Fischer Weltgeschichte Band 13
Byzanz Herausgegeben von Franz Georg Maier
Byzantinische Geschichte galt den Historiker...
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Fischer Weltgeschichte Band 13
Byzanz Herausgegeben von Franz Georg Maier
Byzantinische Geschichte galt den Historikern bis zum 19. Jh. vorwiegend als »langdauernder Zerfallsprozeß einer großen klassischen Vergangenheit«. Unter neuen Kategorien historischen Verstehens aber ist Byzanz als ein eigenständiges historisches Gesamtphänomen ins Blickfeld getreten. Seine fast tausendjährige Geschichte wirft Fragen nach Eigenart, historischer Rolle und nach den besonderen Faktoren auf, die dieses Reich so lange lebens- und widerstandsfähig erhielten. Der Herausgeber, Prof. F.G. Maier, zeigt in seiner Einleitung diese geographischen, ökonomischen und sozialen wie auch die kulturellen und religiösen Faktoren auf, er macht Strukturen sichtbar, die das Reich durch die Jahrhunderte seines Bestehens zugleich stabil und anpassungsfähig erhielten. In seiner jahrhundertelangen Abwehr gegen den vordringenden Islam, als Hüter griechischer Kultur und als Vermittler zwischen Abendland und Orient erfüllte Byzanz eine Funktion, die uns das immer noch ein wenig fremdartig wirkende Vielvölkerreich im Gesamtrahmen der europäischen Geschichte naherückt. Deutlich wird auch, daß die byzantinische Kultur zu schöpferischen Leistungen fähig war, die tief auf die mittelalterliche Welt, zumal auf die Balkanländer und Rußland, eingewirkt haben. Die Darstellung des geschichtlichen Ablaufs durch den Herausgeber und die anderen Autoren des Bandes belegt diese Thesen im einzelnen. Dr. Judith Herrin verfaßte das Kapitel über den Bilderstreit; Dr. H.J. Härtel bearbeitete die Frage der Beziehungen von Byzanz zu den Slawen; von Dr. W. Hecht stammen die Kapitel ›Die Makedonische Renaissance‹ und ›Das Zeitalter der Komnenen‹; das Kapitel über den Vierten Kreuzzug schrieb Hermann Beckedorf; den Niedergang von Byzanz schließlich stellte Prof. D.M. Nicol dar. Der Band ist in sich abgeschlossen und mit Abbildungen, Kartenskizzen, Herrschertafeln und einem Literaturverzeichnis ausgestattet. Ein Personen- und Sachregister erleichtert dem Leser die rasche Orientierung. Der Herausgeber dieses Bandes Franz Georg Maier,
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geb. 1926 in Stuttgart, 1951 Dr. phil. an der Universität Tübingen. 1952–1956 als Forschungsstipendiat in Rom, Sizilien und Griechenland; Mitglied der britischen Kouklia Expedition in Cypern. 1963 ordentlicher Professor für Alte Geschichte an der Universität Frankfurt/Main. 1966 Leiter der Archäologischen Expedition in Alt-Paphos/Cypern. Ab 1966 ord. Professor der Geschichte an der Universität Konstanz. 1972 ord. Professor der Alten Geschichte an der Universität Zürich; inzwischen emeritiert. F.G. Maier, dessen Forschungsgebiete die Geschichte des Altertums und des Nahen Ostens sowie die Archäologie Cyperns sind, veröffentlichte 1955 ›Augustin und das antike Rom‹, 1959/1961 zwei Bände ›Griechische Mauerbauinschriften‹, 1964 ›Cypern. Insel am Kreuzweg der Geschichte‹ und 1973 ›Archäologie und Geschichte. Ausgrabungen in Alt- Paphos/Cypern‹. Er verfaßte 1968 für den Fischer Taschenbuch Verlag ›Die Verwandlung der Mittelmeerwelt‹ (Fischer Weltgeschichte, Band 9). Mitarbeiter dieses Bandes Hermann Beckedorf (Universität Zürich) Kapitel 6 Dr. Hans-Joachim Härtet (Universität München) Kapitel 3 Dr. Winfried Hecht (Rottweil) Kapitel 4 und 5 Judith Herrin, Ph. D. (London) Kapitel 2 Prof. Dr. Franz Georg Maier (Universität Zürich) Vorwort, Einleitung und Kapitel 1 Prof. Dr. Donald M. Nicol (London University) Kapitel 7 Diana Lutz, M.A. (Konstanz) übersetzte die Kapitel 2 und 7 aus dem Englischen Vorwort If the Past were ever past, there would be no use in recalling it. Freya Stark
Eine Geschichte von Byzanz bedarf heute keiner Rechtfertigung mehr. Sie kann freilich nicht der phantasievolle Bilderbogen von Hofkabalen, Meuchelmorden und orientalischem Luxus sein, wie er auf dem Hintergrund imposanter Schlachtgemälde einer publikumswirksamen Trivialhistorie als Staffage dient. Was unser Interesse verdient, ist die historische Rolle von Byzanz mit ihren
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weitreichenden Wirkungen, sind die grundsätzlichen Probleme und durchgängigen Strukturen der byzantinischen Gesellschaft. Allein eine nahezu tausendjährige Selbstbehauptung als Herrschaftssystem und Machtschwerpunkt ist ein ungewöhnliches historisches Faktum. Unter den Großstaaten der Weltgeschichte hat nur das Chinesische Reich mit fast 2000 Jahren ungebrochener Kontinuität eine längere Lebensdauer aufzuweisen. Das Überleben des Byzantinischen Reiches angesichts ständiger Bedrohung war weniger in der zufälligen Gunst äußerer Umstände begründet als in einer hochorganisierten staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung; der byzantinische Staat gehört zu den großen absolutistisch-bürokratischen Herrschaftssystemen der Geschichte.1 Doch die historische Leistung von Byzanz erschöpft sich nicht in solcher Selbstbehauptung als politisches System. Im Byzantinischen Reich entfaltete sich eine schöpferische, intellektuell verfeinerte Kultur, die über alle Krisenzeiten hinweg eine erstaunliche Regenerationsfähigkeit bewies. Bis ins Hochmittelalter hinein wahrte Konstantinopel seinen Rang als geistiges und künstlerisches Zentrum der europäisch-nahöstlichen Welt. Nur darum konnten auf das abendländische Mittelalter, auf den Nahen Osten und vor allem auf den Balkanraum geschichtliche Wirkungen von einer außerordentlichen Vielfalt und Dichte ausgehen, die bis in die Gegenwart spürbar sind. Wenn sich byzantinische Geschichte als »Verteidigung einer Lebensform«2 beschreiben läßt: Was war dann diese Lebensform? Welche Elemente und Kräfte formten und veränderten durch Jahrhunderte die byzantinische Gesellschaft? Geschichte ist fortgesetzte Fragestellung solcher Art. Ihr besonderes Interesse gilt den Voraussetzungen, Formen und Ursachen gesellschaftlichen und geistigen Wandels – dem Ineinandergreifen politischer, sozial-ökonomischer und kultureller Kräfte in jenen Antrieben und Mechanismen, die angesichts veränderter äußerer und innerer Bedingungen in einem etablierten sozialen System Formverwandlungen in Gang setzen. Eine die Identität bis zur Unkenntlichkeit aushöhlende Generalisierung ist dabei freilich genauso intellektuelle Falschmünzerei wie jene kurzschlüssige Aktualisierung historischer Probleme, die uns eine Handlungsanweisung für die Gegenwart verspricht. Gegen solche gängige Deformation der Geschichte den historistischen Mythos der Individualität zu beschwören oder mit Ranke zu glauben, es genüge zu sagen, »wie es eigentlich gewesen sei«, nützt allerdings wenig. Sachgerechte historische Fragestellung bedarf einer die spezifisch historischen Denkkategorien befruchtenden wie kontrollierenden Kooperation mit den systematischen Sozialwissenschaften; sie kann auf Strukturanalyse und typologischen Vergleich nicht verzichten. Die Geschichte der byzantinischen Gesellschaft bietet unter solchem Aspekt ein aufschlußreiches Beobachtungsfeld. In ihren permanenten Faktoren und bestimmenden Strukturen mischen sich typische Elemente, die einer vergleichenden Analyse zugänglich sind, und individuelle Züge, die durch die besonderen Bedingungen des byzantinischen Schicksals geprägt sind. Ein Problem stellt sich in einer traditionell geprägten Gesellschaft von so hoher
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Lebenszähigkeit in besonderer Schärfe: das der Adaptionsfähigkeit an veränderte Lebensbedingungen, der Möglichkeit von Reform und Wandel. Damit verknüpft sich notwendig die Frage nach den Gründen für die Widerstandskraft von Byzanz. Sie ist historisch von höherem Interesse als die so oft erörterte Frage nach den Ursachen seines Niedergangs. Geschichtsschreibung bleibt der Versuch, die Entwicklung einer bestimmten Gesellschaft in der Zeit zu beschreiben. Prinzipiell setzt sich auch in Soziologie und Politikwissenschaft langsam die Einsicht durch, daß Strukturanalysen ohne Berücksichtigung von Zeitfaktor und genetischem Aspekt wenig ergiebig sind. Am konkreten Fall Byzanz erweist sich bei schärferem Zugriff immer wieder, daß eine rein analytischsystematische Aufarbeitung historischer Phänomene im Grunde auch typologisch unbrauchbar ist. Die bedeutende Rolle bestimmter durchgängiger Strukturen mag das politische und soziale System von Byzanz bei flüchtiger Beobachtung statisch erscheinen lassen: aber im Grunde ist es ebensosehr durch Veränderung wie durch Beharrung gekennzeichnet. Elemente, Formen und Funktionen dieser Gesellschaft unterliegen vielfältigen, zum Teil tiefgreifenden Wandlungen, wenn auch das Tempo dieses Wandels in den einzelnen Phasen der byzantinischen Geschichte unterschiedlich ist. Darum verbieten sich in vielen Fällen generelle strukturanalytische Aussagen über Byzanz – es sei denn, man wendet jene Form der Generalisierung an, die Befunde nicht durch Vergleich ins rechte Licht rückt, sondern sie durch allzu hohen Abstraktionsgrad letztlich verschleiert. Entstehen und Entwicklung einer konkreten historischen Einheit zu beschreiben kann jedoch keinen Rückzug auf Schilderung der Abläufe bedeuten; der Horizont darf nicht durch bloße Ereignisgeschichte verstellt werden. Geschichtliche Darstellung ist zwar ihrem prinzipiellen Ansatz nach diachronisch und synthetisch. Doch schließt das formal wie inhaltlich synchrone Querschnitte, die analytische Funktionen erfüllen, nicht aus. Ereignisgeschichte und Querschnitt sind für eine sachgerechte historische Darstellung komplementär. Nur in ihrer Verbindung wird es möglich, mit den Abläufen zugleich Strukturen zu erfassen und nach Wirkfaktoren zu fragen – tatsächlich zu einer »Lebensgeschichte des byzantinischen Staates« zu kommen. Darum schien es geboten, in einem einleitenden Kapitel wenigstens einige der übergreifenden Fragestellungen und Gesichtspunkte zu skizzieren, deren eine Würdigung der geschichtlichen Leistung von Byzanz heute nicht entraten kann. Der Herausgeber hat vor kurzem in dieser Reihe erklärt, für die Zeit vom 4. bis zum 8. Jahrhundert müsse der mittelmeerische Geschichtsprozeß und Kulturraum als Einheit betrachtet werden.3 Tatsächlich wird nur in dieser synchronen Gesamtperspektive ein Grundzug der historischen Entwicklung in diesen Jahrhunderten deutlich: das Auseinanderbrechen der alten Welt des Imperium Romanum in drei neue »Welten«, die bei aller lange noch spürbaren, auf gemeinsamen Traditionen beruhenden Verwandtschaft klar getrennte Herrschafts- und Kulturbereiche mit eigenen geistigen, wirtschaftlichen und
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politischen Gravitationszentren bilden. Einer dieser drei neuen Bereiche ist Byzanz; sein Zentrum Konstantinopel. Für die weitere Geschichte des byzantinischen Staatsund Kulturraumes und seines Ausstrahlungsbereiches sind aber trotz einer fortdauernden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Osmose die Wechselbeziehungen mit der historischen Umwelt nicht mehr in gleicher Weise grundlegend. Ein Wechsel der Perspektive bei gleichbleibendem Gegenstand ist daher nicht nur möglich, sondern in bestimmter Weise sogar von der Sache selbst her erfordert. Der Versuch, historischen Charakter und geschichtliche Rolle zu erschließen und zugleich typologisch wichtige Elemente zu erfassen, macht die Darstellung der Geschichte von Byzanz als einer eigenen Geschichte notwendig. Einleitung: Byzanz als historisches Problem »Zerfall und Untergang des Römischen Reiches« (E. Gibbon) oder »Größe und Niedergang von Byzanz« (Ch. Diehl): schon die Formulierung des historischen Themas zeigt den Wandel im Urteil über Erfolg und Versagen, historische Rolle und Leistung von Byzanz. Geschichtsmythen sind zählebig. Gibbons Entwurf der byzantinischen Geschichte als langdauernder Zerfallsprozeß einer großen klassischen Vergangenheit – »die denkwürdige Abfolge von Revolutionen, die im Lauf von fast 13 Jahrhunderten den soliden Bau menschlicher Größe allmählich unterhöhlte und schließlich zerstörte«4 – fügte sich nur allzu gut in den Verkürzungsprozeß der historischen Perspektive im 19. Jahrhundert. Aus nationalstaatlicher Blickenge erschien das Byzantinische Reich vom europäischen Mittelalter her als bedeutungslos; aus klassizistischer Begriffsenge wurde es als »orientalisch« und »dekadent« gleich doppelt negativ bewertet. William Lecky formulierte im Jahre 1869 nur eine gängige Auffassung: »Das allgemeine Urteil der Geschichte über das Byzantinische Reich geht dahin, daß es ohne Ausnahme die niedrigste und verächtlichste Form der Kultur darstellt, die es bisher gab ... Keine andere dauerhafte Zivilisation war so völlig aller Formen und Elemente der Größe bar ... Die Geschichte dieses Reiches ist eine monotone Reihe von Pfaffen-, Eunuchen- und Weiberintrigen, von Vergiftungen, Verschwörungen, allgemeiner Undankbarkeit und immerwährendem Brudermord.«5 Noch Arnold Toynbee war ein spätes Opfer dieses Begriffs einer ohne Schöpferkraft und Originalität dahinvegetierenden Gesellschaft, die sich dennoch tausend Jahre lang zu sterben weigert – ein jeden Klassizisten erbitterndes Ärgernis. Hundert Jahre nach Lecky haben neue Kategorien historischen Verstehens ebenso wie eine intensive Detailforschung, die zunehmend auch »Byzanz vor Byzanz« (griechisch-hellenistische und spätrömische Grundlagen der byzantinischen Kultur) und »Byzanz nach Byzanz« (in der Geschichte der Balkanvölker und Rußlands) in ihre Arbeit einbezog, das Bild der byzantinischen Gesellschaft und ihrer geschichtlichen Rolle nachhaltig verändert. Eine Anschauung von Byzanz als eigenständigem historischem Gesamtphänomen ist gewonnen, deren zunehmend differenziertere Aspekte es oft schwierig machen,
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»das Byzantinische« zu benennen, ohne in inhaltslose Formeln oder bloß negative Definitionen zu verfallen.6 Eine gewisse Fremdheit bleibt der byzantinischen Geschichte trotzdem. Der Grad unserer Distanz ist zwar geringer als gegenüber der arabisch-islamischen oder der chinesischen Geschichte. Der Hintergrund gemeinsamer Traditionen im europäischen Westen und byzantinischen Osten verführt sogar dazu, subtile und doch prinzipielle Unterschiede zu übersehen. Wer aber je byzantinische Kunst mit Ruhe betrachtet hat, muß sich von einem merkwürdigen Gefühl des Bekannten und zugleich Fremden Rechenschaft geben. Das geht nicht allein auf einen schon vor den Kreuzzügen einsetzenden Entfremdungsprozeß zwischen beiden Kulturbereichen zurück, für den konfessioneller Antagonismus ebensosehr verantwortlich war wie ein stark antiwestlich akzentuierter byzantinischer Zivilisationshochmut. Mit entscheidend ist, daß sich Byzanz keinem Begriff von Geschichte fügt, der den historischen Prozeß als Fortschritt versteht. Wir haben zwar Gibbons offen zur Schau getragenes, naivaufklärerisches Konzept des Fortschritts aufgegeben. Aber schon unser linearprogressives Verständnis des (ursprünglich durchaus anders konzipierten) Abfolgeschemas Antike – Mittelalter – Neuzeit erweist zur Genüge, wie sehr unsere Kategorien historischen Verstehens unbewußt durch den Begriff einer Entwicklung als Fortschritt vorgeprägt sind. Das Verfallsschema ist nur die Kehrseite der Fortschrittskategorie – und beide sind der Geschichte von Byzanz letztlich nicht angemessen.
I. Raum und Herrschaft Der Raum kann Geschichte so entscheidend prägen wie die Umwelt das Individuum. Ob es dabei wiederkehrende Gesetzmäßigkeiten gibt, ist umstritten; daß aber im Einzelfall Byzanz bestimmte geographische Faktoren geschichtsbildend wirkten, ist unbezweifelbar. Die Grenzen des byzantinischen Staates entsprachen ursprünglich dem bei der Reichsteilung von 395 durch Theodosius geschaffenen Oströmischen Reich. Diese Reichsteilung war kein bloßer Akt administrativer Willkür. Griechischer Osten und lateinischer Westen des Imperium Romanum unterschieden sich längst in Formen und Tiefenwirkung der Kultur ebenso deutlich wie in ihrer wirtschaftlichen und demographischen Lage. Größere Menschenreserven und höhere Produktivkraft verliehen der östlichen Reichshälfte eine überlegene Widerstands- und Regenerationskraft. Das wurde grundlegend für den Verlauf der byzantinischen Geschichte. Der ursprüngliche byzantinische Herrschaftsraum war ständigen Wandlungen und am Ende einem drastischen Kontraktionsprozeß unterworfen. In der justinianischen Zeit reichte er von Spanien zur syrischen Wüste, von der Donau und vom Schwarzen Meer zur Küste von Nordafrika. Die außenpolitische
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Katastrophe des 7. Jahrhunderts brachte den Verlust der afrikanischen und asiatischen Provinzen außer Kleinasien und fast des gesamten Balkans. Auf eine erneute Expansion durch die Reconquista der makedonischen Kaiser folgte die Verfallszeit der Palaiologen-Dynastie, in der das byzantinische Territorium nur noch die Umgebung der Hauptstadt und einige kleine Gebiete in der Peloponnes umfaßte. Als entscheidende Kernzonen erwiesen sich in dieser Entwicklung Kleinasien, Griechenland und die angrenzenden Regionen des südlichen Balkans, wo besonders Makedonien und Thrakien eine wichtige Rolle als Kornkammer und Menschenreservoir spielten. Der Einflußbereich byzantinischer Kultur hat dagegen stets die 395 gezogenen Grenzen umfaßt und noch über sie hinausgegriffen. Damit wurde eine ursprünglich nur als Verwaltungsgrenze gedachte Trennlinie zu einem bis heute in der Geschichte der Balkanländer nachwirkenden Faktor: weil die Diözesen Macedonia (das heutige Griechenland) und Dacia (das südliche Serbien) dem Ostreich zugeschlagen wurden, gerieten weite Teile des slawischen Balkans unter byzantinischen und nicht unter westeuropäischen Kultureinfluß. Die demographische Struktur des byzantinischen Herrschaftsraumes ist beim Fehlen statistischer Daten nur in Umrissen erfaßbar. Für die Einwohnerzahl, ihre Schwankungen und ihre regional verschiedene Dichte gibt es lediglich allgemeine Anhaltspunkte. Im 4. Jahrhundert erreichte die Gesamtbevölkerung des Imperiums wohl knapp ein Viertel der modernen Bewohnerzahl des gleichen Gebiets; die östlichen Provinzen, vor allem Kleinasien, Syrien und Ägypten mit ihren zahlreichen Städten, waren dabei zweifellos dichter besiedelt.7 Wieweit wiederkehrende Seuchen, Hungersnöte und außenpolitische Katastrophen im Byzantinischen Reich zu einem Bevölkerungsrückgang führten, läßt sich mit Zahlen nicht belegen. Genausowenig ist die ethnische Zusammensetzung der Reichsbevölkerung im einzelnen zu bestimmen. Sie war schon im Imperium Romanum uneinheitlich und schwer erkennbaren Verschiebungsprozessen unterworfen. Noch mehr gilt das für den byzantinischen Staat, dem der Begriff der Nationalität fremd war und der immer wieder (etwa in der slawischen Landnahme) neue ethnische Faktoren zu assimilieren hatte.
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Abb. 1: Das Imperium Romanum in seiner größten Ausdehnung und die territoriale Entwicklung des Byzantinischen Reiches
Klar erkennbar ist dagegen ein wirtschaftliches Gefälle. In den Ostprovinzen mit ihrer höheren Bevölkerungsdichte und stärker entwickelten städtischen Struktur lag seit langem der Schwerpunkt von gewerblicher Produktivität, Kapital und Steuerkraft. Sie besaßen nicht zuletzt dank der engen Verbindungen mit den angrenzenden Ländern des Orients die wichtigsten Zentren von Gewerbe und Handel. Hier war das Bank- und Kreditwesen höher entwickelt als in den westlichen Provinzen, die eher als Märkte und Rohstofflieferanten fungierten. Die Krise der Völkerwanderung hat die wirtschaftliche Überlegenheit und höhere Stabilität des östlichen Reichsteils noch verstärkt. Im Westen gingen mit der Auflösung der spätrömischen Verwaltung Wirtschaft, Verkehr und Finanzpotential zurück. In Kleinasien, Syrien und Ägypten war dagegen die ökonomische Situation der Landwirtschaft wie der großen städtischen Zentren kaum tangiert. Mit der politischen Umwelt Roms übernahm der byzantinische Staat auch gravierende außenpolitische Probleme des Imperiums. Entscheidende Landgrenzen von Byzanz lagen in zwei traditionellen Krisenräumen: an der unteren Donau und in Syrien-Armenien. Durch Jahrhunderte andauernder politischmilitärischer Druck in diesen Zonen machte den Zweifronten- Krieg zu einer Konstante byzantinischer Geschichte. An der Donau-Grenze gelang es zwar zunächst, den Stoß der germanischen Völkerwanderung nach Westen abzulenken. Doch seit dem 6. Jahrhundert schuf die slawische Landnahme auf dem Balkan einen noch größeren und dauerhafteren Gefahrenherd. Nach Osten besaß die römische Welt seit langem ein dichtes Netz wirtschaftlicher und
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kultureller Verbindungen. Aber zugleich war sie seit dem 3. Jahrhundert im Perserreich der Sassaniden mit einem hochzivilisierten, straff organisierten Staatswesen konfrontiert, dessen Anspruch auf die politische Kontrolle des syrisch- kleinasiatischen Raums zum ständigen Konflikt führen mußte. Auch hier wechselte mit der Vernichtung des Sassanidenreiches durch das Kalifat im 7. Jahrhundert nur der Gegenspieler, nicht die politische Grundkonstellation; arabische und später türkische Armeen lösten die persische Panzerreiterei ab. Zwei geographische Faktoren vor allem bedrohten angesichts dieser außenpolitisch-strategischen Konstanten Bestand und Widerstandskraft des Byzantinischen Reiches: die Randlage der reichsten und fruchtbarsten Gebiete (Nordafrika, Ägypten und Syrien) und das Fehlen natürlicher Barrieren, die an der Donau wie in der syrischen und afrikanischen Wüste eine wirksame Verteidigung der Reichsfronten erleichtert hätten. Beide Momente wurden mit entscheidend für den schnellen Verlust der Ostprovinzen und Afrikas im 7. Jahrhundert und damit für die Beeinträchtigung der ursprünglichen günstigen Wirtschaftslage des Reiches. Als positive Faktoren erwiesen sich dagegen die günstigen geographischen Voraussetzungen für eine Seeherrschaft im Mittelmeer und vor allem die starke Defensivposition des Kerngebietes Kleinasien, das neben Thrakien wichtigstes Menschenreservoir war. Das kleinasiatische Hochland ist nach Südosten durch die Taurus- und AmanusBarriere abgeschirmt, ebenso an der gefährdeten Südküste weithin durch steil zum Meer abfallende Gebirgszüge geschützt. Das eigentlich militärgeographische Problem liegt in Armenien, das im Gegensatz zur Südostfront gut passierbare Taldurchgänge aufweist. Ein zentraler geopolitischer Faktor der byzantinischen Geschichte war die Situation der Hauptstadt: mehr als tausend Jahre lang war Konstantinopel dank der außergewöhnlichen Vorteile seiner Lage Lebenszentrum und letzte Widerstandszelle des Reiches. Schon der arabische Staatsphilosoph Ibn Khaldun sah in der Rolle der byzantinischen Hauptstadt seine Theorie von der Funktion dynastischer Zentren bestätigt.8 Eine dominierende Mittelposition zwischen Asien und Europa machte Konstantinopel geographisch zur Reichszentrale, erlaubte notfalls aber auch eine Abriegelung der Ostgebiete vom Balkan. Mit der strategischen Hauptverbindung zwischen den persischen und den germanischslawischen Fronten beherrschte die Stadt auch den wichtigen Landhandelsweg zwischen Donaubecken und Euphrat. Zugleich lag sie für Seekriegführung und Seehandel gleichermaßen günstig zwischen Schwarzem Meer und Ägäis, mit direkten Verbindungen nach Syrien, Ägypten, Nordafrika und Italien. Ständig modernisierte Verteidigungsanlagen machten den größten Handelsplatz des Mittelmeeres auch zur stärksten Festung, die im Lauf ihrer langen Geschichte nur zweimal erobert werden konnte (1204 und 1453). Konstantins auf politischen, wirtschaftlichen und strategischen Erwägungen basierende Entscheidung, im Jahre 330 die neue Reichshauptstadt an der Stelle des alten Byzantion am Bosporus zu begründen, erwies sich im Wechsel der
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Geschicke immer wieder als richtig. Sie akzentuierte die Gewichtsverlagerung im Imperium, die ebenso durch die wirtschaftliche Überlegenheit der östlichen Reichshälfte wie durch die militärische Lage bedingt war. Aber zugleich spielten religiöse und religionspolitische Motive mit: die neue Hauptstadt sollte frei von der Last heidnischer Traditionen und überlebter politischer Erinnerungen sein. Das zweite Rom, in dem ein öffentlicher heidnischer Kult nicht mehr erlaubt war, war ein christliches Rom. II. Die historische Rolle von Byzanz Das spätrömische Imperium des 4. und 5. Jahrhunderts umspannte die gesamte mediterrane Kulturwelt mit ihren durch Rom erschlossenen Randgebieten von Schottland bis zur Sahara, von der marokkanischen Atlantik-Küste bis zum oberen Euphrat. In der Krise der Völkerwanderung zerfiel der Westen des Reiches in eine Gruppe germanischer Feudalstaaten. In den östlichen Provinzen dagegen lebten in einem nach absolutistischen und zentralistischen Prinzipien organisierten Herrschaftssystem staatliche Ordnung, Rechtsnormen und politische Ideen des Imperium Romanum weiter; damit verbanden sich das Christentum griechischer Prägung und eine hellenistische, stark durch orientalische Einflüsse gefärbte Kultur. Aus der Synthese dieser Traditionen erwuchs ein historisches Gebilde von erstaunlicher Lebensfülle und Regenerationskraft. Als politische und wirtschaftliche Großmacht wie als Kulturpotenz besaß das Byzantinische Reich als Erbe Roms lange eine dominierende, anfänglich sogar eine einzigartige Position. In einer Zeit der Dezentralisation und der lokalen Horizonte lag hier das eigentliche historische Kraftfeld des Raumes; das »neue Rom« war sein bestimmendes geistiges Zentrum. Der Aufstieg des Islam setzte der zweihundertjährigen Rolle von Byzanz als einziger Weltmacht am Mittelmeer ein Ende. Aber bis zum Ausgang des Hochmittelalters blieb das Byzantinische Reich der Staat mit der wirksamsten Verwaltung, dem schlagkräftigsten Heer und der größten Finanzkapazität im europäischmediterranen Raum; bis zum Erstarken der Seerepubliken Genua und Venedig spielte es die führende Rolle im Mittelmeer- und Orienthandel. Konstantinopel war unbestritten die Hauptstadt der europäischen Kultur. Selbst als mit den Kreuzzügen der religiöse Gegensatz zwischen lateinischem Westen und griechischem Osten auf das politische Gebiet übergriff und der Konflikt mit den westlichen Staaten entscheidend zum Niedergang beitrug, übte das Byzantinische Reich noch für 250 Jahre eine dreifache geschichtliche Funktion aus: Abwehr gegen den Islam, Überlieferung der griechischen Kultur und geistige Vermittlung zwischen Abendland und Orient. An den Folgen des Vakuums, das nach dem Fall von Konstantinopel für die Balkanländer entstand, läßt sich die Bedeutung der achthundertjährigen Abwehrleistung auf den Schlachtfeldern von Syrien, Armenien, Sizilien und
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Kleinasien ablesen. Doch diese passive Funktion eines christlich-orientalischen Pufferstaates, hinter dessen Schirm sich Staatenwelt und Kultur der germanischromanischen Völker Mitteleuropas entfalten konnten, wird oft zu einseitig in den Vordergrund gerückt. Die geschichtliche Rolle von Byzanz beschränkte sich nicht auf die bloße außenpolitisch-militärische Selbstbehauptung einer »Promachie gegen den Islam« (Jacob Burckhardt). Seine Schlüsselrolle in dem großen weltgeschichtlichen Wirkungszusammenhang einer jahrtausendealten Auseinandersetzung zwischen Ost und West, Orient und Okzident, ist begründet in einer geistigen Selbstbehauptung angesichts des Absterbens der antiken Kultur im Westen und des Aufbruchs des Orients im Islam. Byzanz wirkte nicht bloß als Wahrer der klassischen Tradition in Krisenzeiten, als Verwalter eines geschützten Bereichs, in dem griechisch-hellenistische Literatur, Wissenschaft und Kunst überleben konnten. In einem schöpferischen Aneignungsprozeß entstand aus der Verbindung von griechischem Erbe, christlichen Traditionen und orientalischen Elementen die brillanteste und leistungsfähigste Kultur des frühen Mittelalters. Die Fähigkeit von Byzanz, einen bedeutenden Einfluß auf die Formation angrenzender Kulturen auszuüben, entspringt dieser Überlegenheit geistiger Leistungen und künstlerischer Schöpfungen, nicht allein seiner machtpolitischen Stellung oder den unbezweifelbaren Attraktionen seiner materiellen Zivilisation. Radius und Tiefenwirkung der byzantinischen Ausstrahlung differieren. Der Islam, das mittelalterliche Europa wie die slawischen Völker des Balkans gehören in ihren Bereich. Selbst nach dem politischen Untergang von Byzanz dauert sie in der griechischen Orthodoxie wie in der Geschichte der slawischen und russischen Völker fort. In der griechischen Kirche ist byzantinische Tradition bis heute direkt faßbar: Dogma, Struktur der Frömmigkeit und Kunst sind reines Erbe von Byzanz. Doch auch die Geschichte der Araber und Türken (und damit in einer gewissen Hinsicht des modernen Nahen Ostens) ist nicht begreifbar ohne die Wirkungen von Byzanz auf Staat und Kultur des Islam – eine Tatsache, die schon im 14. Jahrhundert ein so unverdächtiger Zeuge wie Ibn Khaldun festgestellt hat. Die geschichtlichen Wirkungen auf Politik, staatliche Ordnung und Kultur der mittelalterlichen Staatenwelt Westeuropas waren vielfältig. Das Byzantinische Reich griff nicht nur machtpolitisch in die Konflikte der westlichen Reiche ein. Es hat ihr Herrscherzeremoniell, ihren politischen Stil und ihre politischen Ideen ebenso beeinflußt wie durch den Einstrom byzantinischer Waren und Luxusgüter ihre materielle Kultur. Am nachhaltigsten aber wirkte Byzanz auf Kunst und geistige Welt des frühen und hohen Mittelalters ein. Das ist in der karolingischen und ottonischen Kunst ebenso faßbar wie in der Entwicklung der Kirchenmusik und des Mönchtums. Sekundäre Zentren einer solchen Ausstrahlung waren zeitweise von Byzanz beherrschte Gebiete wie Venedig und Unteritalien. Hier hat der kulturelle Einfluß das Ende der politischen Herrschaft lange überdauert. Die Rolle der vor den Türken nach Italien flüchtenden
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byzantinischen Gelehrten für die Entstehung der Renaissance ist freilich lange überbewertet worden. Die italienische Renaissance war in erster Linie ein lateinisch-römisches Phänomen, in ihrer an den klassischen griechischen Leistungen orientierten Kunst sogar durchaus antibyzantinisch. Dennoch reicht byzantinischer Einfluß über die Gestaltung der mittelalterlichen Welt hinweg in die Formation des modernen Europa hinein; wesentliche Elemente seiner Kultur entstammen griechisch-römischen, durch Byzanz bewahrten und vermittelten Traditionen. Weitreichender und im Vergleich mit dem Westen ungleich tiefer und dichter war die Ausstrahlung byzantinischen Daseins auf die slawischen Völker und Rußland. Im Moment der slawischen Landnahme war der Balkan ein weithin verwüstetes geistiges Niemandsland, die Neuankömmlinge selbst fast ohne Tradition höherer Kultur. Um so eindringlicher war durch Jahrhunderte die auch im persönlichen Erleben einzelner Slawen aufzuweisende Wirkung der Metropole Byzanz; Konstantinopel wurde für sie gleichbedeutend mit Kultur. Direkte politische Herrschaft, gezielte Mission und die außergewöhnliche Fähigkeit, fremde Eliten zu »byzantinisieren«, setzten einen Durchdringungsprozeß in Gang, der sich ebenso nachhaltig politisch wie religiös und kulturell auswirkte. Serben, Kroaten, Bulgaren, Ungarn und Russen wurden nicht nur in der spezifischen Form ihres christlichen Glaubens und in ihrer volkssprachlichen Liturgie, sondern viel umfassender in ihrer geistigen und künstlerischen Welt durch den byzantinischen Kulturtyp geprägt, wie das etwa Malerei und Kirchenbau bezeugen. Was Rom für die germanischen Völker des Westens bedeutete, war Byzanz für die slawische Welt: die Quelle von Religion und Kultur. Das Byzantinische Reich ist damit entscheidend verantwortlich für die geistige Grenzscheide zwischen Mittel- und Osteuropa. Für die Slawen unter türkischer Herrschaft wurden, wie für die Griechen, orthodoxer Glaube und byzantinisch geprägte Kultur ein Medium nationaler Selbstbehauptung. Das aber schuf ein bis heute auch politisch wirksames historisches Faktum. Die Welt der slawischorthodoxen Christenheit verfügt als Erbe von Byzanz bei allen machtpolitischideologischen Differenzen über grundlegende Gemeinsamkeiten in Denken und Weltsicht. Hier ist eine eigene Form europäischer Kultur entstanden, die Renaissance, Aufklärung und industrielle Revolution nicht durchmachte und dann plötzlich im späten 19. Jahrhundert diese historische Lücke überspringen mußte. Ein Verständnis Rußlands ist zu einem gewissen Grade von der Einsicht in solche historischen Bedingtheiten abhängig. Orthodoxe und byzantinische Traditionen leisteten der Einigung der russischen Völker unter Moskau Vorschub; mit dem Anspruch, das »dritte Rom« zu sein, begründete es seine Führungsrolle im slawischen Osten. Das russische Sendungsbewußtsein ist vielleicht die heute noch am stärksten spürbare geschichtliche Fernwirkung von Byzanz.
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III. Die Fähigkeit zu überleben: Politische und soziale Strukturen Die Ursachen des Niedergangs von Byzanz sind lange diskutiert worden. Doch bedeutsamer scheint die Frage nach den Bedingungen und Kräften, die angesichts ständiger Bedrohung von außen und innen Leistung, Dauer und Überleben möglich machten. In den großen Themen und durchgängigen Strukturen der byzantinischen Geschichte werden neben Elementen von Schwäche und Zerfall auch die Kräfte sichtbar, die zu Widerstand, Stabilisierung und Wandel befähigten. Unter diesen Elementen der Lebenskraft spielte angesichts der Größe wie der ethnischen und religiösen Komplexität des byzantinischen Staates die Struktur des politischen Systems eine entscheidende Rolle. Machtpolitische Selbstbehauptung gehört zum Leben jedes Staates. Doch selten hat sie eine so dominierende und zum Teil dramatische Rolle gespielt wie in der Geschichte von Byzanz. Phasen der Überlegenheit und Expansion wechselten mit Zeiten der Defensive und der Gebietsverluste. Im Grunde kam das Reich aus der Situation ständiger Abwehrkämpfe im Osten und auf dem Balkan nie heraus. Die Bewahrung der politischen Einheit und der Weltstellung als Großmacht zwischen den Staaten des Orients und des germanischromanischen Westens hat daher militärisch wie finanziell ständig erhebliche Kräfte der byzantinischen Gesellschaft gebunden. Der Krieg hat genauso wie die Religion ihre innere Entwicklung in vielfacher Weise geprägt. Der imperiale Anspruch von Byzanz überforderte Möglichkeiten und Kräfte des Staates und wirkte darum auf die Dauer als ein Faktor des Zerfalls. Doch er entsprang einer tief verwurzelten Ideologie, in der sich heterogene Elemente zu einer kompakten politischen Theologie verbanden. Byzanz verstand sich als Hüter einer politischen Tradition, für die in Nachfolge der orientalischen Weltreichsidee Herrschaft im Grunde eins und unteilbar war. Daß Macht in dieser Welt nur legitim sei, wenn sie von dem einen Kaiser in Konstantinopel delegiert werde – dieser Anspruch wurde nie aufgegeben, so irreal und skurril er in späterer Zeit war. Der byzantinische Herrschaftsanspruch war freilich tiefer begründet als nur in der antik-römischen Staatstradition. Die Verbindung der imperialen Idee mit dem Gedanken der christlichen Politeia machte das Reich im Bewußtsein seiner Herrscher und Bürger zu einer nicht nur auf machtstaatliche Kategorien und Faktoren gegründeten Ordnung. Reich und Kaiserherrschaft galten als Endziel eines göttlichen Planes mit dieser Welt. Im christlichen Imperium als notwendigem Teil der Heilsgeschichte waren Römerreich und Gottesvolk zu einer Gemeinschaft geworden. Die Überzeugung, daß das Reich dem Willen Gottes entsprang, mußte weitreichende Folgen für die Deutung seiner geschichtlichen Aufgabe haben. Der Anspruch des Staates ging nicht nur auf Behauptung der Herrschaft; sein Auftrag war zugleich Schutz und Verbreitung des wahren Glaubens. Weil das Reich göttliche Ziele für die Menschheit verwirklichte, stand es unter dem Schutz der Engel und Heiligen. Die kaiserlichen Heere fochten unter Christus-Monogramm und Marien-Ikonen;
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übernatürliche Hilfe war zu erwarten, wenn es um die Verteidigung des Reiches als der christlichen Gesellschaft ging. Auch für die Ordnung von Staat und Gesellschaft in Byzanz hatte diese politische Theologie grundlegende Konsequenzen: dem Herrscher als Instrument Gottes war die Bewahrung der rechten Ordnung sozialen Lebens aufgegeben. Schon die hellenistische Staatstheorie begriff die absolute Herrschaft des Monarchen als imitatio Dei, den recht geordneten Staat als Abbild des Kosmos. Diese philosophische Begründung des Absolutismus mit der Deutung des Herrschers als Mandatar der höchsten Macht wurde vom Christentum übernommen und durch die alttestamentliche Idee der göttlichen Erwählung des Königs zusätzlich begründet. Wie das Reich einen göttlichen Auftrag erfüllte, so war der kaiserliche Herrschaftsanspruch auf die Gnade und den Willen Gottes gegründet. Der rechtgläubige Herrscher war Stellvertreter Gottes auf Erden und Gesalbter des Herrn, seine Untertanen waren idealiter alle Christen. Der kaiserliche Absolutismus des überkommenen politischen Systems war so nicht nur machtpolitisch, institutionell und staatsrechtlich fundiert, sondern zugleich ideologisch- religiös. Politische Struktur wurde verstanden als Abbild des himmlischen Königreiches: wie es nur einen Gott gibt, kann es nur einen Kaiser geben – nur eine zentral e Entscheidungsinstanz: »Alles hängt von der Weisheit des Kaisers ab, und mit Gottes Hilfe werden durch kaiserliche Fürsorge alle Dinge beschützt und erhalten.«9 In seinen Händen war alle Autorität konzentriert: er war alleiniger Ursprung der Macht, einzige Quelle des Rechts und regierte mit unumschränkter Gewalt. Den göttlichen Ursprung der kaiserlichen Autorität verkündeten Predigten und Schriften der Kirche ebenso wie Kaisermünzen und Hofzeremoniell. Insignien und Zeremoniell, ursprünglich unter starkem persischem Einfluß ausgebildet, hatten keine bloße Repräsentationsfunktion, sondern besaßen für die Untertanen eine tiefe Symbolik. Das perlengestickte Diadem, der gold- und edelsteinverzierte Purpurmantel, das Zepter genauso wie der Kniefall der Untertanen, der Weihrauch und die von eigenen Palastchargen gewahrte feierliche Ruhe bei Amtshandlungen: all das manifestierte die dem gewöhnlichen Leben weit entrückte Majestät des Herrschers. »Durch das rühmenswerte System unseres Hofzeremoniells wird die kaiserliche Macht in großer Pracht und Schönheit dargestellt; sie erfüllt fremde Völker wie unsere eigenen Untertanen mit Bewunderung.«10 Hofzeremoniell hat keine andere Qualität als ein Gottesdienst in der Kirche: es ist imperiale Liturgie. Politisches Bewußtsein dieser Art mußte ein entschieden traditionalistisches politisches Denken befördern. Zwar wurden Mißbrauch der Herrschaft, innenpolitische Mißstände und außenpolitische Entscheidungen in Konstantinopel häufig leidenschaftlich diskutiert. Aber grundsätzlich blieb der von Gott gewollte christliche Absolutismus für Herrscher und Untertanen eine unbestrittene Selbstverständlichkeit des Lebens. Andere Formen politischer Ordnung erschienen (wie das Eusebios im Hinblick auf die Demokratie
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formulierte) als Chaos und Skandal. Abgesehen von einigen eher abstrusen Staatsentwürfen der Spätzeit gab es darum im Byzantinischen Reich keine politische Theorie als Erörterung möglicher alternativer Systeme: das schien so sinnlos wie überflüssig. Aus dem Verständnis kaiserlicher Herrschaft als Theokratie ergab sich das Beharren auf einem bestimmten politischen und sozialen System. Die politischen Strukturen der frühbyzantinischen Gesellschaft entstammten genauso wie ihre sozialen Formen und wirtschaftlichen Grundlagen dem Imperium Romanum Christianum. Indem aber im Zusammentreffen von historischer Situation und politischer Theologie der spätrömische Staat Diocletians und Konstantins als Erfüllung eines eschatologischen Heilsplanes begriffen wurde, erhob man eine durchaus zeitbedingte Lösung politischer und sozialer Probleme zu einer überzeitlichen Norm, einem metaphysisch legitimierten Idealtypus von Herrschaft und gesellschaftlicher Ordnung. Das wurde von unabsehbarer Bedeutung für den Charakter des byzantinischen Lebens und das Schicksal der byzantinischen Gesellschaft, weil auch grundlegende Faktoren der wirtschaftlichen und sozialen Situation sich durch Jahrhunderte kaum veränderten. Bei allem Wandel in Staat und Gesellschaft blieben bestimmte Strukturen, Konstanten und Konflikte in der byzantinischen Geschichte dauernd wirksam. Wie der Herrschaftsanspruch der römischen Reichsidee erhielt sich das Herrschaftssystem eines zentralistisch-bürokratischen Absolutismus bis in die Spätzeit. Ebenso beständig war das Gefälle zwischen Bedarf und Produktion, die komplementäre Tendenz zur wirtschaftlich-sozialen Reglementierung und die bedeutende Rolle des Großgrundbesitzes. Der autokratische Absolutismus erwies sich für fast tausend Jahre als Grundzug und entscheidendes Stabilisierungselement des politischen Systems von Byzanz. Die Idee der Herrschaft kraft göttlichen Rechts gab der kaiserlichen Autorität eine transzendente Legitimation, die den Staat der Willkür der Armee entzog. Dennoch blieb dieses häufig unzuverlässige Machtinstrument der entscheidende Machtrückhalt, zumal ein dynastisches Prinzip erst in der Spätzeit anerkannt wurde. Es gab zwar immer wieder eine verhältnismäßig dauerhafte Nachfolgesicherung durch das Adoptions- und Kooperationsrecht des regierenden Kaisers. Doch im Prinzip blieb die byzantinische Monarchie eine Wahlmonarchie, in der jedermann ohne Qualifikation der Geburt oder der Ausbildung den Thron besteigen konnte. Bei der Einsetzung eines neuen Kaisers wirkten die Akklamation durch die Armee, den Senat und das Volk von Konstantinopel zusammen; de facto wurde die entscheidende Wahl meist von der Armee, seltener von einflußreichen zivilen Funktionären getroffen. Ein militärischer Staatsstreich hat in der Tat einige der besten Kaiser von Heraklios bis Nikephoros Phokas auf den Thron gebracht. Die byzantinische Theorie der Herrschaft war allerdings nicht die einer einfachen weltlichen Wahlmonarchie: der Kaiser war zugleich von Gott erwählt. Die Akklamation bedurfte der kanonischen Bestätigung durch Krönungsriten,
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die seit Leon I. (474) der Patriarch von Konstantinopel durchführte. Diese religiöse Sanktionierung der Autorität des Statthalters Gottes war immerhin so wichtig, daß sie in manchen Fällen durch religionspolitische Zusagen erkauft wurde. Die eigentümliche Konzeption der Kaiserwahl erlaubte es übrigens, in diesem streng absolutistischen System auch Revolte und Absetzung des Herrschers zu legitimieren, indem Armee, Senat und Volk einen neuen Kaiser anstelle des alten »inkompetenten« Herrschers proklamierten. In der Theorie gab es kein Gegengewicht gegen eine exzessive Machtausübung des Kaisers. Die Kontrolle über einen umfangreichen und straff zentralisierten Verwaltungsapparat garantierte auch im Regelfall zusammen mit der Verfügung über die Armee die Durchsetzung des kaiserlichen Willens. Dennoch stieß die Autokratie in der politischen Realität auf deutliche Schranken; zu viele gelungene Staatsstreiche erweisen, wie instabil die Position der byzantinischen Krone war. Der Versuch, ein zentralisiertes politisches System zu schaffen, traf wie in vergleichbaren historischen Situationen auf die Opposition bestimmter politischer und sozialer Gruppen. Stärkster Gegenspieler der Kaisermacht war die große grundbesitzende Aristokratie; auf der Bewahrung einer delikaten Balance zwischen dieser Klasse und dem kaiserlichen Verwaltungsapparat beruhte die Sicherheit der Herrschaft. Genauso wirkten die Armee und die Kirche mit ihren Möglichkeiten der Massenbeeinflussung als machtbeschränkende Elemente. Der Einfluß der Kirche auf den Kaiser ist trotz ihrer im ganzen staatsfrommen Haltung nicht zu unterschätzen; schließlich konnte schon der »Besitz« des Patriarchen über das Schicksal eines Herrschers entscheiden. Aber vielleicht mehr als diese realpolitischen Momente beschränkte das Gesetz die kaiserliche Autokratie. Der Herrscher war zwar die Quelle allen Rechts. Aber immer wieder haben die Kaiser eine höhere Souveränität des Rechts anerkannt und ihre Verpflichtung betont, die fundamentalen Sätze des römischen Rechts zu achten. Nicht zuletzt darum war die Kaiserherrschaft im Verständnis der Byzantiner keine willkürliche Tyrannei. Das änderte freilich nichts daran, daß der byzantinische Staat durch eine einheitliche, überall gültige Rechtsordnung und durch eine ausgedehnte Reichsverwaltung bis ins letzte Dorf alle Lebensbereiche zu beherrschen suchte. Ein hochorganisierter und komplexer Herrschaftsapparat erfüllte und koordinierte vielfältige Funktionen: auswärtige Politik und Diplomatie, Führung und Versorgung der Streitkräfte, Regulierung der Währung, Erfassung von Steuern und Abgaben wie Kontrolle des sozialen und wirtschaftlichen Lebens überhaupt. Die byzantinische Verwaltung war in vieler Hinsicht eine bemerkenswerte Institution: ungemein kostspielig, sprichwörtlich korrupt, in Geist und Methoden durchaus reaktionär wie alle Bürokratien – aber doch für Jahrhunderte die wirksamste administrative Organisation der europäischnahöstlichen Welt. Ihre Existenz war ein Hauptelement der Stabilität und Lebensdauer des Reiches; unter unfähigen Kaisern wie während innenpolitischer Krisen und Palastrevolutionen arbeitete sie unbeeindruckt weiter und bewahrte
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die staatliche Kontinuität. Das Weiterleben traditioneller Titulaturen erweckt dabei zu Unrecht den Eindruck eines statischen Systems. Die byzantinische Reichsverwaltung hat sich vielmehr bei aller Schwerfälligkeit im Verlauf der Entwicklung als verhältnismäßig flexibel und anpassungsfähig erwiesen. So wurde etwa das spätrömische Prinzip der Trennung ziviler und militärischer Gewalt unter den veränderten Bedingungen des 7. Jahrhunderts aufgegeben. Bestimmte Grundzüge der von Diocletian und Konstantin geschaffenen Herrschaftsstruktur blieben aber trotz Veränderung und Reform lange wirksam: Zentralismus, Bürokratisierung und umfassende Kontrollmechanismen im administrativen Gefüge; Verklammerung zentraler Instanzen mit einer durchgegliederten Regionalverwaltung; hierarchische Abstufung und differenzierte Aufgabentrennung in den Verwaltungsfunktionen; Sonderrolle des Hofes mit seinen einflußreichen Palastwürdenträgern als Nebenregierung – Elemente, die den Sachzwängen der Komplexität in einem Staat dieser Größe wie dem Mißtrauen des Absolutismus gegen seinen eigenen Apparat Rechnung trugen. Zwei weitere, durch Jahrhunderte erfolgreiche Faktoren byzantinischer Selbstbehauptung waren Diplomatie und Streitkräfte. Die Methoden byzantinischer Außenpolitik – eine wohlüberlegte Mischung von Gewalt, Nachgiebigkeit und Geld – entwickelten bewährte römische Traditionen weiter (vgl. unten S. 70), die sich dann ins Osmanische Reich vererbten. Sie trugen entscheidend dazu bei, den Einflußbereich von Byzanz auszuweiten und sein internationales Prestige aufrechtzuerhalten. Die byzantinische Flotte besaß zeitweise eine dominierende Position im Mittelmeer. An den Landfronten mit ihrem ständigen Kriegsrisiko erwies sich eine verhältnismäßig kleine, aber mobile und hochtrainierte Berufsarmee für lange Zeit als modernstes und bestes Kriegsinstrument in Europa und im Nahen Osten. Verwaltung, Diplomatie und Streitkräfte setzten eine hohe Wirtschaftskraft und eine effiziente Finanzverwaltung voraus. Darum blieb der Drang, alle Lebensäußerungen der Untertanen, vor allem ihre Wirtschafts- und Steuerkraft, bis ins einzelne durch genaue Unterlagen zu erfassen, ein Merkmal des byzantinischen Staates bis in seine Spätzeit. Eine solche Politik war weniger bürokratischer Selbstzweck als bitter notwendige – und am Ende vergebliche – Reaktion auf zwei Konstanten der byzantinischen Geschichte. Die in Jahrhunderten grundsätzlich wenig veränderte innen- und außenpolitische Situation erzwang den Unterhalt eines umfangreichen Herrschaftsapparates und zugleich eine dauernde Grenzverteidigung; daraus resultierte ein ständiger hoher Finanzbedarf. Dem stand trotz der lange fast unerschöpflich scheinenden Wirtschaftskraft von Byzanz ein im Grunde verhältnismäßig schwaches ökonomisches System gegenüber. Das war durch den agrarischen Grundcharakter der byzantinischen Wirtschaft und durch die begrenzte Produktionsleistung der Landwirtschaft bedingt. Ein immer wieder spürbares Gefälle zwischen Bedarf und Erzeugung hatte einschneidende Wirkungen. Es
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zwang den Staat zu intensiver Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Reichsverwaltung diente nicht zuletzt als ein kompliziertes Abgabenerfassungssystem mit umfassenden Kontrollfunktionen; die Erfassung und Erschließung wirtschaftlicher Reserven zählte zu den wichtigsten Aufgaben der Bürokratie. Es gelang auch zeitweise, die Wirtschaft zu aktivieren und die Währung zu stabilisieren. Aber mit dem dauernden Anstieg der Kosten von Bürokratie und Armee wurde mehr und mehr ein Dirigismus zum dominierenden Prinzip, der durch restriktive Regelungen und fiskalistische Ausbeutung die binnenwirtschaftlichen Initiativen einschränkte. Da dieser Dirigismus die eigentlichen Strukturmängel weder sah noch bekämpfte, änderte sich die ökonomische Grundsituation qualitativ nie. Das Byzantinische Reich verfügte zwar über eine ausgewogenere und komplexere wirtschaftliche Struktur als der Westen. Die ökonomische Rolle der Städte mit ihren vor allem auf Gewerbe und Handel basierenden Produktionsformen war keineswegs unerheblich, wenn auch regional verschieden. Doch selbst in den am stärksten urbanisierten Provinzen waren die Städte am Gesamtsteueraufkommen nur mit etwa 5 Prozent beteiligt. Das vorhandene Kapital war überwiegend in Land angelegt; der größte Teil der Bevölkerung (bis zu 90 Prozent) lebte von und in der Landwirtschaft. Trotzdem blieb die Ernährungsdecke dünn; denn schätzungsweise 19 auf dem Lande arbeitende Personen waren notwendig, um den für eine in der Stadt lebende Person notwendigen Überschuß zu erzielen. Eine spürbare Produktionssteigerung wurde nicht in erster Linie durch den staatlichen Dirigismus verhindert. Die byzantinische Wirtschaftspolitik hat zwar das ihrige zur Lähmung der Privatinitiative und zur Austrocknung des Kapitalmarktes beigetragen. Doch in der Förderung von Gewerbe und Handel, dem Schutz und der Entwicklung des kleinen Bauerntums, dem Kampf gegen die Entvölkerung erreichte sie zeitweise Erfolge; die Erhaltung einer international akzeptierten Goldwährung war eine der großen Leistungen des byzantinischen Staates. Am Zunftsystem, das für die gewerbliche Tätigkeit im gesamten Byzantinischen Reich bestimmend blieb, ließe sich etwa zeigen, daß die Verbindung wirtschaftlichen Monopols und staatlicher Intervention durchaus nicht nur negative Seiten hatte. Weder Fiskalismus noch Dirigismus haben Phasen einer begrenzten wirtschaftlichen Prosperität verhindert; das läßt sich schon aus der Geschichte des östlichen Reichsteils im 5. Jahrhundert oder aus der des justinianischen Staates ablesen. Was einen kontinuierlichen und langfristigen Produktionsanstieg, eine Stärkung der wirtschaftlichen Ressourcen und damit das Entstehen einer weniger krisenanfälligen ökonomischen Basis für Staat und Gesellschaft verhinderte, waren strukturelle Mängel: das Fehlen expandierender Märkte für gewerbliche Produkte, das ungünstige Verhältnis zwischen Produzenten und Verbrauchern, ein wenig entwickeltes und kostenintensives Transportwesen, nicht zuletzt aber – verglichen mit der im Westen langsam einsetzenden
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Entwicklung – ein technologischer Stillstand der Landwirtschaft, Anbaumethoden und agrarische Technik verharrten auf dem traditionellen Stand früherer Jahrhunderte; das erlaubte keinen Ersatz extensiver durch intensive Bewirtschaftungsformen. Das mangelnde Interesse an einer Entwicklung neuer, arbeitskraftsparender und produktionsfördernder mechanischer Kraftquellen war keine Folge der ohnehin zahlenmäßig sehr zurückgegangenen Sklaverei. Es war offenbar bedingt durch den Mangel an ausreichendem Investitionskapital (der mit der traditionellen Re-Investierung gewerblicher Gewinne in Landbesitz zusammenhing), mehr aber noch durch eine sozialpsychologisch-intellektuelle Barriere, die schon der ältere Plinius beschrieben hat: die konventionelle Verachtung »banausischer« Tätigkeiten in den gebildeten Schichten bot keinerlei Anreiz zur praktischen Auswertung vorhandener naturwissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse. Die endemischen Finanzschwierigkeiten des byzantinischen Staates mit ihren direkten Rückwirkungen auf die Außenpolitik ließen sich darum nie grundsätzlich, sondern nur für begrenzte Phasen überwinden. Das ändert jedoch nichts daran, daß Byzanz durch sein verhältnismäßig komplexes geldwirtschaftliches System, seine Produktionskraft und seine nicht unbeträchtlichen Staatseinnahmen anderen Staaten für lange Jahrhunderte klar überlegen blieb. Erst seit dem Ende des 11. Jahrhunderts setzten mit dem Übergewicht des Großgrundbesitzes und dem Rückgang des freien Kleinbauerntums wie mit dem Verlust der Kontrolle über Fernhandel und städtische Wirtschaft an die italienischen Seerepubliken jene sozialen und ökonomischen Veränderungen ein, die die Wirtschaftskraft und damit die finanzielle Kapazität des Staates unterhöhlten, die ein Stützpfeiler der Macht und Widerstandskraft von Byzanz gewesen war. Die Wirtschaftspolitik zeitigte schwerwiegende, zum Teil unbeabsichtigte und in ihren Konsequenzen nicht überschaubare gesellschaftliche und politische Folgen. Die Beharrungsfähigkeit sozialer Strukturen in Byzanz geht nicht zuletzt auf ständige regulierende Eingriffe des Staates zurück. Die straffe Bindung des einzelnen an Stand und Beruf, wie sie der spätrömische Staat anstrebte (vgl. FWG 9, S. 91 ff), wurde zwar aufgegeben. Aber politisch-administrative Maßnahmen und unveränderte ökonomische Grundbedingungen verfestigten im Widerspiel der gesellschaftlichen Kräfte den Konflikt zwischen dem Herrschaftsanspruch der Zentrale, repräsentiert durch Kaiser und städtischen Beamtenadel, und der großen landbesitzenden Aristokratie, die gegen zentralistische und absolutistische Methoden opponierte. Diese Auseinandersetzung zwischen dem Monarchen, dessen Ziel eine zentralistische politische Ordnung mit gesichertem Zugriff auf alle Entscheidungsprozesse und staatlichen Ressourcen ist, und einer traditionellen Führungsschicht, deren überkommene Machtpositionen wie wirtschaftliche Interessen durch eine solche Politik eingeschränkt werden, blieb ein zentrales Thema der byzantinischen Geschichte. Sie gehört zu jenen strukturellen Problemen, die sich typologisch mit
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den Bedingungen anderer Großreiche vergleichen lassen. Typischen Charakter hat dieser Konflikt auch darin, daß die Politik der Zentrale Rückhalt bei sozialen Gruppen sucht, deren Interesse in einer Schwächung der aristokratischen Elite liegt. Die besonderen Formen dieses gesellschaftlichen und innenpolitischen Grundkonflikts in Byzanz entspringen der trotz des agrarischen Gesamtcharakters verhältnismäßig komplexen wirtschaftlichen Struktur. Im Westen wurde für lange Zeit der soziale und kulturelle Lebensraum zunehmend auf die Bereiche von Gutsherrschaft und Kloster eingegrenzt; einer schmalen Schicht des Grundadels stand die als Halbfreie auf dem Lande arbeitende Masse der Bevölkerung gegenüber. In Byzanz aber blieb ein differenzierteres, zu einem ausgewogeneren sozialen System tendierendes Verhältnis von Stadt und Land, von Großgrundbesitz und freiem Bauerntum die Basis der Entwicklung. Der Aufstieg der Grundherrschaft als wirtschaftlicher Rückhalt der Führungsschicht war das beherrschende soziale Phänomen der spätrömischen Zeit gewesen – eine der ungeplanten Nebenwirkungen der dirigistisch-fiskalistischen Zwangswirtschaft (vgl. FWG 9, S. 85 ff). Auch in der byzantinischen Gesellschaft spielte der Großgrundbesitz weiterhin eine ebenso bezeichnende wie bedeutsame Rolle. Aber daneben blieb die Stadt als Zentrum wirtschaftlichen und geistigen Lebens ein wichtiger Faktor. Als einziger mittelalterlicher Staat besaß das Byzantinische Reich Großstädte, deren Gewicht sich nicht nur kulturell nachdrücklich fühlbar machte; es verfügte damit auch über eine (wenngleich kleine) städtische Oberschicht als Gegengewicht zum Grundadel. Aus ihr stammte der Typus des Beamten-Gelehrten, der als Nachwuchs für die obersten Ränge der Reichsverwaltung wie als Chance sozialen Aufstiegs für das gesellschaftliche System von Byzanz höchst bedeutsam war. Zudem wurde in Byzanz trotz der massiven Absorptionstendenzen der großen Gutsbezirke das freie Kleinbauerntum mit seinen als eigene Steuerbezirke fungierenden Dorfgemeinschaften nicht verdrängt, wenn es auch nach Umfang und Bedeutung erhebliche Wandlungen durchmachte. Das trug zur gleichmäßigeren Verteilung von Eigentum und Einkommen auf dem Lande bei und wirkte vermutlich zeitweise einem Bevölkerungsrückgang entgegen. Die Existenz dieser sozialen Schicht war von eminenter Bedeutung für die wirtschaftliche Stabilität wie für die politische Widerstandskraft des Staates. Bei der Auseinandersetzung zwischen Großgrundbesitz und freiem Bauerntum ging es nicht nur um eine ökonomische und soziale Frage, sondern um ein innenpolitisches und finanzpolitisches Problem erster Ordnung. Die Klasse des großen landbesitzenden Adels war nicht nur eine wirtschaftliche Macht. Mit ihren zentrifugalen Sonderinteressen bedrohte sie die Durchsetzung von politischen Entscheidungen der Zentrale und deren Verfügung über die Provinzen und deren Einkünfte – zumal die Provinzialstädte weitgehend in Abhängigkeit von den lokalen Magnaten gerieten. Der kleine Bauernbesitz bildete die entscheidende Schranke gegen das weitere Wachsen der großen
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Grundherrschaften. Auf ihm beruhten auch im wesentlichen Maße Finanzkraft und Verteidigungskapazität des Reiches. Nur dem darin liegenden mehrfachen Interesse des Staates verdankt das freie Bauerntum trotz seiner prekären Situation, der ständigen Bedrohung seiner Unabhängigkeit durch eine aus Mißernten oder Steuerdruck resultierende Verschuldung, sein langes Überleben. Denn der Versuch, gegen die Ausbreitung des Großgrundbesitzes diese soziale Schicht als Steuerquelle und Menschenreservoir für die Armee zu sichern, ja zu vergrößern, wurde für Jahrhunderte zu einem Kernmotiv kaiserlicher Politik. Freilich führten dabei unumgängliche Rücksichten auf die Militäraristokratie der Provinzen und der Druck wiederkehrender finanzieller Krisensituationen allzu häufig zu einem Kurs, der zwischen dem Schutz des freien Bauerntums und seiner unerträglichen Belastung schwankte. Die Balance zwischen staatlicher Macht und lokalen Magnaten verschob sich entsprechend den Zwängen der politischen und militärischen Situation immer wieder. Sieger in diesem Dauerkonflikt mit seiner fast unentwirrbaren Verflechtung war am Ende die Schicht der großen Grundbesitzer. Wohl wurde ihre beherrschende Stellung seit den Reichsreformen des 7. Jahrhunderts zunächst durch eine Renaissance des Frei- und Wehrbauerntums abgelöst. Aber zumindest seit dem späten 9. Jahrhundert verschoben sich trotz aller Gegenmaßnahmen der Kaiser aus der Makedonen-Dynastie die Gewichte wieder unaufhaltsam zugunsten des Grundadels. Damit war nicht nur seit dem Ende des 11. Jahrhunderts das Schicksal der freien Kleinbauern besiegelt. Im Konflikt mit dem zivilen Beamtenadel der Hauptstadt zeichnete sich gleichzeitig die entscheidende Gefahr ab, die vom grundbesitzenden Militäradel der Provinzen ausging: seine dominierende Position bedrohte nicht nur die administrative und finanzielle Verfügungsgewalt der Zentrale in den Provinzen, sondern mit der Veränderung der militärischen Organisation durch das Pronoia-System nun auch die Kontrolle der Streitkräfte und damit der Außenpolitik. Der Triumph der großen Grundbesitzer und der davon untrennbare Untergang des freien Bauerntums erwies sich als entscheidender Faktor in der Auflösung des byzantinischen Staates. IV. Kirche und Kultur als Formkräfte der Gesellschaft Wie der kaiserliche Absolutismus mit seinem bürokratischen Herrschaftsapparat blieben soziale Macht und geistliche Autorität der Kirche bis in die Spätzeit ein tragendes Element der byzantinischen Gesellschaft: die orthodoxe Religion war ein einigendes Element in der Vielfalt der Völker im Reich. Konstantins Entscheidung, das Christentum als legitime Religion im Imperium Romanum anzuerkennen, hat weitreichende Auswirkungen auf die geschichtliche Welt der kommenden Jahrhunderte gehabt. Die Kirche wurde ein Träger gesellschaftlicher Macht neben Kaiser, Heer und Verwaltung; zugleich veränderten sich ihre institutionellen und personellen Strukturen wie ihre sozialen Funktionen
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nachhaltig (vgl. FWG 9, S. 48–69). Der Aufstieg des Christentums erwies sich als ein entscheidender Faktor im Wandel der spätrömischen Gesellschaft. Was im Ineinanderwirken des absolutistischen politischen Systems und der geistigen Revolution des neuen Glaubens an sozialen und individuellen Leitbildern und Lebensformen entstand, lebte in Byzanz weiter. Der Staat als christliche Politeia, die Begründung aller Politik und sozialen Ordnung in Gottes Willen und Ratschluß: das bedeutete den tiefen und selbstverständlichen Einfluß des Christentums auf das öffentliche wie auf das persönliche Leben. Der Glaube war für den einzelnen wie für die Gemeinschaft ein entscheidender Weg, Probleme des Daseins zu lösen. Liturgie und Heiligenverehrung gehörten unabdingbar zum privaten Tageslauf wie zu staatlichen Funktionen. Soziale Fürsorge entsprang aus der Verpflichtung, in Not geratenen Mitchristen zu helfen. In Bildung und Literatur waren profane Traditionen untrennbar mit der christlichen Überlieferung verschmolzen; die byzantinische Kunst war in einem sehr strengen und umfassenden Sinne religiöse Kunst. Der Glaube veränderte Weltgefühl und Weltbegreifen aller Schichten; er drang auch mit seinen theologischen Problemen tief in die Massen ein. In den großen Dogmenkämpfen nahm die gesamte Bevölkerung leidenschaftlich Partei; Verhandlungen und Beschlüsse der Konzilien wurden mit einer heute kaum mehr verständlichen Intensität diskutiert und kritisiert. Es ging hier nicht um abstrakte theologische Formeln, um eine Affäre des Klerus und der Gebildeten, sondern für jedermann um das eigene Leben: um die Gewißheit der Erlösung durch Bekenntnis zum rechten Glauben. Sie schien weit wichtiger als die Lösung sozialer und politischer Probleme: »War der klassische Grieche nach Aristoteles’ Definition ein politisches Lebewesen, so war der byzantinische Grieche ohne Zweifel ein kirchliches.«11 Exemplarisch erscheint die enge Verflechtung von Religiösem und Sozialem im byzantinischen Mönchtum. Sein Rückgriff auf rigoristische und asketische Ideale des Urchristentums artikulierte immer wieder den Widerspruch gegen die Besitzergreifung dieser Welt durch die Kirche. Dieses weltflüchtige Element mit seiner Suche nach der abgeschiedenen Kontemplation als vollkommenem Gottesdienst hat sich gerade in der griechischen Kirche immer erhalten, auch in der Sonder form der Säulenheiligen. Das hohe spirituelle Ansehen des Mönchtums bewog in der byzantinischen Geschichte selbst höchste Würdenträger zum freiwilligen Rückzug aus Welt und Karriere ins Kloster. Aber die Mönche waren nicht nur eine Verkörperung christlichen Protests und ein Gewissen der Kirche. Sie spielten zugleich eine bedeutsame soziale und politische Rolle. Besonders die zahlreichen Klöster der großen Städte waren für die Breitenwirkung der Kirche durch seelsorgerische Betreuung und Armenfürsorge ebenso unentbehrlich wie als kirchenpolitisches Macht- und Propagandainstrument von Bischöfen und Patriarchen. Diese Doppelrolle des Mönchtums tritt schon im 6. und 7. Jahrhundert und dann vor allem im
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Bilderstreit zutage. Aber auch in späteren Jahrhunderten wurde Konstantinopel mehr als einmal von Mönchsunruhen erschüttert. Der geistige Einfluß der Kirche auf die Reichsbevölkerung wie ihre wirtschaftliche und soziale Position lassen sich kaum überschätzen. In wenigen anderen historischen Gesellschaften durchdringt der Glaube ähnlich dicht alle Bereiche des Lebens, sind die Verflechtungen von Spirituellem und Materiellem enger, die Gegensätze schärfer. Die Wechselwirkung von Staat und Kirche, Gesellschaft und Religion schuf darum auch mehr als anderswo schwerwiegende, nie völlig ausgetragene Probleme. Die großen, aber auch bedenklichen Möglichkeiten der Verbindung von Staat und Kirche zeichneten sich schon zu Beginn des 4. Jahrhunderts prophetisch in der ›politischen Theologie‹ des Eusebios von Caesarea ab. Die von ihm propagierte heilsnotwendige Einheit von Imperium und Evangelium konnte für Reich und Kirche ebenso fruchtbar wie gefährlich werden. Dennoch wurde diese Reichstheologie, in der religiöse Eschatologie zur politischen Ideologie umgedeutet war, für große Teile der Kirche das Leitbild einer Stellung zum Staat – vor allem im griechischen Osten. Das schloß andere, aus dem dialektischen Verhältnis eines Teils der Christenheit zur Welt geborene Antworten nicht aus: die augustinische Richtung eines loyalen Mißtrauens gegenüber der politischen Ordnung als verkehrter Ordnung des sündigen Menschen oder eine apokalyptische Feindschaft gegen den Staat schlechthin. Dennoch gibt es eine überraschende Gemeinsamkeit. Nahezu alle Richtungen im spätrömischen und byzantinischen Christentum haben die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung hingenommen und grundsätzlich akzeptiert. Bestimmte Elemente der christlichen Lehre waren zwar auf Weltverwandlung angelegt und konnten revolutionär wirken. Aber das Evangelium bot ebenso zahlreiche Argumente, die als Stütze einer etablierten Ordnung dienlich waren. Nach Konstantin hat die Kirche aus theologischen wie aus pragmatischen Motiven die Bewahrung des Bestehenden unterstützt. Sie hat immer wieder die kaiserliche und staatliche Autorität als gottgegebene Herrschaftsgewalt interpretiert und die daraus entspringende Untertanenpflicht betont. Kritik und Wirken der Christen beschränkten sich auf Beseitigung von Mißständen oder Verbesserung einzelner Elemente; eine durchgreifende Reform von Staat und Gesellschaft wurde nicht angestrebt. Eine ursprünglich revolutionäre weil antigeschichtliche Eschatologie hatte sich zu politischgesellschaftlichem Konservativismus gewandelt, der eine stabilisierende Funktion ausübte. Das hing nicht zuletzt damit zusammen, daß auch in der Reichstheologie trotz aller Hinwendung zum irdischen Erfolg die urchristliche eschatologische Zukunftshoffnung nicht völlig unterdrückt war. Das Bewußtsein von der Vorläufigkeit aller irdischen Ordnungen schlug damit am Ende auch hier durch. Aus der Erwartung des in Christus bereits angebrochenen neuen Äons wird die irdische Welt als alter Äon zu einer bloßen Zwischenzeit, für die
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eine Weltveränderung nicht zu gewärtigen ist, aber auch gar nicht notwendig erscheint (vgl. FWG 9, S. 70–76). Die besondere Problematik von Religion und Gesellschaft in Byzanz liegt darin, daß diese historische Welt weder ideell noch real die uns so geläufige reinliche Scheidung des Daseins in den geistlichen und den weltlichen Bereich kannte. »Kirche und Staat bilden nicht zwei nebeneinanderstehende selbständige ›Gewalten‹, stehen freilich auch nicht im Verhältnis der Über- und Unterordnung zueinander, sondern bilden eine mystische Einheit, zwei Aspekte desselben Lebens erlöster Christen ... Es ist bei Kaiser und Patriarch der eine selbe Geist, hen pneuma, nur die Gaben, die charismata, sind verschieden.«12 Begriffe wie »staatliche Kirchenpolitik« oder »Vermischung theologischer und politischer Motive« bleiben im Grunde – wenn auch unumgängliche – Hilfskonstruktionen, die der geistigen Struktur der byzantinischen Staats- und Weltanschauung nicht adäquat sind. Glaubenskampf und politische Aktivität erschienen als untrennbar: Ausbreitung des Evangeliums und Bekehrung der Heiden wie Verteidigung des Glaubens und Bewahrung der Bekenntniseinheit waren Staat und Kirche gemeinsam aufgegeben. Mission und Diplomatie, religiöse Propaganda und wirtschaftliche Erschließung neuer Länder gingen darum in Byzanz wie kaum sonstwo Hand in Hand. Umgekehrt aber wirkten innerkirchliche Bewegungen und gesellschaftlich-politische Entwicklungen in oft schwer berechenbarer Weise aufeinander ein. Wenn politische und kirchliche Loyalität zusammenfielen, war mit der Einheit der Kirche auch die Einheit des Reichsgefüges gefährdet. Mit dem Schisma drohte der Bürgerkrieg oder zumindest gefährlicher politischer Separatismus. Das zwang den Staat zur Intervention. Das Eingreifen der säkularen Gewalt in dogmatische Streitigkeiten wurde zur Staatsräson. Damit barg die als Verpflichtung begriffene enge Verzahnung staatlicher und kirchlicher Aufgaben für beide Seiten ebensoviel Last und Gefahr wie Förderung und Gewinn. Religion konnte genauso leicht zum Instrument der Politik werden wie der Staat zum Diener der Kirche. Die Problematik einer politischen Theologie, für die das religiöse Schisma nicht nur die staatliche Einheit, sondern auch die Sicherheit der göttlichen Gnade für das Reich bedrohte, trat in der Stellung des Kaisers zur Kirche besonders deutlich hervor. Die Gunst der Götter zu sichern war schon in den Staaten des alten Orients eine der ersten Herrscheraufgaben. Diese Tradition ging in die hellenistische Staatstheorie ein; sie spiegelte sich in der Stellung des heidnischen Kaisers als Pontifex maximus. Dem christlichen Kaiser die Rolle des propagator et defensor fidei zuzuschreiben schien darum nur folgerichtig, war er doch erwähltes Instrument und Statthalter Gottes auf Erden. Konstantin war nur der erste in einer langen Reihe von Herrschern, die tief überzeugt von ihrer gottgegebenen Pflicht zum Schutz von Glaubenswahrheit und Kircheneinheit mit oft gewaltsamen Mitteln in theologische Streitfragen eingriffen. Er schuf ein kirchenpolitisches Instrument von höchster Bedeutung. Bischöfe und Patriarchen
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besaßen zwar Lehrautorität, aber keine Lehrgewalt; noch galt die Ranggleichheit aller Bischöfe als Hüter der Glaubensüberlieferung. Bischofsversammlungen, die Synoden, berieten dogmatische und theologische Fragen. Mit der durch Konstantin einberufenen Kirchen Versammlung von Nikaia (325) entstand eine dem Gesamtreich zugeordnete Institution: die allgemeine Synode oder das ökumenische Konzil – die Versammlung aller christlichen Bischöfe zu Beratung und Beschlußfassung über liturgische, dogmatische und hierarchische Fragen. Doch wenn auch der Kaiser dank seiner säkularen Machtmittel Bischofsstühle schuf und besetzte, Verordnungen über Kirchenzucht und Liturgie erließ und Konzilien und Kirche in Glaubensfragen seinen Willen aufzwingen konnte: der geläufige Begriff des Cäsaropapismus ist eine ebenso unhistorische Perspektive wie die Reduktion der das Reich erschütternden Glaubensstreitigkeiten auf bloße politische Konflikte. Nach der auf die Dauer sich durchsetzenden theologischen Lehre war der Kaiser nicht das mit unumschränkter Verfügungsgewalt ausgestattete Haupt der Kirche; er besaß weder priesterliche Würde noch Lehrgewalt. Schon Justinian hat (entgegen gewissen im 5. Jahrhundert feststellbaren Tendenzen auf kirchlicher Seite, den Imperator auch zum Sacerdos zu machen) in seiner 6. Novelle eine klare Unterscheidung zwischen Sacerdotium und Imperium formuliert: »Die größten Gaben, die Gottes Güte den Menschen verlieh, sind Priestertum und Kaisertum. Das eine dient den göttlichen Dingen; das andere herrscht über die Menschen und nimmt sich ihrer an. Aus einem gemeinsamen Ursprung stammend, ordnen beide in ihrer Weise das menschliche Leben.« Das entspricht bereits der Theorie, die im 9. Jahrhundert offiziell festgelegt wurde: vom weltlichen und geistlichen Amt als zwei unabhängigen, sich überschneidenden und doch harmonisch verbundenen Wirkungsformen der grundsätzlich gleichen und einen Gewalt, die vom göttlichen Willen ausgeht. Bischof und Kaiser verkörpern zwei Aspekte einer Aufgabe in einer Welt. Das Prinzip gleichberechtigter Zusammenarbeit von Kirche und Staat, Patriarch und Kaiser ist freilich oft einseitig ausgelegt worden. Aber Grenzen oder Durchsetzbarkeit des kaiserlichen Willens in der Kirche waren weniger eine Frage der Theorie als der praktischen Machtverhältnisse. Eine ähnlich unbestrittene Herrschaft über die Kirche wie Justinian, der Patriarchen absetzte und dogmatische Entscheidungen durch Verordnungen traf, haben nur wenige byzantinische Herrscher gewonnen. Die Haltung der Kirche gegenüber dem kaiserlichen Kirchenregiment schwankte durch Jahrhunderte zwischen Unterwerfung, Anpassung und Konflikt. Synoden und Konzilien zeigten immer wieder eine Neigung, klar formulierten Herrscherwünschen zu entsprechen oder sogar eine übergeordnete geistliche Autorität des Kaisers anzuerkennen. Aber schon das monophysitische Schisma und der Bilderstreit offenbarten, zu welch hartnäckigem Widerstand die Kirche fähig war, wenn es um grundsätzliche Fragen in Dogma und Ritus oder um Privilegien ging. Nicht selten erwies sich
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dann der Patriarch mit der Hierarchie von Erzbischöfen, Bischöfen und Klerus hinter sich als eine Figur von ebenbürtiger Macht. Es ist eine offene Frage, ob mit der Bindung der byzantinischen Kultur an feste Formen des byzantinischen Staatskirchentums zunehmend die Fähigkeit verlorenging, neue soziale Formen und kulturelle Leitbilder zu schaffen. Sicher ist, daß die weitgehende Identität von Reich und Kirche, orthodoxem Glauben und byzantinischer Existenz die Widerstandskraft des Staates stärkte. In einem Vielvölkerstaat hielt – wenigstens für lange Zeit – das Bekenntnis zu einem gemeinsamen Glauben sozial und ethnisch heterogene, ja antagonistische Kräfte zusammen. Anstelle fehlender gemeinsamer kultureller und nationaler Traditionen wurde die christliche Religion das Medium einer Integration. Ähnlich wie das Chinesische Reich gegenüber den Mongolen besaß Byzanz gegenüber starken fremden Minderheiten eine erstaunliche Assimilationsfähigkeit; das erwies sich etwa an den seit dem 7. Jahrhundert in das Reich eingedrungenen Slawen. Selbstbezeichnung und Selbstbewußtsein der Byzantiner als »Rhomäer« im Gegensatz zu den Heiden, den »Hellenes«, bezeugen diese Gleichsetzung religiöser und nationaler Konfession: »Rhomaios ist derjenige Bürger des allein legitimen Römischen Reiches von Konstantinopel, der zugleich den allein richtigen Glauben dieses Reiches, die Orthodoxia, besitzt, und damit eingegliedert ist in die einzige gottgewollte Kulturgemeinschaft dieser Welt: die vorwiegend griechisch und christlich bestimmte Kulturgemeinschaft des Oströmischen Reiches.«13 Die byzantinische Kultur ist in einer wesentlichen Hinsicht traditional: Das Problem von Überlieferung und Aneignung spielt eine ebenso große Rolle wie im politisch-sozialen Bereich. Sie ist freilich nicht das, als was die Byzantiner selbst sie immer wieder zu deuten versuchten: eine einfache Weiterführung der klassischen Tradition griechischer Bildung, Literatur und Kunst. Zweifellos bezeugt sich in den »Renaissancen« der byzantinischen Kultur die weiterwirkende Macht klassischer Vorbilder wie deren Kehrseite: Preziosität, überspitzter Formalismus und konventionelle Nachahmung. Doch mag auch die literarische Vorlage klassisch sein – der Geist der byzantinischen Kultur ist es nicht. Ihr Ursprung lag im Hellenismus, in einer durch lokale und nationale Traditionen der von Alexander dem Großen eroberten orientalischen Gebiete vielfältig umgeformten griechischen Überlieferung. Etwas vom Weltverständnis und der spezifischen geistigen Energie des Hellenismus manifestiert sich im Individualismus, in der Neugierde und in der Weitläufigkeit der Byzantiner ebenso wie im Rückgriff auf Ergebnisse und Formen der hellenistischen Wissenschaft, Kunst und Architektur. Auf ihrem Weg nach Byzanz hat die hellenistische Kultur freilich eine entscheidende Wandlung durchgemacht. Die Auseinandersetzung mit dem Christentum, die in dem Moment begann, in dem Klemens und Origenes christliche Glaubenswahrheiten in Begriffen der zeitgenössischen neuplatonischen Philosophie formulierten, brachte ein neues schöpferisches
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Element in die Tradition. Mit dem intellektuellen Klima veränderte sich die emotionale Atmosphäre; die Angst des vereinzelten, von Dämonen umstellten Individuums wurde gebannt durch den Glauben. In der spätantiken Synthese von Christentum und hellenistischer Bildung blieb die geistige Tradition der Griechen Grundlage der byzantinischen Kultur – nicht vermittelt, sondern in einem direkten Überlieferungszusammenhang. Das hatte eine sehr bedeutsame Wirkung. Das antike Erbe begegnet nicht als eine fremde, zu Auseinandersetzung zwingende Leistung, sondern als ein selbstverständliches Stück eigener Vergangenheit. Zusammen mit einem aus dem byzantinischen Lebensgefühl entspringenden Konservativismus begründet das jenen grundsätzlich beharrenden Zug, der bei aller inneren Bewegtheit die byzantinische Kultur prägt. Der Wille zu einer bestimmten, in ihrer Bewertung feststehenden Form verkörpert sich in ihren Schöpfungen. Was wir Renaissancen nennen, bedeutete nicht die Aneignung neuer Elemente, sondern nur den reineren Rückgriff auf die wahre Tradition. Bezeichnend für die byzantinische Kultur war ihre doppelte Sprache. Die bildende Kunst kannte zwar eine einheitliche Formensprache; im übrigen aber stand den breiten Bevölkerungsmassen mit ihrer volkssprachlichen Vulgärliteratur eine durch anspruchsvolle klassizistische Bildung geprägte Oberschicht gegenüber. Durch Jahrhunderte unveränderte Formen und Inhalte der Erziehung gaben der Führungselite von Byzanz ihre erstaunliche, allen Wechsel überdauernde Uniformität in Sprache, Haltung und Lebensstil. Das war für den Zusammenhalt dieser Schicht ebenso bedeutsam wie für ihre Integrationsfähigkeit; nicht umsonst gehörte es zu den Methoden byzantinischer Politik, die Angehörigen fremder Führungsschichten in Konstantinopel, im politischen und kulturellen Bannkreis der Zentrale, zu erziehen. Diese Bildungstradition formte auch den wichtigen Typus des BeamtenGelehrten. An ihm wird besonders deutlich, daß die Höhe der intellektuellen Kultur in Byzanz (wo Bildung anders als im Westen für die Oberschicht selbstverständlich, aber auch für Angehörige der Mittelschichten durchaus erreichbar war) ein entscheidendes Element der Lebenskraft war. Der Erfolg byzantinischer Politik nach innen und außen basierte zu einem erheblichen Maß auf Routine und erprobten Methoden, aber auch auf bewußter und gezielter Weiterentwicklung von Erfahrungen. Ein auf sorgfältiger intellektueller Ausbildung beruhender Einsatz von Reflexion und Theorie als Mittel politischen Handelns läßt sich in den Methoden von Außenpolitik und Diplomatie verfolgen, klarer vielleicht noch in der Entwicklung einer regelrechten byzantinischen Kriegswissenschaft. Die Frage nach dem Charakter der Kultur ist die Frage nach dem historischen Ort der byzantinischen Gesellschaft überhaupt. War außenpolitisch eine prekäre Existenzbewahrung zwischen Orient und Okzident Grundfigur des byzantinischen Schicksals, so brach innerhalb von Kultur und Gesellschaft der Antagonismus beider Welten in großen Auseinandersetzungen auf. Form und Stärke orientalischer Einflüsse berechtigen
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jedoch nicht zu dem Urteil, Byzanz sei als Staat wie als Kultur nachhaltig orientalisiert gewesen. Bezeichnenderweise werden gerade die Elemente orientalischer Tradition, die nicht bereits in der hellenistisch-spätrömischen Kultursynthese integriert waren, zum Konfliktsmoment. Was sich aber, im monophysitischen Schisma oder im Bilderstreit, gegen sie durchsetzte, war die hellenistische Überlieferung. Byzanz darum als wiedererstandenes Hellas zu deuten ist freilich ebenso unzureichend. Jeder Versuch, grundsätzliche Aspekte der byzantinischen Gesellschaft und Kultur in Formeln zu fassen, muß scheitern, wenn einseitig eine Dominante bestimmt werden soll. Entscheidend bleibt die bei aller Verschiedenheit der Wurzeln in ihrer Form eigenständige Synthese: das harterrungene und immer wieder unter Kämpfen bewahrte Gleichgewicht hellenistischer, spätrömischer, christlicher und orientalischer Überlieferung. V. Tradition und Wandel Historische Rolle wie durchgängige Faktoren der sozialen, politischen und geistigen Existenz formten einen in seiner Weise einzigartigen Stil des Lebens – eine Haltung zur Welt, die wiederum bedingend auf gesellschaftliche Prozesse zurückwirkte. Durch alle Wandlungen kehren bestimmte Grundzüge so regelmäßig wieder, daß der Versuch einer Beschreibung des byzantinischen Charakters möglich scheint. Das gesellschaftliche und soziale Leben der Hauptstadt Konstantinopel spiegelt ihn in vielfältigen Brechungen, aber auch der Landedelmann Kekaumenos, ein skeptischer und illusionsloser, von common sense, Sparsamkeit und Mißtrauen geprägter byzantinischer Lord Chesterfield, gibt einen seiner Aspekte wieder. Das byzantinische Temperament ist eine coincidentia oppositorum: intellektuelle Neugier, Freude an geschliffener Diskussion und subtilem Argument neben massivem Aberglauben und mystischer Exaltation; Raffinement, Eleganz, Freude an Luxus und hochgezüchtete Eindrucksfähigkeit neben Geiz, Bestechlichkeit, skrupelloser Verschlagenheit, unbarmherziger Grausamkeit und leidenschaftlichem Haß. Ausdauer, Energie, Mut, Sensibilität und Mitleid sind freilich mindestens ebenso bezeichnende Züge: ohne solche Qualitäten ist das Überleben von Byzanz gar nicht denkbar. Manchen negativen Zug macht zudem erst die Realität byzantinischen Lebens mit seinen zahllosen Ängsten und Gefahren verständlich. Angesichts rücksichtsloser Steuereintreiber, unberechenbarer Beamter und willkürlicher Gouverneure, mächtiger Gutsbesitzer, Räuberbanden und ständig drohender Invasion barbarischer Stämme wurden Mißtrauen und Verstellung zu Schutzmechanismen. Zugleich aber setzte der Mensch gegen die Bedrückung des Lebens sein Vertrauen ins Transzendente; Gegenpol und unverlierbarer Grundzug des byzantinischen Charakters sind Frömmigkeit und Hoffnung auf übernatürliche Hilfe. Der Glaube begründet Eigenart und Einzigartigkeit von Weltbild und Lebenshaltung in Byzanz: sie sind letztlich nur theologisch zu verstehen. Nicht
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Devotionsformen oder Lehrwahrheiten sind dabei entscheidend, sondern jene besondere Form der Spiritualität, die das byzantinische Leben auch außerhalb des engeren theologischen Bereichs prägt. Sie beruht auf der Überzeugung, daß alle Lebensbereiche dem einen göttlichen Schöpfergeist entspringen und durch die Tat des einen Gottessohnes erlöst sind. Diese Spiritualität ist als »Dualismus« oder als »Einheit der Gegensätze« im Grunde unbyzantinisch beschrieben; auch der Begriff der Dialektik führt irre. Gegensätze, die uns als antagonistisch und mithin als Anlaß zu Widerspruch oder Sich-entscheiden-Müssen erscheinen, sind für den Glauben in einer eigentümlichen Weise aufgehoben: als Teil der einen unbegreiflichen, aber alles durchdringenden, im Sein Gottes begründeten Ordnung. Das unbewegte und allumfassende Sein Gottes ist Sinn und Inhalt aller Transzendenz. Weg zur Transzendenz ist nicht rationales Raisonnement, dialektische Zergliederung des Glaubens durch eine wissenschaftliche Theologie, sondern Versenkung in den Glauben durch Askese und Kontemplation. Meditation, nicht Aktion; Ruhe, nicht Fortschreiten – diese Grundhaltung schafft sich ihren Ausdruck in der Unwandelbarkeit der Liturgie, im Zentralbau der Kirchen oder in der Ikone, die durch hieratische Strenge und Ausdruckskraft des Bildes den gläubigen Betrachter in wortlose Versenkung zwingt. Heiliger und Mönch erreichen in der Stille jene ungetrübte Ruhe der betrachtenden Seele, die die byzantinische Hymnendichtung als mystische Kommunion feiert. In ihr verwirklicht sich das byzantinische Ideal. Was damit erlangt wird, ist freilich nur Andeutung, Parallele, Abbild: Gott als die unbewegte und doch ewig schöpferische Ruhe. Eine Ahnung dieser unkörperlichen Unbewegtheit und Lebendigkeit des dreieinen Gottes, die der asketische Mönch in der Unsagbarkeit der Kontemplation erreichte, die ein Kirchenvater wie Gregor von Nyssa in platonisierenden Formeln tastend mitzuteilen suchte, erfuhr der einfache Gläubige in greifbarer und bildhafterer Weise: durch die sein Leben ständig begleitende Liturgie und durch den festen Glauben an die Hilfe der zahllosen Heiligen, an die tägliche Möglichkeit des Wunders. Das gab ihm Gewißheit, Hoffnung und Kraft – stillte jenes für den Byzantiner so bezeichnende Bedürfnis nach persönlicher Erfahrung des Heiligen. Eine solche der statischen Momente nicht entbehrende Haltung wirft die Frage nach den Möglichkeiten des Wandels wie nach seiner Rechtfertigung im byzantinischen Weltbegreifen auf. Es war der große westliche Irrtum Toynbees, »Versteinerung« zu sehen, wo es auf umgrenztem Grund sehr wohl Leben gibt – wenn auch nicht jene zielgerichtete Bewegung, die wir gerne damit verwechseln. Stabilität oder Schwäche, Starrheit oder Wandlungsfähigkeit eines politischsozialen Systems sind von Mischung und Balance traditionaler und nichttraditionaler Elemente abhängig; dieses große historische Thema von Tradition und Erneuerung, von Kontinuität und Kreativität wird in der byzantinischen Geschichte in besonderer Weise faßbar.
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Die Macht des Bestehenden und beharrender Tendenzen war ohne Zweifel in Byzanz außergewöhnlich groß. Der statische Zug, der tiefgegründete Konservativismus dieser Gesellschaft mit ihrer Tendenz zur Ausbildung fester, dauerhaft gültiger Formen ist unbestreitbar. Politische Institutionen und gesellschaftliche Strukturen waren durch das spätrömische Imperium so stark vorgeprägt, daß kaum Neubildung, höchstens Umformung möglich schien. In der byzantinischen Kultur erzeugte die Last griechischer Traditionen einen bemühten, schöpferische Neuansätze oft unterdrückenden Klassizismus, etwa im bewußten Archaismus der Literatur, deren höchstes Ziel stilistische Imitation der großen altgriechischen Vorbilder blieb. Umgekehrt wirkten theologische Vorverständnisse stagnierend auf die byzantinische Naturwissenschaft, indem überlieferte Denkansätze und Ergebnisse griechischer Forschung für letztlich belanglos erklärt wurden: »Es genügt für uns zu wissen, daß alle Dinge durch Gottes Geist geordnet sind und durch einen Willen, den wir nicht ergründen können.«14 Was Traditionen und etablierten Ordnungen solch übergroßes Gewicht verlieh, war ein grundsätzlich konservatives Bewußtsein. Man glaubte nicht nur in der Literatur an die Klassik, an ein kanonisch gewordenes und verpflichtendes Erbe. Der Besitz endgültiger Wahrheiten und vollkommener Lösungen auch in Politik und Religion galt durch göttliche Offenbarung als garantiert: der Byzantiner war konservativ nicht nur aus Neigung oder aus der Indolenz einer durch Jahrhunderte geprägten Untertanengesinnung, sondern letztlich aus Religion. Intellektuelle Aktivität war prinzipiell Neu-Begreifen und Neu-Auslegen des Alten, einmal Gültigen; diese Haltung durchdrang auch Gesellschaft und Politik. Prokops Kritik an Justinian zielte bezeichnenderweise nicht auf den rückwärtsgewandten Traditionalismus der kaiserlichen Politik; ihr eigentlicher Vorwurf richtete sich gegen die Neuerungen des Herrschers. Nun ist die undifferenzierte Überzeugung von den zwangsläufig negativen Folgen konservativen Handelns eine jener geschichtsverzerrenden Perspektiven, die gerade durch die byzantinische Geschichte für den unbefangenen Betrachter widerlegt werden. Die positive Wirkung traditionaler Ordnungen erweist sich in der Stabilität, die. es dem byzantinischen Staat dank einer zentralen Autorität und einer permanenten, gut organisierten Zivilverwaltung ermöglichte, Krisen besser zu überwinden als die westlichen Feudalstaaten oder die Nachfolgestaaten des Kalifats. Nur die beharrende, aber zugleich Kontinuität sichernde Politik der Administration machte ein komplexes staatlichgesellschaftliches Gebilde wie das Byzantinische Reich zu längerem Überdauern fähig. Zudem hat diese konservative Zivilverwaltung lange ein Gegengewicht gegen das Entstehen des Feudalismus und einen überspitzten kaiserlichen Absolutismus gebildet. Auch die grundsätzliche Unfähigkeit zum Wandel ist eine Legende. Zwar liegt der Nachdruck intellektueller Aktivität anders als im Westen nicht auf Originalität oder Innovation. Doch dem erheblichen Gewicht traditionaler Sachund konservativer Denkstrukturen stand in Byzanz durchaus die Fähigkeit zur
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Adaption an veränderte Bedingungen und zur schöpferischen Reform gegenüber. Ohne sie hätte dieser Staat in einer sich wandelnden Welt nicht ein Jahrtausend überlebt. In seiner Geschichte haben sich immer wieder Prozesse sozialen und politischen Wandels vollzogen, die mehr waren als die Überwindung momentaner Krisen mit vorgegebenen Mitteln. Die byzantinische Gesellschaft hat mehr als einmal ihre Institutionen an eine veränderte soziale Lage und eine verwandelte politische Umwelt angepaßt. Schon mit der Herrschaft des Heraklios im 7. Jahrhundert begannen einschneidende Veränderungen staatlicher Formen und gesellschaftlicher Strukturen. Sie zeigen, daß Byzanz bei aller Beharrungskraft ein zur organischen Weiterentwicklung und zu neuen Lösungen fähiges soziales System war. Selbst in dem als besonders traditional geltenden Bereich des Rechts gab es Elemente des Wandels, so in dem in mancher Hinsicht revolutionären Gesetzbuch Leons III. oder in der Reform von Strafmaßen und Strafarten. Auch in der Kultur erfaßte das scheinbare Übergewicht klassizistischer Traditionen nur die Literatur und hier wiederum nur die kleine Schicht der Gebildeten. Außerhalb ihres Kreises entstand mit der volkssprachlichen Literatur etwas Neues als Reaktion auf den überzüchteten Formalismus. Kunst und Architektur lassen sich ohnehin nicht als bloße Repetition oder sterile Wiederbelebung von Traditionen deuten. Vom Höhepunkt des »neuen Stils« im 6. Jahrhundert über die Blütezeit des 11. und 12. Jahrhunderts bis zur Kunst der Palaiologen setzen sich im Rahmen der byzantinischen Formensprache immer wieder in hohem Maße Individualität, Originalität und Erfindungskraft durch. Im Kern der byzantinischen Kunst lebt nicht so sehr Traditionalismus als vielmehr orthodoxer Glaube verbunden mit dem geistigen Erbe des Hellenismus, der eine in Griechenland selbst im 4. Jahrhundert v. Chr. durch den Klassizismus abgeschnittene Bewegung auf das Irrationale weiterführt. In dieser schöpferischen Einheit von Christentum und Hellenismus liegt die große und originale Leistung des byzantinischen Griechentums. In den bedeutendsten Werken der Kunst ist der klassizistische Mantel fast verschwunden: sie sind reiner Ausdruck seiner besonderen Religiosität. Byzanz war konservativ und doch kreativ; Wandel und Veränderung sind ebenso bemerkenswert wie traditionalistisches Verharren. Das bedeutet freilich nicht, daß die Lebensfigur von Byzanz die eines linearen Fortschritts war. Veränderung hatte hier selten radikalen Charakter; dazu war das beharrende Gewicht der Tradition zu groß. Der Versuch, Erneuerung konservativ als Rückkehr zur ursprünglichen Tradition zu interpretieren und dadurch zu legitimieren, ist ungemein bezeichnend; auch in Philosophie und Theologie wird das Neue häufig mit der Behauptung eingeführt, hier würden nur die Lehren der Väter ausgelegt und bestätigt. Das war kein politischer Trick, durch den eine herrschende Gruppe unter dem Deckmantel der Restauration die eigene Macht festigende Innovationen lancierte. Im byzantinischen Weltbild war Innovation nicht systematisch zu begründen; sie wurde von der Praxis erzwungen und
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pragmatisch vollzogen. Aber trotzdem kennt die byzantinische Geschichte nicht nur den Wandel sozialer und politischer Bedingungen und Probleme, sondern auch den oft erfolgreichen Versuch neuer Lösungen. Nicht zuletzt darin war die Lebenszähigkeit von Byzanz begründet. VI. Der Beginn Periodisierung
der
byzantinischen
Geschichte:
Das
Problem
der
Noch der große englische Historiker J. Bury erklärte, das Byzantinische Reich sei »das gleiche Reich, das Augustus gegründet hat«15. Die staatsrechtliche Kontinuität von Konstantin dem Großen bis zum Fall von Konstantinopel im Jahre 1453 ist unbestreitbar. Sie hat auch das politische Selbstbewußtsein der Byzantiner mitgeprägt. Aber dieser durch die Autorität Gibbons gestützte, formal richtige Aspekt einer continuatio imperii Romani verkürzt die historische Wirklichkeit. Der Begriff »byzantinisch« statt »oströmisch« oder »spätrömisch« (wiewohl nicht sehr sinnvoll vom ursprünglichen Namen jener griechischen Kolonie am Bosporus abgeleitet, die 324 als Konstantinopel zur Reichshauptstadt ausgebaut wurde) ist sachgerecht und notwendig. Er formuliert die Einsicht, daß Byzanz ein historisches Phänomen eigener Prägung war, in dem neben der römischen Tradition neue und andere Kräfte wirksam wurden. Damit ist die Frage der Periodisierung aufgeworfen. Das Ende der byzantinischen Geschichte ist trotz aller weiterdauernden kulturellen Wirkungen durch den Fall von Konstantinopel 1453 eindeutig bestimmt. Um so umstrittener ist der Beginn. Geistreiche Formeln bieten sich an: »Byzantinische Geschichte beginnt, wenn Byzanz nicht mehr Byzanz heißt« – oder der Versuch, die Lebensspanne des Byzantinischen Reiches durch Konstantin I. und Konstantin XI. einzugrenzen. Vier Hauptpositionen haben sich in der Diskussion herausgeschält. Als entscheidender Einschnitt gilt einmal die Regierung Konstantins des Großen: Konstantinopel wird als zukünftige Reichshauptstadt gegründet, der Schwerpunkt im Imperium verlagert sich; zugleich beginnen mit der Anerkennung des Christentums und den großen staatlichen Reformen einschneidende Veränderungsprozesse. Eine zweite Schule sieht dagegen erst mit der Herrschaft der bilderfeindlichen Kaiser seit 717 die sich als Antwort auf die islamische Bedrohung im 7. Jahrhundert anbahnende Umformung des Reiches vollendet und so die Kontinuität mit dem spätrömischen Imperium endgültig unterbrochen. Eine vermittelnde Position reflektiert auf das Jahr 395: die Erklärung des Christentums zur einzigen Staatsreligion und die Reichsteilung legen den Grund für ein eigenständiges Byzanz. Schließlich wird die Regierung Justinians, der ein letztes Mal das römische Gesamtreich zusammenzufassen suchte, als die geschichtliche Phase verstanden, in der die das Byzantinische Reich formenden Kräfte zum erstenmal klar hervortreten.
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Historische Epochengrenzen festzulegen ist aus methodischen wie aus sachlichen Gründen ohnehin problematisch. Es wird hier doppelt schwierig, weil Imperium Romanum und Byzantinisches Reich nicht nur eine räumliche, sondern vielfach auch eine strukturelle Kontinuität besitzen. Bestimmte Traditionen (z.B. das nach dem 6. Jahrhundert nur noch in Fremdworten der Amtssprache weiterlebende Latein) sind zwar verhältnismäßig rasch abgestoßen worden. Andere spezifisch spätrömische Strukturen sind zu durchgehenden oder zumindest sehr lange bewahrten Elementen der byzantinischen Lebensordnung geworden. Das Byzantinische Reich ist jedoch als geschichtliches Gebilde von vier Kräften politisch und geistig geprägt. In Staat, Recht und politischer Ideologie wirkt die absolute spätrömische Monarchie und der umfassende Herrschaftsanspruch der römischen Kaiser nach. Herrschende Schicht in diesem Staat aber ist das Griechentum, das auch die bestimmende geistige und kulturelle Kraft bildet. Dritte Formkraft ist das orthodoxe Christentum als Staatsreligion und Staatskirche; dazu treten orientalische Elemente in der Führungsschicht und in der geistigen Tradition. Diese Grundelemente der byzantinischen Gesellschaft bilden sich in einem langwierigen Prozeß heraus; es gibt kein einfach zu bezeichnendes Epochenjahr, sondern nur Jahrhunderte eines Entstehens und einer Formung von Byzanz. Der Prozeß beginnt mit Staatsreform und Anerkennung des Christentums unter Konstantin; er zeigt deutliche Einschnitte in den Jahren 395 und 476. Das 4. und 5. Jahrhundert bilden einen legitimen Teil der byzantinischen Geschichte: ihre sich teilweise noch in den Fassaden und Ordnungen des spätrömischen Imperiums vollziehenden Anfänge. Doch so weit gediehen, daß von Byzanz als einem historischen Gebilde eigenen Charakters die Rede sein kann, ist die Verschmelzung der konstitutiven Elemente erst im 6. Jahrhundert; in der justinianischen Epoche läßt sich eine Art Bündelungseffekt in der Entwicklung erkennen. Noch ist Byzanz nicht in voller innerer Übereinstimmung mit sich selbst. In Kunst und Kultur hat sich das Neue und für die Zukunft Bleibende bereits ausgeprägt. Politik und Ideologie sind noch überwiegend traditional bestimmt; Staat und Gesellschaft befinden sich in einem Übergangsprozeß, der erst im 7. Jahrhundert neue und klare Lösungen findet. Aber Justinians Herrschaft bleibt die entscheidende Phase in der Metamorphose vom spätrömischen Reich zur byzantinischen Gesellschaft, so wie sie zugleich einen grundlegenden Einschnitt in der Verwandlung der alten Welt des Imperium Romanum zur mittelalterlichen, europäisch-mediterranen Welt darstellt. 1. Grundlagen und Anfänge der byzantinischen Geschichte: Das Zeitalter des Justinian und Heraklios (518–717) Während ein schweres Gewitter über dem Goldenen Hörn tobte, starb in der Nacht des 10. Juli 518 in Konstantinopel der fast achtzigjährige Kaiser Anastasios. Das Reich, das die Gefahren der Völkerwanderung erfolgreich
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gemeistert hatte, schien am Rande der Auflösung; die Ostprovinzen standen nach einer Folge von Bürger- und Religionskriegen im offenen Aufruhr gegen die Zentrale. Der siebenundsechzigjährige Kommandeur der kaiserlichen Garde nutzte den Moment der Unsicherheit, um seine Wahl zum Kaiser zu inszenieren. Usurpation des Thrones durch entschlossene Truppenführer war im Byzantinischen Reich weder jetzt noch später etwas Ungewöhnliches. Aber die kurze Herrschaft des energischen und befähigten Organisators Justin I. (518–527) machte Epoche. Sie schuf seinem Nachfolger Justinian Machtgrundlage und Handlungsspielraum und leitete damit die erste große Epoche byzantinischer Geschichte ein. I. Die zwei Gesichter der Zeit: Spätrömische Traditionen und byzantinische Anfänge Leistung und Zeit Justinians sind nicht zu verstehen ohne ihre spätrömischen Grundlagen. Die Weltstellung, die das Byzantinische Reich als mittelmeerische Hegemonialmacht im 6. Jahrhundert trotz der ständig an seinen Grenzen flackernden Konflikte behauptete, entsprang wie die politischen und sozialen Formen der frühbyzantinischen Gesellschaft der historischen Entwicklung im 4. und 5. Jahrhundert.1 Erfolg und Versagen in der Auseinandersetzung mit der Völkerwanderung prägten das Gesicht der Welt Justianians. Der Einbruch der germanischen Völker hatte die machtpolitische Struktur des Raumes zwischen Schottland, Donau und Sahara verändert. An die Stelle des einheitlichen Gesamtreiches trat ein polyzentrisches System – die germanischen Nachfolgestaaten auf dem Boden des westlichen Imperiums und das Byzantinische Reich im Osten. Die Ursachen für den Zerfall des Imperium Romanum im Westen sind ebenso komplex wie umstritten. Die höhere Widerstandskraft der östlichen Provinzen war nicht zuletzt in ihrer überlegenen ökonomischen und demographischen Struktur begründet (vgl. oben S. 16. 27; FWG 9, S. 145 f). Sie befähigte Byzanz, auch in außenpolitischen Krisensituationen durch eine effektive Bürokratie und eine funktionierende Finanzverwaltung das notwendige Steueraufkommen zu sichern und damit eine gut ausgerüstete Armee zu unterhalten. Zudem war hier das Staatsgefüge weniger durch politische und wirtschaftliche Sonderinteressen des mächtigen grundbesitzenden Adels geschädigt als im Westen, wo dieses innenpolitische Schwächemoment als ein entscheidender Faktor des Zerfalls wirkte. In Byzanz gelang es der Zentralgewalt dank einer günstigeren außenpolitischen und finanziellen Situation, staatliche Einheit und politische Stabilität gegen solche zentrifugalen Strömungen zu bewahren. Überstand das Oströmische Reich die äußere Krise des 5. Jahrhunderts ohne nachhaltige Erschütterung, so drohte mit dem in den reichen asiatischen Provinzen vom monophysitischen Schisma ausgelösten Konflikt die Gefahr der inneren Desintegration und zugleich der Orientalisierung des Byzantinischen
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Reiches. Mit dem Auseinanderdriften von Ost und West im Mittelmeerraum zeichneten sich seit dem 5. Jahrhundert die Konturen neuer geistiger Landschaften ab; besonders in Ägypten und Syrien erwachte ein kulturelles Selbstbewußtsein, das bedeutende Einflüsse auf die Entwicklung von Religion und Kunst ausübte. Unter Anastasios (491–518) schien zeitweise die Reichseinheit überhaupt bedroht. Die Machtergreifung durch Justin I., der mit politischen Konsolidierungsmaßnahmen eine kirchenpolitische Schwenkung zur Orthodoxie verband, brachte auch hier vorläufig eine Wende. Byzanz war im 6. Jahrhundert der einzige Rechtsnachfolger des Imperium Romanum – politisch und militärisch wie wirtschaftlich gegenüber den Germanenstaaten die dominierende Macht des Mittelmeerraumes. Ein Kaiser herrschte wieder in der christlichen Welt, auch wenn sich die westlichen Provinzen in einem Prozeß der Auflösung vorübergehend seiner Kontrolle entzogen hatten. Politische Institutionen, soziale Strukturen, Wirtschaftsformen und materielle Kultur der spätrömischen Zeit blieben weithin unverändert erhalten. Die zentrale kaiserliche Autorität war wieder gesichert, der administrative Apparat funktionierte, die Armee war fähig zur Verteidigung der Grenzen. Im Gegensatz zum Westen erlebte Byzanz auch eine neue wirtschaftliche Prosperität; städtisches Leben und Fernhandel dauerten weiter, die Währung blieb stabil. Doch wenn auch die spätrömische imperiale Tradition den Horizont des Lebens im frühbyzantinischen Reich prägte, Justinian seine Politik als ›renovatio‹ des alten Gesamtreiches begriff: ein Verständnis seiner Zeit als abschließender Höhepunkt des Imperium Romanum Christianum ist eine einseitige historische Perspektive. Elemente des Übergangs und des Wandels sind im Gegensatz zum offiziellen Traditionalismus ein Kennzeichen der Epoche. Sie hat zwei Gesichter, zwei mögliche Perspektiven: regionaler Ausschnitt des Gesamtprozesses einer Verwandlung der Mittelmeerwelt und zugleich erste Phase, in der das Byzantinische Reich als individuelle historische Einheit hervortritt. Sicher war der Staat Justinians in vielem nur eine Zwischenlösung, ein Markstein eines umfassenderen Veränderungsprozesses, der im 7. und 8. Jahrhundert kulminierte. Aber seine »renovatio imperii« legte den Grund für eine verwandelte Form von Reich und Kaiserherrschaft und eröffnet darum die byzantinische Geschichte im eigentlichen Sinn. II. Konstantinopel: Zentrum der Welt und Spiegel des Reiches Der Glanz der Hauptstadt spiegelte Macht, Reichtum und Höhe der Kultur im Byzantinischen Reich. Wie ein Magnet zog sie Provinzialen und Fremde aus allen Ländern an. Hier residierte der Kaiser als Stellvertreter Gottes auf Erden, der Patriarch als Haupt der orthodoxen Christenheit. Schon das verlieh Konstantinopel eine einzigartige Stellung; dazu kam das gewaltige wirtschaftliche Potential, das sich in dieser Zentrale des Reiches und des
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internationalen Handels sammelte. Die Anziehungskraft der Stadt für die umliegende Welt war fast zu stark: durch Jahrhunderte war Konstantinopel nicht nur ein Kreuzweg der Kulturen, sondern wieder und wieder eine belagerte Festung. Die enge Verbindung von Land und See in ihren militärischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten wie in ihrer ästhetischen Wirkung war für Konstantinopel bezeichnend: »Die See bekrönt die Stadt«.2 Von der Ferne überragte die Kuppel der Hagia Sophia die Stadtsilhouette; dann erschien vom Bosporus aus das riesige Areal des Kaiserpalastes mit seinen aus Parkanlagen herausleuchtenden vergoldeten Kirchenkuppeln. Vor dem Palast lag das Augusteum, ein von der Hagia Sophia und vom Hippodrom flankierter weiter Platz. Neben dem Meilenstein, von dem aus alle Entfernungen im Reiche rechneten, ragte die überlebensgroße Reiterstatue Konstantins auf; breite, von Kolonnaden gesäumte Straßen führten zum Goldenen Hörn hinab. Die gesamte Stadt, die neben den orientalisch engen Gassen der Handels- und ärmeren Wohnviertel auch Villengebiete und große Parks umfaßte, war von der fast 9 Kilometer langen Befestigungslinie der Landmauern umschlossen. Gliederung und architektonische Gestaltung der Hauptstadt mit ihren verschiedenen Schwerpunkten und Regionen gaben ein Abbild der Gesellschaft von Byzanz. Als politisches und administratives, wirtschaftliches und religiöses, literarisches und künstlerisches Zentrum war Konstantinopel bei allem großstädtischen Eigenleben eine Art Mikrokosmos des Reiches.3 Das unter Theodosios II. (408–450) errichtete, dreifach gestaffelte Verteidigungssystem der Land- und Seemauern galt als militärtechnische Spitzenleistung der Zeit. In ihm verkörperte sich die Rolle der Stadt als letzte Widerstandszelle des Staates; Inschriften über den Toren (»Christus unser Gott, breche siegreich die Gewalt der Feinde«) verkündeten den Glauben an ihren besonderen göttlichen Schutz. Die Uneinnehmbarkeit der Hauptstadt war für die Untertanen ein lebendiges Symbol der ewigen Bestimmung des Reiches. Der große Palast der byzantinischen Kaiser am Bosporus war eine Stadt innerhalb der Stadt, in der die Pracht der Gebäude und Gärten eine überwältigende Wirkung entfaltete. In den großen Staatshandlungen mit ihrem minuziösen Zeremoniell stellte sich bildhaft die weit über allen Sterblichen thronende Macht des Kaisers dar. Besonders ausländische Fürsten oder Gesandte versuchte man beim feierlichen Empfang durch ausgeklügelte akustische und mechanische Überraschungen (etwa mit den Flügeln schlagende, juwelenbesetzte Pfauen) zu beeindrucken.
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Abb. 2: Die Landmauer von Konstantinopel
Konstantinopel war zugleich der Sitz des trotz der Konkurrenz von Alexandria und Antiocheia mächtigsten orthodoxen Patriarchen. Zahllose Kirchen und Klöster, deren Insassen häufig in städtischen Unruhen eine entscheidende Rolle spielten, lagen in der Stadt und ihrer Umgebung. Sinnbild Konstantinopels als religiöser Mittelpunkt des Reiches war die Hagia Sophia. Die »große Kirche« war eines der Wunder der Christenheit; ihren tiefen und rational nicht völlig deutbaren Eindruck auf die Gläubigen bezeugen zahllose Beschreibungen vom 6. bis zum 14. Jahrhundert: »Der menschliche Geist kann über die Kirche der Heiligen Weisheit nichts sagen, noch kann er von ihr eine Beschreibung machen.«4 Konstantinopel war aber auch, andere städtische Zentren des Reiches wie Alexandria, Antiocheia, Thessalonike, Ephesos oder Trapezunt überschattend, eine Drehscheibe des internationalen Handels und für Jahrhunderte die reichste Stadt der Christenheit. Als Handelsplatz bot es eine einzigartige Summe von Vorteilen: Lage am Schnittpunkt wichtiger Fernhandelsstraßen; außergewöhnlich sicherer und gut ausgebauter Hafen mit Docks und Lagerhäusern; durch große Bazarviertel erschlossene lokale Absatzmärkte in der großen Stadtbevölkerung und den zahlreichen Werkstätten; zahlreiche Büros von Reedern, Großhändlern und Banken. Viertes Lebenszentrum von Konstantinopel war der über 40000 Zuschauer fassende Bau des Hippodroms. Die Lebensbedingungen der städtischen Unterschicht waren bedrückend; sie wurden durch staatliche Brotverteilung, kirchliche Hospitäler und Armenhäuser nur wenig verbessert. Die Wohnhäuser waren vielfach primitive Ziegelbauten, die Straßen eng, finster und von Unrat
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übersät. Feuersbrünste oder Seuchen waren keine Seltenheit. Um so mehr wurde das Hippodrom mit seinen Tierhetzen, Wagenrennen, Akrobaten und Komödien für diese Bevölkerungsgruppen zum Lebensbedürfnis und neben den religiösen Streitigkeiten zum Mittelpunkt ihres Interesses. Die leicht erregbare, schwer zu kontrollierende und ob ihrer gefährlichen Rolle in Krisenzeiten von den Kaisern mit Vorsicht behandelte Masse war organisiert in den Zirkusparteien der Blauen und Grünen, die weithin mit den (zeitweise auch als Bürgermiliz dienenden) städtischen Demen identisch waren. Diese seltsamen Relikte altgriechischer Bürgerfreiheit und Anarchie mitten im absolutistischen Staat vereinigten nicht nur die leidenschaftlichen Anhänger bestimmter Rennställe oder sportlicher Tagesgrößen. Sie waren zugleich Organe kirchenpolitischer und damit innenpolitischer Willensbildung – die Blauen traditionell orthodox, die Grünen monophysitisch. Protesthaltung und modische Attitüde gingen auch bei diesen Gruppen Hand in Hand: »Sie haben eine neue und seltsame Art angenommen, ihr Haar zu tragen und schneiden es völlig anders als die übrigen Leute. Schnauzbart und Kinnbart berühren sich nicht, aber sie lassen beide zur größtmöglichen Länge wachsen ... Das Haar lassen sie hinten möglichst lang hinunterhängen, in einer absurden Art wie die Hunnen ... Die Manschetten ihrer Hemden sitzen an den Knöcheln so knapp wie möglich, erweitern sich aber von dort zu den Schultern in geradezu grotesker Weise.«5 Kleine Handwerker und Händler, Tagelöhner, Diener, Sklaven Bettler, Dirnen und Soldaten machten die Masse der Stadtbevölkerung aus. Die Mittelschicht bildeten Verwaltungsbeamte, Ärzte und Universitätslehrer, wohlhabende Grundeigentümer, Werkstättenbesitzer und oft in verstecktem Luxus lebende Handelsherren, Reeder und Bankiers. Die glänzende Fassade der byzantinischen Gesellschaft verkörperte der Hof- und Geburtsadel. Seine Stadtpaläste und Landsitze wetteiferten in ihrem Ausstattungsluxus – Marmorböden, Mosaiken, Wandgemälde, elfenbeinverzierte Möbel – mit den kaiserlichen Palästen; ein ähnlicher Aufwand wurde in Kleidung, Schmuck und Fahrzeugen entfaltet. Ein hochentwickeltes Kunstgewerbe war nicht zufällig ein besonders typischer Zweig der byzantinischen Kunst. Wie dicht hier massiver Reichtum neben tiefer Armut stand, zeigte sich in den großen Prachtstraßen, wo teuere Geschäfte Modeartikel und Luxusgüter aus aller Welt anboten. Doch verschloß sich die städtische Führungsschicht trotz diesem an einer Konkurrenz äußerer Prunkentfaltung orientierten Lebensstil nicht geistigen Ansprüchen. Sie war eng mit der intellektuellen Elite verzahnt und von der Notwendigkeit einer weltlichen, literarischen Bildung tief überzeugt. Diese Tatsache hatte ebenso ihre Rückwirkungen auf das Leben der Gesellschaft wie das Wirken der Universität von Konstantinopel, deren philosophische und naturwissenschaftliche Schulen traditionellen Rang besaßen und Studenten aus dem ganzen Reich anzogen. III. Justinian und seine Zeit: Die Rolle des Herrschers
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Die Leistungen der Herrschaft Justinians sind unbezweifelbar. Der Machtbereich des Imperiums wurde wieder bis nach Spanien ausgedehnt, das Corpus Iuris schuf die Grundlage der europäischen Rechtsentwicklung, die Hagia Sophia bezeichnete den ersten Höhepunkt der byzantinischen Kunst. Entscheidende Vorbedingung solcher Erfolge waren die Abwehr der Völkerwanderung, die wirtschaftliche Konsolidierung im östlichen Reichsteil und die geringe innere Stabilität der germanischen Nachfolgestaaten
Abb. 3: Kaiser Justinian zu Pferd
Justinians Leistungen sind aber auch nicht denkbar ohne seine außergewöhnlich befähigten Mitarbeiter: den bedeutenden Truppenführer Belisar, den erfahrenen Militär und Diplomaten Narses, den rücksichtslosen Prätorianerpräfekten Johannes von Kappadokien, den großen Juristen Tribonianus. Einflußreichster Ratgeber jedoch war die Kaiserin Theodora. Die dubiose Lebensgeschichte der ehemaligen Kurtisane, ihre Intrigen- und Günstlingswirtschaft und ihre fragwürdige monophysitische Religionspolitik hat der Historiker Prokop in seiner »Geheimgeschichte« mit genüßlicher Bösartigkeit ausgemalt. Aber auch er bestritt ihr nicht politischen Scharfblick und jene Standfestigkeit, die dem Kaiser selbst in Krisenmomenten fehlte. Sie rettete die Herrschaft Justinians auf dem Höhepunkt des Nika-Aufstandes: »Flucht ist unmöglich, auch wenn sie uns in
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Sicherheit brächte. Wer in diese Welt geboren ist, muß sterben; aber ins Exil gehen kann ein Herrscher nicht.«6 Das mindert nicht die eigene Leistung Justinians. Er ist das vielleicht bedeutendste Beispiel jener sozialen Mobilität, die im Byzantinischen Reich einen befähigten Mann ohne Herkunft in höchste Stellung tragen konnte. Wie sein Onkel Justin war Justinian ein einfacher makedonischer Bauernsohn, erhielt aber eine vorzügliche Ausbildung in Theologie und profanen Wissenschaften, Staatskunst und Diplomatie. Mit außergewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten paarte sich eine unerschöpfliche Arbeitskraft, mit klaren Zielvorstellungen eine meisterhafte Detailkenntnis der komplexen Affären des Reiches. Der Drang, auch in Einzelfragen – Planung militärischer Expeditionen, Baupläne afrikanischer Festungen, Programme für Festspiele, Festlegung von Fastengeboten – selbst zu bestimmen, war freilich Besessenheit und Schwäche des Kaisers zugleich. Seine Arbeit zielte dabei nicht nur auf eine wirksame und unbestechliche Verwaltung, sondern suchte auch die rechtliche und soziale Lage seiner Untertanen zu bessern – was Prokop ihm dann als ständige Neuerungssucht und Zerstörung erprobter Ordnungen ankreidete. Doch mehr noch als asketischer Fleiß, Pflichtbewußtsein und soziales Bemühen kennzeichnete den »Kaiser ohne Schlaf«, der in seinem Palast durch strenge Etikette von der Welt und den Untertanen abgeschlossen war, eine beispiellose Energie herrscherlichen Wollens. Justinian war der größte Autokrat auf dem byzantinischen Thron, der seine politischen Ideen mit leidenschaftlicher Gewalt verfolgte. In der Verbindung bedeutender Fähigkeiten mit einem unbeugsam auf ein großes Ziel gerichteten Willen, aber auch in seiner kalten Distanz zu Mitlebenden und in seiner Unfähigkeit, Begeisterung oder Zuneigung zu wecken, ist er am ehesten Karl V. vergleichbar. Justinians politisches Credo bestand allerdings nicht nur in einem übersteigerten Begriff unumschränkter kaiserlicher Machtfülle, wie er ihn im Staat völlig, in der Kirche wenigstens zum Teil durchsetzte. Eigentliche Triebkraft seines Handelns war eine konservative politische Idee: die Vision der renovatio imperii – der Wiedererrichtung des die gesamte Mittelmeerwelt umfassenden rechtgläubigen Reiches in den überlieferten Formen von Macht, Glauben und Kultur. Daraus ergaben sich die Einzelziele seiner Politik: Wiedergewinn der alten Grenzen des Imperiums und der Glaubenseinheit in der christlichen Ökumene; Reorganisation von Verwaltung und Rechtsprechung; finanzielle Erholung durch gezielte Wirtschaftspolitik; großartige Baupolitik, die die Wiederherstellung der alten Ordnung sichtbar dokumentiert. Gerade die gefährlichen Konsequenzen einer solchen Politik machen die weiterwirkende Bannkraft des universalen römischen Staatsgedankens sichtbar. Das politisch-staatsrechtliche Grundprinzip des einen legitimen Reiches war nicht nur für Byzanz und seine Kaiser so selbstverständlich und unbestreitbar wie der Begriff der einen christlichen Kirche. An die Idee der Universalität kaiserlicher Macht knüpften sich jenseits der Grenzen des byzantinischen Staates
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Loyalität und politische Hoffnungen ehemaliger Provinzialen; selbst die Germanenherrscher erkannten den Kaiser als oberste Quelle aller legitimen Macht an. Freilich unterschied sich ihr Verständnis kaiserlicher Oberherrschaft von dem Justinians in einem entscheidenden Punkt. Als ein grundsätzlich unbestrittener titularer Anspruch sich im politischen Sendungsbewußtsein Justinians zu einem realen Anspruch auf Herrschaft in den westlichen Reichsteilen wandelte, mußte es zum Konflikt kommen. Andererseits sah Justinian eine doppelte Verpflichtung zur Wiedereingliederung dieser Provinzen. War das Römische Reich zugleich der Lebensraum der rechtgläubigen Christenheit, so war es Aufgabe des Kaisers, seine lateinischen Untertanen von der Herrschaft arianischer Ketzer zu befreien. Glauben und Politik verbanden sich kompakt in Justinians Idee einer Erneuerung des Imperium Romanum Christianum: »Aus Gottes Vollmacht regieren wir das Reich, das uns von der himmlischen Majestät übertragen wurde, führen wir Kriege mit Erfolg, sichern den Frieden und halten den Bau des Staates aufrecht. Zugleich erheben wir in der Kontemplation unseren Geist derart zur Hilfe der allmächtigen Gottheit, daß wir unser Vertrauen nicht in unsere Waffen, unsere Soldaten, unsere Offiziere oder unsere eigenen Fähigkeiten setzen, sondern alle unsere Hoffnungen auf die vorausschauende Fürsorge der allerhöchsten Dreieinigkeit allein gründen, von der alle Elemente des Universums ausgingen und ihre Ordnung im gesamten Erdkreis sich ableitet.«7 IV. Tradition und Reform in der Gesellschaft des 6. Jahrhunderts Renovatio imperii erschöpfte sich für Justinian nicht in der Außenpolitik. Hinter der glänzenden Fassade von Kunst und Leben in der Hauptstadt und in den großen Provinzzentren gab es zahlreiche innenpolitische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme. Soziale Unruhe und Widerstand gegen eine autokratische Straffung der Regierung manifestierten sich schon im Jahre 532 im Nika-Aufstand der Zirkusparteien, die in den Jahren der Anarchie unter Anastasios der Polizei aus der Hand geraten waren. Justinians vorsichtige, aber energische Maßnahmen vermochten eine gemeinsame Revolte der Blauen und Grünen nicht zu verhindern, die erst nach Tagen der Unsicherheit im Blut erstickt wurde. Diese Kraftprobe zwischen Kaiser und hauptstädtischer Bevölkerung blieb allerdings der einzige größere Konflikt dieser Art während der Regierung Justinians. Justinians innere Politik richtete sich vor allem auf drei Ziele: Reform der Verwaltung, die so gerecht, wirksam und steuerproduktiv als möglich arbeiten sollte; Stärkung der Wirtschaft durch Öffnung neuer Handelsrouten, Unterstützung wichtiger Gewerbezweige und Schutz des Kleinbauerntums; schließlich Wiedergewinn der Glaubenseinheit in der durch den Monophysitenstreit gespaltenen Kirche. Ihre Motive lagen keineswegs nur im Schock des Nika-Aufstandes oder in den Vorbereitungen für umfassende
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militärische Unternehmungen im Westen. Justinian besaß, wie zahlreiche Urteile und Bemerkungen seiner Gesetze und Verordnungen zeigen, in vieler Hinsicht sehr klare Informationen über Mängel und Konflikte im administrativen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich. Es ließe sich durchaus ein Bericht über die Lage des Reiches aus dem Blickwinkel des Kaisers erstellen – ein Tribut an die Effizienz seines Kontrollsystems, in dem die »Schattenregierung« des Hofes mit ihren zahlreichen inoffiziellen Nachrichtenkanälen eine wichtige Rolle spielte. Diese Einsichten bestärkten Justinian in der Überzeugung, der Kaiser habe zum Wohl des Staates und der Untertanen auch als innerer Reformer eine gottgesandte Aufgabe zu erfüllen. So gut er allerdings die Symptome kannte und auf Abhilfe sann – das System als Ganzes stellte er nicht in Frage. Zwar begegneten seine Reformversuche nicht nur traditionellen Situationen, sondern auch ungewohnten und neuen Problemen. Doch Leitidee blieb die Erneuerung des christlich-absolutistischen Imperium Romanum, wenn Justinian auch angesichts drohender Notwendigkeiten trotz seiner bewußt konservativen Haltung durchaus zu Neuerungen bereit war. Seine Erlasse zeigen neben erstaunlicher Detailinformation oft unerwartete Flexibilität: »Gesetze sind für das Leben, was Medizin für die Krankheit ist. So erreichen sie oft genau das Gegenteil des Gewollten, und daher setzen wir hiermit die Novelle 9 außer Kraft.«8 Die Frage nach der Realität von Kontinuität und Wandel stellt sich darum in besonderem Maße. Als politisches System hat das frühbyzantinische Reich die Struktur einer absoluten Monarchie beibehalten, wie sie als Antwort auf die Reichskrise des 3. Jahrhunderts im Dominat Gestalt gewonnen hatte. Justinian hat den spätrömischen Begriff absoluter kaiserlicher Souveränität in seiner extremsten Bedeutung verstanden: »Was ist größer, was geheiligter als die kaiserliche Majestät? Wer ist so hochmütig, das Urteil des Fürsten zu verachten, wenn die Gesetzgeber selbst klar und unmißverständlich niedergelegt haben, daß kaiserliche Entscheidungen die volle Kraft eines Gesetzes besitzen?«9 Titulatur, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik wie das den Kaiser mit der Kraft unwandelbarer Tradition bindende Hofzeremoniell propagierten und versinnbildlichten den transzendenten Ursprung seiner Herrschermacht. Entscheidende Elemente der Herrschaftsstruktur, im Kaiser als Quelle aller Gewalten koordiniert, blieben Hof, Zivilverwaltung und Berufsarmee. Eine weitere wichtige Machtgrundlage bildete die Wirtschafts- und Finanzkraft des Reiches, die die Kosten für Bürokratie, Armee und Außenpolitik aufzubringen hatte. Dieses politische System hat die bedeutende und historisch folgenreiche Leistung vollbracht, in einem Staat ohne ethnische oder sprachliche Gemeinsamkeit die Ansätze zu einer Einheit der Kultur und des Glaubens zu schaffen. Aber die Kehrseite seiner Effizienz war ein ausgeprägter Paternalismus. Der Staat erhob Anspruch auf Reglementierung und Kontrolle des gesamten Daseins. Er garantierte zwar den Untertanen Überleben, Sicherheit und Stabilität, aber um den Preis der politischen und sozialen Freiheit.
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Das Herrschaftsinstrument, das den kaiserlichen Willen bis an die Ränder der fernsten Provinzen durchsetzen sollte, war eine hochorganisierte Verwaltung, die auf den Prinzipien der Zentralisierung, der strikten Trennung ziviler und militärischer Gewalt, des Berufsbeamtentums (dem die Professionalisierung der Armee entsprach) und einer umfassenden Kontrolle beruhte. Bezeichnend für diesen bürokratischen Apparat war eine genau geregelte Ausbildung und streng hierarchische Rangstufung der Beamten ebenso wie eine sehr detaillierte Funktionsaufgliederung und Zuständigkeitsabgrenzung. Unter den Leitern der vier großen, ministerienartigen Zentralressorts war die Verwaltung in die Ebenen der Präfekturen, Diözesen und schließlich der (rund 120) Provinzen gegliedert, die jeweils mit ihren eigenen zahlreichen Beamtenstäben arbeiteten. Die Befugnisse dieser Verwaltung erfaßten auch das wirtschaftliche und soziale Leben. Ein eminent wichtiger Zweig war eine umfassende und rationelle Finanzund Steuerbürokratie, die Wirtschafts- und Steuerkraft der Untertanen detailliert festzulegen suchte, sie mit einer Flut von Steuererklärungen und Veranlagungsbescheiden beglückte und die Ablieferung der Steuern notfalls mit oppressiven Maßnahmen erzwang. »Die Staatseinnahmen zu erhöhen und jegliche Sorgfalt bei der Verteidigung der Interessen der Staatskasse aufzuwenden«, hielt Justinian für eine Hauptaufgabe seiner Beamten10; dieser Fähigkeit verdankte eine Figur wie der Prätorianerpräfekt Johannes seine Karriere. Die Organisation der Steuerverwaltung war ungemein zählebig und beeinflußte noch das fiskalische System der islamischen Welt – erreichte freilich auch dort oft durch ruinöse Belastung der Untertanen das Gegenteil ihres eigentlichen Zweckes. Der überspitzte Ressortismus der frühbyzantinischen Verwaltung entsprang nicht nur dem funktionalen Drang aller Behörden zur Selbstvermehrung oder den vor allem aus den komplexen wirtschaftlich-fiskalischen Aufgaben entspringenden Sachzwängen. Er war zugleich Teil eines umfangreichen Systems von Sicherungs- und Überwachungsmechanismen, die eine allzu große Machtkonzentration in der Hand einzelner vermeiden und dem absoluten Herrscher die Kontrolle über seinen Herrschaftsapparat verbürgen sollten. Die Armee blieb auch unter Justinian der Garant außenpolitischer Selbstbehauptung und unentbehrliches innenpolitisches Machtinstrument. Die Sicherheit der Fronten des Imperiums und die weitgreifenden Expansionsabsichten waren nur durch intensive militärische Anstrengungen und Planungen zu gewährleisten. Da eine tiefgegliederte Abwehr weiterhin der strategischen Lage entsprach, blieben die Streitkräfte nach spätrömischem Prinzip in standortgebundene Grenzschutztruppen (limitanei) und eine als strategische Reserve zum Schwerpunkteinsatz auf wechselnden Schauplätzen dienende Feldarmee gegliedert. Die rund 150000 Mann starke Armee bestand aus Söldnern verschiedenster Nationalität. In der mobilen Feldarmee kämpfte neben der im Reich selbst rekrutierten gepanzerten Kataphrakten-Reiterei der »stratiotai« die aus Hunnen, Vandalen, Goten, Langobarden, Herulern, Gepiden,
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Persern, Armeniern und Arabern angeworbene Söldnerkavallerie der »foederati«. Die byzantinischen Truppen waren dank befähigter Generale in der Regel gut geführt; Bewaffnung, Organisation und Taktik waren an die Kampfführung der potentiellen Gegner angepaßt. Ihre Schwäche lag in Disziplinmangel und häufigen Meutereien, die auf bewußt begrenzte Kommandoaufträge und ständig schleppende Soldzahlung zurückgingen. Sein wichtigstes Machtinstrument behandelte der Kaiser mit einer Mischung von (sicher oft durch eine prekäre Finanzsituation erzwungener) äußerster Sparsamkeit und dem tiefverwurzelten Mißtrauen des Zivilisten. Hier wird ein Stück jener Spannungen sichtbar, die die Trennung militärischer und ziviler Gewalt in diesem politischen System erzeugte. Das entschiedene Ziel, Herrschaftsstruktur und Verwaltungsorganisation des spätrömischen Reiches in den Grundzügen zu erhalten, hinderte Justinian nicht am energischen Versuch, offensichtliche Mängel zu beseitigen; zumindest in Einzelfällen konnte dann Reform tatsächlich Veränderung bedeuten. Ansätze zu einer Reform der Verwaltung seit 535 zielten zunächst darauf ab, die Beamten weniger bestechlich zu machen. Ausbeutung der Untertanen durch den quasilegalen Kauf von Staatsämtern und hochgradige Bestechlichkeit gehörten zu den Grundübeln der byzantinischen Verwaltung, die Johannes Lydus, ein hoher Funktionär unter Justinian, plastisch beschrieben hat. Doch Justinians Idealbild des Beamten, der »alle loyalen Untertanen gegen Unterdrückung schützen, alle Bestechungsgelder zurückweisen ... und überhaupt die Untertanen so behandeln soll, wie ein Vater seine Kinder behandeln würde«11, ließ sich trotz Abschaffung des Ämterkaufs und anderer Maßnahmen nicht durchsetzen. Auch eine zweite Reformabsicht wurde höchstens teilweise erreicht – die Straffung des aufgeblähten Apparates, der in mancher Hinsicht eher ein Hemmschuh als eine Stütze des absolutistischen Regimes war. Bestimmte Vereinfachungen (wie die Abschaffung der Zwischeninstanz der Diözesen) hat Justinian zwar durchgeführt. Doch ist unter vielen Einzelmaßnahmen nur eine Neuerung von Bedeutung: die Vereinigung von ziviler Verwaltung und militärischer Kommandostruktur in der Hand eines Prätors oder Exarchen in exponierten Regionen des Reiches, vor allem in den zurückeroberten Westgebieten. Dieser Schritt bereitete die einschneidenden Reformen des 7. Jahrhunderts vor. Den administrativen Reformversuchen fehlte eine durchgehende Konsequenz. Trotz aller Änderungen im Detail suchten sie im Grunde nur das etablierte System funktionsfähiger zu machen; daß durchgreifende Neuerungen möglicherweise im Interesse des Staates gelegen hätten, lag außerhalb von Justinians Horizont. Seine Maßnahmen blieben auch darum unzureichend, weil sie über fiskalische Absichten kaum hinauskamen. Hebung der Staatseinnahmen wurde im Verlauf der Regierung Justinians mehr und mehr zum Hauptziel aller Innenpolitik. Geldbeschaffung um jeden Preis war freilich eine bittere Notwendigkeit, denn Verteidigung und Außenpolitik beanspruchten die Finanzen bis zum äußersten.
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Durchgesetzt hat sich der Reformwille des Kaisers nur auf dem Gebiet des Rechts. Das in den Jahren 528–533 redigierte Corpus Iuris Civilis ersetzte alle älteren Sammlungen des römischen Rechts. Ein erster Teil (Codex Justinianus) enthält die gültigen kaiserlichen Erlasse von Hadrian bis zum Jahre 533; spätere Verordnungen Justinians sind darum als novellae (»neue Entscheidungen«) bezeichnet. Der zweite Teil (Digesten oder Pandekten) gab eine revidierte Auswahl von Kommentaren und Entscheidungen römischer Juristen, die das geltende kaiserliche Recht ergänzten. Ein dritter Teil (Institutiones) stellte eine Art Prüfungshandbuch für die auch damals schon den Rückhalt der Verwaltung bildenden Juristen dar. Das Corpus Iuris war der ideale Spiegel des justinianischen Systems – bezeichnend in seiner ständigen Betonung des kaiserlichen Absolutismus, aber auch in der Durchsetzung bestimmter christlicher Vorstellungen gegenüber der klassisch-römischen Rechtstradition. Es blieb nicht allein Rechtsgrundlage des absoluten Staates und Fundament der byzantinischen Rechtstradition. Durch die Rezeption des römischen Rechts im Westen seit dem 12. Jahrhundert wurde es zu einem Hauptelement der gesamteuropäischen Rechtsentwicklung, das die rechtlichen und politischen Auffassungen des Spätmittelalters und des Absolutismus mitformte. Wie der frühbyzantinische Staat die politische Ordnung des Dominats übernahm, so entsprach auch seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Struktur weithin der des spätrömischen Reiches. Basis des wirtschaftlichen Systems blieb wie im gesamten Altertum die Landwirtschaft. Der überwiegende Teil der Bevölkerung bestand aus Bauern; Erträge aus Landbesitz waren die Hauptquelle privaten Reichtums, die Staatsfinanzen beruhten hauptsächlich auf einer Besteuerung der landwirtschaftlichen Produktion. Güteraustausch innerhalb des Reiches ermöglichte in einzelnen Provinzen oder Landschaften besonders ertragreiche Monokulturen: Olivenöl in Griechenland oder Qualitätsweizen in Thrakien. Im allgemeinen jedoch herrschten gemischte Anbauformen mit dem Nachdruck auf Getreide und Viehzucht vor; Geräte und Arbeitstag des kleinen Bauern, ob er Bodeneigentümer oder nur Pächter einer der zahlreichen Latifundien war, unterschieden sich kaum von den Formen traditioneller (und moderner) mediterraner Landwirtschaft. Im Osten hatten sich jedoch stets städtische Produktionsformen und agrarische Wirtschaft in nicht unerheblichem Maß ergänzt (vgl. oben S. 27). Auch im frühbyzantinischen Reich besaßen die Städte eine bedeutende wirtschaftliche und geistige Funktion; Justinians Politik begünstigte trotz der Bürde steigender Besteuerung und zunehmender Einmischung der Bürokratie ihre Entwicklung. Bis ins 7. Jahrhundert hinein waren sie Mittelpunkte des Lebens in den orientalischen Provinzen; bis zur arabischen Eroberung fanden die religiösen und politischen Krisen der Hauptstadt ihren Niederschlag in den Kämpfen der Zirkusparteien von Antiocheia und Alexandria. Mit den städtischen Institutionen erhielt sich ein bestimmter Grad materieller Kultur und eine weltliche, von der Kirche unabhängige Bildung.
