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Doris Holtmann: Funktionen und Folgen von Leistungsbeurteilungen. Eine Studie zur Einführung eines personalwirtschaftlichen Standardinstrumentariums in öffentlichen Verwaltungen ISBN 978-3-86618-224-0, Rainer Hampp Verlag, München u. Mering, 2008, 282 S., € 29.80
Mit dem im Jahr 2005 abgeschlossenen Tarifvertrag (TVöD) findet die „leise Revolution“ im öffentlichen Dienst Deutschlands ihren vorläufigen Abschluss. Die seit den 70er Jahren in verschiedenen Reformvorhaben angeregte Umsetzung des Leistungsprinzips in Form leistungsbezogener Vergütungsbestandteile wird nun praktisch implementiert. An die Einführung leistungsbezogener Entgelte im öffentlichen Dienst sind hohe Erwartungen geknüpft: Vorrangig eine höhere Leistungsbereitschaft (Motivation) der Mitarbeiter und in Folge eine Verbesserung der Dienstleistungsqualität des öffentlichen Dienstes. Darüber hinaus ist eine Professionalisierung des Personalmanagements öffentlicher Organisationen zu erwarten. Vor diesem Hintergrund arbeitet die vorliegende Studie theoretisch und empirisch Funktionen und Folgen leistungsorientierter Entgelte auf. Ausgehend von einer personalwirtschaftlichen Diskussion der Reform(-bemühungen) des öffentlichen Dienstes in Deutschland und einer umfassenden Zusammenschau von Instrumenten der Personalbeurteilung werden theoretisch die Bedingungen des gewünschten Engagements der MitarbeiterInnen in öffentlichen Organisationen diskutiert. In Analogie zum Leitbild des „engagierten Mitarbeiters“ im „Neuen Steuerungsmodell“ (KGSt) werden die arbeitnehmerseitig fokussierten Verhaltensannahmen im Konstrukt des „Organizational Citizenship Behavior“ (OCB) zusammengefasst. Als zentrale Voraussetzung des OCB – im Verständnis eines organisationsdienlichen Extra-RollenVerhaltens – wird für die Wirksamkeit leistungsorientierter Entgelte die wahrgenommene Gerechtigkeit des (neuen) Prozedere der Leistungsbeurteilung seitens der Betroffenen thematisiert. Leitannahme der Studie ist, dass organisationale Gerechtigkeit das Extra-Rollen-Verhalten von MitarbeiterInnen positiv beeinflusst. Diese Leitannahme, dass Gerechtigkeit in materieller, instrumenteller und interaktiver Dimension – beispielsweise bei der kommunikativen Vermittlung der Ergebnisse durch die Vorgesetzten (Führungskräften) – Voraussetzung des wünschenswerten Engagements ist, ist Grundlage der vorliegenden empirischen Studie. Das qualitative Datenmaterial der Arbeit basiert auf Interviews mit Betriebsleitern und -leiterinnen, Beurteilern und Beurteilten aus kommunalen Betrieben, die im Rahmen eines dreijährigen Begleitforschungsprojektes zur Einführung von Leistungsentgelten im öffentlichen Dienst durchgeführt wurden. Schlüsselwörter: Personalmanagement in öffentlichen Organisationen, Leitungsbeurteilung, Organizational Citizenship Behavior (OCB), organisationale Gerechtigkeit, Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) Dr. Doris Holtmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personal und Organisation am Internationalen Institut für Management der Universität Flensburg.
Doris Holtmann
Funktionen und Folgen von Leistungsbeurteilungen Eine Studie zur Einführung eines personalwirtschaftlichen Standardinstrumentariums in öffentlichen Verwaltungen
Rainer Hampp Verlag
München und Mering
2008
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN: 978-3-86618-204-0 DOI 10.1688/9783866182040 1. Auflage, 2008 Zugl.: Flensburg, Univ., Diss. 2007 © 2008
Rainer Hampp Verlag Marktplatz 5
München und Mering D – 86415 Mering
www.Hampp-Verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen, Übersetzungen und die Einspeicherung in elektronische Systeme. ∞
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Geleitwort Der öffentliche Dienst stand bislang nicht im Fokus der Aufmerksamkeit personalwissenschaftlicher Forschung. Dies ist auf den ersten Blick erstaunlich, denn der öffentliche Sektor – also Bund, Länder und Gemeinden – ist mit rund 4,6 Millionen Beschäftigten nach wie vor der größte „Arbeitgeber“ Deutschlands. Bei näherer Betrachtung erklärt sich die Vernachlässigung des öffentlichen Dienstes in der Personalwissenschaft: Das überschaubare Problemspektrum der im öffentlichen Dienst vorherrschenden Praxis der Personalverwaltung und -führung erschien im Standardrepertoire der personalwissenschaftlichen Forschung gut abgedeckt zu sein. Dies wird sich ändern. Mit dem neuen Tarifwerk für den öffentlichen Dienst – dem im Jahr 2005 abgeschlossenen TVöD – endet nicht nur eine Ära von nahezu einem halben Jahrhundert der Stabilität in den tariflichen Regelungen der Arbeitsbeziehungen des öffentlichen Dienstes, sondern es wird mit der Einführung leistungsbezogener Entgelte auch ein neues Kapitel in der Personalpraxis des öffentlichen Dienstes eröffnet. Es ist zu erwarten, dass mit leistungsbezogenen Entgelten der Nukleus für eine Professionalisierung des Personalmanagements im öffentlichen Dienst implementiert worden ist. Diese Überlegungen können als Hintergrundannahmen der vorliegenden Schrift gelten. Denn es geht Doris Holtmann nicht nur darum Funktionen und Folgen leistungsorientierter Entgelte im Allgemeinen theoretisch wie empirisch aufzuzeigen, sondern im Besonderen die Bedingungen des öffentlichen Dienstes zu explorieren. Entsprechend resümiert die Autorin die Reformanstrengungen im öffentlichen Dienst aus personalwissenschaftlicher Perspektive. Im Zentrum der Reformvorstellungen findet sich einerseits ein neues Leitbild des Personals im öffentlichen Dienst: Gefordert wird – prominent im sogenannten „Neuen Steuerungsmodell“ der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) – der „engagierte Mitarbeiter“. Dieses Leitbild bringt die Autorin in der Tradition des „Organizational Behavior“ mit dem Extra-Rollen-Verhalten auf den theoretischen Begriff. Konkret wird das Extra-Rollen-Verhalten hier in der zeitgenössischen Variante des „Organizational Citizenship Behavior“ gefasst. Andererseits adaptieren die zitierten Reformvorstellungen Instrumente der Personalpraxis privatwirtschaftlich verfasster Organisationen. Im skizzierten Kontext sind dies insbesondere leistungsorientierte Entgelte.
II
Geleitwort
Öffentliche Organisationen sehen sich in der Folge dieser Entwicklungen mit einer Reihe personalwirtschaftlicher Problemstellungen konfrontiert. Praktisch vorrangig stellt sich die Frage nach Zielkriterien und geeigneten Verfahren der Entgeltfindung. Die vorliegende Schrift stellt sich dieser Problemstellung und liefert eine umfassende Zusammenschau von Instrumenten der Personalbeurteilung und der Entgeltbestimmung. Möglicherweise noch nützlicher für die Praxis ist die theoretische Bestimmung der Randbedingungen des wünschenswerten Engagements der Mitarbeiter öffentlicher Organisationen. In der Aufarbeitung der Forschung zum ExtraRollen-Verhalten, insbesondere unter den Stichworten psychologischer Verträge sowie der intrinsischen Mitarbeitermotivation und ihrer Verdrängung durch extrinsische Anreize, wird die wahrgenommene Gerechtigkeit leistungsorientierter Entgelte als zentrale Voraussetzung des „Organizational Citizenship Behavior“ bestimmt. Diese Leitannahme, dass Gerechtigkeit in materieller, instrumenteller und interaktiver Dimension, d.h. in der Kommunikation mit der Führungskraft vermittelter Ergebnisse, Voraussetzung des wünschenswerten Engagements ist, erkundet Doris Holtmann empirisch auf der Basis von mehr als dreißig qualitativen Interviews mit Betriebsleitern und -leiterinnen, Beurteilern und Beurteilten. Die Interviews entstanden in einem dreijährigen Begleitforschungsprojekt zur Einführung leistungsorientierter Entgelte in kommunalen Betrieben. Dieses außergewöhnlich umfangreiche Datenmaterial ist Basis einer qualitativen, theoriegeleiteten Inhaltsanalyse, deren Berichterstattung – einmal mehr – zeigt, was solide qualitative Sozialforschung verlangt: Emphase, die auf genauer Kenntnis des Gegenstands beruht. Kurz: Diese Schrift ist nicht nur für die Praxis des in Entfaltung begriffenen Personalmanagements des öffentlichen Dienstes von Interesse. Insofern die Hintergrundannahme der Arbeit zutreffend ist, wird sie Folgestudien zum Personalmanagement öffentlicher Organisationen anregen, was nicht zuletzt mit Blick auf die Entwicklung personalwissenschaftlicher Forschung zur Personalpraxis des öffentlichen Dienstes wünschenswert ist.
Flensburg, im Januar 2008
Wenzel Matiaske
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung .................................................................................................... 1
2
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“ ....... 7
2.1
Die Reform(-bemühungen) des öffentlichen Dienstes in Deutschland ....... 8
2.2
Das „Neue Steuerungsmodell“ ................................................................... 11
2.3
Personalwirtschaftliche Zielsetzunge n des „Neuen Steuerungsmodells“ .. 15
2.4
Konzeptionen des Personalmanagements und ihre Bedeutung für öffentliche Organisationen ......................................................................... 20
2.5
Der engagierte Mitarbeiter im Leitbild der Reform ................................... 32
2.6
Zusammenfassung ...................................................................................... 35
3
Leistungsbeurteilungen: Personalwirtschaftliche Instrumente und Rahmenbedingungen im öffentlichen Dienst ................................ 37
3.1
Lohngerechtigkeit aus ökonomischer Perspektive ..................................... 38
3.1.1
Lohngerechtigkeit und Arbeitsmarkttheorien ............................................ 39
3.1.2
Betriebliche Lohngerechtigkeit .................................................................. 45
3.1.3
Soziale Aspekte der Lohngerechtigkeit ..................................................... 49
3.2
Personalwirtschaftliche Standardverfahren der Leistungsbeurteilung ....... 52
3.2.1
Der Begriff der Leistungsbeurteilung ........................................................ 52
3.2.2
Funktionen betrieblicher Leistungsbeurteilungen ...................................... 56
3.2.3
Verfahren betrieblicher Leistungsbeurteilungen......................................... 60
3.3
Anforderungen an Leistungsbeurteilungssysteme ..................................... 87
3.3.1
Messtheoretische Anforderungen: Solide Informationen .......................... 89
3.3.2
Substantielle Anforderungen: Fairness und Kommunikation .................... 91
3.4
Leistungsbeurteilung und -Vergütung in der Verwaltungspraxis .............. 96
3.4.1
Bisherige Regelungen zur Leistungsbeurteilung und Leistungsvergütung ................................................................................................... 98
3.4.2
Stand der Einführung von Leistungsbeurteilungen .................................. 102
IV
3.4.3
Inhaltsverzeichnis
Aktuelle und zukünftige Regelungen leistungsorientierter Vergütung im öffentlichen Dienst .............................................................................. 107
3.5
Zusammenfassung .................................................................................... 112
4
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen – Ein theoretischer Bezugsrahmen ....................................................... 115
4.1
Arbeitsverträge in der ökonomischen Theorie: Das Problem der Unvollständigkeit ...................................................................................... 117
4.1.1
Äquivalententausch oder Autoritätsverhältnis? ....................................... 117
4.1.2
Das Problem unvollständiger Information: Cui Bono? ........................... 119
4.1.3
Arbeitsbeziehungen als Sozialtauschbeziehungen: Die AnreizBeitragstheorie ......................................................................................... 121
4.2
Arbeitsbeziehungen aus psychologischer Sicht: Das (veränderliche) Vertragskontinuum implizierter Verträge ................................................ 123
4.2.1
Der Arbeitsvertrag aus psychologischer Sicht: Die Fülle der Erwartungen ............................................................................................. 125
4.2.2
Die Dynamisierung von psychologischen Arbeitsverträgen: (Mögliche) Konsequenzen ....................................................................... 128
4.3
Auswirkungen materieller Anreize auf das Extra-Rollenverhalten in Organisationen ......................................................................................... 132
4.3.1
Konzepte zum Extra-Rollenverhalten: Der gute Organisationsbürger .... 133
4.3.2
Bedingungen organisationsdienlichen Verhaltens: Kognitive und affektive Aspekte distributiver und prozeduraler Gerechtigkeit .............. 136
4.3.3
Materielle Anreize und Extra-Rollenverhalten (in öffentlichen Verwaltungen) .......................................................................................... 138
4.3.4
Ansätze der Anreizgestaltung: Intrinsische versus extrinsische Motivation? .............................................................................................. 142
4.4
Gerechtigkeit als Schlüsselvariable zur Erklärung von ExtraRollenverhalten: Leitannahmen ............................................................... 148
5
Empirische Analyse ............................................................................... 151
5.1
Ausgangslage und Zielsetzung in den Organisationen ............................ 152
Inhaltsverzeichnis
5.1.1
V
Stadt (1) – Technische Betriebe (TBK) und Entsorgungsbetriebe (EBK) ......................................................................................... 153
5.1.2
Stadt (2) – Baubetriebshof ....................................................................... 154
5.1.3
Stadt (3) – Technische Dienste ................................................................ 156
5.1.4
Funktionen betrieblicher Leistungsbeurteilungen in den untersuchten Betrieben ............................................................................. 157
5.1.5
Das eingesetzte Instrumentarium zur Leistungsbeurteilung: LBB-SYS . 162
5.2
Methodische Vorgehensweise .................................................................. 163
5.2.1
Unterscheidungsmerkmale qualitativer und quantitativer Analysen ....... 163
5.2.2
Untersuchungsdesign und Datenerhebung ............................................... 166
5.2.3
Datenauswertung ...................................................................................... 174
5.2.4
Gütekriterien qualitativer Forschung ....................................................... 190
5.3
Darstellung der Befunde .......................................................................... 193
5.3.1
Organisationale Gerechtigkeit und Leitungsbeurteilung aus Sicht der Beurteilten ................................................................................. 194
5.3.2
Organisationale Gerechtigkeit und Leitungsbeurteilung aus Sicht der Beurteiler .................................................................................. 202
5.3.3
Organisationale Gerechtigkeit und Extra-Rollenverhalten (OCB) .......... 209
5.3.4
Korrespondenzanalyse ............................................................................. 221
5.4
Zusammenfassung der Ergebnisse ........................................................... 228
5.4.1
Organisationale Gerechtigkeit und Leistungsbeurteilung ........................ 228
5.4.2
Organisationale Gerechtigkeit und Extra-Rollenverhalten ...................... 230
5.4.3
Quintessenzen .......................................................................................... 232
6
Resümee .................................................................................................. 235
Literaturverzeichnis ................................................................................................ 243
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Abbildungen Abb. 2.1
Phasen der Verwaltungsreform in der Bundesrepublik Deutschland .... 10
Abb. 2.2
Leitbild bürokratisch-zentralistischer versus ergebnisorientierterdezentraler Steuerung ............................................................................ 13
Abb. 2.3
Human Resource Cycle ......................................................................... 26
Abb. 2.4
Der Human-Resources-Ansatz nach dem Harvard-Konzept ................ 28
Abb. 2.5
Unterschiede zwischen herkömmlicher Personalarbeit und Human Resource Mana gement ............................................................. 30
Abb. 2.6
Rollen, Rollenverhalten und Extra-Rollenverhalten ............................. 33
Abb. 3.1
Das Begriffssystem der Eignungsprüfung ............................................. 54
Abb. 3.2
Übersicht über die i.d.R. verfolgten Funktionen einer Leistungsbeurteilung ............................................................................................. 58
Abb. 3.3
Wirkungsdimensionen von Leistungsvergütungssystemen in der Verwaltung ...................................................................................... 59
Abb. 3.4
Klassifizierung von Leistungsbeurteilungsverfahren ............................ 61
Abb. 3.5
Beispiel vorgegebener Leistungsgruppen ............................................. 65
Abb. 3.6
Verwendung eigenschaftsorientierter Leistungsbeurteilungsmerkmale in der Praxis .......................................................................... 74
Abb. 3.7
Beispiel einer Verhaltenserwartungsskala ............................................ 77
Abb. 3.8
Beispiel einer Verhaltensbeobachtungsskala ........................................ 78
Abb. 3.9
Struktur einer zielorientierten Leistungsbeurteilung ............................. 83
Abb. 3.10 Grenzen und Möglichkeiten betrieblicher Leistungsbeurteilungsverfahren, Teil 1 ................................................................ 85 Teil 2a .................................................................................................... 86 Teil 2b ................................................................................................... 87 Abb. 3.11 Anwendung der Leistungselemente in den Bundesländern ................ 101 Abb. 3.12 Gegenüberstellung neues und altes Tarifrecht des öffentlichen Dienstes ............................................................................................... 109 Abb. 3.13 Gegenüberstellung neues und altes beamtenrechtliches Bezahlungssystems .............................................................................. 112 Abb. 4.1
Der „alte“ und der „neue“ psychologische Vertrag ............................ 129
VIII
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abb. 4.2
Vergleich der Inhaltstheorien .............................................................. 144
Abb. 5.1
Gegenüberstellung quantitativer und qualitativer Sozialforschung .... 165
Abb. 5.2
Untersuchungsanlage der qualitativen Erhebung ................................ 168
Abb. 5.3
Vergleich zweier Verfahren zur Erhebung verbaler Daten ................. 174
Abb. 5.4
Allgemeines Ablaufmodell strukturierender Inhaltsanalyse ............... 178
Abb. 5.5
Korrespondenzanalyse – Befunde der Beurteilten (BT) ..................... 223
Abb. 5.6
Korrespondenzanalyse – Befunde der Beurteiler (BU) ....................... 224
Abb. 5.7
Relationaler und transaktionaler Vertrag ............................................ 233
Tabellen Tab. 3.1
Antworten nach Einwohnergrößenklassen .......................................... 103
Tab. 3.2
Jahr der Einführung von Leistungsbeurteilungen ............................... 104
Tab. 3.3
Anteil der Mitarbeiter mit Zulagen ..................................................... 105
Tab. 3.4
Einstellungen im Zeitverlauf ............................................................... 106
Tab. 5.1
Kodierleitfaden „Verteilungsgerechtigkeit“ ........................................ 182
Tab. 5.2
Kodierleitfaden „Verfahrensgerechtigkeit“ – Beurteilte (Ausschnitt) 183
Tab. 5.3
Kodierleitfaden „Verfahrensgerechtigkeit“ – Beurteiler ..................... 184
Tab. 5.4
Kodierleitfaden „Interaktionsgerechtigkeit“ – Beurteilte ................... 186
Tab. 5.5
Kodierleitfaden „Interaktionsgerechtigkeit“ – Beurteiler ................... 187
Tab. 5.6
Kodierleitfaden „Organizational Citizenship Behavior (OCB)” ......... 189
Tab. 5.7
Evaluierung des Forschungsprozesses ................................................ 193
Tab. 5.8
Quantitativer Überblick der Befunde der Beurteilten (BT) ................ 195
Tab. 5.9
Quantitativer Überblick der Befunde der Beurteiler (BU) .................. 203
Tab. 5.10 Organisationale Gerechtigkeit und Leistungsbeurteilung ................... 229
Abkürzungsverzeichnis BAT
Bundesangestelltentarif
BAT-O
Bundesangestelltentarif Ost
BBesG
Bundesbesoldungsgesetz
BES
Behavioral Expectation Scale
BeschFG
Beschäftigungsförderungsgesetz
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BL
Betriebsleiter
BMBF
Bundesministerium für Bildung und Forschung
BMT-G
Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter/-innen der Gemeinden
BMT-G-II
Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter/-innen gemeindlicher Verwaltungen und Behörden
BT
Beurteiler
BU
Beurteilter
EBK
Entsorgungsbetriebe
EEOC
Equal Employment Opportunity Comission
GQM
Ganzheitliche Qualifikation
HGB
Handelsgesetzbuch
HR
Human Resource
HRM
Human Resource Management
KGSt
Kommunale Gemeinschaftsstelle
KschG
Kündigungsschutzgesetz
LZ
Leistungszulage
MbO
Managements by Objectives
MTArb
Manteltarifvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter des Bundes und der Länder
MTArb-O
Manteltarifvertrag-Ost für Arbeiterinnen und Arbeiter des Bundes und der Länder
NSM
Neues Steuerungsmodell
OCB
Organizational Citizenship Behavior
ÖTV
Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr
REFA
Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung
StruktRefG
Strukturreformgesetz
X
Abkürzungsverzeichnis
TBK
Technische Betriebe
TV-L
Rahmentarifvertrag über Grundsätze der Gewährung von Leistungszulagen und -prämien
TVöD
Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes
TV-V
Tarifvertrag Versorgungsbetriebe
VBS
Verhaltensbeobachtungsskalen
VES
Verhaltenserwartungsskala
VKA
Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber
ver.di
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
„Der Begriff des Wandels hat eine in manchen Hinsichten nützliche Unschärfe. Es ist heute wohl allgemein akzeptiert, dass Wandel nicht als Rückkehr zu einem (alten oder neuen) Gleichgewicht begriffen werden kann. (…) Offen bleibt ob er, wenn mit Absicht herbeigeführt, den Absichten (mehr oder weniger) entspricht oder nicht.“ (Niklas Luhmann)
1 Einleitung
Leistung ist ein zentraler Begriff zur Charakterisierung moderner Gesellschaften. Die Beschreibung als Leistungsgesellschaft wurde jedoch einige Zeit durch andere Merkmale – die wie „Dienstleistung“, „Information“ oder „Wissen“ neue Rohstoffe der Wertschöpfung hervorheben – überdeckt. In jüngerer Zeit erfährt der grundlegendere Leistungsbegriff eine Renaissance. Die Hervorhebung der individuellen Leistung dominiert die Diskussionen um den globalisierten Wettbewerb und dessen ökonomische und soziale Auswirkungen (Sennett 2000) ebenso wie die Debatten um den Umbau des Sozialstaates und der damit verbundenen Verschiebung der Leistungen von kollektiven Sozialsystemen auf den Einzelnen (Berger 1999). In der Betriebs- oder, genauer, in der Personalwirtschaftslehre lässt sich diese Entwicklung in der verstärkten Auseinandersetzung mit Leistungsanreizsystemen aufzeigen (Breisig 2003). Die Funktionen und Folgen von Leistungsanreizsystemen sind Gegenstand dieser Arbeit. Konkret untersucht die Studie die Einführung von Leistungsbeurteilungen und –entgelten in öffentlichen Organisationen. Der Terminus öffentliche Organisationen bezeichnet hier sowohl Verwaltungen als auch öffentliche Betriebe wie Regieoder Eigenbetriebe. Damit rückt die vorliegende Arbeit öffentliche Organisationen in den Mittelpunkt, deren Leistungserstellung im Kontext der aktuell geführten Debatten besonders kritisch beurteilt wird. Die Leistungen öffentlicher Organisationen verbinden sich im Außenbild der Öffentlichkeit mit Stichworten
wie Verbesserung
der Leistungsfähigkeit und der Dienstleistungsqualität im Interesse des Bürgers. Die Schlüsselworte der betriebswirtschaftlichen bzw. personalwirtschaftlichen Diskussion nach innen lauten: Organisations- und Personalentwicklung (KGSt 1993). In den aktuellen Bemühungen des öffentlichen Dienstes das Leistungsprinzip auf personel-
2
Einleitung
ler Ebene umzusetzen dominiert die Installation leistungsbezogener Entgeltsysteme (Oechsler 2007). Öffentliche Organisationen sind ein besonders geeignetes Feld zur personalwirtschaftlichen Analyse der Funktionen und Folgen von Leistungsanreizsystemen, weil diese Organisationen mit deren Einführung zumeist „Neuland“ betreten. Wegen der relativen Neuartigkeit des Instrumentariums lassen sich die Erwartungen an Leistungsanreizsysteme und die mit ihrer Implementierung einhergehenden Schwierigkeiten besonders deutlich zeigen. Da der Implementierungsprozess in den hier untersuchten Organisationen keineswegs als abgeschlossen gelten kann, wird in der vorliegenden Arbeit ein Teilaspekt von Leistungsanreizsystemen, die Leistungsbeurteilung, hervorgehoben. Das in der Organisationstheorie prominente Begriffspaar „Funktionen und Folgen“ thematisiert – in Anlehnung an Luhmanns (1972) Untersuchung formaler und informaler Organisationen – die intendierten und nicht-intendierten Effekte von Leistungsanreizsystemen. Im Unterschied zur Luhmannschen Organisationsauffassung werden hier jedoch nicht Systeme, sondern auf verhaltenstheoretischer Grundlage Akteure betrachtet. Die Intentionen von Leistungsanreizsystemen untersucht diese Studie auf Ebene des Personalmanagements; die intendierten und nicht-intendierten Effekte dagegen auf Ebene der betroffenen Mitarbeiter. Die zentrale Fragestellung der vorliegenden Untersuchung lässt sich demnach genauer als Analyse der Wirkungen von Leistungsbeurteilungen auf das Verhalten von Mitarbeitern fassen. Mit dieser Fragestellung verbindet sich eine bestimmte theoretische Orientierung. Ausgehend von der Theorie des Sozialtauschs (Matiaske 2003), welche die Arbeitsbeziehung nicht als rein ökonomische Tauschbeziehung berücksichtigt, werden Ansätze der verhaltensorientierten Personalwirtschaftlehre (Martin 2003) in den theoretischen Bezugsrahmen dieser Arbeit integriert. Als Basistheorie zur Erklärung des Engagements in Organisationen dient die auf Barnard (1938) zurückgehende Anreiz-Beitrags-Theorie, die dieser zur Erklärung informellen Engagements entworfen hat. Die Anreiz-Beitrags-Theorie erhellt jedoch das Kalkül, auf Grund dessen Individuen die Angemessenheit von Anreizen und Beiträgen einschätzen, nur recht kusorisch. Um die Vielfalt der Facetten des wechselseitigen sozialen Interesses der Organisationsmitglieder in das Kalkül der Gestaltung von Anreizsystemen mit einzubeziehen, wird als weiterer Beschreibungsrahmen aus dem Repertoire der sozialpsychologischen Literatur das Konstrukt des psychologischen Vertrages (Rousseau
Einleitung
3
1995) näher beleuchtet. Die Grundannahme des „psychologischen Vertrages“ impliziert, dass nicht explizit definierte Vertragsbestandteile, sondern gegenseitiges Vertrauen, wechselseitige Erwartungen und Fairness als Bindeglied der Austauschbeziehung und als steuernde Verhaltensdeterminante gelten. Analog zum „psychologischen Vertrag“ ist auch das Konzept des „Extra-Rollenverhaltens“ an soziale Reziprozitäten gebunden. Mit dem Konzept des „Extra-Rollenverhaltens“ wird zum Ausdruck gebracht, dass das Funktionieren und Gedeihen von Organisation maßgeblich von „Extraleistungen“ ihrer Mitarbeiter abhängt. Im theoretischen Bezugsrahmen dieser Arbeit werden diese arbeitnehmerseitig fokussierten Verhaltensannahmen im Konstrukt des Organiziational Citizenship Behavior (OCB) (Organ 1988) zusammengefasst. Die in diesem Konstrukt gebündelten Verhaltensweisen sind nicht Bestandteil beruflicher Leistung im engeren Sinne und können nicht explizit in einem Arbeitsvertrag fixiert werden. Eben diese Verhaltensweisen sind es, die im Leitbild des „Neuen Steuerungsmodells“ der KGST (1993), das als Bezugspunkt der jüngeren Reformdebatte gilt, das intendierte Leitbild eines engagierten Mitarbeiters im Sinne eines „Organisationsbürgers“ beschreiben. Das Modell fokussiert einerseits eine stärkere Verantwortung des einzelnen Mitarbeiters und andererseits dessen motivationale Bindung an die Zielerreichung durch den Einsatz materieller Leistungsanreize. Als Voraussetzung organisationaler Effizienz und Effektivität – im Sinne des
OCB – kommt in der organisationstheoretischen Literatur
der wahrgenommenen Gerechtigkeit
eine Schlüsselrolle zu. Nur Anreizsysteme, die
grundlegend in ihren Folgen, aber auch in ihrer Vorgehensweise und ihrer Rückkoppelung als gerecht erlebt werden, bieten einen geeigneten Rahmen, in dem sich organisationsdienliches Verhalten entwickelt. Sicherlich ließen sich einige Aspekte der Fragestellung der vorliegenden Arbeit auch mit Theorien alternativer Strömungen in der Personalwirtschaftslehre beleuchten. Insbesondere strikt personalökonomische Theorien, die häufig als Alternative zum verhaltensorientierten Programm angeboten werden, vernachlässigen jedoch die sozialen Aspekte der Arbeitsbeziehung ebenso wie die psychologischen Wirkungen personalwirtschaftlicher Maßnahmen. Genau diese Aspekte stehen jedoch in der vorliegenden Arbeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die skizzierte Thematik wird im Folgenden in sechs Kapiteln ausgearbeitet. Zunächst werden im zweiten Kapitel der vorliegenden Arbeit die personalwirtschaftlichen Aspekte der jüngsten Reformdebatte öffentlicher Organisationen vorgestellt.
4
Einleitung
Als Bezugspunkt des aktuellen Reformprozesses gilt das „Neue Steuerungsmodell“ der Kommunalen Gemeinschaftsstelle (KGST) (1993). Dieses Steuerungsmodell wird vor allem mit Blick auf seine personalwirtschaftlichen Reformvorschläge vorgestellt: Gefordert werden erhebliche Veränderungen der Personalarbeit im öffentlichen Dienst. Im Fokus der Forderung steht neben Maßnahmen der Personalentwicklung vor allem auch der Einsatz materieller Anreize und damit die Einführung variabler Entgeltbestandteile. Das im „Neuen Steuerungsmodell“ geforderte Engagement der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst wird im Fortgang dieser Arbeit theoretisch im Sinne eines aktiven „Organisationsbürgers“ (OCB) als Extra-Rollenverhalten gefasst. Ferner wird im Rahmen des Kapitels die diskutierte Neugestaltung des Personalmanagements öffentlicher Organisationen kritisch hinterfragt und möglichen Konzeptionen eines integrativen Human Ressource Managements gegenübergestellt. Eingebettet ist das Kapitel in eine Darstellung der bisherigen Reformbemühungen des öffentlichen Dienstes in der Bundesrepublik Deutschland im historischen Verlauf und der Diskussion um den (möglichen) Erfolg der intendierten personalwirtschaftlichen Zielsetzungen des „Neuen Steuerungsmodells“. Das dritte Kapitel diskutiert das personalwirtschaftliche Instrumentarium der Leistungsbeurteilung. Ausgangspunkt der Diskussion ist die personalwirtschaftliche Leitannahme der Entgeltgerechtigkeit. Der Aspekt leistungsgerechter Lohndifferenzierungen wird aus ökonomischer sowie betrieblicher Perspektive näher beleuchtet und um soziale Aspekte der organisationstheoretischen Gerechtigkeitsforschung ergänzt. In der praktischen Umsetzung gerechter Entgeltfindung stehen Verfahren der Leistungsbeurteilung im Mittelpunkt. Diese werden auf Basis der personalwirtschaftlichen Literatur beschrieben und ob ihrer führungspolitischen und personalwirtschaftlichen Eignung als Grundlage variabler Leistungsvergütung diskutiert. Mit dem Einsatz von Instrumenten zur Leistungsbeurteilung stellt sich das Problem der Verfahrensgerechtigkeit, das an dieser Stelle aus der – in der Personalwirtschaft oftmals vernachlässigten – messtheoretischen Perspektive genauer betrachtet wird. Neben den messtheoretischen Anforderungen werden weitere
(organisationale) Ge-
rechtigkeitsaspekte, wie beispielsweise Transparenz, Kommunikation und Fairness thematisiert, die in der organisationstheoretischen Forschung als ausschlaggebend für die Akzeptanz von betrieblichen Entscheidungsverfahren gelten. Im Anschluss an diese Diskussionen werden die für die Beschäftigten öffentlicher Organisationen geltenden tariflichen und gesetzlichen Regelungen zur leistungsorientierten Vergü-
Einleitung
5
tung der 90 Jahre vorgestellt und um die heute aktuellen Regelungen, insbesondere dem 2005 abgeschlossenen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), ergänzt. Die Ergebnisse einer Kommunalbefragung (Matiaske; Holtmann; Weller 2005) bezüglich der Akzeptanzfaktoren von Leistungsvergütungen, die erwarteten bzw. realisierten Funktionen für die Personalarbeit sowie die organisationale Verbreitung von Leistungsbeurteilungssystemen runden das Kapitel ab. Zielsetzung des vierten Kapitels ist es, einen theoretischen Bezugsrahmen zu entwerfen, der auf individueller Ebene die Wirkung von Leistungsbeurteilungen und –entlohnungen erklärt.
Zunächst wird die Beziehung von Mitarbeiter und Organisa-
tion näher beleuchtet. Analog der eingangs skizzierten theoretischen Orientierung wird die Arbeitsbeziehung nicht als rein ökonomische, sondern als soziale Beziehung interpretiert.
Ausgehend von der in der vorliegenden Arbeit gewählten Interpreta-
tion, die den „engagierten“ Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes als Leitbild der Reformbemühungen im Sinne eines „Organisationsbürgers“ identifiziert, wird die in der Theorie beschriebene Interdependenz von Extra-Rollenverhalten und Fairnessbedingungen im Prozess der Einführung von Entscheidungsverfahren der Lohndifferenzierung näher beleuchtet. Damit rücken in die weitere Betrachtung, beispielsweise im Unterschied zur Gleichheitstheorie (Adams 1963), die mehr oder weniger ausschließlich auf den Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit adressiert, die in neueren Diskussionen thematisierten verhaltensrelevanten Ebenen der Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit in den Mittelpunkt. Das Kapitel schließt mit der Formulierung zweier Leitannahmen, die die
organisationale Gerechtigkeit als notwendige Voraus-
setzung für gezeigtes Extra-Rollenverhalten in das Zentrum der empirischen Analyse der vorliegenden Arbeit rückt. Ziel des empirischen Teils (Kapitel fünf dieser Arbeit) ist es, die Wirkungen von Leistungsbeurteilungen auf das Verhalten von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst zu untersuchen. Im Zentrum der Analyse stehen Aussagen zur wahrgenommenen Gerechtigkeit von Betroffenen. Den subjektiven Gerechtigkeitsurteilen –
in den einzel-
nen Dimensionen der Verteilungs-, der Verfahrens- und der Interaktionsgerechtigkeit – werden Selbstauskünfte der Mitarbeiter und Fremdurteile der Vorgesetzten zum Extra-Rollenverhalten der Beurteilten gegenübergestellt. Grundlage der empirischen Analyse sind Daten aus vier kommunalen Betrieben, die teilweise mehrjährige Erfahrungen mit der Einführung und Etablierung von Leistungsbeurteilungen besitzen. Zunächst wird die Ausgangslage dieser Betriebe beschrieben und die mit der Einfüh-
6
Einleitung
rung von Leistungsbeurteilungen verbundenen Zielsetzungen näher beleuchtet. Das Untersuchungsdesign der qualitativen Studie wird vorgestellt und das Vorgehen der Datenerhebung beschrieben. Die für die Analyse der Daten angewendete Methode der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 1983) wird vorgestellt und um Details der Datenaufbereitung und Datenanalyse ergänzt. Die inhaltsanalytischen Befunde werden vor dem Hintergrund der theoretischen Diskussion dieser Arbeit dokumentiert und diskutiert sowie graphisch mittels der Korrespondenzanalyse aufbereitet. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse beendet Kapitel fünf. Die Arbeit schließt mit einer kurzen Zusammenfassung sowie einem kritischen Resümee und mit einem Ausblick in Kapitel sechs.
„Wenn die Stunde da ist, und der wahre Stoff, so geht die Ansteckung mit elektrischer Schnelle über Hunderte von Meilen… die Botschaft geht durch die Luft, und in dem einen, worauf es ankommt verstehen sie sich plötzlich alle, und wäre es auch nur ein dumpfes ‚Es muss anders werden’“. (Jakob Burckhardt)
2 Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
Diese Arbeit beschäftigt sich im Schwerpunkt mit Funktionen und Folgen von Leistungsbeurteilungs-
und
Vergütungssystemen
im
Kontext
des
öffentlichen
Dienstes oder, allgemeiner, öffentlicher Organisationen. Dieser Organisationstypus ist nicht scharf abgrenzbar.1 Öffentliche Organisationen finden sich auf unterschiedlichen Ebenen: Bund, Länder, Gebietskörperschaften, Kommunen oder auf quasistaatlicher Ebene.2 Die Organisationen dieses Typus sind überwiegend öffentlichrechtlich verfasst. Es sind jedoch, je nach Aufgabentypus, auch privat-rechtlich gegründete Organisationen zu verzeichnen. Die Aufgaben öffentlicher Organisationen reichen von hoheitlichen Kernaufgaben staatlicher Verwaltung, über die Leistungsverwaltung wohlfahrtsstaatlicher Programme bis hin zu wirtschaftenden Verwaltungen, die Produkte oder Leistungen erbringen, die ganz oder teilweise auch von Privaten erbracht werden könnten. 3 Aus dem personalwirtschaftlichen Blickwinkel dieser Arbeit ist es nahe liegend, den definitorischen Schwierigkeiten durch eine beamten- bzw. tarifrechtliche Abgrenzung zu entgehen. Entsprechend stehen im Folgenden Organisationen im Mittelpunkt, die in ihrer Beziehung zum Personal – unabhän-
1 2 3
Zur Problematik der Definition öffentlicher Verwaltung vgl. insb. C. Reichard (1987, S. 3). Vgl. C. Böhret (1981). J.J. Hesse und T. Ellwein (2004) unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen Ordnungs-, Dienstleis tung- und Wirtschaftsverwaltung einerseits und Organisationsverwaltung und politischer Verwaltung andererseits. Erstere erbringen Aufgaben in unmittelbar öffentlichem Interesse, wohingegen letztere vorbereitende Aufgaben erbringen und Rahmenbedingungen gestalten.
8
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
gig von ihrer rechtlichen Verfasstheit oder ihren Aufgaben – den beamtenrechtlichen oder den tariflichen Regelungen des öffentlichen Dienstes unterliegen.4 Öffentliche Organisationen befinden sich seit mehr als einer Dekade in einem „neuen“ Reformprozess. Der nachfolgende Abschnitt dieses Kapitels diskutiert diesen Reformprozess des öffentlichen Dienstes im historischen Kontext. Im Mittelpunkt der aktuellen Reformbemühungen stehen Überlegungen und Zielvorstellungen, die unter dem Schlagwort "New Public Management" oder "Neues Steuerungsmodell" zusammengefasst werden. Diese Diskussionen stellt der zweite Abschnitt vor. Anschließend werden die personalwirtschaftlichen Zielsetzungen des Neuen Steuerungsmodells herausgearbeitet. Ein Manko dieses Modells ist darin zu sehen, dass es zwar in Orientierung an die Privatwirtschaft eine Reihe personalwirtschaftlicher Einzelmaßnahmen – vor allem in der Entgeltpolitik und der Personalentwicklung – fordert, diese jedoch nicht in einen konzeptionellen Rahmen des Personalmanagements eingebettet werden. Aktuellen Konzeptionen des Personalmanagements und ihre mögliche Bedeutung für öffentliche Organisationen ist daher der nachfolgende Exkurs gewidmet. Schließlich wird mit der Vorstellung des "engagierten Mitarbeiters" das Leitbild der Reformbemühungen identifiziert. Theoretisch wird im Fortgang der vorliegenden Arbeit das geforderte Engagement der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst als Extra-Rollen-Verhalten im Verständnis eines aktiven "Organisationsbürgers" (Organizational Citizenship Behavior) gefasst. Eine Zusammenfassung resümiert die vorgestellten Aspekte und skizziert die weitere Vorgehensweise.
2.1 Die Reform(-bemühungen) des öffentlichen Dienstes in Deutschland Die Reform des öffentlichen Dienstes in Deutschland hat Tradition. Beginnend mit „(…) der Neukonstruktion der ministeriellen Verwaltungsorganisation in Preußen nach 1806 bis zur wachsenden Einbindung der deutschen Verwaltung in den ‚EG-
4
Allerdings beinhaltet auch diese Abgrenzung Ausnahmen: Beispielsweise Sparkassen oder Versorgungsunternehmen, die nur prinzipiell den tariflichen Bedingungen des öffentlichen Dienstes folgen, jedoch über- und außertarifliche Regelungen gefunden haben, um Leistungsorientierung durch materielle Anreizsysteme sicherzustellen.
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
9
Implementationsvorgang’“5 , verzeichnen einschlägige Aufstellungen6 nicht weniger als elf Verwaltungsreformepochen mit insgesamt nicht weniger als 42 wesentlichen Reformmaßnahmen. Der Tendenz nach lassen sich die deutschen Reformen in zwei Typen von Verwaltungsreformen unterteilen. Einerseits lassen sich Reformschübe ausmachen, deren Ursachen verwaltungsexterner Art sind. Bei diesem Reformtypus steht die strukturelle Anpassungsfähigkeit der Verwaltung in den Dimensionen Organisation und Recht für die Bewältigung politischer Probleme im Vordergrund. Historisch betrachtet dominierte dieser Verwaltungsreformtypus Deutschland. Er kennzeichnete sowohl die Herausbildung von Staatsverwaltung und Selbstverwaltung als organisatorischen Reflex der Kompromissbildungen zwischen monarchischem System und Bürgertum im 19. Jahrhundert wie auch die Herausbildung eines steuerungsintensiven, aber flexiblen Rechtssystems für die Epoche bis 1914.7 In der Bundesrepublik Deutschland findet sich dieser politisch intendierte Reformtypus bei der Bewältigung der Kriegsfolgen und dem Aufbau der ministeriellen Bundesverwaltung nach 1949 ebenso wieder, wie beim Aufbau bzw. der Neugestaltung der öffentlichen Verwaltung in den Neuen Bundesländern. 8 Neben diesen, auf verwaltungsexternen Ursachen beruhenden Reformen, spielt andererseits, insbesondere in der neueren Geschichte, ein zweiter Reformtypus eine Rolle. Bei diesem Reformtypus lässt sich der Problemdruck als verwaltungsintern beschreiben. Diese Verwaltungsreformen im engeren Sinne9 konzentrierten und konzentrieren sich auf die personelle und finanzielle bzw. fiskalische Dimension der Verwaltung und somit auf die Effizienz mindernden Dysfunktionen struktureller Rigiditäten. Dieser Art Generalreformen, ohne spezifisch eingegrenztem politischem Reformzweck, wird im Gegensatz zu Reformen, die auf verwaltungsexterne Probleme zurückzuführen sind, häufig nur begrenzter Erfolg attestiert.10
5 6 7 8 9 10
W. Seibel (1997, S. 87). Vgl. B. Becker (1989, S. 895 ff.). Vgl. W. Seibel (1997, S. 89). Vgl. W. Seibel (1997, S. 89). Siehe hierzu Abbildung 2.1. Seibel erläutert, dass insbesondere verwaltungsinterne Reformanstöße, soweit sie ohne ein klar umrissenes materielles innenpolitisches Reformziel blieben, eine weitaus geringere Wirkung entfaltet hätten als Reformen mit verwaltungsexternen Anstößen (vgl. hierzu W. Seibel 1997, S. 90). Das Scheitern der Reform des öffentlichen Dienstrechts, die unter Federführung der „Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts“ ihre Arbeit im Jahre 1973 abschloss,
10
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
Insgesamt lassen sich die Reformbemühungen in der Bundesrepublik Deutschland – wie Abbildung 2.1 veranschaulicht – in vier Phasen unterteilen.11
1 (a) Kriegsfolgenbewältigung (b) Aufbau der ministeriellen Bundesverwaltung
2 (a) Finanzreform
3 ‚Entbürokratisierung’
(b) Gebietsreform
4 (a) ‚Aufbau Ost’ (b) ‚Zukunft des Öffentlichen Dienstes’, ‚Neue Steuerungsformen’
(c) Reform der Ministerialorganisation (d) Reform des öffentlichen Dienstrechts
1949-1957 Quelle des Problemdrucks
verwaltungsextern
1966-1975 (a) verwaltungsextern
1978-1985 verwaltungsintern
(b) verwaltungsextern
1990(a) verwaltungsextern (b) verwaltungsintern
(c) verwaltungsextern (d) verwaltungsintern Reformfunktion
ordnungsbildend
Reformobjekt
Organisation
Reformerfolg
groß
effizienzsteigernd
effizienzsteigernd (a) ordnungsbildend [Rechtsbereinigung] (b)effizienzsteigernd integrationsfördernd [„Bürgernähe“]
Organisation
Recht
(a) Organisation
Personal
Organisation
(b) Finanzen Personal
(a) groß
mittel
(a) groß
integrationsfördernd
(b) mittel / groß
(b) ?
(c) gering (d) Fehlschlag
Abb. 2.1: Phasen der Verwaltungsreform in der Bundesrepublik Deutschland 12
11
attestiert Seibel den augenfälligsten Misserfolg bei den intern intendierten Verwaltungsreformen. Die umfangreichen Arbeiten der Kommission, so Seibel, führten letztlich nur zu marginalen Verbesserungen im Bereich der Dienstpostenbewertung und der Personalbeurteilung (vgl. W. Seibel 1997, S. 97). Auch sind sich die meisten sachkundigen Beobachter über den geringen Nutzwert der heutigen Form der dienstlichen Beurteilung – und im besonderem betrifft dies die Regelbeurteilung – einig. Klages berichtet, das im Ergebnis einer Befragung in den 80er Jahren, nur 16 Prozent der Führungskräfte der deutschen Verwaltung die Auffassung vertrat, dass es sich bei der Regelbeurteilung um ein „brauchbares Instrument“ handele (vgl. H. Klages 1997, S. 21). W. Seibel (1997, S. 91) unterscheidet die bedeutenden Reformschübe in 4 Phasen. Hingegen findet sich in der neueren Literatur zumeist die Unterscheidung in 5 Phasen (siehe beispielsweise F. Naschold und J. Bogumil 2000, S. 143 ff.). Grund hierfür ist, dass im Gegensatz zu W. Seibel (1997), der die Gebietsreform und die Funktionalreform einem Zeitraum zurechnet, diese von anderen Autoren im Zeitablauf getrennt betrachtet werden.
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
11
Sie stehen für das Bemühen der Verwaltung den unterschiedlichen politischen, ökonomischen und sozialen Veränderungsprozessen gegenüberzutreten. Nach der Rechtsbereinigung Ende der 50er Jahre, der kommunalen Gebietsreform Ende der 60er Jahre und Anfang der 70er Jahre, der Funktionalrefom in den 70er Jahren, den Bemühungen um mehr Bürgernähe und Verwaltungsvereinfachung seit Mitte der 70er Jahre und in den 80er Jahren steht nun seit Anfang der 90er Jahre die betriebswirtschaftlich inspirierte Binnenmodernisierung der Verwaltung und die Neuausrichtung der Staatsaufgaben nach dem Konzept des „Public Management“ auf der Tagesordnung.13
2.2 Das „Neue Steuerungsmodell“ Das Konzept eines „New Public Managements“14 , das seit den 80er Jahren die Reformpraxis hoch entwickelter Industriestaaten prägt, steht auch in Deutschland seit Beginn der 90er Jahre – und hier insbesondere auf der kommunalen Verwaltungsebene – als Leitbild für die Modernisierung des öffentlichen Sektors. Dieses Leitbild einer modernen Dienstleistungsorganisation könnte – so einschlägige Kommentierungen – die nötige Zugkraft besitzen, um hinter sich verschiedene Reformkräfte zu versammeln und frühere, isolierte Reformanläufe zu reaktiveren und zusammenzufügen.15 Ausgangspunkt der Diskussion um das deutsche Verwaltungswesen war neben akuten Finanzproblemen, eine zunehmende Unzufriedenheit mit den bisherigen Funktionsweisen und Ergebnissen der Kommunalverwaltung. Gestiegene Ansprüche der neuerdings gerne als „Kunden“ bezeichneten Bürger sowie die oft zitierten Leistungslücken der Verwaltung und ihres Personals bildeten den Forderungshintergrund
12 13 14
15
Quelle: W. Seibel (1997, S. 105). Vgl. H. Wollmann (1996, S. 19). Der über den englischen Sprachraum hinaus verwendete Begriff „New Public Management“ bezeichnet ein Bündel verwaltungspolitischer Reformstrategien, die überwiegend von einer betriebswirtschaftlichen Interpretation des Verwaltungshandelns geleitet werden. Vgl. E. Schröter und H. Wollmann (2001, S. 80) und exemplarisch für weitere D. Budäus (1993, 1997, 1998a, 1998b), S. Borins und G. Grüning (1998), W. Damkowski und C. Precht (1995); F. Naschold (1993, 1995a, 1995 b) sowie C. Reichard (1994, 1995). „Zumindest auf der Verlautbarungsebene ist das NSM (Neues Steuerungsmodell, Anmerkung der Autorin) in Deutschland ein überragender Erfolg. (…) ohne große Übertreibung kann man von einer „Modernisierungsbewegung“ sprechen, die bezüglich ihrer Popularität und Breite sämtliche Reformkampagnen der 70er und 80er Jahre weit übertrifft“ (W. Jann 2001, S. 88). Vgl. des Weiteren E. Schröter und H. Wollmann (2001, S. 80).
12
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
der Reformbemühungen.16 Die Bewältigung dieser Problem wurde nicht in einer Reduzierung sozialstaatlicher Aktivitäten und Leistungen gesehen, wie in den seit den 80er Jahren neoliberalen Konzepten zur Reduzierung der Staatstätigkeit, „(…) sondern in verbesserten internen Steuerungsmechanismen des öffentlichen Sektors, in einer Modernisierung der Binnenstrukturen der öffentlichen Verwaltung.“17 Dem negativ besetzten – und schon beinahe karikierenden Bild bürokratischer und zentralistischer Steuerung – wird das neue Leitbild einer ergebnisorientierten und dezentralen Steuerung entgegengesetzt. Im Kern richtet sich die Kritik gegen die klassische bürokratische Steuerung, wie sie von Max Weber idealtypisch im Bürokratiemodell konzeptualisiert wurde.18 Weber versuchte Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinem Idealtypus der bürokratischen Verwaltung eine Antwort auf die Gesellschaftssituation zu geben, die unter anderem gekennzeichnet war durch einen wachsenden Verwaltungsapparat. „Seine Leitidee zur Entwicklung des Bürokratiemodells war der damals neben Institutionen ebenfalls das gesellschaftliche Weltbild und den praktischen Lebensalltag stark prägende Rationalismus.“19 Weber wollte mit seinem Idealtypus der Bürokratie keine Handlungsempfehlung an die Verwaltungspraktiker geben, sondern versuchte, mit dem Bürokratiemodell die rationale Ausübung legaler Herrschaft zu erklären.20 Sein Ansatz diente aber dennoch dem Versuch, großen Institutionen in der Verwaltung einen Weg effizienter Steuerung aufzuzeigen. Die Ausprägung dieses Bürokratiemodells ist bis heute in den meisten öffentlichen Verwaltungen, insbesondere im deutschsprachigen Europa beobachtbar.21 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Bürokratie im Sinne Max Webers lange als Ideal- und Referenzmodell einer leistungsfähigen Verwaltung galt. Derzeit aber, so die Kritiker, überwiegen immer mehr die Defizite der aus den Weberschen
16 17 18
19 20 21
Vgl. H. Klages (1995). W. Jann (2001, S. 83). Der bürokratis chen Verwaltung attestierte Weber eine Überlegenheit über alle anderen Formen der Organisation und begründete dies mit der auf das Optimum gesteigerten „(…) Präzision, Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Ersparnisse an Reibungen, sachlichen und persönlichen Kosten bei streng bürokratischer Verwaltung. Vor allem aber bietet die Bürokratisierung das Optimum an Möglichkeit für die Durchführung des Prinzips der Arbeitszerlegung in der Verwaltung nach rein sachlichen Gesichtspunkten, unter Verteilung der einzelnen Arbeiten auf spezialistisch abgerichtete und in fortwährender Übung immer weiter sich einschulende Funktionäre“ (M. Weber 1964, S. 716 ff.). N. Thom und A. Ritz (2000, S. 17). Vgl. D. Budäus (1998a, S. 1 ff.). Vgl. N. Thom und A. Ritz (2000, S. 19).
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
13
Überlegungen gewachsenen Verwaltungsstrukturen.22 Die zentralistisch ausgerichteten Strukturen von Leistungs- und Arbeitsprozessen der Regelsteuerung von Bürokratie gelten als nicht mehr angemessen, um die wachsende Aufgabenkomplexität und Problemstellung der Neuzeit zu bewältigen.
Bürokratische und zentralistische Steuerung („gegenwärtige Steuerungspraxis“)
Ergebnisorientierte und dezentrale Steuerung („Neues Steuerungsmodell“)
Steuerung über Inputs
Ziel- und ergebnisorientierte Steuerung (Produktsteuerung)
Ständige Eingriffe ins Tagesgeschäft, Übersteuerung im Detail
Steuerung auf Abstand, Steuerung durch Ziele
Exzessiver Zentralismus
Selbststeuerung dezentraler Einheiten (Steuerung im Regelkreis)
Organisierte Unverantwortlichkeit
Abgestufte, weitgehende delegierte Ergebnis verantwortung (Einheit von Fach- und Ressourcenverantwortung)
Orientierung an den internen Erfordernissen des Verwaltungsablaufs
Bürger- und Kundenorientierung
Orientierung an arbeitsplatzbezogener Ordnungsmäßigkeit
Umfassende Qualitätsorientierung
Abschottung vom Marktdruck, natürliche und künstliche Monopole
Marktorientierung und Wettbewerb
Präferenz für Eigenerstellung (übertriebene vertikale und horizontale Integration)
Konzentration auf Kernkompetenzen (Gewährleistungsverwaltung, Leistungstiefenpolitik)
Kameralistische Haushaltsführung
Transparenz von Kosten und Leistungen (Kosten- und Leistungsrechung)
Juristische Personalverwaltung
Personalmanagement (Leistungsanreize, Führung, Personalentwicklung)
Abb. 2.2: Leitbild bürokratisch-zentralistischer versus ergebnisorientierter-dezentraler Steuerung23
22
23
Vgl. H. Hill (1997, S. 5), kritisch dazu C. Pollitt (2000, S. 184 ff.). Die Gegenüberstellung eines bürokratischen (Weberschen) Typus der Bürokratie und eines alternativen Organisationsmodells findet sich bereits im situativen Ansatz. T. Burns und G.M. Stalker (1961) unterscheiden zwischen einem mechanischen und organischen Modell der Organisation. Der organische Typus sichert im Unterschied zum mechanischen oder bürokratischen Modell die Flexibilität der Organisation durch eine flache Hierarchie, die Betonung ungebundener (informeller) Kommunikation sowie zielorientierter Steuerung. Letzterer Typus gilt als erfolgreicherer bzw. besser angepasster in dynamischen Umwelten. Der bürokratische Typus gilt dagegen in stabilen Umwelten als geeigneter. Insofern sind T. Burns und G.M. Stalker (1961) und auch andere Vertreter des situativen Ansatzes grundlegend für moderne Dichotomien zwischen Bürokratie und alternativen Organisationsformen. Zum situativen Ansatz vgl. Abschnitt 2.4 dieser Arbeit. Quelle: W. Jann (2001, S. 84).
14
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
Abbildung 2.2 stellt zusammenfassend das Leitbild einer bürokratisch-zentralistischen einer ergebnisorientierten-dezentralen Steuerung gegenüber, wobei zunächst die einzelnen Elemente des neuen Leitbilds als der bloße – ideale – Gegenentwurf zu den eklatant oder behaupteten Mängeln der bisher dominierenden Steuerungspraxis verstanden wird.24 Der Gesamtansatz des diskutierten Reformstranges zur Neuorientierung der öffentlichen Verwaltung kann grob in zwei Dimensionen untergliedert werden: Zum einen in eine ordnungspolitische (Makro-) Dimension, innerhalb derer eine Neukonzeption des öffentlichen Sektors mit dem Versuch verbunden wird, den Aktionsradius staatlicher und kommunaler Verwaltung auf ihre „Kernaufgaben“ zu begrenzen. Zum anderen steht aber vor allem die binnenstrukturelle (Mikro-) Dimension im Vordergrund, in deren Kontext Vorschläge zur Reformierung der internen Verwaltungsführung mit Blick auf neuartige Organisationsformen, Personalkonzepte und Steuerungsinstrumente gemacht werden.25 „Diese Bemühungen richten sich in der Hauptsache darauf, die tradierten bürokratischen Strukturen durch Formen der Leistungsorganisation
abzulösen,
die
privatwirtschaftlichen
Dienstleistungsunternehmen
entlehnt sind.“26 In der Bundesrepublik Deutschland prägt das von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle (KGSt 1993) entwickelte „Neue Steuerungsmodell“ die wissenschaftliche und verwaltungspraktische Diskussion der Binnenmodernisierung der öffentlichen Verwaltung. Das Modell, das unter anderem auf den Ideen und Erfahrungen der niederländischen Stadt Tillburg beruht, ist zentraler Bezugspunkt der Reformbestrebungen auf kommunaler Ebene. Es dient der Aufgabe, die Verwaltung als „primär behördlich geprägte Eingriffs- und Betreuungsapparatur zu einer kostenbewussten, marktnahen, mit ihren Bürgern zusammenarbeitenden ‚Problemlösungseinrichtung’ umzuwandeln.“27
24 25
26 27
W. Jann (2001, S. 83). Das Konzept des New Public Management nutzt die Erkenntnisse der Neuen Institutionenökonomie und rekurriert des Weiteren auf den „Managerialismus“ (vgl. hierzu C. Reichard 1995, S. 64); ferner P. Aucoin (1990, S. 116 f.), der sich bei genauerer Betrachtung als extrem heterogene Sammlung privatwirtschaftlicher Managementkonzepte erweist und eine enge Verbindung zur Öffentlichen Betriebswirtschaftslehre herstellt (vgl. dazu auch den Beitrag S. Borins und G. Grüning 1998, S. 11-53). E. Schröter und H. Wollmann (2001, S. 71). KGSt (1993).
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
15
Die KGSt definiert die Einführung von dezentralen Führungs- und Organisationsstrukturen, die Outputsteuerung und die Stärkung von Wettbewerbselementen durch Leistungsvergleiche28 als Kernelemente des „Neuen Steuerungsmodells“ und greift damit ausgewählte Gestaltungselemente des „New Public Management“ auf.29 Das häufig in Bezug auf „New Public Management“ als Synonym verwendete Schlagwort vom „Neuen Steuerungsmodell“ verkörpert und symbolisiert die derzeit herrschende Deutschland.30
Richtung
–
Ungeachtet
und Stimmung – der
sicherlich
der Verwaltungsmodernisierung in
vorhandenen
Unzulänglichkeiten
und
Widersprüche gibt es derzeit kein konkurrierendes Leitbild im laufenden Umgestaltungsprozess der öffentlichen Verwaltung. Vermutlich erzeugt eben diese Leitbildfunktion des „Neuen Steuerungsmodells“ auch die gelegentliche Unschärfe und Mehrdeutigkeit des Konzepts und die damit verbundenen Kontroversen. 31 Festzuhalten gilt, dass die KGSt selbst ausdrücklich betont, dass das „Neue Steuerungsmodell“ keinen „Modellbaukasten“ darstellt, der auf jede örtliche Situation übertragbar sei, sondern als „Modell“ im Sinne einer Skizze der unverzichtbaren Mindestanforderungen und des Zusammenwirkens dieser Bedingungen verstanden werden müsse und somit vielmehr Orientierungs- und Koordinierungshilfe gebe.32
2.3 Personalwirtschaftliche Zielsetzungen des „Neuen Steuerungsmodells“ Das „Neue Steuerungsmodell“ beinhaltet neben allgemein verwaltungstechnischen und betriebswirtschaftlichen Überlegungen auch neue Konzeptionen für die Personalarbeit. Im Rückgriff auf die Konzeption des „New Public Managements“ werden
28
29 30
31 32
„Es werden ‚interkommunale Leistungsvergleiche’ zwischen verschiedenen Städten in Deutschland vorgenommen. (…) Wesentliches Ziel dieser Projekte ist die Steigerung der städtebezogenen Wirtschaftlichkeit und Leistungsqualität“ (K. Tondorf 1997b, S. 17). Vgl. KGSt (1993) sowie C. Reichard (1996, S. 241 f.). Anderer Auffassung ist C. Hoon (2003, S. 24 f.), die die Begriffe „Neues Steuerungsmodell“ und „New Public Management“ nicht synonym verwendet. Trotz einer Vielzahl von Gemeinsamkeiten sieht sie die grundlegende Differenz im Staatsverständnis, das dem New Public Management im Unterschied zum Tillburger Modell zugrunde liegt. Darüber hinaus vertritt die Autorin die Auffassung, dass das „Neue Steuerungsmodell“ nicht in gleicher Weise wie das „New Public Management“ durch Wettbewerbsorientierung geprägt ist. Vgl. auch W. Jann (2001, S. 82). Vgl. KGSt (1993, S. 15).
16
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
erhebliche Veränderungen der Personalarbeit im öffentlichen Dienst gefordert. Die diskutierten Gestaltungsaspekte beziehen sich auf die Abkehr von administrativen Personalaufgaben, der Stärkung einer ressourcenorientierten Perspektive und der Steigerung der Leistungsorientierung.33 Das „Neue Steuerungsmodell“ bringt dieses in einem eigenen Gestaltungselement zum Ausdruck; das Modell setzt vor allem auf Maßnahmen der Personalentwicklung: So sollen lernförderliche Arbeitsstrukturen (Teams) geschaffen werden, Mitarbeitergespräche sollen die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeiten schulen und der Leistungs- und Zielvereinbarung dienen. Zusätzlich
werden
kooperative
Führungsformen
propagiert
sowie
ständige
Qualifizierungsmaßnahmen angeregt.34 Die Umsetzung der gesamten Reformüberlegungen hängt, so die KGSt35 , im wesentlichen von der Mitwirkung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung ab. Ihre Akzeptanz und aktive Beteilung sind genauso wie ihre Motivation und Qualifikation neben der Organisation der Zusammenarbeit entscheidend für den Erfolg der Verwaltungsreform. Um dieses Mitarbeiterpotential zu nutzen, setzt das „Neue Steuerungsmodell“ bei der Umwandlung öffentlicher Verwaltungen in moderne Dienstleistungsunternehmen, neben Maßnahmen der Personalentwicklung auch auf den Einsatz materieller Anreize und damit auf die Einführung variabler Entgeltbestandteile. Monetäre Anreizsysteme könnten die verschiedenen Reformziele auf positive Weise verstärken, indem beispielsweise besondere Leistungsqualität oder Engagement im Reformprozess belohnt oder Verbesserungsvorschläge honoriert werden.36 Die Diskussion über Leistungsentlohnung in der öffentlichen Verwaltung ist jedoch nicht neu. Bereits vor dreißig Jahren hatte die Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts des Bundes kritisiert, dass bei der Entlohnung nicht
genügend
leistungsorientierte
Kriterien
zur
Verfügung
stehen.37
Die
Studienkommission schlug ehemals vor, hervorragende Leistungen durch Zulagen zu honorieren und schlechte Leistungen dagegen durch verzögerten Gehaltsaufstieg zu bestrafen. Die Reformvorschläge wurden seiner Zeit aber letztlich mangels eindeuti-
33 34 35 36 37
Vgl. S. Vaanholt, (1997, S. 53). Vgl. D. Holtmann, W. Matiaske und I. Weller (2001, S. 4). Vgl. KGSt (1996, S. 7). Vgl. K. Tondorf (1997b, S. 18). Vgl. Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts (1973, S. 117).
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
17
ger politischer Mehrheiten nicht umgesetzt.38 Es gilt jedoch anzumerken, dass die damaligen Empfehlungen der Kommission entscheidende Anstöße zur Herausbildung des gegenwärtigen Beurteilungswesens gaben, und der personalwirtschaftliche Aspekt des „Neuen Steuerungsmodells“ insofern auch als Zusammenfassung dieser Überlegungen zu verstehen ist.39 Die seit Jahrzehnten geführten Diskussionen zur Leistungsentlohnung in der öffentlichen Verwaltung mündeten zum einen im Dienstrechtsreformgesetz aus dem Jahr 1997. Für Beamte trat damit eine gesetzliche Regelung in Kraft, „(…) wonach der Stufenaufstieg des Beamten entsprechend seiner Leistung beschleunigt oder gestreckt werden soll und wonach für besondere Leistungen Leistungszulagen oder – prämien gezahlt werden können.“40 Zum anderen einigten sich im Dezember 1996 die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV) und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) auf einen Rahmentarifvertrag41 , der Grundsätze über die Gewährung von Leistungszulagen und –prämien von Arbeitern und Angestellten regelte. Die zentrale Problematik der Entgeltdifferenzierung, die für alle Statusgruppen des öffentlichen Dienstes in gleicher Weise gilt, lässt sich am Beispiel des Bundesangestelltentarifs (BAT) aus dem Jahr 1961 veranschaulichen. Die Gesamtvergütung im BAT bestand aus den Komponenten Grundvergütung, Steigerungsbeträgen nach Lebensaltersstufen sowie einem Ortszuschlag. Sie richtete sich in ihrer Höhe nach einer Eingruppierung der Arbeit auf Grund von Tätigkeitsmerkmalen, welche sich wiederum am Kriterium der Anforderungsgerechtigkeit orientierte. Innerhalb der Vergütungsgruppen waren nach zeitlichen Kriterien bemessene Bewährungsaufstiege
38 39 40 41
Vgl. V. Bonorden und R. Rieger (2001, S. 231). Vgl. H. Klages (1997, S. 21). Vgl. K. Tondorf (1997b, S. 19). Anzumerken ist, dass der Rahmentarifvertrag über Grundsätze der Gewährung von Leistungszulagen und -prämien (TV-L) von Arbeitgeberseite lediglich von den kommunalen Arbeitgebern abgeschlossen wurde und dieser neue Rahmentarifvertrag nur für Arbeiter und Angestellte galt, die in einem Arbeitsverhältnis zu einem Mitglied des Arbeitgeberverbandes standen, der der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände angehörte, und die unter den BAT, BAT-O, BMT-G-II fielen (vgl. § 1). Des Weiteren dürfen leis tungsbezogene Entgeltbestandteile nur auf der Grundlage bezirklicher Tarifverträge gewährt werden (vgl. § 2 Abs. 1), um die Einbeziehung der Gewerkschaft zu sichern. Die konkrete Ausgestaltung von Leis tungsbewertung und -beurteilung erfolgt durch Dienstvereinbarung vor Ort. Vergleiche bezüglich der aktuellen Regelungen leistungsorientierter Vergütungen im öffentlichen Dienst Abschnitt 3.4.3 im nächsten Kapitel.
18
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
vorgesehen, welche in den genannten Steigerungsbeträgen ihren Niederschlag fanden. Das Vergütungssystem des BAT fokussierte die Einheitlichkeit des Entgeltes in gegebenen Tarifgruppen. Durch diese Starrheit des Systems wurden Motivationsprobleme erzeugt. Die Transparenz des Systems erleichterte allerdings intersubjektive Vergleiche der Inputs (Arbeitsleistung) und Outputs (Gehalt). Mögliche Ungerechtigkeiten hingegen konnten durch Vorgesetzte bzw. Personalabteilungen aufgrund der Starrheit des Systems aber nur schwer korrigiert werden. Von der Einführung leistungsorientierter Beurteilungen und Entlohnungen wird eine Verminderung der genannten Motivationsproblematik erwartet.42 Mit dem im Februar 2005 abgeschlossenen Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes (TVöD) ändert sich das Leitbild des Tarifsystems. Der BAT orientierte sich am Alimentationsprinzip der Beamtenbesoldung, wohingegen der TVöD das Leistungsprinzip fokussiert. Die neue Entgelttabelle leitet 15 Entgeltgruppen und sechs Erfahrungsgruppen bzw. Leistungsstufen aus den bisherigen Eingruppierungen ab. Entscheidend ist die Verpflichtung auf leistungsorientierte Entgeltbestandteile. Diese Regelung wird ab 2007 wirksam. Zur Ausschüttung kommt zunächst 1 Prozent der Lohnsumme des Arbeitgebers. Dieser Anteil soll schrittweise auf 8 Prozent gesteigert werden. 43 Für die Empfänger einer leistungsorientierten Vergütung, den Beschäftigten im öffentlichen Dienst, birgt die Einführung leistungsorientierter Entgeltmodelle, die im Unterschied zum auf Langfristigkeit angelegten traditionellen Laufbahnprinzip auch kurzfristig Leistungsergebnisse kompensieren und Leistungsanreize setzen können, Chancen wie Risiken. Neben dem materiellen Aspekt einer Einkommenserhöhung, bestehen Seitens der Arbeitnehmer auch Erwartungen bezüglich einer größeren Einkommensgerechtigkeit, der Erhöhung der Arbeitsqualität und attraktiveren Arbeitsbedingungen, der Arbeitsinhalte (einschließlich Qualifizierung) und einer höheren
42
43
Inwieweit diese intendierte Erwartung, ob monetäre Anreize die Arbeitsmotivation steigern und die Bereitschaft der Beschäftigten zur innovativen Umgestaltung der Verwaltung erhöhen können, ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit und wird in weiteren Kapiteln detailliert betrachtet. Eine kritische Hinterfragung dieser Annahme unterbleibt somit an dieser Stelle. Vgl. Ver.di Bundesverwaltung (2005b) sowie Abschnitt 3.4.3. der vorliegenden Arbeit. Anzumerken ist, dass mit dem TVöD auch eine Differenzierung des Tarifsystems eingeleitet worden ist. So wurde für die kommunalen Versorgungsunternehmen ein Tarifvertrag Versorgungsbetriebe (TV-V) geschlossen, der die 15 Entgeltgruppen übernimmt, aber im Niveau der Entgeltgruppen höher entlohnt als der TVöD.
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
19
Einflussnahme auf die zukünftige Leistungspolitik im öffentlichen Dienst.44 So wird beispielsweise in den Tarif- bzw. Dienstvereinbarungen vor Ort, neben den Leistungs- und Vergütungsaspekten auch die Frage zu verhandeln sein, welche Partizipations- und Mitbestimmungsregeln für die Einführung von Leistungsbeurteilungen gelten. Anderseits wird von vielen Mitarbeitern im öffentlichen Dienst die Einführung leistungsorientierter Entlohnungsformen mit Skepsis betrachtet. „Leistungsvergütung wird oft gleichgesetzt mit mehr Arbeitshetze, mit stärkerer Kontrolle durch den Vorgesetzten und erhöhter Konkurrenz innerhalb der Belegschaft. Manche Beschäftigte fürchten um ihre Autonomiespielräume in der Arbeit und sehen sich auf eine Stufe gestellt mit Akkordarbeitern, die – so die Vorstellung – eingepresst sind in ein System von Vorgabezeiten und technischen Leistungskontrollen. Bei anderen Beschäftigten wecken Leistungsvergütungen Assoziationen an „Nasenprämien“, die vom Vorgesetzten nach unkontrollierbaren Kriterien vergeben werden.“45 Zudem wird der Einsatz von Leistungsvergütung unter dem Gesichtspunkt kurzfristiger Kosteneinsparungen mit im Vorfeld festgelegten Verteilungsvorgaben befürchtet.46 Die Umgestaltung des öffentlichen Dienstes und die damit verbundene Intention der Neugestaltung eines modernen Personalmanagements, dessen Kernstück die Personalentwicklung unter Einbezug des Leistungsprinzips darstellt, ist ein anspruchvolles Konzept. „Die Praxis zeigt jedoch, dass Konzepte der Personalentwicklung bisher nur in wenigen Bereichen des öffentlichen Dienstes existieren.“47 Auch „(…) sind die bisher eingeführten Leistungsanreizsysteme noch kaum integrativer Bestandteil von Personalentwicklungskonzepten, sondern eher Versatzstücke im Instrumentenkasten einer immer noch bürokratischen Personalverwaltung.“48 Die durch das „Neue Steuerungsmodell“ geweckten Erwartungen stellen die Personalarbeit öffentlicher Verwaltung nicht nur vor die Problematik verbesserter oder neuer Beurteilungsverfahren, sondern auch vor die Aufgabe einer nachhaltigen Implementierung dieses Instrumentariums, mittels dessen eine Vielzahl von weitergehenden
44 45 46 47 48
personalwirtschaftlichen
Vgl. K. Tondorf (1997b, S. 31 ff.). K. Tondorf (1995, S. 13). Vgl. U. Steinort (2000, S. 10). K. Tondorf (1997b, S. 214). K. Tondorf (1997b, S. 214).
Maßnahmen
wie
Personalplanung,
Personalent-
20
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
wicklung oder Verbesserung des Führungsverhaltens bedient und gestaltet werden könnten. Allerdings ist in der öffentlichen Verwaltung die Begrifflichkeit „Personalmanagement“ weitgehend noch nicht gebräuchlich. Personalfragen werden eher traditionell an die Personal- bzw. Zentralabteilung delegiert und bei Zuweisung neuer Aufgaben, zeigen sich diese relativ unkoordiniert, additiv gewachsen und lassen eine integrative, proaktive und vor allem strategische Orientierung vermissen.49 Eine konzeptionelle Fundierung der Personalarbeit in öffentlichen Verwaltungen ist bisher kaum zu erkennen. Diese Feststellung aufgreifend werden im Folgenden Konzeptionen des Personalmanagements vorgestellt, die sich seit Mitte der 80er Jahre in der Personalwirtschaftslehre etabliert haben. Diese Konzepte sind einerseits durch eine strategische Orientierung charakterisiert und betonen andererseits die dezentrale Personalarbeit als Mittel zur Umsetzung dieser Strategie.50
2.4 Konzeptionen des Personalmanagements und ihre Bedeutung für öffentliche Organisationen Der Personalarbeit werden im ökonomischen Alltag moderner Organisationen Leistungen zugeschrieben und abverlangt, die unabdingbar zur Aufrechterhaltung und Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit sind. Will man den derzeitigen Wissens- und Diskussionsstand der wissenschaftlichen Behandlung von Personalproblemen erfassen, erscheint es angebracht, die Entwicklungen von Konzeptionen betrieblicher Personalarbeit zu verfolgen. Personalwesen, Personalwirtschaft, Personalmanagement und Human Resource Management (HRM) werden in der Literatur und in der betrieblichen Praxis häufig synonym verwendet, obwohl zum Teil unterschiedliche konzeptionelle Vorstellun-
49 50
Vgl. W. Korintenberg (1997, S. 83). Gerade in den Analogien zur Privatwirtschaft, die das Neue Steuerungsinstrument beim geforderten Wechsel von der bürokratisch-zentralistischen zur ergebnisorientierten-dezentralen Steuerung betont, ist das „Paradigma der neuen Dezentralisation“ (vgl. H. J. Drumm 1996) hervorzuheben. So haben auch die Personalabteilungen privatwirtschaftlicher Unternehmen der zunehmenden Dezentralisierung ihrer Unternehmungen Rechnung getragen. Die dezentrale Durchführung von Personalarbeit und ihre Verlagerung in Linienfunktionen haben in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen (vgl. W. Krüger und A. v. Werder 1995).
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
21
gen mit diesen Termini verbunden werden. Gemeinsam ist diesen Begriffen, dass sie eine organisatorische Funktion kennzeichnen, deren Kernaufgabe die Prozesse der Bereitstellung des zielorientierten Einsatzes von Personen in Unternehmen darstellt51 . Seit den 70er Jahren werden Aufgabenfelder der Personalarbeit häufig funktional
in
Personalbeschaffung,
Personaleinsatz,
Personalentwicklung,
sowie
Aus- und Weiterbildung, Anreizgestaltung und die zielorientierte Steuerung des Personals gegliedert52 . Um die verschiedenen Begriffe einheitlich zu fassen, wird im Folgenden der Begriff Personalmanagement verwendet. Hierunter soll mit Hartmann und Meyer allgemein „auf den Menschen im Betrieb gerichtete Arbeit“ verstanden werden. 53 Dabei können Schwerpunkte gesetzt werden, die unterschiedliche Teilaspekte innerhalb des Aufgabenkomplexes des Personalmanagements betonen. Unter solchen Konzeptionen des Personalmanagements werden Grundideen bzw. klar umrissene Vorstellungen über die betriebswirtschaftliche Funktion des Personalwesens verstanden.54 Die unterschiedlichen Ausprägungen finden ihre Erklärung in der Abhängigkeit von Problemkonstellationen, in denen solche Konzepte entstehen. Da die betrieblichen Probleme sich im Laufe der Zeit gewandelt haben, findet sich im weiterem eine Skizze zur historischen Entwicklung von Konzeptionen des Personalmanagements. Anzumerken ist, dass diese Konzeptionen in der Regel in Anlehnung an die Organisationslehre entstanden sind und im deutschsprachigen wie im angelsächsischen Bereich ähnliche Quellen haben. Wright et al. arbeiten in ihren Beiträgen zu Konzeptionen des Personalmanagements heraus, dass die organisationstheoretischen Grundlagen in unterschiedlicher Form aufgegriffen und hinsichtlich des Problemfeldes Personalmanagement spezifiziert worden sind.55 Die vorherrschende funktionalistische Sichtweise der Personalarbeit kann in Anlehnung an tayloristische56 Überlegungen interpretiert werden. Auch
51 52 53 54 55 56
Zu dieser Auffassung vgl. stellvertretend K.-F. Ackermann (1991, S. 17) und insbesondere H. Kossbiel (1997). Vgl. E. Potthoff (1974, Seite 171 ff.). H. Hartmann und P. Meyer (1980, S. 7). Vgl. P.M. Wright et al. (1992, Sp. 1140 f.). Vgl. P.M. Wright et al. (1992, Sp. 1150 ff.) sowie J. Wolf (2004, Sp. 1830 ff.). Das Scientific Management (wissenschaftliche Betriebsführung) wurde von dem amerikanischen Ingenieur Frederick W. Taylor um 1900 entwickelt. Es hat im starken Maße die Betriebswirtschaftslehre und die betriebliche Praxis beeinflusst. Anlass der Entwicklung waren die veränderten Probleme der Betriebe im Zuge der industriellen Entwicklung, die durch wachsende Be-
22
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
die Mehrzahl der nach dem 2. Weltkrieg erschienenen Lehrbücher folgen mit unterschiedlichen Modifikationen einer funktionalistischen Darstellung des betrieblichen Personalmanagements. Unter funktionalen Teilaufgaben des Personalmanagements werden insbesondere Personalbeschaffung, Personaleinsatz, Motivation und Anreizgestaltung, Personalentwicklung und Personalfreisetzung verstanden. Die funktionalistischen Konzeptionen des Personalmanagements sind relativ „theoriearme“ Ordnungsschemata für die Darstellung praktisch relevanter Fragen.57 Eine besondere Stellung innerhalb der personalwirtschaftlichen Konzeptionen nehmen der system- und der konfliktorientierte Ansatz ein. Beide Konzeptionen greifen die in der Folge der Human-Relations58 Bewegung entwickelten verhaltenswissenschaftlichen Ansätze auf und diskutieren das Verhältnis ökonomischer und sozialer Aspekte im Personalmanagement. Die systemorientierte Konzeption wird als Versuch eines ganzheitlichen, sozialwissenschaftlichen Ansatzes bewertet, „da neben der materiellen, der kommunikativen und wertmäßigen Dimension die soziale Di-
57 58
triebsgrößen, zunehmende Maschinisierung und dem Trend zur Massenfertigung gekennzeichnet war. Das Ziel Taylors war in erster Linie eine Steigerung der Produktivität, die durch effiziente Betriebsführung des Managements erreicht werden sollte. Im Kern schlug Taylor eine Standardisierung und Spezialisierung der Aufgaben in der Produktion vor. Die optimalen Arbeitsabläufe sollten im Einzelfall durch Zeit- und Bewegungsstudien ermittelt werden. Ferner beinhaltet das Konzept eine strenge Kontrolle der Arbeitsabläufe und -ergebnisse durch so genannte Funktionsmeister und ein ausschließlich materielles Anreizsystem (Pensumlohn). Die ökonomischen Erfolge dieser Managementlehre sind Grund für dessen Verbreitung. Die Gedanken des Scientific Managements wurden in Deutschland vor allem durch die 1924 gegründete REFA (Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung) und die damalige arbeitswissenschaftliche Diskussion verbreitet. In der Praxis wurde die Gestaltung des Scientific Managements weitgehend als technisches Problem betrachtet, das den Ingenieurwissenschaften überlassen wurde. Die zentrale Kritik an dieser Managementlehre richtet sich in der Gegenbewegung der „Human Relations“ vor allem gegen dessen ökonomistisches Menschenbild, da mit Ausnahme höherer Entlohnung keine weiteren Anreize Berücksichtigung fanden. In der Konzeption des Scientific Managements gestaltet sich das Aufgabenfeld der Personalarbeit als rein routinemäßige Personalverwaltung, in deren Mittelpunkt die Lohngestaltung steht. Vgl. A. Kieser (2002c, S. 90 f.) und J. Wolf (2003, S. 74 ff.). Vgl. P.M. Wright et al. (1992, Sp. 1152) sowie J. Wolf (2004, Sp. 1833 ff.). Die aus der Human-Relations Bewegung kommenden Überlegungen, deren Ansatz aus einer Experimentalreihe (Hawthorne-Experimente) im Rahmen des Scientific Managements stammt, haben keinen geschlossenen theoretischen Bezugsrahmen hervorgebracht. Dies bedeutet aber keineswegs, dass deren Grundüberzeugungen ohne Wirkung geblieben wären. Diese lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass Anerkennung der Mitarbeiter durch Personalführung Grundlage für Motivation und damit für höhere Leistung ist. Die Perspektive der Human-Relations Bewegung findet in der sozialpsychologischen Führungslehre und in der gruppenbezogenen Sichtweise ihre Fortsetzung. Seither kommt dem Gebiet der Führung als wesentlichem Teilaspekt der betrieblichen Personalarbeit eine Sonderrolle zu (vgl. P. M. Wright et al. 1992, Sp. 1150). Erstmalig in der Geschichte der Organisationslehre bringt die Human-Relations Bewegung die Versöhnung sozialer und ökonomischer Zielvorstellungen in die Diskussion. Insbesondere werden durch die starke Betonung des Aspektes der Arbeitszufriedenheit für die Leistung, die Grundlage für die Weiterentwicklung weiterer sozialer und psychologischer Anreizsysteme geschaffen (vgl. A. Kieser 2002b, S. 101 ff.).
