Atlan - Minizyklus 07 Flammenstaub Nr. 09
Eschens Welt von Christian Schwarz
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Atlan - Minizyklus 07 Flammenstaub Nr. 09
Eschens Welt von Christian Schwarz
Auf den von Menschen besiedelten Welten der Milchstraße schreibt man das Jahr 1235 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Der unsterbliche Arkonide Atlan kämpft in der Galaxis Dwingeloo gegen die mysteriösen Lordrichter. Er fliegt zur Intrawelt, um dort den Flammenstaub, der eine ultimate Waffe sein soll, zu besorgen. Atlan trägt nun den Flammenstaub in sich. Aber je intensiver er ihn benutzt, desto verheerender ist sein Einfluss auf Psyche und Körper. Auf der Vulkanwelt Ende kann er den Großteil der lebensgefährlichen Substanz loswerden. Anschließend findet das scheinbar zufällige Treffen mit den Cappins statt. Der Arkonide wird per Pedopeiler in die Galaxis Gruelfin befördert. Dort gerät er in die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Ganjasen, Takerern und Juclas. Um Letztere vor den Lordrichtern zu warnen, reist er zur Thein-Versammlung, die von den Zaqoor blutig niedergeschlagen wird. Im Zuge der Flucht entdecken Atlan und seine Begleiter einen vergrabenen Sammler, das gigantische Robotschiff MITYQINN. Zusammen mit der Jucla-Flotte verfügt Atlan nun über beträchtliche Machtmittel. Nachdem der Widerstand in der Freihandelszone Susch organisiert ist, bricht er auf, um den vierten Stamm der Rhoarxi zu suchen, nach ESCHENS WELT …
Eschens Welt
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide setzt den Flammenstaub ein. Kaystale - Die Takererin kämpft an der Seite Atlans. Florymonthis - Die »Roboter-Dame« bietet ihren Transmitter-Service an. Saryla - Der Lordrichter stellt Atlan eine Falle.
»Du weißt, was du zu tun hast?« »Ja, Schwert der Ordnung! Ich werde tun, was du verlangst.«
1. 25. Oktober 1225 NGZ Zafiru Die 497 Tropfenraumer der Daorghor fielen nach einer längeren Hyperraumetappe fast zeitgleich in den Normalraum zurück. Zafiru, Stellvertretender Kommandant des Flaggschiffes GARBACHON, starrte auf die Orterholos. Sie zeigten, nachdem die hohe Sternendichte im Hintergrund ausgefiltert war, eine gut fünfzehn Kilometer durchmessende, eiförmige Raumstation mit 220 Auslegern. Das Angriffsziel! Kommandant Mochgandach, gleichzeitig auch leitender Offizier dieser Operation, analysierte die Lage innerhalb von zwei Sekunden. »Wir greifen an«, sagte er. Zafirus dünne Antennenfühler begannen plötzlich leicht zu zucken, ein untrügliches Zeichen aufkommender Nervosität. »Dort vorne stehen über 40.000 Verteidigungseinheiten im Raum, darunter ein wahres Monster von über 60 Kilometern Länge und 30 Kilometern Breite«, sagte er laut, bevor Kommandant Mochgandach den offiziellen Angriffsbefehl an die 75. Flotte der Daorghor geben konnte. »Dass die Station von derart starken Kräften geschützt wird, hat uns niemand gesagt. Wir werden in unser Verderben fliegen.« Die Routineabläufe erstarben. Totenstille breitete sich in der Zentrale aus. Jeder Anwesende hielt ob dieser frevelhaften Worte
unwillkürlich den Atem an. Kommandant Mochgandach drehte sich blitzschnell um. Er starrte seinen Stellvertreter, mit dem ihn eine tiefe gegenseitige Abneigung verband, aus tiefschwarzen Facettenaugen an. Die Scherenspitzen an den Klauen öffneten und schlossen sich in unregelmäßigem Rhythmus. Ein deutliches Warnzeichen! »Höre ich da Angst aus deinen Worten, Zafiru?« »Es gibt keine Angst, es gibt nur Trodar«, zitierte Zafiru aus der Litanei der Horden, die als zentrale Philosophie der lordrichterlichen Truppen zu betrachten war. »Es gibt kein Leben, es gibt nur Trodar. Es gibt keinen Tod, es gibt nur Trodar. Verlasse ich diese Existenz, warten die Freuden der Großen Horde auf mich. Ich bin stark und unüberwindlich. Wie könnte ich da Angst haben, Kommandant? Du weißt genau, dass auch mein ganzes Sehnen dem ewigen Leben in der Großen Horde gilt. Doch zuvor haben wir die Aufgaben, die uns Trodar auf dieser Existenzebene stellt, so gut wie möglich zu lösen.« Zafiru wankte nicht unter dem immer drohender werdenden Blick des Kommandanten. »Wir sind die Speerspitzen der Lordrichter«, fuhr er unbeirrt fort, »die vielen Finger des Schwerts der Ordnung. Solange wir hier in dieser Galaxis namens Gruelfin noch nicht genügend Finger sind, dürfen wir nicht einfach unserer Sehnsucht nachgeben und uns in die Große Horde verabschieden. Ein solches Verhalten ist als Verrat an den Lordrichtern und am Schwert der Ordnung zu werten. Du weißt es wie ich: Diese erweiterte Interpretation Trodars stammt von Erzherzog Wachu-Garbogha und erging überdies an alle Garbyor in Gruelfin. Sie gilt bis auf
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weiteres. Ich bin deswegen gezwungen, dir Einhalt zu bieten, Kommandant Mochgandach. Brich den Angriff ab. Erzherzog Wachu-Garbogha wird es dir danken und dich belobigen.« Mit einer kaum nachvollziehbaren Bewegung löste Mochgandach den Handstrahler von der Magnetplatte am Gürtel und erschoss seinen Stellvertreter ohne das geringste Zögern. »Du konntest es nicht wissen, Zafiru, aber dieser Einsatzbefehl kommt von Lordrichter Saryla höchstselbst.« Mochgandach starrte auf die Leiche, von deren Brustkorb übel riechender Qualm verbrannten Chitins aufstieg und die Zentrale verpestete. »Was dich das Leben kostete, waren dein Zweifeln an mir und das Infragestellen meiner Liebe zu Trodar. Schafft ihn weg.« Drei Reinigungsroboter schwebten herein, ergriffen die Leiche mit ihren Langzangen und legten sie auf ein Antigravkissen. »Die Daorghor-Lanze bilden!«, befahl Mochgandach per Rundruf den anderen Schiffskommandanten. »Wir greifen an. Nur die Besten und Stärksten werden überleben. So will es Trodar.« Dass Trodar die Schwächeren und nicht ganz so Guten für ihr Versagen mit dem vorzeitigen Eingehen in die ewige Große Horde auch noch belohnte und erhöhte; daran verschwendete kein Garbyor auch nur einen Gedanken.
2. Rutmosch-Nertschypon 1066. »Dieser Mistkerl kann froh sein, dass ich ihm für seine Unverschämtheiten nicht gleich den widerlichen, fetten TakererWanst aufgeschlitzt habe«, schnaubte Rutmosch-Nertschypon 1066. vom kleinen, eher unbedeutenden Clan der Comydyn. »Aber wenn sich unsere Wege noch einmal kreuzen sollten, werde ich genau das tun. Ich schwör's beim Ewigen Ganjo.« Rutmosch-Nertschypon 1066. stand in der Zentrale seiner ASSINIBOYN und konnte
sich noch immer nicht beruhigen, obwohl der Vorfall fast eine halbe Stunde zurücklag. Sein gerechter Zorn, der durch das zustimmende Murmeln und Nicken der Zentralebesatzung immer weiter angestachelt wurde, galt dem Weichenwärter Eleyre. Dieser Sohn einer takerischen Lustdirne hatte die Stirn besessen, auch noch Geld für seine Dienste zu verlangen! Rutmosch sah das als glatten Betrugsversuch an. Das kannst du mit anderen machen, du takerischer Schweinehund, aber nicht mit einem Rutmosch-Nertschypon 1066. Dir hab ich's aber gezeigt, was? Ha! Ab jetzt wird alles anders im Clan der Comydyn. Wir haben uns viel zu lange klein halten lassen. Aber ist das ein Wunder, wenn jahrhundertelang Feiglinge, Psychopathen und Schmalhirne das Sagen haben? Comydyn, dankt allen Göttern, dass ich jetzt euer Anführer bin, denn ich werde uns dorthin bringen, wo wir schon längst hingehören, gleich hinter die mächtigen Murras nämlich. Ach was, noch vor sie natürlich. Hab ich's nicht immer gesagt, dass mein Alter viel zu einfältig und zu blöd dazu war? Hab ich, natürlich. Immer und immer wieder. Ich bin da völlig anders. Mutiger. Durchsetzungsfähiger. Intelligenter. Und ich werde künftig der Stachel in Krand'har Abenwoschs Fleisch sein und ihm meine Meinung so verkaufen, dass ihm Hören und Sehen vergeht. Wie kann man sich von einem so undurchsichtigen Kerl wie diesem Atlan einfach die Navigation aus der Hand nehmen lassen? Wer sagt denn, dass der damals wirklich mit Ovaron unterwegs war, hm? Das hätte dieser seltsame Heilige mit seinen langen weißen Haaren mal mit mir probieren sollen. Dem hätte ich derart viele Widerworte gegeben, dass er nicht mehr gewusst hätte, ob sich sein Kopf noch auf dem Hals befindet oder bereits am Hintern angewachsen ist. Ja, sie sollen mich kennen lernen. Und irgendwann werde ich Krand'har anstelle des Krand'hars … Rutmosch-Nertschypon 1066. wischte einen zufällig herumliegenden Raumhelm beiseite. Er schaffte es tatsächlich, seine All-
Eschens Welt machtsfantasien zu unterbrechen, während er sich in den Kommandantensessel pflanzte. Sofort wurde er etwas ruhiger ob des guten Gefühls, das ihn überkam. Der zwölfjährige Jucla hätte nicht geglaubt, dass er diesen Platz schon so bald innehaben würde. Doch durch das furchtbare Gemetzel auf dem Mond Eptascyn im Sternhaufen Eschnat, dem sein Vater mit unzähligen anderen Juclas vor wenigen Tagen zum Opfer gefallen war, hatte das Schicksal die Weichen für ihn auf Hellbraun gestellt. Er beobachtete auf dem Zentralholo, wie die Sternenstation BOYSCH allmählich zurückfiel. An Weiche 187, die bis vor kurzem noch von der ASSINIBOYN belegt wurde, dockte soeben ein anderes Jucla-Schiff an, um in aller Eile verbesserte technische Modifikationen verpasst zu bekommen und Schäden ausbessern zu lassen. Das heißt, es versuchte anzudocken. Aber es bekam anscheinend keine Erlaubnis. Unverwandt drehte es wieder ab und schwebte in den freien Raum hinaus. Es interessierte Rutmosch nicht wirklich. Was gingen ihn die anderen Clans an? Momentan musste er mit ihnen zusammenarbeiten, gut, aber das würde auch wieder anders werden. Voller Schadenfreude stellte er fest, dass sich nun ein anderer Kommandant mit Eleyre herumärgern musste. Die ASSINIBOYN, ein 800-Meter-Raumer der ABENASCH-Klasse, drehte ab und flog den ihr zugeteilten Sektor 31 an. Ab jetzt gehörte das Schiff wieder zum Verteidigungsschild, den Atlan um BOYSCH herum aufgebaut hatte. Urplötzlich gellte Ortungsalarm durch die ASSINIBOYN. Kurze Zeit später erschien Atlans Gesicht auf den Hauptholos sämtlicher Jucla-Raumer und aller assoziierten Schiffe. Die ungeheure Präsenz des Weißhaarigen, die die ganze Zentrale erfüllte, bereitete Rutmosch fast körperliche Schmerzen. Auch die Tatsache, dass der Arkonide momentan den militärischen Oberbefehl nicht nur über BOYSCH, sondern auch über die 42.000 Jucla-Schiffe innehatte, trug
5 nicht gerade zu seinem Wohlbefinden bei. Hier hatte sich Abenwosch von Atlan eindeutig über den Tisch ziehen lassen. »Angriff auf BOYSCH«, erklang die ruhige, kraftvolle Stimme des Arkoniden. Seine Augen funkelten wieder und wirkten nicht mehr so stumpf wie noch vor Tagen. »Fünfhundert Tropfenraumer der Daorghor, bei denen es sich um Garbyor-Krieger der Lordrichter handelt, fliegen massiert über der Hauptebene an. Die Jucla-Schiffe in den Sektoren 27 bis 30, 33 bis 35 und 17 ziehen sich zusammen und bilden einen doppelten, offensiven Abwehrwall gegen die Garbyor. Feuerfreigabe ist hiermit erteilt. Keine Selbstmordattacken. Sofortige Ausführung. Viel Glück. Die Schiffe der Sektoren 28, 29, 31 und 32 verteilen sich breitflächiger und sichern die entstandene Lücke ab. Ich weise zudem die anderen Jucla-Kommandanten dringend an, in ihren Sektoren zu verbleiben, ebenso die BOYSCH-Wachflotte, die AVACYN und den Sammler MITYQINN. Höchstwahrscheinlich handelt es sich nur um ein Ablenkungsmanöver. Der Hauptangriff könnte aus einer ganz anderen Richtung kommen. Atlan, Ende.« Das Gesicht des Arkoniden erlosch. »Kurs auf Sektor 30 nehmen!«, befahl Rutmosch seinem Piloten mit steigender Erregung. »Wir werden doch nicht den anderen Clans alleine das Vergnügen lassen, diese verdammten Daorghor aus dem All zu blasen. Oder?« Gelächter brandete durch die Zentrale. »Natürlich nicht, Rutmosch. Führ uns in die Schlacht. Dieser Atlan hat uns gar nichts zu befehlen.« »Eben. Die neuen Hybridschirme, Farrusch-Kanone und Initial-Dopplergeschütze hochfahren! Thermo- und Impulsstrahler, Desintegratoren und Abschussrampen für die Marschflugkörper in Bereitschaft halten! Nun wollen wir unsere neuen technischen Einrichtungen doch gleich mal testen.« Jubel brandete auf. Pilot Zaampac gab Schub auf die Impulstriebwerke. Mit maximaler Sublichtbeschleunigung von annähernd 800 km/ s² raste die ASSINIBOYN den Angreifern
6 entgegen. Kurze Zeit später befand sie sich bereits mitten im Pulk der Verteidiger. Durch die bereits erreichte, etwas höhere Beschleunigung gelang es Zaampac mit gewagten Manövern, sich durch die Phalanx ganz nach vorne zu arbeiten. Fast 6000 Schiffe stellten sich den Daorghor entgegen. Die ASSINIBOYN bildete die Spitze des vorderen Abwehrwalls. Drei zivile Schiffe, die sich gerade im Anflug auf BOYSCH befanden, weil sich die Besatzungen hier Schutz vor den lordrichterlichen Truppen erhofften, gerieten zwischen die Fronten. Sie konnten sich nicht mehr rechtzeitig in den Überraum retten und explodierten im Feuersturm der Daorghor-Geschütze. Als sie bis auf sieben Millionen Kilometer heran waren, eröffneten die 750 Meter langen Tropfenraumer, die mit der Spitze nach vorne flogen, das Feuer. Grell leuchtende, turmdicke Strahlbahnen rasten durch die ewige Schwärze und fanden Ziele sonder Zahl. Megatonnen von Energien nicht identifizierbarer Art leckten über die Schutzschirme der in vorderster Front fliegenden Jucla-Schiffe, fraßen sich in sie hinein, tobten sich aus. Direkt neben der ASSINIBOYN explodierte ein kleinerer KELTATRON-Raumer, dessen veraltete Schutzschirme sich als zu schwach erwiesen. Er riss das dahinter fliegende Schiff mit ins Verderben. RutmoschNertschypon 1066. kümmerte es nicht. Nachdem seine eigenen, dreifach gestaffelten Schutzschirme einen Doppeltreffer überstanden und die Energien über Strukturrisse in den Halbraum ableiteten, ließ er selbst, noch außerhalb der eigenen Kernschussweite, das Feuer aus allen Rohren eröffnen. Andere Schiffe taten es ihm nach. Innerhalb von ein paar Sekunden verwandelte sich der Raumsektor in eine Hölle aus Explosionen, Glut, herumschwirrenden Trümmerteilen und Schockwellenfronten. Während sich die meisten Jucla-Raumer zu Angriffskeilen formierten und die gegnerischen Schutzschirme unter Punktbeschuss
Christian Schwarz nahmen, fand sich die ASSINIBOYN plötzlich in einem Zweikampf wieder. Ein besonders großer Tropfenraumer kam direkt auf sie zu und hüllte sie in ein Meer aus tödlicher Energie. Dabei benutzte der Angreifer verschiedene Waffensysteme gleichzeitig. »Schutzschirme bei 80, jetzt 90 Prozent«, meldete Frycca, Leiterin des Bereichs Maschinen und Energieversorgung. »Gut«, gab Rutmosch fast geifernd zurück. Seine ohnehin schon großen Augen waren unnatürlich weit aufgerissen und wirkten, als hätten sie sich im Hauptholo festgefressen, so sehr starrte er darauf. Der Führer des Comydyn-Clans befand sich nicht weit vom Zustand der Ekstase entfernt. »Wir holen uns den Hund. Farrusch-Kanone Feuer frei!« Der Initial-Punktator, nach seinem Erfinder auch als Farrusch-Kanone bezeichnet, transportierte ein hyperenergetisches Anregungsfeld ohne Zeitverlust in den Schutzschirm des Gegners, wo es dessen hyperenergetische Komponenten angriff und zerstörte. Jetzt weitgehend schutzlos, explodierte der Tropfenraumer unter dem Einschlag des nachfolgenden Raumtorpedos, den ein MiniLineartriebwerk ins Ziel gelenkt hatte. Die Filter schafften es nicht mehr, das Licht der gigantischen Explosion zu absorbieren. Eine grelle Lichtflut strömte in die Zentrale der ASSINIBOYN und blendete die Besatzung für einen Moment. Die anrollende Schockwellenfront schüttelte den ABENASCH-Raumer kräftig durch. Es bestand keine wirkliche Gefahr für die ASSINIBOYN. Die Juclas in der Zentrale kreischten und jubelten wie die Irren ob ihres Erfolges. Frycca, mit ihren dreizehn Jahren gerade mal einen Meter fünfzig groß, tanzte mit grotesken Sätzen durch das Herz des Schiffes und schrie: »Noch einen! Ich will noch einen haben!« »Du kriegst ihn, Frycca, du kriegst ihn!«, brüllte Rutmosch zurück. »Wir machen den Nächsten alle. Gleich. Sofort. Umgehend!«
Eschens Welt »Jawohl, ich krieg noch einen. Und noch einen. Und noch einen!« Frycca konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Sie wollte es auch nicht. Im Kampf- und Blutrausch gefangen, suchten sie sich das nächste Ziel. Sie tobten vor Wut, als ihnen ein Jucla-Schiff der KYNOVARON-Klasse den ausgeguckten dicken Brocken vor der Nase wegschnappte, indem es das Tropfenschiff einfach vernichtete. Und sich selbst gleich mit dazu. Rutmosch biss sich so stark auf die Zunge, dass er Blut spuckte. Er bemerkte es nicht einmal. Ein nichts ahnender Beobachter hätte diese Szenen mit Befremden und wachsendem Entsetzen verfolgt. Ein Eingeweihter wie Atlan aber wusste, dass die Jungen Clans gar nicht anders konnten. Seit über fünfzig Jahrtausenden waren sie Gefangene ihres genetischen Programms; erschaffen von einem Takerer-Taschkar, der sie als Schutztruppe für die Außenbezirke seiner Galaxis »konzipiert« und gnadenlose Kämpfer aus ihnen gemacht hatte. Durch diese genetischen Veränderungen lief ihr Leben, das sie als marodierende Raumnomaden bestritten, bis heute beschleunigt und über alle Maßen verhaltensgestört ab, da die einzelnen Komponenten normal-cappinscher Entwicklung hinten und vorne nicht harmonierten. Während ein Jucla mit sechs oder sieben Jahren bereits ausgewachsen war, blieb er im Herzen doch ein Kind, amoralisch und oftmals bestialisch handelnd. So kam es, dass die Juclas in wachsender Raserei ein regelrechtes Scheibenschießen auf die unterlegenen, aber unbeirrbar weiterfliegenden Tropfenraumer veranstalteten. Die Daorghor drehten erst ab, nachdem sie mehr als 250 Schiffe verloren hatten und zwischen erstem und zweitem Verteidigungsring feststeckten, ohne die geringste Aussicht, durchbrechen zu können. Die Raumnomaden verfolgten die fliehenden Schiffe, bis diese im Hyperraum verschwanden. Weitere vier Tropfenraumer explodierten, bevor sie die dazu nötige Ge-
7 schwindigkeit erreichten. Die Juclas feierten begeistert. Der Kampfund Blutrausch ging nahtlos in den Rausch des Sieges über. Noch an Ort und Stelle fielen die Besatzungsmitglieder der ASSINIBOYN wie die Tiere übereinander her und fetzten sich die Kleider vom Leib. Ausnahmslos alle belohnten sich mit einer wüsten Orgie, in der ihr genetisches Material literweise die Besitzer wechselte. Das hatte mit den doch eher gesitteten Liebesspielen, zu denen sie sich hin und wieder in ihren Schwebekugeln trafen, rein gar nichts mehr zu tun. In vielen anderen Jucla-Schiffen spielten sich ganz ähnliche Szenen ab. Die Raumnomaden lebten nur kurz, sie waren gezwungen, alles sehr viel intensiver zu tun als Cappins mit einer normalen Lebensspanne. Nur so konnten sie ihrem Dasein ein klein wenig Sinn verleihen. Nur im Rausch gelang es ihnen, den schnell nahenden Tod, den sie so sehr hassten, für eine Weile zu verdrängen. Sie waren Juclas. Bedauernswerte Ausgeburten eines gewissenlosen Herrschers. Monströs auf ihre ureigenste Art.
* Dreiundzwanzig Tropfenraumer waren nicht unter den wuchtigen Angriffen der Juclas explodiert, sondern lediglich beschädigt worden. Hilflos trieben sie im Raum. Tausende von Daorghor hatten das Gefecht überlebt. Bevor sie noch richtig durchatmen konnten, fielen sie ihren Todesimpuls-Implantaten zum Opfer, die der ebenfalls gestrandete Kommandant Mochgandach auslöste. Als die ersten Juclas an Bord erschienen, waren sie auf erbitterten Widerstand gefasst. Stattdessen fanden sie nur entseelte, etwa einen Meter fünfzig große Insektoide vor, deren Tod sie sich nur zum Teil erklären konnten. Die Mitglieder der Enterkommandos
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knirschten vor Enttäuschung mit den Zähnen. Sie fühlten sich um einen großartigen Kampf betrogen.
3. Saryla Lordrichter Saryla sah sich die HoloAufzeichnungen des Angriffs an. Zuvor ausgeschleuste mobile Minikameras hatten das Geschehen in allen Einzelheiten aufgezeichnet. Das Wesen, das sich an Bord seiner Kirigalo-Einheit auch einmal ohne den Schutz des machtvollen Eishaarfeldes bewegte, vorausgesetzt, niemand sah es, war nicht unzufrieden mit dem Ergebnis. Schließlich stand der Ausgang der Schlacht schon von vornherein fest, reflektierte Saryla amüsiert und ließ sich entspannt in ein Kissen sinken. Er liebte die Bequemlichkeit über alles; die Härte gegen sich selbst war seine Sache nicht. Seine Härte sollten ausschließlich andere zu spüren bekommen. Saryla hatte nicht einen Moment angenommen, dass die Daorghor bei ihrem Anrennen gegen BOYSCH erfolgreich sein könnten. Schließlich waren die Juclas Atlan geschlossen zur Sternenstation gefolgt. Das bedeutete, dass es ihm gelungen war, die Weltraumnomaden hinter sich zu versammeln. Es bedeutete weiterhin, dass sie nun für ihn kämpfen würden, wann immer er es wollte. Die Kampfhandlungen, die er sich gerade so interessiert anschaute, bestätigten seine Annahme bis ins kleinste Detail. Auch wenn sich viele Juclas so undiszipliniert wie eh und je ins Schlachtengetümmel warfen, hatte sie Atlan doch in ihrer großen Mehrheit an die Kette gelegt, wie immer er das auch angestellt haben mochte in dieser kurzen Zeit. Einen winzig kleinen Moment überkam den Lordrichter so etwas wie Unzufriedenheit. Die Juclas waren mit ihrer unbegrenzten Mobilität, wenn sie denn einheitlich auftraten, ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor, den es auszumerzen galt. Eigentlich
hätte das schon beim Mond Eptascyn vor gut zwei Wochen passieren sollen, als sich sämtliche Juclas zu ihrem alle drei Jahre durchgeführten Thein einfanden. Doch das Vorhaben glückte nur zur Hälfte. 42.000 von annähernd 100.000 Schiffen konnten der Falle entkommen. Auch der Weißhaarige hatte sich seinen Verfolgern nach wilder Hatz über den Mond entziehen können, um sich gleich darauf bei den Juclas einzuschleimen. Dieser verfluchte Atlan muss ein großer Führer sein, eine charismatische Figur … Wider Willen schwang so etwas wie Bewunderung in Sarylas Gedanken mit, als ihm der Weißhaarige in den Sinn kam. Zudem bewies Atlan immer wieder, dass er ein überaus gefährlicher, ernst zu nehmender Gegner war, der die Kunst des Krieges in Vollendung beherrschte und den Garbyor alles abverlangte. Aber eines nicht allzu fernen Tages wird auch er unserer Macht nicht mehr gewachsen sein, am Ende muss auch er an uns scheitern … Saryla sah sich weiterhin die Holobilder an. Er genoss die Orgie aus Gewalt und Vernichtung. Immer wieder durchdrang verächtliches Lachen seine privaten Räumlichkeiten, doch kein lebendes Wesen außer ihm nahm es wahr. Er war ganz allein hier. Tatsächlich? Sarylas Gedanken streiften das Schwert der Ordnung. Es stand ihm nicht zu, das Schwert zu kritisieren, und er wollte es auch nicht tun. Trotzdem kam ihm dessen Befehl, schon jetzt in Gruelfin zuzuschlagen, etwas übereilt vor. Gewiss, die Vorbereitungen waren weit gediehen. Trotzdem besaß er noch nicht die Ressourcen, die er brauchte, um die Galaxis endgültig zu erobern. Der Nachschub aus der Heimatgalaxis war nicht so einfach zu bewältigen, denn Vancanar war weit. Nun, er würde das Beste daraus machen. Dass der Befehl zum Zuschlagen eine direkte Reaktion auf seine Eigenmächtigkeit sein könnte, Trodar vorübergehend abzuschwächen, um seine Ressourcen an Garbyor und
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Raumschiffen nicht unnötig zu dezimieren, glaubte Saryla indes nicht. Nun, trotz des momentanen personellen Engpasses hatte der Opfergang der Daorghor doch seinen Zweck erfüllt: Saryla hatte somit seinen unangenehmsten Gegner in Bewegung halten, ihm ein wenig die Luft abschnüren und zudem mal wieder die Moral seiner Truppen testen können. Trodar lebt, dachte er gehässig, als er die letzten vier Tropfenraumer, in wilder Flucht, begriffen, explodieren sah.
