PROKOP
ANEKDOTA
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ANEKDOTA GEHEIMGESCHICHTE DES KAISERHOFS VON BYZANZ
Übersetzt und herausgegeben von Otto Veh...
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PROKOP
ANEKDOTA
PROKOP
ANEKDOTA GEHEIMGESCHICHTE DES KAISERHOFS VON BYZANZ
Übersetzt und herausgegeben von Otto Veh Mit Erläuterungen, einer Einführung und Literaturhinweisen von Mischa Meier und Hartmut Leppin
ARTEMIS & WINKLER
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.
Titelgestaltung: c0y0te. Unter Verwendung von Mosaiken aus Byzanz und Ravenna.
Gescannt von c0y0te. Nicht seitenkonkordant. Der griechische Text und das Namenregister wurden entfernt.
© 2005 Patmos Verlag GmbH & Co. KG Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf/Zürich Alle Rechte vorbehalten. Druck und Verarbeitung: Pustet, Regensburg ISBN 3-7608-1739-4 www.patmos.de
INHALT TEXT UND ÜBERSETZUNG
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ANHANG Zur Textgestalt Erläuterungen Einführung Literaturhinweise Nachwort
135 137 231 245 263
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Kapitel 1 Was die Kriege bisher den Römern brachten, habe ich in meinen Werken unter Berücksichtigung der zeitlichen und örtlichen Zusammenhänge nach bestem Können behandelt; die weiteren Berichte erfolgen nicht mehr in der erwähnten Weise, denn jetzt soll zur Sprache kommen, was sich überall im Römischen Reiche zugetragen hat. Der Grund für mich ist folgender: Zu Lebzeiten der Täter konnte man deren Verbrechen nicht in gebührender Art und Weise schildern. Wäre man doch unmöglich den zahllosen Spähern entgangen und hätte im Falle der Entdeckung einen jammervollen Tod gewärtigen müssen; nicht einmal den nächsten Verwandten durfte ich ja trauen. Aber auch die Ursachen von vielem, was in meinen früheren Büchern steht, mußte ich verschweigen und bringe daher jetzt die bisher übergangenen Tatsachen zusammen mit den inneren Gründen der Ereignisse, von denen ich schon berichtete. Doch, indem ich eine neue, gar unangenehme und sehr schwierige Aufgabe übernehme, das Leben Justinians und Theodorasras zu schildern, erfaßt mich heftiges Zittern und Zagen, und ich muß daran denken, daß ich jetzt Dinge niederschreiben soll, die den künftigen Geschlechtern weder wahr noch glaubwürdig erscheinen werden. Denn vor allem dann, wenn einmal der Zeitenstrom die Kunde ferner rückt, muß ich fürchten, in den Ruf eines Märchenerzählers zu kommen und zu den Tragödiendichtern gezählt zu werden. Gleichwohl will ich angesichts der Größe meines Unterfangens den Mut nicht sinken lassen; denn ich kann meine Ausführungen auf Zeugnisse stützen. Meine Zeitgenossen sind ja erfahrenste Gewährsmänner für die Geschehnisse, sie werden mir, was deren Glaubwürdigkeit anlangt, auch für die Zukunft zuverlässige Gefolgsleute sein. 7
Indessen noch ein weiterer Grund hielt mich wiederholt lange Zeit von dieser Arbeit zurück: Mein Unternehmen mußte mir für die kommenden Generationen schädlich scheinen; denn die ärgsten Schandtaten leben besser nicht in der Erinnerung fort, als daß sie Gewaltherrschern zu Ohren gelangen und so zur Nachahmung reizen. Verfallen doch die meisten Regenten aus Unerfahrenheit darauf, frühere Fehler nachzuahmen, und wenden sich immer leichter und müheloser den Sünden älterer Zeiten zu. Späterhin jedoch machte ich mich an diesen Bericht und ließ mich von der Hoffnung leiten, die künftigen Gewaltherrscher möchten klar erkennen, daß sie gerechtermaßen für ihre Verbrechen bitter büßen müssen (so erging es ja auch den im folgenden genannten Menschen); sodann werden ihre Taten und Wesenszüge für alle Zeiten schriftlich festgehalten und sie selbst daher vielleicht weniger brutal das Recht mit Füßen treten. Wer wüßte nämlich von den späteren Geschlechtern noch etwas über das zuchtlose Treiben einer Semiramis, den Wahnwitz eines Sardanapal oder Nero, hätten die damaligen Geschichtsschreiber nicht Werke hinterlassen? Und vor allem denen, die vielleicht einmal durch Gewaltherrscher Ähnliches erleiden, wird diese Kunde sicherlich von Nutzen sein. Denn gewöhnlich trösten sich die Unglücklichen mit dem Gedanken, daß es nicht allein ihnen so übel erging. Ich will darum zuerst mit all den Schandtaten Belisars beginnen, hierauf gehe ich zu sämtlichen Verbrechen Justinians und Theodoras über. Belisar war mit einer Frau verheiratet, von der ich schon in meinen früheren Schriften berichtete. Ihr Großvater und Vater waren Wagenlenker und hatten in Byzanz und Thessalonike ihren Beruf ausgeübt; ihre Mutter gehörte zu den Prostituierten im Theater. Sie hatte früher ein Lustleben geführt, gab sich jeder Zügellosigkeit hin und verkehrte viel mit Giftmischern, wie sie zum Kreise ihres Vaters gehörten. Da sie die nötigen Künste lernte, wurde sie, obwohl Mutter von vielen Kindern, später Belisars 8
Ehefrau. Von allem Anfang an ging sie auf Ehebruch aus, verstand aber geschickt diesen zu verbergen, nicht aus Scham (denn Tätigkeit solcher Art war sie gewohnt) und auch nicht aus irgendwelcher Angst vor ihrem Gemahl – sie schreckte ja niemals vor einer Tat zurück, zudem hatte sie ihren Mann durch mannigfache Zaubermittel ganz eingefangen –, nein, nur aus Furcht vor etwaiger Bestrafung durch die Kaiserin. Denn Theodora war über sie sehr erzürnt und erbittert. Als sie aber die Kaiserin durch Hilfeleistung in schwierigsten Lagen für sich gewonnen hatte – zuerst veranlaßte sie die Ermordung des Silverios (wie, das werde ich noch später berichten) und dann den schon früher erwähnten Sturz Johannes’ des Kappadokers (davon habe ich schon an früherer Stelle gesprochen) –, da brauchte sie keine Bedenken mehr zu haben, ganz unbekümmert und in aller Offenheit sämtliche Frevel zu begehen. Es lebte in Belisars Haus ein junger Mann aus Thrakien mit Namen Theodosios, der wie seine Vorfahren der eunomianischen Sekte angehörte. Belisar ließ ihn vor der Ausfahrt nach Libyen die hl. Taufe empfangen, und nachdem er ihn daraus gehoben hatte, nahm er ihn mit seiner Frau zusammen nach christlichem Brauche an Kindes Statt an. Antonina liebte nun Theodosios im Sinne der Heiligen Schrift als ihren Sohn und behielt ihn aus lebhaftester Fürsorge ganz für sich. Plötzlich aber erfaßte sie auf der Überfahrt heftige Zuneigung zu ihm, und sie warf in ihrer Leidenschaft jede Furcht und Scheu vor Gott und den Menschen ab. Zuerst pflegte sie nur heimlichen Verkehr mit ihm, schließlich auch in Anwesenheit von Sklaven und Sklavinnen. Denn von dieser Gier nunmehr gepackt und offensichtlich liebestoll, sah sie nichts mehr, was sie in ihrem Vorhaben hindern konnte. Und als sie Belisar einmal in Karthago auf frischer Tat ertappte, ließ er sich von seinem Weibe gutwillig hinters Licht führen. Er überraschte nämlich beide in einem unterirdischen Räume. Wie nun Belisar tobte, verlor sie keineswegs die Fassung und schämte sich auch nicht ihrer Tat, 9
sondern sprach: »Ich bin hier, um mit dem jungen Manne zusammen die kostbarsten Beutestücke zu verstecken, damit der Kaiser nichts davon erfährt.« Dies war ihre Ausrede, und Belisar tat so, als wäre er von ihrer Unschuld überzeugt, und ließ sie gehen. Er mußte aber dabei doch sehen, wie bei Theodosios der Riemen gelöst war, der die Hose um die Hüften zusammenhält. Denn vernarrt in sein Weib, wollte Belisar nicht einmal das, was er mit eigenen Augen gesehen, wahrhaben. Obwohl sich ihre Wollust zu einem Skandal ohnegleichen auswuchs, sahen alle anderen stillschweigend zu, nur eine Sklavin mit Namen Makedonia ließ ihren Herrn in Syrakus – Belisar eroberte da-mals gerade Sizilien – heiligste Eide schwören, sie nicht an ihre Herrin zu verraten, und klärte ihn dann über den ganzen Sachverhalt auf; als Zeugen benannte sie zwei junge Sklaven, die im Schlafgemach Dienst zu versehen hatten. Auf diese Anzeige hin gab Belisar einigen seiner Gefolgsmänner den Befehl, den Theodosios zu beseitigen. Doch der bekam rechtzeitig Wind von der Sache und machte sich nach Ephesos davon. Denn die meisten Leute Belisars kannten seine unbeständige Sinnesart und wollten lieber bei seiner Frau gut stehen als ihrem Herrn ergeben scheinen. So erzählten sie Theodosios damals auch von ihren Aufträgen. Konstantinos sah Belisars Erbitterung über diese Dinge; er teilte dessen Zorn und meinte: »Wenn es auf mich ankäme, ich hätte eher das Weib als den jungen Burschen aus dem Wege geräumt.« Antonina hörte davon und war natürlich wütend auf ihn, verbarg aber ihren Groll, um ihre Feindschaft nicht zu zeigen, wie ein Skorpion, undurchsichtig in ihrem Zorn. Bald darauf vermochte sie – sei es durch Zaubermittel, sei es durch Schmeichelworte – ihren Mann zu überzeugen, daß an der Beschuldigung der Sklavin kein einziges wahres Wort sei. Da riefdoch dieser Schwächling auf der Stelle den Theodosios zurück und machte sich kein Gewissen daraus, Makedonia und die beien Sklaven der Rache seines Weibes auszuliefern. Antonina ließ 10
ihnen, wie es heißt, zuerst die Zunge herausschneiden, dann die drei in kleine Stücke zerhacken und in Säcken ohne weiteres ins Meer werfen. Einer ihrer Sklaven namens Eugenios half ihr bei dieser ganzen Freveltat, der nämliche, der auch das Verbrechen an Silverios verübt hatte. Auch den Konstantinos ließ Belisar bald hernach auf Betreiben seiner Frau töten. Denn damals spielte gerade die Geschichte mit Praisidios und den Schwertern, wovon ich bereits an früherer Stelle gesprochen habe. Während Belisar den Mann schonen wollte, gab Antonina nicht eher nach, als bis sie ihn für seine eben erwähnten Worte bestraft hatte. Der Feldherr zog sich durch diese Affäre die heftige Feindschaft des Kaisers und aller angesehenen Römer zu. Das war der Ausgang der Angelegenheit. Theodosios aber erklärte, nicht nach Italien kommen zu können, wo Belisar und Antonina sich damals aufhielten, wenn Photios nicht entfernt werde. Dieser Photios war von Natur aus empfindlich, falls jemand bei einem anderen mehr galt als er; im Falle des Theodosios war sein Unmut sogar berechtigt, denn als leiblicher Sohn Antoninas galt er nichts, während Theodosios großen Einfluß und Reichtum besaß. Er soll ja in Karthago sowohl wie in Ravenna aus beiden Residenzen an die hundert Kentenarien gestohlen haben, da er, und zwar allein, volle Verfügungsgewalt darüber hatte. Wie nun Antonina von dem Entschluß des Theodosios erfuhr, stellte sie ihrem Sohne so lange Fallen und setzte ihm sogar mit Mordanschlägen zu, bis sie ihn endlich dazu brachte, das Feld zu räumen und sich nach Byzanz zu begeben; denn ihren tückischen Angriffen war er nicht mehr gewachsen. Theodosios aber ließ sie wiederum zu sich nach Italien kommen. Dort konnte sie übergenug die Gesellschaft des Geliebten genießen und die Dummheit ihres Mannes ausnutzen, bis sie dann mit beiden zusammen nach Byzanz heimkehrte. Hier regte sich bei Theodosios das böse Gewissen und veranlaßte einen Sinneswandel. Denn daß alles ans Tageslicht kommen mußte, war ihm son11
nenklar, sah er doch, daß das Weib seine Leidenschaft nicht mehr verbergen und den Lüsten nur in aller Heimlichkeit frönen konnte, sondern es ganz in Ordnung fand, offen als Ehebrecherin zu erscheinen und den entsprechenden Namen zu führen. So ging also Theodosios wieder nach Ephesos, ließ sich dort nach dem herkömmlichen Ritus scheren und unter die sogenannten Mönche aufnehmen. Antonina geriet darüber in wilde Raserei, sie wählte Kleid und Lebensweise einer Leidtragenden, ging unter wiederholten Klagerufen im Hause umher und jammerte, obwohl ihr Gemahl noch lebte, was für Gutes, Treues, Liebenswertes, Freundliches, Lebensvolles ihr doch geraubt worden sei. Schließlich brachte sie auch noch ihren Gatten zu solchem Wehegeschrei. Da weinte denn der arme Wicht und rief nach seinem heißgeliebten Theodosios. Später ging Belisar sogar zum Kaiser, beschwor ihn und die Kaiserin und veranlaßte sie, nach Theodosios zu schicken; er sei ihm jetzt und in alle Zukunft daheim unentbehrlich. Theodosios indessen erklärte, er wolle nicht zurückkehren, sondern unwandelbar am Mönchsleben festhalten. Das war nun freilich eine bloße Finte, damit er, sobald Belisar aus Byzanz abgereist sei, selber heimlich zu Antonina zurückkehren könne. Und so geschah es auch.
Kapitel 2 Belisars Feldzug gegen Persien, seine unrühmliche Haltung im Krieg und gegenüber seiner Gemahlin (541) Denn Belisar erhielt alsbald Befehl, mit Photios zusammen gegen Chosroes zu ziehen, während Antonina, was man früher von ihr nicht gewohnt war, zurückblieb. Damit ja ihr Gemahl niemals allein sei und zur Besinnung komme und von ihren Zaubermitteln unbehelligt die notwendigen Entschlüsse gegen sie treffe, 12
hatte sie bis dahin alles darangesetzt, ihn überallhin zu begleiten. Nun sollte Theodosios wieder bei Antonina ein- und ausgehen, und dazu wollte sie Photios beseitigen. Sie veranlaßte also einige Gefolgsleute Belisars, jede Gelegenheit wahrzunehmen, ihn zu reizen und zu beschimpfen. Außerdem schrieb sie fast täglich verleumderische Briefe und setzte Himmel und Hölle gegen ihren Sohn in Bewegung. Diese Behandlung veranlaßte den jungen Mann, Anklage gegen seine Mutter zu erheben. Als nun einmal ein Mann aus Byzanz kam und von dem heimlichen Umgang des Theodosios mit Antonina berichtete, führte ihn Photios auf der Stelle zu Belisar und ließ ihn seine ganze Geschichte wiederholen. Darüber wurde Belisar maßlos zornig, er warf sich vor Photios’ Füßen auf sein Antlitz nieder und bat ihn um Hilfe gegen die, von denen er am wenigsten Beschimpfungen erfahren durfte. »Mein liebstes Kind«, sprach er, »wer dein Vater war, das weißt du nicht, da er dich noch als Säugling an der Amme Brust zurückließ und sein Leben beschloß. Auch sonst hast du nichts von ihm bekommen. Er war ja nicht gerade wohlhabend. Von mir aber, deinem Stiefvater, wurdest du großgezogen und stehst nunmehr in dem Alter, daß du mir in meinem Ungemach sehr helfen kannst. Du hast außerdem das Konsulat erreicht und von mir solch reichen Besitz bekommen, daß ich, mein liebes Kind, zugleich Vater, Mutter und Verwandter jeglicher Art heißen darf und dies mit Recht auch bin. Nicht nach den Blutsbanden, sondern nach den Taten bemessen ja gewöhnlich die Menschen den Grad gegenseitiger Liebe. Du darfst es also nicht ruhig hinnehmen, wenn ich zum Verderb meines Hauses hinzu auch noch so viel Besitz einbüße, deine Mutter aber vor aller Welt solch große Schande auf sich lädt. Bedenke doch, daß der Weiber Sünden nicht allein ihre Männer, sondern in noch höherem Maße ihre Kinder berühren! Ihr Ruf muß darunter aufs schwerste leiden, da sie von Natur aus in ihrer Wesensart den Müttern nachgeraten. Was mich nun anlangt, so sei überzeugt, daß ich meine Frau über 13
alles liebe und ihr, wenn ich nur den Verderber meines Hauses bestrafen könnte, nichts Böses antun will. Solange aber Theodosios am Leben ist, kann ich ihr diese Schuld wohl nicht hingehen lassen.« Auf diese Worte hin erklärte Photios, er sei zwar zu jeder Hilfe bereit, fürchte aber, dadurch Schaden zu erleiden; denn er könne sich auf Belisars Charakterfestigkeit seiner Frau gegenüber nicht eben verlassen. Vieles, nicht zuletzt das Schicksal der Makedonia, schrecke ihn ab. So schworen sie einander Eide, die unter den Christen als die heiligsten gelten und diesen Namen tragen, und gelobten sich, sie wollten einander auch in den äußersten Gefahren nicht im Stiche lassen. Für den Augenblick erschien ihnen freilich ein Vorgehen nicht angezeigt, wenn aber Antonina von Byzanz eintreffe und Theodosios wieder in Ephesos weile, dann solle sich Photios dorthin begeben und sich ohne weiteres des Theodosios und seiner Schätze bemächtigen. Damals drangen nun die beiden Feldherrn mit ganzer Heeresmacht in Persien ein, in Byzanz aber kam es, wie schon an früherer Stelle erwähnt, zum Sturze Johannes’ des Kappadokers. Ich habe dort aus Furcht nur den einen Umstand verschwiegen, daß Antonina den Johannes und seine Tochter nicht so ohne weiteres täuschte, sondern erst nachdem sie beide durch eine Menge von Schwüren, wie sie bei den Christen zu den schwersten zählen, davon überzeugt hatte, daß sie keinerlei tückische Pläne gegen ihn verfolge. Antonina führte ihre Absicht aus und konnte in noch viel höherem Maße die Freundschaft der Herrscherin gewinnen. Den Theodosios sandte sie nach Ephesos, sie selber reiste, ohne mit einer Schwierigkeit zu rechnen, in den Osten. Belisar hatte eben die Festung Sisauranon eingenommen, als ihm die Anreise seiner Gattin gemeldet wurde. Da ließ er alles andere sein und führte ungesäumt sein Heer nach Hause. Und wenn auch bei der Truppe, wie schon früher bemerkt, noch andere Gründe vorlagen, die ihn zur Umkehr veranlassen mochten, die 14
erwähnte Nachricht trieb jedenfalls zu wesentlich größerer Eile. Jedoch, und ich habe es schon am Anfang dieses Buches gesagt, damals schien es mir gefährlich, die Gründe für all das, was sich abspielte, samt und sonders anzuführen. Aus dem Munde aller Römer mußte freilich Belisar hören, er habe das Wohl des Staates hinter seine häuslichen Angelegenheiten zurückgestellt. Ursprünglich wollte er nämlich aus Zorn gegen seine Frau sich nicht allzu weit vom römischen Gebiet entfernen, damit er gleich auf die Nachricht von ihrem Eintreffen aus Byzanz umkehren, sie verhaften und bestrafen könne. Darum ließ er auch nur den Arethas und seine Leute den Tigris überschreiten, die dann ohne bemerkenswerte Leistung nach Hause zurückkehrten; er selbst aber achtete darauf, daß er sich nicht einmal einen einzigen Tagemarsch weit von den römischen Grenzen entfernte. Denn die Festung Sisauranon liegt für einen rüstigen Wanderer, der die Stadt Nisibis quert, zwar weiter als eine Tagreise von den römischen Grenzgebieten ab, an anderer Stelle aber nur halb so weit. Und doch hätte meinem Dafürhalten nach Belisar, wenn er nur von Anfang an willens gewesen wäre, mit dem ganzen Heer den Tigris zu überschreiten, alle assyrischen Plätze ausplündern können; er wäre ohne jeden Widerstand bis zur Stadt Ktesiphon vorgedrungen und nach Befreiung der antiochenischen und sonstigen römischen Gefangenen dort wieder heimgekehrt. Fernerhin trifft ihn die Hauptschuld, daß Chosroes ziemlich ungefährdet aus dem Lande Kolchis wieder nach Hause kam. Wie dies möglich war, will ich sogleich erzählen. Als Chosroes, der Sohn des Kabades, ins Land Kolchis einfiel und, wie ich schon an früherer Stelle berichtete, nach anderen Taten auch Petra einnahm, fanden viele aus dem medischen Heere im Kampf und durch die ungünstigen örtlichen Verhältnisse den Tod. Denn das lazische Gebiet ist, wie gesagt, unwegsam und durchaus gebirgig. Auch befiel eine Seuche das Heer und raffte die Mehrzahl hinweg; viele Menschen starben an 15
Hunger. Zu dieser Zeit kamen einige Bewohner des persischen Landes und berichteten, Belisar habe den Nabades bei der Stadt Nisibis in einer Schlacht besiegt und befinde sich auf dem Vormarsch; ferner habe er die Festung Sisauranon nach einer Belagerung erobert, den Bleschames samt achthundert persischen Reitern gefangengenommen und ein weiteres römisches Heer mit dem Sarazenenscheich Arethas ausgesandt. Dieses solle über den Tigris setzen und das dortige Land, das bisher unberührt geblieben war, ausplündern. Chosroes hatte damals gerade auch ein hunnisches Heer gegen die Armenier, die Untertanen der Römer, ins Feld geschickt, um die Römer dort zu beschäftigen und ihnen die Vorgänge im Lazenlande zu verschleiern. Diese Barbaren waren nun weiteren Meldungen zufolge mit Valerianos und den Römern im Kampf zusammengestoßen und hatten nach einer völligen Niederlage größtenteils den Tod gefunden. Das alles hörten die Perser. Hatte ihnen das Unglück in Lazien schon übel zugesetzt, so gerieten sie jetzt in Sorge, sie möchten auf dem Rückmarsch beim Zusammenstoß mit einem feindlichen Heer alle miteinander ruhmlos in dem gebirgigen, dichtbewachsenen Gelände zugrunde gehen. Voll Angst zitterten sie um Weib und Kind und um ihr Vaterland, und wer im Perserheer etwas galt, der schimpfte auf Chosroes und machte ihm den Vorwurf, er sei unter Eidbruch und gegen allgemeines Menschenrecht während einer Waffenruhe ins römische Gebiet eingebrochen, und zwar ohne jeden Grund. Damit beleidige er einen alten und dazu den allerehrwürdigsten Staat, den er nicht niederzwingen könne. Und schon dachte man an Umsturz. Dies machte tiefen Eindruck auf Chosroes, doch fand er folgende Abhilfe: Er las seinen Persern einen Brief vor, den kurz zuvor die Kaiserin an Zaberganes geschrieben hatte. Dieser lautete folgendermaßen: »Wie hoch ich von dir denke, Zaberganes – sehe ich doch in dir einen Freund unseres Staates –, das weißt du seit deiner kürzlichen Gesandtschaftsreise zu uns. Dein Handeln dürfte dieser meiner 16
Wertschätzung entsprechen, wenn du den König Chosroes für eine friedliche Politik gegenüber unserem Lande gewinnen wolltest. Denn in diesem Falle könnte ich dir große Belohnungen durch meinen Gemahl in Aussicht stellen, der wohl nichts ohne meinen Willen tut.« Chosroes verlas das Schreiben und hielt dann den persischen Adeligen vor, ob sie denn so etwas für einen Staat hielten, wo eine Frau regiere. Auf diese Art vermochte der König die Erregung der Männer zu beschwichtigen. Doch auch dann rückte er nur unter Zittern und Zagen von dort ab; denn er rechnete, mit Belisar und seinen Truppen zusammenzustoßen. Und obschon ihm kein Feind begegnete, war er heilfroh, ungeschoren in sein Land heimzukommen.
Kapitel 3 Belisars Vorgehen gegen Antonina, Theodoras Gegenschläge Sobald Belisar wieder auf römischem Boden war, fand er seine Gattin bereits aus Byzanz angekommen. Und er hielt sie in schimpflicher Haft, wollte sie sogar öfters töten, fand aber – ich glaube aus leidenschaftlicher Liebe – nicht den Mut dazu. Auch Zaubermittel seiner Gattin sollen ihm, wie man sagt, sofort alle Willenskraft genommen haben. Indessen eilte Photios nach Ephesos. Er führte einen Eunuchen namens Kalligonos, einen Vertrauten seiner Herrin, gefesselt mit sich, und der verriet ihm auf der Reise unter Foltern alle Geheimnisse. Theodosios bekam indessen von der Sache rechtzeitig Wind und floh in die Kirche des Apostels Johannes, das größte und angesehenste Heiligtum der Stadt. Aber Andreas, der Bischof von Ephesos, ließ sich durch Geld bestimmen, den Flüchtling auszuliefern. Nun machte sich Theodora um Antonina Sorgen – sie hatte ja von ihrem 17
Schicksale gehört – und holte sie zusammen mit Belisar nach Byzanz. Auf die Nachricht davon schickte Photios den Theodosios nach Kilikien, wo die Doryphoren und Hypaspisten ihre Winterquartiere hatten, und gab der Begleitung strengen Befehl, den Mann so unauffällig wie möglich an Ort und Stelle zu bringen und nach der Ankunft in Kilikien in ganz geheimem Gewahrsam zu halten, wobei sie niemand den Aufenthaltsort wissen lassen sollten. Er selber brachte Kalligonos und die beträchtlichen Reichtümer des Theodosios mit nach Byzanz. Da zeigte die Kaiserin aller Welt, daß sie Mörderdienste mit noch größeren und übleren Geschenken zu vergelten wisse. Hatte ihr doch Antonina jüngst durch Hinterlist nur einen einzigen Feind, den Kappadoker, ausgeliefert, die Kaiserin hingegen überantwortete ihrer Freundin eine Menge Menschen um sie unschuldig hinzumorden. Denn von den Verwandten des Belisar und Photios ließ sie einige foltern – nur auf die Anklage hin, sie stünden beiden Männern nahe – und so schlimm zurichten, daß wir jetzt noch nichts über ihren Ausgang wissen; andere bestrafte sie aus dem gleichen Grunde mit Verbannung. Einem der Männer, die Photios nach Ephesos begleitet hatten, raubte sie sogar ohne Rücksicht auf seine Senatorenwürde das Vermögen und stellte ihn in einem unterirdischen, ganz dunklen Raum an eine Krippe; die Schnur, die sie ihm dort um den Hals legen ließ, war stets so straff gespannt, daß sie sich nie lockern konnte. Auf diese Art mußte der Unglückliche dauernd an der Krippe stehend essen und schlafen und auch die sonstigen natürlichen Bedürfnisse verrichten, so daß zum Bilde eines Esels nur noch das Eselsgeschrei gehörte. Volle vier Monate hatte der Arme in dieser Lage zu verbringen, bis er in Gemütskrankheit verfiel und völlig geistesgestört wurde. Erst dann entließ man ihn aus dem Gefängnis, doch starb er bald darauf. Belisar selbst wurde sehr wider seinen Willen genötigt, sich mit seiner Gattin Antonina auszusöhnen. Dem Photios ließ die Kaiserin außer anderen Mißhandlungen, wie sie nur 18
Sklaven gegenüber üblich sind, viele Schläge auf Rücken und Schultern versetzen und wollte ihn zwingen, das Versteck des Theodosios und Kalligonos zu verraten. Photios war ein Mann von zarter und schwächlicher Konstitution, eifrig auf seine Körperpflege bedacht und ohne Erfahrung in Leiden und Not. Schwer traf ihn daher die Folter, doch hielt er eisern an seinen Eiden fest und gab kein einziges von Belisars Geheimnissen preis. Später jedoch kam alles ans Licht. Die Kaiserin entdeckte das Versteck des Kalligonos und gab ihn seiner Herrin zurück; den Theodosios holte sie nach Byzanz und versteckte ihn sofort nach seiner Ankunft im Palast. Am nächsten Tage ließ sie dann Antonina kommen und sprach zu ihr: »Meine liebste Patrizierin! Eine Perle ist mir gestern in die Hände gekommen, wie sie noch nie ein Mensch gesehen hat. Und ich will dir, wenn es dir recht ist, dieses Schaustück nicht vorenthalten, sondern vor Augen führen.« Antonina haue von dem, was geschehen war, keine Ahnung und bat unter vielen Schmeichelworten, ihr die Perle doch zu zeigen. Da ließ die Kaiserin den Theodosios aus dem Zimmer eines Eunuchen herbeiholen und vorführen. Im ersten Augenblick war Antonina aus übergroßer Freude sprachlos, dann meinte sie, die Kaiserin habe ihr einen unschätzbaren Gefallen erwiesen, und nannte Theodora ihre wahre Retterin, Wohltäterin und Schutzpatronin. Den Theodosios behielt nun die Herrscherin bei sich im Palast und gönnte ihm ein prächtiges Leben und auch sonst allen Luxus, ja sie trug sich sogar mit der bedenklichen Absicht, ihn bald zum römischen Feldherrn zu machen. Jedoch die strafende Gerechtigkeit kam all dem zuvor. Theodosios wurde von einer Darmkrankheit befallen und starb daran. Was nun Theodoras Gefängnisse anlangt, so waren diese ganz versteckt und von aller Umwelt getrennt; kein Tageslicht, keine Nacht drang dorthin. Dort ließ sie Photios eine Zeitlang einsperren und bewachen. Doch glückte es ihm nicht nur einmal, sondern sogar zweimal, aus der Haft zu entkommen. Das erste Mal 19
floh er in das Heiligtum der Gottesmutter, das bei den Byzantinern als unverletzliche Zufluchtsstätte gilt und stets als solche bezeichnet wurde, und setzte sich schutzflehend beim Altare nieder. Doch gewaltsam ließ ihn die Kaiserin von dort entfernen und erneut einsperren. Be'im zweiten Male flüchtete er in die Sophienkirche. Hier ließ er sich sogleich im heiligen Taufbecken nieder, dem die Christen die allerhöchste Verehrung erweisen. Aber das Weib hatte die Verwegenheit, ihn auch von dieser Stätte wegzureißen. Denn kein geweihter Platz blieb je von ihren Händen verschont, im Gegenteil, es machte ihr nicht das mindeste aus, allem, was heilig ist, Gewalt anzutun. Und mit dem Volke zusammen zitterten vor Angst die christlichen Priester und gaben ihr in allem nach. Drei Jahre mußte also Photios in diesem Gefängnis ausharren, dann erschien ihm, wie man sich erzählt, im Traum der Prophet Zacharias und hieß ihn fliehen; eidlich erbot er sich, ihn dabei zu unterstützen. Diese Erscheinung bewog Photios, seinen Kerker zu verlassen, und wirklich kam er unentdeckt nach Jerusalem, obwohl zahlreiche Aufpasser ihm auf der Spur waren; doch keiner erkannte den jungen Mann bei der Begegnung. Dort in Jerusalem ließ Photios sich scheren, nahm Mönchskleidung und konnte sich so der Bestrafung durch Theodora entziehen. Belisar schlug indessen alle geleisteten Eide in den Wind und war ganz und gar nicht gewillt, Photios in seiner erwähnten Bedrängnis beizustehen. Zum Lohn dafür traf ihn in all seinen weiteren Unternehmungen die verdiente Feindschaft Gottes; denn gleich auf seinem Feldzug gegen die Perser und Chosroes, die damals zum dritten Male ins römische Gebiet eingefallen waren, erging es ihm schlecht. Anfänglich konnte man zwar den Eindruck gewinnen, als habe er bedeutende Leistungen vollbracht; hielt er doch den Krieg von den Grenzen fern. Doch als Chosroes nach seinem Übergang über den Euphrat die volkreiche Stadt Kallinikos ohne Schwertstreich eroberte und Tausende und aber Tausende von Römern zu Sklaven machte, 20
da war Belisar nicht einmal zur Verfolgung entschlossen und kam in den üblen Ruf, er habe entweder aus bewußter Nachlässigkeit oder aus Feigheit sich nicht von der Stelle gerührt.
Kapitel 4 Zeitweilige Amtsentsetzung Belisars, eine Demütigung vor Antonina und erneute Betrauung mit dem Kommando in Italien Zu dieser Zeit widerfuhr ihm auch ein anderes Unglück: Die früher schon erwähnte Pest wütete unter den Einwohnern von Byzanz. Auch Kaiser Justinian erkrankte so schwer, daß man von seinem Tode sprach. Das Gerücht verbreitete diese Kunde und brachte sie selbst ins römische Heerlager. Da erklärten einige Befehlshaber, sie würden es nicht ruhig mitansehen, wenn ihnen die Römer in Byzanz einen anderen zum Kaiser bestellen wollten. Bald darauf wurde der Kaiser wieder gesund, die römischen Generale aber denunzierten einander. So erklärten die Feldherrn Petros und Johannes, dieser mit dem Beinamen Phagas, sie hätten selber die erwähnten Äußerungen aus Belisars und Buzes’ Munde vernommen. Das erregte den Unmut der Kaiserin; nur auf sie sei dies gemünzt gewesen, erklärte sie voll Zorn und holte auf der Stelle alle Verdächtigen nach Byzanz. Dort ließ sie die Sache untersuchen. Buzes mußte sich unverzüglich im Frauentrakt des Palastes melden, wie wenn sie ihm etwas ganz Wichtiges mitzuteilen habe. Nun gab es im Palaste eine unterirdische Anlage, stark gesichert, dem Labyrinthe ähnlich und dem Tartaros vergleichbar, wo die Kaiserin alle, die ihren Zorn erregt hatten, einzusperren und gefangenzuhalten pflegte. Und in dieses Verlies wurde Buzes geworfen und mußte, wohlgemerkt ein ehemaliger Konsul, dort seine Tage fristen, ohne den Ablauf der 21
Zeit feststellen zu können. Denn da er im Dunkeln saß, konnte er weder selbst unterscheiden, ob es Tag oder Nacht sei, noch irgend jemand anderen darum fragen. Verkehrte doch der Wärter, der täglich das Essen hinwarf, mit ihm wie ein stummes Tier mit seinesgleichen. Allenthalben galt er sogleich für tot, und kein Mensch wagte mehr von ihm zu sprechen oder auch nur seinen Namen zu erwähnen. Nach zwei Jahren und vier Monaten hatte Theodora ihren Rachedurst gestillt; da ließ sie Buzes wieder frei, und er erschien allen wie vom Grabe erstanden. Doch blieb er seitdem kurzsichtig und war auch sonst ein kranker Mann. So erging es dem Buzes. Was den Belisar betraf, so nahm ihm Justinian auf Drängen der Kaiserin, obwohl er in keinem Anklagepunkte überführt war, sein Kommando ab und ernannte an seiner Stelle den Martinos zum Oberbefehlshaber im Osten. Seine Doryphoren und Hypaspisten und sonstigen kriegserprobten Gefolgsmannen verteilte er unter einige Feldherrn und Palasteunuchen. Diese nahmen die Verteilung sämtlicher Leute samt ihrer Rüstung durch Loswurf vor, so wie einem gerade das Glück wollte. Auch verbot der Kaiser vielen seiner Freunde und sonstigen früheren Untergebenen jeden weiteren Umgang mit Belisar. Dieser wanderte nun in Byzanz, ein trauriges Bild und ein kaum glaublicher Anblick, fast ohne alle Begleitung als Privatmann umher, immer in Gedanken versunken, mit finsterem Gesicht und voll Angst vor einem Mordanschlag. Die Kaiserin aber, die von seinen vielen Schätzen im Orient hörte, sandte einen Palasteunuchen ab und ließ alles holen. Antonina war, wie gesagt, mit ihrem Manne zerfallen, erfreute sich jedoch bei der Kaiserin allerhöchster Gunst und war mit ihr aufs engste verbunden, nachdem sie erst jüngst den Kappadoker Johannes zur Strecke gebracht hatte. Nun wollte auch Theodora ihrer Freundin einen Gefallen erweisen, und sie richtete alles so ein, daß man glauben mußte, Belisars Gattin habe ihren Mann freigebeten und ms größten Gefahren gerettet; dabei sollte es nicht nur zu einer voll22
ständigen Aussöhnung mit dem Unglücksmann kommen, mehr noch, als seine Lebensretterin sollte sie ihn wie einen Gefangenen völlig an sich ketten dürfen. Dies geschah auf folgende Weise: Eines Morgens kam Belisar wie gewöhnlich in den Palast, in Begleitung von einigen kümmerlichen Gestalten. Dort traf er weder Kaiser noch Kaiserin in gnädiger Stimmung, er mußte sich sogar noch von Schurken und üblem Gesindel schlecht behandeln lassen. So ging Belisar am Spätnachmittag nach Hause, wobei er sich immer wieder umwandte und überall ängstlich Ausschau nach etwaigen Mördern hielt. Schließlich stieg er in seiner Verzweiflung zu seinem Schlafgemach empor und setzte sich allein auf sein Bett. Alle Tapferkeit war dahin, alle Männlichkeit hatte er vergessen. Unaufhörlich rann ihm der Schweiß herab, er schwankte und zitterte stark und wußte nicht ein noch aus. Ängste, wie sie nur Sklaven empfinden, und feige Sorgen ums eigene Leben quälten ihn. Antonina, die von den Vorgängen nichts wußte und auch nichts Bestimmtes erwartete, ging im Hause viel hin und her, angeblich von Unwohlsein befallen; die Ehegatten standen einander ja noch recht mißtrauisch gegenüber. Inzwischen kam – die Sonne war bereits untergegangen – ein Palastbeamter namens Quadratos; er trat durch die Haustüre, stand plötzlich vor dem Eingang zu den Gemächern der Männer und stellte sich als Abgesandter der Kaiserin vor. Wie Belisar dies hörte, zog er Arme und Beine an sich und lag ausgestreckt und zum Sterben bereit auf seinem Bette; so hatte ihn jeder Funke von Männlichkeit verlassen. Gleich nach seinem Eintritt ins Zimmer übergab ihm Quadratos einen Brief der Kaiserin. Darin stand: »Dein Vergehen gegen uns, mein Bester, weißt du nur zu gut. Da ich aber deiner Frau zu großem Danke verpflichtet bin, will ich dir all diese Sünden nachsehen und ihr dein Leben schenken. Von ihr hängt die Sicherheit deines Lebens und deines Besitzes ab. Wie du dich künftig zu deiner Gemahlin stellst, das sollen uns deine Taten lehren.« Als Belisar dies gelesen hatte, 23
war seine Freude grenzenlos; zugleich wollte er dem noch anwesenden Quadratos seine Gesinnung beweisen, und so erhob er sich unverzüglich und warf sich seiner Frau zu Füßen. Mit beiden Armen umschlang er ihre Füße, leckte unablässig ihre Sohlen, nannte sie Urheberin seines Lebens und Glückes und erklärte, künftighin ihr getreuer Sklave und nicht mehr ihr Mann sein zu wollen. Von den Schätzen übergab die Kaiserin gegen dreißig Zentenarien Gold dem Kaiser, den Rest erhielt Belisar zurück. So war es dem großen Feldherrn Belisar ergangen, dem gleichen Manne, in dessen Hand das Schicksal kurz zuvor den Gelimer und Wittigis als Sklaven gegeben hatte. Schon lange aber mißfiel sehr dem Kaiserpaar sein Reichtum. Dieser war über die Maßen groß und hätte für einen Kaiserhof gepaßt. Nun behaupteten die Majestäten, der Feldherr habe vom Staatsschatz Gelimers und Wittigis’ den größten Teil heimlich beiseite geschafft und nur einen kleinen, unbedeutenden Rest dem Kaiser übergeben. Doch da sie auf die Leistungen des Mannes und die üble Nachrede bei den Leuten Rücksicht nehmen mußten, gleichzeitig auch nicht hinreichend Beweismaterial gegen Belisar beibringen konnten, waren Justinian und Theodora fürs erste zum Stillhalten gezwungen. Da nahm die Kaiserin, wie Belisar ganz voll Angst und Feigheit steckte, die günstige Gelegenheit wahr, um sich mit einem einzigen Handstreich seines ganzen Vermögens zu bemächtigen. Sie verabredeten nämlich eine Familienverbindung, und Johannina, die einzige Tochter Belisars, wurde die Braut des Anastasios, des Neffen der Kaiserin. Belisar wollte wieder seinen alten Posten antreten und als Oberbefehlshaber im Osten erneut das römische Heer gegen Chosroes und die Perser ins Feld führen, doch Antonina ließ dies nicht zu; sie erklärte, sie sei in jenen Gebieten von Belisar schlecht behandelt worden und wolle diese daher künftig nicht wieder sehen. So wurde Belisar zum kaiserlichen Oberstallmeister ernannt und erneut nach Italien entsandt, nachdem er, wie man sagt, sich 24
dem Kaiser gegenüber verpflichtet hatte, seine finanzielle Hilfe in diesem Kriege nicht zu beanspruchen, vielmehr aus eigener Tasche die gesamte Rüstung zu bestreiten. Man vermutete allgemein, Belisar habe sich lediglich aus dem Grunde zu dem erwähnten Verhalten gegenüber seiner Frau bequemt und auch die genannten Zusagen hinsichtlich der Kriegführung dem Kaiser nur deshalb gemacht, weil er von Byzanz wegkommen wollte. Wenn er dann außerhalb der Mauern sei, so hoffte man, werde er sofort zu den Waffen greifen und eine anständige, eines Mannes würdige Entscheidung gegen seine Gemahlin und seine Peiniger herbeiführen. Indessen, er dachte nicht mehr an das Geschehene, vergaß und mißachtete auch gänzlich seine dem Photios und den anderen Vertrauten geleisteten Eide und folgte – seiner Gattin, immer noch in sie verschossen, obwohl sie schon ihre sechzig Jahre hatte. Sobald nun Belisar in Italien war, nahmen die Dinge – Gott war ihm ja offensichtlich feind – von Tag zu Tag einen ungünstigeren Verlauf. Bei seinen früheren Unternehmungen gegen Theodahat und Wittigis hatte der Feldherr, obwohl viele Maßnahmen nicht einwandfrei schienen, doch schließlich meist Erfolg gehabt, sein späterer Feldzug mußte hingegen den Eindruck hinterlassen, als habe Belisar dank der Kriegserfahrungen seine Aufgaben besser angepackt, in seinen Unternehmungen aber nur Unglück erlebt. So legte man ihm das meiste als Unvorsichtigkeit aus. Menschendinge werden ja nicht nach den Plänen der Menschen, sondern dem Willen Gottes entschieden. Schicksal heißen es in der Regel die Sterblichen, wenn es ihnen unklar bleibt, warum die Dinge einen solchen Verlauf nehmen, wie man ihn eben sieht. Denn das, was man nicht zu begreifen vermag, nennt man gewöhnlich Tyche. Doch darüber mag ein jeder denken, wie es ihm beliebt.
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Kapitel 5 Belisars unrühmlicher Abgang aus Italien, Theodoras Eheprojekte mit Germanos’ Tochter Justina und Belisars Tochter Johannina, Roms unwürdige Vertreter in Afrika Belisar mußte nach seinem zweiten Aufenthalt in Italien mit Schimpf und Schande abziehen; denn volle fünf Jahre konnte er, wie ich schon in meinen früheren Schriften ausführte, nur an festen Plätzen landen. Im übrigen mußte er sich auf Küstenfahrten beschränken. Totila begehrte ihn außerhalb der Mauern zu fassen, konnte ihn aber nirgends finden; denn sowohl Belisar wie das ganze römische Heer waren voller Angst. So konnte er auch nichts von dem Verlorenen zurückgewinnen, im Gegenteil, er mußte auch noch Rom und fast den ganzen Rest aufgeben. Belisar zeigte sich damals sehr habgierig und nur auf schändlichen Gewinn bedacht – er hatte ja auch nichts vom Kaiser bekommen. Wahllos plünderte er fast sämtliche Italer aus, namentlich die Einwohner von Ravenna und Sizilien und wer ihm sonst in die Hände fiel; wenn er dabei von Rechenschaftsablage über frühere Jahre sprach, so war dies nur Vorwand. In dieser Weise ging er auch gegen Herodianos vor und stellte an ihn Geldforderungen, wobei er dem Manne alles Mögliche androhte. Der antwortete auf solche Behandlung damit, daß er dem römischen Heere den Rücken kehrte und sich samt seinem Anhang und der Stadt Spoleto an Totila und die Goten anschloß. Wie er sich auch mit Johannes, dem Neffen Vitalians, verfeindete – ein böser Schlag für die römische Sache –, werde ich gleich berichten. Die Kaiserin hatte sich in solchen Haß gegen Germanos gesteigert und machte aus ihrer Feindschaft so wenig ein Hehl, daß sich niemand mit ihm, obschon er des Kaisers Neffe war, verschwägern wollte und bis zum Tode Theodoras seine Söhne 26
unvermählt blieben. Auch seine Tochter Justina – sie war achtzehn Jahre alt und erwachsen – hatte noch keinen Gatten. Als daher Johannes in Belisars Auftrag nach Byzanz kam, mußte Germanos mit diesem Heiratsunterhandlungen anknüpfen, ganz unter seinem Stande. Beide wurden sich einig und verpflichteten sich unter heiligsten Eiden, die geplante Hochzeit mit allen Mitteln auch zustande zu bringen; denn keiner konnte so recht auf seinen Partner bauen, Johannes, weil er wußte, daß er über seinen Stand hinausstrebte, Germanos, weil er keinen Schwiegersohn bekam. Nun fehlte es zwar der Kaiserin an einem passenden Bräutigam, sie ging aber jeden Weg und fand es nicht unter ihrer Würde, beide mit allen möglichen Listen zu veranlassen, daß das Eheprojekt vereitelt werde. Als sie trotz vielfacher Schreckmittel keinen der beiden Partner umzustimmen vermochte, drohte sie schließlich ganz offen, den Johannes zu beseitigen. Dieser wurde daraufhin sofort nach Italien zurückbeordert, vermied aber dort jedes Zusammenkommen mit Belisar; erst mußte Antonina nach Byzanz abgereist sein. So sehr fürchtete er einen Anschlag von ihrer Seite. Denn daß die Kaiserin ihrer Freundin seine Ermordung aufgetragen habe, war eine naheliegende Vermutung. Wenn Johannes ferner Antoninas Charakter richtig beurteilte und sich vor Augen hielt, welcher Schwächling doch Belisar gegenüber seiner Gattin war, dann mußte ihn große Angst erfassen, und er pflegte keinen Umgang mehr mit Belisar. Das war natürlich für die Römer, deren Sache zuvor schon unsicher genug stand, eine Katastrophe. Das war die Art, auf die für Belisar der Gotenkrieg verlief. Schließlich gab er alle Hoffnungen auf und bat den Kaiser um möglichst rasche Abberufung. Sobald er von der Genehmigung erfuhr, machte er sich allsogleich voller Freude davon und sagte dem römischen Heer und den Italern vielmals Lebewohl. Den Großteil des Landes ließ er in der Gewalt der Feinde; vor allem Perusia erlitt harte Belagerung, es wurde, wie schon erwähnt, noch während seiner Heimreise ein27
genommen und mußte alles Unglück über sich ergehen lassen. In seinem Hause aber traf ihn folgender Schicksalsschlag: Die Kaiserin Theodora, eifrig bemüht, möglichst schnell ihren Schwestersohn mit Belisars Tochter zu vermählen, belästigte durch wiederholte Briefe die Eltern des Mädchens. Doch diese waren einer verwandtschaftlichen Bindung abgeneigt und schoben die Heirat bis zu ihrer persönlichen Anwesenheit hinaus. Die Kaiserin berief sie daraufhin nach Byzanz, sie entschuldigten sich indessen mit dem Vorwand, derzeit in Italien unabkömmlich zu sein. Theodora aber gab nicht nach und wollte ihrem Neffen auf jeden Fall Belisars Reichtum verschaffen; denn sie wußte nur zu gut, daß die Tochter in Ermangelung sonstiger Nachkommenschaft den gesamten Besitz erben werde. Auf Antoninas Ergebenheit konnte sie dabei keineswegs bauen, sie mußte vielmehr befürchten, diese möchte sich nach ihrem, Theodoras Tode, unerachtet der in schwersten Stunden geleisteten Dienste ihrem Hause gegenüber treulos erweisen und die Abrede brechen. Darum entschloß sich Theodora zu einer ruchlosen Tat. Gegen alle Sitte brachte sie das Mädchen mit dem jungen Manne zusammen. Sie soll das Mädchen sogar ganz wider seinen Willen heimlich dazu gezwungen haben, und so sei nach ihrer Defloration die Ehe tatsächlich zustande gekommen, damit der Kaiser das Geschehene nicht mehr verhindern konnte. Als es nun so weit war, entbrannten Anastasios und das Mädchen in feuriger Liebe zueinander, und so lebten sie volle acht Monate beisammen. Nach dem Tode der Kaiserin kehrte Antonina nach Byzanz zurück. Jetzt wollte sie von all dem, was ihr Theodora jüngst angetan hatte, nichts mehr wissen und nahm auch keine Rücksicht darauf, daß das Mädchen, wenn sie es mit einem anderen Manne vermählte, ja als Dirne erscheinen mußte. Theodoras Neffe wurde in beleidigender Weise als Schwiegersohn abgewiesen und die Tochter ganz wider ihren Willen von dem geliebten Manne getrennt. Dieses Vorgehen ließ Antonina allenthalben als unklug 28
erscheinen; trotzdem vermochte sie ihren Gemahl nach dessen Rückkehr so weit zu beeinflussen, daß er mit dem Verbrechen völlig einverstanden war. Auf diese Art wurde sein schwächlicher Charakter damals aller Welt offenkundig. Denn obschon er früher seine eidlichen Zusagen gegenüber Photios und einigen Verwandten gebrochen hatte, hatte er doch im allgemeinen Entschuldigung dafür gefunden. Man führte seine Unzuverlässigkeit nicht auf Weiberherrschaft, sondern auf Furcht vor der Kaiserin zurück. Als er sich aber, wie gesagt, auch nach Theodoras Tode weder um Photios noch um sonst einen Verwandten kümmerte, seine Gemahlin vielmehr offensichtlich die Herrin spielte, als Herr aber der Hofmeister Kalligonos erschien, da verzweifelten alle an ihm, spotteten allgemein seiner und schalten ihn einen Toren. So etwa stellen sich Belisars Schwächen dar, wenn man offen von ihnen sprechen darf. Was nun die Verbrechen anlangt, die Sergios, der Sohn des Bakchos, in Afrika beging, so habe ich an passender Stelle schon ausführlich davon berichtet. Er trug die Hauptschuld daran, daß die Römer dortzulande eine Katastrophe erlitten; denn er brach die Eide, die er den Leuathen auf die Evangelien geleistet hatte, und ließ ihre achtzig Gesandten rücksichtslos niedermachen. Meinen Ausführungen muß ich jetzt noch so viel hinzufügen, daß weder diese Männer in arglistiger Absicht zu Sergios kamen noch Sergios einen Verdachtsgrund gegen sie hatte; tückisch ließ er sie vielmehr zu einem Gastmahl kommen und dann brutal niedermachen. Diese Tat wurde dem Solomon, dem römischen Heer und allen Libyern zum Verhängnis. Denn Sergios war schuld daran, daß sich, zumal nach Solomons Tod, wie gesagt, weder Offizier noch Soldat mehr in Kriegsgefahr begeben wollte. Vor allem Johannes, der Sohn des Sisinniolos, hielt sich aus Feindschaft gegen ihn vom Kampfe fern, bis dann Areobindos nach Libyen kam. War doch dieser Sergios ein Weichling und unkriegerischer Mensch, seinem Wesen und Alter nach ganz un29
reif, allen Leuten gegenüber voller Mißgunst und Angeberei, schwelgerisch in seiner Lebensweise, ein aufgeblasener Kerl. Doch da er der Nichte Antoninas, der Gemahlin Belisars, versprochen war, wollte ihn die Kaiserin nicht zur Rechenschaft ziehen oder seines Amtes entsetzen, obschon sie ganz genau sah, daß er Libyen ruinierte. Auch Solomon, den Bruder des Sergios, ließen Kaiserin und Kaiser wegen des Mordes an Pegasios unbestraft. Was es damit für eine Bewandtnis hat, will ich sogleich erzählen. Als der genannte Pegasios den Solomon von den Leuathen freigekauft hatte und die Barbaren nach Hause gezogen waren, machte sich dieser mit Pegasios, seinem Befreier, sowie einigen Soldaten auf den Weg nach Karthago. Auf dieser Reise nun schalt Pegasios den Solomon wegen seiner früheren Untaten und bedeutete ihm, er solle nur immer daran denken, daß Gott ihn soeben aus der Hand der Feinde errettet habe. Solomon geriet in Wut, daß ihm sein Begleiter wie einem Sklaven Vorhalte mache, und tötete ihn auf der Stelle. Das war der Lohn für die Rettung. Als nun Solomon nach Byzanz kam, sprach ihn der Kaiser vom Morde frei, da er ja nur einen Verräter des Römischen Reiches beseitigt habe. Und er ließ ihm ein Schreiben zugehen, das ihm wegen der Tat Straflosigkeit zusicherte. So entging Solomon der Sühne, und er reiste voll Freude in den Osten ab, um Vaterstadt und Verwandte wiederzusehen. Gottes Strafe aber ereilte ihn auf diesem Weg und ließ ihn sterben. Das war der Ausgang des Solomon und Pegasios.
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Kapitel 6 Herkunft, Aufstieg und Regierungsweise des Kaisers Justinos. Sein Neffe Justinianos Jetzt will ich berichten, was für Menschen Justinianos und Theodora waren und wie sie das Römerreich zerfleischten. Als Kaiser Leon in Byzanz regierte, verließen drei junge Bauernburschen, ihrer Herkunft nach Illyrer, Zimarchos, Ditybistos und Justinos, ihre Heimat Bederiana, um Kriegsdienste zu nehmen. Offensichtlich hatten sie mit häuslicher Not zu kämpfen und wollten davon loskommen. So zogen sie also zu Fuß nach Byzanz, auf ihren Schultern Säcke, in die sie daheim nur hartes Brot gesteckt hatten. Nach ihrer Ankunft wurden sie in die Truppe aufgenommen, und der Kaiser wählte sie zu seiner Palastwache aus; denn alle drei waren sehr stattliche Erscheinungen. Nach einiger Zeit kam Anastasios zur Regierung und mußte mit den Isauriern, die gegen ihn die Waffen erhoben hatten, Krieg führen. Deshalb sandte er gegen sie ein starkes Heer unter der Führung des Johannes, mit dem Beinamen Kyrtos. Der genannte Feldherr nahm Justinos wegen eines Vergehens in Haft und wollte ihn am nächsten Tage hinrichten lassen, doch verhinderte das ein Traumgesicht. Wie er erklärte, sei ihm im Traum ein Mann erschienen, von riesiger Gestalt und auch sonst von übermenschlichen Ausmaßen. Und dieser habe ihm befohlen, den Mann, den er an jenem Tage gefangen gesetzt habe, laufen zu lassen. Johannes erwachte indessen und kümmerte sich nicht weiter um die Erscheinung. In der folgenden Nacht glaubte er wieder im Traume die Worte zu vernehmen, die er zuvor gehört hatte, war aber auch jetzt noch nicht gewillt, den Auftrag auszuführen. Und die Traumerscheinung meldete sich zum dritten Male und stieß fürchterliche Drohungen aus, falls Johannes den Befehl nicht be31
folge. Sie fügte noch hinzu, sie könne Justinos und seine Sippe als Werkzeuge für ihren künftigen Groll recht wohl brauchen. So kam der Verurteilte damals mit dem Leben davon und stieg im Laufe der Zeit zu großer Macht auf. Denn Kaiser Anastasios bestellte ihn zum Kommandeur der Palastwache, und als dieser Herrscher gestorben war, übernahm Justinos kraft seines Amtes die Kaiserwürde, selbst schon ein alter Mann, dazu völlig ungebildet und, wie man sagt, ein Analphabet. So etwas hatte es bei den Römern bis dahin noch nie gegeben. Bisher war man gewohnt, daß der Kaiser alle Erlasse, die in seinem Namen hinausgingen, mit Unterschrift versah; Justinos konnte keine derartige Verfügung abfassen, er verstand auch nichts von dem, was in dem Schreiben stand. Sein juristischer Berater namens Proklos, der das Amt des sogenannten Quästors bekleidete, entschied alles nach eigenem Ermessen. Damit aber alle, die es anging, eine eigenhändige Unterschrift des Kaisers hätten, erfand man folgendes Mittel: Man schnitt in ein kurzes, entsprechend zugerichtetes Brettchen vier lateinische Buchstaben ein, tauchte einen Stift in Purpurfarbe, womit die Kaiser herkömmlicherweise unterzeichnen, und gab diesen dem Herrscher in die Hand. Das erwähnte Brettchen aber legte man auf das Schriftstück, faßte des Kaisers Hand und führte sie samt dem Stift nach der Form der vier Buchstaben. Wenn man damit sämtlichen Ausschnitten des Holzes nachgefahren war, bekam man auf diese Art eine kaiserliche Unterschrift. Solche Erfahrungen machten die Römer mit Justinos. Verheiratet war er mit einer Frau namens Luppikina. Sklavin und Barbarin, war sie Justinos’ Kebsweib gewesen, nachdem dieser sie früher einmal gekauft hatte. Und diese Frau teilte mit ihm an ihrem Lebensende die Kaisermacht. Justinos konnte seinen Untertanen weder etwas besonders Böses antun noch ihr Wohl fördern. Denn er war ein gar einfältiger Mensch, ohne jede Gewandtheit im Ausdruck und bäurisch in 32
seinem ganzen Wesen. Sein Neffe Justinianos verwaltete daher schon in jungen Jahren das gesamte Reich und wurde für die Römer Quelle derart schweren und großen Unglücks, wie es noch niemand seit Menschengedenken erlebt hatte. Ohne jedes Bedenken schritt er ja zu ruchlosem Menschenmord und Raub fremden Gutes, und es machte ihm nichts aus, Tausende und aber Tausende von Menschen zu töten, obschon sie ihm keine Veranlassung gaben. Er legte auch keinen Wert darauf, irgendeine von den bestehenden Einrichtungen zu erhalten; statt dessen sann er immer auf Neuerung und war, um es mit einem Worte zu sagen, der größte Zerstörer der erprobten Ordnung. Die Pest, von der ich an früherer Stelle sprach, suchte zwar die ganze Erde heim, doch entgingen ihr wenigstens ebenso viele Menschen, als daran starben; die Überlebenden wurden entweder gar nicht befallen oder kamen, einmal von ihr ergriffen, wieder davon. Dem Schurken Justinianos konnte jedoch kein einziger Römer entgehen, er befiel wie sonst nur ein vom Himmel verhängtes Unheil das ganze Menschengeschlecht und ließ keinen einzigen unberührt. Die einen ließ er ohne jeden Grund töten, die anderen machte er zu Bettlern und unglücklicher als die Toten. Sie wünschten nur noch, daß ihr Zustand, und sei es durch den jammervollsten Tod, ein Ende finden möge. Einigen raubte er außer dem Vermögen auch noch das Leben. Dabei genügte es ihm nicht, bloß das Römische Reich zugrunde zu richten, er unterwarf auch Libyen und Italien nur aus dem Grunde, um ebenso wie seine bisherigen Untertanen auch die dortigen Einwohner ins Unglück zu stoßen. Noch nicht zehn Tage an der Macht, beseitigte er den Obereunuchen Amantios und andere, allein aus dem Grunde, weil er gegen Johannes, den Patriarchen der Stadt, ein kühnes Wort gesprochen hatte. Von da an wurde Justinianos der Schrekken aller Menschen. Er ließ alsbald auch den Usurpator Vitalianos kommen und verbürgte ihm nach gemeinsamem Genuß des heiligsten Abendmahles zunächst seine Sicherheit. Doch bald 33
darauf wurde ihm der Genannte irgendwie verdächtig, und nun ließ ihn Justinianos samt seinen Angehörigen unbedenklich im Kaiserpalast umbringen. So kümmerte er sich nicht im geringsten um die heiligsten Eide.
