die Wohnentfernung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern stellt in Bezug auf die Ausgestaltung ihrer Beziehung eine wichtige strukturelle Variable dar, da sie zum Beispiel bestimmt, inwieweit gewisse Formen der Kommunikation (face-to-face Kontakt) und des Austausches (instrumentelle Hilfeleistungen) überhaupt umgesetzt werden können. Die Wohnentfernung wurde im GGS mit der folgenden Frage erhoben: „Wie lange brauchen Sie, um von Ihrer Wohnung/Ihrem Haus aus zu [Name des Kindes] zu gelangen, also zu seiner/ihrer derzeitigen Wohnung oder Haus?“ Die Dauer wurde in Stunden bzw. (wenn die Entfernung weniger als eine Stunde betrug) in Minuten festgehalten. Für eine bessere Handhabbarkeit der Variable bietet es sich an, die Stundenangaben der Befragten in Minuten umzurechnen, so dass alle Entfernungen in Minuten vorliegen. Sie reicht dann von 0, wenn die Zielperson und das erwachsene Kind im gleichen Haus (nicht im gleichen Haushalt!) wohnen bis zur entsprechenden Minutenzahl, die die Zeit abbildet, welche die Befragten zur Wohnung bzw. zum Haus des (Stief-)Kindes benötigen. Das Maximum der Variable beträgt 64
Normalerweise führen diese Designeffekte dazu, dass sich die Standardfehler der Schätzer vergrößern, da innerhalb der Klumpen eine gewisse Homogenität zu beobachten ist. Im vorliegenden Fall ergeben sich jedoch teilweise sogar kleinere Standardfehler, was inhaltlich bedeutet, dass sich die Angaben eines Elternteils zu verschiedenen Kindern stärker unterscheiden als die Angaben verschiedener Elternteile zur ‚gleichen Art‘ von Kindern.
Die Bezziehungen zu leiblichen Kindern unnd Stiefkindern
181
nach ihrer Umrechnnung 3.600 Minuten, M was einer e Entfernuung von 60 S Stunden entspriicht. Um die extreme e Spannnweite der Vaariable, die auuf Grund der ddeutlich höhereen Werte der Ausreißer A entssteht, zu reduzzieren und daamit ihren Einfluss in multivvariaten Analyysen nicht zu überschätzten n, wurden dieese Minutenaangaben logaritthmiert. Die logarithmiertee Wohnentferrnung kann nun n zwischen einem minim malen Wert von 0 und einem m maximalen Wert von 8,119 liegen. In dder Abbildunng 11 sind die entsprecheenden Verteilungen der Wohnentfernun W ng von Eltern und erwachssenen Kinderrn, die nicht in einem gem meinsamen H Haushalt weiligen Relaationen der befragten b Elteernteile, leben, differenziert nach den jew ausgeggeben. Abbilddung 11:
Wohnentfernnung nach derr Relation dess befragten Elternteils zum z erwachsen nen Kind
Datenbaasis: GGS 2005; eigene e Berechnunngen (n = 6.115).
182
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
Aus der Abbildung 11 geht hervor, dass hinsichtlich der Wohnentfernung der Eltern zu ihren erwachsenen Kindern eine gewisse Streuung bei allen Eltern – egal ob leiblich oder sozial – vorhanden ist. Bei leiblichen Elternteilen aus intakten65 Familien sind allerdings die Maximalwerte zu beobachten. Die Mediane der einzelnen Verteilungen differieren zwar nach den jeweiligen Relationen der befragten Elternteile, sie liegen jedoch alle relativ nah beieinander. Wie man sieht, unterscheiden sich insbesondere die Mediane der Wohnentfernungen von leiblichen Eltern aus intakten Familien und Stiefeltern von den anderen beiden Gruppen leiblicher Eltern – mit und ohne neue Partner. Bei leiblichen Eltern aus intakten Familien und Stiefeltern liegt der Median bei 3,4, was einer Wohnentfernung von 30 Minuten entspricht. Bei leiblichen Eltern mit und ohne neue Partner liegt er bei 3,8 bzw. 3,7 (45 bzw. 40 Minuten). Es scheint als würden letztere etwas weiter von ihren erwachsenen Kindern entfernt leben. Da der Median aber nur darüber Auskunft gibt, bei welchem Wert sich die Befragten in eine obere und eine untere Hälfte teilen, werden in Tabelle 3 – um die Unterschiede zusätzlich statistisch abzusichern – auch die Mittelwerte der Wohnentfernungen ausgewiesen sowie die entsprechenden Standardabweichungen und Gruppenunterschiede.66 In Klammern sind zur besseren Einordnung der logarithmierten Werte zusätzlich die Mittelwerte der nicht logarithmierten Skala aufgeführt.
65
Wie bereits in der Einleitung erklärt wurde (Fußnote 1, Seite 8), verweist der Begriff ‚intakt‘ ausschließlich auf eine bestimmte Familienkonstellation, bei der die leibliche Mutter und der leiblicher Vater in einer Partnerschaft leben und enthält somit keinerlei Wertungen über die Funktionsweise der Familie oder den Umgang der Familienmitglieder miteinander.
66
Die Gruppenunterschiede wurden anhand linearer Regressionsmodelle – mit den verschiedenen Relationen als Dummy-Variablen – berechnet. Da durch diese Vorgehensweise mehrere Modelle nacheinander geschätzt werden müssen, ist es notwendig eine Bonferoni-Korrektur des Alphaniveaus durchzuführen, damit die Gruppenunterschiede nicht überschätzt werden. Hier wurde die konservative Methode gewählt, bei der die entsprechenden Alphawerte durch die Anzahl der jeweiligen Tests geteilt werden (Bortz 2005: 272).
183
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
Tabelle 3:
Wohnentfernung nach der Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind
Mittelwert Standardabweichung Gruppenunterschiede1
Leibliches Elternteil (intakte Familie)
Leibliches Elternteil (kein/e Partner/in)
Leibliches Elternteil (neue/r Partner/in)
Stiefelternteil
3,3 (87 Minuten)
3,7 (101 Minuten)
3,9 (128 Minuten)
3,8 (123 Minuten)
1,6
1,4
1,5
1,5
a
b
b
b
4.464 519 756 376 1 Die Gruppenunterschiede werden durch Buchstaben abgebildet, wobei gleiche Buchstaben anzeigen, dass es keine Unterschiede gibt, während verschiedene Buchstaben anzeigen, dass signifikante Unterschiede bestehen. n
Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen (n = 6.115).
Bei einem Vergleich der Mittelwerte zur Wohnentfernung (Tabelle 3) liegen alle Elternteile – leibliche wie soziale – eng beieinander, die nicht in intakten Familien leben. Obwohl sich also die Mediane hinsichtlich der Wohnentfernung von leiblichen Eltern aus intakten Familien und Stiefeltern nicht unterscheiden, tun das die Mittelwerte doch recht deutlich. Das heißt, dass diejenigen Stiefeltern, die der Gruppe angehören, die weiter von ihren Kindern entfernt leben (vom Median aus betrachtet die obere Hälfte), deutlich weitere Strecken zurück legen müssen bzw. deutlich länger brauchen, um zu ihren erwachsenen Kindern zu gelangen als leibliche Eltern aus intakten Familien. Signifikante Unterschiede ergeben sich deshalb zwischen leiblichen Eltern aus intakten Familien und allen anderen Elterngruppen und zwar in der Hinsicht, dass letztere signifikant weiter von ihren Kindern und Stiefkindern entfernt wohnen.67 Dies bestätigt die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen, die zeigen, dass Eltern und erwachsene Kinder aus intakten Familien durchschnittlich näher beieinander leben als getrennte oder geschiedene Eltern und ihre Kinder, unabhängig davon, ob sie eine neue Partnerschaft eingehen oder nicht (Albertini/Saraceno 2008; Aquilino
67
Diese Ergebnisse werden sowohl unter Verwendung der logarithmierten als auch der nicht logarithmierten Skala für die Wohnentfernung erreicht. Und obwohl die Ergebnisse hochsignifikant sind, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass die Binnengruppenvarianz insgesamt sehr viel größer ist als die Varianz zwischen den Gruppen: Die Unterschiede zwischen den einzelnen Relationen erklären gerade einmal 0,7% der Gesamtvariation.
184
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
1994a, b; Bulcroft/Bulcroft 1991; Cooney/Uhlenberg 1990; Kalmijn 2008; Shapiro 2003). Eine elterliche Trennung wirkt sich also negativ auf die Erreichbarkeit zwischen leiblichen Eltern und ihren erwachsenen Kindern aus. Sie sind also im Vergleich zu leiblichen Eltern aus intakten Familien strukturell benachteiligt, wenn es um die Aufrechterhaltung und Pflege ihrer Beziehungen geht. Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass auch Stiefeltern durchschnittlich weiter von ihren erwachsenen Stiefkindern entfernt wohnen als leibliche Eltern aus intakten Familien, was schon deshalb nicht verwundert, da sie ja mit einem der getrennten Elternteile zusammen leben (White 1994b: 127).
5.1.2
Kontakthäufigkeit
Die Kontakthäufigkeit stellt neben dem Austausch von Unterstützungsleistungen die am meisten untersuchte Dimension intergenerationaler Beziehungen zwischen Erwachsenen dar. Das kann sicherlich darauf zurückgeführt werden, dass sie ein direkter Ausdruck der tatsächlich stattfindenden Interaktionen zwischen den beteiligten Personen und dazu relativ gut erfassbar – da konkret abfragbar – ist. Die relative Objektivität der Angaben zur Kontakthäufigkeit zeigt sich zum Beispiel darin, dass Eltern und Kinder, die getrennt nach dem Ausmaß ihres Kontaktes gefragt werden, sich weniger voneinander unterscheiden, als sie dies hinsichtlich ihrer emotionalen Nähe oder ihrer Konflikthäufigkeit tun (Kopp/Steinbach 2009: 288). Die Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern, die außerhalb des Haushaltes leben, wurde im GGS mit einem vergleichsweise harten Indikators erfasst. Die genaue Fragestellung zur Kontakthäufigkeit lautete: „Wie oft sehen Sie [Name des Kindes]?“ Die Frage nach dem direkten persönlichen Kontakt (Sehen) hängt natürlich sehr stark von der entsprechenden Wohnentfernung der beteiligten Akteure ab, so dass die Analysen und auch die Interpretationen auf eine bestimmte Art der Interaktion begrenzt bleiben müssen. Falls die Zielperson das erwachsene (Stief-)Kind nur einmal im Monat sieht, aber jeden Tag mit ihm telefoniert (um sich beispielsweise Trost oder Ratschläge zu holen bzw. dem (Stief-)Kind Trost oder Ratschläge zu geben), kann das mit Hilfe der GGS-Daten leider nicht abgebildet werden. Die vorgegebenen Antwortkategorien reichten von 1 ‚täglich‘ bis 9 ‚nie‘. Für die folgenden Analysen wurden die Werte so umkodiert, dass 0 ‚nie‘ und 8 ‚täglich‘ bedeutet, so dass Eltern und Kinder sich umso öfter sehen, je höher der Wert auf der Skala ist (die genauen Antwortstufen lauten nun: 8 ‚täglich‘, 7 ‚mehrmals in der Woche‘, 6 ‚einmal in der Woche‘, 5 ‚mehrmals im Monat‘, 4 ‚einmal im Monat‘, 3 ‚mehrmals im Jahr‘, 2 ‚einmal im Jahr‘, 1 ‚sel-
Die Bezziehungen zu leiblichen Kindern unnd Stiefkindern
185
tener‘,, 0 ‚nie‘). In der d Abbildungg 12 ist das Au usmaß der Koontakthäufigkeeit nach den jew weiligen Relaationen der Eltternteile zu ih hren erwachseenen Kindern dargestellt. Abbilddung 12:
Kontakthäuffigkeit nach der d Relation dees befragten Elternteils zum z erwachsen nen Kind
Datenbaasis: GGS 2005; eigene e Berechnunngen (n = 6.115).
Bei deer Kontakthäuufigkeit treten die Untersch hiede zwischenn den verschiiedenen Elterntteilen – sowoohl in Bezug auf a die Streuu ung als auch hinsichtlich h dder Mediane – stärker hervvor als bei der eben betrachteten Wohnenntfernung. Diee Streuung deer Angaben voon leiblichen Eltern aus inttakten Familieen und Alleinnstehenden ist größer als von v leiblichenn Eltern und Stiefeltern auus Stieffamilieen. Die b letzteren. AußerSpannbbreite der Anntworten variieert bei ersteren stärker als bei dem wird w schon auus dieser ersteen Gegenüberrstellung der Kontakthäufiggkeiten
186
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
der verschiedenen Elternteile deutlich, dass leibliche Eltern aus intakten Familien ihre Kinder durchschnittlich öfter sehen als leibliche Eltern mit und ohne neue Partner und auch als Stiefeltern. Immerhin die Hälfte der Eltern-KindDyaden aus intakten Familien sieht sich mindestens mehrmals im Monat oder öfter. Leibliche Eltern – mit und ohne neuen Partner bzw. neue Partnerin – wie auch Stiefelternteile sehen ihre Kinder und Stiefkinder dagegen durchschnittlich etwa einmal im Monat. In Tabelle 4 wurden für eine statistische Absicherung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Elternteilen nun noch die Mittelwerte, Standardabweichungen und Gruppenunterschiede hinsichtlich der Kontakthäufigkeit zusammengestellt. Tabelle 4:
Kontakthäufigkeit nach der Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind Leibliches Leibliches Elternteil Elternteil (kein/e (intakte Familie) Partner/in)
Leibliches Elternteil (neue/r Partner/in)
Stiefelternteil
Mittelwert
5,2
4,3
4,0
3,9
Standardabweichung Gruppenunterschiede1
1,9
2,0
2,0
1,9
a
b
c
c
4.464 519 756 376 1 Die Gruppenunterschiede werden durch Buchstaben abgebildet, wobei gleiche Buchstaben anzeigen, dass es keine Unterschiede gibt, während verschiedene Buchstaben anzeigen, dass signifikante Unterschiede bestehen. n
Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen (n = 6.115).
Wie schon die Mediane (Abbildung 12) erkennen ließen, zeigt sich nun auch bei der Betrachtung der Mittelwerte (Tabelle 4), dass sich die Kontakthäufigkeit von leiblichen Eltern aus intakten Familien deutlich von der Kontakthäufigkeit anderer Elternteile abhebt. Wenn leibliche Elternteile mit einem Partner bzw. einer Partnerin zusammen sind, der bzw. die auch leibliches Elternteil des jeweiligen Kindes ist, sehen sie ihre erwachsenen Kinder signifikant öfter als Alleinstehende, leibliche Eltern mit neuem Partner bzw. neuer Partnerin oder Stiefelternteile. Wenn die leiblichen Eltern nicht mehr mit dem anderen leiblichen Elternteil zusammen sind und aktuell keine (neue) Partnerschaft führen, sehen sie ihre erwachsenen Kinder wiederum signifikant häufiger als leibliche Elternteile mit neuem Partner bzw. neuer Partnerin und auch häufiger als Stiefeltern-
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
187
teile. Leibliche Elternteile mit neuen Partnern und Stiefelternteile, die ja beide in Stieffamilienkonstellationen leben, unterscheiden sich im Mittelwert hinsichtlich ihrer Häufigkeit, mit der sie ihre erwachsenen Kinder und Stiefkinder sehen, nicht signifikant voneinander. Das Vorhandensein sozialer Elternteile in einer Familie wirkt sich also offensichtlich negativ sowohl auf den persönlichen Kontakt von leiblichen als auch von sozialen Elternteilen aus. Die Ergebnisse zur Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und erwachsenen Kindern mit dem GGS bestätigen die bisherigen Befunde der Forschung zu Generationenbeziehungen in Trennungs- und Stieffamilien, die zeigen, dass eine elterliche Trennung zu einer Reduzierung der Interaktionen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern führt (Albertini/Saraceno 2008: 203; Kalmijn 2007: 1093; Kalmijn 2008: 188; Kalmijn/Dykstra 2006: 79f.; Lye et al. 1995: 267; Shapiro 2003: 274; Umberson 1992: 670; van der Pas 2006: 64; Webster/Herzog 1995: S29; White 1994a: 940) und auch, dass das Eingehen einer neuen Partnerschaft des leiblichen Elternteils – und damit die Gründung einer Stieffamilie – mit einem zusätzlichen negativen Effekt hinsichtlich der Kontakthäufigkeit verbunden ist (Albertini/Saraceno 2008: 204; Aquilino 1994a: 306; de Graaf/Fokkema 2007: 273; Kalmijn 2007: 1095; Lye et al. 1995: 268). Die hier präsentierten Analysen gehen aber darüber hinaus, da sie erstmals Stiefelternteile direkt in den Blick nehmen und sich nicht auf leibliche Eltern mit neuen Partnern beschränken. Ein interessantes Ergebnis dabei ist, dass sich das Ausmaß des persönlichen Kontaktes von leiblichen Eltern und Stiefeltern in Stieffamilien nicht unterscheidet. Das kann natürlich auch daran liegen, dass die Eltern-KindKontakte eher auf Paarebene angesiedelt sind (wobei hier keine Paare befragt wurden!). Dass also erwachsene Kinder, wenn sie ihr leibliches Elternteil sehen, gleichzeitig auch ihr Stiefelternteil sehen. Die Frage, die sich nun natürlich stellt, ist, ob sich die Ergebnisse ändern würden, wenn man auch Kontakte über Telefon, E-Mail oder Briefe einbezieht, da diese medial vermittelten Kontaktformen stärker personengebunden sind. Wenn erwachsene Kinder ihre leiblichen Eltern besuchen, lässt es sich schlecht vermeiden, dass sie auch den neuen Partner bzw. die neue Partner ihres leiblichen Elternteils sehen. Wenn sie allerdings mit ihrem Elternteil telefonieren oder sich mit ihm über E-Mails austauschen, sollte das Stiefelternteil nicht automatisch in den Kontakt eingebunden sein. Betrachtet man nun aber nicht nur das Ausmaß der Häufigkeit des persönlichen Kontaktes, sondern richtet seine Aufmerksamkeit auf die andere Seite der Medaille – den Kontaktabbruch – zeigt sich, dass leibliche Eltern aus intakten Familien ihre erwachsenen Kinder nicht nur öfter sehen als Stiefeltern ihre Stiefkinder, sondern dass auch viel seltener der Kontakt zu ihnen komplett abgebrochen ist (Abbildung 13).
188
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
Abbildung 13:
Der Anteil von Eltern und Stiefeltern, die ihre erwachsenen Kinder und Stiefkinder nie, seltener als einmal im Jahr oder einmal im Jahr sehen
9 8
8,1
nie seltener als einmal im Jahr
7
6,4
einmal im Jahr
5,9
Prozent
6 4,8
5
5,1 4,6
4,3
4,2
4
3,3
3 1,6
2 1
1,9
0,9
0 Leibliches Elternteil (intakte Familie)
Leibliches Elternteil (kein/e Partner/in)
Leibliches Elternteil (neu/e Partner/in)
Stiefelternteil
Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen (n = 6.115).
Weniger als ein Prozent der leiblichen Elternteile, die Eltern-Kind-Dyaden aus intakten Familien bilden, geben an, den persönlichen Kontakt zu ihrem erwachsenen Kind vollständig verloren zu haben (Abbildung 13). Das stimmt mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen zum Ausmaß des Kontaktes zwischen Eltern und erwachsenen Kindern aus intakten Familien überein (Kalmijn 2008: 180; Kalmijn/Dykstra 2006: 80; de Graaf/Fokkema 2007: 271), bei denen die Messung allerdings nicht auf face-to-face-Kontakte beschränkt war. Der Anteil von Eltern und Stiefeltern, die ihre erwachsenen Kinder und Stiefkinder nie sehen, vergrößert sich dann von alleinstehenden leiblichen Eltern (3,3%), über leibliche Eltern mit neuen Partnern (4,8%) bis zu Stiefelternteilen (5,9%) immer weiter. Insgesamt liegt die Zahl der hier erfassten Kontaktabbrüche allerdings deutlich unter dem Anteil, der sonst in der Literatur zu Trennungs- und Stieffa-
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
189
milien berichtet wird (Kalmijn 2008: 180; Kalmijn/Dykstra 2006: 80; de Graaf/Fokkema 2007: 271). Das kann natürlich einerseits an der Operationalisierung liegen, da die Messung von Kontakthäufigkeit in diesem Fall – also beim GGS – auf das ‚sich Sehen‘ beschränkt ist, während in den anderen Untersuchungen auch telefonische Kontakte, sowie E-Mails oder Briefe eingeschlossen werden. Andererseits sind die Unterschiede vielleicht auch darauf zurückzuführen, dass die anderen Untersuchungen nicht auf deutschen, sondern auf niederländischen und US-amerikanischen Daten basieren und es zwischen diesen Ländern Unterschiede in der Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen geben könnte, die bislang aber noch nicht untersucht wurden. Den Ergebnissen über einen Kontaktabbruch zwischen Eltern und erwachsenen Kindern ist allerdings hinzuzufügen, dass der Anteil an Eltern, die ihre Kinder fast nie sehen, die also höchstens einmal im Jahr persönlichen Kontakt mit ihnen haben, deutlich höher liegt im Vergleich zu denen, die nie miteinander Kontakt haben: Leibliche Eltern aus intakten Familien geben immerhin zu 4,4% an, dass sie ihre erwachsenen Kinder nur einmal im Jahr, seltener oder nie sehen (Abbildung 13). Leibliche Eltern, die alleinstehend sind, berichten das sogar zu 13,9%; leibliche Eltern mit neuen Partnern zu 17,5% und Stiefeltern zu 15,3%. Dass leibliche Eltern in Stieffamilien zu einem größeren Anteil (fast) keinen face-to-faceKontakt mit ihren erwachsenen Kindern haben als Stiefeltern zu ihren erwachsenen Stiefkindern ist wohl der Tatsache geschuldet, dass sowohl die leiblichen Eltern mit neuen Partnern als auch die Stiefeltern in diesem Sample überwiegend Väter sind (Abbildung 9). Mit anderen Worten: Stiefväter sehen ihre erwachsenen Stiefkinder, wenn diese ihre leibliche Mutter besuchen; und deshalb relativ häufig. Väter mit neuer Partnerin sehen ihre erwachsenen leiblichen Kinder hingegen weniger als Stiefväter, weil Kinder aus Trennungs- und Stieffamilien weniger Kontakt mit ihrem leiblichen Vater als mit ihrer leiblichen Mutter haben (Bulcroft/Bulcroft 1991: 235; Cooney 1994: 50; Cooney/Uhlenberg 1990: 682; de Graaf/Fokkema 2007: 270; Kalmijn 2008: 180; Lawton/Silverstein/Bengtson 1994: 66; Shapiro 2003: 281; Tomassini et al. 2004: 58). Hervorzuheben ist allerdings der deutliche Unterschied zwischen leiblichen Eltern aus intakten Familien und allen anderen Elternteilen: Der Anteil von Kontaktabbrüchen bzw. extrem seltenen Kontakten (einmal im Jahr oder seltener) liegt bei leiblichen Elternteilen, die eine Partnerschaft mit dem anderen leiblichen Elternteil führen, bei weniger als 5%. Alle anderen leiblichen und sozialen Elternteile geben dagegen zu etwa 15% an, (fast) keinen Kontakt mit ihren volljährigen Kindern und Stiefkindern zu haben. Das ist immerhin eine Differenz von 10%. Eltern aus Trennungs- und Stieffamilien haben also nicht nur deutlich weniger Kontakt mit ihren Kindern und Stiefkindern (Tabelle
190
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
4), sondern der Kontakt ist auch viel öfter vollständig abgebrochen bzw. auf ein Minimum reduziert (Abbildung 13).
5.1.3
Beziehungszufriedenheit
Die Beziehungszufriedenheit – als eher qualitative Dimension intergenerationaler Beziehungen – wurde im GGS mit der folgenden Frage erfasst: „Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Beziehung zu [Name des Kindes]?“ Die Antwortvorgaben reichten von 0 ‚überhaupt nicht zufrieden‘ bis 10 ‚sehr zufrieden‘. Da die Operationalisierung der affektuellen Dimension intergenerationaler Beziehungen in anderen Untersuchungen in der Regel als Beziehungsqualität, Beziehungsenge oder emotionale Nähe erfolgt (Amato/Booth 1996: 259; Aquilino 1999: 870; Gronvold 1988: 76; Komter/Knijn 2006: 113; Kohli et al. 2005: 188; Rossi/Rossi 1990: 276; Scott et al. 2007: 1199; Szydlik 2000: 177), stellt sich an dieser Stelle natürlich die Frage, ob das Ausmaß mit der Zufriedenheit einer Beziehung gleich gesetzt werden kann mit der Beziehungsqualität bzw. der emotionalen Nähe, die Angehörige verschiedener Generationen zueinander empfinden.68 Es ist ja durchaus vorstellbar, dass manche (Stief-)Eltern ihren (Stief-)Kindern emotional nicht sehr nah stehen und dennoch ausgesprochen zufrieden damit sind. Es kann zumindest festgehalten werden, dass Beziehungsqualität und Beziehungszufriedenheit keine identischen Konstrukte darstellen. Nichtsdestotrotz sprechen sowohl einige theoretische Argumente als auch einige empirische Ergebnisse dafür, dass die Beziehungszufriedenheit im Folgenden als Ausdruck der Beziehungsqualität gesehen und interpretiert werden kann: Da bislang keine Befunde zum Verhältnis von Beziehungsqualität und Beziehungszufriedenheit in familialen Generationenbeziehungen vorliegen, wird für die folgende Argumentation auf Ergebnisse zu Partnerschaftsbeziehungen zurückgegriffen, da in der Partnerschaftsforschung beide Konstrukte schon lange eine
68
Auffallend bei den Studien zur Beziehungsqualität ist jedoch allgemein die enorme Heterogenität hinsichtlich der Operationalisierung der eigentlich abhängigen Variablen. So finden sich zur Messung der affektiven Solidarität zum Beispiel Fragen nach der Enge der Beziehung mit den Abstufungen ‚sehr eng’, ‚eng’, ‚mittel’, ‚nur flüchtig’ und ‚überhaupt keine Beziehung’ (Szydlik 1995: 80), Fragen nach der Beziehungsqualität „taking all things together“ auf einer 11-stufigen (Aquilino 1999: 870) oder einer siebenstufigen Antwortskala (Kaufman/Uhlenberg 1998: 928) bis hin zur retrospektiven Erhebung bei 19- bis mehr als 70-Jährigen Eltern und Kindern über ihre Beziehungen im Alter von 10, 16, 25 und heute (Rossi/Rossi 1990: 30). Keine der Operationalisierungen wird dabei – etwa durch dokumentierte methodische Vorstudien – begründet. Oder wie es Lye (1996: 83) zusammenfasst: „There is no single, widely accepted measure of the quality of adult child-parent relationship“.
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
191
wichtige Rolle spielen (Koenig-Kuske 1977; siehe auch Klann/Hahlweg/Hank 1992; Sander/Böcker 1993). Betrachtet man die Ausführungen zum Verhältnis von Beziehungsqualität und Beziehungszufriedenheit in Partnerschaften, um daraus Rückschlüsse für die Untersuchung von familialen Generationenbeziehungen zu ziehen, fällt sofort auf, dass beide Begriffe in der Partnerschaftsforschung oft synonym verwendet werden (zum Beispiel Arránz Becker/Rüssmann 2004: 46ff.; Hassebrauck 1995: 160; von Irmer 2008: 230ff.). Werden Beziehungsqualität und Beziehungszufriedenheit aber als eigenständige und unabhängige Konstrukte konzeptualisiert, zeigt sich, dass das Ausmaß der Beziehungszufriedenheit gemeinhin als ein Indikator für das Ausmaß der Beziehungsqualität gesehen (und auch operationalisiert) wird (Arránz Becker 2008: 17; Hohmann-Marriott/Amato 2008: 833; Fletcher/Simpson/Thomas 2000: 241; Schumm et al. 1986: 382).69 Die Beziehungsqualität in Partnerschaften setzt sich neben der Beziehungszufriedenheit aber auch noch aus verschiedenen anderen Komponenten, wie zum Beispiel dem gegenseitigen Vertrauen der Partner, ihrer Nähe oder Leidenschaft, zusammen. Da inzwischen einige Validierungsstudien vorliegen, die zeigen, dass die verschiedenen Dimensionen der Partnerschaftsqualität (unter anderem auch die Partnerschaftszufriedenheit) sehr eng miteinander zusammen hängen (Fletcher/Simpson/Thomas 2000: 345; Hendrick 1988: 95; Schumm et al. 1986: 383), soll im Folgenden das Ausmaß der Beziehungszufriedenheit als Ausdruck des Ausmaßes der Beziehungsqualität interpretiert werden, allerdings mit der Einschränkung, dass dadurch nur eine Facette des multidimensionalen Konstruktes der Beziehungsqualität berücksichtigt wird. Die Verteilung der Beziehungszufriedenheit nach den Relationen der befragten Elternteile zu ihren erwachsenen Kindern ist in Abbildung 14 zu sehen und zeigt das übliche Bild von Zufriedenheitsmessungen in empirischen Untersuchungen (Berger-Schmitt 1988: 376): Alle Eltern liegen mit ihren Angaben im oberen Bereich der Skala und sind somit ausgesprochen zufrieden mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern. Es ist aber davon auszugehen, dass die Verzerrungen durch Antworttendenzen – wie auch bei an anderer Stelle erfassten Zufriedenheitsfragen – nicht wirklich groß sind (Berger-Schmitt 1988: 380), sondern dass die Eltern und Stiefeltern tatsächlich sehr zufrieden mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern und Stiefkindern sind. Auch die Er-
69
Das gilt ebenso für Untersuchungen, die sich nicht nur mit der Partnerschaftsqualität, sondern mit dem allgemeinen subjektiven Wohlbefinden bzw. der subjektiv wahrgenommenen Lebensqualität beschäftigen und dazu auf Maße der Zufriedenheit in verschiedenen Lebensbereichen (z.B. in Partnerschaft und Familie) zurückgreifen (Berger-Schmitt 1988: 375; Huppert et al. 2009: 303).
192
Die Beziehun ngen zu leiblichenn Kindern und Stiiefkindern
gebnissse bezüglich der Beziehunngsqualität in anderen (nattionalen wie iinternationaleen) Surveys sppiegeln ein hohes Ausmaß ß an Beziehunngsqualität unnd emotionaleer Nähe zwiscchen Eltern unnd erwachseneen Kindern wider (Aquilinoo 1999: 861; Katz K et al. 20005: 401; Kohhli et al. 2005 5: 188; Komtter/Knijn 2006: 113; Lawtoon/Silverstein/Bengtson 19994: 60; Rossi//Rossi 1990: 176f.; Szydlikk 2000: 178). Abbilddung 14:
Beziehungszzufriedenheit nach n der Relaation des befraagten Elternteils zum z erwachsen nen Kind
Datenbaasis: GGS 2005; eigene e Berechnunngen (n = 6.115).
Wie auus der Abbilddung 14 deutliich hervorgeh ht, ist die Streeuung der Anttworten hinsichhtlich der Bezziehungszufriedenheit bei leiblichen l Elttern aus intakt kten Familienn am geringsteen, was natürllich auch auf entsprechendde Deckeneffeekte der Zufriedenheitsmessuung zurückgeeführt werden n kann. Danaach folgen leeibliche
193
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
Eltern (egal ob mit oder ohne neuen Partner bzw. neue Partnerin) und Stiefeltern, bei denen die Spannbreite der Antworten am größten ist. Aus der Abbildung 14 ist weiterhin zu entnehmen, dass leibliche Eltern aus intakten Familien die größte Zufriedenheit mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern aufweisen, gefolgt von leiblichen Eltern, die entweder in einer neuen Partnerschaft leben oder auch nicht. Das Schlusslicht bilden wiederum die Stiefeltern, die durchschnittlich am wenigsten zufrieden mit den Beziehungen zu ihren erwachsenen Stiefkindern, die außerhalb des Haushaltes leben, sind. Es muss allerdings noch einmal betont werden, dass (wie oben schon erwähnt) die Antworten zu dieser Frage generell sehr hoch ausfallen, so dass ein Median von 8 (Stiefeltern) bei einer Skala, die maximal bis 10 reicht, nur deshalb abfällt, weil mehr als die Hälfte der leiblichen Eltern aus intakten Familien den Maximalwert von 10 angegeben haben. In Tabelle 5 sind zur statistischen Absicherung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Elternteilen wiederum die Mittelwerte, Standardabweichungen und Gruppenvergleiche der Beziehungszufriedenheit aufgeführt. Tabelle 5:
Beziehungszufriedenheit nach der Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind Leibliches Elternteil (intakte Familie)
Leibliches Elternteil (kein/e Partner/in)
Leibliches Elternteil (neue/r Partner/in)
Stiefelternteil
Mittelwert
8,8
8,0
7,8
7,3
Standardabweichung Gruppenunterschiede1
1,9
2,6
2,8
2,7
a
b
b
c
4.464 519 756 376 1 Die Gruppenunterschiede werden durch Buchstaben abgebildet, wobei gleiche Buchstaben anzeigen, dass es keine Unterschiede gibt, während verschiedene Buchstaben anzeigen, dass signifikante Unterschiede bestehen. n
Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen (n = 6.115).