4. 25./26. Oktober 1225 NGZ Atlan Ich stand in der Hauptzentrale BOYSCHS, die Beine leicht gespreizt, die Hände in die Hüften gestemmt. Inmitten des Cappin-Gewusels wirkst du wie der berühmte Fels in der Brandung, fest, stark und unerschütterlich, spöttelte mein Extrasinn. Das Charisma, das du ausstrahlst, füllt selbst den kleinsten Raumwinkel zur Gänze. Wenn du meinst … Ich blickte in den gut siebzig Meter durchmessenden Raum, der von lang gezogenen Bildschirmreihen, unzähligen Terminals, Funkanlagen und anderem technischen Gerät dominiert wurde. Ich wirkte nicht nur stark, ich fühlte mich auch so. Endlich wieder! Nachdem ich den Flammenstaub, diese furchtbare, ultimate Waffe, die mich bei jedem Einsatz ein bisschen mehr tötete, tief in mein Innerstes verbannt hatte, fest entschlossen, ihn nie mehr wieder zu benutzen und ihn bei nächstbester Gelegenheit loszuwerden, griffen meine Erholungsmechanismen wieder. Ich starrte mit blitzenden Augen, zusammengepressten Lippen und vorgeschobenem Kinn auf das Hauptholo, das den Verlauf der Schlacht in allen Einzelheiten zeigte. Im Moment fühlte ich mich ganz als Feldherr. Ich bewunderte die Kampfkraft der Juclas und die Leidenschaft, mit der sie sich ins Schlachtengetümmel stürzten. Dass einige
Schiffskommandanten meine Anweisungen missachteten, nahm ich gelassen hin, solange sich die große Mehrheit an die Vorgaben hielt. Richtig so, bestätigte der Extrasinn. Mehr kannst du im Moment nicht von ihnen verlangen. Es ist sowieso schon ein mittleres Wunder, dass dich die Clanoberhäupter fast uneingeschränkt als Heerführer akzeptieren. Ovaron und ich sind da übrigens einer Meinung … Was soll das heißen? Während auf dem Hauptholo die Signaturen der DaorghorRaumer zu Dutzenden erloschen, schweiften meine Gedanken zu Ovarons Bewusstseinssplitter ab, den ich seit zwei Tagen in mir trug. Die sterbende Ganjo-Interpretatorin Samptasch hatte mir das Teilbewusstsein meines alten Freundes sozusagen vererbt. Ich bemerkte allerdings nicht viel davon, da sich der Splitter als äußerst stiller Gast erwies. Ovaron meldete sich nur in Ausnahmefällen. Dabei gewann ich immer mehr den Eindruck, dass der Splitter sehr schwach war. Mein Extrasinn schien allerdings ausführlicher mit dem Ewigen Ganjo zu kommunizieren. Er … Mein Gedankenfluss wurde jäh unterbrochen. Symaltin, ansonsten die Ruhe und Ausgeglichenheit in Person, eilte sichtlich aufgeregt durch die Zentrale. Der grauschwarze Bart des Autokraten wedelte wie ein Pferdeschweif vor seiner breiten Brust. Zwei Schritte vor mir blieb Symaltin stehen. »Atlan«, sagte der kahlköpfige Takerer keuchend, »du musst sofort mitkommen. Draußen wartet der Weichenwärter Eleyre. Er will mit dir reden. Ich konnte ihn nur mit Mühe davon abhalten, die Zentrale zu stürmen.« Ich runzelte unwillig die Stirn. Ärger stieg in mir hoch. »Was denn, jetzt gleich? Du siehst doch, dass ich momentan voll und ganz mit der Verteidigung BOYSCHS beschäftigt bin. Du selbst hast mir die nominelle Oberherrschaft über die vereinigten Streitkräfte der Freihandelszone übertragen.
10 Schon vergessen?« »Nein, natürlich nicht.« Symaltin kroch förmlich in sich zusammen, ein Verhalten, das der befehlsgewohnte Autokrat sicher nicht oft an den Tag legte. Auch er wird von deinem Charisma fast erdrückt, analysierte der Extrasinn. »Es ist allerdings nicht gut, einen Weichenwärter warten zu lassen«, fuhr Symaltin fort. »Sie sind wichtige Leute.« »Und wenn Eleyre der Ewige Ganjo persönlich wäre, musste er im Moment doch warten«, donnerte ich. »Ich kümmere mich um ihn, sobald der Angriff der lordrichterlichen Truppen abgewehrt ist. Richte ihm das aus, Symaltin.« Der Autokrat riss seinen breiten Mund auf, als bekäme er nicht genug Luft, und ließ dabei seine kümmerlichen Mahlzähne sehen. »Aber Eleyre gehört dem Konsortium an …«, wagte er einen letzten Versuch. »Er wartet, bis ich hier fertig bin. Danke, Symaltin.« Ich ließ ihn stehen und wandte mich demonstrativ dem Hauptholo zu. Wie ein geprügelter Hund schlich der Autokrat von dannen. In diesem Moment tat er mir Leid. Aber ich konnte mich momentan wirklich nicht um jede Kleinigkeit kümmern. Zehn Minuten später endete die Schlacht mit einem überwältigenden Sieg der Juclas. In der Zentrale brach riesiger Jubel aus. Einige Cappins lagen sich in den Armen oder schlugen sich mit den Fäusten begeistert vor die Brust. Zwischenzeitlich hatten sich die Ganjasin Carmyn Oshmosh und die Takererin Kaystale zu mir gesellt. Beide gehörten zur Besatzung der AVACYN, mit der ich nach Gruelfin gekommen war. Carmyn, die Kommandantin, beobachtete die Vorgänge lächelnd, während Kaystale, die von den anderen Besatzungsmitgliedern schon mal als »Kampfschwein« bezeichnet wurde, keine Miene verzog. Das tat sie auch sonst nicht häufig. Trotzdem meldete sich der Extrasinn: Sie ist an-
Christian Schwarz ders als sonst. Nachdenklicher, in sich gekehrter … Wen meinst du?, antwortete ich. Carmyn? Natürlich nicht. Carmyn Oshmosh legt ihr Selbstbewusstsein immer dann komplett ab, wenn sie nicht in der Verantwortung steht. Das solltest du langsam wissen. Ich rede von Kaystale. So? Sie wird nicht damit zurechtkommen, dass sie ständig wegen ihres fürchterlichen Aussehens angestarrt wird. Narr. Du redest mal wieder, ohne vorher nachzudenken. Das Angestarrtwerden ist sie seit vielen Jahren gewohnt. Es hat sie nicht im Geringsten gestört, als sie sich unter den Juclas bewegte. Seit sie sich aber hier in BOYSCH aufhält, wirkt sie regelrecht bedrückt. Ich kam einfach nicht dazu, diese Feststellung meines Extrasinns weiterzuverfolgen. »Nur 14 Verluste auf unserer Seite, während die Lordrichter 265 Einheiten verloren haben«, stellte Carmyn mit leiser, kaum verständlicher Stimme und eingezogenen Schultern fest. »Das war ein richtiges Gemetzel. Die Daorghor – so heißen sie doch? – hatten nicht die geringste Chance. Ich hätte den Rückzug schon sehr viel früher befohlen.« »Ja«, erwiderte ich, »wenn man davon ausgeht, dass am Ende die Zerstörung BOYSCHS stehen sollte. Dieser Angriff verfolgte allerdings einen völlig anderen Zweck.« »Welchen?« Carmyn sah mich erwartungsvoll an. Symaltin stand plötzlich wieder vor mir. »Ich möchte ja nicht lästig sein, aber Eleyre wartet. Du verstehst? Er will sich nicht weiter vertrösten lassen.« »Gut, Symaltin. Sag ihm, dass ich in fünf Minuten bei ihm bin.« Du hast ihn beleidigt, meldete sich der Extrasinn erneut. Und wenn schon. Er wird es überleben. Ich kann mich nicht vierteilen. Immer schön eins nach dem anderen.
Eschens Welt Du kannst dich nicht vierteilen? Dann zähl doch einfach mal nach: du selbst, ich, Ovaron und der Flammenstaub. Macht genau vier Bewusstseine in einer Einheit. Muss ich auf diesen Unsinn antworten? Nein, muss ich nicht. Und warum billigst du dem Flammenstaub überhaupt den Status eines Bewusstseins zu? Der Extrasinn schwieg. So nahm ich das unterbrochene Gespräch mit Carmyn wieder auf. »Der Angriff der Daorghor diente nur einem Zweck. Die Lordrichter haben die Insektoiden auf uns gehetzt, um uns am Aufbau eines vernünftigen Widerstands gegen sie zu hindern, zumindest aber ernsthaft zu stören.« »Und dafür opfern sie derart viele Schiffe?« »So haben wir es schon oft erfahren. Die Lebensverachtung der Lordrichter für ihre eigenen Truppen ist erschreckend. Die Garbyor sind lediglich Verfügungsmasse für sie, Garrabofiguren, die man je nach Bedarf hin und her schiebt.« »Was sind Garrabofiguren?« »Garrabo ist ein dreidimensionales arkonidisches Strategiespiel, ähnlich dem terranischen Schach. Kennst du das? Nein, auch nicht? Macht nichts. Aber du entschuldigst mich, Carmyn, ja? Du hast ja selbst gehört, dass Weichenwärter Eleyre es ohne mich nicht mehr aushalten kann. Mal sehen, was diese gewichtige Persönlichkeit auf dem Herzen hat.« Ich grinste breit. Es tat gut, dies wieder zu können. »Eines muss ich zuvor aber doch noch erledigen.« Ich trat etwas abseits und funkte Florymonthis an. Nach einem kurzen Gespräch nickte ich zufrieden. Mit wehenden Haaren marschierte ich aus der Zentrale. Es war, als schiebe ich einen unsichtbaren Pflug vor mir her, der die Cappins in meinem Weg beiseite räumte. In Wirklichkeit wichen sie mir ehrerbietig aus. Kaystale, die Kriegerin, bewegte sich wie ein Schatten hinter mir her. Sie war mir treu ergeben, wenn auch nicht meine offizielle
11 Leibwächterin. Wenn ich allerdings in BOYSCH agierte, hielt sie sich so oft wie möglich in meiner Nähe auf. Ich duldete es, da sie sich nicht aufdringlich verhielt. Draußen, auf dem breiten Gang, stand Symaltin bei einem kleinen, dicken Cappin mit kurzen schwarzen Haaren und einem flächendeckenden Schweißfilm auf der Stirn. Der Kleine, wahrscheinlich Eleyre, fuchtelte mit seinen ringübersäten Wurstfingern in der Luft herum. Als ich aus dem Schott trat, warf er mir vernichtende Blicke zu. Mit kleinen, trippelnden Schritten kam er mir entgegen. »Hör zu, Atlan«, schnaufte er und rieb sich mit einem Tuch den Schweiß durchs Gesicht, ohne ihn wirklich zu entfernen, »was da draußen passiert, interessiert mich nicht, das ist deine Sache. Aber was sich dieser Muschrott Ponyn geleistet hat, ist eine riesenhafte Unverschämtheit. Dieser impertinente Kerl hat mich betrogen. Ich verlange, dass du die Sache auf der Stelle aufklärst. Ich möchte mein Geld haben. Und das nicht erst morgen, sondern noch heute.« Eleyre warf Kaystale misstrauische Blicke zu. Die Takererin war ihm anscheinend nicht geheuer. Mit ihren 180 Zentimetern maß sie einen guten Kopf mehr als Eleyre. Von dem abgesehen, dass sie mit ihrer durchtrainierten Figur ohnehin schon recht martialisch wirkte, ließ sie die linke, verbrannte Gesichtshälfte mit dem künstlichen, grellrot leuchtenden Auge sowie dem kleinen Metalltrichter, der das Ohr ersetzte, geradezu zum Fürchten aussehen. Wie unbeabsichtigt klickte Kaystale mit den Metallgliedern, die drei fehlende Finger der rechten Hand ersetzten. Das hatte einen sofortigen neuerlichen Schweißausbruch Eleyres zur Folge. Ich bekam diese kleine Drohgebärde meines Schattens sehr wohl mit und lächelte amüsiert. »Du bist der Weichenwärter Eleyre?« »So wahr ich hier stehe, bin ich das.« »Gut. Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen. Symaltin hat mir schon viel Gutes
12 von dir erzählt.« Eleyre warf dem Autokraten verblüffte Blicke zu. Der wand sich unbehaglich ob meiner kleinen strategischen Lüge, nickte dann aber doch. »So, hat er das? Nun gut, das freut mich. Aber es entbindet dich nicht von der Pflicht, mir auf der Stelle zu meinem Recht zu verhelfen. Du hast uns schließlich diese … diese Juclas« – er sprach den Namen wie ein Schimpfwort aus – »auf die Station geschleppt.« »Sie sind nicht so schlecht wie ihr Ruf«, beschwichtigte ich. »Und sie haben euch jetzt zum zweiten Mal innerhalb von ein paar Tagen die Haut gerettet. Zuerst der abgewehrte Zaqoor-Angriff, jetzt die Daorghor. Du solltest ihnen wirklich etwas mehr Dankbarkeit entgegenbringen, Eleyre. Kleine Probleme, die selbstverständlich überall mal auftreten können, werden so schnell wie möglich geregelt.« »So schnell wie möglich, richtig? Ich warte hier schon seit geschlagenen zwanzig Minuten auf dich …« Symaltins Multifunktionsarmband piepste. Das Gesicht eines aufgeregten Ganjasen namens Irdyn erschien auf dem Minibildschirm. Ich hörte zusammen mit Eleyre und Kaystale die Botschaft mit. »Symaltin, du musst sofort in die Börse kommen. Bring am besten Atlan gleich mit. Drei Juclas haben ohne offensichtlichen Grund eine Takererin angegriffen und schwer verletzt. Jetzt widersetzen sie sich der Gefangennahme durch die Sicherheitskräfte. Sie haben sich verschanzt und drohen, alles zu erschießen, was in ihrer Nähe auftaucht. Kommt umgehend, sonst gibt es tatsächlich Tote.« Ich kniff die Augen zusammen. »Gut. Wir kommen sofort«, gab ich Irdyn Bescheid. »Schau zu, dass sich die Sicherheitskräfte zurückhalten, bis wir da sind. Los, Symaltin, bring mich sofort zur Börse!« »Aber das geht doch nicht«, protestierte Eleyre. »Ich war zuerst da. Ich verlange, dass du dich um meine Angelegenheit küm-
Christian Schwarz merst. Symaltin, wenn du mich jetzt nicht unterstützt, wird sich das Konsortium überlegen müssen, ob du auch noch für die vierte Periode als Autokrat der geeignete Mann bist.« Es verschlug mir fast die Sprache ob dieser unverschämten Erpressung, obwohl woanders Cappin-Leben auf dem Spiel standen. Symaltin schien hin- und hergerissen. »Ja nun, ich … Du musst verstehen, Eleyre …« Kaystale trat vor den Weichenwärter hin, bevor ich etwas sagen konnte. »Natürlich verstehst du das, Eleyre. Nicht wahr?« Sie fixierte ihn mit hartem Blick. Ihr künstliches Auge blitzte auf. Ich sah diesen kleinen Trick zum ersten Mal. Er half jedoch. Eleyre schluckte schwer und nickte. »Also gut, ich warte. Aber nicht mehr lange. Schaut zu, dass ihr fertig werdet, Symaltin, sonst …« Er verstummte, als Kaystale die Handfläche ihrer Rechten dicht vor sein Gesicht hob.
* Ich eilte mit Symaltin und der Takererin durch die riesige Raumstation. Wir benutzten Schwebebänder und Antigravschächte. Vorbei an der Informationsbörse und den Gerichtssälen gelangten wir schließlich zur Handelsbörse, vor der es einen riesigen Auflauf gab. Soeben transportierten Medorobots auf einer Antigravliege die an zahlreichen Infusionen hängende, angegriffene Takererin ab. Kaystale legte ihrer Landsmännin im Vorbeigehen ganz kurz die Hand auf die Stirn. Sie hat Mitleid mit ihr, meldete sich der Extrasinn. Kann jemand wie Kaystale überhaupt Mitleid empfinden? Seit wann pflegst du derartige Vorurteile, Kristallprinz? Du weißt nicht im Geringsten, wie es unter ihrer harten Schale aussieht. Ich hatte wenig Zeit und Lust, den kleinen Disput fortzusetzen. Wir drängten uns durch die dicht stehende Menge, wobei mir die vor
Eschens Welt mir gehende Kaystale den nötigen Platz verschaffte. Cappins gestikulierten und plapperten aufgeregt durcheinander. Plötzlich schien die Takererin zu versteifen. Sie hielt kurz inne, zögerte und ging erst dann zügig weiter. Was war das denn gerade?, dachte ich irritiert. Na, was wohl. Sie hat irgendjemanden bemerkt. Schließlich stand ich vor dem Sicherheitschef Zeyopsch. Der große, hagere Mann, dessen brutale Gesichtszüge mich gleich von vornherein abstießen, hatte seine Männer einen Kordon im Eingangsbereich bilden lassen. Sie suchten Schutz hinter großen Einrichtungsgegenständen und richteten ihre Strahlwaffen nach vorne. Hinter einem mächtigen Sockel hatten sich die drei Juclas verschanzt. Zeyopsch schien nur wenig Respekt vor mir zu empfinden. »Entweder zwingst du die drei Unruhestifter dort umgehend zur Aufgabe, oder ich lasse sie gnadenlos erschießen. Haben wir uns verstanden?«, blaffte der Mann in der grauen Uniform. Ich erwiderte nichts darauf und wandte mich stattdessen direkt an die Juclas. »Hier spricht Atlan. Ich möchte mit euch reden. Wer seid ihr?« »Syccre, Leyban und Truhyn vom Clan der Comydyn«, schallte es zurück. »Schau, dass du uns diese verdammten Takerer vom Hals hältst, Atlan.« »Immer mit der Ruhe. Was ist passiert? Warum habt ihr die Frau angegriffen?« »Diese takerische Hure hat uns beleidigt und uns als genetische Monster beschimpft. Da haben wir uns gewehrt.« »Sie lügen«, gab Zeyopsch leise zurück. »Die Aufzeichnungen der Überwachungskameras zeigen, dass die Juclas und die Frau zuvor kein Wort gewechselt haben. In einem ruhigen Seitengang sind sie einfach über sie hergefallen und haben sie zusammengeschlagen. Willst du es sehen?« Ich winkte ab. »Gebt auf und lässt euch abführen«, rief ich den Juclas zu. »Wir wer-
13 den dann die Sachlage in Ruhe klären.« »Abführen lassen? Niemals. Wir verlangen freien Abzug, da wir absolut im Recht sind. Unter Juclas werden derartige Beleidigungen auf eben diese Art vergolten. Ein Comydyn gibt niemals auf. Lieber geht er kämpfend in den Tod.« Ich seufzte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Kaystale plötzlich abtauchte. Geduckt huschte sie hinter den Sicherheitskräften weg. Mit drei, vier Klimmzügen und mächtigen, lautlosen Sätzen arbeitete sie sich auf eine umlaufende Empore hoch. Sie fand Wege und Passagen, die nicht jeder hätte benutzen können. Dabei achtete sie auf ständigen Sichtschutz gegen die Juclas. Sie bewegt sich mit der Kraft und Eleganz eines irdischen Panthers, stellte ich bewundernd fest. Kaystale schaffte es, in den Rücken der drei Juclas zu kommen. Lautlos stieg sie über das Geländer der Empore. Sie federte kurz in den Knien ab und sprang. Vier Meter fiel sie in die Tiefe, kam auf einem großen Terminal auf, stieß sich sofort wieder ab und landete mit einem schrillen Schrei mitten zwischen den Comydyn. Die fuhren erschrocken herum, als Kaystale auf das Terminal prallte. Einen Lidschlag später wütete die Takererin auch schon mitten unter ihnen. Ihre Arme wirbelten wie Windräder, ihre Fäuste fanden Kinnspitzen und Sonnengeflecht. Ächzend sanken zwei der Comydyn nieder, ohne zuvor auch nur die Arme zur Abwehr erheben zu können. Der dritte, Syccre, schaffte es immerhin noch, die Waffe hochzureißen und abzudrücken. Der Energiestrahl zischte fauchend an Kaystale vorbei. Sie schlug den Waffenarm des Juclas beiseite und schickte ihn mit einem Kopfstoß auf die Nasenwurzel in die Bewusstlosigkeit. Verächtlich blickte sie die Weggetretenen an. »Sich an wehrlosen Takererinnen zu vergreifen ist feige und ehrlos«, sagte sie laut. Sie packte alle drei an den Kragen und zog sie gleichzeitig, fast schon spielerisch leicht,
14 über den Boden. Dabei traten ihre mächtigen Oberarmmuskeln unter der Uniform deutlich hervor. Direkt vor mir legte sie die Bewusstlosen ab. Besonders zart ging sie dabei nicht zu Werke. »Sehr gut gemacht, Kaystale«, lobte ich sie. »Du bist eine ausgezeichnete Kämpferin.« Kaystale neigte leicht den Kopf, verzog dabei jedoch keine Miene. Kurz schaute sie in die Menge, aus der sie viele scheue Blicke trafen. Sie schluckte schwer und wandte den Kopf schnell wieder ab. Und ich hatte doch Recht, schickte ich eine Botschaft an die Adresse meines Extrasinns. Kaystale kann die Blicke nicht ertragen. Narr, kam es prompt und ob meiner über 10.000-jährigen Vergangenheit mit beißender Ironie zurück. Wirst du langsam alt? Wo ist deine einst so scharfe Beobachtungsgabe abgeblieben? Die Blicke aus der Menge hat sie ignoriert und lediglich eine Person fixiert. Deren Blick kann sie nicht ertragen. Was du nicht sagst. Wen meinst du? Den Mann mit der roten Hose und dem gelben Überwurf, der sich gerade umdreht und geht. »Gut gemacht«, lobte auch Zeyopsch. Der Sicherheitschef winkte seine Männer heran. »Abführen! Die drei werden vor Gericht gestellt und nach hier geltendem Recht abgeurteilt.« Kaystale sah mich fragend an. »Hier auf BOYSCH wird tatsächlich gerichtet«, klärte ich sie auf. Symaltin nickte bestätigend. »Natürlich wird es das«, ergänzte er stolz. »Das Recht, das wir hier im Herzen der Freihandelszone Susch sprechen, wird von nicht weniger als 2000 lose affiliierten Planetenregierungen in ›Wuthanas Leib‹ und weit darüber hinaus anerkannt.« Plötzlich schien sich der Autokrat wieder an etwas zu erinnern. »Atlan, das Problem hier ist ja nun gelöst. Vielleicht wäre es gut, wenn wir … nun, wenn wir auf dem schnellsten Weg zu Eleyre zurückkehren würden.
Christian Schwarz Ich glaube, er hat nun lange genug auf dich gewartet. Weißt du, er sitzt im neunköpfigen Konsortium und hat dort schon ein wenig Einfluss.« Ich seufzte innerlich. Nicht zum ersten Mal heute. Bei Arkons Göttern. Um was soll ich mich denn noch alles kümmern? Dabei brennt mir die Zeit auf den Nägeln. Wir müssen so schnell wie möglich zu Eschens Welt fliegen. Es wäre sicherlich von Vorteil, wenn wir vor den Truppen der Lordrichter dort eintreffen würden. Kaum da, und schon bist du zur wichtigsten Person auf dieser wunderlichen Sternenstation geworden, kommentierte der Extrasinn. Was wunderst du dich also über deine Vollbeschäftigung? Übrigens, ein kleiner Tipp von mir, Kristallprinz: Bevor du dich um den aufdringlichen Weichenwärter kümmerst, informiere besser Krand'har Abenwosch-Pecayl 966. über den Vorfall hier. Ich geb's auf. Ich verzog das Gesicht, ein Vorgang, den die Umstehenden nicht deuten konnten, da sie nichts von meinen Zwiegesprächen mit dem Extrasinn ahnten. Doch, wirklich, jeden verdammten Mist muss man selber machen. Deswegen haben dir die Kosmokraten den Zellaktivator verliehen. Oder glaubst du, dass der Chip fürs Nichtstun vergeben wird? Ach, rutsch mir doch den Buckel runter … »Gut«, erwiderte ich also mit dementsprechender Verzögerung in Symaltins Richtung, »dann lass uns den wackeren Weichenwärter Eleyre aufsuchen. Ich möchte nicht, dass du wegen mir deines Amtes als Autokrat verlustig gehst.« »Aber darum geht es doch gar nicht«, versicherte Symaltin hastig. »Es ist nur so, dass …«. »Spar dir deinen Atem, Autokrat.« Ich schaute, dass Kaystale meine nun folgenden Worte nicht mitbekam. »Sag mir noch eines, Symaltin: Wer war der Mann in der roten Hose und dem gelben Überwurf, der bis vor kurzem noch hier stand?«
Eschens Welt
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Der Autokrat überlegte einen Moment. »Oh ja, jetzt weiß ich's wieder. Du meinst sicher Susyn. Er ist der Direktor einer unserer Raumfahrtakademien, und zwar der von Kakastaun. Warum fragst du?« »Es gibt keinen bestimmten Grund. Er ist mir nur so aufgefallen.« »Das glaube ich. Susyn ist durchaus eine auffällige Persönlichkeit. Nicht nur was seine Kleidung anbelangt, sondern auch wegen seines zutiefst cappinistisch geprägten Geistes. Susyn ist ein wahrer Mann des Friedens. Er passt wunderbar hierher in unsere völkerverbindende kleine Welt.« In diesem Moment meldete sich Carmyn Oshmosh per Multifunktionsarmband bei mir. »Atlan, du musst sofort kommen. Die Juclas, die den Angriff auf die Daorghor geflogen haben, kehren nicht in den Verteidigungsschild zurück. Sie melden sich auch nicht auf meine Anrufe. Zudem lösen sich Tausende von Jucla-Raumern aus der Verteidigungsformation und fliegen die wracken Daorghor-Raumer an, um sie zu plündern.« »Hast du Abenwosch deswegen angefunkt?« »Ja. Aber der Krand'har möchte ausschließlich mit dir verhandeln.« »Ich kümmere mich drum. Ende.« Auf dem Weg zurück folgte ich dem Rat des Extrasinns und meldete mich bei Abenwosch-Pecayl 966.