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
23
mension betont wird.“59 Ausgangspunkt des konfliktorientierten Ansatzes ist, „dass Konflikte in und zwischen verschiedenen Gruppen von Mitarbeitern sowie der Gesamtorganisation wesentliches Merkmal jeder Organisation ist.“60 Die konfliktorientierte Richtung versteht sich ebenfalls als eine sozialwissenschaftliche Konzeption und thematisiert, dass ökonomische und soziale Ziele in Unternehmungen in Konflikt stehen können.61 Marr und Stitzel (1979), die als wichtigste Vertreter dieser Richtung gelten, fordern eine Steuerung betrieblicher Konflikte und bezeichnen den Interessensausgleich als zentrales Problem der Personalpolitik.62 Im Bezug zu den systemtheoretischen Grundlagen des situativen Ansatzes63 steht die entscheidungsorientierte Konzeption. Die entscheidungsorientierte Perspektive geht über den situativen Ansatz hinaus und stellt das Managementhandeln im Hinblick auf die innere und äußere Umwelt der Unternehmung in den Vordergrund. Diese Ansätze betonen die Informationsgrundlagen personalwirtschaftlicher Entscheidungen, entwickeln Methoden zur Entscheidungsunterstützung und stellen den Gesichtspunkt der Personalpolitik in den Vordergrund der Betrachtung. 64 Insofern bereiten diese Überlegungen eine managementwissenschaftliche Konzeption des Personalmanagements vor, die auf Grundlage ökonomischer und verhaltenwissenschaftlicher Ansätze Entscheidungshilfen geben will.
59 60 61 62 63
64
J. Hentze (1991, S. 36). P.M. Wright et al. (1992, S. 1151). Vgl. J. Hentze (1991, S. 39). Vgl. auch D. v. Eckardstein und F. Schnellinger (1978) sowie H. Kossbiel (1997). Der in den späten 60er und 70er Jahren im angelsächsischen Sprachraum entwickelte Kontingenzansatz, auch situativer Ansatz genannt, gehört zu den Konzeptionen, die aus der Organisationstheorie stammen. Der Kontingenzansatz betrachtet nicht nur die Innenwelt der Unternehmung, sondern untersucht diese in Abhängigkeit von den vielfältigen Beziehungen zur Umwelt. Der Ansatz basiert auf der Theorie offener Systeme. Die zentrale Aussage lautet, dass Organisationsstruktur und Umwelt der Unternehmung in Einklang zu bringen sind. Es wird als Notwendigkeit angesehen, dass in dynamischen Umwelten die Unternehmung flexibler zu gestalten ist, um auf nicht absehbare Veränderungen der Umwelt reagieren zu können. Der Anspruch des Situativen Ansatzes, empirisch fundierte Empfehlungen zur Gestaltung von Organisationsstrukturen für die betriebliche Praxis aussprechen zu können, konnte jedoch nicht erfüllt werden. „Der Situative Ansatz kann bestenfalls erfassen, welche organisatorischen Lösungen die Gestalter bisher gefunden haben, um den Anforderungen bestimmter Situationen gerecht zu werden (A. Kieser 2002a, S. 189)“. Ferner wurde am Situativen Ansatz kritisiert, dass der Gesichtspunkt des Managementhandelns, welches zu einer komplexen Organisationsstruktur führt, keine Berücksichtigung fand. Jedoch ist anzumerken, dass die im späteren behandelten Überlegungen zum strategischen Personalmanagement zum Teil als Weiterentwicklung des Kontingenzansatzes interpretiert werden können. In diesem Zusammenhang ist auf D. v. Eckardstein und F. Schnellinger (1978) sowie E. Potthoff (1974) hinzuweisen.
24
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
Ab Mitte der 80er Jahre wird in den USA, aber auch in Deutschland der Funktionswandel des Personalmanagements unter Einbeziehung strategischer Aspekte diskutiert. Die Ursachen, die in der Literatur für den damit verbundenen Wandel hin zu einem strategischem Human Resource Management angegeben werden, sind vielfältig. Staehle (1999) folgend, sind vorrangig Wettbewerbsverschärfungen, Probleme mit Produktivität und Qualität, aber auch demographische Veränderungen sowie ein sich vollziehender Wertewandel und veränderte Erwartungen an die Arbeitswelt zu nennen. Das spezifisch Neue an der heutigen HRM-Debatte wird in der personalwirtschaftlichen Literatur in der Integration bislang isolierter Aktivitäten im Personalbereich und deren Einbindung in Strategie- und Strukturentscheidungen sowie in der Einbindung
des
Managements
in
die
HR-Verantwortung
gesehen.65
Das
Personalmanagement soll seinen derivativen Charakter als betriebliche Teilfunktion verlieren und sich zu einem integrierten Bestandteil des Managements entwickeln. Kennzeichnend für die Ansätze des Human Resource Management sind neben dem Postulat, dass organisatorische Effektivität nur unter der Voraussetzung erreicht werden kann, dass Strategie-, Struktur- und Human Resource-Entscheidungen im Sinne eines „external fit“ aufeinander abgestimmt werden, auch die Ablösung eines kurzfristig-reaktiven
Aktivitätenhorizonts
zugunsten
einer
langfristig-proaktiven
Sichtweise eines Human Resource Managements.66 Festzuhalten gilt, dass die verschiedenen Ansätze des Human Resource Management über die herkömmlichen Konzeptionen des Personalmanagements hinausgehen. Den Ansätzen liegt eine verhaltenswissenschaftliche Ausrichtung zugrunde. Personalarbeit in Unternehmen wird nicht mehr als Betreuungsaufgabe aufgefasst, die sich aus der unternehmerischen Verantwortung ableitet, sondern versteht sich als Entwicklungs- und Förderungsfunktion zur Mobilisierung aller Leistungspotentiale. Die Konzepte sind ökonomisch verwurzelt. Das Personal wird nicht mehr ausschließlich als Kostenfaktor betrachtet, sondern vor allem als Vermögensanlage, die es wirtschaftlich zu erhalten und zu mehren gilt.67
65 66 67
Vgl. W. H. Staehle (1999, S. 786). Vgl. M. Beer et al. (1985, S. 664); ferner C. Truss und L. Gratton (1994, S. 666) sowie C. Hendry und A. Pettigrew (1990, S. 21). Vgl. hierzu W. H. Staehle (1999, S. 786) sowie W. A. Oechsler und S. Vaanholt (1998, S. 158).
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
25
Anknüpfend an verschiedene isolierte HRM-Ansätze, die der zunehmenden Bedeutung der Humanressourcen Rechnung tragen68 , haben der Harvard- und der Michigan-Ansatz die Entwicklung des Human Resource Management stark geprägt. Die auf dem Michigan-Konzept fußenden Arbeiten einer Forschungsgruppe um Tichy69 betonen, dass eine integrative Verknüpfung von Unternehmensstrategie, Organisationsstruktur und Human Resource Management die Effektivität eines Unternehmens bestimmen. „Dabei wird jedoch der Unternehmungsstrategie (Mission and Strategy) zeitliche und inhaltliche Priorität zuerkannt“70 , in deren Folge die Organisationsstruktur und die Ausgestaltung personalwirtschaftlicher Aufgabenbereiche abgeleitet werden. Positive Beiträge des Human Resource Management zum Unternehmenserfolg seien nur unter der Voraussetzung zu erwarten, dass etwaige konfliktäre Regelungen in den Funktionsbereichen zugunsten einer stimmigen Gesamtkonzeption beseitigt werden.71 Zudem wird die systematische Integration bislang isolierter Aktivitäten im Personalbereich im Sinne eines „internal fit“72 gefordert. Im Human Resource-Cycle (siehe Abbildung 2.3) differenziert der Michigan-Ansatz die Personalauswahl, Leistungsbeurteilung, Belohnung/Anreize und Personalentwicklung in vier Teilfunktionen, die auf das vorgegebene Ziel Leistung ausgerichtet sind. Dabei wird sowohl auf die individuelle Leistung eines Mitarbeiters als auch auf die aggregierte Leistung des Unternehmens abgestellt.73
68
69 70 71 72 73
Im Fokus dieser Ansätze (hierzu zählen v.a. die Humankapitaltheorie, die Humanvermögensrechung und die Bildung von Human-Resource-Indizes), die in den 70er Jahren sowohl in den USA als auch in Deutschland diskutiert wurden, stand der Mitarbeiter als zu bilanzierendes Human Kapital im Mittelpunkt. Kritisch anzumerken ist, dass vor allem die Euphorie in den USA mit der Rekonstruktionsperiode des amerikanischen Wirtschaftsystems parallel verlief. Betriebsschließungen und Restrukturierungen führten zu deutlichem Personalabbau, der einschneidende Kostensenkungen zur Folge hatte. Gleichzeitig wurden dadurch Hoffnungen auf entsprechende Gewinnsteigerungen geweckt, da bereits die Ankündigung personeller Maßnahmen, den Shareholder-Value der betroffenen Unternehmungen deutlich zu steigern vermochte (vgl. J.M. Abowd, G.T. Miklovich, und J.M Hannon 1990). Vgl. N.M. Tichy et al. (1982), M.A. Devanna et al. (1981) sowie C.J. Fombrun et al. (1984). W.H. Staehle (1999, S. 788). Vgl. C. Truss und L. Gratton (1994, S. 666), C. Hendry und A. Pettigrew (1990, S. 21) sowie die Beiträge in R. Kabst und W. Matiaske (2005). Vgl. hierzu C. Truss und L. Gratton (1994, S. 666) sowie C. Hendry und A. Pettigrew (1990, S. 21). Vgl. N.M. Tichy et al. (1982, S. 50 f.).
26
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
Belohnung, Anreize
Personalauswahl
Leistung
Leistungsbeurteilung PersonalEntwicklung
Abb. 2.3: Human Resource Cycle 74
Im Fazit bestätigt die personalwirtschaftliche Literatur dem Michigan-Konzept einen Stellenwert als Orientierungsrahmen für ein strategisch ausgerichtetes Personalmanagement. Der im Human Resource Management diskutierten Rolle des Personalmanagements als eigenständigem Strategiefaktor kommt der Michigan-Ansatz allerdings nicht nach. Der Ansatz bleibt, so die Kritik, „(…) dem klassischen Implementations- und Anpassungsdenken des Personalmanagements verhaftet und unterschätzt bzw. übersieht den Einfluss (vergangener) personalpolitischer Maßnahmen auf die (zukünftige) Strategieformulierung.“75 Als weiterreichender wird das Harvard-Konzept (Beer et al. 1985) eingestuft, das der Personalarbeit eine stärkere eigen bestimmte Aufgabe zuweist.76 Im Ergebnis betont das Konzept den Zuwachs von Kompetenzerhöhung, vermehrtem „Commitment“ bzw. Engagement für die Organisation, mehr Wirtschaftlichkeit bei der Leistungserstellung sowie verstärkte Kooperation der Mitarbeiter durch Entscheidungen im Rahmen des HRM.77 Die Harvard-Vertreter unterscheiden vier Politikfelder: Partizipation der Mitarbeiter, Personalbewegung (Personalbeschaffung, -einsatz und -freistellung), die Gestaltung des Belohnungssystems und die Arbeitsorganisation.78 Die Zielbildung für die Personalarbeit geschieht eigengesetzlich, durch eine integrative Abstimmung der Politikfelder untereinander und ist lose an die Unternehmens-
74 75
76 77 78
Quelle: Tichy et al. (1982, S. 50). W.H. Staehle (1999, S. 79 ff.). Die Rolle des Personalmanagements im Michigan-Ansatz hat Remer als „Anpasserfunktion“ kritisiert und fordert eine Gleichstellung der Personalpolitik mit der Unternehmenspolitik und eine vorrangige Stellung der Personalpolitik vor der Gestaltung der Unternehmensstruktur (Organisation) (vgl. A. Remer 1978, S. 17). Vgl. R.G. Klimecki und M. Gmür (1998, S. 51). J. Hentze und A. Kammel (2001, S. 48). Vgl. M. Beer et al. (1985, S. 16 ff.).
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
27
strategie gekoppelt.79 Im Harvard-Ansatz (siehe Abbildung 2.4) wird die Beeinflussung der Politikfelder durch die Interessen der Organisationsteilnehmer (Kerngruppen des Unternehmens, Manager, Mitarbeiter, Anteilseigner) und den Bezugsgruppen (Gewerkschaften, staatlicher Einrichtungen, Lieferanten) wie auch durch situative
Faktoren
wie
beispielsweise
Managementphilosophie,
Beschäftigungsstruktur,
Arbeitsmarktbedingungen,
Unternehmensstrategie,
Technologie,
gesellschaftliche
Werte hervorgehoben. 80 Es entsteht ein interaktiver Rückkoppelungsprozess zwischen Kontextfaktoren und betrieblichen Human-Resource-Management. Die Erfordernis zur Rückkoppelung kann sich sowohl aus veränderten Situationsfaktoren ergeben wie auch auf Reaktionen der unterschiedlichen Interessengruppen auf Aktivitäten der Personalarbeit beruhen. „(…) So kann z.B. eine nachhaltige Vernachlässigung der Arbeitnehmerinteressen durch das HRM zu korrigierenden gesetzlichen Auflagen führen, oder eine Verschlechterung der Ertragslage kann die Eigentümer veranlassen eine Änderung der HR-Politik (Löhne, Gehälter, Training) zu verlangen.“81 Das Harvard-Konzept ist sowohl offen gegenüber einer Konzeption der Organisation als auch gegenüber einem spezifischen Menschenbild.82
Die Autoren
unterscheiden in ihren Arbeiten drei idealtypische Organisationsprinzipien, nach denen sich die Personalpolitik im Unternehmen vollzieht:
-
Das Prinzip der Bürokratie, nach dem der Mensch als Untergebener angesehen wird und das sich an tayloristischen Überlegungen zur Arbeitsteilung orientiert.
-
Das Prinzip des Marktes, nach dem der Mensch ein vertraglich gebundener Arbeitnehmer ist. Die Abstimmung über Marktmechanismen geht von ständigen Austauschbeziehungen zwischen dem Unternehmen und ihren Mitgliedern aus, wobei diese in erster Linie über das Anreizsystem gesteuert werden.
-
Das Prinzip des Clans (im Sinne der Gemeinschaftsidee), nach dem der Mensch als Organisationsmitglied in formellen und informellen Strukturen an-
79 80 81 82
Vgl. R. G. Klimecki und M. Gmür (1998, S. 51). Vgl. hierzu W. H. Staehle (1999, S. 790 ff.). Ferner J. Hentze und A. Kammel (2001, S. 48 ff.). W.H. Staehle (1999, S. 791). Der Stellenwert konzeptioneller Einbindungen von Funktionen und Instrumenten ist eher gering. Siehe hierzu R.G. Klimecki, und M. Gmür (1998, S. 52).
28
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
gesehen wird, der nach kollektiver Zielerreichung strebt und seine Eigeninteressen zurückstellt.83
Interessengruppen Anteilseigner, Management Mitarbeiter, Gewerkschaften, Staat, Kommune usw.
Situationsfaktoren Beschäftigungsstruktur, Unternehmensstrategie, Managementphilosophie, Arbeitsmarkt, Gewerkschaftsforderungen, Technologie, Gesetze, gesellschaftliche Werte
Politikfelder und Organisationstypen des Human Resources Management
Bürokratie
Markt
Clan
über Dienstweg
durch Verträge
durch Beratung und Konsens
HRBewegungen
Aufstieg in einem Funktionsbereich
Einstellung und Entlassung nach
Belohnungssystem
Anforderungsgerechtigkeit
Mitarbeiterbeteiligung
Arbeits organisation
Hohe Arbeitsteilung und Hiearchiebetonung
Bedarf Leistungsgerechtigkeit Arbeitsaufträge an einzelne/ Gruppe
vertikal/lateral lebenslange Beschäftigung Sozialgerechtigkeit Ganzheitliche Aufgaben in der Gruppe
Ergebnisse des Human Resources Management
Abb. 2.4: Der Human-Resources-Ansatz nach dem Harvard-Konzept84
In der personalwirtschaftlichen Rezeption zeichnet sich der Harvard-Ansatz durch die Berücksichtigung einer großen Bandbreite von „Stakeholder“-Interessen aus und den damit einhergehenden Konfliktlagen, die sich durch gegensätzliche Positionen zwischen Eigentümern des Unternehmens („Shareholder“), Mitarbeitern und
83
84
Vgl. M. Beer et al. (1985, S. 664 ff.). Grundlegend sind hier das Bürokratiekonzept Webers und das Organisationskonzept Taylors, Ansätze der Neuen Institutionenökonomie wie der Transaktionskostenansatz (vgl. M. Ebers und W. Gotsch 2002, S. 199-251) sowie W.G. Ouchis (1980, S. 129-141) Clankonzept. Ausgeblendet bleibt ein beziehungsorientiertes Personalmanagement wie es in der Folge der Human Relations Bewegung favorisiert wurde. Quelle: In Anlehnung an Beer et al (1985, S. 669); in der Übersetzung von G. Klimecki und M. Gmür (1998, S. 52).
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
29
Bezugsgruppen der Organisation ergeben.85 Kritisch setzt sich Neuberger mit dem Konzept als Beispiel für die dominierende normativ-pragmatisch ausgerichtete Personalwirtschaftslehre auseinander.86 Die Kritik richtet sich vor allem an:
-
Den Glauben des grenzenlosen Potentials für menschliches Wachstum, der in der Maslow´schen Bedürfnispyramide den Menschen als unermüdlichen Pionier identifiziert.
-
Den Glauben der Möglichkeit, jede Situation durch Anstrengung verbessern zu können, wenn alle überflüssigen institutionellen Hindernisse beseitigt sind.
-
Den Glauben der Kraft entschlossener Führerschaft, die sich in der uneingeschränkten Bewunderung erfolgreicher Unternehmer und ihrer Erfolge niederschlägt, welche die damit verbundenen sozialen Kosten ausblendet.87
Den Überblick unterschiedlichster Konzeptionen von Personalmanagement abschließend lässt sich festhalten, dass sich diese im Laufe der Zeit verändert haben. Das Selbstverständnis hat sich von einer eher funktionalistischen Teildisziplin hin zu einem
ressourcenorientierten,
der
Unternehmenspolitik
angelehnten,
integrativen
strategischen Personalmanagement entwickelt. Insbesondere anhand der Konzeptionen des integrativen Human Resource Management lassen sich die Unterschiede zwischen herkömmlicher Personalarbeit und neuer Konzepte aufzeigen (siehe Abbildung 2.5). Einige in der Personal- und Verwaltungswirtschaftslehre ausgewiesene Autoren vertreten die Auffassung, dass das Konzept des Human Resource Management sich nicht nur auf Unternehmen der Privatwirtschaft beschränkt, sondern (obwohl weder der Harvard- noch der Michigan-Ansatz explizit andere Organisationsformen berücksichtigt) auch auf den zunehmend ökonomisch determinierten Verwaltungsalltag ausgedehnt werden kann. 88 Jedoch, eine Auseinandersetzung oder Annäherung an Konzepte des Human Resource Management finden sich weder in den Empfehlungen des „Neuen Steue-
85 86 87 88
Vgl. J. Hentze und A. Kammel (2001, S. 48 ff.). Vgl. O. Neuberger (1997, S. 36 ff.). Vgl. hierzu D.E. Guest (1990, S. 390 ff.) in R. G. Klimecki und M. Gemür (1998, S. 53). Vgl. W. A. Oechsler (1997), C. Hendry und A. Pettigrew (1990, S. 25. f.) sowie C. Truss und L. Gratton (1994, S. 663).
30
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
rungsmodells“ noch in der gängigen Verwaltungspraxis. Vielmehr werden Einzelaspekte wie Personalentwicklung und die Gestaltung von Entgelten zur Leistungsmotivierung hervorgehoben.
Herkömmliche Personalarbeit
Human Resource Management
Einordnung der Personalfunktion
nachgelagerte betriebliche Teilfunktion
integrierter Bestandteil der Unternehmensstrategie
Aktivitätenhorizont
kurzfristig – reaktiv
langfristig – proaktiv
Interessensperspektive
interessenpluralistisch
interessenharmonisch
konfliktorientiert
harmonieorientiert
Personalwirtschaftliches
bürokratisch – vereinheitlicht
organisch – flexibel
Instrumentarium
Zentralisiert – standardisiert
dezentral – situativ
Kontrolle
Fremdkontrolle
Selbstkontrolle
Erfolgskriterien
Konformität
Selbstverpflichtung
Kostenreduzierung
Intensivierung der Arbeit
verwaltend
unternehmerisch
Grundhaltung
Abb. 2.5: Unterschiede zwischen herkömmlicher Personalarbeit und Human Resource Management89
Damit liegt die Vermutung nahe, dass Akteure ihre Organisationsformen offenbar dergestalt zu entwerfen versuchen, dass diese eine größtmögliche Chance haben, von relevanten Interessengruppen akzeptiert zu werden. Die Strukturen werden entsprechend den Anforderungen und Erwartungen in der Umwelt gestaltet, um der Organisation Legitimität zu verschaffen.90 Meyer und Rowan haben damit eine Leitidee formuliert, die im Mittelpunkt des institutionalistischen Ansatzes steht.91
89 90 91
Die
Quelle: W. A. Oechsler (1996, S. 11). Vgl. P. Walgenbach (2002, S. 319). „Der institutionalistische Ansatz wurzelt in der U.S.-amerikanischen Organisationssoziologie. Seine Entstehung fußt nicht auf der Durchführung eines einheitlichen Forschungsprogramms; er ist vielmehr auf der Basis einer Zusammenführung empirischer Untersuchungsergebnisse mit theoretischen Erklärungsbausteinen entstanden“ (J. Wolf 2003, S. 389 ff.) Insbesondere die Untersuchungen des Forschungsprogramms „Environment for Teaching“, das in den frühen 70er Jahren am Stanford Center for Research and Development in Teaching“ durchgeführt wurde, ist als Ausgangspunkt dieses Ansatzes zu nennen. In empirischen Studien war, von dem zu jener Zeit dominanten Paradigma ausgegangen, dass die verwendete Technologie einen Einfluss auf die Struktur der Organisation hat. Sie fanden jedoch nur einen schwachen oder keinen Zusammenhang zwischen der verwendeten Technologie und der formalen Organisation. Die formale Struktur spiegelte statt der Anforderungen, die aus den Aktivitäten der Organisation und Komplexität der internen und externen Beziehungen resultieren, die Vorstellungen rationaler organisationaler Gestaltung in der Umwelt der Organisation wider (vgl. J.W. Meyer, B. Rowan (1977,
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
31
Institutionalisten gehen unter anderem davon aus, „(…) dass die institutionelle Umwelt die Zwecke festlegt und die Mittel vorgibt, durch die Interessen bestimmt und verfolgt werden.“92 So bestehen in einer Gesellschaft Vorstellungen, Regeln und Annahmen, wie effektive und effiziente Organisationen auszusehen haben. Auch die Organisationen der öffentlichen Verwaltung werden durch die gesamtgesellschaftliche Entwicklung mit neuen Anforderungen konfrontiert und sehen sich dadurch veranlasst, ihr eigenes Aufgabenprofil und die zu seiner Erfüllung dienenden Organisationsstrukturen entsprechend anzupassen. Die derzeit geführten Diskussionen in Zeiten knapper Kassen stellen öffentliche Verwaltungen vor die Situation ihr Handeln zu legitimieren. Im „Neuen Steuerungsmodell“ (KGSt 1993) wird unter der Überschrift
„Legitimitätslücke“
angeführt,
dass
bürokratische
Inflexibilität
und
Selbstbezogenheit beim Publikum und in den Medien auf wachsende Kritik stoßen. „Eine ’Schonung’ der Verwaltung wäre der Öffentlichkeit gegenüber mitnichten plausibel zu machen.“93 Diesem Druck wird hinsichtlich der geübten Kritik am Personal öffentlicher Verwaltungen durch das Vorhaben der Neugestaltung der Personalarbeit begegnet. Bisher aber dominierte eher der Abbau des Personalüberhangs durch Stelleneinsparungen mit dem Instrument der Stellenbesetzungssperre und eine Akzentuierung zur Steigerung der Leistungsorientierung und Erhöhung der Personaleinsatzflexibilität. Mit einer Betonung des individuellen Leistungsprinzips und der damit verbundenen
Einführung
leistungsabhängiger
Entgeltbestandteile
durch
individuelle
Leis-
tungsbeurteilungen sehen sich die initiierenden Akteure aber auch intern, innerhalb der öffentlichen Verwaltung, einem Gegendruck ausgesetzt. Die praktische Bewährung, der in ihrer geplanten Anwendung neuartigen personalwirtschaftlichen Instrumente, hängt zum großen Teil auch von der Akzeptanz der Beschäftigten im öffentlichen Dienst selbst ab. Somit ist eine interne Legitimierung wohl kaum von der bloßen Einhaltung der „äußeren Regeln des Spiels“ bzw. „den extern gesetzten Rahmenbedingungen rationaler Wahlen“ von Organisationen determiniert, sondern entsteht erst durch eine Manifestation von Sinnzusammenhängen sozialen Verhaltens in
92 93
S. 341), W.R. Scott (1992, S. 14), ferner siehe L.G. Zucker (1977, 1987), M. Granovetter (1985, 2000), W.R. Scott (1987, 1995) sowie P.J. DiMaggio und W.W. Powell (1983, 1991). P. Walgenbach (2002, S. 321). E. Weller (1998, S. 202).
32
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
Organisationen.94
Diese
können
beispielsweise
in
Leitideen
symbolisiert
und
kommuniziert werden. Das Leitbild der neuen Reformen malt mit expressiven Farben das Bild eines engagierten und motivierten Mitarbeiters, dessen aktive Beteiligung als entscheidendes Kriterium für den Erfolg der Verwaltungsreform gilt.95
2.5 Der engagierte Mitarbeiter im Leitbild der Reform Eine Standarderzählung der Managementliteratur, die das Zerrbild des unengagierten, bürokratischen Menschen des öffentlichen Dienstes karikiert ist ein Erlebnis, das G.F. Müller und H.W. Bierhoff (1994) folgendermaßen schildern: „Am Paketschalter unterhielt sich der zuständige Postangestellte mit einem Kollegen. Auf diese Weise verstrichen fünf Minuten, ohne dass das Paket angenommen wurde. Schließlich zeigte der Angestellte Erbarmen und nahm das Postpaket an, wobei er sehr unfreundlich wirkte. Im Gespräch mit dem Leiter des Postamtes hieß es dann, dass gegen diese abweisende und schleppende Bearbeitung des Paketes nichts unternommen werden könnte.“96 Der Autor und Bittsteller um mehr Freundlichkeit und Entgegenkommen resümiert, dass der Leiter des Postamtes nicht ganz Unrecht hat. Denn wie sollen Mitarbeiter dazu bewogen werden, Kunden gegenüber freundlich zu sein und diese entgegenkommend wie effizient zu bedienen? „Kundenfreundlichkeit lässt sich nicht vertraglich festlegen, sondern ergibt sich aus dem Arbeitsengagement der Mitarbeiter, das sie aus freien Stücken zeigen.“97 Verhaltensweisen von Organisationsmitgliedern, die das formal Fixierte übersteigen, werden in der Literatur auch unter dem Terminus Extra-Rollenverhalten98 diskutiert. Forschungsarbeiten zum Extra-Rollenverhalten basieren auf der Annahme, in diesem Konstrukt könne „(…) der soziale Kitt gesehen werden, der Unternehmen zusammenhält und grundlegend für die Effizienz und das Überleben jeder Organisa-
94 95 96 97 98
Vgl. J. Wolf (2003, S. 391) und T. Edeling (1999) sowie A. Kaiser (1999). Vgl. KGSt (1996, S. 7). G.F. Müller und H.W. Bierhoff (1994, S. 368). G.F. Müller und H.W. Bierhoff (1994, S. 368). Die Idee des Extra-Rollenverhaltens geht zurück auf C.I. Barnard (1938). Die Konzeption, das informelle, der Organisation zweckdienliche Verhalten als Extra-Rollenverhalten zu fassen, geht zurück auf D. Katz (1964) sowie D. Katz und R.L. Kahn (1978). Vgl. hierzu W. Matiaske und I. Weller (2003, S. 101).
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
33
tion ist.“99 Ausarbeitungen zum Extra-Rollenkonzept erörtern wie von Organisationen geforderte Flexibilität auf individueller Ebene entsteht.100 Neben der Einengung des Verhaltens zu verlässlichen Rollenausübungen müssen in Organisationen Freiräume gegeben sein, um Möglichkeiten für spontanes und innovatives Verhalten zu öffnen. „Extra-Rollenverhalten ist demnach dadurch gekennzeichnet, dass es insoweit freiwillig erfolgt, als dass es weder formal belohnt wird, wenn es gezeigt wird, noch sanktioniert wird, wenn es unterbleibt.“101
Rollenverhalten
Extra-Rollenverhalten
Pünktlichkeit
Spiel-Rollen
Frühzeitige Urlaubsplanung
Weitergabe einer Störungsmeldung
Bewältigungsrollen
Freundlichkeit und Kooperationsbereitschaft bei Alltagsgeschäften
Beratung eines Kunden
Kontaktrollen
Verbreitung eines positiven Organisationsbildes in der Öffentlichkeit
Einhaltung der Kernarbeitszeit
Ausführungsrollen
Bereitschaft zu Überstunden
Qualitätskontrolle im Fertigungsprozess
Arbeitsrollen
Schonender Ressourceneinsatz
Dokumentation von Leistungsergebnissen
Leistungsrollen
Erarbeitung eines Verbesserungsvorschlags
Wahrung der Verschwiegenheitspflicht
Sozialisierungsrollen
Respekt gegenüber Kollegen und Vorgesetzten
Übernahme der Vertretung eines erkrankten Kollegen
Helfer-Rollen
Teilnahme an einem Mentorenprogramm für neue Kollegen
Übernahme einer turnusmäßigen Gruppenleitung
Beziehungsrollen
Übernahme einer Auslandstätigkeit für die Organisation
Abb. 2.6: Rollen, Rollenverhalten und Extra-Rollenverhalten102
99
F.W. Nerdinger (1995, S. 18); grundlegend S.W. Organ (1977). Vgl. D. Katz (1964). 101 W. Matiaske und I. Weller (2003, S. 103). 102 Quelle: Entnommen aus W. Matiaske und I. Weller (2003, S. 104). Die in der Abbildung gezeigten Rollenkategorien basieren auf dem Klassifikationsschema sozialer Rollen nach H.P. Dreitzel (1980, S. 86). 100
34
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
Abbildung 2.6 zeigt denkbare Beispiele für Rollen- und Extra-Rollenverhalten auf. Die Kategorisierung dient der Veranschaulichung und Illustration verschiedener Rollen und Verhaltensweisen. Leicht ersichtlich ist jedoch, dass diese Art Beispiele nicht immer eindeutig und nicht nur einer Kategorie zuordenbar sind. In der jüngeren Diskussion setzt sich eine Reihe von Konzeptionen mit dem Aspekt individuellen Handelns in Organisationen auseinander. Die bekannteste Konzeptionalisierung zum Extra-Rollenverhalten dürfte das so genannte Organizational Citizenship Behavior103 , kurz OCB sein. Das Konzept beschreibt – in Analogie zur Tugendhaftigkeit des Staatsbürgers – die Verhaltensweisen eines engagierten „Organisations-Bürgers“104 . Organisationsmitglieder sollen fair miteinander umgehen und kooperieren, sich gegenseitig tolerieren. Sie sollen am Leben der Organisation teilhaben und sich für die Organisation auf freiwilliger Basis stark machen: Verantwortung übernehmen, Hilfsbereitschaft und Eigeninitiative zeigen, gewissenhaft und unkompliziert handeln. Zivilcourage, Gerechtigkeit und Solidarität sollen der Erhaltung der sozialen Gerechtigkeit dienen. „Ähnlich wie die Bürgertugenden, die notwendig sind, um eine Demokratie am Leben zu erhalten, sind die Tugenden der Organisationsmitglieder notwendig, um die Effektivität und Überlebensfähigkeit der Organisation zu sichern.“105 Eben auf diese Tugenden beruft sich auch das „Neue Steuerungsmodell“ und stellt den „engagierten“ Mitarbeiter in den Mittelpunkt seines Leitbildes. Durch dieses Vorgehen sehen sich die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst mit einer Reihe neuer Anforderungen konfrontiert, die weit über die „Normalleistungen“, die üblicherweise im Arbeitsvertrag fixiert sind, hinausgehen. Neben Aspekten der fachlichen und methodischen Kompetenzerhöhung werden vor allem persönliche Kompetenzen wie Veränderungsbereitschaft, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit und soziale Kompetenzen wie die Fähigkeit im Umgang mit Konflikten, Offenheit, Einfühlungsvermögen und eine Verbesserung der Kommunikation hervorgehoben. 106 Die Einführung leistungsorientierter Entgeltmodelle in öffentlichen Organisationen steht für den Ver-
103
Zur historischen Entwicklung des Konzeptes und alternativen theoretischen Fassungen siehe W. Matiaske und I. Weller (2003). 104 Vgl. beispielsweise I. Weller, W. Matiaske und D. Holtmann (2005, S. 134 f.). 105 I. Weller, W. Matiaske und D. Holtmann (2005, S. 134 f.). 106 Vgl. KGSt (1996, S. 17, 19 f., 22 f. und 24 f.).
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
35
such gezielte Anreizmechanismen zu schaffen, die die Verhaltensweisen ihrer Organisationsmitglieder über das formal Fixierte steigern helfen sollen.
2.6 Zusammenfassung Die in diesem Kapitel vorgestellten personalwirtschaftlichen Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“ beinhalten für die vorliegende Arbeit wichtige Gesichtspunkte. Es wurde dargestellt, dass Reformen des öffentlichen Dienstes nicht nur Tradition haben, sondern in der Mehrzahl durch externen Druck intendiert wurden. Zwar wird der jüngsten Reformbemühung, die sich im „Neuen Steuerungsmodell“ wider spiegelt, in der Verwaltungsliteratur und -praxis häufig verwaltungsinterner Ursprung attestiert, demzufolge Defizite aus dem von Max Weber geprägten Bürokratiemodell zu Gunsten einer ergebnisorientierten und dezentralen Steuerung des öffentlichen Dienstes überwunden werden sollen. Jedoch scheint diese als Paradigmawechsel geführte Diskussion zwischen dem Bürokratiemodell und den neuen Konzepten als überzogen. 107 Zum einen entfernt sich das „Neue Steuerungsmodell“ zwar deutlich vom Referenzmodell der Bürokratie im Sinne Max Webers, indem „(…) klassische Verwaltungsprämissen, wie die Uniformität bereitgestellter Dienstleistungen, standardisierte Prozeduren und direkte Kontrolle über die Hierarchie zunehmend in Frage gestellt und statt dessen neue Wirkungsmechanismen erprobt werden, die in der bürokratischen Verwaltung nicht zum Tragen gekommen sind.“108 Zum anderen zeigt sich aber deutlich, dass das „Neue Steuerungsmodell“ in seiner Konzeption lediglich auf bestehende Theorien und Managementkonzepte zurückgreift, ohne jedoch im Vorfeld deren gegenseitige (Un-)Verträglichkeit im Einzelnen untersucht oder berücksichtigt zu haben. 109 Vor allem der Aspekt der Neugestaltung des Personalmanagements weist Defizite auf. So wird in den Debatten über die Umgestaltung des öffentlichen Dienstes
107
Vgl. W. A. Oechsler und S. Vaanholt (1998, S. 156 f.). W. A. Oechsler und S. Vaanholt (1998, S. 156). 109 W. A. Oechsler und S. Vaanholt (1998, S. 156 ff.) weisen daraufhin, dass die Bezeichnung des New Public Management als neues Paradigma eine Verwässerung des Kuhn´schen Paradigmabegriffs (T.S. Kuhn 1978) darstelle. Die Frage, ob im New Public Management ein neues Paradigma zu sehen ist, ist umstritten. P. Hablützel, (1995, S. 499), so der Verweis, würde eben dieses bestätigen, hingegen C. Reichard (1995, S. 65) teils unentschlossen und M. Röber (1996, S. 104 f.) deutlich ablehnend argumentieren. 108
36
Personalwirtschaftliche Aspekte des „Neuen Steuerungsmodells“
seit Jahren der Standpunkt vertreten, dass ein modernes ressourcenorientiertes Personalmanagement erforderlich sei, weil die bloße bürokratische Verwaltung des Personals den gestiegenen Anforderungen des öffentlichen Dienstes nicht mehr Rechnung tragen würde. Das vorliegende Kapitel illustriert jedoch in der Gegenüberstellung von möglichen Konzeptionen eines integrativen Human Resource Management und den skizzierten personalwirtschaftlichen Ansätzen im „Neuen Steuerungsmodell“, dass eine strategisch integrative Humanresourcepolitik im öffentlichen Dienst noch nicht umgesetzt wird. Vielmehr scheint es, dass eine eher isolierte technokratische Herangehensweise, aufgesetzt auf bestehende Personalführungskonzepte, dominiert. Folglich stellt sich die Frage inwieweit die Forderung nach mehr Leistungsorientierung bei den Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes verbunden mit der initiierten Einführung variabler Entgeltbestandteile ausschließlich auf internen Reformdruck zurückzuführen ist. Die Vermutung liegt nahe, dass die Reform vor allem Ausdruck einer prekären Finanzsituation ist, in der es gilt das Handeln in und um öffentliche Organisationen zu legitimieren. Zudem sind die Diskussionen um materielle Anreize in der öffentlichen Verwaltung nicht neu. Bereits seit Beginn der 70er Jahre stehen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst immer wieder im Fokus leistungspolitischer Strategien um mehr Effizienz. Neu ist der Druck, nicht zuletzt verstärkt durch die öffentlich geführte Debatte zur Einführung leistungsorientierter Entgeltmodelle, die insbesondere in kommunalen Bereichen in Teilen bereits umgesetzt wird. An die Einführung leistungsorientierter Entgeltsysteme werden seitens der Akteure weit reichende Erwartungen und Befürchtungen geknüpft. Neben den proklamierten organisatorischen und ökonomischen Zielen werden auf Seiten der Arbeitnehmer Fragen der Gerechtigkeit aufgeworfen. Demzufolge wird im weiteren Verlauf der Arbeit der Frage nachgegangen, welche Voraussetzungen ein personalwirtschaftliches Standardinstrumentarium zur Leistungsbeurteilung und -vergütung erfüllen muss, um den Erwartungen seitens der Organisation und der Mitarbeiter entsprechen zu können.
„Die Wissenschaft hat nicht nur die Aufgabe, die Ideale der Gerechtigkeit zu formulieren, sie muß auch Wege und Mittel zu ihrer Realisierung beschreiben.“ (Léon Walras)
3 Leistungsbeurteilungen: Personalwirtschaftliche Instrumente und Rahmenbedingungen im öffentlichen Dienst
Lohngerechtigkeit ist ein klassisches Problem. So verweist beispielsweise Reichmann darauf, dass bereits im Neuen Testament an verschiedenen Stellen (so z.B. im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg) Fragen der Lohngerechtigkeit aufgeworfen werden.110 Das Problem der Lohngerechtigkeit adressiert die Frage nach der Höhe des Entgelts, das für menschliche Arbeitsleistung in einer Organisation zu zahlen ist und gilt als eine der zentralen Fragestellungen in der Wirtschaftstheorie und Praxis. In den Diskussionen zur Bestimmung der Höhe des angemessenen Entgelts wurden unterschiedliche Konzepte entwickelt111 , die je nach fokussierter Fragestellung verschiedene Differenzierungskriterien hervorheben. Gleichwohl steht im Zentrum jedoch das Kriterium der Leistungsgerechtigkeit, demzufolge die persönliche Leistung des einzelnen Arbeitnehmers in den Vordergrund der Betrachtung tritt. „Hierbei soll durch eine entsprechende leistungsgerechte Lohndifferenzierung der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Leistung eines Mitarbeiters eben nicht der im Rahmen der Anforderungsorientierung unterstellten Normalleistung ent-
110
Vgl. L. Reichmann (2004, Sp. 1115). H. Steinmann und A. Löhr (1992, Sp. 1285) sind der Auffassung, dass Gerechtigkeitsvorstellungen des (christlichen) Glaubens bei der Bestimmung des gerechten Lohns ungeeignet seien. Unter Verweis auf S. Wendt (1965, S. 59 ff.) argumentieren sie, dass Bibelstellen, die wie das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg von der Gerechtigkeit Gottes künden, nicht unmittelbar als Handlungsanleitung im Diesseits heranzuziehen sind. Anzumerken ist allerdings, dass diese Quellen Basis kirchlicher Lehrmeinungen zu Fragen der Gerechtigkeit sind und beispielsweise in den Sozialenzykliken der katholischen Kirche eine Rolle spielen. 111 Eine Übersicht gibt L. Reichmann (2004, Sp. 1115 ff.).
38
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
spricht, sondern von dieser positiv oder negativ abweichen kann.“112 Um den Leistungsgrad eines Mitarbeiters zu ermitteln stellt die Personalwirtschaftslehre das Instrumentarium der Personalbeurteilung zur Verfügung. Trotz aller grundsätzlicher Diskussionen zu Beurteilungen, deren Voraussetzungen (Anforderungen) und Konsequenzen, scheint das Instrumentarium zur Leistungsbeurteilung und -bewertung ein für die Praxis unverzichtbares Instrument darzustellen. „Individuelle Leistung bleibt offenbar das zentrale Kriterium, nach dem knappe Mittel wie Arbeitsentgelt und beruflicher Aufstieg verteilt bzw. gesteuert werden können. Auch wenn der Leistungsbezug hierfür nicht das einzig akzeptierte und legitime Mittel in unserem Wirtschafts- und Gesellschafssystem ist, scheint es zur Leistung keinen effektiven alternativen Verteilungsmechanismus zu geben.“113 Dieses Kapitel dient der Diskussion unterschiedlicher, vor allem ökonomischer Aspekte der Lohngerechtigkeit. Ausgehend von volkswirtschaftlichen Theorien werden organisationstheoretische Aspekte der neueren Gerechtigkeitsforschung erörtert. Anschließend stehen Standardverfahren zur Leistungsbeurteilung auf Basis der personalwirtschaftlichen
Literatur
zur
Diskussion.
Die
detaillierten
Beschreibungen
werden aus Perspektive methodischer und substantieller Anforderungen an Leistungsbeurteilungsverfahren und –systeme ergänzt und diskutiert. Das Kapitel abschließend werden die bisherigen und aktuellen tariflichen wie auch gesetzlichen Regelungen zur Leistungsbeurteilung- und -vergütung im öffentlichen Dienst vorgestellt. Eine Auswahl empirischer Befunde zum Stand der Einführung und Vergütung leistungsorientierter Entgeltkomponenten im öffentlichen Dienst aus dem Jahr 2004 runden das Kapitel ab.
3.1 Lohngerechtigkeit aus ökonomischer Perspektive Betriebswirtschaftliche Argumentationen zur Lohngerechtigkeit haben einerseits ihre Wurzel in allgemeineren ökonomischen Vorstellungen und korrespondieren andererseits mit gesellschaftlichen Ansprüchen an die Gestaltung der Lohngerechtigkeit.114
112
L. Reichmann (2004, Sp. 1116 f.). H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 13). 114 Vgl. ausführlicher K. Tondorf (1994), die in ihrer Diskussion zur Modernisierung der industriellen Entlohnung die Frage erörtert, welche Einflussfaktoren zur Herausbildung und Veränderung 113
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
39
Insofern eröffnet eine kurze Skizze zentraler (volkswirtschaftlicher) Lohntheorien die Diskussion, bevor genuin betriebswirtschaftliche Argumente vorgestellt und durch zentrale soziale Aspekte der Lohngerechtigkeit ergänzt werden.
3.1.1
Lohngerechtigkeit und Arbeitsmarkttheorien
Lohntheorien als Teil der Volkswirtschaftslehre haben zum Ziel, die Zusammensetzung, Höhe und Struktur von Löhnen sowie deren Entwicklung im Zeitablauf zu erklären. Sie greifen in der Regel methodisch auf das Instrumentarium der Mikroökonomie zurück. „Das mikroökonomische Modell der Lohnbildung auf einem Auktionsmarkt besteht aus der Darstellung einer Arbeitsangebots- und Arbeitsnachfrageentscheidung, die unter der Annahme rationalen Verhaltens und vollständiger Information für Arbeitnehmer und Arbeitgeber individuell hergeleitet werden kann.“115 Die auf dem Arbeitsmarkt wirksam werdenden Arbeitsangebots- und Nachfragefunktionen werden durch Aggregation der individuellen Entscheidungen ermittelt und informieren über angebotene bzw. nachgefragte Menge an Arbeit in Abhängigkeit vom Lohnsatz. Die
neoklassische
Arbeitsmarkttheorie
überträgt
sämtliche
Annahmen
der
Preistheorie und somit die Idee eines vollständigen Marktes auf den Arbeitsmarkt. Demnach sind Arbeitsmärkte gekennzeichnet durch die Annahmen der Transparenz (vollständige Konkurrenz ohne Wettbewerbsbeschränkungen), der Homogenität und Substituierbarkeit der Arbeitsanbieter, der Freiheit des Kontrahierens und der Mobilität. In Folge gilt, dass für den Arbeitsmarkt ein Preisbildungsprozess nach dem Marginalprinzip wie auf anderen Märkten auch angenommen wird. Dies impliziert, dass der Preis der Arbeitskraft immer auch ein „gerechter“ Preis sei. Im markträumenden Gleichgewicht gilt die Gerechtigkeit des Pareto-Kriteriums116 . Entsprechend ist in der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie das Problem der Lohngerechtigkeit
von Begründungen in der Lohnfindung und -differenzierung in den 80er Jahren geführt haben. Neben ökonomischen Erklärungsansätzen werden sowohl Positionen aus dem soziologischen Spektrum wie auch relevante politik- und arbeitswissenschaftliche Untersuchungen vorgestellt. 115 W. Franz und F. Pfeiffer (2004, Sp. 1122). 116 Das Pareto-Kriterium beschreibt in einer Marktsituation die Konstellation, in der kein Akteur entsprechend seiner Präferenzen und Budgetausstattung ohne Umverteilung (durch den Staat) besser gestellt werden kann. Vgl. W. Reiß (1996).
40
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
nicht existent.117 Allerdings ist die Lösung des klassischen Problems „ungerechter“ Löhne trügerisch, da diese auf den Annahmen vollkommener Märkte basiert. „Probleme des Arbeitsmarktes und der Beschäftigung stellen für die Klassiker auf Grund der Annahme flexibler Löhne und der generellen Gültigkeit des Sayschen Theorems118 kein zentrales volkswirtschaftliches Problem dar.“119 Dem Sayschen Theorem und den Annahmen des Grenznutzen- bzw. Grenzproduktivitätstheorems folgend gilt, dass das Arbeitsangebot monoton mit dem Reallohn steigt und umgekehrt. Demnach ist ein Ausgleich auf dem Arbeitsmarkt ausschließlich eine Frage des Lohnsatzes. Dauerhafte Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt sind daher nur auf freiwillige Arbeitslosigkeit oder auf Wettbewerbsverzerrungen zurück zu führen. Frühe Kritik an der von den Klassikern behaupteten immanenten Tendenz zum Vollbeschäftigungsgleichgewicht
und
der
Funktionsfähigkeit
des
Lohnsatzes
als
Steuerungsmechanismus äußerte Keynes (1955). Keynes diskutierte das zentrale Problem der Arbeitslosigkeit, die entsprechend der neoklassischen Theorie nur als „freiwillige“ Arbeitslosigkeit auftreten konnte. Er stellte insbesondere die Gültigkeit des Sayschen Theorems in Frage. Arbeitslosigkeit, so Keynes, beruhe nicht lediglich auf saisonalen oder konjunkturellen Friktionserscheinungen. Im Gegensatz zu den Klassikern betrachten die Keynesianer den Lohnsatz nicht als geeignetes Selbststeuerungsinstrument zur Vollbeschäftigung, da Löhne nach unten weitgehend rigide seien.120 Das Saysche Theorem kehrt sich in der Sicht von Keynes und der Keynesianer um; ihnen erscheint vielmehr eine Steuerung der Nachfrage als effizientes Instrument der Beschäftigungspolitik. Der zeitgenössischen Ökonomie gilt die Theorie der Lohnbestimmung auf Auktionsmärkten als unvollständig, da die Frage, wie der Gleichgewichtslohn durch das Handeln der Akteure zustande kommt, unbeantwortet bleibt.121 Insbesondere auf Ar-
117
118
119 120 121
Die klassische Arbeitsökonomie trennte jedoch in der Arbeitswertlehre zwischen Wert und Preis. Der Wert einer Ware bestimmte sich auf Grund der aufzubringenden menschlichen Arbeit und der in Investitionen „geronnenen“ Arbeit. Da der Wert und die Preisbildung, letztere nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage, voneinander getrennt angenommen wurden, konnte es zu „ungerechten“ Löhnen kommen: Der Unternehmer konnte sich den „ Mehrwert“ aneignen. Vgl. W. Reiß (1996). J.-B. Say postulierte, dass sich jedes Angebot seine eigene Nachfrage schafft. Dies impliziert, dass es keine generellen Ungleichgewichtssituationen auf Märkten geben kann (vgl. J. Zerche 1979, S. 136 f.). J. Zerche (1979, S. 142). Vgl. J. Zerche (1979, S. 153 und 144). Vgl. W. Franz und F. Pfeiffer (2004, Sp. 1124).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
41
beitsmärkten treten nämlich besondere Abweichungen vom Idealbild vollkommener Märkte auf.122 Diese betreffen einerseits die Mobilität der Arbeitenden und andererseits die Information auf Seiten des Angebots und der Nachfrage. Arbeitssuchende sind ex ante nicht über die Eignung des Arbeitsplatzes informiert. Arbeitgeber kennen dagegen die Eignung der Bewerber nicht hinreichend.123 Zudem findet in aller Regel kein simultaner Austausch von Leistung und Lohn statt, in dem die Beziehung zwischen den Handelnden nach Abschluss der Transaktion wie beispielsweise auf Aktienmärkten beendet ist. Vielmehr investieren Arbeitnehmer und Arbeitgeber in eingegangene Arbeitsverhältnisse, beispielsweise in Form von unternehmensspezifischem Humankapital. Diese Aspekte behandeln die Humankapitaltheorie sowie effizienzlohntheoretische und segmentationstheoretische Ansätze. Diese werden im Folgenden kurz skizziert, da sie erheblichen Einfluss auf die Bestimmung des Lohnsatzes und die Lohndifferenzierung nehmen.124 Diese modernen Arbeitsmarkttheorien stellen die Annahmen der neoklassischen Theorie in Frage oder aber modifizieren diese, ohne jedoch den generellen theoretischen Bezugsrahmen der Neoklassik zu verlassen. Die bedeutsamste Teiltheorie ist die auf Becker (1964) zurück gehende Humankapitaltheorie. Diese stellt die Homogenitätsannahme der Ware Arbeitskraft zur Diskussion und erklärt auf Grund unterschiedlicher Investitionen in Humankapital Lohndifferenzen. „Arbeitskräfte mit höherem Bildungsniveau können – so die These – am Markt höhere Lohnraten erzielen als Arbeitskräfte mit geringerem Bildungsniveau.“125 Investitionen in das Humankapital der Arbeitskraft können sowohl vom Arbeitnehmer selbst als auch durch das Unternehmen erfolgen. Zugrunde gelegt wird, dass das Handeln beider Akteure durch ökonomisches Optimierungskalkül bestimmt
122
Eine kurze Übersicht vermitteln F. Büchel und W. Matiaske (1996). Diese Aspekte der Informationsökonomik werden in Job-Searching und Principal-Agent-Ansätzen behandelt. Informationsökonomische Ansätze bestimmen die derzeitige Diskussion in der Personalökonomik. Vgl. z.B. D. Sliwka (2003). Trotz ihrer theoretischen und praktischen Relevanz sind diese Ansätze vom Diskussionstand der Reformen im öffentlichen Dienst soweit entfernt, dass sie hier keine weitere Berücksichtigung finden. 124 Zu dem ist auf die Existenz von Arbeitsmarktinstitutionen, wie der in Deutschland herrschenden Tarifautonomie, zu verweisen, die die Interdependenz von marktmäßigen Gesetzmäßigkeiten und gesellschaftlichen Rahmenbedingen für die Lohnbestimmung verdeutlicht (vgl. W. Franz und F. Pfeiffer 2004, Sp. 1121). Mit G. Brinkmann (1999, S. 163) ist zu ergänzen, dass sich in Lohndifferenzen die Anschauungen aller an der Lohnfestsetzung Beteiligten (Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Gewerkschaften) über gerechte und angemessene Lohnunterschiede sowie die Macht, diese Anschauungen durchzusetzen, widerspiegeln.. 125 K. Tondorf (1994, S. 36). 123
42
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
wird. Arbeitnehmer sehen auf der Nutzenseite den Lohn. Für Arbeitgeber ist der Lohn ein Kostenfaktor: Investitionen in das Humankapital erfolgen solange, bis die erwarteten künftigen Produktionserträge der Arbeitskraft die Investitionen in ihr Humankapital übersteigen126 . In Abhängigkeit vom Investor – Arbeitgeber oder Arbeitnehmer – entsteht unterschiedliches Humankapital. Der Arbeitgeber wird in spezifisches, das heißt in seinem Unternehmen und nicht alternativ verwendbares Humankapital investieren. Becker spricht in diesem Zusammenhang von on-the-jobtraining. Unspezifisches Humankapital (schooling) liegt hingegen in Eigenregie des Arbeitnehmers. Daraus folgt nicht nur, wer welche Kosten der Bildungsinvestition übernimmt, sondern vielmehr auch warum bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern von den Unternehmen gebunden (spezifisches Humankapital) bzw. nicht gebunden (unspezifisches Humankapital) werden. Ein zentraler Aspekt der personalpolitischen Strategie der Stabilisierung und Bindung von Personal gilt der Entgeltpolitik. Effizienzlohntheoretische Ansätze127 versuchen zu erklären, warum Organisationen ihren Beschäftigten ein Entgelt gewähren, das über dem markträumenden Gleichgewichtspreis liegt128 . Organisationen, so die Annahmen, zahlen Beschäftigen ein höheres Entgelt als den „going wage“ zur Vermeidung, dass diese keine Arbeitsleistungen zurückhalten, beispielsweise durch „Drückebergerei“ (shirking) oder häufiges Fehlen. Die Zahlung von Effizienzlöhnen wird darüber hinaus als aktive, vertrauensbildende Maßnahme gesehen, deren Kalkül es ist, sich die Motivation der Beschäftigten und deren Loyalität zum Unternehmen zu sichern.129
126
Vgl. H. Pfriem (1978, S. 50). Effizienzlohntheoretische Ansätze gehen insbesondere auf C. Shapiro und J.E. Steglitz (1984) zurück. Im Vergleich zum Wettbewerbsmodell wird in Effizienzlohntheorien die Annahme aufgegeben, dass die individuelle Leistung unabhängig von der Höhe des Lohnsatzes ist. Da aufgrund hoher Kosten eine vollständige Überwachung der Leistung von Beschäftigten nicht gelingen kann, stellen höhere Löhne ein Anreizinstrument für eine höhere oder bessere Arbeitsleis tung dar. „Es wird unterstellt, dass die Qualität der Arbeitsleistung und/oder die Betriebstreue positiv vom Lohn abhängt“ (W. Franz und F. Pfeiffer 2004, Sp. 1125). 128 Vgl. W. Franz (1999, S. 310 ff.). 129 G.A. Akerlof (1982,1984) betont, dass – im Gegensatz zum „Shirking-Ansatz“ – das Leistungsverhalten der Arbeitskräfte nicht allein durch individuelle Nutzenüberlegungen, sondern auch durch normative Orientierungen und Werte geprägt ist. Er postuliert in seinem „giftexchange“-Modell, dass Beschäftigte Vertrauen anstelle von Kontrolle sowie die Zahlung eines fairen Lohns, der über dem Marktlohn liegt, mit höherer Arbeitsproduktivität honorieren. „Diese These wird auf soziologische Befunde gestützt, die in Gruppennormen einen bestimmenden Einflussfaktor der Arbeitsleistung der Beschäftigten sehen. Innerhalb einer Gruppe – so die These – bilden sich Gerechtigkeitsvorstellungen davon aus, ob der Lohn in Anbetracht der eigenen Leis tung und im Vergleich mit Kollegen angemessen ist“ (K. Tondorf 1994, S. 35). 127
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
43
Segmentationstheorien gehen ebenfalls vom Arbeitsmarkt als einem unvollkommenen Markt aus, der in verschiedene Teilmärkte gegliedert ist. Teilmärkte sind zum einem dadurch gekennzeichnet, dass diese nicht allen Arbeitskräften im gleichen Maße zugänglich sind und zum anderem innerhalb dieser Teilmärkte nicht die gleichen Allokationsmechanismen, z.B. in Bezug auf Lohn und Beförderung, gelten.130 Der Begriff des Teilmarktes ist durch verschiedene Definitionen geprägt. Die sozial-statistische Interpretation orientiert sich an statistisch erfassbaren Merkmalen von Arbeitnehmern wie beispielsweise Geschlecht, Nationalität oder Branche. Dem institutionellen Konzept liegt die Annahme zu Grunde, dass nicht Marktmechanismen und individuelle Präferenzen den Arbeitsmarktprozess steuern, sondern institutionalisierte Regeln.131 Insbesondere zwei miteinander verbundene Teiltheorien – das Konzept des internen Arbeitsmarktes und das Konzept des dualen Arbeitsmarktes – sind hier von Bedeutung.132 Auf internen Arbeitsmärkten existieren fest vorgegebene Karriereleitern. Sie sind an die Eintrittspositionen133 in diesem Markt gebunden. Von einer solchen Eintrittsposition steigt ein Arbeitnehmer i.d.R. über eine fest vorgegebene Reihenfolge von Positionen mit höherem Einkommen und höherem Status auf. Der Aufstieg in der Mobilitätskette erfolgt zumeist nach dem Kriterium Seniorität, das heißt der betriebsspezifischen Erfahrung. Dem zur Folge sind Löhne an Positionen und nicht an den einzelnen Arbeitnehmer geknüpft. Das Konzept des dualen Arbeitsmarktes unterscheidet zwischen einem primären und einem sekundären Arbeitsmarkt. Das primäre Segment besteht dabei aus dem internen Arbeitsmarkt, auf dem vorwiegend gute Löhne, Arbeitsplatzsicherheit und Aufstiegschancen geboten werden. Der sekundäre Arbeitsmarkt zerfällt in zwei Untergruppen: „1. Arbeitsverhältnisse ohne jegliche Beziehung zu internen Märkten, die dem von der neoklassischen Theorie unterstellten Lohnwettbewerb sehr nahe kommen. (…) und 2. Arbeitsverhältnisse in
130
Vgl. W. Sengenberger (1987, S. 52) sowie H.P. Blossfeld und K.U. Meyer (1988, S. 262). Der Segmentationsansatz geht davon aus, „(…) dass es keinen objektiven Maßstab und keinen eindeutigen, determinierenden Bewertungsmechanismus für die Lohnbestimmung gibt, dass Lohnhöhe und Lohnstruktur vielmehr wesentlich auf gesellschaftlicher Macht, gesellschaftlichen Konventionen und der Akzeptanz der Gratifikation durch die Beschäftigten beruhen“ (W. Sengenberger 1987, S. 46). 132 Beide Ansätze verwenden einen institutionellen Teilarbeitsmarktbegriff und gehen zurück auf P.B. Doeringer und M.J. Piore (1985). 133 Schulische und berufliche Bildung stellen das wichtigste Zugangskriterium zum Arbeitsmarkt dar. Wohingegen sie innerhalb des internen Arbeitsmarktes als Kriterium für den Aufstieg ihre Bedeutung verlieren. 131
44
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
internen Arbeitsmärkten, die sehr viele Eintrittspositionen, geringe Aufstiegsmöglichkeiten und niedrige Lohnniveaus haben (…)“.134 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Teile von Belegschaften z.B. durch konjunkturell veränderliche Auslastungskapazitäten ab- bzw. aufgebaut werden. Beschäftigte des sekundären Arbeitsmarktes werden demnach auch als Randbelegschaft bezeichnet und Beschäftigte des primären Sektors als Kernbelegschaft. Aus den unterschiedlichen Arbeitsmarktbedingungen, die im primären und sekundären Arbeitsmarkt herrschen, können aber auch unterschiedliche Verhaltensmuster resultieren: Beschäftigte im sekundären Arbeitsmarkt neigen eher zu Fluktuation, Unpünktlichkeit und Absentismus, als Beschäftigte im primären Sektor. Diese Verhaltensweisen können sich als (Ausschluss-)Kriterium bei Einstellungsoptionen in den primären Sektor erweisen. Im Anschluss an Piore und Doeringer nennt man diesen Wirkungskreis „statistische Diskriminierung“. Allgemein haben Lohndiskriminierungen zur Bedingung, dass Lohnunterschiede längerfristig zwischen Beschäftigten zu verzeichnen sein müssen, die gleiche Produktivität und gleiche Präferenzen ausweisen und eine Arbeit mit gleichen Merkmalen ausüben.135 In der neueren (gender-)personalwissenschaftlichen Literatur wird zudem die Frage untersucht, ob es eine geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung gibt.136 Für die Betriebswirtschaftlehre und insbesondere für die Personalwirtschaftslehre zeigen die skizzierten arbeitsökonomischen Aspekte, dass sich diese theoretisch wie praktisch mit den Problemen der Entgeltdifferenzierung unter dem Kriterium der Lohngerechtigkeit auseinandersetzen müssen. Eine Gerechtigkeit der Entgelte wird auf Arbeitsmärkten nur unzureichend durch das „freie Spiel“ von Angebot und Nachfrage hergestellt und zu dem durch die geschilderten Besonderheiten dieses Marktes eingeschränkt. Daher haben sich in der Personalwirtschaftslehre verschiedene Auffassungen von Lohngerechtigkeit herausgebildet, die wiederum durch Instrumente der Entgeltfindung und Entgeltdifferenzierung betrieblich hergestellt werden sollen.
134
H.P. Blossfeld und K.U. Mayer (1988, S. 264). Vgl. W. Franz und F. Pfeiffer (2004, Sp. 1129f.). 136 Siehe hierzu G. Krell und K. Tondorf (2004) sowie A. Fried, R. Wetzel und C. Baitsch (2000), die diese Thematik speziell auf leistungsbezogene Vergütungsregelungen beziehen. 135
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
3.1.2
45
Betriebliche Lohngerechtigkeit
Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive wird Lohngerechtigkeit in der Regel als das Bemühen um ein gerechtes Verhältnis der Löhne untereinander diskutiert. Die gerechte Verteilung der auf den Produktionsfaktor „Arbeit“ entfallenden Lohnsumme, d.h. die relative Lohnhöhe ist Forschungsgegenstand der Betriebswirtschaftslehre.137 In der Vergangenheit hat lange Zeit ein breiter Konsens darüber bestanden, dass die wesentlichen Differenzierungskriterien zur Bestimmung der Lohnhöhe die „Anforderungen des Arbeitsplatzes“ und die „Leistung der Arbeitnehmer“ sein sollten.138 Als zentrales Grundprinzip für die gerechte Gestaltung der Lohnstruktur aus Unternehmenssicht galt das so genannte Äquivalenzprinzip von E. Kosiol139 . Kosiol postulierte, dass die individuelle Lohnhöhe und die individuelle Leistung übereinstimmen sollten, so dass Äquivalenz von Lohn und Anforderungsgrad (Anforderungsgerechtigkeit) einerseits und Äquivalenz von Lohn und Leistungsgrad (Leistungsgerechtigkeit) andererseits gegeben sein müssen. Die Anforderungsgerechtigkeit orientiert sich an Merkmalen des Arbeitsplatzes und besagt, dass je größer die physischen und psychischen Anforderungen an die Ausführenden sind, umso größer soll ihr Anteil an der betrieblichen Wertschöpfung sein.140
Als
Grundlage
einer
anforderungsgerechten
Entgeltgestaltung
gilt
die
Arbeitsanalyse. Die Arbeitsaufgaben, meist Aufgabenaggregate in Form von Arbeitsplätzen werden entsprechend ihrer Anforderungen an Können und Belastungen analysiert und bewertet. Die Anforderungsarten beziehen sich dabei in der Regel auf die vier Grundkategorien des Genfer Schemas, das zwischen geistigen Anforderun-
137
H. Steimann und A. Löhr (1992) betonen, dass jedoch auch die Bestimmung der absoluten Lohnhöhe, die die Frage behandelt, wie der von einer Unternehmung geschaffene Wert (= Wertschöpfung) auf die Produktionsfaktoren „Arbeit“ und „Kapital“ verteilt werden soll, ebenfalls dem zentralen Postulat der Lohngerechtigkeit unterliegt. E. Kosiol verweist jedoch in diesem Zusammenhang darauf, dass diese „(…) aber insofern nicht entscheidend sei, als es sich hierbei um ein mehr außerbetriebliches Marktproblem handelt, das sich in gewissen Sinne dem Einfluss der einzelnen Unternehmung entzieht“ (E. Kosiol 1962, S. 20). J. Berthel und F.G. Becker (2003, S. 431) ergänzen, dass es keine gerechte Lösung dieses Verteilungsproblems geben könne, da es über den Gerechtigkeitsbegriff als normative Kategorie unterschiedliche individuelle und gesellschaftliche Wertvorstellungen gäbe. Da aber kein allgemeiner Konsens über einen Gerechtigkeitsmaßstab herrsche, beruhe die absolute Höhe der Direktvergütung zumeist auf Kompromis sen zwischen den divergierenden Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und wird in der Regel von deren Repräsentationsorganen (Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften) ausgehandelt. 138 Vgl. D. Alewell (1993, S. 592). 139 Vgl. E. Kosiol (1962, S. 29 ff.). 140 Vgl. R. G. Klimecki und M. Gmür (1998, S. 274 f.).
46
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
gen und Belastungen, körperlichen Anforderungen und Belastungen, zu tragender Verantwortung und durch Arbeitsbedingungen unterscheidet.141 Dem Anforderungsgrad eines Arbeitsplatzes wird eine bestimmte Grundlohnhöhe (eine Lohngruppe) zugewiesen; es erfolgt eine Einstufung. Ein Arbeitnehmer wird analog zu dieser Einstufung nachfolgend in die dem Arbeitsplatz entsprechenden Lohngruppe eingruppiert. Entlohnt wird dem zur Folge nicht das Können, d.h. die Qualifikation über die ein Arbeitnehmer verfügt, sondern nur das Quantum an Qualifikation, das zur Erfüllung
der
Arbeitsaufgabe
Lohnsatzbestimmung
bauen
notwendig in
der
ist.142
Auf dieser anforderungsbezogenen
Regel
leistungsbezogene
Entgeltbestandteile
auf.143 Die Leistungsgerechtigkeit orientiert sich an den in der Vergangenheit erbrachten Leistungen einer Person: Je höher die Leistung einer Person in der abgelaufenen Periode war, umso größer soll ihr Anteil an der betrieblichen Wertschöpfung sein.144 Je nach Tätigkeit können die Leistungen der Arbeitnehmer unterschiedlich definiert werden. Zugrunde gelegte Leistungskriterien können beispielsweise die Quantität und/oder die Qualität der Arbeitsergebnisse (z.B. Stückzahlen, Ausschussquoten, Umsatzgrößen, Gewinne) sein. Ergänzende Kriterien sind das Verhalten und die Flexibilität der Leistungserbringung. Als wichtigste Informationsgrundlage zur Beurteilung dieser Kriterien dient, neben Betriebsdatenerfassungssystemen, die Personalbeurteilung.145 Lohndifferenzierungen nach diesem Kriterium erfolgen durch Zahlung von Zeitlöhnen mit Leistungszulage, Akkordlöhnen, Prämienlöhnen sowie Erfolgsbeteiligungen. Das Äquivalenzprinzip basiert auf der Fiktion, dass Anforderungen und individuelle Leistung, die einzigen Determinanten der Lohnhöhe seien.146 Die betriebliche Praxis zeigt jedoch, dass die Entgeltgestaltung von Unternehmen noch auf weiteren Determinanten basiert. Im Rahmen betrieblicher Entgeltgestaltungen werden beispielsweise, je nach Wertentscheidung der Unternehmen, auch soziale Aspekte berücksichtigt. Mit der aus Mitarbeitersicht wünschenswerten Orientierung an sozialen
141 142 143 144 145 146
Vgl. statt vieler J. Berthel und F.G. Becker (2003, S. 127 ff.). Vgl. M. Knuth und J. Hochwald (1991, S. 2.). Vgl. hierzu auch E. Gaugler et al. (1978) sowie E. Gaugler (1990). Vgl. R.G. Klimecki und M. Gmür (1998, S. 275 f.). Vgl. D. Alewell (1993, S. 592). Vgl. J. Berthel und F.G. Becker (2003, S. 431).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
47
Merkmalen147 sind unternehmensseitig erwartete Wirkungen auf das Verhalten der Mitarbeiter148 verbunden. Die Sozialgerechtigkeit spiegelt sich sowohl in der Zahlung betrieblicher Sozialleistungen als auch in Kapitalbeteilungssystemen wie der Ausgabe von Belegschaftsaktien, betrieblichen Investitionsfonds und ähnlichem wider.149 Als weitere Determinanten der Lohnhöhe gelten die Orientierung an den Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt und zunehmend auch die Qualifikationsorientierung. Die Marktgerechtigkeit orientiert sich an der relativen Knappheit spezifischer Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt und findet insbesondere Auswirkung auf die Höhe von Effektivlöhnen150 . In der personalwirtschaftlichen Literatur wird das Kriterium der Marktorientierung, abgesehen von einigen wenigen Fachqualifikationen, vor allem bei der Vergütung von Führungskräften hervorgehoben. Dabei wird darauf hingewiesen, dass es sich bei marktbezogenen Vergütungsbestandteilen oftmals nur um eine temporäre Erscheinung handelt, mit der die Wettbewerbsposition der Untenehmen auf relevanten Arbeitsmärkten gesichert werden soll.151 Die Qualifikation als Differenzierungskriterium der Entgeltgestaltung wird seit Ende der 70er Jahre neu diskutiert. Hintergrund dieser Diskussion ist, dass bedingt durch technologische Innovationen vermehrt „Neue Produktionskonzepte“ (Kern und Schuman 1985) verbunden mit ganzheitlicheren Arbeitsaufgaben, flexiblem Personaleinsatz und Requalifizierungstendenzen zur Anwendung kommen. Dieser Entwicklung zur Folge werfen die bisherigen Entgeltfindungsverfahren, insbesondere die
traditionelle
anforderungsbezogene
(Grund-)Lohndifferenzierung
Probleme
auf.152 Aus gewerkschaftlicher Perspektive wurde angeführt, dass die bisherigen Verfahren zu einem ungerechten Lohn-Leistungs-Verhältnis führten bzw. vorhandene Ungerechtigkeiten nicht reduziert werden könnten, da neue, gestiegene oder veränderte Anforderungen wie beispielsweise die geforderte Flexibilität der Beschäftigten 147 148
149 150 151 152
G. Schanz (2000, S. 577) nennt in diesem Zusammenhang insbesondere die Kriterien Alter, Dauer der Organisationszugehörigkeit, Familienstand und Anzahl der Kinder. R.G. Klimecki und M. Gmür (1998, S. 274) nennen in diesem Zusammenhang insbesondere Beitrittsentscheidungen. Die Interdependenzen zwischen Sozialgerechtigkeit und Erwartungen bei Eintritt in den öffentlichen Dienst werden in der vorliegenden Arbeit im Rahmen der Theorie psychologischer Verträge thematisiert (siehe Abschnitt 4.2). Vgl. Staehle (1999, S. 824). Vgl. D. Alewell (1993, S. 592). Zu ergänzen ist, dass für die Bestimmung der tariflichen Lohnstruktur der Einfluss der Knappheitsverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt nur in eher indirekter Weise berührt wird. Vgl. dazu im Einzelnen D. v. Eckardstein (1986, S. 251 ff.).
48
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
nicht ausreichend gewürdigt würde.153 Als ein möglicher Weg zur Substitution oder Ergänzung der Anforderungsorientierung wird eine zunehmende Qualifikationsorientierung des Lohnes gesehen. 154
Bereits die Bereitstellung von Potentialen,
unabhängig von ihrer konkreten Nutzung gilt als Grundlage der Entlohnung, so die Idee der Qualifikationsentlohnung; Qualifikationsorientierter Lohn stelle einen finanziellen Anreiz zum Erwerb von Mehrfachqualifikationen dar und könne somit eine
schnelle
Anpassung
an
sich
wandelnde
Umweltfaktoren
bedingen155 .
Gegenpositionen heben hervor, dass beim Qualifikationslohn Arbeit entlohnt würde, die ein Mitarbeiter zwar leisten könne, aber nicht erbracht hat. Der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ würde verletzt, wenn zwei Mitarbeiter, die die gleiche Arbeitsaufgabe erledigen, bei unterschiedlicher Qualifikation unterschiedlich entlohnt würden.156 Die in der Personalwirtschaftslehre diskutierten vielfältigen Gerechtigkeitserfordernisse dokumentieren, dass mit ihrer Vielzahl sowohl unterschiedliche Zielsetzungen wie auch tendenziell gegenläufige Gerechtigkeitsbedürfnisse verbunden sind. Inwieweit die bisher vorgestellten entgeltdifferenzierenden Ansätze von Mitarbeitern als gerecht empfunden werden, hängt von deren subjektiver Wahrnehmung, der empfundenen Gerechtigkeit ab und ist nicht primär von der absoluten Lohnhöhe abhängig. Vielmehr gilt es, wie bereits Ottel (1961) formuliert, Tauschgerechtigkeit durch innerbetriebliche Entscheidungen zu ergänzen. Er argumentiert, dass es Gerechtigkeit nur zwischen Personen geben kann und sich damit ihre Verwirklichung auf Beziehungen von Person zu Person beschränken.157 Die erwartete motivationale Kraft
153 154 155
156 157
Zur Kritik bisheriger Verfahren der Entgeltfindung siehe auch W. Nienhüser (1993, S. 234 ff.) und K. Tondorf (1994, S. 23 ff.). Vgl. J. Berthel und F.G. Becker (2003, S. 432). Diese Argumentation findet sich beispielsweise bei G. Schanz (2000, S. 595). Er verweist darauf, dass in der Praxis dieser Gedanke bisher nur eine untergeordnete Rolle spielt, betont jedoch den vermutlich wachsenden Stellenwert qualifikationsorientierter Entlohnung in der Zukunft. Vgl. E. Eyer (1995, S. 19). Vgl. F. Ottel (1961, S. 705). H. Steinmann und A. Löhr (1992, Sp. 1285 f.) stellen in diesem Zusammenhang die Begrifflichkeit der ausgleichenden und der austeilenden Gerechtigkeit als Unterausprägung der Einhaltung der „vernünftigen Gleichheit“ („jedem das Seine“) gegenüber. Das Problem der ausgleichenden Gerechtigkeit als Ausgestaltung von „arithmetischer Gleichheit“ findet sich im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang z.B. in Form des Grundsatzes der Äquivalenz von Lohn und Leistung. Hingegen soll die austeilende Gerechtigkeit als eine „geometrische Gleichheit“ die Unterschiedlichkeit von Personen angemessen zur Geltung bringen. Dieser Teilaspekt der vernünftigen Gleichheit führt, so Ottel (1961) zur „Partnerschaft“. „So gesehen impliziert das Streben nach austeilender Gerechtigkeit eine über das reine Lohnarbeitsverhältnis hinausgehende „Mitgliedschaft“ des Arbeitnehmers im Betrieb“ (H. Steinmann und A. Löhr 1992, Sp. 1290).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
49
des Entgelts, insbesondere die Beziehung zwischen monetärem Anreiz und Leistungsverhalten findet ihren Stellenwert in den folgenden Kapiteln der vorliegenden Arbeit. Im weiteren soll zunächst der Frage nachgegangen werden, unter welchen Bedingungen entgeltpolitische Maßnahmen von Mitarbeitern als gerecht bewertet werden.
3.1.3
Soziale Aspekte der Lohngerechtigkeit
Das Entgelt für die zu leistende Arbeit ist für den Arbeitnehmer der zentrale Bestandteil seiner Vertragsbeziehung mit dem Arbeitgeber. „Diese Feststellung bezieht sich zunächst einmal auf die juristische Perspektive, die die Vergütung durch den Arbeitgeber als Hauptpflicht betrachtet.“158 Darüber hinaus hat sie aber auch für den psychologischen Vertrag159 Bedeutung. Während sich der juristische Vertrag auf normierbare Größen beschränkt, gelten als Bestandteile des psychologischen Vertrages wechselseitige Erwartungen. „Die Erkenntnis des psychologischen Vertrages impliziert, daß das Individuum mit vielfältigen Erwartungen der Organisation gegenübertritt und daß die Organisation umgekehrt eine Erwartungshaltung bezüglich des Individuums einnimmt. Gegenstand dieser Erwartungen ist nicht nur, wie viel Arbeit für welche Bezahlung zu leisten ist, sondern auch das ganze Spektrum von Rechten, Privilegien und Pflichten zwischen Mitarbeiter und Organisation.“160 Obwohl derartige Erwartungen normalerweise nicht vertraglich fixiert sind – Arbeitsverträge sind von ihrer Natur her unbestimmt – wirken sie doch als mächtige Verhaltensdeterminanten.161 Zu dem ist herauszustellen – diesbezüglich besteht kein Unterschied zum juristischen Vertrag –, dass es beim psychologischen Vertrag nicht um mehr oder weniger unverbindliche „Erwartungen“, sondern um durchaus ernstgemeinte „Verpflichtungen“ geht.162 Der vermutlich wichtigste Bestandteil des psychologischen Vertrages bildet aus Sicht des Arbeitnehmers die Erwartung einer fairen Behandlung.
158
G. Schanz (2000, S. 574). Die Theorie des „Psychologischen Vertrages“ versucht die soziale Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Austauschverhältnis näher zu beleuchten. Als Begründerin des Konzeptes gilt D. M. Rousseau (1995). Anzumerken ist aber, dass bereits frühere Arbeiten (vgl. C. Argyris 1960 und E. H. Schein 1980) auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht haben. Zur Theorie des „Psychologischen Vertrags“ siehe auch Abschnitt 4.2 dieser Arbeit. 160 E.H. Schein (1980, S. 24). 161 Vgl. E.H. Schein (1980, S. 24). 162 Vgl. S. Bartscher-Finzer und A. Martin (2003, S. 55). 159
50
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Zentrale
Ergebnisse
organisationspsychologischer
Studien
weisen
daraufhin,
dass in Organisationen mindestens drei Gerechtigkeitsaspekte aus Sicht der Beschäftigten bedeutsam sind: Die Verteilungs-, die Verfahrens- und die Interaktionsgerechtigkeit.163 Die Verteilungsgerechtigkeit stellt die Frage nach der Verteilung materieller oder immaterieller Güter bzw. Lasten in Organisationen und ob Mitarbeiter diese Verteilung als gerecht empfinden. Im Mittelpunkt steht die Gerechtigkeit der Einkommensverteilung. Zu berücksichtigen sind aber auch, ob Beförderungen oder Entlassungen als gerecht wahrgenommen werden164 und immaterielle Vergünstigungen in der Organisation gerecht verteilt sind165 . Beleuchtet werden können diese Fragestellungen durch Theorien, in deren Zentrum soziale Vergleichsprozesse stehen, wie beispielsweise der Equity-Theorie166 . Analog zu den vorgestellten entgeltdifferenzierenden Ansätzen aus der Personalwirtschaft, werden aus organisationspsychologischer Perspektive unterschiedliche Verteilungsprinzipien167
genannt.
Beim
dominierenden
Beitragsprinzip
gelten
Verteilungen als gerecht, wenn sie proportional zu den individuellen Beiträgen einer Person vorgenommen werden und beim Bedarfsprinzip, wenn die Bedürfnisse einer Person, wie sie sich beispielsweise aus den jeweils spezifischen Lebensumständen (wie etwa der Größe der zu versorgenden Familie) ergeben, Berücksichtigung finden. In Ergänzung wird zu dem das Gleichheitsprinzip, dem zufolge allen relevanten Personen ein gleich hoher Anteil an Gütern oder Lasten zugesprochen wird, aufgeführt.168 In der organisationspsychologischen Forschung, die die Folgen subjektiver Gerechtigkeitsurteile zu rekonstruieren versucht, wird hervorgehoben, dass Urteile
163 164 165 166 167
168
Vgl. H. Lengfeld und S. Liebig (2003, S. 472). Vgl. J. Brockner et al. (1992). Vgl. C.S. Randall und C.W. Mueller (1995). Vgl. J.S. Adams (1963, 1965), E. Walster und G.W. Walster (1975) sowie W. Austin und E. Hatfield (1980). Von mehreren Autoren (beispielsweise M. Deutsch 1975, G.S. Leventhal 1976a und b, E. Kayser 1979, G. Mikula 1980 und T. Schwinger 1980) wurden theoretische Ansätze zur Gerechtigkeit vorgelegt – Mehrprinzipien-Ansätze –, in denen die Verteilung von Gütern unter Personen behandelt und – anders als in der Equity-Theorie – von mehreren Gerechtigkeitsprinzipien ausgegangen wird. Diese Gerechtigkeitsprinzipien stellen spezifische Kriterien dar, hinsichtlich derer Personen gleich zu behandeln sind. Wobei mit „Behandlung“ alle Formen sozialer Verhaltensweisen gemeint sind: Die Verteilung von Zuneigung und der Austausch von Informationen sowie die Verteilung von materiellen Gütern wie Geld etc. Vgl. H. Lengfeld und S. Liebig (2003, S. 475).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
51
zur Verteilungsgerechtigkeit vor allem verhaltensbezogene Folgen zu haben scheinen.169 Gerechtigkeitserwartungen in Organisationen beziehen sich aber nicht ausschließlich auf den Aspekt der Verteilung, auch die Verfahren, die bei der Entscheidungsfindung zur Verteilung angewandt werden stellen eine zentrale Ursache von Ungerechtigkeitswahrnehmungen dar. Die Verfahrensgerechtigkeit rückt insbesondere dann in den Mittelpunkt, wenn Verteilungsergebnisse als ungerecht wahrgenommen werden.170 Nach Leventhal et al. (1980) zeichnen sich gerechte Entscheidungsverfahren durch mindestens fünf Kriterien aus: Der Konsistenz eines einmal festgelegten Verfahrens über Personen und Zeit hinweg, dem Ausschluss von Parteilichkeit, der Korrigierbarkeit von Entscheidungen im Falle nachträglich bemerkter Fehler, der Genauigkeit bei der Berücksichtigung aller verfügbaren Informationen und der Repräsentativität aller Interessen der vom Entscheidungsprozess Betroffenen. Die Erfüllung der genannten Kriterien oder auch anderer erscheint hilfreich, um gerechte Entscheidungs- oder Beurteilungsergebnisse zu erzielen. Sie allein sichern jedoch noch nicht die Akzeptanz der Ergebnisse bei den Betroffenen. Bies (2001) verweist in diesem Zusammenhang auf eine dritte Gerechtigkeitsdimension, die Interaktionsgerechtigkeit. Während sich die Verfahrensgerechtigkeit auf die formale Ausgestaltung von Entscheidungsprozessen – den institutionalisierten Regeln – bezieht, steht unter dem Aspekt der Interaktionsgerechtigkeit die konkrete Anwendung dieser Regeln im Mittelpunkt: Beispielsweise ob Vorgesetzte im Rahmen von Leistungsbeurteilungen die Rechte der Organisationsmitglieder respektieren.171 Demnach sind die kommunikative Vermittelbarkeit und darauf aufbauend die eigentliche Vermittlung eines Verfahrens Voraussetzung seiner Akzeptanz. Die Erfüllung der formalen Regeln ist mit Blick auf die Vermittelbarkeit zweckmäßig, da sie verlässliche und somit prinzipielle Transparenz der Ergebnisse sichert. Die Akzeptanz und die wahrgenommene Gerechtigkeit von Beurteilungsverfahren hängen
169
Vgl. S. Alexander und M. Rudermann (1987). Ebenfalls D.W. Organ und R.H. Moormann (1993), die die Folgen von als ungerecht beurteilten Verteilungsprozessen in Organisationen in ihren Arbeiten zum Konzept des Organizational Citizenship Behavior thematisieren (siehe auch Abschnitt 4.3 dieser Arbeit). 170 Vgl. H. Lengfeld und S. Liebig (2003, S. 477). 171 Vgl. H. Lengfeld und S. Liebig (2003, S. 479) in Anlehnung an D.R. Bobocel und C.M. Holmvoll (2001).