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Von einer eigentlich städtischen Wirtschaft kann aber auch im Byzantinischen Reich des 6. Jahrhunderts trotz zeitweise blühenden Handels und Gewerbes nicht die Rede sein. Zudem war der Grad der Urbanisierung in den einzelnen Regionen des Reiches sehr verschieden; an der Spitze standen Ägypten, Syrien und vor allem Kleinasien. Eine genaue Bestimmung des Produktionsanteils und eine detaillierte Analyse der städtischen Wirtschaft ist aufgrund der Quellenlage schwierig. Sicher ist jedoch, daß die Gewerbebetriebe nicht nur Luxusartikel produzierten und daß – schon von den geographischen Gegebenheiten her – der Fernhandel ein wichtiges Element darstellte. Von Handelszentren wie Antiocheia, Damaskus oder Alexandria führten Karawanenstraßen und Schiffahrtswege nach Südarabien, nach Äthiopien und Ostafrika, Indien, Ceylon und China. Ökonomische Struktur wie soziale Reglementierung und wirtschaftlicher Dirigismus bestimmten das gesellschaftliche Gefüge. Bezeichnend für die frühbyzantinische Gesellschaft war einmal eine verhältnismäßig extreme Schichtung; der Gegensatz zwischen »potentes« und »humiliores« zieht sich wie ein roter Faden durch Gesetzgebung und Literatur. Der schmalen Schicht der grundbesitzenden Aristokratie als entscheidender sozialer Gruppe stand eine breite, weithin verarmte und zumindest auf dem flachen Land in ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnissen lebende Unterschicht gegenüber. Dazwischen existierte in oft prekärer Situation eine auf Handel und Gewerbe gestützte städtische Mittelschicht. Zweiter Grundzug war eine Tendenz zur Verfestigung der Standesgrenzen. Die fiskalische Zwangswirtschaft des Staates benutzte die wirtschaftliche Haftung bestimmter sozialer Gruppen als Maßnahme gegen den Rückgang von Steuern und Abgaben. Zu diesem Zweck wurden nicht nur Abgaben und Dienstleistungen genau reguliert und kontrolliert, sondern zugleich die Masse der Untertanen durch Gesetz an ihre Funktion und ihren Ort im sozialen System gebunden; meist waren diese Bindungen erblich. Ein Großteil der Bauern blieb als halbfreie Hintersassen der Grundherren (coloni) an ihre Scholle gebunden, wenn auch der freie Kleinbauernbesitz nicht völlig verschwand. Gewerbe- und Handeltreibende, deren Produkte für die Versorgung der Armee, der Verwaltung und der Großstädte wichtig waren, wurden als erbliche Zwangsmitglieder in die Zünfte (collegia) gezwungen. Ähnliches galt für die städtische Oberschicht der Decurionen, die mit ihrem persönlichen Vermögen für das Steueraufkommen des Stadtgebiets hafteten. Diese aus Zwangskorporierung und staatlicher Indienstnahme entspringende erbliche Festlegung auf einen bestimmten Beruf und damit auf einen bestimmten Stand drohte die Mobilität im gesellschaftlichen Gefüge immer stärker zu beschneiden; doch ist die angestrebte umfassende Reglementierung nie voll wirksam geworden. Ein gewisser Grad sozialer Mobilität zwischen den Ständen blieb der byzantinischen Gesellschaft selbst im 6. Jahrhundert erhalten. Meist über die Armee, aber auch über die Zivilverwaltung stiegen Angehörige der unteren Schichten zu Führungspositionen auf. Das blieben allerdings
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Ausnahmen im Rahmen einer Ordnung, die auf eine immobile Standesgesellschaft tendierte, in der der soziale Ort des einzelnen vorgegeben und grundsätzlich nicht zu wechseln war. Diese geschlossene Gesellschaft konnte Konflikte und Interessengegensätze nicht beseitigen. Inwieweit sie durch Zwang, sozialpsychologische Anpassung oder religiös begründete Ordnungsvorstellungen neutralisiert wurden, ist umstritten. Offenbar bestanden jedoch erhebliche Spannungen, die sich immer wieder in verdeckter sozialer Unruhe äußerten. Gesellschaftliche und wirtschaftliche neben administrativen Reformen, eine sozialpolitische Stabilisierung wie eine Verbesserung des Steueraufkommens waren daher für die erfolgreiche Durchführung von Justinians weitgesteckten Plänen unumgänglich. Die erheblichen Kosten der militärischen Offensive im Westen, der Grenzsicherung im Nordosten und Osten, der Verwaltung und der kaiserlichen Bauten waren zwar eine Zeitlang durch die von Anastasios angesammelten Finanzreserven getragen worden. Bald aber führte der Wechsel von schleppendem Steuereingang, Steuererhöhung, rücksichtsloser Steuereintreibung durch eine bestechliche Verwaltung und erneutem Rückgang des Steueraufkommens den Staat in eine krisenhafte Haushaltssituation, den Kaiser in das unlösbare Dilemma zwischen der Notwendigkeit höherer Steuerforderungen und dem Schutz der Steuerzahler vor Ausbeutung. Dieser Circulus vitiosus gefährdete Staatsfinanzen und wirtschaftliche Prosperität und bereitete den Boden für innere Unruhen. Hier offenbarte sich zum erstenmal jene Inkongruenz von Bedarf und Mitteln, die zu den Grundkonstanten der byzantinischen Geschichte gehört (vgl. oben S. 26 f). Die wesentlich auf Landwirtschaft und auf bestimmte Schwerpunkte von Handel und Gewerbe gestützte ökonomische Struktur des justinianischen Reiches entsprach zwar den Subsistenzbedürfnissen der Bevölkerung wie dem normalen finanziellen Aufwand des Staates. Aber durch die ständigen außenpolitischen und militärischen Belastungen lagen die finanziellen Anforderungen in der Zeit Justinians stets über der Ertragsnorm. Das vorherrschende fiskalische Interesse barg von vornherein die Gefahr, daß Sozial- und Wirtschaftspolitik in einem Netz gegensätzlicher Interessen und Zielsetzungen steckenblieb. Am erfolgreichsten war noch die staatliche Handelsförderung. Justinian und seine Berater suchten die Kontrolle zahlreicher Land- und Seewege durch Byzanz und die Rolle von Konstantinopel als zentralem Umschlagsplatz zu nutzen, um den besonders ergiebigen Orienthandel zu verstärken. Das war freilich auch ein außenpolitisches Problem. Das Sassanidenreich, nicht nur machtpolitischer Konkurrent, sondern auch Handelsrivale von Byzanz, beherrschte die beiden wichtigsten Handelswege: die Karawanenroute von China durch Buchara und Persien und die Schiffsroute über den Indischen Ozean und den Persischen Golf. Byzanz versuchte daher, für den Orient- und Weihrauchhandel eine Ausweichlinie durch das Rote Meer zu
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schaffen und sie durch Verbindungen mit dem abessinischen Reich von Aksum abzusichern. Der heimliche Export von Seidenraupen aus China machte das Reich zugleich von einem der wichtigsten Güter des Fernhandels unabhängig und ermöglichte den Aufbau einer blühenden eigenen Seidenindustrie. Der nestorianische Mönch Kosmas Indikopleustes beschrieb in seiner »Christlichen Topographie« – einem eigentümlichen Dokument der Verbindung von Handel, Diplomatie und Mission in dieser Zeit – den Wirkungsbereich des byzantinischen Osthandels und notierte dabei, was sich inzwischen durch archäologische Funde bestätigt hat: die byzantinische Goldmünze war in dieser Zeit eine Weltwährung. Wirtschaftlich war eine solche Politik wegen der dadurch entstehenden passiven Handelsbilanz nicht unbedenklich. Trotzdem läßt sich in einer verstärkten wirtschaftlichen Aktivität der Städte in den östlichen Provinzen ein gewisser Erfolg dieser justinianischen Entwicklungspolitik beobachten. Am Ende arbeitete aber auch hier die Steuerpolitik dem Wachstum der Außenwirtschaft entgegen. Die immer höher geschraubte Belastung von Handel und Gewerbe verhinderte eine für den Staat fühlbare Steigerung der Erträge. Auch die Sozialpolitik kam nicht aus dem Dilemma zwischen dem gesellschaftlich Vernünftigen und dem fiskalisch Notwendigen heraus. Justinian wie Theodora dokumentierten selbst Chancen und Nutzen sozialer Mobilität. Dennoch hielt Justinian an der überkommenen ständischen Ordnung fest, deren hierarchisches Klassen- und Titelsystem im öffentlichen Leben oft leichter zu durchbrechen war als im gesellschaftlichen Verkehr. Wichtige soziale Gruppen blieben weiterhin an ihre Berufe gebunden. Das noch verfeinerte Prinzip der erblichen Korporationszugehörigkeit beherrschte das gesamte gewerbliche Leben und wurde genauestens überwacht. Zu einer Änderung der Lage der Unterschichten gab es nicht einmal Ansätze; sie waren auf kirchliche Fürsorgetätigkeit und auf die Tröstungen von Religion und Zirkus verwiesen. Richtungs- und Hilflosigkeit der justinianischen Sozialpolitik zeigten sich am klarsten in einem Konfliktbereich, der keineswegs außerhalb des traditionellen Problemhorizontes lag. Die durch Möglichkeiten der Steuerimmunität und der sicheren Kapitalanlage geförderte Ausbreitung des Großgrundbesitzes ging auch im 6. Jahrhundert fort; sie war für die zentrale kaiserliche Autorität ebenso gefährlich wie für die dem Staat unentbehrliche Wirtschaftskraft des kleinen Bauerntums. Die großen Domänen des Adels in den Provinzen spielten eine bedeutsame Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Vielzahl gesetzlicher und administrativer Maßnahmen gegen Ausbreitung und Mißbrauch der Macht der großen Grundbesitzer vermochte nicht die weitere zwangsweise Übernahme freier Kleinbauern in das Colonat zu verhindern. Justinians Finanz- und Sozialpolitik erzeugte so nicht nur unter den ständig weiter belasteten und entrechteten kleinen Bauern und Gewerbetreibenden ein politisches Ressentiment, sondern ebenso beim Großgrundbesitz, dessen Privilegien die
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staatlichen Maßnahmen bedrohten. Am Ende standen politische Unzufriedenheit und rückläufige Wirtschaftskraft in breiten Schichten. V. Kaiser und Kirche: Probleme der Religionspolitik Kirchenpolitik mit all ihren Konsequenzen war ein Schicksal des Byzantinischen Reiches. Justinian trat hier alte ungelöste Erbschaften an. Auch in der Kirche regierte der Kaiser weithin als absoluter Herrscher: er entschied ohne Befragung von Synoden Fragen des Dogmas, des Ritus und der kirchlichen Ordnung, erließ Verhaltensvorschriften für den Klerus und besetzte souverän Bischofsstühle. Justinian, der dank seiner vorzüglichen Ausbildung eine genaue Kenntnis der dogmatischen Streitfragen besaß und als überzeugter Anhänger der Orthodoxie persönlich beteiligt war, verfaßte sogar theologische Abhandlungen und Kirchenlieder. Dennoch ist der Begriff Cäsaropapismus für das kaiserliche Kirchenregiment falsch (vgl. oben S. 35). Der Patriarch, der im 6. Jahrhundert erklärte: »Nichts darf in der Kirche gegen den Willen und die Befehle des Kaisers geschehen«, beschrieb zwar die momentane Praxis, nicht aber das prinzipielle Verhältnis von Kaiser und Patriarch.12 Die untrennbare Verflechtung von Kirchenpolitik und Innenpolitik, dynastischen und religiösen Auseinandersetzungen hatte bereits mit Konstantin begonnen. Das arianische Schisma des 4. Jahrhunderts war die erste große theologische Auseinandersetzung in der Reichskirche, die einen beherrschenden Einfluß auch auf die innere Politik ausübte (vgl. FWG 9, S. 104–109). Schon hier hatten sich die Grenzen auch einer energischen staatlichen Religionspolitik gezeigt. Im 5. Jahrhundert stürzte das monophysitische Schisma den östlichen Reichsteil in eine religiöse und geistige Krise, die zweieinhalb Jahrhunderte in ständig neuen Auseinandersetzungen andauerte. Die dogmatische Diskussion unter den griechischen Theologen schritt vom Verständnis der Natur von Gott/Vater und Gott/Sohn, die den Kernpunkt des arianischen Streites gebildet hatte, fort zum Problem des Verhältnisses von göttlicher und menschlicher Natur in Christus. Der scharfe Gegensatz theologischer Richtungen in dieser Frage verband sich nicht allein mit den üblichen kirchenpolitischen Machtkämpfen. Die Kontroverse ergriff auch das breite Kirchenvolk mit unerwarteter Leidenschaft – die Erlösungshoffnung als ein elementares Glaubensbedürfnis des damaligen Christen schien von der Frage einer vollkommenen Göttlichkeit des Erlösers abzuhängen. Die orthodoxe Kirche war alles andere als ein monolithischer Block. Landschaftliche und traditionelle Gruppierungen mit erheblich verschiedenen theologischen Überlieferungen und religiösen Haltungen – der griechisch-kleinasiatische Bereich, Ostsyrien, Ägypten – bildeten den Hintergrund und zugleich wirkende Faktoren in solchen Auseinandersetzungen. Ressentiments wurden dabei lebendig, die tief in den durch den Hellenismus lange überbrückten Gegensatz von Hellas und Orient, abendländischer und vorderasiatischer Welt hinabreichten.
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Das Konzil von Chalkedon (451) hatte die kirchenpolitischen und dogmatischen Kämpfe vorläufig abgeschlossen. Seine vom Kaiser befürwortete Einigungsformel (»ein Christus in zwei Naturen«) verurteilte den Nestorianismus wie die Lehre der Monophysiten. Diese christologische Formel von Chalkedon blieb die Basis aller orthodoxen Theologie; da sie zusammen mit der lateinischen Kirche erarbeitet war, hat sie zumindest auf dogmatischem Gebiet die Kircheneinheit bis zum Jahr 1054 gesichert. Aber eine durchgreifende kirchenpolitische Lösung brachten die Beschlüsse von Chalkedon nicht. Ägypten, Armenien und weite Teile Syriens und Palästinas akzeptierten die Entscheidung des Konzils nicht. In diesen Gebieten entstanden monophysitische Kirchen mit eigener Hierarchie, die sich schnell in wirkliche Volkskirchen verwandelten. Fast der gesamte Osten und Südosten des Reiches war damit im kirchlichen Bekenntnis von Konstantinopel getrennt. Mit dem religiösen Separatismus verband sich bald ein regionales Sonderbewußtsein, das nicht nur den Prozeß der Enthellenisierung und eine neuentstehende geistige Selbständigkeit in diesen Landschaften förderte. Staatliche Zwangsmaßnahmen gegen die Anhänger des Schismas ließen, vor allem in Ägypten, latente politische Separationstendenzen spürbar werden. Damit wurde das monophysitische Schisma endgültig auch ein innenpolitisches Problem ersten Ranges. Jeder Kaiser stand im Dilemma zwischen dem Eintreten für das orthodoxe Bekenntnis und der Wahrung des Friedens in seinen reichsten Provinzen. Dogmatische Einigungsversuche schlugen ebenso fehl wie die Politik einer gewaltsamen Unterdrückung der »Ketzer«. Anastasios, der letzte Kaiser des 5. Jahrhunderts, hatte zur dritten Möglichkeit gegriffen: einer konsequent monophysitischen Kirchenpolitik. Doch der entschlossene Widerstand in Kleinasien und auf dem Balkan, den Kernländern der Orthodoxie, brachte das Reich erst recht an den Rand einer politischen Katastrophe. Das monophysitische Problem war also brennender denn je. Doch Justinians Kirchenpolitik kam nicht über das Kurieren von Symptomen hinaus. Erfolg hatte sie lediglich bei der Zurückdrängung der Überreste des Heidentums durch zahlreiche Verwaltungsmaßnahmen, zu denen die programmatische Schließung der Universität von Athen im Jahre 529 gehörte. Im Konflikt mit den Monophysiten verband sich die persönliche Überzeugung des Kaisers von der Wahrheit der orthodoxen Lehre mit innenpolitischen Rücksichten und Zielen. Die imperiale Politik schien auch im Hinblick auf die zurückgewonnenen Westgebiete mit ihrer katholischen Kirchenorganisation die Einheit des Glaubens dringend zu fordern. Justinian begann daher nach ersten erfolglosen Verhandlungen mit einer brutalen Verfolgung der Monophysiten, mußte aber bald zu einer nur noch von kurzen Verfolgungsphasen unterbrochenen Vermittlungspolitik übergehen. Zu diesem vorsichtigen Manövrieren (das bis zur zeitweiligen Annäherung an bestimmte monophysitische Richtungen ging) zwang ihn weniger die Unterstützung der Monophysiten durch Theodora als vielmehr die hochpolitischen Konsequenzen des Schismas.
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Dennoch gelang es Justinian nicht, die Monophysiten entscheidend zu schwächen oder auch nur eine Annäherung der theologischen Fronten herbeizuführen. Taktisches Entgegenkommen ohne prinzipielle Zugeständnisse führte nur zu stärkerem monophysitischem Einfluß in der Hauptstadt und zu erfolgreicher monophysitischer Mission in Kleinasien. Ebenso blieb die theologische Diskussion fruchtlos. Sie gipfelte in dem »Drei-Kapitel-Streit« der Jahre 543–554 – einer intrigenreichen Auseinandersetzung über drei nestorianischer Tendenzen verdächtigte syrische Kirchenschriftsteller. Das von Justinian einberufene 5. Ökumenische Konzil in Konstantinopel (553), das die drei Theologen endgültig verurteilte, war kirchenpolitisch der Versuch, einen Kompromiß mit den Monophysiten durch Entgegenkommen zu erreichen. Aber wie bei ähnlichen früheren Versuchen blieben die Monophysiten unbefriedigt, während die Orthodoxie und der lateinische Westen erneut verstimmt wurden. Justinian konnte zwar mit energischer Hand den Ausbruch offener Streitigkeiten und damit akute politische Auswirkungen verhindern. Das zeugt von der immer noch erheblichen Widerstands- und Integrationsfähigkeit des politischen Systems. Doch das kirchen- und innenpolitische Grundproblem war nicht gelöst; am Ende hatten sich (trotz oder dank der Ausgleichspolitik) die Gegensätze sogar verschärft. Am Schisma zwischen Orthodoxen und Monophysiten scheiterte die absolute kaiserliche Kirchenherrschaft. VI. Signum des Neuen: Geist und Kunst Innenpolitische und gesellschaftliche Reformen blieben in Ansätzen stecken; die Kirchenpolitik befreite sich nicht aus dem Netz alter Verstrickungen. Das Neue, die schöpferische Leistung der Epoche, lag in der Kultur. Freilich sind hier Unterscheidungen notwendig. In der Theologie war die Zeit der großen Kirchenväter vorüber. In Wissenschaft und Literatur gab es bemerkenswerte Erscheinungen, die aber zugleich die intellektuellen Grenzen der Zeit bezeichnen. Tribonianus und seine Schüler verkörperten den letzten Höhepunkt römischer Rechtswissenschaft. In den Naturwissenschaften erzielten Gelehrte wie der große Mediziner Alexander von Tralles oder die bedeutenden Mathematiker Anthemios von Tralles (der sogar das Prinzip der Dampfmaschine entdeckte) und Isidor von Milet, Architekten der Hagia Sophia, beachtliche Fortschritte – auch wenn sie am Ende mehr an der Bedeutung als an den Ursachen von Naturphänomenen interessiert waren. Zumindest im Bereich der Architektur und der Ingenieurwissenschaften war auch die technologische Anwendung physikalischer und mechanischer Erkenntnisse weit gediehen. Die Literatur der Zeit kennt freilich neben Schriftstellern und Hofpoeten wie Agathias oder Paulus Silentiarius nur einen Klassiker: Prokop von Caesarea, den bedeutendsten griechischen Geschichtsschreiber seit Polybios. Literarische Bildung wie persönliche Erfahrung, die er als Sekretär Belisars sammelte, schlugen sich in einer von eindringender Sachkenntnis zeugenden Darstellung
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der Kriege Justinians nieder. Sie wird kontrastierend ergänzt durch die »Geheimgeschichte«, ein nach Justinians Tod publiziertes, aus persönlicher Verbitterung entsprungenes Dokument ätzender politischer Verleumdung. Prokops Werk zusammen mit zahlreichen Dokumenten der Verwaltung und Gesetzgebung verdanken wir es, daß die Herrschaft Justinians so genau bekannt ist wie wenige andere Abschnitte der byzantinischen Geschichte. Hintergrund dieser literarischen Produktion war das enzyklopädischrhetorische Erziehungsideal der griechisch-römischen Welt, das in den Oberschichten der großen Städte mit ihrem lebhaften intellektuellen Leben weiter gültig blieb. Hier wurden neben Bibel und Theologie noch Teile der Philosophie eines Platon und Aristoteles, Plotin und Proklos gelehrt. In der Formung der Führungsschicht hatte diese klassische Bildung eine bedeutsame gesellschaftliche Funktion (vgl. oben S. 37 f). Doch eine soziale Spaltung der Bildungswelt war deutlich spürbar. Neben Prosa und Poesie in einer bewußt gepflegten klassizistischen Literatursprache stand eine volkssprachliche, stark von syrischen Vorbildern beeinflußte rhythmische Hymnen- und Liederdichtung. Die liturgischen Gesänge des Romanos (eines getauften Juden aus Beirut) waren ihre bedeutendste Schöpfung: sie verbinden Einfachheit der Sprache und Pracht der Bilderwelt in einer sonst in der religiösen Dichtung von Byzanz unerreichten Vollendung. Originalität und schöpferische Kraft der justinianischen Epoche offenbarten sich in der Kunst. Blieb die Literatur der Zeit weithin Erbe und Überlieferung, so war das 6. Jahrhundert das erste große Zeitalter der byzantinischen Kunst, wenn nicht – trotz der Leistungen der byzantinischen »Renaissance« des 10. und 11. Jahrhunderts – ihr brillantestes überhaupt. Die geistige Form der justinianischen Kunst ist klassisch in dem Sinn, daß ein eigener Stil in großen Werken Gestalt gewinnt. Dieser einheitliche Reichsstil entsprang einer sich schon im 4. und 5. Jahrhundert anbahnenden Synthese der hellenistisch-spätrömischen und der syrisch-orientalischen Kunsttradition (die gleichwohl in der gesamten byzantinischen Kunst als zwei gegensätzliche Formtendenzen weiterleben und in diesem Widerspruch ihren besonderen Charakter mitbestimmen). Seine Prägekraft und Ausstrahlung reichte weit über die Reichsprovinzen hinaus: nach Rom und Afrika, über Ravenna in die Provence und nach Aachen, über Sizilien nach Spanien, aber auch nach Rußland und nach Äthiopien. Die antike Tradition war schöpferisch verändert: flächige Abstraktion und strenge zweidimensionale Frontalität anstelle der plastisch-sinnlichen Form – das »Begriffsbild« statt des Naturbildes. Die byzantinische Klassik suchte nicht das immanente Weltgefühl griechischer Frömmigkeit, sondern eine transzendente Wahrheit: außerweltliche Offenbarung und Sichtbarmachung des Unsichtbaren in der Theologie des Bildes. Die Welt war für jedermann von außerirdischen Mächten durchdrungen: die Kunst hatte keine ästhetische Funktion, sie lebte aus dem Bewußtsein der Transzendenz. Schönheit als Teil der Herrlichkeit Gottes förderte die mystische Kontemplation, enthob den Menschen der
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Erscheinungswelt und brachte ihn näher zur wahren Realität des göttlichen Seins: »Das Schöne, wo immer es besteht, ist ein Teil der Wahrheit.«13 Die Anfänge des neuen großen Stils kündigten sich schon in der Zeit des Anastasios an. Es war bezeichnend für die trotz aller Klassizismen von der Antike wegstrebende Entwicklung der byzantinischen Kunst, daß das Relief nun immer mehr der zweidimensionalen Malerei wich. Als Buchillustration, Ikone, Fresko und Mosaik war sie gemäßer Ausdruck der Zeit. Das hängt mit jener verschiedenen theologischen Bewertung des Bildes durch die östliche und die westliche Christenheit zusammen, aus der ein wesentlicher Grundzug der byzantinischen Kunst sich herleitet.
Abb. 4: Bawit – koptische Ikone mit Christus und dem Abt Menas (6.–7. Jh.)
Die frühen Ikonen, die in entlegenen Gebieten den Bildersturm überdauerten, waren meist einfache, doch in ihrer Primitivität ungemein ausdruckskräftige Heiligen-Darstellungen. Daneben standen jedoch auch Schöpfungen wie das Petrusbild aus dem Sinaikloster, in denen eine naturalistische Porträtkunst spätrömischer Tradition weiterwirkte. Ähnlich mischten sich hellenistische und orientalische Traditionen in der Buchillustration der Zeit. Der Purpurkodex von Rossano mit seiner »vertikalen« Perspektive und der expressiven Gestik seiner Figuren bereitet schon Stil und Ikonographie der mittelalterlichen Buchmalerei vor. Bedeutendste Monumente der justinianischen Bildkunst sind die großen
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Wandmosaiken der Kirchen. Im Gegensatz zur nüchternen Fassade gab der Goldglanz ihrer Heiligen- und Kaiserfiguren zusammen mit der Pracht der Marmorinkrustationen dem Innenraum der Kirche etwas vom Abbildcharakter überirdischer Herrlichkeit. Die Mosaikkunst wirkte auch über die mit der Hauptstadt verbundenen Zentren wie Ravenna oder Thessalonike hinaus; selbst in abgelegenen Provinzen hat der »Reichsstil« Werke von außergewöhnlichem Rang hervorgebracht, bis hin zum Felsendom in Jerusalem und zur Großen Moschee in Damaskus. Die Baukunst schuf die Spitzenleistungen der Zeit. Im gesamten Reich entstanden zahlreiche, oft originelle Profanbauten: Aquädukte, Zisternen, Brücken, Bäder, Villen und Paläste, dazu ausgedehnte Befestigungsanlagen. Zahllose Monumente in den griechischen und orientalischen Gebieten des Reiches, oft in Ruinen dahindämmernde ganze Städte, zeugen von der Baulust und Finanzkraft des Jahrhunderts. Doch ihre eigentliche große Aufgabe sah die Architektur im Kirchenbau; hier entwickelte sie in Planung und technischer Ausführung einen erstaunlichen Erfindungsreichtum. Der traditionelle Grundtypus christlichen Kirchenbaus, die mehrschiffige Säulenbasilika, wurde fortgeführt. Doch das konstruktive Hauptproblem der damaligen Architektur barg der Zentralbau: die Entwicklung der Kuppel über einem Rechteck. Hier wurden Lösungen der konstantinischen Zeit (wie die Grabeskirche in Jerusalem, die im christlichen Osten stark als Vorbild wirkte) weiterentwickelt. Als typische Bauformen des Zeitalters entstanden Kreuzkuppelkirchen oder oktagonale Bauten wie die Kirche der Heiligen Sergios und Bakchos in Konstantinopel: der überkuppelte Zentralbau war die vollendete Form, die im Gegensatz zur Zielgerichtetheit der Basilika meditatives Verharren ausdrückte. In der Hauptstadt entfalteten sich alle Zweige der Kunst in besonderem Maß, nicht zuletzt auch das Kunstgewerbe. Die Kleinkunst mit ihren Elfenbeinschnitzereien, Juwelen und kostbaren Textilien spielte eine bedeutende Rolle; ihre Erzeugnisse fanden weite Verbreitung und zeugten von Gibraltar bis zum Euphrat vom unerhörten Luxus der Weltstadt und dem Glanz ihres Hofes. Die justinianische Kunst trägt nicht umsonst diesen Namen: auch hier war der beherrschende Wille des Kaisers eine bewegende Kraft. Wie alle großen Herrscher hatte Justinian den Drang, sein imperiales Selbstverständnis, seine Macht und sein Prestige in monumentalen Bauten darzustellen. Nicht zufällig war aber für ihn die Kirche, nicht der Palast, die Form herrscherlichen Selbstausdruckes. In San Vitale in Ravenna stand das Bildnis des Kaisers aus innerer Notwendigkeit im Chor: im christlichen Kosmos, den der Kirchenbau abbildet, gehörte an die Seite des thronenden göttlichen Weltherrschers der irdische Herrscher. Krone justinianischen Kirchenbaus war die in den Jahren 532–537 errichtete Hagia Sophia in Konstantinopel. Der rechteckige, durch zweistöckige Säulenarkaden gegliederte und von einer riesigen Zentralkuppel mit östlich und westlich anschließenden flachen Halbkuppeln überwölbte Baukörper kombiniert in genialer Weise die zwei Haupttypen des christlichen
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Kirchenbaus: die flachgedeckte Säulenbasilika und den überwölbten Zentralbau. Der ursprüngliche Eindruck des Innenraumes mit Chorschranke und Ambo aus geschmiedetem Silber, einem Altar aus Gold und Edelsteinen, silbernen Türen, Purpurvorhängen, Marmorinkrustation und Wandmosaiken muß überwältigend gewesen sein. Für den Kaiser bestätigte diese größte Schöpfung der byzantinischen Architektur seine außergewöhnliche Stellung unter den Herrschern der Welt: die Hagia Sophia war ein majestätisches Symbol der Triumphe des Statthalters Christi auf Erden. Zwanzig Jahre Kriegführung hatten den kaiserlichen Herrschaftsanspruch weithin zur Realität gemacht. Die Kernländer des westlichen Reichsteils waren mit Ausnahme Galliens wiedererobert, das Vandalen- und Ostgotenreich von der geschichtlichen Szene verschwunden. Das Mittelmeer war ein byzantinisches Meer. VII. Renovatio imperii: Ideologie und Realität Ausgangspunkt der Expansionspolitik Justinians war die veränderte politische Gesamtlage im Mittelmeerraum und die Situation an den Grenzen des Reiches, wie sie sich in der Perspektive byzantinischer Diplomatie und Militärpolitik um 530 darstellte. Konstantinopel beurteilte das System der germanischen Nachfolgestaaten auf dem alten Reichsboden zu Recht als wenig stabil. Die Ostgermanenreiche waren genauso wie das Merowingerreich durch innenpolitische Konflikte erschüttert und zugleich – nicht zuletzt dank einer aktiven byzantinischen Diplomatie – unfähig, eine gemeinsame Front zu bilden. Diese mangelnde Koordination der Abwehr ermöglichte es Justinian, aus einer überlegenen Position heraus die ostgermanische Staatenwelt in Einzelaktionen auseinanderzubrechen. Die politische Umwelt von Byzanz bestand allerdings nicht allein aus den Germanenreichen im Westen. Die latente Bedrohung der Ostgrenze durch das Sassanidenreich, das in seiner schweren Panzerreiterei ein gefürchtetes Kriegsinstrument besaß, verschärfte sich nach langen Jahrzehnten verhältnismäßiger Ruhe gerade bei Justinians Regierungsbeginn erneut. Die Herrschaft Chosroes I. (531–579) führte den sassanidischen Staat nach durchgreifenden Reformen auf den Höhepunkt seiner Macht und seiner kulturellen Bedeutung. Allerdings geriet die persische Front zunächst nur kurz in Bewegung; die 527 ausgebrochenen Grenzkämpfe wurden 532 durch einen »ewigen« Friedensvertrag beendet. Das war notwendig; denn zu einer umfassenden militärischen Deckung der Ost- und Nordostgrenze bei gleichzeitiger Offensive im Westen reichten die Truppen nicht aus. Hier mußten die bewährten und ständig verfeinerten Mittel byzantinischer Diplomatie eintreten. Gestützt auf eine in jahrhundertelanger Auseinandersetzung mit den Sassaniden erworbene genaue Kenntnis der militärischen und politischen Reaktionsformen handhabte sie ihre Instrumente bravourös: diplomatische Kontakte und Verträge, Spionage und religiöse Propaganda, wirtschaftliche
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Sanktionen und ein ausgeklügeltes System von Bestechung, Subsidien und Tributzahlung (das freilich erhebliche Summen verschlang und häufig mehr neue Ansprüche weckte als alte befriedigte). An den kritischen Nahtstellen zwischen beiden Großmächten lagen regelrechte Pufferstaaten wie Armenien oder das arabische Fürstentum der Ghassaniden in der syrischen Wüste. Hinter dieser Zone verlief die befestigte Wehrgrenze von der Krim über die Grenzen von Lazika und Armenien, den Oberlauf des Tigris und den Euphrat bis in das Vorland von Palmyra und Petra. Das traditionelle Zweifrontenproblem des Reiches drohte sich freilich im Laufe des Jahrhunderts zu einem Dreifrontenproblem zu wandeln. Allerdings ließen die ersten Einfälle von Slawen und Bulgaren auf dem Balkan die künftige Bedeutung dieser dritten Front noch nicht mit Sicherheit erkennen. Zunächst schien die Lage so weit stabilisiert, daß die durch planmäßige Aufrüstung der Armee und Bereitstellung finanzieller Reserven vorbereitete Offensive im Westen einsetzen konnte. Die alle Mittel der damaligen Kriegstechnik überlegen einsetzende amphibische Strategie der Generäle Belisar und Narses führte hier zu bedeutenden Erfolgen. Mit einem Expeditionskorps von nur 18000 Mann zerschlug Belisar 533 und 534 das Vandalenreich in Afrika. Byzanz wurde dieses wiedererworbenen Territoriums, das sich an Reichtum und Produktion fast mit den großen orientalischen Provinzen messen konnte, jedoch nie recht froh. Ein verwickelter Kleinkrieg mit den Berberstämmen zog sich bis zur arabischen Eroberung hin und zwang Byzanz zu einem ständigen Verschleiß militärischer Kräfte an der afrikanischen Wüstengrenze. Der italienische Feldzug gegen das Ostgotenreich begann im Juni 535. Er erforderte umfangreiche, länger dauernde Operationen und brachte verschiedene Rückschläge, die unter anderem dadurch bedingt waren, daß seit 540 neue sassanidische Offensiven byzantinische Truppen an der Ostfront banden. Erst im Jahre 563 wurden die letzten gotischen Garnisonen in Norditalien vernichtet. Das wiedergewonnene Reichsgebiet erhielt eine Verwaltung nach byzantinischem Muster, an deren Spitze ein Gouverneur (patricius) mit militärischer und ziviler Gewalt stand. Die dritte Aktion, der Angriff gegen Spanien, wurde bereits in der Endphase des Italienkrieges durchgeführt. Wie in Afrika kam eine kleine Landungsstreitmacht schnell zu Erfolgen. Das Westgotenreich wurde zwar nicht vollständig erobert; aber die wichtigsten Festungen und Hafenstädte im Südwesten wurden dem Byzantinischen Reich eingegliedert. Die damit gewonnene Kontrolle des westlichen Mittelmeerbeckens war seestrategisch wie handelspolitisch von erheblichem Gewicht. Den Zeitgenossen im Westen und Osten bot sich ein eindrucksvolles Bild. Justinians Ziel der recuperatio imperii schien in einem erstaunlichen Ausmaß erreicht: die Herrschaft des einen römischen Reiches und der einen christlichen Kirche als Verwirklichung des Auftrags Gottes auf Erden. Selbst die politischen Gegner standen im Bann des Imperiums: Herrschaftsordnung, Gesellschaft und
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Kunst von Byzanz wirkten im spanischen Westgotenstaat, mehr aber noch im Sassanidenreich als Vorbilder. Der Glanz des Erfolges verdeckte bis in die letzten Jahre von Justinians Herrschaft die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Wunschbild. Kehrseite und Konsequenzen seiner Politik enthüllten sich voll erst unter seinen Nachfolgern. Der Wiedergewinn des Westens zeitigte schwerwiegende Folgen für die geschichtliche Entwicklung im Mittelmeerraum wie für Byzanz selbst. Mit dem Ostgotenreich fiel die letzte Barriere gegen den Einbruch der Langobarden in Oberitalien; die fortdauernde byzantinische Herrschaft in Mittelitalien prägte die Entwicklung des römischen Papsttums. Vor allem aber begründete die Ausdehnung des Imperiums jene Trennung des Mittelmeerraums in einen nördlichen und einen südlichen Kulturbereich, die das Kalifat, das in Nordafrika und Spanien das byzantinische Erbe antrat, für Jahrhunderte verewigen sollte. Byzanz war an der persischen Front politisch und militärisch in die Defensive gedrängt; Frieden und Status quo mußten durch hohe Tribute erkauft werden, die Staatsfinanzen und politisches Prestige schwer belasteten. Vor allem aber reichten die militärischen Kräfte für den dritten Kriegsschauplatz, die Balkanfront, in keiner Weise mehr aus. Hier hatte Justinian von Anfang an defensiv geplant. Doch das kostspielige System einer tiefgestaffelten Grenzverteidigung mit Hunderten von neuerbauten Festungen erwies sich gegenüber der slawischen Flut als wirkungslos, weil mobile Kräfte, die von diesen Linien aus hätten operieren können, kaum mehr existierten. Die Einfälle von Slawen, Hunnen und Bulgaren im Balkanraum rissen seit Anastasios nicht mehr ab; Thessalonike, Korinth und sogar Konstantinopel selbst waren zeitweise in Gefahr.
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Abb. 5: Die Rüdeeroberung des Westens unter Justinian
Es waren Bewegungen, die die slawische Landnahme und die bulgarische Staatsbildung vorbereiteten; doch das anonyme und planlose Vordringen der Stämme ließ die Betroffenen erst spät erkennen, daß sich in Südosteuropa eine gefährliche politische Depressionszone ausbildete. Aus ihrer ideologiebedingten, einseitig westlichen Perspektive verkannte die justinianische Außenpolitik, daß die bedrohlichen Themen der Zukunft in der Auseinandersetzung mit den Sassaniden im Osten und den slawisch-bulgarischen Kräften auf dem Balkan lagen. Mit seiner Defensive im Balkanraum vergab Justinian für immer die Chance, diese Lebensfrage von Byzanz aus einer Situation militärischer Überlegenheit eventuell noch im Entstehen zu lösen. Grundlegende Fehlorientierung und damit schwere politische Versäumnisse in der Außenpolitik waren nicht die einzige bedenkliche Erbschaft. Versäumte Reform und finanzielle Überlastung hatten auf die Dauer das politische und gesellschaftliche Gefüge schwer erschüttert. Der Staatsapparat arbeitete zwar unter Justinian und seinen direkten Nachfolgern noch einigermaßen befriedigend; aber eine über die Sicherung des Absolutismus als politisches System hinausgehende Reform war nicht gelungen. Der religiöse Konflikt schwelte unter der Decke weiter, um bei geringstem Anlaß unvermindert heftig wieder aufzubrechen. Kriegsführung, Kosten der Besatzung im Westen und umfangreiche Bautätigkeit hatten das Reich finanziell und personell ausgeblutet.
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Das erzwang gesteigerte Steuerlasten, die sozialpolitische Reformansätze scheitern ließen und zur fiskalischen Bedrückung zurückführten. Am Ende der Regierung Justinians standen eine neue Finanzkrise und steigende politische Unzufriedenheit der Untertanen, auf deren Bedrückung und Ausbeutung der Glanz des erneuerten Imperiums gegründet war. Diese Entwicklung war zum geringeren Teil darin begründet, daß dem alternden Kaiser, dessen Interesse sich immer mehr theologischen Fragen zuwandte, die souveräne Kontrolle von Politik und Verwaltung entglitt. Es war auch nicht nur das Primat der Außenpolitik, das die Versuche einer Reform in Staat und Gesellschaft beeinträchtigte. Sie gerieten im Sog unvereinbarer Kräfte und Tendenzen vor allem deswegen über unbefriedigende Halbheiten kaum hinaus, weil Justinian auch innenpolitisch renovatio imperii grundsätzlich als Bewahrung des Bestehenden verstand: des zentralistischen und dirigistischen christlichen Absolutismus. »Das Altgewohnte mit größerem Glanz im Staate wiederherzustellen«14: das war angesichts der Lage von Byzanz in der Mitte des 6. Jahrhunderts wie unter dem Horizont der Zukunft keine lebenskräftige politische Idee mehr, sondern eine Ideologie, die die Wirklichkeit mißachtete. Daß der Kaiser in Situationen, für die keine traditionellen Lösungen vorgegeben waren, sich zu neuen Lösungen entschloß, war eine pragmatische Reaktion. Die programmatische Forderung nach Veränderung hätte er als Verirrung aufgefaßt. Wie alle Byzantiner tief vom Besitz letzter Wahrheiten in Politik und Religion überzeugt, zielte er auf Erneuerung der alten Ordnung nicht aus reaktionärer Furcht vor dem Wandel, sondern weil er in der Vergangenheit die besten Lösungen für das soziale Zusammenleben von Menschen in Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen schon erreicht glaubte. Das fundamentale Problem jedes großen Konservativen, Beharrung mit Wandel zu vereinen, hat Justinian nicht bewältigt; das Gewicht der Vergangenheit war zu groß. In einem Moment tiefgehender Verwandlung der Mittelmeerwelt war er unfähig zu verstehen, daß diese Zeit Veränderung und Innovation forderte. Innenpolitisch und gesellschaftlich ist das Zeitalter Justinians darum nur eine Übergangsphase zwischen zwei klaren und entschiedenen Lösungen – dem absolutistischen System des 4. Jahrhunderts und der mit den Reformen des 7. Jahrhunderts einsetzenden neuen Ordnung des byzantinischen Staates. Hinderte die Bannkraft der römischen Staatstradition Justinian, primäre Probleme von Staat und Gesellschaft zu sehen und notwendige Entscheidungen zu treffen, so war sein Irrtum doch nicht ohne Größe. Rechtskodifikation und Kunst wirkten für Jahrhunderte auch im Westen weiter; die Re-Romanisierungspolitik hielt die Orientalisierung von Byzanz bis zu dem Moment auf, in dem sich die Ostprovinzen im Arabersturm vom Reich lösten, und schuf damit eine wichtige Grundlage für die geschichtliche Rolle von Byzanz zwischen Abendland und Orient. Aufs Ganze gesehen aber überforderte das Phantom einer Erneuerung des römischen Universalreiches die Kräfte; schon am Ende des Jahrhunderts ging der frühbyzantinische Staat in Anarchie unter.
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VIII. Der Zerfall des justinianischen Systems Die gefährlichen Folgen von Justinians Politik hatten die Nachfolger zu tragen; der Zerfall der Machtstellung des Byzantinischen Reiches dauerte nur 37 Jahre. Justin II. (565 bis 578), der thrakische General Tiberios I. (578–582) und sein Nachfolger Maurikios (582–602) waren energische und befähigte Politiker und Militärs. Doch vermochten sie am Ende eine Staatskrise mit dem Zusammenbruch von Balkanverteidigung und Ostgrenze nicht zu verhindern. Drei Momente – neben der finanziellen und wirtschaftlichen Situation – schwächten im ausgehenden 6. Jahrhundert das Byzantinische Reich. Unter den entschieden orthodoxen Nachfolgern Justinians flammte der Konflikt mit den Monophysiten in aller Schärfe wieder auf. Die Zentralgewalt wurde sowohl durch zentrifugale Tendenzen im Grundadel (die der gleichzeitigen Entwicklung im Westen entsprachen) wie durch die Zirkusparteien gefährdet, die der Regierung zunehmend aus der Kontrolle gerieten. In der Armee löste sich die Disziplin auf: die Achillesferse aller Söldnerheere wurde sichtbar – Nachlassen der Kampfkraft, wenn nicht offene Meuterei bei schleppenden Soldzahlungen. Nur an einer Stelle sind in der Auflösung des justinianischen Systems Ansätze einer neuen Ordnung kenntlich: bei der Reorganisation der westlichen Reichsgebiete in der Form der Exarchate von Ravenna und Karthago. In diesen Verwaltungseinheiten vereinigte Maurikios auf Dauer zivile Gewalt und militärisches Kommando in der Hand von Gouverneuren, die die Machtfülle eines Vizekönigs besaßen. Diese Lösung wurde zum Vorbild der Themenverfassung und damit eine entscheidende Etappe auf dem Weg zum mittelalterlichen byzantinischen Staat. Vom Exarchat Karthago ging zu Anfang des 7. Jahrhunderts auch die Erneuerung des Reiches aus. Die außenpolitische Situation erzwang jetzt die Einsicht, daß die Lebensinteressen von Byzanz an der Nordost- und Ostgrenze lagen. Doch nur in beschränktem Maß war es möglich, die Konsequenzen von Justinians Westpolitik aufzufangen. Fast alle Eroberungen gingen in einer Generation wieder verloren. Italien wurde 568 mit Ausnahme von Rom, Ravenna und dem Süden durch die Langobarden besetzt, große Teile der spanischen Gebiete bis 584 geräumt und 629 endgültig aufgegeben. Wo noch byzantinische Truppen standen, waren sie wie in Afrika in kräftezehrende Kämpfe verwickelt. Die eigentliche Gefahr lag darin, daß Byzanz ständig von zwei Seiten umklammert war. Die Ostfront war im späteren 6. Jahrhundert fast immer schwer bedroht. Erst nach 20 Jahren harter militärischer Auseinandersetzungen kam hier 591 ein für Byzanz verhältnismäßig günstiger Friede zustande. Diese Stabilisierung an der persischen Grenze schien sogar die Möglichkeit einer erfolgreichen Auseinandersetzung mit der von Nordosten heranrollenden slawischen Flut möglich zu machen. Seit den siebziger Jahren war auf dem Balkan außer großen Festungen wie Thessalonike kein Gebiet mehr fest in byzantinischer Hand.
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Zeitweise war die Lage auch für die erfahrenen byzantinischen Diplomaten und Militärs nicht mehr durchschaubar. Neben Slawen und Bulgaren tauchte eine dritte Kraft aus dem scheinbar unerschöpflichen Reservoir der innerasiatischen Steppen auf: die Awaren, die die Stoßkraft der Wanderstämme gegen Byzanz zusammenfaßten. Entscheidender aber wurde, daß in den achtziger Jahren anstelle der bisherigen Raub- und Beutezüge die Ansiedlung der Slawen begann. Die romanische und hellenische Reichsbevölkerung wurde auf die Küstensäume der Adria und der Ägäis zurückgedrängt; im 7. Jahrhundert hieß Makedonien seiner dichten slawischen Bevölkerung wegen bereits »Sklavinai«. Diese diplomatisch oder militärisch nicht mehr zu meisternde Völkerbewegung war für Byzanz das bedeutendste außenpolitische Ereignis im 6. Jahrhundert: denn wie bei der germanischen Eroberung des Westens führte die slawische Landnahme im Balkan am Ende zur Gründung unabhängiger Staaten auf dem Gebiet des Byzantinischen Reiches. Ausgedehnte Balkan-Feldzüge des Kaisers Maurikios ließen zwar in den Jahren 591/92 nochmals an eine Wendung des Schicksals glauben. Aber gerade aus ihnen entwickelte sich nach anfänglichen Erfolgen eine neue Krise. Eine Meuterei der Armee und ein Aufstand in Konstantinopel machten den General Phokas (602–610) zum Kaiser. Sein Terrorregime in der Hauptstadt und bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen in den Provinzen führten zur außenpolitischen Katastrophe. Die Balkan-Verteidigung brach endgültig zusammen, eine neue sassanidische Offensive drang in Kleinasien bis nach Chalkedon vor. Die Jahre der Anarchie unter Phokas enthüllten, wie sehr die justinianische Politik auf tönernen Füßen gestanden hatte. Die Krise, in der der frühbyzantinische Staat zerfiel, war letztlich ihr Ergebnis; in ihr endete die spätrömische Tradition. Danach kam bei allem Haften an der Überlieferung – wenn man politische Realität über staatsrechtliche Kontinuität stellt – etwas Neues: der byzantinische Staat des Mittelalters. Daß es statt der drohenden Katastrophe ein Danach geben könne, schien in diesen Jahren den Zeitgenossen keineswegs sicher. Die Rettung des Staates war die letzte Tat des dem Einfluß von Byzanz entgleitenden Westens. Im Oktober 610 erschien die Flotte des Exarchen von Karthago vor Konstantinopel. Sein Sohn Heraklios beseitigte Phokas durch einen Staatsstreich und bestieg selbst den Thron. Seine Herrschaft eröffnete ein neues Zeitalter – einen der folgenreichsten Abschnitte byzantinischer Geschichte, voll überraschender Erfolge und jäher Peripetien. IX. Das Jahrhundert der Krise: Byzanz und die Ausbreitung des Islam Entstehen des Islam und Aufstieg des arabischen Kalifats zur Weltmacht waren das entscheidende historische Thema des 7. Jahrhunderts. Der Osten des Mittelmeerraumes begann sich jetzt aus den spätrömisch- frühbyzantinischen Lebensformen zu lösen. Die Renaissance der Sassaniden wie die
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monophysitische Bewegung hatten das Wiedererstarken des Orients angekündigt. Der Islam aber wurde zur bestimmenden Kraft einer umfassenden Verwandlung dieser historischen Region. Die arabisch-islamische Expansion zerbrach endgültig die lang bewahrte kulturelle und politische Einheit der Mittelmeerwelt; sie schuf auf den Trümmern der hellenistisch-römischen Kultur eine neue selbständige Gesellschaft neben Byzanz und der germanischromanischen Völkergemeinschaft. Die Geschichte des Byzantinischen Reiches wie die des mittelalterlichen Europa ist nicht denkbar ohne die politische Herausforderung des Kalifats und den geistigen Austausch mit der islamischen Kultur. Für die Zeitgenossen war es schwer, diese durchgreifende Veränderung der politischen und auf längere Sicht auch der wirtschaftlichen und geistigen Lage zu begreifen, die den Rahmen der alten Welt sprengte. Einbruch der Slawen und Aufbruch des Orients schufen machtpolitisch von Grund auf eine neue Konstellation. Byzanz verlor seine Ostprovinzen und Afrika an das Kalifat, weite Teile des Balkans an die slawischen Völker. Der italienische Herrschaftsbereich wurde durch die Langobarden erheblich eingeschränkt; zur See mußte sich Byzanz mehr und mehr auf Defensive in der Ägäis umstellen. Die Umklammerung des Mittelmeerbeckens durch die Araber brach das byzantinische Fernhandelsmonopol und verringerte den eben erst neugewonnenen Einfluß im Westen erheblich. Seine Weltstellung als einzige Großmacht am Mittelmeer gewann das Byzantinische Reich nie wieder. Doch um den Preis erheblicher Gebietsverluste und zeitweiser kultureller Verarmung behauptete es sich zwischen den neuen Machtgruppen und blieb für weitere 700 Jahre ein wesentlicher Faktor im Nahen Osten. Die unerhörte Widerstandskraft von Byzanz verwandelte diese Herausforderung in einen heroischen Prozeß der Adaption: der Existenzkampf provozierte tiefgehende Veränderungen der politischen Ordnung und sozialen Struktur. In einer weitgehend von spätrömischen Traditionen gelösten Form gelangte das Reich zu neuer Festigkeit. Der den gewandelten Bedingungen äußerer Selbstbehauptung nicht mehr gewachsene Bürokratenstaat wurde zu einem Militärstaat, dem ein freies Bauerntum als finanzpolitisches Rückgrat diente. Der Verlust der monophysitischen Provinzen beendete den religiösen Konflikt; die Glaubenseinheit in der Orthodoxie wurde ein entscheidendes Element der Geschlossenheit und Standfestigkeit des Staates. In seiner geistigen Form wandelte sich Byzanz endgültig zu einem nach Sprache und Kultur entschieden griechischen Reich. Unter dem Mantel äußerer Verarmung brachte so der Umbruchsprozeß des 7. Jahrhunderts eine Regeneration, in der die zähe byzantinische Lebenskraft zum erstenmal klar zutage trat. Die hier neugeschaffene Lebensform sicherte nicht nur das Überleben, sondern auch den späteren Wiederaufstieg zu einer wirtschaftlichen und militärischen Führungsmacht im östlichen Mittelmeer.
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Zu Beginn des 7. Jahrhunderts schien die Lage freilich verzweifelt. In Syrien, Ägypten und Kleinasien stießen die Sassaniden immer tiefer in byzantinisches Territorium vor; vom Balkan her schob sich unter dem Druck des Awarenreiches im Theiß-Becken die slawische Flut unaufhaltsam südwärts. Die Finanzen waren erschöpft, die Disziplin der Armee zerrüttet, monophysitischer Konflikt und innenpolitische Opposition dauerten an. Wiederholt drangen die Sassaniden von Osten, die Awaren von Westen bis unter die Mauern von Konstantinopel vor. Nur noch die Hauptstadt blieb als Zentrum von Widerstand und Erneuerung. Dem Höhepunkt der Krise im Jahre 618, als die Auflösung des Reiches lediglich eine Frage von Monaten schien, folgte ein unerwarteter Umschlag. Durch einen Vertrag mit den Awaren abgesichert und von einer an Kreuzzugsstimmung gemahnenden religiösen Begeisterung in Konstantinopel getragen, begann 622 die byzantinische Gegenoffensive unter dem persönlichen Oberbefehl des Kaisers Heraklios (610–641). Eine kühne, risikoreiche Strategie verlegte die Operationsbasis in die schwer zugänglichen armenischen und kaukasischen Berggebiete. Sie zielte auf einen Stoß ins Zentrum der persischen Macht anstelle systematischer Rückeroberung der verlorenen Provinzen. Eine erneute Doppelbelagerung von Konstantinopel 626 (die bis heute an Ostern in orthodoxen Kirchen gesungene »Akathistos«-Hymne entstand nach der Rettung der Stadt durch die Flotte) wartete der Kaiser kaltblütig im Osten ab. Dann kam 627 der kriegsentscheidende Einbruch in das Tigris-Tal und die definitive Niederlage der sassanidischen Armee. Im Friedensvertrag erhielt Byzanz zu seinen alten Provinzen neue Gebiete in Armenien. Auch die Gefahr auf dem Balkan war vorläufig gebannt. Die Belagerung der Hauptstadt hatte die militärische Kraft der Awaren gebrochen; die Einwanderung von Serben und Kroaten wie das Entstehen des ersten Bulgarischen Reiches schwächte ihre Position weiter. Serben und Bulgaren anerkannten sogar die byzantinische Oberhoheit. Doch konnte von einem Wiedergewinn der Souveränität im Balkanraum keine Rede sein; es blieb bei den gewohnten Notmaßnahmen. Niemand in Byzanz konnte freilich in diesem Moment voraussehen, daß das Reich 150 Jahre später im Existenzkampf gegen die Bulgaren stehen würde und daß die serbisch-kroatischen Staatenbildungen eine Wiedererrichtung der byzantinischen Herrschaft im Balkanraum endgültig vereiteln sollten. Die »orientalische Frage« schien endgültig erledigt. Das Reich war an seiner gefährlichsten Front gesichert, der jahrhundertealte Hegemoniekonflikt mit den Sassaniden zugunsten von Byzanz entschieden. Die Herrschaft von Griechentum und Christentum in Ägypten, Syrien und Mesopotamien war neu befestigt; die imperiale Flotte beherrschte das Mittelmeer. Als der Patriarch in der Hagia Sophia den aus dem Osten zurückgekehrten Kaiser als Verteidiger des Glaubens mit der wiedereroberten Kreuzesreliquie segnete, war das Prestige von Byzanz im Osten und Westen größer denn je. Und doch war schon das Jahr 622 ein zweifacher Wendepunkt gewesen: die byzantinische Gegenoffensive begann im
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Jahr der Hedschra. 630 aber, als Byzanz auf einem neuen Höhepunkt seiner Macht stand, eroberte Muhammad Mekka. Unbeachtet von byzantinischer Diplomatie und Strategie war in den Jahren der Perserkriege im Islam – den man zunächst für eine neue schismatische Richtung der östlichen Christenheit hielt – eine Macht entstanden, die in wenigen Jahrzehnten von der persönlichen Glaubensgemeinschaft der Anhänger des Propheten zur politischen Glaubensgemeinschaft der Araber und zu einer erobernden Hegemonialmacht wurde. Nicht im Westen, dessen Wandel zum mittelalterlichen Europa hinter der Barriere des Balkans und des Langobardenreiches vorläufig ohne machtpolitische Konsequenzen blieb, lag die eigentliche Gefahr. Aber Konzentration auf den Krieg und die tödliche Erschöpfung, in denen der Dualismus zwischen Byzanz und Persien kulminierte, hinderten beide Gegner daran, die Veränderung der Welt in ihrem Rücken rechtzeitig zu erkennen. Das arabische Großreich, das unter den ersten Kalifen entstand, zerstörte die bestehende Staatenwelt des Mittelmeerraums (vgl. FWG 9, S. 259 ff; FWG 14, S. 13 ff). Die arabische Expansion hatte zwei Stoßrichtungen. Im Norden wurde zwischen 633 und 651 das Sassanidenreich vernichtet, wenngleich die persische Kultur den Prozeß der Arabisierung überdauerte, um nach dem 8. Jahrhundert ein bestimmender Faktor in der islamischen Gesellschaft zu werden. Unerwartet erfolgreich war der Einbruch in die byzantinischen Ostprovinzen. Die monophysitische Bevölkerung erwies sich als reichsfeindlich, das militärische Abwehrsystem als brüchig. 640 war Großsyrien erobert, 642 wurde Ägypten geräumt; bis 647 gingen Tripolitanien und Cyrenaika verloren. Nur an der Tauroslinie in Nordsyrien konnte der arabische Angriff aufgefangen werden. Beim Tode des Heraklios war der Staat auf ein knappes Drittel seiner Fläche geschrumpft und der wirtschaftlich kräftigsten Provinzen beraubt; er umfaßte im Grunde nur noch Kleinasien, Griechenland, das ständig von Slawen und Awaren bedrohte europäische Hinterland von Konstantinopel und Teile Italiens. Auch unter den Nachfolgern des Heraklios – der ersten byzantinischen Dynastie, die fünf Generationen überdauerte – wurden die Energien der Gesellschaft aufgezehrt von der Last des Abwehrkampfes und der Aufgabe, den Staat funktionsfähig zu halten und an neue Lebensbedingungen anzupassen. Die Außenpolitik beherrschte das Leben von Byzanz. Außenpolitik aber bedeutete weiterhin militärische Selbstbehauptung zwischen der weiterrollenden islamischen Eroberungswelle und den in den Balkanraum drängenden Völkern. Daß in diesen Jahrzehnten die Verteidigungsschwerpunkte wenigstens wechselten, war möglicherweise lebensrettend für das Reich. Grenzkampf war zwar für Byzanz wie für das Imperium Romanum eine vertraute Aufgabe. Doch sie wandelte sich tiefgreifend: von einer auf Überlegenheit der eigenen Kräfte beruhenden gesicherten Defensive zum nackten Existenzkampf des frühen 7. Jahrhunderts und schließlich zum System einer Militärgrenze mit regelmäßigen Sommerfeldzügen.
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An den Grenzen des Kernlandes Kleinasien war die erste Eroberungswelle abgeprallt. Nachfolgestreitigkeiten im Kalifat, der Widerstand der Berber in Nordafrika und der Einsatz der byzantinischen Flotte brachten unter Konstans II. (641–668) sogar eine Art Atempause. Die kritische Phase der Auseinandersetzung mit den Arabern kam, als unter dem Kalifen Muawija I. (661–680) ein zweiter Schub territorialer Expansion begann. Da die Tauroslinie kaum überwindbar schien, plante die arabische Strategie einen direkten Stoß über See in das Zentrum byzantinischer Macht. Der Bau einer Flotte und die Eroberung einer Stützpunktkette in der Ägäis waren erste Teiloperationen des Seekrieges, denen die mehrmalige Belagerung von Konstantinopel folgte. Sie scheiterte 668/69 und 674/78 nicht zuletzt an den byzantinischen Seestreitkräften, die bis gegen Ende des Jahrhunderts der (von syrischen Monophysiten bemannten) arabischen Flotte überlegen blieben. Mit entscheidend für den Abwehrerfolg war der Einsatz des »Griechischen Feuers« – einer von dem Architekten Kallinikos erfundenen explosiven, auch auf dem Wasser brennenden Flüssigkeit, die aus primitiven Flammenwerfern verschossen wurde. Diese ersten größeren Erfolge nach fast 50 Jahren Kriegführung waren Marksteine in der Sicherung des byzantinischen Kerngebiets, wenn auch auf dem anderen Flügel der Verlust von Afrika nicht abzuwenden war. Denn die Ausbreitung des Kalifats ging weiter. Im Osten wurde bis 715 Khorasan und das Vorfeld Indiens erreicht; im Westen begann 664 der Vormarsch in Afrika wieder. Bis zum Jahr 700 war der letzte byzantinische Widerstand gebrochen; eine schnelle Islamisierung Nordafrikas setzte ein. Bis 720 gerieten auch noch Spanien und Teile Südfrankreichs mit Narbonne unter arabische Herrschaft. Dagegen gab es an der byzantinischen Ostgrenze keine erheblichen territorialen Veränderungen mehr; die Tauroslinie konnte gehalten werden. Langsam entstand anstelle lockerer, durchlässiger Verteidigungspositionen eine feste Wehrgrenze. Sie bewahrte für Jahrhunderte den Status quo mit einem genau durchdachten System flexibler Verteidigung, wie es byzantinische Taktikhandbücher, aber auch das Digenis Akritas-Epos beschreiben. Im letzten Jahrhundertviertel trat die Nordostgrenze wieder in den Vordergrund; hier fielen gefährliche Entscheidungen. Das Eindringen der Wandervölker schuf auf dem Balkan, wo sich eine effektive byzantinische Herrschaft auf wenige Festungen und auf Erfolge kurzer Sommerfeldzüge beschränkte, eine neue ethnische und politische Landkarte. Die Gründung des Bulgarenreiches nach 640, die alle militärischen Anstrengungen Konstantins IV. (668–685) nicht verhindern konnten, wurde zu einem Schlüsselpunkt in der Geschichte dieser Region. Der erste unabhängige Staat auf altem Reichsboden war entstanden; er sollte zu einer tödlichen Bedrohung für Byzanz werden, als der Islam seine Stoßkraft verlor.
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Abb. 6: Verwendung von Griechischem Feuer bei einer Seeschlacht – Chronik des Johannes Skylitzes, 11. Jh. (ill. im 14. Jh.)
Vorläufig wurde die Lage unter diplomatischen und finanziellen Zugeständnissen noch einmal stabilisiert; Justinian II. (685–695; 705 bis 711) konnte sogar durch eine große Offensive 688/89 den byzantinischen Machtbereich ausdehnen. Zugleich versuchte er durch Massendeportation slawischer Einwanderer nach Kleinasien das neue ethnische Element im Balkan zu neutralisieren und seine unbestrittenen soldatischen Fähigkeiten für die Grenzverteidigung im Osten zu nutzen. Mehr als ein System der Aushilfen wie unter Justinian I. war die Balkanpolitik freilich auch jetzt nicht. Der anhaltende Druck der arabischen Expansion band zu viele Kräfte. X. Herausforderung und Antwort: Selbstbehauptung durch Staatsreform Was trotz drohender äußerer Katastrophen und weitgehender innerer Desintegration den Widerstand von Byzanz ermöglichte, waren politische und soziale Reformen. Eine Reorganisation von Streitkräften und Verwaltung schuf die Grundlage für das Überleben im Arabersturm. Die Neuordnung suchte den Verlust von Syrien, Palästina und Ägypten auszugleichen; sie ging von der Einsicht aus, daß jetzt das gesamte Reich eine Grenzprovinz war, Kleinasien sein wichtigster Rekrutierungsbezirk. Das politische System hielt am zentralistischen Absolutismus fest, der die effektive Führung eines komplexen Staatsgebildes verbürgte. Aber in seinem Wandel bewies es zugleich die byzantinische Fähigkeit, trotz einer konservativen Grundhaltung administrative und soziale Formen flexibel zu handhaben und mit Erfolg weiterzuentwickeln. Kernstück der Reformpolitik war eine Neuordnung der Reichsverwaltung, die sich auch auf die gesellschaftliche Struktur auswirkte: die Themenverfassung. Die in einem bestimmten Distrikt einquartierte Grundeinheit der byzantinischen
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Armee war das von einem Strategen kommandierte »Thema«. Eine administrative Umgliederung faßte nun jeweils mehrere alte Provinzen zu Militär- und Verwaltungsbezirken zusammen, in denen der dem Kaiser unterstellte Stratege die gesamte vollziehende Gewalt erhielt; ihm unterstanden sowohl die in seinem »Thema« stationierten Truppen wie die regionale Verwaltung, Rechtsprechung und Finanzbürokratie. Der Themen-Prokonsul war als bloßer Chef der zivilen Verwaltung von Anfang an in den Hintergrund gedrängt und verschwand schließlich überhaupt. Eine reine Militärverwaltung löste damit die Zivilverwaltung ab: das differenzierte System der primär zivilen spätrömischen Administration war zugunsten einer straffen Einheit von Verwaltung und militärischer Organisation aufgegeben. Gleichzeitig wurde die Zentralverwaltung neu geordnet. Die Prätorianerpräfektur hatte sich zu einem nur noch wenig funktionsfähigen Superministerium entwickelt. An ihre Stelle traten neue zentrale Ämter, die von Spitzenbeamten mit dem Titel eines Logotheten geleitet wurden. Statt des magister officiorum war nun der »logothetes tou dromou« für die eigentliche Administration verantwortlich; für das Finanzwesen gab es bezeichnenderweise gleich drei Logotheten: Militärausgaben, allgemeine Staatsausgaben und kaiserliches Privatvermögen. Die Gliederung der Zentrale durch die Logothesien, die das Prinzip der Subordination durch das der Koordination ersetzte, blieb mit der Themen Verfassung ein Grundelement des byzantinischen Staates im Mittelalter. Ein entscheidender Ansatzpunkt für die Neuordnung lag in der Unfähigkeit des alten Systems, auf äußere Krisen zureichend zu reagieren. Die Verbindung von Differenzierung und Zentralismus war unter den gegebenen technischen Bedingungen ein Schwächemoment. Vereinfachung wurde nun durch Wegfall von Zwischenebenen und Abgabe zentraler Funktionen an die Provinzgouverneure erreicht. Die historisch ablesbare größere Effizienz des neuen Systems war aber offenbar nicht nur durch eine Vereinfachung der Funktionsbedingungen ermöglicht, sondern auch durch den Wegfall religiöser Krisenherde, die sich im alten System zusätzlich hemmend ausgewirkt hatten. Mit der Verwaltungsreform Hand in Hand ging die Förderung eines freien Wehrbauerntums. Die Soldaten, die dem Thema als militärische Einheit angehörten, erhielten in ihrer Provinz gegen die Verpflichtung zum Militärdienst Land zu erblichem Besitz. Diese »Stratioten« waren weder Söldner noch Colonen, sondern freie Bauern auf eigenen Gütern, deren Ertrag ihren Lebensunterhalt und die (nicht gerade billige) Ausrüstung eines Kataphraktenreiters sicherte. Im Stratiotentum setzte sich eine bereits vor den Exarchaten des 6. Jahrhunderts beginnende Entwicklung fort. Das Prinzip einer Soldabgeltung durch Landübertragung galt schon für die spätrömischen limitanei, im Bereich des Limes angesiedelte Grenzverteidigungseinheiten; allerdings waren die limitanei nicht zum Felddienst verpflichtet. Auch Maurikios
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hatte sich (wie sein »Strategikon« zeigt) mit Plänen zur Rekrutierung einer bäuerlichen Miliz beschäftigt. Die neue Militärorganisation der Themen schuf ein zuverlässiges und flexibles Verteidigungsinstrument, das schnell seinen Wert erwies. Die Stratioten stellten in jeder Provinz eine Miliz-Kavallerie, die kurzfristig aufgeboten werden konnte. Diese Feldarmee wurde ergänzt durch die immer noch aus Söldnern rekrutierten Gardetruppen der Hauptstadt, die »Tagmata«, und durch einen modern organisierten Nachschub- und Nachrichtendienst. Die bodenständige Territorialverteidigung wurde vor allem an den Grenzen von Kleinasien durch eine Nachfolgeorganisation der limitanei, die »akritai«, getragen. Die Ablösung der Söldnerarmee mit ihren unvermeidbaren Schwächen durch ein Heer freier landsässiger Wehrbauern, deren reale Interessen in dem von ihnen zu verteidigenden Gebiet lagen, hat nicht nur die militärische Abwehrkraft von Byzanz erheblich gestärkt. Sie brachte auch gesellschaftlich und finanzpolitisch weitreichende Veränderungen. Langsam entstand eine neue Klasse von Landbesitzern, die nicht aristokratischer Abstammung waren, aber doch an Besitz die einfachen Bauern übertrafen; der staatliche Schutz der Soldatengüter kam darüber hinaus dem freien bäuerlichen Landbesitz überhaupt zugute. »Der freie Bauer, sein eigenes Land bebauend, steuerzahlend und wenn nötig in der Armee dienend, wurde das dominierende Element in der agrarischen Gesellschaft von Byzanz.«15 Bis zum 6. Jahrhundert war der Großgrundbesitz ständig vorgedrungen. Jetzt aber nahmen freie Dorfgemeinden und freie bäuerliche Besitzer wieder erheblich zu, wenn auch das Colonat keineswegs verschwand. Das bedeutete einen neuen Schritt in der Entwicklung eines zentralen Themas byzantinischer Sozialgeschichte: der Auseinandersetzung zwischen Großgrundbesitz und freiem bäuerlichem Kleinbesitz (vgl. oben S. 29 f). Mit den Stratioten entstand nicht nur eine Schicht, die für die Zentrale politisch einen Rückhalt gegen die großen Grundbesitzer bildete. Sie trug auch zweifach zur Sanierung der Staatsfinanzen bei. Die Abfindung der Soldaten durch Landbesitz senkte die hohen Soldkosten und damit die Militärausgaben. Zugleich war der Stratiot mit seinem Gut ein sicher erfaßbarer Faktor der Steuerpolitik. Wie im Eintreten des Staates für das freie Bauerntum militärische, politische und fiskalische Motive ineinanderwirken, wird hier besonders deutlich. Auf dem politischen System der Themenverfassung basierte von jetzt an die Verteidigung des Reiches. Es gab dem byzantinischen Staat größere Effizienz und Flexibilität, brachte freilich zunächst auch eine einseitige Militarisierung, die auf das geistige und kulturelle Leben zurückwirkte. Doch langsam führte dieser Wandlungsprozeß durch die damit verbundene Umschichtung in der Landwirtschaft zu einer lebenskräftigeren sozialen Struktur des Reiches. Was diese Veränderungen im sozialen System noch akzentuierte, waren gleichzeitige ethnische Verschiebungen im Zuge umfassender Umsiedlungsaktionen. Die Mischung und erstaunlich schnelle Verschmelzung slawischer, anatolischer und
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griechischer Bevölkerungselemente war ein Vorgang von großer Tragweite, der wesentlich zur weiteren inneren Konsolidierung beitrug. Die Reform des byzantinischen Staates durch die Themenverfassung ging in einer mehr als hundertjährigen Entwicklung vor sich. Sie entsprang nicht einem systematischen gesetzgeberischen Akt, sondern einer Reihe einzelner Reformmaßnahmen, die freilich auf einer einheitlichen verteidigungs- und verwaltungspolitischen Konzeption beruhten. In bestimmter Hinsicht war sie nur Endergebnis eines Prozesses, der schon vor den tastenden Versuchen Justinians, in Krisengebieten militärische und zivile Gewalt zu vereinen, begonnen hatte. Die Exarchate des Maurikios waren bereits eine direkte Vorform der Themen. Aber auch die Reorganisation des sassanidischen Staates durch Chosroes I. wirkte möglicherweise als Modell. Elemente der neuen Verwaltungsstruktur sind vielleicht schon unter Heraklios geschaffen worden; seine militärischen Erfolge könnten auf Ansätze einer Kommando- und Verwaltungsvereinfachung zurückgehen.16 Da die Ostprovinzen verloren, die Balkanländer weitgehend der byzantinischen Herrschaft entzogen waren, entstanden im 7. Jahrhundert Themen nur in Kleinasien: in Zentralanatolien Armeniakon und Anatolikon als Schwerpunkte der Ostverteidigung, Opsikion als Militärbezirk von Konstantinopel. Unter den Nachfolgern des Heraklios, vor allem Konstantin IV. und Justinian II., wurde die Reorganisation energisch vorangetrieben. Im ausgehenden 7. und im 8. Jahrhundert wurde das System der Militärdistrikte nicht nur in Kleinasien konsolidiert, sondern auch auf alle Gebiete ausgedehnt, in denen byzantinische Herrschaft wieder fest Fuß faßte: Auf dem Balkan entstand das Thema Thrakien, in Griechenland das Thema Hellas, dazu der Militärbezirk Thessalonike und möglicherweise auch das Exarchat Sizilien als Bollwerk gegen arabische Überfälle. Sozial- und finanzpolitisch wirkte sich die Festigung der neuen Staatsordnung nur Schritt für Schritt aus. Daß aber bestimmte gesellschaftliche Wandlungsprozesse bereits in Gang kamen, erweist die aus dem späten 7. oder frühen 8. Jahrhundert stammende Landpolizeiordnung des »Nomos Georgikos«. Sie galt vermutlich nur für eine bestimmte Region, ist aber darin symptomatisch, daß neben dem Großgrundbesitz mit Colonen nun andere Elemente der sozialen Ordnung auf dem Lande erscheinen: freie Dorfgemeinschaften mit kommunalem Landbesitz, freie bäuerliche Grundbesitzer, Freizügigkeit anstelle von Schollenbindung, und Abschaffung von Dienstbarkeiten. Eine Gewichtsverschiebung zuungunsten der auch politisch gefährlichen großen Domänen ist offensichtlich; die Schicht kleiner freier Landbesitzer beginnt für die byzantinische Provinz ein bestimmender sozialer und ökonomischer Faktor zu werden. XI. Die Kultur des 7. Jahrhunderts: Identität von Reich und Orthodoxie
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Die Kehrseite von Existenzkampf und Staatsreform war eine Dürre der Kultur, die sich scharf von der Blüte der justinianischen Zeit abhob. Überleben durch Anpassung band alle Kräfte. Doch das erklärt die Sterilität von Kunst und Literatur nicht allein. Mit den östlichen Provinzen waren nicht nur die Handelsund Gewerbezentren Syriens und die Kornkammer Ägypten verloren, sondern zugleich stark urbanisierte und geistig besonders lebendige Regionen. Das bedeutete eine doppelte Verarmung. Einmal verlor die byzantinische Kultur ihren polyzentrischen Charakter. Zum anderen ging mit der Rolle der Städte auch die Pflege weltlicher Bildung zurück. Das führte zusammen mit verstärkten mystisch-asketischen Tendenzen zu einer entschiedenen Verkirchlichung der Kultur. Es ist kein Zufall, daß in dieser Zeit ein wesentliches Stück antiken Erbes verlorenging. Bedeutende Schöpfungen der Kunst entstanden bezeichnenderweise nur noch außerhalb der neuen Reichsgrenzen. Die Kultur des ersten islamischen Jahrhunderts war noch stark von byzantinischen Traditionen mitgeprägt; syrische Moscheen und Jagdschlösser oder armenische Kathedralen verkörpern große Leistungen des ostbyzantinischen Stils. In der Literatur blieb Georgios Pisides, wohl der größte weltliche Dichter von Byzanz, eine einsame Ausnahme. Seine Versepen über die die Feldzüge des Heraklios sind zudem in dieser an Ereignissen wahrlich nicht armen Zeit das einzige historische Werk von Bedeutung. Die Theologie versandete in einer jeder Originalität baren monophysitischen Streitliteratur. Die beiden einzigen Theologen von Rang, Johannes Damascenus und Maximus Confessor, waren letztlich doch schon Kompilatoren und Kommentatoren der großen theologischen Literatur des 5. Jahrhunderts, wenn auch Maximus eine bedeutende Rolle in der Geschichte der byzantinischen Mystik spielte. Das monophysitische Schisma hatte während der persischen und arabischen Offensiven erneut seine politische Sprengkraft bewiesen. Auch jetzt versteiften neue Kompromißformeln, die Heraklios in Zusammenarbeit mit dem Patriarchen Sergios durchzusetzen suchte, nur den Widerstand beider Seiten. Der Monotheletismus (Lehre von einem gottmenschlichen Willen in zwei Naturen) war schon bei seiner Verkündung durch kaiserliches Edikt, die »Ekthesis« (638), überholt. Das jahrhundertealte Schisma, an dem Kaiser wie Patriarchen und Bischöfe gescheitert waren, löste sich kirchenpolitisch schließlich durch den Verlust der Ostprovinzen. Die Monophysiten wurden zu häretischen Sonderkirchen im fremden Herrschaftsbereich; im griechischkleinasiatischen Gebiet war ihre Bedeutung ohnehin gering gewesen. Beim 6. Ökumenischen Konzil von Konstantinopel 680/81 waren die Patriarchen des Ostens zwar noch vertreten. Aber die Formel von zwei Naturen, die in Christus in einer Hypostase vereinigt sind (»zwei Willen und Energien, die harmonisch miteinander für die Erlösung des Menschengeschlechts wirken«), ließ für die Monophysiten keinen Zweifel daran, daß Konstantinopel den Versuch der Verständigung endgültig aufgegeben hatte.
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Für das Byzantinische Reich war die Rückkehr zur modifizierten Formel von Chalkedon ein Gewinn: es war religiös jetzt ein einheitlicher Raum der orthodoxen Christenheit. Mit den administrativen und sozialpolitischen Reformen trug die wiedergewonnene kirchliche Einheit entscheidend zur Konsolidierung bei. Aber auch die Kultur des 7. (und des 8.) Jahrhunderts hat ihre fruchtbare Kehrseite im Prozeß der Hellenisierung. In seinen neuen Grenzen errang Byzanz jene innere Einheit, die Justinians renovatio imperii nicht zu schaffen vermocht hatte. Die östlichen Provinzen mit ihrer vorwiegend nichthellenischen Bevölkerung waren ausgegliedert, ebenso die romanisierten Gebiete des nordwestlichen Balkans. Im italienischen Exarchat verstärkten Flüchtlinge aus Nordafrika und Ägypten die Griechisch sprechende Bevölkerung. Kleinasien und die griechischen Gebiete (vor allem die administrativ eng mit Kleinasien verbundenen Provinzen Thrakien und Makedonien) mit ihrer vorwiegend orthodoxen, Griechisch sprechenden Bevölkerung bildeten die Kernländer des Reiches. Für die Ostprovinzen war die Assimilationskraft der byzantinischen Kultur am Ende nicht stark genug gewesen. Hier aber entfaltete sie ihre volle Kraft – nicht nur gegenüber den Lokalsprachen Anatoliens, sondern vor allem gegenüber den zahlreichen slawischen Neusiedlern im südlichen Balkan und in Kleinasien. Die Religion war das Werkzeug der Assimilation: Sprache und Geist des orthodoxen Glaubens, den die Slawen übernahmen, waren griechisch. Das Byzantinische Reich blieb zwar in gewisser Hinsicht ethnisch heterogen und Hort verschiedener kultureller Traditionen. Orientalische Unterströmungen blieben lebendig; noch bestand in Kultur und Religion eine unterirdische Spannung, die sich im 8. Jahrhundert zur Krise des Bilderstreits verdichtete. Doch gemeinsamer Glaube und kirchliche Einheit wirkten auf eine zunehmende Hellenisierung hin, die Kunst und Literatur ebenso erfaßte wie das politische und geistige Selbstbewußtsein der führenden Schichten. Sie läßt sich z.B. in Verwaltungssprache und staatlichen Titulaturen aufweisen; der alte griechische Titel Basileus, nicht mehr das lateinische Imperator Augustus, bezeichnet seit Heraklios den Kaiser. Die Hellenisierung des Reiches hatte auch eine politische Seite. Die neuentstehende religiös-kulturelle Solidarität war für Bestand und Erneuerung von Byzanz ebenso wichtig wie die reformierte Staatsordnung oder die starken natürlichen Grenzen Anatoliens. Das Reich hatte seine Weltstellung verloren. Aber es gewann als Ausgleich jene Identität von griechischem Kulturbewußtsein und orthodoxem Glauben, die in ihrer engen Verflechtung politischer und religiöser Existenz gerade gegenüber dem Islam ein entscheidendes Moment der Widerstandskraft blieb. Eine klare ethnische Definition des »Rhomaios« gegenüber den »Hellenes« (den Heiden und Barbaren) konnte es in dem Vielvölkerstaat nicht geben. Für die gemeinsame Nationalität stand hier die Gemeinschaft im Glauben der orthodoxen Kirche; Häresie und Verrat waren identisch.
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Die zielbewußte Konsolidierungspolitik der Heraklios-Dynastie mündete in eine neue Staatskrise. Sie hatte den straffen Gebrauch der absolutistischen Vollmachten der Zentrale erfordert, damit aber auch gegen Ende des Jahrhunderts eine ständig wachsende innenpolitische Opposition gegen das autokratische Regime provoziert, die mehr vom großgrundbesitzenden Adel als von der breiten Masse der Bevölkerung ausging. Die Rückkehr Justinians II. aus der Verbannung und sein zweiter Sturz 711 leiteten über zu sechs Jahren von Bürgerkriegen und schnellen Kaiserwechseln. Es war eine schwere, aber doch temporäre Erschütterung, in deren Wirren sich die neue Ordnung als Grundlage der historischen Rolle von Byzanz in kommenden Jahrhunderten zu halten vermochte. Unter den Faktoren der Krise trat ein neues Element politischer Labilität hervor, das wie der Widerstand der von den sozialpolitischen Auswirkungen der Themenverfassung betroffenen Großgrundbesitzer auf die weitere gesellschaftliche Entwicklung in Byzanz vorausweist: die Rolle der Themen-Strategen und ihrer Truppen bei Thronwechseln. Der Befehl über eines der kleinasiatischen Themen wurde, wie in der Zeit der Soldatenkaiser das Kommando großer Armeen in Gallien oder Syrien, ein Sprungbrett zur Macht – eine Entwicklung, die bald die Verkleinerung der ursprünglich sehr großen Themenbezirke erzwang. Auch der fähige General Leon III., der 717 im Moment außenpolitischer Gefährdung als einer der großen Themenbefehlshaber die Macht übernahm, war ein solcher Militärkaiser. Die innenpolitische Krise war durch außenpolitische und militärische Rückschläge verschärft worden. Eine neue Phase arabischer Angriffe zu Land und See führte zum dritten Großangriff auf die Zentrale des Reiches; gleichzeitig erreichten die Bulgaren die Vorstädte von Konstantinopel. Die erfolgreiche Abwehr der dritten Belagerung von Konstantinopel entschied, daß Kleinasien nochmals für fast 700 Jahre byzantinisch und orthodox, ein Bollwerk gegen den Islam blieb. Im Jahrhundert der islamischen Eroberung war eine neue Landkarte entstanden, auf der sich drei Machtbereiche heraushoben: Byzanz, das Kalifat und das Frankenreich. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts kamen die Macht- und Gebietsverschiebungen langsam zur Ruhe; feste Grenzen und bestimmte politische Kraftfelder zeichneten sich immer klarer ab. Die Umfassung des Mittelmeers von Süden her durch den Islam war vollendet, wenn auch der Versuch des Einbruchs nach Westeuropa scheiterte. Byzanz war aus dem westlichen Mittelmeerraum verdrängt und hatte bedeutende Gebietsverluste erlitten. Trotzdem blieb es neben den Umajjaden die zweite Macht der Zeit. Seit 718 bildete sich im Nahen Osten zunehmend ein militärisches Gleichgewicht aus; zugleich konnte das Vorfeld der Hauptstadt endlich gegen die Bulgaren gesichert werden. Doch dieser außenpolitischen Stabilisierung folgte mit dem Bilderstreit eine neue, schwere innere Erschütterung des Reiches. 2. Die Krise des Ikonoklasmus
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Von 717 bis 842 wurde das Byzantinische Reich von einer schweren Auseinandersetzung über die Rolle der Ikonen im religiösen Kult gespalten. Wie bei den meisten Angelegenheiten, die die Kirche betrafen, wurde die ganze Bevölkerung des Reiches mit in die Diskussion hineingezogen. Das Problem wurde erst im Jahr 843 gelöst, als die Ikonen für immer als fester Bestandteil der orthodoxen Religion wieder eingeführt wurden. Alle bedeutenden Häresien der vorangegangenen Jahrhunderte, wie der Arianismus oder der Monophysitismus, hatten die Byzantiner in ähnlicher Weise erregt, so daß die religiöse Krise dieser Periode nichts Neues war. In der ikonoklastischen Epoche jedoch gab es kein Jahrzehnt, in dem das Byzantinische Reich nicht durch militärische Gewalt von außen bedroht wurde. Die Kaiser, ob sie nun Verfechter oder Gegner der Verehrung von Ikonen waren, mußten mehreren Versuchen der Araber und Bulgaren, das Reich zu überrennen, entgegentreten. Deshalb war die bedeutendste Leistung dieser Zeit die erfolgreiche Abwehr dieser Vorstöße, wenn auch um den Preis byzantinischer Gebietsverluste in Mittelitalien und eines langjährigen Schismas zwischen der östlichen und westlichen Hälfte der Kirche. Alle Kaiser sahen sich außerdem, ohne Rücksicht auf ihre eigenen kirchenpolitischen Auffassungen, mit den altgewohnten Problemen des Reiches konfrontiert. Unter großen Anstrengungen mußten sie die innere Einheit eines Vielvölkerstaates wahren, lokalen Autonomiebestrebungen entgegenarbeiten, die von Häresien und regionalen Zwistigkeiten zerrissene Kirche des Ostens einen – mit einem Wort, sie mußten versuchen, die in Byzanz wirkenden zentrifugalen Kräfte unter Kontrolle zu bringen. Diese Tendenzen hätten ohne die entschlossene Aktivität vor allem der bilderfeindlichen Kaiser, die erfolgreicher waren als ihre Gegenspieler, die bilderfreundlichen Kaiser, zur Auflösung des Reiches führen können. Die Ikonoklasten unterstellten jeden Bereich der byzantinischen Gesellschaft straffer der kaiserlichen Gewalt. Durch eine Reihe von Reformen zentralisierten und vereinheitlichten sie die Erhebung der Steuern, die Durchführung der Gesetze, die Heeresorganisation und die Verwaltung der Provinzen und der Kirche. Diese Reformmaßnahmen sind in den erhaltenen Quellen durch Vorurteil und Haß entstellt. Nach der Wiedereinführung der Bilderverehrung im Jahr 843 wurden sämtliche Schriften der Bilderstürmer vernichtet, so daß fast alle erhaltenen Aufzeichnungen über die Epoche des Ikonoklasmus aus der Sicht der Anhänger der Bilderverehrung geschrieben sind. In diesen Chroniken spiegelt sich einseitig der Abscheu vor dem Ikonoklasmus wider, der nicht einmal die wirkungsvollsten Maßnahmen der bilderstürmenden Kaiser gelten läßt. Das wirkt sich auch in den modernen Darstellungen dieser Epoche aus. Um zu einem ausgewogenen Urteil zu kommen, müssen die bilderfreundlichen Quellen mit kritischer Vorsicht benützt werden. Unbestritten ist die Festigung der kaiserlichen Kontrolle über das Reich eine der bedeutendsten Leistungen des ikonoklastischen Zeitalters. Aber viele
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Probleme bedürfen noch eingehenderer Untersuchung und Analyse, zum Beispiel die Frage, in welchem Maß die Krise eine innenpolitische Reaktion auf Bedrohung von außen oder in welchem Umfang sie ein Ergebnis der Reformbedürftigkeit war. Es ist deshalb schwer, Rolle und Bedeutung dieser religiösen Auseinandersetzung in der politischen, sozialen und ökonomischen Geschichte des Byzantinischen Reiches definitiv zu bewerten.
I. Die erste Phase des Bildersturmes: 717–775 a) Die Lage im Jahr 717 Der unmittelbare Erfolg von Leons III. Machtergreifung im März 717 war die Abwehr des gefährlichsten Versuchs der Araber, das Byzantinische Reich zu erobern. Unmittelbar nach seiner Krönung nahm sich der neue Kaiser der dringlichen Aufgabe an, Konstantinopel für diese Bedrohung zu wappnen. Kalif Suleiman hatte eine Belagerung vom Land wie vom Meer her geplant. Im August 717 wurde sie begonnen, aber schon zwölf Monate später wurden die Araber wieder zum Rückzug gezwungen. Die Belagerung war fehlgeschlagen. Einen beträchtlichen Anteil an diesem erfolgreichen Widerstand trägt Leon, wenn ihm auch drei Faktoren dabei zustatten kamen: die besondere Widerstandskraft der Mauern der Hauptstadt, der Einsatz von Griechischem Feuer, einem den Arabern unbekannten chemischen Präparat, und ein ungewöhnlich strenger Winter, der den Belagerern schwer zu schaffen machte. Das Scheitern der Belagerung führte zur völligen Katastrophe, als die arabische Flotte auf ihrer Rückfahrt nach Alexandria aufgerieben und vernichtet wurde. Leon war keineswegs eine unbekannte Figur. Er stammte aus Germanikeia in Nordsyrien, obwohl seine Familie später, vielleicht unter arabischem Druck, nach Thrakien übergesiedelt war. Für eine isaurische Abstammung, die Leon oft zugeschrieben wird, gibt es wenig Anhalt, und Leons Nachfolger sollten besser die Syrische als die Isaurische Dynastie genannt werden. Er hatte in den Diensten Justinians II. und Anastasios’ II. gestanden, der ihn zum Befehlshaber (strategos) des Thema Anatolikon ernannt hatte. Die Truppen von Anatolikon und Armeniakon unterstützten seinen Aufstand gegen Theodosios III. und riefen ihn zum Kaiser aus. Als sie auf die Hauptstadt marschierten, dankte Theodosios ab, und Leon übernahm ohne Blutvergießen die Macht. Indem er mit sicherer Hand zwei Aufstände im Innern niederschlug und die kaiserliche Verwaltung reorganisierte, gelang Leon die Begründung einer Dynastie, die 85 Jahre bestehen sollte. Die Leistungen der Syrischen Dynastie wurden oft in Mißkredit gebracht, weil ihre Kaiser den Ikonoklasmus – die Zerstörung der Ikonen – förderten. In diesem Punkt handelten sie jedoch aus religiöser Überzeugung. Die Predigten Leons III.
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und die Abhandlungen seines Sohnes Konstantins V. zeigen deutlich, daß beide fest davon überzeugt waren, Ikonen seien Götzenbilder. Leon war der Ansicht, die bildliche Darstellung der Heiligen Familie, der Apostel und der Heiligen führe zu nichts anderem als zum Götzendienst. Darum ließ er alle verfolgen, die weiterhin aus Überzeugung der Lehre von der Bilderverehrung anhingen, die Ikonophilen oder Ikonodulen (Bilderfreunde oder Bilderdiener). Diese Verfolgung hatte schwere Spaltungen nicht nur im Reich, sondern auch in der Kirche zur Folge. Die ganze Hierarchie der Metropoliten, Bischöfe und Ortspfarrer, alle Klöster und Kirchengemeinden wurden mit in die Auseinandersetzung hineingezogen, nicht nur durch die christologischen Probleme, sondern auch durch einen tief im Volk verwurzelten Glauben an die Macht der Ikonen. Dieses öffentliche Interesse an der Diskussion überdauerte die Wiedereinsetzung der Orthodoxie im Jahr 843. Ikonen wurden im Byzantinischen Reich verehrt, seitdem Konstantin der Große das Christentum als legitime Religion anerkannt hatte, und seit Justinians Regierungszeit hatte ihr Kult noch an Einfluß gewonnen. Gleichzeitig wurde weiterhin das Bildnis des Kaisers wie in römischer Zeit verehrt. Aber allmählich entstand in Verbindung mit den Bildnissen Christi und der Jungfrau Maria ein besonderer Kult, und Ikonen wurden in Schreinen, Kirchen, auf öffentlichen Plätzen und in den Häusern aufgestellt. Sie wurden mit in die Schlacht genommen und feierlich um die Mauern belagerter Städte herumgetragen. Oft sprach man den Ikonen auch Wunderkräfte zu, und allmählich traten sie an die Stelle der Reliquien als Gegenstand der Verehrung in den Kirchen. Trotz des ursprünglichen Verbots der christlichen Kunst als Götzenkult wurde sogar die bildliche Darstellung Christi durch das Quinisextum von 692 erlaubt. Am Ende des 7. Jahrhunderts waren in allen Teilen des Byzantinischen Reiches die Ikonen allgemein als fester Bestandteil des christlichen Gottesdienstes anerkannt; aber noch war nicht jeglicher Zweifel beseitigt. Im Jahr 723 hatten zwei Bischöfe, Konstantin von Nakoleia und Thomas von Klaudiopolis, mit dem Patriarchen Germanos die weitere Verehrung von Ikonen erörtert und dieser hatte sich eindeutig geweigert, irgendeinen Wechsel zu unterstützen. Die Ablehnung der Bilderverehrung entsprang sicherlich dem Verbot des Alten Testamentes und dem Vorwurf der Götzendienerei, der in den Diskussionen zwischen Christen, Moslems und Juden immer wieder eine große Rolle spielte. In diesen Auseinandersetzungen konnten auch nichtchristliche Theologen Einfluß auf die Byzantiner gewinnen. Das Verbot jeglicher religiöser Kunst in Moscheen scheint um 700 ergangen zu sein, während die Juden schon immer bildliche Darstellungen vermieden hatten. Aber im Jahr 721 dehnte Kalif Jezid II. diese Sitte der Moslems auch auf die Christen aus, die unter seiner Herrschaft lebten, und befahl die Zerstörung aller christlichen Ikonen. Da er in Syrien geboren war, mußte Leon III. mit diesen Vorstellungen vertraut gewesen sein; offensichtlich war er sogar von ihnen überzeugt.
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b) Der Beginn des Bildersturmes Im Jahr 726 ließ der Kaiser das berühmte Bild Christi an der Bronzetür des kaiserlichen Palastes entfernen; einer aufgebrachten Menge gelang es jedoch, einen Soldaten zu töten, bevor das Bild weggebracht werden konnte. Es kam zu Straßenkämpfen, und einige überzeugte Verfechter der Ikonenverehrung wurden bestraft. In den Provinzen von Italien und Griechenland war die Reaktion ähnlich. Papst Gregor II. erhob Einspruch gegen die Einmischung des Kaisers in Glaubensangelegenheiten und enthielt der kaiserlichen Staatskasse Einkünfte aus Italien vor, während die Helladikoi von Zentralgriechenland nach Konstantinopel segelten, um das Reich vor Leons Gottlosigkeit zu retten. Ihre Flotte wurde in einer Schlacht nahe dem Hellespont vernichtet und ihr Thronprätendent Kosmas 727 hingerichtet. Bei den Einwohnern des östlichen Reichsteils, die zu den erbittertsten Anhängern des Ikonoklasmus werden sollten, fand Leons Entscheidung möglicherweise Unterstützung in den Kreisen, denen die jüdische und islamische Ablehnung figürlicher Darstellung bekannt war. Als Leon versuchte, die kirchliche Zustimmung zur Vernichtung der Bilder zu bekommen, stieß er bei dem Patriarchen Germanos auf heftigen Widerstand. Der Kaiser löste das Problem auf sehr direkte Art und schuf damit für die Dauer des Bilderstreites einen Präzedenzfall. Im Jahr 730 forderte er von dem Patriarchen die Anerkennung eines Ediktes, das die Bilderverehrung untersagte. Als Germanos sich gegen diesen Erlaß erklärte, ließ Leon den obersten Rat der weltlichen und geistlichen byzantinischen Beamten (das Silention) zusammentreten; dieser verurteilte Germanos und bestätigte das Edikt des Kaisers. Daraufhin stellte der Patriarch sein Amt zur Verfügung; an seine Stelle trat sein früherer Mitarbeiter Anastasios. Dieser Schritt wurde von allen Patriarchen des Ostens wie auch von Gregor II. mißbilligt, der Anastasios exkommunizierte und so das Schisma zwischen der östlichen und westlichen Kirche herbeiführte, das mit einigen Unterbrechungen bis zur Aufhebung des Bilderverbots im Jahr 843 dauerte. Wahrscheinlich ließ sich Leon nur durch die große Popularität der Bilderverehrung davon abhalten, den entscheidenden Schritt zu wagen – die Anerkennung der neuen Lehre durch ein ökumenisches Konzil. Das erreichte Konstantin V. im Jahr 754. Jeder folgende Versuch, ein kirchliches Dogma zu ändern, orientierte sich an dieser Verfahrensweise: ein Patriarch, der eine solche Änderung befürwortete, wurde gewählt, und mit seiner Ermächtigung trat dann ein Kirchenkonzil zusammen, das die Änderung verkündete. Daß der Kaiser bei der Wahl der Patriarchen eine entscheidende Stimme besaß und auch bei den Konzilien den Vorsitz führte, erleichterte solche Abänderungen ganz beträchtlich. Die erzwungene Einführung des Ikonoklasmus mußte unausweichlich zu Zusammenstößen mit der Kirche führen; Leon war entschieden bereit, sich dabei mit Gewalt durchzusetzen. Als Papst Gregor III. ein Konzil einberief, das die
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Bilderstürmer verurteilte, ließ der Kaiser die päpstlichen Legaten in Konstantinopel ins Gefängnis werfen und entsandte eine Flotte nach Italien. Außerdem entzog er die byzantinischen Provinzen von Italien, Sizilien und die Präfektur Illyricum – also den gesamten europäischen Teil des Reiches – der Jurisdiktion der römischen Kirche und unterstellte sie dem Patriarchen von Konstantinopel. Gleichzeitig wurden die Einkünfte der päpstlichen Patrimonien dem kaiserlichen Fiskus zugeführt. Diese äußerst bedeutsame Maßnahme zielte deutlich darauf hin, das Patriarchat auf Kosten Roms zu bereichern; Leon wollte aber auch die ganze Ostkirche unter seine Kontrolle bringen. Der Versuch, die kaiserliche Gewalt in allen Bereichen der byzantinischen Gesellschaft unmittelbar durchzusetzen, ist ein Grundzug seiner bilderfeindlichen Herrschaft. So wurde die neue Lehre durchgesetzt; sie bewirkte jedoch eine tiefe Spaltung des Reiches und ein Schisma zwischen der Kirche von Konstantinopel und dem Papst, das den byzantinischen Einfluß in Italien schwächte. Deshalb stellt sich die Frage, warum Leon darauf bestand. Zweifellos war der Kaiser in seinem Handeln ebenso von religiöser Überzeugung wie von politischen Überlegungen bestimmt, und er stand mit seiner Ansicht nicht allein. Das Edikt, das die Bilderverehrung verbot, fand deswegen Unterstützung, weil sich darin ein tiefes, weitverbreitetes Mißtrauen gegenüber religiösen Bildern und gegenüber den Mönchen, die hauptsächlich damit in Verbindung gebracht wurden, widerspiegelte. Der Neid auf den zunehmenden Reichtum der Klöster und auf ihren Einfluß in der Ostkirche war sehr groß. Anhänger des Ikonoklasmus gab es in allen Teilen des Reiches und in allen Gesellschaftsschichten. Sie traten für die Unterordnung der Kirche unter kaiserliche Kontrolle und für eine strenge Militärherrschaft ein. Obwohl sich im Verlauf des 8. Jahrhunderts der Bilderstreit mit der Sozial- und Wirtschaftspolitik der Syrischen Kaiser verband, war das ursprüngliche Motiv religiöser Natur, und während der ersten Phase des Bildersturmes spielten die religiösen Aspekte der Reformen eine beherrschende Rolle. Mit diesem Rückhalt konnten Leon III. und Konstantin V. die Kirche kaiserlicher Kontrolle unterstellen und die Ressourcen des Reiches in vollem Ausmaß gegen die Araber mobilisieren. c) Die Leistung Leons III. und Konstantins V. Die Verteidigung von Byzanz Daß das Reich überlebte, verdankte es den ersten beiden Syrischen Kaisern. Ohne ihre Offensive gegen die Araber zwischen 717 und 775 wäre das Neue Rom wie seine Mutterstadt im Westen in die Hände der Barbaren gefallen. Nach der Belagerung von 717–18 reorganisierte Leon die byzantinische Marine durch Schaffung zweier neuer Kontingente: der Streitkräfte der Kibyraioten, die sich aus einem neuen Thema an der Südküste Kleinasiens rekrutierten, und einer selbständigen Einheit, die im Ägäischen Meer stationiert war. Auf dem Festland ging der Kampf weiter. Obwohl die arabischen Truppen während der
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Belagerung dezimiert worden waren, setzte Kalif Hischam (724–743) seine jährlichen Raubzüge in byzantinisches Gebiet fort. Leon kommandierte persönlich die Armeen, die diese Unternehmungen beenden sollten, aber erst 740 kam es zu einer Entscheidungsschlacht, als die Byzantiner bei Akroinon ein großes arabisches Heer schlugen. Nach diesem Sieg unternahm Konstantin V. mehrere Offensiven gegen das Kalifat, das durch den Sturz der Umajjaden und die Gründung einer neuen Hauptstadt, Bagdad, unter den Abbasiden geschwächt war. Aber die drei byzantinischen Erfolge – 746 (bei Germanikeia), 752 (bei Melitene und Theodosiopolis) und 757 – waren nicht allein auf die schlechte Verfassung der arabischen Truppen zurückzuführen. Konstantin war ein noch größerer Stratege und Heerführer als sein Vater, und seine Soldaten bewunderten ihn und vertrauten ihm vorbehaltlos. Der Feldzug des Jahres 757 machte den ausgedehnten Einfällen der Araber ein Ende und sicherte die Südostgrenze. Die militärische Aktivität beschränkte sich jetzt auf kleinere Raubzüge und den Austausch von Gefangenen. Das gefährliche Vordringen des Islam war zum Stehen gebracht.
Abb. 7: Die Feldzüge der Jahre 717–775 und die ursprüngliche Ausdehnung der Themen in Kleinasien
Noch vor dem Jahr 741 teilte Leon das übergroße Thema Anatolikon und setzte für die westliche Hälfte eine getrennte Verwaltung ein, die nach den hier
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stationierten Truppen Thrakesion genannt wurde. Mit dieser Trennung, die später auch auf das ebenso umfangreiche Gebiet von Opsikion angewendet wurde, verband sich die Absicht, eine Machtkonzentration in der Hand eines einzigen Militärgouverneurs (strategos) zu verhindern. Seine eigene Machtergreifung hatte Leon die potentielle Stärke dieser Stellung gezeigt; auch Konstantins Schwager, Artabasdos, nützte sie bei seinem Griff nach der Kaiserkrone. Auf diese Weise vergrößerte sich die Anzahl der Provinzen und Provinzgouverneure, bis es im Jahr 775 sieben Themen in Kleinasien – darunter zwei maritime – und drei im Westen gab. Die schrittweise Ausdehnung der Militärverwaltung auf alle Teile des Reiches beleuchtet einen Aspekt der auf eine Stärkung der Zentralgewalt hinzielenden Politik der Syrischen Kaiser und bedeutet gleichzeitig eine Weiterführung des von der Dynastie des Heraklios begonnenen Werkes. Neuordnung der Finanzen Über das Wirtschaftsleben unter der Syrischen Dynastie fehlen jegliche Einzelinformationen, aber der allgemeine Wohlstand und der niedere Getreidepreis lassen vermuten, daß die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Reiches gut genutzt waren, um den steigenden Bedürfnissen des militärischen Verbrauchs gerecht zu werden. Leon gewann nicht nur zusätzliche Einkünfte aus den päpstlichen Patrimonien in Italien, er erhöhte auch die Kopfsteuer in Sizilien und Kalabrien um ein Drittel. Konstantin wurde als »Neuer Midas« verschrien, gleichzeitig jedoch hielt er den Kornpreis auf einem erträglichen Niveau. Die Beschlagnahme von kirchlichen Einkünften – ein Teil von Leons ikonoklastischer Politik – wurde auch unter Konstantin, sogar in noch größerem Ausmaß, fortgesetzt. Trotzdem förderten selbst diese beiden Kaiser den Bau von Kirchen. Leon ließ die Irenen-Kirche in Konstantinopel, die bei einem Erdbeben schwer beschädigt worden war, wieder aufbauen und schmückte die Apsis mit einem großen Mosaikkreuz. Und Konstantin war, wenngleich er so viele Werke mit figürlichen Darstellungen zerstören ließ, ein großer Patron der ikonoklastischen Kunst. Zu dieser Zeit verschwanden allmählich die Teilwerte der Goldwährung, und um das Jahr 780 wurden nur noch das Gold-Nomisma (solidus), das SilberMilaresion und der Kupfer-Follis geprägt. Das Milaresion, das ein Zwölftel des Nomisma wert war und auf dem arabischen Dirham basierte, wurde von Leon III. eingeführt. Diese Vereinfachung der kaiserlichen Münzprägung und ihr auf das Reich beschränkter Umlauf spiegelt möglicherweise einen Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität im Verlauf des 8. Jahrhunderts wider, während der nahezu pausenlose Kriegszustand zweifellos die Handelswege unterbrach und die städtischen Absatzmärkte isolierte. Reform des Gerichtswesens
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Der Versuch, der Finanzverwaltung eine solide Basis zu geben, fand auf dem Gebiet des Rechts eine Parallele. Leon III. verfügte, daß die Richter fest besoldet wurden und keine Geschenke entgegennehmen durften – eine unerläßliche Sicherheitsvorkehrung gegen Bestechung. Als nächstes wurde das Gesetzbuch von einer Kommission von Sachverständigen revidiert. Sie erarbeiteten eine vereinfachte Ausgabe des justinianischen Corpus Iuris Civilis, die sie um einige Gewohnheitsrechte und um die wichtigen Entscheidungen der Kirchenkonzilien über Ehe, Eigentum und Erbrecht erweiterten. Der neue Codex, in griechischer Sprache abgefaßt, um die Anwendung in einer nunmehr Griechisch sprechenden Welt zu erleichtern, hieß die Ekloga oder »Auswahl«. Er war ein brauchbares Handbuch für Provinzrichter und blieb bis weit ins 9. Jahrundert hinein in Benutzung. Das Privat- und Strafrecht der Ekloga wurde durch ähnliche Auszüge über Rechtsfragen der Marine, des Militärs und der Landwirtschaft ergänzt, die zu verschiedenen Zeiten kompiliert wurden. Diese kurzen Gesetzesabrisse sollten bei der Lösung praktischer Probleme nützlich sein, wie zum Beispiel der Höhe des Schadenersatzbetrages für den Verlust eines Wachhundes oder dem Versicherungstarif für Seereisen. In ihrer Gesamtheit stellten sie einen klaren Leitfaden zu einer für das ganze Reich einheitlichen Rechtsprechung dar. d) Byzantinische Beziehungen zu den Bulgaren und Slawen In der Zeit zwischen dem Tod Konstans’ II. (668) und dem frühen 9. Jahrhundert wurde die byzantinische Herrschaft auf der Balkanhalbinsel durch das Einströmen slawischer Bevölkerungsmassen schwer erschüttert. Um die Mitte des 8. Jahrhunderts wurde die Provinz Thrakien, das Hinterland der Hauptstadt, von Bulgaren bedroht, die sich in West-Thrakien und Makedonien festgesetzt hatten. In den Jahren 755–56 verstärkte Konstantin V. die Grenzverteidigung mit armenischen und syrischen Kriegsgefangenen aus dem Feldzug von 749. Der Zweck dieser Umsiedlung war, genügend Mannschaften für die Verteidigung der Provinz bereitzustellen und gleichzeitig die Bestellung der ertragreichen Kornfelder zu sichern. Nach dem Verlust von Ägypten und Nordafrika war Thrakien eine der wichtigsten Kornkammern des Reiches geworden. Diese Maßnahmen forderten bulgarische Angriffe auf byzantinisches Gebiet heraus, und als Vergeltungsmaßnahme führte Konstantin neun größere Feldzüge gegen die Bulgaren, deren Vordringen damit schließlich Einhalt geboten werden konnte. Er kämpfte auch gegen die Sklaviniai, von den Slawen beherrschte Gebiete im Umkreis von Thessalonike. Im Jahr 762 wurden 208000 slawische Flüchtlinge in Bithynien angesiedelt; dort hatten schon viele Slawen im vorhergehenden Jahrhundert Zuflucht gefunden. Konstantins andere Bevölkerungsumsiedlung resultierte aus der Notwendigkeit, die Opfer der hauptstädtischen Pestkatastrophe von 746–47 ersetzen zu müssen. Die Syrischen
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Kaiser waren immer besonders darauf bedacht, die wirtschaftliche Aktivität des größten Marktes in der westlichen Welt zu erhalten. Leon III. hatte eine besondere Steuer erhoben, um die Wiederaufbaukosten für die Befestigungsanlagen und die öffentlichen Bauten zu decken, die 740–41 von Erdbeben und Flutwellen zerstört worden waren. Die Einwohner der Hauptstadt nahmen eine Sonderstellung im Reich ein; und die Kaiser des 8. Jahrhunderts bemühten sich, ihre Privilegien zu erhalten. e) Konstantin V. und das Papsttum Die persönlichen religiösen Überzeugungen des Kaisers machten es unvermeidlich, daß sich während seiner Regierungszeit die Beziehungen zum Papsttum weiterhin verschlechterten. Die antibyzantinische Stimmung in den italienischen Provinzen mag mit dazu beigetragen haben, daß Ravenna, die Hauptstadt des byzantinischen Italien, im Jahr 751 von dem Langobarden Aistulf erobert wurde. Die Folge war, daß sich das nun gegen die Langobarden völlig ungeschützte Papsttum an die einzige andere christliche Macht wandte, die die Kirche des Westens verteidigen konnte – an die Franken. Im Jahr 754 nahm Papst Stephan II. die Verhandlungen mit König Pippin auf. Die Forderung nach fränkischer Präsenz in Italien richtete sich unmittelbar gegen Byzanz, und die weitere Entwicklung – die Schaffung eines Kirchenstaates im Herzen Italiens durch das gefälschte Dokument der »Konstantinischen Schenkung« – besiegelte den Niedergang der byzantinischen Macht im Westen. Konstantins V. Versuche, mit den Franken ein politisches Bündnis zu schließen, scheiterten völlig. f) Verfolgung der Bilderverehrer unter Konstantin V. Konstantin war sich darüber klar, daß der Ikonoklasmus als offizielle Religion der Ost-Kirche nur durch ein ökumenisches Konzil eingeführt werden konnte. Aber der Papst und die anderen Patriarchen hätten einer solchen Lehre niemals zugestimmt und aus diesem Grund jedes vom Kaiser einberufene Konzil boykottiert. Trotzdem ließ Konstantin im Kaiserpalast von Hiereia ein Konzil zusammentreten, das allerdings nur dem Namen nach als ökumenisch bezeichnet werden konnte; es war gut vorbereitet worden, indem man öffentliche Diskussionen durchgeführt und Anhänger des Ikonoklasmus auf freie oder neugeschaffene Bischofsstühle berufen hatte. Da Patriarch Anastasios vor kurzem gestorben war, präsidierten Theodosios von Ephosos oder der Kaiser Konstantin selbst bei vielen Sitzungen, bis der Bischof von Syllaion zum neuen Patriarchen gewählt wurde. Sieben Monate lang diskutierte die Versammlung der 338 Bischöfe über die Bilderverehrung, die sie aus vier Gründen verurteilte: Warnungen der Bibel vor den Gefahren der Götzendienerei; das ausdrückliche Verbot von Götzenbildern; die Tatsache, daß die Bilder mehr Ehrfurcht vor der Darstellung einflößten, als daß sie zur Nachahmung des gottgefälligen Lebens
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anspornten; das christologische Problem der figürlichen Darstellung überhaupt. Das letzte Argument war weitaus das wichtigste, da allgemein anerkannt war, daß die göttliche Natur Christi nicht im Bild wiedergegeben werden konnte. Die Zusammenfassung der Beschlüsse, der ›Horos‹, wurde im August 754 veröffentlicht. Er ordnete die Zerstörung aller Ikonen an und belegte führende Bilderverehrer mit dem Bann; zu ihnen gehörten der Expatriarch Germanos und Johannes von Damaskus, der mehrere Schriften zur Rechtfertigung der Bilderverehrung verfaßt hatte. So wurde der Horos grundlegend für die ganze zukünftige ikonoklastische Lehre, während die Auffassung vom Kultbild als Symbol und Mittler, wie sie Johannes in seinen Abhandlungen entwickelte, zum Eckpfeiler in der bilderfreundlichen Argumentation wurde.
Abb. 8: Darstellung des Übertünchens von Heiligenbildern im Chludov-Psalter, 9. Jh.
Der Horos gab Konstantin das Mittel zur Zerstörung religiöser Kunstwerke an die Hand; an ihre Stelle traten symbolische und profane Darstellungen von Tieren, Bäumen und Vögeln. Sehr häufig finden sich Abbildungen des Kreuzes und das Bild des Kaisers. Diese Veränderungen riefen natürlich eine heftige Reaktion der Anhänger des Bilderkultes hervor, die Konstantin vergeblich für seinen Glauben zu gewinnen suchte. Die Opposition, die ihren Hauptsitz in den Klöstern hatte, zeigte sich jedoch unnachgiebig, und in den sechziger Jahren des 8. Jahrhunderts griff man bei den Verfolgungen zu Gewaltmaßnahmen. Der erste
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Märtyrer war Stephan, ein Mönch vom Auxentiosberge, der im November 765 von dem rasenden Pöbel der Hauptstadt in Stücke gerissen wurde. Nicht nur Mönche, sondern auch hohe Hofbeamte und Verwaltungsbeamte in den Provinzen mußten für ihren Glauben leiden. Der Vater des Patriarchen Nikephoros (806–815), ein kaiserlicher Sekretär, wurde in dieser Zeit gefoltert und dann nach Pontos verbannt. Diesen Kreuzzug des Kaisers gegen die religiösen Überzeugungen der Bilderverehrer nahm sich Michael Lachanodrakon, der Gouverneur des Thema Thrakesion, zum Vorbild. Er begann eine Schreckensherrschaft, konfiszierte allen kirchlichen Besitz, zwang die Mönche zur Ehe, wenn sie nicht ihr Augenlicht verlieren wollten, und ließ schließlich alles Brennbare in einem Meer von Flammen aufgehen. Doch die Verfolgung war ohne Zweifel in der Hauptstadt am schlimmsten, wo sogar der Patriarch Konstantin zum Rücktritt gezwungen wurde, als der Kaiser seine Begeisterung für den Ikonoklasmus zu kühl fand. Der hartnäckige Widerstand der bilderfreundlichen Partei war jedoch nicht gebrochen. Durch diese Vorgänge sah sich Papst Stephan III. gezwungen, eine Synode einzuberufen, die den Ikonoklasmus verurteilte; aber die Haltung Roms Byzanz gegenüber wurde von politischen wie von religiösen Rücksichten bestimmt. Die Franken hatten die Vorherrschaft der Langobarden über Italien gebrochen und die Päpste mit Land und Sachgütern versorgt. Deshalb war der Papst nicht mehr auf die Hilfe des ketzerischen Kaisers Konstantin angewiesen. Zur Zeit des VII. ökumenischen Konzils (787) war der byzantinische Einfluß in Westeuropa von den Franken und dem Papsttum verdrängt worden. So führte die erste Phase der ikonoklastischen Bewegung unvermeidlich zum Entstehen einer getrennten westlichen Kirche und des Heiligen Römischen Reiches, das die Entstehung des mittelalterlichen Europa entscheidend beeinflußte. II. Die Auswirkungen der Wiedereinführung der Bilderverehrung, 775–802 Konstantin V. hinterließ bei seinem Tod im Jahr 775 sechs Söhne aus zwei Ehen. Der älteste bestieg als Kaiser Leon IV. (775–780) den Thron; aber seine fünf Halbbrüder untergruben seine Autorität und die seines jungen Sohnes, Konstantin VI., der 776 mit Leon zum Mitherrscher gekrönt worden war. Der Senat, die Armee, die Handelskorporationen und Bürger von Konstantinopel anerkannten Konstantin als Erben und leisteten Leons Linie der Syrischen Dynastie einen öffentlichen Treueeid. Die Ansprüche der enterbten Söhne Konstantins V. jedoch blieben weiterhin ein ständiger Widerstandsherd gegen Leons Gattin Irene und ihren Sohn Konstantin VI. Obwohl ihm die Willenskraft seines Vaters fehlte, verfolgte Leon IV. die gleiche ikonoklastische Politik, wenn auch in weniger gewaltsamer Form. Keines der Gesetze gegen die Bilderverehrung wurde abgeschafft, aber die Verfolgung und Folterung der Bilderverehrer hörte auf. Mönche durften in die Hauptstadt zurückkehren, vielleicht mit der Protektion der Kaiserin Irene. Leons Abneigung gegen eine Verfolgung hielt ihn jedoch nicht davon ab, öffentliche
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Bilderverehrung zu bestrafen; fünf Palastbeamte wurden für ihren Bilderkult ausgepeitscht, und Patriarch Paulos mußte zwangsweise den üblichen Eid gegen die Ikonen leisten. Leon berief zum erstenmal Mönche auf Bischofssitze – eine Neuerung, die die Kontrolle der Kirche durch den Kaiser verstärkte. Leons militärische Befähigung war nicht zu unterschätzen; er wehrte mit Erfolg zwei arabische Angriffe auf Kleinasien ab, bei Germanikeia (778) und in der Provinz Armeniakon (780). An der Grenze nach Norden war durch den Vertrag, den man 773 den Bulgaren aufgezwungen hatte, der Friede gewahrt. Die Umsiedlungspolitik der Syrischen Kaiser wurde durch die Ansiedlung arabischer Kriegsgefangener in Thrakien weitergeführt. Bei seinem plötzlichen Tod im September 780 war Leon dreißig Jahre alt und sein Sohn Konstantin VI. erst zehn. Die Oheime des Knabenkaisers versuchten die Situation zu ihren Gunsten auszunützen, aber ihre Pläne wurden von der Kaiserinmutter Irene durchkreuzt, die zur Regentin und Mitkaiserin bestimmt worden war. Mit sicherer Hand unterdrückte sie einen Aufstand zugunsten des ältesten Onkels, Nikephoros, und zwang alle Brüder, Priester zu werden. Weitere Versuche der fünf enterbten Söhne Konstantins V., in den Jahren 792 und 798 die Macht an sich zu reißen, konnten dadurch zwar nicht verhindert werden, aber sie verliefen ähnlich erfolglos. Als sie ihre Stellung gesichert hatte, faßte Irene die Wiedereinführung des Bilderkultes ins Auge. In diesem Vorhaben wurde sie von einer bilderfreundlichen Partei unterstützt, die sich um den Patriarchen Paulos und einige Beamte gebildet hatte. Sie mußten mit dem Widerstand fast aller Provinzgouverneure und der ganzen kirchlichen Hierarchie wie auch der Bevölkerung von Konstantinopel rechnen. Trotz aller Schwierigkeiten und Unsicherheitsfaktoren ihrer Position und ungeachtet ihrer Unerfahrenheit beharrte Irene auf der vollständigen Abkehr von der traditionellen Politik der Syrischen Kaiser; die Verfolgung ihrer Ziele machte sie zur ersten Frau, die allein als Kaiserin über das Byzantinische Reich herrschte.
a) Die Parteien der Bilderverehrer und Bilderstürmer Eine der am meisten diskutierten Fragen im Zeitalter des Ikonoklasmus ist die Herkunft und Zusammensetzung der beiden Parteien. Sie hatten weder eine fest umrissene Anhängerschaft, noch repräsentierten sie bestimmte Gruppen der byzantinischen Gesellschaft. So zeigt beispielsweise die Bevölkerung der Hauptstadt im Jahr 726 eine tiefe Bildergläubigkeit, 813 jedoch trat sie für den Erz-Ikonoklasten Konstantin V. ein. In ähnlicher Weise wechselten kirchliche Würdenträger, Verwaltungsbeamte und Militärgouverneure ihre Ansichten und damit ihren religionspolitischen Standort. Weil Irene aus Athen, dem Zentrum des Aufstandes der Helladikoi im Jahr 727, kam, wurde lange Zeit vermutet, daß ganz Griechenland geschlossen hinter der Bilderverehrung stand. Umgekehrt nahm man an, daß die Ostgebiete des Reiches alle dem Ikonoklasmus anhingen,
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weil die Syrische Dynastie und andere ikonoklastische Kaiser von dort stammten. Diese Unterscheidung von Osten und Westen, die unzweifelhaft in historischen und geographischen Gegensätzen begründet war, wurde auch zur Erklärung für die Einstellung der Provinzsoldaten herangezogen – Truppen aus Asien waren immer Anhänger des Ikonoklasmus, europäische Einheiten immer Bilderverehrer. Aber eine eingehende Untersuchung der Rolle der byzantinischen Armee hat klar gezeigt, daß dies nicht der Fall war: Soldaten aus den östlichen Teilen des Reiches unterstützten gelegentlich auch einen Führer, der für die Bilderverehrung eintrat, wie es im Jahr 742 geschah. Bei diesem Aufstand halfen die Truppen aus Opsikion und Armeniakon dem bilderfreundlichen Artabasdos bei seinem Versuch, die Bilderverehrung wiedereinzuführen, während die Streitkräfte in Anatolikon und Thrakesion auf der Seite Konstantins V. standen. Die Armeen in den Provinzen wechselten während des Bilderstreites immer wieder die Fronten; sie waren keiner bestimmten Politik rückhaltlos verpflichtet, und ihre religiösen Überzeugungen scheinen bei ihren Entscheidungen nicht den Ausschlag gegeben zu haben. Deshalb trifft eine Erklärung, die die Bildung der zwei Lager auf den OstWest-Gegensatz zurückführt, nicht für das gesamte ikonoklastische Zeitalter zu. Es ist durchaus möglich, daß die ikonoklastischen Kaiser aus einem viel einfacheren politischen Motiv heraus Unterstützung fanden. Wo die Bevölkerung sich von einer Invasion gefährdet wußte, folgte sie williger der Politik der Bilderstürmer, denn eine effektive militärische Führung, in Thrakien wie in Kappadokien, war im Zweifelsfalle ikonoklastisch. Aus der Verteidigung des Reiches gegen die Angriffe der Araber und Bulgaren erwuchs jene Politik, die man gemeinhin mit dem Ikonoklasmus assoziiert. Und da im 8. Jahrhundert gerade die Gebiete in Asien besonders bedroht waren, übte möglicherweise die natürliche Antipathie der Truppen aus Anatolikon und Armeniakon gegenüber Ikonen einen bestimmenden Einfluß aus. Die Gebiete, in denen jüdische und islamische Lehren und bestimmte Häresien verbreitet waren, standen der Bilderverehrung im allgemeinen distanzierter gegenüber. Die Soldaten aus der Provinz Anatolikon traten nachweislich fast immer entschieden für den Ikonoklasmus ein. Im Gegensatz dazu spielten die byzantinischen Provinzen der Balkanhalbinsel, die von den Einfällen der Slawen überrannt worden waren, bei der Verteidigung des Reiches eine relativ unbedeutende Rolle. Die Bewohner von Griechenland befanden sich nicht unmittelbar in Gefahr und mögen daher gegen den Befehl zur Abschaffung ihrer Ikonen heftig aufbegehrt haben. Aber es läßt sich nicht nachweisen, daß sie dieser Art der Verehrung stets mehr verpflichtet waren als andere Teile des Reiches. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Bildung der bilderfreundlichen und der bilderfeindlichen Partei ebenso durch äußeren Druck wie durch erklärte religiöse Überzeugungen bedingt ist. b) Das VII. Ökumenische Konzil, 787
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Irenes Entschluß zur Wiedereinführung der Bilderverehrung bedeutete, daß ihre Regierung von einer Politik der Wiederversöhnung mit dem Westen bestimmt war. Die Byzantiner mußten anerkennen, daß ihr Einfluß in Mittelitalien um das Jahr 780 durch die fränkische Macht verdrängt war und daß Papst Hadrian I. für seinen Schutz vollständig von Karl dem Großen abhängig war. Trotzdem wollte Irene sowohl in Aachen wie in Rom soviel wie möglich an Einfluß zurückgewinnen. Eine Gesandtschaft an den fränkischen Hof unterbreitete den Vorschlag zu einer Heiratsallianz; daraufhin wurde die Verlobung des jungen Konstantin VI. mit Rothrude, der Tochter Karls des Großen, gefeiert. Der nächste Schritt war – wie bei jedem Plan zur Änderung der herrschenden Lehre – die Wahl eines bilderfreundlichen Patriarchen. Paulos wurde zum Rücktritt gezwungen; an seine Stelle setzte Irene Tarasios, der zuvor kaiserlicher Sekretär gewesen war. Im Jahr 784 ließ sie seine Ernennung durch die Bevölkerung der Hauptstadt bestätigen. Der Papst jedoch äußerte sehr schwere Bedenken gegenüber Tarasios’ Wahl, denn die Erhebung eines Laien zum Patriarchen verstieß gegen kirchliche Vorschriften. Die Aussicht auf die Wiedereinführung der Bilderverehrung jedoch wurde von Rom und den anderen Patriarchen begrüßt. Im Jahr 786 erging die Aufforderung zu einem ökumenischen Konzil, das in der Kirche der Heiligen Apostel in Konstantinopel zusammentreten sollte. Offenbar waren Vorbereitungen getroffen, um zu sichern, daß nicht mehr der gesamte Episkopat ikonoklastisch gesinnt war; aber in der Hauptstadt stand eine starke Einheit bilderfeindlicher Soldaten, die während der Eröffnungszeremonie in die Kirche eindrangen und das Konzil auflösten. Für diese Aktion waren insbesondere die Berufssoldaten der Garnisonstruppen, die Tagmata, verantwortlich. Man entsandte deshalb diese Einheiten unter dem Vorwand arabischer Vorstöße nach Asien und ersetzte sie durch zuverlässige Truppen aus Thrakien. Unter ihrem Schutz versammelte sich das Konzil im September 787 abermals, jedoch nicht in der Hauptstadt, sondern in Nikaia. Die 350 Bischöfe, Mönche und Vertreter des Papstes und der Patriarchen wurden sich über die Wiedereinführung der Bilderverehrung und die Verurteilung des Ikonoklasmus schnell einig; jedoch über die Frage reuiger Bilderstürmer, die wieder in die Kirche eintreten wollten, entbrannte ein heftiger Streit. Zwei verschiedene Positionen zeichneten sich ab: die Anhänger von Mäßigung und Kompromiß und die streng antihäretische Mönchspartei. Obwohl sie den Ausschluß der früheren Ikonoklasten nicht durchsetzen konnte, sollte die von Platon von Sakkudion und seinem Neffen Theodoros von Studios geführte Mönchspartei später durch ihre strenge Auslegung des kanonischen Rechts erhebliche Spaltungen in der Kirche hervorrufen. Irenes Religionspolitik war zwar erfolgreich, aber im Westen verfehlte sie die erwünschte Wirkung. Die zwei Hälften der Kirche standen einander noch immer mißtrauisch gegenüber. Im Jahr 794 verurteilte eine Synode der westlichen
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Kirche auf das Betreiben Karls des Großen das VII. Ökumenische Konzil. Die ohnehin gespannte Lage wurde kaum dadurch verbessert, daß Irene die Verlobung zwischen Rothrude und ihrem Sohn, der 788 gezwungenermaßen eine armenische Prinzessin heiratete, löste. Alle diese Gegensätze fanden ihren politischen Niederschlag in der Kaiserkrönung Karls des Großen am Weihnachtstag 800. Das Konzil von 787 hatte offiziell die Bilderverehrung wiedereingeführt, aber tatsächlich war die ikonoklastische Partei damit nicht sofort beseitigt. Natürlich wählte Irene Minister, die ihre Ansichten teilten, vor allem die beiden Eunuchen Aetios und Staurakios. Sie wurden mit einflußreichen Verwaltungs- und Militärposten betraut und verhinderten jegliche Beteiligung Konstantins VI. an der Regierung. Dadurch verschlechterten sich von 788 an zunehmend die Beziehungen zwischen den beiden Regenten. Daß eine Oppositionspartei gegen Irene sich um Konstantin bildete und viele überlebende Ikonoklasten sich ihr anschlossen, war unvermeidlich. Als Irene die Armee zu zwingen versuchte, sie als Alleinherrscherin anzuerkennen und Konstantin zu enterben, proklamierten die Truppen aus Armeniakon und andere ikonoklastische Einheiten Konstantin zum Alleinherrscher. Er zwang seine Mutter, sich in ihren Palast nach Eleutherion zurückzuziehen; Michael Lachanodrakon, der berüchtigte Gouverneur von Thrakien unter Konstantin V., wurde sein maßgeblicher Berater. c) Konstantin VI., 790–797 Konstantin konnte sich nur zwei Jahre allein als Kaiser behaupten, dann ließ er sich bestimmen, seiner Mutter wieder ihre Stellung als Mitregentin einzuräumen. Die Anhänger des Ikonoklasmus waren darüber bestürzt und wandten ihre Aufmerksamkeit von neuem seinem Onkel Nikephoros zu, dem ältesten der fünf Söhne Konstantins V. Aber der Kaiser schlug den Aufstand nieder und schickte alle seine Oheime nach Athen ins Exil. Ebenso bestrafte er Alexios Musulem, den Befehlshaber der Truppen von Armeniakon, der ihn 790 unterstützt hatte; durch dieses ungerechte Vorgehen jedoch verlor er seinen stärksten Verbündeten. Dann löste er einen Skandal mit der Erklärung aus, er werde sich von seiner Frau scheiden lassen und eine der Palastdienerinnen, Theodote, heiraten. Dies führte zu einer neuerlichen Spaltung unter der Geistlichkeit. Als Konstantin drohte, den Ikonoklasmus wiedereinzuführen, ließ sich Patriarch Tarasios überreden, die Hochzeit zu erlauben; sie wurde dann mit großem Glanz und Pomp gefeiert. Aber die »Ehebruch«-Affäre kostete den Kaiser die Unterstützung des mönchischen Teils der Kirche. Im Jahr 797 hatte Konstantin alle seine früheren Verbündeten verloren – die Ikonoklasten, die Armee und die Kirche. Er sah sich gänzlich außerstande, den Intrigen Irenes entgegenzuarbeiten, die fest entschlossen war, seine Stellung als Kaiser zu untergraben. Nach dem offensichtlichen Fehlschlag eines Feldzuges gegen die Araber schwand auch sein Ansehen in der Öffentlichkeit. Am 15.
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August 797 wurde er auf Befehl seiner Mutter geblendet und mit Theodote in einen abgelegenen Palast verbannt. Irene war Alleinherrscherin des Reiches. d) Die Herrschaft Irenes, 797–802 Wenn in den ersten zehn Jahren von Irenes Regierungszeit als Regentin und Mitkaiserin ihr besonderes Interesse an religiösen Fragen hervorgetreten war, so wurden die fünf Jahre ihrer persönlichen Herrschaft in weit höherem Maß zum Prüfstein ihrer Fähigkeiten. In einer Zeit, in der man gewöhnlich von den Kaisern erwartete, daß sie an der Spitze ihrer Truppen in die Schlacht zogen, war es für eine Frau schwer, sich als Kaiserin zu behaupten. Aber es gelang ihr bemerkenswert gut. Die Generäle Staurakios und Aetios beherrschten abwechselnd die Zentral Verwaltung; diese Rivalität hätte im Jahr 800 zu einer bewaffneten Auseinandersetzung geführt, wenn nicht Staurakios rechtzeitig gestorben wäre. Doch nicht einmal dadurch konnte die Unsicherheit beseitigt werden, die durch die ungeklärte Nachfolge entstanden war. Papst Leo III. krönte Karl den Großen unter dem willkommenen Vorwand, daß das Reich von einer Frau regiert werde; aber der wirkliche Grund für die Kaiserkrönung war offensichtlich Leos Bestreben, die Macht des fränkischen Königs zu stärken. Obwohl Irenes bilderfreundliche Politik weithin begrüßt wurde, mußte sie vor allem in der vorwiegend bilderfeindlichen Hauptstadt Unterstützung dadurch erkaufen, daß sie Steuererlaß gewährte. Die städtischen Steuern (phoroi politikoi), die die Einwohner von Konstantinopel zahlen mußten, einige Einfuhr- und Ausfuhrzölle, die an den byzantinischen Grenzen erhoben wurden, und bestimmte Klostersteuern wurden aufgehoben. Zur gleichen Zeit stiegen jedoch die Ausgaben. Irene ließ den Eleutherion-Palast erbauen, gab ein ChristusMosaik für das Chalke-Tor in Auftrag, um das von Leon zerstörte zu ersetzen; sie versah Klosterneugründungen und Kirneubauten mit Bilderschmuck. Unter ihrer Regierung gewannen die Mönche des Studio-Klosters zum erstenmal eine einflußreiche Stellung in der Hauptstadt und am Hof. Verbunden mit einer bedenklichen Wirtschaftslage führte dies unter den Hof beamten und in der Verwaltung zu wachsendem Widerstand, der in dem Staatsstreich vom Oktober 802 gipfelte und die Kaiserin der Macht entkleidete, die sie sich selbst angemaßt hatte. Die Revolution, durch die Nikephoros I. auf den Thron kam, wurde durch die innenpolitische Krise ausgelöst. Aber auch außenpolitisch war das Reich in einer bedrohten Lage. Seit 780 wurde die Schlagkraft der Truppen Konstantins und Leons IV. Schritt für Schritt durch die Streitkräfte der Araber, die unter der hervorragenden Führung von Harun al-Raschid standen, geschwächt. Im Jahr 782 zwang er die Byzantiner, ihre militärische Niederlage anzuerkennen, was eine dreijährige Tributzahlung an den Kalifen zur Folge hatte. Spätere Feldzüge waren ebensowenig erfolgreich, und nach dem letzten im Jahr 798 wurde dem Reich von neuem ein Tribut auferlegt. In den europäischen Gebieten jedoch führte Staurakios 783 einen bedeutenden Feldzug durch, in dem er die Slawen
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unterwarf und nach Süden bis zur Peloponnes vorstoßen konnte. Irene feierte seinen Sieg in einem zeremoniellen Triumph im Hippodrom und begab sich nach Berroia, um die Ergebnisse der Befriedungsaktion selbst zu besichtigen. In Makedonien und der Peloponnes wurde in den Jahren zwischen diesem Sieg und 800 wieder eine Provinzverwaltung eingerichtet. Wahrscheinlich ist die Kirche der Heiligen Weisheit in Thessalonike – eines der wenigen erhaltenen ikonophilen Monumente – um diese Zeit erbaut. Obwohl Konstantin VI. ähnlichen Mut, wenn auch nicht das gleiche militärische Geschick wie sein Großvater bewies und von seinen Truppen geachtet war, mußte er im Jahr 792 eine schmähliche Niederlage gegen die Bulgaren einstecken. Konstantin wie auch später Irene sahen sich gezwungen, die Überlegenheit der bulgarischen und arabischen Streitkräfte einzugestehen und den Frieden um einen hohen Preis zu erkaufen. III. Die Auswirkungen der bulgarischen Vormachtstellung auf dem Balkan, 802–813 Der mitternächtliche Staatsstreich am 1. November 802, durch den Nikephoros an die Macht kam, stieß auf wenig Widerstand. Obwohl Nikephoros schon alt und kein General war, galt er doch als ein Kaiser, der in eigener Person die Armee führen konnte. Seine religiösen Ansichten waren orthodox genug, daß Tarasios ihn in der »Großen Kirche« krönen konnte. Seine Erfahrung in Finanzfragen, die er sich als Chef der kaiserlichen Verwaltung (genikos logothetes) erworben hatte, war sehr wertvoll für ein Reich, das durch drückende Tributzahlungen, nicht erhobene Steuern und übermäßige Ausgaben für kaiserliche Prachtbauten und Hofhaltung vor dem finanziellen Ruin stand. Nikephoros I. wird in den aus seiner Regierungszeit erhaltenen Zeugnissen, die alle von bilderfreundlicher Seite stammen, verleumdet, weil er sich weigerte, religiösen Problemen bestimmenden Einfluß auf die Politik einzuräumen. Er versuchte auf Kosten bestimmter orthodoxer Elemente, besonders der Klöster, eine durchgreifende Wirtschaftsreform durchzuführen. Sobald Irene auf den Prinzeninseln in Verbannung war, war es Nikephoros’ vordringlichstes Interesse, seiner Familie die Stellung als herrschende Dynastie zu sichern. Im Juli 803 entfachte Bardanes Turkos, der Befehlshaber des Thema Anatolikon, einen Aufstand, hinter dem alle Truppen des Ostens mit Ausnahme von Armeniakon standen. Die Revolte wurde niedergeschlagen, Bardanes geblendet, und im Dezember wurde Staurakios, Nikephoros’ einziger Sohn, zum Mitkaiser gekrönt. Ohne Zweifel wäre er wie vorgesehen Kaiser geworden, doch starb er im Jahr 811 vorzeitig.
a) Nikephoros’ Heeresreformen
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Durch seine Weigerung, den demütigenden Vertrag anzuerkennen, der im Jahr 798 zwischen Irene und Harun al-Raschid geschlossen worden war, rief Nikephoros die Truppen des Kalifen wieder auf byzantinischen Boden. Zur selben Zeit traf der Bulgaren-Khan Krum offensichtlich Vorbereitungen zum Angriff auf die Nordgrenze des Reiches. Nikephoros war mit der Möglichkeit eines gleichzeitigen Angriffs an zwei getrennten Fronten konfrontiert; ausreichende Verteidigungsvorbereitungen mußten getroffen werden. Unter diesem Aspekt einer Bedrohung von zwei Seiten müssen Nikephoros’ Militärreformen gesehen werden. Die entscheidenden Verteidigungsstreitkräfte bestanden in den Einheiten der Provinzarmeen, die Provinzbefehlshabern (strategoi) unterstanden und an Ort und Stelle eingezogen und ausgebildet wurden. Diese Soldaten waren in den meisten Fällen ihren Generälen ergebener als dem Kaiser; das hatte sich 803 gezeigt, als Turkos die Unterstützung fast aller asiatischen Truppen fand. Aus Landzuteilungen im Wert von vier Goldpfund (288 Nomismata) hatten sie ihre Ausrüstung selbst zu stellen und für den Unterhalt ihrer Familien aufzukommen; aber zwischen den Kampftruppen der einzelnen Regionen bestand ein beträchtlicher Unterschied. Gegen die Provinzeinheiten von Turkos konnte Nikephoros die Garnisonstruppen von Konstantinopel (tagmata) einsetzen, eine zuverlässige Einheit aus Berufssoldaten. Ursprünglich gab es drei Tagmata: die Scholien, die Exkubiten und die Vigla oder Arithmoi, ein viertes, die Hikanaten, wurde von Nikephoros neu gebildet. Zusammen mit der besonderen kaiserlichen Leibgarde stellten sie die Kerntruppen jeder byzantinischen Armee. Um seine Streitkräfte zu vergrößern, griff Nikephoros zu dem üblichen Mittel der Aushebung; neu war nur die Zwangsrekrutierung der Männer, die zu arm waren, ihrer Steuerpflicht nachzukommen. Ihre Steuern mußten die jeweiligen Nachbarn zahlen, die außerdem für jeden minderbemittelten Soldaten die Summe von 181/2 Nomismata aufzubringen hatten. Damit war der Grundsatz der Kollektivhaftung für das Steueraufkommen, auf dem alle Dorfgemeinschaften im Byzantinischen Reich beruhten, nachdrücklich bestätigt. Offensichtlich hoffte Nikephoros auf diese Weise die Zahl der Soldaten anzuheben, ohne ihnen das übliche Soldatengut zuteilen zu müssen. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die 181/2 Nomismata für den Unterhalt eines Soldaten und seiner Familie ausreichten, obwohl es für die Nachbarn eine beträchtliche Summe war. Die Auswirkungen dieser Politik lassen sich nicht mit Sicherheit feststellen, aber wenn die armseligen Soldaten, die im Feldzug von 811 mitkämpften, mit der neuen Kampftruppe gleichgesetzt werden können, kann man von keinem großen Erfolg sprechen. Das Entstehen neuer Provinzverwaltungen, die die byzantinische Herrschaft auf der Balkanhalbinsel konsolidieren sollten, geht möglicherweise auf Nikephoros zurück. In Westgriechenland bildeten die Ionischen Inseln das Thema von Kephalenia, eine wesentlich maritime Einheit. Es trat zum erstenmal
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im Jahr 809 in Aktion gegen Pippin, den Sohn Karls des Großen. Die kaiserliche Kontrolle über Südgriechenland war durch die erfolgreiche Unterdrückung eines slawischen Aufstandes im Jahr 805 erheblich gestärkt worden. Die Stadt Patras, die gegen vereinigte slawische und arabische Streitkräfte standgehalten hatte, wurde zum Erzbischofssitz erhoben und ihre Kirchen wurden wiederaufgebaut. In ähnlicher Weise wurden die Themengebiete von Thessalonike und Dyrrhachion zunehmend unter byzantinische Kontrolle gebracht, obwohl die formelle Verwaltungsstruktur wohl erst später im 9. Jahrhundert errichtet wurde. b) Außenpolitik Im Jahr 806 stieß Harun al-Raschid bis nach Tyana vor, nahm mehrere Grenzfestungen und entsandte ein starkes Heer, um Ankara zu erobern. Nikephoros sah sich gezwungen, um Frieden zu bitten. Die Bedingungen waren – wenn irgend möglich – noch erniedrigender als die, die Irene unterzeichnet hatte; aber dem Kaiser blieb keine andere Wahl, als jährlich 30000 Nomismata zu zahlen und ein persönliches Lösegeld für sich selbst und Staurakios zu stellen. Etwas erfolgreicher verliefen seine Verhandlungen mit Karl dem Großen. Nikephoros war fest entschlossen, den fränkischen Anspruch auf den Kaisertitel nicht anzuerkennen und gleichzeitig die von Pippin bedrohte byzantinische Einflußsphäre in den Küstengewässern der nördlichen Adria (Venedig, Istrien, Liburnien und Dalmatien) zu erhalten. Dieses Tor nach Westeuropa war für Byzanz seit dem Fall von Ravenna im Jahr 751 von erhöhter Bedeutung. Deshalb mußten die Gesandten Karls des Großen unverrichteterdinge nach Aachen zurückkehren, und die Präsenz einer byzantinischen Flotte im Adriatischen Meer erzwang einen Waffenstillstand. Aber dieses Abkommen dauerte nur bis 809, als Pippin Venedig und die dalmatinische Küste eroberte. Durch den Tod Pippins (Juli 810) und den des Nikephoros ein Jahr später zogen sich die Verhandlungen zwischen Byzanz und dem Frankenreich hin, bis schließlich Michael I. mit den westlichen Mächten Frieden schloß. Indem er den Anspruch Karls des Großen anerkannte, schlug Michael eine Politik ein, die der des Nikephoros völlig entgegengesetzt war.