* Während wir zurückgingen, funkte ich den Krand'har an. Gleich darauf starrte mir ein lang gezogenes Gesicht mit ausgeprägtem Vorbiss, grauen Augen und einigen von der Pubertätsakne herrührenden Narben entgegen. Schwarze, glatte Haare fielen auf kräftige Schultern herab. »Was willst du, Atlan?«, fragte Abenwosch-Pecayl 966. freundlich. Ich lächelte dem Herzog der Juclas ins Gesicht. »Ich grüße dich, Abenwosch, und gratuliere euch zu eurem neuerlichen gran-
diosen Sieg. Ihr seid große Kämpfer. Aber an Disziplin mangelt es euch nach wie vor.« Mein Blick ruhte fast beschwörend auf dem Jucla. »Abenwosch, du musst dafür sorgen, dass deine Leute umgehend wieder in den Verteidigungsschild zurückkehren. Es kann jederzeit ein neuerlicher Angriff der Garbyor folgen. Würdest du das bitte für mich erledigen? Hast du die Clanführer so weit im Griff?« Die Miene des Krand'hars wurde womöglich noch abweisender. »Ich habe sie im Griff, Atlan, das kannst du mir glauben. Sie sehen in mir einen Helden, fast schon ein Überwesen, weil ich es geschafft habe, den Häschern der Lordrichter auf dem Mond Eptascyn zu entkommen.« Dass er dies ohne meine Hilfe niemals hätte bewerkstelligen können, verschwieg er nicht nur momentan. Ich wusste, dass Abenwosch den Juclas erzählte, er selbst sei die führende Kraft bei der Flucht über Eptascyn gewesen. Allerdings unterstützte ich diese Version sogar noch, weil ich unbedingt einen starken Führer brauchte, dem die untereinander zerstrittenen Jungen Clans bedingungslos folgten. Dass die anderen Clanführer Abenwosch durch die Eptascyn-Geschichte fast schon zum Mythos erhoben, kam meiner Absicht trefflich entgegen. »Gut. Dann pfeif bitte die Schiffe umgehend zurück. Auch diejenigen, die die Daorghor-Wracks plündern wollen.« »Das kann ich nicht, Atlan.« »So, und warum nicht?« »Wenn ich meinen Status als Herrscher über alle Juclas behalten will, muss ich ihnen gewisse Freiheiten gewähren. Es gibt uralte Bräuche und Verhaltensmuster, an denen ich nicht rütteln darf. Das Plündern gehört ebenso dazu wie das Ausleben des Siegesrausches. Sie werden alle zurückkommen, wenn diese Dinge getan sind.« Ich nickte, da ich genau wusste, wann ich nachgeben musste. »Nun gut, Abenwosch, du hast sicher Recht. Lass sie also gewähren. Aber nicht zu lange.« »Solange sie wollen, Atlan. Sieh es doch
16 einfach so. Die meisten Juclas erhalten den Verteidigungsschild aufrecht, obwohl sie liebend gerne ebenfalls an den Plünderungen teilnehmen würden. Das ist alleine mein Verdienst. Daraus magst du ersehen, dass ich sehr wohl großen Einfluss auf sie habe.« Ich erzählte dem Krand'har von der Gefangennahme der drei Juclas. »Sie sollen auf der Raumstation abgeurteilt werden?«, brauste Abenwosch auf. »Das geht auf keinen Fall. Nur Juclas können über Juclas richten. Du musst dafür sorgen, dass sie umgehend an mich überstellt werden.« »Das kann ich nicht, Abenwosch. Überdies dürftest du dir selbst darüber im Klaren sein, dass den dreien im Schoße ihres Clans nicht das Geringste passiert. Ihr würdet sie sogar noch als Helden feiern.« Abenwosch bestand trotzig auf der sofortigen Auslieferung. Ich versprach seufzend, mich dafür einzusetzen. Denn ich konnte es mir momentan einfach nicht leisten, es mir mit Abenwosch zu verderben, der mich ja eigentlich bewunderte und mich als Zugpferd zur Vereinigung aller Clans einsetzen wollte. Ich durfte den Bogen allerdings nicht überspannen. Diplomatie war manchmal eine heikle Angelegenheit. Wir erreichten den Eingang zur Zentrale. Eleyre befand sich längst nicht mehr hier. Er hatte die Nachricht hinterlassen, dass man ihn nun gefälligst in seinen Gemächern aufzusuchen habe, weil er das lange Warten leid sei. Langsam stieg die Wut in mir hoch. Ich bezähmte mich nur mit Mühe. Lediglich Symaltins Bitten ließ mich von einer totalen Ächtung des Weichenwärters absehen. Das Eingangsschott fuhr zischend auf. Drei Cappins kamen heraus, gefolgt von Carmyn Oshmosh, die mich durch die Öffnung bemerkte. »Die Probleme wollen kein Ende nehmen«, erklärte sie. »Der Kommandant einer Wesakeno-Einheit beschwert sich gerade, dass er einen Warteplatz direkt neben einem Takerer zugewiesen bekam. Wenn er nicht
Christian Schwarz sofort in einen anderen Orbit verwiesen würde, könne er für nichts mehr garantieren, da er und seine Besatzung die Takerer bis aufs Blut hassten. Die Energietaster zeigen, dass er gerade die Bordwaffen hochfahren lässt.« Sie stockte einen Moment. »Und so geht das schon die ganze Zeit. Oldonen können nicht mit Ganjasen, Takerer nicht mit Lofsoogern, Olkonoren nicht mit Farrogs und so weiter und so fort. Keiner kann mit keinem. Und das ausgerechnet hier. Fast alle wichtigen Cappin-Völker sind bereits im Raum um BOYSCH vertreten, weil sie sich hier Schutz und Hilfe erhoffen. Es ist ein einziges Durcheinander, die Lotsen wissen schon gar nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Sie versuchen, allen irgendwie gerecht zu werden, aber das ist ein Ding der Unmöglichkeit.« »Trotzdem werden wir weiter quer durch die Galaxis funken, dass sich bei BOYSCH der Widerstand gegen die Lordrichter formiert«, gab ich zurück. »Wir brauchen erst mal Masse. Die Neuankömmlinge werden schon zur Vernunft kommen, wenn sie merken, dass sie sich gegen einen gemeinsamen Feind zusammenraufen müssen. Hier kannst du momentan sowieso nichts tun. Komm doch mit zu Eleyre, Carmyn. Dort werden wir nun endlich die wahren Probleme angehen können, die auf dieser Station lasten.« Eleyres private Räumlichkeiten lagen ganz in der Nähe von Weiche 187. Wir wurden von einem Bediensteten angewiesen, uns doch bitte ein paar Minuten zu gedulden, da sich der Herr gerade mit wichtigen, unaufschiebbaren Dingen befasse. Ich knirschte mit den Zähnen, schob den Cappin einfach zur Seite und stürmte in Eleyres Gemächer. Der Diener kam mir hinterher und fasste mich am Arm. »Aber du kannst doch nicht einfach …« Ich packte ihn seinerseits an den Schultern. »Doch, mein Lieber, ich kann. Du sagst mir jetzt sofort, wo ich den Weichenwärter finde. Oder ich mache dich einen Kopf kleiner. Verstanden?«
Eschens Welt Der Cappin sank unter meinem stahlharten Griff und dem drohenden Blick förmlich in sich zusammen. Stockend gab er die gewünschte Auskunft. Ich stapfte wie ein wütender Cavan durch die prunkvoll eingerichteten Räume, Symaltin dicht auf den Fersen. »Das geht nicht gut«, murmelte der Autokrat, »meine nächste Dienstzeit kann ich ja dann wohl vergessen.« Ich warf krachend eine Tür auf. Eleyre und zwei weitere Männer, die hellgrüne Erfrischungsgetränke vor sich stehen hatten, fuhren herum. »Ich habe genug von deinen Spielchen, Eleyre«, zischte ich und wirkte garantiert so formatfüllend wie ein Rachegott. »Wenn du mir etwas zu sagen hast, sage es jetzt oder lass es bleiben.« »Ich bin am Ende«, flüsterte Symaltin. »Die beiden gehören ebenfalls dem Konsortium an. Immerhin waren es drei schöne Dienstzeiten als Autokrat. Was ist nur aus BOYSCH geworden? Aus unseren Idealen? Aus unserer Unabhängigkeit? Aus unserer Neutralität?« Eleyre beschwerte sich wider Erwarten nicht, sondern kam sofort zum Thema. »Ich habe diesen ungeheuerlichen Vorgang, von dem ich dich schon seit mindestens zwei Stunden in Kenntnis setzen will, gerade mit Dertyba und Slygo besprochen.« Er war jetzt wieder die Empörung in Person. »Ich bin noch immer außer mir. Und diese beiden Ehrenwerten sind es ebenfalls.« »Was ist denn nun?« Da mir Eleyre keinen Sitz anbot, blieb ich eben stehen, obwohl ich gute Lust gehabt hätte, mich einfach niederzulassen. Aber ich wollte es nicht übertreiben. Eleyre gehörte in der Tat zu den wichtigsten Entscheidungsträgern auf BOYSCH. »Dieser Moschrut Tscherpas oder wie immer dieser Kerl tatsächlich heißen mag, hat sich an meiner Weiche in aller Seelenruhe neue Schutzschirmgeneratoren und jede Menge Initial-Dopplergeschütze einbauen lassen, von einigen anderen Kleinigkeiten
17 gar nicht zu reden. Das Modernste vom Modernen. Und was passiert, als ich meinen gerechten Lohn, der nicht ein Zehntelprozent über dem lag, was abgemacht war, dafür verlange? Er beschimpft mich und lacht mich aus und fliegt dann einfach weg, nachdem er die Andockvorrichtungen schon vorsorglich hat lösen lassen.« Eleyres Nasenflügel bebten. Er zeigte durch das Panoramasichtfenster hinunter auf die riesige Weiche, die, voll ausgefahren, sechs Kilometer weit in den freien Raum hinausragte. »Sämtliche Andockstationen sind momentan leer. Und sie werden es bleiben, bis die Sache geklärt ist. Denn so geht es ja nun nicht, mein lieber Atlan. Wir sind hier auf BOYSCH einen hohen moralischen Standard gewohnt, was die Abwicklung unserer Geschäfte anbelangt. Die beste Ware der Galaxis für gutes Geld. Das wissen unsere Geschäftspartner und halten sich daran. Mit den Juclas hast du aber Betrug und Hinterlist nach BOYSCH gebracht, wovon wir bisher verschont geblieben waren.« »Eleyre ist absolut im Recht«, mischte sich nun auch noch Slygo ein. »Wir sind dir entgegengekommen, indem wir den Juclas enorme Rabatte für den Einbau neuer Technik und die Wiederinstandsetzung ihrer Schiffe gewährten. Und nun nehmen sie das ganze Bein, wenn man ihnen nur den kleinen Zeh anbietet. Bring diese Sache in Ordnung, Atlan. Ansonsten wird es nicht möglich sein, mit diesen Dieben weiterhin zusammenzuarbeiten, geschweige denn sie nochmals auf die Station zu lassen. Von dem Vorfall mit der lebensgefährlich verletzten Takererin will ich gar nicht mal sprechen.« Ich nickte, weil ich spürte, dass ich diese Angelegenheit nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte. So verzichtete ich darauf, auf den Ausnahmecharakter des Vorfalls hinzuweisen, und versprach, mich darum zu kümmern. Und zwar heute noch. Damit stellte ich die drei Herren des Konsortiums und letztlich auch Symaltin leidlich zufrieden. Eleyre bequemte sich sogar, den korrek-
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Christian Schwarz
ten Namen des Betrügers aus dem Vertrag herauszusuchen. Nun wollen wir hoffen, dass dieser Rutmosch-Nertschypon 1066. nicht ausgerechnet zu den Gefallenen der vierzehn zerstörten Jucla-Einheiten gehört, merkte der Extrasinn an. Sonst werden die Verwicklungen noch größer, als sie ohnehin schon sind …
* »Die Juclas sind kampfkräftig, aber letztlich doch unzuverlässige Bundesgenossen«, sagte ich zu Carmyn Oshmosh, als wir zur Zentrale zurückgingen. »Wir brauchten unbedingt verlässlichere Kräfte, um den Widerstand gegen die Lordrichter wirklich straff organisieren zu können.« Die Ganjasin dachte einen Moment nach. »Darf ich einen Vorschlag machen, Atlan?« »Natürlich. Ich bin für jede gute Idee dankbar.« »Ich denke an die Raumfahrtakademien BOYSCHS. Alle hier aufgenommenen Raumfahrer bekommen ja, wie du hoffentlich weißt, die galaxisweit beste Ausbildung. Warum sollten wir da nicht auf die älteren Kadetten aller Akademien zurückgreifen? Die gäben unter Garantie sehr gutes Kaderund vielleicht sogar Führungspersonal ab.« Carmyn lächelte verschmitzt. Ich wusste genau, warum. Sie war nämlich ebenfalls auf BOYSCH ausgebildet worden, so wie der Großteil der AVACYN-Besatzung. Die Ganjasin hatte in der Akademie Apenayn nicht nur ihr raumfahrerisches Können erhalten, sondern auch eine zutiefst humanistische Ausbildung, die das friedliche Zusammenleben aller Cappins forderte. Carmyn war es überhaupt zu verdanken, dass wir den Weg nach BOYSCH gefunden hatten. Sie hatte sich der gigantischen Informationsbörse erinnert, die es hier gab, als ich nach Informationen über die Motivation der lordrichterlichen Aktivitäten suchte. »Eine gute Idee, in der Tat«, bestätigte ich ihr. »Wir könnten die Kadetten als Führungspersonal oder Beraterstäbe auf viele
der wracken Schlachtschiffe verteilen, die sich hier eingefunden haben. Wir lassen die Wracks, die ihrer Kommandostrukturen verlustig gegangen sind, an den Weichen günstig reparieren. Dafür müssen sich die Besatzungen im Gegenzug verpflichten, die Kadetten als Befehlshaber anzuerkennen. Es ist auch denkbar, dass wir den Clans derartige Berater zur Seite stellen. Ich werde mit Abenwosch sprechen. Dann würden wir tatsächlich über eine zwar noch kleine, aber durchaus schlagkräftige Flotte verfügen, die sich vollkommen unserer Befehlsgewalt beugt.« Schön und gut, erwiderte der Extrasinn, aber du übersiehst ein winziges Detail. Da in BOYSCH das friedliche Zusammenleben aller Cappins gelehrt wird und dieser Same in den einzelnen Völkern aufgehen soll, müssen sich überproportional viele Takerer in den Akademien befinden, da diese die größten Aggressoren sind. Wie willst du ihnen begreiflich machen, dass sie gegen die eigenen Landsleute anzutreten haben? Ich ließ mir diesen Einwand von Carmyn bestätigen. »Das ist leider richtig, Atlan«, seufzte sie. »Und wenn wir die Takerer außen vor lassen, gibt es böses Blut. Aber ich denke, dass du die Kadetten mit den richtigen Worten sicher packen kannst.« Symaltin konnte sich nur langsam mit dieser Idee anfreunden, stimmte dann aber doch zu. Er versprach, die besten Kadetten der Akademien im zentralen Vorlesungssaal zusammenzurufen. Eine Stunde später stand ich vor rund achthundert jungen Cappins, Männern wie Frauen, die mir gespannt entgegenblickten. Ich stützte mich mit den Händen am Pult ab, den Kopf hoch erhoben, das Kinn nach vorne gereckt, und ließ lediglich meine Blicke über die ansteigenden Sitzreihen schweifen. Dabei griff ich mir einige Kadetten beiderlei Geschlechts heraus, denen ich besonders intensiv in die Augen sah. Keiner hielt meinem Blick stand. Nervös geworden, wandten sie ihn ab.
Eschens Welt Erst als deutliche Unruhe in den Reihen der Kadetten entstand, trat ich hinter dem Pult hervor und pflanzte mich direkt vor dem Auditorium auf. Ich schaute mir eine rothaarige Cappin aus und sprach sie direkt an. »Wie ist dein Name?«, fragte ich mit derart kräftiger Stimme, dass sie bis in den hintersten Winkel drang. Mit einem Schlag legte sich die Unruhe. »Leypasch«, antwortete die Cappin zögernd. »Leypasch, gut. Glaubst du, dass ich ein glücklicher Mensch bin?« Sie starrte mich an. »Ich verstehe nicht …« »Beantworte bitte meine Frage, Leypasch. Glaubst du, dass ich ein glücklicher Mensch bin?« »Nun, ich denke schon, dass du ein glücklicher Mensch sein musst. Du hast schließlich das ewige Leben.« »Ich trage einen Zellaktivator, ja, das ist richtig«, ging ich auf sie ein. »Doch kannst du dir auch nur annähernd vorstellen, mit welch immenser Verantwortung das ewige Leben, wie du es nennst, verbunden ist? Könnt ihr alle euch das vorstellen?« Ich legte eine Kunstpause ein und sah in eine Menge ratloser Gesichter. »Nun, ich sage euch, was es bedeutet, einen Zellaktivator zu tragen. Du siehst die Cappins, die du liebst, reihenweise neben dir sterben. Du musst nicht drei-, oder vier- oder auch zwanzigmal Abschied nehmen, wie es in einem durchschnittlichen Cappin-Leben der Fall sein mag, sondern viele tausend Male. Glaubt ihr, dass man mit der Zeit dabei abstumpft? Glaubt ihr das?« Ich fuhr mit beiden Händen durch meine Haare. »Nein, man tut es nicht. Es wird von Mal zu Mal schlimmer. Du verliebst dich und weißt genau, dass die Frau an deiner Seite langsam altert, während du dich selbst um keinen Deut veränderst. Du verlierst sie praktisch in dem Moment, in dem du sie kennen lernst, schon wieder. Das ist schmerzhaft. Und wisst ihr, was die Beloh-
19 nung für diesen Schmerz ist?« Ich sprach laut und deutlich, mit der Betonung an den richtigen Stellen. Ich wusste um meine Rednerqualitäten und stellte auch jetzt zufrieden fest, dass ich die Kadetten längst in meinen Bann gezogen hatte. Sie fragten sich jetzt alle, auf was ich wohl hinauswollte. »Die Belohnung ist, dass einem die Kosmokraten mit diesem Zellaktivator gleichzeitig die Verantwortung für ganze Galaxien aufbürden. An dir persönlich hängt es plötzlich, ob Milliarden Intelligenzen leben oder sterben. Ich wiederhole: Milliarden Intelligenzen. Der Aktivator zwingt dich, Schicksal zu spielen und tausend Leben zu opfern, damit zehntausend weiter bestehen können, wo eigentlich schon ein bewusstes Opfer zu viel ist. Manchmal kostet es alle Kräfte, an diesem furchtbaren Druck nicht zu zerbrechen. Aber …«, ich bedachte meine Zuhörer mit flammenden Blicken und senkte die Stimmlage ein wenig, »ich habe diesem Druck bisher standgehalten. Und wisst ihr auch, warum?« Einige Kadetten schüttelten zögernd die Köpfe. Eine bemerkenswert menschliche Geste. »Kann sich jemand vorstellen, warum ich an dieser immensen Last bisher nicht zerbrochen bin? Du, Leypasch, kannst du es dir vorstellen? Oder du? Oder du?« Ich zeigte auf ihre beiden Sitznachbarn. Sie starrten mich nur an. »Ihr könnt es nicht? Gut, dann will ich es euch sagen. Ich bin noch nicht zerbrochen, weil es die allermeisten Völker wert sind, dass ich mich für sie einsetze. Ich mache immer wieder die Bekanntschaft wunderbarer Intelligenzen, die mich in dem bestätigen, was ich tue. Oft sind es nur einfache Leute, manchmal hoch stehende Persönlichkeiten. Einer von ihnen war übrigens der Ewige Ganjo Ovaron!« Leises Gemurmel hob unter den Kadetten an. Ich sah Faszination in vielen Augenpaaren leuchten. »Leypasch, welchem Cappin-Volk ge-
20 hörst du an?« »Ich bin Takererin.« »Wer von euch gehört noch dem takerischen Volksstamm an?« Zögernd gingen die Hände in die Höhe. Erst ein paar vereinzelte, schließlich meldeten sich mehr als ein Drittel der Anwesenden. »Gut, ich freue mich. Leypasch, glaubst du, dass es auch das Volk der Takerer wert ist, dass man für es kämpft?« »Selbstverständlich, Atlan.« »Glaubt ihr alle, die ihr Takerer seid, dass es sich für euer Volk zu kämpfen lohnt?« Wohl kalkulierte ekstatische Untertöne schwangen jetzt in meiner Stimme mit. »Natürlich kämpfen wir für das takerische Reich. Für den Taschkar.« Dieses Spielchen trieb ich mit allen wichtigen cappinschen Völkern. Bis auf die Lofsooger, von denen es unter den Kadetten keine gab. »Ja, ihr habt alle Recht«, donnerte ich schließlich ins Auditorium hinein. »Alle Cappins sind es wert, dass man für sie kämpft. Ich betone: alle! Deswegen bin ich wieder hierher nach Gruelfin gekommen, um den Cappins in ihrer schwersten Stunde beizustehen«, behauptete ich, die Wahrheit ziemlich stark beugend, da ich ja nur durch den Verrat eines cappinschen PedopeilerKommandanten in der Sombrero-Galaxis gelandet war. »Denn die Truppen der Lordrichter haben angefangen, Gruelfin zu überrollen. Es tauchen nicht nur Garbyor in dieser Galaxis auf, die man hier bisher noch nie zuvor gesehen hat, so wie die Daorghor; die Lordrichter haben auch die Takerer auf ihre Seite gezogen, um Gruelfin mit Feuer und Schwert und einer unheilvollen Lehre namens Trodar zu überziehen! Ja, es sind die Takerer. Aber es hätte auch jedes andere cappinsche Volk sein können!« Ich hielt einen Moment inne und täuschte Erschöpfung vor. Dann tauchte ich wieder empor wie Phönix aus der Asche. »Ihr Cappins, die ihr hier versammelt seid – und ich werde euch jetzt nur noch Cappins nennen –
Christian Schwarz glaubt ihr mir, wenn ich euch sage, dass es manchmal notwendig ist, sich gegen das eigene Volk zu stellen, um es zu retten? Lasst mich euch erzählen, dass ich mich schon öfters gegen mein eigenes Volk stellen musste, um die Dinge wieder zum Guten zu wenden. Ich war gezwungen, Arkoniden zu töten, um Arkons Niedergang zu verhindern und Glanz und Glorie des Reiches wieder aufleben zu lassen. Ich schickte Menschen in den Tod, die ich mehr liebte als mein eigenes Leben, um das Leben vieler anderer zu retten. Ihr glaubt es nicht? Dann hört: Ich schleuderte einst diesen verfluchten Speer gegen Mirona Thetin und tötete damit die größte und wunderbarste Liebe meines Lebens. Ich tat es, weil ich der Überzeugung war, sie töten zu müssen, um eine ganze Sterneninsel zu retten. Denn Mirona Thetin war Faktor I der Meister der Insel, eine millionenfache Mörderin. Ja, mit ihr tötete ich zugleich ein Stück von mir selbst, um Andromeda aus den Klauen eines Monsters zu befreien. Ich stellte meine Verantwortung über mein persönliches Interesse. Und ich habe schlussendlich recht getan mit meiner Tat, für die ich mich anfangs trotz meiner Überzeugung tausend und mehr Mal selbst verfluchte.« Ich keuchte. »Ja. Und ich stand überdies an der Seite des Ewigen Ganjos, um den Cappin-Völkern Erlösung vom Joch der Takerer zu bringen. Jetzt, viele tausend Jahre später, bin ich zurückgekommen, um die Cappins vor dem Zugriff der Lordrichter zu retten. Vor dem Hintergrund dieser ungeheuren Gefahr, die ganz Gruelfin zu fressen droht, darf es keine Takerer, Ganjasen, Oldonen, Lofsooger und wie sie alle heißen, mehr geben. Es darf nur noch Cappins geben, die sich vereint dieser furchtbaren Macht entgegenstellen. Denn wenn die Lordrichter erst mit Gruelfin fertig sind, wird es keine stolzen und unabhängigen CappinVölker mehr geben, sondern nur noch Garbyor, traurige Marionetten der Lordrichter und des ominösen Schwerts der Ordnung.« Mein Stimmvolumen nahm immer weiter
Eschens Welt zu. Die letzten Worte brüllte ich regelrecht hinaus, um gleich darauf ganz leise zu werden. »Gerade ihr, Kadetten der Akademien von BOYSCH, wisst, was ich meine. Denn in euch blüht längst der Keim des friedvollen Zusammenlebens aller Cappin-Völker. So will es das Dogma, das in dieser wunderbaren Sternenstation gelehrt wird. Und glaubt mir, es ist auf Dauer der einzig richtige, gangbare Weg. Ihr alle seid Cappins. Cappins! Und trotzdem. Takerer! Ich muss euch doch noch ein letztes Mal bei eurer Volkszugehörigkeit nennen. Die Lordrichter haben sich eurer Landsleute bemächtigt, um ihre Interessen in Gruelfin besser durchsetzen zu können. Das ist infam und entwürdigend, denn letztendlich arbeiten diese armen Verblendeten gegen sich selbst. So ist es heute, am Vorabend der Schlacht zwischen Gut und Böse, wieder einmal nötig geworden, dass Landsleute gegen Landsleute antreten müssen, um die Dämonen der Finsternis aus dieser Galaxis zu fegen. Takerer müssen gegen Takerer kämpfen und sich darüber hinaus mit Ganjasen und Wesakenos verbünden. Cappins! Seid ihr bereit, mir, einem Fremden, einem erklärten Freund, bedingungslos in den Kampf gegen die Lordrichter zu folgen, um dieser wunderbaren Galaxis Freiheit und Unabhängigkeit zu erhalten? Seid ihr bereit, euch für dieses hehre Ziel vorübergehend auch gegen eure Landsleute zu stellen? Seid ihr bereit, persönliche Interessen hintanzustellen, um nicht irgendwann mit einem Todesimpuls-Implantat herumlaufen zu müssen, in ständiger Angst, dass euch die Willkür Einzelner den Tod bringt, wenn ihr ein einziges Mal versagt? Wollt ihr mir folgen? Wollt ihr?« Ich breitete weit die Arme aus, so als wolle ich das ganze Auditorium umfangen. Ein donnerndes »Ja!« antwortete mir. »Schwört ihr mir, die Lordrichter und ihre Truppen selbst unter Einsatz eures eigenen Lebens zu bekämpfen und zurückzuschlagen, damit eure Väter, Mütter, Schwestern
21 und Brüder auch weiterhin unbedrängt und in Freiheit leben können? Damit sie nicht in einem Todeslager enden, weil sie ein einziges falsches Wort gesagt haben? Schwört ihr es mir? Mir, dem jahrelangen Weggefährten des Ewigen Ganjos Ovaron?« Ein einziger Jubelsturm brach los. Die Kadetten sprangen auf und schrien durcheinander. »Wir schwören es dir, Atlan, Gefährte des Ewigen Ganjos! Wir schwören dir die Treue! Führe uns in den Kampf gegen die Lordrichter! Wir kämpfen für das Volk der Cappins, für die Freiheit Gruelfins, für die Welt, wie wir sie kennen!« Sie sprangen über die Bänke, drängten sich um mich, fassten mich an und musterten mich mit leuchtenden Augen. »Du warst großartig«, sagte Kaystale, als wir den Hörsaal wieder verließen. »Warum können nicht alle Männer so sein wie du?« Weil das Universum nicht mehr als einen Atlan verträgt, antwortete der Extrasinn spöttisch.