52
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
jedoch entscheidend davon ab, wie Verfahren und ihre Ergebnisse an die Betroffenen kommuniziert werden.
3.2 Personalwirtschaftliche Standardverfahren der Leistungsbeurteilung Die Anwendung von Beurteilungsverfahren für die Entgeltdifferenzierung spielt in der Wirtschafts- und Verwaltungspraxis eine immer größere Rolle. Insbesondere öffentliche Verwaltungen stehen im Fokus der politischen Diskussion um mehr Effizienz und Leistung. Dem Druck dieser Diskussion folgend, sollen im öffentlichen Dienst auch verstärkt materielle Anreize zum Einsatz kommen. Die Gewährung von Leistungszulagen an einzelne Arbeitnehmer muss auf einem leistungsbezogenen System zur Leistungsfeststellung und Leistungsbewertung beruhen. Für die Gewährung von Leistungszulagen und -prämien wurden die gesetzlichen Rahmenbedingungen und tariflichen Regelungen zur Vergabe leistungsorientierter Entgeltkomponenten im öffentlichen Dienst seit Ende der 90er Jahre geöffnet.172 Der intendierte Zweck leistungsgerechter Entlohnung, mittels variabler Entgeltbestandteile das Arbeitsverhalten der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst anzureizen, läuft aber Gefahr zu einer lohnpolitischen „Verteilungsrunde“ zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern zu werden, wenn die Zielsetzungen der entgeltdifferenzierenden Beurteilungen nicht klar definiert, nicht mit geeigneten Beurteilungsverfahren untersetzt sind und der Beurteilungsprozess nur schwer nachzuvollziehen ist. Entsprechend werden im Folgenden zunächst – neben einer begrifflichen Klärung des Terminus Leistungsbeurteilung – die mit der Einführung von Leistungsbeurteilung verbundenen personalund führungspolitischen Funktionen und Erwartungen hervorgehoben und Verfahren der Leistungsbeurteilung vorgestellt.
3.2.1
Der Begriff der Leistungsbeurteilung
Nicht nur in der Praxis, auch in der Literatur wird für den Sachverhalt der Leistungsbeurteilung eine Vielzahl von unterschiedlichen Begriffen benutzt. „Termini wie
172
Siehe Abschnitt 3.4.1 dieses Kapitels.
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Qualifikation, tungsbewertung,
Mitarbeiterbeurteilung,
persönliche
Persönlichkeitsbeurteilung,
Beurteilung,
persönliche
Verhaltensbewertung,
53
Leis-
Personalbeurtei-
lung u.a. werden dabei oft nicht nur autorenspezifisch differenziert, sondern auch innerhalb einer Arbeit synonym verwendet.“173 Auch in der angloamerikanischen Literatur findet sich diese Art nicht klar abzugrenzende Begriffsvielzahl wieder.174 Becker (2003) folgend wird im Weiteren der Begriff der Leistungsbeurteilung im Vorfeld seiner Definition zunächst in ein allgemeines Begriffsystem (siehe Abbildung 3.1) eingeordnet. Als Oberbegriff für alle Beurteilungen von Personen in Organisationen wird der Terminus der personalen Eignungsprüfung verwendet175 . Die personale Eignungsprüfung wird in die Unterbegriffe Eignungsdiagnostik und Eignungsbeurteilung unterteilt. Die Eignungsdiagnostik grenzt sich zur Leistungsbeurteilung insofern ab, als dass eignungsdiagnostische Verfahren nicht zur Erfassung gezeigter Arbeitsleistungen eingesetzt werden können, sondern sich auf vorhandene Dispositionen von Personen beziehen. Die Eignungsbeurteilung dient sowohl der Bewerberbeurteilung, der Feststellung der potentiellen Eignung von externen wie internen Bewerbern für vakante Stellen hinsichtlich der jeweiligen Stellenanforderungen als auch der Personalbeurteilung. Die Personalbeurteilung176 bezieht sich auf bereits in einer Organisation beschäftigte Mitglieder und lässt sich in zwei Formen untergliedern: Die Leistungsbeurteilung und die Potenzialbeurteilung. „Während sich die Leistungsbeurteilung auf die durch die Mitarbeiter in der Vergangenheit erbrachten Leistungen als Objekt bezieht, versucht man mit der Potenzialbeurteilung
173
F.G. Becker (2003, S. 157 f.). So spricht man im englischsprachigen Raum von: performance evaluation, performance rating, performance review, performance assessment, performance appraisal, personal evaluation etc. (vgl. hierzu beispielsweise G. Pillhofer 1982, S. 10). 175 Das gemeinsame aller Beurteilungsformen wird von F.G. Becker (2003, S. 159) darin gesehen, dass nicht die Leistung des Personals oder das Potenzial der Organisationsmitglieder insgesamt erhoben wird, sondern die Leistung oder das Potenzial von Einzelnen. 176 F.G. Becker (2003, S. 159) verweist darauf, dass der Oberbegriff „Personalbeurteilung“ von vielen Autoren in diesem Sinne, wie auch anlog der nachfolgend angeführten Differenzierung verwendet wird. Stellvertretend für viele C. Lattmann (1975, S. 27), R. Marr und G. SchultesJaskolla (1984, S. 922), C. Reichard (1979, S. 182 ff.), W.A. Oechsler (1987, S. 11 ff.) sowie T. Breisig (1989, S. 20). Andere Autoren verwenden Definitionen, die sich eng am Status quo der praktizierten Leistungsbeurteilungssysteme in Deutschland orientieren, wo vor allem gerade Persönlichkeitselemente, Sozial- und Führungsverhalten besonders erfasst werden. Siehe hierzu K.G. Lessmann (1980, S. 27 f.), H.J. Liebel und R. Walter (1978, S 157) sowie J. Hentze (1980, S. 5 f.). 174
54
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
zu erfassen, welches Qualifikationspotenzial bzw. welche Qualifikationen diese Mitarbeiter zukünftig haben werden.“177
Eignungsprüfung
Eignungsbeurteilung
Personalbeurteilung
Leistungsbeurteilung
Eignungsdiagnostik
Bewerberbeurteilung
Potenzial(Verwendungs-) beurteilung
Abb. 3.1: Das Begriffssystem der Eignungsprüfung178
Domsch und Gerpott (2004) definieren den Gegenstandsbereich der Personalbeurteilung als: -
„ (…) die systematische und formalisierte Bewertung von Organisationsmitgliedern (= Personal, Beurteilte),
-
im Hinblick auf Kriterien, die für den Erfolg der Organisation als wichtig erachtet werden,
-
durch von der Organisation dazu explizit Beauftragte Personen (= Beurteiler),
-
auf der Basis sozialer Wahrnehmungsprozesse im Arbeitsalltag.“179
Neben der konventionellen Beurteilung durch den direkten Vorgesetzten (Mitarbeiterbeurteilung)180 können Personalbeurteilungen auch durch Beurteilungen von Kollegen
177
gleicher
Hierarchiestufen
(Gleichgestelltenbeurteilung),
Beurteilungen
F.G. Becker (2003, S. 159 f.). Entnommen aus F.G. Becker (2003, S. 160) in Anlehnung an R. Wunderer (1978, S. 193). 179 M. Domsch und T. J. Gerpott (2004, Sp. 1431 f.). 180 Im Zusammenhang mit der „Mitarbeiterbeurteilung“ findet sich bei R. Klimecki und M. Gmürr (1998, S. 267) der Hinweis, dass diese, die am weitesten verbreitete Form der Personalbeurteilung sei und auch die am ehesten akzeptierte. Dem ersteren Hinweis ist zu folgen, sieht man diesen als implizite Alltagsannahme, der zur Folge bei Personalbeurteilungen ausschließlich von einer unreflektierten hierarchiebedingten Rollenkonstellation ausgegangen wird (vgl. auch M. Domsch und T.J. Gerpott (2004, Sp. 1433 f.)). Der zweite Hinweis hingegen könnte nur dann Gültigkeit haben, wenn dieser durch empirische Untersuchungen belegbar wäre. 178
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
55
durch Untergebene (Vorgesetztenbeurteilung) und durch Beurteilungen vom zu Beurteilenden selbst (Selbstbeurteilung) erfolgen. Darüber hinaus wird in der personalwirtschaftlichen Literatur eine in der organisationspsychologischen Forschung seit Ende der 50er Jahre diskutierte Idee aufgegriffen, das 360-Grad Feedback. Ziel dieses Instrumentes ist eine Leistungsbeurteilung von Einzelpersonen aber auch von Teams durch mehrere organisationsinterne und –externe Beurteiler auf unterschiedlichen Ebenen.181 Analog zur obigen Definition der Personalbeurteilung wird unter dem Termini Leistungsbeurteilung in der personalwirtschaftlichen Literatur ein „(…) institutionalisierter Prozess zur planmäßigen und formalisierten Gewinnung, Verarbeitung und Auswertung von Informationen über die in einer bestimmten Periode erbrachte Leistung eines Organisationsmitgliedes durch dazu beauftragte Organisationsmitglieder hinsichtlich vorab vereinbarter (Leistungs-)Kriterien verstanden.“182 Darüber hinaus ist auf eine Unterscheidung zwischen Leistungsbewertung und Leistungsbeurteilung zu verweisen. Der Begriff der Leistungsbeurteilung schließt den Begriff der Leistungsbewertung mit ein, da z.B. nach Auffassung von Lattmann (1975) Beurteilungen in ihrem deskriptiven wie normativen Inhalt über eine bloße Bewertung hinausgehen.183 In Anlehnung an Becker (2003) umfasst der Begriff der Leistungsbeurteilung, die
-
Festsetzung der Funktionen, d.h. der Zielsetzungen der Leistungsbeurteilung,
-
Auswahl der relevanten Objekte (z.B. Eigenschaften, Verhalten),
-
Bestimmung des Beurteilungsverfahrens,
181
Vgl. M. Domsch und T.J. Gerpott (2004, Sp. 1435 f.). Die Autoren verweisen darauf, dass das 360-Grad-Feedback-Verfahren erst bei Erfüllung sehr anspruchsvoller Anwendungsvoraussetzungen zur Verbesserung von Personalbeurteilungssystemen in der Praxis beitragen können. Vgl. auch O. Neuberger (2000). 182 F.G. Becker (2003, S. 162). Becker thematisiert in seinen Ausführungen, dass diese weite Definition v.a. in der Praxis nicht geteilt wird. In seiner Begründung für diese Annahme stellt er zunächst die Verwendung des Ausdruckes „Leistung“ als bedeutsam heraus. Er verweist dabei wiederholend darauf, dass die „Leistung“ eines Mitarbeiters und nicht seine Persönlichkeit, seine Eigenschaften o.ä. Objekt der Beurteilung ist. „Von daher sind auch alle anderen Termini wie bspw. Mitarbeiter- und Personalbeurteilung unzweckmäßig, wenn es allein um die Feststellung und Beurteilung der Leistung geht“ (F.G. Becker 2003, S. 162). Bezogen auf die gegebene Definition von Leistungsbeurteilung ist darüber hinaus anzumerken, dass bereits E. Gaugler et al. (1978, S. 25) auf eine im engeren Sinne formale Definition verzichten. Stattdessen grenzen E. Gaugler et al. mittels als geeignet eingeschätzter Kriterien den Begriff der Leistungsbeurteilung ab. 183 Vgl. C. Lattmann (1975, S. 27).
56
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
-
Bestimmung
geeigneter
Beobachtungskriterien
(Operationalisierung
oder
Objektrepräsentation) und -
Leistungsbewertung in zwei Phasen: - Erhebung und Dokumentation der Leistungsergebnisse, des Leistungsverhaltens und der Leistungsbedingungen, - Analyse und Feedback (Analyse der positions-, zeit-, situations-, funktionsspezifischen Leistungskomponenten, Beurteilungsgespräch etc.).184
3.2.2
Funktionen betrieblicher Leistungsbeurteilungen
Die idealtypische Vorstellung zur betrieblichen Funktion (als Synonym finden sich auch vielfach die Bezeichnungen: Ziel, Zweck oder Aufgabe) von Leistungsbeurteilungen kann als Umsetzung des Leistungsprinzips in Betrieben beschrieben werden.185 In der personalwirtschaftlichen Literatur findet sich eine Vielzahl von Quellen, die sich mit den zugesprochenen Funktionen von Leistungsbeurteilungen durch die Wirtschaftspraxis und –forschung klassifizierend deskriptiv wie normativ beschäftigten. Thematisiert werden fast ausschließlich Funktionen, die sich auf die betriebliche Zweckerfüllung beziehen, individuelle, d.h. von Mitarbeitern ausgehende Funktionen werden zumeist nicht diskutiert186 . Neben beschreibenden Aufzählungen möglicher Funktionen erfolgt auch eine Dichotomisierung der Hauptfunktionen. So unterscheidet bspw. Becker (2003) in Anlehnung an Wunderer (1978) sowie Domsch und Gerpott (1987) die betrieblichen Funktionen in eine führungspolitische und in eine personalwirtschaftliche Zielsetzung. Die führungspolitischen Zielsetzungen können analog zu dieser Dichotomisierung
in
drei
Aspekte187
Leistungsstimmulierungs-
und
differenziert
werden:
Befriedigungsfunktion
Einer
mitarbeiterbezogenen
sowie
Orientierungsfunktion
und einer betrieblichen Koordinierungsfunktion. Im Fokus der Personalführung stehen die Anerkennung und Bestätigung gezeigter Leistungen, die Festlegung gemein-
184
Vgl. F.G. Becker (2003, S. 163), der ergänzend noch Schlussfolgerungen für die nachfolgende Beurteilungsperiode anführt. 185 Vgl. F.G. Becker (2003, S. 264). 186 Stellvertretend für viele, seien an dieser Stelle genannt: H. Brandstätter (1970, S. 669 ff.), E. Gaugler et al. (1978, S. 25 ff.), H.J. Liebel und R. Walter (1978, S. 158) sowie O. Neuberger (1980, S. 28). 187 Vgl. F.G. Becker (2003, S. 265 f.). Die im Fortgang erläuterten Aspekte werden von F.G. Becker des Weiteren noch um den Aspekt der individuellen Leistungsinventur ergänzt.
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
57
samer Erwartungen, die Stimulierung eines eventuell geänderten Leistungsverhaltens sowie die Verbesserung im Vorgesetzten-Mitarbeiterverhältnis. Mittels der Orientierungsfunktion sollen Leistungsverbesserungen durch individuelle Beratung und Förderung der Mitarbeiter erreicht werden. Die Aufgabe der Verhaltens- und Motivationssteuerung soll hierbei vor allem durch Mitarbeitergespräche gefördert werden. Darüber hinaus steht im Rahmen der Unternehmensführung die Koordination der Festlegung der Leistungserwartungen und -ziele, die Verbesserung von Information und Kommunikation über alle Unternehmensebenen sowie die Diskussion um Leistungsbedingungen im Mittelpunkt der führungspolitischen Zielsetzungen. In der personalwirtschaftlichen Literatur wird diese Funktion insbesondere auf die Verbesserung der Kommunikation zwischen den Beteiligten fokussiert. Die Vielzahl der personalwirtschaftlichen Zielsetzungen lassen sich allgemein wie folgt zusammenfassen und skizzieren188 :
-
Funktion
der
Entgeltdifferenzierung.
Die
Leistungsbeurteilung
dient
als
Entscheidungsgrundlage zur Entgeltfindung bzw. –differenzierung (z.B. durch Zulagen und Prämien zur Schaffung eines leistungsgerechten Entgeltsystems). -
Allokations- und Funktionalitätsfunktion. Die Leistungsbeurteilung dient als Entscheidungsgrundlage von Personalplanungen sowohl auf kollektiver Ebene wie auch bei personellen Einzelmaßnahmen. Zu nennen sind die Einsatz-, Beschaffungs-, Beförderungs-, Versetzungs- und Freisetzungsplanung sowie die Personalentwicklungsplanung.
-
Evaluierungsfunktion.
Die
Leistungsbeurteilung
dient
der
Evaluation
von
Selektionskonzepten, personellen Entscheidungen, Maßnahmen der Personalentwicklung, Programmen der Organisationsentwicklung und Anreiz- und Verstärkungssystemen. -
Legitimations-
bzw.
Statusfunktion.
Mittels
Leistungsbeurteilungen
können
Ungleichheiten hinsichtlich Kompetenzen, Status u.Ä. legitimiert werden.
Die
skizzierten
personalwirtschaftlichen
und
führungspolitischen
Funktionen
von Leistungsbeurteilungen sind Ausgangspunkt einer Vielzahl insbesondere perso-
188
Vgl. stellvertretend für viele H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 15) sowie F.G. Becker (2003, S. 265).
58
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
nalwirtschaftlicher Maßnahmen. Dies impliziert, dass die weit reichenden Erwartungen an das Instrumentarium der Leistungsbeurteilung nur dann erfüllt werden können, wenn diese systematisch mit den Aufgaben des Personalmanagements verzahnt werden. Allerdings werden von Organisationen nicht alle Funktionen gleichzeitig verfolgt. Vielmehr gilt, dass einzelne Funktionen zwar bewusst formuliert und offen gelegt werden, andere aber nicht offen ausgesprochen oder auch unbewusst – im Sinne von nicht intendiert – sind (siehe auch Abbildung 3.2). In der personalwirtschaftlichen Literatur werden die Funktionen dem zur Folge auch in manifeste und latente Funktionen unterschieden. Die latenten Zielsetzungen fokussieren insbesondere auf Folgen im Verhalten der Beurteiler und der Beurteilten.
Manifeste Funktionen personalpolitische Funktionen
· organisationsweite Leistungsinventur
· Legitimation und Allokation von Karrieren, Kompetenzen u.Ä.
· Evaluierung von Personalinstrumenten
· Entgeltdifferenzierung
führungspolitische Funktionen
Latente Funktionen gegenüber Beurteilern
· Leistungsstimulierung · Steuerungsfunktion und Motivbefriedigung
· Orientierung im Rahmen der individuellen Personalförderung
· Kooperation im Rahmen der Kommunikation
zur Mitarbeiterführung
· Steuerungsfunktion zum Arbeitsverhalten
gegenüber zu Beurteilenden
· Disziplinierungsinstrument
· nachträgliche Legitimation von Entscheidungen
· Stabilisierung des Sozialisationsprozesses sowie von Machtstrukturen
· individuelle Leistungsinventur
Abb. 3.2: Übersicht über die i.d.R. verfolgten Funktionen einer Leistungsbeurteilung189
Im Falle der Beurteiler beeinflussen standardisierte Leistungsbeurteilungen das Verhalten insofern, dass diese via Beurteilungskriterien auf Merkmale und Verhaltensweisen der zu Beurteilenden sensibilisiert werden. Darüber hinaus intendieren die nicht offen artikulierten Erwartungen aber auch, dass die Beurteiler durch Selbstreflexion ihre eigenen Zukunftserwartungen und Anspruchniveaus ändern. Diesen Änderungen zur Folge werden sie den Anpassungsdruck auf die Mitarbeiter erhöhen, da sowohl positive wie negative Sanktionen von ihnen abhängen.190 Angesprochen
189 190
Entnommen aus F.G. Becker (2003, S. 268). Vgl. F.G. Becker (2003, S. 267).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
59
werden hier insbesondere die Steuerung des (eigenen) Arbeitsverhaltens und die Steuerung der Mitarbeiterführung. Die latenten Funktionen, die gegenüber den zu Beurteilenden verfolgt werden, können helfen, dass die Erwartungshaltungen der Mitarbeiter stabilisiert und unangemessene Anspruchsniveaus nivelliert werden. Darüber hinaus können Leistungsbeurteilungen aber auch zur nachträglichen Legitimation von Entscheidungen oder als Disziplinierungsinstrument eingesetzt werden. Die systematische Verwendung von Leistungsbeurteilungen dienen der Stabilisierung des betrieblichen Sozialisationsprozesses wie auch der Erhaltung der Macht- und Kommunikationsstrukturen191 und der mit ihr i.d.R. einhergehenden Abhängigkeit der Nachgeordneten („Zeremoniencharakter“).192 Richtet man den Fokus auf die „erwarteten“ Wirkungsdimensionen leistungsabhängiger Entgeltsysteme öffentlicher Verwaltungen, lassen sich diese – unterteilt nach ökonomischen, politischen und sozialen Bedeutungen – wie in Abbildung 3.3 zusammenfassen.
Arbeitnehmer · Leistungsintensität, Belastungen · Arbeitsplatznähe · Arbeitsinhalte, Qualifikationen · Einkommenshöhe · soziale Differenzierung im Betrieb
Verwaltung
LeistungsArbeitsbeziehungen · Dezentralisierung/Verbetrieblichung der Lohnpolitik Bürger · Bürgernähe/-freundlichkeit · Dienstleistungen · Produkte
vergütungssysteme
Effizienz und Effektivität von · Arbeitsorganisation · Technik · Planung, Koordinierung, Controlling · Führung, Personalentwicklung · Kooperation zwischen Politik und Verwaltung externer Arbeitsmarkt · Arbeitsplätze · Rekrutierung interner Arbeitsmarkt · interne Flexibilität · Aufstiegsmobilität
Abb. 3.3: Wirkungsdimensionen von Leistungsvergütungssystemen in der Verwaltung193
191
Vgl. D. Grunow (1976, S. 76 ff.) wie auch P. Schettgen (1992, S. 130 f.). Vgl. F.G. Becker (2003, S. 267). 193 Vgl. K. Tondorf (1995, S. 30). 192
60
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Die dargestellten vielfältigen Wirkungsdimensionen veranschaulichen, dass mit der Einführung von Leistungsbeurteilungen in öffentlichen Verwaltungen die Erwartung verknüpft ist, dass mittels dieser eine Vielzahl von Personalfunktionen und –problemen gesteuert und gelöst werden können. Demgegenüber stehen aber auch nicht-intendierte Effekte, wie beispielsweise eine Verunsicherung oder Demotivierung der Mitarbeiter und eine Belastung bzw. Überforderung der Vorgesetzten, die mit der Implementierung von Beurteilungssystemen einhergehen können. Empfehlenswert ist, dass sich alle Beteiligten (Unternehmensführung, Spezialisten, Vorgesetze, Mitarbeiter, Personal- und Betriebsräte) auf die grundlegende(n) Funktion(en) von Leistungsbeurteilungen verständigen. Zum einen, um eine zielgerichtete Auswahl und Gestaltung eines Beurteilungssystems zu gewährleisten und zum anderen dessen intendierten und nicht intendierten Folgen evaluieren und korrigieren zu können.
3.2.3
Verfahren betrieblicher Leistungsbeurteilungen
Systematische Leistungsbeurteilungen setzen die Auswahl eines geeigneten Beurteilungsverfahrens voraus. Wobei anzumerken ist, dass die im nachfolgenden dargestellten idealtypisch abgegrenzten Verfahren der Leistungsbeurteilung in der Praxis häufig als Mischformen auftreten. Beurteilungsverfahren sind methodische Hilfsmittel, mit denen Beobachtungen nach bestimmten Regeln, zumeist auf einem wertenden Kontinuum basierenden Ausdruck, festgehalten werden. 194 Die Verfahren lassen sich zunächst grundsätzlich danach unterscheiden, ob sie den Beurteiler weitgehend frei beurteilen lassen oder ihn an bestimmte Verfahrensprozeduren binden.195 Ferner kann die Vielzahl der einzelnen Verfahren systematisiert werden nach:196
194
Vgl. M. Domsch und T.J. Gerpott (2004, Sp. 1437), J. Berthel und F.G. Becker (2003, S. 156) sowie F.G. Becker (2003, S. 284). 195 Vgl. H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 21). 196 Zur Klassifizierung von Beurteilungsverfahren vgl. z.B. M. Domsch und T.J. Gerpott (2004, Sp. 1437), F.G. (Becker 2003, S. 285), E. Zander (1990, S. 153) sowie H. Brandstätter (1970, S. 677 ff.).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
-
61
der Anzahl der Beurteilungskriterien in summarische und analytische Verfahren,197
-
dem Grad ihrer Standardisierung in freie und gebundene Verfahren oder
-
ihrem Vorgehen bei der Bewertung.198
Leistungsbeurteilungsverfahren
Freie Beurteilung
Rangordnungsverfahren
Summarisches Rangordnungsverfahren
Paarvergleich
Verfahren der erzwungenen Verteilung
Kennzeichnungsverfahren
Checklistverfahren
Zwangswahlverfahren
Methode der Kritischen Ereignisse
Einstufungsverfahren
Merkmalsorientierte Einstufungsverfahren
Verhaltsorientierte Einstufungsverfahren
Verhaltenserwartungsskalen
Verhaltensbeobachtungsskalen
Aufgabenorientierte Verfahren
Zielorientierte Verfahren
Abb. 3.4: Klassifizierung von Leistungsbeurteilungsverfahren199 Dem dritten Differenzierungskriterium200 folgend werden nachstehend die freie Beurteilung, 197
Rangordnungsverfahren,
Kennzeichnungsverfahren,
Einstufungsverfah-
Bei summarischen Beurteilungen wird die beobachtete Leistung des zu Beurteilenden insgesamt betrachtet, während bei analytischen Verfahren der Beobachtungsgegenstand in Reihe von vorher festgelegten Merkmalen gegliedert wird (vgl. J. Hentze und A. Kammel 2001, S. 283). 198 Vgl. H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 22). 199 In Anlehnung an F.G. Becker (2003, S. 286) aufbauend auf H. Brandstätter (1970, S. 677 ff.).
62
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
ren, aufgabenorientierte Verfahren und zielorientierte Verfahren vorgestellt und diskutiert.
Verfahren der freien Beurteilung Die freie Beurteilung basiert auf Eindrucksschilderungen, ohne Angabe von Beurteilungsmerkmalen, die i.d.R. im Ermessen der Beurteiler liegen. Das Verfahren und das daraus resultierende „Kurzgutachten“ sind weitgehend von der sprachlichen Ausdruckfähigkeit und den subjektiven Vorstellungen der Beurteiler über die zu beurteilenden Inhalte geprägt. Das zumeist summarische Beurteilungsverfahren gilt als unstrukturiert und kann nicht die Vergleichbarkeit von Beurteilungsergebnissen gewährleisten.201
Rangordnungsverfahren Mit einem Rangordnungsverfahren wird die relative Stellung eines Beurteilten zu anderen Beurteilten entweder analytisch hinsichtlich bestimmter Kriterien oder summarisch anhand eines Gesamtkriteriums auf einer Ordinalskala ermittelt. Allgemein werden die in Abbildung 3.4 dargestellten drei Arten dieses Verfahrens diskutiert:
a) die unmittelbare Aufstellung einer Rangordnung aller Beurteilten, b) der Paarvergleich der Mitarbeiter und c) das Verfahren der erzwungenen Verteilung.
200
Dieses Differenzierungskriterium basiert auf der in der personalwirtschaftlichen Literatur am häufigsten wiedergegebenen Gliederung von H. Brandstätter (1970, S. 677 ff.). 201 E. Gaugler et al. (1978, S. 55) sehen in dem vorgeworfenen Mangel der Vergleichbarkeit nur dann ein wirkliches Problem, wenn die Vergleichbarkeit der Ergebnisse überhaupt gefordert ist. Dieser Ansicht folgend vertreten H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 21) die Auffassung, dass ein derart unstrukturiertes Verfahren zwar kaum für Leistungsvergleiche herangezogen werden kann, es aber der Potentialeinschätzung einzelner Mitarbeiter dienen könne. Für den Betrachtungsgegenstand der Leistungsbewertung ist dieser Hinweis jedoch nicht relevant. Zu dem zeigte die von E. Gaugler et al. (1978) empirische Erhebung zum Beurteilungswesen, dass unter 102 Beurteilungssystemen nur eines auf freier Merkmalsbeschreibung basierte.
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
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a) Aufstellung einer Rangordnung Bei der Aufstellung einer Rangordnung sind prinzipiell zwei verschiedene Verfahren zu unterscheiden: Die analytische Rangreihenmethode und die summarische Rangfolgemethode.202 Bei analytischen Beurteilungen wird für jedes einzelne Beurteilungskriterium eine Rangreihe aufgestellt. Beispielsweise wird für das Merkmal Leistungsgüte der Beste, der Zweitbeste usw. bestimmt, bis alle zu beurteilenden Mitarbeiter bezüglich aller zu beurteilenden Merkmale in Rangreihen aufgestellt sind. Durch die Addition der einzelnen (Merkmals-) Rangplätze der Mitarbeiter ergibt sich die endgültige Rangreihe der Beurteilten. Sollen einzelne Merkmale dabei hinsichtlich des Gesamturteils hervorgehoben werden, können diese Merkmalsrangplätze entsprechend der Bedeutung des Merkmals in der Gesamtbeurteilung gewichtet werden. Bei Aufstellung einer summarischen Rangordnung werden die zu Beurteilenden bzw. ihre beobachtbaren Leistungen insgesamt bewertet sowie in Folge, wie bei der oben beschriebenen Rangreihenmethode, auf einer Ordinalskala platziert. Dieses „einfache“ Vorgehen zur Aufstellung von Rangreihen oder Rangfolgen wird als Concoursverfahren203 bezeichnet. Zur Durchführung von Rangordnungen bei großen Gruppen von zu Beurteilenden wird das so genannte Abschälverfahren204 vorgeschlagen, um das schwer zu differenzierende Mittelfeld einfacher zu bewerten. Bei dieser Vorgehensweise wird zunächst der erste und letzte Rangplatz ermittelt, dann der zweite und der vorletzte. Dieses Vorgehen wird solange fortgesetzt bis alle Rangplätze, auch die mittleren, besetzt sind. „Die Beurteilungsaufgabe nimmt in ihrem Schwierigkeitsgrad zu, je näher die Beurteiler der Skalenmitte kommen.“205 Allerdings stößt das Verfahren mit zunehmender Zahl von zu Beurteilenden an die kognitiven Grenzen der Beurteiler und kann zu Reliabilitätsdefiziten führen.206
b) Paarvergleich der Mitarbeiter Beim Verfahren des Paarvergleichs wird jeder Mitarbeiter mit jedem anderen Mitarbeiter gesamthaft (summarisch) oder anhand verschiedener Merkmale (analytisch) 202
Vgl. J. Hentze (1980, S. 151) sowie J. Hentze und A. Kammel (2001 S. 284 f.). Vgl. J. Hentze und A. Kammel (2001, S. 284). 204 Vgl. H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 135). 205 F.G. Becker (2003, S. 289). 206 Vgl. B. Marcus und H. Schuler (2001, S. 413). 203
64
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
verglichen. Durch Auszählen der Fälle, in denen ein Mitarbeiter besser als eine bestimmte Zahl anderer Mitarbeiter war, ergibt sich die Rangreihe. Die Vorgehensmethodik ist als einfaches Rangordnungsverfahren einzuordnen, das durch die Anwendung eines Paarvergleichs konsistente(re) Urteile erwarten lässt.207 Jedoch gilt, dass mit zunehmender Gruppegröße die Zahl und die Dauer der durchzuführenden Paarvergleiche progressiv steigen208 und dies zu einer kognitiven (Über-)Belastung der Beurteiler führen kann.
c) Verfahren der erzwungenen Verteilung Zielsetzung des Verfahrens der erzwungenen Verteilung ist – analog zur Abschälmethode –
die im Mittelbereich großer Gruppen entstehenden Platzierungsprobleme
einzuschränken.209 Problematisiert werden die systematischen Beurteilungsfehler wie die Tendenz zur Milde, zur Härte und zur Mitte.210 Zunächst verteilungsfrei erfolgte Beurteilungen sollen durch die Beurteiler nachfolgend in vorgegebene Gruppen, mit einer fixierten Anzahl bzw. Prozentzahl von Beurteilten eingeordnet werden. Bei der erzwungenen Gruppeneinteilung wird davon ausgegangen, „(…) dass es in jeder Arbeitsgruppe bestimmte Prozentsätze an Mitarbeitern gibt, die gute, mittlere oder schlechte Leistungen erbringen.“211 Abbildung 3.5 veranschaulicht die erzwungene Verteilung unter Bezugnahme auf die Annahme, „(…) dass die Leistungen einer (entsprechend großen) Gruppe zufallsverteilt sind und sich eine Normalverteilung ergibt.“212
207
208 209 210 211 212
Im Unterschied zur unmittelbaren Aufstellung einer Rangordnung, so M. Mungenast (1990, S. 165), bietet der Paarvergleich die Möglichkeit einer Transitivitätsüberprüfung. Im Idealfall dürfen keine zirkulären Triaden der Form A>B>C>A auftreten. Vgl. auch H. Brandstätter (1970, S. 683), J. Hentze (1980, S. 153) sowie G. Pilhofer (1982, S. 115). Offen bleibt, was es eigentlich im Falle des Paarvergleichs bedeutet, dass die Leistung des Mitarbeiters A besser als die des Mitarbeiters B ist (vgl. M. Mungenast 1990, S. 165). So sind bei n Mitarbeitern n (n-1):2 Vergleiche durchzuführen. Dies bedeutet beispielsweise bei 20 Mitarbeitern bereits die Durchführung von 190 Paarvergleichen. Vgl. J. Hentze und A. Kammel (2001, S. 285). Vgl. F.G. Becker (2003, S. 291 f.). F.G. Becker (2003, S. 292). F. G. Becker (2003, S. 292). Mit den Annahmen der Normalverteilung – also einer eingipfigen, symmetrischen und glockenförmigen Verteilung – wird davon ausgegangen, dass, wenn Merkmale von größeren Populationen beobachtet werden, sich die Messwerte oftmals im Bereich des Mittelwertes häufen.
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
65
Konsequenz bei 10 Mitarbeitern: 1 Mitarbeiter erhält 5 Punkte, 2 Mitarbeiter erhalten 4 Punkte etc., unabhängig davon, ob bspw. alle gut oder schlecht waren.
Abb. 3.5: Beispiel vorgegebener Leistungsgruppen213
Allerdings ist die Voraussetzung, dass die mittleren Werte auch wirklich häufiger vorkommen als die extremen Werte, problematisch. 214 Die Beurteiler laufen Gefahr durch erzwungene Differenzierungen der Mitarbeiter, diese zu „diskriminieren“. Generell verbindet sich mit dem Verfahren der erzwungenen Verteilung in der Praxis die Annahme, dass die Anzahl der Entscheidungsprobleme sich verringert und daraus resultierend die Durchführung wenig Zeit in Anspruch nimmt.215 Das Verfahren wird in der Praxis häufig auch mit anderen Verfahren kombiniert, beispielsweise dem im weiterem dargestellten Verfahren der merkmalsorientierten Einstufung. Die Grenzen von Rangordnungsverfahren liegen zum einen in dem generellen Problem begründet, dass die Beurteilungen zumeist auf einem Einzelkriterium basieren.216 Anders ausgedrückt ist das zu beurteilende Kriterium nicht ausreichend operationalisiert. Die Folgen davon sind, wie bei den zuvor skizzierten freien Beurteilungen, beurteilerspezifische Interpretationen oder Beurteilereffekte.217 Zum anderen kann durch die Verwendung von Ordinalskalen nichts über die Größe des Unterschiedes zwischen zwei Rangplätzen ausgesagt werden. Dem zur Folge können Rangordnungsverfahren auch keinen gerechten Beitrag zur Lohn- und Gehaltsdifferenzierung beisteuern. Auch wenn in der Praxis, insbesondere die Verteilung von Leistungszulagen, mittels des speziellen Verfahrens der erzwungenen Verteilung analog zu den Annahmen der Normalverteilung häufig eingesetzt wird. Vorwiegend bei kleineren Arbeitsgruppen, selbst mit gleichartigen Arbeitsplätzen gilt die Anwendung des Verfahrens als problematisch. Quotenvorgaben werden in der einschlä-
213
Entnommen aus F.G. Becker (2003, S. 292). Vgl. auch H. Steinmann und G. Schreyögg (2000, S. 699). 215 Vgl. J. Hentze und A. Kammel (2001, S. 285). 216 Vgl. F.G. Becker (2003, S. 341). 217 Vgl. H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 136). 214
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Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
gigen Literatur demnach als systematische Verfälschung von Leistungsbeurteilungen angesehen.218 Zudem gewähren Rangordnungsverfahren keine solide Vergleichbarkeit von Rangreihen zweier oder mehrerer Arbeitsgruppen, da die Beurteilungen auf unterschiedlichen Bezugssystemen bzw. Situationsparametern der Beurteiler beruhen.219 Die Beurteilungen haben allenfalls gruppenspezifisch Gültigkeit. Im Falle der Methode des Paarvergleichs bleibt sie auf kleinere Gruppen beschränkt und stellt hohe Anforderungen an die Beurteiler. Damit ist auch die Zweckmäßigkeit für die Erreichung der personal- und führungspolitischen Funktionen von Leistungsbeurteilungen durch Beurteilungen im Rahmen von Rangordnungsverfahren in Frage zu stellen. Insbesondere sind diese als Motivations- und Personalentwicklungsinstrument nicht sonderlich geeignet.220 Die Folgen von Rangordnungsverfahren werden in der verhaltensorientierten personalwirtschaftlichen Literatur als dysfunktional beschrieben. Zum einen, weil destruktive Friktionen in die Mitarbeitergruppen durch die verfahrensimmanenten direkten und offenen Vergleiche der Mitarbeiter zueinander, hineingetragen werden. Zum anderen sind Rangordnungsverfahren als Motivationsinstrument nicht dienlich, weil individuelle Leistungssteigerungen dem Verfahren zur Folge nicht Berücksichtigung finden, „(…) wenn auch bei anderen Mitabeitern eine Steigerung der Leistung zu verzeichnen ist.“221 Mit Odiorne zusammenfassend kann festgehalten werden: „Auf jeden Fall können wir nicht erwarten, die Leistung von Mr. Adams zu erhöhen, wenn wir ihm nur sagen „sie sind nicht so gut wie Mr. Baker, aber sie sind besser als Mr. Charles. (…) Es ist deshalb sicher kein geeignetes Instrument zur Bewertung.“222
Kennzeichnungsverfahren Beim Beurteilungsprozess im Rahmen von Kennzeichnungsverfahren, in der Literatur auch als Verfahren der gemischten Aussageliste mit freier Wahl bezeichnet, werden den Beurteilern Check-Listen vorgegeben, in denen positives und negatives
218
Vgl. F.G. Becker (2003, S. 342 f.). Vgl. M. Mungenast (1990, S. 166). 220 Vgl. F.G. Becker (2003, S. 343). 221 F.G. Becker (2003, S. 343). 222 G.S. Odiorne (1980, S. 248). 219
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
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Mitarbeiterverhalten beschrieben wird.223 Sofern die Verfahren sich entsprechend ihrer ursprünglichen Absicht auf Verhaltensaussagen beziehen, sind diese als verhaltensorientierte Beurteilungsverfahren zu bezeichnen.224 Jedoch werden in der betrieblichen Anwendung zumeist Leistungs- und Eigenschaftskriterien zugrunde gelegt. Diese Merkmalskriterien werden i.d.R. beliebig gemischt oder nach dem Anschein gleicher Erwünschtheit gruppiert. Die Beurteiler sind gezwungen die Aussagen dichotom zu beantworten: Ja für die „Aussage trifft zu“ und nein für die „Aussage trifft nicht zu“. Die Aussagen erlauben eine „(…) direkte Auswertung und eine nachfolgende Skalierung der einzelnen Items, ohne allerdings (zunächst) etwas über die Rangordnung oder gar die Differenz zwischen den Beurteilten hinsichtlich eines Merkmals
auszusagen.“225
Generell
werden
drei
Ausprägungen
von
Kennzeichnungsverfahren unterschieden:
a) Checklist-Verfahren b) Zwangswahl-Verfahren und c) Verfahren der kritischen Ereignisse
a) Checklist-Verfahren Dieses Verfahren, auch Freiwahl-Verfahren genannt, basiert auf einer (Prüf-)Liste, die eine größere Anzahl von konkreten Verhaltensbeschreibungen umfasst, die für
223
Vgl. J. Hentze und A. Kammel (2001, S. 291). Das Verfahren geht ursprünglich (nach Brandstätter 1970, S. 678; Lattmann 1975, S. 80) auf H. Hartshorne und M.A. May (1929) zurück, die es zur Verhaltens- und Charakterbeschreibung von Kindern entwickelt hatten. L.W. Ferguson (1947), so der Hinweis bei F. G. Becker (2003, S. 294), verwendet diese Methode erstmals zur Beschreibung von Mitarbeitern und bereitete so den Weg für eine breitere Anwendung des Verfahrens. Den Kennzeichnungsverfahren werden im Allgemeinen in der einschlägigen Literatur – zumindest im deutschsprachigen Raum – für die betriebliche Praxis keine Bedeutung mehr zugemessen. So konnte H.J. Liebel (1978, S. 173) in einer empirischen Untersuchung, an der 118 Unternehmen beteiligt waren, keines finden, das ein Verfahren dieser Art anwendete und auch in der Studie von E. Gaugler et al. (1978, S. 143) fand sich nur ein Kennzeichnungsverfahren dieser Art unter 102 weiter genannten Beurteilungsverfahren. Dass diese Verfahren in der personalwirtschaftlichen Literatur trotzdem relativ intensiv dis kutiert und dargestellt wurden und werden, ist dem Umstand zu schulden, dass diese als Vorläufer der weit verbreiteten Einstufungsverfahren gelten. Zu dem wurde das Verfahren der kritischen Ereignisse von E. Frieling und C. Hoyos (1978) zur Entwicklung eines heute breit angewendeten Verfahrens zur Anforderungsanalyse von Arbeitsplätzen verwendet (H. J. Liebel und W.A. Oechsler 1992, S. 154). 225 J. Berthel und F.G. Becker (2003, S. 158). 224
68
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
die Leistung prinzipiell entweder als förderlich oder aber hinderlich gelten.226 Die Verhaltensbeschreibungen beziehen sich meistens auf einen oder auf einige wenige Arbeitsplätze.227 Die Aufgabe der Beurteiler beschränkt sich darin, diejenigen Aussagen oder Items auszuwählen, die das Verhalten oder die Eigenschaft der zu bewertenden Person treffend beschreiben. 228 Im Gegensatz zum Zwangswahl-Verfahren bleibt den Beurteilern selbst überlassen, wie viele Items sie beantworten. Durch eine zumeist zufällige Anordnung der Items sollen vor allem der „Halo-Effekt“ (Heiligenschein- oder Hof-Effekt)229 reduziert werden sowie die „Tendenz zur Mitte“ abgeschwächt werden.230 Anschließend werden alle Items, die zu einem bestimmten Verhaltensaspekt gehören zusammengefasst und daraus ein Gesamtwert ermittelt. Zur Auswahl und Skalierung bei der Konstruktion von Checklisten werden unterschiedliche Methoden diskutiert: Bei der Methode der Einheitsgewichtung erfolgt die Skalierung und Auswertung der Checkliste nur anhand von so genannten „Einheitsgewichten“: Jedes angekreuzte Item – entweder nur die angekreuzten „förderlichen“ Items oder nur die angekreuzten „hinderlichen“ Items – fließt mit dem gleichen Wert in das Endergebnis ein. Im Rahmen der Methode der gleichscheinenden Intervalle231 wird durch die Anwendung statistischer Verfahren (wie beispielsweise der sogenannten Inter-Quartilwerte „Q“) eine gewichtete Checkliste erstellt. Die einzelnen Items werden dabei entsprechend ihrer Bedeutung und in ihrem gleich erscheinenden Abstand zu einander durch Experten bewertet und auf einer Intervallskala angeordnet, deren Werte die Gewichtungen darstellen, nach denen die Items in das Gesamtergebnis einfließen. Als weitere Möglichkeiten der Auswahl und Skalierung von Items werden in der personal- und organisationspsychologischen Literatur zu dem noch die Skalogramm-
226 227
228
229 230 231
Die Zusammenstellung der Liste erfolgt i.d.R. nach einem mehrstufigen Expertenrating (meist durch eine Befragung von Vorgesetzten. Vgl. M. Brandstätter (1970, S. 679 ff.). Vgl. J. Hentze und A. Kammel (2001, S. 291). F. G. Becker (2003, S. 343) verweist auf den immensen Aufwand bei der Erstellung positionsspezifischen Prüflisten. Eine vollständige Leis tungsinventur könne zu dem nur dann gelingen, wenn bei der Generierung der Items die gesamten Tätigkeiten sowie die damit verbundenen Leistungen abgedeckt würden. Dieses gilt jedoch in der Praxis als nicht leistbar. Welche Items bei der Aufgabenerfüllung förderlich und hinderlich sind (bzw. wie förderlich oder hinderlich die einzelnen Items sind) ist den Beurteilern dabei nicht unbedingt bekannt. Vgl. F.G. Becker (2003, S. 295.) Zu individuellen und systembedingten Fehlerquellen bei der Beurteilung von Menschen siehe stellvertretend für viele H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 103 ff.) Vgl. F.G. Becker (2003, S. 295). Vgl. A. Dieckmann (2004).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
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Analyse und die mehrdimensionale Skalierung durch die Bildung von Untergruppen benannt. Die mögliche Anwendung dieser Methoden im Rahmen von Kennzeichnungsverfahren führt dazu, „(…) dass die Grenzen hin zu Einstufungsverfahren in vorgegebene Kategorien bzw. Zwangswahlverfahren fließend sind.“232 Als vorteilhaft bei diesem Verfahren, wird die Funktion der konkret formulierten Verhaltensbeschreibungen als Erinnerungshilfe beschrieben.233 Jedoch beruht gleichzeitig die generelle Kritik am Checklist-Verfahren, neben dem Aspekt der Arbeitsund Kostenaufwendigkeit, vor allem auf den Interpretationsschwierigkeiten der erstellten (Frage-)Liste.234 Zu dem ist für die Beurteiler leicht zu erkennen, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen als erwünscht gelten. Aus diesem Grunde sind die Ergebnisse des Verfahrens nicht für fundierte Beurteilungsgespräche dienlich235 und werden als Grundlage zur Gehaltsfindung als wenig geeignet angesehen.236
b) Zwangswahlverfahren Bei diesem Verfahrenstyp237 , der als Weiterentwicklung des Checklist-Verfahrens gilt, steht im Vordergrund, dass die Beurteiler im Unklaren gelassen werden, wie hoch die beschriebenen Verhaltensweisen mit dem Leistungsergebnis korreliert sind.238 Die Beurteiler werden gebeten aus i.d.R. zwei bis vier vorgegebenen, anscheinend gleichwertigen Verhaltensbeschreibungen, die für den zu beurteilenden Mitarbeiter am ehesten zutreffende oder am wenigsten zutreffende auszuwählen. Im Vorfeld der Beurteilung werden die Aussagen zunächst mittels einer Stichprobe von Beurteilern mit Hilfe der Methode der kritischen Ereignisse ermittelt und unter dem Aspekt gleicher sozialer Erwünschtheit aber mit jeweils unterschiedlicher Bedeutung
232 233 234 235 236 237
238
F.G. Becker (2003, S. 299). Vgl. H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 150). Siehe hierzu ausführlicher beispielsweise F.G. Becker (2003, S. 343 f.). Vgl. F.G. Becker (2003, S. 344). Vgl. H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 151). Dieser Verfahrenstyp, in der amerikanischen Literatur als forced-choice-method benannt, wurde, als erstes bei der USA Army eingeführt – und angeblich auch wieder früh abgeschafft, weil die Offiziere der Militärakademie West Point nicht so gut abschnitten (vgl. E.D. Sisson (1948, S. 366 ff.) sowie H.J. Bernardin und R.W. Beatty (1984, S. 97)). In jüngerer Zeit, so die Literaturhinweise auf empirische Studien aus den 80er Jahren bei F.G. Becker (2003, S. 301), habe das Interesse an Zwangswahlverfahren bei amerikanischen Forschen jedoch wieder zugenommen und Vorschläge zu mehr statistisch basierten Entwicklungen subjektiver, multidimensionaler Leis tungsbeurteilungen wurden entwickelt. Vgl. hierzu H.J. Bernardin, B.B. Morgan und P.S. Winne (1980, S. 1 ff.) wie auch L.M. King, J.E. Hunter und F.L. Schmidt (1980 S. 507 ff.). Vgl. H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 151).
70
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
für die Leistung gruppiert.239 Unter Einbezug eines Präferenzindex wird dabei geprüft, „(…) ob die Aussagen für die betroffenen Beurteiler faktisch in etwa einen gleich gewichtigen Klang haben.“240 Des Weiteren wird durch einen Gültigkeitsindex, einer vereinfachten Variante der Trennschärfenbestimmungen von Einzelaussagen, versucht die tatsächliche Beurteilungskraft der Items, d.h. inwieweit mit ihnen zwischen guten und weniger guten Mitarbeiterleistungen unterschieden werden kann, zu ermitteln.241 Trotz des Vorteils in der verfahrensbedingten Unterdrückung unerwünschter Beurteilungstendenzen beim Zwangswahlverfahren und der Bestimmbarkeit des Gültigkeitsgrads der Aussagen, gilt das Verfahren als problematisch.242 Die Möglichkeit einer „echten“ Leistungsbeurteilung wird aufgrund einer mangelnden Differenzierung in Leistungsdimensionen nicht gegeben.243 Durch das verfahrensimmanente Problem, das den Beurteilern entgegengebrachte Misstrauen, gelten die Ergebnisse der Beurteilungen als schwer kommunizierbar. Ferner wird die fehlende Möglichkeit, Aussagen zur Verbesserung oder Erweiterung der Qualifikationen zu machen, bemängelt.244 Der generellen Kritik an Kennzeichnungsverfahren folgend ist anzumerken, dass der enorme methodische Konstruktionsaufwand in keinem rechtfertigbaren Verhältnis zum Nutzen des Verfahrens steht.245
c) Verfahren der kritischen Ereignisse Bei diesem Beurteilungsverfahren erfolgt die Beurteilung anhand einer Liste von Schlüsselindikatoren (kritischer Ereignisse), die arbeitsplatzbezogene effiziente bzw. ineffiziente Verhaltensweisen, die für den Erfolg oder Misserfolg einer Aufgabenstellung als spezifisch gelten, enthält. Die Verhaltensbeobachtungen der Beurteiler sollen, analog der Intention des Verfahrens, die subjektiven Einflüsse der Beurteiler weitestgehend zu minimieren helfen und auf operationalisierte Versagensursachen und Erfolgsgründe gelenkt werden. Ausgehend von den zu unterschiedlichen Zeit-
239 240 241 242 243 244 245
Vgl. F. G. Becker (2003, S. 301). F. G. Becker (2003, S. 301). Vgl. H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 151). Vgl. H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 152). Vgl. F.G. Becker (2003, S. 344). Vgl. F.G. Becker (2003, S. 344). Vgl. H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 152).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
punkten
schriftlich
festgehaltenen
Beobachtungen
werden
71
Häufigkeitsverteilungen
über die kritischen Ereignisse ermittelt, auf deren Grundlage zusammenfassende Beurteilungen abgebildet werden.246 Das Verfahren der kritischen Ereignisse wird in den Originalquellen247 positiv diskutiert. Betont wird, dass das Verfahren eine solide Fundierung zur Führung von Beurteilungsgesprächen darstellt, da die ermittelten Fakten wegen der extremen Standardisierung wenig Raum für Meinungsverschiedenheiten eröffnen.248 Zusätzlich würde der Kontakt von Beobachtern und Beobachteten erheblich verbessert.249 Dieser durchweg positiven Beurteilung stehen aber in den neueren Diskussionen erhebliche Nachteile gegenüber. Einerseits wird in dem Verfahren keine Möglichkeit einer „echten“ Leistungsbeurteilung gesehen, „(…) fehlt doch eine leistungsbezogene
Erfassung
und
Bewertung.“250
So
werden
ausschließlich
Ver-
haltensbesonderheiten, nicht aber das „normale“ Verhalten erfasst. Folglich gilt das Verfahren auch für interindividuelle Leistungsvergleiche zur Entgeltgestaltung als ungeeignet.251 Andererseits stellt sich die Frage der Praktikabilität des Verfahrens. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang vor allem auf den großen Aufwand bei der Erarbeitung der „Critical Incidents“.252 Zwangswahlverfahren werden zudem auch vielfach von den Beurteilern aufgrund der ihnen fehlenden Transparenz und des ihnen entgegenbrachten Misstrauens abgelehnt.253
246 247
248 249 250 251 252
253
Vgl. J. Berthel und F.G. Becker (2003, S. 159). Die Methode der kritischen Ereignisse basiert auf einer 1941 durchgeführten Studie der “United States Air Force” zur Auswahl und Einschätzung von Flugpersonal. Untersuchungsziel der Studie war, die Ursachen für das Scheitern einer großen Zahl von Nachwuchspiloten festzustellen sowie entsprechende Verbesserungen aufzuzeigen. Untersuchungsgrundlage waren Protokolle der Verhandlung von Auslesekomitees, wobei das Augenmerk speziell auf besondere und konkrete Versagensursachen ebenso wie auf Erfolgsgründe gerichtet war. J.C. Flanagan (1954) entwickelte ein standardisiertes Beurteilungsverfahren, begründet auf der Erfassung der so genannten „kritischen Erfordernisse“ (critical requirements). Das Verfahren wird als selbständiges Instrument beschrieben. Hingegen nimmt es bei heutigen Leistungsbeurteilungsverfahren zumeist nur eine Mittelfunktion ein, indem es hilft, Aussagen für Beurteilungsformulare zu generieren. Siehe auch W.A. Oechsler (2000, S. 468 ff.). Vgl. F.G. Becker (2003, S. 345). Vgl. J.C. Flanagan (1954, S. 352 ff.) sowie J.C. Flanagan und R.K. Burns (1955, S. 100). F.G. Becker (2003, S. 344). Vgl. beispielsweise H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 154) sowie F. G. Becker (2003, S. 344 ff.). Nach Aussage von H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 154) werden für einfache Arbeitsaufgaben bereits in etwa 50-100 Vorfälle benötigt, für angelernte und gelernte Tätigkeiten 1000-2000 Vorfälle und für die Beurteilung von Führungskräften bis zu 4000. Vgl. F. G. Becker (2003, S. 344).
72
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Einstufungsverfahren Das Einstufungsverfahren ist sowohl in der theoretischen Diskussion wie in der Praxis das seit Jahrzehnten dominierende Instrument der Mitarbeiterbeurteilung. Einstufungsverfahren dienen der Erfassung qualitativer Merkmale mittels verbal oder numerisch definierten Kategorien. Die verschiedenen Ausprägungsgrade der Kriterien werden auf einer Skala repräsentiert.254 Die durch den Beurteiler wahrgenommene Ausprägung der Beurteilungskriterien der zu beurteilenden Mitarbeiter, ist mit den zu den unterschiedlichen Beurteilungsmerkmalen vorgegebenen Skalenausprägungen zu vergleichen und auszuwählen.255 Das Einstufungsverfahren, dessen analytischer Charakter in der personalwirtschaftlichen Literatur zumeist besonders hervorgehoben wird, liegt in zwei Varianten vor:
a) Das merkmalsorientierte Einstufungsverfahren fokussiert zumeist generelle Arbeitsmerkmale (oft aber auch Eigenschaftsmerkmale). b) Hingegen werden beim verhaltensorientierten Einstufungsverfahren, in empirisch aufwändigen Verfahren ermittelte Verhaltensbeispiele zur Beurteilung vorgegeben.
a) Merkmalsorientierte Einstufungsverfahren Das in der personalwirtschaftlichen Literatur und in der betrieblichen Anwendungspraxis angegebene Ziel dieses Verfahrens stellt vor allem auf die „objektivierende“ Vergleichbarkeit der Beurteilungsergebnisse von Mitarbeitern ab.256 Dieses Ziel setzt ein einheitliches Kriteriensystem voraus. Dazu wird üblicherweise ein Standardmerkmalskatalog verwendet, mittels dem sowohl über unterschiedliche Funktionsebenen als auch jeweils unterschiedliche Funktionsbereiche hinaus mit den gleichen Beurteilungsmerkmalen gearbeitet wird.257 In der Folge stehen bei diesem Verfahren,
254
Vgl. J. Hentze und A. Kammel (2001, S. 287). Vgl. J. Berthel und F.G. Becker (2003, S. 159). 256 Vgl. T. Breisig (1989, S. 94) sowie F. G. Becker (2003, S. 307). 257 Vgl. E. Crisand und P. Stephan (1994, S. 60). Eine Differenzierung unterschiedlicher Positionen bzw. Arbeitstätigkeiten im Rahmen der Verwendung von Standardmerkmals katalogen erfolgt teilweise durch unterschiedliche Gewichtung von einzelnen Beurteilungsmerkmalen. In der Literatur zur Leistungsbeurteilung wird dieser Aspekt beispielsweise diskutiert bei H. Nutzhorn (1965, S. 19) und P. Tenckhoff (1975, S. 348 f.). 255
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
73
mal mehr oder weniger offen, die als leistungsrelevant angesehenen persönlichen Eigenschaften der Mitarbeiter im Vordergrund.258 Es wird ein kausaler Zusammenhang zwischen Eigenschaften und Leistung unterstellt.259 Eine Synopse (siehe Abbildung 3.6) aus mehreren empirischen Studien260 belegt, dass aufgabenorientierte Merkmale (z.B. Arbeitsmenge) in Kombination mit eigenschaftsorientierten Merkmalen (z.B. Initiative) verwendet werden. In der Diskussion um den Nutzen merkmalsorientierter Einstufungsverfahren herrscht in der Literatur insofern Einigkeit, als dass beobachtbare „Verhaltensmerkmale“ gegenüber den persönlichkeitsbezogenen Merkmalen eindeutig der Vorzug gegeben wird.261 Eigenschaftsorientierte Beurteilungen gelten als problematisch, weil begriffliche Unschärfen aus der Alltagssprache übernommen werden und es keine wissenschaftliche Eindeutigkeit über die präzise Bedeutung einzelner Eigenschaften gibt.262 So ist die Anzahl verschiedener Eigenschaftswörter zur Beurteilung von Personen ebenso groß, wie der Eigenschaftsbegriff vieldeutig. Bedeutungsschwankungen erschweren treffendes Beurteilen, insbesondere dann, wenn Vergleiche von Beurteilungsergebnissen einzelner Mitarbeiter vorzunehmen sind. Ein auf Eigenschaftsausprägungen basierendes Mitarbeitergespräch gilt konstruktivem Feedback nicht als dienlich und läuft Gefahr in fruchtlosen Diskussionen um Eigenschaften zu
258
259 260
261
262
In diesem Zusammenhang ist interessant auf O. Neuberger (1980, S. 34) zu verweisen. Die Verwendung oder Nicht-Verwendung eigenschaftsorientierter Kriterien eröffnet für ihn keine Arena rationalen Kritisierens, da er in dieser Vorgehensweise vielmehr eine Widerspiegelung bestimmter Konventionen, nämlich die Sensibilisierung von Vorgesetzen und Mitarbeitern auf bestimmte Merkmale bzw. Normen wie „Anpassungsfähigkeit“, „Gehorsam“ und „Belastbarkeit“ sieht. Diese angestrebten Sozialisationswirkungen (Prägung der Mitarbeiter nach dem Bild der Organisation) können eng mit den Funktionen von betrieblichen Leistungsbeurteilungen zusammen hängen, besonders mit den nicht offen gelegten latenten Beurteilungszwecken. Vgl. hierzu auch G. Lueger (1992, S. 209 f.) sowie F.W. Nerdinger (2001, S. 59 ff.). Vgl. P. Schettgen (1996, S. 241). F.G. Becker (2003, S. 312 f.). führt in diesem Zusammenhang die Studien von U. Bernhard (1975), D. Gronow (1976), E. Gaugler et al. (1978) sowie H.J. Liebel und R. Walter (1978) an, die Ergebnisse aus den siebziger Jahren widerspiegeln. Dass diese Merkmalskombinationen auch in der Gegenwart verwendet werden, bestätigen aber auch aktuellere Studien. Vgl. beispielsweise G. Rübling (1988) sowie M. Batz und U. Schindler (1983). Vgl. H. J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 148), die als Ausnahme von dieser Position u.a. auf H. Raschke (1974), W.F. Feix (1975) verweisen. Ergänzend dazu M. Mungenast (1990, S. 43 ff.), der die methodische Vorgehensweise zusammenfassend dahingehend kritisiert, dass die für die Einstufungsverfahren unbedingt notwendige Ausrichtung der Merkmale an den individuellen Arbeitsplätzen (siehe hierzu auch M. Brandstätter 1970, S. 675) selten gegeben ist und die Verwendung eigenschaftsorientierter Kriterien aus Gründen der mangelnden Beobachtbarkeit und Eindeutigkeit als methodisch fragwürdig gelten. Vgl. E. Roth (1977, S. 42 f.) sowie R. Wunderer und W. Grundwald (1980, S. 124 f.).
74
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
verlaufen.263 Zudem ist die Frage zu stellen, inwieweit Eigenschaftskriterien mit gezeigten Leistungen korrelieren, die im Rahmen von Leistungsbeurteilungen honoriert werden sollen.264
Merkmale
Gaugler u.a.
Liebel/Walter
Grunow
Bernhard
Rangplatz
Rangplatz
Rangplatz
Rangplatz
1.
Zusammenarbeit
1
5
3
6
2.
Belastbarkeit
2
9
6
5
3.
Initiative
3
3
-
3
4.
Arbeitsgüte
4
7
5
15
5.
Arbeitstempo
5
15
8
9
6.
Auffassungsgabe
6
2
-
1
7.
Zuverlässigkeit
7
10
4
2
8.
Arbeitseinsatz
8
8
2
10
9.
Arbeitsmenge
9
12
-
-
10.
Fachkenntnisse
10
4
1
-
11.
Selbstständigkeit
11
1
-
8
12.
Verantwortungsbereitschaft
12
6
10
7
Abb.
3.6:
Verwendung
eigenschaftsorientierter
Leistungsbeurteilungsmerkmale
in
der Praxis 265
Die in der Regel, aus ökonomischen Gründen, allgemein gehaltenen Kriterienformulierungen, obliegen darüber hinaus dem Problem einer mangelnden Trennschärfe. Die generell Beurteilungsverfahren obliegende methodische Forderung nach Merkmalsunabhängigkeit gilt dann als gefährdet, wenn eigentlich als voneinander unabhängig angenommene Dimensionen hoch korrelieren, „(…) mithin nur eine geringe Zahl von Faktoren das gesamte Urteil beeinflussen“266 . Im Zusammenhang mit Korrelationstendenzen wird das Phänomen des Halo-Effektes (Heiligenschein- oder 263
Vgl. F.G. Becker (2003, S. 349). F.G. Becker (2003, S. 346) formuliert freimütig in seinen kritischen Anmerkungen zur Nutzung eigenschaftsorientierter Merkmale, dass Beurteilungsverfahren dazu tendieren, „(…) unter guten, leistungsfähigen Mitarbeitern solche zu verstehen, die fügsam, bequem, bescheiden u.Ä. sind“. 265 Dargestellt in M. Mungenast (1990, S. 44) und in F.G. Becker (2003, S. 313). Erläuterungen zur Übersicht: Rangplatz 1 bis 12 informiert über die Häufigkeit der Nennung der Merkmale: Merkmale auf Platz 1 wurden am häufigsten genannt, demgegenüber sind auf Platz 12 die Kriterien mit der geringsten Anzahl an Nennungen abgebildet. Dass in der Abbildung zweimal Platz 15 als letzter Rangplatz erscheint, liegt daran, dass einzelne Autoren mehr als 12 Merkmale berücksichtigt haben. 266 H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 23). 264
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
75
Hof-Effekt)267 in der Literatur diskutiert: Bereits ein allgemeiner Eindruck des Beurteilers oder ein besonders hervortretendes Kennzeichnen kann dazu führen, die gesamte Beurteilung zu „überstrahlen“ und zu determinieren.268 Diese Problematik verweist sowohl auf die Anfälligkeit von merkmalsorientierten Einstufungsverfahren bezüglich Beurteilungsfehlern als auch auf bestehende methodische Bedenken hinsichtlich Validität und Reliabilität der verwendeten Leistungskriterien. Der vermeintlichen Intention des Verfahrens, der interindividuellen Vergleichbarkeit der Ergebnisse der Beurteilten, wird in der einschlägigen Literatur, insbesondere bei der Verwendung von Eigenschaftsmerkmalen, skeptisch begegnet. Jedoch verweisen beispielsweise einige Autoren, wie Liebel und Oechsler (1992) darauf, dass die metrischen Vorteile dieses Verfahrens in der Nutzung eines intraindividuellen Vergleichs liegen können, „(…) indem man Fortschritte und eventuelle Rückentwicklungen des Mitarbeiters durch Vergleich der aktuellen mit der oder den zurückliegenden Beurteilungen bestimmt und dem Mitarbeiter gesprächsweise verdeutlicht; (…) als Versuch, den Mitarbeitern auf Dauer gerecht zu werden.“269
b) Verhaltensorientierte Einstufungsverfahren Primäres Ziel von verhaltensorientierten Einstufungsverfahren ist es, im Unterschied zu merkmalsorientierten Verfahren, unterscheidbare Leistungsdimensionen für einzelne Arbeitsplätze zu identifizieren.270 Die im Rahmen dieser Verfahren genutzten Skalenstufen basieren auf vorab empirisch-systematisch ermittelter, stellentypischer Verhaltensbeschreibungen, die der Konkretisierung der zu beurteilenden Leistungsdimensionen wie auch der dimensionsbezogenen Leistungsniveaus dienen.271 Folglich werden die Skalenstufen durch Kurzbeschreibungen stellentypischen Verhaltens (und ihrer Güte) definiert. Die in der deutschsprachigen Literatur, wenn auch nur
267
268 269 270 271
Diese Beurteilungstendenz wurde erstmals von R.G. Wells im Jahre 1907 beobachtet (vgl. hierzu C.-F. Graumann 1960, S. 121, W.H. Cooper 1981, S. 218) und von E.L. Thorndike (1920, S. 2529) im Jahre 1920 näher beschrieben und wie folgt definiert: „(…) suffusing ratings of special features with a halo belonging to the individual as a whole…“. Vgl. M. Mungenast (1990, S. 53). H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 149). Vgl. J. Berthel und F.G. Becker (2003, S. 161). Vgl. F. G. Becker (2003, S. 313).
76
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
selten, referierten verhaltensorientierten Beurteilungsskalen sind vor allem die Verhaltenserwartungsskalen (VES) und die Verhaltensbeobachtungsskalen (VBS).272 Die Methodik der Verhaltenserwartungsskala, die von Smith und Kendall (1963) in die Diskussion eingeführt wurde, beruht auf der Idee, dass verschiedene Leistungslevel
in
Beurteilungsskalen
durch
Verhaltensbeispiele
der
Positionsinhaber
„verankert“ werden könnten. 273 Die Verhaltensbeispiele der Beurteilungsskalen beruhen auf einer mehrstufigen Entwicklung und Definition von Leistungsdimensionen, die als Beurteilungskriterien dienen sollen. Generiert werden die Leistungsdifferenzierenden Verhaltensaussagen durch Arbeitsplatzexperten (zukünftige Beurteiler und zu Beurteilende) beispielsweise mittels der Methode der kritischen Ereignisse. Die Aussagen müssen dabei nicht gezeigtes Arbeitsverhalten repräsentieren, sondern geben Auskunft, welche Verhaltensweise je nach Fragestellung bzw. Dimension zu erwarten ist.274 Wie das Beurteilungsformular in Abbildung 3.7 zeigt, sind die Leistungsniveaus bzw. die Skalenanker für jede Leistungsdimension vertikal angeordnet. Die Anker sind entsprechend ihrer Wünschbarkeit aufsteigend angegeben. Der Intention des Verfahrens, eine Standardisierung des Beurteilungsprozesses zur Verbesserung der Vergleichbarkeit verschiedener Beurteilungen zu gewährleisten, wird im Besonderen durch die Formulierung gemeinsamer Bezugssysteme, Kriterien, Verhaltensaussagen und Leistungsdimensionen begegnet.275 Die Partizipation einer Vielzahl am Prozess beteiligter (Arbeitsplatz-)Experten soll eine Reduzierung von Beurteilungsfehlern sowie eine Verbesserung von Beurteilungsgesprächen in Form verhaltensspezifischer Feedbacks276 gewährleisten.
272 273
274 275 276
Vgl. M. Domsch und T.J. Gerpott (1985b, S. 669), H. Brandstätter (1970, S. 685 f.), G. Pillhofer (1982), P. Schettgen (1996, S. 243) sowie B. Markus und H. Schuler (2001, S. 410 ff.). Die Verhaltenserwartungsskala als besondere Form einer Leistungsbeurteilung ist in der englischsprachigen Literatur zunächst unter der Bezeichnung „Behavioral anchored Rating Scales“ ( BARS) und im Zeitablauf dann als „Behavioral Expectation Scale“ (BES) bekannt geworden. Vgl. P.C. Smith und M. Kendall (1963); J.P. Campbell et al. (1973) sowie M. Domsch und T.J. Gerpott (1985a) und F. G. Becker (2003). Vgl. F.G. Becker (2003, S. 314 ff.). Vgl. F.G. Becker (2003, S. 314). Vgl. H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 149).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Leistungsdimension: Führung des Verkaufspersonals Vermittelt dem Verkaufspersonal klare Vorstellungen über dessen Aufgaben und Verantwortungsbereiche; arbeitet taktvoll und freundlich mit Untergebenen zusammen; nimmt effiziente und gerechte Arbeitseinteilung vor und ergänzt formale Trainingsmaßnahmen durch persönliche Anleitung; hält sich laufend informiert über das, was sein Verkaufspersonal tut und hält sich bei Vereinbarungen mit Untergebenen an die Unternehmenspolitik.
Leitet sein Personal durchweg effektiv an und erreicht durch geschickte Motivierung Spitzenleistungen seiner Mitarbeiter
9
8
Man könnte von diesem Abteilungsleiter erwarten, dass er für zwei neue Mitarbeiter ein ganztägiges Verkaufspraktikum durchführt und sie so in die Gruppe der besten Verkaufsmitarbeiter führt. Man könnte von diesem Abteilungsleiter erwarten, dass er seinen Mitarbeitern ein starkes Gefühl des Vertrauens und der Verantwortlichkeit vermittelt, indem er viele wichtige Aufgaben delegiert..
7 Man könnte von diesem Abteilungsleiter erwarten, dass er es nie versäumt, wöchentliche Trainingsveranstaltun-gen mit seinen Mitarbeitern zu festgelegten Terminen durchzuführen und ihnen genau mitzuteilen, was er von ihnen erwartet. 6
Leitet sein Personal überwiegend befriedigend an und fördert und motiviert seine Mitarbeiter so, dass sie ihre Aufgaben zumeist befriedigend bewältigen.
Man könnte von diesem Abteilungsleiter erwarten, dass er sich gegenüber seinen Mitarbeitern höflich und korrekt verhält. 5 Man könnte von diesem Abteilungsleiter erwarten, dass er Verkaufspersonal daran erinnert, auf Kunden zu warten, anstatt sich untereinander zu unterhalten. 4
Man könnte von diesem Abteilungsleiter erwarten, dass er sich vor seinen eigenen Mitarbeitern kritisch über die Qualität des Kaufhauses äußert und so die Entwicklung negativer Einstellungen bei den Mitarbeitern riskiert.
3 Man könnte von diesem Abteilungsleiter erwarten, dass er einen Mitarbeiter auch dann auffordert zur Arbeit zu kommen, wenn dieser angerufen hat, um mitzuteilen, dass er krank sei. 2
Verhält sich gegenüber seinem Personal so, dass dessen Leistungsbereitschaft und -fähigkeit durch ihn eher verschlechtert wird.
1
Man könnte von diesem Abteilungsleiter erwarten, dass er die einem Mitarbeiter gemachte Zusage, dass dieser in seine frühere Abteilung zurückkehren könne, wenn es ihm in der neuen Abteilung nicht gefällt, nicht einhält. Man könnte von diesem Abteilungsleiter erwarten, dass er einem Mitarbeiter eine umsatzorientierte Gehaltsfestsetzung verspricht, obwohl er weiß, dass ein solches Verfahren gegen die Unternehmenspolitik verstößt.
Bitte geben Sie von Ihnen tatsächlich beobachtete Verhaltensbeispiele an und stufen Sie diese unter Zugrundelegung der obigen Skala ein. ___________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________________
Abb. 3.7: Beispiel einer Verhaltenserwartungsskala277
277
Entnommen aus M. Domsch und T.J. Gerpott (1985b, S. 671).
77
78
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Im Gegensatz zu den Verhaltenserwartungsskalen basieren die Verhaltensbeobachtungsskalen278 auf tatsächlich beobachtbarem Verhalten und fordern von den Beurteilern nicht, von ihren allgemeinen Eindrücken auf vorgegebene Verhaltensitems zu schließen.279 Die leistungsdifferenzierenden Verhaltensaussagen werden analog zu der Methodik der Verhaltenserwartungsskalen generiert und von den Beurteilern auf einer fünf-stufigen Likert-Skala (0-4) bewertet: Für jedes Verhaltensitem wird angegeben, wie oft dieses Verhalten von „fast nie“ bis „fast immer“ gezeigt wird. Abbildung 3.8 zeigt ein Beispiel.
Beispiel eines BOS-Kriteriums, oder Leistungs-Dimension, für bewertende Führungskräfte I.
Beseitigung von Widerstand gegenüber Veränderungen* (1)
Beschreibt den Untergebenen die Einzelheiten der Veränderung Fast nie
(2)
5
Fast immer
1
2
3
4
5
Fast immer
1
2
3
4
5
Fast immer
1
2
3
4
5
Fast immer
Bittet die Mitarbeiter um Mithilfe, die Veränderung zum Laufen zu bringen Fast nie
(6)
4
Hört die Bedenken der Mitarbeiter an Fast nie
(5)
3
Erläutert, wie die Veränderung die Mitarbeiter betreffen wird Fast nie
(4)
2
Erklärt, warum die Veränderungen notwendig ist Fast nie
(3)
1
1
2
3
4
5
Fast immer
Setzt, falls erforderlich, einen Termin für eine Nachfolge-Besprechung an, in der auf die Bedenken der Mitarbeiter eingegangen wird Fast nie
1
2
3
4
5
Fast immer
Summe = ____________________ Nicht ausreichend
Ausreichend
Ordentlich
Ausgezeichnet
Hervorragend
6-10
11-15
16-20
21-25
26-30
* Punkte werden durch die Leitungsebene festgelegt
Abb. 3.8: Beispiel einer Verhaltensbeobachtungsskala 280
Die in der Literatur beschriebene Vorteilhaftigkeit dieser standardisierten, arbeitsanalytischen Skalierungsverfahren besteht in der angestrebten verbesserten Vergleichbarkeit von verschiedenen Beurteilungen, aber auch vor allem in der Konzen-
278
Zur Entwicklung der Verhaltensbeobachtungskalen „Behavioral Observation Scales“ (BOS) siehe C.P. Latham und K.N. Wexley (1977) 279 Vgl. F. G. Becker 2003, S. 320. 280 Quelle: G.P. Latham und K.N. Wexley (1994, S. 85). Diskutiert in F.G. Becker (2003, S. 321).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
79
tration auf das Leistungsverhalten.281 Positiv werden diejenigen Skalierungsverfahren beurteilt, die über eine Verhaltensbeschreibung bei einzelnen Ausprägungen verfügen. Sie sind damit den Skalen mit numerischen oder adverbialen Ausprägungen überlegen. 282 Jedoch steht die Intention der interindividuellen Vergleichbarkeit zumindest dann zur Diskussion wenn zur Generierung der Verhaltensbeispiele die Methode der kritischen Ereignisse eingesetzt wird.283 Das Dilemma besteht dann darin, dass nicht das tägliche Routineverhalten, sondern eher solche Aspekte der Arbeitsleistung beurteilt werden, die den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg darstellen. Was zur Folge haben kann, dass im Extremfall die Verhaltensitems eines Beurteilungsformulars nicht prinzipiell auf alle Mitarbeiter zutreffen und vergleichbar sind. Gerade die mittelmäßigen Mitarbeiter haben kaum die Chance solche Verhaltensweisen zu zeigen. Ausgrenzend wirkt sich ferner auch die durchaus positive Konsensmethodik bei Verfahren mittels Verhaltenserwartungsskalen auf die Aussagekraft der Ergebnisse aus. Diese Problematik aufgreifend wird beispielsweise in der Literatur die Eindimensionalität der Beurteilungskriterien diskutiert, da dieses Vorgehen zum Ausschluss alternativer, aber ebenso effektiver Verhaltensweisen führen kann.284 Grundsätzlich stellen die verhaltensorientierte Einstufungsverfahren sehr hohe Anforderungen an das Beobachtungsund Differenzierungsvermögen der Beurteiler. So zeigen sich in der Praxis speziell bei diesen Methoden eine Reihe problematischer Urteilsverzerrungen, wie beispielsweise der Halo-Effekt oder die geringe Streubreite der Urteile285 : Denn „(…) diese Fehler werden, je höher der Formalisierungsgrad steigt, umso deutlicher sichtbar und den Beurteilern nachweisbar.“286 In Bezug auf die Verwendung von Verhaltensbeobachtungsskalen ist kritisch anzumerken, dass die angenommene Interdependenz zwischen der Häufigkeit des Auftretens eines Verhaltens und der Verhaltenswirksamkeit hinsichtlich der gezeigten Leistung als linearer Zusammenhang empirisch nicht gesichert ist.287 Auch gibt es keinen Nachweis der eindeutigen Vorteilhaftigkeit bezüglich der psychometrischen
281 282 283 284 285 286 287
Vgl. F. G. Becker (2003, S. 353). Vgl. G. Lueger (1992, S. 45). Vgl. F.G. Becker (2003, S. 354). Vgl. F.G. Becker (2003, S. 352 f.). Vgl. H. Steinmann und G. Schreyögg (2000, S. 698). H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 149). Vgl. F.G. Becker (2003, S. 358).
80
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Eigenschaften und der Benutzerakzeptanz bei verhaltensorientierten Benutzerskalen.288 Der bei diesen Verfahren extrem hohe Aufwand bei der Konstruktion der Beurteilungsbögen ist zu betonen. Zwar stellen Beurteilungsformulare und deren Entwicklung einen gewichtigen Teil von Beurteilungsverfahren dar, darüber hinaus spielen aber vor allem der jeweilige Zweck der Beurteilung sowie die Charakteristika der Beurteiler und Beurteilten sowie andere Effekte289 , wie beispielsweise die wahrgenommene
Verteilungsgerechtigkeit,
Verfahrensgerechtigkeit
und
Interakti-
onsgerechtigkeit eine determinierende Rolle im Prozess von Leistungsbeurteilungen.290
Aufgabenorientierte Verfahren Bei diesem Verfahrenstyp basiert die Leistungsbeurteilung auf Stellenbeschreibungen oder expliziten Arbeitsanalysen.291 Ausgehend von den in einer bestimmten Leistungsperiode von Mitabeitern zu erfüllenden positionsspezifischen Aufgaben, wird anschließend das Ausmaß der individuellen Erfüllung der Arbeitsanforderungen ermittelt.292 Mit diesem Vorgehen wird auf die Kritik an der Verwendung pauschaler Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale reagiert, indem die jeweiligen Hauptaufgaben der Mitarbeiter ausschließlich zum Beurteilungsgegenstand gemacht werden.293 Es wird bewusst auf eine interindividuelle Vergleichbarkeit der Leistungen verzichtet. Stattdessen wird das Verstehen des Zustandekommens einer individuellen Leistung, das subjektive Beurteilen, als „ethische Wertbezogenheit des Verstehens“ zum wesentlichen Prinzip erhoben. 294 Als explizites aufgabenorientiertes Verfahren wird in der Literatur das Konzept der ganzheitlichen Qualifikation (GQM) von Capol295 angeführt. Der Verlauf des Verfahrens lässt sich wie folgt skizzieren:296
288 289 290 291 292 293 294 295 296
Vgl. beispielsweise H.J. Bernardin und R.W. Beatty (1984, S. 219). Vgl. dazu F.J. Landy und J.L. Farr (1983, S. 93 ff.) sowie M. Domsch und T.J. Gerpott (1985a, S. 26 ff.). Vgl. D. Holtmann, W. Matiaske und I. Weller (2002). Vgl. F.G. Becker (2003, S. 323 ff.) und S.D. Seitz (1997). Vgl. P. Schettgen (1996, S. 244). Vgl. P. Schettgen (1996, S. 244). Vgl. J. Berthel und F.G. Becker (2003, S. 163). Vgl. M. Capol (1965, S. 90 ff.). Vgl. im Folgenden P. Schettgen (1996, S. 247 f.) sowie J. Berthel und F.G. Becker (2003, S. 163 ff.).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
81
Nach einer gemeinsamen Differenzierung (Beurteiler und zu Beurteilender) und schriftlichen Festlegung konkreter und wesentlicher Aufgabenstellungen des spezifischen Positionsinhabers, erfolgt die Beurteilung anhand des erstellten Tätigkeitskatalogs mit Hilfe einer vierstufigen Beurteilungsskala (ausgezeichnet, gut, befriedigend, unbefriedigend)297 . Ferner wird eine Beschreibung des Sozialverhaltens vorgenommen. Begründungen bzw. Beobachtungen zum Erfüllungsgrad der geforderten Leistung sind verbal darzulegen. In einem weiteren Schritt wird der Frage nach den jeweiligen Ursachen der beschriebenen Verhaltensweisen nachgegangen. Diese Vorgehensweise soll die Möglichkeit schaffen, sowohl individuelle Qualifikationen und externe Leistungsbedingungen als Ursachen mit in die Begründung einzubeziehen, wie auch Vorschläge einzuleitender Verbesserungsmaßnahmen wie z.B. Förderung, Qualifizierung, Arbeitsplatzveränderungen und die Vergabe von Leistungszulagen298 zu thematisieren. Diese Art aufgabenorientierter Beurteilungsverfahren stellen sowohl in der betrieblichen Anwendung wie auch in der wissenschaftlichen Literatur eine Ausnahme dar.299 Kritisch anzumerken ist nicht nur der anfallende hohe Entwicklungsaufwand, sondern vor allem, dass mangels interindividueller Vergleichbarkeit der Ergebnisse subjektive Einflüsse300 zur Lohndifferenzierung herangezogen werden. Zudem lässt die induktive Vorgehensweise des Verfahrens, die Generierung der Beurteilungskri-
297
Die Einstufungen dienen nicht statistischen Auswertungen; sie dienen ausschließlich als methodisches Hilfsmittel für die Beurteiler (vgl. J. Berthel und F. G. Becker 2003, S. 164). 298 Nach M. Capol (1965, S. 146) bestimmt sich die Höhe der Leistungszulage dabei aus der Einstufung, der zu berücksichtigenden Situationsbedingungen und dem abschließenden gemeinsam getragenem Urteil. Das Kriterium der Tauglichkeit dieses Verfahrens als Instrument zur Bestimmung des Leistungsanteils der Vergütung liegt dabei in der Ermessensübereinkunft der Beteiligten. Der Aspekt der Ermessensübereinkunft spiegelt nach Ansicht der Autorin der vorliegenden Arbeit auch die Problematik dieses Verfahrens in Bezug auf die in dieser Arbeit diskutierten Ge rechtigkeitsaspekte (siehe Abschnitt 3.1.3 und 4.3.2 dieser Arbeit) wider. Vielleicht vermag diese Art von Beurteilung in kleineren Organisationseinheiten mit einer überschaubaren Mitarbeiteranzahl noch eine gewisse Verteilungsgerechtigkeit zu gewährleisten, aber die situationsspezifische interaktive Diskussion – gar Aushandlung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter – wird in größeren Organisationen nicht dienlich sein „objektive“ Verteilungsgerechtigkeit über alle Mitarbeiter zu gewährleisten. In Folge steht die Verfahrensgerechtigkeit zur Diskussion, die durch die ggf. Verletzung von Ausschluss von Parteilichkeit und der Repräsentativität der Ergebnisse aller Betroffenen nicht mehr gegeben scheint. 299 Vgl. F.G. Becker (2003, S. 323). 300 Insbesondere durch die Erfassung des Sozialverhaltens läuft das Verfahren Gefahr, wider seines ursprünglichen Ansatzes, vor allem Eigenschaften zu bewerten (vgl. F.G. Becker 2003, S. 361).