Kapitel 7 Das Treiben der Zirkusparteien unter Kaiser Justinian Wie ich schon an früherer Stelle bemerkte, ist das Volk seit alters in zwei Parteien gespalten. Die eine, die Blauen, die ihm auch früher schon ergeben waren, zog Justinian ganz auf seine Seite und vermochte so alles in heillose Verwirrung zu bringen. Kein Wunder, wenn dadurch der römische Staat in die Knie sank. Nicht alle Blauen waren freilich bereit, sich dem Vorgehen dieses Mannes anzuschließen, sondern nur die unruhigsten Köpfe, und man gewann von ihnen, indessen das Übel weiter um sich griff, den Eindruck von ganz ordentlichen Leuten. Denn sie ließen sich weniger zuschulden kommen, als ihnen verstattet gewesen wäre. Aber auch die Rädelsführer unter den Grünen hielten nicht Ruhe, sondern gaben stets Anlaß zu ärgsten Beschwerden, mochten sie auch im einzelnen jeweils bestraft werden. Das trieb sie aber stets zu noch viel verwegenerem Vorgehen. Denn in ihrer Bedrängnis verfallen die Menschen gewöhnlich verzweifelter Raserei. Justinianos nun reizte und stachelte die Blauen ganz offen immer wieder auf, und so geriet das ganze Römerreich in heftigstes Schwanken, gleich als sei ein Erdbeben, eine Überschwemmung hereingebrochen oder jede Stadt von den Feinden eingenommen. Die ganze Ordnung glitt nämlich allenthalben aus den Fugen, und kein Ding blieb an seiner Stelle, vielmehr 34
verkehrten sich die Gesetze und das Staatsgefüge infolge des Durcheinanders ins reine Gegenteil. Zuerst wechselten die Unruhestifter ihre Haartracht. Sie ließen ihr Haupthaar nicht wie die anderen Römer schneiden. Weder Schnurrbart noch Kinn wurde rasiert, sie trugen sich vielmehr nach persischer Sitte. Vom Haupthaar schoren sie den Vorderteil bis zu den Schläfen, den Rest ließen sie ohne rechten Grund ganz lang herunterhängen, so wie es die Massageten tun. Diese Tracht hieß daher auch die hunnische. Sie alle legten fernerhin großen Wert auf kostbare Gewänder und zogen sich prunkvoller an, als es ihrem Stand entsprach. Denn sie konnten sich dergleichen aus unrechtmäßigem Besitz leisten. Die Ärmel ihres Kleides liefen an der Handwurzel ganz eng zusammen, von dort aus weiteten sie sich beträchtlich bis zu den Schultern. Jedesmal wenn sie nun bei ihrem Geschrei im Theater oder Hippodrom die Hand bewegten oder diese bei Zurufen wie gewöhnlich ganz in die Höhe hoben, erweckten sie bei einfältigen Menschen den Eindruck, als sei ihr Körper so schön und zart, daß sie sich in derartige Gewänder hüllen müßten; dabei bedachten sie freilich nicht, daß durch das Bauschige und Leere ihrer Kleidung die Unscheinbarkeit ihres Körpers noch viel mehr hervortrat. Die Schultermäntel, Hosen und meisten Fußbekleidungen zeichneten sich bei ihnen durch hunnischen Namen und Zuschnitt aus. Anfangs trugen fast alle ihre Waffen sichtbar nur bei Nacht, tagsüber verbargen sie die zweischneidigen Dolche unter den Kleidern am Schenkel. Sobald es dunkelte, rotteten sie sich zu Banden zusammen, überfielen die Vornehmen auf dem ganzen Markte und in den engen Gassen und raubten den Opfern Mäntel, Gürtel, goldene Spangen und was sie sonst an Wertvollem bei sich trugen. Einige plünderten sie nicht nur aus, sondern töteten sie sogar, damit die Unglücklichen niemand verraten konnten, was ihnen widerfahren war. Über solches Verhalten waren 35
alle ordnungsliebenden Anhänger der Blauen sehr empört, da sie auch selber darunter zu leiden hatten. Deshalb trug die Mehrzahl nur noch eherne Gürtel und Spangen, dazu Mäntel weit unter ihrem Stand; man wollte ja nicht ein Opfer der Prunksucht werden. Außerdem kehrten die Leute schon vor Sonnenuntergang in ihre Häuser zurück und verbargen sich dort. Da sich dieser schlimme Zustand lange hindehnte, ohne daß die über den Demos gesetzte Obrigkeit gegen die Übeltäter einschritt, wuchs die Frechheit dieser Banden im Laufe der Zeit bedenklich. Ungesühnte Verbrechen entwickeln sich ja ins Maßlose, und selbst bei Bestrafung können sie nicht mehr gänzlich ausgerottet werden. Denn nur zu leicht verfallen die meisten von Natur aus der Sünde. So stand es um die Blauen. Die Gegner sympathisierten teilweise mit ihnen – sie wollten ja ungestraft an den Verbrechen teilnehmen –, zum Teil flohen sie heimlich in fremde Länder; viele wurden aber auch an Ort und Stelle ergriffen und fanden den Tod unter der strafenden Hand ihrer Feinde oder der Behörde. Auch zahlreiche andere junge Leute sammelten sich in dieser Verbrecherbande, Leute, die bisher nie damit zu tun hatten, sondern erst durch deren schrankenlose Macht und Willkür verführt wurden. Es ist ja kaum möglich, ein Verbrechen zu nennen, das in dieser furchtbaren Zeit nicht begangen wurde und ungestraft blieb. Zuerst beseitigten sie die Männer der Gegenpartei, in der Folge auch Harmlose, die ihnen nie etwas zuleide getan hatten. Viele hatten die Niedertracht, sie zu bestechen und ihre Feinde ihnen anzugeben. Und die Schurken ermordeten ihre Opfer, ihnen völlig unbekannte Menschen, die sie kurzerhand für Grüne erklärten. Das alles spielte sich nicht mehr im Dunkeln oder Verborgenen ab, sondern zu jeder Tagesstunde und in jedem Stadtteil, wobei die Täter, wenn es der Zufall so wollte, den Blick hoher Persönlichkeiten nicht scheuten. Brauchten sie doch, da ihnen keine Strafe drohte, ihre Schandtaten gar nicht zu verheim36
lichen, vielmehr galt es als Ehrensache und Beweis von Kraft und Tapferkeit, mit einem einzigen Streich ein wehrloses Opfer zu töten. Jedermann fühlte sich bei der Unsicherheit des täglichen Lebens bedroht. Voller Angst sahen alle den Tod vor Augen, und um das Leben zu retten, schien kein Platz fest, kein Augenblick sicher genug. Sogar in den ehrwürdigsten Heiligtümern und beim Gottesdienst mußte man ohne weiteres mit Mord rechnen; es war kein Verlaß mehr auf Freunde und Verwandte, und viele erlagen der Tücke gerade ihrer Nächsten. Vorfälle solcher Art wurden nicht weiter untersucht. Unerwartet trafen jeden die Schläge, und niemand half den Opfern. Gesetzes- und Vertragskraft besaßen nicht mehr ihre unerschütterliche Geltung, alles hatte eine Wendung zum Gewaltsamen hin genommen und war in Unordnung geraten, so daß der Staat völlig einer Tyrannis glich, freilich keiner feststehenden, sondern einer sich täglich wandelnden und erneuernden. Die Entscheidungen der Behörden waren von Angst diktiert, Furcht vor einem einzigen Mann hielt sie im Bann, so daß die Richter die Streitfragen nicht mehr nach Recht und Gesetz entschieden, sondern je nach Gunst oder Abneigung der Parteigenossen gegenüber den Rechtsuchenden. Dem Richter, der ihre Anweisung nicht beachtete, drohte ja als Strafe der Tod. Viele Gläubiger mußten, ohne Rückzahlungen empfangen zu haben, unter hartem Druck ihren Schuldnern die Scheine ausliefern, viele gegen ihren Willen die Sklaven freilassen. Ebenso sollen Frauen von ihren Sklaven zu vielem, was ihnen widerlich war, genötigt worden sein. Auch Söhne aus vornehmen Kreisen suchten nunmehr die Gesellschaft dieser jungen Leute auf und zwangen ihre Väter neben vielem anderen zur Herausgabe des Erbteils. Mit deren Wissen, doch ganz gegen eigenen Willen mußten zahlreiche Knaben ein ruchloses Lager mit den Parteigängern teilen. Verheirateten Frauen ging es nicht besser. So fuhr, wie man erzählt, eine reich geschmückte Dame mit ihrem 37
Manne nach einem Vorort am jenseitigen Ufer; dabei überfielen die Banditen das Schiff, trennten unter Drohung die Ehefrau von ihrem Gatten und brachten sie in ihr eigenes Boot herüber. Sie folgte wohl den Burschen, sprach aber ihrem Manne heimlich Mut zu; er solle ihretwegen nicht Schlimmes befürchten, denn sie werde keine Entehrung erleiden. Und während noch der Gatte voll tiefer Trauer auf sie blickte, stürzte sie sich ins Meer, wo sie sogleich den Tod fand. Dies waren die Verbrechen, die sich die Parteigänger damals in Byzanz erlauben durften. Die unglücklichen Opfer wurden aber dadurch weniger betroffen als durch Justinians Staatsvergehen; denn wenn Gesetz und Regierung stets Sühne erwarten lassen, so erleichtert diese Hoffnung wesentlich das Schicksal der Leidgeprüften. In frohem Ausblick auf eine bessere Zukunft ertragen ja die Menschen leichter und müheloser ihre augenblickliche Lage, aber um so bitterer und verständlicher ist der Schmerz über alles Erlittene, wenn sie sich von der Leitung des Staates mißachtet sehen müssen; Verzweiflung ist dann die stete Folge eines vergeblichen Wartens auf Sühne. Nun zeigte sich Justinians ganzes Verbrechertum darin, daß er die Verfolgten nicht allein ohne Schutz ließ; er hielt es auch nicht unter seiner Würde, ganz offen als Anführer der Parteibanden aufzutreten. Denn er stellte diesen jungen Burschen reiche Geldmittel zur Verfügung; er hatte deren viele um sich, einige hielt er sogar für wert, sie in Ämter und sonstige Würden zu berufen.
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Kapitel 8 Justinians Habgier und Verschwendungssucht, sein Aussehen So ging es in Byzanz und in jeder Stadt zu. Denn wie eine neue Seuche nahm das Übel von dort seinen Anfang und erfaßte das gesamte Römerreich. Den Kaiser ließen diese Dinge kalt, ja er merkte nicht einmal etwas davon, obwohl er doch täglich mit eigenen Augen sehen konnte, was in den Hippodromen vor sich ging. Denn er war über die Maßen einfältig und glich aufs Haar einem trägen Esel, der sich von seinem Treiber am Zügel führen läßt und dabei nur mit den Ohren wackelt. Das alles war Justinians Werk, der die ganze Welt in Unordnung brachte. Sobald er die Herrschaft seines Oheims übernommen hatte, ging sein Streben darauf aus – er hatte ja nun die Macht –, die öffentlichen Gelder wahllos zu verschleudern. Den immer wieder beschenkten Hunnen gab er sehr viele Schätze des Staates wegen preis, und das hatte zur Folge, daß das Römerreich zahlreichen Einfällen ausgesetzt war. Denn nachdem diese Barbaren den römischen Reichtum einmal gekostet hatten, konnten sie nicht mehr von dem Wege lassen, der dazu führte. Viel verschwendete er auch für gewisse Küstenbauten, um so dem steten Wogengang Fesseln anzulegen. Vom Gestade trieb er ehrgeizig Molen gegen die Strömungen aus dem Pontos vor und ließ sich – sein Reichtum erlaubte es ihm ja – auf einen Wettstreit mit den gewaltigen Meeresfluten ein. Allen römischen Privatbesitz auf der ganzen Erde brachte er in seine Hand, indem er entweder Verbrechen vorschützte oder Schenkungsabsichten erdichtete. Viele wieder, die des Mords und sonstiger Vergehen überführt waren, gingen straflos aus, wenn sie dem Kaiser ihren Besitz überließen. Andere, die unberechtigterweise etwa mit ih39
ren Nachbarn um gewisse Gebiete stritten und bei der Rechtslage sich gegen ihre Widersacher nicht durchzusetzen vermochten, schenkten dem Kaiser das Streitobjekt; sie selbst gewannen durch diese billige Gefälligkeit den Vorteil, dem Kaiser bekannt zu werden, und konnten so auf die ungesetzlichste Art ihre Prozeßgegner niederringen. Ich halte es für angezeigt, auch das Aussehen dieses Mannes näher zu schildern. Er war weder groß noch klein, sondern von mittlerer Statur, nicht mager, eher etwas beleibt, und hatte ein rundliches, gar nicht unangenehmes Gesicht; selbst nach zweitägigem Fasten erschien er noch rosig. Wenn ich aber sein Antlitz im ganzen kennzeichnen soll, so glich er am ehesten Domitian, dem Sohne Vespasians, dessen Schlechtigkeit die Römer in einem Maße zu spüren bekamen, daß nicht einmal die Zerstückelung seiner Leiche ihren Zorn ganz besänftigen konnte. Auf Senatsbeschluß wurde selbst der Name dieses Kaisers aus den Inschriften getilgt, und kein Bild von ihm durfte stehen bleiben. In allen Inschriften zu Rom und wo sonst dieser Name angebracht war, kann man ihn allein zwischen den anderen herausgemeißelt sehen, und nirgendwo im Römischen Reich gibt es offenbar ein Bild von ihm, mit Ausnahme eines einzigen aus Erz, dies aber aus folgendem Grund: Domitian besaß eine Frau von edler Gesinnung und auch sonst ehrbar; sie hatte auch nie einem Menschen etwas zuleide getan und war mit den Taten ihres Mannes nicht einverstanden. Sie genoß darum besonderes Ansehen, und so ließ sie der Senat damals kommen und gestattete ihr, einen Wunsch zu äußern. Da bat sie nur um das eine, Domitians Leiche bestatten und ihm, wo es ihr gefalle, ein ehernes Bild errichten zu dürfen. Der Senat gab seine Zustimmung; die Frau aber wollte der Nachwelt ein Denkmal von der unmenschlichen Grausamkeit der Mörder ihres Mannes hinterlassen und ersann folgendes: Sie sammelte die Leichenteile Domitians, ordnete sie sorgfältig und fügte sie aneinander, dann nähte sie den ganzen Körper zu40
sammen und zeigte ihn den Bildhauern, damit sie in einer Erzstatue sein trauriges Schicksal nachbildeten. Die Künstler verfertigten nun sogleich das Werk. Dann nahm es die Frau in Empfang und stellte es an der Straße zum Kapitol auf, rechter Hand, wenn man vom Forum her kommt. Dort zeigt es bis zum heutigen Tage Domitians Gestalt und Schicksal. Eindeutig kann man dieses Standbild für einen zweiten Justinian halten, was Körperbau, Auge und sämtliche Gesichtszüge anlangt. Soviel von seiner äußeren Erscheinung; seinen Charakter kann ich nicht genau darstellen. Denn er war ein Schuft und Schwächling – dummschlecht heißt man solchen Kerl; er sagte im Gespräch kein wahres Wort, sondern wußte stets mit listigem Sinn alles vorzutragen und zu betreiben, blieb aber dabei die leichte Beute von Betrügern. Eine seltsame Mischung von Dummheit und Bosheit hatte sich in ihm entwickelt. Vielleicht hat dies ein Philosoph aus dem Kreise der Peripatetiker gemeint, wenn er einmal sagte, daß ähnlich wie bei der Mischung der Farben sich auch die widersprechendsten Züge in der menschlichen Natur vereinigen können. Ich schreibe nun von Dingen, auf die ich bisher nicht eingehen konnte. Dieser Kaiser war Meister in der Verstellung, tückisch, heuchlerisch, unergründlich in seinem Zorne, zweideutig; ein schrecklicher Mensch, dabei ein vollendeter Schauspieler, wo es galt, eine Meinung zu verbergen. Ohne Freud oder Leid zu empfinden, konnte er Tränen vergießen und ließ bei jeder Gelegenheit, wie gerade notwendig, seine Künste spielen. Mit jedem Worte log er, und das tat er nicht nur so obenhin, sondern gab schriftliche Erklärungen und heiligste Eide zu den Abmachungen – und all das gegenüber den eigenen Untertanen. Doch sofort ging er wieder von den Zusagen und eidlichen Versicherungen ab, gleich den minderwertigsten Sklaven, die sich aus Angst vor drohenden Foltern trotz aller Eide zum Geständnis treiben lassen. Ein unbeständiger Freund und unversöhnlicher Feind, leidenschaftlich verliebt in Mord und Geld, 41
maßlos streit- und neuerungssüchtig, leicht zu allen Schandtaten zu gewinnen, gutem Zuspruch hingegen verschlossen, scharfsinnig im Ausdenken und Ausführen des Schlechten; schon bloß vom Guten zu hören deuchte ihm bitter. Wie könnte auch einer mit Worten Justinians Charakterart fassen? Diese und noch viel größere Laster hafteten ihm deutlich an, ganz im Widerspruch zu menschlicher Art; fast mußte man den Eindruck gewinnen, als habe die Natur die Schlechtigkeit aller anderen Menschen zusammengenommen und in die Seele dieses Mannes eingeschlossen. Außerdem war er Verleumdungen sehr zugänglich und rasch mit Strafen zur Hand. Denn er fällte sein Urteil nie auf Grund sorgfältiger Untersuchung, ihm genügten die Ausführungen des Verleumders, um rasch einen Entscheid darauf zu gründen. Bedenkenlos erteilte er seine schriftlichen Befehle, welche die Zerstörung von Orten, die Niederbrennung von Städten, die Knechtung ganzer Völker zum Inhalt hatten. Dabei alles ohne triftigen Grund. Wollte man von Anfang an das ganze Unglück der Römer abschätzen und gegen das eben Gesagte aufwägen, so dürfte sich meinem Empfinden nach herausstellen, daß durch diesen Menschen mehr Leute das Leben verloren als in der Zeit zuvor. Schamlos sich an fremdem Besitz zu vergreifen, kannte er keine Hemmung; nicht einmal den Deckmantel der Gerechtigkeit glaubte er bei seinem verbotenen Treiben nötig zu haben; er war in sinnlosem Ehrgeiz stets bereit, den neuen Besitz zu mißachten und ohne Überlegung an die Barbaren zu verschleudern. Mit einem Wort, er besaß weder selber Geld noch konnte er einen anderen Geld besitzen sehen; es war, als ob er nicht so sehr der Habsucht verfallen, als von Neid gegen die glücklichen Besitzer erfüllt sei. Im Handumdrehen verbannte er daher den Reichtum aus dem Römischen Reiche und schuf allen Armut.
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Kapitel 9 Theodoras Herkunft und Vorleben Dies war etwa, so gut wir berichten können, Justinians Wesensart. Er hatte auch eine Gemahlin. Wie es um Herkunft und Erziehung dieses Weibes stand und wie es nach seiner Vermählung mit Justinian das Römerreich von Grund auf zerstörte, will ich jetzt darlegen. In Byzanz lebte ein gewisser Akakios, von Beruf Tierwärter – Bärenfütterer wird er genannt – bei der grünen Partei. Dieser Mann starb unter der Regierung des Anastasios an einer Krankheit und hinterließ drei Mädchen, Komito, Theodora und Anastasia, das älteste noch nicht sieben Jahre alt. Die Witwe heiratete wieder; nach ihrer Absicht sollte der neue Ehegatte gemeinsam mit ihr das Hauswesen und die genannte Tätigkeit weiterführen. Doch Asterios, der Zirkusmeister der Grünen, ließ sich von einem Dritten bestechen, jagte die beiden kurzerhand aus ihrer Stellung und nahm dafür diesen in Dienst. Die Zirkusmeister konnten ja in derlei Dingen nach Gutdünken verfahren. Wie nun die Frau das ganze Volk im Zirkus versammelt sah, legte sie ihren Mädchen Binden ums Haupt und in beide Hände und setzte sich hilfesuchend nieder. Die Grünen ließ das kalt; die Blauen hingegen übertrugen ihnen dieses Amt, da auch ihr Tierwärter jüngst gestorben war. Als nun die Mädchen heranwuchsen – es waren reizende Geschöpfe –, schickte sie die Mutter sofort auf die dortige Bühne, nicht alle zugleich, sondern erst, wenn eine jede ihr für diese Beschäftigung alt genug erschien. Komito, die Älteste, hatte sich schon durch Schönheit unter ihren Genossinnen einen Namen gemacht; Theodora, die Zweitgeborene, trug ein kurzes, langärmeliges Gewand, wie es Sklaven haben, mußte ihrer Schwester in allem als Dienerin folgen und auf ihren Schultern stets den Schemel tragen, auf dem Komito bei den Darbie43
tungen zu sitzen pflegte. Damals konnte sich Theodora, für intimen Verkehr mit Männern noch nicht reif, zwar noch nicht als Frau betätigen; doch hielt sie dies nicht ab, mit üblen Burschen wie ein Lustknabe schmählichen Umgang zu pflegen, und zwar mit Sklaven, die ihren Herrn ins Theater begleiteten und als Nebenbeschäftigung in diesem günstigen Augenblick solche Schandtat begingen. Mit dieser widernatürlichen Preisgabe ihres Körpers brachte sie ziemlich lange Zeit in einem Bordell zu. Sobald sie erwachsen und reif war, ging sie gleich unter die Schauspielerinnen und wurde eine gewöhnliche Hetäre, eine »Hetäre zu Fuß«, wie die Alten sagten. Sie konnte je weder Flöte blasen noch Laute schlagen, nicht einmal als Tänzerin war sie ausgebildet, sie mußte vielmehr ihre Schönheit allein unter Einsatz aller körperlichen Reize dem Nächstbesten hingeben. Später nahm sie an mimischen Darbietungen teil, trat sogar als Schauspielerin auf und wirkte bei verschiedenen Possen mit. Sie war nämlich sehr nett und witzig und erregte dadurch in Kürze allgemeine Aufmerksamkeit. Nie kannte das Weib irgendwelche Scham und niemals sah sie irgendeiner verlegen; ohne jedes Bedenken fand sie sich zu unzüchtigen Dienstleistungen bereit und hatte solch minderen Charakter, daß sie trotz Prügel und Ohrfeigen noch vergnügt scherzte und hell auflachte. Sie entblößte Vorder- und Hinterteil und zeigte dem Nächstbesten unverhüllt, was Männern verborgen und unsichtbar sein sollte. Mit den Liebhabern trieb sie ihr Spiel, indem sie sich als die Spröde zeigte. Sie ergötzte sich auch an immer neuen Kunstmitteln der Wollust und wußte so die Lebemänner dauernd an sich zu ketten. Denn von niemand ließ sie sich verführen, mit herausforderndem Lachen und wie ein gemeiner Possenreißer sich in den Hüften wiegend, verführte sie ihre Opfer, besonders die Halbstarken. Nirgends war eine Frau jeder Art von Lust so unterworfen. Mit zehn oder mehr jungen Männern auf der Höhe ihrer Kraft, die selber Wollust als Tagewerk betrieben, ging sie 44
oft zu einem gemeinschaftlichen Mahl und schlief dann bei sämtlichen Gästen die ganze Nacht hindurch. Wenn aber alle davon genug hatten, suchte dieses Weib noch deren Sklaven auf, etwa dreißig an Zahl, und schlief bei jedem einzelnen von ihnen. Auch dann bekam sie dieses Schandleben nicht satt. Einmal soll sie in einem vornehmen Hause während des Zechgelages vor aller Augen auf die Kante des Speisesofas gesprungen sein und hemmungslos die Kleider um ihre Füße emporgerafft und ihre Schamlosigkeit offen zur Schau gestellt haben. Obwohl sie mit drei Öffnungen ihrem Gewerbe nachging, machte sie der Natur doch bittere Vorwürfe, daß diese ihr nicht auch die Brüste so erweitert habe, um damit noch eine weitere Art von Beischlaf halten zu können. Immer wieder war sie schwanger, doch vermochte sie durch alle möglichen Kunstgriffe die Frucht sofort wieder abzutreiben. Sie kleidete sich wiederholt auch im Theater vor den Augen des ganzen Publikums aus und trat so mitten auf die Bühne. Lediglich um die Hüfte und Brust trug sie eine Binde, nicht etwa weil sie sich schämte, auch diese Teile dem Volke zu zeigen, sondern weil niemand dort völlig nackt auftreten darf; man muß wenigstens um die Brust eine Binde haben. Mit dieser Bekleidung lag sie ausgestreckt rücklings auf dem Boden. Einige Bühnenarbeiter streuten über den Schoß Gerstenkörner, und die Gänse, die dazu abgerichtet waren, pickten sie mit ihren Schnäbeln einzeln auf. Theodora aber schämte sich dessen auch nicht im mindesten, im Gegenteil, man konnte den Eindruck gewinnen, als tue sie sich darauf noch etwas zugute. Sie war ja nicht nur schamlos, sondern verdarb auch noch die anderen in übelster Weise. Oft stand sie unbekleidet mitten unter den Schauspielern auf der Bühne und gab mit vorgewölbtem Bauch und herausgerecktem Hinterteil vor ihren Liebhabern und denen, die ihr noch nicht nahe gekommen waren, ihre gewohnten Ringerkünste zum besten. So wenig achtete sie ihren Körper, daß sie die Scham 45
nicht wie die anderen Frauen an ihrem natürlichen Platze, sondern im Gesicht zu tragen schien. Bei ihren Liebhabern gab es vom ersten Augenblick an keinen Zweifel, daß sie nur einen widernatürlichen Umgang pflegten. Alle besseren Leute aber, die ihr auf offenem Markte begegneten, machten mit Absicht einen Bogen und gingen ihr aus dem Wege, um nur ja nicht den Eindruck zu erwecken, als hätten sie ein Kleidungsstück dieses Weibes berührt und sich dadurch befleckt. Wer sie sah, zumal bei Tagesanfang, deutete dies als übles Vorzeichen. Gegen ihre Mitschauspielerinnen zeigte sie stets wildeste Gehässigkeit; denn ihr Neid war vielseitig. Späterhin begleitete sie den Hekebolos aus Tyros, den Statthalter der Pentapolis, um ihm schimpflichste Dienste zu leisten, verdarb es jedoch mit dem Manne und mußte sich eiligst aus dem Staube machen. Dadurch geriet sie in bittere Not und war weiterhin wie bisher genötigt, ihren Lebensunterhalt als Prostituierte zu verdienen. Zuerst führte sie ihr Weg nach Alexandreia. Dann durchzog sie den ganzen Osten und kam am Ende wieder nach Byzanz, wobei sie ihr Gewerbe in jeder Stadt ausübte. Wer diese einzeln nennen wollte, würde sich wohl die Ungnade Gottes zuziehen; denn der Teufel konnte es nicht mitansehen, daß ein Ort von Theodoras Zügellosigkeit nichts wissen sollte. So war also dieses Weib geboren, erzogen und bei vielen Huren und allen Menschen im Gerede. Nach ihrer Rückkehr nach Byzanz verliebte sich Justinian maßlos in sie und erhob sie ins Patriziat, obschon er sie zunächst nur als Geliebte gehabt hatte. Dadurch konnte sie sogleich gewaltige Macht und viel Geld gewinnen. Denn Justinian fand es für das schönste – so geht es in der Regel maßlos Verliebten –, alle möglichen Gefälligkeiten und Geldmittel seiner Geliebten zuzuwenden. Letztlich entflammte aber doch nur die Frage der Staatsführung diese Liebe zur hellen Glut; denn im Verein mit Theodora konnte Justinian das Volk noch viel mehr verderben, nicht allein hier in Byzanz, sondern 46
im ganzen Römerreich. Beide gehörten ja seit langer Zeit schon einer der Parteien, den Blauen, an und sicherten diesen Aufrührern einen großen Spielraum im Staatsleben. Erst nach vielen Jahren ließ das Übel in seiner schlimmsten Form etwas nach, und das kam auf folgende Weise: Justinian war längere Zeit krank, und sein Zustand verschlechterte sich derart, daß man ihn sogar schon für tot erklärte; die Terroristen aber setzten ihre schon erwähnten verbrecherischen Anschläge fort und töteten einen gewissen Hypatios, einen angesehenen Mann, am hellen Tag in der Sophienkirche. Kaum war die Tat geschehen, so drang auch schon die Schreckenskunde bis zum Kaiser. Seine ganze Umgebung – sie machte sich Justinians Abwesenheit zunutze – hob nachdrücklich das Abstoßende dieses Verbrechens hervor und zählte der Reihe nach auf, was an derartigen Vergehen bisher geschehen sei. Da beauftragte der Kaiser den Stadtpräfekten, alle Schuldigen zu belangen. Dieser Stadtpräfekt hieß Theodotos mit dem Beinamen Kolokynthios (kleiner Kürbis, Kürbismann). Nach genauen Untersuchungen konnte dieser tatsächlich eine große Anzahl von Verbrechern verhaften und nach dem Gesetz aburteilen lassen. Viele hielten sich freilich versteckt und kamen auf diese Weise mit dem Leben davon. Denn erst in der Folgezeit sollten die Schurken den Römern zum Heil ihren Lohn finden. Ganz unvermutet kam aber Justinian plötzlich wieder zu Kräften, und sein erster Gedanke war, den Theodotos als Zauberer und Giftmischer dem Henker zu überliefern. Da es ihm jedoch an einem geeigneten Vorwande fehlte, um dem Manne beizukommen, ließ er einige seiner Anverwandten aufs härteste foltern und die widersinnigsten Aussagen über ihn erpressen. Schon gingen alle dem Theodotos aus dem Wege und wagten nur in aller Heimlichkeit seinen Sturz zu bedauern. Einzig und allein der Quästor Proklos hatte den Mut zu erklären, der Mann sei unschuldig und verdiene daher auch nicht den Tod. So wurde Theodotos auf kaiserlichen Entscheid 47
nur nach Jerusalem verbannt. Er mußte dort freilich hören, daß einige gedungene Mörder eingetroffen seien. Aus diesem Grunde hielt er sich die ganze Zeit über im Kloster versteckt und lebte so bis zu seinem Ende. Das war das Schicksal des Theodotos. Die Terroristen aber nahmen von diesem Augenblick Vernunft an. Denn sie verzichteten weiterhin auf solche Vergehen, obschon ein zügelloses Leben für sie mit keiner Gefahr verbunden war. Zum Beweis diene folgendes: Als späterhin einige wenige die gleiche Frechheit an den Tag legten, blieben sie ungestraft. Die jeweiligen Gerichtsherrn nämlich gaben diesen Verbrechern die Möglichkeit, durchzuschlüpfen, und verleiteten sie durch ihr Entgegenkommen dazu, die Gesetze mit Füßen zu treten. Solange die alte Kaiserin noch am Leben war, war es für Justinian völlig unmöglich, Theodora zu seinem ehelichen Weibe zu machen. Denn in diesem einzigen Punkte blieb jene unnachgiebig, während sie ihm sonst keinen Widerstand leistete. Schlecht war diese Frau ja ganz und gar nicht, wohl aber, wie schon gesagt, recht bäurisch und von barbarischer Herkunft. Sie besaß keinerlei Fähigkeiten, und so lagen ihr Staatsgeschäfte durchaus fern. Nicht einmal ihren ursprünglichen Namen – er klang zu lächerlich – konnte sie beibehalten, als sie in den Kaiserpalast einzog. Sie hieß jetzt Euphemia. Nach einer Weile starb die Kaiserin. Justinos aber, ein Schwachkopf und uralter Mann, ward zum Gespötte seiner Untertanen, und da er die Vorgänge nicht verstand, so übergingen ihn alle voll Geringschätzung, doch vor Justinian zitterten sie und waren ihm zu Diensten. Denn unstet und neuerungssüchtig wie er war, zerstörte er alle Ordnung. Um diese Zeit entschloß sich Justinian, sich mit Theodora zu verloben. Da aber ein Senator keine Hetäre heiraten durfte – die ältesten Gesetze verboten dies –, veranlaßte er den Kaiser, ein neues Gesetz zu geben, und seitdem war er mit Theodora als seiner rechtmäßigen Gattin vermählt. Auch allen ande48
ren gestattete er die Heirat mit Hetären. Ein Usurpator, maßte er sich die Rechte des Kaisers an, wobei er unter dem Vorwand, eingreifen zu müssen, sein gewalttätiges Vorgehen verbarg. Tatsächlich riefen ihn alle maßgebenden römischen Persönlichkeiten zum Mitregenten seines Onkels aus, wobei freilich nur bebende Angst sie zu dieser Entscheidung bestimmte. Die Kaiserwürde empfingen Justinian und Theodora drei Tage vor dem Osterfest, da man doch keinen Freund empfangen, ja nicht einmal einen Friedensgruß sprechen soll. Bald darauf starb Justinos an einer Krankheit, nachdem er neun Jahre regiert hatte, und die Kaiserwürde lag nun allein bei Justinian und Theodora.
Kapitel 10 Theodoras Eintritt in die große Welt, ihr Zusammenspiel mit Justinian Das war wie gesagt die Herkunft, die Erziehung und Ausbildung Theodoras, und damit gelangte sie völlig ungehindert bis zur Kaiserwürde. Ihr Gatte hatte ja keine Vorstellung von der Schmach, die er damit allen antat; hätte er doch im ganzen Römerreich seine Wahl treffen und zu seiner Ehefrau das vornehmste Mädchen machen dürfen, das seine Erziehung in aller Stille erfahren hatte, Ehrgefühl, dazu Verstand und blendende Schönheit besaß, eine reine Jungfrau, eine Orthotitthos (= mit aufrechten Brüsten), wie man sagt. Justinian entblödete sich indessen nicht, ohne Rücksicht auf das Ebenerwähnte den allgemeinen Schandfleck der Welt sich zu eigen zu machen und ein Weib zu nehmen, das unter anderen schrecklichen Vergehen auch vielfachen Kindsmord durch freiwillige Abtreibung begangen hatte. Weiteres über die Art dieses Menschen zu berichten, halte ich für völlig unnötig. Denn alle seine seelischen 49
Empfindungen dürfte dieser Ehebund hinlänglich dartun, Dolmetscher, Zeuge und zugleich Biograph seines Charakters. Denn wer ohne Schamgefühl für seine Taten sich erfrecht, allen ins Gesicht zu schlagen, der geht jeden Weg der Gesetzlosigkeit, der trägt stets die Verworfenheit auf der Stirne und läßt sich spielend leicht und mühelos zu schmutzigsten Taten herbei. Aber freilich kein einziges Mitglied des Senates wagte, als es den Staat in solche Schande geraten sah, seine Empörung auszudrücken und so etwas zu verbieten, nein, gleich Gott wollten ihr alle fußfällig ihre Unterwürfigkeit ausdrücken. Auch Priester ließen nichts von ihrer Empörung merken, und dabei hatten sie das Weib als »Herrin« anzureden. Das Volk, ihr früheres Publikum, fand ebenfalls nichts dabei, ohne weiteres sogleich ihren Sklaven zu spielen und mit zurückgebogenen Händen sich selbst als solchen zu bezeichnen. Auch kein Soldat war darüber ergrimmt, wenn er nun für Theodoras Sache Kriegsgefahren auf sich nehmen sollte, nein, überhaupt kein Mensch trat ihr entgegen, sondern alle, wie ich glaube, ließen dabei dem Schicksal freien Lauf und diese Schmach geschehen, wie wenn die Tyche ihre Macht hätte zeigen wollen, die Tyche, die doch alle Menschendinge leitet und sich ganz und gar nicht darum bekümmert, ob das Geschehen sittlich einwandfrei oder jeder Vernunft zu widersprechen scheint. In sinnloser Geberlaune erhebt sie ja manchen über alle Widerstände hinweg zu gewaltiger Höhe, und gar nichts vermag sie dabei zu hemmen. Unbeirrt geht sie ihren vorbezeichneten Weg, wobei ihr alles bereitwillig Platz macht und ihrer Bahn folgt. Das soll sich aber nun so verhalten und gesagt sein, wie es Gott gefällt! Theodora war übrigens schön von Angesicht und auch sonst anmutig, von kleiner Statur und von nicht ausgesprochen, sondern leicht blasser Hautfarbe; ihr Blick war immer wild und scharf. Wollte man ihre vielen, vielen Erlebnisse auf dem Theater erzählen, so wäre in aller Ewigkeit kein Ende zu finden. Ich habe 50
im Vorausgehenden ein paar Proben ausgewählt und glaube so ihre ganze Wesensart den kommenden Geschlechtern hinreichend enthüllt zu haben. Nun muß ich ihr und ihres Mannes Wirken in Kürze darlegen; denn solange sie lebten, tat keiner etwas ohne den andern. Lange Zeit bestand ja bei allen der Eindruck, sie verfolgten in ihrem Denken und Handeln gegensätzliche Richtungen, späterhin mußte man freilich darin einen wohlüberdachten Plan erkennen, darauf abgestellt, daß die Untertanen nicht gemeinsame Sache gegen sie machten; die Einstellung gegen sie sollte vielmehr allgemein geteilt sein. Zuerst entzweiten sie die Christenheit, indem sie so taten, als gingen sie bei Streitigkeiten verschiedene Wege. Dadurch erst riefen sie, wie ich im folgenden noch berichten will, eine allgemeine Spaltung hervor. Später entzweiten sie auch die Aufrührer. Theodora gefiel sich dabei in der Rolle, als trete sie mit aller Macht für die Blauen ein, und indem sie ihnen freie Hand ließ, ermöglichte sie roheste Verbrechen und schlimmste Gewalttaten. Justinian hingegen erweckte den Eindruck, als sei er insgeheim mit all dem gar nicht einverstanden, müsse sich aber den Befehlen seiner Frau beugen. Vielfach wechselten sie auch den Schein der Macht und schlugen entgegengesetzte Wege ein. Dann erklärte Justinian, die Blauen als Verbrecher belangen zu wollen, Theodora aber spielte nur zum Schein die Grollende, wenn sie voller Schmerz erklärte, sehr wider ihren Willen habe sie sich ihrem Manne fügen müssen. Die Terroristen unter den Blauen zeigten sich indessen, wie gesagt, als ganz vernünftige Menschen; viele Möglichkeiten zu Gewalttaten hätten sie gehabt, verzichteten aber darauf, irgendeinen Gebrauch davon zu machen. Bei den Prozessen nun erweckte jede der Majestäten den Eindruck, als helfe sie einer Partei, den Sieg freilich errang – wie hätte es auch anders sein können? – der Vertreter der ungerechten Sache. So waren die beiden imstande, den größten Teil der Streitsummen für sich einzustrei51
chen. Viele, die der Kaiser zu seiner Umgebung wählte, ließ er nach Herzenslust Gewalttaten und Staatsverbrechen begehen. Sowie sie aber zu großem Reichtum gelangt schienen, zogen sie sich schnell wegen angeblicher Beleidigung die Ungnade der Kaiserin zu. Anfänglich nahm sich der Kaiser ihrer nachdrücklich an, später jedoch entzog er ihnen seine Huld und erlahmte plötzlich in seinem Eifer. Und sogleich sprang die Kaiserin aufs übelste mit den unglücklichen Opfern um; dabei tat Justinian so, als merke er nichts, zog aber deren gesamtes Vermögen auf unverschämte Art und Weise ein. Mit solchen Kniffen konnten die beiden, indem sie sich in die Hände arbeiteten, nach außen hin freilich einen Gegensatz markierten, die Untertanen stets entzweien und ihre Gewaltherrschaft umso fester begründen.
Kapitel 11 Justinians Reformwut und Verschwendungssucht, besonders den Barbaren gegenüber. Seine verhängnisvolle Gewaltpolitik gegen religiöse Sekten Unmittelbar nach seiner Thronbesteigung vermochte Justinian die ganze Ordnung zu erschüttern. Was nämlich vorher gesetzlich verboten war, das führte er ein, beseitigte hingegen sämtliche bestehenden und gewohnten Einrichtungen, wie wenn er sich das Kaisertum nur dazu verschafft hätte, um allem und jedem eine andere Form zu geben. Er hob die vorhandenen Ämter auf, neugeschaffene betraute er mit der Leitung der Geschäfte. Ebenso verfuhr er mit den Gesetzen und den Regimentern, ohne jedes Gefühl der Gerechtigkeit und ohne Rücksicht auf Vorteil, lediglich damit alles neu werde und seinen Namen trage. Wenn er etwas im Augenblick auch nicht ändern konnte, dann versah er es wenigstens mit seinem Namen. 52
In Rauben und Morden konnte er nie genug bekommen; hatte er eine Menge reicher Häuser ausgeplündert, suchte er sogleich andere, nachdem er seine frühere Beute schon wieder an einige Barbaren oder für unsinnige Bauwerke verschleudert hatte. Unzählige Menschen beseitigt zu haben, ließ ihn kalt; sofort machte er sich daran, andere in noch größerer Zahl zu vernichten. Da die Römer mit aller Welt in Frieden lebten und er keine Möglichkeit zum Morden hatte, wiegelte er mit Leidenschaft sämtliche Barbaren gegeneinander auf. Dabei ließ er ohne ersichtlichen Grund auch die hunnischen Führer zu sich kommen und warf ihnen in sinnloser Verschwendungssucht Riesensummen hin, angeblich als Unterpfänder der Freundschaft. Dies soll er auch schon zu Justinos’ Zeiten so getrieben haben. Die Barbaren strichen das Geld ein und schickten einige Mithäuptlinge samt ihrem Gefolge; diese sollten sofort römisches Gebiet angreifen, damit auch sie den Frieden an einen gewissenlosen Käufer verschachern könnten. Und sie versklavten sogleich das Römische Reich, bezogen aber nichtsdestoweniger vom Kaiser ihren Lohn; andere traten sofort wieder an deren Stelle, um die unglücklichen Römer heimzusuchen, und empfingen zur Beute hinzu noch des Kaisers freigebige Geschenke als Preis für ihren Überfall. So ließ sich also, um es kurz zu sagen, kein Barbar eine Gelegenheit entgehen, um abwechselnd alles zu plündern und zu rauben. Diese Barbaren besitzen nämlich viele Gruppen von Häuptlingen, und der Krieg lief unter ihnen reihum. Die Ursache war in der sinnlosen Verschwendung des Kaisers zu suchen, und so fand die Unruhe kein Ende, sondern drehte sich immer nur im Kreise. Kein Ort, kein Berg, keine Höhle oder sonst ein Fleckchen römischen Landes blieb daher zu dieser Zeit unverwüstet, viele Gebiete wurden dem Feinde mehr als fünfmal zur Beute. Dies und die Auseinandersetzungen mit Persern, Sarazenen, Sklavenen, Anten und sonstigen Barbaren habe ich schon in meinen früheren Büchern behandelt. Doch was ich zu Beginn dieser Darstellung versprach, 53
mußte ich jetzt einlösen und den wahren Grund der vielen Heimsuchungen angeben. Zur Erhaltung des Friedens hatte Justinian eine Menge Kentenarien an Chosroes verschleudert; nun verschuldete er durch sein eigenwilliges, unüberlegtes Handeln ganz allein den Bruch des Vertrages. Er wollte nämlich, wie ich schon an der betreffenden Stelle deutlich ausgeführt habe, Alamundaros und die Hunnen, die Bundesgenossen der Perser, mit allen Mitteln auf seine Seite herüberziehen. Obschon Justinian durch Unruhen und Krieg Leid genug über die Römer brachte – nur darauf erpicht, auf vielerlei Art die Welt mit Menschenblut zu tränken und noch mehr Geld zu erbeuten –, ersann er ein weiteres Mittel zur Vernichtung der Untertanen. Dieses war folgendes: Im ganzen Römerreich gibt es viele verwerfliche Glaubensrichtungen unter den Christen, die man Häresien nennt, Montanisten, Sabbatianer und all die anderen, die die religiösen Überzeugungen der Menschen verwirren. Diesen gebot Justinian samt und sonders, ihren bisherigen Glauben zu ändern. Den Ungehorsamen drohte er unter vielem anderen auch damit, daß sie ihr Vermögen nicht mehr an ihre Kinder oder sonstigen Verwandten vererben könnten. Die Kirchen dieser Häretiker, vor allem der Arianer, besaßen unerhörten Reichtum. Und weder der ganze Senat noch sonst eine höchste Stelle im Römerreich konnte sich mit ihnen an Wohlstand messen. Massenhaft besaßen sie Kostbarkeiten aus Gold, Silber und wertvollen Gesteinen, außerdem zahlreiche Häuser und Gehöfte und allenthalben viel Land und was sonst nach menschlichem Denken als Reichtum gilt und so heißt; denn noch kein Herrscher hatte sich an diesem Besitze vergriffen. Viele Leute, auch Rechtgläubige, hatten durch berufliche Tätigkeit davon ihr stetes Auskommen. Diesen nahm Justinian durch die Konfiskation des kirchlichen Besitzes plötzlich den ganzen Verdienst. Seitdem war die Masse von allem weiteren Lebensunterhalt abgeschnitten. 54
Scharen von Agenten durchzogen sogleich allenthalben das Land und zwangen, wen sie trafen, zur Aufgabe seines ererbten Glaubens. Da nun dies den Bauern ein Frevel schien, so entschlossen sie sich zu einmütigem Widerstand gegen die Schergen. Viele Häretiker fanden den Tod durchs Schwert, viele begingen sogar Selbstmord – in ihrer Einfalt glaubten sie damit ein gottgefälliges Werk zu vollbringen –, die Masse aber floh aus der Heimat. In Phrygien schlossen sich die Montanisten in ihre Gotteshäuser ein, zündeten diese sofort an und gingen sinnlos mit zugrunde. Das ganze Römerreich war so von Mord und Flucht erfüllt. Ein entsprechendes Gesetz wurde alsbald auch für die Samaritaner erlassen und rief in ganz Palästina schreckliche Aufregung hervor. Wer nun in meinem lieben Kaisareia und den sonstigen Städten wohnte, hielt es für Torheit, sich wegen einer sinnlosen Glaubensformel Verfolgungen auszusetzen. Sie vertauschten also ihren Namen gegen den von Christen und vermochten sich durch diese Finte der gesetzlichen Strafe zu entziehen. Und wer von ihnen etwas Verstand und rechtes Empfinden hatte, blieb diesem Bekenntnis treu, die Mehrzahl freilich, gleichsam erbittert darüber, daß sie nicht freiwillig, sondern nur unter dem Zwang der Gesetze ihren väterlichen Glauben gewechselt hatte, fiel sogleich den Manichäern und den sogenannten Polytheisten zu. Die ländliche Bevölkerung aber rottete sich zusammen und war entschlossen, dem Kaiser mit Waffengewalt entgegenzutreten. Zu ihrem neuen Kaiser riefen sie einen Räuber namens Julianos aus, den Sohn des Sabaros. Und eine Zeitlang konnten die Aufständischen den Soldaten in kleineren Gefechten siegreichen Widerstand leisten, dann unterlagen sie in einer Schlacht und fanden mit ihrem Anführer den Tod. Hunderttausend sollen bei dieser Katastrophe ums Leben gekommen sein, und der beste Ackerboden ist seitdem ohne Bauern. Den christlichen Grundherren brachte diese Sache arges Unglück; denn obschon sie kei55
ne Einnahmen hatten, mußten sie doch die jährliche Steuer, einen starken Betrag, weiterhin an den Kaiser entrichten. So rücksichtslos wurde diese Maßnahme durchgeführt. Hierauf schritt Justinian mit Folter und Ausplünderung gegen die sogenannten Hellenen ein. Doch auch dort nahm es den Weg, daß alle, die den christlichen Namen zum Schein angenommen hatten und unter diesem Vorwand den drohenden Gefahren entgangen waren, bald darauf bei ihren Trank- und Brandopfern und sonstigen gottlosen Verrichtungen meist ertappt wurden. Was mit den Christen geschah, werde ich später behandeln. Nachher verbot der Kaiser auch die Päderastie. Er ließ dabei nicht nur die nach dem Erlaß des Gesetzes liegenden Fälle untersuchen, sondern auch den früher einmal davon ergriffenen Verbrechern nachforschen. Ihre Bestrafung entbehrte jeder Rechtsform; denn die Ahndung geschah ohne Kläger, und das Zeugnis eines einzigen Mannes oder Kindes, sogar eines Sklaven, der gegebenenfalls unter Zwang gegen seinen Herrn ausgesagt hatte, erschien als vollgültiger Beweis. Die so als schuldig Befundenen wurden kastriert und öffentlich durch die Straßen geführt. Anfänglich traf die Strafe freilich nicht alle, sondern nur die Grünen und solche Personen, die anscheinend große Reichtümer besaßen oder sonstwie bei den Gewaltherrschern Anstoß erregt hatten. Hart verfuhr man auch mit den Sterndeutern. Die mit Diebstahl beschäftigte Behörde unterwarf sie lediglich deshalb Folterungen, versetzte ihnen zahllose Hiebe auf den Rücken und ließ sie auf Kamelen durch die ganze Stadt führen, alte, ehrenwerte Männer, denen man nichts anderes zur Last legen konnte, als daß sie an solch einem Platze sternkundig sein wollten. So flohen unablässig viele Menschen nicht nur zu den Barbaren, sondern auch in die fernsten Winkel des Reiches, und in jedem Lande und jeder Stadt waren stets ungezählte Flüchtlinge zu sehen. Um sich zu verstecken, wanderten alle eiligst aus ihrem Vaterlande 56
in die Fremde; man hätte meinen können, ihre Heimat sei eine Beute der Feinde geworden. Auf die eben genannte Art raubten Justinian und Theodora den Besitz der wohlhabenden Kreise in Byzanz und den anderen Städten. Dabei rede ich gar nicht von den Senatoren. Wie sie auch diese Leute um ihre ganze Habe brachten, will ich im folgenden darlegen.
Kapitel 12 Ausplünderung der Senatoren durch Justinian, seine dämonische Wesensart Es lebte in Byzanz ein gewisser Zenon, der Enkel jenes Anthemios, der im Westen früher die Kaiserwürde bekleidet hatte. Diesen Mann ernannten die Majestäten in bewußter Absicht zum Statthalter von Ägypten und sandten ihn auf die Reise. Zenon füllte sein Schiff mit den größten Kostbarkeiten und rüstete sich zur Abfahrt; er besaß nämlich unabschätzbar viel Silber und ebenso Goldgeräte, besetzt mit Perlen, Smaragden und anderen kostbaren Steinen. Nun bestach das Herrscherpaar einige seiner vertrautesten Diener und hieß die Schätze in aller Eile aus dem Schiffe entfernen, dann ließen sie Feuer an den Rumpf legen und dem Zenon berichten, der Brand im Schiff sei von selbst ausgebrochen und habe die Wertsachen vernichtet. Nach einer Weile schied Zenon ganz überraschend aus dem Leben. Daraufhin bemächtigte sich das Kaiserpaar als Erbe seines Vermögens. Es brachte hierfür ein Testament zum Vorschein, von dem man sich freilich erzählte, es stamme nicht von Zenon. Auch bei Tatianos und Demosthenes, die im sonstigen Leben und im Senat den ersten Rang bekleideten, sowie bei der Hilara machten sie sich auf gleiche Weise zu Erben. Bei einigen fälsch57
ten sie nicht Testamente, sondern Briefe und gelangten so in den Besitz des Vermögens. Auf diese Art und Weise beerbten sie den Dionysios, der auf dem Libanon wohnte, und den Johannes, den Sohn des Basileios, der unter den Einwohnern Edessas die glänzendste Stellung einnahm, gewaltsam aber, wie schon früher erwähnt, von Belisar als Geisel den Persern ausgeliefert wurde. Diesen Johannes ließ nämlich Chosroes nicht mehr frei, er warf vielmehr den Römern vor, sämtliche Abmachungen gebrochen zu haben, derentwegen ihm dieser Mann von Belisar übergeben worden sei. Doch wollte er ihn als Kriegsgefangenen verkaufen. Johannes’ Großmutter – sie war noch am Leben – bot nun volle zweitausend Litren Silber als Lösegeld und durfte schon damit rechnen, ihren Enkel freizubekommen. Als aber das Lösegeld in Daras eingetroffen war, erfuhr der Kaiser von der Sache und verbot das Geschäft mit den Worten: »Römisches Geld kommt nicht zu Barbaren.« Bald darauf erkrankte Johannes und starb; nun fälschte der Stadtpräfekt einen Brief und erklärte, Johannes habe ihm als einem Freunde kurz zuvor geschrieben, daß seinem Wunsche entsprechend der Kaiser das Vermögen erbe. Die Namen aller anderen, zu deren Erben sich die Majestäten machten, kann ich nicht aufzählen. Bis zum Nikaaufstand glaubten sie die Vermögen der Wohlhabenden nur in Einzelfällen für sich beanspruchen zu dürfen. Doch als diese Bewegung, wie schon erwähnt, losbrach, konfiszierten sie den Besitz beinahe sämtlicher Senatoren und verfügten über allen Hausrat und die schönsten Plätze nach Gutdünken; was aber harter und schwerer Besteuerung unterlag, wählten sie klüglich aus und gaben es unter dem Schein der Milde an die früheren Besitzer zurück. So mußten diese, von Steuerbeamten bedrängt und von immerwährenden Schuldzinsen aufgerieben, in steter Todesnot ein unfrohes Leben führen. Deshalb machten mir und den meisten von uns die beiden niemals den Eindruck von Menschen, sondern von mörderischen und, wie 58
die Dichter sagen, menschenfressenden Dämonen. Sie berieten sich erst miteinander, wie sie alle Geschlechter und Werke der Menschen möglichst einfach und schnell vernichten könnten, dann nahmen sie Menschengestalt an und suchten als »Menschendämonen« die ganze bewohnte Erde heim. Beweisen könnte uns dies neben vielem anderen auch die furchtbare Gewalt ihres Tuns. Dämonen sind ja etwas ganz anderes als Menschen. Während von jeher Menschen auftraten, gar schreckenerregend durch Schicksalswillen oder Naturanlage, und zu ihrer Zeit entweder Städte oder ganze Länder oder sonst dergleichen vernichteten, waren doch nur diese zwei imstande, Tod über die gesamte Menschheit und Unglück über die ganze bewohnte Erde zu bringen. Das Schicksal selbst schien sich mit ihnen zur Vernichtung der Menschheit verbunden zu haben. Denn durch Erdbeben, Hungersnöte und Überschwemmungen ging damals sehr viel zugrunde, wie ich sogleich ausführen will. So verrichteten sie nicht aus Menschen-, sondern aus anderer Kraft heraus ihre Schreckenstaten. Man erzählt sich, auch seine Mutter habe einigen Verwandten gegenüber erklärt, er sei weder ihres Mannes, des Sabbatios, noch sonst eines Menschen Sohn. Als sie ihn nämlich empfangen sollte, sei zu ihr ein Dämon gekommen, der nicht zu sehen war, sondern seine Anwesenheit nur spüren ließ, habe ihr beigewohnt und sei wie im Traum verschwunden. Einige seiner Diener, die zu später Stunde noch bei Justinian im Palatium weilten, Männer mit ganz reiner Seele, glaubten statt seiner eine ihnen unbekannte Gespenstererscheinung zu erblicken. Der Kaiser habe sich, so erklärte einer, plötzlich von seinem Throne erhoben und sei dort herumgegangen; denn lange pflegte er nicht zu sitzen. Dann sei dessen Haupt plötzlich verschwunden und nur der übrige Körper habe, wie es schien, die ausgedehnten Wanderungen fortgesetzt. Der Beobachter selber habe, da der Anblick seine Augen völlig verwirrte, ganz rat59
los dagestanden. Später sei, wie er glaube, der Kopf zum Körper zurückgekehrt, so daß sich das Fehlende überraschend ergänzte. Ein anderer Gewährsmann behauptet, er sei neben dem Sitze des Kaisers gestanden und habe gesehen, wie sein Antlitz plötzlich zu einem formlosen Fleischklumpen wurde. Es trug weder Brauen noch Augen an der entsprechenden Stelle, und auch sonst war alles verschwommen. Mit der Zeit habe indessen Justinian seine alten Züge wieder bekommen. Das schreibe ich nicht als Augenzeuge, sondern nur auf den Bericht von Leuten hin, die es damals gesehen haben wollen. Ein sehr frommer Mönch soll von seinen Mitbrüdern in der Wüste nach Byzanz entsandt worden sein, um dort den Nachbarn Erleichterung zu schaffen, die unerträgliche Mißhandlungen zu erdulden hatten. Sogleich nach seiner Ankunft erhielt er Audienz. Wie er nun eintreten wollte, setzte er mit dem einen Fuß über die Schwelle, zog ihn aber plötzlich wieder zurück und kehrte um. Der Eunuch an der Türe und die anderen Höflinge drangen, wie man sich erzählt, in den Mann, er solle doch weitergehen. Doch der habe keine Antwort gegeben und sei wie von Sinnen in sein Quartier geeilt. Auf die Frage seiner Begleiter nach dem Grunde dieses seltsamen Gebarens habe er offen erklärt: »Ich sah den Fürsten der Dämonen im Palaste auf dem Throne sitzen. Mit dem möchte ich nicht zusammentreffen oder von ihm etwas erbitten.« Wie sollte auch dieser Mensch kein verderblicher Dämon sein, wo er sich doch niemals an Trank oder Speise oder Schlaf ersättigte, sondern nur so obenhin von den Gerichten kostete und dann in tiefer Nacht im Palaste umherwandelte, obschon er auf Liebesgenuß ganz besonders begierig war! Einige Liebhaber Theodoras berichten auch, ein Dämon habe sie, während sie noch am Theater tätig war, im Dunkeln unter Scheltworten aus dem Zimmer gejagt, in dem sie die Nacht mit ihr verbrachten. Die Blauen in Antiocheia hatten eine Tänzerin namens Makedonia; diese war sehr mächtig. Sie schrieb nämlich 60
an Justinian, noch während dieser die Regierung für Justinos führte, Briefe und beseitigte mühelos auf diese Weise von angesehenen Leuten im Osten, wen sie gerade wollte. Die Besitztümer konfiszierte dann der Kaiser. Diese Makedonia soll einmal Theodora bei ihrer Rückkehr aus Ägypten und Libyen freundlich aufgenommen und, als sie dieselbe wegen der üblen Behandlung durch Hekebolios und wegen der finanziellen Verluste auf der Reise sehr bedrückt und niedergeschlagen sah, getröstet und ermutigt haben; das Schicksal könne ihr doch auch wieder viel Geld in den Schoß werfen. Da erklärte, wie es heißt, Theodora, ihr sei in jener Nacht ebenfalls ein Traumbild erschienen und habe ihr bedeutet, sich um Geld keine weiteren Sorgen zu machen. Denn wenn sie nach Byzanz komme, werde sie mit dem Fürsten der Dämonen das Lager teilen, diesem ganz bestimmt als Ehefrau beiwohnen und dadurch über alle Gelder verfügen.