* 27./28. Oktober 1225 NGZ Ich beauftragte Carmyn Oshmosh, den Aufbau der neuen Flotte zu organisieren. Ein kleiner Teil meiner Hoffnung galt der Tatsache, dass es auch an Bord der für die Lordrichter kämpfenden Takerer-Schiffe Akademieabgänger gab, die ganz sicher zumindest nachdenklich wurden, wenn sich Landsleute gegen sie stellten. Danach hätte ich mir am liebsten ein wenig Ruhe gegönnt, doch es galt noch, die Sache mit Rutmosch-Nertschypon 1066. aus der Welt zu schaffen. Ich meldete mich erneut bei Abenwosch-Pecayl 966. und bat ihn, zusammen mit Rutmosch auf die AVACYN zu kommen. Abenwosch weigerte sich. Er bestand darauf, dass sich die Parteien an Bord seiner TIA trafen. Ich stimmte seufzend zu. Mit Abenwoschs steigender Anerkennung als uneingeschränkter Jucla-Führer wuchsen auch dessen Selbstbewusstsein und Starrsinn.
22 Also ging ich an Bord der AVACYN. Myreilune, die Pilotin, lenkte das kleine, nur 70 Meter lange Beiboot der NAMEIRE-Klasse zum Sektor sieben, wo die 345 verbliebenen Einheiten des Ercourra-Clans, dem Abenwosch-Pecayl 966. vorstand, im Raum schwebten. Von Backbord kommend, näherte sich zur selben Zeit eine mächtige ABENASCH-Einheit. Als die beiden Raumer in der Nähe der TIA schwebten, schob sich plötzlich eine weiße Masse aus dem Rumpf des Ercourra-Flaggschiffs und arbeitete sich langsam in den Raum vor. Die immer länger werdenden Fäden bewegten sich wie die Tentakel einer Qualle, ohne aber abzureißen. »Traktorstrahl!«, befahl ich. »Traktorstrahl aktiv«, bestätigte Carmyn Oshmosh. Langsam wurde einer der weißen Fäden herangezogen und an der Schleusenkammer der AVACYN verankert. Der ABENASCHRaumer tat exakt das Gleiche. Ich kannte die Tuilerien, die über eine erstaunlich feste Konsistenz verfügten und mit Prallfeldern abgesichert wurden, bereits. Kaystales Wunsch, mich unbedingt zu begleiten, lehnte ich ab. Ich wollte die Juclas nicht unnötig provozieren, indem ich eine Takererin mit an Bord eines ihrer Schiffe brachte. Ich betrat, ohne zu zögern, den inzwischen mit Sauerstoff gefluteten und mit einem Schwerkraftfeld gangbar gemachten Hohlsteg und begab mich zu Fuß zur TIA hinüber. Drei schwer bewaffnete Juclas erwarteten mich an der Hauptschleuse des Flaggschiffs und geleiteten mich in einen der schon bekannten Versammlungsräume, die mit nostalgischen Planetenbildern geschmückt und allerlei altertümlichem Zierrat überladen waren. Dort erwartete mich Abenwosch. Der Krand'har begrüßte mich zurückhaltend, aber freundlich. »Rutmosch ist ebenfalls auf dem Weg hierher. Er musste in den nächsten Minuten eintreffen.« Als Rutmosch-Nertschypon 1066. eintrat, sah er sich lauernd um. Kleine, verschlagene
Christian Schwarz Äuglein blickten aus einem weichen Gesicht, das auch einem siebenjährigen Jungen hätte gehören können. Kurze schwarze Haare rahmten es. Mit seinen schätzungsweise 185 Zentimetern war Rutmosch für einen Jucla ungewöhnlich groß. Das Misstrauen in den Augen des Comydyn-Führers war so deutlich ausgeprägt, dass es mich förmlich ansprang. Außerdem mag er dich nicht, ergänzte der Extrasinn. Ich behaupte, dass er dich am liebsten tot sehen würde. »Ich grüße euch«, sagte RutmoschNertschypon 1066. mit angenehmer, wohlklingender Stimme. »Ich bin hocherfreut, sowohl dem Krand'har als auch Atlan persönlich begegnen zu dürfen, und hoffe, dass wir ein paar erfreuliche Dinge besprechen werden.« Er brachte so etwas wie ein Lächeln zustande, das freundlich wirken sollte, aber deutlich verunglückt war. Auf Abenwoschs Einladung hin setzte er sich. »Wir grüßen dich ebenfalls, RutmoschNertschypon 1066. vom ehrenwerten Clan der Comydyn«, gab ich zurück und benutzte, als Zeichen meiner Ehrerbietung, absichtlich den kompletten Titel des Clanführers. »Leider sind die Dinge, die wir zu besprechen haben, nicht sehr erfreulich. Der Weichenwärter Eleyre beschwerte sich bei mir, dass du ihn für seine Dienste und die neue Technik, die er in deine ASSINIBOYN einbaute, nicht entlohnt hättest.« »Dieser verdammte takerische Mistkerl hat sich nicht zu beschweren«, brauste Rutmosch auf und schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch. »Ich riskiere mein Leben und das meiner Besatzung für ihn, einen Takerer wohlgemerkt, und die ganze Takerer-Brut, die sich sonst noch auf der Station breit gemacht hat, und er will noch Geld für die Aggregate haben. Ohne unseren heldenhaften Einsatz gegen die Daorghor wären er und die anderen doch längst zu Atomen zerblasen. Was übrigens kein Verlust wäre. Eine takerische Lauskolonie weniger in unserer schönen Galaxis.« »Du hast Recht, Rutmosch, und doch wie-
Eschens Welt der nicht«, übernahm Abenwosch die Gesprächsführung, so, wie wir es abgestimmt hatten. »Atlan hat in unserem Namen dieses heikle Problem mit dem Autokraten BOYSCHS diskutiert. Wir kamen überein, für unseren Einsatz große Preisnachlässe zu erhalten. Ein Kompromiss, gewiss, aber momentan nicht anders machbar. Es ist sogar als großer Verhandlungserfolg Atlans zu werten, dass wir überhaupt derart billig an modernste Technik kommen können.« »Was geht es uns an, Abenwosch? Und seit wann bezahlen Juclas für Dinge, die sie haben wollen? Wir beschaffen uns das, was wir benötigen, seit jeher auf unseren Raubzügen.« »Ja, da magst du schon Recht haben. Der Punkt ist trotzdem ein anderer.« Abenwosch fixierte sein Gegenüber scharf. »Das Abkommen, das Atlan in unserem Namen geschlossen hat, wurde von sämtlichen Clanführern bestätigt. Auch von den Comydyn. Ist das richtig?« »Ich weiß nichts von einem solchen Abkommen!«, schrie Rutmosch und verbarg seine Lüge hinter großer Gestik. »Und hätte ich's gewusst, ich hätte niemals zugestimmt. Irgendjemand anders muss es bestätigt haben.« »Sei still und hör mir gefälligst zu!«, überbrüllte ihn der Krand'har. »Die Bestätigung kam aus dem Flaggschiff der Comydyn. Das ist für mich der zentrale Punkt. Ich frage mich überdies, wie es sein kann, dass dich jemand aus deinem Flaggschiff in derart wichtigen Dingen einfach übergeht und sie dann noch ohne dein Einverständnis bestätigt. Solltest du am Ende gar nicht der Clanführer sein? Oder hast du deinen Haufen derart schlecht im Griff, dass jeder gerade macht, was er will?« »Ich … nein, ich meine …«, stotterte Rutmosch vor sich hin. Er kroch förmlich in sich zusammen. Der Gute fühlt sich von deiner und des Krand'hars Präsenz förmlich an die Wand gedrückt, analysierte mein zweites Ich. Der glorreiche Clanführer kommt sich im Mo-
23 ment wahrscheinlich so winzig und unbedeutend wie eine naatsche Leberlaus vor. Die Sache wächst ihm über den Kopf. Auf eine solche Argumentation war er sichtlich nicht vorbereitet. »Rede ich nun mit dem Clanführer der Comydyn oder nicht?«, ließ sich Abenwosch erneut vernehmen. Rutmosch schluckte ein paarmal schwer. Dann gab er sich einen Ruck. »Ja. Die Comydyn unterstehen meinem Kommando.« »Gut. Dann bitte ich dich darum, die von euch gemachten Zusagen einzuhalten und dem Weichenwärter Eleyre die eingebaute Technik zu bezahlen. Selbstverständlich mit einer entsprechenden Entschuldigung unterlegt.« Bei dieser »Bitte« Abenwoschs handelte es sich um einen verkappten Befehl. Trotzdem wagte Rutmosch nicht mehr aufzumucken und willigte ein. Der Krand'har beeindruckte ihn mehr, als er zuzugeben bereit war. Und vor mir fürchtete er sich regelrecht, obwohl ich eigentlich nur dasaß.
5. Kaystale Kaystale lag auf dem Bett in ihrer Kabine an Bord der AVACYN und starrte an die Decke. Sie verfluchte das Schicksal, weil es sich als gerecht und ungerecht gleichermaßen erwies. So lange ist es her, so ewig lange …, dachte sie und konnte den Sturm der Gefühle in ihrem Innern kaum bändigen, was immer sie auch versuchte. Fast vierzig Jahre habe ich gesehnt und gehofft, ihn wieder zu treffen. Und jetzt, da er so unverhofft wie ein Neutronenblitz aus einem Schwarzen Loch vor mir steht, sind mir die Hände gebunden. Sie hatte Meschmyon sofort erkannt. Ihn, der sich jetzt Susyn nannte und als Direktor einer der hiesigen Akademien hehre Ziele lehrte. Er war es, zweifellos, denn dieses Gesicht vergaß sie nicht, bis sie der letzte Atemzug aus dem Leben riss. Egal, wie sehr es sich im Alter auch verändern mochte, sie
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hätte es unter Milliarden sofort wiedererkannt. Was soll ich nur tun?
* 29. Oktober 1225 NGZ Die sieben Installationsfähren, die einen kompletten Tag im Bauch der MITYQINN zugebracht hatten, schleusten wieder aus. Da der Sammler mit seiner Größe nicht nur die Weichen, sondern die komplette Raumstation erdrückt hätte, hatten Symaltin und ich auf diese Lösung zurückgegriffen. Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet eben zum Berg kommen, kehrte der Extrasinn ein altterranisches Sprichwort um, damit es einigermaßen passte. Zumindest der Teil mit dem Berg stimmte absolut, denn um nichts anderes als einen stählernen Berg handelte es sich bei dem Sammler. Nun musste alles unverzüglich gehen. Genau um 27.18 Uhr gab ich per Funk den Startbefehl. Florymonthis, Kommandantin des asteroidengroßen Raumschiffs, wartete bereits ungeduldig darauf, wie ich wusste. Seit ich ihr den Uraltkode übermittelt hatte, der wiederum von Ovarons Teilbewusstsein stammte, unterstellte sie sich bedingungslos meinem Kommando. Denn bei dem Sammler handelte es sich um einen winzigen Teil der »Urmutter«. Dieser planetengroße Gigantroboter war vor über 200.000 Jahren von Ovaron in Auftrag gegeben worden, um in seiner Abwesenheit sein Volk, die Ganjasen, vor dem Zugriff der Takerer zu beschützen oder passiv seine Rückkehr abzuwarten. Ovaron besaß dabei Befehlsgewalt über die Urmutter und dementsprechend auch über ihre »Kinder«, die Sammler. Der Sammler setzte sich langsam in Bewegung und entfernte sich gemächlich von BOYSCH. Im freien Raum beschleunigte er und verschwand schließlich im Dschungel der dicht stehenden Sterne, die aus »Wuthanas Leib« ein einziges Glitzern und
Gleißen machten. Das unerwartete Verschwinden des Sammlers löste beträchtliche Aufregung aus. Vor allem Symaltin sah dadurch den Schutz BOYSCHS aufs Äußerste gefährdet. Ich beruhigte den Autokraten mit der kleinen Notlüge, dass der Sammler eine wichtige Aufgabe zu erledigen habe, aber demnächst wieder zu Verteidigungszwecken zur Verfügung stünde.
6. Saryla Saryla lachte leise. Die Sterne verlöschten und machten einem grauen Wabern Platz. Denn seine Kirigalo-Einheit war soeben in den Überraum gewechselt. Sie würde ihn nach einer Etappe von rund 32.000 Lichtjahren in der Eastside der Galaxis wieder verlassen. Ein namenloser Methanplanet war das Ziel des Lordrichters und seiner fünfzehn Zaqoor-Begleiteinheiten. Saryla zeigte sich sehr zufrieden. Das Schwert der Ordnung erhöhte ihn durch diesen Auftrag vor seinen Kollegen und bestätigte dadurch, was ihm selbst schon länger klar war: Ich bin der Beste unter allen Lordrichtern, die hier in Gruelfin wirken. Kelkapalin, Ansandsa, Ibin Kyrela und Banadar Tasana arbeiten gut, ja manchmal sehr gut. Aber an meine Brillanz reichen sie eben nicht ganz heran … Szenen seines Wirkens entstanden vor dem geistigen Auge des Lordrichters. Immer und immer wieder berauschte er sich an ihnen, dokumentierten sie doch, welch großer Planer und Stratege er war.
* Die Aktion ist minutiös geplant. Die Kirigalo-Einheit, in der Lordrichter Saryla, hinter seinem Eishaarfeld verborgen, soeben seine Untergebenen einschwört, wartet im Schutz einer grünlich leuchtenden Sonne. Sie steht nahe dem Sorgelan-System mit dem
Eschens Welt Planeten Vavschenic, der seit Jahrtausenden als Hauptwelt der Wesakenos fungiert. Saryla ist über die Verhältnisse genauestens informiert. Er weiß um all die Dinge, die nötig sind, um eine sowieso schon gärende Galaxis vollends zu destabilisieren, sie sozusagen sturmreif zu schießen. Daran arbeitet er mit seinen Lordrichter-Kollegen seit mehr als einem Jahr. Saryla weiß, dass sich die Wesakenos noch immer weitgehend aus den Kriegswirren, die die anderen Cappin-Völker untereinander entfachen, heraushalten, obwohl sie über eine starke Kriegsflotte mit überlegener Technik verfügen. Das ist auch den Takerern bewusst. Deswegen lassen sie die Wesakenos weitgehend in Ruhe. Ein Zustand, den es zu ändern gilt! Von Vavschenic kommend, passiert ein Handelskonvoi der Wesakenos aus 37 großen Schiffen und fünf bewaffneten Begleiteinheiten gemächlich die grüne Sonne. Der Konvoi beschleunigt nur langsam, er fliegt momentan mit einem Drittel Lichtgeschwindigkeit. Aus dem Überraum fällt plötzlich ein starker Verband takerischer Kriegsschiffe. Saryla nickt zufrieden. Der Zeitplan stimmt auf die Sekunde genau. An Bord des takerischen Flaggschiffes befindet sich der Erste Beamte des Taschkars. Er soll mit den Wesakenos über eine kleine Enklave verhandeln, die beide Völker gleichermaßen für sich beanspruchen. Der Lordrichter weiß in allen Details davon. Längst reicht sein langer Arm bis in den Palast des Taschkars; auch im Regierungshaus der Wesakenos agieren seine Getreuen überaus erfolgreich. Und der Kommandant, der die Handelsflotte führt, ist ein glühender Anhänger der neuen Lehre, die immer mehr um sich greift im Reich der Takerer. Er hat dafür gesorgt, dass der Konvoi zum richtigen Zeitpunkt startet, ohne zu wissen, warum. Es genügt ihm, dass es im Namen Trodars geschieht. Die 43 Takerer-Einheiten fliegen die grüne Sonne an. Hier müssen sie verbleiben, näher dürfen sie Vavschenic nicht kommen. Der Erste Beamte des Taschkars wird sich
25 mit seinem wesakenischen Amtskollegen auf einem neutralen Schiff treffen, das auf der Hälfte des Weges wartet. Mit einem einfachen »Jetzt« leitet Saryla die verhängnisvolle Operation ein. 43 Reineeh-Truud teleportieren und tauchen ohne Zeitverzögerung in den Takerer-Schiffen auf. Die nur wenige Millimeter großen, wie kleine Raupen aussehenden Intelligenzen, die aus der Galaxis Vancanar stammen und ausschließlich vom Obersten Lordrichter zugeteilt werden, materialisieren direkt in den Hirnen der Pediaklasten und töten die Männer und Frauen auf der Stelle. Auch sie selbst gehen dabei in die Große Horde ein. Sie tun es mit Freuden. Jetzt, da auf den Takerer-Schiffen kein Schutz mehr gegen eine Pedoübernahme besteht, schlagen Sarylas Pedotransferer zu. Talosch und Vavischon, die bequem auf einem Bett liegen, blicken sich kurz an, werfen einen ängstlichen Blick zu der eisglitzernden, gut dreieinhalb Meter hohen Nebelwolke hinüber, die ihnen schlimmer und bedrohlicher erscheint als alle Albträume ihrer Kindheit, und peilen sich dann auf die ÜBSEF-Konstante ihrer Opfer ein. Sie springen. Als ihre Bewusstseine ihre Körper verlassen, verwandeln sich diese sofort in eine starre, blasige Masse, die zwei riesigen Teigklumpen ähnelt. Taloschs Bewusstsein übernimmt den Ersten Beamten, indem es dessen Bewusstseinsinhalt vollkommen überlagert und verdrängt; Vavischon macht sich gleichzeitig im Geist des Flaggschiffskommandanten breit. Aus heiterer Atmosphäre befiehlt der Erste Beamte des Taschkars den Angriff auf den Wesakeno-Konvoi. Niemand innerhalb des Verbandes hinterfragt den Befehl, zumal er vom Flaggschiffskommandanten mitgetragen wird. Es bricht sogar Jubel aus, weil man es den verhassten Wesakenos nun mal so richtig zeigen wird. Kämpfen ist das Geschäft dieser Takerer, sie kennen ohnehin nichts anderes, als dass takerische Interessen mit Waffengewalt durchgesetzt werden. Aufgeregte Meldungen, die im Flagg-
26 schiff zusammenlaufen und vom plötzlichen Ableben mehrerer Pediaklasten künden, werden von der Führung schlichtweg ignoriert. Wie oldonische Vorderstachler in der Hauptbrutzeit fallen die Takerer über den friedlich dahinziehenden Konvoi her. Die Handelsschiffe, deren Kommandanten erst im letzten Moment erkennen, was sich über ihnen zusammenbraut, können nicht einmal mehr die Schutzschirme hochfahren. Hilflos verglühen die Handelsraumer im Feuer der anfliegenden Takerer. Die fünf wesakenischen Begleiteinheiten dagegen wehren sich heldenhaft, schießen sogar zwei Takerer ab, können aber das grauenhafte Massaker nicht verhindern. Auch sie explodieren im Feuer der Thermo- und Impulsstrahler. Saryla triumphiert. Doch dieses Gemetzel ist dem Lordrichter noch nicht genug. Wie es abgesprochen ist, lenken Talosch und Vavischon den Kampfverband über ihre Pedoopfer nun zum Verhandlungsschiff. Die dort stationierten Wesakeno-Einheiten sind per Funk längst über die Kampfhandlungen informiert. Sie fliegen den takerischen Aggressoren entgegen. Saryla weiß, dass er das Verhandlungsschiff nicht erwischen kann. Es ist längst zurück auf dem Weg nach Vavschenic. Er will es auch gar nicht. Bei diesem Vorstoß handelt es sich mehr um eine symbolische Geste, die deutlich machen soll, dass die Takerer sich nicht an gegebene Versprechen halten, dass sie hinterhältig sind, dass ihnen nicht zu trauen ist. Dreiundfünfzig »Wessi«-Einheiten, wie die Wesakenos von den Takerern abfällig genannt werden, prallen auf die anfliegenden Aggressoren. Ein furchtbares Raumgefecht entbrennt. Es wird erst entschieden, als weitere fünfundsiebzig Einheiten der VavschenieHeimatflotte in den Kampf eingreifen. Die Wesakenos versuchen erst gar nicht, Gefangene zu machen oder gar zu verhandeln. Sie lassen nicht eine Einheit der Aggressoren übrig. Ihre Wut über den Verrat
Christian Schwarz kennt keine Grenzen. Der Lordrichter ist mehr als zufrieden. Mit dem totalen Untergang des TakererVerbandes wurden gleichzeitig alle Beweise für die Aktivitäten von Pedotransferern vernichtet.
* Saryla berauschte sich immer und immer wieder an diesen Bildern. Denn mit dieser großartigen Aktion, unterstützt von ein paar nachfolgenden kleineren, gelang es ihm, den offenen Krieg zwischen Wesakenos und Takerern heraufzubeschwören. Derartige Flächenbrände konnten die anderen in Gruelfin wirkenden Lordrichter bisher noch nicht auslösen. Nicht zuletzt deswegen hielt Saryla den Befehl des Schwerts der Ordnung zum Zuschlagen für etwas übereilt. Zwar waren die meisten TakererVölker bereits auf die lordrichterliche Seite gezogen und große Teile von ihnen mit dem Trodar-Glauben indoktriniert; trotzdem hätte es Saryla für besser gehalten, das Feuer in der Galaxis noch ein halbes Jahr weiter zu schüren, die allgemeine Lage noch mehr zu destabilisieren, bevor der endgültige Zugriff erfolgte. Nun, es ist, wie es ist. Und wichtig war schlussendlich nur er selbst. Natürlich blieben seine Erfolge dem Schwert der Ordnung nicht verborgen. Nicht zuletzt deswegen hatte es Großes mit ihm vor, das zeichnete sich immer deutlicher ab. Wäre es nicht so, würde es seine Eigenmächtigkeit in Bezug auf den Trodar-Glauben nicht geduldet und längst bestraft haben. Dass es ihn stattdessen mit einem Auftrag belohnte, den nur wahre Champions bekamen, war das zweite deutliche Zeichen. Suchte das Schwert der Ordnung vielleicht einen neuen Obersten Lordrichter? Testete es, ob er sich dieses Amtes als würdig erwies? Wie sonst sollte es ihn erhöhen, wenn nicht mit dieser Position? Saryla vermied es, intensiver über den Obersten Lordrichter zu reflektieren, den er wegen dessen Ausstrahlung fast noch mehr
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fürchtete als das Schwert der Ordnung. Viel lieber kam er wieder auf sich selbst und seine großartige Persönlichkeit zurück. Ja, er wusste, von seinem brennenden Ehrgeiz getrieben, weit mehr über die Pläne seiner beiden Vorgesetzten, als diesen lieb sein konnte. Es wäre ihm jederzeit möglich, daraus weitere eigene Pläne abzuleiten und zu verwirklichen, aber davon sah er im Moment ab. Saryla hielt dies für unklug, da ihn das Schwert der Ordnung ohnehin zu befördern gedachte. Würde er sich aber doch dazu entschließen, wäre ihm die Unterstützung vieler Marquis und Erzherzöge sicher, da sie ihn deutlich mehr schätzten als all die anderen Lordrichter. Schließlich habe ich mich allzeit bemüht, ihnen Grunde für unser Handeln hier in Gruelfin zu geben. Einer davon war die Verbreitung des Trodar-Glaubens, den er einst mit spiritueller Inbrunst als oberstes Ziel ausgerufen hatte. Saryla lachte verächtlich. Er selbst hielt von Trodar überhaupt nichts. Narr, der er auf Sytio einst war.