82
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
terien durch Aufgabenbeschreibungen offen, welche (aktuellen und zukünftigen) Erwartungen an die Beurteilten gestellt werden.301
Zielorientierte Verfahren Als weitere Alternative zu den in der Praxis dominierenden merkmalsorientierten Einstufungsverfahren wird zunehmend die Beurteilung von Mitarbeitern anhand von Zielen diskutiert.302 „Beurteilungsobjekt dieser Verfahren sind der Zielerreichungsgrad einer Abteilung, einer Mitarbeitergruppe beziehungsweise eines einzelnen Mitarbeiters und die Ursachen der Zielabweichung (Abweichungsanalyse).“303 Die Ausrichtung auf das Erreichen von Zielen, die sich überwiegend an den Zielen der Unternehmung orientieren, stehen im engen Zusammenhang mit der Konzeption eines Managements by Objectives (MbO)304 . Die Struktur zielorientierter Leistungsbeurteilungsverfahren stellt Abbildung 3.9 dar:
301
F.G. Becker (2003, S. 362 f.) betont in seiner Würdigung des Verfahrens dennoch, dass dieses das bislang einzige sei, das als Führungsmittel prinzipiell geeignet sei. Er argumentiert dies unter Anführung des individuellen, arbeitsplatzs pezifischen Bezugs und der relativ genauen Dokumentation der Beurteilung, die problembezogene Maßnahmen aufgabenbezogen aufgreifen. Den in diesem Verfahren diskutierten Kritikpunkten, stellt er einen Verbesserungsvorschlag eines von ihm weiter entwickelten aufgabenorientierten Verfahrens gegenüber (vgl. F.G. Becker 2003, S. 324 ff.). 302 Stellvertretend für die Auseinandersetzung mit den Wirkungsweisen zielorientierter Leistungsbeurteilungsverfahren in der deutschsprachigen privaten und öffentlichen Beurteilungspraxis stehen beispielsweise V. Kill (1972, S. 145-173); E. Gaugler et al. (1981, S. 39-68) und C. Lattmann (1982, S. 221-237). Ein Verweis auf Studien bezüglich der zunehmenden Bedeutung und Einsatzes des Instrumentariums in den USA finden sich bei M. Mungenast (1990, S. 181 ff.). Interessant ist die Propagierung des zielorientierten Verfahrens des öffentlichen Dienstes der USA – so sah die Equal Employment Opportunity Comission (EEOC) in diesem Verfahren die Möglichkeit des Schutzes z.B. ethnischer Minderheiten durch das Hervorheben ergebnisbezogener Komponenten im Gegensatz zu personenbezogenen. Vgl. M. Mungenast (1990, S. 187) unter Verweis auf G. Pillhoffer (1982, S. 308-312), V.L. Huber (1983, S. 258-265) sowie F.J. Landy und J.L Farr (1983, S. 207-209). 303 E. Gaugler (1990, S. 98). 304 In der Literatur erstmals von P.F. Drucker (1954) als einheitliches Führungskonzept zusammengefasst. Für weiterführende Arbeiten siehe stellvertretend beispielsweise D. McGregor (1957) und G.S. Odiorne (1965).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
83
Vereinbarung der Ziele Goal-Setting Phase
Erstellung konkreter Durchführungspläne Festlegung des Leistungsniveaus Ergebnisfestst. (IST) und Ermittlung des Grades der Zielerreichung (SOLL-IST)
PerformanceReview Phase
Abweichungsanalyse Folgemaßnahmen
Abb. 3.9: Struktur einer zielorientierten Leistungsbeurteilung305
Die in der Literatur beschriebene Vorteilhaftigkeit des Verfahrens liegt vornehmlich in der ganzheitlichen ergebnisorientierten Leistungsbeurteilung, die eine einseitige
Betonung
einzelner
Leistungskomponenten
vermeidet.306
Zielorientierte
Verfahren sind i.d.R. nur für Führungspositionen anwendbar, da nur dort mit explizit eigenständigen Ziel- und Verantwortungsbereichen gearbeitet wird.307 Aus diesem Grunde soll an dieser Stelle nur ein Gedankenstrich als einer der vielen zu diskutierenden Punkte notiert werden, der im übertragenden Sinne für den Forschungsblickwinkel der vorliegenden Arbeit steht: Die Setzung individueller Leistungsziele und die Zurückführung von Leistungsergebnissen auf das Individuum wird den jeweiligen Abhängigkeiten von Organisationseinheiten untereinander und den Mitarbeitern in einem Organisationsbereich nicht gerecht308 und kann den ursprünglichen Intentionen zur Einführung von Leistungsbeurteilungen zuwider laufen. Die im vorangegangenen Abschnitt skizzierten Verfahren unterscheiden sich in der ihnen vorgegebenen Methodik. Zur Folge leisten die vorgestellten Verfahren bezüglich der Erfüllung der in diesem Kapitel vorgestellten Funktionen betrieblicher 305
Entnommen aus M. Mungenast (1990, S. 189). Siehe stellvertretend hierfür E. Gaugler (1990, S. 98). 307 Vgl. F.G. Becker (2003, S. 366). Das im Zuge der Einführung von leistungsorientierten Entgelten im öffentlichen Dienst favorisierte Instrumentarium der Zielvereinbarung wird beispielsweise durch W.A. Oechsler (2007) vor allem in Verbindung mit der Methode der kritischen Ereignisse sowohl für das obere, mittlere und untere „Management“ vorgeschlagen. Eine Differenzierung in erfolgskritische Ziele, erfolgskritische Resultate und erfolgskritische Tätigkeiten je nach Hierarchie setzen, so W.A. Oechsler (2007, S. 211 ff.), unmittelbar an den Leistungsprozessen an, könne sowohl quantitativ wie qualitativ operationalisiert werden und ließe so valide Auswirkungen erwarten. 308 Siehe hierzu beispielsweise W.L. French und R.W. Hollmann (1975, S. 13 ff.) sowie allgemein H. Levinson (1970, 1976). 306
84
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Leistungsbeurteilung auch unterschiedliche Beiträge. Die nachfolgende Abbildung 3.10 informiert zusammenfassend über die in der personalwirtschaftlichen Literatur diskutierten Vorteile und Nachteile der Verfahren. Ebenfalls erfolgt eine Einschätzung der Verfahren hinsichtlich ihrer führungspolitischen Eignung als Orientierungsfunktion und Motivationssteuerung sowie ihrer personalwirtschaftlichen Eignung als Grundlage variabler Leistungsvergütung.
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Freie Beurteilung Charakteristika
Summarisches Beurteilungsverfahren
Vorgehen
· ·
Vorteile
Nachteile
Rangordnungsverfahren
Summarische u. analytische Beurteilungsverfahren a) Aufstellung einer Rang(Unstrukturierte) Ein ordnung: drucksschilderung – analytische Rangi.d.R. ohne Vorgabe von reihenmethode Beurteilungsmerkmalen – summarische Rangfolgemethode b) Summarisch oder analytisch durchgeführter Paarvergleich c) Verfahren der erzwungenen Verteilung
·
Die Verantwortlichkeit der Beurteilung kann nicht auf anonyme Stabsstellen delegiert werden
·
Ergänzend einsetzbar zu stärker formalisierten Verfahren
·
Auswahl der Beurteilungskriterien lie gen im Ermessen des Beurteilers
·
(Zumeist) Persönlichkeits bewertung
·
Hohe Anforderungen an die Beurteiler
·
·
85
Kennzeichnungsverfahren Analytische Beurteilungsverfahren a) Checklistverfahren b) Zwangswahlverfahren c) Methode der kritischen Ereignisse
a) Konkret formulierte Verhaltensbeschreibungen (Erinnerungshilfe) b) Unterdrückung unerwünschter Beurteilungstendenzen c) Operationalisierte „Versagensursachen“ und „Erfolgsgründe“ a) „Fixierung auf das Die Beurteilungen basieErwünschte“ ren im Allg. auf nur einem, nicht ausreichend b) Mangelnde Transparenz des Verfahrens für die operationalisiertem Beurteiler Leistungskriterium c) Ausschließliche Erfas Die Verwendung von sung von „VerhaltensOrdinalskalen geben besonderheiten“ keine Auskunft über den Unterschied zwischen zwei Rangplätzen
·
Führungspolitische Funktion
Personalwirtschaftliche Funktion
Rangordnungsverfahren gewähren keine solide Vergleichbarkeit von Rangreihen zweier oder mehrerer Arbeitsgruppen Als Informationsgrundlage Durch die verfahrensa) Bedingt für Beurt eilzur individuelle Förderung immanenten Interdepenungsgespräche dienlich und Vereinbarung von denzen zwischen den Er- b) Ergebnisse gelten als Leistungserwartungen gebnissen der einzelnen schwer kommunizierbar geeignet Mitarbeiter, werden dysund damit nicht förderfunktionale Auswirkungen lich zur Beratung und auf führungspolitische Motivierung der MitarZielsetzungen erwartet beiter c) Solide Fundierung zur Führung von Beurteilungsgesprächen Ungeeignet, da ke ine inter- Als Informationsgrundlage Ungeeignet für den interpersonellen Vergleiche von geringem Wert individuellen Leistungsvermöglich sind gleich
Abb. 3.10: Grenzen und Möglichkeiten betrieblicher Leistungsbeurteilungsverfahren309 (Teil 1)
309
Eigene Darstellung.
86
Charakteristika Vorgehen
Vorteile
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Einstufungsverfahren
Aufgabenorientierte Verfahren
Zielorientierte Verfahren
Analytische Beurteilungsverfahren a) Merkmalsorientierte Einstufungsverfahren b)Verhaltensorientierte Einstufungsverfahren a)
Analytische Beurteilungsverfahren Basieren auf Stellenausschreibung oder expliziten Arbeitsanalysen
Analytische Beurteilungsverfahren Ausrichtung der Beurteilung auf das Erreichen vereinbarter Ziele
·
Ermitteln der individuellen Erfüllung der Arbeitsanforderungen
·
Ganzheitliche, ergebnisorientierte Beurteilung der Leistung
·
Basis zur Thematisie rung mitarbeiterbezogener Verbesserungsmaßnahmen der Förderung, Qualifikation und organisatorischer Arbeits platzveränderungen
·
Individuelle Zielsetzungen
·
Verzicht auf interindividuellen Vergleichbarkeit der Leistung
·
I.d.R. nur für Führungspositionen anwendbar
·
·
Vorgesetzten zentriertes Verfahren
Vernachlässigung qualitativer Zieloperationalisie rungen
·
Hoher Entwicklungsaufwand und starke zeitliche Belastung für den Vorgesetzten
·
Schwierige Zurechenbarkeit der Ergebnisse zu den Zielen
·
Subjektive Beurteilung qualitativer Ergebnisse
·
Hoher Zeitaufwand
·
·
„Ziel der „objektivierbaren“ Vergleichbarkeit der Beurteilungsergebnisse von Mit arbeitern (einheitliches Kriteriensystem)“ Möglichkeit zum intra individuellen Vergleich
b)
Nachteile
·
Identifizierung unterscheidbarer Leistungsdimensionen für einzelne Arbeitsplätze
·
Partizipation von Arbeitsplatzexperten bei der Generierung von Verhaltensaussagen
a)
·
·
·
Verwendung von Persönlichkeitsmerkmalen; es wird ein kausaler Zusammenhang zwischen Eigenschaften und Leis tung unterstellt Trennschärfenproblema tik der von einander unabhängig angenommenen Dimensionen Anfälligkeit für Beurteilungsfehler (insbesondere Phänomen des Halo-Effektes)
b)
·
Nutzung der Methode der kritischen Ereignisse bei der Generierung der Verhaltensaussagen
·
(Extrem) hohe Anforderung an die Beurteiler
·
(Extrem) hoher Aufwand bei der Konstruktion der Beurteilungsbögen
Abb. 3.10: Grenzen und Möglichkeiten betrieblicher Leistungsbeurteilungsverfahren (Teil 2a)
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Führungspolitische Funktion
Personalwirtschaftliche Funktion
87
Einstufungsverfahren
Aufgabenorientierte Verfahren
Zielorientierte Verfahren
Die metrischen Vorteile dieser Verfahren lassen sich zum intraindividuellen Vergleich bei der individuelle n Beratung und Förderung von Mitarbeitern nutzen. Insbesondere die Ergebnis se verhaltensorientierten Beurteilungen können für die solide Vorbereitung von Mitarbeitergesprächen dienen. Hingegen gelten auf Eigenschaftsausprägungen basierende Beurteilungen zur Führung konstruktiver Feedbackgespräche wenig geeignet. Die interindividuelle Vergleichbarkeit der Beurteilungen zur Entgeltgestaltung wird aufgrund der in der empirischen Forschung nachgewiesenen Urteils tendenzen und methodischen Mängeln hinsichtlich Validität und Reliabilität kritisch diskutiert.
Solide Informationsgrundlage zur Führung von Mit arbeitergesprächen und individuell einzuleitenden Verbesserungsmaßnahmen.
Durch die im Vorfeld explizit kommunizierten Erwartungen (Beurteilungskriterien) wird das Verfahren der Beurteilung zum Teil des Führungsprozesses und kann füh rungspolitische Funktionen unterstützen.
Eine interindividuelle Vergleichbarkeit der Leistung zur Entgelt gestaltung (Vergabe v on Leistungszulagen) wird nicht gewährleistet.
Die Verfahren ermöglichen eine administrative einfa che Berechnung von variablen Entgelten, die gewonnenen Beurteilungsergebnisse sind aber nicht direkt inhaltlich interindividuell vergleichbar.
Abb. 3.10: Grenzen und Möglichkeiten betrieblicher Leistungsbeurteilungsverfahren (Teil 2b)
3.3 Anforderungen an Leistungsbeurteilungssysteme Verfahren der Leistungsbeurteilung werden in der personalwirtschaftlichen Literatur nicht nur hinsichtlich ihrer instrumentellen Möglichkeiten, ihrer Grenzen der Repräsentation individueller Leistungen und ihrer führungspolitischen und personalwirtschaftlichen Funktion diskutiert. Darüber hinaus werden die Verfahren auch mit einem Kanon von methodischen, personellen und organisationsstrukturellen Anforderungen konfrontiert. Die in der Literatur beschriebenen heterogenen Anforderungskataloge, denen Leistungsbeurteilungsverfahren genügen sollen, beanspruchen Gültigkeit für alle Verfahren. Jedoch, „(…) besteht bis heute keine einheitliche Auffassung (abgesehen von der klassischen Testtheorie) über die Zusammenstellung und den Inhalt von Gütekriterien.“310
310
M. Mungenast (1990, S. 11).
88
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Eine zweiteilige Klassifizierung allgemeingültiger (z.B. Objektivität, Praktikabilität, Akzeptanz, Schutz der Persönlichkeitsrechte) und zweckspezifischer (z.B. Verwertbarkeit) Anforderungen an Beurteilungssysteme überwiegen in der Diskussion.311 Alternativ erfolgt eine Unterscheidung bezüglich der Wirksamkeit von Beurteilungssystemen anhand von Funktionsvoraussetzungen. So bestimmt beispielsweise Boerger (1982) die Wirksamkeit von Beurteilungssystemen anhand von:
-
methodischen Voraussetzungen (z.B. Einheitlichkeit),
-
funktionalen Voraussetzungen (z.B. Vorhandensein von Stellenanforderungen),
-
personellen Voraussetzungen (z.B. Akzeptanz des Verfahrens bei den Beteiligten) und
-
situativen Voraussetzungen (z.B. Angemessenheit der Organisationsstruktur, Angemessenheit der Führungsphilosophie, Bereitstellung von Kapazitäten und Mitteln).312
Ebenfalls bietet Neuberger (1980) einen nicht auf quantitative Ausführungen beruhenden Anforderungskatalog an. Er hebt dabei differenzierende Kriterien wie Integrationsfähigkeit in bestehende personalwirtschaftliche Instrumente, vorhandene Infrastruktur,
Wahrnehmung
der
Persönlichkeitsrechte,
Beteiligung,
Akzeptanz,
Transparenz und Wirtschaftlichkeit, systematische Einführung, Begründung des Verfahrens, methodische Fundierung sowie Art der Urteilseröffnung hervor.313 Mit diesem Ausschnitt unterschiedlicher Anforderungen an Leistungsbeurteilungsverfahren aus der deutschsprachigen Literatur ist eine Vielzahl wichtiger Voraussetzungen für die Durchführung und für das Gelingen von Leistungsbeurteilungen benannt. Im Fortgang dieser Arbeit werden in der Systematisierung methodischer und
organisationstheoretischer
Anforderungen
die
messtheoretische
Problematik
„solider“ Information sowie substanzielle Erfordernisse von Fairness und Kommunikation als notwendige Faktoren im Implementierungsprozess angesprochen. Auf die für Leistungsbeurteilungen durchaus wichtigen methodischen Aspekte psychologi-
311
Vgl. Gaugler et al. (1978, S. 76-79). Ähnlich argumentiert K.G. Lessmann (1980, S. 102-125). Vgl. M. Boerger (1982, S. 277). 313 Vgl. O. Neuberger (1980, S. 31) 312
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
89
scher Grundlagen und Fehlerquellen314 bei der Beurteilung von Menschen wird im Weiteren nicht detaillierter eingegangen.
3.3.1
Messtheoretische Anforderungen: Solide Informationen
Aus methodischer Sicht handelt es sich bei Leistungsbeurteilungen um Messungen des zeitpunkt- oder zeitraumbezogenen Leistungsverhaltens von Mitarbeitern. In Anlehnung an die Kriterien der klassischen Testtheorie sind an derartige Messungen bestimmte Anforderungen zu stellen. In der Sprache der Testtheorie lauten diese Forderungen Objektivität, Reliabilität (Verlässlichkeit) und Validität (Gültigkeit).315 Die Kriterien stehen in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, d.h. das vorhergehende Kriterium ist jeweils notwendige Bedingung des nachfolgenden. Die Erfüllung dieser Kriterien ist dieser Auffassung folgend eine Voraussetzung, um die Anforderungen an Leistungsbeurteilungen wie Vergleichbarkeit, Differenzierungsvermögen und Aussagegehalt zu erfüllen:316 Im Zusammenhang mit Leistungsbeurteilungen bedeutet das Kriterium der Objektivität, dass die Beurteiler keinen Einfluss auf den Prozess und auf die Ergebnisse ihrer Beurteilungen nehmen. In der Praxis der Leistungsbeurteilung soll Objektivität gewährleistet werden, indem weniger auf freie Meinungsäußerungen als vielmehr auf definierte und standardisierte Beurteilungskriterien und -maßstäbe zurückgegriffen wird. Die Beurteiler antworten demnach auf definierte Leistungsaspekte (z.B. Arbeitstempo) mit vorgegebenen Antwortkategorien (z.B. langsam oder schnell). Die Erfüllung dieses Minimalkriteriums einer instrumentell gebundenen Beurteilung verhindert jedoch weder – mehr oder weniger bewusste – Beurteilungsfehler noch strategisches Verhalten von beurteilenden Vorgesetzten oder von zu beurteilenden Mitarbeitern. Die Personalforschung stellt daher mit der Bedingung nach Reliabilität bzw. Verlässlichkeit eine weitere Forderung. Der Begriff der Verlässlichkeit bezieht sich darauf, dass bei mehrfachem Einsatz eines Beurteilungsinstrumentes möglichst gleiche Ergebnisse erzielt werden (Retest-Verlässlichkeit). Die Verlässigkeit eines
314
Zur Problematik psychologischer Grundlagen von Beurteilungen siehe beispielsweise H.J. Liebel und W.A. Oechsler (1992, S. 105 ff.) und F.G. Becker (2003, S. 221 ff.). 315 Vgl. W. Nienhüser und C. Krins (2005, S. 28 ff.). 316 Vgl. zum Folgenden D. Holtmann, W. Matiaske und I. Weller (2001 und 2002).
90
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Messinstrumentes ließe sich praktisch prüfen, indem mehrere Messungen desselben Gegenstandes miteinander auf Übereinstimmung verglichen würden. Da sich aber die zu beurteilenden Leistungen im Zeitverlauf ändern, lässt der Vergleich von Messungen zu verschiedenen Zeitpunkten keinen Schluss auf die Verlässlichkeit des Messinstrumentes zu.317 Die mehrfache Messung zur Bestimmung der Verlässlichkeit müsste zur gleichen Zeit erfolgen. Dieses methodische Problem lässt sich praktisch durch zwei Maßnahmen lösen: Die erste besteht darin, dass mehrere Beurteiler zu einem Zeitpunkt mit dem gleichen Instrumentarium beurteilen. Kommen die Beurteiler zu ähnlichen Ergebnissen, spricht dies für die Verlässlichkeit des Instruments im Sinne einer Inter-Rater-Reliabilität. Beim zweiten Ansatz zur Prüfung zeitpunktbezogener Verlässlichkeit werden verschiedene Messungen des gleichen Sachverhalts vorgenommen und miteinander verglichen. Bei Verwendung analytischer Beurteilungsverfahren, die dadurch charakterisiert sind, dass sie mehrere verschiedene Aspekte des Leistungsverhaltens messen, werden deshalb typischerweise mehrere Fragen zu ein und demselben Gesichtspunkt gestellt. Ist beispielsweise „Hilfsbereitschaft gegenüber Kollegen“ ein Aspekt der Beurteilung, so sollten die Einschätzungen zu Fragen nach der „Bereitschaft für einen Kollegen einzuspringen“ oder „ein offenes Ohr für die (arbeitsbezogenen) Probleme von Kollegen zu haben“ ähnliche Resultate erbringen. Ist dies der Fall ist die interne Konsistenz des Instrumentariums gegeben. Das praktisch am schwierigsten zu prüfende Güterkriterium ist das der Validität bzw. Gültigkeit. Die Fragestellung lautet nun nicht mehr nur, ob durch die Messungen mit einem bestimmten Instrument ähnliche Resultate erzielt werden, sondern inwieweit auch das gemessen wird, was gemessen werden soll. Bildet beispielsweise das in Frage stehende Beurteilungsinstrument tatsächlich „Hilfsbereitschaft gegenüber Kollegen“ ab oder erfasst es nur den Aspekt der „Hilfsbereitschaft gegenüber befreundeten Kollegen“? Derartige Verzerrungen lassen sich u.a. feststellen, indem die Ergebnisse zweier verschiedenartiger Messverfahren zum gleichen Gegenstand miteinander verglichen werden – beispielsweise mündliche und schriftliche Prüfungsergebnisse im schulischen Test. Diese Verfahrensweise bezeichnet die Literatur als Kriterienvalidierung. Die Gültigkeit der Erfassung von Hilfsbereitschaft im Kollegenkreis ließe sich anhand zusätzlicher Beobachtungen zur Beziehungsqualität prü-
317
Vgl. D. Holtmann, W. Matiaske und I. Weller (2002, S. 4).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
91
fen. Vielfach stehen solche Kontrollinstrumente, so genannte Außenkriterien, aber nicht zur Verfügung. In diesen Fällen fordert die Testtheorie, dass sich die Fragegruppen statistisch voneinander trennen lassen. Anders formuliert sollten beim Vergleich der Ergebnisse über viele Beurteiler und Beurteilte nur geringe Ähnlichkeiten zwischen den Ergebnissen der unterschiedlichen Fragegruppen festzustellen sein. Diese Vorgehensweise wird als Konstruktvalidierung bezeichnet. Anzumerken ist, dass die Verwendung dieser Gütekriterien bei betrieblich eingesetzten Beurteilungsverfahren gelegentlich kritisch betrachtet oder gar als überflüssig angesehen wird. So weist beispielsweise Mungenast (1990) hinsichtlich der Kriterien Objektivität, Reliabilität und Validität darauf hin, „(…) dass es sich hierbei in erster Linie um Maße handelt, denen wissenschaftliche Tests zu genügen haben. Die bei Experimenten zu erreichenden Formalisierungs- und Standardisierungsbedingungen (z.B. Willkürlichkeit, Wiederholbarkeit, Variierbarkeit) bestehen in der betrieblichen Beurteilungsrealität weitgehend nicht.“318 Aber auch wenn die Bedingungen zur Entwicklung guter Messinstrumente in der betrieblichen Beurteilungsrealität schwieriger sind als in wissenschaftlichen Experimentalsituationen, bedeutet dies nicht, dass auf die Anwendung der Gütekriterien als Leitlinien der Konstruktion verzichtet werden kann: Zu weit reichend sind die mit Leistungsbeurteilungen einhergehenden personellen Entscheidungen und Folgen. Auch aus Mitarbeitersicht gilt hervorzuheben, dass Entscheidungen über die Vergabe einer Leistungszulage oder ihrer Karriere auf Grundlage unzuverlässiger Leistungsbeurteilungen weder als wünschenswert noch akzeptabel gelten. Entsprechend sollten Beurteilungssysteme auch an den Maßstäben der Objektivität, Zuverlässigkeit und Gültigkeit ausgerichtet sein.
3.3.2
Substantielle Anforderungen: Fairness und Kommunikation
Die Entwicklung von Beurteilungssystemen unter Berücksichtigung der testtheoretischen Gütekriterien dient der Vermeidung oder zumindest der Reduzierung von Beurteilungsfehlern. Die Erfüllung dieser formalen Kriterien ist jedoch nur notwendige aber zugleich nicht hinreichende Bedingung, um den Erfolg von Leistungsbeurteilungen zu sichern. Substantiell wird von Beurteilungssystemen ein gerechtes Ergebnis erwartet.
318
M. Mungenast (1990, S. 12).
92
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Lohngerechtigkeit ist insbesondere mit Blick auf die erwarteten motivationalen Effekte oberstes Gebot bei der Konstruktion von Beurteilungssystemen. Gerechtigkeitstheorien wie z.B. die Theorie des sozialen Vergleichs (Adams 1963) formulieren gut bestätigte Hypothesen zum Zusammenhang zwischen (Un-)Gerechtigkeit und dem Leistungs- und Teilnahmeverhalten in Organisationen. So kann auf wahrgenommene Ungerechtigkeiten bei Leistungsbeurteilungen mit Arbeitsunzufriedenheit oder verringerter Arbeitsleistung ebenso reagiert werden wie mit ansteigenden Fehlzeiten oder Fluktuation.319 In der sozialpsychologischen Forschung rückt seit Mitte der 80er Jahre zunehmend die prozedurale Gerechtigkeit im Zusammenhang mit dem Ergebnisaspekt von wahrgenommener Gerechtigkeit in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses.320 Prozedurale Gerechtigkeit ist, dies belegen eine Reihe von Studien, die sich mit dem Zusammenhang von Verfahrens- und Verteilungsgerechtigkeit beschäftigt haben, für Personen ein wichtiger Bewertungsmaßstab für Vorkommnisse und Ereignisse in Organisationen.“321 Anschaulich wird die Beziehung zwischen den beiden Gerechtigkeitsaspekten beispielsweise in einer Studie von Greenberg und Tyler (1987) bezüglich Fairnessurteilen: In einem kontrolliertem Laborexperiment wurde die Höhe der Bezahlung von studentischen Versuchspersonen variiert. Die Versuchspersonen wurden entweder unterbezahlt, angemessen bezahlt oder überbezahlt. Analysiert wurde wie fair die jeweilige Entlohnung erschien, wenn die Probanden zusätzliche Informationen über die Verfahren, mit denen die Höhe der Bezahlung festgelegt wurde, bekamen. Die Beurteilungstendenzen der Versuchspersonen, die auch in späteren Studien repliziert werden konnten, zeigten, dass
a) für diejenigen, die über ein unfaires Verfahren ein vorteilhaftes Ergebnis erlangten, es anscheinend relativ gleichgültig war, wie es zustande gekommen war. „So empfanden die Versuchspersonen eine Überbezahlung nicht als unfair, wenn ihr Zustandekommen auf einem willkürlichen Verfahren beruhte.“322 b) für diejenigen, für die das Ergebnis enttäuschend ausfiel, war das Verfahren entscheidend dafür, wie das Ergebnis insgesamt bewertet wurde. „Ist wenigs-
319
Vgl. D. Gebert und L.v. Rosenstiel (1996, S. 71 ff.). Vgl. F. Folger (1987) sowie J. Greenberg und T.R. Tyler (1987). 321 G.F. Müller (1998, S. 57). 322 G.F. Müller (1998, S. 58). 320
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
93
tens das Verfahren annehmbar gewesen, kann man wohl auch mit dem Ergebnis leben.“323 c) bei denjenigen, für die weder das Ergebnis noch das Verfahren akzeptabel erschien, kam es zu einer Kumulierung negativer Erlebenseffekte.
Die Ergebnisse dieser Studie resümierend, lässt sich festhalten, dass der Verfahrensgerechtigkeit insbesondere dann ein hoher Stellenwert zukommt, wenn Verteilungsergebnisse als ungerecht wahrgenommen werden. Zudem verstärkt sich das Ungerechtigkeitsempfinden, wenn die Betroffenen der Meinung sind, die Verteilung sei das Ergebnis ungerechter Verfahren. Dies gilt auch dann, wenn das Ergebnis zwar als gerecht, aber unter dem Gesichtspunkt der eigenen Interessen von den Betroffenen als unvorteilhaft angesehen wird. Mit dem Aspekt der Verfahrensgerechtigkeit wird thematisiert, dass neben Fragen der Verteilungsgerechtigkeit auch die Verfahren, die bei der Entscheidungsfindung z.B. der Zahlung leistungsorientierter Entgeltkomponenten angewandt werden, eine zentrale Ursache für Ungerechtigkeitswahrnehmungen in Organisationen darstellen können.324 Regeln, auf Grund derer ein bestimmtes Beurteilungsergebnis basiert, werden von den Betroffenen (ergebnisabhängig unterschiedlich) wahrgenommen. Zudem kann wahrgenommene Verfahrensfairness sich positiv auf die psychische Verarbeitung nachteiliger Entscheidungskonsequenzen auswirken. Die Erfüllung der oben diskutierten testtheoretischen Gütekriterien hilft rein formal, ein gerechtes Beurteilungsergebnis zu erzielen, gewährleistet jedoch nicht immer (allein) ein substantiell auch als fair geltendes Verfahren. In der sozialpsychologischen Forschung werden zwei Klassen von fairnessförderlichen Verfahrensmerkmalen geltend gemacht: Formale und interpersonale Merkmale.325 Formale Merkmale (personenunabhängige Merkmale) werden in der Literatur auch als „Was“-Kriterien apostrophiert, da sie beantworten, was faire Entscheidungsverfahren
323
im
Allgemeinen
auszeichnen
sollte.326
Demgegenüber
werden
G.F. Müller (1998, S. 58). Vgl. beispielsweise H. Lengfeld und S. Liebig (2003, S. 476). 325 Vgl. hierzu R. Folger und R.J. Bies (1989), T.R. Tyler und R.J. Bies (1989) sowie H.W. Bierhoff (1992). 326 Vgl. F.G. Müller (1998, S. 58). Die formalen Merkmale, denen Verfahren im Allgemeinen genügen sollten, wurden bereits im Abschnitt 3.1.3 erörtert. Zu ergänzen sind die Ausführungen um das in den jüngeren Diskussionen neu akzentuierte Merkmal Transparenz: Hervorgehoben wird, 324
94
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
interpersonale Merkmale als „Wie“-Kriterien bezeichnet. Sie geben darüber Auskunft welche personenabhängigen Aspekte für die Eindrucksbildung einflussreich sind: Beispielsweise gaben Befragte einer Untersuchung unabhängig ob Sie „Verlierer“ oder „Gewinner“ von Stellenauswahlverfahren waren an, dass sie aber auch Wert darauf legen, „als Mensch“ behandelt zu werden und bei den verantwortlichen Organisationsmitgliedern Ehrlichkeit, Höflichkeit, Aufmerksamkeit, Respekt, Offenheit und Entgegenkommen zu erfahren.327 Zu den in der sozialpsychologischen Literatur benannten interpersonalen Verfahrensmerkmalen, die die Urteile über prozedurale Gerechtigkeit in Organisationen mit beeinflussen, gehören:328
-
Berücksichtigung: Dieses Merkmal verweist darauf, dass Entscheidungen von verantwortlichen Personen als fair wahrgenommen werden, wenn diese auf die individuellen und sozialen Bedürfnisse der Betroffenen eingehen. Der instrumentelle Aspekt des Merkmals bedingt, dass Betroffene auf das Entscheidungsverhalten der verantwortlichen Person aktiv Einfluss nehmen können. Der non-instrumentelle Aspekt betont die zwischenmenschliche Atmosphäre des Verfahrens. Berücksichtigung bezieht sich hierbei vor allem darauf, dass sich die Verantwortlichen den Betroffenen gegenüber offen, zugewandt, aufgeschlossen und freundlich verhalten. Hervorgehoben wird, dass sozial-emotionale Rücksichtnahme, unabhängig vom Ausmaß der tatsächlichen Entscheidungspartizipation,
die
Fairnessbeurteilung
eines
Verfahrens
beeinflussen
kann. -
Kommunikative Integrität: Die beurteilte Fairness eines Verfahrens ist abhängig davon, wie glaubwürdig die für die Entscheidung verantwortliche Person vermitteln kann, dass sie sich um die Vermeidung subjektiver Fehlerquellen bemüht: Sie weder voreingenommen, noch oberflächlich recherchiert und entschieden hat.
dass manche Regeln und Usancen, nach denen Entscheidungen in Organisationen getroffen werden – bedingt durch mikropolitische Gründe – häufig von den Betroffenen nur schwer zu durchschauen sind. „Gerüchtebildung, fehlerhafte Ursachenzuschreibung oder Misstrauen den Absichten von Entscheidungsträgern gegenüber können Begleiterscheinungen mangelhafter Transparenz sein und auch die Akzeptanz von Verfahren beeinträchtigen (F.G. Müller 1998, S. 60)“. Vgl. auch D. Holtmann, W. Matiaske und I. Weller (2002). 327 F.G. Müller (1998, S. 59). 328 Vgl. hierzu stellvertretend die Ausführungen bei F.G. Müller (1998, S. 60 f.).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
-
95
Flexible Behandlung von Betroffenen: Als fairnessförderlich gilt, dass unter bestimmten
Bedingungen
Verfahren
„flexibel“
gehandhabt
werden
und
Ausnahmen von allgemeinen Verfahrensregeln gemacht werden dürfen. -
Rasche Rückmeldung: An Akzeptanz können Verfahren durch kontinuierliches und rasches Feedback gewinnen. Verfahren mit schleppender oder völlig ausbleibender Rückmeldung gelten als weniger fair als Verfahren, deren Verantwortliche schnell reagieren und es verstehen, die Informationsbedürfnisse von Betroffenen zu befriedigen.
-
Aufklärung:
Dieses
Merkmal
gewinnt
offenbar
an
Bedeutung,
wenn
Entscheidungen unvorteilhafte Konsequenzen für die Betroffenen haben. Allein die Tatsache, dass sich die Verantwortlichen zu ihrer Entscheidung äußern, dass sie über das Zustandekommen einer Entscheidung informieren, kann dazu beitragen Gefühle von Ungerechtigkeit zu reduzieren.
Sowohl die formalen wie interpersonalen Merkmale geben Anhaltspunkte, wie faire und akzeptable Entscheidungsverfahren in Organisationen aussehen sollten und beschreiben auch für Leistungsbeurteilungssysteme notwendige substantielle Anforderungen. Leistungsbeurteilungssysteme können durch die Festlegung von Vermittlungsregeln auf verschiedenen Ebenen den Aspekt der prozeduralen Gerechtigkeit sichern helfen. Dazu gehören der Einbezug von zu Beurteilenden oder ihrer Vertreter in den inhaltlichen Konstruktionsprozess, die Etablierung von Moderationen bei kontroversen Ergebnissen und die rasche Rückkoppelung der Ergebnisse an die Beurteilten. Letzteres ist eine Teilaufgabe der Personalführung.329 Insofern setzt ein Leistungsbeurteilungssystem die Schulung der Führungskräfte voraus, wobei besonderer Wert darauf gelegt werden sollte, dass neben der Vermittlung der Beurteilungsergebnisse auch die Kommunikation der Verfahrensgrundsätze trainiert wird. Führungskräfte müssen das Leistungsbeurteilungsverfahren (dessen Ablauf und Regeln etc.) erklären und vermitteln können und gleichzeitig in der Lage sein, gute und schlechte Beurteilungsergebnisse an die Betroffenen weiterzugeben sowie mit den hervorgerufenen Reaktionen (Ärger, Unverständnis, Wut etc.) adäquat umzugehen. Letztlich soll auf der Grundlage von Leistungsbeurteilungen Verteilungsgerechtigkeit erzielt werden. Die Verteilungsgerechtigkeit ist seitens der Beurteilten der
329
Vgl. D. Holtmann, W. Matiaske und I. Weller (2002, S. 7).
96
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
relevante Maßstab der Gerechtigkeit eines Beurteilungssystems. Bezüglich dieses kritischen Faktors stellt sich in öffentlichen Organisationen anders als in privatwirtschaftlichen
Unternehmen
eine
besondere
Problematik.330
Während
in
privatwirtschaftlichen Unternehmen eine angemessene Beteiligung an der Wertschöpfung des Unternehmens erwartet und ggf. im System der Arbeitsbeziehungen erstritten wird, ist dies in öffentlichen Organisationen nur eingeschränkt möglich. Das Primat der Politik, haushaltsrechtliche Gründe, aber auch leere Kassen, begründeten bisher die Skepsis der Betroffenen gegenüber der Einführung leistungsorientierter Vergütungen331 . Werden zu dem die Beurteilungsverfahren im Vorfeld an bestimmte Verteilungsvorgaben gekoppelt, können die gewünschten Effekte der leistungsorientierten
Vergütungsverfahren
möglicherweise
konterkariert
werden.
Unabhängig von der Güte der Beurteilungsverfahren wird sich die Assoziation, es handele sich nicht um ein gerechtes System, sondern um „Nasenprämien“, die vom Vorgesetzten nach unkontrollierten Kriterien vergeben wird, einstellen.332
3.4 Leistungsbeurteilung und -vergütung in der Verwaltungspraxis Die Thematik „monetärer Leistungsanreize“ in öffentlichen Verwaltungen ist nicht neu. Bereits in den 70er und 80er Jahren stand sie auf der Agenda und wurde in den 90er Jahren im Zuge der Diskussionen um mehr Effizienz des öffentlichen Sektors wiederbelebt: In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden hinsichtlich der anstehenden Reformierung des Dienstrechtes eine effektive Personalführung und in diesem Zusammenhang auch eine leistungsorientierte Entlohnung gefordert.333 Die damaligen umfangreichen Reformvorschläge, mündeten allerdings letztlich mangels eindeutiger politischer Mehrheiten nur in marginalen Verbesserungen im Bereich der Dienstpostenbewertung und der Personalbeurteilung bzw. wurden nicht umgesetzt.334
330
Vgl. D. Holtmann, W. Matiaske und I. Weller (2002, S. 7). Vgl. U. Steinort (2000, S. 10). 332 Vgl. K. Tondorf (1995, S. 12). 333 Vgl. zum Beispiel Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts (1973, S. 290 ff.). 334 Vgl. W. Seibel (1997, S. 97) sowie V. Bornorden und R. Rieger (2001, S. 231). 331
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
97
Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts befürwortete das von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle335
entwickelte „Neue Steuerungsmodell“ zur Binnen-
modernisierung die Forderung auch in der öffentlichen Verwaltung unternehmensähnliche Strukturen einzuführen und privatwirtschaftlich erprobte Instrumente zu adaptieren. Im Rahmen dieser Verwaltungsreform wurden im Sinne eines leistungsorientierten Personalmanagements neben immateriellen Anreizen zur Stärkung der Leistungsorientierung auch monetäre Anreizsysteme diskutiert.336 Die Diskussion mündete Ende der 90er Jahre in einer Öffnung der tariflichen Regelungen und gesetzlichen Rahmenbedingungen über leistungsorientierte Entgeltsysteme in öffentlichen Verwaltungen. Durch diese Veränderungen wurde erstmalig die Grundlage geschaffen, für alle Beschäftigungsgruppen im öffentlichen Dienst monetäre Leistungsanreize zu gewähren. Jedoch wurden diese von den Ländern, den Kommunen und weiteren Sparten des öffentlichen Sektors nur zurückhaltend genutzt. Die geänderten tariflichen
Regelungen
und
gesetzlichen
Rahmenbedingungen zur leistungsorien-
tierten Vergütung der 90er Jahre werden im Folgenden kurz skizziert. Ihre Anwendung bzw. Nichtanwendung werden anschließend durch ausgewählte Befunde einer repräsentativen Befragung von Kommunen und Gebietskörperschaften337 aus dem Jahr 2004 zum Verbreitungsstand systematischer Leistungsbeurteilungen (zur variablen Entgeltgestaltung) im öffentlichen Dienst referiert. Zu erwarten ist, dass die Anwendung leistungsorientierter Vergütungen im öffentlichen Dienst sich in den nächsten Jahren dynamisieren wird: Zum einen wurde mit der umfassenden Neugestaltung des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes (TVöD) im Februar 2005 für die rund 2,9 Millionen Angestellten, Arbeiterinnen und Arbeiter des öffentlichen Dienstes338 der Einstieg in leistungsorientierte Bezahlung ab dem Jahr 2007 verbindlich für alle kommunalen Verwaltungen und Unternehmen des öffentlichen Sektors vereinbart. Zum anderen wurde im Juni 2005 der Gesetzentwurf zur Reform der Strukturen des öffentlichen Dienstrechts (Strukturreformgesetz – StruktRefG) vom Bundeskabinett verabschiedet. Anvisiert wird, dass parallel
335
KGSt 1993. Vgl. B. Busse (2002, S. 207). 337 W. Matiaske, D. Holtmann, I. Weller (2005). 338 Im Dienstverhältnis des öffentlichen Dienstes in Deutschland standen im Januar 2004 2.323.069 Angestellte und 625.996 Arbeiter. Das entspricht einer Quote von 61 Prozent aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst (vgl. Deutscher Beamtenbund (DBB) und Tarifunion 2004). 336
98
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
zum tariflich geregelten Bereich auch für die rund 1,8 Millionen Beamte339 die Zahlung von leistungsabhängigen Entgeltkomponenten auf Grundlage von Leistungsbeurteilungen verbindlich eingeführt werden soll. Mit der Vorstellung der inhaltlichen Eckpunkte dieser neuen Vertragswerke bezüglich der künftigen Regelungen leistungsorientierter
Bezahlung
endet
der
Exkurs
der
Rahmenbedingungen
und
-gestaltungen von Leistungsbeurteilungen im öffentlichen Dienst.
3.4.1
Bisherige Regelungen zur Leistungsbeurteilung und Leistungsvergütung
Tarifliche Regelungen Zum Jahresanfang 1997 wurden wichtige Weichen für eine leistungsorientierte Entgeltpolitik im öffentlichen Dienst gestellt: Für den Bereich der Gemeinden wurde ein „Rahmentarifvertrag über Grundsätze zur Gewährung von Leistungszulagen und Leistungsprämien“
(TV-L)
abgeschlossen. 340
Allerdings
unterzeichneten
nach
zweijähriger Verhandlungsdauer der Tarifparteien des öffentlichen Dienstes lediglich die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) und die ÖTV den Tarifvertrag, so dass dieser nur für den kommunalen Bereich Gültigkeit besaß. Zudem hatte die Gewerkschaft ÖTV den Abschluss des TV-L davon abhängig gemacht, dass die bezirklichen Zusatztarifverträge zum Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter/-innen der Gemeinden (BMT-G) über Leistungszulagen auch weiterhin gelten.341 Als wichtiger inhaltlicher Bestandteil des TV-L galt, dass die leistungsbezogene Bezahlung der Beschäftigten nur auf Basis bezirklicher Tarifverträge erfolgen kann. Mit dieser Regelung wurde der Befürchtung der Gewerkschaften Rechnung getragen, dass ein „Wildwuchs“ betrieblicher Regelungen entstehen könne.342 Weitere inhaltliche Einschränkungen für die bezirklichen Tarifparteien wurden nicht vereinbart. Vielmehr wurden durch den Abschluss des Rahmentarifvertrages für die Gemeinden die anstehenden Entscheidungen über leistungsbezogene Entgeltbestandteile dezent339
Vgl. Deutscher Beamtenbund (DBB) und Tarifunion 2004). Anzumerken gilt, dass der Rahmentarifvertrag (TV-L) nur die Grundsätze der leistungsbezogenen Vergütung regelt. Er muss durch bezirkliche Tarifverträge konkretisiert werden, um angemessen angewendet werden zu können. Ferner bedürfen bezirkliche Tarifverträge einer weiteren Konkretisierung durch Dienstvereinbarungen, wie beispielsweise in der Stadt Gütersloh, wo auf Grundlage des Tarifvertrages über die Gewährung von Leistungsprämien an Arbeitnehmer vom 19. Juni 2000 eine Dienstvereinbarung vom 7. September 2001 die Details der Anwendung auf betrieblicher Ebene formuliert (vgl. A. Jochmann-Döll und K. Tondorf 2004, S. 28 ff.). 341 Vgl. K. Tondorf (1997a, S. 245). 342 Vgl. K. Tondorf (1997a, S. 245). 340
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
99
ralisiert. Damit wurde in die Verantwortlichkeit der bezirklichen Tarifparteien eine Vielzahl von Aufgaben gegeben: Beispielsweise die Verhandlung der noch offenen und strittigen Frage zur inhaltlichen Vorgabe für die Ausgestaltung der Methode der Leistungsfeststellung sowie die Finanzierung. Aufgrund des breiten Spektrums von möglichen Regelungsinhalten gilt eine Bewertung von Vor- und Nachteilen des Vertragswerkes als schwierig. Von größerem Interesse ist eher der Frage nachzugehen, inwieweit die öffentlichen Arbeitgeber bereit waren, sich auf eine reformorientierte Regelung der Leistungsbezahlung einzulassen. In einer von der Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie343 zur Bestandsaufnahme bestehender monetärer Anreizsysteme aus dem Jahr 2004 wird dokumentiert, dass nur wenige Tarif-Bezirke von der Rahmen-Regelung für die Kommunen (TV-L) Gebrauch machten: Beispielsweise die Bezirke Sachsen-Anhalt, NRW für die Stadt Gütersloh sowie Bayern für die Stadt München. Allerdings wurde der TV Sachsen-Anhalt in keiner Kommune betrieblich umgesetzt und auch der TV für die Stadt Gütersloh wurde wegen massiver Haushaltsprobleme nicht weiterverbreitet. Auch die Resonanz der Kommunen in Nordrhein-Westfalen auf den im März 2003 abgeschlossenen bezirklichen Tarifvertrag (TV-L NW) gilt als gering. Ebenfalls, so die Ergebnisse der zitierten Studie, scheint der im Bereich der Kommunalen Versorgungsbetriebe seit dem Jahre 2000 geltende Tarifvertrag (TV-V) zur Einführung monetärer Anreize auf betrieblicher Ebene wenig genutzt worden zu sein.
Gesetzliche Regelungen und Verordnungen Im Zuge der Umsetzung der im 1997er Dienstrechtsreformgesetz geforderten „Leistungsorientierung“ im öffentlichen Dienst hat der Gesetzgeber die rechtliche Grundlage zur Einführung des Leistungsprinzips in der Beamtenbesoldung festgelegt. In das Bundesbesoldungsgesetz (BBesG)344 wurden verschiedene leistungsbezogene Vergütungselemente
eingefügt:
Insbesondere
leistungsbezogene
Dienstaltersstufen
sowie Zulagen und Prämien. Den so genannten materiellen Anreizen wurde eine vor-
343 344
A. Jochmann-Döll und K. Tondorf (2004.) Anzumerken ist, dass das BBesG und die auf seiner Grundlage ergangenen Verordnungen für alle Beamten und Soldaten der Besoldungsordnung A gelten (vgl. hiezu auch A. Jochmann-Döll und K. Tondorf 2004, S. 66).
100
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
rangige Bedeutung beigemessen.345 So ist zum einen das Aufsteigen in den Gehaltsstufen nicht mehr allein nach dem Dienstalter, sondern auch nach Leistung möglich. Geregelt ist der Stufenaufstieg in § 27 BBesG, der zugleich eine Verlängerung des Verbleibs in den Grundgehaltsstufen der Besoldung bei unterdurchschnittlicher Leistung ermöglicht, wie auch eine Verkürzung des Verbleibs bei überdurchschnittlichen Leistungen.346 Zum anderen wird in § 42a BBesG die Vergabe von Leistungsprämien und –zulagen zur Honorierung herausragender Einzelleistungen geregelt. Die Leistungsprämie wird als Einmalzahlung, die Leistungszulage hingegen als monatliche Zulage gewährt. Sie kann längstens 12 Monate bis zur Höhe von 7 Prozent des jeweiligen Anfangsgrundgehaltes gezahlt werden und ist widerrufbar.347 Mit diesen Änderungen wurden Leistungselemente unterhalb der Schwelle der Beförderung geschaffen. Die Einfügung leistungsbezogener Entgeltkomponenten in das Bundesbesoldungsgesetz verbindet sich mit der Vorgabe personenbezogener Quotierungen von Zulagen und Prämien sowie der Vergabe von Leistungsstufen auf zehn Prozent der Beamten und einer kostenneutralen Handhabung der einzelnen Elemente.348 Allerdings ist das BBesG nicht unmittelbar wirksam: Es Bedarf des Erlasses entsprechender Verordnungen auf Bundes- und Länderebene. Jochmann-Döll und Tondorf (2004) verweisen in ihrer Studie darauf, dass nur auf Bundesebene die leistungsbezogenen Besoldungselemente rasch umgesetzt wurden, im Bereich der Länder diese aber nur zurückhaltend und selektiv genutzt wurden (siehe hierzu Abbildung 3.11).
345
Vgl. U. Steinort (2000, S. 8). Das Dienstrechtsreformgesetz des Jahres 1997 gilt zudem auch als Ausgangspunkt für das Gesetz zur Reform der Professorenbesoldung aus dem Jahr 2002, das in Folge eine neue – leistungsorientierte – Besoldungsordnung W einführte. 346 Ausgenommen von der Regelung des Stufenaufstiegs werden nach dem BBesG Beamte auf Probe und Beamte, die das Endgrundgehalt bereits erreicht haben (vgl. hiezu auch A. JochmannDöll und K. Tondorf 2004, S. 66). Hinzuzufügen ist, dass ein vorgezogenes Aufrücken in die nächste Dienstalterstufe jedoch nicht vor Ablauf der Hälfte der regulären Zeit möglich ist (vgl. V. Bornoden und R. Rieger (2001, S. 232). 347 Vgl. V. Bornoden und R. Rieger (2001, S. 232). 348 Vgl. U. Steinort (2000, S. 8 f.). Allerdings wurde diese Regelung mit einer erneuten Dienstrechtsreform aus dem Jahr 2002 nach „oben“ verändert: Der Anteil der Beamten, die eine Leistungsvergütung erhalten können beträgt in der Neuerung des BBesG 15 Prozent für die Leistungsstufe und 15 Prozent für die Gewährung von Leistungszulagen und -prämien. Die Bundesverordnungen haben diese neuen Grenzen übernommen. Hingegen ist in den meisten Länderverordnungen nach wie vor die Begrenzung auf 10 Prozent beibehalten worden (vgl. hierzu A. Jochmann-Döll und K. Tondorf 2004, S. 67).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
101
Im Regelfall wurde die Leistungsvergütung aus finanziellen Gründen ausgesetzt, der Erlass entsprechender Verordnung verschoben oder im Rahmen der Haushaltskonsolidierung nicht geplant.349 Kritisiert wird, dass bei den Umsetzungsstrategien zu beobachten war, dass die Vergabe von Leistungsstufen, Zulagen und Prämien zumeist an das bestehende Beurteilungswesen gekoppelt war und nicht dazu genutzt wurde, die instrumentellen Defizite der Beurteilungspraxis im öffentlichen Dienst zu diskutieren oder gar zu beheben. 350 So wurde weiterhin „(…) Motivation, Führung und Beurteilung als voneinander getrennte Themen behandelt.“351 Die notwendige Integration dieser Aspekte innerhalb eines Personalmanagementkonzeptes unterbliebe.352
Bundesländer
Leistungsstufe
Leistungsprämie/ Leistungszulage
Baden-Württemberg Bayern
ja ja
ja ja
Berlin Brandenburg Bremen
ja ja nicht erlassen
ja ja ja
Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern
nicht erlassen ausgesetzt nicht erlassen
nicht erlassen Modellerprobung nicht erlassen
Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz
nicht erlassen ausgesetzt ja
ausgesetzt ausgesetzt ja
Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt
nicht erlassen ja nicht erlassen
nicht erlassen ja nicht erlassen
Schleswig-Holstein Thüringen
ja ausgesetzt
ja nicht erlassen
Abb. 3.11: Anwendung der Leistungselemente in den Bundesländern353
Die skizzierten Entwicklungen der tariflichen und gesetzlichen Regelungen aus den 90er Jahren zusammenfassend, zeigen, dass zwischen dem politischen Willen
349
U. Steinort (2000, S. 9). Vgl. U. Steinort (2000, S. 9). 351 U. Steinort (2000, S. 10). 352 Siehe hierzu rückblickend auch Abschnitt 2.4 dieser Arbeit, der die fehlende Auseinandersetzung mit Konzepten des Human Resource Managements in den Empfehlungen des „Neuen Steuerungsmodells“ thematisiert. 353 Entnommen aus K. Tondorf und A. Jochmann-Döll (2004, S. 429). 350
102
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
von Gesetzgeber und Tarifvertragsparteien und der praktischen Umsetzung von Leistungsvergütungssystemen „vor Ort“ eine bemerkenswerte Lücke klafft. Die ernüchternde Bilanz der Nichtanwendung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und tariflichen Regelungen wird zum einen vor dem Hintergrund der angespannten Finanzlage von Ländern und Kommunen diskutiert.354 Die Finanzierungsquellen zur Umsetzung wurden zum Teil durch die vorliegenden Tarifverträge und Gesetze wie Verordnungen unterschiedlich geregelt: Es bestanden Optionen, die Kosten bei der Vergabe von Leistungselementen aus den Personalkosten zu finanzieren, die Finanzierung aus dem Gesamthaushalt zu leisten oder gar eine Selbstfinanzierung aus Leistungssteigerungen zu generieren.355 Allgemein als problematisch diskutiert werden Kostenkontrolle durch dominierende Quotierungsregelungen, da diese dem Leistungsprinzip und der Zielsetzung leistungsorientiertes Verhalten durch variable Entgelte zu befördern, zu wider laufen.356
3.4.2
Stand der Einführung von Leistungsbeurteilungen
In einer das Forschungsprojekt „Leistungsbeurteilung und Gerechtigkeit in öffentlichen Organisationen“357 ergänzenden Befragung im Sommer 2004 wurden bei Gemeinden, Städten und Kreisen Daten zur Verbreitung von leistungsorientierten Entgeltsystemen erhoben. Neben Fragen zum Zeitpunkt der Implementierung von Leistungsbeurteilungen wurden auch Aspekte zum Beurteilungsprozess abgefragt. Ferner wurden die individuellen Einschätzungen der Befragten zur Bedeutung von Akzeptanzfaktoren erhoben. 358
Basis der erhobenen Daten Für die Umfrage wurden insgesamt 1.960 Fragebögen, davon 439 ausgewählte Kreise und kreisfreie Städte sowie 1.521 ausgewählte Städte und Gemeinden mit
354
Vgl. W. Matiaske, D. Holtmann und I. Weller (2005, S. 29). Vgl. K. Tondorf und A. Jochmann-Döll (2004, S. 430). 356 Vgl. K. Tondorf (1997b, S. 244). 357 Die im Folgenden vorgestellte Studie wurde im Rahmen des Verbundprojektes „Nachhaltigkeit von Arbeit und Rationalisierung, Teilprojekt 2: Untersuchung und Entwicklung nachhaltigen Personalmanagements in öffentlichen Organisationen – Leistungsbeurteilung und soziale Ge rechtigkeit“ an der Universität Flensburg (http://www.uni-flensburg.de/nar) durchgeführt. Das Projekt wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. 358 Vgl. W. Matiaske, D. Holtmann und I. Weller (2005). 355
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
103
mindestens 10.000 Einwohnern, angeschrieben.359 Die Rücklaufquote der Befragung betrug 37,6 %. Auskunft über die Struktur der an der Befragung teilnehmenden Kreise/kreisfreie Städte und Gemeinden/Städten gibt die nachstehende Tabelle 3.1.
Teilnehmer
Nicht-Teilnehmer
Gesamt
Einwohnerzahl Größenklassen
absolut
10.000 - 20.000
343
47,1
516
42,7
859
44,3
20.000 - 50.000
200
27,4
311
25,7
511
26,4
50.000 - 100.000
72
9,9
126
10,4
198
10,2
100.000 - 200.000
73
10,0
169
14,0
242
12,5
200.000 - 500.000
29
4,0
78
6,5
107
5,5
500.000 und mehr
12
1,6
9
0,7
21
1,1
Gesamt
729
Prozent
100
absolut
1.209
Prozent
100
absolut
1.938
Prozent
100
360
Tab. 3.1: Antworten nach Einwohnergrößenklassen
In weiteren Schritten wurde das Teilnahmeverhalten u.a. auch getrennt nach Bundesländern analysiert. Der Rücklauf aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern macht absolut betrachtet knapp zwei Drittel (65,7 Prozent) des gesamten Rücklaufs aus. Relativ gesehen schwanken die Quoten zwischen 23,6 Prozent für Thüringen und 53,2 Prozent für Schleswig-Holstein.361
Verbreitung von Leistungsbeurteilungen und leistungsbezogenen Zulagen Die Frage, inwieweit systematische Leistungsbeurteilungen bereits zur variablen Entlohnung eingesetzt werden, beantworteten 44 Verwaltungen (6,6 Prozent) positiv. 144 Verwaltungen gaben an, dass die Einführung von Leistungsentgelten geplant
359
Die Datenbasis bezieht sich auf das Gemeindeverzeichnis der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder mit Gebietsstand 31.12.2002. Angeschrieben wurden – unpersönlich – die Personalabteilungen. 360 Die Differenz zur Anzahl der versendeten Fragebögen (1960-1938) ergibt sich aus fehlenden Angaben bezüglich der Einwohnergrößenklassen. Auch in den noch folgenden Tabellen sind fehlende Angaben aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht gesondert ausgewiesen. 361 In weiteren Untersuchungsschritten wurde von der Vermutung ausgegangen, dass leistungsorientierte Entlohnungssysteme mit der Größe und dem Typ der Verwaltung, dem Grad der Verstädterung, dem Bundesland und der Zusammensetzung der Belegschaft zusammenhängen. Mittels eines multivariaten Erklärungsmodells wurde diesen Annahmen nachgegangen. Bezüglich der Bundesländer findet sich lediglich für Baden-Württemberg ein signifikanter (positiver) Effekt. Demnach sind Leistungsbeurteilungen und –löhne in Baden-Württemberg stärker verbreitet als in anderen Bundesländern.
104
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
sei362 . In acht dieser Fälle wurde die Einführung noch in 2004 geplant, in 61 Fällen in 2005, in 25 Fällen in 2006 und in weiteren 9 Fällen in 2007 oder 2008. Die nachstehenden Angaben basieren auf den Angaben der Verwaltungen, die systematische Leistungsbeurteilungen durchführen. Tabelle 3.2 informiert über das Jahr der Einführung der Leistungsbeurteilungen. Deutlich zu erkennen ist, dass ab den Jahren der Öffnung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und tariflichen Regelungen die Thematik der Leistungsbeurteilung an Dynamik gewonnen hat. Seit 1997 gaben 30 Verwaltungen an, mit der Implementierung begonnen zu haben. Es zeigt sich, dass vorwiegend Arbeiter beurteilt werden (75 Prozent), gefolgt von Beamten (63 Prozent) und Angestellten (51 Prozent).363 In den meisten Fällen findet die Leistungsbeurteilung im Abstand von 12 Monaten statt (55%), oftmals jedoch auch in vergleichsweise großen Intervallen von 3 oder 4 Jahren.
Jahr
Anzahl
Prozent
1976 – 1989
6
13,6
1991
1
2,3
1992
3
6,8
1995
2
4,5
1997
2
4,5
1998
5
11,4
1999
4
9,1
2000
1
2,3
2001
6
13,6
2003
10
22,7
2004
4
9,1
Gesamt
44
100
Tab. 3.2: Jahr der Einführung von Leistungsbeurteilungen
Mit weiteren Fragen sollte gemessen werden, wie hoch der jeweilige Anteil der Belegschaft ist, der aufgrund der Beurteilung eine bestimmte Zulage erhält. Wie er-
362
Von diesen 144 Verwaltungen konkretisierten aber nur 103 den geplanten Termin der Einführung. 363 Anzumerken ist, dass diese Angaben nur unter Berücksichtung der unterschiedlichen bezirklichen Tarifvereinbarungen sowie Handhabungen der Gesetzgebungen in den einzelnen Bundesländern gewertet werden dürfen.
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
105
wartet stehen hohe Zulagen (> zehn Prozent des Gehaltes) nur wenigen Mitarbeitern zu – in 86,4 Prozent der Fälle werden Zulagen dieser Höhe gar nicht vergeben, in 13,6 % der Fälle kommen bis zu einem Viertel der Beurteilten in den Genuss einer Zulage von über zehn Prozent. Am breitesten streut die Verteilung für die Klasse der moderaten Zulagen zwischen 1 und 5 %: Immerhin erhalten in jeder fünften Verwaltung (22,8 %) 26-50 % aller Beurteilten eine Zulage zwischen 1 und 5%. In 36,4 Prozent der Verwaltungen werden dagegen gar keine Leistungszulagen gewährt. Tabelle 3.3 informiert über den Anteil der Mitarbeiter mit Zulagen.
Anteil der Beurteilten, die eine Zulage der genannten Höhe erhalten Zulage (N=22)
0%
1-25 %
26-50 %
51-75 %
76-99 %
100 %
0 (keine)
-
27,3 %
18,2 %
9,0 %
9,1 %
36,4 %
1-5 %
36,4 %
18,2 %
22,8 %
9,1 %
13,7 %
-
6-10 %
45,4 %
50,1 %
4,5 %
-
-
-
> 10 %
86,4 %
13,6 %
-
-
-
-
364
Tab. 3.3: Anteil der Mitarbeiter mit Zulagen
Akzeptanz von Leistungsbeurteilungen Zusätzlich wurde im Rahmen der Erhebung mit einigen Fragen die Akzeptanz bezüglich Leistungsbeurteilungen thematisiert. Dabei wurden die Einstellungen der Befragten zwischen dem Zeitpunkt der Einführung der Beurteilungen und der aktuellen Situation unterschieden. Tabelle 3.4 informiert über die Einstellungen im Zeitverlauf. Informativ sind neben den absoluten Werten vor allem die jeweiligen Differenzen der Einstellungen zum abgefragten Zeitpunkt. Beispielsweise wird deutlich, dass der Aspekt „Transparenz“ und „offene“ Kommunikation im Zeitverlauf deutlich an Dominanz gewinnt.
364
Die Tabelle stellt die Ergebnisse von vier separaten Antwortfeldern (in der Tabelle als Zeilen ausgewiesen) zusammen. Wird die zugehörige Frage „Wie hoch ist der Anteil der Mitarbeiter, der auf Basis der Beurteilung eine prozentuale Zulage erhält in Höhe von…“ korrekt beantwortet, muss die Summe über alle vier Felder 100 Prozent ergeben. Bei 22 Teilnehmern war die Bedingung erfüllt. Nur diese 22 Antworten werden ausgewiesen.
106
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Antwortmöglichkeiten (Angaben in % der gültigen Antworten)
Frage Wichtigkeit des Themas „Gerechtigkeit“
unwichtig
mittel
wichtig
– bei der Einführung (N=49) – heute (N=47)
– 2,1
12,2 10,6
87,8 87,2
Wichtigkeit des Themas „Transparenz“ und „offene Kommunikation“
unwichtig
mittel
wichtig
– bei der Einführung (N=49) – heute (N=47)
4,1 8,5
22,4 12,8
73,5 78,7
ablehnend
neutral
kooperativ
2,0 2,1
10,2 19,1
87,8 78,7
ablehnend
neutral
kooperativ
10,2 4,3
38,8 34,8
51,0 60,9
ablehnend
neutral
kooperativ
13,3 11,6
53,3 51,2
33,3 37,2
Einstellung der Personalvertretungen – bei der Einführung (N=49) – heute (N=47) Einstellung der Beurteiler – bei der Einführung (N=49) – heute (N=46) Einstellung der Beurteilten – bei der Einführung (N=45) – heute (N=43)
Tab. 3.4: Einstellungen im Zeitverlauf
Zur Bedeutung von Leistungsentlohnung Die Ergebnisse der vorgestellten Befragung zusammenfassend, kann festgehalten werden, dass der Thematik Leistungsentlohnung in öffentlichen Verwaltungen ein hoher Stellenwert zugeordnet wird. Die befragten Verwaltungen attestieren Leistungsbeurteilungen eine hohe Relevanz und prognostizieren dem Instrumentarium einen weiteren Bedeutungszuwachs. Zum Zeitpunkt der Befragung bewerten zwar nur knapp 40 Prozent der Befragten das Thema als wichtig, aber bereits über 80 Prozent der Befragten geben an, dass die Bedeutung zukünftig steigen wird.365 Die im Verhältnis zu anderen Studien hohe Rücklaufquote dieser Befragung kann ebenfalls als Indikator für die zunehmende Bedeutung von leistungsorientierten Entgeltformen in öffentlichen Verwaltungen interpretiert werden. Dieser Einschätzung steht gegenüber, dass bisher nur wenige Verwaltungen systematische Leistungsbeurteilungen zur variablen Entgeltfindung durchführen.
365
Insbesondere in Kreisen und kreisfreien Städten wird Leistungsbeurteilungen und variablen Entlohnungssystemen ein hoher Bedeutungszuwachs prognostiziert. Hier bescheinigten mehr als 90 Prozent der Antwortenden dem Thema in den nächsten Jahren eine hohe Relevanz.
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
3.4.3
107
Aktuelle und zukünftige Regelungen leistungsorientierter Vergütung im öffentlichen Dienst
Neugestaltung des Tarifrechts des öffentlichen Dienstes (TVöD) Im Rahmen des Tarifabschlusses vom Januar 2003 hatten sich die Tarifpartner des öffentlichen Dienstes (Bund, Länder und Gemeinden sowie der Gewerkschaft ver.di) mit einer „Prozessvereinbarung“ auf eine umfassende Neugestaltung des Tarifrechts für den öffentlichen Dienst geeinigt.366 Dem bisherigen Tarifrecht sollte ein modernes, leistungsorientiertes und transparentes Tarifrecht für alle Beschäftigten gegenübergestellt werden, das den Anforderungen an eine moderne Verwaltung gerecht wird. Nach rund zweijährigen Verhandlungen haben sich im Februar 2005 die Tarifparteien auf die Eckpunkte des neuen Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) geeinigt. Allerdings hatten zunächst auf Arbeitgeberseite nur der Bund und die Kommunen die Nachfolge des Bundes-Angestelltentarifvertrages beschlossen. Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) hatte vor allem hinsichtlich der aus ihrer Sicht unzureichenden Verlängerung der Wochenarbeitszeit keine Bereitschaft gezeigt, den ausgehandelten Tarifvertrag zu übernehmen.367 Mit der Einführung des neuen Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) zum 1. Oktober 2005 wurde erstmalig ein einheitliches Tarifrecht für Angestellte und Arbeiter geschaffen und damit der aus dem Jahr 1961 stammende Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) ersetzt. Zentraler Bestandteil des neuen Tarifrechts ist neben einer einheitlich gestalteten Entgelttabelle368 für alle Beschäftigen im öffentlichen
366
Vgl. Vereinte Dienstleistungsgesellschaft (ver.di) Bundesverwaltung (2005a, S. 8). Insbesondere aus Gewerkschaftssicht wurde angemerkt, dass seitens der Länder die Blockierung des neuen Tarifrechts insbesondere mit der Intention von Kosteneinsparungen verbunden war (vgl. Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) 2005a, S. 8). In den Diskussionen zur Neugestaltung des Tarifrechts vertraten die Länderarbeitgeber keine einheitliche Position – zu unterschiedlich waren ihre Ausgangs- und Interessenslagen. So wurde bereits Mitte der neunziger Jahre Berlin aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) ausgeschlossen, da der Stadtstaat die Löhne und Gehälter im Ostteil der Stadt auf das Westniveau anhob. Hessen trat bereits im März 2004 aus dem Verband aus. Eine Einigung zwischen den Tarifparteien über den TV-L für den Länderbereich erfolgte im März 2006. 368 Die neue Tabelle gliedert sich nach Qualifikation und Berufsbildern in 15 Entgeltgruppen. Die bisherigen Dienstaltersstufen werden durch sechs Entwicklungsstufen ersetzt. Die Stufen sind leistungsabhängig gestaltet: Die Karriereentwicklung beruht auf Leistung und nicht mehr auf bloßem Zeitverlauf. In der Folge können besonders gute Leistungen zu einem schnelleren Aufstieg führen, hingegen finden bei erheblich unter dem Durchschnitt liegenden Leistungen keine bzw. eine Verlängerung der Stufensteigerung und somit keine (sofortige) Einkommenserhöhung statt. 367
108
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Dienst, in der die bisherigen Lohn- und Vergütungsgruppen zusammengefasst werden, die Regelung bezüglich leistungsorientierter Bezahlung. Neben das Monatsentgelt tritt eine variable leistungsorientierte Bezahlung. Beginnend im Jahr 2007 wird in einer Zielhöhe von 1 Prozent der Monatsentgelte des Vorjahres des jeweiligen Arbeitgebers mit der Einführung leistungsorientierte Entgeltkomponenten begonnen. Vereinbart wurde, dass die Finanzierung aus umgewidmeten Entgeltbestandteilen zu erfolgen hat. Zur Disposition stehen reduzierte Urlaubs- und Weihnachtsgelder, Rückflüsse aus Besitzstandswahrungen (bei Ausscheiden von Beschäftigten) und Strukturänderungen am heutigen Bezahlungssystem.369 Für die Folgejahre ist eine Steigerung des Volumens der Leistungszulagen mit einer Zielhöhe von maximal 8 Prozent der Entgeltsumme der Tarifbeschäftigten vereinbart worden.370 Aus Sicht der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) werden die Vorteile des neuen Tarifvertrages (TVöD) zusammenfassend in den Gestaltungs- und Flexibilisierungsmöglichkeiten für alle betroffenen Beschäftigten gesehen. Hervorgehoben werden die Einführung leistungssteigender Instrumente wie Leistungszulagen, Leistungsprämien und leistungsorientierte Stufenaufstiege. Gleiches gilt für die Flexibilisierungsmöglichkeiten bei der Arbeitszeit und die damit erhofften Kosteneinsparungen und Effizienzgewinne.371 Auch das Bundesministerium des Inneren (BMI) sieht in dem neuen Vertragswerk
die
Modernisierungsverhandlungen
als
erfolgreich
abgeschlossen.372
Die
erreichten Ziele spiegeln sich – so die Verlautbarungen – zum einen in der Auflösung der nicht mehr zeitgemäßen Unterscheidung in Angestellte und Arbeiter, wie in der Auflösung des Senioritätsprinzips zu Gunsten einer Bezahlung gemessen an individueller Leistung und Berufserfahrung wider. Zum anderen wird darauf verwiesen, dass der öffentliche Dienst durch das neue Vertragswerk auch für Beschäftigte am Anfang des Beruflebens durch verbesserte (Einstiegs-)Einkommen an Attraktivität
369 370 371 372
Bei Überleitung der bisherigen Beschäftigten in die neuen Entgeltgruppen, soll durch Vereinbarung eines Strukturausgleichs gewährleistet werden, dass es keine Einkommenseinschnitte aufgrund des neuen Tarifrechts geben wird (vgl. D. Böhmann 2005, S. 193 sowie Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeber (VKA) 2005, S. 1). Vgl. diesbezüglich D. Böhmann (2005, S. 193) und Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Bundesverwaltung (2005a, S. 10). Vgl. Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Bundesverwaltung (2005b). Vgl. Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) (2005, S. 2 f.). Vgl. Bundesministerium des Inneren (2005a).
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
109
gewonnen habe. Außerdem sei durch eine neue niedrige Entgeltgruppe die Konkurrenzfähigkeit des öffentlichen Dienstes gegenüber privaten Mitanbietern gestärkt.
Neuer Tarifvertrag (TVöD)
Alter Tarifvertrag (BAT)
Zukünftig bis zu 8 % der Gesamtentgeltsumme des jeweiligen Arbeitgebers als variable leistungsabhängige Vergütung (Start in 2007 mit 1 %)
Keine leistungsabhängigen variablen Bezahlungselemente
Aufstieg in eine höhere Entgeltgruppe nur funktions- und leistungsabhängig (nicht nach Zeitablauf)
Bewährungs- und Zeitaufstiege in höhere Lohnund Vergütungsgruppen (leistungsunabhängig)
Schaffung einer neuen sozial gestaffelten Jahressonderzahlung mit gegenüber bisheriger Regelung abgesenktem Volumen ab 2007
Weihnachtsgeld (82,14 % West/ 61,60 % Ost)
Familienstand und Kinderzahl spielen für die Bezahlung keine Rolle mehr
Bezahlung auch in Abhängigkeit von Familienstand und Kinderzahl
Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes durch verbesserte Bezahlung zu Beginn des Berufslebens
Bezahlung nach Lebensalter (bis zu 15 Stufen)
Einheitliches Tarifwerk für Angestellte und Arbeiter (TVöD)
Zwei getrennte Tarifwerke für Angestellte und Arbeiter (BAT/BAT-O, MTArb/MTArb-O)
15 Entgeltgruppen in einem Tarifvertrag (TVöD), alle Beschäftigten wechseln in das neue System mit Inkrafttreten des TVöD (vollständige Ablösung des BAT/BAT-O und MTArb/MTArb-O)
49 Lohn- und Vergütungsgruppen in verschiedenen Tarifverträgen
Deutliche Reduzierung der Eingruppierungsmerkmale durch schlanke und praktikable Regelung nach Probeläufen Ende 2006
Unüberschaubare Eingruppierungsvorschriften: ca. 17.000 Eingruppierungsmerkmale
Schaffung von Konkurrenzfähigkeit durch niedriger Entgeltgruppen
Outsourcing / Privatisierung einfachster Tätigkeiten
Einführung der Instrumente „Führung auf Zeit“ (bis zu 12 Jahren) und „auf Probe“ (bis 2 Jahren)
Nur dauerhafte Übertragung von Führungsfunktion möglich
Flexibilisierung der Arbeitszeit:
Enger Zeitrahmen für Überstundenausgleich (max. 1 Woche)
Ausgleichszeitraum bis zu 2 Wochen
Urlaubsgeld (255,65 € bzw. 332,34 €)
Bei betrieblicher Vereinbarung können bis zu 45 Stunden / Woche bzw. zwischen 6 und 20 Uhr zuschlagsfrei Überstunden angeordnet werden (Arbeitszeitkorridor / Rahmenzeit) Arbeitszeit einheitlich 39 Stunden / Woche
Arbeitszeit Tarifgebiet West 38,5 Stunden / Woche Arbeitszeit Tarifgebiet Ost 40 Stunden / Woche
Abb. 3.12: Gegenüberstellung neues und altes Tarifrecht des öffentlichen Dienstes373
373
Quelle: Bundesministerium des Inneren (2005a, S. 2 f.).
110
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind in Abbildung 3.12 einige signifikante Strukturmerkmale des neuen Tarifvertrages (TVöD) und des alten Tarifrechts (BAT), die insbesondere in der gewählten Reihenfolge für die Thematisierung in dieser Arbeit wesentlich scheinen, gegenübergestellt. Diese Änderungen verweisen nicht nur auf den (politischen) Modernisierungswillen öffentlicher Verwaltungen (vertreten durch Arbeitgeberverbände und auch Gewerkschaften), sondern geben implizit Auskunft über das (zukünftig) erwartete Engagement der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst.
Die (geplante) Reform des Beamtenrechts Mit dem Regierungsentwurf des Strukturreformgesetzes (StruktRefG), den das Bundeskabinett am 15. Juni 2005 beschlossen hatte, sollten auch die beamtenrechtlichen Beschäftigungsbedingungen grundlegend modernisiert, flexibilisiert sowie leistungsund anforderungsbezogen ausgerichtet werden. 374 Im Mittelpunkt stand die Einführung eines neuen leistungsorientierten Bezahlungssystems, da das bisherige Bezahlungssystem nur eine unzureichende Verknüpfung des individuellen Einkommens mit der tatsächlich wahrgenommenen Funktion und der erbrachten Leistung gewährleiste. Mit der grundlegenden leistungs- und anforderungsbezogenen Neuausrichtung des Dienstrechtes wurde das Ziel verfolgt, die Einigung der Tarifvertragsparteien vom 9. Februar 2005 zur Neugestaltung des Tarifrechts für den öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen auch auf den Beamtenbereich zu übertragen. 375 Im Zuge der geplanten Reform der Bezahlungsstruktur sollte sich die Bezahlung für Beamte künftig aus einer Basisbezahlung und einer individuellen zeitlich befristeten Leistungsvariablen zusammen setzen.376 Die Basisbezahlung sollte an den Anforderungen und den tatsächlich wahrgenommenen Funktionen des Dienstpostens ausgerichtet werden. Der Bund stellt – so die damaligen Vorschläge – bundeseinheitlich eine Gehaltstabelle mit 25 abstrakten Bezahlungsebenen (F = Funktionsebenen F 2 bis F 26) zur Verfügung.377 Die ersten 15 Funktionsebenen werden zu dem in vier Erfahrungsstufen unterteilt: Einer Eingangsstufe und drei weiteren Erfahrungs-
374
Vgl. Bundesministerium des Inneren (2005 b) sowie Deutscher Beamtenbund (2005). Vgl. Deutscher Beamtenbund (2005, S. 1). 376 Vgl. Deutscher Beamtenbund (2005, S. 6). 377 Die Bewertung, Zuordnung und Einstufung der konkreten Dienstposten und Ämter erfolgt dezentral durch die Dienstherren (vgl. Deutscher Beamtenbund 2005). 375
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
111
stufen, die jeweils nach 5, 10 und 20 Dienstjahren erreicht werden können.378 Demzufolge ist das Erreichen einer höheren Stufe zukünftig abhängig von der beruflichen Erfahrung und einer positiven Leistungsfeststellung. Das bisherige System des so genannten Besoldungsdienstalters mit einem automatischen Altersaufstieg sollte abgeschafft werden. Die das Basisgehalt ergänzende Leistungsvariable – so der Entwurf – knüpft ausschließlich an die erbrachte individuelle Leistung an. Die zeitlich befriste Leistungsvariable soll auf Grundlage einer Leistungsbewertung, die mindestens alle zwei Jahre zu erfolgen hat, vergeben werden. Die Vergabe einer Leistungsvariablen ist in vier Ausprägungen (Stufen) entsprechend dem Grad der individuellen Leistung unterteilt.379 . Die Verfahren und Methoden der Leistungsbeurteilung sind von Bund und Ländern eigenverantwortlich dezentral zu regeln. Die Vergabe der individuellen Leistungsvariablen wurde im ersten Schritt in Höhe von rund 4 Prozent der Aufwendungen für die Basisgehälter vorgeschlagen. Dieses Finanzbudget galt als gesetzlich verankert und abgesichert. Die Gegenfinanzierung des neuen leistungs- und funktionsorientierten Bezahlungssystems sollte analog des im Eckpunktepapier vom 4. Oktober 2004380 vereinbarten Leitziels der Kostenneutralität aus Umschichtungen und Umwidmungen innerhalb des Systems, durch die Neugestaltung der Gehaltstabellen, dem Anhalten des altersbezogenen Stufenaufstiegs und dem sozial gestaffelten Abbau des Verheiratetenzuschlags erfolgen.381 Im Zuge der Neugestaltung des Entgeltsystems wurde gleichzeitig eine Flexibilisierung und Öffnung zugunsten der Länder angestrebt. Zukünftig sollte der Bund ausschließlich Grundstrukturen und Basisinhalte als Rahmenvorgaben regeln. Hingegen sollte die Ausgestaltung und Umsetzung der Bezahlungsregelungen dem Bund und den Ländern in eigener Verantwortung (einfachgesetzliche Handlungsspielräume) obliegen. Analog zum tariflich geregelten Bereich wurden die signifikanten Strukturunterschiede im Bezahlungssystem des alten und neuen Beamten-
378
Hingegen werden für Leitungs- und Führungsfunktionen 10 Funktionsebenen (F 17 - F 26) ohne Differenzierung nach Stufen mit Festbeträgen bestimmt. 379 So ist beispielsweise für Leistungen, die den durchschnittlichen Anforderungen entsprechen, die Leistungsstufe 2 festzusetzen. Für davon abweichende Leistungen sind entsprechend höhere oder niedrigere Leistungsstufen vorgesehen (vgl. Deutscher Beamtenbund (2005, S. 6)). 380 Vgl. Bundesministerium des Inneren (2004, S. 9 f.). 381 Vgl. Bundesministerium des Inneren (2005b).