Die Signifikanztests (Tabelle 5) bestätigen den ersten Eindruck der deskriptiven Verteilungen (Abbildung 14): Leibliche Eltern aus intakten Familien sind signifikant zufriedener mit den Beziehungen zu ihren erwachsenen Kindern, sowohl als leibliche Eltern mit und ohne neuen Partner bzw. neue Partnerin und auch als Stiefeltern. Die Mittelwertvergleiche zeigen weiterhin, dass alleinstehende leib-
194
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
liche Eltern zwar signifikant zufriedener mit ihrer Eltern-Kind-Beziehung sind als Stiefeltern, aber auch, dass sie sich nicht signifikant von leiblichen Eltern, die in einer neuen Partnerschaft leben, unterscheiden. Daraus folgt, dass auch leibliche Eltern mit neuem Partner bzw. neuer Partnerin signifikant zufriedener mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern sind als Stiefeltern. Diese Ergebnisse bestätigen die Resultate verschiedener US-amerikanischer Untersuchungen zur Beziehungsqualität in Trennungs- und Stieffamilien: Eine elterliche Trennung verringert die Beziehungsqualität zwischen leiblichen Eltern und erwachsenen Kindern (Lye et al. 1995: 267; Umberson 1992: 670; Webster/Herzog 1995: S28; White 1994a: 940). Gehen die Eltern nach der Trennung eine neue Partnerschaft ein, hat dies auch nach den Ergebnissen aus dem US-amerikanischen Kontext keinen zusätzlichen negativen Effekt auf die Beziehungsqualität zwischen leiblichen Eltern und ihren erwachsenen Kindern (Aquilino 1994a: 306; White 1994a: 944). Da bislang keine Ergebnisse zur Beziehungsqualität von Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern in Deutschland vorliegen, konnte diese Lücke geschlossen werden. Danach zeigt sich, dass Stiefeltern am wenigsten zufrieden mit ihrer Beziehung zu erwachsenen Stiefkindern sind, vergleicht man sie mit leiblichen Eltern aus intakten Familien (siehe für den US-amerikanischen Kontext White 1994b: 127) und leiblichen Eltern, die mit dem anderen leiblichen Elternteil nicht mehr in einer Partnerschaft leben – sei es weil sich die Eltern getrennt haben oder sei es weil ein Elternteil verstorben ist.
5.1.4
Die Zustimmung zu familialen Normen
Die Wahrnehmung familialer Verpflichtungen bzw. die Zustimmung zu familialen Normen als Dimension intergenerationaler Beziehungen, welcher in der Trennungs- und Stieffamilienforschung in den letzten 20 Jahren relativ viel Aufmerksamkeit zugekommen ist, wurde mit einer ganzen Reihe von Aussagen über die Erwartungen an Unterstützungen, die Eltern und erwachsene Kinder einander gewährleisten sollten, abgefragt. Aus den folgenden sechs Aussagen wurde ein Mittelwertindex ‚Zustimmung zu familialen Normen‘ gebildet, dessen Cronbachs Alpha bei .75 liegt: (1) „Eltern sollten ihre erwachsenen Kinder unterstützen, wenn diese finanzielle Probleme haben.“, (2) „Wenn ihre erwachsenen Kinder Probleme haben, sollten die Eltern ihr eigenes Leben so umorganisieren, dass sie ihnen helfen können.“, (3) „Kinder sollten die Verantwortung für ihre Eltern übernehmen, wenn diese Hilfe brauchen.“, (4) „Kinder sollten ihr Arbeitsleben umorganisieren, um den Bedürfnissen ihrer Eltern nachkommen zu
Die Bezziehungen zu leiblichen Kindern unnd Stiefkindern
195
könnenn.“, (5) „Kindder sollten ihhre Eltern untterstützen, weenn diese finaanzielle Probleeme haben.“ und u (6) „Kinder sollten ih hre Eltern zu sich nehmenn, wenn diese nicht n mehr sellbst für sich sorgen können n.“ Die Befraggten wurden ggebeten, jeweilss anzugeben, wie stark sie diesen Aussag gen zustimmeen. Die Antwoortskala reichtee von 1 ‚stimm me sehr zu‘ biis 5 ‚stimme überhaupt ü nichht zu‘. Sie wuurde für die follgenden Analysen so umkoodiert, dass siie von 1 ‚stim mme überhauppt nicht zu‘ bis 5 ‚stimme sehr zu‘ reicht, womit ein n höherer Weert nun ein grrößeres mung bedeuteet. Die Verteillung hinsichtllich der Zustim mmung Ausmaaß an Zustimm zu fam milialen Norm men differenziert nach der Relation R des befragten Elternteils zum jeeweiligen erwachsenen Kinnd kann Abbild dung 15 entnoommen werdeen. Abbilddung 15:
Zustimmungg zu familialen n Normen nacch der Relationn des befragten Ellternteils zum erwachsenenn Kind
Datenbaasis: GGS 2005; eigene e Berechnunngen (n = 6.115).
196
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
Wie deutlich in der Abbildung 15 zu sehen, ist bei keiner der verschiedenen Elternrelationen die Streuung hinsichtlich der Zustimmung zu familialen Werten sehr stark ausgeprägt. Das heißt, dass unter Eltern – egal ob leiblich oder sozial – eine relativ große Einigkeit darüber besteht, inwiefern sich Eltern und erwachsene Kinder gegenseitig unterstützen sollten. Dennoch lassen sich – auch auf den ersten Blick – Unterschiede zwischen den verschiedenen befragten Elternteilen ausmachen: Offensichtlich stimmen leibliche Eltern aus intakten Familien familialen Normen zur gegenseitigen Verpflichtung am stärksten zu. Direkt danach folgen die alleinstehenden Eltern. Leibliche Eltern mit neuem Partner bzw. neuer Partnerin und Stiefeltern stimmen familialen Normen, die besagen, dass sich Eltern und erwachsene Kinder gegenseitig unterstützen sollten, am wenigsten zu. In Tabelle 6 sind zur statistischen Absicherung, der sich in den deskriptiven Analysen gezeigten Unterschiede zwischen den verschiedenen Elternteilen, die Mittelwerte, Standardabweichungen und Gruppenunterschiede in Bezug auf die Zustimmung zu familialen Normen aufgeführt. Tabelle 6:
Zustimmung zu familialen Normen nach der Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind Leibliches Elternteil (intakte Familie)
Leibliches Elternteil (kein/e Partner/in)
Leibliches Elternteil (neue/r Partner/in)
Stiefelternteil
Mittelwert
3,4
3,3
3,1
3,1
Standardabweichung Gruppenunterschiede1
0,6
0,7
0,6
0,7
a
a
b
b
4.464 519 756 376 1 Die Gruppenunterschiede werden durch Buchstaben abgebildet, wobei gleiche Buchstaben anzeigen, dass es keine Unterschiede gibt, während verschiedene Buchstaben anzeigen, dass signifikante Unterschiede bestehen. n
Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen (n = 6.115).
Es zeigt sich, dass es bei der Zustimmung zu familialen Normen die wenigsten Unterschiede zwischen den verschiedenen Elternteilen gibt: Leibliche Eltern aus intakten Familien und alleinstehende leibliche Eltern stimmen familialen Normen zwar signifikant stärker zu als leibliche Eltern mit neuem Partner bzw. neuer Partnerin und auch als Stiefeltern, aber insgesamt liegen die Angaben aller Eltern doch relativ dicht beieinander (Tabelle 6). Das ist sicherlich auch
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
197
darauf zurückzuführen, dass in den Itemformulierungen des GGS konkret nur die Begriffe ‚Eltern‘ und ‚Kinder‘ verwendet wurden. Die Frage ist natürlich, ob Stiefeltern diese Angaben nun auf das Verhältnis zu ihren Stiefkindern übertragen oder aber ganz allgemein ihre Zustimmung bzw. Ablehnung hinsichtlich der gegenseitigen familialen Verpflichtungen von Eltern und Kindern zum Ausdruck gebracht haben. Diese Ergebnisse sind deshalb auch nicht direkt mit den Ergebnissen bislang vorliegender Untersuchungen aus dem US-amerikanischen Kontext vergleichbar, die zeigen, dass die Wahrnehmungen familialer Verpflichtungen gegenüber leiblichen Eltern und Kindern größer sind als gegenüber sozialen Eltern und Kindern (Aquilino 1994b, 2005; Clawson/Ganong 2002; Coleman et al. 2005; Ganong/Coleman 1999, 2006; Ganong et al. 1998; Marks 1995; Rossi/Rossi 1990). Zumindest aber zeigen diese Ergebnisse, dass Eltern aus Stieffamilien (also Stiefelternteile und Elternteile, die nicht mehr mit dem anderen leiblichen Elternteil zusammen leben, sondern in einer neuen Partnerschaft), bei gleichem Wortlaut der präsentierten Aussagen familialen Normen weniger zustimmen als Eltern aus intakten Familien und alleinlebende Eltern.
5.1.5
Zusammenfassung der deskriptiven Ergebnisse
Möchte man die bisher berichteten deskriptiven Befunde zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen in verschiedenen Familienformen mit erwachsenen Kindern, die außerhalb des Haushaltes leben, zusammenfassen, so ist als erstes festzuhalten, dass es tatsächlich durchgängig zu beobachtende Unterschiede zwischen leiblichen und sozialen Elternteilen gibt: Leibliche Eltern aus intakten Familien leben im Vergleich zu sozialen Eltern weniger weit von ihren erwachsenen Kindern entfernt, haben mehr (persönlichen) Kontakt mit ihnen, sind im Allgemeinen zufriedener mit ihrer Eltern-Kind-Beziehung und stimmen familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung von Eltern und erwachsenen Kindern stärker zu. Differenziert man jedoch von diesen leiblichen Eltern aus intakten Familien, leibliche Eltern, die zum Beobachtungszeitpunkt nicht mehr mit dem anderen leiblichen Elternteil des erwachsenen Kindes in einer Partnerschaft leben, dann zeigt sich Folgendes: Eine Trennung (bzw. Verwitwung) der leiblichen Eltern wirkt sich zum Teil negativ auf die Beziehungen zu ihren erwachsenen Kindern aus. Leibliche Eltern aus intakten Familien wohnen auch im Vergleich zu leiblichen Eltern, die entweder allein oder in einer neuen Partnerschaft leben, weniger weit von ihren erwachsenen Kindern entfernt, haben mehr (persönlichen) Kontakt mit ihnen, sind zufriedener mit ihrer Eltern-KindBeziehung und stimmen familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung
198
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
stärker zu. Während sich allerdings leibliche und soziale Elternteile aus Trennungs- und Stieffamilien hinsichtlich der Wohnentfernung nicht voneinander unterscheiden, berichten Alleinlebende über mehr (persönliche) Kontakte und stimmen familialen Normen stärker zu als (leibliche und soziale) Eltern aus Stieffamilien. Das Eingehen einer neuen Partnerschaft kann also in manchen Bereichen der Eltern-Kind-Beziehung zu zusätzlichen Belastungen bzw. (je nach Sichtweise) Entlastungen führen. Bei der Beziehungszufriedenheit ist dagegen wiederum eine klare Abstufung von leiblichen Eltern aus intakten Familien, über leibliche Eltern aus nicht intakten Familien – egal ob mit oder ohne neuen Partner bzw. neue Partnerin – und Stiefeltern zu erkennen. Es zeigt sich also, dass es nicht nur wichtig ist, danach zu unterscheiden, ob die betrachteten und in die Analyse einbezogenen Elternteile leibliche oder soziale Elternteile sind, sondern auch danach, welchen Partnerschaftsstatus die leiblichen Eltern zum Beobachtungszeitpunkt aufweisen. Besonders interessant wäre es natürlich in einem Längsschnittdesign, die Veränderungen in der Ausgestaltung der Eltern-Kind-Beziehungen zu beobachten, wenn elterliche Partnerschaften aufgelöst oder neue Partnerschaften eingegangen werden. Da mit dem GGS von 2005 bislang nur Querschnittsdaten vorliegen und in der zweiten Welle die Kinder der Partner nicht mehr erfasst werden, müssen die Betrachtungen der Beziehungen hier auf einen bestimmten Zeitpunkt begrenzt bleiben. Im Folgenden steht nun die Frage im Mittelpunkt, ob die Unterschiede in der Ausgestaltung der ElternKind-Beziehungen zwischen den verschiedenen Familienformen durch den Einbezug verschiedener unabhängiger Einflussfaktoren erklärt werden können.
5.2
Multivariate Ergebnisse
Die Bestimmung einer zentralen abhängigen Variablen hinsichtlich der Ausgestaltung von Generationenbeziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern ist auf Grund der Komplexität der familialen Kontakt- und Unterstützungsformen schwer, wenn nicht gar unmöglich. Allerdings kann man festhalten, dass es vor allem drei Aspekte sind, die familiale Generationenbeziehungen ausmachen und die in einem engen wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen (Szydlik 2000: 38): die Beziehungsqualität, die Kontakthäufigkeit und der Austausch von Unterstützungsleistungen.70 Die Beziehungsqualität oder
70
Opportunitätsstrukturen, wie die Wohnentfernung, und familiale Normen bedingen dagegen klar diese drei Dimensionen intergenerationaler Beziehungen und würden in einem Pfadmodell damit vor der Beziehungsqualität, der Kontaktintensität und dem Austausch von Unterstüt-
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
199
emotionale Nähe, die auf frühkindlichen Erfahrungen mit der jeweiligen Bindungsperson basiert, bestimmt zum Beispiel einerseits die Kontakthäufigkeit, da das Bedürfnis nach Nähe ja eines der Merkmale von Bindung ist. Andererseits sollten häufige, positive Interaktionen wiederum die emotionale Nähe verstärken. Ähnlich ist es mit dem Austausch von Unterstützungsleistungen: Einerseits ist zu erwarten, dass eher Hilfe gewährt wird, wenn die affektive Bindung gut und stabil ist; andererseits wirkt sich die geleistete Hilfe auch wieder auf die Qualität der Beziehung aus. Zum Beispiel können ressourcenintensive Unterstützungsleistungen die Generationenbeziehung durchaus stärken, gleichzeitig aber auch als sehr belastend erlebt werden. Entsprechende Wechselbeziehungen sollten sich auch zwischen der Kontakthäufigkeit und dem Ausmaß an Unterstützung finden, denn einerseits stellt Kontakt zwischen Eltern und Kindern quasi eine Bedingung dar, um Hilfe überhaupt leisten bzw. empfangen zu können; andererseits sollte sich die Interaktionsfrequenz durch den Austausch von Unterstützungsleistungen wiederum verstärken (siehe für die vielfältigen gegenseitigen Abhängigkeiten beispielsweise Brandt et al. 2009: 106; Fors/Lennartsson 2008: 263; Klaus 2009: 234ff.; Steinbach/Kopp 2008b: 97; Szydlik 2000: 182). Man kann also abschließend festhalten: Es kommt ganz auf das jeweilige Erkenntnisinteresse des Forschers bzw. der Forscherin an, welche der drei Dimensionen intergenerationaler Beziehungen im Mittelpunkt der Betrachtungen steht: die Beziehungsqualität, die Kontakthäufigkeit oder der Austausch von Unterstützungsleistungen. Da im GGS nur die Angaben der Eltern zur Kontakthäufigkeit und zur Beziehungszufriedenheit mit ihren erwachsenen Kindern relational vorliegen, werden diese beiden Variablen im Folgenden im Zentrum der multivariaten Analysen stehen.
5.2.1
Die Verteilungen der unabhängigen Einflussvariablen
Die unabhängigen Einflussvariablen (Tabelle 7), deren Erfassung und Verteilung im Folgenden beschrieben werden soll, ergeben sich nun aus den (oben angestellten) theoretischen Überlegungen und den bereits vorliegenden empirischen Befunden zur Erklärung der Ausgestaltung von familialen Generationenbeziehungen, wobei die Datenanalyse natürlich immer auch den Einschränkungen der jeweils verwendeten Daten unterliegt. Das heißt, dass nicht alle Variablen, die sich als theoretisch interessant oder empirisch einflussreich herausgestellt haben, auch im GGS enthalten sind. Dabei soll noch einmal ausdrücklich zungsleistungen liegen (siehe auch Rossi/Rossi 1990: 266ff. oder Lawton/Silverstein/Bengtson 1994: 64ff.).
200
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
darauf hingewiesen werden, dass dieser Datensatz – trotz aller Einschränkungen – die einzigartige Möglichkeit bietet, den Einfluss verschiedener familialer Strukturen auf die Ausgestaltung von Generationenbeziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern zu untersuchen. Damit gehen die Analysen national wie international an vielen Stellen weit über das hinaus, was die bisherige Forschung leisten konnte. Tabelle 7:
Verteilungen der in die multivariaten Analysen mit allen Elternteilen eingehenden unabhängigen Variablen Relation des befragten Elternteils zum erwachsenen Kind Leibliches
Leibliches
Leibliches
Elternteil
Elternteil
Elternteil
Stiefelternteil
(intakte
(kein/e
(neue/r
Familie)
Partner/in)
Partner/in)
Geschlecht ZP: weiblich
53,1%
63,8%
50,2%
44,0%
Alter ZP ()
63,6%
62,2%
58,3%
55,5%
Bildung ZP: ISCED hoch
26,4%
22,3%
28,8%
29,2%
Gesundheitszustand ZP ()
33,6%
33,6%
33,6%
33,7%
Ernsthafte Krankheiten ZP
34,0%
48,5%
35,2%
32,9%
Anzahl der Kinder ZP ()
32,2%
32,2%
32,6%
32,6%
Wohnregion ZP: Ost
25,4%
26,2%
27,4%
27,6%
Migrationshintergrund ZP
10,2%
39,6%
37,7%
10,3%
n = 3.091
2.328
301
452
243
Merkmale Elternteil
(1-sehr schlecht...5-sehr gut)
Merkmale Kind Geschlecht Kind: weiblich
50,3%
49,3%
50,5%
51,1%
Alter Kind ()
37,5%
36,4%
33,3%
33,4%
n = 6.115
4.464
519
756
376
Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen.
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
201
In Tabelle 7 sind die verschiedenen unabhängigen Einflussvariablen aufgeführt, die bisher noch nicht näher erläutert wurden.71 Es soll an dieser Stelle noch darauf hingewiesen werden, dass die zugrunde liegende Datenbasis für die Verteilungen der Elternmerkmale nicht die jeweiligen Eltern-Kind-Relationen darstellen, da einige Eltern ja Angaben zu mehr als einem Kind gemacht haben (siehe auch Abbildung 10). Stattdessen wurde hierzu auf die tatsächliche Zahl der entsprechenden Elternteile zurückgegriffen. Die Datenbasis für die Verteilungen der Merkmale der erwachsenen Kinder stellen dann aber wieder die ElternKind-Relationen dar. Der erste Block von unabhängigen Einflussvariablen, deren Ausprägungen in Tabelle 7 abgebildet sind, umfasst verschiedene Merkmale des jeweils befragten Elternteils: Dazu gehören zunächst das Geschlecht, das Alter sowie das Bildungsniveau als soziodemografische Variablen, die sowohl das Ausmaß der Kontakthäufigkeit als auch die Beziehungszufriedenheit beeinflussen können. x Bei der Betrachtung des Geschlechts der Elternteile zeigt sich, dass Mütter und Väter jeweils etwa die Hälfte des Anteils von leiblichen Eltern aus intakten Familien und leiblichen Eltern mit neuen Partnern ausmachen, während bei den Alleinstehenden mit etwa zwei Dritteln deutlich der Anteil von Müttern überwiegt und bei den Stiefeltern mit 56% der Anteil von Stiefvätern. Dass bei den Alleinstehenden die Mehrheit der Elternteile Mütter sind, ist allerdings nicht weiter überraschend, da sich in dieser Gruppe auch verwitwete Elternteile befinden, die nach dem Tod ihres Partners keine neue Partnerschaft eingegangen sind. Aufgrund der höheren Lebenserwartung von Frauen haben Mütter eine größere Wahrscheinlichkeit, dieser Gruppe anzugehören. Dass bei den Stiefeltern die Stiefväter überwiegen, ist ebenso wenig überraschend. Es kann zumindest angenommen werden, dass sie als Partner des internen Elternteils (was in aller Regel die Mutter ist) ein engeres Verhältnis zu ihren Stiefkindern haben und wahrscheinlich eher dazu neigen, Angaben zu diesen Kindern zu machen als Stiefmütter, die in den meisten Fällen ‚nur‘ die Partnerin eines Mannes sind, der Kinder aus einer früheren Beziehung besitzt. x Das durchschnittliche Alter der jeweiligen Elternteile unterscheidet sich zwischen den verschiedenen Gruppen deutlich: Am ältesten sind die leiblichen Eltern aus intakten Familien mit einem durchschnittlichen Alter von 63,6 Jahren. Danach folgen die Alleinstehenden, die im Mittel 71
Die ausführlichen Angaben zur Erfassung und Verteilung der Dimensionen intergenerationaler Beziehungen, die ebenso in die multivariaten Modelle einfließen, sind den vorangegangenen Abschnitten zu entnehmen.
202
x
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
62,2 Jahre alt sind. Die leiblichen Eltern mit neuen Partnern sind mit durchschnittlich 58,3 Jahren jünger als die leiblichen Elternteile der anderen beiden Gruppen. Am jüngsten sind jedoch mit einem Mittelwert von 55,5 Jahren die Stiefeltern. Dass Eltern in Stieffamilien – sowohl die leiblichen als auch die sozialen – deutlich jünger sind als leibliche Eltern aus intakten Familien und alleinstehende leibliche Eltern (unter die auch relativ alte, bereits verwitwete Elternteile fallen), ist unter anderem auf den gesellschaftlichen Wandel zurückzuführen: Die älteren Eltern in diesem Sample haben ihre Kinder überwiegend in 1950er und 1960er Jahren bekommen. Gerade in diesem Zeitraum, der auch als ‚golden age of marriage‘ bezeichnet wird, gab es bei einem hohen Anteil von Verheirateten nur äußert wenige Scheidungen und damit eine historisch einzigartige Stabilität von Partnerschaften und Familien (Huinink/Konietzka 2007: 70). Das jüngere Alter von Eltern in Stieffamilien liegt also einfach daran, dass es – vergleicht man die Eltern dieses Samples, die maximal 79 Jahre alt sein können – tatsächlich eine zunehmende Instabilität von Partnerschaften in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Das Bildungsniveau der Eltern wurde mit Hilfe der sogenannten ISCEDKlassifizierung (International Standard Classification of Education) erfasst (Schroedter/Lechert/Lüttinger 2006), in die sowohl die schulischen als auch die beruflichen (Aus-)Bildungsabschlüsse eingehen. Aus der ISCED-Skala wurde, um sie in die multivariaten Modelle aufnehmen zu können, eine dichotome Variable gebildet, die das Vorliegen eines hohen Bildungsabschlusses (Stufen 5 und 6 der ISCED-Skala) im Vergleich zu allen anderen Abschlüssen (Stufen 1 bis 4 der ISCED-Skala) widerspiegelt. Während der Anteil von Eltern mit hohem Bildungsniveau bei leiblichen und sozialen Eltern aus Stieffamilien bei etwa 30% liegt, ist er bei leiblichen Eltern aus intakten Familien mit 26% etwas niedriger. Am geringsten ist der Anteil von Elternteilen mit hohem Bildungsniveau jedoch mit 22% bei Alleinstehenden. Diese Unterschiede im Bildungsniveau spiegeln wohl in ähnlicher Weise die eben beschriebenen Unterschiede in der Altersverteilung der verschiedenen Elterngruppen wider, denn die jüngeren Eltern aus Stieffamilien haben natürlich auch in größerem Ausmaß an der Bildungsexpansion partizipiert. Darüber hinaus unterliegen Partnerschaften mit höher gebildeten Frauen einem größeren Trennungsrisiko als Partnerschaften, in denen die Frauen eher ein niedrigeres Bildungsniveau aufweisen (Arránz Becker 2008: 231). Aber auch unter den Alleinstehenden befinden sich ja Elternteile mit Trennungserfahrung. Diese weisen allerdings das geringste Bildungsniveau der hier betrachteten Elterngruppen auf. Das lässt sich wiederum damit erklären,
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
203
dass das Leben in einer Stieffamilie kommunikative Kompetenzen erfordert, die vor allem Personen mit hoher Bildung besitzen. Die Stabilität von Stieffamilien ist unter anderem abhängig von den Fähigkeiten ihrer Mitglieder mit den Herausforderungen einer familialen Rekomposition umzugehen, wobei diese Fähigkeiten mit zunehmender Bildung steigen (Braithwaite et al. 2001: 243; Le Gall/Martin 1998: 141ff.). Neben den soziodemografischen Merkmalen der Eltern, wie Geschlecht, Alter und Bildungsniveau, spielen weitere Variablen eine Rolle, die einerseits vor dem Hintergrund der Bedürfnisstrukturen und andererseits vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Ressourcen Einfluss auf die Ausgestaltung der Eltern-Kind-Beziehung nehmen können. Dazu gehören zum einen der Gesundheitszustand bzw. das Leiden unter ernsthaften Krankheiten, zum anderen die Anzahl der Kinder. x Der allgemeine Gesundheitszustand der befragten Elternteile wurde im GGS mit Hilfe einer fünfstufigen Selbsteinschätzung zwischen den Polen ‚sehr gut’ und ‚sehr schlecht’ erhoben. Die Antwortskala wurde für die folgenden Analysen so umkodiert, dass ein höherer Wert einem besseren allgemeinen Gesundheitszustand entspricht. Wie aus der Tabelle 7 zu entnehmen ist, unterscheiden sich die hier betrachteten Elternteile hinsichtlich der Einschätzung ihres allgemeinen Gesundheitszustandes nicht voneinander. Alle Eltern geben im Durchschnitt einen Wert an, der etwa einem mittelmäßigen bis guten Gesundheitszustand entspricht. x Über den allgemeinen Gesundheitszustand hinaus wurde im GGS auch erfasst, ob die Befragten (1) ‚eine länger andauernde oder chronische Krankheit haben‘, (2) ‚aufgrund von körperlichen oder geistigen Problemen oder Behinderungen in ihrer Fähigkeit eingeschränkt sind, normale Alltagsverrichtungen auszuführen‘ oder (3) ‚ob sie regelmäßige Hilfe bei täglichen Verrichtungen, wie zum Beispiel essen, aufstehen, anziehen, baden oder zur Toilette gehen benötigen‘. Diese drei Fragen, die mit ‚ja‘ oder ‚nein‘ beantwortet werden konnten, wurden zu einer Dummy-Variablen zusammengefasst, die anzeigen soll, ob das jeweilige Elternteil unter ernsthaften Krankheiten leidet. Die Ergebnisse zeigen, dass alle Elternteile, die in einer Partnerschaft leben, zu etwa einem Drittel von solchen gesundheitlichen Einschränkungen berichten, während fast die Hälfte der alleinstehenden Elternteile angibt, unter größeren gesundheitlichen Problemen zu leiden (Tabelle 7). Dies entspricht den Ergebnissen von Untersuchungen, die sich mit dem gesundheitlichen Wohlbefinden beschäftigen und zeigen, dass das Leben in einer Partnerschaft positiv mit dem Wohlbefinden, der Genesung bei Krankheiten und gene-
204
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
rell der Lebenserwartung zusammen hängt (Brockmann/Klein 2004; Cheung 2000; Klein 1993). x Die Variable zur Anzahl der Kinder umfasst (lebende) Kinder der jeweiligen Elternteile, die innerhalb oder außerhalb ihres Haushaltes leben. Es handelt sich dabei, um alle Kinder, die die Befragten angegeben haben und die entweder leibliche Kinder, Stiefkinder, Adoptiv- oder Pflegekinder sind. Wie der Tabelle 7 zu entnehmen ist, nennen leibliche und soziale Eltern aus Stieffamilien durchschnittlich mehr Kinder (2,6) als leibliche Eltern aus intakten Familien und Alleinstehende (2,2). Das ist konform mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen, die zeigen, dass die Kinderzahl in zusammengesetzten Familien durchschnittlich größer ist als in ‚einfachen‘ Familien (Van der Pas 2006: 33; White 1992: 241). Bei den letzten beiden Kontrollvariablen, die als Merkmale der Eltern berücksichtigt werden, handelt es sich um Konstrukte, die mit den Sozialisationserfahrungen der Befragten also mit dem Einfluss des sozialen Kontextes zu tun haben. Darunter fällt zum einen die Unterscheidung zwischen West- und Ostdeutschland und zum anderen das Vorliegen eines Migrationshintergrundes. x Die West-Ost-Variable wurde anhand der Angaben zum derzeitigen Wohnort der Befragten gebildet: Der Wohnort ‚West‘ schließt dabei die alten Bundesländer sowie Westberlin ein und der Wohnort ‚Ost‘ die neuen Bundesländer sowie Ostberlin. Es muss an dieser Stelle allerdings noch einmal deutlich darauf hingewiesen werden, dass im GGS nur der aktuelle Wohnort der Befragten erhoben wurde und somit ein Aufwachsen in der BRD bzw. der DDR mit einer entsprechenden Sozialisation und einer gegebenenfalls stattgefundenen Binnenmigration nicht berücksichtigt werden kann. Der Anteil von Eltern, die im Osten Deutschlands leben, liegt bei allen Gruppen bei etwa einem Viertel (Tabelle 7). Es gibt also in Bezug auf die Verteilung bestimmter familialer Strukturen keine West-Ost-Unterschiede zu berichten. Der Anteil der Eltern, deren Wohnort in den neuen Bundesländern bzw. Ostberlin liegt, entspricht mit etwa einem Viertel allerdings nicht ganz dem Anteil von in Ostdeutschland lebenden Personen, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung etwa ein Fünftel ausmacht (Statistisches Bundesamt 2006: 23). Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass dem hier zugrunde liegenden Sample nur Eltern angehören und der Anteil an Eltern in der DDR größer war als in der BRD, da es in der DDR weniger Kinderlose gegeben hat (BMFSFJ 2003: 74; Schmitt/Wagner 2006: 315). x Hinsichtlich der Abbildung des Vorliegens eines Migrationshintergrundes wurden alle Befragten zusammengefasst, die entweder aktuell nicht
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
205
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und/oder außerhalb Deutschlands geboren wurden. Die exakte Ermittlung des Migrationshintergrundes der jeweiligen Zielperson, welche die Wanderungserfahrungen der Eltern einschließen und damit eine Einteilung in eine erste und eine zweite Migrantengeneration erlauben würde, ist mit den Daten des GGS leider nicht möglich. Aufgrund eines Filterfehlers wurden keinerlei Informationen zu Eltern erhoben, die sich getrennt haben, so dass diese Personen von den weiteren Analysen ausgeschlossen werden müssten. Darüber hinaus fehlen – wohl auch wegen eines Filterfehlers – zu sehr vielen Elternteilen Informationen zu ihrer gegenwärtigen Staatsbürgerschaft, so dass eine Aufnahme dieser Angaben zu einer deutlichen Reduktion der Fallzahlen führen würde. Die Begrenzung der Variable ‚Migrationshintergrund‘ auf Personen, die entweder nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder aber selbst internationale Wanderungserfahrungen gemacht haben, hat allerdings auch einen Vorteil: Da die Untersuchung auf Grund ihres Designs (die Interviews wurden in deutscher Sprache geführt) ausschließlich relativ gut integrierte Personen erfasst, stellen diese beiden Merkmale ein relativ hartes Unterscheidungskriterium dar. Der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund liegt bei allen Elternteilen um die 10%, nur bei leiblichen Eltern, die in einer neuen Partnerschaft leben umfasst er knapp 8%. Der zweite Block von Einflussvariablen, der in Tabelle 7 dargestellt ist, umfasst verschiedene Merkmale der erwachsenen Kinder, zu denen die jeweiligen Elternteile Angaben gemacht haben: x Der Prozentsatz für das jeweilige Geschlecht der erwachsenen Kinder ist gleichmäßig über die verschiedenen Elterngruppen verteilt, das heißt, die Eltern haben zu etwa gleichen Anteilen Angaben zu Töchtern und Söhnen gemacht. x Das durchschnittliche Alter der erwachsenen Kinder schwankt ähnlich wie das Alter der Eltern. Es ist mit durchschnittlich 37,5 Jahren am höchsten bei Kindern leiblicher Eltern aus intakten Familien und mit durchschnittlich 33,4 Jahren am geringsten bei Stiefkindern. Über die eben beschriebenen Merkmale der befragten Elternteile und ihrer erwachsenen Kinder als auch über die oben ausführlich dargestellten Dimensionen intergenerationaler Beziehungen hinaus, stehen mit dem GGS leider keine weiteren Informationen über die Eltern, die Kinder oder ihre Beziehungen zur Verfügung. Für die folgenden Analysen können demnach keine weiteren Variablen herangezogen werden, um die Unterschiede in der Kontakthäufigkeit und der Beziehungszufriedenheit zwischen den verschiedenen Elternteilen je nach ihren
206
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
Relationen zu den erwachsenen Kindern zu erklären. Bei den Merkmalen der Eltern liegt das vor allem daran, dass die Variablen für alle Elterngruppen einen gültigen Wert aufweisen müssen. So stand zwar beispielsweise eine Information zum Partnerschaftsstatus der befragten Elternteile zur Verfügung. Diese wurde aber aus der Analyse ausgeschlossen, da der Partnerschaftsstatus mit der Definition und damit der Zugehörigkeit zu den Elterngruppen konfundiert. Das gleiche gilt für eine Variable, die über den Grund der Auflösung der elterlichen Beziehung Auskunft gibt. Die Idee der Bildung einer Variablen, die angibt, wie lange die jeweiligen Elternteile mit den jetzt erwachsenen Kindern in einem gemeinsamen Haushalt zusammen gelebt haben, und so auch die Unterscheidung von internen und externen Elternteilen nach einer elterlichen Trennung, musste leider verworfen werden, da die Rekonstruktion der Zuordnung der Kinder zu einem bestimmten Partner nicht möglich war.72 Auch hinsichtlich der erwachsenen Kinder liegen über die bereits dargestellten Angaben keine weiteren Informationen vor. Man weiß zum Beispiel nichts über den Gesundheitszustand, den Partnerschaftsstatus oder den Elternschaftsstatus der erwachsenen Kinder (und damit auch nichts über ihre Bedürftigkeiten und Ressourcen). Des Weiteren liegen keine Angaben über andere Beziehungsvariablen wie zum Beispiel zur Eltern-Kind-Bindung oder zu Konflikten zwischen Eltern und Kindern vor. Der Austausch von Unterstützungsleistungen wurde, wie bereits erwähnt, nicht relational erhoben. Aber auch darüber, wie die Beziehungen zu einem früheren Zeitpunkt gestaltet waren, weiß man nichts, obwohl das aus lebensverlaufstheoretischer von besonders großem Interesse wäre. Eine retrospektive Erhebung solcher Informationen, wie sie Rossi und Rossi (1990) vorgenommen haben, um 72
Die Dauer des Zusammenlebens mit ihren (jetzt) erwachsenen Kindern für alle Elternteile zu generieren, war aus folgenden Gründen nicht möglich: Zwar enthält der verwendete Datensatz die Information über den Zeitpunkt des Auszuges des Kindes und bei Adoptiv-, Pflege- und Stiefkindern wurde sogar die gemeinsame Zeit im Haushalt erfasst, aber eine Rekonstruktion scheitert daran, dass das Kind bei aufgelösten Partnerschaften einer bestimmten Partnerschaft zugeordnet werden muss. Dabei bestehen zwei Schwierigkeiten: Erstens wurde kein Beginn der Partnerschaft erhoben, sondern nur der Zusammenzug. Kinder können natürlich auch in Living Apart Together Beziehungen gezeugt werden. Zweitens wurde im Gegensatz zur Auflösung einer Beziehung durch Trennung, beim Tod des Partners bzw. der Partnerin kein Zeitpunkt des Ereignisses erhoben. Eine ganze Reihe von Kindern kann deshalb nicht genau einer bestimmten Partnerschaft zugeordnet werden. Darüber hinaus fehlen bei etwa 500 Dyaden die genauen Datumsangaben. Was auch immer der Grund dafür sein mag, dass die Befragten, diese Angaben nicht gemacht haben (Erinnerungslücken oder Unlust so viele detaillierte Informationen preiszugeben), es sind einfach zu viele Fälle, die nicht rekonstruiert werden können, um eine solche Variable in die multivariaten Analysen mit allen Elternteilen aufzunehmen, obwohl es inhaltlich überaus interessant gewesen wäre. Bei Stiefeltern, bei denen die Dauer des Zusammenlebens direkt erfragt wurde, wird diese Variable an späterer Stelle in die Modelle aufgenommen.