7. Atlan Ich genoss das Gefühl der Zufriedenheit, das sich ganz allmählich in mir breit machte. Die Absicherung BOYSCHS und der Ausbau der Station als strategisches Zentrum gegen die Lordrichter nahmen immer konkretere Züge an. Stündlich kamen Dutzende von Raumschiffen, meist mit Ganjasen bemannt, in der Freihandelszone Susch an. So ergab sich nach und nach ein erschreckendes Bild über die momentanen Zustände in Gruelfin. Weit über tausend Angriffe lordrichterlicher Truppen waren zwischenzeitlich dokumentiert. Die Zahl bewegte sich beständig nach oben. Und die Dunkelziffer bemaß sich sicher noch wesentlich höher. Die ankommenden Besatzungen unterstellten sich, bis auf wenige Ausnahmen,
freiwillig dem Sammelkommando unter meiner Führung, egal, ob es sich nun um Soldaten oder zivile Flüchtlinge handelte. Sie akzeptierten problemlos die aus Kadetten bestehenden Beraterstäbe, die ich ihnen zuteilte, selbst wenn es sich bei diesen nicht um Ganjasen handelte. So langsam befasste ich mich endlich mit meiner Abreise. Ich stand Symaltin zwar weiter helfend zur Seite und ließ meine ungeheure Präsenz wirken, wo immer ich konnte, aber unglücklicherweise drängte just zu dieser Zeit der Flammenstaub wieder stärker in den Vordergrund. Ich spürte es an unverhofft auftretenden, tiefen Erschöpfungszuständen, die allerdings, den Göttern Arkons sei Dank, nicht sehr lange anhielten. Wenn mir die Konturen meiner Umgebung vor den Augen verschwammen, wenn ich meine Gesprächspartner plötzlich doppelt und dreifach sah, wenn ihre Worte als tiefe, seltsam hohl und verzerrt klingende Laute an mein Ohr drangen, hätte ich mich am liebsten auf der Stelle zusammengerollt und geschlafen. Aber mit Hilfe des Zellaktivator, des Extrasinns und nicht zuletzt meines eisernen Willens hielt ich mich auf den Beinen und überspielte meine Schwäche weitgehend. Es gelang nicht immer. Wenn mich Carmyn oder Symaltin nachdenklich musterten, wusste ich, dass mein Blick unstet flackerte oder dass ich ihn vielleicht sogar ganz abgewandt hatte. Oder stand wieder mal eine unsinnige Antwort auf eine ihrer Fragen im Raum? Gut ein halbes Dutzend derartiger Attacken pro Tag hatte ich zu überstehen. Dabei hütete ich mich, den Flammenstaub aus meinem Inneren zu zwingen, geschweige denn ihn zu benutzen. Das musst du auch nicht, machte sich zur Abwechslung mal wieder Ovarons Bewusstseinssplitter bemerkbar. Selbst wenn du den Flammenstaub nicht einsetzt, so nagt er doch beständig an dir. So lange, bis deine Lebenskraft vollkommen aufgezehrt ist. Ich spüre die unheilvolle Macht, die er besitzt.
28 Sie macht mir Angst. Wer immer du auch bist, Fremder, du musst dieses unheimliche Zeug, mit dem sich kraft deiner Gedanken Wahrscheinlichkeiten von Entwicklungen beeinflussen lassen, so schnell wie möglich loswerden. Du bist nicht annähernd stark genug, um den Flammenstaub zu bändigen. Für den nur schwachen Bewusstseinssplitter Ovarons war dies eine lange Rede. Danach zog er sich wieder völlig in die Tiefen meines Ichs zurück und machte sich nicht mehr bemerkbar. Der Trend, dass das Teilbewusstsein des Ewigen Ganjos zwar durchaus klare Gedanken formulierte, aber hin und wieder auch schwere Gedächtnislücken aufwies, setzte sich fort. Ovaron hatte sicher Recht, was seine Analyse des Flammenstaubs anbetraf; dass er hingegen nicht mehr wusste, wer ich war, erschien mir in Anbetracht der langen Zeit, die wir einst zusammen verbracht hatten, zumindest seltsam. Ich war mir nicht sicher, wo diese Entwicklung hinführte. Setzte der Flammenstaub etwa auch Ovarons Bewusstseinssplitter zu? Es ist zu befürchten, bestätigte der Extrasinn. Deswegen musst du schauen, dass du den Ewigen Ganjo so schnell wie möglich wieder abgibst, an wen auch immer. Ein zweites, sich verwirrendes Bewusstsein könnte die Situation noch einmal drastisch verschärfen. Ja. Aber momentan kann ich mich um dieses Problem nicht kümmern. Wir werden unseren ungebetenen Gast also noch einige Zeit beherbergen müssen. So ist es. Auch wenn es momentan wesentlich angenehmere Orte als dein Bewusstsein gibt, Arkonide. Diese offene Kritik muss ich als dein Untermieter einfach mal anbringen. Zumal wir diesen ohnehin schon beschränkten Ort jetzt auch noch mit einem Dritten teilen müssen. Ein klarerer Punkt, den ich auf der Habenseite verbuchte, war Carmyn Oshmoshs Bereitschaft, hier auf BOYSCH das militärische Kommando zu übernehmen, wenn ich zu Eschens Welt flog. Dies musste aller-
Christian Schwarz dings heimlich geschehen, denn vor allem die Kadetten, die ich so sehr überzeugt hatte, sahen in mir die Symbolfigur des Widerstands schlechthin. Sie würden mir folgen, niemand anderem. Also durften sie nicht erfahren, dass ich mich still und heimlich vom Acker gemacht hatte, wie die Terraner so schön sagten. Wie das zu bewerkstelligen war, dafür hatte ich bereits eine Idee. Ich würde sie mit Carmyn demnächst durchsprechen. Persenpo Zasca, der Stellvertretende Leiter der Mythischen Infothek, der dem Massaker auf Extosch wie durch ein Wunder entkommen und hierher nach BOYSCH geflüchtet war, kam mir in den Sinn. Von ihm hatte ich erfahren, dass die Lordrichter in Gruelfin allem Anschein nach die Spur des vierten, lange verschollenen Rhoarxi-Stammes suchten, der auf Eschens Welt entdeckt worden war. Einst hatten sich die Rhoarxi, das führende Volk der Galaxis Dwingeloo, in Bruderkämpfen selbst dezimiert. Vier von vielen Dutzend Stämmen waren übrig geblieben. Und auch die hätten sich irgendwann gegenseitig ausgerottet, wäre nicht Lae, ein gottgleiches Wesen in Kosmokratendiensten, mit seinem kobaltblauen walzenförmigen Raumschiff erschienen. Lae überließ den Rhoarxi den Flammenstaub, ein wahres Zaubermittel, das ihre Aggressionen bändigte und sie erneut zu Vertretern der Stabilität und des Friedens machte. So, wie sie es schon einmal, vor sehr langer Zeit, gewesen waren. Als Gegenleistung traten die Rhoarxi in den Dienst der Kosmokraten und wirkten 300.000 Jahre im Sinne des Lebens für sie. Sie setzten sich für ein wachsendes, blühendes Universum ein – solange sie der Flammenstaub, vom Obersten Brüter gebändigt, vereinte. Doch von einem Tag auf den anderen ließen die Kosmokraten ihr Hilfsvolk fallen. Im Bestreben, erneut an Flammenstaub zu kommen, weil sie sich sonst wieder gegenseitig zerfleischten, verpfändeten drei Rhoarxi-Stämme ihre Seele an die Kosmokraten und führten fortan Aufträge für sie
Eschens Welt aus, die nur noch als offensive Kriegshandlungen bezeichnet werden konnten. Lediglich der vierte Stamm, die Anarii, entzog sich dieser Erpressung und verließ die Gemeinschaft. Die in Dwingeloo verbliebenen Stämme wähnten ihre Brüder und Schwestern seit vielen Jahrtausenden tot, elend an den Entzugserscheinungen des Flammenstaubs zugrunde gegangen. Und nun hatte ich unverhofft die Nachricht erhalten, die mich über alle Maßen erregte, die Nachricht nämlich, dass die Anarii hier in der Galaxis Gruelfin lebten! Und dass auch die Lordrichter nach ihnen suchten. Diese wertvolle Information, die den Schleier über den Motiven der geheimnisvollen Aggressoren ein wenig beiseite zog, war gleichzeitig auch eine unverhoffte Chance für mich selbst. Denn wenn ich nicht irgendwann elend am Flammenstaub krepieren wollte, musste ich diese Rhoarxi unbedingt finden. Und zwar so rasch wie möglich. Nur sie konnten mir helfen, das tödliche Zeug wieder loszuwerden, nachdem mir der erneute Zugang zur Intrawelt und den dortigen Rhoarxi verwehrt worden war. Ich stöhnte unwillkürlich. Da hatte ich vor den Kadetten große Reden über allgemeine Verantwortung und Selbstaufopferung geschwungen. Gewiss, ich hatte meine dahingehende edle Gesinnung schon viele Male unter Beweis gestellt. Aber was würde ich nun machen? Würde ich mir, falls ich die Rhoarxi tatsächlich fand, den Flammenstaub entfernen lassen, um mein Leben zu retten? Selbst auf die Gefahr hin, dass er höchstwahrscheinlich das einzige Mittel darstellte, die Lordrichter zu schlagen und dadurch Milliarden Intelligenzwesen vor dem Tod zu bewahren? Zerfleisch dich nicht mit diesen nutzlosen Gedanken, mahnte mich der Extrasinn. Sie bringen dich im Moment nicht weiter. Du wirst das Richtige tun, wenn es so weit ist. Zuerst einmal müssen wir die Rhoarxi überhaupt finden, am besten noch vor den Lordrichtern. Du hast Recht. Wir müssen schauen, dass
29 wir die Anarii vor dem Zugriff der Garbyor schützen. Ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn es den Lordrichtern tatsächlich gelingt, den verschollenen RhoarxiStamm zu unterdrücken und in ihre Dienste zu zwingen. Wie immer das passieren könnte … Ja, wie immer das passieren könnte, gab ich zurück. Wir wissen jetzt zwar, dass die Lordrichter in Dwingeloo nach dem Flammenstaub suchten und hier in Gruelfin nach den Anarii. Wir wissen aber noch nicht, was sie von den Anarii überhaupt wollen. Denn die haben ja seit vielen Jahrtausenden nichts mehr mit dem Flammenstaub zu tun gehabt. Ah, du bist gerade bei klarem Verstand, spottete der Extrasinn weiter. Und wir wissen auch noch nicht, was die Lordrichter in der heimischen Milchstraße gesucht haben. Die Psi-Quellen beziehungsweise deren Energien alleine können es ja wohl nicht gewesen sein. Ja. Es muss sich dabei um etwas handeln, was mit den Anarii und dem Flammenstaub in ursächlichem Zusammenhang steht. Davon ist in der Tat auszugehen. Und eines wollen wir ebenfalls nicht vergessen: Du selbst, Atlan, dürftest in den Planungen der Lordrichter zwischenzeitlich eine noch tragendere Rolle spielen als zuvor schon. Jetzt, da du den Flammenstaub in dir trägst, bildest du das absolute Zentrum ihrer Begehrlichkeiten. Sie müssen jetzt noch mehr riskieren, um dich in ihre Hand zu bekommen. Als sich der 29. Oktober seinem Ende zuneigte, ging ich heimlich an Bord der AVACYN. Bis auf Carmyn Oshmosh, die als mein verlängerter Arm auf BOYSCH zurückblieb und den beim Angriff auf Eptascyn umgekommenen Amendariasch begrüßte mich die komplette Besatzung. Die bisherige Pilotin Myreilune fungierte nun als Kommandantin, während Abreime Shastich das kleine Beiboot flog. Ich mochte die ewig widersprechende Myreilune nicht besonders, hatte mich aber bei der Umbesetzung nicht eingemischt. Es stellte kein Problem dar, die AVACYN unbemerkt durchs Chaos der
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kreisenden Schiffe zu bringen. Unser eigentliches Ziel lag 32.555 Lichtjahre entfernt in der galaktischen Eastside. Doch zuvor hatte ich noch ein kleines Rendezvous eingeplant.
8. Kaystale Kaystale starrte auf die Außenholos, die das graue Wabern des Überraums zeigten. Myreilune konnte es mal wieder nicht lassen, Atlan zu widersprechen, als er über das Wesen des Überraums philosophierte. Sie glaubte tatsächlich, besser über diese Dinge Bescheid zu wissen als der Unsterbliche, der so unendlich viel gesehen und erfahren hatte und sogar hinter den Materiequellen gewesen war. Das war dumm. Nun, vor einigen Tagen hätte sie sich sicher selbst in diesen kleinen Disput eingemischt, selbstverständlich auf Atlans Seite. Jetzt hörte sie lediglich mit halbem Ohr hin. Denn die Gedanken der Takererin sprangen unablässig zwischen zwei Brennpunkten hin und her, die momentan erste Priorität für sie besaßen. Bei dem einen handelte es sich um einen kleinen Hinterwäldlerplaneten namens Gorys, beim anderen um die Sternenstation BOYSCH, genauer um Meschmyon, der dort eine neue Heimat gefunden hatte. Meschmyon, den sie mehr hasste als irgend sonst ein Wesen in dieser Galaxis. Meschmyon, den sie über vierzig Jahre lang gesucht hatte, um ihm zu geben, was ihm zustand. Meschmyon, dessen Gesicht sie all die Jahre verfolgte und sie aus den unmöglichsten Ecken heraus anstarrte. Meschmyon, der verantwortlich für ihre schlimmsten Albträume, ihre tiefsten Verzweiflungen und verheerendsten Hassfantasien war. Und nun, da sie Meschmyon alias Susyn gefunden hatte, durfte sie nicht, wie sie gerne wollte. Denn damit hätte sie Atlans Pläne gefährdet. Das aber will ich nicht!
Durch ihren Treueschwur fühlte sie sich dem Arkoniden verpflichtet, wenn es sein musste, bis in den Tod. Trotzdem war es ein schweres Ringen mit sich selbst gewesen, bis Kaystale zu einem endgültigen Ergebnis gekommen war. Es lautete: Solange mich der Schwur bindet, werde ich nichts gegen Meschmyon unternehmen. Aber sobald mich Atlan aus seinen Diensten entlässt, egal, ob wir die Lordrichter bis dahin besiegt haben oder nicht, gehe ich nach BOYSCH zurück. Dann bin ich am Zug. Deswegen flog sie jetzt auf der AVACYN mit. Die Takererin stellte sich bildlich vor, was Meschmyon blühte, wenn sie ihn auf BOYSCH stellte. Gleichzeitig wogten die alten Bilder und die damit verbundenen Gefühle mit lange nicht mehr erlebter Intensität in ihr hoch. Das wühlte sie derart auf, dass sie sich abrupt umwandte und in ihre Kabine ging. Dort übergab sie sich, so übel war ihr.
9. 30. Oktober 1225 NGZ Die Schlacht (aus der jeweiligen Sicht der beiden Parteien) 753 Lichtjahre von BOYSCH entfernt fiel die AVACYN aus dem Überraum. Ich wies Abreime Shastich an, die gelbe Doppelsonne anzusteuern, die zwei Lichtminuten vor uns im Raum stand. Ich ließ den Sammler MITYQINN anfunken. Nahezu umgehend meldete sich Florymonthis. »Endlich bist du da, prachtvoller Mann«, zeterte das seltsame Wesen auch sogleich mit tiefer, angenehm brummender Stimme los, während mich die kugelförmigen Augen an den gut fünfzig Zentimeter langen Tentakeln so traurig musterten, als hätte ihre Besitzerin die ganze Last des Universums alleine zu tragen. »Sieh mich an, wie alt und fett ich geworden bin. Jawohl, fett. Niemand kann mich mehr anschauen, so unwürdig sehe ich aus. Ich werde nicht mal mehr als Ärztin auf einem Sumpfplaneten arbeiten können. Dabei bin ich völlig harmlos. Selbst
Eschens Welt ein …« »… Schönheitsplasturg kann dir nicht mehr helfen, ich weiß«, ergänzte ich den Satz. Breit grinsend musterte ich den sechs Meter großen Roboter, der das Kommando an Bord des Sammlers hatte und völlig selbstständig agierte. Florymonthis fühlte sich lediglich Ovaron verpflichtet. Da ich Ovaron momentan in mir trug, was Florymonthis nicht entgangen war, stand sie nun als treue Verbündete zu mir. »Woher weißt du das, prachtvoller Mann?«, antwortete Florymonthis verblüfft, während ihre Augententakel sich wie Schlangen wanden. Trotzdem blieben die gut fünfzehn Zentimeter durchmessenden Sehwerkzeuge mit den feinen, wie Wimpern aussehenden Haarfühlern unverwandt auf mich gerichtet. »Ja, selbst ein Schönheitsplasturg würde sich mit mir vergeblich mühen. Vielleicht ist es besser, wenn er es gar nicht erst versucht. Er würde mich ohnehin nur töten. Dabei bin ich völlig harmlos.« Sie zögerte einen Moment und verknotete dann den linken Augententakel, was ich mit einiger Verblüffung zur Kenntnis nahm. Selbiges hatte ich bis dato weder bei ihr noch bei ihren Vorgängern Florymonth und Florymonth II gesehen, denen wir seinerzeit im März 3438 an Bord der MARCO POLO begegnet waren. »Darf ich zu dir an Bord kommen, begehrenswerter Mann?« Ich lehnte dankend ab. Wie bei ihren beiden »Vorgängern« handelte es sich auch bei Florymonthis um einen »Aggregateklau«, der sich zum Erreichen seiner vollen Funktionsfähigkeit alle möglichen technischen Geräte einverleiben musste. Höchstwahrscheinlich wäre die AVACYN nach Florymonthis' Abschied nicht mehr flugfähig gewesen. Ich entzog dem »Homunkulus«, wie Perry Rhodan dessen Vorgänger einst definiert hatte, das Wort und drängte zum Aufbruch. »Myreilune, lass bitte die Koordinaten von Eschens Welt in die Positronik des Sammlers überspielen.« Plötzlich verschwamm die Zentrale vor
31 meinen Augen. Ich sah die kleine, fette Ganjasin doppelt, während sich ihre Erwiderung in dumpfe, hallende Töne auflöste, die ich nicht verstand. Schwindel überkam mich. Möglichst unauffällig versuchte ich, mich an einem Vorsprung festzuhalten und abzustützen. Es gelang. Sonst wäre ich, auch dank der Schwäche in meinen Beinen, ganz sicher umgekippt. Mit allerletzter Kraft ging ich auf das Schott zu. »…tlan, was ist los?«, nahm ich eine sich wellende Stimme wahr, die ich keiner Person zuordnen konnte. »Die letzten Tage waren wohl … etwas viel«, keuchte ich. »Ich muss mir etwas … Ruhe gönnen. Ruft mich, wenn etwas … Wichtiges ist.« Meine eigene Stimme klang mir so unendlich fremd in den Ohren, dass ich darüber erschrak. Unvermittelt stand Kaystale an meiner Seite und stützte mich. Ich war wütend ob meiner eigenen Schwäche, dass ich sie nicht verbergen konnte, und hätte die Takererin am liebsten weggestoßen. Aber ich sah mich nicht einmal mehr dazu in der Lage. So ließ ich es geschehen. Sie bemerkte den kalten Schweiß, in dem ich förmlich badete. Sorge schlich sich in ihr verunstaltetes Gesicht. Es war mir egal. Als sie mich auf meine Liege bettete, besaß ich nicht einmal mehr die Kraft, mich in eine bequeme Position zu drehen. Auf der Stelle schlief ich ein. Irgendwann erwachte ich wieder. Auch wenn ich mich wie gerädert fühlte, merkte ich doch, dass das jüngste Lebenszeichen des Flammenstaubs überstanden war. Der Zellaktivator sandte belebende Impulse durch meinen Körper und Geist. Mein Blickfeld erfasste ein rötliches Leuchten. Erschrocken fuhr ich hoch. »Kaystale«, murmelte ich verblüfft, »was machst du hier?« Die Takererin saß auf einem Stuhl am Kabineneingang. Sie verzog keine Miene. »Ich habe deinen Schlaf bewacht, Atlan. So schwach wie vorhin habe ich dich noch niemals zuvor gesehen. Ich dachte, es wäre bes-
32 ser, wenn jemand bei dir bleibt.« »Danke«, erwiderte ich und sprang vom Bett hoch. »Es geht mir wieder gut.« Sie nickte und erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung. »Wie lange habe ich geschlafen, Kaystale?« »Zwei Stunden und dreiundzwanzig Minuten. Wir sind erst vor kurzer Zeit in den Hyperraum gewechselt.« Sie nickte mir zu, zögerte kurz und verließ dann meine Kabine. Sie wollte zum Bleiben aufgefordert werden, stellte der Extrasinn fest. Sie hat etwas auf dem Herzen. Schon möglich. Aber ich ziehe es vor, momentan alleine zu sein. Ich suchte die Nasszelle auf und duschte mich ab. Danach fühlte ich mich wie neugeboren. Um weiteren, unangenehmen Fragen auszuweichen, blieb ich erst mal in meiner Kabine. Eschens Welt kam mir in den Sinn. Was mochte das für ein Planet sein, den sich der ausgewanderte Rhoarxi-Stamm zum Leben ausgesucht hatte? Und wie, bei Arkons Göttern, waren die Anarii ausgerechnet nach Gruelfin gelangt? Interessante Fragen, die es da zu klären galt. Alles, was ich wusste, war, dass es sich bei Eschens Welt um einen Planeten handelte, der 865 Lichtjahre südöstlich der Wesakeno-Hauptwelt Vecchal lag. Knappe vier Stunden später ging ich in die Zentrale zurück. »Du siehst schlecht aus, mein Lieber«, empfing mich Myreilune mit einer offensichtlichen Unwahrheit. Das Schau dich doch mal selber an, das mir auf der Zunge lag, verkniff ich mir im letzten Moment. »Neuigkeiten?«, fragte ich stattdessen knapp. »Keine«, meldete sie. Kurze Zeit später fiel unser kleiner Konvoi in den Normalraum zurück. 150 Lichtjahre vor Eschens Welt legten wir eine letzte Orientierungsetappe ein. Wir bewegten uns durch einen sternenarmen Sektor. Leises, durchdringendes Piepsen füllte ur-
Christian Schwarz plötzlich die Zentrale. »Fünfzehn ZaqoorEinheiten, nur eine Lichtminute entfernt von hier«, meldete Ypt Karmasyn und nippte dabei so entspannt an ihrem Symbiontengetränk, als würde sie lediglich über das Wetter reden. Kein Wunder. Der Sammler, neben dem die AVACYN wie ein Planktonteilchen unter einem terranischen Wal schwebte, verlieh uns allen das Gefühl der Unbesiegbarkeit. »Dazwischen fliegt ein nicht klassifizierbares Raumschiff. Energieecho absolut unbekannt. Es ist auf jeden Fall sehr groß. Und trotzdem immer noch ein Winzling gegen unseren Sammler.« Zaqoor! Das konnte heiter werden. Was suchte die Leibstandarte der Lordrichter ausgerechnet hier? Die Ortungsdaten erschienen auf den Holos. Unwillkürlich sprang ich auf. Meine Augen begannen vor Erregung stark zu tränen. Mit zusammengepressten Kiefern starrte ich auf die Energieimprints. Natürlich kannte die Besatzung das als unbekannt klassifizierte Echo nicht. Ich hingegen schon. Ich hatte es gesehen, damals, als Kythara und Gorgh-12 noch gelebt hatten, über Maran'Thor, der Welt der Feuerringe … Dank meines fotografischen Gedächtnisses vergaß ich die charakteristischen Zacken des Energiediagramms, die auf hoch entwickelte Technik hindeuteten, nie mehr wieder. »Was regst du dich so auf, Atlan?«, fragte Myreilune. »Gegen unsere MITYQINN haben die Zaqoor nicht die Spur einer Chance, wenn sie denn einen Angriff wagen.« »Ein Kirigalo«, flüsterte ich fast andächtig. »Dort vorne fliegt ein Kirigalo.« »Was ist ein Kirigalo?« Kaystale trat neben mich. »›Kirigalo‹ heißen die Einheiten der Lordrichter. Wir müssen davon ausgehen, dass das Schiff dort einen Lordrichter an Bord hat.« Die anderen starrten mich an. »Normaloptische Darstellung!«, verlangte ich. Ja, ich hatte mich nicht getäuscht! Auf
Eschens Welt den Bildschirmen erschien ein blutrot leuchtendes Schiff, das mit seinem Rotationsellipsoid in der Mitte und den acht in Äquatorhöhe angeordneten Spitzkegeln wie ein rund fünf Kilometer durchmessender Seestern wirkte. Ich kannte den Anblick bereits und war dementsprechend gewappnet. Die Besatzung der AVACYN erstarrte dagegen förmlich. Lediglich Myreilune wand sich unbehaglich. Gebannt fixierte sie die Darstellung. »Das … das Ding da, es wirkt … unheimlich, Angst einflößend.« »Ja«, ergänzte der Pediaklast Hyptosch, und kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, »ich verspüre den Drang, mich … mich etwas ungleich Mächtigerem zu unterwerfen.« »Richtig. Genau das wird von den Lordrichtern auch bezweckt. Allein der Anblick ist es aber garantiert nicht, der diese Wirkung erzeugt. Ich tippe darauf, dass sie ihn mit Energiefeldern aus einem Bereich des Hyperspektrums koppeln, den wir nicht anmessen können.« Dieser wissenschaftliche Erklärungsversuch schien den Bann ein wenig zu lösen. »Ich will verdammt sein, wenn wir uns von dem Kirigalo einschüchtern lassen«, erwiderte Myreilune und bewegte dabei den Kopf, als müsse sie eine gewaltige Last abschütteln. Dabei lag es nicht in ihrer Hand, sich erfolgreich dagegen zu wehren. Was macht ein Lordrichter ausgerechnet hier?, fragte der Extrasinn. Ist das ein Zufall? Was sonst? Ja, was sonst? Schließlich ist diese Galaxis ja gar nicht so groß. Nun, vielleicht ist es tatsächlich ein Zufall. Wäre es keiner, müssten die Lordrichter über unsere Aktivitäten genauestens Bescheid wissen. Das halte ich für nicht denkbar, schließlich wissen auf BOYSCH nur Carmyn Oshmosh und Persenpo Zasca über unsere Pläne Bescheid. Beide sind ja wohl über jeden Verdacht erhaben. Nun, auch unverhoffte Gelegenheiten müssen genutzt werden. Ich hatte die Daten, die in schneller Folge
33 über die Orterholos liefen, längst interpretiert. »Die Zaqoor-Raumer bilden eine typische Angriffsformation. Sie haben den Kirigalo in der Mitte und treiben auf eine kleine Welt zu.« Warum greifen Zaqoor in einer Schlachtformation, die nur im Raumkampf Sinn macht, einen Planeten an?, fragte der Extrasinn. Wir werden's aus dem Lordrichter herausquetschen, wenn wir ihn haben. Ich hoffe, dass ich mich nicht täusche und tatsächlich einer an Bord ist. Stör mich jetzt nicht, weiter, ich habe zu tun. Ich wandte mich an die Funk- und Ortungsoffizierin. »Gibt es Daten über diesen Planeten?« Ypt Karmasyn befragte den Sternenkatalog des Bordrechners. »Negativ. Diese Welt ist unbekannt.« »Wir werden uns darum kümmern. Ypt, mach mir eine Verbindung mit Florymonthis.« »Natürlich, Atlan. Und hier kommt unsere verkappte Sumpfärztin auch schon.« Das Gesicht des Roboters erschien auf dem Hauptholo. »Ich habe mich so nach dir gesehnt, du wunderbarer Mann«, ging das Gezeter umgehend wieder los. »Aber ich fürchte, du willst mich nicht mehr anschauen wollen. Dabei habe ich abgenommen, damit ich nicht im Boden des Sumpfplaneten versinke, auf dem ich als Ärztin arbeite. Ich bin harmlos, töte mich also nicht.« »Ich werde mich hüten. Du hast die Schiffe dort vorne geortet, Florymonthis?« »Aber natürlich.« »Gut. Ich habe den begründeten Verdacht, dass wir einen Lordrichter höchstpersönlich vor uns haben. Wir greifen sofort an. Aber denk daran: Ich will den Kerl lebend haben, wenn es irgendwie geht.« Die Bildverbindung erlosch. Der Sammler drehte ab und nahm direkten Kurs auf das Angriffsziel. Sozusagen in seinem Kielwasser flogen wir hinterher. Ypt Karmasyn maß unglaubliche Energiewerte an, als mächtige Generatoren im Leib der MITYQINN zum
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Leben erwachten. Die Waffen- und Schutzschirmsysteme wurden hochgefahren. Das war der Moment, in dem die Golfballraumer der Zaqoor ihren Angriff auf die fremde Welt abbrachen und sich dem anfliegenden Monstrum entgegenstellten. Ich hoffte inbrünstig, dass der Kirigalo nicht floh. Der Lordrichter tat mir den Gefallen. Dabei war ich mir keineswegs sicher, ob der Sammler den Kirigalo knacken konnte, auch wenn es sich bei der MITYQINN um ein exorbitantes Machtmittel handelte.