112
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
rechts im Eckpunktepapier vom 4. Oktober 2004 wie folgt konturiert (siehe Abbildung 3.13).
Bisheriges System
Neues System
Unzureichende Verknüpfung des individuellen Einkommens mit der tatsächlich wahrgenommenen Funktion
Basiert auf den Anforderungen und Funktionen des Arbeitsplatzes
Einkommensentwicklung (vorwiegend) abhängig vom Alter und Familienstand
Einkommensentwicklung hängt von der Leistung ab
Unzureichende Leistungen bleiben oft ohne Folgen
Zeitnahe Reaktion auf Schlechtleistung möglich
Zu wenig Gestaltungsspielraum für die Länder
Weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten für Bund und Kommunen
Abb. 3.13: Gegenüberstellung neues und altes beamtenrechtliches Bezahlungssystems382
Aufgrund der politischen Situation in der Bundesrepublik Deutschland im Herbst 2005 (voraussichtliche Neuwahlen) wurde der Gesetzentwurf nicht verabschiedet. Nach Inkrafttreten der Föderalismusreform 2006 steht eine vollständige Verlagerung der Zuständigkeit für das Beamtenrecht auf die Bundesländer zur Diskussion.383 Als bundeseinheitlicher Systemstart war der 1. Juli 2006 für Neueingestellte und die Überleitung der bisherigen Beschäftigen zum 1. Januar 2008 geplant.384
3.5
Zusammenfassung
Die ökonomische Diskussion zeigt, dass Lohnfindung und Lohngerechtigkeit insbesondere auch betriebswirtschaftliche Fragestellungen sind. Die Ausarbeitung dieser Problematik delegiert die Betriebswirtschaftlehre an die spezialisierte Personalwirtschaft. In der Personalwirtschaftslehre werden unterschiedliche Aspekte der Lohngerechtigkeit ausgearbeitet, die durch eine Vielzahl unterschiedlicher Instrumente sichergestellt werden sollen. Aus dem Blickwinkel der vorliegenden Arbeit wurden Leistungsbeurteilungsverfahren vorgestellt und ihre unterschiedliche Zweckmäßig-
382
Quelle: Bundesministerium des Inneren (2004). Vgl. stellvertretend für die Diskussion zum Thema Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) (2007). 384 Vgl. Bundesministerium des Inneren (2005b). 383
Leistungsbeurteilungen: Instrumente und Rahmenbedingungen
keit zur Erreichung von
113
manifesten und latenten personalwirtschaftlichen und füh-
rungspolitischen Zielsetzungen diskutiert. Grundlegend gilt, dass Instrumente zur Leistungsbeurteilung methodische und organisatorische Voraussetzungen haben. Methodisch sollen sie in der Klassifizierung der Testtheorie die Kriterien der Objektivität, der Reliabilität und der Validität erfüllen. Die Erfüllung dieser formalen Kriterien, die die Vermeidung oder zumindest die Reduzierung von Beurteilungsfehlern sichern helfen sollen, sind aber nur eine notwendige Voraussetzung. Als weitere substantielle Voraussetzung für als gerecht empfundene Ergebnisse seitens der Beurteilten gilt die Erweiterung der formalen Aspekte um organisatorische. Diskutiert wurden in diesem Zusammenhang vor allem Bedingungen der Fairness und Kommunikation – einen ständigen Dialog in einem auf Vertrauen fußendem und Vertrauen förderndem Arbeitsumfeld, der geprägt ist von gegenseitigem Respekt und Transparenz.385 Für den Bereich öffentlicher Organisationen wurden in den letzten zehn Jahren durch tarifliche und gesetzliche Änderungen neue Rahmenbedingungen zur Einführung leistungsorientierter Entgelte geschaffen. Die Bilanz erster Versuche, auf Grundlage dieser tarifrechtlichen und beamtenrechtlichen Änderungen systematische Leistungsbeurteilungen einzuführen, gilt als ernüchternd. Vor dem Hintergrund der erneuten gesetzlichen und tariflichen Initiativen, wie beispielsweise dem im Oktober 2005 in Kraft getretenen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), eröffnet sich aber nicht nur die Fragestellung der zukünftigen Verbreitung von leistungsorientierten Vergütungsbestandteilen im öffentlichen Dienst. Grundsätzlich steht vielmehr die Frage im Raum, welche Folgen das Instrumentarium der Leistungsbeurteilung bezogen auf das individuelle Leistungsverhalten der Mitarbeiter erwarten lässt. Der verhaltenstheoretisch orientierte Bezugsrahmen im folgenden Kapitel dieser Arbeit behandelt diese Fragestellung.
385
Vgl. die Empfehlungen der OECD (2005, S, 7 ff.) zur Ausgestaltung und Implementierung leis tungsbezogener Vergütungspolitik für Staatsbedienstete.
Der Mensch ist ein soziales Wesen (Lucius Seneca)
4 Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen – Ein theoretischer Bezugsrahmen
Zielsetzung dieses Kapitels ist es, einen theoretischen Bezugsrahmen zu entwerfen, der auf individueller Ebene die Wirkungen von Leistungsbeurteilungen und –entlohnungen erklärt. Diese Wirkungen werden in der Interpretation des Leitbildes der Reformbemühungen – des engagierten Mitarbeiters – als Organizational Citizenship Behavior beschrieben. Um den Wirkungsmechanismus von Leistungsanreizen und Rollen- bzw. Extra-Rollenverhalten zu erhellen, ist im ersten Abschnitt die Beziehung von Mitarbeiter und Organisation zu klären. Ausgangspunkt dieser Diskussion ist die Theorie des Sozialtausches, welche Arbeitsbeziehungen nicht als rein ökonomische, sondern als soziale Beziehung berücksichtigt. Darüber hinaus klärt die Theorie des Sozialtausches, welche inhaltlichen Komponenten des Interesses auf Seiten der Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind. Als Basistheorie zur Erklärung des Engagements in Organisationen dient die auf Barnard (1938) zurückgehende AnreizBeitrags-Theorie, die dieser zur Erklärung informellen Engagements entworfen hat. Die Anreiz-Beitrags-Theorie erhellt jedoch das Kalkül, auf Grund dessen Individuen die Angemessenheit von Anreizen und Beiträgen einschätzen, nur recht kusorisch. Um die Vielfalt der Facetten des wechselseitigen sozialen Interesses der Organisationsmitglieder in das Kalkül der Gestaltung von Anreizsystemen einzubeziehen, wird im Fortgang des Kapitels als weiterer Beschreibungsrahmen aus dem Repertoire der sozialpsychologischen Literatur das Konstrukt des psychologischen Vertrages näher beleuchtet. Auch die Theorie der „Psychologischen Verträge“ versucht die soziale Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern als Austauschverhältnis zu erklären. Die Erkenntnisse des „psychologischen Vertrages“ implizieren, dass nicht
explizit
definierte
Vertragsbestandteile,
sondern
gegenseitiges
Vertrauen,
116
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
wechselseitige Erwartungen und Fairness als Bindeglied der Austauschbeziehung und als steuernde Verhaltensdeterminante gelten. Analog den rein beschreibenden Überlegungen im Rahmen des „psychologischen Vertrages“ ist auch Extra-Rollenverhalten an soziale Reziprozitäten gekoppelt, die sowohl in der theoretischen Interpretation wie in der empirischen Untersuchung des Konzeptes vor allem an die Bewertung kognitiver Aspekte der Arbeitsbeziehungen gekoppelt sind. Eröffnet wird in diesem Zusammenhang die Diskussion bezüglich organisationsdienlichen Verhaltens und wahrgenommener Gerechtigkeit. Im Unterschied zur Gerechtigkeits- oder Gleichheitstheorie (Adams 1963), die mehr oder weniger ausschließlich auf den Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit adressiert, rücken in der neueren sozialpsychologischen Organisationsforschung insbesondere die als verhaltensrelevant eingeschätzten Ebenen der Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit in den Mittelpunkt der Betrachtung. Nicht der Verteilungsgerechtigkeit, sondern vor allem den erweiterten Gerechtigkeitsausprägungen der prozeduralen Gerechtigkeit wird ein Einfluss auf das Organizational Citizenship Behavior (OCB) attestiert. Bevor diese theoretischen Elemente abschließend in einem theoretischen Bezugsrahmen, der die Analyse des empirischen Datenmaterials anleitet, zusammengefügt werden, erfolgt im Rahmen eines Exkurs eine zusammenfassende Skizzierung der in der personalwirtschaftlichen Literatur diskutierten Auswirkungen materieller Anreize auf das Leistungsverhalten. Im Mittelpunkt der inhaltstheoretischen Überlegungen steht die Hypothese der Verdrängung intrinsischer Anreize durch extrinsische Motivatoren. Diese Diskussion, die sich auch im Kontext der Reformbemühungen des öffentlichen Dienstes widerspiegelt – nämlich mittels leistungsorientierter Vergütung Motivationseffekte zu erzeugen – soll nicht unberücksichtigt bleiben. Das Kapitel schließt mit einer kurzen Zusammenfassung des Bezugsrahmens und der Ableitung einiger zentraler Leitannahmen zur Wirkung von Leistungsbeurteilungen und daran gekoppelten variablen Entgeltbestandteilen im Kontext der in der organisationstheoretischen
Diskussion
induzierten
Gerechtigkeit und gezeigtem Extra-Rollenverhalten.
Interdependenz
organisationaler
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
117
4.1 Arbeitsverträge in der ökonomischen Theorie: Das Problem der Unvollständigkeit Organisationen – so ein Postulat der Organisationstheorie – seien in erster Linie soziale und weniger technische Systeme. Im Fokus dieser Theorien stehen die sozialen Beziehungen von Mitarbeitern und Organisationen; es wird versucht die soziale Interaktion in Organisationen zu erklären. Als Grundlage einer Arbeitsbeziehung gilt das Konstrukt des Arbeitsvertrages. Die Sicht der ökonomischen Standardliteratur, die auf der Annahme beruht, dass der Arbeitsvertrag auf einem Äquivalententausch gleichgestellter Vertragspartner beruhe, wird aus Perspektive der sozialwissenschaftlichen Literatur desillusioniert. Zur Erhellung der Tauschbeziehung im Rahmen eines Arbeitsvertrages wird im Gegensatz zu der Betrachtung traditioneller Transaktionen und der zugrunde liegenden Annahme vollständiger Verträge, der Aspekt beschränkter Rationalität und die Gefahren opportunistischen Verhaltens unvollständiger Verträge erörtert. Beispielsweise versucht die Anreiz-Beitrags-Theorie das Kalkül zu erhellen, auf Grund dessen Individuen die Angemessenheit von Anreizen und Beiträgen einschätzen. Damit wird die Einbettung des ökonomischen Tausches in eine soziale Arbeitsbeziehung diskutiert und es werden sowohl materielle als auch soziale wie aufgabenbezogenen Facetten des Interesses der Organisationsmitglieder einbezogen.
4.1.1
Äquivalententausch oder Autoritätsverhältnis?
Die neoklassische Interpretation des Arbeitsvertrages beruht auf der Vorstellung des Äquivalententauschs: Getauscht werden Arbeitsleistungen, zu denen Individuen verpflichtet werden, gegen Belohnungen durch die Organisation, die den Individuen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse dienen. Damit stellt sich das soziale Verhältnis der Vertragsparteien als eine Tauschbeziehung dar, in der beide Seiten zum Zwecke ihres wechselseitigen Vorteils zusammen wirken: Im Arbeitsvertrag stehen sich – so die Annahme – gleichberechtigte Tauschpartner gegenüber.386
386
Siehe beispielsweise die Erläuterungen von M.H. Dunn (1998, S. 118) in Anlehnung an D. Schneider (1987, S. 542) dem zur Folge die neoklassische Interpretation des Arbeitsvertrages in der Annahme mündet: „Jeder Vertrag schafft also genau besehen ein beiderseitiges ‚Anordnungsrecht’ gegenüber dem Vertragspartner auf Lieferung und Leistung einerseits, Bezahlung andererseits.“
118
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
Aus Sicht der ökonomischen Standardtheorie gilt auch für Arbeitsmärkte die Idealbedingung vollkommener Märkte: Leistungen können monetär exakt beurteilt werden, jeder Anbieter realisiert bezüglich seines Angebotes einen mit Blick auf die Präferenzen und die Budgetausstattung der Nachfrager angemessenen Preis. Im räumenden Gleichgewicht gilt die Gerechtigkeit des Pareto-Optimums. Jedoch sind nicht nur reale Märkte – wie die zeitgenössische Ökonomie lehrt – von diesem Ideal mehr oder weniger weit entfernt, auch schließt die de jure Gleichstellung387 der Vertragsparteien beim vollständigen Arbeitsvertrag, die ökonomische Ungleichheit der Vertragsparteien nicht aus. Die Annahme, dass der Arbeitsvertrag auf einem Äquivalententausch beruht wird durch die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie in Frage gestellt: Ein Arbeitnehmer willigt demnach mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrages grundsätzlich in ein Autoritätsverhältnis ein.388 Der Arbeitsvertrag konstituiere – im Gegensatz zu Verträgen im Sinne eines Äquivalententausches – eine Hierarchie, ein auf relative Dauer gestelltes Herrschaftsverhältnis389 , in dessen Grenzen Gestaltungsraum qualitativer und quantitativer Variationen der Arbeitsleistung gegeben sind. Gegenstand des Arbeitsvertrages ist in der Folge nicht die Arbeit, sondern die menschliche Arbeitskraft. Das dem Arbeitgeber eingeräumte Verfügungs- oder Nutzungsrecht des Faktors Arbeit gilt als unbestimmt: Der Verkäufer der Arbeitskraft tauscht Nutzungsrechte an seiner Arbeitskraft gegen ein Entgelt. Er tauscht also nicht genau spezifizierte Arbeitsleistungen, wie die traditionale Theorie annimmt, sondern die Verpflichtung, Weisungen für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses Folge zu leisten.390 Die Relevanz dieser Überlegungen spiegelt zum einem wider, dass der Arbeitsvertrag durch eine Autoritätsbeziehung gekennzeichnet ist und die soziale Interaktion der Vertragspartner mit dem Arbeitsvertrag nicht erlischt.
Anders
beim
Äquivalententausch:
Anweisungen
und
Leistungskontrollen
könnten entfallen, innerbetriebliche Zielkonflikte und Machtasymmetrien nicht entstehen.391 Zum anderen entsteht durch die Unbestimmtheit des Arbeitsvertrages392
387 388 389 390 391
Der Begriff der Gleichstellung bezieht sich auf die Tatsache, dass beide Vertragsparteien im dem Sinne der Freiwilligkeit in den Vertrag einwilligen. Vgl. C.I. Barnard (1938, S. 161 ff.) und H.A. Simon (1976, S. 123 ff.). D.M. Kreps (1990, S. 111) bezeichnet die Autoritätsbeziehung auch als ‚hierarchische Transaktion’. Vgl. M.H. Dunn (1998, S. 125 f.). Vgl. M.H. Dunn (1998, S. 120).
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
119
das Problem, dass die zur Erzeugung erwünschter Leistungsmotivation notwendige Balance von Anreizen und Beiträgen Vorgesetzten als Daueraufgabe erhalten bleibt.393
4.1.2
Das Problem unvollständiger Information: Cui Bono?
Die neoklassische Theorie setzt in ihren Annahmen das Konstrukt rationaler Wahlakte voraus: Ebenso die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie. Jedoch unterscheidet sich die Analyse der Wahlakte deutlich von der neoklassischen Analyse:394 Ersetzt werden die neoklassischen Prämissen der vollständigen Information und unbegrenzten Rationalität durch die Prämissen unvollständiger Information und begrenzter Rationalität.395 In der orthodoxen Behandlung ökonomischer Transaktionen wird ein vollständiger Vertrag zugrunde gelegt.396 Ein vollständiger Vertrag impliziert, dass alle (auch zukünftige) Risiken für die Vertragsparteien bekannt sind und eine Festlegung erfolgt, welche Leistungen der Risikoträger im Falle des Risikoeintritts zu übernehmen hat. Folglich sind vollständige Verträge als Verträge mit symmetrischer Information definiert, die nicht mit Risiken behaftet sind, die später zu einer Abänderung, Aufhebung oder Anfechtung führen könnten.397 Im Gegensatz zu diesen Annahmen zeigen unvollständige Verträge dazu spiegelbildlich Einschränkungen bezüglich der Information und verweisen auf das Problem beschränkter Rationalität. Den im hohen Maße vereinfachenden Modellierungsansatz der präskriptiven Entscheidungstheorie – dem vorherrschenden Bild des homo oeconomicus – hat Simon (1976) das Konzept der „bounded rationality“ gegenübergestellt. Dieses Konzept verweist darauf, dass Entscheidungsträger in Organisationen durch begrenzte 392
393 394 395 396 397
Die traditionelle Theorie legt die Annahme zugrunde, dass der Arbeitsvertrag den Tausch einer genau spezifizierten Arbeit gegen einen ebenso spezifizierten Lohn kodifiziert, vergleichbar einem Kaufvertrag, der den Austausch einer Geldsumme gegen ein x-beliebiges Gut regelt. Tatsächlich sind in der Realität Arbeitsverträge aber unvollkommen spezifiziert. Arbeitsverträge enthalten keine genaue Angabe, über die für eine feststehende Lohnsumme zu erbringende Arbeitsleistung: So wird beispielsweise ein Elektriker zwar das Problem der elektrischen Anlagen in einem Unternehmen bewältigen müssen, aber wie viel (Arbeitsintensität) und was genau (Arbeitsinhalt) zu tun ist, wird im Arbeitsvertrag nicht bestimmt (vgl. M.H. Dunn 1998, S. 123). In der personalwirtschaftlichen Praxis wird versucht diesem Problem – nach Vertragsabschluss – durch Stellenbeschreibungen zu begegnen. Vgl. U. Berger und I. Bernhard-Mehlich (2002, S. 139). Vgl. H.A. Simon (1957, S. 170 ff.). Vgl. U. Berger und I. Bernhard-Mehlich (2002, S. 134). In diesem Zusammenhang ist auf I.R. MacNeil (1978) zu verweisen der diese Art von Verträgen als „klassische“ Verträge bezeichnet. Vgl. H.-B. Schäfer und C. Ott (1986, S. 251).
120
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
Rationalität
und
eingeschränkte
Entscheidungsautonomie
gekennzeichnet
sind.
„Aufgrund ihrer endlichen Informationsverarbeitungskapazitäten kennen die Entscheidungsträger niemals alle Handlungsalternativen und sind erst recht nicht in der Lage, deren Konsequenzen voll zu überblicken.“398 Beispielsweise hat ein einzelner Mitarbeiter zum Zeitpunkt seiner Einstellung nur eine vage Vorstellung von den Leistungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, denen er zukünftig unterworfen wird. Weniger noch als die Unternehmung kann der einzelne Arbeitnehmer beurteilen, ob sich das Unternehmen auf den Märkten halten wird, welche Anpassungshandlungen von der Unternehmensleitung gegebenenfalls ergriffen werden müssen und vor allem welche Konsequenzen sich daraus für ihn ergeben.399 Traditionell wird das Problem asymmetrischer Informationen aus der Perspektive der Unternehmung betrachtet. Diskutiert werden – hinsichtlich des ökonomischen Interesses von Organisationen – vor allem Gefahren opportunistischen Verhaltens seitens der Arbeitnehmer sowohl vor wie nach Vertragsabschluss. Typischer Weise wird darauf verwiesen, dass Arbeitskräfte ihre Fähigkeiten besser kennen als potentielle Arbeitgeber, diese gar in irreführender Weise darstellen könnten.400 Zudem bestehe die Gefahr, „(…) dass sich die Arbeitskräfte nicht ausreichend anstrengen, shirking praktizierten usw.“401 Die skizzierte Thematik der Ungewissheit und der beschränkten Rationalität veranschaulicht, dass Vertragspartner unterschiedlich gut und umfassend über die zukünftige Ausgestaltung und Wirkung, der von ihnen eingegangenen Vertragsbeziehung informiert sind. Im Sinne unvollständiger Verträge herrscht ein Zustand asymmetrischer Information. Dieser wird in Verbindung mit opportunistischem Verhalten des besser informierten Vertragspartners, das sowohl vor wie nach Vertragsabschluss auftreten kann, in der Literatur als moralisches Risiko (moral hazard) diskutiert.402 Dunn (1998) verweist darauf, dass das Problem asymmetrischer Information und opportunistischen Verhaltens nicht einseitig vom ökonomischen Interesse der Organisation betrachtet werden sollte. Vielmehr – so die Argumentation – befänden sich Organisationen gegenüber dem Einzelnen in einer günstigeren Verhandlungs- und
398
J. Wolf (2003, S. 185). Vgl. M.H. Dunn (1998, S. 126). 400 Vgl. R. Richter und E. Furubotn (1996, S. 150). 401 M.H. Dunn (1998, S. 127). 402 Vgl. M.H. Dunn (1998, S. 122). 399
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
121
Machtposition und es läge die Vermutung nahe, dass der einzelne Arbeitnehmer ebenfalls erheblichen Risiken opportunistischen Verhaltens seitens der Organisation ausgesetzt sei und asymmetrische Informationen in gar nicht seltenen Fällen zu seinen Lasten gehen.403 So verliehen beispielsweise die unvollkommen spezifizierten und auf Langfristigkeit ausgerichteten Arbeitsverträge den Unternehmen das Recht, Arbeitsleistungen innerhalb der rechtlichen Grenzen zu verdichten. Die Unternehmen verfügten über die Möglichkeit Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die menschliche Arbeitskraft intensiver und effektiver als bisher genutzt werden kann, ohne deshalb den Lohn zu erhöhen.404
4.1.3
Arbeitsbeziehungen als Sozialtauschbeziehungen: Die Anreiz-Beitragstheorie
Die Unvollständigkeit des Arbeitsvertrages – so das Resümee des bisherigen – birgt Risiken für beide Vertragsparteien. Einerseits setzt das implizite, oftmals stillschweigende Einverständnis der Vertragsparteien, im idealtypischen Arbeitsvertrag ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen voraus.405 Anderseits kann sich „im Realen“ der Arbeitsvertrag, bedingt durch seine Offenheit und Unbestimmtheit, als „konstruktive Wundertüte“406 entpuppen. Diese Terminologie fokussiert auf die zu erwartenden Schwierigkeiten der vertraglichen Umsetzung zur Realisierung von Kooperationserträgen, den Problemen des ökonomischen Tausches.407 In der organisationstheoretischen Literatur wird dieser Art Schwierigkeiten aus verschiedenen Perspektiven begegnet. Zum einen bedingt die Unvollständigkeit des Arbeitsvertrages – so ein organisationstheoretisches Konzept – die ergänzende Betrachtung des Rollendurch Extrarollenverhalten. Zum anderen wird im Rahmen der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre die Einbettung des ökonomischen Tausches in eine soziale Arbeitsbeziehung durch die Berücksichtigung der subjektiven Anreiz-Beitrags-Bilanz diskutiert. Die auf Barnard (1938) bzw. March und Simon (1958) zurückgehende AnreizBeitrags-Theorie versucht die Teilnahme- und Ausscheidungsmotivation von Organisationsmitgliedern zu beleuchten. Insbesondere geht es um die Frage, unter wel403
Vgl. M.H. Dunn (1998, S. 127). Vgl. M.H. Dunn (1998, S. 119 und S. 129). 405 Vgl. D. Sadowski (2002, S. 78). 406 Vgl. R. Birk (1973, S. 60). 407 Vgl. D. Sadowski (2002, S. 78). 404
122
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
chen Bedingungen Individuen an Organisationen teilnehmen und motiviert sind, die für die Organisation erforderlichen Beiträge zu erbringen. Ausgangspunkt der Überlegungen war es erstmals – analog zum Konzept der Koalitionstheorie – Organisationen als soziale Systeme, als Koalitionen aller an ihr partizipierenden Gruppen zu begreifen.408 Die „Barnard-Simon´sche“ Theorie des organisationalen Gleichgewichts, die im wesentlichen als prozessorientierte Motivationstheorie409 gilt, diskutiert, dass zwischen den Anreizen zu Beitritts- und Beitragsentscheidungen und den Beiträgen der Teilnehmer ein Gleichgewichtszustand hergestellt und aufrechterhalten werden soll, um folglich das Überleben der Organisation zu gewährleisten. „Beschrieben wird ein personinterner Kalkulationsvorgang und daraus entsprechende Handlungsfolgen, die aus dem subjektiven Vergleich erhaltener Anreize und individueller Leistungsbeiträge hervorgehen.“410 Individuen – so die Annahme – leisten nur so lange Beiträge, wie sie die angebotenen Anreize als mindestens gleich groß oder größer als ihre Beiträge wahrnehmen. 411 Über diese in der Anreiz-Beitrags-Theorie formulierten abstrakten Gleichgewichtsbedingungen – die vereinfachend unterstellen, dass Personen in der Lage sind, Anreize und Beiträge in einer einzigen Nutzengröße zusammenzufassen und zur Grundlage ihres Verhaltens zu erheben412 – hinausgehend, entwickelt Barnard wei-
408
409
410 411 412
Vgl. W.H. Staehle (1999, S. 431) zurückgehend auf R.M. Cyert und J.G. March (1963). Anzumerken ist, dass die Anreiz-Beitrags-Theorie die dichotomische Betrachtung ArbeitgeberArbeitnehmer aufhebt. Organisationen bestehen – so das Konzept – aus Handlungen; aus Handlungen verschiedenartiger „Teilnehmer“. Als Teilnehmer gelten alle, die ein (investives) Interesse an der Organisation besitzen: Die „normalen“ Arbeitnehmer, Manager, Geschäftsführer, Kunden und Lieferanten wie auch Fremd - und Eigenkapitalgeber. Organisationen haben demnach die Vermittlung unterschiedlicher Interessen seiner Teilnehmer Rechnung zu tragen, „(…) sie definieren Aufgaben, gestalten die Arbeitsteilung und regeln die Zusammenarbeit und die Konfliktaustragung“ (A. Martin 2001, S. 292). Dies impliziert, dass Verhalten in Organisationen sich nicht allein auf ein reines Austauschverhältnis reduzieren lässt. „Die Tauschbeziehung ist vielmehr eingebettet in eine Vielfalt institutioneller Regeln, die der Kooperation der Teilnehmer Halt geben“ (A. Martin 2001, S. 292). Vgl. hierzu auch U. Berger und I. Bernhard-Mehlich (2002, S. 134 ff.). Eine Skizzierung der (klassischen) motivationstheoretischen Ansätze leitet die in Abschnitt 4.3.4 in diesem Kapitel behandelte Diskussion um die ökonomische Theorie der Motivation von Frey (1992; 1994; 1997) ein. P. Conrad (2004, Sp. 1495). Zur genaueren Spezifizierung der Anreiz-Beitrags-Theorie vgl. J.G. March und H.A. Simon (1976, S. 81 ff.). Zur Kritik an der Anreiz-Beitrags-Theorie ist in Anlehnung an G. Ortmann (1976) und W. Dorow (1982) anzumerken, dass über den Inhalt von Anreizen und Beiträgen keine konkreten Angaben gemacht werden, zentrale Begriffe wie subjektiver Nutzen und individuelle Arbeitszufriedenheit nicht operationalisiert werden, dass Teilnehmerverhalten rein adaptiv gegenüber den Anreizen der Organisation betrachtet werden und auch die asymmetrische Verteilung von Anreizen und Beiträgen auf die Organisationsteilnehmer nicht weiter problematisiert werden.
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
123
tere Überlegungen zu einer Ökonomie der Anreize.413 Seine Überlegungen setzen an den Bedürfnissen der Individuen an und gehen davon aus, dass materielle Bedürfnisse und Anreize nicht allein der Vorrangstellung dienen, die ihnen in der klassischen Ökonomie und häufig auch in der zeitgenössischen Führungspraxis zugeschrieben werden. 414 Zum einen wird angenommen, dass Anreize und Beiträge nicht nur im Zeitablauf und mit veränderten Organisationstypen variieren, sondern dass auch von der Organisation als solcher, von ihrem Zweck, ihren Strukturen und Verfahren oder ihrem Prestige, wichtige Anreize zur Teilnahme ausgehen.415 Zum anderen wird thematisiert, dass Organisationen aber nicht nur objektive Vergütungen, beispielsweise in Form von Geld oder Status anbieten, sondern auch versuchen die Bedürfnisse und die Nutzenfunktion der Individuen derart zu beeinflussen, dass diese die angebotenen Vergütungen als ausreichende Anreize wahrnehmen.416 Diese angesprochenen manipulativen Aspekte können sowohl zum Ausschluss von Teilnehmern, die nicht die erwünschten Beiträge leisten wie auch zur Erzeugung von Furcht und erwünschter Beitragsmotivation bei den verbleibenden Teilnehmern führen.417 Diese Akzentuierung impliziert einen weiteren theoretischen Bezugsrahmen, der einlädt die Vielfalt der Facetten des wechselseitigen sozialen Interesses der Organisationsmitglieder in das Kalkül der Gestaltung von Anreizsystemen mit einzubeziehen. In der jüngeren sozialpsychologischen Literatur wird die klassische Problematik der Einbettung vom ökonomischem Tausch in soziale Arbeitsbeziehungen mit der Kategorie des psychologischen Vertrages näher zu beleuchten versucht.
4.2 Arbeitsbeziehungen aus psychologischer Sicht: Das (veränderliche) Vertragskontinuum implizierter Verträge Die Austauschbeziehung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird formal in einem expliziten Arbeitsvertrag auf individueller Ebene der betrieblichen Arbeitsbeziehung
413
Vgl. C.I. Barnard 1938, S. 139 ff. Vgl. C.I. Barnard 1938, S. 143. 415 Vgl. U. Berger und I. Bernhard-Mehlich (2002, S. 137). 416 Vgl. C.I. Barnard 1938, S. 149 ff. 417 Vgl. U. Berger und I. Bernhard-Mehlich (2002, S. 137 f.) in Anlehnung an Barnard (1938, S. 152.) 414
124
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
schuldrechtlich begründet und ausgestaltet.418 Jedoch erklären durch den Abschluss einer solchen formalen Übereinkunft die Vertragspartner nur ihre grundsätzliche Bereitschaft zu kooperativem Verhalten.419 Eine Spezifikation der wechselseitigen Verhaltensweisen und Verpflichtungen der Vertragsparteien erfolgt lediglich in allgemeiner Form. Der explizite Arbeitsvertrag gilt, wie bereits im vorherigen thematisiert, im Sinne arbeitsökonomischer Vertragstheorie als unvollständig. Seine verhaltensbestimmende Kraft ist beschränkt. Das konkrete Arbeitsverhalten wird aus Perspektive der organisationspsychologischen Literatur nicht vorrangig durch den „formalen“ juristischen Arbeitsvertrag bestimmt, sondern ist vielmehr durch das subjektive Verständnis des Arbeitnehmers über den Charakter des Arbeitsverhältnisses geprägt. Nicht explizit definierbare Eigenschaften eines Beschäftigungsverhältnisses, sondern gegenseitiges Vertrauen, wechselseitige Erwartungen und Fairness gelten als bedeutsam für die wahrgenommene Qualität der Austauschbeziehung. Die Theorie der „Psychologischen Verträge“ versucht die soziale Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern als Austauschverhältnis zu erklären. Die Erkenntnisse des psychologischen Vertrages implizieren, dass das Individuum der Organisation mit vielfältigen Erwartungen gegenübertritt und die Organisation ihrerseits eine Erwartungshaltung bezüglich des Individuums einnimmt. Diese durch Wahrnehmung und Deutung entstehenden impliziten Verträge sind ein Geflecht von gelebten Verbindungen und Abhängigkeiten in Organisationen. Was aber in der sozialen Arbeitswelt als loyal und fair interpretiert wird, wie sich Arbeitsverhalten konkretisiert und welche Erwartungen seitens Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedeutsam sind, unterliegt dem Wandel. Im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen soll unter Berücksichtigung des personalwirtschaftlichen Schwerpunktes der vorliegenden Arbeit dargestellt werden, welche Inhalte des psychologischen Vertrages im öffentlichen Dienst die Arbeitsbeziehungen der Vertragspartner bisher getragen haben und wie in Folge der Einführung ökonomischer Anreize (und 418
Grundlage des individuellen Arbeitsvertragsrechts sind die allgemeinen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sowie die Bestimmungen über den Dienstvertrag nach §§ 611630 BGB. Der Rechtsbegriff des Arbeitsvertrages ist gesetzlich nicht ausdrücklich bestimmt, er wird gewonnen aus der gesetzlichen Bestimmung des Dienstvertrages in § 611 Abs. 1 des BGB (vgl. A. Höland 2004, Sp. 415). Die Ausgestaltung des Arbeitsvertrages ist grundsätzlich „Ge genstand freier Übereinkunft“ und lediglich durch höherrangiges Recht, wie etwa Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen eingeschränkt. Weitere Regelungen zum Arbeitsverhältnis finden sich in verschiedenen Einzelgesetzen, wie z.B. dem Kündigungsschutzgesetz (KschG), dem Beschäftigungsförderungsgesetz (BeschFG) oder dem Handelsgesetzbuch (HGB). 419 Vgl. K. Schrüfer (1988, S. 86).
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
125
Sanktionen) im öffentlichen Dienst diese seitens der Arbeitnehmer interpretiert werden (könnten). Zu diskutieren sind, neben einer positiven Adaption der neuen fixierten Leistungserwartungen seitens der Arbeitnehmer – die keineswegs als selbstverständlich angesehen werden kann – auch die möglichen Folgen aus der mangelnden Berücksichtigung bzw. Verletzung impliziter Verhaltensgewohnheiten.
4.2.1
Der Arbeitsvertrag aus psychologischer Sicht: Die Fülle der Erwartungen
Arbeitsverträge sind durch eine langfristig ausgerichtete, von Komplexität und Interdependenz geprägte Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gekennzeichnet. „Die Mehrzahl aller Beschäftigten entwickelt im Laufe der Beziehung zu ihrem Arbeitgeber eine kognitiv/emotionale Verbindung, die über das formale Vertragsverhältnis hinausgeht.“420 Dieses implizite Bindeglied zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber wird in der Organisationspsychologie zurückgehend auf Argyris (1960), Levinson (1962) und Schein (1978) als psychologischer Kontrakt beschrieben.421 Individuum und Organisation schließen nicht nur einen juristischen, sondern im übertragenden Sinne auch einen psychologischen Vertrag. Der Gegenstand dieser Verträge ist weder operationalisierbar, (er lässt vielmehr einem breiten Interpretationsspielraum), noch formal vertragsrechtlich einklagbar, auch wenn der soziale und rechtliche Kontext Auswirkungen auf die Gestaltung und die Qualität der Verträge
420 421
M.G. Monzel (2001, S. 76). Trotz der frühen Überlegungen zum Themengebiet psychologischer Kontrakte gewann die Theorie erst in den 80er und 90er Jahren an wissenschaftlicher Bedeutung. Die aktuelle Definition und Verwendung des Begriffs bezieht sich in Anlehnung an D.-M. Rousseau und J. McLean Parks (1993), anders als die ursprüngliche Ausrichtung, vor allem auf die arbeitnehmerspezifischen Erwartungen und Interpretationen eines versprochenen Vertrages. „Individuen schließen „Psychological Contracts“ ab, Unternehmen nicht (M.-G. Monzel 2001, S. 79).“ Vielmehr bieten Unternehmen als Partner im Austauschverhältnis den Kontext für die Entstehung psychologischer Verträge, können aber keinen eigenen kognitiven Vertrag mit ihren Organisationsmitgliedern schließen (vgl. D.-M. Rousseau 1989, S. 126). Darüber hinaus akzentuiert Rousseau, dass ein psychologischer Vertrag erst entsteht, wenn der Arbeitnehmer überzeugt ist, dass ein Versprechen des Arbeitgebers über zukünftige (Gegen-)Leistungen abgegeben wurde (vgl. D.-M. Rousseau 1989, S. 121). Im Kern unterscheiden sich die unterschiedlichen Definitionen darin, dass sie zwischen Erwartung, Versprechen, Verpflichtung oder Hoffnung der Erfüllung von impliziten Vertragsinhalten differenzieren. Eine Vertiefung dieser terminologischen Differenzierungen erscheint im Rahmen dieser Arbeit nicht zielführend. Vielmehr sei weiterführend auf die Ausarbeitung von D.E. Guest (1998, S. 650 f.) verwiesen. Richtig ist, dass Organisationen als Systeme keine psychologischen Verträge abschließen. Insoweit stimmt die Autorin der jüngeren Auffassung von D.-M. Rousseau et al. zu. Jedoch werden die aus den Zielsetzungen von Organisationen abgeleiteten Erwartungen durch die Mitglieder in Leitung, Personal- und Organisationsabteilungen vertreten und umgesetzt. Insofern sind die Erwartungen an psychologische Verträge in Organisationen nicht nur arbeitnehmerseitig, sondern auch arbeitgeberseitig zu betrachten.
126
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
hat422 .
Organisationen nutzen diesen Charakter von Arbeitsbeziehungen: Das
Wechselspiel der gegenseitigen Erwartungen. Sie sind auf das Engagement und die Flexibilität ihrer Arbeitnehmer angewiesen. Mitarbeiter haben vielfältige Erwartungen an ihre Unternehmen: Ein angenehmes Betriebsklima, freundschaftliche Beziehungen zu Vorgesetzten und Kollegen, Entgegenkommen bei Urlaubswünschen und Krankheitsphasen. Arbeitsplatzsicherheit auch in Krisenzeiten, Respekt und Anerkennungen für erbrachte Leistungen oder einfach nur eine faire Behandlung. Zu einer fairen Behandlung gehört auch eine gerechte Entlohnung. Auf der anderen Seite stehen diesen Erwartungen entsprechende Gegenleistungen gegenüber: Freiwillige Überstunden in Notlagen, Hilfsbereitschaft im Kollegenkreis, sorgsamer Umgang mit Betriebsmitteln, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, Eigeninitiative und Verantwortungsbereitschaft und nicht zuletzt Loyalität und ein Gefühl von Verpflichtung.423 Die Fülle der Erwartungen, die im psychologischen Vertrag abgebildet werden, wird im Unterschied zu formalen Verträgen zumeist nicht explizit formuliert. Dennoch formen diese Anspruchshaltungen und gegenseitigen Verpflichtungen das Arbeitsverhältnis und gelten als steuernde Verhaltensdeterminanten.424 Implizite Verträge werden nicht im vollen Umfang definiert, vielmehr werden Erwartungen, die an das Austauschverhältnis bestehen erst im Rahmen der Vertragsbeziehung näher definiert und angepasst. Sie bilden sich erst während der weiteren Organisationsmitgliedschaft heraus (z.B. durch kollegiale Beziehungen und Loyalität). Aber auch vor dem Eintritt in die Organisation liegen Bewertungen vor, die in die Überlegungen bezüglich des potentiellen Abschlusses eines expliziten Vertrages einfließen und sich als Erwartungen im psychologischen Vertrag abbilden (z.B. Status, der durch die Mitgliedschaft in bestimmten Organisationen erreicht werden kann und die Erwartung sozialer Sicherheit, die aus der Historie der Organisation ersichtlich wird).425 Die Bedeutung des psychologischen Vertrages für Organisationen und Mitarbeiter ist klar ersichtlich: Für eine Leistung der Organisation z.B. der Verwirklichung von Statuswünschen, fairer Entlohnung oder sozialer Sicherheit werden Gegenleis-
422
Vgl. D.-M. Rousseau und J. McLean Parks (1993, S. 37). Vgl. D. Holtmann, W. Matiaske und I. Weller (2003, S. 17). 424 Vgl. E. H. Schein (1980, S. 24). 425 Vgl. D. Holtmann, W. Matiaske und I. Weller (2003, S. 17). 423
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
127
tungen getauscht, die als adäquat erachtet werden, wie beispielsweise effiziente Leistungserbringung, Eigeninitiative oder Zuverlässigkeit. Dabei stehen die Vertragspartner in einem wechselseitigen interdependenten Abhängigkeitsverhältnis, das in langfristiger Bewährung zu einem Aufbau von Vertrauen und Loyalität führt.426 Die Relevanz dieser Interdependenz zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber wird aber im wesentlichem von seiner Transparenz und der Kommunikation des tatsächlichen Verhältnisses bestimmt.427 Neben den bisher skizzierten Eigenschaften psychologischer Verträge,
-
den nicht ausgesprochenen wechselseitigen Erwartungen,
-
den aus der Vergangenheit abgeleiteten Erwartungen und
-
den Interdependenzen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
sind nach Levinson (1966) noch weitere Einflussgrößen und Inhalte psychologischer Verträge zu berücksichtigen. 428 In Folge der Ergebnisse einer durchgeführten Studie betont Levinson zu dem die Kategorien:
-
Der Psychologischen Distanz, die sich mit dem menschlichen Bedürfnis nach Vertrautheit und Nähe beschäftigt und für die Mehrzahl der Beschäftigten im betrieblichen Alltag ein wichtiger Aspekt ist.
-
Der inhärenten Dynamik psychologischer Kontrakte. Angesprochen wird, dass zum einen Arbeitnehmer selbst im Laufe ihres Berufslebens die Anforderungen an sich selbst und ihre Arbeitgeber ändern und zum anderen organisatorische Änderungen und Wandel nachhaltig das Verhältnis der Vertragspartner ändern und zerstören können.
-
Der erwarteten Verlässlichkeit von Verträgen. Akzentuiert wird die Reziprozität, dass nur die Mitarbeiter das geforderte Verhalten zeigen, die den Eindruck haben, dass das Unternehmen die erwarteten Belohnungen auch gewähren wird und nur die Arbeitgeber die entsprechende Belohnung leisten, wenn der Arbeitnehmer die erwartete Leistung und Identifikation mit seiner Arbeit aufbrin-
426
Vgl. D.E. Morrison (1994, S. 355). Vgl. M.-G. Monzel (2001, S. 87). 428 Vgl. H. Levinson (1966, S. 22 ff.). 427
128
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
gen wird. Voraussetzung dafür ist ein gewisses Maß an Kalkulierbarkeit und Vorhersehbarkeit der jeweils anderen Seite.
Den von Levinson (1966) kategorisierten Einflussgrößen und Inhalten psychologischer Verträge wird einerseits in aktuelleren Arbeiten429 zum Thema Gültigkeit attestiert. Insofern, dass diese für die Entstehung und Entwicklung von Beschäftigungsverhältnisse als Beschreibungshilfe hilfreich sind. Andererseits scheint die zunehmende Dynamik der Ausgestaltung gegenwärtiger Beschäftigungsverhältnisse zu grundlegenden Veränderungen zu führen. Die möglichen Auswirkungen auf die impliziten Vereinbarungen, die psychologischen Verträge, werden in der Literatur als Übergang von relationalen hin zu transaktionalen Verträgen beschrieben.430
4.2.2
Die Dynamisierung von psychologischen Arbeitsverträgen: (Mögliche) Konsequenzen
Psychologische Verträge verändern sich. Die subjektiven Erwartungen seitens der Mitarbeiter und ihres damit verbundenen Engagements sind vor allem von den situativen Rahmenbedingungen der jeweiligen Arbeitsbeziehung abhängig. Traditionell beschriebene Verträge beruhen auf der Erwartung, dass „(…) harte Arbeit und ein Höchstmaß an Loyalität im Ausgleich für Arbeitsplatzsicherheit und stetige Belohnung (sowohl hinsichtlich der Entlohnung als auch der Entwicklungsmöglichkeit) (…)“431 getauscht werden. Relationale Verträge implizieren, dass das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dem Grunde nach langfristig ausgerichtet und von wechselseitigen Verpflichtungen geprägt ist, die Inhalte in der Regel sehr allgemein gefasst und subjektiv bewertet sowie von Werten wie Vertrauen und Fairness geleitet werden. 432 Hingegen wird im Rahmen transaktionaler Verträge keine langfristige Ausrichtung der Austauschbeziehung, insbesondere von Seiten des Arbeitgebers angestrebt.
429
Siehe exemplarisch hierzu die Arbeit von M.-G. Monzel (2001). Im Rahmen der Arbeit wird untersucht, welche Bedeutung die impliziten Vereinbarungen für betroffene Mitarbeiter in einem privatisierungsbedingten Überleitungsprozess neben den formaljuristischen Ansprüchen erlangen. Grundlage der theoretischen Überlegungen ist eine intensive Auseinadersetzung mit der Theorie der „Psychological Contracts“. 430 Vgl. beispielsweise D.-M. Rousseau (1998, S. 667). 431 M.-G. Monzel (2001, S. 90). 432 Vgl. I.R. MacNeil (1985, S. 487 f.).
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
129
Die Intention dieses rein monetären Austauschverhältnisses ist aus Sicht von Unternehmen spezifisches Humankapital zu rekrutieren, es bedarfsgerecht ein- und wieder freizusetzen.433 Im Vordergrund steht der gezielte Einsatz von Beschäftigungssicherheit in Abhängigkeit des individuellen Beitrags zum ökonomischen Erfolg. Dieser begrenzten Ausrichtung des Beschäftigungsverhältnisses zur Folge, gehen die Vertragsparteien
wenige
Verpflichtungen
hinsichtlich
Unternehmenskultur,
Loyalität
und emotionaler Bindung ein.
Psychologischer Kontrakt Dimension
alt (relational)
neu (transaktional)
Fokus
Sicherheit
Einsatzfähigkeit
Zeithorizont
langfristig
kurzfristig/zweckgebunden
Ausrichtung
ökonomisch intrinsisch/sozioemotional
ökonomisch extrinsisch
Grundlegendes Prinzip
Tradition
Marktkräfte
Angestrebtes Ziel
Loyalität und Bindung
Wertschöpfung
Zentrale Verantwortung des Arbeitnehmers
angemessene Leistungsbereitschaft Beitrag zur Wertschöpfung
Zentrale Verantwortung des Arbeitgebers
Arbeitsplatzsicherung im Austausch für gute Arbeit
Entlohnung gemäß dem Beitrag zur Wertschöpfung
Input des Arbeitnehmers
Zeit und Bereitschaft
Wissen und Fähigkeit
Input des Arbeitgebers
stabiles Einkommen und Aufstiegs- Möglichkeit zur Selbstverwirklimöglichkeiten chung
Abb. 4.1: Der „alte“ und der „neue“ psychologische Vertrag434
Eine eindeutige Abgrenzung dieser skizzierten und in Abbildung 4.1 gegenübergestellten Ausprägungen psychologischer Verträge wird in der Literatur in Frage gestellt. Wahrscheinlicher ist, dass Vertragsgestaltungen im betrieblichen Alltag Mischformen zwischen diesen beiden Extremen beinhalten.435
433
Vgl. M.-G. Monzel (2001, S. 90). Ausgangspunkt dieser, den psychologischen Vertrag differenzierenden Überlegungen, waren die in der Managementliteratur unter den Schlagworten Deregulierung, Outsourcing, Privatisierung, Restrukturierung, Fusionen und Akquisitionen gefassten Veränderungen und deren eindeutige Konsequenzen für die Beschäftigungsverhältnisse. Als extremes Beispiel für transaktionale Verträge verweist beispielsweise M.-G. Monzel (2001, S. 92) auf Zeitarbeitsverträge oder freie Mitarbeiterschaft. 434 Entnommen aus M.G. Monzel (2001, S. 92) in Anlehnung an D.-M. Rousseau (1990, S. 390) und J.-M. Hiltropp (1995, S. 290). 435 In der jüngeren Literatur wird beispielsweise das Verhältnis von relationalen und transaktionalen Elementen in der Form interpretiert, dass die Elemente des Vertrages, die ausschließlich die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers fokussieren als transaktionalen Komponente psychologi-
130
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
Die (bisherigen) Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst können als Beispiel für den in der vorliegenden Abbildung skizzierten relationalen Vertrag angeführt werden. Die Erwartungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, insbesondere in der vorvertraglichen Phase der Entscheidung, diesem beizutreten, spiegeln sich in allen aufgezeigten Dimensionen wider. So liegt dieser Entscheidung ein generelles Bedürfnis von Beschäftigungssicherheit zugrunde, das durch die Tradition des öffentlichen Dienstes gewährleistet wird. Damit verbundenes beiderseitiges Ziel ist die Loyalität und Bindung an die Organisation, die im Gegenzug von angemessener Leistungsbereitschaft Arbeitsplatzsicherheit, stabiles Einkommen und geregelte Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Im Zuge des neu verhandelten Tarifvertrages (TVöD) im Februar 2005 stehen die (kommunalen) Beschäftigten aber Veränderungen gegenüber436 ,
die
im
Sinne
psychologischer
Verträge
eine
Änderung
relationaler
Vertragsbestandteile in transaktionale Vertragsbestandteile beinhalten könnte. Stabilität, Dauerhaftigkeit, Vorhersagbarkeit, Fairness, Tradition und gegenseitiger Respekt, so eine Beschreibung in der Literatur, scheinen „out“. „In“ sind neue Merkmale
eines
Beschäftigungsverhältnisses wie Eigenverantwortung, Flexibilität und
Anpassungsfähigkeit.437
Inwieweit
die
aktuellen
Veränderungen
im
öffentlichen
Dienst als eine Verletzung bestehender psychologischer Verträge (relationalen Typs) seitens der Beschäftigten interpretiert werden, bleibt zunächst offen. Dennoch ist für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst der psychologische Vertrag neu zu interpretieren: Sind doch die vormals impliziten Versprechen abgelöst durch explizite Regeln zur Leistungsentlohnung, deren formale Gestaltung oftmals noch offen ist. Rousseau (1995) folgend können Einflussfaktoren auf die Veränderung psychologischer Verträge sowohl organisatorisch intern oder extern, als auch aus dem veränderten kognitiven Binnenverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber induziert sein.438 Einigkeit besteht bei den Vertretern des Human Ressource Management darüber, dass organisatorische Veränderungen Auswirkungen auf die wechselseitigen
scher Verträge bezeichnet werden. Hingegen Maßnahmen und Leistungen des Arbeitgebers, die auch Auswirkungen auf die individuellen Lebensumstände und -Qualität des Arbeitnehmers innerhalb und außerhalb des Betriebes einbeziehen, den relationalen Aspekten der Vertragsgestaltung zuzuordnen sind (vgl. R.A. Guzzo und K.A. Noonan 1994, S. 449). 436 Zur Verdeutlichung der Änderung der Vertragsinhalte ist auf Abbildung 3.12 sowie Abbildung 3.13 zu verweisen. 437 Vgl. J.-M. Hiltrop (1995, S. 286). 438 Vgl. D.-M. Rousseau (1995, S. 143).
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
131
Erwartungen der Vertragsparteien haben können. 439 Der theoretische Tatbestand der Vertragsverletzung psychologischer Kontrakte wird definitorisch gefasst als emotionale und affektive Erfahrung von Enttäuschung, Frustration und Unmut, die aus Sicht des Mitarbeiters durch die Interpretation eines vertragsverletzenden Verhaltens des Arbeitgebers entsteht.440 Inwieweit Arbeitnehmer aber Veränderungen als Verletzung des psychologischen Vertrages interpretieren, hängt davon ab, welche Konsequenzen die organisatorischen Veränderungen für das persönliche Arbeitsverhältnis der betroffenen Mitarbeiter haben, in welcher Form die Veränderungen organisiert und den Betroffenen vermittelt werden. Generell wird angenommen: „Je intensiver die spezifischen Arbeitsverhältnisse und somit die darauf aufbauenden psychologischen Kontrakte von Aspekten der Sicherheit und Stabilität geprägt sind, desto gravierender sind die Konsequenzen organisatorischen Wandels für diese Beschäftigungsverhältnisse.“441 Insbesondere eine Reduzierung von (freiwilligen) monetären und materiellen Zuwendungen, die Rücknahme von abgegebenen Arbeitsplatzgarantien sowie eine Begrenzung der internen Entwicklungsmöglichkeiten stehen als Beispiel von Maßnahmen des Arbeitgebers, vor allem im öffentlichen Dienst, die zu einer Vertragsverletzung impliziter Verträge führen könnten.442 Die
Verletzung
psychologischer
Verträge,
die
Beeinträchtigung
implizierter
Vereinbarungen, kann auf Seiten der Mitarbeiter zu emotionalen Reaktionen wie Enttäuschung, Vertrauensverlust und Unzufriedenheit bis hin zu dem Bedürfnis nach Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses führen. Passiver Widerstand, die Beeinträchtigung der Qualität der Leistungserstellung aber auch bewusste Störungen des Betriebsablaufs sind mögliche Auswirkungen auf das ökonomische Austauschverhältnis der Vertragsparteien, die in der Literatur angeführt werden. 443 Ein solches Verhalten von Mitarbeitern wird als Versuch gesehen, die Vertragsverletzung gegenüber dem Verursacher (Arbeitgeber) auszugleichen.
439
440 441 442 443
An dieser Stelle sei darauf zu verweisen, dass im Zusammenhang mit zunehmender wirtschaftlicher und organisatorischer Dynamik die Theorie der psychologischen Verträge als Erklärungsansatz für das Verhalten von Mitarbeitern in der Literatur an Bedeutung gewonnen hat (vgl. N. Anderson und R. Schalk 1998, S. 639). Vgl. D.E. Guest und N. Conway (1997, S. 242). M.-G. Monzel (2001, S. 108). Vgl. M.-G. Monzel (2001, S. 110). Vgl. D.-M. Rousseau (1989, S. 128).
132
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
Bezüglich der Konsequenzen der Vernachlässigung bzw. der Verletzung psychologischer Kontrakte gilt der theoretische Ansatz des psychologischen Vertrages aber als undifferenziert und lässt Handlungsalternativen und Lösungswege für die beteiligten Akteure offen. Kritisch zu hinterfragen gilt in diesem Zusammenhang, ob tatsächlich alle Arbeitnehmergruppen – unabhängig von ihrem Qualifikationsniveau und Alter – in der Konsequenz einer Verletzung impliziter Vereinbarungen die Option wählen, ein auf Sicherheit und freiwilliger Abhängigkeit basierendes Arbeitsverhältnis zu gefährden oder es gar aufzulösen. Anzunehmen ist vielmehr, dass für viele Arbeitnehmer die organisatorischen Veränderungen zwar zu einer ungewünschten Entwicklung ihrer persönlichen Arbeitsverhältnisse führt, „es ihnen keinen Spaß mehr macht“, sie aber dennoch die Veränderungen (temporär) akzeptieren, da die Situation am externen Arbeitsmarkt ihnen (insbesondere als Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes) keine Alternative zum bestehenden Arbeitsverhältnis bietet. Als weiteren Beschreibungsrahmen – auf welchen Erwartungen basierend der öffentliche Dienst den Wandel hin zur Steigerung der individuellen Leistungsbereitschaft seiner Mitarbeiter initiiert und dieser seitens der Mitarbeiter interpretiert und umgesetzt wird – bietet sich das Konstrukt des Organizational Citizenship Behavior an. Beleuchtet dieser nicht alleinig Leistungen und Beiträge der Mitarbeiter, sondern auch deren Bereitschaft vorübergehende Unannehmlichkeiten oder Aufwendungen zu akzeptieren, um somit die Organisation – im Sinne einer Gemeinschaft – nicht zu belasten, sondern zu entlasten. Angesprochen werden Rollenerwartungen und Bedingungen, die analog zum psychologischen Vertrag, sich nicht mit der genauen Erfüllung expliziter vertraglicher Verpflichtungen erschöpfen und oftmals von Handlungen aus der Vergangenheit determiniert werden.
4.3 Auswirkungen materieller Anreize auf das ExtraRollenverhalten in Organisationen Das Begriffspaar „besondere Leistungsbereitschaft und freiwillige Leistungen“ der Mitarbeiter, die regelmäßig über das geforderte Maß der vertraglichen Gestaltung des formalen Arbeitsvertrages hinausgehen, beschreibt was im Zuge des „Neuen Steuerungsmodells“ und aktuell mit den Aspekten zur rechtlich gültigen Regelung von Leistungsentgelten im Rahmen des TVöD im öffentlichen Dienst gefordert, belohnt
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
133
oder aber auch (im Rahmen der Nichterfüllung) zukünftig sanktioniert werden soll. Damit rückt in die Betrachtung der „engagierte“ Mitarbeiter, dessen Verhaltensweisen das formal fixierte Leistungspensum nicht nur überschreiten soll, sondern im Sinne eines engagierten „Organisations-Bürgers“ Tugenden zeitigen soll – wie beispielsweise spontane Hilfsbereitschaft, Verantwortung und Eigeninitiative – welche die Effektivität und Überlebensfähigkeit der Organisation sichern helfen sollen. Diese Verhaltensweisen, die nicht Bestandteil beruflicher Leistung im engeren Sinne sind, aber dennoch Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben können, werden in der Organisationspsychologie unter dem Konstrukt des „Extra-Rollenverhalten“ zusammengefasst. Im Fokus der nachstehenden Diskussionen stehen neben einer Skizze des bislang am intensivsten untersuchten Konzeptes des Organizational Citizenship Behavior (OCB; Organ 1988) vor allem die Fragen, ob und wie materielle Anreize auch das Extra-Rollenverhalten beeinflussen können, und welche Effekte denkbar sind. Ergänzt wird diese Diskussion um die in der jüngeren organisationspsychologischen Literatur geführte Kontroverse der Wechselwirkung intrinsischer versus extrinsischer Motivation. Angesprochen wird die nicht unstrittige These Freys (1997) des Verdrängungseffektes intrinsischer Motivation durch extrinsische (materielle) Anreize.
4.3.1
Konzepte zum Extra-Rollenverhalten: Der gute Organisationsbürger
Mit dem Hinweis auf die organisationalen Bürgertugenden bringt Organ (1977, 1988) in Erinnerung, dass Organisationen Flexibilität benötigen, wollen sie langfristig überleben. Organisationen, so die These, sind auf das freiwillige Engagement ihrer Mitglieder angewiesen, um den vielfach unvorhersehbaren Anforderungen der Zukunft begegnen zu können. Bereits Barnard (1938) verwies im Rahmen seiner systemtheoretisch beeinflussten Überlegungen zur Führung großer Unternehmen darauf, dass ein arbeitsteiliges System nur dann funktionieren kann, wenn die Mitglieder bereit sind, sich für das System über das „offiziell Geforderte“ hinaus einzusetzen. „Neben der Einengung des Verhaltens zur verlässlichen Rollenausübung müssen Freiräume und Möglichkeiten für spontanes und innovatives Verhalten eröffnet werden“444 , um den Veränderungen der Arbeitsbedingungen in flexiblen
444
W. Matiaske und I. Weller (2005, S. 64).
134
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
Organisationen und den damit verbundenen steigenden Koordinations- und Kooperationsbedarfen Rechnung zu tragen. Katz (1964) konkretisiert spontanes und innovatives Verhalten, das neben der eigentlichen Arbeitsleistung für den Erfolg von Organisationen als wichtig erscheint im Sinne von
-
Kooperation, die sich in helfenden und unterstützenden Aktivitäten auf einer individuellen Beziehungsebene zwischen Kollegen manifestiert,
-
Handlungen zum Schutz der Organisation durch sorgfältigen Umgang mit den Ressourcen (Maschinen, Rohstoffen und der Gesundheit von Menschen),
-
Ausschöpfung brach liegender Potentiale durch konstruktive und innovative Ideen und Verbesserungsvorschläge,
-
freiwilliger und fortwährender Weiterbildung zum Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten als gleichwohl private und organisationale Investition und
-
positiver Grundeinstellung, die sich auf das Betriebsklima und dem Ruf der Organisation auch Außenstehenden gegenüber auswirkt.445
Gemeinsam ist diesen Verhaltensweisen, dass diese außerhalb von Rollenvorschriften liegen und nicht formal gefordert werden können. Sie basieren allein auf der Freiwilligkeit der Mitarbeiter. Die „Freiwilligkeit“ wird in sofern akzentuiert, dass dieses Verhalten – so die Annahme – nicht anreizbedingt ist und sein Fehlen nicht unbedingt von Organisationen sanktioniert wird.446 Ebenso definiert Organ (1988) das Organizational Citizenship Behavior, als „(…) Verhalten im Ermessen von Individuen, das weder direkt noch explizit von formalen Belohnungssystemen honoriert wird, und das in der Summe das effektive Funktionieren der Organisation fördert.“447 Ähnliche Definitionsbestandteile prägen seit Anfang der 90er Jahre auch die mehr oder weniger verwandten Konstruktionskonzeptionen in der vorwiegend englischsprachigen
Organisationspsychologie,
beispielsweise
die
„Personal
Initia-
tive“448 oder die „Organizational Spontaneity“449 , deren gemeinsam thematisierter
445 446 447 448 449
Vgl. D. Katz (1964, S. 132 ff.) sowie die Interpretationen von W. Matiaske und I. Weller (2005, S. 64) und G. Hertel, E. Bretz und K. Moser (2000, S. 122). Vgl. G. Hertel, E. Bretz und K. Moser (2000, S. 122). Übersetzung von D.W. Organ (1988, S. 4) in G. Hertel, E. Bretz und K. Moser (2000, S. 123). Vgl. M. Fresse et al. (1994). Vgl. J.M. George und A.P. Brief (1992).
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
Verhaltensbereich
sich
übergreifend
als
„Extra-Rollenverhalten“
135
charakterisieren
lässt.450 Die Bedeutung von Organizational Citizenship Behavior (OCB) als wichtiger Verhaltensindikator für einen umfassenden Leistungsbegriff hat in der organisationspsychologischen Forschung zunehmend an Bedeutung gewonnen.451 Es wird davon ausgegangen, dass OCB wesentlich von der Motivation der Mitarbeiter abhängt. Die Intention von Organ und anderer Autoren (Bateman und Organ 1983, Organ 1988 sowie Organ und Ryan 1995) steht für das Bemühen, die Bedeutung der Arbeitszufriedenheit für das OCB auf empirischer Basis zu untersuchen.452 Zur Erfassung freiwillig gezeigter Verhaltensweisen wurde ein Messinstrument mit 16 Items entwickelt, dem insbesondere 2 Faktoren zugeordnet wurden: Hilfsbereitschaft (Altruismus) und Gewissenhaftigkeit. Der Unterschied zwischen den beiden Faktoren besteht in ihren Wirkungsdimensionen: Während sich Hilfsbereitschaft direkt auf die Kollegen, Kunden oder Vorgesetzte bezieht, beschreibt Gewissenhaftigkeit ein Verhalten von dem die Organisation oder die Arbeitsgruppe als Ganzes profitiert.453 Aufgrund von Plausibilitätsüberlegungen erweiterte Organ (1988) das Konstrukt um drei weitere Kategorien von Verhaltensweisen: „(…) „arbeitsrelevante Höflichkeit (sich zuerst mit anderen abstimmen, bevor Handlungen gezeigt werden, die deren Arbeitsbereich betreffen), „Sportsmanship“ (gelassenes Ertragen der Ärgernisse, die unweigerlich aus der Zusammenarbeit zwischen Menschen entstehen) und Bürgertugenden („civic virtues“; die Teilhabe am „öffentlichen Leben“ der Organisation).“454 Leistungen hingegen, so Organ (1988), sind in erster Linie bestimmt durch Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen sowie durch die Stimulierung organisationaler Anreize. Mittels einem metaanalytischen Verfahren belegt er (wenn auch mit geringen Effektstärken), dass Arbeitszufriedenheit höher mit OCB korreliert als mit individueller
450
451 452
453 454
Vergleichende Gegenüberstellungen von Konzepten zum Extra-Rollenverhalten in der deutschspra chigen Literatur bieten beispielsweise W. Matiaske und I. Weller (2003, S. 105 f.), P. Conrad und A. Sneikus (2000), G. Hertel, E. Bretz und K. Moser (2000) sowie F.W. Nerdinger (1998). Vgl. J. Felfe, B. Six und R. Schmock (2005, S. 49). Der Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleistung wird in der Literatur als vergleichsweise gering gesehen (siehe beispielsweise B. Six und A. Eckes 1991). Zur differenzierten Beurteilung des (aktuellen) Stands der Forschung bezüglich der Relation von Arbeitszufriedenheit und OCB siehe J. Felfe, B. Six und R. Schmock (2005). Vgl. G. Hertel, E. Bretz und K. Moser (2000, S. 124) sowie F.W. Nerdinger (1998, S. 23). Übersetzung nach D.W. Organ (1988) in F.W. Nerdinger (1998, S. 23).
136
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
Leistung.455
Demnach
wird
theoretisch
erwartet,
dass
das
Konstrukt
Arbeitszufriedenheit – vermittelt durch OCB – Auswirkungen auch auf die aggregierten Ergebnisse ganzer Organisationen haben könnte. Die Nützlichkeit des im OCB zusammengefassten Verhaltens für die Organisation gilt als wesentliches Definitionsmerkmal.456 In der aktuellen Literatur zum Thema wird in diesem Zusammenhang betont, dass auf Grund der gezeigten Ergebnisse von empirischen Studien zu organisationsdienlichen Verhaltensweisen vor allem Konsequenzen auf Gruppenebene und weniger individuelle Erfolgsmaße mit dem Konstrukt von OCB oder verwandten Konstrukten nachzuweisen seien.457
4.3.2
Bedingungen organisationsdienlichen Verhaltens: Kognitive und affektive Aspekte distributiver und prozeduraler Gerechtigkeit
Neben der rollentheoretischen Typologisierung werden im Rahmen der Arbeiten zum Extra-Rollenverhalten auch Tauschtheorien thematisiert, um die Verhaltensmechanismen der Akteure gezielter spezifizieren zu können.458 In Anlehnung an Blau (1964) werden in der Diskussion ökonomische Austausche von sozialen Austauschen unterschieden. Ökonomischer Austausch – so die klassische Theorie – ist gekennzeichnet durch konkrete Transaktionen: Leistungen gegen (geldwerte) Gegenleistung. Es gilt das Prinzip der (kurzfristigen) Quidproquo-Kalkulation. Demgegenüber steht das Kalkül sozialer Austauschbeziehungen: Zwar basiert auch sozialer Austausch auf der Erwartung künftiger Gegenleistung, diese ist aber vertraglich nicht näher spezifiziert und richtet sich in ihrer Erwartungsdimension auf die unbestimmte Zukunft. 455
Vgl. D.W. Organ und K. Ryan (1995). Die Folgen von OCB, so beispielsweise W. Matiaske und I. Weller (2003, S. 109) können grob in Folgen auf der Organisationsebene und Folgen auf der individuellen Ebene unterteilt werden. Definitionsgemäß, so die Zusammenfassung der Autoren, sollte sich OCB positiv auf die Effektivität der Organisation auswirken. 457 An dieser Stelle sei stellvertretend auf einige Studien verweisen, die signifikante Effekte bezüglich des positiven Zusammenhangs zwischen OCB und Gruppenleistung nachgewiesen haben (vgl. beispielsweise R. Karambya (1991), zitiert nach D.W. Organ und J.B. Paine (1999) sowie (eingeschränkt) P.M Podsakoff, M. Ahearne und S.B. MacKenzie (1997). Hingegen konnten Studien, die freiwilliges Arbeitsengagement auf die Arbeitsleistung des einzelnen Mitarbeiters fokussierten keinen Zusammenhang zwischen organisationsdienlichem Verhalten und individuellem Erfolg nachweisen. Siehe beispielsweise J.M. George (1991) und S.M. Puffer (1987). P.M. Wright et al. (1993) thematisiert in diesem Zusammenhang den Interessenskonflikt zwischen der eigentlichen Arbeitstätigkeit und freiwilligem Arbeitsengagement, wenn die Arbeitsziele für den einzelnen konkret und hochgesteckt sind. 458 Stellvertretend zu dieser Diskussion siehe W. Matiaske (1999, 2003). 456
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
137
Auch formales Rollenhandeln ist im Gegensatz zu Extra-Rollenverhalten an konsequentialistisches Kalkül gebunden: Handlungen werden mit Blick auf ihre Ergebnisse ausgeführt, indem (festgesetzte) Belohnungen angestrebt werden – Leistung und Gegenleistung werden getauscht.459 Entsprechend ist formales Rollenverhalten immer dann gefragt, wenn Leistung und Gegenleistung genau spezifiziert und vertraglich gefasst werden können. Demgegenüber ist Extra-Rollenverhalten an soziale Reziprozitätsnormen gebunden: Hilf dem, der Dir geholfen hat, und schade niemandem, der Dir geholfen hat!460 Als soziales Tauschmedium fungiert das Vertrauen: Anerkennung und (auf unbestimmte Zeit gestundete) Erwiderung ersetzen in reziproken Beziehungen die Medien des Geldes und des Vertrages.461 Die Reziprozität zeichnet sich durch Gedächtnis aus und gewinnt dadurch die im Rahmen von ExtraRollenverhalten betonte Flexibilität, da Leistung und Gegenleistung prinzipiell unspezifiziert bleiben und erst im Bedarfsfall aktiviert und definiert werden.462 Organ (1990) ging – basierend auf austauschtheoretischen Überlegungen – davon aus, dass freiwilliges Arbeitsengagement entsprechend einer Reziprozitätsnorm vor allem an erlebte faire Behandlung und Unterstützung durch die Organisation gebunden ist. Er betont, dass vor allem die Bewertung kognitiver Aspekte der Arbeitsbeziehung und weniger emotionale Aspekte für das Ausmaß von gezeigtem ExtraRollenverhalten entscheidend sind.463 Zu den kognitiven Aspekten werden vor allem Einschätzungen der Mitarbeiter zur distributiven und prozeduralen Gerechtigkeit in Organisationen gerechnet (wie beispielsweise die Gerechtigkeit der Bezahlung, die Fairness der Behandlung durch den Vorgesetzten etc.).464 Organ (1990) argumentiert, dass arbeitsbezogene Kognitionen in erster Linie durch die wahrgenommene Verfahrensgerechtigkeit in der Organisation beeinflusst sind. Verfahrensgerechtigkeit oder
459 460 461 462
463
464
Vgl. W. Matiaske und I. Weller (2005, S. 65). Vgl. A.W. Gouldner (1960). Vgl. F.W. Nerdinger (1998, S. 24) sowie W. Matiaske und I. Weller (2005, S. 65). In der verhaltenswissenschaftlichen Literatur werden derart geschlossene Arrangements von Arbeitsbeziehungen – wie zuvor in Abschnitt 4.2 thematisiert – auch als „formale“ und „psychologische“ Verträge interpretiert. Der Terminologie des psychologischen Vertrages entsprechend gehen Erwartungen und Ansprüche, die sich erst im Laufe der Zeit verfestigen über formale Vertragsvorstellungen hinaus; sie berühren vielmehr allgemeine Gerechtigkeits- bzw. Fairnessnormen des sozialen Miteinanders. Vgl. F.W. Nerdinger (1998, S. 127). Die Diskussion um den Einfluss emotionaler bzw. affektiver Aspekte einer Arbeitsbeziehung gilt eher als bedeutsam im Zusammenhang mit der Einschätzung von persönlichen Stimmungen am Arbeitsplatz und des Arbeitsklimas als für das Ausmaß von gezeigten Extra-Rollenverhalten. Vgl. G. Hertel, E. Bretz und K. Moser (2000, S. 124).
138
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
prozedurale Gerechtigkeit bezieht sich vor allem auf die Frage der Fairness bei der Ergebnisfindung. Hingegen spiegelt distributive Gerechtigkeit oder Verteilungsgerechtigkeit die individuelle Wahrnehmung der Verteilung von Belohnungen wider. In ihrer Wirksamkeit gilt die Verteilungsgerechtigkeit, die durch den Austausch von „Arbeitsleistung gegen (geldwerte) Äquivalente“ ausgezeichnet ist als kurzfristig. Längerfristige Auswirkungen in Arbeitsbeziehungen werden hingegen der Verfahrensgerechtigkeit zugerechnet, deren motivationale Dimension in Form wahrgenommener Fairness Extra-Rollenverhalten fördert und stärkt. Dieser theoretischen Annahme folgend beeinflusst vor allem das Erleben prozeduraler Gerechtigkeit, ein durch die Führungskraft mediiertes Vertrauen, den Zusammenhang zwischen Verfahrensgerechtigkeit und OCB. 465 Gleichermaßen kann gelten, dass wahrgenommene Verstöße gegen erwartete Verfahrensgerechtigkeit Extra-Rollenverhalten nicht dienlich ist und Organisationen schaden.466 Eine als ungerecht empfundene Behandlung könne nicht nur zu einer Reduzierung der Bereitschaft führen, sondern dazu, dass die betroffenen Mitarbeiter ihr Arbeitsverhältnis nicht mehr im Sinne eines Bürgerverhältnisses, sondern als eine rein ökonomische Zweckgemeinschaft betrachten.467
4.3.3
Materielle Anreize und Extra-Rollenverhalten (in öffentlichen Verwaltungen)
Die Akzentuierung der Wirkung kognitiver Aspekte vor allem die Interdependenz zwischen prozeduraler Gerechtigkeit und OCB verdeutlich, dass organisationsdienliches Verhalten in einem sozialen Kontext statt findet: Es wird von anderen wahrgenommen und bewertet.468 Was aber als Extra- und was als Rollenverhalten definiert wird, ist eine Frage der subjektiven Interpretation. 469 Eine genaue Trennung von geforderten und freiwilligen Arbeitshandlungen gilt gleichermaßen aus substantieller wie aus messtheoretischer Sicht als nur schwer möglich.470 Weder können allgemeingültige Trennlinien471 gezogen werden, noch ist davon auszugehen, dass es sich bei den Operationalisierungen entsprechender Messinstrumente immer und „(…) tat-
465 466 467 468 469 470 471
Vgl. hierzu die Studie von M.A. Konovsky und S.D. Pugh (1994). Vgl. hierzu R. Cropanzano und J. Greenbert (1997). Übersetzung nach D.W. Organ (1990) in M.G. Monzel (2001, S. 103). Vgl. W. Matiaske und I. Weller (2003, S. 110). Vgl. F.W. Nerdinger (1998) sowie D.E. Morrission (1994). Vgl. D.W. Organ (1997). Vgl. W. Matiaske und I. Weller (2003, S. 102 ff.).
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
139
sächlich um formal nicht vorgeschriebene und freiwillig gezeigte Verhaltensweisen handelt.“472 Mit der Frage der Trennbarkeit von Rollen- und Extra-Rollenverhalten rückt im Kontext der vorliegenden Arbeit nicht nur die Frage in den Fokus, welche Mechanismen welches Verhalten erzeugen, sondern im Mittelpunkt der empirischen Fortführung der Arbeit soll vor allem die Frage der materiellen Anreizsetzung und ihre Wirkung auf das Extra-Rollenverhalten näher beleuchtet werden. Thematisiert werden sollen vor allem, die im Zuge der Reformbemühungen zur Binnenmodernisierung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland eingeführten Leistungsbeurteilungen und leistungsbasierten Entgeltformen sowie deren Auswirkungen auf das Extra-Rollenverhalten. Gilt eben dieses in seiner ursprünglichen theoretischen Definition formalen Anreiz- und Belohnungssystemen gegenüber als resistent oder gar rückläufig. Analog der (klassischen) Auffassung sollten sich materielle Anreize, die exklusiv formales (im Arbeitsvertrag fixiertes) Rollenhandeln belohnen, neutral auf das Extra-Rollenverhalten auswirken. Als Voraussetzung gilt die idealtypische Prämisse, dass formales Rollenhandeln und Extra-Rollenverhalten eigenständige Dimensionen des Arbeitshandelns beschreiben, „(…) so dass im Sinne unabhängiger Faktoren hohe Ausprägungen der einen sowohl mit hohen wie auch mit niedrigen Ausprägungen der anderen Dimension einhergehen können.“473 Diesen Interpretationen folgend wäre demnach sowohl ein neutraler wie negativer Effekt materieller Anreize bezogen auf Extra-Rollenverhalten denkbar. Im Kontext möglicher negativer Folgen wird diskutiert, dass rationale Akteure durch eine verstärkte Ökonomisierung der Arbeitsbeziehung mittels systematischer Beurteilung und Belohnung formalen Rollenverhaltens, Extra-Rollenverhalten durch formales Rollenhandeln substituieren474 . Als Begründung hierfür werden die steigenden Alternativkosten des freiwilligen Engagements durch die (betonte) Vermarktlichung von Rollenverhalten bzw. der Nichtvergütung von Extra-Rollenverhalten angegeben. In Folge sinkt die Wahrscheinlichkeit freiwilligen Engagements. Dieser Effekt kann analog der ökonomischen Diskussion um den Verdrängungseffekt475 im Rahmen der Motivationstheorien mit einer
472
T. Staufenbiel und C. Hartz (2000, S. 82). W. Matiaske und I. Weller (2005, S. 68). 474 Vgl. W. Matiaske und I. Weller (2005, S. 68 f.). 475 Der an dieser Stelle angedeutete Diskurs um den Verdrängungseffekt intrinsischer Motivation mittels materieller Anreize wird im nachfolgenden Abschnitt 4.3.4 vorgestellt. 473
140
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
Hypothese des Briten Titmus (1971), der in seinen Arbeiten die Gefahren einer einseitigen Orientierung am System freier Märkte thematisiert, bebildert werden: Er postuliert, dass das Aufkommen an Blutspenden sinkt, wenn das zuvor ehrenamtliche (auf Freiwilligkeit basierende) System kommerzialisiert würde. In Folge der Einführung von Zahlungen für Blutspenden, wie beispielsweise in den U.S.A., würde die Effizienz im Vergleich zu dem auf bürgerschaftlichen Engagement basierenden System Großbritanniens sinken.476
Zusammenfassend ist aus oben beschriebener
Perspektive, eine unmittelbare Stimulierung von Extra-Rollenverhalten mittels materieller Anreize nicht plausibel. Im Rahmen des gezeichneten Szenarios wären ausschließlich ein neutraler oder aber negativer Effekt denkbar, ein positiver Effekt hingegen undenkbar. Diesen abstrakten Plausibilitätsbegründungen kann gegenübergestellt werden, dass im Rahmen der theoretischen Konstruktion von Extra-Rollenverhalten das Verhältnis zwischen extrafunktionalem Verhalten und Leistungsmotivation – die Frage, wie sich materielle Anreize auf das Extra-Rollenverhalten auswirken können – noch als einigermaßen unklar und empirisch nicht eindeutig geklärt gilt.477 Der Fragestellung inwieweit extrafunktionales Verhalten durch traditionelle Leistungsbeurteilungen überhaupt erfasst werden kann, wird gegenübergestellt, dass sich die Realität üblicherweise nicht an ideale Typen zu halten pflegt und gewisse Überschneidungsbereiche zwischen formalem und Extra-Rollenverhalten wahrscheinlich sind.478 Formale Leistungsbeurteilungen, so der Verweis empirischer Berichte zur Validierung von Leistungsbeurteilungssystemen, können in der Regel Elemente beider Dimensionen
enthalten.479
Diesem
Hinweis
folgend,
könnte
ein
weiteres
(zunächst
simplifiziertes) Szenario zur Wirksamkeit materieller Anreize auch lauten, dass unabhängig von subjektiv interpretierten Arbeitsrollen, betriebliche Zulagenpolitik zunächst selbst motiviert.480 Bezogen auf das Ziel, dass Leistungsbeurteilungen und Leistungszulagen unmittelbar Anreize setzen sollen – Anreize zu höherem Engagement auch außerhalb formaler Rollenvorschriften – rückt analog reziproker Beziehungen das Vertrauen als mittelbares Tauschmedium in die Betrachtung. Erst wenn
476
Vgl. W. Matiaske und I. Weller (2006). Vgl. G. Hertel, E. Bretz und K. Moser (2000, S. 134). 478 Übersetzung nach D.W. Organ (1990 )in W. Matiaske und I. Weller (2005, S. 69). 479 Vgl. T. Staufenbiel und C. Hartz (2000). 480 Vgl. W. Matiaske und I. Weller (2005, S. 69). 477
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
141
es gelingt zwischen Individuum und Organisation eine Beziehung herzustellen, welche mehr umfasst als die Ebene eines formalen Arbeitsvertrages und die zu einer Identifikation des Individuums mit den organisationalen Zielen und Werten führt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum Verhalten zeigt, das über die Erfüllung des „Pflichtenhefts“ hinausgeht. Dieses Beziehungsgeflecht wird in der Realität des öffentlichen Dienstes, vertreten durch einen Betriebsleiter eines Entsorgungsbetriebes einer Baden-Württembergischen Kommune, im Rahmen eines Interviews bezüglich der Einführung von Leistungsbeurteilungen wie folgt beschrieben:
„Wir haben uns zum Ziel gesetzt, dass wir ein Arbeitsklima hier haben, wo die Mitarbeiter ihren Dienst ganz gerne durchführen, wo wir den Mitarbeitern vertrauen können, ohne dass wir sie kontrollieren oder sanktionieren müssen, die Mitarbeiter selbständig arbeiten und initiativ sind.“481
Darüber hinaus wurde akzentuiert, dass Personalentwicklungsprozesse mit Hilfe finanzieller Anreizsetzungen wirkungsvoller und nachhaltiger gesteuert werden können als durch Lob und Motivation allein. Einerseits ist zu erwarten, dass sich die Einführung
von
Leistungsbeurteilungen im öffentlichen Dienst auf betrieblicher
Ebene mit unterschiedlichen manifesten und latenten Zielsetzungen seitens der Leitung verbindet und diese Unterschiede sich in der Art und Weise der Handhabung der verwendeten Instrumente sowie im begleitenden Kommunikationsprozess niederschlagen werden. Anderseits werden sich diese Differenzierungen naturgemäß auch in den Wahrnehmungen und Interpretationen der betroffenen Mitarbeiter niederschlagen. Die Gerechtigkeitseinschätzungen der Betroffenen spiegeln nicht nur Meinungen gegenüber Leistungsbeurteilungssystemen wider, sondern sind vor allem auch ein Barometer für zwischenmenschliche Faktoren wie Gefühle der Wertschätzung und Ehrlichkeit. Angenommen werden kann, dass neben prozeduralen Gerechtigkeitswahrnehmungen auch Aspekte der Interaktionsgerechtigkeit – mediiert durch Vorgesetzte – einen mittelbaren positiven Effekt auf gezeigtes Extra-Rollenverhalten ausüben können. 482
481 482
(Stadt1, Bl1: 11) Vgl. auch rückblickend die Ausführungen in Abschnitt 3.1.3 der vorliegenden Arbeit, die den Aspekt der Interaktionsgerechtigkeit einführend vorstellen.