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Abb. 9: Die Feldzüge der Jahre 790–814 und die Themen unter Theophilos
Nachdem Kalif Harun al-Raschid im Jahr 809 gestorben war, verhinderten innenpolitische Wirren weitere militärische Vorstöße der Araber gegen das Reich; diese Situation war Nikephoros sicher höchst willkommen, denn 807 waren die Bulgaren zum Angriff übergegangen. In diesem Jahr machten sie einen waghalsigen Einfall in das Strymon-Gebiet und erbeuteten den ganzen Sold für die Soldaten dieser Region. Zwei Jahre später trafen sie Vorbereitungen zum Durchbruch durch die Nordgrenze, indem sie eine der Schlüsselstellungen, die Festung Serdica, belagerten. Nikephoros marschierte sofort auf die bulgarische Hauptstadt Pliska, wo er als Vergeltungsmaßnahme den Palast von Khan Krum niederbrennen ließ. Aber er erkannte die außergewöhnliche Gefahr der bulgarischen Bedrohung und entschloß sich deshalb, byzantinische Verstärkungen in die ungeschützten Grenzgebiete zu verlegen. In der Zeit zwischen dem September 809 und Ostern 810 wurde Sklaviniai nach üblicher byzantinischer Methode durch Bewohner der fünf östlichen Themen kolonisiert. Die Siedler erhielten Landzuweisungen, für die sie in der gleichen Weise wie die Provinzsoldaten Militärdienst leisten mußten. Dadurch war die lokale Verteidigung wie auch die Landbebauung garantiert. Aber in diesem Fall versagte das System, denn die unfreiwilligen Siedler flohen beim ersten bulgarischen Angriff. Trotzdem sollte der für 811 geplante Feldzug die Bulgaren ein für allemal niederwerfen. Beim Anrücken von Nikephoros’ eindrucksvoller
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Streitmacht bat Krum um Frieden, aber der Kaiser erzwang den Weg nach Pliska, das zum zweitenmal geplündert wurde. Statt sich danach mit der Kriegsbeute und allen Schätzen des Khans zurückzuziehen, ließen sich die Byzantiner in den Bergen in einen Hinterhalt locken. In dem folgenden Massaker wurden nicht nur der Kaiser, sondern auch viele Adlige getötet. Nur Staurakios gelang im letzten Moment mit wenigen Würdenträgern und den Überresten der großen Armee die Flucht. Diese Niederlage beeinflußte die byzantinisch-bulgarischen Beziehungen während des ganzen 9. Jahrhunderts; sie machte aber Nikephoros’ Leistungen in der Reorganisation von Heer, Marine und Finanzverwaltung nicht zunichte. Diese grundlegenden Reformen waren die Ausgangsbasis für spätere Siege. c) Finanzverwaltung Der interessanteste Aspekt von Nikephoros’ Regierung liegt in seiner Fähigkeit, die Reformen zu finanzieren. Alle seine Fähigkeiten und Erfahrungen als Leiter der kaiserlichen Verwaltung setzte er für die Generalüberholung des byzantinischen Finanzsystems ein. Er ergriff Sparmaßnahmen und zog einen Schlußstrich unter Irenes freizügiges Finanzgebaren. Die Steuern, die in dem Grenzumschlagsplatz Abydos auf die Einfuhr von Sklaven erhoben wurden, und die phoroi politikoi, die die Einwohner der Hauptstadt zu zahlen hatten, wurden wiedereingeführt. Alle von Irene erlassenen Steuerfreiheiten oder Steuerermäßigungen wurden aufgehoben. Dann begann Nikephoros mit seiner weitgesteckten und tiefgreifenden Revision der Finanzverwaltung des Reichs. Die Steuerpflicht richtete sich nach dem Landbesitz und Eigentum jedes freien Mannes, und die Höhe des zu zahlenden Steuerbetrages war in Katastern (Registern) in der Zentralverwaltung wie in den Provinzen eingetragen. Auf diesen Verzeichnissen beruhte das ganze System, und ihre Zuverlässigkeit war von großer Bedeutung. Unter Nikephoros wurden alle Kataster genau überprüft, so daß die Berechnung und Einziehung der Steuern effektiver wurde. Zur Deckung der bei diesem Unternehmen entstandenen Unkosten wurde eine Sondersteuer erhoben. Außerdem wurden alle Steuern um den gleichen Prozentsatz angehoben. Zur gleichen Zeit kamen alle Steuerprivilegien der Klöster in Wegfall. Der Protest der Klöster und ihrer Anhänger war gewaltig, denn schon seit vielen Jahren hatten es diese Institutionen verstanden, den größten Teil ihrer Steuern nicht zu zahlen. Auf Nikephoros’ Anordnung mußten sie die Kapnikon-(Herd-) Steuer für ihre gesamten Besitzungen zahlen, und die fälligen Beträge wurden bis in sein erstes Regierungsjahr zurückdatiert. Ferner wurde der Landbesitz der Klöster, der während des 6. und 7. Jahrhunderts durch zahlreiche Schenkungen und Erbschaften angewachsen war, durch staatliche Enteignung eingeschränkt. Kaiserliche Verwaltungsbeamte unterstellten die besten Ländereien der reichen Klöster den kaiserlichen Landgütern (basilike kouratoria); die Klöster blieben jedoch weiterhin für die Steuern zahlungspflichtig, die auf diesen Ländereien
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lasteten. Im Mai 811 erhielt der Genikos Logothetes den Auftrag, von klösterlichen und kirchlichen Institutionen alle Staatssteuern einzuziehen, ebenfalls rückwirkend bis zum Jahr 802. Auf diese Weise muß Nikephoros in den Besitz großer Geldmittel gekommen sein, denn die Kirche hatte seit 780 erheblich von der Patronage profitiert, die ihr zuteil wurde. Die Kleriker waren nicht die einzigen, die sich über Nikephoros’ Reformen bitter beklagten. Die Gouverneure der einzelnen Provinzen wurden angewiesen, die Namen aller erst vor kurzem zu Reichtum gekommenen Personen zu ermitteln; diese wurden dann mit einer Steuer für zu großen Reichtum belegt. In ähnlicher Weise wurde ein Kerzenhersteller, der auf dem Markt von Konstantinopel ein Vermögen von 100 Goldpfund gemacht hatte, vom Kaiser persönlich enteignet; nur 100 Nomismata ließ ihm Nikephoros. Erbschaften waren im Byzantinischen Reich schon immer besteuert worden, aber jetzt wurden Steuern für zusätzliche Formen der Schenkung und des Legates erhoben. Für die seefahrende Bevölkerung der Küstengebiete Kleinasiens erneuerte Nikephoros einen alten Brauch, die römische Liturgie (leitourgia), die landwirtschaftliche Nutzung geeigneten Landes sichern sollte. Durch dieses Instrument zwang man wohlhabende Bürger, vom Staat zu einem Festpreis Land zu kaufen, das von ärmeren Bauern verlassen oder aufgegeben worden war. Das Prinzip, daß die wohlhabenderen Bevölkerungsschichten für die sozial schlechter gestellten Klassen hafteten, war ein Grundzug des Finanzsystems der Byzantiner. Auch von den reichen Kaufherren und Schiffsreedern in Konstantinopel trieb Nikephoros Geld ein, indem er sie zwang, eine Anleihe von jeweils 12 Goldpfund aufzunehmen. Auf den ersten Blick mutet diese Maßnahme für eine finanziell ruinierte Regierung etwas seltsam an, aber der Staat wurde für die Zahlung der 12 Pfund (864 Nomismata) dreifach entschädigt. Einmal garantierten die hohen Zinssätze von 16,6 Prozent eine ständige Einnahme; zum andern machte sich der Staat selbst zur einzigen legalen Kreditanstalt, da sonst der Geldverleih gegen Zinsen verboten war; und schließlich konnten die Kaufleute der Hauptstadt mit so großen Anleihen ihre Handelsbeziehungen ausbauen. Diese Bestimmungen werfen nicht nur auf Nikephoros’ Verwaltungstätigkeit, sondern auch auf das Alltagsleben im Byzantinischen Reich ein bezeichnendes Licht. Aufzeichnungen darüber gibt es nur in einer bilderfreundlichen Chronik, die in diesen Maßnahmen eine – wenn auch bei weitem nicht alle – der schlimmen Taten des Nikephoros sieht. Die Quelle ist zwar einseitig und offensichtlich voreingenommen. Sie bleibt jedoch aufschlußreich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Chronist den Kaiser, der Irene zur Abdankung gezwungen hatte, ebenso bekämpft wie den Eingriff in private Vermögen und das Eindringen kaiserlicher Beamter in private Institutionen, die Merkmale von Nikephoros’ angestrebter Finanzreform waren. Diese Maßnahmen, die darauf abzielten, den Staatsapparat auf Kosten des Individuums und der privaten Verbände zu stärken, bedeuten eine »Nationalisierung« des
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Wirtschaftspotentials, um die Erneuerung von Heer und Zivilverwaltung zu finanzieren. Die »Übeltaten« des Nikephoros beleuchten das Byzantinische Reich des beginnenden 9. Jahrhunderts unter vier interessanten Aspekten. Einmal wurden Dorfgemeinschaften freier Bauern auf der Basis einer Kollektivhaftung für die Steuerschuld geschaffen. Das Dorf war eine fiskalische Einheit. Die Gesamtsteuersumme, die jedes Dorf schuldete, bestand aus den Land- und Kopfsteuern; sie wurden zusammen eingezogen, um zu sichern, daß Land niemals ohne Arbeitskräfte für die Bebauung blieb und umgekehrt. Jeder Einwohner war nicht nur für seinen eigenen Anteil an dem Gesamtbetrag verantwortlich, sondern auch für den seines Nachbarn. Auf diese Weise wurden die Ärmeren von den Reicheren unterstützt, und wenn jemals Land aufgegeben wurde, vergab es die Gemeinschaft an jemanden, der die Bebauung und die Steuerpflicht übernahm. Ohne diesen traditionellen Aufbau der Dorfgemeinschaften wäre Nikephoros’ System einer Rekrutierung von Armen für die Armee gescheitert. Zum zweiten wird an Rekrutierung und Ansiedlung von Soldaten in verschiedenen Teilen des Reiches deutlich, wie in Byzanz die Frage der Provinzheere gelöst war. Normalerweise wurde ein neuer Rekrut in das Militärverzeichnis eingetragen und erhielt ein Soldatengut im Wert von 4 Goldpfund; man erwartete, daß er für seine gesamte Ausrüstung selbst aufkam. Nikephoros’ zwangsweise Einberufung der Armen war ein Versuch, billig Soldaten zu rekrutieren, denn 18 1/2 Nomismata konnten wohl für den Unterhalt der Familie ausreichen, jedoch sicherlich nicht die Kosten der Ausrüstung decken. Das Verfahren, Untertanen aus den östlichen Reichsteilen in den von Bulgareneinfällen gefährdeten Gebieten anzusiedeln, zeigt jedoch deutlich, daß zwei entscheidende Aspekte des Lebens auf dem flachen Land – die Organisation der Dörfer und die Ansiedlung von Soldaten – dauerhaft etabliert waren. Diese zwei Institutionen haben sich über eine lange Zeitdauer hinweg entwickelt und existierten wahrscheinlich schon mehrere Jahrhunderte vor Nikephoros’ Regierungszeit. Die einzelnen Provinzverwaltungen mußten für jedes Dorf einen Kataster anlegen und ein Militärverzeichnis aller Soldaten und ihrer Landgüter. Um 810 hatten sich diese zwei Formen der Landorganisation so gefestigt, daß sie ohne Schwierigkeiten auch auf neugegründete Themen übertragen werden konnten. Ein dritter Aspekt byzantinischen Lebens ist die Ausdehnung von Kirchenbesitz und Kirchenland. Trotz der Verfolgung brachten die Jahre zwischen 730 und 775 für alle Bereiche der Kirche einen wirtschaftlichen Aufschwung, nicht zuletzt dank der Förderung durch Irene. Der Reichtum der Klöster stammte zum großen Teil aus den Schenkungen reicher Familien. Theoktiste, die Mutter Theodoros’ von Studios, eine tiefreligiöse Frau, überredete ihren Gatten, ihre Brüder und ihre Kinder, sich vom weltlichen Leben abzukehren. Ihr Besitz wurde verkauft und unter die Dienerschaft und die
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Armen verteilt; die einzelnen Familienmitglieder trennten sich und brachten jeweils in ihre Klöster das verbliebene Gold und Silber ein. Diese Demonstration von Frömmigkeit soll andere reiche Familien in Konstantinopel tief beeindruckt haben. Viele Gläubige stifteten ein Kloster, in das sie sich später zurückzogen. So konnte Nikephoros von allen kirchlichen Institutionen einschließlich der humanitären Anstalten wie Fremdenherbergen, Altersheime und Waisenhäuser rückwirkend bis 802 hohe Zahlungen erheben. Schließlich ist die Liste von Nikephoros’ »Übeltaten« aufschlußreich für die Situation der handeltreibenden Klassen in der Hauptstadt und bereichert unser sehr fragmentarisches Wissen über diese Gesellschaftsschicht. Anscheinend waren Kaufleute wie Kapitäne von Handelsschiffen, die manchmal auch Bootswerften besaßen, reich genug, um für die Anleihen der 12 Goldpfund einen Zinssatz zu zahlen, der viermal so hoch wie der normale war. Ähnlich ist die Situation bei der Bevölkerung der Küstengebiete, die ebenfalls gezwungen wurde, nicht mehr bebautes Land zu kaufen. Auch sie muß in irgendeiner Form am Seehandel beteiligt gewesen sein, der im Byzantinischen Reich schon immer eine Quelle des Reichtums gewesen war. Offensichtlich lebten Teile der hauptstädtischen Bevölkerung in beträchtlichem Luxus, sonst hätte Nikephoros nicht die phoroi politikoi und die Sklaveneinfuhrsteuer wieder erheben können. Obwohl Konstantinopel zu dieser Zeit das bedeutendste Wirtschaftszentrum Europas war, scheinen die byzantinischen Kaufleute im Ausland nicht sehr aktiv gewesen zu sein. Hauptsächlich fungierten sie als Mittelsmänner im Güteraustausch von Norden und Osten nach dem Westen und umgekehrt. Über die Handelswege in Rußland und Skandinavien kamen Bernstein, Pelze, Sklaven und Getreide nach Cherson, wo die Byzantiner die Waren in Empfang nahmen. Ebenso trafen auf dem Weg über Persien oder das Chasaren-Reich Seide, Gewürze und Parfüms aus Indien und dem Fernen Osten im Schwarzmeerhafen Trapezunt ein. Die byzantinische Schwarzmeerschiffahrt dehnte sich aus, als das Piratenunwesen der Araber im östlichen Mittelmeer den Handelsverkehr sogar in der Ägäis gefährdete. Konstantinopel war ein Anziehungspunkt für Kaufleute aus aller Herren Ländern, und die Byzantiner machten üblicherweise keine Schwierigkeiten, solange ihnen Reisen zum Ankaufen von Exportgütern dienten. Der Binnenhandel hingegen lag in den Händen der Byzantiner – einschließlich des Vasallenstaates Venedig als westlicher Außenposten des Reiches. Über Venedig fanden Seidenstoffe aus Byzanz und andere Luxusgüter den Weg nach Westeuropa. d) Nikephoros und die Kirche Obwohl die Chronisten die Verruchtheit des Kaisers anprangern, gibt es keine Anzeichen dafür, daß Nikephoros von der ikonoklastischen Auseinandersetzung selbst berührt war. Ihn interessierte nur die soziale Stellung der Kirche. Sein Bestehen auf kaiserlicher Kontrolle über die Hierarchie der kirchlichen Orden
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brachte ihn mit führenden Anhängern der bilderfreundlichen Partei in Konflikt. Dies wurde deutlich, als Patriarch Tarasios im Jahr 806 starb. Der Kandidat des Kaisers hieß ebenfalls Nikephoros und war ein sehr frommer Laie, der seine Stellung in der kaiserlichen Verwaltung aufgegeben hatte, um ein Leben der Kontemplation zu führen. Sein Vater war unter Konstantin V. wegen seiner bilderfreundlichen Überzeugungen, denen sein Sohn Nikephoros ebenfalls anhing, gefoltert worden. Seine Ernennung rief bei den Studitenmönchen große Erbitterung hervor. Doch Nikephoros wurde Patriarch, und als die Mönche sich weigerten, mit ihm Beziehungen aufzunehmen, verbannte sie der Kaiser. Die schnelle Einsetzung des Patriarchen Nikephoros bestimmte bis zu einem gewissen Grad die Beziehungen zwischen Kirche und Staat. Der Kaiser wollte durch den Patriarchen die Kirche genau in derselben Art regieren wie das Reich. So durfte Patriarch Nikephoros wegen politischer Unstimmigkeiten mit Karl dem Großen dem Papst seine Ernennung nicht vor 811 mitteilen. Weil der Kaiser darauf bestand, wurde der Priester, der die »moicheanische« Ehe zwischen Konstantin VI. und Theodote geschlossen hatte, wieder in die Kirchengemeinschaft aufgenommen. Auch der Entschluß des Kaisers, das Kloster von Studios aufzulösen und die Mönche zu verbannen, war begründet in einer Verletzung der bürgerlichen Gehorsamspflicht, obwohl die Mönche die Maßnahme als religiöse Verfolgung auslegten. Nikephoros’ gesamte Herrschaft war von politischen Ideen und von der Notwendigkeit bestimmt, das Reich gegen seine Feinde zu verteidigen und es wirtschaftlich lebensfähig zu erhalten. Beide Ziele ließen sich am besten durch die Konsolidierung der kaiserlichen Zentralgewalt und die Bekräftigung der unbestrittenen Autorität des Kaisers verwirklichen – einen schon von Leon III. und Konstantin V. beschrittenen Weg. Das Ergebnis war eine bedeutende Verbesserung in der Reichsverteidigung und in den Vorbereitungen für einen langwierigen Kampf mit den Bulgaren. Die Verleumdungen der Chronisten zeigen freilich, daß sich Nikephoros damit in hohem Maß unbeliebt machte. Dieselbe Reaktion spiegelt sich vielleicht in den mehrfachen Meutereien, die zur Schwächung der byzantinischen Armee beitrugen. Seine Regierung brachte keine Lösung für das religiöse Problem; tatsächlich verschärfte die Ernennung des Patriarchen Nikephoros nur noch die Lage. Während dieser Zeit verstärkte sich der Gegensatz zwischen den beiden Lagern in der bilderfreundlichen Partei, die seit 787 als Zeloten (Unbeugsame) und Politiker (Kompromißbereite) bezeichnet wurden, noch weiter. Die im Exil zerstreute Gruppe der Zeloten wurde durch Theodoros’ entschlossene Führung gestärkt, und die Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und dem Patriarchen wurden so schroff, daß dadurch die bilderfreundliche Opposition gegen ein Wiederaufleben des Ikonoklasmus geschwächt wurde. Trotzdem schien eine lange und gute Herrschaft der Familie des Genikos Logothetes nicht ausgeschlossen; sie hatte damit begonnen, die Prioritäten richtig zu setzen, und sie besaß die erforderliche Autorität, sie in die
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Tat umzusetzen. Die Jahre nach der Niederlage von 811 gegen die Bulgaren sollten die Notwendigkeit einer dynastischen Stabilität enthüllen. Nach Nikephoros’ Niederlage und Tod fanden sich die kläglichen Überreste der byzantinischen Armee nach und nach in Adrianopel ein. Der Schock dieser Niederlage – seit 378 war kein Kaiser mehr von heidnischer Hand getötet worden – hatte die Truppen tief erschüttert. Die wenigen Adligen, die dem Gemetzel entkommen waren, riefen Staurakios zum Kaiser aus; aber er war schwer verwundet, und sein Überleben war zweifelhaft. So beseitigte die Proklamation keineswegs die Spekulationen um die Nachfolge. Nikephoros hatte keine weiteren Söhne, aber seine Tochter Prokopia war mit einem Palastoffizier, Michael Rangabe, verheiratet; er wurde zum Gegenkandidaten erhoben. Als Staurakios zögerte abzudanken, sorgten der Patriarch Nikephoros und einige Beamten dafür, daß Michael bei Morgengrauen im Hippodrom von der Armee, dem Senat und der Bevölkerung von Konstantinopel zum Kaiser ausgerufen und kurz darauf gekrönt wurde, und dann seinen Einzug in den Palast hielt. Angesichts dieses Staatsstreiches zog sich Staurakios in ein Kloster zurück, wo er drei Monate später starb. e) Michael I., 811–813 Der auffallendste Zug an Michaels Regierung war die Großzügigkeit, mit der er Geld ausgab. Dies bedeutete einen klaren Bruch mit Nikephoros’ Politik strenger Wirtschaftlichkeit. Als Anhänger der bilderfreundlichen Richtung war Michael dem Patriarchen Nikephoros besonders zu Dank verpflichtet, der seine Herrschaft durch die Kaiserkrönung legitimiert hatte. Großzügige Spenden wurden an den Klerus der »Großen Kirche«, die Senatsmitglieder und diejenigen der dienstpflichtigen Soldaten verteilt, die seine Kandidatur unterstützt hatten. Die Kriegerwitwen der im Feldzug des Jahres 811 Gefallenen wurden von der Kaiserin Prokopia entschädigt; ähnliche Geldgeschenke erhielt die Bevölkerung in den Gebieten von Opsikion und Thrakesion, die unter den Bulgareneinfällen zu leiden hatte, und die Mönche auf Cypern, die durch arabische Angriffe geschädigt wurden. Innerhalb von 18 Monaten hatte Michael tatsächlich den größten Teil der Geldmittel verschleudert, die sein Schwiegervater zusammengetragen hatte. Er war ein schwacher Herrscher in unsicherer Position; deshalb wurde auch seine Außenpolitik von dem Wunsch nach Frieden um jeden Preis bestimmt. Khan Krum würde auf alle Fälle seinen unerwarteten Sieg ausnützen, sobald mit dem Frühjahr die neue Feldzugsaison begann. Und bevor Michael überhaupt eine Möglichkeit hatte, Bedingungen auszuhandeln, hatten die Bulgaren Develtos schon belagert und eingenommen. So sah sich Michael gegen seinen Willen zum Feldzug gegen die Bulgaren gezwungen. Es gab eine starke Friedenspartei in Konstantinopel, die auf irgendeine Art von Vertrag mit Krum drängte, aber völlig unerwartet erwuchs aus den Reihen der Studitenmönche
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eine pressure group, die für Krieg eintrat. Da Michael ein überzeugter Anhänger der Bilderverehrung war, war eine seiner ersten Maßnahmen als Kaiser die Rückberufung der Exilierten gewesen, die nun jeden seiner Schritte beeinflußten. Theodoros, den er besonders bewunderte, wurde Führer der Kriegspartei am Hof und überredete den Kaiser, Krums Friedensbedingungen nicht anzunehmen. Krum griff deshalb Mesembria an und erbeutete dort Gold, Silber und Vorräte von Griechischem Feuer. Die Studitenpartei bestand weiterhin auf entschlossener militärischer Aktion, und im Juni 813 stieß Krum erneut nach Thrakien vor. Michael traf bei Versinikia, nahe bei Adrianopel, auf die Bulgaren; inkompetente taktische Planung verbunden mit Verrat führten zu einer totalen Niederlage. Das Drängen der Studiten auf Krieg verkürzte Michaels Regierung entscheidend. Aber ihre Politik gegenüber dem Westen und dem Papsttum hatte auf die gesamte Gestaltung der byzantinischen Beziehungen zu Europa gravierenden Einfluß. Eine Gesandtschaft an die Franken bot die Anerkennung von Karls Kaisertitel durch Michael im Austausch gegen Venedig, Liburnien, Istrien und die dalmatinischen Städte, die Karls Sohn Pippin erobert hatte. Karl der Große wurde daraufhin im Jahr 812 in Aachen ordnungsgemäß zum Kaiser proklamiert. Seine Krönung im Jahr 800 wurde dadurch legitimiert, und obwohl spätere byzantinische Kaiser die Anerkennung verweigerten, war dies ein wertvoller Erfolg für die Franken und erhöhte ihr Prestige in Europa beträchtlich. Gleichzeitig trat Patriarch Nikephoros wieder mit dem Papsttum in Verbindung, indem er die Schuld an dem Schisma dem letzten Kaiser gab. Nikephoros nahm an, daß Leo III. Karl den Großen unter einem ähnlichen Druck weltlicher Interessen gekrönt habe und deshalb die Position des Patriarchen verstehen könne. Aus Michaels Entschluß, Karl den Großen anzuerkennen, folgte der Friede mit Rom automatisch; aber vielleicht trug auch die Theorie der Studiten über den Primat des Papstes dazu bei. Theodoros hatte sie während seiner zahlreichen Verbannungen entwickelt. Er wußte, daß die Kirche seit dem Fall des Reiches im Westen durch das energische Vorgehen der Päpste am Leben erhalten worden war, und er respektierte ihre Leistungen. Als er um Beistand bat, handelte er aus echter Überzeugung von der besonderen Autorität des Päpstlichen Stuhles in Rom. Auf diese Weise bereitete er unwissentlich vielleicht den Ansprüchen einen Weg, die zum großen Schisma im 11. Jahrhundert führen sollten. Während Michaels Regierungszeit wurden die Studiten eingeladen, zusammen mit dem Patriarchen und den Mitgliedern des Senats am Staatsrat teilzunehmen. Von diesem öffentlichen Forum aus konnten sie Einfluß auf die Entwicklung der bilderfreundlichen Politik nehmen. Auf ihren Druck wurde der in die »moicheanische Affäre« verwickelte Priester erneut exkommuniziert; Häretikern aus Phrygien und Lykaonien wurde das Todesurteil erspart. Dieser Einfluß der bilderfreundlichen Partei stieß nicht nur bei den Ikonoklasten, sondern auch bei den Militärgouverneuren auf Widerstand, die den politischen
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Ratschlägen der Studiten mißtrauten. Als Reaktion darauf gab es einen zweiten erfolglosen Versuch, die Söhne Konstantins V. als rechtmäßige Kaiser auszurufen. Die an Konstantin geknüpften Hoffnungen kamen im Juni 813 noch drastischer zum Ausdruck, als sich der Kaiser und die Armee Versinikia näherten. Eine Menge brach in die kaiserliche Kapelle in der Kirche der Heiligen Apostel ein, wo ihr Held begraben lag, öffnete das Grab und forderte ihn auf, das Reich zu einem glorreichen Sieg über die Bulgaren zu führen. Dieses Ereignis erschien einigen als Wunder, und sie verbreiteten in der Stadt das Gerücht, Konstantin werde tatsächlich wieder erscheinen. Diese Erwartung rief einen solchen Aufruhr hervor, daß der Stadtpräfekt die Schuldigen unter Bewachung durch die Stadt führen ließ. Michaels Niederlage bei Versinikia beleuchtet ein grundlegendes Problem: der Ikonoklasmus besaß noch eine große Anhängerschaft in der Armee, unter Soldaten wie unter Offizieren. Ein Teil der Einheiten in den Provinzen unterstand Führern, die Michaels politischen Richtlinien kritisch oder sogar mit offener Feindschaft gegenüberstanden. Deshalb war die Stimmung in der Armee schlecht und für Meuterei anfällig. Die militärische Niederlage galt einem großen Teil der Bevölkerung als eine weitere Verurteilung der bilderfreundlichen Praktiken; sie forderte eine Rückkehr zu der Politik Konstantins V., die Siege und Wohlstand gebracht hatte. In der öffentlichen Meinung wurde zwischen religiösen Problemen und materieller Lage überhaupt nicht mehr unterschieden. Die Bevölkerung war von der Tatsache beeinflußt, daß Getreide unter Konstantin billig gewesen war, während es in Michaels Regierungszeit teuer wurde. (Die Preisdifferenz resultierte aus der Verwüstung der Kornfelder in Thrakien durch die Bulgaren.) Der militärische Sieg, auf den man so besorgt wartete, war ohne eine zuverlässige Armee nicht möglich, und eine zuverlässige Armee ließ sich nur durch ein Abgehen von der bilderfreundlichen Politik schaffen. So schien ein Wechsel der Politik, der die Wiedereinführung des Ikonoklasmus zur Voraussetzung machte, die Lösung aller byzantinischen Probleme zu bedeuten. Daraus würde eine Politik der Isolation gegenüber Europa und dem Papsttum resultieren, eine Entfernung der kirchlichen Ratgeber vom Hof, eine Unterordnung der Kirche unter den Kaiser und eine Straffung der Verwaltung. IV. Die zweite Periode des Bildersturmes, 813–842 Leon der Armenier, der diesen Wechsel vollzog, war ein erfolgreicher General mit einer glänzenden militärischen Karriere, obwohl die Rolle, die er im Juni 813 auf dem Schlachtfeld spielte, nicht ganz durchschaubar ist. Er riet dem Kaiser zum Angriff, weigerte sich dann aber, die vereinbarte Strategie zu verfolgen und zog sich aus der Schlacht zurück, wobei er noch andere zum Fliehen ermutigte. Nach der Niederlage wurde er von den Soldaten des Thema Anatolikon, das ihm als Gouverneur unterstand, und von den makedonischen und thrakischen Truppen, die entkommen waren, zum Kaiser ausgerufen. Von Adrianopel marschierte er auf die Hauptstadt, wo er vom Senat empfangen und vom
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Patriarchen Nikephoros als Leon V. gekrönt wurde. Michael und Prokopia suchten in einem Kloster Zuflucht, ihre Söhne wurden entmannt. Leons Name wird in den Chroniken durch eine Prophezeiung mit den Namen von Michael von Amorion und Thomas dem Slawen in Verbindung gebracht; sie besagte, daß zwei von ihnen Kaiser würden, während der dritte beim Versuch umkommen würde. Wahrscheinlich ist dies nicht mehr als eine populäre Geschichte, die drei Offiziere in Beziehung zueinander setzt, die in den ersten 30 Jahren des 9. Jahrhunderts eine bedeutende Rollen spielen sollten. Leon V. betraute seine Kameraden in seiner Regierungszeit mit hohen militärischen Posten; Michael wurde Kommandeur (domestikos) des Tagma der Exkubiten, Thomas Führer der Phoideratoi. Militärische Probleme bestimmten das erste Regierungsjahr Leons, denn nur 6 Tage nach seiner Krönung erschien Khan Krum vor den Mauern von Konstantinopel. Da die bulgarische Streitmacht nicht für einen Angriff auf die dreifache Verteidigungsmauer, die die Stadt umgab, ausgerüstet war, versuchte Krum, Leon zu einer Einigung zu überreden; aber er scheiterte. Im Herbst des Jahres 813 schlug Leon bei Mesembria eine bulgarische Armee, aber die Entscheidungsschlacht stand noch aus. Krum marschierte im Jahr 814 ein zweites Mal auf Konstantinopel; da starb er plötzlich. Das veränderte Leons Position von Grund auf. Da die Araber noch immer in innenpolitische Kämpfe verwickelt waren und der Bulgaren- Khan Omurtag mit Leon einen 30jährigen Waffenstillstand vereinbarte, war das Byzantinische Reich von äußerem Druck relativ frei. Mit dem Sohn Karls des Großen, Ludwig dem Frommen, wurden die Beziehungen aufrechterhalten, denn Leon wollte nicht das Risiko eines regelrechten Krieges um Venedig auf sich nehmen. Der nördliche Teil des Adriatischen Meeres kam wieder unter byzantinischen Einfluß. Der Doge Agnellus schickte seinen Sohn Justinian, um dem Kaiser bei seiner Thronbesteigung zu huldigen, und Leon unterstützte den Bau des Klosters San Zaccaria mit Geld und griechischen Steinmetzen. Die Hauptstadt der Republik Venedig, die im Jahr 811 am Rialto entstanden war, wurde während des ganzen 9. Jahrhunderts regelmäßig von den Byzantinern gefördert, bis sie fast selbst wie eine griechisch-orthodoxe Stadt wirkte. Der byzantinische Handel im Adriatischen Meer mußte gegen zwei wachsende Bedrohungen geschützt werden, gegen die arabischen Seeräuber aus Nordafrika und die Piraten an der dalmatinischen Küste. Als Reaktion auf die zunehmende Flottenaktivität in der Adria entwickelten Venedig wie das Fränkische Reich selbständige Seestreitkräfte.
a) Die ikonoklastische Reaktion
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Leons Entschluß, die Religionspolitik der ersten Syrischen Kaiser wiederaufzunehmen, war in der Überzeugung begründet, daß die lange und erfolgreiche Regierung Leons III. und Konstantins V. auf die ikonoklastische Politik und die Verfolgung der Bilderverehrer zurückzuführen sei. Er nahm sich bewußt Leon III. zum Vorbild; das ging so weit, daß er seinem Sohn Symbates bei dessen Krönung zum Mitregenten den Kaisernamen Konstantin gab. Er wußte, daß eine Wiederaufnahme der bilderfeindlichen Politik von einem großen Teil der Reichsbevölkerung enthusiastisch begrüßt würde. Für das zweite Verbot der Bilderverehrung wurden sorgfältige Vorbereitungen getroffen. Leon veranlaßte öffentliche Diskussionen über die Geschichte der Ikonoklasten-Kaiser, um zu zeigen, daß es immer Anhänger der Bilderverehrung waren, die nach kurzer Regierungszeit in der Schlacht besiegt wurden. Im zweiten Jahr seiner Herrschaft setzte er eine Kommission ein, die über diese Angelegenheiten einen Bericht erstatten sollte. Diese Kommission arbeitete unter der Leitung von Johannes Grammatikos, der ein besessener Ikonoklast war; sie bestand aus einem Bischof, Antonios Kassimatas, zwei Mönchen, zwei Mitgliedern des Senats und einem bekannten Bilderfeind als Sekretär. Nachdem er eine scheinbar unparteiische Untersuchung der Frage in Gang gesetzt hatte, nahm Leon die Auseinandersetzung mit dem Patriarchen Nikephoros auf, der sich ebenso widerspenstig zeigte wie Germanos im Jahr 730. Im Dezember 814 befahl er dem Patriarchen, die niedrig hängenden Ikonen in der »Großen Kirche« entfernen zu lassen, die – wie er sagte – das Volk empörten. Diese Behauptung war teilweise wahr: die Bevölkerung von Konstantinopel hatte ihre Opposition gegen die Bilderverehrung offen zum Ausdruck gebracht. Aber Nikephoros weigerte sich. Kaiser wie Patriarch bemühten sich um die Unterstützung der Bischöfe; im Januar 815 hatte Leon dabei endgültig Erfolg. Nikephoros war damit gänzlich isoliert. Er durfte seinen Palast nicht verlassen, der unter der Bewachung des Patrikios Thomas stand, dessen Bilderfeindlichkeit nahezu sprichwörtlich war. Schließlich überbrachte eine Delegation von Bischöfen dem Patriarchen ein Ultimatum und zwang ihn zum Rücktritt. Seine Zustimmung war vermutlich beeinflußt durch lärmende Demonstrationen vor seinem Palast. Am nächsten Tag berief Leon sofort ein Silention ein, das Theodotos zum Patriarchen wählte, einen Laien, der mit Konstantin V. entfernt verwandt war. Nikephoros mußte ins Exil gehen. Nach diesen Vorbereitungen konnte eine Synode zur Wiedereinführung des Ikonoklasmus abgehalten werden. Sie tagte nach dem Osterfest des Jahres 815 in der »Großen Kirche« unter dem Vorsitz des neuen Patriarchen und des designierten Kaisers Symbates- Konstantin. An ihr nahmen Bischöfe und Mönche aus allen Teilen des Reiches teil. Der grundlegende Text, den die Kommission zur Rechtfertigung des Wechsels vorlegte, war der Horos des Konzils von 754 und ein ausgedehntes Florilegium von Zitaten gegen die Bilderverehrung. In der Bestimmung der ikonoklastischen Position gab es wenig Neues; lediglich eine betontere Hervorhebung der Unmöglichkeit, die Natur
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Christi bildlich darzustellen, verstärkte die christologische Argumentation. Leon war anscheinend darauf aus, Verfolgung und Gewaltanwendung zu vermeiden, denn die kirchliche Hierarchie wurde lediglich ersucht, mit dem Patriarchen in Verbindung zu bleiben, und nur fünf angesehene Anhänger der Bilderverehrung verweigerten das. In der Hauptstadt erklärten sich alle Klöster – in bemerkenswertem Gegensatz zu ihrer heftigen Opposition gegen die erste Einführung des Bilderverbots – mit der Erneuerung des Ikonoklasmus einverstanden. Es gab vereinzelt Fälle von Widerstand, aber im ganzen wurde der Kaiser doch unterstützt. Diese Wiedereinführung des Bilderverbots wäre nicht möglich gewesen ohne das Bestehen einer starken Partei, die die Herrschaft Irenes und Michaels I. überlebt und sich in Gegensatz zur Gruppe der Studiten entwickelt hatte. Sogar Anhänger der Kirche standen den Studitenmönchen nicht selten feindlich gegenüber; ebenso die Hof- und Verwaltungsbeamten, deren Ratschläge übergangen wurden. Patriarch Nikephoros, der Historiker und Theologe war, gibt eine interessante Analyse der Hauptstadtbevölkerung, die das Wiederaufleben des Ikonoklasmus unterstützte. Er berichtet, daß um das Jahr 815 Händler, Schauspieler, Schmierenkomödianten, Veranstalter von Pferderennen und der Straßenpöbel die Hauptverfechter von Leons Politik waren. Außerdem hätten sich einige korrupte Priester der Kommission der Ikonoklasten angeschlossen, die in großem Luxus im kaiserlichen Palast tagte. Aber die wahrscheinlich bedeutendste Gruppe der ikonoklastischen Partei war die Armee, die 815 eine Schlüsselrolle spielte. Die Besatzungstruppen der Hauptstadt hatte Irene zwar nach der Sprengung des Konzils von 786 gesäubert, aber sie waren bilderfeindlich geblieben. Über die verschiedenen Provinzarmeen lassen sich nur schwer generelle Aussagen machen; möglicherweise war jedoch die Unterstützung, die Leon von seinen Truppen aus dem anatolischen Thema erhielt, teilweise religiös motiviert. Für längere Zeit in der Hauptstadt stationierte Truppen scheinen von den dort vorherrschenden ikonoklastischen Ansichten beeinflußt worden zu sein. Ein Ergebnis der Synode von 815 war eine intensivere Kontrolle der Kirche durch Leon. Die aufrührerischen Mönche von Studios wurden wieder in die Verbannung geschickt; von dort schrieben sie an die Patriarchen des Ostens und an den Papst und baten um Beistand in dem Kampf gegen den häretischen Kaiser. In den meisten Fällen erhielt Theodotos ermutigende Antwortschreiben, und im Jahr 825 versammelte Ludwig der Fromme alle fränkischen Bischöfe auf dem Konzil von Paris; dort verurteilten sie die Wiedereinführung des Bilderverbots. Die bilderfreundliche Partei erhielt durch diese Hilfe aus dem Westen Auftrieb, wenn sie auch noch in das ›politische‹ und das ›Eiferer‹-Lager gespalten blieb. Trotz ihrer Haltung beschränkte sich der Kaiser auf eine ziemlich oberflächliche Wiedereinführung der Religionspolitik, die seiner Überzeugung nach seiner Familie auf Generationen die Herrschaft sichern würde. Seine Motive waren in erster Linie politisch, und es gab in seiner
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Regierungszeit keine grausamen Verfolgungen wie unter dem unerbittlichen Konstantin V. Die wenigen erhaltenen Zeugnisse lassen darauf schließen, daß er humanitäre Absichten verfolgte. Nach Abschluß des Waffenstillstandes mit den Bulgaren befestigte er die Städte in Makedonien und Thrakien und bereiste offiziell die verwüsteten Gebiete, um der eingeschüchterten Bevölkerung wieder Vertrauen in die Regierung zu geben. Er ernannte mehrere Sekretäre, deren einzige Aufgabe es war, auf eine gerechte Verwaltung und den eventuellen Mißbrauch der Amtsgewalt durch die Beamten zu achten. Seine Sorge um Gerechtigkeit betont die Kontinuität mit dem Ikonoklasmus des 8. Jahrhunderts. Angesichts einer so erfolgreichen Behandlung der religiösen Frage und ausgezeichneter administrativer Leistungen scheint es im ersten Moment überraschend, daß Leon V. die Gründung einer Dynastie nicht glückte. Der persönliche Ehrgeiz Michaels von Amorion durchkreuzte seine Pläne. Leon durchschaute und fürchtete diese Absichten und war sehr erleichtert, als Michael in ein Komplott verwickelt wurde und wegen Hochverrats festgenommen werden konnte. Wegen dieses Verbrechens wurde er zu einer besonders scheußlichen Todesart verurteilt; zusammen mit einem Affen sollte er an einen Pfahl gebunden und in einen der Öfen geworfen werden, die die Warmwasserversorgung des kaiserlichen Palastes speisten. Auf den Protest der Kaiserin Theodosia wurde die Bestrafung nicht am Weihnachtstag des Jahres 820 vollzogen, und der Aufschub von 24 Stunden ermöglichte ein höchst außergewöhnliches Entkommen. Nach einem nächtlichen Besuch Leons, der sich überzeugen wollte, daß der Gefangene noch in seiner Zelle war, wurde Michael von einem kleinen Jungen geweckt, der unter der Bank verborgen den Kaiser hatte schwören hören, er werde den Gefangenen und den Gefängniswärter dazu umbringen lassen. Als der Gefängniswärter erkannte, daß auch sein eigenes Leben gefährdet war, erklärte er sich bereit, einen von Michaels Exkubiten – Theoktistos – heranzuziehen, damit sie alle entkommen könnten. Bei Tagesanbruch besuchte Leon den morgendlichen Weihnachtsgottesdienst in einer der königlichen Kapellen, ohne zu wissen, daß einige von Theoktistos’ Leuten als Chorsänger verkleidet den Palast betreten hatten. Sie ermordeten den Kaiser während des Gesanges beim Gottesdienst, und unmittelbar danach wurde Michael, noch mit zusammengeketteten Füßen, im Triumph von seinem Gefängnis zum Kaiserthron getragen. Dies war das Modell einer byzantinischen Palastrevolution. Michaels Anspruch auf das kaiserliche Amt wurde durch die Krönung legalisiert, die am Weihnachtstag von dem Patriarchen vollzogen wurde. Die Familie von Leon dem Armenier verschwand so schnell, wie sie aufgestiegen war. Trotz dem Sakrileg des Mordes behauptete Michael II. seine Stellung in der Hauptstadt, wahrscheinlich mit der Hilfe des Tagma der Exkubiten. Aber von den Provinzen aus wurde seine Usurpation unverzüglich von Thomas dem Slawen in Frage gestellt, dem Dritten, von dem die Prophezeiung sprach. Weder der Kaiser noch der Rebell besaßen im Grunde wirkliche kaiserliche Autorität, aber im
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Byzantinischen Reich hatte derjenige, der in Konstantinopel gekrönt war, einen erheblichen Vorteil. Trotzdem wurden die ersten drei Regierungsjahre Michaels von der Revolte bestimmt. Bis zum Jahr 824 hatte er keine Möglichkeit, außenpolitische Fragen zu lösen; der Tod des Patriarchen Theodotos im Jahr 821 zwang ihn jedoch, in der religiösen Frage eindeutig Stellung zu beziehen. Er hatte die Wahl zwischen der Wiederernennung des Expatriarchen Nikephoros, der sich augenblicklich im Exil befand, oder der Ernennung eines neuen bilderfeindlichen Kandidaten. Nikephoros, Papst Paschalis I. und die Studitenmönche betonten die Dringlichkeit einer Wiedereinführung der Bilderverehrung; Michael entschied sich jedoch dagegen. Er berief eine Synode ein und verkündete, daß er in der Praxis nicht von der Synode von 815 abweichen werde; weitere Diskussion wurde untersagt. Antonios Kassimatas, vorher Bischof und Mitglied von Leons V. Kommission, wurde Patriarch; Nikephoros blieb verbannt. Aber es gab keine ernsthafte Verfolgung, und die Studiten durften in ihr Kloster in Konstantinopel zurückkehren. b) Der Bürgerkrieg Der sogenannte Bürgerkrieg glich mehr einem andauernden und gefährlichen Aufstand als einem Krieg zwischen verschiedenen Parteien. Er enthüllt die Situation des Reiches im frühen 9. Jahrhundert: die Dichotomie zwischen Hauptstadt und Provinz, die Rivalität zwischen Provinz- und (hauptstädtischen) Garnisonstruppen, die sehr gemischte Reichsbevölkerung und die sozialen wie die politischen Aspekte des Ikonoklasmus. Thomas war ein Slawe aus der Gegend des See Gazouron in der Provinz Armeniakon. Seine militärische Karriere hatte schon im Jahr 803 begonnen, aber seinen ersten offiziellen Posten erhielt er als Kommandeur der Phoideratoi im Jahr 813. Zum Zeitpunkt der Ermordung Leons V. hielt er sich in der Provinz Anatolikon auf und eröffnete von dort aus seinen Kampf gegen Michael. Die offiziellen Berichte über den Aufstand übertreiben wahrscheinlich hinsichtlich der Anzahl von Thomas’ Anhängern wie hinsichtlich der verschiedenen Bevölkerungsgruppen unter ihnen. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, daß sich ihm Abasger, Iberier, Armenier, Slawen, Assyrer, Araber und Chaldäer anschlossen. Das impliziert jedoch nicht, daß er einen Aufstand enttäuschter Minderheiten anführte. Die Reichsbevölkerung war schon immer sehr zusammengewürfelt; Kenntnis des Griechischen und orthodoxer Glaube machten mehr zum ›Byzantiner‹ als die ethnische Abstammung. Thomas war nicht weniger Byzantiner als Michael von Amorion. Der Rebell hinkte und war im Jahr 820 schon ziemlich alt, aber im Vergleich mit dem Lispeln des Kaisers hielt man das für weniger belastend. Die Stärke der rebellischen Streitkräfte lag nicht in ihrer Zahl, sondern darin, daß sie alle Provinzgouverneure bis auf zwei für die Sache des ältlichen ›Neuen Xerxes‹ gewinnen konnten. Thomas fing den
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Transport der Steuergelder aus den Provinzen ab und verteilte das Geld an seine Helfer. Auf diese Weise gewann er leicht Verbündete, und die meisten Städte öffneten ihm lieber die Tore, als daß sie sich im Namen eines unbekannten Kaisers verteidigten. Er sicherte sich auch die Unterstützung der Flotteneinheit der Kibyraioten, die den Transport seiner Truppen nach Konstantinopel sicherte. Die zwei Gebiete, die Michael II. loyal verbunden blieben, waren die Provinzen von Opsikion und Armeniakon, die beide von zwei seiner engsten Freunde kommandiert wurden. Thomas nutzte das arabische Interesse an einem Bürgerkrieg aus und verbündete sich mit Kalif Mamun. Außerdem ließ er sich vom Erzbischof von Antiocheia auf arabischem Territorium zum Kaiser krönen. Mit einer gewaltigen Armee setzte er im Dezember des Jahres 821 über den Hellespont und griff Konstantinopel zum erstenmal zu Wasser und zu Land an, wurde aber zurückgeschlagen. Die Belagerung ging während des Jahres 822 ohne nennenswerte Erfolge weiter, bis die Verteidiger einen Teil der Flotte durch Griechisches Feuer zerstörten. Im Herbst rückten dann plötzlich die Bulgaren an, wahrscheinlich auf Michaels II. Ersuchen. Der bulgarische Vorstoß hatte genau den erwünschten Effekt – Thomas war gezwungen, die Belagerung aufzugeben. Seine anschließende Niederlage gegen die Bulgaren und die Ruhepause für Michaels Streitkräfte bedeuteten den Wendepunkt des Aufstandes. Im Frühjahr 823 führte Michael seine Truppen bei Diabasis gegen die Armee der Aufrührer und schlug sie. Thomas’ Anhänger setzten ihren Widerstand in Thrakien und Kleinasien fort, aber nach seiner Gefangennahme und seinem Tod im Oktober 823 gaben sie nacheinander auf. Zu Gouverneuren der aufständischen Provinzen ernannte Michael loyale Anhänger; auf diese Weise konnte er seine Stellung als Kaiser im ganzen Reich konsolidieren. Zu diesem Zeitpunkt setzte er vermutlich auch im Gebiet von Chaldia eine eigene Verwaltung ein; es war eine der Regionen, die sich der Revolte angeschlossen hatten. Michael belohnte seine Anhänger, indem er ihnen die Herd-Steuer (kapnikon) erließ, und führte die zentrale Kontrolle über die Besteuerung in den Provinzen wieder ein. Nach dem endgültigen Sieg über Thomas schickte Michael an Ludwig den Frommen eine Gesandtschaft, die seine Thronbesteigung verkündete und den Aufschub von über drei Jahren erklärte. Auch die Synode von 821 und die Lösung der religiösen Frage wurden dargestellt. Michael bat um Ludwigs Beistand für die Weiterreise der Gesandten nach Rom, ohne zu erwähnen, daß Methodios, Papst Paschalis’ Legat in Konstantinopel, seit 821 lebend in einem Grab eingemauert war. Trotzdem erwies sich diese Versöhnungspolitik als recht erfolgreich. Obwohl selbst bekanntermaßen Häretiker, konnte der Kaiser doch seine politische Neutralität wahren. Die Beziehungen zu Venedig waren weiterhin ausgezeichnet. Der Doge Justinian (827–29) besuchte Konstantinopel und erhielt abermals Geld für den Bau von San Marco. Die ursprüngliche Kirche aus dem Jahr 828 war ein vollständig byzantinischer Bau.
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c) Die Entwicklung der arabischen Seemacht Das zweite, noch größere Problem in Michaels Regierungszeit war die wachsende Macht der Araber. Sie hatten Thomas in der Hoffnung unterstützt, innenpolitische Unruhen auszulösen, und sie nutzten auch weiterhin die Schwäche der byzantinischen Seestreitkräfte in der Ägäis aus. Araber aus Spanien, die in den zwanziger Jahren des 9. Jahrhunderts erst aus Córdoba, dann aus Ägypten vertrieben worden waren, hatten mit Raubzügen auf zwei der größten Inseln des zentralen Mittelmeers begonnen – Kreta und Sizilien. Das Fehlen einer schlagkräftigen byzantinischen Flotte als Ergebnis von Thomas’ Aufstand war verantwortlich für die Eroberung Kretas durch die Araber. Auch zwei byzantinische Expeditionen in den Jahren 826 und 828 konnten die Invasoren nicht vertreiben. Ein dritter Versuch unter der Führung von Krateros, dem Kommandeur der Seestreitkräfte der Kibyraioten, war anfangs ein durchschlagender Erfolg. Aber nach dem mit zuviel Wein gefeierten Siegesmahl wurden die Byzantiner im Schlaf niedergemetzelt. Kreta blieb bis 961 unter arabischer Herrschaft, für Byzanz ein ständiger Stachel im Fleisch. Der gleiche Prozeß vollzog sich in Sizilien, freilich über eine viel längere Zeitdauer; dieser Verlust war schließlich unwiderruflich. Die arabische Eroberung dieser zwei strategisch wichtigen Inseln zeugt von einem erheblichen Niedergang nicht nur der byzantinischen Kriegsflotte, sondern auch der Landstreitkräfte, der sich nicht ausschließlich durch den Aufstand des Thomas erklären läßt. Während des ikonoklastischen Zeitalters vollzogen sich in den Institutionen und in dem inneren Aufbau des Reiches tiefgreifende Wandlungen und Umschichtungen. Dieser Prozeß, der unter Justinian begonnen hatte und mit der Makedonischen Dynastie zum Abschluß kam, wurde nahezu völlig unterbrochen durch die inneren Auseinandersetzungen, die der Ikonoklasmus im späten 8. und zu Beginn des 9. Jahrhunderts hervorrief. Doch die feste Regierung der Kaiser Leon V., Michael II. und Theophilos führte die Verwandlung des Byzantinischen Reiches weiter. Sie vermochte jedoch nicht gleichzeitig den inneren Zusammenhalt des Reiches zu konsolidieren und die byzantinischen Außenbesitzungen zu schützen. So gingen die italienischen Provinzen und Sizilien Schritt für Schritt an die Franken und Araber verloren, während Venedig allmählich seine Unabhängigkeit errang. Abgesehen von diesen Verlusten aber war die byzantinische Herrschaft in Kleinasien und auf der Balkanhalbinsel gefestigt. Und diese territoriale Basis wurde zum Ausgangspunkt für die Eroberungen des 10. Jahrhunderts. Die Situation bei Michaels Tod im Jahr 829 war noch nicht besorgniserregend. Seine kurze Regierung hatte den von Leon V. begonnenen Konsolidierungsprozeß weiter vorangetrieben, und unter seinem Sohn und Nachfolger Theophilos sollten sich seine Erfolge in vollem Ausmaß zeigen.
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d) Die Regierung des Theophilos, 829–842 Theophilos kam auf den Thron zu einem Zeitpunkt, als die Araber ihre Herrschaft weiter ausdehnten. Sobald Kalif Mamun (813–833) seine Stellung als Führer der Abbasiden gesichert hatte, begann er 830 einen Verwüstungsfeldzug gegen das Reich. Theophilos antwortete mit zwei Strafexpeditionen, die viele Gefangene einbrachten und in Konstantinopel als Triumph gefeiert wurden. Aber in den Jahren zwischen 831 und 833 konnte er wiederholte Vorstöße der Araber nicht verhindern, die sich systematisch gegen wichtige Grenzfestungen richteten. Sie wechselten unter großen Zerstörungen und Menschenverlusten immer wieder den Besitzer. Abgesehen von diesen größeren arabischen Feldzügen wurden die Grenzgebiete oft von den Emiren von Melitene und Syrien angegriffen. Zur Bekämpfung dieser zunehmenden Aktivität und zum Schutz der dort stehenden Truppen bildete Theophilos mehrere neue Verwaltungseinheiten, besonders im Südosten Kleinasiens: Kappadokeia, Charsianon und Seleukeia. Im Jahr 837 benutzte Theophilos einen persischen Aufstand gegen Kalif Mutasim (833–842) zum Angriff auf die Festungen Zapetra und Samosata. Dieses außergewöhnlich harte Vorgehen provozierte unausweichlich als Wiedervergeltung von arabischer Seite einen Massenangriff auf Amorion. Die Belagerung und Einnahme dieser blühenden Stadt – Hauptstadt der Provinz Anatolikon und Geburtsort von Theophilos’ Vater, Michael II. – wurde für die Byzantiner zur legendären Greuelgeschichte; vor allem deswegen, weil der Kalif schließlich zweiundvierzig aus Tausenden von Gefangenen enthaupten ließ. Das waren die ›zweiundvierzig Märtyrer‹, militärische und kirchliche Würdenträger, die lieber starben als ihren Glauben aufgaben. Die arabische Rache von Amorion war für Theophilos’ weitere Kriegsführung bestimmend; es gab keine Feldzüge gegen Mutasim mehr. Der Kaiser versuchte statt dessen auf diplomatischem Weg, verschiedene westliche Mächte gegen die arabische Aktivität im Mittelmeer ins Spiel zu bringen. Aber auch hier war er nicht erfolgreicher als in den früheren militärischen Kampagnen. In seinen Beziehungen zu den Franken verfolgte Theophilos die freundliche, jedoch distanzierte Politik seines Vaters. Eine byzantinische Gesandtschaft verkündete im Jahr 833 Ludwig dem Frommen Theophilos’ Thronbesteigung, und während der Belagerung von Amorion bat eine zweite Abordnung um fränkische Hilfe gegen die Araber im Westen. Es war eine von drei byzantinischen Missionen, die im Jahr 838 die Franken, die Venezianer und den Kalifen in Spanien zu Verbündeten gewinnen sollten. Das Reich konnte seine Besitzungen in Westeuropa nicht mehr schützen, und auch seine Widerstandskraft gegen die Araber im Osten gab zu ernsten Bedenken Anlaß. Aber die Franken konnten keine sofortige Hilfe zusagen. Die Venezianer dagegen waren über den schnellen Vormarsch der Araber auf Sizilien besorgt und erklärten sich bereit, eine Flotte zu stellen. Seit Byzanz die Kontrolle über die
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adriatischen Gewässer entglitt und Venedig seine eigenen Kriegsschiffe baute, löste es sich schrittweise vom Reich, obwohl es offiziell immer noch ein Vasallenstaat war. Aber im Jahr 840 war die Macht Venedigs noch nicht voll entfaltet, und die Araber zerstörten die auf Theophilos’ Ersuchen nach Tarent entsandte Flotte völlig. Die dritte Gesandtschaft ging in das islamische Spanien, das von Abd alRahman II. regiert wurde, einem der größten Umajjaden-Kalifen. Theophilos schlug ihm vor, er solle von den abbasidischen Usurpatoren das ganze Gebiet des Kalifats der Umajjaden im Osten zurückfordern und die Piraten aus Kreta vertreiben – Vorschläge, die der Kalif, wie zu erwarten, nicht annahm. Aber er muß doch an der byzantinischen Gesandtschaft Interesse gezeigt haben, denn er schickte seinen Hofdichter Yazzid mit prächtigen Geschenken an den Kaiser mit zurück nach Konstantinopel. Wenn auch Theophilos’ Verhandlungen mit westlichen Verbündeten fehlschlugen, so waren seine diplomatischen Bemühungen im Osten sehr erfolgreich. In seine Regierungszeit fallen die ersten diplomatischen Beziehungen Konstantinopels zu den russischen Steppenvölkern. Ihre Nähe und damit eine potentielle Bedrohung byzantinischen Gebietes und wichtiger Handelswege nördlich des Schwarzen Meeres hatte man schon erkannt, und Theophilos hatte eine auf Cherson gestützte neue Provinz errichtet, die den Namen Klimata führte. Auf Theophilos geht auch die Festigung der schon bestehenden Allianz zwischen dem Reich und den Chasaren im Jahr 733 zurück. Der Kaiser schickte auf Bitten des Khans Ingenieure und Arbeiter über das Schwarze Meer an den Don; dort bauten sie bei Sarkel eine Festung. Diese große Expedition gab dem gemeinsamen chasarisch-byzantinischen Kampf gegen das Kalifat Nachdruck. Mit ein Grund für das Scheitern von Theophilos’ Bemühungen im Westen mag sein Entschluß gewesen sein, den Ikonoklasmus durch Folter und Verfolgung zu erzwingen. Doch Theophilos konnte nicht einfach ignorieren, was er als ketzerische Religiosität eines Großteils seiner Untertanen betrachtete; seine eigene Frau Theodora setzte alles Vertrauen in ihre Ikonen. Deshalb entsprang es einer tiefen Überzeugung, daß er die zwangsweise Durchführung der Gesetze gegen die Bilderverehrer anordnete. Abermals wurden die Mönche aus ihren Klöstern verjagt und in weit entfernte Gegenden verbannt, wenn sie sich weigerten, ihrem Glauben an die Macht der Ikonen zu entsagen. Es gab ein paar Fälle extremster Grausamkeit, aber die Gewaltanwendung hielt sich – verglichen mit früher – in Grenzen. Theophilos wurde in seinen Bemühungen von Johannes Grammatikos unterstützt und ermutigt, der im Jahr 837 Patriarch geworden war. Er war der Ratgeber Leons V. bei der Wiederbelebung des Ikonoklasmus gewesen und von Michael II. mit Theophilos’ Erziehung betraut worden. Beide bemühten sich gemeinsam um die Befreiung des Reiches von häretischen Lehren – von der Bilderverehrung wie vom Paulikianismus. Während es ihnen nicht gelang, die Bilderverehrung auszurotten, konnten sie die die Einheit des Reiches gefährdende Häresie des Paulikianismus nachhaltig unterdrücken, die sich in
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den östlichen Teilen des Reichs verbreitet hatte. Die Paulikianer nahmen die alte adoptianistische Irrlehre wieder auf, die die göttliche Abstammung Christi leugnete; sie waren bereit, ihren Glauben mit den Waffen zu verteidigen. Obwohl diese Häresie erst von Basileios I. im Jahr 872 beseitigt werden konnte, erkannte Theophilos als erster Kaiser die von ihr ausgehende Bedrohung und versuchte, gegen sie vorzugehen. Trotzdem war Theophilos in den Augen des Papsttums ein Häretiker, und während seiner Regierung entfremdete sich der Päpstliche Stuhl in Rom Konstantinopel noch tiefer. Das Andauern des Schismas muß den byzantinischen Einfluß in Italien und im ganzen Westen erheblich vermindert haben. Auch nach der Wiedereinführung der Bilderverehrung im Jahr 843 blieb das Papsttum unabhängig von der östlichen Kirche und stand ihr kritisch gegenüber. Mönche und Bischöfe, die anderer Ansicht waren, appellierten weiterhin an Rom – eine Tatsache, die die Autorität des Papstes im Vergleich zu der des Patriarchen stärkte. Der Zerfall der Gesamtkirche war eine der nachhaltigsten Auswirkungen des gesamten ikonoklastischen Zeitalters. e) Theophilos’ Verwaltungsreformen Trotz dieser diplomatischen, militärischen und religionspolitischen Fehlschläge gehen einige fundamentale Verbesserungen in der inneren Organisation und Sicherheit von Byzanz auf Theophilos zurück. Eine der augenfälligsten ist die Ausdehnung der byzantinischen Verwaltung auf neue Gebiete. Von gleich großer Bedeutung, aber weniger leicht urkundlich zu belegen, ist der erhöhte Wirkungsgrad der Steuererfassung und der Verwaltung, wodurch eine Wiederbelebung künstlerischen Schaffens und intellektueller und kultureller Aktivitäten möglich wurde. Unter Theophilos ließ die Protektion byzantinischer Künstler, Schriftsteller und Lehrer eine Kultur entstehen, die zum erstenmal vergleichbar ist mit der des Kalifats. Die neuen Verwaltungseinheiten wurden nach dem Muster von Optimaton und Bukellarion durch Teilung der älteren Provinzen geschaffen. Die Provinzen sollten die byzantinische Kontrolle über das Schwarze Meer garantieren: Chaldia im äußersten Osten des Thema Armeniakon, entstanden wahrscheinlich im Jahr 837; Paphlagonia, um 833 errichtet in der nördlichen Hälfte von Bukellarion, und das Klimata-Thema mit Cherson als Zentrum, geschaffen im Jahr 833. Das Gebiet der Klimata war zuvor von einem Rat lokaler Würdenträger (archontes) regiert worden, deren Ämter nun in die kaiserliche Verwaltung inkorporiert wurden. In anderen Provinzen hatte man besondere Einheiten geschaffen, die der Bedrohung durch die Araber entgegenwirken sollten. Es waren die kleisourarchai von Kappadokeia, Seleukeia und Charsianon – so genannt nach den kleisourai, gebirgigen Gegenden an den Grenzen des Reiches, die besonders geschützt werden mußten. In diesen kleinen Einheiten waren ständig Truppen zum Kampf gegen arabische Einfälle stationiert. Eine ähnliche Einheit entstand mit dem
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Herzogtum von Koloneia in dem Gebiet südlich der Provinz Chaldia. Diese Verwaltungseinheiten unterschieden sich von den normalen Untergliederungen einer Provinz – tourmai, banda und katepana – dadurch, daß sie einen vom Kaiser ernannten Gouverneur und einen spezifischen Aufgabenbereich hatten. Dieser Ausbau der Verteidigung des Reiches verbesserte das ursprüngliche FünfThemen-System in den Ostgebieten und paßte es den politischen und militärischen Erfordernissen des 9. Jahrhunderts an. Im westlichen Reichsteil erhielt wahrscheinlich das Gebiet von Dyrrhachion und Thessalonike unter Theophilos den formellen Status einer Provinz. Die Ausdehnung der Reichsverwaltung, die die Machtposition des Kaisers erheblich stärkte, konnte nicht ohne beträchtlichen Aufwand an Menschenpotential wie an Verwaltungskosten durchgeführt werden. Aber die Ausdehnung des kaiserlichen Steuersystems auf Gebiete, die bisher nicht kontrolliert werden konnten, bedeutete zweifellos einen Zuwachs für Staatseinkünfte. Ohne Intensivierung und Verbesserung des Steuersystems hätte Theophilos unmöglich seine Regierung und seine großzügige Bautätigkeit finanzieren können. Er war der erste Kaiser seit nahezu zweihundert Jahren, dessen Münzen im ganzen Reich zirkulierten; und die Tatsache, daß man bei Ausgrabungen in Athen und Korinth von ihm geprägte Münzen gefunden hat, läßt vermuten, daß in den dreißiger Jahren des 9. Jahrhunderts in Zentralgriechenland wieder Sicherheit und ein gewisses Maß an Wohlstand herrschten. Wachsende Stabilität ermutigte zur Wiederbelebung der Märkte und des Binnenhandels. Mit den zusätzlich erschlossenen Hilfsquellen entfaltete Theophilos eine großangelegte Bautätigkeit in der Hauptstadt und förderte das kulturelle Leben. Die Stadtmauern von Konstantinopel wurden repariert und ausgebaut; in Bryas entstand in der asiatischen Vorstadt ein Kaiserpalast. Der Große Palast wurde erweitert, und außerdem erbaute der fromme Kaiser mehrere Kirchen. Theophilos sorgte sich um die materiellen Bedürfnisse der Hauptstadtbevölkerung, ließ ein Krankenhaus errichten und stiftete Altersheime und Waisenhäuser. Alle seine Bauten trugen künstlerischen Schmuck; an die Stelle figürlicher Malerei traten Darstellungen wilder Tiere und Vögel. Theophilos’ Mäzenatentum beweist, daß die Zerstörung von Ikonen nicht unvereinbar war mit einer Blüte anderer Kunstformen. Die streng-bilderfeindliche Erziehung, die Theophilos bei Johannes Grammatikos erhalten hatte, machte ihn in weit höherem Maß zu einem intellektuellen Kaiser als seinen Vater oder Leon V. Als erster reorganisierte er die Traditionen der wissenschaftlichen Ausbildung in Konstantinopel. Die Schlüsselfigur bei diesem Wiederaufbau war Leon der Mathematiker, dessen Ruhm sich bis nach Bagdad verbreitete. Die Fachschulen wurden wieder eingerichtet, mit bezahlten Lehrern und hohen Schülerzahlen – überwiegend Söhne reicher Familien, die für den Verwaltungsdienst und die kirchliche Laufbahn bestimmt waren. Durch Theophilos’ Förderung nahm die Hauptstadt wieder eine angesehene Stellung im intellektuellen Leben des 9. Jahrhunderts
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ein; er legte damit den Grundstein für die ›Renaissance‹ der Wissenschaften und der bildenden Künste in der Makedonischen Periode. Aber der vielleicht bedeutsamste Aspekt von Theophilos’ Herrschaft war sein Bestehen auf einer gerechten und unparteiischen Justiz. Das war ein persönlicher Charakterzug Michaels II. wie seines Sohnes, bei dem dies zuweilen an Besessenheit zu grenzen schien. Theophilos hatte die Angewohnheit, einmal in der Woche durch die Stadt zu reiten – vom Großen Palast bis zur Blachernenkirche. Während dieser Ritte konnte jedermann etwaige Ungerechtigkeiten dem Kaiser zu Gehör bringen, die auf der Stelle geschlichtet wurden. Das war keine leere Geste: die arme Bevölkerung brachte ihre alltäglichsten Beschwerden vor, und sogar die höchsten Beamten konnten der Bestrafung nicht entgehen, wenn sie für schuldig befunden wurden. Verbunden mit diesem persönlichen Eintreten für Gerechtigkeit förderte Theophilos bei seinen Beamten eine genaue und verantwortliche Verwaltung. Die Legende von seiner Hingabe an diese Sache war noch im 12. Jahrhundert lebendig, als in der Volkserzählung vom Timarion sein Name zu denen der Richter der Unterwelt hinzugesetzt wurde.
Abb. 10: Turm aus der Zeit des Kaisers Theophilos in der Seemauer von Konstantinopel
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Es ist tatsächlich ein Achtungsbeweis für Theophilos’ Herrschaft, daß nach seinem Tod im Jahr 842 sein junger Sohn Michael III. – er war knapp drei Jahre alt – zum Kaiser proklamiert wurde und später ohne innenpolitische Konflikte als Kaiser herrschte. Die Amorische Dynastie war fest begründet, und Theodora und ihre Ratgeber hatten eine solide Grundlage, auf der sie aufbauen konnten. Die krisenhafte Periode des Bilderstreits hat man als »ein für Byzanz verlorenes Jahrhundert« bezeichnet. Wir können uns dieser globalen Verurteilung der ganzen Epoche nicht anschließen, denn Byzanz ging aus dem Kampf um die Bilderverehrung in vielerlei Hinsicht gestärkt hervor. Größere Reformen waren erforderlich gewesen, um die Verwüstung und den Verlust von Randprovinzen des Reichs unter äußerem Druck zu verhindern; das war die Leistung der hervorragenden Kaiser des Zeitalters – Konstantins V., Nikephoros’ I., Michaels II. und Theophilos’. Bilderfreundliche Chronisten verurteilten die Methode, durch die dieser Fortschritt erreicht wurde, aber sie räumten ein, daß die Ergebnisse im allgemeinen positiv waren, wie zum Beispiel der gesetzliche Schutz für die arme Bevölkerung und der schrittweise ökonomische Aufschwung des Reiches im späten 8. und im 9. Jahrhundert. Diese Tatsachen werden nur widerwillig oder indirekt zugegeben; viele Historiker haben sie totgeschwiegen; trotzdem sind sie eine wichtige Quelle. Die neue Organisation der Provinzen als ›themata‹, die von der Dynastie des Heraklios eingeführt worden war, war erprobt worden und hatte sich während des 7. Jahrhunderts als praktikabel erwiesen. Die Ausweitung und Entwicklung dieser Organisation geht auf Leon III. und seine Nachfolger zurück. Um das Jahr 842 erfaßte die Provinzverwaltung die Balkanhalbinsel, die Küste Dalmatiens, die Ionischen und Ägäischen Inseln, die Küstenstriche am Schwarzen Meer und die arabischen Grenzgebiete. Die Ausdehnung der verbesserten byzantinischen Verwaltung bedeutete einen Zuwachs an militärischen, finanziellen und materiellen Ressourcen im ganzen Reichsgebiet. Steuerzahlungen, Versorgung von Armeen und Bebauung größerer Landflächen waren durch das neue System garantiert. Die Einheitlichkeit der Verwaltung förderte die Integration lokaler, ethnischer oder religiöser Minderheiten und trieb die Hellenisierung der byzantinischen Gebiete voran. Dieses System sicherte das Überleben von Byzanz für Jahrhunderte. Die sozialen Veränderungen, die sich während des ikonoklastischen Zeitalters vollzogen, zielten ebenso auf Integration und Hellenisierung ab. Die Einrichtung von Dörfern als fiskalischen Kollektiven erleichterte nicht nur die Zahlung der Landsteuern und die Bestellung der Felder, sondern stärkte auch die Position der Kleinbauern. In ökonomischer Hinsicht war es eine Periode allmählichen Aufstiegs. Handel und Märkte erholten sich langsam in den effektiv von Byzanz beherrschten Gebieten. Die Kornfelder Thrakiens wurden als Ersatz für die Ägyptens und Nordafrikas erschlossen; neue Handelsstraßen und Märkte
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wurden am Schwarzen Meer und auf der Krim erkundet. Obwohl die Piraterie der Araber im östlichen Mittelmeer den byzantinischen Seehandel gefährdete, bewiesen die ausgedehnten Seereisen des Hl. Gregorios Dekapolites, daß die Kommunikationslinien noch nicht völlig unterbrochen waren. Trotz Leons V. Verbot des Handels zwischen byzantinischen und islamischen Kaufleuten haben wahrscheinlich kommerzielle Beziehungen weiter bestanden. Unter den Syrischen Kaisern war das byzantinische Münzwesen vereinfacht worden, und während Theophilos’ Regierungszeit begann das Geld lebhafter im ganzen Reich zu zirkulieren. Ohne Zweifel trug dies zum wirtschaftlichen Wachstum bei. Entgegen der herrschenden Meinung wurde die Münzprägung in dieser Epoche nicht als Mittel religiöser Propaganda benützt. Der Typ von Münzbild, der oft als »ikonoklastisch« bezeichnet wird, war schon vor der Regierungszeit Leons III. im Umlauf und blieb lange nach der Wiedereinführung der Bilderverehrung im Jahr 843 noch im Umlauf. Alle Kaiser der Zeit benutzten ihn; nicht einmal die bilderfreundliche Irene führte das Christusporträt wieder ein, das erstmals von Justinian II. geprägt worden war. Sie betonte jedoch ihre eigene Autorität auf den Münzen, in dem sie das Porträt ihres Mitregenten Konstantin VI. durch ihr eigenes ersetzte. Die ikonoklastische Kunst hatte andererseits für die Byzantiner eine sehr klare Bedeutung. In der Heftigkeit der bilderfreundlichen wie der bilderfeindlichen Reaktionen auf Veränderungen in der religiösen Kunst enthüllt sich ihre Wichtigkeit. Leider ist der größte Teil der ikonoklastischen Kunst – in gleicher Weise wie das ikonoklastische Schrifttum – nach dem Jahr 843 vernichtet worden, und nur wenig ist erhalten. Aber die bilderfreundlichen Quellen berichten, daß die ikonoklastischen Kaiser nicht völlig destruktiv waren: sie ersetzten Ikonen durch Darstellungen des Kreuzes, wilder Tiere, Blumen und Kaiserporträts. Sogar Konstantin V. ließ Kirchen erbauen. Die Förderung der Künste – mit Ausnahme der Plastik – dauerte während des Ikonoklasmus an; und die erhaltenen Monumente, wie die Kirche der Heiligen Weisheit in Thessalonike und die wiedererbaute Irenen- Kirche in Konstantinopel mit dem großen Mosaikkreuz in der Apsis, lassen vermuten, daß die Fähigkeiten byzantinischer Künstler und Architekten nicht gelitten hatten. Auf der anderen Seite gab es während des ikonoklastischen Zeitalters keine bedeutenderen Stilentwicklungen. Ohne Zweifel machten sich die Auswirkungen des Ikonoklasmus bei den klösterlichen Institutionen des Reiches am schärfsten bemerkbar. Aber die Widerstandskraft einzelner ließ erkennen, daß das Mönchs- Ideal in Byzanz zu tief verwurzelt war, um ausgerottet werden zu können. In mancherlei Hinsicht kann man die kirchlichen Reformen der Syrischen Kaiser mit ihren Reformen des Gerichtswesens in Verbindung bringen. Auf beiden Gebieten bemühten sich die Kaiser, die Korruption abzuschaffen und eine Einheitlichkeit von Praxis und Glauben herbeizuführen – kein unvernünftiges Ziel. Aber die Verbundenheit der
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Byzantiner mit den Ikonen war so tief, daß der Ikonoklasmus sie nicht ausrotten konnte. Während des Bilderstreits verlor Byzanz seine Territorien in Mittelitalien, und die Franken schufen ein Westreich. Diese politische und kirchliche Trennung des Byzantinischen Reiches von Westeuropa war nicht nur für die Entstehung des mittelalterlichen Europa von Bedeutung, sondern ebenso für die osteuropäische Geschichte, vor allem für die des russischen Fürstentums von Kiev. In der kirchengeschichtlichen Entwicklung bestätigte das durch die ikonoklastischen Lehren des Ostens hervorgerufene Schisma die geographischen Unterschiede in den religiösen Gebräuchen. Nach acht Jahrhunderten hatte sich die Kirche im Westen unvermeidlich von der östlichen gelöst – eine Trennung, die durch sprachliche und kulturelle Faktoren und besonders durch die weltliche Rolle des Papsttums bedingt war. Rom hatte die geistige und politische Führung in Westeuropa inne. Unter Papst Hadrian I. (772–795) gab die päpstliche Kanzlei das Datierungssystem des Byzantinischen Reiches auf und dokumentierte so symbolisch ihre Unabhängigkeit von alter römischer Tradition. Die Krönung Karls des Großen war eine natürliche Folge dieses Prozesses und zugleich der Versuch, eine schon seit längerer Zeit bestehende politische Realität zu objektivieren: anstelle der Byzantiner waren die Franken als Schutzherren der westlichen Kirche getreten. Der Verlust byzantinischer Gebiete im Westen war keine Katastrophe; er beschränkte das Reich auf die hellenisierten Provinzen des Ostens, die immer den Kern von Byzanz gebildet hatten. Drei Maßnahmen, die spezifisch für die ikonoklastische Politik sind – eine starke Militärregierung, strenge Finanzorganisation und kaiserliche Kontrolle über die Kirche –, ermöglichten Byzanz dreihundert Jahre die Verteidigung und Expansion seines Territoriums. Die Tatsache, daß sich diese Maßnahmen im 10. Jahrhundert als so erfolgreich erwiesen, beweist die wahre Bedeutung der Periode des Bilderstreits, in der sie zum erstenmal verwirklicht wurden. 3. Byzanz und die Slawen I. Slawische Landnahme Umgeben von barbarischen Völkern, suchte Byzanz das römische Erbe zu sichern und die Orthodoxie zu wahren. Einen Teil der die Grenzen ständig bedrohenden Feinde besiegte es in aufreibenden Kämpfen, einen anderen Teil wußte es geschickt auf diplomatischem Wege, durch Tribut und Geschenke zum Stillhalten zu bewegen, einen weiteren Teil konnte es dadurch unschädlich machen, daß es die einzelnen Stämme gegeneinander ausspielte. Das Verhältnis zu den Slawen begann zunächst unter den gleichen Bedingungen. Jedoch bald schon spielten die Slawen für das Oströmische Reich eine andere Rolle, sie ist in etwa vergleichbar mit jener der Germanen im Westen. Durch Übernahme des Christentums werden sie als gleichwertige Partner anerkannt und kulturell
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integriert. Einerseits empfingen Germanen und Slawen entscheidende Impulse für eine eigene kulturelle Entwicklung, andererseits verjüngten sie alternde Staatengebilde und suchten selber die Führung darin zu übernehmen. Ein Teil der Slawen, nämlich die Süd- und Ostslawen, übernahmen mit der Orthodoxie die byzantinische Herrscheridee und Kultur. Sie sollten in viel stärkerem Maße die Erben des zweiten Rom als die Germanen im Westen die des ersten werden. Wieweit das slawische Element schon innerhalb des eigentlichen byzantinischen Staatsgebildes zum Tragen gekommen ist, ist eine schwer zu beantwortende Frage. Zu den großen Problemen der byzantinischen Geschichte gehört auch die Frage nach der Nationalität. Beherrschung der griechischen Sprache, Anerkennung des Kaisertums und Bekenntnis zur Orthodoxie waren die Kennzeichen für einen echten Byzantiner, der durchaus armenischer, syrischer oder slawischer Herkunft sein konnte. Erst neuzeitlicher Nationalismus hat hier den Blick für die Wirklichkeit getrübt und zu letzten Endes fruchtlosen Debatten geführt. Der indogermanische Volksstamm der Slawen hatte seine Urheimat nordöstlich der Karpaten, im Quellgebiet und am Oberlauf der Flüsse Weichsel, Dnestr, Pripet, Bug, Dnepr. Während der Völkerwanderung gerieten auch die Slawen in Bewegung. Wann sie erstmals nach Süden vorgestoßen und an die Donau gelangt sind, ist unklar. Der eine Wanderweg lag im Osten, die Flüsse Prut und Seret entlang zur Donaumündung, der andere führte über den Jablunka- Paß in der heutigen Slowakei nach Mähren, an die mittlere Donau zum Plattensee und weiter zur Sawe. Sicher sind vom 2. bis 4. Jahrhundert im Gefolge der Goten und Gepiden, der Sarmaten und Hunnen vereinzelte slawische Stämme oder Sippen in das Gebiet an der Donau gelangt. Der Name des römischen Kaisers Trajan in der Volksüberlieferung der Slawen und der Brauch des Koleda-Singens, von lateinisch calendae, zur Zeit der Wintersonnenwende und zu Beginn des neuen Jahres lassen auf eine frühe Begegnung mit den Römern schließen. Erstmals drangen im Gefolge der Hunnen Slawen und Anten, zwei Völker mit der gleichen Sprache und denselben Sitten, im Jahre 527, als Justinian den Thron bestieg, in das Byzantinische Reich ein. In ungeordneten Horden unternahmen sie an der Nordgrenze Raubzüge, ohne sich jedoch anzusiedeln. Unter Justin I. hatte sie der Strategos Germanos noch besiegt. Justinian ernannte 530 Chilbudios, der wahrscheinlich selbst Slawe war, zum Strategen von Thrakien und suchte die Nordgrenze von Singidunum (heute Belgrad) bis zum Schwarzen Meer durch Festungsbauten zu sichern. Die slawischen Angriffe und Einfälle waren jedoch nicht aufzuhalten. Fast in jedem Jahr wurden Teile des Balkans von Slawen heimgesucht. 545 kamen sie bis nach Thrakien, 547/48 fielen sie in Illyrien und Dalmatien ein, wo sie bis vor Dyrrhachion (Durazzo, slaw. Drač) gelangten. 550/51 überquerten sie die Maritza und errangen bei Adrianopel sogar einen Sieg über die Byzantiner. Sie belagerten Naissus (Niš). Gemeinsam mit den Kutriguren unternahmen sie 559 einen Vorstoß auf die Zentren des
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Reiches, auf Thessalonike und Konstantinopel. Wenn er auch wenig Erfolge im Kampf gegen die Eindringlinge zu verzeichnen hatte, so legte Justinian sich doch den Siegernamen »Anticus« zu. Im 17. Jahrhundert wurde eine Vita Justiniani von Nikolaus Alemannus herausgegeben, die von einem vermeintlichen Lehrer des Kaisers namens Theophilos-Bogomil stammen sollte. Danach soll der ursprüngliche Name Justinians »Upravda« (von slaw. pravda – Gerechtigkeit) gelautet haben. So entstand die bis ins 19. Jahrhundert hinein geglaubte Legende von der slawischen Abstammung Justinians. Unter Justin II. erschien ein neuer Feind an der Donau. Die Awaren, ein turktatarisches Nomadenvolk, gründeten unter ihrem Khan Bojan an Theiß und Donau einen eigenen Staat. Sie übernahmen die Führung auch über die nach Stämmen oder Sippen »demokratisch« (wie der Historiker Prokopios schreibt [Gotenkrieg III, 14]) organisierten Slawen. Gemeinsam griffen sie die Hauptstadt an, belagerten Sirmium (heute: Sremska Mitrovica), 577/578 drangen erstmals 100000 Slawen in Hellas ein und verwüsteten das Land. Nach dem Zeugnis des syrischen Kirchenhistorikers Johannes von Ephesos ließen sie sich bereits nieder, erwarben reiches Besitztum und lernten, Krieg zu führen. 581 wurde Konstantinopel erneut belagert. In den folgenden Jahren hatte Griechenland unter ständigen Raubzügen zu leiden. Auch der Versuch der byzantinischen Diplomatie, die Awaren gegen die Slawen zu mobilisieren, fruchtete nicht. Das Ziel slawischer Eroberungswünsche war Thessalonike, das seine wunderbare Errettung aus größter Not seinem Schutzpatron, dem hl. Demetrios, zuschrieb. In den Wunderberichten seiner Vita wurden die Belagerungen ausführlich geschildert. Als »Volk ohne Waffen«, nur mit Holzspeeren, Bogen und Pfeil ausgerüstet, waren die Slawen zunächst dem byzantinischen Heer in offener Feldschlacht unterlegen, aber schon bald verfügten sie über Belagerungsmaschinen, die sie mit frischen Häuten gegen Brandpfeile zu schützen wußten. Auf ihren Einbäumen erreichten sie die Inseln, 623 sogar Kreta. Die Erfolge der Generale Priskos und Petros, die 593 und 597 Slawen, Awaren und Gepiden jenseits der Donau im eigenen Land geschlagen hatten, waren nur von kurzer Dauer. Unter Kaiser Phokas war Salona in Dalmatien gefallen. Die romanische Bevölkerung wurde zurückgedrängt und dezimiert. Die lateinischen kirchlichen Institutionen gingen zugrunde. Allmählich begannen die slawischen Stämme sich in den entvölkerten Gebieten niederzulassen. 626 kam es zur Belagerung Konstantinopels durch ein Heer aus Awaren, Slawen, Bulgaren. Kaiser Heraklios war im Osten gebunden und die Stadt somit sich selbst überlassen. Die Bevölkerung setzte sich zur Wehr, geleitet von dem Patriarchen Sergios. Die Barbaren erlitten eine furchtbare Niederlage. In der wunderbaren Errettung der Stadt sahen die Gläubigen ein Zeichen der Muttergottes. In jener Zeit entstand der hochberühmte Akathistos-Hymnos zu Ehren der »Siegreichen Heerführerin«. Die Macht der Awaren, die auch die Slawen zu spüren bekommen hatten, war gebrochen. Zur gleichen Zeit hatten
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westslawische Stämme unter Führung des fränkischen Kaufmannes Samo das Awarenjoch abgeschüttelt und 631 bei Wogastisburg den fränkischen König Dagobert besiegt. Kaiser Heraklios hatte mit dem Frankenkönig 629 Verbindung aufgenommen. So zeichnet sich schon beim ersten Versuch einer selbständigen Staatenbildung seitens der Slawen deren Stellung zwischen Fränkischem und Byzantinischem Reich, zwischen Ost und West ab. In den folgenden Jahrzehnten breiteten sich die Slawen über ganz Griechenland und die Peloponnes aus. Mitte des 8. Jahrhunderts hatte eine Pestepidemie weite Landstriche entvölkert, die nunmehr von Slawen neu besiedelt wurden. »Das ganze Land wurde slawisiert und barbarisch.« (Konstantin Porphyrogennetos, De thematibus, 53,18.) Waren bereits vor der Seuche Slawen im Lande, so wuchs ihr Einfluß gegenüber dem geschwächten griechischen Bevölkerungsanteil, der vor allem in den Städten lebte. 680–685 wurden viele Slawen nach Kleinasien umgesiedelt, wo sie auf seiten der Byzantiner gegen die Araber kämpfen sollten. Ein großer Teil der Slawen lief jedoch zum Feind über, worauf der zurückgebliebene Rest von den Byzantinern als Vergeltung für Untreue niedergemacht wurde. Ständige Versuche der makedonischen Slawen, Thessalonike in die Hand zu bekommen, veranlaßten Heereszüge nach »Sklaviniai«, wie Nordgriechenland nunmehr genannt wurde. Die zeitweilige Besiedlung Griechenlands durch Slawen ist an noch erhaltenen Ortsnamen slawischer Herkunft abzulesen. Im 19. Jahrhundert hat das den Historiker Jakob Philipp Fallmerayer zu seiner heftig umstrittenen These veranlaßt, bei den modernen Griechen handele es sich um hellenisierte Slawen. Byzantinisten und Slawisten haben diese These als unhaltbar zurückgewiesen. Im Laufe des 8. Jahrhunderts wurden die Slawen durch einzelne Aktionen des byzantinischen Heeres aufgerieben. Ein Teil wird, von der überlegenen griechischen Kultur angezogen, hellenisiert worden sein. Am längsten hielten sich die beiden slawischen Stämme der Milinger und Ezeriten am Taygetos, wo sie erst in der Türkenzeit verschwanden. Unter Kaiserin Irene erlagen die Slawen der griechischen Übermacht 805–807 in den Kämpfen um Patras. Sie gerieten somit endgültig unter die byzantinische Herrschaft, wenn auch später noch vereinzelte Aufstände aufflackerten. Der aus Kleinasien stammende Slawe Thomas entfesselte zur Zeit Michaels II. einen Aufstand »der Sklaven gegen die Herren«, 821–823 belagerte sein Anhang Konstantinopel, bis er mit Hilfe der Bulgaren besiegt werden konnte. Die Gestalt des Thomas erinnert stark an die sozial-utopischen Heilbringer in Rußland wie Stenka Razin und Pugačev. Die große Aufgabe, vor die sich Byzanz gestellt sah, war die Integrierung der Slawen und ihre Bekehrung zum Christentum. Während des Bilderstreits war es zu einer bedeutsamen Neuregelung der Jurisdiktionsbereiche gekommen. 732 wurde der gesamte Balkan aus dem Bereich des römischen Papstes herausgenommen und dem ökumenischen Patriarchen unterstellt. Nach Überwindung der letzten großen Krise der orthodoxen Kirche, des Bilderstreites, konnte das große Missionswerk in Angriff genommen werden. In hohem Maße
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vereinigten sich orthodoxes Sendungsbewußtsein und byzantinische Staatsklugheit in der Person des Patriarchen Photios. Ihm stand der nicht minder selbstbewußte und kluge Papst Nikolaus I. gegenüber. So ist die Slawenmission von Anfang an überschattet vom Gegensatz zwischen Ost und West, von dogmatischen Streitfragen zwischen der griechischen und lateinischen Kirche, aber auch von der Auseinandersetzung um das Erbe des römischen Kaisertums zwischen Franken und Byzantinern. Bei ihrer Aufnahme in die europäische Völkerfamilie durch die Christianisierung wurden die Slawen in die Spaltung hineingezogen. Besonders tragisch tritt das bei den Südslawen zutage, von denen die Kroaten zur lateinisch-katholischen und die Serben zur griechischorthodoxen Kirche gelangten.
Abb. 11: Ansiedlung der Slawen auf der Balkanhalbinsel. Bildung des I. Bulgarischen Reiches
II. Das Grossmährische Reich Das Awarenreich wurde endgültig von Karl dem Großen im Jahre 797 zerstört. Nicht nur die fränkische Macht nahm zu, sondern auch die Slawen suchten sich von der Fremdherrschaft zu befreien. Die Macht Karls muß die Slawen sehr
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beeindruckt haben. Sein Name wurde in den slawischen Sprachen zur Bezeichnung »König« (kral’). Nach der Episode des Reiches von Samo entstand ein neuer Staat, dessen Name ›Groß-Mähren‹ von Konstantin Porphyrogennetos geprägt wurde. Der erste mährische Fürst Mojmír I. konnte das Gebiet seiner Herrschaft auf Kosten eines anderen, den Franken freundlich gesonnenen slawischen Fürsten Pribina vergrößern, den er aus Nitra vertrieb. Somit bildeten im Süden Sawe und Donau, im Osten die Theiß, im Westen der Bayerische Wald die Grenze. Im Norden gehörten die tschechischen Stämme und ein Teil der Sorben zu seinem Bereich. Die politischen, kirchlichen und wirtschaftlichen Zentralen lagen in Mähren, in Staré Mĕsto, Mikulčice, Modra, Sady und Pohansko. Ausgrabungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg durchgeführt wurden, förderten reichhaltiges Material zutage, das auf eine relativ hohe Kultur schließen läßt. Die Christianisierung ging von verschiedenen Zentren aus, von der Adria her durch das Patriarchat von Aquileia, von Bayern durch das Erzbistum Salzburg und das Bistum Passau, vom Donaugebiet her und schließlich von Byzanz aus. Auf die unterschiedlichen kulturellen Traditionen weisen die Grundrisse der alten Kirchen hin. Der Nachfolger Mojmírs I., Rastislav (840–869), suchte als Grenznachbar sowohl des Fränkischen wie des Bulgarischen Reiches Kontakt zum byzantinischen Kaiser Michael III. Neben der Stärkung gegenüber den beiden mächtigen Nachbarn, die sich gegen ihn verbündet hatten, ging es ihm auch um kirchenpolitische Fragen. Er bat den Kaiser um Missionare, die das schon bekehrte Volk im christlichen Gesetz unterrichten und es den Weg der Wahrheit in der eigenen Sprache lehren könnten. In Konstantinopel wurden für diese Aufgabe zwei Brüder aus Thessalonike ausersehen, die sich bereits durch ihre Gelehrsamkeit und ihr diplomatisches Geschick ausgezeichnet hatten. Es waren die Söhne eines höheren byzantinischen Beamten, des Drungarios Stephanos: Methodios (etwa 815 geb.) und Konstantin (826/827 geb.). Sicher werden sie schon in früher Jugend die Sprachen der Slawen, die sich um ihre Vaterstadt herum angesiedelt hatten, erlernt haben. Selber waren sie sicherlich Griechen und keine Slawen, wie vor allem der spätere bulgarische Nationalismus es glauben machen möchte. In ihrer Begabung ergänzten sie sich aufs beste. Methodios war offensichtlich ein Mann der Praxis, während Konstantin schon bald den ehrenden Beinamen »der Philosoph« erhielt. Methodios hatte zunächst ein hohes Amt inne, bis er sich 840 infolge der Wirren des Bilderstreites ins Kloster auf dem bithynischen Olymp zurückzog. Konstantin studierte seit 843 in Konstantinopel an der Schule von Magnaura. Die beiden bedeutendsten Gelehrten ihrer Zeit, Photios und Leon Grammatikos, vermittelten ihm das Schulwissen seiner Zeit in den sogenannten Sieben Freien Künsten. Konstantin disputierte erfolgreich mit dem Bilderfeind Johannes Grammatikos. 855/ 856 nahm er an einer Gesandtschaft zu den Arabern teil. Zusammen mit seinem Bruder Methodios begleitete er 860 eine byzantinische Delegation zu den Chasaren auf die Krim. Dort fanden sie die Reliquien des hl. Papstes Clemens
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(gest. 101), die sie später nach Rom überführten. So waren sie für die neuen Aufgaben in Mähren am geeignetsten. Konstantin schuf für die neue Mission eine Schrift für jenes slawische Idiom, das er kannte, die sogenannte »Glagolica«. Über die Vorbilder für das phonetisch erstaunlich genaue Alphabet gehen die Meinungen auseinander. Mit der genialen Erfindung legte Konstantin den Grundstein für die Entwicklung der slawischen Literatursprachen. Altkirchenslawisch bzw. Altbulgarisch wurde später die erste slawische Schriftsprache genannt. In gewisser Abwandlung ist sie bis auf den heutigen Tag für die orthodoxen Slawen mit wenigen Ausnahmen die Kultsprache geblieben. Als erstes übersetzte Konstantin das Evangeliar, beginnend mit dem Prolog des Johannesevangeliums. Weiterhin übertrug er die wichtigsten Gottesdienstordnungen, Vesper, Matutin und Liturgie, ins Slawische. In Mähren hatten die Brüder große missionarische Erfolge. Nach dem Sieg König Ludwigs des Deutschen über Rastislav gewannen fränkische Kleriker wieder an Einfluß. Sie beobachteten das Wirken der Griechen mit Neid und Mißtrauen. Papst Nikolaus I., ein entschiedener Vertreter des römischen Primats, lud sie nach Rom ein. Auf ihrer Reise 866 nach Rom machten sie bei dem slawischen Fürsten Kocel, dem Sohn Pribinas, in Pannonien halt. Er interessierte sich für das Werk der Brüder und unterstützte es, indem er ihnen 50 Schüler zuführte. Als die beiden 868 in Rom eintrafen, war Papst Nikolaus I. bereits gestorben. Sein Nachfolger, Hadrian II., empfing sie huldvoll. Sie übergaben die Reliquien des hl. Clemens der römischen Kirche. Ihr Missionswerk und die Liturgie in der Volkssprache fanden päpstliche Anerkennung. Konstantin trat in Rom in ein griechisches Kloster ein, wobei er den Namen, unter dem er berühmt geworden ist, Kyrillos (Cyrill), annahm. Schon bald darauf, am 14. 2. 869, starb er. Methodios kehrte mit dem Titel eines Erzbischofs von Pannonien nach Mähren zurück. Damit war die kanonische Grundlage für die Errichtung einer slawischen Kirchenprovinz gegeben. In Mähren hatte sich die innenpolitische Lage zuungunsten Methodios’ gewandelt. Svatopluk (870–894) hatte seinen Onkel Rastislav abgesetzt und nach Blendung in ein fränkisches Kloster gesteckt. Außenpolitisch hatte er sich dem Fränkischen Reich wieder zugewandt. Die Intrigen des lateinischen Klerus gegen Methodios wurden immer heftiger. 870 wurde er gefangengenommen und vor eine Synode bayerischer Bischöfe gestellt, auf der er gedemütigt wurde. Er wurde verurteilt und in dem schwäbischen Kloster Ellwangen inhaftiert. Papst Johannes VIII. erfuhr auf Umwegen von diesem Unrecht. Er sandte den Bischof Paul von Ancona zu König Ludwig dem Deutschen und verlangte die Freilassung Methodios’. In der Bulle Industriae tuae an Svatopluk rechtfertigte derselbe Papst das Werk der Slawenapostel aufs glänzendste. Svatopluk schloß 874 in Forchheim Frieden mit den Franken. Damit war die Orientierung Mährens nach Byzanz endgültig vorbei. Die lateinische Mission setzte in verstärktem Maße wieder ein. Papst Johannes VIII. verbot 874 in einem nicht erhaltenen Brief den Gebrauch der slawischen Sprache in der Liturgie. (Wir wissen davon aus einem zweiten Schreiben desselben Papstes an
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Methodios aus dem Jahr 879.) Auf einer zweiten Rom-Reise konnte sich Methodios noch einmal rechtfertigen. Die letzten Jahre seines Lebens wurden durch die Verdächtigungen und Intrigen vor allem seitens seines Suffraganbischofs Wiching von Nitra vergällt. Man warf ihm u.a. Häresie vor, weil er z.B. das »filioque« nicht ins Glaubensbekenntnis einfüge, was freilich die römische Kirche im Unterschied zur fränkischen zu dieser Zeit auch noch nicht tat. 882/883 reiste Methodios nach Konstantinopel, wo er seitens des Kaisers und des Patriarchen Billigung seiner Arbeit fand. Am 6. 4. 885 starb er in seinem Bischofssitz in Velehrad. Seine Schüler wurden bald nach dem Tod ihres Meisters verfolgt und vertrieben. Der Versuch, das Großmährische Reich von Konstantinopel aus zu christianisieren und somit der Ostkirche und byzantinischen Kultur zu öffnen, war gescheitert. Als 904 die Magyaren nach Europa einfielen, zerfiel auch das Groß-mährische Reich. Die Tschechen, Mährer und Slowaken wurden im Laufe der nächsten Jahrzehnte der lateinischen Kirche einverleibt und damit dem deutschen bzw. ungarischen Einfluß ausgeliefert. Die Liturgie in einer dem Volk verständlichen Sprache verschwand, an ihre Stelle trat die lateinische. Hier und da wurde das Kirchenslawisch als seltenes Privileg gewahrt wie im Sazava-Kloster oder zur Zeit Karls IV. im Emmaus- Kloster bei Prag. Eine eigene slawische Nationalkirche gemäß dem politischen Prinzip der Ostkirche mit der Tendenz zur Autokephalie konnte sich nicht entwickeln. Das petrinische Prinzip Roms setzte sich durch. Ganz vergessen wurde jedoch die Vergangenheit nicht. Sie lebte in der kyrillomethodäischen Idee im Mittelalter, im Zeitalter des Barock und vor allem im 19. Jahrhundert fort. In hussitischer Zeit erinnerte man sich an die Ostkirche, vor allem seitens der Utraquisten suchte man Kontakte, um gültig geweihte Priester zu bekommen. Kurz vor der Katastrophe erschien in Konstantinopel der Tscheche Petr Platris, der gegen die Union mit Rom wetterte. Die Griechen, die ihn geweiht hatten, nannten ihn Konstantinos ὁ ἱερεύς, »der Priester«. Das Werk der Slawenapostel Kyrillos und Methodios kann in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden. Durch ihre Übersetzung haben sie nicht nur den Slawen den Weg zur Schriftsprache eröffnet, sondern auch die byzantinische Geistigkeit über den griechischen Raum hinausgetragen. Liturgische und theologische Texte in einer alten, ausgeformten Terminologie galt es in die Sprache eines noch jungen, auf nicht derselben kulturellen Höhe stehenden Volkes zu übersetzen. So legen die ersten Übersetzungen ein beredtes Zeugnis von einer hohen theologischen Bildung und einem ausgeprägten Sprachgefühl der Brüder ab. Zunächst wurden die allerwichtigsten liturgischen Texte übersetzt: Evangeliar, Apostolos, Psalter, Lesungen aus der Hl. Schrift und die Liturgie sowie das Euchologion, das Rituale. Von Methodios weiß dessen Vita zu berichten, er habe mit Hilfe zweier Schnellschreiber in acht Monaten das gesamte Alte Testament mit Ausnahme der Makkabäerbücher übersetzt. Wieweit diese Nachricht zutrifft, ist noch nicht genügend erforscht. Auf Methodios geht auch der Grundstock der slawischen Übersetzung des
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Nomokanon zurück in dem Zakon sudnyj ljudem. Sehr wahrscheinlich hatte er wesentliche Stücke der byzantinischen Ekloge schon vor seiner mährischen Zeit übertragen, als er noch als Beamter in Makedonien mit slawischen Untertanen des byzantinischen Kaisers zu tun hatte. Der Nomokanon wurde erst in Mähren hinzugefügt, was die reichlich vorhandenen Bohemismen belegen. Es handelt sich um eine geschickte, den wirklichen Verhältnissen angepaßte Auswahl aus der byzantinischen Gesetzgebung. Ein weiteres Werk, eine Auswahl aus den »Büchern der Väter«, eine Art Paterikon, eine Sammlung von patristischen Schriften, wird Methodios zugeschrieben. Ob es sich dabei um Homilien berühmter Kirchenväter oder um Apophthegmata der Mönchsväter handelt, ist noch nicht geklärt, da das Original und das entsprechende griechische Vorbild nicht mehr vorliegen. Sehr wahrscheinlich wird es sich um ein Handbuch mit Zitaten und Geschichten der großen Asketen gehandelt haben, wie sie später unter dem Namen Paterikon üblich wurden. Liturgie, Kirchenrecht und Asketik der Ostkirche sollten somit die geistliche Grundlage für das mährisch-pannonische Erzbistum bilden. Svatopluk erkannte im Unterschied zu den bulgarischen Zaren die Bedeutung eines eigenen Kirchenwesens für die Unabhängigkeit des Staates nicht. Kyrillos und Methodios hielten sich streng an die Jurisdiktion des für Mähren zuständigen Papstes, trotz der Auseinandersetzungen ihres Lehrmeisters Photios mit Rom. So bekundeten sie in ihrem Werk neben missionarischem Eifer, pastoraler Klugheit auch eine ökumenische Gesinnung und überragten darin viele ihrer Zeitgenossen. Ihre Schüler traf das harte Los der Verfolgung. Von fränkischen Soldaten vertrieben, mißhandelt, als Sklaven verkauft, gelangten sie auf verschiedenen Wegen in ein Land, das sich gerade dem Christentum und Byzanz zugewandt hatte – nach Bulgarien, wo sie die erste Blüte des altkirchenslawischen Schrifttums hervorriefen. III. Bulgarien a) Das erste Bulgarische Reich, 679–1018 Als die Slawen sich schon auf dem Balkan festgesetzt hatten und die Macht der Awaren im Rückgang begriffen war, überquerte ein turko-tatarisches Volk, die Bulgaren unter ihrem Khan Isperich (griech. Asparuch), von den Chasaren gezwungen, 679 die Donau und ließen sich in Mösien nieder. Das energische, feudalistisch organisierte Volk unterwarf sich die untereinander uneinigen Slawenstämme, zumal seine materielle Kultur auch ein höheres Niveau aufwies. Byzanz erwuchs aus dem Innern Asiens kommend ein neuer, gefährlicher Gegner. Kaiser Konstantin IV. Pogonatos suchte sie abzuwehren, erlitt aber 679 schon eine Niederlage und mußte mit den Bulgaren einen Vertrag schließen. Zur Zeit Justinians II. griff Khan Tervel in die Thronstreitigkeiten ein und erschien 705 mit einem Heer aus Bulgaren und Slawen unerwartet vor den Mauern
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Konstantinopels. Justinian II. wurde wieder eingesetzt. Zum Dank dafür überreichte er Tervel die kaiserliche Mandyas und verlieh ihm den Titel ›Kaiser‹ (›Basileus‹). 716 gelang es Tervel, neue, für die Bulgaren günstige Verträge mit Byzanz abzuschließen. Die byzantinischen Kaiser versuchten in der Folgezeit, den gefährlichen Nachbarn zu vernichten. Einzig Konstantin V. war einiger Erfolg beschieden. Nach Überwindung innerer Streitigkeiten festigte sich das Bulgarische Reich ständig. Nach der Zerstörung des Awarenreiches durch Karl den Großen grenzte es an Theiß und Sawe unmittelbar an das Frankenreich. Khan Krum (802–815) eroberte 809 die alte Stadt Serdica (heute Sofia). 811 zog Nikephoros I. mit dem byzantinischen Heer gegen die Hauptstadt Pliska, eroberte und zerstörte sie. Auf dem Rückmarsch geriet er in eine Falle, und die Byzantiner erlitten eine furchtbare Niederlage. Nikephoros I. fiel, und aus seiner Schädeldecke trank Krum seinen Boljaren zu. Seine Nachfolger suchten einerseits die Grenzen gegenüber den Franken zu festigen, zum anderen die von slawischen Stämmen bewohnten Gebiete Makedoniens unter ihre Herrschaft zu bekommen. Schon beherrschten sie große Teile der Balkanhalbinsel und kontrollierten die wirtschaftlich und militärisch wichtigsten Verbindungen wie die ›via Singidunum‹ (Belgrad – Sofija – Philippopel – Adrianopel – Konstantinopel), die ›via Egnatia‹ (Dyrrhachion – Ochrid – Thessalonike – Konstantinopel), die Donau und die Schwarzmeerküste. Die politische Ordnung des Staates war feudalistisch, dem Khan standen die Boljaren zur Seite. Die Bauern waren zum Teil frei, zum Teil waren sie als Sklaven von der Zentralgewalt oder von einem Boljaren abhängig, denen sie verschiedene Dienste zu leisten und Steuern in Form von Naturalien zu zahlen hatten. Pliska hieß die monumentale Hauptstadt, deren Ruinen von der Archäologie zutage gefördert wurden. Auf der Grundlage der römisch-byzantinischen Tradition wurden monumentale Bauwerke errichtet, die in ihrem Stil und ihrer Ausschmückung an die iranische Herkunft der Erbauer erinnern. Das berühmteste Denkmal dieser Zeit ist das in seiner Art in Europa einmalige, in eine Felswand eingemeißelte Relief eines Reiters bei dem Dorf Madara. Wie die Slawen waren auch die Protobulgaren Heiden, als sie in die Balkanhalbinsel eindrangen. Die alte kirchliche Organisation wurde weithin zerstört, wie z.B. Serdica, in dem 343 eine Synode stattgefunden hatte. Einzelne Prediger, besonders byzantinische Gefangene, wirkten als Missionare, so daß es schon vor der eigentlichen Konversion Christen gab. Unter Khan Omurtag und seinen Nachfolgern wurden die Christen grausam verfolgt. Viele starben den Märtyrertod. Die Wende trat unter dem Fürsten Boris ein, der von 852 bis 888 regierte. Er vollzog die Wendung zum Christentum in seiner östlich-byzantinischen Form und bestimmte so die weitere Entwicklung Bulgariens. Hand in Hand mit der Christianisierung ging die Slawisierung Bulgariens. König Ludwig der Deutsche suchte ebenso wie der Fürst Rastislav von Mähren Verbindung zu Boris. Byzanz
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war an einer friedlichen Verbindung mit dem gefährlichen Nachbarn gelegen. Rom hoffte durch Missionierung das 732 verlorene Gebiet seiner Jurisdiktion zurückzuerlangen. Als sich 863 Rastislav für byzantinische Glaubensboten entschied, König Ludwig sich gegen Mähren wandte, konnte Byzanz Boris nötigen, um Frieden zu bitten. 865 ließ er sich taufen und nahm dabei den Namen seines kaiserlichen Taufpaten Michael an. Das Jahr darauf wandte er sich insgeheim an Papst Nikolaus I. mit der Bitte, ihm die christliche Lehre zu erläutern, Geistliche zu senden, vor allem aber ein bulgarisches Patriarchat zu errichten. Der Papst sandte Bischof Formosus mit seiner Antwort zu Boris. Mit ihm kamen lateinische Priester ins Land. Allein der Frage nach einer eigenen Kirchenleitung wich der Papst aus. In Konstantinopel gelangte Basileios I. auf den Thron, der den Patriarchen Photios absetzen und Ignatios rehabilitieren ließ. Auf dem Konzil 870 entschieden die Väter in der Bulgarenfrage gegen Rom und für die Jurisdiktion des ökumenischen Patriarchen. Boris, der sich bereits wieder Byzanz zugewandt hatte, erhielt einen Erzbischof für sein Reich. Damit war die Entscheidung gefallen, die innere Struktur von Staat und Kirche, Kunst und Literatur wurde an byzantinischen Vorbildern ausgerichtet. Die anfänglichen Mißerfolge der griechischen Mission hörten auf, als die aus Mähren vertriebenen Schüler Kyrillos’ und Methodios’, Kliment, Naum, Gorazd, Angelar und Sava, mit ihren Lehrern die ›Heiligen Sieben‹ genannt, in das Bulgarische Reich kamen und die Christianisierung unter den Slawen vorantrieben. Kliment, ›der Slawische‹ und Naum wurden von dem Kommandanten Belgrads zu Fürst Boris geschickt. Kliment bekam ein Gebiet im Südwesten zugeteilt, während Naum in Preslav im Nordwesten ein kulturelles Zentrum im Kloster des hl. Panteleimon einrichten sollte. Kliment widmete sich von Ochrid aus der Missionsarbeit in Makedonien. Naum wurde ihm später beigesellt, der in Ochrid in dem Kloster starb, das heute seinen Namen trägt. Kliment bildete eine große Zahl von Schülern aus. 893 wurde er zum Bischof geweiht, seine Diözese war nach dem Fluß Velka benannt. Inzwischen hatte Boris 888 seine Krone niedergelegt und war ins Kloster gegangen. Sein Sohn Vladimir suchte dem Heidentum wieder zur Macht zu verhelfen. Daraufhin griff Boris noch einmal in die Geschicke seines Landes ein, 892 setzte er Vladimir wieder ab und ließ ihn blenden. Den Thron übergab er seinem jüngeren Sohn Simeon. Er selbst starb 907 im Kloster. Simeon, »der Halbgrieche«, hatte seine Ausbildung an der Schule von Magnaura in Konstantinopel erhalten. Er verlegte die Hauptstadt von Pliska nach Preslav, das er prachtvoll ausbauen ließ. Unter seiner Herrschaft erlebte die altkirchenslawische Literatur ihre erste Blüte. Die wichtigsten Werke byzantinischer Literatur wurden auf seine Veranlassung übersetzt. Kliment schrieb eine Vita seines Lehrers, des hl. Methodios, nieder. Im Stile griechischer Rhetorik hielt er Homilien (pochval’nye slova) und Katechesen (poučenija), von denen 27 erhalten sind. Er übersetzte das Pentekostarion (triod’ cvetnaja) und verfaßte eine Beichtordnung, die in dem glagolitischen Euchologium sinaiticum enthalten ist. Zu seinen Lebzeiten, er starb 916, wurde der Gebrauch der
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Glagolica aufgegeben und eine neue, der griechischen ähnlichere Schrift, die Kirilica bzw. Ćirilica, eingeführt. Sie ist wohl kaum sein Werk, eher das eines anderen slawischen Gelehrten seiner Zeit, Konstantin des Presbyters. Auf ihn gehen auch die beiden ersten slawischen Gedichte zurück, ein Gebet nach dem Alphabet (azbučnaja molitva) und ein Vorwort (Proglas) zum Evangelium. Er unternahm den Versuch, byzantinische Formen wie Akrostichis und den aus 12 Silben bestehenden »politischen Vers« zu verwenden. Sein »Lehrevangelium« stellt eine Sammlung von 51 Homilien für das Kirchenjahr dar, die bis auf eine von Johannes Chrysostomos, Kyrillos von Alexandria und Isidor von Pelusion stammen. Weiterhin verfaßte er nach dem Vorbild byzantinischer Chroniken ein Handbuch der Geschichte, »Istorikija«. Ein weiterer Vertreter der altkirchenslawischen Kultur ist Johannes der Exarch. Er übersetzte zwei theologisch-philosophische Werke, die zu seiner Zeit für Studium und Ausbildung von orthodoxen Geistlichen äußerst wichtig waren: den ersten Teil der Dogmatik des Johannes von Damaskus und den Kommentar zum Sechstagewerk (Hexaëmeron, Šestodnev), der in seinem Kern auf Basileios den Großen zurückgeht. Simeon selbst förderte diese Werke sehr. Auf seine Initiative hin wurde ein Sammelband (Sbornik) verschiedener Schriften, darunter die einzige altkirchenslawische Rhetorik nach Georgios Choiroboskos und ein Handbuch, bestehend aus Predigten des Johannes Chrysostomos, der sogenannte »Zlacostruj«, geschaffen. Der Traktat eines Mönches Chrabr »Über die slawischen Schriftzeichen« verrät ebenfalls eine enzyklopädische Bildung, aber auch slawisches Selbstbewußtsein gegenüber griechischen Einwänden. Simeon ahmte nicht nur die geistige Atmosphäre Konstantinopels in seiner Residenz nach, sondern er streckte auch die Hand nach der Kaiserkrone aus. Hießen die ersten Herrscher ›Khane‹, hatte sein Vater diesen Titel durch den slawischen ›knaz’‹ ersetzt, im byzantinischen Sprachgebrauch ἂρχων, so strebte er den Titel des βασιλεύς an, nicht, um das Ansehen des Bulgarenreiches zu erhöhen, sondern um den Kaisertitel in der ganzen Fülle seiner Bedeutung zu erringen. In ununterbrochenen Kriegen mit Byzanz dehnte er die Grenzen seines Reiches aus. Bei Bulgarophygon schlug er 896 die Byzantiner, die versucht hatten, die Ungarn gegen ihn zu hetzen. Simeon besiegte diese wiederum mit Hilfe der Petschenegen. Die Ungarn wandten sich nach Westen, zerstörten das Großmährische Reich und schoben sich wie ein Keil zwischen Süd- und Westslawen. 913 zog Simeon vor die Mauern von Konstantinopel. Er stand kurz vor dem Erfolg. Patriarch Nikolaos Mystikos stellte ihm eine Verbindung mit dem Kaiserhause in Aussicht und damit die Krönung zum Basileus. Simeons Tochter sollte den jungen Kaiser Konstantin VII. heiraten. Durchkreuzt wurden die Pläne von der Kaiserin Zoë und von Romanos Lekapenos. Simeon legte sich zwar den Titel »Car’ der Bulgaren und Selbstherrscher der Griechen« zu und erhob das bulgarische Erzbistum zum Patriarchat. Militärisch aber war er nicht in der Lage, die Hauptstadt zu erobern. Die Kämpfe mit Serben und Kroaten schwächten seine Kräfte. Als er 927 plötzlich starb, übernahm sein Sohn Peter,
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eine schwache Persönlichkeit, das Erbe. Der Basileus-Titel wurde auf Bulgarien beschränkt, das Patriarchat und somit die Autokephalie widerstrebend anerkannt und die eheliche Verbindung mit dem griechischen Herrscherhaus, wenn auch nicht mit einer ›Purpurgeborenen‹ erlaubt. Zudem wurde jährlich eine Summe an Bulgarien gezahlt. Der Versuch, die Hegemonie unter den christlichen Staaten an sich zu reißen, endete zunächst mit einem Kompromiß. Unter der Regierung Peters 927–969 bestand anfänglich Frieden mit Byzanz. Innenpolitisch erwuchsen dagegen neue Probleme. Verschiedene Boljaren erhoben sich gegen ihn, einem war Erfolg beschieden. So entstand im Westen 963 unter dem Adligen Nikola ein makedonischer unabhängiger Staat. Bedrückt durch die Abgaben an den Adel und die reicher werdende Kirche, wurde die Bevölkerung immer unzufriedener. Nikephoros Phokas setzte seit 968 dem ostbulgarischen Reich wieder zu. Er veranlaßte den russischen Fürsten Svjatoslav von Kiev, gegen die Bulgaren zu ziehen. 968 zerstörte er ihre Städte an der Donau, 969 trachtete er danach, Preslav zu seiner Residenz zu machen. Einzig die Petschenegen retteten Konstantinopel dadurch, daß sie Kiev belagerten. Johannes Tzimiskes vereinigte das ostbulgarische Reich wieder mit Byzanz. Boris II. mußte als Gefangener 972 öffentlich die kaiserlichen Insignien ablegen und wurde gleichsam zu einem byzantinischen Beamten degradiert. Das makedonische Reich bestand unter der Regierung Samuels weiter. Zunächst war Sofija, dann Vodena die Hauptstadt, wo auch der Patriarch residierte. Von dort wechselte er nach Măglen, von Prespa schließlich nach Ochrid über. Das Byzantinische Reich erstarkte wieder. Basileios II. besiegte nach anfänglichen Mißerfolgen in mehreren Feldzügen die Bulgaren. 1014 holte er zum letzten Schlag aus. In der Schlacht am Berg Belasica machte er 14000 Gefangene. Er ließ alle blenden, indem er auf je hundert einen Einäugigen als Führer kommen ließ. Als Samuel in Prilep, wohin er geflohen war, diesen traurigen Zug erblickte, starb er vor Entsetzen. Basileios II. erhielt daraufhin den Beinamen »Bulgaroktonos« (Bulgarentöter). Noch vier Jahre dauerte es, bis das Bulgarische Reich endgültig zerstört war. Der Sohn Samuels, Gabriel Radomir, wurde von seinem Neffen Johannes Vladislav ermordet. Dieser fand den Tod bei der Belagerung von Dyrrhachion. 1018 fiel Ochrid, die letzte Hauptstadt Bulgariens, in die Hände der Byzantiner. Das Patriarchat wurde aufgehoben, Ochrid zu einem autokephalen Erzbistum, das mit 32 Suffraganbistümern dem Kaiser direkt unterstellt blieb. Zugleich setzte im Herzen der altslawischen Kirche eine Gräzisierungspolitik ein. Mit der Übernahme des Christentums aus Konstantinopel fand auch die monastische Tradition des Ostens in Bulgarien Eingang. Unter Fürst Boris, der wie so mancher mittelalterliche Herrscher sein Leben im Kloster beendete, wurden in Preslav und Ochrid erste Klöster gegründet. Sie werden im Sinne des koinobitischen ›sozialen Mönchtums‹ Zentren kulturellen und karitativen Lebens gewesen sein. Daneben wurde auch die syrisch-palästinensische Tradition des weltflüchtigen Eremiten, des ›sozialen Mönchtums‹, lebendig. Im 10.
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Jahrhundert lebte im Rila-Gebirge in einer Höhle der hl. Einsiedler Johann von Rila (gest. 946). Später entstand dort das berühmte Rila-Kloster, ein Zentrum bulgarisch-orthodoxen Lebens. Mit Joakim von Osogovo, Prochor vom Fluß Pčinja, der in einer Eiche lebte, und Gavriil von Lesnovo gehört er zu den ›Heiligen Vier‹, die die strenge Form ostkirchlichen Mönchtums in Bulgarien verkörpert haben. Der friedfertige Zar Peter wird von der bulgarischen Kirche ebenfalls als Heiliger verehrt. b) Die Bogomilen Zu seiner Zeit trat in Bulgarien eine sowohl gegen die offizielle Kirche wie auch gegen den Staat gerichtete, religiöse Bewegung auf. Ihren Namen hat diese Sekte nach ihrem vermeintlichen Gründer Pop Bogomil. Ihre Lehre hat im wesentlichen zwei Quellen, einmal die Sekte der Paulikianer, deren Mitglieder von Johannes Tzimiskes um 970 aus Kleinasien nach Thrakien in die Gegend von Philippopel umgesiedelt wurden, zum anderen die Gruppe der streng asketisch ausgerichteten Messalianer oder Euchiten, welche nur das ständige Gebet gelten ließen und den kirchlichen Kult verwarfen. Die Paulikianer vertraten einen extremen Dualismus, den ewigen Kampf zwischen dem Prinzip des Guten und Bösen, ähnlich wie die Manichäer. Die Bogomilen sahen den Kampf in der Zeit begrenzt. Ihre Lehre stellt sich kurz folgendermaßen dar: Der gute Gott schuf 7 Himmel, die 4 Elemente und Satanael mit den Engeln. Satanael erhob sich gegen ihn und wurde gestürzt. Daraufhin erschuf dieser die materielle Welt und den Menschen, den er jedoch nicht beseelen konnte. Die Seele Adams und Evas stammt von Gott. Mit Eva zeugte Satanael den Kain, den Mörder Abels. Das Wort Gottes, der Logos, erscheint in Christus, der aus Maria einen Scheinleib angenommen hatte. Die Erlösung beruhte in der Befreiung der Seele, des geistigen Prinzips, vom Leib, dem bösen, materiellen Prinzip. Die Kirche wurde als Satansgründung abgelehnt. Die Bogomilen verwarfen die Hierarchie und die Sakramente, die Verehrung des Kreuzes, der Heiligen, der Reliquien und Ikonen. Von den Gebeten wurde nur das Vaterunser anerkannt, das sie mehrmals täglich unter Kniebeugen verrichteten. Vom Alten Testament galt vor allem der Pentateuch als Buch Satanaels, einzig im Neuen Testament, vor allem im Johannesevangelium sahen sie die Offenbarung des wahren Gottes. Scharfe Kritik übten die Bogomilen am Reichtum des Klerus und am Prunk der Kirche. Sie lebten einfach und enthaltsam, tranken keinen Wein und aßen kein Fleisch, wie sie auch Mord und jedwedes Blutvergießen verabscheuten. Sie hüllten sich in dunkle Mönchsgewänder. Die Ehe wurde abgelehnt. Die Bogomilen bildeten drei Gruppen: die Vollkommenen, die Hörer und die Gläubigen. Von den Vollkommenen wurde ein Leben in strengster Askese verlangt. Ihnen oblagen die Organisation und die Predigt. Die Hörer und die gewöhnlichen Gläubigen waren nicht zum gleichen strengen Leben verpflichtet. Man beichtete untereinander und hielt gemeinsame Gebetsversammlungen ab. Man kannte nur
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eine Geisttaufe, vollzogen durch die Auflegung des Johannesevangeliums. Von den Hörern zu den Gläubigen, von diesen zu den Vollkommenen stieg der einzelne in einem besonderen Akt auf. Die Hierarchie bestand aus dem Ältesten und den Lehrern oder den Aposteln. Diese Lehre hatte eine ungeheure Ausstrahlungskraft. Der heftige Protest gegen Reichtum und Luxus, die Ablehnung des Krieges fiel im gequälten Volk auf fruchtbaren Boden. Wieweit das dualistische Weltverständnis dem slawischen Heidentum entgegenkam ist bis heute umstritten, da von der Religion der Slawen wenig bekannt ist. Zar Peter wandte sich an Patriarch Theophylaktos von Konstantinopel und fragte nach Mitteln zur Bekämpfung der neuen Häresie. In seinem Antwortschreiben verurteilte der Patriarch die Hauptirrtümer der Paulikianer und Manichäer ohne genaue Einsicht in das Wesen des Bogomilentums. Im griechischen Bereich polemisierte der Mönch Euthymios Zigabenos gegen die neue Irrlehre. Der Philosoph Michael Psellos beschrieb die den Lehren der Bogomilen ähnlichen Auffassungen der Euchiten und Manichäer. In Bulgarien suchte der Presbyter Kozma die Bogomilen zu widerlegen. 1111 wurde der bulgarische Arzt Vasilij in Konstantinopel verbrannt, wo sich ein Zentrum dieser Sekte entwickelt hatte. Überall wurden die Bogomilen von Staat und Kirche verfolgt. Deswegen blieben sie oft zur Tarnung äußerlich in der Kirche. Von Bulgarien gelangte die Lehre durch Flüchtlinge nach Serbien. In Bosnien fand sie unter Ban Kulin großen Anhang. Vom 12. bis 15. Jahrhundert blühte die sogenannte bosnische Kirche. In Kreuzzügen wurde sie stark dezimiert, die Reste traten dann zum Islam über. Durch die Handelsbeziehungen der Venezianer, durch die Kreuzzüge und Normannenkriege kamen bogomilische Auffassungen auch nach Italien und Frankreich. In den Katharern, Patarenern, Albigensern und Waldensern lebte ihre Tradition fort. Sie wurden oft auch ›Bulgari‹ genannt. Vom Westen drangen ihre Lehren über die Handelsverbindungen bis nach Novgorod, wo sie von den Strigol’niki vertreten wurden. Das Bogomilentum stellte so etwas wie eine Subkultur dar, erwachsen auf byzantinischem Kulturboden und gnostische Elemente in sich enthaltend. Sein Schrifttum, die Apokryphen, Texte kosmogonischen und eschatologischen Inhalts, verbreitete sich nicht zuletzt dank der altkirchenslawischen Sprache sehr schnell im Osten und beeinflußte nicht unwesentlich die Volksliteratur. In viel stärkerem Maße erfreuten sich die Apokryphen der Beliebtheit beim einfachen Volk als die offizielle kirchliche Literatur. Das »geheime Buch« oder apokryphe Johannesevangelium ist in seiner bulgarischen Urfassung verlorengegangen und nur in zwei späteren lateinischen Handschriften erhalten. Die »Vision des Isaias« ist in slawischen Redaktionen erhalten. Weitere Werke waren der »Razumnik«, »Sotvorenie Adama«, »Choždenie po mukam«, »Beseda trech svjatitelej«, die auch in Rußland weite Verbreitung fanden. Die »Duchovnye stichi«, Lieder der Bettler am Kirchenportal, enthalten mehr gnostisch-bogomilisches Gut als liturgisch- kirchliches. Eine starke Sozialkritik schwang darin immer mit, wie z.B. in den Liedern vom armen Lazarus. In der Türkenzeit verschwanden auf dem
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Balkan die Bogomilen nach und nach, ein Teil wurde mohammedanisch wie in Bosnien, ein Teil trat interessanterweise zum Katholizismus über wie in Bulgarien. c) Bulgarien unter byzantinischer Herrschaft, 1018–1186 Bulgarien sank immer mehr zu einer byzantinischen Provinz herab. Griechische Beamte und griechische Bischöfe lösten die bulgarischen, slawischen Adligen und Hierarchen ab. Eine starke Gräzisierungspolitik sollte die bulgarische Nationalität zum Verschwinden bringen. Besonders die byzantinische Kirche betrieb die Hellenisierung des Volkes. Der griechische Erzbischof Theophylakt von Ochrid äußerte sich verächtlich über seine bulgarischen Gläubigen, in denen er nur ungebildete Barbaren sah. Auch der Name Bulgarien wurde durch »Mösien«, die alte Provinzbezeichnung, ersetzt. In den Städten wurden byzantinische Garnisonen stationiert. Auf dem Lande gerieten immer mehr Bauern in Leibeigenschaft, da der Großgrundbesitz sprunghaft zunahm. Anstelle der ursprünglichen Abgaben in Naturalien traten Steuern, die in Geld zu entrichten waren. Das Pronoia-System (vgl. Kap. 5, III, S. 267 f) verursachte eine rücksichtslose Ausbeutung der Landbevölkerung. Selbst Theophylakt sah in den Beamten Räuber. Auch Bischöfe und Klöster herrschten über ganze Dörfer. So nahm trotz der Verfolgung die Bogomilenbewegung beträchtlich zu. Hinzu kam, daß das Gebiet zwischen Donau und Balkan durch ständige Einfälle aus dem Norden von Petschenegen und Uzen verwüstet wurde. Auch die durchziehenden Kreuzfahrer verhielten sich der Bevölkerung gegenüber mißtrauisch, da sie in ihnen ja seit dem Jahre 1054 Schismatiker sehen mußten. Mitunter plünderten sie Dörfer und Städte. Schon damals wuchs die Abneigung gegen die Lateiner. Im Zusammenhang mit einer Steuereintreibung im Jahre 1040 kam es zum erstenmal zu einem Aufstand unter der Führung eines Enkels des Zaren Samuel, Peter Deljan. Die Bewegung ergriff die Gegend von Skopje, Drač (Durazzo) und den Epiros. Nach anfänglichen Erfolgen wurde der Aufstand durch Verrat niedergeschlagen. Ein Sohn des Zaren Johannes Vladislav, Alusian, der von Basileios II. den Titel eines Patrikios erhalten hatte und in Armenien als Stratege eingesetzt worden war, floh und unterstützte anfänglich den Aufstand. Nach einer Niederlage vor Thessalonike verriet er jedoch Peter Deljan und ließ ihn blenden. Er selbst kehrte in byzantinische Dienste zurück. Wiederum in Makedonien brach im Herbst 1072 ein neuer Aufstand aus. Der bulgarische Boljar in byzantinischen Diensten Georgi Vojtech stellte sich an die Spitze. Um sich die Unterstützung des serbischen Župan der Zeta, Michail, zu sichern, rief man dessen jüngsten Sohn Konstantin Bodin in Prizren zum Zaren der Bulgaren aus. Es gelang ihm und seinem serbischen Heerführer Petrilo, einige Städte, darunter Nisch und Ochrid, zu erobern. Bei Kostur (Kastoria) erlitten sie
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jedoch eine große Niederlage. Die Byzantiner nahmen das Zentrum des Aufstandes, Skopje, ein. Konstantin und Petrilo gerieten in Gefangenschaft. 1073 war auch dieser Versuch, das byzantinische Joch abzuschütteln, fehlgeschlagen. Immer wieder flammten Aufstände in den folgenden Jahren auf. So 1078 in Sredec (Sofija), 1084 Mesemvrija (Nesebar) und in Plovdiv. d) Das zweite Bulgarische Reich, 1185–1396 Die Lage der Bevölkerung Bulgariens und Makedoniens unter byzantinischer Herrschaft wurde immer unerträglicher, die Lasten immer schwerer. 1183 drangen die Magyaren, das Land verwüstend, von Norden her bis nach Sofija vor. 1185 eroberten, von Italien kommend, die Normannen Thessalonike. In dieser für Byzanz ungünstigen Situation begann im Herbst 1185 in Trnovo ein neuer Aufstand, der von den Brüdern Asen und Theodor, Boljaren aus bulgarisch-kumanischer Familie, angeführt wurde. Sie hatten sich vergebens von Kaiser Isaak II. Angelos ein Heer und ein kleines Territorium mit geringen Einkünften erbeten. Der Aufstand griff auf das ganze nordöstliche Bulgarien über. Kaiser Isaak II. zog 1186 selbst mit einem großen Heer gegen die Aufständischen. Die Brüder mußten über die Donau zurückweichen. Aber bald kehrten sie mit angeworbenen Kumanen zurück. Sie befreiten Nordbulgarien von der byzantinischen Herrschaft. 1187 war der Kaiser gezwungen, in Loveč Frieden zu schließen und den neuerstandenen Staat anzuerkennen. Theodor wurde zum Zaren ausgerufen und nannte sich von da an Peter. Zur Hauptstadt erkor er sich Trnovo. Ziel der Brüder war, auch Makedonien und Thrakien wieder ihrem Reich einzuverleiben. Sie wurden jedoch Opfer einer Boljarenverschwörung. 1196 wurde Asen I. von einem Boljaren namens Ivanko ermordet, das Jahr darauf Peter. Ihr jüngster Bruder Kalojan trat die Herrschaft an (1197–1207). In seinen Kämpfen war er erfolgreich, nach dem Frieden von 1201 mit Alexios III. Angelos umfaßte sein Reich bereits Nord- und Südbulgarien, die Städte an der Schwarzmeerküste, Teile Thrakiens und Makedoniens. Zum zweitenmal in der Geschichte stand Bulgarien vor der Entscheidung, sich West- oder Ostrom anzuschließen. Kalojan wandte sich an Papst Innozenz HL, einen der entschiedensten Verfechter des römischen Primats. Wieder ging es um die staatliche und kirchliche Unabhängigkeit. Nach Abschluß einer Union erhielt Kalojan 1204 den Titel eines ›Königs‹, und der Erzbischof von Trnovo wurde zum ›Primas‹ der bulgarischen Kirche ernannt. Das war weniger, als Kalojan erhofft hatte. Er wünschte für sich den Kaisertitel und für die Kirche einen Patriarchen. Die päpstliche Diplomatie wollte ihm dies nicht zugestehen. Inzwischen war im Vierten Kreuzzug Konstantinopel in die Hände der Lateiner gefallen. Sie errichteten ihr Reich, das an Bulgarien grenzte. Zunächst verhielt Kalojan sich neutral, doch als die Kreuzfahrer Anstalten machten, sein Gebiet anzutasten, trat er ihnen entgegen und besiegte sie am 14. 4. 1205 bei Odrin (Adrianopel). Der lateinische Kaiser
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Balduin wurde als Gefangener nach Trnovo gebracht. Trotz seiner Erfolge erwuchsen Kalojan innenpolitische Feinde. 1207 wurde er während der Belagerung von Thessalonike erschlagen. Durch eine Verschwörung gelangte sein Neffe Boril auf den Thron. Aber auch er hatte einmal mit den aufsässigen Boljaren zu kämpfen, zum andern mit den Bogomilen, gegen die er 1211 eine Synode einberief. 1218 wurde er abgesetzt, und an seine Stelle trat mit russischer Hilfe der rechtmäßige Erbe Ivan Asen II. (1218–1241). Unter seiner Herrschaft erlebte Bulgarien eine neue Blütezeit. Er besiegte den Despoten Theodor Komnenos von Epiros. Bulgarien reichte nunmehr von der Adria bis zum Schwarzen Meer und zur Ägäis. 1235 stand er auf Seiten des byzantinischen Kaisers in Nikaia gegen die Lateiner. Die Union wurde beseitigt und dem Erzbischof von Trnovo der Patriarchentitel zuerkannt. Wieder war die Entscheidung für das zweite Rom gefallen. Im Innern verschärften sich die Gegensätze zwischen dem Adel, dessen Einkünfte wuchsen, und der Landbevölkerung, die immer mehr in die Leibeigenschaft geriet. Von außen bedrückten die Ungarn und die Tataren im Norden, im Westen die Serben und die Despoten von Epiros das Reich. Die Zentralgewalt wurde zum Spielball der Boljaren. Die Zaren Kaliman I. (1241–1246), Michail Asen (1246–1257) wurden Opfer von Kämpfen innerhalb des Adels. Schließlich setzten die Boljaren ihren Kandidaten Konstantin Tich, einen Verwandten des serbischen Königshauses, der mit einer Enkelin Asens II. verheiratet war, auf den Thron. Er nannte sich als Zar Konstantin Asen (1258–1277). Unter seiner Regierung fiel das Lateinische Kaiserreich. Seine Versuche, Byzanz entgegenzutreten, schlugen fehl. Die thrakischen und makedonischen Provinzen gingen wieder verloren. Das bedrückte Volk erhob sich 1277 unter der Führung des Schweinehirten Ivajlo gegen den Adel. Er sammelte ein Bauernheer um sich, das Tataren und Griechen zurückwarf und schließlich die Hauptstadt Trnovo eroberte. Ivajlo heiratete die Witwe Konstantins und ließ sich zum Zaren krönen (1277–1281). Die Boljaren versuchten ihren auch Byzanz genehmen Kandidaten, Ivan Asen III. (1279–1280), auf den Thron zu setzen. Ivajlo schlug jedoch das byzantinische Heer vernichtend. Ivan Asen III. mußte nach Konstantinopel fliehen. Der Adel erhob darauf Georgi Terter (1280–1292) zum Zaren. Der Zerfall des Reiches ging weiter. In Vidin entstand ein unabhängiges Fürstentum mit dem Despoten Šišman an der Spitze. In den anderen Gebieten saßen Vasallen, die der Zentralgewalt mehr oder weniger feindlich gesonnen waren. Sie hatten eigene Heere und führten Kriege untereinander. Die Tataren durchzogen plündernd das ganze Reich. Terter gab seine Tochter dem Sohne des Tatarenkönigs Nogaj Čak (1298–1300) zur Frau. Der Tatarenherrschaft bereitete Theodor Svetoslav (1300–1322) ein Ende. Vom Fürstentum Vidin abgesehen wurde er von allen Vasallen als Zar anerkannt. In einigen Feldzügen konnte er kleinere Gebiete von den Byzantinern zurückerobern. Unter seinem Nachfolger Michail Šišman (1323–1330) gewannen die zentrifugalen Kräfte die Oberhand, die sich unter Ivan Alexander (1331–1371) noch mehr verstärkten. Zudem kamen noch ständige kriegerische
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Auseinandersetzungen mit Byzantinern und Serben hinzu. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts bestand das Bulgarische Reich aus 3 Teilen. Die Dobrudscha, im Nordwesten am Unterlauf der Donau und am Schwarzen Meer, wurde von dem Boljaren Balik beherrscht, das Restgebiet wurde unter die Söhne Ivan Alexanders aufgeteilt. Ivan Šišman erhielt Trnovo, Ivan Sracimir die Gebiete um Vidin. Gegen Ende des zweiten Reiches ergriff die orthodoxen Gläubigen die mystische, weltflüchtige Lehre des Hesychasmus, deren Vertreter sich in der Hierarchie fanden. Daneben traten aber auch seltsame Formen des Sektierertums auf. Vom Athos kamen zwei eigenartige Vertreter eines fehlgeleiteten Asketentums, Lazar und Kirill Bosota. Lazar hatte sich nach Art der späteren russischen Skopzen selbst entmannt. Er lief nackt durch die Straßen, die Scham mit einem Kürbis bedeckt, »ein seltsamer und furchtbarer Anblick für alle, die es sahen« (Vita des hl. Teodosij von Trnovo). Kirill Bosota lästerte die Ikonen und das Kreuz und forderte die Eheleute auf, sich zu trennen. Einige andere nannten Luzifer, den gestürzten Engel, ihren Vater, feierten Geheimkulte und begingen nächtliche Orgien. Ähnliche Erscheinungen gab es ja auch gegen Ende des Mittelalters im Westen. Unter Umständen bestehen gewisse Verbindungen zwischen Ost und West. Die Türken, die seit 1352 auf dem Balkan Fuß gefaßt hatten, hatten ein leichtes Spiel, die in sich zerfallenen, aufgespaltenen Staaten Stück für Stück zu erobern. 1371 gewannen sie Thrakien und Makedonien, 1382 nahmen sie Sofija ein. Am 17. Juli 1393 eroberte Sultan Bajezid nach dreimonatiger Belagerung Trnovo. Der bulgarische Zar Ivan Šišman fand den Tod, und der Patriarch Evtimij wurde in die Verbannung geschickt.
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Abb. 12: Das 2. Bulgarische Reich
Die Türkenherrschaft nahm ihren Anfang. Die kirchliche Selbständigkeit hörte endgültig auf, als der Sultan nach dem Fall Konstantinopels den ökumenischen Patriarchen zum Oberhaupt der Orthodoxen auf der Balkanhalbinsel machte. Die Hierarchie bestand fürderhin nur noch aus Griechen. Einem Bulgaren war der Zugang zum Bischofsamt verwehrt. Das zweite Bulgarische Reich war eine Zeit der Blüte, vergleichbar jenen hoffnungsvollen Ansätzen unter Simeon. Hatte unter Simeon eine gewisse Revision des Werkes der Slawenapostel stattgefunden, so wurden jetzt zum zweitenmal die liturgischen und theologischen Werke mit den griechischen Originalen verglichen und verbessert. In der Mitte des 14. Jahrhunderts erreichte die bulgarisch-kirchenslawische Literatur ihren zweiten Höhepunkt. In Trnovo entstand eine eigene literarische Schule, die nicht nur Bulgaren, sondern auch Serben und Russen zu ihren Schülern zählte. Ausgelöst wurde diese Neubesinnung auf die kirchliche Tradition durch den Hesychasmus. Gregorios Sinaites, der als Begründer dieser neuen theologisch-mystischen Haltung gilt, war in Bulgarien gestorben und hatte dort Schüler zurückgelassen. Sein Schüler Teodosij von Trnovo (gest. 1363) übersetzte seine mystischtheologischen »Kapitel«. Er hatte seinerseits wieder eine Reihe von Schülern; Dionisij, der einen Sammelband aus den Werken des Johannes Chrysostomos (»Margarit«) übersetzte, Teodosij, von dem die Übersetzung des Johannes Klimakos stammt. Der bedeutendste war der spätere Patriarch Evtimij. Getragen von tiefer Ehrfurcht vor der Überlieferung ging er daran, die Übersetzungen anhand der griechischen Originale zu prüfen und zu verbessern. Er leistete dazu ungeheure philologische Arbeit. Er reformierte die Orthographie, übernahm die griechischen Akzente und Spiritus ins Slawische. Teils wurden die Übersetzungen verbessert, Mißverständnisse, hervorgerufen durch den Wandel der Sprache, beseitigt, teils verloren sie aber auch ihre Ursprünglichkeit durch eine starke, bis ins einzelne gehende Angleichung an das Griechische. Evtimij übersetzte die Liturgien des Johannes Chrysostomos und des Jakobus neu, Typikon, Oktoichos wurden neu redigiert. Er verfaßte im neuen Stil die Viten der Heiligen Johannes von Rila, Petka von Trnovo, Ilarion von Magien und Filotea. In einer Reihe von Briefen nahm er Stellung zu religiös- philosophischen Fragen. Fünf Homilien sind von ihm erhalten. Sein literarisches Werk ist durchdrungen vom Geiste des Hesychasmus. Seine Schüler wirkten in seinem Sinne weiter und trugen sein Erbe zu Ostslawen und Serben. Kiprian (gest. 1406) wurde zum Metropoliten von Kiev, dann zum Metropoliten von ganz Rußland mit Sitz in Moskau gewählt. Auch er hinterließ ein reichhaltiges literarisches Werk. Mit ihm begann die sogenannte zweite südslawische Welle kirchenslawischer Literatur in Rußland. Der berühmteste Schüler des Evtimij war Grigorij Camblak (gest. 1419/20). Er wirkte in Bulgarien, Serbien und Polen-Litauen. Er wurde in Wilna zum Metropoliten von Kiev gewählt. 1418 erschien er mit großem Gefolge auf
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dem Konzil von Konstanz. Seine verschiedenen Lobreden zeichnen sich durch ihren Stil und ihre Originalität aus. Unter anderem hielt er die Grabrede für Kiprian. Neben Joasaf, Metropolit von Vidin, der in seiner Homilie auf Filotea den Untergang Trnovos in ergreifenden Worten beklagt, war Konstantin von Kostenec von großer Bedeutung. In einer Abhandlung legte er die Grundsätze der Orthographiereform dar. Er starb in Serbien, wo er eine Vita des Stefan Lazarević hinterlassen hat. Mit dem Sieg der Türken verdorrte auch diese Blüte der Literatur, bevor sie im bulgarischen Volke Frucht gebracht hatte. Neben diesen theologischen übernahm man in Bulgarien auch die beliebtesten Werke der weltlichen byzantinischen Literatur, wie den Alexanderroman, die Erzählung vom Trojanischen Krieg, das Märchen von Stefanites und Ichnilates, die Geschichte vom weisen Akir und den Roman von Varlaam und Josafat. Hinzu kamen die Sentenzensammlungen ›Melissa‹ (slaw. Pčela) und andere beliebte Enzyklopädien. Besonderes Interesse fanden historische Werke wie der »Jüdische Krieg« des Josephus Flavius. Die Chroniken des Malalas und Hamartolos wurden mit den historischen Teilen der Bibel zu einem Chronographen redigiert, der den slawischen Geschichtsschreibern als Vorlage diente. Auf Geheiß des Zaren Ivan Alexander wurde die Chronik des Konstantin Manasses übersetzt. Die im Vatikan befindliche Handschrift ist mit Miniaturen aus der bulgarischen Geschichte illuminiert. Zur Zeit des zweiten Bulgarischen Reiches tritt das byzantinische Vorbild auch in der Kunst deutlich zutage. In der frühbyzantinischen Periode waren auf dem Boden des späteren Bulgarien eine große Anzahl von Kirchen im Stil des Rundbaues oder der Basilika errichtet worden. Von den Rundbauten sind die bemerkenswertesten die Georgskirche in Sofija und die Ruinen der ›roten Kirche‹ von Peruštica. Aus dem 6. Jahrhundert stammt die dreischiffige Sophienkirche zu Sofia mit Querschiff und flacher Kuppel. Bald nach der Christianisierung setzte unter Boris eine rege Bautätigkeit ein. In Pliska entstand die kleine Palastkirche, eine Basilika, von der nur der Grundriß erhalten ist. Außerhalb der Stadt befand sich ein Kloster mit einer mächtigen Basilika. Den Schmuck ihrer Wände bildete der Wechsel von Hau- und Ziegelsteinen. Zar Simeon errichtete in seiner Residenz Preslav einen imposanten Rundbau, dem ein zweistöckiger Narthex mit zwei Türmen vorgelagert war, die ›goldene Kirche‹. Sie erinnert an die Rotunden Dalmatiens und Großmährens. Im Innern war sie mit Mosaiken und mehrfarbigen Tontafeln ausgeschmückt. Aus einer Klosterkirche in Patlejna ist noch eine Ikone des hl. Theodor aus Tontafeln erhalten. Außerhalb Konstantinopels hielt sich die Basilika länger. Zar Samuel ließ auf einer Insel im Prespasee die Achilleskirche erbauen, eine dreischiffige Pfeilerbasilika mit Emporen. Die Sophienkirche in Ochrid aus dem 11. Jahrhundert ist ebenfalls eine Basilika, bestehend aus drei fast gleich hohen Schiffen, die nach Art einer Hallenkirche von einem Dach zusammengefaßt werden. Die erste Kreuzkuppelkirche ist die Germanoskirche am Prespasee. 1186 wurde die Demetrioskirche in Trnovo gebaut. Weiterhin gehören in der Hauptstadt zu diesem Typus die Peter-Pauls-Kirche mit
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bedeutenden Fresken des 14. Jahrhunderts und die Georgskirche. In Mesemvrija (heute Nesebăr) an der Küste des Schwarzen Meeres entstanden im 13. und 14. Jahrhundert die Kirchen des Pantokrator, der hl. Theodor und Paraskeva und des Johannes Aliturgetos, die heute nur noch als Ruinen erhalten sind. Ihre Außenwände waren mit polychromer Dekoration aus Keramik geziert. Am berühmtesten ist wohl die am Fuß des Vitešagebirges gelegene Kirche von Bojana aus dem Jahre 1259 wegen ihrer Fresken. Sie stellen Meisterwerke der Malerei in byzantinischem Stile dar, vor allem die Stifterbilder, die als Vorläufer der Palaiologischen Renaissance gelten. Dagegen verbinden sich in der Ausmalung der Klosterkirche von Zemen zwei gegensätzliche Elemente, byzantinische Form mit einer gewissen monumentalen Einfachheit. In der Kirche der 40 Märtyrer in Trnovo sind die meisten Fresken bei der Umwandlung in eine Moschee zugrunde gegangen. Sehr viele Denkmäler wurden auch 1913 durch ein Erdbeben zerstört. Die Ikonen- und Buchmalerei dieser Zeit entspricht ganz den Regeln der orthodoxen Ikonographie. Das Verhältnis der bulgarischen zur byzantinischen Kultur ist enger, als es in Hinblick auf die ständigen blutigen Auseinandersetzungen zwischen Byzanz und Bulgarien scheinen möchte. Auf den Trümmern der römischen Provinzen hatten die turanischen Protobulgaren ihren Staat gebaut. Für das oströmische Reich stellte es eine dauernde Bedrohung dar. Das Verhältnis war eindeutig feindlich. Als Boris sich bereit fand, die Taufe anzunehmen und das Christentum als Staatsreligion einzuführen, trat er in eine engere, ja verwandtschaftliche Beziehung zum Kaiser. Michael III. war der Taufpate des Boris und somit im geistlichen, kirchenrechtlichen Sinne mit ihm verwandt. Im Sinne der byzantinischen Fürstenfamilie wurde Boris dessen geistlicher Sohn. Das nunmehr christlich werdende Volk erhielt seinen Platz in der Ökumene der übrigen christlichen Völker Europas. Sein Herrscher blieb zunächst noch der ἂρχων, bis Simeon zum Kampf um die Weltherrschaft antrat. Er nahm für sich in Anspruch, ›Zar der Bulgaren und Selbstherrscher der Griechen‹ zu sein. In Byzanz ausgebildet, wußte er genau, welcher Anspruch hinter diesem Titel stand, weit mehr als nur die Aufwertung seines Staates. Die Griechen verstanden diesen Schritt auch richtig als Usurpation und Anmaßung. Simeon führte in Preslav eine glänzende Hofhaltung. Die Ausschmückung der Stadt, von welcher der Exarch Johannes ein beeindruckendes Bild entwirft, wirkt wie der Versuch, ein Abbild Konstantinopels zu schaffen. Die Erhebung des Erzbischofs zum Patriarchen war der nächste Schritt in der Übernahme des byzantinischen Staatsgedankens. Als 1185 die Brüder Peter und Johann Asen sich gegen die Byzantiner erhoben, ließen sie sich zu Zaren krönen und legten die purpurnen Schuhe der byzantinischen Kaiser an. Kalojan führte den Titel: »V Christa Boga blagovĕrnyj car’ i samodrăžec vsĕm Blăgarom i Grăkom« (»der an Christus, Gott, rechtgläubige Zar und Selbstherrscher aller Bulgaren und Griechen«). Ivan II. Asen hatte gehofft, die Nachfolge der Lateiner anzutreten, war jedoch gescheitert. Doch begründete er das bulgarische Patriarchat wieder neu. Ivan
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Alexander (1331 bis 1365) ist in den Miniaturen ganz nach byzantinischem Vorbild dargestellt. Der Purpur ist als Farbe der kaiserlichen Gewandung vorbehalten. Die Aureole deutet die göttliche Sphäre an, in die er kraft seines Kaisertums hineinragt. Die Rechte Gottes krönt oder segnet ihn aus den Wolken. Auch die bulgarischen Münzen sind nach Art der byzantinischen geprägt worden. Auf der einen Seite der Zar mit einem Symbol seiner Macht, auf der anderen eine Darstellung Christi. Auch die Reichs- und Hofämter wurden nach byzantinischem Vorbild eingerichtet. So war der Bruder oder ein naher Verwandter des Zaren in der Regel Sebastokrator. In der Rhetorik kehren in genauer Übersetzung alle Ehrentitel der Kaiser wieder, z.B. ›christoljubivyj‹, ›φιλόχριστος‹ (Christusliebende). Ivan Alexander wurde als »Zar der Zaren« gefeiert. Das byzantinische Recht wurde in Bulgarien sehr früh rezipiert. In den slawischen Übersetzungen des Nomokanon findet sich auch die Ekloge, die 879 durch das Procheiron ersetzt wurde, d.h. die Übersetzung muß vor diesem Termin angefertigt worden sein. Dieser Gesetzestext war sehr wahrscheinlich im 10. Jahrhundert in Kraft. Der »Zakon sudnyj ljudem« umfaßt 32 Artikel, die der Ekloge entnommen worden sind, wovon 27 das Straf-, 2 das Ehe- und 2 das Familienrecht, 1 das Beuterecht betreffen. Im 13. Jahrhundert wurde der Nomokanon in der Fassung des Photios mit den Kommentaren des Zonaras und Aristenos übernommen. Der hl. Sava hatte dieses kirchenrechtliche Handbuch der Ostkirche ins Slawische übertragen. Mitte des 14. Jahrhunderts gewann das Syntagma des Blastares in bulgarischer Übersetzung an Geltung, dem besonders in staatskirchenrechtlicher Hinsicht eine gewisse Bedeutung zukommt. Ivan Alexander führte den Vorsitz auf Synoden. Das Verhältnis von Staat und Kirche entsprach völlig den Verhältnissen in Konstantinopel. Nach dem anfänglichen Schwanken zwischen West- und Ostkirche zur Zeit des Fürsten Boris, nach der erfolglosen Union unter Kalojan und Ivan Asen festigte sich die Struktur der orthodoxen Kirche. Theologie, Liturgie und kirchliche Kunst wurden von Byzanz übernommen und damit zur Zeit des Hesychasmus auch die scharfe Ablehnung der römischen Kirche. Das Mönchtum entsprach in seinen beiden Formen, dem Anachoretentum und dem Koinobion, ganz der östlichen Tradition. Es war mehr der Kontemplation und Mystik zugewandt, weniger dagegen wurde es aktiv auf karitativem oder missionarischem Gebiet. Bis in die Neuzeit hinein waren für die Geschichte Bulgariens zwei berühmte Klöster von Bedeutung, das Rila-Kloster und das Kloster Zographou auf dem Athos.
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Abb. 13: Zar Ivan Alexander in byzantinischer Gewandung mit seiner Familie – Lord Curzon Evangeliar, 14. Jh.
Zweimal hat Bulgarien eine hohe Blüte seiner Kultur erlebt. Jedesmal verwelkte sie sehr schnell. Ein bulgarischer Historiker glaubt deshalb, daß das byzantinische Erbe dem bulgarischen Volk nicht zum Segen gereicht habe.
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Abb. 14: Novgorod, Sophien-Kathedrale, 1045–1050.