Kapitel 13 Justinians scheinbare Milde, seine Frömmelei, Unbeständigkeit und Habsucht Diese Ansicht teilten die meisten Leute. Justinian war sonst in seiner Art wie geschildert; er zeigte sich aber gegen jedermann zugänglich und freundlich. Niemand war von einer Audienz ausgeschlossen, ja selbst denen, die nicht der Hofordnung entsprechend vor ihm standen oder sprachen, erwies er sein Wohlwollen. Das veranlaßte ihn aber nicht, vor irgendeinem seiner Opfer in Scham zu erröten. Niemals zeigte er auch nur die Spur von Wut und Groll denen, die seinen Zorn erregt hatten, im Gegenteil, mit sanfter Miene, gesenkten Augen, leiser Stimme ver61
fügte er den Tod unzähliger unschuldiger Menschen, die Vernichtung von Städten und allgemeine Konfiskation. Angesichts solcher Haltung hätte man auf ein Lammsgemüt schließen können. Jedoch, wenn irgend jemand mit flehentlichsten Bitten den Versuch wagte, die unglücklichen Sünder freizubekommen, dann schien er voller Wut und Hohn zu werden, auf daß ja kein Nahestehender künftig sich in der Hoffnung gefalle, sich etwas ausbitten zu können. Zu Christus hatte er offenbar eine feste Einstellung, doch auch diese nur zum Verderben der Untertanen. Denn die Priester ließ er ungestraft ihren Mitmenschen Gewalt antun und Freute sich noch, wenn sie den Besitz ihrer Nachbarn ausplünderten, alles im Glauben, damit ein Gott wohlgefälliges Werk zu tun. Er meinte solche Prozesse recht zu entscheiden, wenn einer fremden Besitz als angebliches Kirchengut raubte und dann noch als Sieger hervorging. Denn das Recht beruhe, davon war er überzeugt, auf der Überlegenheit der Priester ihren Widersachern gegenüber. Auch selber eignete er sich auf unrechtmäßige Weise das Vermögen Lebender wie Toter an, und indem er dieses sofort einer Kirche vermachte, suchte er unter dem Mantel frommer Gesinnung zu verhindern, daß der Besitz je wieder an die Geschädigten zurückkam. Auch zahllose Morde lud er deshalb auf sein Gewissen. Denn in seinem Bemühen, alle zu einem einheitlichen Christusglauben zusammenzuführen, setzte er sich unbedenklich über anderer Leben hinweg und tat sich dabei noch etwas auf seine Frömmigkeit zugute; galt es ihm doch nicht als Menschenmord, wenn die Opfer nicht Glaubensgenossen waren. So war sein stetes Trachten auf Menschenmord gerichtet, und immer steckte er mit seiner Gemahlin zusammen, die todbringenden Anklagen auszusinnen. Denn diese beiden besaßen durchaus verwandte Begierden; auch darin, worin sich ihre Wesensart anscheinend unterschied, waren sie verbrecherisch, und nur um die Untertanen zu verderben, zeigten sie die schärfsten Gegen62
sätze. In seiner Gesinnung war Justinian leichter als Staub zu bewegen und ließ sich von allen, die ihn jeweils zu irgendeiner Sache verlocken wollten, gerne bestimmen, sofern nur diese nicht auf Wohltun oder Uneigennützigkeit hinauslief. Schmeicheleien war er ganz offensichtlich zugänglich. Schönredner konnten ihn ohne weiteres überzeugen, daß er hoch erhaben sei und in den Lüften daherschreite. Als einmal Tribonianos neben ihm saß, erklärte dieser, er fürchte sehr, der Kaiser möge einmal ob seiner Frömmigkeit unversehens in den Himmel auffahren. Solche Lobsprüche, besser gesagt Hohnworte, behielt Justinian fest im Gedächtnis. Er konnte gegebenenfalls auch die Vorzüglichkeit eines Menschen bewundern, um ihn kurz darauf einen schlechten Kerl zu schelten. Und wenn er eben noch einen Untertanen beschimpft hatte, trat er hinwiederum als dessen Lobredner auf, freilich nur zum Scheine, ohne daß ein bestimmter Grund einen Sinneswandel verursacht hätte. Sein Denken lief ja dem entgegengesetzt, was er sagte und scheinen wollte. Wie er sich zu Freundschaft und Feindschaft verhielt, habe ich bereits dargelegt und dabei meine Beweise aus dem allgemeinen Wirken des Mannes genommen. Als Feind war er beständig und unbarmherzig, gegen Freunde nur allzu schwankend. So vernichtete er denn ohne weiteres sehr viele seiner Freunde; wen er aber einmal haßte, dem wurde er niemals wohlgesinnt. Wer besonders angesehen war und ihm nahestand, den lieferte er seiner Gemahlin oder sonstwem aus Gefälligkeit zur alsbaldigen Beseitigung aus; dabei wußte er nur zu gut, daß allein die Ergebenheit gegen ihn diesen den Tod bringen werde. Treulosigkeit war in all seinem Tun abgesehen von Unmenschlichkeit und Habgier sein deutlichstes Kennzeichen. Davon konnte ihn niemand abbringen. Denn selbst in den Dingen, die seine Gemahlin sonst nie erreicht hätte, zwang sie ihm ihren Willen auf und brachte ihn, wenn sie nur große Hoffnungen auf Gewinn machen konnte, zu jeder beliebigen Tat. 63
Stets war er um schmutzigen Gewinnes willen bereit, Gesetze zu erlassen und wieder aufzuheben. Recht sprach er nicht gemäß den Gesetzen, die er selbst gegeben hatte, sondern so, wie ihn eben eine größere und glänzendere Aussicht auf Geld bestimmte. Wenn er unter irgendeinem Verwände nicht alles auf einmal bekommen konnte, so fand er nichts dabei, auch im kleinen das Vermögen seiner Untertanen zu stehlen. Er erhob dann entweder eine unerwartete Anklage oder nahm ein erdichtetes Testament zum Vorwand. Treue und Glaube an Gott blieben erschüttert, solange er über das Römische Reich herrschte; kein Gesetz war unverbrüchlich, kein Geschäft zuverlässig, keine Abmachung hatte Bestand. Wenn nun einige seiner Vertrauten zu irgendeiner Sache abgeordnet wurden und dabei viele Opfer ums Leben kamen, sie selber aber reiche Beute machten, dann genossen sie sogleich beim Kaiser hohes Ansehen und als gewissenhafte Vollstrecker seines Willens eine dementsprechend rühmende Bezeichnung; schonten sie hingegen die Leute und traten so vor den Herrscher, war er ihnen künftig abgeneigt und feindlich. Er verzichtete auf solchen Diener als einen altmodischen Kerl und zog ihn zu keiner weiteren Aufgabe mehr heran. Daher bemühten sich viele, ihm ihre Schlechtigkeit zu beweisen, obschon ihr Charakter nicht so war. Oftmals gab er Leuten Zusagen und bestätigte diese durch Eid und Schriftsatz, doch hatte er im Nu die Sache schon wieder vergessen und glaubte sogar noch Ruhm dadurch zu ernten. Und solche Schandtaten erlaubte sich Justinian nicht nur gegenüber seinen Untertanen, sondern auch gegenüber vielen Feinden, wie ich schon früher einmal gesagt habe. Er hatte sozusagen kein Schlafbedürfnis und sättigte sich auch nie an Speise und Trank. Nur mit den Fingerspitzen kostete er obenhin und hatte dann schon genug. Derlei erschien ihm wie eine nebensächliche Naturnotwendigkeit. Vielfach blieb er zwei Tage und zwei Nächte ohne Nahrung, zumal wenn es die vor64
österliche Zeit so mit sich brachte. Dann aß er, wie schon gesagt, zwei Tage lang nichts und lebte nur von etwas Wasser und wilden Kräutern. Er schlief gelegentlich eine Stunde, den Rest der Nacht verbrachte er mit dauerndem Umhergehen. Hätte er freilich gerade diese Zeit zu Wohltaten benützt, so wäre es dem Staate sehr gut ergangen. So aber mißbrauchte er seine natürliche Kraft zum Schaden der Römer und zerstörte ihr Reich bis auf den Grund. Das dauernde Wachen, Mühen und Sichquälen nahm er einzig und allein zu dem Zwecke auf sich, täglich gräßlichere Übel für die Untertanen auszuhecken. Er war, wie gesagt, außerordentlich scharf im Ersinnen und schnell im Ausführen ruchloser Taten, so daß bei ihm sogar die Vorzüge der Natur zum Schaden der Untertanen ausschlugen.
Kapitel 14 Mißstände im Rechtsleben unter Justinian Im Staate gab es viel Durcheinander, und von den gewohnten Einrichtungen blieb keine bestehen. Davon will ich einiges wenige anführen, den Rest aber mit Stillschweigen übergehen, damit sich meine Ausführungen nicht ins Uferlose verlieren. Erstens besaß er selber nichts von kaiserlicher Würde und suchte sie auch nicht aufrechtzuerhalten; seine Sprache, sein Äußeres und seine Denkweise verrieten den Barbaren. Die schriftliche Ausfertigung der Erlasse übertrug er nicht wie herkömmlich dem Quästor, sondern faßte trotz seiner schlechten Sprachkenntnisse diese selber ab. Dazu mischte sich eine Menge beliebiger Menschen ins Geschäft, so daß die Leidtragenden nicht wußten, über wen sie sich beklagen sollten. Den sogenannten »a secretis« stand nicht, wie es die herkömmliche Ordnung vorsah, die allei65
nige Aufgabe zu, die geheimen Schreiben des Kaisers erledigen zu dürfen; er schrieb sozusagen alles selber, auch wenn er die Richter in der Stadt anweisen mußte, wohin ihr Entscheid zu gehen habe. Denn er ließ niemand im Römischen Reiche selbständige Urteile fällen; eingebildet und in sinnloser Willkür traf er selbst, nachdem er lediglich mündliche Kunde von einem der Prozeßgegner eingeholt hatte, seine Entscheidungen und hob ohne gründliche Prüfung bereits erlassene Urteile sogleich wieder auf. Weder Recht noch Gesetz bestimmten ihn hierzu, er folgte in aller Offenheit nur schmutziger Gewinnsucht. Sich bestechen zu lassen, hielt ja der Kaiser nicht unter seiner Würde, nachdem ihm seine Unersättlichkeit alle Scham genommen hatte. Oft wichen die Ansichten des Senats und des Kaisers voneinander ab. Indessen der hohe Rat saß wie auf einem Gemälde da, hatte weder Macht zur Abstimmung noch zur Förderung des Guten und war überhaupt nur der Form und einem alten Herkommen zuliebe versammelt. Keiner der Anwesenden durfte ja auch nur ein einziges Wort sprechen, vielmehr taten Kaiser und Kaiserin regelmäßig so, als teilten sie einander die Streitpunkte mit, es wurde aber nur beschlossen, was beide unter sich vereinbart hatten. Wenn sich aber einer in seinem ungesetzlichen Sieg nicht ganz sicher fühlte, dann warf er dem Kaiser noch weiteres Gold hin und erreichte auf der Stelle ein anderes Gesetz, das allen früheren ganz und gar zuwiderlief. Verlangte nun wieder einer nach dem abgeschafften Gesetz, so machte es dem Kaiser nicht das mindeste aus, es wieder aufzugreifen und von neuem gültig zu machen. Nichts hatte dauernde Kraft, die Waage des Rechtes schwankte vielmehr unsicher nach beiden Seiten hin, wo eben die größere Goldmenge sie durch ihr Gewicht herunterzuziehen vermochte. Und diese Entscheidungen des kaiserlichen Hofes waren auf offenem Markte zu haben, auf dem nicht nur die Rechtsprechung, sondern auch die Gesetzgebung feil lag. Den sogenannten Referendarien genügte es nicht mehr, die 66
Bittschriften vor den Kaiser zu bringen und, wie herkömmlich, den Behörden die diesbezüglichen Entscheidungen des Herrschers zu eröffnen; sie trugen jetzt von allen Seiten her falsche Kunde zusammen und täuschten mit allerlei Spiegelfechtereien und Kniffen Justinian, der schon von Natur solchen Gesellen ausgeliefert war. Auch überschritten sie alsbald ihre Befugnisse, sperrten die Petenten ein und erpreßten ohne Untersuchung und ohne daß sich einer zu wehren wagte, Geld nach Belieben. Die Soldaten, die als Palastwache dienten, traten ihrerseits in der kaiserlichen Halle gegen die Richter auf und brachten die Rechtsprechung in ihre rohen Fäuste. Niemand sozusagen kümmerte sich mehr um seine Rangstellung, vielmehr wandelte jetzt ein jeder nach Gutdünken auf Pfaden, die vorher verboten oder unzugänglich waren; ebenso wurden die Geschäfte samt und sonders fehlerhaft erledigt und hatten nicht mehr ihren rechten Namen. Der Staat glich einem Reiche von spielenden Kindern. Was sonst noch zu erwähnen wäre, muß ich, wie eingangs bemerkt, mit Stillschweigen übergehen. Nur den Mann will ich noch anrühren, der als erster den Kaiser dazu brachte, sich bei seinen Rechtsentscheidungen bestechen zu lassen: Es lebte ein gewisser Leon, Kiliker von Geburt, habgierig über die Maßen. Dieser Leon war der allergrößte Schmeichler und verstand sich darauf, ungebildeten Menschen seine Gedanken unterzuschieben. Denn er besaß eine Beredsamkeit, die bei der Torheit des Tyrannen zum Verderben der Menschheit beitragen mußte. Dieser Mensch veranlaßte nun zum ersten Male Justinian, Rechtsentscheidungen für Geld zu verkaufen. Nachdem sich nun Leon auf die genannte Art zum Diebstahl entschlossen hatte, hörte er damit nicht mehr auf, das Übel nahm vielmehr auf seinem weiteren Wege gewaltige Ausmaße an. Jeder, der einen ungerechten Prozeß gegen einen vornehmen Herrn zu gewinnen trachtete, ging damit schnurstracks zu Leon, versprach dem Tyrannen und ihm einen Teil der strittigen Werte und konnte ohne 67
weiteres das Palatium als Sieger verlassen. Dadurch heimste dieser Mensch riesige Summen ein und ward Herr über viel Land, trug aber die Hauptschuld daran, daß der Römerstaat zu Boden sank. Dagegen gab es keine Schutzwehr, es galt kein Gesetz, kein Eid, keine schriftliche Erklärung, keine festliegende Strafsumme, nichts von alledem, es hieß nur dem Leon und dem Kaiser Geld zahlen. Doch selbst daran hielt Leons Sinnesart nicht unverbrüchlich fest; er verschmähte es nicht, auch von seinen Prozeßgegnern zu profitieren. Stets Dieb auf beiden Seiten, sah er darin keine Schande, die Vertrauensseligen zu betrügen und den anderen Weg zu gehen. Wenn man nur auf Gewinn rechnen durfte, dann schien diesem zweideutigen Menschen alles in bester Ordnung.
Kapitel 15 Theodoras Lebensweise, ihre Grausamkeit und Menschenverachtung So war es um Justinian bestellt. Theodoras Sinn aber hatte sich ganz offensichtlich in unerbittlicher Grausamkeit verhärtet. Niemals ließ sie sich in ihrem Handeln durch fremde Überredungskunst oder Gewalt bestimmen, eigenwillig führte sie ihre Entschlüsse mit allem Nachdruck durch, ohne daß einer den Mut fand, das Opfer ihrer Ungnade zu retten. Denn weder Länge der Zeit noch Sättigung an Rache, kein Hilfsmittel flehender Bitte, keine Todesdrohung, die vom Himmel auf das ganze Menschengeschlecht zu fallen drohte, gar nichts konnte irgendwie ihren Zorn besänftigen. Mit einem Wort, niemand hat es erlebt, daß Theodora sich je mit einem Feinde versöhnte, auch nicht wenn er tot war; dann mußte der Sohn des Verstorbenen eben den Groll 68
der Kaiserin wie sonst ein väterliches Erbstück übernehmen und ins dritte Geschlecht mit hinüberschleppen. Allzu leicht war ja ihr Herz für Menschenmord zu haben, von Versöhnung und Nachgiebigkeit wußte es nichts. Ihren Körper pflegte sie mehr als nötig, doch weniger, als sie selbst gewünscht hätte. Auf schnellstem Wege ging sie ins Bad, sehr spät und erst nach ausgiebigem Gebrauch verließ sie es wieder und begab sich dann zum Frühstück. Hierauf pflegte sie wieder Ruhe. Beim Frühstück und sonstigen Mahle nahm sie jede Art von Speisen und Getränken zu sich. Sie pflegte sehr lange zu schlafen, untertags bis zum Anbruch der Dunkelheit, nachts bis Sonnenaufgang. Obschon so die Kaiserin jeder Art von Unmäßigkeit verfallen war, glaubte sie doch in derart wenigen Stunden des Tages, die ihr blieben, das ganze Römerreich regieren zu können. Und wenn der Kaiser wider ihren Willen irgend jemand einen Auftrag erteilte, mußte dieser Mensch damit rechnen, daß er kurz darauf seine Stellung in schimpflicher Weise verlor und aufs ehrloseste beseitigt wurde. Für Justinian waren alle Unternehmungen ein leichtes, nicht weil er ein kluger Kopf war, sondern weil er, wie gesagt, sehr wenig schlief und jedermann Audienz gewährte. Selbst ganz schlichte und einfache Leute hatten volle Freiheit, diesem Tyrannen nicht nur zu begegnen, sondern auch mit ihm zu sprechen und sogar insgeheim zusammenzukommen. Bei der Kaiserin hingegen fand selbst ein hoher Beamter nur nach langer Zeit und vieler Mühe Zugang, wie Sklaven mußten sie jeweils in einem erdrückend engen Zimmer die ganze Zeit über auf der Lauer liegen; denn die Möglichkeit, übergangen zu werden, war für jeden Würdenträger ein furchtbarer Gedanke. So stellten sie sich dauernd auf die Zehenspitzen, jeder bestrebt, seinen Kopf über den der Nebenstehenden zu strecken, damit ihn ja die Eunuchen, wenn sie von drinnen herauskamen, auch sahen. Nur mit Mühe und erst nach vielen Tagen wurden einige vor69
gelassen. Zitternd und zagend traten sie dann ein und machten sich so rasch wie möglich wieder davon, nachdem sie lediglich ihren Fußfall verrichtet und jede Fußsohle obenhin mit der Lippe berührt hatten. Denn sprechen oder gar eine Bitte äußern, durfte man nur auf ihre Aufforderung hin. In Sklaverei war ja der Staat verfallen und hatte in Theodora seine Zuchtmeisterin. So ging das Römische Reich zugrunde, da der Kaiser gar so bieder, die Kaiserin hingegen schwierig und ganz unnahbar erschien. Hinter der Biederkeit verbarg sich nämlich Unzuverlässigkeit, hinter der Unnahbarkeit aber Härte. In ihrer Denk- und Handlungsweise schien sich der Unterschied deutlich zu machen; gemeinsam war ihnen Habgier, Mordlust und allgemeine Unaufrichtigkeit. Beide kannten ja nur Lüge, und wenn es hieß, daß ein Feind Theodoras eine nicht nennenswerte Geringfügigkeit begangen habe, dann erdichtete sie völlig aus der Luft gegriffene Anklagen und machte die Sache zu einem Kapitalverbrechen. Man bekam nun eine Flut von Beschuldigungen zu hören, es gab einen Hochverratsprozeß, und die Kaiserin brachte Richter zusammen, die sich darüber streiten sollten, wer von ihnen durch grausamen Entscheid das besondere Wohlgefallen Theodoras erwerben konnte. So konfiszierte sie rasch das Vermögen ihres Gegners, und nachdem sie ihn noch ungeachtet etwaiger altpatrizischer Herkunft aufs übelste mißhandelt hatte, bestrafte sie ihn unbedenklich entweder mit Verbannung oder Tod. Geschah es hingegen einmal, daß einer ihrer Schergen wegen Mordes oder sonst eines Kapitalverbrechens gefaßt wurde, so verspottete und verhöhnte sie den Eifer der Ankläger und zwang diese, sehr wider ihren Willen über das Geschehnis stille zu sein. Auch die ernstesten Staatsgeschäfte wußte sie nach Laune in eine lächerliche Farce zu verwandeln, wie wenn auf der Bühne oder dem Theater ein Stück zum besten gegeben wird. Als Beispiel führe ich einen alten, langgedienten Patrizier an, dessen 70
Name, obwohl mir gut bekannt, unerwähnt bleiben soll, damit ich ihn nicht dauernder Mißhandlung aussetze. Dieser Mann konnte von einem Diener der Kaiserin, der ihm viel Geld schuldig war, nichts zurückbekommen und wandte sich daher an sie, um seinen Vertragspartner anzuklagen und ihren Rechtsbeistand zu erbitten. Theodora hatte vorher schon davon gehört und gab nun den Eunuchen Befehl, den Patrizier gleich nach seinem Eintreten zu umringen und auf ihre Worte zu achten; und sie sagte ihnen, was sie als Refrain antworten müßten. Wie nun der Patrizier das Frauengemach betreten hatte, warf er sich der Sitte gemäß ihr zu Füßen und sprach unter Tränen: »Herrin, für einen Patrizier ist es schwer, kein Geld zu haben. Denn was anderen Menschen Nachsicht und Mitleid einbringt, wird dieser Würde zum Schaden ausgelegt. Denn jeden anderen, der sich in finanzieller Bedrängnis befindet, befreit eine entsprechende Eröffnung den Gläubigern gegenüber sogleich von allem weiteren Schulddruck; vermag jedoch ein Patrizier seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachzukommen, so muß er sich über solche Erklärung zutiefst schämen, ja, er kann überhaupt keinen Menschen je davon überzeugen, daß Armut mit dieser Würde zusammen unter einem und demselben Dache wohnt. Sollte ihm nun dieser Nachweis doch glücken, dann muß er damit rechnen, daß ihm Schimpf und Kränkung widerfahren. Herrin, ich habe es mit Männern zu tun, die teils meine Gläubiger, teils meine Schuldner sind. Meine Gläubiger kann ich nun, da sie mich in aller Öffentlichkeit bedrängen, mit Rücksicht auf meine Würde nicht enttäuschen, meine Schuldner hingegen suchen – es sind ja keine Patrizier – schimpfliche Ausflüchte. Darum flehe ich dich dringendst und demütigst an: Hilf mir zu meinem Recht und befreie mich aus meiner mißlichen Lage!« So weit seine Worte. Die Frau aber antwortete mit Vorbedacht: »Du Patrizier da!«, worauf der Chor der Eunuchen einfiel und rief: »Hast einen großen Bruch!« Als nun der Mann seine Bitte erneut vortrug und 71
sich ähnlich wie zuvor äußerte, da gab ihm die Frau den gleichen Bescheid, und der Chor wiederholte seinen Refrain, bis der Unglückliche aufgab, den gewohnten Fußfall machte und sich dann nach Hause entfernte. Den größten Teil des Jahres hielt sich die Kaiserin in den Vororten am Meer auf, vor allem im sogenannten Herion. Der große Haufe ihrer Begleiter war dadurch in recht übler Lage. Sie litten Mangel an den lebensnotwendigen Dingen und waren Gefahren des Meeres ausgesetzt, zumal wenn gerade Sturm aufkam oder sich das Seeungeheuer dort drohend zeigte. Doch die Herrschaften ließ das allgemeine Unglück kalt, wenn sie nur selber im Vollen leben konnten. Wie sich Theodoras Wesensart gegen ihre Beleidiger zeigte, will ich nun sogleich darlegen, natürlich nur in knappen Andeutungen, damit man von mir nicht den Eindruck gewinnt, als ließe ich mich auf eine endlose Sache ein.
Kapitel 16 Theodoras Rachsucht gegen verschiedene ihrer Feinde Als Amalasuntha sich entschlossen hatte, unter Abbruch der Beziehungen zu den Goten ihr Leben zu verändern und nach Byzanz überzusiedeln – ich habe davon schon früher berichtet –, da fuhr es Theodora durch den Sinn, daß jene Frau ja patrizischer Herkunft und eine Königin sei, gar schön anzusehen und wild entschlossen in der Ausführung ihrer Pläne. Ihre imponierende Erscheinung und ausgesprochen männliche Sinnesart weckten das Mißtrauen der Kaiserin, zugleich bangte diese vor der Unbeständigkeit ihres Gemahls. So ließ Theodora ihre Eifersucht nicht in Nadelstichen fühlen, sondern bestand darauf, die Frau bis in 72
den Tod zu verfolgen. Sogleich veranlaßte sie ihren Mann, Petros allein als Gesandten nach Italien zu schicken. Bei seiner Abreise gab ihm der Kaiser die Aufträge mit, die ich schon an den entsprechenden Stellen erwähnte; ich konnte dort freilich nicht die wirklichen Vorgänge berichten, und zwar aus Angst vor der Kaiserin. Sie befahl ihm nämlich nur das eine, die Frau möglichst schnell aus dem Wege zu räumen, und stellte bei Erfolg dem Petros reiche Entschädigung in Aussicht. Nach seiner Ankunft in Italien – die Menschennatur versteht sich ja unbedenklich zu Mord, wenn etwa ein Amt oder viel Geld winkt – richtete dieser Mann irgendeine Aufforderung an Theodahat und bestimmte ihn dadurch, Amalasuntha zu beseitigen. Auf diese Weise stieg Petros zur Würde eines Magisters und zu großer Macht auf – erntete freilich auch die bitterste Feindschaft aller. Das war Amalasunthas Ende. Justinian hatte einen gewissen »ab epistulis« mit Namen Priskos, einen Paphlagonier und vollendeten Schurken, der in seiner Wesensart seinem Herrn und Meister gar wohl gefallen mußte, ihm auch sehr ergeben war und gleiches von ihm erwarten durfte. Er wurde denn auch über Nacht unrechtmäßigerweise Herr über viel Besitz. Diesen Priskos schwärzte nun Theodora bei ihrem Gemahle an: Er sei zu selbstbewußt und versuche sogar ihr entgegenzuarbeiten. Zunächst richtete sie nichts aus, doch ließ sie bald darauf den Mann mitten im Winter auf ein Schiff bringen, an einen bestimmten Platz schaffen und wider seinen Willen zum Priester scheren. Der Kaiser tat daraufhin so, als habe er von dem Geschehenen keine Ahnung. Er unterließ jede Nachforschung über den Verbleib des Mannes, erwähnte ihn auch nicht weiter, sondern verharrte in einer Art von gleichgültigem Schweigen. Das hinderte ihn freilich nicht, den ganzen Besitz zu plündern, von dem aber nur noch herzlich wenig übrig war. Als einmal der Verdacht laut wurde, Theodora sei in einen ihrer Sklaven namens Areobindos verliebt, einen sehr schönen jun73
gen Mann barbarischer Herkunft, den sie zu ihrem Schatzmeister gemacht hatte, da entschloß sie sich, der üblen Nachrede ein für allemal ein Ende zu bereiten, und ließ den Armen, obwohl sie in ihn rasend verliebt war, ohne allen Grund augenblicklich schwer mißhandeln. In der Folgezeit haben wir nichts mehr von ihm gehört, und gesehen hat ihn bis zum heutigen Tage auch keiner mehr. Denn wenn sie eine Tat verbergen wollte, dann blieb diese bei allen ohne Erwähnung und Erinnerung. Es durfte weder einer, der um die Sache wußte, einem Verwandten etwas davon berichten, noch vermochte ein Wissensdurstiger, wenn er sich auch die größte Mühe gab, etwas in Erfahrung zu bringen. Denn vor keinem Tyrannen hatte man seit Menschengedenken solche Angst; konnte ihr doch kein Feind entschlüpfen. Zahllose Spione hinterbrachten ihr alles, was auf dem Markte oder in den Häusern geredet und getan wurde. Wollte sie, daß die Öffentlichkeit von der Bestrafung eines Gegners ganz und gar nichts erfuhr, wählte sie folgenden Weg: Sie ließ den Mann, soferne er zu den vornehmen Kreisen zählte, zu sich kommen, übergab ihn persönlich und allein einem einzigen ihrer Helfer und befahl, den Unglücklichen in die äußersten Winkel des Römischen Reiches zu deportieren. Und Theodoras Werkzeug schleppte sein Opfer in tiefer Nacht vermummt und gefesselt aufs Schiff, begleitete es an das von ihr bestimmte Ziel, überlieferte es dort in aller Heimlichkeit dem hierfür bestellten Wächter und reiste dann wieder ab, nicht ohne den strengen Befehl, den Gefangenen mit aller Sorgfalt zu bewachen und niemand Kenntnis zu geben, bis die Kaiserin den Armen wieder in Gnaden aufnahm oder dieser infolge der schlechten Behandlung dort lange Zeit dahinsiechend und vom Tode gezeichnet sein Ende fand. Auch einen gewissen Basianos, einen Anhänger der grünen Partei und achtbaren jungen Mann, der sich über die Kaiserin ungünstig ausgelassen hatte, verfolgte ihr Groll. Der hörte davon und suchte Zuflucht in der Kirche des Erzengels. Sofort schickte 74
ihm Theodora den Stadtpräfekten auf den Hals, befahl aber, ihn nicht wegen Majestätsbeleidigung zu belangen, sondern erhob Anklage wegen Päderastie. Und der Stadtpräfekt ließ den Mann aus der Kirche holen und fürchterlich abstrafen. Als das ganze Volk einen freigeborenen und von Jugend auf an freie Lebensweise gewöhnten Menschen so schmählich mißhandelt sah, da war es über diese Gewalttat empört, schrie wehklagend zum Himmel und forderte die Freilassung des jungen Mannes. Theodora aber züchtigte ihn noch härter. Ohne irgendeinen Beweis in den Händen zu haben, ließ sie ihn entmannen, sodann töten und seinen Besitz einziehen. So gewährte, wenn dieses Weib da zürnte, kein Tempel Schutz, und kein gesetzliches Verbot, keine Bitte der Stadt vermochte offensichtlich das Opfer zu retten. Überhaupt nichts konnte ihr hemmend in den Weg treten. Auch einen gewissen Diogenes verfolgte sie als Anhänger der grünen Partei mit ihrem Zorne. Sie ließ gegen ihn, wiewohl er ein feingebildeter und überall, selbst beim Kaiser gern gesehener Mann war, Klage wegen Homosexualität erheben. Zwei seiner Sklaven gewann Theodora für diesen Zweck und stellte sie ihrem Herrn als Ankläger und Zeugen gegenüber. Der Fall wurde nun freilich nicht wie gewöhnlich in aller Verborgenheit und Heimlichkeit, sondern öffentlich untersucht, man hatte außerdem mit Rücksicht auf das Ansehen des Diogenes viele berühmte Richter beigezogen. Auf Grund sorgfältiger Untersuchungen kamen diese zu dem Ergebnis, daß die Aussagen der Sklaven – es handelte sich überdies nur um junge Burschen – zu einer Verurteilung nicht hinreichten. Da ließ die Kaiserin den Theodoros, einen Verwandten des Diogenes, in eine der gewohnten Zellen einsperren. Zunächst versuchte sie ihn mit vielerlei Schmeichelei und Mißhandlung zum Reden zu bringen. Als sich dabei kein Erfolg zeigte, befahl sie, dem Manne eine Rindssehne um die Ohren zu legen und zusammenzudrehen. Theodoros mußte glauben, die Augen seien ihm aus den Höhlen getreten, doch 75
fand er sich nicht bereit, etwas frei zu erdichten. So mußten die Richter, da sich für die Anklage kein Zeuge fand, Diogenes freisprechen, und die Stadt feierte daraufhin ein Freudenfest.
Kapitel 17 Theodoras Eingriffe in die Staatsverwaltung, ihre Tätigkeit als Ehestifterin und als Patronin leichter Frauen Die Sache fand damit ihr Ende. In den ersten Abschnitten meines Buches habe ich alles ausgeführt, was Theodora dem Belisar, Photios und Buzes antat. Zwei Parteigänger der Blauen nun, geborene Kiliker, griffen Kallinikos, den Statthalter von Kilikia Deutera, mit wüstem Geschrei an und begannen mit Gewalttätigkeiten. Seinen Pferdeknecht, der dicht dabei stand und dem Herrn helfen wollte, machten sie vor dessen Augen und denen des ganzes Volkes nieder. Kallinikos ließ daraufhin die beiden Terroristen, denen man außer dieser Mordtat viele andere Vergehen nachgewiesen hatte, in einem ordnungsgemäßen Verfahren hinrichten. Dies hörte die Kaiserin. Um ihre Vorliebe für die Blauen zu beweisen, ließ sie den Beamten kurzerhand noch während seiner Dienstzeit am Grabe der Mörder aufpfählen. Der Kaiser freilich tat so, als beweine und bejammere er den Unglücklichen. Grollend saß er da und versuchte vielerlei gegen die Mithelfer, aber ohne Erfolg. Dabei hielt er es nicht für unter seiner Würde, den Besitz des Toten einzuziehen. Auch wegen sittlicher Vergehen war Theodora eifrig bemüht, Strafen auszusinnen. Sie sammelte mehr als fünfhundert Huren, die mitten auf dem Marktplatz für drei Obolen ihren Lebensunterhalt verdienten, schickte sie ans jenseitige Ufer und sperrte sie in das Kloster Metanoia (Reue), damit sie ihre Lebensweise än76
derten. Einige davon stürzten sich nachts von der Höhe herab und entzogen sich so der unfreiwilligen Besserung. In Byzanz lebten zwei Mädchen, Schwestern, die nicht nur von Vaters- und Großvatersseiten her Konsuln zu ihren Vorfahren hatten, sondern schon von alters her zum vornehmsten Senatorenkreise gehörten. Diese hatten geheiratet, waren aber durch den Tod ihrer Männer zu Witwen geworden. Sogleich wählte Theodora zwei ganz gewöhnliche, abstoßende Kerle aus und gab sich alle Mühe, diese mit den Schwestern zu vermählen; denn beide lebten so nicht richtig, lautete der Vorwurf der Kaiserin. Aus Angst flohen die beiden Frauen in die Sophienkirche, gingen in den Taufraum und klammerten sich an das dortige Becken. Doch die Kaiserin übte solchen Zwang und Drang aus, daß sich die Schwestern schließlich bereit fanden, allen weiteren Nötigungen ein Ende zu setzen und in die Ehe einzuwilligen. Kein Ort blieb so vor ihr rein und sicher. Die beiden Frauen mußten sich also weit unter ihrem Stande mit bettelhaften, geringen Männern verheiraten, obschon Freier aus Patrizierkreisen vorhanden waren. Ihre Mutter aber, selber Witwe, wohnte persönlich der Hochzeit bei, ohne daß sie zu klagen oder das Unglück zu beweinen gewagt hätte. Später wollte die Kaiserin die Schande wieder einigermaßen gut machen und beide durch öffentliche Erfolge trösten. Sie erhob beide Männer zu Statthaltern, doch ward den jungen Frauen auch so keine Abhilfe zuteil; denn, wie ich im folgenden noch ausführen will, mußten sie von ihren Männern ehrenrührige, kaum mehr für Sklaven erträgliche Mißhandlungen erdulden. Theodora nahm ja weder auf Amt noch Staatsinteresse Rücksicht und kümmerte sich auch sonst um nichts, wenn nur ihr Wille in Erfüllung ging. Als sie noch auf der Bühne tätig war, wurde sie durch einen ihrer Liebhaber schwanger. Zu spät merkte sie das Malheur und tat nun wie gewöhnlich alles mögliche, um eine Fehlgeburt herbeizuführen. Sie konnte jedoch den Embryo nicht töten, da dieser 77
fast schon zur Menschenähnlichkeit herangereift war. Wie sie keinen Erfolg sah, gab sie ihren Versuch auf und mußte nun gebären. Der Vater des Kindes sah ihre Bedrängnis, er hörte auch ihre Klage, daß sie als Mutter nicht mehr in gleicher Weise ihrem bisherigen Gewerbe nachgehen könne. Da er nun sah, wie sie allen Ernstes den Säugling beseitigen wollte, nahm er ihn zu sich, gab ihm – es war ein Knabe – den Namen Johannes und reiste mit ihm nach seinem Ziele Arabien. Vor seinem Tode erzählte er dem Johannes, der damals schon ein junger Mann war, die ganze Geschichte mit seiner Mutter. Dieser erwies dem toten Vater die gebührenden Ehren, einige Zeit darauf aber ging er nach Byzanz und erzählte die Sache dem Empfangspersonal seiner Mutter. Dieses dachte nicht daran, daß die Frau etwas Unmenschliches planen könne, und meldete daher der Mutter, ihr Sohn Johannes sei gekommen. Doch das Weib bekam Angst, ihr Mann möge von der Sache erfahren, und beschied den Jüngling zu sich. Sie sah ihn an, dann übergab sie ihn einer ihrer Kreaturen, die gewöhnlich solche Aufträge auszuführen hatte. Wie der Unglückliche aus der Welt verschwand, kann ich nicht sagen, jedenfalls bekam ihn niemand mehr zu sehen, auch nicht nach dem Tode der Kaiserin. In diesen Zeiten wurden auch fast alle Frauen sittlich verdorben. Sie erlaubten sich jede Art von Zügellosigkeit gegen ihre Männer, ohne daß ihnen ihr Verhalten Gefahr oder Schaden brachte; denn auch die überführten Ehebrecherinnen blieben ohne Strafe, ja, sie verdrehten bei der Kaiserin die Sache sofort ins Gegenteil und zogen ihre Männer mit erfundenen Beschuldigungen vor Gericht. Und diese mußten, obschon keiner Vergehen überführt, die Aussteuer in doppelter Höhe zurückerstatten; meist wurden sie auch noch ausgepeitscht und ins Gefängnis geworfen und durften zuschauen, wie sich die Ehebrecherinnen ihrerseits groß aufspielten und ohne alle Gefahr mit ihren Kavalieren amüsierten. Von diesen Ehebrechern aber 78
empfingen viele gerade auf Grund ihrer Leistung auch noch eine Auszeichnung. In der Folgezeit ließen sich die meisten Männer von ihren Frauen herzlich gern alles gefallen und entgingen so durch Schweigen der Züchtigung; nur um nicht als überführt zu gelten, räumten sie ihnen derartige Freiheiten ein. Sie aber wollte alles im Staate nach ihrem Kopfe leiten. Sie bestimmte die Staats- und Priesterämter und sah offenbar voll Sorge nur darauf, daß ja kein anständiger Mensch, unfähig zur Durchführung ihrer Befehle, eine Stellung anstrebe. Auch alle Ehen bestimmte sie mit einer Art von göttlicher Allmacht, und niemand ging daher vor der Heirat von sich aus eine Verlobung ein. Plötzlich bekam da jeder eine Frau, nicht weil sie ihm gefiel, was doch auch bei Barbaren Sitte ist, sondern weil es Theodora so paßte. Ähnlich erging es den heiratsfähigen Frauen. Sie wurden ganz gegen ihren Willen zu einer Ehe gezwungen. Oftmals riß sie bedenkenlos sogar die Braut aus dem Brautgemach und ließ den Bräutigam alleine stehen, wobei sie voll Indignation nur das eine erklärte, er mißfalle ihr eben. So verfuhr sie mit vielen anderen, z.B. auch mit Leon, einem Referendarios, sowie mit Saturninos, dem Sohne des Magister Hermogenes. Dieser Saturninos hatte seine Großnichte zur Braut, ein Mädchen, freigeboren und schön, das ihm ihr Vater Kyrillos nach dem Tode des Hermogenes verlobt hatte. Als ihnen das Brautgemach schon bereitet war, ließ ihn die Kaiserin einsperren und in ein anderes Brautgemach schleppen, und unter lautem Jammern und Wehklagen mußte er die Tochter der Chrysomallo heiraten. Diese Chrysomallo war früher Tänzerin und außerdem Hetäre gewesen. Damals lebte sie zusammen mit einer anderen Chrysomallo und einer gewissen Indaro im Kaiserpalast. Ihre Hurerei und sonstige Tätigkeit im Theater hatten die drei Weiber aufgegeben und besorgten nun die Geschäfte für die Kaiserin. Wie aber Saturninos mit seiner jungen Frau schlief und sie entjungfert fand, sagte er zu einem Vertrauten, er wolle nur eine heiraten, die ihr Jung79
fernhäutchen noch habe. Diese Bemerkung kam Theodora zu Ohren, und sie befahl ihren Schergen, ihn wie einen Schulbuben in die Höhe zu heben – denn er nehme sich da frech etwas heraus, was ihm nicht zustehe – und seinem Rücken zahlreiche Hiebe aufzumessen. Gleichzeitig verbot sie ihm künftighin alle schwatzhafte Verleumdung. Was mit dem Kappadoker Johannes geschah, habe ich schon an früherer Stelle erwähnt. Daß sie ihm dies alles nicht aus Empörung über seine Staatsvergehen antat, beweist folgendes: Keiner von denen, die späterhin noch schlimmere Vergehen an den Untertanen begingen, erlitt ein solches Schicksal. Grund für ihr Vorgehen war vielmehr die Tatsache, daß er es wagte, in anderen Dingen dem Weibe entgegenzuhandeln, und sie auch beim Kaiser anschwärzte, so daß sie sich beinahe mit ihrem Manne verfeindet hätte. Von den Gründen muß ich ja hier, wie gesagt, die der Wahrheit am nächsten kommenden anführen. Selbst als sie ihn nach all den schon genannten Mißhandlungen in Ägypten gefangen gesetzt hatte, konnte sie sich in ihrer Rachgier nicht zufrieden geben, sondern suchte unablässig falsche, Zeugen wider ihn. Vier Jahre später konnte sie unter den Parteigängern in Kyzikos zwei Grüne, die zu den Gegnern des Bischofs gehören sollten, ausfindig machen. Sie brachte durch Schmeichelworte und Drohungen die beiden dazu, daß der eine, von Furcht und Hoffnungen getrieben, Johannes des Mordes bezichtigte. Der andere hingegen wollte der Wahrheit keine Gewalt antun, obschon man ihn auf der Folter so übel zugerichtet hatte, daß man sogar mit seinem sofortigen Tod rechnen mußte. So konnte sie unter derartigem Vorwand dem Johannes nicht ans Leben, doch ließ sie den beiden jungen Männern die rechte Hand abhauen, dem einen, weil er kein falsches Zeugnis geben wollte, dem anderen, damit der Anschlag nicht in die Öffentlichkeit komme. Während sich diese Vorgänge auf offenem Markte abspielten, tat Justinian so, als merke er von all dem nichts. 80
Kapitel 18 Justinian, der böse Geist des Römerreichs, verschuldet Kriegselend und Katastrophen Daß er kein Mensch, sondern wie gesagt ein Dämon in Menschengestalt war, dürfte die unermeßliche Zahl von Leiden beweisen, die er über die Welt brachte. Denn in der Furchtbarkeit der Taten wird auch die Macht des Täters offenbar. Die Zahl seiner Opfer kann meinem Dafürhalten nach außer Gott niemand je genau angeben. Schneller zählte man, glaube ich, alle Sandkörner als die vielen Menschen, die der Kaiser hinmordete. Wollte ich nach bestem Können das ganze Land nennen, das von Einwohnern entblößt ist, dann muß ich sagen, daß unzählige Myriaden und aber Myriaden zugrunde gingen. Das dichtbesiedelte Libyen z.B. ist so zurückgegangen, daß man auf langem Weg kaum einen Menschen trifft und dies etwas Besonderes ist. Und doch lebten dort zu Beginn des Kampfes 80 000 Vandalen. Die Zahl ihrer Frauen, Kinder und Sklaven, wer kann sie wohl abschätzen? Was all die früheren Stadtbewohner, die Land- und Seeleute in Libyen betrifft – mit eigenen Augen habe ich dies alles zum größten Teile gesehen –, wer kann die ganze Menschenmenge zählen? Noch viel zahlreicher aber als diese Libyer waren dort die Maurusier – mit Weib und Kind mußten sie alle zusammen sterben. Auch eine Masse römischer Soldaten und ihres Heeresgefolges aus Byzanz hat das Land verschlungen. Wenn daher einer die Zahl der Toten in Libyen auf fünf Millionen angibt, dürfte er damit meinem Dafürhalten nach die Wirklichkeit nicht annähernd erreichen. Schuld daran ist der Kaiser. Er kümmerte sich unmittelbar nach der Niederlage der Vandalen weder um die Unterwerfung des Landes noch sorgte er dafür, daß unverbrüchliche Ergebenheit der Untertanen ihm den Besitz sicher81
te; bedenkenlos erhob er vielmehr gegen Belisar den völlig unbegründeten Vorwurf, er trachte nach der Tyrannis, und rief ihn sogleich zurück. So konnte er weiterhin Libyen nach Willkür behandeln und bis zum letzten ausplündern. Er schickte zu diesem Zwecke sofort Bodenschätzer ins Land und legte den Bewohnern unerschwingliche, bis dahin nie gekannte Steuern auf. Von den Ländereien eignete er sich die besten an; er untersagte ferner den arianischen Gottesdienst. Sehr säumig war er in der Auszahlung des Soldes und auch sonst kein Freund der Soldaten. Das führte schließlich zu Aufständen und schweren Schädigungen. Denn er konnte nie bei der herkömmlichen Ordnung bleiben, sondern mußte alles durcheinanderbringen und verwirren. Italien, nicht weniger als dreimal so groß wie Libyen, ist allenthalben noch viel menschenärmer als dieses Land geworden. Daher wird meine Angabe auch der Zahl der dortigen Todesopfer nahe kommen. Die Ursache für die Heimsuchungen Italiens habe ich schon früher genannt. Auch dort beging der Kaiser seine sämtlichen Verbrechen wie in Libyen. Er rief ebenfalls die sogenannten Logotheten ins Land, und allgemeine Zerrüttung war die unmittelbare Folge. Das Gotenreich erstreckte sich vor diesem Kriege von Gallien bis an die dakische Grenze, wo die Stadt Sirmium liegt. Als nun das römische Heer in Italien erschien, besetzten die Germanen den Hauptteil von Gallien und Venetien. Sirmium aber und sein Umland kamen unter die Herrschaft der Gepiden, mit einem Worte lauter völlig menschenleere Gebiete. Denn die einen raffte der Krieg, die anderen Krankheit und Hunger hinweg, die im Gefolge des Krieges auftreten. Illyrien und ganz Thrakien, vom Ionischen Meerbusen bis zu den Vorstädten von Byzanz, dazu Griechenland und den Cherrones griffen, seitdem Justinian die Reichsregierung übernommen hatte, Hunnen, Sklavenier und Anten fast Jahr für Jahr an und brachten über die Bewohner dort gräßliche Leiden. Denn mehr als 200 000 82
Römer wurden, wie ich glaube, in diesen Gebieten bei jedem Einfall getötet oder in die Sklaverei verschleppt, so daß sich heutzutage die Skythenwüste über das ganze Land hin dehnt. Soviel von den Kriegsereignissen in Libyen und Europa. Die Sarazenen aber griffen die Römer im Osten von Ägypten bis zu den Grenzen Persiens diese ganze Zeit über fortwährend an und mordeten ohne Unterlaß, so daß auch dort alle Landstriche völlig verödeten und kein Mensch, wie mir scheint, die Zahl der dabei ums Leben gekommenen Unglücklichen feststellen kann. Die Perser und Chosroes brachen viermal in die restlichen Teile des Römischen Reiches ein und zerstörten die Städte; die Menschen aber, die sie in ihnen und jeweils auf dem flachen Lande fingen, machten sie teils nieder, teils führten sie diese mit sich fort und entvölkerten so die von ihnen angegriffenen Gebiete. Seitdem sie auch das Kolcherland mit ihren Einfällen heimsuchen, müssen bis zum heutigen Tage Kolcher, Lazen und Römer sterben. Indessen auch die Perser, Sarazenen, Hunnen, Sklavenier oder andere Barbaren konnten nur nach schweren Blutopfern das Römerreich wieder verlassen. Denn bei ihren Angriffen und noch viel mehr bei den Belagerungen und Schlachten stießen sie auf vielerlei Hindernisse und fanden ebenfalls den Tod. Nicht nur die Römer, sondern auch fast alle Barbaren bekamen ja Justinians Mordlust zu spüren. Chosroes war wohl selber ein schlechter Charakter, doch lieferte ihm Justinian, wie ich schon an der entsprechenden Stelle ausführte, alle Anlässe zum Kriege. Denn er paßte seine Maßnahmen nicht den augenblicklichen Verhältnissen an, sondern handelte ganz gegen die Zeit: Im Frieden und während eines Waffenstillstandes gab stets seine tückische Art den Nachbarn Grund zum Krieg, war aber dann Krieg, so zeigte er sich ohne Veranlassung schlaff und traf aus Habgier seine Vorbereitungen nur sehr zögernd. Statt sich um diese Fragen zu kümmern, lenkte er seinen Blick auf überirdische Dinge, bemühte sich eifrig um die Wesensart Gottes und gab weder den 83
Krieg auf – er war eben ein entsetzlicher Mörder – noch konnte er über seine Feinde die Oberhand gewinnen. Dies lag wieder daran, daß er aus kleinlichem Denken sich nicht zu den nötigen Maßnahmen entschloß. Unter seiner Regierung war die ganze Welt stets von Menschenblut besudelt, von dem der Römer ebenso wie dem fast sämtlicher Barbaren. Das waren kurz berichtet die damaligen Kriegsereignisse im ganzen Römerreich. Zähle ich nun die revolutionären Bewegungen in Byzanz und in jeder Stadt zusammen, so fanden dabei, wie ich glaube, nicht weniger Menschen den Tod als im Kriege. Denn Recht und Gleichheit der Strafe kamen den Verbrechern gegenüber nicht zur Anwendung, vielmehr bevorzugte der Kaiser aufs nachdrücklichste die eine der Parteien. Infolgedessen gab keine sich zufrieden, bei den einen war es das Gefühl der Unterlegenheit, bei den anderen Übermut, was die Streitenden jeweils zur Verzweiflung und Raserei trieb, und so griffen sie einander entweder in dichten Haufen oder in kleinen Gruppen an oder führten, wenn sich's eben so traf, ihre Anschläge auch nur als Einzelpersonen. Das währte 32 Jahre ohne Unterbrechung. In dieser Zeit fügten sie sich selber böse Schäden zu, viele wurden auch durch den Stadtpräfekten hingerichtet. Die Strafe richtete sich dabei vor allem gegen die Grünen. Auch die Bestrafung der Samaritaner und sogenannten Häretiker erfüllte das Römerreich mit Mord. Das will ich hier nur summarisch berichten, da ich kurz zuvor schon ausführlich davon gesprochen habe. Dies alles widerfuhr den Menschen, nachdem der Dämon Menschengestalt angenommen hatte, und er selber gab als Kaiser Veranlassung hierzu; nun will ich aber schildern, was er mit heimlicher Macht und infolge seiner dämonischen Natur der Menschheit an Leiden zufügte. Während seiner Regierung über die Römer ereigneten sich viele niegekannte Katastrophen, von denen die einen behaupteten, sie seien auf die Gegenwart und Wirksamkeit des bösen Dämons zurückzuführen, während an84
dere der Auffassung waren, die Gottheit habe aus Zorn über seine Verbrechen sich vom Römerreich abgekehrt und das Land den verderblichen Dämonen ausgeliefert, damit sie auf solche Art ihr Spiel mit ihm trieben. Der Skirtos fließt an Edessa vorbei. Damals brachte er, wie ich später noch berichten werde, unendliches Unglück über die Bürgerschaft. Der Nil stieg wie gewöhnlich, sank aber nicht zu den üblichen Zeiten. Dadurch fügte er, wie schon erwähnt, einigen Bewohnern schlimmen Schaden zu. Der Kydnos, der fast ganz Tarsos umströmt, überschwemmte den Ort viele Tage lang und ging erst wieder zurück, nachdem er dort schreckliches Unheil angerichtet hatte. Erdbeben zerstörten Antiocheia, die erste Stadt des Ostens, sowie Seleukeia, die Nachbarstadt, und das herrliche Anazarbos in Kilikien. Wer könnte die Zahl der Menschen angeben, die dabei zugrunde gingen? Man könnte auch noch Ibora und Amaseia, die erste Stadt in Pontos, anführen, ferner Polybotos in Phrygien, das bei den Pisidern Philomede heißt, sowie Lychnidos in Epeiros und Korinth, beides seit alters sehr volkreiche Städte. Sie alle wurden damals von einem Erdbeben zerstört, und fast die gesamte Einwohnerschaft fand dabei den Tod. Hinzu kam, wie schon früher erwähnt, die Pest; sie raffte etwa die Hälfte der restlichen Menschheit hinweg. So viel Menschen mußten sterben, während Justinian zuerst römischer Reichsverweser war und später die Kaiserwürde innehatte.
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Kapitel 19 Justinians verhängnisvolle Finanzwirtschaft Nun will ich noch darlegen, wie er sich auch die Gelder insgesamt aneignete, zuvor aber von einem Traumgesicht erzählen, das ein vornehmer Römer zu Beginn seiner Regierung hatte. Ihm träumte, so berichtete der Mann, als stehe er irgendwo in Byzanz am Meeresstrand, gegenüber von Chalkedon, und da habe er Justinian mitten im Sunde stehen sehen. Und zuerst habe dieser das Meerwasser ganz und gar ausgetrunken, so daß man glauben mußte, die See sei verschwunden und der Kaiser stehe nur noch auf dem Trockenen. Doch da sei weiteres Wasser voll Schmutz und Unrat aus Abzugskanälen auf den beiden dortigen Uferseiten hervorgequollen, und wiederum habe er alles ausgeschlürft und den Platz wasserlos gemacht. Solches zeigte das Traumgesicht. Der genannte Justinian fand nun damals, als sein Oheim Justinos die Kaiserwürde empfing, einen wohlgefüllten Staatsschatz vor. Denn Anastasios, der fürsorglichste und haushälterischste unter den Kaisern, hatte aus Furcht – was dann auch wirklich eintrat –, sein Nachfolger möchte vielleicht in seiner Geldnot die Untertanen ausplündern, sämtliche Schatzkammern mit Gold vollgestopft, und darüber war er gestorben. All diese Vorräte vergeudete Justinian im Nu, teils mit sinnlosen Bauten im Meer, teils mit seiner Freundschaft zu den Barbaren; und dabei hätte man meinen sollen, die Gelder genügten für einen ganz verschwenderischen Kaiser hundert Jahre. Bestätigten doch die Aufseher über die kaiserlichen Schätze, Kassen und alle sonstigen Vermögenswerte, Anastasios habe nach mehr als siebenundzwanzigjähriger Herrschaft über die Römer 3200 Kentenarien Gold im Staatsschatz hinterlassen. Unter der neunjährigen Regierung Justins indessen, während der Justinian 86
Verwirrung und Unordnung über den Staat brachte, seien wider alles Recht 4000 Kentenarien für die kaiserliche Regierung beigetrieben worden, und nichts davon sei übriggeblieben, vielmehr alles noch zu Lebzeiten Justins von diesem Menschen aufgebraucht worden, wie ich schon an früherer Stelle ausführte. Was er die ganze Zeit über unnötigerweise erraffen und ausgeben konnte, dafür gibt es unmöglich Nachprüfung, Rechenschaft oder Maß. Denn wie ein nie versiegender Strom raubte er Tag für Tag wüstend seine Untertanen aus, und alles floß sogleich wieder in die Taschen der Barbaren oder wurde für Meeresbauten ausgegeben. Nachdem Justinian so den Staatsschatz rasch geleert hatte, richtete er seinen Blick auf die Untertanen und preßte ohne Anlaß zahllosen Menschen sogleich ihre Habe ab. Wer in Byzanz oder sonst einer Stadt wohlhabend erschien, gegen den erhob er erdichtete Anklagen. Den einen warf er Vielgötterei vor, den anderen Häresie gegenüber dem rechten christlichen Glauben, wieder anderen Päderastie oder ein Verhältnis mit gottgeweihten Frauen oder sonstwie unerlaubten Geschlechtsverkehr; eine weitere Gruppe bezichtigte er der Anstiftung zum Umsturz, der Hinneigung zur grünen Partei, der Majestätsbeleidigung oder sonst eines Vergehens. Und sich selber machte er bei Toten oder allenfalls sogar bei noch Lebenden zum Erben, mit der Behauptung, er sei dazu bestellt worden. Das waren seine großartigsten Taten. Wie er nach Niederwerfung des gegen ihn ausgebrochenen sogenannten Nikaaufstandes alsbald bei sämtlichen Senatoren als Erbe auftrat, habe ich kurz zuvor dargelegt, ebenso, wie er vor dem Aufstand nicht wenigen von ihnen einzeln ihr Vermögen abnahm. Bei jeder Gelegenheit beschenkte er alle Barbaren mit reichen Gaben, im Osten wie im Westen, im Norden wie im Süden, einschließlich Britten und die sonstigen Völker der Erde, von denen wir früher nicht einmal etwas gehört hatten, die wir vielmehr 87
damals zum ersten Male sahen und mit Namen kennenlernten. Die Kunde von seiner verschwenderischen Art führte dazu, daß sie aus allen Winkeln der Erde bei ihm in Byzanz zusammenströmten. Bedenkenlos, ja sogar voller Freude über diese seine Leistung und im Wahn, es sei ein Glück, den Römerschatz ausschöpfen und an Barbaren oder Meereswogen verschleudern zu können, verabschiedete er Tag für Tag einen jeden von ihnen mit reichen Geschenken. So sind die Barbaren insgesamt vollständig in den Besitz des römischen Wohlstandes gelangt. Entweder empfingen sie das Geld aus der Hand des Kaisers oder plünderten das Römerreich oder verkauften die Gefangenen oder ließen sich den Waffenstillstand bezahlen; und das Traumgesicht, das ich eben erwähnte, wurde für den Träumenden traurige Wirklichkeit. Justinian erfand auch andere Methoden, um die Untertanen auszuplündern – ich will davon gleich so ausführlich wie möglich berichten – und damit den allgemeinen Besitz nicht im großen, sondern im kleinen an sich zu ziehen.
Kapitel 20 Justinians Eingriffe in die Ordnung der Staatsämter und in die freie Wirtschaft Zuerst bestellte er für das Volk in Byzanz ganz allgemein einen Präfekten. Der sollte die jährlichen Einkünfte mit den Geschäftsleuten teilen, dafür gestattete er ihnen, die Waren um beliebigen Preis zu verkaufen. Und die Leute dort mußten ihre Lebensmittel ums Dreifache einkaufen, ohne daß sie wußten, wem sie deshalb die Schuld geben sollten. Diese Maßnahme verursachte Riesenschaden. Denn da die Kaiserin einen Teil der Einnahmen für sich beanspruchte, so wollte die Behörde daraus großen Gewinn 88
schöpfen. Von da an nützten die mit solch schändlichem Dienste betrauten Funktionäre sowie die Geschäftsinhaber die günstige Gelegenheit zu Rechtswidrigkeiten aus und spielten den Käufern gar übel mit, indem sie nicht nur das Vielfache der Preise einstrichen, sondern auch bei den Waren sich zahllose Betrügereien zuschulden kommen ließen. Ferner richtete Justinian die sogenannten Monopole in großer Zahl ein und verkaufte das Wohl seiner Untertanen an Leute, die sich solcher Ruchlosigkeit nicht schämten. Hatte er nur selber seinen Gewinn, dann bekümmerte er sich nicht mehr um die Sache, sondern überließ es seinen Helfershelfern, das Geschäft nach Gutdünken zu betreiben. Solche Vergehen waren auch bei den anderen Behörden an der Tagesordnung und geschahen in aller Öffentlichkeit. Denn während der Kaiser jeweils nur einen bemessenen Teil der Diebesbeute bekam, plünderten seit jener Zeit die Behörden und die einzelnen Beamten ihre Opfer ohne jede Scheu. Wie wenn ihm die alten Ämter für diesen Zweck nicht mehr ausreichten, richtete er im Staate zwei weitere ein. Und dabei genügte doch früher die über den Demos gesetzte Behörde zur Erledigung sämtlicher Anzeigen. Diese Ämter sann sich der Kaiser aus, damit der Berufsdenunzianten immer mehr wurden und noch viel rascher völlig unschuldige Menschen mißhandelt werden konnten. Und das eine davon schuf er angeblich für die Diebe und gab ihm den Namen Volksprätur. Der anderen Behörde überantwortete er die Päderasten, Ehebrecher und Religionsfrevler zur Bestrafung; er nannte sie einfach Quästur. Wenn nun der Prätor bei Diebstählen etwas besonders Kostbares fand, so überbrachte er dies dem Kaiser und erklärte, die Besitzer seien nicht festzustellen. Auf diese Weise konnte der Kaiser sich immer das Wertvollste sichern. Der sog. Quästor hingegen erledigte seine Opfer, überließ dem Kaiser, was ihm gerade paßte, und bereicherte sich im übrigen wie dieser wider alles Recht an fremdem Gut. Die ausführenden Organe dieser Ämter brachten we89
der Ankläger bei, noch stellten sie Zeugen für die Verbrechen, sie mordeten vielmehr, ohne daß man sie bei ihrem Vorgehen belangen oder überführen konnte, unablässig in aller Heimlichkeit ihre Opfer und raubten ihren Besitz. Später befahl dieser kaiserliche Mörder den genannten Behörden sowie dem Stadtpräfekten, sich gemeinsam sämtlicher Anklagen anzunehmen und in gegenseitigen Wettstreit zu treten, wer von ihnen Menschen in größerer Zahl und schneller zu vernichten in der Lage sei. Und einer von ihnen soll den Kaiser um sofortigen Entscheid gebeten haben, wem die Untersuchung der Angelegenheit zukomme, wenn jemand bei allen drei Behörden angezeigt werde. Justinian gab zur Antwort, wer den anderen zuvorkomme. Ungebührlich änderte er auch das sog. Amt des Quästors. Fast alle früheren Herrscher hatten diesem ihr besonderes Augenmerk gewidmet, damit die Inhaber im übrigen erfahrene Männer, ausgezeichnete Juristen und insbesondere völlig unbestechliche Persönlichkeiten seien; denn es mußte für den Staat zu entsetzlichem Unheil führen, wenn Beamte in dieser Stellung sich irgendwie als unerfahren oder habgierig erweisen sollten. Der Kaiser bekleidete mit diesem Amte zuerst den Tribonianos, dessen Wirken ich schon an früherer Stelle genügend geschildert habe. Als Tribonianos gestorben war, nahm ihm der Kaiser einen Teil seines Vermögens, obwohl dieser doch bei seinem Tode einen Sohn und eine Anzahl Enkel hinterließ; die Quästur aber übertrug der Herrscher dem Junilos, einem gebürtigen Libyer. Der hatte keine Ahnung von Juristerei, war ja auch kein Rhetor. Zwar beherrschte er Latein, doch was das Griechische anlangt, so war er deshalb niemals auch nur in eine Elementarschule gegangen und konnte es auch nicht sprechen; wiederholt mußte er sich bei griechischen Redeversuchen von seinen Untergebenen auslachen lassen. Dieser Mensch frönte leidenschaftlich schmutzigster Habsucht und schämte sich nicht im geringsten, in aller Öffentlichkeit kaiserliche Entscheidungen zu verkaufen. 90
Um einen einzigen Goldstater ließ er sich unbedenklich mit dem Nächstbesten in ein Geschäft ein. Und diese Komödie duldete der Staat ganze sieben Jahre. Als es nun auch mit Junilos zu Ende war, verlieh der Kaiser dem Konstantinos diese Würde, einem gar nicht unbewanderten Juristen, aber noch sehr jungen Manne, der keinerlei Prozeßerfahrung hatte. Dabei war er der diebischste und großmäuligste Kerl von der Welt. Er hatte sich die besondere Zuneigung und Freundschaft Justinians erworben; denn seiner Hilfe bediente sich der Kaiser mit Vorliebe, um Diebereien auszuführen und Prozesse zu entscheiden. So erwarb sich Konstantinos in kurzer Zeit große Reichtümer und lebte in übermäßigem Glanz, stets gleichsam in Lüften schwebend und voll Geringschätzung gegen alle Welt. Wollte ihm jemand viel Geld zustecken, dann wandte er sich damit an einige von dessen Getreuen und konnte sicher sein, mit seinem Anliegen durchzudringen. Konstantinos selber anzusprechen oder gar mit ihm zu konferieren, war keinem Menschen möglich, es sei denn auf dem eiligen Gang zum Kaiser oder auf dem Rückweg von dort. Und auch da ging er nicht im Schritt, sondern hastig und schnell, damit ja keiner sich an ihn wandte und unnützen Aufenthalt verursachte.