142
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
Dem Tatbestand folgend, dass Gerechtigkeitsempfinden in einem direkten Verhältnis zum OCB steht483 , wird im empirischen Fortgang der vorliegenden Arbeit das Konstrukt Gerechtigkeit als Schlüsselvariable zur Erklärung von Extra-Rollenverhalten näher betrachtet. Dieser Betrachtung vorangestellt werden die in der Betriebswirtschaft klassischen personalwirtschaftlichen Überlegungen zu motivationalem Verhalten im Leistungsprozess. Bieten eben diese – im Kontext der Reformbemühungen des öffentlichen Dienstes mittels leistungsorientierter Vergütungen Motivationseffekte auf Seiten der Mitarbeiter im Sinne eines „engagierten Organisationsbürgers“ zu erzeugen –, Anlass zu erheblichen Kontroversen. Vorgestellt wird die ökonomische Theorie der Motivation von Frey (1997), die die Effekte „der verborgenen Kosten der Belohnung“ problematisiert. Eben diese Auswirkungen, die intendierten und nicht-intendierten Folgen materieller Anreize spielen in der gegenwärtigen pragmatisch und ökonomisch geführten Diskussion bezüglich einer erhöhten Leistungsorientierung des Personals im öffentlichen Dienst eine zentrale Rolle.
4.3.4
Ansätze der Anreizgestaltung: Intrinsische versus extrinsische Motivation?
Die Diskussion um Anreize und Anreizsysteme werden in der Betriebswirtschaftslehre aus verschiedenen Perspektiven geführt: Aus Sicht der Organisationstheorie/lehre und aus Sicht der Personalwirtschaft. Unterschiedliche, teilweise komplementäre Theorieansätze aus psychologischer, verhaltenswissenschaftlicher und neuerdings aus personalökonomischer Verortung liegen der Vielzahl von Begriffsdefinitionen
von
Anreizsystemen
zu
Grunde.484
Allgemein
bezeichnet
der
Begriff
„Anreizsystem“ die Gesamtheit gewährter materieller und immaterieller Zahlungen eines Individuums oder einer Gruppe, die für den Empfänger einen subjektiven Wert (Anreizwert, Befriedigungswert, Valenz, Nutzen) besitzen.485 Die Zielsetzung von Anreizpolitik lässt sich als Beeinflussung des Arbeitnehmerverhaltens fassen: Durch die Summe aller bewusst gestalteten Arbeitsbedingungen, sollen bestimmte Verhaltensweisen (durch positive Anreize, Belohnungen etc.) verstärkt werden, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens anderer hingegen gemindert werden (negative Anreize,
483
Vgl. R.H. Moorman (1991). Vgl. B. Wolff und S. Lucas (2004, Sp. 21). Zur Klärung unterschiedlicher Begriffsdefinitionen siehe H. Kossbiel (1994, S. 77 ff.) 485 Vgl. K.-F. Ackermann (1974, Sp. 156). 484
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
143
Sanktionen).486 Die Beschreibung und Erklärung des Arbeitnehmerverhaltens ist Gegenstand von Motivationstheorien. „Motivation ist Prozessgeschehen, bei dem neben Motiven auch Erwartungen beteiligt sind.“487 Etymologisch steht das Substantiv Motiv für Leitgedanke, Beweggrund oder Antrieb. Motivation – auf das lateinische Wort movere (=bewegen) zurückgehend – soll Aufschluss geben über Beweggründe des Handelns und Verhaltens.488 Motivation gilt wie Lernen und Wahrnehmen als „(…) ein hypothetisches Konstrukt, eine intervenierende Variable zwischen situativen/personalen Bedingungen und beobachtbarem Verhalten.“489 Je nach Güte des empirischen Instrumentariums lassen sich der Input und der Output des Verhaltens nur mittelbar messen. 490 Dem Ursprung nach unterschiedlichste Motivationstheorien versuchen eine Beschreibung und Erklärung des Aufbaus, der Aufrechterhaltung und des Abbaus von Verhalten sowie dessen Richtung, Intensität und Dauerhaftigkeit zu geben.491 In Anlehnung an Campell et al. (1970) wird in der gängigen Literatur üblicherweise zwischen substantiellen oder Inhaltstheorien und mechanischen oder Prozesstheorien unterschieden.492 Erstere betreffen konkrete, inhaltlich bestimmte Motive und deren verhaltenslenkende Wirkung. Diese Theorien versuchen aufzuzeigen, welche materiell-inhaltlichen Größen (Lohn, Arbeitserlebnis u.w.) die Motivation der Organisationsmitglieder beeinflussen bzw. einen Antrieb bewirken oder verhindern.493 Sie informieren über individuelle Präferenzen.494
486 487 488 489 490 491 492 493 494
Vgl. H. Kossbiel (1994, S. 77) bzw. B. Wolff und S. Lucas (2004, Sp. 21). Letztere wählen zur Beschreibung der Beeinflussung das Begriffspaar „Honorierung und Bestrafung“. G. Schanz (2000, S. 105). H. Heckhausen (1989, S. 2 f.) beispielsweise versteht unter Motivation eine momentane Gerichtetheit auf ein bestimmtes Handlungsziel. W.H. Staehle (1999, S. 219). Vgl. W.H. Staehle (1999, S. 219). Vgl. W.H. Staehle (1999, S. 219). Vgl. stellvertretend für viele W.H. Staehle (1999, S. 221 ff.) oder J. Berthel und F.G. Becker (2003, S. 21 ff.). Vgl. J. Wolf (2003, S. 188 ff.) Vgl. J. Wolf (2003, S. 188 ff.) sowie P. Conrad (2004, Sp. 1495). Für die prominentesten Varianten von Inhaltstheorien stehen Maslows Bedürfnispyramide (1943), Alderfers ERG-Modell (1972), Herzbergs Zweifaktorentheorie (Herzberg, Mauner, Snydermann 1957), McGregors Theory X und Theory Y (1960) sowie McClellands Theorie der gelernten Bedürfnisse/der Leis tungsmotivation (1951). Wobei letztere eine Zwitterstellung zwischen den Inhalts- und Prozesstheorien der Motivation einnimmt. Detailliert behandelt finden sich diese beispielsweise in einschlägigen Lehrbüchern wie D. Gebert und L.v. Rosenstiel (1996), W.H. Staehle (1999) oder J.
144
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
Die inhaltstheoretischen Ansätze sehen sich in der wissenschaftlichen Diskussion der Kritik ausgesetzt, nicht erklären zu können, wie ein bestimmtes Verhalten zustande kommt, welche kognitiven Prozesse im Individuum ablaufen, die als Motivation bezeichnet werden.495 Jedoch lässt sich zu den Inhaltstheorien zusammenfassend festhalten, dass sie Denkanstöße dahingehend liefern können, „(…) welches Motiv, möglicherweise für ein bestimmtes Verhalten ursächlich ist (…).“
496
Siehe hierzu
Abbildung 4.2 Vergleich der Inhaltstheorien.
Bedürfnishierarchie
Selbstverwirklichung
ERG-Theorie
Wachstumsbedürfnisse
Zwei-FaktorenTheorie
Motivatoren
Leistungsmotivationstheorie Leistungsstreben
Wertschätzung soziale Bedürfnisse Sicherheitsbedürfnisse physiologische Bedürfnisse
Machtstreben
Beziehungsbedürfnisse Hygienefaktoren
Soziales Streben
Existenzbedürfnisse
Abb. 4.2 Vergleich der Inhaltstheorien497 Prozesstheorien498 hingegen versuchen die intrapersonale Informationsverarbeitung sowie Denk- und Bewertungsprozesse, die zur Veranlassung von Handlungen führen, zu berücksichtigen.499 Es werden kognitive Erwartungen thematisiert, die mit der Bewertung der voraussichtlichen Folgen einer Verhaltensweise verbunden wer-
495 496 497 498
499
Berthel und F.G. Becker (2003). Zur Interpretation von Motivation als Präferenz siehe auch W. Matiaske (1999, S. 99ff.). Vgl. beispielsweise W.H. Staehle (1999, S. 230). W.H. Staehle (1999, S. 230). Quelle: D. Hellriegel, J.W. Slocum und Woodmann (1986, S. 187). Als Grundmodell aller neueren Prozesstheorien der Motivation wird in der Literatur die ValenzInstrumentalitäts-Erwartungs-(VIE)-Theorie von Vroom (1964) benannt (vgl. W.H. Staehle 1999, S. 231). Die Zusammenfassung der verschiedenen Ausprägungen der VIE-Theorie zu einer komplexen Motivationstheorie bildet das erweiterte Motivationsmodell von Heckhausen (1989). Im Gegensatz zu diesen Konstrukten der Prozesstheorien, in denen das Handeln einer Person im Mittelpunkt steht, beinhaltet die Gleichheitstheorie (Equity Theorie) von Adams (1963) zusätzlich den interpersonellen Vergleich. Vgl. P. Conrad (2004, Sp. 1495).
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
145
den. Es wird darauf fokussiert, „(…) dass bei der Wahl zwischen mehreren Handlungsalternativen jene bevorzugt wird, bei der das Produkt von erzielbarem Wert (Anreiz) mit der Wahrscheinlichkeit, ihn zu erzielen (Erwartung), maximal ist. Anders ausgedrückt: Unter Berücksichtigung seiner Erreichbarkeit wird ein Zielzustand angestrebt, der einen möglichst hohen Anreizwert hat“500 Diese Charakterisierung macht deutlich, dass hier eine bestimmte Vorstellung von individueller (subjektiv begrenzter) Rationalität als Bestimmungsfaktor für Arbeitsleistung einfließt.501 Im Rahmen der behavioristischen Psychologie wurde versucht Inhaltstheorien der Motivationen mit kognitiven Elementen zu verbinden. Als Prototyp für diese Entwicklung wird in der Literatur die Erwartungs-Valenz Theorie von Vroom (Vroom 1964) genannt.502 Zu dem obliegt den Begriffen der „Erwartung“ und der „subjektiven Rationalität“ inhaltliche Nähe, so dass eine Verbindung zwischen psychologischen und ökonomischen Theorien hergestellt werden kann503 , die insbesondere im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang – wie bei der Fragestellung bezüglich der Wirkungsmechanismen von materieller und immaterieller Anreizgestaltung – in den jüngeren Diskussionen wieder aufgegriffen wird. Im Mittelpunkt der Kontroverse zwischen der Verträglichkeit bzw. Unverträglichkeit extrinsischer und intrinsischer Motivation stehen im Nachgang der Arbeiten von Deci und Ryan (1985) die Arbeiten Freys (1992; 1994; 1997). Beide Positionen diskutieren den Effekt, dass intrinsische Motivation zur Bewältigung von Aufgaben sinken kann, wenn zusätzlich zum intrinsischen Anreizwert der Aufgabe extrinsische Belohnungen eingesetzt werden. Die Ergebnisse erster experimenteller Untersuchungen über die Auswirkungen von extrinsischer Belohnung auf intrinsische Motivation Anfang der 70er Jahre von Deci ergaben, dass vermutlich eine inverse Beziehung und keine adaptive Beziehung zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation besteht. Dieses Phänomen, in der Literatur auch als „hidden cost of reward“ oder Crowding-out-Effekt bezeichnet, führen Deci und Ryan (1985) auf die Verdrängung des mit der intrinsischen Motivation einhergehenden Kompetenzerlebens zurück504 . Als Begründung dient die Annahme, dass der Arbeitsanreiz vom Mitarbeiter als kontrollierend wahrgenommen
500
H. Heckhausen (1980, S. 174). Vgl. G. Schanz (2000, S. 119). 502 Siehe beispielsweise G. Reber (2004, Sp. 1971). 503 Vgl. G. Reber (2004, Sp. 1971 f.). 504 Vgl. auch W. Matiaske und I. Weller (2006). 501
146
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
wird. Mit der Vergabe eines extrinsischen Anreizes im Anschluss an eine intrinsisch motivierende Situation verschiebt sich nach Rotter et al. (1979) der „locus of controll“ des Mitarbeiters: Er fühlt sich nicht mehr länger persönlich für sein Arbeitsergebnis verantwortlich, sondern ordnet es extern seiner Arbeitssituation, dem Vorgesetzten oder der Unternehmung zu. Als Folge kommt es zur Verdrängung der intrinsischen Motivation und zu einem Rückgang des Leistungsergebnisses. Auch wenn der extrinsische Anreiz wieder zurückgenommen würde, so die weiterreichende Postulierung der These, lässt sich die Ausgangssituation nicht wieder erreichen, vielmehr sei die intrinsische Motivation auf Dauer verloren. Als Fazit wird postuliert, dass extrinsische Motivatoren – leistungsbezogene materielle Anreize in Organisationen – die intrinsischen Motivationen der Akteure „verdrängen“. Dieser – sowohl aus methodischer wie inhaltlicher nicht unstrittiger505 – Untergrabungswirkung extrinsischer Anreize auf die intrinsische Motivation widmen sich auch die Arbeiten von Frey (1992; 1994; 1997). Frey und Osterloh (1997) bezeichnen diese Untergrabungswirkung als Verdrängungseffekt506 und führen ihn in die moderne Ökonomie ein. Sie kritisieren, dass je nach vorherrschender disziplinärer Ausrichtung entweder extrinsische oder intrinsische Anreize hervorgehoben werden und diese in ihrer Wirkung als zumeist unabhängig oder aber additiv betrachtet werden.507 Vielmehr bestehe aber zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation ein dynamisches Verhältnis. So vernachlässige der ökonomische Ansatz, der auf der Annahme beruhe, dass Individuen systematisch auf Änderungen in den relativen Preisen reagieren, alternative Triebkräfte menschlichen Verhaltens wie der intrinsi-
505
Zur methodischen Kritik der Befunde aus den Experimentalstudien Deci´s siehe W. Matiaske und I. Weller (2006), die zudem der Interpretation einer psychologisch orientierten Entfremdungsthematik alternativ denkbare Erklärungsvarianten wie beispielsweise die Reaktanz-Theorie (Brehm und Brehm 1981) gegenüber stellen. 506 Zur Erklärung des Verdrängungseffektes von intrinsischer Motivation durch extrinsische Anreize bieten Frey und Osterloh (1997, S. 310 ff.) folgende (Teil-)Überlegungen an: 1. Die bereits zitierte auf Rotter (1966) gründende Theorie der internalen/externalen Kontrollüberzeugung, dass subjektiv empfundene kontrollierende Aspekte einer Belohnung den informierenden Aspekt übersteigen können (verminderte Selbstbestimmung). 2. Die Verletzung impliziter Verträge durch extrinsische Belohnung (Reziprozität). 3. Die Ansprüche an Fairness bei der Gewährung extrinsischer Anreize können verletzt werden (Fairness). 4. Das Anbieten einer Belohnung bei vorherrschender intrinsischer Motivation (z.B. bei freiwilligen Helfern) kann als Aufdrängung eines impliziten Vertrages empfunden werden (Reaktanz). 5. Eine gewährte Belohnung in einem Bereich kann negative Auswirkungen auf ähnliche Gegenstandsbereiche haben (Spillover-Effekt). 507 Vgl. B.S. Frey und M. Osterloh (1997, S. 309).
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
147
schen Motivation.508 Intrinsische Motivation spiele aber für viele Bereiche des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens eine wichtige Rolle.509 Letztlich könne intrinsisch motiviertes Verhalten Marktergebnisse und Wirkungsweisen ökonomischer Steuerungsmechanismen beeinflussen und zeigen: „(…) warum in gewissen Situationen die von Ökonomen traditionellerweise vorgeschlagenen Instrumente wie monetäre Anreize (Preissystem) oder Regulierungen (Strafen) wirkungslos oder gar kontraproduktiv sind.“510 Für die ökonomische Theorie, so das Fazit der Autoren, ist die intrinsische Motivation von Bedeutung, weil sie nicht als Konstante behandelt werden dürfe. Welche praktische Relevanz die Verdrängungshypothese für die Personalwirtschaft im einzelnen und insbesondere für die Gestaltung von Anreizsystemen haben kann, bleibt zum Teil offen. Eine Reihe von Kritikpunkten, wie beispielsweise die unpräzise
Verwendung
des
Motivationsbegriffs511
oder
Übertragbarkeit der Hypothese für die Personalwirtschaft
512
die
allgemeingültige
werden diskutiert. Die
praktische Brisanz der Verdrängungshypothese für ökonomische Anwendungsfälle kann in ihrer Sensibilisierungsfunktion gesehen werden, vor allem darin, dass die
508
Vgl. B.S. Frey und M. Benz (2001, S. 19). In diesem Zusammenhang werden als Beispiele vor allem Arbeitsmoral, freiwillige Einhaltung von Normen oder Bürgersinn von den Autoren hervorgehoben (vgl. B. S. Frey und M. Benz 2001, S. 19). 510 B.S. Frey und M. Benz 2001, S. 19). 511 So begrüßt beispielsweise H. Steinmann (1997, S. 588) die Übernahme sozialpsychologischer Erkenntnisse der Motivationszwecke in die Managementlehre, fordert jedoch die (sinnvolle) kategoriale Unterscheidung von Begrifflichkeiten. Demnach gilt es die Motivationsproblematik neu auszudifferenzieren. Nicht „Verhalten“ als automatisch ablaufende physiologische Reaktion stehe als Maßgabe menschlichen Tuns im Vordergrund, sondern Handeln in dem Sinne, dass Unternehmensführungen die (prinzipielle) Argumentationszugänglichkeit der Handlungsweisen (der Mitarbeiter) für Steuerungszwecke einsetzen. Nur so könne dem Rechnung getragen werden, dass auch rational motivierte Einsichten der Mitarbeiter in posttraditionalen Gesellschaften nicht nur unter ethischen, sondern auch unter ökonomischen Gesichtspunkten (Effektivität und Effizienz) für Organisationen eine immer größere Rolle spielten. Wichtig für Steinmann (1997) ist der Hinweis, dass die Begrifflichkeit zur motivationalen Grundlegung der Unternehmensführung so angelegt werden sollte, „(…) dass auch der „mündige Mitarbeiter“ als Adressat und Ansprechpartner des Managements nicht aus der Analyse herausfällt“ (H. Steinmann, S. 589). Anderenfalls gehe die Motivationstheorie in ihrer Begrifflichkeit von einem normativen Menschenbild aus und würde eine rein positive Theorie transzendieren. 512 Siehe hierzu stellvertretend W. Matiaske und I. Weller (2006), die in ihrem Beitrag die der Verdrängungshypothese zu Grunde liegenden empirischen Studien kritisch analysieren. Ferner fordern W. Güth und H. Kliemt (1997, S. 585) in ihrer Besprechung des Beitrages von B.S. Frey und M. Osterlohn (1997, S. 307 ff.) die grundsätzlich verschiedenen Dimensionen der Gestaltung von Anreizsystemen auseinander zu halten. So könne die Einführung individuellbezogener extrinsischer Belohnungen monetärer Art zwar Verdrängungseffekte mit negativen Konsequenzen für die Leistungsbereitschaft hervorrufen, diese müssen aber keineswegs auf der Annahme intrinsischer Motivation beruhen, sondern können auch daraus erwachsen, dass extrinsische Motivationsstrukturen anderer Art unterminiert werden. 509
148
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
Nutzung des Preismechanismus beispielsweise durch die Etablierung von Leistungsentlohnung zur Steigerung individueller Anstrengungen in Organisationen – kontraproduktive Effekte haben könnten: Anreizsteuerungen können womöglich – wie Frey und Osterloh (1997) postulieren – zu einer Verdrängung der intrinsischen Motivation führen und – allgemeiner – eine Reihe nicht-intendierter Effekte erzeugen.
4.4 Gerechtigkeit als Schlüsselvariable zur Erklärung von ExtraRollenverhalten: Leitannahmen Das vorliegende Kapitel analysiert die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als soziale Beziehung. Sozialer Austausch beruht auf wechselseitigem Vertrauen und zeichnet sich durch eine Aufhebung der strikten Reziprozitätsregel analog der neoklassischen Interpretation des Arbeitsvertrages aus. Die soziale Austauschbeziehung ist vielmehr durch eine psychologische Vertragsbeziehung mit vielfältigen wechselseitigen Erwartungen vor und während des Austausches gekennzeichnet. Im Rahmen dieser Austauschbeziehung sind die Partner bereit auch einseitige Vorleistungen zu tätigen und im Sinne des Gegenübers – der Organisation – zu handeln. Ein solches Verständnis der Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Organisation induziert aus Perspektive der Organisationstheorie organisationsdienliches Verhalten, das für die Effizienz von Organisationen notwendig ist. In der theoretischen Betrachtung werden diese arbeitnehmerseitig fokussierten Verhaltensannahmen von Organ und Moormann (1993) im Konstrukt des Organiziational Citizenship Behavior zusammengefasst. Die in diesem Konstrukt gebündelten Verhaltensweisen, die außerhalb von Rollenvorschriften liegen und nicht formal gefordert werden können, beschreiben in der Interpretation der vorliegenden Arbeit im Sinne der Begriffe „besonderer Leistungsbereitschaft und freiwilligen Leistung“ der Mitarbeiter, die regelmäßig über das geforderte Maß der vertraglichen Gestaltung des formalen hinausgehen, was im Zuge des „Neuen Steuerungsmodells“ und in der faktischen Umsetzung des TVöD aktuell im öffentlichen Dienst gefordert bzw. gefördert und belohnt werden soll: Das Extra-Rollenverhalten als „Flexibilitätspolster“513 . Eine Betrachtung der variablen Entgeltvergütung im öffentlichen Dienst im Kontext des Konstruktes Extra-Rollen-
513
Vgl. P. Conrad und A. Sneikus (2000, S. 3).
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
149
verhalten erscheint sinnvoll, um außerhalb der Diskussion von negativen Folgen hochgradig formalisierter und durchregulierter Vorschriften und Verfahren zur Mitarbeiterbeurteilung, Spielräume und Bedingungen aufgaben- und organisationsbezogenen Verhaltens in einer Organisation näher zu beleuchten. Jedoch versperrt sich die verhaltenswissenschaftliche Organisationstheorie auf den ersten Blick der Möglichkeit Extra-Rollenverhalten durch formale Anreiz- und Belohnungssysteme materiell anzureizen.514 Die diesen abstrakten Plausibilitätsbegründungen zu Grunde liegenden Argumentationen wurden bereits diskutiert und einem zunächst simplifizierten Szenario zur Wirkung materieller Anreize auch außerhalb formaler Rollenvorschriften gegenübergestellt.515 Eine differenziertere Betrachtung der Beziehung zwischen materiellen Anreizen und gezeigtem ExtraRollenverhalten erfolgt im Rahmen der empirischen Analyse des folgenden Kapitels. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde unter Bezug auf die „Organizational Justice-Forschung“ die Bedeutung von (empfundener) Gerechtigkeit als Voraussetzung organisationaler Effizienz und Effektivität im Sinne von Organizational Citizenship Behavior herausgearbeitet. Diskutiert wurde, dass Extra-Rollenverhalten entsprechend der Reziprozitätsnorm sozialer Austauschbeziehungen vor allem an erlebte faire Behandlung durch die Organisation, insbesondere im Umgang mit ihren Vorgesetzten, gebunden ist. Zusammenfassend lassen sich aus dem vorgestellten Bezugsrahmen zwei Leitannahmen formulieren, die im empirischen Fortgang der Arbeit untersucht werden sollen. Sie lauten:
1. Leitannahme:
Organisationale Gerechtigkeit (Verteilungs-, Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit) beeinflusst das Extra-Rollenverhalten der Mitarbeiter positiv.
2. Leitannahme:
Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit sind notwendige Bedingungen für Extra-Rollenverhalten (OCB) der Mitarbeiter.
514
Als thematische Ergänzung vgl. diesbezüglich die Diskussion um den Verdrängungseffekt B. Frey (1992; 1994; 1997) und B. Frey und M. Osterloh (1997), der angenommenen Untergrabungswirkung materieller Anreize auf intrinsische Motivation in Abschnitt 4.3.4. 515 Siehe hierzu rückblickend die in Abschnitt 4.3.3.
150
Verhaltenstheoretische Grundlagen von Leistungsbeurteilungen
Die Analyse des Datenmaterials im folgenden Kapitel der Arbeit dient der Darstellung des in der verhaltenswissenschaftlichen Organisationstheorie implizierten Zusammenhanges von Fragen organisationaler Gerechtigkeit und OCB sowie der Annahme, dass Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit als notwendige Voraussetzung für gezeigtes Extra-Rollenverhalten (in den Dimensionen des OCB) gelten können. Rückbezüglich der theoretischen Erörterungen in den vorangegangenen Abschnitten werden exemplarisch subjektive Gerechtigkeitsurteile von Mitarbeitern in kommunalen Versorgungsbetrieben aus leitfadengestützten Interviews in den Dimensionen der Verteilungs-, der Verfahrens- und der Interaktionsgerechtigkeit zum Thema gebündelt. Des Weiteren erfolgt eine Verhältnisbestimmung zwischen der Verteilungs-, Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit analog der theoretischen Diskussion, die die Effekte der beiden letztgenannten Gerechtigkeitsbewertungen (formale und interpersonale Verfahrensgerechtigkeit) bei der Bewertung des individuellen Einkommens (ergebnisbezogene Bewertung) hervorhebt. Betont wird in diesem Zusammenhang, dass eine gerechte Behandlung durch den Vorgesetzten deutlich zur Wahrnehmung der Verteilungsgerechtigkeit beiträgt, oder aber – in der Wendung der Argumentation – die Verteilungsgerechtigkeit als ungerecht wahrgenommen wird mangels substantiell nicht erfüllter Verfahrens- und Interaktionsaspekte. Vervollständigt wird die Diskussion der Gerechtigkeitsdimensionen im folgenden Kapitel durch die Sichtweisen der Leitungen in den untersuchten Organisationen und ihrer Zielsetzungen, die an die Einführung von Leistungsbeurteilungen gekoppelt waren. Darüber hinaus kommen auch die mit der Beurteilung der Mitarbeiter beauftragten Beurteiler zu Wort, die über die mit Einführung von Leistungsbeurteilung verbundenen Problematiken Auskunft geben. Anschließend wird im folgenden empirischen Teil der vorliegenden Arbeit der Zusammenhang materieller Anreizsetzung und deren Wirkung auf das Extra-Rollenverhalten näher beleuchtet.
„Wie aber können langfristige Ziele verfolgt werden, wenn man im Rahmen einer ganz auf das Kurzfristige ausgerichteten Ökonomie lebt? Wie können Loyalitäten und Verpflichtungen in Institutionen aufrechterhalten werden, die ständig zerbrechen oder immer wieder neu strukturiert werden? Wie bestimmen wir, was in uns von bleibendem Wert ist, wenn wir in einer ungeduldigen Gesellschaft leben, die sich nur auf den unmittelbaren Moment konzentriert?“ (Richard Senett)
5 Empirische Analyse
In den vorangegangenen Kapiteln wurde zunächst aus personalwirtschaftlicher Sicht auf das „Neue Steuerungsmodell“ der „engagierte Mitarbeiter“ als Leitbild der Reformbemühungen identifiziert und im Sinne eines aktiven „Organisationsbürgers“ auf das Konstrukt des OCB projiziert. Anschließend wurden die im Zusammenhang mit den Reformbemühungen des öffentlichen Dienstes intendierten Zielsetzungen von leistungsbezogenen Entgelten – fokussiert auf die ökonomischen Interessen seitens der Arbeitgeber – im Rahmen einer Darstellung des personalwirtschaftlichen Instrumentariums zur Leistungsbeurteilung hinsichtlich ihrer methodischen und substantiellen Anforderungen diskutiert. Um den Wirkungsmechanismus von (materiellen) Leistungsanreizen und Rollen- bzw. Extra-Rollenverhalten näher zu beleuchten galt es die Beziehung von Mitarbeiter und Organisation auf theoretischer Ebene zu analysieren. Als betriebswirtschaftliche Kernproblematik zur Voraussetzung von Extra-Rollenverhalten wurde der Aspekt organisationaler Gerechtigkeit diskutiert. Die aus dieser Diskussion abgeleiteten Leitannahmen, der Interdependenz organisationaler Gerechtigkeit und Extra-Rollenverhalten, stehen im Fokus der empirischen Analyse des vorliegenden Kapitels. Die folgenden Analysen basieren auf Daten, die während eines Untersuchungszeitraumes in den Jahren 2002-2005 in der Feldarbeitsphase des Verbundforschungsprojektes „Nachhaltigkeit von Arbeit und Rationalisierung“516 in vier kommunalen
516
Das Projekt wurde gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Förderkennzeichen 01HN0126). Die Durchführung erfolgte in Zusammenarbeit mit der TUChemnitz, dem Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen, der TU-München und der Universität Flensburg.
152
Empirische Analyse
Baden-Württembergischen Betrieben erhoben wurden. In diesem Zeitraum wurden die Prozesse der Einführung und Etablierung von Leistungsbeurteilungen und -zulagen begleitet. Um ein möglichst umfassendes Bild über den Prozess, die Handhabung der Beurteilungen und die Konsequenzen der Leistungsentlohnung zu erhalten, wurden verschiedene empirische Zugänge gewählt. Neben prozessbasierten Daten, insbesondere den Ergebnissen der Leistungsbeurteilung, wurden die Mitarbeiter standardisiert befragt und es wurden qualitative Interviews auf verschiedenen Ebenen (Betriebsleitungen, Vorgesetzte und Mitarbeiter) geführt. Das qualitative Datenmaterial steht hier im Mittelpunkt. Im Fortgang dieses Kapitels werden zunächst die kommunalen Betriebe vorgestellt, deren damalige Ausgangssituation beschrieben und die mit der Einführung von Leistungsbeurteilungen intendierten Zielsetzungen näher beleuchtet.517 Anschließend wird das Untersuchungsdesign der Studie vorgestellt und über das Vorgehen bei der Datenerhebung informiert. Die Analyse des Interviewmaterials erfolgt auf methodischer Basis der qualitativen Inhaltsanalyse. Mittels der Korrespondenzanalyse werden die inhaltsanalytischen Befunde zusammengefasst. Die Ergebnisse der Analyse werden im Anschluss vor dem Hintergrund des theoretischen Bezugsrahmens dieser Arbeit dokumentiert und diskutiert. Eine kritische Würdigung schließt das Kapitel ab.
5.1 Ausgangslage und Zielsetzung in den Organisationen In Folge der Reformbemühungen im öffentlichen Dienst wurde die Implementierung von Leistungsbeurteilungen und daran gekoppelte Vergütungsmodelle bereits frühzeitig gefordert. Ende der 90er Jahre ermöglichten die tariflichen Rahmenbedingungen die Gewährung von Leistungszulagen und –prämien für den kommunalen Bereich.518 Die im Projekt begleiteten kommunalen Betriebe, gehören damit zu den „Pionieren“ der Erprobung leistungsorientierter Entgelte auf Basis von systematisch durchgeführten Leistungsbeurteilungen.519 Die Betriebe (öffentliche Baubetriebshöfe, Entsorgungs- und technische Betriebe) setzen alle das gleiche Instrument, das so genannte 517
Als Grundlage für diese Beschreibungen dienen unterschiedliche Datenquellen: Dokumentationen in Form von Selbstbeschreibungen (Porträts) der untersuchten Betriebe, Interviews und Beobachtungen. 518 Siehe Abschnitt 3.4.1 dieser Arbeit. 519 Siehe Abschnitt 3.4.2 dieser Arbeit.
Empirische Analyse
153
LBB-SYS, zur jährlich durchgeführten Leistungsbeurteilung ein. Eine kurze Beschreibung des eingesetzten Leistungsbeurteilungssystems wird den ersten Abschnitt des vorliegenden Kapitels abschließen.
5.1.1
Stadt (1) – Technische Betriebe (TBK) und Entsorgungsbetriebe (EBK)
Die kreisfreie Stadt hat ca. 80.000 Einwohner. Die Technischen Betriebe (TBK) und die Entsorgungsbetriebe (EBK) sind seit dem 1.1.1997 Eigenbetriebe der Stadt. Die Technischen Betriebe beschäftigen ca. 130 Mitarbeiter, davon sind ca. 110 Beschäftigte im gewerblichen Bereich tätig. Zu den Aufgabenbereichen der TBK zählen die Pflege des öffentlichen Grüns, die Instandhaltung der Verkehrsflächen und die Verkehrstechnik, die Stadtreinigung und der Winterdienst sowie der Betrieb der städtischen Friedhöfe und der Schreinerei. Die Entsorgungsbetriebe beschäftigen 105 Mitarbeiter, davon sind ca. 70 im gewerblichen Bereich tätig. Die Entsorgungsbetriebe übernehmen als kommunaler Dienstleister die Abwasserreinigung, die Planung, den Bau und die Unterhaltung der abwassertechnischen Anlagen, die Abfallwirtschaft sowie die Gebührenerhebung für Abwasser und Abfall. Nach Gründung als Eigenbetrieb wurde seitens der Betriebsleitung der TBK ein innerbetrieblicher Veränderungsprozess angestoßen. Als zentraler Baustein im Rahmen des neuen Betriebsverständnisses wird das im Jahr 2000 neu eingeführte Leistungsbeurteilungssystem angesehen. Mit der Einführung des Leistungsbeurteilungssystems verfolgte die Betriebsleitung unter anderem das Ziel, mit dem neuen System die verkrustete Praxis der bisherigen Zulage abzulösen. Die Zulagen waren in Zeiten häufigen personellen Wechsels eingeführt worden, um neue Mitarbeiter, die zuvor in privatwirtschaftlichen Betrieben tätig gewesen waren, für einen Arbeitsplatz in den kommunalen Betrieben gewinnen zu können. Das System wurde jedoch weder auf Mitarbeiter mit langjähriger Betriebszugehörigkeit ausgeweitet, noch konnten in späteren Zeiten aufgrund „leerer Kassen“ neuen Mitarbeitern ähnliche Zulagen angeboten werden. Durch Gewohnheit wurden die einmal gewährten Zulagen gleichsam zu Besitzständen. Die Betriebsleitung verfolgte mit der Einführung der Leistungsbeurteilung aber nicht nur die Zielsetzung einer gerechteren Entlohnung auf Basis von Beurteilungen individueller Leistung, sondern vor allem auch die Betonung des Leistungsprinzips an sich. Um Akzeptanz bezüglich des neuen Leistungsbeurteilungssystems in der Belegschaft zu erzielen, legte die Betriebsleitung besonderen Wert auf eine breite Be-
154
Empirische Analyse
teiligung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei der Vorbereitung, Auswahl und Einführung des neuen Leistungsbeurteilungssystems. So fanden während der Einführungszeit des neuen Instrumentariums intensive Diskussionen und Gespräche im Betrieb statt, die zum Verständnis der neuen Systematik der Leistungserfassung dienlich waren. Das neue Leistungsbeurteilungssystem wird im Betrieb der TBK seit dem Jahr 2000 in einem jährlichen Turnus für die gewerblichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen durchgeführt. Mit der Implementierung des Leistungsbeurteilungssystems wurde gleichzeitig in den benachbarten Entsorgungsbetrieben (EBK) begonnen. Allerdings wurde das Leistungsbeurteilungssystem von der damaligen Betriebsleitung des Entsorgungsbetriebes, die im Laufe des Jahres altersbedingt ausgeschieden ist, nicht mit gleicher klarer Zielsetzung wie im Nachbetrieb eingeführt. Der Ende des Jahres 2002 neu eingestellten Betriebsleitung vermittelte sich vielmehr das Bild eines „Mitläufereffektes“ bezüglich der Einführung des neuen Beurteilungssystems, der zu dem, auf Grund mangelnder Information der Beschäftigten, zu einer Verschlechterung des Betriebsklimas geführt habe. Auch das zunächst niedrige Bewertungsniveau der ersten zwei Beurteilungsrunden sowie der in der Dienstvereinbarung geregelte Wegfall der Besitzstandswahrung nach dem 3. Jahr der Beurteilung verunsicherte die Belegschaft. Dennoch entschied die neue Betriebsleitung, die zuvor in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen tätig war, das neue Beurteilungssystem beizubehalten. Positiv beurteilt diese, dass das Instrument mittels der Mitarbeitergespräche eine Rückkoppelung der Stimmung im Betrieb und eine „halbwegs“ objektivierte Leistungsbeurteilung ermögliche, auf deren Grundlage nicht nur mit Lob und Worten die Leistung honoriert werden könne, sondern auch mit entsprechenden Punktzahlen. Zudem wurde eine engere Zusammenarbeit mit der Leitung der technischen Betriebe bezüglich des neuen Instrumentariums vereinbart. Gemeinsame Zielsetzung für die Zukunft ist, neben der Förderung von Führungskompetenzen der Vorgesetzten auch – mittels der Beurteilung und dem anschließenden Mitarbeitergespräch – das Ausloten der individuellen Fördermöglichkeiten der Mitarbeiter.
5.1.2
Stadt (2) – Baubetriebshof
Die Kreisstadt hat ca. 53.000 Einwohner. Der Baubetriebshof wird seit dem 01.01.1996 als Regiebetrieb der Stadt geführt und beschäftig aktuell 84 Mitarbeiter,
Empirische Analyse
155
davon sind 72 Beschäftigte im gewerblichen Bereich tätig. Zu den Aufgabengebieten des Betriebshofes gehören neben der Straßenunterhaltung, die Straßenreinigung sowie Unterhaltungsarbeiten an Verkehrseinrichtungen und Aufbauarbeiten bei Veranstaltungen, wie auch die Unterhaltung einer Stadtgärtnerei und die damit verbundenen Grünpflegearbeiten im Stadtgebiet sowie die Unterhaltung der städtischen Sportanlagen. Mitte der 90er Jahre wurde vom Gemeinderat der Stadt eine Projektgruppe – unter Leitung einer Unternehmensberatung – eingesetzt, mit dem Ziel den Baubetriebshof zu privatisieren. Entgegen der Privatisierungsidee wurde im Laufe der Projektarbeit vereinbart, den Baubetriebshof als Regiebetrieb weiterzuführen. Die damit verbundene Eigenständigkeit des Baubetriebshofs, wurde an die Forderung gekoppelt, systematische Leistungsbeurteilungen zu etablieren. Ausgangspunkt für diese Regelung bildete die bisher praktizierte und intransparente Vergabe von Leistungszulagen an den Großteil der Belegschaft. Die bisherige Vergabepraxis galt als Gefälligkeitsprinzip mit zufälligen Ausschüttungen, die nicht auf Grundlage tatsächlich erbrachter Leistung basierte, aber dennoch als Besitzstand in die Zukunft wirkte. Die Vorgehensweise wurde insbesondere von neuen Mitarbeitern kritisiert, die erst mit Ausscheiden eines zulagenberechtigten Mitarbeiters aus dem Betrieb, selbst von der Vergabe von Leistungszulagen profitieren konnten. Mit der Einführung systematischer Leistungsbeurteilungen im Jahr 1997 verband sich das primäre Ziel der Leistungsförderung durch monetäre Anreize für alle Mitarbeiter. Unterstützt wurde das Projekt insbesondere durch den Personalrat. Die Implementierung des neuen Instrumentariums unterlag zunächst keiner Budgetbegrenzung und konnte ohne Interventionen seitens der Betriebsleitung eingeführt werden. Aufgrund dessen wurden in den ersten Jahren auch weiterhin relativ hohe Zulagen vergeben. Zusätzliche Motivation bildete die Regelung, dass Mitarbeiter die regelmäßig in aufeinander folgenden Jahren eine bestimmte Höhe in der Leistungszulage erworben haben, einen Anspruch auf Überprüfung ihrer Eingruppierung erwerben. Nach den ersten Jahren der Durchführung der neuen Regelungen entstanden in der Stadt akute Finanzprobleme, die dazu führten, das Budget für Leistungszulagen zu beschränken. Es wurde eine „Deckelung“ des Budgets verordnet, die festlegte, dass im Gegensatz zu bisher 80 Prozent der Beschäftigen zunächst nur noch 35 Prozent der gewerblichen Mitarbeiter für eine Zulage zu berücksichtigen wären und sukzessive in den Folgejahren nur noch 30 Prozent und 20 Prozent. Zudem wurde – der wirtschaftli-
156
Empirische Analyse
chen Situation geschuldet – ein Einstellungstop erlassen, der faktisch zu einer quantitativen Reduzierung im Stellenplan führte. Seither sieht sich die Betriebsleitung des Baubetriebshofs gezwungen in das Beurteilungsprozedere aktiv einzugreifen und die Beurteilungsergebnisse nach unten zu korrigieren. Die in Folge dieser Interventionen ausgelösten Konflikte zentrieren sich seitens der Belegschaft vor allem auf die „altersgebundene“ Besitzstandsregelung, die in die neue Dienstvereinbarung zur leistungsorientierten Vergütung mit eingeflossen ist. Festgeschrieben wurde im Rahmen der Besitzstandswahrung, dass ab einer bestimmten Betriebszugehörigkeit im öffentlichen Dienst die ursprünglich vereinbarte Leistungszulage nicht mehr aberkannt werden kann.
5.1.3
Stadt (3) – Technische Dienste
Die Stadt liegt am Oberrhein und hat ca. 34.000 Einwohner. Die Technischen Dienste sind ein Eigenbetrieb der Stadt und beschäftigen ca. 140 Mitarbeiter, davon sind ca. 90 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im gewerblichen Bereich tätig. Die Technischen Dienste sind in neun Geschäftsfelder gegliedert: Abwasserentsorgung, Baubetriebshöfe, Bäder, Friedhöfe, Beteiligungen, Parkieren und ÖPNV, Wasserversorgung, Energie und Wärme sowie Verwaltung. Gegründet wurden die Technischen Dienste am 1.1.2003 aus den Stadtwerken, Betriebshöfen und Bädern. Als Ausgangsintention der Neustrukturierung der Technischen Dienste steht das Bemühen der Stadt zur Modernisierung der kommunalen Verwaltung. Ziel ist es, die Technischen Dienste als einen leistungsstarken und kundenorientierten Dienstleister der Stadtverwaltung zu etablieren. Im Zuge der Veränderungen wurde auch die Notwendigkeit der Einführung eines systematischen Leistungsbeurteilungs- und Bewertungssystems diskutiert, da aufgrund der Verteilungspraxis von Leistungszulagen in der Vergangenheit eine Vielzahl von Problematiken entstanden ist. So wurde in der Vergangenheit die Vergabe von Leistungszulagen vor allem zur Mitarbeitergewinnung genutzt, es galt die Lohndifferenzen zwischen der freien Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst auszugleichen bzw. anzugleichen. Faktisch wurde die Leistungszulage im Zuge dieses Verfahrens zum festen Bestandteil des Lohnes, unabhängig vom tatsächlich gezeigten Leistungsverhalten eines Mitarbeiters. Diese aus Sicht der Mitarbeiter willkürliche Verteilung von Leistungszulagen führte zu einem Motivationsverlust, der nicht an der Leistungszulage partizipierenden Mitarbeiter und polarisierte die Beleg-
Empirische Analyse
157
schaft. Zudem wurde Ende der 90er Jahre von der Gemeindeprüfungsanstalt beanstandet, dass die ausgeschütteten Leistungszulagen die tariflichen Vorgaben überschreiten würden. In Folge dieser Beanstandung wurde sowohl seitens der Betriebleitung als auch der Personalvertretung befürchtet, dass durch die politisch Verantwortlichen in der Stadt die Leistungszulage als Einsparpotenzial des Personalbudgets angesehen werden könnte. Aufgrund der Zuspitzung der Situation wurden sich die Betriebsleitung und der Personalrat einig – dass aus Motivationsgründen und vor allem aus Gründen der Gleichbehandlung, Leistungszulagen unter teilweiser Wahrung von Besitzständen – auch weiterhin ausgeschüttet werden sollten. Nach umfangreichen Verhandlungen wurde – gegen den Widerstand des Kommunalen Arbeitgeberverbands (VKA) – eine Dienstvereinbarung abgeschlossen, in der die bisherige Gesamtsumme der gezahlten Leistungszulagen festgeschrieben und eine Besitzstandswahrung der über 58-jährigen ausgehandelt wurde. Zusätzlich vereinbart wurde aber, dass „alte“ Leistungszulagen im Zuge von neuen Beurteilungsergebnissen im bestimmten Rahmen minimiert werden können und im Zeitverlauf konstant hohe Beurteilungsergebnisse eine Überprüfung der Eingruppierung ermöglichen. Die Umsetzung der Dienstvereinbarung bedingte die Einführung eines neuen Leistungsbeurteilungssystems. Seitens der Belegschaft bestand zu diesem Zeitpunkt eine erhebliche Skepsis gegenüber den Neuregelungen. So bekundeten die bisher Privilegierten wenig Interesse an dem neuen Beurteilungssystem und die übrige Belegschaft war verunsichert hinsichtlich der Intention „objektive“ Beurteilungen zu etablieren. Mit der Einführung eines neuen Leistungsbeurteilungssystems wurde im Jahr 2003 begonnen.
5.1.4
Funktionen betrieblicher Leistungsbeurteilungen in den untersuchten Betrieben
Die Streuung der Zielsetzungen sowie die Prioritäten der mit der Einführung von Leistungsbeurteilungen verbundenen Ziele sind in den untersuchten Betrieben unterschiedlich. Diese Differenzierungen lassen sich zum einen zurückführen auf die jeweilig unterschiedlich stark ausgeprägte Abhängigkeit von Entscheidungen aus dem Unfeld der kommunalen Betriebe. So waren nicht alle Betriebsleiter autonom in ihrer Entscheidung systematische Leistungsbeurteilungen durchzuführen. Vielmehr wurde in zwei der untersuchten Betriebe ihre „Unabhängigkeit“ und „Neustrukturierung“ an die Einführung von Leistungsbeurteilungen gekoppelt. Zum anderen ist zu vermuten, dass die Zielsetzungen zu dem stark abhängig sind von den individuellen Erfahrungen
158
Empirische Analyse
der Vorgesetzten als Führungskraft und dem daraus resultierenden Selbstverständnis von Führung und Führungsverhalten. Um möglichst umfassende Informationen über die Intention der Betriebsleitungen zur Implementierung eines systematischen Leistungsbeurteilungssystems zu gewinnen, wurden diese mittels eines halbstandardisierten Leitfadens interviewt.520 Im Vordergrund der Gespräche standen sowohl Fragen zu den Zielsetzungen der neu eingeführten jährlichen Beurteilungen wie auch zum Prozess der Implementierung und der angestrebten Verwertung der Ergebnisse für weiterreichende führungspolitische und personalwirtschaftliche Funktionen. Das vorliegende Datenmaterial spiegelt – analog der obigen Skizzierung der untersuchten Betriebe – insbesondere drei Zielsetzungen wider. Alle befragten Betriebsleiter verbinden mit der Einführung von jährlichen Leistungsbeurteilungen die manifeste Erwartung der Leistungsstimulierung durch materielle Anreizsetzung. Im Vordergrund steht die Hoffnung, dass der Begriff Leistung im öffentlichen Betrieb an Gewicht gewinnt. In den Worten zweier Betriebsleitungen ausgedrückt:
„Zielsetzung war tatsächlich das Leistungsbild zunächst jährlich zu beschreiben und dass dabei eine Leistungszulage rauskommt. Das war dies, einfach mal offen darüber zu sprechen, wirklich offen darüber zu sprechen, wie sieht der Betrieb jetzt Leistungen, wie schätzt er die Leistung des Mitarbeiters, einfach ganz, ganz offen. Da wurde dann, da war das Erstaunen doch schon ganz groß, dass man zunächst mal Schwierigkeiten hatte die Normalleistung, ja die Normalleistung, zu definieren. Das Verständnis zur Normalleistung, da waren große Unterschiede da.“521
„Die oberste Zielsetzung war, jetzt eben die Leistung zu fördern. Also nicht ein Gefälligkeitsprinzip mit zufälligen Ausschüttungen zu machen, sondern nach Leistung zu zahlen und die wo Leistung bringen zu fördern. Und somit auch einen Motivationsanreiz zu machen. Einen Leistungsanreiz.“522
520
Vgl. Abschnitt 5.2 dieser Arbeit. (Stadt 1, BL: 29). 522 (Stadt 2, BL: 67). 521
Empirische Analyse
159
Das letzte Zitat verweist auf eine zweite Zielsetzung der neuen Beurteilungspraxis: Die Schaffung von Entgeltgerechtigkeit durch die Vergabe von Leistungszulagen aufgrund gezeigten Leistungsverhaltens. Infolge wird das Label Leistungsorientierung teilweise genutzt, um die verkrustete Praxis der bisherigen Zulagensysteme abzulösen. In Zeiten von häufigem Personalwechsel und Akquirierungsproblemen technischgewerblichen Personals für den öffentlichen Dienst wurde die Vergabe von Leistungszulagen genutzt, um Mitarbeiter die zuvor privatwirtschaftlich tätig gewesen waren, zu einem Engagement in der öffentlichen Verwaltung zu motivieren. Teilweise wurden die Zulagen aber weder auf Mitarbeiter mit langjähriger Betriebszugehörigkeit ausgeweitet, noch konnten später aufgrund leerer Kassen neu eingestellte Mitarbeiter ähnlich bevorzugt werden. Durch Gewohnheit wurden die mehr oder weniger willkürlich vergebenen „Nasenprämien“ zu Besitzständen. Mit transparenten Leistungsbeurteilungen sollen diese Besitzstände nun – teilweise unter Wahrung von Übergangsfristen – abgebaut werden. Dies bestätigen die folgenden Interviewpassagen:
„Wir hatten zu dem Zeitpunkt eine gewisse ungerechte Verteilung der Leistungszulagen. Früher wurden Leistungszulagen nach anderen Kriterien vergeben, da wurde ja in einer Eingruppierung durchaus korrigiert oder die Leistungszulagen, wenn sie mal zum früheren Zeitpunkt vergeben wurden, wurden später dann nicht mehr hinterfragt.“523 „Vom Grundsatz her war es so, dass das was an Leistungszulagen gezahlt worden ist, eigentlich als Bestandteil des Festgehaltes angesehen worden ist.“524
„In einer Abteilung gab es so gut wie keine Leistungszulage, in der anderen wiederum sehr viele. Klar war, dass wir da, mit Sicherheit jetzt, dann etwas Gerechtigkeit schaffen wollen, das haben wir auch deutlich angesagt, ja, da wurde abgebaut, sag ich mal, die unberechtigten Leistungszulagen.“525
Neben den manifesten Erwartungen der Leistungsstimulierung und der Schaffung von transparenten Begründungen zur Entgeltdifferenzierung spiegeln die geführten
523
(Stadt 1, BL 1: 27). (Stadt 1, BL 2: 79). 525 (Stadt 1, BL 1: 29). 524
160
Empirische Analyse
Interviews mit den Betriebsleitungen zum Teil eine dritte latente Zielsetzung wider.526 Diese bezieht sich insbesondere auf eine erhoffte Verhaltensbeeinflussung der Beurteiler, die in ihrer Funktion als Vorarbeiter in den Betrieben als Vorgesetzte eine Schlüsselrolle im Prozess der Leistungserstellung und als Bindeglied zur Belegschaft einnehmen. Mit dieser Intention werden die Einführung von Leistungsbeurteilungen und das Leistungsprinzip per se zum Lern- und Entwicklungsprozess in den Betrieben erhoben; „(…) Beurteilungen und Feedbackgespräche sollen dazu dienen, Stimmungen auszuloten und den Vorgesetzten ein Rollenmodell der Personalführung an die Hand zu geben.“527 Diese Zielsetzung wird durch zwei Betriebsleitungen wie folgt formuliert:
„Also eher denke ich, dass man insgesamt natürlich auch eine gewisse Rückkoppelung zur Stimmung im Betrieb hat, zu Problemen über die Mitarbeitergespräche, also eigentlich eher diese weichen Faktoren, dass da vielleicht der Draht zum Vorgesetzten durch diese regelmäßigen Gespräche besser wird, dass auch die Vorgesetzten, die Beurteiler lernen, zu erkennen, dass es eben nicht nur einmal im Jahr die Bewertung ist und das Gespräch, sondern dass letztendlich sie auch eine Führungsaufgabe haben und eigentlich dann eben auch das ganze Jahr über motivierend tätig sein müssen (…).“528
„Die Vorarbeiterrolle, das ist die Führungsfunktion, die an sich der Vorarbeiter in sich hält. Die wurde früher mit Sicherheit nicht so abverlangt, also wir sehen heute, dass der Vorarbeiter eine wesentlich höhere Führungsverantwortung, als früher eigentlich verlangt wurde, hat. Auch dieses System hilft da jetzt doch stark mit, dass der Vorarbeiter sich mehr in die Führungsverantwortung hinein geben muss. (…) Er tritt als Bewerter auf, also muss er sich ein intensives Bild seiner Mitarbeiter machen. Er muss dann auch in dem Beurteilungsgespräch letztend-
526
Vgl. hierzu auch Abschnitt 3.2.2, der über die idealtypischen betriebliche Funktionen in der Klassifizierung führungs- und personalpolitischer Zielsetzungen informiert. Unterschieden werden in der personalwirtschaftlichen Standardliteratur darüber hinaus manifeste und latente Funktionen in Abhängigkeit ihrer „offiziell“ oder aber „nicht-offiziell“ benannten Intentionen. Als latente Funktionen gelten insbesondere diejenigen, die mittels einer Steuerungsfunktion das Verhalten gegenüber Beurteilern bzw. Beurteilten beeinflussen sollen (vgl. stellvertretend J. Berthel und F.G. Becker 2003, S. 153 ff.). 527 W. Matiaske und I. Weller (2005, S. 67). 528 (Stadt 1, BL 2: 14).
Empirische Analyse
161
lich Kritik übernehmen. Es wird auch deutlich, sage ich mal, für die Betriebsleitung, in wie weit ist dieser Vorarbeiter oder dieser Vorgesetzte eigentlich geeignet als Vorgesetzter. Das wird deutlicher in diesem Bewertungsverfahren.“529
In einem der Betriebe wird das Thema Leistungsbeurteilung aber auch in eine deutlich breitere Agenda gefasst. In den Worten eines Betriebsleiters:
„So und jetzt geht es darum, da muss man zum Ziel sich setzen, dass wir ein Arbeitsklima hier haben, das wir Mitarbeiter haben, die eigentlich diesen Dienst ganz gerne durchführen, auf die wir vertrauen können, die auch vertrauen können, ohne dass wir sie kontrollieren müssen oder sanktionieren müssen, die also selbständig arbeiten und auch eigeninitiativ sind soweit. (…) Und da ist dieses Gespräch oder diese Beurteilung dieser Leistung, ein Instrumentarium oder ein richtiger Schritt in der Personalentwicklung.“530 „Das ist unsere Feststellung, dass wenn man hier von Leistung redet, das war vielleicht in den früheren Jahren so nie das Thema, Leistung zu thematisieren, aber seit wir das tun, wird Leistung anders hinterfragt. Es wird hinterfragt, wie Gruppenarbeit funktioniert, also der Zusammenschluss, die Zusammenarbeit, es wird ermessen, wo sind Fördermöglichkeiten. Und in so fern ist dieses ganze Projekt, was da jedes Jahr läuft, sag ich mal, so ein Stück weit Personalentwicklung. “531
Die im Obigen aus dem Interviewmaterial zitierten führungspolitischen und personalwirtschaftlichen Zielsetzungen der Betriebsleitungen können vor allem als Versuch interpretiert werden, die verkrustete Praxis der bisherigen Zulagensysteme im öffentlichen Dienst aufzubrechen. Diese Entwicklung wird prinzipiell – auch seitens der Mitarbeiter – als positiv eingeschätzt, birgt aber dennoch Probleme. Häufig folgt der neue Vergabeprozess festgelegten Quotierungsregeln, so dass das Leistungsprinzip erneut – wenn auch aus anderen Gründen als zuvor – ausgehebelt wird. Zu dem fallen die neuen Zulagen alles andere als üppig aus. Im Rahmen einer repräsentativen Umfrage in Kreisen, Städten und Gemeinden, die im Herbst 2004 durchgeführt wurde, zeigte
529
(Stadt 1, BL 1: 13). (Stadt 1, BL 1: 11). 531 (Stadt 1, BL 1: 13). 530
162
Empirische Analyse
sich, dass mehr als ein Drittel aller Verwaltungen, die bereits leistungsbasiert vergüten (könnten), überhaupt keine Zulagen vergeben. Zulagen über 10 Prozent werden nur in 13 Prozent der Fälle ausgeschüttet und stehen nur wenigen Mitarbeitern zur Verfügung.532 Auch in den untersuchten Betrieben sind die Zulagen in der Regel relativ niedrig. Nur selten werden Zulagen über fünf Prozent erzielt, zehn Prozent wurden noch nie überschritten. So schrumpfte die Höhe der Leistungszulage beispielsweise in der Stadt 2 nach Aussage des Betriebsleiters beträchtlich:
„Weil heute konzentriert sich das ja so auf den Bereich 1 bis 7 Prozent, vielleicht. Drüber sind ganz wenige. Damals lag es drüber. Da lag der Durchschnitt schon zwischen 6 und 10 Prozent.“533
Viele der betroffenen Mitarbeiter haben schnell realisiert, dass die zusätzliche Anstrengung, die zur Erzielung einer nur geringfügig höheren Zulage erbracht werden muss, durch eine Nebentätigkeit außerhalb des Betriebes wesentlich einfacher kompensiert werden kann. Eine der interviewten Betriebsleitungen bestätigt dies und räumt ein, dass viele Beschäftigte einer angemeldeten Nebentätigkeit nachgehen.534
5.1.5
Das eingesetzte Instrumentarium zur Leistungsbeurteilung: LBB-SYS
Das in allen untersuchten Betrieben eingesetzte Instrumentarium zur Leistungsbeurteilung ist das von einer Unternehmensberatung entwickelte so genannte LBB-SYS. Das LBB-SYS ist ein mehrdimensionales analytisches Leistungsbeurteilungssystem.535 Es stellt ein vergangenheitsbezogenes System der Leistungsbewertung dar. Das Instrument erfasst auf sechs Subskalen (mit jeweils sechs Items und sechs-stufigen Ratingskalen) die Aspekte: „Arbeitseinsatz“, „Leistungsergebnis“, „Zusammenarbeit“, „Arbeitssystematik“, „Informationsverhalten“ und „Einsetzbarkeit“ bzw. „Bandbreite der Verwendung“. Die Ergebnisse der Beurteilungen werden über alle Dimensionen zu einer Gesamtsumme verrechnet, die wiederum die Höhe der Leistungszulage (LZ) bestimmt, die in Prozent des Bruttolohns bemessen wird. Die Leistungsbeurteilung
532
Vgl. W. Matiaske, D. Holtmann und I. Weller (2005, S. 28 f.). (Stadt 2, BL 1: 74). 534 D. Holtmann, W. Matiaske und I. Weller (2003, S. 22). 535 Vgl. D. Holtmann, W. Matiaske, D. Möllenhoff und I. Weller (2001). 533
Empirische Analyse
163
wird in allen betrachteten Betrieben mit dem selben Instrumentarium und der gleichen Systematik durchgeführt: Jeweils zwei Bewerter beurteilen einen Mitarbeiter. Als Beurteiler kommen im Normalfall der direkte Vorgesetzte (Meister/Vorarbeiter) sowie der nächst höhere Vorgesetzte (Abteilungsleiter/Betriebsleiter) in Betracht. Das Ergebnis dieser Urteile bestimmt sich als arithmetisches Mittel, wobei Inter-Rater Abweichungen oberhalb eines bestimmten Toleranzwertes zu Nachbewertungen führen. Diese sind mit Begründungen und Aussprachen, gegebenenfalls mittels Beteiligung des Personalrates, verbunden. Zwischenzeitlich gibt es, um den Aufwand der Beurteilungen zu verringern, Modifizierungen des Prozederes, wie beispielsweise die Durchführung der Beurteilung im Team. Für die nachfolgende Analyse der Daten ergeben sich daraus zunächst allerdings keinerlei Konsequenzen.
5.2 Methodische Vorgehensweise Die empirische Prüfung der im vorangegangenen Kapitel herausgearbeiteten Leitannahmen wird auf Basis eines qualitativen Untersuchungsdesigns unter Verwendung der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 1983) durchgeführt. Die Analyse des qualitativen Datenmaterials erfolgt mit Hilfe eines theoriegeleiteten Kategoriensystems, das auf dem theoretischen Bezugsrahmen der vorliegenden Arbeit basiert. Die Darstellung der Methode dient dazu, das Zustandekommen der Ergebnisse dem Leser nachvollziehbar zu machen und ihm eine Einschätzung der Angemessenheit der Methodik zu ermöglichen.
5.2.1
Unterscheidungsmerkmale qualitativer und quantitativer Analysen
Das „Denken“ der Organisation von ihren Zwecken her, prägte maßgeblich auch den Methodeneinsatz der frühen Organisationsforschung. Egal, ob es sich um eine staatliche Verwaltung, einen Produktionsbetrieb, ein Krankenhaus oder eine Gewerkschaft handelt – konkrete Zwecke wie eine mehr oder minder freundliche Befriedigung von Anfragen nach Aufenthaltsgenehmigungen, die Eroberung des Marktes mit neuen Produkten, die kostengünstige und möglichst effektive Behandlung von Patienten oder aber der Abschluss eines Tarifvertrages mit hohen Lohnsteigerungen spielen eine zent-
164
Empirische Analyse
rale Rolle in der Ausrichtung von Organisationen.536 Mit Blick auf die Effektivität und Effizienz einer Organisation interessierte sich die junge Disziplin der Organisationsforschung vor allem für ausgesuchte Zweck-Mittel-Relationen, die mit Hilfe standardisierter Fragebögen und statistischer Auswertungsverfahren beforscht wurde. Die Forschungsperspektive Ende der 70er Jahre in der Tradition von Simon (1976) und March (1990), die im Gegensatz zum zweckrationalen Organisationsverständnis betont, dass Organisation als Sozialsysteme zu interpretieren seien, hat auch die Bedeutung quantitativer Methodik relativiert. So werden heute in der Organisationsforschung vermehrt auch qualitative Methoden eingesetzt537 , „(…) um das organisationale Geschehen aus Sicht der handelnden Subjekte zu rekonstruieren, unerwartete Phänomene mit möglichst wenigen Vorentscheidungen hinsichtlich Design und Methode einzufangen und auf diese Weise menschliches Verhalten und Handeln einer prozessualen Sicht zugänglich zu machen.“538 Qualitative und quantitativ-standardisierte Forschung unterscheiden sich grundsätzlich in ihrer Vorgehensweise und in ihrem Verständnis, welche Formen von Erfahrungen (Daten) als methodisch kontrollierbar angesehen werden und in Folge als erlaubte wissenschaftlich zweckmäßige Erfahrung zugelassen werden kann.539 Über die in der Literatur und Forschungspraxis diskutierten Unterschiede bzw. Abgrenzungen der beiden Forschungsrichtungen informiert Abbildung 5.1.
536
Vgl. N. Luhmann (1973, S. 87 ff.; 1997, S. 826 ff.). Qualitative Erhebungsmethoden gewinnen auch in Deutschland immer mehr an Bedeutung. Häufig werden diese zur Hypothesengenerierung oder als Pretestverfahren zur Ergänzung klassischer Surveytechniken eingesetzt. 538 P. Strodtholz und S. Kühl (2002, S. 16). 539 Vgl. U. Flick, E. v. Kardorff und I. Steineke (2004, S. 24 f.). 537
Empirische Analyse
Quantitative Sozialforschung
Qualitative Sozialforschung
Erklären
Verstehen
Nomothetisch
Idiographisch
Theorieprüfend
Theorieentwickelnd
Deduktiv
Induktiv
Objektiv
Subjektiv
Atiologisch
Interpretativ
Ahistorisch
Historisierend
Geschlossen
Offen
Prädetermination des Forschers
Relevanzsysteme der Betroffenen
Distanz
Identifikation
Statisch
Dynamisch-prozessorientiert
Starres Vorgehen
Flexibles Vorgehen
Partikularistisch
Holistisch
Zufallsstichprobe
Theoretical Sampling
Datenferne
Datennähe
Unterschiede
Gemeinsamkeiten
Reduktive Datenanalyse
Explikative Datenanalyse
Hohes Messniveau
Niedriges Messniveau
165
Abb. 5.1: Gegenüberstellung quantitativer und qualitativer Sozialforschung540
Als ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal wird die Rolle des Forschers und der Grad der Standardisierung des Vorgehens hervorgehoben. In der quantitativen Forschung gilt die Unabhängigkeit des Beobachters vom Forschungsgegenstand als zentral. Hingegen greift die qualitative Forschung auf die (methodisch) kontrollierte Wahrnehmung des Forschers als Bestandteil der Erkenntnis zurück.541 Er bewegt sich im Untersuchungsbereich und steht in einer direkten Austauschbeziehung zu den Teilnehmern der Untersuchung (z.B. in dem er Interviews führt). In der Folge erhält er Informationen, welche ihm im Wege einer quantitativen Untersuchung, die mittels standardisierter Verfahren (z.B. schriftlicher Fragebogen) durchgeführt werden, möglicherweise versperrt geblieben wären. Qualitative Methoden sind immer dort zu empfehlen, wo es um soziale, d.h. menschliche Interaktionen betreffende komplexe Fragestellungen geht. Sie kann so genannte „harte“ Daten durch subjektive Sichtweisen ergänzen. Dem entsprechend kann eine konzeptionelle Verbindung qualitativer und 540 541
Entnommen aus S. Lammek (2005, S. 272). Vgl. U. Flick, E. v. Kardorff und I. Steineke (2004, S. 25).
166
Empirische Analyse
quantitativer Methoden zur Beleuchtung desselben Gegenstandes aus unterschiedlichen Richtungen zu einem umfassenderen und valideren Bild führen.542 Das für die vorliegende Untersuchung gewählte qualitative Forschungsdesign erscheint vor allem zweckmäßig, um den in der verhaltenswissenschaftlichen Organisationstheorie implizierten Zusammenhang von Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Extra-Rollenverhalten näher zu beleuchten. Insbesondere die Annahme, dass Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit als notwendige Voraussetzung für gezeigtes ExtraRollenverhalten (in den Dimensionen des OCB) gelten können, lässt es sinnvoll erscheinen, die subjektive Wahrnehmung der Mitarbeiter zu diesen Aspekten mittels verbaler Daten in die Untersuchung mit einzubeziehen. Die Vorgehensweise begründet sich vor dem Hintergrund, dass die vorliegenden quantitativen Ergebnisse des Forschungsprojektes keine unmittelbaren Aussagen über die spezifischen Bedingungen und Folgen von Gerechtigkeitsurteilen in Unternehmen formulieren. Unter Einbezug des sozialen Kontextes des Arbeitsumfeldes der Mitarbeiter soll versucht werden auch die unmittelbaren Gerechtigkeitskriterien, die organisationsspezifischen Bedingungen von Gerechtigkeitsurteilen und die Folgen wahrgenommener (Un-) Gerechtigkeit in den untersuchten Organisationen aufzuzeigen.
5.2.2
Untersuchungsdesign und Datenerhebung
Fallauswahl Ebenso wie bei quantitativen Studien kommt der Zugänglichkeit der Ereignisse, Aktivitäten oder Personen, die den Gegenstand der Untersuchung bilden sollen, Bedeutung zu. Zumeist haben qualitative Untersuchungen das Besondere zum Thema: Insofern gilt dem Auswahlverfahren – welcher Fall untersucht werden soll – keine besondere Aufmerksamkeit, weil das Besondere des Falls bereits über die Wahl des Gegenstandes gegeben ist. In Folge stehen nicht bestimmte Auswahlprozeduren im Vordergrund, sondern die Auswahl wird über die Zugänglichkeit zum Fall konstituiert.543 Im Kontext qualitativer Studien nehmen dementsprechend gatekeeper (Schlüsselpersonen) eine zentrale Rolle ein. Bei der vorliegenden Untersuchung wurde der Zugang
542
Vgl. stellvertretend für viele zur Diskussion der Methodenintegration U. Kelle und C. Erzberger (2004, S. 300). Klassisches Gegenbild der heute gern betonten Grenze quantitativer und qualitativer Forschung ist die Studie von M. Jahoda, P.F. Lazarsfeld und H. Zeisel (1960). 543 Vgl. H. Merkens (2004, S. 288).
Empirische Analyse
167
zu kommunalen Betrieben durch eine Unternehmensberatung eröffnet, deren Arbeitsschwerpunkt im Bereich öffentlicher Verwaltungen liegt. Die Unternehmensberatung ist Entwicklerin des in den Betrieben implementierten Leistungsbeurteilungs- und bewertungssystem (LBB-SYS). Innerhalb der untersuchten Fallgruppen nahmen die jeweiligen Betriebsleitungen eine Schlüsselposition für den weiteren Untersuchungsverlauf ein. Daneben spielten aber auch die Vertreter des Personalrats der einzelnen Betriebe eine zentrale Rolle, die seitens der Leitung und des Forschungsteams in die Vorgehensweise des Forschungsprojektes miteinbezogen wurden.
Konzeption der Untersuchung Die Untersuchungskonzeption des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Teilprojektes „Leistungsbeurteilung und Leistungsanreize: Folgen und Nebenwirkungen eines personalwirtschaftlichen Standardinstrumentariums aus ressourcenzentrierter Sicht“ bestand aus einer quantitativen sowie einer qualitativen544 Untersuchung. Beobachtet wurde mittels standardisierter und nicht-standardisierter Befragungen das Verhalten von Leitungen, Vorgesetzten und Mitarbeitern bei und nach der Einführung von Leistungsbeurteilungen. Im Rahmen der qualitativen Befragungen standen, neben Interviews auf Ebene der Betriebsleitungen zur Zielsetzung leistungsorientierter Entgelte, schwerpunktmäßig Interviews mit beurteilten Mitarbeitern und Beurteilern bezüglich ihrer (subjektiven) Gerechtigkeitswahrnehmungen mit den durchgeführten Leistungsbeurteilungen im Fokus der Untersuchung. Im Zentrum der qualitativen Studie stehen 34 Einzelinterviews, die in den kommunalen Betrieben durchgeführt wurden. Davon in Stadt (1) 14, in Stadt (2) 7 und in Stadt (3) 13. Vier der insgesamt 34 geführten Interviews wurden als Experteninterview mit den Betriebsleitungen der einzelnen Betriebe durchgeführt. Des Weiteren wurden jeweils 15 problemzentrierte Interviews – verteilt über die teilnehmenden Betriebe – mit Beurteilern und Beurteilten geführt. Als Beurteiler fungieren in der Regel der direkte Vorgesetzte (Meister/Vorarbeiter) sowie die nächst höheren Vorgesetzten (Abteilungsleiter/Betriebsleiter). Die Beurteilten haben zumeist eine abgeschlossene Ausbildung und arbeiten beispielsweise als Kraftfahrer, Kanalarbeiter, Schreiner, Gärtner oder in angelernter Funktion als Müllwerker in den Betrieben. Die Befragten nahmen
544
Anzumerken ist, dass das qualitativ erhobene Datenmaterial erstmalig im Rahmen der vorliegenden Arbeit aufbereitet und analysiert wird.
168
Empirische Analyse
freiwillig an der Untersuchung teil. Die Auswahl der zu interviewenden Beurteiler und Beurteilten erfolgte nicht zufällig, sondern absichtsvoll. Im Vordergrund stand dabei, dass im Rahmen der Untersuchung nicht nur günstige Fälle, Mitarbeiter, die der Einführung von Leistungsbeurteilung – sei es als Beurteiler oder als Beurteilter – positiv gegenüber stehen, sondern auch kritische Stimmen Berücksichtigung finden sollten.545 Auf Grund dieser konzeptionellen Vorüberlegung war geplant pro Fall eine kleinere Gruppe von Beurteilern, getrennt nach „Befürwortern und Gegnern“ und eine doppelt so großen Gruppe von Beurteilten – ebenfalls differenziert nach „Befürwortern und Gegnern“ – in den Interviews zu befragen. Das der qualitativen Studie zugrunde liegende Kontrastgruppendesign konnte bei allen Befragungen annährend realisiert werden. Ein verändertes Befragungsdesign ergab sich allerdings in Stadt (1): Es wurden mehr Beurteiler interviewt als Beurteilte. Diese Abweichung gilt dem Umstand geschuldet, dass aus betrieblichen Gründen es für die Betriebsleitungen nicht immer möglich war, Mitarbeiter für die langen Gespräche freizustellen, ohne den Betriebsablauf zu unterbrechen. Der konzeptionelle Ansatz eines Kontrastgruppenvergleichs, sowohl die Leistungsbeurteilung befürwortende als auch kritische Stimmen zu Wort kommen zu lassen, ist aber erfüllt.
Qualitative Erhebung Befragte
Erhebungsinstrument
Kontrastgruppendesign
Stadt (1)
Stadt (2)
Stadt (3)
n
Betriebsleitung (BL)
Experteninterview
—
2
1
1
4
Beurteiler (BU)
Problemzentriertes Interview
erfüllt
8
2
5
15
Beurteilte (BT)
Problemzentriertes Interview
erfüllt
4
4
7
15
14
7
13
34
n=
Abb. 5.2: Untersuchungsanlage der qualitativen Erhebung
545
Zwar ist in der qualitativen Forschung eine konkrete Technik der Stichprobenziehung aus oben genannten Gründen nicht relevant, aber dennoch ist zu beachten, dass der Fall facettenreich erfasst wird. Dementsprechend ist empfehlenswert, dass nicht alle Interviewten aus der gleichen Hierarchie kommen oder einer Abteilung angehören und nicht nur günstige Fälle, sondern auch ungünstige bzw. kritische Stimmen in die Auswahl der zu Befragenden mit einbezogen werden (vgl. H. Merkens 2004, S. 291).
Empirische Analyse
169
Erhebungsinstrumente Die Auswahl qualitativer Interviews546 als Erhebungsverfahren der vorliegenden Untersuchung wurde vor dem Hintergrund getroffen, dass in der relativ offenen Gestaltung der Interviewsituation die Sichtweisen der befragten Subjekte eher zur Geltung kommen als in standardisierten Interviews oder Fragebögen. 547 Als Interview wird allgemein in der einschlägigen Literatur der Sozialforschung „(…) ein planmäßiges Vorgehen mit wissenschaftlicher Zielsetzung, bei dem die Versuchsperson durch eine Reihe gezielter Fragen oder mitgeteilter Stimuli zu verbalen Informationen veranlasst werden soll (…)“548 verstanden. Gültigkeit besitzt diese Definition unabhängig von der Methode der Datenerhebung. Allerdings bestehen, neben einer Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen quantitativen und qualitativen Interviews, auch gravierende Unterschiede, die sich auf die Art und Weise, wie vorgegangenen wird und welches die gezielten Fragen oder mitgeteilten Stimuli sind, beziehen. Ausgehend vom theoretischen Bezugsrahmen, den ausgewählten Formen qualitativer Interviews zur Datenerhebung und der verwendeten Methode der Datenauswertung der vorliegenden Analyse, sind, stellvertretend für die Vielzahl methodischer Merkmale des qualitativen Interviews549 , an dieser Stelle die Folgenden hervorzuheben:
-
Qualitative Interviews versuchen, den Charakter des Alltagsgesprächs zu realisieren.
-
Es erfolgt keine Prädetermination durch den Forscher, sondern eine Wirklichkeitsdefinition durch den Befragten (Prinzip der Relevanzsysteme der Betroffenen).
-
Qualitative Interviews lassen den Befragten zu Wort kommen (Prinzip der Zurückhaltung durch den Forscher).
-
Es gilt das kommunikative Regelsystem des Befragten (Prinzip der Kommunikativität).
546
Der Begriff qualitativer Interviews umfasst eine Vielzahl ähnlicher, aber nicht immer identischer Erhebungsverfahren. Die in der Literatur verwendete Bandbreite an Bezeichnungen (Intensiv-, Tiefen-, unstrukturiertes, qualitatives, detailliertes, zentriertes und offenes Interview) verweisen auf eine gewisse Begriffsunschärfe (vgl. S. Lamnek 2005, S. 356 f.). 547 Vgl. U. Flick (2002, S. 117) in Anlehnung an M. Kohli (1978). 548 E.K. Scheuch (1967, S. 70). 549 Zur intensiveren Diskussion methodologischer Aspekte des qualitativen Interviews siehe S. Lamnek (2005, S. 346 ff.).
170
Empirische Analyse
-
Das Interview ist für unerwartete Informationen zugänglich (Prinzip der Offenheit).
-
In der Interviewsituation reagiert der Forscher variabel auf die Bedürfnisse des Befragten (Prinzip der Flexibilität).
-
Das qualitative Interview ermittelt bevorzugt Deutungs- und Handlungsmuster der Befragten, die sich im Verlauf des Interviews entwickeln (Prinzip der Prozesshaftigkeit).
Aus den skizzierten methodischen Merkmalen des qualitativen Interviews ergeben sich eine Reihe technischer Konsequenzen für die Durchführung von Interviews: Beispielsweise die Notwendigkeit die Interviews im alltäglichen Milieu des Befragten durchzuführen und die Notwendigkeit der Schaffung einer vertraulichen Atmosphäre beim Interview, um authentische Informationen durch den Befragten zu erhalten. Zudem sind die Anforderungen an den Interviewer relativ hoch. Er benötigt eine hohe Kompetenz in der Praktizierung offener Gesprächstechnik und sollte Kenntnis über den Gegenstand der Befragung haben, damit er das Thema des Interviews in Fragen oder Anreize umsetzen kann, um so den zu Befragenden (wenn möglich ohne direkte Aufforderung und ohne Beeinflussung) zum Sprechen anzuregen. Der Interviewer muss Begriffe und Formulierungen aus der Lebenswelt des Befragten aufgreifen und relevante Teilaspekte in den Antworten erkennen und auf diese näher eingehen. Dementsprechend vorteilhaft ist, Interviews nur von Befragenden durchführen zu lassen, die verantwortlich in dem jeweiligen Forschungsprojekt mitarbeiten oder zumindest mit dem theoretischen Ansatz des Projektes vertraut sind.550 Aufgrund der Länge qualitativer Interviews und der damit verbundenen Vielzahl von Informationen gilt das Aufzeichnen dieser durch Audio- oder Videogeräte als empfehlenswert. In der einschlägigen Literatur gilt eine Erhebung großer Fallzahlen mittels qualitativer Interviews als ausgeschlossen.551 Die in der Forschung eingesetzten Varianten qualitativer Interviews werden zumeist als relativ flexibel eingesetztes teilstandardisiertes Instrumentarium beschrieben: In der Regel orientieren sich die Befragenden an einem Interview-Leitfaden, der Spielräume in den Frageformulierungen, Nachfragestrategien und in der Abfolge der Frage
550 551
Vgl. C. Hopf (2004, S. 358). Vgl. exemplarisch zur Thematik S. Lamnek (2005, S. 352 ff.).
Empirische Analyse
171
eröffnet.552 In der vorliegenden Untersuchung wurden aufgrund der unterschiedlich adressierten Fragestellungen an Betriebsleitungen, Beurteiler und Beurteilte sowohl Experten- wie auch problemzentrierte Interviews durchgeführt.
Experteninterview Die leitfadengestützten Experteninterviews553 mit den Betriebsleitungen waren ausschließlich darauf ausgerichtet die Interviewten in ihrer Funktionsgebundenheit, ihrer institutionalisierten Kompetenz, als zuständige Leitung über den organisationalen Kontext zur Einführung von Leistungsbeurteilungen in ihren Betrieben zu befragen. In ihrer Funktion als Betriebsleitung haben die Interviewten einen privilegierten Zugang zu Informationen hinsichtlich der tariflichen und kommunalspezifischen Regelungen zum Thema und tragen für die Implementierung und das Verfahren der Leistungsbeurteilung sowie die daraus resultierenden Folgen Verantwortung. Im Rahmen der Interviews wurden die jeweiligen Betriebsleitungen bezüglich ihrer Erwartungen und Zielsetzungen zur Einführung von leistungsorientierten Entgelten sowie zu Aspekten der Durchführung und bisherigen Erfahrungen mit diesen befragt. Abschließend wurden die Befragten in Form eines Fazits um einen Ausblick zur zukünftigen Handhabung und Bedeutung des personalwirtschaftlichen Instrumentariums der Leistungsbeurteilung in ihrer Organisation gebeten. Die Interviews wurden von den Mitgliedern des Projektteams in den Büros der Betriebsleitungen oder aber in Besprechungsräumen der Betriebe durchgeführt.554 Die Interviews dauerten zwischen 1½ und 2 Stunden. Die Interviews wurden mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet. Das gesamte Material wurde von zwei studentischen Hilfskräften, die mit den Inhalten des Forschungsprojekts vertraut waren, transkribiert. Entsprechend liegt für alle Interviews ein vollständiges Interviewprotokoll vor.
552
Vgl. C. Hopf (2004, S. 351 f.). Vgl. M. Meuser und U. Nagel (1991), die sich mit dem Experten-Interview als spezielle Anwendungsform von Leitfaden-Interviews auseinandersetzten. 554 Die Interviews mit den zwei Betriebsleitungen der Betriebe in Stadt (1) wurden im April 2003 und das Interview mit der Betriebsleitung in Stadt (2) im Oktober 2003 im Anschluss an die jährlich durchgeführte Leistungsbeurteilung durchgeführt. Die Betriebe haben seit mehreren Jahren Erfahrung mit dem eingesetzten Instrumentarium. Hingegen wurde die Leistungsbeurteilung im Betrieb der Stadt (3) erstmalig 2004 durchgeführt. Das Interview mit der dortigen Betriebsleitung fand ebenfalls im Anschluss an die für alle Mitarbeiter durchgeführte Leistungsbeurteilung, die im Jahr zuvor als Pretest stattfand, im Juni 2004 statt. 553
172
Empirische Analyse
Problemzentriertes Interview Die in Anlehnung an das problemzentrierte Interview555 geführten Befragungen mit den Beurteilern und Beurteilten in den untersuchten Betrieben stützen sich auf einem Leitfaden, der aus Fragen und Erzählanreizen besteht. Die Inhaltsbereiche des Leitfadens basieren auf den Vorüberlegungen des theoretischen Bezugsrahmens: Den einzelnen Facetten organisationaler Gerechtigkeit und in Folge der Leistungsbeurteilung wahrgenommener Verhaltensweisen im Sinne von Extra-Rollenverhalten (OCB). Im Vordergrund standen bei den Interviews offene Fragen bezüglich der Durchführung der jährlichen Leistungsbeurteilungen. Zunächst wurden die Befragten gebeten aus ihrer betrieblichen Realität zu berichten: Über ihre täglichen Aufgaben und ihre Arbeitsbedingungen. In diese Erzählsituation eingebunden waren auch Schilderungen bezüglich des Betriebsklimas und der Beziehung zu Vorgesetzten sowie Schilderungen über die Zusammenarbeit mit den Kollegen. In einer weiteren Phase wurden die Interviewten gebeten, ihre Erfahrungen mit den jährlichen Leistungsbeurteilungen zu schildern. Mit Ad-hoc-Fragen wurde eine spezifische Sondierung auf einzelne Aspekte der Durchführung, wie beispielsweise das Mitarbeitergespräch gesteuert. Die Interviewten wurden auch direkt bezüglich ihrer Zufriedenheit mit dem Leistungsbeurteilungssystem befragt. Darüber hinaus wurden die Beurteiler dezidiert zu ihrer Rolle als Beurteilender befragt. Die Interviewer nutzten in den Phasen der spezifischen Sondierung verschiedene Möglichkeiten der aktiven Verständnisgenerierung, beispielsweise durch Zurückspiegelung der Äußerung der Befragten in eigenen Worten oder durch Verständnisfragen. Die Interviews mit den Beurteilern und beurteilten Mitarbeiter wurden ebenfalls von den Mitgliedern des Projektteams durchgeführt.556 Die Interviews wurden in den Räumen der Betriebe durchgeführt: Teilweise in den Besprechungsräumen der Betriebe, aber auch in den für diesen Zweck reservierten Aufenthaltsräumen der Mitar-
555
Bei dem von A. Witzel (1985) vorgeschlagenem problemzentrierten Interview handelt es sich ursprünglich um eine Methodenkombination bzw. –integration von qualitativem Interview, Fallanalyse, biographischer Methode, Gruppendiskussion und Inhaltsanalyse. Neben dieser ursprünglich multimethodischen Konzeption Witzels hat das problemzentrierte Interview aber auch als Einzelmethode Gültigkeit. 556 Die Interviews mit den beurteilenden und beurteilten Mitarbeitern wurden ebenfalls zeitnah im Anschluss an die jährliche Leistungsbeurteilung und das sich anschließende Mitarbeitergespräch bzw. die Bekanntgabe der Ergebnisse durchgeführt. Die Interviews wurden zeitgleich mit den Experteninterviews durchgeführt: in Stadt (1) im April 2003, in Stadt (2) im Oktober 2003 und in Stadt (3) im Juni 2004.