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
207
daraus Rückschlüsse auf den Beziehungsverlauf zu ziehen, ist meines Erachtens allerdings auch nur wenig sinnvoll. Um Kausalzusammenhänge zu untersuchen, sind prospektive Längsschnittdaten notwendig (Huinink/Feldhaus 2009: 305). Da der GGS 2005 die erste Welle einer Paneluntersuchung mit drei Erhebungsphasen darstellt, können zu einem späteren Zeitpunkt solche Analysen folgen. Wobei erwähnt werden muss, dass diese dann nicht mehr für Stiefeltern durchzuführen sind, da in der zweiten Welle des GGS auf die Erfassung der Kinder des Partners bzw. der Partnerin verzichtet wurde. Im Folgenden soll es nun also um die Frage gehen, ob auch unter Kontrolle von verschiedenen unabhängigen Merkmalen der Eltern, der erwachsenen Kinder oder der Eltern-KindBeziehungen, die im deskriptiven Teil dargestellten Unterschiede nach den Relationen der jeweiligen Elternteile in Bezug auf die Kontakthäufigkeit und die Beziehungszufriedenheit weiterhin Bestand haben.
5.2.2
Determinanten der Kontakthäufigkeit
Das Ausmaß der Kontakthäufigkeit steht neben dem Austausch von Unterstützungsleistungen am häufigsten im Zentrum von Analysen, wenn es um die Ausgestaltung von familialen Generationenbeziehungen geht (siehe unter anderem: Fors/Lennartsson 2008; Hank 2007; Kalmijn/de Vries 2009; Kalmijn/Dykstra 2006; Kohli/Künemund/Lüdicke 2005; Lawton/Silverstein/Bengtson 1994; Steinbach/Kopp 2008b; Tomassini et al. 2004). Das liegt wohl daran, dass die Kontakthäufigkeit einerseits eine gut messbare und relativ objektive Variable darstellt, die problemlos auch in größere Untersuchungen integriert werden kann und die eine gewisse Aussagekraft über die Ausgestaltung von Generationenbeziehungen besitzt. Andererseits sind vielfältige Unterstützungsleistungen auch direkt vom Kontakt der beteiligten Personen abhängig, weshalb es von besonderem Interesse ist, herauszufinden, was ein größeres oder geringeres Ausmaß an Kontakten zwischen den Generationen bedingt. Im Folgenden steht deshalb die Frage im Vordergrund, inwiefern das Ausmaß der Kontakthäufigkeit – gemessen anhand des ‚face-to-face‘-Kontaktes zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, die nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben – durch verschiedene Einflussfaktoren erklärt werden kann (Tabelle 8). Bevor jedoch die empirischen Ergebnisse präsentiert werden, sollen erst noch die zu erwartenden Zusammenhänge zwischen den eben vorgestellten unabhängigen Variablen und dem Ausmaß der Kontakthäufigkeit dargestellt werden. In einem ersten Analysemodell, in das nur die Relationen der befragten Elternteile zu den erwachsenen Kindern eingehen, werden die Unterschiede zwi-
208
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
schen leiblichen und sozialen Eltern in verschiedenen familialen Konstellationen (ohne die Kontrolle weiterer Variablen) verdeutlicht. Leibliche Eltern aus intakten Familien dienen dabei als Referenzkategorie, mit der andere leibliche Eltern (Alleinstehend oder in neuer Partnerschaft lebend) und Stiefeltern verglichen werden. Dabei wird ein negativer Effekt bei allen Eltern-Kind-Relationen erwartet, die nicht Dyaden leiblicher Eltern und Kinder aus intakten Familien sind. Der Grund für die Annahme einer durchschnittlich höheren Kontaktrate von leiblichen Eltern aus intakten Familien im Vergleich zu anderen leiblichen und sozialen Elternteilen liegt in ihrer konstanten Präsenz während des gesamten Lebens der Kinder, wodurch es ihnen tendenziell besser gelingen sollte, langfristig eine sichere Bindungsbeziehung als auch eine stabile Austauschbeziehung aufzubauen. Das kritische Lebensereignis einer elterlichen Trennung sollte sich dagegen negativ auf die Kontaktrate zwischen leiblichen Eltern und Kindern auswirken, unabhängig davon wann das Ereignis stattfindet. Die Schwächung der Eltern-Kind-Beziehung auf Grund einer elterlichen Trennung oder Scheidung – die sich unter anderem in einer geringeren Kontaktrate ausdrückt – ist inzwischen hinreichend belegt (Kalmijn 2008: 171). Als Gründe werden geringere elterliche Investitionen (wegen fehlender Ressourcen), zeitliche Restriktionen (die Eltern können nicht mehr gleichzeitig gesehen werden) und familiale Konflikte (wie Loyalitätskonflikte) in Zuge der Trennung genannt. Da die neuen Partner der Eltern die (erwachsenen) Kinder zumeist treffen, wenn auch das entsprechende leibliche Elternteil sein Kind besucht bzw. von diesem besucht wird, lässt sich ableiten, dass auch Stiefeltern weniger persönliche Kontakte mit ihnen haben sollten als leibliche Eltern aus intakten Familien (Ward/Spitze/Deane 2009: 167; White 1994b: 127; Van der Pas 2006: 33). In einem zweiten Analysemodell werden dann die verschiedenen Merkmale des jeweiligen Elternteils eingeführt, um zu überprüfen, ob die Unterschiede zwischen den verschiedenen Elternrelationen möglicherweise darauf zurückgeführt werden können, dass sich diese Eltern aufgrund bestimmter Eigenschaften systematisch voneinander unterscheiden. Das Geschlecht des Elternteils spielt bei der Erklärung von Unterschieden in der Kontakthäufigkeit von Eltern und erwachsenen Kindern sowohl theoretisch als auch empirisch eine wichtige Rolle. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen in Familien als sogenannte ‚kinkeeper‘ fungieren und dass Mütter deshalb durchschnittlich öfter Kontakt mit ihren erwachsenen Kindern im Vergleich zu Vätern haben (Atkinson/Kivett/Campbell 1986: 415; Hank 2007: 163; Kalmijn/de Vries 2009: 267; Rossi/Rossi 1990: 369; Szydlik 2000: 110). Aus theoretischer Sicht gibt es dafür verschiedene Gründe: Da es zumeist die Mütter sind, die sich um die Kinder kümmern, wird dadurch einerseits ihre Bindungs-, andererseits aber auch ihre Austauschbeziehung mit den Kindern stabilisiert. Durch ihre Involviertheit in
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
209
die Erziehung der Kinder können sie außerdem eher ihre Werte von Kindern umsetzen. Auch aus soziobiologischer Sicht ist ein höheres Investment von Müttern erwartbar: Einerseits haben sie mit der Schwangerschaft und der Geburt von Beginn der Beziehung an die höheren Kosten des Aufziehens zu tragen, so dass sie auch nach der Geburt vorrangig die Pflege übernehmen. Andererseits leben sie durchschnittlich länger als Väter und sind deshalb mit einer größeren Wahrscheinlichkeit später auf die Unterstützung ihrer Kinder angewiesen, so dass sich für sie ein dauerhaft intensiver Kontakt stärker lohnt (siehe für dieses Argument auch Rossi 1993: 195). Wie sich gezeigt hat, sind es auch bei einer elterlichen Trennung die Mütter, die regelmäßig Kontakt mit ihren Kindern pflegen – unabhängig davon, ob die Trennung stattfand als die Kinder noch minderjährig oder bereits erwachsen waren und unabhängig davon, ob sie nach einer Trennung das interne oder externe Elternteil waren (Albertini/Saraceno 2008: 205; Kalmijn 2008: 180). Das Alter der Eltern spielt für das Ausmaß der Kontakthäufigkeit insofern eine Rolle, als mit zunehmendem Alter beispielsweise die Hilfsbedürftigkeit zunimmt. Gleichzeitig ist aber auch anzunehmen, dass sich die den Eltern zur Verfügung stehende Zeit vergrößert, die es ihnen ermöglicht, sich um Beziehungen zu kümmern, da keine kleinen Kinder mehr zu versorgen sind und ältere Personen oft auch nicht in dem Maße in die Berufstätigkeit eingespannt sind wie jüngere. Mit steigendem Alter der Eltern wächst auch die Wahrscheinlichkeit, dass die eigenen Kinder selbst Kinder bekommen und der Kontakt mit den Enkeln auch den Kontakt mit den eigenen erwachsenen Kindern erhöht (Friedman/Hechter/Kreager 2008). Vom Bildungsniveau der Eltern wird einerseits ein negativer Einfluss auf die Kontakthäufigkeit erwartet, da mit zunehmender Bildung auch die berufliche Mobilität zunimmt. Wenn das der Fall ist, sollte dieser Effekt allerdings unter Kontrolle der Wohnentfernung (im vierten Modell) entfallen. Darüber hinaus scheinen bei höherer Bildung auch die Alternativen für soziale Kontakte größer zu sein, so dass bei höherem Bildungsniveau – unabhängig von Mobilität und Wohnentfernung – eine geringere Kontaktrate wahrscheinlich ist (de Graaf/Fokkema 2007: 272). Das Bildungsniveau der Eltern kann andererseits aber auch einen Hinweis auf die persönlichen Ressourcen, die dem jeweiligen Elternteil zur Verfügung stehen, geben. Dabei geht eine hohe Bildung nicht nur mit finanziellen Ressourcen einher, die zum Beispiel die Aufrechterhaltung des Kontaktes positiv beeinflussen können (Fahrtkosten, Telefonkosten). Das Bildungsniveau hängt auch eng mit den kommunikativen Kompetenzen zusammen, die sich positiv auf die Beziehungen der Eltern mit ihren erwachsenen Kindern auswirken sollten. Insbesondere für Stieffamilien wird diese Verhandlungskompetenz immer wieder als besonders vorteilhaftes Merkmal hervorgehoben (Braithwaite et al. 2001; Golish 2003; Schrodt 2006). In Bezug auf die Merkmale allgemeiner Gesund-
210
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
heitszustandes und ernsthafte Krankheiten wird erwartet, dass die Kontakthäufigkeit mit den erwachsenen Kindern umso höher ausfällt, je schlechter es dem jeweiligen Elternteil geht. Einerseits ist das auf die Bindungsbeziehung zwischen Elternteil und Kind zurückzuführen, denn man kann auf das Bestehen einer Bindung schließen, wenn eine anhaltende und deutliche Bevorzugung einer Person zu beobachten ist, die zeigt, dass die gebundene Person gern die Nähe der Bindungsperson auch über Hindernisse hinweg aufsucht. Das gilt besonders, wenn einer der Bindungspartner unglücklich oder stark belastet ist (Grossmann/Grossmann 2004: 71). Andererseits sollten vor allem relativ große gesundheitliche Probleme der Eltern (gemessen über das Vorhandensein von ersthaften Erkrankungen) auch einen höheren Betreuungsaufwand und damit mehr (persönliche) Kontakte mit den erwachsenen Kindern erfordern. Von der Anzahl der Kinder wird ein negativer Effekt auf die Kontakthäufigkeit erwartet, da mit einer größeren Kinderzahl auch der Aufwand für die Gesamtheit der persönlichen Kontakte steigt. Das heißt, mit zunehmender Kinderzahl sollte der ‚face-to-face‘-Kontakt zu den einzelnen Kindern rückläufig sein (Fors/Lennartsson 2008: 263; Kalmijn/Dykstra 2006: 80; van Gaalen 2007: 64). In Bezug auf die Unterschiede hinsichtlich der Kontakthäufigkeit von Eltern und erwachsenen Kindern in West- und Ostdeutschland wird erwartet, dass sich Eltern und Kinder in den neuen Bundesländern öfter sehen als Eltern und Kinder in den alten Bundesländern, was auf die Unterschiede in der jeweiligen Sozialisation in beiden gesellschaftlichen Regimen zurückgeführt werden kann. Für die DDR wird dabei gemeinhin ein Rückzug in das Private und die Besinnung auf die Familie konstatiert (Szydlik 1996: 65). Ähnliches gilt für den Migrationshintergrund des jeweiligen Elternteils. Auch hier kann angenommen werden, dass sich die Sozialisationserfahrungen auf die Ausgestaltung der Generationenbeziehungen auswirken und zwar in der Hinsicht, dass Eltern mit Migrationshintergrund ein höheres Ausmaß an Kontakten mit ihren Kindern zeigen (Baykara-Krumme 2008b: 207ff.). In einem dritten Analysemodell werden dann noch die Merkmale des erwachsenen Kindes hinzugenommen. Auch das Geschlecht des Kindes hat sich für die Kontakthäufigkeit in einigen Untersuchungen als bedeutsam erwiesen. Das hängt wiederum mit der ‚kinkeeper‘-Funktion von Frauen zusammen, die Töchter ebenso wie ihre Mütter übernehmen. Daraus folgt, dass die Kontakte zwischen Müttern und Töchtern von allen möglichen Geschlechterdyaden im familialen Kontext am häufigsten sind (Berger/Fend 2005: 21; Kalmijn/Dykstra 2006: 69; van der Pas 2006: 73). Das Alter des Kindes spielt insofern eine Rolle, als dass beobachtet werden kann, dass die Ausgestaltung von Generationenbeziehungen im Lebenslauf bestimmten Schwankungen unterworfen ist (Berger/Fend 2005: 12). Vor allem die Jugendphase ist eher mit einer Abgrenzung
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
211
von den Eltern verbunden, während sich Eltern und erwachsene Kinder später nochmals annähern, so dass mit zunehmendem Alter der Kinder die ElternKind-Beziehungen wieder enger werden. Wobei hier auch der zeitliche Aufwand des Kontaktes in Rechnung gestellt werden muss: Junge Erwachsene haben während ihrer Ausbildung und vor allem nach ihrem Berufseinstieg eher beschränkte zeitliche Ressourcen und sind gegebenenfalls auch beruflich mobil, so dass persönliche Kontakte mit der Herkunftsfamilie nicht so häufig stattfinden. Mit Gründung einer eigenen Familie ist dagegen oft eine Wiederbelebung der intergenerationalen Beziehungen zu beobachten (Friedman/Hechter/ Kreager 2008). In einem vierten Analysemodell, welches als Kontrollvariablen die jeweils anderen (im GGS relational erfassten) Dimensionen intergenerationaler Beziehungen umfasst, wird dann für die Wohnentfernung, die Beziehungszufriedenheit und die Zustimmung zu familialen Normen kontrolliert: So kann zum Beispiel angenommen werden, dass sich die Wohnentfernung positiv auf die Kontakthäufigkeit auswirkt: Je näher Eltern und erwachsene Kinder beieinander wohnen, desto häufiger sollten sie sich sehen. Einerseits bietet eine große Wohnnähe die Opportunitäten für regelmäßige persönliche Kontakte. Andererseits zeigen die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen, dass die Wohnentfernung einen positiven Einfluss auf das Ausmaß von Kontakten hat – egal ob es sich um ‚face-to-face‘-Kontakte oder medial vermittelte Kontakte, zum Beispiel über Telefon, handelt (Fors/Lennartsson 2008: 263; Hank 2007: 168; Hogerbrugge/Dykstra 2009: 139). Auch die Beziehungszufriedenheit wird als Einflussfaktor für die Kontakthäufigkeit mit der Erwartung eingeführt, dass sie sich positiv auf die persönlichen Kontakte zwischen Eltern und erwachsenen Kindern auswirkt. Zum einen sollten hier sich selbst verstärkende Prozesse zum Tragen kommen: Sowohl mit den Annahmen der Bindungstheorie als auch mit den Annahmen der Austauschtheorie ist davon auszugehen, dass sich Eltern und Kinder, die sich nahe stehen öfter sehen und sich Eltern und Kinder, die oft in Kontakt miteinander stehen emotional zufriedenstellende Beziehungen führen. Zum anderen gibt es viele Hinweise empirischer Untersuchungen dieses positiven Zusammenhangs zwischen der Beziehungsqualität von Eltern-KindBeziehungen und der Kontakthäufigkeit (Steinbach/Kopp 2008b: 97). Als letzte Dimension intergenerationaler Beziehungen wird die Zustimmung zu familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung von Eltern und erwachsenen Kindern kontrolliert. Hier besteht die Annahme, dass die ‚face-to-face‘-Kontakte umso häufiger sind, je stärker die Zustimmung zu familialen Normen ausfällt. Die Ergebnisse der vier Regressionsmodelle sind der Tabelle 8 zu entnehmen.
212
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
Tabelle 8:
Regressionsmodelle zur Erklärung der Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (-Koeffizienten)
Unabhängige Variablen
Modell 1
Modell 2
Modell 3
Modell 4
_
_
_
_
-.13***
-.13***
-.13***
-.04***
Leibliches Elternteil (neue/r Partner/in)
-.20***
-.20***
-.20***
-.07***
Stiefelternteil
-.16***
-.16***
-.15***
-.05***
Leibliches Elternteil Relation des befragten Elternteils (intakte Familie) zum erwachsenen Leibliches Elternteil Kind (kein/e Partner/in)
Merkmale Elternteil Geschlecht: weiblich
.06***
.05***
-.04**
.05***
.07**
.04*
Bildung: hoch
-.06***
-.07***
-.03***
Allg. Gesundheitszustand
-.03
-.03
-.05***
Alter
Ernsthafte Krankheiten: ja
-.02
-.02
-.04***
Anzahl der Kinder
-.02
-.03
-.03**
Wohnregion: Ost
-.06***
-.05***
-.02*
Migrationshintergrund: ja Merkmale Kind
.03
Alter IGB-Dimensionen
.03
Geschlecht: weiblich
.04***
.05***
.03***
-.13***
-.08***
Wohnentfernung
-.67***
Beziehungszufriedenheit
.31***
Familiale Normen
.02
2
korrigiertes r n
* p 0,05; ** p 0,01; *** p 0,001
Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen.
.07
.08
.09 6.115
.67
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
213
Die Ergebnisse73 des ersten Modells in Tabelle 8 zeigen, dass sich sowohl leibliche Eltern mit und ohne neuen Partner bzw. neue Partnerin als auch Stiefeltern deutlich von leiblichen Eltern aus intakten Familien unterscheiden. Und zwar in der Hinsicht, dass erstere (wie erwartet) ihre erwachsenen Kinder und Stiefkinder signifikant seltener sehen als letztere. Die Stärke der Effekte bei den verschiedenen leiblichen und sozialen Elternteilen, die nicht in intakten Familien leben, bestätigen die Ergebnisse der deskriptiven Befunde: Alleinstehende Eltern sehen ihre erwachsenen Kinder zwar seltener als leibliche Eltern aus intakten Familien, aber häufiger als leibliche und soziale Eltern aus Stieffamilien. Die eben beschriebenen Unterschiede zwischen den entsprechenden Elternteilen bleiben auch im zweiten Modell bestehen, wenn zusätzlich verschiedene Merkmale der Eltern in die Analyse eingeführt werden. Allerdings haben einige der elterlichen Eigenschaften einen zusätzlichen Einfluss auf das Ausmaß der Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, wenn die Effektstärken auch alle relativ gering ausfallen: Der erste signifikante Einflussfaktor ist das Geschlecht des Elternteils. Wie erwartet, sehen Mütter ihre erwachsenen Kinder häufiger als Väter. Die ‚kinkeeper‘-These konnte hier also in Bezug auf Mütter ein weiteres Mal bestätigt werden. Der zweite Effekt betrifft das Alter der Eltern: Je älter die jeweiligen Elternteile sind, desto seltener haben sie persönlichen Kontakt mit ihren Kindern (unter Kontrolle der Einschätzung ihres allgemeinen Gesundheitszustandes und dem Leiden unter ernsthaften Krankheiten). Das ist zwar an dieser Stelle ein etwas überraschendes Ergebnis, es kann aber bei der Betrachtung des dritten Modells (siehe unten) weitgehend erklärt werden. Weiterhin zeigen die Ergebnisse, dass eine höhere Bildung der Eltern mit einer geringeren Kontaktrate einhergeht. Ob dieser Effekt durch eine größere berufliche Mobilität und einer damit verbundenen größeren Wohnentfernung zwischen den Generationen vermittelt ist, wird sich im vierten und letzten Modell zeigen. Zwischen dem allgemeinen Gesundheitszustand sowie ernsthaften Krankheiten der Eltern und ihrem Ausmaß an Kontakten mit erwachsenen Kindern besteht in diesem Modell, in dem nur für die jeweiligen Relationen und die Merkmale der Eltern kontrolliert wird, kein signifikanter Zusammenhang. Auch die Anzahl der Kinder und der Migrationshintergrund haben keinen Einfluss auf die Kontakthäufigkeit der Eltern mit ihren erwachsenen Kindern. Interessanterweise sind allerdings signifikante West-Ost-Unterschiede zu beobachten: Ent-
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Wie bereits ausführlich beschrieben (siehe 5.1), wurden jeweils die entsprechenden Standardfehler korrigiert, da die Mehrzahl der Eltern zu mehr als einem erwachsenen Kind Angaben gemacht hat (Abbildung 10). Darüber hinaus wurden bivariate Korrelationsanalysen mit allen verwendeten Variablen durchgeführt sowie in den multivariaten Modellen für Kollinearität kontrolliert.
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Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
gegen den Erwartungen sehen Eltern, die in den alten Bundesländern oder Westberlin leben, ihre erwachsenen Kinder öfter als Eltern, die in den neuen Bundesländern oder Ostberlin leben. Ein Grund dafür könnte der relativ höhere Anteil an jüngeren Ostdeutschen sein, die eine West-Ost-Wanderung vollzogen haben und die deshalb weiter von ihren Eltern entfernt leben. Da im vierten Analysemodell die Wohnentfernung als Kontrollvariable eingeführt wird, müsste dieser Unterschied also kleiner werden oder sogar ganz verschwinden. Auch im dritten Modell, bei dem zusätzlich zu den Merkmalen der Eltern nun auch die Merkmale der erwachsenen Kinder eingeführt werden, bleiben die Unterschiede zwischen den alleinlebenden Eltern, den leiblichen Eltern mit neuen Partnern, den Stiefeltern und den Eltern aus intakten Familien bestehen. Beim Blick auf den Einfluss des Geschlechtes der Kinder zeigt sich das erwartete Ergebnis: Eltern haben häufiger ‚face-to-face‘-Kontakte mit ihren Töchtern als mit ihren Söhnen. Da auch Mütter signifikant mehr Kontakt mit ihren Kindern haben als Väter, bestätigt sich (wie schon erwähnt) in dieser Untersuchung ein weiteres Mal die so genannte ‚kinkeeper‘-These, die besagt, dass intergenerationale Kontakte vor allem über die weibliche Linie der Familie aufrechterhalten und gepflegt werden. Hinsichtlich des Alters der Kinder zeigt sich ein negativer Effekt, dass heißt, je älter die erwachsenen Kinder sind, desto seltener haben die Eltern mit ihnen Kontakt. Das hängt wohl mit der zunehmenden Eingebundenheit der erwachsenen Kinder in Berufstätigkeit, Partnerschaft und familiale Verpflichtungen gegenüber eigenen Kindern zusammen. Die Wahrscheinlichkeit, dass derartige Überschneidungen auftreten und damit Zeitressourcen der Kinder binden, nimmt natürlich zu, je älter die Kinder werden. Unter Kontrolle dieser eben genannten Faktoren, wie Berufstätigkeit und Familienstatus, würde der Effekt des Alters der Kinder möglicherweise kleiner bzw. sogar ganz verschwinden. Da allerdings keine weiteren Informationen über die erwachsenen Kinder vorliegen, muss ihr Alter hier als Proxyvariable für diese lebensphasenspezifischen Umstände dienen. Interessanter ist jedoch, dass sich der negative Effekt des Alters der Eltern unter Kontrolle des Alters der Kinder umkehrt und nun positiv ist. Das bedeutet, der Effekt des Alters der Eltern wird durch das Alter der Kinder überlagert. Wenn man also einrechnet, dass der Kontakt zwischen Eltern und erwachsenen Kindern mit zunehmenden Alter der Kinder sinkt, wobei das Alter der Eltern und das Alter der Kinder natürlich positiv miteinander korrelieren, ergeben sich mit zunehmenden Alter der Eltern sogar vermehrte persönliche Kontakte zu ihren erwachsenen Kindern. Dies kann aber nicht auf ihre Bedürftigkeiten zurückgeführt werden, da der allgemeine Gesundheitszustand und auch das Leiden unter ernsthaften Krankheiten keinen signifikanten Einfluss auf das Ausmaß der persönlichen Kontakte haben. Ebenso wie bei den Kindern scheint sich demnach auch bei den Eltern die Eingebun-
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
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denheit in berufliche und familiale Verpflichtungen, die mit steigendem Alter wieder abnehmen, negativ auf die Kontakte zu ihren Kindern auszuwirken. Alle anderen Koeffizienten der ersten beiden Modelle verändern sich unter Hinzunahme der Merkmale der erwachsenen Kinder nicht. Erst im vierten Modell, in dem nun auch für die anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen kontrolliert wird, steigt die Erklärungsleistung auf immerhin 67% an. Insbesondere die Wohnentfernung hat einen starken Einfluss auf die Kontakthäufigkeit. Das ist natürlich nicht überraschend, wenn man sich noch einmal verdeutlicht, dass es sich hier um das Ausmaß des ‚faceto-face‘-Kontaktes handelt. Je näher also Eltern und erwachsene Kinder beieinander wohnen, desto öfter sehen sie sich. Aber auch die Beziehungszufriedenheit der Eltern hat – wie erwartet – einen starken positiven Einfluss auf den persönlichen Kontakt mit ihren Kindern: Je zufriedener die Eltern mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern sind, desto öfter sehen sie die Kinder auch. Die Zustimmung zu familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung hat dagegen keinen Einfluss auf das Ausmaß der Kontakthäufigkeit. Wie verändern sich nun aber unter Hinzunahme der Dimensionen intergenerationaler Beziehungen die Effekte der anderen Variablen? Unter Kontrolle von Wohnentfernung und Beziehungszufriedenheit (die Zustimmung zu familialen Normen blieb ja ohne Gewicht) geht der Einfluss der Relationen der Elternteile, die nicht leibliche Eltern aus intakten Familien sind, deutlich zurück. Die Koeffizienten zeigen zwar immer noch einen negativen Zusammenhang an und sind auch noch hoch signifikant, aber ihre Effektstärke sinkt um etwa zwei Drittel. Die Unterschiede in der Kontakthäufigkeit zwischen leiblichen Eltern aus intakten Familien und leiblichen Eltern, die entweder allein oder in einer neuen Partnerschaft leben sowie Stiefeltern basieren also zum großen Teil auf Unterschieden in der Wohnentfernung und der Beziehungszufriedenheit. Wobei leibliche Eltern aus intakten Familien, wie ja die deskriptiven Analysen gezeigt haben, näher an ihren erwachsenen Kindern wohnen als auch zufriedener mit der Beziehung zu ihren Kindern sind. Des Weiteren ist Tabelle 8 zu entnehmen, dass sich durch den Einbezug der Wohnentfernung und der Beziehungszufriedenheit auch noch andere Effekte ändern: Der Einfluss des Alters – sowohl das der Eltern als auch das der Kinder – nimmt an Stärke ab, wobei die Signifikanz trotzdem erhalten bleibt. Im vierten Modell werden zusätzlich auch der allgemeine Gesundheitszustand der Eltern und das Leiden unter ernsthafte Krankheiten signifikant. Allerdings entgegengesetzt der erwarteten Richtung: Je besser es den Eltern geht, je besser also ihr allgemeiner Gesundheitszustand ist und je weniger sie an ernsthaften Krankheiten leiden, desto größer ist die Kontakthäufigkeit mit ihren erwachsenen Kindern. Der Gesundheitszustand hat offensichtlich weniger mit dem Bedarf an und der Gewährung von Unterstützung zu tun, was zu einer
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Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
Erhöhung der Kontaktfrequenz beitragen würde, sondern wohl eher mit der Möglichkeit, Kontakte jenseits von Hilfeleistungen aufrecht zu erhalten und zu pflegen, zum Beispiel durch gemeinsame Ausflüge und andere Unternehmungen. Unter Kontrolle von Wohnentfernung und Beziehungszufriedenheit wird nun auch der Einfluss der Kinderzahl signifikant, wobei mit zunehmender Kinderzahl die Kontakthäufigkeit sinkt. Darüber hinaus nehmen die West-OstUnterschiede – wie vermutet – unter Einbezug der Wohnentfernung ab. Die Effektgröße ist im vierten Modell nur noch minimal, wenn auch gerade noch signifikant. Das heißt, Eltern, die in den alten Bundesländern oder Westberlin leben, sehen ihre erwachsenen Kinder etwas häufiger als Eltern, die in den neuen Bundesländern oder Ostberlin leben, weil ihre Wohnentfernung geringer ist. Eine letzte berichtenswerte Veränderung zeigt sich beim Einfluss des Migrationshintergrundes der Eltern: Dieser Effekt ist jetzt signifikant. Das heiß, unter Kontrolle der Wohnentfernung sehen sich Eltern und erwachsene Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund öfter als Eltern und erwachsene Kinder aus einheimischen deutschen Familien. Interessanterweise bleibt der negative Einfluss eines höheren Bildungsniveaus der Eltern auch unter Kontrolle der Wohnentfernung bestehen. Es ist wohl nicht allein die berufliche Mobilität höher Gebildeter, die für die geringere Kontaktfrequenz verantwortlich ist. Die oft begrenzten zeitlichen Ressourcen bei gleichzeitig größeren Opportunitäten für soziale Kontakte außerhalb des familialen Netzwerkes tragen wahrscheinlich ebenso zur Erklärung dieses Effektes bei. Diese Zusammenhänge können aber mit den zugrunde liegenden Daten nicht geprüft werden.
5.2.3
Determinanten der Beziehungszufriedenheit
Die Beziehungsqualität bzw. Beziehungszufriedenheit steht im Vergleich zu anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen, wie der Kontakthäufigkeit oder dem Austausch von Unterstützungsleistungen, nicht so oft im Zentrum der Aufmerksamkeit empirischer Untersuchungen (Berger/Fend 2005; Kaufman/Uhlenberg 1998; Nauck 2009; Rossi/Rossi 1990: 273ff.; Steinbach/Kopp 2010; Szydlik 1995). Das kann einerseits daran liegen, dass in den meisten Untersuchungen auf die Messung einer solchen subjektiven und multidimensionalen Variablen, für deren Erfassung keine einheitlichen Instrumente vorliegen (Lye 1996: 83f.), verzichtet wird. Andererseits wird aber auch immer wieder betont, welche Bedeutung das Wissen um die (subjektive) Beziehungsqualität für die Einschätzung der Ausgestaltung von familialen Generationenbeziehungen hat (Kohli et al. 2005: 188; Shapiro/Lambert 1999: 403). Im Folgenden soll
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
217
deshalb der Frage nachgegangen werden, ob sich Eltern, die in unterschiedlichen Relationen zu ihren erwachsenen Kindern stehen, systematisch in ihrer Beziehungszufriedenheit voneinander unterscheiden. Bevor jedoch die multivariaten Modelle zur Erklärung des Ausmaßes der Beziehungszufriedenheit präsentiert werden (Tabelle 9), sollen (wie bei der Kontakthäufigkeit auch) zunächst einmal die zu erwartenden Zusammenhänge zwischen den unabhängigen Variablen und der Beziehungszufriedenheit erläutert werden. Im ersten Analysemodell, in das nur die Relationen der befragten Eltern zu ihren erwachsenen Kindern eingehen, wird untersucht, ob es Unterschiede hinsichtlich der Beziehungszufriedenheit zwischen leiblichen Eltern aus intakten Familien sowie anderen leiblichen und sozialen Eltern gibt. Es wird erwartet, dass Alleinstehende und leibliche Eltern mit neuen Partnern eine geringere Zufriedenheit mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern aufweisen als leibliche Eltern aus intakten Familien. Darüber hinaus sollten auch Stiefeltern signifikant weniger zufrieden mit der Beziehung zu ihren Stiefkindern sein als leibliche Eltern aus intakten Familien zu ihren Kindern. Während die erste Annahme einer geringeren Beziehungsqualität zwischen Eltern und erwachsenen Kindern aus Trennungsfamilien im Vergleich zu Eltern und Kindern aus intakten Familien inzwischen empirisch relativ gut belegt ist (Berger/Fend 2005: 22; Daatland 2007: 816; Kaufman/Uhlenberg 1998: 931; Nakonezny/Rodgers/ Nussbaum 2003: 1162; Wethington/Kamp Dush 2007: 144), liegen zur Beziehungsqualität zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern bislang kaum Ergebnisse vor (Ward/Spitze/Deane 2009: 167; Kulis 1992: 492; White 1994b: 127). Die größere emotionale Nähe von Eltern aus intakten Familien ist – ähnlich wie bei der Kontakthäufigkeit – darauf zurückzuführen, dass es aufgrund ihrer konstanten Präsenz während der Kindheit und Jugend der Kinder besser gelingt, eine sichere Bindungsbeziehung wie auch eine stabile Austauschbeziehung zu ihnen aufzubauen. Ein hohes Maß an ‚Co-Parenting‘ bei einer kontinuierlichen Anwesenheit beider Elternteile während Kindheit und Jugend trägt dazu bei, dass Erziehungsziele effektiver umgesetzt werden können und weniger Probleme in der Familie berichtet werden (Rossi/Rossi 1990: 287). Eine Trennung der Eltern, mit der oft Konflikte – auch Loyalitätskonflikte der Kinder– einhergehen, führt dagegen tendenziell zu einer Entfremdung zwischen Eltern und Kindern bzw. stellt als kritisches Lebensereignis hohe Anforderungen an die Bewältigungsstrategien der beteiligten Personen, die zu einer geringeren Beziehungsqualität führen. Das Zusammenleben von Eltern und Kindern in einem Haushalt scheint allerdings auch keine Garantie für langfristig zufriedenstellende Eltern-Kind-Beziehungen, da sich eine elterliche Scheidung wenn die Kinder bereits volljährig sind, ebenso negativ auf die Qualität ihrer Beziehung auswirkt – vor allem für die Väter (Aquilino 1994b: 913; Cooney 1994: 51).