* Als die MITYQINN noch etwa 20 Millionen Kilometer von den anfliegenden Zaqoor entfernt war, lösten sich die Vasallen aus ihrem stählernen Leib und schwärmten aus. Zuerst orteten wir nur ein paar Dutzend, dann Hunderte, Tausende und schließlich Zehntausende dieser seltsamen Roboteinheiten, die in allen denkbaren Formen und Größen existierten. Wie ein Schwarm gieriger Heuschrecken griffen sie die Zaqoor an, die sich längst in ihre Schutzschirme hüllten. »Energiefelder unbekannter Zusammensetzung«, meldete Ypt Karmasyn, die gerade besagte Schutzschirme anmaß. »Fünf- und sechsdimensionale Komponenten sind allerdings deutlich auszumachen. Es handelt sich um eine Art Strukturriss-Technik, die die auftreffenden Energien in den Hyperraum abstrahlt.« Sie zögerte kurz. »Das gilt übrigens auch für den Kirigalo. Dessen Technik arbeitet trotzdem auf völlig anderer Basis als die der Zaqoor.« Die lordrichterlichen Truppen eröffneten das Feuer. Erste Strahlbahnen aus den Golfballraumern fraßen sich durch die ewige Schwärze – und trafen. Sieben Vasallen verwandelten sich in kleine Sonnen. Florymonthis schickte hundert neue dafür. »Und wenn sie Tausende der Vasallen treffen, ist es doch nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein«, murmelte ich.
Gespannt wartete ich auf den Gegenschlag. Wir selbst mussten uns mit der AVACYN weit im Hintergrund halten. Zum einen, weil die unheimliche Machtstrahlung des Kirigalos die Besatzung beeinflusste, zum anderen, weil unser Boot zu klein war, um wirklich eine Chance im Kampf der Riesen zu haben. Zudem wollte ich Leben schonen, wenn auch Robots die Arbeit tun konnten. Nun erreichten auch die ersten Vasallen Kernschussweite. Ganze Pulks synchronisierten sich und feuerten auf die Zaqoor, was das Zeug hielt. Auf Punktbeschuss verzichteten sie. Da sich Tausende von ihnen auf jeweils eine Golfballeinheit einschießen konnten, versuchten sie, allein durch ihre Masse deren Schutzschirme zu überladen. Die Sammlereinheiten explodierten zu Dutzenden, zum Teil direkt in den Schutzschirmen der Zaqoor. Ohne den geringsten Erfolg. Auch der Kirigalo, der von gut 20.000 Einheiten beschossen wurde und im Inferno der tobenden Energien kaum noch auszumachen war, schien nicht gefährdet. Er machte den Eindruck, als ließe er die Angriffe kühl und gelassen an sich abprallen. »Bei Arkons Göttern, die veranstalten ein regelrechtes Tontaubenschießen auf die Vasallen«, knirschte ich. »Ich hab's befürchtet. Die veralteten Initialstrahler reichen nicht aus. Auch mit Desintegratoren und Thermostrahlern ist ihnen nicht beizukommen. Die Schutzschirme der Robots sind ebenfalls viel zu schwach. Ypt, ich brauche Florymonthis.« Ypt Karmasyn nahm einen tiefen Schluck des süßlichen Zeugs, das außer ihr niemand riechen konnte. Sie starrte gespannt auf die Holos. Ihr Selbstbewusstsein erlitt gerade einen mächtigen Dämpfer. Wie die anderen auch hatte sie wohl geglaubt, der Sammler würde alles spielend leicht aus dem Weg räumen, was uns in denselben kam. Sie stellte eine Bildsprechverbindung her. »Florymonthis, du musst sofort deine Taktik ändern«, empfing ich sie, bevor sie wieder lamentieren konnte. »So wird das nichts. Warum setzt du nicht die Dopplerge-
Eschens Welt schütze ein, die ich dir in BOYSCH habe einbauen lassen?« »Warum beschimpfst du mich, schöner Mann?«, jammerte sie. »Lass mir doch meinen Spaß. Ich bin alt und hässlich und muss mich an etwas anderem erfreuen. Ein bisschen Einschießen, bevor es richtig losgeht, kann doch nicht schaden. Oder?« »Aber du vergeudest Unmengen an Material«, warf ich ihr vor. »Das muss nun wirklich nicht sein.« »Warum? Ich habe genug davon, auch wenn ich völlig harmlos bin.« Ihre Tentakelaugen schienen mich doch tatsächlich anzublinzeln. »Aber gut, ich lasse angreifen.« Weitere Vasallen, von der Form her Posbi-Würfeln nicht unähnlich, griffen in den Kampf ein. Auch die MITYQINN selbst begab sich auf Kernschussdistanz, die dank der riesigen Energiespeicherbänke bei gut 15 Millionen Kilometern lag. Urplötzlich entstand ein blassblaues Hochenergiefeld rund um zwei Golfballraumer und ließ deren Schutzschirme sofort zusammenbrechen. Nur einen Moment später explodierten die Zaqoor im Thermo- und Desintegratorfeuer. Die Schockwellenfronten zerdrückten Hunderte der Vasallen gleichzeitig, andere wurden von den Explosionen ins Verderben gerissen. Jubel brandete durch die Zentrale der AVACYN. Ypt Karmasyn entspannte sich wieder. Myreilune strahlte über ihr ganzes feistes Gesicht. Ich hingegen stand regungslos und beobachtete einfach nur. Die Initial-Dopplergeschütze wirkten. Gut. Im Gegensatz zu den einfachen Initialstrahlern brachten sie nicht nur Maschinen und Waffen auf atomarer Fusionsbasis zur Explosion, sondern griffen zusätzlich die hyperenergetischen Komponenten der Schutzschirme an. Damit waren sogar Paratronschirme zu knacken. Das Gefecht ist noch lange nicht entschieden, analysierte der Extrasinn. Ich bin gespannt, ob es beim Kirigalo genauso problemlos funktioniert. Da sind wir einer Meinung …
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* Garbmashan sah sinnend auf das Hauptholo. Der riesige Würfel, der inmitten der Kirigalo-Zentrale hing, zeigte auf fünf seiner sechs Flächen dasselbe Bild: einen kleinen grauen Planeten, in dessen Atmosphäre gewaltige Stürme tobten. Zum wiederholten Male fragte sich der Zaqoor, was diese Welt, die in der Biosphärenzone einer mittelgroßen gelben Sonne schwebte, wohl so Bedeutendes an sich hatte. Die Orter zeigten lediglich primitives Leben auf Ammoniakbasis und keine außergewöhnlichen Rohstoffvorkommen an. Trotzdem flogen der Kirigalo und die fünfzehn großen Kugeln, die ihn begleiteten, in Kampfformation darauf zu! Der Lordrichter wollte es so. Und was der Herr wollte, geschah. Ohne dass irgendjemand es wagen würde, seine Befehle von sich aus zu hinterfragen. Wenn es dem Herrn gefiel, weihte er zumindest den Kommandanten, denn keinen anderen Posten bekleidete Garbmashan, in seine Pläne ein. Das geschah hin und wieder. Dieses Mal ließ ihn der Herr allerdings unwissend. Noch. Garbmashan ließ sich deswegen keine zusätzlichen Augenhörner wachsen. Was immer es auf diesem Planeten dort so Furchterregendes gab, dem Kirigalo würde es nicht gewachsen sein. Ja, Garbmashan war voller Vertrauen in die eigene Stärke und Unbesiegbarkeit, so, wie Trodar es ihn lehrte. In der kreisrunden, gut 200 Meter durchmessenden Zentrale taten an die 150 Zaqoor Dienst. Trotz der Kampfformation des Verbandes herrschte keine erhöhte Alarmbereitschaft. Die ganz normalen Routineabläufe prägten das Geschehen. Also sah Garbmashan keinen Grund, auf sein geliebtes Haggariss zu verzichten, die Leibspeise der Krieger. Er ließ sich einen Teller davon kommen und schmatzte den rohen Fleischbrei, vermischt mit zermahlenen und teilweise nur klein gebrochenen Knochen, genüsslich hin-
36 unter. Garbmashans Bewusstsein gehörte zu den stärksten, die diese Zaqoor-Generation hervorgebracht hatte; im gesamten Reich wohlgemerkt. Auch die anderen Besatzungsmitglieder des Kirigalos wiesen in dieser Hinsicht weit überdurchschnittliche Werte auf. Denn sonst wäre es ihnen auf Dauer nicht möglich gewesen, der furchtbaren Ausstrahlung des Eishaarfeldes, das sich fast ständig in ihrer Nähe befand, zu widerstehen. Zaqoor, die einen bestimmten Bewusstseinswert überschritten, konnten sicher sein, für den Dienst auf einem Kirigalo ausgebildet zu werden. Wiederum die Besten aus dieser Elite stiegen irgendwann zu Kommandanten auf. Denn ausschließlich der Kommandant bekam es zwei- bis dreimal pro Tag direkt mit dem Lordrichter zu tun und musste dabei die allernächste Nähe des Eishaarfeldes ertragen können. Garbmashan tat dies seit siebzehn Jahren. Damit hielt er einen einsamen Rekord. Im Schnitt waren Kirigalo-Kommandanten nach etwa zehn Jahren verschlissen. Doch Garbmashan schaffte es mit eisernem Willen, dem Eishaarfeld stets aufs Neue zu trotzen. Er glaubte, dass er deswegen heimlichen Respekt und Anerkennung »seines« Lordrichters genoss, von dem er nicht einmal den Namen kannte. Die Orter sprachen an. Garbmashan konnte kaum glauben, was er sah. Er gab Vollalarm. Gleich darauf schrillten Sirenen durch den Kirigalo. Die Mannschaften hielten sich ab jetzt in Kampfbereitschaft. Der Kommandant wartete auf das Eishaarfeld. Er musste es nicht lange tun. Umgehend materialisierte es in der Zentrale. Garbmashan gelang es auch jetzt wieder, die kreatürliche Angst, die ihn ganz automatisch erfasste, zurückzudrängen. Obwohl er sich im Angesicht des Eishaarfeldes wie ein winziger, sich windender Wurm vorkam, wagte er es doch, den Lordrichter in dessen nichtstofflicher Erscheinungsform anzuschauen. Aber nur, weil dieser es duldete.
Christian Schwarz Garbmashan wusste darum. »Herr, wir orten eine unglaublich große Einheit, die gerade eben aus dem Überraum fiel. Sie wird von einem kleinen Beiboot der NAMEIRE-Klasse begleitet. Aber sieh selbst …« »Der Sammler, das muss der Sammler sein.« Schon allein die schneidende Stimme, die das Eishaarfeld durchdrang, hätte sanftere Gemüter in den sofortigen Freitod getrieben. »Was ist ein Sammler, Herr?« »Das geht dich nichts an, Kommandant.« Mit dieser Rüge zusammen erreichte Garbmashan eine starke Folge von Angstimpulsen. Er stöhnte und krümmte sich zusammen. »Natürlich, Herr, es geht mich nichts an«, beeilte er sich zu sagen. »Wie lauten deine Befehle?« »Der Sammler wird uns angreifen. Ich bin mir sicher. Denn in dem kleinen Beiboot fliegt ein Mann mit, der sich diese günstige Gelegenheit auf keinen Fall entgehen lassen wird. Wir kämpfen mit allem, was wir haben.« »Herr, wir schießen diesen Koloss aus dem Weltraum. Nichts und niemand kann uns widerstehen. Denn wir sind Garbyor.« »Das seid ihr, ja. Unüberwindliche Kämpfer. Nun, der Sammler ändert bereits den Kurs. Er fliegt auf uns zu«, stellte der Lordrichter fest. »Ich habe nichts anderes erwartet, Herr. Du irrst dich niemals.« »Eher verlöschen die Sterne, als dass sich ein Lordrichter irrt, Kommandant. Kämpfe gut! Kämpfe in Trodar!« Garbmashan gab die nötigen Anweisungen. Er hoffte, dass das Eishaarfeld aus der Zentrale verschwand und ihn in Ruhe arbeiten ließ. Aber der Lordrichter tat ihm den Gefallen nicht. Er verharrte auf der Stelle und beobachtete. Die Zaqoor wendeten und flogen dem stählernen Koloss entgegen. Die Lieder von Trodar hallten wie Donnergrollen durch die Zentrale, denn die Besatzungsmitglieder sangen sie im Gleichklang. Sie verstummten
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auch nicht, als sich viele tausend Kampfeinheiten aus dem Sammler lösten und gleich den Schwärmen der Blutbaghiren von Moch-Lomaan anflogen. Nichts und niemand konnte einem Kirigalo Schaden zufügen. Und wenn dieser unwahrscheinliche Fall doch einmal eintrat, lockte im Hintergrund das ewige Leben in der Großen Horde. Garbmashan ließ das Feuer eröffnen. Die ersten Gegner explodierten im unvergleichlichen Feuersturm der Zaqoor-Geschütze. Im Gegenzug schafften es die Sammler-Einheiten nicht, trotz tausendfachen konzentrierten Feuers die Schutzschirme zu durchschlagen. Garbmashan traute seinen Augen nicht. Das war alles, was der Sammler zu bieten hatte? Total rückständige Waffentechniken, die nicht in der Lage waren, die hyperenergetischen Komponenten der Schirme anzugreifen? Gelächter hallte durch die Zentrale, als die Angreifer zu Hunderten explodierten. So mancher Zaqoor rieb sich zum Zeichen des Spotts am mittleren seiner fünf Kinnhörner, als die Belastungswerte der Schutzschirme über die Holos liefen: 19 Prozent!
* Saryla kniff die Augen zusammen. Er konnte es nicht glauben. Sollte er sich derart getäuscht haben? War der Sammler tatsächlich nicht leistungsfähiger? Als die MITYQINN selbst ins Kampfgeschehen eingriff und die ersten beiden Zaqoor-Einheiten in grellen Explosionen vergingen, atmete der Lordrichter erleichtert auf.
* Die Zaqoor ließen sich durch die Verluste nicht abschrecken. Ganz im Gegenteil. Obwohl sie fünf weitere Schiffe verloren, flogen sie unvermindert gegen die Vasallen und deren Mutterschiff an. Nach arkonidischem Ermessen war das glatter Selbstmord, an den Litaneien von Trodar gemessen je-
doch eine Erhöhung der Krieger. Ich war im Laufe meines langen Lebens schon öfters mit derartigen Philosophien konfrontiert worden. Sie dienten nur dem einen Zweck, aus intelligenten Lebewesen Kampfmaschinen zu formen, denen selbst das eigene Leben nichts bedeutete. Zudem befand sich höchstwahrscheinlich ein Lordrichter in allernächster Nähe. Deswegen würden die Zaqoor kämpfen, bis der letzte Golfballraumer im eisigen All verglühte. Mit tödlicher Präzision schoss der Sammler ein Schiff nach dem anderen ab. Der Kirigalo hielt sich trotzdem aus den Kampfhandlungen heraus. Bisher. Er stand im Hintergrund und beobachtete, während sich immer noch rund 15.000 Roboteinheiten an ihm abmühten. Er beachtete ihr Feuer einfach nicht. Hätten die Vasallen Arkoniden an Bord, wäre dies ein äußerst demütigendes Erlebnis für sie, stellte der Extrasinn fest. Durch seine Nichtbeachtung demonstriert der Seestern unendliche Überlegenheit. Das wird sich noch zeigen. Als die letzten der neu entstandenen Sonnen verlöschten, schien dieser Teil des Universums für einen winzigen Moment den Atem anzuhalten. Es war mir, als zähle es nun all die Toten und die Milliarden Trümmerteile, die, vom zentimetergroßen Bordwandstück bis hin zum hausgroßen Aggregat, inmitten schwach flackernder Gaswolken trieben. Dieses zweifellos irreale Gefühl mochte auch daher rühren, dass die Vasallen auf einen Schlag das Feuer einstellten. Selbst die auf den Kirigalo einprasselnden Energien erloschen für einen Moment. Jetzt war nur noch der Seestern übrig. Es kam mir so vor, als leuchte das Rot in der normaloptischen Darstellung noch ein wenig intensiver, noch ein wenig unheimlicher. So war es wohl auch. Myreilune fing an zu stöhnen, und Abreime Shastich fasste sich kurz an den Kopf. Allen anderen sah ich die Unbehaglichkeit deutlich an. Lediglich Kaystale verzog keine Miene. Unwillkürlich kniff ich die Augen zusam-
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men. Wie würde Seine lordrichterliche Exzellenz nun reagieren?
* Saryla betrachtete die Vorgänge aus seinem Eishaarfeld heraus mit großer Befriedigung. Na also, es geht doch … Der Lordrichter spürte die wachsende Unruhe in der Zentrale, als ein Zaqoor nach dem anderen abgeschossen wurde. Garbmashan blickte immer wieder scheu zu ihm herüber. Der Kommandant wartete auf den Einsatzbefehl. Auch wenn er voll in Trodar lebte, machte es für ihn doch einen Unterschied, ob Garbyor in Erfüllung einer ehrenvollen, Sinn stiftenden Aufgabe oder aber jene entbehrend in die Große Horde wechselten. Um wie viel mehr sogar, als Saryla aus Unterzahlgründen eine gewisse momentane Zurückhaltung aller Garbyor in Gruelfin postuliert hatte. Garbmashan war sicher, dem Sammler mit dem Kirigalo beizukommen und dadurch einen Teil seiner Artgenossen zu retten. Doch er würde es niemals wagen, den Lordrichter zu irgendetwas aufzufordern. Dazu war er viel zu erfahren. »Herr, ein Wort, und wir schießen diesen Sammler aus dem Raum-Zeit-Gefüge«, entfuhr es dagegen dem noch jungen Waffenleitoffizier, der erst seit kurzem an Bord Dienst tat. »Keine Aktion. Wir warten!«, befahl Saryla stattdessen. Ganz kurz verstärkte er die Ausstrahlung des Eishaarfeldes. Davon abgesehen, dass Garbmashan den vorwitzigen Offizier körperlich maßregeln würde, musste auch von seiner Seite aus ein wenig Strafe für den Waffenleitoffizier sein! Als sich die Zentralebesatzung kollektiv an die Köpfe fasste, als Stöhnen und Keuchen den riesigen Raum durchdrangen, als drei Besatzungsmitglieder sogar auf der Stelle zusammenbrachen und liegen blieben, freute sich Saryla wie ein kleines Kind.
Macht ist doch etwas Wunderschönes, sie hat so etwas … Erhabenes … Der Lordrichter verspürte große Lust, das Eishaarfeld noch aktiver werden zu lassen. Wie schön wäre es gewesen, hätte er einem oder zweien der Zaqoor beim Sterben zusehen können. Sein Sadismus uferte nur deswegen nicht aus, weil in diesem Moment das letzte Begleitschiff verging. Die Vasallen stellten für einen Moment ihre ohnehin sinnlosen Attacken ein. »Lass die Kirigaluun einzeln angreifen!«, befahl Saryla. Garbmashan führte den Befehl aus. Auch wenn er es nicht verstand. Doch eher erlöschen die Sterne, als dass ein Lordrichter sich irrt.
10. Die Fortsetzung der Schlacht (aus der jeweiligen Sicht der beiden Parteien) »Ich messe erhöhte energetische Aktivitäten an. Irgendwas passiert beim Kirigalo.« Ypts Stimme klang aufgeregt. Ich starrte auf den Seestern, der wie ein roter Dämon in der Schwärze des Alls hing. Die vielen Vasallen, die ihn umschwirrten, wirkten auf der normaloptischen Darstellung tatsächlich wie kleine, zornige Moskitos. Auf Geheiß Florymonthis' feuerten sie vorerst nicht weiter. Was hatte der Lordrichter vor? Es war der Extrasinn, der zuerst bemerkte, was vorging. Schau auf die Spitzkegel. Sie lösen sich ab. Tatsächlich. Jetzt sah ich es auch. Ganz langsam drifteten die mächtigen »Tentakel« von dem rotierenden Ellipsoid weg. Jeder von ihnen konnte mit der imposanten Länge von 1125 und einem Basisdurchmesser von 520 Metern aufwarten. Somit gab jedes Teil für sich eine mächtige, nicht zu unterschätzende Einheit ab. Nochmals: Was haben die vor? Na, was wohl, du Narr, erwiderte der Extrasinn. Sie werden den Sammler einkreisen und in die Zange nehmen. Ich denke, dass
Eschens Welt ich den Verlauf der Dinge einordnen kann: Der Lordrichter wartete zuerst einmal ab, was der Sammler zu leisten imstande ist. Aus dem Schlachtverlauf hat er gewisse Rückschlüsse gezogen und eine Taktik daraus abgeleitet. Die Spitzkegel strebten vom Basisteil weg. Sie beschleunigten mit hohen Werten, während die Vasallen den Beschuss wieder aufnahmen. »Da, das Leuchten erlischt!« Myreilune deutete aufgeregt auf das Rotationsellipsoid. Tatsächlich begann die rote Farbe langsam zu verblassen und machte allmählich einem stumpfen Grau Platz. »Die Rotationen werden schwächer«, meldete Ypt Karmasyn. Kein Zweifel, der Lordrichter legte das Ellipsoid still. Er setzte auf dezentralisierte Angriffe. Also befand er sich wohl an Bord eines der Spitzkegel. Aber in welchem? Die Spitzkegel kreisten den Sammler ein, was in Anbetracht der Größenverhältnisse eher lächerlich wirkte. Sie kümmerten sich nicht um die Vasallen, sondern versuchten, mit ihren Waffen den Schutzschirm der MITYQINN zu knacken. Bei allen Göttern Arkons! Wenn ich jemals eine Ahnung von Taktik und Kriegsführung gehabt hatte, verstand ich nicht im Ansatz, was sich da vor meinen Augen abspielte. Entweder handelte es sich bei dem Lordrichter um einen der größten Dilettanten, der mir je untergekommen war, vielleicht sogar um die Überheblichkeit in Person, oder aber um ein Genie. Führte er etwas im Schilde, was ich nicht durchschaute? Besaß er noch einen oder mehrere Trümpfe in der Hinterhand? Bis jetzt zumindest hatte der Kirigalo nicht gezeigt, dass er zu außergewöhnlichen Leistungen fähig war. Du hast Recht. Diese Taktik ist nicht zu durchschauen. Das einzige Erfolg versprechende Mittel gegen die Schirme des Sammlers wäre ein Punktbeschuss. Warum verteilen sich die Spitzkegel über eine derart große Fläche? Eben. Wäre der Kirigalo kompakt geblie-
39 ben, hätte er den Punktbeschuss viel besser umsetzen können, ergänzte ich die Gedanken des Extrasinns. Zudem hätte er über die weitaus stärkeren Schutzschirme verfügt. Die einzelnen Kegel kommen höchstens noch auf die halbe Schutzschirmstärke. Die Raumschlacht wogte hin und her. Irgendwann zeigten sich die unablässig angreifenden Kirigalo-Segmente den ungeheuren Energiemengen, die Sammler und Vasallen mit roboterhafter Präzision über ihnen »verschütteten«, nicht mehr gewachsen. Der Schirm des ersten zeigte leichte farbliche Veränderungen, die sich von einem Punkt aus rasend schnell ausbreiteten. Dann erlosch er. Die Vasallen erledigten den Rest. Hunderte von Explosionsherden entstanden auf der Oberfläche, gigantische Glutherde breiteten sich wie Lauffeuer aus. »Schnell, gib mir Florymonthis!«, brüllte ich Ypt an. Zwei Sekunden später hatte ich sie auf dem Bildsprechholo. »Lass deine Vasallen sofort das Feuer einstellen!«, befahl ich ihr. »Wir wissen nicht, auf welchem Schiff sich der Lordrichter befindet.« »Nicht auf diesem, du anbetungswürdiger Mann«, behauptete Florymonthis zu unser aller Verblüffung. »Ist dir noch nicht aufgefallen, dass sich einer der Spitzkegel etwas abseits hält und nur sporadisch feuert? Er steht genau 463.304 Kilometer weiter von meinem Schutzschirm entfernt im Raum als die anderen sieben, die ungefähr den gleichen Abstand haben.« Ich stöhnte. Soeben flog das angeschlagene Kirigalo-Segment in der bisher grellsten Explosion auseinander. Die Energieentfaltung war wesentlich höher als die dreier Golfballraumer zusammen. »Die Segmente nur flugunfähig schießen, nicht total vernichten! Das ist ein Befehl, Florymonthis.« »Den ich auch gerne ausführen werde, du begehrenswerter Mann. Kann es sein, dass du auf Rys als Schönheitsplasturg arbeitest? Rys ist ein wunderschöner Sumpfplanet, auf dem sie noch Ärztinnen …« »Atlan, Ende«, unterbrach ich die ewig
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krude Sammler-Kommandantin. Ich konzentrierte mich auf das besagte Kirigalo-Segment. Ypts Messungen ergaben, dass Florymonthis Recht hatte. »Dass mir das noch nicht selbst aufgefallen ist«, murmelte Ypt Karmasyn verlegen. »Das ist fast ein wenig peinlich, würde ich mal sagen. Ich glaube, ich muss meine Konzentrationsfähigkeit stärken.« Sie griff nach ihrem Symbiontengetränk, das angeblich genau dieses bewirkte. Mir kam eine Idee. Ich kontaktierte Florymonthis ein weiteres Mal. Sie stimmte meinem Ansinnen sofort zu. Drei weitere Spitzkegel verwandelten sich innerhalb der nächsten Minuten in Wracks. Zwischen den vier verbliebenen KirigaloSegmenten setzte hektischer Funkverkehr ein, während das Zentralellipsoid ausgespart blieb. Kein Laut war von dort zu hören. Die Spitzkegel änderten die Taktik und flogen aufeinander zu. Der Bordrechner wies allerdings aus, dass sich die Flugbahn des von uns als Lordrichterhort verdächtigten Segments nur scheinbar auf die anderen drei zubewegte und in Wirklichkeit hinaus in den freien Raum wies. Dabei erreichte es Sublicht-Beschleunigungswerte, die weder die AVACYN noch irgendwelche Sammlervasallen auch nur annähernd aufzuweisen hatten. Nun kam es darauf an.