Durch den aus der Kaiseridee abgeleiteten Herrschaftsanspruch hatten die Zaren die Kräfte ihres Staates vergeudet. Die verfeinerte byzantinische Kultur mit einer auf die Antike zurückreichenden Tradition konnte von einem Volk, das am Anfang seines Weges stand, nicht übernommen werden. Auch das Christentum, das Urbulgaren und Slawen zusammengeführt hatte, fand in seiner theologisch komplizierten Form der byzantinischen Kirche wenig Anhang beim breiten Volk. Es fühlte sich mehr zu den einfacheren Lehren der Bogomilen hingezogen. Literatur, Kunst und Kultur blieben einer kleinen Oberschicht vorbehalten. Es ist bezeichnend, daß in der bulgarischen Folklore kaum die Rede ist von den großen bulgarischen Zaren, von den Glanzzeiten seiner Geschichte, wie etwa bei den Serben. So war das byzantinische Erbe zugleich Gewinn und belastende Hypothek. IV. Serbien An der Adriaküste zwischen Neretva und Kotor hatten sich im 6. Jahrhundert slawische Stämme niedergelassen. Sie bildeten drei Gebiete, die der Grundstock für das spätere Serbien werden sollten: Zahumlje (die heutige Herzegowina), Travunja und Duklja (Diokleia), auch Zeta (heute Montenegro) genannt. Von hier gingen die zentralistischen Bestrebungen aus. An der Spitze dieser
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staatenähnlichen, in ihrem Wesen patriarchalischen Gebilde stand ein sogenannter Župan. Unter Kaiser Heraklios versuchten lateinische Priester ohne größeren Erfolg unter den Serben zu missionieren. Die Gebiete unterstanden damals noch dem römischen Papst, 732 sollte es zur Neuregelung der Jurisdiktion kommen. Die ursprüngliche kirchliche Organisation ist unbekannt. Papst Johannes VIII. wollte die Länder des Mutimir dem pannonischen Erzbistum des Methodios unterstellen. Mutimir wandte sich aber nach Osten, nach Byzanz, das unter Basileios I. gerade wieder einen neuen Aufschwung nahm. Wanderpriester versuchten das Volk zu christianisieren. Zeitweilig hatte Bulgarien unter Zar Simeon die Oberherrschaft, die von Časlav Vladimirevič bald wieder für die Travunja abgeschüttelt wurde. Der Župan Mihail Višević der Zahumlje stellte sich unter byzantinischen Schutz. Nach dem Untergang des Reiches Samuels 1018 wurde das gesamte Gebiet byzantinisch. Kirchlich unterstanden die Serben bis 1219 dem gräzisierten Erzbistum von Ochrid.
a) Aufstieg der Zeta Fürst Stefan Vojislav (etwa 1040 bis etwa 1052) erhob sich gegen die byzantinische Vorherrschaft und konnte nach einigen wechselvollen Kriegszügen die Selbständigkeit der Zeta sichern. Er vereinigte Zahumlje und Travunja mit seinem Gebiet. Sein Sohn Mihajlo (etwa 1052 bis etwa 1081) stand in freundschaftlichem Verhältnis zu Byzanz. Er erhielt den Titel eines Protospatharios. 1077 schickte ihm Papst Gregor VII. die Königskrone und verlieh ihm den Titel »König der Slawen«. Inzwischen hatte das Schisma 1054 stattgefunden. Eine Synode von Split hatte 1059 den Gebrauch der kirchenslawischen Sprache in der Liturgie gegen den heftigen Protest des Bischofs Grgur von Nun verboten. 1067 errichtete Papst Alexander II. das Erzbistum Bar, ein Versuch, die Entscheidung von 732 rückgängig zu machen. Wieder steht das Streben nach einem unabhängigen Staat und einer autokephalen Kirche am Anfang. Noch viel stärker als in Bulgarien machte sich das Wechselspiel zwischen Ost und West bei der Staatengründung der Serben bemerkbar. Konstantin Bodin (1081–1101), der Sohn Mihajlos, hatte 1073 an dem Aufstand des Georgi Vojtech teilgenommen und war in byzantinische Gefangenschaft geraten. Wieder in Freiheit, verband er sich mit den Normannen und heiratete Jakvinta, die Tochter eines normannischen Führers in Bari. Er konnte seine Herrschaft auch auf Bosnien ausdehnen. 1089 erhielt der Erzbischof von Antivari (Bar) von Papst Klemens III. das Pallium und wurde zum »Primas Serbiae« ernannt. Die slawische Liturgie wurde unterdrückt und in allem lateinische Praxis eingeführt. b) Aufstieg der Raška
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Nach dem Tode des Bodin setzten zentrifugale Kräfte ein, und die Teilgebiete machten sich wieder selbständig. Der Groß-Župan der Raška Vukan (1083–1114) streckte die Hand nach der Zentralgewalt aus. Die durch innere dynastische Kämpfe zerrüttete Zeta konnte sein Sohn Uroš I. zum größten Teil an sich bringen. Die Komnenenkaiser begannen in einzelnen Kriegszügen den neuen gefährlichen Gegner auf dem Balkan niederzuhalten. Die Župane Uroš I. und Uroš II. wurden in Kämpfe mit Byzanz verwickelt, zumal sie die Ungarn zeitweilig unterstützten. Manuel I. Komnenos unternahm 1149 und 1150 Strafexpeditionen in die Raška. Er nutzte die Opposition gegen Uroš II. aus und setzte den ihm genehmen Desa als Groß-Župan ein. Desa suchte jedoch nur nach der günstigen Gelegenheit, sich von der byzantinischen Oberherrschaft zu befreien. Manuel I. Komnenos begriff dieses wohl und zog 1165 selbst gegen den unbotmäßigen Vasallen. Nach dem Sieg über das serbische Heer setzte er Tihomir aus der alten Familie der Nemanja als Groß-Župan ein, seine Brüder Stracimir, Miroslav und Stefan Nemanja erhielten Teilgebiete. Stefan Nemanja ging als Sieger aus dem Streit zwischen den Brüdern hervor und riß die Zentralgewalt an sich. Der Versuch, eine antibyzantinische Koalition mit den Venezianern und Ungarn zu gründen, schlug fehl. Er mußte sich Manuel ergeben, der ihn demütigte, indem er ihn als Gefangenen durch die Straßen Konstantinopels führen ließ. Dennoch durfte er als Groß-Župan in die Raška zurückkehren, mußte sich aber zu militärischer Hilfe für Byzanz verpflichten. Für ein Jahrzehnt hielt er Frieden. Dann fiel er 1183 gemeinsam mit den Ungarn in das Reich ein und verwüstete Niš und Sofija. Darauf vereinigte er die Zeta mit seinem Gebiet und legte so den Grundstein zum serbischen Reich. Am 27. Juli 1189 traf er mit Friedrich Barbarossa in Niš zusammen. Er konnte die Kreuzfahrer jedoch nicht für Aktionen gegen Byzanz gewinnen. 1190 erlitt er wiederum eine Niederlage, die jedoch das serbische Gebiet nicht beeinträchtigte. In der Kirchenpolitik stand Stefan Nemanja zwischen den Kirchen. Zunächst war er lateinisch getauft worden. Als er in die Raška kam, ließ er sich noch einmal von einem griechisch-orthodoxen Priester die Taufe spenden. Er sympathisierte ohne Zweifel mit der griechischen Kirche, die dem Wunsch nach Selbständigkeit eher stattgeben konnte als der Papst. Die kirchliche Organisation war, von den Küstengebieten abgesehen, schwach entwickelt. Nemanja verfolgte »die schändliche und verfluchte Häresie« der Babunen, wie die Bogomilen genannt wurden, aufs heftigste. 1196 legte er die Regierung nieder und trat in das Kloster Studenica unter dem Mönchsnamen Simeon ein. Der älteste Sohn Vukan bekam die alte Duklja und nannte sich König. Der zweite Sohn Stefan, dessen Schwiegervater inzwischen Kaiser geworden war, wurde Groß-Župan und erhielt dazu den Titel eines Sebastokrators. Der jüngste Sohn Rastko hatte die Welt verlassen und war auf den Athos gegangen und dort im russischen Panteleimonkloster unter dem Namen Sava zum Mönch geweiht worden. Später wechselte er in das griechische Kloster Vatopedi über. 1197 kam
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auch sein Vater dorthin. Sava unternahm im Auftrag seiner Mitbrüder eine Reise nach Konstantinopel. Dort bat er den Kaiser, ihm das verödete Kloster Chilandar zu überlassen. Zusammen mit seinem Vater erneuerte er das Kloster, das zum Zentrum der serbischen Mönche auf dem heiligen Berge wurde. Sava übersetzte dafür ein Typikon des Klosters der Muttergottes Evergetissa in Konstantinopel. Er selbst zog sich in eine strenge Einsiedelei bei Karyäs zurück, für die er ebenfalls ein Typikon verfaßte. Im Jahre 1200 starb Simeon-Stefan. Mönche aller Nationalitäten sangen den Totengottesdienst für ihn. Als sich an seinem Grabe Wunder ereigneten, forderte eine Versammlung der Igumeni (Vorsteher eines Klosters, dem Abt vergleichbar) und Mönche Sava auf, die Vita seines Vaters niederzuschreiben und ein Offizium zu seinen Ehren zu verfassen, was einer Heiligsprechung gleichkam. Seit 1204 übten die Lateiner wachsenden Druck auf die Athos-Mönche aus, um sie zur Anerkennung des römischen Primats zu bewegen. Als die Lage immer ernster wurde, entschloß sich Sava, die Gebeine seines Vaters in das Kloster Studenica zu überführen. Bei diesem Anlaß (1207) konnte er seine beiden Brüder, die einander in einem heftigen Bürgerkrieg bekämpften, wieder versöhnen. Er selbst blieb als Igumen in Studencia und begann mit der kulturellen und religiösen Aufklärung seines Volkes. Inzwischen wandte sich Stefan nach Westen und suchte Verbindung zur römischen Kirche und zu Venedig, um einen gewissen Rückhalt gegenüber dem Lateinischen Kaiserreich und den Ungarn zu haben. Sava war mit dieser Neuorientierung nicht einverstanden und zog sich wieder auf den Athos zurück. 1217 wurde Stefan durch einen Legaten des Papstes Honorius III. zum König gekrönt. Deshalb wurde er der »Erstgekrönte« (Prvovenčani) genannt. Sava wollte die kirchliche Unabhängigkeit vom Patriarchen von Konstantinopel, der seit 1204 in Nikaia residierte, erlangen. 1219 wurde er selbst, mit Zustimmung des Kaisers Theodoros Laskaris, zum Erzbischof »der serbischen Lande und Küstengebiete« geweiht. Auf seiner Rückreise machte er in Thessalonike halt, wo er den Nomokanon übersetzte, um die kirchenrechtliche Grundlage zur Organisation der serbischen Kirche zu haben. Das Kloster Žiča, eine Stiftung seines Bruders, erhob er zum Sitz des Erzbischofs. Er krönte und salbte Stefan noch einmal zum König der Serben. Sein Wirken rief den Widerspruch des griechischen Erzbischofs von Ochrid, Demetrios Chomatenos, hervor, der um seine Stellung bangte, da ein Teil seiner Suffragane (u.a. Nisch, Raška, Prizren) jetzt zur neuen serbischen Kirche gehörte. Sava gründete höchstwahrscheinlich 9 neue Eparchien. Sitz der Bischöfe waren Klöster. Sava sorgte für die Ausbildung eines serbischen Klerus. Von 1229–1232 unternahm er eine Reise ins Heilige Land, wo er vom Patriarchen von Jerusalem empfangen wurde. In Jerusalem und Akko gründete er serbische Klöster. Auf der Rückreise besuchte er den Kaiser Johannes Vatatzes. 1233 berief er in Žiča einen Sabor, eine Synode, ein und legte sein Amt nieder. Zu seinem Nachfolger bestimmte er den Mönch Arsenije. Er selbst begab sich auf eine Reise, die ihn zu den Zentren der Orthodoxie führte, Palästina, Alexandria, die Stätten des ägyptischen Mönchtums, den Berg Sinai, Antiocheia,
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Konstantinopel und Trnovo, wo er am 14. 1. 1234 starb. Es wurde die These diskutiert, Savas letzte große Reise zu den Oberhäuptern der autokephalen Kirchen hänge mit der Errichtung des bulgarischen Patriarchats unter Ivan Asen zusammen. Die Gebeine Savas wurden nach Serbien gebracht, wo er schon bald als Heiliger verehrt wurde. Unter den Nachfolgern Stefans entbrannte der Kampf um die Hegemonie auf der Balkanhalbinsel. Stefan Radoslav (1228 bis 1234) orientierte sich ganz an den Griechen und an dem Despoten von Epiros. Sein Bruder Vladislav (1234–1243), ein Schwiegersohn Ivan Asens, lehnte sich an das zweite Bulgarische Reich an. Nach dem Tod des Zaren wurde er gestürzt. Der dritte Sohn Stefan Uroš I. (1243–1276) führte eine wirtschaftliche Blüte Serbiens herauf, indem er sächsische Bergleute ins Land rief. Bergbau und Handel nahmen zu. Die Serben drangen nach Makedonien vor und nahmen Skopje und Kičevo ein. 1259 wurden sie jedoch bei Pelagonia von Michael VIII. Palaiologos besiegt. Nach der Wiedererrichtung des Kaisertums 1261 verhielt sich Stefan Uroš feindlich zu Byzanz. Michael VIII. Palaiologos verhandelte auf dem Konzil zu Lyon und war bereit, für die Union die Selbständigkeit der serbischen Krone preiszugeben. Dragutin (1276–1282) betrieb eine den Ungarn wohlgesonnene Politik, die den Interessen des serbischen Adels nicht entsprach. So mußte er die Regierung an seinen Bruder Milutin (1282–1321) abtreten. Dieser begann sofort, die Expansion nach Süden voranzutreiben, auf Kosten des Byzantinischen Reiches. Er eroberte ganz Westmakedonien. Aber auch nach Norden bis zur Donau-Sawe-Linie dehnte er Serbien aus, indem er diese Gebiete den Bulgaren entriß. So entstanden zwei serbische Königreiche, das alte nemanjidische Serbien mit Makedonien unter Milutin und das nördliche unter Dragutin. Milutin schloß aus innenpolitischen Gründen Frieden mit Byzanz. Er verließ seine dritte Frau, die Bulgarin Anna, und heiratete Simonida, die Tochter des Andronikos, ein Mädchen von etwa 8 Jahren. Die friedlichen Beziehungen wurden nur gestört, als Milutin Karl von Valois unterstützen wollte, eine neue lateinische Herrschaft in Konstantinopel zu errichten. Aber schon 1313 schickte er dem Kaiser ein Ritterheer für den Kampf gegen die Türken. Unter Milutin wuchs der byzantinische Einfluß im Innern. Das byzantinische Beamtensystem wurde übernommen. Der Groß-Logothet stand an der Spitze der königlichen Kanzlei, der Groß-Protovestiarios verwaltete die Finanzen. Auch die Administration der Provinzen wurde nach byzantinischem Vorbild eingerichtet. Das Pronoia-System wurde weiter ausgebaut. Der Feudalherr erhielt auf Lebzeiten die Nutznießung von Gütern und mußte dafür Kriegsdienste leisten. Im Kriegsfall mußte er mit einem Kontingent abhängiger Bauern, Paroikoi, antreten. Auch das byzantinische Steuersystem wurde übernommen. Die Landbevölkerung entrichtete die Steuern durch Fronarbeiten, in Naturalien oder Geld. Weiterhin wurden byzantinische Zeremonien am Hofe eingeführt. Dennoch trug Serbien noch immer den Charakter eines
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eigenständigen Staatswesens, gebildet aus slawischen, Byzantinischen und westlichen Traditionen. Aus dem Streit um Milutins Nachfolge ging Stefan Dečanski als Sieger hervor. Im Byzantinischen Bürgerkrieg stand er auf Seiten des alten Kaisers Andronikos II. Als Andronikos III. die Oberhand behielt, schloß er mit den Bulgaren ein Bündnis gegen die Serben. In der Schlacht bei Velbužd (Küstendil) am 28. 7. 1330 wurden die Bulgaren vernichtend geschlagen. Zar Michail Šišman fand den Tod auf dem Schlachtfeld. Doch der ehrgeizige Sohn Stefan Dečanskis, Stefan Dušan, entsprach eher dem Wunsch des Adels. Er zwang Stefan Dečanski zum Rücktritt. 1331 ließ sich Dušan krönen. Stefan Dečanski wurde gefangengesetzt und ermordet. Er wird als Märtyrer verehrt, während seinem Sohn das Odium des Vatermörders anhaftet. c) Stefan Dušan und die serbische Vorherrschaft auf dem Balkan Stefan Dušan wollte nicht nur die serbische Macht nach Süden ausdehnen, sondern er strebte ähnlich wie Zar Simeon und Ivan Asen nach der Kaisermacht. Seine ehrgeizigen Pläne wußte er mit List und Gewalt zu verwirklichen. Jedoch auch er vertat die Kräfte seines Volkes letzten Endes genauso sinnlos wie die bulgarischen Herrscher. Das noch nicht geeinte Serbien zerfiel nach seinem Tode wieder schnell und wurde eine leichte Beute der osmanischen Türken. Nachdem er in den ersten Jahren seine Stellung im Innern gefestigt hatte, wandte er sich nach Süden und eroberte, ohne großen Widerstand zu finden, Prilep, Ochrid, Strumica und Kostur. Griechische Archonten, mit der Regierung Andronikos’ III. unzufrieden, stellten sich auf seine Seite, wie der erfahrene Sirgianos, der gegen Thessalonike ziehen wollte. Er wurde von einem Byzantinischen Söldner im Auftrag des Kaisers ermordet. Stefan Dušan sah sich gezwungen, Frieden zu schließen, zumal die Ungarn die Nordgrenze bedrohten. 1335 erbaute er seinen Palast in Prilep. Er eroberte 1340 Drač und Jannina und legte sich den Titel eines Königs von Albanien zu. Nach dem Tode Andronikos’ III. Palaiologos brach in Konstantinopel wieder der Bürgerkrieg aus. Von 1343 bis 1345 kämpfte Dušan um die Vorherrschaft in Makedonien und Thrakien, wobei er ohne Bedenken Johannes Kantakuzenos fallen ließ. Von Thessalonike abgesehen, das die Serben nie errungen haben, hatte Dušan alle bedeutenden Zentren in der Hand, wie Berroia und Serrhes, wo er begann, sich Car’ zu nennen. Seine Intention, den Kaiserthron zu besteigen, zeigte sich darin, daß er die gesamte Verwaltung nach byzantinischem Vorbild beibehielt, die Griechen im Amte beließ sowie der Kirche und den Klöstern Privilegien gewährte. Nach östlicher Auffassung konnte es keinen Kaiser ohne Patriarchen geben. 1346 trat in der Hauptstadt Skopje eine Synode zusammen, die aus dem Erzbischof von Serbien Joanikije, dem Patriarchen von Trnovo Simeon, dem Erzbischof von Ochrid Nikola und Vertretern des Athos bestand. Sie erhoben den Erzbischof Joanikije zum ersten serbischen Patriarchen. Der Patriarch von Konstantinopel
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protestierte und verhängte die Exkommunikation über die serbische Kirche, die erst 1375 aufgehoben wurde. Dušan wurde am 16. 4. 1345 in Anwesenheit der Synode zum »Kaiser der Serben und Griechen, der Bulgaren und Albaner« gekrönt. Allen serbischen Großen verlieh er byzantinische Titel, Despot, Sebastokrator usw. Sein Ziel hieß nun Konstantinopel, dessen Glanz er als Kind mit eigenen Augen gesehen hatte. Er suchte es mit Hilfe der Venezianer zu erreichen, die ihn jedoch hintergingen und sich mit Kantakuzenos verbündeten. Dušan rächte sich mit der Verwüstung Bosniens. Im Innern ordnete er die Verhältnisse durch Herausgabe eines Gesetzbuches (1349). Sein »Zakonik« ist ein einzigartiges Denkmal der slawischen Rechtsgeschichte. In der Auseinandersetzung mit Johannes V. Palaiologos hatte sich Kantakuzenos die Türken zu Hilfe geholt. Ein bulgarischserbisches Reiterheer, das zur Unterstützung des Palaiologen ausgezogen war, erlitt bei Dimotike (Didymoteichon) eine Niederlage. Türken begannen sich auf dem Balkan auszubreiten. 1355 starb unerwartet Zar Dušan in der Blüte seiner Jahre. Kaum war die starke Persönlichkeit dahingegangen, die allein das Reich hatte zusammenhalten können, brachen Kämpfe zwischen den einzelnen griechischen und serbischen Vasallen aus. Sein Erbe Stefan Uroš V., 1355–1371, konnte den Zerfall nicht mehr aufhalten. Sein Onkel Simeon riß Thessalien an sich, Epiros wurde unter albanischen, griechischen und serbischen Familien aufgeteilt. In Ochrid saß der Sebastokrator Branko Mladenović, in Prilep Vukašin. Die Bildung vieler kleiner Feudalstaaten wirkte sich nachteilig auf die kulturelle und wirtschaftliche Lage des Landes aus. Die Türken gewannen an Einfluß. Der Despot Uglješ und Vukašin, der den Königstitel an sich gebracht hatte, fielen in der Schlacht an der Maritza, am 26. 9. 1371. Der Untergang war nicht mehr aufzuhalten. König Tvrtko versuchte die Nemanjidentradition zu beleben, Lazar Hrebeljanović und Vuk Branković wurden in kurzer Zeit den Türken tributpflichtig. Lazar sammelte die letzten Kräfte zum Widerstand. Sultan Murad zog selbst mit einem großen Heer heran. So kam es am Veitstag, am 15. 6. 1389, zu der Entscheidungsschlacht auf dem Amselfelde (Kosovo polje). Die Besten des serbischen Adels fielen im Kampf. Sultan Murad wurde von Miloš Obilić erschlagen. Branković und der Sohn Lazars wurden zu tributpflichtigen Vasallen des Sultans. Serbien hatte im Türkensturm einen schweren Schlag erlitten. Die serbischen Volkssänger sangen seit dieser Zeit zur Gusla epische Heldenlieder über das Geschehen auf dem Amselfelde. Es entstand ein ganzer Kosovo- Zyklus über den Untergang des feudalistischen Serbien. Stefan Lazarević konnte sich 1402 noch einmal von der Tributpflicht befreien. Er machte Belgrad zu seiner Hauptstadt. Von Konstantinopel erhielt er den Titel Sebastokrator. Eine gewisse Wiedergeburt der serbischen Kultur setzte ein. Die Flüchtlinge aus Bulgarien brachten neue theologische Literatur mit. Gregori Camblak wurde Archimandrit des Klosters Visoki Dečani. Er verfaßte eine Vita von dessen Stifter Stefan Dečanski. Ein serbischer Mönch namens Pachomij ging nach Rußland, um dort einen neuen rhetorischen Stil in die altrussische Literatur einzubringen. Der
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Nachfolger von Stefan Lazarević Georgi Branković (1427–1456) konnte den inneren Verfall und das weitere Vordringen der Türken nicht mehr aufhalten. Letzten Endes verblieb ihm nur noch das Gebiet um Smederevo, wohin sich auch der serbische Patriarch zurückgezogen hatte. Das serbische Volk vollzog seine Hinwendung zum Christentum in noch viel stärkerem Maße als das bulgarische vor dem Hintergrund der ost-westlichen Auseinandersetzung. Die Doppeltaufe des Stefan Prvovencani ist wie ein Sinnbild für die Orientierung nach beiden Richtungen hin. In seiner Vita wird diese Tatsache mit einem apokryphen Jesus-Wort umschrieben: »Du hast die Milch aus beiden Brustwarzen gesogen«. Am auffälligsten erscheint die abendländisch- byzantinische Synthese im Kirchenbau Rasciens. Romanische Elemente verbinden sich mit Byzantinischen besonders harmonisch in der Klosterkirche Studenica, der Grabkirche Stefan Nemanjas. Es handelt sich um einen einschiffigen Saalbau, der von einer Kuppel überwölbt wird. Der marmorne Außenschmuck erinnert an Romanische Kirchen Italiens. Im Tympanon des Westportals befindet sich ein Relief der Mutter Gottes mit zwei Erzengeln. Unter dem Dach zieht sich ein Bogenfries mit figürlichem Schmuck hin. In diesem Typus sind folgende Kirchen, die den Höhepunkt des serbischen Kirchenbaus im 13. Jahrhundert darstellen, errichtet: Žiča (1208–1215), Mileševo (1234–1235), Morača (1252), Sopoćani (1255). Ihre Ausmalung dagegen ist in Auffassung und Ikonographie rein byzantinisch. Im folgenden Jahrhundert wurden in Südserbien Kreuzkuppelkirchen gebaut. Milutin stiftete 1320 die Klosterkirche von Gračanica. Sie ist einerseits deutlich als byzantinisches Bauwerk zu erkennen, weist aber andererseits besondere nationale Eigenheiten auf, vor allem wird eine gewisse dekorative Wirkung durch den Wechsel von Haustein und Ziegeln bei den Außenwänden hervorgerufen. Die Kirchen von Staronagoročino (1318) und Lesnovo (1346) zeigen deutlich den Stil der Kreuzkuppelkirche, z.T. mit mehreren Kuppeln und drei Konchen. Den Abschluß serbischer Architektur bilden die Kirchen des sogen. Moravatypus, z.B. Ravanica (um 1389), Ljubostinja (um 1400) und Kalenić (1417). Die schmalen hochgezogenen Bauwerke sind mit polychromen Platten und altertümlichen, an georgische Vorbilder erinnernden Zieraten und Rosetten versehen. Die Ausmalungen sind bis zum letzten Augenblick serbischer Selbständigkeit von hoher Qualität. Vor allem die Stifterbilder weisen neben ikonenhafter Strenge individuelle Züge auf. Die älteste erhaltene Bilderhandschrift, das Evangeliar des Fürsten Miroslav, enthält Illuminationen, in denen sich östliche und westliche Elemente in eigentümlicher Weise verbinden. Ein anderes Zeugnis sakraler Kunst ist der »Epitaphios der Nonne Jefimija« von 1399, ein roter Seidenstoff, auf den mit Gold- und Silberfäden eine Totenklage auf Fürst Lazar eingestickt ist. Neben der aus Byzanz unmittelbar in Übersetzungen übernommenen geistlichen und weltlichen Literatur entwickelte sich in Serbien ein eigener literarischer Stil in den Biographien serbischer Herrscher und Heiliger, in dem
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die rhetorische Tradition der Hagiographie durch historische Einzelheiten durchbrochen wird. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts schrieb der Mönch Domentijan eine rhetorisch ausgeschmückte Vita des hl. Sava, die von Teodosije überarbeitet und stilistisch vereinfacht wurde. Erzbischof Danilo II. verfaßte Lebensbeschreibungen serbischer Könige und Hierarchen, die ein stärker historisches als hagiographisches Interesse bekunden. Die liturgische Dichtung dagegen bleibt ganz im Rahmen der Byzantinischen Überlieferung. Das ist in gewissem Sinn auch in der Lebensbeschreibung des Stefan Lazarević von dem bulgarischen Autor Konstantin von Kostenec der Fall. Das serbische Mönchtum folgte im wesentlichen der östlichen Tradition, war aber nicht nur auf Weltflucht ausgerichtet, sondern wirkte auch tatkräftig bei der Organisation der Kirche mit. Die Klöster waren Stätten der Askese, aber auch Sitz der Bischöfe und Grabstätten der Herrscher. Ihr Aussehen gemahnt eher an Herrensitze als an die Mönchssiedlungen Bulgariens. Der Einfluß des Hesychasmus auf Serbien ist wenig erforscht. Er wurde vor allem von bulgarischen Flüchtlingen mitgebracht. Er äußerte sich im Interesse an asketischmystischer Literatur, z.B. an dem Werk des Johannes Klimakos. Das Verhältnis von Staat und Kirche war verhältnismäßig ausgeglichen. Die Einheit von Serbentum und Orthodoxie war im Unterschied zum unterschwelligen Dualismus in Bulgarien ausgeprägt. Auch die Rechtsprechung zeigt neben der Rezeption Byzantinischen Rechtes viele Elemente alter slawischer Auffassungen. Zunächst wurde der Nomokanon in der Übersetzung des hl. Sava übernommen. Im 14. Jahrhundert wurde das Syntagma des Blastares in gekürzter Form sowie eine Kompilation von Gesetzen des Justinian übersetzt. Sie stellen eine wichtige Ergänzung zum Gesetzbuch des Zaren Dušan dar, mit dem sie eine Einheit bildeten. Östliche und westliche Kultur gingen in Serbien eine glückliche Synthese ein, wobei der byzantinische Einfluß ohne Zweifel bedeutend und augenfällig ist. V. Der byzantinische Hintergrund der russischen Kultur Im 6. Jahrhundert kamen Slawen und Anten mit dem Byzantinischen Reich erstmals in Berührung. Die Anten werden als Vorfahren der Russen und Ukrainer angesehen. Bedeutung erlangten sie jedoch erst im 9. Jahrhundert, das einen gewissen Völkerfrühling bei den Slawen darstellt. Inwieweit die Ostslawen von den Normannen oder Warägern beherrscht wurden, inwieweit sie nur nordische Söldner in Dienst genommen haben, ist eine bis heute heftig diskutierte Streitfrage. Die Byzantiner unterscheiden die »Russen« deutlich von den Slawen. Durch das Land der Ostslawen führte der Handelsweg von Skandinavien nach Konstantinopel den Volchov und Dnepr entlang bis zu den griechischen Handelsstationen auf der Krim. 839 kehrte eine Gesandtschaft aus Byzanz auf Umwegen über Ingelheim, wo sie Ludwig den Frommen aufsuchte, nach Kiev zurück. Auch hier ist wieder ein Schwanken zwischen Ost und West zu beobachten. 860 bedrohten die Russen
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zum erstenmal die Hauptstadt, indem sie die Umgebung verwüsteten. Ein Sturm soll ihre Flotte vernichtet haben. Bereits Patriarch Photios erkannte die große Missionsaufgabe. 907 zog Fürst Oleg gegen Konstantinopel und schloß 911 einen Handelsvertrag mit den Byzantinern. Die Russen unterstützten das Reich im Kampf gegen die Araber. Unter Igor wiederholten sich Heereszug (941) und Vertragsabschluß (943). 957 kam die Fürstin Olga in die Hauptstadt, doch diesmal, um die Taufe zu empfangen. Sie erhielt dabei den Namen Helena. Konstantin VII. wurde ihr Pate. Der erste Schritt auf Byzanz hin war getan, wenngleich Olga auch Kontakte zum Westen aufnahm. Ihr Sohn Svjatoslav nahm das Christentum in Rücksicht auf seine Družina (Gefolge aus Freien, Mannen) nicht an. 968 besiegte er im Auftrag des Nikephoros Phokas die Bulgaren. Er wagte es, den Byzantinern den europäischen Teil des Reiches streitig zu machen, wurde aber von Johannes Tzimiskes zurückgeschlagen. Wiederum kam 988 ein warägisch-russisches Heer dem Kaiser, diesmal war es Basileios II., zu Hilfe. Fürst Vladimir erhielt dafür unter der Bedingung der Taufe die ›Purpurgeborene‹ Anna zur Frau, eine Ehre, die Otto II. verwehrt worden war. 988 wurde Vladimir auf den Namen des kaiserlichen Paten Basileios getauft. Das Christentum wurde daraufhin als Staatsreligion eingeführt. Mit der Christianisierung der Kiever Rus’ hielt auch die byzantinische Kultur ihren Einzug bei den Ostslawen. Anna hatte ein berühmtes Gnadenbild, die Ikone der Mutter Gottes von Vladimir, mitgebracht. Die ersten Kirchen wurden von griechischen Bauleuten errichtet. So entstanden im Stile der Kreuzkuppelkirche die Sophienkathedralen von Kiev und Novgorod. Die geistliche und weltliche Literatur aus Byzanz wurde in altkirchenslawischer Übersetzung zum größten Teil aus Bulgarien übernommen. Kiev erhielt einen Metropoliten, der unter der Jurisdiktion des ökumenischen Patriarchen stand. Die meisten Bischöfe waren zunächst Griechen. In verhältnismäßig kurzer Zeit erreichte die Kiever Kultur einen hohen Stand. Jaroslav der Weise (1036–1054) förderte Kirche und Literatur vergleichbar mit Simeon von Bulgarien. In Konstantinopel entstand eine russische Kolonie. 1043 unternahm Jaroslav den letzten kriegerischen Vorstoß gegen die Hauptstadt. Innere Schwierigkeiten und ständige Angriffe von Steppenvölkern banden seine Nachfolger im Lande. Der Streit der Fürstensöhne um den Thron förderte den Zerfall in feudalistische, sich befehdende Teilfürstentümer. Vladimir II. (1113–1125), nach seinem kaiserlichen Großvater Monomach genannt, konnte den Kiever Staat für kurze Zeit zusammenhalten. Im 12. Jahrhundert verlagerte sich der Schwerpunkt immer mehr nach Nordosten, nach Vladimir- Suzdal’. Fürst Andrej Bogoljubskij (1157 bis 1175) eroberte 1169 Kiev und zerstörte es. Novgorod bildete einen eigenen oligarchisch regierten Stadtstaat. Die innere Zersplitterung führte dazu, daß die Tataren im 13. Jahrhundert das Land eroberten und unterwarfen. 1240 verwüsteten sie die Hauptstadt Kiev. Die Verbindung zu Konstantinopel, seit 1204 in den Händen der Lateiner, riß zeitweilig ganz ab. Der Versuch Roms, zu einer Union zu kommen, scheiterte. Fürst Alexander Nevskij (1252–1263) lehnte
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das Ansinnen des Papstes ab. Fürst Danylo von Galizien-Wolhynien empfing zwar die Königskrone vom Papst, als jedoch die versprochene militärische Hilfe gegen die Tataren ausblieb, kam es wieder zum Bruch. Wie Serben und Bulgaren wandten sich auch die Ostslawen endgültig der Orthodoxie zu und nahmen anstelle der Abhängigkeit vom Westen eine Fremdherrschaft in Kauf. Das Kiever Rus’-Reich rezipierte die byzantinische Kultur in allen Bereichen und erfüllte sie mit frischem Leben. Kiev wurde prunkvoll ausgebaut. Mit seiner Sophienkathedrale, seinen Klöstern und Palästen, mit seinem Goldenen Tor war es ein getreues Abbild Konstantinopels und zugleich ein neues Jerusalem. Griechische und einheimische Künstler schufen Mosaiken und Ikonen von erhabener Schönheit. In Novgorod herrschte monumentale, fast karge Einfachheit in Architektur und Malerei. In Vladimir-Suzdal’ zierten die Außenwände allegorische und symbolische Reliefs von Tieren und Fabelwesen, z.B. Demetriuskathedrale von Vladimir und Maria-Schutz-Kirche an der Nerla. In Grodno wirkten die Fassaden durch die Polychromie der Keramikplatten. Der Grundton der Außenwände war bei allen Bauten schneeweiße Kreide, von der sich der halbplastische Schmuck um so besser abhob. In der Literatur entstanden auf dem Hintergrund byzantinischer Rhetorik und Theologie die ersten originellen Werke: der Traktat des Metropoliten Ilarion über Gesetz und Gnade, die Predigten des Kirill von Turov, die sogenannte ›Nestorchronik‹, das Martyrium von Boris und Gleb und das Paterik des Kiever Höhlenklosters. Dieses Kloster war ein wichtiges religiös-kulturelles Zentrum der alten Rus’. Es begann unter Antonij (gest. 1073) in strenger Form des Anachoretentums und wurde unter Feodosij (gest. 1074) im Stil des koinobitischen Klosters nach der Studitenregel umorganisiert. Eine Reihe von Hierarchen ging aus diesem Kloster hervor. Schon früh hatte russisches Mönchtum auf dem Athos Fuß gefaßt. 1016 entstand dort das Xylourgou- und 1169 das Panteleimonkloster. Wie in Byzanz spielte das Mönchtum auch in der Geschichte Rußlands eine bedeutsame Rolle. Während der Tatarenherrschaft zogen russische Pilger ins Heilige Land und zu den Stätten der Orthodoxie und erhielten so die Verbindung zur Ökumene aufrecht (Abt Daniil, Grigorij Kaleka, Stefan von Novgorod). Die Metropolie von Kiev unterstand Konstantinopel, wo man sich jedoch im 13. und 14. Jahrhundert offensichtlich wenig um sie sorgte, wie aus der niedrigen Stelle in der Rangliste der Metropoliten (zunächst die 60., später die 72.) hervorgeht. Tichomirov macht dafür die Kurzsichtigkeit der Byzantiner, aber auch das mangelnde Interesse der russischen Bischöfe an klingenden Titeln verantwortlich. Immer wieder wurden Griechen oder auch Bulgaren wie Kiprian gewählt. Unter letzterem kamen die revidierten slawischen liturgischen Bücher nach Rußland. Zum zweitenmal gewann die südslawische Literatur in sprachlicher und stilistischer Hinsicht an Einfluß. Auch die Malerei erreichte im Werk des Griechen Feofan und des Andrej Rublev einen neuen Höhepunkt. Wie in der Hagiographie so ist auch in der bildenden Kunst der Einfluß des Hesychasmus mit seiner Lichtmystik zu spüren. So hat die
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Tatarenherrschaft nicht nur Niedergang und Verödung im Gefolge gehabt. Vor allem die Kirche konnte ihre Stellung gegenüber den islamischen Herren behaupten und hat viel zur Erhaltung der nationalen Existenz beigetragen. Einer Union mit der Westkirche stand sie ablehnend gegenüber. Am deutlichsten kamen byzantinische Ideen in der Auffassung vom christlichen Herrscher zum Ausdruck. Schon Vladimir wird in der Kiever Zeit in die religiös-heilsgeschichtliche Sphäre erhoben, indem er mit dem apostelgleichen Konstantin und seine Großmutter Olga mit Helena verglichen wird. Vladimir wird zwar schon vereinzelt ›samoderžec‹, αὗτοκρατωρ (Selbstherrscher) genannt, für Byzanz bleibt er jedoch der µέγας ἂρχων, der ›Velikij knjaz’‹ (Großfürst). Empfand sich das Kiever Reich als vollwertiges Glied in der Familie der christlichen Völker, das in letzter Stunde der Gnade der Taufe gewürdigt wurde, so hat es nie mit dem Byzantinischen Kaisertum konkurrieren wollen. Es gab keine eigene Krönung zum Großfürsten. Nach der Rezeption Byzantinischen Gedankengutes in altrussischer Zeit, vor allem aus der Geschichtsschreibung und der theologischen Literatur, begann die eigentliche Zeit der Adaption während des Aufstiegs des Moskauer Staates. Mit der staatlichen ging die kirchliche Zentralisierung Hand in Hand. Seit 1326 residierte der Metropolit von Kiev und ganz Rußland in Moskau. Als der Grieche Isidor 1441, nachdem er die Union von Florenz unterschrieben hatte, von Vasilij verjagt worden war, wurde mit der Wahl Jonas’ zu seinem Nachfolger 1448 der erste Schritt auf die Autokephalie hin getan. Im Fall Konstantinopels 1453 sahen die frommen Russen die Strafe für die verräterische Union. Im Bewußtsein, Hüter der Rechtgläubigkeit zu sein, wurde die Ideologie vom ›dritten Rom‹ formuliert. Als Zoe Palaiologina, russisch unter dem Namen Sofija bekannt, 1472 Ivan III. heiratete, brachte sie die Rechte und Ansprüche des Byzantinischen Kaisertums nach Moskau. Ivan III. beginnt mit dem Doppeladler zu siegeln und sich den Titel ›Zar‹, wenn zunächst auch zurückhaltend, zuzulegen. Bei der Krönung seines Sohnes wurde erstmals ein byzantinischer Krönungsritus eingeführt. In dieser Zeit entstanden zwei Legenden, einmal jene von der Krone des Monomach, der ›šapka Monomacha‹, die zur Krönungsinsignie wurde und die Konstantin Monomachos dem Kiever Fürsten Vladimir II. gesandt haben soll, zum anderen jene, welche die Abstammung der Großfürsten auf die römischen Kaiser zurückführen wollte. Schließlich formulierte der Mönch Filofej von Pskov in einem Brief an Vasilij III. jene bedeutende Ideologie von Moskau als dem dritten Rom. Innerhalb des Mönchtums wurde die Auseinandersetzung zwischen den weltflüchtigen Starzen des Transwolgagebiets und den Mönchen der kulturell und politisch aktiven Klöster ausgetragen. Nil Sorskij (gest. 1508) war der Wortführer der Uneigennützigen, während Josif Sanin von Volokolamsk (gest. 1515) der Vertreter des reichen koinobitischen Mönchtums wurde. Zugleich formulierte er die Lehre von der theokratischen Monarchie im Sinne der Byzantinischen Kaiseridee. Daher trug er den Sieg davon. Nil Sorskij dagegen
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errang die größere Bedeutung in rein religiösem Bereich. Unterstützt wurde er von einem griechischen Flüchtling, Maxim dem Griechen (gest. 1556), der in Italien die Anfänge der Renaissance miterlebt hatte und mit Savonarola bekannt geworden war. Er scheiterte jedoch an der russischen Autokratie. Der Einfluß der italienischen Renaissance kommt auch in der Architektur zum Ausdruck. Unter Ivan III. erbaute der italienische Baumeister Fioraventi die Maria Himmelfahrts-Kathedrale (Uspenskij sobor) in ihrer heutigen Gestalt. Die Grundform des Zentralbaues mit fünf Kuppeln bleibt dabei doch erhalten. 1547 wurde Ivan IV. Groznyj von Metropolit Makarij zum orthodoxen Kaiser gekrönt. Ungeachtet des Einspruches seitens des ökumenischen Patriarchen, der dieses Recht allein für sich in Anspruch nahm, fühlte sich Ivan IV. als Erbe und Nachfolger der Byzantinischen Kaiser. Nach Art der σύνοδος καὶ σύγκλητος führte er eine Versammlung, den ›zemskij sobor‹, ein. 1556 gab er eine neue Übersetzung des Syntagma des Mathaios Blastares in Auftrag. Die Errichtung des Patriarchats von Moskau 1589 vollendete die Entwicklung. Die vier östlichen Patriarchen bestätigten gemäß dem in der Ostkirche seit jeher üblichen politischen Prinzip Jov »wegen des Imperiums« in seinem Amte und ordneten an, den »frömmsten Kaiser von Moskau und Selbstherrscher von ganz Rußland« in die Diptychen aufzunehmen. Das Ideal, die Dyarchie von Kaiser und Patriarch in einem Reich, war verwirklicht. Das byzantinische Recht wurde weiter übernommen. Schon 1262 hatte Metropolit Kirill II. vom Despoten Ivan Svjatoslav, der russischer Herkunft war, aus Bulgarien den Nomokanon in der Übersetzung des Sava bekommen. 1646 wurde der Nomokanon, einschließlich des Procheiron und der Ekloge, erstmals gedruckt. So ist das Grundgesetz, das ›Uloženie‹ des Zaren Alexej Michailovič von 1667 vom Byzantinischen Recht beeinflußt. Das Verhältnis von Staat und Kirche wurde zu dieser Zeit empfindlich gestört, als der energische Patriarch Nikon mit seinen Reformen begann. Er veranlaßte die letzte Revision der kirchenslawischen Übersetzung anhand der griechischen Originale und suchte die Riten der russischen Kirche an den griechischen Bräuchen seiner Zeit zu verbessern. Er rief den Protest der altrussischen Frommen hervor, und es kam zum Schisma, Raskol. Die Schismatiker, Raskol’niki, kämpften unter ihrem Wortführer, dem Erzpriester Avvakum, gegen die Verfälschung der reinen Lehre, gegen das Eindringen westlicher Elemente ins kirchliche und kulturelle Leben, wobei sie oft wirklich das ältere byzantinische Erbe vertraten. Ähnliche konservative Widerstände gegen Änderungen gab es auch in Konstantinopel zur Zeit des Bilderstreites, der Unionen und des Hesychasmus. Weiterhin wollte Nikon den Gedanken der Symphonie zwischen geistlicher und weltlicher Macht, wie ihn Photios in Anlehnung an Justinians Gesetzgebung in der freilich nie sanktionierten Epanagoge formuliert hat, verwirklichen. Nikon verfiel fast in papale Tendenzen, was zu seinem Sturz beitrug. Der Absolutismus des Zaren wurde immer ausgeprägter, bis sich Peter der Große des Patriarchats entledigte und an dessen Stelle den Heiligen Sinod einsetzte. Sein Ratgeber, der Erzbischof
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Feofan Prokopovič, verband geschickt byzantinische Kaiseridee und staatsrechtliche Theorien des Westens in seiner Rechtfertigung des petrinischen Absolutismus. Peter, der den Titel ›Imperator‹ anstelle des alten ›Zaren‹ einführte, wurde wie alle seine Nachfolger im Sinne byzantinischer Tradition als orthodoxer Kaiser und Schützer aller orthodoxen Kirchen empfunden. Moralische und materielle Hilfe wurde den orthodoxen Völkern seitens Rußland zuteil, das mit den Türken ständig Krieg führte um das Erbe von Konstantinopel und nicht nur um die Meerengen. Die weltgeschichtliche Bedeutung von Byzanz besteht nicht zuletzt in seiner geistigen, kulturellen Ausstrahlung. Die ost- und südslawischen Völker, für die Konstantinopel die Kaiserstadt, Car’ grad, schlechthin war, erhielten von Ostrom entscheidende Impulse bei der Bildung eigener Kulturen und selbständiger Staaten. Entscheidend war die Übermittlung des Christentums in seiner östlichen Form. Zwei byzantinische Missionare legten den Grundstein für die bulgarische, serbische, russische, ukrainische und weißrussische Literatur, indem sie ein eigenes Alphabet und Übersetzungen schufen. Der Glanz der Byzantinischen Liturgie und die Spiritualität des Mönchtums haben die bekehrten Völker ergriffen und Kunstwerke unvergleichlicher Schönheit entstehen lassen. Verklärung des Lebens und der Welt durch Gebet, Kult und Kontemplation ist ein Wesenszug der mehr auf die ewigen Glaubenswahrheiten ausgerichteten Orthodoxie. Sie wirkte aber auch als lebenserhaltende und vorwärtsdrängende Kraft bei allen Rückschlägen und Tiefpunkten ihrer Geschichte. Die Balkanvölker verdanken in hohem Maße der orthodoxen Kirche ihre nationale Existenz. Im Gewande der griechischen Patristik und der Byzantinischen Literatur wurde den slawischen Völkern antikes Erbe vermittelt. Übersetzt wurde nach theologischen Gesichtspunkten, die Enzyklopädien des allgemeinen Wissens, überhaupt das ganze Weltbild trugen heilsgeschichtlich-symbolischen Charakter. Griechische Dichter und Philosophen erscheinen auf den Fresken neben den alttestamentlichen Propheten. Das platonische Urbild-Abbild-Schema liegt weithin der byzantinisch-orthodoxen Kultur zugrunde. Es kommt vor allem in der östlichen theokratischen Kaiseridee, die von den bekehrten Völkern übernommen wurde, zum Ausdruck. Der Car’ ist der Gesalbte des Herrn, von Gott gekrönt, hat teil an der Macht und Herrlichkeit Gottes. Er ist Wahrer des rechten Glaubens und Schutzherr der Kirche. Staat und Kirche sind nicht zwei neben- oder gegeneinander stehende Kräfte, sondern zwei Seiten einer Wirklichkeit. Patriarch und Kaiser, beide Abbilder Christi, sind im Idealfall die beiden Häupter des einen Volkes wie Moses und Aaron. So wird auch das byzantinische Recht in seinem Zusammenklang von staatlichem (νόµος – zakow) und kirchlichem Recht (κἁνων – pravilo) übernommen und mit alten Resten eigenen Rechtes, z.B. »Russkaja Pravda«, verbunden. Das Mönchtum in seiner steten Spannung zwischen dem individualistischen, idiorhythmischen Einsiedlertum (osobožitie) und dem kollektivistischen, koinobitischen
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Klosterwesen (obščežitie) ist Vermittler geistlichen Lebens. Die Klöster am bithynischen Olymp, auf dem Athos und in Konstantinopel wurden Zentren slawisch-griechischer Zusammenarbeit. Der Hesychasmus vereinigte alle orthodoxen Völker in einer Art byzantinischer Renaissance. Kaufleute und Pilger suchten auf ihren Reisen die Kolonien ihrer Landsleute in Thessalonike und in der Hauptstadt auf. Sie wurden zu Vermittlern der materiellen Kultur. Konstantinopel war, was Luxus und Lebensstil betrifft, weithin Vorbild. byzantinische Prinzessinnen, die als Ehefrauen an die Fürstenhöfe gingen, wirkten kultivierend auf ihre Umgebung. Bei aller Nähe zur Byzantinischen Kultur darf doch nicht übersehen werden, daß die slawischen Völker sie nicht schematisch und sklavisch übernommen haben, sondern es verstanden, sie zu integrieren und ihr eigene Züge zu verleihen. Am deutlichsten wird das in der bildenden Kunst sichtbar. Die Kirchen von Kalenić in Serbien, Curtea de Arges in Rumänien und die Basilios-Kirche auf dem Roten Platz in Moskau sind vom Typus der Byzantinischen Kreuzkuppelkirche, in ihrer Ausführung sind sie einmaliger, unwiederholbarer Ausdruck eines eigenen nationalen Stils. Auch in der Ikonographie und im Kirchengesang ist die Harmonie zwischen dem Byzantinischen Erbe und dem Genius der einzelnen Völker erkennbar. Unterstreicht man den Byzantinischen Einfluß auf die slawischen Völker, so heißt das nicht, wie es kurzsichtiger Nationalismus oft glaubt, daß man Leistung und Bedeutung der einzelnen Nationen übersieht. 4. Die Makedonische Renaissance I. Die Anfänge des mittelbyzantinischen Reiches Nach dem Kampf um die Weltherrschaft: mit Persien und der Abwehr der arabischen Gefahr schien Byzanz nach den Wirren des Bilderstreits vor dem Zerfall zu stehen. Aber genau wie es gelang, allen äußeren Gefahren zu widerstehen, so behauptete sich das Rhomäerreich auch gegenüber der geistigreligiösen Herausforderung, welche die ikonoklastische Bewegung mit sich brachte. Allerdings war nicht zu übersehen, daß sich das Reich nach innen und außen nur unter schwersten Opfern und Anstrengungen hatte durchsetzen können. Von der Macht des justinianischen Staates war nicht mehr viel zu spüren, und im Kreis der christlichen Reiche war der Glanz Ostroms seit der Errichtung des karolingischen Kaisertums merklich blasser geworden. Die Wunden im Innern zu schließen, das Reich auf erneuerten Grundlagen wiederaufzubauen und sein Selbstverständnis in einer veränderten Umwelt durch Erfolge zu bestätigen, mußte das Ziel der Byzantinischen Staatsführung nach dem endgültigen Zusammenbruch des Ikonoklasmus im Jahre 842 sein. Daß es zu erreichen war, konnte man beim damaligen Stand der Dinge nicht ohne weiteres erwarten, und die Leistungen der Byzantinischen Politik, vor allem zur Zeit der Herrscher aus der Dynastie der Makedonen, sind um so höher
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zu bewerten, als sie das Rhomäerreich in erstaunlich kurzer Zeit wieder zu Weltgeltung führten. Mit Michael III. bestieg 843 ein Herrscher den Kaiserthron, der ein Sproß des amorischen Kaiserhauses war. Seine Vertreter hatten bisher nicht gerade Überwältigendes geleistet, in Michaels Regierungszeit finden sich jedoch erste, unübersehbare Anzeichen dafür, daß sich sein Reich aus der Talsohle politischer Ohnmacht allmählich auf einen Wiederaufstieg zu entwickelte. Die Zeitgenossen wollten dies zwar vielfach nicht wahrhaben und übersahen geflissentlich, daß der jugendliche Kaiser das politische Erbe seiner Vorgänger mitzutragen hatte und außerdem auch von seiner Persönlichkeit her nicht der große Reformer war, der von einem Tag auf den anderen alles hätte besser machen können. Für den 840 geborenen Kaiser führte zunächst ein Regentschaftsrat die Regierungsgeschäfte. Michaels Mutter Theodora und seine Schwester Thekla leiteten ihn, und zu ihm gehörten auch die Brüder der Kaiserinmutter, Bardas und Petronas, sowie Sergios Niketiates und der Logothetes tou Dromou Theoktistos. Als ersten politischen Erfolg konnten sie die Wiederherstellung eines tragbaren Verhältnisses zwischen ihrer Regierung und dem Patriarchat von Konstantinopel verbuchen. Johannes Grammatikos mußte den Patriarchenthron Methodios überlassen, der im März 843 nach einer Synode in aller Feierlichkeit die Bilderverehrung als kanonisch proklamierte. Bald trugen die Münzen wieder das Brustbild Christi, und auch im Hauptsaal des Großen Palastes wurde über dem Kaiserthron ein Mosaik mit dem Erlöser in Herrschergestalt angebracht, das aller Welt den Sieg der Bilderverehrer deutlich machte. Damit war der Schlußstrich unter die Glaubenskämpfe der Vergangenheit gezogen, und der Logothet Theoktistos, der rasch zur allein maßgeblichen Figur an der Spitze des Reiches wurde, konnte sich an die Lösung der zahlreichen Probleme machen, welche angesichts der kirchlich-innenpolitischen Auseinandersetzungen bisher hatten in den Hintergrund treten müssen. Gebieterisch stellte sich zunächst die Aufgabe, überall in Kleinasien, dem Bereich der griechischen Inselwelt und Unteritalien dem weiteren Vordringen der Araber nach Norden endlich entgegenzutreten. Theoktistos griff zunächst Kreta an, das unter dem Großvater des regierenden Kaisers verlorengegangen war. Er konnte die Insel den Arabern entreißen, aber nach einer Schlappe der Byzantinischen Flotte im Bosporus mußte diese wertvolle Eroberung 844 wieder aufgegeben werden. Wenigstens wurde dann ein vorteilhafter Friedensschluß mit den von türkischen Stämmen allmählich stärker bedrohten und von feudalistischen Gruppierungen im Kalifat gefährdeten Nachfolgern des großen Mutasim erreicht. Erst 853 und in den anschließenden Jahren nahm Byzanz die Offensive gegen die Araber wieder auf. Es gelang, die Festung Damiette im Nildelta zu stürmen und zu zerstören. Damit war bewiesen, daß im Rhomäerreich wieder die Kraft aufzubringen war, den mohammedanischen Feind tief in dessen Machtbereich zu treffen. Mehr als diese symbolische Bedeutung konnte solchen Unternehmungen vorerst nicht beigemessen werden,
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auch wenn sie von einer intensiven theologischen Kampagne begleitet waren, die von Männern wie Niketas Byzantios getragen wurde. Die byzantinische Aktivität löste im übrigen auf der Seite der Araber nachhaltige Bemühungen aus, die Schlagkraft der eigenen Seeverbände entscheidend zu erhöhen. Vor allem kümmerte sich Byzanz im ersten Jahrzehnt der Regierung Michaels III. jedoch um innenpolitische Belange. In auffallend kurzer Zeit gelang dem Logotheten Theoktistos die Sanierung der Staatsfinanzen, so daß sich die byzantinische Öffentlichkeit in wachsendem Maße wieder der Förderung von Bildung und Kultur annehmen konnte. Von größerer Bedeutung blieben freilich vorerst die Anstrengungen, auf dem kirchlichen Sektor eine völlige Normalisierung der Verhältnisse herbeizuführen. Hier traten mit den Mönchen des Studios-Klosters die Zeloten für eine rigorose Abrechnung mit den Anhängern des überwundenen Ikonoklasmus ein, während der Kaiserhof in Übereinstimmung mit Patriarch Methodios maßvolle Zurückhaltung vertrat. Die Auseinandersetzung schien sich nach der Exkommunizierung der Studiten bedenklich zu verschärfen, als Methodios 847 starb und in Patriarch Ignatios, einem Sohn des Kaisers Michael I., einen Nachfolger erhielt, dessen Herkunft aus dem Mönchtum der Zelotenpartei die Sicherheit bot, daß ihre kirchenpolitischen Anschauungen in Zukunft stärker berücksichtigt werden würden. Nicht weniger als in der Hauptstadt beanspruchten in Kleinasien Fragen der Religionspolitik die Aufmerksamkeit der Regierung. Die Sekte der Paulikianer, strenger Dualisten, die an den ewigen Kampf zwischen Gott und dem Herrn dieser Welt glaubten und die Verehrung des Kreuzes oder der Gottesmutter genauso ablehnten wie die Sakramente, verursachte von ihrem Kerngebiet im östlichen Kleinasien um Melitene aus erhebliche Schwierigkeiten. Ihre Vertreter zogen Seite an Seite mit den Arabern gegen einen Byzantinischen Staat ins Feld, der gerade in aller Form gutgeheißen hatte, was sie mit besonderer Entschiedenheit bekämpften: die Verehrung von Reliquien und Ikonen. Zum Schwarzen Meer, nach Ephesos und Nikomedeia stießen ihre Scharen vor, bis die Regierung in Konstantinopel gegen sie einschritt und sie zu Tausenden nach Thrakien umsiedelte, freilich mit dem Ergebnis, daß sie damit zur Verbreitung jenes Gedankengutes beitrug, aus dem die Bewegung der Bogomilen erwuchs, die späteren Byzantinischen Kaisern ganz erhebliche Ungelegenheiten bereiten sollte. Auch auf dem Balkan hatten die verantwortlichen Männer zu kämpfen, bevor die kaiserliche Autorität wieder überall uneingeschränkt anerkannt wurde. Der auch als Unterhändler bei den Bulgaren erfolgreiche Theoktistos Bryennios mußte in der gesamten westlichen Reichshälfte Truppen aufbieten, bis er nach mehrjährigem Ringen auf der Peloponnes die dortige slawische Bevölkerung in byzantinische Botmäßigkeit zwingen konnte und sie zur Hinnahme der Byzantinischen Besteuerungspraxis brachte. Wenn diese Erfolge der Vormundschaftsregierung mit Kaiserin Theodora an der Spitze auch nicht zu bestreiten sind, so setzte der stürmische Wiederaufstieg
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des Byzantinischen Reiches doch erst wirklich mit dem Jahr 856 ein, als der sechzehnjährige Kaiser nach einem Staatsstreich den Kreis um seine Mutter entmachtete und seinen Onkel Bardas mit der Führung der Staatsgeschäfte betraute. Der jugendliche Kaiser ließ ihm dabei ziemlich freie Hand, wenn es auch nicht zutrifft, daß er sich lediglich den Genüssen des Palastes hingegeben und sich als ›Star‹ der blauen Zirkuspartei an seinen Siegen beim Wagenrennen begeistert hat. Bardas wußte sich in kurzer Zeit an der Spitze des Reiches durchzusetzen. So wie die Mutter des Kaisers mit dessen Schwestern nach der Ermordung des bislang allmächtigen Theoktistos kaltgestellt und schließlich in ein Kloster gewiesen wurde, so zwang Bardas auch den ihm nicht genehmen Patriarchen zur Abdankung und ließ ihn durch Photios ersetzen. Damit war eine der bedeutendsten Persönlichkeiten Patriarch geworden, welche die byzantinische Geschichte kennt. Der zur Zeit seiner Erhebung auf den Patriarchenthron etwa fünfzigjährige Photios war als Sohn eines Patrikios in Konstantinopel großgeworden. In den Jahrzehnten des zu Ende gehenden Bildersturms eignete er sich eine umfassende Bildung an und war dann Lehrer für Philosophie, Mathematik und wohl auch Theologie. Wahrscheinlich stand er gleichzeitig im Dienst des Kaisers Theophilos, der ihn 838 als Gesandten zu den Arabern schickte. Damals hatte Photios bereits sein vielleicht bekanntestes Werk, das »Myriobiblon«, verfaßt und machte im Anschluß an die Säuberung im kaiserlichen Beamtenapparat nach 843 Karriere. Als Laie stieg er schließlich zur höchsten kirchlichen Würde des christlichen Ostens auf und prägte als Dogmatiker und Exeget – etwa mit seinem Spätwerk, den »Amphilochia« – nicht nur die Trinitätslehre der Orthodoxie. Die unkanonische Erhebung des Photios rief sofort schärfsten Widerspruch bei der Zelotenpartei hervor, die seinem Vorgänger die Treue hielt. Man wandte sich an Papst Nikolaus I., der Photios 863 im Lateran seines Amtes enthob, obwohl seine Legaten zwei Jahre zuvor auf einer Synode der Absetzung des Ignatios zugestimmt hatten. Photios, der den Konflikt mit Rom durchaus nicht gesucht hatte, reagierte darauf im Hinblick auf das Filioque der Lateiner mit einer Anklage wegen Häresie gegen das Oberhaupt der westlichen Christenheit. Mit einer umfänglichen Enzyklika bemühte er sich, die Patriarchen des Ostens in einer gemeinsamen Front gegen das Papsttum zu vereinen, suchte aber auch mit Männern des Westens wie Walpert von Aquileia das Gespräch. Schließlich betrieb er seinerseits ganz offen die Absetzung Nikolaus’ I., wozu er für 867 eine Synode nach Konstantinopel einberief, während Gegner im eigenen Jurisdiktionsbereich wie Metropolit Metrophanes von Smyrna oder der Archimandrit Theognost ihre Ämter verloren. Wenn Photios so weit gehen konnte, dann nur deswegen, weil Bardas und damit der Kaiser vorbehaltlos hinter ihm standen und ihrerseits den Papst schärfstens angriffen. Für die byzantinische Politik jener Jahre brachte die
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Entwicklung des Streites mit Rom den Zeitpunkt für die Antwort auf die Herausforderung, die das Papsttum mit der Kaiserkrönung Karls des Großen an Konstantinopel gerichtet hatte. Jetzt, als Nikolaus I. den römischen Zentralismus mit aller Energie vertrat und die Suprematie seines Amtes gerade über die Auseinandersetzung um den wichtigsten Patriarchenthron im Osten zur allgemeinen Anerkennung führen wollte, versagte sich Byzanz Rom und dessen Universalismus. Der Versuch, die Christenheit vollends auf den Mittelpunkt Rom auszurichten, scheiterte an den kirchenpolitischen Realitäten und beschleunigte die Entwicklung, die den westlichen Katholizismus und die Orthodoxie auf getrennte Wege führte. Daß die orthodoxe Kirche diesen von Rom unabhängigen Weg beschreiten konnte, verdankte sie der Entschlossenheit, mit welcher ihr Patriarch, aber ebensosehr der Kaiser und Bardas ihren Aktionsradius auszuweiten bemüht waren. Die Richtung hierzu wies ihnen im Jahre 860 ein russischer Flottenangriff auf Konstantinopel, der nach Meinung der dortigen Bevölkerung vom Kaiser nur mit Hilfe der Theotokos nach 6 Wochen abgewehrt werden konnte. Photios ließ in der Heimat des den Byzantinern bislang beinahe unbekannten Volkes sogleich missionieren und konnte sich schon bald von ersten ermutigenden Erfolgen im Raum um Kiev berichten lassen. Gleichzeitig wurden auch die Verbindungen zu den Chasaren wiederaufgenommen, und hier begegnet uns mit Konstantin von Thessalonike, der als Mönch Kyrillos zusammen mit seinem Bruder auf dem Olymp gelebt hatte, zum erstenmal der Mann, der für die großartige byzantinische Leistung der Slawenmission auf dem Balkan von besonderer Bedeutung werden sollte. Die Missionierung des slawischen Balkans jenseits der Reichsgrenzen wurde von einer mährischen Gesandtschaft ausgelöst, die in Konstantinopel die Entsendung christlicher Glaubensboten erbat. Dieses Ersuchen entsprang einer Abwehrhaltung der Bittsteller gegenüber fränkisch-römischen Einflüssen und wurde so von Bardas und Photios auch richtig erkannt. Man war sich aber darüber hinaus im klaren, daß durch eine Missionstätigkeit in Mähren mit dem dort zwangsläufig zunehmenden Byzantinischen Einfluß auch der Druck gemildert werden konnte, den das Bulgarische Reich auf Byzanz auszuüben in der Lage war. Kyrillos und sein Bruder Methodios erhielten die gewaltige Aufgabe, die Slawen zu missionieren. Die Schaffung des glagolitischen Alphabets zur schriftlichen Fixierung des Slawischen und die Übersetzung der Heiligen Schrift in den Dialekt der Slawen Makedoniens durch das Brüderpaar erwiesen sich bald als grundlegend für den Sieg des Christentums auf dem Balkan, auch wenn sich Mähren wieder nach Westen orientierte und nur Südund Ostslawen auf die Dauer kirchlich und damit kulturell auf Konstantinopel ausgerichtet blieben. In massiver Konkurrenz zu Rom kam es bald auch zu Missionierungsansätzen im benachbarten Bulgarischen Reich. Hier, im Vorfeld des Byzantinischen Reichszentrums, konnte man die Missionstätigkeit auch militärisch wirkungsvoll
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umrahmen und brachte durch Flottenparaden und den Aufmarsch der kaiserlichen Armee an der Reichsgrenze den anfänglich zögernden und mehr auf Rom ausgerichteten Zaren Boris 864 dazu, daß er sich taufen ließ, wobei Michael III. als sein Pate fungierte. Damit war die Slawisierung in dem jungen Reich unter christlichen Vorzeichen eingeleitet, die auch durch einen Aufstand altbulgarischer Boljaren nicht mehr aufzuhalten war. Byzantinisieren ließ sich Bulgarien zunächst allerdings nicht, denn als die griechischen Missionare die bulgarische Kirchenorganisation mit Pliska und seiner mächtigen Kathedrale als Mittelpunkt in die orthodoxe Hierarchie einbauen wollten, stießen sie auf erbitterten Widerstand und eine neuerliche Hinwendung der maßgeblichen politischen Kräfte des Landes nach Rom, das die Gelegenheit mit Freude ergriff, durch seine Legaten die eigene Position tief im Einflußbereich des kirchlichen Rivalen auszubauen. Trotz der Anspannung, die der Konflikt mit Rom und seine Begleiterscheinungen auf der Balkanhalbinsel von Byzanz verlangten, verlor es die Entwicklung an den Grenzen zur arabischen Welt nicht aus den Augen. In Sizilien ließen sich zwar nur an der Ostküste die Städte Syrakus und Taormina verteidigen, weil die Untertanen des Basileus vielfach mit den vordringenden Arabern gemeinsame Sache machten, und auch in Unteritalien wuchs trotz aller Ansätze einer vom Papst nicht gern gesehenen Zusammenarbeit mit Kaiser Ludwig II. die arabische Macht, vor der viele Flüchtlinge sich auf die Peloponnes in Sicherheit brachten. Aber dafür konnten die Heere der Rhomäer in Kleinasien aus der Verteidigung zum Angriff gegen die Araber übergehen, die sich bis nach Zentralanatolien hinein festgesetzt hatten. Vom Thema Thrakesion im Westen Kleinasiens aus drang der Stratege Petronas, ein Bruder des Bardas, weit nach Osten vor, berührte Samosata und erschien vor Amida am Oberlauf des Tigris. Drei Jahre später führten Kaiser Michael und Bardas die rhomäischen Truppen erneut zum Euphrat, nachdem man vorher den Ausbau starker Festungen wie Ankyras, Nikaias und weiterer Plätze beschleunigt vorangetrieben hatte. Auch Damiette wurde wieder von einer kaiserlichen Flotte angegriffen. Einen wirklich entscheidenden Erfolg für die Byzantiner brachte jedoch erst das Jahr 863, als ein Angriff des Emirs von Melitene abgewiesen werden konnte und die Griechen im Gegenstoß auf das von den Arabern besetzte Amisos am Schwarzen Meer vordrangen. An der paphlagonischen Grenze kam es zur Schlacht, in der Petronas die Muslime völlig besiegte und ihr Emir fiel. Die Initiative im Kampf um Anatolien ging damit endgültig an die Byzantiner über, die in den folgenden Jahren und Jahrzehnten Kleinasien den Mohammedanern Schritt für Schritt entrissen. Im Bewußtsein der Überlegenheit der rhomäischen Waffen, das die jüngsten Erfolge verliehen hatten, konnte Michael III. nun auch wieder an die Rückeroberung Kretas denken. Es blieb indessen bei einem Versuch im Jahr 865, denn an der Spitze des Reiches zeichneten sich bedeutende Veränderungen ab, die jede gesteigerte außenpolitische Aktivität beeinträchtigen mußten. Kaiser
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Michael entzweite sich mit Bardas und spielte gegen ihn seinen Günstling Basileios aus, den er eben mit seiner früheren Geliebten Eudokia Ingerina verheiratet hatte. Mit Wissen des Kaisers brachte Basileios seinen mächtigen Rivalen um und sah sich von Michael III. mit der Krone des Mitkaisers belohnt. Auch dies genügte dem machthungrigen Emporkömmling Basileios jedoch nicht, und als sich ernste Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und dem letzten Amorier abzuzeichnen begannen, ließ er in der Nacht zum 24. September 867 den Kaiser nach einem Gelage im Palast ermorden. Der neue Kaiser, der einer in der Gegend von Adrianopel beheimateten Armenierfamilie entstammte, änderte nach der Übernahme der Macht sogleich den kirchenpolitischen Kurs des Reiches einschneidend, vor allem um die Voraussetzungen für ein Abwehrbündnis mit dem Papst gegen die Araber zu schaffen, die in Unteritalien weiter beängstigende Fortschritte machten. So wurde Photios abgesetzt und in ein Kloster verbannt. Seinen Platz nahm wiederum Ignatios ein, der ihm 858 hatte weichen müssen und seither in Cherson auf der Krim lebte. Vollkommen gescheitert schien die von Photios vertretene Politik, als zwei Jahre darauf in Konstantinopel ein Konzil mit den Legaten Papst Hadrians II. die Exkommunikation über den abgesetzten Kirchenfürsten aussprach. Man hätte annehmen können, daß Rom damit seine Ziele in der Auseinandersetzung mit dem Patriarchat von Konstantinopel hätte weitgehend erreichen können. Das Gegenteil war aber der Fall. Schon während des Konzils in Konstantinopel wurde deutlich, daß auch Basileios I. nicht daran dachte, den Primat des römischen Oberhirten anzuerkennen. Das zeigte sich bereits, als der Kaiser das Konzil mit der Entscheidung über die Absetzung des Photios betraute und so den schon zuvor ergangenen gleichlautenden Spruch des Papstes als nicht entscheidend qualifizierte. Wenn sich hier die frühere Gegnerschaft wieder abzeichnete, so kam sie offen zum Durchbruch, als nach Schluß der Synode bulgarische Gesandte am Goldenen Hörn eintrafen und die Frage entschieden haben wollten, zu welchem Kirchensprengel ihre heimische Kirche in Zukunft gehören sollte. Als die Bistümer der Bulgaren durch Schiedsspruch der drei östlichen Patriarchen Konstantinopel und nicht Rom zugeordnet wurden, schlug damit die römische Kirchenpolitik auf dem Balkan fehl, die man seit Papst Nikolaus verfolgt hatte. In kluger Nachgiebigkeit zögerte Byzanz nun außerdem nicht, Bulgariens Kirche einem eigenen Erzbischof, dem Griechen Joseph, zu unterstellen und ihm in der Hierarchie der Ostkirche einen bevorzugten Platz einzuräumen. Gegen seine ursprüngliche Absicht verzichtete Basileios I. so auf den erstrebten Ausgleich mit dem Papsttum und kehrte zur politischen Linie der Regierung Michaels III. zurück, die die Ausweitung ihres kirchlich-politischen Einflusses auch in Konkurrenz zu gleichlaufenden päpstlichen Bestrebungen gesucht hatte. Auch die personellen Konsequenzen zog der Kaiser aus der Neuordnung seiner Politik gegenüber Rom. Wahrscheinlich im Jahre 875 rief er Photios wieder
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nach Konstantinopel zurück und betraute ihn mit der Erziehung seiner Söhne. Als Patriarch Ignatios dann 877 in hohem Alter verstarb, folgte ihm Photios, nunmehr sogar von Papst Johannes VIII. anerkannt und durch eine Synode unter Mitwirkung päpstlicher Beauftragter voll rehabilitiert, als im November 879 seine Verurteilung von 869 in aller Form zurückgenommen wurde. Zu einem neuen Schisma kam es danach nicht mehr, denn Rom verzichtete darauf, wie unter Nikolaus I. aus ideologischen Gründen seine kirchliche Suprematie um jeden Preis durchgesetzt zu sehen. Wenn Byzanz mit der Zuordnung Bulgariens zu seinem kirchlichen Bereich auf dem östlichen Balkan eindeutig das Feld behauptet hatte, so war es Rom im Verlauf der letzten Jahre geglückt, bei den Städten an der Adriaküste und den slawischen Stämmen in ihrem Hinterland erheblich an Einfluß zu gewinnen. Erst die arabische Bedrohung des gesamten Gebietes von Süditalien aus brachte die Byzantiner wieder stärker ins politische Spiel, denn allein ihre Macht war in der Lage, ein Überspringen der mohammedanischen Flut auf das Ostufer der Adria zu verhindern. 868 entsetzte eine griechische Flotte das seit 15 Monaten von den Arabern belagerte Ragusa, nachdem schon zuvor Cáttaro und Budva angegriffen worden waren. In der Folgezeit wurden die Städte und Inseln Dalmatiens von der Regierung in Konstantinopel als eigenes Thema zusammengefaßt und steuerlich belastet, allerdings im Hinblick auf die schwache Machtstellung des Rhomäerreiches in diesem Gebiet nur äußerst zurückhaltend. Auch die Serben in den Tälern von Piva, Tara, Lim und Ibar im Landesinnern, die sich unter Vlastimir ein eigenes kleines Reich geschaffen hatten, verpflichteten sich den Byzantinern gegenüber zur Heeresfolge. Zurückzuführen war dies nicht zuletzt auf die Missionstätigkeit von Schülern des Methodios, die das Land um 870 während der Regierung Fürst Mutimirs christianisiert hatten. Zielbewußt baute Basileios die byzantinische Macht auch an der westlichen Peripherie seines Reiches wieder auf. Zwar ließ es sich nicht verhindern, daß 870 Malta und 878 Syrakus verlorengingen, aber in Kalabrien konnten zusammen mit Kaiser Ludwig II. verschiedene Erfolge errungen werden. Die Byzantiner mit ihrem Admiral Niketas an der Spitze verdankten sie wesentlich slawischen Kontingenten und der Flottenunterstützung aus den dalmatinischen Städten. 871 konnte so Bari wiedererobert werden, wo seit bald drei Jahrzehnten ein arabischer Emir residiert hatte. Als es dann zum Zerwürfnis zwischen Franken und Byzantinern kam, erreichte die überlegene griechische Diplomatie schließlich, daß sich Herzog Adelchis von Benevent unter die Oberhoheit des oströmischen Kaisers stellte, der ihm gegen Ludwig II. mit einer Flotte unter dem Patrikios Gregorios von Otranto Beistand leistete. Neapel und Capua unterwarfen sich mit ihrem Hinterland an der italienischen Westküste dem Basileus, und Papst Johannes beanspruchte 878 dessen Schutz gegen die Sarazenen. Ihnen konnte 880 Tarent entrissen werden, und fünf Jahre darauf sicherte der Stratege Nikephoros Phokas seinem Kaiser endgültig die Herrschaft über Kalabrien.
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Auch im Osten stellte der Basileus die militärische Stärke seines Reiches mehr als einmal unter Beweis. 872 führte Christophoros, der Schwager des Kaisers, die rhomäischen Streitkräfte gegen die Paulikianer, eroberte ihre Hochburg Tephrike und schlug sie in offener Feldschlacht. Im folgenden Jahr marschierte Basileios selbst mit seinen Truppen im Gebiet am oberen Euphrat ein und brachte Zapetra und Samosata in seine Hand. Auch wenn er vor Melitene eine schmerzliche Niederlage hinnehmen mußte, so zeigten weitere Vorstöße zum Euphrat und in den Taurus neben der vorübergehenden Befreiung Cyperns, daß Byzanz den Kriegsschauplatz jetzt in Gebiete verlegt hatte, die früher allenfalls den Arabern als Aufmarschgebiete gedient hatten. Daß gleichzeitig auch die Bagratiden Armenien zu einem starken Bollwerk gegen die Araber machten, verbesserte die christliche Position in Kleinasien zusätzlich. Trotz der militärischen Aktivität an allen Grenzen des Reiches wurden die innenpolitischen Belange nicht vernachlässigt. Vielleicht hatte dies seinen Grund darin, daß schon unter Michael III. das byzantinische Bildungssystem von der weltlichen Hochschule im Magnaurapalast der Hauptstadt starke Impulse erhielt, nachdem der Philosoph und Mathematiker Leon, den zuvor der Kalif von Bagdad an seinen Hof ziehen wollte, die Leitung der Schule übernahm und hervorragende Wissenschaftler und Lehrer wie Photios an seiner Seite hatte. Kaiser Basileios selbst, der als Pferdeknecht in die Dienste seines Vorgängers getreten war, erwies sich als begeisterter Förderer von Kunst und Kultur. Bezeichnenderweise wurde ihm der älteste datierbare reich illuminierte Codex gewidmet, den wir noch heute besitzen. Er war es auch, der das Palastviertel seiner Hauptstadt mit großzügigen Bauten neu gestaltet hat. Viel wichtiger wurde aber, daß er sich an die schwierige Aufgabe einer umfassenden Justizreform wagte. Eine Reform des Byzantinischen Justizwesens hatte das in der Zeit Justinians noch in lateinischer Sprache kodifizierte Recht den im Verlauf von drei Jahrhunderten erheblich veränderten gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen. Bei der Schwierigkeit dieser Aufgabe veröffentlichte der Kaiser daher zuerst als eine Art Handbuch zum geltenden Recht das »Procheiron«, das in der Übergangszeit bis zum Inkrafttreten eines neuen Gesetzeswerkes der Rechtsprechungspraxis dienen sollte. Nach 879 folgte die »Epanagoge«, die als Einleitung zu einer umfassenden Neudarstellung des Byzantinischen Rechts gedacht war. Die Tatsache, daß in der Epanagoge das Verhältnis von kirchlicher und weltlicher Gewalt in einer ergänzenden Harmonie gesehen wird, daß nach ihr der Patriarch für das seelische Wohl des Volkes, der Basileus hingegen für die leiblichen Belange seiner Untertanen verantwortlich ist, zeigt, daß gedanklich hinter diesen Überlegungen, auf denen das Gebäude eines erneuerten Byzantinischen Rechts aufgebaut werden sollte, maßgeblich Patriarch Photios stand. Basileios I. konnte neben dem militärischen Aufbau seines Reiches die Grundlagen für dessen innere Gesundung durch die Inangriffnahme seiner
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Justizreform schaffen. Vollenden konnte er sein Werk nicht. Auf der Jagd verunglückte der Herrscher Ende August 886 tödlich, nachdem er schon seit dem Tod seines Lieblingssohnes Konstantin im Jahre 879 unter schweren Depressionen litt. Die Ziele seines Kaisertums wurden jedoch von seinen Söhnen Leon und Alexander weiterverfolgt, die er schon frühzeitig an seiner Regierung beteiligt hatte. Als Dynastie der Makedonen konnten so die Erben Basileios’ I. für beinahe zwei Jahrhunderte an der Spitze des Byzantinischen Reiches stehen, das unter ihnen Glanz und Größe erlebte. II. Das Reich der Makedonenkaiser im Zeitalter der inneren Festigung und kulturellen Blüte Den inneren Wiederaufbau des Reiches weiterzuführen, den Basileios I. in die Wege geleitet hatte, blieb seinem Sohn Leon VI. (886–912), seinem Enkel Konstantin Porphyrogennetos (912–959) und dessen Vorgänger Romanos Lekapenos (920 bis 944) vorbehalten. Diese Herrscher sollten Gesellschaft, Rechtsleben, Verwaltung und Armee der Byzantiner auf verbesserte Grundlagen stellen. In ihre Regierungen fällt aber auch eine neue Glanzzeit des kulturellen Lebens in Byzanz. So konnte das Rhomäerreich seine Weltmachtstellung am Mittelmeer wiedergewinnen. Leon VI. brachte als Nachfolger des ersten Makedonenkaisers Basileios bei seinem Regierungsantritt im Jahre 886 beste Voraussetzungen für sein hohes Amt mit, hatte ihn doch kein Geringerer als Patriarch Photios erzogen. Tatsächlich erwies sich der neue Herrscher als umfassend gebildet und stellte seine rednerischen und schriftstellerischen Fähigkeiten auch mehr als einmal unter Beweis, wobei er sich vor allem der Theologie und dem Gedankengut der Antike verbunden zeigte. Sein überragendes Wissen war schließlich der Grund dafür, daß sich die Legende der Person dieses Kaisers, der schon zu Lebzeiten den Beinamen »der Weise« trug, bemächtigte und ihm eine Sammlung zusammenhängender Orakelsprüche zuschrieb, die bei Byzantinern und Slawen noch nach dem Untergang des östlichen Kaiserreiches in hohem Ansehen stand. Nicht als Literat oder Theologe, sondern als Gesetzgeber hat Kaiser Leon für sein Reich besondere Bedeutung erlangt. Zwar setzte er gleich nach der Regierungsübernahme seinen Lehrer Photios als Patriarchen ab und machte den Armenier Stylianos Zautzes zu seinem Berater, der als Basileopator dem jugendlichen Kaiser wie ein Vater beratend zur Seite stehen sollte. Trotzdem aber setzte er die Reform des Byzantinischen Rechts zielstrebig fort, die Basileios I. eingeleitet hatte. Schon im ersten Jahrzehnt seiner Herrschaft konnten die »Basilika« in 60 Büchern oder 6 Bänden als wichtigste Zusammenstellung des mittelalterlichen bürgerlichen und kirchlichen Rechts der Byzantiner herausgegeben werden, nachdem eine Kommission mit dem armenischen Protospatharios Sempad an der Spitze die nötigen Vorarbeiten geleistet hatte. Wiederum waren die Basilika gegenüber älteren Gesetzeswerken in griechischer
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Sprache verfaßt und – was für die Benutzung im Alltag von Vorteil sein mußte – nach Sachgruppen übersichtlich geordnet. So konnten sie den Codex Iustinianus und die Digesten weitgehend verdrängen, vielleicht auch deshalb, weil sie – und dies bedeutet zweifellos eine Schwäche des Werkes – in erstaunlichem Umfang bereits überholte Rechtsvorschriften und Gesetze noch einmal aufnahmen. Trotzdem beweist die Fülle der kommentarartigen Scholien, die den Basilika schon bald beigegeben wurden, oder das zu ihrer bequemeren Benutzung im 12. Jahrhundert geschaffene Register »Tipukeitos«, welchen Platz sie im Byzantinischen Rechtsleben forthin einnahmen. Zur Aufgabe der Kodifizierung des geltenden Rechts kamen die Bemühungen des Herrschers, das Recht an den Verhältnissen seiner Zeit zu orientieren, wovon eine Novellensammlung von 113 Erlassen Zeugnis gibt. Soweit sie kirchenpolitischen Inhalts sind, scheinen sie wesentlich von Patriarch Stephanos I. beeinflußt, während die Novellen zur gesetzlichen Regelung anderer Bereiche mit großer Wahrscheinlichkeit auf Stylianos Zautzes zurückgehen. Die gesetzgeberische Tätigkeit Leons VI. untermauerte die überragende Position des Kaisers im Byzantinischen Staatsgefüge und stärkte die Macht der Bürokratie im Reich. Der Senat und die noch bestehenden Körperschaften mit legislativen Befugnissen büßten ihre seitherigen Funktionen völlig ein und übernahmen im Protokoll des Hofes rein dekorative Rollen. Der Basileus seinerseits blieb zwar an bestehendes Recht gebunden, konnte jedoch jederzeit Gesetze widerrufen und neue erlassen. Vom kirchlichen Bereich abgesehen, innerhalb dessen der Kaiser nur Beschützer der herrschenden Ordnung war und auf die Besetzung des Patriarchenstuhls stärksten Einfluß ausübte, vereinigte er alle Staatsmacht in seiner Hand. Wie er diese absolute Macht theokratisch verankert sah, kann sein erhaltenes Zepter zeigen, an dessen Spitze sein Kopfbild von der Gottesmutter gekrönt wird, der ein Erzengel assistiert. Mit dem gebührenden Abstand zum Kaisertum waren die nächsthöchsten Würden im Byzantinischen Staat dieser Zeit die des Caesars, des Nobilissimos und des Kuropalates; sie blieben gewöhnlich Angehörigen des Herrscherhauses vorbehalten. Erst hinter ihnen folgten – dem üblichen Protokoll entsprechend – weitere Würdenträger, von denen die Zoste Patrikia, die erste Dame bei Hof, die Magistroi, die Patrikioi und die Protospatharioi als wichtigste zu nennen sind. Alle diese Titel wurden durch Überreichung der jeweiligen Ehrenzeichen verliehen und waren nicht an bestimmte Aufgabenbereiche im Staatsapparat geknüpft; dessen Ämter besetzte der Basileus mit der Ausstellung von Ernennungsurkunden. Die Ämterorganisation des mittelbyzantinischen Staates ist uns aus den vorliegenden Quellen sehr genau bekannt. Es wäre aber falsch anzunehmen, zeitgenössische Beamtenlisten wie das Kletorologion des Philotheos würden die Strukturen einer Beamtenhierarchie schildern, wie sie durch Jahrhunderte den stark an seinen Traditionen hängenden Byzantinischen Staat getragen hätte –
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gerade die Entwicklung des Byzantinischen Beamtenapparates verläuft recht dynamisch. Recht konstant bleibt jedoch für lange Zeit die Bedeutung des Amtes des Logotheten »tou dromou«, der unter den Makedonenkaisern der wichtigste Mann im Staat war und die Richtlinien der Außenpolitik selbständig oder als erster Berater des jeweiligen Herrschers bestimmte. Neben diesem ersten Beamten des Reiches stehen – sozusagen als Minister der von Protonotaren verwalteten einzelnen Ressorts – vor allem der Sakellarios als verantwortlicher Mann für die Finanzbehörden, der Chartularios tou sakelliou als zuständig für die Staatsvorräte an Naturalien, der »Protoasekretis« als Chef der kaiserlichen Kanzlei und der mit der Führung des Schriftverkehrs der Kaiser betraute »epi tou kanikleiou«. Eunuchen haben sehr häufig die Ämter des Protostrator, des Parakoimomenos und des Protovestiarios inne: der Protostrator entspricht ungefähr dem westlichen Marschall; wie der Parakoimomenos, der neben des Kaisers Gemach schlief, und der Protovestiarios, hatte er durch den täglichen Umgang mit dem Basileus bisweilen erheblichen Einfluß auf politische und dynastische Entscheidungen. Eine unübersehbare Sonderstellung nimmt im stark auf seine Hauptstadt ausgerichteten Byzantinischen Reich auch der Eparch von Konstantinopel ein, der nach der Eigenart seiner Aufgaben kein Hofamt im strengen Sinn bekleidete. Unter seiner Aufsicht standen die Kaiserstadt und vor allem ihre Zünfte. Jegliches politische Gewicht verloren haben dagegen die Demarchen an der Spitze der Zirkusparteien der »Grünen« und der »Blauen«. Die verwaltungsmäßige Gliederung des trotz aller Gebietsverluste noch immer sehr ausgedehnten Reichsterritoriums erhielt unter Leon VI. und seinen unmittelbaren Nachfolgern ihre lange gültige Gestalt. Das komplizierte System weniger übergroßer Themen und zahlreicher kleinerer Militärbezirke wurde dadurch vereinfacht, daß man die alten Themen teilte und Drungariate, Katepanate, Dukate, Archontien und Kleisuren nach und nach gleichfalls zu Themen erhoben wurden. An der Spitze dieser anfänglich 32 Themen stand mit deutlichem Übergewicht gegenüber dem Protonotarios, der die zivile Verwaltung leitete, der Strategos, der mit dem Anwachsen seiner Amtsgewalt zu ihrem eigentlichen Oberhaupt wurde. – Hand in Hand mit dieser Verwaltungsneuordnung ging eine Umorganisation der kirchlichen Hierarchie, die Leon VI. und Nikolaos Mystikos für das Patriarchat Konstantinopel mit der Veröffentlichung der »Diatyposis« in die Wege leiteten. Sieht man von der zunehmenden Tendenz zur Besetzung der höheren Ränge in Armee und Flotte durch Aristokraten ab, so ist für das mittelbyzantinische Militärwesen hauptsächlich die Unterscheidung zwischen den in der Hauptstadt stationierten Streitkräften und jenen Einheiten bezeichnend, die in der Provinz stehen. An der Spitze der aus landsässigen Bauernsoldaten zusammengesetzten Themata stehen in den verschiedenen Teilen des Reiches die Strategen als örtliche Befehlshaber. Ungleich ehrenvoller war gegenüber ihrem Kommando
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der Rang eines Domestikos, der ein Tagma hauptstädtischer Berufssoldaten befehligte. Unter den 4 wichtigsten Tagmata stand das der Scholen an erster Stelle, dessen Domestikos häufig als Befehlshaber des gesamten kaiserlichen Heeres erscheint. Mit Beginn der expansiven Außenpolitik des Reiches in der Mitte des 10. Jahrhunderts wird es jedoch üblich, je ein eigenes Oberkommando für Anatolien und Europa zu unterhalten; die Domestikoi des Ostens und des Westens leiten in diesen Positionen die militärischen Operationen auf dem Balkan oder in Kleinasien. Eine anfangs bescheidene, später aber aufgrund der beschleunigten Aufstellung größerer Verbände »feuerspeiender Trieren« rasch anwachsende Bedeutung hatte die byzantinische Flotte im Zeitalter der Makedonendynastie. Ihre Schiffe in den Küstengewässern waren den Strategen der jeweiligen Themen unterstellt, während die am Goldenen Hörn zusammengefaßten Flotteneinheiten einem dem Kaiser unmittelbar verantwortlichen Drungarios ton ploimon unterstanden. Für das in diesem Zeitraum zunehmende Gewicht der Byzantinischen Marine spricht die Tatsache, daß überdies die Polizeiaufsicht über Konstantinopel schließlich in die Hand eines Drungarios gegeben wurde. Außenpolitisch brachte die Regierung Leons VI. neben der Fortdauer der Kämpfe mit den Arabern Krieg mit Bulgarien. Der Konflikt auf dem Balkan entzündete sich an der Übertragung des Handels mit den Bulgaren an zwei byzantinische Kaufleute, die das ihnen eingeräumte Monopol ohne Einschränkung ausnutzten. Als der Einspruch des Bulgarenherrschers Simeon unbeachtet blieb, marschierte dessen Heer ins Reichsgebiet ein und brachte den rhomäischen Streitkräften eine empfindliche Niederlage bei. Die Kämpfe des Jahres 894 bildeten nur den Auftakt zu fortschreitend verschärften Auseinandersetzungen. Als ein byzantinisches Heer unter Leon Katakalon 896 bei Bulgarophygon erneut geschlagen wurde, hatte sich das Reich beim folgenden Friedensschluß zur Zahlung von Tribut an den immer mächtiger werdenden Nachbarn zu verpflichten. Simeon seinerseits gewann die Zeit, um seinen Staat auf eine zweite Kraftprobe vorzubereiten, bei der es nach Kaiser Leons Tod um nichts anderes als seine Nachfolge und die Vereinigung des Byzantinischen Reiches mit Bulgarien gehen sollte. Die Kämpfe auf dem Balkan wirkten sich auch auf andere Kriegsschauplätze aus. Schon 894 war Nikephoros Phokas aus Italien abberufen worden und hatte den Oberbefehl über die griechische Bulgarienarmee übernehmen müssen. Die damit verbundene Schwächung der Byzantinischen Streitkräfte auf Sizilien hatte 902 den Verlust Taorminas zur Folge. Sizilien war nun völlig in der Hand der Araber, gegen deren Angriffe Michael Charaktos jetzt Kalabrien zu verteidigen hatte. Obwohl Nikephoros Phokas den arabischen Angreifern in Kleinasien im Jahre 900 bei Adana eine schwere Niederlage beibringen konnte, mußte auch hier die byzantinische Kriegsführung vorerst defensiv bleiben. Dazu trug vor allem bei, daß die Araber aufgrund ihrer Überlegenheit zur See nicht nur die Südküste
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Anatoliens, sondern auch die Ägäis unter ihre Kontrolle bringen konnten. Nach einem Angriff auf Demetrias in Thessalien fand diese Entwicklung ihren Höhepunkt mit dem Unternehmen, das der Renegat Leon von Tripolis 904 gegen das reiche Thessalonike durchführte. Nach der Einnahme von Abydos eroberten seine Scharen die blühende Hafenstadt und zogen aus ihr mit gewaltiger Beute und zahllosen Gefangenen, die bis nach Syrien verschleppt wurden, wieder ab. Das furchtbare Ereignis führte nicht nur zu verstärkten Anstrengungen, die Byzantinischen Seehäfen zu befestigen, sondern auch zur Zurücknahme der Grenze gegenüber Simeon von Bulgarien bis fast vor die Tore Thessalonikes. Gegen die Araber konnte man erst Jahre später aus der Defensive zum Angriff übergehen. Im Oktober 905 wurde eine arabische Flotte im Ägäischen Meer besiegt, und im Jahre 910 kam es sogar zur Landung eines Byzantinischen Expeditionskorps unter dem Logotheten Himerios auf Cypern, zum Angriff auf Syrien und zur Eroberung von Laodikeia. 911 sollte diesem Unternehmen die Rückeroberung Kretas folgen. Die byzantinische Flotte konnte sich jedoch nicht gegen die arabischen Geschwader durchsetzen und wurde auf dem Rückzug im Frühling des Jahres 912 von Leon von Tripolis überfallen und aufgerieben. Daran hatte auch die Beteiligung eines warägo-russischen Söldnerkontingents an dem Byzantinischen Unternehmen nichts ändern können. Sie war aufgrund eines im September 911 zwischen den Griechen und dem russischen Fürsten Oleg von Kiev geschlossenen Vertrages möglich geworden. Dieses Abkommen regelte für die Zukunft die Rechte der russischen Kaufleute in Konstantinopel und darüber hinaus die Handelsbeziehungen zwischen beiden Seiten. Es öffnete so Rußland dem Byzantinischen Einfluß weiter. Ein wichtiges Moment für die Gestaltung der Reichspolitik unter Leon VI. waren dynastische Schwierigkeiten, in die der Herrscher sich unversehens verstrickte. Nach dem Tode seiner von der Orthodoxie als Heilige verehrten ersten Gemahlin Theophano heiratete Leon 898 seine frühere Geliebte Zoe Zautzina, die jedoch bereits im folgenden Jahr starb, ohne dem Kaiser den ersehnten Thronfolger geschenkt zu haben. Als er darauf im Sommer 900 Eudokia Baiana ehelichte, verstieß der Basileus nicht nur gegen die Bestimmungen des geltenden Kirchenrechts, sondern auch gegen ein Gesetz, durch das er selbst einige Jahre zuvor einen dritten Eheschluß verboten und bereits die Zweitehe mißbilligt hatte. Gegen den Widerstand kirchlicher Kreise vermochte Leon sein Vorhaben zwar durchzusetzen, geriet jedoch in eine noch schwierigere Situation, als auch Eudokia verschied und der Kaiser sich mit der schönen Zoe Karbonopsina verheiraten wollte. Als ihm Zoe 905 einen Sohn gebar, wurde dessen Thronfolge mit der Taufe unter der Bedingung anerkannt, daß sich der Kaiser von seiner Geliebten trennen würde. Doch Leon heiratete schon 3 Tage später unter Bruch seines Versprechens die Mutter seines Sohnes und erhob sie zur Kaiserin. Ein Sturm der Entrüstung brach los. Der mit Leon VI. verwandte Patriarch und Photios-Schüler Nikolaos Mystikos verwehrte dem Kaiser den Zutritt zur Hagia Sophia, so daß dem Herrscher nichts anderes
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übrigblieb, als die Angelegenheit Papst Sergios III. zur Beurteilung vorzulegen. Als aus Rom die benötigte Dispens beim Kaiser eingetroffen war, konnte Leon die Abdankung des Patriarchen durchsetzen, dessen Amt im Februar 907 dem frommen Mönch Euthymios, dem Seelenführer Leons, anvertraut wurde. Weder durch die Absetzung Patriarch Nikolaos’ I. noch mit der Krönung seines Sohnes Konstantin im Jahre 908 konnte Leon VI. den über die Frage der »Tetragamie« neu entflammten Streit der alten Kirchenparteien zum Erlöschen bringen. Lang über den Tod des Kaisers am 12. Mai 912 hinaus währte das Schisma zwischen den Anhängern des abgesetzten und des neuen Patriarchen. Erst 920 kehrte wieder Einigkeit bei der orthodoxen Kirche ein, als eine Synode in Anwesenheit päpstlicher Legaten die dritte Ehe für noch nicht Vierzigjährige erlaubte, jede Viertehe jedoch verboten blieb. Nach dem Tod Leons VI. übernahm sein Bruder Alexander für des Kaisers sechsjährigen Sohn Konstantin die Herrschaft. Der bis zu diesem Zeitpunkt wenig hervorgetretene, aber seiner Würde durchaus bewußte Alexander, dem die öffentliche Meinung nicht gerade günstig gesonnen war, suchte sich sofort vor allem personell von der Regierung seines Bruders zu distanzieren. Er enthob eine Reihe wichtiger Mitarbeiter Leons ihrer Ämter, womit er wohl kaum einem letzten Willen seines Vorgängers entsprochen haben dürfte. So wurde Kaiserin Zoe ins Kloster geschickt, und Nikolaos Mystikos trat wieder an die Stelle von Patriarch Euthymios. Auch in der Außenpolitik verließ Alexander die Linie seines Bruders in einem wesentlichen Punkt. Er verweigerte Bulgarien die vertraglich zugesicherten Tribute und beschwor damit einen neuen Waffengang mit dem innerlich gefestigten Reich Simeons herauf. Bevor allerdings die Feindseligkeiten aufgenommen wurden, verstarb Alexander nach nur dreizehnmonatiger Regierungszeit; ein Mosaik der Hagia Sophia hat uns das Bild dieses eigenartigen Kaisers im österlichen Festornat überliefert. An der Spitze eines Regentschaftsrates übernahm in dieser kritischen Lage Patriarch Nikolaos Mystikos die Führung der Regierungsgeschäfte – im kirchlichen Bereich angefeindet von den Anhängern des abgesetzten Patriarchen Euthymios und gleichzeitig bedroht von machthungrigen Aristokraten wie Konstantin Dukas, dem Domestikos der Scholen. Kein Wunder, daß unter diesen Umständen Simeon von Bulgarien schon im Sommer 913 bis auf Konstantinopel selbst vorstoßen konnte. Was diesen Angriff besonders bedrohlich machte, war seine Absicht, ein neues universales Kaisertum zu schaffen, in dem sein bulgarisches Reich und der Staat der Byzantiner aufgehen sollten. Die Unsicherheit der inneren Verhältnisse in der Kaiserstadt bewog die Byzantiner, die Stärke der Verteidigungsanlagen ihrer Stadt den Bulgarenherrscher zur Aufnahme von Verhandlungen. Nikolaos Mystikos und der jugendliche Konstantin VII. trafen wiederholt mit Simeon zusammen, und schließlich wurde der Bulgare im Hebdomon vor den Mauern Konstantinopels mit dem Epirrhiptarion des Patriarchen zum Kaiser gekrönt. Das Verlöbnis des
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jungen Konstantin mit einer Tochter Simeons sollte darüber hinaus für einen dauerhaften Frieden zwischen Byzanz und den Bulgaren sorgen, deren Kaiser mit seinem Titel hochbefriedigt in die Heimat abzog. Obwohl Simeon von Bulgarien 913 nicht als Basileus der Rhomäer in sein Reich heimkehrte, wie das sicherlich seinen eigentlichen Vorstellungen entsprach, scheinen die ihm gegebenen Zugeständnisse zur Bildung einer innerbyzantinischen Opposition gegen das Regime des Patriarchen Nikolaos Mystikos geführt zu haben. Die Kaiserinmutter Zoe Karbonopsina kehrte in den Palast zurück und übernahm die Regierung wieder, die erneut einen scharf antibulgarischen Kurs einschlug. Die Folge war die Besetzung Thrakiens durch die Bulgaren, denen sich im September 914 auch Adrianopel ergeben mußte. Als die Bulgaren darauf auch die Umgebung von Thessalonike und Dyrrhachion unter ihre Kontrolle brachten, mußte sich Byzanz zu einem Gegenschlag entschließen. Leon und Bardas Phokas führten die Rhomäer die Schwarzmeerküste entlang auf bulgarisches Gebiet, wo sie jedoch am 20. August 917 bei Anchialos vollständig aufgerieben wurden. Schon wenige Wochen später unterlagen die rhomäischen Streitkräfte im Vorfeld der Hauptstadt Konstantinopel Zar Simeon ein zweites Mal. Nach dieser neuerlichen Schlappe bestand zwar für die Kaiserstadt selbst nach wie vor keine unmittelbare Gefahr, die Bulgaren konnten jedoch völlig ungehindert ins heutige Griechenland vordringen, wo sie bis 923 fast alle Gebiete einschließlich der Peloponnes mit ihren verheerenden Zügen heimsuchten, die eindrucksvoll in den Lebensbeschreibungen des Bischofs Petros von Argos oder des Einsiedlerabtes Lukas Steiriotes geschildert sind. In dieser kritischen Situation, die durch die unnachgiebige Haltung des Kreises um Kaiserin Zoe entstanden war, konnten nicht die geschlagenen Generale des Byzantinischen Feldheeres die Gewalt an sich bringen, sondern mit Romanos Lekapenos ein Flottenoffizier, der den Wiederaufschwung der Marine an maßgeblicher Stelle eingeleitet hatte. Romanos Lekapenos entstammte sehr bescheidenen Verhältnissen. Der Bauernsohn aus Armenien war als einfacher Soldat Kaiser Leon beim Kampf mit einem Löwen aufgefallen; eine glänzende militärische Laufbahn führte ihn schließlich auf den Posten des Flottenbefehlshabers. An der Spitze des Reiches kam der Drungarios nicht nur Leon Phokas, dem Kandidaten der Aristokratenpartei, zuvor, sondern verstand es auch, einmal im Besitz der Macht, Kaiserin Zoe und ihre Vertrauten aus allen Schlüsselpositionen zu verdrängen. 919 heiratete seine Tochter Helene Kaiser Konstantin, am 24. September 920 wurde der Lekapene zum Caesar erhoben und keine drei Monate später zum Mitkaiser gekrönt. Daran konnten auch die heftigen Proteste Simeons von Bulgarien nichts ändern, dem die Würde des Mitkaisers vorenthalten worden war und der nun die Absetzung des glücklicheren Romanos Lekapenos forderte. Romanos Lekapenos zögerte nicht, seine Stellung noch weiter zu festigen. Er übernahm die Würde des Hauptkaisers, während Konstantin VII. nur noch als sein Mitkaiser fungierte. Auch in der zweitwichtigsten Position an der Spitze des
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Reiches wurde der Vertreter der legitimen Makedonendynastie im Mai 921 von Christophoros, dem ältesten Sohn des Romanos, abgelöst. Dessen Brüder Stephan und Konstantin traten im Jahre 924 gleichfalls als Mitkaiser neben Konstantin Porphyrogennetos, während der jüngste Sohn des nunmehrigen Kaisers, Theophylaktos, auf die spätere Übernahme des Patriarchats vorbereitet wurde. Wie stark Romanos I. der Gedanke der Schaffung einer eigenen Dynastie beschäftigte, kann die Aufstellung der bekannten Tetrarchengruppe von San Marco im hauptstädtischen Myrelaion-Kloster beweisen, dessen Kirche die Grabstätte der neuen Kaiserfamilie aufnehmen sollte. Die in den Jahren vor seiner Machtergreifung recht bewegte kirchenpolitische Szenerie beherrschte Romanos Lekapenos souverän. Maßgeblich trug dazu bei, daß sich der Kaiser jederzeit der freundschaftlichen Zusammenarbeit mit Patriarch Nikolaos Mystikos sicher sein konnte. Auch das Papsttum richtete sich, von der stadtrömischen Adelspartei des Theophylaktos gelenkt, weitgehend nach den Wünschen des Rhomäerherrschers. Die Abhängigkeit der orthodoxen Kirche vom Willen des Kaisers wuchs noch, als 933 dessen sechzehnjähriger Sohn nach längerer Sedisvakanz das Patriarchat von Konstantinopel übernahm. Theophylaktos erwies sich als willfähriges Werkzeug seines Vaters. Er scheint von Pferden mehr gehalten zu haben als von seinen Amtspflichten, auch wenn unter seinem Namen ein wichtiges Schreiben über das Bogomilenproblem an den Bulgaren-Zar Peter überliefert ist und er mit dem Säulensteher Lukas in enger Beziehung stand, auf dessen Wunsch er das uralte Kloster Ruphinianai in einem Vorort Chalkedons erneuert hat. Große Aufmerksamkeit schenkte Romanos Lekapenos den anstehenden innenpolitischen Problemen. Der Basileus erkannte die Bedeutung des Kleingrundbesitzes für die Steuerkraft und die militärische Stärke seines Reiches. Er war sich auch darüber im klaren, daß ein weiteres Anwachsen des Großgrundbesitzes die zentrale Staatsgewalt schwächen und schließlich gefährden mußte. Entsprechenden Tendenzen, die sich im Lauf der nächsten Jahrhunderte so verstärkten, daß sie schließlich zum Hauptproblem der Byzantinischen Innenpolitik wurden, trat der Kaiser zum erstenmal 922 mit einer Novelle entgegen. Sie sollte Verwandten und Nachbarn des Besitzers bei Grundstücksverkäufen gegenüber Dritten und vor allem Großgrundbesitzern ein Vorkaufsrecht gewährleisten. So gut diese gesetzliche Regelung auch gemeint war, so konnten doch bereits in den Jahren 927 und 928 im Gefolge von Hungersnot und Seuchen Großgrundbesitzer und mit ihnen die Kirche Bauernland zu Spottpreisen an sich bringen. Mit einer zweiten Novelle von unüberhörbarer Schärfe verfügte darauf der Herrscher, daß alle fingierten Schenkungen, Erbschaften und sonstige gesetzeswidrigen Besitzveränderungen, die in diesem Zusammenhang zustande gekommen waren, gegenstandslos seien und die betroffenen Grundstücke an ihre früheren Besitzer zurückgegeben werden müßten. Selbst für Grundstücke, deren rechtmäßiger Verkauf nicht anzufechten war, ordnete Romanos Lekapenos
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eine Frist von drei Jahren an, innerhalb derer sie bei Rückerstattung des Kaufpreises wieder an den ursprünglichen Eigentümer zurückfallen sollten. Mit derartigen Bemühungen stieß der Kaiser freilich auch auf den Widerstand der begünstigten Kleinbauern, welche sich als hörige Paroiken unter dem Patronat mächtiger Grundherren vor Steuerdruck und wirtschaftlichem Risiko sicherer fühlten und auf ihre theoretische Freiheit gerne verzichteten. Ähnlich war dies auch bei den Inhabern von Soldatengütern, die schon lange vor ihrer ersten eindeutigen Erwähnung im Jahre 947 an der Peripherie des Reiches an Bedeutung gewannen und besonders weitgehenden rechtlichen Schutz genossen. Die entscheidende Schwierigkeit bei der Durchsetzung dieser Ziele der kaiserlichen Politik lag vermutlich aber darin, daß der Beamtenapparat, auf den sich der Herrscher stützen mußte, bereits wesentlich von Angehörigen der landbesitzenden Aristokratie beherrscht war. Wenn der byzantinische Staat auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse im ländlichen Raum des Reiches Einfluß nahm, so trifft dies im 10. Jahrhundert nicht weniger für die Städte zu. Die arbeitende Bevölkerung hatte sich dort in zunftartigen Innungen zusammenzuschließen, die vom Staat bestellte Vorsteher leiteten. Über diese Körperschaften, die dem einzelnen mehr Unabhängigkeit als die spätrömischen collegia ließen und im allgemeinen die erbliche Berufsbindung nicht mehr kannten, steuerte die Obrigkeit das wirtschaftliche Leben. Vom Einkauf des Arbeitsmaterials über die Warenqualität, Liefermengen und Preise wurde bis hin zum Verkauf alles reglementiert. Die Zunftmitglieder selbst hatten dem Staat gegenüber den Nachweis ihrer Fertigkeiten zu erbringen, der sich im übrigen nicht scheute, korporative Sondersteuern wie die Leiturgien von ihnen weiter zu erheben. Mehr soziale Freiheit gewannen im Byzantinischen 9. Jahrhundert demnach weder die Bauern noch die Handwerker in den Städten, sondern höchstens die Aristokratie und nach einigen gesetzlichen Verbesserungen unter Leon VI. die Sklaven am anderen Ende der gesellschaftlichen Stufenleiter. Konstantinopel, das neben privaten auch viele kaiserliche Betriebe aufzuweisen hatte, bot mit zahllosen Zünften ein besonders breites Spektrum der wirtschaftlichen Leistungsmöglichkeiten seiner Bevölkerung. Den Zünften des Lebensmittelsektors und des Handels mußte hier bei einer Einwohnerzahl von vielleicht 150000 einige Bedeutung zukommen. Noch wichtiger für die kaiserliche Wirtschaftspolitik war jedoch die Textilherstellung, bei der man sich neben der Produktion von Wolle und Leinen vor allem um die Seidenherstellung bemühte. Auch wenn die schönsten Seidenstoffe dem Basileus, der hohen Geistlichkeit oder als Geschenke ausländischen Würdenträgern vorbehalten blieben, so waren sie doch auch ein Exportartikel, der vielfach von italienischen Handelsleuten in Konstantinopel, aber auch in den Zentren der Seidenherstellung in Mittelgriechenland oder der Peloponnes eingekauft wurde. Der Seidenexport nimmt jedoch insofern eine Sonderstellung ein, als Byzanz grundsätzlich im Interesse des städtischen Verbrauchers und noch mehr der
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Regierung die Ausfuhren drosselte und den Import förderte. Handel und Gewerbe waren somit eindeutig auf staatliche und vorzüglich innenpolitische Zielvorstellungen ausgerichtet. Die byzantinische Außenpolitik während der ersten Regierungsjahre Kaiser Romanos’ I. stand im Zeichen des Krieges mit Simeon von Bulgarien. Die zunehmende militärische Stärke des Reiches und seine überlegene Diplomatie, an deren Erfolgen neben Männern wie Leon Choirosphaktes der Kaiser durch seinen persönlichen Einsatz maßgeblich beteiligt war, konnte Bulgarien auf die Dauer trotz der Einnahme Adrianopels von 923 und eines zweiten Vorstoßes auf Konstantinopel nicht unbeeindruckt lassen. Als Simeon 927 plötzlich starb, schloß daher sein Sohn Peter Frieden, wurde als Zar der Bulgaren anerkannt und heiratete Romanos’ Enkelin Maria. Nachdem der Basileus mit der Anerkennung des bulgarischen Patriarchats einer weiteren Forderung der Gegenseite Rechnung getragen hatte, war die Voraussetzung für ein friedliches Nebeneinander der beiden Länder geschaffen. In der Zeit der ›Makedonischen Renaissance‹ konnte die byzantinische Kultur voll auf das Nachbarland wirken. Ebenso wesentlich war jedoch, daß die Byzantinischen Kräfte für eine aktive Politik an der Ostgrenze des Reiches wieder frei geworden waren. Unter Führung des Johannes Kurkuas begann nach der Beilegung der griechisch-bulgarischen Feindseligkeiten die byzantinische Offensive an der Reichsgrenze in Ostanatolien. Voraussetzung für ein erfolgreiches Vordringen der rhomäischen Streitkräfte war dabei neben der Wiedererlangung der Flottenherrschaft in der Ägäis durch einen Sieg bei Lemnos über die Geschwader Leons von Tripolis die Tatsache, daß die Byzantiner die Taurusgrenze fest in der Hand behielten und sich dort bei ihrem Vormarsch nicht von der Flanke her gefährden ließen. Mit der endgültigen Wiedereroberung Melitenes am 19. Mai 934 konnten die Byzantinischen Waffen auf diesem Kriegsschauplatz einen ersten wichtigen Erfolg erringen. Dann aber trat mit dem Hamdaniden Saif-edDauleh ein energischer Gegner an die Stelle des immer ohnmächtigeren Kalifen von Bagdad, der sich gegen seinen islamischen Konkurrenten schließlich sogar mit dem Basileus verbündete. Trotzdem schlug Saif-ed-Dauleh 938 Johannes Kurkuas und konnte seine Herrschaft von Mossul aus auf Armenien und Teile Iberiens ausdehnen. Als der Hamdanide 940 sogar vor Koloneia stand, hatten es die Byzantiner nur innerislamischen Streitigkeiten um das Kalifat von Bagdad zu verdanken, daß Saif-ed-Dauleh nicht tiefer in byzantinisches Gebiet eindrang. Erst nach der Abwehr einer russischen Landung, die 941 in Bithynien erfolgt war und deren Schicksal schließlich eine vom Parakoimomenos Theophanes siegreich geführte Seeschlacht besiegelt hatte, konnte Johannes Kurkuas im Osten wieder gegen die Hamdaniden vorgehen. Das Jahr 943 brachte einen großartigen Siegeszug der rhomäischen Streitkräfte, die Martyropolis, Amida, Dara und Nisibis erstürmten und dann Edessa zur Auslieferung des heiligen »Mandilions« zwangen, des »wahren, nicht von Menschenhand geschaffenen Bildes« Christi, das 944 nach Konstantinopel überbracht wurde, wo das Volk
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dieses Heiligtum mit beispielloser Begeisterung empfing und Kaiser Konstantin VII. sich zur Abfassung einer besonderen Predigt veranlaßt sah. Die Erfolge vor Edessa und die Übertragung des Mandilions nach Konstantinopel waren die letzten großen Ereignisse der Regierung Kaiser Romanos’ I. Im Dezember 944 stürzten seine jüngeren Söhne den Herrscher; sie fühlten sich nach dem Tod ihres ältesten Bruders Christophoros dadurch zurückgesetzt, daß ihr Vater nun doch Konstantin VII. und nicht sie zu seiner Nachfolge bestimmte. So wurde Romanos Lekapenos auf die Insel Prote im Marmarameer verbannt, wo er als Mönch 948 gestorben ist. Zu diesem Zeitpunkt war bereits Konstantin Porphyrogennetos im vollen Besitz der Macht, denn Stephan und Konstantin Lekapenos kamen nicht mehr dazu, mit einem zweiten Staatsstreich auch ihn aus dem Weg zu schaffen. Mit der Krönung seines Sohnes Romanos sicherte Konstantin VII. die Thronrechte seiner Dynastie schon an Ostern 945 und legte die Führung der Reichspolitik in die Hand des Bardas Phokas, dessen Bruder einst der Rivale des Romanos Lekapenos gewesen war. Bardas, der als Domestikos der Scholen das Oberkommando über das kaiserliche Heer übernahm und auch seine drei Söhne in die wichtigsten Kommandostellen der Armee einsetzte, verhalf der Byzantinischen Oberschicht zwar zu insgesamt mehr Einfluß, konnte aber nicht verhindern, daß die Politik des Romanos Lekapenos in ihren wesentlichen Zügen weitergeführt wurde. Für die Fortsetzung der bisherigen Innenpolitik sorgten vor allem die Patrikioi und Quaestoren Theophilos und Theodoros Dekapolites. Sie setzten sich nachhaltig für einen verbesserten Schutz des Kleingrundbesitzes ein, obwohl die Byzantinischen Aristokraten unmittelbar nach dem Machtwechsel Grundstücke in großer Zahl an sich gebracht hatten und auf eine Revision der bisherigen Politik auf diesem Sektor drängten. Zur Rückerstattung der zuletzt veräußerten Güter und bezüglich des Vorkaufsrechts wurden dabei ähnliche Anordnungen getroffen wie vor 944. Allerdings erreichte die Oberschicht in den späteren Regierungsjähren Konstantins Veränderungen der einschlägigen Gesetze zu ihren Gunsten. Besonders beschäftigt hat die byzantinische Gesetzgebung dieser Jahre die weitere Sicherung der Verteidigungkraft des Reiches. In aller Form wurde nunmehr die Unveräußerlichkeit der Soldatengüter festgelegt, die bei den Matrosen der kaiserlichen Flotte einem Gegenwert von mindestens 2 Pfund Gold, bei Angehörigen der Landstreitkräfte dem doppelten Betrag entsprechen sollten. Selbst wenn ein Stratiotengut die genannten Werte übertraf, konnten einzelne seiner Teile nur dann erworben werden, wenn sie nicht in den Stratiotenrollen registriert waren. Der Gesetzgeber unterstrich aber auch in aller Deutlichkeit, daß die von ihm hinsichtlich des Vorkaufsrechts bevorzugten Gruppen auf alle Fälle den an die jeweiligen Güter gebundenen Heeresdienst zu leisten hatten. Die militärische Aktivität des Byzantinischen Heeres richtete sich um 950 vor allem auf die Ostgrenze. Angesichts des fortdauernden Friedens mit
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Bulgarien und der erfolgreichen Abwehr ungarischer Einfälle an der Balkangrenze konnten nach der Aufnahme größerer Operationen im Jahre 949 griechische Siege nicht ausbleiben. Die Eroberung Germanikeias und 952 die Überschreitung des Euphrat durch byzantinische Streitkräfte blieben jedoch vorläufig wirkungslos, nachdem Saif-ed-Dauleh 953 Konstantin, den Sohn des Bardas Phokas, gefangennahm und Germanikeia wiedergewinnen konnte. Auch in den folgenden Jahren mußte Byzanz gegenüber seinem gefährlichen Gegner in der Abwehr verharren und erzielte erst nach 956 mit der Einnahme von Hadath in Nordsyrien und der Euphratfestung Samosata entscheidende territoriale Gewinne, die im wesentlichen Nikephoros Phokas und Johannes Tzimiskes, den späteren Kaisern, zu verdanken waren. Die Erfolge der Regierung Konstantins VII. auf militärischem Gebiet wurden zweifellos von dem Geschick in den Schatten gestellt, mit dem die kaiserliche Diplomatie außenpolitische Ziele des Reiches verfolgte. Im Rückgriff auf Vorstellungen Basileios’ I. und Leons VI. versuchte der Kaiser, eine Allianz zustande zu bringen, durch welche die Araber Siziliens in Schach gehalten und die griechischen Besitzungen in Süditalien gesichert werden sollten. Konstantin VII. trat deswegen sogar mit Kalif Abdarrahman III. von Córdoba in Verbindung, an dessen Hof 951 eine Gesandtschaft des Kaisers eintraf, die bezeichnenderweise als Gastgeschenk eine illuminierte Dioskurides- Handschrift nach Spanien mitgebracht haben soll. Stärker an der politischen Wirklichkeit orientiert waren im Vergleich dazu die Aufnahme von Kontakten mit dem aufstrebenden Reich der Ottonen und die Pflege der Beziehungen zu den Kiever Russen. Der 949 eingeleitete Gesandtschaftsverkehr mit Otto dem Großen führte jedoch nicht zu greifbaren politischen Resultaten, auch wenn sich beide Seiten eines insgesamt freundlichen Tones bedienten. Das angestrebte Ehebündnis von Ottos Nichte Hadwig von Bayern mit Konstantins Erben Romanos wurde nicht abgeschlossen, und wirkungslos blieb schließlich auch die den Byzantinern nach den Erfahrungen mit dem Bulgaren- Zaren Simeon leichter gefallene Anerkennung des fränkischen Kaisertums. Im Rahmen der griechisch- russischen Beziehungen kam es dafür im Herbst 957 zum feierlichen Staatsbesuch der russischen Fürstin Olga-Helene in der Kaiserstadt am Goldenen Hörn: das Ereignis zog eine noch intensivere Missionsarbeit der orthodoxen Kirche in Rußland nach sich und trug so zur Stärkung des griechischen Einflusses im ostslawischen Bereich bei. Konstantin VII. war als Staatsmann sicherlich nicht völlig bedeutungslos. Ihr eigentliches Gewicht jedoch erhält seine Regierung als Blütezeit der Makedonischen Renaissance, die schon sein Vater und Großvater heraufgeführt hatten. Antike Mythologie, Geschichte, Philosophie und Literatur im weitesten Sinn erfuhren ein vertieftes, nicht mehr allein auf Apologetik bedachtes Studium, wurden gesammelt und vielfach in enzyklopädischer Form bearbeitet. Gleichzeitig wurden Themen der griechischen und römischen Kunst in zahllosen Schöpfungen byzantinischer Meister neu formuliert und zur christlichen Welt in
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Beziehung gesetzt. Byzanz suchte dabei allerdings nur in seltenen Fällen eine völlig neue Formensprache, sondern war viel eher bestrebt, die seit der Spätantike kaum unterbrochene Kontinuität wieder mit Leben zu erfüllen, sie nach dem Ikonoklasmus von neuem zu bejahen. Der Begriff der ›Makedonischen Renaissance‹ bezeichnet daher einfach den Aufschwung des geistigen und kulturellen Lebens, den Byzanz unter der Herrschaft der Makedonenkaiser erlebte. Als Mäzen und treibende Kraft stand Konstantin VII. mitten im kulturellen Leben seiner Zeit. Künstler und Wissenschaftler erfreuten sich seines Wohlwollens, und mit Männern wie Bardas Phokas förderte er die MagnauraHochschule von Konstantinopel. Ihre Lehrstühle für Philosophie, Rhetorik, Geometrie und Astronomie besetzte der Kaiser neu und sorgte für die Besoldung der Professoren ebenso wie für die Stipendien der Studenten. Sie lud er sogar regelmäßig an seine Tafel, was durchaus verständlich ist, berief der Herrscher doch aus diesem Kreis vielfach den Nachwuchs für seinen Verwaltungsdienst und die höheren Kirchenämter. Persönlich beteiligt war der Kaiser am blühenden Geistesleben aber auch durch seine literarische Tätigkeit. Seine Traktate, die auf einer sorgfältigen Auswertung des ihm vorliegenden Materials aufbauen und von dem im 10. Jahrhundert vorherrschenden Enzyklopädismus besonders geprägt sind, gehören zu den wichtigsten Quellen über den Staat der Rhomäer. Zu erwähnen sind die Abhandlung des Kaisers über die Themen (»De thematibus«), in der das Reich und seine Bevölkerung eine historisch-geographische Beschreibung finden, ferner in Ergänzung zu diesem Werk der als Lehrbuch der Staatskunst für seinen Sohn Romanos gedachte Traktat über die Mächte, mit denen Byzanz im Rahmen seiner Außenbeziehungen zu tun hatte (»De administrando imperio«), sowie schließlich das Zeremonienbuch (»De caerimoniis aulae byzantinae«). Mit derartigen staatstheoretischen Schriften steht Konstantin VII. im übrigen keineswegs allein: Er fand Nachahmung bei zahlreichen Beamten seines Reiches, die dessen Verwaltungsstruktur, aber auch Gewerbe und Handel, Steuersystem und Landwirtschaft in jenen Jahren immer wieder in handbuchartigen Darstellungen untersucht haben. Auch an der Geschichtsschreibung waren Konstantin Porphyrogennetos und seine Dynastie stark interessiert. Die Chronik des Logotheten Symeon setzte im kaiserlichen Auftrag Joseph Genesios mit der Beschreibung der Regierungen Michaels III. und Basileios’ I. fort. An der gegenüber ihren Anfangspartien literarisch anspruchsvolleren Weiterführung der Chronik des Theophanes war Konstantin selbst mit der panegyrisch gehaltenen, an Isokrates geschulten Lebensbeschreibung seines Großvaters Basileios zumindest nominell beteiligt. Einer der maßgeblichen Männer am Hof Konstantins VII., Theodoros Daphnopates, führte das Werk mit der Schilderung der Zeit Konstantins und Romanos’ II. fort. Bemerkenswerte Leistungen der Historiographie sind außerdem die Beschreibung der Araberbelagerung Thessalonikes durch den
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Priester Johannes Kameniates und – als echte Wiederbelebung hellenistischer Geschichtsschreibung – das an Historiker wie Agathias und Prokop angelehnte Geschichtswerk des kaiserlichen Bediensteten Leon Diakonos. Bei der theologischen Literatur ist zunächst Kaiser Leon VI., dann wiederum Konstantin Porphyrogennetos zu nennen. Die beiden Kaiser traten vor allem als Prediger auf, gaben aber auch zu zahlreichen theologischen Schriften Anstoß oder Auftrag. Leon VI. hat außerdem mit einem umfänglichen Brief an den Kalifen von Bagdad die antiislamische Polemik seiner Zeit bereichert. Von Romanos I. gibt es ähnliches nicht zu berichten: der nicht sonderlich gebildete Lekapene bediente sich in kirchlichen Fragen hauptsächlich des Magistros und Eparchen der Hauptstadt, Theodoros Daphnopates, der für ihn verschiedene Schreiben zu kirchenpolitischen oder dogmatischen Themen verfaßte, sich aber auch als Bearbeiter der Predigten des Johannes Chrysostomos einen Namen gemacht hat. Neben Gelehrten wie Nikolaos Mystikos, der Euthymios, seinen Konkurrenten um den Patriarchenstuhl, an Wissen deutlich übertraf, ist in der Nachfolge des Photios als bedeutender Theologe in erster Linie der aus der Peloponnes stammende Metropolit Arethas von Kaisareia zu nennen. Arethas hat in seiner frühen Schaffenszeit mit Vorliebe philosophische und philologische Themen behandelt und beispielsweise einen Kommentar zur Apokalypse des Johannes oder Glossen zu den Paulinischen Briefen geschrieben. Später beschäftigten ihn hauptsächlich Fragen des Kirchenrechts und dogmatische Probleme, wie Schriften gegen Bilderstürmer, Juden oder Armenier, aber auch ein in offiziellem Auftrag verfaßter Brief an den Emir von Damaskus zeigen. Der nüchterne Philologe zeigte sich im übrigen wenig tolerant, wenn er etwa den zeitgenössischen Kompilator und Diplomaten Magistros Leon Choirosphaktes wegen seiner allzu offenen Begeisterung für die neuentdeckte Antike angriff. Trotzdem ist festzuhalten, daß kaum eine Geistesgröße dieser Zeit, weder der Kirchenrechtler Johannes Doxoprates noch kirchliche Dichter wie Anastasios Quaestor, dem auch weltliche Poesie zuzuschreiben ist, die Bedeutung des Arethas erreicht hat. Eine gewisse Abkehr von der universalistischen und verhältnismäßig weltoffenen Theologie bringt die spätere Makedonenzeit über die verstärkte Beschäftigung mit Mystik und Askese, in deren Gefolge auch ein wachsendes Interesse für die Hagiographie fällt. Die entsprechenden Tendenzen kündigen sich schon etwa mit der Entscheidung des Styliten Lukas an, der die Feldzüge gegen den Bulgaren-Zaren Simeon mitgemacht hatte und seit 935 volle 44 Jahre auf einer Säule zu Chalkedon lebte. Eine Generation später stoßen wir dann bereits auf Symeon den Neuen Theologen, einen 977 vom Studios-Kloster ins Mamas-Kloster der Hauptstadt übergetretenen, sehr eigenwilligen Mönch aus Paphlagonien, der zusammen mit seinem Lehrer Symeon Eulabes zur beherrschenden Figur der mittelbyzantinischen asketischen Bewegung wird und
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geistesgeschichtlich die Mystik des Sinai-Mönchtums mit der spätbyzantinischen Mystik verbindet. Das stärkere religiöse Engagement weiter gesellschaftlicher Schichten wird auch auf dem Gebiet der Hagiographie sichtbar. Symeon Metaphrastes, der vielleicht bedeutendste byzantinische Hagiograph, der unter drei Kaisern das Logothetenamt bekleidete, bevor er Mönch wurde, verfaßte in dieser Zeit, vielleicht auf Anregung Leons VI., ein neues, umfassendes Menologion, eine Sammlung von nach dem Kirchenkalender geordneten Heiligenleben, die sich bis heute in annähernd 700 Handschriften erhalten hat. Den Metaphrasten fesselt die Vielzahl jener Männer und Frauen, welche diese Welt überwunden haben, während noch etwa bei der meisterlichen Lebensbeschreibung, die Metropolit Basileios von Thessalonike von seinem Vorgänger Euthymios verfaßte, das literarische Interesse des Autors größeres Gewicht besitzt. Innerhalb der bildenden Künste machte die Architektur der Makedonenkaiser die Kreuzkuppelkirche zur Standardform des Byzantinischen Kirchenbaus. Über Vorstufen, die etwa in der Hagia Theodora zu Konstantinopel oder in der 873/874 vom Protospatharios Leon im Makedonischen Skripou gestifteten weiträumigen Kirche zu sehen sind, wird bis 900 das Ideal dieses klassischen Byzantinischen Kirchentyps entwickelt. Im Bestreben, die Schwere der Baumassen zu überwinden und zu »entstofflichen«, erreicht die Kreuzkuppelkirche mit der vom Flotten-Drungar Konstantin Lips 907 gestifteten Theotokos-Kirche in Konstantinopel die vollkommene Anpassung eines einbeschriebenen griechischen Kreuzes an das überkommene rechteckige Grundrißschema. Die Kuppel ruht nun auf Mauern aus wechselnden Gürteln von Hausteinen und Ziegeln und über den Tonnengewölben von gleich langen Kreuzarmen. Klarheit, Formengleichmaß und Eleganz prägen auch die weiteren Bauten dieses Typs, in denen der Tambour mit der Kuppel immer häufiger von Säulen statt von Pfeilern getragen wird und die Mauern zwischen Stützen und Außenwänden allmählich verschwinden. Bereichert wird dieses Schema unter Berücksichtigung liturgischer Erfordernisse durch eine zunehmende Zahl von Apsiden, durch Diakoneion und Narthex. Diese Anbauten verleihen den Kirchen der Makedonenzeit nicht nur räumliche Tiefe, sondern werden immer mehr zu konstruktiven Elementen des jeweiligen Gesamtbaues. Sehr zögernd setzten sich nach der Ikonoklasmuskrise die Flächenmalerei und das Mosaik wieder durch. Auch wenn in den Jahrzehnten der kulturellen Blüte des 10. Jahrhunderts in Konstantinopel oder Thessalonike größere Werkstätten arbeiteten und ebenso in den Provinzen kleinere Künstlergruppen die anfallenden Aufträge erledigten, so sind aus dieser Zeit wenig bedeutende Mosaiken erhalten. Bei den Mosaiken in Hosios Lukas und später im Kloster von Nea Moni auf Chios fällt auf, daß sie nicht im gleichen Maß an antikem Stilempfinden ausgerichtet sind wie gleichzeitige Mosaiken der Hauptstadt. Dafür bestechen sie durch reiche Farbigkeit, während technische Probleme, wie die bildnerische Beherrschung gewölbter Flächen, nur unvollkommen gemeistert
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werden; das gilt auch für die Darstellung von Figuren, die merkwürdig starr und ernst wirken. Wesentlich ist jedoch, daß in dieser Zeit die für die Zukunft gültigen ikonographischen Programme für den Kirchendekor mit dem Pantokrator in der Kuppel, der Theotokos in der Apsis, mit Erzengeln, Patriarchen, Propheten, Aposteln und der Darstellung der wichtigsten Festgeheimnisse aus dem Leben Jesu, seiner Mutter und weiterer Heiliger entstehen. Die noch wenig wichtige Freskomalerei, die in den frühen kappadokischen Höhlenkirchen anzutreffen ist, empfängt aus der religiösen Gedankenwelt der Mosaikkünstler entsprechende Anregungen. Überragende kunstgeschichtliche Bedeutung kommt im Rahmen der ›Makedonischen Renaissance‹ der Buchmalerei zu. In ihr spiegelt sich mit wechselnder Deutlichkeit die Abhängigkeit des Kunstempfindens dieser Epoche von der Spätantike und hellenistischen Vorbildern, so daß manche Miniaturen geradezu als Kopien älterer Handschriften zu werten sind. Schließlich bricht sich in der späteren Makedonenzeit jedoch eine Strömung Bahn, die stärker »mittelalterlich« und spezifischer »byzantinisch« orientiert ist und ihre Inhalte in weiterem Umfang christlichem Gedankengut entnimmt. Die ersten Schreib- und Malstuben müssen im Studiten-Kloster und in der Umgebung des Patriarchen Photios gesucht werden, wo zunächst ziemlich kleine Miniaturen vielfach als Randillustrationen entstanden; der Chludow-Psalter von etwa 850 ist hierfür das bekannteste Beispiel, obwohl die Traditionen dieser Schulen sehr lange lebendig blieben. Großformatige Miniaturen bringen dann die »Kaiser-Codices« wie der schon genannte Pariser Codex graecus 510, der die immer wieder abgebildete Vision des Ezechiel enthält. Handschriften dieser Art, in denen wir Texte des Alten und Neuen Testaments, Kirchenkalendare, Lebensbeschreibungen der Heiligen und theologische Literatur, aber auch historische Chroniken finden, zeichnen sich hinsichtlich ihrer Bildausstattung durch Realismus, hellenistisch inspirierte Landschaftsauffassung, klaren Bildaufbau und eine breite Farbskala aus. Sie wirken origineller als die Miniaturen, die zu Lebzeiten Konstantins VII. gemalt wurden.
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Abb. 15: Hl. Lukas, Miniatur der 2. Hälfte des 10. Jhs.