218
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
In einem zweiten Analysemodell werden nun zusätzlich verschiedene Merkmale der Eltern eingeführt, um auszuschließen, dass die Unterschiede hinsichtlich der Beziehungszufriedenheit zwischen den jeweiligen Eltern-Kind-Relationen darauf zurückzuführen sind, dass sich die Elternteile systematisch in bestimmten Eigenschaften voneinander unterscheiden. In Bezug auf das Geschlecht der Eltern wird erwartet, dass Mütter zufriedener mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern sind als Väter. Da die Mutter-Kind-Beziehungen (durch den von Müttern geleisteten Pflegeaufwand) meist von Beginn an besonders eng sind, ergibt sich, dass Mütter auch später häufiger in Kontakt und damit im intergenerationalen Austausch mit ihren Kindern stehen. Für Mutter-KindBeziehungen zeigt sich deshalb in allen Untersuchungen eine größere emotionale Nähe im Vergleich zu Vater-Kind-Beziehungen (Berger/Fend 2005: 21; Komter/Knijn 2006: 107; Kulis 1992: 492; Schneewind/Ruppert 1995: 169; Szydlik 2000: 179). Weiterhin wird erwartet, dass das Alter der Eltern positiv mit ihrer Beziehungszufriedenheit zusammen hängt, denn je mehr Zeit für Interaktionen zur Verfügung steht und je zwangloser diese eingebettet sind, desto zufriedenstellender sollten sie auch empfunden werden (Kaufman/Uhlenberg 1998: 930; Komter/Knijn 2006: 113; Kulis 1992: 492). Auch vom Bildungsniveau der Eltern wird angenommen, dass es einen positiven Einfluss auf die Beziehungszufriedenheit hat (Nauck 2009: 273). Einerseits stellen die finanziellen Ressourcen von Personen mit höherem Bildungsniveau einen wichtigen Aspekt dar, weil Unterstützungsleistungen einfacher erbracht werden können und die Beziehung somit entlastet wird (Rossi/Rossi 1990: 284). Andererseits verfügen gebildetere Eltern über bessere kommunikative Kompetenzen, die bei der Bewältigung von familialen Konflikten hilfreich sein können. Weiterhin wird angenommen, dass die Beziehungszufriedenheit steigt, je besser der subjektiv wahrgenommene allgemeine Gesundheitszustand der jeweiligen Elternteile ist (Berger/Fend 2005: 23; Kaufman/Uhlenberg 1998: 931; Rossi/Rossi 1990: 312f.; Szydlik 2000: 183). Ernsthafte Krankheiten sollten sich dagegen negativ auf die Beziehungsqualität auswirken (Kulis 1992: 492). Der Grund hierfür ist, dass wenig befriedigende eigene Lebensumstände eine Belastung für die intergenerationalen Beziehungen darstellen können und diese somit negativ beeinflussen. Bezüglich der Anzahl der Kinder lässt sich einerseits vermuten, dass kein Einfluss auf die Beziehungszufriedenheit zu den einzelnen Kindern besteht, da die Qualität der Beziehung weniger von Restriktionen (als zum Beispiel die Kontakthäufigkeit) abhängig ist. Andererseits muss bei mehr als einem Kind die Aufmerksamkeit und die zur Verfügung stehende Zeit de facto aber doch geteilt werden, was möglicherweise dazu führt, dass die Beziehungszufriedenheit der Eltern mit zunehmender Kinderzahl abnimmt (Ward/Spitze/Deane 2009: 168). Im Sinne der Ressourcenkonkurrenz könnten sich die Beziehungen zu den ein-
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
219
zelnen Kindern deshalb auch verschlechtern (Szydlik 2000: 188). Hinsichtlich der West-Ost-Differenzierung wird erwartet, dass Eltern mit Wohnort in Ostdeutschland oder Ostberlin zufriedener mit den Beziehungen zu ihren erwachsenen Kindern sind als Eltern, die im Westen Deutschlands oder Westberlin leben, da auf Grund der Sozialisationserfahrungen in der DDR ein stärkerer Rückzug in die Familie beobachtet werden konnte (Szydlik 1996: 189). Vom Migrationshintergrund, der Familien im Migrationskontext enger zusammenrücken lässt (Nauck 2002; Steinbach 2004), kann in ähnlicher Weise ein positiver Einfluss erwartet werden. Das heißt, dass die subjektive Beziehungszufriedenheit von Eltern mit Migrationshintergrund größer sein sollte als von Eltern ohne Migrationshintergrund (Baykara-Krumme 2008b: 215). In einem dritten Analysemodell werden zusätzlich zu den Relationen und den Eigenschaften der Eltern noch die Merkmale der erwachsenen Kinder in die Analyse einbezogen. In Bezug auf das Geschlecht der Kinder wird angenommen, dass die Beziehungszufriedenheit der Eltern gegenüber Töchtern größer ist als gegenüber Söhnen. Der Grund dafür liegt wiederum in der ‚kinkeeper‘These, die zeigt, dass es eher die Töchter als die Söhne sind, die den Kontakt zu ihren Eltern aufrecht erhalten und sich – wenn nötig – um ihre Eltern kümmern, was zu einem höheren Ausmaß an Beziehungszufriedenheit bei den Eltern führen dürfte (Berger/Fend 2005: 21; Nauck 2009: 273; siehe aber Kulis 1992: 492). Das Alter der erwachsenen Kinder sollte insofern eine Rolle spielen als das die Beziehungszufriedenheit der Eltern mit dem Alter der Kinder schwankt (Rossi/Rossi 1990: 276ff.): Wenn die Beziehungszufriedenheit mit dem intergenerationalen Austausch und damit auch mit dem Kontakt zwischen Eltern und Kindern zusammen hängt, sollte die Beziehungszufriedenheit mit zunehmenden Alter der Kinder größer werden, da die Knappheit der zeitlichen Ressourcen durch die Einbindung in das Erwerbsleben und die Versorgung eigener Kinder immer weiter abnimmt. Unter Kontrolle der Kontakthäufigkeit müsste dieser Effekt dann – wenn diese Vermutung zutreffend ist – allerdings verschwinden. Diese Frage kann allerdings erst mit dem vierten Modell beantwortet werden. In einem vierten Analysemodell wird schließlich noch für die anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen kontrolliert. Von der Wohnentfernung wird erwartet, dass sie sich negativ auf die Beziehungszufriedenheit der Eltern auswirkt. Das heißt, je weiter Eltern und erwachsene Kinder voneinander entfernt leben, desto weniger zufrieden sollten die Eltern mit der Beziehung zu ihren Kindern sein (Kaufman/Uhlenberg 1998: 931; Szydlik 2000: 182). Hierbei wird unterstellt, dass Eltern umso zufriedener sind, je näher sie an den Kindern leben und desto öfter und damit zwangsloser die Interaktionen zwischen ihnen sind. Von der Kontakthäufigkeit wird entsprechend erwartet, dass sie in einem stark positiven Zusammenhang mit der Beziehungszufriedenheit der Eltern steht
220
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
(Steinbach/Kopp 2010). Das Gleiche gilt dann auch für die Zustimmung zu familialen Normen: Je stärker die Eltern familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung zustimmen, desto zufriedener sollten sie mit der Beziehung zu ihren Kindern sein. Die Ergebnisse der vier Regressionsmodelle zur Erklärung des Ausmaßes der Beziehungszufriedenheit von Eltern mit erwachsenen Kindern sind der Tabelle 9 zu entnehmen. Wie bereits ausführlich beschrieben (siehe Kapitel 5.1), wurden jeweils die entsprechenden Standardfehler korrigiert, da die Mehrzahl der Eltern und Stiefeltern zu mehr als einem erwachsenen Kind bzw. Stiefkind Angaben gemacht hat (Abbildung 10). Darüber hinaus wurden bivariate Korrelationsanalysen mit allen verwendeten Variablen durchgeführt sowie in den multivariaten Modellen für Kollinearität kontrolliert. Da die eingeschlossen Variablen keine Korrelationen aufweisen, die bedenklich wären und die Kollinearitätsdiagnose keine erhöhten Werte aufgezeigt hat, können sie damit als voneinander unabhängige Einflussfaktoren in den Analysen verwendet werden. Im ersten Modell in Tabelle 9 ist zu sehen, dass alle Elternteile, die nicht in intakten Familien leben, signifikant weniger zufrieden mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern sind, als Eltern die dies tun. Die Effektstärken bestätigen dabei die Resultate der bivariaten Tests: Am wenigsten zufrieden sind Stiefeltern, gefolgt von leiblichen Eltern in neuen Partnerschaften und alleinstehenden leiblichen Eltern. Im zweiten Modell, welches die Merkmale der jeweiligen Elternteile einschließt, verändern sich die Effekte der Relationen der Elternteile nicht. Es ergeben sich jedoch zusätzlich signifikante Einflussgrößen für eine Erklärung des Ausmaßes der Beziehungszufriedenheit: Bei der Betrachtung des Geschlechts der Elternteile zeigt sich, dass Mütter – wie erwartet – zufriedener mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern sind als Väter. Das Alter erweist sich als positiver Prädiktor. Das heißt, je älter die befragten Eltern sind, desto zufriedener sind sie tendenziell der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern. Auch dem Bildungsniveau kommt, wie es erwartet wurde, ein positiver Einfluss zu: Eltern mit höherer Bildung sind signifikant zufriedener mit den Beziehungen zu ihren erwachsenen Kindern als weniger gebildete Eltern. Ebenso wirkt sich ein guter allgemeiner Gesundheitszustand positiv auf die Beziehungszufriedenheit aus, wogegen das Leiden unter ernsthaften Krankheiten die Zufriedenheit weder befördert noch behindert. Je besser es den Eltern also gesundheitlich geht, desto positiver sehen sie die Beziehungen mit ihren erwachsenen Kindern, was sicher daran liegt, dass die Gestaltung der Beziehungen so erfolgen kann, wie sie sich das Wünschen und keinen Restriktionen unterliegt. Ernsthafte Erkrankungen führen allerdings auch nicht zu einer größeren Unzufriedenheit. Auch die Anzahl der Kinder, die Wohnregion (West- oder Ostdeutschland) und der Migrati-
221
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
onshintergrund der Eltern haben keinen Einfluss auf die Zufriedenheit mit den Beziehungen zu erwachsenen Kindern, wenn ausschließlich die Art der Relationen und die Merkmale der Eltern in das Modell aufgenommen werden. Tabelle 9:
Regressionsmodelle zur Erklärung der Beziehungszufriedenheit zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (-Koeffizienten)
Unabhängige Variablen Leibliches Elternteil Relation des befragten Elternteils (intakte Familie) zum erwachsenen Leibliches Elternteil Kind (kein/e Partner/in)
Modell 1
Modell 4
_
_
_
-.11***
-.11***
-.11***
-.05***
Leibliches Elternteil (neue/r Partner/in)
-.14***
-.14***
-.14***
-.04***
Stiefelternteil
-.17***
-.16***
-.15***
-.07***
.08***
.09***
.04**
Alter
.04*
.12***
.07**
Bildung: hoch
.05***
.05***
.06***
Allg. Gesundheitszustand
.10***
.10***
.11***
Ernsthafte Krankheiten: ja
.03
.03
Anzahl der Kinder
-.02
-.02
Wohnregion: Ost
.02
.03
.04**
-.01
-.01
-.04**
Migrationshintergrund: ja Geschlecht: weiblich Alter IGB-Dimensionen
Modell 3
_
Merkmale Elternteil Geschlecht: weiblich
Merkmale Kind
Modell 2
.05** -.00
.05***
.01
-.10***
-.02
Wohnentfernung
.37***
Kontakthäufigkeit
.68***
Familiale Normen korrigiertes r2 n * p 0,05; ** p 0,01; *** p 0,001 Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen.
.02 .05
.07
.07 6.115
.28
222
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
Im dritten Modell werden nun zusätzlich noch verschiedene Merkmale der erwachsenen Kinder kontrolliert. Aber auch unter Hinzunahme der Kindervariablen bleibt der Effekt der Relationen der befragten Eltern unverändert: Leibliche Eltern mit und ohne neue Partner als auch Stiefeltern sind signifikant weniger zufrieden mit den Beziehungen zu ihren erwachsenen Kindern und Stiefkindern als leibliche Eltern aus intakten Familien. In Bezug auf das Geschlecht der Kinder zeigt sich, dass Eltern mit der Beziehung zu Töchtern signifikant zufriedener sind als mit der Beziehung zu Söhnen. Weiterhin nimmt die Beziehungszufriedenheit mit dem Alter der Kinder ab. Beides könnte möglicherweise auf das Ausmaß des Kontaktes zurückzuführen sein, was aber erst bei der Betrachtung des vierten Modells geklärt werden kann. Die anderen – im Zuge des zweiten Modells beschriebenen – Effekte bleiben weiterhin konstant. Einzig die Effektstärke des Alters der Eltern vergrößert sich. Da das Alter der Eltern natürlich eng mit dem Alter der Kinder zusammenhängt, tritt unter gleichzeitiger Kontrolle beider Variablen der jeweilige Nettoeffekt deutlicher hervor: Einerseits steigt mit zunehmendem Alter der Eltern ihre Beziehungszufriedenheit an, andererseits nimmt sie aber auch mit zunehmenden Alter der Kinder ab. Wobei letzteres möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass sich Eltern und erwachsene Kinder weniger sehen, je älter die Kinder werden, da die zeitlichen Ressourcen für intergenerationale Kontakte bei den Kindern durch die stärkere Eingebundenheit in andere Lebensbereiche abnehmen. Dies kann nun mit dem vierten und letzten Modell untersucht werden. Im vierten Modell, in das nun auch die anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen eingeschlossen werden, verändern sich die Effekte in verschiedener Hinsicht. In einem ersten Schritt soll aber zunächst der Einfluss der Dimensionen selbst betrachtet werden: Sowohl die Wohnentfernung als auch die Kontakthäufigkeit beeinflussen die Beziehungszufriedenheit stark positiv. Der Zustimmung zu familialen Normen kommt dagegen – wie bei dem Modell zur Kontakthäufigkeit – keine Erklärungsleistung zu. Hinsichtlich des Einflusses der Kontakthäufigkeit zeigt sich (erwartungskonform), dass die Eltern mit den Beziehungen zu ihren erwachsenen Kindern deutlich zufriedener sind, je öfter sie ihre Kinder sehen. Etwas überraschender ist jedoch die Richtung des Einflusses der Wohnentfernung. Das positive Vorzeichen des Koeffizienten weist nämlich darauf hin, dass die Zufriedenheit der Eltern zunimmt, je weiter sie von ihren erwachsenen Kindern entfernt wohnen. Da aus dem vierten Regressionsmodell zur Kontakthäufigkeit (Tabelle 8) bereits ersichtlich geworden ist, dass die Kontakthäufigkeit stark positiv durch die Wohnentfernung beeinflusst wird (was auf Grund der Operationalisierung der Kontakthäufigkeit als ‚face-to-face‘-Kontakt nicht überrascht), wurde zur Klärung einer möglicherweise vorliegenden Mediation das Modell noch einmal ohne die Kontakt-
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
223
häufigkeit geschätzt. Es zeigt sich, dass der Effekt der Wohnentfernung ohne die gleichzeitige Kontrolle der Kontakthäufigkeit tatsächlich negativ ist. Je weiter die Eltern also von ihren erwachsenen Kindern entfernt leben, desto unzufriedener sind sie mit der Beziehung. Im nächsten Abschnitt soll der Frage des Zusammenhangs der verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen deshalb auch noch einmal genauer nachgegangen werden. Doch zunächst noch zu den Veränderungen in den Effekten der anderen Variablen: Wie im letzten Erklärungsmodell zur Kontakthäufigkeit auch verringert sich unter Einbezug der Dimensionen intergenerationaler Beziehungen die Effektstärke der Art der Relationen auf etwa ein Drittel im Vergleich zu den anderen drei Modellen. Das heißt, wenn man das unterschiedliche Ausmaß an Wohnentfernung und Kontakthäufigkeit in Rechnung stellt, unterscheiden sich leibliche Elternteile, mit und ohne neue Partner als auch Stiefelternteile deutlich weniger, wenn auch noch immer hoch signifikant, von leiblichen Eltern aus intakten Familien hinsichtlich der Beziehungszufriedenheit mit ihren erwachsenen Kindern. Der Effekt des Geschlechts und des Alters der Eltern geht etwas zurück, während dagegen ernsthafte Krankheiten, Wohnregion und Migrationshintergrund an Bedeutung gewinnen. Eltern, die nicht an ernsthaften Krankheiten leiden und in den neuen Bundesländern oder Ostberlin leben sind nun zufriedener mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern als Eltern, die ernsthaft krank sind und in den alten Bundesländern bzw. Westberlin leben. Eltern mit Migrationshintergrund berichten (entgegen der Erwartung) eher weniger Beziehungszufriedenheit als Eltern ohne Migrationshintergrund. Unter Kontrolle von Wohnentfernung und Kontakthäufigkeit scheint hier tendenziell die Konfliktthese Bestätigung zu finden, die besagt, dass es in Migrantenfamilien zwischen den Generationen aufgrund unterschiedlicher Anpassungsprozesse vermehrt zu Konflikten kommt. Die erklärte Varianz erhöht sich im letzten Modell stark, wenn auch nicht ganz so stark wie beim vierten Modell zur Erklärung der Kontakthäufigkeit. Es gibt also offensichtlich noch andere, nicht berücksichtigte Variablen, die zur Erklärung der Beziehungszufriedenheit beitragen könnten. Die verschiedenen Modelle – sowohl zur Erklärung der Kontakthäufigkeit als auch zur Erklärung der Beziehungszufriedenheit – haben gezeigt, dass vor allem die anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen einen großen Erklärungsgehalt haben: Wie die hier erfassten Dimensionen – Wohnentfernung, Kontakthäufigkeit, Beziehungszufriedenheit und Zustimmung zu familialen Normen – nun aber genau zusammenhängen, kann anhand von Regressionsmodellen nicht gezeigt werden, da diese jeweils immer nur eine abhängige Variable zulassen. Pfadmodelle hingegen erlauben den simultanen Einbezug mehrerer abhängiger Variablen und somit die gleichzeitige Schätzung der Zusammenhänge zwischen diesen Variablen. Deshalb soll im Folgenden ein Struk-
224
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
turgleichungsmodell vorgestellt werden, mit dessen Hilfe die kausale Struktur der gegenseitigen Einflüsse überprüft werden kann. Wobei natürlich betont werden muss, dass die Schätzung dieses Modells unter Rückgriff auf die Querschnittsdaten der ersten Welle des GGS erfolgt und die Zusammenhänge somit nur als Momentaufnahme gelten und nicht wirklich als (zeitlich) kausal aufeinander folgend interpretiert werden können.
5.2.4
Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen
In der Literatur zu Generationenbeziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern wird zwar regelmäßig auf die verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen verwiesen und die Datenerhebung orientiert sich zumeist auch an dieser Dimensionierung, aber es findet kaum eine theoretische Auseinandersetzung (und erst recht keine empirische Untersuchung) statt, wie die verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen tatsächlich (kausal) zusammen hängen. Oft werden sie losgelöst voneinander betrachtet oder es wird allenfalls für einzelne andere Dimensionen innerhalb von Regressionen zur Erklärung einer bestimmten Dimensionen kontrolliert (siehe beispielsweise Brandt et al. 2009; Dykstra et al. 2006; Fors/Lennartsson 2008; Hank 2007; Klaus 2009; Sarkisian/Gerstel 2008; Steinbach/Kopp 2008a; Ward/Spitze/Deane 2009). Gemessen an der Menge von Publikationen zur Ausgestaltung von familialen Generationenbeziehungen, die in den letzten Jahren national wie international veröffentlicht wurde, existieren vergleichsweise wenige Versuche, die interne Struktur der verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen abzubilden (Atkinson/Kivett/Campbell 1986; Bengtson/Roberts 1991; Lawton/Silverstein/Bengtson 1994; Roberts/Bengtson 1990; Grünendahl/Martin 2005; Rossi/Rossi 1990). Dabei unterscheiden sich die Modelle sowohl hinsichtlich der postulierten Beziehungen der Dimensionen untereinander als auch hinsichtlich ihrer abhängigen Variablen. Die Modelle von Atkinson, Kivett und Campbell (1986: 413) sowie von Roberts und Bengtson (1990: S13) zielten in erster Linie darauf ab, das (theoretische) Konstrukt intergenerationaler Solidarität – bestehend aus den Variablen ‚Consensus‘, ‚Affection‘ und ‚Association‘ – zu testen. Nachdem dies in beiden Fällen fehlgeschlagen war, schlugen Roberts und Bengtson (1990: S18f.) ein Modell vor, in das alle Dimensionen intergenerationaler Beziehungen eingehen und an dessen Ende nun (als abhängige Variable) ‚Parent-Child Association‘ steht, was sowohl die Kontakthäufigkeit als auch den Austausch von Ressourcen
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
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zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern einschließen sollte. Beim empirischen Test dieses Modells (siehe auch Abbildung 1) bleibt als abhängige Variable allerdings nur noch die Kontakthäufigkeit bestehen. Das wird damit begründet, dass der Kontakt zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (nach Meinung der Autoren) das idiosynkratischste Merkmal familialer Solidarität darstellt (Bengtson/Roberts 1991: 861).74 In den Modellen von Rossi und Rossi (1990: 268) sowie von Grünendahl und Martin (2005: 249) fungiert dagegen die funktionale Dimension intergenerationaler Beziehungen bzw. der Austausch von Unterstützungsleistungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern als abhängige Variable. Die Kontakthäufigkeit steht dann als Einflussvariable vor dem Austausch von Hilfeleistungen zwischen den Generationen. Ansonsten ist allen Modellen gleich, dass die familialen Normen, die Wohnentfernung und die affektive Nähe (oder Beziehungsqualität) als Determinanten der anderen Dimensionen weiter vorn als Einflussvariablen stehen. Nur im Modell von Lawton, Silverstein und Bengtson (1994: 65), in das die Dimensionen Wohnentfernung, Kontakthäufigkeit und Beziehungsqualität eingeschlossen wurden, liegt die affektuelle Nähe nicht vor der Kontakthäufigkeit, sondern beide bedingen sich gegenseitig. Es würde zu weit führen, alle in den jeweiligen Modellen postulierten Zusammenhänge zwischen den Variablen im Detail zu beschreiben. Es soll an dieser Stelle deshalb genügen, darauf hinzuweisen, dass sich die genauen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen (wie auch zwischen anderen unabhängigen Variablen und den Dimensionen) von Modell zu Modell deutlich voneinander unterscheiden. In Abbildung 16 sind nun die theoretisch vermuteten Zusammenhänge zwischen den einzelnen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen dargestellt. Die Zustimmung zu familialen Normen liegt ganz am Anfang des Modells. Es wird erwartet, dass das Ausmaß der Zustimmung zu familialen Normen alle anderen Dimensionen beeinflusst. Wobei die Annahme besteht, dass die Wohnentfernung umso kleiner wird (-), je größer die Zustimmung zu familialen Nor-
74
Es ist allerdings zu vermuten, dass diese Entscheidung auch pragmatische Gründe hatte, da Bengtson und Roberts (1991: 861) den Austausch von Unterstützungsleistungen zwischen den Generationen eigentlich überhaupt nicht in ihr empirisches Modell aufnahmen. Da sie es für schwierig erachteten, die verschiedenen Aspekte intergenerationalen Austauschs wie Liebe und Geld gleichzusetzen und sich somit nicht in der Lage sahen, dies zu modellieren, zogen sie es vor, einen subjektiven Indikator einzubeziehen, bei dem die Befragten einschätzen mussten, ob der intergenerationale Austausch ausgewogen ist oder nicht. Aber auch dieses subjektive Maß wurde später nicht in die Analysen eingeschlossen, da es nicht den Gütekriterien für empirische Konstrukte entsprach, so dass im empirischen Modell nur noch die Zusammenhänge zwischen der Zustimmung zu familialen Normen, der Wohnentfernung, der Beziehungsqualität und der Kontakthäufigkeit geschätzt wurden (Bengtson/Roberts 1991: 867).
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Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
men ausfällt, die Kontakthäufigkeit und die Beziehungszufriedenheit dagegen eher größer werden (+). Die Wohnentfernung als strukturelle Variable ermöglicht wiederum einerseits Kontakte. Das heißt, je weiter Eltern und erwachsene Kinder voneinander entfernt leben, desto seltener sollten sie sich sehen (-). Aber auch die Beziehungszufriedenheit sollte direkt mit der Wohnentfernung abnehmen (-). Von der Kontakthäufigkeit wird wiederum erwartet, dass sie die Beziehungszufriedenheit positiv beeinflusst (+). Also: Je öfter Eltern ihre erwachsenen Kinder sehen, desto zufriedener sollten sie mit der Beziehung sein. Gleichzeitig sollte aber auch die Kontaktfrequenz größer werden, wenn die Eltern mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern zufrieden sind (+). Da an dieser Stelle nicht entschieden werden kann, welche der beiden Variablen – Kontakthäufigkeit oder Beziehungszufriedenheit – am Ende des Modells zu stehen hat, ist hier ein Doppelpfeil eingezeichnet, da vermutet wird, dass sich beide Dimensionen gegenseitig beeinflussen und keine direkt vor der anderen steht. Im Prinzip wäre eine Erweiterung des Modells um Unterstützungsleistungen denkbar. Diese könnten dann hinter der Kontakthäufigkeit und der Beziehungszufriedenheit stehen und von diesen beiden Variablen beeinflusst werden. Leider ist dieses erweiterte Modell hier aber nicht testbar, da im ‚Generations and Gender Survey‘ keine relationale Messung der Unterstützungsleistungen erfolgte, so dass sich auf die Zustimmung zu familialen Normen, die Wohnentfernung, die Kontakthäufigkeit und die Beziehungszufriedenheit beschränkt werden muss. Abbildung 16:
Theoretisches Modell des Zusammenhangs der Dimensionen intergenerationaler Beziehungen
Wohnentfernung
-
Kontakthäufigkeit +
+ Zustimmung zu familialen Normen
+
Beziehungszufriedenheit
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In einem ersten Auswertungsschritt wird das Messmodell in seiner Gesamtheit überprüft, um seine (globale) Güte zu beurteilen. Das Grundprinzip der Ermittlung der globalen Güte von Strukturgleichungsmodellen beruht auf einem statistischen Vergleich der theoretischen und der empirischen Kovarianz- bzw. Korrelationsmatrix. Sie wird durch verschiedene Gütekriterien (so genannte FitIndices) abgebildet: Der Chi2-Wert gibt an, wie stark die theoretisch postulierten Zusammenhänge von der empirischen Matrix abweichen. Ein Modell wird als gut beurteilt, wenn der Chi2-Wert im Verhältnis zu den Freiheitsgraden (df) möglichst gering ausfällt und Idealerweise nicht signifikant (p) ist. Wenn der Chi2-Wert die Obergrenze des Verhältnisses zu den Freiheitsgraden von 5:1 (Chi2/df) nicht übersteigt, ist das ein Hinweis auf eine gute Modellanpassung (Stecher 2001: 441). Da Chi2 äußerst sensitiv auf die jeweilige Stichprobengröße und Abweichungen von der Normalverteilungsannahme reagiert (Backhaus et al. 2006: 380), ist allerdings immer eine gewisse Vorsicht bei der Interpretation – vor allem des Signifikanzwertes – geboten. Deshalb werden zur Einschätzung der globalen Anpassung von Strukturgleichungsmodellen eine Reihe weiterer Gütekriterien ausgegeben. Der ‚Comparative Fit Index‘ (CFI) von Bentler (1990) vergleicht den Fit des empirischen Modells mit dem Fit eines Basismodells, in dem alle beobachteten Variablen unkorreliert sind. Er gehört zur Klasse der relativen Fit-Indices, da die Passung des Modells zu den Daten relativ zu einem so genannten Nullmodell evaluiert wird. Der CFI ist auf ein Intervall von 0 (keine Übereinstimmung zwischen Modell und Daten) und 1 (maximale Übereinstimmung) normiert. Um von einer hinreichenden Übereinstimmung von Modell und Daten zu sprechen, sollte der CFI mindestens .90, besser noch .95, betragen (Backhaus et al. 2006: 381; Hu/Bentler 1998: 449). Da der CFI unabhängig von der Stichprobengröße ist und auch relativ robust gegen Verletzungen der Normalverteilungsannahme, eignet er sich besser als der Chi2-Wert für die Beurteilung der Anpassung des Modells. Auch der ‚Tucker-Lewis Index‘ (TLI) bestimmt das Verhältnis zwischen dem Anpassungswert des untersuchten (empirischen) Modells und dem entsprechenden Wert des (theoretischen) Basismodells. Allerdings werden hier alle Chi2-Werte mit ihren jeweiligen Freiheitsgraden in Beziehung gesetzt. Die Intervallgrenzen liegen (wie beim CFI) auch beim TLI zwischen 0 und 1, wobei ein Wert von .90 eine hohe und ein Wert von .95 eine sehr hohe Güte signalisiert (Hu/Bentler 1998: 449; Reinecke 2005: 126). Der ‚Standardized Root Mean Square Residual‘ (SRMR) bezieht sich auf die Residualvarianzen, also auf Varianzen, die in einem Modell nicht erklärt werden können (Reinecke 2005: 122). Er stellt somit ein Maß für die durchschnittliche Menge der nicht durch das Modell erklärten Varianzen dar. Dieses Gütekriterium entspricht dem Standardfehler, der im Rahmen einer Regressionsanalyse ermittelt wird. Seine Werte können zwischen 0 und 1 liegen. Je
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Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
stärker sich der SRMR-Wert an Null annähert, desto besser ist die Anpassungsgüte des Modells. Damit das Modell akzeptiert werden kann, muss der SRMR .08 sein, besser ist allerdings ein Wert .05 (Backhaus et al. 2006: 382; Hu/Bentler 1998: 449). Da der SRMR nicht auf Änderungen im Stichprobenumfang reagiert, ist er bei allen Samples in gleicher Weise zuverlässig. Der ursprünglich von Steiger (1990) entwickelte ‚Root Mean Squared Error of Approximation‘ (RMSEA) testet auf Grundlage des Freiheitsgrade des Modells, den Grad der Abweichungen von den in der Population gültigen Werte (Stecher 2001: 442). Er kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen, wobei ein Wert bis .05 eine gute Übereinstimmung anzeigt und ein Wert bis .08 eine akzeptable Abweichung in der Population darstellt (Browne/Cudeck 1993: 144; Hu/Bentler 1998: 449). Auch der RMSEA ist unabhängig von der Stichprobengröße und relativ robust gegen Verletzungen der Normalverteilungsannahme. Für die Beurteilung der Güte eines Modells wird empfohlen auf Fit-Indizes unterschiedlichster Konstruktionsprinzipien zurückzugreifen, um Fehlspezifikationen aufgrund von Stichprobenumfang, Modellkomplexität oder Abweichungen von Normalverteilungsannahmen zu vermeiden (Marsh/Bella/Hau 1996): Am geeignetsten scheint dabei eine Kombination von absoluten und relativen Indices (Hu/Bentler 1999: 16). Wenn das Modell auf Grundlage der Gütekriterien angenommen werden kann, erfolgt im zweiten Auswertungsschritt eine detaillierte Auswertung der postulierten Zusammenhänge. Dazu dienen die so genannten Pfadkoeffizienten, welche Auskunft über die Richtung und die Stärke des Zusammenhangs zwischen den Variablen des Strukturgleichungsmodells geben. Die Koeffizienten können dabei sowohl positive Werte (positiver Zusammenhang) als auch negative Werte (negativer Zusammenhang) annehmen. Je größer der absolute Wert des Koeffizienten ist, desto größer ist auch der Einfluss der unabhängigen auf die abhängige Variable. Für jeden Pfadkoeffizienten wird darüber hinaus die Signifikanz angezeigt, also die Wahrscheinlichkeit, mit der man annehmen darf, dass der berichtete Effekt überzufällig ist und damit inhaltlich interpretiert werden darf. In Abbildung 17 sind nun die Zusammenhänge zwischen den Dimensionen intergenerationaler Beziehungen ausgegeben, wenn alle Elternteile – unabhängig von ihren jeweiligen Relationen zu den erwachsenen Kindern – in die Analysen einbezogen werden.
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Abbildung 17:
Der Zusammenhang zwischen Zustimmung zu familialen Normen, Wohnentfernung, Kontakthäufigkeit und Beziehungszufriedenheit (alle Eltern)
-.73***
Wohnentfernung
Kontakthäufigkeit
.06***
-.06***
.49*** -.13***
Zustimmung zu familialen Normen .46
.56
.59
Beziehungszufriedenheit
.06** .65 .57
.61
Kinder sollten Eltern Kinder sollten Verantfinanziell unterstützen wortung für Eltern Kinder sollten ihre Eltern übernehmen zu sich nehmen Kinder sollten Leben Eltern sollten Leben umorganisieren, um umorganisieren, um Eltern zu helfen Kindern zu helfen
Eltern sollten Kinder finanziell unterstützen
Chi2
= 543
Chi2/df
= 22,6
CFI
= .91
SRMR
= .04
df
= 24
p
= .00
TLI
= .86
RMSEA
= .06
* p 0,05; ** p 0,01; *** p 0,001 Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen (n = 6.115).