Kapitel 21 Weitere Beiträge zu Justinians korrupter Finanzund Beamtenpolitik So stand es damit beim Kaiser. Vom Praefectus Praetorio aber trieb er neben den öffentlichen Abgaben jährlich mehr als dreißig Kentenarien ein. Dies nannte er Luftsteuer, womit er meinem Dafürhalten nach dartun wollte, daß die Abgabe nicht der Ord91
nung und dem Herkommen entsprach, sondern ihm zufällig wie aus der Luft in den Schoß fiel; dabei muß man all dies als Taten seiner Schlechtigkeit bezeichnen. Die Präfekten benützten diesen Vorwand, um immer ungenierter ihre Beutezüge gegen die Untertanen durchzuführen. Wohl lieferten sie diese Steuer in Justinians Hände, sich selber aber eigneten sie mühelos kaiserlichen Reichtum an. Der Herrscher aber hielt es für gut, davor die Augen zu verschließen. Er paßte nur auf, daß er den Präfekten, sobald sie gewaltigen Reichtum besaßen, unwiderlegliche Anklagen entgegenschleudern und ihren ganzen Besitz wegnehmen könne, wie er es auch mit Johannes dem Kappadoker getan hatte. Alle, die zu dieser Zeit das genannte Amt übertragen erhielten, wurden von heute auf morgen maßlos reich. Nur zwei Männer machten davon eine Ausnahme: Phokas, den ich in meinen früheren Schriften als Gerechtigkeitsfanatiker erwähnte – er hielt sich in seiner Stellung frei von jeglichem Gewinn –, und Bassos, der später den Posten übernahm. Sie konnten sich indessen kein Jahr in ihrer Stellung behaupten, sondern mußten schon binnen weniger Monate ihr Amt aufgeben – als unbrauchbar und ihrer Aufgabe in keiner Weise gewachsen. Doch damit meine Ausführungen zu den einzelnen Punkten ein Ende finden, will ich nur noch bemerken, daß es auch um die anderen Ämter in Byzanz nicht besser bestellt war. Im ganzen Römerreich aber schlug Justinian folgenden Weg ein: Er suchte sich die schlechtesten Elemente aus und verkaufte ihnen um schweres Geld die Ämter, die damit korrumpiert waren. Denn einem anständigen oder irgendwie einsichtigen Manne kam es doch nie in den Sinn, sein Geld hinzulegen, um dafür Unschuldige ausrauben zu dürfen. Justinian aber ließ sich dieses Geld tatsächlich von den Käufern zahlen und erlaubte ihnen dafür, mit den Untertanen ganz nach Willkür umzuspringen. So sollten sie natürlich, indem sie Land und Leute zugrunde richteten, späterhin zu Reichtum gelangen. Jene nun, die die Ämter in 92
den Städten für schwere Zinsen vom Wechslertisch geborgt und dem Verkäufer bezahlt hatten, ließen gleich nach ihrer Ankunft in den Städten die Untertanen jede Art von Übel spüren und sahen einzig und allein darauf, wie sie ihren Gläubigern das Vereinbarte entrichten und selber künftighin steinreich werden könnten. Dabei brachte ihnen diese Beschäftigung weder Gefahr noch Schande, im Gegenteil sogar noch Ruhm, und zwar in um so höherem Maße, je mehr Opfer sie bedenkenlos morden und ausplündern konnten. Der Name Mörder und Räuber galt ihnen ja als Bezeichnung für Tatkraft. Alle Beamten freilich, die Justinian auf der Höhe ihres Reichtums sah, fing er im Netz seiner Scheingründe und nahm ihnen auf der Stelle ihr ganzes Geld zusammen ab. Später erließ er ein Gesetz, demzufolge die Bewerber um Ämter schwören sollten, daß sie sich jedes Diebstahls enthalten und für ein Amt weder etwas geben noch empfangen wollten. Und alle Verfluchungen, die schon von den ältesten Generationen an in Verwendung sind, fügte er noch hinzu, falls einer die schriftlichen Anordnungen übertrete. Das Gesetz aber war noch kein Jahr erlassen, da ging er selbst über das Geschriebene, die Verfluchungen und sämtliche Bedenken unbekümmert hinweg und trieb die Kaufgelder für die Ämter nicht im geheimen, sondern auf offenem Markte ein. Die Amtskäufer aber plünderten ungeachtet ihres Schwures noch mehr als zuvor. Später dachte er sich noch ein anderes unerhörtes Verfahren aus: Diejenigen Ämter in Byzanz und den anderen Städten, die er für die wichtigsten hielt, verkaufte er nicht mehr wie bisher, er suchte sich vielmehr geeignete Mietlinge aus, setzte diese ein und bestimmte den Lohn, für den sie alle Diebstähle an ihn abliefern mußten. Diese entrichteten die Pacht, dann raubten sie frech alles aus dem ganzen Lande zusammen, und Söldlingswillkür zog umher, um unter dem Deckmantel eines Amtes die Untertanen auszuplündern. So betraute der Kaiser mit peinlichster 93
Sorgfalt marktend, stets solche Leute mit der Leitung von Ämtern, die in Wahrheit die allergrößten Halunken waren, und immer hatte er Glück beim Aufspüren solcher Lumpen. Als nun die ersten Schurken in ihre Posten eingeführt waren und zügellose Gewalttätigkeit ihre verworfene Gesinnung ans Licht gebracht hatte, da mußten wir staunen, wie doch eines Menschen Natur so viel Schlechtigkeit fassen könne. Doch als die Amtsnachfolger sie noch bei weitem übertrafen, fragten sich die Menschen verwundert, wie die zuvor offenbar übelsten Burschen wider alles Erwarten nach ihren Handlungen nunmehr als Ehrenmänner erschienen und hinter den Nachfolgern zurückblieben. Diejenigen nun, die als die dritten kamen, überboten wiederum ihre Vorgänger in jeder Art von Schlechtigkeit, und so ging es weiter, indem deren Nachfolger ihren Vorgängern durch die unerhörte Art ihrer eigenen Vergehen einen guten Namen schufen. Da nun so das Übel immer größere Ausmaße annahm, konnten sich alle an Hand der Tatsachen darüber klar werden, daß die Schlechtigkeit bei den Menschen ins Grenzenlose zu wachsen pflegt und, gefördert durch das Wissen der Vorgänger und geweckt durch die Möglichkeit schrankenloser Willkür gegen die Opfer, sich anscheinend jeweils so weit ausdehnt, als es eben die Stellung der Geschädigten zuläßt. So etwa stand es um die römische Beamtenschaft. Vielfach wollten die Befehlshaber in Thrakien und Illyrien die mit Heeresmacht im Römerreich auf Menschenraub und Plünderung ausgehenden hunnischen Feinde beim Rückzug angreifen, mußten aber davon abstehen, da ihnen Schreiben Justinians zu Gesichte kamen, die ihnen jeden Angriff auf die Barbaren verboten; denn diese seien unersetzliche Bundesgenossen der Römer ebenso gegen die Goten wie gegen sonstige Gegner. Seitdem raubten diese Barbaren wie Feinde und versklavten die Römer in jenen Gebieten, durften aber mit ihren Gefangenen und der sonstigen Beute als Freunde und Bundesgenossen der Römer unbehelligt 94
nach Hause zurückkehren. Oft rotteten sich freilich einige der dortigen Bauern aus Liebe zu ihren versklavten Kindern und Frauen zu größeren Haufen zusammen, töteten viele Barbaren auf dem Rückweg und konnten ihnen ihre Pferde samt der Beute abjagen. Sie machten dabei aber schlimme Erfahrungen. Denn von Byzanz erschienen Kommandos, mißhandelten und schädigten die Unglücklichen und belegten sie ohne weiteres mit Geldstrafen, bis sie die Pferde herausgaben, die sie den Barbaren abgenommen hatten.
Kapitel 22 Die wucherische Geschäfsführung des Praefectus Praetorio Petros Barsymas Als der Kaiser und Theodora Johannes den Kappadoker gestürzt hatten, wollten sie einen anderen an dessen Stelle setzen und bemühten sich, einen noch übleren Patron unter den Leuten aufzutreiben. Sie hielten also Umschau nach solch einem Werkzeug der Gewaltherrschaft und prüften die Charaktere sämtlicher Menschen, damit sie noch rascher die Untertanen vernichten könnten. Für den Augenblick übertrugen sie das Amt an Theodotos, eine zwar nicht einwandfreie Persönlichkeit, die ihnen aber doch nicht ganz zusagte. Denn in der Folgezeit setzten sie ihre Nachforschungen rings im Lande fort. Und zufällig fanden sie einen Geldwechsler Petros, einen geborenen Syrer, mit dem Beinamen Barsymas. Der saß schon lange am Wechseltisch und zog aus diesem Gewerbe schmutzigste Gewinne, indem er den Betrug mit den Obolen sehr geschickt besorgte und die Kunden mit seiner Fingerfertigkeit stets beschwindelte. Ausgezeichnet verstand er das Vermögen seiner Opfer in schamloser Weise zu 95
stehlen, war er aber ertappt, heilige Eide zu leisten und das Vergehen der Hände mit frecher Zunge zu bemänteln. Er fand deshalb Aufnahme unter die Mitarbeiter des Praefectus Praetorio und brachte es zu solcher Unverschämtheit, daß er die besondere Huld Theodoras erwerben und ihr bei der schwierigen Durchführung ihrer ruchlosen Pläne gar leicht zur Hand gehen konnte. Daher enthoben sie den Theodotos, den sie nach dem Kappadoker ernannt hatten, sofort seines Amtes und betrauten damit den Petros. Der besorgte ihnen nun alles nach Wunsch. Nahm er z.B. den Soldaten ihren ganzen Sold, dann sah man ihn niemals sich schämen oder fürchten. Den Ämterschacher betrieb er noch schwunghafter als je zuvor und gab die Posten sogar zu herabgesetzten Preisen an die schamlosen Käufer, mit der ausdrücklichen Weisung an die Neuinhaber, nach Willkür über Leben und Besitz der Untertanen zu verfügen. Ihm selbst und jedem, der die Gebühr für ein Amt erlegt hatte, war ja sofort zum Plündern und Rauben volle Freiheit gelassen. So ging vom Haupte des Staates der Handel mit Menschenleben aus, die Schuldsumme für die Vernichtung der Städte wurde beigetrieben, und unter den hohen Gerichtsbeamten und auf offenem Markte wandelte der »gesetzliche Räuber« umher, wobei er sein Geschäft als Einsammeln der Ämtertaxen bezeichnete. Und keine Hoffnung bestand auf Sühne für diese Verbrechen. Vom gesamten Behördenpersonal, darunter vielen angesehenen Männern, holte er stets nur die schlechtesten in seine Nähe. Auf diese Art versündigte sich nicht nur er allein, sondern auch alle, die früher oder später das Amt bekleideten. Ähnliche Mißstände gab es auch im Amte des Magister Officiorum und bei den Palatini, die für den Staatsschatz, die sog. Privatschatulle und das Hausvermögen des Kaisers arbeiten, überhaupt bei allen Ämtern in Byzanz und in den sonstigen Städten. Denn seitdem dieser Tyrann den Staat regierte, nahm er in jedem Amte die Bezüge der unteren Angestellten teils selbst in 96
Anspruch, teils tat dies rücksichtslos der jeweilige Inhaber der Würde, und jene mußten den Befehlen gehorchend, in drückender Armut die ganze Zeit über ihnen wie elende Sklaven zu Diensten sein. Sehr viel Getreide wurde nach Byzanz verschifft. Obwohl es großenteils schon verdorben war und sich für menschliche Nahrung nicht mehr eignete, verkaufte es Justinian an alle östlichen Städte, dabei nicht zu einem Preis wie für die beste Sorte, sondern erheblich teuerer, und die Käufer mußten ein Sündengeld entrichten, schließlich aber die Ware ins Meer oder in einen Abzugskanal schütten. Als auch frisches, noch nicht verdorbenes Korn in großen Mengen in Byzanz lagerte, verkaufte er dieses ebenfalls zu Wucherpreisen an die notleidenden Städte. Er nahm dabei doppelt soviel ein, als der Staat zuvor den Untertanen für das Getreide bezahlt hatte. Im Jahre darauf erreichte die Getreideernte indes nicht mehr die gleiche Höhe. Wie nun der Antransport der Getreideflotte nach Byzanz hinter dem Bedarf zurückblieb und Petros sich einer Zwangslage gegenübersah, entschloß sich der Kaiser, in den Städten Bithyniens, Phrygiens und Thrakiens eine große Menge Getreide einzukaufen. Unter schweren Mühen mußten nun die Einwohner die Lieferungen bis ans Meer schaffen und auf gefahrvoller Fahrt bis nach Byzanz bringen. Sie erhielten von ihm zwar eine bescheidene Vergütung, doch nur zum Schein, denn der Schaden belief sich so hoch, daß sie herzlich froh waren, wenn man ihnen erlaubte, das Getreide dem staatlichen Speicher zu schenken und noch etwas daraufzuzahlen. Diese Last nennt man Synone (Zusammenkauf). Als aber auch so nicht genügend Getreide nach Byzanz kam, zeigten viele dies dem Kaiser an. Zugleich waren auch fast alle Soldaten in der Stadt in Unruhe, und es herrschte starke Aufregung, da sie die gewohnten Lieferungen nicht erhielten. Petros schien nunmehr beim Kaiser in Ungnade, und dieser wollte ihn schon seines Amtes entheben, einmal aus dem erwähnten Grunde und 97
dann, weil Petros dem Vernehmen nach unglaubliche Summen aus der Staatskasse entwendet und versteckt haben sollte. Und so war es in der Tat. Theodora jedoch ließ den Mann nicht fallen. Sie schätzte ja den Barsymas über die Maßen, und zwar, wie ich glaube, wegen seiner Schlechtigkeit und seines brutalen Vorgehens gegen die Untertanen. War sie doch selbst eine ganz rohe Natur, bar allen menschlichen Empfindens und bestrebt, möglichst gleichgeartete Helfer um sich zu scharen. Sie soll übrigens, wie man sich erzählt, von Petros verzaubert worden sein und gezwungenermaßen ihm ihre Gunst geschenkt haben. An Giftmischerei und Zauberei besonders interessiert, war ja dieser Barsymas obendrein noch Manichäer und hatte die Verwegenheit, ganz offen an deren Spitze zu treten. Die Kaiserin, obwohl sie auch davon erfahren hatte, entzog ihm nicht ihre Gunst, sondern deckte und schätzte ihn deshalb noch mehr. Denn auch sie stand von Kind auf in engem Verkehr mit Magiern und Giftmischern, und da ja ihr Geschäft sie dazu führte, so glaubte sie in ihrem ganzen Leben daran und vertraute stets darauf. Sie soll sich auch Justinian nicht so sehr durch Schmeichelei als vielmehr durch Zauberkraft gefügig gemacht haben. War er doch weder wohlmeinend noch gerecht noch im Guten beständig, um sich ja solcher List entziehen zu können; der Mord- und Geldgier hingegen war er ganz offensichtlich verfallen und ließ sich leicht von Leuten bestimmen, die ihn täuschten und umschmeichelten. In den wichtigsten Angelegenheiten schwenkte er ohne weiteres um und war stets ganz und gar einer Staubwolke zu vergleichen. Deshalb setzte auch kein Verwandter oder sonstwie angesehener Mann jemals festes Vertrauen auf ihn, Unbeständigkeit der Gesinnung kennzeichnete sein ganzes Handeln. So war er, wie gesagt, den Giftmischern leicht zugänglich und eine mühelose Beute seiner Gemahlin Theodora, diese aber schätzte deshalb den Petros, der sich auf diese Künste verstand, über die Maßen. Seines bisherigen Amtes entkleidete ihn zwar der Kaiser – nur sehr 98
ungern –, bestellte ihn aber bald nachher auf Theodoras Drängen zum Schatzmeister. Zu diesem Zwecke mußte Johannes weichen, der erst wenige Monate zuvor die Stelle übernommen hatte. Der war ein gebürtiger Palästinenser, ein sehr maßvoller und wackerer Mann, der kein unrechtes Geld beizutreiben fähig war und niemanden je ein Haar gekrümmt hatte. Darum schätzte auch alles Volk ihn ganz besonders. Doch gerade dadurch zog er sich die Ungnade Justinians und seiner Gemahlin zu, die jedesmal, wenn sie wider Vermuten unter ihren Dienern einen anständigen und einwandfreien Menschen fanden, sehr bestürzt und empört waren und sich alle Mühe gaben, ihn so schnell wie möglich loszuwerden. So löste Petros auch den Johannes ab und verschuldete als kaiserlicher Schatzmeister wieder schwerstes allgemeines Unglück. Denn die kaiserlichen Unterstützungen, die schon seit langem vielen Empfängern alljährlich zuflossen, stellte er zum größten Teil ein. Dadurch machte er sich unberechtigterweise selber reich, während er dem Kaiser nur einen Teil der Ersparnisse zuleitete. Die Beraubten aber saßen in tiefer Betrübnis da; denn auch das Goldstück prägte er nicht in gewohnter Güte aus, sondern machte es – ein unerhörter Vorgang – kleiner. So etwa stand es um den Kaiser und seine Beamten. Jetzt will ich schildern, wie er die Grundbesitzer überall ins Unglück stürzte. Ich habe eben erst ausführlich von den Beamten, die in alle Städte entsandt wurden, und von den Leiden ihrer Opfer berichtet, zu denen in erster Linie die mißhandelten und ausgeraubten Grundbesitzer zählten. Nun folgt der Rest meines Berichtes.
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Kapitel 23 Harte Steuermaßnahmen gegen die Grundbesitzer Fürs erste war es altes Herkommen, daß jeder römische Herrscher nicht nur einmal, sondern wiederholt seinen Untertanen die Steuerreste schenkte, damit die Notleidenden, die nicht wußten, woher die Beträge nehmen, weder dauernd bedrängt würden noch den Steuerbeamten Vorwände lieferten, wo diese doch unter den Besteuerten sogar die Nichtpflichtigen zu erpressen versuchten. Justinian hat in einer Zeit von zweiunddreißig Jahren seinen Untertanen keine einzige derartige Wohltat erwiesen. Nunmehr mußten die Armen ihr Land aufgeben, und keiner durfte mehr auf seine Scholle zurückkehren. Außerdem quälten die Erpresser die besseren Stände mit der Anklage, sie hätten seit langer Zeit weniger Steuer entrichtet, als auf das Grundstück treffe. Die Unglücklichen mußten ja nicht nur vor der neuen Steuer, sondern auch vor dem Gedanken zittern, mit Abgaben für so lange Zeit widerrechtlich belegt zu werden. Viele überließen daraufhin ihren Besitz tatsächlich den Erpressern oder dem Staate und schafften sich so die Sache vom Halse. Zum zweiten: Als die Perser und Sarazenen den Großteil Asiens, die Hunnen, Sklavenier und Anten aber ganz Europa ausgeplündert und die Städte teils dem Erdboden gleichgemacht, teils aufs gründlichste gebrandschatzt, dazu die Menschen samt ihrem Besitz weggeschleppt und durch wiederholte Einfälle jedes Land entvölkert hatten, da erließ Justinian auch nicht einem einzigen die Steuer, lediglich den eroberten Städten auf ein Jahr. Selbst wenn er wie Kaiser Anastasios den heimgesuchten Städten Steuernachlaß für sieben Jahre gewährt hätte, hätte er meinem Dafürhalten nach seine Pflicht noch nicht erfüllt; denn Kabades zog ja damals in sein Land zurück, ohne den geringsten Schaden an den Bauwer100
ken angerichtet zu haben, während Chosroes alles bis auf den Erdboden niederbrannte und den Betroffenen schwereres Leid zufügte. Denen, die den erwähnten lächerlichen Steuernachlaß erhielten, und all den andern, die wiederholt das persische Heer im Lande hatten – zudem plünderten Hunnen und barbarische Sarazenen unaufhörlich die östlichen Gebiete, während die Barbaren in Europa ein gleiches Dauerspiel mit den Römern dort trieben –, diesen allen wurde der Kaiser geradezu lästiger als alle Barbaren. Denn unmittelbar nach dem Abzug der Feinde wurden die Grundbesitzer von Zwangskäufen, sogenannten Zuschlägen und Aufteilungen betroffen. Was das für Bezeichnungen sind und was sie bedeuten, will ich jetzt darlegen. Die Grundbesitzer sind verpflichtet, nach der einem jeden aufliegenden Steuerlast das römische Heer zu verpflegen; dabei müssen Preise bezahlt werden, nicht wie es das augenblickliche Bedürfnis verlangt, sondern wie es eben angeht und einmal festgelegt ist; man untersucht auch nicht, ob die Eigentümer die Bedarfsgüter tatsächlich im Lande haben. So sehen sich die Unglücklichen genötigt, die Verpflegung für Mann und Pferd zu viel höheren Preisen und gegebenenfalls auch noch in fernem Lande anzukaufen und dorthin zu transportieren, wo eben das Heer lagert. Hier muß sie dann den Intendanten vorgemessen werden, nicht nach dem gewöhnlichen Satz, sondern wie es diesen Herren gerade paßt. Dies ist die sogenannte Synone (Zwangskauf), die allen Grundbesitzern das Rückgrat gebrochen hat. Denn wie gesagt, sie müssen nicht allein dem Heere Verpflegung zufahren, sondern oft auch unter schweren Mühen Getreide bis nach Byzanz schaffen und so nicht weniger als zehnmal die Jahressteuer bezahlen. Und nicht nur der Barsymas allein besaß die Frechheit zu solchem Verbrechen, auch vorher bestanden schon der Kappadoker, später die Nachfolger des Barsymas auf dieser Forderung ihres Amtes. Mit der Synone hatte es also diese Bewandtnis. Epibole be101
deutet hingegen ein unvorhergesehenes Verhängnis, das ganz plötzlich die Grundbesitzer befällt und ihnen jede Lebenshoffnung raubt. Unbedenklich legt man die Abgaben für verlassene und nicht mehr ertragsfähige Grundstücke, deren Inhaber und Bebauer entweder schon gänzlich ruiniert sind oder sich durch Preisgabe des angestammten Besitzes den drückenden Lasten entziehen, den noch nicht völlig zugrunde gerichteten Besitzern auf. So steht's um die Epibole, die ja eben in dieser Zeit besondere Bedeutung gewann. Von den Diagraphai wäre etwa ganz kurz folgendes zu sagen: Die Städte wurden gerade damals von zahlreichen Unglücksfällen heimgesucht, auf deren Ursachen und Art ich jetzt nicht näher eingehen möchte, um meine Ausführungen nicht endlos auszudehnen. Für diese Unglücksfälle mußten nun die Grundbesitzer aufkommen, indem sie einen Betrag erlegten, der ihrer jeweiligen Steuerveranlagung entsprach. Doch damit war für sie das Unheil noch lange nicht abgetan. Denn obschon die Pest die ganze Welt und nicht zuletzt das Römische Reich erfaßte, die Mehrzahl der Bauern dahinstarb und die Landschaften natürlich verödeten, kannte der Kaiser doch keine Schonung gegenüber den Grundbesitzern. Die jährliche Steuerbeitreibung wurde nicht unterbrochen, im Gegenteil, sie geschah nicht nur in der üblichen Höhe, sondern auch der Anteil der zugrunde gegangenen Nachbarn wurde noch dazugeschlagen. Außerdem ruhten auf den unglücklichen Grundbesitzern noch die anderen eben erwähnten Lasten. Sie mußten schließlich den Soldaten, die ihre schönsten und kostbarsten Zimmer bewohnten, zu Diensten sein, sich selber aber mit den schlechtesten und verkommensten Räumlichkeiten diese ganze Zeit zufrieden geben. Unter all diesem Elend hatte während der Regierung Justinians und Theodoras die Menschheit dauernd zu leiden; denn weder Krieg noch sonst ein Hauptübel setzte damals aus. Da wir 102
nun einmal auf die Wohnräume zu sprechen gekommen sind, so müssen wir auch erwähnen, daß die Hausbesitzer in Byzanz ihre Gebäulichkeiten den etwa 70 000 Barbaren dort zur Unterkunft einräumen mußten und so, statt aus ihrem Besitz Vorteil zu ziehen, sogar noch weitere Schwierigkeiten hatten.
Kapitel 24 Die Ausbeutung des Soldatenstandes unter Justinian Auch seine Verbrechen an den Soldaten darf man nicht verschweigen. Er setzte über sie die allerübelsten Kerle und gab denen Auftrag, möglichst viel herauszuschlagen. Dabei floß ein Zwölftel der Beute, wie die Schurken wohl wußten, in die eigenen Taschen. Ihre Bezeichnung war Logotheten. Jährlich trafen sie folgende Regelung: Die Truppen werden – so ist es Gesetz – nicht alle in gleicher Weise besoldet, vielmehr ist die Löhnung für die noch jungen, eben eingezogenen Jahrgänge geringer, während gediente und schon in der Mitte der Stammrolle stehende Soldaten höheren Sold empfangen. Sind sie alt und wollen aus dem Militärdienst ausscheiden, dann steigen die Bezüge noch erheblich, damit sie in ihrem Privatleben ein genügendes Auskommen haben und bei ihrem Tode den Angehörigen auch einen Trostpfennig hinterlassen können. Mit der Zeit rücken die geringer besoldeten Soldaten in die Ränge der Verstorbenen oder aus dem Heeresdienst Ausgeschiedenen vor und erhalten jeweils dem Alter entsprechend ihre Bezüge aus der Staatskasse. Die sog. Logotheten nun ließen die Namen der Toten nicht aus den Stammrollen streichen, obwohl die meisten Soldaten während der vielen Kriege zusammen ums Leben kamen. Lange Zeit wurden auch die Mannschaftsbestände nicht mehr ergänzt. Das 103
hatte für den Staat die mißliche Folge, daß die Zahl der Soldaten immer weiter sank; die überlebenden aber blieben, von den längst verstorbenen Kameraden im Aufstieg behindert, wider Recht und Billigkeit auf der niedrigeren Stufe und bezogen einen für ihre Stellung zu geringen Sold. Die Logotheten freilich konnten all die Zeit hindurch aus dem Militäretat Beträge an Justinian abführen. Auch sonst fügten sie den Soldaten vielerlei Nachteile zu. Wie zum Lohn für ausgestandene Kriegsgefahren mußten sich die einen Graeci (Griechlein) schimpfen lassen, als wenn kein einziger Grieche ein guter Soldat sein könne. Den anderen hielten die Logotheten vor, sie seien ohne Weisung des Kaisers ins Feld gezogen, und obschon sie deshalb kaiserliche Befehle vorlegen konnten, hatten die Beamten die Unverfrorenheit, von Fälschungen zu reden. Wieder andere mußten sich sagen lassen, sie hätten sich einige Tage von ihren Gefährten getrennt. Späterhin wurden Angehörige der Palasttruppen über das ganze Römerreich hin ausgesandt und forschten angeblich in den Stammrollen nach Kriegsdienstuntauglichen. Einigen nahmen sie – eine Frechheit – wegen Untauglichkeit und hohen Alters das cingulum; diese mußten dann auf offenem Marktplatze von frommen Leuten ihren Lebensunterhalt erbetteln und weckten so bei allen, die es sahen, Tränen und Wehklagen. Von den übrigen Soldaten forderten die Beauftragten, damit es diesen nicht ebenso ergehe, große Geldsummen. Die Leute aber, die so auf mancherlei Art ihre ganze Habe einbüßten, wurden zu Bettlern und hatten natürlich keine Lust mehr am Kriege. Die Folge war, daß Roms Machtstellung in Italien zusammenbrach. Dort erhob der Logothet Alexandros – eigens dazu abgeordnet – kühn die erwähnten Vorwürfe gegen das Militär, zugleich trieb er von den Italikern Gelder ein, und zwar unter dem Vorwand, er müsse sie wegen ihrer politischen Haltung gegenüber Theodorich und den Goten bestrafen. Dabei waren die Soldaten nicht die einzigen, die durch 104
die Logotheten mit Armut und Not bedrückt wurden, auch die zahlreichen Diener der Offiziere, vorher angesehene Leute, seufzten unter Hunger und bitterem Mangel. Wußten sie doch nicht, woher den gewohnten Lebensunterhalt nehmen. Die Erwähnung der Soldaten bringt mich darauf, diesen meinen Ausführungen noch etwas hinzuzufügen. Die früheren römischen Kaiser hatten überall in die Randgebiete eine beträchtliche Zahl Soldaten als Grenzschutz des Römischen Reiches gelegt, namentlich in den Ostteil, um so die persischen und sarazenischen Angriffe zurückzuweisen. Man nannte diese Truppen limitanei (Grenzer). Kaiser Justinian behandelte sie anfänglich so gleichgültig und geringschätzig, daß die Intendanten mit der Soldzahlung vier oder fünf Jahre im Rückstand blieben. Als nun die Römer und Perser Frieden schlossen, mußten diese Unglücklichen die ausstehenden Besoldungen der Staatskasse schenken; als Begründung diente der Hinweis, auch sie genössen ja die Vorteile des Friedens. Späterhin nahm ihnen der Kaiser ohne jeden Grund sogar den Namen einer Truppe. So blieben in der Folgezeit die römischen Grenzgebiete ohne hinreichenden Schutz, die Soldaten aber waren plötzlich auf die Hände mildtätiger Menschen angewiesen. Andere Soldaten, nicht weniger als 3500 Mann, dienten immer schon zur Bewachung des Kaiserpalastes; sie hießen Scholarier. Ihnen zahlte die Staatskasse von alters her höheren Sold als den übrigen Truppen. Die früheren Kaiser hatten diese Scholarier Mann für Mann aus Armeniern ausgewählt und in diese Stellung gebracht. Seitdem aber Zenon zur Regierung gelangt war, konnte jeder, der da wollte, selbst Feiglinge und ganz und gar unkriegerische Personen, diese Bezeichnung führen. Im Laufe der Zeit erlegten auch Sklaven den geforderten Preis und erkauften sich diese militärische Stellung. Mit Justins Regierungsantritt beförderte Justinian noch viele dazu, natürlich für schweres Geld. Späterhin stellte er wohl fest, daß die Abteilungen keinen Bedarf 105
mehr hatten, reihte aber weiterhin etwa zweitausend Mann, sogenannte Überzählige, ein. Diese entfernte er sogleich bei seinem Regierungsantritt und zahlte ihnen keinen Pfennig. Gegen die Angehörigen der Scholen dachte sich Justinian folgendes aus: Wenn man damit rechnen mußte, daß ein Heer gegen Libyen, Italien oder Persien ausgesandt wurde, befahl er auch ihnen, sich zur Teilnahme fertig zu machen; dabei kannte er nur zu gut ihren geringen militärischen Wert. Die Scholarier bekamen nun Angst, herangezogen zu werden, und verzichteten für bestimmte Zeit auf ihren Sold. So erging es ihnen mehrfach. Auch Petras bedrückte sie während seiner ganzen Amtszeit als magister offciorum durch fortgesetzte unsägliche Diebereien. Sanft von Natur, schien er kein Wässerlein trüben zu können, war aber der allergrößte Diebsvogel, voll schmutzigster Habsucht. Diesen Petras habe ich schon an früherer Stelle als den Mann erwähnt, der die Ermordung der Amalasuntha, der Tochter Theodorichs, veranlaßte. Zu den Angehörigen des kaiserlichen Palastes zählen noch andere, wesentlich höher gestellte Personen. Da sie für ihren militärischen Rang mehr Geld erlegen, zahlt ihnen auch die Staatskasse mehr. Sie heißen Domestikoi und Protektores und sind militärisch völlig ungeübt. Nur zur Parade und wegen ihres stattlichen Aussehens wählt man sie gewöhnlich im Kaiserpalaste aus. Der eine Teil von ihnen steht schon seit langem in Byzanz, der andere in Galatien oder an anderen Plätzen. Auch diese Männer schreckte Justinian unausgesetzt auf die schon genannte Art und Weise und zwang sie, auf ihren Sold zu verzichten. Nur in Hauptzügen will ich folgendes erwähnen: Es bestand ein Herkommen, wonach der Kaiser alle fünf Jahre jeden Soldaten mit einem bestimmten Geschenk in Gold bedachte. In diesem Zeitabstande schickten die Herrscher also Beauftragte in sämtliche Länder des Römischen Reiches und gaben dem einzelnen Mann fünf Goldstatere. Und es war immer möglich, unter An106
wendung aller Mittel dieses Geld zu beschaffen. Seitdem aber Justinian den Staat leitete, brachte er nichts dergleichen zuwege, und es war auch nichts von ihm zu erwarten, obwohl nun schon ein Zeitraum von 32 Jahren verstrichen ist, so daß die Leute diese Sache fast vergessen haben. Noch von einer anderen Art, die Untertanen auszuplündern, will ich jetzt berichten. Wer dem Kaiser oder den Behörden in Byzanz als Soldat, Bürobeamter oder sonstwie dient, wird zuerst am Ende der Listen geführt, rückt aber im Laufe der Zeit immer weiter in die Stellen der Verstorbenen oder Ausgeschiedenen auf und gelangt schließlich bis zu dem Punkte seiner Laufbahn, wo er die letzte Stufe erreicht hat und nun im höchsten Range steht. Schon seit langem erhalten die bis zu dieser Stelle Vorgerückten mehr als hundert Kentenarien Gold im Jahr, so daß sie eine Altersversorgung genießen und noch viele andere an dieser Unterstützung besonders teilhaben. Der Staat fuhr bei dieser Regelung immer recht gut. Nun aber strich ihnen der Kaiser beinahe den ganzen Betrag und schädigte die Pensionisten und ihre Angehörigen; denn zuerst gerieten jene in Not, dann auch ihre bisher Mitbegünstigten. Wenn man den Schaden, der ihnen auf diese Weise entstand, auf zweiunddreißig Jahre berechnet, kann man erst die Größe des Verlustes ermessen.
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Kapitel 25 Zollerhöhungen, Geldentwertung und Errichtung des Seidenmonopols unter Justinian Auf diese Weise mißbrauchte der Tyrann seine Soldaten. Nun will ich berichten, wie er gegen die Kaufleute, Schiffer, Handwerker, Marktleute und damit auch gegen die anderen Menschen verfuhr. Beiderseits von Byzanz dehnen sich zwei Meerengen, die eine gegen den Hellespont zu um Sestos und Abydos, die andere in Richtung auf den Ausgang des Pontos Euxeinos, wo das Hieron liegt. An der Meeresstraße des Hellespont gab es bisher keine staatliche Zollstation. Nur ein vom Kaiser dorthin entsandter Beamter hatte seinen Sitz in Abydos und mußte aufpassen, ob ein Schiff mit Waffenladung ohne Genehmigung des Kaisers nach Byzanz fahre oder jemand ohne schriftliche Bestätigung und Siegel der Hafenbehörde von dort komme – denn niemand darf Byzanz verlassen, wenn nicht die Beamten des magister officiorum ihre Erlaubnis erteilen. Von den Schiffsherrn erhob die Stelle in Abydos nur eine geringfügige Abgabe, wie wenn die Behörde lediglich ein Entgelt für ihre Bemühung verlange. Der an die andere Durchfahrtsstraße abgestellte Beamte empfing sein Gehalt stets vom Kaiser und hielt ebenfalls genaue Aufsicht im erwähnten Sinne, auch darüber, ob etwa ein für das feindliche Ausland verbotener römischer Ausfuhrartikel zu den Barbaren am Pontos Euxeinos verschifft werde. Von den dortigen Passanten durfte er aber keinerlei Abgaben entgegennehmen. Mit seinem Regierungsantritt richtete nun Justinian an beiden Meeresstraßen eine staatliche Zollstation ein, bestellte für dauernd zwei besoldete Beamte, entlohnte sie entsprechend und wies sie an, unter Anwendung aller Gewalt möglichst viel Geld für ihn herauszuholen. Den Leuten war es einzig und allein dar108
um zu tun, dem Kaiser ihre Ergebenheit zu beweisen, und so entledigten sie sich ihrer Pflicht, indem sie die Schiffsherrn um die Transitgebühren erleichterten. Das waren die Einrichtungen, die der Kaiser an beiden Meeresstraßen traf, für Byzanz dachte er sich folgendes aus: Er ernannte hier einen seiner Vertrauten, einen Syrer mit Namen Addaios, und befahl ihm, von den anlaufenden Schiffen zugunsten des Kaisers eine bestimmte Abgabe zu erheben. Legte nun ein Fahrzeug im Hafen von Byzanz an, dann ließ es dieser Beamte erst wieder in See gehen, wenn er die Schiffseigentümer durch gewisse Gebühren geschädigt hatte; andernfalls mußten sie nach Libyen oder Italien zurückkehren. Daraufhin verzichteten die einen auf Rücktransport und überhaupt auf weitere Schiffahrt, verbrannten sogleich ihre Fahrzeuge und waren heilfroh, dieses leidige Geschäft vom Halse zu haben. Wer nun freilich aus dieser Tätigkeit seinen Lebensunterhalt gewinnen mußte, der nahm von den Kaufleuten dreifachen Preis und führte so sein Transportunternehmen weiter. Der Handel wiederum hielt sich an den Käufern schadlos, und die Römer verhungerten auf jegliche Art. So ging es in der Staatsverwaltung zu. Ich darf aber auch nicht verschweigen, was für Praktiken die Majestäten bei den Scheidemünzen anwandten. Während früher die Wechsler ihren Kunden gewöhnlich 210 Obolen (sogenannte Folles) für den Goldstater zahlten, gingen der Kaiser und seine Gemahlin auf persönlichen Gewinn aus und bestimmten, daß nur noch 180 Obolen für den Stater gegeben werden sollten. Auf diese Art entwerteten sie jedes Goldstück um ein Siebtel zum Schaden aller Leute. Die Majestäten hatten die meisten Waren in sogenannte Monopole übergeführt und bedrückten täglich die Käufer. Nur die Kleidergeschäfte hatten sie nicht miteinbezogen. Jetzt trafen sie aber auch dafür folgende Regelung: Seidengewänder wurden seit alter Zeit gewöhnlich in den phönikischen Städten Berytos und Tyros verfertigt. Verkäufer, Hersteller und Bearbeiter wohn109
ten dort schon lange, und die Ware ging in alle Welt. Als nun unter Kaiser Justinian die Seidenmanufakturen in Byzanz und den anderen Orten das Kleid teuerer verkauften und dabei als Begründung anführten, man müsse jetzt den Persern einen höheren Preis als früher bezahlen und außerdem sei die Zahl der römischen Zollstationen gewachsen, tat der Kaiser allen gegenüber sehr zornig und verfügte einen allgemeinen Höchstpreis von acht Goldstücken für ein Pfund Seidenstoff. Zuwiderhandelnden drohte außerdem Vermögenskonfiskation. Diese Anordnung erschien den Betroffenen unmöglich und widersinnig, da die Händler doch die Waren nicht teurer einkaufen und billiger an die Kunden weitergeben konnten. Sie verzichteten also auf diesen Handel und verkauften nur noch schwarz in kleinen Mengen von ihren Restbeständen, natürlich an vornehme Herren, die für ihr Geld gern solchen Prunk trieben oder irgendwie Bedarf hatten. Einige Ohrenbläser berichteten der Kaiserin von der Sache. Sogleich ließ sie, ohne dem Gerede nachzugehen, alle Waren beschlagnahmen und legte noch ein Kentenarion Gold als Strafe auf. Späterhin ließen die Majestäten auch in Byzanz Seidengewänder in eigener Regie herstellen. Aufsicht über diese Manufaktur führt im Römerreich der kaiserliche Schatzmeister. Dem Petros Barsymas, dem sie diese Würde übertragen hatten, erlaubten sie bald grobe Unregelmäßigkeiten. Während er nämlich bei allen anderen auf peinliche Einhaltung des Gesetzes drang, nötigte er die Seidenarbeiter, ausschließlich für ihn zu schaffen, und verkaufte – nicht mehr heimlich, sondern auf offenem Markte – die Unze beliebiger Farbe für sage und schreibe sechs Goldstükke, die Unze Kaiserfarbe aber, sogenannte Holoveros, für mehr als 24 Goldstücke. Damit brachte er dem Kaiser viel Geld ein, sich selber – heimlicherweise – noch mehr, und so blieb es bis auf den heutigen Tag. Denn bis jetzt tritt er in aller Öffentlichkeit als Groß- und Kleinverkäufer dieser Ware auf. Wenn Kaufleute früher dieses Geschäft in Byzanz und in jeder anderen Stadt, sei es 110
zur See, sei es zu Land, betrieben hatten, mußten sie jetzt alle Bitterkeit ihres Gewerbes auskosten. In den erwähnten Städten wurde fast das ganze Volk von heute auf morgen bettelarm. Arbeiter und Handwerker hatten natürlich mit Hunger zu kämpfen, und so wechselten viele ihre Staatsangehörigkeit und flüchteten sich nach Persien. Nur der Schatzmeister trieb unausgesetzt sein Geschäft, ließ dem Kaiser wie gesagt einen Teil der Einkünfte zufließen, unterschlug aber den Großteil und bereicherte sich am Unglück des Volkes. So ist es damit ergangen.
Kapitel 26 Justinians verhängnisvolle Sparpolitik gegenüber verschiedenen Berufsständen und Einrichtungen Wie der Kaiser aber Byzanz und jede andere Stadt ihrer Zierden und Schmuckstücke beraubte, wollen wir jetzt berichten. Zuerst entschloß er sich zur Vernichtung des Rhetorenstandes. Er veranlaßte nämlich die streitenden Parteien, sich unter Eid gütlich zu einigen, und raubte so den Anwälten alle Honorare, mit denen sie sich früher nach Abschluß der Verteidigung manchen Genuß und Luxus leisten konnten. Nun lebten sie mißachtet in tiefer Verzweiflung. Da der Kaiser wie gesagt den Senatoren und sonstigen wohlhabenden Leuten in Byzanz und im ganzen Römerreich ihr Vermögen abgenommen hatte, war der Anwaltsberuf zur Arbeitslosigkeit verdammt. Denn die Leute hatten ja keinen nennenswerten Besitz mehr, um den sie miteinander hätten prozessieren können. So wurden schnell die Advokaten allenthalben aus einer stattlichen Zahl zu einem kleinen Häufchen, aus angesehenen Persönlichkeiten zu verachteten Menschen. Schwere 111
Armut drückte sie, und nur das Unangenehme ihrer Tätigkeit trugen sie als Lohn davon. Auch die Ärzte und Lehrer der freien Künste litten am Nötigsten Mangel. Justinian strich ihnen sämtliche Zulagen an Lebensmitteln, welche die früheren Kaiser diesen Ständen aus staatlichen Mitteln bewilligt hatten. Er erdreistete sich auch, sämtliche Gelder, welche die Bürger aus eigenen Mitteln zum allgemeinen Besten und zum Theaterbesuch aufbrachten, an sich zu ziehen und unter die öffentlichen Abgaben zu mischen. Weder Arzte noch Lehrer genossen fernerhin Ansehen, niemand kümmerte sich mehr um das öffentliche Bauwesen, in den Städten brannten keine Lampen mehr auf öffentliche Kosten, und auch sonst gebrach es den Einwohnern an jeder weiteren Fürsorge. Theater, Hippodrom und Zirkus lagen allenthalben still, die Welt, in der doch seine Gemahlin geboren, erzogen und ausgebildet worden war. Später ließ er diese Schauspiele auch in Byzanz eingehen, damit die Staatskasse den vielen, ja unzähligen Menschen, die dort ihr Auskommen hatten, die herkömmlichen Zuschüsse nicht leisten mußte. So herrschten denn bei jedem einzelnen und bei der Gesamtheit Trauer und Niedergeschlagenheit, wie wenn der Himmel ein Unglück verhängt hätte, und alle führten ein gar trübseliges Leben. Bei ihren Gesprächen zu Hause, auf dem Markte und in der Kirche redeten die Menschen nur von Unglück, Leid und ganz unerhörten Schicksalsschlägen. So ging es in den Städten. Es bleibt noch einiges, das Erwähnung verdient: Jedes Jahr wurden zwei Konsuln bestellt, der eine in Rom, der andere in Byzanz. Wer diese Würde empfing, mußte über zwanzig Kentenarien Gold für die Öffentlichkeit spenden; einen kleinen Teil dieser Summe steuerte der Konsul aus seinem eigenen Vermögen bei, die Hauptsache übernahm der Kaiser. Die Geldmittel fanden in der Hauptsache Verwendung für die schon erwähnten anderen Leute sowie für die Ärmsten, namentlich fürs Theaterpersonal, und förderten jeweils die wirtschaftli112
chen Verhältnisse in der Stadt. Seitdem nun Justinian die Herrschaft übernommen hatte, geschah dies alles nicht mehr zu den entsprechenden Zeiten. Zunächst bestellte er für die Römer einen Konsul auf längeren Zeitraum, schließlich bekamen sie nicht einmal einen Schatten mehr davon zu sehen, eben von dem Augenblicke an, da die Menschheit dauernd von Armut bedrückt wurde. Der Kaiser stellte ja seinen Untertanen die herkömmlichen Spenden nicht mehr zur Verfügung, sondern raffte von allen Seiten und auf jede Art zusammen, was der einzelne besaß. Wie dieser Schmutzkerl alle öffentlichen Gelder vergeudete und dann den Senatoren einzeln und in ihrer Gesamtheit das Vermögen wegnahm, habe ich wohl ausführlich genug erörtert. Auch das scheint mir hinreichend besprochen, wie er die anderen wohlhabenden Kreise durch gerichtliche Klage ihres Besitzes beraubte, nicht allein die Soldaten, die Gefolgsleute und Palasttruppen, Bauern, Grundbesitzer, Grundherrn und Rhetoren, sondern auch Kaufleute, Reeder, Matrosen, Arbeiter, Handwerker, Marktleute, Bühnenvolk und sozusagen all die vielen anderen, die durch ihn zu Schaden kamen. Was er den Armen und einfachen Leuten, den Bettlern und sonstwie Gedrückten antat, wollen wir gleich berichten; denn seine Maßnahmen gegen die Priester werden erst an späterer Stelle behandelt. Erstens zog er wie gesagt alle Verkaufsstellen an sich, richtete für die lebensnotwendigen Güter die sogenannten Monopole ein und forderte von den Leuten mehr als dreifache Preise. Ich will nun nicht den Versuch machen, mit endlosen Worten alles weitere aufzuzählen; es wäre vergebliches Bemühen. Auf jeden Fall beutete er stets die Käufer von Brot aufs grausamste aus: Arbeiter, Bettler und sonstwie wirtschaftlich gedrückte Menschen, die eben kaufen mußten. Dafür, daß die Brote teurer und unter Beigabe von Asche gebacken waren, nahm der Kaiser alle Jahre ungefähr drei Kentenarien ein; denn unbedenklich verstand er sich auch zu solch verbrecherischem Wucher. 113
Die Beamten aber nutzten dies als Vorwand zu persönlicher Bereicherung und gelangten spielend zu großem Reichtum, indessen sie die Bettler selbst in guten Zeiten künstlich hungern ließen. Man durfte ja nicht einmal Getreide anderswoher einführen, sondern alle mußten dieses Brot kaufen und verzehren. Man sah wohl, daß die städtische Wasserleitung geborsten war und nur mehr einen geringen Teil Wasser in die Stadt lieferte, doch kehrte man sich nicht daran und wollte auch nichts dafür aufwenden, obgleich sich immer eine große Menschenmenge um die Brunnen drängte und alle Bäder geschlossen waren. Dabei verschleuderte der Kaiser Unsummen sinnlos für Wasserbauten und andere Torheiten. Überall in den Vorstädten war er tätig, als böten die Paläste, in denen doch die früheren Herrscher dauernd residierten, nicht mehr genug Platz für die Majestäten. So vernachlässigte er nicht aus Sparsamkeit, sondern zum Verderben der Menschen den Bau der Wasserleitung; denn niemand war je eifriger als dieser Justinian bemüht, das Geld aller Menschen auf verwerfliche Art an sich zu ziehen und auf noch üblere Weise sogleich wieder auszugeben. Zweierlei, was Essen und Trinken anlangt, ist den Ärmsten und Bettlern vorbehalten, Wasser und Brot; in beidem tat ihnen, wie gesagt, der Kaiser Eintrag: Das eine machte er knapp, das andere viel teurer. So behandelte er nicht nur die Bettler in Byzanz, sondern auch Einwohner an anderen Orten, wie ich sogleich berichten werde. Als Theodorich Italien erobert hatte, ließ er die Gardetruppen in Rom an ihrem Platz, um so einen gewissen Rest der alten Staatsordnung zu erhalten. Täglich erhielt jeder von ihnen seinen Sold. Sie bildeten eine stattliche Zahl. Denn zu ihnen gehörten auch die sogenannten Silentiarier, Domestici und Scholarier, denen man nur die Bezeichnung Soldat und die genannte Löhnung belassen hatte, die ihnen kaum zum Leben reichte. Diese Bezüge durften sie auf Anordnung Theodorichs auf Kind und Kindeskinder vererben. Den Bettlern bei der Kirche des Apostels Petros 114
ließ er jährlich aus Staatsmitteln dreitausend Scheffel Getreide verabreichen. Diese Unterstützung verloren sie erst, als Alexander Psalidios nach Italien kam und die Almosen ohne weiteres einbehielt. Der römische Kaiser Justinian, der davon erfuhr, war mit der Maßnahme vollkommen einverstanden und schätzte Alexander noch mehr als zuvor. Auf dieser seiner Reise schädigte Alexandros auch die Griechen, und zwar auf folgende Art: Die umwohnenden Bauern versahen seit alters die Wache in den Thermopylen und besetzten abwechselnd die dortige Befestigung, wenn ein Angriff von Barbaren auf die Peloponnes drohte. Wie nun damals Alexandros in die Gegend kam, tat er so, als wolle er sich der Peloponnes annehmen, und erklärte, er könne einfachen Bauern die Bewachung dort nicht überlassen. Er legte also zweitausend Soldaten in die Befestigung, zahlte ihnen aber den Sold nicht aus der Staatskasse, sondern zog die öffentlichen und die Theatergelder sämtlicher griechischen Städte für den Fiskus ein und begründete die Maßnahme damit, daß die Soldaten davon unterhalten würden. Seit dieser Zeit wurde im ganzen übrigen Griechenland und nicht zum wenigsten in Athen selbst weder ein öffentliches Bauwerk erneuert noch konnte sonst etwas Gutes geschehen. Justinian aber bestätigte unverzüglich Psalidios’ dortige Anordnungen. Davon soviel. Ich muß nun auch noch auf die Bettler in Alexandreia eingehen. Dort lebte ein Anwalt namens Hephaistos, der nach seiner Ernennung zum Stadtpräfekten auf eine furchtbare Streitmacht gestützt, dem Volke seine Revolutionsgelüste austrieb und den Einwohnern aufs allerschlimmste zusetzte. Sämtliche Läden in der Stadt führte er sogleich in das sogenannte Monopol über und ließ keinen Kaufmann mehr seinem Gewerbe nachgehen, nur er allein waltete als Krämer und verkaufte sämtliche Waren, wobei er natürlich deren Preise nach seiner unbeschränkten Machtbefugnis festsetzte. Mangel an allem Lebensnotwendigen drückte daraufhin die Stadt Alexandreia, und da115
bei war vorher selbst für die Ärmsten alles recht billig gewesen. Nun fehlte es vor allem an Brot. Denn der Präfekt allein kaufte das gesamte ägyptische Getreide auf; jedem anderen war es untersagt, und sei es nur ein einziger Scheffel. So konnte er mit dem Brot und den Brotpreisen verfahren, wie es ihm gefiel. In kurzer Zeit erwarb er sich ungeheueren Reichtum und erfüllte zugleich den kaiserlichen Willen. Das Volk von Alexandreia aber fürchtete sich vor Hephaistos und schickte sich ganz still in seine augenblickliche Lage, indessen der Kaiser angesichts der jeweils eingehenden Gelder den Kerl über die Maßen schätzte. Der Präfekt aber wollte das Herz seines Herrn noch mehr bestricken und verfiel daher auf folgende Maßnahme: Der römische Kaiser Diokletian hatte bestimmt, daß die Bedürftigen in Alexandreia jedes Jahr eine große Menge Getreide vom Staate erhielten. Das Volk verteilte es unter sich und vererbte den Brauch auf die Nachkommen bis zum heutigen Tag. Doch jetzt kam Hephaistos. Er nahm den Armen jährlich gegen zwei Millionen Scheffel, führte sie dem Fiskus zu und berichtete dem Kaiser, daß die Leute bisher diese Reichnisse unrechtmäßig und zum allgemeinen Schaden bezogen hätten. Justinian bestätigte daraufhin die Anordnung und schätzte seinen Helfer noch höher. Wer aber in Alexandreia sich solchen Lebensunterhalt erwartet hatte, mußte nun in bitterster Not diese Unmenschlichkeit auskosten.
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Kapitel 27 Beispiele kaiserlicher Kirchenpolitik Der Taten Justinians sind so viele, daß nicht einmal das ganze Leben zu ihrer Schilderung ausreichte. So will ich mich darauf beschränken, aus der großen Fülle nur einiges wenige auszuwählen und zu berichten, wodurch auch den späteren Generationen seine ganze Wesensart deutlich werden soll, daß er ein Schurke war und sich weder um Gott noch um Priester oder Gesetz, auch nicht um das Volk kümmerte, das ihm ergeben schien. Keinerlei Rücksichten, weder aufs Staatswohl noch, was dieses fördern konnte, ließ er gelten. Er legte keinen Wert darauf, seinen Handlungen ein schönes Mäntelchen umzuhängen, Raub, nur Raub an allem Besitztum war sein Verlangen. Damit will ich jetzt beginnen. Zum Patriarchen von Alexandreia bestellte er Paulos. Präfekt in Alexandreia war damals ein gewisser Rhodon, ein geborener Phöniker. Diesen beauftragte der Kaiser, den Paulos in allen Dingen bereitwilligst zu unterstützen, damit dessen Befehle ausnahmslos vollzogen würden. So hoffte nämlich Justinian die Häretiker in Alexandreia für das Konzil in Kalchedon zu gewinnen. Da lebte nun ein gewisser Arsenios, Palästinenser von Geburt, der der Kaiserin Theodora in größter Bedrängnis geholfen hatte und dadurch zu großer Macht, reichem Besitz und sogar zur Würde eines Senators gelangt war, obwohl er doch nur ein elender Gauner war. Dieser Mann war Samaritaner, doch hielt er sich, um seine einflußreiche Stellung nicht aufgeben zu müssen, dem Namen nach zu den Christen. Sein Vater und Bruder lebten indessen, frech auf seine Macht bauend, in Skythopolis, pflegten weiterhin den alten Glauben und fügten im Einvernehmen mit ihm den Christen schlimmsten Schaden zu. Deshalb erhoben sich 117
die Einwohner und ließen beide eines jammervollen Todes sterben. Viel Leid erwuchs daraus für Palästina. Nun taten weder Justinian noch Theodora dem Arsenios, obwohl er die Hauptschuld an allem Unglück trug, etwas zuleide, verboten ihm aber das Erscheinen bei Hof; denn seinetwegen waren die Christen gegen die Majestäten besonders aufgebracht. Dieser Arsenios glaubte dem Kaiser einen Gefallen erweisen zu können. Er ging daher kurze Zeit darauf mit Paulos nach Alexandreia, um neben anderen Diensten ihn aufs allerkräftigste bei der Bekehrung der Alexandriner zu unterstützen. Wie er erklärte, hatte er sich in der Zeit, da er vom Hofe ausgeschlossen war, mit allen christlichen Glaubenslehren vertraut gemacht. Das erbitterte Theodora; denn nach unseren früheren Ausführungen tat sie so, als gehe sie einen anderen Weg als der Kaiser. Nachdem also Paulos und Arsenios in Alexandreia eingetroffen waren, übergab ersterer einen Diakon namens Psoes dem Rhodon zur Hinrichtung; dieser war nach seiner Erklärung der einzige, der ihn an der Ausführung der kaiserlichen Befehle hinderte. Angesichts der wiederholten dringenden Schreiben des Kaisers fühlte sich Rhodon veranlaßt, den Menschen foltern zu lassen. Dabei starb dieser ganz plötzlich. Als der Kaiser davon hörte, schob er auf entschiedenes Drängen Theodoras dem Paulos, Rhodon und Arsenios sogleich die ganze Schuld zu und tat so, als habe er sämtliche ihnen erteilte Aufträge vergessen. Er ernannte einen Patrikier aus Rom, den Liberios, zum Präfekten von Alexandreia und sandte ihn zusammen mit einigen vornehmen Priestern zur Untersuchung der Angelegenheit dorthin. Unter ihnen befand sich auch Pelagios, der Archidiakon von Rom, der auf Befehl des Papstes Vigilios diesen vertrat. Nachdem der Mord erwiesen war, entsetzte die Kommission den Paulos sofort seines geistlichen Amtes; den Rhodon, der nach Byzanz geflüchtet war, ließ der Kaiser enthaupten und seinen gesamten Besitz einziehen – dabei konnte der Mann dreizehn Schreiben des Kaisers vorlegen, in denen ihn 118
dieser nachdrücklichst anfeuerte und anwies, Paulos’ Befehle in allem zu unterstützen und ihm keine Hindernisse in den Weg zu legen, damit er seine Entschlüsse wunschgemäß ausführen könne. Den Arsenios endlich ließ Liberios auf Veranlassung von Theodora aufpfählen; außerdem konfiszierte der Kaiser seinen Besitz, obwohl er ihm nur den Verkehr mit Paulos zur Last legen konnte. Ob Justinians Vorgehen recht war oder nicht, vermag ich nicht zu entscheiden; weshalb ich aber von all dem sprach, werde ich sofort klären. Nach einiger Zeit kam nämlich Paulos nach Byzanz, übergab dem Kaiser sieben Kentenarien Gold und wollte dafür seine Priesterwürde zurück, die ihm nach seiner Auffassung widerrechtlich genommen worden sei. Justinian nahm das Geschenk gnädig entgegen und erwies dem Manne alle Ehre, er erklärte sich auch sogleich bereit, ihn wieder als Patriarch von Alexandreia einzusetzen, obwohl doch ein anderer diese Stelle innehatte. Man mußte den Eindruck gewinnen, als wüßte der Kaiser nicht, daß er doch selbst die Genossen und Helfer des Paulos getötet und ihr Vermögen eingezogen hatte. Die Majestät betrieb nun die Sache mit allem Nachdruck und Eifer, und mit Sicherheit stand zu erwarten, daß Paulos auf alle Fälle seine geistliche Würde zurückerhalten werde. Vigilios indessen, der damals gerade in Byzanz weilte, weigerte sich strikt, dem diesbezüglichen kaiserlichen Befehl nachzukommen. Er erklärte sich außerstande, seine eigene Entscheidung zu widerrufen, wobei er die Ansicht des Pelagios vertrat. So war dem Kaiser nur am Geld gelegen. Ich will noch eine andere Geschichte dieser Art erzählen: Es lebte ein Mann namens Faustinos, gebürtiger Palästinenser, ursprünglich Samaritaner, infolge gesetzlichen Zwanges späterhin Namenschrist. Dieser Faustinos hatte die Würde eines Senators und die Leitung des Landes übertragen erhalten, wurde aber aus diesem Amte abberufen. Als er kurz darauf nach Byzanz 119
kam, beschuldigten ihn einige Geistliche, er pflege samaritanischen Kult und bedrücke die Christen in Palästina. Justinian schien sehr darüber aufgebracht, daß unter seiner Regierung im Römerreich der Name Christi verhöhnt werde. Die Senatoren zogen die Sache in Untersuchung und bestraften auf kaiserliches Drängen Faustinos mit Verbannung. Doch wie er dem Kaiser Geld in beliebiger Menge zusteckte, hob dieser das Urteil sogleich auf. Faustinos bekleidete wieder sein früheres Amt, erfreute sich nahen Verkehrs mit dem Kaiser und setzte als Verwalter von dessen Domänen in Palästina und Phönikien unbekümmert seine Absichten durch. Wie Justinian die Rechte der Christen schützte, kann man trotz unserer spärlichen Ausführungen schon aus diesen knappen Angaben ersehen. Wie er auch die Gesetze ohne jedes Bedenken für Geld annullierte, soll jetzt in aller Kürze dargelegt werden.
Kapitel 28 Der Fälscherskandal von Emesa, Bedrückung der Juden In der Stadt Emesa lebte ein Mann namens Priskos, der fremde Schriften ausgezeichnet nachzuahmen verstand, ein sehr geschickter Mann in dieser bösen Kunst. Die dortige Kirche war nun viele Jahre zuvor zur Erbin eines vornehmen Mannes eingesetzt worden. Er hieß Mammianos, dem Range nach ein Patrizier, der neben seiner vornehmen Herkunft ein großes Vermögen besaß. Unter Justinians Regierung durchforschte jener Priskos sämtliche Häuser der genannten Stadt nach reichen Leuten, denen man schwere Geldstrafen auflegen konnte. Er ging deren Vorfahren genau durch; dabei stieß er auf alte Dokumente 120
von ihrer Hand und fertigte unter ihrem Namen zahlreiche Schriftstücke an, in denen sie angeblich erklärten, dem Mammianos große Geldsummen für empfangene Darlehen zu schulden. Der in den gefälschten Dokumenten genannte Betrag belief sich auf volle hundert Kentenarien Gold. Zu Lebzeiten des Mammianos hatte ein Mann seinen Platz auf dem Markt, der wegen seiner Rechtlichkeit und sonstigen Vorzüge die Schreibarbeiten für die Bürger erledigte – die Römer sprechen von einem tabellio – und jedes Dokument mit eigenhändiger Unterschrift bestätigte. Dessen Schrift ahmte nun Priskos täuschend nach und übergab die Fälschung den Leitern der Kirche von Emesa, die ihm einen Teil aus dem erwarteten Erlös in Aussicht stellten. Der Plan drohte freilich am geltenden Rechte zu scheitern; danach verjährten die meisten Streitobjekte in dreißig, einige wenige und darunter auch die sog. hypothekarischen in vierzig Jahren. Man fand jedoch folgenden Ausweg: Die Beteiligten reisten nach Byzanz, zahlten dem Kaiser viel Geld und baten ihn, er möchte gemeinsam mit ihnen dafür die unschuldigen Bürger ins Verderben stoßen. Ohne Bedenken strich dieser das Geld ein und erließ auch gleich ein Gesetz, wonach die Kirchen nicht nach dem üblichen Zeitraum, sondern erst nach hundert Jahren ihre Rechtsansprüche verlieren sollten, und die Bestimmung hatte nicht nur in Emesa, sondern auch im ganzen Römerreich Geltung. Um nun die Sache in Emesa zu schlichten, bestimmte Justinian einen gewissen Longinos, einen energischen, kräftigen Mann, der später auch Stadtpräfekt in Byzanz war. Die kirchlichen Stellen machten zuerst gegen einen Bürger auf Grund der genannten Schriftstücke Ansprüche in Höhe von zwei Kentenarien geltend und gewannen auch sogleich den Prozeß, da der Betroffene infolge der langen Zeit und aus Unkenntnis der früheren Vorgänge nichts zu seiner Verteidigung vorbringen konnte. Alle anderen, insbesondere die vornehmen Einwohner Emesas, die sich in gleicher Weise den Denunzianten ausgeliefert sahen, 121
waren darob sehr niedergeschlagen. Doch als das Übel schon die meisten Bürger zu erfassen drohte, griff Gottes Vorsehung ein. Das geschah so: Longinos befahl dem Fälscher, sämtliche Schriftstücke auf einmal vorzuzeigen, und als Priskos Ausflüchte machte, prügelte er ihn nach Kräften. Unter den Hieben des bärenstarken Mannes brach der Schurke zusammen. Zitternd und in tödlicher Angst glaubte er, Longinos wisse um die ganze Sache, und legte ein Geständnis ab. So kam der Schwindel ans Licht und die betrügerische Angeberei hatte ihr Ende. Ähnlich verfuhr der Kaiser ununterbrochen und Tag für Tag nicht nur gegen die römischen Gesetze, sondern bemühte sich auch, die jüdischen Einrichtungen zu beseitigen. Wenn einmal im Laufe der Jahre ihr Osterfest vor das der Christen fiel, ließ er es die Juden nicht zur entsprechenden Zeit begehen, sie durften dann auch kein Opfer darbringen und die gebräuchlichen Riten feiern. Viele Juden wurden, da sie zu Ostern Schaffleisch aßen, wegen Gesetzesübertretung von den staatlichen Behörden zur Rechenschaft gezogen und hart bestraft. Ich weiß noch von unzähligen anderen Verbrechen Justinians, die in dieser Richtung liegen, möchte aber nicht weiter darauf eingehen; will ich doch mit meiner Darstellung an ein Ende kommen. Im übrigen wird auch durch sie schon hinreichend die Wesensart des Menschen deutlich.