Hier wird zwar technisch gekonnt gezeichnet und gutes anatomisches Verständnis bewiesen, werden die Körper weich modelliert und Landschaften in gelockertem Bildaufbau vorgestellt, aber man malt vorzüglich in Anlehnung an ältere Vorlagen, was auch der illusionistische Stil der Miniaturen zeigt. So gewinnt die antikisierende Note in dieser Zeit an Gewicht, was besonders für Werke weltlichen Inhalts gilt. Der Traktat über giftige Tierbisse des Nikander von Kolophon und weitere naturwissenschaftliche Werke gehören hierher, aber auch einzelne Handschriften mit religiösem Inhalt. Unter ihnen ist die JosuaRolle der Vatikanischen Bibliothek hervorzuheben, ein 10 m langes Pergamentband, dessen Anfang und Schluß fehlen. Aber auch so läßt sich erkennen, wie die beteiligten Künstler Reliefs römischer Triumphsäulen zum Vorbild genommen haben. Ein weiteres bemerkenswertes Zeugnis der Miniaturmalerei der ›Makedonischen Renaissance‹ auf ihrem Höhepunkt ist die Bibel des Patrikios Leon, die gleichfalls auffallend von hellenistischem Stilempfinden geprägt ist. Den Miniaturen der Zeit Basileios’ II. und jenen der vorausgegangenen Jahre ist gemeinsam, daß die besten Stücke unter ihnen in kaiserlichen Ateliers geschaffen wurden, wo auch Herrscher wie Leon VI. und Konstantin Porphyrogennetos selbst zum Pinsel griffen. Dies kann beispielsweise für das Menologion Basileios’ II. gelten, dessen 430 Miniaturen nachweislich von
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Künstlern einer Schreibstube im Blachernenpalast gemalt wurden. Von anderen Handschriften läßt sich dasselbe mit Hilfe des Stilvergleichs nachweisen. Sie alle enthalten Miniaturen, die auf den Betrachter tiefer »vergeistigt« wirken und den Übergang zur späteren eigenständig Byzantinischen Kunst der Komnenen und Palaiologen vorbereiten. Kirchliche, aber auch profane Themen stellten die Byzantiner im Zeitalter der Makedonenkaiser noch häufig in Elfenbein dar. Bekanntestes Beispiel hierfür ist das sogenannte Veroli-Kästchen, auf dem die Entführung der Europa und der Tanz der Mänaden und Kentauren sowie Nymphen, Nereiden, Eroten und andere Figuren des antiken Götterhimmels in lebendiger Bewegung gezeigt sind. Auch auf weiteren derartigen Kästchen erscheinen mythologische, von Rosettenbändern eingefaßte Szenen. Sie lassen erkennen, wie beliebt in den maßgeblichen Kreisen Konstantinopels antike Mythologie und Literatur damals gewesen sein müssen. Eher der kirchlichen Kunst sind die Darstellungen von Kaiserkrönungen zuzurechnen, bei denen neben dem Elfenbein mit der Krönung Romanos’ II. vor allem auf das Stück mit Konstantin VII. hinzuweisen ist, das in Moskau aufbewahrt wird. Eindeutig religiösen Inhalt haben dann Tafeln wie das Pariser Harbaville-Triptychon, auf dem in strengem Stil um eine Deesis heilige Krieger, Apostel und andere Heilige, teilweise in Medaillons, angeordnet sind. Solche Darstellungen, aber auch Elfenbeintafeln mit einzelnen Heiligen, sind ziemlich verbreitet. Besonders häufig ist dabei die Gottesmutter wiedergegeben, vielfach als Hodegetria, nach der vor allem beim Heer verehrten Marienikone des hauptstädtischen Klosters »ton hodegon«. Andere Tafeln bringen bedeutende Ereignisse aus dem Leben Jesu, seiner Mutter oder der Heiligen. Die Berliner Tafel mit dem Martyrium der 40 Soldatenheiligen von Sebaste beeindruckt unter ihnen durch dramatische Bewegtheit besonders. Die künstlerischen Ideale der ›Makedonischen Renaissance‹ macht neben den Miniaturen vor allem die Emailkunst sichtbar. Grund dafür dürften nicht zuletzt Verbesserungen in der Technik des Email-Cloisonné sein, mit der farbige Einlagen in winzige Zellen zwischen senkrechte Trennwände eingeschmolzen wurden. Jetzt gelang es, die Farben mit Hilfe komplizierter Trennwandnetze immer stärker zu variieren, so daß Emailarbeiten mit dem strahlenden Glanz ihrer Farben ein echter Zweig der figürlichen Malerei werden konnten. Das ging so weit, daß sie schließlich sogar die Entwicklung der Buchmalerei bis zu einem gewissen Grad bestimmten. Als Beispiel für die Meisterschaft, mit welcher der Zellenschmelz gehandhabt wurde, sei an die Limburger Staurothek oder die Applikationen des Romanos-Kelches im Schatz von San Marco in Venedig erinnert. Diese Arbeiten zeigen, wie jedes Emailwerkstück für sich getrennt ausgeführt, anschließend auf Metallblättchen beliebiger Form aufgelötet und am Rand mit Perlen oder edlen Steinen besetzt werden konnte. Verglichen mit den künstlerischen Leistungen auf diesem Gebiet bleiben die Schöpfungen der Ikonenmalerei, der Metallverarbeitung oder der Glyptik und
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verwandter Kunstzweige an Bedeutung zurück. Hinzuweisen ist jedoch auf die Textilkunst, von deren Höhe verschiedene erhaltene Seiden- und Purpurstoffe berichten können. Motivisch und technisch stehen sie teilweise unter orientalischem Einfluß, obwohl es im gesamten Reichsgebiet bedeutende Seidenwebereien gab. Die Byzantinischen Künstler verstanden es jedoch, mehr Feinheit in der Darstellung zu entwickeln, als dies in gleichzeitigen persischen Werkstätten gelang. Das Tuch mit den Elefantenmedaillons aus dem Grab Karls des Großen, aber auch die über ganz Europa verstreuten und in verschiedenen Farben gehaltenen Seidenstoffe mit dem streng stilisierten Adlersymbol können dies beweisen. Unter Konstantin VII. zeigt sich das geistige und kulturelle Leben im Rhomäerreich in voller Blüte. Diesen Glanz hatte es Herrschern wie Basileios I. und vor allem Leon VI. zu verdanken, die nicht nur der ›Makedonischen Renaissance‹ entscheidende Impulse verliehen hatten, sondern auch die innere Konsolidierung des Staates einleiteten. In der Mitte des 10. Jahrhunderts waren die Verhältnisse im Byzantinischen Reich so weit gefestigt, entwickelten Kultur und Geistesleben über die Reichsgrenzen hinweg so viel Ausstrahlung, daß unter den folgenden Herrschern ein erheblicher Zuwachs auch äußerer Macht für Byzanz beinahe zwangsläufig erfolgen mußte. III. Das mittelbyzantinische Reich auf dem Höhepunkt äusserer Macht Im November 959 bestieg nach dem Tod Konstantins VII. dessen Sohn Romanos den Thron. Der neue Herrscher war wissenschaftlich weniger interessiert als sein Vater und auch nicht sonderlich für religiöse Ideale zu begeistern, auch wenn ihm die Gründung des noch heute bestehenden, bekannten Klosters Hosios Lukas in Mittelgriechenland zugeschrieben wird. Obwohl ihm die Quellen im übrigen »mannigfache Vorzüge« bescheinigen, konnte und wollte der junge, lebenslustige Kaiser keinen wesentlichen Einfluß auf die Reichspolitik nehmen. Ihre Gestaltung lag in den Händen des Parakoimomenos Joseph Bringas, der mit Eifersucht darüber wachte, daß die sieggewohnten Heerführer des Reiches seiner Stellung am Hof nicht gefährlich wurden. Neben Bringas spielte die Gemahlin des Kaisers eine immer bedeutendere Rolle. Romanos II. war ursprünglich mit Bertha-Eudokia, der Tochter Hugos von der Provence, vermählt. Nachdem diese erste Gattin des Herrschers verstorben war, heiratete er um 956 Anastaso, eine Wirtstochter aus Konstantinopel, die »durch die Schönheit ihres jungen Körpers alle Frauen ihrer Zeit übertraf« (Leon Diakonos 31, 3). Der Kaiser erfüllte seiner ehrgeizigen Frau, die den Namen Theophano angenommen hatte, bald jeden Wunsch, und so verschwanden seine Mutter Helene und seine fünf Schwestern hinter Klostermauern. Wenn sich solche Ereignisse auf die politischen Verhältnisse nicht nachteilig auswirkten, so war dies vor allem den hervorragenden Generälen zu verdanken, die in dieser Zeit die Byzantinischen Truppen in Europa und Kleinasien befehligten. Sie
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waren es in der Tat auch, die mit ihren Siegen die byzantinische Geschichte der beginnenden zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts prägten. Einen ersten strahlenden Erfolg für das Reich errang Nikephoros Phokas mit der Eroberung Kretas, die schon Konstantin Gongylas gleich nach dem Regierungsantritt Romanos’ II. versucht hatte. Phokas glückte im Sommer 960 die Landung auf der Insel, und nach erbitterten Kämpfen stürmten seine Truppen im folgenden Frühling das stark befestigte Chandax im Westen der Insel, wo ungeheure Schätze den Siegern in die Hände fielen. Die arabische Bevölkerung wurde umgebracht oder verschleppt und hatte Siedlern aus Armenien Platz zu machen. Hoch über der eroberten Stadt ließ Phokas eine mächtige Festung erbauen, während Mönche wie Nikon Metanoeite und später Johannes Xenos durch die Insel zogen, Kirchen bauten, Klöster gründeten und die eingesessene Bevölkerung dem Christentum zurückzugewinnen suchten. Die arabische Welt hat der Eroberung Kretas durch die Byzantiner nicht untätig zugesehen. Leon Phokas, Domestikos des Westens und Bruder des Nikephoros, mußte nach Kleinasien entsandt werden, um die Grenzen des Reiches gegen einen Entlastungsangriff Saif- ed-Daulehs zu verteidigen. Nach seiner Rückkehr aus Kreta und einem glanzvollen Triumph im Hippodrom von Konstantinopel erschien Nikephoros Phokas dann selbst auf dem Kriegsschauplatz. Er drängte den Gegner rasch ins östliche Kilikien ab und nahm im Dezember 962 trotz hartnäckigen Widerstandes Aleppo, die Residenz Saifs, ein. Der unerwartete Tod Kaiser Romanos’ II. nach einem Jagdausflug – Gerüchte wollten wissen, er sei vergiftet worden – beendete vorläufig die militärischen Operationen an der Ostgrenze des Reiches. Während der Patriarch mit dem Senat Kaiserin Theophano und ihre beiden Söhne Basileios und Konstantin, die 958 und 960 geboren worden waren, an die Spitze des Reiches stellte, mußte Nikephoros Phokas in die Hauptstadt zurückkehren, da er seine Soldaten für die kältere Jahreszeit entlassen hatte und nun zum Frühjahr sein Kommando erneuert haben wollte. Diesem Vorhaben stellte sich jedoch Joseph Bringas entgegen, der nicht völlig ohne Grund vermutete, an der Spitze eines Heeres könne der populäre Phokas zu mächtig werden. Mit Hilfe des Patriarchen Polyeuktos und der Kaiserin erreichte Nikephoros Phokas aber sein Ziel auch gegen den Willen des Bringas und brach an der Spitze einer schlagkräftigen Armee wieder nach Osten auf. Während er in Kappadokien seine Kriegsvorbereitungen traf, versuchte der Parakoimomenos nun, Phokas mit Unterstützung des Johannes Tzimiskes in seine Hand zu bringen. Tzimiskes, ein Verwandter des Phokas, setzte diesen jedoch von dem Anschlag in Kenntnis. Gemeinsam marschierten die beiden Generäle daraufhin nach Kaisareia, wo Phokas zum Kaiser ausgerufen wurde, und führten ihre Truppen weiter in Richtung Hauptstadt. In Konstantinopel wiegelten inzwischen Leon Phokas und der Eunuch Basileios, ein unehelicher Sohn Romanos’ I., die Bevölkerung gegen Joseph Bringas auf. So konnte
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Nikephoros Phokas am 16. August 963 unter dem Jubel des Volkes durch das Goldene Tor in die Kaiserstadt einziehen und erhielt das Diadem Konstantins des Großen. Die neuen Machthaber konnten in kürzester Frist ihre Stellung festigen, vor allem nachdem der Kaiser Theophano geheiratet hatte, sich aber zugleich zur Respektierung der Thronfolgerechte ihrer Söhne Basileios und Konstantin verpflichtete. Die Leitung der Innenpolitik übernahm mit dem neugeschaffenen Titel eines Proedros der Eunuch Basileios. Johannes Tzimiskes trat die Nachfolge des Nikephoros Phokas als Domestikos des Ostens an, und Vater und Bruder des Kaisers erhielten hohe Würden am Hof des neuen Basileus. Schon im ersten Jahr nach der Ergreifung der Macht nahm Nikephoros II. den Kampf gegen die Sarazenen wieder auf. Während der Patrikios Niketas mit einem mächtigen Geschwader nach Sizilien aufbrach und erst nach beachtlichen Anfangserfolgen scheiterte, stieß der Kaiser selbst nach Kilikien vor und eroberte die Städte Adana und Anabarza. Die Einnahme von Mopsuestia und Tarsus bereitete den Byzantinischen Streitkräften erheblich mehr Mühe und wurde erst 965 abgeschlossen, im gleichen Jahr, in dem eine Flotte der Rhomäer unter Niketas Chalkoutzes auf Cypern landete und die Insel wieder für den Basileus in Besitz nahm. Damit waren die Voraussetzungen für ein Vordringen nach Syrien geschaffen, wo der Kaiser mit seinem Heer auch tatsächlich im Oktober 966 vor Antiocheia erschien. Bevor die syrische Hauptstadt dem Reich zurückgewonnen werden konnte, verlangte das Verhältnis der Byzantiner zu den Bulgaren eine Klärung. Abgesandte des bulgarischen Zaren waren nämlich 965 wieder am Goldenen Hörn erschienen, um die üblichen Tribute für ihren Herrscher einzufordern. Nikephoros Phokas schickte sie unverrichteterdinge wieder nach Hause und ließ seine Truppen die bulgarischen Grenzfestungen besetzen. Tiefer ins Land einzudringen wagte er jedoch nicht, weil er es angeblich für unverantwortlich hielt, seine Soldaten »durch so gefährliche Gegenden zu führen« (Leon Diakonos 63,1). Dafür sandte er den Patrikios Kalokyres zum russischen Fürsten Svjatoslav, der gegen einen Sold von 1500 Pfund Gold das Bulgarenreich von Nordosten angreifen sollte. Der Russe überschritt 968 die Donau und rang mit seinem Heer die Bulgaren beinahe mühelos nieder. Svjatoslav dachte jedoch nicht daran, wieder nach Kiev zurückzukehren. Als Beherrscher Bulgariens wurde er für das byzantinische Reich, das nun wieder die Verständigung mit den früheren Herren des Landes suchte, ein gefährlicher Nachbar. Vor dem nächsten Feldzug des Kaisers nach Syrien waren aber auch die Beziehungen des Reiches zum Abendland neu zu regeln. Parallel zum Wiederaufstieg des Byzantinischen Staates hatten dort die Ottonen das Kaisertum Karls des Großen erneuert. Wie schon im 9. Jahrhundert wurden nun zwischen beiden Seiten hauptsächlich zwei Probleme verhandelt, die Abgrenzung der jeweiligen Interessen in Süditalien sowie die Frage der Anerkennung des westlichen Kaisertums durch Byzanz. Otto der Große hoffte
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zu erreichen, daß seine Krönung zum Kaiser durch die Heirat seines Sohnes mit Anna, der Tochter Romanos’ II., bestätigt würde; außerdem sollte die Porphyrogennete nach seinen Vorstellungen die unteritalienischen Besitzungen des Rhomäerreiches als Mitgift in die dynastische Verbindung einbringen. Nikephoros Phokas lehnte wie sein Vorgänger das Heiratsprojekt Ottos anfangs nicht grundsätzlich ab. Der Basileus sah die Möglichkeit, auf diesem Wege zu einem gegen die Sarazenen Unteritaliens gerichteten Angriffsbündnis der beiden Reiche zu kommen, und ließ seine Beauftragten in diesem Sinne in Ravenna gegenüber Otto I. vorstellig werden. Als der »Frankenkaiser« jedoch die von Konstantinopel abhängigen Fürsten von Capua und Benevent unter seine Oberhoheit stellte und einen Angriff auf Bari vorbereitete, mußte der Venezianer Dominicus als Unterhändler des Lateinischen Kaisers 967 auf einer Gesandtschaftsreise in Makedonien feststellen, daß Nikephoros Phokas dabei war, ein Heer für eine Intervention in Süditalien zusammenzuziehen. Schließlich war es der nicht ungeschickten Verhandlungsführung eines Liutprand von Cremona zu verdanken, daß die Griechen in Apulien nicht zum Angriff gegen Otto den Großen antraten. Trotzdem standen sich 969 Byzantiner und Parteigänger der Sachsenkaiser in unverhüllter Feindschaft gegenüber. Die Außenpolitik unter Nikephoros Phokas und noch mehr seine Innenpolitik wurden wesentlich vom Proedros Basileios bestimmt. Dieser habgierige, aber kunstsinnige Mann, der vor 964 die großartige Limburger Staurothek in Auftrag gegeben hatte, erwies sich als taktisch sehr geschickter Politiker. Entschlossen trat er wie der Kaiser für die Interessen der Byzantinischen Adelsfamilien ein. So wurde 967 das Vorkaufsrecht der Armen bei Güterverkäufen der Oberschicht aufgehoben und vom Kaiser als ungerecht bezeichnet. Im Hinblick auf ihre militärische Aktivität trat die Regierung aber nicht weniger für die Stratioten ein. Bei den gestiegenen Ausgaben für die verbesserte Bewaffnung der Soldaten wurde der fiktive Mindestwert der Stratiotengüter von 4 auf 12 Pfund Gold heraufgesetzt. Jede Veräußerung, durch die ein Stratiotengut diesen Wert unterschritt, sollte rückgängig gemacht werden, und nur noch Verkäufe über dieser Wertgrenze waren statthaft. Daß die Stratioten innerhalb der Byzantinischen Gesellschaft dadurch entscheidend an Gewicht gewannen, versteht sich vor diesem Hintergrund von selbst. Auf der anderen Seite ging diese Entwicklung eindeutig zu Lasten der bäuerlichen Bevölkerung, deren Grundbesitz keinen vergleichbaren gesetzlichen Schutz besaß. Nachdem die Struktur der Byzantinischen Wirtschaft mit ihrer starken Betonung der Rolle des Staates Investitionen von Privaten nur in Ausnahmefällen zuließ, verstärkte sich so die Tendenz zur Anlage von Kapital in Grundbesitz noch weiter. Die Erwerbung neuen Staatsgebiets, in dem gerade die Stratioten wegen seiner Grenznähe Grundbesitz erwerben konnten, ist daher ein nicht unwichtiges Motiv für die Rückeroberungspolitik der Byzantiner dieser Epoche gewesen, auch wenn der Heilige Krieg gegen den mohammedanischen Glaubensfeind in der Art der späteren westlichen Kreuzzugsideologie – bezeichnenderweise trägt
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das Kreuzreliquiar von Cortona eines der wenigen erhaltenen Bildnisse Nikephoros’ II. – wenigstens propagandistisch in den Vordergrund gestellt wurde. Das in jenen Jahren entstandene »Nationalepos« der Byzantiner über Digenis Akritas spiegelt diesen Geist der Zeit, ihre gesellschaftlichen Leitbilder und deren wirtschaftliche Voraussetzungen wider. Stärksten Anteil nahm Nikephoros Phokas am kirchlichen Leben in seinem Reich, in dem kein Bischof ohne sein Einverständnis geweiht werden durfte. Besonders waren es aber Fragen des monastischen Lebens, die den Herrscher beschäftigten. Der Neffe des in Kleinasien als Klostergründer hervorgetretenen heiligen Michael Maleinos lebte auch als Kaiser ganz den asketischen Idealen des strengen Mönchtums und beabsichtigte, sich nach der Erledigung seiner hauptsächlichsten Regierungsaufgaben als Mönch in die Einsamkeit zurückzuziehen. Ständig war der Basileus von Mönchen umgeben, unter denen vor allem der aus Trapezunt gebürtige Athanasios zu erwähnen ist. Athanasios war nach Studien in Konstantinopel in jenes Kloster bei Prusa eingetreten, an dessen Spitze der Verwandte des Nikephoros als Abt stand. So lernte er den späteren Kaiser kennen und begleitete ihn auf dem Feldzug nach Kreta, nachdem er zuvor auf dem Athos als Einsiedler gelebt hatte. Unter dem Schutz des Kaisers gründete er dann nach seiner Rückkehr auf den Heiligen Berg die Große Laura, die noch Phokas zum Kaiserkloster erhob und reich ausstattete. Damit war ein neuer Schwerpunkt des orthodoxen Mönchtums entstanden, der allmählich die alten Zentren der monastischen Bewegung in der Ostkirche an Bedeutung weit übertraf. 965 erhielt die Gründung des Athanasios eine Regel, die vom Typikon des hauptstädtischen Studios-Klosters, aber auch von benediktinischem Gedankengut geprägt war. Die gemeinschaftliche Lebensform hatte in ihm deutlich den Vorzug vor dem Anachoretentum. Trotzdem blieben auf dem Athos beide Formen mönchischer Lebensgestaltung möglich, und Eremiten und Koinobiten strömten in Scharen zu diesem Klosterberg, auf dem sie bereits nach einigen Jahren nicht weniger als 58 Niederlassungen gegründet hatten. Den Idealen des Kaisers vom Mönchtum entsprach es auch, wenn er dem fortschreitenden Anwachsen des Kirchenbesitzes energisch entgegentrat. 964 untersagte Nikephoros Phokas die Zuwendung von Land an Klöster, sonstige kirchliche Körperscharten und geistliche Personen, um die Bedeutung des Armutsideals in einer Zeit hervorzuheben, in der die östliche Kirche reich wurde und zu verweltlichen drohte. Der Basileus verbot aber auch die Neugründung von Klöstern, weil er erkannt hatte, daß vielfach die Selbstgefälligkeit der Stifter Triebfeder bei der Gründung von Klöstern war. Ausgenommen blieb im entsprechenden kaiserlichen Gesetz nur die Gründung von mönchischen Niederlassungen in der Einöde, wo nicht die Gefahr bestand, daß Grundbesitz aus privater Hand an die Mönche gelangte. Auch wenn religiöse Vorstellungen für Nikephoros Phokas bei seinem Klostergesetz zweifellos im Vordergrund standen, so wird doch deutlich, daß es dem Basileus auch darum ging, den
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privaten Grundbesitz als Besteuerungsobjekt dem Staat zu erhalten; Kirchengut war im Vergleich dazu weniger ertragreich und vielfach aufgrund von besonderen Privilegien steuerfrei. 968 konnte der Kaiser endlich wieder die Operationen gegen die Araber an der Ostgrenze des Reiches aufnehmen. Zwar war die Patriarchenstadt Antiocheia erneut nicht auf Anhieb einzunehmen, dafür erreichte der Kaiser aber mit seinen Truppen Edessa und konnte eine Reihe fester Plätze an der syrischen Küste und im Innern des Landes erobern. Daß ihm dabei das Schwert des Propheten in die Hand fiel, brachte ihn in die Lage, den auf Sizilien in Gefangenschaft geratenen Patrikios Niketas aus der Gewalt der nordafrikanischen Fatimiden auszulösen. Aber auch die Eroberung Antiocheias glückte schließlich: nach der Rückkehr des Kaisers nach Konstantinopel an das Totenbett seines Vaters konnten am 28. Oktober 969 der Patrikios Petros Phokas und Michael Burtzes mit Hilfe einer List in die Stadt eindringen. Wenig später besetzte die erfolgreiche Armee zum zweitenmal Aleppo, das nun Hauptstadt eines Byzantinischen Vasallenemirats wurde, während Antiocheia dem Reich unmittelbar unterstellt wurde. Trotz aller militärischen Erfolge und innenpolitischen Leistungen blieb Nikephoros kein populärer Herrscher. Nach Zwischenfällen im Hippodrom, wo er zum Mißfallen des Publikums Darstellungen mit zu starkem militärischem Einschlag veranlaßt hatte, kam es zur Abkühlung des guten Verhältnisses des Kaisers zur Bevölkerung seiner Hauptstadt. Es wurde noch mehr beeinträchtigt, als Nikephoros’ Bruder Leon die Getreideversorgung Konstantinopels unter seine Kontrolle brachte und in einer Zeit, während der der Steuerdruck stieg und die staatliche Münze Geld mit herabgesetztem Goldgehalt herausgab, den Kornpreis schamlos in die Höhe trieb. Mit ihrem sehr feinen Gespür dürfte der Kaiserin Theophano der Umschlag in der öffentlichen Meinung zuungunsten ihres Gemahls nicht verborgen geblieben sein. Während der Kaiser Mißfallenskundgebungen des Volkes keine Aufmerksamkeit schenkte, nahm Theophano, die sich vom finsteren Wesen des Basileus auch nicht gerade angezogen fühlen konnte, mit Johannes Tzimiskes Fühlung auf, der dem Herrscher nicht verzeihen konnte, daß er sein Kommando an der östlichen Reichsgrenze hatte zurückgeben müssen. Es kam zur Verschwörung, und im Schneesturm einer Dezembernacht des Jahres 969 erstiegen die Vertrauten des Tzimiskes die Mauer des Bukoleonpalastes und ermordeten den schlafenden Phokas grausam. Die Übernahme der Regierung durch Johannes Tzimiskes bereitete zunächst keinerlei Schwierigkeiten. Der nunmehrige Machthaber hatte schon vor dem erfolgreichen Attentat auf seinen Vorgänger mit dessen Verwandtschaft, die auch seine eigene war, Verbindung aufgenommen, und niemand anders als der Proedros Basileios traf unmittelbar nach dem Staatsstreich im Auftrag des Tzimiskes die erforderlichen Anordnungen, um Unruhen und Plünderungen in der Hauptstadt zu verhindern. So verloren nur einige enge Vertraute des toten Kaisers – unter ihnen der Dichter Johannes Geometres – ihre Posten beim Heer und in der Verwaltung, während die
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nächsten Angehörigen des Nikephoros Phokas wie sein Bruder Leon nach Lesbos verbannt wurden. Wenn Johannes I. erwartet hatte, daß seine Krönung und die Eheschließung mit seiner Mitverschworenen, der Witwe des Nikephoros, ebenso mühelos in Szene zu setzen wären, so hatte er sich gründlich getäuscht. Der aufrechte Patriarch Polyeuktes verlangte von Tzimiskes die Verbannung der Theophano auf die Insel Prote im Marmarameer, die Benennung der Mörder des Kaisers Nikephoros sowie den Widerruf von dessen Gesetz über den Kirchen- und Klosterbesitz. Erst als diese Forderungen erfüllt waren, wurde Johannes in die Hagia Sophia eingelassen und konnte dort das kaiserliche Diadem empfangen. Statt Theophano heiratete er im Herbst 970 deren Schwägerin Theodora, eine nicht mehr ganz jugendliche Tochter Konstantins VII. Spätestens damit war die Herrschaft des bei seiner Thronbesteigung 45jährigen Johannes Tzimiskes gefestigt. Eine Revolte des aus Amaseia ins phokasfreundliche Kaisareia entkommenen Neffen Bardas seines Vorgängers konnte ihr genausowenig etwas anhaben wie 971 eine Verschwörung des Leon Phokas, der bei dem Versuch, die Handwerker der kaiserlichen Weberei in Konstantinopel für seine Umsturzpläne zu gewinnen, ergriffen, geblendet und ins abgelegene Kalymnos verbannt wurde. Da Johannes Tzimiskes derselben gesellschaftlichen Schicht wie Nikephoros II. entstammte, hätte man erwarten können, daß er dessen Innenpolitik fortführte. Zumindest auf Teilgebieten trat jedoch das Gegenteil ein. Wahrscheinlich mit Rücksicht auf die von den ununterbrochenen Feldzügen, aber auch einer schweren Hungersnot bestimmten Bedürfnisse trat Johannes I. den Bestrebungen entgegen, die auf Kosten der Bauern, aber auch der Stratioten auf eine Vergrößerung des kirchlichen Grundbesitzes und besonders der Adelsgüter hinausliefen. So beauftragte der Herrscher die Beamten des Reiches mit der Überprüfung des Großgrundbesitzes. Stellte sich heraus, daß sich überprüfte Güter aus ehemaligem Eigentum von Staatsbauern oder Stratioten zusammensetzten, so fiel solcher Besitz sofort an den Staat. Andererseits wurden Bauern und Stratioten, die ihre Güter verlassen hatten, zwangsweise an ihre früheren Wohnorte zurückgebracht. Die Bindung der Betroffenen an den Staat wuchs dadurch, allerdings stellten sich auch rasch die sich hieraus ergebenden Nachteile ein. In der Kirchenpolitik zeigte der recht lebensfrohe Kaiser weniger Aktivität als sein Vorgänger. Es fällt auf, daß in seiner Umgebung nicht die Mönche, sondern Bischöfe und Metropoliten den Ton angaben. Die Bedeutung Johannes’ I., der auch die Erlöserkapelle im Chalkepalast der Hauptstadt zu einem »geräumigen und prächtigen Heiligtum« umbauen ließ, liegt für die kirchlichen Verhältnisse im wesentlichen darin, daß er dem Athos 971 oder im folgenden Jahr den sogenannten Tragos als Verfassungsurkunde gegeben hat. Im Tragos regelte er insbesondere die Bestellung der Protoi, denen die kirchliche Aufsicht über die Klöster des Heiligen Berges zukam, setzte aber auch fest, daß kein weibliches
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Wesen den Athos betreten sollte. Selbstverständlich wirkte der Kaiser auch beim Wiederaufbau der Kirchenorganisation in den zurückeroberten Gebieten an der Ostgrenze mit. Auf dem außenpolitischen Sektor warteten vor allem drei Aufgaben auf ihre Lösung durch Johannes Tzimiskes: die Fortführung des Kampfes mit den Arabern, der Konflikt um Bulgarien, den Nikephoros II. ausgeklammert hatte, und die Bereinigung der gespannten Beziehungen zum Ottonenreich. Allein mit diplomatischen Mitteln erzielte Johannes Tzimiskes eine Verbesserung der politischen Situation des Reiches gegenüber Otto dem Großen. 972 schickte der Basileus nämlich dem westlichen Kaiser seine Nichte Theophano, mit der sich Otto II. in Rom vermählte. Die Ottonen verzichteten damit nicht nur auf die ursprünglich verlangte Porphyrogennete, sondern auch – und nicht zur Freude des Papstes – auf den römischen Kaisertitel. Das ermöglichte zwischen den beiden Kaiserhöfen weiterhin tragbare Beziehungen, in deren Rahmen auch eine byzantinische Gesandtschaft zu berücksichtigen ist, die 973 bis ins ferne Quedlinburg reiste. Der Glanz der Makedonischen Renaissance konnte unter solchen Voraussetzungen auch im Westen strahlen. Hatte Nikephoros Phokas auf eine rasche Lösung des durch das Vordringen der Russen auf dem Balkan geschaffenen bulgarischen Problems verzichtet, so zögerte Johannes Tzimiskes nicht, diesen Gefahrenherd für sein Reich zu beseitigen. Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Fürst Svjatoslav marschierte der Basileus im April 971 mit einem Heer über Adrianopel in Bulgarien ein, zog über den Balkan und nahm nach hartem Kampf Groß-Preslav ein. Der Vormarsch verlief deshalb so erfolgreich, weil es der Kaiser verstand, die Bulgaren gegen ihre russischen Herren auszuspielen. Großen Anteil an diesem Erfolg hatten aber auch die Eliteeinheit der »Unsterblichen«, die Tzimiskes aufgestellt hatte, und die Leibgarde des Kaisers, in der Männer wie der Sohn des letzten arabischen Emirs von Kreta wahre Wunder an Tapferkeit vollbrachten. So mußten sich die Russen auf die Donau-Festung Silistria zurückziehen. Im Juli 971 kapitulierte Svjatoslav und erhielt freien Abzug gegen die Freigabe seiner Kriegsgefangenen und das Versprechen, nie wieder den Balkan zu betreten; außerdem verpflichtete er sich, den Byzantinischen Landbesitz von Cherson unbehelligt zu lassen und ihn notfalls verteidigen zu helfen. Der Rhomäerkaiser versorgte seinerseits die ausgehungerten Russen mit Lebensmitteln und bestätigte die alten Handelsverträge seines Reiches mit ihnen. Silistria selbst erhielt den Namen Theodoroupolis, weil die Byzantiner es der Hilfe des heiligen Theodoros Stratelates zuschrieben, daß sie die Russen dort bezwungen hatten. So hatte Johannes Tzimiskes einen gefährlichen Feind an der europäischen Nordgrenze seines Reiches ausgeschaltet, und nun konnte man auch gegenüber den Bulgaren wieder entschiedener auftreten: Zar Boris II. mußte die Zeichen seiner Würde ablegen und erhielt den Rang eines Patrikios; das Patriarchat der Bulgaren wurde aufgehoben.
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Nachdem Johannes Tzimiskes die byzantinische Macht in Bulgarien so überzeugend unter Beweis gestellt hatte, konnte er auch die Offensive gegenüber den Mohammedanern an der Ostgrenze wiederaufnehmen. Das war um so mehr erforderlich, als die Araber während des Kampfes um Bulgarien versucht hatten, die Byzantiner unter dem Patrikios Nikolaos wieder aus Antiocheia zu vertreiben. Die rhomäischen Streitkräfte stießen zunächst 972 nach Mesopotamien vor und erreichten Diyarbakir, Martyropolis und Nisibis. 974 erweiterte Johannes Tzimiskes planmäßig die noch schmale Operationsbasis der Byzantinischen Armee in Syrien. Im folgenden Jahr fielen dann Emesa und Baalbek, als die Griechen in einem Siegeslauf ohnegleichen das Orontes-Tal bis zum Libanon durcheilten. Auch Damaskus ergab sich ihrem Kaiser und anerkannte die Oberhoheit des Byzantinischen Reiches. Johannes Tzimiskes konnte dann ins nördliche Palästina vordringen und nahm Tiberias, Nazareth, Kaisareia in Galiläa und die Hafenstadt Akkon ein. Jerusalem lag in Reichweite der Byzantiner. Der Kaiser zog es jedoch einstweilen vor, die im Rücken seiner Truppen liegenden, noch nicht bezwungenen Plätze in seine Hand zu bringen. So eroberten die Byzantiner auch die Festungen Beirut und Sidon, bevor der Kaiser zur Rückkehr in seine Hauptstadt aufbrach. In wenigen Monaten hatte er den Arabern ein Gebiet wieder entrissen, wie es die Byzantinischen Waffen in dieser Größe seit dem Beginn des Kampfes mit dem Islam nicht hatten zurückgewinnen können. Trotzdem scheint es auf dem Rückweg nach Konstantinopel zu Unstimmigkeiten zwischen Johannes Tzimiskes und dem Proedros Basileios gekommen zu sein, der daraufhin einen Anschlag auf den Kaiser vorbereitete. Ob der Kaiser in seinem Auftrag vergiftet worden war oder tatsächlich an Typhus litt, als er nach kurzer Krankheit in Konstantinopel verschied, wird offenbleiben müssen. Sicher ist dagegen, daß er zu den Byzantinischen Herrschern gehörte, welche die größten äußeren Erfolge für das Reich errangen. Als Johannes Tzimiskes 976 starb, brauchte für die Söhne Romanos’ II. kein neuer kaiserlicher Vormund eingesetzt zu werden, denn die beiden Prinzen hatten inzwischen ein Alter erreicht, das sie durchaus regierungsfähig machte. Trotzdem leitete zunächst auch weiterhin der Proedros Basileios, ihr Großonkel, für sie die Regierungsgeschäfte. Das war sicherlich kein Nachteil, denn sowohl Basileios II. wie auch Konstantin VIII. waren lebensfrohe Genießernaturen, die sich aus Politik nicht sonderlich viel machten. Erst die Krisenjahre seiner beginnenden Regierungszeit wandelten wenigstens Basileios zu jenem Herrscher, dessen Erscheinung im zeitgenössischen Codex graecus 17 der Marciana in Venedig so eindrucksvoll festgehalten ist: voller Selbstbewußtsein, aber unnahbar, ja abweisend steht der Kaiser hier in voller Rüstung über seinen Feinden, umgeben von schwebenden Engeln und Ikonen. Die beherrschenden Werte im Leben dieses Byzantinischen Kaisers scheinen damit vom Künstler in der Miniatur erfaßt: Krieg und Religion. Für alles andere hatte der Basileus, der nach einem in seiner Regierungszeit geschaffenen Mosaik über der
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Eingangspforte zum Narthex der Hagia Sophia in Konstantin und Justinian seine Vorbilder sah, wenig Sinn. Über sein vollkommenes Desinteresse am geistigen Leben der Zeit beklagte sich die byzantinische Intelligenz der Jahrtausendwende sogar wiederholt. Was für die Persönlichkeit Basileios’ II. und seine staatsmännische Entwicklung entscheidend wurde, war der Kampf mit den Usurpatoren, die nach dem Beispiel eines Nikephoros Phokas oder des Johannes Tzimiskes die Herrschaft im Byzantinischen Reich an sich bringen wollten. Der reiche und aus vornehmer Familie stammende Bardas Skieros wagte als erster den Griff nach dem Kaiserdiadem. Als Schwager des verstorbenen Johannes I. war er Domestikos des Ostens und konnte sich im Sommer 976 von seinen Truppen zum Kaiser ausrufen lassen. Die ihm vom Parakoimomenos Basileios entgegengesandten Heerführer schlug er, eroberte Attaleia, Abydos und zuletzt Nikaia und stieß 978 auf Konstantinopel vor. Die Lage war so kritisch, daß Basileios jenen Bardas Phokas zu Hilfe holen mußte, der schon unter Johannes Tzimiskes nach einem Staatsstreich niemand anders als Bardas Skieros unterlag, zum Mönch geschoren und auf die Insel Chios verbannt wurde. Bardas Phokas begab sich unverzüglich nach Kaisareia, der Hochburg der Anhänger seiner Familie, und griff von dort aus Bardas Skieros an, der inzwischen über Gefolgsleute wie Konstantin Gabras auch zum Emir von Mossul in Verbindung getreten war. Skieros zog von Konstantinopel ab und stellte sich im Innern Kleinasiens seinem neuen Gegner. Zwar verliefen die ersten Gefechte für ihn siegreich, aber 979 konnte Bardas Phokas den Rebellen bei Amorion und Basilika Therma schlagen, wobei ein georgisches Kontingent unter dem General und Athos-Mönch Johannes Tornikes die Entscheidung zugunsten des Phokas erzwang. Bardas Skieros blieb nur die Flucht an den Hof der Kalifen. Der zweite bedeutende Vorgang während der Regierung Basileios’ II. war der Sturz des Parakoimomenos Basileios im Jahre 985. Der junge Kaiser hatte im Laufe der Jahre gegen seinen Großonkel einen unversöhnlichen Haß entwickelt, der wohl dem Gefühl der Zurücksetzung entsprang, das in ihm die so gut wie uneingeschränkte Tätigkeit des Parakoimomenos bei der politischen Leitung des Reiches verursacht hatte. Als Basileios in Vorahnung des Verlustes der kaiserlichen Gunst ein Komplott mit führenden Offizieren plante, kam ihm der Kaiser zuvor, setzte ihn ab und beschlagnahmte sein riesiges Vermögen. Basileios wurde verbannt und ist aus dem Exil nicht mehr zurückgekehrt. Wie endgültig der Kaiser im übrigen mit ihm gebrochen hatte, geht nicht nur daraus hervor, daß Basileios II. das von seinem Großonkel gegründete Basileios-Kloster in Konstantinopel buchstäblich ruinierte, sondern auch aus der Tatsache, daß er alle von Basileios erlassenen Gesetze für ungültig erklärte, die er nicht nachträglich durch einen Sichtvermerk bestätigte. Der Übernahme der gesamten Macht im Staat durch Basileios II. folgte dessen erste selbständige militärische Unternehmung. Auf dem Balkan, wo Johannes Tzimiskes Bulgarien für das byzantinische Reich wiedergewonnen hatte, war es
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zu einem neuerlichen Aufstand gekommen, an dessen Spitze die Söhne des Makedonischen Provinzstatthalters, des Kornes Nikolaos, standen. Diese vier »Kometopouloi« führten mit erstaunlichem Erfolg einen Befreiungskampf gegen Byzanz, das in kurzer Zeit die Herrschaft über einen wesentlichen Teil der Balkanhalbinsel verlor. Der in Konstantinopel festgehaltene frühere BulgarenZar Boris versuchte darauf, zusammen mit seinem Bruder Romanos zu den Aufständischen zu entfliehen. Als beide in das von den Rebellen kontrollierte Gebiet überwechseln wollten, kam Boris jedoch ums Leben, und der von den Byzantinern entmannte Romanos konnte keine Ansprüche auf die Zarenkrone erheben. So ging die Führung der Insurgenten an Samuel, den jüngsten der Kometopouloi, nachdem zwei seiner Brüder gefallen waren und er den überlebenden später ermordete. Nach Angriffen auf Serrhes und Thessalonike hatte Samuel zum Jahreswechsel 986 Larissa in Thessalien erobert. Kaiser Basileios drang im Gegenangriff durch das Tal der Maritza und die Trajanspforte auf Serdica vor, um »die Feinde mit einen Schlag niederzuwerfen« (Leon Diakonos, 171, 3). Serdica konnte jedoch nicht genommen werden, und nach zwanzigtägiger Belagerung der Stadt mußte der Basileios mit seinem Heer den Rückzug antreten. Die Rhomäer wurden von den Truppen Samuels verfolgt und überfallen. Samuel hatte nun die Möglichkeit, seine Macht in der erforderlichen Ruhe zu festigen und nach allen Seiten auszubauen. Wenn Basileios II. vorerst keinen neuen Versuch machen konnte, das Reich Samuels zu zerschlagen, so hatte dies seinen Grund darin, daß eine zweite gefährliche innerbyzantinische Revolte die Herrschaft des Kaisers bedrohte. Wieder stand an der Spitze der Bewegung der aus dem Exil zurückgekehrte Bardas Skieros, und wieder sollte Bardas Phokas als Befehlshaber der regierungstreuen Truppen den Aufstand niederschlagen, obwohl er zuvor im Zusammenhang mit der Entmachtung des Parakoimomenos Basileios seine militärischen Funktionen verloren hatte. Auch er wurde deswegen der Sache Basileios’ II. untreu und ließ sich Mitte August 987 im Thema Charsianon zum Kaiser ausrufen. Zu diesem Zeitpunkt stand fest, daß er auf die maßgeblichen Befehlshaber des Heeres rechnen konnte und ihn auch die adeligen Großgrundbesitzerfamilien unterstützten. Mit Bardas Skieros einigte er sich zunächst auf eine Teilung des Reiches, aus der ihm selbst die europäischen Gebiete, Skieros Kleinasien zufallen sollten. Bald konnte er jedoch Bardas Skieros in seine Gewalt bringen und bereitete sich dann auf den entscheidenden Angriff auf die Hauptstadt des Reiches vor. Die Lage Basileios’ II. schien angesichts der Macht des Bardas Phokas und im Hinblick auf den unbezwungenen Samuel im europäischen Reichsteil verzweifelt. In seiner Not bat der Basileos Fürst Vladimir von Kiev um Hilfe, und wirklich schickte ihm dieser eine 6000 Mann starke Eliteeinheit, als im Frühjahr 988 die Auseinandersetzung mit Bardas Phokas ihrem Höhepunkt zutrieb. Diese Hilfe war Basileios sogar das Versprechen wert, dem Kiever Fürsten seine
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Schwester Anna zur Frau zu geben, zumal die Russen das Christentum annehmen wollten. Metropolit Theophylaktos von Sebasteia wurde dementsprechend erster Metropolit Rußlands, während es eines russischen Angriffs auf Cherson und die übrigen Byzantinischen Besitzungen auf der Krim bedurfte, bis die Porphyrogennete zu ihrem Bräutigam nach Rußland aufbrach. Damit waren die Bindungen Rußlands an Byzanz und vor allem die griechische Kirche erneut vertieft, die Osteuropas Geschichte auf Jahrhunderte maßgeblich bestimmen sollten. Mit seinen russischen Hilfstruppen konnte Basileios II. den Kampf mit den Aufständischen aufnehmen, die bei Chrysopolis auf dem asiatischen Ufer des Bosporus Stellung bezogen hatten und am Ostufer der Dardanellen unter Leon Melissenos Abydos belagerten. Gemeinsam mit seinem Bruder Konstantin besiegte Basileios zunächst bei Chrysopolis den Bruder des Phokas. Aber erst vor Abydos kam es zur Entscheidungsschlacht, als der Kaiser, zum Zweikampf herausgefordert, Bardas Phokas mit dem Schwert und der siegverheißenden Nikopoiia-Ikone in der Linken erwartete, der Thronprätendent jedoch plötzlich vom Schlag getroffen vom Pferde sank. Damit war Basileios II. Herr seiner innenpolitischen Gegner, denn auch als Bardas Skieros ein drittes Mal versuchte, doch noch den kaiserlichen Purpur zu erlangen, konnte ihn der Basileus zur Aufgabe seines Vorhabens bringen. Bardas Skieros legte die Zeichen der Kaiserwürde ab, versöhnte sich mit Basileios und zog sich auf seine Ländereien zurück, wo er bald gestorben ist. Basileios II. besaß den politischen Verstand, um zu erkennen, daß mit den Siegen über die Usurpatoren die Ursachen der beiden Bürgerkriege, die das Reich bis in seine Grundfesten erschüttert hatten, nicht beseitigt waren. Entschlossen suchte er deswegen – im Gegensatz zu seinen Vorgängern, aber im Anschluß an die Politik etwa des Kaisers Romanos Lekapenos – einer Gesellschaftsentwicklung Einhalt zu gebieten, welche die adeligen Großgrundbesitzer auf Kosten anderer sozialer Schichten so mächtig machte, daß sie mit Hilfe der von ihnen weitgehend kontrollierten Armee immer wieder der Zentralgewalt gefährlich werden konnten. So trat der Herrscher nachdrücklich für die Erhaltung der Soldaten- und Bauerngüter ein und scheute sich dabei nicht, gegenüber den Magnatenfamilien des Reiches auch zu Praktiken Zuflucht zu nehmen, die, wie im Fall des Eustathios Maleinos, dessen Reichtum dem Kaiser Grund genug zu seiner Festnahme schien, nicht gerade immer dem geltenden Recht entsprachen. Besondere Bedeutung kommt in dieser Hinsicht einer Novelle des Jahres 996 zu, mit welcher der Kaiser die vierzigjährige Verjährungsfrist aufhob, nach der bislang jeder Anspruch auf Rückerstattung widerrechtlich erworbenen Landbesitzes erloschen war. Der Kaiser ordnete an, daß alle Erwerbungen der Oberschicht aus der Hand der Armen rückgängig zu machen waren, soweit sie in der Zeit seit Romanos Lekapenos getätigt worden waren. Noch weiter ging jedoch seine Erklärung, daß gegenüber dem Staatsfiskus eine Verjährung
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überhaupt nicht eintreten könne. Zur Sanierung der Staatsfinanzen trug neben solchen Maßnahmen vor allem die Beschränkung der öffentlichen Ausgaben bei, durch die Basileios im Staatsschatz die erstaunliche Summe von 200000 Talenten ansammeln konnte. Auch die Vereinfachung der Verwaltung, um die sich der Kaiser persönlich kümmerte, trug zur Stärkung der zentralen Staatsgewalt und ihres Ansehens bei, gerade weil sie nicht im Sinne der bisher das politische Leben beherrschenden Oberschicht durchgeführt wurde. In den Rahmen des politischen Kampfes Basileios’ II. gegen die Magnaten des Reiches gehört auch seine Neuregelung der Erhebung des Allelengyons. Nach dem Willen des Kaisers mußten jetzt in erster Linie die Großgrundbesitzer für die ausstehenden Steuerzahlungen aufkommen, die bisher auf die Dorfgemeinden insgesamt umgelegt wurden. Diese Praxis sicherte der staatlichen Finanzverwaltung zwar regelmäßige Steuereingänge, forderte auf der anderen Seite aber den Widerstand des Großgrundbesitzes heraus, der sogar bei Patriarch Sergios II. Unterstützung fand. Der Basileus ließ sich in seiner Politik jedoch nicht beirren; er legte die umstrittene Neuregelung Patriarch Theophilos von Alexandria zur Begutachtung vor, der im Sinne des Kaisers entschied und dafür den Ehrentitel eines Richters der Ökumene erhielt. Auch der Ausweitung des kirchlichen Grundbesitzes auf Kosten der Bauern ist Basileios II. entgegengetreten. Kleinstklöster in Landgemeinden unterstellte er daher der fiskalischen Zuständigkeit der jeweiligen Dörfer und nicht den für den geistlichen Bereich verantwortlichen Bischöfen. Aber auch größeren Konventen mit mehr als sieben Mönchen wurde die Übernahme weiteren Grundbesitzes untersagt, was bei dem im übrigen sehr kirchlich orientierten Herrscher überraschen muß. In einem Punkt allerdings mußte er dem Mönch turn nachgeben: Das von Nikephoros Phokas ausgesprochene Verbot von Klosterneugründungen hat er in aller Form zurückgenommen – vielleicht unter dem Einfluß von Männern wie Photios von Thessalonike, der den Kaiser auf seinen Feldzügen gegen die Bulgaren begleitete und in Thessalonike mehrere Klöster gegründet hat. Auch als Ende Oktober 986 bei einem Erdbeben die Westapsis der Hagia Sophia einstürzte und das Gotteshaus schwer beschädigt wurde, zeigte sich die kirchliche Gesinnung des Kaisers. Umgehend beauftragte er den Baumeister Tiridates, der sich bereits beim Bau der Kathedrale von Ani in Armenien bewährt hatte, mit den erforderlichen Wiederherstellungsarbeiten und wandte erhebliche Summen auf, bis die Hagia Sophia nach sechsjähriger Bautätigkeit 994 wieder geweiht werden konnte. Nicht nur seine innenpolitische Aktivität hielt Kaiser Basileios vorläufig von der Wiederaufnahme der Kämpfe gegen die Makedonen Samuels ab, auch das fatimidische Kalifat glaubte den Augenblick gekommen, die an Johannes Tzimiskes verlorenen Gebiete in Syrien wiederzugewinnen. 994 siegten die Araber über den Byzantinischen Kommandanten von Antiocheia am Orontes und bedrohten die Städte Antiocheia und Aleppo. Darauf erschien Basileios II. selbst an der Ostgrenze, siegte vor Aleppo und konnte Raphanea und Emesa
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besetzen. Aber schon nach wenigen Jahren mußte der Kaiser wieder persönlich in Syrien eingreifen, um den Dux von Antiocheia bei der Abwehr der erneut vorgedrungenen Scharen der Fatimiden zu entlasten. Basileios II. erreichte zwar dieses Ziel, konnte aber nicht tiefer ins mohammedanische Gebiet vordringen und auch das stark befestigte Tripolis nicht bezwingen. So kam es 1001 zu einem Vertrag mit Kalif Hakim, der beide Seiten auf 10 Jahre zum Frieden verpflichtete. Erst die Zerstörung der Auferstehungskirche zu Jerusalem und weiterer Kirchen im Heiligen Land bedeutete im Jahre 1009 einen Umschwung im bis zu diesem Zeitpunkt freundschaftlichen Verhältnis zwischen Christen und Mohammedanern. Der Basileus ließ sich freilich bis 1015 Zeit, ehe er als Gegenmaßnahme den Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen zu den Arabern anordnete. Auch zu bewaffneten Auseinandersetzungen an der Byzantinischen Ostgrenze kam es noch unter Basileios II. Die Streitkräfte des Reiches konnten hierbei nur mit Mühe und nicht überall die Grenzen halten, die auf Johannes Tzimiskes zurückgingen. Nachdem das Reich im Innern wieder zur Ruhe gefunden hatte und ebenso die Ostgrenze gesichert war, konnte Basileios II. 1001 wieder den Kampf gegen das makedonische Reich aufnehmen, der ihm zur Lebensaufgabe wurde. Die Expansion des Reiches Zar Samuels war inzwischen aber auch zur wirklichen Gefahr für Byzanz geworden. 997 war Samuel durch Mittelgriechenland bis zur Peloponnes gezogen, und wenn er auch auf dem Rückmarsch bei einem Überraschungsangriff der Byzantiner unter Nikephoros Uranos eine Schlappe hinnehmen mußte und selbst verwundet wurde, so konnte dies das Wachsen seines Reiches keineswegs aufhalten. Samuel nahm das strategisch wichtige Dyrrhachion ein und konnte auch Raszien und Diokleia besetzen, dessen Fürst Vladimir schon 991 ein Abwehrbündnis mit Byzanz gegen den Makedonenherrscher eingegangen war. Als Basileios wieder persönlich die Leitung der Operationen gegen Samuel übernommen hatte, marschierte der Basileus wie vor Jahren ins Gebiet von Serdika ein, das er offensichtlich als wichtigstes Bindeglied im Reich Samuels zu dessen Gebieten zwischen Donau und Balkangebirge betrachtete. Dieses Mal konnte Serdika zusammen mit den umgebenden Festungen und dem Zugang zum Morava-Tal gewonnen werden. Als nächste Ziele wurden Pliska, Groß- und Klein-Preslav in Altbulgarien von Byzantinischen Feldherren besetzt, während der Kaiser selbst gegen das eigentliche Makedonien vorstieß. Durch die Eroberung von Berroia und Servia brachte er anschließend mit dem Tal des Aliakmon die Verbindung zwischen Thessalien und Makedonien unter seine Kontrolle. Im Norden folgte 1004 die Eroberung von Vidin an der Donau, womit Samuels östlicher Herrschaftsbereich endgültig von seiner Machtbasis in Makedonien abgeschnitten war. Daran änderte auch nichts, daß Samuel in der Zwischenzeit bis nach Adrianopel vorgedrungen war und die Stadt erstürmt und geplündert hatte. Basileios zog in Eilmärschen nach Süden und konnte Samuels Heer am Wardar bei Skopje stellen und überwinden. Skopje wurde
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daraufhin von Romanos, dem Bruder des letzten Bulgaren- Zaren Boris, an den Kaiser übergeben, der ihn zum Patrikios und Strategen von Abydos machte; zweifellos hat der Basileus mit dieser klugen Maßnahme die bulgarischen Anhänger Samuels in ihrer Haltung gegenüber dem Herrn Makedoniens nicht bestärkt. Der Sieg von Skopje schloß den ersten Abschnitt im Krieg Basileios’ II. mit Fürst Samuel ab. Trotz aller Kühnheit des Makedonenherrschers und seines Heerführers Nikulica war es dem Basileus gelungen, in vierjährigem, ununterbrochenem Kampf Samuel ins westliche Makedonien zurückzudrängen. Bevor die rhomäischen Streitkräfte nun zum Entscheidungskampf antraten, führte Basileios sein Heer nach Konstantinopel zurück, wo er den Winter 1004 auf 1005 verbrachte. Das Jahr 1005 brachte mit dem Abfall Dyrrhachions von Samuel einen ersten richtigen Erfolg im Endkampf mit Samuel. Aber obwohl dessen Reich nun mehr und mehr Zersetzungserscheinungen zeigte, konnte sich Samuel im unwegsamen Makedonien noch jahrelang behaupten. Erst Ende Juli 1014 fiel bei Kämpfen im Quellgebiet der Struma im Belasica- Gebirge die Entscheidung. Samuels Heer wurde eingeschlossen und mußte sich nach schweren Verlusten in byzantinische Gefangenschaft begeben. In einem Exzeß von Grausamkeit ließ der Rhomäerkaiser daraufhin Tausende seiner Gefangenen blenden und schickte sie, angeführt von Einäugigen, in Gruppen von hundert Mann zu Zar Samuel, der nach Prilep entkommen war. Samuel starb am 6. Oktober 1014, zwei Tage nach der Ankunft seiner Getreuen, deren Anblick ihn hatte ohnmächtig zu Boden sinken lassen. Die Tage seines Reiches waren mit dem Tod Zar Samuels, der in der Achilleios-Basilika der gleichnamigen Insel im Kleinen Prespa-See beigesetzt wurde, gezählt. Sein Sohn Gabriel Radomir fiel einem Anschlag seines Vetters zum Opfer, der die Herrschaft übernahm. Auch Johannes Vladislav vermochte jedoch auf die Dauer das Vordringen der Byzantiner in sein Restgebiet nicht aufzuhalten, zumal auf griechischer Seite auch Russen und Soldaten Stephans des Heiligen von Ungarn kämpften. Als er bei einem Unternehmen gegen Dyrrhachion im Februar 1018 gefallen war, konnte Basileios ohne besondere Anstrengungen in Ochrid und seiner Zarenburg Einzug halten. Nach der Wiedergewinnung Kastorias und letzten Kämpfen an den Thermopylen und in Mittelgriechenland hatte der Kaiser den gesamten südlichen Balkan wieder unter das byzantinische Zepter gezwungen. Der Größe seines Erfolges nach dreißig Jahren Krieg war sich der Herrscher durchaus bewußt. In Athen und noch einmal in Konstantinopel hat er seinen Sieg gefeiert und ihn auch künstlerisch verewigen lassen, zeigt doch ein Seidentuch im Bamberger Domschatz, das Bischof Günther eine Generation später vom Goldenen Hörn in den Westen brachte, die huldigenden Städte Konstantinopel und Athen mit dem triumphierenden Kaiser.
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Das eroberte Reich Samuels wurde nach Abschluß der Kriegshandlungen der Byzantinischen Verwaltung unterstellt. Um seinen neuen Untertanen entgegenzukommen und um den wirtschaftlichen Verhältnissen des Landes Rechnung zu tragen, ließ Basileios II. die Steuern in diesem Bereich in Naturalien und nicht in Geld erheben. Im übrigen wurden die wiedergewonnenen Gebiete neu eingeteilt. Makedonien im engeren Sinn bildete mit dem Hauptort Skopje das Thema Bulgarien, das unter dem Patrikios David Areianites als Strateg den Rang eines Katepanats, später den eines Dukats erhielt. Die gleiche Entwicklung machte das Thema Paradounavon oder Paristrion am Südufer des DonauUnterlaufes durch, dessen Verwaltungsmittelpunkt Silistria wurde. Sirmium bestimmte der Kaiser zum Verwaltungssitz für die Gebiete westlich des Eisernen Tores an Donau und Save, während an der adriatischen Küste das Thema Dalmatien wiedererstand. Nur im Landesinneren behielten Kroatien, Bosnien, Diokleia, Zachlumien und Rascien eine gewisse Selbständigkeit und wurden unter einheimischen Fürsten Vasallenländer des Rhomäerreiches; allerdings scheinen zeitweilig Pläne bestanden zu haben, auch hier die Themenorganisation einzuführen. Mit der Einverleibung des Bulgarenreiches in den Byzantinischen Staat mußte auch die Frage der Eingliederung des bulgarischen Patriarchats in die griechische Kirche geregelt werden. Basileios hat hierüber nicht weniger als drei Chrysobullen erlassen. Er degradierte den Patriarchen von Ochrid zwar zum Erzbischof, verfügte aber andererseits, daß dessen Erzbistum für die Zukunft autokephal sein sollte. Zu seinem Sprengel wurden nicht nur die Bistümer geschlagen, die bisher zur bulgarischen Kirche gehört hatten, sondern auch Diözesen, die wie Berroia Thessalonike oder den Metropoliten von Larissa und Dyrrhachion unterstellt waren. Viel bedeutsamer aber war, daß der Kaiser sich das Ernennungsrecht für den Erzbischof von Ochrid vorbehielt. Damit umging er den Patriarchen von Konstantinopel, hatte aber ein Instrument gewonnen, mit welchem er auf das kirchliche und politische Leben bei den Südslawen beträchtlichen Einfluß nehmen konnte. Fast während seiner ganzen Regierungszeit ist Kaiser Basileios gegenüber dem westlichen Kaisertum nur mit größter Zurückhaltung aufgetreten, denn stets war auf die Belastung des Reiches durch den Kampf auf dem Balkan Rücksicht zu nehmen. Die universalistischen Ansprüche Ottos III. hat der Basileus deswegen hingenommen, vielleicht um so bereitwilliger, als gleichzeitig der griechische Einfluß in Italien ständig zunahm. Der Makedonenkaiser ging schließlich sogar so weit, einer Hochzeit der purpurgeborenen Tochter seines Bruders Konstantin mit Otto III. zuzustimmen. Nur der Tod Ottos ließ es nicht zu diesem noch immer unerhörten Ereignis kommen, denn Bischof Arnulf von Mailand hatte als Gesandter seines Herrn die byzantinische Kaisertochter bereits nach Bari geleitet. Mit Heinrich II. hatte es die byzantinische Außenpolitik anfänglich einfacher. Der letzte Ottonenkaiser verzichtete auf die Weltherrschaftsansprüche seines Vorgängers und mußte auch nicht auf einer Eheverbindung der beiden
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Herrscherhäuser bestehen, da er selbst verheiratet und kinderlos war. So ergab sich gleich nach der Krönung Heinrichs bei politischen Gesprächen in Frankfurt eine weitgehende Übereinstimmung der Standpunkte beider Seiten, wie sie Byzanz in den entscheidenden Jahren des Ringens um den Sieg über Samuel nur willkommen sein konnte.
Abb. 16: Das Reich der Makedonenkaiser
Erst später verschlechterte sich das politische Klima zwischen Konstantinopel und dem deutschen Kaiser. Heinrich II. wandte seine Aufmerksamkeit stärker Italien zu und fand mit Ismael von Bari einen entschieden antibyzantinischen Parteigänger, der 1017 zum erstenmal normannische Ritter gegen die Rhomäer einsetzte, die man bisher in Süditalien nur als Pilger auf dem Weg zum Monte Gargano angetroffen hatte. Die Zusammenfassung der griechischen Territorien in Italien zu einem eigenen Katepanat sowie militärische Erfolge des Basileios Bojohannes wie die Unterwerfung Capuas machten die byzantinische Position hier jedoch so stark, daß der Kaiser selbst 1025 von diesem Teil seines Reiches aus zu einem großangelegten Unternehmen gegen die sizilianischen Sarazenen aufbrechen wollte. Den Feldzug gegen Sizilien hat Basileios II. nicht mehr ausgeführt, denn am 15. Dezember 1025 ist er gestorben. Auch ohne die Verwirklichung dieses letzten großen militärischen Vorhabens ist er zu jenem Herrscher und Politiker geworden, der nach Nikephoros Phokas und Johannes Tzimiskes das mittelbyzantinische Reich auf den Gipfel seiner Machtentfaltung führte. Die Balkanhalbinsel war bei seinem Tod fest in byzantinischer Hand, Kleinasien vor
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Angriffen der Mohammedaner sicher, zumal der Kaiser in den letzten Jahren seiner Regierung auch noch in die im Königreich Armenien ausgebrochenen Wirren hatte eingreifen und seinem Reich territoriale Gewinne im Gebiet von Kars und in Vaspurkan sichern können. Gleichzeitig waren die innenpolitischen Verhältnisse im Byzantinischen Staat stabil, die öffentlichen Finanzen geordnet. So verlor die Großmacht Byzanz mit Basileios II. einen Herrscher, der als Staatsmann ebenso überzeugend regiert hat, wie er als Mensch eine eigenartige Erscheinung in der Reihe der Rhomäerkaiser geblieben ist. 5. Das Zeitalter der Komnenen I. Von den Makedonenkaisern zu den Komnenen Für die Zeitgenossen brachte der Tod Kaiser Basileios’ II. zunächst keinen spürbaren Einschnitt im Leben des Byzantinischen Reiches. Sein Bruder und Nachfolger Konstantin VIII. sah die Weltmachtstellung der Byzantiner von keiner Seite gefährdet, hielt es allerdings auch nicht für nötig, das von seinem Vorgänger errichtete politische Gebäude weiter auszubauen. Den schon bejahrten Herrscher fesselten viel stärker Festmähler und Spiele im Hippodrom, für die er viel Geld ausgab, wie er auch sonst nicht gerade die verantwortungsvolle Finanzpolitik seines Bruders fortsetzte. Aber mit der Regierung des letzten männlichen Herrschers aus der Makedonendynastie beginnt auch, anfangs unmerklich, aber dann immer klarer erkennbar, der Zerfall der von Kaiser Heraklios grundgelegten und von Basileios II. mit eiserner Energie verteidigten Sozialstruktur und politischen Ordnung des Staates. Zu ihrer allmählichen Aushöhlung und Auflösung treten jetzt die Feudalmächte mit rasch wachsendem Erfolg an. Sie erzwingen sich schließlich ausschlaggebenden Einfluß auf die Gestaltung der Staatsgeschäfte und setzen bei gleichzeitigen gegenseitigen Intrigen nur schwer vorstellbaren Ausmaßes ihre Interessen von oben durch. Der fortschreitende Machtgewinn der großgrundbesitzenden und ämterbeherrschenden Aristokratie hat schließlich das Verschwinden der Bauernund Soldatengüter zur Folge, auf welche die früheren Kaiser Militärpotential und Steuerkraft des Reiches gegründet hatten. Doch dies waren nicht die Sorgen Kaiser Konstantins. Wenn ihn überhaupt ein Problem beschäftigte, so war dies die Regelung der Nachfolge, für die nur seine nicht mehr ganz jungen Töchter Zoe und Theodora in Frage kamen. Trotzdem verheiratete er Zoe erst ganz kurz vor seinem Tod mit Romanos Argyros, dem Eparchen der Hauptstadt Konstantinopel. Damit ergab sich für die Spitze des Reiches eine eigentümliche Situation, auf die eines der beiden Kaisermosaiken in der Frauenempore der Hagia Sophia eindringlich hinweist: Im vollen Ornat der Byzantinischen Herrscher sind hier Kaiserin Zoe und ihr dritter Gatte Konstantin Monomachos abgebildet. Es läßt sich aber unschwer feststellen, daß des Kaisers Antlitz erst nachträglich anstelle des Gesichts Michaels IV. in das Mosaik eingefügt wurde, wo ursprünglich das
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Porträt Romanos’ III. Argyros angenommen werden kann. Daß die Christusfigur zwischen den beiden Herrschergestalten außerdem entgegen der sonstigen Übung den Blick nicht auf den Kaiser, sondern zur Basilissa hin richtet, deutet zusätzlich an, daß als eine der wichtigen Konstanten der Byzantinischen Innenpolitik dieser Jahre die Treue zu den Angehörigen der erlöschenden Makedonendynastie zu betrachten ist; die andere aber war damals ohne Zweifel die überragende Stellung des Beamtenadels. Als Leiter der Gesamtverwaltung der Kaiserstadt Konstantinopel und damit als führender Vertreter des Beamtenadels erhielt Romanos Argyros mit der Hand der fünfzigjährigen Zoë das Diadem des Byzantinischen Kaisers. Der Herrscher war trotz seiner über 60 Jahre noch immer eine angenehme Erscheinung und auch nicht ungebildet. Die Eitelkeit des Basileus scheint allerdings der Umgebung des Kaisers zusammen mit seinen Launen manches Kopfzerbrechen bereitet zu haben. Immerhin gab es aber noch Männer in den höchsten Positionen des Reiches, die wie Georgios Maniakes Fehler ihres kaiserlichen Herrn zu korrigieren imstande waren. Mit der Eroberung von Edessa im Jahre 1032 bescherte er Romanos III. den Ruhm, daß auch unter seiner Regierung das Reich an Ausdehnung zugenommen hatte. Wenn unter Kaiser Romanos noch einmal an die Außenpolitik Basileios’ II. angeknüpft wurde, so verließ man die innenpolitische Grundlinie des großen Makedonenkaisers völlig. Romanos III. befreite die Großgrundbesitzer vom Steuerzuschlag, den sie für nicht besetzte Bauernländereien zu entrichten hatten. Mit dieser Aufhebung der Epibole gab der Kaiser den vermögenden Schichten die Möglichkeit, auf Kosten der Bauern ihren Landbesitz laufend zu vergrößern, während diese zwangsläufig verarmten und Schritt für Schritt in die Abhängigkeit mächtiger Grundherren gerieten. Daß damit auch die Lebensmöglichkeiten der Wehrbauern bedroht und deshalb das militärische Potential und die Steuerkraft des Reiches dem unaufhaltsamen Verfall geweiht waren, kümmerte in einem Staat, dessen Kassen von den Tagen Basileios’ II. her unerschöpflich schienen und dessen Heere von der persischen Grenze bis nach Italien gefürchtet waren, nur wenige Einsichtsvolle. Nicht seine kurzsichtige Innenpolitik, sondern das Verhältnis zu seiner Gattin Zoë wurde Romanos III. zum Verhängnis. Die von ihrem Gemahl vernachlässigte Frau verliebte sich in den jugendlichen Bruder des mächtigen und skrupellosen Eunuchen Johannes Orphanotrophos, einen Bauernburschen aus Paphlagonien. Am 11. April 1034 ließ sie Kaiser Romanos im Bad ermorden, und noch am gleichen Tag bestieg der Liebhaber der Basilissa als Michael IV. den Kaiserthron. Das Schicksal Romanos’ III. war dem neuen Kaiser eine Lehre. Auch er wandte sich nach seiner Thronbesteigung von seiner Geliebten ab, versäumte es jedoch nicht, sie unter die Kuratel seines Bruders Johannes zu stellen. Bei diesem liefen nun auch alle Fäden der Reichsverwaltung zusammen, was der politisch recht geschickte Eunuch jedoch dazu ausnützte, sich schamlos zu bereichern. Die von
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ihm durchgeführten Steuererhöhungen, die auch vor diesem Hintergrund gesehen werden müssen, trafen hauptsächlich den Militäradel, so daß es überraschen wird, daß sein kaiserlicher Schützling gerade als mutiger Feldherr Geschichte gemacht hat. Gelegenheit dazu bot ihm neben Kämpfen an der östlichen Adriaküste in erster Linie ein Aufstand, der die slawischen Gebiete auf dem Balkan von Belgrad bis tief nach Nordgriechenland hinein erfaßte. Er war ausgebrochen, als Johannes Orphanotrophos die byzantinische Steuerhoheit auch über das erst von Basileios II. eroberte Gebiet ausdehnte und in Ochrid, das nach wie vor als geistiges Zentrum der Balkanslawen gelten durfte, ein Grieche zum Erzbischof gemacht wurde. Nachdem die Aufständischen um Peter Odelian, einen angeblichen Enkel des Bulgaren-Zaren Samuel, den Kaiser selbst in der Umgebung von Thessalonike in arge Bedrängnis gebracht hatten, zwang Michael IV. sie 1041 in wenigen Wochen nieder. Noch im gleichen Jahr ist der schwer unter Epilepsieanfällen leidende Kaiser gestorben. Überraschenderweise brach Michael V., der Neffe seines Vorgängers und Adoptivsohn der Kaiserin Zoe, zunächst die Macht des Johannes Orphanotrophos und schickte den Oheim zusammen mit anderen Verwandten in die Verbannung. Daß er in Konstantinopel umjubelt wurde, als er die Senatoren und Beamten der Hauptstadt mit bisher beispielloser Freigebigkeit beschenkte und Gegner seines entmachteten Onkels wie Georgios Maniakes oder Konstantin Dalassenos aus dem Gefängnis befreite, kann man sich denken. Offensichtlich überschätzte Kaiser Michael aber seine Popularität, als er nach fünfmonatiger Regierungszeit an Ostern 1042 seine Adoptivmutter Zoe ihrer Würden beraubte und sie als Nonne ins Metamorphosis- Kloster auf den Prinzeninseln schickte. Das Volk von Konstantinopel nahm diese Entwicklung nicht hin, sondern bewaffnete sich und holte die Schwester Zoes, Theodora, aus ihrer einsamen Villa in Petria und den Patriarchen Alexios Studites aus der Hagia Sophia, um sich von ihnen zum Sturm auf den Kaiserpalast führen zu lassen. Als Michael V. bei der Aussichtslosigkeit seiner Lage ins Studios-Kloster floh, wurde er dort ergriffen und kurz darauf geblendet. Gemeinsam übernahmen nun Zoe und Theodora, hinter der besonders kirchliche Kreise standen, die Herrschaft. Bei der gegenseitigen Abneigung der Schwestern erwies sich aber ein auch nur halbwegs vernünftiges Regieren der beiden schon nach wenigen Wochen als unmöglich. Am 11. Juni 1042 heiratete darauf Zoe ein drittes Mal und gab ihre Hand dem Senator Konstantin Monomachos, während Theodora ins Privatleben zurückkehrte. Für 13 Jahre war nun an der Seite Zoes Konstantin IX. Monomachos Kaiser, ein wenig bedeutender Herrscher und eigentlich mehr Exponent der maßgeblichen Beamtenpartei. Die Freuden des Lebens waren ihm, Zoe und Theodora viel wichtiger als Herrscherpflichten und Regierungsaufgaben. Zusammen vergeudeten sie den Staatsschatz, und Zoe nahm es sogar hin, daß ihr Gatte ganz
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offen ein Verhältnis zur Nichte seiner zweiten Frau, der hübschen und intelligenten Sklerina, unterhielt. Mit dem Titel einer Sebaste fand sie Eingang ins höfische Protokoll und bekam nach ihrem frühen Tod eine schöne Alanenprinzessin zur Nachfolgerin. Das leichte Leben der Hauptstadt mit seinem kulturellen Glanz, aber auch mit seinem abwechslungsreichen Alltag, dem der Kaiser durch seine Vorliebe für Spiele und Tierschauen eine besondere Note geben zu müssen glaubte, übte nach wie vor große Anziehungskraft aus. Aus allen Provinzen strömten damals in der Hauptstadt die größten Begabungen des Reiches zusammen und sorgten für ein Wiederaufleben der geistigen Kultur, zumal sie in enger Verbindung mit der führenden Schicht der Beamten und Hofmänner standen. So konnten sie auch zu den höchsten Würden aufsteigen, welche das Reich im zivilen Bereich zu vergeben hatte. Die beherrschende Figur im Geistesleben dieser Zeit ist Michael Psellos, dessen Rolle in der politischen Entwicklung des damaligen Byzanz jedoch gleichfalls kaum überbewertet werden kann. Aus einer Familie der Mittelschicht Konstantinopels stammend, führte der 1018 geborene Psellos nach glänzenden Studien und einer vorübergehenden Tätigkeit als Verwaltungsbeamter in der Provinz zusammen mit Freunden wie Johannes Xiphilinos, Johannes Mauropus und Konstantin Leichudes die byzantinische Wissenschaft mindestens zu der Höhe zurück, auf der sie sich vor der ganz auf das militärische ausgerichteten Epoche Basileios’ II. befand. Gerade das Darniederliegen des Geisteslebens scheint für Psellos ein Anreiz gewesen zu sein, hier wieder an vergangene Glanzzeiten anzuknüpfen, erkannte er doch die gleichzeitige Überlegenheit der arabischen Wissenschaft in voller Nüchternheit. So wird es auch zu erklären sein, daß Psellos sich selbst um ein erstaunlich umfassendes Wissen bemühte, das in seinen zahlreichen Briefen, seinem Geschichtswerk – der »Chronographie« –, Traktaten, Scholien, Kommentaren, wissenschaftlichen oder philosophischen Abhandlungen, Epigrammen, Satiren und in Schriften anderen Charakters aufleuchtet, deren Zahl durch Neuentdeckungen noch immer anwächst. Ob Metaphysik oder Theologie, Physik und Mathematik, ob Astronomie, Musik, Medizin, Topographie, ob Politik, Recht, Strategie, Grammatik und Rhetorik – es gab kein Wissensgebiet, in dem Psellos sich nicht als Koryphäe betrachten konnte und nicht anstand, dies auch tatsächlich zu tun: so gescheit und gebildet der von Amts wegen erste Philosoph des Reiches, gefeierte Hochschullehrer, Prinzenerzieher und maßgebliche Minister war, so sehr zeichnete er sich auch als selbstgefälliger Besserwisser und Intrigant von bisweilen mehr als zweifelhaftem Charakter aus. Mit dem Namen des Psellos verbunden ist auch die Wiederbelebung des Hochschulwesens von Konstantinopel, wo 1045 Lehranstalten für Rechtswissenschaft und Philosophie gegründet wurden. Das philosophische Studium wurde dabei in einer Form geordnet, die auch für das sich erst 100 Jahre später in Westeuropa entwickelnde Universitätswesen Vorbild sein sollte, ist
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doch die Einteilung der Studien in das Trivium mit Grammatik, Rhetorik und Dialektik als der Vorbereitungsstufe und das Quadrivium als oberer Stufe mit Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie bei der Ausgestaltung des Schulsystems der Scholastik übernommen worden. Wenn sich die herrschenden Kreise in Byzanz mit der Errichtung der beiden Hochschulen auch ohne Frage Einrichtungen schufen, mit Hilfe derer sie ihre gesellschaftliche Vorzugsstellung für die Zukunft noch leichter verteidigen konnten, so muß doch festgehalten werden, daß Byzanz mit den beiden Hochschulen seinen Anspruch, das geistige Führungszentrum der Welt zu sein, für lange Zeit untermauerte. Unter Kaiser Konstantin IX. ließen sich auch gewisse kriegerische Erfolge erringen. Zwar vermochten die Byzantinischen Heere nicht, die vom Nordufer der Donau wiederholt ins Reichsgebiet einfallenden Petschenegen in Schach zu halten, und mußten nach mehreren Niederlagen schon vor 1048 zur Notlösung der Ansiedlung der Eindringlinge südlich des Grenzflusses Zuflucht nehmen, aber dafür glückte recht eindrucksvoll die Abwehr eines russischen Flottenunternehmens gegen die Hauptstadt selbst. Im Osten des Reiches gelang es dann, die Grenzen sogar noch über den unter Basileios II. erreichten Stand vorzuschieben und nach 1045 das Reich von Ani dem Byzantinischen Staatsgebiet einzuverleiben. Ähnlich günstig verlief die Entwicklung im äußersten Westen, wo der geniale Georgios Maniakes von Unteritalien aus den Arabern die Herrschaft über Sizilien streitig machen konnte. Mit seinem Heer, in welchem die normannische Garde die traditionsreichen Byzantinischen Regimenter an Bedeutung weit übertraf, setzte er auf die Insel über und eroberte mit den Städten Messina und Syrakus deren wirtschaftlich wichtige Osthälfte. Doch während des weiteren Vormarsches seiner Truppen wurde Maniakes vom Kaiser des Kommandos enthoben, nachdem er beim Basileus offensichtlich zu Unrecht verleumdet worden war. Der General brach darauf seine Operationen ab und entschloß sich zum Marsch auf Konstantinopel. Ohne auf ernsthaften Widerstand zu stoßen, zog er von der Adria nach Thessalonike, fiel jedoch bei einer Schlacht gegen das kaiserliche Heer unter dem Sebastophoros Stephan zwei Tagesmärsche vor der Stadt, nachdem er seinen später nach einem mißlungenen Staatsstreich geblendeten Gegner schon so gut wie besiegt hatte. Gefährlicher war 1047 die Revolte des mit dem Kaiser verwandten Leon Tornikes. Obwohl der ehemalige Kommandant der Stadt Melitene von Adrianopel aus – getragen von der Sympathie des Heeres und der Abneigung der Provinzen gegen die Hauptstadt – ganz Thrakien bis auf Rhaidestos in seine Hand bringen konnte und kaisertreue sarazenische Verbände vor den Mauern Konstantinopels ebenso besiegte wie bei Kypsella die vom Basileus zu Hilfe gerufenen Bulgaren, scheiterte er schließlich. Seine Soldaten begannen zu den zahlenmäßig weit überlegenen Truppen des Konstantin Monomachos überzulaufen, die inzwischen vor allem aus dem Osten des Reiches zusammengezogen worden waren.
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In der Einflußnahme auf das kirchliche Leben erreichte Konstantin IX. kaum das Gewicht, mit dem auch nur durchschnittliche byzantinische Kaiser sonst in diesen Bereich hineinzuwirken pflegten. Zwar stiftete der Basileus um 1050 das Georgios-Kloster im Manganenviertel seiner Hauptstadt und stattete es in seiner auch sonst hervortretenden Vorliebe für prachtvolle Bauten reich mit Gebäuden und Gartenanlagen aus, es charakterisiert die Regierung des Kaisers jedoch auch in dieser Beziehung, daß die 1048 erfolgte Gründung des Euergetis-Klosters in Konstantinopel die gleichzeitige kaiserliche Stiftung an Bedeutung für die Zukunft weit überragte, sind doch nach der Vorlage seines Typikons die Grundregeln zahlreicher späterer Klostergründungen verfaßt. Michael Kerullarios, der Mann, der das kirchliche Leben für die nächsten 15 Jahre prägte, war ein politischer Freund des Kaisers und mit ihm zusammen in eine Verschwörung gegen Michael IV. verwickelt, ehe er nach deren Scheitern Mönch wurde. Im Schatten seiner starken Persönlichkeit steht das große Ereignis der Regierung Konstantins in seiner ganzen geschichtlichen Tragweite und tiefen Tragik: der endgültige Bruch zwischen westlicher und östlicher Christenheit. Zwar war die Trennung beider Kirchen schon seit Patriarch Sergios II. unausgesprochene Wirklichkeit, das offene Schisma brachte jedoch erst das Jahr 1054. Der neuerliche Konflikt ging von Meinungsverschiedenheiten aus, die sich im Grenzgebiet des kirchlichen Einflußbereiches von Konstantinopel und Rom in Unteritalien ergeben hatten. Die fanatische und kurzsichtige Einstellung der Kontrahenten auf beiden Seiten – in Rom sind als Vertreter der kluniazensischen Bewegung Kardinal Humbert von Silva Candida und Friedrich von Lothringen, in Byzanz in erster Linie Patriarch Michael Kerullarios zu nennen – machte es möglich, daß aus Unstimmigkeiten über theologische Probleme wie die seit langem umstrittenen Fragen des Gebrauchs gesäuerten Brotes im Gottesdienst, der Priesterehe, des Samstagsfastens und des Ausgangs des Heiligen Geistes zu einer ins Grundsätzliche gehenden erbitterten Gegnerschaft führten, die von beiden Seiten in einem für die damalige Zeit erstaunlichen Ausmaß auch publizistisch angeheizt wurde. Die Krise erreichte ihren Höhepunkt, als Kardinal Humbert im Auftrag Papst Leos IX. und auf Ersuchen Kaiser Konstantins nach Konstantinopel reiste, aber trotz aller Bemühungen des Kaisers und des Patriarchen Petros III. von Antiocheia die Gegensätze zu Patriarch Michael nur noch verhärtete. Es kam schließlich so weit, daß die lateinische Gesandtschaft am 16. Juli 1054 eine scharf gefaßte Bannbulle gegen Kerullarios und seine Gesinnungsgenossen vor versammeltem Klerus und Volk auf dem Hauptaltar der Hagia Sophia niederlegte und Konstantinopel verließ. Die Gegenseite blieb nicht untätig: Es gelang Kerullarios, von der Volksstimmung getragen, auch den zögernden Kaiser mitzureißen und zur Billigung einer Exkommunikation der Lateiner zu bewegen. Wenn auch den Zeitgenossen die Wirkung dieser Ereignisse zunächst noch kaum bewußt wurde, so hatten sie trotzdem den auch
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heute noch nicht geschlossenen Riß zwischen der Orthodoxie und der abendländischen Christenheit zur Folge. Der Ausbruch des Schismas war das letzte bedeutende Ereignis, das Kaiser Konstantin IX. Monomachos erlebte. Am 11. Januar 1055 verstarb der Kaiser, nachdem er sich zuletzt durch verschärfte Überwachungsmethoden bei der Steuererhebung noch bei Beamtenschaft und Kirche unbeliebt gemacht hatte. Ihrem Schwager folgte Kaiserin Theodora schon nach 20 Monaten Anfang September 1056 ins Grab. Die letzte Vertreterin der großen Makedonendynastie hatte noch einmal und sogar mit einigem Geschick regiert und entsprach dem Wunsch ihrer Umgebung, als sie auf dem Totenbett als Michael VI. einen schon bejahrten Beamten aus der Heeresverwaltung zum Kaiser bestimmte. Nie scheint in der Byzantinischen Geschichte die zivile Partei mächtiger gewesen zu sein als unter seiner kurzen Regierung. Beförderungen der Beamten jagten sich beinahe, und die Mitglieder des Senats konnten sich vor Ehrungen und Geschenken kaum retten. Aufschluß über die sehr viel weniger günstigen Lebensumstände des Militärs während jener Jahre vermittelt das wohl 1059 verfaßte Testament des Eustathios Boilas. Dieser aus einer bulgarischen, jedoch zuletzt völlig hellenisierten Familie stammende Magnat wurde als kappadokischer Würdenträger Angehöriger des Senats, ließ sich aber in eine Verschwörung verwickeln und wurde deshalb an die von den Seldschuken ständig bedrohte Grenze des Themas Iberien »strafversetzt«. Dort gelang es ihm zwar, in harter Arbeit die ihm zugeteilten elf Ländereien in Kulturland zu verwandeln, allein er konnte diesen Erfolg nur teilweise genießen: Der übergeordnete Grenzbefehlshaber aus dem Adel der Gegend nahm Eustathios Boilas vier der ihm verliehenen Güter wieder ab, um sie in eigene Regie zu nehmen. So konnte Eustathios schließlich nur noch über einen kleinen Teil seiner Güter – und eine Bücherei von immerhin 90 Bänden – verfügen, als er vor seinem Tod sein Vermögen unter seine beiden Töchter, zwei von ihm gestiftete Klöster und fünf freigelassene Sklaven aufteilte. Daß man in Kreisen des Boilas, welche die ganze Last der Grenzverteidigung und der Urbarmachung der Randgebiete des Reiches trugen, unter solchen Umständen danach strebte, stärkeren Einfluß auf die Politik zu erreichen, ist nur zu verständlich. Der Militäradel fand sich mit seiner Lage nicht ab. Einer Abordnung hoher Offiziere, die unter Führung von Katakalon Kekaumenos und Isaak Komnenos ihre Anliegen dem Kaiser vortragen wollte, bereitete der Basileus aber einen mehr als frostigen Empfang. Die vor den Kopf gestoßene Heeresleitung erhob darauf in der Ebene von Gunaria beim paphlagonischen Kastamon Isaak Komnenos zum Kaiser und ordnete den Marsch auf Konstantinopel an. Ein Sieg der Rebellen über kaisertreue Verbände öffnete dem Komnenen den Weg zur Hauptstadt, nachdem Michael VI. noch versucht hatte, den Führer der Aufständischen zur Annahme des Caesartitels und zur Aufgabe seiner Rebellion zu veranlassen. Als sich auch Michael Kerullarios hinter den Thronprätendenten
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stellte und von der Hagia Sophia aus für ihn arbeitete, blieb Michael VI. nur noch die Abdankung und der Eintritt in ein ihm vom Patriarchen angewiesenes Kloster übrig. Der neue Kaiser hatte den Thron zwar als Haupt der Militärpartei errungen, er verfiel jedoch nicht in den Fehler, den Senatoren und hohen Beamten des beseitigten Regimes zu offen seine Abneigung zu zeigen. In ganz kurzer Zeit entlohnte er seine Kampfgenossen und entsandte die mit ihm in die Hauptstadt eingerückten Truppenverbände unerwartet schnell wieder nach ihren Standorten in den Provinzen. Wer im übrigen rechtzeitig vor seiner Machtübernahme mit dem damaligen Usurpator Fühlung aufgenommen hatte, den übernahm der neue Kaiser in seine Dienste, vorausgesetzt er erwies sich als geeignet. So erhielten zum Beispiel Psellos und sein Freund Leichudes auch unter dem Komnenen wieder hohe Ämter. Auf einem Gebiet der Innenpolitik schlug der Kaiser jedoch sehr entschieden neue Wege ein: mit allen Mitteln versuchte er, den fast leeren Staatsschatz wieder zu füllen, und nahm dabei auch Zuflucht zu Zwangsenteignungen. Von ihnen blieb auch kirchlicher Besitz nicht verschont, auch wenn der Basileus gleich nach seiner Thronbesteigung die selbständige Finanzverwaltung der Hagia Sophia in einer Urkunde zugelassen hatte. Michael Kerullarios war indes nicht gesonnen, dem Kaiser, dem er zur Krone verholfen hatte, hinsichtlich des Kirchenbesitzes, aber auch nicht in anderer Beziehung irgendwie nachzugeben. Er vertrat ja die Auffassung, die kirchliche Macht stehe über der weltlichen, wie sein vor kurzem aufgefundenes Patriarchenkreuz augenfällig beweist. Auf diesem Kleinod wird nämlich neben dem Wunder des Erzengels Michael in Chonai und der Begegnung des Josuah mit dem Engel vor der Einnahme Jerichos Papst Silvester dargestellt, der dem ehrfürchtig vor ihm knienden Kaiser Konstantin die Ikonen der Apostelfürsten Petrus und Paulus präsentiert: unter Berufung auf das Vorbild eines römischen Papstes hat der bedeutendste Patriarch des neuen Rom im 11. Jahrhundert seine Vorstellungen über den kirchlichen Primat vor dem Staat in ein Bild fassen lassen! Und wenn er schon nicht daran dachte, sich dem Bischof von Rom unterzuordnen, wieviel weniger konnte dann von ihm erwartet werden, daß er bereit war, den Byzantinischen Kaiser als maßgeblichen Mann des Reiches anzuerkennen. Kerullarios scheint freilich das Stehvermögen des ersten Komnenen auf dem Kaiserthron unterschätzt zu haben. Isaak war von den Absetzungsdrohungen des Kirchenfürsten nicht sonderlich zu beeindrucken. Er ließ ihn im Herbst 1058 von seiner Warägergarde verhaften, als er zum Besuch eines Klosters die Hauptstadt verlassen hatte. Aber auch in der Verbannung auf Imbros war Michael Kerullarios nicht bereit, sein Amt niederzulegen. Bei der ungebrochenen Popularität des Patriarchen in Konstantinopel mußte die Synode, für die Psellos die Anklageschrift gegen seinen ehemaligen Freund schrieb, vermutlich nach Sestos zusammengerufen werden, um Kerullarios ungefährdet absetzen zu können. Der Absetzungsbeschluß wurde jedoch noch während der Synode
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gegenstandslos, denn Michael Kerullarios starb und fand in Konstantin Leichudes einen dem Kaiser ergebeneren Nachfolger. Schon mit der Absetzung des Kerullarios war Kaiser Isaak sehr weit gegangen. Nichts konnte ihm da ungelegener kommen als das plötzliche Ableben des Expatriarchen. Auch wenn der Kaiser eine völlige Beruhigung der Lage an der Ostgrenze des Reiches erreicht hatte, die Ungarn besiegte und 1059 unter schweren Verlusten einen Petschenegeneinfall abwehrte, so nahmen ihm die Erregung der Byzantinischen Volksmassen über das Ende des Michael Kerullarios, die Abneigung der Beamten gegen den »Soldatenkaiser« und dazu die Gegnerschaft der Kirche jeglichen innenpolitischen Spielraum. Krank und in einem Augenblick tiefer Resignation legte der Komnene daher Ende November 1059 die Krone nieder und wurde Mönch im Studios-Kloster, wo er zusammen mit seinem Bruder Johannes, der die Herrschaft ausschlug, schon einen Teil seiner Jugend verbracht hatte. Als Entscheidung von großer Tragweite erwies sich der Entschluß Kaiser Isaaks, noch vor seiner Abdankung Konstantin Dukas zu seinem Nachfolger zu bestimmen. Wenn der Komnene zugleich dem neuen Basileus die Fürsorge für seine Familie besonders ans Herz legte, so war damit eine auch politische Verbindung geschaffen, die als Bündnis zwischen der wichtigsten Familie des hauptstädtischen Beamtenadels und einer der führenden Familien aus den Kreisen der Militärs den Aufstieg der Komnenendynastie vollends ermöglichte. Die Thronbesteigung Alexios’ I. im Jahre 1081 ist ohne die Nachfolgeregelung von 1059 nur schwer vorstellbar. Auch wenn Konstantin Dukas von Isaak Komnenos zum Kaiser berufen worden war, so zögerte er dennoch nicht, dem Beamtenadel wieder zu der beherrschenden Stellung im Reich zu verhelfen, welche dieser vor 1057 eingenommen hatte. Psellos und seine Freunde hatten nun die ganze Macht des Staates in Händen, und auch die kirchlichen Kreise, die hinter Kerullarios gestanden hatten, kamen wieder zu Einfluß, war doch Konstantin X. mit einer Nichte des großen Patriarchen verheiratet. Der Ziviladel der Hauptstadt verfolgte mit Nachdruck das Ziel, seine wiedergewonnene Stellung für alle Zukunft zu sichern. Dies wurde dadurch erreicht, daß der Senatorenstand für weite Kreise der Bürgerschaft Konstantinopels geöffnet wurde, die sich damit in hohem Maß mit der staatstragenden Schicht identifizieren konnten. Weitere innenpolitische Maßnahmen wie die fast zur Regel werdende Steuerverpachtung und die Einführung des Ämterkaufes bis in die Spitze der Finanzverwaltung des Reiches trugen das ihre dazu bei, dem Gebäude der staatlichen Institutionen jegliche innere Festigkeit zu rauben. Da durch die geschilderten Maßnahmen nicht mehr Geld in die staatliche Hand floß, da aber gleichzeitig für die kaiserliche Hofhaltung, die Kirche und die Fürsten benachbarter Völker und Stämme erhebliche Summen ausgegeben wurden, begann man vor allem beim Heer zu sparen. Dies blieb nicht ohne
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Folgen, denn die außenpolitisch günstige Konstellation, in der sich das Reich noch unter den unmittelbaren Nachfolgern Basileios’ II. befunden hatte, war längst einer recht ernsten Lage gewichen. In Unteritalien, wo man die Byzantiner noch vor kurzem in der Offensive gesehen hatte, schmolz das von ihnen regierte Gebiet unter den Angriffen Robert Guiscards immer mehr zusammen. An der Donaugrenze gelang den Ungarn 1064 die Besetzung Belgrads, und am Unterlauf des Stromes setzten Petschenegen und Uzen den Heeren der Rhomäer schwer zu. Es war ein Glück für das Reich, daß die Massen der Uzen nach verheerenden Plünderungszügen bis tief nach Griechenland hinein von einer Seuche dahingerafft wurden und die Reste des Volksstammes in kaiserliche Dienste traten. Am deutlichsten zeigte sich die militärische Schwäche der Regierung Konstantins aber angesichts der in diesen Jahren erstmals voll ins Blickfeld tretenden Türkengefahr an der Ostgrenze des Reiches. Seit der Besetzung des Reiches von Ani durch die Byzantiner war dort hinsichtlich der Machtverhältnisse ein grundlegender Umschwung eingetreten. In unglaublicher Schnelligkeit hatten sich zunächst in Persien und dann im arabischen Mesopotamien aus Innerasien stammende türkische Stämme durchgesetzt, die 1048 zum erstenmal mit einem größeren Aufgebot auch in byzantinisches Gebiet eindrangen. Die furchtbare Plünderung von Theodosiopolis und weitere Züge ins gebirgige Hinterland von Trapezunt zeigten die ganze Gefährlichkeit dieses neuen Gegners. Ständig fielen danach weitere türkische Streifscharen in das Reichsgebiet ein, und die von der Regierung vernachlässigten Streitkräfte waren nur mit äußerster Mühe in der Lage, wenigstens örtliche Verteidigungserfolge zu erringen. Fast scheint es sogar, als sei damals die Abwehr gegen das Vordringen der Turkstämme nach Westen in viel höherem Maße von Georgien und den christlichen Fürsten Iberiens getragen worden. Das kann beispielsweise für die Zeit gelten, als 1057 während des erfolgreichen Aufstandes des Isaak Komnenos starke Heereseinheiten nach Konstantinopel in Marsch gesetzt wurden, was verheerende Plünderungen der Städte Melitene und Sebasteia nach sich zog. Unter Konstantin X. verlegte sich Byzanz dann mehr aufs Verhandeln, ungeachtet der Tatsache, daß der türkische Führer Togrul-Beg 1058 auch in aller Offenheit die Wiederaufnahme des muslimischen Eroberungskrieges gegen christliches Territorium verkündet hatte. Man sah sich auch nicht veranlaßt, die eigenen Verteidigungsanstrengungen zu erhöhen, als der Fürst von Kars bei der trostlosen Lage in seinem Herrschaftsbereich sein Land den Byzantinern übergab. So brachen gegen Ende der Regierungszeit Kaiser Konstantins die türkischen Angriffe in voller Schwere über die Ostprovinzen herein. Statt wie zuvor nur das byzantinische Grenzland anzugreifen, besetzte nun Togrul-Begs Nachfolger Alp-Arslan 1065 Ani und führte 1067 einen Zug bis nach Kaisareia. Im Jahre 1068 kam es sogar nach einem Unternehmen gegen das syrische Neokaisareia zu Raubzügen bis in die Gegend von Amorion.
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Konstantin X. Dukas war inzwischen gestorben. Die schwere Krise, in der sich das Reich außenpolitisch befand, hatte die Wirkung, daß nach einem mehrmonatigen Interregnum der Kaiserinwitwe Eudokia trotz aller Vorkehrungen ihres verstorbenen Gemahls mit dem aus Ostanatolien stammenden General Romanos Diogenes der Repräsentant der Militärs das Kaiserdiadem erlangte. Am 1. Januar 1068 krönte ihn Patriarch Johannes Xiphilinos, der ihn bereits beim Kampf um die Macht unterstützt hatte. Wenn mit Romanos IV. Diogenes ein Angehöriger der Militärpartei gegen den harten Widerstand einflußreicher Hofkreise um Michael Psellos Kaiser werden konnte, so geschah dies nur deswegen, weil man von ihm als einem in den Petschenegenkriegen bewährten Heerführer die Bereinigung der seldschukischen Gefahr im Osten des Reiches erwartete. Kaiser Romanos stellte sich dieser Aufgabe und schien sie nach erfolgreichen Operationen in Syrien während der Jahre 1068 und 1069 auch wirklich bewältigen zu können. Als 1070 plündernde Türkenscharen bis nach Chonai und ins oberste Maiander-Tal vordrangen, wurde für das folgende Jahr ein neuer großer Schlag gegen den östlichen Feind vorbereitet, um solcher Bedrohung ein für allemal ein Ende zu machen. Nachdem der Kaiser in Dorylaion ein großes Heer zusammengezogen hatte, in dem auch Franken, Armenier, Normannen, Uzen und Petschenegen vertreten waren, stieß er von Kappadokien aus auf den Van-See vor. Nach Anfangserfolgen der Byzantiner erwies sich jedoch immer deutlicher die taktische Überlegenheit des türkischen Gegners. Unablässig wurde die Hauptmacht des griechischen Heeres, von welcher der Kaiser noch ein Corps zur Eroberung von Khilat abgezweigt hatte, angegriffen, ohne daß es den Streitkräften des Kaisers gelungen wäre, auch nur Stellung und Stärke des Gegners in Erfahrung zu bringen. Als der Kaiser dann Ende August in offener Feldschlacht die Entscheidung erzwingen wollte, zogen die Seldschuken das byzantinische Heer vom befestigten Lager von Mantzikert weg, umfaßten mit ihrer Reiterei seine beiden Flügel und schlugen es bis zur Vernichtung; Andronikos Dukas, der Befehlshaber der Byzantinischen Nachhut, unternahm dabei nicht den leisesten Versuch, den eingeschlossenen Verbänden zu Hilfe zu eilen. So geriet der Kaiser trotz aller persönlichen Tapferkeit verwundet in die Hand des Feindes und wurde in Fesseln vor Sultan Alp-Arslan gebracht. Die Katastrophe von Mantzikert schien in ihren Folgen zunächst harmlos: Romanos IV. handelte mit dem Sultan einen Vertrag aus, nach welchem er ein Lösegeld zu zahlen hatte, die türkischen Gefangenen herausgeben mußte und die Verpflichtung übernahm, künftig für das Heer des Siegers Hilfskontingente zu stellen. Immerhin blieben dem Reich aber wenigstens juristisch territoriale Einbußen erspart. Als Romanos IV. bereits nach wenigen Tagen aus seldschukischer Gefangenschaft entlassen wurde, hatte die Nachricht vom Debakel von Mantzikert die Hauptstadt eben erreicht. Die hohe Beamtenschaft des Reiches reagierte auf die Kunde der Niederlage des Kaisers, der ja an seiner Aufgabe
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gescheitert war, sogleich mit einem Beschluß über seine Absetzung. Nachdem Kaiserin Eudokia zum Eintritt in ein Kloster gezwungen worden war, konnte Michael VII., ein Schüler des Psellos, die Staatsmacht in seine Hände bringen. Der abgesetzte Romanos IV. konnte sich mit dieser Entwicklung der Dinge nicht abfinden. Es gelang ihm, vor allem mit armenischer Hilfe im östlichen Kleinasien ein Heer aufzustellen und den gegen ihn ausgesandten Heeren unter Konstantin und Andronikos Dukas bei Amasia und dann in Kilikien erheblichen Widerstand entgegenzusetzen. Als er sich schließlich den neuen Machthabern ergab, wurde er auf dem Weg nach Konstantinopel geblendet und starb an den dabei erlittenen Verletzungen am 4. August 1072. Erst jetzt wurde Mantzikert wirklich zur Katastrophe. Die Türken, welche Kaiser Romanos IV. bei seinen Versuchen, wieder an die Macht zu kommen, unterstützt hatten, erklärten die mit dem unglücklichen Kaiser geschlossenen Verträge als nunmehr gegenstandslos und fielen erneut in byzantinisches Territorium ein. Michael VII. und seine Ratgeber waren nicht mehr in der Lage, gegen die seldschukische Flut noch einmal einen Damm aufzurichten. Ganz Kleinasien sollte in den nächsten Jahren eine leichte Beute der türkischen Eroberer werden. Daß es nicht nur zur Niederlage von Mantzikert, sondern im Anschluß an sie zum Verlust wesentlicher Teile Kleinasiens kam, hatte verschiedene Ursachen, die nicht einmal ausschließlich in der politischen Entwicklung des Reiches und seiner Ostgrenze seit Basileios II. zu suchen sind. Zunächst wurde im Verlauf der Kämpfe die waffentechnische Überlegenheit der Seldschuken deutlich, im Gegensatz zu denen die Byzantiner seit langem die berittenen Bogenschützen vernachlässigt hatten. Auf wehrpolitischem Gebiet kam hierzu der fortschreitende Zerfall des bewährten Stratiotensystems. Als entscheidend wirkte sich jedoch aus, daß die armenische Militärmacht mit der Auflösung ihrer starken Milizen spätestens unter Konstantin Monomachos vernichtet war, ohne daß Byzanz seither in der Lage gewesen wäre oder auch nur beabsichtigt hätte, nun seinerseits in diesem Raum die Verteidigung des Reiches schlagkräftig zu organisieren. Statt dessen wurde in den von Akriten oder Ghazis türkischer Volkszugehörigkeit kontrollierten Gebieten der Einfluß des Seldschukensultans immer größer, dessen tolerante Politik auch bei der Bevölkerung des westlicheren Anatoliens einiges Aufsehen erregte: nicht ausgesprochen ungern ergab man sich auch dort der neuerlichen mohammedanischen Herrschaft. Michael VII. war nicht der Mann, von dem man die Bewältigung der außenpolitischen Schwierigkeiten und all der inneren Mißstände des Staates hätte erwarten dürfen. Dafür standen schon die Anfänge seiner Regierung zu sehr im Schatten der Kämpfe mit Romanos Diogenes, durch welche die bescheidenen Kräfte der in der Hauptstadt herrschenden Partei vollkommen gebunden waren. Nach 1072 mußte man zusehen, wie Kleinasien Zug um Zug an die Seldschuken fiel. Bereits 1071 ging Bari, der letzte byzantinische Stützpunkt in Italien, verloren, und Michael VII. mußte im Verlauf der folgenden
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Verhandlungen mit den Normannen 1074 einer Tochter Robert Guiscards die Ehe mit dem Byzantinischen Thronfolger Konstantin anbieten und sich zur Verleihung zahlreicher Rechtstitel und einträglicher Pensionen bereit finden. Aber sogar die Herrschaft über den Balkan blieb nicht unangefochten. Nur unter Aufbietung aller Kräfte konnte durch den General Nike-phoros Bryennios ein Aufstand niedergeworfen werden, der von der Adriaküste ausgegangen war und in Prizren, also im Kerngebiet des Zarenreiches Samuels, mit der Ausrufung eines neuen Zaren seinen Höhepunkt fand. Nicht mehr rückgängig machen ließ sich dagegen die Entwicklung in Kroatien, dessen Fürst die Oberhoheit der Byzantiner über das Land längst abgeschüttelt hatte und 1076, ebenso wie ein Jahr später der Herrscher Zetas, des heutigen Montenegro, die Königskrone von einem Legaten Papst Gregors VII. empfing. Der Ohnmacht des letzten Kaisers aus der Dukas-Dynastie entsprach, daß seine Regierung dem macht- und sendungsbewußten Papst trotzdem nicht in schroffer Gegnerschaft, sondern mit der Bitte um Hilfe und einem Angebot zur Wiederherstellung der Kirchenunion gegenübertrat. Auf dem Gebiet der Innenpolitik weitete sich die schleichende Wirtschaftsmisere zur echten Krise aus. Vor allem die Preisentwicklung beim Weizen, dem Grundnahrungsmittel weiter Bevölkerungskreise, brachte eine katastrophale Teuerung. Sie wurde verschärft, als der Logothet Nikephoritzes an die Stelle des Michael Psellos trat und den Getreidehandel zum staatlichen Monopol erklärte. Statt nun aber die Preise zu senken, hob der mächtige Minister sie zur Steigerung der Staatseinnahmen weiter an und brachte damit vor allem die Bevölkerung der Hauptstadt gegen sich auf. Bereits zuvor hatte er den Großgrundbesitz herausgefordert, als er den Getreidehandel in staatliche Hand legte und Übertretungen der entsprechenden Verordnung unter harte Strafen stellte. Die wirtschafts-zentralistische Politik des Logotheten erlitt jedoch schon bald Schiffbruch. Nachdem auch die Arbeitslöhne im Gefolge der allgemeinen Preissteigerung anzuziehen begannen, wurde der mächtige Nikephoritzes kurz nach seinem kaiserlichen Herrn gestürzt und verschied auf der Folter. Das gewaltige Lagerhaus in Rhaidestos am Marmarameer, wo er das für Konstantinopel bestimmte staatliche Getreide gehortet hatte, wurde noch unter Michael VII. gestürmt und niedergerissen. Daß es auch unter Michael VII. zu Militärputschen kam, war zweifellos schon angesichts der Tatsache abzusehen, daß und wie der Kaiser als Kandidat der Beamtenaristokratie anstelle seines aus dem Heer aufgestiegenen Vorgängers die höchste Würde des Byzantinischen Reiches erworben hatte. Trotzdem war es mit Caesar Johannes Dukas einer seiner eigenen Verwandten, der ihm als erster im Herbst 1073 von Bithynien aus den Thron streitig machte. Ursel von Bailleul, der Anführer der Normannen im Heer der Byzantiner, der ihn an die Macht bringen sollte, wurde jedoch vom kaisertreuen Alexios Komnenos geschlagen, der die ihm unterstehenden Verbände durch zahlreiche Türken verstärkt hatte.
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Im Winter 1077 erhoben sich gleich zwei hohe Offiziere gegen ihren kaiserlichen Herrn. Der Großvater des gleichnamigen Caesars und Historikers, Nikephoros Bryennios, revoltierte als Befehlshaber von Dyrrhachion und konnte in den ersten Novembertagen des Jahres 1077 in seine Vaterstadt Adrianopel einziehen. Nur wenige Wochen später kündigte Nikephoros Botaneiates, der Stratege des Themas Anatolikon, dem Basileus den Gehorsam auf und führte die Streitkräfte des kleinasiatischen Militäradels gegen Konstantinopel. Mit seldschukischer Unterstützung kam Botaneiates seinem Rivalen aus der westlichen Reichshälfte zuvor: als er im März 1078 Nikaia besetzte, brach in Byzanz ein Aufstand aus, der Michael VII. den Thron kostete und zur Absetzung seines Vertrauensmannes Nikephoritzes führte. Während Michael VII. Mönch wurde – er stieg später sogar zum Metropoliten von Ephesos auf –, zog der General aus Kleinasien als Nikephoros III. in die Hauptstadt ein, ließ sich krönen und heiratete Maria von Alanien, die bildschöne Gemahlin des Gestürzten. Über die Regierung des Nikephoros Botaneiates ist nur wenig zu berichten. Nach dem Beispiel seiner Vorgänger begann er gleich nach dem Regierungsantritt seine Anhänger mit Geschenken und Titeln zu überschütten, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß durch seine Politik der Annäherung an die Seldschuken die Einkünfte des Reiches nach der fast vollständigen Besetzung Kleinasiens und der dort erfolgten Gründung des Sultanats von Ikonion durch Suleiman, den Vetter Alp-Arslans, weitgehend entfielen. Die Großzügigkeit des Kaisers seinen Parteigängern gegenüber machte allerdings auch Unterschiede. Darauf ist es sicherlich zurückzuführen, daß auch unter der Regierung des Botaneiates Aufstände in den verschiedenen Teilen des Reiches ausbrachen. Nikaia und Dyrrhachion waren Herde solcher Bewegungen, die allerdings von des Kaisers fähigstem General Alexios Komnenos jeweils in Kürze beseitigt waren. Seit dem Jahr 1080 allerdings ließ der Komnene offen erkennen, daß er nun seinerseits den Griff nach dem Diadem des Basileus wagen wollte. Als kluger Politiker suchte Alexios jedoch seine Ziele nicht ausschließlich mit Waffengewalt durchzusetzen, sondern verstand es, auf einer Zusammenkunft in Tzurullon in direkten Verhandlungen mit seinen Mitbewerbern um die Krone diese zum Verzicht auf die Würde des Basileus zu bewegen, ebenso aber auch den Vorschlag einer Teilung des Reiches in eine europäische und eine kleinasiatische Hälfte abzulehnen. Mit Hilfe deutscher Söldner gelang es dem Komnenen dann, in Konstantinopel selbst einzudringen, wo für drei Tage hemmungslos geplündert wurde. Am 4. April des Jahres 1081 konnte Patriarch Kosmas Hierosolymites den Komnenen krönen, nachdem Nikephoros III. von ihm ins Peribleptos-Kloster geschickt worden war. II. Der Aufstieg des Komnenenreiches Mit Alexios I. war der Angehörige einer Familie Kaiser geworden, die aus dem Tundscha-Tal in der Nähe von Adrianopel stammte. Sie hatte vor allem in der
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Gegend von Kastamon umfangreichen Grundbesitz erwerben können und war unter Basileios II. in die führende gesellschaftliche Schicht des Byzantinischen Reiches aufgerückt. Aber während 1057 mit Kaiser Isaak eigentlich wider alle politische Wahrscheinlichkeit ein Komnene zum erstenmal nach dem Diadem der Kaiser greifen konnte, waren für Alexios I. bei seiner Machtübernahme ungleich günstigere Voraussetzungen gegeben. Mehrere Mitglieder der Komnenenfamilie und er selbst hatten sich seit dem Tod des ersten Herrschers aus diesem Hause fortgesetzt im politischen Leben und beim Heer hervorgetan, und die Großfamilie des neuen Basileus war inzwischen durch zahlreiche Heiraten so stark in das dynastische Geflecht der anderen führenden Geschlechter einbezogen, daß Alexios I. über die Komnenen hinaus weite Kreise des griechischen Adels als Herrscher über das Rhomäerreich hinter sich hatte. Nicht zuletzt darauf wird es zurückzuführen sein, daß die Komnenen sich für über 100 Jahre die byzantinische Kaiserkrone bewahren konnten. Wenn die Machtkonstellation, unter welcher Alexios Komnenos Kaiser wurde, auch aus dem Blickwinkel der Byzantinischen Familienpolitik als recht günstig anzusprechen ist, so war die außenpolitische Lage des Reiches 1081 ganz einfach katastrophal. Die fortgesetzten Staatsstreiche und in ihrem Gefolge bürgerkriegsähnliche Wirren hatten nicht nur dazu geführt, daß der byzantinische Staat von seiner Wirtschaftskraft her und ebenso aufgrund der trostlosen gesellschaftlichen Verhältnisse am Rande des Zusammenbruchs stand, vielmehr schien bei den ununterbrochenen Angriffen der Feinde an allen Grenzen sogar der nackte Bestand des Reiches in Gefahr. Diese schwere Krise gemeistert, dem Reich wieder feste Grundlagen gegeben und es militärisch und mit den Mitteln der Diplomatie wieder zur Großmacht gemacht zu haben, ist das Verdienst Kaiser Alexios’. Man kann diese Leistung nicht hoch genug veranschlagen, wenn man bedenkt, daß bei seinem Regierungsantritt ganz Kleinasien bis in Sichtweite Konstantinopels von den Seldschuken erobert war, daß die Petschenegen die Provinzen südlich der Donau beherrschten und die Normannen in Epiros mit keinem geringeren Ziel gelandet waren, als die Kaiserkrone von Byzanz zu gewinnen. Unter diesen Bedingungen mußte der Kampf Alexios’ I. zunächst den Normannen gelten. Um sich den Rücken freizuhalten, übertrug der Komnene den Seldschuken das von ihnen eroberte Land zur Ansiedlung und wahrte damit wenigstens der Form nach die byzantinische Oberhoheit über das verlorene Gebiet, denn wie schon zuvor die Petschenegen, so fanden jetzt auch die Türken als Foederaten im Reich der Rhomäer Aufnahme. Den Normannen war mit Verhandlungen nicht beizukommen. Sie bedrohten Dyrrhachion, um von dort weiter nach Osten vorzustoßen. Alexios mußte die gefährdete Festung schnellstens entsetzen, sah sich aber außerstande, ein Heer an die Adria in Marsch zu setzen, weil ihm hierfür ganz einfach die finanziellen Mittel fehlten.
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In dieser schwierigen Situation zeigte Alexios, welch nüchterner Politiker er war. Obwohl er sich bei seiner Thronbesteigung vor allem auf kirchliche Kreise gestützt hatte, scheute er jetzt nicht davor zurück, Kirchengut zu beschlagnahmen und sogar Ikonen ihrer goldenen und silbernen Verzierungen entledigen zu lassen. Nur mit großer Mühe gelang es dem Kaiser, von der Synode die Zustimmung zu derartigen Maßnahmen zu erhalten, denn Metropolit Leon von Chalkedon beschuldigte den Kaiser und seinen gehorsamen Patriarchen einer bilderfeindlichen Haltung, so daß es eine Zeitlang aussah, als würde es nun auch noch zu einer Neuauflage des Bilderstreites der frühbyzantinischen Periode kommen. Aber auch auf diplomatischem Weg tat der Komnenenkaiser alles, um den normannischen Druck auf seinen zunächst beinahe wehrlosen Staat abzuschwächen. Er nahm Verbindung zu Papst Gregor VII. und zum deutschen Kaiser Heinrich IV. auf. Von echtem Nutzen im Kampf mit den Normannen erwies sich jedoch lediglich der Bündnisabschluß mit Venedig, das es nicht hinnehmen wollte, daß die Normannen beide Adria-Ufer in ihre Hand brachten und den venezianischen Kauffahrern die Ausfahrt aus der Adria verwehren konnten. Die venezianische Flotte war es auch, die den normannischen Seestreitkräften eine empfindliche Niederlage beibrachte und damit für die Aufhebung der Seeblockade vor Dyrrhachion sorgte. Zu Lande jedoch besiegten die Normannen ein kaiserliches Heer, in dem vor allem Söldner aus dem Ausland dienten, und drangen im Oktober 1081 in die umkämpfte Stadt ein. Danach gab es für die Normannen kein Halten mehr: ihre Scharen überschwemmten Epiros, Thessalien und Makedonien, verwüsteten Kastoria und konnten Larissa einschließen. Es war ein Glück für die byzantinische Heeresführung, daß progriechische Kreise in Unteritalien einen Aufstand gegen Robert Guiscard entfesselten und ihn zum Verlassen des Kriegsschauplatzes zwangen. Zwar übernahm Robert Guiscards Sohn Bohemund das Kommando über die normannischen Streitkräfte in Thessalien, aber die byzantinische Abwehr gewann mehr und mehr an Boden. Die Venezianer konnten Dyrrhachion wiedergewinnen, und auch als Robert Guiscard 1085 auf den Balkan zurückkehrte, blieb die Initiative bei den Kampfhandlungen auf Seiten der Byzantiner. Guiscards Heer schmolz, von einer Seuche heimgesucht, rasch zusammen; ihr ist auch der Normannenführer selbst zum Opfer gefallen. Als in Unteritalien Kämpfe um seine Nachfolge ausbrachen, zögerten die Normannen nicht, das von ihnen besetzte Gebiet vollends zu räumen. Neben der wachsenden militärischen Macht seines Reiches verdankte Alexios I. diesen Sieg vor allem den venezianischen Bundesgenossen. Diese kämpften jedoch nicht völlig selbstlos und ließen sich vom Basileus zur Zeit der stärksten Bedrängnis der Byzantiner einen Vertrag ausstellen, der ihnen für die Zukunft nicht nur entscheidende Vorteile gegenüber dem Byzantinischen Staat einräumte, sondern auf die Dauer für diesen zu einer schweren Belastung wurde. Es wäre zu verkraften gewesen, daß der Doge den Sebastostitel mit der
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zugehörigen Jahrespension, der Patriarch von Grado die Würde eines Hypertimos und St. Markus in Venedig jährlich ein Ehrengeschenk von 20 Pfund Gold erhalten sollten; daß aber die Venezianer auch die Erlaubnis zum freien Handel im gesamten Byzantinischen Reich erhielten, widersprach ganz eindeutig den Interessen von Handel und Wirtschaft der Byzantiner. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß Venedig die Oberhoheit des griechischen Kaisers über die Markus-Republik anerkannte, denn mit der Bereitstellung eines besonderen venezianischen Viertels mit Lagerhallen, Werften und Landungsplätzen in Konstantinopel bevorzugte der Kaiser seine Bundesgenossen erneut beinahe unverständlich weitgehend gegenüber den Kaufleuten seines eigenen Landes. Man wird vermuten müssen, daß Alexios I. die byzantinische Lage 1082 so schlecht beurteilte, daß er bereit war, alle Forderungen der Venezianer zu erfüllen, wenn diese nur der griechischen Sache beim Kampf mit den Normannen treu blieben. Sah Venedig mit dem normannischen Griff nach dem östlichen Adria-Ufer seine eigene Position in diesem Raum gefährdet, so entsprach diese Entwicklung durchaus den Wünschen anderer Anlieger des Adriatischen Meeres. Vor allem König Konstantin Bodin von Zeta nutzte die Gelegenheit, nach anfänglich wohlwollender Neutralität gegenüber Byzanz und Venedig bei Fortdauer der Kämpfe den eigenen Machtbereich auf byzantinische Kosten nach Rascien hinein auszuweiten und von dort aus auch andere Gebiete der Rhomäer anzugreifen. Es versteht sich, daß Kaiser Alexios während des Normannenkrieges keine Möglichkeit sah, hier mit Nachdruck einzugreifen. Viel dringlicher als jede Aktivität auf dem westlichen Balkan war die Abwehr der Petschenegengefahr. Im Frühjahr 1087 war der Petschenegenfürst Tschelgan mit seinen Scharen weit ins rhomäische Gebiet vorgedrungen und hatte dort die Unterstützung der ketzerischen Bogomilen gefunden. Alexios I. sah sich gezwungen, mit dem Feind noch im August 1087 Verhandlungen aufzunehmen und einen ersten Vertrag abzuschließen. Doch damit war nicht viel gewonnen. Als der seldschukische Emir Tzachas von Smyrna mit den Petschenegen in Fühlung getreten war, kam es erst zur eigentlichen Krise für das byzantinische Reich. Während nämlich die Petschenegen erneut losbrachen und bis vor die Mauern Konstantinopels zogen, bedrohte der Emir mit seiner Flotte die Stadt am Goldenen Hörn von der Seeseite aus. Wieder versuchte Alexios I. einen Ausweg aus dieser heiklen Lage durch Verhandlungen mit den Petschenegen zu finden, befreite seine Kaiserstadt aber nach einer schweren Winterbelagerung erst, als er sich mit den Kumanen in der südrussischen Steppe verbündete. Es gelang ihm, dieses Nomadenvolk türkischer Sprachzugehörigkeit soweit zu bringen, seinerseits die Petschenegen anzugreifen und den arg bedrängten Byzantinern zu Hilfe zu eilen. Am 29. April des Jahres 1091 schlugen daraufhin die vereinten byzantinisch- kumanischen Streitkräfte die Petschenegen am Fuße des LevunionGebirges vollständig. Tzachas von Smyrna, der sich gleichfalls genötigt sah, die Belagerung der Konstantinsstadt abzubrechen, wurde von der kaiserlichen
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Diplomatie auf ähnliche Weise außer Gefecht gesetzt: Abul Kasim, der Emir von Nikaia in Bithynien, ergriff auf Veranlassung des Byzantinischen Kaisers gegen seinen mohammedanischen Nachbarn im Süden die Waffen. Erst jetzt konnte Alexios Komnenos auch gegen Serbien vorgehen. Aber ein Feldzug gegen den Župan Vukan von Rascien mußte abgebrochen werden, als bekanntwurde, daß die Kumanen unter Führung eines Thronprätendenten, der sich für Konstantin Diogenes, einen Sohn des unglücklichen Kaisers Romanos, ausgab, das Reich unsicher machten. Ohne besondere Mühe war es jedoch möglich, die kumanischen Scharen zu zerstreuen, nachdem man sich des Prätendenten an ihrer Spitze bemächtigt hatte. Die Niederschlagung der Revolte des Konstantin Diogenes schloß vorläufig die Befriedung des europäischen Reichsteils ab. Kaiser Alexios hätte sich nun der Aktivierung der Byzantinischen Politik in Kleinasien zuwenden können, denn dort lud die politische Situation zum Eingreifen geradezu ein. Die vom Basileus hochgespielten Auseinandersetzungen zwischen den Emiren von Nikaia und Smyrna waren nämlich durchaus keine Episode, sondern ein Ereignis in der Reihe der Kämpfe, die um das Erbe des Seldschukensultans Suleiman in ganz Kleinasien ausgetragen wurden. Alexios I. kam jedoch nicht in die Lage, seine politischen Ziele jenseits des Bosporus zu verwirklichen, weil mit dem Ersten Kreuzzug in diesen Jahren ein Ereignis auf das Rhomäerreich zukam, das nur unter Einsatz aller seiner Machtmittel zu einem halbwegs annehmbaren Ergebnis geführt werden konnte. So gelang es den Byzantinern in den Jahren nach 1094 lediglich, das für den Rußlandhandel bedeutsame Tmutorakan an der Straße von Kertsch für ihr Reich wiederzugewinnen. Der Erste Kreuzzug brachte für Byzanz Probleme bisher unbekannter Art. Einmal abgesehen davon, daß das östliche Kaiserreich bei der Weiterverfolgung seiner politischen Ziele eine Zwangspause einlegen mußte, hatte es die schwierige Aufgabe zu bewältigen, große Massen bewaffneter Ausländer möglichst rasch durch das eigene Territorium zu geleiten, dabei nach Möglichkeit Zusammenstöße mit der eigenen Bevölkerung zu vermeiden und die Abendländer politisch so weit in der Hand zu behalten, daß sie auch nach Verlassen des Byzantinischen Gebietes zumindest nicht gegen die griechischen Interessen zu wirken begannen. Man kann Kaiser Alexios zugestehen, daß er, auch im Vergleich zu späteren Kaisern, diese schwierigen Aufgaben recht überlegen gelöst hat. Die Kreuzzugsbewegung war ein Ergebnis der westeuropäischen Verhältnisse und ein Ausfluß der abendländischen Stimmung während des Investitur Streites. Vor diesem Hintergrund wurde der Erste Kreuzzug vom Kluniazenserpapst Urban II. ausgelöst, der vom Byzantinischen Kaiser zwar wiederholt um Söldner angegangen worden war, jedoch nie zu einem Kreuzzug in der Form aufgefordert wurde, wie er sich dann tatsächlich ergab. So war man in Konstantinopel einigermaßen überrascht, als nach der entscheidenden Synode von Clermont-Ferrand ein riesiger Schwärm einfacher, schlecht bewaffneter und
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wenig disziplinierter Leute mit dem Einsiedler Pierre d’Amiens an der Spitze im Reichsgebiet eintraf und nach Osten weiterzog. In Kleinasien wurden diese ersten Kreuzfahrer von den Türken erbarmungslos niedergemacht und konnten froh sein, daß der griechische Kaiser ihnen bei der Flucht wieder die Rückfahrt über den Bosporus ermöglichte. Ende 1096 trafen in Konstantinopel dann die großen Herren mit ihrer Ritterschaft ein. Man kann sich unschwer die Gefühle vorstellen, die Kaiser Alexios bewegten, als er unter den Anführern dieser ›vornehmeren‹ Kreuzfahrer um Gottfried von Bouillon, Graf Raimond von Toulouse, Graf Robert von Flandern, Hugo von Vermandois und Robert von der Normandie auch auf den Normannenfürsten Bohemund traf, dem er im Kampf um Dyrrhachion gegenübergestanden hatte. Der Komnenenkaiser verlangte daher von den Kreuzfahrern den Lehenseid und das eidliche Versprechen, ihm diejenigen Städte und Gebiete nach ihrer Eroberung zu übergeben, welche einst dem Rhomäerreich Untertan gewesen waren. Die Barone aus dem Westen, bis auf Raimond von Toulouse und Bohemunds Sohn Tankred, leisteten schweren Herzens den erwünschten Schwur und waren ihrerseits wenig erfreut, als der griechische Kaiser ihnen ankündigte, er werde selber an die Spitze des Kreuzzuges treten, sobald ihm dies die politischen Umstände erlaubten. Vertragsgemäß übergaben die Kreuzfahrer nach dem Abzug von den Meerengen ihre erste Eroberung, die Stadt Nikaia, an Alexios. Der byzantinische Kaiser selbst bemühte sich, von dieser Basis aus die griechische Macht in Kleinasien weiter auszubauen. Seine Truppen besetzten die Städte Smyrna, Ephesos und Sardes und brachten somit wenigstens den unmittelbar an die Ägäis grenzenden Teil Kleinasiens wieder unter die Botmäßigkeit ihres Herrschers. Die Kreuzritter waren indessen in Begleitung einer Byzantinischen Heeresabteilung durch Anatolien weitergezogen, nicht ohne zuvor dem Kaiser bei einer Zusammenkunft in Pelekanon die schon zuvor geleisteten Eide erneuert zu haben. Nach Überschreiten des Taurus brach die Eintracht der Verbündeten jedoch entzwei: Balduin von Bouillon und der Normanne Tankred stritten sich um die Städte Kilikiens, bis Balduin dann in Richtung auf den Euphrat vordrang, ohne freilich seine dortigen Eroberungen dem griechischen Kaiser zu übergeben, was auch Tankred in Kilikien nicht beabsichtigte. Das Hauptheer der Kreuzfahrer selbst konnte in der Zwischenzeit Antiocheia in seinen Besitz bringen, wonach allerdings nur noch Raimond von Toulouse, der sich nicht gegen den Normannen Bohemund durchsetzen konnte, die Stadt an Alexios I. übergeben wollte. Nach dem Bruch ihrer Verpflichtungen gegenüber Byzanz zogen die Kreuzfahrer allein nach Jerusalem, das sie ohne griechische Hilfe am 15. Juli 1099 eroberten. Niemand dachte jetzt noch daran, den Griechenkaiser in irgendeiner Weise an den gemachten Eroberungen zu beteiligen, und nur Raimond von Toulouse, der einzige Führer der Kreuzfahrer, der ursprünglich Alexios I. den Lehenseid nicht geleistet hatte, stellte einige der von ihm eroberten syrischen Städte unter die Oberhoheit Kaiser Alexios’. So ergab sich für die
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byzantinische Politik in den folgenden Jahrzehnten immer wieder die Aufgabe, die zu Beginn des 12. Jahrhunderts entstandenen christlichen Staaten am Ostufer des Mittelmeeres von neuem unter die Oberherrschaft des Byzantinischen Kaisers zu zwingen. Der Erste Kreuzzug hatte damit auf die Beziehungen zwischen dem Abendland und Byzanz die Wirkung, daß sich diese beiden Welten fremder und feindlicher gegenüberstanden als je zuvor, und jener Lateiner, der sich nach einer cypriotischen Legende mit 300 seiner Landsleute unter Alexios I. als Mönch Anastasios Alamanos in die Einsamkeit der Insel zurückzog, weil ihm klargeworden war, daß sich die Kreuzzugsbewegung auch gegen die Orthodoxie richtete, dürfte ein einmaliger Fall gewesen sein. Der erste Gegner der Byzantiner im Verlauf dieser Auseinandersetzung war der Normanne Bohemund als Fürst von Antiocheia. Den Griechen kam dabei zugute, daß auch die Türken das Entstehen eines christlichen Staates in der Zone, von der aus die Verbindung nach Ägypten kontrolliert werden konnte, ungern sahen. 1101 wurde Bohemund von ihnen gefangengenommen und nach seinem Loskauf aus der Gefangenschaft 1104 mit seinem Heer bei Harran vernichtend geschlagen. Die Byzantiner nutzten diese Gelegenheit und brachten die kilikischen Festungen Tarsos, Adana und Mamistra in ihre Gewalt, während ihre Seestreitkräfte von Cypern aus die Hafenplätze an der syrischen Küste von Laodikeia bis hinunter nach Tripolis besetzten. Bohemund beschloß daraufhin, noch einmal den Versuch zu unternehmen, im direkten Zugriff das Rhomäerreich in die Knie zu zwingen. Nachdem er fast im ganzen Abendland Stimmung gegen Byzanz gemacht hatte, griff der Normanne nach einem Byzantinischen Präventivschlag gegen Otranto wie sein Vater in Epiros an und wollte sich von diesem Brückenkopf aus das Rhomäerreich unterwerfen. Im Oktober 1107 landete er bei Avlona, wurde aber vom Heer des Kaisers vor den Mauern von Dyrrhachion gestellt und besiegt, gerade dort also, wo die Normannen vor 25 Jahren die Streitkräfte Alexios’ I. überwunden hatten. Dieses Mal war den Griechen der Sieg nicht zu nehmen gewesen, und Bohemund geriet sogar in die Gefangenschaft des Komnenenkaisers. 1108 mußte er dem Sieger vertraglich zusichern, ihm als Lehnsmann in Zukunft unbedingte Treue zu wahren und den Byzantinern Beistand gegen alle Feinde des Reiches zu leisten. Antiocheia, um das es auf der griechischen Seite gegangen war, verblieb dem Verlierer als Lehen des Byzantinischen Kaisers. Alexios I. kam freilich um die Früchte seines großen Erfolges: Bohemund starb schon 1111, und Tankred, sein Nachfolger in Antiocheia, dachte nicht daran, die von seinem Oheim eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Alexios stellte sich daraufhin die nicht einfache Aufgabe, die byzantinische Herrschaft über Kleinasien möglichst weitgehend wiederaufzurichten. Um die Verhältnisse in Antiocheia hat er sich während seiner Regierung nicht mehr weiter gekümmert. Wenn sich Alexios Komnenos immer wieder darum bemühte, freie Hand für ein Vorgehen gegen die Seldschuken in Kleinasien zu bekommen, und sich dann
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seit 1108 ohne wesentliche Unterbrechungen um die Wiedergewinnung der verlorenen Ostprovinzen kümmerte, so geschah dies nicht ohne Grund. In Anatolien faßten die Seldschuken nämlich immer fester Fuß, und die griechische Bevölkerung begann vor ihnen zunächst in die Städte und an die Küsten zurückzuweichen, um schließlich Anatolien mehr und mehr preiszugeben. Veranlassung hierzu gab ihr zweifellos auch die politische Entwicklung, nach der wenigstens zeitweise eine Rückeroberung des Landes durch die Byzantiner unwahrscheinlich schien. So ist das Schicksal des Christodulos von Patmos durchaus nicht ungewöhnlich, der das Stylos-Kloster auf dem Latmos bei Milet verließ und über Kos nach Patmos gelangte, wo er mit Hilfe der Anna Dalassena, der Mutter Alexios’ I., das Johannes-Theologos-Kloster gründete. Aber auch die Tatsache, daß seine Gründung auf der Dodekanes-Insel von kaiserlichen Privilegien und Geschenken geradezu überschüttet wurde, konnte Christodulos nicht daran hindern, noch weiter bis nach Euböa auszuweichen, wo er im März 1093 verstorben ist. Eine Folge des seldschukischen Vordringens nach Kleinasien war auch die Flucht von Tausenden von Armeniern in die westliche Reichshälfte. In Städten wie Konstantinopel, Thessalonike, Moglaina und Warna sind seit dieser Zeit volkreiche armenische Kolonien anzutreffen. Mittelpunkt des aus seiner Heimat vertriebenen Armeniertums wurde freilich Philippopel mit dem Atman-Kloster, das in der späteren Komnenenzeit als Kontaktstelle für die theologisch-politische Annäherung zwischen Byzanz und den Armeniern eine wichtige Rolle spielte. In der Nähe von Philippopel fanden im Kloster von Batschkovo auch die Georgier ein neues Zentrum für ihr Volkstum. Der aus armenischer Familie stammende General Georgios Pakurianos, der sich selbst als Grusinier betrachtete, hatte es gestiftet und durch Künstler aus der Hauptstadt mit beeindruckenden Fresken ausmalen lassen. Die Tatsache, daß er wie auch sein als Wohltäter des IberonKlosters auf dem Athos hervorgetretener Verwandter Sempad Pakurianos in die vornehmsten Familien des Reiches einheiraten konnte, zeigt, wie stark in kurzer Zeit Angehörige der Oberschicht der beiden von der Ostgrenze des Reiches vertriebenen Völker in die byzantinische Gesellschaft integriert waren. Kaiser Alexios ist der Verschiebung der Byzantinischen Bevölkerung nach Westen nicht entgegengetreten, sondern hat sie sogar gefördert. Auf dem Rückmarsch von seinen Feldzügen ins Innere Kleinasiens führte er gewöhnlich zahllose Byzantiner, die dort nicht mehr leben wollten, in den europäischen Teil des Reiches und hat beispielsweise auch georgische Klosterfrauen nach Konstantinopel geholt und ihnen in dem zu einem sozialen Zentrum für die aus dem Osten geflohene Bevölkerung ausgebauten Kloster des Hl. Paulus im Palastviertel der Hauptstadt eine neue Aufgabe gegeben. Ohne Zweifel ist diese Politik des Komnenen darauf zurückzuführen, daß er sehr wohl wußte, wie schwierig es war, in Kleinasien die Verluste der zurückliegenden Jahrzehnte wieder wettzumachen. Tatsächlich tat sich der Kaiser sehr schwer, hier irgendwelche durchschlagenden militärischen Erfolge zu erringen. Trotz der
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Einführung verschiedener organisatorischer Neuerungen und dem Übergang zu einer dem Gegner besser angepaßten Taktik gelang es der Armee der Rhomäer nur höchst selten, von ihrer Operationsbasis aus, der Linie zwischen Lopadion und Nikaia, in die Tiefe Inneranatoliens vorzudringen. Als ebenso schwierig erwies sich der Versuch des Eumathios Philokales, im Auftrag des Basileus von Smyrna aus über Philadelphia wieder eine Landverbindung nach Attaleia und zu den anderen griechischen Stützpunkten an der kleinasiatischen Südküste herzustellen. Trotz unbestreitbarer Erfolge blieb der Vorstoß stecken, als in Phrygien und Karien ein fester Platz nach dem anderen nur nach mühsamen Belagerungen zurückerobert werden konnte. 1116 erreichte jedoch der Basileus selbst die Befreiung der wichtigen Heerstraße vom Sangarios bis über Dorylaion hinaus und konnte auch bei den Erbfolgestreitigkeiten nach dem Tod von Sultan Malik- Schah ein entscheidendes Wort mitreden. So wurde Byzanz, nachdem bereits um 1103 die Revolte des Gregorios Taronites in Trapezunt unter Kontrolle gebracht war, zwar nicht wieder zur beherrschenden Macht Kleinasiens, aber immerhin waren wesentliche Teile der östlichen Reichshälfte für weitere 200 Jahre wieder fest in griechischer Hand. In der Innenpolitik zeigte Kaiser Alexios eine gewisse Vorliebe für die Probleme der Kirchenpolitik. In diesem Bereich hat er, wie auch sonst, seinen Vorstellungen sehr nachhaltig zum Durchbruch verholfen. Dabei ließ sich der Komnene recht wenig von den Stellungnahmen so angesehener Theologen wie Johannes Oxeites beeindrucken, der ihm als Patriarch von Antiocheia in der Frage der Konfiskation von Kirchenbesitz während des Normannenkrieges furchtlos entgegentrat. In diese Zeit fällt auch das rigorose Vorgehen des Kaisers gegen den Dukas-Anhänger Johannes Italos, dessen an Plato und Aristoteles ausgerichtete Lehre verurteilt wurde. Als Johannes sich diesem Spruch nicht beugen wollte, ließ der Kaiser den Bann über den als Theologe gar nicht so sehr hervorgetretenen Gelehrten verhängen. Noch härter verfuhr er mit den Bogomilen, deren dem Manichäismus nahestehende Sekte an der Schwelle zum 12. Jahrhundert auf dem Balkan großen Zulauf hatte: Der Herrscher ließ ihren Anführer, den Arzt Basileios, und zahlreiche seiner Gesinnungsfreunde auf dem Scheiterhaufen verbrennen, konnte aber damit nicht verhindern, daß die Irrlehre in gemäßigter Form weiterlebte und sogar Anhänger beim orthodoxen Episkopat und in den Klöstern Konstantinopels fand. Gar nicht im Sinne seines Patriarchen Nikolaos III. Grammatikos war jedoch die Haltung Alexios’ I. bezüglich der Frage der Wiederherstellung der Kirchenunion mit Rom. Als in diesem Zusammenhang der Mailänder Erzbischof Pietro Grossolano 1112 nach Byzanz kam und mit Vertretern der griechischen Kirche disputierte, gab der Kaiser seinen Theologen deutlich zu erkennen, daß ihn die Argumentation des Lateiners stark beeindruckt hatte. Dem entsprach auch, daß Alexios den Namen des Papstes wieder auf den Diptychen verzeichnen ließ und auch der Errichtung von Klöstern der Abendländer in seinem Reich durchaus wohlwollend gegenüberstand.
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Der Kaiser, der auch selbst theologische Schriften verfaßte, machte sich gerade auch als Förderer der monastischen Bewegung einen Namen, wobei nur an seine Unterstützung des Theologos-Klosters auf Patmos und die Dotierung des Eleousa-Klosters zu Strumitza in Makedonien erinnert sein soll. In der Hauptstadt selbst war es dagegen die Basilissa Irene Dukas, welche die kaiserlichen Bestrebungen in dieser Richtung anspornte. Gemeinsam mit ihrem Gemahl stiftete sie zwei Klöster, von denen das Christos-Philanthropos-Kloster schließlich die Grablege Alexios’ I. aufnahm. Solche Stiftungen mit ihren reichen Ausstattungen können dabei unter der Herrschaft eines Kaisers sicher nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden, der sich doch andererseits genötigt sah, zu mehreren Abwertungen des Goldnomismas Zuflucht zu nehmen, um der chronischen Geldknappheit in seiner Staatskasse Herr zu werden. Die letzte politische Tat Alexios’ I., der am 15. August 1118 vermutlich nach einem von der Gicht ausgelösten Myokardinfarkt verstarb, war die Übertragung des Kaisertums auf seinen Sohn, den Sebastokrator Johannes. Irene Dukas, die Gattin des ersten Komnenenkaisers, versuchte zwar mit allen Mitteln, Alexios noch auf dem Totenbett die Zustimmung zur Übernahme der Herrschaft durch den Caesar Nikephoros Bryennios, den Gemahl der Geschichtsschreiberin Anna Komnena, abzuringen, aber der sterbende Basileus ließ sich nicht von seinem einmal gefaßten Entschluß abbringen, seine Tochter und deren Mann, der 1097 an den Platz des ursprünglich als Thronfolger vorgesehenen Konstantin Dukas neben der Komnenin getreten war, in der Regelung seiner Nachfolge zu übergehen. Nicht dem Letzten Willen ihres Vaters, wohl aber dem überlegenen politischen Können des Bruders beugte sich Anna Komnena nach einiger Zeit widerwillig. Noch während Kaiser Alexios I. im Mangana-Palast mit dem Tode rang, traf sein Sohn Johannes Anstalten, die Macht zu übernehmen. Er brachte das kaiserliche Siegel in seine Hand und begab sich unter dem Jubel seiner Anhänger zum Großen Palast. Als er dort nicht eingelassen wurde, ließ er das Palasttor aus den Angeln heben und verschaffte sich gewaltsam Zutritt. Seine Stellung war aber zunächst noch so unsicher, daß er das Palasttor wieder absperren ließ, um den Kreisen um Anna Komnena, ihren Gatten und ihren Bruder Andronikos keine Möglichkeit zu geben, ihn wieder von der Spitze des Reiches zu verdrängen. Gestützt auf den Rat seines Bruders Isaak und seines Jugendfreundes Johannes Axuchos, eines bei der Eroberung Nikaias in byzantinische Hand geratenen jungen Türken vornehmer Abkunft, nahm der neue Kaiser auch nicht am Begräbnis seines Vaters teil, zu dem er den befestigten Palast hätte verlassen müssen. Wie berechtigt diese Vorsicht war, beweist eine Verschwörung, deren Ziel es war, noch im ersten Regierungsjahr dem neuen Herrscher die Krone wieder zu entreißen. Wahrscheinlich festigte dann aber die Milde, die Johannes II. gegen die Verschwörer walten ließ, seine Herrschaft so weit, daß der neue Basileus seiner Mitwelt schon bald beweisen konnte, daß er an Mut und Tatkraft seinem Vater keineswegs nachstand.
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Nachdem Johannes II. die Lage am Hof in Konstantinopel völlig in der Hand hatte, brach er im Frühjahr 1119 zu seinem ersten Feldzug gegen die Seldschuken nach Kleinasien auf, welche die zuletzt mit Kaiser Alexios geschlossenen Verträge gebrochen hatten. Ohne besondere Anstrengung wurde die Stadt Laodikeia vom Byzantinischen Heer genommen, und der Kaiser konnte in einem zweiten Unternehmen weiter nach Phrygien und bis an die Grenzen Pamphyliens vorstoßen. Dabei wurden neben vielen kleineren Plätzen die wichtigen Städte Sozopolis und Hierakokoryphitis wiedergewonnen, und wahrscheinlich hätte Kaiser Johannes schon damals seine Offensive nach Osten weitergeführt, wäre nicht durch die Entwicklung auf der Balkanhalbinsel die Anwesenheit des Basileus im europäischen Reichsteil erforderlich geworden. 1122 hatten die Petschenegen nach dreißigjähriger Pause die Donau wieder überschritten und waren raubend und mordend bis nach Makedonien und Thrakien gezogen. Der Kaiser, der schon unter seinem Vater gegen den gefährlichen Feind an der Donau gekämpft hatte, hielt die Petschenegen durch Verhandlungen anfänglich hin und besiegte sie dann in ihrer Wagenburg bei Beroe so vollkommen, daß sie nach dieser furchtbaren Niederlage als Volk untergegangen sind. Gleich nach den Kämpfen mit den Petschenegen wurde auch in Serbien ein byzantinisches Eingreifen notwendig. Die Serben hatten sich gegen die Herrschaft der Byzantiner erhoben und eine wichtige griechische Festung in Rascien erobern können. Kaiser Johannes zog in das aufständische Land, stellte den Gegner und brachte ihm eine schwere Niederlage bei. Der Župan von Serbien wurde danach im Triumphzug durch Konstantinopel geführt und ein Teil seiner Landsleute bei Nikomedien angesiedelt. Hier und auch in anderen Gegenden am Ostufer des Marmarameeres führte der Kaiser ein großes Reorganisationsprogramm durch, das neben dem Festungsbau an Orten wie Lopadion oder Achyraus die Wiedernutzbarmachung weiter verödeter Landstriche und ihre militärische Sicherung vorsah, wozu neben den Serben auch petschenegische Kriegsgefangene herangezogen wurden. Allein schon aus seiner Heirat mit einer ungarischen Prinzessin ergab sich für Kaiser Johannes ein besonders nahes Verhältnis zum politischen Geschehen in diesem Donauland. Die innenpolitische Entwicklung in Ungarn verlangte aber vom Byzantinischen Kaiser im dritten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts noch mehr. Wie zu der Zeit, als sich im Magyarenland die Anhänger der beiden Thronprätendenten Salomon und Geza I. in einem mörderischen Bürgerkrieg gegenüberstanden und sich Gezas Partei an Kaiser Michael Dukas wandte, während Salomon mit Kaiser Heinrich IV. in Verbindung trat, so wurden auch jetzt wieder im Land an der Donau heftige Auseinandersetzungen vor dem Hintergrund des Gegensatzes zwischen Byzanz und dem Westen ausgetragen. Almos, der Bruder des regierenden Königs Stephan II., wurde mit seinem Sohn Bela geblendet, und beide suchten in Konstantinopel Zuflucht, wo sich weitere ungarische Große einfanden. Stephan II. eröffnete daraufhin die Feindseligkeiten
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gegen Byzanz, zerstörte Braničevo und konnte bis nach Sofia vordringen, weil man im Rhomäerreich offensichtlich nicht mit einer Bedrohung der Nordgrenze durch Ungarn gerechnet hatte. Im Herbst 1128 erwiderte Johannes II. mit einer kombinierten Aktion seiner Landstreitkräfte und der griechischen Flotte unter seinem Bruder Andronikos Komnenos, der im Verlauf der Operationen ums Leben kam, den ungarischen Angriff. Das Heer der Rhomäer konnte die Donau überschreiten, das Gebiet zwischen dem Strom und der Save mit der Schlüsselfestung Zeugminon besetzen und den Magyaren auch bei Chramos, schon weit in der ungarischen Tiefebene, erhebliche Verluste beibringen. Den darauf geschlossenen, für Byzanz überaus günstigen Frieden garantierte 1131 die Thronbesteigung des blinden Bela II., der aus seinem Exil in Konstantinopel zurückkehrte und für mehr als zehn Jahre die Herrschaft über seine Heimat antrat. Der Sieg über Ungarn versetzte Johannes II. endlich in die Lage, in Kleinasien die offensive Politik weiterzuführen, die er 1122 unter dem Eindruck der Ereignisse auf dem Balkan hatte vorübergehend aufgeben müssen. Die Kämpfe, die der Kaiser jeweils in Lopadion vorbereitete, konzentrierten sich bis 1135 auf das südliche Paphlagonien, wo der Kaiser zweimal die Stadt Kastamon erobern mußte, um sie und weitere Plätze halten zu können, was ihm bei Gangra schließlich sogar mißlang. Wie stark trotzdem die byzantinische Position in Kleinasien damals war, geht schon daraus hervor, daß bei den erwähnten Kämpfen türkische Truppenverbände aus dem Sultanat von Ikonion auf griechischer Seite gegen den Danischmandiden-Emir von Melitene kämpften. Bei einem weiteren Feldzug nach Kappadokien und Pontus vermochte der Komnenenherrscher 1139 nicht nur bis unter die Mauern von Neokaisareia vorzudringen, sondern auch Konstantin Gabras in Trapezunt dem Reich wieder botmäßig zu machen. Auch wenn die militärischen Aufgaben des Amtes für den Kaiser im Vordergrund standen und er sich weniger um Kirchenpolitik kümmerte, hat er auf anderen Gebieten das Reich gefördert. So beauftragte der Basileus Alexios Aristenos, einen hohen Würdenträger der kirchlichen Verwaltung, einen Kommentar zum kanonischen Recht zu verfassen. Diese Synopsis canonum war aufgrund ihrer klaren Verständlichkeit so geschätzt, daß sie nicht nur das byzantinische Rechtsleben beeinflußte, sondern auch in die juristische Literatur der Serben Eingang gefunden hat. Die wichtigste soziale Tat des Kaisers war ganz ohne Zweifel die Gründung des Pantokrator-Klosters inmitten der Hauptstadt Konstantinopel. Angehalten vom väterlichen Beispiel und unterstützt von Kaiserin Irene, schuf der Komnene hier eine Institution, die von Umfang und Ausstattung her ihresgleichen suchte. Dem Kloster mit seiner Bibliothek und anderen kulturellen Einrichtungen war ein Spital angeschlossen, in welchem Krankheiten bis hin zu Epilepsie und Lepra behandelt wurden. Neben den Kranken fanden aber auch Witwen und Waisen, Arme und alte Menschen in diesem Kloster jederzeit eine offene Tür. Wie stark
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das Kaiserpaar an seiner Stiftung im übrigen hing, ist daran zu erkennen, daß es in der Grabkapelle, welche die beiden Kirchen des Pantokrator-Klosters verband, seine letzte Ruhestätte vorbereiten ließ. Mit dem Angriff auf das Danischmandiden-Emirat von Melitene leitete Johannes II. die letzte Phase seiner Regierung ein, die ganz im Zeichen einer neuerlichen Byzantinischen Expansion großen Stils nach Osten steht. Auffallend ist hier nur, daß der Basileus lieber versuchte, das blühende Antiocheia dem Reiche wiederzugewinnen, statt zunächst das innerlich geschwächte Sultanat von Rum anzugreifen. Um allerdings in Syrien eingreifen zu können, mußte zuvor das von Armeniern beherrschte Kilikien wieder in byzantinische Hand gebracht werden. Im Frühjahr 1137 eroberte Johannes in einem kurzen, aber grausamen Feldzug mit den Festungen Tarsus, Mamistra, Adana und Anabarza das Land. Der armenische Fürst Leo I. wurde vertrieben, geriet aber ein Jahr später in Gefangenschaft und wurde nach Konstantinopel gebracht. Aus der Tatsache, daß er eine Tochter des Isaak Komnenos, des Bruders des Kaisers, heiratete, wird man schließen dürfen, daß ihn am Goldenen Hörn nicht das traurigste Los erwartete. Im Sommer 1137 erfolgte der Angriff der Rhomäer auf Antiocheia, der schon bald zur Besetzung des Fürstentums führte. Mit einem feierlichen Einzug in der syrischen Hauptstadt konnte der byzantinische Kaiser eindrucksvoll seine Macht auch gegenüber den Lateinischen Kreuzfahrerstaaten beweisen, in denen der Erzbischof Johannes Komnenos von Ochrid das weite byzantinische Vordringen nach Südosten anschließend diplomatisch absicherte. Ein noch größeres Unternehmen setzte Johannes II. im Frühjahr 1141 mit Blickrichtung auf die Kreuzfahrerstaaten in Gang. Begleitet von seinen Söhnen Alexios, Andronikos und Manuel begab sich der Basileus mit seinem Heer nach Attaleia, um von dort aus zunächst die Verhältnisse in Pamphylien zu ordnen. Es ging vor allem darum, die christlich gebliebene, aber sonst völlig turkisierte Bevölkerung der Gestade und Inseln des Karalis-Sees wieder unter das kaiserliche Zepter zu zwingen, was nach erheblichen Anstrengungen auch gelang. Ein Opfer der Malaria wurde während dieser Kämpfe des Kaisers Sohn und designierter Nachfolger Alexios Komnenos, den der Kaiser in einem Mosaik der Hagia Sophia als solchen besonders herausgestellt hatte. Zu allem Unglück starb auch Andronikos Komnenos, als er im Auftrag seines Vaters den Leichnam seines Bruders nach Konstantinopel begleitete. Dennoch brach der Kaiser sein Unternehmen nicht ab. Tatsächlich scheint es, als habe der Komnene beim Feldzug von 1142 beabsichtigt, nicht nur in Antiocheia die wiedergewonnene Macht seines Reiches nachdrücklich einer Bevölkerung bewußtzumachen, die vor allem auf Drängen des Lateinischen Klerus des Fürstentums von den Vertragspflichten des Jahres 1137 abgerückt war, sondern als hätte er auch die Wiedereroberung ganz Palästinas für Byzanz im Sinne gehabt.
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Der Weitermarsch der kaiserlichen Streitkräfte durch Isaurien und Kilikien verlief ohne Schwierigkeiten. In Syrien jedoch konnte man sich nicht so durchsetzen, wie es sich der Kaiser im Hinblick auf seine weitgesteckten Ziele vorstellte. Aus diesem Grunde bereitete er im Frühling 1143 an der Grenze von Kilikien und dem Fürstentum Antiocheia einen neuen Schlag gegen den Kreuzfahrerstaat vor, als er am 8. April 1143 bei einem Jagdunfall und wohl kaum durch ein Attentat verletzt wurde und nach einigen Tagen starb. Zuvor allerdings bestimmte der Komnene, den die Zeitgenossen für den bedeutendsten Herrscher seiner Dynastie hielten, seinen jüngsten Sohn Manuel zum neuen Rhomäerkaiser. Die Übernahme der Macht in Konstantinopel war die erste politische Aufgabe, die sich Manuel Komnenos nach dem Tode seines Vaters stellte. Er vertraute sie Johannes Axuchos und Basileios Tzintzilukes an, die sich mit dem Befehl auf den Weg in die Hauptstadt machten, sich dort der Person von Manuels älterem Bruder Isaak zu bemächtigen und die Insignien und den Kronschatz der Kaiser an sich zu bringen. Die beiden Vertrauensleute Manuels konnten Isaak verhaften und im Pantokrator-Kloster festsetzen. Gleichzeitig bemühten sie sich um die Gunst der Palastwache, des Volkes und vor allem der hohen kirchlichen Würdenträger, die Axuchos mit einer Urkunde über die Zusage reicher finanzieller Zuwendungen des neuen Kaisers auf Manuels Seite brachte. Der Kaiser ordnete inzwischen die Überführung der sterblichen Überreste seines Vaters nach Konstantinopel an. Er selbst zog auf dem Landweg aus Kilikien in Richtung der Byzantinischen Hauptstadt ab. Beim Marsch durch Gebiete des Sultanats von Ikonion fielen dabei prominente Angehörige des griechischen Heeres in die Hand der Seldschuken, ein Zeichen dafür, wie unsicher die von Johannes II. geöffnete Landverbindung von der Ägäis zu den Byzantinischen Provinzen in Syrien und Kilikien noch immer war. Immerhin gelang es dem Nachfolger Kaiser Johannes’, die isaurische Stadt Prakana am Kalykadnos im Vorbeimarsch für Byzanz wieder in Besitz zu nehmen. Nach der feierlichen Krönung Manuels befaßte sich der neue Kaiser zunächst mit einer Umorganisation der Spitze des Byzantinischen Staates. Der Thron des Patriarchen wurde im Zuge dieser Maßnahmen neu besetzt, und nicht weniger wichtig war, daß Manuel I. auch einen Weg zur Versöhnung mit seinem bei der Thronfolge übergangenen Bruder fand. In die erste Zeit seiner Regierung fällt aber auch ein wichtiges Gesetz, das sowohl das Steuerwesen wie auch die Militärorganisation des Reiches betraf. Auf Vorschlag seines vermutlich Lateinischen Beraters Johannes aus Putze ging Manuel davon ab, die Schiffe seiner Flotte jeweils von den verschiedenen Inseln und Küstengebieten des Reiches stellen und bemannen zu lassen. Anstelle der diesbezüglichen Ausgaben ließ er Steuern entrichten, mit denen die Kriegsflotten dann je nach Bedarf direkt von der Staatskasse finanziert werden konnten. Ohne Verzug nahm Kaiser Manuel I. aber auch die Kämpfe wieder auf, die seinen Vater zuletzt in Anspruch genommen hatten. Die Brüder Johannes und
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Andronikos Kontostephanos wurden von ihm nach Kilikien entsandt, um dort die Byzantinischen Positionen vor allem gegen Fürst Raimond von Antiocheia zu verteidigen. Der Kaiser selbst sicherte das Gebiet der Stadt Melangeia bei Dorylaion, das von seldschukischen Horden verwüstet worden war. Im Januar 1146 verheiratete sich Kaiser Manuel mit der Schwägerin des deutschen Königs, mit Berta von Sulzbach. Damit kündigt sich zum erstenmal die Thematik an, welche die mehr als 37 Jahre seiner Herrschaft wesentlich bestimmte: die Beziehungen zum Lateinischen Westen und die Auseinandersetzung mit dem abendländischen Kaisertum. Doch 1146 war davon noch nicht ausschließlich die Rede: Manuel rüstete zu einem größeren Zug nach Kleinasien. Über Phrygien führte er das griechische Heer ins Sultanat von Rum und zwang dessen Herrscher Masud I. zum Verlassen seiner Residenz Ikonion. Zwar reichten die Kräfte der Byzantiner nicht aus, Ikonion selbst zu erobern, und der Kaiser mußte schließlich einen nicht ganz ungefährlichen Rückzug ins Gebiet seines Reiches antreten, aber er hatte mit dieser Unternehmung den Beweis erbracht, daß die Rhomäer durchaus in der Lage waren, die türkische Herrschaft über Anatolien ins Wanken zu bringen und unter Umständen auch zu beseitigen. Doch zur Verwirklichung derartiger Pläne hatte Manuel vorläufig die Hände nicht frei, denn aus Westeuropa drang die Kunde von einem neuen, unmittelbar bevorstehenden Kreuzzug nach Konstantinopel. Nach den Erfahrungen der Regierung Alexios’ I. mit den Kreuzfahrern war es nur zu berechtigt, daß der Basileus seine ganze Aufmerksamkeit diesem Ereignis zuwandte. Nach dem Verlust Edessas an den Sultan von Mossul brachten die Bemühungen Papst Eugens III. und die begeisternde Predigt Bernhards von Clairvaux die führenden Mächte Westeuropas dazu, sich an einer neuen Kreuzfahrt zu beteiligen. Unschwer kann man sich vorstellen, mit welchen Gefühlen Byzanz dem Kreuzzug entgegensah, nachdem bekannt geworden war, daß dieses Mal König Ludwig VII. von Frankreich und Konrad III. von Deutschland ihre Ritter persönlich nach Palästina führen wollten. Wie berechtigt Befürchtungen in griechischen Kreisen waren, beweist der Tatbestand, daß zumindest in der Umgebung Ludwigs VII. Überlegungen hinsichtlich eines Angriffes auf die Kaiserstadt am Goldenen Hörn nachweisbar sind. Daß Kaiser Manuel von den Kreuzfahrern die Leistung des Lehenseides und die Übergabe aller eventuellen Eroberungen verlangte, verbesserte das herrschende Klima nicht. So beobachteten sich Lateiner und Griechen voller Mißtrauen, und die byzantinische Regierung beeilte sich, zuerst die Deutschen, unter denen sich auch Friedrich Barbarossa als Herzog von Schwaben befand, und dann die Kreuzfahrer aus Frankreich an die kleinasiatische Küste überzusetzen, von wo aus die Abendländer zu wenig ruhmvollen Zügen aufbrachen, die nach kurzer Zeit zur vollkommenen Auflösung der beiden Heere führten. Das Scheitern des Zweiten Kreuzzuges stellte mit einem Schlag die byzantinische Vormachtstellung im östlichen Mittelmeerraum wieder her.