Die Operationalisierungen der einzelnen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen im ‚Generations and Gender Survey‘ wurden in Kapitel 5.1 ausführlich beschrieben, wobei in diesem Zusammenhang auch eine detaillierte Darstel-
230
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
lung der Verteilungen erfolgte. Den latenten Variablen Wohnentfernung, Kontakthäufigkeit und Beziehungszufriedenheit liegt jeweils nur eine manifeste Variable zugrunde, da diese Dimensionen direkt erfasst wurden, während die Zustimmung zu familialen Normen aus sechs Einzelitems besteht. Bei den Items, die zur Bildung der manifesten Variablen Zustimmung zu familialen Normen herangezogen wurden, ergeben sich, wenn man keine Skala bildet, sondern sie einzeln in das Modell aufnimmt, allerdings etwa 200 fehlende Werte. Diese wurden, um die gleiche Datenbasis wie in den anderen Analysemodellen zu verwenden, durch die jeweiligen Mittelwerte der entsprechenden Items ersetzt. Die Schätzung des Modells unter Ausschluss dieser 200 Fälle kam zu den gleichen Ergebnissen. Bevor die Pfadkoeffizienten und damit die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen inhaltlich interpretiert werden können, muss zuerst einmal die Anpassung des empirischen Modells an die theoretisch vermutete Struktur geprüft werden. Dazu dienen die eben beschrieben Gütekriterien, die alle sehr zufriedenstellend ausfallen. Die Fit-Indices zeigen mit einem CFI von .91, einem TLI von .86, einem SRMR von .04 und einem RMSEA von .06, dass das Modell ohne Bedenken angenommen werden kann und damit auch, dass das empirische Modell eine gute Anpassung an das theoretische Modell darstellt. Im Folgenden sollen nun die genauen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen betrachtet werden, wobei noch einmal betont werden muss, dass den Analysen keine längsschnittlichen Daten zugrunde liegen und es sich daher nur um eine querschnittliche Momentaufnahme handelt, die nicht (zeitlich) kausal interpretiert werden kann. Das Ausmaß der Zustimmung zu familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung von Eltern und erwachsenen Kindern hat – wie erwartet – einen direkten positiven Effekt auf das Ausmaß der Kontakthäufigkeit als auch der Beziehungszufriedenheit. Das heißt, je stärker die Eltern familialen Normen zustimmen, desto häufiger sehen sie ihre erwachsenen Kinder, die nicht mehr mit ihnen in einem Haushalt leben und desto zufriedener sind sie mit der Beziehung zu diesen Kindern insgesamt. Die Zustimmung zu familialen Normen hat aber auch noch einen indirekten Effekt auf diese beiden Dimensionen intergenerationaler Beziehungen, da sie negativ mit der Wohnentfernung zusammen hängt: Je stärker also die Zustimmung der Eltern zu familialen Normen ist, desto näher wohnen die Eltern und die erwachsenen Kinder beieinander. Obwohl alle Koeffizienten des Einflusses der Zustimmung zu familialen Normen auf die anderen Ausgestaltungsbereiche von Generationenbeziehungen signifikant sind, ist anzumerken, dass die Effektstärken (.06) jeweils relativ gering ausfallen.
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
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Des Weiteren hängt das Ausmaß der Wohnentfernung in diesem Modell, wie erwartet, sowohl mit der Kontakthäufigkeit als auch mit der Beziehungszufriedenheit negativ zusammen. Das heißt, je weiter die Eltern von ihren erwachsenen Kindern entfernt leben, desto seltener sehen sie diese und desto unzufriedener sind sie mit der Beziehung zu ihnen. Die Effektstärke des direkten Einflusses der Wohnentfernung auf die Kontakthäufigkeit (-.73) ist dabei deutlich größer als auf die Beziehungszufriedenheit (-.13). Wobei sich die Wohnentfernung zusätzlich auch indirekt über die Kontakthäufigkeit auswirkt, die in einem positiven Zusammenhang mit der Beziehungszufriedenheit steht (.49). Auch auf Grund der empirischen Ergebnisse kann jedoch keine Entscheidung darüber getroffen werden, ob die Kontakthäufigkeit oder die Beziehungszufriedenheit am Ende eines solchen Modells zu stehen hat. Schätzungen, bei denen jeweils die eine oder die andere Dimension als abhängige Variable des Gesamtmodells spezifiziert wurden, kamen zu dem Ergebnis, dass Kontakthäufigkeit und Beziehungszufriedenheit jeweils stark positiv zusammen hängen. Die Gütekriterien blieben dabei unverändert. Da also keines der Modelle mit jeweils nur einer der beiden Variablen als letztendlich zu erklärende Dimension besser ist als das andere, wurde zwischen Kontakthäufigkeit und Beziehungszufriedenheit eine Residualkorrelation modelliert. Der Pfadkoeffizient (.49) verdeutlicht die Stärke des Zusammenhangs dieser beiden Variablen, ohne dass eine Richtung des Zusammenhangs festgelegt wird. Es bleibt also festzuhalten, dass das Ausmaß des Kontaktes mit der Beziehungszufriedenheit zunimmt und umgekehrt. Soziale Interaktionen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern sowie positive Gefühle füreinander verstärken sich also gegenseitig. Um zu überprüfen, ob die Spezifizierung dieses Pfadmodells für alle Elterngruppen – also unabhängig von der Relation der jeweiligen Elternteile zu den erwachsenen Kindern – in gleicher Weise gilt, wurde ein multipler Gruppenvergleich (Reinecke 2005: 64ff.) durchgeführt. Genauer wurde ein Basismodell, das alle Parameter über die Gruppen gleichsetzt, mit einem Modell verglichen, das keinerlei Modellrestriktionen über die Gruppen enthält. Durch diese Freisetzung der Parameter kann jeweils die Modellvariante für die einzelnen Elterngruppen gefunden werden, die eine maximale Anpassung an die Daten gewährleistet. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass es (gerade noch) auf dem 5%-Niveau signifikante Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen gibt. Dies ergibt sich aus dem Vergleich der beiden Modelle, die eine Chi2Differenz von 5 und eine Differenz der Freiheitsgrade von 15 ergibt. Da der Chi2-Wert allerdings sehr empfindlich auf die jeweilige Gruppengröße reagiert und sich die Gruppengrößen deutlich voneinander unterscheiden, bietet sich darüber hinaus eine Betrachtung der Veränderung des CFI-Wertes an. Die Modelle gelten als identisch, wenn die Differenz der CFI-Werte nicht mehr als .01
232
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
beträgt (Chen 2007: 501; Cheung/Rensvold 2002: 251). Da dies der Fall ist, kann man darauf schließen, dass dieses Modell für alle Eltern – egal in welcher Relation sie zu ihren erwachsenen Kindern stehen – in gleicher Weise gilt. Das heißt, die eben dargestellten Zusammenhänge findet man sowohl bei leiblichen Elternteilen – unabhängig davon, in welcher partnerschaftlichen Beziehungskonstellation sie leben – als auch bei sozialen Elternteilen.
5.3
Zusammenfassung der Ergebnisse zum Einfluss der Familienstruktur auf die Ausgestaltung von Generationenbeziehungen
Die deskriptiven Befunde zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern mit dem ‚Generations and Gender Survey‘ weisen darauf hin, dass es deutliche Unterschiede in der Wohnentfernung, der Kontakthäufigkeit, der Beziehungszufriedenheit und der Zustimmung zu familialen Normen zwischen leiblichen und sozialen Elternteilen gibt. Leibliche Eltern aus intakten Familien leben im Vergleich zu Stiefeltern weniger weit von ihren erwachsenen Kindern entfernt, sie sehen ihre erwachsenen Kinder öfter, sind zufriedener mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern und stimmen familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung von Eltern und Kindern stärker zu. Allerdings zeigten sich in den empirischen Analysen nicht nur Unterschiede zwischen leiblichen Eltern aus intakten Familien und Stiefeltern, sondern ähnliche Unterschiede konnten auch zwischen leiblichen Eltern aus intakten Familien im Vergleich zu leiblichen Eltern, die nicht mehr mit dem anderen leiblichen Elternteil in einer Partnerschaft leben, beobachtet werden. Während sich jedoch leibliche und soziale Elternteile aus nicht intakten Familien in Bezug auf die Wohnentfernung zu den erwachsenen (Stief-)Kindern nicht unterscheiden, haben Alleinlebende mehr ‚face-to-face‘-Kontakte mit ihren Kindern und stimmen auch familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung stärker zu als leibliche und soziale Eltern aus Stieffamilien. Hinsichtlich der Beziehungszufriedenheit weisen die Ergebnisse wiederum auf eine klare Abstufung zwischen den verschiedenen Elternteilen: Leibliche Eltern aus intakten Familien sind mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern am zufriedensten. Danach folgen leibliche Eltern, die entweder alleinstehend sind oder in einer neuen Partnerschaft leben. Am wenigsten zufrieden sind Stiefeltern mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Stiefkindern. Insgesamt bestätigen die Befunde die theoretischen Vermutungen, wonach die Beziehungen zwischen leiblichen Eltern aus intakten Familien engere und auch zufriedenstellendere Beziehungen zu ihren erwachsenen Kindern pflegen als Stiefeltern zu ihren
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
233
erwachsenen Stiefkindern. Sie weisen aber auch darauf hin, dass es zwischen leiblichen Eltern selbst – je nach familialer Konstellation – nicht zu vernachlässigende Unterschiede gibt. In zukünftigen Untersuchungen sollte demnach keinesfalls darauf verzichtet werden, die genauen Relationen von Eltern und Kindern abzubilden, um in den Analysen entsprechend dafür kontrollieren zu können. Während also anhand von deskriptiven Analysen in einem ersten Schritt zunächst gezeigt werden konnte, dass es zwischen den verschiedenen Elternteilen je nach Relation Unterschiede hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Beziehungen mit erwachsenen Kindern gibt, wurde in einem zweiten Schritt der Versuch unternommen mit Hilfe multivariater Analyseverfahren, diese Unterschiede zu erklären. Dabei stand die Frage im Vordergrund, ob die Unterschiede auch unter Einbezug verschiedener Merkmale der Eltern und der Kinder sowie der jeweils anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen Bestand haben. Oder ob sich die Differenzen in der Ausgestaltung der Generationenbeziehungen darauf zurückführen lassen können, dass sich die Eltern in Abhängigkeit von ihrer Relation zu den erwachsenen Kindern systematisch in bestimmten Eigenschaften voneinander unterscheiden. Dazu wurden zwei Regressionsmodelle zu Erklärung der Kontakthäufigkeit und der Beziehungszufriedenheit herangezogen. Für die Erklärung der Zustimmung zu familialen Nomen und der Wohnentfernung wurden keine Modelle berechnet, da diese theoretisch eindeutig den Einflussvariablen zuzuordnen sind. Sowohl im Modell zur Erklärung der Kontakthäufigkeit als auch im Modell zur Erklärung der Beziehungszufriedenheit findet sich der – anhand der deskriptiven Analysen bereits berichtete – Einfluss der familialen Struktur: Alleinstehende leibliche Eltern, Eltern mit neuen Partnern und Stiefeltern haben weniger persönliche Kontakte mit ihren erwachsenen Kindern und sind auch weniger zufrieden mit der Beziehung als leibliche Eltern aus intakten Familien. Auch unter Kontrolle verschiedener Merkmale der Eltern und der erwachsenen Kinder bleiben diese Unterschiede in der gleichen Stärke bestehen. Allerdings zeigt sich, dass Mütter und ältere Eltern mehr Kontakt mit ihren Kindern haben und auch, dass ihre Beziehungszufriedenheit größer ist. Im Modell zur Erklärung der Kontakthäufigkeit zeigt sich weiterhin, dass Eltern mit niedrigerem Bildungsniveau, mit schlechterem Gesundheitszustand, mit einer größeren Anzahl von Kindern, die in den neuen Bundesländern leben und einen Migrationshintergrund besitzen, ihre erwachsenen Kinder öfter sehen – und zwar eher Töchter als Söhne und eher jüngere Kinder als ältere. In dem Modell zur Erklärung der Beziehungszufriedenheit zeigt sich dagegen, dass Eltern mit höherer Bildung, einem besseren Gesundheitszustand, die im Osten Deutschlands leben und keinen Migrationshintergrund besitzen, eine größere Zufriedenheit mit der Bezie-
234
Die Beziehungen zu leiblichen Kindern und Stiefkindern
hung zu ihren erwachsenen Kindern aufweisen. Die Einflussgrößen, die in beiden Modellen jedoch am stärksten sind und auch den Hauptanteil der erklärten Varianz ausmachen, stellen jeweils die anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen dar. Bei der Kontakthäufigkeit betrifft dies vor allem die Wohnentfernung, wobei auch der Beziehungszufriedenheit ein nicht zu vernachlässigender Anteil der Erklärung zukommt. Bei der Beziehungszufriedenheit scheint vor allem die Kontakthäufigkeit einen starken Einfluss zu haben, wobei wiederum auch die Wohnentfernung nicht zu vernachlässigen ist. Das Ausmaß der Zustimmung zu familialen Normen – unter Kontrolle der anderen Variablen – keinen Einfluss, weder auf die Kontakthäufigkeit noch auf die Beziehungszufriedenheit. Erwähnenswert scheint jedoch der Umstand, dass in beiden Modellen erst die Kontrolle der anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen zu einer deutlichen Verringerung des Einflusses der Familienstruktur führt, wenn er auch nicht ganz verschwindet. Der durch die Regressionsmodelle ersichtlich gewordene starke Einfluss der jeweils anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen – während der Effekt der Merkmale von Eltern und Kinder nur sehr gering ausfiel – führte zu der Frage, wie die verschiedenen Dimensionen eigentlich genau zusammen hängen. Aus diesem Grund wurde ein Strukturgleichungsmodell geschätzt, welches den simultanen Einbezug von mehr als einer abhängigen Variablen erlaubt. Danach beeinflussen sich die Kontakthäufigkeit und die Beziehungszufriedenheit wechselseitig, während die Zustimmung zu familialen Normen und die Wohnentfernung ganz klar vor diesen beiden Variablen stehen. Die Zustimmung zu familialen Normen verringert dabei die Wahrscheinlichkeit, dass Eltern und erwachsenen Kinder weit voneinander entfernt leben und erhöht gleichzeitig auch ihre Kontaktfrequenz. Auch die Wohnentfernung wirkt sich positiv auf die Kontakthäufigkeit aus, das heißt, je näher Eltern und erwachsene Kinder beieinander leben, desto häufiger sehen sie sich. In Bezug auf die Beziehungszufriedenheit ergibt sich dagegen ein negativer Zusammenhang, der besagt, dass Eltern, die weiter von ihren erwachsenen Kindern entfernt leben, weniger zufrieden mit den Beziehungen zu ihren erwachsenen Kindern sind. Wie die Ergebnisse weiterhin zeigen, gilt dieses Modell für alle Elternteile – unabhängig von ihrer Relation zu den erwachsenen Kindern – in gleicher Weise. Vor allem das Ausmaß der Wohnentfernung, der Kontakthäufigkeit und der Beziehungszufriedenheit hängen also eng zusammen, wobei die Wohnentfernung vor den anderen beiden Variablen liegt und sie damit bedingt. Diesen Zusammenhang finden auch Lawton, Silverstein und Bengtson (1994: 67), die aus der engen Verbundenheit der verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen schlussfolgern: „That distance, contact, and affection between adult children and their parents are causally interrelated also implies that social
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235
forces that disrupt one aspect of solidarity in the family also tend to inhibit other aspects as well. The impact of social disruptions, such as divorce, reverberates through the family system and multiplicatively weakens intergenerational relations”. Wenn also diese Zusammenhänge für alle Eltern-Kind-Beziehungen in gleicher Weise gelten (wie die empirischen Ergebnisse ja gezeigt haben), dann sollten die familialen Beziehungen besonders leiden, wo es wegen einer Trennung zum Beispiel zur Vergrößerung der Wohnentfernung kommt oder zu einer Reduzierung der Kontakthäufigkeit. Dass dem so ist, zeigt der Rückgang des Einflusses der familialen Struktur, wenn jeweils für die anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen kontrolliert wird. Da die Unterschiede zwischen den verschiedenen Elternteilen aber nicht vollständig durch den Einbezug der hier zur Verfügung stehenden Merkmale der Eltern, der erwachsenen Kinder und Dimensionen intergenerationaler Beziehungen verschwunden sind, müssen zukünftig weitere Untersuchungen diesen Sachverhalt versuchen zu klären. Dabei wird sozialwissenschaftlichen Daten, die etwas über die Entwicklung und somit über die Beziehungsgeschichte der jeweiligen Eltern-Kind-Dyaden verraten, besondere Bedeutung zu kommen.
6
Familienstrukturelle Einflüsse auf die Beziehungen von Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern
In diesem Kapitel werden nun unterschiedliche Stieffamilienkonstellationen, wie Stiefmutter- und Stiefvaterfamilien bzw. eheliche und nichteheliche Stieffamilien, in Bezug auf die Ausgestaltung ihrer intergenerationalen Beziehungen miteinander verglichen. Auch hier ist das Ziel, eventuell vorhandene Unterschiede, unter Berücksichtigung verschiedener Merkmale der Stiefeltern und der erwachsenen Stiefkindern, aber auch von Faktoren wie der Dauer des Zusammenlebens oder dem Vorhandensein von leiblichen Kindern, die in Stieffamilien eine Rolle spielen, zu erklären. In einem ersten Schritt werden wiederum die deskriptiven Ergebnisse zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen in Stieffamilien mit erwachsenen Stiefkindern aus der Perspektive der Stiefeltern dargestellt. In einem zweiten Schritt werden dann jeweils das Ausmaß der Kontakthäufigkeit und das Ausmaß der Beziehungszufriedenheit in Abhängigkeit verschiedener unabhängiger Einflussfaktoren erklärt und damit versucht, Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb verschiedener Stieffamilienformen aufzudecken. Die Grundgesamtheit für alle nachfolgenden Analysen bilden insgesamt 376 Stiefeltern-Stiefkind-Dyaden, die auf den Angaben von 243 Stiefelternteilen im ‚Generations and Gender Survey‘ von 2005 beruhen. Wie an anderer Stelle bereits ausführlich dargestellt (siehe Abschnitt 5.1), muss bei den multivariaten Analyseverfahren entsprechend dafür kontrolliert werden, dass einige der befragten Stiefelternteile Angaben zu mehr als einem erwachsenem Stiefkind, das außerhalb des Haushaltes lebt, gemacht haben. Die durch diese Art der Datengenerierung bzw. Datenaufbereitung möglicherweise entstehenden Designeffekte wurden – wie in allen bislang durchgeführten multivariaten Analysen – durch die Verwendung geeigneter Schätzmodelle, die eine Korrektur der Standardfehler vornehmen, berichtigt (Rogers 1993; Willams 2000). Da auch die Vorstellung der Operationalisierungen der Dimensionen intergenerationaler Beziehungen bereits ausführlich erfolgt ist (siehe die einzelnen Abschnitte der deskriptiven Ergebnisse zur Wohnentfernung, Kontakthäufigkeit, Beziehungszufriedenheit und zur Zustimmung zu familialen Normen der gegenseitigen Unterstüt-
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Die Beziehungen zu Stiefkindern
zung), soll darauf an dieser Stelle nicht noch einmal gesondert darauf eingegangen werden.
6.1
Deskriptive Ergebnisse
In diesem ersten Abschnitt stehen nicht nur die empirischen Ausprägungen der einzelnen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern, die nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben, im Mittelpunkt der Betrachtungen. Im Folgenden werden vielmehr das Ausmaß der Wohnentfernung, der Kontakthäufigkeit, der Beziehungszufriedenheit und der Zustimmung zu familialen Normen in Bezug auf das Geschlecht des Stiefelternteils, die Partnerschaftsform, in der das Stiefelternteil mit dem leiblichen Elternteil lebt, sowie Stiefeltern mit und ohne eigene leibliche Kinder miteinander verglichen. Dazu werden jeweils die Mittelwerte der verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen hinsichtlich der eben benannten Merkmale der Stiefelternteile dargestellt und geprüft, ob sie sich je nach Ausprägung (signifikant) voneinander unterscheiden – also beispielsweise, ob Stiefväter weiter von ihren erwachsenen Stiefkindern entfernt leben als Stiefmütter oder ob mit dem leiblichen Elternteil verheiratete Stiefeltern häufiger persönliche Kontakte mit ihren erwachsenen Stiefkindern haben als unverheiratete Stiefeltern.
6.1.1
Stiefväter und Stiefmütter
In der Literatur finden sich einige Hinweise, dass es in der Ausgestaltung intergenerationaler Beziehungen Unterschiede zwischen Stiefvätern und Stiefmüttern gibt (Stewart 2007: 197; Ward/Spitze/Deane 2009: 168; White 1994b: 131). Natürlich werden auch geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf leibliche Väter und Mütter berichtet (siehe beispielsweise Berger/Fend 2005: 21; Hank 2007: 163; Kalmijn/de Vries 2009: 267; Komter/Knijn 2006: 107; Rossi/Rossi 1990: 369; Szydlik 2000: 110). Während jedoch leibliche Mütter in der Regel häufiger in Kontakt mit ihren Kindern stehen und emotional engere Beziehungen mit ihnen pflegen als leibliche Väter, fallen Stiefmütter offensichtlich deutlich hinter Stiefvätern zurück. Hinzugefügt werden muss allerdings, dass empirische Ergebnisse zu Stiefmüttern (vor allem mit erwachsenen Stiefkindern) ausgesprochen rar sind (Brown 1987; Doodson/Morley 2006; Sauer/Fine 1988; Ward/Spitze/Deane 2009; White 1994b; Vinick/Lanspery 2000). Verglei-
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che mit Stiefvätern sind sogar noch seltener (Ward/Spitze/Deane 2009; White 1994b). Die Befunde zu Stiefmüttern basieren dabei fast ausschließlich auf qualitativen Interviews oder quantitativen Untersuchungen mit extrem kleinen Fallzahlen, die nur schwer zu verallgemeinern sind. Das liegt vor allem daran, dass der Fokus von Studien zu den Beziehungen zwischen Stiefeltern und Stiefkindern zumeist auf Stieffamilien gerichtet ist, in denen die Kinder überwiegend leben bzw. gelebt haben (primäre Stieffamilien). Diese sind fast ausnahmslos Stiefvaterfamilien, da (minderjährige) Kinder nach einer Trennung der leiblichen Eltern in der überwiegenden Mehrheit bei ihrer Mutter verbleiben. Sekundäre Stieffamilien – also Teilfamilien, die nach einer Trennung entstehen und bei denen die Kinder nicht überwiegend leben bzw. gelebt haben, sondern bei denen sie im besten Fall regelmäßig jedes zweite Wochenende und einen Teil ihrer Ferien verbringen – schließen zwar überwiegend Stiefmütter ein, sie standen aber bislang (fast) nie im Fokus empirischen Untersuchungen. Entsprechend liegen auch fast keine Ergebnisse zu den Beziehungen zwischen Stiefmüttern und Stiefkindern vor. Die wenigen Untersuchungen, die explizit Stiefmütter und Stiefväter miteinander vergleichen, kommen zu dem Schluss, dass Stiefmütter und erwachsene Stiefkinder seltener Kontakt haben als Stiefväter und Stiefkinder und auch, dass ihre Beziehungsqualität geringer ist als die von Stiefvätern und Stiefkindern (White 1994b: 128). Wobei die Unterschiede zwischen Stiefvätern und Stiefmüttern unter anderem auf die Ausgestaltung der Beziehungen zum jeweiligen leiblichen Elternteil zurückgeführt werden können, der Partner bzw. Partnerin des Stiefelternteils ist. Mit anderen Worten: Die Beziehungen zu Stiefmüttern sind deshalb schlechter als die Beziehungen zu Stiefvätern, weil die Beziehungen der (erwachsenen) Kinder zum leiblichen Vater, der mit der Stiefmutter zusammen lebt, schlechter ist als die Beziehung zur leiblichen Mutter, die die Partnerin des Stiefvaters ist (White 1994b: 131). Als weiterer Grund für die (in der Regel) problematischeren Beziehungen von Stiefmüttern im Vergleich zu Stiefvätern wird in der Literatur immer wieder auf die unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Anforderungen an die Ausfüllung ihrer Rollen im familialen Gefüge hingewiesen (Coleman/Troilo/Jamison 2008: 372ff.; Friedl/MaierAichen 1991: 187f.; Krähenbühl et al. 2007: 35; Théry/Dhavernas 1998: 193ff.; White 1994b: 131; Visher/Visher 1995: 64ff.). Im Gegensatz zu Vätern (und so auch von Stiefvätern), von denen in erster Linie die materielle Versorgung der Familie und gegebenenfalls noch die (autoritäre) Durchsetzung von Regeln erwartet wird, sind Mütter (und so auch Stiefmütter) in viel stärkerem Ausmaß mit der Erwartung konfrontiert, die Kinder physisch und psychisch zu versorgen, zumindest wenn diese minderjährig sind. Dies verlangt erstens eine viel stärkere Präsenz im Leben der Kinder und zweitens die schnelle, wenn nicht gar
240
Die Beziehungen zu Stiefkindern
die sofortige Ausbildung von Gefühlen der Zuneigung, was eine langsame Annäherung auf freundschaftlicher Basis eigentlich ausschließt und oft zur Überforderung bei der Ausfüllung der Stiefmutterrolle führt. Weiterhin scheinen Stiefväter in der Gesellschaft stärker anerkannt zu werden, was sich nicht nur in geringeren Vorurteilen und somit auch einem größeren Freiraum zur Gestaltung dieser Rolle ausdrückt (sicher auch, weil von Vätern überhaupt weniger Engagement erwartet wird), sondern auch in einer größeren Akzeptanz durch die Stiefkinder, so dass sie sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie weniger negative Reaktionen erfahren. Selbst wenn die Kinder bereits erwachsen sind, werden an Stiefmütter und Stiefväter unterschiedliche Erwartungen gestellt. Stiefmütter fungieren zum Beispiel in ihrer weiblichen Rolle als ‚kinkeeper‘ oft als Vermittler zwischen ihrem Partner, dem leiblichen Vater, und den Kindern (Coleman/Troilo/Jamison 2008: 387; Vinick/Lanspery 2000: 381f.). Tendenziell konnte sogar eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Stiefmüttern und Stiefkindern festgestellt werden, je älter die Kinder wurden (Brown 1987: 39; Doodson/Morley 2006: 116). Insbesondere die Gründung eines eigenen Haushaltes durch das Kind und die damit verbundene Unabhängigkeit und Freiheit scheint sich positiv auf die Stiefmutter-Stiefkind-Beziehung auszuwirken (Vinick/Lanspery 2000: 383f.). Die Ergebnisse zum Einfluss des Geschlechts des Stiefelternteils in Bezug auf verschiedene Aspekte intergenerationaler Beziehungen im Erwachsenenalter, die auf Grundlage des ‚Generations and Gender Survey‘ ermittelt wurden, sind der Tabelle 10 zu entnehmen. Tabelle 10:
Unterschiede nach dem Geschlecht des Stiefelternteils hinsichtlich verschiedener Aspekte intergenerationaler Beziehungen (Mittelwerte) Stiefväter
Stiefmütter
Signifikanz
Wohnentfernung (0-8)
3,5
4,1
***
Kontakthäufigkeit (0-8)
4,3
3,4
***
Beziehungszufriedenheit (0-10)
7,5
7,0
n.s.
Familialismus (1-5)
3,0
3,1
n.s.
207 (55,1%)
169 (44,9%)
n * p 0,05; ** p 0,01; *** p 0,001
Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen.
Die Beziehungen zu Stiefkindern
241
Die Ergebnisse des Vergleichs von Stiefvätern und Stiefmüttern hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Beziehungen mit erwachsenen Stiefkindern zeigen, dass tatsächlich einige Unterschiede zwischen ihnen existieren: Stiefväter wohnen signifikant näher an ihren erwachsenen Stiefkindern als Stiefmütter und sie sehen sie auch signifikant häufiger. Bezüglich der Beziehungszufriedenheit und der Zustimmung zu familialen Normen unterscheiden sich Stiefväter und Stiefmütter allerdings nicht signifikant voneinander. Die Unterschiede sind also eher struktureller Natur. Da Stiefväter die neuen Partner der leiblichen Mutter sind und Stiefmütter die neuen Partnerinnen des Vaters, ist anzunehmen, dass sich die Unterschiede in der Wohnentfernung und in der Kontakthäufigkeit ebenso auf die jeweiligen leiblichen Elternteile, die Partner der Stiefelternteile sind, übertragen lassen. Mit anderen Worten: Weil erwachsene Kinder, deren leibliche Eltern sich getrennt haben, weiter von ihren Vätern entfernt leben als von ihren Müttern, und diese (wahrscheinlich auch deshalb) seltener sehen, werden sie in der Regel auch weiter von ihrer Stiefmutter (der Partnerin ihres leiblichen Vaters) entfernt leben als von ihrem Stiefvater (dem Partner ihrer leiblichen Mutter) und diese entsprechend auch seltener sehen. Entscheidend ist hier wohl eher, dass sich die Beziehungszufriedenheit zwischen Stiefvätern und Stiefmüttern nicht signifikant voneinander unterscheidet, so dass die Hinweise aus USamerikanischen Untersuchungen auf deutlich problematischere Beziehungen zwischen Stiefmüttern und erwachsenen Stiefkindern in Deutschland nicht bestätigt werden können.
6.1.2
Stiefeltern in unterschiedlichen Partnerschaftsformen
Hinsichtlich der Partnerschaftsform liegen einige empirische Ergebnisse vor, die darauf hindeuten, dass die Beziehungen zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern enger sind, wenn das Stiefelternteil mit dem leiblichen Elternteil verheiratet ist (Berger et al. 2008a: 634; White 1994b: 128; Van der Pas 2006: 36). In diesem Zusammenhang wurde vor allem auf den Einfluss von Investitionen in Bezug auf die Kinder hingewiesen, die Stiefeltern, die mit dem leiblichen Elternteil des Kindes verheiratet sind, eher leisten als Stiefeltern, die mit dem leiblichen Elternteil in einer Nichtehelichen Lebensgemeinschaft oder einer ‚Living-Apart-Together‘-Beziehung leben. Eine Ehe soll dabei auf die antizipierte Langfristigkeit der Partnerschaft zwischen Stiefelternteil und leiblichem Elternteil schließen lassen. Hinsichtlich der Beziehungsqualität zwischen minderjährigen Kindern und Eltern in Stieffamilien zeigen Analysen mit dem Familiensurvey allerdings, dass eine Wiederverheiratung der leiblichen Mutter mit
242
Die Beziehungen zu Stiefkindern
dem Stiefvater nur begrenzt Einfluss auf die Beziehung zum Stiefvater hat (Beckh/Walper 2002: 228). Demnach sind nicht-eheliche Stiefväter für Stiefkinder also mindestens ebenso bedeutsam, wie Stiefväter, die mit der Mutter verheiratet sind. Das Gleiche zeigt sich für Stiefväter ebenso wie für Stiefmütter, wenn man die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen verheirateten und unverheirateten Stiefeltern mit ihren erwachsenen Stiefkindern mit dem ‚Generations and Gender Survey‘ betrachtet (Tabelle 11). Tabelle 11:
Unterschiede nach der Partnerschaftsform des Stiefelternteils hinsichtlich verschiedener Aspekte intergenerationaler Beziehungen (Mittelwerte) Verheiratet (zusammenlebend)
Nichteheliche Lebensgemeinschaft
Signifikanz
Wohnentfernung (0-8)
3,7
3,8
n.s.
Kontakthäufigkeit (0-8)
3,9
3,9
n.s.
Beziehungszufriedenheit (0-10)
7,2
7,3
n.s.
Familialismus (1-5)
3,1
3,0
n.s.
271 (72,1%)
105 (27,9%)
n * p 0,05; ** p 0,01; *** p 0,001
Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen.
Wie Tabelle 11 zu entnehmen ist, unterscheiden sich Stiefeltern, die mit dem leiblichen Elternteil verheiratet sind hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Beziehungen mit erwachsenen Stiefkindern nicht von Stiefeltern, die nichtehelich mit dem leiblichen Elternteil zusammen leben. Es bestehen weder Unterschiede in der Wohnentfernung, noch in der Kontakthäufigkeit (gemessen anhand des ‚face-to-face‘-Kontaktes), in der Beziehungszufriedenheit oder in der Zustimmung zu familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung. Für Stiefeltern mit erwachsenen Stiefkindern in Deutschland können daher keine signifikanten Unterschiede nach der Partnerschaftsform, in der die Stiefeltern mit den leiblichen Elternteilen zusammen leben, berichtet werden.
243
Die Beziehungen zu Stiefkindern
6.1.3
Stiefeltern mit und ohne eigene leibliche Kinder
Neben dem Geschlecht des Stiefelternteils und der Partnerschaftsform, in dem das Stiefelternteil mit dem leiblichen Elternteil lebt, könnte es für die Ausgestaltung der Beziehung mit dem erwachsenen Stiefkind durchaus einen Unterschied machen, ob das Stiefelternteil auch eigene leibliche Kinder besitzt oder nicht. Sowohl soziobiologische als auch austauschtheoretische Argumente lassen hier einen engen Zusammenhang in der Hinsicht vermuten, dass sich bei einem Vorhandensein eigener leiblicher Kinder die Ressourcenkonkurrenz zwischen den Kindern vergrößert und eher die Qualität der Beziehung zum Stiefkind darunter leidet als die Beziehung zum leiblichen Kind. Die wenigen vorliegenden empirischen Ergebnisse weisen in die entsprechende Richtung: Danach berichten Stiefeltern ohne eigene leibliche Kinder eine größere Beziehungsqualität zu ihren erwachsenen Stiefkindern als Stiefeltern, die auch eigene leiblichen Kinder haben (White 1994b: 128). Die Mehrheit der Stiefelternteile, die im ‚Generations and Gender Survey‘ Angaben zur Ausgestaltung der Beziehungen mit ihren erwachsenen Stiefkindern gemacht hat, besitzt neben diesen Stiefkindern auch noch eigene leibliche Kinder. Ob dies einen Einfluss auf die Ausgestaltung der Beziehungen zu ihren erwachsenen Stiefkindern hat, ist Tabelle 12 zu entnehmen. Tabelle 12:
Unterschiede nach dem Vorhandensein von eigenen leiblichen Kindern des Stiefelternteils hinsichtlich verschiedener Aspekte intergenerationaler Beziehungen (Mittelwerte) Stiefelternteil hat eigene leibliche Kinder
Stiefelternteil hat keine eigenen leiblichen Kinder
Signifikanz
Wohnentfernung (0-8)
3,8
3,6
**
Kontakthäufigkeit (0-8)
3,7
4,5
**
Beziehungszufriedenheit (0-10)
7,2
7,4
n.s.