Empirische Analyse
173
beiter. Die Gesprächssituation war geschützt. Dritte konnten die Gespräche nicht mithören. Da das Forscherteam aus vorherigen Besuchen in den Betrieben z.B. im Rahmen der quantitativen Erhebungen bereits den meisten Mitarbeitern bekannt war, basierten die meisten Gesprächssituationen auf „Vertrauen“. Zu dem ging den Interviews am ersten Tag eine Betriebsversammlung voraus, in der nochmals das Projekt und die Beteiligten des Forscherteams allen Mitarbeitern vorgestellt wurden. Dieser Auftakt wurde seitens der Personalvertretung der einzelnen Betriebe begleitet. Das Vorgehen bei der Durchführung der Interviews war in allen Betrieben identisch. In einer Einleitungsphase stellte sich die jeweilige Interviewerperson persönlich vor und führte die Befragten in die Situation ein: Es wurde das Ziel des Gesprächs erläutert, ein Einverständnis zur Aufzeichnung mit dem Bandgerät eingeholt, auf die Vertraulichkeit des Gesprächs hingewiesen sowie der Ablauf des Interviews kurz erläutert. Die Interviews dauerten in der Regel – je nach Erzählfluss des Interviewten eine ½bis 1¼ Stunde. Die Interviews wurden ebenfalls vollständig von studentischen Hilfskräften transkribiert. Bezüglich der teilweise stark ausgeprägten dialektsprachlichen Passagen wurde vereinbart, die Interviews entsprechend der gesprochenen Sprache zu transkribieren557 und diese erst im Auswertungsprozess, im Rahmen der Paraphrasierung, gegebenenfalls aus Verständlichkeitsgründen zu glätten. Abbildung 5.3 veranschaulicht im kriterienbezogenen Vergleich die zwei hier verwendeten Ansätze von Leitfaden-Interviews: Das Experteninterview und das problemzentrierte Interview.
557
Zur detaillierten Beschreibung der Datenaufbereitung siehe Abschnitt 5.2.3 der vorliegenden Arbeit.
174
Empirische Analyse
Leitfaden-Interviews Verfahren Kriterien Offenheit für die subjektive Sichtweise des Interviewpart ners durch:
Problemzentriertes Interview
·
Ist begrenzt, da Interesse nur am Experten, nicht an der Person
Leitfaden als Grundlage für Wendungen und Abbru ch unergiebiger Darstellungen
·
Leitfaden als Strukturierungsinstrument
· ·
Kurzfragebogen
·
Verdeutlichung der Steuerung: Beschränkung des In terviews auf Experten
Anwendungsbereich
·
Gesellschaftlich oder biographisch relevante Probleme 558
·
Expertenwissen in Institutionen
Probleme der Durchführung
·
Unsystematischer Wechsel von Erzählung zu Frage-Antwort Schema
·
Rollendiffusion beim Interviewpartner
Grenzen der Methode
· ·
Problemorie ntierung
·
Begrenzung der Auswertung auf Expertenwissen
Strukturierung (z.B. Vertiefung) des Gegenstandes durch: Beitrag zur allgemeinen Entwicklung der Methode des In terviews
Literatur
·
Gegenstands- und Prozessorientierung
· ·
Raum für Erzählungen
Experten-Interview
Postskript
Unsystematische Verbindung unterschiedlichster „Teilelemente“
A. Witzel (1985)
M. Meuser und U. Nagel (1991)
Abb. 5.3: Vergleich zweier Verfahren zur Erhebung verbaler Daten559
5.2.3
Datenauswertung
Ziel der Datenauswertung dieser Arbeit ist, die im theoretischen Bezugsrahmen formulierten Leitannahmen mit den empirischen Daten zu belegen. Zur Analyse qualitativer Interviews gibt es je nach Erklärungs- bzw. Erkenntnisinteresse eine Reihe von unterschiedlichen Auswertungstechniken.560 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird auf die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2003) zurückgegriffen. Eine Methode zur Auswertung von verbalen Daten, die mittels problemzentrierter Interviews erhoben wurden, gilt in der qualitativen Forschung zwar nicht als festgelegt, es werden jedoch vor allem kodierende Verfahren, insbesondere die qualitative Inhaltsanalyse empfohlen und verwendet.561
558
Zum Aspekt des Anwendungsbereiches ist anzumerken, dass in der Literatur zur qualitativer Sozialforschung der Einsatz von qualitativen Methoden als Instrumente der Organis ationsforschung zumeist nicht thematisiert wird. 559 Ausschnittsweise übernommen aus U. Flick (2002, S. 190 f.). 560 Einen Überblick hierzu bieten stellvertretend für viele S. Lamnek (2005, S. 199 ff.) und A. Witzel (1982, S. 53 ff.). 561 Vgl. U. Flick (2002, S. 138).
Empirische Analyse
175
Qualitative Inhaltsanalyse Ziel von Inhaltsanalysen ist, darin besteht allgemein Übereinstimmung, die Analyse von Material, das auf irgendeine Weise menschliches Verhalten oder soziales Handeln repräsentiert.562 Die Liste von im Ansatz völlig unterschiedlicher Definitionen der Inhaltsanalyse verweist auf die aus der Historie gewachsenen unterschiedlichen Forschungsansätze.563 Beispielsweise verweist Lamnek (2005) in diesem Zusammenhang darauf, dass sich die Inhaltsanalyse im quantitativen Paradigma ursprünglich ausschließlich auf akzidentale Dokumente564 stützt, während die qualitative Sozialforschung sich zum Zwecke der wissenschaftlichen Analyse produzierte, systematische Dokumente zum Gegenstand macht.565 In der aktuellen Anwendung qualitativer Inhaltsanalysen wird – in den meisten Fällen – Material in Form fixierter und reproduzierbarer
Kommunikation
ausgewertet.566
Die
unterschiedlichen
qualitativen
inhaltsanalytischen Techniken werden in der Literatur in Verfahren der Kodierung und Kategorisierung sowie sequentielle Analysen unterteilt. Zu letzteren zählen Verfahren der Textinterpretation, wie beispielsweise die Konversationsanalyse, die Diskursanalyse und die objektive Hermeneutik. Zu Verfahren der Textinterpretation mittels Kodierung und Kategorisierung zählen das theoretische Kodieren, das thematische Kodieren und die Globalauswertung sowie die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (1983, 2003). Die grundsätzliche Systematik dieser Technik wird im Folgenden beschrieben. Der Grundansatz der qualitativen Inhaltsanalyse stellt in seiner Systematik eine methodisch kontrollierte qualitative Textauswertung dar, d.h. eine Methodik systematischer Interpretation, die durch Analyseschritte und Analyseregeln systematisiert und überprüfbar ist. Das inhaltsanalytische Vorgehen wird determiniert durch567 :
-
562 563
564 565 566 567
Die Einbettung des zu analysierenden Materials in seinen Kommunikationszu-
Vgl. S. Lamnek (2005, S. 483). Vgl. hierzu die von P. Mayring (2003, S. 11 ff.) vorgeschlagene Definition auf Basis der Darstellung der unterschiedlichen Einsatzgebiete von Inhaltsanalysen in den Geistes- und Sozialwissenschaften: beispiels weise in der Soziologie, der Psychologie, der Politologie und der Pädagogik. Ebenso S. Lamnek (2005, S. 486 ff.). Ursprünglich vor allem aus Massenmedien. Vgl. S. Lamnek (2005, S. 483 ff.). Vgl. S. Lamnek (2005, S. 483). Vgl. P. Mayring (2003, S. 42 ff.).
176
Empirische Analyse
sammenhang. Das Material wird im Kontext der Erhebung des sozialkulturellen Hintergrunds interpretiert. -
Das systematische Vorgehen. Dieses ist gekennzeichnet durch Regelgeleitetheit (nach vorher formulierten Ablaufmodellen vorgehend), Theoriegeleitetheit (theoretisch abgesicherten Fragestellungen und Codierregeln folgend) und dem im Zentrum der Analyse stehenden Kategorien(-systemen) orientierten Vorgehen.
Der formulierte Anspruch der qualitativen Inhaltsanalyse gilt der intersubjektiven Nachprüfbarkeit, einer Überprüfbarkeit und einem Nachvollzug der Analyse auch durch andere. Mayring (2003) verweist in Anlehnung an Craney (1972) darauf, dass qualitative Inhaltsanalyse eine schlussfolgernde Methode ist. Die Inhaltsanalyse hat zum Ziel Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation zu ziehen.568 Für das inhaltsanalytische Vorgehen entwirft Mayring (2003) ein allgemeines Ablaufmodell, das aus mehreren Stufen besteht und bei jeder Anwendung von Inhaltsanalyse durchlaufen wird569 :
1. Festlegung des Materials 2. Analyse der Entstehungssituation 3. Formale Charakterisierung des Materials 4. Richtung der Analyse 5. Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung 6. Bestimmung der Analysetechnik 7. Definition der Analyseeinheit 8. Analyse des Materials und Interpretation.
Zur Analyse des Materials schlägt Mayring (2003) drei Grundformen des Interpretierens vor:
-
Die Zusammenfassung: „Ziel der Analyse ist es, das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, durch Abstraktion einen überschaubaren Corpus zu schaffen, der immer noch Abbild des Grundmaterials
568 569
Vgl. P. Mayring (2003, S. 12 f.). Vgl. P. Mayring (2003, S. 46 ff.).
Empirische Analyse
177
ist.“570 -
Die Explikation: „Ziel der Analyse ist es, zu einzelnen fraglichen Textteilen (Begriffen, Sätzen,…) zusätzliches Material heranzutragen, das das Verständnis erweitert, das die Textstelle erläutert, erklärt, ausdeutet.“571
-
Die Strukturierung: „Ziel der Analyse ist es, bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern, unter vorher festgelegten Ordnungskriterien durch das Material zu legen oder das Material aufgrund bestimmter Kriterien einzuschätzen.“572
Strukturierungen können nach unterschiedlichen Ordnungskriterien vorgenommen werden. Diese können sich auf formale, inhaltliche, typisierende oder skalierende Inhalte beziehen.573 Ziel ist es dabei das Material zu reduzieren und zu strukturieren, um typische Verhaltensmuster, Antworten etc. herauszufiltern.574 Die Strukturierung gilt als die zentralste inhaltsanalytische Technik. Die aus dem Datenmaterial herauszufilternde Struktur wird in Form eines Kategoriensystems an das Material herangetragen.575 Für die weitere Präzisierung der Strukturierungsarbeit wird die genaue Formulierung von Definitionen, die Auswahl von typischen Textpassagen („Ankerbeispielen“) und die Formulierung von Kodierregeln (Kodierleitfaden) empfohlen. Das in Abbildung 5.4 dargestellte Ablaufmodell informiert über die von Mayring geforderte Gesamtheit und sukzessive zu erfolgenden Analyseschritte einer strukturierenden Inhaltsanalyse.
570 571 572 573 574 575
Vgl. P. Mayring (2003, S. 58). Vgl. P. Mayring (2003, S. 58). Vgl. P. Mayring (2003, S. 58). Siehe hierzu ausführlicher P. Mayring (2003, S. S. 85 ff.). Vgl. P. Mayring (2003, S. 57 ff.). Vgl. P. Mayring (2003, S. 83).
178
Empirische Analyse
1. Schritt Bestimmung der Analyseeinheiten
2. Schritt Festlegung der Strukturierungsdimensionen (theoriegeleitet)
3. Schritt Bestimmung der Ausprägungen (theoriegeleitet) Zusammenstellung des Kategoriensystems
4. Schritt 7. Schritt Überarbeitung, ggf. Revision von Kategoriensystem und Kategoriendefinition
Formulierung von Definitionen, Ankerbeispielen und Kodierregeln zu den einzelnen Kategorien
5. Schritt Materialdurchlauf: Fundstellenbezeichnung
6. Schritt Materialdurchlauf: Bearbeitung und Extraktion der Fundstellen
8. Schritt Ergebnisaufbereitung
Abb. 5.4: Allgemeines Ablaufmodell strukturierender Inhaltsanalyse576
Datenaufbereitung und Datenanalyse In einem ersten Schritt der Datenaufbereitung wurden die Bandaufzeichnungen aller Interviews durch – in das Projekt eingebundene studentische Hilfskräfte – transkribiert. Im Anschluss wurden die angefertigten Volltranskripte durch die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die auch als Interviewer eingesetzt waren, stichprobenhaft auf Vollständigkeit und Genauigkeit überprüft und eventuelle Korrekturen vorgenommen. 576
Vgl. P. Mayring (1983, S. 84).
Empirische Analyse
179
Zunächst wurde beim Verschriften der Interviews der Dialekt nicht bereinigt und Satzbaufehler nicht behoben. Kommentiert wurden auch nicht-sprachliche Vorgänge, beispielsweise Lachen oder längere Pausen, sowie technische Hinweise, wie der Wechsel des Tonträges oder die Aufnahmequalität reduzierende Geräusche.577 Diese Kommentare wurden durch Klammern gekennzeichnet. Allerdings zeigte sich, dass diese Hinweise für den weiteren Untersuchungszweck gegenstandslos waren. Der Sinn der Aussagen konnte ausschließlich aus dem sprachlichen Textmaterial erschlossen werden. Es ist davon auszugehen, dass keine Informationen verloren gegangen sind. Die Namen der Interviewten und/oder weitere Namensnennungen von in der Organisation beschäftigten Mitarbeitern wurden im Rahmen der Verschriftung des Datenmaterials anonymisiert. Aus Gründen der Verständlichkeit wurden teilweise einzelne Interviewpassagen, beispielsweise bei der Auswahl von Ankerbeispielen im Rahmen der Erstellung der Kodierregeln oder bei der Selektierung relevanter Aussagen zur Veranschaulichung und Diskussion der Ergebnisse redigiert. Die Aussagen wurden beispielsweise grammatisch geglättet oder als ganze Sätze formuliert. Die dem Interviewpartner eigene Sprache wurde dabei versucht zu erhalten. Dies gilt besonders für alle verwendeten Metaphern und Analogien. Aufgrund der Redaktion lassen sich Aussagen pointierter lesen als das Transkript und gewinnen damit an Deutlichkeit und Klarheit. Mit dieser Vorgehensweise verbindet sich allerdings die Gefahr, dass die Unmittelbarkeit und Lebendigkeit der Argumentationen der Interviewten eingeschränkt und der Spielraum der individuellen Interpretation erhöht wird. Aus diesem Grunde wurden die redigierten Aussagen in Zweifelsfällen im Vergleich mit der Volltranskription der einzelnen Interviews oder aber des Tonbandmaterials nochmals überprüft. Dieses Vorgehen hat sich im Hinblick auf den Verstehensprozess als nützlich erwiesen. In einem zweiten Schritt wurden die Textdokumente der Interviews zur computergestützten Dokumentation und Analyse der Daten in die Qualitative DatenanalyseSoftware MAXqda übertragen. Ein Vorteil der Nutzung von QDA-Software, wie beispielsweise dem MAXqda, liegt in seiner methodisch kontrollierbaren und auch für Außenstehende nachvollziehbaren Vorgehensweise. Demnach ist computergestützte Analyse qualitativer Daten keine standardisierte Methode; ihre konkrete Ausgestaltung 577
Zwei der aufgezeichneten Interviews in Stadt (1) konnten bedingt durch starke Hintergrundgeräusche zum Teil nur in Passagen transkribiert werden. Dieses ist entsprechend in Tabelle 5.9, die die Aussagen der befragten Beurteiler, analog der festgelegten Kodierschemata bündelt, ausgewiesen.
180
Empirische Analyse
ist sowohl abhängig von Art und Umfang des Materials als vom gewählten methodischen und theoretischen Ansatz.578 Die Entscheidung der Autorin zur Verwendung von MAXqda im Rahmen der vorliegenden Datenanalyse beruht darauf, dass insbesondere die folgenden Auswertungsschritte computerunterstützt durchgeführt werden konnten:
-
Datenmanagement: Verwaltung des Datenkorpus der 34 Interviews (Primärtexte) und Gewährleistung eines schnellen Zugriffs auf einzelne Texte bzw. Textstellen.
-
Kategorienbasierte Erschließung des Interviewmaterials nach dem Muster sozialwissenschaftlicher Analysestile, wie die in der vorliegenden Datenanalyse dominierende Methode der qualitativen Inhaltsanalyse.
-
Übersichtliche visuelle Darstellung von Kategorienschemata in Form von Codebäumen.
-
Möglichkeit der Gewichtung von codierten Textsegmenten in den einzelnen Dimensionen der Kategorienschemata zur Einschätzung der Ausprägung der Interviewpassagen.
Die Datenanalyse wurde mittels der Technik der (inhaltlich) Strukturierenden Inhaltsanalyse durchgeführt. Die Durchführung der Analyse erfolgte analog der beschriebenen Prozessschritte des Ablaufmodells (Abbildung 5.3). Die Datenbasis der inhaltsanalytischen Auswertung sind die mit den Beurteilten und Beurteilern geführten problemzentrierten Interviews (N=30). In allen drei Städten war der Interviewzeitpunkt so gewählt worden, dass die Befragung zeitnah zur Rückkoppelung der Beurteilungsergebnisse erfolgen konnte, um eine realitätsnahe Wahrnehmung der Befragten zum Prozedere des Beurteilungsprozesses zu gewährleisten. Die Festlegung der inhaltlichen Strukturierungsdimensionen erfolgte theoriegeleitet. Auf Basis der im vorangegangenen Kapitel der vorliegenden Arbeit intensiv diskutierten theoretischen Vorüberlegungen der induzierten Interdependenz zwischen organisationaler Gerechtigkeit (unabhängige Variable) und Extra-Rollenverhalten (abhängige Variable) erfolgte die Festlegung zweier Kategorienschemata. Grundlagen für das erste Kategoriensystem bilden für das Konstrukt der organisationalen Gerechtigkeit die beschriebenen Facetten der Verteilungs-, Verfahrens- und Interaktionsgerech-
578
Vgl. U. Kuckartz (2004, S. 14).
Empirische Analyse
181
tigkeit.579 Die theoretischen Grundlagen des Kategoriensystems zum Konzept des Extra-Rollenverhaltens basieren auf den vorgestellten Überlegungen zum Organizational Citizenship Behaviour (OCB).580
Kategoriensystem: Organisationale Gerechtigkeit Im Folgenden werden die einzelnen Kategorien der organisationalen Gerechtigkeit (Verteilungs-, Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit) analog den Prinzipien der Inhaltsanalyse in einzelne Dimensionen aufgefächert und operationalisiert. Eine Einschätzung des codierten Interviewmaterials zur wahrgenommenen Gerechtigkeit des Beurteilungsprozesses erfolgt über die Variable Fairness. Die Aussagen zur wahrgenommenen Fairness werden entsprechend einer (vereinfachenden) dichotomen Ausprägung von als fair oder als unfair wahrgenommen eingestuft. Aussagen, die nicht präzise als fair oder nicht fair zuzuordnen sind, werden als nicht erschließbar eingestuft. Entsprechend der drei Prinzipien der zentralen organisationspsychologischen Diskussion zur Verteilungsgerechtigkeit wurde diese unterteilt in die Dimensionen „Beitragsprinzip“, „Gleichheitsprinzip“ und „soziale Aspekte“.581 Definitorisch angepasst an die betriebliche (Lebens-)Realität der Interviewten wurde das letztgenannte Prinzip. Dieses findet sich in der Literatur als Bedarfsprinzip beschrieben, „(…) wonach die Bedürfnisse einer Person, wie sie sich beispielsweise aus den jeweils spezifischen Lebensumständen – etwa der Größe der Familie – ergeben in Rechnung gestellt werden.“582 Aufgrund des Kontextes der Befragung wurde dieses Prinzip unter der Dimension „Soziale Aspekte“ gefasst, wonach Verteilungen als gerecht gelten, wenn auch soziale Komponenten, wie beispielsweise Äußerungen bezüglich langer Betriebszugehörigkeit oder Alter, in der Analyse berücksichtigt werden konnten. Als Hinweis aus dem Interviewmaterial für die Modifizierung dieser Dimension steht stellvertretend für mehrere der Kommentar:
„Die rechnen [berücksichtigen das] überhaupt nicht. Man wird älter, man wird
579
Vgl. Abschnitt 3.1.3 der vorliegenden Arbeit. Vgl. Abschnitt 4.3.1 der vorliegenden Arbeit. 581 Vgl. stellv. M. Deutsch (1975), G.S. Leventhal (1976a), G. Mikula (1980), T. Schwinger (1980). Siehe auch Diskussion in Abschnitt 3.1.3 der vorliegenden Arbeit. 582 H. Lengfeld und S. Liebig (2003, S. 475). 580
182
Empirische Analyse
schwächer. Ich kann auch nicht mehr so, wie zum Beispiel vor 11 Jahren.“583
Dimensionen
Verteilungsgerechtigkeit (unabhängige Variable) Definition Ankerbeispiel Ausprägung
Beitragsprinzip
„Verteilungen gelten als gerecht, wenn sie proportional zu den individuellen Beiträgen einer Person vorgenommen werden.“
„Wer gute Arbeit leistet, der kriegt auch was dafür. Das finde ich schon okay.“ Stadt (1), BT 2: 59
Ø fair O unfair O nicht erschließb ar
Gleichheits prinzip
„Verteilungen gelten als gerecht, wenn allen Personen ein gleich hoher Anteil an Gütern oder Las ten zugesprochen wird.“
O fair Ø unfair O nicht erschließbar
Soziale Aspekte
„Verteilungen gelten als gerecht, wenn auch soziale Aspekte mit Berücksichtigung finden.“
„Hätte man gesagt, jeder bekommt das selbe…vom kleinen bis zum großen, jeder kriegt was aus dem Topf über das Jahr, jeder kriegt das selbe. Ich weiß nicht, was daran problematisch gewesen wäre?“ Stadt (3), BT 1: 311 „Das ist nicht gerecht, denn ich arbeite schon seit 20, 25 Jahren im Be trieb.“ Stadt (1), BT 4: 181
O fair Ø unfair O nicht erschließbar
Kodierregeln Einschl. Äußerungen, die die leis tungsproportionale Vergabe von Zula gen unter der Pro blematik der Lohngruppen thematisieren. Äußerungen zu dem Aspekt, dass das Ergebnis der Leis tungsbeurteilung nicht auf alle Mitarbeiter angewendet wird („Besitzstandsregelungen“). Äußerungen bezüglich erwünschter Gleichaufteilung innerhalb einer Arbeit sgruppe.
Äußerungen bezüglich Betriebszugehörigkeit, Alter etc.
Tab. 5.1: Kodierleitfaden „Verteilungsgerechtigkeit“
Die Festlegung der drei inhaltlichen Strukturierungsdimensionen zur Verteilungsgerechtigkeit, die in der Systematik des Ablaufmodells der strukturierenden Inhaltsanalyse in die Konzeption des Kodierleitfadens einmündeten, gelten in allen Aspekten (Dimension, Definition, Ankerbeispiele und Kodierregeln) sowohl für die Analyse der Interviewprotokolle der Beurteilten wie Beurteiler. Die deduktive Kategorienbildung bei der Facette der Verfahrensgerechtigkeit erfolgte in Anlehnung des Vorschlages von Leventhal et al. (1980), wonach sich gerechte Entscheidungsverfahren mindestens durch fünf Kriterien auszeichnen.584 Aller-
583 584
(Stadt 1, BT 4: 206). Nach Leventhal et al. (1980) zeichnen sich gerechte Entscheidungsverfahren durch mindestens fünf
Empirische Analyse
183
dings zeigte sich bei einem ersten Materialdurchlauf, dass die von Leventhal et al. vorgeschlagene Dimension „Repräsentation aller Interessen“ der vom Entscheidungsprozess Betroffenen besser durch die Dimension „Partizipation und Transparenz der Verfahrensregeln“ beschrieben und codiert werden konnte. Siehe erläuternd hierzu den Ausschnitt aus dem Kodierleitfaden „Verfahrensgerechtigkeit“ – Beurteilte (Tabelle 5.2).
Dimensionen
Definition
Ankerbeispiel
Ausprägung
Kodierregeln
Partizipation und Transparenz d er Verfahrensregeln
„Beteiligung bei Entwicklung und Einführung sowie Festlegung und Veröffentlichung der Verfahrensregeln.“
„Das hat die Un ternehmensberatung vorgestellt: Das ganze System. Hatten ja auch Schautafeln und alles dabei gehabt, ja und es ist schon disku tiert und drüber gesprochen worden, das war schon in Ord nung.“
Ø fair
Beteiligung bei Auswahl und Entwicklung des Be urteilungsverfahren sowie In formation aller Betroffen, welche Bedingungen für den Erwerb von Leistungszulagen gelten.
O unfair O nicht erschließbar
Stadt (3), BT 1: 225
Tab. 5.2: Kodierleitfaden „Verfahrensgerechtigkeit“ – Beurteilte (Ausschnitt)
Ferner erübrigte sich die Dimension „Konsistenz“ eines einmal festgelegten Verfahrens über Personen und Zeit hinweg, da in den untersuchten Betrieben die Gesamtheit der Arbeiter dem Prozess der Leistungsbeurteilung unterworfen worden sind. Dementsprechend wurden im Rahmen der Überarbeitung des Kategoriensystems ausschließlich vier Dimensionen in dem Kodierleitfaden „Verfahrensgerechtigkeit“ für das Codieren des gesamten Interviewmaterials der befragten Beurteilten und Beurteiler berücksichtigt.
Kriterien aus: Konsistenz, Ausschluss von Parteilichkeit, Korrigierbarkeit, Genauigkeit und Repräsentativität. Eine nähere Beschreibung der Kriterien finden sich in Abschnitt 3.1.3 dieser Arbeit.
184
Empirische Analyse
Verfahrensgerechtigkeit (unabhängige Variable) Dimensionen
Definition
Ankerbeispiel
Ausprägung
Kodierre geln
Partizipation und Transparenz der Verfahrensregeln
„Einbeziehung und Information der Beurteiler bezüglich des Reglements des Verfahrens und den Konsequenzen der Beurteilungsergebnisse.“
„Und des ist des, was ich einfach sag, wo wir dann also s chon ein bissle ins Wasser geworfen worden sind. Da haben die uns praktisch überrumpelt.“
O fair
Frühzeitige Offenlegung der angestrebten führungs- und personalwirtschaftlichen Zielsetzungen der Leis tungsbeurteilung und Planung von Hilfestellungen (z.B. Arbeits - und A u s tauschforen) für die Beurteiler.
Ø unfair O nicht erschließbar
Stadt (3), BU 2:51
Ausschluss von Parteilichkeit
„Ausschluss von Manipulationen der Beurteilungsergebnisse der Beurteiler aufgrund organisationalen Interessen.“
„Und das wird hier von der Führungsebene sowieso gedeckelt. Man kann das nicht durchsetzten. Wenn jetzt bei mir einer sehr gut ist und ich gebe dem 7 Prozent, dann wird der mit Sicherheit gedeckelt, dass er 2 Prozent oder gar nichts kriegt. Das ents cheiden dann die da oben.“
O fair Ø unfair O nicht erschließbar
Einhaltung der festgelegten Bewertungsregeln und Bewertungsmaßstäbe sowie Umsetzung der Bewertungsergebnisse der Beurteiler ohne nachträg liches Korrigieren der Erg ebnisse durch die Betriebsleitung.
Stadt (2), BU 2: 44 Korrigierbarkeit
„Abänderungen oder Aufhebung von Entscheidungen aufgrund von Fehlern oder Versehen müs sen möglich sein.“
„Also ganz witzig ist es mit unserem LKW -Fahrer, der hat bis jetzt keine gekriegt und erst wo die Betriebsleitung letztes Jahr mitgekriegt hat, dass die ganzen anderen LKW -Fahrer eine Leistungszulage kriegen, hat unserer dann im nachhinein auch noch eine gekriegt.“
Ø fair O unfair O nicht erschließbar
Korrekturen auch zu Gunsten der Beurteilten (aus Gründen der Fairness), wenn Ungleichbehandlungen transparent geworden sind.
Stadt (1), BU 2:49 Genauigkeit
„Gewährleistung einer vorurteils freien und objektiven Be urteilung.“
„Wir hatten da eine Schulung, eine Auffrischungsschulung, jetzt vor der neuen Bewertungsrunde.“
Ø fair O unfair O nicht erschließbar
Stadt (1), BU 8:158
Durchführung von Beurteilerschulungen, zur Minimie rung von Beurteilungsfehlern (z.B. Wahrnehmungsverzerrungen).
Tab. 5.3: Kodierleitfaden „Verfahrensgerechtigkeit“ – Beurteiler
Jedoch wurden für die Analyse der Interviewprotokolle der Beurteilten und Beurteiler zwei – sich in der Definition der Dimensionen „Partizipation und Transparenz“
Empirische Analyse
185
sowie „Genauigkeit“ differenzierende – Kodierleitfäden, aufgrund der unterschiedlichen Betroffenheit der Beurteiler und Beurteilten, eingesetzt. Die theoriegeleitete Strukturierung der dritten Gerechtigkeitsform, der Interaktionsgerechtigkeit (Bies 2001), die die kommunikative Vermittlung der konkreten Beurteilungsergebnisse in den Mittelpunkt rückt, berücksichtigt die Art der Aufklärung und die damit verbundene Sensitivität.585 Die einzelnen Dimensionen beinhalten sowohl die „Berücksichtung“ einer möglichen Stellungnahme der Beurteilten selbst zu ihren Leistungen, sowie den Aspekt der Informationsgerechtigkeit durch zeitnahes Feedback („Rückmeldung“) der Beurteilungsergebnisse an die Betroffenen. Neben der informationellen Gerechtigkeit, spiegelt sich die interpersonelle Gerechtigkeit vor allem im Grad der Höflichkeit und der Würde sowie dem Respekt wider, mit dem die beurteilten Mitarbeiter behandelt werden („Aufklärung und kommunikative Integrität“). Ebenso wie bei der Erstellung der Kodierleitfäden zur Verfahrensgerechtigkeit wurden bei der Formulierung der Definitionen, der Auswahl der Ankerbeispiele und der Zusammenstellung der Kodierregeln die unterschiedlichen Perspektiven der Beurteilten und Beurteiler zur wahrgenommenen Interaktionsgerechtigkeit berücksichtigt.
585
Vgl. S. Liebig (1997, S. 209 ff.) in Anlehnung an F.G. Müller (1996) sowie Abschnitt 3.1.3 dieser Arbeit.
186
Empirische Analyse
Interaktionsgerechtigkeit (unabhängige Variable) Dimensionen Berücksichtigung
Definition
Ankerbeispiel
„Mitarbeiter haben die Möglichkeit ihre eigene Sicht ihrer Leistungen darzu stellen.“
„Ich hab beim Chef auch Sachen ansprechen können, die mir an ihm net so, so allgemein und im Betrieb nicht gefällt.“
Ausprägung Ø fair O unfair O nicht erschließbar
Stadt (3), BT 3: 65 Rückmeldung
„Transparenz des Verfahrens durch kontinuierliches und rasches Feedback.“
„Also nach dem Ergebnis führt man hier so ein persön liches Gespräch…“
Ø fair O unfair O nicht erschließbar
Kodierregeln Die Betroffenen haben das Gefühl, ihre Leistungen, z.B. im Rahmen des Mitarbeitergesprächs, selbst noch mal darstellen zu können. Betrifft Zeitpunkt und Art (z.B. Mit arbeitergespräch) der Rückmeldung.
Stadt (1), BT 4: 78 Aufklärung und kommunikative Integrität
„Die Verantwort lichen äußern sich zu ihrer Entscheidung und informie ren über das Zustandekommen der Entscheidung (des Ergebnis ses).“
„Also das Mitarbeitergespräch, das dieses Jahr durchgeführt wurde war ungefähr wieder so wie die Leistungsbeurteilung… Da waren mehr Ohrfeigen drin als wie sonst was.“
O fair Ø unfair O nicht erschließbar
Stadt(2), BT 2: 78
Tab. 5.4: Kodierleitfaden „Interaktionsgerechtigkeit“ – Beurteilte
Den Betroffenen wurde das Zustandekommen des Ergebnisses (z.B. im Rahmen des Mitarbeitergesprächs) differenziert und integer erläutert.
Empirische Analyse
187
Interaktionsgerechtigkeit (unabhängige Variable) Dimensionen Berücksichtigung
Definition
Ankerbeispiel
„Die Vorgesetzten geben den Beurteilten die Möglichkeit, ihre eigene Sicht ih rer Leis tungen darzustellen.“
„Ich streue eigentlich nur ein, wie ich die Leute sehe und will dann hören, ob sie sich auch so sehen. Das ist mein Akt…“
Ausprägung Ø fair O unfair O nicht erschließbar
Stadt (1), BU 8:108
Rückmeldung
„Transparenz des Verfahrens durch kontinuierliches und rasches Feedback.“
„Die erste Bewertung ist jetzt gewesen und mit jedem wurde jetzt ein Mit arbeitergespräch geführt. Die Mitarbeiter wurden dabei auch über den Stand der Leistungszulage und so weiter informiert. Jeder hat dieses Gespräch auch gehabt. Also hat jeder den gleichen Stand gerade.
Ø fair O unfair O nicht erschließbar
Kodierregeln Den Betroffen wird z.B. im Rahmen des Mitarbeitergesprächs die Mög lichkeit eingeräumt ihr Leis tungsverhalten zu reflektieren und darzustellen. Betrifft zeitnahe Rückmeldung der Ergebnisse (z.B. Mitarbeitergespräch) an alle Beurteilten.
Stadt (2), BU 1:45 Aufklärung und kommunikative Integrität
„Gewährleistung einer umfassenden und respektvollen Mitarbeitergesprächs.“
„Sind auch viele durchgefallen, die wo nix mehr kriegen und das den Leuten beibringen ist nicht so einfach. Wir wurden schon geschult darauf, das rüberzu bringen.
Ø fair O unfair O nicht erschließbar
Betrifft die Vorbereitung und Schulung der Beurteiler auf die Durchfüh rung der Mitarbeitergespräche und ihre Kompetenz Verbesserungsoptionen zu erkennen und anzubieten.
Stadt (2), BU 1:49
Tab. 5.5: Kodierleitfaden „Interaktionsgerechtigkeit“ – Beurteiler
Kategoriensystem: OCB Theoretischer Ausgangspunkt des zweiten Kategoriensystems ist die in der Literatur vermutete Reziprozität zwischen organisationaler Gerechtigkeit und Extra-Rollenverhalten.586 Die Einflussbeziehung beschreibt, dass als fair wahrgenommene Aspekte distributiver und prozedualer Gerechtigkeit im Prozess der Leistungsbeurteilung als Voraussetzung für Extra-Rollenverhalten gelten und zum anderen dass neben den ergebnisbezogenen Gerechtigkeitsurteilen vor allem Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeitsaspekte für Verhaltensweisen der Beurteilten – im Sinne von Extra-Rollenverhalten – bedeutsam sind.
586
Siehe auch die formulierten Leitannahmen in Abschnitt 4.4 der vorliegenden Arbeit.
188
Empirische Analyse
Die Konzeption des Kategoriensystems zum Extra-Rollenverhalten basiert auf dem von Organ (1988) entwickelten Konstrukt Organizational Citizenship Behavior (OCB).587 Die Festlegung der strukturierenden Dimensionen des Konstruktes stützte sich – analog der standardisierten Befragung im Projekt – auf den von Staufenbiel und Harz (2000) entwickelten und dokumentierten Fragebogen zum Organizational Citizenship Behavior.588 Verwendet wurden die vier Dimensionen Unkompliziertheit, Eigeninitiative, Hilfsbereitschaft und Gewissenhaftigkeit. Neben den festgelegten Dimensionen des OCB, den erläuternden Definitionen und ausgewählten Ankerbeispielen und formulierten Kodierregeln wird auch die Urteilsquelle der Aussagen mit in die Analyse einbezogen. Auf Ebene der Beurteilten spiegeln die Aussagen entweder Selbsteinschätzungen wider oder informieren als Fremdbeurteilung (Kollegenurteil) über die von ihnen wahrgenommenen Verhaltensweisen der Kollegen. Zusätzlich zur Selbsteinschätzung wurden auf Ebene der Beurteiler die gezeigten Verhaltensweisen bzw. das Leistungsverhalten der Mitarbeiter als Vorgesetztenurteil erfasst. Die codierten Interviewpassagen zu den Verhaltensweisen bzw. zum Leistungsverhalten wurden entsprechend ihrer Ausprägung als positiv oder negativ eingestuft. Aussagen die nicht gewichtet werden konnten, wurden als nicht erschließbar klassifiziert. Zusätzlich zu den Konstrukten Organisationaler Gerechtigkeit und OCB wurde das Datenmaterial aller Beurteilten und Beurteiler noch hinsichtlich affektiver Aspekte, wie der persönlichen Stimmung am Arbeitsplatz, des Arbeitsklimas in der eigenen Arbeitsgruppe und des Betriebes analysiert. Damit wird als „Kontrollvariable“ der sozialpsychologische Aspekt erfasst, dass positive Stimmungen das freiwillige Engagement befördern. 589
587
Erläuterungen zum Konstrukt des Organiszational Citizenship Behavior (OCB) finden sich in Abschnitt 4.3.1 dieser Arbeit. 588 Vgl. W. Matiaske und I. Weller (2005). 589 Vgl. G. Hertel, E. Bretz und K. Moser (2000, S. 127).
Empirische Analyse
189
Organizational Citizenship Behaviour – OCB (abhängige Variable) Dimensionen Unkompliziertheit
Definition
Ankerbeispiele
Ausprägung
Urteilsquelle
Kodierregeln
„Der Mitarbeiter verbringt wenig Zeit damit sich über Be langlosig keiten zu beklagen.“
„Ja, also erstmal Daumen runter, das ist erstmal ganz klar; weil das ist alles erstmal neu, da ist man immer erstmal skeptisch, das ist ganz klar. Da guckt man erstmal mit Vorsicht, allgemein.“
O positiv
Ø Selbsteinschätzung
Vermittelt Bereitschaft vorübergehende Unannehmlichkeiten und Frustrationen zu ertragen, ohne sich zu beklagen, sowie eine aufgeschlossene Haltung gegenüber Veränderungen in der Organisation einzunehmen.
Ø negativ O nicht erschließbar
O Kollegenurteil O Vorgesetztenurteil
Stadt (3), BT 6: 97 Eigeninitiative
„…übernimmt freiwillig zusätzliche Aufgaben und Verpflichtungen.“
„Ja, ich finde ein Verbesserungsvorschlag ist, erstens mal den Arbeitern auch das System klar zu machen. Also ich lese es ihnen jedes Mal vor. Bevor die Dinger anstehen, gehe ich mit denen das noch mal durch...“
Ø positiv O negativ O nicht erschließbar
Ø Selbstein schätzung O Kollegenurteil O Vorgesetztenurteil
Stadt (1), BU 2: 103 Hilfsbereit schaft
„…übernimmt freiwillig zusätzliche Aufgaben und Verpflichtungen.“
„Dadurch, dass die einzelnen Gruppen jetzt mehr Druck haben ihre Arbeit zu machen, ist die Be reitschaft zu helfen die Kübelpflanzen rein zu tragen auch nicht mehr so groß. Da schreit jeder, ich habe keine Zeit.“
O positiv Ø negativ O nicht erschließbar
O Selbstein schätzung Ø Kollegenurteil
Bemüht sich um ein positives Image des Betriebes nach außen. Macht konstruktive Verbesserungsvorschläge. Vermittelt die Bereit schaft, sich für Mitarbeiterbelange einzu setzen und beispiels weise Gremienfunktionen zu übernehmen. Vermittelt auch den Eindruck bei Meinungsverschiedenheiten im Kollegenkreis zu vermitteln.
O Vorgesetztenurteil
Stadt(2), BT 1: 60 Gewissenhaftigkeit
„…zeigt über die norma len Anforderungen hin ausgehendes pflichtbewusstes Verhalten.“
„…also ihre Straße machen sie, aber 2 cm auf der Grün fläche liegt eine Dose oder eine Flasche, die heben sie nicht auf.“ Stadt (1), BU 2: 27
O positiv Ø negativ O nicht erschließbar
O Selbstein schätzung O Kollegenurteil Ø Vorgesetztenurteil
Vermittelt den Eindruck von besonderem sorgfältigem Umgang mit den Ressourcen der Organisation. Beispiels weise bezogen auf Zeit, Maschinen, Materialien usw.
Tab. 5.6: Kodierleitfaden „Organizational Citizenship Behavior (OCB)“
Der gesamte Prozess der Datenanalyse war geprägt durch intensiven Austausch und Zusammenarbeit der Forschergruppe. In einem dialogkonsensuellen Verfahren wurden die Kategoriensysteme bezüglich der Angemessenheit des Forschungsinteresses und der betrieblichen Realität der untersuchten Betriebe diskutiert. Einzelne Auswertungstexte wurden ausführlicher besprochen und im Kontext sowohl der For-
190
Empirische Analyse
schungskonzeption der vorliegenden Untersuchung wie des gesamten Projektes diskutiert. Die vollständigen Gesprächstranskripte waren allen Beteiligten zugänglich.
5.2.4
Gütekriterien qualitativer Forschung
Unbestritten – fernab jeglicher Diskussion der Abgrenzung quantitativer und qualitativer Forschung – gilt, dass um die Qualität einer eingesetzten Methode zur Erkenntnisgewinnung feststellen zu können, Kriterien notwendig sind, die als Zielvorgabe oder Prüfstein dienen, an denen der Grad der Wissenschaftlichkeit der angewandten Methoden gemessen werden kann. 590 Allerdings wird die Frage, welche Kriterien für qualitative Forschung als angemessen gelten können, unterschiedlich diskutiert. In der heterogenen Literatur zu Qualitätskriterien qualitativer Forschung werden unterschiedliche Grundpositionen formuliert.591 Neben der traditionellen Auffassung, dass die Kriterien Reliabilität und Validität aus der standardisierten bzw. quantitativen Forschung auf die qualitative Forschung übertragbar sind, gilt in der neueren Diskussion zur Güteabschätzung qualitativer Methoden, aufgrund der Verschiedenartigkeit der wissenschaftstheoretischen, methodologischen und methodischen Ansätze, eine Übertragbarkeit der „klassischen“ Gütekriterien auf den Forschungsprozess qualitativer Forschung als unangemessen.592 Vielmehr werden für qualitative Forschung eigene Gütekriterien diskutiert, die stärker auf die Feinanalyse von Prozessen und der intersubjektiven
Nachvollziehbarkeit ausgerichtet sind. Beispielsweise stellt Mayring
(2002) die folgenden Gütekriterien qualitativer Forschung zur Diskussion:
1. Verfahrensdokumentation. Zur Sicherung und Prüfung der Nachvollziehbarkeit gilt eine detaillierte und weitgehende Darstellung des Vorgehens als zentral. Notwendigerweise gehören hierzu sowohl das Vorverständnis des Forschers, Erläuterungen zum Erhebungskontext und der Erhebungsmethode sowie der Auswertungsmethode. 2. Argumentative Interpretationsabsicherung. Die explikative Analyse qualitativer Daten und die damit verbundenen Interpretationsmöglichkeiten bedingen aus
590
Vgl. beispielsweise S. Lammek (2005, S. 142). Detaillierte Darstellungen der einzelnen Grundpositionen finden sich im Beitrag von I. Steinke (2004, S. 319 ff.) sowie U. Flick (2002, S. 317 ff.). 592 Vgl. beispielsweise U. Flick (1987) und P. Mayring (2003). 591
Empirische Analyse
191
Gründen des Ausschlusses von Beliebigkeit und des Herstellens von Intersubjektivität und Nachvollziehbarkeit sowohl den Diskurs mit anderen Forschern (Projektintern und Projektextern) als auch deren Dokumentation. 3. Regelgeleitet. Dieses Gütekriterium bezieht sich vor allem auf die Forderung der Festlegung bestimmter ex-ante festgelegter Verfahrensregeln, die die systematische Bearbeitung des Datenmaterials gewährleisten. 4. Nähe zum Gegenstand. Diesem methodologischen Grundprinzip qualitativer Forschung folgend gelten ausschließlich nur Methoden der Erhebung und Auswertung als angemessen, die die soziale Realität der Untersuchten mit einbeziehen. Die subjektiven Perspektiven, alltäglichen Handlungsweisen und Bedeutungen der Untersuchten dürfen nicht durch methodische Strukturen eingeschränkt werden und müssen in Bezug zum Forschungsgegenstand zur Geltung kommen. 5. Kommunikative Validierung. Unter kommunikativer Validierung wird im engeren Sinne die Rückkoppelung der Interpretationen an die Befragten verstanden, um die Stimmigkeit und Gültigkeit der Analyse zu überprüfen. Im erweiterten Sinn wird der Wiedereintritt in den Kommunikationsprozess aber vor allem in der dialogischen Rückbindung der Forschungsergebnisse an die Untersuchungsteilnehmer bzw. weiterer Personen und Situationen aus dem Forschungsfeld gefasst. Als angemessen gilt darüber hinaus ebenfalls die Einbindung von weiteren Mitgliedern des wissenschaftlichen Umfeldes. 6. Triangulation. Mit dem Begriff der Triangulation wird in der Sozialforschung die Betrachtung eines Forschungsgegenstandes von (mindestens) zwei Punkten aus bezeichnet. Zurückgehend auf Denzin (1978) werden vier Formen unterschieden, die der Analyse mehr Breite und Tiefe verleihen können: -
Die Datentriangulation kombiniert Daten, die aus verschiedenen Quellen stammen und zu verschiedenen Zeitpunkten, an unterschiedlichen Orten oder bei verschiedenen Personen erhoben werden.
-
Die Forschertriangulation kennzeichnet den Einsatz verschiedener Beobachter bzw. Interviewer, um subjektive Einflüsse auszugleichen.
-
Die Theorientriangulation meint die Annäherung an den Forschungsgegenstand unter Einbeziehung verschiedener Perspektiven und Hypothesen.
-
Die Methodentriangulation kombiniert verschiedene Methoden (Between Method) oder es werden innerhalb einer Methode Variationen eingeführt (Within-Method).
192
Empirische Analyse
Die Neuformulierung von Kriterien für die qualitative Forschung wird in der Fachliteratur unterschiedlich bewertet.593 Die spezielle Kritik an dem von Mayring (2002) vorgeschlagenen Kriterienkatalog bezieht sich vorrangig darauf, dass offen bleibt, ob es sich bei den skizzierten Gütekriterien um Zielvorgaben oder Prüfsteine für die qualitative Forschung handelt, oder aber diese nicht nur eine allgemeine Ausgangsposition für empirische Forschungsprozesse beschreibt.594 Für die Beurteilung der Konsistenz des vorliegenden Forschungsprozesses sind die von Mayring vorgeschlagenen Gütekriterien – aus Sicht der Autorin – hinreichend. Die in Tabelle 5.7 visualisierte Evaluierung der in den einzelnen Forschungsphasen relevanten Vorgehensweisen, dient vorrangig der Offenlegung der Interpretationsbasis der Ergebnisse und ist nicht als testtheoretisch adäquates Verfahren der Reliabilitäts- oder Validitätsprüfung zu verstehen. Kritisch anzumerken ist, dass ein von Mayring in Analogie zur quantitativen Forschung formuliertes Gütekriterium – die IntercoderReliabilität – nicht durchgängig angewendet werden konnte. Während bei der Erhebung der Daten und der Entwicklung der Kategorienschemata noch mehrere Projektbeteiligte zur Verfügung standen, wurde der Auswertungsprozess erst nach Abschluss des Projektes geleistet.
593 594
Siehe stellvertretend U. Flick (2002, S. 343). Siehe stellvertretend S. Lamnek (2005, S. 148).
Empirische Analyse
193
Gütekriterien
Forschungsphase
Vorgehensweise
Ausprägung
Verfahrensdokumentation
Forschungsdesign
Formulierung von Leitannahmen (theoretischer Bezugsrahmen) Beschreibung der Ausgangslage und Zielsetzungen der Betriebe (Datenquellen: Selbstbeschreibungen, Organisationsporträts, protokollierte Beobachtungen, Interviews) Beschreibung der konzeptionell-methodischen Vorüberlegungen: Fallauswahl, Kontrastgruppendesign etc. Interviewleitfäden Besuchsprotokolle Transkriptionshinweise Volltranskripte Codierprotokolle
Ø erfüllt O teilweise erfüllt O nicht erfüllt
Gesprächsaufzeichnungen des dialogkonsensuellen Austausches (zu den einzelnen Dimensionen der Kategoriensysteme und den ersten Fundstellen der Probecodierungen) Verwendung des Ablaufmodells strukturie render Inhaltsanalyse (deduktive Kategoriensysteme, Kodierleitfaden etc.)
O erfüllt Ø teilweise erfüllt O nicht erfüllt
Datenerhebung Datenaufbereitung Datenauswertung Argumentative Interpretation
Datenauswertung
Regelgeleitetheit
Datenauswertung
Nähe zum Gegenstand
Datenerhebung Datenauswertung
Problemzentrierte Interviews Berücksichtigung kognitiver und affektiver Äußerungen der Befragten
Kommunikative Validierung
Berichterstattung / Rückkoppelung
Offenlegung der Zwischenergebnisse der quantitativen und qualitativen Untersuchungen des Projektes in Rückkoppelung an Projekt- und Interviewpartner in Form von Einzelgesprächen, Vorträgen, Workshops und Publikationen (Projektberichten)
O erfüllt Ø teilweise erfüllt 595 O nicht erfüllt
Triangulation Datentriangula tion
Datenerhebung
Experten- und Problemzentrierte Interviews Standardisierte Beurteiler- und Mitarbeiterbefragung Prozesserzeugte Daten (z.B. Höhe der Leis tungszulagen) Einsatz mehrerer Interviewer
Ø erfüllt O teilweise erfüllt O nicht erfüllt
Forschertriangulation Methodentriangulation
Datenerhebung Datenauswertung
Ø erfüllt O teilweise erfüllt O nicht erfüllt Ø erfüllt O teilweise erfüllt O nicht erfüllt
Inhaltsanalyse Korrespondenzanalyse
Tab. 5.7: Evaluierung des Forschungsprozesses
5.3 Darstellung der Befunde Im Mittelpunkt dieses Abschnitts steht die Präsentation der aus der qualitativen Inhaltsanalyse gewonnen Ergebnisse. Dokumentiert werden sowohl die Befunde der
595
Betrifft vorrangig die Offenlegung der quantitativen Befunde.
194
Empirische Analyse
subjektiven Gerechtigkeitsurteile über die Leistungsbeurteilungen in den untersuchten Betrieben als auch das in Folge (selbst-) bzw. (fremd-)wahrgenommene ExtraRollenverhalten der Betroffenen. Um die Datenfülle überschaubar zu machen, werden die Befunde in zwei Übersichtstabellen für die Gruppe der interviewten Beurteilten (Tabelle 5.8) und die Gruppe der interviewten Beurteiler (Tabelle 5.9) unterteilt. Beide Übersichtstabellen informieren in gleicher Systematisierung über die Höhe der Leistungszulagen (vor und nach Einführung der Leistungsbeurteilung), die subjektiven Gerechtigkeitswahrnehmungen in den Dimensionen der organisationalen Gerechtigkeit und das Extra-Rollenverhalten in den Dimensionen des OCB sowie den sozialpsychologischen Aspekt des empfundenen Arbeitsklimas der Interviewten. Die zusammenfassende Bündelung der codierten Interviewpassagen ermöglicht zunächst einen quantitativen Überblick. Die zentralen inhaltlichen Befunde zur organisationalen Gerechtigkeit werden aus Sicht der Beurteilten und Beurteiler, illustriert durch Originalzitate, vorgestellt. Des Weiteren werden diese Ergebnisse im Kontext ihrer vermuteten Einflussnahme auf das Extra-Rollenverhalten der Betroffenen näher beleuchtet. Abschließend werden die inhaltsanalytischen Befunde mittels einer Korrespondenzanalyse zusammengefasst.
5.3.1 Organisationale Gerechtigkeit und Leitungsbeurteilung aus Sicht der Beurteilten Verteilungsgerechtigkeit Mit der Einführung von Leistungsbeurteilungen wurde in den untersuchten kommunalen Betrieben die bisherige Praxis der Vergabe von Zulagen abgelöst. Die Spalten alte und neue Leistungszulage (LZ) der Übersichtstabelle 5.8 veranschaulichen, dass ein Teil der Befragten in den Betrieben durch den Einsatz des neuen Instrumentariums höhere Leistungszulagen erzielt haben, aber auch Mitarbeiter zurückgestuft wurden oder aber ihre Leistungszulage fast vollständig verloren. Sechs der 15 interviewten Mitarbeiter profitieren von einer bis zu 9 Prozent höheren Zulage, bei drei Mitarbeitern blieb die alte Zulage unverändert und bei sechs Mitarbeiter verringerte sich die bisherige Leistungszulage bis zu 9 Prozent bzw. verloren die Betroffenen jeglichen Anspruch. Die Zusammenstellung der Häufigkeiten der Äußerungen der Befragten zur Gerechtigkeitswahrnehmung des neuen Verteilungsprozederes zeigt deutlich dessen hohen Stellenwert.
LZ*1 alt neu Stadt (1) BT_1 0% BT_2 0% BT_3 0% BT_4 0% N Stadt (2) BT_1 12% BT_2 13% BT_3 0% BT_4 4% N Stadt (3) BT_1 3% BT_2 4% BT_3 3% BT_4 4% BT_5 8% BT_6 3% BT_7 7% N Total
9% 5% 3% 4%
3% 13% 2% 0%
++ + ÷+÷ +÷÷ØØ 11
÷ ÷÷ 3
÷÷ ÷ ÷÷÷÷÷ 8
1% 3% 3% 4% 1%*5 4% 1%*5
Gerechtigkeit*2 Verfahren PuT AvP K
Verteilung BP GP S A
÷÷ ÷+ +++ +÷+ ÷÷+ Ø 14 33
÷÷ 2
+ ÷ ÷ Ø 4
+
÷÷++÷+÷
G
Interaktion B R AuK
+
֯ +
÷ 1
÷ ÷ 2
ØØ +÷ 5
+ 1
Ø 1
0
÷÷ + + 4
++ ÷
÷ 1
1
÷
++ ÷÷
÷÷
3 7
++ ÷÷÷ 12
2 5
++ ÷÷÷ + ÷ Ø 10 26
UNKOM SU KU
+ 1
1
÷ ÷÷÷
++
÷÷
÷ 3 +++ +÷ ÷ + ÷
+ +
÷÷ 8 10
2 5
Ø÷ 10 18
2 3
+ +÷÷ + +÷ + +÷+ Ø+ 13 18
+÷+÷ ÷+ 6 ÷÷÷÷ ÷÷÷ + 8
OCB*3 EIGEN HILFE S U KU S U KU
÷ + ÷÷ 4
÷ + +÷ 5 19
+ +
4
2
÷ ÷ Ø÷÷
+
5
1
÷÷÷÷÷ ÷÷ +++
9 15
0
÷÷ 2
0
1
+ 0
1
0
÷ ÷÷÷÷ +÷ +÷ 9
+÷
0
0
2
0
÷÷ ÷ ÷÷ ÷÷÷
÷ ÷ ÷÷ ÷
÷ +
5 14
Arbeitsklima*4 Betrieb AG
÷ +
÷Ø ÷ 2
GEWISS S U KU
1 4
3 3
0 2
1 3
0 1
0 0
+ 6 16
+++ ++ 6 ÷÷ + + 4 + + ++ + + + 7 17
N Total
8 4 21 21 54 23 14 17 10 64 18 17 17 22 10 9 8 101 219
*1 LZ – Leistungszulage/alt: Leistungszulage vor Einführung der Leistungsbeurteilung, Leistungszulage/neu – Leistungszulage nach Einführung der Leistungsbeurteilung (zum Zeitpunkt der geführten Interviews); *2 Gerechtigkeit: BP – Beitragsprinzip, GP – Gleichheitsprinzip, SA – Soziale Aspekte, PuT – Partizipation und Transparenz, AvP – Ausschluss v on Parteilichkeit, K – Korrigierbarkeit, G – Genauigkeit, B – Berücksichtigung, R – Rückmeldung, AuK – Aufklärung und kommunikative Integrität; *3 OCB: UNKOM – Unkompliziertheit, EIGEN – Eigeninitiative, HILFE – Hilfsbereitschaft, GEWISS – Gewissenhaftigkeit, SU – Selbsturteil, KU – Kollegenurteil; *4 Arbeitsklima: AG – Arbeitsgruppe *5 Anmerkung: BT_5 und BT_7 in Stadt (3) hätten aufgrund der durchgeführten Leistungsbeurteilung nur einen Anspruch auf 1% Leistungszulage. Erhalten aber aufgrund der „altersbedingten“ Besitzstandsregelung Leistungszulagen in Höhe von 5 Prozent und 4 Prozent Ausprägung Gerechtigkeit: + fair, ÷ unfair, Ø nicht erschließbar; Ausprägung OCB: + positiv, ÷ negativ, Ø nicht erschließbar
Tab. 5.8: Quantitativer Überblick der Befunde der Beurteilten (BT)
Empirische Analyse
196
Die beurteilten Mitarbeiter in Stadt (1), die zuvor alle keine Leistungszulage bekamen und nun von der Beurteilung partizipieren, befürworten deutlich das „Beitragsprinzip“. In den Worten eines Mitarbeiters:
„Alle Kollegen sind betroffen. Wer gute Arbeit leistet, der kriegt auch was dafür. Das finde ich okay.“596
Hingegen stößt das mit der Leistungsbeurteilung hervorgehobene „Beitragsprinzip“ in Stadt (2) auf Widerstand in der Belegschaft. Die Gründe für die wahrgenommenen Gerechtigkeitsverletzungen sind eindeutig. Vorrangig kritisiert wird die „altersgebundene“ Besitzstandsregelung, die in die neue Dienstvereinbarung zur „leistungsorientierten Vergütung“ übernommen wurde. Festgeschrieben wurde, dass ab einer bestimmten Betriebszugehörigkeit die ursprünglich vereinbarte Leistungszulage nicht mehr aberkannt werden kann. Vereinzelt plädieren die Befragten des Betriebes für die Abschaffung der Leistungsbeurteilung oder hätten es als gerechter empfunden, wenn
„(…) meiner Meinung nach, wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, die Leistungszulage bei allen komplett runterzufahren, auf Null, und dann durch das Bewertungssystem die Leute neu einzustufen.“597
In Stadt (3) ergibt sich ein differenziertes Bild. Die Mitarbeiter, die durch die in dem Jahr der Befragung eingeführte Leistungsbeurteilung positiv beurteilt wurden, äußern sich zufrieden. Die Beurteilten, deren Entlohnung stabil geblieben ist oder denen ein materieller Anreiz gänzlich versagt blieb, geben an, dass sie von der leistungsproportionalen Vergabe von Zulagen enttäuscht sind. Als ein Grund für das Schwinden ihrer anfänglichen Zustimmung, wird u.a. auf den Zusammenhang zwischen Eingruppierung und Leistungszulage verwiesen, beispielsweise, dass ab Erreichen einer bestimmten Position, die Partizipation an den Leistungszulagen kaum mehr möglich sei:
596 597
(Stadt 1, BT 2: 55). (Stadt 2, BT 3: 83).
Empirische Analyse
197
„(…) jetzt bekomme ich jedes Mal die Eingruppierung um die Ohren gehauen, dass ich in Lohngruppe Sieben bin. Das wäre schon Meisterlohn, aber ich denke, dass reicht halt nicht.“598
Das „Beitragsprinzip“ besitzt in allen drei untersuchten Betrieben zentralen Stellenwert. 33 Äußerungen von 45 zur Dimension Verteilung beziehen sich auf diesen Aspekt. Nur wenige der Befragten nehmen die Leistungsbeurteilung aus Gründen der Verletzung des „Gleichheitsprinzips“ oder aus „sozialen Aspekten“ als ungerecht wahr. Zwei Mitarbeiter äußern ihre Besorgnis darüber, dass das Älterwerden und die damit verbundene Änderung der Leistungsdisposition, sich negativ in einer Beurteilung niederschlagen könne. In einem der Betriebe wird das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ diskutiert. Die Betroffenen sehen den Erfolg ihrer erbrachten Arbeitsleistung vor allem in der Kooperation des Teams. Demnach würden sie eher eine Gleichbehandlung – eine Beurteilung der Arbeitsgruppe – präferieren, um vor allem das Arbeitsklima in der Gruppe nicht zu gefährden:
„Das ist so: Ich bin hoch zum Chef gegangen und habe ihm gesagt, dass wir zu dritt arbeiten. Also ein Fahrer und zwei Müllwerker. Ich habe auch zum Chef gesagt, wenn die Kollegen zwei Prozent kriegen und ich drei Prozent, dass ich das nicht möchte, habe ich gesagt. Wir machen die gleiche Arbeit. Ein Kollege kriegt mehr, die anderen weniger. Im Endeffekt machen wir aber die gleiche Arbeit. Mit der Zeit werden die Kollegen bestimmt sauer.“599
Verfahrensgerechtigkeit Tabelle 5.8 ist zu entnehmen, dass vor allem die „Partizipation und Transparenz“ bei Einführung von Leistungsbeurteilungen eine dominante Rolle spielt. Darüber hinaus wird bei dem Prozedere der Beurteilung aber auch Wert auf die Befähigung der Beurteiler und den Ausschluss von nachträglichen Manipulationen der Beurteilungsergebnisse gelegt. Aus Sicht der Beurteilten, die sich gut über die Leistungsbeurteilung informiert fühlten, waren vor allem die Betriebsleitungen bemüht, ausreichend Informationen
598 599
(Stadt 3, BT 2:205). (Stadt 1, BT 4: 109).
Empirische Analyse
198
über das Instrumentarium und die damit verbundenen neuen Regeln und Konsequenzen zu vermitteln. Als positiv wurde bewertet, dass die Vorgesetzten auch außerhalb der einführenden Informationsveranstaltungen ein „offenes Ohr“ für die Beantwortung ihrer Fragen hatten. Beispielsweise gibt ein Gesprächspartner an:
„Ja, am Anfang hatten wir noch viele offene Fragen, aber die sind dann aus dem Weg geräumt worden. (…) oder wenn man gefragt hat, ist das also schon gut beantwortet worden.“600
Etliche Mitarbeiter geben allerdings an, dass der Informationsprozess eher schleppend wahrgenommen wurde. Einige monieren, dass zunächst nur einseitig die Vorteile der neuen geplanten Leistungsbeurteilung präsentiert wurden. Andere fühlten sich dadurch benachteiligt, dass sie nicht zu einer ersten Informationsrunde eingeladen worden sind und in den von den jeweiligen Betrieben initiierten Arbeitsgruppen zur Vorbereitung auf die Einführung der Leistungsbeurteilung nicht miteinbezogen waren:
„Da sind wir schon raus gefallen. Da waren wir natürlich alle skeptisch. (…) und zur zweiten Informationsveranstaltung, zu der wir eingeladen worden sind, ist man mit heruntergelassener Hose – im Prinzip wie ein Hund – hingegangen.“601
Im Querschnitt aller Aussagen wird aber auch deutlich, dass in Abhängigkeit vom eigenen Interesse bzw. der Einschätzung der Wichtigkeit der neuen Vergaberegelungen von Zulagen und der nachträglichen unterschiedlichen Betroffenheit des jeweiligen Befragten, die Äußerungen zur Dimension „Partizipation und Information“ zu interpretieren sind. Stellvertretend für diese Einschätzung steht für alle untersuchten Betriebe gleichsam die nachstehende Interviewpassage:
„Ich glaube es ist genügend Information gewesen. Die Leute, die wirklich wollten, konnten sich gut informieren und der Rest, der da jetzt nicht so mit
600 601
(Stadt 3, BT 3: 30-33). (Stadt 3, BT 3: 165).
Empirische Analyse
199
klar kommt, dass sind dann andere Probleme.“602
Die Aussagen der Beurteilten bezüglich ihrer Einschätzung zum Urteilsvermögen der Beurteiler sind konträr. Zentrale Kritik der Befragten, die sich unmittelbar ungerecht beurteilt fühlten und von denen drei im Zuge der neuen Zulagen verloren oder aber nicht dazu gewonnen haben, bezieht sich direkt auf das Bewertungsteam. Das Bewertungsteam setzt sich in der Regel aus dem direkten Vorgesetzten (Meister/Vorarbeiter) und dem nächst höheren Vorgesetzten (Abteilungsleiter/Betriebsleiter) zusammen. Kritisiert wird:
„Das war der Meister und einer von den zwei Chefs. Der ist nie draußen tätig, aber der hat mich bewertet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Chef irgendwas von hier weiß. Der Vorarbeiter, also der weiß was. Wie aber kann der Chef bewerten, wie ich mit dem Fahrzeug oder dem Gerät umgehe? Das ist für mich nicht nachvollziehbar.“603
Hingegen attestieren diejenigen, die sich als gerecht beurteilt fühlten, sowohl den direkten wie auch den nächst höheren Vorgesetzten die entsprechende Kompetenz:
„Nein, nein, das sehe ich nicht so. Nein, an den Beurteilern liegt es sicher nicht. Die waren wirklich gerecht. Ich finde, das war gerecht.“604
Als problematisch eingeschätzt wird allerdings das unterschiedliche Bewertungsniveau zwischen den einzelnen Abteilungen bzw. Beurteilern, nämlich inwieweit die Beurteiler auf Betriebsebene den gleichen Bewertungsmaßstab bei der Beurteilung ihrer Mitarbeiter anlegen:
„Das ist bloß, ich denke, jetzt wieder so gelaufen. Wenn man die Beurteilungen anderer Abteilungen sieht: Da hat der Vorgesetzte ein anderes Denken wie jetzt unserer und damit wurde ein ganz anderer Maßstab angesetzt, also die
602
(Stadt 2, BT 1: 122). (Stadt 3, BT 5: 73). 604 (Stadt 3, BT 1: 158). 603
Empirische Analyse
200
liegen wesentlich höher in der Beurteilung als wir.“605
Stark bemängelt wird zudem – hier sind alle zehn codierten Interviewpassagen zur Dimension „Ausschluss von Parteilichkeit“ eindeutig – das nachträgliche Korrigieren der von den Beurteilern eruierten Ergebnisse durch die Betriebsleitungen. Besonders auffällig ist dieser Verstoß in dem Betrieb der Stadt (3). Die Hälfte der befragten Mitarbeiter äußert sich kritisch und fühlt sich aus diesem Grund ungerecht beurteilt:
„Also, wir sind ungerecht behandelt worden. Es ist nicht gerecht, ich sag es wie es ist. Da ist also Schmu betrieben worden, und zwar ganz gewaltig.“606
Aufgrund von informellen Informationen seitens der Beurteiler, die im Zuge des Eingreifens durch die Betriebsleitung zum Teil in großen Erklärungsnotstand gekommen sind, wissen die Beurteilten, dass die ursprünglichen Ergebnisse verändert worden sind:
„Die Ergebnisse sind [nachträglich] von unserem Chef bearbeitet worden. Die sind eigentlich alle, also die Prozentzahlen, gedrückt worden.“607
Dieser Verstoß wird unabhängig davon, ob die Mitarbeiter durch die Beurteilung verloren oder gewonnen haben, durchgängig thematisiert.
Interaktionsgerechtigkeit Im Rahmen der Interaktionsgerechtigkeit, die die Vermittlung der Beurteilungsergebnisse in drei Dimensionen beleuchtet, äußern sich die Befragten in den Interviews sowohl zu informationellen als auch zu interpersonellen Aspekten der Rückmeldungen. Tabelle 5.8 informiert darüber, dass die Mitarbeiter vor allem bewegt, wie sie über die Ergebnisse im Rahmen des Mitarbeitergesprächs durch die Vorgesetzten aufgeklärt werden. Ein Großteil der Befragten – neun Mitarbeiter – äußert sich zu-
605
(Stadt 3, BT 2: 111). (Stadt 3, BT 1: 121). 607 (Stadt 3, BT 2: 145). 606
Empirische Analyse
201
frieden mit dem Zeitpunkt der Ergebnisrückkoppelung. Beanstandet wird, in einem Einzelfall in Stadt (2) und vorrangig in Stadt (3), der lange Zeitraum zwischen der Beurteilung und dem Mitarbeitergespräch:
„Ich bin der Meinung, das Mitarbeitergespräch sollte sofort durchgeführt werden und nicht ein halbes Jahr später. Weil da bringt es ja nichts mehr.“608
Auffällig ist, vorrangig bezogen auf Stadt (2) die Häufigkeit von Äußerungen zweier Mitarbeiter, die die Atmosphäre und kommunikative Vermittlung der Ergebnisse (Behandlung) während des Mitarbeitergesprächs, als respektlos beschreiben. Der Mitarbeiter beispielsweise, der zuvor auch die verspätete Rückmeldung beklagte, schildert seine subjektive Wahrnehmung des Gesprächs folgendermaßen:
„Also, das Mitarbeitergespräch ist wie die Leistungsbeurteilung gewesen. Ja das gibt es nicht. Da waren mehr Ohrfeigen drin als wie sonst was.“609
Generell ist den Interviewpassagen aus allen drei Betrieben zu entnehmen, dass das Mitarbeitergespräch, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass die Vorgesetzten Zeit für den einzelnen Mitarbeiter investieren, deutlich begrüßt wird und im Zusammenhang mit den stattfindenden Beurteilungen als notwendig eingestuft wird. Stellvertretend hierfür:
„Ich finde es gut, dass mit den Leuten gesprochen wird. Das ihnen gesagt wird, was von ihnen erwartet wird und was auf sie zukünftig zukommt. Ich bin der Meinung, dass ist uns irgendwo die Betriebsleitung auch schuldig. Das ist meine Meinung. Das hier ist der richtige Weg. Ich kann mich nicht beschweren.“
Allerdings sind mit der Einführung der jährlichen Leistungsbeurteilung und dem die Beurteilung abschließenden Mitarbeitergespräch auch Hoffnungen verbunden, die noch nicht durchgängig erfüllt werden. Zum einen wünscht ein Teil der Mitar-
608 609
(Stadt 2, BT 2: 78). (Stadt 2, BT 2: 78).
Empirische Analyse
202
beiter, dass ihnen mehr Höflichkeit und Respekt seitens der Vorgesetzten entgegengebracht und das Zustandekommen der Ergebnisse detaillierter in einem angemessen Zeitrahmen erläutert wird. Zum anderen möchten die Mitarbeiter nicht nur über die Endpunktzahlen informiert werden, sondern wollen vor allem auch aufgezeigt bekommen, was genau von ihnen erwartet wird und welche Bereiche sie in ihrem Leistungsverhalten verbessern müssen, um an einer höheren Leistungszulage partizipieren zu können. Die oftmals implizit geäußerten Erwartungen der Beurteilten an den Rückkoppelungsprozess erläutert die nachstehende Interviewpassage:
„Ich denke viele stecken in einer Einbahnstraße. Ihnen fehlt der Wegweiser: Was mache ich eigentlich wirklich schlecht? Wie kann ich mich verbessern? Was muss ich machen, damit ich irgendwie meine Prozente kriege? Da fehlt eigentlich, wie gesagt, der zweite Schritt. Ich kann nicht nur Bewertungen durchführen, ich muss auch mit den Ergebnissen weiterarbeiten. Und diese Schiene fehlt total.“610
5.3.2
Organisationale Gerechtigkeit und Leitungsbeurteilung aus Sicht der Beurteiler
Verteilungsgerechtigkeit Tabelle 5.9 bündelt in einer Übersicht die codierten Aussagen der Beurteiler. Die ersten Spalten der Tabelle informieren, wie zuvor bei den Beurteilten, inwieweit die Beurteiler als Beurteilte selbst von der Leistungsbeurteilung profitieren oder nicht. Zwei der 15 Beurteiler erhalten eine höhere Zulage als zuvor, bei fünf Beurteilern blieb die Leistungszulage unverändert und zwei Beurteiler haben eine deutliche Einbuße ihrer eigenen Zulage (bis zu 13 Prozent) zu verzeichnen. Beide Beurteiler sind Beschäftigte des Betriebes in Stadt (2). Zudem sind sechs der Beurteiler im Angestelltenverhältnis (AN) bei den Kommunen beschäftigt und gehören damit selbst nicht zum Kreis der Beurteilten. Die nachstehend ausgewählten Befunde der Beurteiler beziehen sich vorwiegend auf ihre Wahrnehmung als Beurteiler und nicht als Beurteilte.
610
(Stadt 2, BT 1: 190).
LZ*1 alt neu Stadt (1) BU_1 5% BU_2 0% BU_3 A N BU_4 A N BU_5 0% BU_6 A N BU_7 A N BU_8 A N N Stadt (2) BU_1 15% BU_2 15% N. Stadt (3) BU_1 2% BU_2 7% BU_3 A N BU_4 3% BU_5 3% N Total
5% 0%
5%
2% 9%
4% 7% 3% 3%
Verteilung BP GP S A ++÷++ + +++ +÷ + ÷+÷+ + 17 +÷÷+ ++÷÷ 8 + +÷++++ +÷÷ ÷÷ + 13 38
Gerechtigkeit*2 Verfahren PuT AvP K G
0
7
2
1
+Ø÷ ÷÷+÷ + Ø÷ ÷+ + ÷+÷ +Ø+ 19
0
÷+ ÷+ 4
÷÷ 2
÷ 1
÷+ 2
0 2
+++ + ÷ ++÷÷ ÷+÷ 12 33
+ ++ Ø ÷÷ ÷÷÷÷ 0
0
+ ÷÷ ÷ ÷ 1 1
0 0
4 15
+ ÷÷ ÷ ÷ 5 9
B
Interaktion R AuK
+
+ 3
1
++ + Ø ++ ÷÷÷ ÷÷+Ø + ++ØØØØ 20
0
+ ÷÷ 3
++Ø++ ÷÷ 7
+÷
+
+ +
0 3
+÷ ÷÷÷+ ÷ 9 13
+ Ø ÷Ø 5 32
UNKOM SU VU ++ ÷÷÷ + +Ø ÷÷
OCB*3 EIGEN HILFE S U VU S U VU + +++
+++÷ + 15
÷÷ ÷÷÷÷÷ Ø÷ + ÷÷÷÷÷ ÷Ø+ ÷÷÷÷ +÷÷ 25
+ ÷ 2
÷÷ ÷÷÷÷÷ 7
÷ ÷ 2
0
÷÷ ÷ ÷÷÷÷ Ø+ 9 26
++ ÷÷ ÷÷ ÷ +÷÷ 10 42
+++ +
+
GEWISS SU VU + ÷÷÷
Ø
Arbeitsklima*4 Betrieb AG
÷+ +
++
÷÷÷÷
Ø
+
+
Ø÷
9
6
0
0
Ø ÷÷÷ 4
+ ÷
+
7
0
0
0
+ 5 14
1 1
0 0
1
0
÷ ÷ 2 3
0
÷ 2 2
2 11
+ ÷ Ø+ + + + ++ 9
18 24 15 9 25 9 25 17 142
0
17 25 42
+++ ÷ ÷ ÷ Ø÷÷ 6 16
N Total
++ + 6 15
19 19 14 23 17 92 276
*1 LZ – Leistungszulage/alt: Leistungszulage vor Einführung der Leistungsbeurteilung, Leistungszulage/neu – Leistungszulage nach Einführung der Leistungsbeurteilung (zum Zeitpunkt der geführten Interviews), AN – Angestellter, keine Leistungszulage; *2 Gerechtigkeit: BP – Beitragsprinzip, GP – Gleichheitsprinzip, SA - Soziale Aspekte, PuT – Partizipation und Transparenz, AvP – Ausschluss von Parteilichkeit, K – Korrigierbarkeit, G – Genauigkeit, B – Berücksichtigung, R – Rückmeldung, AuK – Aufklärung und kommunikative Integrität; *3 OCB: UNKOM – Unkompliziertheit, EIGEN – Eigeninitiative, HILFE – Hilfsbereitschaft, GEWISS – Gewissenhaftigkeit, SU – Selbsturteil, VU – Vorgesetztenurteil; * 4 Arbeitsklima: AG - Arbeitsgruppe Ausprägung Gerechtigkeit: + fair, ÷ unfair, Ø nicht erschließbar; Ausprägung OCB: + positiv, ÷ negativ, Ø nicht erschließbar Anmerkungen: Stadt (1)BU_4 und BU_6 aufgrund starker Hintergrundgeräusche sind die Interviews in einzelnen Passagen unverständlich und demnach teilweise nur in Teilsätzen transkribiert
Tab. 5.9: Quantitativer Überblick der Befunde der Beurteiler (BU)
204
Empirische Analyse
Insgesamt wurden aus dem Interviewmaterial der Beurteiler 39 Aussagen zur Verteilungsgerechtigkeit codiert, davon 38 Aussagen zum „Beitragsprinzip“. Zum größten Teil wird die Einführung der Leistungsbeurteilung durch die Beurteiler nicht in Frage gestellt. Die Entlohnung nach dem „Beitragsprinzip“ wird seitens der Befürworter für gerechter als die zuvor praktizierte Vergabe von Leistungszulagen eingestuft:
„Meiner Meinung nach ist das auf jeden Fall gerechter. Vielleicht war die Leistungszulage vorher ein paar Euro mehr, aber jetzt wird einfach gerechter geteilt. Denn wie die Leistungszulage vorher rausgeworfen wurde, war meiner Meinung nach nicht gerecht. Also bei einigen Leuten, wo ich gewusst habe, dass die Leistungszulage kriegen, konnte ich mir nicht vorstellen wieso sie die überhaupt gekriegt haben.“611
Grundsätzlich wird das „Beitragsprinzip“ von vielen Beurteilern hauptsächlich aus dem Grund befürwortet, dass sie nun mittels der Leistungsbeurteilung die Arbeit der einzelnen Mitarbeiter deutlicher hinterfragen und den Aspekt der Leistungsbereitschaft nicht nur thematisieren, sondern auch direkt belohnen können:
„Ich finde das System ganz toll, gerechter. Ich finde das auch ganz Klasse, weil meine Leute sind zwar alle in der gleichen Lohngruppe, aber ich habe ganz gewaltige Leistungsunterschiede dabei. Ganz Extreme gibt es bei mir in der Gruppe. Und jetzt kann ich dem einen einfach etwas mehr geben, weil er einfach besser schafft, weil er einfach die Leistung erbringt.“612
Bezogen auf die neue Verteilung der Zulagen äußern sich aber auch einige Beurteiler kritisch. Zum einen wird die Vergabe von Zulagen als ungerecht empfunden, wenn im Vorfeld fixiert wird, dass nur ein bestimmter Prozentteil (Deckelung) aller Mitarbeiter durch die neue Vergabepraxis profitieren darf. Dies betrifft vor allem die Verteilungsprozedur in Stadt (2). Zum anderen wird bemängelt, dass die Höhe der Zulagen alles andere als üppig ausfallen. Dazu ein Kommentar aus Stadt (1):
611 612
(Stadt 1, BT 3: 131-133). (Stadt 2, BT 2: 100).
Empirische Analyse
205
„Und das Negative ist, dass wir ein System einführen, wo klar ist, dass man viel mehr nicht verdienen soll. Der Mitarbeiter soll nur wissen, dass er besser ist. Ja, wenn ich jetzt einen Mitarbeiter sehe der Müllwerker ist, welche Motivation soll er haben mehr Leistung zu bringen. Seine gesellschaftliche Stellung ist nicht hoch, sein Lohn ist relativ gering und jetzt heißt es, wenn du so und so viel arbeitest, dann bekommst du 2 Prozent 613 mehr Geld.“614
Verfahrensgerechtigkeit Der Übersichtstabelle 5.9 ist zu entnehmen, dass ebenso wie bei den Gerechtigkeitswahrnehmungen bei den Beurteilten, vor allem drei Dimensionen der Verfahrensgerechtigkeit für die Beurteiler eine zentrale Rolle spielen: Dies sind die „Genauigkeit“, die „Partizipation und Transparenz“ wie der „Ausschluss von Parteilichkeit“. Dominant ist vor allem die Vielzahl von Äußerungen (33 Nennungen) zum Aspekt der „Genauigkeit“ der durchgeführten Beurteilungen. Eine Erklärung dafür ist, dass die Beurteiler mit ihrer neuen Aufgabe ein latentes Gefühl der Unsicherheit verbinden. Positiv beurteilt werden aus Sicht der Beurteiler die im Vorfeld der Leistungsbeurteilung durchgeführten Schulungen. Ebenso lobend erwähnt werden in einigen Betrieben stattfindende Vorarbeiterbesprechungen zum Thema. Für die Qualität ihrer eigenen Urteile ausschlaggebend ist für einige Beurteiler vor allem das Arrangement der Teambeurteilung:
„Wenn man sich zu zweit gegenübersitzt und man darüber diskutieren kann, dann ist das schon besser.“615
Neben individuell subjektiven Wahrnehmungstendenzen und einer damit verbundenen Unsicherheit
„Ich denk, dass der Sympathiefaktor immer eine Rolle spielt. Auch bei mir, wo ich Bewerter war.“616
613
Zur Veranschaulichung: 2 Prozent Leistungsbeurteilung entsprechen brutto rund 36,00 Euro monatlich. 614 (Stadt 1, BU 7: 105-107). 615 (Stadt 1, BU 5: 37). 616 (Stadt 3, BU 5: 37).