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Darüber hinaus hatte die Begegnung der Abendländer mit dem Glanz des östlichen Kaisertums und Konstantinopels einen hohen Prestigegewinn zur Folge, der etwa den begeisterten Schilderungen des Eudes von Deuil entnommen werden kann, aber auch im Denken Konrads III. vorauszusetzen ist, der seine Ritter in Ephesos krank verlassen hatte und in Konstantinopel vom Kaiser der Byzantiner persönlich und mit einigem Erfolg ärztlich betreut wurde. III. Das Komnenenreich auf dem Gipfel seiner Macht Der Zweite Kreuzzug sah den Komnenenstaat auf der Höhe seiner Macht. Unter einem jugendlichen, ideenreichen und energischen Kaiser, der durchaus auch den Idealen abendländischen Rittertums entsprach und entsprechen wollte, konnte das byzantinische Reich wieder an die Glanzzeiten anknüpfen, die es zur Zeit der Makedonenherrscher erlebte. Man hatte sich gegen die Seldschuken behauptet, hatte alle Angriffe auf die nördliche Reichsgrenze an der Donau abgewehrt, den Versuch der unwiderstehlichen normannischen Eroberer, sich des Reiches zu bemächtigen, zum Scheitern gebracht, und jetzt, nach dem Mißerfolg der Kreuzfahrer, war auch bewiesen, daß vorläufig neben den Rhomäern keine zweite Macht in der Lage war, im Orient dem Islam die Stirn zu bieten. Und gerade im vollen Bewußtsein des kläglichen Zusammenbruchs ihrer Kreuzfahrt hatten die Westeuropäer mit eigenen Augen gesehen, daß es keines ihrer Länder und Städte mit dem östlichen Reich und seiner Kaiserstadt aufnehmen konnte. Byzanz besaß noch einmal Macht und Ansehen, die es weit über die eigenen Grenzen hinaus und bis tief in die mohammedanischen Reiche hinein als Mittelpunkt der Welt auswiesen. Wenn es unter den Komnenen zu einer neuerlichen Glanzzeit des Byzantinischen Staates kommen konnte, so wurde dies vor allem durch die Arbeitsleistung der Landbevölkerung ermöglicht, die jedoch gleichzeitig eine erhebliche Verschlechterung ihrer gesellschaftlichen Situation in Kauf nehmen mußte. Während der Bauer nur unter Johannes II. von kriegerischen Gefahren und Beeinträchtigungen halbwegs unbelästigt seiner Arbeit nachging, hatte er unter Alexios I. und ebenso unter dessen Enkel Manuel I. schwer unter den Schlägen zu leiden, welche die Einfälle der »Barbaren« in beinahe alle Provinzen des Reiches bedeuteten. Die politischen Ziele des Komnenenstaates erforderten aber dessenungeachtet eine bis ins Rücksichtslose gehende Ausnützung aller vorhandenen Finanzquellen. Der Staat schritt wieder zur Steuerverpachtung, deren Auswüchse die Bevölkerung der stärker landwirtschaftlichen Provinzen immer härter trafen. Dazu kam, daß ständig neue Sondersteuern eingeführt wurden, welche dieselben Bevölkerungskreise am stärksten belasteten. Neben den eigentlichen Steuern für zentrale und provinzielle Behörden hatte der byzantinische Bauer aber auch Quartier und Verpflegung für die Streitkräfte bereitzustellen und für die Versorgung der Festungen aufzukommen. Daß die Steuererhebungsbehörden von den Steuerpflichtigen während ihrer Tätigkeit zu
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unterhalten waren, kann so nicht weiter verwundern. Schließlich bewirkte der Brauch, vor allem Klöstern durch besondere kaiserliche Verfügungen Steuerfreiheit zu verschaffen, ein weiteres Anwachsen der von den Bauern aufzubringenden Summen. Besonders betroffen wurde die ländliche Bevölkerung nach den Quellen von der vieldiskutierten Pronoia, die unter Kaiser Manuel I. allmählich zum System entwickelt und auf den militärischen Bereich eingeengt wurde. Sie sollte nach den Vorstellungen des Basileus wohl dem Dienst im Heer größere Anziehungskraft verleihen und gleichzeitig die Finanzen des Staates entlasten. Leider wissen wir nur sehr wenig darüber, wie die Pronoia im einzelnen gehandhabt wurde. Nach den Angaben des Geschichtsschreibers Niketas Choniates ist zu vermuten, daß der Kaiser den Soldaten nicht mehr wie früher ihren Sold aus der Staatskasse zahlen ließ, sondern ihnen mit der Ausstellung einer Urkunde Ländereien mit einer bestimmten Anzahl von Bauern zugewiesen hat, die ihnen zu dienen und Steuern zu zahlen hatten. Um in den Genuß dieser Regelung zu kommen, mußte man sich allerdings zuvor mit einem Pferd oder einem gleichwertigen Geldbetrag bei den Musterungsbehörden zur Eintragung in eine Liste melden. Danach lebten die Pronoiare auf den ihnen zum Unterhalt angewiesenen Gütern und leisteten bei Bedarf in der betreffenden Provinz Kriegsdienst. Mit dieser Praxis der Soldatenversorgung scheint Manuel I. großen Anklang gefunden zu haben. Vor allem aus dem Handwerk, das seit dem Ansteigen des italienischen Byzanzhandels in scharfem Konkurrenzkampf mit den Lateinern stand, strömten Manuels Heer ständig neue Kräfte zu. Sie lockte nicht zuletzt die Möglichkeit, aus den erhaltenen Gütern erheblich höhere Beträge herauszuholen, als dies mit allen Sondersteuern von einem staatlichen Fiskus zu erreichen war, dessen Steuererhebung zwangsläufig zentral gelenkt werden mußte. Die betroffenen Bauern bekamen natürlich sehr schnell den wachsenden Steuerdruck zu spüren. Trotz ihrer Klagen konnten sie es jedoch nicht verhindern, daß aus ihrer fiskalischen Abhängigkeit von den Pronoiaren im Laufe der Zeit auch eine rechtliche wurde. Ihre dem Lehenswesen vergleichbare, endgültige Ausformung erhielt die Pronoia allerdings im Zeitalter der Komnenen nicht mehr. Den unverkennbaren Feudalisierungstendenzen fielen mit einigen Ausnahmen auch die zunftartigen Korporationen zum Opfer, da sie vor allem den Markt der Hauptstadt nicht gegen die mit überlegenen wirtschaftlichen Mitteln ausgestatteten Feudalherren der Provinz behaupten konnten und sie ihre Stellung auch nicht mehr vom staatlichen Beamtenapparat abgesichert sahen. Die Schicht der Handwerker wurde für den Byzantiner gehobenen Standes zum »Spülicht der Gosse« (Niketas Choniates 304,6), die er für politisch unzuverlässig hielt. Es kümmerte ihn aus diesem Grunde wenig, wenn die kaiserliche Gesetzgebung durch ein ganzes System von Vorzugszöllen und anderen Begünstigungen ausländische Händler gegenüber den eigenen Handwerkern und Kaufleuten bevorzugte. In Konstantinopel konnten so Amalfitaner,
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Venezianer, Pisaner, Genuesen und Kaufleute anderer Herkunft eigene Viertel mit Lagerhäusern und Hafenanlagen in bevorzugter Lage beziehen. Daß sie so schon in der Mitte des 12. Jahrhunderts nicht nur einzelne Städte und Märkte, wie etwa die Messe in Thessalonike zur Zeit des Festes des Hl. Demetrios, sondern auch das gesamte wirtschaftliche Leben des Reiches weitgehend beherrschten, war bei dieser staatlichen Förderung nur folgerichtig. Im Gegensatz zu Bauern und Handwerkern kann der byzantinische Klerus im 12. Jahrhundert kaum als geschlossene soziale Gruppen angesprochen werden. Die Angehörigen des geistlichen Standes lebten dafür je nach ihrem Rang innerhalb der kirchlichen Hierarchie und dem Ort der jeweiligen Wirksamkeit unter materiell zu unterschiedlichen Bedingungen. Darauf zurückweisende Gegensätze verschärften sich gerade auch beim hauptstädtischen Klerus in der Komnenenzeit fortlaufend. Übten noch in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts die vor Arabern und Seldschuken aus Kleinasien oder dem von Lateinern bedrohten Westen des Reiches nach Konstantinopel geflohenen Metropoliten über die Synode – die Endemusa – auf den Patriarchen und etwa bei der Kaiserkür auch auf das staatliche Leben entscheidenden Einfluß aus, so war es ein Jahrhundert später der Kathedralklerus, der mit kaiserlicher Rückendeckung nach und nach an die Stelle des in der Endemusa mit über 30 Köpfen vertretenen Episkopats aus verlorengegangenen Reichsgebieten zu treten begann. Die Kleriker an der Hagia Sophia, bei denen es sich neben dem Chartophylax und den Inhabern von wenig mehr als 10 gut dotierten Diakonspfründen um verschiedene weitere Geistliche handelte, waren mit den führenden Familien der Hauptstadt vielfach versippt und zeichneten sich durch hohe humanistischklassizistische Bildung aus. Den Metropoliten waren sie durch ihre juristischen Kenntnisse nicht weniger überlegen als durch ihre von den Komnenenkaisern geförderte Predigertätigkeit. Wahrscheinlich liegt hierin auch eine Erklärung dafür, daß sie von den Kaisern des 12. Jahrhunderts gegenüber den Metropoliten deutlich bevorzugt wurden: Sie waren gerade mit Hilfe der Predigt in der Lage, die Volksmassen auf bestimmte kaiserliche Ziele hin – oder im Sinne eigener politischer Vorstellungen – nachhaltig zu beeinflussen. Daß dagegen ihr Einfluß auf den Patriarchen von der Herkunft dieses höchsten Würdenträgers der Byzantinischen Kirche aus dem Mönchtum, dem Klerus der Hagia Sophia oder Kreisen, die den Metropoliten der Endemusa nahestanden, abhängig blieb, liegt in der Natur der Sache. Hinsichtlich seiner Bedeutung, aber keineswegs zahlenmäßig hatte das Mönchtum in der Komnenenzeit einen gewissen Rückgang zu verzeichnen. Obwohl Zehntausende von Mönchen und Einsiedlern an den Ufern des Bosporus, auf dem Athos, dem Papykion, dem bithynischen Olymp oder dem Latmos bei Milet lebten und wenn auch bedeutende Patriarchen, Theologen und Männer wie Kyrillos aus Philea, Christodulos von Patmos oder Leontios von Jerusalem aus den Reihen der Mönche kamen und die hauptstädtischen Klöster –
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etwa das Pantokrator-, das Peribleptos- oder das Pantepoptes-Kloster – auch im politischen Leben des Reiches wichtige Faktoren waren, ändert sich an dieser Feststellung nichts. In einer Zeit, in der Bildung großgeschrieben wurde, könnte dies zunächst einmal in bildungsfeindlichen Tendenzen seine Ursache haben, die selbst Angehörige der Byzantinischen Geistlichkeit beim Mönchtum zu erkennen glaubten. Dazu kam, daß unter den Komnenen sowohl die Kaiser wie auch die führenden Familien des Reiches zahlreiche Klöster gründeten, deren Funktion sie jedoch weniger im religiösen Bereich sahen. Das Kloster der Komnenenepoche wurde so mit seinem Spital, mit Waisenhaus und Armenküche zwar zur »bedeutendsten sozialen Einrichtung der mittelbyzantinischen Zeit«, allein, die Mönche waren vielfach mit Verwaltungsaufgaben überlastet und konnten ihrer religiösen Berufung nicht gerade immer gerecht werden. Aus der Betrachtung der Klöster als soziale Institutionen mag ein weiterer Mißstand, das Charistikarier- Unwesen, entstanden sein. Sogar Streitschriften mußten verfaßt werden, um der weitverbreiteten Anschauung von der Verfügbarkeit von Klosterbesitz durch Laien in den Weg zu treten. Schließlich wird in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sein, daß der Eintritt in den Mönchsstand nicht selten einem Ausweichen vor den Anforderungen des Byzantinischen Staates gleichkam, was beispielsweise die Flucht des berühmten cypriotischen Einsiedlerabtes Neophytos Enkleistos vor den Werbern der kaiserlichen Armee deutlich werden läßt. Den umfassendsten Versuch, die Probleme der Mönche und Einsiedler zu lösen, machte Kaiser Manuel: Im März 1158 untersagte der Komnene den Klöstern der Hauptstadt und ihres Umlandes jede Mehrung ihres Grundbesitzes. Später verordnete er den Mönchen eine staatliche »Rente« von jährlich vier Nomismata. Dafür sollten sie sich, von allen weltlichen Angelegenheiten befreit, ganz auf ihr religiöses Leben konzentrieren und auf diese Weise zum Wohle des Reiches wirken. Wieweit sich Manuels diesbezügliche Vorstellungen verwirklichen ließen, sei dahingestellt. Fest steht aber, daß zwar auch das Mönchtum nicht als einheitliche soziale Gruppe aufgefaßt werden kann, daß es aber immerhin seinen Angehörigen in der Komnenenzeit vielfach die Möglichkeit gab, innerhalb der weiteren Gesellschaft des Byzantinischen Staates verhältnismäßig mühelos aus niederen Schichten nach oben vorzudringen. Die Spitze der Byzantinischen Gesellschaft bestand indes aus einer Gruppe von vielleicht zwanzig Familien. Sie bildeten, zumindest von ihren Lebensbedingungen her gesehen, eine ziemlich geschlossene Einheit, denn die Gegensätze von Beamtenadel und Militäraristokratie, die noch im 11. Jahrhundert eine wesentliche Rolle gespielt hatten, waren in der Zwischenzeit auf gewisse Familienrivalitäten reduziert. So sind es Sippen wie die Dalassenoi, die Dukas oder die Bryennioi, die Kamateroi und die Palaiologen, die neben den Komnenen die innenpolitische Szene beherrschen. Nur wenigen Familien wie
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den Angeloi aus Philadelphia glückte der Einbruch in diese privilegierten Kreise. Es scheint fast, als wäre es einfacher gewesen, als Angehöriger ausländischen Adels in dieser obersten Byzantinischen Schicht Fuß zu fassen, was etwa den Rogerioi aus Sizilien oder den seldschukischen Axuchoi gelungen ist. Die einzelnen Familien, untereinander vielfach verschwägert, treten jedoch in der Komnenenzeit nicht als einheitliche Gruppen auf, sondern sind in ihren verschiedenen Zweigen oft erbittert verfeindet. Daß diese inneren Gegensätze bei der herrschenden Dynastie am deutlichsten zutage treten – zu denken ist an die Auseinandersetzungen zwischen Johannes II. und Anna Komnena, zwischen Manuel I. und seinem Bruder Isaak sowie seinem Vetter, dem späteren Kaiser Andronikos I. –, ist wahrscheinlich vor allem in der besonders günstigen Quellenlage begründet. Die führenden Familien des Komnenenstaates besaßen neben ihren Großländereien in den Provinzen auch in Konstantinopel ihre teilweise befestigten Paläste. Wie auf ihrem Familienbesitz, so hatten sie meist auch in der Hauptstadt ihr »Hauskloster« oder wenigstens eine Kirche, in der sich die Grablege des jeweiligen Geschlechts befand. Gerade die Verbindung von »Stadtburg« und Kloster erwies sich als eine Grundlage, von der aus eine zahlreiche Familie – für die Komnenen im Kaiserpalast wird man zeitweise an die 100 Familienmitglieder vermuten dürfen –, von ihrem Gefolge unterstützt, recht nachhaltig auf das Leben am Hof einwirken konnte. Daß dabei auffallend häufig Staatsstreiche gewagt wurden, überrascht bei der Härte, mit der dieses Verbrechen bestraft wurde. Aber der drohenden Blendung und Verbannung in ein fernes Kloster zum Trotz wagten Angehörige der bedeutendsten Adelsfamilien immer wieder den Griff nach dem Diadem der Nachfolger Kaiser Konstantins. Vorbereitet für diese Würde waren sie ohne Frage in den meisten Fällen, denn die Söhne der maßgeblichen Familien hatten gewöhnlich kürzere oder längere Zeit wichtige Stellen in der Verwaltung und hohe Kommandos im Heer besetzt. Auffallend ist dagegen, daß wir nur äußerst selten in der kirchlichen Hierarchie auf Mitglieder des Byzantinischen »Hochadels« stoßen und mit Adrianos Komnenos nur einen einzigen Kirchenfürsten aus der Kaiserfamilie kennen. Große Bedeutung hatte der Adel der Komnenenzeit unbestritten für das künstlerische und literarische Leben. Wie die Kaiser selbst Dichter und Künstler an ihren Hof zogen, so waren auch die Großen des Reiches bemüht, ständig von einem Kreis gelehrter und kunstsinniger Männer umgeben zu sein. Vom Adel und den Klöstern gefördert, aber nicht ausschließlich von ihnen getragen, entwickelte sich die Literatur der Komnenenzeit zu hoher Blüte. Dessenungeachtet wird ihr häufig der Vorwurf der Wirklichkeitsferne, eines fast starren Klassizismus und einer zu weitgehenden Vermischung von heidnischen und christlichen Motiven gemacht. Völlig unbegründet sind solche Vorwürfe sicherlich nicht. Ihnen steht aber entgegen, daß sich die byzantinische Literatur dieses Zeitraums durch hohen Realismus auszeichnet, wie er in den
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Jahrhunderten vorher oder danach nur vereinzelt festzustellen ist, ganz gleich, ob wir unter diesem Gesichtspunkt den Roman, die Poesie oder die Geschichtsschreibung betrachten. Vielleicht rührt dies schon daher, daß sich die Byzantinischen Literaten des 12. Jahrhunderts recht unbekümmert sowohl in der einen wie in der anderen Gattung versuchen; das Beispiel des noch immer geheimnisumwitterten Poeten Theodoros Prodromos zeigt das zur Genüge. Während auf dem Gebiet des Romans neben Prodromos die Namen eines Eustathios Makrembolites, eines Niketas Eugenianos oder des Konstantin Manasses auftauchen, deren Wirklichkeitsnähe mit den Mitteln der Allegorie und der Symbolik überhöht wird, ist es einfach unmöglich, all die Rhetoren und Gelegenheitsdichter zu nennen, für die der Kaiserhof der Komnenen einen unwiderstehlichen Anziehungspunkt bildete. Selbst wenn einzelne unter ihnen, wie Nikephoros Basiliakes, so bekannt wurden, daß ihr Name für die Zukunft mit der Bezeichnung ganz bestimmter stilistischer Eigenarten fest verbunden wurde, erreichen ihre Werke die Bedeutung der während der ersten Regierungsjahre Kaiser Manuels geschriebenen »Alexias« keinesfalls. Mit ihr hat die kurz vor 1154 im Alter von 71 Jahren verstorbene Anna Komnena ein auch formal anspruchsvolles Geschichtswerk geschaffen, in dessen Mittelpunkt der Vater der Verfasserin, Kaiser Alexios I., steht. Sachlichkeit bei der Auswertung eines verhältnismäßig umfänglichen Quellenmaterials und ebenso das Bemühen um Objektivität sind von der Thematik des Werkes kaum beeinträchtigt. Auch die Tatsache, daß die Komnenenprinzessin Jahrzehnte vor Abfassung ihrer »Alexias« selbst ins politische Leben des Byzantinischen Reiches eingegriffen hat, kommt ihrem Urteilsvermögen zugute. Zusammen mit erstaunlichen Kenntnissen in Geographie, Geschichte und Literatur macht es die »Alexias« zu einer ganz großen Leistung im damaligen Byzantinischen Geistesleben, gegen welche die Weltchroniken eines Johannes Zonaras oder des Michael Glykas genauso abfallen wie das unvollendet gebliebene Werk des Gatten der Anna Komnena, Nikephoros Bryennios, und die Darstellung der vorkomnenischen Zeit durch den auch als Verfasser juristischer Fachliteratur hervorgetretenen Michael Attaleiates. Die »Alexias« gibt aber auch Zeugnis von der hohen humanistischen Bildung, die die ganze kaiserliche Familie auszeichnete, innerhalb derer gerade auch verschiedene hochgebildete Frauen erwähnt werden könnten. Auch die theologische Literatur erlebte im Byzanz des 12. Jahrhunderts eine große Zeit. Besonders auf dem Gebiet der Dogmatik und der Homiletik entstanden umfangreiche und bedeutende Werke. Euthymios Zigabenos, Neilos Doxoprates und Andronikos Kamateros verfaßten in dieser Zeit ihre Panoplien, in denen sie eingangs die orthodoxe Lehre darstellten und dann in einem »häresiologischen« Teil zur Kritik anderer christlicher Lehrmeinungen und des Islam kamen. Solche Werke verdanken ihr Entstehen der politischen Konfrontation oder theologischen Disputationen der Byzantiner mit Angehörigen der Lateinischen Christenheit, den monophysitischen Armeniern,
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den Bogomilen und Mohammedanern. Von Bedeutung war aber nicht weniger, daß an der Spitze des Reiches Kaiser standen, die überdurchschnittliche theologische Kenntnisse besaßen und namentlich in die innerbyzantinischen Meinungsverschiedenheiten über Fragen der Trinitätslehre wiederholt spürbar eingegriffen haben. Für die Kulturgeschichte des Komnenenstaates in seiner Glanzzeit ist die Begegnung des Byzantinischen Geisteslebens mit der gleichzeitigen abendländischen Kultur von solcher Wichtigkeit, daß sie wenigstens eine kurze Erwähnung verdient, auch wenn hier Byzanz ganz eindeutig der überwiegend gebende Teil gewesen ist. Henricus Aristippus, ein gebürtiger Grieche und seit 1165 Erzbischof von Catania, soll für die zahlreichen Byzantiner und Westeuropäer stehen, die in diesen Jahren als Träger des kulturellen Austausches in Erscheinung treten. Aristippus hat mit der Übersetzung von Platons Dialogen »Phaidon« und »Menon« der westlichen Philosophie kaum überschätzbare Anregungen gegeben. Er war es auch, der den »Almagest«, die Astronomie des Ptolemaios, als Gesandter König Wilhelms I. vom griechischen Kaiser erhielt und in den Westen brachte, wo das Werk dann bis 1162 erstmalig ins lateinische übertragen wurde. Ganz ohne Frage sind derartige Vorgänge von entscheidender Bedeutung etwa für das kulturelle Niveau am Hof Friedrichs II. oder für die Entwicklung zur Frührenaissance geworden. Nicht weniger als die Literatur verdient die bildende Kunst der Komnenenzeit Aufmerksamkeit. Sie steht bis zum 12. Jahrhundert im Zeichen der Ablösung der in sich geschlossenen Klassik der Makedonenepoche. Was sie ersetzt, ist ein Stil, der heute in besonderem Maß als byzantinisch empfunden wird. Er ist geprägt von Feierlichkeit, Erhabenheit und tiefer Religiosität, von feiner Linienführung und Transparenz in der Farbgebung. Hinsichtlich der Thematik läßt sich eine zunehmende Entfernung von antikem Gedankengut feststellen. Auf der anderen Seite kommt eine abwehrende Haltung gegenüber gleichzeitigen Kunstströmungen im übrigen Europa auf, der eine gewisse Offenheit gegenüber seldschukischen Einflüssen gegenübersteht. Am Ende der kunstgeschichtlichen Entwicklung steht zur Zeit der späten Komnenen ein Manierismus, der starke’ innere Bewegung, aber auch Unruhe verrät. Von der Kunst der Komnenenzeit haben wir in Istanbul heute nur noch verhältnismäßig wenig Zeugnisse. Kunstwerke wie das Mosaik Kaiser Johannes’ II. und seiner Gemahlin Irene in der Hagia Sophia oder die als Anlage erhaltenen Kirchen des Pantokrator-Klosters mit seinem Fußboden in opus sectile aus rotem und grünem Porphyr vermitteln jedoch noch immer einen guten Eindruck von der Pracht, mit der die Komnenenkaiser und andere Würdenträger ihres Reiches Kirchen und Klöster der Stadt am Goldenen Hörn geschmückt haben. Im übrigen wird man sich vorstellen müssen, daß auch die Gotteshäuser der Hauptstadt im Glänze von Mosaiken erstrahlten, wie sie sich als ausgedehnte Zyklen in den unter Mithilfe von Künstlern aus Konstantinopel ausgestatteten Klosterkirchen von Daphni bei Athen oder Hosios Lukas und in der imposanten
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Weltgerichtsdarstellung des Domes von Torcello erhalten haben, während sich die Großartigkeit der in hauptstädtischen Kirchen geschaffenen Fresken vor den Malereien des Bergkirchleins von Nerezi oder der Grabkapelle von Batschkovo erahnen läßt. Die Bedeutung des damaligen Byzantinischen Kirchenbaus für die technische Entwicklung machen Funde bleigefaßter Glasfensterfragmente aus Konstantinopel deutlich, welche die Glasmalerei gotischer Kathedralen zu Byzanz in Beziehung setzen. Während wir auch an russischen Kirchen – von der Sophienkathedrale in Kiev über die dortige Erzengelkirche zur Erlöserkathedrale im Mirosch-Kloster von Pskow und anderen Kirchen in Kiev, Novgorod oder Polozk – die Fortentwicklung der Byzantinischen Kunst verfolgen können, bis sich um 1150 in diesem Raum auch Einflüsse aus Westeuropa bemerkbar machen, geben uns Bauten wie die Cappella Palatina in Palermo eine Vorstellung von der Profanarchitektur und Kunst am Hof der Komnenen. Gerade die Normannenkönige, aber mit ihnen auch ihre Feldherren und Admirale ließen sich von griechischen Künstlern die großartigen Bauten ihres jungen Reiches schmücken – die Martorana von Palermo sowie die Dome von Monreale und Cefalù. Gibt es eine klarere Bestätigung für die Führungsstellung der Byzantinischen Kunst in der damaligen Welt, als daß ausgerechnet die Normannen als schärfste politische Gegner des Byzantinischen Reiches die Griechen zu solchen Aufträgen heranzogen? Für den Bereich der Malerei läßt sich die künstlerische Entwicklung besonders leicht mit Hilfe der reichlich erhaltenen Ikonen aus der Komnenenzeit verfolgen, obwohl Miniaturen- und Ikonenmalerei, Mosaik und Fresko in so engem Zusammenhang stehen, daß es unrichtig wäre, einen dieser Zweige der Malerei in einer Schrittmacherrolle für die anderen zu sehen. Immerhin machen die Ikonen deutlich, daß bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts zwar der Stil der Makedonischen Renaissance bestimmend blieb, daß sich dann aber, von den Klöstern ausgehend, die Tendenz zu einer stärker abstrahierenden Darstellungsweise durchsetzte. Nachdem die Malerei auch von der Ikonographie her die schon bislang gebräuchlichen Themen auf eine größere liturgische Einheitlichkeit hin neu ausgerichtet hat, wird bis zur Schwelle des 12. Jahrhunderts ein neuer Stil gefunden, dessen Grundsätze für die byzantinische Kunst der Komnenenepoche, aber auch der gesamten Folgezeit richtungweisend bleiben. Bei der Miniaturenmalerei scheint sich im 12. Jahrhundert eine klösterliche und eine stärker hauptstädtisch-höfische Tradition herauszubilden. So tragen die ziemlich zahlreichen Handschriften des Athos aus dieser Zeit stärker konservative und betont asketische Züge, die Hand in Hand mit einer nachhaltig schematisierenden Tendenz gehen. Nach Konstantinopel dagegen weisen die Miniaturen des Jakobos Kokkinobaphos, von welchen Predigterläuterungen zum apokryphen Jakobusevangelium überaus phantasievoll, lebhaft und in fortschrittlicher Auffassung begleitet werden. Und mit einiger Sicherheit dürfte
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der im Serail von Istanbul aufbewahrte Oktateuch, der aus dem Besitz des Sebastokrators Isaak Komnenos stammt, sogar in einer kaiserlichen Schreibschule entstanden sein. Nicht nur für die künstlerische Entwicklung der Malerei, auch im Hinblick auf andere kunsthandwerkliche Techniken kommt der Herstellung der Ikonen gesteigerte Bedeutung zu. Zwar verschwindet das Elfenbein als Arbeitsmaterial fast völlig, weil Byzanz zu seinen Ursprungsländern aus politischen Gründen keinen Zugang mehr hat, aber an seine Stelle tritt nun der grünlich durchschimmernde Steatit. Große Wichtigkeit erlangt auch – nicht nur für die Ikonenproduktion – die Gußtechnik, die hauptsächlich mit Bronze oder Kupfer arbeitet, das dann je nach Zweckbestimmung mit Gold oder Silber gefaßt werden kann. Gerade aus dem 12. Jahrhundert sind zahlreiche Tafeln, Diptychen und Triptychen im Verlauf des Vierten Kreuzzuges ins Abendland gelangt, die auf dieser technischen Grundlage entstanden waren. Es wurden in dieser Zeit aber auch große Objekte von griechischen Künstlern gegossen, wie die meisterhaften Kirchentüren von San Michele auf dem Monte Gargano oder die zusätzlich im Ätzverfahren bearbeiteten Portale der Kathedrale von Susdal beweisen. An eigentlichen Goldschmiedearbeiten haben wir aus dem Byzanz der Komnenen vor allem die prunkvolle Pala d’Oro, welche der venezianische Doge Ordelaffo Falier zur Zeit Alexios’ I. in Konstantinopel in Auftrag gab, ein weiteres Zeichen dafür, welch hervorragender Ruf byzantinische Künstler damals in aller Welt besaßen. Ihre Kunstfertigkeit leuchtet gleichermaßen in der auf Befehl Belas III. und unter Verwendung älterer Teile geschaffenen ungarischen Stephanskrone auf, die sich mit der Pala d’Oro nicht zuletzt durch wertvolle Emailarbeiten in Zellenschmelztechnik auszeichnet. Da noch heute zahlreiche Staurotheken und andere Reliquiare in ähnlicher Ausführung vorhanden sind, kann man sich auch von der Größe der entsprechenden Werkstätten in der Hauptstadt des Rhomäerreiches ein Bild machen. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch an die gekonnte Verwendung edler Steine – Malachit, Onyx, Serpentin und Alabaster sind besonders gefragt –, die nicht nur von Gemmenschneidern künstlerisch gestaltet werden. Hinter den edle Steine und Metalle verarbeitenden Kunsthandwerkern stehen hinsichtlich ihrer Fertigkeiten die Seidenweber und die Kunsttöpfer bestimmt nicht zurück. Während jene ihre Keramik mit stark stilisiertem Tier- und Pflanzendekor verzieren und ihre Kunst so weit vervollkommnen, daß sie auch zur Außengestaltung von Kirchen herangezogen wurden und vielleicht auch Vorbilder für die seldschukische Fayence schufen, waren die Byzantinischen Seidenweber so gefragt, daß Roger II. bei seinen Überfällen auf rhomäisches Reichsgebiet nicht anstand, aus den Seidenzentren Theben und Korinth Handwerker nach Sizilien zu deportieren, die dort vor allem Damast, aber auch Samt herzustellen hatten und so dazu beitrugen, das Seidenmonopol der Byzantiner vollends zu brechen. Dennoch waren die griechischen Handwerker auch hier nach wie vor zu großen Leistungen fähig, was unter anderem die
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Brauweiler Kasel aus Damastseide, die Bernhard von Clairvaux getragen haben soll, beweist. Dem kulturellen Glanz des Komnenenreiches, der die Kreuzfahrer von 1148 beinahe überwältigte, eine ebenso großartige Politik an die Seite zu stellen war das stete Bestreben Kaiser Manuels I. Unbeirrt von allen Rückschlägen und oft auch ohne sachgerechte Beurteilung der Möglichkeiten seines Staates jagte der Komnene dem Wunschbild der Wiederherstellung eines die ganze Ökumene umfassenden Reiches nach. Daß dieser Universalismus in einer Zeit, welche für einige Jahrzehnte unter anderen Vorzeichen das komplizierte, auf einem gewissen Gleichgewicht der Macht basierende Staatensystem der frühen Neuzeit vorwegnahm, beinahe zwangsläufig scheitern mußte, scheint Manuel nicht für möglich gehalten zu haben. Offensichtlich machte sich der Basileus aber auch mehr als einmal falsche Vorstellungen von den politischen Zielen seiner Partner und Gegner und beging im Umgang mit ihnen schwerwiegende Fehler. Als Gefangener einer Ideologie und unter Vernachlässigung der dringendsten politischen Aufgaben des Reiches, der Bewältigung der inneren Schwierigkeiten und außenpolitisch der völligen Bereinigung der Türkengefahr, hat Manuel I. als Politiker Schiffbruch erlitten, obwohl er den territorialen Bestand seines Reiches mehrte. Die Versäumnisse seiner Regierung hatten für die weitere Entwicklung des Byzantinischen Staates Verhängnisvolle Konsequenzen. Bei der imperialen Zielsetzung der Politik Kaiser Manuels kam der Herrschaft über Italien zentrale Bedeutung zu. Dieses Thema war dementsprechend auch der wichtigste Verhandlungsgegenstand bei Gesprächen, die Manuel Komnenos mit Konrad III. im Winter auf 1149 führte. In Thessalonike wurde schließlich ein Vertrag abgeschlossen, der ein gemeinsames Vorgehen der beiden Verbündeten in Italien vorsah und eine byzantinische Festsetzung auf der Apenninenhalbinsel einschloß. Nachdem die politische Heirat im 12. Jahrhundert zum geläufigsten Mittel zur Besiegelung politischer Interessen- und Zweckgemeinschaften wurde, vereinbarte man weiter, eine Nichte des Basileus mit Konrads Sohn Heinrich zu vermählen, und feierte bei dieser Gelegenheit die Hochzeit des Babenbergerherzogs Heinrich Jasomirgott mit Theodora Komnena, einer anderen Verwandten des griechischen Kaisers. Manuel selbst sah durch diesen Vertrag die Voraussetzungen erfüllt, um an die Verwirklichung seiner Pläne zur Erringung der Weltherrschaft gehen und als ersten Schritt auf dem Weg zu ihr die Besitznahme Italiens in Angriff nehmen zu können. Während die Aufmerksamkeit der Byzantiner ganz vom Zweiten Kreuzzug und den Ereignissen an seinem Rand in Anspruch genommen wurde, griff der Normannenkönig Roger II. von Brindisi aus das Rhomäerreich an. Sein erstes Ziel war Korkyra, wo er sich mühelos festsetzen konnte, weil die Bewohner der Insel mit ihrer Besteuerung durch die Byzantinischen Behörden unzufrieden waren. Roger II. setzte darauf sein Unternehmen, das im Grunde ein Piratenzug war, fort, holte sich aber auf der Peloponnes zunächst vor der Festung Monembasia eine Schlappe. Mehr Glück hatte er dann, als er in den Golf von
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Korinth eindrang, Theben besetzte und ihm auch die Erstürmung der stark befestigten Akropolis von Korinth gelang. Theben und Korinth wurden ausgeraubt und die Bevölkerung der beiden Städte teilweise verschleppt. Wie bereits berichtet, hatte es Roger vor allem auf Leute, die als Weber, Seidenspinner und Brokatwirker ihr Brot verdienten, abgesehen: mit ihnen beabsichtigte er, in Sizilien die eigene Seidenindustrie aufzubauen. Kaiser Manuel war nicht gesonnen, die normannische Herausforderung einfach hinzunehmen. 1148 sandte er eine starke Flotte unter seinem Schwager Stephan Kontostephanos und das Heer mit Johannes Axuchos nach Korkyra, um fürs erste die Insel zurückzugewinnen. Trotz venezianischer Unterstützung gelang es freilich nicht auf Anhieb, dieses Ziel zu erreichen. Noch unter dem frischen Eindruck der erfolggekrönten Verhandlungen mit Konrad III. und nach einem siegreichen Feldzug gegen die Kumanen im Gebiet von Philippopel ging Manuel I. 1149 daran, die Eroberung Korkyras als erste Maßnahme im Zuge der in Thessalonike vereinbarten Politik zu Ende zu führen. Unter seinem Befehl wurde die zur starken Festung ausgebaute Burg von Korkyra den Normannen entrissen, deren Besatzung in griechische Dienste trat. Nur ein Schatten fiel auf diesen Erfolg: im Verlauf der erbitterten Kämpfe kam es zu erheblichen Unstimmigkeiten zwischen den Byzantinischen Truppen und den Soldaten aus Venedig. Roger II. blieben die Pläne des deutschen Königs und seines Byzantinischen Schwagers nicht verborgen. Er bemühte sich nun seinerseits, mit Ludwig VII. von Frankreich, dem ungarischen König Geza II., den Welfen und Papst Eugen III. ein Bündnissystem gegen die Vertragspartner von Thessalonike zu schaffen. Während aber Eugen III. unter dem Einfluß des deutschen Kanzlers Abt Wibald von Stablo für die normannischen Pläne nicht zu gewinnen war, bereiteten die Welfen ihrem König im eigenen Land solche Schwierigkeiten, daß er die Ausführung der bei seinem Aufenthalt im Byzantinischen Reich abgesprochenen Vorhaben fürs erste aufschieben mußte. Eine tiefgreifende Veränderung innerhalb der deutsch-byzantinischen Beziehungen brachten der Tod Konrads III. und der Regierungsantritt Friedrich Barbarossas. Nachdem König Konrad das Byzanz gegebene Versprechen eines Krieges gegen die Normannen nicht mehr erfüllen konnte, plante der Neffe des Verstorbenen zwar als erste wichtige Maßnahmen seiner Regierung den Romzug und auch einen Kampf um Unteritalien. Im hierüber mit der Kurie 1153 abgeschlossenen Vertrag von Konstanz wurde jedoch ausdrücklich festgesetzt, daß beide Teile dem »Griechenkönig« auf keinen Fall den Gewinn italienischen Bodens ermöglichen sollten. Diese Bestimmung war jedoch bei Kaiser und Papst recht unterschiedlich begründet. Während Anastasius IV. die Macht des ketzerischen Kaisers von Konstantinopel fürchtete, leitete der Staufer seine Haltung vor allem aus den Gedanken des Honor imperii und der Restauratio imperii ab, worunter er ganz konkret verstand, daß das Reich mit Italien in territorialer Unversehrtheit erhalten werden müsse. Auch wenn der
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Gesandtschaftsverkehr zwischen Byzanz und dem deutschen Reich vorläufig noch fortgesetzt wurde und Barbarossa sogar bereit war, die Verbindung beider Staaten durch eine Heirat mit einer griechischen Prinzessin zu festigen, so entwickelte sich bei dem imperialen Selbstverständnis beider Reiche eine immer erbittertere Rivalität. Als Manuel klarwurde, daß unter Friedrich I. eine gemeinsame deutschbyzantinische Unternehmung in Italien unwahrscheinlich geworden war, ergriff er 1155 die Initiative, um parallel zum Romzug Barbarossas die Byzantinischen Interessen im südlichen Italien durch eine militärische Intervention zur Geltung zu bringen. Der Basileus entsandte Michael Palaiologos über die Adria, nachdem er von seinem ursprünglichen Wunsch, dort selbst einzugreifen, abgekommen war. Mit reichlichen Geldmitteln reiste der General des Kaisers zuerst nach Venedig und stellte dort ein Heer auf. Dann zog er nach Süditalien und entriß den Normannen in einem eindrucksvollen Siegeslauf die meisten Städte Apuliens bis vor die Tore von Tarent; die innernormannische Opposition mit Graf Alexander von Conversano an der Spitze leistete ihm dabei wertvolle Dienste. So schien es, als sollten sich die Wünsche Kaiser Manuels erfüllen und er der Wiedererrichter des justinianischen Imperiums werden, eben noch rechtzeitig, bevor Barbarossa als Kaiser des Abendlandes versuchen konnte, das Reich Karls des Großen noch einmal heraufzuführen. Die normannische Reaktion auf das griechische Vorgehen in Unteritalien ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Obwohl Kaiser Manuel laufend Truppenverstärkungen auf den Kriegsschauplatz entsandte und mit erheblichen finanziellen Mitteln Parteigänger für die griechische Sache in Italien zu werben bestrebt war, traf der Gegenschlag des neuen Normannenkönigs Wilhelm I. die Byzantiner bei der Belagerung von Brindisi so hart, daß sie in kürzester Frist die gesamten besetzten Gebiete und Städte verloren und in normannische Gefangenschaft gehen mußten. Als die Normannen unter ihrem Admiral Maione byzantinische Hafenstädte überfielen und sogar den Kaiserpalast von Konstantinopel von ihren Schiffen aus mit Pfeilen mit silbernen Spitzen beschossen, sah sich Manuel gezwungen, 1158 mit ihnen Frieden zu schließen. Ohne auf eine byzantinische Expansion in Richtung Italien grundsätzlich zu verzichten, aber in der klaren Erkenntnis, daß sie angesichts der entschlossenen Politik der Staufer und der Stärke des Normannenstaates zunächst undurchführbar war, verlagerte Manuel Komnenos das Schwergewicht seiner politischen und militärischen Aktivität seit dem Friedensschluß mit den Normannen auf Ungarn. Als Sohn einer Ungarin konnte sich der Basileus dabei auch hier auf eine starke probyzantinische Gruppe stützen, die jederzeit in der Lage war, ihre an der Politik der Staufer orientierten Gegner in Schach zu halten. Wie in Unteritalien gab es darüber hinaus auch im kirchlichen Bereich Kräfte, die sich mit dem Erzbischof von Kalocza stärker nach Konstantinopel hingezogen fühlten als die um den Erzbischof von Gran gruppierten Anhänger der Lateinischen Kirche. Schließlich kam Byzanz auch zugute, daß der Böhmenkönig
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Vladislav während des Zweiten Kreuzzuges Lehnsmann des oströmischen Kaisers geworden war und auch zum Hof der Babenberger in Wien dynastische Beziehungen bestanden, die gegebenenfalls genutzt werden konnten. Nachdem es bereits in den fünfziger Jahren zu einer Verschwörung des griechischen Befehlshabers der Festungen Belgrad und Branicova mit den Ungarn gegen Kaiser Manuel und verschiedenen bewaffneten Zwischenfällen an der ungarischbyzantinischen Grenze gekommen war, boten die Thronstreitigkeiten nach dem Tode Gezas II. dem Rhomäerkaiser eine günstige Gelegenheit, seine Macht an der mittleren Donau noch stärker zur Entfaltung zu bringen. Im einzelnen hoffte Manuel mindestens auf die Abtretung des Gebietes zwischen Save und Drau mit der wichtigen Festung Zeugminon (Semlin) und auf Tributzahlungen aus dem gesamten ungarischen Königreich. Um seine Ziele leichter durchsetzen zu können, suchte der Komnene dem mit seiner Nichte Maria verheirateten Stephan II. die Krone der Arpaden zu verschaffen. Der byzantinische Thronkandidat konnte sich jedoch trotz massiver griechischer Unterstützung in seiner Heimat nicht behaupten, und Manuel mußte im Verlauf der weiteren Verwicklungen an der Grenze zunächst auf byzantinischem Gebiet bis hinunter nach Nisch außergewöhnliche Verteidigungsanstrengungen in die Wege leiten, bevor ihm im Gegenzug die Eroberung Frangochorions gelang. Schon zuvor hatte Kaiser Manuel bei Verhandlungen mit Stephan III. durchgesetzt, daß dessen Bruder Bela als Thronfolger anerkannt wurde und an ihn zugleich die ungarischen Teile Dalmatiens, Bosniens und Kroatiens gingen. 1165 verlobte er den Ungarnprinzen, der in Konstantinopel auf den Namen Alexios umbenannt worden war, mit seiner einzigen Tochter Maria und verlieh ihm den Rang eines ›Despotes‹, womit er in der Stufenleiter der Byzantinischen Würden gleich hinter dem Kaiser folgte. Damit war abzusehen, daß Bela-Alexios eines Tages unter seinem Zepter das byzantinische Kaiserreich zusammen mit Ungarn regieren würde. Versuche von ungarischer Seite, diese Ergebnisse der Politik Kaiser Manuels zu revidieren, scheiterten vollkommen. Im Sommer 1167 überschritt mit Andronikos Kontostephanos der bemerkenswerteste byzantinische Feldherr dieses Jahrzehnts die Donau und schlug am 8. Juli ein starkes ungarisches Heer. Welche Bedeutung der Kaiser diesem Sieg beimaß, wurde in einem der prächtigsten Triumphzüge sichtbar, die Konstantinopel während der Komnenenzeit erlebte. Die für Byzanz überaus positiven Resultate der Ungarnpolitik wurden nicht von außen in Frage gestellt, sondern von den Entscheidungen des Kaisers bezüglich seiner Nachfolge. Als ihm nämlich von seiner zweiten Gemahlin ein Sohn geboren worden war, löste er 1170 das Verlöbnis seiner Tochter mit Alexios-Bela, nicht ohne dafür von der Byzantinischen Öffentlichkeit und vor allem von Andronikos Komnenos heftig kritisiert zu werden. Es war ein wirklicher Glücksfall, daß Manuel dem Ungarnprinzen drei Jahre später die Krone des hl. Stephan verschaffen konnte und ihn vor der Abreise in sein Heimatland zu dem Schwur veranlaßte, nie etwas gegen die Byzantinischen
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Interessen zu unternehmen, obwohl der nunmehrige Bela III. zuvor seine Rechte in Kroatien und Dalmatien an den Basileus hatte abtreten müssen. In engem Zusammenhang mit den Ungarnkriegen Kaiser Manuels ist auch die Politik des Komnenen gegenüber Serbien zu sehen. Bei allen diesen Auseinandersetzungen versäumten es nämlich die Magyaren nicht, sich vom Byzantinischen Druck dadurch Entlastung zu verschaffen, daß sie die immer wieder aufflackernden serbischen Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützten. Zwar gelang es den Serben nur 1168, sich im Kampf mit den Streitkräften des Basileus zu behaupten, aber sobald die griechischen Truppen das schwer zu kontrollierende Land wieder verlassen hatten, kam es zu neuem Aufruhr gegen die Byzantiner, die 1155 in der Trajanspforte auch wieder gegen bulgarische Aufständische zu kämpfen hatten. Erst als Manuel I. im Jahre 1172 selbst in Serbien eindrang und den Župan Nemanja, den Stammvater der NemanjidenDynastie, besiegte und als zugleich jede Hoffnung der Serben auf Hilfe von jenseits der Donau mit der Thronbesteigung Belas III. in Ungarn illusorisch geworden war, fügte sich das Land mit seinem Fürsten unter das Regiment der Byzantiner. Bis zum Ende der Regierungszeit Kaiser Manuels finden wir von da an sogar neben ungarischen auch serbische Einheiten im Byzantinischen Heer. Darüber hinaus siedelte der Basileus Serben in größerer Zahl als Wehrbauern vor allem in der Gegend von Sofija an. An die erfolgreiche Politik seines Vaters konnte Kaiser Manuel gegenüber den Staaten des christlichen Morgenlandes anknüpfen. 1158 zog der Komnene nach Kilikien und eroberte Tarsus und Adana. Anstatt aber den kleinarmenischen Fürsten Thoros, der dieses Gebiet beherrschte, vollends niederzuzwingen, zog er es vor, durch Verhandlungen die byzantinische Oberhoheit zu sichern. Fürst Thoros scheint es allerdings verstanden zu haben, eine Fassung des Vertrages zu erreichen, die seine Stellung im Grunde völlig unangetastet ließ. So war es erforderlich, daß ständig byzantinische Truppen im Lande blieben, die mehr als einmal in verlustreiche Kämpfe mit dem kleinarmenischen Adel verwickelt wurden. Von Kilikien zog Manuel Komnenos 1159 nach Antiocheia weiter, um auch dort im Fürstentum Rainalds von Châtillon der Oberhoheit des Byzantinischen Kaisertums zur Anerkennung zu verhelfen. Widerstrebend, aber im Bewußtsein ihrer Unterlegenheit gegenüber der Militärmacht Byzanz bereiteten die Antiochener dem Basileus einen aufwendigen Empfang. Ihr Fürst mußte sich dazu verstehen, die Hoheitsrechte der Rhomäer anzuerkennen und die Stellung von Truppenkontingenten für das kaiserliche Heer zuzusagen. Wenn dem Komnenen dazu das Ernennungsrecht für den Patriarchen der Stadt am Orontes zugestanden wurde, so war damit auch die kirchliche Abhängigkeit Antiocheias von Konstantinopel zum Ausdruck gebracht. Vollkommen deutlich wurden die politischen Machtverhältnisse, als Fürst Rainald beim Einzug des Kaisers in Antiocheia zu Fuß dessen Pferd am Zügel zu führen hatte.
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Am Einzug des griechischen Kaisers in Antiocheia nahm auch König Balduin III. von Jerusalem teil. Er war nach Syrien geeilt, um sich gleichfalls mit seinem Reich unter die Schirmherrschaft des Basileus zu stellen. Damit war Byzanz in den Kreuzfahrerstaaten als Vormacht anerkannt, und es entsprach nur der politischen Wirklichkeit, wenn der Name seines Herrschers an erster Stelle in der Inschrift genannt wurde, die in der neu mit Mosaiken ausgestatteten Geburtskirche zu Bethlehem 1169 angebracht wurde. Durch politische Heiraten sicherte Kaiser Manuel die von ihm erreichten Erfolge ab: Balduin III. hatte schon 1158 Theodora Komnena, eine Nichte des Basileus, geheiratet, seine Großnichte Maria Komnena ehelichte 1167 König Amalrich I. von Jerusalem, Manuel selbst reichte 1169 Maria von Antiocheia nach dem Tod seiner ersten Frau die Hand, und deren Bruder, Fürst Bohemund III. von Antiocheia, vermählte sich um 1175 mit einer weiteren Theodora Komnena. Im Sommer 1169 schon hatte freilich der byzantinische Machtzuwachs im Orient seinen Höhepunkt erreicht, als Andronikos Kontostephanos auf dem Seeweg eine starke griechische Streitmacht nach Ägypten brachte und im Verein mit dem Aufgebot aus dem Königreich Jerusalem die Festung Damiette belagerte. Ungeachtet der Inanspruchnahme der Byzantinischen Kräfte auf dem Balkan und in den Kreuzfahrerstaaten gab Kaiser Manuel seine Pläne keineswegs auf, die früheren Reichsprovinzen in Italien wiederzugewinnen. Zunächst versuchte es der Komnene mit diplomatischen Mitteln und verlangte von Barbarossa die Abtretung wenigstens der Pentapolis von Apulien mit der zugehörigen Küste. Seit 1160 und nach dem Ausgleich mit den Normannen schwenkte er dann ganz offen ins Lager der Gegner des deutschen Kaisers ein, der über territoriale Zugeständnisse an Byzanz im italienischen Bereich ja auf gar keinen Fall mit sich reden lassen wollte. Für mehr als ein Jahrzehnt wird das byzantinische Reich nun ein Eckpfeiler der antistaufischen Allianz, die Papst Alexander III. nach der Erhebung des Gegenpapstes Viktor IV. rings um das Imperium Friedrich Barbarossas zustande brachte.
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Abb. 17: Das Reich der Komnenen
Man kommt zu dem Schluß, die Politik Kaiser Manuels gegen die Staufer sei nicht eben glücklich gewesen, zumal auch seine Verbündeten, vor allem die Normannen und das Papsttum, nicht daran dachten, die Byzantiner in Italien wieder Fuß fassen zu lassen. Manuel erhielt auch nicht die abendländische Kaiserkrone, als er 1167 dem Papst hierfür die Wiederherstellung der Kirchenunion anbot. So finanzierte zwar der Komnene an erster Stelle den Kampf des Lombardenbundes gegen Barbarossa und erreichte vom Byzantinischen Stützpunkt Ancona aus auch militärische Erfolge über die Deutschen – noch 1179 wurde bei Camerino Erzkanzler Christian von Mainz gefangengenommen und sollte über Ancona nach Konstantinopel geschafft werden –, dennoch konnte er nicht verhindern, daß Byzanz von seinen Verbündeten mehr als politisches Objekt denn als gleichberechtigter Partner behandelt wurde, und ferner, daß die staufische Diplomatie nun ihrerseits Byzanz über einen Ring befreundeter Mächte von Rußland bis nach Ägypten unter Druck setzte. Als es schließlich Kaiser Friedrich I. gelang, bis zum Frieden von Venedig einen seiner Gegner nach dem anderen auf seine Seite zu ziehen oder zu neutralisieren, war der byzantinische Staat isoliert und der Mittel verlustig gegangen, die er für den Kampf mit seinen traditionellen Gegnern im Osten brauchte. Manuel I. hat schließlich selbst festgestellt, daß ihn seine Verbündeten beim Bestreben, sein Reich nach Westen auszudehnen, im Stich ließen. Zwischen 1170 und 1172 suchte er daher wieder die Annäherung an das Stauferreich, das mit Christian von Mainz und Heinrich dem Löwen seine höchsten Würdenträger am Goldenen Hörn verhandeln ließ. Aber auch jetzt kam es zu keinem Bündnis der
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beiden Kaiserreiche, weil Barbarossa nach wie vor ein griechisches Vordringen in den italienischen Raum nicht hinzunehmen bereit war. Statt dessen führten die deutsch-byzantinischen Kontakte zu einer schweren Verstimmung Wilhelms II. von Sizilien, der von dieser Zeit an seine feindselige Politik gegenüber dem Komnenenreich nicht mehr änderte. Auch das Verhältnis zu Venedig, das für die byzantinische Handelspolitik ebenso wie für die Westbeziehungen des Rhomäerreiches von großer Wichtigkeit war, konnte Manuel auf die Dauer nicht befriedigend gestalten. Er hatte hier von der Tatsache auszugehen, daß die venezianischen Kaufherren den Byzantinischen Markt weitgehend beherrschten. Man wird annehmen dürfen, daß der Kaiser dies hingenommen hätte, wäre ihm als Gegenleistung dafür eine unbedingte Unterstützung der kaiserlichen Politik und Kriegsführung durch die Venezianer sicher gewesen. Aber in der Rialto-Stadt dachte man nicht daran, sich nur als politisches Werkzeug des Basileus gebrauchen zu lassen, und trat den griechischen Interessen beispielsweise in Dalmatien in aller Deutlichkeit entgegen. Manuel beabsichtigte darauf, die Venezianer aus dem Reich zu verdrängen und sich an ihrer Stelle vorläufig der genuesischen und pisanischen Handelskapazitäten zu bedienen; Pisa und Genua verfügten einerseits nicht über die gleichen Machtmittel wie die Markus-Republik und hatten auf der anderen Seite in Italien zwar nicht bedingungslos, so aber doch mit größerer Entschiedenheit als die Venezianer die griechische Sache vertreten. So erhielt Genua 1169 seinen ersten Handelsvertrag mit Byzanz und Pisa ein neues, gegenüber jenem von 1136 erheblich vorteilhafteres Abkommen. Im März 1171 kam der große Schlag gegen die Venezianer. An einem einzigen Tag wurden im ganzen Reich alle Venezianer verhaftet und ihr gesamter Besitz beschlagnahmt. Zwar ließ der Doge Vitale Michiele II. sofort eine Kriegsflotte in die Ägäis auslaufen und Euböa, Lesbos und Chios angreifen, allein sie mußte sich mit der Pest an Bord vor den Griechen unter dem bewährten Andronikos Kontostephanos zurückziehen, ohne für die festgenommenen Venezianer irgend etwas erreicht zu haben. Die Folge des harten Byzantinischen Vorgehens war allerdings der Vertragsschluß zwischen der Signoria und den Normannen (1175) und eine auf Verständigung zwischen den streitenden Mächten in Italien bedachte Politik Venedigs. So mußte Kaiser Manuel wohl oder übel nachgeben und sich zu einer Entschädigung von 15 Kentenaren Gold für die enteigneten Vermögenswerte und zur Entlassung seiner Gefangenen bereit finden. Manuels Aktion von 1171 erwies sich damit als ein Schlag ins Wasser und verstärkte in Venedig lediglich Antipathien, die dann beim Kreuzzug von 1204 voll zum Tragen kamen. Kämpfe der Söhne Sultan Masuds I. von Ikonion um das Erbe ihres Vaters sorgten dafür, daß die Byzantiner lange Zeit von Kleinasien her ungefährdet blieben und freie Hand für ihre Politik in Italien, auf dem Balkan und im Lateinischen Morgenland hatten. Manuel vermochte die einzelnen Parteien bei diesem Kampf geschickt gegeneinander auszuspielen und dabei auch in den
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Grenzgebieten seines Reiches eine vorteilhafte Stellung für die Rhomäer zu erlangen. 1162 weilte dann Sultan Kilidsch-Arslan in Konstantinopel und sah sich nach dem Sieg über seine Brüder veranlaßt, dem Kaiser für die Zukunft die Heeresfolge und vor allem die Abtretung der Stadt Sebasteia am Halys mit ihrem ganzen Gebiet vertraglich zuzugestehen. Zwar wußte der Sultan die Erfüllung seines Versprechens zu umgehen, aber auch so konnte Kaiser Manuel mit der Ansiedlung von christianisierten Türken im Reich, der wirtschaftlichen und militärischen Neuorganisation des Gebietes von Chliara, Pergamon und Adramyttion und erfolgreichen kleineren Feldzügen die Grenze im Osten so weit festigen, daß er deswegen die besondere Anerkennung seiner Zeitgenossen fand. An die endgültige Bereinigung der Seldschukengefahr ging der Komnenenkaiser jedoch lange Zeit nicht, und so brachte das Jahr 1175 den Wiederausbruch der Feindseligkeiten mit dem Sultanat von Ikonion. Byzanz und die Seldschuken scheinen auf ihn zuletzt bewußt hingearbeitet zu haben: Kilidsch-Arslan in der sicheren Erwartung der politischen Unterstützung durch die abendländischen Gegner der Byzantiner und in der Hoffnung auf die militärische Hilfe der muslimischen Glaubensgenossen über Kleinasien hinaus, Kaiser Manuel mit hoher Sicherheit in dem Bestreben, seiner Politik mit einem durchschlagenden Erfolg im Osten neuen Glanz zu verleihen und sich durch einen Sieg als Vorkämpfer der christlichen Sache gegen den Islam bestätigt zu sehen. So bereitete er nach dem Ausbau der Grenzfestungen Dorylaion und Subleon für 1176 einen Angriff auf den Sitz des kleinasiatischen Sultanats vor, mit dem die Herrschaft der Byzantiner auch über Anatolien wiederhergestellt und damit der Weg ins Heilige Land vollends freigekämpft werden sollte. Während eine griechische Armee von Paphlagonien aus über Amasia ins Kerngebiet der Seldschuken vordringen sollte, zog der Kaiser selbst Truppen in der Gegend von Chonai zusammen. Sein Heer, zu dem auch starke Kontingente aus den Kreuzfahrerstaaten, aus Rußland, Serbien, Ungarn, kumanische Scharen und Abteilungen aus beinahe allen westlichen Ländern gehörten, wollte direkt gegen Ikonion vorrücken und führte zur Belagerung der Seldschukenhauptstadt umfangreichen Troß und schweres Kriegsgerät mit sich. Doch das großangelegte Unternehmen brach schon in den Anfängen zusammen. Bei ihrem Vormarsch wurden die Byzantiner in einer Paßschlucht östlich von Myriokephalon am 17. September 1176 überrascht und konnten nur mit Mühe eine ähnlich schwere Niederlage vermeiden, wie sie Kaiser Romanos Diogenes 1071 in Mantzikert hatte erleben müssen. Die expansive Außenpolitik Kaiser Manuels, die nur unter schwersten wirtschaftlichen Opfern des Reiches möglich war, hatte damit einen so entscheidenden Schlag erlitten, daß sie in keiner Richtung wiederaufgenommen werden konnte. Die Niederlage brachte den Beweis, daß die militärische Kraft des Reiches nicht ausreichte, die imperialen Zielvorstellungen Kaiser Manuels auch nur annähernd zu verwirklichen. Das Schicksal der Weltmacht Byzanz war mit dem Tag von Myriokephalon entschieden.
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IV. Von Myriokephalon zum Vierten Kreuzzug (1176–1204) Mit der Niederlage von Myriokephalon war endgültig entschieden, daß Byzanz den Plan der Rückeroberung auch des inneren Kleinasien aufgeben mußte. Daß die Mächte des Westens schon ein Jahr später in Venedig zu einem Ausgleich fanden, der ihre Kräfte zur Konfrontation mit dem östlichen Kaiserreich freisetzte, wog zu diesem Zeitpunkt doppelt schwer. Byzanz hatte im politischen Kräftespiel die Initiative verloren und sah sich nun gezwungen, sich gegen die auf seine Kosten gehenden Ansprüche seiner Nachbarn zu behaupten. Die Wiedererrichtung des justinianischen Reiches war als politisches Programm nicht mehr erreichbar. Kaiser Manuel mußte zunächst versuchen, den Byzantinischen Besitzstand gegen die Seldschuken zu sichern. Seinen Heerführern und ihm selbst waren dabei im Maiander-Tal und bei Klaudiopolis in Bithynien solche Erfolge beschieden, daß die Auswirkungen der Schlappe von Myriokephalon erst nach 1180, dem Todesjahr Manuels, voll ins Gewicht fielen. Auch für die Westpolitik des Kaisers gilt dies. Natürlich versäumte es Friedrich Barbarossa nicht, den Rhomäerkaiser spitz auf seine Niederlage gegen Kilidsch-Arslan, den »Freund« des Staufers, hinzuweisen. Aber dabei blieb es. Manuel konnte sogar seinerseits überraschende Erfolge in seiner Westpolitik verzeichnen. Die Balkanprovinzen blieben fest in griechischer Hand, und unmittelbar nach dem Frieden von Venedig, durch den sich Barbarossa gegen seine Feinde freie Hand verschaffen wollte, war in Italien mit der Stadt Ancona, den Grafen von Montferrat, dem Geschlecht der Frangipane in Rom, einflußreichen Gruppen in Pisa und Genua und der Wiederannäherung an Venedig eine starke probyzantinische Liga aufgebaut. Mit ihr und auf dem Wege über politische Heiraten mit den in Frankreich und der aragonesischen Provence regierenden Dynastien wurde eine Umklammerung um das Stauferreich geschlossen, welche im Norden die Grafen von Flandern, England und die Welfen vervollständigten. Die glanzvoll gefeierte Hochzeit des Thronfolgers Alexios mit Agnes von Frankreich, der Tochter Ludwigs VII., stand Ende März 1180 ganz im Zeichen jener politischen Bemühungen, mit denen Byzanz auf eine wirksame Kontrolle des immer mächtiger werdenden westlichen Kaisertums hinarbeitete. Aber auch dieses Ziel ließ sich nicht mehr erreichen: Kaiser Manuel starb bereits im Herbst desselben Jahres. Der Tod Kaiser Manuels hat die byzantinische Welt tief getroffen. Aber auch im Abendland und in den Ländern der Mohammedaner machte die Kunde vom Tod des Komnenen großen Eindruck. Daß Byzanz jedoch mit seinem Tod im Grunde auch aufhörte, Weltmacht zu sein, ist den Zeitgenossen freilich nicht bewußt geworden. Noch während der Trauerfeierlichkeiten für Manuel entbrannte am Byzantinischen Hof ein erbitterter Kampf um die Macht. Alexios II., der Sohn
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Manuels, war noch ein Kind und den Anforderungen der Situation in keiner Weise gewachsen. Manuels Witwe, Kaiserin Xene, dachte nicht daran, sich nach dem Wunsch ihres verstorbenen Gatten in ein Kloster zurückzuziehen, und übte maßgeblichen Einfluß auf die Staatsgeschäfte aus. Ihr Vertrauensmann war der Protosebastos Alexios Komnenos, ein Neffe Kaiser Manuels, der sich in kurzer Zeit innerhalb des noch von Manuel eingesetzten Regentschaftsrates durchsetzte und die Führung der Staatsgeschäfte in die Hand nahm. Seine Gegner sammelten sich um Maria Komnena, Manuels Tochter aus erster Ehe, und deren Gatten, Rainer von Montferrat. Sie wurden unterstützt vom Patriarchen und vor allem von Andronikos Komnenos, der von Paphlagonien aus die Entwicklung in der Hauptstadt mit Aufmerksamkeit verfolgte. Während der Protosebastos sich nun zwar in den Provinzen des Reiches, wo seine Gegner ihre Macht in den großen Städten konzentriert hatten, nicht durchzusetzen vermochte, baute er seine Position in der Hauptstadt langsam, aber sicher aus. Nach einem mißglückten Attentat seiner Widersacher wurde diesen der Prozeß gemacht, und selbst der sehr beliebte Patriarch mußte sich ins PantepoptesKloster zurückziehen, als er den Regenten nicht uneingeschränkt unterstützte. Doch der Protosebastos hatte damit den Bogen überspannt. Es kam zu Straßenkämpfen zwischen der Palastgarde und Anhängern von Manuels Tochter Maria, die sich in der Hagia Sophia verschanzt hatten. Die Kaiserlichen vermochten diesen Widerstand nicht zu brechen, zumal das Volk der Hauptstadt seine Sympathie für Maria Komnena offen zeigte und in die Kämpfe eingriff. Die Situation verschlechterte sich daraufhin stündlich für den Protosebastos, als auch noch Andronikos Komnenos von Oinaion aus zum Marsch auf Konstantinopel antrat. Beim Übergang über den Sangarios schlug er ein ihm entgegengesandtes Heer, umging Nikaia und Nikomedeia, bezog auf dem asiatischen Ufer des Bosporus Stellung und sah die kaiserliche Flotte, welche die Meerenge sperren sollte, auf seine Seite überwechseln. Bereits wenige Wochen nach dem Tode Kaiser Manuels, bevor noch die Auseinandersetzungen um seine Nachfolge in voller Schärfe entbrannt waren, hatte das Reich empfindliche territoriale Verluste hinzunehmen. Bela III. von Ungarn besetzte schon im Winter auf 1181 gegen nur örtlichen Widerstand die Byzantinischen Teile Kroatiens und Dalmatiens. In Kleinasien griffen die Seldschuken, deren Sultan noch im Frühjahr 1180 mit Manuel I. einen Friedensvertrag geschlossen hatte, Sozopolis und Kotyaion an und erreichte bei Attaleia die Küste des Mittelmeeres. Schon ein Jahr nach dem Tode Kaiser Manuels waren damit zwei byzantinische Positionen, die Südküste Kleinasiens und der westliche Teil der Balkanhalbinsel, um deren Stärkung sich die Komnenen seit Alexios I. ständig bemühten, schwer erschüttert, wenn nicht gar verloren. Trotz der starken Inanspruchnahme durch die Entwicklung der innenpolitischen Verhältnisse ließ der Protosebastos Alexios die Außenpolitik nicht außer acht. Zum Königreich Jerusalem unterhielt man diplomatische
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Beziehungen. Als dort aber bei innenpolitischen Machtkämpfen die byzantinische Partei um das Haus Ibelin unterlag und die bisher der griechischen Kirche nahestehenden Jakobiten und Maroniten sich dem Lateinischen Patriarchat von Jerusalem unterstellten, nahm Byzanz Kontakte zu Saladin, dem Hauptgegner der Kreuzfahrer, auf. Gegenüber den Seerepubliken von Pisa und Genua konnte Byzanz an die Politik Kaiser Manuels anknüpfen. Jetzt wurden die diesbezüglichen Kontakte noch verstärkt, vor allem weil man mit Venedig noch immer nicht zu einer befriedigenden Lösung der offenen Streitfragen gekommen war. Auch die Beziehungen zur Kurie wurden wiederaufgenommen, möglicherweise in dem Bestreben, den Patriarchen, der aus seiner Abneigung gegen das Regime des Protosebastos kein Hehl gemacht hatte, kirchenpolitisch unter Druck zu setzen. Dem Legaten des Papstes, dem Kardinal Johannes von S. Angeli, folgte wenig später mit Herzog Leopold V. von Österreich auch ein einflußreicher Fürst aus dem Stauferreich, ohne daß im einzelnen gesagt werden könnte, worum es bei seiner Mission nach Konstantinopel im Frühjahr 1182 ging. Wahrscheinlich war es die betonte Westorientierung in der Außenpolitik, die den Sturz des Protosebastos mit verursachte. Bei der bevorzugten Behandlung der Pisaner und Genuesen blieb es nicht aus, daß sich die breite Masse der hauptstädtischen Bevölkerung durch die Handelspolitik der eigenen Regierung benachteiligt fühlte. Alexios Komnenos sah sich deswegen gezwungen, seine Sicherheit und den Bestand seines Regimes immer mehr dem Schutz lateinischer Söldner anzuvertrauen. Nachdem auch die adeligen Parteigänger des Protosebastos in ständig steigender Zahl ins Lager des Andronikos flohen und sich der Regent fast ausschließlich auf die Lateiner verlassen mußte, war sein Sturz nur noch eine Frage der Zeit. Schließlich verhaftete ihn die Warägergarde eines Nachts, während das Volk der Hauptstadt gegen die ausländischen Söldner und die Lateinerviertel Konstantinopels Sturm zu laufen begann. Dar’ auf griffen auch die Truppen des Andronikos in die Kämpfe ein und brachten den Widerstand der Lateiner in kurzem zum Erliegen. Während die Masse der bewaffneten Kräfte des Alexios auf den Schiffen der Lateiner das Weite suchte, ereigneten sich in den Vierteln der Pisaner und Genuesen sowie anderer westlicher Kaufleute schauderhafte Szenen. Die Häuser, Lagerhallen und sogar das Johanniter-Spital wurden angezündet, etwa 30000 Menschen mit dem Legaten des Papstes grausam niedergemetzelt und noch über 4000 zu Sklaven gemacht. So hemmungslos wütete man gegen die Lateiner, daß selbst byzantinische Beobachter in diesen Grausamkeiten den Grund für die Greuel sahen, die später über die heilige Stadt Konstantins während des Vierten Kreuzzuges hereinbrachen. Der vom Volk stürmisch bejubelte Einzug des Andronikos in Konstantinopel beendete zwar das Morden und Plündern in den Lateinervierteln, schloß jedoch keineswegs die Machtkämpfe in der Hauptstadt ab. Schon bald mußten die
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Kreise um Manuels Tochter Maria erfahren, daß Andronikos an nichts anderes dachte, als die Führung des Staates ganz in seine ehrgeizige Hand zu bringen. Zusammen mit Kaiserin Xene, die sie bisher als ihre erklärte Gegnerin behandelt hatten, gerieten Maria und ihr Gemahl beim Kampf um den Einfluß auf Alexios II. in unüberbrückbaren Gegensatz zu Andronikos. Der schaltete rücksichtslos und grausam Freunde von gestern und neu auftauchende Konkurrenten der Reihe nach aus. Manuels Tochter starb mit Caesar Rainer von Montferrat an Gift, Ende 1182 wurde die Kaiserinmutter und im Oktober 1183 Alexios II., zu dessen Mitkaiser sich Andronikos ein halbes Jahr vorher hatte krönen lassen, erdrosselt. Damit war für Andronikos der Weg zum Thron Kaiser Manuels frei, nachdem ihm zuletzt nur noch die Patriarchen von Konstantinopel und Jerusalem, Theodosios Boradiotes und Leontios II., entgegenzutreten wagten. Für den neuen Kaiser war die Innenpolitik von besonderer Bedeutung. Trotzdem brachte sie unter seiner Regierung weniger institutionelle Neuerungen als vielmehr Umbesetzungen in großer Zahl innerhalb des Verwaltungsapparates des Reiches. Gerade die von Andronikos durchgeführte Neubesetzung zahlreicher maßgeblicher Stellen im Byzantinischen Staat wurde jedoch vom Kaiser so entschlossen und ohne besondere Rücksichten durchgeführt, daß sie als fast einmalig für die Geschichte des Komnenenstaates gelten muß. Nach dem Zeugnis der Quellen machte sie sich schon nach wenigen Monaten vorteilhaft bemerkbar. Einerseits füllte sich die Staatskasse wieder merklich, obwohl Andronikos während seiner ganzen Regierungszeit erhebliche Mittel zur Bewältigung der Gefahren aufwenden mußte, die seinem Staat von außen drohten. Auf der anderen Seite konnte vor allem die ärmere Bevölkerung aufatmen, während der Komnene in scharfen Gegensatz zu den bisher in den Provinzen recht willkürlich waltenden Familien des Landadels und sogar zu eigenen Parteigängern geriet. Besondere Aufmerksamkeit widmete Andronikos dabei den Praktiken der Steuererhebung, die zuletzt in weiten Teilen des Reiches organisierten Erpressungen glichen. Nicht vergessen werden sollte aber, daß bei Andronikos auch Ansätze zu Gesetzesreformen zu erkennen sind, wenn wir nur daran denken, daß der Kaiser sich ernsthaft um eine Änderung des gewohnheitsrechtlich verankerten Strandrechtes bemühte. Ganz allgemein gewinnt man anhand zeitgenössischer Berichte den Eindruck, daß sich der Kaiser sehr nachhaltig um die unteren Schichten des Volkes kümmerte, etwa wenn er die Neuanlage einer großen Wasserleitung für seine Hauptstadt anordnete. Daß dies schließlich nur in erstaunlich geringem Maß honoriert wurde, mag daran gelegen haben, daß Andronikos aus Einsicht in die wirtschaftlichen Gegebenheiten des Byzantinischen Staates im Bereich seiner Außenpolitik wiederum auf den Ausgleich mit einer der italienischen Seerepubliken hinsteuerte. Die Übernahme der Regierung durch Andronikos Komnenos erfolgte zu einem außenpolitisch äußerst kritischen Zeitpunkt. Zwar hatte der Usurpator durch Zugeständnisse an Sultan Kilidsch-Arslan schon während seines Marsches
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zur Hauptstadt eine Stabilisierung der Verhältnisse an der Ostgrenze des Reiches erreicht, dafür aber war König Bela III. über die Donau weit ins byzantinische Gebiet eingedrungen. Zudem mußte nach dem Pogrom an der Lateinischen Bevölkerung vor dem Einzug des Andronikos in Konstantinopel mit schweren Vergeltungsschlägen vor allem der betroffenen Pisaner und Genuesen gerechnet werden. Der erste Erfolg, den Andronikos verbuchen konnte, war die Abwehr des ungarischen Angriffes, an dem sich auch die Serben unter ihrem Župan Stefan Nemanja beteiligt hatten. Es gelang dem Byzantinischen Heer, Sofija und Nisch zurückzugewinnen und bei Belgrad die Donau wieder zu erreichen. Allerdings hatte der Ungarnkönig bereits den Kriegsschauplatz verlassen, vermutlich um in die Kämpfe an der Adria zwischen seinen Statthaltern und Venedig um Zara einzugreifen. Immerhin scheint er sich in einem Friedensvertrag wenigstens Teile des besetzten Byzantinischen Territoriums gesichert zu haben. Während Kaiser Andronikos erkannte, daß eine Wiederaufnahme tragbarer Beziehungen zu Genua und Pisa zunächst nicht denkbar war, widmete er dem byzantinisch-venezianischen Verhältnis größte Aufmerksamkeit. Nach langwierigen Verhandlungen schloß er noch in der ersten Hälfte des Jahres 1185 mit der Signoria ein Abkommen, durch das die Wiedergutmachungsleistungen für die 1171 geschädigten Venezianer großzügig geregelt und ihre Handelsprivilegien erneuert wurden. Schon zuvor hatte man mit der Kurie wieder Gespräche aufgenommen, nachdem Rom bereits 1183 einen neuen Vertreter nach Byzanz entsandt hatte. Bei den Anstrengungen zur Verbesserung der außenpolitischen Lage des Reiches bereiteten Kaiser Andronikos die Aufstände verschiedener Adelsgruppen im Osten des Reiches erhebliche Schwierigkeiten. So hatte sich schon 1182 Johannes Vatatzes in Philadelphia gegen das Regime des Andronikos erklärt und ein gegen ihn ausgesandtes Heer bei Thyateira geschlagen, bevor seine Macht zusammenbrach. Im Jahre 1183 waren es dann die Angeloi und Dukas, die Byzanz verließen und in Bithynien die Städte Prusa, Nikaia und Lopadion in einen Aufstand gegen Andronikos führten. Kaum hatte sich 1184 die Lage an der ungarischen Reichsgrenze beruhigt, da zog der Kaiser nach Kleinasien und rang in einem grausam geführten Feldzug die Rebellen nieder, ohne verhindern zu können, daß einige ihrer Führer entkamen und an abendländischen Höfen Zuflucht fanden, wo sie zum Kampfe gegen den »Tyrannen« Andronikos aufforderten. Da auch die Seldschuken die Aufstandsbewegung in Bithynien unterstützt hatten, scheint es zu einer Abkühlung der Beziehungen zum Sultanat von Ikonion und gleichzeitig zur Annäherung der Byzantiner an Saladin gekommen zu sein. Aber auch durch diesen Schachzug konnte nicht verhindert werden, daß sich auf Cypern, dem Byzantinischen Vorposten im Südosten, der Komnene Isaak unabhängig machte und zu den Normannen in Verbindung trat.
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Die Folgen der durch die Augsburger Verlobung König Heinrichs mit Constanze, der Erbin Siziliens, besiegelten Aussöhnung zwischen den Normannen und den Staufern und der Wiederherstellung des Friedens in ganz Italien erwiesen sich mehr und mehr als Verhängnisvoll für Andronikos Komnenos und das östliche Kaiserreich. Nach sorgfältiger Vorbereitung landete nämlich bereits im Juni 1185 ein über 100000 Mann starkes Normannenheer in Epiros und konnte noch im gleichen Monat das stark befestigte Dyrrhachion zur Übergabe zwingen. Anders als zu den Zeiten der Normanneninvasion unter Alexios I. stieß das feindliche Landheer dann gegen schwachen Byzantinischen Widerstand auf der Via Egnatia nach Osten vor, während die Seestreitkräfte die Insel Korfu, Kephalenia und Zakynthos besetzten und anscheinend auch Kreta angegriffen haben. Im August vereinigten sich Heer und Flotte der Normannen wieder zur Belagerung Thessalonikes. Schon nach kurzer Belagerung wurde die zweite Stadt des Reiches genommen und von den Eroberern in barbarischer Weise heimgesucht. Dann rückten die Sizilianer weiter in Richtung Konstantinopel vor, besetzten Serrhes und erreichten die Gegend von Mosynopolis, während Kaiser Andronikos in aller Eile Heeresabteilungen aus Kleinasien, Bulgarien und der Peloponnes ins thrakische Kampfgebiet warf, um die schon durch Seuchenausbruch erheblich dezimierten Feinde von allen Seiten angreifen zu können. Von seinen Ratgebern gedrängt, suchte Kaiser Andronikos in dieser Situation der Gegner im eigenen Lager Herr zu werden, deren Verbindungen zum feindlichen Ausland nicht unbekannt gebieben waren. Das sollte ihm jedoch zum Verhängnis werden. Bei der Festnahme des Isaak Angelos, der schon 1184 in Bithynien zu den Anführern der dortigen Rebellen gehört hatte, wurde Stephanos Hagiochristophorites, einer der wenigen Vertrauten des Kaisers, erschlagen, und Isaak Angelos entkam in die Hagia Sophia, wo er in der folgenden Nacht zum Kaiser ausgerufen wurde. Andronikos war in der Zwischenzeit aus einer der kaiserlichen Villen am Ostufer des Bosporus im Kaiserpalast eingetroffen. Sein Versuch, die Rebellion des Angelos unter Kontrolle zu bringen, scheiterte jedoch. Als seine politischen Gegner aus den Gefängnissen befreit wurden, das Volk trotz eiligst eingeleiteter Verteidigungsmaßnahmen den Palast anzugreifen begann und auf ein Rücktrittsangebot des Kaisers nicht einging, verließ der Komnene eilends die Stadt, um sich zu Schiff nach Georgien ins Exil zu begeben. Schon bald wurde er aber von den Häschern des neuen Kaisers eingeholt, nach Konstantinopel gebracht, geblendet, verstümmelt und nach kurzer Haft Mitte September 1185 vom Pöbel der Hauptstadt auf dem Hippodrom grausam zu Tode gequält. Vom neuen Kaiser Isaak II. erwartete man zwei Dinge: die Beendigung des Terrors, der die letzten Monate der Herrschaft seines Vorgängers überschattete, und einen Sieg über die Normannen. In beidem entsprach Isaak II. den Erwartungen von Volk und Adel. Der Terror, von dem Isaak zuletzt selbst bedroht war, lebte nicht wieder auf, wenn auch einzelne besonders profilierte
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Anhänger und Angehörige des gestürzten Kaisers geblendet wurden und ihre Positionen in der Staatsverwaltung verloren. Allerdings gewannen damit die von Andronikos bekämpften Gruppierungen um die mächtigen Familien in kürzester Zeit im Staat wieder so sehr an Einfluß, daß sich die eben einigermaßen verbesserten gesellschaftlichen Verhältnisse rasch wieder verschlechterten. Nach den Vorbereitungen des letzten Komnenenkaisers konnte auch der Normannenkrieg innerhalb weniger Wochen erfolgreich beendet werden. In Westthrakien, am Strymon, und bei Thessalonike wurden die Sizilianer besiegt und mußten sich bis an die Adria zurückziehen, soweit sie nicht in byzantinische Gefangenschaft geraten waren. Auch in der Politik gegenüber Ungarn vermochte Isaak einen wichtigen Erfolg gleich nach seinem Regierungsantritt zu verzeichnen, denn er heiratete König Belas zehnjährige Tochter Margarete, welche die zuletzt an Ungarn verlorenen Gebiete als Mitgift in die Ehe einbrachte. Fast schien es deshalb nach dem ersten Regierungsjahr des Kaisers, als könnte wieder an die Außenpolitik des großen Manuel angeknüpft werden. Daß es nicht dazu kam, dürfte seinen Grund in den innenpolitischen Zuständen während der Herrschaft des ersten Kaisers aus dem Hause der Angeloi gehabt haben. Sie waren vom ersten Regierungstag des Herrschers an durch die Tatsache belastet, daß während seiner Machtübernahme das Volk von Konstantinopel den Großen Palast der Hauptstadt und die in der dortigen Münze gelagerten Geldreserven geplündert hatte. Nachdem Isaak II. mit Pisa und Genua Verträge abschloß, in denen umfangreiche Wiedergutmachungsleistungen für die 1182 erlittenen Schäden der Italiener vorgesehen waren, erhöhte sich die Geldknappheit der öffentlichen Hand zunehmend. Dazu kamen die andauernden kriegerischen Verwicklungen und Tributzahlungen an die Feinde des Reiches im Osten, die seine frei verfügbaren Steuermittel noch weiter einschränkten. Die übertriebene Prunkliebe und Baufreudigkeit des Herrschers belasteten die Staatsfinanzen zusätzlich. Deshalb versuchte Isaak II., durch verschärfte Erhebung der Steuern und Ämterverkauf zu den für die Staatsführung benötigten Mitteln zu kommen. Diese Maßnahmen empfanden die Bevölkerung der Hauptstadt und die Provinzen doppelt hart, weil der Kaiser zur gleichen Zeit Landbesitzer, einzelne Städte und vor allem die reichen Klöster steuerlich begünstigte. Als die Regierung mit dieser Politik jedoch nicht den erhofften Erfolg hatte, wurde der Silbergehalt des Byzantinischen Geldes herabgesetzt und damit den kaiserlichen Finanzen wenigstens für einen Augenblick neue Möglichkeiten erschlossen. Solche Maßnahmen aber förderten nicht nur die Tendenzen zur Rückkehr in die Naturalwirtschaft, sondern auch die Separationsbestrebungen lokaler Magnaten in wirtschaftlich halbwegs autarken Gebieten. Isaak wurde ohne besondere Mühe mit den Aufständen des Pseudo-Alexios und des Theodor Mankaphas in Kleinasien fertig und vermochte auch die Seldschuken, etwa durch den Bau der Festung Angelokastron in Südwestphrygien, in Schach zu halten. Die Rebellion der Gebrüder Peter und
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Asen aber, zweier in Bulgarien begüterter Adeliger, nahm einen gefährlicheren Verlauf. Während die Byzantinischen Generäle der Bedrohung durch die Normannen Herr zu werden versuchten, hatten die beiden Brüder in ihrer Heimat zum Aufstand aufgerufen, dem sich Bulgaren, Rumänen und Walachen anschlossen, die schließlich die Hauptlast der Kämpfe trugen. Man glaubte in Byzanz zunächst, die Erhebung rasch niederwerfen zu können, und sandte den gegen die Normannen siegreichen Alexios Branas ins Aufstandsgebiet. Branas wurde jedoch in seinem Hauptquartier in Adrianopel zum Gegenkaiser erhoben und führte seine Truppen statt nach Bulgarien zurück vor die Mauern Konstantinopels. Zwar unterlag der Usurpator beim Entscheidungskampf den Anhängern des Isaak Angelos, aber inzwischen hatte sich der neue bulgarische Staat konsolidieren können und ging daran, seinen Machtbereich auf Kosten der Byzantiner zu erweitern. Unterstützung erhielt er dabei vor allem aus den Gebieten nördlich der Donau. Trotzdem gelang es den Byzantinern im Sommer 1186, die Rebellen in Schwierigkeiten zu bringen. Peter und Asen gaben sich aber nicht geschlagen und erzwangen nach erbitterten Kämpfen 1188 einen Waffenstillstand, der ihnen das Gebiet zwischen der Donau und dem Balkangebirge überließ. Trnovo wurde zur Hauptstadt ihres Reiches, die Stadt also, in die – nach der Legende – der hl. Demetrios vor den Normannen geflüchtet war. In der Demetrios-Kirche seiner Hauptstadt ließ sich demnach auch Asen von einem bulgarischen Erzbischof die Zarenkrone aufs Haupt setzen. Die Auseinandersetzung mit dem wiedererstandenen Bulgarien wurde durch den Dritten Kreuzzug unterbrochen. Als Krönung seines Lebens beabsichtigte Friedrich Barbarossa ins Heilige Land zu fahren, das Saladin nach seinem Sieg von Hattin im Jahre 1187 fast völlig erobert hatte. Um sich ganz auf das große Ziel, die Wiedereroberung Palästinas, konzentrieren zu können, traf Barbarossa für seine Kreuzfahrt umfangreiche diplomatische Vorbereitungen. Sie wurden in Byzanz so ausgelegt, als beabsichtige der Kaiser im Vollgefühl seiner Macht einen Schlag gegen das Rhomäerreich. Selbst die 1188 in Nürnberg geführten Verhandlungen konnten den Basileus nicht vom Gegenteil überzeugen. Als das Kreuzheer auf byzantinisches Gebiet gelangte, begannen die Griechen den deutschen Rittern in jeder Weise Schwierigkeiten zu bereiten. Wenn Barbarossa tatsächlich an einen Angriff auf die östliche Kaiserstadt nicht im geringsten dachte, so bewies er dies jetzt durch eine maßvolle Haltung angesichts der zahlreichen Provokationen, die sich die Beauftragten des griechischen Kaisers zuschulden kommen ließen. Trotzdem mußte der Staufer Philippopel und Adrianopel wie feindliche Städte besetzen, ehe sich Isaak II. im Februar 1190 dazu herbeiließ, für eine reibungslose Überfahrt des Kreuzfahrerheeres nach Kleinasien und seine geordnete Versorgung mit Lebensmitteln die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen. Bis es allerdings soweit war, bedurfte es noch des Vordringens der staufischen Streitkräfte auf
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Konstantinopel und des Erscheinens einer Flotte unter dem Befehl von Barbarossas Sohn Heinrich. Kaum hatte sich das Kreuzfahrerheer von den Reichsgrenzen in Kleinasien entfernt, kaum war der Tod Friedrichs I. bekanntgeworden, als sich Isaak wieder in verstärktem Maße um die Byzantinischen Belange auf dem Balkan zu kümmern begann. Daß die Serben und Bulgaren während des Durchmarsches der deutschen Kreuzfahrer recht offen den westlichen Kaiser unterstützt hatten, mag den Basileus davon überzeugt haben, daß es notwendig war, die Vormachtstellung seines Reiches auf dem Balkan wiederherzustellen. Der erste Schlag galt den Serben, die an der Morava eine schwere Niederlage hinnehmen mußten. Dennoch wurde die Eigenexistenz des serbischen Fürstentums vertraglich anerkannt, wenn auch die jüngsten Eroberungen Stefan Nemanjas wieder an die Byzantiner zurückfielen. Die Tatsache jedoch, daß Nemanjas Sohn Stefan die Nichte des Kaisers ehelichte und den Titel eines Sebastokrators annahm, zeigt, daß Serbien in das System der Byzantinischen Macht wieder integriert war. Dieser Erfolg war freilich nicht zuletzt auf eine enge diplomatische und militärische Zusammenarbeit zwischen Kaiser Isaak und Bela III. von Ungarn zurückzuführen. Bulgarien erwies sich als hartnäckigerer Gegner. Zwar gelang es den kaiserlichen Truppen, 1190 bis vor die Mauern von Trnovo vorzustoßen, auf dem Rückmarsch brachte ihnen jedoch der Gegner in der Schlucht von Sredna Gora beträchtliche Verluste bei. In den folgenden Jahren versuchten sich dann in Bulgarien beinahe alle Byzantinischen Heerführer ohne durchschlagenden Erfolg, bis die Griechen 1194 sogar bei Arkadioupolis, also nur etwa 200 Kilometer vor ihrer Hauptstadt, den Scharen Asens entscheidend unterlagen. Daß die Eparchien von Sofija, Philippopel und Adrianopel ständigen Raubzügen ausgesetzt waren und Städte wie Anchialos und Warna von den Bulgaren sogar besetzt wurden, bewog den Kaiser, gegen sie im Jahre 1195 noch einmal ein Unternehmen großen Stils zu versuchen, in welchem mit ungarischer Hilfe Asens Reich niedergerungen werden sollte. Dazu kam es jedoch nicht mehr. Als Isaak im südlichsten Thrakien an der Maritza-Mündung den Aufmarsch seiner Armee abwartete, putschte sein Bruder Alexios während eines Jagdausfluges gegen ihn, setzte ihn ab und ließ ihn blenden. Mit dem Regierungsantritt Alexios’ III. schien sich anfangs die byzantinische Stellung auf der Balkanhalbinsel wieder zu festigen. Stefan Nemanja dankte im Frühjahr 1196 zugunsten seines gleichnamigen Sohnes ab und wurde im Studenica-Kloster Mönch. Der mit der Tochter des Byzantinischen Kaisers verheiratete Thronfolger Stefan erwies sich jedoch durchaus nicht als Garant für eine neue byzantinische Machtentfaltung in diesem Bereich. Stefans Bruder Vukan trat nämlich vom Küstengebiet an der Adria aus zum Kampf um den Thron seines Vaters an und sah sich von Ungarn und der römischen Kurie unterstützt. Nachdem es ihm geglückt war, Stefan aus Serbien zu vertreiben,
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anerkannte er die Hoheitsrechte Ungarns gegenüber seinem Land und die Suprematie Roms über die serbische Kirche. Mit bulgarischer, nicht mit byzantinischer Hilfe konnte Stefan, der seine Gattin inzwischen verstoßen hatte, die verlorene Herrschaft wiedergewinnen – ein Zeichen dafür, daß nunmehr Bulgarien und Ungarn um jene beherrschende Stellung auf dem Balkan kämpften, die Byzanz noch wenige Jahre zuvor mit Erfolg behauptete. Wenn Kaiser Alexios auch nicht daran denken konnte, die Byzantinischen Ansprüche auf die Beherrschung der Balkanländer zur Geltung zu bringen, so sah er sich doch gezwungen, zur Wahrung des seinem Reich verbliebenen Besitzstandes den Kampf mit Bulgarien weiterzuführen. Dabei brachte dem Kaiser weder seine Diplomatie Erfolge, noch ließ sich der Gegner im Feld bezwingen. Die Bulgaren bemächtigten sich vielmehr der Gegend um Serrhes und schlugen Isaak Komnenos mit seinem Heer, der ihnen hätte Einhalt gebieten sollen. Byzanz sah keinen anderen Ausweg mehr, als sich mit der innerbulgarischen Opposition zu verbinden, deren Attentat Fürst Asen im Jahre 1196 zum Opfer fiel. Die so geschaffene Lage konnte aber nicht genützt werden, weil das Heer der Byzantiner meuterte. Damit blieb nichts anderes übrig, als erneut mit einigen bulgarischen Boljaren Kontakte aufzunehmen, die 1197 auch Asens Bruder und Nachfolger Peter beseitigten. Ivanko, der Mörder des bulgarischen Herrschers, floh in die Kaiserstadt und ließ sich als Statthalter in den noch von Byzanz kontrollierten bulgarischen Grenzgebieten einsetzen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis er in den Rhodopen ein unabhängiges Landesfürstentum aufbaute und sich um die Befehle und Wünsche des Basileus nicht mehr sorgte. Seinem Beispiel folgte Dobromir Chrysos, der große Teile des Wardar- und des Strymontales in einer eigenen Herrschaft zusammenfaßte und sogar die zeitweilige Anerkennung Konstantinopels zusammen mit der Hand einer Verwandten Alexios’ III. erhielt. Während aber Dobromirs Fürstentum, das sich zuletzt bis weit nach Griechenland hinein ausdehnte, an die Bulgaren fiel, konnte wenigstens Ivankos Herrschaftsbereich schließlich doch noch für Byzanz gerettet werden. Nicht viel besser sah es in der Stadt am Goldenen Hörn selbst aus. Im Juli des Jahres 1200 unternahm der Komnene Johannes der Dicke den Versuch, das Kaiserdiadem an sich zu bringen. 1201 kam es zu den Aufständen des Kamytzes, des Spyridonakes, des Michael Komnenos und des Johannitzes, die nur mit größter Mühe niedergeschlagen werden konnten. Die Verhältnisse in den Provinzen entglitten der Kontrolle der Zentralgewalt immer mehr. Von Steuereintreibern unablässig geplagt und von Piraten und feindlichen Heeren bedroht, lebte die Bevölkerung des Reiches in derartiger Trostlosigkeit, daß sich ein Michael Choniates als Erzbischof von Athen verpflichtet fühlte, den Kaiser in einer eindrucksvollen Denkschrift auf diese verheerenden Zustände aufmerksam zu machen. Der Kaiser scheint sich jedoch solche Stimmen nicht gerade zu Herzen genommen zu haben, arbeitete er doch ziemlich unverhüllt mit Piraten zusammen, die Schiffe byzantinischer Kaufleute ausraubten. Daß bei solchen
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Verhältnissen zahllose Untertanen des Basileus in seldschukisches Territorium flohen, als bekanntwurde, mit welcher Großzügigkeit dort 5000 byzantinische Gefangene in der Gegend von Philomilion wieder angesiedelt worden waren, kann nicht überraschen. Unberührt vom inneren und äußeren Machtzerfall des Komnenenreiches blieben in diesen Jahren die Leistungen der Byzantiner in Literatur und Wissenschaft. Niketas Choniates, damals einer der höchsten Würdenträger in der Staatsverwaltung, schreibt um diese Zeit bereits an seinem Geschichtswerk, das sich durch Farbe, Zuverlässigkeit und erstaunliches Urteilsvermögen gleichermaßen auszeichnet. Wie sein Zeitgenosse, der Historiker Kinnamos, oder sein älterer Bruder Michael Choniates ist Niketas unter den Angeloi aber auch einer der gefeiertsten Redner des Kaiserhofes, der sich von einer formal glänzenden Rhetorik über alle Mißerfolge der kaiserlichen Politik hinwegtrösten läßt. Die universalistische Bildung des Choniaten wird aber viel klarer darin sichtbar, daß er ein umfangreiches dogmatisches Sammelwerk, den »thesauros tes orthodoxias«, zusammengestellt hat. Nicht weniger um eine umfassende Bildung bemüht war sein Freund Eustathios, nacheinander Metropolit von Myra und Erzbischof von Thessalonike. Auch er hat zahllose Reden verfaßt und vor allem Kommentare zu den Werken Homers und Pindars hinterlassen, die bis heute ihren philologischen Wert behalten haben. Eine weitere Persönlichkeit, die wie Michael Choniates oder Eustathios dem geistlichen Stand angehörte, muß schließlich in diesem Zusammenhang erwähnt werden: Theodoros Balsamon, der zwar nicht die Charakterstärke der zuletzt genannten Männer besaß, aber als Diakon der Hagia Sophia und späterer Patriarch von Antiocheia neben Gelegenheitspoesie einen Gesetzeskommentar schuf, in welchem er sich widersprechende Kanones des kirchlichen und des Kaiserrechts in Einklang zu bringen trachtete. Auch die byzantinische Kunst hat in den Jahren vor 1204 noch Großes hervorgebracht. Während im politischen Bereich für die Randgebiete des Reiches separatistische Tendenzen feststellbar sind, wirkte die hauptstädtische Kunst ungebrochen in die Grenzprovinzen und bis tief in die Nachbarländer hinein. Die Fresken von Hagioi Anargyroi in Kastoria und im Bergkirchlein von Kurbinovo belegen das für Makedonien, wo gleichzeitig die serbischen Nemanjiden allmählich in die Rolle von Förderern der Kunst hineinwuchsen. Auf Cypern, das 1184 vom Reichsmittelpunkt losgerissen wurde, arbeitete zusammen mit einheimischen Kräften Theodoros Apseudes in der Art der Byzantinischen Hofkunst an der Ausmalung der Zelle des Einsiedlerabtes Neophytos. Noch um die Wende zum 13. Jahrhundert malte schließlich in der Demetrios-Kathedrale von Vladimir ein Künstler aus Konstantinopel mit russischen Gehilfen im Dienste des Fürsten Vsevolod III. Auffallend und bezeichnend ist, daß der Stil der gegenüber dem Mosaik immer stärker in den Vordergrund tretenden Malerei im Vergleich zur Jahrhundertmitte insgesamt dramatischer und unruhiger wird, daß er anstelle der bisherigen klassischen
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Formensprache mit Vorliebe Elemente einer manieristischen Kunstauffassung verwendet. Währenddessen wurde die politische Gesamtlage für Byzanz zusehends ernster. An der Ostgrenze mußte das Rhomäerreich Einbußen wie den Verlust der Stadt Dadibra hinnehmen, obwohl die Kräfte der Seldschuken zu gleicher Zeit stark von den Kämpfen verschiedener Prätendenten um das Erbe Sultan Kilidsch-Arslans II. beansprucht waren. Die eigentliche Gefahr drohte aber von Westen. Man hatte dies in Byzanz durchaus erkannt und versuchte, durch die Unterstützung des normannischen Gegenkönigs Tankred Heinrich VI. um 1193 und später in Zusammenarbeit mit Papst Innozenz III. der vereinigten staufischsizilianischen Macht Schwierigkeiten zu machen. Aber die Möglichkeiten der Byzantinischen Politik erwiesen sich im italienischen Bereich nunmehr als zu beschränkt, so daß sich die Macht Kaiser Heinrichs VI. unbehindert festigen und entfalten konnte und der Staufer nun seinerseits die Gegensätze zum östlichen Nachbarreich bewußt vertiefte. Heinrich VI. hatte noch vor dem Thronwechsel des Jahres 1195 die Abtretung des 10 Jahre zuvor von den Normannen eroberten Gebietes, hohe Zahlungen und die byzantinische Beteiligung an einem von ihm geplanten Kreuzzug verlangt. Nach der Absetzung Isaaks II., des Schwiegervaters seines Bruders, wiederholte er seine Forderungen in aller Schärfe und gab zu erkennen, daß er auch daran dachte, die Ansprüche des Gestürzten auf den Thron mit Waffengewalt durchzusetzen. Nachdem Heinrich VI. Byzanz auch von den christlichen Staaten im östlichen Mittelmeer, von Cypern und Klein-Armenien, mit Hilfe seiner überlegenen Diplomatie isoliert hatte, beeilte sich die Regierung Alexios’ III., die finanziellen Forderungen des Staufers zu erfüllen, und zögerte auch nicht, zur Aufbringung des vom westlichen Kaiser beanspruchten Jahrestributes von 16 Kentenaren Gold die Kaisergräber in der Apostelkirche ihres kostbaren Schmuckes zu entledigen. Man kann sich vorstellen, welchen Jubel in allen Kreisen der Byzantinischen Hauptstadt der Tod Heinrichs VI. auslöste, der gerade seinen Kreuzzug antreten wollte. Die schwere politische und finanzielle Drohung, die über dem Reich schwebte, hatte sich noch einmal in nichts aufgelöst. Inzwischen aber predigte man in Westeuropa wieder einmal den Kreuzzug. Nach den Erfahrungen, die die Byzantiner mit Friedrich Barbarossa gemacht hatten, konnte man dem neuen Zug ins Heilige Land in Ruhe entgegensehen, zumal man annehmen durfte, daß er das Kerngebiet des Reiches gar nicht berühren und wahrscheinlich über die See Palästina erreichen würde. Während sich Venezianer, Lombarden und Franzosen in Venedig seit 1201 allmählich zur Fahrt ins Heilige Land sammelten, trat ein Ereignis ein, das den Verlauf des vorgesehenen Kreuzzuges vielleicht nicht entscheidend bestimmte, dem venezianischen Dogen Enrico Dandolo bei der Vorbereitung des Unternehmens aber sehr gelegen kam. Im Herbst 1201 war es nämlich Alexios Angelos, dem Sohn des gestürzten Kaisers Isaak, gelungen, aus der Haft zu
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fliehen. Er begab sich von Konstantinopel zu seinem Schwager Philipp von Schwaben und traf bereits zu Weihnachten im selben Jahr mit Bonifaz von Montferrat zusammen, der als Repräsentant der Staufer maßgeblich an der Vorbereitung der geplanten Kreuzfahrt beteiligt war. Mit ihm dürften die Möglichkeiten beraten worden sein, im Zuge des bevorstehenden Unternehmens das östliche Reich für Isaak Angelos wieder in Besitz zu nehmen. Trotz der ablehnenden Haltung Papst Innozenz’ III. blieb es bei dem Plan, während des Kreuzzuges Konstantinopel für Isaak Angelos zurückzugewinnen, was den politischen Vorstellungen des Dogen von Venedig in besonderem Maße entsprach. Noch in Zara, das die Kreuzfahrer zunächst für Venedig eroberten, schloß sich Alexios Angelos ihnen an. Im Mai 1203 wurde danach auf Korfu in aller Form vereinbart, als nächstes Ziel die Kaiserstadt am Goldenen Hörn anzusteuern, um die Entfernung Alexios’ III. vom Kaiserthron zu erzwingen. Der Neffe des Kaisers, Alexios Angelos, stellte als Gegenleistung gewaltige Geldmittel und die byzantinische Hilfe bei der Fortführung des Kreuzzuges in Aussicht. Am 13. April 1204 zogen die Kreuzritter in Konstantinopel ein, wo für drei Tage Raub, Mord und Totschlag herrschten. In kürzester Zeit erlosch aller Glanz der Stadt. Ihre Bevölkerung war schlimmsten Schikanen ausgesetzt, ihre Schätze und Reichtümer wurden in grenzenloser Barbarei verschleudert und zerstört. Die größte Stadt der damaligen Welt und mit ihr das ganze byzantinische Reich waren gedemütigt und in ihrem Lebensnerv getroffen. Diese Katastrophe noch einmal überwunden zu haben darf als eine der größten Leistungen des Byzantinischen Staates bezeichnet werden. 6. Der Vierte Kreuzzug und seine Folgen I. Der Vierte Kreuzzug, 1198–1204 Nachdem die arabische Welt um die Kreuzfahrerstaaten an der syrischpalästinensischen Küste unter dem Sultan Saladin geeinigt war, konnte dieser zum entscheidenden Schlag gegen die verhaßten Eindringlinge ausholen. Bei Hattin nahe dem See Genezareth vernichtete er im Jahre 1187 fast die gesamte Streitmacht des Lateinischen Ostens, eroberte die auch dem Islam heilige Stadt Jerusalem und das ganze Gebiet der fränkischen Herrschaften bis auf drei Küstenstädte und einige Burgen. Auf den Schock hin, den diese Nachricht im Westen auslöste, brachen die drei mächtigsten Herrscher des Abendlandes zum Dritten Kreuzzug (1189–92) auf: Friedrich Barbarossa, Richard Löwenherz und König Philipp II. August von Frankreich. Aber der Kaiser starb auf dem Marsch durch Kleinasien, und das deutsche Heer löste sich praktisch auf. Gegensätze zwischen einheimischen Franken und Rittern des Kreuzzuges und Rivalitäten innerhalb dieser Gruppen schwächten die Macht der Lateiner mit dem Ergebnis, daß nur die Stadt Akkon mit einem schmalen Küstenstreifen wiedergewonnen wurde. So erreichte das ganze Unternehmen außer der Etablierung einer
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fränkischen Herrschaft auf dem bis 1191 Byzantinischen Cypern nur das Überleben der Kreuzfahrerstaaten. Auch das Heer, das der neue Kaiser Heinrich VI. 1197 ins Heilige Land entsandte, blieb erfolglos; der Herrscher starb noch im selben Jahr, und die Deutschen eilten daraufhin nach Europa. Mit Heinrichs Tod scheiterten auch die Weltmachtpläne der westlichen Kaiser. Die deutsche Herrschaft in Sizilien brach zusammen. Das Papsttum war damit befreit von der staufischen Umklammerung, und Italien gelangte wieder unter den Einfluß Roms. Sofort nutzte der neue Papst Innozenz III. (1198 bis 1216), in dessen hierokratischem Weltbild die Kreuzzugsidee einen hervorragenden Platz einnahm, die gerade gewonnene Bewegungsfreiheit der Kurie und kündigte einen neuen Heidenkrieg an. Nach dem Vorbild des Ersten Kreuzzuges, der ja auch der einzige wirklich erfolgreiche gewesen war, sollte dieser unter alleiniger päpstlicher Verantwortung und ohne Beteiligung von Monarchen stattfinden. Im Sommer 1198 erging der große Kreuzzugsaufruf an die Christenheit. Dem Leiden des Herrn für die Menschheit, der Schändung der Stätten seines Wirkens, dem Hochmut der Moslems und dem Elend des Lateinischen Ostens stellte Innozenz die Weltlichkeit der Könige und Herrscher des Westens gegenüber, die in Sünde, Luxus und Bruderkrieg lebten. Der Papst drohte denen, die nicht zur Befreiung des Heiligen Grabes beitragen wollten, Strafen beim Jüngsten Gericht an und versprach zugleich den Teilnehmern am Kreuzzug vollen Sündenerlaß und ewiges Heil. Schon im folgenden Frühling sollten Grafen, Barone und Städte ihren Kräften entsprechend für zwei Jahre Kontingente stellen. Den Besitz der Pilgerkrieger stellte der Papst für die Zeit ihrer Abwesenheit unter den Schutz der Kirche und sicherte ihnen allgemeinen Schuldenaufschub zu. Langsamer als geplant zeigten sich die Folgen der päpstlichen Aktivität, vor allem in Nordostfrankreich. Hier hatte der Kardinallegat Peter Capuano den Erweckungsprediger Fulko von Neuilly, der schon seit Jahren in der Gegend um Paris mit großer Beredsamkeit und derbem Witz erfolgreich gegen Geldverleiher und Dirnen wirkte, für die Kreuzzugspredigt eingespannt. Fulko wandte sich aber vor allem an die Unterschichten, deren stürmische Begeisterung meist schnell wieder abebbte. Nur allmählich verbreitete sich die Kreuzzugs Stimmung auch unter den Adeligen. Die ersten Gelübde erfolgten auf einem der rohen und von der Kirche heftig bekämpften Turniere, zu dem der mächtige Graf Theobald der Champagne im November 1199 den Grafen Ludwig von Blois und zahlreiche nordfranzösische Barone und Ritter auf seine Burg Écry-sur-Aisne geladen hatte. Ihnen schlossen sich viele ihrer Gefolgsleute teils aus eigenem Ansporn, teils aus Vasallentreue an; zu diesen gehörte Gottfried von Villehardouin, der Marschall der Champagne, der eine zentrale Rolle in der ganzen Geschichte des Vierten Kreuzzuges und den Anfängen des Lateinischen Kaiserreiches von Konstantinopel spielen sollte; seine altfranzösische Prosachronik »Die Eroberung von Konstantinopel« ist der quasi offizielle Bericht und die detaillierteste Geschichte der oftmals komplizierten Ereignisse. Auf Écry hatte sich der Kern
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der Armee gebildet; in schneller Folge nahmen dann Graf Balduin von Flandern, sein Bruder Heinrich, die Grafen Hugo von St.-Pol und Gottfried von Perche mit ihren Gefolgsleuten, die Bischöfe von Troyes und Soissons das Kreuz. Ein Untervasall Hugos war Robert von Clari, der nach seiner Rückkehr vom Kreuzzug die »Geschichte derer, die Konstantinopel eroberten« niederschrieb; in diesem Expeditionsbericht werden die Ereignisse aus der Sicht eines einfachen Ritters geschildert, vor allem aber das fassungslose Staunen eines durchschnittlichen Lateiners der Zeit vor den Wundern von Byzanz. Immer noch spielte die religiöse Überzeugung bei der Kreuznahme eine bedeutende Rolle, »denn der Ablaß war so groß«1, wie Villehardouin schreibt; aber profane, ja mondäne Motive waren mehr und mehr ausschlaggebend geworden. Abenteuerlust und Beutegier gehörten schon zu den Antrieben des Ersten Kreuzzuges. Seither waren Kreuzfahrten zu einer Art Familientradition geworden, wie bei den Grafen der Champagne. Ja sie bildeten jetzt sogar einen Teil des ritterlichen Ehrenkodex; Cuno von Béthune, Herr von Arras und Vasall Balduins von Flandern, sang zu Ehren seiner Dame: »Wenn der Leib unserem Herrn Christus dient, so bleibt das Herz doch ganz in Ihrer Gewalt.«2 Etwa 10000 Krieger hatten nach Schätzungen, die auf den Angaben von Villehardouin und Robert von Clari beruhen, bis zum Winter 1200/1201 das Kreuz genommen; und man erwartete, daß sich diese Zahl bis zur Abfahrt mehr als verdreifachen würde. Daher legten die Bevollmächtigten der Grafen eine Heeresstärke von 4500 Rittern, 9000 Knappen und 20000 Fußsoldaten zugrunde, als sie im folgenden Frühjahr mit dem Dogen von Venedig einen Transportvertrag abschlossen. Gegen ein Entgelt von 85000 Mark Silber verpflichteten sich die Venezianer, ab Juni 1202 auf ein Jahr Schiffsraum und Verpflegung zu stellen. Für die Ausrüstung von 50 weiteren Galeeren erhielten sie das Recht auf die Hälfte von Beute und Eroberungen. Insgeheim wurde weiter vereinbart, nach Ägypten zu fahren und dort das Zentrum der islamischen Macht zu treffen, obwohl die Masse der Pilger direkt nach Jerusalem zu ziehen wünschte. Der Papst würfle erst jetzt, nach Vertragsabschluß, berücksichtigt, und auch nur mit der Bitte um Bestätigung. Innozenz’ Konzept eines Kreuzzuges unter päpstlicher Verantwortung entsprach dieses Vorgehen der Barone nicht; doch der Papst mochte auf keinen Fall das endlich in Gang gekommene Unternehmen gefährden und willigte ein. Als die Gesandten aus Venedig zurückkehrten, fanden sie den Grafen Theobald, der als Heerführer vorgesehen war, im Sterben. An seine Stelle bestimmten die Grafen und Barone den Markgrafen Bonifaz von Montferrat, Herr über ausgedehnte Besitzungen in nordwestlichen Italien. Die Wahl dieses Ausländers könnte überraschen, aber der Name Montferrat war seit einer Generation mit der Geschichte des Abwehrkampfes in Palästina eng verbunden. Im Juni 1202, dem vertraglich vereinbarten Abfahrttermin, trafen die meisten der Kreuzfahrer erst in der Gegend von Venedig ein. Als die Führer auf der Insel San Niccolò di Lido das Heer musterten, stellten sie fest, daß seine Effektivstärke
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seit dem Ende des Jahres 1201 sich nur wenig erhöht hatte. Viele hatten in der Zwischenzeit das Kreuz genommen; trotz der Thronwirren in Deutschland hatte sich dort ein kleines Kontingent gebildet, geführt von dem elsässischen Zisterzienserabt Martin von Pairis, darunter der Graf von Katzenellenbogen und der Bischof von Halberstadt; burgundische und provenzalische Ritter waren hinzugekommen, zusammen mit den Lombarden unter Bonifaz. Aber sehr viele Pilger organisierten ihre Überfahrt selber und fuhren von anderen Häfen aus direkt ins Heilige Land. Neben Disziplinlosigkeit, dem Schicksal so mancher Freiwilligenheere, hat dabei wohl auch eine Rolle gespielt, daß Ägypten als Ziel der Fahrt nicht geheim geblieben war. Aber selbst wenn alle Kreuzfahrer sich in der Lagunenstadt eingefunden hätten, es wäre höchstens die Hälfte der kalkulierten Zahl erreicht worden. Man mußte deshalb etwa ein Drittel der Vertragssumme schuldig bleiben, während die Venezianer mit Hinweis auf die fahrbereite Flotte die volle Zahlung verlangten. Schließlich bot der hochbetagte und fast blinde, aber geistig noch hellwache Doge Enrico Dandolo den Rittern als einzigen Ausweg ein neues Geschäft an: für einen Schuldenaufschub sollten sie mithelfen, die dalmatische Küstenstadt Zara zurückzuerobern, die seit einigen Jahren wieder zu Ungarn gehörte. Ein ungeheures Ansinnen, besonders da der ungarische König selber das Kreuz genommen hatte. Daraufhin baten auch viele, wie der Bischof von Halberstadt und Abt Martin von Pairis, den Kardinallegaten Peter Capuano, der als Vertreter des Papstes den Kreuzzug begleiten sollte, sie von ihrem Gelübde zu entbinden. Sie wollten nicht das Schwert gegen Christen erheben. Aber Peter weigerte sich mit dem Argument, »der Papst wolle lieber die ernste Situation ... ignorieren, als daß dieser Kreuzzug aufgelöst werde«3. Die Mehrzahl der Pilger aber, denen die Venezianer in ihrem Lager auf dem Lido zudem noch die Versorgung rationierten, beugten sich schließlich dem Willen Dandolos; sie fürchteten den Verlust des schon gezahlten Beitrages und die Schande, unverrichteterdinge nach Hause zurückzukehren. Trotzdem war den Venezianern die Einflußmöglichkeit des Papstes immer noch zu groß; der Doge verweigerte daher Peter Capuano rundheraus die Teilnahme am Kreuzzug in seiner Eigenschaft als apostolischer Legat, woraufhin der Kardinal entrüstet nach Rom zurückfuhr. Erst jetzt nahmen auch Dandolo und viele Venezianer das Kreuz, und die gewaltige Flotte von etwa 60 Galeeren und 150 Transportschiffen konnte Anfang Oktober 1202 in See stechen. Vor Zara entbrannten neue heftige Diskussionen über die Rechtmäßigkeit des Angriffes, als der Papst in einem Schreiben befahl, unter Androhung des Kirchenbanns von der Stadt abzulassen. Aber ohne Erfolg; Zara wurde Ende November erstürmt, und die Eroberer quartierten sich dort für den Winter ein. Damit war das gesamte Kreuzfahrerheer exkommuniziert. Diese groteske Situation kümmerte die Venezianer wenig; die französischen und deutschen Kirchenfürsten in der Armee aber bemühten sich eifrig um die päpstliche Absolution. In der Sorge um den Fortgang des Kreuzzuges scheute sich Innozenz
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nicht, diese, außer für die Venezianer, auch zu erteilen; allerdings unter der Bedingung, daß nicht noch einmal ein christliches Land angegriffen werde. In Rom mußte man nämlich inzwischen befürchten, daß der Kampf gegen Zara nur das Vorspiel für einen viel verwegeneren Plan war: die Ablenkung des Vierten Kreuzzuges auf Konstantinopel. Dort war der Prinz Alexios, Sohn des gestürzten Isaak II. Angelos, seinem Onkel, dem Kaiser Alexios III. Angelos, auf einem pisanischen Schiff entkommen und suchte im Westen Unterstützung für seine Thronansprüche. Über Italien reiste er an den Hof seines Schwagers Philipp von Schwaben. Dieser war wegen der Kämpfe mit dem Gegenkönig Otto von Braunschweig selbst nicht in der Lage zu helfen. Aber er verwies ihn auf das Kreuzzugsheer. Um die Jahreswende 1202/1203 erschien daher in Zara eine Gesandtschaft aus Deutschland, die dem Heer ein Angebot des jungen Alexios unterbreitete. Sorglos machte der Thronprätendent unerfüllbare Versprechungen: die Ostkirche Rom zu unterstellen, den Kreuzfahrern die damals ungeheure Summe von 200000 Mark Silber zu zahlen, sich selbst dem Kreuzzug mit 10000 Mann anzuschließen und zeit seines Lebens 500 Ritter für den Kampf in Palästina zu stellen. Die Venezianer stimmten dem Vorschlag sofort zu, auch die Führer der Ritter, vor allem Bonifaz von Montferrat, suchten die Kreuzfahrer dafür zu gewinnen. Wieder wurde heftige Opposition laut; der Zisterzienserabt Guido von Les Vauxde-Cernay und Baron Simon von Montfort, der spätere Führer des Albigenserkrieges, geißelten die Unchristlichkeit eines Angriffes auf Konstantinopel und hielten den Kreuzfahrern das Verbot des Papstes vor Augen. Aber viele der einfachen Krieger befanden sich in einer Situation ähnlich der in Venedig, sie waren durch den Winter in Zara schon jetzt in finanzielle Schwierigkeiten geraten und sahen in dem Vorschlag des Byzantinischen Prinzen die einzige Rettung vor dem Abbruch ihrer Pilgerfahrt. In seiner einfachen Sprache referiert Robert von Clari diese Diskussion: »Pah! Was sollen wir in Konstantinopel machen? Wir haben unsere Pilgerfahrt zu machen, und unser Plan ist, nach Babylon (= Kairo) oder Alexandria zu fahren, und unsere Flotte folgt uns nur ein Jahr, und die Hälfte des Jahres ist schon um! Und die anderen sagten dagegen: Was sollen wir in Babylon oder Alexandria machen, wenn wir weder Vorräte noch Geld haben, mit denen wir dorthin fahren können? Besser für uns, bevor wir dorthin fahren, daß wir Vorräte und Geld erwerben ..., als daß wir dorthin fahren, um Hungers zu sterben.«4 Auch die Meinung des Klerus war geteilt; mancher Ritter bekam als Antwort auf seine Gewissenskonflikte von den Geistlichen zu hören, daß es Nächstenliebe sei, dem Prinzen Alexios zu seinem Thron zu verhelfen. Und war es nicht gerecht, daß das sagenhaft reiche Byzanz jetzt endlich zur Befreiung des Heiligen Grabes beitragen würde, wo es bis jetzt die Kreuzzüge immer nur behindert habe? Hatten die Griechen, deren Kaiser treulos, deren Kirche schismatisch war, es eigentlich verdient, den größten Reliquienschatz der Welt in ihrer Hauptstadt zu beherbergen? Mit der Aussicht auf solche weltlichen und geistlichen Schätze
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gewannen die Barone und Bischöfe das Heeresvolk für ihre Fahrt nach Konstantinopel. Fast 20 Barone und der Doge unterschrieben am Ende einen Vertrag mit dem Gesandten aus Deutschland. Auf Korfu kam es jedoch nochmals zum Konflikt, ja zu einer regelrechten Spaltung des Heeres; vielleicht die Hälfte der Pilger, unter ihnen sehr viele Barone, weigerte sich, nach Konstantinopel zu ziehen, und trennte sich vom Rest. Nur mit der Zusage, nach dem September würden Schiffe für die Weiterfahrt gestellt, wurde die Armee wieder vereinigt. Ein Teil der Kreuzfahrer ahnte wohl schon, daß es nicht bei der Throneinsetzung von Alexios bleiben würde, und versuchte sich gegen einen allzu langen Aufenthalt in Konstantinopel abzusichern. Auch mußte dem letzten Prälaten des Heeres klargeworden sein, daß die versprochene Kirchenunion so einfach nicht zu vollziehen sein werde; die anonyme Chronik von Halberstadt, die nach den Angaben des Bischofs dieser Stadt geschrieben wurde, weiß die sarkastische Bemerkung des orthodoxen Erzbischofs von Korfu zu berichten: »Er wisse keinen anderen Grund für den Primat ... des römischen Bischofssitzes, außer daß es römische Soldaten gewesen seien, die Christus gekreuzigt haben.«5 Wenige Probleme des Mittelalters sind so intensiv diskutiert worden wie die Frage nach den Gründen der Ablenkung des Vierten Kreuzzuges auf Konstantinopel. Die Anhänger der Zufallstheorie behaupten, diese Entwicklung sei auf eine Kette von unvorhersehbaren Ereignissen zurückzuführen; die Vertreter der Intrigentheorie beschuldigen den Papst, die Venezianer, Bonifaz von Montferrat oder Philipp von Schwaben, den Angriff auf Byzanz schon lange vorher geplant zu haben. In der Tat ist es nur schwer vorstellbar, daß ein so bedeutendes Vorhaben erst in letzter Minute beschlossen wurde. Allerdings setzt eine solche Auffassung voraus, daß eine entscheidende Behauptung Villehardouins erschüttert werden kann: der Prinz Alexios sei erst im August 1202 nach Italien gelangt, also erst kurz vor der Abfahrt der Kreuzfahrer aus Venedig. Diese Zeit aber wäre nicht ausreichend gewesen, eine so wichtige Änderung des Angriffszieles durchzusetzen. Tatsächlich machen es der Bericht des Byzantinischen Historikers Niketas Choniates und einige lateinische Quellen wahrscheinlich, daß der Thronprätendent schon früher seinem kaiserlichen Onkel entkam und im Jahre 1201 im Westen erschien. Dann wäre genügend Zeit für ein Komplott vorhanden gewesen; aber daß es auch wirklich stattgefunden hat, ist damit freilich noch nicht gesichert. Wir können nur, von der Frage cui bono aussehend, ein Zusammenspiel von Bonifaz von Montferrat, Philipp von Schwaben, Enrico Dandolo und – eventuell – Innozenz III. vermuten. Aber im Grunde »ist die Frage nach den Gründen der Ablenkung immer noch offen«6. Kaum ein moderner Forscher hat versucht, die Rolle Venedigs in diesem Zusammenhang zu verkleinern. Aber von der Lagunenstadt wissen wir eigentlich nur, daß die Entwicklung in doppelter Hinsicht genau ihrem handelspolitischen Vorteil entsprach. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts hatten die italienischen Seestädte nämlich gewinnbringende Handelsbeziehungen mit Ägypten, dem ursprünglichen Angriffsziel des Kreuzzuges, angeknüpft.
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Andererseits aber hatte Venedig nur noch geringen Anteil am großen Byzanzgeschäft. Bis zur Massenverhaftung der Venezianer im Jahre 1171 war fast der gesamte Warentransport von Konstantinopel und anderen griechischen Städten nach dem Westen von ihren Schiffen getätigt worden; seit 1183 konnten sie zwar ihr Handelsviertel in der Hauptstadt wieder einnehmen, aber Kaiser Alexios III. favorisierte offen die Rivalen Genua und Pisa. Zudem fühlten sich die westlichen Kaufleute allgemein seit den Lateinermassakern von 1182 nicht mehr sicher in den Byzantinischen Städten, besonders Konstantinopel. Eine Eroberung der Hauptstadt und die Inthronisierung eines abhängigen Kaisers würde dagegen die alte Monopolstellung Venedigs wiederherstellen und auf lange Zeit sichern. Für den Papst waren die Versprechungen des Prinzen Alexios in doppelter Hinsicht verlockend. Die schon seit Jahrhunderten erstrebte Durchsetzung des römischen Primats über die griechische Kirche war für Innozenz III. Voraussetzung des zweiten großen Zieles seiner Ostpolitik, der Teilnahme von Byzanz am Kampf zur Rückgewinnung des Heiligen Grabes. Beides hatte er von Alexios III. auf diplomatischem Wege zu erreichen versucht. Zumindest ein gemeinsames ost-westliches Konzil mit dem Ziel der Kirchenunion hatte der byzantinische Herrscher trotz der antilateinischen Stimmung in seinem Lande zugesagt, allerdings unter vielen Vorbehalten. Diese Zugeständnisse machte der Kaiser aber nur aus Angst vor einem Wiedererstarken der staufischen Macht in Italien und einer Fortsetzung der normannischen Expansionspolitik; mehr noch fürchtete er, der Papst könnte die Ansprüche unterstützen, die Philipp von Schwaben durch die Heirat mit der Kaisertochter Irene Angela auf den Byzantinischen Thron hatte. Aber Innozenz war von einem starken deutschen Kaisertum genauso bedroht wie Konstantinopel und deshalb nicht gewillt, dessen antibyzantinischer Politik Beistand zu leisten. Deshalb verweigerte er auch dem Prinzen Alexios seine Unterstützung und verbot den in Zara lagernden Kreuzfahrern den Angriff auf Konstantinopel. Aber der Brief, der diese Anweisung enthielt, wurde freilich erst im Juni 1203 geschrieben, zu einem Zeitpunkt, als die Flotte der Kreuzfahrer schon im Bosporus erschien, obwohl Innozenz schon im November 1202 Alexios III. mit der Drohung, das Kreuzzugsunternehmen könnte gegen ihn gerichtet sein, einzuschüchtern versucht hatte. Der Verdacht ist deshalb nicht von der Hand zu weisen, daß der Papst nur noch gegen eine Entwicklung protestierte, die er nicht mehr aufhalten konnte; denn der Kreuzzug war ihm endgültig entglitten, seit Bonifaz von Montferrat und Enrico Dandolo das Unternehmen führten. Daß Bonifaz von Montferrat aus persönlichen Interessen die Richtungsänderung des Kreuzzuges betrieben hatte, ist nicht abwegig, aber unbeweisbar. Wir wissen allerdings von engen Familienbeziehungen der Montferrat mit Byzanz: Bonifaz’ Vater hatte zeitweilig Kaiser Manuels Politik in Italien unterstützt; von den beiden mit Byzantinischen Prinzessinnen verheirateten Brüdern war Rainer bei Hofintrigen ermordet worden, Konrad
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hatte sich einem vielleicht ähnlichen Schicksal durch die Flucht entzogen. Ob der Markgraf bei der Annahme des Kreuzzugskommandos Rache für seine Brüder nehmen wollte und ob er Ambitionen auf den griechischen Kaiserthron hegte, muß Vermutung bleiben. Sicher ist nur, daß Bonifaz einer der Hauptbefürworter der Ablenkung des Kreuzzuges war und daß er sich nach dem Fall der Stadt 1204 bemühte, zum Kaiser gewählt zu werden. Auf alle Fälle kam mit der Wahl Bonifaz’ eine neue Macht ins Spiel, denn der Markgraf war ein treuer Lehnsmann und Verwandter Philipps von Schwaben. Dieser hatte die auch gegen Byzanz gerichteten Weltmachtpläne seines Bruders Heinrich VI. nicht vergessen und konnte sogar als Schwiegersohn des gestürzten Isaak II. Rechtsansprüche, wenn auch nur fadenscheinige, auf die Herrschaft in Konstantinopel geltend machen. Wenn der Prinz Alexios tatsächlich schon im Jahre im Westen gelandet war, hatte man im Winter 1201 bis 1202 am Hofe Philipps in Hagenau reichlich Gelegenheit, die byzantinische Thronfolge zu besprechen und die Umlenkung des Kreuzzuges zu planen. Der endgültige Vertrag zwischen dem Prinzen Alexios und den Kreuzfahrern wurde auf Korfu abgeschlossen, und Ende Mai 1203 hob die Flotte die Anker zur Fahrt in Richtung Bosporus. Der Kaiser in Konstantinopel hatte schon bei der Flucht seines Neffen erkannt, welche Gefahren seiner Herrschaft drohten, wenn sich eine der Mächte des Westens des Thronprätendenten annähme. Auch waren ihm schon Ende des Jahres 1202 die Verbindungen des jungen Alexios mit Venedig und dem Kreuzzug bekannt, aber die byzantinische Westpolitik war am Anfang des 13. Jahrhunderts auf einem solchen Tiefpunkt angelangt, daß Alexios III. nur noch auf die Hilfe des Papstes hoffen konnte. Als dieser die Richtungsänderung nicht zu verhindern wußte, blieben dem Kaiser, nachdem man die einst so mächtige byzantinische Flotte völlig hatte verkommen lassen, im wesentlichen nur noch die Mauern von Konstantinopel zur Verteidigung seines Thrones. Auf einer dreieckigen Halbinsel gelegen, im Norden durch die tief ins Land reichende Bucht des Goldenen Horns und im Süden durch die offene See des Marmarameeres zusätzlich zu den Seemauern geschützt, war die Stadt nur im Westen vom Land her zugänglich, dort aber durch das sieben Kilometer lange Befestigungswerk der Theodosianischen Mauer verteidigt. Noch nie war die Stadt erobert worden, und auch den Kreuzfahrern schien sie beim ersten Anblick uneinnehmbar. Aber sie hatten die Hoffnung, daß die Einwohner nur auf den rechtmäßigen Prinzen gewartet hätten, um den Usurpator Alexios III. zu stürzen, wie der junge Alexios geprahlt hatte. Man wollte eine Volkserhebung provozieren, indem man den »legitimen Herrscher« dem Volk von Konstantinopel vorführte; in Rufweite fuhren die Galeeren mit dem Thronprätendenten an Bord an der Seemauer entlang. Aber die einzige Reaktion von der Stadt her war ein Hagel von Geschossen. So blieb nur der Kampf. Am 5. Juli 1203 schlugen die Lateiner bei der Landung am Westufer des Bosporus eine kaiserliche Armee in die Flucht. Tags darauf erstürmten sie den Turm des Vorortes Galata, an dem das Ende der den Hafenzugang versperrenden Kette
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befestigt war. Die venezianische Flotte hatte so den Weg frei, die wenigen griechischen Schiffe dort zu entern oder zu zerstören. Beim Sturm auf die Stadt selbst am 17. Juli fochten die Ritter vergeblich gegen die englische und dänische Warägergarde auf der Theodosianischen Mauer. Mehr Erfolg hatten die Venezianer, als sie gleichzeitig gegen die schwächere Seemauer am Goldenen Hörn von ihren Schiffen aus vorgingen. Sie hatten mit Plattformen an den Mastspitzen der Galeeren ihre Schiffe zu Belagerungstürmen gemacht, von denen aus sie in gleicher Höhe wie die Verteidiger auf den Turmspitzen kämpfen konnten. Vor dem gefürchteten Griechischen Feuer schützen sie die Galeeren durch nasse Felle. Unter Führung des Dogen gelang es den Venezianern, ihre Schiffe in einer Reihe gegen das Ufer zu bringen, mit Sturmleitern und von den Plattformen aus etwa 25 Türme zu erobern und sogar hinter die Mauern zu dringen. Dort konnten sie sich gegen die byzantinische Übermacht nur halten, indem sie Feuer in die nächsten Häuser legten. Der Brand verbreitete sich schnell in der Stadt und wurde die erste der von den Lateinern angelegten entsetzlichen Feuersbrünste, die ganze Stadtteile zerstörten. Erst jetzt machte Alexios mit seiner Armee einen Ausfall gegen die Ritter. Aber gegen die Schlachtordnung der Franken wagte er keinen Angriff und zog sich unverrichteterdinge in die Stadt zurück. Als die Venezianer von der Gefahr für ihre Verbündeten hörten, ließ Dandolo seine Leute von den Mauern und Türmen zurückziehen und schickte sie den Rittern zur Verstärkung. Der erste Sturm auf Konstantinopel schien also ein Fehlschlag gewesen zu sein. Aber in der Nacht noch raffte Alexios III. eilig seine Juwelen zusammen und entfloh mit seiner Lieblingstochter nach Thrakien. Die Byzantiner holten den gestürzten Kaiser Isaak II. aus dem Gefängnis, setzten ihn trotz seiner Blindheit auf den Thron und informierten die verdutzten Kreuzfahrer noch vor dem Morgengrauen von dem Geschehen. Diese entsandten zunächst Vertreter in den Palast, die Einsetzung des Prinzen Alexios zu verlangen und vor allem sich von Isaak die Versprechen seines Sohnes bestätigen zu lassen. Widerstrebend gestand der Herrscher beides zu, und das Kreuzfahrerheer geleitete den jungen Alexios in die Stadt, wo er am 1. August 1203 in Anwesenheit lateinischer Barone gekrönt wurde. Nun war es an dem neuen Kaiser Alexios IV., seinen vertraglichen Verpflichtungen, besonders dem finanziellen Engagement, nachzukommen. Er begann auch aus dem Staatsschatz seine Schuld abzubezahlen, ließ kostbares Kirchengerät einschmelzen und konfiszierte den Besitz reicher Bürger; aber mit all diesen Maßnahmen kam er bei weitem nicht an die versprochenen 200000 Mark heran. Er mußte die Kreuzfahrer mit zusätzlichen Versprechungen bitten, bis zum folgenden Frühjahr zu bleiben, bis er die ganze Summe aufgebracht und seine Regierung gefestigt hatte. Wieder stimmten die Venezianer unter dem Dogen und die Führer des Heeres zu, und wieder konnte nur mit Mühe die Opposition der ernsthaften Pilger überwunden werden. Doch die Zeit arbeitete gegen Alexios; war seine Position
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als Protege der verhaßten Lateiner im Grunde schon seit Anbeginn der Herrschaft unhaltbar, so wuchs die Gefahr von Zusammenstößen zwischen Kreuzfahrern und Griechen, je länger das Heer blieb. Schon der Anblick der stolzen fränkischen Ritter irritierte die Byzantiner, wenn sie sich bei der Besichtigung der Stadt zum Teil wie Eroberer gebärdeten. Dazu verweigerte der orthodoxe Klerus dem Kaiser offen die Zustimmung zu der Unterstellung unter den Papst. Im Laute des Sommers und Herbstes 1203 wurden die Beziehungen zwischen Lateinern und Griechen immer gespannter. Während der junge Alexios versuchte, in Thrakien seine Herrschaft zu sichern, stellte sein Vater Isaak die Zahlungen an die Kreuzfahrer allmählich gänzlich ein. Der byzantinische Mob plünderte die reichen Viertel der Italiener, lateinische Soldateska verwüstete die Dörfer um die Hauptstadt. Religiös exaltierte Flamen und Italiener versuchten die Moschee sarazenischer Händler zu zerstören, standen aber bald einer Übermacht von Moslems und Griechen gegenüber und konnten ihre Flucht nur mit Hilfe von Feuer decken; der hierbei entstandene Brand wütete mehrere Tage, zerstörte wieder ein großes Stadtviertel mit Kirchen und Klöstern und beschädigte sogar Teile der Hagia Sophia. Nach seiner Rückkehr sah Alexios IV. bald ein, daß er seine vielen Versprechungen gegenüber den Kreuzfahrern nie erfüllen könnte. Er bat immer wieder um Aufschub und brach schließlich den Verkehr mit den Kreuzfahrern völlig ab. Aber die Lateiner, voran der venezianische Doge, bestanden unerbittlich auf den Abmachungen und entsandten schließlich eine Delegation zu Isaak und Alexios in den kaiserlichen Palast. Mit harten Worten warf Cuno von Béthune als ihr Sprecher Alexios Treulosigkeit vor, forderte unverzügliche Schuldentilgung und drohte bei Nichterfüllung mit Krieg. Zornig entgegnete der Kaiser, er habe ihnen schon zuviel gegeben, sie sollten das Land verlassen; und die Gesandten waren froh, heil aus der Stadt zu entkommen. Von da an war der Krieg nicht mehr aufzuhalten. Alexios und sein Nachfolger mögen gehofft haben, die Lateiner würden sich mit dem Erreichten zufriedengeben und weiterziehen. Aber während des Winters konnte sich die Flotte nicht aufs offene Meer hinauswagen; zudem machten Kälte und beginnende Lebensmittelknappheit dem Heere zu schaffen. Während venezianische Schiffe die Bosporusufer verheerten, kam es im Hafen zu dauerndem Geplänkel. Der griechische Versuch, die ganze Flotte der Kreuzfahrer mit Hilfe von Brandern zu vernichten, scheiterte an der Wachsamkeit der venezianischen Seeleute. Währenddessen war der Haß der Bevölkerung gegen Alexios immer größer geworden. Geschürt von der antilateinischen Partei des Hofes, brach Ende Januar ein Volksaufstand gegen die Angeloi-Kaiser aus, den der Protovestarios Alexios Dukas Murtzuphlos, ein Schwiegersohn von Alexios III., ausnutzte, Isaak und seinen Sohn zu stürzen und sich selbst zum Kaiser zu proklamieren. Dies bedeutete den offenen Krieg. Der neue Kaiser Alexios V. ließ die Stadtmauern entlang des Hafens erneuern und
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verstärken und nahm selbst teil an Scharmützeln gegen fouragierende Ritter. Die Lateiner ihrerseits hatten keine andere Wahl, als ein zweites Mal, jetzt ganz auf eigene Rechnung, die Stadt zu erstürmen. Indessen versicherten die Bischöfe und Äbte des Heeres den Kriegern die Rechtmäßigkeit des Kampfes, da Alexios IV. gerächt und das byzantinische Reich unter päpstlichen Gehorsam gebracht werden müßte. Im März 1204 schlossen der venezianische Doge einerseits und Bonifaz von Montferrat, die Grafen von Flandern, Blois und St. Pol andererseits einen Vertrag, der die erste Charta des Lateinischen Kaiserreiches von Konstantinopel wurde. Nach der Eroberung der Stadt sollte alle Beute an einer Stelle gesammelt werden und davon zuerst die restlichen Schulden der Kreuzfahrer bei den Venezianern getilgt werden. Die darüber hinausgehende Summe würde zwischen Venezianern und Nichtvenezianern geteilt werden. Alle bisherigen Privilegien und Besitzungen der Handelsstadt blieben ungeschmälert erhalten. Das Reich und die Hauptstadt sollten dreigeteilt werden: Ein Viertel war für den zu wählenden Lateinischen Kaiser von Konstantinopel und der Rest zur Hälfte für die Venezianer und die anderen Kreuzfahrer bestimmt. Einer gemischten Kommission, zu gleichen Teilen aus Venezianern und Nichtvenezianern zusammengesetzt, wurde die Aufgabe übertragen, diese Teilung vorzunehmen und den Rittern Lehen zuzusprechen. Über diese könnten die Besitzer dann, abgesehen von der Heeresfolge für den Kaiser, frei verfügen. Die Reichsverteidigung sollte darüber hinaus in die alleinige Verantwortung des Kaisers fallen. Seine Wahl wurde einem Kollegium von sechs Venezianern und sechs Nichtvenezianern übertragen. Die Partei, die nicht den Herrscher stellte, sollte dadurch entschädigt werden, daß ihre Priester das Kathedralkapitel der Hagia Sophia stellten und einen Lateinischen Patriarchen von Konstantinopel wählten. Im ganzen Reich erhielten die Kleriker nur soviel Besitz, wie sie zu einem würdigen Lebensunterhalt benötigten. Der Rest des riesigen Vermögens der griechischen Kirche sollte zusammen mit der übrigen Beute unter den Laien aufgeteilt werden. Der Doge wurde von der Eides- und Dienstverpflichtung gegenüber dem Kaiser ausgenommen, nur diejenigen seiner Anhänger, denen er Lehen und Rechte übertrug, hätten dieselben Verpflichtungen wie die fränkischen Feudalherren. So lückenhaft und teilweise unscharf dieser Vertrag auch war, er enthält fast alle fundamentalen Probleme des späteren Lateinischen Kaiserreiches von Konstantinopel. Die finanzielle Basis der Lateinischen Herrschaft wurde von vornherein dadurch geschwächt, daß das byzantinische Reich erst ausgeplündert werden sollte, bevor auf seinen Trümmern der fränkische Staat errichtet werden konnte. Die Position des Kaisers war viel zu schwach; er sollte ein Land verteidigen, über das er nur zu einem Viertel verfügen konnte. Allein die Venezianer konnten mit ihrem Erfolg zufrieden sein; ihnen standen 3/8 des Reiches und der Hauptstadt zu, und ihre alten Handelsvorrechte wurden staatliches Recht. Ein wichtiger Bereich der Kirchenorganisation war von Laien vorweg bestimmt worden, und Kirchenbesitz sollte an weltliche Eigentümer
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übergeben werden. Es klingt daher wie ein Hohn, daß sich die Vertragschließenden verpflichteten, den Papst zu bitten, Vertragsverletzungen mit Exkommunikation zu bestrafen – der Kirchenbann, in dem die Venezianer seit Zara lagen, war immer noch nicht aufgehoben worden. Die Kreuzfahrer bereiteten einen neuen Angriff auf Konstantinopel vor. Nach den Erfahrungen des Vorjahres beschlossen sie, nur vom Goldenen Hörn her anzugreifen. Der erste Versuch am 8. April 1204 schlug fehl, und die Pilger bekamen nach diesem Mißerfolg wieder Zweifel an ihrem Tun. Wieder mußten die Kleriker die Kampfmoral heben, die leichten Mädchen wurde aus dem Lager gejagt, das Heer beichtete und kommunizierte. Am 12. April wurde der Angriff wiederholt. Ein günstiger Wind drückte die Flotte gegen das Ufer, so daß von den ausladenden Plattformen an Schiffsmasten einige Turmspitzen erobert werden konnten. Währenddessen gelang es Franzosen trotz des Steinhagels, den die Verteidiger von den Mauerkronen herunterschleuderten, eine zugemauerte Ausfallpforte aufzubrechen und von innen Tore zu öffnen. Ritter drangen zu Pferde in die Stadt ein, die Byzantinischen Verteidiger flohen, und der Kaiser mußte sich in den Palast zurückziehen. Aber die Dämmerung verhinderte ein sofortiges Eindringen in die Stadt, so daß die Kreuzfahrer in der Nähe der Mauer ihr Lager aufschlugen. In der Nacht legten einige von ihnen aus Furcht vor einem griechischen Angriff Feuer in die Häuser vor ihnen und verursachten so den dritten großen Brand in Konstantinopel, der bis zum nächsten Abend dauerte. Der Kaiser Alexios Murtzuphlos suchte vergeblich den Byzantinischen Widerstand neu zu organisieren. Schließlich gab er auf und schloß sich dem Strom der begüterten Flüchtlinge an, die durch das ›Goldene Tor‹ das Weite suchten. Der Verteidigungswille der Stadt war damit zusammengebrochen, und die Kreuzfahrer fanden am nächsten Morgen keinen Widerstand mehr vor. Die Führer des Heeres quartierten sich in den Kaiserpalästen ein, und die Stadt wurde nach Kriegsrecht der Soldateska zur Plünderung freigegeben. Endlich konnten die Ritter und Soldaten nach den vielen Ängsten und Nöten der langen Reise, nach den ausgestandenen Anspannungen des Kampfes in blinder Zerstörungswut ihrem Haß auf die Griechen freien Lauf lassen. Raub, Mord und Schändung erfüllten die Stadt. Wohl 2000 beträgt die Zahl der griechischen Opfer; nie wiedergutzumachen war der Verlust an Kulturschätzen, die Byzanz in seiner fast tausendjährigen Geschichte in seinen Mauern gesammelt hatte. Ganze Bibliotheken wurden verbrannt, kostbares Kirchengerät seiner Edelsteine beraubt, das Gold und Silber eingeschmolzen, das Elfenbein zertreten. Religiöse Ehrfurcht kannten die Krieger, die als Kreuzfahrer ihren Weg begonnen hatten, nicht. Nonnen wurden in ihren Klöstern geschändet; in der Hagia Sophia rissen betrunkene Soldaten die Seidenvorhänge herunter und zerhackten mit Hämmern und Äxten die kostbare Altarplatte und die silberne Ikonostasis; eine Prostituierte saß auf dem Stuhl des Patriarchen und sang schmutzige französische Lieder, während heilige Meßgeräte als Trinkbecher mißbraucht wurden.