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Kapitel 29 Justinians Doppelzüngigkeit und Erbschleicherei Daß er ein Scharlatan und Lügner war, will ich sofort beweisen. Er entsetzte den eben genannten Liberios seines Amtes und ernannte an dessen Stelle einen gebürtigen Ägypter, den Johannes mit dem Beinamen Laxarion. Sobald Pelagios, der intimste Freund des Liberios, davon erfuhr, fragte er den Kaiser, ob die Sache mit Laxarion auf Wahrheit beruhe. Justinian stellte eine solche Tat entschieden in Abrede, ja er übergab Pelagios sogar ein Schreiben an Liberios, in dem er diesem Befehl erteilte, mit aller Kraft an seinem Amte festzuhalten und keinesfalls davon zu lassen. Denn er wolle ihn im Augenblick nicht absetzen. Nun hatte Johannes einen Onkel in Byzanz. Der hieß Eudaimon, besaß konsularischen Rang und ein großes Vermögen und hatte bisher den kaiserlichen Privatbesitz verwaltet. Als dieser von dem kaiserlichen Entscheid hörte, fragte er auch seinerseits Justinian, ob sein Neffe das Amt fest in Händen habe. Prompt leugnete der Kaiser sein Schreiben an Liberios ab und erteilte Johannes schriftlichen Befehl, sich nachdrücklich seines Amtes anzunehmen. Denn darin habe er keine Änderung für ihn getroffen. Im Vertrauen auf diese Erklärung forderte nun Johannes den Liberios – er mußte ja glauben, dieser sei abgesetzt – zur Räumung des Amtsgebäudes auf. Liberios jedoch leistete dem keine Folge, offensichtlich auch seinerseits durch das kaiserliche Schreiben veranlaßt. So wappnete Johannes sein Gefolge und ging gegen Liberios vor, der sich mit seinen Begleitern zum Widerstände entschloß. Es kam zu einem regelrechten Kampfe und dabei fand neben vielen anderen auch der Amtsinhaber Johannes den Tod. Auf das entschiedene Drängen Eudaimons hin wurde Liberios sofort nach Byzanz vorgeladen. Der Senat stellte eine Untersu123
chung an, sprach ihn aber frei, da sich der böse Vorfall nicht beim Angriff, sondern bei der Verteidigung zugetragen hatte. Der Kaiser aber gab sich erst dann zufrieden, als er dem Liberios heimlich eine Geldstrafe auferlegt hatte. So verstand Justinian mit der Wahrheit umzugehen und eine gerade Sprache zu führen. Mir aber erscheint hier eine kleine Geschichte am Platze: Der genannte Eudaimon starb kurz nachher; er hinterließ zahlreiche Verwandte, traf aber keine testamentarische Entscheidung und sprach sich auch sonst in keiner Weise über die Erbschaft aus. Zur gleichen Zeit starb auch ein Vorsteher der Palasteunuchen namens Euphratas unter Hinterlassung eines Neffen, doch ohne Verfügung über seinen sehr bedeutenden Besitz. In beiden Fällen eignete sich der Kaiser das Vermögen an, indem er sich eigenmächtig zum Erben bestellte und den gesetzmäßigen Erben nicht einen einzigen Triobolos überließ. Solche Rücksicht nahm dieser Herrscher auf die Gesetze und die Verwandten seiner Freunde. Er riß auch das Vermögen des längst verstorbenen Eirenaios an sich, auf das er nicht den geringsten Anspruch hatte. Ein ähnliches Vorkommnis aus der gleichen Zeit möchte ich nicht mit Stillschweigen übergehen: Es lebte ein gewisser Anatolios, der im Rate von Askalon den ersten Rang bekleidete. Dessen Tochter heiratete ein Mann aus Kaisareia mit Namen Mamilianos, Sproß eines hochangesehenen Hauses. Als einziges Kind ihres Vaters Anatolios war sie Erbtochter. Nun war es seit langem gesetzlich festgelegt, daß ein Viertel der Hinterlassenschaft, falls der Ratsherr einer Stadt ohne männliche Erben sterbe, dem Rate zufallen, von dem Rest aber die Erben Nutzen ziehen sollten. Doch auch in diesem Fall verriet der Kaiser seine Gesinnungsart: Flugs war er mit einem neuen Gesetz zur Hand und kehrte die Sache dahin um, daß, im Falle ein Ratsherr ohne Sohn sterbe, die Erben nur ein Viertel des Vermögens bekommen, alles übrige aber der Staat und der Rat der Stadt erhalten sollten. 124
Dabei durfte doch seit Menschengedenken weder Staat noch Kaiser Hand auf Besitz von Ratsherrn legen. Während nun das neue Gesetz in Geltung war, beschloß Anatolios seine Tage, und die Tochter teilte dessen Erbe vorschriftsmäßig mit dem Staat und dem Rate der Stadt. Der Kaiser selbst und die Ratsherrn von Askalon erklärten schriftlich ihre Ansprüche als befriedigt, nachdem sie ihren Anteil ordnungsgemäß empfangen hatten. Später starb auch Mamilianos, der Schwiegersohn des Anatolios, und hinterließ eine Tochter, der auch allein, wie sichs gebührte, der väterliche Besitz zufiel. Noch zu Lebzeiten der Mutter starb dann auch sie. Sie war mit einem vornehmen Manne vermählt gewesen, hatte jedoch weder Sohn noch Tochter. Sofort bemächtigte sich Justinian des ganzen Vermögens. Er gab dabei nur die eine verwunderliche Erklärung, die Tochter des Anatolios dürfe sich als alte Frau doch weder am Besitze des Mannes noch an dem des Vaters bereichern. Damit sie aber künftighin nicht betteln gehen müsse, bestimmte er ihr auf Lebenszeit eine Unterstützung von einem Goldstater im Tag. Ausdrücklich gebrauchte er in dem Schreiben, das den Raub des Geldes verfügte, die Wendung, daß er den Stater aus frommer Gesinnung bezahle. »Es ist ja meine Art«, sagte er, »Gott wohlgefällig zu handeln.« Doch genug davon, damit mein Bericht nicht langweilt; denn kein Mensch könnte mit allem an ein Ende kommen. Daß Justinian, wenn Geld in Frage stand, auch seine ergebensten Anhänger, die Blauen, nicht schonte, will ich jetzt beweisen. In Kilikien lebte ein gewisser Malthanes, Schwiegersohn jenes Leon, der, wie schon erwähnt, die Stelle eines Referendarios bekleidete. Diesen beauftragte der Kaiser mit der Niederwerfung der dortigen Unruhen. Malthanes benützte dies nun als Vorwand, um die meisten Kiliker entsetzlich zu mißhandeln, und sandte von seinem Raube den einen Teil dem Tyrannen, während er mit dem anderen sich selbst bereicherte. Die einen fügten sich stillschweigend in ihr Schicksal, in Tarsos jedoch rotteten sich die Blauen im 125
Vertrauen auf die Gunst der Kaiserin auf offenem Marktplatz zusammen und schleuderten gegen Malthanes in seiner Abwesenheit viele Schimpfworte. Dies kam Malthanes zu Ohren. Sofort führte er eine Schar Soldaten nach Tarsos, drang nachts in die Stadt, verteilte die Leute ringsum in die Häuser und befahl, noch vor Tagesanbruch mit der Plünderung zu beginnen. Die Blauen, in der Meinung, es sei ein Überfall, wehrten sich nach Kräften. Da floß in der Dunkelheit viel Blut, und Damianos, ein Ratsherr, fand durch einen Pfeil den Tod. Dieser Damianos führte die Blauen in Tarsos. Als man in Byzanz davon erfuhr, tobten die erbitterten Blauen unter wildem Geschrei durch die Stadt, bedrängten sehr den Kaiser mit ihrer Beschwerde und brachen gegen Leon und Malthanes vielfach in wüsteste Schmährufe und Drohungen aus. Der Herrscher heuchelte gleiche Erbitterung über die Vorfälle. Sofort erging ein schriftlicher Befehl und ordnete wegen der Maßnahmen des Malthanes Untersuchung und Strafe an. Leon jedoch ließ dem Kaiser eine Menge Gold zugehen. Dadurch dämpfte er den Zorn Justinians und seine Zuneigung zu den Blauen. Der Vorfall blieb ohne Untersuchung, und als Malthanes nach Byzanz kam, empfing ihn der Herrscher mit aller Huld und behandelte ihn ehrenvoll. Beim Verlassen des Audienzraumes lauerten ihm freilich die Blauen im Palaste auf und versetzten ihm Schläge, ja, sie hätten ihn umgebracht, wenn nicht einige aus ihrer Mitte, von Leon heimlich bestochen, dies verhindert hätten. Wer möchte indessen nicht von einem ganz erbärmlichen Staate reden, in dem sich der Kaiser bestechen und dazu bringen läßt, Klagen nicht weiter zu verfolgen, Empörer aber sich im kaiserlichen Palaste und vor den Augen des Herrschers unbedenklich erkühnen dürfen, gegen einen seiner Statthalter aufzutreten und ruchlos Hand an ihn zu legen? Diese Vergehen blieben ungesühnt, sowohl was Malthanes als auch seine Widersacher betraf. Aus dem Gesagten aber kann sich jeder eine Charakteristik Kaiser Justinians abnehmen. 126
Kapitel 30 Änderungen Justinians im Postwesen und Hofzeremoniell Ob er sich irgendwie um das allgemeine Wohl kümmerte, können auch seine Maßnahmen gegen die Staatspost und den Überwachungsdienst deutlich machen. Die früheren römischen Kaiser hatten dafür gesorgt, daß ihnen alles auf schnellstem Wege gemeldet und unverzüglich durchgegeben werde: feindliche Unternehmungen in jedem Lande, Empörungen in den Städten oder sonstige unvorhergesehene Zwischenfälle, das Wirken der Statthalter und all der anderen Persönlichkeiten im ganzen Römerreiche. Daß ferner die Ablieferung der jährlichen Abgaben ohne Verzug und Gefahr geschehen konnte, schufen sie nach allen Seiten hin einen staatlichen Eilpostdienst. Es geschah auf folgende Weise: Für einen rüstigen Wanderer im Abstand eines Tagemarsches richteten sie Poststationen ein, mit acht oder weniger, niemals aber unter fünf Bediensteten. In jeder Station standen gegen vierzig Pferde. Außerdem waren allenthalben Pferdeknechte in entsprechender Zahl angestellt. Durch häufigen Wechsel der – wohlgemerkt besten – Pferde konnten die Kuriere gegebenenfalls den Weg von zehn Tagen in einem einzigen zurücklegen und alles erledigen, wovon ich eben sprach. Außerdem hatten die Grundbesitzer, zumal wenn die Stationen im Inneren des Landes lagen, allergrößten Nutzen von dieser Einrichtung. Denn jährlich verkauften sie ihre überschüssigen landwirtschaftlichen Erzeugnisse an den Staat zum Unterhalt von Pferden und Knechten und erlösten dafür beachtliche Summen. So empfing der Staat stets von jedermann seine Steuern, die Lieferanten ihrerseits sofortige Bezahlung, und es fehlte ihm nicht am Nötigen. 127
Das war so in früheren Zeiten. Dieser Kaiser aber stellte zunächst den Kurs von Kalchedon nach Dakibiza ein und zwang alle Kuriere, von Byzanz bis Helenopolis sehr wider ihren Willen den Seeweg zu benützen. Sie müssen jetzt kleine Boote, wie sie dort zur Überfahrt dienen, verwenden und wenn etwa ein Sturm losbricht, geraten sie in große Gefahr. Bei der drängenden Eile ihres Auftrages können sie ja nicht den günstigen Augenblick wahrnehmen und heiteres Wetter abwarten. Was dann den Weg nach Persien anlangt, so beließ Justinian den Postkurs in seiner alten Form, im restlichen Orient bis nach Ägypten bestellte er für die Tagreise nur mehr einen einzigen Kurier je Poststation und ersetzte die Pferde durch wenige Esel. So wurden die Geschehnisse in den einzelnen Ländern nur spärlich, zu spät und erst lange nachher gemeldet und konnten natürlich keine Abhilfe finden. Den Landeigentümern aber verfaulten ihre Produkte und lagen ungenutzt umher, und schwerer Schaden war die Folge für alle Zeiten. Mit dem Überwachungsdienst hatte es folgende Bewandtnis: Seit langem wurden auf Staatskosten viele Agenten unterhalten, die als Händler oder unter einem sonstigen Decknamen in Feindesland und an den persischen Königshof zu gehen und alle Einzelheiten genau auszukundschaften hatten. Nach ihrer Rückkehr auf römischen Boden konnten sie dann den Statthaltern die feindlichen Geheimnisse berichten. Man war dadurch im Bild, nahm sich in acht, und nichts Unvorhergesehenes konnte eintreten. Über eine solche Einrichtung verfügten seit langem auch die Perser. Insbesondere Chosroes soll die Spionageabteilungen vermehrt und aus dieser vorausschauenden Maßnahme Vorteile gehabt haben; denn über sämtliche Vorgänge (bei den Römern wußte er Bescheid. Justinian hingegen wendete keinen Pfennig für diesen Zweck auf und ließ sogar) die Bezeichnung Spion im Römischen Reiche verschwinden. Seitdem waren die Rückschläge an der Tagesordnung, und auch Lazien ging an die Feinde 128
verloren; denn die Römer wußten nicht, wohin in aller Welt der Perserkönig mit seiner Streitmacht gezogen war. Auch zahlreiche Kamele unterhielt der Staat seit alters, die das römische Heer auf seinem Feindmarsch als Lasttiere für alles Nötige begleiteten. Die Bauern brauchten damals keine Requisitionen zu fürchten und die Soldaten keinen Mangel zu leiden. Indessen auch diese Tragtiere verringerte Justinian bis auf wenige. Wenn daher jetzt das römische Heer gegen die Feinde zieht, kann auch den dringendsten Bedürfnissen nicht abgeholfen werden. Das waren die schwersten Schläge für den Staat. Aber auch eine lächerliche Kleinigkeit verdient Erwähnung: Euangelos war Rhetor in Kaisareia, ein bekannter Mann, dem ein günstiger Wind des Schicksals zu anderen Reichtümern und auch zu viel Land verholfen hatte. Später erwarb er sich um drei Kentenarien Gold noch ein Dorf am Meer namens Porphyrion. Als Kaiser Justinian davon hörte, nahm er ihm den Platz um einen geringen Teil des Kaufpreises ab und gab dazu die Erklärung, es stehe dem Euangelos als einfachem Rhetor nicht zu, ein solches Dorf zu besitzen. Doch jetzt wollen wir, nachdem wir schon genug davon gesprochen haben, kein weiteres Wort verlieren. Zu den Neuerungen Justinians und Theodoras auf staatlichem Gebiete gehören auch folgende: Wenn früher der Senat beim Kaiser Audienz hatte, vollzog er seine Ehrenerweisung in der Regel auf diese Art: Ein Mann im Patrizierrang verbeugte sich gegen die rechte Brustseite des Kaisers, dieser wieder küßte ihn aufs Haupt und entließ ihn. Alle anderen beugten vor dem Kaiser das rechte Knie, worauf sie sich zurückzogen. Die Kaiserin fußfällig zu verehren, war niemals Brauch gewesen. Wenn bei Justinian oder Theodora aber einer vorgelassen werden wollte, so mußten sie sich alle sogleich, selbst Männer im Patrizierrang, mit dem Antlitz zu Boden werfen, und erst nachdem sie Hände und Füße weit ausgestreckt und mit den Lippen beider Majestäten Fuß berührt hatten, durften sie sich wieder erheben. Denn nie 129
verzichtete Theodora auf diese Ehrung. Sie verlangte auch, daß sie die Gesandten der Perser und anderen Barbaren empfing und mit Gold beschenkte, wie wenn das Römerreich ihr unterstände, ein seit Menschengedenken unerhörter Vorgang. Früher nannte, wer mit dem Kaiser sprach, ihn Kaiser und seine Gemahlin Kaiserin, von den übrigen hohen Beamten aber jeden so, wie es seiner augenblicklichen Würde angemessen war. Wenn aber jetzt einer im Gespräch mit einer der beiden Majestäten des Kaisers oder der Kaiserin Erwähnung tat und sie dabei nicht Herr oder Herrin nannte, oder auch wenn man einige von den hohen Beamten nicht als Sklaven bezeichnete, so galt dieser als ungebildeter Mensch, der seine Zunge nicht im Zaum zu halten wisse. Und wegen dieses bösen Vergehens und seines ungebührlichen Betragens gegenüber den allerhöchsten Herrschaften mußte er verschwinden. In früheren Zeiten fanden nur wenige, und auch dann nur unter Schwierigkeiten, Zutritt zum Kaiserpalast; doch seitdem diese zwei das kaiserliche Regiment führten, trieben sich dort andauernd die Statthalter und alle sonstigen Würdenträger herum. Der Grund liegt darin, daß früher die Behörden Recht und Gesetz nach eigenem Ermessen anwenden konnten. Die Beamten blieben, während sie ihren gewohnten Dienst erledigten, an ihrem Amtssitze, die Untertanen ihrerseits sahen und hörten nichts von Gewaltakten und belästigten darum natürlich nur selten den Kaiser. Justinian und Theodora hingegen rissen zum Nachteil ihrer Untertanen stets alle Angelegenheiten an sich und nötigten die Menschen zu sklavischster Kriecherei. Fast jeden Tag konnte man die Gerichtshöfe menschenleer sehen, am Kaiserhof aber Menschenmassen, entwürdigende Behandlung, großes Gedränge und stete Schmeichelei aller Art. Den ganzen Tag und einen Großteil der Nacht mußten die Hofbediensteten unausgesetzt umherstehen, und da sie zur gewohnten Zeit weder zum Schlafen noch zum Essen kamen, brauchten sie ihre Gesundheit auf. Dazu war ihnen ihr schein130
bares Glück ausgeschlagen. Die von all dem nichts wußten, stritten sich, wohin denn der römische Reichtum geraten sei. Die eine Gruppe vertrat die Meinung, er befinde sich ganz und gar in Barbarenhänden, andere behaupteten, der Kaiser halte ihn in vielen Schatzkammern verschlossen. Wenn nun einmal Justinian als Mensch aus dem Leben scheidet oder als Fürst der Dämonen, der er ja ist, sein irdisches Dasein beschließt, dann werden die Überlebenden die Wahrheit erfahren.
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ANHANG
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Zur Textgestalt Der Text folgt der Teubner-Ausgabe von J. Haury / G. Wirth, Procopii Caesariensis Opera Omnia, Vol. III: Historia quae dicitur arcana, Editio stereotypa correctior, Leipzig 1963. Für die Gestaltung des griechischen Textes sind folgende drei Handschriften von besonderer Bedeutung. G = Codex Vaticanus graecus 1001 P = Codex Parisinus graecus 1185 S = Codex Ambrosianus G 14 Alle drei lassen sich über zwei Überlieferungsstränge auf einen verlorenen Archetypus zurückführen. Die sonstigen überlieferten Handschriften sind von G und S abgeleitet und ohne größeren Eigenwert. Siglenverzeichnis der am häufigsten angeführten Werke Prokop aed. BG BP BV HA
De aedificiis De bello Gothico De bello Persico De bello Vandalico Historia arcana
Justinian Cod. Iust. Nov. Iust.
Codex Iustinianus Novellae leges Iustiniani
PLRE
The Prosopography of the Late Roman Empire (siehe unter: Wichtige Literatur zur Spätantike) 135
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Erläuterungen* Kap. 1 Das erste Kapitel enthält Elemente eines Proömiums, ist allerdings weniger ausführlich, als es bei dem Beginn eines ganz neuen Werkes üblich war, so daß es mehr einen Übergang zwischen den Bella und den Anekdota zu markieren scheint. Zur literarischen Gestaltung der Kapitel 1-5, die Züge eines Romans, aber auch einer Satire haben, s. ADSHEAD 1993, 7ff., die zu Recht starke Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit äußert; s. ferner KALDELLIS 2004,142ff. 1, 1-10 Mit seinen Erwägungen über die Ziele seiner Geschichtsschreibung stellt Prokop sich in die Tradition der kaiserzeitlichen Historiographie: Das gilt ebenso für die Schilderung der Bedrängnis und Unfreiheit unter Justinian, die zu den Topoi der Geschichtsschreibung seit der Etablierung der monarchischen Herrschaft in Rom gehört, wie für die Betonung des ungewöhnlichen, ja unwahrscheinlichen Stoffes des Werks (dessen Darstellung gerade durch dieses Eingeständnis um so glaubhafter wird). Ganz alt ist das Motiv, daß es die Aufgabe des Historikers sei, den Nachruhm eines Herrschers im positiven und im negativen Sinne zu garantieren. Topisch ist auch die Nennung von Negativbeispielen in § 9 wie Semiramis und Sardanapal, die Inbegriff eines ausschweifenden, despotischen orientalischen Königtums waren, sowie des römischen Kaisers Nero (54-68), dessen Herrschaft als besonders drückend galt. Auffällig ist, daß in § 4 nur Theodora und Justinian genannt werden, in § 10 aber auch Belisar (PLRE III A 181-224), der in dem Werk eine wesentliche Rolle spielen soll; das deutet auf das Fehlen einer abschlie*
Die Zahlenangaben beziehen sich auf den griechischen Text. (Bem. des Scanners)
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ßenden Bearbeitung hin; zur Deutung des Proömiums s. MEIER 22004, 435ff. 1,1 In den acht Büchern der Bella hatte Prokop ohne offene Kritik an Justinian (allerdings durchaus mit Zwischentönen) die Auseinandersetzungen mit Persern, Vandalen und Goten behandelt; wobei er in den ersten sieben der geographischen Anordnung folgte, während er im achten, später hinzugefügten, die verschiedenen Räume zusammen behandelte, vgl. BG 4 [8],1,1 f. Auch in den Anekdota geht es nicht um einen speziellen Raum, sondern um das Reich als Ganzes und die bisherigen Geschehnisse, vor allem auch im Inneren. Sprachlich wird die enge Bindung durch die griechische Partikel οΰν (»nun«) verdeutlicht. Die Selbstbezeichnung als Römer war in Ostrom üblich: Konstantinopel galt als Neues Rom. 1,6 Zur Bezeichnung der Herrschaft Justinians als Tyrannis s. den Komm, zu 16,13. 1,11-12 Mit § 11 geht Prokop schon auf die Erzählung selbst über, die zunächst Belisar gewidmet ist, der als Feldherr an verschiedenen Fronten für Justinian gewirkt hatte; zu Prokops Belisar-Bild vgl. BRODKA 2004, 115ff. Bei Prokop sind Kaiser und Feldherr insofern vergleichbar, als beide mit Frauen verheiratet sind, die eine schlimme Rolle spielen, aber Belisar wird als Opfer gezeichnet, während Justinian als böser Dämon erscheint. Was über das Verhältnis Belisars und Antoninas berichtet wird, war auch nach den Kriterien der Antike psychologisch unwahrscheinlich, deswegen macht Prokop es durch die wiederholten Hinweise auf Antoninas Zauberkünste plausibel. Antonina (PLRE III A 91-93) wird auch in den Bella Prokops oft erwähnt, wo ihre Intelligenz (die allerdings bis hin zur Verschlagenheit reichen kann) und Energie hervorgehoben werden. Hier versucht Prokop, ihre Herkunft jener Theodoras anzunähern, indem er ihren Vater und Großvater als Wagenlenker be138
zeichnet, ihr eine ausschweifende Jugend zuschreibt und ihre Mutter als Schauspielerin und Prostituierte zeichnet; derartige Polemiken sind stets zweifelhaft. In den Bella ist nur von einem Sohn (BG 1 [5],5,5;18,18) und einer Tochter (BV 2 [4],8,24) statt von vielen Kindern aus der Zeit vor der Hochzeit mit Belisar die Rede. 1,13-14 Geschichte als Frauenkabalen zu zeichnen, gehört zur Topik antiker Herrscherkritik; sie erhalten einen besonderen Akzent, insofern hier die Entwicklung einer Verbrechensgemeinschaft geschildert wird. Belisar hatte den Papst Silverius 537 wegen Gotenfreundlichkeit abgesetzt und nach Kleinasien verbannen lassen (von Prokop geschildert in BG 1 [5],25,13-16). Die Ankündigung, von seinem Tod zu sprechen, erfüllt Prokop nicht, wenn man von seiner Bemerkung in HA 1,27 absieht; auch dies ein Indiz für die fehlende Schlußbearbeitung der Anekdota. Johannes von Kappadokien (PLRE III A 627-635) war ein einflußreicher Berater Justinians, der 531/532 und nach einer kurzen Unterbrechung 532-541 als Prätorianerpräfekt wirkte; auf ihn werden wesentliche Reformvorhaben zurückgeführt. Sein Sturz durch eine List Antoninas war BP 1 [1],25 geschildert worden, was durch HA 2,15 f. und 17,38-45 ergänzt wird. 1,15-30 Eine erste Episode zeigt Antonina als lüsterne, vor keiner Schandtat zurückschreckende Frau, deren Mann sich von ihr beliebig manipulieren läßt. 1,15-20 Die Verblendung der Menschen – hier Antonina gleichermaßen wie Belisar – ist ein verbreitetes Motiv der griechischen Literatur. Daß hier ein Mann schwächer wird als seine Frau, macht ihn in antiker Sicht besonders verächtlich. 1,15 Belisars Adoptivsohn Theodosios (PLRE III A 1292) kam anscheinend zu keinen weltlichen Ämtern. Die Eunomianer wa139
ren eine konfessionelle Gruppe, die sich im 4. Jh. entwickelt hatte und behauptete, daß Christus und Gott ungleich seien. Sie galt im 6. Jh. als häretisch und besaß nur noch eine verschwindende Bedeutung. Die hier geschilderte Episode ist auf den Beginn des Vandalenzuges 533 datiert. 1,16 Mit der Taufe – daß sie im Erwachsenenalter erfolgte, war im 6. Jh. noch verbreitet – war sicherlich der Übergang zum chalkedonischen Glauben verbunden, zugleich hatte der Getaufte besonders stark auf die Regeln des Christentums zu achten, da er sich nicht mehr mit einer Taufe von den Sünden reinigen konnte. Die Beziehung zwischen Täufling und Paten galt als besonders verantwortungsvoll. 1,16-17 Das Griechische bietet hier zwei verschiedene Begriffe für Liebe: Die Liebe im Sinne der Heiligen Schrift wird mit άγαπαν bezeichnet, die sinnliche mit έράσθαι. Was in den folgenden Paragraphen geschildert wird, zeigt die verderbliche Macht der Liebe auf Antonina, aber auch auf Belisar, während Theodosios nur als Objekt erscheint. 1,19-20 In der Ausrede liegt die Andeutung, daß Antonina und Belisar den Kaiser betrügen. 1,21 Syrakus wurde am 31.12.535 besetzt (BG 1 [5],5,19). 1,23 Nach den antiken Geschlechterstereotypen war zu erwarten, daß der Mann fest und die Frau wechselhaft sei und daß alle Untergebenen sich an den Mann hielten. 1,24-25; 28-30 Constantinus (PLRE III A 341 f.) war ein vielfach bewährter, wohl mit dem Titel eines magister militum ausgestatteter Feldherr Belisars. Nach den Bella, auf die Prokop hier verweist, hatte Constantinus Belisar mit dem Schwert attackiert, als dieser die Herausgabe zweier Schwerter, die Constantinus dem Praesidius, einem zu den Römern geflohenen Ravennaten, wi140
derrechtlich abgenommen hatte, verlangte, und war daraufhin umgebracht worden – laut dem Prokop der Bella die einzige unwürdige Tat Belisars: BG 2 [6],8. Von Antonina ist natürlich nicht die Rede. Belisar blieb allenfalls kurz bei dem Kaiser in Ungnade, der allerdings Grund zu einem gewissen Mißtrauen gegenüber seinem Feldherrn hatte, da diesem die Krone des Weströmischen Reiches angetragen worden war. 1,31-34 Prokop hat auch sonst eine deutliche Vorliebe für Antoninas leiblichen Sohn Photios (PLRE III A 1037-1039); vgl. BG 1 [5],5,5. Wenn die Mutter ihrem Geliebten den Vorzug gegenüber dem Sohn gibt, so zeigt sich darin in Prokops Sicht einmal mehr die Umkehrung der natürlichen Ordnung. 1,33 Ein Kentenarios umfaßte 100 Römische Pfund Gold. 1,34 Daß Prokop »Byzanz« statt »Konstantinopel« sagt, ist Ausdruck seines klassizistischen Stilwillens. 1,34-42 Die Dreierbeziehung Antonina, Belisar und Theodosios erhält hier eine erneute groteske Wendung, indem Theodosios als Mönch den Stand wählt, der einem hohen ethischen Ideal zu folgen hat. Der Leser könnte zunächst meinen, er habe sich gewandelt, doch in Wirklichkeit dient dieser neue Stand nur der Tarnung. Umgekehrt wird Belisar als armer Tropf gezeichnet, der sich sogar für den Geliebten seiner Frau verwendet. 1,35 Belisar kehrte nach der Eroberung Ravennas 540 nach Konstantinopel zurück, um bald weiter zum Perserkrieg zu ziehen (1,42 und Kap. 2), während seine Frau in der Hauptstadt blieb. 1,37 Wenn Prokop von »sogenannten Mönchen« spricht, so ist dies nicht ein Indiz seiner Distanz zum Christentum, sondern Folge seines attizistischen Stilwillens: Im klassischen Griechisch gab es natürlich kein Wort für Mönche. Daß man auf der Höhe 141
des weltlichen Lebens in den Stand des Mönches wechselte bzw. wechseln mußte, war durchaus verbreitet.
Kap. 2 Das zweite Kapitel handelt über Belisars Rolle im Krieg gegen die Perser 541. Als Justinian die Herrschaft antrat, lag das Reich schon seit einiger Zeit (525/526) mit Persien im Krieg. Justinian konnte 532 mit Chosroes I. (531-579) einen Frieden aushandeln, der für die Römer zwar kostspielig war, aber dem Osten auf Dauer hätte Frieden schenken können. Doch bereits 540, als starke Kräfte Roms noch in Italien gebunden waren, eröffnete der Perserkönig die Kämpfe erneut und drang tief in das Reich ein. Er mußte sich zwar bald zurückziehen, doch die Kämpfe dauerten mit Unterbrechungen bis 561 an. An beiden Kriegen war Belisar als Heerführer beteiligt; im ersten errang er 530 bei Dara einen großen Erfolg, mußte allerdings auch Rückschläge einstekken, so daß er 531 abberufen wurde; im zweiten Krieg war Belisars Rolle 541/542 wieder wenig glücklich, und er wurde neuerlich abberufen. In seinen Bella hatte Prokop vor allem die Erfolge Belisars beleuchtet. Zum Verhältnis zu Persien s. GÜTERBOCK 1906; MAZAL 2001, 160ff.; EVANS 1996a, 114ff.; 154ff.; vgl. auch HA 18,23-24. 2,1-14 Über das Beziehungsgeflecht Belisar – Photios – Antonina –Theodosios wird die Schilderung des Krieges mit den privaten Verwerfungen im Umkreis Belisars verbunden. Es entsteht ein merkwürdiges Bündnis zwischen Stiefvater und Stiefsohn, das sich gegen die Ehefrau und Mutter sowie deren Geliebten richtet – wobei Belisar sich als unzuverlässig erweist. 2,6-11 Eine so durchstilisierte Rede, in der Belisar seine eigene Schande formuliert, fehlt in den späteren Passagen der Anekdota, auch dies ein Hinweis auf die nicht erfolgte Endredaktion. 142
2,7 Photios (vgl. zu HA 1,31-34) bekleidete 541 ein Ehrenkonsulat. 2,15-17 Zu Johannes dem Kappadoker vgl. HA 1,13-14. Die Festigung des Bündnisses der beiden Verbrecherinnen durch gemeinsame Untaten war dort schon behauptet worden. 2,18-25 Belisar erscheint als jemand, der aus persönlichen Gründen seiner Verantwortung als Feldherr nicht nachkommt, einen Sieg für die Römer verspielt und den Gegnern unnötigen Manövrierraum läßt, vgl. §21. 2,18-19 Sisauranon, eine Befestigung zwischen der persischen Grenzfestung Nisibis und dem Tigris, wurde 541 eingenommen, ein erheblicher Erfolg der Römer. Nach dem durchaus plausiblen Bericht in BP 2 [2],i9,31-45 zog Belisar wegen einer Seuche von dort diszipliniert ab. 2,20 Vgl. HA 1,2-3. 2,23 Arethas (PLRE III A 111-113) war ein mit Rom verbündeter arabischer Stammesführer, der nach Assyrien geschickt geworden und von dort, aus Angst, seinen Beuteanteil zu verlieren, nicht mehr auf demselben Weg zurückgekehrt war und damit die Römer in große Verwirrung gestürzt hatte, s. BP 1 [2],17-30. 2.26 Der persische König Chosroes I. hatte 540 einen Vorstoß bis nach Antiocheia unternommen und die dort Gefangenen nahe seiner Hauptstadt Ktesiphon angesiedelt (BP 2 [2],14,1-4). Indem er später nach Lazika, dem klassischen Kolchis und heutigen Georgien, am Schwarzen Meer vordrang (vgl. BP 2 [2] ,17), hatte er seinem Reich die Verbindung zur See sichern wollen, aber sein Reichinneres entblößt. Offenbar hatte er nicht mit einem so entschlossenen Vorstoß wie jenem Belisars gerechnet. Dies erklärt das verwirrende Hin und Her. 143
2,26-37 Prokop schildert hier im Rückgriff eine Vielzahl persischer Rückschläge des Jahres 541, die in einen Sturz des Königs hätten münden und damit das Perserreich entscheidend schwächen können, wenn nicht Theodora (von der bislang nur am Rande die Rede gewesen war) mit ihrem Schreiben ihre übermächtige Stellung deutlich gemacht hätte, die wiederum die Perser mit Verachtung erfüllte. Petra war eine wichtige, von den Römern zu einer Festung ausgebaute Hafenstadt Lazikas. – »Medisch« konnte auch im klassischen Griechisch synonym mit »persisch« verwendet werden, da das Perserreich aus dem Mederreich hervorgegangen war. 2,27 Seit 540 wütete eine Seuche in weiten Teilen des Mittelmeerraums, s. dazu HA 4; 18,44. 2,28 Nabades bzw. Nabedes (PLRE III B 909), der höchstgestellte Perser nach dem König, war 541 persischer Kommandeur von Nisibis; Bleschames (PLRE III A 234) kommandierte Sisauranon. Dieser trat nach seiner Gefangennahme zu den Römern über. Zum Sieg über Nabades vgl. den Bericht BP 1 [2],18,23-25. Zu Arethas s. zu HA 18,22. 2,29 Valerianus (PLRE III A 1355-1361), ein erfahrener Feldherr, diente 541-547 als Heerführer für Armenien (magister militumper Armeniani). Das Land war seit jeher zwischen Römern und Persern umstritten. 2,31 Vgl. indes BG 4 [8],7,4-5, wo gesagt wird, Chosroes I. habe den Unwillen der Mächtigsten durch schmeichlerische Zureden besänftigt. Mit dieser Passage bekundet Prokop seine Loyalität gegenüber dem Römischen Reich, das als Opfer persischer Übergriffe erscheint; sie ist durch die Kaiserkritik nicht affiziert. 2,33-35 Zabarganes war ein hoher persischer Würdenträger, der sich 540 für ein hartes Vorgehen gegen Antiocheia einsetzte (BP 2 [2],8,30-32) und laut BP 2 [2],26-27 Gesandte aus Edessa 144
verächtlich behandelte. Für eine Vermittlungsmission erscheint er daher nicht eben geeignet. Eine Gesandtschaftsreise von ihm nach Konstantinopel ist sonst nicht überliefert. Es ist schon daher unwahrscheinlich, daß dieses Schreiben echt ist; gerade die Schlußwendung des Briefes ist völlig unglaubwürdig. Die literarische Absicht ist klar: Durch den Gegensatz zwischen dem Lobpreis des Reiches in HA 2,31 und dem angeblichen Frauenregiment unter Justinian, das in HA 2,34 sichtbar wird (vgl. dazu auch HA 30,24), sieht der Leser gleichsam mit persischen Augen, in welch unwürdige Lage das Römische Reich geraten war.
Kap. 3 Das dritte Kapitel verlagert den Schauplatz wieder ins Innere des Reiches; es schildert, wie Antonina dank der Unterstützung Theodoras die Oberhand gewinnt, Belisar zu einer Aussöhnung zwingt und wie Photios in ein Kloster abgeschoben wird. In diesem Kapitel wird gezeigt, wie heilige christliche Eide und Bräuche (das Asylrecht) sich aufgrund der Bosheit der Beteiligten auflösen, zugleich aber wird die Bestrafung von Übeltätern – Theodosios und Belisar – durch die höhere Gerechtigkeit hervorgehoben. 3,1-5 Der Leser gewinnt den Eindruck, daß der Plan von Belisar und Photios aufgehen könne. 3,1 Der Aufenthalt Belisars in Konstantinopel wird auf den Winter 541/542, vgl. BP 2[2],20,49), datiert. 3,2 Kalligonos ist ein typischer Eunuchenname. Der Mann wird noch HA 3,5; 3,15; 5,27 erwähnt und erscheint als derjenige, der Antonina Männer zuführte (zu einem ähnlichen Vorwurf gegen Theodora s. HA 22,27-28); die Übersetzung »Vertrauter« für προαγωγόζ ist etwas blaß. 145
3,4 Zu Andreas von Ephesos R. AIGRAIN, André 29, in: DHGE 2 (1914), 1609. Das Asylrecht der Kirchen gehörte eigentlich zu ihren heiligsten Privilegien; vgl. zu seiner Bedeutung etwa Nov. Inst. 131,1. Dies ist nur das erste Beispiel für einen Bruch des Asylrechts der Kirche in den Anekdota; vgl. HA 16,22; 17,7-15. 3,5 Die Bezeichnungen Doryphoren und Hypaspisten sind klassisch, besonders die Hypaspisten erinnern an die makedonische Armee. In Bezug auf Belisar meinen die Begriffe Einheiten der Leibwache, die auf ihn persönlich vereidigt waren; sie heißen zeitgenössisch buccellarii. 3,6-29 Das Eingreifen Theodoras ermöglicht Theodosios ein angenehmes Leben (der dann allerdings durch die höhere Gerechtigkeit grausam bestraft wird), während es Photios und andere ins Unglück stürzt. 3,7 Zu Johannes dem Kappadoker HA 1,13-14. 3,9 In der Tradition der senatorischen Geschichtsschreibung, die auch die klassizistische Richtung beeinflußte, galten Vergehen gegen Senatoren als besonders schwerwiegend. An vielen Stellen läßt sich tatsächlich beobachten, daß Justinian sehr hart gegen Senatoren vorging (s. auch HA 8,9-11; 12,1-11; 15,11-18). Im Strafrecht waren die Senatoren eigentlich vor entwürdigenden Strafen geschützt, doch Theodora setzt sich (nicht nur) im Falle des Theodosios darüber hinweg. 3,18 Retterin und Wohltäterin waren stereotype Lobpreisungen für Kaiserinnen, so daß für den Leser die Ironie der Passage sofort zu spüren war. 3,20 Die vorausschauende Gerechtigkeit ist für Prokops Geschichtsdenken zentral, s. CAMERON 1985, 225ff.; BRODKA 2004, 21ff.; KALDELLIS 2004, 165ff., wobei Prokop nicht durchweg die Auffassung vertritt, daß Sünden schon im Diesseits bestraft würden. 146
3,23-24 Zwei weitere Brüche des kirchlichen Asylrechts. 3,27 Gemeint ist wohl der Priester Zacharias, der Vater Johannes' des Täufers, dessen Leichnam nach Konstantinopel überführt worden war. Lukas 1,79 aus dem Lobgesang des Zacharias paßt besonders gut zu dieser Stelle. 3,30-31 In diesen Paragraphen zeigt Prokop, daß die zu Beginn des Kapitels geweckte Erwartung, Belisars und Photios’ Plan werde aufgehen, sich nicht erfüllt, und zwar aufgrund der Treulosigkeit Belisars. Prokop korrigiert hier seinen Bericht über den Persereinfall des Jahres 542, in dem die Rolle des Belisar erheblich vorteilhafter erschien (BP 2 [2],20-2l). 3,30 Zum ersten Mal spricht Prokop ausdrücklich von Gott in einem durchaus chrisdichen Sinne; vgl. HA 4,42 u. 44; 5,38; 18,3; 28,13.
Kap. 4 Das vierte Kapitel zeigt Belisar in seiner tiefsten Erniedrigung und Antonina mit ihrer Kumpanin Theodora bei einem Tun, das den Leser abstoßen sollte, da die Hierarchie zwischen Mann und Frau, für die Römer eine natürliche Ordnung der Dinge, umgekehrt wurde. Zugleich wird die schlimmste Katastrophe Ostroms dieser Epoche, die Pest, in Erinnerung gerufen; vgl. HA 2,27; 18,44. 4,1-12 Das Schicksal des Buzes (PLRE III A 254-257) ist gleichsam das Vorspiel zu jenem Belisars. Die Kaiser Ostroms waren seit langem in Konstantinopel eingesetzt worden, doch zumal im 4. Jh. hatten sehr oft die Heere die Kaiser gemacht, so daß die Überlegungen der Feldherren keineswegs abwegig waren. 4.1 Zur Pest des Jahres 541/542, die einen gewaltigen Bevölkerungsverlust herbeiführte und damit das vielleicht einschnei147
dendste Ereignis der Regierungszeit Justinians darstellt, s. etwa LEVEN 1987 (medizin-hist.); KISLINGER/STATHAKOPOULOS 1999; MEIER 1999; ders. 2005; STATHAKOPOULOS 2000. Prokop schildert sie eingehend BP 2 [2],22-23. Vgl. auch HA 18,44. 4.2 Zu Petros PLRE II 870f.; zu Johannes Phagas (»Freßsack«) PLRE III A 665-667; zu Buzes PLRE III A 254-257. Die Geschichte seiner Haft wird nur in den Anekdota überliefert, doch fällt auf, daß Buzes für einige Zeit in den Quellen nicht auftaucht, also wohl in irgendeiner Weise ›kaltgestellt‹ war. 4,5 In den BP 2 [2],21,34 wird die Abberufung Belisars ehrenvoll motiviert, nämlich damit, daß er das Kommando in Italien übernehmen sollte, das er 544/545 tatsächlich innehatte. Doch Marc. Com. Addit. ad annum 545,3 bestätigt, daß Belisar zeitweise in Ungnade gefallen war. 4,7 Privatgefängnisse waren laut Cod. Iust. 9,5,2 untersagt. 4,13 Zu Martinos s. PLRE III B 839-848. 4,13-32 Indem er zeigt, wie der große Feldherr von Kaiser und Kaiserin erniedrigt wird und dadurch mit seinem sklavenartigen Verhalten den Habitus eines Senators, ja seine Männlichkeit verliert, sich schließlich vor seiner Frau erniedrigt, illustriert Prokop seinem Leser, daß Justinian und Theodora die Geschlechterordnung zugrunde richten. 4,19-31 Es ist unter den Verhältnissen antiker Herrschaft durchaus vorstellbar und kann auch lobenswert sein, daß eine Ehefrau durch Bitten die Begnadigung ihres Mannes erwirkt; im vorliegenden Fall wird dies von Prokop als pures Täuschungsmanöver hingestellt. 4,32 Gelimer (PLRE II A 506-508) war als König der Vandalen 534, Wittigis (PLRE III B 1382-1386) 540 als König der Ostgoten vom siegreichen Belisar nach Konstantinopel gebracht worden. 148
Ihre Namen markieren den Höhepunkt der äußeren Macht Justinians. 4,33-45 Daß Belisar die Chance, Rache zu nehmen, nicht ergreift und in Italien scheitert, vermittelt dem Leser einen Eindruck von der Schwäche des Feldherren, wobei Prokop die Gelegenheit wahrnimmt, diese Entwicklung in allgemeinere Überlegungen einzuordnen. 4,34 Dieser Vorwurf war, wenn man das in HA 1,19-20 Geschilderte bedenkt, durchaus nicht aus der Luft gegriffen. 4,35 Diese kurze Bemerkung eines Autors, der den Kaiser als Weltverderber schildert, zeigt, wie begrenzt die Möglichkeiten eines spätantiken Kaisers tatsächlich waren. 4,37 Zu Anastasios, dem Enkel Theodoras, s. PLRE III A 63. 4,39 544 wurde Belisar reaktiviert. Das Amt des comes sacri stabuli (»Oberstallmeister«) bedeutete eine Zurücksetzung für den einstigen Heerführer, war aber durchaus angesehen, da es eine Nähe zum Kaiser andeutete und als Sprungbrett für die weitere Karriere galt, s. SEECK 1900; später erlangte Belisar weitere Kompetenzen, deren genaues Ausmaß unklar ist. 4,43 Theodahat war von 534 bis 536 König der Ostgoten und wurde von Witigis (536 bis 540) gestürzt. 4,43-45 Zur Bedeutung des Einwirkens Gottes für die Weltanschauung Prokops s. CAMERON 1985,133ff.; BRODKA 2004, 21ff.; KALDELLIS 2004,165 ff. 4,44-45 Diese Sätze klingen wörtlich auch in BG 4 [8],12,34-35 an.
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Kap. 5 Das Kapitel 5 behandelt das Scheitern Belisars beim zweiten Krieg in Italien und sein unrühmliches Ende, um danach noch von den Schwierigkeiten Justinians in Africa zu sprechen. 5,1-17 Prokop erzählt, wie die Entourage Belisars zerfällt und so die römischen Fortschritte lähmt. Zu Belisar in Italien s. RUBIN/CAPIZZI 1995,59ff.; EVANS 1996a, 171ff. 5,1 Das Scheitern Belisars in Italien während der Kampagne der Jahre 544-549 wird auch in den BG 3 [7],35>i festgestellt, dort aber anders erklärt und im § 3 dadurch aufgefangen, daß Prokop von der allgemeinen Anerkennung Belisars spricht. 5,2 König Totila (541-552: PLRE III B 1328-1332) war es gelungen, die Ostgoten zu neuen Erfolgen zu führen. 5,3 Belisar verlor Rom 546, doch gewann er es 547 zurück. 5,5-6 Belisar verhält sich jetzt gegenüber seinen Untergebenen ähnlich, wie ihn zuvor der Kaiser behandelt hat. Zu Herodianos PLRE III A 593-595; vgl. zu seinem Abfall, der erfolgte, nachdem er in Spoleto eine lange Belagerung durchgehalten und vergeblich auf Entsatz gehofft hatte, BG 3 [7],12,15-16; zu Johannes PLRE IIIA 652-661. Er stritt sich auch laut den Bella wiederholt mit Belisar (s. etwa BG 2 [6],n,22; 21,16; 29,29; 3 [7],18,25); Vitalian war ein Militärführer gewesen, der Kaiser Anastasios (491518) hart bedrängt hatte und den später Justin, der ihn scheinbar unterstützte, vielleicht unter dem Einfluß Justinians hatte umbringen lassen; vgl. HA 6,27-28. 5,8 Zu Germanos, einem Neffen Justins, der eine Enkelin des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen geheiratet hatte und als potentieller Nachfolger Justinians gehandelt wurde, s. PLRE II 505-507. Prokop rühmt ihn an anderer Stelle sehr, s. BG 3 [7],40,9. – Zu Justina, die schließlich Johannes (s. HA 5,5-6) heiraten sollte, PLRE IIIA 742t. 150
5,9 BG 3 [7],12,1 erwähnt, daß Johannes nach Konstantinopel entsandt worden war, um Verstärkung zu erbitten, doch habe er sich mehr um die Eheschließung mit der Tochter des Germanos gekümmert, s. BG 3 [7],12,11. 5,16 Nach BG 3 [7],30,25 bat Antonina Justinian, Belisar zurückzuberufen. 5,17 Perusia ist das heutige Perugia; zum Ereignis mit ähnlichen Akzenten BG 3 [7],35,2. 5,18-27 Der Bericht über die Jahre Belisars in Konstantinopel zeigt, gegen den Strich gelesen, daß er immer noch mächtig, zumindest reich war; sonst hätte die Kaiserin keine eheliche Beziehung zu seinem Hause angestrebt. In Prokops Darstellung hingegen offenbart sich nun allen, daß er unter der Knute seiner Frau stand. Prokop nimmt dafür in Kauf, daß die angeblich so stabile Allianz von Theodora und Antonina sich als brüchig erweist. 5,27 Theodora starb 548. Zu Kalligonos vgl. zu HA 3,2. 5,28-38 Gleichsam in Gestalt eines Exkurses erörtert Prokop hier die Verhältnisse in Africa. Scheinbar war der Sieg über die Vandalen 533/534 der eindeutigste Erfolg Justinians, den Belisar für ihn errungen hatte. Faktisch erwies sich aber die römische Herrschaft dort als gefährdet, da das Innere nicht stabilisiert war und Berberstämme im Süden immer wieder Vorstöße unternahmen; vgl. HA 18,5-12. 5,28 Sergios war 543/544 Statthalter der Tripolis, s. PLRE III B 1124-1128. Die Leuathen gehörten zu jenen im Süden der Provinz siedelnden Stämmen, von denen stets Gefahren für die Römer ausgingen. Die hier geschilderte Episode hatte Prokop schon BV 2 [4],21,1-11 mit mehr Details geschildert, dort aber als Mißverständnis bewertet; trotz der Detailfülle hatte er den Eid auf die 151
Evangelien nicht erwähnt. In BV 2 [4],22,1-4 behandelt Prokop das Wirken des Sergios und den Konflikt mit Johannes. 5,29 Solomon diente 539-544 als Heerführer und Prätorianerpräfekt von Africa (PLRE IIIB 1167-1177); er war der Onkel des Sergios. 5,31 Johannes, Sohn des Sisinniolos, (nicht mit dem HA 5,5-6 erwähnten Namensvetter zu verwechseln) war 539-545 Heerführer in Africa (PLRE III A 640f.). Prokop lobt ihn BV 2 [4],22,3. Areobindus war 545 Heerführer in Africa (PLRE III A 107-109); in BV 1 [4],22,1; 25,25 und 26,16 wird er als militärisch inkompetent charakterisiert. 5,32 Ganz ähnlich wird Sergios in BV 2 [4],22,2-4 beurteilt, wo Prokop ebenfalls die geringe Motivation der Truppen betont. 5,33 Wieder betont Prokop, wie korrupt der kaiserliche Machtapparat durch den Einfluß von Theodora und Antonina gewesen sei. Zu Pegasios, einem wohlhabenden Arzt, der Solomon offenbar freigekauft hatte und der nur aus Prokop bekannt ist, PLRE III B 987f. 5,34-37 Die Gefangenschaft und den Freikauf Solomons, des Neffen des in HA 5,29 erwähnten Namensvetters (PLRE IIIB1177) hat Prokop BV 2 [4],22,12-17 geschildert. Der Freikauf von Kriegsgefangenen war eigentlich ein Werk der Barmherzigkeit, zu dem Christen gern aufgefordert wurden, hier wird er vom kaiserlichen Paar als Landesverrat ausgelegt. Von der Ermordung des Pegasios war in den Bella nicht die Rede. 5,38 Mit dem Schlußsatz kehrt Prokop wieder zu einem Grundmotiv seines Denkens zurück, daß nämlich die Strafe Gottes am Ende doch komme.
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Kap. 6 Erst mit Kapitel 6 gelangt Prokop zu seinem eigentlichen Thema, dem zerstörerischen Wirken Justinians und Theodoras, das er wiederum weit ausgreifend vorbereitet, indem er auch auf die Lebensgeschichte von Justinians Onkel und Vorgänger Justin I. eingeht. 6,1-18 Justin (PLRE II 648-651) hatte sich über den Militärdienst aus niedrigsten Verhältnissen emporgearbeitet. 6,1 Indem Prokop hier im Griechischen den Dual wählt, entscheidet er sich bewußt für einen erhabenen Stil. Sein Grundthema, die Zerstörung des Reiches durch Justinian und Theodora, wird angeschlagen. 6,2 Leon I. war 457-474 Kaiser. – Bederiana, nahe dem heutigen Skopje. Justinian sollte hier später eine Stadt gründen. Wenn andere Quellen von einer thrakischen Herkunft Justins sprechen (etwa Euagr. HE 4,1; Malal. p. 336,5 THURN; Chron. Pasch., s.a. 518; Suda E 3796; Zon. 14,5,1), so ist das mit der Bezeichnung als Illyrer durchaus vereinbar, da Thrakien zur Präfektur Illyrien gehörte. Entscheidend für das Publikum Prokops war die barbarische Herkunft der Kaiser. 6,3 Die Passage zeigt, welch hohe Bedeutung das Heer für die soziale Mobilität besaß. Es gab mehrere Palastgarden. Diejenige, der Justin sonst zugeordnet wird, war die der excubitores. Alle Angehörigen der Palastgarde hatten den Vorteil, daß sie mit Hoch- und Höchstrangigen in Kontakt treten konnten. 6,4 Anastasios war 491-518 Kaiser. Die Isaurier, die in einer schwer zugänglichen Gebirgsregion im Südosten Anatoliens lebten, waren nie wirklich unterworfen worden und hatten zumal unter Anastasios’ Vorgänger Zenon (474-491) einen erheblichen Einfluß gewonnen. Anastasios gelang es in den Isaurierkriegen (491-498), ihrer Herr zu werden und sie umzusiedeln. 153
6,5 Johannes »der Bucklige«, Heerführer 492-499, s. PLRE II 617f. 6,5-9 Träumen wurde in der Spätantike eine hohe Bedeutung beigemessen. Justin mag diese Geschichte als Ausdruck seiner Begünstigung durch Gott erzählt haben, innerhalb der Suggestion von Prokops Werk scheint hier die Förderung Justinians durch Dämonen auf. Vgl. WEBER 2000, 230ff. 6,11 Justin wurde 515 comes excubitorum. Seine Ausrufung zum Kaiser am 10. 7. 518 verdankte er der Verwirrung derjenigen Gruppen, die an der Kaiserwahl beteiligt waren, sowie seiner Bereitschaft, ihm anvertrautes Geld zur Bestechung zu verwenden. Bemerkenswerterweise hebt Prokop nicht darauf ab, sondern auf die mangelnde persönliche Eignung. Sein Alter dürfte bei 68 (Malal. p. 353,84 THURN; Chron. Pasch. s. a. 527 gibt 77 Jahre als Alter zum Zeitpunkt seines Todes am 1. 8. 527 an) gelegen haben. Daß jemand als Analphabet bei höfischen Truppen Karriere gemacht haben soll, ist äußerst unwahrscheinlich, obgleich die Polemik auch in anderen Quellen vorgetragen wurde (Ps.Zach. HE 7,14; 8,1; Suda A 1470; I 449); ohne Zweifel aber war Justin in den Augen der zivilen Elite zutiefst ungebildet. 6,13 Proklos (PLRE II 924f.; s. auch HA 9,41) bekleidete 522/523-525/526 das Amt des quaestor sacri palatii, der in der Spätantike für die Redaktion von Gesetzen zuständig war; er ist zu trennen vom stadtrömischen Quästor, dem das Finanzwesen unterstand. Es war gängige Polemik, daß einem Kaiser unterstellt wurde, er sei von seinen Beratern abhängig. 6,15 Lateinisch legi (»ich habe gelesen«). 6,17 Der Name Lupicina, der an das Prostituiertenmilieu gemahnte, wurde nach der Kaisererhebung in Euphemia geändert, zu ihr PLRE II 423; vgl. HA 9,47. 154
6,18-25 Diese Kapitel führen den Leser in die zentralen Gesichtspunkte der Darstellung Prokops und der Bewertung Justinians ein: Sein ganzes Tun ist darauf angelegt, seinen Untertanen Schaden zuzufügen, er verkörpert somit genau das Gegenteil des guten Kaisers; vgl. HA 19,8; ferner HA 12 und 18. 6,19 Justinian war der Sohn einer Schwester Justins und von seinem Onkel offenbar adoptiert worden. 6,21 Der Vorwurf der Neuerung erscheint bei Prokop fortwährend, s. HA 6,21; 9,50; 11,1; 14,1; 18,12; er scheint auch aed. 1,1,8 durchzuklingen. 6,22 Zur Problematik solcher Angaben s. zu HA 18,44. 6,26 Amantius, praepositus sacri cubiculi 518 (PLRE II 67f.), hatte versucht, auf die Kaiserwahl Einfluß zu nehmen, jedoch einen anderen Kandidaten bevorzugt und geglaubt, in Justin einen Bundesgenossen zu haben. Es gab also in Justinians Sicht gute Gründe, ihn zu beseitigen. Hinzu kamen religionspolitische Motive: Johannes II. (Bischof von Konstantinopel 518-520) hatte sich von Justinian für seine romfreundliche Kirchenpolitik verwenden lassen, während Amantius als Exponent des Monophysitismus (besser: Miaphysitismus) galt. 6,27-28 Vitalian (vgl. HA 5,5-6) hatte als Anführer von Goten, die auf dem Balkan nicht weit von Konstantinopel lebten, mehrfach unter den Vorzeichen der chalkedonischen Lehre die Herrschaft des Miaphysiten Anastasios gefährdet. Da Justin auch Chalkedonier war, erhoffte Vitalian sich eine stärkere Anerkennung; doch er wurde ermordet. Wieder hebt Prokop das Motiv des Bruchs christlicher Eide hervor.