3,0
3,3
*
281 (74,7%)
95 (25,3%)
Familialismus (1-5) n * p 0,05; ** p 0,01; *** p 0,001 Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen.
244
Die Beziehungen zu Stiefkindern
Stiefelternteile, die eigene leibliche Kinder haben und solche, die keine eigenen leiblichen Kinder haben, unterscheiden sich signifikant hinsichtlich der Wohnentfernung und der Kontakthäufigkeit mit ihren erwachsenen Stiefkindern (Tabelle 12): Wenn eigene leibliche Kinder vorhanden sind, leben Stiefeltern und Stiefkinder weiter voneinander entfernt und sie sehen sich auch seltener. Hinsichtlich der Beziehungszufriedenheit gibt es allerdings keine signifikanten Differenzen zwischen Stiefeltern, die eigene leibliche Kinder haben und denen, die keine eigenen leiblichen Kinder haben. Auch die Zustimmung zu familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung von Eltern und Kindern fällt bei Stiefeltern mit eigenen leiblichen Kindern geringer aus.
6.1.4
Zusammenfassung der deskriptiven Ergebnisse
Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass sich die Beziehungen von Stiefeltern mit erwachsenen Stiefkindern teilweise danach unterscheiden, welche Merkmale sie aufweisen bzw. in welchem Typ von Stieffamilie sie leben. Die Unterschiede fallen aber weniger stark aus als erwartet und finden sich auch nicht durchgängig wieder. Das Geschlecht des Stiefelternteils und das Vorhandensein eigener leiblicher Kinder hat offensichtlich eine besondere Bedeutung für das Ausmaß der Wohnentfernung und der Kontakthäufigkeit: Stiefväter und Stiefeltern ohne eigene leibliche Kinder wohnen näher an ihren erwachsenen Stiefkindern und sehen diese auch häufiger als Stiefmütter und Stiefeltern mit eigenen Kindern. Hinsichtlich der Beziehungszufriedenheit lassen sich dagegen keine Unterschiede zwischen verschiedenen Stiefelternteilen beobachten. Sie sind alle im gleichen Maße zufrieden mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Stiefkindern. Bei der Zustimmung zu familialen Normen gibt es einen kleinen Unterschied insofern, als Stiefeltern ohne eigene leibliche Kinder diesen etwas mehr zustimmen. Die Partnerschaftsform, in der die Stiefeltern mit dem leiblichen Elternteil leben, also ob sie verheiratet sind oder nicht, hat dagegen überhaupt keinen Einfluss auf die Ausgestaltung der StiefelternStiefkind-Beziehungen. Die Ergebnisse anderer Untersuchungen, die zeigen, dass eine Verehelichung der Partnerschaft des Stiefelternteils und des leiblichem Elternteils zur einer Verfestigung und damit gleichzeitig auch zu einer Verbesserung der Beziehung zwischen Stiefelternteil und Stiefkind beiträgt, können mit den vorliegenden Daten also nicht bestätigt werden.
Die Beziehungen zu Stiefkindern
6.2
245
Multivariate Ergebnisse
Im Folgenden sollen nun empirische Modelle entworfen werden, in denen zum einen die Kontakthäufigkeit und zum anderen die Beziehungszufriedenheit in Stieffamilien in Abhängigkeit verschiedener Einflussfaktoren erklärt werden kann. Wie beim Vergleich von Elternteilen, die in verschiedenen Relationen zu ihren erwachsenen Kindern stehen (Kapitel 5), wird auch hier auf Regressionsmodelle zurückgegriffen. An dieser Stelle stehen jedoch ausschließlich Stiefeltern im Fokus den Analysen. Genauer soll es darum gehen herauszufinden, ob es Unterschiede hinsichtlich der Kontakthäufigkeit und der Beziehungszufriedenheit zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern gibt, die von bestimmten Merkmalen der Stiefeltern, der Stiefkinder sowie ihrer gemeinsamen Beziehung abhängen. Für den überwiegenden Teil der unabhängigen Merkmale wird auf bereits ausführlich vorgestellte Variablen (siehe Kapitel 5.1 und 5.2.1) zurückgegriffen. Im Folgenden werden deshalb nur noch die Operationalisierungen und Verteilungen von zusätzlichen Einflussvariablen, die ausschließlich für Stieffamilien bedeutsam sind, beschrieben.
6.2.1
Die Verteilungen der zusätzlichen unabhängigen Einflussvariablen
Neben den Variablen, die bei der Erklärung des Ausmaßes der Kontakthäufigkeit und der Beziehungszufriedenheit von Eltern verschiedener Relationen herangezogen wurden, können bei einer ausschließlichen Betrachtung von Stieffamilien zusätzliche Variablen Berücksichtigung finden, die die Trennung der leiblichen Eltern und das Zusammenleben als Stieffamilie betreffen. Das ist erstens der Grund für die Auflösung der elterlichen Beziehung. So kann es für die Beziehung zwischen Stiefelternteil und Stiefkind von großer Bedeutung sein, ob es beide leiblichen Elternteile noch gibt oder ob ein leibliches Elternteil bereits verstorben ist. Wenn beide leiblichen Elternteil noch leben, kann es zwischen dem Stiefelternteil und dem (gleichgeschlechtlichen) leiblichen Elternteil, mit dem es nicht in einer Partnerschaft lebt, leichter zu einer Konkurrenzsituation oder zu Loyalitätskonflikten seitens des (erwachsenen) Kindes kommen. Falls das andere leibliche Elternteil jedoch verstorben ist, kann diese Rolle de facto vom Stiefelternteil ersetzt werden (was natürlich auch keine Garantie für eine besonders gute oder enge Beziehung ist). Zweitens sollten sowohl der Zeitpunkt der Trennung (oder Verwitwung) als auch der Zeitpunkt des Eingehens der neuen Partnerschaft und damit die Gründung der Stieffamilie einen Einfluss auf die Ausgestaltung der Stiefeltern-Stiefkind-Beziehung haben. Denn je eher
246
Die Beziehungen zu Stiefkindern
das leibliche Elternteil eine neue Partnerschaft eingeht, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass zwischen Stiefelternteil und Stiefkind eine enge Bindungs- und Austauschbeziehung etabliert werden kann. Über die eben beschriebenen Beziehungsmerkmale (Grund und Zeitpunkt der Auflösung der elterlichen Beziehungen sowie Zeitpunkt der Gründung der Stieffamilie), liegen mit dem hier verwendeten Datensatz jedoch leider keine Informationen vor bzw. können nicht in angemessener Weise rekonstruiert werden (siehe auch Fußnote 76, Seite 175), so dass darauf verzichtet werden muss, diese Informationen in die Analysen einzubeziehen. Im Datensatz sind allerdings zwei weitere Variablen vorhanden, die zumindest einen Hinweis auf die Beziehungsgeschichte von Stiefelternteil und Stiefkind geben können: Das ist einerseits die Information, ob das Stiefelternteil mit dem (jetzt erwachsenen) Stiefkind jemals in einem gemeinsamen Haushalt zusammen gelebt hat und wenn ja, wie lange diese Situation bestand. Andererseits weiß man, ob neben dem Stiefkind auch eigene leibliche Kinder des Stiefelternteils existieren, die möglichweise zu versorgen waren oder die noch heute eine Konkurrenz zur Stiefeltern-Stiefkind-Beziehung darstellen. In Bezug auf das Zusammenleben mit dem Stiefkind lautete die genaue Fragestellung an die Stiefeltern im ‚Generations and Gender Survey‘: „Hat [Name des Kindes] jemals mindestens drei Monate in Ihrem Haushalt gelebt?“ Wenn diese Frage mit ‚ja‘ beantwortet wurde, sollten die Stiefeltern angeben, wann das Kind in Ihren Haushalt eingezogen ist und seit wann sie nicht mehr mit diesem Kind zusammen in einem Haushalt leben.75 Die Dauer des Zusammenlebens wurde entsprechend aus dem Einzugs- und dem Auszugsdatum ermittelt. Da es für die Befragten allerdings keine Möglichkeit gab, mehrere Ein- und Auszüge festzuhalten, ist zu vermuten, dass die gemeinsam in einem Haushalt verbrachte Zeit von Stiefeltern und Stiefkindern hier eher unter- als überschätzt wird. In Tabelle 13 sind nun die Verteilungen der zusätzlichen unabhängigen Variablen dargestellt. Da Stiefväter und Stiefmütter in der Regel sehr unterschiedliche Positionen in einem solchen neu zusammengesetzten familialen Gefüge einnehmen, wobei Stiefväter eher die Partner der internen Mutter sind und Stiefmütter eher die Partnerinnen des externen Vaters, werden die Ergebnisse getrennt nach dem Geschlecht des Stiefelternteils berichtet.
75
Bei Stiefeltern, die auf die Frage, ob sie jemals mit dem Stiefkind für drei Monate in einem gemeinsamen Haushalt zusammengelebt haben, mit ‚nein‘ geantwortet haben, bei denen aber der Zeitraum des Zusammenlebens größer als Null war, wurden die Antworten auf ‚ja‘ rekodiert.
247
Die Beziehungen zu Stiefkindern
Tabelle 13:
Verteilungen der unabhängigen Variablen in Stieffamilien Alle Stiefeltern
Stiefkind hat mindestens drei Monate im Haushalt der ZP gelebt Dauer des Zusammenwohnens () ZP hat noch eigene leibliche Kinder n
Stiefväter
Stiefmütter
35,4%
46,4%
21,9%
7,8 Jahre
7,3 Jahre
5,0 Jahre
76,7 %
70,5%
79,9%
376
207
96
Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen.
Wie aus der Tabelle 13 entnommen werden kann, hat etwa ein Drittel der Stiefeltern-Stiefkind-Dyaden jemals zusammen in einem Haushalt gelebt. Die durchschnittliche Dauer des Zusammenlebens betrug dabei 7,8 Jahre. Sie reichte von einigen Monaten bis zu 25 Jahren. Mehr als drei Viertel aller befragten Stiefeltern hat außer den genannten erwachsenen Stiefkindern auch noch eigene leibliche Kinder (76,7%), wobei an dieser Stelle nicht geklärt werden kann, ob diese aus der Beziehung zum leiblichen Elternteil des Stiefkindes stammen und damit Halbgeschwister des Stiefkindes sind oder ob sie aus einer früheren Beziehung des Stiefelternteils stammen. Aus der Tabelle 13 geht allerdings hervor, dass es deutliche Unterschiede zwischen Stiefvätern und Stiefmüttern gibt: Während fast die Hälfte aller Stiefväter mit den Stiefkindern in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat, geben das nur etwa ein Fünftel der Stiefmütter an. Auch die Dauer des Zusammenlebens unterscheidet sich nach dem Geschlecht des Stiefelternteils: Stiefväter haben durchschnittlich mehr als sieben Jahre mit ihren (jetzt erwachsenen) Stiefkindern zusammen gelebt, Stiefmütter dagegen nur fünf Jahre. Allerdings haben 80% der Stiefmütter auch eigene leibliche Kinder, während Stiefväter nur zu 70% angeben, neben den Stiefkindern eigene leibliche Kinder zu besitzen. Diese Ergebnisse weisen, wenn auch nicht ganz so stark wie erwartet, auf die Unterschiede der familialen Konstellationen für Stiefväter und Stiefmütter hin: Da Stiefväter in der Regel die neuen Partner der Mütter sind, bei denen die Kinder nach einer Trennung der Eltern aufwachsen, haben sie eine deutlich größere Chance mit Stiefkindern in einem gemeinsamen Haushalt zu leben. Stiefmütter sind dagegen zumeist die neuen Partnerinnen des externen Vaters und leben deshalb eher selten mit Stiefkindern in einem Haushalt. Da man jedoch auf Basis der Daten des ‚Generations and Gender Survey‘ den Zeitpunkt der Gründung der Stieffamilie nicht genau bestimmen kann, muss an dieser Stelle die Frage offen bleiben, wie viele der Partnerschaften mit dem leiblichen Elternteil erst gegründet wurden als die Kinder schon erwachsen und
248
Die Beziehungen zu Stiefkindern
vielleicht sogar schon ausgezogen waren, so dass weder der Stiefvater noch die Stiefmutter überhaupt die Chance hatten, mit dem Stiefkind und dem leiblichen Elternteil in einem gemeinsamen Haushalt zu leben. Um den Einfluss der eben beschriebenen Variablen einzuschätzen, wäre es natürlich von großem Interesse, Informationen über den genauen Beziehungsverlauf von Stiefeltern und Stiefkindern und Angaben über Halb- oder Stiefgeschwister zu besitzen. Unter den gegebenen Umständen muss es an dieser Stelle jedoch genügen, zu kontrollieren, wie lange die Stiefeltern und die Stiefkinder in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben und ob das Stiefelternteil eigene leibliche Kinder besitzt.
6.2.2
Determinanten der Kontakthäufigkeit von Stiefeltern
Im Folgenden steht nun die Frage im Vordergrund, inwiefern das Ausmaß der Kontakthäufigkeit zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern – gemessen anhand des ‚face-to-face‘-Kontaktes – durch verschiedene Einflussfaktoren erklärt werden kann (Tabelle 14). Bevor jedoch die empirischen Ergebnisse zu den Determinanten der Kontakthäufigkeit vorgestellt werden, sollen in einem ersten Schritt, die zu erwartenden Zusammenhänge zwischen den unabhängigen Variablen und dem Ausmaß der Kontakthäufigkeit in Stieffamilien dargestellt werden. Im einem ersten Analysemodell kann auf Grund des Fehlens sonstiger Angaben zur Stiefeltern-Stiefkind-Dyade nur für die Dauer des Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt kontrolliert werden. Dabei wird erwartet, dass die persönlichen Kontakte umso häufiger sind, je länger das Stiefelternteil mit dem Stiefkind zusammen gelebt hat. Die Dauer des Zusammenlebens gibt nicht nur einen Hinweis darauf, ob zwischen Stiefelternteil und Stiefkind jemals ein alltäglicher Kontakt bestanden hat und damit eine Eingebundenheit in die Lebenssphären der jeweils anderen Person gegeben war, sondern sie dient gleichzeitig als Proxy-Variable für die Dauer der Beziehung. Denn es kann angenommen werden, dass mit der Länge der Beziehung einerseits und mit der Dauer des Zusammenlebens andererseits sowohl der Aufbau einer sicheren Bindungs- als auch einer stabilen Austauschbeziehung besser gelingt. Ist dies der Fall, müsste sich das auch in der Kontakthäufigkeit zwischen Stiefelternteil und Stiefkind zeigen, wenn das Stiefkind bereits erwachsen ist und den elterlichen Haushalt verlassen hat. Im zweiten Analysemodell wird zusätzlich zur Dauer des Zusammenlebens für verschiedene Merkmale des Stiefelternteils kontrolliert. Wie schon ausführlich diskutiert (Kapitel 6.1.1), kommt dem Geschlecht des Stiefelternteils eine
Die Beziehungen zu Stiefkindern
249
besondere Bedeutung bei der Erklärung der Ausgestaltung der Beziehung zu. Im Gegensatz zu leiblichen Eltern, bei denen es vor allem die Mütter sind, die in einem engen und häufigen Kontakt mit ihren Kindern stehen, wird in Bezug auf Stiefeltern (auch auf Grund der deskriptiven Ergebnisse) erwartet, dass Stiefväter öfter Kontakt mit ihren erwachsenen Stiefkindern haben als Stiefmütter (Ward/Spitze/Deane 2009: 168). Das hängt vor allem damit zusammen, dass sie öfter mit den Müttern der Kinder zusammen leben. Einerseits erhöht das die Chance, dass sie mit den (jetzt erwachsenen) Kindern in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben und sich dadurch die Beziehung stabilisieren konnte. Andererseits haben Kinder erwiesenermaßen mehr Kontakt mit ihren Müttern als mit ihren Vätern (Hank 2007: 163; Kalmijn/de Vries 2009: 267; Rossi/Rossi 1990: 369; Szydlik 2000: 110). Da hier der persönliche Kontakt gemessen wurde, kann ein höheres Ausmaß an Kontakt mit den Stiefvätern möglicherweise einfach darauf zurückzuführen sein, dass die erwachsenen Kinder ihren Stiefvater sehen, wenn sie ihre Mutter besuchen. Bezüglich des Alters des Stiefelternteils können ähnliche Annahmen getroffen werden, wie sie für alle Eltern gelten. Mit zunehmendem Alter steigt einerseits die Hilfsbedürftigkeit (die allerdings durch den Gesundheitszustand kontrolliert wird) und andererseits aber auch die zur Verfügung stehende Zeit für familiale Kontakte. Es wird daher vermutet, dass mit zunehmendem Alter der Stiefeltern die persönlichen Kontakte mit den erwachsenen Stiefkindern häufiger werden. Vom Bildungsniveau des Stiefelternteils wird ein negativer Einfluss auf die Kontakthäufigkeit erwartet, da mit steigendem Bildungsgrad die berufliche Mobilität zunimmt. Da allerdings mit dem Bildungsniveau sowohl die kommunikative Kompetenz als auch die finanziellen Ressourcen zunehmen, was sich wiederum positiv auf die Kontaktrate auswirkt, ist es auch möglich, dass sich hier gegensätzliche Effekte aufheben und es keinen Einfluss des Bildungsniveaus auf die Kontakthäufigkeit gibt. Vom allgemeinen Gesundheitszustand des Stiefelternteils und dem Leiden unter ernsthaften Krankheiten wird ein positiver Effekt auf die Kontakthäufigkeit erwartet. Das heißt, je schlechter es den Stiefeltern geht, desto mehr sollten sich die Stiefkinder um diese kümmern und desto öfter sollten sie ihre Stiefeltern auch sehen. Sowohl die Bindungs- als auch die Austauschtheorie würden davon ausgehen, dass die Kontaktrate erhöht wird, wenn einer der beiden Beziehungspartner der Hilfe des Anderen bedarf. Die Anzahl der Kinder (eingeschlossen sind hier alle leiblichen Stief-, Pflege- und Adoptivkinder innerhalb und außerhalb des Haushaltes) sollte sich wiederum negativ auf die Kontakthäufigkeit auswirken, da mit zunehmender Zahl der Kinder der Aufwand für persönliche Kontakte steigt bzw. die zeitlichen Ressourcen zur Aufrechterhaltung und Pflege der Kontakte zu den Einzelnen abnehmen (Fors/Lennartsson 2008: 263; Kalmijn/Dykstra 2006: 80; van Gaalen 2007: 64). Ebenso sollte sich das Vor-
250
Die Beziehungen zu Stiefkindern
handensein eigener leiblicher Kinder negativ auf die Kontaktrate zwischen Stiefelternteil und Stiefkind auswirken (White 1994b: 127). Eigene leibliche Kinder stehen in direkter Konkurrenz um die Aufmerksamkeit und Zuwendung der Stiefelternteile, sie sich nach soziobiologischen Annahmen in erster Linie um Nachkommen kümmern müssten, die direkt von ihnen abstammen und damit ihre Gene weitertragen. Von der Partnerschaftsform, in der das Stiefelternteil mit dem leiblichen Elternteil des Kindes lebt, also ob es sich um ein verheiratetes oder um ein unverheiratetes Paar handelt, wird kein Effekt auf die Kontakthäufigkeit erwartet. Man könnte zwar annehmen, dass mit dem Institutionalisierungsgrad der Partnerschaft sowohl die antizipierte Langfristigkeit als auch die Investition in die Beziehung steigt, aber die deskriptiven Analysen haben bereits gezeigt, dass dies (zumindest im vorliegenden Sample) nicht der Fall ist. Bezüglich der Wohnregion ist anzunehmen, dass die Kontakthäufigkeit zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern in den neuen Bundesländern höher ist; ebenso bei Stiefeltern mit Migrationshintergrund. Im dritten Analysemodell werden nun noch die Merkmale des erwachsenen Stiefkindes eingeführt. In Bezug auf das Geschlecht des Stiefkindes wird angenommen, dass Mädchen mehr Kontakt mit ihren Stiefeltern haben sollten, da die ‚kinkeeper‘-Rolle generell eher von Frauen als von Männern ausgeübt wird. Das sollte sich wie in allen anderen Familienformen auch in Stieffamilien zeigen. Vom Alter des Stiefkindes wird erwartet, dass es sich negativ auf die Kontakthäufigkeit zwischen Stiefelternteil und Stiefkind auswirkt, da mit zunehmendem Alter die Eingebundenheit des Stiefkindes in andere Lebensbereiche, wie Beruf, Partnerschaft und eigene Kinder steigt. Im vierten Analysemodell werden schließlich die anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen, genauer die Wohnentfernung, die Beziehungszufriedenheit und die Zustimmung zu familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung von Eltern und erwachsenen Kindern aufgenommen. Bezüglich der Wohnentfernung wird erwartet, dass Stiefeltern – wie andere Eltern auch – mit ihren erwachsenen Stiefkindern umso seltener persönlichen Kontakt haben, je weiter sie von ihnen entfernt leben (White 1994b: 127). Die Beziehungszufriedenheit sollte sich dagegen positiv auswirken. Das heißt, je zufriedener das Stiefelternteil mit der Beziehung zu seinem erwachsenen Stiefkind ist, desto öfter sollten sie sich sehen. Und auch die familialen Normen sollten positiv mit der Kontakthäufigkeit zusammen hängen: Das heißt, je stärker die Stiefeltern solchen Normen zustimmen, desto mehr Kontakt sollten sie auch mit ihren erwachsenen Stiefkindern haben. In Tabelle 14 sind nun die Ergebnisse der vier Regressionsmodelle zur Erklärung der Kontakthäufigkeit in Stieffamilien aufgeführt. Genauso wie bei den Modellen mit allen Elternteilen wurden Schätzungen vorgenommen, die dafür
251
Die Beziehungen zu Stiefkindern
kontrollieren, dass manche Stiefeltern zu mehr als einem erwachsenen Stiefkind Angaben gemacht haben. Darüber hinaus wurde natürlich auch im Vorfeld dieser Analysen das Vorhandensein von Kollinearität zwischen einzelnen Variablen überprüft, so dass im Folgenden alle eben beschriebenen Merkmale als voneinander unabhängige Einflussgrößen Verwendung finden. Tabelle 14:
Regressionsmodelle zur Erklärung der Kontakthäufigkeit zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern (Koeffizienten)
Unabhängige Variablen Merkmale Dyade
Modell 1
Modell 2
Modell 3
.20***
.20***
.19***
-.21***
-.19***
-.08
Alter
-.15*
-.06
-.04
Bildung: hoch
-.06
-.06
-.04
Allg. Gesundheitszustand
-.16*
-.17*
-.09
Ernsthafte Krankheiten: ja
-.15*
-.15*
-.04
.10
.09
.05
Dauer des Zusamm.lebens
Merkmale Elternteil Geschlecht: weiblich
Anzahl der Kinder
Merkmale Kind
.08*
Eigene leibliche Kinder: ja
-.16**
-.17**
-.12***
Partnerschaft: Ehe
-.02
-.01
-.01
Wohnregion: Ost
-.10
-.10
-.04
Migrationshintergrund: ja
-.05
-.05
.03
.03
.01
-.13
-.10*
Geschlecht: weiblich Alter
IGB-Dimensionen
Modell 4
Wohnentfernung
-.55***
Beziehungszufriedenheit
.40***
Familiale Normen korrigiertes r2 n * p 0,05; ** p 0,01; *** p 0,001 Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen.
-.03 .04
.16
.17 376
.62
252
Die Beziehungen zu Stiefkindern
Das Ergebnis des ersten Modells in Tabelle 8, in dem nur für die Dauer des Zusammenlebens von Stiefeltern und Stiefkindern kontrolliert wurde, ist, dass sich die Länge des Lebens in einem gemeinsamen Haushalt (stark) positiv auf die Kontakthäufigkeit von Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern auswirkt. Das heißt, je länger beide in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben, desto öfter sehen sich auch, wenn die Kinder erwachsen und ausgezogen sind. Das bestätigt alle theoretischen Annahmen, die davon ausgehen, dass die Beziehungen von Stiefeltern und Stiefkindern ebenso sicher, eng und stabil sein können wie die zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern, wenn sie genug Raum und Zeit dafür erhalten, ihre Beziehung zu entwickeln. Wenn Stiefeltern relativ früh in das Leben ihrer Stiefkinder treten, mit ihnen zusammenleben, Erziehungsaufgaben wahrnehmen, liebevoll und emphatisch auf ihre Bedürfnisse reagieren, zugleich aber auch den Explorationsdrang der Kinder unterstützen, steht der Entwicklung einer langfristigen, guten Stiefeltern-StiefkindBeziehung, die der von leiblichen Eltern und Kindern ähnlich ist, nichts im Weg. Soziobiologische Annahmen, die nur zwischen leiblichen und nicht leiblichen Beziehungen unterscheiden, liefern für diesen Effekt kaum eine hinreichende Begründung. Der starke positive Einfluss der Dauer des Zusammenlebens auf die Kontakthäufigkeit bleibt auch im zweiten Modell bestehen, wenn zusätzlich für verschiedene Merkmale der Stiefeltern kontrolliert wird. Es ergeben sich durch die Einführung der Stiefelternmerkmale jedoch noch einige weitere interessante Effekte: Wie erwartet stehen Stiefväter häufiger in persönlichem Kontakt mit ihren erwachsenen Stiefkindern als Stiefmütter. Mit steigendem Alter der Stiefeltern nimmt die Kontaktfrequenz jedoch ab. Außerdem zeigen die Ergebnisse, dass ein schlechter allgemeiner Gesundheitszustand des Stiefelternteils mit weniger Kontakten zum erwachsenen Stiefkind einhergeht, während ernsthafte Erkrankungen die Kontaktintensität eher erhöhen. Das könnte bedeuten, dass (eher zwanglose) Besuche und Unternehmungen mit dem erwachsenen Stiefkind seltener stattfinden, wenn sich das Stiefelternteil nicht so gut fühlt, wenn es aber konkreter Hilfe bedarf, weil es ernsthaft erkrankt ist, wird die Kontaktrate wieder erhöht. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das erwachsene Stiefkind sein Stiefelternteil dann tatsächlich unterstützt. Das muss an dieser Stelle allerdings Spekulation bleiben, da der Austausch von Hilfeleistungen in die Analysen nicht eingeschlossen werden konnte. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist das Vorhandensein eigener leiblicher Kinder: Besitzt das Stiefelternteil leibliche Nachkommen, sieht es sein erwachsenes Stiefkind signifikant seltener (unter Kontrolle der Dauer des Zusammenlebens). Dies spricht wiederum für soziobiologische Annahmen, die besagen, dass leibliche Kinder nichtleiblichen Kindern vorgezogen werden. Es wird sich zeigen, ob dieses Ergebnis auch unter
Die Beziehungen zu Stiefkindern
253
Hinzunahme weiterer Variablen Bestand hat. Das Bildungsniveau, die Anzahl der Kinder, der Partnerschaftsstatus, die Wohnregion und der Migrationshintergrund haben (unter Kontrolle der Dauer des Zusammenlebens) keinen Einfluss auf die Kontakthäufigkeit zwischen Stiefeltern und ihren erwachsenen Stiefkindern. Im dritten Modell werden nun zusätzlich zur Dauer des Zusammenlebens und der Merkmale der Stiefeltern noch die (im Datensatz vorhandenen) Merkmale der Stiefkinder kontrolliert. Es zeigt sich, dass weder das Geschlecht des erwachsenen Stiefkindes noch sein Alter einen signifikanten Einfluss auf das Ausmaß der Kontakthäufigkeit mit dem Stiefelternteil haben. Auch alle anderen Zusammenhänge bleiben unter Hinzunahme dieser beiden Variablen konstant. Dafür gibt es einige Veränderungen durch den Einbezug der Dimensionen intergenerationaler Beziehungen im vierten Modell zu berichten. Zunächst jedoch zum Einfluss der Dimensionen auf die Kontakthäufigkeit selbst: Die Wohnentfernung hängt, wie erwartet, negativ mit dem Ausmaß des persönlichen Kontaktes zwischen Stiefeltern und Stiefkindern zusammen. Das heißt, je weiter Stiefeltern und Stiefkinder voneinander entfernt leben, desto seltener sehen sie sich auch. Die Beziehungszufriedenheit hängt im Gegensatz dazu, positiv mit der Kontakthäufigkeit zusammen: Je zufriedener die Stiefeltern als mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Stiefkindern sind, desto häufiger stehen sie auch in persönlichem Kontakt mit ihnen. Das Ausmaß der Zustimmung zu familialen Normen hat dagegen keinen Einfluss auf die Kontaktrate zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern, die außerhalb des Haushaltes leben. Die Veränderungen in den anderen Einflussvariablen sehen nun wie folgt aus: Der starke positive Effekt der Dauer des Zusammenlebens reduziert sich um mehr als die Hälfte, bleibt allerdings (wenn auch nur auf dem 5%-Niveau) signifikant. Bezieht man also die Wohnentfernung und die Beziehungszufriedenheit zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern in die Analysen ein, erklärt sich dadurch ein Großteil des Effektes der Dauer des Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt. Stiefeltern, die mit ihren Stiefkindern in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben, wohnen also offensichtlich später näher beieinander und sind auch zufriedener mit der Stiefeltern-Stiefkind-Beziehung. Des Weiteren unterschieden sich unter Kontrolle von Wohnentfernung und Beziehungszufriedenheit Stiefväter und Stiefmütter hinsichtlich ihrer Kontakthäufigkeit nicht mehr voneinander. Dies ist ein weiterer Hinweis für die strukturelle Benachteiligung von Stiefmüttern, die eben zum großen Teil auch die Ausgestaltung ihrer Stiefbeziehungen bedingt. Es kann deshalb keinesfalls einfach geschlussfolgert werden, dass die Beziehungen von Stiefmüttern und Stiefkindern hinter denen von Stiefvätern und Stiefkindern zurückstehen, weil ihnen der Beziehungsaufbau schlechter gelingt, sondern unter gleichen Bedingungen, sind
254
Die Beziehungen zu Stiefkindern
sich die Beziehungen von Stiefmüttern und Stiefvätern ähnlicher als gemeinhin wahrgenommen wird. Auch die Effekte des Alters, des allgemeinen Gesundheitszustandes sowie der ernsthaften Krankheiten verschwinden unter Hinzunahme der anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen. Einzig der Effekt des Vorhandenseins von eigenen leiblichen Kindern bleibt durchgehend bestehen. In der Konkurrenz um die Aufmerksamkeit von Elternteilen, spielt es offensichtlich eine entscheidende Rolle, ob es sich um leibliche oder soziale Eltern handelt.