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Andere, vor allem Priester, meinten, »es sei unwürdig, Kirchenraub zu begehen, außer an heiligem Gut«7, nämlich den Reliquien, von denen die Stadt einen unermeßlichen Schatz angesammelt hatte. Abt Martin von Pairis bedrohte in der Pantokrator-Kirche einen alten orthodoxen Priester mit dem Tode, wenn er ihm nicht den Reliquienschatz zeige. »So wie ihn der Abt zu Gesicht bekam, tauchte er beide Hände eilig und begehrlich hinein und, kräftig geschürzt wie er war, füllte er den Bausch seiner Kutte mit dem heiligen Kirchenraub.«8 Etwas vom Blute Christi, Holz vom wahren Kreuze, Teile von Johannes dem Täufer, einen Arm, einen Fuß, einen Kopf, einen Zahn diverser Heiliger, insgesamt 52 Reliquien brachte Martin nach der Reise ins heimische Elsaß mit. Eine ähnlich stolze Liste konnte der Bischof von Halberstadt aufweisen und wahrscheinlich auch die geistlichen Herren von Langres und Soissons. Die Venezianer machten gezieltere Beutejagd. Ihr Prunkstück ist die BronzeQuadriga, die einst Kaiser Augustus von Alexandria nach Rom, Konstantin der Große von dort in seine neue Hauptstadt geschafft hatte und die heute das Hauptportal von San Marco krönt. »So unermeßlich ist die Fülle [von Pferden, Gold, Silber, Seide, kostbaren Stoffen, Edelsteinen und anderen Wertobjekten], daß die ganze lateinische Welt nicht so viel zu besitzen scheint«9, schreibt triumphierend nach seiner Wahl der Kaiser Balduin von Flandern dem Papst; und Gottfried von Villehardouin verkündet, in keiner Stadt sei seit Erschaffung der Welt soviel Beute gemacht worden. Obwohl nicht alles befehlsgemäß von den Plünderern an den Sammelstellen abgeliefert worden war, betrug der Wert dessen, was dann vertragsgemäß verteilt wurde, immer noch 400000 Mark Silber, doppelt soviel wie der Prinz Alexios vor Zara versprochen hatte. Für die Kreuzfahrer hatte sich der Weg nach Konstantinopel gelohnt. Den Byzantinern dagegen schienen die Vorboten des Antichrist über ihre Stadt hergefallen, der Greuel der Verwüstung ausgebrochen zu sein. Niketas Choniates, der das Wüten der Lateiner selbst miterlebt hatte und in ohnmächtiger Erbitterung mit bewegten Worten schilderte, vergleicht hiermit die Einnahme von Jerusalem 1187 durch die Sarazenen, die das Grab des Herrn nicht schändeten, die Christen ungeschoren mit ihrer Habe abziehen ließen. Die Griechen haben die Plünderung von Konstantinopel niemals vergessen. Der Traum der westlichen Kirche, den orthodoxen Osten unter die römische Oberhoheit zu bringen, war damit zu Ende. Das Schisma war endgültig geworden. Innozenz III. mag dies geahnt haben, als er im Sommer 1205 an Bonifaz von Montferrat schrieb, die Kreuzfahrer hätten sogar in den Gotteshäusern so gewütet, »daß die Kirche der Griechen ... es ablehnt, zum Gehorsam gegenüber dem Apostolischen Stuhl zurückzukehren; sie hat in den Lateinern nichts als Beispiele der Verderbnis und Werke der Finsternis erblickt, so daß sie vor diesen mit Recht mehr zurückschreckt als vor Hunden.«10 II. Lateinisches und Griechisches Kaiserreich, 1204–1261
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Der konstituierende Akt des neuen Lateinischen Kaiserreiches von Konstantinopel war die Wahl des Herrschers. Die meisten Chancen rechnete sich Bonifaz von Montferrat als offizieller Führer des Kreuzfahrerheeres aus. Dies erwarteten auch die in Konstantinopel zurückgebliebenen Griechen, wenn sie bei der Begegnung mit Lateinern mit den Fingern die Kreuzform bildeten und dazu riefen »Heiliger Kaiser Markgraf«. Aber viele Kreuzfahrer favorisierten den Grafen Balduin von Flandern. Und da der Doge Enrico Dandolo die sechs venezianischen Wahlmänner fest in der Hand hatte, konnte er in seiner Vorliebe für einen persönlich schwächeren Kaiser und in seiner Furcht vor einer möglichen Förderung des Rivalen Genuas durch Bonifaz die Wahl des Flamen durchsetzen. Eine Woche danach, am 16. Mai 1204, wurde in der Hagia Sophia der neue Kaiser Balduin I. von den Bischöfen der Expedition gekrönt. Die Zeremonie war trotz einiger griechischer Elemente ein Abbild westlicher Krönungen, vor allem französischer, wie sie die meisten der Barone von zu Hause her kannten. Genauso waren Titel und Herrschaftszeichen des Lateinischen Kaiserreiches westeuropäisch mit Byzantinischen Äußerlichkeiten. Im Hofstaat tauchten für einige Chargen griechische Namen auf, wie Protovestarios für Kammerherr. Die Kaiser unterschrieben ihre Lateinischen Urkunden mit griechischen Buchstaben in zinnoberroter Tinte. Bezeichnend sind die kaiserlichen Siegel. So ist die Vorderseite einer Goldbulle Kaiser Heinrichs, Balduins Nachfolger, eine Mischung von östlicher und westlicher Symbolik, griechisch die Krone und Umschrift, abendländisch Mantel, Löwensessel, Zepter und Reichsapfel; die rein westliche Rückseite zeigt den gepanzerten Kaiser auf einem galoppierenden Pferde mit gezogenem Schwert und dem flandrischen Löwen auf dem Schild (s. Abb. 18). Diesen wenigen Konzessionen an byzantinisches Herkommen entsprach der Charakter der Lateinischen Fremdherrschaft auf griechischem Boden. Ohne auf die Bevölkerung einzugehen, wurde das Land von den Siegern aufgeteilt. Dabei kam es gleich zu Anfang zum Streit zwischen den beiden Mächtigsten. Vor der Wahl Balduins war man übereingekommen, den unterlegenen Kandidaten mit der Herrschaft über Kleinasien und der Peloponnes abzufinden, damit er im Lande bleibe. Aber nach seiner Niederlage verlangte Bonifaz statt dessen Thessalonike und Umgebung, wohl weil er inzwischen Maria, die Witwe des Kaisers Isaak und Schwester des ungarischen Königs, geheiratet hatte und seinem neuen Schwager näher sein wollte. Balduin war nicht gewillt, darauf einzugehen, und offener Krieg zwischen den beiden Fürsten drohte. Nur das energische Auftreten des Dogen brachte die Streitenden dazu, sich einem gemischten Parlament zu unterwerfen, das für Bonifaz entschied. Dieser hatte sich wahrscheinlich dadurch die entscheidenden Stimmen der Venezianer gesichert, daß er die Insel Kreta, die ihm Alexios IV. zugesagt hatte, an die Lagunenstadt verkaufte.
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Abb. 18: Goldsiegel Kaiser Heinrichs I.
Nach dieser Vorentscheidung, die das Gebiet zwischen Thessalonike und Mosynopolis für Bonifaz aussparte, wurde in dem Vertrag vom Oktober 1204 das byzantinische Reichsgebiet zwischen dem Kaiser, den Rittern und den Venezianern aufgeteilt. Balduin erhielt neben dem Hauptteil von Konstantinopel in Europa nur die Gebiete bis Agathopolis im Norden und Herakleia am Marmarameer, dafür aber das ganze byzantinische Kleinasien mit den vorgelagerten Inseln. Die Venezianer bekamen neben dem ihnen so wichtigen Anteil von Konstantinopel in der Nähe der Hauptstadt das Küstengebiet von Herakleia bis fast zur Spitze der Halbinsel von Gallipoli und einen Landstreifen von Adrianopel bis zum Marmarameer; weiter standen ihnen die ganze Westküste Griechenlands und das Hinterland bis zum Kamm des Pindosgebirges von Dyrrhachion bis zum Golf von Patras zu, einschließlich der Ionischen Inseln, dazu der größte Teil der Peloponnes (Morea, wie die Lateiner sagten), die Inseln Andros, Salamis und Ägina und die Nord- und Südteile von Euböa (Negroponte). Den fränkischen Rittern blieben die zwischen kaiserlichem und thessalonikischem Territorium übriggebliebenen Gebiete, dazu das westliche Makedonien zwischen Vardar und Prespasee, Thessalien und Attika. Nicht erwähnt sind in diesem zweiten Teilungsvertrag der mittlere Teil von Euböa, Böotien, Korinth und die Argolis, dazu die Kykladen. Zumindest die Festlandsgebiete scheinen, wie das östliche Makedonien, für Bonifaz von Montferrat reserviert geblieben zu sein. Möglicherweise erhielten alle drei Parteien in der Nähe von Konstantinopel Gebiete zu dem Zweck, daß sie an der Verteidigung der Hauptstadt mitwirkten, die man wohl vor allem von Westen her gefährdet sah. Eindeutig dagegen ist der Einfluß der venezianischen Mitglieder der Teilungskommission; sie waren den Kreuzfahrern dadurch überlegen, daß sie genaue geographische Vorstellungen
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hatten von der Romania, wie das Gebiet des Byzantinischen Reiches genannt wurde, und deshalb wußten, was sie wollten. Die Gebiete, die Venedig zugefallen waren, umschlossen fast vollständig das fränkische Griechenland und sicherten den Venezianern die Seeverbindungen zwischen ihrer Heimatstadt, Kreta und Konstantinopel und die Zufahrt zu allen wichtigen griechischen Handelsplätzen.
Abb. 19: Die Romania um 1214
Die Gebiete um Konstantinopel wurden bald nach Abschluß des Vertrages in Lehen aufgeteilt; Balduins Bruder Heinrich erhielt Adramyttion in Kleinasien, Gottfried von Villehardouin eine Herrschaft westlich der Maritza-Mündung. Aber der größte Teil des alten Byzantinischen Reiches war noch zu erobern. Der neue Kaiser war vor allem fromm und tapfer; auch seine Barone zeigten keine besonderen Fähigkeiten für die Verwaltung des neuen Reiches. Statt sich mit den traditionellen Feinden der Byzantiner auf dem Balkan und in Kleinasien, den Bulgaren und türkischen Seldschuken zu verbünden, wurden die einen als aufsässige Untertanen und die anderen als Ungläubige abgewiesen. Der mächtige Bulgaren-Zar Kalojan hatte sich schon, zumindest theoretisch, kirchenpolitisch Rom unterstellt und bot nun den Franken ein Bündnis an. Aber hochmütig verlangte Balduin die Herausgabe aller Byzantinischen und jetzt bulgarischen Gebiete. Die Folge war, daß Kalojan sich jetzt mit den unzufriedenen Griechen gegen die Lateiner verband. Genauso unfähig erwiesen sich der Kaiser und die meisten Lateiner im Umgang mit den Griechen. Die weitgehende Auflösung der Byzantinischen Zentralgewalt hatte schon vor dem Vierten Kreuzzug in vielen Teilen des Landes, begünstigt durch das Pronoia-
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System, die lokale Aristokratie die Macht übernehmen lassen. Diese Archonten waren nun zum Teil bereit, mit den Fremdlingen zusammenzuarbeiten, wenn sie in ihrem Besitz bestätigt würden. Aber viele fränkische Ritter wollten allen Besitz, und die griechischen Lokalherren wurden zu erbitterten Feinden der Lateiner. Dennoch hatten die Franken in der ersten Zeit beträchtliche Erfolge. Fast ganz Thrakien und große Teile von Bithynien wurden erobert. Bonifaz konnte sich, auch dank der Verbindungen seiner Frau, der Kaiserinwitwe, schnell in dem ihm zugewiesenen Königreich von Thessalonike etablieren und zog mit einem Ritterheer lehenverteilend durch ganz Zentralgriechenland über Theben und Athen bis Korinth und Nauplia. Nur Leo Sguros, der Archont von Korinth und der Argolis, leistete nennenswerten Widerstand, der an den Thermopylen schnell gebrochen wurde, aber die Lateiner vor Nauplia und der Zitadelle von Korinth noch längere Zeit festhielt. Derweil begann schon die Eroberung der Peloponnes durch Wilhelm von Champlitte und Gottfried von Villehardouin, einen Neffen des Geschichtsschreibers. Um Konstantinopel herum waren die Ritter schon dabei, sich auf ihren Lehen einzurichten, als im Februar 1205 der Bulgarenherrscher Kalojan mit seinen wilden kumanischen Hilfstruppen in lateinisches Gebiet einfiel. Die Griechen, teilweise auch noch von den Venezianern in deren Gebiet mißhandelt, schlossen sich ihm begeistert an. Ganz Thrakien war in Aufruhr; Demotika und Adrianopel wurden erobert. Hastig rief Balduin seine verstreuten Truppen zusammen, und ohne die Ankunft der Ritter aus Kleinasien abzuwarten, belagerte er Adrianopel. Beim Angriff des bulgarischen Entsatzheeres im April 1205 waren die Ritter der Taktik der Kumanen, türkischen Völkern aus der russischen Steppe, nicht gewachsen. Nur leicht bewaffnet, lockten sie mit vorgetäuschter Flucht die schwergepanzerten Franken aus ihren Formationen heraus, ließen Pferd und Reiter in der Verfolgung sich ermüden und fielen dann über die geschwächten Feinde her. Auf diese Weise wurde die lateinische Armee dezimiert, Graf Ludwig von Blois fand den Tod, der Kaiser geriet in Gefangenschaft, und Gottfried von Villehardouin, zusammen mit dem Dogen Dandolo, konnte nur mit Mühe den Rest des fränkischen Heeres nach Konstantinopel in Sicherheit führen, wo Dandolo an den Folgen dieser Gewaltmärsche Ende Mai starb. Kalojan gebot jetzt über ganz Thrakien, die Griechen konnten wieder die kleinasiatischen Gebiete besetzen, außer Konstantinopel blieben den Lateinern nur noch die Städte Rhaidestos und Selymbria am Nordufer und ein Brückenkopf nahe Pegai an der Südküste des Marmarameeres. Vor allem aber war der Ruf der fränkischen Waffen dahin. Die Lateiner, die noch vor kurzem als unbesiegbar galten, sahen jetzt ihre ganze Herrschaft gefährdet. Sie retteten die Situation dadurch, daß sie Balduins Bruder Heinrich erst zum Regenten und, nachdem der Tod des Herrschers in der Gefangenschaft bekanntwurde, zum Kaiser (20. August 1206) wählten. Energisch trat Heinrich den feindlichen Truppen entgegen, aber vorerst waren die Bulgaren Herr von
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Thrakien. Nur mühsam konnte der von Nauplia herbeigeeilte König Bonifaz sich in seinen thessalonikischen Besitzungen behaupten. Ein Umschwung trat erst ein, als die Griechen, die genauso unter den Verwüstungen und Grausamkeiten des Bulgarenheeres zu leiden hatten – Kalojan nannte sich stolz Rhomäertöter –, sich den Franken näherten und einen griechischen Magnaten in lateinischem Dienst als Herrn über Adrianopel und Demotika akzeptierten. Mit der Unterstützung der griechischen Untertanen konnte Heinrich die immer wiederkehrenden Angriffe zurückweisen und sogar bulgarische Grenzgebiete nördlich von Adrianopel verwüsten. Einen Rückschlag bedeutete nochmals der Tod Bonifaz’ im September 1207, der im selben Jahr noch Heinrich den Lehnseid geleistet und ihm seine Tochter zur Frau gegeben hatte. Aber schon einen Monat später starb, wahrscheinlich ermordet, Kalojan vor Thessalonike, das er in Ausnützung von Bonifaz’ Tod gerade belagerte. Das innerlich ungefestigte, nur in der Person des starken Herrschers Kalojan geeinte Bulgarenreich zerfiel daraufhin in Thronwirren. Der eigentliche Erbe, Ivan Asen, war zu jung, seine Rechte durchzusetzen, und entfloh nach Rußland. Boril, ein Neffe Kalojans, gewann den Thron und die Hauptstadt Trnovo; aber andere Verwandte konnten sich eigene Herrschaften errichten, Alexios Slav um Melnik und Dobromir Strez mit der Unterstützung des serbischen Fürsten im mittleren Vardartal. Diese Uneinigkeit unter den Bulgaren nutzte der lateinische Kaiser schnell aus; im August 1208 schlug er Boril bei Philippopolis an der oberen Maritza, Slav wurde lateinischer Vasall und erhielt die Tochter Heinrichs zur Frau, und auch Strez wurde später besiegt. Die Bildung eines bulgarischen Imperiums hat Heinrich verhindert und damit das lateinische Kaiserreich gerettet. Aber durch den Vertrag, den er im Oktober 1205 noch vor seiner Krönung mit dem Führer der venezianischen Kolonie, dem Podestà, abschloß, wurde die konstitutionelle Schwäche des Kaisers in gewisser Hinsicht noch größer. Zwar verpflichteten sich die Venezianer angesichts der bulgarischen Gefahr, genau wie die Lehnsträger des Reiches, zur Heeresfolge von Anfang Juni bis Ende September, doch die Entscheidung über die Kriege des Reiches fällte von nun an ein Kronrat, der neben fränkischen Baronen aus dem Podestà und seinen sechs Ratgebern bestand. Der Kaiser präsidierte dieser Versammlung, war aber an ihre Beschlüsse gebunden. Ebenso konnte er nicht von sich aus gegen Verweigerer der Heeresfolge vorgehen, sondern Verstöße gegen diesen Vertrag sollten vor venezianischen und fränkischen Rittern behandelt werden, die der Kronrat bestellte. Dieses Abkommen und die vom Mai und Oktober 1204, die jeder neue Kaiser bei der Krönung zu beschwören hatte, sicherte den Venezianern so viel Einfluß im Reich, daß der Podestà eine Art Vizekaiser darstellte. Der erste Inhaber dieses Amtes, Marino Zeno, ein Neffe Dandolos, den die Venezianer Konstantinopels unabhängig von der Mutterstadt gewählt hatten, unterzeichnete genau wie der Kaiser in griechischen Buchstaben und mit roter Tinte und nannte sich stolz Herr eines ganzen und eines halben Viertels der Romania. Mit eigener Administration
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nach dem Vorbild Venedigs, selbständigen Gerichten und Kirchen, die nicht dem Patriarchen von Konstantinopel, sondern dem von Grado-Venedig unterstanden, bildeten die Venezianer fast einen Staat im Staate. Unter Zeno wurde das bis vor den Blachernenpalast ausgedehnte venezianische Viertel von Konstantinopel sogar durch eine Mauer vom Rest der Stadt abgetrennt; ja derselbe Podestà verordnete, daß ein Venezianer, der Besitz auf griechischem Boden erworben hatte, diesen bei schwerer Strafe nur an einen anderen Mitbürger veräußern durfte. Die Machtfülle des Podestà beunruhigte allerdings bald die Zentrale in Venedig. Pietro Ziani, der im August 1205 gewählte Nachfolger Dandolos als Doge, unterstellte die Venedig zugesprochenen westgriechischen Gebiete direkt der Signoria und übernahm selbst den Titel eines Herrn von drei Achteln der Romania. Seit 1207 wurde der Podestà von Venedig entsandt, nachdem er vorher eidlich auf den Dogen und den venezianischen Rat verpflichtet wurde. Die Begrenzung seiner Amtsdauer sollte der Gefahr eines Separatismus der Venezianer in Konstantinopel von der Mutterstadt vorbeugen. Das Verhängnis der ohnehin katastrophalen Niederlage von Adrianopel bestand darin, daß die Lateiner durch die Konzentration fast aller militärischen Kräfte auf die Bulgaren die Bildung von rasch stärker werdenden griechischen Widerstandszentren in Kleinasien und an der griechischen Westküste nicht verhindern konnten. Noch in der Nacht vor der Plünderung Konstantinopels, als Kaiser Alexios V. Murtzuplos bereits geflohen war, riefen einige Adlige in der Hagia Sophia Konstantin Laskaris, der sich im Kampf gegen die Eindringlinge schon ausgezeichnet hatte, zum neuen Kaiser aus; aber nach vergeblichen Versuchen, zusammen mit dem Patriarchen Johannes Kamateros den letzten Widerstand gegen die Lateiner zu organisieren, entwich auch er über den Bosporus nach Kleinasien. Kaiser Konstantin Laskaris steht für uns vollständig im Schatten seines Bruders Theodor, des Schwiegersohnes Alexios’ III. Theodor Laskaris war gleichfalls nach dem Osten entkommen, und unter schwierigsten Umständen, »ohne Waffen und ohne Geld, ohne Armeen, ohne alles«11, hatte er sich erst in Brussa, dann im strategisch günstiger gelegenen Nikaia festsetzen und ein Heer aufstellen können. Aber Nikaia war anfangs nur eine von vielen griechischen Herrschaften auf kleinasiatischem Boden, die sich zum Teil schon während der Wirren, die das Reich unter den letzten Komnenenkaisern und den Angeloi erschütterten, gebildet hatten. An der Südostküste des Schwarzen Meeres war im April 1204 kurz vor dem Fall von Konstantinopel die bedeutende Handelsstadt Trapezunt von Alexios und David Komnenos, den Enkeln des Kaisers Andronikos I., eingenommen worden. Sie hatten dazu die Unterstützung einer Verwandten, der Königin Thamar von Georgien, bekommen, an deren Hof sie sich als einzige Mitglieder der Komnenen-Familie auf der Flucht vor dem Volksaufstand des Jahres 1185 hatten retten können. Während Alexios in Trapezunt blieb und bald darauf den Titel eines großkomnenischen Kaisers annahm, zog der energische
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und unternehmungslustige jüngere David an der Küste westwärts, eroberte Sinope und drang durch Paphlagonien bis zum pontischen Herakleia vor. Er verbündete sich mit den Lateinern, aber seine Truppen wurden beim Versuch, auch Nikomedeia einzunehmen, von Theodor Laskaris 1205 geschlagen. Im Süden hatte sich Theodor Mankaphas um Philadelphia etabliert; im MaianderTal konnte sich Manuel Mavrozomes eine Herrschaft errichten und in Sampson bei Milet Sabas Asidenos. Dazu hatte sich auf der Insel Rhodos der Gouverneur Leo Gabalas selbständig gemacht. Gegenüber diesen griechischen Herrschaften Kleinasiens war die der Laskariden in Bithynien anfangs nur winzig. Aber durch die unmittelbare Nähe zu Konstantinopel wurde Nikaia zum Sammelpunkt vieler geistlicher und weltlicher Würdenträger des alten Reiches, die nicht unter dem Lateinischen Joch leben wollten. Theodor verfügte daher bald über einen Herrschaftsapparat und Hofstaat, die dem alten Byzanz getreulich nachgebildet waren. Vor allem aber war mit Konstantin XI. allein nach Nikaia der Nimbus des Kaisertitels hinübergerettet worden, und Theodor Laskaris ließ sich dann auch nach dem Tode seines Bruders (Anfang 1205 in oder nach einer Schlacht gegen die Franken) zum Kaiser ausrufen. Auf die Krönung mußte er allerdings vorerst verzichten, da der Patriarch Kamateros sich weigerte, aus Thrakien, wohin er sich geflüchtet hatte, nach Kleinasien hinüberzukommen. Erst nach seinem Tode konnte Theodor einen neuen Patriarchen, Michael Autoreianos, wählen lassen, der ihn in der Karwoche des Jahres 1208 krönte und salbte. Die orthodoxe Kirche hatte damit wieder ein ökumenisches Haupt, die Rhomäer einen Basileus und Autokrator. Byzanz lebte weiter in dem Exilkaiserreich von Nikaia, das auch bei den Griechen auf der europäischen Seite anerkannt wurde. Michael Choniates, der ehemalige Metropolit von Athen, schrieb mit bewegten Worten aus seinem freiwilligen Exil auf Keos an den Kaiser: »Dies ... ist es, was alle erhoffen und ersehnen, daß von dir der Thron Konstantins des Großen wiederaufgerichtet wird, wo er nach dem Willen Gottes seit Anbeginn hingehört, und die ganze Stadt [nämlich Konstantinopel] wiedergewonnen wird.«12 Aber dieses Programm war so bald nicht zu verwirklichen. Schon während der ersten Zeit der Bildung der nikaiischen Herrschaft mußten sich Theodor Laskaris und seine Leute gegen die Franken wehren, die im November 1204 zur Eroberung der ihnen zugesprochenen Lehen übersetzten. In den Schlachten von Poimanenon und Adramyttion (Dezember 1204 und März 1205) konnten die Truppen des Laskaris den Rittern nicht standhalten, und fast ganz Bithynien und die Troas fielen in die Hände der Lateiner. Nur der Hilferuf aus Adrianopel und der Abzug fast aller fränkischen Truppen zur Abwehr der Bulgaren retteten das nikaiische Reich; es konnte sich sogar bis an die Küste des Marmarameeres ausdehnen, denn die schweren Kämpfe gegen die Truppen Kalojans gaben Kaiser Heinrich kaum die Möglichkeit, wieder in Kleinasien einzufallen. Währenddessen konnte Theodor Laskaris die kleinen griechischen Herrschaften im Süden unterwerfen und sich 1207 sogar mit den Türken des
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seldschukischen Sultanats von Ikonion arrangieren. Diese hatten die Wirren, die unter den Angeloi und besonders nach 1204 im Byzantinischen Kleinasien entstanden waren, ausgenutzt, um einige Gebiete am oberen Maiander zu annektieren und mit einem Vorstoß auf Attaleia (seither Antalya) sich einen ersten Hafen am Mittelmeer zu verschaffen. Aber das Entstehen einer starken griechischen Macht in Nikaia behinderte die türkische Expansion nach Westen. Der Sultan Kaikosru I. verbündete sich 1209 mit dem Lateinischen Kaiser, der keine Skrupel hatte, mit Ungläubigen zusammenzuarbeiten und sogar lateinische Hilfskontingente zu schicken. Unter dem Vorwand, dem ehemaligen Kaiser Alexios III., der sich nach Ikonion geflüchtet hatte, zu seiner rechtmäßigen Herrschaft zu verhelfen, fiel der Sultan im Frühjahr 1211 in nikaiisches Territorium ein. In der Schlacht bei Antiocheia am Maiander drohte das zahlenmäßig unterlegene Heer Theodors, darunter fast zur Hälfte lateinische Söldner, bereits aufgerieben zu werden, als der Sultan, vielleicht im Zweikampf mit Theodor Laskaris, fiel und das türkische Heer auseinanderlief. Unter den Gefangenen war Alexios III., der in ein Kloster gesteckt wurde. Damit war der letzte noch lebende byzantinische Kaiser, der ihm den Thron streitig machen konnte, zum Schweigen gebracht. Theodor Laskaris hatte zugleich den gefährlichen Nachbarn abgewehrt. Mit dem Tod des Herrschers zerfiel das Sultanat erst einmal in Thronstreitigkeiten. Die psychologische Wirkung auf die Griechen nicht nur in Kleinasien war eindrucksvoll, der Kaiser hatte mit der Verteidigung seines Reiches zugleich die byzantinische Tradition des Kampfes gegen die Moslems wiederaufgenommen. Von der türkischen Gefahr befreit, konnten die nikaiischen Griechen sich wieder gegen die Lateiner wenden. Aber auch Kaiser Heinrich hatte in der Zwischenzeit seine zweite Front einigermaßen gesichert und besaß nun freie Kräfte für den Kampf gegen Theodor Laskaris. Im Oktober 1211 brachte er den Griechen am Rhyndakos in der Nähe von Brussa eine empfindliche Niederlage bei und stieß durch Mysien bis Pergamon und Nymphaion vor. Aber dem Lateinischen Kaiser war klargeworden, daß er die langen Grenzen des Reiches mit den wenigen Truppen, die ihm zur Verfügung standen, nicht halten konnte. Denn viele der Kreuzfahrer hatten bald nach der Eroberung Konstantinopels den Heimweg angetreten, andere waren im Kampf gefallen, und Verstärkungen aus dem Abendland kamen trotz dauernder Bitten äußerst spärlich. Da auch die Kräfte der Griechen in Kleinasien erschöpft waren, schlossen die beiden Kaiser möglicherweise im Jahre 1214 den Vertrag von Nymphaion. Die Lateiner erhielten die Troas mit der gesamten Südküste des Marmarameeres, einschließlich großer Teile des Hinterlandes, während Nikaia, Brussa und die restlichen Gebiete bis zur türkischen Grenze den Griechen zugesprochen wurden. Trotz der großen Territorialverluste, trotz des mangelnden Zugangs zum Marmarameer war dieser Vertrag ein Sieg Theodors. Zwar dokumentierte die gegenseitige faktische Anerkennung der beiden Kaiserreiche einen Status quo, aber auf längere Sicht hatten die Herrscher in Nikaia die besseren Chancen
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für den später unweigerlich wieder aufflammenden Kampf um Konstantinopel. Denn ihr Reich war ein in relativ gesicherten Grenzen religiös und national geeinter Staat. Wie sich im Osten den Lateinern ein staatlich geordneter Widerstand entgegenstellte, so hatte sich auch im Westen eine starke griechische Herrschaft gebildet. Michael Komnenos Dukas, ein Vetter der Kaiser Isaak II. und Alexios III., hatte erst Bonifaz von Montferrat auf seinem Zug durch Nordgriechenland gedient, war aber von dort dem Hilferuf eines Byzantinischen Gouverneurs an der epirotischen Küste gefolgt und hatte nach dessen Tod Frau und Herrschaft übernommen. Michael I. baute das Reich von Epiros mit der Hauptstadt Arta auf. Es reichte von Dyrrhachion bis zum Golf von Patras und wurde wie die Herrschaft von Nikaia zu einem Sammelpunkt griechischer Selbsterhaltung. Geschützt nach Osten hin durch das Massiv des Pindos und die nördlich anschließenden Gebirge, war das Land nur in den reichen Flußniederungen zur See hin offen. Trotzdem hatte sich Michael im Sommer 1209 dem Lateinischen Kaiser unterwerfen müssen und den Vertrag mit der Heirat seiner Tochter und Heinrichs Bruder Eustach besiegelt. Die Venezianer, denen die ionische Küste in dem zweiten Teilungsvertrag von 1204 zugefallen war, hatten nicht die militärischen Kräfte, das Land zu erobern. Sie begnügten sich daher mit der Anerkennung ihrer Oberhoheit durch Michael Dukas in einem Vertrag vom Juni 1210. Der epirotische Herrscher war ein wendiger, wenn nicht windiger Diplomat – wir besitzen allerdings über ihn und seine Nachfolger fast nur nikaiische und damit feindliche Quellen. Er benutzte diese Rückendeckung nach Westen, um die ein Jahr vorher anerkannte Souveränität Kaiser Heinrichs abzuschütteln und in die Lateinischen Herrschaftsgebiete einzugreifen. Hier hatten nach dem Tode Bonifaz’ im Jahre 1207 die lombardischen Barone des Königsreichs von Thessalonike versucht, Demetrius, dem zweijährigen Sohn Bonifaz’ und Marias von Ungarn, die Thronrechte streitig zu machen und die Souveränität des Kaisers über Thessalonike abzuschütteln. Unter Führung des Regenten Oberto von Biandrate wollten sie das Königreich unabhängig von Konstantinopel machen und luden Wilhelm IV. von Montferrat, Bonifaz’ Sohn aus einer früheren Ehe, ein, nach Griechenland zu kommen. Er könne »ohne Steinschleuder, ohne Wurfmaschinen das Königreich von Thessalonike erhalten und manche andere Festung«13. Ihm war aber »lieber, in Montferrat zwei Ochsen und einen Pflug zu besitzen als woanders Kaiser zu sein«14, wie der südfranzösische Troubadour Elias Cairel in Griechenland spottete. Energisch trat Heinrich den Aufsässigen entgegen. Mit List bemächtigte er sich Thessalonikes, krönte im Jahre 1209 Demetrius zum König und zerschlug den sich neu bildenden Widerstand in Thessalien. Auf einem »Parlament« von Ravennika im Spercheios-Tal (Mai 1209) ließ er sich auch gleich den Huldigungseid des Fürsten von Morea, Gottfried von Villehardouin, und des Herzogs von Athen, Otto de la Röche, leisten. Die erfolgreiche Belagerung der Burg von Theben und der Marsch
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nach Euböa beendeten die lombardische Revolte. Heinrich war Herr des gesamten fränkischen Griechenlands. Aber der Kaiser kam auch im europäischen Teil seiner Herrschaft nicht zur Ruhe. Sofort nach der Einigung mit Venedig im Jahre 1210 fiel Michael I. von Epiros in Thessalien ein. In seiner Armee befanden sich zum erstenmal lateinische Söldner, die entweder direkt über Venedig gekommen waren oder durch höhere Soldzahlungen von den fränkischen Herren herübergelockt wurden. Nach beträchtlichen Anfangserfolgen – 1000 Krieger unter dem Konnetabel Amadeo Buffa wurden gefangen und grausam malträtiert – konnte Michael von der kaiserlichen Armee Ende des Jahres 1210 zurückgeworfen werden. Aber in den folgenden Jahren zogen die epirotischen Truppen und die Lateinischen Söldner mit mehr Erfolg gegen das Königreich von Thessalonike, in dessen südlichem Teil die ohnehin schwache lateinische Herrschaft durch die Folgen der lombardischen Revolte stark erschüttert war. Im Sommer 1212 konnte Michael seine Herrschaft auf Larissa und Umgebung ausdehnen und so die fränkische Landverbindung zwischen dem mittleren und nördlichen Griechenland endgültig unterbrechen. Von einem weiteren Angriff auf das Königreich von Thessalonike mag ihn die mittlerweile gestärkte Position der Lateiner gegenüber den Bulgaren abgehalten haben. Das nächste Ziel Michaels waren deshalb die venezianischen Besitzungen im Westen seines Reiches. Wiederum unter Bruch des Souveränitätsvertrages eroberte er 1213/14 Dyrrhachion und Korfu. Im Norden aber, gegen die Bulgaren, konnten die Lateiner, ihre Herrschaft sichern. 1211 wurde Strez aus Makedonien vertrieben, und die innenpolitische Stellung des Zaren Boril war so unsicher, daß er, der eben noch die Franken bekriegt hatte, Frieden und seine Tochter als Gemahlin für den inzwischen verwitweten Kaiser anbot. Etwas zögernd ging Heinrich darauf ein. So war nach der Abwehr der Bulgarengefahr und der Einigung mit Theodor Laskaris das lateinische Kaiserreich außenpolitisch einigermaßen gesichert, als Heinrich im Juni 1216 in Thessalonike plötzlich starb. Daß die Lateiner in Griechenland die Katastrophe von Adrianopel überlebt hatten, war in erster Linie sein Verdienst. Er war nicht nur ein tapferer Soldat und fähiger Diplomat, der unermüdlich die aus allen Himmelsrichtungen andrängenden Gegner bekämpfte und mit Allianzen und dynastischen Heiraten den Ring seiner Feinde um das Reich sprengte. Vor allem war es die Behandlung der griechischen Untertanen, die die Basis für seine Außenpolitik und einen Modus vivendi zwischen Lateinern und Griechen im fränkischen Reich schuf, der sogar zu einer innenpolitischen Konsolidierung der Lateinischen Herrschaft hätte führen können. Heinrich betraute Griechen als Vasallen mit Gebieten des Reiches, wie 1205 Theodor Branas in Thrakien und 1214 Georgios Theophilopulos in Kleinasien. Er verteidigte griechische Kleriker zumindest gegen Auswüchse kirchenpolitischer Eiferer und habgieriger Lateiner. Als z.B. der Kardinallegat Pelagius von Albano 1214 die Griechen Konstantinopels zum Gehorsamseid
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gegenüber Papst und lateinischem Patriarchen zwingen wollte, indem er Kirchen schloß und Priester einkerkerte, machte der Kaiser diese Maßnahmen rückgängig. Er gab den orthodoxen Mönchen ihr Kloster Chortaiton nahe Thessalonike zurück, das italienische Zisterzienser übernommen und ausgeplündert hatten. Die Beliebtheit Heinrichs bei den Griechen zeigte sich in den begeisterten Empfängen der Bevölkerung 1209 in Zentralgriechenland und in dem Urteil des zeitgenössischen Historikers Georgios Akropolites: »Heinrich, obwohl fränkischen Ursprungs, gewann die freudigste Zustimmung der Griechen und der Einwohner von Konstantinopel. Er hatte viele von ihnen unter den Großen des Reiches aufgenommen, andere in der Armee, und behandelte das gemeine Volk wie seine eigenen Leute.«15 Aber auch Heinrich von Flandern konnte die fundamentale Schwäche der Lateinischen Herrschaft nicht beseitigen. An der Spitze des locker gegliederten, mit selbständigen Kaufmannskolonien durchsetzten Feudalstaates stand ein konstitutionell schwacher Kaiser. Die erst seit wenigen Jahren installierte Herrschaftsschicht war viel zu gering an Zahl und ohne tieferes Reichsbewußtsein. Besonders Verhängnisvoll wirkte sich das Fehlen einer starken abendländischen Schutzmacht aus, die ständig Krieger und Geld in die lateinische Romania hätte lenken können. Das Papsttum war nur ein schwacher Ersatz. Fast gleichzeitig mit Heinrich starb im Juli 1216 in Perugia Papst Innozenz III. Der Eindruck, den die erste Nachricht von der Zerstörung der Byzantinischen Macht und die Errichtung der Lateinischen Herrschaft in Konstantinopel auf Innozenz gemacht hatte, war überwältigend. Mit einem Schlag schien die Verwirklichung der beiden großen Ziele kurialer Ostpolitik greifbar nahe: Kirchenunion und Befreiung des Heiligen Landes. Denn auch der Papst glaubte, daß mit dem Besitz von Byzanz in lateinischer Hand die Niederwerfung der Moslems ein leichtes Spiel sei. Aber die Ernüchterung trat schnell ein, als die Nachrichten von den Schreckensszenen der Plünderung Konstantinopels nach Rom drangen; kein zeitgenössisches Urteil über den Greuel der Lateiner ist so streng wie das des Papstes. Zudem merkte Innozenz bald, daß die Eroberung des ganzen Byzantinischen Territoriums, wenn überhaupt, nur mit viel Mühen erfolgen könne. Erst langsam schwanden allerdings seine Illusionen über die Weiterführung des Kreuzzuges. Bis ins Jahr 1207 betrachtete er die Ritter immer noch als Kreuzfahrer und ermahnte sie wieder und wieder zum Angriff gegen die Ungläubigen. Auch in dem anderen Ziel, der Überwindung des Schismas, ist Innozenz gescheitert. Wie die fränkische Herrschaft, so erstreckte sich die Macht der römischen Kirche nur über einen Teil der Romania. Und selbst dort waren die ersten wichtigen kirchenpolitischen Entscheidungen ohne den Papst gefällt worden. Vertragsgemäß hatten die Venezianer 1204 aus ihren Reihen das Kathedralkapitel der Hagia Sophia benannt, das gegen kanonisches Recht den venezianischen Subdiakon Thomas Morosini zum Lateinischen Patriarchen von Konstantinopel wählte. Innozenz protestierte zwar dagegen, aber er brauchte die
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Venezianer noch für seine Kreuzzugspläne. Um den Schein päpstlicher Autorität zu wahren, ernannte er deshalb seinerseits Morosini, band ihn eidlich an den Heiligen Stuhl und gab dem Patriarchen von Konstantinopel sogar den zweiten Platz nach Rom vor allen anderen Bischofssitzen des Ostens. Auf dem Wege nach Osten wurde Morosini in Venedig zu dem eidlichen Versprechen gezwungen, das Monopol seiner Landsleute im Kathedral-Kapitel zu erhalten. Erst Jahre später konnten auf massiven päpstlichen Druck hin auch Nichtvenezianer Domherren werden. Die Entschlossenheit der Venezianer, das Patriarchat als ihre Domäne zu erhalten, führte zu heftigen Streitigkeiten innerhalb des Lateinischen Klerus und zu langen Vakanzen auf dem Patriarchenstuhl. Auch waren einige der ersten Inhaber dieses Amtes ungeeignet, weil streitlustig und prestigesüchtig wie Morosini, 1205–1211, oder raffgierig und parteiisch wie Matthäus (1221–1226). Ihren Einfluß versuchte die Kurie durch direktes Eingreifen und durch päpstliche Legaten geltend zu machen, schwächte aber damit die ganze Institution des Patriarchats und so mittelbar auch das lateinische Kaiserreich. Wie vor dem Zugriff der Venezianer mußte Innozenz die lateinische Kirche auf griechischem Boden vor den fränkischen Baronen beschützen. In dem ersten Teilungsvertrag von 1204 war schon festgelegt worden, daß dem Klerus nur soviel an Besitz bleiben sollte, wie er zu einem »angemessenen Lebensstandard« brauchte. Dabei wurden natürlich die Bedürfnisse der Kirche sehr niedrig angesetzt, so daß in Konstantinopel und Thrakien fast der gesamte ehemals umfangreiche Besitz der Byzantinischen Kirche unter Venezianern und Franken aufgeteilt wurde. Der Papst weigerte sich, den Teilungsvertrag, vor allem die Abmachung über den Kirchenbesitz, anzuerkennen. Und erst nach mühsamen Verhandlungen konnte im März 1206 die Übereinkunft geschlossen werden, daß ein Fünfzehntel von allem Besitz und Einnahmen außerhalb Konstantinopels an die Kirche ginge. Aber die Venezianer weigerten sich, dem Vertrag beizutreten; vor allem begann der jahrelange Streit um den Anteil des Patriarchen an diesen kirchlichen Einnahmequellen. Gelang es Innozenz einigermaßen, kirchenrechtliche Fragen innerhalb des Lateinischen Klerus der Romania zu regeln, so waren die Schwierigkeiten mit der griechischen Kirche aber auch für ihn unüberwindlich. Dabei ging der Papst, der im Languedoc die ketzerischen Katharer mit unerbittlicher Härte verfolgen ließ, das Problem der Kirchenunion mit äußerster Behutsamkeit an. Er wollte so wenig wie möglich an der alten Kirchenorganisation und Hierarchie verändern und verlangte von den griechischen Bischöfen nur die Anerkennung des römischen Primats durch einen Gehorsamseid auf den Papst und seine Legaten. Auch sollten die griechischen Kirchenfürsten im Weigerungsfalle erst nach langem kirchenprozessualen Verfahren ihres Amtes enthoben werden. Aber fast alle orthodoxen Kirchenfürsten entzogen sich der Lateinischen Herrschaft; so entwichen Michael Choniates von Athen und Manuel von Theben auf die Inseln Keos und Andros, so floh der Erzbischof von Kreta an den Hof Theodor
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Laskaris’ in Nikaia. Andere griechische Oberhirten wurden von den fränkischen Baronen aus ihren Stellen gedrängt, weil diese von Lateinischen Klerikern besetzt werden sollten. Es waren deshalb nur sehr wenige orthodoxe Bischöfe, wie Theodor von Euböa, die unter fränkischer Herrschaft ihre Ämter beibehielten. Das größte Hindernis, kooperationswillige orthodoxe Geistliche zu gewinnen, war die Errichtung des Lateinischen Patriarchats von Konstantinopel. Der griechische Patriarch Johannes Kamateros war 1204 mit anderen führenden Byzantinern aus der Hauptstadt geflohen und hatte bis zu seinem Tode im Jahre 1206 niemals abgedankt. Wahrscheinlich hätte Innozenz den Patriarchenstuhl anfangs lieber vakant gesehen, um ihn als Verhandlungsobjekt für eine Kirchenunion zu benutzen; mit der Wahl Morosinis waren ihm aber die Hände gebunden. Und so konnte – oder wollte – er auch nicht auf das Angebot orthodoxer Kleriker im Gebiet des Lateinischen Kaiserreichs eingehen, sie würden seine Oberhoheit anerkennen unter der Bedingung, daß er sie ihren eigenen Patriarchen wählen ließe. Die Folge war, daß dann auch die orthodoxen Priester unter fränkischer Herrschaft die Wahl des neuen griechischen Patriarchen in Nikaia begünstigten. Dagegen konnte auch eine gewisse Toleranz Innozenz’ in bezug auf Glaubens- und Ritusabweichungen der Byzantiner nicht helfen; diese Liberalität wurde vor allem von dem päpstlichen Legaten Kardinal Benedikt von Santa Susanna vertreten, der 1205 nach Konstantinopel kam und mit hervorragenden Byzantinischen Theologen wie den Brüdern Johannes und Nikolaos Mesarites und Michael Choniates Streitgespräche führte. Aber der venezianische Patriarch, die lateinische Hierarchie und der 1213 nach Konstantinopel entsandte neue päpstliche Legat Pelagius von Albano verschärften die Spannungen. Morosini unterbrach zeitweilig den Gottesdienst in den griechischen Kirchen, weil man es unterließ, für ihn zu beten; er wollte griechische Bischöfe nochmals nach lateinischem Ritus weihen. Die führenden geistigen Köpfe der Griechen wurden so, wenn sie nicht schon 1204 geflohen waren, nach Nikaia und Epiros getrieben. Die Byzantinischen Herrschaften dort bildeten zugleich den Hort geistlichen Widerstandes; denn in der direkten Konfrontation mit den Lateinern war die Orthodoxie mehr denn je nationales Bekenntnis geworden. Die Chancen eines gegenseitigen Verständnisses, eines kulturellen Austausches wurden – wenn sie je vorhanden gewesen waren – vertan. Nach einem Besitzwechsel der Kirchen von einer Glaubensrichtung zur anderen reinigte man die Altäre. Michael von Epiros ließ aus patriotischer Pflicht jeden Lateinischen Priester töten, dessen er habhaft werden konnte; Innozenz rief die Magister und Scholaren von Paris auf, »nach Griechenland zu gehen und dort das Studium der Wissenschaft zu reformieren«16; Michael Choniates erklärte die westlichen Barbaren für unfähig, die griechischen Klassiker auch nur in Übersetzungen zu verstehen, »eher werden Esel den Wohlklang der Leier, Mistkäfer den Wohlgeruch der Myrte wahrnehmen, als diese den Wohlklang und die Anmut der Rede«17.
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Mit dem Tode Heinrichs ist die bedeutende Rolle des Lateinischen Kaiserreichs im griechischen Raum zu Ende. Zeitweise ohne Herrscher oder von unfähigen, zu kurzlebigen Kaisern regiert, wird es Stück für Stück auf Konstantinopel und seine Umgebung reduziert, während ringsum, gelenkt von fähigen Fürsten, das Kaiserreich von Nikaia, die Herrschaft von Epiros und das Reich der Bulgaren auf fränkische Kosten immer mächtiger werden. Den ersten Schlag versetzte den Lateinern Theodor Dukas Komnenos, Bruder und Nachfolger Michaels I. von Epiros, der wohl im Jahre 1215 ermordet worden war. Nachdem er seine Nordgrenze durch Verträge mit Albanern und Serben gesichert hatte und 1216 den zerstrittenen Bulgaren die Städte Ochrid und Prilep abgenommen hatte, gelang es ihm, den Thronfolger Kaiser Heinrichs in den albanischen Bergen gefangenzunehmen. Da Heinrich ohne Nachkommen gestorben war, hatten die Barone seinen Schwager Peter von Courtenay, den Grafen von Nevers und Auxerre, zum neuen Kaiser gewählt. Mitte April 1217 vom Papst Honorius III. in der Basilika San Lorenzo fuori le Mura und nicht wie die abendländischen Kaiser in San Pietro gekrönt, fuhr er mit 6000 Mann nach Griechenland, versuchte erfolglos für die Venezianer Dyrrhachion zu erstürmen und zog mit seinem Heer und dem päpstlichen Legaten durch Albanien in Richtung Konstantinopel. Hier konnte Theodor ihn in dem unwirtlichen Gelände in eine Falle locken; Peter geriet mit seinen Leuten in Gefangenschaft, aus der er wie einst Balduin nie wieder zurückkehrte. Erst auf die Drohung des Papstes hin, den sich gerade formierenden Kreuzzug nach Ägypten gegen ihn zu lenken, ließ Theodor wenigstens den Legaten frei. Die Kaiserin Jolante, die zu Schiff von Dyrrhachion weitergereist war, erreichte unterdessen Konstantinopel, gebar den späteren Kaiser Balduin II. und übernahm die Regentschaft des Reiches. Als Jolante 1219 starb und ihr ältester Sohn Philipp von Namur das schwierige Erbe in Konstantinopel verweigerte, wurde sein jüngerer unfähiger Bruder Robert von Courtenay Kaiser (1221–1228). In der Zwischenzeit hatte der epirotische Herrscher, ermuntert durch den erfolgreichen Coup in Albanien, den Angriff auf Thessalonike in großem Stil begonnen. Mit den Eroberungen seines Bruders in Zentralthessalien und der Einheirat in die Familie der Petraliphas, die vor 1204 im Norden Thessaliens große Besitzungen gehabt hatte, besaß er die Ausgangsbasis, um zwischen 1218 und 1222 alle festen Punkte um Thessalonike von Platamonia und Servia im Süden bis Serrhes und Drama im Nordosten aufzurollen und so einen Ring um die Stadt zu schließen. Die Abwehrkraft des Königreiches von Thessalonike war erheblich geschwächt, da zahlreiche italienische Barone infolge der lombardischen Revolte das Land verlassen hatten und der alte Streit zwischen Anhängern und Gegnern des minderjährigen Königs Demetrius wieder aufgebrochen war. Zudem war die Königinmutter Maria ins heimatliche Ungarn geflohen, und Demetrius reiste nach Italien ab, um mit dem Papst und seinem Halbbruder Wilhelm von Montferrat einen »Kreuzzug« gegen Theodor zu organisieren. 1223 begann die Belagerung von Thessalonike, die
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Eingeschlossenen unter Führung des Regenten Guido von Pallavicini wehrten sich nach Kräften, aber von außen kam keine Hilfe. Die Entsatztruppen aus Konstantinopel mußten zum Kampf gegen Nikaia wieder abgezogen werden, und die lombardischen Truppen landeten erst 1225 in Thessalien, wo Wilhelm von Montferrat an der Pest starb und das Heer auseinanderlief. Aber schon Ende 1224 hatten die Belagerten kapituliert, und Theodor zog in Thessalonike ein. Die Herrschaft von Epiros war in der ersten Zeit ihres Bestehens nur eines von mehreren Gebieten staatlichen, kirchlichen und kulturellen Überlebens des Griechentums gewesen. Jetzt aber, nachdem Epiros durch die großen Erfolge über die Lateiner und die Befreiung fast ganz Nordgriechenlands zum Vorkämpfer der Griechen geworden war, konnte Theodor nach dem Purpur greifen. Denn trotz der Ansprüche von Nikaia auf die alleinige Nachfolge der Byzantinischen Kaiser hatten sich die beiden Staaten in Westgriechenland und Kleinasien schon seit längerem entfremdet. Schon Michael I. von Epiros fühlte sich gegenüber Theodor Laskaris völlig unabhängig, und auch sein Bruder und Nachfolger Theodor anerkannte keine Oberhoheit des Herrschers von Nikaia. Wegen der engen Verbindung von Kirche und Staat in Byzanz mußte es auch zur Ausbildung einer fast unabhängigen westgriechischen Kirche kommen. Die nominelle Suprematie des orthodoxen Patriarchen von Nikaia wurde zwar nie bestritten, und täglich wurde sein Name in allen Kirchen und Klöstern der ganzen nichtlateinischen Romania ins Gebet eingeschlossen. Aber schon Michael I. hatte in den neugewonnenen Städten Bischöfe einsetzen lassen, die erst Jahre später vom nikaiischen Patriarchen in ihren Ämtern bestätigt wurden. Erst recht nutzte der ehrgeizige Theodor die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Griechenland und Kleinasien aus – der einzige Weg ging über die von den Venezianern weitgehend beherrschte Ägäis. Er wies 1217 und 1219 die nur von Klerikern seines Herrschaftsgebietes beschickten Synoden an, seine Vorschläge für die Besetzung der Bischofsstühle von Ochrid und Korfu zu ratifizieren. Der neue Erzbischof von Ochrid, Demetrias Chomatianos, einer der großen byzantinischen Kanonisten, war ein bedingungsloser Fürsprecher einer unabhängigen Kirche von Epiros und verdrängte deshalb auch den hochgeachteten Erzbischof von Naupaktos, Johannes Apokaukos, als Sprecher des westgriechischen Klerus. Johannes war der einzige überlebende Metropolit, der noch vor 1204 vom Patriarchen in Konstantinopel ordiniert worden war, und verkörperte deshalb ein Stück legitimer Sukzession in dieser Zeit, da weder die griechischen Herrscher noch der Patriarch von Nikaia sich stringent auf ihre Vorgänger in Konstantinopel berufen konnten. Aber zur kirchenpolitischen Konsequenz der Ambitionen seines Herrschers, dem Schisma zwischen den Kirchen von Epiros und Nikaia, war der Metropolit von Naupaktos trotz aller Loyalität gegenüber Theodor nicht bereit. Nach der Weigerung des neueingesetzten Metropoliten von Thessalonike war es daher der Erzbischof Chomatianos von Ochrid, der Theodor 1227 oder 1228 in Thessalonike zum Kaiser der Rhomäer krönte.
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In Nikaia höhnte zwar der Patriarch Germanos, der sich in seinem Vorrecht der Kaiserkrönung verletzt fühlte, das heilige Öl dieser Handlung sei wohl von wildwachsenden Olivenbäumen gewonnen, aber es gab nun de facto zwei orthodoxe Patriarchen. Vor allem aber prätendierten jetzt zwei Kaiser das byzantinische Erbe. Ein Zusammengehen der beiden starken griechischen Staaten gegen die schwindende Macht der Franken in Konstantinopel war daher ausgeschlossen; ja es waren die Kriege, die unvermeidlich zwischen Nikaia und Thessalonike ausbrachen, die das lateinische Kaiserreich noch eine ganze Generation bestehen ließen. Nach der Eroberung Thessalonikes besetzte Theodor fast das ganze südliche Thrakien, einschließlich Adrianopel, und seine Armeen drangen bis unter die Mauern von Konstantinopel vor. Die Position der Lateiner am Bosporus war verzweifelt; von den nikaiischen Truppen 1224/25 fast völlig aus Kleinasien vertrieben, hielten sie nur noch die Hauptstadt und ihre nähere Umgebung. Die Position ihres Kaisers Robert, den sogar der entfernte ostfranzösische Chronist Alberich von Dreibrunnen (Trois-Fontaines) als »quasi rudis et idiota«18 charakterisierte, war so schwach, daß die Barone in der Affäre um die Mesalliance Roberts mit der Tochter eines einfachen Ritters ungestraft blieben. Empört vor allem darüber, daß der Kaiser sich mit ihr in dem Palast eingeschlossen hatte, waren sie nämlich in die kaiserlichen Gemächer eingedrungen und hatten der jungen Frau Nase und Lippen abgeschnitten. Wütend reiste der Kaiser nach Rom, sich beim Papst zu beschweren, wurde aber nur mit geistlichem Trost zurückgeschickt und starb 1228 auf der Heimreise in Morea. Die Lateiner waren wieder ohne Kaiser und sahen sich nach einem starken auswärtigen Regenten für den erst elfjährigen Balduin II. um. Dazu bot sich ihnen der mächtige Bulgarenherrscher Ivan II. Asen an, der 1218 mit russischer Hilfe den schwachen Usurpator Boril vom Thron gestürzt hatte. Wie Zar Simeon im 10. Jahrhundert wollte Ivan auf diplomatischem Wege ein bulgarischgriechisches Großreich mit Konstantinopel als Hauptstadt errichten und offerierte die Hand seiner Tochter für eine Heirat mit Balduin; dafür wollte er den Lateinern alle an die Griechen verlorengegangenen Gebiete zurückerobern. Aber den Lateinischen Rittern und Klerikern war eine solche Verbindung schließlich doch nicht geheuer, und sie wählten 1229 Johannes von Brienne zum neuen Herrscher. Johannes, Held und teilweise Führer des Kreuzzuges von Ägypten (1218–21), von Kaiser Friedrich II. entthronter König von Jerusalem, war trotz seines Alters (zwischen 55 und 60 Jahren) immer noch ein fähiger und mutiger Soldat. Doch außer dem Papst, dessen Truppen er gerade gegen Friedrich II. in Süditalien führte, hatte auch er nur die laue Unterstützung der Könige von Frankreich und Kastilien. Zudem dauerte es zwei ganze Jahre, bis er in Konstantinopel ankam. Dort zum Kaiser gekrönt, verheiratete er seine Tochter mit dem Thronfolger Balduin, der nach Erlangen der Volljährigkeit Mitkaiser werden sollte. Aber das
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Heer von 5000 Soldaten und 500 Rittern, das Johannes von Europa mitgebracht hatte, nutzte er nicht. Die Krieger kehrten entweder heim oder ließen sich von den Feinden der Lateiner anwerben; und als diese 1235 die Belagerung von Konstantinopel begannen, hatte Johannes von Brienne nur 160 Ritter und eine kleine Truppe von Infanteristen zur Verfügung. Unter den bulgarisch-fränkischen Verhandlungen litt natürlich das Bündnis, das Ivan zwischenzeitlich mit dem Kaiser Theodor abgeschlossen hatte. Als es im Frühjahr 1230 so aussah, als hole der westgriechische Kaiser zum endgültigen Schlage gegen Konstantinopel aus, lenkte er zunächst seine Truppen nach Norden in bulgarisches Gebiet, wo er von Ivan Asen bei Klokotnica an der oberen Maritza vernichtend geschlagen wurde. Theodor geriet in Gefangenschaft und wurde zuerst milde behandelt, als er aber ein Komplott gegen den Bulgarenherrscher anzetteln wollte, blendete man ihn. Die Macht Theodors brach innerhalb weniger Monate zusammen. Fast alle den Lateinern in den letzten Jahren entrissenen Gebiete ergaben sich Ivan Asen kampflos; doch im Gegensatz zu seinem Onkel Kalojan behandelte er die neugewonnenen griechischen Untertanen freundlich und ließ ihnen teilweise ihre lokale Verwaltung. Der eigentliche Gewinner von Klokotnica war aber das Reich von Nikaia. Kaiser Theodor Laskaris hatte sich in der ersten Zeit nach dem Frieden von Nymphaion (1214) gegenüber dem Lateinischen Konstantinopel friedlich verhalten. Dafür hatte er aber noch im Jahre 1214 von David Komnenos, dem Verbündeten Kaiser Heinrichs, dessen Gebiete westlich von Sinope erobert und damit in den Häfen von Herakleia und Amastris einen Zugang zum Schwarzen Meer erhalten. Sinope selber und Gebiete östlich davon fielen allerdings an den Sultan von Ikonion, der Alexios, den älteren Bruder Davids, als Vasall über das jetzt auf einen kurzen Küstenstreifen reduzierte Kaiserreich von Trapezunt einsetzte. Dieser Handelsstaat hat zwar sogar die endgültige Eroberung von Konstantinopel von 1453 überlebt, blieb aber ohne Bedeutung für die weitere byzantinische Geschichte. 1219 schloß Theodor Laskaris mit den Venezianern einen Vertrag, in dem diesen die alten Handelsprivilegien verliehen wurden, die sie schon früher im Byzantinischen Reich innegehabt hatten; wichtig an diesem Vertrag ist vor allem die gegenseitige Anerkennung der beiden Mächte: Der Doge wird darin als Herr über 3/s des griechischen Imperiums bezeichnet und Theodor als Imperator Graecorum. Vor allem aber wird Nikaia jetzt auch in Serbien als Zentrum der griechischen Orthodoxie anerkannt, im selben Jahr noch weiht der Patriarch den ersten autokephalen Erzbischof der Südslawen. Während Theodor von Epiros die Lateiner mit Gewalt vertreiben wollte, hoffte Theodor Laskaris Konstantinopel durch Diplomatie zu erringen. Die Möglichkeit dazu sollte ihm eine Heirat mit Maria, der Tochter der Kaiserin Jolante, geben, die froh war, nach der Gefangennahme ihres Mannes 1217 in Albanien nach einer Seite wenigstens den Rücken freizubekommen. Selbst nach der Ankunft des neuen Kaisers Robert von Courtenay im Jahre 1221 wollte Theodor die
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dynastische Verbindung durch eine Heirat seiner Tochter mit Robert selbst noch enger knüpfen. Aber der Patriarch Manuel Sarantenos, der schon die Verbindung Theodors mit Maria von Courtenay nur widerwillig akzeptiert hatte, erhob kanonischrechtliche Bedenken, und über weiteren Verhandlungen starb Theodor 1222. Sein Nachfolger und Schwiegersohn Johannes III. Dukas Vatatzes (1222–1254) konnte auf dem von Theodor gelegten Fundament in den langen Regierungsjahren seine Fähigkeiten voll entfalten und Nikaia uneingeschränkt zur ersten Macht in der Romania werden lassen. Zwei der Brüder von Theodor Laskaris fühlten sich allerdings in ihren Thronrechten übergangen und flohen zu den Lateinern. Kaiser Robert war unklug genug, eine Armee zu ihrer Unterstützung zu senden, die 1224 bei Poimanenon so schwer geschlagen wurde, daß an der Front gegen Theodor von Epiros sogar Truppen abgezogen werden mußten. Vor allem aber gewann Vatatzes in dem Frieden von 1225 fast alle Besitzungen der Franken in Kleinasien, denen dort nur die Halbinsel gegenüber von Konstantinopel mit Nikomedeia verblieb. Von diesem Erfolg angespornt, gelang es dem nikaiischen Kaiser, mit Hilfe der neuaufgebauten Flotte die Inseln Samos, Chios und Lesbos zu erobern, die Halbinsel Gallipoli anzugreifen und auf einen Hilferuf der Einwohner von Adrianopel hin auch diese Stadt zu besetzen. Seine Truppen dort mußten allerdings bald dem stärkeren Heer Theodors von Epiros weichen. Nach dem Affront, den die Wahl Johannes’ von Brienne für Ivan Asen bedeutete, wurde der Bulgarenherrscher zum erbitterten Feind der Lateiner. Ivan sagte sich 1232 von der römischen Kirche los und bot Johannes Vatatzes ein Bündnis an, das 1235 in dem gerade den Venezianern entrissenen Gallipoli abgeschlossen und wie üblich mit einer Verschwägerung der Herrschaftshäuser bekräftigt wurde: der zukünftige Kaiser Theodor II. Laskaris bekam Helena, die einst für Balduin II. bestimmte Tochter Ivans, zur Frau. Gleichzeitig anerkannten die Griechen die wieder orthodoxe bulgarische Kirche als autonomes Patriarchat. Im selben Jahr noch unternahm die vereinte griechisch-bulgarische Armee die Belagerung von Konstantinopel, während die nikaiische Flotte von See her angriff. Durch das Eingreifen venezianischer Schiffe und einen mutigen Ausfall Johannes’ von Brienne mit weit unterlegenen Kräften wurde die Stadt gerettet. Im folgenden Jahr wiederholte sich der Angriff; diesmal brachte der fränkische Fürst von Morea, Gottfried II. von Villehardouin, die entscheidende Hilfe mit einer Flotte und 1000 Rittern. Doch die Mittel des Lateinischen Kaisers waren danach völlig erschöpft, es fehlte an Kriegern und Geld; und deshalb brach noch 1236 der Thronfolger Balduin auf zur ersten seiner langen Bettelreisen in den Westen. Papst Gregor IX. rief auf zu einem neuen Kreuzzug für das bedrängte Konstantinopel, gewährte sogar den Willigen die Ablässe einer Palästinafahrt; aber noch während der Vorbereitungen starb Johannes von Brienne 1237. Ivan Asen war indessen klargeworden, daß das expansive griechische Reich in Kleinasien ein viel gefährlicherer Rivale für ihn war als das welke Kaiserreich
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von Konstantinopel. Er bat deshalb in Nikaia um die Rückkehr seiner Tochter, wurde wieder ein »treuer Sohn« der katholischen Kirche und erlaubte den Durchzug von Kumanen, die, vor den Mongolen flüchtend, sich von den Franken anwerben ließen. Er führte sogar ein Heer von Bulgaren und Lateinern zur Belagerung von Tzurulon, der strategisch wichtigen Festung Vatatzes’ im östlichen Thrakien. Doch als in seiner Hauptstadt Trnovo eine Epidemie ausbrach und Frau, Sohn und Patriarch daran starben, nahm er das als Rache Gottes für seinen Verrat an den Griechen und näherte sich wieder Nikaia. Er schickte seine Tochter zurück nach Kleinasien und erneuerte die Allianz mit dem griechischen Kaiser (1237). Vor einem erneuten Angriff auf Konstantinopel wollte Vatatzes erst seine Macht über den westgriechischen Staat ausdehnen. Hier hatte nach der Katastrophe von Klokotnica der Despot Manuel, Theodors Bruder und Asens Schwiegersohn, über die Reste des Reiches von Thessalonike eine Herrschaft von Asens Gnaden errichtet, war aber 1237 von Theodor Dukas, der nach der Heirat seiner Tochter mit Asen freigelassen worden war, verjagt worden. Wegen seiner Blindheit konnte Theodor nicht selber regieren und setzte seinen Sohn Johannes, der viel lieber Mönch geworden wäre, auf den Thron. Vatatzes versuchte zunächst, sich Thessalonikes zu bemächtigen, indem er den zu ihm geflohenen gestürzten Manuel mit einem Expeditionskorps dorthin entsandte. Der aber arrangierte sich nach erfolgreicher Landung in Thessalien mit seinem Bruder Theodor. Erfolgreicher war der zweite Angriff. 1241 war Ivan II. Asen von Bulgarien gestorben und hinterließ nur einen unmündigen Nachfolger. Im selben Jahr noch geriet Theodor Dukas, der so unklug gewesen war, eine Einladung nach Nikaia anzunehmen, in Vatatzes’ Hand. Mit Theodor als Gefangenem und einem großen Heer überrannte der Kaiser das ganze Küstengebiet bis vor die Tore Thessalonikes. Da erreichte ihn die Nachricht vom Einfall der Mongolen in das benachbarte Sultanat von Ikonion. Er hielt sie geheim und schloß Frieden. Johannes von Thessalonike legte alle kaiserlichen Insignien ab und schwor ihm den Treueeid, durfte aber mit der Würde eines Despoten weiterregieren. Die Mongolenhorden waren nach der Besetzung Kievs und der Ukraine 1240 nach Schlesien und über Ungarn bis zur Adria vorgedrungen und verheerten auf dem Rückwege Teile der Balkanhalbinsel, wo sie Bulgaren und Südslawen tributpflichtig machten. Der Vordere Orient war genauso bedroht; fast gleichzeitig fielen die Mongolen über Armenien her, eroberten 1242 Erzurum und drangen weiter in Kleinasien ein. 1243 besiegten sie den Sultan Kaikosru II. in der Schlacht am Kose Dagh in Ostanatolien, plünderten das nahe Sebasteia und zerstörten das kappadokische Kaisareia. Der Sultan mußte Tributzahlungen leisten, und der Kaiser von Trapezunt wurde einer der vielen Vasallen der bis Korea reichenden Herrschaft. Nikaia und Ikonion verbündeten sich noch im selben Jahr. Aber so rasch, wie sie gekommen waren, zogen die Mongolen sich wieder zurück, um erst 1256 wieder in Vorderasien einzudringen. Nikaiisches Gebiet haben die Mongolen gar nicht berührt, und Vatatzes’ Position war durch
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die Schwächung seiner Nachbarn nur noch gewachsen. Neues Ansehen gewann Vatatzes auch durch die engen Beziehungen zum sizilisch- deutschen Kaiser Friedrich II. Dreimal exkommuniziert, war der abendländische Herrscher der natürliche Verbündete der Griechen gegen die Päpste, die Schutzherren des Lateinischen Konstantinopel. Friedrich stand mit dem Kaiser in Nikaia in lebhaftem Briefwechsel, in dem er seine Sympathien für die Griechen und seinen Haß beteuerte auf den Papst, »diesen sogenannten Erzpriester, der täglich Eure Majestät und alle Eure griechischen Untertanen exkommuniziert und schamlos als Ketzer die äußerst rechtgläubigen Rhomäer bezeichnet, von denen doch der Glaube an Christus ausgegangen und die letzten Grenzen der Welt erreicht hatte«19. Auf der anderen Seite war Friedrich II. mit Balduin, dem Kaiser von Konstantinopel, verschwägert und hatte ihn als maßgeblichen Vermittler in den Ergebnislosen Friedensverhandlungen mit Papst Innozenz IV. (1244–1254) eingesetzt, während er seinerseits bei Vatatzes 1241 und 1244 Waffenstillstände zwischen Konstantinopel und Nikaia erwirkte. Aber die progriechischen Gefühle Friedrichs und seine Zuneigung zu Vatatzes überwogen, und 1244 gab er ihm seine natürliche Tochter Konstanze zur Frau – einer der Vorwürfe Papst Innozenz’, deretwegen Friedrich II. auf dem Konzil von Lyon 1245 für abgesetzt erklärt wurde. Konstanze von Hohenstaufen war erst 12 Jahre alt, und der Kaiser ließ sich in eine Liaison mit einer ihrer Hofdamen ein, die zur Empörung des griechischen Klerus sich als ›maitresse en titre‹ aufführte. Die guten Beziehungen zwischen dem griechischen und dem deutschen Kaiser litten zwar darunter nicht, brachten aber auch keine weiteren Vorteile für Nikaia. Das griechische Kaiserreich hatte den Mongolensturm heil überstanden, aber für mehrere Jahre war der Herrscher dadurch in Kleinasien festgehalten. Eine neue Krise im Bulgarenreich durch den Tod von Ivan Asens Nachfolger Kaliman gab ihm 1246 die Gelegenheit, sich aller bulgarischen Gebiete südlich der Linie der oberen Maritza zu bemächtigen und diese Eroberungen von der Regentin des minderjährigen Michael Asen (1246–1257) bestätigt zu bekommen. Am Ende des Jahres lieferte ein Komplott unter den Einwohnern ihm auch Thessalonike kampflos in die Hände. Dort war nämlich 1244 auf den Despoten Johannes mit Zustimmung Vatatzes’ dessen jüngerer Bruder Demetrios gefolgt; er hatte sich allerdings besonders wegen seines ausschweifenden Lebenswandels bei den Einwohnern verhaßt gemacht. In die Makedonischen Städte wurden starke Garnisonen gelegt und die neugewonnenen Gebiete unter dem Statthalter Andronikos Palaiologos, dem Vater des späteren Kaisers, dem Reich von Nikaia eingegliedert. 1247 kehrte Vatatzes mit Demetrios als Gefangenem triumphierend nach Kleinasien zurück. Theodor Dukas jedoch durfte auf seinen Besitzungen um Vodena westlich von Thessalonike verbleiben und brauchte so trotz Blindheit und Alter seine immer noch großen Ambitionen nicht aufzugeben. Vor allem aber waren Epiros, Akarnanien und Ätolien, die Kerngebiete des westgriechischen Staates, bald nach der Katastrophe von Klokotnica unter Michael II., dem Sohn des
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Staatsgründers, wieder selbständig geworden. Während das Despotat von Thessalonike zunehmend unbedeutender geworden war, hatte Michael mehr und mehr an Macht und Ansehen gewonnen. 1241 hatte er sich ganz Thessaliens bemächtigt, wo in Volos und Halmyros sich in der Zwischenzeit die Venezianer festgesetzt hatten, und 1246 profitierte er genauso wie Johannes Vatatzes von der Schwäche Bulgariens, indem er Albanien, Dyrrhachion und westliche Gebiete Makedoniens zurückgewann. Vatatzes hatte also nach der Eliminierung des Despoten von Thessalonike mit der Herrschaft Michaels II., der sich unabhängig von Nikaia mindestens seit 1237 Despot nannte, zu rechnen. Er schlug deshalb eine Heiratsallianz zwischen Nikaia und Epiros vor; seine Enkelin sollte Michaels ältesten Sohn Nikephoros heiraten. Bei der frommen Theodora Petraliphina, der Frau des Despoten, fand er lebhafte Unterstützung, und die Verlobung erfolgte 1249. Aber unter dem Einfluß des intriganten Theodor Dukas brach Michael 1251 das Bündnis und fiel in makedonische Besitzungen Nikaias ein. Die Hoffnung auf ein friedliches Zusammengehen der griechischen Staaten war damit schon wieder dahin. Prompt erschien Vatatzes im nächsten Jahr mit einem starken Heer in Thessalonike. Rasch trieb er die Truppen Michaels nach Epiros zurück. Durch Verrat gelangte er in den Besitz der Festung Kastoria und stieß bis Albanien vor; Michael mußte um Frieden bitten, den ihm die kaiserlichen Gesandten, darunter der Geschichtsschreiber Georgios Akropolites, 1252 in Larissa diktierten. Michael verlor die den Bulgaren abgenommenen westgriechischen Gegenden um Prilep und Kroja in Albanien; er erhielt nun offiziell mit seinem Sohn zusammen den Despotentitel und durfte unter nikaiischer Hoheit weiterregieren. Theodor Dukas aber wurde ausgeliefert, nach Nikaia geschafft und beschloß dort sein Leben im Gefängnis. Wie sein Vorgänger Theodor Laskaris hat auch Kaiser Johannes Vatatzes aus politischen Gründen Religionsverhandlungen mit der Kurie geführt. Vielleicht war es eine gewisse Furcht Vatatzes’ vor Johannes von Brienne, dem neuen Regenten und Kaiser von Konstantinopel, die den nikaiischen Patriarchen Germanos II. 1232 über durchreisende Franziskaner einen Wink an den Papst geben ließ, man sei in Nikaia bereit, über die Frage einer Kirchenunion zu diskutieren. Tatsächlich erschien im Jahre darauf eine Gesandtschaft von Dominikaner- und Franziskanerpatres aus Rom, und in Nikaia und später vor der griechischen Generalsynode in Nymphaion fanden Streitgespräche über den Ausgang des Hl. Geistes und den Gebrauch von ungesäuertem Brot beim Abendmahl statt. Sie scheiterten aber an der Intransigenz sowohl der griechischen Synodalen als auch der Lateinischen Mönche und arteten – fast wie in den Tagen Michael Kerullarios’ und Humberts von Silva Candida – in gegenseitige Beschimpfungen als Häretiker aus. Inzwischen hatte sich jedoch die politische Situation geändert; Johannes von Brienne hatte bei einem Vorstoß über die Dardanellen nur geringe Gewinne erzielen können, seine aus Europa mitgebrachten Söldner liefen ihm wegen Unterbezahlung davon, und sein
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militärisches Prestige war dahin. Vatatzes stellte deshalb den päpstlichen Gesandten eine Frage, die zeigte, daß die ganze kaiserliche Religionspolitik gegenüber Rom auf die Beseitigung des Lateinischen Kaisertums und Patriarchats in Konstantinopel zielte. War der Papst bereit, den nikaiischen Patriarchen in Konstantinopel einzusetzen, wenn dieser sich dem Heiligen Stuhle unterwürfe? Solch eine Frage überschritt bei weitem die Kompetenz der Gesandten, und sie antworteten ausweichend. Enttäuscht schloß Vatatzes bald darauf die Heiratsallianz mit den Bulgaren und belagerte 1235/36 Konstantinopel. Die Folge war eine merkliche Abkühlung der Beziehungen zwischen Nikaia und Rom. Papst Gregor IX. drohte dem griechischen Kaiser, den er in seinem Brief schon mit der Anrede Nobilis Vir brüskierte, mit einem »Kreuzzug« gegen sein Reich, wenn er nicht mit dem Krieg gegen Johannes von Brienne aufhöre. Entsprechend aggressiv und wenig byzantinisch war die Antwort des Kaisers: »Wir werden nie aufhören zu kämpfen und Krieg zu führen gegen die, die Konstantinopel besetzt halten«, das »jetzt geschändet ist, seines ursprünglichen Ruhmes völlig beraubt und verwandelt in ein Mörderhaus und eine Räuberhöhle«20. Am Ende des Schreibens an Gregor IX. hatte Vatatzes sein Angebot wiederholt, sich als Sohn des Papstes zu bekennen, d.h. mit der griechischen Kirche sich dem Primat des Papstes zu unterwerfen, wenn seine Rechte auf Konstantinopel anerkannt würden. Aber erst die nachfolgenden Päpste Innozenz IV. (1243–1254) und Alexander IX. (1254–1261) gingen darauf ein. Denn es hatte sich schon längst herausgestellt, daß das lateinische Kaiserreich keine Basis für Kreuzzugsoperationen darstellte, sondern im Gegenteil immer wieder Kräfte und Geld aus dem Lateinischen Orient abzog. Jetzt aber wurde der Kurie auch klar, daß es genauso untauglich war für das andere große Ziel der römischen Ostpolitik, die Überwindung des Schismas, ja, daß seine Existenz geradezu ein Hindernis dafür darstellte. Es lohnte sich nicht, den moribunden Staat weiterhin zu unterstützen. In den ersten Jahren seines Pontifikats hielt Innozenz IV. noch an der traditionellen päpstlichen Unterstützung für die Lateiner am Bosporus fest; auf dem Konzil von Lyon wurde Kaiser Balduin II. ein Ehrenplatz eingeräumt, der Papst beklagte das griechische Schisma als einen seiner fünf großen Schmerzen, und einer der Konzilsbeschlüsse setzte eine allgemeine Besteuerung der Lateinischen Christenheit zugunsten der bedrängten Franken in Konstantinopel fest. Aber seit 1249 wurden neue Unionsverhandlungen geführt, bei denen 1254 schon eine Einigung zwischen Nikaia und Rom in Sicht war. Beide Seiten hatten weitgehende Konzessionen gemacht: Die orthodoxe Kirche sollte sich Rom unterwerfen, die Kleriker dem Papst den Gehorsamseid leisten; dafür würde Innozenz einer Einnahme Konstantinopels durch die Griechen nicht im Wege stehen und danach den Patriarchen von Nikaia dort einsetzen. Doch gegen Ende 1254 starben Johannes Vatatzes und Innozenz IV. Obwohl der neue Papst Alexander IX. die Verhandlungen auf der erreichten Grundlage zu Ende zu führen gedachte, waren dem Thronfolger Theodor II. Laskaris die
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Zugeständnisse seines Vaters wahrscheinlich zu weitgehend; ihm schien wohl nach den großen militärischen Erfolgen Nikaias eine päpstliche Unterstützung für die Rückgewinnung Konstantinopels nicht mehr notwendig. Die gewaltigen militärischen Anstrengungen, die unter Johannes III. Vatatzes das Territorium des Kaiserreiches fast verdoppelten, waren dem Herrscher nur möglich durch die Loyalität des nikaiischen Beamtenadels, durch die Bildung einer teils bodenständigen Armee und durch eine den Verhältnissen angepaßte solide Wirtschaftspolitik. Vor allem durch das Archiv des von Vatatzes dotierten Klosters Lembos bei Smyrna haben wir Einblick in die kaiserliche Agrarpolitik, die wegen der dominierenden Rolle der Landwirtschaft die Grundlage des Verwaltungs- und z.T. auch des Militärsystems bildete. Schon Theodor Laskaris hatte Ländereien des Patriarchats und einiger Klöster von Konstantinopel konfisziert und sie zusammen mit Kronbesitz an geflohene Adlige, die ihm als hohe Verwaltungsbeamte halfen, das Kaiserreich zu errichten und zu etablieren, als Pronoiai vergeben. Diese Politik setzte Johannes Vatatzes fort, und Personen wie der Befehlshaber der Flotte erhielten Domänen, die aus mehreren Dörfern bestanden. Auch wurden Großgrundherrschaften – zumindest in der Gegend von Smyrna – wieder eingezogen, aufgeteilt und an niedere Offiziere geringerer sozialer Herkunft als militärische Pronoiai vergeben. Dadurch war die Aufstellung der mobilen Armee verbilligt, und der Kaiser konnte immer seine Söldner bezahlen, vor allem die fränkischen. Die Grenzverteidigung organisierte Vatatzes noch nach der Art der großen Makedonenkaiser des 10. Jahrhunderts durch die Schaffung von Soldatengütern und durch die Ansiedlung von Wehrbauern. Wir wissen, daß er auf diese Weise an Kumanen, die vor den Mongolen über die Donau geflüchtet waren, im thrakisch-makedonischen Grenzgebiet und in Kleinasien Land vergab. Nicht zuletzt diesem Verteidigungssystem, das durch die Anlage von Festungen noch verstärkt wurde, ist es zu verdanken, daß die Grenze gegen die Seldschuken nach 1214 bis zum Ende des nikaiischen Exils stabil blieb. Erst seine Vernachlässigung unter den Palaiologenkaisern ermöglichte ein neues Vordringen der Türken im Byzantinischen Kleinasien. In ihrer Wirtschaftspolitik hatten die Laskariden die Tatsache zu berücksichtigen, daß das byzantinische Reich nicht mehr, wie z.T. noch im Jahrhundert zuvor, eine maritime Macht im Mittelmeer darstellte. Die großen Handelsstädte, Konstantinopel und längere Zeit auch Thessalonike, lagen außerhalb seiner Grenzen. Das Kaiserreich war ein Agrarland mit wenigen größeren Städten. Es hatte kaum Handelsbeziehungen nach außen und mußte daher von seinen eigenen Ressourcen leben. Deshalb förderte Vatatzes intensiv Landwirtschaft, Weinbau und Viehzucht. Wegen Krieg und Steuerdruck brachliegende Äcker wurden wieder kultiviert, und der Kaiser gab selbst ein Beispiel intensiver Bewirtschaftung durch die Anlage von Mustergütern, die den Hof belieferten. Von dem Gewinn der Eierproduktion ließ er programmatisch die von ihm so genannte kostbare Eierkrone für die Kaiserin anfertigen.
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Hungersnöte im Gefolge der Mongolenverwüstungen im Sultanat von Ikonion gaben den Byzantinern die Möglichkeit, dort zu hohen Preisen ihre Agrarüberschüsse zu verkaufen. Die dadurch ins Land gelangten Edelmetalle vermehrten privaten wie öffentlichen Wohlstand. Trotzdem mußte der Kaiser um die Währung besorgt sein; unter seiner Regierung war der Goldgehalt der Hyperpera auf zwei Drittel gesunken, und die Byzantinischen Goldmünzen, einst »der Dollar des Mittelalters« (Lopez), wurden im internationalen Handel abgelöst von den Emissionen der italienischen Stadtstaaten. Denn auch die nikaiische Aristokratie schätzte die italienischen und orientalischen Schmuckstücke und kostbaren Stoffe, die die venezianischen Händler nach dem Abkommen von 1219 abgabenfrei ins Land brachten. Mit Luxusgesetzen suchte Vatatzes dem zu begegnen; wer ausländische Kleider trug, würde mit öffentlicher Schande und dem Verlust der sozialen Stellung bestraft werden, denn die Untertanen »sollten mit dem allein zufrieden sein, was rhomäischer Boden und rhomäische Hände hervorbringen«21. Ob diese Bestimmung Erfolg hatte, ist allerdings zweifelhaft. Vatatzes hatte zur Aristokratie ein gutes Verhältnis, das höchstens in seinen letzten Regierungsjähren durch Konfiskationen von Grundbesitz getrübt wurde. Aber er hat sich auch um die Rechtspflege und die Sauberkeit der Verwaltung gekümmert und zusammen mit der Kaiserin Irene durch den Aufbau von Hospitälern, Waisen- und Armenhäusern für die sozial Schwächsten gesorgt. Das Volk und die Kirche, die er gleichfalls reich beschenkte, haben ihm dies gedankt, indem sie ihn bald nach seinem Tode heiligsprachen und ihn ›den Barmherzigen‹ nannten. Schon Johannes hatte in seinen letzten Lebensjahren häufig epileptische Anfälle; sein Sohn und Nachfolger Theodor II. Laskaris (1254–1258) war von dieser Krankheit wesentlich stärker befallen, was bei der Beurteilung seiner Innenpolitik berücksichtigt werden muß. Bis zum Regierungsantritt kaum an den Staatsgeschäften beteiligt, war er von den größten Gelehrten des Reiches, vor allem von dem Theologen Nikephoros Blemmydes und dem Groß-Logotheten und Geschichtsschreiber Georgios Akropolites erzogen worden und hatte sich philosophisch-theologischen Studien gewidmet, die er noch als Kaiser fortsetzte. Außenpolitisch hat auch Theodor dem griechischen Irredentismus nicht zum Ziele verhelfen können. Immerhin gingen aber unter seiner Regierung das Ansehen und der territoriale Besitzstand des Reiches von Nikaia nicht verloren. Das Bündnis mit den Seldschuken wurde erneuert; in Europa, wo der Zar Michael Asen den nikaiischen Thronwechsel ausnutzen wollte und in Thrakien und Makedonien einfiel, trat der Kaiser den Bulgaren kräftig entgegen. Nach zwei schwierigen Feldzügen (1255 und 1256) brachte er Asen zum Friedensschluß auf der Basis der vorherigen Grenzen. Der Zar wurde 1257 von den Boljaren ermordet, und der Nachfolger Konstantin Tich erneuerte das Bündnis mit Nikaia durch seine Heirat mit einer Tochter Kaiser Theodors. Nicht so erfolgreich war die erneute Auseinandersetzung zwischen Nikaia und Epiros.
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Beeindruckt von den Siegen Theodors über die Bulgaren, hatte der Despot Michael II. ihm seine Frau Theodora und den Thronerben Nikephoros zugeschickt, um endlich die schon längst beschlossene Heirat zwischen Nikephoros und Maria, einer anderen Tochter des Kaisers, zu verwirklichen. Vor der Hochzeitsfeier in Thessalonike im Jahre 1256 erpreßte aber Theodor von der hilflosen Theodora die Abtretung von Servia und Dyrrhachion. Da Frau und Sohn in der Hand Theodors waren, mußte der epirotische Despot diesen Vertrag ratifizieren; im nächsten Jahr jedoch fiel er in Makedonien ein, und der Kampf zwischen den griechischen Reichen entbrannte von neuem. Seine Stellung wurde noch gestärkt durch Heiratsallianzen mit König Manfred, dem Nachfolger Kaiser Friedrichs II. in Sizilien, und Wilhelm von Villehardouin, dem Fürsten von Morea. Im griechischen Kaiserreich verfeindete sich Theodor Laskaris immer mehr mit den Aristokraten, denen »ihre Ruhmes- und Adelstitel genügten«22. Er berief an seinen Hof talentierte Leute, öfter von einfacher Herkunft. Favorit war sein Studienkamerad Georgios Muzalon, der bis zu den Chargen eines Megas Domestikos und Megas Stratopedarchos aufstieg; auch dessen Brüder erhielten hohe Reichsämter. Die Kritik von Seiten des Adels reizte den Kaiser nur noch mehr; er ließ grausame Prozesse inszenieren, Angehörige des höchsten Adels blenden und ihnen die Zunge herausreißen. Theodor Laskaris konnte die Aristokraten wohl in Besitz und Privilegien bedrohen, sie ihnen auch zum Teil nehmen, aber er hatte nicht die Macht, sie zum Gehorsam zu zwingen, ja er war zum Teil auf sie angewiesen. Nicht zuletzt aus ihrer Mitte stammten die besten Heerführer. Diese rächten sich auch noch zu Lebzeiten Theodors dadurch, daß sie z.T. zu den Türken oder zu Michael von Epiros überliefen. Vor allem aber gefährdete der Kaiser die Nachfolge seines Sohnes Johannes. Als Theodor nämlich 1258 an seiner schweren Krankheit starb, hinterließ er einen minderjährigen Erben, für den als Regent der dem Adel so verhaßte Muzalon bestimmt war. Trotz der feierlichen Eide aller Würdenträger des Reiches wurde der Regent noch bei den Trauerfeiern für den toten Kaiser ermordet. Als Nachfolger kam der Exponent der Aristokratie und fähigste Soldat des Reiches, Michael Palaiologos, an die Macht. Am Ende desselben Jahres oder am Anfang des nächsten wurde er sogar zusammen mit dem siebenjährigen Johannes IV. Laskaris zum Kaiser gekrönt. Michael VIII. Palaiologos, und nicht einem der Laskaridenkaiser, die doch das Überleben des Byzantinischen Staates und die Wiederherstellung der griechischen Macht ermöglicht hatten, fiel dann, nachdem 1259 die epirotische Macht in der Schlacht von Pelagonia abermals niedergeworfen war, 1261 der triumphale Einzug in das endlich wiedereroberte Konstantinopel zu. Während die griechischen Reiche um die Vormacht in der Romania kämpften, war das geschrumpfte lateinische Kaiserreich völlig in den Hintergrund getreten. In einer letzten Anstrengung gelang den Franken die Erstürmung von Tzurulon im Jahre 1240, als nach dem Tode Johannes’ von Brienne 1237 kumanische
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Hilfstruppen angeworben worden waren und Balduin II., jetzt alleiniger Herrscher, mit einer Armee von 30000 Mann aus Europa zurückkehrte. Aber die Lateinischen Truppen verliefen sich wieder, weil sie nicht bezahlt werden konnten, und Tzurulon wurde 1247 zusammen mit Vizye von den Nikaiern zurückerobert, womit das Gebiet der Lateiner jetzt endgültig auf Konstantinopel und seine nächste Umgebung beschränkt war. Die Armut der Franken wurde immer drückender. Während Balduin lange Jahre im Westen, vor allem am Hofe Ludwigs IX. des Heiligen und dessen Mutter Blanka von Kastilien weilte, die Besitzungen der Courtenays in der Champagne und die Grafschaft von Namur zu Geld machte und sonstwie Hilfe erbettelte, wurde in Konstantinopel eine kostbare Reliquie nach der anderen verkauft. Die Dornenkrone und andere Passionsreliquien gelangten so an den Pariser Hof, zu deren Aufnahme Ludwig der Heilige die Sainte-Chapelle bauen ließ. In seiner Geldnot verpfändete der Kaiser sogar seinen eigenen Sohn Philipp an venezianische Händler und verkaufte das Blei von den Dächern seiner Paläste. Nachdem selbst die Päpste die lateinische Sache aufgegeben hatten, verdankte das Kaiserreich die letzten Jahre seiner Existenz nur noch den starken Befestigungen der Stadt und der Flotte der Venezianer. Diese planten sogar, in Konstantinopel eine Streitmacht von 1000 Mann zu stationieren, die von den venezianischen und fränkischen Herrschaften Süd- und Inselgriechenlands pünktlich bezahlt werden sollte. Aber dieses Projekt kam nicht mehr zur Ausführung. Denn fast nebenbei fiel Konstantinopel im Juli 1261 nach 57 Jahren lateinischer Herrschaft wieder an die Griechen. Nach idem großen Sieg von Pelagonia gegen die vereinigten Mächte Griechenlands und Siziliens hatte Kaiser Michael VIII. vergeblich versucht, die Stadt durch Verrat in seine Hände zu bekommen. Die aufmarschierten griechischen Truppen mußten sich damit begnügen, die letzten fränkischen Orte um die Hauptstadt zu besetzen, außer Galata, das einer Belagerung standhielt. Vorbereitungen für eine regelrechte Belagerung mußten nun getroffen werden. Der Kaiser sicherte seine Position in Europa und Asien vor allem durch Verträge, aber es fehlte eine Flotte, um die venezianische Seemacht in Schach zu halten. Seine eigene war zu unbedeutend, aber die Genueser waren nur zu gerne bereit, ihre Hilfe anzubieten, bei der Beseitigung der Lateinischen Herrschaft am Bosporus mitzuhelfen und dadurch ihre venezianischen Rivalen zu treffen. In dem folgenreichen Vertrag von Nymphaion im März 1261 verpflichteten sich die Genueser nur, dem Kaiser ein Geschwader von 50 Kriegsschiffen zur Verfügung zu stellen, dessen Mannschaften die nikaiische Staatskasse besolden und verproviantieren mußte. Die Stadtrepublik erhielt dafür alle Privilegien, die die Venezianer einst in Byzanz innegehabt hatten, also zollfreien Zugang zum Reich, eigene Viertel in Konstantinopel und den wichtigsten Hafenstädten, vor allem wurde ihnen die Durchfahrt zum Schwarzen Meer gestattet und damit der Zugang zum gewinnbringenden Getreidehandel mit Südrußland.
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Am 10. Juli 1261 wurde dieses Abkommen in Genua ratifiziert. Aber die so teuer erkaufte Hilfe der genuesischen Flotte wurde unnötig. Denn nur 14 Tage später erfuhr Alexios Strategopoulos, ein General des Kaisers, der auf dem Wege nach Thrakien die Lateiner nur mit einem acte de présence seiner Truppen vor den Mauern Konstantinopels erschrecken wollte, daß die Verteidiger mit der venezianischen Flotte fast alle auf einer Expedition gegen Daphnusion, eine kleine Schwarzmeerinsel nahe dem Bosporus, unterwegs waren. Ohne zu zögern ergriff Alexios die Gelegenheit, überlistete die Wachen und drang im Schütze der Dunkelheit in die Stadt ein. Am Morgen des 25. Juli 1261 war Konstantinopel fast ohne Kampfhandlungen in griechischer Hand. Kaiser Balduin floh mit seinem Gefolge zum Hafen und von dort auf einem venezianischen Schiff nach Euböa. Als die Flotte von Daphnusion auf diese Nachricht hin zurückeilte, standen die Lateiner schon dicht gedrängt an den Hafenkais, weil die Griechen inzwischen Feuer in das Handelsviertel gelegt hatten. Die venezianischen Seeleute konnten nur noch diese Menge an Bord nehmen und übers Meer ins fränkische Griechenland in Sicherheit bringen. 7. Der Niedergang von Byzanz (Die Dynastie der Palaiologen) I. Michael VIII. Palaiologos und die Restauration des Reiches, 1261–1282 In den Jahren zwischen 1261 und 1453 wurde das byzantinische Reich von einer Reihe von Kaisern regiert, die mit einer Ausnahme der Familie der Palaiologen angehörten. Früher hatte sich eine so langjährige dynastische Kontinuität oft festigend auf die Verwaltung ausgewirkt und eine stabile Politik erlaubt; in den späteren Jahren aber konnte auch sie den Verfall des Reiches nicht aufhalten. Dieser Verfall wurde durch mehrere Faktoren verursacht: die Zerstückelung des Reiches durch den Vierten Kreuzzug; den Fehlschlag des Versuchs, die Regierung wieder wie einst in Konstantinopel zu zentralisieren; den Zusammenbruch der Wirtschaft und die Vorherrschaft der Italiener über den Handel von Byzanz; den Verlust von ganz Kleinasien an die Türken und schließlich das Übergreifen der Serben und Türken auf die wenigen verbliebenen europäischen Provinzen. Keiner dieser Gründe wäre für sich allein hinreichend gewesen, den Untergang des Reiches herbeizuführen. Aber das Zusammentreffen all dieser Faktoren ließ die Byzantiner ihr Selbstvertrauen verlieren und rief Unruhe hervor. Sie entlud sich in einer sozialen und politischen Revolution, die in dieser Form in der Byzantinischen Geschichte ohne Beispiel war, und entfesselte eine Reihe von Bürgerkriegen, die die dem Reich verbliebenen Ressourcen erschöpften. Das Reich der Palaiologen ruhte auf der sicheren Grundlage, die von den Herrschern des Hauses Laskaris in Nikaia im Nordwesten Kleinasiens während der Lateinischen Herrschaft in Konstantinopel nach 1204 geschaffen worden war. In Nikaia war Michael Palaiologos als Regent für den rechtmäßigen Erben, Johannes IV. Laskaris, ausgerufen worden, dessen Vater, Theodoros II., im
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August 1258 gestorben war. Das Geschlecht der Palaiologen gehörte dem Grundadel an, dem Theodoros II. mit Mißtrauen begegnet war. Daß Michael an die Macht kam, war zum Teil das Ergebnis einer Reaktion dieser Adelsschicht. Aber auch sonst herrschte in weiten Teilen der Bevölkerung die Überzeugung, daß das Reich von Nikaia einen Soldaten zu seiner Führung brauche und nicht einen Kinderkaiser wie Johannes Laskaris. Denn der Augenblick schien gekommen, den Lateinern Konstantinopel zu entreißen.
Abb. 20: Das byzantinische Reich im 13. Jh.
Michael Palaiologos war ein erfahrener Soldat, aber auch ein ehrgeiziger und manchmal skrupelloser Politiker. In den letzten Tagen des Jahres 1258 wurde er zum Kaiser proklamiert und als Michael VIII. gekrönt. Eine Zeitlang hielt man noch die Fiktion aufrecht, der junge Johannes Laskaris sei sein Mitregent. Zu diesem Zeitpunkt lag das lateinische Kaiserreich in Konstantinopel schon in seinen letzten Zügen. Aber das Reich von Nikaia stand mit seinen Ansprüchen nicht allein. Das rivalisierende byzantinische Teilfürstentum Epiros in Nordgriechenland hatte schon Vorkehrungen getroffen, zuerst Thessalonike und dann Konstantinopel selbst in seine Gewalt zu bringen. Zu diesem Zweck hatte der dortige Herrscher, der Despot Michael II. Dukas, bereits eine mächtige Koalition gebildet; ihr gehörten Manfred, der Hohenstaufer-König von Sizilien, und Wilhelm von Villehardouin an, der französische Fürst der Morea in
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Südgriechenland. Die Wiedereroberung Konstantinopels aus den Händen der Lateiner mußte jedoch zurückstehen, bis die zwei Byzantinischen Exilregierungen ihre Rivalität in kriegerischer Auseinandersetzung ausgetragen hatten. Michael VIII. versammelte eine große Armee und entsandte sie unter dem Oberbefehl seines Bruders Johannes Palaiologos nach Makedonien. Der Despot von Epiros wandte sich hilfesuchend an seine Verbündeten. Im Sommer des Jahres 1259 trafen die Heere bei Pelagonia westlich von Thessalonike aufeinander. Der Sieg fiel an Johannes Palaiologos und somit an das Reich von Nikaia. Die Byzantiner in Epiros waren für den Augenblick gedemütigt; ihre Koalition war auseinandergebrochen, Villehardouin von der nikaiischen Armee gefangengenommen. Die Schlacht von Pelagonia war der Auftakt zur Wiedereroberung Konstantinopels und zur Restauration des Byzantinischen Reiches. Dieses bedeutende Vorhaben selbst wurde aber noch zwei Jahre hinausgeschoben, in deren Verlauf Michael VIII. seine diplomatischen und militärischen Vorkehrungen traf. Die einzigen, die das lateinische Kaiserreich in seiner letzten Phase tatkräftig mit einigem Erfolg verteidigten, waren die Venezianer, die auch zu seiner Errichtung so weitgehend beigetragen hatten. Um die starke Flotte der Venezianer auszuschalten, nahm Michael VIII. die Hilfe der Republik Genua an, der Erzfeindin Venedigs. Im März 1261 unterzeichneten die Genuesen in Nymphaion in Kleinasien einen Vertrag mit dem Kaiser. Demnach sollte Genua im Falle eines Sieges rechtmäßige Erbin aller Handelsprivilegien werden, die die Venezianer vorher in Konstantinopel und in Byzantinischen Gewässern genossen hatten. Der Vertrag von Nymphaion sollte für die Zukunft sowohl für Genua als auch für Byzanz schwerwiegende Folgen haben; und dabei hätte er eigentlich gar nicht unterzeichnet werden brauchen. Denn nur vier Monate später, im Juli 1261, eroberten byzantinische Truppen Konstantinopel ohne Hilfe fast durch Zufall zurück, als es durch die Abwesenheit der Lateinischen Garnison und der venezianischen Flotte ungeschützt war. Der letzte Kaiser des Lateinischen Reiches, Balduin II., entkam auf dem Seeweg. Als die Venezianer auf schnellstem Weg zurückkehrten, fanden sie ihre Warenlager und Häfen in Brand gesetzt; daraufhin segelten sie ebenfalls, mit Flüchtlingen an Bord, wieder ab. Diese unerwartete Nachricht erreichte Michael VIII. in Kleinasien. Er traf umgehend Vorbereitungen, als römischer Kaiser den Regierungssitz von Nikaia nach Konstantinopel zu verlegen. Am 15. August 1261 betrat er in feierlichem Zug die Hauptstadt, nicht als glanzvoller Eroberer, sondern als dankbarer Empfänger von Gottes besonderer Gnade. In der Hagia Sophia zelebrierte der Patriarch Arsenios eine zweite Krönung; aber dieses Mal wurde Michael Palaiologos allein gekrönt, und sein Söhnchen Andronikos wurde zum Thronfolger erklärt. Der junge Johannes Laskaris war in Nikaia zurückgelassen worden. Kurz darauf wurde er geblendet und ins Gefängnis geworfen. So gelangte die Dynastie der Palaiologen in Konstantinopel zur Macht.
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Seit siebenundfünfzig Jahren hatten die Einwohner von Konstantinopel keinen griechischen Kaiser mehr in ihrer Stadt gesehen. So waren sie geneigt zu übersehen, daß Michael VIII. als Usurpator kam. Michael selbst tat alles, um sich ihre Loyalität zu erringen und zu bewahren. Er ließ die Verteidigungsanlagen der Stadt instandsetzen und die Gebäude und Kirchen, die unter der Lateinischen Herrschaft verfallen waren, wiederaufbauen. Alte Einrichtungen ließ er wieder aufleben und hob die Bevölkerungszahl durch den Aufruf an die Untertanen, zurückzukehren und Anspruch auf ihre ererbten Besitztümer zu erheben. Weiterhin machte er Angehörigen des Adels, die ihn unterstützt hatten, besondere Zugeständnisse. Die Kaufleute aus Genua, die als Nutznießer des Vertrages von Nymphaion kamen, wurden ermuntert, zur Wiederbelebung von Handel und Verkehr beizutragen. Wenig später erhielten sie die Erlaubnis, auf der anderen Seite des Goldenen Horns in Galata oder Pera ihre eigene Handelsniederlassung zu gründen; dort blieben ihre Erben und gelangten zu Reichtum. Auch anderen Kaufleuten aus Italien, sogar den Venezianern, die geblieben waren, wurde Aufenthaltserlaubnis gewährt, unter der Bedingung, daß der Gouverneur jeder Niederlassung dem Kaiser verantwortlich sein sollte. Diese Maßnahmen trugen entscheidend dazu bei, das byzantinische Konstantinopel wiedererstehen zu lassen. Aber durch die Rivalität zwischen Epiros und Nikaia war das Reich in Verhängnisvoller Weise gespalten; viele Provinzen und Inseln, die einst der Zentralregierung in Konstantinopel in Loyalität verbunden waren, befanden sich zudem in den Händen französischer oder italienischer Herren, oder sie erfreuten sich schon seit zwei Generationen ihrer Unabhängigkeit wie Serbien und Bulgarien. Die Herrscher von Trapezunt, die aus eigener Machtvollkommenheit am Schwarzen Meer regierten – ihre Vorfahren hatten 1204 den Kaisertitel für sich beansprucht –, dachten nicht daran, Michael VIII. als ihr Oberhaupt anzuerkennen. Auch der Despot von Epiros, dessen Schicksal nach seiner Niederlage bei Pelagonia eine schnelle Wendung zum Besseren genommen hatte, hätte Michael niemals als rechtmäßigen Herrscher bestätigt. Sogar die griechische Bevölkerung von Kleinasien, der es unter den Kaisern von Nikaia gut gegangen war, merkte bald, daß sich die Verlegung der Hauptstadt zurück nach Konstantinopel für sie nachteilig auswirkte. Denn die ihr auferlegten Steuern wurden nun nicht zu ihrer eigenen Verteidigung oder für sonstige Annehmlichkeiten verwendet, sondern für den europäischen Teil des Reiches. Daher gab es trotz aller Freude darüber, daß Konstantinopel wieder byzantinisch und orthodox geworden war, zahlreiche Anzeichen von Unzufriedenheit und Unstimmigkeiten. Michael selbst hatte sich durch sein vorschnelles Handeln, als er den letzten aus der Dynastie Laskaris geblendet und enterbt hatte, vielen entfremdet, die sonst möglicherweise ergebene Anhänger gewesen wären. Der Patriarch Arsenios exkommunizierte ihn; und diejenigen in Kleinasien, deren Sympathie der Familie Laskaris galt, aus deren Geschlecht die Exil-Kaiser hervorgegangen waren, sahen in Michael nicht nur einen Usurpator,
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sondern auch einen Verbrecher. Michael fand einen Vorwand, 1264 den Patriarchen Arsenios seines Amtes zu entheben; dadurch aber verlor er die Anhängerschaft vieler seiner Bischöfe und Mönche, die den Patriarchen als Märtyrer verehrten. Fast fünfzig Jahre lang sollte die byzantinische Kirche und Gesellschaft durch das Schisma der »Arseniten«, deren Ziele oft mit denen der Laskaris-Anhänger sehr eng verbunden waren, in Unruhe versetzt werden. Die Byzantiner standen also keineswegs einmütig hinter ihrem Kaiser, obwohl er ihnen ihre Hauptstadt wiedergegeben hatte. Es gab Feinde im Innern wie die Arseniten, und es gab Feinde, griechische und fremde, auf rechtmäßig byzantinischem Boden in Griechenland und auf den griechischen Inseln. Wilhelm von Villehardouin, der bei Pelagonia in Gefangenschaft geraten war, wurde freigelassen und durfte unter der Bedingung, daß er die strategisch wichtigen Festungen von Mistra und Monemvasia an Byzanz zurückgebe, nach seinem Fürstentum in Südgriechenland zurückkehren. Er widerrief aber diese Verpflichtung, sobald er nach Griechenland zurückgekehrt war. Michael sah sich gezwungen, Morea durch Krieg zurückzuerobern, dies allerdings mit begrenztem Erfolg. Zur gleichen Zeit mußte er nämlich Streitkräfte gegen den Despoten von Epiros einsetzen, um den Norden Griechenlands zu unterwerfen. Die Kosten dieser Feldzüge zusammen mit den Aufwendungen zum Wiederaufbau und zur Erhaltung Konstantinopels bedeuteten tiefe Eingriffe in das Vermögen, das die Kaiser von Nikaia zusammengetragen hatten. Aber noch größere, nicht abzuschätzende Summen mußten aufgebracht werden, um das wiederhergestellte Reich gegen seine Feinde in Westeuropa zu verteidigen. Der Verlust von Konstantinopel im Jahr 1261 hatte viele Hoffnungen im Westen enttäuscht, und es gab eine tatkräftig von den Päpsten unterstützte Bewegung, die Stadt durch einen Kreuzzug, ähnlich dem vorangegangenen Vierten, zurückzugewinnen. Der vertriebene lateinische Kaiser Balduin war nach Italien geflüchtet und einer der Initiatoren dieses Unternehmens. König Manfred von Sizilien zeigte sich interessiert; er befand sich auch schon im Besitz von Landstrichen an der Küste Albaniens, die als Ausgangspunkt für einen Angriff auf das Reich von der Landseite her geeignet waren. Aber Manfred war mit dem Papst verfeindet, ohne dessen Zustimmung kein kriegerisches Vorgehen zum Kreuzzug erklärt werden konnte. Trotzdem suchte Michael VIII., langsam vorfühlend, die Gunst des Papstes zu gewinnen, indem er ihm anbot, die vieldiskutierte Frage der Wiedervereinigung der griechischen und römischen Kirche wieder auf zurollen. 1266 jedoch besiegte Karl von Anjou, der Bruder Ludwigs IX. von Frankreich, Manfred und übernahm seine Herrschaft. Schlagartig trat die Gefährdung aus dem Westen für Byzanz in ein bedrohliches Stadium; denn Karl war der Günstling der Päpste und setzte alles daran, das byzantinische Reich anzugreifen. Im Mai 1267 unterzeichnete er Bündnisse mit dem Lateinischen Kaiser Balduin und Wilhelm von Villehardouin. Die Unterhandlungen fanden im Papstpalast in Viterbo statt, und ihr offen ausgesprochener Gegenstand war die Rückgewinnung Konstantinopels für das
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katolische lateinische Reich. Spätestens 1274 sollte ein Heer aufgeboten werden, und der Vorstoß sollte von den Gebieten Albaniens ausgehen, in deren Besitz Karl durch seinen Sieg über Manfred gekommen war. Der Papst allein besaß die Autorität, auf Karl von Anjou einen moralischen Zwang auszuüben. Deshalb mußte er überzeugt werden, daß die Byzantiner gewillt seien, das Schisma, das ihre Kirche von der Roms trennte, zu widerrufen. Auf diesen Prämissen beruhte die Politik Michaels VIII. gegenüber dem Westen. Diese Politik stieß jedoch auf wachsenden Widerstand seitens seiner Untertanen, denn er sah sich gezwungen, zunehmend größere Zugeständnisse zu machen, um die Päpste von der Ernsthaftigkeit seiner Motive zu überzeugen. Während des Interregnums zwischen Klemens IV. und Gregor X., 1268 und 1271, wandte er sich mit der Bitte um Eingreifen an König Ludwig von Frankreich; tatsächlich wurde Karl von Anjou dadurch eine Zeitlang abgelenkt, daß er Ludwig bei dessen Kreuzzug in Nordafrika unterstützte. Aber 1271 nahm er seine Vorbereitungen wieder auf. Die Herrscher von Serbien und Bulgarien wurden seine Verbündeten; die Albanier riefen ihn zu ihrem König aus; und dank ihrer Antipathie gegen den Usurpator Michael in Konstantinopel zeigten sich die souveränen Byzantinischen Prinzen in Epiros und Thessalien bereit, seinen Heeren freien Durchmarsch zu gewähren. In dieser Zwangslage ließ Michael VIII. auf diplomatischem wie auf militärischem Gebiet nichts unversucht; aber letztlich sah er sich doch gezwungen, sich über die antilateinischen Vorurteile seines Volkes hinwegzusetzen, indem er sich weiterhin um die Gunst des Papsttums bemühte. Papst Gregor X. war geneigt, den Byzantinern seine Protektion zu gewähren, wenn ihre Kirche sich zum Gehorsam gegenüber Rom verpflichte. Seine Hoffnung war, daß sie dann an einem neuen Kreuzzug in das Heilige Land teilnehmen würden. Er verkündete das Zusammentreten eines Konzils 1274 in Lyon und forderte Kaiser Michael auf, diesem in eigener Person beizuwohnen oder aber Gesandte zu schicken. Für dasselbe Jahr hatte Karl von Anjou versprochen, seine Armee für den Angriff auf Byzanz bereitzustellen. So sah sich der Kaiser vor die Alternative gestellt, entweder einen Defensivkrieg gegen einen gut gerüsteten und entschlossen auftretenden Feind zu führen oder die von Papst Gregor diktierten Bedingungen anzunehmen. Er entschied sich für das letztere. Aber es erwies sich, daß es schwieriger war, als er gedacht hatte, seinen Klerus und das Volk zu der Überzeugung zu bringen, dies sei der bessere Weg aus den Schwierigkeiten. Der Patriarch Joseph, der Oppositionsführer in Konstantinopel, mußte zum Schweigen gebracht werden. Die Mönche verurteilten scharf und lautstark, was sie als Verrat an ihrem orthodoxen Glauben ansahen; und sogar die Arseniten, die durch ein Schisma von den Orthodoxen getrennt waren, waren sich mit ihnen in der Ablehnung der Politik des Kaisers einig. Dieser hatte jedoch auch einige Helfer, vor allem Johannes Bekkos, einen gelehrten Theologen und Archivar der Hagia Sophia; und schließlich konnte er eine kleine Delegation
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aufbieten, die 1274 zum Papstkonzil nach Lyon reiste. Ihr gehörten an: sein GroßLogothet, Georgios Akropolites, der Expatriarch Germanos und der Bischof von Nikaia, Theophanes. Sie hatten ein Glaubensbekenntnis bei sich, das nach den vom Papst geforderten Bedingungen aufgesetzt und vom Kaiser und seinem Sohn Andronikos unterzeichnet worden war. Als der Papst hörte, daß die Gesandten unterwegs waren, gab er Karl von Anjou Weisung, seine Vorbereitungen um ein weiteres Jahr hinauszuzögern. Das Zweite Konzil von Lyon trat im Mai 1274 zusammen. Die byzantinische Gesandtschaft wurde durch Schiffbruch aufgehalten und erreichte Frankreich nicht vor Ende Juni. Aber nachdem ihre Dokumente vor den Bischöfen verlesen worden waren und Akropolites im Namen seines Kaisers Rom einen Gehorsamseid geleistet hatte, wurde am 6. Juli feierlich die Wiedervereinigung der orthodoxen mit der katholischen Kirche verkündet. Michaels VIII. Diplomatie schien einen vollen Sieg errungen und damit die Gefahr eines neuen Vierten Kreuzzuges gebannt zu haben. Michael benützte den so gewonnenen Aufschub zu dem Versuch, einige der zu seinem Reich gehörigen Territorien wiederzuerobern. Seine in Makedonien stationierten Truppen griffen das angiovinische Königreich in Albanien an. Eine zweite Armee und eine Flotte rückten nach Thessalien vor, um den dortigen aufrührerischen Herrscher zur Annahme von Friedensbedingungen zu zwingen; unterdessen erfocht eine Flotte, die unter dem Kommando eines ehemaligen italienischen Piraten namens Licario stand, auf den Ägäischen Inseln einige bemerkenswerte Erfolge für die byzantinische Sache. Aber keine dieser Unternehmungen war von dauerhaftem Erfolg; und in Konstantinopel war die Opposition gegen die Union von Lyon an einem Punkt angelangt, wo der Kaiser sie nur durch Gewaltanwendung in Schach halten konnte. Indem er die UnionsGegner verfolgen ließ, machte er sie zu Märtyrern und trieb diejenigen, die vor seiner Schreckensherrschaft: flohen, in die ohnedies schon unzufriedenen Provinzen von Nordgriechenland, Trapezunt und sogar nach Bulgarien. Die Nachfolger Papst Gregors X., der 1276 starb, wurden immer skeptischer gegenüber der tatsächlichen Wirksamkeit der Union und stellten von Mal zu Mal härtere Forderungen bezüglich ihrer Erfüllung, wobei sie stets mit einem von Karl von Anjou gegen Konstantinopel geführten Kreuzzug drohten. Nach der Wiedereroberung von Konstantinopel mußten die Byzantinier nahezu zwanzig Jahre lang ihr Hauptaugenmerk und ihre Energie darauf richten, die Gefahr aus Westeuropa abzuwenden. Sie konnten es sich nicht leisten, der drohenden Entwicklung an ihrer Ostgrenze mehr als vorübergehende Aufmerksamkeit zu schenken. In Kleinasien hatte die Verlegung des Regierungssitzes von Nikaia nach Konstantinopel das Gleichgewicht der Kräfte, wie es vor 1261 bestand, ernstlich gefährdet. Michael VIII. versuchte, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen, indem er mit allen Mächten im Osten den diplomatischen Verkehr aufrechterhielt, mit den Mameluken in Ägypten, mit den Mongolen in Persien, mit den Tataren der
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Goldenen Horde im Süden Rußlands und mit den seldschukischen Türken. Aber der Mongoleneinfall im 13. Jahrhundert hatte die Lage in Kleinasien von Grund auf verändert. 1258 hatten die Mongolen Bagdad genommen und die Seldschuken-Sultane zu ihren Vasallen gemacht. Aber zahlreiche türkische Nomadenfamilien aus Innerasien flüchteten sich vor den Mongolen auf seldschukisches Gebiet. Die Sultane schoben sie nach Westen gegen die byzantinische Grenze ab. Dort fanden sie kaum Widerstand, denn der Kaiser hatte einen Großteil der einheimischen Truppen nach Europa abgezogen, um sich im westlichen Vorfeld gegen die feindlichen Übergriffe Karls von Anjou zu schützen. Die neuen türkischen Eindringlinge einte zwar kein gemeinsames Ziel, aber sie wurden von dem Eifer muslimischer Ghazis oder ›Heiliger Krieger‹ gegen die Christen getrieben. Nach 1261 begannen sie, an verschiedenen Stellen entlang der früher gut verteidigten und bewachten Grenze zwischen dem Reich von Nikaia und dem Sultanat der Seldschuken einzufallen und in die fruchtbaren Talniederungen von Kleinasien vorzudringen. Ein Teil der griechischen Bewohner, von der Regierung in Konstantinopel vernachlässigt, jedoch über das Erträgliche hinaus mit Steuern belastet, zeigte seinen Unmut, indem er zu den Türken überlief. Die verbliebenen Grenzschutztruppen verließen ihre Posten, weil ihr Sold im Rückstand war. Die Byzantinischen Städte, deren Sicherheit hinter ihren Mauern äußerst prekär war, waren bald von jeglicher Verständigungsmöglichkeit untereinander oder mit Konstantinopel abgeschnitten, als immer weitere türkische Bewaffnete in das Gebiet einfielen. Sooft Truppen in Europa abkömmlich waren, schickte sie der Kaiser, um der türkischen Invasion Einhalt zu gebieten. Sein Sohn Andronikos konnte 1278 im Maiander-Tal gegen die Eindringlinge einen vorübergehenden Erfolg erringen. Aber 1280 hatten die Türken Südwestanatolien vollständig überrannt und gingen daran, ihre Eroberungen zu Fürstentümern auszubauen. Im Nordwesten war die Entwicklung sehr ähnlich, obwohl hier der Kaiser besondere Maßnahmen getroffen hatte, um Vorstöße auf Konstantinopel abzufangen. Aber er besaß einfach nicht genügend Soldaten, um gleichzeitig an zwei Fronten Krieg zu führen. Und als schließlich die Invasion von Westen losbrach, konzentrierte er seine Streitkräfte dort. Im August 1280 starb Papst Nikolaus III., der gegenüber der Byzantinischen Einstellung zur Union von Lyon sehr mißtrauisch gewesen war. Karl von Anjou hatte freie Hand; im August desselben Jahres gab er den Befehl zur Großoffensive. Die Armee, die an der albanischen Küste konzentriert war, marschierte landeinwärts, um die Schlüsselstellung der Festung Berat zu belagern. Michael VIII. setzte Verstärkungen ein, und im Frühjahr 1281 warfen die Byzantiner die angiovinische Armee zurück und nahmen ihren Befehlshaber gefangen. Der Sieg bei Berat stärkte das byzantinische Selbstvertrauen. Aber der Kampf war damit noch nicht zu Ende. Denn im Februar 1281 hatte Karl von Anjou die Wahl eines Franzosen, Martins IV., zum Papst durchgesetzt, der
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endlich bereit war, ihn zum Führer in einem Kreuzzug gegen Konstantinopel zu ernennen. Im Juli nahmen die Pläne für diesen zweiten und größeren Angriff auf Byzanz im päpstlichen Palast in Orvieto Gestalt an. Dieses Mal war eine Expedition auf dem Seeweg geplant; für die Stellung eines Teils der Schiffe sollte Venedig aufkommen. Indem er Michael VIII. exkommunizierte, zeigte der neue Papst offen, wem seine Sympathie galt. Die Union von Lyon, die die meisten Orthodoxen niemals anerkannt hatten, wurde nun auch von katholischer Seite annulliert. Karl von Anjou hatte jetzt nicht nur die moralische Bestätigung durch den Papst, sondern auch die materielle Hilfe Venedigs, Serbiens und Bulgariens, der Herrscher von Epiros und Thessalien und der französischen Herrscher von Athen und Morea. Die ganze Balkanhalbinsel schien gegen Kaiser Michael verschworen. Aber noch hatte er Freunde in anderen Lagern. Der König von Ungarn war sein Verbündeter; der Mameluken-Sultan von Ägypten wollte ihm Schiffe zur Verfügung stellen; und der Khan der Goldenen Horde in Rußland war bereit, Byzanz gegen jeden bulgarischen Angriff zu schützen. Auch auf diplomatischem Gebiet war Michael noch nicht am Ende seiner Weisheit. Er stand in Verbindung mit König Peter III. von Aragon, einem alten Feind Karls von Anjou, und er hatte seine Agenten unter der aufrührerischen Bevölkerung von Sizilien, im Zentrum von Karls Königreich. Der in Orvieto geplante Angriff sollte 1283 beginnen. Aber im März 1282, als die Vorbereitungen schon weit vorangetrieben waren, brach in Palermo der Aufstand los, der als die Sizilianische Vesper bekannt ist. Die Flotte, die Karl für seinen Kreuzzug ausrüstete, wurde zerstört und alle seine Pläne zunichte gemacht. Im August traf Peter von Aragon in Sizilien ein und vertrieb die Franzosen. Die Rolle, die Michael VIII. bei der Entfesselung der Sizilianischen Vesper spielte, läßt sich zwar schwer beweisen, aber leicht vorstellen. Er selbst bezeichnete sich als Werkzeug der Vorsehung bei der Befreiung der Sizilianer, und es ist keineswegs auszuschließen, daß der Aufstand ebenso wie das Eingreifen Peters von Aragon mit byzantinischem Gold unterstützt wurde. Vor allem der Zeitpunkt des Ereignisses spricht eindeutig für diese Annahme; denn die Rebellion kam genau in dem kritischen Augenblick, in dem es zu verhindern galt, daß Konstantinopel wieder in die Hände der Lateiner fiel. Einige Monate später, am 11. Dezember 1282, starb Michael VIII. In seinen letzten Lebensjahren war die neue Bedrohung des Reiches durch die Türken Verhängnisvoll deutlich geworden. Noch war die Grenze der Provinz Bithynien im Bannkreis Konstantinopels gesichert. Aber die Ghazi-Krieger hatten offenbar andere Gebiete Kleinasiens schon unter ihrer Kontrolle. Diese Verluste waren ein Teil des Preises, der für die Verteidigung des Reiches in Europa gezahlt werden mußte. Aber es waren nicht nur Gebietsverluste. Die Summen, die nötig waren, um Karl von Anjou entgegenzuarbeiten und seine Feinde zu unterstützen, überstiegen die Kapazität des Reiches bei weitem. Michael hatte eine Abwertung der Goldwährung durchführen müssen, um mehr Münzen prägen zu können, und der Bevölkerung schwere Steuerlasten auferlegt. Der Gewinn der
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päpstlichen Gunst wurde in anderer Weise bezahlt. Denn dadurch hatte sich Kaiser Michael zum Feind seiner eigenen Kirche und seines Volkes gemacht; damit vertiefte sich die ohnedies schon tiefe Spaltung in der Byzantinischen Gesellschaft, die durch seine Usurpation des Kaiserthrones hervorgerufen worden war. Michael VIII. mochte für sich in Anspruch nehmen, er habe Konstantinopel einen prominenten Platz in der Weltpolitik wiedergegeben. Aber für den überwiegenden Teil der Bevölkerung, und nicht nur für den in Kleinasien einem Ungewissen Schicksal ausgelieferten, war der Preis zu hoch gewesen. Trotz aller seiner Opfer starb er verdammt als Häretiker, und die byzantinische Kirche verweigerte ihm ein christliches Begräbnis. II. Byzanz als zweitrangige Macht: Andronikos II. Palaiologos, 1282–1321 Andronikos II. folgte im Alter von vierundzwanzig Jahren im Dezember 1282 seinem Vater als Kaiser. Er trat das Erbe über ein Reich an, das schon viele Symptome eines nicht aufzuhaltenden Niederganges zeigte. Aber er hoffte, das Vertrauen seiner Untertanen zu gewinnen und sie auf ein gemeinsames Ziel hinzulenken, indem er die Mißgriffe seines Vaters in der Politik den Lateinern gegenüber zu ändern trachtete. Als erste Amtshandlung widerrief er die Union von Lyon und erklärte sich selbst zum Vorkämpfer der orthodoxen Kirche. Der unionistische Patriarch Johannes Bekkos wurde inhaftiert und sein Vorgänger, der greise Joseph, wieder in sein Amt eingesetzt. Die Opfer der Schreckensherrschaft Michaels VIII. wurden jetzt als Helden und Märtyrer gefeiert und eine Reihe von Konzilien einberufen, auf denen Bekkos und seine mit den Lateinern sympathisierenden Mitangeklagten als Häretiker verdammt wurden. Die Witwe des letzten Kaisers mußte ein öffentliches Bekenntnis zum orthodoxen Glauben ablegen und schwören, sie werde niemals um ein ordentliches Begräbnis für ihren Gatten nachsuchen. Durch diese Maßnahmen gewann der Kaiser ein gut Teil des verlorenen Vertrauens wieder. Aber die Wunden, die Michael VIII. der Gesellschaft geschlagen hatte, wären zu tief, als daß sie sich auf einen Schlag heilen ließen. Die Extremisten oder Zeloten innerhalb der Kirche versuchten nachdrücklich aus dem Grundsatz Gewinn zu ziehen, daß der Kaiser in Glaubensangelegenheiten kein Entscheidungsrecht besitze. Die Arseniten waren mit der Wiederherstellung des orthodoxen Glaubens keineswegs zufriedengestellt, denn sie weigerten sich, Joseph als Patriarchen von Konstantinopel anzuerkennen, und betrachteten Andronikos II., der von Joseph gekrönt worden war, als Sohn des exkommunizierten Usurpators Michael VIII., der sie mit so großem Haß verfolgt hatte. Der Tenor ihrer Propaganda, die von einem der Stadtklöster aus gesteuert wurde, wurde immer politischer. Die Angelegenheiten der Kirche, die in Byzanz immer zugleich auch die der Gesellschaft waren, sollten die Innenpolitik des Reiches auf Jahre hinaus in entscheidender Weise beeinflussen. Kaiser
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Andronikos war in eigener Person zu sehr in die Probleme der Kirche verstrickt, als daß er sie mit Schweigen übergehen oder aus der Welt schaffen konnte. Das Verhängnisvolle dabei war, daß das Wiedererstarken des orthodoxen Glaubens in seiner extremsten, kompromißlosesten Form Byzanz zu einem Zeitpunkt von der katholischen Welt des Westens abschnitt, als das Zusammengehen der Christen im Osten und Westen die Türkengefahr eventuell hätte auffangen können. Zugleich beraubten die Konflikte in der Byzantinischen Gesellschaft das Reich seiner Lebenskraft und zersplitterten seine Aufmerksamkeit gerade in dem Augenblick, in dem es gegenüber den Moslems einer geschlossenen Front bedurfte. Michaels VIII. Außenpolitik hatte den Staat finanziell an den Rand des Abgrunds gebracht. Andronikos kam bald zu dem Schluß, daß man sich unmöglich länger der Illusion hingeben könne, Konstantinopel sei noch eine Weltmacht. Er begann, seine Verpflichtungen zu beschränken und Sparmaßnahmen zu ergreifen. Er verkleinerte die Armee und löste die gesamte Flotte auf. Damit war das Reich für die Verteidigung zu Land fast gänzlich auf ausländische Söldner angewiesen. Für die Verteidigung zur See mußte es sich auf die Genueser verlassen. Diese kurzsichtigen Maßnahmen steigerten unvermeidlich fremde Einmischung und Ausbeutung. Aber das Reich befand sich in einer wirtschaftlichen Notlage, und Andronikos war anscheinend unfähig, seine finanziellen Schwierigkeiten anders als durch Notbehelfe zu bewältigen. Die Unterhaltskosten für die riesige Hauptstadt Konstantinopel bedeuteten eine ständige Belastung für die Staatskasse. In der Stadt wie in den Provinzen gab es noch große Vermögen; aber zum weitaus größten Teil befanden sie sich in den Händen einiger weniger großer Adelsgeschlechter. Kauf und Verkauf von Ämtern in der Verwaltung blühte; die Großgrundbesitzer in den Provinzen dachten nicht daran, ihr Vermögen der Zentralregierung zur Verfügung zu stellen. Während der Regierung Michaels VIII. war es ein unbestrittener Grundsatz geworden, daß Land, in dessen Besitz man sich durch das Pronoia-System oder die Gunst des Kaisers befand und das ursprünglich nach dem Tod des Nutznießers an die Krone zurückfallen sollte, erblich in Familienbesitz überging. Gleichzeitig war die Militärdienstpflicht der Grundherren weggefallen. Dies hinderte diese Gutsbesitzer und ihre Erben nicht daran, ihre Dienerschaft in Privatarmeen zu organisieren, um ihr Eigentum zu schützen. Die Gesellschaftsstruktur in Kleinasien, Thrakien, Makedonien und Griechenland wurde auf diese Weise nach und nach feudalisiert, und alle Bemühungen und Forderungen der Zentralverwaltung in Konstantinopel stießen auf Widerstand. Die durch den Vierten Kreuzzug hervorgerufene Zersplitterung des Reiches wurde durch die zunehmende separatistische Bewegung unter der Bevölkerung selbst weiter vorangetrieben. Andronikos II. versuchte, die Macht der Großgrundbesitzer zu beschneiden, indem er ihnen eine neue Grundsteuer auferlegte. Aber der Erfolg war nicht der Rede wert.