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Kap. 7 Das siebte Kapitel schildert das Wirken der sog. Zirkusparteien (grundlegend CAMERON 1976 [1999]; vgl. HA 10,16-19; 18,33), die sich nach Farben benannten, wobei die »Blauen« und die »Grünen« am wichtigsten waren. Diese Gruppen, die sich einzelnen Ställen anschlössen und offenbar nicht, wie man früher geglaubt hat, Vertreter bestimmter ökonomischer oder religiöser Interessen waren, waren ein schwerwiegender Unruhefaktor in spätantiken Städten. Die Aufgabe eines guten Kaisers hätte darin bestanden, die Unruhen zu dämpfen, aber der Justinian Prokops schürt sie. Die hier geschilderten dramatischen Entwicklungen sind in diesem Ausmaß anderswo nicht bezeugt; aller Wahrscheinlichkeit nach hat Prokop Einzelfälle verallgemeinert, denn die übermäßige Begünstigung der Blauen, die sie auch bei Verbrechen schützte, ist noch anderweitig, insbesondere bei Euagr. HE 4,32 bezeugt. Die Panie zu den Zirkusparteien weist enge intertextuelle Bezüge zu Thukydides’ Pathologie des Krieges (3,82-83) auf; s. ADSHEAD 1993, 12ff. (die auch andere Passagen aus den Anekdota mit einbezieht); BRODKA 2004,141 ff. 7,1-7 Die Ironie dieses Abschnitts liegt darin, daß die Untertanen es hier weniger schlimm treiben, als der Kaiser es zuließe – eine Verkehrung der natürlichen Verhältnisse im Staat. 7,1 Im Nika-Aufstand 532 hatte sich die Gewalttätigkeit der – ausnahmsweise verbündeten – Zirkusparteien entladen. Ihn hatte Prokop BP 1 [1],24 ausführlich geschildert und dabei seine Ablehnung dieser Gruppierungen betont; zum Geschehen GREATREX 1997; MEIER 2003b. 7,8-14 Kleidung war in den antiken Gesellschaften sozial reglementiert, vor allem der standesgemäße und dem eigenen Volk entsprechende Charakter galt als wichtig. Gegen beide Regeln verstoßen die Anhänger der Blauen. 156
7,8 Das griechische Wort, das hier mit »Unruhestifter« wiedergegeben ist (στασιώται), kann auch »Parteigänger« heißen. Prokop spielt mit dieser Doppeldeutigkeit. 7,15-38 In mehreren Stufen – nächtliche Überfälle (15-21), Ausweitung des Kreises der Übeltäter (22-26), Überfälle am Tag (2729), Versagen der staatlichen Behörden (30-32), Zusammenbruch der sozio-ökonomischen Ordnung (33-38) – entlädt sich die Gefahr. 7,15 Das Waffentragen war gewöhnlichen Bürgern nicht erlaubt. 7,19 Schon hier wird das Versagen der Behörden angedeutet, zuständig war der praefectus urbi. 7,22 Anspielung auf die Korruption der Behörden. 7,32 Bemerkenswert ist der Anspruch, daß trotz einer monarchischen Regierung das Recht und nicht der Wille des Kaisers bei Urteilen den Ausschlag geben solle. 7,33-34 Justinian erleichterte in seiner Gesetzgebung das Los der Sklaven und legalisierte Beziehungen zwischen Herrinnen und Sklaven (s. LEPPIN [im Druck] b); dies ist wohl eine Anspielung auf diese Gesetzgebung. 7,39-42 Das bisher Geschilderte hatte der Vorbereitung dieser Sätze gedient. Wenn das Handeln Justinians den Zusammenbruch der Ordnung, wie er hier den Zirkusparteien zugeschrieben wird, noch übertrifft, zeigt sich erneut die Perversion des Regiments Justinians. Kap. 8 Das Kapitel 8 hat drei Hauptmotive: die mit Habgier gekoppelte Verschwendungssucht Justinians sowie sein Aussehen und seine Charaktereigenschaften. 157
8,1-3 Der Abschnitt greift noch einmal auf die Zeit vor der Alleinherrschaft Justinians zurück. 8,2-3 Gemeint ist Justin I. 8,4-11 Habgier und Verschwendungssucht werden Justinian auch in den folgenden Kapiteln immer wieder attestiert. 8,5 Die Gewährung von Geschenken, um fremde Völker von Einfällen abzuhalten, war ein gängiges Instrument römischer Außenpolitik, das Prokop auch an anderen Stellen mißbilligt, z.B. HA 11,3-11; BG 4 [8],i5,6-7. Anders etwa Malal. p. 356,57-69 THURN; p. 361,53-55 THURN. 8,7-8 Der Wille, das Meer zu beherrschen (s. auch HA 19,6; 26,23), wird in der antiken Literatur oft als Ausdruck eines überzogenen Anspruches gewertet; in den Bauten rühmt Prokop die entsprechenden Bauwerke, s. etwa aed. 1,11,16-22. 8,9-11 Vermögenskonfiskationen unter Justinian sind mehrfach bezeugt (s. dazu BRANDES 2002, 37). Sie waren Standard bei den römischen Kaisern. Ihre Opfer waren die Wohlhabenden, auch Senatoren, so daß derartige Maßnahmen in der senatorischen Tradition in einem besonderen Maße auf Kritik stießen. 8,12-21 Schon die äußere Erscheinung erweist Justinian als Tyrannen, wie die Ähnlichkeit mit Domitian (81-96) zeigt, der in der senatorischen Tradition als ein besonders übler Kaiser galt und für manche Christen eine Verkörperung des Antichrist darstellte (vgl. RUBIN 1961). Da Prokop sich an Zeitgenossen wandte, dürfte seine Beschreibung Justinians durchaus realitätsnah sein. Die zeitgenössischen Abbildungen auf Münzen oder Mosaiken darf man hingegen nicht als authentische Porträts nehmen, da sie bestimmten Darstellungskonventionen folgen. 8,13-14 Der sog. damnatio memoriae war eine Reihe römischer Kaiser, darunter in der Tat auch Domitian, zum Opfer gefallen. 158
8,14-20 Diese Episode ist anderweitig nicht bezeugt. Möglicherweise war sie Prokop während seines Romaufenthaltes erzählt (aufgebunden?) worden. 8,15 Domitia Longina, die allerdings zeitweise von Domitian verstoßen worden war, weil man ihr eine Affäre mit einem Tänzer nachsagte, und die auch in die Pläne zum Sturz ihres Mannes eingeweiht gewesen sein soll. 8,22-33 Die Schilderung seines Charakters nimmt die Hauptaussagen der folgenden Kapitel vorweg. 8,22 Das Wort, das hier mit Schwächling wiedergegeben ist (εΰπαράγωγσς), bedeutet wörtlich »verführbar«. 8,23 Die peripatetische Schule war die des Aristoteles und seiner Nachfolger; sie war unter anderem darum bemüht, Tugenden und ihr Verhältnis nuanciert zu beschreiben, so daß eine solche Bemerkung gut hier hineinpassen würde.
Kap. 9 Die Geschichte Theodoras bezeugt die soziale Durchlässigkeit der spätantiken römischen Gesellschaft: Aus niedrigsten Verhältnissen stieg sie bis zum kaiserlichen Thron empor. Schon der Aufstieg als solcher mußte Betrachter, die von senatorischen Wertvorstellungen geprägt waren, brüskieren, noch mehr aber ihre Herkunft aus einem anrüchigen Milieu; zu ihrer Rolle s. LEPPIN 2002. Das Kapitel ist gespickt einerseits mit obszönem Vokabular, andererseits mit Anspielungen auf Werke der klassischen griechischen Literatur, s. BORNMANN 1978. 9,1-10 Die Herkunft Theodoras aus einem Bordell wird auch von einer ihr freundlich gesonnenen Quelle bestätigt, s. Joh. Eph. Vita 13 (Patrologia Orientalis 17,189). Prokops Schilderungen über das Vorleben der Kaiserin bieten, wie immer es um die 159
Glaubwürdigkeit im Detail bestellt sein mag, einen plastischen Einblick in das Milieu der Unterhaltungskünstler und seine Nöte. Alle Unterhaltungskünstler waren »infam«, rechtlich diskriminiert und verachtet, konnten aber durch persönliche Beziehungen und ihren Einfluß auf das Publikum zu einem gewissen Einfluß gelangen. 9,3 Komito (PLRE II A 329) und Anastasia (PLREIIIA 60) erlebten beide den Aufstieg ihrer Schwester mit und wurden von ihr sehr gefördert. 9,4 Die Erblichkeit solcher Tätigkeiten war durchaus verbreitet. 9,10 Gemeint ist offenbar Anal- und Oralverkehr. 9,11-26 Die Nähe zwischen Schauspielerinnen und Prostituierten war für die Römer eine Selbstverständlichkeit, und dies entsprach sicherlich auch der sozialen Realität. Erotische Darbietungen, wie sie hier geschildert werden, gehörten zum römischen Mimus, der einzigen Form antiken Theaters, bei der Schauspielerinnen zugelassen waren. 9,11 Zur Hetäre zu Fuß vgl. etwa Eupol. fr. 184 K-A; Plat. Com. fr. 170 K-A. 9,16 Zum topischen Charakter derartiger Vorwürfe s. BALDWIN 1987 9,27 Zu Hekebolos, der anderweitig nicht bekannt ist, s. PLRE II 528. Die Pentapolis lag im heutigen Libyen. 9,29-46 Mit diesem Abschnitt kehrt Prokop zu dem zurück, was er im Kapitel 7 geschildert hatte, um das Ende des Unwesens zu beleuchten. 9,30 Die Patrizier waren der Adel im frühen Rom; in der Spät160
antike wurden Persönlichkeiten, die dem Kaiser nahe waren, in diesen Stand erhoben. Nach traditionalistischer Auffassung wurde er durch Leute wie Theodora verunreinigt. 9,35 Der hier erwähnte Hypatios ist nicht weiter bekannt. Mit der Sophienkirche ist die Hagia Sophia gemeint, die unter Justinian neu errichtet werden sollte. Ein Verbrechen in der Kirche war natürlich besonders schwerwiegend. Das Ereignis dürfte auf 523 zu datieren sein; s. Theoph. a. m. 6012 p. I 166,26-33 DE BOOR; Malal. p. 343,1-344,2 THURN. 9,37 Zu Theodotos, Stadtpräfekt 522/523 s. PLRE II 1104f. 9,40 Eigentlich war die Folter Vornehmer verboten. 9,41 Zu Proklos s. zu HA 6,13. Er wird auch BP 1 [1] ,11,11 und Joh. Lyd. mag. 3,20 lobend erwähnt. 9,47-54 Diese Episode dürfte im Kern historisch sein. Senatoren war seit Augustus die Ehe mit Schauspielerinnen verboten; die Aufhebung dieser Regelung findet sich Cod. Iust. 5,4,23, ein Gesetz, das in dem Zeitraum 520-523 erlassen wurde und die Ehe mit ehemaligen Schauspielerinnen gestattete; zum Hintergrund DAUBE 1967. Zwar wurde das Gesetz wohl für Theodora erlassen, doch konnten davon auch andere profitieren; vor allem aber erließ Justinian eine Reihe von Gesetzen, die verachtete Frauen besserstellten, so daß diese Bestimmung nicht völlig aus dem Rahmen fällt, s. KRUMPHOLZ 1992, 162ff. 9,47 Die Kaiserin Euphemia (ihr Geburtsname war Lupicina, »Wolfsartige«), s. HA 6,17. 9,53 Wieder handelt es sich um eine Verletzung christlicher Vorschriften. Die Ausrufung des kaiserlichen Paares erfolgte am 1. April 527. 9,54 1. August 527. 161
Kap. 10 Das zehnte Kapitel behandelt Theodoras Wirken als Kaiserin. 10,1-10 Prokop schildert das Versagen der römischen Gesellschaft, nach ihren wichtigsten Ständen untergliedert – Senat, Priester, Volk, Soldaten –, gegenüber Theodora, was er mit dem Walten der Tyche (›Schicksal‹) in Beziehung bringt. Ungeklärt bleibt das Verhältnis von Schicksal und menschlicher Verantwortung. 10,2 όρθότιτθος ist selten bezeugt, vgl. aber Suda O 580. 10,3 Abtreibung wurde erst mit dem Christentum grundsätzlich und energisch verurteilt. 10,6 Daß der Senat zu unterwürfig sei, ist eine wiederholte Kritik der senatorisch geprägten Geschichtsschreibung. Zur fußfälligen Verehrung (Proskynese) s. auch 15,15; 30,21-24. 10,7 Vgl. zu 30,26. 10,7-9 Prokop insinuiert hier, daß Theodora eine gottgleiche Verehrung eingefordert habe, s. KALDELLIS 2004, 138ff. 10,9-10 Zu Prokops Vorstellung von der Tyche s. BRODKA 2004, 40ff.; KALDELLIS 2004, 165ff. 10,11 Die Bemerkungen zum Aussehen Theodoras sind etwas unglücklich eingeschoben. 10,12-14 Das Grundmotiv des Zusammenwirkens Theodoras und Justinians ist die tatsächliche Eintracht auch in den Fällen, in denen sie nach außen hin unterschiedliche Ziele verfolgten. Das ist historisch durchaus plausibel. 10,15 Zu den miaphysitischen Streitigkeiten s. FREND 1972. Auch der Kirchenhistoriker Euagrios Scholastikos (HE 4,10) berichtet, daß man die religiösen Differenzen des kaiserlichen Paars 162
für eine Inszenierung gehalten habe. S. dazu LEPPIN 2000a, vgl. HA 27,13 zu diesen Meinungsunterschieden. 10,16-19 Erneut werden die Zirkusparteien behandelt und wieder Justinians Sympathien für die Blauen herausgestrichen (vgl. HA 7), während Theodora – nach dem, was Prokop über ihre Kindheit berichtet hat, durchaus plausibel – für die Grünen eintrat. Das gemeinsame Ziel bleibt wieder die Verbreitung des Unrechts. 10,20-23 Daß Günstlinge Justinians gestürzt wurden, ist verschiedentlich bezeugt, so im Falle des Johannes von Kappadokien, s. zu HA 1,13-14. Indem er seine Mitarbeiter in einer ständigen Unsicherheit beließ, stärkte der Kaiser seine Stellung.
Kap. 11 Das Kapitel ist den Reformen Justinians gewidmet, die in der Tat einen bemerkenswerten Umfang besaßen. In den Augen Prokops war das alles nur Neuerungssucht, ja bloßer Selbstzweck, der Verderben über das Reich bringen würde; vgl. zu dieser Kritik auch HA 6,21; grundlegend zu dem ganzen Kapitel MEIER 22004,198 ff. 11,1-2 Offenbar ist es Prokop wichtig hervorzuheben, wie schlagartig dieser Wandel durch Justinian betrieben wurde. Die Maßnahmen, die er schildert, zogen sich über mehrere Jahre hin. Die Gesetze wurden durch sein Kodifikationswerk in der Tat teils auch verändert. Über Neuordnungen des Ämterwesens handeln etwa die Novellen 20 und 29 ausführlich; Justinian erhoffte sich davon offenbar eine höhere Effizienz und eine bessere Kontrolle der Amtsinhaber. Er verstand sich durchaus bewußt als Neuerer und Erneuerer; Provinzen und Städte wurden nach ihm benannt, was Prokop in den Bauten rühmend zu erwähnen 163
pflegte. In HA 13,21-27 äußert Prokop sich genauer zu Änderungen im Rechtswesen. 11,3-12 Prokop kommt wieder auf das Thema der Geschenke an die Gegner Roms zurück (vgl. HA 8,5). Er übersteigert die Folgen ins Groteske, spricht aber ein durchaus vorhandenes Problem an, das durch die rasche römische Bereitschaft, Angriffe durch Geldzahlungen abzuwehren, entstand. Vgl. auch HA 19,6. 11,5 Die Machtfülle der Hunnen war nach dem Tode Attilas 453 zerfallen, doch einzelne Stämme (oder andere Steppenvölker, die so bezeichnet wurden) lebten weiter auf dem Balkan und bedrängten mit ihren Vorstößen vor allem die Reichsbewohner südlich der Donau. Ein Beispiel dafür, wie Justinian es schafft, zwei hunnische Stämme, die Utiguren und die Kutriguren, gegeneinander aufzuhetzen, schildert Prokop BG 4 [8],18,18-21. Diese Taktik hatte sich bei den Römern seit Jahrhunderten bewährt und wird etwa von Agathias (5,24,1-2) gelobt. 11,11 Die Sklavenen und Amen lebten nördlich der Dobrudscha im Dnjestr-Becken und unternahmen von dort wiederholt Vorstöße über die Donau; sie begegnen immer wieder in den Bella; ihre Sitten werden BG 3 [7],14,22-30 in einem Exkurs beschrieben. 11,12 Im Friedensvertrag mit Persien 531 war von Rom die Zahlung von 110 Kentenarien zugesagt worden, vgl. BP 1 [1],22,3-8. Daß die Römer versucht hätten, mit den Persern verbundene Sarazenen auf ihre Seite zu ziehen und Hunnen gegen sie zu mobilisieren, war Justinian von Chosroes I. im Vorfeld des 540 ausgebrochenen Krieges vorgeworfen worden, s. BP 2 [2],112,15. Dort enthält sich Prokop eines Urteils über die Berechtigung dieser Vorwürfe, die er hier anerkennt. 11,13-41 Die Religionspolitik Justinians war besonders radikal. Während er immer wieder versuchte, die Miaphysiten oder Teile 164
von ihnen auf seine Seite zu ziehen, bekämpfte er Nicht-Christen und sonstige chrisdiche Gruppen mit ungewohnter Härte; vgl. dazu NOETHLICHS 1999, 744fr.; MEIER 22004, 198fr.; 273 ff; 587ff.; LEPPIN [im Druck] a. 11,14 Die Montanisten bildeten im 2. Jh. eine Sonderkirche, die höhere sittliche Forderungen erhob und offenbar in der Erwartung des nahenden Weltendes lebte. Angesichts vielfältiger Verfolgungen hatten sie sich in das Innere Phrygiens zurückgezogen. Zu ihrer Verfolgung und dem Untergang STEIN 1949 [1968], 374t – Die Sabbatianer bildeten eine selten unter diesem Namen erwähnte rigoristische häretische Gemeinschaft, die den Ostertermin so wie die Juden berechneten, s. Sokr. HE 5,21,5-19; Soz. HE 7,18,1-11. 11,15 Vielleicht eine Anspielung auf Cod. Iust. 1,5,18-19 (529), wo bereits Einschränkungen des Erbrechts vorgenommen werden; weitere Erbschaftsverbote etwa in Nov. Iust. 115,3,14 (542); 129, pr. (551). 11,16-20 Vgl. Nov. Iust. 131,14 (545). Der Arianismus besaß zur Zeit Justinians nur noch unter Germanen Bedeutung; daß Arianer einen nennenswerten Besitz ihr Eigen genannt hätten, ist ganz unwahrscheinlich. 11,21-23 Auf dem Lande hielten sich viele Glaubenstraditionen zäh; Justinian war bestrebt, sie mit Nachdruck zu bekämpfen; Johannes von Ephesos berichtet etwa in seiner Kirchengeschichte (Joh. Eph. in der Chronik von Zuqnīn [Ps.-Dionys.] p. 72 WITAKOWSKI), er habe einige tausend Menschen in Kleinasien zum Christentum bekehrt. 11,23 Zu den Montanisten s. zu HA 11,14 11,24-30 Die Samaritaner waren eine jüdische Glaubensgemeinschaft, die nicht den Jerusalemer Tempel, sondern ein Heiligtum 165
auf dem Berg Garizim verehrte und nur den Pentateuch als Kanon anerkannte. Justinian hatte sie von Beginn seiner Herrschaft an bekämpft. Zu den Hintergründen des im April 529 ausgebrochenen und 530 niedergeschlagenen Aufstandes, der offenbar durch apokalyptische Vorstellungen mitbedingt war, s. MEIER 22004, 209ff. Kleine samaritanische Gruppen existieren noch heute. 11,25 Mit dem Gesetz könnten Cod. Iust. 5,1,4 und 9 sowie 5,13,3 gemeint sein. Die oft genannte Bestimmung Cod. Iust. 1,5,17, die unter anderem die Zerstörung der Synagogen der Samaritaner befahl, dürfte nach dem Aufstand erlassen worden sein; vgl. MEIER 22004, 2i4f. – Kaisareia in Palästina war der Herkunftsort Prokops und wird daher herausgestellt. 11,26 Die Manichäer, eine persisch geprägte, von einem starken Dualismus zwischen Gut und Böse bestimmte Religion, wurden seit Jahrhunderten von Heiden und Christen verfolgt. 527, noch zu Lebzeiten Justins, aber nach Regierungsantritt Justinians, waren sie mit der Todesstrafe bedroht worden, Cod. Iust. 1,5,11-12; Malal. p. 352,62-64 THURN. »Polytheisten« ist ein bei Prokop ungewöhnlicher Ausdruck für Heiden (vgl. zu HA 11,31-33). Die Zwangsbekehrungen führen damit in der Darstellung Prokops nicht nur zu Lügen, sondern zu besonders schlimmen Formen des Irrglaubens. 11,27 Führer von Aufständen wurden oft als Räuber denunziert, daher verdient die Nachricht kein Vertrauen. Von den Aufständen der Samaritaner handelt Prokop auch aed. 5,7. 11,29-30 Erneut führen nachvollziehbare Maßnahmen Justinians – Aufstände mußten nun einmal niedergeschlagen werden – zu verheerenden Zuständen. Das Steuerrecht war in der Tat so angelegt, daß Grundbesitzer unabhängig davon, wie der Boden zu einem konkreten Zeitpunkt bestellt werden konnte, zu festgelegten Abgaben verpflichtet waren. 166
11,31-33 Heiden wurden im spätantiken Griechisch üblicherweise als »Hellenen« bezeichnet. Zu den antiheidnischen Maßnahmen Justinians vgl. insbesondere Cod. Iust. 1,11,10; Theoph. a. m. 6022 p. I 180,11-21 DE BOOR; Malal. p. 377,117-124 THURN; vgl. insgesamt NOETHLICHS 1986,11690. 11,33 Diese Ankündigung bleibt unerfüllt. 11,34-36 Päderastie als Spielart der Homosexualität war für Prokops Zeitgenossen weniger befremdlich als für moderne Leser. Erotische Beziehungen zu Jugendlichen bzw. Kindern galten als Teil eines traditionalistischen Lebensstils, der mit dem Heidentum in Verbindung stand, zumal das Christentum die Päderastie streng ablehnte. Verschiedene Dichtungen der Zeit zeigen, daß Päderastie noch bekannt und geschätzt war; zu den Maßnahmen s. Nov. Iust. 77; 141; zum Zusammenhang HOHEISEL 1994, 319ff.; MEIER 22004, 199f.; vgl. HA 16,18-22. 11,36 Derartige Schandparaden waren im antiken Recht nicht selten. 11,37-39 Sterndeutung war in der Antike immer ein heikles Geschäft, da Weissagungen leicht als Majestätsbeleidigung interpretiert werden konnten, wenn sie etwa die Zukunft der Kaiser betrafen. 11,37 Der zuständige Beamte ist der sog. praetor plebis; vgl. HA 16,19 und vor allem HA 20,9. 11,40-41 Wohlhabende Kreise waren traditionellen Praktiken eher verbunden als Niedriggestellte bzw. gerieten leichter in den Blick der Behörden. Es ist bezeichnend für die soziale Gebundenheit Prokops, daß er diesen Aspekt so nachdrücklich hervorhebt.
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Kap. 12 Prokop konzentriert sich jetzt auf das Los einzelner Senatoren, um im folgenden noch ausführlicher den dämonischen Charakter Justinians herauszustreichen; vgl. HA 18. 12,1-11 Der Abschnitt besteht aus mehreren Episoden, bei denen der Kaiser sich durch betrügerische Machenschaften in den Besitz des Nachlasses verstorbener Römer bringt. Derartige Vorwürfe gehörten seit Beginn des Prinzipats zum Repertoire der Kaiserkritik; Euagr. HE 5,3 äußert diese Kritik ebenfalls gegen Justinian, nennt aber Aitherios als Mittelsmann. Bei den zeitgenössischen Lesern Prokops evozierten die Namen der Senatoren gewiß vielfältige Assoziationen. 12,1-4 Zu Zenon, der ein hohes Amt in Ägypten versah, s. PLRE III B 1418. Anthemios war 467-472 Kaiser im Westen. Als Verwandter des Kaiserhauses war Zenon ein potentieller Konkurrent Justinians. 12,5 Zu Tatianos s. PLRE IIIB 1219 (ob er mit dem BP 2 [2],10,2 genannten Tatianos identisch ist, steht dahin); zu Demosthenes PLRE II 353t, zu Hilara PLRE III A 598. 12,6 Zu Dionysios s. PLRE III A 403, zu Johannes PLRE III A 641f. Vergeiselungen vornehmer Römer waren nicht selten, der Fall des Johannes findet sich BP 2 [2] ,21,27 und bezieht sich auf ein Ereignis des Jahres 542. 12,7-9 Der Freikauf kriegsgefangener Römer gehörte eigentlich zu den vornehmsten Pflichten christlicher Römer, und Justinian selbst bemühte sich darum, daß die Kirchen dazu in die Lage versetzt wurden. 12,12-27 Prokop betont als Steigerung gegenüber dem vorher Gesagten den dämonischen Charakter des kaiserlichen Paars, wofür sogar die Lebensweise herangezogen wird. Justinian er168
scheint bei Prokop –und das ist zentral – als großer Dämon, was seinem Werk einen apokalyptischen Zug verleiht, s. dazu RUBIN 1951; ders. 1961; BRODKA 2004, 32ff.; KALDELLIS 2004, I50ff. 12,12 Der Nika-Aufstand im Jahre 532 (s. HA 7,1) zog tatsächlich harte Bestrafungen von Senatoren und Konfiskationen nach sich, die Prokop als Ausdruck kaiserlicher Gier wertet; in BP 1[i],24,57-58 hatte er hingegen betont, daß die konfiszierten Güter an die Staatskasse gegangen seien und später die Senatoren eine Rehabilitation erlangt und einen Großteil ihres Besitzes wiedererhalten hätten; vgl. zu Justinians Streben nach dem Erbe vornehmer Römer HA 19,11-12; 29,12-25; s. auch HA 26,3. 12,14 Diese Stelle zeigt lediglich, daß Prokop sich zu den Gegnern Justinians zählte, sie beweist nicht, daß er dem Senatorenstand angehörte. Die dichterische Wendung bezieht sich in der griechischen Poesie auf Ares (s. etwa Hom. Il. 5,31; Aischyl. Hik. 665). Prokop bedient sich wieder des altertümlichen Duals. 12,17 Zur dichten Folge der Katastrophen unter Justinian (vgl. HA 18,36-45) s. MEIER 22004, passim. 12,18-19 Von einer Reihe antiker Herrscherpersönlichkeiten wurde erzählt, sie stammten von einem Gott ab und nicht von ihrem menschlichen Vater, so von Alexander dem Großen oder Augustus. Von Prokop wird dieses Motiv negativ ausgelegt, um neuerlich das Dämonische an Justinian zu verdeutlichen. 12,23 Möglicherweise bezieht Prokop sich hier auf das Wirken des syrischen Mönches Zoras, der Justinian angeblich diese Schwellung ans Haupt gezaubert hatte, s. Joh. Eph. Vita 2 (Patrologia Orientalis 17,22). 12,24 Mönche genossen in der spätantiken Gesellschaft ein so hohes Ansehen, daß sie direkt mit dem Kaiser kommunizieren konnten und sich einen Freimut erlauben durften, der anderen 169
nicht zustand, s. dazu LEPPIN [im Druck] a. Das Verhalten des Mönches war ein äußerst düsteres Signal. 12,26 »Fürst der Dämonen« ist ein neutestamentlicher Ausdruck (Matthäus 1,24; Markus 3,22; Lukas 11,15), der auf den Beelzebub und damit auf den Antichrist verweist. Hier wird die apokalyptische Vision Prokops sehr deutlich. 12,27 Justinian legte seine Schlaflosigkeit positiv aus, als Zeichen der Fürsorge für seine Untertanen, s. etwa Nov. Inst. 8, pr.; vgl. auch HA 13,28. 12,28-32 Prokop illustriert das Dämonische an Justinian aus der Sicht des Umfeldes Theodoras. 12,30. Zu Hekebolos s. HA 9,27.
Kap. 13 Das Kapitel ist von zentraler Bedeutung für die Interpretation der Anekdota. Das Dämonische an Justinian, das in 12,32 angesprochen worden war, wird hier konkretisiert, wobei dem Autor daran gelegen ist, die Selbstdarstellung des Kaisers, die eigentlich in seinem Milieu Anklang hätte finden müssen, zu decouvrieren und gerade als Gegenteil dessen zu interpretieren, was der Kaiser beanspruchte, vgl. zu den christlichen Kaiserbildern etwa LEPPIN 1996,146ff. 13,1-3 Zugänglichkeit und Milde waren zentrale Tugenden des spätantiken Kaisertums. Ältere Forschungen haben die Separierung des Kaisers, seine Distanz zu den Untertanen nachdrücklich betont, doch Stellen wie diese widerlegen diese Auffassung. Offenkundig versuchte Justinian sich als zugänglicher Kaiser zu präsentieren. Die Wendung »nicht der Hofordnung entsprechend« bildet eine interpretierende Übersetzung einer Formel, die sich allgemein auf ein ordentliches Benehmen bezieht. Pro170
kop könnte hier damit meinen, daß Justinian auch provokant auftretenden Mönchen gelassen begegnete; zur Zugänglichkeit auch HA 15,12. 13,2-3 Die Kontrolle über die Emotionen gehörte ebenfalls zu den Tugenden, die antike Herrscher gerne in Anspruch nahmen; dies tat offenbar auch Justinian, dem dieses Verhalten hier indes als Heuchelei ausgelegt wird. 13,3 Eine milde Reaktion auf Bittsteller wurde vom heidnischen wie vom christlichen Kaiser erwartet. Daher wiegt dieser Vorwurf schwer. 13,4-7 Justinians Kirchenpolitik war in der Tat darauf angelegt, die Kirchen zu begünstigen; gerade dem Schutz des Kirchengutes widmete er große Aufmerksamkeit, zugleich übertrug er den Bischöfen eine Art Aufsichtsfunktion über weltliche Belange, s. NOETHLICHS 1999, insbes. 748ff. 13,7 Das Streben, die Miaphysiten und Chalkedonier zusammenzuführen, bestimmte in der Tat das Handeln Justinians, allerdings läßt sich in seiner Regierungszeit eine merkliche Verschärfung seiner Methoden beobachten, s. NOETHLICHS 1999, 688ff.; LEPPIN [im Druck] a. 13,8-20 Antike Herrscher sollten zwar Ratschlägen zugänglich, aber für Schmeichelei unempfänglich sein. Erneut verhält sich Prokops Justinian genau gegenteilig. Daß die Darstellung widersprüchlich ist, da sie einerseits die hartnäckige Boshaftigkeit des Kaisers betont, andererseits seine Beeinflußbarkeit, stört ihn nicht. In rhetorisch geprägten Texten der Antike waren derartige Widersprüche verbreitet. 13,11 Anspielung auf Aristoph. nub. 225 und, darauf bezogen, Plat. Apol. 19c, wo der (angebliche) Anspruch des Sokrates, in den Lüften zu wandeln, ironisiert wird. So zeigt Prokop einer171
seits die Maßlosigkeit des Kaisers, andererseits dessen mangelhafte Bildung. 13,12 Zu Tribonian, einem der wichtigsten Ratgeber Justinians vor allem bei der Kodifizierung des Rechts, von dem es hieß, er sei heidnisch gesonnen, s. PLRE IIIB 1335—1339; vgl. zu HA 20,16. 13,21-23 Justinian sah sich gerade als der große Erneuerer des Rechts, s. dazu etwa MEIER 2004a, 71ff.; vgl. zu der Polemik auch HA 11,2. 13,24-27 Den Kampf gegen Korruption führte Justinian mit großem Nachdruck, aber wohl begrenztem Erfolg. 13,28-33 Die Fähigkeit des Kaisers, Mühen auf sich zu nehmen, gehörte zu den wichtigsten Tugenden, mit denen man versuchte, auch den Untertanen niederer Herkunft durch seinen rasdosen Einsatz zu imponieren; vgl. ins Positive gewendet Prok. aed. 1,7,8-9; Joh. Lyd. mag. 3,55. 13,29 Die Selbstdarstellung des Kaisers als fromm (s. MEIER 608 ff.) zwang ihn, die Regeln der Fastenzeit mit größter Genauigkeit einzuhalten. 22004,
13,33 Die Wendung »scharf im Ersinnen« taucht auch BV 1[1],9,25 auf, ergänzt um einen Hinweis auf die schnelle Ausführung seiner Pläne – dort ist das natürlich positiv gemeint.
Kap. 14 Dieses Kapitel nutzt Prokop, um eingehender zu schildern, welche Fehlentwicklungen in Recht und Verwaltung unter Justinian eintraten. 172
14,1-10 Auch im spätantiken Staat waren geregelte Verfahren wichtig, von denen viele von Justinian reformiert, in den Augen Prokops verschlechtert wurden. 14,2 Justinian stammte aus dem lateinischsprachigen Teil des Balkans und war nach Art eines Soldaten, nicht eines Senators sozialisiert. In BP 2 [2],29,41 schildert Prokop mit einem gewissen Befremden, daß Justinian einem Dolmetscher gestattete, mit ihm zu Tisch zu liegen. Das war aus senatorischer Perspektive unwürdig. 14,4 Daß Justinian in viele Bereiche persönlich eingriff, zeigt seine gesamte Gesetzgebung. Der a secretis (»zuständig für die geheimen Dinge«) war seit dem 5. Jh. im Osten ein Amtsschreiber des vertraulich tagenden kaiserlichen Rates, vgl. DELMAIRE 1995, 44f. Prokop suggeriert, daß Justinian selbst diese Dienstleistungsfunktion übernommen habe. Der Anteil Justinians an der genauen Formulierung der Gesetze ist nach wie vor strittig, s. etwa HONORÉ 1975; vgl. zu Latein als Justinians Muttersprache Nov. Inst. 13, pr. 14,5 Tatsächlich achtete Justinian auf formale Korrektheit und schrieb 541 für alle Gesetze eine Gegenzeichnung durch den Quaestor sacripalatii vor, der in der Spätantike (im Unterschied zu dem republikanischen Finanzverantwortlichen) für die Ausfertigung von Gesetzen zuständig war, s. Nov. Iust. 114. 14,7-8 Schon seit dem Beginn des Prinzipats waren die Handlungsmöglichkeiten des Senats äußerst beschränkt; diese Entwicklung hatte sich in der Spätantike verstärkt. Zutreffend ist indes, daß Justinian durch seine harte Strafpraxis viele Senatoren verunsicherte. Ferner näherte er mit Nov. Iust. 62 (537) den Senat dem Konsistorium an, worauf Prokop hier wohl anspielt. 14,8 Es ist bemerkenswert, daß Prokop die Präsenz der Kaise173
rin bei den Senatssitzungen nicht kritisiert. Daß der Kaiser sich mit seiner Gemahlin beriet, war nach spätantiken Maßstäben durchaus legitim. 14,9 Selbstkorrekturen lassen sich in der justinianischen Gesetzgebung verschiedentlich feststellen. 14,11-15 Diejenigen, die Gelegenheit hatten, mit dem Kaiser unmittelbar in Kontakt zu treten, besaßen besondere Macht und Verantwortung. Prokop nennt hier zwei Gruppen: die Referendare, die vor allem die Eingaben Hochgestellter an den Kaiser weiterzuleiten und seine Antwort zu übermitteln hatten (s. DELMAIRE 1995, 55 f.). Gegen den Mißbrauch ihrer Stellung durch Referendare wandte Justinian sich mehrfach, s. Nov. lust. 10 (535); 113,1 (541); 124,4 (545). Eine weitere Gruppe waren die Leibwächter, die höchst wirkungsvoll ihren Einfluß geltend machen und tatsächlich, wie Prokop es schildert, auch Höhergestellten gegenüber ihre Macht ausspielen konnten. 14,12 Zu dem weitläufigen Palastkomplex gehörten in der kaiserlichen Halle, einer Stoa, auch Gerichtssäle (s. Prok. aed. 1,11,12; Agath. 3,1,4), die derartige Übergriffe der Wachen ermöglichten. 14,16-23 Es entspricht der Tradition der antiken Geschichtsschreibung, nach dem zu suchen, der als erster etwas getan hat; hier muß der Referendar Leon (zu ihm HA 17,32; 29,28; PLRE III B 767f.) als der herhalten, mit dem die Korrumpierung der Administration Justinians begann. Leon spielt in der sonstigen Überlieferung keine Rolle. Die Versuchung ist groß, hinter dieser Darstellung die persönliche Ranküne des Historikers zu vermuten.
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Kap. 15 Nachdem er im neunten Kapitel Theodoras Leben vor der Eheschließung behandelt hatte, schildert Prokop jetzt ihr Wirken als Kaiserin. Dabei erscheint sie ähnlich dämonisch wie ihr Mann, aber viel härter, in Umkehrung der spätantiken Vorstellungen, die Härte mit Männern verbanden; s. zu Theodora LEPPIN 2002. Die ganze Darstellung Prokops ist von einem Spiel mit den Geschlechterstereotypen bestimmt, was erhebliche Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit weckt. 15,1-5 Von der spätantiken Kaiserin wurde erwartet, daß sie Milde zeige, ja ihren Gatten zur Milde mahne, s. etwa LEPPIN 2000b, 499ff. 15,6-10 Das Alltagsleben der Kaiserin wird hier als das genaue Gegenteil desjenigen ihres Mannes konstruiert. 15,11-18 Die symbolische Demütigung der Senatoren mußte sie besonders treffen, da viele Kaiser (darunter wohl auch Justinian) sich bemühten, die Senatoren, die die ganz alten Traditionen Roms verkörperten, ihre Vorrangstellung nicht spüren zu lassen. Siehe dazu auch HA 30,21-24. 15,19-23 Beide mißbrauchen das Recht, doch Justinian aus Willfährigkeit und Bestechlichkeit, Theodora aufgrund ihrer eisernen Härte. 15,24-35 Das Opfer dieses Vorfalls, wenn er denn historisch ist, ist unbekannt. Schon während des frühen Prinzipats hatten viele Senatoren den Eindruck gewonnen, kaiserliche Diener besäßen mehr Macht als sie selbst. Diese Erzählung steht mithin in einer gewissen literarischen Tradition. 15,25 Zum Titel eines Patriziers s. HA 9,30.
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15,34 Der Ausruf der Eunuchen kann im Griechischen sehr obszön verstanden werden. 15,36-39 Prokop kehrt noch einmal zum Thema des Luxus zurück, der für ihn so weit geht, daß die Kaiserin nicht einmal ihre Umgebung schont. 15,36 Herion lag nördlich von Konstantinopel am asiatischen Ufer des Bosporus (heute: Anadolu Kavagi); es wurde üblicherweise Heraion genannt. Den dortigen Palast beschreibt Prok. aed. 1,11,16-22. 15,37 In BG 3 [7] ,29,9-16 schreibt Prokop ausführlicher über das Seeungeheuer, das mehr als 50 Jahre lang die Konstantinopolitaner in Schrecken versetzt und Schiffe zum Kentern gebracht haben soll, bevor es 547/548 an Land trieb.
Kap. 16 16,1-6 Die Passage entspricht ganz der im Proömium skizzierten Intention der Anekdota, eine Ergänzung zur Kriegsgeschichte darzustellen und nun Dinge zu berichten, die der Autor in seinen anderen – offiziösen – Werken nicht aussprechen konnte (vgl. 1,1-10). Der Verdeutlichung dieser Absicht dienen erneute Rückverweise auf die Bella (HA 16,1 u. 3 als Verweise auf BG 1 [5],24). Nach dem Tod Theoderichs d. Gr. (526) hatte dessen Tochter Amalasuntha (PLRE II 65) die Regentschaft für ihren noch unmündigen Sohn Athalarich (PLRE II175 f.) übernommen. Ihre Politik zielte offenbar auf einen Ausgleich mit Ostrom; u.a. aus diesem Grund geriet Amalasuntha jedoch unter den Goten zunehmend in die Kritik. Um ihre Machtstellung zu erhalten, berief sie nach dem frühen Tod ihres Sohnes (534) ihren Vetter Theodahat (534-536, PLRE II 1067 f.) zum Mitregenten, konnte sich diesem gegenüber aber nicht durchsetzen. Sowohl Theodahat als 176
auch Amalasuntha scheinen nicht nur offen, sondern auch im geheimen mit dem oströmischen Kaiserhof verhandelt zu haben. Theodahat ließ Amalasuntha 535 auf einer Insel im Bolsenasee internieren, wo sie bald darauf getötet wurde. In seinem offiziösen Bericht über die Ereignisse (BG 1 [5] ,2-4) hebt Prokop vor allem die zwielichtigen Aktionen Theodahats hervor, berichtet aber nichts über eine eventuelle Beteiligung Theodoras an der Ermordung Amalasunthas. Daß die Kaiserin immerhin in die Verhandlungen mit den Goten involviert war, geht aus der Korrespondenz zwischen Konstantinopel und Ravenna hervor (Cassiod. var. 10,19-26), die aber eine Mitwirkung Theodoras an der Beseitigung Amalasunthas zumindest nicht belegt (vgl. Marc. Com. Addit. ad annum 534; Iord. Get. 306; Rom. 368). 16,1 Prokop zufolge entsprach Amalasuntha in Theodoras Augen auch nicht dem verbreiteten Frauenideal; erst dadurch wurde die Gotin zu ihrer Konkurrentin. Die ›Männlichkeit‹ Amalasunthas erwähnt Prokop auch in den Bella (BG 1 [5] ,2,3). 16,2 Der Anwalt Petros Patrikios (†565, PLRE III B 994-998) war der wohl bedeutendste oströmische Diplomat im 6. Jh. Seit 539 hatte er das hohe Hofamt des magister officiorum inne; sein Honorarkonsulat und der Titel patricius verweisen auf besondere Nähe zum Kaiser. Petros agierte seit 534 als kaiserlicher Unterhändler bei den Goten, wobei seine Rolle undurchsichtig bleibt. Nach Ausbruch des Gotenkrieges (535) wurde er von den Goten inhaftiert und drei Jahre lang in Italien festgehalten (536-539). Petros handelte u.a. 561 den ›5ojährigen Frieden‹ mit den Persern aus. Er verfaßte historische und antiquarische Werke sowie Berichte über seine diplomatischen Missionen – sämtliche Werke sind nur in Fragmenten erhalten. Zu Prokops Urteil über ihn s. 24,22-23 sowie BG 1 [5],3,30. Vgl. zu ihm auch CONCA 1996 [1999], 210f., Anm. 208. 177
16,5 Prokop widerspricht hier seiner eigenen Darstellung BG 1 [5],4,25, wonach Amalasuntha bereits tot gewesen sei, als Petros in Italien eintraf. – Räsonieren über die Unbeständigkeit und Schwachheit der Menschennatur entsprach den Usancen in spätantiken klassizistischen Geschichtswerken. 16,6-10 Über das Ende des Sekretärs (?) (Malalas nennt ihn άπό νοταρίων), Honorarkonsuls und Kommandeurs der Palastgarden (comes excubitorum) – letzteres könnte auf einer Verwechslung beruhen – Priskos (PLRE III B 1051) berichten auch Johannes Malalas und die auf ihm basierenden Chroniken (Malal. p. 377,25-27 THURN; Theoph. a. m. 6026 p. 1186,15-17 DE BOOR; de insid. p. 171,35-172,6 DE BOOR). Er hatte offenbar Theodora beleidigt, woraufhin Justiman ihn nach Kyzikos verbannte und nach einem Fluchtversuch zum Kleriker weihen ließ (wohl im Jahr 529). Prokop nutzt den Vorfall, um erneut zentrale Vorwürfe zu artikulieren: Theodoras Unbarmherzigkeit gegenüber persönlichen Feinden, Justinians Machtlosigkeit angesichts ihrer Aktivitäten sowie seine maßlose Besitzgier. Die Bezeichnung des Priskos als »Paphlagonier« ist wohl weniger als Herkunftsbezeichnung denn als Herabsetzung gemeint. 16,11 Das Schicksal des Finanzbeamten Areobindos (PLRE III A 107) soll ein weiteres Beispiel für Theodoras gnadenlosen Umgang selbst mit ihren Vertrauten geben. Prokop nutzt im folgenden – wie so oft – den Einzelfall für generalisierende und übertriebene Schlußfolgerungen (16,12ff.). – VEHs Übersetzung »in ihn rasend verliebt« (τοΰ άνθρώπον δαιμονίως έρώσα) trifft den Sachverhalt nur zum Teil; denn das Adverb δαιμονίως soll einmal mehr die Vorstellung von der dämonischen Natur Theodoras evozieren. 16,13 Die Bezeichnung eines ungeliebten Regimes als Tyrannis (s. etwa auch 1,6; 7,31; 10,23; 11,36; 14,17-18; 15,12; 22,1; 25,1; 29,29) entspricht den Gepflogenheiten der literarischen Invekti178
ve. Offiziell bezeichnete der Terminus in der Spätantike zumeist den illegitimen Herrscher. Angst zu verbreiten und gleichzeitig davon geplagt zu sein galt in der Antike als ein typisches Merkmal von Tyrannen. 16,18-22 Päderastie wurde unter Justinian generell scharf verfolgt (vgl. 11,34-36; im einzelnen HOHEISEL 1994, 360). Die Bestrafung des Basianos erfolgte wahrscheinlich über eine Schandparade (vgl. 11,36). Schandparaden und Zwangskastrationen (letztere kamen einem Todesurteil gleich) waren unter Justinian die übliche Bestrafung für Homosexuelle und Päderasten. Zuständig war gemäß Nov. Iust. 77,1,2 zunächst der Stadtpräfekt; wenig später wurde die Verfolgung von Päderasten dem quaesitor unterstellt (vgl. 20,7-9). – Justinian ließ in einem Gesetz des Jahres 556 die Konfiskation des Vermögens von Personen, denen die Todesstrafe drohte, verbieten (Nov. Iust. 134,13,2). – Die Verletzung des Kirchenasyls soll Theodora als völlig skrupellos erscheinen lassen (s. 16,22). Vgl. zu HA 3,4. 16,23-28 Das Kapitel endet mit der triumphalen Beschreibung eines wegen Homosexualität geführten Prozesses gegen einen persönlichen Feind Theodoras, in dem die Kaiserin ihren Willen einmal nicht durchsetzen konnte und ihr keine heimliche Beseitigung des Opfers gelang. Ob es allerdings wirklich einen Zusammenhang zwischen dem Groll Theodoras und dem Homosexualitäts-Vorwurf gegen Diogenes gab, ist ungewiß.
Kap. 17 17,1-4 Belisar, Photios und Buzes werden noch einmal kurz namentlich erwähnt, weil Prokop sie ebenfalls zu Theodoras Opfern zählt, ihre Schicksale aber bereits abgehandelt hat (1,11-5,27 [Belisar]; 1,31-3,29 [Photios]; 4,2-12 [Buzes]). Auch die Ereignisse um das Ende des Kallinikos (PLRE III A 260), den praeses Ciliciae 179
Secundae, dienen Prokop lediglich dazu, um bekannte Vorwürfe gegen Theodora (Grausamkeit und das Übergehen der regulären staatlichen Stellen) und Justinian (zu große Nachgiebigkeit gegenüber Theodora und Habgier) zu erneuern. Der Kirchenhistoriker Euagrios erwähnt den Fall, um die Bevorzugung der Blauen durch Justinian zu illustrieren (Euagr. HE 4,32). Offenbar galt die Hinrichtung des Kallinikos in der Tat als Skandal. – Das Verbum γνλλίζειν von VEH etwas farblos mit »grollend« übersetzt, bezeichnet eigentlich das Grunzen bzw. Quieken von Schweinen – Prokop macht seine Haltung gegenüber Justinian somit auch über die sprachliche Ebene unmißverständlich klar. 17,5-6 Die Finanzierung karitativer Einrichtungen gehörte zu den Aufgaben spätantiker Kaiserinnen. Daß Justinian und Theodora sich insbesondere bemühten, das Schicksal von Schauspielerinnen und Prostituierten zu erleichtern (vgl. etwa Nov. 14; Malal. p. 368,34-48 THURN; Joh. Nik. 93,3; Überblick bei KRUMPHOLZ 1992), mag auf die Vergangenheit der Kaiserin zurückzuführen sein, kann aber auch einfach mit der christlichen Fürsorgepflicht eines Kaisers erklärt werden. Prokop erwähnt das MetanoiaKloster auch in den panegyrischen Bauten (aed. 1,9,7-10) – lobt es dort allerdings als besondere Leistung. Alle von der Kaiserin in Auftrag gegebenen Bauwerke stellten aber stets nur einen Teilaspekt der Baupolitik Justinians dar. – Zur Verwendung des altertümlichen Terminus »Obolen« durch Prokop s. BALDWIN 1992, 255ff. 17,7-15 Der Bericht könnte auf eine ursprünglich karitative Maßnahme Theodoras zurückgehen, nämlich die Versorgung der beiden Witwen. Prokop gestaltet den Vorfall zu einer weiteren Untat der Kaiserin aus und hebt erneut die Mißachtung des Kirchenasyls besonders hervor (s. auch 16,19-22). Die Ernennung der Ehemänner zu Statthaltern widerspricht Prokops Vorwurf einer nicht-standesgemäßen Heirat. Im übrigen spricht seine 180
Bemerkung, wonach die Witwen nicht »richtig« (μέ σωφρόνως βιοΰν) gelebt hätten (16,8), dafür, daß sie es ein wenig zu zügellos getrieben hatten. Das Versprechen, an späterer Stelle von den weiteren Leiden der Schwestern zu berichten (16,14), löst der Autor nicht ein – erneut ein mögliches Indiz für eine fehlende Vollendung der Anekdota. 17,16-23 Der angebliche Sohn Theodoras ist sonst nirgends bezeugt. 17,24-26 Zentrale Vorwürfe Prokops – Theodoras sexuelle Maßlosigkeit und Justinians ängstliche Nachgiebigkeit seiner Frau gegenüber – werden nun generalisierend auf die gesamte römische Gesellschaft ausgeweitet. Im Hintergrund der Passage stehen möglicherweise auch kaiserliche Maßnahmen, die die Stellung der Frau in der Ehe stärken sollten (Belege bei NOETHLICHS 1999, 727-729). 17,27-31 Daß Theodora sich über das übliche Maß hinaus in politische Angelegenheiten eingemischt haben soll, läßt sich – abgesehen von der Religionspolitik –, wenn überhaupt, dann nur für wenige Einzelfälle belegen. In der Gesetzgebung tritt sie nicht aktiv in Erscheinung; allerdings betont Justinian die Eintracht des Kaiserpaars, und in offiziellen Bauinschriften erscheinen Kaiser und Kaiserin zusammen (z.B. Hagia Sophia: Kedren. 677 PG 121,737C-740A). Zonaras spricht von einer Doppelherrschaft (Zon. 14,6,1). Allerdings hatte Theodora im Gegensatz zu anderen spätantiken Kaiserinnen kein Münzrecht. Im einzelnen s. NOETHLICHS 1999, 678-681; LEPPIN 2002, 459ff. – Mit der Formulierung χαλός ή άγαθός spielt Prokop einmal mehr in klassizistischer Manier auf das vor allem im klassischen Griechenland in unterschiedlichen Milieus mit jeweils unterschiedlichen Konnotationen verbreitete Ideal der Kalokagathia (›Vortrefflichkeit‹) an. 181
17,32-37 Zu Leon s. den Komm, zu 14,16. – Der magister officiorum (529-533; 535) Hermogenes (†535/536, PLRE III A 590593) spielte eine zentrale Rolle beim Aushandeln des sog. ›Ewigen Friedens‹ mit den Persern 532. – Chrysomallo trägt einen sprechenden Namen: »Die mit dem goldenen Fell«. Theodora war den Frauen vielleicht von früher her noch verbunden. 17,38-45 Zu Johannes dem Kappadoker (PLRE III A 627-635) s. den Komm. zu 1,13-14 und 2,15. Prokop gibt nun eine Ergänzung zu seinem Bericht über den Sturz des praefectus praetorio in den Bella (BP 1 [1],25,11-44), ganz im Sinne des Anekdota-Proömiums, wonach in dieser Schrift die vorher nicht aussprechbare Wahrheit verkündet werde. Die Passage dient der noch schärferen Profilierung der Rolle Theodoras in dieser Affäre und soll die Gründe für Johannes’ Absetzung auf rein persönliche Motive der Kaiserin reduzieren. – Die Formel τεκμήριον δέ (»[…] beweist folgendes«, 17,38) gemahnt an Thukydides und steht für größtmögliche Objektivität. – Johannes soll, so berichtete Prokop in den Bella, während seines Aufenthaltes in Kyzikos (541) die Ermordung des dortigen Bischofs Eusebios veranlaßt haben, was ihm aber nicht nachgewiesen werden konnte. Dennoch wurde der ehemalige praefectus praetorio nach Ägypten ins Exil geschickt. Prokop ergänzt diese Geschichte nun durch einen erneuten und besonders brutal durchgeführten Versuch Theodoras, Johannes den Mord nachzuweisen (545) – wiederum erfolglos. Johannes konnte erst nach Theodoras Tod 548 nach Konstantinopel zurückkehren, erlangte aber nie wieder die alte Machtfülle und seinen früheren Einfluß (vgl. Prok. BP 2 [2],3O,49-54).