* Einige Minuten zuvor Ich schlüpfte hastig in den grauen Kampfanzug, checkte die Funktionen und nahm verschiedene Handwaffen an mich. Kaystale, die neben mir in der Waffenkammer der AVACYN stand, tat das Gleiche. »Fertig?«, fragte ich sie. Sie nickte. Zusammen eilten wir in die Zentrale zurück. »Florymonthis kommt«, kündigte Myreilune an. Ich nickte knapp. Ich kannte das Phänomen, das nun gleich folgen würde, von frü-
her. Und tatsächlich. Mitten in der Zentrale entstand plötzlich ein stark leuchtender Energienebel, der sich zu fester Materie verdichtete. Florymonthis stand vor uns. Sie hatte sich selbst hierher transmittiert. Der mächtige Körper, der zum großen Teil von grünlicher Haut und jeder Menge Speckfalten überzogen war, passte nur deshalb in die Zentrale, weil sich der Super-Vasall leicht bückte. Dabei knickte sie ihren kugelförmigen Körper knapp über dem Personentransmitter in ihrer Leibesmitte ab. »He, pass gefälligst auf, du Tonne!«, rief Myreilune schrill, als sie, von einem der Säulenbeine gestreift und unsanft aus dem Kommandantensessel gedrückt wurde. Unbeholfen krabbelte sie wieder hoch. Ypt Karmasyn half ihr dabei. »Entschuldigung«, brummte Florymonthis. »Ich will niemandem wehtun, ich bin harmlos. Schließlich arbeite ich als Ärztin …« »Ja, schon gut, wir müssen los.« Florymonthis stieß glucksende Laute aus ihrem breiten Fischmaul. Eine Art Lachen? Die Augen, die wie überdimensionale Bälle über uns in der Zentrale hingen, drehten sich zu mir. »Natürlich, schöner Mann. Ich werde es genießen, dich in mich aufzunehmen.« »Wir nehmen Kaystale mit.« Ich zeigte auf die Takererin. »Wie du willst, du prachtvoller Mann.« Florymonthis griff sich mit einem ihrer zwei dicken, kurzen Arme blitzschnell ein kleines Energieaggregat und stopfte es sich in den Mund. »He, lass das!«, zeterte Myreilune. »Das war eine Ladestation für unsere Handwaffen. Die wirst du uns gefälligst aus deinen eigenen Beständen ersetzen.« »Darf ich sie auch fressen?«, fragte Florymonthis an meine Adresse, beugte sich noch tiefer und fixierte mit ihren riesigen Augen die Kommandantin. »Sie besitzt einige Energiespender im Körper, die ich gut gebrauchen könnte.« »Nein, lass das!«, zischte Myreilune er-
Eschens Welt schrocken. »Los jetzt«, mahnte ich. »Wir dürfen keine weitere Zeit verlieren.« Florymonthis nahm Kaystale in die linke, mich in die rechte Hand und hob uns bis zu ihrer Leibesmitte hoch. Ich blickte in die drei mal drei Meter messende Öffnung, die sich dort auftat. Undurchdringliche Schwärze herrschte darin. Ein Flimmern entstand. Blaue Blitze zuckten von einer Seite zur anderen. Ich atmete tief durch. Florymonthis hatte uns versichert, dass sie den Schutzschirm des Kirigalo-Segments problemlos durchdringen konnte. Der Riesenroboter schubste uns in das Flimmern hinein. Im selben Moment, in dem wir den Leibestransmitter »betraten«, verließen wir ihn auch schon wieder … … und materialisierten mitten in der Zentrale des Kirigalo-Segments! Das geschah zeitverlustfrei. Nur wenn sich Florymonthis selbst transmittierte, entstand dieser Nebel. Unsere Schutzschirme flammten auf. Gleichzeitig fuhren einige Besatzungsmitglieder herum. Zaqoor! Ich nahm alle möglichen Eindrücke auf einmal auf. Rötliches Leuchten durchzog die Zentrale. Die Technik wirkte nicht absolut fremdartig. Das rührte daher, dass sie auf die Bedürfnisse von Humanoiden zugeschnitten war. Die Angststrahlung gab es im Inneren nicht. Auf den Holos waren die angreifenden Vasallen zu sehen, die das Segment unablässig beschossen. Wenn ich erwartet hatte, den Lordrichter direkt in der Zentrale vorzufinden, sah ich mich getäuscht. Außer rund dreißig Zaqoor hielt sich hier niemand auf. Einer der riesigen Humanoiden brüllte etwas. Seine Hand fuhr zur Taille. Dort hing eine Handwaffe. Ich schoss sofort und traf den Mann in den Hals. Röchelnd sank er über seinem Platz zusammen. Weitere Zaqoor fuhren von ihren Sitzen hoch und zogen die Waffen. Der Komman-
41 dant, der erhöht in der Raummitte thronte, schrie Befehle. Kaystale und ich schossen wie die Wilden um uns und veranstalteten ein mittleres Chaos. Aggregatverkleidungen platzten ab, Funken sprühten, es stank nach verschmorten Kabeln. Plötzlich quäkten Sirenen durch das Schiff. Dann hechteten wir in Deckung. Die ersten Schüsse des Gegners schlugen in unsere Schutzschirme. Ich kniete hinter einer Konsole und schoss auf die anrückenden Zaqoor, die sich langsam formierten und sich gegenseitig Feuerschutz gaben. Von drei Seiten rückten sie heran. Während uns ein Dutzend gleichzeitig mit einem wahren Strahlgewitter in Deckung hielt, huschten vier, fünf andere auf unseren Standort zu. Bei Arkons Göttern, wo blieb die vermaledeite Florymonthis? Die Zaqoor hielten inne, als der leuchtende Nebel erschien und sich wiederum verdichtete. Sie brüllten sich die Seele aus dem Leib und schossen wie die Verrückten auf den großen Roboter, der von starken Schutzschirmen umflort wurde. Es zischte und fauchte. Starker Rauch stieg von einem brennenden Terminal auf, wallte träge durch den Raum und behinderte unsere Sicht immer mehr. Florymonthis machte sich ans Werk. Sie begann, die Zentrale zu verwüsten. Mit ihren Armen riss sie Leitungen aus der Decke und hieb Löcher in die Wände, während sie sich in Richtung Kommandopult in Bewegung setzte. Dabei räumte sie alles aus dem Weg, was sich ihr in denselben stellte. Ich war immer wieder verblüfft, wie sich etwas mehr als sechs Tonnen Lebendgewicht derart elegant und geschmeidig bewegen konnten. Ein Zaqoor wurde durch den kurzen Kick ihres linken Beins beiseite geräumt, flog meterweit durch die Luft und knallte gegen eine Wand. Das Knacken seiner Knochen durchdrang sogar noch den ohnehin schon hohen Lärmpegel. Konsolen und Aufbauten gingen reihenweise zu Bruch, nichts und niemand vermochte sie zu bremsen.
42 Kaystale und ich waren ob des wütenden Monstrums vergessen. Wir huschten zum Eingangsschott, um es zu sichern. Tatsächlich tauchten erste schwer bewaffnete Zaqoor-Kampftrupps im Gang dahinter auf. Sie wurden durch unser wütendes Feuer gestoppt, rückten dann aber beständig vor. Auf Dauer konnten wir sie jedoch nicht aufhalten. Das mussten wir auch nicht. Ein paar Sekunden noch, dann hatte Florymonthis das Schiff in ihrer Gewalt. Wenn sie den Kommandostand stilllegte, war es aus mit der Flucht des Kirigalo-Segments. Dann würde uns der Lordrichter wenigstens nicht mehr entkommen. Das hieß allerdings noch lange nicht, dass wir ihn bereits in unserer Gewalt hatten! Schüsse aus schweren Strahlgewehren schlugen neben uns ein und brachten die Wände zum Brodeln. Auch der Gang wurde jetzt von dicken Rauchschwaden durchzogen. Glutnester flackerten, Lichtkegel aus Helmscheinwerfern huschten durch den brodelnden Rauch und erzeugten Furcht erregende Licht- und Schattenspiele. Einschläge, die uns erwischten, belasteten unsere Individualschirme stark. Kaystale hatte das Pech, von drei Treffern gleichzeitig erwischt zu werden. Ihr Schutzschirm brach zusammen, ihre Waffe rutschte ein Stück weit über den Boden. Einen Moment lang blieb sie keuchend liegen. Sie musste etwas abbekommen haben. Dann rappelte sie sich wieder hoch. Ich hörte ihre Zähne knirschen. Aus den Augenwinkeln sah ich einen Zaqoor schräg in unserem Rücken auftauchen. »Kaystale!«, schrie ich. Sie wirbelte herum und duckte sich. Wo sie gerade noch gelegen hatte, schlug ein Energiestrahl ein. Bevor der Kerl ein zweites Mal schießen konnte, rannte sie auf ihn zu. Mit voller Wucht prallte sie gegen die Leibesmitte des Mannes, der sie um gut sechzig Zentimeter überragte. Der Zaqoor trug wie alle Soldaten seiner Rasse einen seltsamen weißen Brustpanzer
Christian Schwarz aus fünf zum Teil übereinander geschobenen Platten, die mit kunstvollen Ornamenten verziert waren. Der Panzer wirkte wie eine Wand. Trotzdem geriet der Krieger ins Straucheln, so wuchtig ging ihn Kaystale an. Der Zaqoor grunzte, während die Takererin die Zähne zusammenbiss. Sie hatte sich bei ihrem Angriff die Schulter geprellt. Trotzdem reagierte sie wesentlich rascher als der Garbyor. Der stützte sich soeben an einer Wand ab. Kaystale erspähte die Lücke mit geübtem Auge. Rasch duckte sie sich und huschte zwischen seinen Beinen hindurch. Richtig vermutet! Hier war der Kerl ungeschützt. Schon befand sie sich unter ihm. Aus den Hüften zog sie ihren Oberkörper mit aller Gewalt hoch. Ihr Helm knallte in die Weichteile des Kriegers, die anatomisch an exakt der gleichen Körperregion angeordnet waren wie bei jedem Cappin-Mann. Tierischere Laute hatte Kaystale nur einmal in ihrem Leben vernommen. Da war sie selbst die Verursacherin gewesen. Der Zaqoor klappte in der Mitte ab und sank zu Boden, während er wimmernd seine Weichteile umklammerte. Die Takererin zögerte keinen Moment. Mit einer geübten Bewegung riss sie ihr Vibratormesser aus dem Stiefelschaft. Trotz seiner Verletzung sah der Garbyor, was ihm gleich blühte. Sein Arm zuckte heraus. Er traf Kaystale am Knöchel. Die Takererin ging zu Boden und wäre dabei um ein Haar in ihr eigenes Vibratormesser gefallen. Gedankenschnell hielt sie es von ihrem Gesicht fern. Das gelang nur dank perfekter Körperbeherrschung. Kaystale kam direkt neben dem von brauner, lederner Haut überzogenen Gesicht zum Liegen. Hasserfüllte Augen starrten sie an, während sie sich von der Hand des Zaqoor an der Hüfte gepackt fühlte. Er drückte zu. Sie schrie laut und durchdringend, obwohl kaum Kraft in der Hand war. Dabei verdrehte sie die Augen und röchelte. Ihr Gegner keuchte und versuchte, noch stärker zuzudrücken. Dafür musste er etwas
Eschens Welt näher an sie heran, um nachfassen zu können. Kaystales Trick funktionierte. Der Zaqoor, der sich bereits als Sieger sah und sein Werk vollenden wollte, zog sie ein wenig zu sich heran. Dadurch geriet sein Gesicht in den Bereich ihres Vibratormessers. Blitzschnell schnitt sie ihm drei seiner fünf Kinnhörner ab. Blut spritzte auf ihren Helm, während sich ihr besiegter Gegner brüllend und zuckend wälzte. Eiskalt wartete sie ab, bis die richtige Gelegenheit kam. Dann schickte sie den Garbyor mit einem Stich ins Genick, knapp unterhalb der beiden kleinen Schulterflügel, die zur Rüstung eines jeden Zaqoor gehörten, in die Ewigkeit der Großen Horde. Abrupt lag er still. Kaystales künstliches Auge leuchtete grell auf. Ein Zeichen ihres Triumphes. Erst eine Stunde später gehörte das Kirigalo-Segment uns. Wir mussten die Zentralebesatzung bis auf den letzten Mann töten, bevor der Widerstand endgültig erlosch. Keiner der Garbyor hätte freiwillig aufgegeben. Die Kampftruppen konnten wir dank eines starken Energiefeldes unbekannter Bauart, das Florymonthis vor das Zentraleschott legte, lange genug aufhalten. Den Generator dafür »zauberte« sie aus den Tiefen ihres Leibs hervor. Mochten die Bauchaufschneider wissen, was sie dort noch so alles an technischen Überraschungen beherbergte! Florymonthis gelang es zudem spielend, trotz der fremden Technik die Schutzschirme des Segments abzuschalten und die Außenschleusen zu öffnen. Gleichzeitig befahl sie den Vasallen, die Angriffe einzustellen und das Schiff zu entern. Tausende kleiner Robots kämpften sich vorwärts, walzten Widerstandsnester nieder und machten sich auf die Suche nach dem Lordrichter. Am liebsten hätte ich mitgesucht. Aber es brachte nicht viel. Nüchtern betrachtet konnten bei der Größe dieses Schiffes wohl nur Florymonthis und ihre Vasallen erfolgreich sein. Es sei denn, ein Zufall half.
43 Ich beschloss, auf die AVACYN zurückzukehren und mir das Zentralsegment des Kirigalos in aller Ruhe anzusehen. Neben der Ergreifung des Lordrichters war mein zweites großes Ziel, die Technik zu erforschen, die die geheimnisvollen Wesen benutzten. Florymonthis versprach, jede Menge Vasallen zu meinem Schutz abzustellen, wenn ich an Bord des Kirigalos ging. Dann transmittierte sie mich und Kaystale auf die AVACYN zurück. Myreilune und die anderen begrüßten uns begeistert. Kurze Zeit später näherten wir uns vorsichtig dem Kirigalo, bei dem bereits Tausende von Vasalleneinheiten auf uns warteten. Einige der Robots standen in der mächtigen Eingangsschleuse, die sie bereits geknackt hatten. Noch immer lag das riesige Ellipsoid grau und tot im Raum. Wir maßen keinerlei energetische Aktivitäten an. Dann …
* Saryla wartete in aller Ruhe an Bord des energetisch toten Kirigalos. Er besaß trotzdem die Möglichkeit, die Schlacht in allen Einzelheiten mitzuverfolgen. Die Dinge entwickelten sich. Und sie entwickelten sich gut. Dass die ZaqoorBegleitschiffe und die Kirigaluun vernichtet wurden, bedeutete nichts. Und doch wieder alles. Denn diese Vernichtung gehörte zwingend zum Plan. Einem Plan, der in seinen Gehirnsphären entstanden war. Einem perfekten Plan. Der Arkonide fiel bisher auf jedes Detail seiner ausgeklügelten Charade herein. Den alles entscheidenden Schritt würde er ebenfalls noch tun. Schon bald … Ja, er, Saryla, der Größte unter allen Lordrichtern, war derjenige, der dazu ausersehen war, diesem verdammten Atlan das Lebenslicht auszublasen. So hatte es das Schwert der Ordnung bestimmt. So würde es geschehen. Als sich das kleine Beiboot dem Kirigalo
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näherte, triumphierte Saryla. Nur noch wenige 10.000 Kilometer, noch 12.000, noch 4000 … Der Lordrichter hüllte sich in sein Eishaarfeld … … und transmittierte.
11. Atlan Zuerst dachte ich, Florymonthis würde unangemeldet in der Zentrale der AVACYN auftauchen, als die Luft flimmerte. Aber es war ein ungebetener Gast, der uns da seine Aufwartung machte. Und mit ihm wehte die Aura des absolut Bösen ins Schiff. Zumindest empfand ich es so, denn sie verkörperte all die Werte, für die ich niemals gestanden hatte und niemals stehen würde. Tod. Unterdrückung. Ungezügelte Machtgier. Wir alle starrten mit wachsendem Entsetzen auf die eisglitzernde Nebelwolke, die inmitten der Zentrale materialisierte. Sie besaß die grobe Form eines dreieinhalb Meter großen und zwei Meter durchmessenden Zylinders. Mein Instinkt sagte mir, dass dies keine eisglitzernde Nebelwolke war, sondern etwas völlig anderes, Unfassbares, Unerklärliches, auch wenn mein Verstand dieses … Ding in besagtes Bild umsetzte. Kleine Fäden, die dem Erscheinungsbild von Eis tatsächlich sehr nahe kamen, waren in ständiger Bewegung begriffen, drehten sich ineinander und umeinander, führten irrwitzig schnelle Tänze auf und ruhten an anderer Stelle fast ganz. Sie bildeten eine Art festen, unzerreißbaren Vorhang, den mein Verstand als dichte, aber doch durchsichtige Wolke greifbar machte. Ich kniff die Augen zusammen, während die ersten bedrohlichen Impulse bei mir ankamen. Einen kurzen Augenblick noch ließen sie mir Zeit, gebannt die schemenhafte schwarze Silhouette inmitten der Eiswolke zu beobachten. Wie eine Amöbe war die Silhouette in ständiger Veränderung begriffen,
zerfloss zu allen möglichen Formen, hielt keinen Moment lang inne. Ich stand zum nunmehr dritten Mal einem Eishaarfeld gegenüber und wusste, dass nicht wir den Lordrichter, sondern er uns gefunden hatte. Diese sich ständig verändernde Amöbe im Eishaarfeld, war dies die wahre Zustandsform eines Lordrichters? Handelte es sich bei ihnen um gänzlich fremdartige Intelligenzen? Ja! Hier bestätigte sich, was ich immer angenommen hatte. Sie waren anders, andersartig im Denken, andersartig im Aussehen. Meine Gedanken jagten sich. Und wurden jäh gestoppt. Die Aura unglaublicher Macht manifestierte sich mit derartiger Wucht in der Zentrale, dass die anwesenden Besatzungsmitglieder ächzend auf die Knie gingen oder wie Marionetten, denen die Fäden gekappt wurden, zusammensanken. Myreilune blieb verkrümmt auf dem Boden liegen. Kaystale hielt sich mühsam auf den Knien, den Kopf tief gesenkt. Sie wankte beträchtlich. Auch ich verspürte den Drang, mich flach auf den Boden zu legen und mich einfach in mein Schicksal zu ergeben. Die Kraft, die von diesem Gebilde ausging, erwies sich als stark, so ungeheuer stark. Nie zuvor hatte ich Ähnliches verspürt. Nichts und niemand im gesamten Universum konnte diesem Gebilde widerstehen. Warum also gerade ich? Auch ich musste vor ihm auf die Knie gehen, mich ihm ergeben, darauf warten, was es mit mir machte. Nein, das musst du nicht, Kristallprinz! Kämpfe dagegen an. Bleib auf deinen Beinen stehen. Ergib dich ihm nicht! Wer sprach da? Mein Extrasinn? Ja, er musste es wohl sein. Irgendjemand in meiner Umgebung stöhnte und keuchte. Irgendwann, nach vielen Stunden, bemerkte ich, dass ich selbst es war. Stunden? Es konnte nicht sein. Niemand konnte Stunden vor dieser unglaublichen Macht bestehen, dieser bedrohlichen, demütigenden, alles umfassenden Macht, vor der ich mir noch kleiner und unbedeutender als die winzigste Mikro-
Eschens Welt be vorkam. Widerstehe ihm, mein alter Weggefährte, widerstehe ihm. Du bist so stark wie er, ja, stärker noch. Du schaffst es, Atlan, du schaffst es. Du stehst, merkst du es? Du stehst immer noch vor ihm. Er zwingt dich nicht in die Knie. Bleib stehen. Stehe! Ovaron? Ja, mein Freund, ich bin Ovaron. Ich helfe dir, gegen dieses furchtbare Monster zu bestehen. Ich bin an deiner Seite, in dir, mit dir. Dein starker Wille und meiner zusammen. Damit versetzen wir Berge wie ehedem. Wer könnte uns gemeinsam bezwingen? Niemand, Ovaron, niemand. Du hast Recht, Atlan, mein alter Freund, niemand kann das. Ich helfe dir, dein Extrasinn hilft dir, auch dein Monoschirm ist eine starke Festung. Spürst du, wie die Macht des Eishaarfeldes an ihm abgleitet? Spürst du es? Ja, bei allen guten Geistern Thantur-Loks, und wie ich es spürte! Wir alle zusammen bildeten eine Geistesmacht, die der Kraft dieses unsäglichen Eishaarfeldes trotzen konnte. Ganz langsam klärten sich meine Gedanken. Ich erkannte wieder, wer ich wirklich war. Wie stark ich war. Ich, Atlan da Gonozal, Kristallprinz, Imperator von Arkon, Ritter der Tiefe, Orakel von Krandhor, Reisender in der Namenlosen Zone und hinter den Materiequellen und – Träger des Flammenstaubs. Was hätte der Lordrichter der Macht des Flammenstaubs wohl entgegenzusetzen? Nichts. Es war so einfach. Ich musste den Flammenstaub nur hochzwingen … Nein, noch nicht. Du treibst den Teufel mit dem Beelzebub aus. Schöpfe erst alle anderen Möglichkeiten aus! Die scharfe Ermahnung des Extrasinns beendete die erneute Versuchung, der ich mich aussetzte. Es musste auch so gehen. Der unerschütterliche Glaube an mich selbst und an jene, die mir beistanden, ließ mich wieder den Kopf erheben. Zwar unter Stöhnen, aber noch immer aufrecht stehend, blickte ich in
45 das Feld. Auch wenn es mir große Mühe bereitete. Ich bemerkte aber, dass es immer besser ging. Dabei halfen mir Extrasinn und Ovarons Bewusstseinssplitter, die mich unablässig stark redeten. »Du widerstehst mir, Atlan?«, drang es dumpf aus dem Feld hervor. »Nun, für lange wird es nicht sein. Du bist mir in die Falle gegangen, ganz so, wie ich es geplant habe.« »Welche … Falle?« Ich schwankte wie ein Schilfhalm im Wind, hielt mich aber wacker. »Das Schwert der Ordnung weiß alles über deine Pläne, Arkonide. Es beauftragte mich, den Fähigsten unter allen Lordrichtern, dich endlich zu stellen und zu töten. Du hast uns lange genug Ärger bereitet. Damit ist es nun gleich vorbei.« »Ich … dachte, ihr … wollt … mich lebend.« Die Worte drangen abgehackt aus meinem Mund. Ich fühlte mich unendlich schwach und unendlich stark zugleich. Ich – widerstand noch immer! »Nein, Atlan, wir wollen dich nicht mehr lebend. Das Schwert der Ordnung fordert nun deinen Kopf. So lauerte ich dir mit meinem Kirigalo und einigen Zaqoor-Schiffen dort auf, wo du eine Orientierungsetappe plantest. Wir flogen in Kampfformation, um dich glauben zu lassen, du seiest zufällig auf eine unserer Aktionen gestoßen. Mir war klar, dass du dir die Gelegenheit, einen Lordrichter zu fangen, nicht entgehen lassen würdest. Um dich aber so nahe an den Kirigalo heranzulocken, dass ich in dein Schiff springen konnte, musste ich die Raumschlacht absichtlich verlieren und eine gewisse Harmlosigkeit des Kirigalos vortäuschen. Ich tat es, indem ich dir vorgaukelte, mich auf einem Kirigaluun zu befinden. Wir machten es euch leicht. Während ihr die Zaqoor wahrhaftig bezwingen konntet, musste ich beim Kirigalo etwas nachhelfen, indem ich ihn durch seine Teilung schwächte. Ihr hättet ihn mit all eurer Kampfkraft nicht beschädigen können.« Diese Behauptung blieb erst einmal im Raum stehen.
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Natürlich. Jetzt macht alles einen Sinn, stöhnte mein zweites Ich. Wie dumm kann man nur sein? Ich hätte es erkennen müssen. Die ganze Zeit lagen die Ungereimtheiten offen vor mir. Ich habe sie sogar angesprochen und nicht die richtigen Schlüsse daraus gezogen. Ich Narr! Hörte ich richtig? Seit ich zurückdenken konnte, bezichtigte sich der Extrasinn zum ersten Mal selbst der Narretei. Ob an seiner Schwäche der Flammenstaub Schuld trug? »Woher wisst ihr von meinen Plänen?«, fragte ich bang. Diese Eröffnung erschütterte mich mehr als alles andere. »Unwichtig, Arkonide. Ich werde dir nun zeigen, dass das mit der Unsterblichkeit so eine Sache ist. Ich … Was ist das?« Der Lordrichter schien genauso verblüfft zu sein wie ich.