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Seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten wurden außerdem durch den Entschluß belastet, die Versorgung Konstantinopels auf dem Seeweg den Genuesern zu überlassen. Die offensichtliche Blüte der genuesischen Handelsniederlassung in Galata weckte Venedigs Neid und Verlangen. 1285 überredeten die Venezianer den Kaiser, sie in ihrem Besitz der griechischen Inseln Negroponte (Euböa) und Kreta zu bestätigen und ihnen neue Handelsprivilegien in Konstantinopel und Thessalonike einzuräumen. Als wenige Jahre später Akkon in die Hand der Mameluken fiel, verlor Venedig den letzten seiner einst gewinnbringenden Umschlagplätze in Palästina; die Kaufleute zogen sich nach Norden in byzantinische Gewässer zurück. Der unvermeidbare Interessenkonflikt zwischen Venedig und Genua wurde 1296 in einer Reihe von Seegefechten vor Konstantinopel ausgetragen. Die Hauptleidtragenden waren die Byzantiner, denn der Kaiser mußte gezwungenermaßen Partei ergreifen und wurde erpreßt, Wiedergutmachungsgelder für den Schaden zu zahlen, den die Genueser in der Stadt an venezianischem Eigentum angerichtet hatten. Die Angelegenheit wurde erst 1302 beigelegt, als Andronikos einen neuen Vertrag mit Venedig unterzeichnete. Aber die Genueser sicherten sich das Recht, ihre Niederlassung in Galata zu einer Festung auszubauen, so daß sie künftig gegen Byzantiner und Venezianer in gleicher Weise ihre Interessen wahren konnten. Andere Handelsspekulanten aus Genua trieben ihre Geschäfte in verschiedenen Teilen des Reiches. Die Familie der Zaccaria, der Michael VIII. die Alaunminen in Phokaia bei Smyrna zum Abbau überlassen hatte, riß 1304 die Kontrolle über die vorgelagerte Insel Chios an sich. Wie sie richtig beobachtet hatten, gab es keine byzantinische Flotte, die die Insel vor dem drohenden Zugriff türkischer Piraten hätte retten können; aber ihre Erben behaupteten sich auf Chios bis 1329 und entzogen Byzanz damit einen weiteren Teil seiner Einkünfte. Die Gefahr eines Angriffs aus Italien schien seit 1282 gebannt. Geblieben aber waren die einzelnen selbständigen Byzantinischen Herrscher in Nordgriechenland, die diese Invasion so bereitwillig unterstützt hatten. Kaiser Andronikos war durch Heirat mit dem Despoten von Epiros verwandt; und eine Zeitlang hatte es den Anschein, sein Sohn und Erbe Michael IX. werde Thamar, die Tochter des Despoten, heiraten und damit Epiros wieder in das Reich zurückführen. Aber das Vorhaben schlug fehl, und Thamar heiratete anschließend Philipp von Tarent, den Enkel Karls von Anjou, der auf diese Weise die Oberherrschaft über die angiovinischen Besitzungen in Epiros und Albanien bekam. Dieses neuerliche Bündnis zwischen seinen griechischen und italienischen Feinden machte den Kaiser natürlich unruhig. Aber die Sicherheit der angiovinischen Besitzungen in Griechenland hing ab von der Kontrolle über die französische Grafschaft in Morea, die ebenfalls ein Lehen des Königreichs Neapel war. Hier herrschte seit dem Tod Wilhelms von Villehardouin im Jahre 1278 Anarchie, die die Byzantiner zu ihren Gunsten nützten. Die byzantinische Enklave im Süden der Halbinsel, die seit 1262 von einem jährlich ernannten
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Militärgouverneur verteidigt wurde, wurde dem Kommando kaiserlicher Vertreter unterstellt und gewann zunehmend den Status einer Provinz und eines Ausgangspunktes für die Wiedereroberung weiterer griechischer Ländereien. Die Beziehungen zwischen Epiros und Italien erwiesen sich ohnehin bald als brüchig, und die byzanzfreundliche Partei in Epiros gewann allmählich an Boden. 1304 wurde Thomas, der Tronfolger des Despotats, mit einer Enkelin Andronikos’ II. vermählt. Die thessalischen Herrscher waren nicht so ohne weiteres bereit, sich mit Konstantinopel zu arrangieren. Aber zu Beginn des 14. Jahrhunderts bestand doch Hoffnung, daß wenigstens ein Teil Nordgriechenlands durch Verhandlungen zum Reich zurückkommen werde. Bedeutend ernstere Schwierigkeiten bot in diesem Teil der Welt das sich blitzartig ausbreitende Königreich Serbien. In den letzten Regierungsjahren Michaels VIII. hatten die Serben allmählich das byzantinische Makedonien unterwandert und die Sicherheit Thessalonikes, der zweitwichtigsten Stadt des Byzantinischen Reiches, bedroht. 1282 war Skopje an sie gefallen. Andronikos II. befolgte den Ratschlag seiner Generäle, die ihn vor einer militärischen Konfrontation warnten, und bot dem serbischen König Milutin die Hand seiner Schwester Eudokia an. Das Angebot wurde angenommen und Vorkehrungen für die Vermählung getroffen. Eudokia jedoch verweigerte ihr Einverständnis. Andronikos konnte nicht wortbrüchig werden; in seiner Verzweiflung schlug er vor, seine eigene fünf Jahre alte Tochter Simonis Milutin zur Braut zu geben. Im Jahr 1300 fand die Hochzeit statt. Es war ein Skandal, der Patriarch war empört; und die Mitgift, die Simonis ihrem Gatten mit in die Ehe brachte, schloß das ganze griechische Gebiet ein, das dieser bereits erobert hatte. Aber die Einigung brachte zwanzig Jahre des Friedens zwischen Byzanz und Serbien und ließ den Byzantinischen Einfluß auf das serbische Königreich merklich anwachsen. An der europäischen Flanke konnte Andronikos II. wenigstens jeden Krisenherd im Entstehen bekämpfen und so einen Totalzusammenbruch abwenden. Aber in Asien entglitt die Situation seiner Kontrolle. Während seiner ersten Regierungsjahre hatte man die türkischen Eindringlinge westwärts nach Kleinasien vorstoßen lassen, bis um 1300 nur noch einige wenige von der Außenwelt abgeschnittene Städte dort sich halten konnten, wo einst das blühendste und ertragreichste Gebiet der Byzantinischen Welt gewesen war. Der Zusammenbruch des Byzantinischen Widerstandes war nicht nur auf militärische Ursachen zurückzuführen. Man versuchte, die Verteidigung zu intensivieren und sogar zur Offensive überzugehen. Von 1290 bis 1293 übernahm der Kaiser selbst das Kommando in Bithynien und bemühte sich, die Grenzschutztruppen wiederaufzubauen. Aber lokale Aufstände und Meuterei unter seinen Offizieren, die oft von den Arseniten angestiftet und von der Familie Laskaris unterstützt wurden, vereitelten seine Anstrengungen. Einer seiner erfolgreicheren Generäle, Alexios Philanthropenos, der die Türken im Maiander-Tal geschlagen hatte, wurde 1296 von den Griechen dieser Gegend zum Kaiser ausgerufen. Die Revolte war schnell niedergeschlagen, aber sie war
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symptomatisch für die Unruhe und Unzufriedenheit unter der griechischen Bevölkerung Kleinasiens, das die Türken bis aufs letzte ausgesaugt hatten. Was diesen an Land zufiel, ging den Byzantinern an Menschenpotential verloren; die Zahl der Flüchtlinge, die zur Küste oder nach Konstantinopel strömten, nahm bedrohliche Ausmaße an und warf neue Probleme auf. Einige der besser befestigten Griechenstädte wie Philadelphia verteidigten sich aus eigenen Mitteln gegen die Invasoren; aber es gab keine Armee, die den Feind von den umliegenden Gebieten vertrieben hätte. Zu Beginn des Jahres 1302 suchten ein paar tausend Alanen beim Kaiser um die Erlaubnis nach, die Donau überschreiten zu können, um den Tataren zu entgehen. Andronikos begrüßte sie als gottgesandte Ergänzung der Armee; aus neu erhobenen Steuergeldern gab man ihnen Rüstungen und Pferde, und der Sohn des Kaisers, Michael IX., führte sofort ein Truppenkontingent, das aus ihren Leuten gebildet war, bei Magnesia in die Schlacht gegen die Türken. Die Alanen waren jedoch unzuverlässige Soldaten und desertierten nach ihrem ersten Einsatz. Ein zweites Kontingent kämpfte und verlor im gleichen Jahr 1302 eine Schlacht bei Bapheus nahe Nikomedia in Bithynien. Nach ihrem Sieg verwüsteten die Türken alles Land um die befestigten Städte Nikomedia, Nikaia und Brussa und trieben noch mehr Flüchtlingsmassen über den Hellespont und den Bosporus nach Konstantinopel. Die Eroberung Westanatoliens durch die Türken gewann nun allmählich Gestalt in der Errichtung von Fürstentümern unter der Herrschaft der lokalen Emire. Die Schlacht bei Bapheus hatte ein Ghazi-Emir, Osman, gewonnen, dessen Krieger wenig später Bithynien überrannten; er war der Begründer des osmanischen oder ottomanischen Stammes. Im frühen 14. Jahrhundert jedoch waren die Osmanen nicht so angesehen wie die Emirate der Ghazis in anderen Gegenden. Der Südwesten, jenseits des Maiander, war von einem Emir namens Menteshe erobert worden. Seine Krieger waren die ersten Türken, die als Piraten das Meer unsicher machten. Im Jahr 1300 griffen sie die Insel Rhodos an, die ihnen aber bald von den Rittern des Johanniterordens abgenommen wurde, die ihr neues Hauptquartier dorthin verlegten. Nördlich des Maiander wurde von den Söhnen eines gewissen Aydin ein weiteres Emirat errichtet; ihr Angriffsziel wurde Smyrna. Die Emire von Aydin ebenso wie die von Menteshe nützten das Fehlen einer Byzantinischen Flotte aus und betätigten sich als Piraten in der Ägäis. Höher im Norden lagen die Emirate von Saruchan, im Gebiet von Lydien, von Karasi, südlich vom Hellespont, und andere. Aber niemand hätte voraussehen können, daß das vergleichsweise unbedeutende und landumschlossene Emirat von Osman sich als das dauerhafteste und erfolgreichste aller türkischen Fürstentümer erweisen werde. Nach der zweifachen Niederlage von 1302, bei Bapheus und Magnesia, war der Kaiser schon der Verzweiflung nahe, als sich von unerwarteter Seite ein Hoffnungsschimmer zeigte. Eine Gruppe von Berufssöldnern, die »Katalanische Kompanie«, bot ihm ihre Dienste an. Sie hatten einige Jahre lang auf der Seite des
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aragonesischen Königs von Sizilien gegen Karl II. von Anjou gekämpft. Aber 1302 waren sie entlassen worden, und ihr Kommandeur, Roger de Flor, witterte in Byzanz ein neues Betätigungsfeld. Seine Forderungen waren unverschämt, aber der Kaiser stimmte in seiner Erleichterung zu, den Katalanen vier Monatslöhne vorauszubezahlen und ihrem Anführer seine Nichte zur Frau zu geben. Die »Katalanische Kompanie« erwies sich als zweischneidiges Schwert. Im September 1303 kam sie nach Konstantinopel, in einer Stärke von ungefähr 6500 Mann; und fast gleichzeitig setzten Krawalle und Plünderei ein. 1304 marschierte sie nach Anatolien und entsetzte das belagerte Philadelphia. Aber danach führten die Katalanen ihre Operationen gegen die Türken mehr zu ihrem eigenen Vorteil als zu dem der Byzantiner. Der Kaiser entdeckte zu seinem Schaden, daß Söldner unter griechischem Oberbefehl leichter im Griff zu halten sind als eine Horde von Soldaten, die Befehle nur von ihrem eigenen Anführer entgegennehmen. Roger de Flor trug sich mit dem Gedanken, in Kleinasien ein eigenes Fürstentum zu errichten, und nur sehr widerstrebend führte er seine Truppen zurück in das Winterlager bei Gallipoli. Dort erhielten sie Verstärkungen aus Spanien. Sie weigerten sich, das Lager zu verlassen, bevor nicht ihr Lohn bis auf den Tag ausbezahlt sei, und der Kaiser hatte die größten Schwierigkeiten, das Geld aufzutreiben. Sein Sohn Michael IX. machte aus seinem Mißtrauen den Katalanen gegenüber kein Geheimnis. In seiner Armee, die er zu diesem Zeitpunkt gegen die Bulgaren führen sollte, duldete er keinen dieser Leute. Schließlich stimmte Roger zu, im Frühjahr 1305 den Kampf gegen die Türken wiederaufzunehmen. Vor seinem Abzug stattete er Michael IX. in seinem Lager bei Adrianopel einen Besuch ab und wurde dort von einem Alanen aus Michaels Armee ermordet; dreihundert seiner Leute mit ihm. Die restlichen Katalanen legten den Mord den Byzantinern zur Last. Sie wählten einen neuen Führer und errichteten – wie sie es nannten – einen unabhängigen spanischen Staat auf der Halbinsel von Gallipoli. Mehr als zwei Jahre lang machten sie das Land westlich von Konstantinopel unsicher, und alle Anstrengungen Michaels IX., sie mit Gewalt zu vertreiben, und die Bemühungen seines Vaters, mit ihnen zu einer vernünftigen Einigung zu kommen, schlugen fehl. Sie ermunterten eine immer größer werdende Anzahl von Türken, den Hellespont zu überschreiten und sich ihnen anzuschließen. Als sie alle Lebensmittelvorräte in Thrakien erschöpft hatten, zogen sie nach Westen in Richtung Thessalonike. 1308 erreichten sie Chalkidike und plünderten die Klöster auf dem Berg Athos. Aber die Mauern von Thessalonike konnten sie nicht erstürmen, und so zogen sie 1309 südwärts nach Thessalien und dann nach Athen. Der französische Herzog von Athen, Walter von Brienne, nahm sie in seine Dienste, mußte aber bald feststellen, daß er sie nicht mehr loswerden konnte. Im März 1311 fielen er und eine große Zahl seiner Ritter im Kampf gegen die Katalanen am Kephissosfluß in Böotien. Auf diese Weise kam das französische Herzogtum von Athen und Theben, das seine zufällige Entstehung
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dem Vierten Kreuzzug verdankte, für fast siebzig Jahre unter katalanische Herrschaft. Die Katalanen, die zur Rettung des Byzantinischen Reiches gemietet worden waren, fügten nicht nur den Ländereien in Thrakien und Makedonien unübersehbaren Schaden zu, sondern versetzten auch der Wirtschaft einen empfindlichen Schlag. Um ihren Forderungen nachkommen zu können, mußte der Kaiser 1304 die Währung noch weiter abwerten. Damit fiel der Goldgehalt des ›Hyperpyrons‹, der vor hundert Jahren 90 Prozent betragen hatte, auf 50 Prozent. Der Hauptanteil der Grenzzölle wurde von den Genuesern und Venezianern eingezogen. Es mußten also neue Geldquellen durch andere Arten der Besteuerung, die die ganze byzantinische Bevölkerung, besonders aber die der westlichen Provinzen traf, erschlossen werden. Ein Drittel des ganzen im Pronoia-System verwalteten Landes wurde verstaatlicht; viele Ländereien, die bis zu diesem Zeitpunkt eximiert waren, einige sogar im Besitz der großen Klöster, fielen jetzt unter die Besteuerung. Zusätzlich wurde eine neue Art der Steuer eingeführt, die die Bauern in Warenabgaben leisten mußten. Man nannte sie Sitokrithon, sie wurde entsprechend der Bodengröße des bäuerlichen Besitzes in Abgaben von Weizen und Gerste erhoben. Diese Maßnahmen ermöglichten es schließlich, die Katalanen zu bezahlen, und darüber hinaus bedeuteten sie nach deren Abzug eine willkommene zusätzliche Einnahme für die Staatskasse. Aber die Not der Menschen, die von den Katalanen und Türken geplündert und enteignet worden waren, konnten sie nicht mildern. Nach 1305 wurde Konstantinopel von einem Flüchtlingsstrom aus Thrakien und Kleinasien überschwemmt. Die Lebensmittel waren knapp, und der Schwarzhandel mit Weizen blühte. Der Patriarch Athanasios rief eine Hilfsorganisation für Arme und Hungernde ins Leben und drängte den Kaiser, den An- und Verkauf von Weizen und das Backen von Brot staatlich zu kontrollieren. Aber der Ackerbau im Gebiet um Konstantinopel lag brach; denn viele Türken, die die Katalanen angelockt hatten, waren in Thrakien geblieben und hatten das Land ausgesaugt. Einige von ihnen traten in die Dienste Milutins von Serbien, aber über 2000 andere verschanzten sich vor Gallipoli, und erst 1312 gelang es den Byzantinern mit serbischer und genuesischer Hilfe, sie einzuschließen und zu schlagen. Eine der Hauptquellen für die Ernährung war Nordthrakien, das der Aufmerksamkeit der Katalanen und Türken weitgehend entgangen war; von den dortigen Schwarzmeerhäfen aus verschifften die Genueser Weizen für Konstantinopel. Aber sogar hier war die Lage unsicher. Denn die Bulgaren bereiteten dem Reich die größten Schwierigkeiten. Theodor Svetoslav, der 1300 die Befreiung Bulgariens von der Tatarenherrschaft angebahnt hatte, besetzte die Byzantinischen Häfen am Schwarzen Meer und trieb Kaiser Andronikos so in die Enge, daß dieser 1307 einen Vertrag unterzeichnete, in dem er die Häfen an Bulgarien abtrat. Unterdessen ging die Türkeninvasion in Kleinasien unaufhaltsam weiter. Eine Zeitlang hatte der Kaiser Hoffnung auf eine mongolische Intervention im Osten,
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und er traf mit dem Mongolen-Khan eine Abmachung; dieser schickte 1307 eine Armee nach Bithynien. Sie blieb so gut wie erfolglos, spornte nur die Osmanen zu größeren Anstrengungen an. Nach dem Abzug der Katalanen gab es keinen organisierten Widerstand mehr, weder gegen die Osmanen noch gegen die anderen Ghazi-Emire im Süden. Da machte schließlich Andronikos II. eine verspätete Anstrengung, die byzantinische Flotte wiederaufzubauen. Für den Bau einer Flotte von 20 Kriegsschiffen und für den Unterhalt berittener Truppen in einer Stärke von 1000 Mann in Bithynien und 2000 in Europa wurden weitere Steuern eingetrieben. Die materielle Leistungskraft des Reiches ging unter der Regierung Andronikos’ schlagartig zurück, aber die Probleme der Kirche blieben immer in seinem Blickfeld. Es befriedigte ihn, 1310 den Vorsitz bei der förmlichen Versöhnung mit den Arseniten zu übernehmen. Ihre Sache hatte wie die der Laskariden seit der Eroberung des alten Reiches von Nikaia durch die Türken viel von ihrer Anziehungskraft verloren. 1312 ordnete er an, daß die Klöster auf dem Berg Athos, die immer kaiserlicher Aufsicht unterstanden hatten, fortan unter der Aufsicht des Patriarchen von Konstantinopel stehen sollten. Der Kaiser stellte außerdem eine neue Präzedenzliste der Bistümer auf. Der Patriarch Athanasios, der in der Regierungszeit Andronikos’ zweimal dieses Amt bekleidete, machte sich durch seinen Puritanismus und sein rigoroses Durchsetzen christlicher Prinzipien viele Feinde. Aber sein Einfluß auf den Kaiser war groß und er trug viel dazu bei, dem Bischofssitz von Konstantinopel seinen anerkannten Rang als Oberhaupt aller orthodoxen Kirchen innerhalb und außerhalb der Reichsgrenzen wiederzugeben. Für die Byzantiner war es schon fast eine Binsenwahrheit, daß unter Andronikos II. die Kirche an Prestige und Ansehen gewann, was das Reich verlor. Aber auf einem Gebiet hatte die Regierungszeit Andronikos’ II. eine bemerkenswerte Renaissance zu verzeichnen, und zwar in den Künsten und in der Wissenschaft. Es ist ein Paradox der Byzantinischen Geschichte, daß der materielle Niedergang des Reiches im 14. Jahrhundert von einem Aufschwung in der Literatur, in der Gelehrsamkeit und in der Kunst begleitet wurde. Die Anfänge dieser Bewegung gingen zurück bis in die Jahre der Exilregierung in Nikaia. Auf dem Gebiet der Literatur äußerte sie sich hauptsächlich in einem erneuten Interesse an klassischer griechischer Gelehrsamkeit und Geschichtsschreibung. Georgios Akropolites, der Hofhistoriograph von Nikaia, der unter Michael VIII. Groß-Logothet geworden war, knüpfte bewußt an die Tradition des Thukydides an. Nach 1261 ernannte ihn der Kaiser zum Rektor der wiedereröffneten Universität Konstantinopel. Auch Georgios Pachymeres, der in Nikaia geboren war und 1310 in Konstantinopel starb, schrieb Zeitgeschichte; aber sein Interesse galt ebenso der Philosophie, der Mathematik und Astronomie. Seine Zeitgenossen verglichen Konstantinopel gern mit dem Athen des Altertums und den Hof Andronikos’ II. mit dem Lykaion und der Stoa. Aber die Gelehrten, die hier aus und ein gingen, schöpften den Großteil ihres Wissens
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aus antiken Quellen. Sie brillierten in gelehrten Kommentaren und Paraphrasen der klassischen Autoren, aber ihrer Gelehrsamkeit ging die wirkliche Originalität ab; eine Ausnahme bildete vielleicht die Mathematik. Hier erschloß der Mönch Maximos Planoudes durch die Übernahme der arabischen Ziffern Neuland; dennoch beruht der eigentliche Ruhm des Planoudes auf der Übertragung von Werken des heiligen Augustin, des Boethius und sogar des Ovid ins Griechische. Zum Gelehrtenstolz dieser Männer gehörte der Anspruch, das Wissen in seiner Gesamtheit zu beherrschen. Die zwei, die diesem Ziel am nächsten kamen, waren Theodoros Metochites, der Groß-Logothet Andronikos’ II., und sein Schüler Nikephoros Gregoras, der Historiker. Metochites hatte sämtliche philosophischen und naturwissenschaftlichen Schriften der Antike gelesen. Sein enzyklopädisches Wissen läßt sich an der erhaltenen Sammlung seiner Abhandlungen messen. Aber seine große Liebe galt der Astronomie; und sie übertrug sich auf seinen Schüler Gregoras, wohl den größten Gelehrten dieses Zeitalters. Nikephoros Gregoras schrieb die Geschichte der beiden Bürgerkriege, die er selbst miterlebt hatte, und der theologischen Auseinandersetzungen, die die Gesellschaft seiner Zeit gespalten hatten; außerdem war er der Verfasser einer Abhandlung über die Konstruktion des Winkelmessers, beobachtete und sagte Sonnenfinsternisse voraus und schlug eine Reform des Julianischen Kalenders vor. Seine Stärke lag mehr darin, gegebene philosophische Systeme zu interpretieren als neue zu schaffen, wobei er mehr der Lehre Platons und dem Neuplatonismus als der aristotelischen Dialektik verpflichtet war. Mathematik und Astronomie waren für ihn die Krone menschlichen Wissens. Aber auch für Gregoras, wie für die meisten der Zeitgenossen, blieb, trotz aller ihrer Begeisterung über die Wiederentdeckung der klassischen griechischen Gelehrsamkeit, die Theologie die Königin der Wissenschaften. Später, während des Streites über die Lehre des Hesychasmus, war Gregoras so von der Theologie besessen, daß er dafür alle anderen Studien aufgab; er starb 1360 als Märtyrer seiner religiösen Überzeugungen. Das Wiederaufleben der Wissenschaften in Konstantinopel und Thessalonike wurde teilweise dadurch angeregt, daß sich die Byzantiner zunehmend ihrer griechischen Herkunft bewußt wurden und einen Stolz darauf entwickelten, die Alleinerben des griechischen Wissens zu sein. Theodoros Metochites brüstete sich, weder der Lateinischen noch einer anderen fremden Kultur etwas zu verdanken. In einer Zeit, in der das Reich rasch auf seine im eigentlichen Sinn griechischen Provinzen reduziert wurde, war diese Identifikation des Byzantinischen mit dem Hellenischen verständlich. Aber für viele bedeutete es wenig mehr als eine rhetorische Spielerei; es gab Gelehrte wie Planoudes, die bewunderten, was ihnen an westlicher Gelehrsamkeit bekannt war. Der prominenteste unter ihnen war Demetrios Kydones; in der Mitte des 14. Jahrhunderts trat er als Staatsmann hervor und bekleidete unter den Kaisern Johannes Kantakuzenos und Johannes V. jahrelang das Amt des Premierministers. Kydones war einer der wenigen Byzantinischen Bewunderer
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Thomas von Aquins, dessen Werke er ins Griechische übersetzte. In gewisser Hinsicht war er der Vorläufer jener kleinen Gruppe von Byzantinern – ihr gehörten hauptsächlich Intellektuelle an –, die zur römischen Kirche übertraten und sich von der westlichen Welt Rettung für den Verfall ihres Reiches erhofften. Kydones hinterließ eine große Sammlung von Briefen, die, wenngleich oft nicht mehr als literarische Skizzen, ein bezeichnendes Licht auf die Geschichte der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts werfen. Denn durch einen merkwürdigen Zufall sind die Ereignisse dieser Periode durch keinen zeitgenössischen Byzantinischen Historiker aufgezeichnet. Der letzte der Geschichtsschreiber des 14. Jahrhunderts, zugleich einer der gebildetsten Männer seines Zeitalters, war der Kaiser Johannes VI. Kantakuzenos, der nach seiner Abdankung 1354 seine Memoiren schrieb. Sie sind eines der literarisch anspruchsvollsten und stilistisch vollkommensten Werke der ganzen Byzantinischen Geschichtsschreibung. Aber bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts fand sich niemand, der diese Tradition fortgesetzt hätte. Um 1360 schien das Wiederaufleben einer schöpferischen Literatur in Byzanz seinen Höhepunkt überschritten zu haben. Die Renaissance des künstlerischen Schaffens jedoch, die damit Hand in Hand ging, dauerte unvermindert an. Die schönsten Beispiele byzantinischer Kunst des 14. Jahrhunderts sind die Mosaiken und Wandmalereien in der Klosterkirche der Chora oder Kariye Cami in Konstantinopel, die vor 1332 auf Kosten von Theodoros Metochites wiederaufgebaut worden war. Weitere Beispiele für Mosaikkunst dieser Zeit befinden sich in der Kilisse Cami in Konstantinopel und in der Kirche der Heiligen Apostel in Thessalonike. Aber die eigentliche Ausdruckskraft der Byzantinischen Künstler lag auf dem Gebiet der weniger aufwendigen Fresken- und Ikonenmalerei; in Provinzzentren wie in Mistra in der Morea oder im Reich von Trapezunt sind einige der besten Arbeiten spätbyzantinischer Kunst erhalten. Zugleich trug die ungebrochene Kraft der Kirche als einigendes Element aller orthodoxen Länder in dieser Zeit die künstlerischen und kulturellen Einflüsse von Byzanz nach Serbien, Bulgarien, Rumänien und Rußland. III. Das Zeitalter der Bürgerkriege: Andronikos III. und Johannes VI., 1321– 1354 Das Familienleben Andronikos’ II. war vom Unglück verfolgt. Michael IX., sein Sohn aus erster Ehe, wurde 1294 zum Mitregenten gekrönt. Seine zweite Gemahlin, Irene von Montferrat, schenkte ihm drei weitere Söhne und hegte die Hoffnung, ihr Gatte werde das Reich zu ihren Gunsten in Fürstentümer aufteilen. Andronikos aber weigerte sich, so mit jeglicher Tradition zu brechen; Irene verließ ihn und ging nach Thessalonike. Die Nachfolgefrage schien keinerlei Probleme mehr aufzuwerfen, als der ältere der beiden Söhne Michaels IX., Andronikos III., 1316 Mitregent wurde. Der junge Andronikos, zuerst der Liebling seines Großvaters, begann, ein ausschweifendes Leben zu führen. Infolge einer seiner Liebesabenteuer wurde er unwissentlich Mittelsmann bei der
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Ermordung seines jüngeren Bruders. Dieser Schock war für seinen Vater Michael IX. zu schwer; er erkrankte und starb 1320. Alle dynastischen Pläne, die Andronikos II. geschmiedet hatte, schienen umgestoßen. Er enterbte seinen Enkel. Diese Ereignisse führten zum Ausbruch des ersten jener Bürgerkriege, die das Reich im 14. Jahrhundert lähmen sollten. Aber die eigentlichen Ursachen lagen tiefer. 1320 hatte Andronikos II. seit fast zwanzig Jahren den Thron inne. Adlige der jüngeren Generation vertraten die Ansicht, daß keine neuen politischen Impulse mehr von ihm ausgehen könnten und daß seine Zeit um sei. Diese Meinung wurde von denen geteilt, die noch in Makedonien und Nordthrakien Landbesitz hatten und größerem Unglück als wachsender Besteuerung und dem Verlust ihrer Steuerfreiheit entgangen waren. Als Andronikos III. 1320 enterbt wurde, fand seine Sache unverzüglich Unterstützung bei einer Reihe seiner Freunde, die ihn überredeten, für sein Nachfolgerecht zu kämpfen. An ihrer Spitze standen Johannes Kantakuzenos, Syrgiannes Palaiologos und Theodoros Synadenos. Kantakuzenos, wie Syrgiannes, war gleichaltrig mit dem jungen Andronikos und entstammte einer Familie mit guten Beziehungen, die ausgedehnte Ländereien in Makedonien, Thrakien und Thessalien besaß. Seine politische und militärische Karriere, an deren Anfang der erste Bürgerkrieg stand, sollte ihn schließlich auf den Thron führen. Viele Kapitel der Byzantinischen Geschichte des 14. Jahrhunderts wurden durch seine Politik bestimmt und von ihm in seinen später verfaßten Memoiren beschrieben. Syrgiannes war mit den Familien der Palaiologen und Kantakuzenen verwandt, obwohl ausländischer Abstammung. Auch Synadenos gehörte zum Landadel und hatte ein Militärkommando in Thrakien. Der vierte im Bund war ein skrupelloser Abenteurer namens Alexios Apokaukos, der sein Vermögen und seine Stellung Johannes Kantakuzenos verdankte. Kantakuzenos und Syrgiannes bereiteten den Aufstand in Thrakien vor, indem sie die Mißstimmung unter der Bevölkerung nährten, die sich mit Begeisterung an der Festnahme der kaiserlichen Steuereintreiber beteiligte. Das Geld wurde dazu verwandt, Armeen auszuheben. Am Osterfest 1321 floh Andronikos III. aus Konstantinopel und vereinigte sich bei Adrianopel mit seinen Anhängern. Danach wurde der Konflikt in drei Phasen durchgekämpft. Im Juni 1321 zwang man den alten Kaiser, einer Herrschaft seines Enkels als Kaiser in Adrianopel zuzustimmen. Jedoch kam es durch den Frontwechsel des Syrgiannes, der eifersüchtig auf die Stellung Kantakuzenos’ war, zum erneuten Kriegsausbruch. Im Juli 1322 einigte man sich ein zweites Mal. Eine Zeitlang waren die Kaiser einverstanden, die Herrschaft kollegial auszuüben, und 1325 wurde Andronikos III. formell in Konstantinopel zum Kaiser gekrönt. Aber es herrschte eine Atmosphäre des gegenseitigen Mißtrauens und der Intrige. Syrgiannes wurde eines Komplotts zur Ermordung des alten Kaisers überführt und ins Gefängnis geworfen. Der Gouverneur von Thessalonike, Johannes Palaiologos, erklärte sich mit Hilfe des serbischen Königs Stefan Dečanski zum unabhängigen Fürsten. Der
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normale Gang der Regierungsgeschäfte schien suspendiert, und die militärischen Belange des Reiches traten fast gänzlich in den Hintergrund. Türkische Piratenbanden machten die Küste Thrakiens unsicher; und trotz einiger Versuche, die Türken aus Philadelphia zu vertreiben, nahmen die Osmanen im April 1326 die Stadt Brussa in Bithynien. Im Herbst 1327 trat der Kampf in seine dritte und letzte Phase; dieses Mal zog der Krieg weitere Kreise, denn die Herrscher von Serbien und Bulgarien ergriffen auf verschiedenen Seiten Partei. Im Januar 1328 jedoch erklärte sich Thessalonike für Andronikos III., und mit Hilfe von Kantakuzenos und seinen Anhängern in der Stadt zog der junge Kaiser im Mai desselben Jahres in Konstantinopel ein. Andronikos II. wurde zur Abdankung gezwungen; er starb 1332 als Mönch. Sein Groß-Logothet Theodoros Metochites wurde in die Verbannung geschickt. Der Triumph Andronikos’ III. bedeutete in gewisser Hinsicht den Triumph einer neuen Generation mit neuen Ideen. Aber die Jahre des Kampfes hatten die Wirtschaft wieder an den Rand des Abgrunds gebracht, und die Landwirtschaft hatte schweren Schaden erlitten. Zudem hatten die Nachbarn und Feinde des Reichs, Serben, Bulgaren, Italiener und Türken, die verwirrte Lage zu ihrem Vorteil zu nutzen verstanden. Die rechte Hand des neuen Kaisers war Johannes Kantakuzenos, der sich mit dem Amt des Megas Domestikos zufriedengab und eine Beteiligung an der kaiserlichen Gewalt ablehnte. Dank seiner Vermittlung wurde der unzuverlässige Syrgiannes wieder auf freien Fuß gesetzt. Synadenos wurde Präfekt von Konstantinopel, und Alexios Apokaukos bekam die Verwaltung der Staatsfinanzen. Die Regierungsspitze des Byzantinischen Reiches bestand nun aus jüngeren und entschlossener auftretenden Männern. Wie als Beweis dafür führten der Kaiser und sein Megas Domestikos zu Anfang des Jahres 1329 eine Armee nach Bithynien. Doch auch die Osmanen hatten einen neuen Führer. 1326 war Osman gestorben, und an seine Stelle war sein Sohn Orchan getreten. Im Juni 1329 wurde die byzantinische Armee zuerst bei Pelekanon nahe bei Nikomedeia und dann bei Philokrene an der Küste durch Orchan und seine Krieger vernichtend geschlagen. Der Kaiser wurde verwundet, aber Kantakuzenos deckte seinen Rückzug und führte die Überreste der Armee zurück nach Konstantinopel. Die Schlacht bei Pelekanon bedeutet den Anfang vom Ende der Byzantinischen Herrschaft in Bithynien. Nikaia fiel im März 1331 an Orchan, Nikomedeia 1337. Es schien keinen anderen Ausweg zu geben, als mit den Eroberern zu einer Einigung zu kommen. 1333 unterzeichnete Andronikos III. den ersten Byzantinischen Vertrag mit den Osmanen und bewilligte ihnen einen jährlichen Tribut. Eine ähnliche Politik schlug er gegenüber den anderen Emiraten in Kleinasien ein. Im Herbst 1329 erhoben sich die Inselbewohner von Chios gegen ihre genuesischen Herren. Der Kaiser kam ihnen schnell zu Hilfe und brachte die Insel, zusammen mit Phokaia auf dem Festland, wieder unter byzantinische Herrschaft. Von dort aus nahm Andronikos seine ersten direkten Beziehungen
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zu Umur auf, dem Emir von Aydin. Von Umurs Aktionen hatte die westliche Welt bereits Notiz genommen; denn 1332 brachte er den Hafen von Smyrna unter seine Kontrolle und seine Piratenschiffe wagten sich bis zur Insel Negroponte, die von den Venezianern besetzt war, und bis zum griechischen Festland vor. Die Italiener und ganz besonders die Johanniter von Rhodos und der französische König von Cypern erwogen die Bildung einer Liga zur gemeinsamen Verteidigung gegen die Piraten von Aydin und Menteshe. Papst Johannes XXII. griff den Gedanken auf und entwickelte ihn zur Idee eines Kreuzzuges. Aber die Maßnahmen der Ligamitglieder trieben die Byzantiner eher in ein engeres Bündnis mit den Türken. 1335 besetzten die Genueser, unterstützt von den Johannitern, die Insel Lesbos und versuchten, Chios wieder in die Hand zu bekommen. Auf den Rat von Kantakuzenos rief Andronikos III. sofort die Türken zu Hilfe. Umur von Aydin traf sich bei Kara Burun gegenüber von Chios mit den Byzantinern; dort wurde 1335 ein Vertrag geschlossen. Umur lieh dem Kaiser Schiffe, damit er Lesbos wiedererobern könne, und erhielt für seine Dienste eine große Geldsumme. Der Vertrag implizierte, daß die Byzantiner nun die unabhängige Existenz des Emirates von Aydin anerkannten. Doch für einige Jahre brachte er Frieden in dieser Region und garantierte einen ständigen Nachschub an türkischen Soldaten, die für die byzantinische Sache kämpften. Mittlerweile war auf dem Balkan zwischen Serbien und Bulgarien Krieg ausgebrochen. 1330 schlugen die Serben die bulgarische Armee bei Velbužd (Küstendil). Der Konflikt selbst war für Byzanz nur indirekt von Belang; aber die Folgen waren alarmierend. In Serbien gelangte nämlich ein neuer König zur Macht, Stefan Uroš IV., bekannt unter dem Namen Dušan; er sollte jahrelang die Geschehnisse auf dem Balkan bestimmen. Durch die Heirat mit einer Schwester des bulgarischen Zaren Ivan Alexander verband Dušan das weitere Schicksal Bulgariens und Serbiens. Außerdem faßte er die Eroberung aller europäischen Provinzen des Byzantinischen Reiches und sogar Konstantinopels ins Auge. Anfangs wurde er dadurch ermutigt, daß Syrgiannes, den Andronikos zum Gouverneur von Thessalonike ernannt hatte, zu ihm überging. Syrgiannes wurde schließlich von einem Agenten des Kaisers ermordet und die Affäre 1334 mit einem neuen Vertrag zwischen Andronikos und Dušan beendet. Aber Dušan gab die Hoffnung nicht auf, daß andere Byzantiner ihm in ähnlicher Weise in die Hand spielen würden. Das Reich stand unter der Herrschaft Andronikos’ III. zweifellos in einem vergleichsweise besseren Ansehen bei seinen Nachbarn. Der Kaiser hatte den Türken zwar Zugeständnisse machen müssen; aber es war sicherlich besser, sie zu Verbündeten als zu Feinden zu haben. Den Serben, Bulgaren und Italienern gegenüber hatte man jedoch gezeigt, daß Byzanz durchaus noch Widerstandskraft besaß. Auch im Bereich der Innenpolitik wurden einige Reformen in Angriff genommen. Die wirtschaftliche Lage war denkbar schlecht, aber dennoch fanden sich umfangreiche Hilfsquellen, um die Türken ruhig zu
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halten. Männer wie Johannes Kantakuzenos stellten ihr Privatvermögen zur Verfügung, um eine Regierung zu unterstützen, in die sie einigermaßen Vertrauen hatten. Andronikos suchte auch die Korruption zu beseitigen, indem er vier Oberste Richter zur Überwachung der Gesetzespraxis einsetzte. Der Versuch seines Großvaters, einen Obersten Gerichtshof als Berufungsinstanz einzurichten, war 1296 gescheitert. Die Reform Andronikos’ hatte kaum mehr Erfolg, denn die Obersten Richter erwiesen sich bald selbst als bestechlich. Es ist kein Zufall, daß im 14. Jahrhundert die Arbeit der Gerichtshöfe mehr und mehr von der Kirche übernommen wurde. Kläger zogen in allen Arten von Rechtsfällen die Unparteilichkeit eines Patriarchen- oder Bischofstribunals der Käuflichkeit ihres lokalen Gerichts vor. Aber die Institution der Obersten Richter hielt sich und wurde zur gegebenen Zeit durch die Ernennung von Richtern mit gleich umfassenden Machtbefugnissen in anderen Städten erweitert. Der Versuch, dem Gesetz wieder Geltung zu verschaffen, war bei den chaotischen Zuständen des Zeitalters eine beachtliche Leistung. Der bedeutendste sichtbare Erfolg der Regierung jedoch war die Wiedereingliederung der lang verlorenen Provinzen Epiros und Thessalien in das Reich. In Thessalien war 1318 der letzte Abkömmling der griechischen Sonderdynastie gestorben, ohne einen Erben zu hinterlassen. Das Land löste sich auf in einzelne Adelsherrschaften oder verfiel in Anarchie. Die Byzantiner rückten von Thessalonike im Norden ein, die Katalanen von Theben im Süden; albanische Clans erreichten ohne Widerstand die Ebenen in Thessalien. Aber als 1333 der einflußreichste lokale Magnat starb, ergriff der Kaiser, der gerade in Makedonien war, die Gelegenheit, entsandte einige Truppen dorthin und erklärte Thessalien wieder zur kaiserlichen Provinz. Die Bevölkerung, einschließlich der albanischen Einwanderer, ergab sich bereitwillig, und ein kaiserlicher Gouverneur wurde ernannt. Die Wiedereroberung von Epiros kam ein paar Jahre später. Auch hier war der letzte direkte Erbe der unabhängigen griechischen Herrscherfamilie, der Despot Thomas, 1318 gestorben. Epiros ging dann in die Hände der italienischen Familie Orsini über, die seit langem die vorgelagerte Insel Kephalenia regierte. Johannes Orsini (1323–1335) erhielt von Andronikos III. den Byzantinischen Titel eines Despoten. Aber 1335 wurde er von seiner griechischen Gattin Anna vergiftet, die die Regentschaft für ihren Sohn Nikephoros übernahm. Anna suchte ein näheres Zusammengehen mit Byzanz. Zwei Jahre später erschienen Andronikos und Johannes Kantakuzenos, die einen Feldzug in Albanien durchführten, in Epiros und nahmen ihre Unterwerfung entgegen. Aber nicht alle Einwohner von Epiros waren mit ihrer Handlungsweise einverstanden, und ihr Sohn Nikephoros wurde an den Hof der Katharina von Valois verbracht. Als Erbin des Lateinischen Reiches von Konstantinopel versprach sich Katharina sehr viel von der Unterstützung eines Aufstandes gegen die direkte Herrschaft der Byzantiner und schickte Nikephoros mit einer italienischen Flotte zurück in seine Heimat. Die Erhebung konnte sich aber nicht durchsetzen; als Andronikos III. und
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Kantakuzenos militärisch eingriffen, war sie bald unterdrückt. Ende des Jahres 1340 brachte man Nikephoros nach Konstantinopel, wo er später Kantakuzenos’ Tochter Maria heiratete. Gouverneur der wiedergewonnenen Provinz Epiros wurde Kantakuzenos’ Cousin Johannes Angelos; Gouverneur von Thessalonike sein Freund Theodor Synadenos. Die Rückeroberung von ganz Nordgriechenland war ein glänzender Erfolg. Er hätte – nach dem Verlust der Gebiete in Kleinasien – das Wiedererstarken des Byzantinischen Reiches als europäische Großmacht ankündigen können. Aber schon nach wenigen Jahren gingen Epiros wie Thessalien in dem sich ausdehnenden Reich von Stefan Dušan von Serbien auf, das nun die Lebenskraft zu besitzen schien, die Byzanz verloren hatte. Wie die meisten der diplomatischen und militärischen Erfolge Andronikos’ III. war auch dieser weitgehend ein Werk des Johannes Kantakuzenos. Seine Macht und sein Einfluß auf den Kaiser wurden ihm von mehreren seiner Kollegen geneidet; ihre Abneigung trat offen zutage, als Andronikos III. am 15. Juni 1341 starb. Er hatte die Nachfolgefrage nicht klar geregelt. Der älteste seiner drei Söhne, Johannes Palaiologos, war erst neun Jahre alt. Für viele erschien es selbstverständlich, daß Johannes Kantakuzenos, der lebenslängliche Freund des verstorbenen Kaisers, die Regentschaft übernehmen sollte. Aber andere wußten, daß dies der Augenblick war, ihren politischen Gegner zu stürzen. Die verwitwete Kaiserin und Mutter des Kinderkaisers Johannes, Anna von Savoyen, hatte Kantakuzenos niemals gern gesehen. Ein direkter Gegenspieler war der Patriarch Johannes Kalekas, der ebenfalls das Recht für sich in Anspruch nahm, Regent des Reiches zu sein. Der Mann aber, der am besten diese Krise zu nutzen verstand, war der Emporkömmling Alexios Apokaukos, der vor kurzem das Amt eines Megas Dux oder Großadmirals zu seinen anderen einträglichen Posten dazu erhalten hatte. Er war es auch, der den Widerstand gegen Kantakuzenos schürte und sich zusammen mit der Kaiserin und dem Patriarchen gegen ihn verschwor. Die Ungewißheit in der Thronfolge gab den Feinden des Reiches neuen Auftrieb. Dušan von Serbien und Ivan Alexander von Bulgarien schlugen beide aus der Situation Kapital; türkische Piraten trieben sich wieder plündernd an der Küste Thrakiens herum. Aber Kantakuzenos bewies allen, daß er noch Herr der Lage war. Die Serben, Bulgaren und Türken zwang man zu einer vertraglichen Regelung. Auch mit Orchan, dem osmanischen Emir, wurde ein neues Abkommen geschlossen. Kantakuzenos’ Ansehen war so groß, daß sogar einige der französischen Barone der Morea an ihn herantraten und die Übergabe ihrer Herrschaft anboten. Das würde ganz Griechenland wieder mit dem Byzantinischen Reich vereinigt haben; eine solche Gelegenheit durfte nicht verpaßt werden. Im September 1341 verließ Kantakuzenos Konstantinopel, um eine Armee aufzustellen. Mehr als fünf Jahre sollten bis zu seiner Rückkehr vergehen. Sobald er die Stadt verlassen hatte, arrangierten seine Gegenspieler auf Betreiben von Alexios Apokaukos einen Staatsstreich. Der Patriarch Johannes
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Kalekas wurde als Regent ausgerufen; das Amt des Stadtpräfekten übernahm Apokaukos. Die Kaiserin unterzeichnete einen Befehl an Kantakuzenos, sein Kommando niederzulegen. Am 26. Oktober 1341, im Hauptquartier bei Didymoteichos in Thrakien, ließ sich Kantakuzenos von seinen Anhängern zum Kaiser proklamieren. Diese Entscheidung war ihm, wie er selbst sagte, aufgezwungen worden. Aber er bestand darauf, daß er nur der Platzhalter für den legitimen Erben Johannes Palaiologos sei; von diesem Grundsatz ist er niemals abgegangen. Die Regentschaft in Konstantinopel jedoch betrachtete die Sachlage mit anderen Augen; zum zweitenmal brach der Bürgerkrieg aus. Der Patriarch exkommunizierte Kantakuzenos und krönte im November 1341 Johannes Palaiologos als Kaiser Johannes V. Der zweite Bürgerkrieg hatte noch verheerendere Folgen als der erste. Der Spielraum für das Eingreifen von fremder Seite war viel größer; aber auch soziale und politische Spannungen entluden sich mit ungeahnten Folgen. Die armen und unterprivilegierten Schichten wußten sehr gut, daß Kantakuzenos die reiche landbesitzende Klasse vertrat und von ihr hauptsächlich gestützt wurde. Apokaukos verstand es, ihre Erbitterung zu seinem Vorteil auszunutzen, indem er sich zu ihrem Anwalt aufwarf und den Mob von Konstantinopel aufwiegelte, den Besitz des Adels zu zerstören. Die Reaktion wuchs sich schnell zur Revolution aus. Es ist bezeichnend, daß die Bewegung mehr die Stadtgebiete als das flache Land erfaßte. Die dem Reich verbliebenen Städte hatten mit der Zeit eine eigene Munizipalregierung aufgebaut, als ihre Verbindungen mit der Hauptstadt zurückgingen. In einigen der weiter entfernt gelegenen Städte wie Monemvasia oder Joannina wurde diese Entwicklung durch die kaiserliche Politik gefördert; ihren Einwohnern wurden von den Herrschern Privilegien verbrieft. Die ärmere Bevölkerungsschicht der Städte in Thrakien kam kaiserlicher Förderung zuvor, indem sie das Recht in die eigene Hand nahm. Bald nach der Proklamation Kantakuzenos’ zum Kaiser in Didymoteichos trieben die Einwohner des nahe gelegenen Adrianopel ihre Aristokraten zusammen und bildeten eine Revolutionsregierung. Ihr Beispiel machte schnell in anderen Städten Schule. Die besitzenden Klassen wurden als Anhänger Kantakuzenos’ gebrandmarkt und überall enteignet. In Thessalonike nahm die Revolution einen besonderen Verlauf; denn sie wurde hier von einer Art politischer Partei, die ein Reformprogramm entwickelt hatte, getragen. Sie selbst nannten sich die »Zeloten« (Eiferer) und rissen die Macht an sich, als sie hörten, daß Kantakuzenos auf das Ersuchen des Adels hin auf ihre Stadt marschiere. Der Gouverneur Synadenos wurde vertrieben, und einige Tage herrschte in Thessalonike Aufruhr, bis die »Eiferer« die Oberhand gewannen. Hier wie anderswo beeilte sich die Regierung in Konstantinopel, das neue Regime anzuerkennen. Apokaukos ernannte seinen Sohn Johannes zu seinem Vertreter in der Stadt, wie er es schon zuvor mit seinem anderen Sohn Manuel in Adrianopel gemacht hatte.
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Diese Ereignisse konnten Johannes Kantakuzenos jedoch nicht veranlassen, den Kampf aufzugeben. Für die kommenden zwei Jahre schienen jedoch seine Erfolgschancen gering. Von Thrakien war er abgeschnitten, der Weg nach Thessalonike war ihm versperrt; so suchte er zunächst 1342 bei Stefan Dušan in Serbien Zuflucht. Dušan jedoch erwies sich als unzuverlässiger Freund; als sich die Provinz Thessalien und einige Städte in Makedonien für Kantakuzenos erklärten, ließ er ihn im Stich und wechselte die Fronten. Kantakuzenos bemühte sich auch um die Hilfe Umurs von Aydin, der zweimal zu seiner Unterstützung eingriff; aber nicht einmal mit einer Armee von 6000 türkischen Soldaten konnte er Thessalonike einnehmen. Er konnte sich jedoch mit ihrer Hilfe wenigstens nach Didymoteichos in Thrakien zurückkämpfen. Dort wollte er seine Angriffskraft konzentrieren, um seine Gegenspieler in Konstantinopel auszuschalten. Damit überließ er Makedonien seinem Schicksal in den Händen der Serben. Dušans Armee hatte Thessalonike schnell eingekreist und nahm im September 1345 mit der Stadt Serrhes eine Schlüsselposition. Am 16. April 1346 ließ sich Dušan zum Kaiser der Serben und Griechen krönen und forderte damit beide griechischen Anwärter auf den Thron von Byzanz heraus. Die Regierung in Konstantinopel hatte nur wenig Vorteil von ihren Bündnissen mit den Serben und Bulgaren. Kaiserin Anna versuchte, den Papst für ihre Sache zu interessieren, und brachte 1343 etwas Geld auf, indem sie die Kronjuwelen an Venedig verpfändete. Aber zu Beginn des Jahres 1345 öffnete Adrianopel Kantakuzenos seine Tore, und bald hatte er die Hauptgebiete Thrakiens in seiner Hand. Da Alexios Apokaukos einen Gegenschlag in Konstantinopel befürchtete, wurden seine Maßnahmen immer repressiver, bis er im Juni 1345 von einigen seiner politischen Häftlinge umgebracht wurde. Mit der Ermordung des Apokaukos, der eine treibende Kraft des Bürgerkrieges gewesen war, wurde das Ende des Krieges absehbar. Sein Sohn Johannes versuchte, in Thessalonike eine Gegenrevolution in Gang zu bringen; sie wurde von den Zeloten, deren Herrschaft von da an zunehmend radikaler und autonomer wurde, in einem Meer von Blut erstickt. In den letzten Jahren des Kampfes hatte Kantakuzenos ohne die Hilfe seines türkischen Freundes Umur von Aydin auskommen müssen; denn im Oktober 1344 hatte die westliche Liga der christlichen Mächte, die von Papst Klemens IV. von neuem ins Leben gerufen worden war, den Hafen von Smyrna erobert. Beim Versuch, ihn zurückzugewinnen, wurde Umur dann 1348 getötet. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte sich Kantakuzenos der Unterstützung der Osmanen in Bithynien versichert, die dem Kriegsschauplatz näher waren. 1346 verheiratete er seine Tochter Theodora mit Orchan, der ihm den Truppennachschub für Thrakien stellte. Am 21. Mai desselben Jahres wurde Kantakuzenos in Adrianopel vom Patriarchen von Jerusalem zum Kaiser gekrönt. Jetzt war er faktisch und formell Kaiser. Am 2. Februar 1347 schließlich gelang es ihm, mit einer kleinen Gefolgschaft bei Nacht in Konstantinopel einzudringen. Kaiserin Anna machte in letzter Stunde eine versöhnliche Geste, indem sie dafür sorgte,
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daß der Patriarch Johannes Kalekas entlassen wurde. Aber es dauerte fast eine Woche, bevor sie zu Verhandlungen bereit war. Die Bedingungen lauteten: Kantakuzenos regiert als Johannes VI. zehn Jahre lang als älterer Amtskollege zusammen mit dem jungen Kaiser Johannes V.; Johannes V. heiratet seine Tochter Helena. Gerichtliche Untersuchungen oder Gegenklagen gibt es nicht. Unter die Vergangenheit sollte ein Schlußstrich gezogen werden. Eine so großzügige Regelung verhieß Gutes für die Zukunft. Aber die Narben des Bürgerkrieges konnten nicht so einfach beseitigt werden. Die Folgen für die Gesellschaft und Wirtschaft waren katastrophal. Thessalonike war noch eine unabhängige Republik und sollte es weitere drei Jahre bleiben. Die türkischen Truppen von Umur und Orchan hatten für ihre Dienste einen schwindelerregenden Preis verlangt. Aber auch religiöse Motive waren mit in den Konflikt verwoben. Theologie und Politik waren in Byzanz niemals streng getrennte Bereiche. In den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts war ein Streit über die mystischen Praktiken einer kleinen, aber einflußreichen Gruppe von Mönchen auf dem Berg Athos entstanden. Sie waren als Hesychasten bekannt und verwandten eine Technik der Meditation, die es ihnen ermöglichte – wie die Eingeweihten behaupteten –, das Göttliche Licht mit sterblichen Augen zu erblicken oder vom Licht der Verklärung erleuchtet zu werden. Ihre Methoden, die verblüffende Ähnlichkeit mit denen des Yoga haben, waren leicht lächerlich zu machen. So wurden sie von einem italienischen Griechen namens Barlaam von Kalabrien, der in Konstantinopel einen gewissen Ruf als Wanderphilosoph genoß, als Scharlatane angegriffen. Barlaam stellte einen tieferen theologischen Sinn des Hesychasmus in Frage. Die Mönche von Athos verteidigten ihre mystische Lehre mit einem Manifest, das Gregor Palamas, der führende Vertreter des Hesychasmus, verfaßt hatte. Palamas wurde von Johannes Kantakuzenos gestützt, der – wiewohl ein Bewunderer von Barlaams Intelligenz – die Theologie der Hesychasten für zweifelsfrei orthodox hielt. Der Patriarch berief auf den 10. Juni 1341 ein Konzil der Bischöfe ein. Kaiser Andronikos III. hatte den Vorsitz. Barlaam von Kalabrien wurde verurteilt und ging nach Italien zurück. Die Angelegenheit hätte damit enden können, wenn nicht einige byzantinische Theologen Barlaams Zweifel geteilt hätten. Im August 1341 mußte ein zweites Konzil einberufen werden, auf dem ihr Wortführer, Gregorios Akindynos, verurteilt wurde; Palamas und seine Theologie wurden erneut gerechtfertigt. Den Vorsitz bei diesem zweiten Konzil führte Johannes Kantakuzenos; Andronikos III. war zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Auf diese Weise wurde die Auseinandersetzung über den Hesychasmus, die eigentlich in den Bereich der reinen theologischen Diskussion gehörte, in die politische Rivalität zwischen Kantakuzenos und dem Patriarchen Kalekas hineingezogen. Von 1341 bis 1347, also während des ganzen Bürgerkrieges, war die theologische Streitfrage immer unterschwellig spürbar. Es war bekannt, daß Palamas der Freund und Schützling Kantakuzenos’ war; er wurde inhaftiert und vom Patriarchen exkommuniziert. Die Gegner der Hesychasten sammelten sich um den Patriarchen und Kaiserin
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Anna; führend unter ihnen waren Akindynos und der Historiker Nikephoros Gregoras. Aber die Mönche des Athos standen mit ihrer moralischen Autorität hinter Johannes Kantakuzenos, und sein Endsieg bedeutete unausweichlich auch den Triumph des Hesychasmus. Der Patriarch wurde im Februar 1347 von seinen eigenen Bischöfen abgesetzt. An seiner Stelle wählte man einen dem Hesychasmus anhängenden Mönch namens Isidoros; Kalekas und alle Gegner des Hesychasmus wurden im selben Jahr von zwei weiteren Konzilien verurteilt. Palamas erhielt Thessalonike zum Bischofssitz. Auf einem Konzil in Konstantinopel wurde schließlich 1351 die Orthodoxie der Hesychasten verkündet. Kantakuzenos führte den Vorsitz, und man stellte fest, daß die Lehre des Palamas in allen Punkten mit der mystischen Theologie der früheren Byzantinischen Kirchenväter übereinstimmte. Palamas’ Ansehen war so groß, daß er kurz nach seinem Tod im Jahr 1360 kanonisiert und selbst in die Reihe dieser Väter aufgenommen wurde. Viele Hesychasten trieben jedoch mit ihrem Erfolg Mißbrauch; einige ihrer Gegner, vor allem Gregoras, wurden bösartig verfolgt, weil sie sich weigerten, ihre religiöse Überzeugung zu verleugnen. Am 21. März 1347 wurde Johannes Kantakuzenos von dem neuen Patriarchen Isidoros zum zweitenmal gekrönt; wenige Tage später heiratete seine Tochter Helena Johannes Palaiologos. Noch immer war es Kantakuzenos’ erklärte Absicht, die Rechte Johannes’ V. zu wahren, und alle Amtsträger waren gehalten, beiden Kaisern den Treueeid zu leisten. Diese Anordnung traf nicht nur bei den Parteigängern der Palaiologen-Dynastie, die Kantakuzenos als Usurpator ansahen, auf heftigen Widerstand, sondern auch bei seinem ältesten Sohn Matthäos, der hoffte, Johannes V. die Vorrangstellung nehmen zu können. Politisch war deshalb das Reich noch immer gespalten, und im sozialen Bereich blieb der Konflikt zwischen herrschender Klasse und Untertanen bestehen. Es ist nicht auszuschließen, daß Johannes VI. einige Mißstände im Reich beseitigt hätte, wenn ihm die Umstände vergönnt hätten, seine politischen Ziele zu verwirklichen. Nach der Kapitulation des französischen Fürstentums in Griechenland im Jahr 1341 hatte er mit der Möglichkeit gerechnet, das Reich als geschlossene und überschaubare Einheit auf europäischem Territorium wiederherstellen zu können. 1347 war es für einen solchen Plan zu spät. In diesem Jahr wütete in Konstantinopel und anderen Städten die Pest, die genuesische Schiffe aus der Krim eingeschleppt hatten. Über die Verlustzahlen sind keine verläßlichen Statistiken erhalten. Die Byzantinischen Historiker, unter ihnen Kantakuzenos, erwähnen die Pest lediglich als entsetzliche Katastrophe; sie muß die Byzantiner noch mehr entmutigt und zur Hoffnungslosigkeit getrieben haben. Ein prominentes Opfer war Kantakuzenos’ Cousin Johannes Angelos, der Gouverneur von Thessalien und Epiros. Durch seinen Tod war Nordgriechenland abermals der Auflösung preisgegeben; 1348 entsandte Stefan Dušan zwei serbische Armeen in das ungeschützte Gebiet. Innerhalb weniger Monate waren beide griechischen Provinzen in das Serbische Reich eingegliedert, das sich nun von der Donau über das Adriatische Meer bis zum
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Golf von Korinth erstreckte. An Größe und Reichtum war das von Dušan regierte Reich der Serben und Griechen den kümmerlichen Überresten des Byzantinischen Reiches um ein Vielfaches überlegen. Aber nicht in allem konnte Dušan seinen Willen durchsetzen; denn 1350 übernahm Kantakuzenos Thessalonike von den Zeloten. Ihre Revolution hatte zu diesem Zeitpunkt ihre Stoßkraft verbraucht, und zwischen den Führern war es zu Auseinandersetzungen gekommen. Kantakuzenos hatte schneller eingegriffen als Dušan, wenngleich er ohne die große Armee, die ihm sein türkischer Schwiegersohn Orchan geschickt hatte, kaum Erfolg gehabt hätte. Auch eine Anzahl anderer makedonischer Städte wurde den Serben entrissen. Dušan wurde in die Defensive gedrängt, wenn auch nur vorübergehend. Thessalonike, das nun wieder zum Reich gehörte, wurde 1351 die neue Hauptstadt des jüngeren Kaisers Johannes V. Es gehörte zu Kantakuzenos’ Politik, die zerstreuten Teile des kaiserlichen Territoriums dadurch zu koordinieren, daß er sie einzelnen Mitgliedern der herrschenden Familien als Apanage überließ. 1349 hatte er seinen zweiten Sohn Manuel in die byzantinische Provinz Morea geschickt, um dort im Rang eines Despoten das Kommando zu übernehmen. Seinem ältesten Sohn Matthäos war ein Fürstentum in Thrakien verliehen worden. Jetzt, da praktisch Kleinasien an die Türken und Nordgriechenland an die Serben gefallen war, stellten Thrakien und Morea die bedeutendsten Provinzen dar. Dieses feudalen Methoden angenäherte System, Provinzen in Apanagen der Krone umzuwandeln, das noch Andronikos II. nicht in Betracht ziehen wollte, wurde auch unter den Nachfolgern von Kantakuzenos beibehalten; und zumindest in Morea funktionierte es bemerkenswert gut, denn Manuels Verwaltung gab dem Byzantinischen Griechenland neue Lebenskraft. Auch in anderer Hinsicht trug Kantakuzenos einiges zum Wiederaufbau bei. Es war freilich ein mühsames Ringen. Die Hagia Sophia war durch ein Erdbeben so stark beschädigt, daß sie zu seiner Krönung nicht benutzt werden konnte; das Geld, das der Großfürst von Moskau großzügig für die Reparaturarbeiten zur Verfügung gestellt hatte, mußte an die türkischen Söldner gezahlt werden. Die Verarmung spiegelte sich im Niedergang der Lebenshaltung am Hof wider. Die Kronjuwelen waren noch an Venedig verpfändet; bei der Hochzeitsfeier Johannes’ V. mußte Tongeschirr das Gold- und Silberservice ersetzen. Die Venezianer verlangten bezeichnenderweise, daß die Schulden nicht mit dem inzwischen hoffnungslos entwerteten Hyperpyron abbezahlt wurden, sondern in ihrer eigenen Dukatenwährung, die die byzantinische Goldwährung im internationalen Handel überrundet hatte. Als einen der vordringlichsten Punkte erachtete Kantakuzenos den Wiederaufbau einer starken Flotte, einerseits um Konstantinopel gegen Stefan Dušan verteidigen zu können, der vergeblich versuchte, Venedig um Schiffe anzugehen; andererseits, um weniger auf die Genueser angewiesen zu sein. Während des Bürgerkrieges hatten sie der Regentschaft in Konstantinopel Finanzhilfe geleistet, und sie unterstützten Kantakuzenos’ Gegenspieler auch weiterhin. 1346 brachten sie Chios wieder an
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sich; die Jahreseinkünfte ihrer Kolonie bei Galata wurden fast siebenmal so hoch wie die von Konstantinopel eingeschätzt. Um die Handelsschiffahrt vom Hafen von Galata abzulenken, senkte Kantakuzenos die Zölle für Einfuhrgüter nach Konstantinopel. Schwieriger jedoch war es für ihn, das Geld für den Bau einer neuen Flotte aufzubringen; wer noch im Besitz von einigem Reichtum war, dachte nicht daran, ihn in ein so unsicheres Abenteuer zu investieren. Auch die Genueser wurden unruhig, weil bei einem Erfolg Kantakuzenos’ ein Teil ihres einträglichen Handels am Bosporus verlorengehen könnte. Als sich im August 1348 der Kaiser nicht in der Hauptstadt befand, segelten sie von Galata hinüber nach Konstantinopel und griffen es an. Sie wurden zurückgeschlagen, aber ihr Vorgehen brachte die Byzantiner endlich dazu, die Pläne ihres Kaisers für den Bau von Schiffen zu unterstützen. Steuern wurden erhoben, und im Frühjahr 1349 stach eine byzantinische Flotte in See, um die Genueser zu demütigen. Sie wurde sofort vernichtet, zum Teil infolge der Unerfahrenheit ihrer Befehlshaber. Daraufhin sah sich der Kaiser gezwungen, mit Genua einen neuen Vertrag zu unterzeichnen. Aber er ging nicht von seiner Politik ab. Den Byzantinern wurden noch höhere Steuern zugemutet, einige davon in noch nie dagewesener Form, um die Handelsbilanz zu aktivieren und Kapital zum Bau einer zweiten Flotte zu bekommen. Die Genueser waren beeindruckt. Sie erklärten sich bereit, Kantakuzenos als Kaiser anzuerkennen, und man kam sogar über das Besitzrecht von Chios zu einer Einigung; Genua zahlte von jetzt ab eine jährliche Pachtsumme dafür. Auch die Venezianer hielten den Augenblick für gekommen, ihren Vertrag mit Byzanz zu erneuern. Der Kaiser war vielleicht der Meinung, er schütze sich gegen die Italiener. Er konnte nicht vorhersehen, daß umgekehrt sie es waren, die ihn in ihre Auseinandersetzungen verwickelten. 1351 wurde er widerwillig zum Verbündeten der Venezianer in einem Krieg gegen Genua. Man kämpfte in Byzantinischen Gewässern um die Kontrolle über den Handel, der eigentlich ein byzantinischer Handel war. Den Höhepunkt bildete im Februar 1352 eine große Seeschlacht im Bosporus. Das Ergebnis war nicht eindeutig, aber die venezianische Flotte segelte ab und überließ es dem Kaiser, so gut als möglich in einem neuen Vertrag vom Mai 1352 mit den Genuesern Bedingungen auszuhandeln. Mehr und mehr war Byzanz auf Gnade und Ungnade seinen auswärtigen Feinden ausgeliefert, die ohne Schwierigkeiten die latente Rivalität zwischen den kaiserlichen Familien herausfordern und ausnützen konnten. Thessalonike, wo Johannes V. Kaiser war, wurde zum Mittelpunkt der Gegner Kantakuzenos’. Die Venezianer boten ihm Finanzhilfe für einen Aufstand. Stefan Dušan brannte auf Beteiligung. Eine Zeitlang konnte Kantakuzenos den Frieden noch wahren, indem er Johannes V. eine Apanage in Thrakien überließ. Dessen Stellung in Thessalonike nahm seine Mutter, Anna von Savoyen, ein. Aber Johannes V. zum Nachbarn in Thrakien zu haben, war kein beruhigender Gedanke für Matthäos
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Kantakuzenos. Im Herbst des Jahres 1352 brach zwischen beiden Krieg aus und Matthäos wurde in Adrianopel eingeschlossen. Sein Vater befreite ihn mit von Orchan gestellten Truppen, die das Land verwüsteten. Johannes V. erkämpfte sich seinen Rückzug mit Soldaten, die ihm von Serbien und Bulgarien zum Entsatz geschickt und aus venezianischen Hilfsgeldern bezahlt worden waren. Die Kämpfe um den Thron von Byzanz wurden nun zwischen den Serben und Türken ausgetragen, die zur Unterstützung der griechischen Prätendenten herbeigerufen worden waren. Die Türken erwiesen sich als rücksichtsloser und erfolgreicher. Im Frühjahr 1353 setzte Kantakuzenos Johannes V. fest und verbannte ihn auf die Insel Tenedos. Dann wurde Matthäos zum Mitkaiser proklamiert. Der Patriarch erhob Einspruch und trat zurück. Im Februar 1354 wurde Matthäos von seinem Nachfolger gekrönt.
Abb. 21: Johannes Kantakuzenos als Kaiser und Mönch
Es sah so aus, als werde die Dynastie Kantakuzenos an die Stelle der Palaiologen treten. Aber die öffentliche Meinung wandte sich gegen diesen Wechsel. Kantakuzenos hatte seiner Sache sehr geschadet, als er die Türken nach Europa rief, um seine Schlachten zu schlagen. Denn sie waren nur zu leicht geneigt, ihre Kampagnen zu einem Heiligen Krieg auszuweiten, und es wurde immer schwieriger, sie zum Abzug zu bewegen, wenn ihr Auftrag erfüllt war. Kantakuzenos’ persönliche Verwandtschaft mit Orchan war eine gewisse
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Garantie gewesen. Aber Orchans Sohn Suleiman fühlte sich weniger durch personelle Rücksichten gebunden. 1352 hatten Suleimans Truppen die Festung Tzympe nahe bei Gallipoli besetzt. Es war die erste dauerhafte Etablierung der Osmanen auf europäischem Boden. Kantakuzenos verhandelte mit Orchan über ihren Abzug. Aber nachdem Gallipoli selbst von einem Erdbeben zerstört und verwüstet worden war, marschierte Suleiman im März 1354 ein, nahm die Ruinen in Besitz und baute die Stadt wieder auf. Es war die Schlüsselstellung, von der aus man die Überfahrt über den Hellespont von Asien nach Europa kontrollieren konnte. Nicht einmal Orchan dachte daran, sie aufzugeben, und bald setzten große Scharen von türkischen Einwanderern über. Die allgemeine Mißstimmung gegen Kantakuzenos erreichte jetzt ihren Höhepunkt. Im November 1354 verließ Johannes V., der schon einmal einen Versuch unternommen hatte, den Weg nach Konstantinopel zu erzwingen, Tenedos und gelangte heimlich bei Nacht in die Stadt. Eine Quelle berichtet, daß er von einem genuesischen Abenteurer namens Francesco Gattilusio unterstützt wurde, den er später mit der Hand seiner Schwester und der Insel Lesbos belohnte. Die Bevölkerung der Hauptstadt empfing Johannes V. mit Begeisterung. Für etwa drei Wochen willigte er ein, zusammen mit seinem Schwiegervater die Herrschaft auszuüben. Aber dieses Abkommen erwies sich als undurchführbar. Am 4. Dezember dankte Kantakuzenos ab und ging in ein Kloster in Konstantinopel. Dort, als Mönch Joasaph und nicht als Kaiser Johannes VI., schrieb er seine Memoiren und auch seine verschiedenen theologischen Werke, einige davon zur Verteidigung des Hesychasmus. Aber er hatte die Geschicke des Byzantinischen Reiches zu stark geprägt, um nun einfach als Einsiedler leben zu können; sein Einfluß, als direkte oder hinter dem Thron stehende Macht, ließ sich noch für lange Jahre beobachten. Auch seine Familie behauptete ihren Einfluß. Sein zweiter Sohn Manuel blieb als Despot in Morea. Der älteste Sohn Matthäos, der im Besitz der Krone und des Kaisertitels war, setzte den Bürgerkrieg nach der Abdankung seines Vaters fort. Über zwei Jahre lang wurde in Thrakien zwischen Johannes V. und Matthäos, zwischen den Palaiologen und den Kantakuzenen, Krieg geführt, bis Matthäos von einem serbischen Heer geschlagen und an seinen Gegner ausgeliefert wurde. Er ging dann zu seinem Bruder in die Morea und übernahm dort für kurze Zeit die Herrschaft, als Manuel 1380 starb. In Mistra, das die beiden Brüder Kantakuzenos in die blühendste Provinzstadt des Reiches verwandelt hatten, starb auch ihr Vater, der Kaiser und Mönch Johannes-Joasaph in hohem Alter im Juni 1383. IV. Byzanz als Vasallenstaat der Türken: Johannes V. und Manuel II., 1354– 1402 Das Jahr 1354 bedeutet einen Wendepunkt in der Geschichte des Byzantinischen Reiches. In dieses Jahr fiel die erzwungene Abdankung des einzigen Mannes, der
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für die innen- und außenpolitischen Probleme des Reiches konstruktive Lösungen bereit hatte. In dasselbe Jahr fiel auch die erste dauernde Ansiedlung von Türken in Europa. Johannes V. Palaiologos war zweiundzwanzig Jahre alt, als er Alleinherrscher wurde. Er behauptete sich, mit einigen Unterbrechungen, siebenunddreißig Jahre auf dem Thron; aber am Ende seiner langen Regierungszeit hatte er weniger vorzuweisen als am Anfang. 1354 war die stärkste Macht in Osteuropa und die einzige, die die Türken vielleicht wieder hätte zurückdrängen können, das Serbische Reich. Stefan Dušan kam seinem ehrgeizigen Ziel sehr nahe; aber im Dezember 1355 starb er und sein Riesenreich wurde wie das Alexanders des Großen geteilt und zerfiel unter seinen Nachfolgern. Johannes Kantakuzenos hatte versucht, Bande persönlicher Freundschaft mit den türkischen Anführern zu erhalten. Diese Politik, selbst wenn sie sich auch unter einem anderen Kaiser als gangbar erwiesen hätte, war in dem Augenblick diskreditiert, als die Osmanen Gallipoli besetzten. Johannes V. kam zur Ansicht, daß die einzige Hoffnung auf Rettung darin bestand, an das Gewissen der westlichen Christenheit zu appellieren. Er war dazu sehr wohl in der Lage, denn durch seine Mutter, Anna von Savoyen, war er mit verschiedenen prominenten Familien in Westeuropa verwandt. Aber er wandte sich mit seinem Hilfegesuch an den Papst. Am 15. Dezember 1355 bat er Papst Innozenz VI., eine Flotte von 20 Schiffen und ein Heer mit 1500 Mann nach Konstantinopel zu schicken. Als Gegenleistung versprach er die sofortige Bekehrung der Byzantiner zum römischen Glauben und die Entsendung seines Sohnes Manuel als Geisel an die Kurie. Das waren außergewöhnliche Versprechungen. Sie brachten den Papst in Verlegenheit. Papst Innozenz VI. und vor ihm besonders Papst Klemens VI. hatten einige Male mit Johannes Kantakuzenos in Verhandlungen gestanden. Kantakuzenos hatte in Klemens’ Liga der christlichen Mächte, die 1344 Smyrna erobert hatte, eine potentiell den Byzantinischen Interessen gefährliche Macht gesehen. Seine Verhandlungen mit dem Papst zielten darauf ab, die Liga zu einem Verbündeten zu machen. Damit wurde unvermeidlich die Frage der Wiedervereinigung der Kirchen angeschnitten. In diesem Punkt zeigte sich Kantakuzenos zu keinen Konzessionen bereit, außer daß er den Vorschlag machte, die Angelegenheit zur Beilegung vor ein Konzil zu bringen, aber vor ein wirklich ökumenisches, anders als das Zweite Konzil von Lyon. Kantakuzenos hatte also mit den Päpsten als Gleichberechtigter, nicht als Bittsteller unterhandelt. Der Vorschlag, den Johannes V. 1355 vorbrachte, trug einen davon recht abweichenden Charakter. Aber Innozenz VI. hatte gute Gründe, die Byzantinischen Verhältnisse für labil zu halten, und nahm schon deshalb das Anerbieten nicht sehr ernst. Er gab seinem Legaten Peter Thomas, der gerade in Serbien war, den Auftrag, nach Konstantinopel zu reisen und mit Johannes V. zu verhandeln; und dabei ließ er die Sache bewenden.
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Johannes V. klammerte jedoch weiterhin seine Hoffnungen eher an eventuelle Bündnisse mit den Lateinern als an irgendeine Einigung mit den Türken. Lesbos hatte er schon seinem Schwager Gattilusio überschrieben. Auch Chios überließ er schließlich den Genuesern. Im Jahr 1357 erneuerte er den Byzantinischen Vertrag mit Venedig. Währenddessen aber setzten die Türken ununterbrochen ihre Eroberungen in Europa fort. Nicht alle von ihnen waren Osmanen. Es gab türkische Banden im Gebiet von Thrakien, die ursprünglich auf Piratenzügen aus den Emiraten von Saruchan und Aydin herübergekommen waren. Ihre Anführer verbanden sich mit Orchans Sohn Suleiman, sobald mit Gallipoli eine Ausgangsbasis für die Türken gewonnen war. 1359 drangen einige sogar bis zu den Stadtmauern von Konstantinopel vor. Im selben Jahr starb Suleiman. Sein Vater Orchan folgte ihm 1362. Zu diesem Zeitpunkt war auch Didymoteichos, die eine der zwei größten Städte in Thrakien, schon in die Hände der Türken gefallen; 1363 eroberten sie Philippopel im oberen Maritza-Tal. Orchans Nachfolger als Emir der Osmanen war Murad, der einige Jahre lang damit beschäftigt war, seine Ländereien in Asien gegen seine eigenen Brüder zu verteidigen. Die türkischen Einfälle in Thrakien gingen zwar unvermindert weiter; aber es fehlte ihnen die zentrale Leitung, und ein gut organisierter Gegenangriff hätte Aussicht auf einen gewissen Erfolg gehabt. Johannes V. versuchte auf alle erdenkliche Art, das Interesse an einer Vertreibung der Türken aus Europa zu wecken. 1363 begab sich der Patriarch in einer Mission nach Serbien. Zugleich wurde aus dem entfernteren Westen berichtet, daß im Namen des französischen Königs von Cypern, Peter von Lusignan, ein neuer Kreuzzug geplant werde. 1364 trat der Kaiser in Verbindung mit Papst Urban V. in Avignon. Ohne Zweifel war er darüber unterrichtet, daß sein Cousin, Amadeo von Savoyen, beabsichtigte, an dem Kreuzzug teilzunehmen, ebenso wie der König von Ungarn, Ludwig der Große. Diese Überlegungen veranlaßten Johannes V., 1366 Ungarn einen Besuch abzustatten. Noch kein Kaiser jemals zuvor hatte sich dazu erniedrigt, hilfesuchend den Hof eines fremden Monarchen aufzusuchen; aber Ludwig von Ungarn war der nächste katholische Nachbar von Byzanz und mochte am ehesten die Gefahr der Türken für Europa erkannt haben. Für den Augenblick jedoch war Ludwig mehr damit befaßt, gegen die Bulgaren Krieg zu führen, und in jedem Fall zog er es gar nicht in Betracht, den Byzantinern zu helfen, solange sie durch das Schisma von der katholischen Kirche getrennt blieben. So kehrte der Kaiser nach Hause zurück, ohne etwas erreicht zu haben. Unterwegs wurde er an der Grenze von den bulgarischen Behörden angehalten, die ihm die Durchreise durch ihr Land verweigerten. In seiner Abwesenheit war jedoch unerwartet Amadeo von Savoyen in Konstantinopel mit einem kleinen Heer und einer kleinen Flotte aufgetaucht. Im August 1366 erreichte er den Hellespont und entriß den Türken Gallipoli, bevor er nach Konstantinopel weitersegelte. Dort erfuhr er, daß der Kaiser an der bulgarischen Grenze aufgehalten werde. Unverzüglich kreuzte Amadeo in das
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Schwarze Meer und zwang die Bulgaren zur Freilassung Johannes’ V. Damit war er nahezu an der Grenze seiner militärischen Möglichkeiten, seine dürftigen Mittel waren erschöpft. Aber er hatte noch andere Aufgaben: in seiner Begleitung befand sich ein päpstlicher Legat, Paul, früher Bischof von Smyrna und nun lateinischer Patriarch von Konstantinopel. Er und Amadeo waren darauf aus, Kaiser Johannes von den Vorteilen einer Union mit der Römischen Kirche zu überzeugen. So diskutierte man 1367 über Möglichkeiten, dies zu erreichen. Johannes V. selbst war leicht zu überzeugen, aber er wußte, daß sein Patriarch und seine Bevölkerung jeglichen Gedanken an Unterwerfung weit von sich weisen würden. Es war eine Prioritätenfrage. Als er sich 1355 an Innozenz VI. wandte, hatte Johannes vorgeschlagen, daß die Union erst geschlossen werde, wenn der Papst die militärische Hilfe geleistet habe. Die Päpste machten grundsätzlich die Union zur Vorbedingung für eine materielle Hilfe. Aber nun hatte Amadeo durch die Wiedergewinnung Gallipolis für die Griechen gezeigt, daß es der Westen ernst meinte. Trotzdem bat der Kaiser Johannes Kantakuzenos aus seiner mönchischen Abgeschiedenheit zu sich, um dem päpstlichen Legaten die orthodoxe byzantinische Auffassung der Frage darlegen zu lassen; Kantakuzenos betonte abermals mit großem Nachdruck, daß die wahre Einheit der Kirche niemals eine Angelegenheit politischer Zweckmäßigkeit sein könne. Sie mußte auf dem Wege eines ökumenischen Konzils gefunden werden. Paul von Smyrna erklärte sich bereit, diesen Vorschlag dem Papst zu unterbreiten. Aber Amadeo dachte realistischer. Vor seiner Rückkehr nach Italien ließ er den Kaiser das Versprechen geben, daß er sich bekehren werde, und entlockte ihm bestimmte Sicherheiten, die er einlösen könne, wenn er nach Rom komme, um sich dem Papst zu unterwerfen. Aus dem Vorhaben, ein Konzil einzuberufen, wurde nichts, obwohl der Patriarch von Konstantinopel es ernst genug nahm, um die anderen führenden Häupter der orthodoxen Kirche davon in Kenntnis zu setzen. Amadeo von Savoyens Überredung oder Erpressung war von größerem Erfolg gekrönt. Im August 1369 ging Johannes V. nach Rom, bekannte sich im Oktober zum Glauben der Römischen Kirche und schwor den Irrtümern seines orthodoxen Glaubens ab. Aber kein einziger Vertreter der Byzantinischen Kirche begleitete ihn nach Rom. Seine Bekehrung war seine Privatangelegenheit; die Byzantiner betrachteten sie als eine Gewissensfrage ihres Kaisers, die in keiner Weise Rückwirkungen auf ihre Kirche hatte. Das Ergebnis war enttäuschend. Auf seinem Rückweg im Jahr 1370 unterbrach er seine Reise in Venedig und versuchte, ein weiteres Darlehen aufzunehmen. Die Venezianer erinnerten ihn daran, daß er bereits tief in ihrer Schuld stand, und hielten ihn zurück, bis eine Kaution gestellt würde. In dieser Zwangslage willigte er ein, ihnen die strategisch wichtige Insel Tenedos zu verkaufen, an der auch die Genueser interessiert waren. Er schickte seinem ältesten Sohn Andronikos IV., der in der Zwischenzeit Konstantinopel regierte, Anweisungen für den Vollzug des Handels; aber Andronikos, vielleicht von den Genuesern
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unter Druck gesetzt, weigerte sich zu gehorchen. Schließlich mußte Johannes von seinem zweiten Sohn Manuel, damals Gouverneur von Thessalonike, ausgelöst werden; dieser segelte mit ausreichenden Geldmitteln nach Venedig, um seinen Vater loszukaufen. Das Schicksal der Insel Tenedos blieb offen. Aber im Oktober 1371 traf Johannes V. wieder in Konstantinopel ein. Das folgenreichste Ereignis von Amadeos Kreuzzug war die Rückeroberung Gallipolis von den Türken im Jahr 1366. Die Stadt blieb etwa zehn Jahre lang unter byzantinischer Herrschaft und schnitt türkischen Verstärkungen und Siedlern aus Kleinasien den Weg ab. Aber die zahlreichen Türken, die sich schon auf europäischem Boden befanden, ließen sich nicht von weiteren Eroberungszügen abschrecken. 1369 fiel ihnen Adrianopel, die Hauptstadt von Thrakien, in die Hand, und von dort aus begannen sie, nach Makedonien vorzudringen. Die Ghazi-Krieger der Türken kämpften am besten, wenn sie auf Widerstand stießen. In Ostmakedonien hatten zwei Brüder, Vukašin und Johannes Uglješ, auf den Trümmern des Serbischen Reiches von Dušan ein neues Königreich errichtet. Sie, und nicht die Byzantiner, brachten in diesem Teil von Europa eine Gegenoffensive gegen die Türken in Gang. Im September 1371 schlugen sie bei Črnomen am Maritza-Fluß nahe bei Adrianopel eine Schlacht. Beide serbischen Anführer fielen im Kampf, und ihr Heer wurde vernichtet. Dieser Sieg war für die Türken weitaus bedeutender als irgendeine ihrer früheren Eroberungen in Europa. Er öffnete ihnen den Zugang zu ganz Makedonien und ermöglichte es ihnen, von den restlichen serbischen Fürsten Tribute oder militärische Dienste zu fordern. Der Zar von Bulgarien unterstellte sich ihrer Führung und wurde wenig später türkischer Vasall. Auch die Byzantiner blieben von den Auswirkungen der Schlacht am MaritzaFluß nicht unberührt. Johannes V. kehrte nur einen Monat nach dem Ereignis von Venedig zurück. Sein Sohn Manuel, der nach Thessalonike zurückgegangen war, holte das Beste aus der serbischen Niederlage heraus, indem er Serrhes unter seine Kontrolle brachte, wo Johannes Uglješ residiert hatte. Aber die Situation hatte sich in der Zwischenzeit so zugespitzt, daß Johannes V. seine Zuflucht dazu nehmen mußte, den bis dahin unantastbaren Besitz der Klöster zu militärischen Zwecken zu konfiszieren. Er sah voraus, daß Konstantinopel unmittelbar Gefahr lief, auf der Landseite abgeschnitten zu werden, und daß sich seine Hoffnungen auf Hilfe aus der westlichen Welt wohl kaum verwirklichen würden. Dem Kaiser blieb tatsächlich kaum eine andere Wahl als, so gut er konnte, mit den Türken zu einer Einigung zu gelangen. 1373 wurde er ein Vasall des Sultans Murad und schloß sich dessen Armee in Kleinasien an. Die Haltung seines ältesten Sohnes Andronikos mag ihn zu diesem Schritt veranlaßt haben. Andronikos hatte schon gezeigt, daß er nicht zur Mitarbeit bereit war; aber während sein Vater 1373 von der Hauptstadt abwesend war, konspirierte er mit einem Sohn des Sultans Murad, Saudschi Tschelebi, der ebenfalls schlecht mit seinem Vater stand. Die zwei Prinzen vereinigten sich zu einem etwas befremdlichen byzantinisch-türkischen Aufstand; aber er wurde schnell
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unterdrückt. Murad ließ seinen Sohn gefangennehmen und blenden und befahl Johannes V., dasselbe zu tun. Saudschi starb, aber Andronikos, obwohl in den Kerker geworfen, lebte weiter, erlangte seine Sehkraft wieder und setzte den Kampf fort. Aber seine Titel wurden ihm aberkannt und auf seinen jüngeren Bruder Manuel übertragen, der im September 1373 zum Mitregenten gekrönt wurde. Mehr als je zuvor hing der Besitz von Konstantinopel von der Gunst seiner Feinde ab und von deren Drohungen oder Unterstützungsangeboten an die verschiedenen Byzantinischen Thronbewerber. 1376 konnte Andronikos IV. aus dem Gefängnis entfliehen und setzte nach Galata über. Von dort nahm er Kontakt mit Murad auf; mit genuesischer und türkischer Hilfe erkämpfte er sich den Zutritt nach Konstantinopel und nahm seinen Vater Johannes V. und seine Brüder Manuel und Theodoros gefangen. Das war kein gewöhnlicher Staatsstreich, der aus einer Familienfehde resultierte. Andronikos hätte ohne genuesische Hilfe nicht entfliehen und ohne türkische Truppen Konstantinopel nicht betreten können. Er war gleichzeitig das ausführende Organ und der Schuldner beider Parteien. Die Genueser verlangten als Entschädigung die Insel Tenedos, die längst Zankapfel zwischen Genua und Venedig war. Ihre Wünsche wurden durchkreuzt; denn im Oktober 1376 besetzten die Venezianer die Insel. Andronikos holte zum Gegenschlag aus, indem er alle Venezianer in Konstantinopel festnehmen ließ, und damit verstrickte er die Byzantiner in weitere kriegerische Auseinandersetzungen der zwei italienischen Republiken. Die größeren Schlachten in diesem Krieg wurden jedoch in italienischen Gewässern weitab von Konstantinopel ausgetragen, bis endlich 1382 in Turin Frieden geschlossen wurde. Die Türken ihrerseits forderten als Entgelt nicht nur höhere Tributzahlungen, sondern auch die Rückgabe von Gallipoli. So fiel Gallipoli nach zehn Jahren unter byzantinischer Verwaltung an die Türken zurück. 1377 war sich Sultan Murad seiner Kontrolle über die Meerengen so sicher, daß er Adrianopel zu seiner ersten Hauptstadt in Europa bestimmte. Andronikos IV. behauptete sich drei Jahre als Kaiser in Konstantinopel, aber er war nicht mehr Herr seines Geschicks als sein Vater. Im Juni 1379 verhalfen venezianische Agenten Johannes V. und Manuel zur Flucht aus dem Gefängnis; beide erhielten ihrerseits bereitwillig Hilfe von türkischer Seite, um sich gewaltsam ihren Weg zurück in die Stadt bahnen zu können. Man behauptet, Murad habe die Bürger vor die Wahl gestellt, Johannes als ihren Kaiser oder ihn selbst als ihren Sultan anzuerkennen. Andronikos flüchtete zu seinen Freunden nach Galata und nahm als Geisel seine Mutter und ihren greisen Vater Johannes Kantakuzenos mit sich. Über ein Jahr dauerte ein Bürgerkrieg neuer Art, der ausgetragen wurde zwischen Konstantinopel und Galata, zwischen Johannes V., der von den Venezianern und den Türken unterstützt wurde, und Andronikos IV., der von Genua Hilfe erhielt. Er endete erst, als Johannes V. einwilligte, Andronikos und seinen Sohn Johannes VII. wieder als Thronerben einzusetzen, und ihnen eine Apanage in Thrakien überließ. Manuel sollte in Thessalonike als
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Kaiser, aber nicht mehr als Thronfolger die Herrschaft ausüben. Sein Bruder Theodoros wurde nach Morea geschickt, um Matthäos Kantakuzenos als Despot abzulösen. Nach außen hin hatte es den Anschein, daß 1383 die verbliebenen Reste des Byzantinischen Reiches wieder von den Mitgliedern derselben Herrscherfamilie regiert würden, von Johannes V. in Konstantinopel, Andronikos IV. in Thrakien, Manuel II. in Thessalonike und Theodoros in der Morea. Aber jeder von ihnen war mehr oder weniger eine Marionette der Italiener oder Türken. Einzig Manuel bewahrte sich ein gewisses Maß an Handlungsfreiheit. Fast fünf Jahre lang bemühte er sich, Thessalonike zum Sammelpunkt eines Widerstandes gegen die Türken zu machen und in Makedonien die Herrschaft von Byzanz wieder zu befestigen. Es war eine heroische Geste, aber sie kam zu spät. Denn da Murad Gallipoli wieder in seiner Hand hatte und Adrianopel zu einem Verwaltungszentrum ausgebaut worden war, konnte der Sultan mehr Truppen nach Europa verschiffen und seine bisherigen Eroberungen weiter konsolidieren. Schritt für Schritt drangen die Türken tief nach dem Byzantinischen Makedonien und nach Serbien und Bulgarien vor. Ein Teil von Murads genialer Begabung lag in seiner Organisationsgabe. Er war es, der den Grundstein zur osmanischen Macht in Europa legte, auf dem seine Nachfolger aufbauten. Die osmanische Bevölkerung auf dem Balkan wurde teils durch die gezielte Ansiedlung türkischer Adliger und durch Landaufteilung unter sie nach feudalen Regeln, teils durch die Assimilation der eingesessenen Griechen und Slawen vergrößert. Murads Ghazi-Krieger mochten weiterhin die Ungläubigen an den Grenzen seines europäischen Herrschaftsgebietes bedrängen. Im Zentrum wurde eine solide Basis für Regierung, Verwaltung und islamische religiöse Einrichtungen geschaffen. In dieser Fähigkeit, einen mobilen Kriegerstaat zu einem dauerhaften Staatsgebilde umzuformen, unterschieden sich die Osmanen von den übrigen Türken. Was das Schicksal Konstantinopels anging, glaubte Murad, daß es sich praktisch schon unter seiner Kontrolle befinde. Seine Eroberung konnte warten. Die Herausforderung durch Manuel von Thessalonike war zwar ärgerlich, aber man konnte diese Stadt ja von der Außenwelt abschneiden. 1383 fiel Serrhes an die Türken; dann belagerte Murads General Haireddin Pascha Thessalonike drei Jahre lang, bis Manuel aufgeben und auf dem Seeweg entfliehen mußte. Im April 1387 war die Stadt in türkischem Besitz. In anderen Gebieten folgte der türkische Vorstoß den Flußtälern. Ein Heer marschierte nördlich von Thessalonike den Vardar aufwärts nach Ochrid und Prilep und von dort auf albanisches Gebiet. Eine zweite Armee stieß 1385 entlang dem Maritza-Fluß über Philippopel hinaus vor, erst bis nach Sofija (1385) und dann bis nach Nisch, das 1386 von den Serben genommen wurde. Aber an diesem Punkt leisteten die Serben nun entschlossen Widerstand. Ihr Anführer war Fürst Lazar, der seit 1371 eine Koalition mit anderen serbischen Fürsten eingegangen war und mit seinem Nachbarn Tvrtko, dem Herrscher von Bosnien, verbündet war. Sie konnten 1388 die türkische
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Offensive aufhalten, und der Bericht über ihren Sieg rief einen allgemeinen Aufstand hervor. Albanier, Bulgaren und Wallachen widerriefen ihre Verträge mit den Türken. Der Sultan nahm sich jeden von ihnen einzeln vor. Zuerst wurden die Bulgaren durch die Einnahme von Trnovo und Nikopolis bestraft, doch durfte ihr Zar, Ivan Šišman, für den Augenblick noch als Klientel- König in Bulgarien bleiben. Dann kam Murad nach Europa und führte sein Heer persönlich nach Serbien; unterwegs gliederte er seine christlichen Vasallen ein. Am 15. Juni 1389 trafen die Armeen in der Ebene von Kosovo, nördlich von Skopje, aufeinander. Murad fiel, aber sein Sohn Bajezid übernahm sofort das Kommando und führte die Türken zum Sieg. Lazar wurde gefangengenommen und getötet. Die Schlacht bei Kosovo war der letzte einheitliche Widerstand der Slawen gegen die Türken. Im serbischen Volk wurde sie bald mit Sagen umwoben und romantisch verklärt; aber ihr Ergebnis war eindeutig. Serbien unterstand jetzt den Türken. Lazars Sohn Stefan Lazarević (1389–1427) wurde als Landesherrscher anerkannt, war aber dem neuen Sultan Bajezid tributpflichtig und mußte als Untergebener des Sultans seine eigenen Leute auf türkischer Seite in den Kampf führen.
Abb. 22: Das Vordringen der Türken im 14. Jh.
Die Schlacht von Kosovo isolierte Konstantinopel endgültig von der Landseite her. Jede Hilfe, die eventuell aus dem Westen zu erwarten war, mußte sich ihren
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Weg erst freikämpfen. Den Osmanen war es gelungen, den Widerstand ihrer Feinde in Europa viel wirksamer zu brechen, als sie es bis jetzt in Asien vermocht hatten. Alle christlichen Städte und Provinzen, die dem Sultan Untertan waren, mußten jetzt den Charadž oder Landsteuer bezahlen. Ganz besonders hart traf das die Kirche und die Klöster auf dem Berg Athos, der 1386 unter türkische Herrschaft kam. Für Bajezid war die Eroberung von Konstantinopel der logische Abschluß eines Prozesses, den sein Vater eingeleitet hatte. Er zeigte sogar noch mehr Geschick als Murad, die Widerstandskraft von Byzanz dadurch zu schwächen, daß er einen Thronprätendenten gegen den anderen ausspielte. Andronikos IV. war 1385 gestorben. Sein Sohn Johannes VII. stand mit Johannes V. und Manuel genauso schlecht wie sein Vater und wurde deshalb zum willigen Werkzeug für Bajezids Pläne. Im April 1390 half ihm der Sultan, Konstantinopel in seine Gewalt zu bringen. Die Venezianer erwarteten täglich Bajezids Ankunft und die Übernahme der Stadt durch ihn; aber im September gelang es Manuel, seinen Neffen zu verjagen und Johannes V. wieder als Kaiser einzusetzen. Bajezid antwortete darauf sofort mit einer Erhöhung des Byzantinischen Tributes und befahl Johannes V., die Befestigungsanlagen, die er gerade errichten ließ, zu schleifen. Manuel wurde als Geisel und Vasall in das Lager des Sultans gefordert. Johannes VII. hatte sich bereits dorthin geflüchtet; und so war es möglich, daß die zwei rivalisierenden Kaiser, Manuel II. und sein Neffe Johannes VII., am Ende des Jahres 1390 den Sultan Bajezid darin unterstützten, die letzte noch verbliebene byzantinische Stadt in Kleinasien, Philadelphia, zu belagern und zu erobern. Das war der Höhepunkt der Erniedrigung. Im Februar 1391 starb Johannes V. in hohem Alter. Manuel flüchtete unmittelbar danach aus dem Lager des Sultans und eilte auf schnellstem Weg nach Konstantinopel, um den Plänen seines Neffen zuvorzukommen. Bajezid war außer sich. Erneut machte er der Byzantinischen Bevölkerung verschiedene Auflagen und mutete ihr weitere Einschränkungen zu. Auch wies er den Kaiser darauf hin, daß er vielleicht innerhalb der Stadttore gewisse Herrschaftsrechte besitze, aber außerhalb davon völlig machtlos sei. In den folgenden Monaten wurde die türkische Kontrolle des Balkans merklich schärfer. Bajezid wußte genau, daß über Land Hilfe von Ungarn kommen könne. 1393 versuchte Šišman von Bulgarien, ermutigt vom König von Ungarn, seine Unabhängigkeit wiederzuerlangen. Der Versuch wurde im Blut erstickt. Šišman geriet in Gefangenschaft und Trnovo unter türkische Besatzung. Bulgarien war damit kein Klientel-Königreich des Sultans mehr, es wurde zur ersten regelrechten Provinz des Osmanenreiches in Europa. Damit bei den übrigen christlichen Herrschern ja kein Zweifel aufkäme, wer der Herr sei, befahl Bajezid allen, ihn im Winter 1393/94 in Serrhes aufzusuchen. Es war eine Art Nervenkrieg. An der Konferenz nahmen teil Kaiser Manuel von Konstantinopel, sein Neffe Johannes VII., sein Bruder, der Despot Theodoros von Morea, Stefan Lazarević von Serbien und der serbische Fürst Konstantin Dragaš,
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Manuels Schwiegervater. Eine Zeitlang spielte der Sultan mit dem Gedanken, sie alle umbringen zu lassen; aber schließlich konnten sie in Frieden zurückkehren, mit Ausnahme von Theodoros, der verpflichtet wurde, sich an der Invasion Griechenlands durch die Türken zu beteiligen. Aber es gelang ihm zu entkommen, und er kehrte schleunigst heim, um für den Ausbau der Verteidigung von Morea zu sorgen. Im Jahr 1394 eröffnete Bajezid die erste wirkliche Belagerung von Konstantinopel. In der Stadt herrschten Hungersnot und Verzweiflung. Die Ereignisse von Serrhes hatten Manuel II. in seiner Meinung bestärkt, daß die Türken keinerlei Vernunftgründen oder Verhandlungen mehr zugänglich seien. Die einzige Hoffnung auf Entsatz schien im Westen zu liegen. Der König von Ungarn, Sigismund, war schließlich durch die osmanische Eroberung Bulgariens auf die Gefahr aufmerksam geworden. 1395 unterstützte er den Fürsten der Wallachei, nördlich der Donau, bei einer Invasion Bulgariens. Bei Rovine kam es zu einer Schlacht, durch die, wenn sie auch sonst keinerlei Veränderungen brachte, die Bewohner der Wallachei dem Sultan tributpflichtig wurden. Aber 1396 bereitete Sigismund Europas bisher größte christliche Gegenoffensive gegen die Türken vor. Der Papst segnete sie als Kreuzzug. Die Hauptbeteiligten waren Ungarn und Frankreich. Karl VI. von Frankreich entsandte über 10000 Mann; Ritter des Deutschritterordens und des Johanniterordens nahmen teil. Die Genueser von Lesbos und Chios schlossen sich an, und sogar Venedig stellte nach einigen Ausflüchten ein paar Patrouillenschiffe für den Hellespont. Das Hauptoperationsziel des Kreuzzuges war die Verteidigung des katholischen Ungarn, nicht der Entsatz von Konstantinopel. Tatsächlich erwies sich das ganze Unternehmen als Verhängnisvoller Fehlschlag. Am 25. September 1396 trafen die Türken, die von Stefan Lazarević und anderen christlichen Vasallen unterstützt wurden, bei Nikopolis am Unterlauf der Donau auf das christliche Heer. König Sigismund konnte sich retten; aber die meisten anderen Führer wurden gefangengenommen oder umgebracht. Die Schlacht von Nikopolis war die erste Kraftprobe zwischen den Völkern Westeuropas und dem osmanischen Reich. Für Konstantinopel bedeutete sie nur vorübergehend Erleichterung. Bajezid setzte die Blockade der Stadt fort, sobald er konnte. Andererseits hatte das Scheitern des Kreuzzuges dem Westen die wirkliche Macht des Feindes vor Augen geführt und Manuel II. hoffte, daß seine Hilfegesuche nun eine Verständnisvollere und großzügigere Antwort finden würden. Er schickte Botschaften an den Papst, an Venedig, an die Könige von Frankreich, England und Aragon und an den Großfürsten von Moskau. Der König von Frankreich zeigte sich intensiver am Schicksal Konstantinopels interessiert, da er 1396 Oberlehnsherr der Republik Genua und damit der genuesischen Kolonien im Osten geworden war. Gerüchteweise sprach man sogar davon, Kaiser Johannes VII. habe 1397 angeboten, seinen Anspruch auf den Thron von Byzanz an den französischen König zu verkaufen. Einer der berühmtesten Franzosen, die bei Nikopolis in Gefangenschaft geraten waren,
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war Marschall Boucicaut. Man hatte ihn durch Lösegeld losgekauft, und er hatte dem Westen einen düsteren Lagebericht über Konstantinopel vermittelt. König Karl VI. gab ihm die Erlaubnis, mit einem Truppenkontingent von 1200 Mann dahin zurückzukehren, und 1399 durchbrach Boucicaut genau wie Amadeo von Savoyen die türkische Blockade der Meerengen und kam nach Konstantinopel. Er wurde mit großem Jubel in der Stadt empfangen und seine wenigen Truppen konnten eine Reihe von kleineren Siegen über die Türken davontragen. Aber die Lage erforderte einen weit größeren Einsatz. Deshalb überredete der Marschall Manuel, ihn in den Westen zurückzubegleiten. Manuel gab ihm darin recht, daß ein persönliches Zusammentreffen mit den westlichen Herrschern größeren Erfolg bringen könne; Johannes VII., der sich vorübergehend mit seinem Onkel ausgesöhnt hatte, erklärte sich einverstanden, die Regierung in Konstantinopel zu übernehmen. Am 10. Dezember 1399 reiste Manuel mit Marschall Boucicaut nach Italien ab. Mehr als drei Jahre sollten vergehen, bis er wieder zurückkehrte. Kaiser Manuel besaß einen besseren Charakter und war eine größere Herrscherpersönlichkeit als sein Vater. Sogar die Türken waren von seinem Auftreten und seinem Mut beeindruckt. Er hatte literarische und künstlerische Neigungen und beklagte sich manchmal, daß seine Pflichten ihn davon abhielten, seine schöpferischen Talente auszubilden. Er war eine Persönlichkeit, die dazu geschaffen war, die Sympathie des aufgeklärten Westens zu gewinnen, wo man sich gerade für die Byzantiner als die Vermittler der klassischen griechischen Gelehrsamkeit zu interessieren begann. 1396 war sein Freund Manuel Chrysoloras, ein Schüler von Demetrios Kydones, angestellt worden, um in Florenz Griechisch zu unterrichten. Die Reise des Kaisers in den Westen konnte kaum verfehlen, dieses Interesse in noch höherem Maße zu wecken. Seine Reise war von der Ungarn- und Romreise seines Vaters grundverschieden; denn Manuels Bittgesuche hatten nichts Demütiges an sich, noch bot er als Anreiz seine eigene Bekehrung oder die seines Volkes zum römischen Glauben. Er landete in Venedig. Von dort kam er auf dem Landweg über Padua, Vicenza und Pavia im Juni 1400 nach Paris. König Karl VI., mit dem er vorher schon Briefe ausgetauscht hatte, nahm ihn unter großen Ehrenbezeigungen auf; im Dezember setzte er über nach England, wo ihm König Heinrich IV. nicht weniger höflich begegnete. Überall, wo er hinkam, wurde Manuel mit großer Zuvorkommenheit empfangen; auch wenn ihm seine Gastfreunde keine Armee stellen konnten, so hoffte er doch mit größeren Geldbeträgen nach Hause zurückzukehren. Denn der Papst in Rom hatte denen, die zu dem Verteidigungsfonds für Konstantinopel beitrugen, Ablaß in Aussicht gestellt. Doch im Verlauf der Zeit sah Manuel ein, daß er selbst in dieser Hinsicht zu optimistisch gewesen war. Im Februar 1401 kehrte er von London nach Paris zurück, fast als könne er den Gedanken nicht ertragen, in seine belagerte Stadt zurückkehren zu müssen. Während dieser ganzen Zeit hielt sein Neffe Johannes VII. in Konstantinopel die Stellung, unterstützt von den französischen Truppen, die Marschall
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Boucicaut zurückgelassen hatte. Doch im Jahr 1400 erreichte die Stadt die Nachricht, daß die Mongolen von Osten nach Kleinasien eingefallen seien. Sultan Bajezid wußte schon seit langem, daß das Mongolenreich von seinem größten Führer seit Dschinghis Khan wiederaufgebaut wurde; sein Name war Timur. Er war ebensosehr Türke wie Tatar und seinem Glauben nach ein Moslem. Timur machte Samarkand zu seiner Hauptstadt und unternahm von dort aus seine ausgedehnten Eroberungszüge nach allen Richtungen, gegen die Goldene Horde in Rußland und nach Indien. Nachdem er Georgien und Armenien überrannt hatte, traf Timur 1390 zum erstenmal auf die Osmanen. Im Jahr 1400 eroberten seine Truppen dann Sivas, das von Bajezids Sohn verteidigt wurde. Es war nicht mehr als eine Warnung an den Sultan. Die Mongolen stießen anschließend nach Syrien und Bagdad vor, das im Juli 1401 in ihre Hände fiel. Vielleicht hätten die Mongolen die Türken in Frieden gelassen, wenn nicht Bajezid Timur zum Krieg herausgefordert hätte. Andererseits zogen die Byzantiner und die westlichen Mächte Timur als potentiellen Verbündeten in Betracht und nahmen diplomatische Beziehungen zu ihm auf. Im Frühjahr 1402 marschierte Timur, aufgebracht über Bajezids Spott, in Anatolien ein, wieder über Sivas. Der Sultan setzte alles auf eine offene Feldschlacht; am 28. Juli 1402 stießen die Heere der Osmanen und der Mongolen bei Ankara aufeinander. Es wurde lange und erbittert gekämpft, aber das Ergebnis war ein eindeutiger Sieg der Mongolen. Bajezid wurde überwältigt und starb in Gefangenschaft. Vier seiner Söhne konnten entkommen – nur um untereinander um die Nachfolge zu streiten. Doch das Osmanische Reich war, wenigstens in Asien, von den Mongolen zerstört und zerschlagen; diese stießen nun zur Küste vor und nahmen sogar den Johannitern Smyrna weg. Damit waren die Operationen Timurs in Kleinasien beendet. Er zog sich so plötzlich zurück, wie er gekommen war, und starb 1405. Diese Heimsuchung erschütterte zweifellos die türkische Moral, während sie den Christen neuen Mut einflößte. Man erzählte sich bis nach England Geschichten von einem großen Herrscher im Osten, der zum christlichen Glauben übergetreten sei und die Ungläubigen verjagt habe. Aber die Frage nach der Schlacht von Ankara im Jahre 1402 war, ob die Byzantiner und ihre westlichen Verbündeten den Vorteil, der sich ihnen mit der Erschütterung des osmanischen Reiches bot, zu nützen bereit waren. V. Die letzten fünfzig Jahre und der Fall von Konstantinopel, 1402–1453 Die erfreulichen Nachrichten aus Ankara erreichten Kaiser Manuel im September 1402 in Paris, aber es dauerte noch fast ein Jahr, bis er nach Konstantinopel zurückkehrte. In der Zwischenzeit hatte sein Neffe Johannes VII. seine eigenen Anordnungen getroffen, um der dramatisch veränderten Situation Rechnung zu tragen. Die Blockade von Konstantinopel war aufgehoben, der große Sultan Bajezid lebte nicht mehr. Aber im August 1402 war sein ältester
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Sohn Suleiman nach Gallipoli gekommen, um die Herrschaft über die osmanischen Provinzen in Europa anzutreten. Mit diesem Suleiman trafen Johannes VII., die Genuesen, die Venezianer und andere interessierte Parteien neue Vereinbarungen. Die Byzantiner wurden besonders bevorzugt. Thessalonike mit dem Berg Athos kehrte in ihren Besitz zurück, ebenso ein großer Abschnitt der Schwarzmeer-Küste. Sie waren nicht mehr tributpflichtig, und Suleiman schwor, der Vasall des Kaisers zu werden. Dafür sollte er als Herr der osmanischen Besitzungen in Rumeli oder Europa mit Adrianopel als Hauptstadt anerkannt werden. Das Blatt hatte sich gewendet. Die Byzantiner waren aus Untertanen der Türken zu ihren Herren geworden. Dieses Abkommen wurde im Juni 1403 von Manuel II. in allen Punkten mit einer einzigen Ausnahme unterzeichnet: Johannes VII. mußte Konstantinopel verlassen und seinen Regierungssitz nach Thessalonike verlegen. Dort blieb er bis zu seinem Tod im Jahre 1408. Suleiman war klug genug gewesen, als erster seiner Brüder die osmanischen Provinzen in Europa für sich zu beanspruchen, denn sie waren kaum von der Schlacht von Ankara betroffen. Aber er war nicht der einzige Bewerber um Bajezids Titel. Unvermeidlich würde es das Ziel seiner Brüder sein, sobald sie die Bruchstücke des zersprengten Sultanats in Asien zusammengefügt hatten, diese auch wieder mit Europa zu verbinden. Und nicht weniger unvermeidlich würden sich die Byzantiner in diesem Moment gezwungen sehen, im türkischen Machtkampf Partei zu ergreifen. Die erste Runde wurde zwischen Suleiman und seinem Bruder Musa ausgetragen. 1410 wurde Suleiman bei Adrianopel besiegt und getötet. Musa war entschlossen, die Christen zu bestrafen, die seinem Gegner geholfen und ihn unterstützt hatten. Er widerrief die Abmachungen von 1403, griff Thessalonike an und nahm die Belagerung von Konstantinopel wieder auf. Aber dieses Mal war die Stadt auf eine Belagerung gut vorbereitet und konnte sich vom Meer her verteidigen; Manuel lud Musas Bruder Mehmed aus Kleinasien ein, bot ihm als bevorzugtem Verbündeten Transportmittel und sicherte ihm Gastfreundschaft zu. Im Juli 1413 schlug Mehmed von Konstantinopel als Operationsbasis aus Musa in einer Schlacht nahe bei Sofija. Durch die Ausschaltung seines Bruders wurde Mehmed so Sultan des wiedergeeinten Osmanenreiches. Die Byzantiner hatten ihm den Weg geebnet, er dankte es ihnen ehrlich. Alle Privilegien, die Suleiman zugestanden hatte, traten wieder in Kraft; und solange Mehmed I. Sultan war, von 1413–1421, wurden sie geachtet. Mehmed wandte viel Zeit auf, um die Ordnung in Asien wiederherzustellen; dadurch konnten die Byzantiner eine letzte Schonfrist genießen und ausschöpfen. Manuel II. gab sich niemals irgendwelchen Illusionen hin, daß dieser Aufschub von längerer Dauer sein werde oder daß die Niederlage vor Ankara die Macht der Türken für immer gebrochen habe. Er blieb in enger Verbindung mit der westlichen Welt, besonders mit Frankreich; Manuel Chrysoloras tat als Botschafter alles dafür, daß Konstantinopel beim Westen nicht in Vergessenheit
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geriet. Manuel bemühte sich ebenso, die Kontrolle über die Gebiete, die er hatte retten können oder durch den Vertrag mit Mehmed dazugewonnen hatte, zu festigen. Nach 1408 wurde sein Sohn Andronikos Despot in Thessalonike, sein zweiter Sohn, Theodoros II., 1407 Despot in Morea. Er trat die Nachfolge von Manuels Bruder, Theodoros I., an, der in fünfundzwanzigjähriger Regierungszeit diese letzte byzantinische Provinz mit Erfolg behauptet hatte. Athen war von den Katalanen in die Hände einer anderen Abenteurerbande, der NavarraKompanie, und dann in die der florentinischen Familie Acciajuoli übergegangen. Aber 1394 fiel es an Carlo Tocco von Kephalenia, der als Nachfolger der Familie Orsini in den Besitz von Epiros und den Ionischen Inseln gekommen war. Dieser Tocco war es auch, der die Türken zu ihrer ersten Invasion Zentral- und Südgriechenlands aufforderte oder sie dabei unterstützte. Aber sie blieben nicht; und am Ende des 14. Jahrhunderts schien der byzantinische Despotat von Morea blühender und sicherer als irgendein anderer Teil des Reiches. 1414 hielt Manuel die Lage für sicher genug, um Konstantinopel noch einmal zu verlassen und die Situation und die Verteidigungsanlagen seiner wenigen verbliebenen Provinzen persönlich zu inspizieren. Zuerst ging er nach Thessalonike und von dort nach Morea. Niemand wußte, wie lange die Türken mit einem erneuten Vorstoß nach Griechenland warten würden. Manuel ließ über den Isthmos von Korinth eine Mauer bauen, die als Hexamilion bekannt ist. Sein Besuch sollte auch die lokalen Grundherren und den navarresischen Fürsten von Achaia daran erinnern, daß das Wort des Kaisers in der Morea noch Gesetz war. Nachdem er im Jahr 1416 nach Konstantinopel zurückgekehrt war, schickte er seinen ältesten Sohn Johannes nach Griechenland, damit er dort mit seinem Bruder Theodoros zusammenarbeite; die Morea erfreute sich einige weitere Jahre einer allerdings schon gefährdeten Blüte. Die Hauptstadt Mistra war ein Konstantinopel im kleinen und Mittelpunkt des letzten Wiederauflebens byzantinischer Gelehrsamkeit, Kunst und Kultur. Der Hof der Despoten wurde, wie schon der Andronikos’ II. hundert Jahre zuvor, eine Zufluchtstätte für Gelehrte. Die Tatsache, daß Mistra sich auf griechischem Boden und nahe dem alten Sparta befand, förderte die Illusion, es könne zur Geburtsstätte eines neuen Hellenismus werden, einer Wiederbelebung der griechischen Philosophie und griechischer Ideale, die dem Byzantinischen Leichnam neues Leben einhauchen könnten. Der Hauptträger dieser romantischen Strömung war der gelehrte Platoniker Georgios Plethon, der sich in Mistra niedergelassen hatte. Plethon betrachtete Griechenland nicht als Provinz des Byzantinischen Reiches, sondern als die Geburtsstätte der alten griechischen Philosophie und als die Heimat der Sprache, in der diese Philosophie literarisch Gestalt gewonnen hatte. Aus diesem Grund schlug er eine Reihe von sorgfältig ausgearbeiteten Maßnahmen und Reformen vor, um die Peloponnes zu einem autonomen Fürstentum zu machen, in dem der Hellenismus erneut blühen könne. Seine politischen Ideen waren nicht völlig unbrauchbar. Seine Ansichten über die christliche Religion jedoch waren absolut
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abwegig; denn Plethon erwartete von den Byzantinern, daß sie ihrem Glauben abschworen, um wieder zum Glauben an die alten griechischen Götter zurückzukehren. Den Traktat, den er darüber verfaßt hatte, übergab der Patriarch von Konstantinopel den Flammen; und in diesem Punkt wenigstens galt der Prophet Plethon in seinem eigenen Land gar nichts. Die Anzahl der Kirchen und Klöster innerhalb der Mauern des kleinen Stadtgebietes von Mistra nahm eher zu als ab; sie demonstrierten den unerschütterlichen Glauben der Byzantiner an ihr orthodoxes Christentum. Der Friede zwischen Manuel und Mehmed wurde zuweilen etwas gestört. 1415 verstrickte ein Bewerber um das Sultanat namens Mustafa, der ein Sohn von Bajezid zu sein behauptete, die Byzantiner in seine Abenteuer. Auch die Venezianer und Serben unterstützten ihn und als er von Mehmed in die Enge getrieben wurde, gewährte ihm der Kaiser Asyl. Auf Manuels persönliches Einvernehmen mit Mehmed hatte der Vorfall seltsamerweise wenig Einfluß. Aber Konstantinopel konnte auf die Dauer nicht damit rechnen, dank solcher Garantien zu überleben. Wie Manuel nur zu gut wußte, baute Mehmed unermüdlich das Osmanenreich in Asien auf einer sichereren Grundlage als je zuvor wieder auf. Im Januar 1421 übergab Manuel, nun einundsiebzig Jahre alt und kränkelnd, einen Großteil seiner Macht seinem ältesten Sohn Johannes VIII., den er aus Griechenland zurückgerufen hatte. Wenig später starb Mehmed. Sein Sohn Murad II. wurde Sultan und anfänglich auch als solcher von Manuel begrüßt. Aber es gab Gruppen in Byzanz, an ihrer Spitze der junge Johannes VIII., die durch Anerkennung des anderen Thronprätendenten Mustafa als Sultan einen Krieg im eigenen Lager der Türken zu provozieren hofften. Mustafa überlebte jedoch nicht lange, und sobald Murad ihn besiegt hatte, rächte er sich an den Byzantinern, die hinter dem Komplott gesteckt hatten. Im Juni 1422 belagerte er Konstantinopel. Damit wurde den Kaisern die niederschmetternde Wahrheit klar, daß das Bündnis mit den Türken zu Ende war. Denn Murad, nunmehr Sultan von Europa und Asien, betrachtete die Stadt Konstantinopel als das eine fehlende Glied in der Kette seines Reiches. Die Belagerung von 1422 wurde mit allen Mitteln durchgeführt, die zur Verfügung standen. Aber die Befestigungen waren dem gewachsen; und im September mußte Murad abziehen, weil er sich in Asien mit einem weiteren Bewerber um das Sultanat auseinanderzusetzen hatte. Im Februar 1424 unterzeichnete er einen neuen Vertrag mit Byzanz. Er brachte für Konstantinopel den Frieden. Aber die Kaiser waren dem Sultan wieder tributpflichtig, und ihre Autorität beschränkte sich fast ausschließlich auf die nähere Umgebung ihrer Hauptstadt. Der Entsatz Konstantinopels bedeutete auch nicht, daß andere Reichsteile in Frieden gelassen würden. 1423 drangen Murads Scharen in Albanien ein, belagerten Thessalonike und marschierten in Griechenland ein. Die HexamilionMauer bei Korinth erwies sich als untauglich, die Türken stießen nach Morea vor und verwüsteten das Land. Johannes VIII., nun de facto im vollen Besitz der Macht, beschloß, noch einmal persönlich an die westliche Welt zu appellieren.
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Im November 1423 verließ er Konstantinopel, um Venedig, Mailand und Ungarn aufzusuchen. Ein Jahr später kehrte er ohne nennenswerten Erfolg zurück. Nur die Venezianer, die durch die türkische Bedrohung ihrer Interessensphären in Albanien und in der Morea aufgeschreckt waren, zeigten sich zum Handeln bereit. Als die Türken zu Beginn des Jahres 1423 über Thessalonike den Belagerungszustand verhängten, hatte Manuels Sohn Andronikos angeboten, die Stadt an Venedig zu übergeben. Das kam eher einer Abtretung als einem Verkauf gleich; im September schickten die Venezianer Gouverneure zur Übernahme der Verwaltung nach Thessalonike. Sie machten sich große Hoffnungen, es zu einem zweiten Venedig ausbauen zu können. Aber der Sultan mißtraute ihren Absichten. Er forderte einen noch höheren Tribut, und seine Truppen setzten die Blockade der Stadt fort. Ihr Besitz wurde zum Fluch, nicht zum Segen; die griechischen Einwohner, die verhungert und verarmt waren, erhoben sich gegen ihre italienischen Herren. Im März 1430 führte Murad selbst den entscheidenden Angriff, dem die Verteidigungsanlagen nicht mehr gewachsen waren. Die Venezianer segelten ab und die zweite Stadt des Byzantinischen Reiches fiel zum zweiten- und letztenmal in die Hände der Türken. Am 21. Juli 1425 starb Manuel II.; damit war Johannes VIII. Alleinherrscher. Kurz vor seinem Tod hatte Manuel seinem Sohn abgeraten, die Wiedervereinigung beider Kirchen anzubieten, um die Westmächte zu einem weiteren Kreuzzug zu bewegen. Manuel war den dabei zu erwartenden Vorteilen gegenüber immer sehr skeptisch gewesen. Jede Annäherung zwischen der östlichen und westlichen Christenheit würde unweigerlich die Türken auf den Plan rufen. Die Mehrheit der Byzantiner würde auch in äußerster Not den Gedanken an Unterwerfung unter die Autorität des Papstes und unter den römischen Glauben weit von sich weisen. Aber Johannes VIII. sah keine Alternative. Das Äußerste, was er tun konnte, um den Schlag für sein Volk ein wenig abzumildern, war, darauf zu beharren, daß – sollte eine Union der Kirchen die Vorbedingung jeglichen Kreuzzuges zur Rettung von Byzanz sein – diese dann in einer Form zustande komme, die die Zustimmung der Byzantinischen Theologen gefunden habe und ihnen nicht aufgezwungen werde wie die Union von Lyon. Ein ökumenisches Konzil mußte einberufen werden. Die Situation war seinen Plänen günstig; denn augenblicklich herrschte in der westlichen Kirche die Lehre vor, daß die Autorität der Konzilien über der des Papstes stehe. Tatsächlich sah es eine Weile so aus, als könnten sich die Byzantiner mit der Konzilspartei in Basel eher als mit dem Papst in Italien einigen. Schließlich gab jedoch Papst Eugen IV. seine Zustimmung zur Einberufung eines Konzils auf italienischem Boden und lud den Kaiser mit seinen Bischöfen zur Teilnahme ein. Johannes rief seinen Bruder Konstantin von Morea zurück und betraute ihn für die Zeit seiner Abwesenheit mit den Regierungsgeschäften; im November 1437 reiste er nach Ferrara ab, wo das Konzil tagen sollte. Der
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Patriarch Joseph, die Bischöfe Bessarion von Nikaia, Isidoros von Kiev und Markos Eugenikos von Ephesos, Abgesandte der anderen Patriarchen des Ostens und ein Heer von Würdenträgern begleiteten ihn. Es war eine erheblich andere Situation als beim Konzil von Lyon im Jahr 1274 und bei Johannes’ V. Unterwerfung in Rom vom Jahr 1369. In den letzten Jahren hatten die Anhänger einer Union in Byzanz an Boden gewonnen. Intellektuelle wie Bessarion und Isidoros sahen in der Lateinischen Kultur und in der katholischen Theologie nur das Beste. Aber noch immer verkörperten sie eine Minderheit. Es kam in Ferrara und später in Florenz, wohin das Konzil 1439 verlegt wurde, zu langen und manchmal erbitterten Diskussionen und Auseinandersetzungen. Aber am 6. Juli 1439 wurde schließlich von Bessarion und Kardinal Cesarini feierlich die Wiedervereinigung beider Kirchen verkündet. Die Byzantinischen Delegierten hatten ihr Ansehen und ihre Theologie verteidigt, bis ihre Geduld erschöpft war. Der Kaiser kehrte nach Konstantinopel zurück und hoffte auf die Gegenleistung eines Kreuzzuges. Die Reaktion setzte in Konstantinopel sofort und heftig ein. Angeführt wurde sie von Markos Eugenikos, der sich in Florenz geweigert hatte, das Dekret der Wiedervereinigung zu unterzeichnen. Andere, die ihre Unterschrift gegeben hatten, änderten ihre Meinung. Zu ihnen gehörte auch der Philosoph Georgios Scholarios, der der erste Patriarch von Konstantinopel unter der Osmanenherrschaft werden sollte. Die Anhänger der Union wie Bessarion zogen sich nach Italien zurück; Isidoros von Kiev, den die Russen als Verräter des orthodoxen Glaubens brandmarkten, folgte ihnen dorthin. Auch Sultan Murad betrachtete dieses offensichtliche ost-westliche Zusammenspiel aufgebracht und mit Argwohn. So spaltete das Konzil von Florenz die byzantinische Gesellschaft zu einem Zeitpunkt, wo ein gemeinsames Vorgehen das Gebot der Stunde war. Obwohl es kirchenrechtlich von einiger Bedeutung war, hatte es politisch nur den Erfolg, die orthodoxen Russen zu entfremden und die Türken herauszufordern. Murad erkannte klar, daß eine eventuelle Gegenoffensive von Ungarn zu erwarten war. Georg Brankovic, der 1427 die Nachfolge seines Onkels Stefan Lazarević als Despot in Serbien angetreten hatte, hatte dem Sultan seine Tochter zur Frau gegeben. Aber es war bekannt, daß er mit Ungarn verbündet war, und er hatte bei Smederevo an der Donau eine mächtige Festung erbauen lassen. Als im Jahr 1440 Papst Eugen zu seinem versprochenen Kreuzzug aufrief, kam die Antwort darauf von dort. Der Führer war Ladislaus III. von Ungarn. Ihm schlossen sich Georg Branković und Johannes Hunyadi an, der Woiwode von Transsilvanien, der sich im Kampf gegen die Türken schon einen Namen erworben hatte. Der Zeitpunkt war günstig, denn der Sultan war nach Kleinasien gerufen worden, und die revolutionäre Stimmung wirkte ansteckend. In Albanien wurde ein Aufstand entfacht von einem abtrünnigen Moslem namens Georgios Kastriota, dem Murad selbst den Namen Alexander oder Skanderbeg gegeben hatte. Sogar in der Byzantinischen Morea ließ der Bruder des Kaisers,
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Konstantin, zuversichtlich die Hexamilion-Mauer wiedererrichten und zwang den italienischen Herrn von Athen, ihm Tribut zu leisten. Unter diesen erfolgversprechenden Vorzeichen rückte das ungarische Kreuzzugsheer von Smederevo donauabwärts nach Bulgarien vor. Verstärkungen unter dem Kommando des päpstlichen Legaten, Kardinal Cesarini, stießen zu ihm. Es war eine eindrucksvolle Armee, und Murad entschloß sich, möglichst Zeit zu gewinnen. 1444 eilte er zurück nach Europa und empfing im Juni Gesandte von Ladislaus, Branković und Hunyadi in Adrianopel. Ein zehnjähriger Waffenstillstand wurde unterzeichnet und von Ladislaus im Juli in Szegedin ratifiziert. Branković fühlte sich an die Einhaltung des Waffenstillstandes gebunden, aber die anderen Führer stimmten ihm nicht zu, und der Kardinal vertrat die Ansicht, daß der Kreuzzug nicht unterbrochen werden solle. Er entband Ladislaus von seinem Eid, den er dem Sultan geleistet hatte. Im September setzte die Armee ihren Marsch durch Bulgarien Richtung Schwarzmeer fort; dort hoffte man eine Unterstützungsflotte aus Venedig vorzufinden. Murad, der nach Anatolien zurückgekehrt war, war empört über die Treulosigkeit der Christen. Er führte seine Truppen in Eilmärschen nordwärts an die Donau. Am 10. November 1444 erlitt der Kreuzzug bei Varna eine vernichtende Niederlage. Ladislaus von Ungarn und Kardinal Cesarini wurden getötet. Nur Johannes Hunyadi konnte entkommen. Der Kreuzzug von Varna war die letzte gemeinsame Anstrengung der westlichen Christenheit, Konstantinopel zu helfen. Er war noch nicht einmal bis in Sichtweite der Stadt gekommen. Der byzantinische Kaiser hatte nicht daran teilgenommen, und viele seiner Untertanen waren nicht besonders traurig, daß er mit einem Fehlschlag geendet hatte. Denn das bewies, daß ihnen die Aufgabe ihres Glaubens keine Rettung brachte. Außerdem gaben viele Christen, die nun schon seit einer Generation oder länger unter der Moslem-Herrschaft lebten, der Gerechtigkeit und der Toleranz ihrer türkischen Herren den Vorzug gegenüber den Ungewißheiten einer Befreiung. Es stimmt, daß Murad sein Leibregiment der Janitscharen dadurch umbildete, daß er christliche Familien zwang, ihre Söhne bei Bedarf zur Rekrutierung zu stellen. Aber noch war der Bedarf verhältnismäßig klein, und trotz dieser und anderer Auflagen waren viele Griechen der Ansicht und sprachen sie auch offen aus, von den Türken beherrscht zu werden sei weniger hassenswert als der Gedanke, in der Schuld der Lateiner zu stehen. Murad rächte sich unverzüglich an denen, die den Kreuzzug unterstützt oder den Moment zur Rebellion benützt hatten. 1446 marschierten seine Truppen in Griechenland ein, zerstörten die Isthmos-Mauer und überfluteten Morea ein zweites Mal. Trotzdem sahen die Türken auch jetzt noch von einer Besetzung ab, und der Despot Konstantin durfte als Vasall die Regierungsgeschäfte weiterführen. Danach rechneten die Türken mit Hunyadi und Skanderbeg ab. Hunyadi wurde im Oktober 1448 bei Kosovo besiegt. Damit war der Widerstand auf dem Balkan fast gänzlich gebrochen. Georg Brankovic, der letzte der
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einstigen Führer des Kreuzzuges, lebte als Vasall des Sultans bis zu seinem Tod im Jahr 1456 weiter. Skanderbeg aber entging den Türken und setzte den Kampf in den Bergen Albaniens bis 1467 fort. Im Oktober 1448 starb Kaiser Johannes VIII. in tiefer Hoffnungslosigkeit und ohne einen Erben. Sein Bruder Konstantin wurde aus Morea herbeigerufen, um die ›damnosa hereditas‹ von Konstantinopel anzutreten. Sultan Murad ließ das geschehen. Er hatte seine Macht schon an seinen jungen Sohn Mehmed abgetreten. Nachdem der Ansturm des letzten Kreuzzuges vorüber war, konnte dieser als Erbe ein wohlgeordnetes und blühendes Osmanenreich erwarten, dem nur noch eines abging: die Stadt Konstantinopel. Als Mehmed im Februar mit dem Tode seines Vaters dieses Erbe antrat, ließ er vom ersten Augenblick seiner Regierungsübernahme an offen erkennen, daß die Eroberung Konstantinopels sein Hauptziel sei. Die Byzantiner wußten nun, daß sich alle Prophezeiungen über das Kommen des Antichrist in naher Zukunft erfüllen würden. Sie sahen, wie am Bosporus auf der europäischen Seite eine große Festung, Rumeli Hissar, gebaut wurde, von der aus der Feldzug eröffnet werden sollte. Die Einfahrt zum Goldenen Hörn wurde durch eine Kette gesperrt. Sonst gab es wenig anderes zu tun, als zu beobachten und darauf zu vertrauen, daß die Stadtmauern, die schon so vielen Angreifern widerstanden hatten, auch diesen letzten Feind abhalten würden. Die Möglichkeit, daß doch noch vom Westen Hilfe zu erwarten sei, ließ einige schwache Hoffnungen aufkeimen. Kaiser Konstantin versuchte dem Papst das Gefühl zu geben, das Konzil von Florenz sei nicht umsonst gewesen; im Dezember 1452 wurde die Wiedervereinigung der Kirchen von Isidoros von Kiev, nunmehr Kardinal der Römischen Kirche, formell in der Hagia Sophia gefeiert. Für die meisten Byzantiner war dies die äußerste Demütigung. Zudem wurden irgendwelche bemerkenswerten Reaktionen seitens der katholischen Welt damit nicht erzielt. Der einzige westliche Monarch, der schließlich an Byzanz noch Interesse zeigte, war Alfons V. von Aragon und Neapel, dessen Ziel es war, das lateinische Kaiserreich wiederzuerrichten. Nichts hätte weniger realistisch sein können; die Träume eines spanischen Königs in Italien waren für die Bürger von Konstantinopel ohne jede Bedeutung. Als jedoch die Stunde der Entscheidung kam, beteiligten sich die Venezianer in der Stadt rückhaltlos an der Verteidigung und der tapfere genuesische Offizier Giovanni Gustiniani übernahm mit 700 Mann das Kommando über die Landmauern. Es war eine verspätete Wiedergutmachung für all das Unrecht, das die Italiener Byzanz in der Vergangenheit angetan hatten. Sultan Mehmed II. begann am 6. April 1453 mit der Belagerung der Stadt. Die türkischen Schiffe, die die Kette am Goldenen Hörn durchbrechen wollten, wurden zur großen Freude der Verteidiger zurückgetrieben. Aber dann ließ der Sultan die Schiffe vom Bosporus ins Goldene Hörn schleppen – eine Operation, die die Genuesen in Galata, die sich für neutral erklärt hatten, nicht verhinderten. Damit war die Stadt vom Meer und vom Land her abgeriegelt, und ihre alten Mauern waren ununterbrochen dem Geschützhagel der schweren
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Artillerie ausgesetzt, die Mehmed hatte konstruieren lassen. Vergleichbare Waffen waren bisher in der Kriegsführung des Mittelalters noch nicht zum Einsatz gekommen. Am 29. Mai lief das Gerücht um, ein Angriff auf die Landmauern stehe bevor. Der Kaiser und seine Untertanen, Griechen wie Lateiner, beteten zum letztenmal gemeinsam in der Hagia Sophia und begaben sich dann auf ihre Posten. Der Angriff begann vor Sonnenaufgang. Die Verteidiger konnten sich eine Zeitlang halten, bis einige der Janitscharen durch eine kleine Mauerpforte in das Stadtinnere vordrangen. In dem folgenden Kampf fiel Giustiniani, tödlich verwundet, und diese Nachricht verbreitete Verwirrung und Panik. Kaiser Konstantin wurde zuletzt zu Fuß kämpfend an einem der Stadttore gesehen. Sein Leichnam konnte niemals mit Sicherheit identifiziert werden. Die Türken strömten in die Stadt. Nachdem seine Truppen drei Tage und drei Nächte lang geplündert hatten, betrat Mehmed II. die Stadt und zog im Triumph zur Kathedrale Hagia Sophia, um zu danken, nicht der Heiligen Weisheit Christi, sondern Allah. Das byzantinische Reich war schließlich dem osmanischen Reich gewichen. Der Sultan- Basileus regierte als Souverän in der Stadt Konstantins. Außerhalb der Stadt gab es noch einige Widerstandsnester; aber nachdem er Herr der Hauptstadt war, nahm Mehmed sich Zeit. Athen wurde 1456 von seinen Soldaten erobert. Vier Jahre später zwang er die zwei Despoten von Morea, die Brüder des letzten Kaisers, die Provinz aufzugeben, deren Besitz sie sich gegenseitig streitig gemacht hatten. Thomas Palaiologos flüchtete nach Italien, Demetrios an den Hof des Sultans. 1461 gab das Reich von Trapezunt den Kampf auf. Es hatte seine gefährdete Existenz am Schwarzen Meer dadurch lange behaupten können, daß es Türken wie Mongolen Zugeständnisse machte. Mit der endgültigen Unterwerfung des letzten Widerstandes in Serbien, Bosnien und Albanien schließlich war die Verwandlung der Welt von Byzanz in die Welt der Osmanen, die über ein Jahrhundert gedauert hatte, vollzogen. Herrscherlisten I. Spätrömische und Byzantinische Kaiser
324–337 Konstantin I. 337–361 Konstantios 361–363 Julian 363–364
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Jovian 364–378 Valens 379–395 Theodosios I. 395–408 Arkadios 408–450 Theodosios II. 450–457 Markian 457–474 Leon I. 474 Leon II. 474–475 Zenon 475–476 Basiliskos 476–491 Zenon (erneut) 491–518 Anastasios I. 518–527 Justin I. 527–565 Justinian I. 565–578 Justin II.
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578–582 Tiberios I. Konstantinos 582–602 Maurikios 602–610 Phokas 610–641 Heraklios 641 Konstantin III. und Heraklonas 641 Heraklonas 641–668 Konstans II. 668–685 Konstantin IV. 685–695 Justinian II. 695–698 Leontios 698–705 Tiberios II. 705–711 Justinian II. (erneut) 711–713 Philippikos 713–715 Anastasios II.
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715–717 Theodosios III. 717–741 Leon III. 741–775 Konstantin V. 775–780 Leon IV. 780–797 Konstantin VI. 797–802 Irene 802–811 Nikephoros I. 811 Staurakios 811–813 Michael I. Rangabe 813–820 Leon V. 820–829 Michael II. 829–842 Theophilos 842–867 Michael III. 867–886 Basileios I. 886–912
347
Leon VI. 912–913 Alexander 913–959 Konstantin VII. 920–944 Romanos I. Lekapenos 959–963 Romanos II. 963–969 Nikephoros II. Phokas 969–976 Johannes I. Tzimiskes 976–1025 Basileios II. 1025–1028 Konstantin VIII. 1028–1034 Romanos III. Argyros 1034–1041 Michael IV. 1041–1042 Michael V. 1042 Zoe und Theodora 1042–1055 Konstantin IX. Monomachos 1055–1056 Theodora (erneut)
348
1056–1057 Michael VI. 1057–1059 Isaak I. Komnenos 1059–1067 Konstantin X. Dukas 1068–1071 Romanos IV. Diogenes 1071–1078 Michael VII. Dukas 1078–1081 Nikephoros III. Botaneiates 1081–1118 Alexios I. Komnenos 1118–1143 Johannes II. Komnenos 1143–1180 Manuel I. Komnenos 1180–1183 Alexios II. Komnenos 1183–1185 Andronikos I. Komnenos 1185–1195 Isaak II. Angelos 1195–1203 Alexios III. Angelos 1203–1204 Isaak II. (erneut) und Alexios IV. Angelos
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1204 Alexios V. Murtzuphlos 1204 Konstantin Laskaris 1204–1222 Theodor I. Laskaris 1222–1254 Johannes III. Dukas Vatatzes 1254–1258 Theodor II. Laskaris 1258–1261 Johannes IV. Laskaris 1259–1282 Michael VIII. Palaiologos 1282–1328 Andronikos II. Palaiologos 1328–1341 Andronikos III. Palaiologos 1341–1391 Johannes V. Palaiologos 1347–1354 Johannes VI. Kantakuzenos 1376–1379 Andronikos IV. Palaiologos 1390 Johannes VII. Palaiologos 1391–1425 Manuel II. Palaiologos
350
1425–1448 Johannes VIII. Palaiologos 1449–1453 Konstantin XI. Palaiologos
II. Despoten von Epiros
1204–1215 Michael I. 1215–1230 Theodor um 1237–1271 Michael II. 1271–1296 Nikephoros I. 1296–1318 Thomas 1318–1323 Nikolaos Orsini 1323–1335 Johannes Orsini 1335–1340 Nikephoros II.
III. Thessalonike
1224–1230 Theodor 1230–1237 Manuel
351
1237–1244 Johannes 1244–1246 Demetrios
IV. Lateinisches Kaiserreich
1204–1205 Balduin I. von Flandern 1206–1216 Heinrich von Flandern 1217 Peter von Courtenay 1217–1219 Jolante 1221–1228 Robert von Courtenay 1231–1237 Johannes von Brienne 1228–1261 Balduin II. von Courtenay
V. Bischöfe und Patriarchen von Konstantinopel
315–327 Metrophanes I. 327–340 Alexandros
352
340–341 Paulos I. 341–342 Eusebios 342–344 Paulos I. (erneut) 342–346 Makedonios I. 346–350 Paulos I. (z. 3. Male) 350–360 Makedonios I. (erneut) 360–369 Eudoxios 369–379 Demophilos 369–370 Euagrios 379–381 Gregorios I. Nazianzenos 381 Maximos I. 381–397 Nektarios 398–404 Johannes I. Chrysostomos 404–405 Arsakios 406–425
353
Attikos 426–427 Sisinnios I. 428–431 Nestorios 431–434 Maximianos 434–446 Proklos 446–449 Flavianos 449–458 Anatolios 458–471 Gennadios I. 472–488 Akakios 488–489 Fravitas 489–495 Euphemios 495–511 Makedonios II. 511–518 Timotheos I. 518–520 Johannes II. Kappadokes 520–535 Epiphanios
354
535–536 Anthimos I. 536–553 Menas 552–565 Eutychios 565–577 Johannes III. Scholastikos 577–582 Eutychios (erneut) 582–595 Johannes IV. Nesteutes 596–606 Kyriakos 607–610 Thomas I. 610–638 Sergios I. 638–641 Pyrrhos 641–653 Paulos II. 654 Pyrrhos (erneut) 654–666 Petros 667–669 Thomas II.
355
669–675 Johannes V. 675–677 Konstantinos I. 677–679 Theodoros I. 679–686 Georgios I. 686–687 Theodoros I. (erneut) 688–694 Paulos III. 694–706 Kallinikos I. 706–712 Kyros 712–715 Johannes VI. 715–730 Germanos I. 730–754 Anastasios 754–766 Konstantinos II. 766–780 Niketas I. 780–784 Paulos IV. 784–806
356
Tarasios 806–815 Nikephoros I. 815–821 Theodotos I. Melissenos 821–837 Antonios I. Kassimates 837–843 Johannes VII. Grammatikos 843–847 Methodios I. 847–858 Ignatios 858–867 Photios 867–877 Ignatios (erneut) 877–886 Photios (erneut) 886–893 Stephanos I. 893–901 Antonios II. Kauleas 901–907 Nikolaos I. Mystikos 907–912 Euthymios 912–925 Nikolaos I. Mystikos (erneut)
357
925–927 Stephanos II. 927–931 Tryphon 933–956 Theophylaktos 956–970 Polyeuktos 970–973 Basileios I. Skamandrenos 973–976 Antonios III. Studites 980–992 Nikolaos II. Chrysoberges 996–998 Sisinnios II. 1001–1019 Sergios II. 1019–1025 Eustathios 1025–1043 Alexios Studites 1043–1058 Michael I. Kerullarios 1059–1063 Konstantinos III. Leichudes 1064–1075 Johannes VIII. Xiphilinos
358
1075–1081 Kosmas I. Hierosolymites 1081–1084 Eustratios Garidas 1084–1111 Nikolaos III. Grammatikos 111–1134 Johannes IX. Agapetos 1134–1143 Leon Stypes 1143–1146 Michael II. Kurkuas Oxeites 1146–1147 Kosmas II. Attikos 1147–1151 Nikolaos IV. Muzalon 1151–1153/54 Theodotos II. 1153/54–1154 Neophytos 1154–1157 Konstantinos IV. Chliarenos 1157–1170 Lukas Chrysoberges 1170–1178 Michael III. Anchialos 1178–1179 Chariton Eugeniotes 1179–1183
359
Theodosios I. Boradiotes 1183–1186 Basileios II. Kamateros 1186–1189 Niketas II. Muntanes 1189 Dositheos v. Jerusalem 1189 Leontis Theotokites 1189–1191 Dositheos v. Jerusalem (erneut) 1191–1198 Georgios II. Xiphilinos 1198–1206 Johannes X. Kamateros 1208–1214 Michael IV. Autoreianos 1214–1216 Theodoros II. Eirenikos 1216 Maximos II. 1217–1222 Manuel I. Sarantenos 1222–1240 Germanos II. 1240 Methodios II. 1244–1255 Manuel II.
360
1255–1259 Arsenios Autoreianos 1260–1261 Nikephoros II. 1261–1264 Arsenios Autoreianos (erneut) 1265–1267 Germanos III. 1267–1275 Josephos I. 1275–1282 Johannes XI. Bekkos 1282–1283 Josephos I. (erneut) 1283–1289 Gregorios II. Kyprios 1289–1293 Athanasios I. 1294–1303 Johannes XII. Kosmas 1303–1310 Athanasios I. (erneut) 1310–1314 Nephon 1315–1319 Johannes XIII. Glykys 1320–1321 Gerasimos I.
361
1323–1334 Esaias 1334–1347 Johannes XIV. Kalekas 1347–1350 Isidoros 1350–1353 Kallistos I. 1353–1354 Philotheos Kokkinos 1355–1363 Kallistos I. (erneut) 1364–1376 Philotheos Kokkinos 1376–1379 Makarios 1379–1388 Neilos 1389–1390 Antonios IV. 1390–1391 Makarios (erneut) 1391–1397 Antonios IV. (erneut) 1397 Kallistos II. Xanthopulos 1397–1410 Matthaios 1410–1416
362
Euthymios II. 1416–1439 Josephos II. 1440–1443 Metrophanes II. 1443–1451 Gregorios III. Melissenos Strategopulos 1450 Athanasios II. 1453–1456 Gennadios II. Scholarios
VI. Kalifen (bis 1075) Die unmittelbaren Nachfolger des Propheten 632–634 Abu Bekr 634–644 Omar I. 644–656 Othman 656–661 Ali Umajjaden 661–680 Muawija I. 680–683 Jezid I.
363
683–684 (?) Muawija II. 684–685 Merwan I. 685–705 Abdalmalik 705–715 Walid I. 715–717 Suleiman 715–720 Omar II. 720–724 Jezid II. 724–743 Hischam 743–744 Walid II. 744 Jezid III. 744–750 Merwan II. 744 Ibrahim Abbasiden (bis 1075) 750–754 as-Saffach 754–775 al-Mansur
364
775–785 al-Machdi 785–786 al-Hadi 786–809 Harun al-Raschid 809–813 al-Amin 813–833 al-Mamun 833–842 al-Mutasim 842–847 al-Wathik 847–861 al-Mutawakkil 861–862 al-Muntasír 862–866 al-Mutazz 866–869 al-Muchtadi 869–892 al-Mutamid 892–902 al-Mutadid 902–908 al-Muktafi
365
912–932 al-Muktadir 932–934 al-Kahir 934–940 al-Radi 940–943 al-Muttaki 943–946 al-Mustakfi 946–974 al-Muti 974–991 al-Tai 991–1031 al-Kadir 1031–1075 al-Kaim
VII. Die Seldschukischen Sultane von Ikonion
1077/8–1086 Suleiman I. 1092–1107 Kilidsch Arslan I. 1107–1116 Malik-Schah 1116–1156 Masud I.
366
1156–1192 Kilidsch Arslan II. 1192–1196 Kaikosru I. 1196–1204 Suleiman II. 1204 Kilidsch Arslan III. 1204–1210 Kaikosru I. (erneut) 1210–1220 Kaikaus I. 1220–1237 Kaikubad I. 1237–1245 Kaikosru II. 1246–1257 Kaikaus II. 1248–1265 Kilidsch Arslan IV. 1249–1257 Kaikubad II. 1265–1282 Kaikosru III. 1282–1304 Masud II. 1284–1307 Kaikubad III. 1307–1308
367
Masud III.
VIII. Osmanische Sultane (bis 1481)
1288–1326 Osman 1326–1362 Orchan 1362–1389 Murad I. 1389–1402 Bajezid I. 1402–1421 Mehmed I. (seit 1413 Alleinherrscher) 1402–1410 Suleiman 1411–1413 Musa 1421–1451 Murad II. 1451–1481 Mehmed II. der Eroberer
IX. Bulgarische Herrscher Erstes Bulgarisches Reich 680–701 Asparuch 701–718
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Tervel 718–724 unbekannt 724–739 Sevar 739–756 Kormisoš 756–762 Vinech 762–764 Teletz 764–766 Sabin 766 Umar, Oktu 767–um 770 Pagan um 770–777 Telerig 777–um 803 Kardam um 803–814 Krum 814 Dokum, Dicevg 814–831 Omurtag 831–836 Malomir
369
836–853 Presiam (vielleicht mit dem vorigen identisch) 852–889 Boris I. Michael 889–893 Vladimir 893–927 Simeon 927–969 Peter 969–972 Boris II. Makedonisches Reich 976–1014 Samuel 1014–1015 Gabriel Radomir 1015–1018 Johannes Vladislav Zweites Bulgarisches Reich 1187–1196 Asen I. 1196–1197 Peter 1197–1207 Kalojan 1207–1218 Boril
370
1218–1241 Ivan Asen II. 1241–1246 Kaliman Asen 1246–1257 Michail Asen 1257–1277 Konstantin Tich 1277–1281 Ivajlo 1279–1280 Ivan Asen III. 1280–1292 Georg I. Terter 1292–1298 Smiletz Interregnum 1299 Čaka 1300–1322 Theodor Svetoslav 1322–1323 Georg II. Terter 1323–1330 Michael Šišman 1330–1331 Ivan Stephan 1331–1371 Ivan Alexander
371
1371–1393 Ivan Šišman (1365–1396 in Vidin: Ivan Stracimir)
X. Serbische Herrscher
Mitte des 9. Jhdts. Vlastimir bis 891 Mutimir 891–892 Prvoslav 892–917 Peter Gojniković 912–920 Paul Branovič 920–um 924 Zacharias Prvoslavljević 927–nach 950 Časlav Klonimirovič Zeta Ende des 10. Jhdts.–1016 Johannes Vladimir um 1040–um 1052 Stephan Voislav um 1052–um 1081 Michael, seit 1077 König um 1081–um 1101
372
Konstantin Bodin Rascien um 1083–um 1114 Vukan um 1167–1196 Stefan Nemanja 1196–um 1228 Stefan der Erstgekrönte, seit 1217 König um 1228–um 1234 Stefan Radoslav um 1234–1243 Stefan Vladislav 1243–1276 Stefan Uroš I. 1276–1282 Stefan Dragutin 1282–1321 Stefan Uroš II. Milutin 1321–1331 Stefan Uroš III. Dečanski 1331–1355 Stefan Dušan, seit 1345 Zar 1355–1371 Zar Stefan Uroš (1366–1371 König Vukašin) 1371–1389 Fürst Lazar
373
1389–1427 Stefan Lazarević, seit 1402 Despotes 1427–1456 Georg Branković 1456–1458 Lazar Branković
XI. Die Ungarischen Herrscher Dynastie der Arpaden 972–997 Fürst Geza 997–1038 Stephan I.d. Heilige 1038–1041 Peter 1041–1044 Aba 1044–1046 Peter (erneut) 1046–1060 Andreas I. 1060–1063 Bela I. 1063–1074 Salomon 1074–1077 Geza I. 1077–1095 Ladislaus I.d. Heilige
374
1095–1115 Koloman d. Gelehrte 1116–1131 Stephan II. 1131–1141 Bela II. 1141–1162 Geza II. 1162 Stephan III. 1162–1163 Ladislaus II. 1163–1165 Stephan IV. 1165–1172 Stephan III. (erneut) 1172–1196 Bela III. 1196–1205 Emmerich 1205 Ladislaus III. 1205–1235 Andreas II. 1235–1270 Bela IV. 1270–1272 Stephan V.
375
1272–1290 Ladislaus IV. 1290–1301 Andreas III. Haus Anjou 1308–1342 Karl I. Robert 1342–1382 Ludwig d. Große 1382–1385 Maria 1385–1386 Karl III. v. Neapel Häuser Luxemburg, Habsburg und andere 1387–1437 Sigismund 1437–1439 Albrecht II. 1440–1457 Ladislaus V. Postumus 1458–1490 Matthias I. Corvinus
XII. Die Normannischen Herrscher von Sizilien
1061–1101 (Graf) Roger I. 1101–1154
376
Roger II. 1154–1166 Wilhelm I. 1166–1189 Wilhelm II. 11189–1194 Tankred von Lecce 1194 Wilhelm III. Anmerkungen Vorwort und Einleitung
1 Eine vergleichende Analyse solcher Systeme unter Einschluß von Byzanz z.B. bei S.N. Eisenstadt, The Political Systems of Empires. 1963. 2 N.H. Baynes, Byzantine Studies and Other Essays, 1960, S. 23. 3 FWG 9, S. 8. Da der Herausgeber Autor des Bandes 9 der Fischer Weltgeschichte ist, faßt Kapitel 1 des vorliegenden Bandes im wesentlichen Fragen und Probleme zusammen, die in Band 9 eingehender behandelt sind. 4 E. Gibbon, The History of the Decline and Fall of the Roman Empire, ed. J.B. Bury, Band I. 1900, S.V. 5 W.E.H. Lecky, History of European Morals from Augustus to Charlemagne. Bd. II. 1869, S. 13 f. 6 Für die Fortschritte der Byzanzforschung in jüngster Zeit vgl. die Forschungsberichte von F. Dölger- A.M. Schneider, Byzanz. 1952; und P. Wirth, Historische Zeitschrift, Sonderheft 3. 1969, S. 575–640. 7 Die letzten Untersuchungen zur Bevölkerungszahl bei J.C. Russell, Late Ancient and Medieval Population, in: Transactions of the American Philosophical Society 48, Teil 3. 1958. Seine Ansätze – die sich nicht wesentlich von Beloch unterscheiden – sind: 15–16 Millionen für den Westen, 23,9 Millionen für den
377
Osten; davon Griechenland und Balkan 5 Millionen, Ägypten 3 Millionen, Syrien 4,3 Millionen, Kleinasien 11,6 Millionen. 8 Ibn Khaldun I 292 (The Muqaddimah, translated by F. Rosenthal. Bd. I. 1958, S. 329). 9 P. Noailles-A. Dain, Les Nouvelles de Léon le Sage. 1944, Novelle 47. 10 Konstantin Porphyrogennetos, de carem I 3. 11 D. Talbot Rice, The Byzantines. 1962, S. 128. 12 H.G. Beck, Kirche und theologische Literatur im Byzantinischen Reich. 1954, S. 1; Saeculum 5. 1944, S. 94 f. 13 F. Dölger, Byzanz und die europäische Staatenwelt, 2. Aufl. 1964, S. 77. 14 Agathias II 15. 15 J.B. Bury, Cambridge Ancient History IV 2. 1967, S. XIII (ursprünglich Einleitung zur Ausgabe von 1923).
Kap. 1: Grundlagen und Anfänge der Byzantinischen Geschichte: das Zeitalter des Justinian und Heraklios (518–717)
1 Zur spätrömischen Struktur und Entwicklung vgl. eingehender FWG 9, S. 21– 171. 2 Prokop, de aedif. I 5, 10. 3 H.G. Beck, Konstantinopel. Zur Sozialgeschichte einer frühmittelalterlichen Hauptstadt, in: Vorträge und Forschungen XI. 1966, S. 321–356, weist auch auf die durch die Funktion als Reichshauptstadt bedingten atypischen Momente in der Sozialstruktur Konstantinopels hin. Hier S. 364 f die neueren Forschungen zur Demen-Frage. 4 Stephan v. Novgorod (14. Jahrhundert) in: T. Sakharov, Récits du peuple russe II. 1849, S. 52. 5 Prokop, Anekdota VII, 8–13.
378
6 Prokop, Bell. Pers. I, 24, 33 f. 7 Constitutio Deo auctore (Corpus Juris Civilis I, ed. Mommsen-krüger 1928, S. 8). 8 Novelle 111 (541). 9 Cod. Just. 1, 14, 12. 10 Novelle 28 (31) 5. 11 Novelle 8 (16) 8. 12 P. Labe-G.v. Cosssart, Sacrosanta concilia. Bd. V. 1672, S. 61. (Patriarch Menas bei der Synode von 536). 13 Sokrates, Hist. eccl. III 16. 14 Novelle 24, 1. 15 P. Charanis, Economic Factors in the Decline of the Byzantine Empire, in: Journal of Economic History 13, 1953, S. 414. 16 Der Zeitpunkt der Einführung der Themenverfassung ist umstritten. Während Stein, Brehier, Ostrogorsky und neuerdings Barker ihn schon unter Heraklios ansetzen, plädieren Diehl, Vryonis, Pertusi, Charanis, Lemerle und Karayannopoulos für das spätere 7. Jahrhundert. Vgl. zuletzt J. Karayannopoulos, Über die vermeintliche Reformtätigkeit des Kaisers Herakleios, in: Jahrbuch der Österreichischen Byzantinischen Gesellschaft 10, 1961, S. 53–72.
Kap. 6: Der Vierte Kreuzzug und seine Folgen
1 Villehardouin, La Conquête de Constantinople, ed. E. Faral. Bd. I. 2. Aufl. Paris 1961, S. 4. 2 A. Wallensköld, Les Chansons de Conon de Béthune. 2. Aufl. Paris 1921, S. 6. Dieses Gedicht (IV) bezieht sich allerdings auf den Dritten Kreuzzug. 3 P. Riant, Exuviae sacrae Constantinopolitanae. Bd. I. Genf 1877, S. 12.
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4 Robert de Clari, La Conquête de Constantinople, in: A. Pauphilet und E. Pognon, Historiens et Chroniqueurs du Moyen Age. Paris 1952, S. 28. 5 P. Riant, Exuviae ..., Bd. I, S. 14. 6 E.H. McNeal und R.L. Wolff, The Fourth Crusade, in: K.M. Setton, A History of the Crusades. Bd. II. 2. Aufl. Madison 1969, S. 172. 7 Gunther von Pairis, Die Geschichte der Eroberung von Konstantinopel, übers, von E. Assmann, Köln 1956, S. 85 (= Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Bd. 101). 8 Ebd., S. 85 f. 9 G.F.L. Tafel und G.M. Thomas, Urkunden zur älteren Handels- und Stadtgeschichte von Venedig. Bd. I. Wien 1856, S. 507 (= Fontes Rerum Austriacarum, Abt. II, Vol. XII). 10 Migne, Patrologia Latina. Bd. 215, Sp. 712. 11 Michaelis Acominati Opera, ed. S.P. Lampros. Bd. II. Athen 1880, S. 354. 12 Ebd., S. 355 13 H. Jaeschke, Der Troubador Elias Cairel. Berlin 1921, S. 150 (= Romanische Studien, H. 20). 14 Ebd., S. 150. 15 Georgii Acropolitae Opera, ed. A. Heisenberg. Bd. I. Leipzig 1903, S. 28. 16 Migne, Patrologia Latina. Bd. 215, Sp. 637. 17 Michaelis Acominati Opera. Bd. II, S. 295 f. 18 Monumenta Germaniae Historica, Scriptores. Bd. XXIII, S. 910. 19 Le Lettere greche di Friderigo II, ed. N. Festa, in: Archivio Storico Italiano, ser. 5, 13. 1894, S. 22. 20 A. Meliarakes, Istoria tou basilikou tes Nikaias kai tou despotatou tes Epeirou (1204–1261). Athen- Leipzig 1898, S. 278. Vgl. Grumel, in: Échos d’Orient 29.
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1930, S. 450–458; dort auch der Text der Briefe Gregors an Vatatzes, lateinisch, und des Kaisers an den Papst, in französischer Übersetzung. 21 Nicephori Gregorae Byzantina Historia, ed. L. Schopen. Bd. I. Bonn 1829, S. 43. 22 Pachymeres I, S. 37, ed. I. Bekker, CSHB. Literaturverzeichnis Allgemeines I. Zusammenfassende Darstellungen Amantos, K., Geschichte des Byzantinischen Reiches. Bd. I, 2. Aufl. 1953, Bd. II. Athen 1947 (neugriechisch). Baynes, N.H. – H. St. L.B. Moss, Byzantium. Oxford 1948. Bréhier, L., Le monde byzantin. 3 Bde. Paris 1947–1950. Cambridge Medieval History. Bd. I, 2. Aufl. 1924. Bd. II, 2. Aufl. 1926. Bd. IV, 2. Aufl. 1966–1967 (hrsg. von J.M. Hussey). Diehl, C. – G. Marçais, Le monde oriental de 395 à 1081. 2. Aufl. Paris 1944. Diehl, C., R. Guilland, L. Oikonomos, R. Grousset, L’Europe orientale de 1081 à 1453. Paris 1945. Diehl, C., Byzance: Grandeur et Décadence. Paris 1919 (engl. Ausgabe: New Brunswick 1957, Bibliographical Note by P. Charanis). Dvornik, F., The Making of Central and Eastern Europe. London 1949. Gibbon, E., The History of the Decline and Fall of the Roman Empire. London 1776–1788 (neu hrsg. von J.B. Bury, London 1896–1900). Hill, G., History of Cyprus. Bd. I-III. Cambridge 1940–1948. Hussey, J.M., Die byzantinische Welt. Stuttgart 1958. Istoria Vizantii (Geschichte von Byzanz), Red. koll.: S.D. Skazkin, V.N. Lazarev, N.V. Pigulevskaja. 3 Bde. Moskau 1967. Jorga, N., Histoire de la vie byzantine. Empire et civilisation. 3 Bde. Bukarest 1934. Lemerle, P., Histoire de Byzance. 3. Aufl. Paris 1956. Ostrogorsky, G., Geschichte des Byzantinischen Staates. 3. Aufl. München 1963. Runciman, S., History of the Crusades. 3 Bde. Cambridge 1951–1955. Setton, K.M. (Hrsg.), A History of the Crusades. Bd. 1 u. 2. 1955–1962. Talbot Rice, D., The Byzantines. London 1962. Vasiliev, A.A., History of the Byzantine Empire, 324–1453. 2 Bde. 2. Aufl. Madison 1958. Baynes, N.H., Byzantine Studies and Other Essays. London 1955. Beck, H.G., Ideen und Realitäten in Byzanz. London 1922.
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1 Das Imperium Romanum in seiner größten Ausdehnung und die territoriale Entwicklung des Byzantinischen Reiches: nach Angaben von Prof. F.G. Maier 2 Die Landmauer von Konstantinopel: nach J.W. Barker, Justinian and the later Roman Empire, Madison 1966 3 Kaiser Justinian zu Pferd: Hirmer Fotoarchiv, München 4 Bawit – koptische Ikone mit Christus und dem Abt Menas (6. bis 7. Jh.), Paris Louvre: Foto Editions Gallimard, Paris 5 Die Rückeroberung des Westens unter Justinian: nach D. Talbot Rice, Morgen des Abendlandes, Droemersche Verlagsanstalt, Th. Knaur Nachf., München 1965 6 Verwendung von Griechischem Feuer bei einer Seeschlacht – Chronik des Johannes Skylitzes, 11. Jh. (illustr. im 14. Jh), Nationalbibliothek Madrid: Foto Ampliaciones Y Reproducciones Mas, Barcelona 7 Die Feldzüge der Jahre 717–775 und die ursprüngliche Ausdehnung der Themen in Kleinasien: nach einer Vorlage von Dr. J. Herrin 8 Darstellung des Übertünchens von Heiligenbildern im Chludov-Psalter, 9. Jh., Staatsbibliothek Moskau: Foto Phototheque Byzantine de l’Ecol Pratique des Hautes Etudes, Paris 9 Die Feldzüge der Jahre 790–814 und die Themen unter Theophilos: nach einer Vorlage von Dr. J. Herrin 10 Turm aus der Zeit des Kaisers Theophilos in der Seemauer von Konstantinopel: Foto: Courtauld Institute of Art, London
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11 Ansiedlung der Slawen auf der Balkanhalbinsel. Bildung des 1. Bulgarischen Reiches: nach D. Kossev, D. Angelov, Ch. Christov, Bulgarische Geschichte, Sofia 1963 12 Das 2. Bulgarische Reich: nach D. Kossev, D. Angelov, Ch. Christov, Bulgarische Geschichte, Sofia 1963 13 Zar Ivan Alexander (in byzantinischer Gewandung) mit seiner Familie. – Lord Curzon Evangeliar, 14. Jh.: Foto Britisches Museum, London 14 Novgorod, Sophien-Kathedrale, 1045–1050: Hirmer Fotoarchiv, München 15 Hl. Lukas, Miniatur der 2. Hälfte des 10. Jhs.: Foto Nationalbibliothek Athen 16 Das Reiche der Makedonenkaiser: nach G. Ostrogorsky, Geschichte des Byzantinischen Staates, C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1940 17 Das Reich der Komnenen: nach G. Ostrogorsky, Geschichte des Byzantinischen Staates, C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1940 18 Goldsiegel Kaiser Heinrichs I.: Foto Librairie Orientaliste Paul Geuthner, Paris 19 Die Romania um 1214: nach Großer Historischer Weltatlas, hrsg. vom Bayerischen-Schulbuch Verlag, München 1970 20 Das Byzantinische Reich im 13. Jahrhundert: nach Cambridge Medieval History, Bd. IV. 1966 / 67 21 Johannes Kantakuzenos als Kaiser und Mönch: aus D.M. Nicol, The Byzantine Family of Kantakouzenos (Cantacuzenus), ca. 1100–1460. Washington, D.C. 1968: Foto Nationalbibliothek Paris 22 Das Vordringen der Türken im 14. Jahrhundert: nach Cambridge Medieval History, Bd. IV. 1966 / 67
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