Kap. 18 Es handelt sich innerhalb der gegen Justinian gerichteten Invektiven der Anekdota um das Zentrum der Schrift. Die Passage steht in engem Zusammenhang mit Kap. 12 sowie mit 6,18-28. In 182
beiden Fällen geht es Prokop darum, seine These von der dämonischen Natur Justinians (vgl. 12,14) zu belegen – eines Kaisers, der für ihn der »Fürst der Dämonen« (d.h. der Teufel persönlich) ist (δαιμόνων άρχων, vgl. 12,26; 12,32; 30,34), ferner der Antichrist (Prokop trennt nicht sonderlich scharf zwischen beiden Vorstellungen) und ein zweiter Domitian (8,13-21; im einzelnen dazu RUBIN 1951; ders. 1961). Im vorliegenden Kapitel wird die dämonische Natur Justinians – anders als in Kap. 12, wo vor allem die Schauderhaftigkeit seiner Person im Zentrum stand – durch seine verderbenbringenden Taten evoziert, wobei Prokop besonderes Gewicht auf das Szenario einer vollkommen verwüsteten Oikumene und einer nahezu entvölkerten Welt legt (vgl. 18,1-4; 18,5; 18,13; 18,18; 18,21-23; 18,32; 18,42-43; zur literarischen Tradition dieser Topoi vgl. RUBIN 1954 [1957], 381f.; TINNEFELD 1971). Das Kapitel ist klar gegliedert und stellt das unheilvolle Wirken des Kaisers in zunehmender Steigerung dar: Nach einer kurzen Einleitung (18,1-4) geht es zunächst um die unter Justinian eroberten bzw. umkämpften Gebiete in Africa (18,5-12) und Italien (18,13-15), dann um den illyrischen bzw. griechischthrakischen Raum (18,16-21), um die Einfälle von Arabern (18,22) und Persern (18,23-24) ins Reichsgebiet, um Justinians verhängnisvolle Außenpolitik (18,25-30), innere Unruhen (18,31-35) sowie die Heimsuchung des gesamten Reichs durch verheerende Naturkatastrophen (18,36-45). Im einzelnen vgl. zu diesem Kapitel auch MEIER 22004, 86ff.; 432ff. 18,1 Der Rückverweis »wie gesagt« (ώσπερ έιρηται) bezieht sich auf 12,26-27. Erneut versucht Prokop mit einer an Thukydides erinnernden Formulierung (τεκμηριώσαιτο) den Eindruck größtmöglicher Objektivität zu erzielen. 18,2 Die »Macht (δύναμις) des Täters«: Über die geläufige Ansicht hinaus, wonach die Schlechtigkeit eines Herrschers göttliche Strafen für sein gesamtes Reich heraufbeschwören kann, ver183
sucht Prokop zu zeigen, daß die Dinge im Fall Justinians sogar noch schlimmer stünden, da dieser Kaiser aktiv und ganz gezielt das Unheil aller Reichsbewohner herbeiführe. Vor allem diese vom Autor besonders betonte aktive Rolle läßt Justinian noch weit über einen traditionellen schlechten Herrscher hinaus zum ›Fürsten der Dämonen‹ avancieren. 18,3 Der Hinweis, daß nur Gott die genaue Zahl der Opfer Justinians kenne, gehört zu den wenigen Stellen im Werk Prokops, die klar auf sein christliches Bekenntnis verweisen (ähnlich vgl. etwa 3,30; 4,42 u. 44; 5,38; 28,13; BP 2 [2],11,28; 2 [2],22,2). Die auffällige Hervorhebung Gottes soll offenbar einen Gegensatz zum ›teuflischen‹ Kaiser schaffen. 18,4 Der Autor bietet sein ganzes rhetorisches Können auf, um die Zahl der angeblichen Opfer Justinians bis ins Unermeßliche zu steigern. 18,5-12 Die von den Vandalen seit 429 eroberten, ehemals römischen Gebiete waren 533/534 von Belisar zurückgewonnen worden. Die Neuorganisation der Region als praefectura praetorio Africae erfolgte im April 534 (Cod. Iust. 1,27). Trotz allem blieb Africa zunächst ein Unruheherd: Neben den andauernden Berbereinfällen, die kaum unter Kontrolle zu bringen waren, führte Unzufriedenheit der römischen Soldaten 536 zu einer gefährlichen Meuterei im Heer, die rasch weitere Kreise zog und nur mit Mühe durch Justinians Vetter Germanos (PLRE II 505-507) beendet werden konnte. Seit 543 nahmen auch die Probleme mit den Berbern wieder zu; die Unfähigkeit der römischen Beamten in Africa (s. auch 5,28-38) lähmte die Kriegführung. Erst als Johannes Troglita (PLRE III A 644-649) Ende 546 das Kommando übernahm, gelang 546-548 eine Beruhigung der Lage; abgesehen von einem erneuten Aufstand 563 (der aber niedergeschlagen werden konnte) blieb es danach relativ ruhig. Allerdings hatten die anhaltenden Kriege sowie kirchenpolitische Differenzen zwi184
schen den afrikanischen Bischöfen und Justinian verheerende Folgen für die Region, in der erst seit dem späten 6. Jh. eine wirtschaftliche Erholung eingesetzt zu haben scheint (vgl. auch die pessimistische Schlußbemerkung Prokops in den Vandalenkriegen BV 2 [4],28,52). Zu Nordafrika unter Justinian vgl. PRINGLE 1981; CAMERON 1978; dies. 1989; RUBIN/CAPIZZI 1995, 1ff.; MAZAL 2001, 128-143; Antiquité Tardive, Bd. 10 (2002) und 11 (2003). – Diese Vorgänge bilden den Hintergrund der Kritik Prokops, der sich allerdings nicht um die komplizierten Rahmenbedingungen der römischen Herrschaft in Africa sowie um die verschiedenen Faktoren, die immer wieder zu Unruhen führten, kümmert, sondern das gesamte Unheil einzig auf Justinian zurückführt. 18,6 Der Überlieferung zufolge soll der Vandalenkönig Geiserich 429 mit 80000 Personen nach Africa übergesetzt sein (Vict. Vit. 1,2; vgl. Prok. BV 1 [3],5,i8). 18,7 Prokop weist darauf hin, daß er selbst die Situation in Africa in Augenschein genommen habe. In der Tat hatte er 533 an Belisars Feldzug teilgenommen (vgl. bes. BV 1 [31,12,3). – Als »Maurusier« bezeichnet Prokop pauschal die verschiedenen Berberstämme. 18,8 Die 5 Millionen Toten in Nordafrika sind maßlos übertrieben. Prokop zufolge (BV 1 [3l.11) belief sich die Größe des römischen Heeres, das 533 die Vandalen angriff, auf etwas über 15 000 Mann. 18,9 In den Bella stellt Prokop diese angebliche Intrige Justinians gegen Belisar ganz anders dar: Demzufolge sei der Feldherr nach dem Sieg über die Vandalen von neidischen Mitfeldherrn beim Kaiser einer Verschwörung bezichtigt worden, doch habe Justinian dies – zumindest vordergründig – nicht ernstgenommen und Belisar freigestellt, nach Konstantinopel zurückzukeh185
ren, um die Vorwürfe auszuräumen. Belisar sei daraufhin freiwillig, um sich zu entlasten, in die Hauptstadt zurückgekehrt (BV 1 [4],8), wo er immerhin eine zentrale Rolle bei Justinians Triumphfeier über die Vandalen spielte (vgl. BV 1 [4L9) und für das Jahr 535 mit dem Konsulat belohnt wurde. In den Anekdota macht Prokop Justinian selbst zum Urheber des Verschwörungsgerüchts, da ihm Belisar bei der geplanten Ausplünderung Africas im Weg gestanden habe; dies setzt aber eine gewisse Wichtigkeit Belisars voraus, die in eklatantem Widerspruch zu seiner Darstellung als jämmerlicher Gestalt in den Anekdota insgesamt steht. – Ganz unabhängig von diesen Verschwörungsgerüchten wurde Belisar für den sich abzeichnenden Krieg in Italien benötigt, vgl. BV 1 [41,14,1. 18,10 Vgl. BV 2 [4],8,25. Die Steuerschätzer (τιμηταί/censitores) bereisten die Provinzen und berechneten Grundbesitz, Viehbestand und Landbevölkerung. – Der Vorwurf, Justinian habe den Reichsbewohnern eine unermeßliche Steuerlast aufgelegt, zieht sich durch die gesamten Anekdota und greift traditionelle Merkmale eines ›schlechten‹ Kaisers auf. Vgl. allerdings auch die eindrucksvolle (sogar nur unvollständig überlieferte) Aufzählung von Steuern bei Joh. Lyd. mag. 3,70 – allerdings ebenfalls in polemischer Absicht. – Die religiöse Neuordnung Africas mit strengen Bestimmungen gegen Arianer, Donatisten, andere Häretiker und Juden erfolgte in der 37. Novelle vom 1. August 535. 18,11 Ausstehende Soldzahlungen sollen einer der Gründe des sog. Stotzas-Aufstandes (vgl. PLRE III B 1199f.) in Africa gewesen sein, vgl. BV 2 [4]15,55. 18,12 Der Vorwurf ungehemmter Neuerungssucht und der Verwirrung herkömmlicher Zustände ist ein traditioneller Topos senatorischer Invektive gegen einen Kaiser (vgl. auch 6,21; 9,50; 11,1; 14,1 und sogar aed. 1,1,8). 186
18,13 Die römische Rückeroberung Italiens von den Ostgoten begann mit Belisars Einmarsch in Sizilien im Jahr 535 und zog sich hin bis zur Vernichtung des ostgotischen Heeres im Jahr 552 durch Narses; der letzte gotische Widerstand konnte allerdings erst 562 gebrochen werden. Vor allem die zweite Phase des Gotenkrieges (ab 540), begleitet von Hungersnöten und Seuchen, führte zur nahezu völligen Verarmung Italiens (WOLFRAM 1990, 332ff.; RUBIN/CAPIZZI 1995,59ff.). 18,14 Ein expliziter Verweis auf die Darstellung der Gotenkriege in den Bella (B. 5-8). 18,15 Der Begriff ›Logotheten‹ bezeichnet in justinianischer Zeit noch hochrangige Beamte der Finanzverwaltung einer Prätorianerpräfektur; als discussores oder numerarii waren sie u.a. für die Besoldung der Soldaten zuständig (vgl. 24,1-6); im einzelnen s. zu den Logotheten Brandes 2002, 63ff., bes. 88-90. 18,16-18 Theodahat hatte nach Belisars Angriff die ostgotischen Teile Galliens den Franken überlassen und mit diesen ein Bündnis geschlossen, das Wittigis später erneuerte (Prok. BG 1 [51,13,14-29). Trotzdem fielen die Franken 539 in Oberitalien ein und wüteten unter Römern und Goten (Prok. BG 2 [6],25), später besetzten sie Venetien (BG 3 [7],33,7; 4 [8],4-8). – Mit »Germanen« (Γερμανοι) meint Prokop hier (18,17) die Franken. – Das von den Römern 535 eroberte Sirmium (heute: Sremska Mitrovica) war nach dem Tod des Feldherrn Mundos in die Hände der Gepiden gefallen (BG 3 [7],33,8). 18,20-21 Der Donau- und Balkanraum war in justinianischer Zeit wiederholten Einfällen räuberischer Scharen ausgesetzt, weil der Kaiser zu wenig für die Sicherung der langen Nordgrenze des Reiches tat. Unter Justinian setzte die allmähliche slawische Landnahme auf dem Balkan ein. Zwar war es dem magister militum per Thracias Chilbudios (PLRE III A 286f.) 530-533 noch ge187
lungen, die Lage an der Donaugrenze stabil zu halten, nach seinem Tod im Kampf wurde die römische Grenzverteidigung jedoch zunehmend unsicher (vgl. Prok. BG 3 [7],14,1-6). In den Quellen ist für das 6. Jh. immer wieder von schweren Einfällen in das Reichsgebiet die Rede. So kam es u. a. 539/540 zu einem Angriff kutrigurischer Bulgaren auf Thrakien und Illynen; einzelne Gruppen stießen dabei bis zu den Vororten Konstantinopels sowie bis zum Isthmos vor (Prok. BP 2 [2],4,4-11; Joh. Eph. in der Chronik von Zuqnīn [Ps.-Dionys.] p. 82-83 WITAKOWSKI). Ein weiterer Kutrigureneinfall konnte 559 nur mit Mühe von Belisar vor Konstantinopel zurückgeschlagen werden; eine dabei nach Griechenland vordringende Gruppe gelangte bis zu den Thermopylen (Agath. 5,11-25). Trotz des enormen Drucks, dem die Donaugrenze unter Justinian ausgesetzt war, ist Prokops Behauptung, wonach Jahr für Jahr schwere Einfälle stattgefunden hätten, polemische Übertreibung. – Mit der Betonung »Skythenwüste« (eine Anspielung auf die Einöde, in der die mythische Figur Prometheus an einen Felsen gekettet wurde, Aischyl. Prom. 2) hebt Prokop den Gedanken einer durch die Untaten Justinians entvölkerten Welt ein weiteres Mal prägnant hervor. 18,22 Bei den von Prokop als Sarazenen bezeichneten Gruppen handelt es sich um arabische Verbände, die zumeist unter dem Kommando des mit den Persern verbündeten Lakhmiden Alamundaros/al-Mundhir (505-554, PLRE II 40-43) in römische Gebiete einfielen, so u.a. im Jahr 529. Justinian versuchte diese Angriffe vor allem durch ein Bündnis mit einem benachbarten Araberfürsten, dem Ghassaniden Arethas/al-Harith (um 528-569 PLRE III A 111-113), einzudämmen. Vgl. dazu auch BP 1 [1] ,17,40-48; HA 2,23. 18,23 Justinian hatte den unter Justin I. ausgebrochenen Perserkrieg (525/526-531) mit dem Abschluß des für die Römer recht günstigen ›Ewigen Friedens‹ beenden können. Chosroes I. 188
brach jedoch diesen Vertrag und eröffnete 540 erneut die Feindseligkeiten: Der schwerste Persereinfall mit der für die Römer traumatischen Zerstörung Antiocheias ereignete sich im selben Jahr (vgl. bes. Prok. BP 2 [2],5ff.); 541 griffen die Perser das zur römischen Einflußsphäre zählende Lazika an der Ostküste des Schwarzen Meeres an (BP 2 [2],15). Der dritte Einfall erfolgte 542 nach Mesopotamien (BP 2 [2] ,20), der vierte gipfelte 544 in der (erfolglosen) persischen Belagerung Edessas (BP 2 [2],26-27). Erst der ›5ojährige Friede‹ 561 setzte den weiterhin andauernden Auseinandersetzungen ein Ende. Zu den Perserkriegen unter Justin I. und Justinian s. RUBIN i960; GREATREX 1998. Vgl. ferner HA 2. – Die Handschriften überliefern τρίς (»dreimal«); τετράκις (»viermal«) ist eine – nicht unumstrittene – Konjektur von J. HAURY, der sich dabei auf BP 2 [2] ,26,1 beruft, wo Prokop ebenfalls von vier persischen Einfällen spricht. 18,24 »Kolcher«: Eine anachronistische, im Stil der klassizistischen Historiographie gehaltene Bezeichnung für »Lazen«. Vgl. HA 2,26. 18,25-27 Justinians Mordlust (μιαιφονία) richtet sich nicht nur gegen Römer, sondern auch gegen Barbaren: Prokop versucht nun sogar den Umstand, daß es Justinian phasenweise durchaus gelang, die Einfälle in das Reich unter erheblichen Verlusten bei den Gegnern zurückzuschlagen, gegen den Kaiser auszulegen und als reine Mordgier zu interpretieren. 18,28 Zu Prokops Charakterisierung des Chosroes I. (die in vielen Punkten dem in den Anekdota gezeichneten Justinian-Bild nahekommt) vgl. bes. BP 1 [1],23, 2 [2],9,8-12; ferner HA 2,31. 18,29 Justinians Eifer in religiösen Fragen wurde verschiedentlich kritisiert, vgl. etwa Coripp. Laud. Iust. 2,267 (in caelum mens omnis erat), ferner auch Prok. HA 13,4-12, bes. 13,12. – Der Vorwurf der Kleinkrämerei (σμικρολογία) gegen Herrscher ist tradi189
tioneller Bestandteil der literarischen Invektive, vgl. RUBIN 1954 [1957], 551. 18,30 Die nochmalige Betonung des Umstands, daß nicht nur Römer, sondern auch Barbaren unter Justinian zu leiden hatten, verstärkt den universalen Eindruck seines dämonischen Wirkens. Formales Vorbild dieser Passage ist die Stilisierung des Peloponnesischen Krieges zur »größten Erschütterung« (μεγίστη κίνησις) für die Griechen und einen Teil der Barbaren durch Thukydides (1,1,2). 18,32 ›Stasis‹ (στάσις) ist im Griechischen der zentrale Begriff für innere Unruhen verschiedenen Ausmaßes in einzelnen Poleis (vgl. GEHRKE 1985). Prokop macht sich auch die inneren Aufstände während Justinians Herrschaft im Sinne seines Entvölkerungs-Motivs zunutze. Die schwerste Erhebung in Konstantinopel war der Nika-Aufstand 532, dessen blutige Niederschlagung angeblich 30000 Opfer kostete (dazu GREATREX 1997; MEIER 2003b). Danach blieb es in der Hauptstadt zunächst ruhig; erst ab 547 kam es wieder zu erneuten Unruhen. 18,33 Zu Justinians Umgang mit den Zirkusgruppen s. die Erläuterungen zu Kap. 7. – Der rückblickende Hinweis auf die nun bereits 32 Jahre andauernde Herrschaft Justinians (s. auch 23,1; 24,29; 24,33) ist wichtig für die Frage nach der Datierung der Anekdota. Zu diesem Problem s. die Einleitung. 18,34-35 Ein Rückverweis auf 11,14-30. 18,36-45 Den Höhepunkt der Schilderung bildet eine Liste schwerer Naturkatastrophen, die Prokop nicht auf Justinian als unfähigen oder schwachen Kaiser, sondern als gezielt agierenden Verursacher zurückführt (vgl. zu 18,2). Zu den Naturkatastrophen im 6. Jh. vgl. im einzelnen MEIER 22004. 18,38 Das Hochwasser des Skirtos, das Edessa zerstörte, ereig190
nete sich 525, also noch unter Justin I. In den Bauten (2,7,1-16) lobt und beschreibt Prokop ausführlich Justinians Maßnahmen zum Wiederaufbau der Stadt und zu ihrem Schutz vor weiteren Überschwemmungen. Prokops Verweis auf eine weitere Behandlung des Unglücks wird in den Anekdota nicht eingelöst, wohl aber in den Bauten (a.a.O.). 18,39 Das ungewöhnliche Ansteigen des Nils hatte 548 die Ernte in Ägypten vernichtet und eine Hungersnot verursacht, vgl. BG 3 [7],29,6-8. 18,40 Das Hochwasser des Kydnos in Tarsos (Kilikien) und Umgebung ereignete sich 549/550. In den Bauten (5,5,14-20) preist Prokop Justinian, weil er nach diesem verheerenden Hochwasser umfangreiche Baumaßnahmen zum Schutz der Stadt vor weiteren Fluten vorgenommen hatte. 18,41 Antiocheia wurde 526 und 528 durch schwere Erdbeben zerstört (vgl. DOWNEY, 1961,519ff.). Prokop berichtet in den Bauten (2,10) von Justinians Wiederaufbaumaßnahmen in der Stadt (die 540 noch einmal – dieses Mal von den Persern – zerstört wurde). Von dem Beben 526 wurde auch Seleukeia betroffen. Das Erdbeben in Anazarbos ereignete sich vielleicht 523 oder 525. 18,42 Die Erdbeben in Ibora, Polybotos (Philomede) und Lychnidos sind nicht datierbar; in Amaseia bebte 529 die Erde; in Korinth vielleicht 522 oder 524; allerdings könnte sich die Nachricht auch auf das schwere Beben in Mittelgriechenland 551 beziehen. 18,44 Im Herbst 541 brach im Oströmischen Reich eine verheerende Pestepidemie aus, die Opfer in einem Ausmaß kostete, wie es bis dahin unvorstellbar gewesen war. Prokop selbst hat dieser Epidemie einen ausführlichen Exkurs gewidmet (BP 2 [2],22-23), auf den er hier auch verweist; Hauptquellen sind daneben: 191
Agath. 5,10; Joh. Eph. in der Chronik von Zuqnīn [Ps.-Dionys.] p. 74-98 WITAKOWSKI (Auszug aus der Kirchengeschichte des Johannes von Ephesos, die als eigenständiges Werk nicht mehr vollständig erhalten ist); Euagr. HE 4,29. Im einzelnen s. zu dieser (mit Unterbrechungen bis 750 andauernden) Epidemie MEIER 2005. Daß die Pest die Hälfte der verbliebenen Menschheit hinweggerafft habe (vgl. auch 6,22), ist natürlich polemisch übertrieben, spiegelt aber auch den Eindruck, den die Seuche auf die Zeitgenossen ausübte. Auch Johannes von Ephesos berichtet von gigantischen Opferzahlen (16 000 Tote pro Tag allein in Konstantinopel). Siehe auch die Erläuterungen zu HA 4,1.
Kap. 19 In den folgenden Kapiteln steht Justinians angeblich verhängnisvolle und korrupte Finanzwirtschaft im Mittelpunkt und wird aus unterschiedlichen Perspektiven ›beleuchtet‹. Prokop rückt dabei vielfach gerade diejenigen Punkte ins Zentrum seiner Kritik, die Justinian als besondere Leistungen seiner Herrschaft herausgestellt hatte (vor allem in den Vorworten seiner Novellen). Insofern können die Kapitel 19-30 auch als bissiger Kommentar zu zentralen Elementen der Selbstdarstellung Justinians gelesen werden (KALDELLIS 2004, 152). Einen Überblick über die jeweils möglichen Anknüpfungspunkte der Kritik Prokops in offiziellen bzw. offiziösen Quellen gibt KALDELLIS 2004, 223-228. 19,1 Ίουστίνου: Handschriftlich überliefert ist ίουστινιανοΰ, Ίουστίνου ist Konjektur von J. HAURY. VEH hat diese Konjektur zwar übernommen, bezieht sich in seiner Übersetzung aber dennoch auf Justinian. 19,1-3 Prokop leitet das letzte Drittel der Schrift pointiert durch die Wiedergabe eines Traumes ein, in dem es darum geht, daß Justinian sämtliche Mittel des Reiches verschwendet hat. Der 192
unersättlich gierige Kaiser saugt alles in sich ein, selbst ungenießbare Abwässer. Die völlige Trockenlegung des Meeres symbolisiert die Vernichtung der Existenzgrundlage des Reiches (vgl. WEBER 2000, 358-360). Daß ausgerechnet ein »vornehmer Römer« (τών έπιφανών τις) diesen Traum gehabt haben soll, verweist einmal mehr auf die besondere Unbeliebtheit Justins/Justinians in senatorischen Kreisen. Zur Verschwendung von Geldmitteln durch Justinian und zu seiner Gier s. etwa auch Marc. Com. ad annum 521; Joh. Lyd. mag. 3,51; Euagr. HE 4,30. In den Anekdota ist das Thema Gier/Verschwendungssucht geradezu omnipräsent, vgl. etwa 4,31-37; 5,20; 6,20; 6,24; 8,9-11; 8,26; 8,31-33; 9,31; 10,19-22; 11,3-4; 11,9; 11,20; 11,40-12,13; 13,2; 13,6; 13,19-24; 14,6; 14,7-23; 15,22; 19,11; 20,5; 20,17; 21,9-11; 22,13; 22,29; 25,12; 26,15; 26,21; 26,24; 26,39; 27,2; 27,22; 27,30; 27,33; 28,9; 29,n; 29,14-16; 29,19; 29,24; 29,35; 29,37. 19,5 Die Charakterisierung des Anastasios (491-518) ist besonders wohlwollend (vgl. auch BP 1 [i],7,35; 1 [1],10,ii; BV 1 [3],7,26; BG 3 [7],21,23; aed. 3,2,9; 3,4,19), wodurch Justinian implizit kritisiert wird. Indem Prokop Anastasios eine besondere Fürsorge zuschrteibt (προνοητικώτατος), weist er diesem eine Kaisertugend zu (πρόνοια), die gerade Justinian gerne für sich reklamiert hatte. – Die besondere Sparsamkeit des Anastasios wurde allerdings nicht überall so positiv gesehen, wie zwei anonyme Epigramme belegen (Anth. Graec. 11,270; 271). 19,6 Die »Bauten im Meer« (besser wohl: »am Meer«, vgl. 8,78; 26,23): Der Vorwurf, prachtvolle Bauten bis in das Meer hinein anzulegen, ist ein traditioneller Topos der Herrscherkritik. Vgl. allerdings Prok. aed. 1,5-9, wo der Autor die Lage Konstantinopels zwischen der Ägäis und dem Schwarzen Meer sowie die justinianischen Bauten am Meer in höchsten Tönen preist. – Freundschaft zu den Barbaren: Prokop differenziert bewußt nicht zwischen Barbaren, die mit Ostrom befreundet waren, und 193
solchen, die lediglich Stillhaltegelder erhielten (vgl. auch 8,5-6; 8,31; 11,3; 11,5-13; 19,13-16). Letzteres wurde (obwohl Justinian keineswegs als erster Kaiser dieses Mittel anwandte, vgl. GORDON 1959, 24) vor allem mit Blick auf seine letzten Jahre mehrfach kritisiert (vgl. Agath. 5,14,1-2; Men. Prot. fr. 5,1 Z. 16-26 BLOCKLEY; Nov. Iust. 148; Coripp. Laud. Iust. 2,260-274), denn Zahlungen – insbesondere, wenn sie jährlich entrichtet wurden – galten in der römischen Oberschicht als schimpfliche Tribute (vgl. Prok. BG 4 [8],15,3—7). Zur Verbindung ›Bauten und Barbaren‹ s. auch 11,3; 19,10; 19,15. 19,7 Die von Anastasios angehäuften 320 000 Goldpfund dürften den größten Staatsschatz darstellen, den je ein römischer Kaiser hinterlassen hat (vgl. Joh. Lyd. mag. 3,51). 19,8 Der Rückverweis dürfte sich auf 6,19ff. beziehen. 19,10 In den Handschriften ist das Satzende nach εύθύς nicht erhalten; die von VEH übernommene Ergänzung beruht auf einer Konjektur von J. HAURY. 19,11 Es folgt eine Aufzählung vermeintlicher Vorwände, mit denen Justinian versucht habe, an das Geld reicher Personen zu gelangen. In der Tat sind gerade die ersten Jahre Justinians von einem rigorosen Vorgehen gegen Heiden, Häretiker, Homosexuelle und Päderasten gekennzeichnet (dazu MEIER 22004, 198ff.). Prokop nimmt geschickt auf diese realen Maßnahmen Bezug, verbindet sie dann aber mit Motiven, die er selbst dem Kaiser unterstellt. – Zu Justinians angeblichen Versuchen, durch Erbschaften an das Vermögen anderer zu gelangen, s. auch 12,10-11; 29,12-25. 19,12 Zu Vermögenskonfiskationen und Verbannungen im Zusammenhang des Nika-Aufstandes s. 12,12-13; BP 1 [1],24,5758; Malal. p. 403,43-45 THURN; Theoph. a. m. 6024 p. I 185,30186,1. Vgl. auch HA 26,3. 194
19,13-16 Wiederaufnahme des Themas ›verschwenderische Geschenke an Barbaren‹, vgl. auch 11,3; 11,5-13. 19,16 »das Traumgesicht […] wurde für den Träumenden traurige Wirklichkeit«: Prokop rundet das Kapitel durch den Rückverweis auf den Traum ab und macht damit klar, daß seine Aufzählung der Untaten des Kaisers in diesem Kapitel eine zur Realität gewordene Deutung des Traumes darstellt.
Kap. 20 20,1-4 Prokop bezieht sich hier wohl nicht auf den πραίτωρ δή<μων>/praetor plebis (der erst 20,9 erwähnt wird), sondern eher auf den Stadtpräfekten (praefectus urbi), vgl. auch 20,13. An letzteren ist Nov. Iust. 122 aus dem Jahr 544 gerichtet, wo der Stadtpräfekt angewiesen wird, Preissteigerungen (die sich als Konsequenz der Pestepidemie ergeben hatten) entgegenzuwirken. 20,5 Monopole waren in den Jahren 473 und 483 unter Leon I. und Zenon verboten worden (Cod. Iust. 4,59,1-2). Offenbar erhielten aber unter Justinian (und wahrscheinlich auch schon unter früheren Kaisern) hochrangige Beamte temporär und für bestimmte Regionen die Verfügungsgewalt über den Handel mit besonders wertvollen und heiklen Waren; damit hätte Justinian das Monopolverbot Zenons, das er immerhin 534 noch in den Codex Iustinianus hatte mitaufnehmen lassen (s.o.), ignoriert. Ein kaiserliches Monopol existierte seit dem späten 4. Jh. für den Seidenhandel (Cod. Iust. 4,40,2) und unter Justinian auch für die Waffenproduktion (Nov. Iust. 85, aus dem Jahr 539). 20,7 »die über den Demos gesetzte Behörde« – gemeint ist der Stadtpräfekt (praefectus urbi). 20,9 Die Einführung der beiden neuen Behörden erwähnen 195
auch Malal. p. 404,61-63 THURN und Joh. Lyd. mag. 2,29; 3,70; vgl. 1,25. Der πραίτωρ δή<μων>/praetor plebis wurde im Jahr 535 institutionalisiert (Nov. Iust. 13). Er (dem Novellentext zufolge waren es mehrere praetores) sollte den praefectus vigilum bzw. noctium ersetzen) erhielt richterliche Vollmachten und sollte unabhängig vom Stadtpräfekten und mit eigenen Soldaten und eigener Feuerwehr die öffentliche Ordnung in der Hauptstadt überwachen (vgl. dazu auch Nicosia 2003, 469-510, bes. 483$.). Der quaesitor/κοιαισίτωρ (VEH übersetzt fälschlich »Quästor« statt »Quäsitor«) wurde 539 eingeführt (Nov. Iust. 80) und sollte vor allem den Zustrom an Menschen nach Konstantinopel kontrollieren und regulieren. Die von Prokop genannten ›sittenpolizeilichen‹ Aufgaben werden in der Konstitution nicht erwähnt; sie wurde wohl erst einige Zeit später dem ursprünglichen Zuständigkeitsbereich des quaesitor hinzugeschlagen. 20,15 Es handelt sich um das Amt des quaestor sacri palatii (dazu s. auch 6,13), dem im 6. Jh. vor allem die Abfassung bzw. Redaktion der kaiserlichen Konstitutionen oblag (vgl. dazu aber auch 14,3). Insofern war juristische Kompetenz wichtig für die Amtsinhaber. 20,16 Tribonian (PLRE III B 1335-1339) war der bedeutendste Rechtsgelehrte unter Justinian. Der gebürtige Pamphylier war 529-532 quaestor sacri palatii und wurde im Zuge des NikaAufstandes zunächst abgesetzt. In den Jahren 533-535 amtierte er als magister officiorum, 535-542 (?) war er erneut quaestor sacri palatii. Er starb wohl 542 an der Pest. Der hochgebildete Jurist war maßgeblich an der Erarbeitung des Codex Iustinianus, der Digesten und der Institutiones beteiligt. Prokop zeichnet nicht nur in den Anekdota, sondern auch andernorts ein negatives Bild Tribonians (vgl. BP 1 [1],24,16; 1 [1],25,2 – darauf verweist Prokop HA 20,16). Der traditionellen Reichselite war der Aufsteiger aus niedrigen Verhältnissen höchst suspekt, sie diffamierte ihn 196
als Heiden und Atheisten. Zu Tribonian s. bes. HONORÉ 1978. 20,17-19 Der fromme Afrikaner Junilos (PLRE III A 742) bekleidete das Amt des quaestor sacri palatii in den Jahren 542-549. Prokops Charakterisierung dieses Mannes als Dilettant, der nicht einmal das Griechische beherrschte, dafür aber umso habsüchtiger war, ist sicherlich polemisch übertrieben. Dennoch geht die gesetzgeberische Aktivität Justinians nach dem Tod Tribonians quantitativ und qualitativ erheblich zurück (vgl. HONORÉ 1978, 237ff.). Justinian berief Junilos wohl vor allem deshalb zum quaestor sacri palatii, weil dieser kurz zuvor mit einer Einführung in das Bibelstudium (Instituta regularia divinae legis) seine Aufmerksamkeit geweckt hatte. 20,20-23 Der Jurist Konstantinos (PLRE III A 342t) amtierte seit 549. Da er der letzte in der von Prokop aufgeführten Reihe von Quästoren ist, war er noch aktiv, als die Anekdota entstanden. Im sog. Drei-Kapitel-Streit zwischen Papst Vigilius (537-555) und Justinian agierte er als Vertrauensmann des Kaisers, Ende 562 gehörte er zu der Kommission, die eine Verschwörung gegen Justinian untersuchte. 20,22 άερβατών τε καί πάντας άνθρώπους περιφρονών: Die hochfahrende Art des Konstantinos wird von Prokop durch ein abgewandeltes Zitat aus einem Werk des Komödiendichters Aristophanes karikiert, vgl. Aristoph. nub. 225.
Kap. 21 21,2 Die ›Luftsteuer‹ (άερικόν), die auch auf einigen Papyri belegt ist (vgl. JONES 1964 [1973], 1125, Anm. 34), galt lange als Inbegriff der überzogenen Steuerpolitik Justinians (vgl. auch BP 2 [2] ,3,43). Prokop sieht in ihr eine vollkommen willkürliche Abgabe, was in der Forschung allerdings bezweifelt wird. Dennoch ist die Deutung der Luftsteuer umstritten: Handelte es sich um 197
eine Abgabe für ›Hochhäuser‹ oder ein Strafgeld für die Nichtbeachtung vorgeschriebener Bauabstände, das unter Justinian zu einer regulären Steuer wurde, oder einfach nur um überzogene Kaiserkritik Prokops? Sicher belegt ist eine als άερικόν betitelte (Straf-)Abgabe jedenfalls erst im 11. Jh. Einen Forschungsüberblick geben DÖLGER 1929/30, 450ff.; HALDON 1994,135-142; vgl. auch OIKONOMIDÈS 1996, 80-82. 21,3-6 In dieser Passage wird eine bevorzugte Methode Prokops deutlich: Verbreitete Kritik gegen Beamte Justinians (hier die Prätorianerpräfekten) wird auf den Kaiser selbst übertragen, um dessen Bild in noch düstereren Farben zu schildern. – Zum Sturz Johannes des Kappadokers, der auch andernorts sehr negativ gezeichnet wird (etwa Joh. Lyd. mag. 3,69-70), s. BP 1 [1],25 und GREATREX 1995. 21,6 Phokas (PLRE II 881f.) war ein angesehenes Mitglied der traditionellen Elite und führte schon vor der Alleinherrschaft Justinians den patricius-Titel. Als Justinian während des NikaAufstandes 532 den verhaßten Johannes von Kappadokien kurzfristig absetzte, wurde Phokas dessen Nachfolger, behielt das Amt aber kaum ein Jahr, bis dann Johannes wieder eingesetzt wurde. Phokas war offenbar Heide: Nachdem er bereits 528/529 in den Strudel einer Heidenverfolgung Justinians geraten war, aber überlebt hatte, beging er während einer erneuten Verfolgung 545/546 Selbstmord. Er wird in den Quellen, u.a. bei Johannes Lydos (vgl. MAAS 1992), ausgesprochen positiv gezeichnet. Auch Prokop scheint ihn hoch geachtet zu haben (vgl. BP 1 [1],24,18 – Prokop verweist HA 21,6 auf diese Stelle). Die Verstrickungen des Phokas in Heidenverfolgungen und das positive Urteil Prokops über ihn deuten darauf hin, daß sein Verhältnis zu Justinian nicht besonders gut war. – Bassos (PLRE III A 178) amtierte im Jahr 548 als Prätorianerpräfekt; über ihn ist sonst kaum etwas bekannt. 198
21,9-15 Ämterkauf war in der Spätantike übliche Praxis. Die Kaiser bemühten sich in zahlreichen Gesetzen zumeist lediglich darum, Höchstpreise festzusetzen und auf Einhaltung des Anciennitätsprinzips unter denjenigen, die auf Ämter spekulierten, zu drängen. In dieser Hinsicht stellt die 8. Novelle Justinians aus dem Jahr 535 einen wichtigen Markstein dar: Der Kaiser verbietet dort das suffragium (bezahlte Hilfe für einen Amtsbewerber) und legt statt dessen feste ›Gebühren‹ für die Bekleidung von Ämtern fest. Prokops Ausführungen zu diesem Thema lassen sich als bösartiger Kommentar zur genannten Novelle lesen; der Autor greift hier gezielt Elemente der Selbstdarstellung Justinians auf, um den Kaiser dann gerade in diesen Punkten massiv zu kritisieren. Zum Ämterkauf vgl. JONES 1964 [1973], 391-396; SCHULLER 1975; LIEBS 1978; VEYNE 1981. 21,14 Der Passus erinnert an die ›Umwertung aller Werte‹ in der sog. Pathologie des Krieges bei Thukydides (3,81-83), an der sich zahlreiche spätere Historiker orientiert haben. 21,16-17 Es handelt sich um Nov. Iust. 8. Der von Prokop erwähnte Eid ist im Anhang zu dieser Novelle überliefert. 21,18 In der Tat begann Justinian noch im Jahr 535, den Ämterkauf in bestimmten Ausnahmefällen wieder zuzulassen: Nov. Iust. 35 (aus dem Jahr 535); Nov. Iust. 30,2; 30,6 (aus dem Jahr 536). Im Jahr 574 wurden die suffragia von Tiberios II. erneut verboten (Nov. 161). 21,20-25 In geschickter rhetorischer Ausgestaltung (dreifache Steigerung!) beklagt Prokop die miserable Amtsführung der Beamten Justinians und überträgt dabei ein weiteres Mal Kritik, die eigentlich diesen gilt, auf den Kaiser selbst. Die Polemik des Passus erklärt sich u.a. aus dem Umstand, daß Prokop aus der Perspektive eines Mitglieds der traditionellen Reichselite schreibt, die unter Justinian zunehmend zugunsten von Aufsteigern aus niedrigen Verhältnissen zurückgedrängt wurde. 199
21,23 »Die ersten Schurken« (όι πρώτοι πονηροί) – das Adjektiv πονηρός ist für Prokop ein zentraler Begriff zur Charakterisierung Justinians (vgl. 18,37: πονηρός δαίμων) und wird von ihm oftmals geradezu synonym für den Kaiser (und seine Frau) verwendet, etwa BP 2 [2],23,16, wo nur durch die Wortwahl πονηρός klar wird, daß Prokop von dem (im Kontext nicht erwähnten) Kaiserpaar spricht (vgl. HAURY 1936,1-4). 21,24 Mit der Formulierung ύπερηκόντισαν spielt Prokop einmal mehr auf Aristophanes an (Aristoph. Plut. 666). 21,26-29 Nochmalige Kritik der Außenpolitik Justinians mit besonderem Blick auf den Donau- und Balkanraum, der in der Tat im 6. Jh. unter wiederholten schweren Einfällen zu leiden hatte und seit Mitte der 30er Jahre militärisch zu wenig geschützt war. Prokop weist auch andernorts darauf hin, daß Justinian separate Aktionen von Bewohnern derjenigen Regionen, die von auswärtigen Übergriffen unmittelbar betroffen waren, strikt unterband – z.T. mit katastrophalen Folgen (persische Eroberung Antiocheias, nachdem Justinian einen Separatfrieden der Antiochener mit den Persern abgelehnt hatte, vgl. BP 2 [2],6,8).
Kap. 22 22,1 Der Sturz Johannes des Kappadokers (vgl. BP 1 [1],25) wird nun ausdrücklich als gemeinsames Werk Justinians und Theodoras dargestellt. – Als wichtigste Qualifikation des Nachfolgers galt Prokop zufolge eine noch größere πονηρόα (s. den Komm. zu 21,23). – Zur Bezeichnung der Herrschaft Justinians als Tyrannis s. den Komm. zu 16,13. 22,2 Theodotos (PLRE III B 1301) amtierte zweimal als Prätorianerpräfekt: 541-542 (als Nachfolger des Johannes von Kappadokien) und um 546/547-548 (als Nachfolger des Petros Barsy200
mes). Er starb im Amt, angeblich als Opfer von Hexerei (Euagr. HE 5,3; s. die Anmerkungen zu HA 25,7-10). 22,3 Der Syrer Petros Barsymes (PLRE III B 999-1002) stieg als Finanzfachmann auf (vielleicht in der Prätorianerpräfektur, als Günstling Theodoras) und erscheint bereits 542 als comes sacrarum largitionum, Honorarkonsul und patricius. In den Jahren 543546 amtierte er als praefectus praetorio Orientis (damit Nachfolger des Theodotos), war aber wegen seiner mangelnden Popularität (zu den Gründen s. HA 22,7-32) schließlich nicht mehr zu halten. Bald nach seiner Entlassung erscheint er jedoch erneut als comes sacrarum largitionum (547/548 bis mindestens 550, wahrscheinlich noch länger) und machte sich wiederum unbeliebt (Prok. HA 22,36-38). Wahrscheinlich behielt er dieses Amt, bis Justinian ihn erneut zum praefectus praetorio Orientis ernannte (555-562; er war noch im Amt, als Prokop seine Anekdota schrieb, vgl. 25,23). Seine Unbeliebtheit nahm nun derart zu, daß die Anhänger der Blauen 562 sein Haus niederbrannten (Malal. p. 424,92-94 THURN). Vielleicht erbaute er an dessen Stelle seinen berühmten Palast, den der Kaiser Maurikios (582-602) später seiner Schwester schenkte. Seiner ›Verdienste‹ wurde durch die Errichtung eines goldenen Standbildes gedacht, dessen von Leontios Scholastikos verfaßte Versinschrift erhalten ist (Anth. Graec. 16,37). Für Justinian war Petros offenbar wichtig, weil es ihm (wie zuvor Johannes dem Kappadoker) immer wieder gelang, neue Geldquellen ausfindig zu machen. 22,7 Siehe den Komm. zu 21,9-15 und 21,18. Rückständige Soldzahlungen an Soldaten beklagt Prokop mehrfach, vgl. BP 2 [2],7,37; BV 2 [4],15,55; 2 [4],18,9; 2 [4],26,12; BG 3 [7],6,6; 3 [7],11,14; 3 [7],12,2; 3 [7],12,7; 3 [7],30,8; 3 [7],36,7; 3 [7],36,26; 4 [8],26,6. 22,10 Wie Justinian und Theodora, die Inbegriffe der πονηρόα (»charakterliche Schlechtigkeit«), förderte auch Petros die πονη201
ρότατοι (»die Schlechtesten«; s. den Komm. zu 21,23) und unterstützte das Kaiserpaar dadurch bei der gezielten Vernichtung des Reiches und seiner Bevölkerung. 22,12 Einer von vielen Pauschalvorwürfen Prokops, die ohne nähere Differenzierung und Begründung angeführt werden; vgl. ähnlich 21,8. Im einzelnen handelt es sich um die Ämter des comes sacrarum largitionum (eine Art ›Finanzminister‹), des für das kaiserliche Vermögen zuständigen comes rei privatae und des comes (sacri) patrimonii, der kaiserliche Besitzungen verwaltete, die Anastasios vermutlich nach 498 aus dem Bestand der res privata ausgegliedert und einer eigenen Verwaltung unterstellt hatte. Im einzelnen s. dazu BRANDES 2002,34; 38. 22,13 Siehe den Komm, zu 16,13. 22,14 Das Getreide kam zumeist aus Ägypten; Konstantinopel war von diesen Lieferungen abhängig. 22,17 Hungersnöte in Konstantinopel und im übrigen Reich sind u.a. bezeugt für die Jahre 542-546 (v.a. infolge der Pestepidemie 541/542), 556,560. 22,19 Synoné (συνωνή/coemptio): Es handelt sich um staatliche Zwangskäufe von Naturalgütern (zumeist für militärische Zwecke), die seit Anastasios im 6. Jh. durch die zunehmende Umwandlung von Natural- in Geldabgaben (adaeratio) und die daraus resultierende Lebensmittelknappheit des Staates üblich wurden; vgl. auch 23,11-14. Zur reichhaltigen SynoneGesetzgebung im 5-/6. Jh. s. RUBIN 1954 [1957], 558f. 22,22 »wegen seiner Schlechtigkeit« (πονηρίας ένεκα): Siehe den Komm, zu 21,23 und 22,10. 22,23 άπανθρωπία: Ein Hinweis auf die dämonische Natur, die Prokop Theodora zuschreibt. 202
22,25 Das besondere Interesse des Petros an Giftmischerei und τά δαιμόνια: VEHs Übersetzung »Zauberei« trifft den Sinn von τά δαιμόνια nur zum Teil; es geht Prokop um die besondere Verbindung zwischen Theodora und Petros aufgrund der dämonischen Natur der Kaiserin und des besonderen Interesses des Finanzexperten gerade an diesem Wesenszug. – Der Vorwurf des Manichäismus diente wohl (ebenso wie die angebliche Giftmischerei) in erster Linie dazu, den (insbesondere in der Senatorenschicht) unbeliebten Petros als hohen Reichsbeamten zu diskreditieren. In ähnlicher Weise wurden Johannes der Kappadoker und Tribonian als Heiden diffamiert. 22,27-28 Prokop nutzt das Thema ›Zauberei‹ für einen kleinen Exkurs über angebliche Praktiken der ›Dämonin‹ Theodora auf diesem Gebiet; Zauberei war im übrigen gesetzlich verboten. – »Zauberkraft«: Prokop spielt wieder mit den Begriffen (τών δαιμσνίων άνάγκη). – Auch Antonina soll Prokop zufolge ihren Mann Belisar durch Zauberei an sich gebunden haben (3,2). 22,29-32 Es folgt ein weiterer Exkurs über die wichtigsten Eigenschaften Justinians, vor allem seine Mordlust (vgl. 18,27) und seine Geldgier (vgl. den Komm, zu 19,1-3). Justinian ist für Prokop die Verkehrung des Idealbilds eines optimus princeps, s. CONCA 1996 [1999], 277, Anm. 286. 22,33-35 Johannes bekleidete das Amt des comes sacrarum largitionum nur wenige Monate (546/547-548). Siehe auch die Erläuterungen zu 22,3. Der von Prokop erwähnte Mann aus Palästina ist sonst nicht belegt. 22,38 Die Herabsetzung des Edelmetallgehalts in Münzen war in der römischen Geschichte keineswegs ein so einmaliger Vorgang, wie Prokop suggeriert. Malalas (p. 415,12-15 THURN) zufolge versuchte Justinian im Jahr 553 eine Geldentwertung vorzunehmen, die er aber zurücknehmen mußte, als deswegen Un203
ruhen ausbrachen. Prokop berichtet von einer Entwertung des solidus (Goldmünze) um ein Siebtel (HA 25,11-12; zu weiteren Münzreformen unter Justinian s. die Anmerkungen zu dieser Passage). Im Jahr 554 erklärte der Kaiser alle Goldmünzen mit Kaiserbild für gleichwertig (App. Nov. 7,20).
Kap. 23 23,1 Mit der Unterstellung, daß Justinian zu keinem Zeitpunkt seiner Herrschaft Steuererleichterungen gewährt habe, verzerrt Prokop die Tatsachen: An späterer Stelle (23,6) spricht er sogar selbst von einjährigen Steuernachlässen für eroberte Städte (vgl. dazu auch Kyrill. Skyth. Vita Sabae c. 73 p. 177,1-3 SCHWARTZ [Steuernachlässe für die Jahre 530/531 und 531/532]). Eine umfangreiche Steuerbefreiung gewährte der Kaiser im übrigen 553 in der 147. Novelle. Daneben hat Justinian eine Reihe von Erleichterungen für Steuerzahler eingeführt (im einzelnen dazu NOETHLICHS 1999, 725 f.). Im Vorwort der 8. Novelle aus dem Jahr 535 greift der Kaiser überdies die verbreitete Kritik an überhöhten Steuern auf (die etwa auch Joh. Lyd. mag. 3,70 äußert), indem er darauf hinweist, daß seine Steuern eigentlich gerechtfertigt seien, daß es aber zu erheblichen Mißbräuchen durch die Beamten komme (Nov. Iust. 8, pr.). – Zum Hinweis auf die 32jährige Herrschaft Justinians, der wichtig ist für die Datierung der Anekdota (vgl. auch 18,33; 24,29; 24,33), siehe die Einleitung. 23,7 Vgl. Prok. BP 1 [1],7,35: Anastasios befreite das 503 von den Persern eroberte Amida (heute: Diyarbakir) für sieben Jahre von allen Abgaben. – Kabades I. (488-496; 499-531) führte 502-506 Krieg gegen das Oströmische Reich und eroberte dabei u.a. Theodosioupolis (heute: Erzurum) und Amida. Nach Jos. Styl. c. 48 p. 64 LUTHER wurde Theodosioupolis dabei im übrigen – entgegen Prokop HA 23,7 – zerstört. Im Falle des Chosroes I. (531204
579) spielt Prokop auf dessen Zerstörung Antiocheias im Jahr 540 an. 23,8-9 Prokop zufolge war Justinians Politik für die Reichsbewohner schlimmer als die Plünderungen durch auswärtige Barbaren – dies soll ein weiteres Mal die dämonische Natur des Kaisers und seinen gezielten Willen, das Römerreich zu vernichten, illustrieren. Im folgenden erläutert der Autor die dabei in seinen Augen verderblichsten Maßnahmen: Zwangskauf (συνωνή), Zuschlag (έπιβολή), Aufteilung (διαγραθή). Die Perspektive ist dabei die eines wohlhabenden Landbesitzers. 23,11-14 Die συνωνή/coemptio (vgl. dazu auch 22,19): Prokop beklagt vor allem die starren staatlichen Vorgaben, die keine Rücksicht nehmen auf marktübliche Preise (Justinian legte allerdings ausdrücklich fest, die Preise an der Marktlage zu orientieren: App. Nov. 7,18) und auf das individuelle Leistungs- und Beschaffungsvermögen der einzelnen Grundbesitzer – dies ist im übrigen eine für das spätantike Steuersystem insgesamt charakteristische Eigenschaft. Hinzu kommt die Verpflichtung zum Transport der Güter sowie – ein weiteres Mal – Willkür der Beamten vor Ort. Justinian versuchte, gesetzlich zu regeln, daß Sonderleistungen im Zusammenhang mit der Versorgung durchmarschierender Truppen auf die regulären Steuern angerechnet wurden (Nov. Iust. 130,2-3). An anderer Stelle (BG 3 [7],1,8) betont Prokop (im Kontext eines Lobliedes auf Belisar) freilich, daß Landbevölkerungen sogar unerwartete Gewinne erzielen konnten, wenn Belisar mit seinen Truppen erschien. 23,14 Vgl. 22,17-19 (Synoné unter Petros Barsymes). 23,15-16 Die έπιβολή/adiectio: Es handelt sich um eine von Prokop als Sondersteuer beschriebene Abgabe für verlassene Grundstücke, die von den Nachbarn aufzubringen war und die Steuerausfälle durch die Aufgabe dieser Ländereien kompensie205
ren sollte. Sie ist keineswegs unter Justinian erstmals eingeführt worden, sondern war bereits seit langem etabliert. Im einzelnen s. dazu STEIN 1949 [1968], 209; RUBIN 1954 [1957], 561-563. 23,17-19 Die διαγραθαί: Zusätzliche Abgaben der Landbevölkerung für Städte, die unter schweren Unglücksfällen zu leiden hatten. Vgl. dazu STEIN 1949 [1968], 443, mit Anm. 2; RUBIN 1954 [1957], 563f.. 23,18 Eine Aufzählung besonderer Naturkatastrophen hatte der Autor bereits 18,36-45 gegeben. 23,22 Die Einquartierung von Soldaten regelte Justinian in der 130. Novelle aus dem Jahr 545, in der ausdrücklich festgelegt wurde, daß die Soldaten nicht die besten Räume benutzen durften (Nov. Iust. 130,9). Insbesondere Belisar soll streng darauf geachtet haben, daß, wenn seine Truppen in Städten Quartier nahmen, die Behinderungen und Belastungen für die Bewohner möglichst gering blieben, vgl. Prok. BV 1 [3],21,8-10; Ps.-Zach. HE 9,1. 23,23 Eine erneute Generalisierung vereinzelter Übel durch Prokop als Abschluß eines Sinnabschnitts.
Kap. 24 24,1-11 Die beschriebenen Verhältnisse beziehen sich vor allem auf das oströmische Heer in Italien während der Gotenkriege. Zu den Logotheten s. die Anmerkungen zu 18,15; zu ihrem schlechten Ansehen bei Prokop s. auch BC 3 [7],1,28-33 über den Logotheten Alexandras »das Scherchen« (ό Ψαλίδιος, PLRE III A 43t), der auch HA 24,9 und 26,29-34 genannt wird. Bei der von Prokop erwähnten δωδεκάτη (»Zwölftel«) (24,1) handelt es sich um einen regulären Betrag, den im 5. Jh. die duces limitum von 206
den Bezügen der Limitantruppen (limitanei) einbehielten. Im 6. Jh. erscheint sie als Lohn der Logotheten (BRANDES 2002,258t). Probleme bei der Besoldung der Truppen sind für das 6. Jh. wiederholt belegt (s. auch die Erläuterungen zu 22,7). Der Vorwurf Prokops, das Unterlassen der Streichung ausgeschiedener oder gefallener Soldaten durch die Logotheten habe das Aufrücken niedrigerer Soldaten in besser besoldete Ränge verhindert, scheint nicht ganz aus der Luft gegriffen zu sein. Der Anonymus De rebus bellicis (4. oder frühes 5. Jh.) deutet eine ähnliche Vorgehensweise an (5,3-4). Der Rückgang der römischen Truppenstärke (dazu s. auch Agath. 5,13,7) war allerdings zum großen Teil auch durch demographische Entwicklungen bestimmt, vor allem seit den hohen Verlusten durch die Pest 541/542. Justinian mußte bereits im April 542 gesetzlich verbieten, daß Soldaten das Heer verließen und sich in private Beschäftigungsverhältnisse begaben (Nov. Iust. 116). Zum Problem s. auch FOTIOU 1988, 6577. 24,7 Die angebliche militärische Untauglichkeit von Griechen ist ein alter Topos in der römischen Literatur, der Vorurteile transportiert, die sich in republikanischer Zeit ausgebildet haben, vgl. etwa Cic. de orat. 1,102; 1,221. 24,8 Bei den »Angehörige[n] der Palasttruppen« (τών έν Παλατίω φυλάκων) handelt es sich um excubitores. – Das cingulum militare (ξώνη): Der Gürtel signalisierte Zugehörigkeit zum römischen Heer (Junkelmann 1986, 161f.). 24,9 Zu Alexandras dem Logotheten s. 26,29-34. 24,12-14 Das spätrömische Heer war seit dem frühen 4. Jh. unterteilt in die fest an einem Ort stationierten Grenztruppen (limitanei) und das bewegliche Feldheer (comitatenses); Vorläufer dieser Gliederung existierten schon im 3. Jh. Gegenüber den limitanei galten die comitatenses als wesentlich schlagkräftiger und ge207
nossen größere Privilegien. Seit dem 5. Jh. ist bezeugt, daß Soldaten der limitanei Landparzellen in den jeweiligen Grenzgebieten bestellten; dennoch waren sie mehr als bloße Bauernmilizen. Unter Justinian spielten sie trotz der Kritik Prokops (die in den weiteren Rahmen von Klagen über Besoldungsengpässe im 6. Jh. gehört) an allen Grenzen weiterhin eine Rolle, auch wenn ihre Kampfkraft gegenüber dem 4. Jh. nachgelassen haben wird. Nach der Eroberung Africas versuchte Justinian, zum Schutz der zurückgewonnenen Provinz u.a. ein neues Heer aus limitanei aufzustellen (Cod. Iust. 1,27,2,8). Die Vernachlässigung der limitanei ist übrigens ein Topos der Kaiserkritik, vgl. Zos. 2,34 über Konstantin. 24,15-23 Die scholae palatinae: Diese berittenen Gardetruppen wurden von Konstantin als Nachfolger der Prätorianergarde eingerichtet. Zu Beginn des 5. Jh.s gab es fünf scholae im Westen und sieben im Osten (unter Justinian waren es zumindest zeitweilig elf: Cod. Iust. 4,65,35,1) zu je 500 Mann, die besondere Privilegien genossen (vgl. Cod. Iust. 12,29). Sie waren direkt dem magister officiorum unterstellt. Die Soldaten trugen besondere Prachtrüstungen, entwickelten sich aber seit dem späten 5. Jh.s zu reinen Paraderegimentern (vgl. Agath. 5,15,2). Der Schutz des Kaisers wurde nun von den 300 excubitores übernommen, aus denen der spätere Kaiser Justin I. hervorging, der zum Todeszeitpunkt des Anastasios (518) comes excubitorum war (vgl. HA 6,13). 24,22-23 Gemeint ist Petras Patrikios, s. die Anmerkungen zu 16,2. Prokops Rückverweis richtet sich auf 16,1-5. 24,24-29 Die protectores (et) domestici waren wie die scholae palatinae ebenfalls ursprünglich eine von Konstantin geschaffene Garde (allerdings höheren Ranges), die aus Berittenen und Fußsoldaten bestand, an deren Spitze jeweils ein comes rangierte. Mit der Aufnahme in diese Regimenter waren gleichfalls Privilegien 208
verbunden (u.a. die Zulassung zum fußfälligen Kuß des kaiserlichen Purpurmantels); dies führte seit dem späten 5. Jh. dazu, daß der Rang eines domesticus vergeben werden konnte, ohne daß die betreffende Person in der Truppe dienen mußte. 24,29 Zum Hinweis auf die 32jährige Herrschaft Justinians, der wichtig ist für die Datierung der Anekdota (vgl. auch 18,33; 23,1; 24,33), s. die Einleitung. 24,33 Vgl. 24,29.
Kap. 25 25,1-6 Am Eingang des Hellespont (Abydos) und am Ausgang des Bosporos (Hieron) befanden sich Überwachungsposten, die die Schifffahrt von und nach Konstantinopel kontrollierten und illegalen Warenschmuggel (v. a. von Waffen) verhindern sollten. Der Beamte in Abydos erhielt für seine Kontrollen eine geringe Gebühr vom jeweiligen Schiffseigner (vgl. DURLIAT/GUILLOU 1984, 581-598), der Beamte in Hieron wurde vom Kaiser fest besoldet (zu den Gütern, deren Export und Verkauf als illegal galt, vgl. Cod. Iust. 4,41). Justinian wandelte diese Posten in Zollstationen um, deren Beamte ein festes Gehalt bezogen und offenbar zusätzlich proportional an den zu entrichtenden Zöllen beteiligt wurden. Zumindest der Beamte in Hieron hatte auch größere militärische Vollmachten und trug den Titel comes angustiarum Pontici maris/κόμης στενών τής Ποντικής θαλάσσης (Malal. p. 361,70-362,77 THURN). 25,1 Zur Bezeichnung der Herrschaft Justinians als Tyrannis s. den Komm, zu 16,13. 25,2 Zwischen Sestos auf der europäischen und Abydos auf der asiatischen Seite ist der Hellespont am schmalsten. Das Hie209
ron (ein ehemaliges Zeus-Heiligtum) befand sich am Ausgang des Bosporos in das Schwarze Meer, auf der asiatischen Seite. – Pontos Euxeinos: Das Schwarze Meer. 25,3 Der magister officiorum war seit dem frühen 4. Jh. Chef der kaiserlichen Palastverwaltung und der Palastgarde (scholae palatinae), gewann aber – besonders im Osten – im Laufe der Zeit noch beträchtliche Funktionen hinzu (u.a. Aufsicht über die Grenztruppen). 25,7-10 Flavius Marianus Iacobus Marcellus Aninas Addaeus (Addaios) (PLRE III A 14t.) war einer der prominentesten Senatoren in justinianischer Zeit. Wohl in den 540er Jahren erhielt er die Zuständigkeit für die Hafenzölle in Konstantinopel. Im Jahr 551 amtierte er als praefectus praetorio Orientis, im Jahr 565 war er Stadtpräfekt in Konstantinopel, seit 565/566 führte er den patricius-Titel. Unter Justin II. wurde er in eine Verschwörung verwickelt (in deren Zusammenhang er im übrigen die Ermordung des Prätorianerpräfekten Theodotos durch Hexerei gestand, vgl. 22,2; Euagr. HE 5,3) und hingerichtet (wohl im Jahr 566). – Justinian hat viel für den Ausbau der Hafenanlagen in Konstantinopel getan (vgl. Prok. aed. 1,11,18-22). Die Erhöhung der Hafenzölle (daß Justinian sie ganz neu eingeführt haben soll, ist unwahrscheinlich) diente vielleicht auch zur Finanzierung dieser Projekte. – Prokop benutzt die punktuelle Reformmaßnahme Justinians erneut als Ausgangspunkt, um dessen verderbenbringendes Wirken für das gesamte Reich zu illustrieren (25,10). 25,11-12 Zwischen der Münzreform des Anastasios 512 und dem Jahr 538 betrug der Wert einer Goldmünze (solidus) 360 Kupferfolles zu je 1/18 Pfund (= insges. 20 Kupferpfund). Unter Justinian wurde im Jahr 538 offenbar der Goldpreis reduziert und der Münzfuß erhöht: Ein solidus entsprach jetzt 210 Folles (die Zahl nennt Prokop HA 25,12) zu 1/13,25 Pfund (= insges. 16 Pfund). Eine weitere Reform erfolgte 542, wiederum infolge einer 210
Reduzierung des Goldpreises, allerdings bei gleichzeitiger Reduzierung des Münzfußes: Der Wert eines solidus entsprach nun 180 Folles zu 1/15 Pfund (= insges. 12 Pfund). Schließlich wurde das Verhältnis im Jahr 550 noch einmal geändert: Ein solidus umfaßte nun 216 Folles zu 1/18 Pfund (= insges. wieder 12 Kupferpfund). Wenn Prokop sich auf eine dieser Reformen bezieht, dann dürfte er diejenige des Jahres 542 monieren, allerdings nicht, weil die Anekdota vor 550 verfaßt worden sein sollen (wie HAHN annimmt), sondern weil die Reform von 550 (216 statt 210 Folles) im Vergleich zu derjenigen des Jahres 542 nur geringfügige Änderungen brachte. Johannes Malalas (p. 415,12-15 THURN) erwähnt eine weitere Reform im Jahr 553; sollte Prokop sich darauf beziehen, wäre dies ein klares Indiz für die Spätdatierung der Anekdota auf 558/559 (SCOTT 1987, 217; zum Problem s. die Einleitung). Allerdings berichtet Malalas an derselben Stelle, daß der Kaiser die Reform nach Protesten und Unruhen rückgängig machen mußte, so daß Prokop sie nicht mehr als vollzogen hätte voraussetzen können. Nach Cod. Iust. 10,29 hatte ein solidus 200 Folles zu entsprechen. Vgl. zu den Münzreformen HAHN 1973, 24-26. 25,13 Zur kaiserlichen Monopolpolitik s. die Anmerkungen zu 20,5. 25,13-26 Seide mußte in der Antike aus China über die Seidenstraße in den Mittelmeerraum importiert werden. Im Römischen Reich gab es Webereien zur Weiterverarbeitung der Rohseide (z.B. in Berytos und Tyros). Seit dem späten 4. Jh. existierte ein kaiserliches Monopol für den Seidenhandel (Cod. Iust. 4,40,2). Im 5. Jh. kontrollierten die comites commerciorum den staatlichen Seidenhandel, im 6. Jh. hatten diese Funktion offenbar κσμμερκιάριοι inne, die dem comes sacrarum largitionum unterstanden. In den 530er Jahren scheinen die Perser den Rohseidenpreis erheblich erhöht zu haben; Justinian hat darauf mög211
licherweise mit einer gesetzlichen Regulierung des Handels reagiert, die sich in einer undatierten Novelle spiegeln könnte, die allerdings nur im Auszug erhalten ist (App. Nov. 5). Als die dort festgelegten Richtlinien (u. a.: die κσμμερκιάριοι sollten Seide für 15 Goldmünzen pro Pfund bei den Barbaren erwerben und an die Metaxarier [Rohseidenhändler?] verkaufen) scheiterten, könnten neue Maßnahmen getroffen worden sein, die Prokop a.a. O. schildert: Zunächst Festsetzung eines neuen Höchstpreises (was zum Zusammenbruch des staatlich kontrollierten Handels und zur Ausbildung von Schwarzmärkten geführt habe), dann die Einrichtung kaiserlicher Seidenwebereien, die dem comes sacrarum largitionum Petros Barsymes (zu ihm s. 22,3) unterstanden. Im einzelnen vgl. BRANDES 2002, 272-281. Justinian war während seiner gesamten Herrschaft bemüht, das persische Seidenmonopol zu brechen, seine Eingriffe in den Seidenhandel resultierten also keineswegs aus persönlicher Habgier. Aber erst 551 gelang es indischen Wandermönchen, Eier des Seidenspinners in das Römische Reich zu schmuggeln. Auf dieser Basis ließ Justinian eine eigene Seidenraupenzucht begründen, die in späterer Zeit zunehmende Bedeutung erhielt (vgl. Prok. BG 4 [8],17,1-8). 25,19 Der kaiserliche Schatzmeister: der comes sacrarum largitionum.