12. Kaystale Kaystale brach, wie die anderen auch, erst einmal unter der verheerenden mentalen Wucht des Eishaarfeldes zusammen. Doch im Gegensatz zu den anderen Besatzungsmitgliedern der AVACYN besaß sie einen molakanatharten Willen, den sie zudem durch verschiedene Konzentrationstechniken auf einen bestimmten Punkt hinlenken konnte. Es war schwierig, sich den hypnotischen Impulsen dieses umfassaden Etwas zu widersetzen, die sie klein, furchtsam und demütig machten, aber sie schaffte es schließlich doch. Was sollte sie tun? In Ruhe verharren, um dem Lordrichter keinen zusätzlichen Angriffspunkt zu geben? Um ihre Rache an Susyn doch noch durchführen zu können? Oder aber Atlan helfen, dem sie Treue bis in den Tod geschworen hatte? Dass der Weggefährte des Ewigen Ganjos Hilfe brauchte, war offensichtlich. Er stand ganz im Bann des Eishaarfeldes. Im Grunde genommen war ihre Entscheidung längst gefallen, als sie noch darüber nachdachte. Sie würde Atlan helfen, auch
wenn ihr nicht wirklich bewusst war, warum. Vielleicht konnte er ja dem Bann entkommen, wenn sie den Lordrichter ablenkte, und seinerseits zuschlagen. Die Kriegerin rappelte sich stöhnend hoch. Während sie auf das Eishaarfeld zuwankte, zogen die Bilder ihres Lebens an ihrem geistigen Auge vorbei. Bilder, in deren Mittelpunkt immer wieder Susyn stand. »Und die Siegerin ist …« Der Juror ließ sich Zeit mit der Urteilsverkündung, um das Ergebnis, das ohnehin schon jeder kannte, künstlich spannend zu machen. Die 17-jährige Kaystale musterte ihre Konkurrentin Jikyle aus den Augenwinkeln. Ja, Jikyle wusste genau, dass sie gewinnen würde. Ein selbstzufriedenes Lächeln lag auf ihren zugegebenermaßen wunderschönen Zügen. Ein wenig schade ist es schon, dachte Kaystale wehmütig. Sie hätte den Wettbewerb zur Mallucken-Königin gerne für sich entschieden. Schließlich war sie nicht hässlicher als Jikyle. Und sie war netter, sympathischer und bodenständiger als ihre Konkurrentin, was ihr viele aus dem zahlreich erschienenen Publikum bestätigt hatten. Aber Jikyle war Susyns Schwester. Susyn, der alle wichtigen Leute Peschtuns kannte und ihnen beständig kleine Geschenke und Gefälligkeiten zukommen ließ, selbstverständlich mit der Bitte, sich doch freundlicherweise bei Gelegenheit revanchieren zu wollen. Vier der sieben Juroren erhielten regelmäßig Geschenke von Susyn. Wie er es geschafft hatte, vier seiner Fürsprecher in der Jury zu platzieren, wusste niemand. Klar war nur, dass Susyn viel daran lag, seine Schwester als Mallucken-Königin gekrönt zu sehen. Denn der Mallucken-Königin Peschtuns stand in der Regel eine große Karriere als Model in der Hauptstadt Goryschan offen. Und wenn sie einen geschickten und skrupellosen Manager hatte, so, wie Susyn einer war, konnte sie zudem viel Geld verdienen. Sehr viel Geld. An Geld dachte Kaystale nicht. Aber eine
Eschens Welt Karriere als Model in Goryschan hätte ihr schon gefallen. Dann hätte sie endlich die harte Arbeit auf den Mallucken-Feldern, die sie so sehr hasste, hinter sich lassen können. Pech, dass sie gerade zum Jahrgang Jikyles gehörte. Denn Mallucken-Königin konnte nur eine 17-Jährige werden. Eine zweite Chance gab es also nicht. »… Kaystale Smothyn!«, drang es an ihr Ohr. Die junge Frau erstarrte. Einen Moment lang gefror die ganze Szenerie um sie herum ein: die 2000 wenig erwartungsvollen Besucher unter den großen, alten, ehrwürdigen Buschtbäumen, die bunt gekleidete Musikkapelle, die Streicheltiere neben der großen Bühne … Hatte der Juror eben Kaystale gesagt? Oder steckte sie zu tief in ihren Träumen? Nein, sie hatte schon richtig gehört. Das Publikum, das einen Moment lang ebenso ungläubig blickte, fing plötzlich an zu jubeln und zu brüllen. Lachuntblumen flogen auf die Bühne, trafen Kaystale, prallten an ihr ab. Ungläubig sah sie sich um. Sie schluckte, als sie Jikyles erstarrte Gesichtszüge sah, ihren plötzlich schneeweißen Teint, die Tränen, die langsam aus ihren Augen flossen. Jikyle drehte sich um und verschwand fluchtartig in den Kulissen. Susyn war womöglich noch blasser als seine Schwester. Mit geweiteten Augen, in denen deutlicher Unglaube stand, sah er sich um. Zorn kam dazu und schließlich die pure, vernichtende Wut, als er kurz die Jury musterte. Seine Hände ballten sich unkontrolliert zu Fäusten, dann drehte er sich abrupt um und folgte seiner Schwester. Susyn hatte noch nie zuvor verloren. Er wusste einfach nicht, wie sich Verlieren anfühlte. Und er machte die Erfahrung, dass sehr viele Peschtuni ihm diese Niederlage gönnten und sich offen daran ergötzten. In diesen Augenblicken empfand Kaystale Mitleid für ihre Konkurrentin. Dann freute sie sich nur noch und genoss die Ehren, die ihr an diesem Abend mehr als reichlich zuteil wurden.
47 Am nächsten Morgen stand Kaystale zwei Stunden später auf. Ihr Arbeitsleiter hatte es erlaubt. Nur noch drei Wochen musste sie ihren hübschen Rücken auf den Mallucken-Feldern krümmen, dann ging es nach Goryschan. Drei Wochen, die ihr keinerlei Mühe mehr bereiten würden. So beschwingt hatte sie ihre Arbeitskleidung noch niemals zuvor angelegt. Sie ging aus dem einsam gelegenen Haus, tanzte den schmalen Weg zum Wäldchen hinunter, genoss das tiefe Grün des Grasteppichs und die vielen bunten Tupfer darin und machte sich daran, durch die Hohlgasse in die weite Ebene abzusteigen, die kilometerweit ausschließlich von Mallucken-Feldern dominiert wurde. Es war einsam in der Hohlgasse, einige Zurillen zwitscherten im dichten Geäst über ihr. Unvermutet traten ihr drei Männer in den Weg. Sie musterten sie mit feindlichen, ja hasserfüllten Gesichtern. Susyn war einer von ihnen. Er trug einen Gegenstand in der Hand, der wie ein langes Rohr aussah. Sie ahnte nichts Gutes. »Was wollt ihr von mir?«, fragte Kaystale mit krächzender Stimme. Ihr Vorhaben, selbstbewusst zu reden, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. »Du willst nach Goryschan?«, zischte Susyn. »Du willst dort dein hübsches Gesicht verkaufen? Nun, das geht nicht. Denn ich habe beschlossen, dass meine Schwester Jikyle nach Goryschan geht.« Kaystale ahnte, was er damit sagen wollte. Wenn die Mallucken-Königin ihrem Engagement in Goryschan aus irgendwelchen Gründen nicht nachkommen konnte oder wollte, rückte automatisch die Zweitplatzierte nach. Zwei der Männer packten Kaystale bei den Armen und zogen sie so weit auseinander, bis die Schultergelenke knackten. Die junge Frau stand wie gelähmt, wie das Tschurr vor seinem Schlachter, wollte sich wehren und besaß doch nicht die Kraft dazu. Weder die körperliche noch die mentale. Mit einem irren Lachen riss Susyn das
48 Rohr hoch. Irgendetwas zischte und fauchte. Jetzt erst bemerkte Kaystale, dass er einen Behälter auf dem Rücken hängen hatte. Sie hatte nie zuvor einen Flammenwerfer gesehen, wusste nicht einmal, was es war, erkannte aber instinktiv die furchtbare Bedrohung, die von ihm ausging. Sie schrie plötzlich schrill und wandte zugleich den Kopf ab, als ein Feuerstrahl aus dem Rohr zischte, ihre linke Gesichtshälfte erfasste, die Haut verbrannte und das Haar in Flammen aufgehen ließ. Irre Schmerzen, die kein Cappin aushalten konnte, rasten durch ihren Körper. Nie zuvor hatte sie jemanden derart schrill schreien hören, nicht einmal ein Tschurr vor dem Todesstoß. Sie bemerkte nicht, dass sie selbst es war, die so schrecklich schrie. Sie wollte sich losreißen, die Flammen mit ihren Händen ersticken, aber die Folterknechte ließen sie nicht los. Sie lachten. Und flüchteten plötzlich. Die Schmerzen raubten ihr nur einen Augenblick später das Bewusstsein, sie sank zu Boden. Als sie wieder erwachte, lag sie im kleinen Krankenhaus von Peschtun. Ihr ganzer Kopf war bandagiert, Kaystale sah nur noch auf dem rechten Auge. Sie schrieb es dem Verband zu, der über ihrem linken lag. Doch das erwies sich als Irrtum. Als sich Kaystale nach vier quälenden Wochen zum ersten Mal wieder in einem Spiegel betrachten durfte, selbstverständlich nach endlosen psychologischen Gesprächen zuvor, erlitt sie einen Schock. Das junge, hübsche Mädchen hatte sich in ein Monster verwandelt! Ihre komplette linke Gesichtshälfte war verbrannt und vernarbt, ihre langen, grünlichen Haare waren verschwunden. Sie würden nie wieder wachsen, da die Haarwurzeln vollkommen zerstört waren. Statt ihres linken, weggebrannten Ohres sah sie einen etwa drei Zentimeter hervorspringenden Metalltrichter aus der schwarzrotblauen Masse ragen. Am furchtbarsten fand sie jedoch das künstliche, rot leuchtende Auge, das ihr eigenes ersetzte und nicht einmal ein optischer
Christian Schwarz Ersatz für dieses war. Gut, Gorys besaß seinen Ruf als absoluter Hinterwäldlerplanet zu Recht, obwohl er im Herzen des takerischen Reiches lag. Es gab nur wenig hoch entwickelte Technik, das harte, entbehrungsreiche Leben drehte sich in erster Linie um den Mallucken-Anbau. Man konnte Gorys als reine Agrarwelt bezeichnen. Dementsprechend stellte sich auch der medizinische Standard dar. Kaystale hatte davon gelesen, dass auf vielen takerischen Welten Augen und andere Organe spielend ersetzt werden konnten, dass Hauttransplantationen lediglich einen kleinen Eingriff darstellten. Doch sie lebte auf Gorys, ohne Chance, jemals wiederhergestellt werden zu können. Etwas zerbrach in Kaystale. In vielen wirren Fiebernächten fasste sie einen Entschluss, krempelte ihr ganzes Leben um. Sie würde den von Gorys geflohenen Susyn jagen, wenn es sein musste, durch die ganze Galaxis. Sie würde sich furchtbar an ihm rächen für das, was er ihr angetan hatte. Nein, ab heute würde sie die Mallucken-Aufseher, die zufällig des Weges gekommen waren und sie vor dem Tod gerettet hatten, deswegen nicht mehr verfluchen. Sie wollte leben. Leben für ihre Rache. Für ihren Hass. Und sie wollte nie mehr hilflos sein, der Willkür und Kraft anderer ausgesetzt. Kaystale kratzte ihre letzten Zasteren zusammen und ging nach Goryschan. Dort ließ sie sich in einer privaten Kampfschule zur Kriegerin ausbilden. Sie stählte sich körperlich und schulte dabei zugleich ihren Willen, indem sie sich selbst den abartigsten Torturen aussetzte. Immer öfters ging sie über ihre Grenzen, schob diese immer weiter nach oben. Beim Kampf mit einem Wildtschurr verlor sie drei Finger der rechten Hand. Was machte das schon? Sie hatte sich längst entschlossen, ihr grauenerregendes Gesicht nicht mehr zu ändern, um tagtäglich daran erinnert zu werden, für was sie lebte. Denn ihr Drang, Rache an Susyn zu üben, sollte niemals schwächer werden, nicht für einen Tag.
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Als Kaystale zur gefürchtetsten Kriegerin des ganzen Planeten gereift war, verdingte sie sich als Söldnerin und zog auf den verschiedensten Cappin-Schiffen kreuz und quer durch die Galaxis. Immer wieder suchte sie Susyn und merkte erst jetzt, wie aussichtslos sich dieses Unterfangen eigentlich darstellte. Doch Kaystale gab nicht auf. Vierzig Jahre nicht. Der Hass hielt sie nach wie vor am Leben. Längst erzählte sie niemandem mehr davon, längst lebte er nur noch tief in ihr selbst. Es gelang ihr, wieder normal mit ihren Landsleuten umzugehen, Gespräche zu führen, sich ein wenig zu öffnen, durchaus auch Männern gegenüber, auch wenn sie diese nach wie vor verachtete. Als sie an Bord der AVACYN gelangte, nahm sie nicht im Traum an, dass sich auf diesem kleinen NAMEIRE-Beiboot ihr Schicksal doch noch erfüllen würde. Sie traf Atlan, diesen wunderbaren Unsterblichen, der sie zum ersten Mal wieder wirkliches Vertrauen zu einem männlichen Wesen fassen ließ. Sie schwor ihm Treue als Gefolgsfrau, als Kriegerin. Und sie schenkte ihm ihre Haarspange. War es Zufall, dass sie gerade in seinem Partikelstrom doch noch auf Susyn stieß? Jetzt, da sie wieder behutsam zu leben anfing und Freude an den kleinen Dingen des Daseins fand? Jetzt, da sie ihre Rache nicht mehr um jeden Preis wollte, selbst im direkten Angesicht des Feindes? Wollte das Schicksal sie prüfen? Und so entschied sich Kaystale für Atlan. Als sie auf den Lordrichter zuwankte, als der Impuls des Eishaarfeldes ihren Verstand in die Ewigkeit schickte, wurde ihr schlagartig klar, warum sie sich für Atlan entschieden, warum sie ihm ihre Haarspange geschenkt hatte. Kaystale hatte die Liebe wieder entdeckt. Und musste dafür sterben …
Saryla schaute sinnend auf die verunstaltete Frau, der es gelang, sich ihm ebenfalls zu widersetzen. Fast empfand er so etwas wie Sympathie für sie, zumindest ein wenig Mitleid. Ich weiß, was es heißt, mit einem Gebrechen zu leben … Die Frau im grauen Raumanzug erhob sich keuchend. Sie wankte auf ihn zu und versuchte, nach ihrer Waffe zu greifen. Bemerkte sie nicht, wie unsinnig dieses Vorhaben war? Dass sie damit ihr eigenes Todesurteil unterzeichnete? Nun, jeder war für sich selbst und sein Schicksal verantwortlich. Der Lordrichter regte das Eishaarfeld zu einem verstärkten Impuls an. Er wischte den Verstand der Kriegerin regelrecht beiseite. Entseelt sank sie zu Boden. Das schwarze, ehemals gesunde Auge starrte gebrochen zur Decke. Und jetzt werde ich mich in aller Ruhe Atlan widmen und ihm genüsslich den Geist aus dem Schädel brennen. Wie das Schwert der Ordnung es mir nahe legte … Schwarzer, glitzernder Staub umflorte urplötzlich die Gestalt des Unsterblichen. Sah so der Flammenstaub aus? Natürlich. Dass Atlan versuchen würde, ihn einzusetzen, hatte Saryla einkalkuliert. Lächerlich! Nichts, aber auch gar nichts konnte sich gegen die Macht eines Eishaarfeldes stellen. Der Unsterbliche würde es umgehend merken. Er war am Ende seines Weges angelangt. Vielleicht sollte ich sogar noch ein wenig mehr tun, als mir befohlen wurde, schoss es dem Lordrichter durch den Sinn. Was, wenn ich nach Atlans Tod nun selbst den Flammenstaub in mir aufnähme? Könnte ich dann sogar dem Schwert der Ordnung widerstehen?
13.
Ungeheure Wut stieg in mir hoch, als ich Kaystale sterben sah. Gleichzeitig drängten sich Bilder in mein Bewusstsein, über-
Saryla
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50 schwemmten es geradezu, füllten es bis in den letzten Winkel, stießen mich in den dumpfen Bereich zwischen Wachen und Träumen. Wieder sah ich mich über die weite Ebene eines unbekannten Planeten schreiten, hörte das Dröhnen der Cavan-Hufe, sah die vier Reiter, die gelb leuchtend auf ihnen saßen und auf mich zupreschten. In einem der Reiter erkannte ich mich selbst, im zweiten das Leben, im dritten den Tod und im vierten den Flammenstaub. So weit die Wiederholung des allegorischen Traums, in den ich neulich auf dem Mond Eptascyn gesunken war, um den furchtbaren Schmerzen zu entkommen, die die Benutzung des Flammenstaubs jedes Mal nach sich zog. Doch nun kamen neue Bilder hinzu. Der Flammenstaubreiter ritt plötzlich Arm in Arm mit dem Tod, nur noch zwei Armlängen von mir entfernt, während sich das Leben immer weiter entfernte. Ich strebte dem Leben zu, streckte gierig und in wachsender Verzweiflung meine Arme nach ihm aus. Ich benutzte den Flammenstaub, um wieder näher ans Leben zu kommen, ritt aber gleich darauf so nahe am Tod wie nie zuvor. Doch noch hatte er mich nicht! Ich wusste, was all diese Bilder bedeuteten. Zwei-, vielleicht dreimal konnte ich den Flammenstaub noch einsetzen, bevor er mich endgültig »auffraß«. Oder doch nur einmal? Oder tötete er mich bereits beim nächsten Einsatz? Das Risiko war unabsehbar groß. Und trotzdem besaß ich nur diese eine Option. Zwang ich den Flammenstaub in mir hoch, hatte ich wenigstens noch eine winzige Chance, dem Verhängnis zu entkommen, zwang ich ihn nicht, tötete mich der Lordrichter auf jeden Fall. Ich wusste es längst. Extrasinn und Ovaron wussten es ebenfalls. Sie stellten sich mir nicht mehr in den Weg. Es war eine stille Übereinkunft von uns dreien schon in dem Moment gewesen, als ich mich entschloss, den Lordrichter zu fangen. Denn allen war klar, dass dies in letzter Konsequenz nur mit Hilfe des Flammen-
Christian Schwarz staubs geschehen konnte. Natürlich war da bis zuletzt die Hoffnung auf einen anderen Weg gewesen. Es gab ihn nicht. Also zwang ich den Flammenstaub in mir hoch. Es war so einfach. Als habe er nur darauf gewartet. Glitzerstaub, der scheinbar aus dem Nichts kam, umflirrte meinen Körper. Kraft meiner Gedanken manipulierte ich Wahrscheinlichkeiten, stieß Realitäten beiseite und erschuf neue. Wie wahrscheinlich war es, dass dieses fremdartige, äußerst bedrohlich und unheimlich wirkende Eishaarfeld, für das es keine hyperphysikalische Erklärung zu geben schien, im nächsten Moment zusammenbrechen würde? Wahrscheinlichkeitsfaktor in der bestehenden Realität: null Prozent. Wahrscheinlichkeitsfaktor in der neuen, durch meine Gedanken geschaffenen Wirklichkeit: 100 Prozent! Das Eishaarfeld verflüchtigte sich in einer explosiven Entladung. Zum ersten Mal sah ich einen der verfluchten Lordrichter in persona vor mir. Meine Augen tränten wieder, so aufgewühlt war ich. Ungläubig starrte ich die Gestalt an. Konnte das wirklich wahr sein? Ich hatte etwas völlig Fremdes erwartet …
15. Saryla Saryla hatte vor, den Tod des Unsterblichen genüsslich zu zelebrieren. Atlan sollte viele Minuten lang sterben und dabei furchtbare Schmerzen erleiden. Der erste Todesimpuls erging an das Eishaarfeld. Es führte den Befehl jedoch nicht aus. Ganz einfach aus dem Grunde, weil es plötzlich nicht mehr existierte! Der Lordrichter stöhnte. Fassungslos schaute er sich um, griff unbewusst ein paarmal nach dem, was längst weg war. Wo war es hin, das Eishaarfeld? Was lief hier so furchtbar schief? Gerade noch ein
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Gott, ein Herr über Leben und Tod, lernte er schlagartig die Gefilde der Bedeutungslosigkeit kennen. Da stand er nun vollkommen nackt vor dem Unsterblichen und fühlte sich unter dessen ungläubigen, plötzlich seltsam hohl wirkenden Blicken erniedrigt, entehrt, entblößt bis in die tiefsten Tiefen seiner grausamen Seele. Für das, was ihm Atlan da antat, würde er ihn bis ans Lebensende hassen. Wirklich hassen! Gleichzeitig gab es nun jemanden, den Saryla noch mehr hassen würde als den Arkoniden. Denn der Lordrichter, der sein Spiel soeben verloren hatte, durchschaute es in diesem Moment in allerletzter Konsequenz. Er bekam den entscheidenden Hinweis, als Atlan plötzlich schwankte wie Rohrgras im Winde Sytios, sich mit beiden Händen an die Schläfen fasste, stöhnend das Gesicht verzog und in die Knie ging, während der Flammenstaub wieder im Nichts verschwand. Ich selbst habe nicht um die wahre Macht des Flammenstaubs und dessen Auswirkungen gewusst, ein anderer hingegen schon …
16. Atlan … und starrte nun auf einen nackten Cappin! Ich wollte es kaum glauben. Bei den gefürchteten Lordrichtern sollte es sich um ganz normale Cappins handeln? Oder war es nur bei diesem hier so? Diese drängenden Fragen, gepaart mit äußerstem Erstaunen und tiefster Erregung, drängten im Moment noch etwas die rasenden Kopfschmerzen zurück, die mich fast um den Verstand brachten. Ich fühlte mich elend, leer, ausgelaugt, hielt mich kaum noch auf den Beinen. Jetzt, da das Eishaarfeld verschwunden war, kam die Besatzung wieder zu sich. Erstes Stöhnen wurde laut, Myreilune begann, sich zu erheben. Die anderen würden folgen. Nur Kaystale würde nie wieder aufstehen. Ich registrierte es nur am Rande. Meine
Konzentration galt ausschließlich dem Lordrichter. Was für eine armselige Gestalt stand da vor mir? Ein Mann, etwa so groß wie ich, leicht übergewichtig und mit eher schlaffen Gliedern, der gerade verzweifelt versuchte, mit beiden Händen seine Genitalien zu verbergen. Die rechte Hand war deformiert, ein Klumpen Fleisch. Eine dicke Narbe zog sich quer durch sein Gesicht und entstellte auch dieses. Der Kerl wirkte – abstoßend, irgendwie lächerlich sogar in seiner absoluten Hilflosigkeit. Jegliche Bedrohlichkeit war von ihm abgefallen. Das Fehlen des Eishaarfeldes reduzierte ihn auf absolutes Normalmaß. Nein, der absolute Hass in seinen Augen und die dazukommende infernalische Wut hoben ihn doch wieder über Normalmaß hinaus. Es war so erschreckend einfach gewesen, den Lordrichter zu fangen. Eigentlich viel zu einfach. Wahrscheinlich deswegen, weil er die Möglichkeiten des Flammenstaubs fahrlässig unterschätzt hatte. Dieses verfluchten Zeugs, das gerade an mir nagte und zehrte, mich innerlich verbrannte und fast schon wieder so präsent war wie schon einmal. Schwarze Schatten umflorten mich. Erste Boten der jenseitigen Welt. Ich sah den Reiter des Todes in ihnen galoppieren. Er streckte bereits die gierigen Hände nach mir aus. Ich hatte gewusst, dass es so kommen würde. Doch ich hätte gar nicht anders handeln können. Denn der Gegenwert, den ich für meine Selbstaufopferung bekam, war die fetteste Beute, die man sich in diesem grausamen Konflikt nur vorstellen konnte und deswegen jedes Risiko wert: ein Lordrichter nämlich. Du beschönigst die Dinge mal wieder, du Narr, erwiderte mein Extrasinn. Du wusstest nicht im Vorhinein, ob du die Beute für deine Aufopferung auch tatsächlich bekommen würdest. Wer nicht … wagt, der … nicht gewinnt … Ich fühlte mich kaum noch in der Lage,
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mich auf das Gespräch mit dem Extrasinn zu konzentrieren. Ja, natürlich, mein Kristallprinz. Und nun musst du darauf hoffen, dass der Lordrichter kein Todesimpuls-Implantat besitzt. Sonst war deine heroische Aufopferung doch noch umsonst. Die Besatzung der AVACYN stand längst wieder auf den Beinen. Mit einer Mischung aus Furcht und Feindseligkeit starrte sie den Lordrichter an. Ein Medoroboter kümmerte sich gerade um Kaystale. Er würde nur noch ihren Tod feststellen können. Ich versuchte mit allerletzter Kraft, meine Schwäche vor den anderen zu verbergen. Es gelang mir nur bis dahin. Dann konnte ich nicht mehr. Ich verbrannte innerlich! Schreiend fasste ich an meine Schläfen, ging in die Knie – und wusste erst einmal nichts mehr.
* 31. Oktober 1225 NGZ Das Schwert der Ordnung ist zufrieden. Alles läuft genau nach Plan. Es hat zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Der aufmüpfig gewordene Lordrichter Saryla, der wohl seine eigenen Pläne verfolgte, ist aus dem Weg geräumt und Atlan ausreichend geschwächt. Es fehlt nicht mehr viel, bis es den Arkoniden dort hat, wo es ihn braucht. Und dann werden die Schmerzen ein Ende haben. ENDE
ENDE
Lordrichter Saryla von Achim Mehnert Die Absicherung der Sternenstation BOYSCH und die Organisation des Widerstandes gegen die Invasoren sind in die Wege geleitet. Die Gefangennahme des Lordrichters Saryla, die nur über den Einsatz des Flammenstaubs gelang, scheint ebenso ein triumphaler Erfolg für den Arkoniden zu sein. Allerdings ist Atlan nun sowohl mental als auch physisch sehr geschwächt. Doch die Zeit drängt, denn er muss damit rechnen, dass die Truppen der Lordrichter Eschens Welt, wo der vierte Stamm der Rhoarxi leben soll, bereits erreicht haben. Bis zur Ankunft bleibt Zeit für ein erstes Verhör. Die faszinierende Geschichte des Lordrichters, wie er zum Monster geformt wurde und wie die Trodar-Lehre in Gruelfin Fuß fasste, erzählt Achim Mehnert.