206
Empirische Analyse
unterliegen die Beurteiler aber auch dem Druck der sozialen Beeinflussung ihrer Arbeitsgruppe:
„Aber wie gesagt, ich habe dann auch wider besseren Wissens meine Leute aufgewertet. Weil der Druck da war. Aufregung in der Gruppe. Sogar der Meister hat gesagt, du musst denen mehr geben. Das ist ja eigentlich nicht okay, aber mir ist ja fast nicht anderes übrig geblieben. Ich war ja der Böse.“617 Ebenso wie bei den Beurteilten wird von den Beurteilern das unterschiedliche Bewertungsniveau auf Ebene des gesamten Betriebes als Gerechtigkeitsproblem beschrieben. Den Beurteilern fehlt diesbezüglich Unterstützung durch die Betriebsleitungen: „Das Hauptmanko im System liegt, das haben auch selbst die Unternehmensberatung und die Betriebsleitung aus meiner Sicht nicht eindeutig geklärt, in Folgendem: Sehe ich die Nulllinie innerhalb der Gruppe oder sehe ich die Nulllinie innerhalb des Gesamtbetriebs? Man sagt immer nur die Nulllinie verändert sich ständig.“618 Auch die Äußerungen der Beurteiler in der Dimension „Partizipation und Transparenz“ verweisen auf die Notwendigkeit der Unterstützung seitens der Betriebsleitungen bei der Implementierung des neuen personalwirtschaftlichen Instrumentatriums. Etliche Beurteiler fühlten sich zwar im Vorfeld durch die Vielzahl von Informationsveranstaltungen und Besprechungen ausreichend informiert, aber einige Beurteiler empfanden, dass sie schon „(…) ein bissle ins Wasser geworfen (…)“619 worden sind und sich „(…) praktisch überrumpelt fühlten.“620 Kritisiert wird dies in den Worten: „Aber das ist der Punkt, sag ich jetzt mal, dass die Führung erkennen muss, wenn sie was neues umsetzt, dass sie noch mehr Hilfestellungen geben muss für die Leute (…).“621
617
(Stadt 2, BU 2: 40). (Stadt 1, BU 7: 301). 619 (Stadt 3, BU 2: 51). 620 (Stadt 3, BU 2: 51). 621 (Stadt 1, BU 7: 277). 618
Empirische Analyse
207
Der Dimension „Ausschluss von Parteilichkeit“ der Tabelle 5.9 ist zu entnehmen, dass in allen drei Betrieben das nachträgliche Korrigieren der Beurteilungsergebnisse durch die Betriebsleitungen eindeutig als Gerechtigkeitsverletzung angesehen wird. Acht von neun Äußerungen verweisen auf diesen Verstoß. Vor allem in Stadt (3) monieren die Beurteiler fast durchgängig diesen Eingriff und sehen dadurch das neue System in Frage gestellt:
„Bereits bei der Vorstellung hat es geheißen, dass die Betriebsleitung letzten Endes das Sagen hat. Und das ist es auch, was in der Reihe so diesen Unmut gebracht hat, weil dann brauchen wir keine Bewertung.“622
Ebenso sehen sich in Stadt (2) die Beurteiler der Betriebsleitung ausgeliefert und kritisieren den ihrer Meinung nach rückwirkend subjektiven Verteilungsprozess:
„Und das wird von der Führungsebene sowieso gedeckelt. Da kann ich nichts mehr machen. Wenn jetzt einer bei mir sehr gut ist und ich gebe dem 7 Prozent, dann wird der mit Sicherheit gedeckelt, dass er nur 2 Prozent oder gar nichts kriegt. Meiner Meinung nach ist das bloß nur noch wie früher, als man das zugeteilt hat.“623
Durch die Manipulation der Beurteilungsergebnisse aufgrund von organisationalen Interessen fühlen sich die Beurteiler instrumentalisiert und ihre Arbeit in Frage gestellt. Deutlich wird in einzelnen Äußerungen, dass sich die Beurteiler in Folge dieses Vorgehens demotiviert fühlen: „Da habe ich gesagt, für was mach ich mir denn die ganze Arbeit?“ 624
Interaktionsgerechtigkeit Im Mittelpunkt der Interaktionsgerechtigkeit stehen für die Beurteiler die Mitarbeitergespräche. Mit dem Führen von Mitarbeitergesprächen betreten die Beurteiler
622
(Stadt 3, BU 2: 116-121). (Stadt 2, BU 2: 44). 624 (Stadt 1, BU 5: 21). 623
208
Empirische Analyse
(unmittelbaren Vorgesetzten) Neuland:
„Ja gut, für mich ist die Beurteilung kein Problem, für mich ist das Problem das Mitarbeitergespräch.“625
Für die kommunikative Vermittlung der Beurteilungsergebnisse sind sowohl fachliche wie soziale Kompetenzen erforderlich. Die Beurteiler wurden in allen drei Betrieben durch Schulungen auf die zuführenden Mitarbeitergespräche vorbereitet. Die Resonanz der Beurteiler auf die Unterstützung war deutlich positiv:
„Die Vorarbeiter wurden alle geschult, über Menschenführung und so weiter. Das ist nicht schlecht, da lernst Du Sachen, die du auch wirklich umsetzen kannst.“626
Als schwierig empfinden die Vorarbeiter das Gespräch mit den Mitarbeitern, die „(…) einfach eine normale Leistung abliefern“627 oder „durchgefallen“ sind und die aufgrund dessen nicht von einer Zulage profitieren. „Warum, wieso nicht. Das rüberzubringen ist unangenehm.“628
Die Interviewpassagen bebildern in unterschiedlicher Ausprägung, dass die Beurteiler tendenziell eine hohe Emotionalität bei der Rückkoppelung der Ergebnisse an ihre Mitarbeiter erleben. In der Interaktion stoßen sie zum einen auf Abwehrmechanismen bei ihren Mitarbeitern, denen sie aus Mangel an Erfahrung nicht zu begegnen wissen. Zum anderen sind sie sich über ihre eigene Wirkung als Vorgesetzter und über die Folgen des Gesprächs für den betrieblichen Alltag im Unklaren.
„Ob die da schlechte Gefühle haben, weiß ich nicht. Es wird keinem der Kopf abgerissen.“629
625
(Stadt 1, BU 6: 46). (Stadt 2, BU 1: 67). 627 (Stadt 1, BU 8: 192). 628 (Stadt 1, BU 6: 115). 629 (Stadt 1, BU 1: 100). 626
Empirische Analyse
209
Die Auswertung der Datenausschnitte zur interpersonellen Gerechtigkeit macht auch transparent, dass nicht alle Beurteiler in die Mitarbeitergespräche mit einbezogen werden, dieses aber in den Interviews als wünschenswert benennen. Andere wurden zum Mitarbeitergespräch, das durch die Betriebsleitung geführt wird, zwar mit hinzugezogen, allerdings oblag die Gesprächsführung in den meisten Fällen alleinig der Betriebsleitung. Kritisches Resümee eines solchen „Beobachtungsbeisitz“, das die mangelnde Glaubwürdigkeit des nächst höheren Vorgesetzten widerspiegelt, war in einem der Betriebe:
„Und dann haben sie so Haribotüten rum geworfen. Und so kommt mir das manchmal in den Mitarbeitergesprächen vor. Der ein oder andere hat mal was gesagt, aber wenig. Da hat man einfach jedem was versprochen. Das beruhigt dann mal.“630
5.3.3
Organisationale Gerechtigkeit und Extra-Rollenverhalten (OCB)
Die nachstehenden Stimmen von Befürwortern und Kritikern der Leistungsbeurteilung beleuchten exemplarisch die wahrgenommenen Verhaltenskonsequenzen in Folge der durchgeführten Leistungsbeurteilungen. Diese Effekte werden den einzelnen Facetten der organisationalen Gerechtigkeit gegenübergestellt, die als fair beurteilt oder als nicht förderlicher Verstoß gegen die Gerechtigkeitsprinzipien wahrgenommen wurden.
Stimmen der „Befürworter“ Sicht der Beurteilten In den Interviews mit den Beurteilten (BT) schildern fünf Mitarbeiter eigene positive Verhaltensweisen, die sich in den Dimensionen „Unkompliziertheit“ und „Eigeninitiative“ des OCB finden.631 Neben den positiven Selbsteinschätzungen attestiert nur ein Mitarbeiter seinen Kollegen „Hilfsbereitschaft“. Die nachstehenden Schilderungen beziehen sich ausschließlich auf Äußerungen von vier Mitarbeitern. Die vier Mitarbeiter sind zwischen 28 und 53 Jahre alt und als Mechaniker oder als Kraftfahrer in den Betrieben beschäftigt. Ihre Betriebszugehörigkeit variiert zwischen 6 und 25
630 631
(Stadt 3, BU 5: 53). Siehe Tabelle 5.8, S. 199
210
Empirische Analyse
Jahren. Das Arbeitsklima in den eigenen Arbeitsgruppen wird als positiv beschrieben und vermittelt das Bild einer beruflichen Gemeinschaft. Ausgedrückt in den Worten eines Mitarbeiters:
„Hervorragend. Also, ich spreche jetzt von unserer Truppe in der Werkstatt. Hervorragend ist das!“ 632
Negativ eingeschätzt wird hingegen vom gleichen Mitarbeiter das Betriebsklima in Stadt (3). In einer Interviewsequenz verweist er eindeutig auf die Ursache aus seiner Sicht:
„Ich glaube echt, das Problem liegt an der oberen Etage. Ich sag mal, die Führung ist manchmal nicht so zugänglich.“633
An und für sich positiv wird das Betriebsklima in Stadt (2) geschildert. Als nachteilig habe sich allerdings die jährliche Leistungsbeurteilung auf das Klima ausgewirkt. Die Einführung habe die „Belegschaft gespalten“634 und es käme auch immer wieder „Stimmung“635 auf. In der Dimension „Unkompliziertheit“ des OCB zusammengefasst, berichten die Beurteilten, dass sie unabhängig von ihren persönlichen Stimmungsschwankungen und kleineren Reibereien im betrieblichen Alltag, zufrieden mit ihrer Arbeit sind. Die Mitarbeiter machen einen deutlich motivierten Eindruck: „Es geht schon rund bei uns. Ich finde es interessant. Lieber ein bisschen mehr, als wenn es langweilig wird.“636
Darüber hinaus lassen die Äußerungen der Mitarbeiter darauf schließen, dass sie sich für die Belange ihres Betriebes (gerne) einsetzen:
632
(Stadt 3, BT 5: 45). (Stadt 3, BT 5: 47). 634 (Stadt 2, BT 3: 48). 635 (Stadt 2, BT 3: 48). 636 (Stadt 3, BT 6: 31). 633
Empirische Analyse
211
„Natürlich ist man mit Arbeit eingedeckt, da draußen. Ist aber kein Thema für mich. Wenn Not am Mann ist. (…).“637
In den Interviews zeigen die Mitarbeiter deutlich Loyalität zu ihren Betrieben. Insgesamt sind die Mitarbeiter bemüht ein positives Bild zu vermitteln. Sie haben die Bereitschaft sich auch für die Kollegen, beispielsweise als Personalrat, einzusetzen. Die Mitarbeiter versuchen sich eigeninitiativ in ihre Arbeitsgemeinschaft einzubringen. Im Vordergrund steht dabei vorrangig ihre Kompetenz selbstständig zu arbeiten und sich beispielsweise fehlendes technisches Wissen selbst anzueignen. Bezogen auf die Einführung der neuen Leistungsbeurteilung gesteht ein Mitarbeiter aber auch seine anfängliche Skepsis:
„Ja, also erstmal Daumen runter, das ist erst mal ganz klar. Weil das ist erstmal neu. Da ist man immer erst skeptisch, das ist ganz klar. Da guckt man erst mal mit Vorsicht.“638
Die mit der neuen Vergabe der Zulagen verbundene Kritik der anderen, hier im Mittelpunkt stehenden Mitarbeiter, beruht nicht auf einer Ablehnung des Leistungsprinzips per se. Ihre Kritik bezieht sich vor allem auf die „altersgebundenen“ Besitzstandsregelungen und den vergabeabhängigen Vorgaben, die nicht alle Eingruppierungsgruppen im gleichen Maße bei der Vergabe der Zulagen partizipieren lassen. Ausschlaggebend für die zum größten Teil als gerecht eingestufte Durchführung der Leistungsbeurteilung, sind in den vorliegenden Fällen die als ausführlich und transparent eingestuften Informationen zum System selbst und die zeitnahe Rückkoppelung der Ergebnisse. Dementsprechend weisen die Dimensionen „Partizipation und Transparenz“ und „Rückmeldung“ bei den vier Mitarbeitern auch die meisten positiven Übereinstimmungen aus. Bezogen auf die Höhe der Leistungszulage profitieren alle vier Befragten vom neuen Vergabemodus. Drei der Mitarbeiter profitieren von einer Steigerung der Zulage bis zu 5 Prozent. Ein Mitarbeiter (Stadt 3, BT 5) erhält zwar eine niedrigere Zulage als
637 638
(Stadt 3, BT 5: 17). (Stadt 3, BT 6: 31).
212
Empirische Analyse
zuvor, wäre aber ohne die für ihn gültige „altersgebundene“ Besitzstandsregelung auf einen Anspruch von nur 1 Prozent abgerutscht.639
Sicht der Beurteiler Die Gesamtheit der Beurteiler (BU) äußert sich deutlich häufiger zum Leistungsverhalten als die Beurteilten. Geschildert werden ebenso wie bei den Beurteilten vorrangig Verhaltensweisen, die den Dimensionen „Unkompliziertheit“ und „Eigeninitiative“ des OCB zuzuordnen sind. Bei zwölf der Interviewpartner konnten, neben zum Teil auch negativen Hinweisen, vorrangig positive Kommentare codiert werden. Die Codierungen beruhen sowohl auf Selbstauskünften der Beurteiler über ihr eigenes Verhalten wie auch auf Fremdurteile (Vorgesetztenurteil) der Beurteiler über ihre Mitarbeiter. Als befürwortende Stimmen wurden die Aussagen von vier Beurteilern ausgewählt. Auffällig ist, dass in dem Stimmenkanon drei Beschäftigte aus dem Betrieb der Stadt (1) berichten. 640 Das Alter der Beurteiler liegt zwischen 42 und 50 Jahren. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit variiert zwischen 13 und 25 Jahren. Die Beurteiler sind eingesetzt in den Funktionen Vorarbeiter, Sachgebietsleiter, Abteilungsleiter und Betriebshofleiter. Zwei der Interviewten sind nicht als Arbeiter, sondern als Angestellte in den Betrieben beschäftigt und werden nicht selbst beurteilt. In der Wahrnehmung der vier Vorgesetzten ist das von ihnen beschriebene Arbeitsklima in ihren Arbeitsgruppen gut. Das Verhältnis zu den Mitarbeitern wird als positiv eingeschätzt und beruht auf „Kameradschaft“641 . Ein Vorarbeiter antwortet spontan:
„Ich bilde mir ein, dass wir eine super Stimmung haben. Die Kollegen sind gerne bei mir.“642
639
Vgl. Tabelle 5.8, S. 199 dieser Arbeit. Zurückzuführen ist dies vermutlich auf das veränderte Befragungsdesign in Stadt (1). Aus betrieblichen Gründen wurden, anderes als vorgesehen, mehr Interviewtermine mit Beurteilern als mit Beurteilten vermittelt (siehe dazu auch Abschnitt 5.2.2). Zum anderen, so die Vermutung, sind die Beurteiler aufgrund ihrer bereits mehrjährigen Erfahrung mit dem Instrumentarium für das Folgeverhalten der Beurteilungen sensibilisierter. 641 (Stadt 3, BU 1: 48). 642 (Stadt 1, BU 1: 47). 640
Empirische Analyse
213
Zwei Beurteiler benennen, dass sich im Zeitverlauf der letzten Monate, das Arbeitsverhältnis zu den Mitarbeitern verbessert habe und dass das Teamverständnis gewachsen sei. Stellvertretend hierfür ein Abteilungsleiter, der im Kontext des Gesprächs, rückbezüglich auf die Mitarbeiterbeurteilungen und -gespräche formuliert:
„Ich finde eine Entwicklung ist spürbar. Für meinen Betriebszweig kann ich sagen, dass sich das konstruktive Miteinander etwas verbessert hat.“643
Zum Arbeitsklima auf Ebene der Betriebe konnten keine Aussagen der Interviewpartner codiert werden. Die Interviewpassagen in der Dimension „Unkompliziertheit“ des OCB veranschaulichen, dass die Vorgesetzten die Veränderungen in den Organisationen deutlich befürworten und aufgeschlossen sind, diese mit hohem Engagement mit zu tragen. Bezogen auf das neue personalwirtschaftliche Beurteilungsinstrumentarium ist ihre Stellungnahme eindeutig:
„Die Systematik ist nicht schlecht. Es ist eine objektive Beurteilung der Leistung verbunden mit sachlichen Gesprächen. Positiv ist vor allem die Zeit, die man [außerhalb des betrieblichen Alltags] hat, miteinander zu reden. Gerade diese Zuwendung ist das Gute an dem System.“644
Die Beurteiler sind motiviert, ihre Vorgesetztenrolle eigenständig zu gestalten. Dies kommt insbesondere dadurch zum Ausdruck, dass sie um Effektivität und Kooperation in ihrem Verantwortungsbereich bemüht sind. Sie sind sich bewusst, dass im öffentlichen Dienst neue Zeiten angebrochen sind. Ein Vorgesetzter fasst dies in die Worte:
„Wir sind, sag ich mal, in Anführungszeichen eine selbständige Firma und damit verantwortlich für unsere Ergebnisse und so fühlen wir uns auch. Wir sind verantwortlich für das, was wir draußen tun.“645
643
(Stadt 1: BU 8: 42). (Stadt 1: BU 4: 96). 645 (Stadt 3, BU 1: 91). 644
214
Empirische Analyse
Dieses neue Selbstverständnis verbindet sich zu dem auch mit ihrer Initiative Kooperation zwischen allen Beteiligten im Arbeitsprozess zu fördern:
„(…) und wir haben jetzt auch jeden Montag, das habe ich eingeführt, morgens um acht Uhr eine Besprechung mit dem Ortsvorsteher, (…) und den Hausmeistern. Da wird alles abgesprochen und dann weiß jeder genau was er zu tun hat und für was er verantwortlich ist. Das funktioniert prima, das hat sich positiv bemerkbar gemacht.“646
Die Urteile der Vorgesetzten, auf die Frage, wie sich die Ergebnisse der Leistungsbeurteilung auf das (Arbeits-) verhalten der Mitarbeiter auswirken, sind heterogen. In einem der Betriebe sind positive Auswirkungen spürbar. Die Mitarbeiter wüssten zu schätzen, dass ihre Arbeit vor allem durch Lob (im Rahmen der Mitarbeitergespräche) anerkannt wird. In anderen Fällen vermitteln die Aussagen eher eine neutralere Wirkung. Stellvertretend für die mitarbeiterbezogenen Folgen der Leistungsbeurteilung die folgende Gesprächspassage mit einem der Beurteiler:
„Ja, das gefällt mir noch nicht, das Verständnis in den einzelnen Arbeitsgebieten.“647
In diesem Zusammenhang wird auch das Problem der Höhe der Leistungszulage thematisiert. Vor allem durch niedrige Zulagen, so die Hinweise, würden die anfänglichen Erwartungen der Mitarbeiter enttäuscht:
„Ein Kollege, der hat im letzten Jahr ein Prozent bekommen. Der kommt sich vor wie ein kleines Kind mit einem Bonbon. Die erste Zeit war der frustriert.“648
Wichtig für die Akzeptanz der Leistungsbeurteilung ist aus Sicht der Vorgesetzten das Mitarbeitergespräch. Positiv bewertet wird, dass durch das Gespräch, außerhalb des Betriebsalltags, eine Atmosphäre entsteht, die für das gegenseitige Verständnis förderlich ist. In der Dimension „Aufklärung und Kommunikation“ wurden über alle 646
(Stadt 3, BU 1: 99). (Stadt 1, BU 8: 62). 648 (Stadt 1, BU 1: 162). 647
Empirische Analyse
215
vier Beurteiler hinweg fast ausschließlich eindeutig zustimmende Passagen zum Mitarbeitergespräch codiert.649 Ebenso weist die Dimension „Genauigkeit“ bei drei Beurteilern Übereinstimmung aus. In der Mehrzahl der Äußerungen beziehen sich die Beurteiler auf die als hilfreich bewerteten Beurteilerschulungen. Materiell profitiert nur ein Beurteiler selbst von der Einführung der Leistungsbeurteilung. Dieser Beurteiler aus Stadt (3) partizipiert von dem neuen Reglement durch eine zweiprozentige Zulage. Für den Vorarbeiter aus Stadt (1) ist die Höhe der Leistungszulage unverändert geblieben und seine beurteilenden Kollegen aus dem Betrieb sind bedingt durch ihren Angestelltenstatus (bisher) nicht beurteilt worden.650
Stimmen der „Kritiker“ Sicht der Beurteilten Der Stimmenkanon, der die Folgen der Einführung der Leistungsbeurteilungen, in den Dimensionen „Unkompliziertheit“, „Eigeninitiative“ aber auch „Hilfsbereitschaft“ des OCB ausschließlich kritisch beurteilt, setzt sich aus vier Beurteilten, verteilt über alle drei Betriebe, zusammen.651 Die vier Mitarbeiter sind zwischen 42 und 47 Jahre alt und verfügen, bis auf eine Ausnahme, über keine Ausbildung. Ein Mitarbeiter ist als Kraftfahrer im Bauhofbereich tätig, die anderen arbeiten als Müllwerker oder als angelernte Kräfte im Bereich Grünpflege. Ein Mitarbeiter ist erst seit zwei Jahren in einem der Betriebe beschäftigt, die anderen Mitarbeiter arbeiten seit 8, 10 und 21 Jahren in den Betrieben. Alle vier Mitarbeiter äußern sich zufrieden mit dem Arbeitsklima in ihrer Arbeitsgruppe. Betont wird, dass die „Stimmung unter den Arbeitern hervorragend“652 ist. Das Betriebsklima insgesamt wird von zwei Mitarbeitern in ihren Betrieben als „unangenehm“653 gar „schlecht, sehr schlecht“654 beschrieben. In einem der Betriebe stößt insbesondere das Kommunikationsverhalten der Führung auf Kritik. Als eindeutigen Verstoß im Umgang miteinander werden Äußerungen, die als Drohung aufgefasst werden kritisiert:
649 650 651 652 653 654
Vgl. Tabelle 5.9, S. 207 dieser Arbeit. Vgl. Tabelle 5.9, S. 207 dieser Arbeit. Vgl. Tabelle 5.8, S. 199 dieser Arbeit. (Stadt 2, BT 2: 39). (Stadt 3, BT 4: 101). (Stadt 2, BT 2: 27).
216
Empirische Analyse
„Und nach 20 Jahren ist mir gesagt worden, wenn mir das nicht passt, dann kann ich gehen.“655
In den Gesprächen mit den Beurteilten wird transparent, dass bereits nach den ersten Betriebsversammlungen, in denen die Betriebsleitungen über die anstehenden Leistungsbeurteilung informiert haben, die Mitarbeiter den Veränderungen nicht nur skeptisch, sondern auch ablehnend gegenüber standen:
„Also, ich habe gedacht: Lieber nicht und so weiter. Ich habe gedacht, jeder betrügt. Die wollen doch noch mehr, da gibt es bestimmt noch einen Hintergrund.“656
Auch in einem weiteren Betrieb kommt klar zum Ausdruck, dass die Mitarbeiter nicht glauben, dass die Leistungsbeurteilung alleinig wegen einer gerechteren Verteilung der Zulagen eingeführt wurde. Vielmehr wird vermutet, dass: „Ja, und dann wird schon noch, denke ich, der Druck erhöht auf uns.“657
Bei jedem der vier beurteilten Mitarbeiter wird in einzelnen Interviewsequenzen deutlich, dass das Engagement und die Motivation sich für die Betriebe einzusetzen, gesunken ist. Je nach Persönlichkeit und Betroffenheit sind die Auskünfte geprägt von Aggression oder Resignation und stehen in einem direkten Zusammenhang mit den Leistungsbeurteilungen:
„Mit dem System und der Stimmung, die wir zurzeit haben, sparen wir nicht. Die Motivation ist hier am Arsch! Ganz einfach gesagt.“658
„Da habe ich schon resigniert, dass muss ich sagen. Da ist man nicht mehr bereit für die Arbeit einzustehen. Ich komme morgens, ich mach meine Arbeit or-
655
(Stadt 2, BT 2: 31). (Stadt 1, BT 4: 61). 657 (Stadt 3, BT 4: 217). 658 (Stadt 2, BT 2: 137). 656
Empirische Analyse
217
dentlich, ich mach sie wie immer, aber abends ist das für mich erledigt.“659
Ergänzt wird das Bild durch Hinweise, die ebenfalls auf kollegialer Ebene deutliche Motivationsverluste beschreiben. Ein Mitarbeiter in Stadt (3) berichtet, dass nach der ersten durchgeführten Beurteilung, „(…) jeder mal den Kopf hängen gelassen habe, am Anfang.“
660
Was nach Aussage eines weiteren Mitarbeiters vor allem auch
durch einen Verlust an Solidarität zum Betrieb aber auch untereinander deutlich spürbar wurde, so nach dem Motto: Heute, schaue ich nur noch für mich selbst. Entstanden sei vereinzelt ein negativer Individualismus bei denen, „(…) denen es wirklich gestunken habe (…)“661 .
„Die haben dann gesagt: Nee, da halt ich nicht mehr meinen Kopf für hin. Da mache ich mich nicht mehr für fertig. Nach so einer Beurteilung, da hab ich echt kein Interesse mehr. Ich mach nur noch was notwendig ist.“662
In Stadt (3) wird in diesem Zusammenhang deutlich, dass die Mitarbeiter passiven Widerstand leisten. Beispielsweise ist keiner der Mitarbeiter mehr bereit auf freiwilliger Basis Sonntagedienste (für städtische Veranstaltungen) zu leisten. Vielmehr sieht sich der dortige Vorgesetzte gezwungen, die früher bereitwillig erbrachte Leistung, nun per Dienstanweisung zu erzwingen. Die Ablehnung der durchgeführten Leistungsbeurteilungen und das in den Dimensionen des OCB sich widerspiegelnde Verhalten der Mitarbeiter, begründen sich vor allem auf als ungerecht wahrgenommene Behandlungen in drei Dimensionen der Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit. In zwei Betrieben wird von drei Mitarbeitern vor allem die nachträgliche Manipulation der Beurteilungsergebnisse durch die Betriebsleitungen moniert. Zu dem beschweren sich die Mitarbeiter darüber, dass genau in diesen zwei Betrieben, die Rückkoppelungsgespräche teilweise erst ein halbes Jahr nach der Beurteilung erfolgen. Ebenfalls auf Kritik stößt das Mitarbeitergespräch. Die geschilderte Atmosphäre in den Gesprächen wird von den Mitarbeitern als unangenehm, zum Teil sogar als aggressiv wahrgenommen.
659
(Stadt 3, BT 1: 270). (Stadt 3, BT 4: 237). 661 (Stadt 3, BT 4: 239). 662 (Stadt 2, BT 2: 129 und 239). 660
218
Empirische Analyse
Durch die neue Prozedur der Leistungsbeurteilung hat nur einer der Kritiker verloren. Seine Zulage ist von drei auf ein Prozent gesunken. Für zwei Beurteilte ist die Höhe der Leistungszulage unverändert geblieben. In einem Fall auf dem hohen Niveau von 13 Prozent. Der vierte Mitarbeiter hat zuvor von keiner Zulage profitiert und ist durch die Leistungsbeurteilung auf vier Prozent eingestuft worden.663
Sicht der Beurteiler Der Kreis der Beurteiler, die der Leistungsbeurteilung durchgängig skeptisch gegenüber stehen, berichten vorrangig über Verhaltensweisen, die im Kontext des OCB der Dimension „Unkompliziertheit“ zuzuordnen sind. Die Äußerungen beziehen sich sowohl auf ihre eigenen Verhaltensweisen wie auch auf ihre Wahrnehmungen aus dem Kollegen- wie Mitarbeiterkreis. Die im Folgenden zu Wort kommenden Stimmen berichten in diesem Zusammenhang ausschließlich über negativ wahrgenommene Folgen der Leistungsbeurteilung. Die nachstehenden Informationen spiegeln in Ausschnitten die Interviews mit drei Beurteilern wider, die stellvertretend aus allen drei Betrieben berichten. Die Beurteiler sind um die 40 Jahre alt und zwischen 4 und 23 Jahren bei den Kommunen beschäftigt. Alle drei Beurteiler sind als Vorarbeiter eingesetzt. Zwei von Ihnen sind im Personalrat vertreten. In Stadt (1) und Stadt (3) wird das Klima in den Arbeitsgruppen im „Großen und Ganzen“664 als gut geschildert. Zwar sei die Mitarbeiterschaft gespalten, „die einen gehen nach dem Schaffen nach Hause“665 , aber die anderen seien kollegial und „sitzen auch mal nach Feierabend noch zusammen“666 . Hingegen wird das Betriebsklima in zwei Betrieben als angespannt oder gar als „brodelnd“667 wahrgenommen:
„Also das ist halt nicht grade so wundervoll, was wir mit der Obrigkeit erleben. Es ist halt alles sehr angespannt momentan. Irgendwie, ein falsches Wort kann
663
Vgl. Tabelle 5.8, S. 199 dieser Arbeit. (Stadt 1, BU 5: 11). 665 (Stadt 1, BU 5: 11). 666 (Stadt 1, BU 5: 11). 667 (Stadt 2, BU 2: 46). 664
Empirische Analyse
219
schon reizen. Es ist irgendwo, wie soll man sagen, wie eine Gummifähre [Gummifletsche], die jeden Moment losgehen kann.“668
Bezogen auf die Leistungsbeurteilung bestätigen die Beurteiler, dass die Mitarbeiter vor allem mit den Ergebnissen unzufrieden sind und dies zu Demotivation und Leistungsrückgang führt.
„Die Leute sind ziemlich frustriert. Eindeutig, seitdem das neue System da ist, ist die Leistung gesunken.“669
Zurückgeführt wird dies aus Sicht der Beurteiler zum einen darauf, dass die im Vorfeld entstandenen Erwartungen der Mitarbeiter enttäuscht wurden. Stellvertretend für diesen Aspekt:
„Na klar, die Leute haben sich halt erhofft, durch die Leistungsbeurteilung ein paar Euro mehr zu kriegen. Das ist halt nicht gekommen und da waren die halt mehr demotiviert als motiviert.“670
Resignative Wirkung hat nach Auskunft der Beurteiler vor allem die Höhe der Leistungszulagen. Eine Interdependenz zwischen niedrigen Zulagen und Motivationsrückgang attestieren fast alle Beurteiler, die dies in den Worten ihrer Mitarbeiter wiedergeben:
„(…) was soll ich mich noch anstrengen. Für ein Prozent, das mir nachher vielleicht 10 oder 20 Euro bringt. Die sind absolut nicht motivierend. Da mache ich mich nicht für kaputt. Das bringt nichts.“671
Zum anderen wird die Frustration der Mitarbeiter, nach Aussagen der Beurteiler, verstärkt durch das Zurückstufen auf niedrigere Zulagen. Dies wird von den Mitarbeitern nicht akzeptiert, auch wenn mittels der Leistungsbeurteilung und der im An-
668
(Stadt 3, BU 4: 21-23). (Stadt 2, BU 2: 44). 670 (Stadt 1, BU 5: 74). 671 (Stadt 1, BU 5: 31 und 125). 669
220
Empirische Analyse
schluss stattfindenden Gespräche versucht wird, den ermittelten Leistungsrückgang mit dem Mitarbeiter zu besprechen.
„Dass sie halt auch weniger kriegen oder es gar nichts mehr gibt, weil halt die Leistung gefallen ist, das akzeptieren sie nicht. Die Reaktion ist, dann schaffen wir halt noch weniger.“672
Die Ablehnung der Beurteiler am neuen System beruht auf unterschiedlichen Kritikpunkten. Neben pauschalen Äußerungen, wie „(…) es bringt nicht das, was es vielleicht bringen sollte(…)“673 , kommt auch zum Tragen, dass sich die Beurteiler noch unwohl in ihrer neuen Rolle fühlen und sie das Beurteilen als „(…) keine schöne Aufgabe (…)“ 674 empfinden. Differenzierter argumentiert, kommt aber auch zum Ausdruck, dass die Beurteiler den Aufwand und die damit verbundenen Kosten der Einführung des neuen Leistungsbeurteilungssystems als unverhältnismäßig hoch ansehen.675 Ein Beurteiler gibt gar zu bedenken, dass der gute Ruf des Betriebes, der langsam aufgebaut worden wäre, bedingt durch die Leistungsbeurteilung, die jetzt eher schnelles und schlampiges Arbeiten zur Folge hätte, gefährdet sei. Formuliert wird dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die zuvor auf städtischer Ebene geführte Diskussion der Privatisierung des Betriebes wieder neu entfacht werden könnte.676 Die Darstellung der Befunde der Beurteiler bündeln im Schwerpunkt negative Folgen in der Dimension „Unkompliziertheit“ des OCB. Als Ursache für die Demotivation und die Leistungszurückhaltung der Mitarbeiter wird die niedrige Höhe der Leistungszulagen benannt. Die codierten Interviewpassagen in der Dimension „Ausschluss von Parteilichkeit“ spiegeln dieses Problem wieder. Alle drei Beurteiler kritisieren übereinstimmend, dass in ihren Betrieben die Ergebnisse der Beurteilung im nachhinein nach untern korrigiert worden sind. Ebenso werden seitens der Skeptiker ein schleppender Informationsfluss und eine verspätete Rückkoppelung der Ergebnisse moniert.
672
(Stadt 2, BU 2: 36). (Stadt 1, BU 5: 17). 674 (Stadt 3, BU 4: 155). 675 Beispielsweise BU 5: 84 aus Stadt (1). 676 Beispielsweise BU 2: 15 aus Stadt (2). 673
Empirische Analyse
221
Die codierten Gesprächssequenzen zu den Facetten der organisationalen Gerechtigkeit umfassen sowohl Äußerungen aus aktiver Perspektive des Beurteilens wie aus passiver des beurteilt Werdens. Die zitierten Beurteiler haben selbst sowohl durch das neue Prozedere die Höhe ihrer ursprünglichen Leistungszulage eingebüßt (Stadt 2, BU 2), als auch profitiert (Stadt 1, BU 5). Bei einem der Beurteiler (Stadt 3, BU 4) ist die Höhe der Leistungszulage konstant geblieben.677
5.3.4
Korrespondenzanalyse
Qualitative Daten, d.h. nicht mit standardisierenden Instrumenten erhobene Daten, werden in der Regel auch nur qualitativ ausgewertet. Die qualitative Analyse von Interviewmaterial liefert allerdings, wenn sie wie im vorliegenden Fall einem Kategorienschema folgt, Ergebnisse auf nominalem Datenniveau. Es wird also danach unterschieden, ob in den Interviews eine Aussage bezüglich einer bestimmten Kategorie vorliegt oder ob dies nicht der Fall ist. In den zuvor vorgestellten inhaltsanalytischen Befunden wurde darüber hinaus danach unterschieden, ob eine zustimmende oder kritische Stellungnahme hinsichtlich einer Kategorie vorliegt. Derartige Ergebnisse sind prinzipiell auch der quantitativen Datenanalyse zugänglich. Entsprechend der typologischen Auswertungslogik der Inhaltsanalyse kommen vor allem Verfahren der so genannten symmetrischen Analyse (Matiaske 1996) in Betracht, die wie Clusteranalysen oder die Korrespondenzanalyse die Auswertung von Daten auf nominalem Datenniveau erlauben und eine typologische Interpretation der Befunde ermöglichen. Hier sollen die Befunde der Inhaltsanalyse abschließend korrespondenzanalytisch zusammengefasst werden. Wie die Clusteranalyse folgt die Korrespondenzanalyse einem typologischen Ansatz, wobei sie den Vorzug bietet Kategorien und Fälle simultan analysieren zu können. Die Korrespondenzanalyse ist vorwiegend von französischen Statistikern entwickelt worden und gilt in der französischen Sozialwissenschaft als Standardverfahren.678 Sie bietet hinsichtlich der Analyse von inhaltsanalytischen Befunden eine Reihe von Vorteilen:
677 678
Die Korrespondenzanalyse kann problemlos Häufigkeiten auf nominalem Daten-
Vgl. Tabelle 5.9, S. 207 dieser Arbeit. Vgl. W. Matiaske et al. (1994) sowie J. Blasius (2001).
222
Empirische Analyse
niveau verarbeiten und trifft dabei keinerlei Verteilungsannahmen. Das heißt die Korrespondenzanalyse ist insbesondere auch zur Analyse kleinerer Fallzahlen geeignet und sie erweist sich als robust gegenüber nicht besetzten Zellen in den Eingangsdaten. -
Das Verfahren, das typischerweise zur Analyse aggregierter Daten in Form von Kreuztabellen nutzt, ist auch geeignet um individuelle Daten zu analysieren. In diesem Fall spricht man von multipler Korrespondenzanalyse.
-
Schließlich liefert das Verfahren anschauliche Darstellungen der Zusammenhänge von Fällen und Variablen in mehrdimensionalen Plots.
Ausgangsbasis der im Folgenden berichteten multiplen Korrespondenzanalysen sind die Übersichtstabellen der Befunde (Tabelle 5.8 und 5.9)679 . Die Codierung des Materials berücksichtigt jeweils die Anzahl der zustimmenden bzw. ablehnenden Aussagen der Befragten. Die Abbildungen 5.5 und 5.6 zeigen ebenfalls die Ergebnisse getrennt nach den Auswertungen für die Gruppen der Beurteilten (BT) bzw. Beurteiler (BU).
679
Siehe S. 199 und S. 207 dieser Arbeit.
Empirische Analyse
Abb. 5.5: Korrespondenzanalyse – Befunde der Beurteilten (BT)
223
224
Empirische Analyse
Abb. 5.6: Korrespondenzanalyse – Befunde der Beurteiler (BU)
Die Korrespondenzanalyse berücksichtigt nicht die absoluten Zahlen, sondern nimmt die relativen Datenprofile zum Ausgangspunkt. Das heißt beispielsweise für die Betrachtung der Spalten, dass die Einträge in der Tabelle durch die jeweilige Spaltensumme geteilt werden. Analog wird für die Zeilen verfahren. Diese so genannten Profile bilden den Ausgangspunkt der Analyse. Für die typologische Analyse ist insbesondere die Ähnlichkeit der Profile von Interesse. Je ähnlicher zwei Profile einander sind, desto näher liegen sie in der Abbildung beieinander. Die räumliche Nähe der Kategorien ist jedoch für die Spalten- und Zeilenvariablen getrennt voneinander zu betrachten. D.h. die der räumlichen Darstellung zugrunde liegende Distanzmetrik be-
Empirische Analyse
225
zieht sich nur auf die Ähnlichkeit der Interviewpartner bzw. der Variablen- oder Kategorienprofile. Jedoch kann die gemeinsame Distanz vom Ursprung als Ähnlichkeit zwischen Zeilen- und Spaltenprofilen interpretiert werden. Die Aufteilung des Raums erfolgt wie bei der verwandten Hauptkomponentenoder Faktorenanalyse durch unabhängige Dimensionen. Mit diesen Dimensionen sind spezifische Kategorien korreliert. Darüber hinaus berücksichtigt man bei der Interpretation der Faktoren oder Achsen den Beitrag, den die Kategorien zur Varianz der Achse leisten. Den zweidimensionalen Darstellungen 5.5 und 5.6 ist gemeinsam, dass sie rund 30 % der Varianz in den Ausgangsdaten abbilden, wobei sich die Gruppe der Beurteiler als etwas homogener erweist als die der Beurteilten (26,6 % Beurteilte, 33 % Beurteiler). In beiden Fällen gilt darüber hinaus, dass der im verwendeten Analyseprogramm (Matiaske 1991) implementierte Test zwei weitere Achsen als signifikant ausweist. Der Erklärungsanteil würde bei Berücksichtigung von vier Dimensionen auf 51,3 % (Beurteilte) bzw. 56,5 % (Beurteiler) steigen. Jedoch bündeln die weiteren Faktoren nur einzelne Kategorien, weshalb hier lediglich die zweidimensionalen Darstellungen berichtet werden, die bereits die relevanten Zusammenhänge aufzeigen. Die Interpretation der Befunde konzentriert sich auf die Zusammenhänge zwischen den Aspekten der Gerechtigkeit und des Extrarollenverhaltens. Die zweidimensionale Abbildung der Profile der Beurteilten (BT) in Abbildung 5.5 unterscheidet zwischen den fett gesetzten Kategorien, die hoch mit der ersten Achse korrelierten (r > 0.4 zusätzlich unterstrichen) bzw. einen hohen Beitrag zur Variation der Achse leisten. Die Kategorien der zweiten Achse sind kursiv gesetzt. Die erste Achse differenziert zwischen spezifischen Aspekten der Gerechtigkeit. Eine negative Einschätzung der Verfahrensgerechtigkeit („Ausschluss von Parteilichkeit“ AvP -, „Partizipation und Transparenz“ PuT +) sowie der Interaktionsgerechtigkeit („Rückkopplung“ R -, „Aufklärung und kommunikative Integrität“ AuK +) sind im positiven bzw. negativen Bereich der ersten Achse angesiedelt. Darüber hinaus bindet die Achse Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit („Beitragsprinzip“ BP +, „Soziale Aspekte“ SA ) im negativen Abschnitt. Mit den negativen Bewertungen der Unparteilichkeit des Verfahrens und der Rückkopplung, die vor allem von drei Beurteilten der Stadt (3) (BT 3.1, BT 3.2, BT 3.6) geäußert werden geht eine negative Einschätzung der „Unkompliziertheit“ im Selbsturteil (UNKOM SU -) sowie der „Eigeninitiative“ im Kollegenurteil (EIGEN KU -) einher. Mit der zweiten Hauptachse korreliert nur ein Aspekt der Gerechtigkeit, nämlich die positive Einschätzung der Verteilungsgerechtigkeit un-
226
Empirische Analyse
ter Berücksichtigung sozialer Aspekte (SA +). Damit korrespondieren die „Hilfsbereitschaft“ im Kollegenurteil (HILFE KU +) aber auch ein negatives Arbeitsklima auf Ebene der Arbeitsgruppe (KLIMA AG -). Tendenziell positiv wird die „Eigeninitiative“ im Selbsturteil (EIGEN SU +) eingeschätzt. Negativ dagegen die „Hilfsbereitschaft“ im Kollegenurteil (HILFE KU-). Dieses Bild korrespondiert insbesondere mit dem Urteil eines Interviewpartners aus Stadt (2) (BT 2.1), der allein negatives über das Klima auf Ebene der Arbeitsgruppe berichtet. Die Korrespondenzanalyse der Daten aus Sicht der Beurteilten bestätigt einige Aspekte der zuvor inhaltsanalytisch ausgearbeiteten Befunde. Auffällig sind insbesondere die negativen Zusammenhänge von Aspekten der Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit mit Facetten des OCB. Insbesondere „Unkompliziertheit“ und „Eigeninitiative“ können durch Verfahrensfehler leiden. Allerdings ist auch festzustellen, dass allein auf Basis der Häufigkeiten negativer und positiver Aussagen zu den Kategorien der Gerechtigkeit, des OCB und des Arbeitsklimas die Dimensionalität der Begriffe nicht dargestellt werden kann. Ein Grund dafür ist sicherlich die für eine quantifizierende Analyse schmale Datenbasis, die einzelnen Interviewpartnern einen hohen Einfluss auf die Befunde einräumt. Erheblich klarer ist das Bild, das die Korrespondenzanalyse der Aussagen der Beurteiler zeichnet. Die erste Hauptachse differenziert deutlich zwischen positiven und negativen Aspekten der Gerechtigkeit sowie des OCB bzw. des Arbeitsklimas. Positive Korrelationen mit der ersten Achse sind für die Kategorien „Aufklärung und kommunikative Integrität“ (AuK +) und Arbeitsklima auf Ebene der Arbeitsgruppe (KLIMA AG +) zu verzeichnen. Negativ mit der Achse korrelieren ein Mangel hinsichtlich des „Ausschlusses von Parteilichkeit“ (AvP -) sowie die „Unkompliziertheit“ im Selbsturteil (UNKOM SU -). Verstärkt wird diese Differenzierung durch die Beiträge der Gerechtigkeitskategorien „Partizipation und Transparenz“ (PuT +) sowie „Ausschluss von Parteilichkeit“ (AvP +) im positiven Bereich. Damit gehen „Unkompliziertheit“ in Selbst- und im Vorgesetztenurteil (UNKOM SU +, UNKOM VU +) sowie „Gewissenhaftigkeit“ im Selbsturteil (GEWISS SU +) einher. Im negativen Bereich der Achse finden sich die konträren Einschätzungen dieser Aspekte des OCB. Darüber hinaus bestätigt sich der Befund, dass das „Arbeitsklima“ auf Ebene des Betriebes (KLIMA Betrieb -) negativ eingeschätzt wird, wenn Probleme mit der Gerechtigkeit des Verfahrens auftreten. Auch die zweite Hauptachse unterteilt deutlich in positive und negative
Empirische Analyse
227
Facetten der Gerechtigkeit und des OCB. Jedoch bringt diese Achse keine neuen Erkenntnisse bezüglich der in die Analyse einbezogenen Kategorien. Deutlicher als die Analyse der Beurteiltensicht unterstreicht die Korrespondenzanalyse den postulierten Zusammenhang von Gerechtigkeit und Extrarollenverhalten in den Vorgesetztenurteilen. Auffällig ist, dass Facetten der Verteilungsgerechtigkeit und insbesondere die in den Interviews hervorgehobene Bedeutung des Beitragsprinzips in korrespondenzanalytischer Betrachtung nur eine untergeordnete Rolle spielt. Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass die Urteile in dieser Hinsicht – zumindest was die Anzahl der Nennungen angeht – vergleichsweise homogen ausfallen und die Korrespondenzanalyse die Unterschiede zwischen den Urteilsprofilen betont. Trotz dieser Beschränkungen der korrespondenzanalytischen Ergebnisse – auf Grund der geringen Fallzahl und der mangelnden Varianz in den Häufigkeitszählungen der positiven und negativen Statements – kann zusammenfassend festgehalten werden, dass die Analyse der Daten zentrale Aspekte der inhaltlichen Interpretation des Materials bestätigt. Sowohl aus Sicht der Beurteilten als auch aus Sicht der Beurteiler sind es vor allem Aspekte der Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit, die für das Extrarollenverhalten von Bedeutung sind. Auf Basis der vorliegenden Befunde gilt, dass vor allem Unkompliziertheit im Umgang, Eigeninitiative und Gewissenhaftigkeit der Beschäftigten von einem fairen Beurteilungsverfahren und einer integren Kommunikation der Ergebnisse durch die Vorgesetzten abhängig sind. Hinsichtlich der Methodik ist abschließend zu bemerken, dass eine Verbindung von qualitativer und quantitativer Datenanalyse zweckmäßig ist. Die Nutzung verschiedener Verfahren der Datenanalyse kann helfen, die rein qualitative Interpretation der Befunde abzusichern und ihre intersubjektive Nachvollziehbarkeit zu erhöhen. Analog der in Abschnitt 5.2.4 diskutierten Gütekriterien qualitativer Forschung ist die Anwendung der Korrespondenzanalyse in dieser Studie damit auch als Beitrag der Methodentriangulation, im Sinne einer Evaluierung der vorliegenden qualitativen Analyse, zu verstehen.
228
Empirische Analyse
5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse 5.4.1
Organisationale Gerechtigkeit und Leistungsbeurteilung
Die Befunde der qualitativen und graphischen Analyse illustrieren, dass die Mitarbeiter die Einführung von Leistungsbeurteilungen in ihren Betrieben unterschiedlich bewerten. Aus Sicht der Betroffenen ist das neue betriebliche Beurteilungsverfahren mit einer Vielzahl differierender Gerechtigkeitsaspekte verknüpft. Die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse zeigen, dass das „Beitragsprinzip“ bei der neuen Entgeltdifferenzierung in den Betrieben eine zentrale Rolle einnimmt. Die Gruppe der Beurteiler äußern eine positionsabhängige Präferenz für das „Beitragsprinzip“. Für sie eröffnet die neue Regelung die Option das Leistungsverhalten ihrer Mitarbeiter systematisch materiell zu belohnen und zu befördern sowie aus der betrieblichen Historie entstandene Ungleichheiten zu korrigieren. Auch seitens der Beurteilten wird eine leistungsabhängige Verteilung der Zulagen in der Regel begrüßt. Jedoch ist die perzipierte Gerechtigkeit der realen Ergebnisse – sowohl aus Sicht der Beurteilten als auch der Beurteiler – auf Grund spezifischer betrieblicher Regelungen („altersgebundene“ Besitzstandsregelungen, „Deckelungen“, etc.) eingeschränkt. Die verbalen Daten der Untersuchung informieren detailliert, welche Kriterien der Handhabung des neuen Instrumentariums und der damit verbundenen Behandlung im Rahmen der Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit als fair oder unfair von den Betroffenen erlebt worden sind. Gleichsam dominant für die erlebte Fairness der Gerechtigkeit für alle Betroffenen sind die Dimensionen „Partizipation und Transparenz“, „Ausschluss von Parteilichkeit“ sowie „Aufklärung und Kommunikation“. Darüber hinaus besitzt die Dimension „Genauigkeit“ als Parameter für die erforderliche Vorbereitung auf das Beurteilen für die Beurteiler einen hohen Stellenwert. Für die beurteilten Mitarbeiter ist hingegen für die solide Umsetzung der Leistungsbeurteilung und eine damit verbundene Wertschätzung ihrer Person die Dimension „Rückmeldung“ von Wichtigkeit. Differenziert in die Gruppen der Beurteilten und der Beurteiler bündelt Tabelle 5.10 die in den Interviews vorrangig genannten dominanten Dimensionen organisationaler Gerechtigkeit. Die dunkel eingefärbten Passagen der Tabelle heben hervor, welche positiven und negativen Aspekte – aus Perspektive der Beurteilten wie Beurteiler – für das Gerechtigkeitsempfinden der Interviewten als zentral angesehen werden.
Organisationale Gerechtigkeit Perspektive
Wahrnehmung
positiv
Beurteilte (BT)
Verteilungsgerechtigkeit Beitragsprinzip Leistungsproportionale Höhe der LZ
Partizipation u. Transparenz Informations-veranstaltungen
„Altersgebundene“ Besitzstandsregelung
„Offenes Ohr“ der Betriebsleitungen Schleppende Informationen
Höhe der Leistungszulage negativ
Verfahrensgerechtigkeit Ausschluss von Genauigkeit Parteilichkeit Kompetenz direkter Vorgesetzter
Nachträgliche Manipulation der Ergebnisse
Information der Mitarbeiter zu unterschiedlichen Zeitpunkten
Urteilsfähigkeit des Zweitbeurteilers (nächst höherer Vorgesetzter) Bewertungsniveau Gesamtbetrieb
Interaktionsgerechtigkeit Rückmeldung Aufklärung und Kommunikation Zeitnahes Feedback Mitarbeitergespräche
Zeitpunkt der Mitarbeitergespräche
Atmo sphäre und Gesprächskompetenz der Vorgesetzten Aufzeigen von Lösungen und weitergehenden Optionen (z.B. PE)
Eingruppierungsabhängige Regelungen Keine Berücksichtigung von Gruppenarbeit Leistungsproportionale Höhe der LZ positiv
Einbindung in vorbereitende Arbeitsgruppen
Materielle Belohnungsoption Beurteiler (BU) „Deckelung“ (bzgl. Anzahl der Mitarbeiter und Höhe der Leistungszulage)
Mangelnde Hilfestellungen
negativ
Tab. 5.10: Organisationale Gerechtigkeit und Leistungsbeurteilung
Nachträgliche Manipulation der Ergebnis se
Beurteilerschulungen
Mitarbeitergespräche
Arbeitstreffen der Beurteiler
Schulungen zur Vorbereitung auf die Mitarbeitergespräche
Teambeurteilungen Rollenkonflikt (soziale Beeinflussung) Bewertungsniveau Gesamtbetrieb
Fehlender Einbezug aller Beurteiler bei den Mitarbeitergesprächen Mangelnde Vorbildfunktion der Leitung
230
Empirische Analyse
Die Befunde belegen, dass die betriebspezifischen Einschränkungen im Verteilungsprozess, von den Mitarbeitern als ungerecht wahrgenommen werden. In Folge rücken in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Betroffenen die Transparenz und „handwerkliche“ Solidität des Verfahrens. Als eklatanten Verstoß in der Umsetzung wird sowohl bei den Beurteilten als auch bei den Beurteilern das nachträgliche Korrigieren der Ergebnisse wahrgenommen. Zudem wird kritisiert, dass kein einheitliches Bewertungsniveau für den Gesamtbetrieb seitens der Betriebsleitungen kommuniziert wird. Zentralen Stellenwert hat die Vermittlung der Ergebnisse an die Beurteilten. Neben informationellen Aspekten, wie beispielsweise der Zeitpunkt der Rückkoppelung der Ergebnisse an die Beurteilten, steht das Mitarbeitergespräch im Mittelpunkt der Gerechtigkeitswahrnehmung der Betroffenen. Grundsätzlich wird die Durchführung der Mitarbeitergespräche in den Betrieben von den Betroffenen begrüßt. Jedoch fühlt sich eine Vielzahl der Mitarbeiter aufgrund der mangelnden Gesprächskompetenz der Vorgesetzten ungerecht behandelt. In Einzelfällen werden die Gespräche als reine Konfliktsituationen beschrieben, in denen die Vorgesetzten, aufgrund fachlicher und emotionaler Überforderung überreagieren. In den Erzählungen kommt zum Ausdruck, dass die Mitarbeiter die Vorgesetzten als hilflos empfinden einen konstruktiven Gesprächsverlauf zu gestalten. Eine mangelnde kommunikative Integrität der Vorgesetzten wird seitens der Beurteilten vor allem als Geringschätzung ihrer Person interpretiert und beeinflusst die Einstellung der Mitarbeiter zur Leistungsbeurteilung an sich.
5.4.2
Organisationale Gerechtigkeit und Extra-Rollenverhalten
Die Beschreibung eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen den unabhängigen Variablen der organisationalen Gerechtigkeit und der Gesamtheit der Dimensionen des Organizational Citizenship Behavior leisten die verbalen Daten der Untersuchung nicht. Zudem konnten im Vergleich zur Häufigkeit der Nennungen von Gerechtigkeitsaspekten nur halb so viele Befunde zu in Folge der Beurteilungen entfalteten Verhaltensweisen in den Dimensionen des OCB bei der Analyse codiert werden. Vorrangig spiegeln die Ergebnisse eine Einflussnahme der Gerechtigkeitswahrnehmungen in der Dimension „Unkompliziertheit“ und vereinzelt auch in den Dimensionen „Eigeninitiative“ und „Gewissenhaftigkeit“ wider. Die Befunde der Stimmen der Befürworter und der Kritiker in der Dimension „Unkompliziertheit“ zusammenfassend, kann eine Einflussnahme subjektiver Gerech-
Empirische Analyse
231
tigkeitswahrnehmungen bei der Einführung der Leistungsbeurteilungen auf das Verhalten der Mitarbeiter bestätigt werden. Die Gerechtigkeitsurteile der Betroffenen sind ausschlaggebend dafür, inwieweit sie bereit sind, die Veränderungen in den Betrieben mit zu tragen. Deutlich zeichnet sich in den Analysen der Dimension „Unkompliziertheit“ ab, dass neben den Ergebnissen, vor allem auch die Gewährleistung eines soliden und transparenten Verfahrens und eine wertschätzende Interaktion in den Betrieben ausschlaggebend sind für den Erfolg der intendierten Zielsetzungen der Leistungsbeurteilungen. Geschildert werden auf Ebene der Beurteilten deutlich positive Effekte (Motivation) bezogen auf das Leistungsverhalten sowie negative Effekte (Resignation) in Form von Leistungszurückhaltung in Abhängigkeit von als fair oder unfair empfundenen Beurteilungen. Die Befunde verweisen auf eine tendenzielle Kumulierung der negativen Effekte auf das Extra-Rollenverhalten, wenn neben den Ergebnissen auch das Verfahren und die interpersonelle Behandlung nicht akzeptiert werden. Auffällig an den Befunden zum Extra-Rollenverhalten ist analog zum „Beitragsprinzip“ ein spezieller positionsabhängiger Effekt auf Ebene der Beurteiler. Die Beurteiler attestieren sich selbst im Zuge der Einführung der Leistungsbeurteilungen und ihrer neuen Rolle ein Höchstmaß an „Eigeninitiative“. Aufschlussreich sind die Befunde zur Kontrollvariablen „Arbeitsklima“. Unabhängig von den heterogenen Gerechtigkeitswahrnehmungen beschreibt die Mehrzahl aller Interviewten ihren engeren Arbeitszusammenhang auf Gruppenebene als kollegial und solidarisch. Hingegen wird von fast allen Gesprächsteilnehmern das Betriebsklima in den Betrieben als negativ beschrieben. Einzige Ausnahme bildet der Betrieb (1) in Stadt (1). Rückblickend auf die beschriebene Ausgangssituation der einzelnen Betriebe der Untersuchung680 kann vermutet werden, dass der Versuch der dortigen Betriebsleitung, die Thematik Leistungsorientierung in eine breitere Agenda zu fassen, erfolgreich war. Die Einführung der Leistungsbeurteilung und die Betonung des individuellen Leistungsprinzips stehen in Stadt (1) als Ausgangspunkt eines Lern- und Entwicklungsprozesses des gesamten Betriebes. Die Beurteilungen und Feedbackgespräche sollen dazu dienen, Stimmungen auszuloten und den Vorgesetzten ein Rollenmodell der Personalführung an die Hand zu geben. Demgegenüber ist in Stadt (2) die Einführung der Leistungsbeurteilung überlagert durch immer wieder neu geführte Diskussionen bezüglich einer Privatisierung des Betriebes. Entsprechend wurde das Instrumenta-
680
Siehe Abschnitt 5.1 des vorliegenden Kapitels.
232
Empirische Analyse
rium der Beurteilung in diesem Betrieb vorrangig mit dem Ziel der Leistungsstimulierung eingesetzt und nicht als personalwirtschaftliches Instrumentarium der Mitarbeiterförderung oder Personalentwicklung genutzt. Ebenfalls wurde in Stadt (3) die Leistungsbeurteilung vorrangig aufgrund externen Drucks eingeführt und dient vor allem zu „Legitimationszwecken“.
5.4.3
Quintessenzen
Die vorliegende qualitative Untersuchung beleuchtet den in der Organisationstheorie induzierten Zusammenhang organisationaler Gerechtigkeit und OCB vor dem Hintergrund der Einführung von Leistungsbeurteilungen in kommunalen Betrieben. Der in der
Analyse
identifizierte
Zusammenhang der Einflussnahme von individuellen
Gerechtigkeitswahrnehmungen auf das Extra-Rollenverhalten der Beurteilten und Beurteiler korrespondiert mit den in dieser Arbeit formulierten Leitannahmen. Schlussfolgernd lässt sich festhalten, dass sich die wahrgenommene Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit trotz nachteiliger Entscheidungskonsequenzen vorteilhaft für die Akzeptanz der Leistungsbeurteilung auswirken kann. Dementsprechend empfehlenswert ist es für Organisationen, sorgfältig zu prüfen wie die neuen Prozeduren bei den Betroffenen tatsächlich aufgenommen werden. Der theoretische Bezugsrahmen dieser Arbeit basiert auf der Theorie des Sozialtausches, die die Arbeitsbeziehungen nicht als rein ökonomische sondern als soziale Beziehung beschreibt. Soziale Austauschbeziehungen sind im Sinne einer psychologischen Vertragsbeziehung an vielfältige wechselseitige Erwartungen vor und während des Austausches gebunden. Die Erfüllung dieser Erwartungen ist gekoppelt an die Bewertung kognitiver Aspekte der Arbeitsbeziehungen der Austauschpartner. Im Konstrukt des psychologischen Vertrages gilt gegenseitiges Vertrauen und Fairness nicht nur als Bindeglied sondern gleichermaßen als steuernde Verhaltensdeterminante. Ebenso ist auch das Extra-Rollenverhalten an soziale Reziprozitäten gekoppelt. Die an die Einführung von leistungsorientierten Entgelten gerichteten Erwartungen im öffentlichen Dienst sind hoch. Standen in der Vergangenheit als Anforderung vor allem Zeit und Bereitschaft im Fokus der Arbeitsbeziehungen im öffentlichen Dienst – also der Austausch von Sicherheit des Arbeitsplatzes gegen Loyalität und Verpflichtung – steht aktuell die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter im Mittelpunkt der Bemühungen. Abbildung 5.7 zeigt diese Veränderung im Tauschverhältnis.
Empirische Analyse
Bisherige Arbeitsbeziehungen im öffentlichen Dienst
233
Erwartung Arbeitgeber
Anreizgestaltung
Erwartung Arbeitnehmer
Loyalität und Bindung
Fixe Entgelte
Sicherheit
Variable Entgelte
Gerechtigkeit
(Relationaler Vertrag) Aktuelle Arbeitsbeziehungen im öffentlichen Dienst (Transaktionaler Vertrag)
LeistungsOrientierung (Extra-RollenVerhalten)
Abb. 5.7: Relationaler und transaktionaler Vertrag
An die Veränderung des relationalen in einen transaktionalen Vertrages knüpfen aber auch die Beschäftigten Bedingungen. Das Ziel, die Leistungsmotivation der Beschäftigten durch ökonomische Anreize zu erhöhen, verbinden diese mit der Erwartung im Prozess der Beurteilung fair und gerecht behandelt zu werden. Dies belegen die Befunde dieser Arbeit. Von zentraler Bedeutung sind die kommunikative Integrität und Kompetenz der Vorgesetzten. Zu dem sind Führungskräfte im öffentlichen Dienst in der Regel nicht auf ihre neue Rolle als Beurteiler vorbereitet. Es genügt daher nicht den Implementierungsprozess von Beurteilungen seitens der Organisationsleitungen anhand der Kriterien „Transparenz“ und „Kommunikation“ zu gestalten, darüber hinaus sind vor allem die Führungskräfte systematisch auf ihre neue Rolle vorzubereiten und im Prozess der Beurteilung zu unterstützen.
„Ziele und Wege – Viele sind hartnäckig in Bezug auf den einmal eingeschlagenen Weg, wenige in Bezug auf das Ziel.“ (Friedrich Nietzsche)
6 Resümee
In der vorliegenden Arbeit wurden die Funktionen und Folgen von leistungsabhängigen Entgeltbestandteilen vor dem Hintergrund der Reformbemühungen im öffentlichen Dienst diskutiert. Der aktuelle Reformprozess, als dessen Ausgangspunkt das „Neue Steuerungsmodell“ (KGSt 1993) gilt, unterscheidet sich von früheren Ansätzen insbesondere durch eine Fokussierung auf betriebswirtschaftliche Überlegungen und Vorschläge. Ein zentrales personalwirtschaftliches Instrument in diesem Prozess ist die Einführung von monetären Anreizsystemen. Damit rückt das Engagement der Beschäftigten in den Mittelpunkt der angestrebten Verbesserung der öffentlichen Dienstleistung. Die Förderung ihrer Motivation und ihrer Flexibilität werden als zentrale Elemente für den Erfolg der Reform gesehen. Nach zögerlichem Gebrauch der Möglichkeiten, die das Dienstrechtsreformgesetz und der Rahmentarifvertrag über Leistungszulagen und –prämien im kommunalen Bereich seit gut zehn Jahren boten, drängt nun der 2005 abgeschlossene Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) auf die Einführung von leistungsbezogener Bezahlung. Damit ist zu erwarten, dass auch der Umsetzungsdruck für den Bereich der Beamten steigt. Mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) ist erstmals bundesweit verbindlich eine tarifliche Rahmenregelung über Leistungsentgeltsysteme und Leistungsbezahlung für die Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst vereinbart worden. Beginnend ab dem 1. Januar 2007 wird schrittweise ein Leistungsentgelt eingeführt, das zusätzlich zum Tabellenentgelt eine variable, leistungsabhängige Bezahlung regelt. Neben der Motivation und der Eigenverantwortung soll, so die Formulierung im Tarifvertrag, auch die Führungskompetenz der Beschäftigten verstärkt werden. Für die Feststellung oder Bewertung von Leistungen sieht der TVöD zwei Methoden vor: Die Zielvereinbarung und/oder eine systematische Leistungsbewertung. Beide Optionen stellen für das Personalmanagement öffentlicher Organisatio-
236
Resümee
nen „Neuland“ dar, da bisher das Instrumentarium der Leistungsbeurteilung im öffentlichen Sektor nur unzureichend adaptiert wurde und entsprechend wenige Erfahrungen vorliegen (vgl. beispielsweise Matiaske, Holtmann und Weller 2005, 2007). Kritisch anzumerken ist, dass mit der Einführung leistungsorientierter Entgeltbestandteile nicht nur Fragen der Auswahl geeigneter personalwirtschaftlicher Instrumente und ihrer Implementierung verbunden sind, sondern im Hinblick auf die personalwirtschaftlichen Zielsetzungen des „Neuen Steuerungsmodells“ auch Interdependenzen mit Aufgaben der Personal- und Organisationsentwicklung und nicht zuletzt mit Fragen der Kulturveränderung in öffentlichen Organisationen berücksichtigt werden müssten. Entsprechend sollte leistungsbezogene Bezahlung nicht isoliert implementiert werden, sondern in ein systematisches personalwirtschaftliches Konzept eingebunden sein. Empfehlenswert ist es, auf Grundlage des strategischen Human Ressource Management ein Konzept zu entwickeln, in dem die Entgeltfindung einen zentralen Stellenwert erhält (Oechsler und Vaanholt 1998). Allerdings wird der gesamte „Unterbau“ personalwirtschaftlicher Systeme und Instrumentarien im Tarifvertrag als unproblematisch vorausgesetzt. Sowohl Arbeitgeber- wie Gewerkschaftsseite favorisieren aktuell einseitig Verfahren der Zielvereinbarung für alle Beschäftigungsgruppen im öffentlichen Dienst. Daher wird in dieser Arbeit der personalwirtschaftliche Variantenreichtum von Personalbeurteilungsverfahren ausführlich aufgezeigt. Die Aufarbeitung und Diskussion der Instrumente veranschaulicht zum einen, dass Verfahren zur Leistungsbeurteilung den intendierten führungspolitischen und personalwirtschaftlichen Funktionen entsprechen sollten und die Verfahren sowohl mit unterschiedlich hohen Anforderungen an die Beurteiler sowie unterschiedlichem Zeitaufwand verbunden sind. Zum anderen ist hervorzuheben, dass Zielvereinbarungsverfahren üblicherweise in ein umfassendes „Management by Objectives“ integriert sein müssen und ihre Anwendung letztlich ausschließlich nur für Managementfunktionen als empfehlenswert gelten (Oechsler 2001). An die Einführung leistungsorientierter Entgelte werden seitens der Akteure weitreichende Befürchtungen und Erwartungen geknüpft. Neben methodischen Anforderungen rückt damit als Voraussetzung positiver Verhaltenswirksamkeit – die im Kontext der vorliegenden Arbeit als Förderung des Extra-Rollenverhaltens interpretiert wird – die wahrgenommene Gerechtigkeit der Beurteilungsverfahren durch die Betroffenen in den Mittelpunkt der Diskussion. Bedeutsam sind in diesem Kontext
Resümee
237
drei Gerechtigkeitsfacetten: Die Verteilungs-, die Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit. Um auf individueller Ebene die Wirkungen von Leistungsbeurteilungen und – entlohnungen zu erklären, setzt die Entwicklung des theoretischen Bezugsrahmens dieser Arbeit am Leitbild des „engagierten Mitarbeiters“ der aktuellen Reform des öffentlichen Dienstes an. Mit der Einführung variabler Entgeltbestandteile im öffentlichen Dienst sollen Leistungsanreize zu spezifischem Arbeitsverhalten gesetzt werden, die über die „Normalleistungen“ hinausgehen. Die Verhaltensweisen von Mitarbeitern, die das formal Fixierte übersteigen, lassen sich aus organisationstheoretischer Sicht als Extra-Rollenverhalten beschreiben. Das Konzept des Organizational Citizenship Behaviour (OCB) von Organ (1988) beschreibt – in Analogie zur Tugendhaftigkeit des Staatsbürgers – die Verhaltensweisen eines engagierten „Organisationsbürgers“: Organisationsmitglieder sollen am Leben der Organisation teilhaben, Verantwortung übernehmen, Hilfsbereitschaft und Eigeninitiative zeigen sowie gewissenhaft und unkompliziert handeln. Das Konzept des OCB hat als wichtiger Verhaltensindikator für einen umfassenderen Leistungsbegriff zunehmend an Bedeutung gewonnen und gilt in der organisationspsychologischen Forschung mittlerweile als empirisch gut erkundetes Konstrukt. Zu den bekannten Einflussgrößen zählen die distributive und prozedurale Gerechtigkeit (Moorman, Niehoff und Organ 1993). In der vorliegenden Arbeit wird dieser Zusammenhang aufgegriffen: Die im Kontext der Leistungsbeurteilungen diskutierten Facetten der organisationalen Gerechtigkeit werden mit den Dimensionen des OCB in Beziehung gesetzt. Die Leitannahmen dieser Arbeit formulieren die in der verhaltenstheoretischen Organisationstheorie postulierte positive Beeinflussung des Extra-Rollenverhaltens durch Aspekte der Verteilungs-, Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit. Darüber hinaus werden die Verfahrens- und Interaktionsgerechtigkeit als notwendige Bedingung für organisationsdienliches Verhalten betont. Neben der Verhältnisbestimmung zwischen den Facetten der organisationalen Gerechtigkeit und gezeigtem Extra-Rollenverhalten spiegeln die Leitannahmen vor allem die Vermutung wider, dass der Reformprozess des öffentlichen Dienstes, der auf personeller Ebene mit einer radikalen Dynamisierung des psychologischen Vertrages vom relationalen zum transaktionalen Vertrag beschrieben werden kann, nur dann gelingt, wenn das neue Prozedere der Vergabe von Leistungsentgelten einer fairen Handhabung obliegt und gerechte(re) Bedingungen schafft.
238
Resümee
Das der vorliegenden Studie zu Grunde liegende Forschungsdesign basiert auf einer Begleitforschung zur Einführung von Leistungsvergütungen in vier kommunalen Betrieben und hatte zum Ziel, sowohl Stimmen der Befürworter als auch Kritiker von Leistungsbeurteilungen zu Wort kommen zu lassen. Neben Experteninterviews mit den Betriebsleitungen bezüglich ihrer Erwartungen und Zielsetzungen bei der Einführung des neuen Instrumentariums, stand die subjektive Wahrnehmung des neuen Prozedere bei den Betroffenen im Zentrum der problemorientierten Interviews. Dezidiert befragt wurden sowohl Beurteilte wie auch Beurteiler in den Betrieben. Die zentralen Befunde der Analyse informieren detailliert über die subjektiven Gerechtigkeitswahrnehmungen der Betroffenen. Sowohl Beurteiler als auch – wenn auch im geringeren Maße – Beurteilte begrüßen die neue leistungsabhängige Verteilung der Zulagen. Im Grundsatz stehen sie dem „Beitragsprinzip“ offen gegenüber. Als kritisch werden jedoch betriebsspezifische Einschränkungen, wie etwa „altersgebundene“ Besitzstandsregelungen, „Deckelungen“ etc. im Verteilungsprozess angesehen. In Folge dominieren – ebenso für die Gruppe der Beurteiler wie der Beurteilten – Aspekte des Verfahrens selbst und des Kommunikationsprozesses. Das Fairnessurteil der Beurteilten ist im Wesentlichen abhängig von einer transparenten und soliden Umsetzung des Verfahrens wie auch von der Wertschätzung ihrer Person im Rahmen des Mitarbeitergesprächs. Eine Einflussnahme der subjektiven Gerechtigkeitswahrnehmungen auf das intendierte Leistungsverhalten der Mitarbeiter konnte allerdings nicht in allen Dimensionen des OCB nachgezeichnet werden. Jedoch wurde im Rahmen der Analyse deutlich, dass die Gerechtigkeitsurteile der Betroffenen Hinweise geben, ob die Beschäftigten bereit sind die Veränderungen in ihren Betrieben mit zu tragen. Die im Verhältnis zur Gerechtigkeitswahrnehmung der Betroffenen deutlich geringere Thematisierung organisationsdienlicher Verhaltensweisen in den Interviews ist vermutlich auf dem gewählten Zeitpunkt der Erhebung zurückzuführen. In einem der vier untersuchten Betriebe konnten aufgrund der zeitlichen Nähe zur Einführung der Leistungsbeurteilungen die positiven und negativen Folgen nur eingeschränkt erfragt werden. Wünschenswert wäre es aus methodischer Sicht darüber hinaus gewesen, nicht nur einen einmaligen Befragungszyklus, sondern eine mehrfache Erhebung über einen längeren Zeitraum hinweg zu realisieren. Ein längerer Beobachtungszeitraum hätte ermöglicht, auch die intendierte Verbesserung der Führungskompetenz in das Forschungsdesign mit einbeziehen zu können. Die Auslegung von
Resümee
239
Anreizsystemen und ihre Handhabung durch die Führungskräfte könnte ein weiterer wichtiger zu vertiefender Gestaltungsparameter des Implementierungsprozesses von Leistungsbeurteilungen im öffentlichen Dienst sein. Damit sind Hinweise für die weitere personalwirtschaftliche Forschung angesprochen. Bislang kann der öffentliche Dienst als vernachlässigtes Gebiet der empirischen Personal- und Organisationsforschung gelten. Dies ist vor allem darauf zurück zu führen, dass der öffentliche Dienst bislang über ein „unterentwickeltes“ Personalmanagement bzw., anders formuliert, nahezu ausschließlich über eine Personalverwaltung verfügt. Jedoch ist zu erwarten, dass sich die Institutionalisierung der Personalarbeit in öffentlichen Organisationen – ausgehend von den personalwirtschaftlichen Zielen des aktuellen Reformprozesses und der damit für die Beschäftigten verbundenen Dynamisierung des psychologischen Vertrages – gravierend verändern wird. Insbesondere die mit der Neuregelung von Leistungsentgelten verbundenen Leistungsbeurteilungen könnten Ausgangspunkt der Entwicklung eines spezifischen Personalmanagements im öffentlichen Dienst sein. Die derzeitigen Diskussionen zu Fragen der Umsetzung der im TVöD verankerten leistungsorientierten Vergütung verdeutlichen die erhebliche Nachfrage nach personalwirtschaftlichen Wissen, um die in der Privatwirtschaft etablierten Instrumente auf die Gegebenheiten öffentlicher Organisationen anzupassen. Entsprechend zeichnet sich für die Forschung erheblicher Nachholbedarf ab, zumal ansonsten die Gefahr besteht, dieses Feld alleinig dem Beratungssektor zu überlassen. Der Zeitpunkt ist denkbar günstig dem öffentlichen Dienst mehr Aufmerksamkeit zu widmen, vorausgesetzt die Personalforschung ist interessiert mehr über die Entwicklung eines Personalmanagements im öffentlichen Dienst und dessen Rahmenbedingungen zu erfahren. Inwieweit die mit den Zielvorstellungen des Reformprozesses im öffentlichen Dienst verbundene Adaption von personalwirtschaftlichen Instrumenten der Privatwirtschaft immer wünschenswert und zweckmäßig ist, gilt als fraglich. Bezahlung nach Leistung ist eine attraktive Idee, jedoch ist der Leistungsvergütungsanteil im öffentlichen Sektor zumeist ein relativ kleiner Prozentsatz des Grundgehalts und wird von den Beschäftigten, insbesondere in nicht leitenden Positionen, häufig als zweitrangig betrachtet. Am stärksten motivieren bisher im öffentlichen Dienst eher die
Beschäftigungssicherheit,
Arbeitsinhalte
und
transparente
Aufstiegsoptionen.
Allerdings ist festzuhalten, dass der öffentliche Sektor in Deutschland keinen Sonderweg beschreitet. Die OECD (2005) stellt in einer Zusammenstellung der globalen
240
Resümee
Reformanstrengungen fest, dass zwar noch vor zwei Dekaden leistungsbezogene Vergütung im öffentlichen Sektor nahezu unbekannt waren, diese jedoch mittlerweile weite Verbreitung gefunden haben. Die in anderen OECD-Mitgliedstaaten eingeführten leistungsbezogenen Vergütungssysteme werden nicht unbedingt als Beweis für die Effizienz eines solchen Systems interpretiert. Vielmehr wird seitens der OECD der Hauptgrund für die breite Implementierung vor allem darin gesehen, dass mit der Einführung leistungsorientierter Vergütung andere notwendige organisatorischen Veränderungen, wie etwa eine Professionalisierung der Personalführung und Optimierung der Arbeitsorganisation, Klarstellung von Aufgaben, Erwerb von Kompetenzen, Schaffung eines besseren Dialogs zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten, mehr Teamarbeit und erhöhte Flexibilität in der Erbringung der Arbeitsleistung erleichtert werden. Dementsprechend führen finanzielle Anreize nicht unmittelbar zu einer Leistungssteigerung, sondern gelten vielmehr als Katalysator der Veränderungen und des Aushandelns eines neuen „Leistungsdeals“. Entsprechend werden im Rahmen einer neuen Arbeitskultur positive Auswirkungen auf die Arbeitsleistung erwartet. Demgegenüber ist der Prozess der Einführung von variablen Entgeltbestandteilen auch seitens der Beschäftigten, mit hohen Erwartungen verbunden. Zu berücksichtigen ist, dass bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im öffentlichen Dienst der Wunsch nach einem „gerechten“ System besteht. Der Bezugsrahmen dieser Arbeit und die Ergebnisse der Untersuchung zeigen wichtige Gestaltungsparameter auf: Der finanzielle Anreiz könnte, zumindest in der zukünftig angestrebten Vergabe von 8 Prozent des Entgeltaufkommens ein wichtiger ausschlaggebender Motivationsfaktor für die erhofften positiven Effekte der leistungsorientierten Bezahlung sein. Eine erfolgreiche Umsetzung von Verfahren zur leistungsorientierten Entgeltbestimmung ist von der Akzeptanz der Beschäftigten abhängig. In Analogie der Facetten der organisationalen Gerechtigkeit bedeutet dies vor allem, dass ausreichende Möglichkeiten der Partizipation der Mitarbeiter bzw. der Personal- und Betriebsräte und die Transparenz des gesamten Beurteilungsablaufs gewährleistet sein sollten. Neben der methodischen Güte der Verfahren ist darüber hinaus eine stärkere Berücksichtigung der kollektiven oder Gruppenleistung auf Team- oder Abteilungsebene zu berücksichtigen. Die (zwischenmenschliche) Interaktion der Akteure ist von zentraler Bedeutung für das Gerechtigkeitsempfinden der Mitarbeiter. Neben ausreichend informationellen Aspekten, einem ständigen Dialog und Informationsaustausch bewerten
Resümee
241
die Mitarbeiter das Mitarbeitergespräch als Zeichen der ihnen entgegengebrachten Wertschätzung. Entsprechend wird eine mangelnde kommunikative Integrität der Vorgesetzten als Geringschätzung ihrer Person interpretiert und beeinflusst rückwirkend ihre Einstellung zur Beurteilung an sich. Eben diese Führungs- und Gesprächskompetenz der Vorgesetzten im öffentlichen Dienst, auf die die wenigsten Vorgesetzen vorbereitet zu scheinen sein, wird bei der Fokussierung von Verfahren der Zielvereinbarung zukünftig einen hohen Stellenwert besitzen. Folglich gilt, dass die Auswahl und Ausgestaltung eines Beurteilungssystems ebenso von den auf Ebene der einzelnen Organisation intendierten Zielen als auch der jeweiligen (Führungs-) Kultur einer Verwaltung abhängig ist. Eine Patentlösung gibt es nicht. Aus praxeologischen Gründen ist es empfehlenswert ein System zu implementieren, das für möglichst alle Beschäftigten unabhängig von ihrer Position und ihren Arbeitsgebieten geeignet ist. Die geführten Diskussionen zeigen darüber hinaus, dass mit der Installation leistungsbezogener Entgeltsysteme nicht nur die Förderung der Mitarbeitermotivation einhergehen kann, sondern auch genutzt werden sollte, um die Personalführungskompetenz in öffentlichen Organisationen zu thematisieren und zu verbessern. Im Fazit ist festzuhalten, dass der angestoßene Veränderungsprozess die Chance zum Aufbau eines Personalmanagements eröffnet. Zum Abschluss dieser Arbeit möchte ich auf zwei Argumentationslinien zurückbinden. Einerseits ist die legitimatorische Funktion von Leistungsentgelten im öffentlichen Dienst, die im „Neuen Steuerungsmodell“ (KGSt) unter der Überschrift „Legitimationslücke“ angeführt worden ist, in den einleitenden Überlegungen dieser Arbeit hervorgehoben worden. Letztlich ist die in dieser Diskussion aufgeworfene Frage, inwieweit dem aktuellen Reformtypus weniger ein verwaltungsinterner Ursprung, dem in der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Reformgeschichte zumeist nur begrenzter Erfolg attestiert wird, sondern verwaltungsexterner Druck zugrunde liegt, für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst weniger bedeutsam. Relevant ist an dieser Stelle für die Beschäftigten, dass dem Steuerzahler signalisiert wird, dass ihre Leistungen einer wirksamen Kontrolle unterliegen. Damit können die Beschäftigten im öffentlichen Dienst möglicherweise ein Stück Anerkennung zurückgewinnen, das in der oftmals pauschalen Kritik an den Leistungen ihrer Organisationen in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen ist. Andererseits gilt es gegenüber der aufkeimenden Kritik am aktuellen Reformprozess und insbesondere an den Reformdefiziten
der
neuen
Entgeltfindung
im
öffentlichen
Dienst
(beispielsweise
242
Resümee
Oechsler 2007), die zumeist vor dem Hintergrund der gescheiterten Dienstrechtsreform der 70er Jahre formuliert wird, die prinzipielle Offenheit von Veränderungsprozessen zu betonen. Deshalb möchte ich diese Arbeit mit einem Zitat von Luhmann (2005, S. 418 f.) beschließen: „Reformen werden zwischen Vergangenheit und Zukunft eingeklinkt. Sie nutzen den Umstand, dass die Vergangenheit bekannt, die Zukunft hingegen unbekannt ist. Die Vergangenheit ist jedoch nur deshalb bekannt, weil das, was vergessen wird, unbekannt bleibt. Insofern gehört ein verschwiegenes Vergessen, nämlich das Vergessen der Gründe, aus denen frühere Reformen gescheitert sind, zu den wichtigsten Ressourcen der Reformer. Es erlaubt es ihnen, für ihr Vorhaben Neuheit in Anspruch zu nehmen. Die Zukunft dagegen ist, von der Gegenwart aus gesehen unbekannt. Sie ist gegenwärtig noch nicht bestimmt; und genau das gibt der Gegenwart die Chance, die Zukunft zu bestimmen.“
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Zeitschrift für Personalforschung
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management revue
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Journal for East European Management Studies Editor-in Chief: Rainhart Lang ISSN 0949-6181, four times a year. Institutional rate, print + online-access: € 150.Privat, only print: € 60.For delivery outside Germany an additional € 12.- are added. Single issue: € 19.80.
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