Kap. 26 26,1 Daß Justinian keineswegs alle Städte »ihrer Zierden und Schmuckstücke beraubte«, sondern – im Gegenteil – eine ausgesprochen rege Bauaktivität entfaltete, legt Prokop selbst ausführlich in seinen Bauten dar. 212
26,2-4 Prokop selbst hatte eine gediegene rhetorische Ausbildung durchlaufen und argumentiert aus der Perspektive der traditionellen Senatorenelite, die dem Emporkömmling Justinian und seinen engsten Vertrauten, die ebenfalls aus einfachen Verhältnissen stammten, besonders mißtrauisch gegenüberstand. Justinian hat sich in besonderem Maße um das Rechts- und Gerichtswesen bemüht (Vorgehen gegen Korruption bei den Richtern und gegen Prozeßverschleppungen; Festlegung der Zuständigkeiten, bes. bei Appellationen; im einzelnen s. dazu NOETHLICHS 1999, 721-723). Es ist sehr wahrscheinlich, daß dadurch der Aktionsradius einzelner Anwälte eingeschränkt wurde; Prokop dürfte allerdings erneut Einzelfälle zu einem grundsätzlichen Problem stilisiert haben. Zu den eidlichen Versicherungen der Integrität, die Justinian von den Anwälten (patroni) forderte, s. Cod. Iust. 3,1,14,4 aus dem Jahr 530; vgl. auch Malal. p. 393,72-77 THURN. 26,3 Siehe 12,12 und 19,12. 26,5 Die Streichung der Gehälter für Ärzte und Lehrer: Ähnliches berichtet auch Zon. 14,6. Zumindest für das von den Ostgoten zurückeroberte Italien hat Justinian jedoch ausdrücklich die Fortzahlung dieser Gehälter verfügt (App. Nov. 7,22 [554]). 26,7-11 Daß Justinian das Bauwesen nicht hat eingehen lassen, sondern vielmehr sein entschiedener Förderer war, geht aus Prokops Bauten klar hervor. Der Kaiser hat keineswegs die Städte gezielt in den finanziellen Ruin getrieben und damit Straßenbeleuchtungen, Theater usw. abgeschafft (die Theater waren allerdings immer wieder Ausgangspunkte von Unruhen, weshalb sie unter strenger Aufsicht standen, vgl. Malal. p. 343,45-344,46 THURN). Vielmehr hat er in seinen Gesetzen wiederholt versucht, die Städte auch finanziell zu stärken. In der 128. Novelle aus dem Jahr 545 wird z.B. ausdrücklich geregelt, daß den Städten genügend Steuermittel für öffentliche Bauten, Getreideeinkäufe, 213
Aquädukte und Gehaltszahlungen belassen werden müssen (Nov. Iust. 128,16). Trotz allem durchlief die antike Stadtkultur während des 6. und vor allem in der 1. Hälfte des 7. Jh.s einen Transformationsprozeß (vor allem die Situation der Stadträte [curiales] verschlechterte sich stetig), der allerdings auf ein komplexes Ursachenbündel zurückzuführen ist und nicht lediglich Folge einer zerstörerischen Politik Justinians war. Im einzelnen s. dazu BRANDES 1989 und jetzt v.a. LIEBESCHÜTZ 2003. 26,11 Das Gerede der Menschen über permanente Unglücksfälle mag einen Hintergrund haben in der außergewöhnlichen Serie besonderer Katastrophen, die im 6. Jh. über das Oströmische Reich hereinbrach. Dazu s. MEIER 22oo4. 26,12-15 Den Hintergrund dieser Passage bildet die Abschaffung des Konsulats durch Justinian im Jahr 541/542. Im 6. Jh. war mit diesem Amt kein politischer Einfluß mehr verbunden, wohl aber noch ein erhebliches Ansehen; zudem galt es als hohe Auszeichnung, die auf Nähe zum Kaiser verwies. Die Aufwendungen, die ein Konsul zu leisten hatte, waren ruinös (wenngleich ein Teil der Kosten vom Kaiser übernommen wurde, vgl. HA 26,13), und Justinian selbst hat diese Entwicklung beschleunigt, als er für sein eigenes Konsulat im Jahr 521 immerhin 288 000 solidi eingesetzt hat (Marc. Com. ad annum 521). Allerdings hat der Kaiser im Jahr 537 die Aufwendungen für das Konsulat (zumindest in Gold) gesetzlich begrenzt (Nov. Iust. 105). Trotz allem wurde das Amt – insbesondere nach den schweren Katastrophen der Jahre 540-542 (Verluste im Gotenkrieg, persische Eroberung Antiocheias, Kutrigureneinfälle, schwere Naturkatastrophen, Pest) – offenbar nicht mehr als zeitgemäß empfunden. Da es sich aufgrund der unregelmäßigen Besetzung auch nicht mehr für Datierungen eignete (trotz Nov. Inst. 47,1, wo im Jahr 537 noch einmal das Konsulat als eines der Datierungskriterien für offizielle Dokumente festgelegt wurde), 214
ließ Justinian es danach unbesetzt. In der Folgezeit war das Konsulat nur noch ein Ehrenamt für Kaiser im ersten Jahr ihrer Herrschaft (Justin II. im Jahr 566). Letzter ›regulärer‹ Konsul war im Jahr 541 der Aristokrat Anicius Faustus Albinus Basilius (PLRE III A I74f). Justinian selbst hat nach 521 noch dreimal das Konsulat bekleidet (528, 533, 534). Im Jahr 535 wurde Belisar für seine Verdienste im Vandalenkrieg mit dem Konsulat belohnt. Ihm folgten Johannes der Kappadoker (538), Flavius Strategius Apion (539) und Justin (Sohn des Germanos, eines Vetters Justinians: 540). Vgl. im einzelnen dazu MEIER 2002. 26,16-18 Prokop gibt einen kurzen Überblick der in den Kapiteln 19-26 behandelten, von Justinian angeblich finanziell geschädigten Gruppen, um nun zu den Armen (προσαιτηταί), den einfachen Leuten (άγελαίοι άνθρωποι) und den Bettlern (πτωχοί) überzugehen. Um die angebliche Verworfenheit des Kaisers zu illustrieren, stellt der Autor seine aristokratischen Attitüden zurück und rückt sogar die ärmeren Schichten in den Blickpunkt. 26,18 Zu Justinians Vorgehen gegen die Priester verweist Prokop auf HA 27. 26,18-22 Zur kaiserlichen Monopolpolitik s. die Anmerkungen zu 20,5 (darauf bezieht sich Prokops Rückverweis), wo ebenfalls von einer Verdreifachung der Preise gesprochen wird. Die wohl temporäre Einführung eines Monopols auf Brot könnte eine Reaktion auf Nahrungsmittelengpässe infolge der Pest 542 gewesen sein. Als im Jahr 560 das Gerücht kursierte, der Kaiser sei gestorben, kam es in Konstantinopel zu Plünderungen, bei denen vor allem Brot gestohlen wurde (Theoph. a. m. 6053 p. 1234,20-24 DE BOOR). In den Bella berichtet Prokop, daß während des Vandalenfeldzuges Soldaten u.a. deshalb gestorben seien, weil ihnen minderweniges Brot als Verpflegung mitgegeben worden sei (BV 1 [3],13,12-20). 215
26,23-25 Wasserknappheit in Konstantinopel ist explizit für die Spätzeit Justinians bezeugt (562 und 563). Im übrigen scheint gerade Justinian großen Wert auf eine ausreichende Wasserversorgung in den Städten des Reiches gelegt zu haben und auf dieses Ziel auch einen großen Teil seiner umfangreichen Bauprojekte ausgerichtet zu haben. Jedenfalls sind Justinians Bemühungen um die Wasserversorgung – auch in Konstantinopel – ein zentrales Thema in Prokops Bauten, vgl. bes. aed. 1,11,10-15. 26,23 Daß Justinian unnötige Geldmittel mit Bauten am Meer verschleudert habe, wirft Prokop ihm in den Anekdota mehrfach vor, vgl. dazu die Anmerkungen zu 8,7-8 und 19,6. – Justinians Bauwerke – auch in den Vorstädten Konstantinopels – werden von Prokop im 1. Buch der Bauten ausgiebig gelobt (zu Konstantinopel vgl. aed. 1,11,10-15). Malalas berichtet ausdrücklich, daß Justinian die Wasserversorgung in Konstantinopel wiederhergestellt habe (Malal. p. 364,39-41 THURN). 26,24 »zum Verderben der Menschen« (φθόρου άνθρώπων ένεκα): Ein erneuter Hinweis auf die gezielte Vernichtungswut, die Prokop dem Dämon Justinian unterstellt. 26,27 Im Jahr 493. 26,28 Silentiarier (silentiarii) waren Ordnungshüter am Kaiserhof, die das zeremonielle Schweigen in der Umgebung des Herrschers überwachten. Seit 437 sind in Konstantinopel 30 Silentiarier bezeugt. Der Kaiser Anastasios (491-518) ging aus den Silentiariern hervor. Zu den domestici s. die Anmerkungen zu 24,24-29; zu den scholae palatinae s. die Anmerkungen zu 24,1523. 26,29-34 Alexandros Psalidios (»das Scherchen« [PLRE III A 43f.] – den Namen erhielt er nach dem Gerät, mit dem er die Ränder von Goldmünzen beschneiden ließ) wurde 540/541 als Logothet (zu den Logotheten s. die Anmerkungen zu 18,15; 24,I216
II) nach Italien gesandt, um nach der Kapitulation der Ostgoten der desolaten finanziellen Situation Abhilfe zu schaffen. Prokop beklagt sich auch andernorts über ihn (BG 3 [71,1,28-33; 3 [71,9,13). – Alexandres kam 540 auf dem Weg nach Italien nach Griechenland. Die Region hatte unmittelbar zuvor (539/540) unter einem schweren Kutrigureneinfall zu leiden gehabt, weshalb die Neuorganisation der Verteidigung (die Prok. aed. 4,2 ausdrücklich lobt) durchaus geboten war. In der Endphase des Gotenkrieges wurde die Besatzung der Thermopylen nach Italien beordert (Prok. BG 4 [8],26,1). – Unter Justinian erhielten Reichsbeamte eine größere Verfügungsgewalt über städtische Abgaben (Nov. Iust. 17,4; 30,8; 128,16; zur Situation davor s. Cod. Iust. 8,12). 26,33 Dem Vorwurf, Justinian habe die Bauten Griechenlands vernachlässigt, widerspricht Prokop selbst in den Bauten (vgl. bes. aed. 26,35-39 Hephaistos (PLRE III A 582f.) war ein einflußreicher ägyptischer Aristokrat, der als Anwalt in Alexandreia tätig war und es 551-552 sogar bis zur Prätorianerpräfektur brachte. Als dux et praefectus Alexandriae schlug er um die Mitte der 540er Jahre einen der zahlreichen Aufstände in dieser Stadt brutal nieder. Seine rigide Preis- und Monopolpolitik sollte ihm wahrscheinlich eine größere Kontrolle über die unruhige Stadt und ihre Nahrungsmittelressourcen ermöglichen. Daß er dabei auch sich selbst massiv bereichert hat, ist nicht unwahrscheinlich. 26,43 Die Maßnahme steht wahrscheinlich im Zusammenhang mit einer Hungersnot 546/547 im östlichen Mittelmeerraum, die eine Konzentration der Ressourcen erforderte. Sie resultierte also weniger aus Bosheit und Gier denn aus einer unmittelbaren Notlage. Diokletian (284-305) hatte die Getreidespenden wahrscheinlich 302 eingeführt. Vgl. im einzelnen Stein 1949 [1968], 754, mit Anm. 1. 217
Kap. 27 Es ist auffällig, daß Prokop aus der Fülle der religions- und kirchenpolitischen Aktivitäten Justinians ausgerechnet die – im Vergleich zum Drei-Kapitel-Streit oder zum Origenisten-Streit – eher marginale Affäre um den alexandrinischen Patriarchen Paulos hervorhebt. In der Forschung wurde darüber spekuliert, ob Prokop möglicherweise geplant hat, ein eigenes Buch über Justinians Religions- und Kirchenpolitik zu verfassen, dies dann aber aus unbekannten Gründen nicht mehr getan hat. 27,1 »das ganze Leben«: Der griechische Begriff αίών ist mehrdeutig; er kann sowohl die Lebenszeit als auch allgemein einen offenen Zeitraum (›Ewigkeit‹) bezeichnen. 27,2 Der Hinweis auf die nachfolgenden Generationen (denen das Geschichtswerk Nutzen bringt) ist seit Thukydides ein verbreiteter Topos in der antiken Historiographie. – Die Übersetzung »Schurke« für das griech. Είρων trifft nicht ganz den Sinn des Textes: Prokop meint ›jemanden, der sich verstellt‹ (nämlich um seine wahre, dämonische Natur zu verbergen), vgl. 8,24; 29,1; allgemein zu Justinians Verstellungskünsten s. Kap. 13. – Der Hinweis auf Gott ist eine der wenigen Stellen im Gesamtwerk Prokops, die auf sein christliches Bekenntnis hinweisen (vgl. 3,30; 4,42 u. 44; 5,38; 18,3; 28,13). Der Vorwurf, Justinian kümmere sich weder um Gott noch um Priester, noch um Gesetze, noch um das Volk verkehrt die Selbstdarstellung des Kaisers ins Gegenteil: Vor allem in den Vorworten seiner Novellen versuchte sich Justinian stets als ein Herrscher zu inszenieren, der besonders gottgefällig agiert, sich um die Priester kümmert, mit umfangreicher Gesetzgebung alle Übel kuriert und Tag und Nacht um das Wohl des Volkes besorgt ist (vgl. HUNGER 1964; NOETHLICHS 1999, 703ff.; MEIER 22004). 27,3-25 Die ägyptische Großstadt Alexandreia war ebenso wie Konstantinopel, Antiocheia und Jerusalem Sitz eines der vier Pa218
triarchen im Oströmischen Reich. Die christliche Bevölkerung Ägyptens hing mehrheitlich dem Miaphysitismus an, der die Einheit der göttlichen und der menschlichen Natur in Christus postulierte und auf dem Konzil von Chalkedon (451) zugunsten einer gemäßigten Zweinaturenlehre abgelehnt worden war. Justinian versuchte den Miaphysitismus zu unterdrücken, obwohl auch Theodora ihm anhing und in Konstantinopel zahlreiche verfolgte Miaphysiten unterstützte. – Im Jahr 535 war der alexandrinische Patriarch Timotheos IV. (III.) gestorben. Wahrscheinlich auf Drängen Theodoras wurde der gemäßigte Miaphysit Theodosios (t 566) zu dessen Nachfolger ernannt, der sich aber nur mit Unterstützung kaiserlicher Truppen gegen einen Gegenkandidaten aus der Anhängerschaft der miaphysitischen Sondergruppe der Aphthartodoketen halten konnte (Gaianos). Als Justinian Theodosios wenig später aufforderte, sich zu den Konzilsbeschlüssen von Chalkedon zu bekennen, und dieser sich weigerte, mußte er 538 ins Exil gehen. Zum Nachfolger machte Justinian den chalkedonisch gesinnten Mönch Paulos von Tabennesi, der 537/538-540 amtierte und Ägypten für das Chalcedonense gewinnen sollte. Der dux et augustalis Alexandriae Rhodon (PLRE III B 1085 f.) sollte Paulos bei diesem Vorhaben unterstützen. – Der prominente Samaritaner Arsenios (PLRE II 152154) stammte aus Palästina, wahrscheinlich aus Skythopolis. Beim Kaiserpaar stand er zunächst in hoher Gunst, fiel aber nach Ausbruch des Samaritaneraufstandes 529 (s. HA 11,24-30) in Ungnade und soll sogar zum Tode verurteilt worden sein; er ließ sich daraufhin christlich taufen (Kyrill. Skyth. Vita Sabae c. 71 p. 174,19-22 SCHWARTZ) und wurde ein strenger Verfechter des Chalcedonense, bei dessen Durchsetzung in Ägypten er Paulos und Rhodon unterstützen sollte. Als Paulos in diesem Zusammenhang plante, den miaphysitischen magister militum (vacans) et dux Elias abzusetzen, wurde dieser von einem Freund, dem Diakon Psoes, vorgewarnt. Paulos ließ daraufhin Psoes durch 219
Rhodon in Gewahrsam nehmen; wenig später wurde Psoes – wohl von Rhodon und Arsenios – zu Tode gefoltert (Liberat. 23). Justinian ernannte nun den Senator und erfahrenen Diplomaten Liberius (PLRE II 677-681) zum dux et augustalis Alexandriae und beauftragte ihn mit der Untersuchung des Falles. Die Karriere des von Prokop hochgeachteten Liberius (um 465-554; vgl. zu ihm BG 1 [5],4,24) hatte noch in Italien unter Odoaker (†493) begonnen. Unter dessen Nachfolger, dem Ostgotenkönig Theoderich, wurde er praefectus praetorio Italiae (um 493-500),patricius (seit 500) und praefectus praetorio Galliarum (510-534). Als praefectus praesentalis am ostgotischen Königshof (533-534) wurde er 534 von Theodahat zu Verhandlungen nach Konstantinopel gesandt, wo er blieb und in den Dienst des Kaisers trat. Noch im Jahr 552, im Alter von über 80 Jahren, kommandierte er das oströmische Interventionsheer im Westgotenreich. Nach Liberius’ Ankunft in Alexandreia behauptete Rhodon, auf Befehl des Paulos gehandelt zu haben, dieser aber leugnete jede Beteiligung an dem Mord. Liberius ließ zunächst Arsenios hinrichten, schickte Paulos nach Gaza ins Exil und Rhodon zur weiteren Untersuchung der Angelegenheit nach Konstantinopel, wo Justinian ihn ebenfalls hinrichten ließ. In Gaza entschied 540 eine vom Kaiser eingesetzte Sonderkommission, der auch der päpstliche Apokrisiar (Gesandter in Konstantinopel) und spätere Papst Pelagius I. (556-561) angehörte, über Paulos. Er wurde abgesetzt, zum Nachfolger wurde der gemäßigte Chalkedonier Zoilos (540-551) bestimmt (Liberat. 23). Literatur: BECK 1975 [1985], 27-29; SCHWARTZ 1960, 291ff. 27,5 »die Häretiker in Alexandreia« – gemeint sind die Miaphysiten. 27,6 Inschriftliche Zeugnisse belegen, daß Arsenios schon unter Justin I. Senator war. 27,7 Zu den Samaritanern s. die Anmerkungen zu 11,24-30. 220
27,9 Gemeint ist der Samaritaneraufstand im Jahr 529, s. 11,2430. 27,13 Ein Rückverweis auf 10,15. 27,14 Liberatus zufolge sollte Rhodon den Diakon lediglich in Gewahrsam nehmen, nicht hinrichten (Liberat. 23). Trotzdem war Paulos natürlich in die Mordaffäre verstrickt. 27,16 Einmal mehr versucht Prokop, Justinian als hilfloses Instrument Theodoras darzustellen. 27,17 Die Kommission tagte 540 in Gaza. – Vigilius, Papst 537555. 27,18 Rhodon mag in der Tat die erwähnten Schreiben vorgelegt haben, und auch die Anweisung des Kaisers, Paulos strikt zu unterstützen, dürfte sich darin gefunden haben. Eine Rechtfertigung der Ermordung des Psoes bedeutete dies – anders als Prokop suggeriert – jedoch nicht. 27,22 Nachfolger des Paulos als Patriarch von Alexandreia war Zoilos, auf ihn folgte Apollinarios (551-570). 27,24 Papst Vigilius befand sich seit Januar 547 in Konstantinopel, da Justinian seine Zustimmung zur Verurteilung der sog. Drei Kapitel – es handelt sich um Personen und Werke dreier Theologen des 5. Jh.s, die Justinian als häretisch ansah – erwirken wollte. Dieser sog. Drei-Kapitel-Streit gipfelte im 5. Ökumenischen Konzil in Konstantinopel 553, wo die Drei Kapitel verurteilt wurden. Auch Papst Vigilius akzeptierte schließlich diesen von Justinian erzwungenen Beschluß und starb 555 in Syrakus auf der Rückreise von Konstantinopel. Zum Drei-Kapitel-Streit s. BECK 1975 [1985], 30ff.; NOETHLICHS 1999, 6940. 27,26 Auf die erzwungenen Bekehrungen von Samaritanern zu Christen unter Justinian hatte Prokop bereits 11,25 hingewiesen. 221
27,26-33 Vehs Übersetzung »die Leitung des Staates« (für τής ςώρας τήν άρχηνέσχεν) ist mißverständlich: Faustinos war wahrscheinlich Statthalter in Palästina und – nach seiner Rückkehr nach Palästina – überdies Verwalter der kaiserlichen Domänen (curator domus divinae) in Palästina und Phönikia. – Prokop versucht, mit dieser Geschichte zu illustrieren, daß ausgerechnet ein Kaiser, der die eigene Frömmigkeit so sehr ins Zentrum seiner Selbstdarstellung rückt wie Justiman, für Geld seine religiösen Prinzipien zurückstellt und sogar mit den Samantanern paktiert (vgl. 27,32).
Kap. 28 28,1-15 Die Geschichte ist anderweitig nicht belegt und wird von Prokop offenbar bewußt undurchsichtig geschildert. Insbesondere bleibt unklar, welche Mitglieder des Klerus in die Affäre verwickelt werden. Der Bezug der ganzen Episode zur vermeintlichen Geldgier Justinians wirkt mühevoll und erscheint wenig glaubhaft. 28,1 Emesa (heute: Homs) lag im heutigen Syrien am Orontes. 28,2 Seit Konstantin war die Kirche berechtigt, Erbschaften anzunehmen (Cod. Theod. 16,2,4 = Cod. Iust. 1,2,1). 28,6 Tabelliones waren private Urkundenschreiber, die auf öffentlichen Plätzen (Foren) ihre Amtslokale besaßen. Sie traten seit dem 3. Jh. n. Chr. zunehmend hervor. Unter Justinian benötigten sie zur Ausübung ihrer Tätigkeit eine Lizenz (Nov. Iust. 44,1,4). 28,7-9 Eine hundertjährige Verjährungsfrist hatte Justinian Kirchen, religiösen Einrichtungen (loci religiosi) und auch Städten gewährt (vgl. Cod. Iust. 1,2,23; 7,40,1 beide aus dem Jahr 530). 222
In der 9. Novelle aus dem Jahr 535 wird dies auch auf die westlichen Kirchen, repräsentiert durch die Kirche von Rom, ausgedehnt; in der 111. Novelle (541) geht Justinian hinsichtlich der loci religiosi auf 40 Jahre zurück. In der 131. Novelle (545) werden 40 Jahre als Verjährungsfrist für Kirchen im Osten festgelegt (Nov. Iust. 131,6). In der Constitutio Pragmatica für Italien aus dem Jahr 554 ist von 30 und 40 Jahren die Rede, aber nicht von Kirchen (App. Nov. 7,6). Prokop scheint diese Gesetzgebung gekannt zu haben, denn die von ihm erwähnten Sonderregelungen für Hypotheken finden sich auch Cod. Iust. 7,40,1 und Nov. Iust. 9. Bei dem von Prokop erwähnten Gesetz (28,9) handelt es sich entweder um Cod. Iust. 1,2,23 und 7,40,1 aus dem Jahr 530 oder um die 9. Novelle, die aber wahrscheinlich eher in den Kontext der Vorbereitungen zur Rückeroberung Italiens von den Ostgoten gehört. Im einzelnen zu diesen Gesetzen s. KAISER 1999, 60103. 28,10 Longinos (PLRE III B 795 t) hatte wahrscheinlich von 536/537 bis 541/542 das Amt des Stadtpräfekten von Konstantinopel inne. 28,13 Der Hinweis auf Gott ist eine der wenigen Stellen im Gesamtwerk Prokops, die auf sein christliches Bekenntnis hinweisen (vgl. 3,30; 4,42 u. 44;5.38; l8,3). 28,16-19 Zu Justinians Judengesetzgebung s. NOETHLICHS 1999, 740-744; MARAVAL 1990, 190, Anm. 7. Zum Verbot, das Passah-Fest vor dem christlichen Osterfest zu feiern, s. SCOTT 1987, 217ff.
Kap. 29 29,1-11 Der Bericht über den Konflikt zwischen Liberius und Johannes Laxarion bildet eine Ergänzung zur Schilderung der Vor223
gänge in Alexandreia während des Patriarchats des Paulos (27,325) und dient möglicherweise der Entlastung des Senators Liberius, der im Zusammenhang mit den von Prokop beschriebenen Vorgängen kurzfristig beim Kaiser in Ungnade gefallen zu sein scheint. Prokop benutzt die Episode, um einmal mehr die angeblichen Verstellungskünste des έίρων Justinian (vgl. 27,2) zu illustrieren. 29,1 Johannes Laxarion (PLRE III A 642) wurde um 542 als Nachfolger des Liberius (zu ihm s. 27,17) zum dux et augustalis Alexandriae ernannt. 29,2 Es handelt sich um den späteren Papst Pelagius I. (556561), der zu dem ebenfalls aus Italien stammenden Liberius ein enges Verhältnis pflegte und sich damals als päpstlicher Apokrisiar (Gesandter) in Konstantinopel befand. 29,4 Eudaimon (PLRE III A 455 f.), der – wie Johannes Laxarion – vielleicht ebenfalls ägyptischer Herkunft war, war also Honorarkonsul und wahrscheinlich curator domus divinae um das Jahr 542 (möglich, aber unwahrscheinlicher, sind auch die Ämter des comes rerum privatarum oder comes sacri patrimonii). Kurz nach der Affäre um Liberius und Johannes Laxarion starb Eudaimon (29,12). 29,12-25 Prokop gibt weitere Beispiele für Justinians vermeintliche Geld- und Besitzgier, dieses Mal geht es um den Einzug von Erbschaften. Vgl. ähnlich auch 12,3-11. 29,12 Der έίρων Justinian (s. 29,1) vermag eben keine »gerade Sprache zu führen«, ist nicht εύθύγλωσσος. – Das gesamte Kap. 29 besteht aus einer Aneinanderreihung »kleiner Geschichten«, die eine illustrative Ergänzung des bis dahin Gesagten bilden sollen. 29,13 In ihrer engsten Umgebung versammelten die spätanti224
ken Kaiser vorzugsweise Eunuchen, da diese für das Kaisertum nicht in Frage kamen und daher – zumindest nicht aus eigenen Ambitionen – kaum Interesse an der Ermordung eines Kaisers hatten. Der Vorsteher des kaiserlichen Gemachs, der praepositus sacri cubiculi, war dennoch eine der einflußreichsten Gestalten am Hof, weil er den Zugang zum Kaiser kontrollierte. Während der Jahre 537-558 (?) bekleidete Narses (PLRE III B 912-928) dieses Amt. Der Abasge Euphrates (PLREIIIA 465) war daher wohl eher nur primicerius sacri cubiculi. Prokop berichtet, daß Justinian Euphrates (zu einem unbekannten Zeitpunkt) zu den Abasgen gesandt hat, um dort gegen die Kastration von Männern (d.h. gegen den Eunuchenhandel) vorzugehen (BG 4 [8],3,19). Das Verbot der Kastration regelt Nov. Iust. 142 aus dem Jahr 558. 29,14 Ähnlich bereits 19,11. 29,15 Zu Justinians zahlreichen Maßnahmen einer Neuregelung des Erbrechts RUBIN 1954 [1957], 571. 29,16 Dieser Eirenaios ist wahrscheinlich identisch mit dem gleichnamigen dux Palaestinae im Jahr 530 (PLRE II 625f). Er kämpfte in den späten 20er Jahren in Lazika gegen die Perser, wurde aber wegen Erfolglosigkeit abberufen. Als dux Palaestinae hatte er großen Anteil an der Niederschlagung des Samaritaneraufstands. 29,17 Anatolios war Stadtrat in Askalon und damit Angehöriger der Kurialenschicht. Daß er offenbar über Vermögen verfügte, widerlegt das gängige Bild von der prinzipiellen Verarmung aller Kurialen in der Spätantike. 29,19 Mit dem »neuen Gesetz« (νόμον έναγχος έτύγχανε γράψας) meint Prokop Nov. Iust. 38,1 aus dem Jahr 536. 29,25 »aus frommer Gesinnung« (τής έύσεβείας ένεκα): Justinian scheint die Unterstützung der Frau also für seine Selbstdar225
stellung als frommer, christliche Mildtätigkeit pflegender Kaiser genützt zu haben. Prokop hebt dies vor allem deshalb hervor, um einmal mehr die Verstellungskunst des in seinen Augen alles andere als frommen Kaisers zu illustrieren. 29,28 Marthanes/Malthanes (PLRE IIIB 835-837) war wohl in den späten 540er Jahren als dux (?) in Kilikien mit der Niederschlagung von Unruhen betraut und nutzte diese Gelegenheit möglicherweise zur eigenen Bereicherung. Es könnten solche Verhaltensweisen gewesen sein, die zu massiven Klagen unter der Bevölkerung geführt und Justinian zu einer Reform der Ämter in einigen Provinzen veranlaßt haben (vgl. Nov. Iust. 145 aus dem Jahr 553 über Phrygien, Pisidien, Lykaonien, Lydien). Im Jahr 550 agierte Marthanes als kaiserlicher Gesandter in kirchenpolitischen Angelegenheiten im kilikischen Mopsuestia und nahm an der dortigen Synode teil. An ihn ist die 142. Novelle aus dem Jahr 558 adressiert. Noch für das Jahr 559/560 ist er inschriftlich als στρατηλάτης (magister militum vacans?) bezeugt. – Zu Leon s. 14,16-23; 17,32. 29,29 Zur Bezeichnung der Herrschaft Justinians als Tyrannis s. die Erläuterungen zu 16,13.
Kap. 30 30,1-7 Die »Staatspost«: Es handelt sich um den cursus publicus (der Begriff ist seit dem 4. Jh. n. Chr. belegt [Cod. Theod. 8,5,1], die Einrichtung selbst ist aber älter und geht auf Augustus zurück). Darunter ist keine ›Post‹ im modernen Sinne zu verstehen, sondern ein staatliches System zur Nachrichtenübermittlung und zum Transport von Beamten, Militär und Gütern, das für private Nutzung eigentlich nicht zur Verfügung stand. Trotzdem wurde der cursus publicus, weil er das effektivste System zur Fortbewe226
gung war, natürlich vielfach mißbraucht. Sein Benutzerkreis konnte aber auch regulär durch Sonderlizenzen erweitert werden, die vom Kaiser oder von hohen Reichsbeamten ausgegeben wurden. So wurde z.B. Bischöfen die Reise mit dem cursus publicus gestattet (vgl. Anm. 21,14,16), ebenso Senatoren bei Beschwerdegesandtschaften und anderen Personen. In der Spätantike gliederte sich der cursus publicus in den schnelleren cursus velox (für Personen) und den cursus clabularis (für Güter). Tiere, Fahrzeuge, Unterhalt der Stationen und Unterkünfte mußten von der Provinzbevölkerung zur Verfügung gestellt werden, die dafür von den Statthaltern Entschädigungszahlungen erhielt. – Klagen über die Vernachlässigung des cursus publicus finden sich auch bei Joh. Lyd. mag. 3,61, der dafür aber – entsprechend der Gesamtintention seiner Schrift – Johannes den Kappadoker verantwortlich macht. Kolb 2000, bes. 223! 30,8-9 Bei der Auflösung der Route Chalkedon – Dakibiza (auf der Nordseite des Golfs von Izmit) handelte es sich nicht nur um eine Sparmaßnahme Justinians. Nach einem schweren Hochwasser hatte der Kaiser den Ort Helenopolis (urspr.: Drepanon) an der Südküste des Golfes großzügig wiederherstellen lassen (Prok. aed. 5,2). Indem er die Kuriere zwang, auf ihren Reisen von Konstantinopel nach Nikaia und ins tiefere Hinterland den Seeweg bis Helenopolis zu nehmen, wertete er den von ihm restaurierten Ort auf und konnte sich in besonderer Weise als Förderer des Ortes, in dem Konstantins Mutter Helena geboren worden war, inszenieren. Vgl. dazu GÜNTHER 1998. 30,11 Einmal mehr zeigt sich, daß Prokop aus der Perspektive der wohlhabenden Oberschicht argumentiert (vgl. auch 30,5-6); daß die Einsparungen beim cursus publicus auch zu Entlastungen der Bevölkerung geführt haben dürften, verschweigt er. 30,12-16 Einsparungen im Kundschafterwesen (bei den κατάσκοποι). Bei diesen Kundschaftern handelt es sich kaum um 227
die berüchtigten agentes in rebus, die nicht im geheimen, sondern offen – am cingulum militare (Soldatengürtel) erkennbar – operierten, verschiedene Dienste für die Kaiser erfüllten und in der Regel innerhalb des Reiches eingesetzt wurden. ›Spionage‹Aufträge beim Feind wurden hingegen oft von Händlern, Militärs, Reisenden und sogar Mitgliedern des Klerus wahrgenommen (im Krieg gegen die Vandalen betätigte sich Prokop sogar selbst als Kundschafter, vgl. BV 1 [3],14,5-13). Eine ›Geheimdienstzentrale‹ im modernen Sinne existierte nicht. Prokop berichtet, daß Spionage sowohl bei Römern als auch bei Persern seit alters her eine wichtige Rolle gespielt hat (BP 1 [1],21,11-12). Daß Justinian das Kundschafterwesen in dem von Prokop angeprangerten Maße vernachlässigt haben soll, ist ausgesprochen unwahrscheinlich (vgl. dazu LEE 1989, 569ff.). Im Proömium der Anekdota äußert Prokop ausdrücklich seine Furcht vor kaiserlichen Spitzeln (ebenfalls als κατάσκοποι bezeichnet) im Reich, die eine Schilderung der Untaten des Kaisers gefährlich machten (1,2; vgl. auch 11,21). 30,13 Prokop spielt hier möglicherweise auf die für die Achaimeniden bezeugten »Augen und Ohren des Königs« an (vgl. Xen. Kyr. 8,2,10-12). 30,14 Die Perser griffen 541 überraschend das unter römischer Kontrolle stehende Lazika an und eroberten die wichtige Schwarzmeerfestung Petra (vgl. 2,26). Erst 561 konnten die Auseinandersetzungen um Lazika im 50jährigen Frieden beendet werden. 30,15-16 Im Hintergrund dieser Kritik stehen offenbar Nachschub- und Versorgungsprobleme im römischen Heer. 30,18 Wahrscheinlich handelt es sich um Kaisareia in Palästina, die Heimatstadt Prokops; wie Prokop war Euangelos Rhetor. Der Reichtum des Euangelos relativiert Prokops frühere Behaup228
tung (26,2), wonach Justinian die Rhetoren in den Ruin getrieben habe. 30,21-24 In der Spätantike war der Akt der huldigenden Begrüßung eines Kaisers (adoratio) fest geregelt: Der Kaiser bot dem Besucher einen Zipfel seines Purpurgewands, den dieser auf Knien zu küssen hatte. Auch der von Prokop als Adorationsgeste der patricii beschriebene Kuß auf die rechte Brustseite des Kaisers (30,21) setzte einen – zumindest angedeuteten – Kniefall voraus. Justinian und Theodora sollen Prokop zufolge von allen Besuchern – also auch von den patricii – gefordert haben, sich bäuchlings hinzuwerfen (Proskynese) und mit den Lippen den Fuß zu berühren (vgl. 10,6; 15,15); die adoratio bezog sich demnach nicht mehr auf den Purpurmantel bzw. dessen purpurne Besatzstücke, sondern auf die Purpurschuhe. Die Historizität dieser Nivellierung im Zeremoniell ist in der Forschung umstritten und wird vielfach als übertriebene Polemik Prokops gedeutet (vgl. KOLB 2001, 120); dabei wurde zuletzt vermutet, daß der Autor den Kaiser gezielt in den Kategorien eines persischen Despoten und damit als Tyrannen habe zeichnen wollen (KALDELLIS 2004, 128 ff.). Andererseits ist aber auch zu bedenken, daß Justinian und Theodora als Aufsteiger aus einfachsten Verhältnissen ein ausgesprochen gespanntes Verhältnis zu den traditionellen Eliten hatten und auf boshafte Kritik aus deren Reihen – die Anekdota dürften nur ein Beispiel dafür sein – mit gezielten Demütigungen reagiert haben könnten (vgl. etwa 15,34-35). 30,24 Für einen Traditionalisten wie Prokop überschreitet Theodoras Eigenart, selbst Gesandte zu empfangen (vgl. 2,36), die Grenzen dessen, was einer Frau zukam. Die bedeutendsten politischen Entscheidungen und die wichtigen Verhandlungen mit Gesandten wurden jedoch von Justinian selbst getroffen bzw. geführt – wenngleich häufig in Absprache mit der Kaiserin. 229
30,26 Vgl. 10,7. Die Anrede des Kaisers als dominus (δεσπότης) hatte sich – entgegen der Kritik Prokops an Justinian – bereits im 3. Jh. etabliert. 30,34 Prokop schließt mit einem erneuten Hinweis auf sein zentrales Anliegen, nämlich die Darstellung Justinians als ›Fürst der Dämonen« (τών δαιμόνων άρχων). – Mit der Hervorhebung der Wahrheit (τάληθές) ganz am Ende der Schrift setzt er als Historiker (als solcher sieht er sich ja auch in den Anekdota, vgl. HA 1,1-10) noch einmal ein deutliches Zeichen. Im Kontext der Invektive, die mit gezielten falschen Anklagen, Verleumdungen, Übertreibungen usw. arbeitet, könnte dies aber auch ironisch gemeint sein.
230
Einführung
Das Zeitalter Justinians Die Herrschaftszeit Justinians (527-565) bildet auf den ersten Blick einen neuen, letzten Höhepunkt römischer Machtentfaltung und Gestaltungskraft. Justinian regierte fast vierzig Jahre sein Reich und konnte sich gegen mehrere Aufstände und Verschwörungen durchsetzen. Das Reich, das sich zu Beginn seiner Herrschaft auf den Osten des Mittelmeerraums beschränkt hatte, erstreckte sich am Ende seiner Regierung auch auf den Norden Afrikas, Italien und ein größeres Gebiet der Iberischen Halbinsel. Das Mittelmeer war aus römischer Sicht wieder zum mare nostrum (»unser Meer«) geworden; alte, scheinbar unbesiegbare Feinde wie die Vandalen und Ostgoten waren niedergeworfen worden, mit den Persern hatte man einen Frieden schließen können, der auf Dauer angelegt schien. Die Größe des alten Imperium Romanum war, so konnte man meinen, erneuert. Dies alles wirkt zunächst einmal wie die große Leistung eines herausragenden Mannes, eben Justinians. Dieser war 481/482 in Taurisium, einem lateinischsprachigen Dorf auf dem Balkan, geboren worden. Unter gewöhnlichen Umständen wäre er einer der zahllosen unbekannten Bauern geblieben, wie sie im spätantiken Reich lebten, teils auch dahinvegetierten. Doch sein Onkel Justin wagte es, die Heimat zu verlassen, und ging nach Konstantinopel, wo er zum Kommandeur einer kaiserlichen Leibwache (comes excubitorum) wurde. Justinian folgte ihm und machte, von seinem Onkel protegiert, seinerseits Karriere. Als Kaiser Anastasios 518 starb, gelangte völlig überraschend Justin auf den Thron. Als graue Eminenz hinter ihm galt Justinian. 231
Doch wer in diesem Mann einen reinen Karrieristen vermutete, sollte sich wundern, denn Justinian verliebte sich, obwohl schon an die Vierzig, leidenschaftlich in die einstige Schauspielerin (und damit Prostituierte) Theodora. Und er erreichte, daß er diese ›unmögliche‹ Frau, der er verfallen war, heiraten konnte. Eigentlich durfte seit Jahrhunderten ein Angehöriger des Senatorenstandes – und so weit hatte Justinian es inzwischen gebracht – eine solche Person nicht ehelichen. Doch Justinian setzte eine Gesetzesänderung durch und damit 525 auch seine Hochzeit mit Theodora. Dahinter stand keine nüchterne Interessenabwägung, sondern eine leidenschaftliche Empfindung. Am 1. April 527 erhob Justin I. seinen Neffen Justinian zum Mitkaiser, am 1. August starb er, so daß Justinian Alleinherrscher wurde. Er übernahm ein Reich, das dank Anastasios finanziell gut dastand, das aber von religiösen, innerchristlichen Streitigkeiten zerrissen war und erhebliche soziale und administrative Probleme kannte, das ferner im Krieg mit Persien stand. Justinian packte die Probleme energisch an. Die Streitigkeiten unter den Christen hatten sich an der Frage entzündet, ob das Konzil von Chalkedon, das Christus als wahren Menschen und wahren Gott bezeichnet hatte, anzuerkennen sei, wie es die Chalkedonier (in der Forschung auch als Orthodoxe bezeichnet) und mit ihnen Justin I. taten. Für die Gegenseite dominierte in Christus seine göttliche Natur; man spricht von Miaphysiten bzw. herkömmlich Monophysiten. Justinian versuchte den Streit zu schlichten, indem er einen gemeinsamen Feind aufbaute und Heiden, die jüdische Sekte der Samaritaner sowie Häretiker, die von Chalkedoniern und Miaphysiten gleichermaßen diskreditiert wurden, energisch bekämpfte und immer wieder die beiden Seiten miteinander ins Gespräch zu bringen versuchte. Ferner führte er zahlreiche Reformen durch, die er gern lautstark mit christlichen Grundsätzen begründete und die durchaus 232
geeignet waren, das Los von Sklaven, Frauen, überhaupt der Schwachen in der Gesellschaft zu verbessern. Das berühmteste Ergebnis seiner Reformpolitik ist die Neuordnung des Römischen Rechts. Binnen weniger Jahre, von 529 bis 534, entstanden mit dem Codex Iustinianus eine Auswahlsammlung kaiserlicher Verordnungen, mit den Digesten (auch: Pandekten) eine Zusammenstellung rechtsverbindlicher Verordnungen bedeutender römischer Juristen und mit den Institutionen ein juristisches Lehrbuch. Dies alles wurde später zusammen mit den Novellen, den neuen Gesetzen Justinians, zum sog. Corpus Iuris (Civilis) zusammengefaßt und bildete die Grundlage des abendländischen und des byzantinisch-neugriechischen Rechts bis heute. Nicht jeder war glücklich über den Kaiser. Die Unruhen in der Hauptstadt eskalierten 532 in einem Aufstand, der nach der Parole der Unruhestifter Nika-Aufstand genannt wird. Durch ihn wurden weite Teile des Zentrums Konstantinopels verwüstet; die brutale Niederschlagung, unter anderem durch Einheiten, die der Feldherr Belisar führte, kostete Tausende das Leben. Seitdem herrschte für lange Zeit Ruhe in der Hauptstadt, und Justinian hatte Platz für eines seiner größeren Projekte gewonnen, den Bau der Hagia Sophia, eine der berühmtesten Kirchen überhaupt. Gegen die Perser ging er hartnäckig vor, unter anderem wieder von Belisar unterstützt, doch blieben durchschlagende Erfolge aus. Nachdem aber der Perserkönig Kabades 531 gestorben war, wurde von seinem Sohn Chosroes I. (531-579), der seine Herrschaft erst einmal im Inneren sichern mußte, 532 ein auf hundert Jahre angelegter Friede geschlossen (der sog. ewige Friede). Justinian hatte damit den Rücken frei, um gegen die Vandalen vorzugehen, die den heutigen Maghreb, das römische Africa, beherrschten und mehrere Angriffe seiner Vorgänger abgewehrt hatten. Unter Belisar gelang 533/534 erstaunlich rasch die Niederwerfung der Germanen, ein bemerkenswerter Erfolg, 233
mit dem Justinian sich nicht zufrieden gab. 535 startete er Feldzüge gegen die Ostgoten, die Italien beherrschten. Wieder war Belisar beteiligt. Diese Kämpfe zogen sich in die Länge, und Belisar machte dabei durchaus nicht immer eine gute Figur, doch 540 gelang durch eine List die Einnahme der Hauptstadt Ravenna. Das Römische Reich war wieder vereint; ein Kaiser herrschte über die Kernräume des Mittelmeerraums. Auf den ersten Blick erscheint dies wie die konsequente Durchführung eines sorgsam erdachten Plans, doch läßt sich bei einer genauen Analyse zeigen, daß sowohl im Krieg gegen die Vandalen als auch in jenem gegen die Goten Justinian Gelegenheiten wahrnahm, die sich ihm mehr oder weniger zufällig boten. Im nachhinein aber ließ sich dies alles als renovatio imperii, Erneuerung des Reiches interpretieren. Doch schon 536 war das Scheitern der religionspolitischen Einigungsbemühungen Justinians offenkundig geworden, und in den Jahren seit 540 wurde das Reich von einer Vielzahl von Katastrophen getroffen: Die Perser griffen an, drangen bis tief in das Reich vor und zerstörten die syrische Metropole Antiocheia; die Goten kamen wieder zu Kräften und eroberten große Teile Italiens zurück, in Africa gab es immer neue Unruhen. Vorzeichen wie Kometen deuteten auf Schlimmes hin, eine verheerende Pest brach aus, die ungekannte Opferzahlen fast im ganzen Mittelmeerraum, vor allem aber in den Kernlanden des Reiches, forderte. Aus moderner Perspektive handelt es sich hierbei um ganz unterschiedliche Phänomene, die je für sich zu erklären sind. Aus antiker Sicht bestand jedoch zwischen solchen Katastrophen ein Zusammenhang. Sie waren Zeichen des Zornes Gottes. Vieles spricht dafür, daß auch Justinian so dachte. Zuvor muß er das Gefühl gehabt haben, das göttliche Wohlgefallen auf sich gezogen zu haben, jetzt mußte er sich als Sünder fühlen. Seine Hauptaktivitäten galten mehr und mehr dem Bereich 234
der Religion. Mit eigenen theologischen Schriften trug er zu den weiterhin schwelenden Auseinandersetzungen bei und entfachte dabei u.a. den sog. Drei-Kapitel-Streit, der, von der Diskussion einzelner theologischer Werke (»Kapitel«) ausgehend, für erhebliche Verwerfungen selbst in den afrikanischen und mitteleuropäischen Bistümern sorgte. 553 lud er zu einem Konzil, das allen Streit beenden sollte, dessen Beschlüsse jedoch weder die strengen Chalkedonier noch die Miaphysiten befriedigen konnten. Als er 565 starb, hatte er sich einer kleinen religiösen Minderheit angeschlossen (den sog. Aphthartodoketen, die sich aus dem miaphysitischen Spektrum entwickelt hatten), so daß er aus der Sicht der Chalkedonier, für die er so viel getan hatte, als Häretiker endete. In Persien, wo für eine gewisse Zeit wieder Belisar Krieg führte (seit 541), erzielte Justinian keinen wirklichen Erfolg, auch wenn er die eingefallenen Perser aus dem Reich vertreiben konnte. Im heutigen Georgien, der antiken Landschaft Lazika, spielten sich jedoch aufreibende Kämpfe ab. Mehrere Waffenstillstände brachten nur eine kurzfristige Entlastung. 561 schloß man einen Frieden mit Persien, für den Rom hohe Tribute leisten mußte. Nach langen Kämpfen – in denen Belisar wieder nur geringe Erfolge erzielen konnte – warf Narses die Goten 552 nieder; 554 wurde ein Streifen an der Iberischen Küste erobert. So eindrucksvoll diese mühsam errungenen Siege waren – durch die Regierungszeit Justinians zieht sich, wie erwähnt, in den vierziger Jahren ein Bruch, der es fragwürdig macht, von einem justinianischen Zeitalter zu sprechen. Und nach all den Kriegen und Krisen war das Römische Reich jetzt ausgelaugt. Die Untertanen hatten hohe Steuern zahlen müssen, die Bevölkerung, die schon unter der Pest gelitten hatte, wurde durch die Rekrutierung junger Männer weiter belastet. Die Herrschaft Justinians, die auf den ersten Blick so glänzend wirkt, erweist sich bei näherem Hinsehen als stumpf. Die Erfolge waren teuer er235
kauft – und die Ressourcen des Reiches waren so erschöpft, daß es wenige Jahrzehnte später fast das Opfer der Perser geworden wäre und weite Gebiete an die islamisierten Araber verlor.
Prokop im Rahmen der zeitgenössischen Überlieferung Zeuge eines Großteils dieser Entwicklungen war Prokop, ein Mann aus dem Stabe Belisars. Um 500 im palästinischen Kaisareia, einem Zentrum der Verwaltung und Bildung, geboren, erhielt er eine rhetorische Ausbildung auf Basis der traditionellen griechischen Kultur – damals durchaus üblich. Da in seinen Werken immer wieder die Perspektive der grundbesitzenden senatorischen Oberschicht durchscheint, spricht vieles dafür, daß Prokop aus diesem Milieu stammt – jedenfalls gehen seine Sympathien eindeutig in diese Richtung. Seit 527 war er in der Umgebung Belisars und erlebte dessen Wirken in Persien, beim Nika-Aufstand und in Italien, ja wurde selbst mit kleineren Aufgaben betraut; 542 war er Augenzeuge der Pestepidemie in Konstantinopel. Sein weiteres Leben und sein Todesdatum sind unbekannt. Berühmt machten ihn seine Geschichtswerke über diese Epoche, die er in der Tradition der klassischen griechischen Historiographie schrieb, die sich auch vor allem der eigenen Zeit zuwandte. Insbesondere Thukydides (f nach 399 v. Chr.) war sein Vorbild, auf das er an vielen Stellen anspielt, aber auch Polybios (2. Jh. v. Chr.). Diese Gattungstradition bedeutet eine Einschränkung der Darstellungsmöglichkeiten Prokops, die aus der Sicht des modernen Betrachters unangebracht ist: Thukydides und Polybios interessierten sich vor allem für Fragen der Militär- und der Politikgeschichte. Fragen der Religion kamen nur am Rande vor, im Kontext politisch-militärischer Entwicklungen; und das Christentum konnte von ihnen noch nicht erwähnt werden, da sie vor Christi Geburt lebten. 236
Das bedeutete, daß auch Prokop die Geschichte des Christentums, die von zentraler Bedeutung für die ganze Politik Justinians war, nicht in den Mittelpunkt rücken durfte. Er konzentrierte sich genauso wie seine Vorgänger auf die Kriege und die Politik. Gelegentlich spricht er vom christlichen Glauben und von christlichen Institutionen. Doch das geschieht im Gestus eines Mannes, dem diese Dinge fremd sind. Da er zudem – ebenfalls in der Tradition der klassischen Geschichtsschreibung – nicht selten vom Schicksal spricht und es nachgerade zu personifizieren scheint, hat man früher geglaubt, er sei ein Heide gewesen. Doch die jüngere Forschung mit ihrer hohen Sensibilität für Gattungskonventionen hat diese Vorstellung widerlegt, zumal an einigen Stellen so etwas wie ein christliches Bekenntnis Prokops durchbricht. Prokops Hauptwerk bilden die Bella (»Die Kriege«), die insgesamt acht Bücher umfassen und im wesentlichen nach Kriegsschauplätzen geordnet sind. Zwei sind den Perserkriegen gewidmet, zwei den Vandalenkriegen, drei den Gotenkriegen. Diese sieben Bücher, die vielfach auf Autopsie beruhen und über einen größeren Zeitraum entstanden sein müssen, waren offenbar 551 abgeschlossen; drei Jahre später wurden sie um ein achtes Buch ergänzt, das die Ereignisse auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen der späteren Jahre schildert. Diese Bücher sind Belisar gewidmet und heben seine Leistungen hervor, auch die der Römer insgesamt. Doch werden die Feinde, zumal einige der ostgotischen Könige, mit größtem Respekt gezeichnet; zudem lassen sich bei einer sorgsamen Lektüre manche Zwischentöne beobachten, die die Zweifel und die Kritik Prokops an den römischen Akteuren, auch an Belisar und Justinian, erkennen lassen. Diese Kritik wird in den Anekdota laut vernehmlich, die sogar einige Passagen der Bella ausdrücklich in Frage stellen. Doch darauf wird später näher einzugehen sein. Einen regelrechten Panegyricus (d.h. eine offiziöse Lobschrift) 237
auf Justinian, namentlich seine Baupolitik, verfaßte Prokop mit seiner Schrift De aedifidis (»Über die Bauten«). Hier werden eingehend, in der Tradition des klassischen Panegyricus, aber auch mit deutlicheren christlichen Zügen – schließlich hatte Justinian zahlreiche Kirchen gebaut – die Bauwerke Justinians beschrieben und gerühmt. Dieses Werk dürfte auch in den fünfziger Jahren entstanden sein, also zeitgleich mit den übrigen Schriften Prokops. Das überschäumende Lob auf Justinian in De aedifidis einerseits, die grimmige Abrechnung mit ihm und Theodora in den Anekdota andererseits und in mittlerer Tonlage die zwischen offiziösem Bericht, nüchterner Darstellung, bewundernder Anteilnahme und kritischen Vorhaltungen oszillierenden Bella – dieses auf den ersten Blick ausgesprochen heterogen, ja widersprüchlich erscheinende Spektrum aus der Feder eines einzigen Autors hat der Forschung so manches Rätsel aufgegeben. Allzu unvereinbar schienen vor allem die persönlichen Haltungen des Verfassers, die man aus De aedifidis und den Anekdota erschließen zu können meinte. Diese Schwierigkeiten haben zeitweilig sogar dazu geführt, daß man Prokop die Autorschaft an den Anekdota abgesprochen hat – eine These, die heute allerdings niemand mehr ernsthaft teilt. Es hat jedoch lange gedauert, bis die Forschung die erforderliche Sensibilität dafür entwickelt hat, wie sehr Prokop den Konventionen der jeweiligen literarischen Gattungen verpflichtet war. Erst dann war sie bereit, die vermeintlichen Widersprüche als Spiegel der Vielschichtigkeit der von Prokop erlebten und beschriebenen Zeit hinzunehmen. Vor diesem Hintergrund wirkt das Bild, das die Schriften Prokops vermitteln, allerdings schlüssig und detailreich – so sehr, daß man lange die Geschichte der Zeit Justinians auf der Grundlage seines Œuvres dargestellt hat. Doch davon ist die moderne Geschichtsschreibung abgekommen, zum einen, weil man die Stilisierungen, die Prokop – auch das in der Tradition der klassi238
schen Geschichtsschreibung – sich erlaubt, stärker wahrnimmt, zum anderen, weil man die Einseitigkeit seiner Perspektive erkannt hat. Das Bild Prokops zu korrigieren wird dadurch erleichtert, daß man mittlerweile auch die zahlreichen anderen Quellen stärker nutzt, darunter die Gesetze und theologischen Schriften Justinians, die zahlreichen Berichte über Konzilien, aber auch die Chroniken des Marcellinus Comes und des Johannes Malalas, die Kirchengeschichten des Euagrios Scholastikos und des Johannes von Ephesos oder die Hymnen des Romanos Melodos. Diese Texte haben gezeigt, wie sehr das ›Zeitalter Justinians‹ – entgegen dem Eindruck, den Prokop erweckt – von einer christlichen Orientierung geprägt war.
Anekdota Die Anekdota, die »Unpublizierten Geschichten«, auch die »Geheimgeschichte« (historia arcana) genannt – der ursprüngliche Titel des Werkes, wenn es denn einen gab, ist nicht bekannt –, sind, wie Prokop in der Einleitung, aber auch verschiedentlich innerhalb des Textes betont (u.a. durch gezielt gesetzte Querverweise), als Korrektiv zu den Bella konzipiert: Prokop will über das sprechen, was er in diesem Werk nicht sagen konnte. Was dort an Zwischentönen bisweilen zu vernehmen ist, wird in den Anekdota expliziert: Viele Episoden, die in den Bella die römischen Akteure in ein günstiges Licht rücken, werden jetzt ganz anders berichtet; ausdrücklich weist Prokop an vielen Stellen darauf hin, daß er das bisher Erzählte korrigiert. Der Bruch heiligster, christlicher Eide – christliche Normen spielen in den Anekdota eine größere Rolle als in anderen Schriften Prokops –, Grausamkeiten, Betrügereien, sexuelle Abartigkeiten, all dies treibt die Erzählung der Anekdota voran, die von einer Untat zur nächsten eilen. 239
Unter all den verächtlichen Gestalten und wenigen Helden ragen vier Persönlichkeiten hervor, die einander eng verbunden sind: Belisar, der bis zur Selbstverleugnung treue, jedoch vollkommen naive Feldherr Justinians; seine Ehegattin Antonina, die ihn fortwährend betrügt; deren Freundin und Kumpanin, die Kaisergattin und ehemalige Prostituierte Theodora, der sie durch gemeinsame Verbrechen besonders eng verbunden ist, und schließlich Kaiser Justinian selbst, der menschenmordende Dämonenfürst. Während die ersten fünf Kapitel der Anekdota – die Einteilung in Kapitel stammt allerdings nicht von Prokop selbst – im Schwerpunkt Belisar und Antonina fast nach der Art eines antiken Romans behandeln, sind die übrigen Kapitel in erster Linie dem kaiserlichen Paar gewidmet: Die Kapitel 6-18 schildern die niedrige Herkunft, die dämonischen Charakterzüge und die schlimmsten Verbrechen Justinians und Theodoras, während die Kapitel 19-30 im wesentlichen einen hämisch-erbitterten Kommentar zur justinianischen Gesetzgebung darstellen; vieles von dem, gegen das Prokop dort – zumeist maßlos übertrieben oder zutiefst einseitig – polemisiert, läßt sich direkt auf erhaltene Gesetze oder Maßnahmen Justinians beziehen. In Belisars Umkreis hatte Prokop gewirkt; wann er seinen Respekt vor diesem Feldherrn – der ohne Zweifel seine Qualitäten hatte, dessen Stern aber in der Tat seit etwa 540 zu sinken begann – verlor, steht dahin. In den Anekdota erscheint er jedenfalls seiner Frau so sehr verfallen, daß er für sie sogar die Interessen des Reiches verrät. Er glaubt ihr alles, praktisch vor seinen Augen wird er von ihr gehörnt. Wenn er versucht, gegen sie aufzubegehren, so hält er das nicht durch. Als er die Gunst des Kaisers verliert und die Kaiserin ihn bedroht, erweist er sich als Memme, die alle Eigenschaften eines Mannes vermissen läßt. Auch als Militär scheitert er kläglich, und seine Karriere nimmt ein schändliches Ende. Der Vorgesetzte, der Held wird als Waschlappen decouvriert. Und so wie Belisar aufgrund seiner Nach240
giebigkeit eigentlich kein Mann im Sinne des traditionellen Rollenverständnisses ist, zeichnet Prokop Antonina und Theodora nicht als Frauen, sondern als eine stete Bedrohung für die Männerwelt, weil auch sie permanent gegen die ihnen konventionell zugewiesenen Erwartungen verstoßen. Das wichtigste – und keineswegs erstmals von Prokop verwendete – Mittel, mit dem der Autor diese Überschreitungen von Rollenerwartungen brandmarkt, ist das Herausstreichen einer angeblich hemmungslosen sexuellen Gier, von sexuellen Perversionen, einer besonderen Gefühlskälte und Brutalität. Folgerichtig ist Prokops Antonina eine nymphomane Person, die vor keiner List und keiner Grausamkeit zurückschreckt, um ihre Liebhaber zu gewinnen und zu halten. Ihren Mann nutzt Antonina nach Kräften aus, jederzeit weiß sie ihn zu manipulieren. Im Verbrechen findet sie zur Gemeinschaft mit Theodora. Diese und ihr Mann Justinian erscheinen bei Prokop, der sie in den Bauten (De aedificiis) mit der ganzen Kunst eines antiken Panegyrikers gerühmt hatte, hier als dämonische Wesen, deren ganzes Trachten darauf gerichtet ist, das Römische Reich zu verderben – ja, Justinian wird sogar zum Fürsten der Dämonen, wie es Prokop im zentralen Kapitel 18 des Werks darlegt. Hier kommt eine religiöse Dimension hinein, die wohl durchaus ernstzunehmen ist. Prokop und seine Zeitgenossen lebten in dem Gefühl, ihre Welt sei gefährdet, und diese Gefahr scheint für Prokop in dem kaiserlichen Paar verkörpert zu sein. Daneben mißt Prokop Justinian an den Kriterien, die die senatorische Geschichtsschreibung seit Jahrhunderten bei Kaisern anzulegen pflegte, und kommt zu einer sehr negativen Einschätzung: Justinian stammt aus niedrigsten Verhältnissen, er ist habgierig und beraubt die Vornehmen ihrer Vermögen; er ist grausam und unberechenbar; er hetzt die Bevölkerung auf; er tut nichts für die Größe Roms, kurz, er ist das genaue Gegenteil ei241
nes guten Kaisers, geradezu ein zweiter Domitian, er hat aber auch Züge eines orientalischen Despoten, als den Prokop schon in den Bella Chosroes I. gezeichnet hatte. Theodora hat ihre Kindheit und Jugend in einer Atmosphäre der Sittenlosigkeit verbracht; sie hat als Schauspielerin und Prostituierte die schändlichsten Berufe ausgeübt. Auch nach ihrer Heirat mit Justinian kann sie ihrer zügellosen Lebensführung nicht entsagen; sie folgt hemmungslos ihren eigenen Machtgelüsten, mischt sich über Gebühr in die Politik ein und demütigt insbesondere die Angehörigen der Oberschicht in unerträglichem Maße. Statt wie eine richtige Kaiserin zur Milde zu raten, fördert sie die Grausamkeit: So darf eine Herrscherin Roms nicht sein. Der Pessimismus, der die Anekdota durchzieht, die Sorge um einen Niedergang, ja eine Entvölkerung des Reiches durch die Herrschaft des verderbenbringenden kaiserlichen Paars, ist nur die eine Seite von Prokops Weltsicht; die andere ist die Vorstellung, daß schlechte Taten am Ende bestraft werden. Immer wieder stellt Prokop dies in seinem Werk mit Genugtuung fest. Dies ist eine (theologisch wenig differenzierte) Vorstellung, die man mit dem Christentum in Verbindung bringen kann, auch wenn jüngst wieder die christliche Gesinnung Prokops (wohl zu Unrecht) angezweifelt worden ist. Der Leser durfte also hoffen, daß endlich auch Justinian einer gerechten Strafe zugeführt werde. So aufschlußreich sie ist, so schwer ist die Schrift als Ganze einzuordnen. Ein solches Werk ist singulär in der antiken Überlieferung. Gewiß lehrte die antike Rhetorik die Invektive, die persönliche Attacke, und stellte dem Redner einen Vorrat an Möglichkeiten, jemanden zu verunglimpfen, zur Verfügung. Einige solcher Invektiven sind sogar erhalten und bezeugen, daß Prokop aus einem reichhaltigen Reservoir traditioneller, d.h. bekannter Versatzstücke geschöpft hat – insgesamt aber sind die Anekdota mehr als eine Rede. In manchem vergleichbar ist die Schrift dem Traktat De mortibus persecutorum (»Über die Todes242
arten der Verfolger«) des zu Beginn des 4. Jahrhunderts wirkenden christlichen Rhetorikers Laktanz, der darin drastisch das Ende derer beschreibt, die sich in der Christenverfolgung hervorgetan haben. Doch lediglich den Tod Theodoras kann Prokop vermelden, und dem widmete er keine größere Aufmerksamkeit. Es gibt also nichts Vergleichbares, zumal derartige Pamphlete, die nur insgeheim kursieren konnten, keine große Chance hatten, aufbewahrt und dann gar tradiert zu werden. Welche Leser wollte Prokop ansprechen? Es konnte nur um einen Kreis von Vertrauten gehen. Denn was in der Schrift stand, war Hochverrat; sie hätte ihren Autor das Leben kosten können. Die Leser müssen ferner christliche Eide für verbindlich gehalten haben, und die Kategorien senatorischer Kaiserkritik waren ihnen vertraut und plausibel – und es müssen selbstverständlich Leser gewesen sein, die Justinian und seinem Umfeld kritisch gegenüberstanden. Doch darüber hinaus kann man nichts sagen. Ob und wie das Werk von den Zeitgenossen wahrgenommen wurde, läßt sich ebensowenig feststellen. Im 10. Jh. wurde es im Osten nachweislich rezipiert, erst im 17. Jh. wurde es im Westen entdeckt und vermittelte dort ein ganz neues Bild der Herrschaft Justinians. Strittig ist auch die Datierung der Anekdota. Ein Großteil der Bella muß bereits vorgelegen haben, als Prokop die Anekdota in dieser Form hinterließ (›publizierte‹ wäre wohl zu viel gesagt). Die Mehrheit der Forschung setzt sie um 549/550 an; eine Minderheiten-Meinung datiert sie auf 558/559. Die Differenz erklärt sich aus einer scheinbar klaren Zeitangabe bei Prokop. Dieser sagt an vier Stellen (18,33; 23,1; 24,29; 24,33), &e Herrschaft Justinians habe 32 Jahre gedauert. Doch wann fängt er an zu zählen? Konventionell läßt die moderne Forschung die Regierungszeit Justinians 527 beginnen, dann käme man auf 559 bzw., wenn man römische Zählgewohnheiten berücksichtigt, auf 558; doch vieles spricht dafür, daß Prokop die Regierungszeit Justins I., der 243
518 ins Amt kam, in seine Berechnungen mit einbezog. Dann wäre man bei 550 bzw. 549, und Prokop hätte also zur selben Zeit an den Bella und den Anekdota gearbeitet – eine faszinierende Vorstellung. Weiter erschwert wird diese Debatte dadurch, daß die Anekdota unvollendet geblieben sind. Dies zeigen der schlechte Aufbau sowie mehrere Ankündigungen vor allem der Einleitung, die ins Leere laufen – man hat aus diesen Indizien für eine fehlende Gesamtredaktion sogar (sicherlich zu Unrecht) den Schluß gezogen, es handele sich bei den Anekdota um verschiedene Schriften, die erst lange nach Prokops Tod zu einem einzigen Werk zusammengefaßt worden seien. Sollte das, was Prokop hier geschrieben hat, vielleicht gar nicht bekannt werden, jedenfalls nicht in dieser Form? Der Schlußsatz läßt vermuten, daß Prokop sein Pamphlet erst nach dem Tode Justinians seiner Leserschaft überantworten wollte. Wie so oft in der Alten Geschichte muß man wichtige Fragen offen lassen. Das ändert nichts an der großen Bedeutung und der Attraktion dieses Werks. Gewiß wird man sich hüten müssen, diesen Gefühlsergüssen, die vor Haß und Enttäuschung vibrieren, allzu viel Glauben im Detail zu schenken. Doch sie sind nicht ohne Bezug zur Wirklichkeit und vermitteln uns eine eindringlich formulierte, ungewöhnlich scharf formulierte Sicht auf die Herrschaftszeit Justinians.
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Nachwort
Die Bitte des Verlags, die höchst verdienstvollen Erläuterungen Otto Vehs zu Prokops Anekdota zu überarbeiten, erwies sich als schwieriger, als wir erwartet hätten. Bei aller Sorgfalt, die Veh hatte walten lassen, mußten seine Ausführungen in den Anmerkungen und in der Einführung angesichts der modernen Forschung und Geschichtsreflexion doch völlig neu geschrieben werden. Unsere Erläuterungen können den dringend wünschenswerten philologisch-historischen Kommentar zu den Anekdota nicht ersetzen. Ihre Aufgabe ist es, den Text verständlich zu machen, Bezüge innerhalb des Œuvres Prokops zu verdeutlichen und an ausgewählten Stellen Querverbindungen zu anderen Quellen aufzuzeigen sowie moderne Forschungsliteratur zu ergänzen. Leppin hat den Kommentar zu 1-15 erarbeitet, Meier jenen zu 16-30, allerdings haben beide die Texte des jeweils anderen durchgearbeitet. Zu danken haben wir dem Lektorat für seine Geduld und Langmut, ferner unseren Hilfskräften Nadine Melzer und Manuela Keßler in Frankfurt sowie Katharina Enderle und Oliver Thommel in Tübingen. Frankfurt a. M. / Tübingen, Hartmut Leppin Mischa Meier
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