6.2.3
Determinanten der Beziehungszufriedenheit von Stiefeltern
Ähnlich wie die Kontakthäufigkeit kann auch die Beziehungszufriedenheit in Stieffamilien davon abhängen, welche Merkmale die Stiefeltern und die erwachsenen Stiefkinder aufweisen. Bevor jedoch die Ergebnisse zur Erklärung des Ausmaßes der Beziehungszufriedenheit von Stiefeltern zu erwachsenen Stiefkindern präsentiert werden (Tabelle 15), sollen auch hier wieder zuerst die Erwartungen über die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen unabhängigen Variablen und der Beziehungszufriedenheit aufgezeigt werden. In das erste Analysemodell, in dem für die Merkmale der StiefelternStiefkind-Dyade kontrolliert wird, fließt als einzige Variable die Dauer des Zusammenlebens von Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern ein. Es wird erwartet, dass die Beziehungszufriedenheit mit der Dauer des Lebens in einem gemeinsamen Haushalt zunehmen sollte (siehe für Ergebnisse zu minderjährigen Kindern King 2006: 921). Ähnlich wie es für die Kontakthäufigkeit angenommen wurde, kann auch in Bezug auf die Beziehungszufriedenheit vermutet werden, dass das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt zur Stabilisierung der Beziehung zwischen Stiefelternteil und Stiefkind beitragen sollte. Je länger die beiden also in einem Haushalt zusammen gelebt haben, desto größer sollte auch die Wahrscheinlichkeit sein, dass die Beziehungsentwicklung positiv verlaufen ist und desto zufriedener sollten Stiefeltern mit der Beziehung sein, wenn das Kind erwachsen ist. In das zweite Analysemodell werden über die Dauer des Zusammenlebens hinaus verschiedene Merkmale der Stiefelternteile eingeschlossen. In Bezug auf das Geschlecht der Stiefeltern wird angenommen, dass Stiefväter zufriedener mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Stiefkindern sein sollten als Stiefmütter (Ward/Spitze/Deane 2009: 168). Im Gegensatz zu leiblichen Eltern, bei denen es vor allem die Mütter sind, die engere und zufriedenstellendere Beziehungen mit ihren Kindern pflegen als Väter (Berger/Fend 2005: 21; Komter/Knijn
Die Beziehungen zu Stiefkindern
255
2006: 107; Szydlik 2000: 179), wird vermutet, dass auf Grund der strukturellen Gegebenheit, dass Stiefmütter zumeist mit einem externen Vater liiert sind, der Aufbau einer emotional engen Beziehung schlechter gelingen sollte als Stiefvätern, die in der Regel mit der internen Mutter eine Partnerschaft eingehen. Weiterhin wird vermutet, dass mit zunehmendem Alter der Stiefeltern, die Beziehung als zufriedenstellender eingeschätzt wird, da mit dem Alter auch die (zeitlichen) Freiräume steigen, ungezwungenere Beziehungen mit Kindern und Stiefkindern zu führen (White 1994b: 129). Ebenso sollte das Bildungsniveau der Stiefeltern in einem positiven Zusammenhang mit der Beziehungszufriedenheit stehen, da bei höherer Bildung die kommunikativen Kompetenzen steigen, um Schwierigkeiten und Konflikte in der Familie zu bewältigen (Braithwaite et al. 2001: 243). Ein schlechter allgemeiner Gesundheitszustand und das Leiden unter ernsthaften Krankheiten sollten dagegen die Zufriedenheit verringern, da ungezwungene Beziehungen schwieriger werden und die Stiefeltern möglicherweise auf die Unterstützung der Stiefkinder angewiesen sind. Von der Anzahl der Kinder wird kein Effekt erwartet, während das Vorhandensein eigener leiblicher Kinder die Zufriedenheit mit der Beziehung zu den erwachsenen Stiefkindern wiederum mindern sollte (White 1994b: 128). Von der Partnerschaftsform des Stiefelternteils und des leiblichen Elternteils wird ebenso wie bei der Kontakthäufigkeit kein Einfluss erwartet. Verheiratete Stiefeltern sollten in gleichem Maße zufrieden mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Stiefkindern sein wie Stiefeltern, die nicht mit dem leiblichen Elternteil verheiratet sind. Außerdem wird angenommen, dass Stiefeltern, die in den neuen Bundesländern oder Ostberlin leben, zufriedener sind, genauso wie Stiefeltern mit Migrationshintergrund. Im dritten Analysemodell werden – zusätzlich zur Dauer des Zusammenlebens und verschiedenen Merkmalen der Stiefeltern – noch die Merkmale der erwachsenen Stiefkinder aufgenommen. Das Geschlecht der Stiefkinder sollte insofern eine Rolle spielen, als die Beziehungszufriedenheit in Bezug auf Stieftöchter (wegen der ‚kinkeeper‘-Rolle) größer sein sollte (White 1994b: 129). Das Alter der Stiefkinder könnte sich dagegen (wie beim Modell aller Elternteile) wegen der zunehmenden Eingebundenheit in andere Lebensbereiche negativ auf die Beziehungszufriedenheit der Stiefeltern auswirken. Andererseits existieren empirische Hinweise, dass sie Beziehungsqualität mit dem Alter der Stiefkinder zunimmt, was auf eine Zunahme der Reife und damit der Abnahme von Konkurrenz und Streitigkeiten zurückgeführt wird (White 1994b: 124 bzw. 129). Im vierten Analysemodell werden schließlich die anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen einbezogen. Von der Wohnentfernung wird erwartet, dass sie die Beziehungszufriedenheit negativ beeinflusst. Das heißt, je
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Die Beziehungen zu Stiefkindern
weiter Stiefeltern und Stiefkinder auseinander wohnen, desto unzufriedener sollten die Stiefeltern mit den Beziehungen zu ihren erwachsenen Stiefkindern sein. Die Kontakthäufigkeit sollte sich im Gegensatz dazu, positiv auswirken: Je öfter sich Stiefeltern und Stiefkinder sehen, desto größer müsste auch die Beziehungszufriedenheit der Stiefeltern sein. Und auch von der Zustimmung zu familialen Normen wird ein positiver Effekt erwartet, da davon ausgegangen wird, dass eine stärkere Zustimmung zu familialen Normen mit einer größeren Beziehungszufriedenheit einhergeht. Der Tabelle 15 sind nun die Ergebnisse der vier, eben beschriebenen Analysemodelle zur Erklärung der Beziehungszufriedenheit von Stiefeltern, zu entnehmen. Genauso wie bei allen anderen präsentierten Modellen wurden Schätzungen vorgenommen, die dafür kontrollieren, dass die meisten Stiefeltern Angaben zu mehr als einem erwachsenen Stiefkind gemacht haben. Darüber hinaus wurde natürlich auch im Vorfeld dieser Analysen das Vorhandensein von Kollinearität zwischen einzelnen Variablen geprüft. Das Ergebnis des ersten Modells in Tabelle 15, in dem nur für die Dauer des Zusammenlebens von Stiefeltern und Stiefkindern kontrolliert wurde, zeigt, dass der Erfahrung des Lebens in einem gemeinsamen Haushalt nur ein schwach signifikanter Effekt für die Beziehungszufriedenheit der Stiefeltern zukommt. Das heißt, die Dauer des Zusammenlebens in einem Haushalt wirkt sich zwar tendenziell positiv auf die Beziehungszufriedenheit von Stiefeltern aus, wird aber nicht sehr stark davon determiniert. Deutlich weniger jedenfalls als die Kontakthäufigkeit zwischen Stiefelternteil und erwachsenem Stiefkind. Deshalb soll der Blick auch gleich auf das nächste Modell gerichtet werden, in dem zusätzlich für die Merkmale der Stiefeltern kontrolliert wurde. Im zweiten Modell verändert sich der Einfluss der Dauer des Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt auf die Beziehungszufriedenheit nicht. Er bleibt weiterhin moderat positiv vorhanden. Interessant ist jedoch, dass die Beziehungszufriedenheit auch sonst von fast keiner der in das Modell eingeführten Variablen beeinflusst wird: Weder das Geschlecht des Stiefelternteils, noch das Alter, das Bildungsniveau, der allgemeine Gesundheitszustand, die Anzahl der Kinder, das Vorhandensein eigener leiblicher Kinder, die Partnerschaftsform, die Wohnregion oder ein Migrationshintergrund hängen mit dem Ausmaß der Beziehungszufriedenheit von Stiefeltern zusammen. Einzig das Leiden unter ernsthaften Krankheiten reduziert die Zufriedenheit der Stiefeltern mit den Beziehungen zu ihren erwachsenen Stiefkindern. Da im Modell zur Kontakthäufigkeit ersichtlich wurde, dass die Kontaktfrequenz zwischen Stiefeltern und Stiefkindern zunimmt, wenn Stiefeltern unter ernsthaften Krankheiten leiden, kann vermutet werden, dass sich die Stiefeltern in der Rolle des Hilfeempfängers nicht sehr wohl fühlen. Immerhin scheint es so zu sein, dass Stiefeltern bei
257
Die Beziehungen zu Stiefkindern
Bedarf auf die Unterstützung ihrer erwachsenen Stiefkinder zurückgreifen können, wenn auch die Beziehungsqualität darunter leidet. Tabelle 15:
Regressionsmodelle zur Erklärung der Beziehungszufriedenheit zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern (-Koeffizienten)
Unabhängige Variablen Merkmale Dyade
Dauer des Zusamm.lebens
Modell 1 .11*
Merkmale Elternteil Geschlecht: weiblich
.10*
Modell 4 .02
-.08
.00
Alter
.02
.01
.03
Bildung: hoch
.11
.10
.11*
Allg. Gesundheitszustand
.03
.03
.08
Ernsthafte Krankheiten: ja
-.17*
-.17*
-.09
.04
.04
-.01
-.06
-.06
.04
Partnerschaft: Ehe
.00
.00
.01
Wohnregion: Ost
.04
-.04
.00
-.09
-.09
-.07
Geschlecht: weiblich
.01
-.00
Alter
.00
.08
Eigene leibliche Kinder: ja
Migrationshintergrund: ja
IGB-Dimensionen
Modell 3
.10* -.08
Anzahl der Kinder
Merkmale Kind
Modell 2
Wohnentfernung
.34***
Kontakthäufigkeit
.69***
Familiale Normen 2
korrigiertes r n
*p.05; **p.01; ***p.001 Datenbasis: GGS 2005; eigene Berechnungen.
-.01 .01
.08
.08 376
.34
258
Die Beziehungen zu Stiefkindern
Auch im dritten Modell – unter Hinzunahme von Merkmalen der erwachsenen Stiefkinder – verändern sich die Effekte der Einflussvariablen im Vergleich zu den beiden vorhergehenden Modellen nicht: Die Dauer des Zusammenlebens in einem Haushalt hat weiter einen moderat positiven Einfluss auf die Beziehungszufriedenheit, während das Leiden unter ernsthaften Krankheiten zu einer Reduzierung der Zufriedenheit mit der Beziehung zu den erwachsenen Stiefkindern beiträgt. Das vierte Modell, bei dem zusätzlich (zur Dauer des Zusammenlebens, den Merkmalen der Eltern und den Merkmalen der Kinder) für die Dimensionen intergenerationaler Beziehungen kontrolliert wird, bringt einige Veränderungen mit sich. Zuerst jedoch wiederum zum Einfluss der Dimensionen selbst: Die Wohnentfernung hängt – wie im Modell zur Erklärung des Ausmaßes der Beziehungszufriedenheit zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (Tabelle 9) – stark positiv mit der Beziehungszufriedenheit zusammen. Das heißt, je weiter die Stiefeltern von ihren Stiefkindern entfernt leben, desto zufriedener sind sie mit der Beziehung. Da aus dem vierten Regressionsmodell zur Erklärung der Kontakthäufigkeit in Stieffamilien (Tabelle 14) aber bereits ersichtlich geworden ist, dass die Kontakthäufigkeit von Stiefeltern mit ihren erwachsenen Stiefkindern stark positiv durch eine geringe Wohnentfernung beeinflusst wird, wurde zur Klärung des Sachverhaltes das Modell auch hier noch einmal ohne die Kontakthäufigkeit geschätzt. Es zeigt sich, dass sich das Vorzeichen für den Effekt der Wohnentfernung ohne die gleichzeitige Kontrolle der Kontakthäufigkeit umkehrt und dann tatsächlich negativ ist – aber auch, dass er seine Signifikanz verliert. Für Stiefeltern, so kann man daraus ableiten, ist die Wohnentfernung selbst offensichtlich weniger von Bedeutung für die Beziehungszufriedenheit als die persönlichen Kontakte, die sich durch eine größere Wohnnähe ergeben. Das Ausmaß der Zustimmung zu familialen Normen hat wiederum keinen Einfluss auf die Beziehungszufriedenheit. Entscheidend ist jedoch, dass unter Kontrolle von Wohnentfernung und Kontakthäufigkeit die Dauer des Zusammenlebens ihren Einfluss vollständig verliert. Wenn man also weiß, wie weit die Stiefeltern von ihren erwachsenen Stiefkindern entfernt leben und wie häufig sie sich sehen, macht es für die Zufriedenheit der Stiefeltern mit der Beziehung keinen Unterschied mehr, ob und wie lange sie jemals mit ihren Stiefkindern zusammen gelebt haben. Auch der negative Einfluss des Leidens unter ernsthaften Krankheiten verschwindet dann. Dafür spielt nun aber das Bildungsniveau der Stiefeltern eine Rolle und zwar in der Hinsicht, dass besser gebildete Stiefeltern (unter Kontrolle von Wohnentfernung und Kontakthäufigkeit) signifikant zufriedener mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Stiefkindern sind als weniger gebildete Stiefeltern. Dies scheint ein Hinweis darauf zu sein, dass Problem-
Die Beziehungen zu Stiefkindern
259
lösungskompetenzen tatsächlich zu einer Steigerung der Beziehungsqualität in Stieffamilien beitragen können.
6.3
Zusammenfassung der Ergebnisse zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen in Stieffamilien mit erwachsenen Stiefkindern
Die deskriptiven Befunde zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern, die auf dem ‚Generations and Gender Survey‘ basieren, weisen darauf hin, dass sich Stiefväter und Stiefmütter vor allem hinsichtlich struktureller Variablen voneinander unterschieden. Stiefmütter leben weiter von ihren erwachsenen Stiefkindern entfernt und haben (wahrscheinlich auch deshalb) weniger ‚face-to-face‘-Kontakte mit ihnen. In Bezug auf die Beziehungszufriedenheit und die Zustimmung zu familialen Normen unterscheiden sich Stiefväter und Stiefmütter dagegen nicht. Während die Partnerschaftsform, in der Stiefeltern mit leiblichen Eltern zusammen leben, keinen Einfluss auf die Ausgestaltung von Generationenbeziehungen hat, wirkt sich das Vorhandensein eigener leiblicher Kinder sowohl negativ auf die Wohnentfernung als auch auf die Kontakthäufigkeit zu erwachsenen Stiefkindern aus. Die Zustimmung zu familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung ist dagegen bei Stiefeltern, die auch eigene leibliche Kinder besitzen, etwas größer. Insgesamt weisen schon die deskriptiven Befunde darauf hin, dass es nicht nur Unterschiede zwischen Eltern, die in unterschiedlichen Relationen zu erwachsenen Kindern stehen, gibt, sondern dass auch innerhalb von Stieffamilien deutlich Differenzen entlang bestimmter Merkmale existieren. Obwohl für die multivariaten Modelle nicht alle Einflussvariablen im Datensatz vorhanden waren bzw. gebildet werden konnten, die für eine Erklärung der Kontakthäufigkeit und der Beziehungszufriedenheit von Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern wichtig gewesen wären (wie zum Beispiel der Grund für die Auflösung der elterlichen Partnerschaft), können aus den vorliegenden Ergebnissen doch einige Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern gezogen werden. Die Analysen zeigen zum einen, dass die Dauer des Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt von Stiefelternteil und erwachsenem Stiefkind einen wichtigen Einflussfaktor – sowohl für das Ausmaß der Kontakthäufigkeit als auch für die Beziehungszufriedenheit – darstellt. Je länger das Stiefelternteil und das (nun erwachsene) Stiefkind gemeinsam in einem Haushalt gelebt haben, desto öfter sehen sie sich und desto zufriedener ist das Stiefelternteil alles in
260
Die Beziehungen zu Stiefkindern
allem mit der Beziehung zu seinem erwachsenen Stiefkind. In Bezug auf die Kontakthäufigkeit bleibt der positive Effekt auch bestehen, nachdem die anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen (die Wohnentfernung, die Beziehungszufriedenheit und die Zustimmung zu familialen Normen) als Kontrollvariablen eingeführt werden. Bei der Beziehungszufriedenheit verschwindet er dagegen. Bei gleicher Wohnentfernung und Kontakthäufigkeit sind Stiefeltern also gleichermaßen zufrieden mit der Beziehung, unabhängig davon, ob und wie lange sie mit dem (jetzt erwachsenen) Stiefkind in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben. Zusätzlich zur Dauer des Zusammenlebens hat auch das Vorhandensein eigener leiblicher Kinder einen starken Einfluss auf die Kontakthäufigkeit zwischen Stiefelternteil und erwachsenem Stiefkind. Hat das Stiefelternteil eigene leibliche Kinder, sieht es das erwachsene Stiefkind deutlich seltener als wenn es keine leiblichen Kinder besitzt. Des Weiteren zeigen die Ergebnisse zur Kontakthäufigkeit, dass der persönliche Kontakt zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern umso kleiner ist, je weiter sie voneinander entfernt leben. Mit größerer Beziehungszufriedenheit der Stiefeltern sehen sich Stiefeltern und erwachsene Stiefkinder jedoch häufiger. Interessant ist weiterhin, dass ohne Kontrolle von Wohnentfernung und Beziehungszufriedenheit Stiefväter ein deutlich größeres Ausmaß an persönlichem Kontakt mit ihren erwachsenen Stiefkindern pflegen als Stiefmütter. Kontrolliert man jedoch für diese beiden Dimensionen intergenerationaler Beziehungen verschwindet dieser Effekt. Daraus kann gefolgert werden, dass es wohl vor allem die familiale Situation ist, die nach der Auflösung der elterlichen Partnerschaft entsteht, die den Unterschied für die Ausgestaltung der Beziehungen von Stiefvätern und Stiefmüttern mit ihren erwachsenen Stiefkindern macht und nicht das Geschlecht der Stiefelternteile an sich, das dafür verantwortlich gemacht werden kann. Hinsichtlich der Beziehungszufriedenheit weisen die Ergebnisse neben dem positiven Zusammenhang des Einflusses der Dauer des Zusammenlebens in einem Haushalt darauf hin, dass (ohne die Kontrolle der jeweils anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen) Stiefeltern, die unter ernsthaften Krankheiten leiden, unzufriedener mit den Beziehungen zu ihren erwachsenen Stiefkindern sind. Dieser Effekt verschwindet allerdings unter Einbezug von Wohnentfernung und Kontakthäufigkeit. Diese beiden Variablen hängen allerdings eng mit der Beziehungszufriedenheit von Stiefeltern zusammen: Es zeigt sich, dass Stiefeltern umso zufriedener sind je weiter sie von ihren erwachsenen Stiefkindern entfernt leben, wobei der positive Effekt der Kontakthäufigkeit noch deutlich darüber liegt. Da mit Hilfe eines Strukturgleichungsmodells im vorigen Kapitel gezeigt werden konnte, dass der Einfluss der Wohnentfernung indirekt über das Ausmaß der Kontakthäufigkeit vermittelt wird, lässt sich
Die Beziehungen zu Stiefkindern
261
schlussfolgern, dass die Wohnentfernung insgesamt negativ mit der Beziehungszufriedenheit von Stiefeltern zusammen hängt. Zusammenfassend lässt sich zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen in Stieffamilien mit erwachsenen Stiefkindern sagen, dass sie einerseits einem ähnlichen Muster folgen wie andere Eltern-Kind-Beziehungen auch. Das heißt, es sind vor allem die jeweils anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen, die einen starken Einfluss – hier konkret auf die Kontakthäufigkeit und Beziehungszufriedenheit – ausüben. Es zeigt sich also auch bei Stiefbeziehungen, dass es vor allem die Wohnentfernung, die Kontakthäufigkeit und die Beziehungsqualität sind, die eng miteinander verbunden sind. Bei Stiefeltern-Stiefkind-Beziehungen scheinen andererseits zusätzlich einige Merkmale eine Rolle zu spielen, die konkret auf die Bedeutung der Beziehungsgeschichte und damit der Beziehungsentwicklung schließen lassen: Das betrifft zum einen die Dauer des Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt und zum anderen das Vorhandensein eigener leiblicher Kinder. Zukünftige Untersuchungen zu Stieffamilien mit erwachsenen Stiefkindern sollten also besonderen Wert darauf legen, so viel wie möglich über die Beziehungsgeschichte und damit die Entwicklung der Stiefeltern-Stiefkind-Beziehung in Erfahrung zu bringen, um die konkreten Ausgestaltungen der Beziehungen vor diesem Hintergrund zu erklären.
7
Zusammenfassung und Ausblick
Ausgangpunkt fast aller Überlegungen und Untersuchungen zu familialen Generationenbeziehungen zwischen Erwachsenen ist die Annahme, dass die immer weiter zunehmende Lebensdauer in modernen Industriegesellschaften zu Veränderungen in den Strukturen der Familien und in Folge dessen auch zu Veränderungen in den Beziehungen ihrer Mitglieder führt (Lauterbach/Klein 2004: 651ff.). Mit der zunehmenden Lebensdauer ist unter anderem verbunden, dass der (relativ späte) Zeitpunkt des Sterbens einzelner Familienmitglieder vorhersagbarer wird und familiale Beziehungen deshalb beständiger sind. Verschiedene familiale Generationen begleiten sich inzwischen eine – in der Geschichte der Menschheit – beispiellose Dauer und teilen in der Regel Jahrzehnte von CoBiographien. Für die überwiegende Mehrheit von Personen in diesen Gesellschaften gilt deshalb, dass die Herkunftsfamilie und die Rolle als Kind bis ins mittlere Erwachsenenalter oder bis ins frühe Alter hinein erhalten bleiben. Tatsächlich verbringen die Menschen heutzutage mehr Zeit als Eltern erwachsener Kinder denn als Eltern von Kleinkindern. Mit der Zunahme an Lebenszeit und der damit verbundenen längeren Dauer von Eltern-Kind-Beziehungen verändert sich auch das ‚timing‘, zu dem der Tod eines Elternteils und damit ein ‚turnover‘ der familialen Generationen erlebt wird (Hagestad 2003: 139). Daraus folgt, dass natürliche Veränderungen der Familienzusammensetzung immer seltener werden. Dafür nehmen soziale Veränderungen, die durch Scheidung (bzw. Trennung) und Wiederheirat (bzw. das Eingehen einer neuen Partnerschaft) initiiert werden, zu. Die sozialen Veränderungen der Zusammensetzung von Familien, die sich in verschiedenen Mustern von Scheidung bzw. Trennung und Wiederheirat bzw. neuen Partnerschaften niederschlagen, können unter anderem zu ausgesprochen komplexen Formen von haushaltsübergreifenden Familien- und Stieffamilienbeziehungen führen. Zwar liegen inzwischen einige Versuche vor, den Einfluss von Scheidung und Wiederheirat auf Familienbeziehungen zu erklären; Untersuchungen zu den langfristigen Folgen existieren aber kaum. Bislang konzentrierte sich die Forschung fast ausschließlich auf die Auswirkungen einer elterlichen Scheidung bzw. Trennung auf minderjährige Kinder. Hierbei standen wiederum vor allem Schulleistungen, abweichendes Verhalten und die Gesundheit der Kinder im Zentrum des Interesses. Die familialen Beziehungen selbst wurden eher am
264
Zusammenfassung und Ausblick
Rande behandelt – vor allem wenn sie als Einflussfaktoren für eben benannte Zielvariablen identifiziert werden konnten. Die vornehmliche Konzentration auf Scheidungs- und Trennungsfolgen für die Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern ist sicher nicht nur darauf zurückzuführen, dass dies verständlicherweise ein vordringliches wissenschaftliches Interesse darstellt, sondern die von einer elterlichen Scheidung bzw. Trennung betroffenen Kinder müssen ja auch erst einmal in einer größeren Zahl erwachsen werden, um sie untersuchen zu können. Da die Scheidungszahlen erst ab etwa Mitte der 1960er Jahren deutlich angestiegen sind, ist jetzt allerdings der Zeitpunkt gekommen, die langfristigen Folgen einer Scheidung bzw. Trennung sowie einer Wiederheirat bzw. des Eingehens einer neuen Partnerschaft auf die Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern in den Blick zu nehmen. Wobei natürlich die Folgen für Kinder, die erst im Erwachsenenalter eine Scheidung oder Trennung ihrer Eltern sowie das Eingehen neuer Partnerschaften erleben, für die Untersuchung von Generationenbeziehungen nicht vernachlässigt werden sollten. Aber auch dieses Phänomen einer späten Scheidung (nach 20 Ehejahren oder mehr) hat erst unlängst eine relevante und damit untersuchbare Größe erreicht. Wie sich gezeigt hat, ist es allerdings nicht ausreichend, die Untersuchungen von Eltern-Kind-Beziehungen in Scheidungs- und Trennungsfamilien auf die Beziehungen zwischen leiblichen Eltern und ihren erwachsenen Kindern zu begrenzen. Geht einer der leiblichen Elternteile (oder auch beide) eine neue Partnerschaft ein, verändern sich die familialen Strukturen grundlegend, so dass auch die Beziehungen zwischen dem neuen Partner bzw. der neuen Partnerin, die durchaus in der Elternrolle gegenüber dem Kind auftreten können (auch wenn es bereits erwachsen ist), einbezogen werden müssen. Die Schwierigkeiten empirischer Untersuchungen bestehen nun darin, dass familiale Konstellationen in Trennungs- und Stieffamilien eine große Komplexität annehmen können. Während jedoch in Ländern, wie den USA, den Niederlanden oder Norwegen schon eine Reihe von Studien vorliegen, die eine Analyse solcher komplexen familialen Zusammenhänge erlauben, wurde in Deutschland bislang weitgehend darauf verzichtet, die Beziehungen zu allen – leiblichen wie sozialen – Elternteilen zu erheben. Für Deutschland existieren aus diesem Grund bislang keinerlei Ergebnisse zu Beziehungen zwischen Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern. Diese Lücke konnte mit der vorliegenden Arbeit, deren Ergebnisse auf der ersten Welle des ‚Generations and Gender Survey‘ (GGS) von 2005 beruhen, geschlossen werden. Die Untersuchung von familialen Generationenbeziehungen in Trennungs- und Stieffamilien ist aber nicht nur eine Frage ihrer empirischen Erfassung, sondern in erster Linie auch ein Problem ihrer theoretischen Erklärung.
Zusammenfassung und Ausblick
7.1
265
Zusammenfassung der theoretischen Überlegungen zur Erklärung der Ausgestaltung von Generationenbeziehungen
Die Diversifikation familialer Strukturen und damit auch der Rollen und Beziehungen von Familienmitgliedern verlangt einen theoretischen Ansatz, der ihrer Heterogenität gerecht wird. Diesem Anspruch genügen die klassischen theoretischen Modelle intergenerationaler Beziehungen – das Solidaritätsmodell und das Ambivalenzmodell – jedoch nicht. Mit Hilfe dieser Ansätze konnten zwar die Dimensionen intergenerationaler Beziehungen identifiziert werden, an denen sich die Datenerhebung auch größtenteils orientiert; warum jedoch einige Eltern-Kind-Beziehungen zufriedenstellender sind als andere, Eltern und Kinder weiter oder weniger weit voneinander entfernt wohnen, der Kontakt rege oder eher rar ist, und warum der Transfer von Hilfeleistungen in manchen Familie besser funktioniert als in anderen, kann mit Hilfe dieser Modelle nicht hinreichend erklärt werden. Sie gehen über eine Beschreibung intergenerationaler Arrangements nicht hinaus. Im theoretischen Teil dieser Arbeit wurde deshalb vorgeschlagen, auf bereits existierende Theorien zur Erklärung der Ausgestaltung von sozialen Beziehungen zurückzugreifen und diese in den allgemeinen Rahmen der Lebensverlaufsforschung einzubetten. Konkret sind das die Austauschtheorie, der ‚Value-of-Children‘-Ansatz, die Soziobiologie und die Bindungstheorie. Der Ansatz der Lebensverlaufsforschung dient dabei vor allem als theoretische Klammer, die es einerseits erlaubt, die Zeitabhängigkeit familialer Ereignisse zu modellieren und die andererseits Begriffe zur Verfügung stellt, wichtige Übergänge als auch Interdependenzen der einzelnen Familienmitglieder in ihrer Prozesshaftigkeit zu veranschaulichen. Gerade bei einem Vergleich von leiblichen und sozialen Elternteilen, die jeweils einen ganz unterschiedlichen Start in die Eltern-Kind-Beziehung erleben, ist es von entscheidender Bedeutung darauf hinzuweisen, dass es nicht genügt, die Beziehungen zu einem bestimmten Zeitpunkt in den Blick zu nehmen, sondern dass die Ausgestaltung der Beziehungen nur vor dem Hintergrund gemeinsamer Erfahrungen zu erklären ist. In der Austauschtheorie spielen gemeinsame Erfahrungen für die Beziehungsgestaltung eine ganz entscheidende Rolle: Innerhalb dieses theoretischen Ansatzes wird davon ausgegangen, dass sich soziale Beziehungen – so auch familiale Generationenbeziehungen – durch den Tausch verschiedener Ressourcen, die zum physischen und psychischen Wohlbefinden der jeweils beteiligten Individuen beitragen, verfestigen. Da der soziale Tausch auf diffusen gegenseitigen Verpflichtungen der Akteure beruht, verfestigen sie sich allerdings nur sehr langsam. Der Grund dafür ist, dass sie zunächst auf ihre Zuverlässigkeit geprüft werden müssen, was ein gewisses Ausmaß gegenseitigen Vertrauens
266
Zusammenfassung und Ausblick
verlangt. Dieses Vertrauen wird aber erst durch iteratives Tauschverhalten mit der Zeit aufgebaut. Obwohl auch intergenerationale Beziehungen diesen Mechanismen des sozialen Tausches folgen, weisen sie jedoch einige Besonderheiten auf, die sie von anderen sozialen Beziehungen, wie Freundschaften oder Beziehungen unter Kollegen, unterscheidet. Erstens wird die Beziehung (einseitig) von den Eltern geschaffen und ist auch – mindestens während der ersten Lebensjahre der Kinder – deutlich asymmetrisch. Zweitens beruhen die Austauschbeziehungen zwischen Eltern und Kindern nicht grundsätzlich auf Freiwilligkeit, sondern sie müssen (gesetzlich abgesichert) in Notsituationen füreinander einstehen. Eine Auflösung der Beziehung ist deshalb nicht ohne Weiteres möglich. Stiefbeziehungen, die normalerweise nicht mit der Geburt eines Kindes beginnen und auch keinen gegenseitigen (rechtlich abgesicherten) Verpflichtungen unterliegen, müssen von Eltern-Kind-Beziehungen, die biologisch miteinander verbunden sind, deshalb grundsätzlich unterschieden werden. Da die Stiefeltern jedoch – aus Sicht des Kindes – auch sehr früh eine Partnerschaft mit dem leiblichen Elternteil eingehen können und vielleicht sogar mit dem Kind, wenn es noch minderjährig ist, in einem gemeinsamen Haushalt leben und dann oft in einer Elternrolle gegenüber dem Kind auftreten, sind sie unter bestimmten Bedingungen wiederum vergleichbar mit leiblichen Eltern-KindBeziehungen. Stiefbeziehungen stehen somit zwischen sozialen Beziehungen, wie Freundschaften, und biologisch begründeten Eltern-Kind-Beziehungen. Bei ihrer Betrachtung sind die Bedingungen der Entstehung und Entwicklung deshalb von entscheidender Bedeutung. Vor allem die Dauer der Stiefbeziehung, insbesondere aber das Alter der Kinder beim Eingehen der Partnerschaft zwischen Elternteil und Stiefelternteil sind dabei entscheidend für die Etablierung und Verfestigung der Austauschbeziehung zwischen Stiefelternteil und Stiefkind. Dies wird verständlicher, wenn man einen anderen theoretischen Ansatz in die Erklärung der Ausgestaltung von familialen Generationenbeziehungen integriert. Der ‚Value-of-Children‘-Ansatz trägt in erster Linie dazu bei, zu erklären, wie es zu der Entscheidung von Eltern kommt, eine Austauschbeziehung zu einem Kind zu initiieren. Dabei wird davon ausgegangen, dass intergenerationale Beziehungen geschaffen werden, wenn der Nutzen bzw. der Wert, den sich potenzielle Eltern von ihrem Kind versprechen über den wahrgenommenen Kosten seines Aufziehens liegt. Die Realisierung der Werte, also der Erwartungen der Eltern an zufriedenstellende Generationenbeziehungen, schlägt sich nach der Geburt des Kindes entsprechend im Umgang mit dem Kind, also in einem bestimmten Erziehungsverhalten der Eltern nieder. An dieser Stelle muss allerdings einschränkend hinzugefügt werden, dass die Werte von Kindern, die Stiefeltern besitzen, natürlich nichts mit der Geburt ihrer Stiefkinder zu tun
Zusammenfassung und Ausblick
267
haben. Von ihnen wurde in erster Linie die Entscheidung getroffen, eine Partnerschaft mit einer Person einzugehen, die bereits Kinder und damit eine familiale Geschichte besitzt. Nichtsdestotrotz lassen sich mit Hilfe des ‚Value-ofChildren‘-Ansatzes auch die Strategien stiefelterlicher Investitionen, die Übernahmen von Erziehungsaufgaben durch Stiefeltern und die Befriedigung ihres physisches und psychisches Wohlbefindens, die durch die Beziehung zum Stiefkind erreicht werden kann, modellieren. Wie in den kurzen zusammenfassenden Erläuterungen zur Austauschtheorie deutlich wurde, ist der Aufbau und die Verfestigung von sozialen Beziehungen – auch Generationenbeziehungen – von der Regelmäßigkeit und vom Umfang des Austausches von (zur Verfügung stehenden) Ressourcen abhängig. Wann nun welche Ressourcen, in welchem Umfang in einen solchen Tausch zwischen Eltern und Kindern sowie zwischen Stiefeltern und Stiefkindern eingebracht werden, lässt sich mit dem ‚Value-ofChildren‘-Ansatz erklären. Darüber hinaus wird deutlich, dass es von Vorteil für die Umsetzung der stiefelterlichen Erwartungen an ihre Stiefkinder ist, wenn sie so zeitig wie möglich in die entzweite Familie kommen und diese Erwartungen über erzieherisches Verhalten gegenüber ihren Stiefkindern umsetzen können. Schließen sie sich erst relativ spät der Familie an, muss das natürlich nicht zwangsläufig bedeuten, dass sich zwischen Stiefelternteil und Stiefkind keine (positive) Beziehung entwickelt. Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass die Qualität der Beziehung eher einer Freundschaftsbeziehung entspricht, da die Etablierung einer elterlichen Bindungsbeziehung mit zunehmendem Alter des Kindes immer schwieriger wird. Zur Erklärung der Unterschiede in den Eltern-Kind-Beziehungen von leiblichen und sozialen Eltern, steht noch ein weiterer Erklärungsansatz zur Verfügung, der in der Soziologie allerdings gemeinhin vernachlässigt wird. Es handelt sich hierbei um die Soziobiologie, in deren Rahmen zur Erklärung der Ausgestaltung von sozialen Beziehungen auf die biologische Determiniertheit des Verhaltens zurückgriffen wird. Elterliches Engagement basiert demnach auf Fitnessmaximierung einerseits und der Weitergabe der eigenen Erbanlagen andererseits. Beides führt wiederum zur Verwandtenbevorzugung (Nepotismus) und lässt erwarten, dass Stiefeltern nicht im gleichen Maße in ihre Stiefkinder investieren wie leibliche Eltern in ihre eigenen Abkömmlinge. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass Stiefbeziehungen notwendigerweise scheitern müssten. Es kann aber zumindest angenommen werden, dass die Beteiligten im Durchschnitt mehr psychische Arbeit leisten müssen, um ihre Beziehung(en) erfolgreich zu gestalten. Bei einem Vergleich von leiblichen und sozialen Eltern sollte deshalb die Möglichkeit in Betracht gezogen und in empirischen Untersuchungen berücksichtigt werden, dass das Verhalten von Eltern gegenüber ihren Kindern und von Stiefeltern gegenüber ihren Stiefkindern nicht ausschließlich durch
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Zusammenfassung und Ausblick
soziale Bedingungen determiniert ist. Falls biologische Aspekte tatsächlich so bedeutsam sind, wie Soziobiologen behaupten, kann es sogar sein, dass sich leibliche Eltern gegenüber ihren Kindern ganz anders verhalten müssen, um zufriedenstellende Beziehungen zu erleben, als Stiefeltern gegenüber ihren Stiefkindern. Auch wenn natürlich klar ist, dass biologische Annahmen allein nicht ausreichend sind, um die Unterschiede zwischen leiblichen und sozialen Eltern zu erklären, so kann an dieser Stelle jedoch festgehalten werden, dass es möglich ist, unter Rückgriff auf soziobiologische Annahmen, sozialwissenschaftliche Ansätze anzureichern und damit der tatsächlichen Erklärung der Ausgestaltung von Generationenbeziehungen näher zu kommen. Ein vierter und letzter Ansatz, der geeignet ist, substanziell zur Erklärung der Ausgestaltung von Beziehungen zwischen Eltern und Kindern beizutragen, ist die Bindungstheorie. Da die Bindungstheorie einerseits auf soziobiologischen Annahmen beruht und andererseits sozialwissenschaftliche Argumente bereit hält, die austauschtheorietisch fundiert sind, als auch Erwartungen an die Verhaltensweisen von Kindern beinhaltet, die wiederum durch den Einsatz bestimmter Sozialisationsstrategien umgesetzt werden, scheint dieser Ansatz geeignet, alle bislang vorgestellten theoretischen Überlegungen zu integrieren. Darüber hinaus enthält die Bindungstheorie eine lebenspannenübergreifende Perspektive, da hier davon ausgegangen wird, dass die Entwicklung von Bindungsstilen im Säuglings- und Kleinkindalter zur Ausbildung so genannter mentaler Repräsentationen beim Erwachsenen führt, die dann den Umgang mit anderen Menschen prägen. Die soziale Kompetenz sicher gebundener Personen zeigt sich demnach einerseits darin, dass sie sich problemlos in ihre Interaktionspartner hineinversetzen können und ihnen Unterstützung anbieten, wenn es nötig erscheint. Andererseits haben sie kein Problem damit, eigene Bedürfnisse gegenüber ihren Interaktionspartnern zu formulieren und Hilfe bei ihnen nachzufragen. Sichere Bindungsbeziehungen sind weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass die aneinander gebundenen Personen in regelmäßigem Kontakt zueinander stehen (da sie sonst ihre Bedürfnisse weder formulieren noch die Bedürfnisse der jeweils anderen Partei erkennen könnten) sowie relativ nahe bzw. zufriedenstellende Beziehungen führen. Die Entstehung solcher Bindungsbeziehungen ist allerdings nicht auf die leiblichen Eltern beschränkt, sondern diese können ebenso auch zu anderen Personen aufgebaut werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Je eher also das Stiefelternteil in die Familie kommt und je stärker es sich in angemessener Weise an der Fürsorge um das Kind beteiligt, desto größer sind auch die Chancen des Aufbaus einer engen und zufriedenstellenden Bindungsbeziehung. Innerhalb dieser Theorie vereinen sich alle Prämissen der Lebensverlaufsforschung: Der zeitliche Aspekt des langfristigen Aufbaus einer Bindungsbeziehung, die persönlichen Erfahrungen als Basis weiterer
Zusammenfassung und Ausblick
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Entscheidungen und Entwicklungen innerhalb von Beziehungen, die gesellschaftliche Prägung persönlicher Ereignisse, die Bedeutung des Zeitpunktes des Auftretens eines Ereignisses und die Interdependenz aller beteiligten (alten und neuen) Familienmitglieder. Die Ausführungen zur theoretischen Modellierung intergenerationaler Arrangements haben gezeigt, dass die Auswirkungen einer elterlichen Scheidung bzw. Trennung sowie einer Wiederheirat bzw. das Eingehen einer neuen Partnerschaft auf die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern nur in einer (sehr) langfristigen Perspektive versteh- und erklärbar sind: Die leiblichen Eltern treffen zu einem bestimmten Zeitpunkt die Entscheidung für ein Kind und verbinden damit bestimmte Vorstellungen über die Ausgestaltung ihrer Beziehung. Diese Erwartungen spiegeln sich im Umgang mit dem Kind anhand ihrer Erziehungspraktiken wider. Unterstützt wird dies durch biologische Determinanten, die in der Regel zu einer sicheren ElternKind-Bindung führen. Langfristig stabilisiert sich die Beziehung zwischen Eltern und Kind aufgrund permanenter Tauschvorgänge, die sich bis ins Erwachsenenalter der Kinder fortsetzen. Wobei die Investitionen der Eltern, wenn die Kinder minderjährig sind, aufgrund der Asymmetrie deutlich größer ausfallen, während im mittleren Erwachsenenalter der Kinder der Tausch zumeist relativ ausgeglichen ist und sich mit zunehmendem Alter der Eltern sogar umkehren kann. Findet nun eine elterliche Trennung statt, kann es zu empfindlichen Störungen dieses familialen Beziehungsgefüges kommen. In Abhängigkeit vom Engagement des jeweiligen Elternteils vor und nach der Trennung ist sowohl eine Stärkung der Eltern-Kind-Beziehung möglich als auch ein kompletter Beziehungsabbruch. Geht nun ein Elternteil (oder auch beide) eine neue Partnerschaft ein, verändern sich die Konstellationen ein weiteres Mal. Über die Beziehung zum leiblichen Elternteil hinaus muss das Stiefelternteil auch zum (bereits vorhandenen) Kind – unabhängig davon wie alt es ist – eine Beziehung aufbauen. Inwiefern dies gelingt, hängt von einer ganze Reihe von Bedingungen ab, die für die Gestaltung von Beziehungen in (strukturell) intakten Familien keine Rolle spielen: Das ist erstens der Grund für die elterliche Trennung. Wenn sich die Eltern getrennt haben und das Kind Kontakt zum anderen Elternteil hat, nimmt das Stiefelternteil eine Position im familialen Gefüge ein, die eigentlich schon besetzt ist. Es obliegt der Fähigkeit der involvierten Personen, einen Lösung für dieses Problem zu finden. Eine weitere Bedingung ist der Zeitpunkt der Trennung bzw. Verwitwung und auch der Zeitpunkt des Beginns der neuen Partnerschaft. Hierbei spielt vor allem das Alter des Kindes, aber auch die Dauer des Alleinlebens des leiblichen Elternteils eine große Rolle dafür, inwieweit der Beziehungsaufbau zwischen Stiefelternteil und Stiefkind gelingt. Ein wichtiger Aspekt (der direkt mit dem Zeitpunkt der Trennung und der Dauer des
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Zusammenfassung und Ausblick
Alleinlebens zusammen hängt) ist darüber hinaus, ob Stiefelternteil und Stiefkind je in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben und wenn ja, wie lange dies der Fall war. Ein letzter wichtiger Aspekt für den Beziehungsaufbau und die Beziehungsgestaltung zwischen Stiefelternteil und Stiefkind ist die Frage, ob das Stiefelternteil selbst eine familiale Geschichte und somit eigene Kinder aus einer früheren Beziehung hat. Die Teilung von Aufmerksamkeit und Ressourcen sollte dabei eher hinderlich für eine enge, stabile Beziehung zwischen Stiefelternteil und Stiefkind sein. Die Beziehungen von leiblichen und sozialen Eltern zu ihren Kindern und Stiefkindern können also grundsätzlich gleichermaßen gut (oder auch schlecht) sein – je nach den Bedingungen unter denen ein Beziehungsaufbau stattfindet. Die Voraussetzungen sind für leibliche Eltern allerdings erst einmal besser, vor allem wenn es nicht zu einer Auflösung der elterlichen Partnerschaft kommt.
7.2
Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse zur Ausgestaltung von Generationenbeziehungen in verschiedenen Familienformen mit erwachsenen Kindern
Obwohl der hier entworfene theoretische Rahmen genügend Anhaltspunkte dafür gibt, unter welchen Bedingungen sich Generationenbeziehungen in die eine oder andere Richtung entwickeln und zwar unabhängig davon, ob es sich um leibliche oder soziale Eltern-Kind-Beziehungen handelt, birgt die empirische Umsetzung dieser theoretischen Überlegungen dennoch einige Probleme. Eine Lebensverlaufsperspektive ist zum Beispiel theoretisch einfach zu fordern, aber forschungstechnisch nicht ohne weiteres umsetzbar. Um empirisch nachzeichnen zu können, wie Generationenbeziehungen entstehen, wie sie sich stabilisieren und wie sie sich verändern, bräuchte man eigentlich Daten, die familiale Beziehungen über eine sehr lange Zeitspanne verfolgen. Wie aus den ersten einleitenden Worten dieser Zusammenfassung deutlich geworden ist, müsste eine solche Untersuchung tatsächlich Jahrzehnte der Beziehungsentwicklung erfassen. Obwohl inzwischen (national wie international) eine Reihe von Paneluntersuchungen im Bereich der Familienforschung begonnen worden, ist es der Entwicklungsperspektive inhärent, dass es sehr lange dauern wird, bis die entsprechenden Ergebnisse tatsächlich vorliegen. Bis dahin muss es genügen, auf kurze Entwicklungsabstände und auf Querschnittsuntersuchungen zurückzugreifen.
Zusammenfassung und Ausblick
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Die vorliegenden empirischen Analysen basieren entsprechend auf der ersten Welle einer längsschnittlich angelegten Studie zu Familienbeziehungen in Deutschland, dem ‚Generations and Gender Survey‘ (GGS) von 2005 (Ruckdeschel et al. 2006). Da der GGS sowohl Daten zur Beziehungsgestaltung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern als auch Informationen über familiale Strukturen enthält, ist er geeignet zur Beantwortung der Frage beizutragen, ob sich leibliche und soziale Eltern in ihren Beziehungen zu erwachsenen Kindern und Stiefkindern voneinander unterscheiden oder nicht. Da es sich um die erste Welle des GGS und damit um ein Querschnittsdesign handelt, können natürlich keinerlei Aussagen über die Entwicklungen der Eltern-Kind-Beziehungen getroffen werden.76 Nichtsdestotrotz bietet diese Datenquelle die Gelegenheit, erstmalig für Deutschland die Beziehungen von Stiefeltern und erwachsenen Stiefkindern in den Blick zu nehmen und diese mit den Beziehungen von leiblichen Eltern zu vergleichen. In einem ersten Schritt wurden die Relationen, in denen die befragten Elternteile zu ihren erwachsenen Kindern, die außerhalb des Haushaltes leben, stehen können, ermittelt. Dabei zeigte sich, dass ein einfacher Vergleich von leiblichen Eltern und Stiefeltern nicht genügt, sondern dass leibliche Eltern noch einmal danach unterschieden werden müssen, ob sie (noch immer) mit dem anderen leiblichen Elternteil des Kindes in einer Partnerschaft leben, ob sie Alleinlebend sind oder ob sie einen neuen Partner bzw. eine neue Partnerin haben. Mit einem Anteil von mehr als zwei Dritteln machen Relationen, in denen die befragten Elternteile, die leiblichen Eltern des jeweiligen Kindes sind und mit dem anderen leiblichen Elternteil in einer Partnerschaft leben, die Mehrheit aller im Folgenden näher betrachteten Beziehungen aus. Leibliche Eltern mit und ohne neue Partner sind zu 8,5% bzw. 12,5% im Datensatz enthalten. Stiefeltern-Stiefkind-Relationen machen etwa 6,5% aller erfassten Beziehungen aus. Da der Anteil von leiblichen Elternteilen, die in einer neuen Partnerschaft leben fast doppelt so hoch ist wie der Anteil von Stiefeltern, wobei jedoch beide in Stieffamilienverhältnissen leben, haben offensichtlich nicht alle Stiefeltern Angaben zu ihren Stiefkindern gemacht (sonst müssten die Anteile in einer repräsentativen Stichprobe identisch sein). Deshalb wird hier von einer positiven Verzerrung ausgegangen, denn es ist anzunehmen, dass sich eher
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Die Untersuchung des GGP, in dessen Rahmen der GGS in Deutschland stattfindet, ist zwar als Panel angelegt, aber das internationale Konsortium hat entschieden, die Fragen zu den Kindern des Partners in der zweiten Welle (2008) gestrichen werden, so dass unter den gegebenen Umständen auch zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Erhebung abgeschlossen ist und die Daten für die Öffentlichkeit zugänglich sind, leider keine Aussagen über Entwicklungen von Generationenbeziehungen in Stieffamilien gemacht werden können.
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Zusammenfassung und Ausblick
Stiefeltern mit relativ zufriedenstellenden Beziehungen zu ihren erwachsenen Stiefkindern geäußert haben. Bei der Betrachtung der empirischen Ergebnisse zu den Unterschieden zwischen verschiedenen Elternteilen sollte das in Rechnung gestellt werden. In einem zweiten Schritt wurden nun die Angaben der Eltern, die in unterschiedlichen Relationen zu ihren erwachsenen Kindern, die außerhalb des Haushaltes leben, stehen, miteinander verglichen. Die Vorgehensweise orientierte sich dabei an den im GGS relational enthaltenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen: Wohnentfernung, Kontakthäufigkeit, Beziehungszufriedenheit und Zustimmung zu familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung. Die deskriptiven Ergebnisse zeigen, dass leibliche Elternteile aus intakten Familien näher an ihren erwachsenen Kindern wohnen, dass sie öfter in persönlichem Kontakt mit ihnen stehen, dass sie durchschnittlich ein größeres Ausmaß an Beziehungszufriedenheit berichten und dass sie familialen Normen stärker zustimmen als leibliche Eltern, die entweder allein oder in einer neuen Partnerschaft leben und auch als Stiefeltern. Während sich jedoch leibliche und soziale Eltern aus Trennungs- und Stieffamilien hinsichtlich der Wohnentfernung nicht voneinander unterschieden, haben alleinlebende Eltern öfter persönlichen Kontakt mit ihren erwachsenen Kindern und stimmen auch familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung stärker zu als leibliche und soziale Eltern aus Stieffamilien. In Bezug auf die Beziehungszufriedenheit sieht das Bild wieder etwas anders aus: Am zufriedensten mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern sind leibliche Eltern aus intakten Familien, dann folgen leibliche Eltern mit oder ohne neuen Partner und am wenigsten zufrieden sind Stiefeltern mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Stiefkindern. Zur Erklärung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Eltern-KindRelationen wurden in einem nächsten Schritt multivariate Erklärungsmodelle zum Ausmaß der Kontakthäufigkeit und der Beziehungszufriedenheit berechnet. Die Entscheidung für diese beiden abhängigen Variablen fiel vor dem Hintergrund, dass es vor allem drei Aspekte sind, die familiale Generationenbeziehungen ausmachen und deshalb regelmäßig im Zentrum sozialwissenschaftlicher Aufmerksamkeit stehen: die Kontakthäufigkeit, die Beziehungsqualität und die gegenseitigen Unterstützungsleistungen. Da Unterstützungsleistungen im GGS nicht relational gemessen wurden, konnten diese als abhängige Variable nicht berücksichtigt werden, so dass hier nur die Kontakthäufigkeit und die Beziehungsqualität, die im GGS als Beziehungszufriedenheit gemessen wurde, eingeschlossen wurden. Da die Wohnentfernung und die Zustimmung zu familialen Normen theoretisch klar vor der Kontakthäufigkeit und der Beziehungszufriedenheit liegen, gingen diese beiden Dimensionen entsprechend als unabhängige Variablen in die Analysen ein. Die Ergebnisse zur Erklärung des Aus-
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maßes der Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, die außerhalb des Haushaltes leben, zeigen, dass leibliche Eltern aus intakten Familien auch unter Einschluss verschiedener Merkmale des jeweiligen Elternteils, des erwachsenen Kindes und der Eltern-Kind-Beziehung, ihre Kinder signifikant öfter sehen als leibliche Eltern, die allein oder in einer Partnerschaft leben und auch als Stiefeltern. Die Unterschiede reduzieren sich allerdings deutlich, wenn die jeweils anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen in das Modell aufgenommen werden: Je weiter Eltern und Kinder voneinander entfernt wohnen, desto seltener haben sie persönlichen Kontakt zueinander und je zufriedener Eltern mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern sind, desto häufiger sehen sie sich wiederum. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen die Analysen hinsichtlich der Beziehungszufriedenheit: Auch unter Kontrolle verschiedener Merkmale der Eltern, der Kinder und der Eltern-Kind-Beziehung sind leibliche Eltern aus intakten Familien signifikant zufriedener mit der Beziehung zu ihren erwachsenen Kindern als leibliche Eltern mit und ohne neuen Partner und Stiefeltern. Ebenso wie bei der Kontakthäufigkeit reduzieren sich die Unterschiede aber durch die Hinzunahme der anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen in das Modell. Hier sind es dann vor allem die Wohnentfernung und die Kontakthäufigkeit, die in starkem Maße das Ausmaß der Beziehungszufriedenheit beeinflussen. Da die Ergebnisse der Regressionsmodelle deutlich darauf hinweisen, dass die Wohnentfernung, die Kontakthäufigkeit und die Beziehungszufriedenheit eng zusammen hängen, wurde im Anschluss noch ein Strukturgleichungsmodell berechnet, mit dessen Hilfe die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen simultan geschätzt werden können. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Ergebnis, dass das berechnete Modell für alle Eltern-Kind-Relationen in gleicher Weise gilt. Das heißt, dass der Ausgestaltung der Beziehungen zwischen leiblichen und sozialen Eltern und ihren Kindern die gleichen Mechanismen zu Grunde liegen: Die Zustimmung zu familialen Normen beeinflusst die Wohnentfernung negativ, die Kontaktrate und die Zufriedenheit mit der Beziehung dagegen positiv. Die Wohnentfernung wirkt sich wiederum negativ sowohl auf die Kontakthäufigkeit als auch auf die Beziehungszufriedenheit der Eltern aus. Und schließlich hängen noch die Kontakthäufigkeit und die Beziehungszufriedenheit wechselseitig stark positiv voneinander ab. Da diese Ergebnisse nur eine Momentaufnahme der Beziehungen verschiedener Eltern und ihrer erwachsenen Kinder darstellen, kann über die tatsächlich zugrunde liegende, (zeitlich) kausale Struktur der Zusammenhänge hier allerdings nichts gesagt werden. Es gilt also in zukünftigen Untersuchungen herauszufinden, welche Entwicklungen in Trennungs- und Stieffamilien dazu
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führen, dass Eltern und Kinder weiter auseinander leben, weniger Kontakt miteinander haben und auch weniger zufrieden mit der Beziehung sind. In einem dritten und letzten Schritt des empirischen Teils der Arbeit wurde abschließend noch der Frage nachgegangen, ob es innerhalb von Stieffamilien mit erwachsenen Stiefkindern, die außerhalb des Haushaltes leben, Unterschiede in der Gestaltung der Generationenbeziehungen gibt. Dazu wurden zuerst deskriptiv verschiedene Merkmale von Stieffamilien herangezogen, die sich aus der Definition dieser Familienform ergeben: (1) das Geschlecht des Stiefelternteils, (2) die Partnerschaftsform, in der das Stiefelternteil und das leibliche Elternteil leben und (3) die Zusammensetzung der Stieffamilie, also ob es sich um eine einfache oder eine komplexe Stieffamilie handelt. Es zeigt sich, dass Stiefväter näher an ihren erwachsenen Stiefkindern wohnen als Stiefmütter und dass die häufiger Kontakt mit ihnen haben. Bezüglich der Beziehungszufriedenheit und der Zustimmung zu familialen Normen bestehen zwischen Stiefvätern und Stiefmüttern dagegen keinen signifikante Unterschiede. Die Partnerschaftsform spielt für intergenerationale Arrangements offensichtlich keine Rolle. Das heißt, es ist für die Stiefeltern-Stiefkind-Beziehung nicht entscheidend, ob das Stiefelternteil und das leibliche Elternteil verheiratet sind oder nicht. Vergleicht man jedoch Stiefeltern mit und ohne eigene leibliche Kinder, zeigt sich, dass Stiefeltern ohne eigene Kinder näher an ihren erwachsenen Stiefkindern leben, mehr Kontakt mit ihnen haben und auch familialen Normen der gegenseitigen Unterstützung von Eltern und Kindern stärker zustimmen als Stiefeltern, die eigene leibliche Kinder besitzen – sei es aus einer früheren Beziehung oder sei es mit dem leiblichen Elternteil des Stiefkindes. Wie beim Vergleich der verschiedenen Eltern-Kind-Relationen wurden auch hier Modelle zur Erklärung des Ausmaßes der Kontakthäufigkeit sowie der Beziehungszufriedenheit geschätzt. Die Ergebnisse hinsichtlich der Kontakthäufigkeit zeigen, dass die Unterschiede zwischen Stiefeltern (neben den Unterschieden in den anderen Dimensionen intergenerationaler Beziehungen) vor allem auf die Unterschiede ihrer familialen Vergangenheit bzw. ihrer Stiefbeziehungsgeschichte zurückgeführt werden können. So sehen Stiefeltern ihre erwachsenen Stiefkinder häufiger, je länger sie in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben und umso seltener, wenn sie eigene leibliche Kinder besitzen. Hinsichtlich der Beziehungszufriedenheit sind die Ergebnisse nicht ganz so hervorstechend: Der Einfluss der Dauer des Zusammenlebens, der deutlich geringer als bei der Kontakthäufigkeit ist, verschwindet ganz, wenn für die Wohnentfernung, die Kontakthäufigkeit und die Zustimmung zu familialen Normen kontrolliert wird und das Vorhandensein eigener leiblicher Kinder spielt in diesem Modell überhaupt keine Rolle. Die Beziehungszufriedenheit von Stiefeltern mit erwachsenen Stiefkindern scheint also relativ unabhängig
Zusammenfassung und Ausblick
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von strukturellen Beziehungsmerkmalen, wie auch von Merkmalen des Stiefelternteils und des erwachsenen Stiefkindes zu sein. Leider standen mit dem GGS keine weiteren Informationen zur Verfügung, die Aufschluss darüber hätten geben können, wovon die Ausgestaltung von Stiefeltern-Stiefkind-Beziehungen abhängt. Die vorhandenen Variablen, wie die Dauer des Zusammenlebens und das Vorhandensein eigener leiblicher Kinder aber geben zumindest einen Hinweis darauf, dass der Beziehungsgeschichte und den zur Verfügung stehenden Ressourcen, die den Umgang zwischen Stiefelternteil und Stiefkind prägen, eine wichtige Bedeutung zukommt.
7.3
Schlussfolgerungen und Ausblick
Wie sich gezeigt hat, ist es unabdingbar, um Aussagen über die Ausgestaltung von Generationenbeziehungen in Stieffamilien treffen zu können, erst einmal die intergenerationalen Arrangements strukturell intakter Familien in den Blick zu nehmen. Wenn die Einflussgrößen identifiziert sind, welche die Ausgestaltung von Beziehungen zwischen Eltern und Kindern allgemein bedingen, können im nächsten Schritt dann auch die Auswirkungen einer elterlichen Trennung auf die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sowie – im Falle einer neuen Partnerschaft – zwischen Stiefeltern und Stiefkindern untersucht werden. Eines der wichtigsten theoretischen wie empirischen Erkenntnisse dabei ist, dass für eine Erklärung der intergenerationalen Arrangements die Beziehungsentwicklung nicht vernachlässigt werden kann. Sowohl bei leiblichen Eltern-KindBeziehungen als auch bei Beziehungen zwischen Stiefeltern und Stiefkindern muss entsprechend berücksichtigt werden, dass es nicht genügt, die Beziehungsgestaltung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu betrachten, sondern dass die Beziehungserfahrungen vom Zeitpunkt der Geburt des Kindes bzw. vom Zeitpunkt des Kennenlernens von Stiefelternteil und Stiefkind entscheidend für die Ausgestaltung ihrer Beziehungen ist. Dies zeigt sich unter anderem an den Ergebnissen, die nachweisen, dass unter einer elterlichen Scheidung bzw. Trennung vor allem die Beziehungen zwischen Vätern und Kindern leiden. Die Ursachen dafür sind komplex und können an dieser Stelle nicht (noch einmal) detailliert aufgeführt werden. Aber die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, die vor allem Mütter nach wie vor in die Rolle drängt, den überwiegenden Anteil der Familien- und Erziehungsarbeiten zu übernehmen, trägt dazu bei, dass Väter nach einer Trennung oft hilflos zurück bleiben, weil sie sich zuvor nur wenig um ihre Kinder gekümmert haben. Da die Väter also – in der Regel – kaum für
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Zusammenfassung und Ausblick
ihre Kinder sorgen, gerade wenn die elterliche Beziehung noch intakt ist, gelingt ihnen auch der Beziehungsaufbau oft nicht in dem Maße, dass die Bindung zu dem Kind oder zu den Kindern nach einer Trennung stabil genug wäre, um dauerhaft aufrecht erhalten zu werden. Die Praxis – auf Grund dieser immer noch weit verbreiteten geschlechtsspezifischen Muster der Übernahme von Familienarbeit – das Aufenthaltsrecht und meist auch die Fürsorge der Kinder grundsätzlich der Mutter zu übertragen und nur in Ausnahmefällen dem Vater – wenn die Mutter in keiner Weise fähig ist, sich um ihr Kind zu kümmern – trägt ihr weiteres dazu bei, dass die Mutter-Kind-Beziehung unter einer Trennung weniger leidet als die Vater-Kind-Beziehung. Später, wenn die Kinder erwachsen sind, haben die Väter dann von diesen Kindern auch nicht viel zu erwarten. Es ist sogar so, dass Väter, die kaum Kontakt zu ihren minderjährigen Kindern nach einer elterlichen Trennung hatten und/oder keinen Unterhalt für die Kinder gezahlt haben, keinen Anspruch darauf haben, dass ihre leiblichen Kinder sie später (finanziell) unterstützen. Vor allem Väter sind also nach einer Trennung der Gefahr einer sozialen Isolierung ausgesetzt (wenn sie nach der Trennung nicht eine neue Familie gründen). Sie haben oft niemanden, der sich im Alter um sie kümmert. Dabei geht es nicht nur um konkrete Pflegeleistungen, sondern auch um fehlende soziale Kontakte und emotional zufriedenstellende Beziehungen, die den Austausch emotionaler Unterstützung ermöglichen. Die Reduzierung oder im Extremfall sogar der Abbruch des Kontaktes zwischen Vater und Kind muss dabei aber nicht zwangsläufig von ihnen selbst ausgehen. Oft sind es auch die Mütter, die den Vätern das Kind entziehen – gerade wenn sie eine neue Partnerschaft und damit eine neue Familie gründen. Die innerhalb der Lebensverlaufsforschung immer wieder besonders hervorgehobenen gesellschaftlichen Kontexteffekte spielen hier eine nicht zu vernachlässigende Rolle: Das Verständnis für die Bedeutung des Vaters im Leben eines Kindes – auch nach einer elterlichen Trennung – ist gesellschaftlich nicht weit verbreitet, so dass Mütter sowohl von ihrem sozialen Umfeld als auch von rechtlicher Seite in ihrer Vorgehensweise des Ausschlusses des leiblichen Vaters oft unterstützt werden. Eine Stärkung der Position der Väter wird zwar inzwischen immer öfter thematisiert und hat sich unter anderem rechtlich in einer deutlichen Verbreitung des gemeinsamen Sorgerechtes beider Elternteile niedergeschlagen, aber die konkrete, alltägliche Umsetzung stellt ein großes Problem dar, wenn sich die leiblichen Eltern über Sorge und Umgang nicht einig sind. Dass heute die meisten Stieffamilien entstehen, weil ein Elternteil nach einer Trennung eine neue Partnerschaft eingeht und nicht, weil das andere Elternteil verstorben ist, muss bei der Untersuchung intergenerationaler Beziehungen zukünftig stärker berücksichtigt werden. Das Kind – egal ob minderjährig oder
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volljährig – kann nach einer elterlichen Trennung entsprechend Beziehungen zu bis zu vier Elternteilen pflegen. Auf Grund der Interdependenzen der verschiedenen Beziehungen, ist es deshalb wichtig, alle Beziehungen simultan zu erfassen, um die Abhängigkeiten der einzelnen Beziehungen untereinander modellieren zu können. Bislang liegen keine Ergebnisse vor, die Aussagen darüber erlauben, inwiefern sich zum Beispiel die Ausgestaltung der Vater-KindBeziehung auf die Ausgestaltung der Stiefvater-Stiefkind-Beziehung auswirkt und welchen Einfluss dabei elterliche Arrangements nach einer Trennung haben. Bei der Betrachtung von Generationenbeziehungen in Stieffamilien muss deshalb in einem ersten Schritt geklärt werden, welche Auswirkungen die Trennung der Eltern auf die Beziehungen zum Kind hat. In einem zweiten Schritt kann dann untersucht werden, was passiert, wenn der neue Partner bzw. die neue Partnerin hinzukommt. Hierbei muss unterschieden werden, ob die Kinder bei der Trennung minderjährig oder volljährig sind. Wenn das Kind noch minderjährig ist, kann es sein, dass Stiefelternteil und Stiefkind in einem Haushalt leben und das Stiefelternteil entsprechend Erziehungsaufgaben übernimmt. Das ist eine ganz andere Voraussetzung für den Beziehungsaufbau (als wenn Stiefeltern und Stiefkinder niemals in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben) und bestimmt entscheidend die Bindungs- und Beziehungsentwicklung. Da die Kinder nach einer elterlichen Trennung fast immer bei der Mutter leben, sind entsprechend auch deutliche Unterschiede zwischen Stiefvätern, die meist mit den Kindern zusammen leben und Stiefmüttern, die die Kinder vielleicht aller zwei Wochen am Wochenende sehen, aber die keinen Alltag miteinander teilen, zu beobachten. Die historische Besonderheit besteht also darin, dass zunehmend familiale Konstellationen entstehen, die von der in den 1950er Jahren geprägten Vorstellung einer Normalfamilie – Mutter, Vater, Kind(er) – abweichen. Und zwar in der Hinsicht, dass es in einer zunehmenden Zahl von Familien nicht nur zwei leibliche, sondern zusätzlich noch ein bis zwei soziale Elternteile gibt, zu denen das Kind eine Beziehung aufbauen muss. Entsprechend groß kann dann auch die Anzahl der Großeltern, Tanten und Onkel, Cousinen und Cousins und der leiblichen, Halb- und Stiefgeschwister werden. Das Problem ist dabei genereller Natur: Die Diskrepanzen zwischen gelebten Familienwirklichkeiten im Plural und den immer noch weit verbreiteten Normalitätsvorstellungen von der Familie im Singular führen dazu, dass diese Familien und ihre Mitglieder sich in einer gesellschaftlichen Wirklichkeit bewegen, die für sie nicht gemacht ist: Auch getrennt lebende Eltern, die das gemeinsame Sorgerecht besitzen, werden nicht zwangsläufig beide zu Elternabenden oder Entwicklungsgesprächen über das Kind eingeladen bzw. von den Vertretern der Institutionen, die das Kind besucht, informiert wie es mit dem Kind steht. Wie aber soll ein Vater, der sein
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Zusammenfassung und Ausblick
Kind nur alle zwei Wochen am Wochenende sieht und vielleicht noch in einer anderen Stadt lebt, auf dem Laufenden bleiben, wenn das Verhältnis zwischen den leiblichen Eltern auf die Übergabe des Kindes begrenzt ist? Es gibt viele weitere Anhaltspunkte, die zeigen, dass getrennte Familien, insbesondere aber neu zusammengesetzte Familien, in der gesellschaftlichen Realität, die den Alltag ihrer Mitglieder bestimmt, keine Rolle spielen: In Freundschaftsbüchern von Kindern werden beispielsweise Informationen über eine Mutter und einen Vater eingetragen. Was ist, wenn beide Elternteile neue Partner haben? Ist der Vater dann der neue Partner der Mutter, mit dem das Kind zusammen lebt, oder der leibliche Vater, der vielleicht auch eine neue Beziehung eingegangen ist? Die gleichen Fragen kann man sich stellen, wenn man die Formulierungen in Fragebögen betrachtet: Ohne nähere Angabe, zu welcher Person die Befragten die Fragen beantworten sollen, werden sie selbst entscheiden, ob mit Vater der leibliche Vater oder der soziale Vater gemeint ist. Je nachdem können die empirischen Ergebnisse dann aber ganz unterschiedlich ausfallen, wie die Analysen der vorliegenden Untersuchung gezeigt haben. Es soll deshalb abschließend darauf hingewiesen werden, dass eine Sensibilisierung für die Strukturen und die sich daraus ergebenden Bedürfnisse dieser Familienform in allen Bereichen der Gesellschaft wichtig ist. Leibliche Väter müssen stärker in den Erziehungsprozess ihrer Kinder einbezogen werden. Insbesondere auch nach einer elterlichen Trennung muss ihnen ein (rechtlich gesicherter) regelmäßiger Umgang mit ihren Kindern ermöglicht werden – zur Not auch gegen den Willen der Mütter, wie es in Frankreich bereits erfolgreich praktiziert wird. Dazu ist natürlich ein Umdenken in breiten Teilen der Bevölkerung notwendig, aber auch in pädagogischen Einrichtungen sowie in Beratungsstellen und vor allem aber an den (Familien-)Gerichten. Zusätzlich sollten die Rechte und Pflichten von Stiefeltern gestärkt werden. Auch ohne Adoption, die dem anderen leiblichen Elternteil alle Rechte und Pflichten entzieht, muss es für das Stiefelternteil möglich sein, Entscheidungen für das Kind zu treffen und das leibliche Elternteil, mit dem sie leben, zu unterstützen. Dies sollte sich wiederum positiv auf die langfristige Ausgestaltung der Stiefeltern-StiefkindBeziehung auswirken. Um allerdings wissenschaftlich abgesicherte Aussagen, über die Beziehungsentwicklung sowie Beziehungsgestaltung treffen zu können, muss eine exakte Erfassung der familialen Strukturen in zukünftigen Untersuchungen erfolgen. Auch bei den Wissenschaftlern muss also ein Umdenken einsetzen. Wenn es aus forschungstechnischen Gründen (zum Beispiel auf Grund der Komplexität dieser Familienform) nicht möglich ist, verschiedene Elternteile bei der Datenerhebung zu berücksichtigen, sollte zumindest darauf hingewiesen werden und deutlich gemacht werden, dass die Untersuchung auf bestimmte Eltern-Kind-Beziehungen beschränkt ist. Anzustreben ist allerdings
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natürlich eine komplette Erfassung aller Lebens- und Familienformen. Dann wäre es in Zukunft auch möglich, konkrete Aussagen über den langfristigen Einfluss familialer Strukturen auf die Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern in Deutschland zu machen.
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